Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar: Band 5 §§ 110-145d 9783110969429, 9783899495751

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Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar: Band 5 §§ 110-145d
 9783110969429, 9783899495751

Table of contents :
Verzeichnis der Bearbeiter der 12. Auflage
Vorwort
Inhaltsübersicht
Abkürzungsverzeichnis
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
ERLÄUTERUNGEN
BESONDERER TEIL
Sechster Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt
Vorbemerkungen zu den §§ 110 ff
§ 110 (weggefallen)
§ 111 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten
§ 112 (weggefallen)
§ 113 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte § 114 Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen
§ 114 Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen
§§ 115–119 (weggefallen)
§ 120 Gefangenenbefreiung
§ 121 Gefangenenmeuterei
§ 122 (weggefallen)
SIEBENTER ABSCHNITT. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung
§123 Hausfriedensbruch
§ 124 Schwerer Hausfriedensbruch
Vorbemerkungen zu den §§ 125 ff
§ 125 Landfriedensbruch
§ 125a Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs
§ 126 Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten
§ 127 Bildung bewaffneter Gruppen
§ 128 (weggefallen)
§ 129 Bildung krimineller Vereinigungen
§ 129a Bildung terroristischer Vereinigungen
§ 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, Erweiterter Verfall und Einziehung
§ 130 Volksverhetzung
§ 130a Anleitung zu Straftaten
§ 131 Gewaltdarstellung
§ 132 Amtsanmaßung
§ 132a Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen
§ 133 Verwahrungsbruch
§ 134 Verletzung amtlicher Bekanntmachungen
§ 135 (weggefallen)
§ 136 Verstrickungsbruch, Siegelbruch
§ 137 (weggefallen)
§ 138 Nichtanzeige geplanter Straftaten
§ 139 Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten
§ 140 Belohnung und Billigung von Straftaten
§ 141 (weggefallen)
§ 142 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
§ 143 (weggefallen)
§ 144 (weggefallen)
§ 145 Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungsund Nothilfemitteln
§ 145a Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht
§ 145b (weggefallen)
§ 145c Verstoß gegen das Berufsverbot
§ 145d Vortäuschen einer Straftat
Sachregister

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Großkommentare der Praxis

w DE

RECHT

Strafgesetzbuch Leipziger Kommentar

Großkommentar 12., neu bearbeitete Auflage herausgegeben von Heinrich Wilhelm Laufhütte Ruth Rissing-van Saan Klaus Tiedemann

Fünfter Band §§ 110 bis 1 4 5 d Bearbeiter: §§ 110-122: Henning Rosenau §§ 123, 124: Hans Lilie §§ 125-137: Matthias Krauß §§ 138-141: Ernst-Walter Hanack §§ 142-144: Klaus Geppert § 145: Christoph Krehl § 145a, 145b: Ellen Roggenbuck § 145c: Christoph Krehl § 145d: Wolfgang Ruß

w DE

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RECHT

De Gruyter Recht · Berlin

Stand der Bearbeitung: Oktober 2 0 0 8

Redaktor: Ruth Rissing-van Saan Sachregister: Friederike Gerber

ISBN 9 7 8 - 3 - 8 9 9 4 9 - 5 7 5 - 1

Bibliografische Information

der Deutschen

Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Copyright 2 0 0 9 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Datenkonvertierung/Satz: WERKSATZ Schmidt &c Schulz GmbH, 0 6 7 7 3 Gräfenhainichen Druck und Bindung: Bercker Graphischer Betrieb GmbH, 47614 Kevelaer Printed in Germany

Verzeichnis der Bearbeiter der 12. Auflage Dr. Dietlinde Albrecht, Referentin im Innenministerium des Landes MecklenburgVorpommern, Schwerin Gerhard Altvater, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Georg Bauer, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Gerhard Dannecker, Universitätsprofessor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Dr. Karlhans Dippel, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht a.D., Kronberg i.Ts. Dr. Robert Esser, Universitätsprofessor an der Universität Passau Dr. Klaus Geppert, Universitätsprofessor an der Freien Universität Berlin Dr. Ferdinand Gillmeister, Rechtsanwalt, Freiburg Duscha Gmel, Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Michael Grotz, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, a.D., Nationales Mitglied von Eurojust, Den Haag Dr. Georg-Friedrich Güntge, Oberstaatsanwalt bei bei der Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig Joachim Häger (f), Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Ernst-Walter Hanack, em. Universitätsprofessor an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Universitätsprofessor an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Dr. Dr. h.c. Thomas Hillenkamp, Universitätsprofessor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Dr. Tatjana Hörnle, Universitätsprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum Dr. Kristian Hohn, Wissenschaftlicher Assistent an der Bucerius Law School, Hamburg Dr. Jutta Hubrach, Richterin am Oberlandesgericht Düsseldorf Dr. Florian Jeßberger, Universitätsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Stefan Kirsch, Rechtsanwalt in Frankfurt am Main Dr. Peter König, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe und Honorarprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität, München Juliane Krause, Staatsanwältin als Gruppenleiterin bei der Staatsanwaltschaft Hof Dr. Matthias Krauß, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Christoph Krehl, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Perdita Kröger, Regierungsdirektorin im Bundesministerium der Justiz, Berlin Annette Kuschel, Richterin am Landgericht Hamburg Heinrich Wilhelm Laufhütte, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D., Berlin Dr. Hans Lilie, Universitätsprofessor an der Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg Dr. Manfred Möhrenschlager, Ministerialrat a.D., Bonn Dr. Jens Peglau, Richter am Oberlandesgericht, Hamm Dr. Ruth Rissing-van Saan, Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof, Karlsruhe

V

Verzeichnis der Bearbeiter der 12. Auflage Dr. Thomas Rönnau, Universitätsprofessor an der Bucerius Law School, Hamburg Ellen Roggenbuck, Richterin am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Henning Rosenau, Universitätsprofessor an der Universität Augsburg Dr. Wolfgang Ruß, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe Wilhelm Schluckebier, Richter am Bundesverfassungsgericht, Karlsruhe Johann Schmid, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Wilhelm Schmidt, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Hendrik Schneider, Universitätsprofessor an der Universität Leipzig Dr. Heinz Schöch, Universitätsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München Dr. Dr. h.c. Friedrich-Christian Schroeder, em. Universitätsprofessor an der Universität Regensburg Dr. Dr. h.c. mult. Bernd Schünemann, Universitätsprofessor an der Ludwig-MaximiliansUniversität München Dr. Christoph Sowada, Universitätsprofessor an der Universität Rostock Werner Theune, Richter am Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe Dr. Dr. h.c. mult. Klaus Tiedemann, em. Universitätsprofessor an der Albert-LudwigsUniversität Freiburg Dr. Brian Valerius, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Dr. Joachim Vogel, Richter am Oberlandesgericht Stuttgart, Universitätsprofessor an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen Dr. Dr. Thomas Vormbaum, Universitätsprofessor an der Fern-Universität Hagen Dr. Tonio Walter, Universitätsprofessor an der Universität Regensburg Dr. Thomas Weigend, Universitätsprofessor an der Universität zu Köln Dr. Gerhard Werle, Universitätsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Hagen Wolff, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht a.D. Celle Dr. Frank Zieschang, Universitätsprofessor an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg

VI

Vorwort Von der 12. Auflage des Leipziger Kommentars sind die ersten drei, den gesamten Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs umfassenden Bände bereits erschienen, ebenso die Bände 4, 10 und 11, die sich mit Vorschriften des Besonderen Teils befassen. Nunmehr wird Band 5 vorgelegt, der die Erläuterungen zum 6. und 7. Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs (Widerstand gegen die Staatsgewalt und Straftaten gegen die öffentliche Ordnung) umfasst. Zwar waren die Lieferungen der 11. Auflage, die die Kommentierungen zu diesen Abschnitten enthielten, zum Teil schon vor dem 6. Strafrechtsreformgesetz vom 26.1.1998 (BGBl. I 164) erschienen und konnten deshalb die Änderungen diese Reformgesetzes nicht mehr berücksichtigen. Die Vorschriften des 6. Abschnitts (§§ 111, 113, 114, 120 und 121) sind aber auch heute noch nahezu unverändert, ebenso einige Tatbestände des 7. Abschnitts, wie etwa Hausfriedensbruch (§§ 123, 124), Landfriedensbruch (§§ 125, 125a), Amtsanmaßung (§ 132), Verwahrungs- und Verstrickungsbruch (§§ 133, 136), Missbrauch von Notrufen (§ 145) oder Vortäuschen einer Straftat (§ 145d). Die Erläuterungen hierzu waren daher im Wesentlichen nur auf den gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung und der wissenschaftlichen Diskussion zu bringen und, soweit erforderlich, kritisch zu hinterfragen und eigene Lösungen anzubieten. Das ist geschehen. Hingegen sind zentrale Tatbestände des 7. Abschnitts aufgrund von Vorgaben des EURechts und als Folge gesetzgeberischer Reaktionen auf die terroristischen Anschläge in den Vereinigten Staaten von Amerika vom 11.9.2001 und die danach wachsende Bedrohung durch national und international - auch in Europa - tätige Terrorgruppen umfassend geändert bzw. erweitert worden (§§ 129, 129a) oder wurden erstmals in das Strafgesetzbuch eingefügt (§ 129b), so dass die Erläuterungen hierzu weitgehend neu zu gestalten waren. Sie bieten jetzt einen aktuellen Überblick über die zugehörige Rechtsprechung und die in Rechtsprechung und Wissenschaft höchst streitigen Fragen, insbesondere zur Auslegung des Vereinigungsbegriffs in den §§ 129, 129a und im Zusammenhang mit der Erstreckung der Vorschriften auf ausländische Vereinigungen auch außerhalb der Europäischen Union. Durch das Gesetz zur Änderung des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuchs vom 24.3.2005 (BGBl. I 969) ist zudem der Anwendungsbereich des Tatbestandes der Volksverhetzung (§ 130) erweitert worden („Auschwitzlüge"). Auch im Übrigen wurden die Kommentierungen aktualisiert. Als Autoren der 11. Auflage ausgeschieden sind Eckhart von Bubnoff und Hartmuth Horstkotte. Ernst Walter Hanack hat einen Teil seiner früheren Kommentierung abgegeben. Ihnen gilt für ihre frühere Mitarbeit, auf die die nun vorliegenden Bearbeitungen naturgemäß aufbauen, der aufrichtige Dank des Verlages und der Herausgeber. An ihre Stelle sind Hans Lilie, Matthias Krauß, Christoph Krehl, Ellen Roggenbuck und Henning Rosenau getreten. Der hiermit vorgelegte Band hat durchweg den Bearbeitungsstand von August 2008. Teilweise konnte auch noch später ergangene Rechtsprechung und erschienene Literatur berücksichtigt werden. Karlsruhe, im Dezember 2008

Ruth Rissing-van Saan VII

Inhaltsübersicht Vorwort Abkürzungsverzeichnis Literaturverzeichnis

VII XI XXXIII ERLÄUTERUNGEN BESONDERER TEIL Sechster Abschnitt Widerstand gegen die Staatsgewalt

Vor 110 ff §110 § 111 §112 §113 § 114 §§ 115-119 § 120 § 121 § 122

Vorbemerkungen (weggefallen) Öffentliche Aufforderung zu Straftaten (weggefallen) Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen (weggefallen) Gefangenenbefreiung Gefangenenmeuterei (weggefallen)

1 5 6 35 35 97 103 103 134 155

Siebenter Abschnitt Straftaten gegen die öffentliche Ordnung § 123 § 124 Vor § 125 ff § 125 § 125a § 126 § 127 § 128 § 129 § 129a § 129b § 130

Hausfriedensbruch Schwerer Hausfriedensbruch Vorbemerkungen Landfriedensbruch Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten . Bildung bewaffneter Gruppen (weggefallen) Bildung krimineller Vereinigungen Bildung terroristischer Vereinigungen Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Erweiterter Verfall und Einziehung Volksverhetzung

157 192 201 205 264 280 296 306 306 382 429 445

IX

Inhaltsübersicht § § § $ § § § § § § § § § § § § §

130a 131 132 132a 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145

§ S § $

145a 145b 145c 145d

Sachregister

X

Anleitung zu Straftaten Gewaltdarstellung Amtsanmaßung Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen Verwahrungsbruch Verletzung amtlicher Bekanntmachungen (weggefallen) Verstrickungsbruch; Siegelbruch (weggefallen) Nichtanzeige geplanter Straftaten Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten Belohnung und Billigung von Straftaten (weggefallen) Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (weggefallen) (weggefallen) Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (weggefallen) Verstoß gegen das Berufsverbot Vortäuschen einer Straftat

. . . .

517 537 564 583 608 625 629 629 650 650 678 693 711 712 889 889 890 912 929 929 943

961

Abkürzungsverzeichnis AA aA aaO AbfG AbfVerbrG Abg. AbgO abgedr. Abk. abl. ABl. AblEU AblKR Abs. Abschn. abw. AbwAG AcP AdVermiG

AE a.E. AndG ÄndVO Anh a.F. AFG AfP AG AGBG/AGB-Gesetz AHK AktG AktO allg. allg. M. Alt. aM A&M AMG

Auswärtiges Amt anderer Ansicht am angegebenen Ort Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (Abfallgesetz) Gesetz über die Überwachung und Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung von Abfällen (Abfallverbringungsgesetz) Abgeordneter Reichsabgabenordnung abgedruckt Abkommen ablehnend Amtsblatt Amtsblatt der Europäischen Union (ab 2003); Ausgabe C: Mitteilungen und Bekanntmachungen; Ausgabe L: Rechtsvorschriften Amtsblatt des Kontrollrats Absatz Abschnitt abweichend Abwasserabgabengesetz Archiv für civilistische Praxis (zit. nach Band u. Seite) Gesetz über die Vermittlung der Annahme als Kind und über das Verbot der Vermittlung von Ersatzmüttern (Adoptionsvermittlungsgesetz) Alternativ-Entwurf eines StGB, 1966 ff am Ende Änderungsgesetz Änderungsverordnung Anhang alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Archiv für Presserecht Amtsgericht; in Verbindung mit einem Gesetz: Ausführungsgesetz Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Alliierte Hohe Kommission Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) Anweisung für die Verwaltung des Schriftguts bei den Geschäftsstellen der Gerichte und der Staatsanwaltschaften (Aktenordnung) allgemein allgemeine Meinung Alternative anderer Meinung Arzneitmittel und Recht (Zeitschrift für Arzneimittel und Arzneimittelpolitik) Arzneimittelgesetz

XI

Abkürzungsverzeichnis amtl. Begr. and. Angekl. Anh. AnhRügG Anl. Anm. Annalen AnwBl. ao AO 1977 AöR AOStrÄndG AP AR ArchKrim. ArchPF ArchPR ArchPT ARSP Art. AT AtG/AtomG AÜG Auff. aufgehob. Aufl. AuR ausdrückt. ausführt. AusfVO ausl. AuslG AusnVO ausseht. AV AVG AWG AWG/StÄG Az. b. BA BÄK BÄK BÄO BAG BÄK BAnz.

XII

amtliche Begründung anders Angeklagte(r) Anhang Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) Anlage Anmerkung Annalen des Reichsgerichts Anwaltsblatt außerordentlich Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Arztrecht Archiv für Kriminologie Archiv für Post- und Fernmeldewesen Archiv für Presserecht Archiv für Post und Telekommunikation Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (zit. nach Band u. Seite) Artikel Allgemeiner Teil des Strafgesetzbuches Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Auffassung aufgehoben Auflage Arbeit und Recht ausdrücklich ausführlich Ausführungsverordnung ausländisch Ausländergesetz Ausnahmeverordnung ausschließlich Allgemeine Verfügung Angestelltenversicherung Außenwirtschaftsgesetz Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuchs und anderer Gesetze Aktenzeichen bei Blutalkohol, Wissenschaftliche Zeitschrift für die medizinische und die juristische Praxis Blutalkoholkonzentration Bundesärztekammer Bundesärzteordnung Bundesarbeitsgericht Blutalkoholkonzentration Bundesanzeiger

Abkürzungsverzeichnis BauGB BauR Bay. BayBS BayLSG BayObLG BayObLGSt BayVBl. BayVerf. BayVerwBl. BayVerfGHE BayVGH BayVGHE

BayZ BB BBG BBodSchG Bd., Bde BDH BDO BDSG Bearb. begl. BegleitG zum TKG Begr., begr. Bek. Bekl., bekl. Bern. ber. bes. Beschl. Beschw. Bespr. Best. bestr. betr. BeurkG BewH BezG BFH BfJG

BG BGB BGBl. I, II, III BGE BGH BGHGrS

Baugesetzbuch Zeitschrift für das gesamte öffentliche und private Baurecht Bayern, bayerisch Bereinigte Sammlung des Bayerischen Landesrechts (1802-1956) Bayerisches Landessozialgericht Bayerisches Oberstes Landesgericht Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Bayerische Verwaltungsblätter Verfassung des Freistaates Bayern Bayerische Verwaltungsblätter s. BayVGHE Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes, des Bayerischen Dienststrafhofs und des Bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte (zit. nach Band u. Seite) Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern (1905-1934) Betriebs-Berater Bundesbeamtengesetz Gesetz zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Sanierung von Altlasten (Bundes-Bodenschutzgesetz) Band, Bände Bundesdisziplinarhof Bundesdisziplinarordnung Bundesdatenschutzgesetz Bearbeitung beglaubigt Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz Begründung, begründet Bekanntmachung Beklagter, beklagt Bemerkung berichtigt besonders, besondere(r, s) Beschluss Beschwerde Besprechung Bestimmung bestritten betreffend Beurkundungsgesetz Bewährungshilfe Bezirksgerichte Bundesfinanzhof Gesetz über die Errichtung des Bundesamtes für Justiz = Art. 1 des Gesetzes zur Errichtung und zur Regelung der Aufgaben des Bundesamtes für Justiz Bundesgericht (Schweiz) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Teil I, II und III Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts (Amtliche Sammlung) Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof, Großer Senat

XIII

Abkürzungsverzeichnis BGHSt BGHZ BGPr. BImSchG BImSchVO BinnSchiffG/BinSchG BJagdG BJM BK BKA BKAG/BKrimAG Bln. Bln.GVBl.Sb. Blutalkohol BMI BMJ BNatSchG BNotÄndG BNotO BR BRAGO BRAK BranntwMG/BranntwMonG BRAO BRAOÄndG BRD BR-Drs./BRD rucks. BReg. Brem. BRProt. BRRG BRStenBer. BS BSeuchG BSG BSHG Bsp. BStBl. BT BTD rucks. BtMG BTProt. BTRAussch.

XIV

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (zit. nach Band u. Seite) Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen (zit. nach Band u. Seite) Die Praxis des Bundesgerichts (Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts) Bundes-Immissionsschutzgesetz Bundes-Immissionsschutzverordnung Gesetz betr. die privatrechtlichen Verhältnisses der Binnenschiffahrt (Binnenschiffahrtsgesetz) Bundesj agdgesetz Basler Juristische Mitteilungen Basler Kommentar zum Strafgesetzbuch (auch: Bonner Kommentar zum Grundgesetz) Bundeskriminalamt Gesetz über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes (Bundeskriminalamtes) Berlin Sammlung des bereinigten Berliner Landesrechts, Sonderband I (1806-1945) und II (1945-1967) Blutalkohol, Wissenschaftliche Zeitschrift für die medizinische und juristische Praxis Bundesminister ium) des Inneren Bundesminister ium) der Justiz Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) Drittes Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Bundesnotarordnung Bundesrat Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltskammer Branntweinmonopolgesetz Bundesrechtsanwaltsordnung Gesetz zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentrechtsanwaltsordnung und anderer Gesetze Bundesrepublik Deutschland Bundesrats-Drucksache Bundesregierung Bremen Protokolle des Bundesrates Beamtenrechtsrahmengesetz Verhandlungen des Bundesrats, Stenographische Berichte (zit. nach Sitzung u. Seite) Sammlung des bereinigten Landesrechts Bundes-Seuchengesetz Bundessozialgericht Bundessozialhilfegesetz Beispiel Bundessteuerblatt Besonderer Teil des StGB (auch: Bundestag) Bundestags-Drucksache Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz) s. BTVerh. Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags

Abkürzungsverzeichnis BTStenBer.

bzw.

Verhandlungen des deutschen Bundestag, Stenographische Berichte (zit. nach Wahlperiode u. Seite) Verhandlungen des Deutschen Bundestags Buchstabe Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zit. nach Band u. Seite) Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (zit. nach Band u. Seite) (Bundes-)Verwaltungsverfahrensgesetz Baden-Württemberg bezüglich Bundeszentralregister Gesetz über das Bundeszentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz) beziehungsweise

ca. ChemG CR CWÜAG

circa Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) Computer und Recht AusführungsG zum Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ-AG)

DA DÄB1. dagg. DAR DAV DB DDevR DDR DDT-G DepotG

Deutschland Archiv Deutsches Ärzteblatt dagegen Deutsches Autorecht Deutscher Anwaltsverein Der Betrieb Deutsche Devisen-Rundschau (1951-1959) Deutsche Demokratische Republik Gesetz über den Verkehr mit D D T Gesetz über die Verwahrung und Anschaffung von Wertpapieren (Depotgesetz) derselbe/dieselbe dergleichen Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung das heißt dieselbe(n) Differenzierung, differenzierend Dissertation Deutsche Justiz, Rechtspflege und Rechtspolitik Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitung (1896-1936) Deutsche Medizinische Wochenschrift Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse Gesetz zur effektiven Nutzung von Dateien im Bereich der Staatsanwaltschaften Die Öffentliche Verwaltung Entscheidungen des Deutschen Obergerichts für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet Deutsches Recht, Wochenausgabe (vereinigt mit Juristische Wochenschrift) (1931-1945) Deutsche Rechtswissenschaft (1936-1943)

BTVerh. Buchst. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BVwVfG BW bzgl. BZR BZRG

ders./dies. dgl. DGVZ d.h. dies. Diff., diff. Diss. DJ DJT DJZ DMW DNA-AnalysG DNutzG DÖV DOGE DR DRechtsw.

XV

Abkürzungsverzeichnis DRiB DRiG DRiZ DRM DRpfl. Drs./Drucks. DRsp. DRZ DSB DStrR DStR DStrZ DStZ Α dt. DtZ DuD DuR DVB1. DVJJ DVO DVollzO DVP DVR DWW Ε Ε 1927 Ε 62 EAO ebd. ebso. ed(s) EEGOWiG EEGStGB EFG EG EGBGB EG-FinanzschutzG/ EGFinSchG EGGVG EGH

EGInsO EGInsOÄndG EGKS EGMR EGOWiG EGStGB

XVI

Deutscher Richterbund Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Deutsches Recht, Monatsausgabe (vereinigt mit Deutsche Rechtspflege) Deutsche Rechtspflege (1936-1939) Drucksache Deutsche Rechtsprechung, hrsg. von Feuerhake (Loseblattsammlung) Deutsche Rechts-Zeitschrift (1946-1950) Datenschutzberater Deutsches Steuerrecht Deutsches Strafrecht (1934-1944) Deutsche Strafrechts-Zeitung (1914-1922) Deutsche Steuerzeitung, bis Jg. 67 (1979): Ausgabe A deutsch Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Datenschutz und Datensicherheit Demokratie und Recht Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V. Durchführungsverordnung Dienst- und Vollzugsordnung Deutsche Verwaltungspraxis Datenverarbeitung im Recht (bis 1985, danach vereinigt mit IuR) Deutsche Wohnungswirtschaft Entwurf bzw. Entscheidung Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches nebst Begründung (Reichstagsvorlage) 1927 Entwurf eines Strafgesetzbuches mit Begründung 1962 Entwurf einer Abgabenordnung ebenda ebenso editor(s) Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) Entscheidung der Finanzgerichte (zit. nach Band u. Seite) Einführungsgesetz bzw. Europäische Gemeinschaft(en) bzw. Erinnerungsgabe Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Gesetz zum Übereinkommen v. 26.8.1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Ehrengerichtliche Entscheidungen der Ehrengerichtshöfe der Rechtsanwaltschaft des Bundesgebiets und des Landes Berlin (zit. nach Band u. Seite) Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung und anderer Gesetze Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch

Abkürzungsverzeichnis EGStPO EGV EheG ehem. EhrenGHE Einf. eingeh. einschl. einschr. Einl. EJF EKMR EmmingerVO EMRK entgg. Entsch. entspr. Entw. Erg. ErgBd. ErgThG Erl. Erw. ESchG EStG etc. Ethik Med. ETS EU EUBestG

eucrim EuGH EuGHE EuGRZ EuHbG

EuR EurGHMR EurKomMR europ. EuropolG EUV EuZW EV

EV I bzw. II evtl. EWG

Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Ehegesetz ehemalig Ehrengerichtliche Entscheidungen (der Ehrengerichtshöfe der Rechtsanwaltschaft des Bundesgebietes und des Landes Berlin) Einführung eingehend einschließlich einschränkend Einleitung Entscheidungen aus dem Jugend- und Familienrecht (1951-1969) Europäische Kommission für Menschenrechte Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege Europäische Menschenrechtskonvention entgegen Entscheidung entsprechend Entwurf Ergebnis bzw. Ergänzung Ergänzungsband Ergotherapeutengesetz Erläuterung Erwiderung Embryonenschutzgesetz Einkommensteuergesetz et cetera Ethik in der Medizin European Treaty Series Europäische Union Gesetz zum Protokoll v. 27.9.1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (EU-Bestechungsgesetz) The European Criminal Law Associations' Forum Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - Amtliche Sammlung Europäische Grundrechte-Zeitschrift Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz - EuHbG) Europarecht Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Kommission für Menschenrechte europäisch Europol-Gesetz Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag Anlage I bzw. II zum EV eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

XVII

Abkürzungsverzeichnis EWGV EWiR EWiV EWR EzSt

f, ff FA FAG FamRZ FAO FAZ Festschr. FG FGG FGO fin. FinVerwG/FVG FlaggRG/FIRG F1RV Fn. Forens Psychiatr Psychol Kriminol Fortschr Neurol Psychiat fragl. FS G bzw. Ges. G 10 GA GBA GBG GBl. GebFra GedS gem. Gemeinsame-Dateien-Gesetz GenG GenStA GerS GeschlKG/GeschlkrG GeschO gesetzl. GesR GewArch GewO

XVIII

Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Schriftenreihe zum europäischen Weinrecht (auch: Europäischer Wirtschafts-Raum) Entscheidungssammlung zum Straf- u. Ordnungswidrigkeitenrecht, hrsg. von Lemke (zit. nach Band u. Seite) folgende, fortfolgende Fachanwalt für Arbeitsrecht Gesetz über Fernmeldeanlagen Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fachanwaltsordnung Frankfurter Allgemeine Zeitung Festschrift Finanzgericht (auch: Festgabe) Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung finanziell Gesetz über die Finanzverwaltung Gesetz über das Flaggenrecht der Seeschiffe und die Flaggenführung der Binnenschiffe (Flaggenrechtsgesetz) Flaggenrechtsverordnung Fußnote Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie Fortschritte der Neurologie. Psychiatrie fraglich Festschrift Gesetz Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) Goltdammer's Archiv für Strafrecht, zit. nach Jahr u. Seite (bis 1933: Archiv für Strafrecht und Strafprozeß, zit. nach Band u. Seite) Generalbundesanwalt Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter Gesetzblatt Geburtshilfe und Frauenheilkunde (zit. nach Band u. Seite) Gedächtnisschrift gemäß Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Generalstaatsanwalt Der Gerichtssaal Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten Geschäftsordnung gesetzlich Gesundheitsrecht (Zeitschrift für Arztrecht, Krankenrecht, Apotheken· und Arzneimittelrecht) Gewerbearchiv, Zeitschrift für Gewerbe- und Wirtschaftsverwaltungsrecht Gewerbeordnung

Abkürzungsverzeichnis GewVerbrG gg· GG ggf. GjS/GjSM GKG gl. GmbHG GmbHR/GmbH-Rdsch GMB1. GnO grdl. grds. GrS GrSSt. GRUR GS GSNW GSSchlH GÜG

GV GVB1. GVB1.1—III GVG GWB GwG

h.A. HaagLKO/HLKO Halbs./Hbs. Hamb. HambJVBl HannRpfl Hans. HansGZ bzw. H G Z HansJVBl HansOLGSt HansRGZ HansRZ

Hdb. HdbStR HeilPrG Hess.

Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung gegen Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte Gerichtskostengesetz gleich Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (vorher: Rundschau für GmbH) Gemeinsames Ministerialblatt Gnadenordnung (Landesrecht) grundlegend grundsätzlich Großer Senat Großer Senat in Strafsachen Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Der Gerichtssaal (zit. nach Band u. Seite) Sammlung des bereinigten Landesrechts Nordrhein-Westfalen (1945-1956) Sammlung des schleswig-holsteinischen Landesrechts, 2 Bde (1963) Gesetz zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln mißbraucht werden können Gemeinsame Verfügung (mehrerer Ministerien) (auch: Grundlagenvertrag) Gesetz- und Verordnungsblatt Sammlung des bereinigten Hessischen Landesrechts Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz) herrschende Ansicht Haager Abkommen betr. die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs Halbsatz Hamburg Hamburgisches Justizverwaltungsblatt Hannoversche Rechtspflege Hanseatisch Hanseatische Gerichtszeitung (1889-1927) Hanseatisches Justizverwaltungsblatt (bis 1946/47) Entscheidungen des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Strafsachen (1879-1932/33) Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift (1928-43), vorher: Hanseatische Rechtszeitschrift für Handel, Schiffahrt und Versicherung, Kolonial- und Auslandsbeziehungen sowie für Hansestädtisches Recht (1918-1927) Handbuch Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) Hessen

XIX

Abkürzungsverzeichnis HeSt

HFR HGB hins. Hinw. h.L. h.M. HöchstRR

HRR HRRS Hrsg. bzw. hrsg. h. Rspr. HWiStR

i. Allg. i. allg. S. i.d.F. i.d.R. i.d.S. i.E./i. Erg. i.e.S. IGH i. gl. S. i. Grds. IHK i.H.v. ILC ILM IM IMT inl. insb./insbes. insges. InsO IntBestG inzw. IPBPR i.R.d. i.R.v. IStGH IStGH-Statut IStR i.S. i.S.d. i.S.e. IStGH i.S.v. i. techn. S. i.U.

XX

Höchstrichterliche Entscheidungen, Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Obersten Gerichte in Strafsachen (1948-49) (zit. nach Band u. Seite) Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Handelsgesetzbuch hinsichtlich Hinweis herrschende Lehre herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Strafrechts, Beilage zur Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (1 zu Bd. 46, 2 zu Bd. 47, 3 zu Bd. 48) Höchstrichterliche Rechtsprechung (1928-1942), bis 1927: Die Rechtsprechung, Beilage zur Zeitschrift Juristische Rundschau Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht Herausgeber bzw. herausgegeben herrschende Rechtsprechung Krekeler/Tiedemann/Ulsenheimer/Weinmann (Hrsg.) Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts im Allgemeinen im allgemeinen Sinn in der Fassung in der Regel in diesem Sinne im Ergebnis im engeren Sinn Internationaler Gerichtshof im gleichen Sinn im Grundsatz Industrie- und Handelskammer in Höhe von International Law Commission International Legal Materials Innenminister(ium) International Military Tribunal (Nürnberg) inländisch insbesondere insgesamt Insolvenzordnung Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung inzwischen Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte im Rahmen der/des im Rahmen von Internationaler Strafgerichtshof Internationaler Strafgerichtshof - Statut Internationales Strafrecht im Sinne im Sinne der/des im Sinne einer(s) (ständiger) Internationaler Strafgerichtshof (Den Haag) im Sinne von im technischen Sinne im Unterschied

Abkürzungsverzeichnis i. üb. IuKDG

IuR i.V.m. i.w. i.w.S. i.Z.m. JA JahrbÖR JahrbPostw. JA-R JAVollzO JBeitrO JB1. JBIRhPf. JB1 Saar JbVerkR jew. JFGErg.

JGG JK JKomG JM JMB1NRW/JMB1NW JÖSchG JOR JR JRE JSt JStGH JStGH-Statut 1. JuMoG 2. JuMoG JurA Jura JurBl./JBl. JurJahrb. JurPC JuS Justiz JuV JVA JVB1. JVKostO JVollz.

im übrigen Gesetz zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste (Informations- und Kommunikationsdienstegesetz) Informatik und Recht in Verbindung mit im wesentlichen im weiteren Sinne im Zusammenhang mit Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Jahrbuch des Postwesens (1937-1941/42) Juristische Arbeitsblätter - Rechtsprechung Jugendarrestvollzugsordnung Justizbeitreibungsordnung Justizblatt Justizblatt Rheinland-Pfalz Justizblatt des Saarlandes Jahrbuch Verkehrsrecht jeweils Entscheidungen des Kammergerichts und des Oberlandesgerichts München in Kosten-, Straf-, Miet- und Pachtschutzsachen (= Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkkeit und des Grundbuchrechts. ErgBd.) Jugendgerichtsgesetz Jura-Kartei Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz - JKomG) Justizminister(ium) Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit Jahrbuch für Ostrecht Juristische Rundschau Jahrbuch für Recht und Ethik Journal für Strafrecht Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien Statut Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) Zweites Gesetz zur Modernisierung der Justiz (2. Justizmodernisierungsgesetz) Juristische Analysen Juristische Ausbildung Juristische Blätter Juristen-Jahrbuch Internet-Zeitschrift für Rechtsinformatik und Informationsrecht Juristische Schulung. Zeitschrift für Studium und Ausbildung Die Justiz. Amtsblatt des Justizministeriums von Baden-Württemberg Justiz und Verwaltung Justizvollzugsanstalt Justizverwaltungsblatt Gesetz über Kosten im Bereich der Justizverwaltung Jugendstrafvollzugsordnung: s. auch JAVollzO

XXI

Abkürzungsverzeichnis JW JWG JZ JZ-GD

Juristische Wochenschrift Jugendwohlfahrtsgesetz Juristenzeitung Juristenzeitung - Gesetzgebungsdienst

Kap. KastG/KastrG KE KFG Kfz. KG KGJ

Kapitel Gesetz über die freiwillige Kastration Kommissionsentwurf Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen Kraftfahrzeug Kammergericht bzw. Kommanditgesellschaft Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in Kosten-, Stempel- und Strafsachen (1881-1922) (zit. nach Band u. Seite) Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts Kritische Justiz Konkursordnung (EU-)Kommission Gesetz zur Bekämpfung der Korruption Kommunikation und Recht s. AB1KR Gesetz über das Kreditwesen Kontrollratsgesetz Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen Kriminalistische Abhandlungen, hrsg. von Exner Kriminologische Gegenwartsfragen (zit. nach Band u. Seite) Kriminalistik, Zeitschrift für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis Kriminologisches Journal kritisch Kritische Justiz Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetz) Kunsturhebergesetz Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Kraftfahrt u. Verkehrsrecht, Zeitschrift der Akademie für Verkehrswissenschaft, Hamburg siehe KreditwesenG

KindRG KJ KO KOM KorBekG/KorrBekG/KorrBG K&R KRAB1. KreditwesenG/KWG KRG KriegswaffKG/KWKG KrimAbh. KrimGwFr Kriminalistik Krimjournal krit. KritJ/Krit. Justiz KritV/KritVj KrW-/AbfG

KunstUrhG/KUrhG KuT KuV/k+v/K+V KWG LegPer. LFGB LG lit. Lit. LM LMBG

LPG LPK LRA LRE

XXII

Legislaturperiode Lebens- und Futtermittelgesetzbuch Landgericht littera (Buchstabe) Literatur Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. v. Lindenmaier/Möhring u.a. (zit. nach Paragraph u. Nummer) Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen (Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz) Landespressegesetz Lehr- und Praxiskommentar Landratsamt Sammlung lebensmittelrechtlicher Entscheidungen

Abkürzungsverzeichnis LS lt. LT LuftSiG LuftVG LuftVO/LuftWO LuftVZO LVerf. LZ m. m. Anm. Mat. m.a.W. m. Bespr. MdB MdL MDR MDStV MedR MedSach MfS MiStra mißverst./missverst. Mitt. MittlKV MK m. krit. Anm. MMR MMW MRG MschrKrim./MonKrim. MschrKrimBiol/ MonKrimBiol. MschrKrimPsych/ MonKrimPsych. MStGO m.w.N. m. zust./abl. Anm. Nachtr. Nachw. NATO-Truppenstatut/NTS

Nds. NdsRpfl./Nds.Rpfl NEhelG n.F. Niederschr./Niederschriften Nieders.GVBl. (Sb. I, II)

Leitsatz laut Landtag Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben (Luftsicherheitsgesetz) Luftverkehrgesetz Verordnung über den Luftverkehr Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung Landesverfassung Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (1907-1933) mit mit Anmerkung Materialien zur Strafrechtsreform (1954). Band I: Gutachten der Strafrechtslehrer. Band II: Rechtsvergleichende Arbeiten mit anderen Worten mit Besprechung Mitglied des Bundestages Mitglied des Landtages Monatsschrift für Deutsches Recht Staatsvertrag über Mediendienste Medizinrecht Der Medizinische Sachverständige Ministerium für Staatssicherheit Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen mißverständlich/missverständlich Mitteilung Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (1889-1914; 1926-1933) Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch mit kritischer Anmerkung (von) MultiMedia und Recht Münchner Medizinische Wochenschrift Militärregierungsgesetz Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform Monatsschrift für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform (1904/05-1936) Militärstrafgerichtsordnung mit weiteren Nachweisen mit zustimmender/ablehnender Anmerkung Nachtrag Nachweis Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags v. 19.6.1951 über die Rechtsstellung ihrer Truppen (NATO-Truppenstatut) Niedersachsen Niedersächsische Rechtspflege Gesetz über die Rechtsstellung der nichtehelichen Kinder neue Fassung Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt, Sonderband I und II, Sammlung des bereinigten niedersächsischen Rechts

XXIII

Abkürzungsverzeichnis NJ NJW NJW-CoR NJW-RR NK NKrimP NPA Nr.(n) NRW NStE NStZ NStZ-RR NuR NVwZ NWB NWVB1 NZA NZA-RR NZM NZG NZS NZV NZWehrr/NZWehrR o. o.ä. ob. diet. OBGer öffentl. ÖJZ/ÖstJZ Öst O G H

Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Computerreport der Neuen Juristischen Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch Neue Kriminalpolitik Neues Polizei-Archiv Nummer(n) Nordrhein-Westfalen Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht, hrsg. von Rebmann, Dahs und Miebach Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-Rechtsprechungs-Report Strafrecht Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Wirtschaftsbriefe für Steuer- und Wirtschaftsrecht Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht NZA-Rechtsprechungsreport Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Neue Zeitschrift für Wehrrecht

OVG OWiG

oben oder ähnlich obiter dictum Obergericht (Schweizer Kantone) öffentlich Österreichische Juristenzeitung Österreichischer Oberster Gerichtshof; ohne Zusatz: Entscheidung des ö s t OGH in Strafsachen (zit. nach Band u. Seite) oben genannt Oberstes Gericht der DDR Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR Oberster Gerichtshof (Österreich) Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen (1949/50) (zit. nach Band u. Seite) Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- u. Strafverfahrensrecht (zit. nach Paragraph u. Seite, n.F. nach Paragraph u. Nummer) Organisierte Kriminalität Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PartG PartGG PatG

Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz) Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Patentgesetz

o.g. OG OGDDR OGH OGHSt OHG OLG OLGSt

OrgK OrgKG OrgKVerbG

XXIV

Abkürzungsverzeichnis PAuswG PflanzenSchG/PflSchG PharmR PHI PolG polit. Polizei PolV/PolVO PostG PostO Pr. PrG PrGS ProdSG Prot.

PTV PVT

Gesetz über Personalausweise Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz) PharmaRecht Produkthaftpflicht International Polizeigesetz politisch Die Polizei (seit 1955: Die Polizei - Polizeipraxis) Polizeiverordnung Gesetz über das Postwesen (Postgesetz) Postordnung Preußen Pressegesetz Preußische Gesetzessammlung (1810-1945) Produktsicherheitsgesetz Protokolle über die Sitzungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform Preußisches Obertribunal Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz Protokolle des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages (zit. nach Nummern) Preußisches Oberverwaltungsgericht Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk Personenstandsgesetz psychisch Gesetz über die Berufe des psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (PsychotherapeutenG) Polizei, Technik, Verkehr Polizei, Verkehr und Technik

qualif.

qualifizierend

R

Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen (zit. nach Band u. Seite) Recht und Psychiatrie Reichsabgabenordnung Rechtsausschuß/Rechtsausschuss Gesetz zur Verhütung von Mißbrauch auf dem Gebiet der Rechtsberatung Recht der Arbeit Runderlaß/Runderlass Recht der Jugend und des Bildungswesens Das Recht des Kraftfahrers, Unabhängige Monatsschrift des Kraftverkehrsrechts (1926-43, 1949-55) Randnummer Rundschreiben Entscheidungen des Reichsdienststrafhofs (1939^1) Reichsdienststrafordnung Recht der Datenverarbeitung Das Recht, begründet von Soergel (1897-1944) Rechtsmedizin rechtspolitisch Rechtstheorie rechtsvergleichend

Pr. OT PrPVG Prot. BT-RA PrOVG PrZeugnVerwG PStG psych. PsychThG

R&Ρ RabgO/RAO RAussch. RBerG RdA RdErl. RdJB RdK Rdn. Rdschr./RdSchr. RDStH RDStO RDV Recht RechtsM rechtspol. RechtsTh rechtsvergl.

XXV

Abkürzungsverzeichnis Reg. RegBl. rel. RfStV RG RGBL, RGBl. I, II RGRspr. RGSt RGZ RHG RHilfeG/RHG RhPf. RiAA RIDP RiJGG RiOWiG

RiStBV RiVASt RJW RKG/RKnappschG RKGE RMB1. RMG/RMilGE RöntgVO/RöV ROW R 8c Ρ Rpfleger RpflG Rspr. RStGH RStGH-Statut RT RTDrucks. RTVerh. RuP RVO s. S. s.a. SA SaarRZ SaBremR SächsArch.

XXVI

Regierung Regierungsblatt relativ Rundfunkstaatsvertrag Reichsgericht Reichsgesetzblatt, von 1922-1945 Teil I und Teil II Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen (1879-1888) Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (zit. nach Band u. Seite) Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (zit. nach Band u. Seite) Rechnungshofgesetz Gesetz über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen Rheinland-Pfalz Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts - Richtlinien gem. § 177 Abs. 2 Satz 2 BRAO Revue internationale de droit penal Richtlinien der Landes Justizverwaltungen zum Jugendgerichtsgesetz Gemeinsame Anordnung über die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und über die Zusammenarbeit mit den Verwaltungsbehörden Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Richtlinien für den Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten Recht der Internationalen Wirtschaft Reichsknappschaftsgesetz Entscheidungen des Reichskriegsgerichts (zit. nach Band u. Seite) Reichsministerialblatt, Zentralblatt für das Deutsche Reich (1923-45) Entscheidungen des Reichsmilitärgerichts (zit. nach Band u. Seite) Röntgenverordnung Recht in Ost und West. Zeitschrift für Rechtsvergleichung und interzonale Rechtsprobleme Recht und Psychiatrie Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Rechtsprechung Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda - Statut Reichstag Drucksachen des Reichstags Verhandlungen des Reichstags Recht und Politik. Vierteljahreshefte für Rechts- und Verwaltungspolitik Reichsversicherungsordnung siehe Seite oder Satz siehe auch Sonderausschuss für die Strafrechtsreform Saarländische Rechts- und Steuerzeitschrift Sammlung des bremischen Rechts (1964) Sächsisches Archiv für Rechtspflege, seit 1924 (bis 1941/42). Archiv für Rechtspflege in Sachen, Thüringen und Anhalt

Abkürzungsverzeichnis SächsOLG ScheckG/SchG SchiedsmZ SchKG SchlH SchlHA Schriften der M G H SchwangUG Schweiz. SchwJZ SchwZStr. SeemannsG SeeRÜbk./SRÜ Sen. SeuffBl. SexualdelikteBekG SFHÄndG SFHG

SG/SoldatG SGB I, IV, V, VIII, Χ , XI

SGb. SGG SGV.NW SichVG SJZ SK s.o. sog. Sonderausschuß SortenSchG SozVers spez. SprengG/SprengstoffG SpuRT StA StaatsGH StaatsschStrafsG StÄG

Annalen des Sächsischen Oberlandesgerichts zu Dresden (1880-1920) Scheckgesetz Schiedsmannszeitung (1926-1945), seit 1950 Der Schiedsmann Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (Schwangerschaftskonfliktgesetz) Schleswig-Holstein Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schriften der Monumenta Germanica historica (DDR-)Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft schweizerisch Schweizerische Juristen-Zeitung Schweizer Zeitschrift für Strafrecht (zit. nach Band u. Seite) Seemannsgesetz Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen; Vertragsgesetz Senat Seufferts Blätter für Rechtsanwendung (1836-1913) Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten - Sexualdeliktebekämpfungsgesetz Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz Gesetz zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (Schwangeren- und Familienhilfegesetz) Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten I: Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil IV: Sozialgesetzbuch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung V: Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Krankenversicherung VIII: Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfe X : Sozialgesetzbuch, Verwaltungsverfahren, Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehung zu Dritten XI: Soziale Pflegeversicherung Sozialgerichtsbarkeit Sozialgerichtsgesetz Sammlung des bereinigten Gesetz- und Verordnungsblatts für das Land Nordrhein-Westfalen (Loseblattsammlung) Gesetz zur Rechtsvereinheitlichung der Sicherungsverwahrung Süddeutsche Juristen-Zeitung (1946-50), dann Juristenzeitung Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch siehe oben sogenannt(e) Sonderausschuß des Bundestags für die Strafrechtsreform, Niederschriften zitiert nach Wahlperiode und Sitzung Gesetz über den Schutz von Pflanzensorten (Sortenschutzgesetz) Die Sozialversicherung speziell Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz) Zeitschrift für Sport und Recht Staatsanwalt(schaft) Staatsgerichtshof Gesetz zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen s. StRÄndG

XXVII

Abkürzungsverzeichnis StAZ StB StenB/StenBer StGB StPO str. StrAbh. StRÄndG

StraffreiheitsG/StrFG StraFo strafr. StrafrAbh. StraßVerkSichG/ StrEG StREG StrlSchuV/StrlSchVO StrRG StRR st. Rspr. StS StuR StV/StrVert. StVE

StVG StVGÄndG StVj/StVJ StVK StVO StVollstrO StVollzÄndG StVollzG

StVollzK 1. StVRG 1. StVRErgG StVZO s.u. SubvG SV

XXVIII

Das Standesamt. Zeitschrift f. Standesamtswesen, Personenstandsrecht, Ehe- u. Kindschaftsrecht, Staatsangehörigkeitsrecht Der Steuerberater Stenographischer Bericht Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung streitig, strittig Strafrechtliche Abhandlungen Strafrechtsänderungsgesetz (1. vom 30.8.1951) 18. - Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität 27. — Kinderpornographie 28. — Abgeordnetenbestechung 31. — Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität 37. ~ - §§ 180b, 181 StGB 40. — Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen Gesetz über Straffreiheit Strafverteidigerforum strafrechtlich Strafrechtliche Abhandlungen, hrsg. von Bennecke, dann von Beling, v. Lilienthal und Schoetensack 1. Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs (Straßenverkehrssicherungsgesetz - StraßenVSichG) Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Gesetz über ergänzende Maßnahmen zum 5. StrRG (Strafrechtsreformergänzungsgesetz) Strahlenschutzverordnung Gesetz zur Reform des Strafrechts (1. 2. ... 6. Strafrechtsreport ständige Rechtsprechung Strafsenat Staat und Recht Strafverteidiger Straßenverkehrsentscheidungen, hrsg. von Cramer, Berz, Gontard, Loseblattsammlung (zit. nach Paragraph u. Nummer) Straßenverkehrsgesetz Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze Steuerliche Vierteljahresschrift Strafvollstreckungskammer Straßenverkehrsordnung Strafvollstreckungsordnung Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung - Strafvollzugsgesetz Blätter für Strafvollzugskunde (Beilage zur Zeitschrift „Der Vollzugsdienst") Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts Erstes Gesetz zur Ergänzung des 1. StVRG Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung siehe unten Subventionsgesetz Sachverhalt

Abkürzungsverzeichnis TDG TerrorBekG TerrorBekErgG TierschG/TierschutzG Tit. TKG TPG TV Tz. u. u.a. u.ä. u.a.m. UdG Üb. Übereink./Übk. ÜbergangsAO ü. M. UFITA U-Haft umstr. UmwRG UNO UNTS unv. UPR UrhG UStG usw. UTR u.U. UVNVAG

UWG UZwG UZwGBw

v. VAE VAG v.A.w. VB1BW VD VDA bzw. VDB

Gesetz über die Nutzung von Telediensten Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) Gesetz zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes (Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz) Tierschutzgesetz Titel Telekommunikationsgesetz Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen Transplantationsgesetz Truppenvertrag Textziffer, -zahl unten (auch: und) unter anderem (auch: andere) und ähnliche und anderes mehr Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Überblick; Übersicht Übereinkommen Übergangsanordnung überwiegende Meinung Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Untersuchungshaft umstritten Umweltrahmengesetz der DDR United Nations Organization (Vereinte Nationen) United Nations Treaty Series unveröffentlicht Umwelt- und Planungsrecht Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) Umsatzsteuergesetz und so weiter Umwelt- und Technikrecht, Schriftenreihe des Instituts für Umweltund Technikrecht der Universität Trier, hrsg. von Rüdiger Breuer u.a. unter Umständen Ausführungsgesetz v. 23.7.1998 (BGBl. I S. 1882) zu dem Vertrag v. 24.9.1996 über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen Zustimmungsgesetz Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und zivile Wachpersonen von, vom Verkehrsrechtliche Abhandlungen und Entscheidungen Versicherungsaufsichtsgesetz von Amts wegen Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verkehrsdienst Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Allgemeiner bzw. Besonderer Teil

XXIX

Abkürzungsverzeichnis VE VerbrBekG VerbringungsverbG VereinfVO

VereinhG

VereinsG VerfGH VerglO Verh. VerjährG

VerkMitt/VerkMitt./VM VerkProspektG vermitt. VerpflG VerschG VersG VersR VerwArch. VG VGH vgl. Vhdlgen VN VN-Satzung VO VOB1. VOR Voraufl. Vorbem. vorgen. VRS VStGB WDStRL WG VwGO VwVfG

XXX

Vorentwurf Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetzte (Verbrechensbekämpfungsgesetz) Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote Vereinfachungsverordnung 1. VO über Maßnahmen auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung und Rechtspflege 2. VO zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege 3. Dritte VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege 4. Vierte VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz) Verfassungsgerichtshof Vergleichsordnung Verhandlungen des Deutschen Bundestages (BT), des Deutschen Juristentages (DJT) usw. Gesetz über das Ruhen der Verjährung bei SED-Unrechtstaten 2. VerjährG., Gesetz zur Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 27.9.1993 3. VerjährG., Gesetz zur weiteren Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 22.12.1997 Verkehrsrechtliche Mitteilungen Wertpapiere-Verkaufsprospektgesetz vermittelnd Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (Verpflichtungsgesetz) idF v. Art. 42 EGStGB Verschollenheitsgesetz Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche s. Verh. Vereinte Nationen Satzung der Vereinten Nationen Verordnung Verordnungsblatt Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht Vorauflage Vorbemerkung vorgenannt Verkehrsrechts-Sammlung, Entscheidungen aus allen Gebieten des Verkehrsrechts (zit. nach Band u. Seite) Völkerstrafgesetzbuch Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer (zit. nach Heft u. Seite) Gesetz über den Versicherungsvertrag Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz

Abkürzungsverzeichnis VwVG VwZG

Verwaltungsvollstreckungsgesetz Verwaltungszustellungsgesetz

WaffG/WaffenG Warn./WarnRspr

Waffengesetz Sammlung zivilrechtlicher Entscheidungen des RG, hrsg. von Warneyer (zit. nach Jahr u. Nummer) Wehrdisziplinarordnung Wehrpflichtgesetz Verfassung des Deutschen Reichs (sog. „Weimarer Verfassung") Weingesetz weitergehend Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz) Wirtschaftsrechtliche Beratung 1. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität Gesetz zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts (Wirtschaftsstrafgesetz 1954) Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Wirtschaft und Verwaltung Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch Wertpapier-Mitteilungen weitere Nachweise bei Gesetz zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 (akustische Wohnraumüberwachung) Wohnungswirtschaft und Mietrecht Die Wirtschaftsprüfung Gesetz über Wertpapierhandel Wettbewerb in Recht und Praxis Wehrstrafgesetz Warenzeichengesetz

WDO WehrpflG WeimVerf./WV WeinG weitergeh. WHG WiB 1. WiKG 2. WiKG WiStG wistra WiVerw WK WM w.N.b. WoÜbG WuM WPg WpHG WRP WStG WZG

(Z)

ZahlVGJG ZAkDR ZaöRV z.B. ZBB ZbernJV/ZBJV ZB1. f. Verk. Med. ZDG ZfB ZffiR Z . f. d. ges. Sachverst.wesen ZFIS ZfJ ZfRV ZfS/ZfSch ZfStrVo ZfW ZfZ

zur, zum Entscheidung in Zivilsachen Gesetz über den Zahlungsverkehr mit Gerichten und Justizbehörden Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (1934-1944) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Zentralblatt für Verkehrsmedizin, Verkehrspsychologie, Luft- und Raumfahrtmedizin Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (Zivildienstgesetz) Zeitschrift für Binnenschifffahrt und Wasserstraßen Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht Zeitschrift für das gesamte Sachverständigenwesen Zeitschrift für innere Sicherheit Zentralblatt für Jugendrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht Zeitschrift für Schadensrecht Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe Zeitschrift für Wasserrecht Zeitschrift für Zölle und Verbrauchssteuern

XXXI

Abkürzungsverzeichnis ZGR ZHR Zif./Ziff. ZIS zit. ZIP ZIS ZMR ZollG ZPO ZRP ZSchwR ZStW z.T. ZUM zusf. zust. ZustErgG

ZustG ZustVO zutr. z.V.b. ZVG ZVS zw. ZWehrR z.Z. ZZP

XXXII

Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, begr. v. Goldschmidt Ziffer(n) Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik zitiert Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zollgesetz Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (zit. nach Band u. Seite) zum Teil Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht/Film und Recht zusammenfassend zustimmend Gesetz zur Ergänzung von Zuständigkeiten auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts, des Handelsrechts und des Strafrechts (Zuständigkeitsergänzungsgesetz) Zustimmungsgesetz Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften zutreffend zur Veröffentlichung bestimmt Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Zwangsversteigerungsgesetz) Zeitschrift für Verkehrssicherheit zweifelhaft (auch: zweifelnd) Zeitschrift für Wehrrecht (1936/37-1944) zur Zeit Zeitschrift für Zivilprozeß (zit. nach Band u. Seite)

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Das Schrifttum zum Kernstrafrecht sowie sämtliche strafrechtlich relevanten Festschriften und vergleichbare Werke stehen unter 1. Es folgt in alphabetischer Reihenfolge das Schrifttum zum Nebenstrafrecht und zu nichtstrafrechtlichen Gebieten usw.: 2. Betäubungsmittelstrafrecht, 3. Bürgerliches Recht und InsO, 4. DDR-Strafrecht, 5. Europäisches Recht, 6. Jugendstrafrecht, 7. Kriminologie, 8. Ordnungswidrigkeitenrecht, 9. Presserecht, 10. Rechtshilfe, 11. Rechtsmedizin und Arztrecht, 12. Strafprozess- und Strafvollzugsrecht, 13. Strahlenschutzrecht, 14. Straßenverkehrsrecht, 15. Verfassungsrecht, 16. Wettbewerbs- und Kartellrecht, 17. Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 18. Zivilprozessrecht, 19. Sonstiges (einschließlich Völkerrecht und Waffenrecht).

1. Strafrecht (StGB) und Festschriften Ambos AK

Appel Arzt/Weber BT v. Bar Baumann Baumann/Weber/Mitsch Beling Binding, Grundriß Binding, Handbuch Binding, Lehrbuch I, II Binding, Normen BK

Blei I, II Bochumer Erläuterungen Bockelmann BT 1, 2, 3

Bockelmann/Volk Bringewat Bruns, Strafzumessungsrecht Bruns, Recht der Strafzumessung

Internationales Strafrecht, 1. Aufl. (2006); 2. Aufl. (2008) Kommentar zum Strafgesetzbuch - Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Wassermann, Bd. 1 (1990), Bd. 3 (1986) Verfassung und Strafe (1998) Strafrecht, Besonderer Teil, Lehrbuch (2000) (Überarbeitung der in fünf Heften erschienenen Ausgabe) Gesetz und Schuld im Strafrecht, 1. Bd. (1906), 2. Bd. (1907), 3. Bd. (1909) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. (1975) Strafrecht, Allgemeiner Teil, Lehrbuch, 11. Aufl. (2003) Die Lehre vom Verbrechen (1906) Grundriß des Deutschen Strafrechts, Allgemeiner Teil, 8. Aufl. (1913) Handbuch des Strafrechts (1885) Lehrbuch des gemeinen Deutschen Strafrechts, Besonderer Teil, 2. Aufl. Bd. 1 (1902), Bd. 2 (1904/05) Die Normen und ihre Übertretung, 2. Aufl., 4 Bände (1890-1919) Basler Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Niggli/ Wiprächtiger (2003) (s. aber auch 15. Verfassungsrecht) einzeln 2003 / Gesamtwerk 2002 Strafrecht I, Allgemeiner Teil, 18. Aufl. (1983); Strafrecht II, Besonderer Teil, 12. Aufl. (1983) Bochumer Erläuterungen zum 6. Strafrechtsreformgesetz, hrsg. v. Schlüchter (1998) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 2. Aufl. (1982); Bd. 2: Delikte gegen die Person (1977); Bd. 3: Ausgewählte Delikte gegen Rechtsgüter der Allgemeinheit (1980) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. (1987) Grundbegriffe des Strafrechts, 2. Aufl. (2008) Strafzumessungsrecht: Gesamtdarstellung, 2. Aufl. (1974) Das Recht der Strafzumessung, 2. Aufl. (1985)

XXXIII

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Bruns, Reflexionen Coimbra-Symposium Dalcke/Fuhrmann/Schäfer Dölling/Duttge/Rössner Ebert

Ebert AT Einführung 6. StrRG Eisele BT 1 Erbs/Kohlhaas Erinnerungsgabe Grünhut Eser (et al.), Rechtfertigung und Entschuldigung I - IV

Eser/Koch

Festgabe BGH 25 Festgabe BGH 50 Festgabe Frank Festgabe Kern Festgabe Peters Festgabe RG I-VI

Festgabe Schultz Festgabe Schweizer J T Festschrift Androulakis Festschrift Augsburg Festschrift Baumann Festschrift Bemmann Festschrift BGH 50

Festschrift Blau Festschrift Bockelmann Festschrift Böhm

XXXIV

Neues Strafzumessungsrecht? „Reflexionen" über eine geforderte Umgestaltung (1988) s. Schünemann/de Figueiredo Dias Strafrecht und Strafverfahren, 37. Aufl. (1961) StGB, StPO, Nebengesetze - Handkommentar (2008) Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege: Beiträge anläßlich eines Symposiums zum 60. Geburtstag von E. W. Hanack, hrsg. v. Ebert (1991) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (2001) Einführung in das 6. Strafrechtsreformgesetz (1998) (bearb. v. Dencker u.a.) Strafrecht - Besonderer Teil I: Straftaten gegen die Person und die Allgemeinheit (2008) Strafrechtliche Nebengesetze, Loseblattausgabe, 4. Aufl. (1988 ff), 5. Aufl. (1993 ff) Erinnerungsgabe für Max Grünhut (1965) Rechtfertigung und Entschuldigung: rechtsvergleichende Perspektiven. Beiträge aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Bd. 1, hrsg. v. Eser/Fletcher (1987); Bd. 2, hrsg. v. Eser/Fletcher (1988); Bd. 3: Deutsch-Italienisch-Portugiesisch-Spanisches Strafrechtskolloquium 1990 in Freiburg, hrsg. v. Eser/Perron (1991); Bd. 4: Ostasiatisch-Deutsches Strafrechtskolloquium 1993 in Tokio, hrsg. v. Eser/Nishihara (1995) Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich, Bd. 1: Europa (1988); Bd. 2: Außereuropa (1989); Bd. 3: Rechtsvergleichender Querschnitt - rechtspolitische Schlußbetrachtungen - Dokumentation zur neueren Rechtsentwicklung (1999) 25 Jahre Bundesgerichtshof 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Band V: Straf- und Strafprozeßrecht (2000) Festgabe für Reinhard von Frank zum 70. Geburtstag: 16. August 1930, 2 Bde. (1930) Festgabe für Eduard Kern zum 70. Geburtstag (1957) Wahrheit und Gerechtigkeit im Strafverfahren: Festgabe für Karl Peters aus Anlaß seines 80. Geburtstages (1984) Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben: Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts (1. Oktober 1929) (1929) Lebendiges Strafrecht: Festgabe zum 65. Geburtstag von Hans Schultz (1977) Festgabe zum Schweizerichen Juristentag (1963) Festschrift für Nikolaos Androulakis zum 70. Geburtstag, (2003) Recht in Europa - Festgabe zum 30-jährigen Bestehen der Juristischen Fakultät Augsburg (2002) Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag (1992) Festschrift für Günter Bemmann zum 70. Geburtstag (1997) Festschrift aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof (2000) Festschrift für Günter Blau zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Paul Bockelmann zum 70. Geburtstag (1979) Festschrift für Alexander Böhm zum 70. Geburtstag (1999)

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Festschrift Böttcher Festschrift Boujong Festschrift Brauneck Festschrift Bruns Festschrift Burgstaller Festschrift v. Caemmerer Festschrift Celle I Festschrift Celle II Festschrift Dahs Festschrift DJT

Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

Dreher Dünnebier Engisch Ermacora

Festschrift Eser Festschrift Fezer Festschrift Friebertshäuser Festschrift GA Festschrift Gallas Festschrift Geerds Festschrift Geilen Festschrift Geiß Festschrift Germann

Festschrift Gleispach

Festschrift Göppinger

Festschrift Gössel Festgabe Graßhoff Festschrift Grünwald Festschrift Grützner

Festschrift für Reinhard Böttcher zum. 7 0 Geburtstag (2007) Verantwortung und Gestaltung, Festschrift für Karlheinz Boujong zum 65. Geburtstag (1996) Ehrengabe für Anne-Eva Brauneck (1999) Festschrift für Hans-Jürgen Bruns zum 70. Geburtstag (1978) Festschrift für Manfred Burgstaller zum 65. Geburtstag (2004) Festschrift für Ernst von Caemmerer zum 70. Geburtstag (1978) Göttinger Festschrift für das Oberlandesgericht Celle: zum 250jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Celle (1961) Festschrift zum 275jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Celle (1986) Festschrift für Hans Dahs zum 70. Geburtstag (2005) Hundert Jahre deutsches Rechtsleben: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1 8 6 0 - 1 9 6 0 , 2 Bde. (1960) Festschrift für Eduard Dreher zum 70. Geburtstag (1977) Festschrift für Hans Dünnebier zum 75. Geburtstag (1982) Festschrift für Karl Engisch zum 70. Geburtstag (1969) Fortschritt im Bewußtsein der Grund- und Menschenrechte, Festschrift für Felix Ermacora zum 65. Geburtstag (1988) Menschengerechtes Strafrecht, Festschrift für Albin Eser zum 70. Geburtstag (2005) Festschrift für Gerhard Fezer zum 70. Geburtstag (2008) Festgabe für den Strafverteidiger Dr. Heino Friebertshäuser (1997) 140 Jahre Goltdammer's Archiv für Strafrecht: eine Würdigung zum 70. Geburtstag von Paul-Günter Pötz (1993) Festschrift für Wilhelm Gallas zum 70. Geburtstag (1973) Kriminalistik und Strafrecht: Festschrift für Friedrich Geerds zum 70. Geburtstag (1995) Bochumer Beiträge zu aktuellen Strafrechtsthemen: Festschrift für Gerd Geilen zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Karlmann Geiß zum 65. Geburtstag (2000) Rechtsfindung - Beiträge zur juristischen Methodenlehre: Festschrift für Oscar Adolf Germann zum 80. Geburtstag (1969) Gegenwartsfragen der Strafrechtswissenschaft: Festschrift zum 60. Geburtstag von Graf W. Gleispach (1936) (Nachdruck 1995) Kriminalität, Persönlichkeit, Lebensgeschichte und Verhalten: Festschrift für Hans Göppinger zum 70. Geburtstag (1990) Festschrift für Karl Heinz Gössel zum 70. Geburtstag (2002) Der verfasste Rechtsstaat, Festgabe für Karin Graßhoff (1998) Festschrift für Gerald Grünwald zum 70. Geburtstag (1999) Aktuelle Probleme des internationalen Strafrechts - Beiträge zur Gestaltung des internationalen und supranationalen Strafrechts: Heinrich Grützner zum 65. Geburtstag (1970)

XXXV

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Festschrift H a m m Festschrift Hanack Festschrift Heidelberg

Festschrift Heinitz Festschrift Henkel Festschrift v. Hentig Festschrift Herzberg Festschrift Heusinger Festschrift Hilger Festschrift Hirsch Festschrift Honig Festschrift Hruschka Festschrift Hubmann

Festschrift Hübner Festschrift Jacobs Festschrift Jauch Festschrift Jescheck Festschrift Jung Festschrift JurGes. Berlin Festschrift Kaiser

Festschrift Arthur Kaufmann I Festschrift Arthur Kaufmann II Festschrift Kern Festschrift Kleinknecht Festschrift Klug Festschrift Koch Festschrift Kohlmann Festschrift Kohlrausch Festschrift Köln

XXXVI

Festschrift für Rainer H a m m zum 65. Geburtstag (2008) Festschrift für Ernst-Walter Hanack zum 70. Geburtstag (1999) Richterliche Rechtsfortbildung: Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg (1986) Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag (1972) Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft: Festschrift für Heinrich Henkel zum 70. Geburtstag (1974) Kriminologische Wegzeichen: Festschrift für Hans v. Hentig zum 80. Geburtstag (1967) Strafrecht zwischen System und Telos, Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg zum 70. Geburtstag (2008) Ehrengabe für Bruno Heusinger (1968) Datenübermittlungen und Vorermittlungen, Festgabe für Hans Hilger (2003) Festschrift für Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag (1999) Festschrift für Richard M . Honig zum 80. Geburtstag (1970) Jahrbuch für Recht und Ethik: Festschrift für Joachim Hruschka zum 70. Geburtstag (2006) Beiträge zum Schutz der Persönlichkeit und ihrer schöpferischen Leistung; Festschrift für Heinrich Hubmann zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag (1984) Festschrift für Günther Jakobs zum 70. Geburtstag (2007) Wie würden Sie entscheiden? Festschrift für Gerd Jauch zum 65. Geburtstag (1990) Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag, 2 Bde. (1985) Festschrift für Heike Jung zum 65. Geburtstag (2007) Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin (1984) Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht: Festschrift für Günther Kaiser zum 70. Geburtstag, 2 Bde. (1998) Jenseits des Funktionalismus: Arthur Kaufmann zum 65. Geburtstag (1989) Strafgerechtigkeit: Festschrift für Arthur Kaufmann zum 70. Geburtstag (1993) Tübinger Festschrift für Eduard Kern (1968) Strafverfahren im Rechtsstaat: Festschrift für Theodor Kleinknecht zum 75. Geburtstag (1985) Festschrift für Ulrich Klug zum 70. Geburtstag, 2 Bde. (1983) Strafverteidigung und Strafprozeß, Festgabe für Ludwig Koch (1989) Festschrift für Günter Kohlmann zum 70. Geburtstag (2003) Probleme der Strafrechtserneuerung: Eduard Kohlrausch zum 70. Geburtstage dargebracht (1944; Nachdruck 1978) Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln (1988)

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Festschrift Krause Festschrift Küper Festschrift Lackner Festschrift Lampe

Festschrift Lange Festschrift Laufs Festschrift Leferenz Festschrift Lenckner Festschrift Lüderssen Festschrift Maihofer Festschrift Maiwald Festschrift Mangakis Festschrift Maurach Festschrift H. Mayer Festschrift Meyer-Goßner Festschrift Mezger Festschrift Middendorff Festschrift Miyazawa Festschrift E. Müller Festschrift für Egon Müller Festschrift Müller-Dietz I Festschrift Müller-Dietz II Festschrift Nehm Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift

Nishihara Odersky Oehler Otto Pallin

Festschrift Partsch

Festschrift Peters Festschrift Pfeiffer

Recht und Kriminalität: Festschrift für Friedrich-Wilhelm Krause zum 70. Geburtstag (1990) Festschrift für Wilfried Küper zum 70. Geburtstag (2007) Festschrift für Karl Lackner zum 70. Geburtstag (1987) Jus humanum: Grundlagen des Rechts und Strafrechts, Festschrift für Ernst-Joachim Lampe zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag (1976) Humaniora, Medizin - Recht - Geschichte, Festschrift für Adolf Laufs zum 70. Geburtstag (2006) Kriminologie - Psychiatrie - Strafrecht: Festschrift für Heinz Leferenz zum 70. Geburtstag (1983) Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Klaus Lüderssen zum 70. Geburtstag (2002) Rechtsstaat und Menschenwürde: Festschrift für Werner Maihofer zum 70. Geburtstag (1988) Fragmentarisches Strafrecht, Für Manfred Maiwald aus Anlass seiner Emeritierung (2003) Strafrecht - Freiheit - Rechtsstaat: Festschrift für Georgios Mangakis (1999) Festschrift für Reinhart Maurach zum 70. Geburtstag (1972) Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft: Festschrift für Hellmuth Mayer zum 70. Geburtstag (1966) Festschrift für Lutz Meyer-Goßner zum 65. Geburtstag (2001) Festschrift für Edmund Mezger zum 70. Geburtstag (1954) Festschrift für Wolf Middendorff zum 70. Geburtstag (1986) Festschrift für Koichi Miyazawa: dem Wegbereiter des japanisch-deutschen Strafrechtsdiskurses (1995) Opuscula Honoraria, Egon Müller zum 65. Geburtstag (2003) Festschrift für Egon Müller zum 70. Geburtstag (2008) Das Recht und die schönen Künste: Heinz Müller-Dietz zum 65. Geburtstag (1998) Grundlagen staatlichen Strafens: Festschrift für HeinzMüller-Dietz zum 70. Geburtstag (2001) Strafrecht und Justizgewährung, Festschrift für Kay Nehm zum 65. Geburtstag (2006) Festschrift für Haruo Nishihara zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Walter Odersky zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift für Dietrich Oehler zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Harro Otto zum 70. Geburtstag (2007) Strafrecht, Strafprozeßrecht und Kriminologie: Festschrift für Franz Pallin zum 80. Geburtstag (1989) Des Menschen Recht zwischen Freiheit und Verantwortung, Festschrift für Karl Josef Partsch zum 75. Geburtstag (1989) Einheit und Vielfalt des Strafrechts: Festschrift für Karl Peters zum 70. Geburtstag (1974) Strafrecht, Unternehmensrecht, Anwaltsrecht: Festschrift für Gerd Pfeiffer zum Abschied aus dem Amt als Präsident des Bundesgerichtshofes (1988)

XXXVII

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Festschrift Pfenniger Festschrift Platzgummer Festschrift Potz Festschrift Rasch Festschrift Rebmann Festschrift Reichsgericht

Festschrift Reichsjustizamt

Festschrift Richterakademie Festschrift Rieß Festschrift Richter Festschrift Rittler Festschrift Rolinski Festschrift Rosenfeld Festschrift Roxin Festschrift Rudolphi Festschrift Saiger

Festschrift Sarstedt Festschrift Sauer Festschrift G. Schäfer Festschrift K. Schäfer Festschrift Schaffstein Festschrift Schewe

Festschrift Schleswig-Holstein

Festschrift Schlüchter

Festschrift Schmid Festschrift Eb. Schmidt Festschrift Schmidt-Leichner Festschrift Schmitt

XXXVIII

Strafprozeß und Rechtsstaat, Festschrift zum 70. Geburtstag von H. F. Pfenniger (1976) Festschrift für Winfried Platzgummer zum 65. Geburtstag (1995) s. Festschrift GA Die Sprache des Verbrechens - Wege zu einer klinischen Kriminologie: Festschrift für Wilfried Rasch (1993) Festschrift für Kurt Rebmann zum 65. Geburtstag (1989) Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 5, Strafrecht und Strafprozeß (1929) Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der Justiz, Festschrift zum 100jährigen Gründungstag des Reichsjustizamtes am 1.1.1877 (1977) Justiz und Recht: Festschrift aus Anlaß des 10jährigen Bestehens der Deutschen Richterakademie in Trier (1983) Festschrift für Peter Rieß zum 70. Geburtstag (2002) Verstehen und Widerstehen, Festschrift für Christian Richter II zum 65. Geburtstag (2006) Festschrift für Theodor Rittler zu seinem 80. Geburtstag (1957) Festschrift für Klaus Rolinski zum 70. Geburtstag (2002) Festschrift für Ernst Heinrich Rosenfeld zu seinem 80. Geburtstag (1949) Festschrift für Claus Roxin zum 70. Geburtstag (2001) Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi zum 70. Geburtstag (2004) Straf- und Strafverfahrensrecht, Recht und Verkehr, Recht und Medizin: Festschrift für Hannskarl Saiger zum Abschied aus dem Amt als Vizepräsident des Bundesgerichtshofes (1995) Festschrift für Werner Sarstedt zum 70. Geburtstag (1981) Festschrift für Wilhelm Sauer zu seinem 70. Geburtstag (1949) NJW-Sonderheft für Gerhard Schäfer zum 65. Geburtstag (2002) Festschrift für Karl Schäfer zum 80. Geburtstag (1980) Festschrift für Friedrich Schaffstein zum 70. Geburtstag (1975) Medizinrecht - Psychopathologie - Rechtsmedizin: diesseits und jenseits der Grenzen von Recht und Medizin: Festschrift für Günter Schewe zum 60. Geburtstag (1991) Strafverfolgung und Strafverzicht: Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Staatsanwaltschaft SchleswigHolstein (1992) Freiheit und Verantwortung in schwieriger Zeit: kritische Studien aus vorwiegend straf(prozeß)rechtlicher Sicht zum 60. Geburtstag von Ellen Schlüchter (1998) Recht, Justiz, Kritik: Festschrift für Richard Schmid zum 85. Geburtstag (1985) Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag (1961) Festschrift für Erich Schmidt-Leichner zum 65. Geburtstag (1977) Festschrift für Rudolf Schmitt zum 70. Geburtstag (1992)

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Festschrift Schneider

Festschrift Schreiber Festschrift Schroeder Festschrift Schüler-Springorum Festschrift Schwind

Festschrift Schwinge Festschrift Seebode Festschrift Sendler Festschrift Spendel Festschrift Spinellis Festschrift Stock Festschrift Stree/Wessels Festschrift Stutte Festschrift Tiedemann

Festschrift Trechsel Festschrift Triffterer Festschrift Tröndle Festschrift Tübingen

Festschrift Venzlaff Festschrift Waseda

Festschrift Wassermann Festschrift v. Weber Festschrift Weber Festschrift Welzel Festschrift Widmaier

Festschrift Wolf Festschrift Wolff Festschrift Würtenberger

Kriminologie an der Schwelle zum 21. Jahrhundert: Festschrift für Hans Joachim Schneider zum 70. Geburtstag (1998) Strafrecht, Biorecht, Rechtsphilosophie, Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder zum 70. Geburtstag (2006) Festschrift für Horst Schüler-Springorum zum 65. Geburtstag (1993) Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen, Festschrift für Hans-Dieter Schwind zum 70. Geburtstag (2006) Persönlichkeit in der Demokratie: Festschrift für Erich Schwinge zum 70. Geburtstag (1973) Festschrift für Manfred Seebode zum 70. Geburtstag (2008) Bürger-Richter-Staat, Festschrift für Horst Sendler zum Abschied aus seinem Amt (1991) Festschrift für Günter Spendel zum 70. Geburtstag (1992) Die Strafrechtswissenschaft im 21. Jahrhundert: Festschrift für Dionysios Spinellis, 2 Bde. (2001) Studien zur Strafrechtswissenschaft: Festschrift für Ulrich Stock zum 70. Geburtstag (1966) Beiträge zur Rechtswissenschaft: Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels zum 70. Geburtstag (1993) Jugendpsychiatrie und Recht: Festschrift für Hermann Stutte zum 70. Geburtstag (1979) Strafrecht und Wirtschaftsstrafrecht: Dogmatik, Rechtsvergleich, Rechtstatsachen; Festschrift für Klaus Tiedemann zum 70. Geburtstag (2008) Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte, Festschrift für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag (2002) Festschrift für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift für Herbert Tröndle zum 70. Geburtstag (1989) Tradition und Fortschritt im Recht: Festschrift gewidmet der Tübinger Juristenfakultät zu ihrem 500jährigen Bestehen 1977 von ihren gegenwärtigen Mitgliedern (1977) Forensische Psychiatrie - Entwicklungen und Perspektiven: Festschrift für Ulrich Venzlaff zum 85. Geburtstag (2006) Recht in Ost und West: Festschrift zum 30jährigen Jubiläum des Instituts für Rechtsvergleichung der WasedaUniversität (1988) Festschrift für Rudolf Wassermann zum 60. Geburtstag (1985) Festschrift für Hellmuth von Weber zum 70. Geburtstag (1963) Festschrift für Ulrich Weber zum 70. Geburtstag (2004) Festschrift für Hans Welzel zum 70. Geburtstag (1974) Strafverteidigung, Revision und die gesamten Strafrechtswissenschaften - Festschrift für Gunter Widmaier zum 70. Geburtstag (2008) Mensch und Recht: Festschrift für Erik Wolf zum 70. Geburtstag (1972) Festschrift für E. A. Wolff zum 70. Geburtstag (1998) Kultur, Kriminalität, Strafrecht: Festschrift für Thomas Würtenberger zum 70. Geburtstag (1977)

XXXIX

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Festschrift Würzburger Juristenfakultät Raum und Recht, Festschrift 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät (2002) Festschrift für Wolfgang Zeidler (1987) Festschrift Zeidler 175 Jahre Pfälzisches Oberlandesgericht: 1815 AppellaFestschrift Zweibrücken tionshof, Oberlandesgericht 1990 (1990) Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Kurzkommentar, Fischer 56. Aufl. (2009); bis zur 54. Auflage Tröndle/Fischer Alkohol und Schuldfähigkeit (1997) Forster/Joachim Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich nebst dem Frank Einführungsgesetz, 18. Aufl. (1931) s. Tiedemann Freiburg-Symposium Strafrecht, Allgemeiner Teil (1998 Freund AT Frisch, Vorsatz und Risiko Vorsatz und Risiko: Grundfragen des tatbestandsmäßigen Verhaltens und des Vorsatzes (1983) Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten Erfolgs (1988) Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (2007) Frister Beiträge zur Verbrechenslehre (1968) Gallas, Beiträge Gedächtnisschrift für (Studi in memoria di) Giacomo Gedächtnisschrift Delitala Delitala (3 Bde.) (1984) Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann (1989) Gedächtnisschrift Armin Kaufmann Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann (1986) Gedächtnisschrift H. Kaufmann Gedächtnisschrift für Rolf Keller (2003) Gedächtnisschrift Keller Gedächtnisschrift für Dieter Meurer (2002) Gedächtnisschrift Meurer Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer (1990) Gedächtnisschrift K. Meyer Gedächtnisschrift für Peter Noll (1984) Gedächtnisschrift Noll Gedächtnisschrift für Hans Peters (1967) Gedächtnisschrift H. Peters Gedächtnisschrift für Gustav Radbruch (1968) Gedächtnisschrift Radbruch Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter (2002) Gedächtnisschrift Schlüchter Gedächtnisschrift für Horst Schröder (1978) Gedächtnisschrift Schröder Gedächtnisschrift für Zong Uk Tjong (1985) Gedächtnisschrift Tjong Gedächtnisschrift für Theo Vogler (2004) Gedächtnisschrift Vogler Gedächtnisschrift für Heinz Zipf (1999) Gedächtnisschrift Zipf Internationale Dogmatik der objektiven Zurechnung Gimbernat u.a. und der Unterlassungsdelikte: Spanisch-Deutsches Symposium zu Ehren von Claus Roxin, hrsg. v. Gimbernat u.a. (1995) Gössel I, II Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter des Individuums (1987), 2. Aufl. (1999); Bd. 2: Straftaten gegen materielle Rechtsgüter des Individuums (1996) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Straftaten gegen PersönGössel/Dölling lichkeits· und Gemeinschaftswerte, 2. Aufl. (2004) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Auflage (2005) Gropp AT Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, hrsg. v. Grundfragen Schünemann (1984) Haft AT, BT Strafrecht, Allgemeiner Teil, 9. Aufl. (2004); Besonderer Teil I, 8. Aufl. (2004); Besonderer Teil II, 8. Aufl. (2005) Hanack-Symposium s. Ebert Empirische Erkenntnisse, dogmatische Fundamente und Hefendehl kriminalpolitischer Impetus. Symposium für Bernd Schünemann zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Hefendehl (2005) Heinrich Strafrecht AT I und II (2005) v. Hippel I, II Deutsches Strafrecht, Bd. 1 (1925), Bd. 2 (1930)

XL

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Hruschka Jakobs AT Jescheck, Beiträge I, II

Jescheck/Weigend Joecks Kienapfel AT Kienapfel, Urkunden Kindhäuser AT, B T I, II

Kindhäuser LPK Köhler AT Kohlrausch/Lange Krey AT I, II

Krey/Heinrich Krey/Hellmann Kühl AT Küper BT Küpper B T Lackner/Kühl v. Liszt, Aufsätze v. Liszt/Schmidt AT, BT LK

Lutz Madrid-Symposium Manoledakis/Prittwitz

Matheus Maurach AT, B T Maurach/Zipf Maurach/Gössel/Zipf

Strafrecht nach logisch-analytischer Methode, 2. Aufl. (1988) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1993) Strafrecht im Dienste der Gemeinschaft: ausgewählte Beiträge zur Strafrechtsreform, zur Strafrechtsvergleichung, zum internationalen Strafrecht, 1 9 5 3 - 1 9 7 9 (1980) (I); Beiträge zum Strafrecht 1 9 8 0 - 1 9 9 8 (1998) (II), jew. hrsg. v. Vogler Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996) Strafgesetzbuch, Studienkommentar, 7. Aufl. 2 0 0 7 Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. (1984) Urkunden und andere Gewährschaften (1979) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (2008); Besonderer Teil I: Straftaten gegen Persönlichkeitsrechte, Staat und Gesellschaft, 3. Aufl. (2007); Besonderer Teil II: Straftaten gegen Vermögensrechte, 5. Aufl. (2008) Strafgesetzbuch, Lehr- und Praxiskommentar, 3. Aufl. (2006) Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil (1997) Strafgesetzbuch mit Erläuterungen und Nebengesetzen, 43. Aufl. (1961) Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 1: Grundlagen, Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, Schuld, 3. Aufl. (2008); Bd. 2: Täterschaft und Teilnahme, 3. Aufl. (2008) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Besonderer Teil ohne Vermögensdelikte, 14. Aufl. (2008) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 2: Vermögensdelikte, 15. Aufl. (2008) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl. (2008) Strafrecht, Besonderer Teil, 7. Aufl. (2008) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Delikte gegen Rechtsgüter der Person und Gemeinschaft, 3. Aufl. (2007) Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 2 6 . Aufl. (2007) Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, 2 Bde. (1925) Lehrbuch des deutschen Strafrechts, Allgemeiner Teil, 26. Aufl. (1932); Besonderer Teil, 25. Aufl. (1925) Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 11. Aufl. ( 1 9 9 2 - 2 0 0 6 ) hrsg. v. Jähnke/Laufhütte/Odersky; 12. Aufl. hrsg. v. Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (2006 ff) Strafrecht AT, 4. Aufl. (2008) s. Schünemann/Suärez Strafrechtsprobleme an der Jahrtausendwende: DeutschGriechisches Symposium in Rostock 1999, hrsg. v. Manoledakis/Prittwitz (2000) Strafrecht B T 2 (2008) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4 . Aufl. (1971); Besonderer Teil, 5. Aufl. (1969) mit Nachträgen von 1970/71 Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilbd. 1: Grundlehren des Strafrechts und Aufbau der Straftat, 8. Aufl. (1992) Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilbd. 2: Erscheinungsformen des Verbrechens und Rechtsfolgen der Tat, 7. Aufl. (1989)

XLI

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Maurach/Schroeder/Maiwald I, II

H . Mayer AT H. Mayer, Strafrecht H. Mayer, Studienbuch Mezger, Strafrecht Mitsch BT 1, 2

MK Naucke Niederschriften I-XIV Niethammer NK

Oehler v. Olshausen

Otto AT, BT Pfeiffer/Maul/Schulte Preisendanz Puppe Rengier BT 1, 2

Rostock-Symposium Roxin AT I Roxin AT II Roxin TuT Roxin/Stree/Zipf/Jung Roxin-Symposium Sack Sauer AT, BT Schäfer/v. Dohnanyi

Schmidt Schmidt/Priebe Schmidt-Salzer Schmidhäuser Schmidhäuser AT, BT, StuB

XLII

Strafrecht, Besonderer Teil, Teilbd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits· und Vermögenswerte, 9. Aufl. (2003); Teilbd. 2: Straftaten gegen Gemeinschaftswerte, 9. Aufl. (2005) Strafrecht, Allgemeiner Teil (1953) Das Strafrecht des deutschen Volkes (1936) Strafrecht, Allgemeiner Teil, Studienbuch (1967) Strafrecht, Lehrbuch, 3. Aufl. (1949) (ergänzt durch: Moderne Wege der Strafrechtsdogmatik [1950]) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 2: Vermögensdelikte, Teilbd. 1: Kernbereich, 2. Aufl. (2003); Teilbd. 2: Randbereich (2001) Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Joecks/Miebach (ab 2003) Strafrecht, Eine Einführung, 11. Aufl. (2008) Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 14 Bde. (1956-1960) Lehrbuch des Besonderen Teils des Strafrechts (1950) Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, 1. Auflage Loseblatt (1995 ff); 2. Aufl. gebunden (2005) Internationales Strafrecht, 2. Aufl. (1983) Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 12. Aufl. (§§ 1-246) bearb. von Freiesleben u.a. (1942 ff); sonst 11. Aufl. bearb. von Lorenz u.a. (1927) Grundkurs Strafrecht: Allgemeine Strafrechtslehre/Die einzelnen Delikte, jeweils 7. Aufl. (2005) Strafgesetzbuch, Kommentar an Hand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (1969) Strafgesetzbuch, Lehrkommentar, 30. Aufl. (1978) Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1 (2002); Band 2 (2005) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 10. Aufl. (2008); Bd. 2: Delikte gegen die Person und Allgemeinheit, 9. Aufl. (2008) s. Manoledakis/Prittwitz Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 1: Grundlagen - Der Aufbau der Verbrechenslehre, 4. Aufl. (2006) Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 2: Besondere Erscheinungsformen der Straftat (2003) Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006) Einführung in das neue Strafrecht, 2. Aufl. (1975) s. Gimbernat Umweltschutz-Strafrecht, Erläuterung der Straf- und Bußgeldvorschriften, Loseblattausgabe, 4. Aufl. (1997 ff) Allgemeine Strafrechtslehre, 3. Aufl. (1955); System des Strafrechts, Besonderer Teil (1954) Die Strafgesetzgebung der Jahre 1931 bis 1935 (1936) (Nachtrag zur 18. Aufl. von Frank: das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich [1931]) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. (2008) Strafrecht Besonderer Teil I und II, jeweils 7. Aufl. (2008) Produkthaftung, Bd. 1: Strafrecht, 2. Aufl. (1988) Einführung in das Strafrecht, 2. Aufl. (1984) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1975); Besonderer Teil, 2. Aufl. (1983); Studienbuch: Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1984)

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Schöch

Schönke/Schröder Schroth B T Schünemann/de Figueiredo Dias

Schünemann/Suärez

Sieber SK

SSW Stratenwerth/Kuhlen AT Tendenzen der Kriminalpolitik

Tiedemann

Tiedemann, Tatbestandsfunktionen Walter, Kern des Strafrechts v. Weber Welzel, Strafrecht Welzel, Strafrechtssystem Wessels/Beulke Wessels/Hettinger Wessels/Hillenkamp WK Zieschang AT Zieschang Gefährdungsdelikte Zöller/Fornoff/Gries

Wiedergutmachung und Strafrecht: Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstages von Friedrich Schaffstein, hrsg. v. Schöch (1987) Strafgesetzbuch, Kommentar, 27. Aufl. (2006) Strafrecht, Besonderer Teil, 4. Aufl. (2006) Bausteine des Europäischen Strafrechts: CoimbraSymposium für Claus Roxin, hrsg. v. Schünemann/ de Figueiredo Dias (1995) Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts: Madrid-Symposium für Klaus Tiedemann, hrsg. v. Schünemann/Suärez (1994) Verantwortlichkeit im Internet (1999) Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, Loseblattausgabe, Bd. 1: Allgemeiner Teil, 8. Aufl. (2001 ff); Bd. 2: Besonderer Teil, 7. Aufl. (1999 ff Strafgesetzbuch, Kommentar, hrsg. v. Satzger/Schmitt/ Widmaier (2009) Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 1: Die Straftat, 5. Aufl. (2004) Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik, Beiträge zu einem deutsch-skandinavischen Strafrechtskolloquium, hrsg. v. Cornils/Eser (1987) Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, Harmonisierungsvorschläge zum Allgemeinen und Besonderen Teil (Freiburg-Syposium), hrsg. v. Tiedemann (2002) Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht (1969) Der Kern des Strafrechts (2006) Grundriß des deutschen Strafrechts, 2. Aufl. (1948) Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969) Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Aufl. (1961) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 38. Aufl. (2008) Strafrecht, Besonderer Teil 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, 32. Aufl. (2008) Strafrecht, Besonderer Teil 2 : Straftaten gegen Vermögenswerte, 31. Aufl. (2008) Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch - StGB; hrsg. v. Höpfl/Ratz, 2. Aufl. (1999 ff) Strafrecht, Allgemeiner Teil (2005) Die Gefährdungsdelikte (1998) Strafrecht, Besonderer Teil II (2008)

2. Betäubungsmittelstrafrecht Franke/Wienroeder Joachimski/Haumer Körner Webel Weber

Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, 3. Aufl. (2008) Betäubungsmittelgesetz (mit ergänzenden Bestimmungen), Kommentar, 7. Aufl. (2002) Betäubungsmittelgesetz, (ab 4 . Aufl.) Arzneimittelgesetz, Kurzkommentar, 6. Aufl. (2007) Betäubungsmittelstrafrecht (2003) Betäubungsmittelgesetz, Verordnungen zum B t M G , Kommentar, 2 . Aufl. (2003)

3. Bürgerliches Recht und InsO FK InsO

Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. v. Wimmer, 5. Aufl. (2008)

XLIII

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur HK InsO Jaeger, InsO MK BGB

MK InsO Palandt

RGRK

Smid InsO

Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. v. Eickmann, 4. Aufl. (2006) Insolvenzordnung, Großkommentar, hrsg. v. Henckel/ Gerhardt (2004 ff) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Auflage (ab 2000); 5. Aufl. (ab 2008), hrsg. von Rebmann/Säcker/Rixecker Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. (ab 2007), hrsg. von Kirchhof/Lwowski/Stürner Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz (Auszug), Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Verbraucherkreditgesetz, Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften, Kurzkommentar, 68. Aufl. (2009) Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes (Reichsgerichtsrätekommentar), hrsg. v. Mitgliedern des Bundesgerichtshofes, 12. Aufl. (1975-1999) Insolvenzordnung (InsO) mit Insolvenzrechtlicher Vergütungsverordnung ( I n s W ) , Kommentar, 2. Aufl. (2001)

4. DDR-Strafrecht StGB-Komm.-DDR StGB-Lehrb.-DDR AT, BT StGB-Lehrb.-DDR 1988 StPO-Komm.-DDR StPO-Lehrb.-DDR

Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Kommentar, 5. Aufl. (1987) Strafrecht der DDR, Lehrbuch: Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1976); Besonderer Teil (1981) Strafrecht der DDR, Lehrbuch, Allgemeiner Teil (1988) Strafprozeßrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Kommentar, 3. Aufl. (1989) Strafverfahrensrecht, Lehrbuch, 3. Aufl. (1987)

5. Europäisches Recht Bleckmann Geiger Grabitz/Hilf

Hailbronner/Klein/Magiera/ Müller-Graff HdEuropR Hecker

XLIV

Europarecht, 6. Aufl. (1997) EUV, EGV, Kommentar 4. Aufl. (2004); (1. und 2. Aufl. unter dem Titel: EG-Vertrag) Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, Loseblattausgabe, Altbd. I, II, hrsg. v. Grabitz/Hilf (1983 ff) (jew. bearb. v. Bandilla u.a.); Bd. 1 EUV/EGV, hrsg. v. Meinhard Hilf (bearb. v. Bandilla u.a.); Bd. 2 EUV/EGV, hrsg. v. Meinhard Hilf (bearb. v. Brühann u.a.); Bd. 3 Sekundärrecht: Α EG-Verbraucher- und Datenschutzrecht, hrsg. v. Manfred Wolf; Bd. 4 Sekundärrecht: Ε EG-Außenwirtschaftsrecht, hrsg. v. Hans Günter Krenzier, 35. Aufl. (2008) Handkommentar zum Vertrag über die Europäische Union (EUV/EGV), Loseblattausgabe (1991 ff) Handbuch des Europäischen Rechts, Loseblattausgabe, hrsg. v. Bieber/Ehlermann (1982 ff) Europäisches Strafrecht, 2. Aufl. (2007)

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Immenga/Mestmäcker EG Satzger Schweitzer/Hummer Streinz

Wettbewerbsrecht EG, 2 Bde., hrsg. v. Immenga/Mestmäcker, 4 . Aufl. (2007) (bearb. v. Basedow u.a.) Internationales und Europäisches Strafrecht, 2. Aufl. (2008) Europarecht, 6. Aufl. (2008) Europarecht, 8. Aufl. (2008)

6. Jugendstrafrecht AKJGG Brunner Brunner/Dölling Böhm Diemer/Schoreit/Sonnen Eisenberg J G G Laubenthal/Baier Ostendorf J G G Schaffstein/Beulke Streng Walter, Jugendkriminalität

Kommentar zum Jugendgerichtsgesetz - Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Wassermann (1987) Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 9. Aufl. (1991) Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 12. Aufl. (2008) Einführung in das Jugendstrafrecht, 4. Aufl. (2004) Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 5. Aufl. (2008) Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 13. Aufl. (2009) Jugendstrafrecht (2006) Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 7. Aufl. (2007) Jugendstrafrecht, 14. Aufl. (2002) Jugendstrafrecht (2003) Jugendkriminalität: eine systematische Darstellung, 3. Aufl. (2005)

7. Kriminologie Dittmann, Volker Eisenberg, Kriminologie Göppinger Göppinger/Bock HwbKrim

IntHdbKrim Kaiser Kaiser, Einführung Meier Mezger, Kriminologie Schneider Schwind

Kriminologie zwischen Grundlagenwissenschaften und Praxis, hrsg. von Volker Dittmann (2003) Kriminologie, 6. Aufl. (2005) Kriminologie, 4. Aufl. (1980) Kriminologie, 6. Aufl. (2008) Handwörterbuch der Kriminologie, hrsg. v. Sieverts/Schneider, Bd. 1 - 3 , Ergänzungsband (4. Bd.), Nachtrags- und Registerband (5. Bd.), 2. Aufl. (1966-1998) Internationales Handbuch der Kriminologie, hrsg. v. H.-J. Schneider, Bd. 1 (2007); Bd. 2 (2009) Kriminologie, Lehrbuch, 2. Aufl. (1988), 3. Aufl. (1996) Kriminologie: eine Einführung in die Grundlagen, 10. Aufl. (1997) Kriminologie, 3. Aufl. (2007) Kriminologie, Studienbuch (1951) Kriminologie, Lehrbuch, 3. Aufl. (1992) Kriminologie, 17. Aufl. (2007)

8. Ordnungswidrigkeitenrecht Bohnert Bohnert, Grundriss Göhler

Kommentar zum Ordnungswidrigkeitenrecht, 2. Aufl. (2007) Ordnungswidrigkeitenrecht, Grundriss für Praxis und Ausbildung, 2 . Aufl. (2004) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, Kurzkommentar, 14. Aufl. (2006)

XLV

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur HK OWiG KK OWiG Mitsch OWiG Rebmann/Roth/Hermann

Heidelberger Kommentar zum Ordnungswidrigkeitengesetz, hrsg. v. Lemke u.a., 2. Aufl. (2005) Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, hrsg. v. Boujong, 3. Aufl. (2006) Recht der Ordnungswidrigkeiten, 2. Aufl. (2005) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten: Kommentar, Loseblattausgabe (2002 ff)

9. Presserecht Groß Löffler

Soehring

Presserecht, 3. Aufl. (1999) Presserecht, Kommentar, Bd. 1: Allgemeine Grundlagen, Verfassungs- und Bundesrecht, 2. Aufl. (1969); Bd. 1 (in der 2. Aufl. noch Bd. 2): Die Landespressegesetze der Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl. (2006) Presserecht, 3. Aufl. (2000)

10. Rechtshilfe Grützner/Pötz Hackner/Lagodny/ Schomburg/Wolf Schomburg/Lagodny/ Gleß/Hackner Vogler/Wilkitzki

Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Loseblattausgabe, 2. Aufl. (1980 ff) Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (2003) Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. (2006) Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG), Kommentar, Loseblattausgabe (1992 ff) als Sonderausgabe aus Grützner/Pötz (siehe dort)

11. Rechtsmedizin und Medizinrecht Forster Forster/Ropohl HfPsych I, II

Laufs Laufs, Fortpflanzungsmedizin Psychiatrische Begutachtung Rieger Ulsenheimer

Praxis der Rechtsmedizin (1986) Rechtsmedizin, 5. Aufl. (1989) Handbuch der forensischen Psychiatrie, hrsg. v. Göppinger/Witter, Bd. 1: Teil Α (Die rechtlichen Grundlagen) und Β (Die psychiatrischen Grundlagen); Bd. 2: Teil C (Die forensischen Aufgaben der Psychiatrie) und D (Der Sachverständige, Gutachten und Verfahren) (jew. 1972) Arztrecht, 6. Aufl. (2001) Fortpflanzungsmedizin und Arztrecht (1992) Ein praktisches Handbuch für Ärzte und Juristen, hrsg. v. Foerster/Dreßing, 5. Aufl. (2009) Lexikon des Arztrechts, Loseblatt, 2. Aufl. (2001 ff) Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl. (2008)

12. Strafprozeß- und Strafvollzugsrecht AK StPO

AK StVollzG

XLVI

Kommentar zur Strafprozeßordnung - Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Wassermann, Bd. 1 (1988), Bd. 2 Teilbd. 1 (1992), Bd. 2 Teilbd. 2 (1993), Bd. 3 (1996) Kommentar zum Strafvollzugsgesetz - Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Wassermann, 3. Aufl. (1990)

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Arloth Beulke Bringewat Calliess/Müller-Dietz Eisenberg HK StPO Isak/Wagner Jessnitzer Joecks Kamann Kammeier KK

Kleinknecht/Meyer-Goßner

KMR

Kramer Kühne, Strafprozeßlehre Kühne, Strafprozessrecht LR

Marschner/Volckart Meyer-Goßner Müller Peters Pfeiffer Pohlmann/Jabel/Wolf Putzke Roxin, Strafverfahrensrecht Roxin/Arzt/Tiedemann Saage/Göppinger Sarstedt/Hamm Schäfer, Strafverfahren Schäfer, Strafzumessung Schätzler Eb. Schmidt, Lehrkommentar I—III

Strafvollzugsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. (2008) Strafprozeßrecht, 10. Aufl. (2008) Strafvollstreckungsrecht: Kommentar zu den § § 4 4 9 - 4 6 3 d StPO (1993) Strafvollzugsgesetz, Kurzkommentar, 11. Aufl. (2008) Beweisrecht der StPO, Spezialkommentar, 6. Aufl. (2008) Heidelberger Kommentar zur Strafprozeßordnung, hrsg. v. Lemke u.a., 3. Aufl. (2001) Strafvollstreckung, 7. Aufl. (2004); vormals: Wetterich/ Hamann Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl. (2007) Studienkommentar StPO, 2. Aufl. (2008) Handbuch für die Strafvollstreckung und den Strafvollzug, 2. Aufl. (2008) Maßregelvollzugsrecht, Kommentar, 2. Aufl. (2002) Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz mit Einführungsgesetz, hrsg. v. Pfeiffer, 6. Aufl. (2008) Strafprozeßordnung, Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze und ergänzende Bestimmungen, Kurzkommentar, 46. Aufl. (2003); nunmehr: Meyer-Goßner Kleinknecht/Müller/Reitberger (Begr.), Kommentar zur Strafprozeßordnung, Loseblattausgabe, 8. Aufl. (1990 ff), ab 14. Lfg. hrsg. von v. Heintschel-Heinegg/Stöckel Grundbegriffe des Strafverfahrensrechts: Ermittlung und Verfahren, 6. Aufl. (2004) Strafprozeßlehre, 4. Aufl. (1993) Strafprozessrecht, 7. Aufl. (2007) Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz mit Nebengesetzen, Großkommentar, 26. Aufl. (2006 ff) Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl. (2001) (vormals Saage/Göppinger) Strafprozeßordnung, Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze und ergänzende Bestimmungen, Kurzkommentar, 51. Aufl. (2008) vormals Kleinknecht/Meyer-Goßner Beiträge zum Strafprozessrecht (2003) Strafprozeß, Ein Lehrbuch, 4. Aufl. (1985) Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz, 6. Aufl. (2008) Strafvollstreckungsordnung, Kommentar, 8. Aufl. (2001) Strafprozessrecht (2005) Studienbuch, 25. Aufl. (1998) Einführung in das Strafrecht und Strafprozeßrecht, 5. Auflage (2006) Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. (1994) (ab der 4. Auflage Marschner/Volckart) Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl. (1998) Die Praxis des Strafverfahrens, 7. Aufl. (2007) Die Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl. (2008) Handbuch des Gnadenrechts, 2. Aufl. (1992) Strafprozeßordnung, Lehrkommentar, Bd. 1: Die rechtstheoretischen und die rechtspolitischen Grundlagen des Strafverfahrensrechts, 2. Aufl. (1964); Bd. 2: Erläuterungen zur Strafprozeßordnung und zum Einführungsgesetz

X LVII

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur

Schwind/Böhm/Jehle SK StPO sLSK Volckart Volk Walter, Strafvollzug

zur Strafprozeßordnung (1957) (mit Nachtragsband 1 [1967] und 2 [1970]); Bd. 3: Erläuterungen zum Gerichtsverfassungsgesetz und zum Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz (1960) Strafvollzugsgesetz, Kommentar, 4. Auflage (2005) Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Loseblattausgabe (1986 ff) Systematischer Leitsatzkommentar zum Sanktionenrecht, hrsg. v. Horn, Loseblattausgabe (1983 ff) Maßregelvollzug, 6. Aufl. (2002) Grundkurs StPO, 6. Aufl. (2008) Strafvollzug, 2. Aufl. (1999)

13. Strahlenschutzrecht Fischerhof Haedrich Mattern/Raisch Winters

Deutsches Atomgesetz und Strahlenschutzrecht; Bd. 1 und 2, 2. Aufl. (1978) Atomgesetz mit Pariser Atomhaftungs-Übereinkommen, Kommentar (1986) Atomgesetz, Kommentar (1961) Atom- und Strahlenschutzrecht, Kommentar, mit Atomgesetz, Atomhaftungsübereinkommen, Strahlenschutzverordnung, Deckungsvorsorgeverordnung, Verfahrensverordnung, Kostenverordnung und Röntgenverordnung (1978)

14. Straßenverkehrsrecht Bär/Hauser/Lehmpuhl Cramer Full/Möhl/Rüth Hentschel, Straßenverkehrsrecht

Hentschel Hentschel/Born Himmelreich/Bücken Himmelreich/Hentschel HKStVR Janker Jagow/Burmann/Heß Jagusch/Hentschel Janiszewski

X LVIII

Unfallflucht, Kommentar, Loseblattausgabe (1978 ff) Straßenverkehrsrecht, Bd. 1: StVO, StGB, 2. Aufl. (1977) Straßenverkehrsrecht: Kommentar (1980) mit Nachtrag (1980/81) Straßenverkehrsrecht: Straßenverkehrsgesetz, Straßenverkehrs-Ordnung, Strassenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, Fahrerlaubnis-Verordnung, Bußgeldkatalog, Gesetzesmaterialien, Verwaltungsvorschriften und einschlägige Bestimmungen des StGB und StPO, 39. Aufl. (2007), vormals Jagusch/Hentschel Trunkenheit, Fahrerlaubnisentziehung, Fahrverbot im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 10. Aufl. (2006) Trunkenheit im Straßenverkehr, 7. Aufl. (1996) Verkehrsunfallflucht: Verteidigerstrategien im Rahmen des § 142 StGB, 4. Aufl. (2005) Fahrverbot, Führerscheinentzug; Bd. 1: Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 8. Aufl. (1995) Heidelberger Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, hrsg. v. Griesbaum u.a. (1993) Straßenverkehrsdelikte: Ansatzpunkte für die Verteidigung (2002) Straßenverkehrsordnung, Kommentar, 20. Aufl. (2008); vormals: Janiszewski/Jagow/Burmann Straßenverkehrsrecht, Kurzkommentar, 35. Aufl. (1999) Verkehrsstrafrecht, 5. Aufl. 2 0 0 4

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Mühlhaus/Janiszewski Müller I—III Rüth/Berr/Berz

Straßenverkehrsordnung, Kommentar, 15. Aufl. (1998); nunmehr: Janiszewski/Jagow/Burmann Straßenverkehrsrecht, Großkommentar, 22. Aufl., Bd. 1 (1969) mit Nachtrag 1969, Bd. 2 (1969), Bd. 3 (1973) Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 2. Aufl. (1988)

15. Verfassungsrecht BK Dreier I—III

HdStR I-IX

Jarass/Pieroth v. Mangoldt/Klein/Starck

Maunz/Dürig Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Ulsamer v. Münch/Kunig Sachs Schmidt-Bleibtreu/Klein Stern I-V

Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar), Loseblattausgabe, hrsg. v. Dolzer/Vogel (1954 ff) Grundgesetz, Kommentar, Bd. 1: Art. 1-19 (1996), 2. Aufl. (2004); Bd. 2: Art. 2 0 - 8 2 (1998); Bd. 3: Art. 83-146 (2000); Bd. 2 2. Aufl. (2008) Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. Isensee/Kirchhof, Bd. 1, 3. Aufl. (2003); Bd. 2, 3. Aufl. (2004); Bd. 3, 3. Aufl. (2005); Bd. 4, 3. Aufl. (2006); Bd. 5, 3. Aufl. (2007); Bd. 6, 2. Aufl. (2001); Bd. 7 (1992); Bd. 8 (1995); Bd. 9 (1997); Bd. 10 (2000) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Kommentar, 10. Aufl. (2009) Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1 (Artt. 1-19), Bd. 2 (Artt. 20-82), Bd. 3 (Artt. 83-146), 5. Aufl. (2005); früherer Titel: Das Bonner Grundgesetz Grundgesetz, Kommentar, Loseblattausgabe, 7. Aufl. (1991 ff) (bearb. v. Badura u.a.), 51. Aufl. (2008) Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Loseblattausgabe, 3. Aufl. (1992 ff) Grundgesetz, Kommentar, Bd. 1, 5. Aufl. (2000); Bd. 2, 4./5. Aufl. (2001); Bd. 3, 5. Aufl. (2003) Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage (2007) Kommentar zum Grundgesetz, 11. Aufl. (2008) Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. (1984); Bd. 2 (1980); Bd. 3/1 (1988); Bd. 3/2 (1994); Bd. 4 (1997); Bd. 5 (2000)

16. Wettbewerbs- und Kartellrecht Baumbach/Hefermehl

Emmerich, Kartellrecht Emmerich, Wettbewerbsrecht FK Kartellrecht [GWB]

Fezer v. Gamm Immenga/Mestmäcker GWB

Wettbewerbsrecht, Kurzkommentar, ab 23. Aufl. als Hefermehl/Köhler/Bornkamm: Wettbewerbsrecht weitergeführt Kartellrecht, Studienbuch, 11. Aufl. (2008) Unlauterer Wettbewerb, 7. Auflage (2004) Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, mit Kommentierung des GWB, des EG-Kartellrechts und einer Darstellung ausländischer Kartellrechtsordnungen, Loseblattausgabe, hrsg. v. Glassen u.a. (2001 ff) bis zur 44. Lfg. unter dem Titel: Frankfurter Kommentar zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Lauterkeitsrecht (Kommentar zum UWG) 2 Bände (2005) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 3. Aufl. (1993) Wettbewerbsrecht, Kommentar, hrsg. v. Immenga/Mestmäcker, 4. Aufl. (2007)

XLIX

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Hefermehl/Köhler/Bornkamm Köhler/Piper Rittner/Kulka

Wettbewerbsrecht: Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Preisangabenverordnung 26. Aufl. (2008) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Kommentar, 4. Aufl. (2006) Wettbewerbs - und Kartellrecht, 7. Aufl. (2008)

17. Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Achenbach/Ransiek Bittmann Franzen/Gast/Joecks

Geilen, Aktienstrafrecht Greeve/Leipold Hellmann/Beckemper Hübschmann/Hepp/Spitaler HWiStR

Joecks Klein, AO Kohlmann Müller-Gugenberger/Bieneck Otto, Aktienstrafrecht

Park Rolletschke Schröder (Chr.) Tiedemann, GmbH-Strafrecht Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, BT Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht I, II Wabnitz/Janovsky Weyand/Diversy Ziouvas

Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, hrsg. v. Achenbach/ Ransiek, 2. Aufl. (2008) Insolvenzstrafrecht, hrsg. von Bittmann (2004) Steuerstrafrecht: mit Steuerordnungswidrigkeiten und Verfahrensrecht; Kommentar zu §§ 3 6 9 - 4 1 2 AO 1977 sowie zu § 80 des ZollVG, 6. Aufl. (2005) Erläuterungen zu §§ 3 9 9 - 4 0 5 AktG von Gerd Geilen, Erläuterungen zu § 408 AktG von Wolfgang Zöllner (1984) (Sonderausgabe aus der 1. Aufl. des Kölner Kommentars zum Aktiengesetz) Handbuch des Baustrafrechts (2004) Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. (2008) Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Loseblattausgabe, 10. Aufl. (1995 ff) (bearb. v. Söhn u.a.) Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Loseblattausgabe (1985-1990), hrsg. v. Krekeler/Tiedemann u.a. Steuerstrafrecht, 3. Aufl. (2003) Abgabenordnung einschließlich Steuerstrafrecht, Kommentar, 9. Aufl. (2006) Steuerstrafrecht, Kommentar zu den §§ 3 6 9 - 4 1 2 AO 1977, Loseblattausgabe, 7. Aufl. (1997 ff) Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. (2006) Erläuterungen zu den §§ 3 9 9 - 4 1 0 AktG (1997) (Sonderausgabe aus der 4. Aufl. des Großkommentars zum Aktiengesetz) Kapitalmarktstrafrecht, Handkommentar, 2. Aufl. (2008) Steuerstrafrecht, 2. Aufl. (2008) Kapitalmarktstrafrecht (2007) GmbH-Strafrecht (§ § 8 2 - 8 5 GmbHG und ergänzende Vorschriften), 4. Aufl. (2002) Wirtschaftsstrafrecht, Einführung und Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (2007), Besonderer Teil, 2. Aufl. (2008) Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität, Bd. 1: Allgemeiner Teil; Bd. 2: Besonderer Teil (jew. 1976) Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 3. Aufl. (2007) Insolvenzdelikte, 7. Aufl. (2006) Das neue Kapitalmarktstrafrecht (2005)

18. Zivilprozessrecht Baumbach/Lauterbach/ Albers/ Hartmann MK ZPO

L

Zivilprozessordnung, 66. Aufl. (2008) Münchner Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. (2007)

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Musielak Rosenberg/Schwab/Gottwald Stein/Jonas/Bearbeiter Zöller

Kommentar zur Zivilprozessordnung, 6. Aufl. (2008) Zivilprozessrecht, 16. Aufl. (2004) Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 22. Aufl. (2002 ff). Zivilprozessordnung, Kommentar, 26. Aufl. (2007)

19. Sonstiges (einschließlich Völkerrecht und Waffenrecht) Brownlie Corpus Juris

Dahm/Delbrück/Wolfrum Fuhr/Stahlhacke Götz/Tolzmann Herdegen HMmR HwbRW I-VIII

Ipsen Keller/Günther/Kaiser Kröger/Gimmy Landmann/Rohmer I, II

LdR Lüder Michalke Rebmann/Uhlig

Schölz/Lingens Seidl-Hohenveldern Seidl-Hohenveldern/Stein Shaw Steindorf

Strupp/Schlochauer

Principles of Public International Law, 7. Aufl. (2008) The Implementation of the Corpus Juris in the Member States/La mise en oeuvre du Corpus Juris dans les Etats Membres, hrsg. v. Delmas-Marty/Vervaele (2000); Deutsche Version der Entwurfsfassung von 1997: Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, Deutsche Übersetzung von Kleinke und Tully, Einführung von Sieber (1998) Völkerrecht, 2. Aufl., Band 1/1 (1989), Band 1/2 (2002), Band 1/3 (2002) Gewerbeordnung, Kommentar, Gewerberechtlicher Teil, Loseblattausgabe, hrsg. v. Friauf (2001 ff Bundeszentralregistergesetz, Kommentar, 4. Aufl. (2000); Nachtrag (2003) Völkerrecht, 7. Aufl. (2008) Handbuch Multimedia-Recht, Loseblattausgabe, hrsg. v. Hoeren/Sieber (1998 ff) Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, hrsg. v. StierSomlo u.a., Bd. 1 (1926), Bd. 2 (1927), Bd. 3 (1928), Bd. 4 (1927), Bd. 5 (1928), Bd. 6 (1929), Bd. 7 (1931), Bd. 8 (1937) (unter dem Titel: Die Rechtsentwicklung der Jahre 1933 bis 1935/36) Völkerrecht, 5. Aufl. (2004) Embryonenschutzgesetz, Kommentar (1992) Handbuch zum Internetrecht, 2. Aufl. (2002) Gewerbeordnung und ergänzende Vorschriften, Kommentar, Loseblattausgabe, Bd. 1: Gewerbeordnung; Bd. 2: Ergänzende Vorschriften (jew. 1998 ff) Lexikon des Rechts: Strafrecht, Strafverfahrensrecht, hrsg. v. Ulsamer, 2. Aufl. (1996) Materialien zum Völkerstrafgesetzbuch: Dokumentation des Gesetzgebungsverfahrens (2002) Umweltstrafsachen 2. Aufl. (2000) Bundeszentralregister, Gewerbezentralregister, Verkehrszentralregister und ergänzende Bestimmungen, Kommentar (1985) Wehrstrafgesetz, Kommentar, 4. Aufl. (2000) Lexikon des Rechts - Völkerrecht, 2. Aufl (1992) Völkerrecht, 11. Aufl. (2005), vormerkbar 12. Aufl. (2009) International Law, 5. Aufl. (2003) Waffenrecht: Waffengesetz mit Durchführungsverordnungen, Kriegswaffenkontrollgesetz und Nebenbestimmungen, Kurzkommentar, 8. Aufl. (2007) Wörterbuch des Völkerrechts, 2. Aufl., Band 1 (1960), Band 2 (1961), Band 3 (1962)

LI

Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Tolzmann

Verdross/Simma Vitzthum Werle

LH

Bundeszentralregistergesetz, Kommentar, Zentralregister, Erziehungsregister und Gewerbezentralregister, Nachtrag zur 4. Aufl. mit Verwaltungsvorschriften (2003) Universelles Völkerrecht, 3. Auflage (1984) Völkerrecht, 4. Aufl. (2007) Völkerstrafrecht, 2. Aufl. (2007)

Strafgesetzbuch vom 15. Mai 1871 (RGBl. 1871, 127); neugefasst durch Bek. v. 13.11.1998 (BGBl. I 3322); zuletzt geändert durch Gesetz v. 31.10.2008 (BGBl. I 2149)

BESONDERER TEIL SECHSTER ABSCHNITT Widerstand gegen die Staatsgewalt Vorbemerkungen zu den §§ 110 ff

Übersicht I. Gesetzgebung Π. Reformentwicklungen IH. Erstreckung des Strafschutzes im 6. und

Rdn. 1 3

Rdn. 7. Abschnitt auf ausländische oder supranationale öffentliche Rechtsgüter

.

7

I. Gesetzgebung Der Sechste Abschnitt ist durch das Dritte Gesetz zur Reform des Strafrechts 1 (3. StrRG) v. 20.5.1970 (BGBl. I S. 505) weitgehend umgestaltet worden. § 110 (Aufforderung zum Ungehorsam) ist gestrichen. Auch die Aufforderung zum Steuerstreik (§ 1 VO v. 15.9.1923, RGBl. I S. 879) ist durch Art. 287 Nr. 31 EGStGB aufgehoben. § 115 (Aufruhr) ist in § 125 n.F. aufgegangen, während § 116 (Auflauf) durch Art. 2 des 3. StrRG zu einer bloßen Ordnungswidrigkeit herabgestuft worden ist, die nunmehr durch § 113 OWiG erfasst wird. Die den Forstwiderstand betreffenden §§ 117, 118 sind aufgehoben; die Fälle des Forstwiderstandes sind jetzt über den neu gefassten § 114 Abs. 1 in die Tatbestände des Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§ 113) eingearbeitet. Ein Teil des § 113 Abs. 3 a.F. ist in § 114 Abs. 2 n.F. übernommen. § 111 ist zuletzt durch das 14. StRÄndG neu gefasst worden (§ 111 Rdn. 2). § 113 ist grundlegend neu gestaltet, wobei die Problematik des Verhältnisses von her- 2 kömmlicher Dogmatik und strafrechtlicher Gesetzgebung deutlich wird (hierzu Naucke FS Dreher, S. 459 ff; Sax JZ 1976 16, 430). § 114 a.F. wurde der Sache nach aufgehoben, die Nötigung von Beamten ist jetzt im allgemeinen Tatbestand des § 240 aufgegangen. Beide Änderungen werfen eine Fülle von Zweifelsfragen auf, die bei den betreffenden Vorschriften zu erörtern sind. Die kriminalpolitisch gleich wichtige Aufhebung des § 115 a.F. und dessen Verschmelzung mit dem § 125 a.F. zu den §§ 125, 125a n.F. betrifft den 7. Abschnitt und ist dort zu behandeln.

Henning Rosenau

1

Vor § 110

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

Π. Reformentwicklungen 3

1. Bestrebungen zur Reform des sog. „Demonstrationsstrafrechts" nahmen ihren Ausgang im Zusammenhang mit den Studentendemonstrationen in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre. Im Anschluss an diese Demonstrationen wurde des öfteren die These vertreten, dass die Vorschriften des 6. und 7. Abschnitts zum Teil nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und insgesamt Überreste eines Obrigkeitsstaates seien, dem der Bürger als Untertan ohne hinreichenden Rechtsschutz gegenüberstehe. So wurden diese Vorschriften Gegenstand einer zum Teil leidenschaftlich geführten rechtspolitischen Auseinandersetzung. 1

4

2. Nachdem sich der Sonderausschuss des Bundestages für die Strafrechtsreform schon in der 5. Wahlperiode des Bundestages mit der Reform der „Straftaten gegen den Gemeinschaftsfrieden" befasst hatte (vgl. für § 113 die §§ 418 bis 421 Ε 1962 m. Begr., Niederschriften Bd. 13 S. 40 ff; für sämtliche Vorschriften, insbesondere die zu den sog. „Garmischer Beschlüssen" führende Erörterung, Prot. V/2837 ff, 2850, 3393 ff, 3398), ist das Reformvorhaben in der 6. Wahlperiode wieder aufgegriffen worden durch die Gesetzentwürfe der Fraktionen der SPD, FDP (BTDrucks. VI/139) und der CDU/CSU (BTDrucks. VI/261). Zu den Entwürfen vgl. Baurrtann/Frosch J Z 1970 113; Frosch ZRP 1970 53; Lossos ZRP 1970 47; Müller-Emmert ZRP 1970 1; Schultz MDR 1970 202.

5

Eine öffentliche Anhörung (Prot. VI/29 ff) diente der Meinungsbildung im Sonderausschuss, wobei allerdings Gegensätze in grundlegenden Fragen (Streichung des § 110, Umgestaltung des § 125) nicht überbrückt werden konnten. Mit knappen Mehrheiten setzte sich jeweils die die Strafbarkeit einschränkende Auffassung durch. Zur Erweiterung des Strafschutzes des Gemeinschaftsfriedens im Rahmen des 14. StRÄndG vgl. demgegenüber die Vorbem. zum 7. Abschnitt. Das 3. StrRG wurde am 21.5.1970 verkündet und ist am 22.5.1970 in Kraft getreten. Zugleich ist das Straffreiheitsgesetz 1970 (BGBl. I S. 509) erlassen worden.

6

Im Rahmen der Pönalisierung von Vorbereitungshandlungen weit im Vorfeld von terroristischen Gewaltakten (etwa der Ausbildung in Terrorcamps) hat das Bundesjustizministerium am 18.9.2007 Eckpunkte neuer Strafrechtsvorschriften bekanntgegeben.2 Vorgeschlagen wird u.a. ein neuer § 91 StGB, welcher insbesondere das Verbreiten oder das Anpreisen von Terroranleitungen, wie dem Bau einer Bombe, unter Strafe stellt und bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe vorsieht. § 91 ist als Eignungsdelikt konzipiert. Es soll hinreichend sein, wenn die Anleitung nach den Umständen der Verbreitung objektiv geeignet ist, bei anderen die Bereitschaft zu fördern, eine terroristische Gewalttat zu begehen. Im Gegensatz zu $ 111 wird nicht mehr verlangt, dass die Tat dazu bestimmt sein muss, einen bestimmten Erfolg eintreten zu lassen. Der in der Praxis schwierige

1

2

Aus der hierzu entstandenen Literatur seien hier angeführt: Baumann ZRP 1969 85; Baumann/Frosch J Z 1 9 7 0 113; ZRP 1970 56; Denninger ZRP 1968 42; DRiZ 1 9 6 9 70; Dose DRiZ 1 9 6 9 75; Guradze ZRP 1969 6; Hannover Krit. Justiz 1968 51; Heinitz J R 1956 3; Janknecht GA 1969 33; Neuberger GA 1969 1; Ott Das Recht auf freie Demonstration (1967); N J W 1969 2 0 2 3 ; Sandweg

2

DRiZ 1 9 6 9 73; Eb. Schmidt J Z 1 9 6 9 395; ZStW 80 (1968) 1; Schwark NJW 1969 1495; Schweizer J Z 1970 214; Simson ZRP 1968 10; Stöcker J Z 1969 3 9 6 ; Tiedemann J Z 1968 761; 1 9 6 9 717; 1970 319. Pressemitteilung des BMJ vom 18.9.2007, abrufbar unter www.bmj.bund.de, abgerufen am 3.7.2008.

Henning Rosenau

Vorbemerkungen zu den §§ 110 ff

Vor § 1 1 0

Nachweis eines solchen subjektiven Zweck-Mittel-Bezugs (s. § 111 Rdn. 22) würde damit entfallen.

ΙΠ. Erstreckung des Strafschutzes im 6. und 7. Abschnitt auf ausländische oder supranationale öffentliche Rechtsgüter Schrifttum Gössel Das Rechtsgut als ungeschriebenes strafbarkeitseinschränkendes Tatbestandsmerkmal, Festschrift Oehler (1985) 97; Herdegen Die Achtung fremder Hoheitsrechte als Schranke nationaler Strafgewalt, ZaöRV 47 (1987) 221; Johannes Zur Angleichung des Straf- und Strafprozessrechts in der Europ. Wirtschaftsgemeinschaft, ZStW 83 (1971) 531; Krehl Strafbarkeit wegen Siegelbruchs (S 136 II StGB) bei Verletzung ausländischer Zollplomben, NJW 1992 604; Lüttger Strafschutz für nichtdeutsche öffentliche Rechtsgüter, in: Vorträge und Abhandlungen (Hrsg. Vogler 1986) S. 299; Möhrenschlager Einbeziehung ausländischer Rechtsgüter in den Schutzbereich nationaler Straftatbestände, in Dannecker (Hrsg.) Die Bekämpfung des Subventionsbetruges im EG-Bereich (1993) 162; Nowakowski Anwendung des inländischen Strafrechts und außerstrafrechtliche Rechtssätze, J Z 1971 633; Oehler Fragen zum Strafrecht der Europ. Gemeinschaft, Festschrift Jescheck (1985) 1399; ders. Internationales Strafrecht Rdn. 34, 917 ff; Rabe Europäische Gesetzgebung, NJW 1993 1; Reschke Der Schutz ausländischer Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht, Diss. Berlin 1962; Rosenau Zur Europäisierung im Strafrecht, ZIS 2008 9; Schlüchter Zur teleologischen Reduktion im Rahmen des Territorialitätsprinzips, Festschrift Oehler (1985) 307; Tiedemann Der allgemeine Teil des Europ. supranationalen Strafrechts, Festschrift Jescheck (1985) 1411; ders. Europäisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, NJW 1993 23; Vogler Der Fall Kappler in international-strafrechtlicher Sicht, NJW 1977 1866; Zuleeg Der Beitrag des Strafrechts zur europäischen Integration, J Z 1992 761.

Insbesondere innerhalb des 6. und 7. Abschnitts des StGB stellt sich die Frage, ob und 7 inwieweit auch nichtdeutsche öffentliche Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht geschützt sind. Unter nichtdeutschen öffentlichen Rechtsgütern sind hier solche zu verstehen, deren Träger ein ausländischer Staat oder eine supranationale Gemeinschaft mit eigener Völkerrechtssubjektivität ist und deren Gegenstand die Hoheitsgewalt eines der genannten Träger bildet, ferner Rechtsgüter der Allgemeinheit (z.B. der ausländische öffentliche Frieden/Sicherheit).3 Nicht hierzu gehören demnach Individualrechtsgüter von Ausländern und Rechtsgüter nichtdeutscher Völkerrechtssubjekte, wenn sie den Charakter von Individualrechtsgütern haben (etwa das Eigentum oder das Vermögen eines ausländischen Staates), deren Schutz durch das deutsche Strafrecht grundsätzlich anerkannt ist.4 Die Hoheitsgewalt einer supranationalen Gemeinschaft, z.B. der EG, ist auch dann 8 nichtdeutsch, wenn die Bundesrepublik als Mitgliedstaat Hoheitsgewalt an die Gemeinschaft abgegeben hat; nach der Konstituierung der Gemeinschaft übt diese eigene Hoheitsgewalt aus (s. § 132 Rdn. 13; Lüttger S. 343). Werden von Amtsträgern eines ausländischen Staates oder der EU auf dem Gebiet der Bundesrepublik hoheitliche

3

Sch/Schröder/Eser Vorbem. §§ 3 - 7 Rdn. 13 ff, 16; JescheckJWeigend AT § 18 III 8; Lüttger Abhandlungen S. 299 ff; Reschke Ausl. Rechtsgüter S. 175.

4

Jescheck/Weigend AT § 18 III 8; Sch/Schröder/ Eser Vorbem. §§ 3 - 7 Rdn. 21 m.w.N.; für Gemeinschaftsgüter s. Zuleeg J Z 1992 761, 762; Rosenau ZIS 2008 9, 17.

Henning Rosenau

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Vor § 110

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

Diensthandlungen vorgenommen, ist im Einzelfall festzustellen, wessen Hoheitsgewalt ausgeübt wird, ob deutsche Behörden zur Ausübung fremder Hoheitsgewalt ermächtigt oder fremden Amtsträgern zur Erfüllung bestimmter Aufgaben die Ausübung deutscher Hoheitsgewalt übertragen haben (vgl. hierzu § 113 Rdn. 13). 9

Beeinträchtigungen nichtdeutscher öffentlicher Rechtsgüter können durch Angriffe gegen Amtsinhaber, aber auch im Wege missbräuchlicher Ausübung fremder Hoheitsgewalt durch Amtsinhaber (personale Opfer- bzw. Täterkomponente i.S.d. §§ 113, 120 Abs. 2) oder in sonstiger Weise (z.B. Anmaßung ausländischer Ämter) erfolgen. Zur Frage des Schutzes nichtdeutscher öffentlicher Rechtsgüter findet sich im deutschen Strafrecht keine einheitliche, für alle Fälle geltende Regelung. Insbesondere kann nicht aus § 3 ein allgemeiner Schutz der genannten Rechtsgüter hergeleitet werden, weil § 3 als Rechtsanwendungsnorm die Erfüllung eines bestimmten Tatbestandes des deutschen Strafrechts voraussetzt. Es gibt auch keinen allgemeinen, für die Anwendung aller Straftatbestände gleichermaßen geltenden Grundsatz. Maßgeblich ist vielmehr die besondere Ausgestaltung der einzelnen Strafnormen. Entscheidend ist der tatbestandliche Schutzbereich der jeweiligen Strafvorschrift; der geschrieben oder ungeschrieben den einzelnen Strafnormen zu entnehmen ist.5 Es gibt Tatbestände,6 die nichtdeutsche öffentliche Rechtsgüter ausdrücklich schützen, etwa die §§ 102 bis 104a. Andererseits enthält das StGB Vorschriften mit ausschließlichem Inlandsbezug unter Ausschluss von Auslandssachverhalten, z.B. die 113, 114 (s. § 113 Rdn. 13), 120 Abs. 2, 121 Abs. 1 S. 1 (Bruch NStZ 1986 260; Vogler NJW 1977 1867) jeweils i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 (vgl. Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 494). Tatbestände ohne eine solche ausdrückliche Bestimmung bedürfen der Auslegung nach den allgemeinen Auslegungsregeln (Werle/Jeßberger LK Vor § 3 Rdn. 296). Führt diese zu keiner tatbestandlichen Erfassung des nichtdeutschen öffentlichen Rechtsguts, steht das Analogieverbot einer Strafbarkeit nach jenen Tatbeständen entgegen. Zu den Delikten mit tatbestandsimmanenter Beschränkung auf einen Inlandsbezug gehören in der Regel die Tatbestände, die den Staat bzw. dessen innere Ordnung schützen sollen, weil es regelmäßig am genuine link 7 zum Inland fehlt und daher unter den völkerrechtlichen Gesichtspunkten der Staatensouveränität und daraus folgend dem Einmischungsverbot die extraterritoriale Anwendung deutschen Strafrechts, mithin deutscher Hoheitsgewalt, beschränkt ist.8 Zum begrenzten tatbestandlichen Erfassungsbereich vgl. § 111 Rdn. 51 (Aufforderung zu Inlandstaten); §§ 129, 129a Rdn. 36, BGHSt 30 328, 329; Schnarr MDR 1988 90 f (tatbestandlich vorausgesetzter organisatorischer Inlandsbezug); § 130 Rdn. 26 ff (Ausrichtung auf inländische Bevölkerungsteile); § 136 Rdn. 34 (Nichterfassung der Verletzung ausländischer Siegel).

10

Die vom StGB belassenen Strafschutzlücken für nichtdeutsche öffentliche Rechtsgüter sind teilweise durch besondere gesetzliche Regelungen geschlossen worden,9 und zwar im 5

4

BGHSt 21 277, 2 8 0 ; 2 9 85, 88; BayObLG N J W 1980 1057; OLG Düsseldorf N J W 1982 1242 betr. § 145d; OLG Hamburg NJW 1964 935, 9 3 7 ; OLG Hamm J Z 1960 576; OLG Köln StV 1982 471; Sch/Schröder/Eser Vorbem. §§ 3 - 7 Rdn. 13; Jescheck/Weigend AT § 18 III 8; Gössel FS Oehler, S. 105; Lüttger (Fn. 1) S. 300, 3 4 2 ; Reschke (Fn. 1) S. 17 f, 31; Schlüchter FS Oehler, S. 310 ff; Schröder J R 1964 353; J Z 1968 241, 2 4 4 ; N J W 1968 2 8 3 betr. §§ 113, 120, 132; Vogler NJW 1977 1866 f betr. § 120.

6

7

8 9

Übersicht b. Sch/Schröder/Eser Vorbem. §§ 3 - 7 Rdn. 18. BVerfGE 6 3 343, 369; vgl. IGH Lotus Case, PCIJ Reports, Ser. A No. 9 1 9 2 7 4, 9; Nottebohm Case, ICJ Reports 1955 221, 2 2 2 ; Herdegen ZaöRV 4 7 (1987) 221, 235. S. Ε OrgKG BTDrucks. 12/989, S. 31. S. Krauß LK § 132 Rdn. 13; Lüttger (Fn. 1) S. 336 f.

Henning Rosenau

Vorbemerkungen zu den §§ 110 ff

Vor § 110

Wege der Erweiterung des tatbestandlichen Schutzbereichs durch Gleichstellungsklauseln in einschlägigen Strafnormen oder speziellen Regelungen. Die Erstreckung des Strafrechtsschutzes ist erfolgt für: 1. Soldaten und Beamte der NATO-Truppen, deren Hoheitsgewalt und Einrichtungen durch Art. 7 Abs. 2 Nr. 5-8 des 4. StRÄndG i.d.F. vom 19.12.1986 (BGBl. I S. 2566) bzgl. der §§ 113, 114 II, 120, 125, 125a, 132 StGB bzw. durch dessen Absatz 3 bzgl. § 111 StGB, §§ 16, 19 WStG umfasst sind;

11

2. ausländische Bedienstete im Pass- und Zollkontroll- sowie See- und Fischereibereich durch völkervertragliche Übereinkommen bzw. die entsprechenden Ausführungsund Ratifikationsgesetze, insbes. bzgl. §§ 113, 120 StGB; Zoll a) Art. 16 d. multilat. Übk. vom 7.9.1967 (BGBl. 1969 II S. 65; vgl. Oehler Int. StrR Rdn. 917 u. FS Jescheck, S. 1401); b) Art. 11 Dt.-Schweiz. Übk. vom 1.6.1961 (BGBl. 1962 II S. 877); Grenzstraßen a) Art. 8 I Dt.-Schweiz. Vertrag vom 25.4.1977 (BGBl. 1978 II S. 1201); b) Art. 15 Dt.-Österr. Vertrag vom 17.2.1966 (BGBl. 1967 II S. 2085); c) Art. 8 Dt.Österr. Abk. v. 14.9.1955 (BGBl. 1957 II S. 581), Art. 1 ÄndAbk. v. 30.7.1990 (BGBl. 1992 II S. 1198); Fischfangkontrollen Art. 4 I d. Ges. zum Übk. vom 1.6.1967 (BGBl. 1976 II S. 1); Tel. Kabelschutz § 3 des AusfG zum Int. Vertrag vom 14.3.1884 (RGBl. 1888 S. 151, 169).

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Vereinzelt bestehen noch schließungsbedürftige Lücken, 10 insbesondere in den o.g. Ermächtigungsfällen zu § 113 (Rdn. 14). Die gebotenen Reformen zur Strafschutzerweiterung sind zumindest teilweise erfolgt, insbesondere bezüglich der Amtsträger der EG. Durch das EUBestG vom 10.9.1998 (BGBl. II S. 2340) und das IntBestG vom 10.9.1998 (BGBl. II S. 2327) erfolgte deren Einbeziehung im Rahmen der Korruptionsdelikte. Die §§ 111-113 StGB sind von der Ausdehnung des Strafrechts allerdings nicht umfasst. Solange und soweit es an einer supranationalen Strafgewalt der EG mangelt (vgl. hierzu Tiedemann FS Jescheck S. 1411 ff; Rosenau ZIS 2008 9, 15 ff), obliegt es den einzelnen Staaten, den erforderlichen Schutz fremder öffentlicher Rechtsgüter sicherzustellen (s. Oehler Rdn. 910). Zu einer solchen Strafschutzerweiterung dürfte jedenfalls im Rahmen der EU für bestimmte Bereiche aufgrund der Loyalitätspflicht des Art. 10 EGV eine vertragliche Verpflichtung bestehen.11

13

Zum Recht des Einigungsvertrages siehe v. BubnoffLK11

Rdn. 9 ff m.w.N.

14

§ 110 (weggefallen)

10

11

Vgl. Jescheck/Weigend AT § 18 III 8; Lüttger (Fn. 1) S. 300, 337, 355; Oehler FS Jescheck, S. 1410 u. Int. StrR Rdn. 918; s.a. Johannes ZStW 83 (1971) 531, 533. Möhrenschlager Einbeziehung S. 166; Oehler FS Jescheck, S. 1405, 1408; Rosenau ZIS 2008 9, 14; Satzger § 8 Rdn. 27; Zuleeg J Z

1992 761, 762, 765, 767; Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Angleichung des strafrechtlichen Schutzes gemeinschaftsrechtlicher Interessen bzw. Rechtsgüter mit eigenen, staatlichen Rechtsgütern, dazu EuGH, Urteil vom 21.9.1989 - Rs. 68/88 Slg. S. 2956, 2979 ff, NJW 1990 2245.

Henning Rosenau

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt § 111

Öffentliche Aufforderung zu Straftaten (1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) zu einer rechtswidrigen Tat auffordert, wird wie ein Anstifter (§ 2 6 ) bestraft. (2) Bleibt die Aufforderung ohne Erfolg, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Die Strafe darf nicht schwerer sein als die, die für den Fall angedroht ist, dass die Aufforderung Erfolg hat (Absatz 1); § 4 9 Abs. 1 Nr. 2 ist anzuwenden.

Schrifttum Busse Der Kosovo-Krieg vor deutschen Strafgerichten, NStZ 2000 631; Dreher Der Paragraph mit dem Januskopf, Festschrift Gallas (1973) 307; Engelage Ist das Abschneiden der Heftnummer auf Volkszählungsbögen strafbar? NJW 1987 2801; Fincke Das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen Teil des Strafrechts (1975); Franke Strukturmerkmale der Schriftenverbreitungstatbestände, GA 1984 452; Geppert Strafrechtliche Gedanken zum Kosovo-Krieg, Gedächtnisschrift Meurer (2002) 315; Graul Nötigung durch Sitzblockade, JR 1994 51; Herzberg Anstiftung zur unbestimmten Haupttat, JuS 1987 617; Jahn Aufrufe zum Ungehorsam, KJ 2000 489; Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung ZStW 97 (1985 ) 751; Kissel Aufrufe zum Ungehorsam und § 111 StGB (1996); Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte (1982); Kraft/Meister Rechtsprobleme virtueller Sit-ins, MMR 2003 366; Löhnig Verbotene Schriften im Internet, JR 1997 496; Mansdörfer Strafbarkeit der Werbung für Terrororganisationen, HRRS 2007 366; Faeffgen Überlegungen zu § 111 StGB. § 111 - wirklich ein janusköpfiger Tatbestand? Festschrift Hanack (1999) 591; Rogall Die verschiedenen Formen des Veranlassene fremder Taten, GA 1979 11; Rudolphi Gewerkschaftliche Beschlüsse über Betriebsbesetzungen bei Aussperrungen als strafbares Verhalten gemäß § 111 StGB, RdA 1987 160; Samson Die öffentliche Aufforderung zur Fahnenflucht an Natosoldaten, JZ 1969 258; Schroeder Die Straftaten gegen das Strafrecht (1985); Schumann Die „rechtswidrige" Haupttat als Gegenstand des Teilnahmevorsatzes, Festschrift Stree/Wessels (1993) 383; Stree Strafrechtsschutz im Vorfeld von Gewalttaten, NJW 1976 1177; Stockmann Zur Bedeutung von § 116 OWiG für das Kartellordnungswidrigkeitenrecht, BB 1978 1188; ders. Die Aufforderung zur Begehung rechtswidriger Taten, § 111 StGB, Diss. Berlin 1980; Walther Zur Anwendbarkeit der Vorschriften des strafrechtlichen Jugendmedienschutzes auf im Bildschirmtext verbreitete Mitteilungen, NStZ 1990 523; Weidner Die öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB), Diss. Göttingen 1997.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift des § 111 StGB (kritisch zu dieser Bestimmung insgesamt Baumanrt/ Frosch J Z 1 9 7 0 116 f) ist durch das 3. StrRG vom 2 0 . M a i 1 9 7 0 (BGBl. I S. 5 0 5 ) in Anlehnung an § 2 9 2 Ε 1 9 6 2 (vgl. Begr. S. 4 6 4 ) neu gefasst und durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 4 6 9 ) an den neuen Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches angepasst worden. Die gegenwärtige Fassung des § 111 Abs. 1 beruht auf der Bekanntmachung der Neufassung des Strafgesetzbuches vom 2.1.1975 (BGBl. I S. 1 ff), des § 111 Abs. 2 auf der Änderung durch Art. 1 Nr. 3 des 14. StRÄndG vom 2 2 . 4 . 1 9 7 6 (BGBl. I S. 1056), die Überschrift auf Art. 19 Nr. 2 0 7 des EGStGB. Das 6. StRG vom 2 6 . 1 . 1 9 9 8 (BGBl. I S. 164) hat die Vorschrift unberührt gelassen.

6

Henning Rosenau

Ö f f e n t l i c h e A u f f o r d e r u n g zu S t r a f t a t e n

§

111

Ε 3. S t r R G B T D r u c k s . W 1 3 9 ; Schriftl. Ber. z u m 3 . S t r R G , B T D r u c k s . V I / 5 0 2 ; Ε S t G B

1962

Gesetzesmaterialien

Begr. S. 4 6 4 ; R e g . E n t w . eines 13. S t R Ä n d G , B T D r u c k s . 7 / 3 0 3 0 , 3 0 6 4 ; Schriftl. Ber. B T D r u c k s . 7 / 4 5 4 9 ; P r o t . 7 / 2 2 3 7 ff, 2 2 4 5 ff, 2 2 4 9 .

Übersicht Rdn. I. Grundlagen 1. Normzweck 2. Rechtsgut 3. Dogmatische Strukturen a) Differenzierter Strafrahmen . . . . b) Verhältnis zur Anstiftung c) Deliktsnatur 4. Praktische Bedeutung Π. Objektiver Tatbestand 1. Zum Begriff der Aufforderung . . . . a) Begriff b) Befürworten c) Parolen d) Konkretisierung und Ernstlichkeit . e) Art und Weise f) Fremde Erklärungen g) Medienberichterstattung h) Unbestimmter Personenkreis . . . . 2. Handlungsformen der Aufforderung . a) Öffentliche Aufforderung aa) Fallbeispiele bb) Rundfunk, Fernsehen, Presse . . cc) Bildschirmtext, Internet . . . . b) In einer Versammlung c) Verbreiten von Schriften

1 1 3 7 7 9 12 15 16 16 17 19 20 21 25 26 27 29 32 33 35 36 37 38 41

Rdn.

ΙΠ. IV. V. VI. VII. Vin. IX.

aa) Schriftenbegriff bb) Verbreiten cc) Gegenbeispiele d) Abgrenzung zur Anstiftung . . . . 3. Tatbestandserfolg a) Rechtswidrige Tat aa) Vorsatztat bb) Ordnungswidrigkeit cc) Auslandsbezug dd) Ausbleiben des Erfolges . . . . ee) Unterlassung, Teilnahme- und Vorbereitungshandlungen . . . b) Fallgestaltungen c) Konkretisierungsanforderungen an die Tat d) Erfolg (Absatz 1) und Kausalität . . e) Erfolglose Aufforderung (Absatz 2) Subjektiver Tatbestand Rechtswidrigkeit Schuld Täterschaft und Teilnahme Rücktritt Konkurrenzen Strafantrag, Verjährung

42 43 45 46 47 47 48 50 51 52 53 55 56 60 64 66 67 69 71 73 74 78

I. Grundlagen 1. Normzweck. § 111 StGB stellt die öffentliche Aufforderung zu Straftaten unter 1 Strafe und ergänzt dadurch die Vorschriften über die Anstiftung in den §§ 26, 30 Abs. 1 StGB. Absatz 1 regelt dabei die erfolgreiche Aufforderung, was sich aus einem Umkehrschluss aus Absatz 2 ergibt, in dem die erfolglose Aufforderung mit einem eigenen Strafrahmen normiert ist (s. dazu Rdn. 64). Führt die Aufforderung zu einer rechtswidrigen Tat, wird der Auffordernde nach Absatz 1 wie ein Anstifter bestraft. Damit Absatz 1 ein eigenständiger Anwendungsbereich zukommen kann, werden für § 111 StGB geringere Anforderungen hinsichtlich der Konkretisierung der rechtswidrigen Tat verlangt, als dies bei der Anstiftung nach § 26 StGB für die vorsätzliche und rechtswidrige Tat eines anderen geschieht (ausführl. Rdn. 21). Der Grund dafür wird in der besonderen Gefährlichkeit der Tatbestandsverwirklichung des § 111 StGB gesehen, die sich in der öffentlichen oder quasi-öffentlichen Begehungsweise manifestiert (dazu Rdn. 5). Eine weitere Ausdehnung der Strafbarkeit enthält Absatz 2, in dem - anders als in § 31 Abs. 1 StGB eine Beschränkung auf Verbrechen i.S.v. § 12 Abs. 1 StGB fehlt. Einerseits die Funktion, die Regelungen der Anstiftung zu ergänzen, andererseits die 2 Ausgestaltung als eigenständiger Tatbestand machen § 111 StGB zu einem janusköpfigen

Henning Rosenau

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

Wesen.1 Er steht „mit einem Bein im Allgemeinen Teil des Strafrechtgesetzbuchs, mit einem anderen im Besonderen Teil" (Dreher FS Gallas, S. 307). Hieraus ergibt sich eine Reihe von Zweifelsfragen bei der Auslegung der Norm. 3

2. Rechtsgut. Wer § 111 StGB vornehmlich als Vorschrift des Allgemeinen Teils über die Teilnahme ansieht, wird den Strafgrund der Norm als mittelbaren Schutz der Rechtsgüter der jeweiligen Tat verstehen, zu deren Begehung aufgefordert wurde.2 Wer ihn primär als eigenständiges Delikt des Besonderen Teils begreift, kommt nicht umhin, einen Schutzzweck zu bestimmen, welcher außerhalb der Rechtsgüter zu suchen wäre, die jeweils die öffentlich aufgeforderten Straftaten im Auge haben. Dieses Rechtsgut wird mit dem inneren Gemeinschaftsfrieden (BGHSt 29 258, 267; BayObLG NJW 1994 396, 397; Sch/Schröder/Eser Rdn. 1) umschrieben. Ein Rechtsgut des Gemeinschaftsfriedens ist auch gemeint, wenn die Norm mit dem provokativen Angriff auf die Geltung der Rechtsordnung (Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 38; Plate ZStW 84 [1972] 294, 303), die Autorität des Staates (Stockmann S. 53) oder die Beeinträchtigung der Normgeltung (Jakobs ZStW 97 [1985] 777) begründet wird. Vereinzelt wird § 111 darauf reduziert und als eine Vorschrift des Besonderen Teils angesehen (vgl. Fincke S. 76 ff; Rogall GA 1979 11, 15). Der Bundesgerichtshof lässt diese Frage offen (BGHSt 29 258, 267).

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Die h.M. sieht in § 111 nicht lediglich einen erweiternden Annex der Teilnehmerhaftung mit der Konsequenz, dass der Regelungszweck auf den Schutz der Rechtsgüter beschränkt wäre, die durch die aufgeforderte Tat gefährdet wären. Sie sieht zutreffend daneben auch den Gemeinschaftsfrieden als zweites, eigenständiges Rechtsgut mitgeschützt. Folgerichtig war die Vorschrift des § 292 - Vorbild der geltenden Regelung ursprünglich im Abschnitt über die öffentliche Ordnung bzw. den Gemeinschaftsfrieden eingeordnet worden. Also bezieht sich der Schutz des § 111 sowohl auf das durch die Straftat, zu der aufgefordert wird, bedrohte Rechtsgut als auch auf den inneren Frieden der Gemeinschaft.3

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Die Gefährdung des Gemeinschaftsfriedens als weiterer Strafgrund des § 111 ergibt sich zwangsläufig aus einer öffentlichen oder quasi-öffentlichen, an einen unbestimmten Personenkreis gerichteten Aufforderung zu Straftaten. Z.T. wird darauf abgestellt, dass eine derart qualifizierte Aufforderung einerseits geeignet ist, unkontrollierbare kriminelle Aktionen zu veranlassen; andererseits sind ihre Auswirkungen weder überschaubar noch steuerbar und einer weiteren Einflussnahme des Auffordernden in aller Regel entzogen, was insgesamt ihre besondere Gefährlichkeit begründe.4 Ersteres ist durchaus zweifelhaft, auch wenn diese Überlegungen den historischen Gesetzgeber bei der Schaffung der Norm geleitet haben. 5 Denn ob eine Steigerung der Gefährlichkeit gegenüber der regulären Anstiftung des § 26 StGB nicht eher eine Fiktion darstellt, zumal praktisch relevanter die erfolglose Aufforderung des § 111 Abs. 2 StGB sein dürfte (Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 40), erscheint keineswegs ausgemacht. Massenpsychologische Phänomene sind

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Stockmann S. 56; aA für § 111 Abs. 2 Weidner S. 79. Lackner/Kühl Rdn. 1; Horn/Wolters SK Rdn. 2; Kissel, S. 144; Paeffgen NK Rdn. 3; ders. FS Hanack, S. 591, 599 f; ähnlich auch Bosch MK Rdn. 2. Vgl. Ε 1962 Begr. S. 464; Fischer Rdn. 1; Jakobs ZStW 97 (1985) 751, 774, 777; Pflieger HK-GS Rdn. 1; Rogall GA 1979 11,16,

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18; Rudolphi RdA 1987 160; Sch/Schröder/ Eser Rdn. 1. Vgl. ν Bubnoff LK 11 Rdn. 5; Dreher NJW 1970 1156; FS Gallas, S. 312 f; Fischer Rdn. 8; Samson J Z 1969 259 f; KG JR 1971 255. Vgl. Begr. zu § 292 Ε 1962 S. 464; Reg. Entw. 13. StRÄndG S. 6; Prot. 7/2238; s. auch BTDrucks. 7/3030 S. 6.

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Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

vorstellbar. Bei der öffentlichen Aufforderung fehlt es aber regelmäßig an einer emotionalen Bindung und einem dadurch entstehenden intensiveren Einfluss, wie sie bei der versuchten Anstiftung eines konkreten Haupttäters gegeben ist und schneller und in höherem Maße für das ins Visier genommene Rechtsgut gefährlich ist (Paeffgen FS Hanack, S. 598). Bei der öffentlichen Aufforderung dagegen fehlt es an einem bestimmten Adressaten. Es ist bei ihr vorstellbar, dass sich niemand verantwortlich angesprochen fühlt und sie gleichsam ins Leere geht. Der Täter hat zwar „eine Fackel geworfen", weiß aber nicht, ob sie sich entzünden wird (Dreher FS Gallas, S. 313). Die höhere Gefährlichkeit gegenüber der ordinären Anstiftung ist daher auf das 6 Rechtsgut des Allgemeinvertrauens zu beziehen. Dieses wird durchaus weit stärker betroffen, das Vertrauen der Gesellschaft in die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung ist häufig intensiver erschüttert, wenn zu einer Straftat - horribile dictu - in aller Öffentlichkeit animiert wird, als wenn eine entsprechende Tat ohne ein solches Vorspiel schlicht ausgeführt wird. Das zeigt sich plastisch in Situationen, in denen etwa durch irrgeleitete, vorgebliche Fatwas zur Tötung von Kritikern radikaler islamischer Regime oder des Islams aufgefordert wird. Die Unruhe der Bevölkerung ist in derartigen Fällen besonders hoch und vielfach gegenüber der Erschütterung bei erfolgter Tat potenziert. Daher lässt sich das Rechtsgut des gefährdeten Gemeinschaftsfriedens auch nicht mit dem Argument abtun, schon die Begehung jeder anderen Straftat erschüttere diesen bereits und könne nicht als Rechtsgrund herhalten.6

3. Dogmatische Strukturen a) Differenzierter Strafrahmen. Die im Rechtsgut angelegte Bipolarität hat den 7 Gesetzgeber mehrfach beschäftigt. Während das Gesetz bei der erfolgreichen Aufforderung nach Absatz 1 unverändert an die für den Anstifter (§ 26) angedrohte Strafe anknüpft (krit. Rogall GA 1979 11, 17), hat das 14. StRÄndG die Strafdrohung für die erfolglose Aufforderung nach Absatz 2 geändert. Die wechselvolle Entwicklung dieser Strafdrohung und die der erneuten Änderung zugrundeliegende Diskussion beruhen wesentlich auf den Schwierigkeiten einer eindeutigen Klärung von Wesen und dogmatischer Struktur dieser Vorschrift (vgl. hierzu die grundlegende Untersuchung Drehers FS Gallas, S. 307 und Paeffgens FS Hanack, S. 591), ihrer Verzahnung sowohl mit dem Allgemeinen wie dem Besonderen Teil des StGB. Während die bis zum Jahre 1953 geltende Fassung des Absatzes 2 eine eigenständige 8 Strafdrohung vorsah, glich das 3. StRÄndG vom 4.8.1953 den Strafrahmen an den der erfolglosen Anstiftung (§ 30 Abs. 1 StGB) an. Mit dem 14. StRÄndG sieht Absatz 2 nunmehr wieder einen im wesentlichen eigenständigen, von der Haupttat losgelösten Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. Jedoch wird der Art und Schwere der angesonnenen Tat zugunsten des Täters immerhin insoweit Rechnung getragen, als die zu verhängende Strafe im Höchstmaß weiter begrenzt wird durch die für diese Straftat angedrohte und nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 gemilderte Strafe. Dem Gesetzgeber erschien in Fällen, in denen erfolglos zu einer mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Straftat aufgefordert wird, der Strafrahmen von 3 bis 15 Jahren als wesentlich überhöht, zumal er minder schweren Fällen unbedachter Äußerungen in der erregten

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Bosch MK Rdn. 2; Horn/Wolters SK Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald II, § 93 Rdn. 1;

Paeffgen FS Hanack, S. 5 9 9 f; den. NK Rdn. 8.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

Atmosphäre politischer Versammlungen oder öffentlich am Stammtisch auch unter Berücksichtigung der mangelnden Rücktrittsmöglichkeit nicht gerecht werden kann (vgl. Reg.Entw. eines 13. StRÄndG, BTDrucks. 7/3030 S. 6, 7; 7/3064 S. 1; Prot. 7/2238 f). Die Regelung des Absatzes 2 hat im Schrifttum bedingte Zustimmung (Sch/Schröder/Eser Rdn. 21; Stree NJW 1976 1179), aber auch Kritik (Fischer Rdn. 8) erfahren, wobei insbesondere auf eine unzureichende Berücksichtigung der handlungsspezifischen Gefährlichkeit der öffentlichen Verbrechensaufforderung und auf eine ungerechtfertigte unterschiedliche Unrechtsbewertung in den Absätzen 1 und 2 (Lackner/Kühl Rdn. 8) abgestellt wird. Den Kritikern gegen die in § 111 Abs. 2 sichtbar werdende Unrechtsbewertung ist indes entgegenzuhalten, dass die Haftung für eine erfolglose öffentliche Aufforderung mit dem „Partialunrecht" der Rechtsfriedensstörung im Vordergrund steht (vgl. Rdn. 5 f), weswegen der Strafrahmen nach Absatz 2 zu Recht eigenständig ist und nur mittelbar an den Rahmen für die propagierte Straftat gebunden ist (Jakobs ZStW 97 (1985) 751, 777). 9

b) Verhältnis zur Anstiftung. Die Vorschrift des § 111 pönalisiert die Aufforderung zu rechtswidrigen Taten und ergänzt die Vorschriften der §§ 26, 30 über die Anstiftung, ist aber kein bloßer Sonderfall der Anstiftung i.S. einer lediglich tatbestandlich verselbständigten Teilnahmeform (aA Horn/Wolters SK Rdn. 9a). Der Vorschrift kommt eine über die Funktion eines bloßen Auffangtatbestandes (Geppert GedS Meurer, S. 32; Lackner/ Kühl Rdn. 1) hinausgehende Bedeutung und Selbständigkeit zu, auf die bereits der Strafgrund (Rdn. 5 f), die gesetzliche Verankerung im Besonderen Teil sowie die eigenständige Strafdrohung des Absatzes 2 hinweisen (vgl. Dreher FS Gallas, S. 307 ff; auch KG J R 1971 255). Während die Anstiftung (§§ 26, 30 Abs. 1) die Einwirkung auf einen individuell bestimmten Täter oder Täterkreis (Rdn. 30) und die Ausrichtung auf eine bestimmte, im wesentlichen konkretisierte Tat (Rdn. 56) voraussetzt, ist im Rahmen des § 111 die Konkretisierungsschwelle der angesonnenen Tat niedriger anzusetzen; die Fälle der individuellen Einwirkung werden hier nicht erfasst (Rdn. 29). Die gegenüber der Anstiftung geringeren Anforderungen an die Handlung des Auffordernden, d.h. an die Konkretisierung von angesonnener Tat und Täter, finden ihren Ausgleich in deren vorstehend skizzierter gesteigerter Gefährlichkeit für den Rechtsfrieden.

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Damit ist auf die Abgrenzung zwischen Anstiftung und der Aufforderung i.S. des § 111 erhöhte Aufmerksamkeit zu lenken. Besonderes Gewicht gewinnt die Frage, ob die Aufforderung zu einer konkreten Tat, gerichtet an eine nicht eingegrenzte Vielzahl von Adressaten, bei schweren Taten den Tatbestand des § 111 Abs. 2 erfüllt oder versuchte Anstiftung ist; denn dann fallen die Strafrahmen aufgrund der nicht akzessorischen Strafe des § 111 Abs. 2 in krasser Form auseinander (Fischer Rdn. 8; vgl. Rdn. 65).

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Ob eine tatbestandliche Überschneidung von Anstiftung und Aufforderung möglich ist, hängt von der im Schrifttum ersichtlich nicht einheitlichen Abgrenzung des Adressatenkreises und dem vorausgesetzten Maß der Konkretisierung der angesonnenen Tat ab. Dazu im einzelnen Rdn. 30 u. 56.

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c) Deliktsnatur. Wie sich insbesondere aus der Pönalisierung der erfolglosen Aufforderung (Absatz 2) ergibt, liegt der Schwerpunkt der Tat - über ihren unmittelbaren Erfolg oder Misserfolg hinausreichend - auf dem Gefährdungsunwert. Die Aufforderung zu Straftaten wird daher zu Recht als abstraktes Gefährdungsdelikt qualifiziert.7

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BGHSt 2 9 258, 2 6 7 ; Dreher FS Gallas, S. 312; Kindhäuser LPK Rdn. 1.

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Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

§ 111

Teilweise wird - abweichend von der hier vertretenen Auffassung (Rdn. 5 f) - ein eigenständiges Rechtsgut bei dieser Vorschrift verneint und deren Zuordnung zur Kategorie der abstrakten Gefährdungsdelikte in Abrede gestellt (Schroeder, S. 11, 21; Horn/ Wolters SK Rdn. 9b). Der Schutz soll sich auf die Rechtsgüter der Bezugstatbestände beschränken. Das überzeugt aufgrund der unzutreffenden Rechtsgutsbestimmung nicht. Der weitere Einwand, die erhöhte abstrakte Gefährlichkeit lasse sich aufgrund des verminderten Einflusses auf das deliktische Geschehen nicht belegen, wenn z.B. coram publico zu einer bestimmten Tat aufgefordert werde,8 geht am Umstand vorbei, dass es nicht primär auf die Gefahren für die von der animierten Straftat bedrohten Rechtsgüter, sondern auf die Gefahren für den Gemeinschaftsfrieden ankommt.

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Zugleich ist § 111 aufgrund der Ausformung anstiftungsähnlichen Verhaltens zu einem eigenständigen Tatbestand als Aufforderungsdelikt zu kategorisieren {Bosch MK Rdn. 3). Er gehört mit dem Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1) in diese Gruppe. Der beiden Vorschriften zugrundeliegende Begriff der Aufforderung ist einheitlich auszulegen (BGHSt 32 320, 313). Eine tatbestandliche Überschneidung kommt dann in Betracht, wenn eine Aufforderung volksverhetzenden Charakters den Konkretisierungsanforderungen (Rdn. 21 ff) hinsichtlich der Tat, zu der aufgerufen wird, entspricht und damit unmittelbar bestimmte mitgeschützte Rechtsgüter gefährdet. Der Anwendungsbereich des § 130 reicht indes weiter (vgl. Bloy J R 1985 207; Rogall GA 1979 11, 17 f). Daneben ist § 111 auch Äußerungsdelikt (Franke GA 1984 452, 462).

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4. Praktische Bedeutung. Die Strafvorschrift des § 111 hat nur eingeschränkt praktisehe Bedeutung erlangt (vgl. bis 1970 die Angaben bei Laufhütte und Müller-Emmert, Prot. 7/2239 f). Die Fälle des § 111 werden zwar seit 1970 in der allgemeinen Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) nicht mehr getrennt ausgewiesen, sondern mit der Straftatengruppe des Sechsten Abschnitts insgesamt erfasst. Indes kommt insoweit den Erhebungen des selbständigen polizeilichen Meldedienstes über Staatsschutzdelikte ein gewisser Aussagewert zu; dieser schlüsselt unter der Straftatengruppe XI Delikte der allgemeinen Kriminalität, „die ein politisches Element... enthalten", gesondert auf, eine Straftatengruppe, der die Fälle des § 111 im Hinblick auf die spezifische Deliktsnatur und die bekanntgewordenen Erscheinungsformen zu einem nicht unwesentlichen Teil zugeordnet werden dürften (Bosch MK Rdn. 4). Hinsichtlich der insoweit erfassten Fälle ergibt sich folgendes Zahlenbild: 1982 108; 1983 108; 1984 116; 1985 84; 1986 74; 1987 529; 1988 143; 1989 44; 1990 32; 1991 160; 1992 46; 1993 111; 1994 75; 1995 80; 1996 99; 1997 115; 1998 145; 1999 147; 2000 82. Ab dem Erhebungsjahr 2001 sind die Belastungszahlen aus der PKS nicht mehr zu entschlüsseln. Aussagekräftiger dürften angesichts der methodischen Probleme der Kriminalstatistik, auch wenn das Dunkelfeld bei der öffentlichen Tathandlung von geringerer Fehlerrelevanz ist, die Verurteilungsstatistiken des Statistischen Bundesamtes sein. Diese weisen die nachfolgenden Fallzahlen auf: 1994 9; 1995 5; 1996 21; 1997 17; 1998 8; 1999 7; 2000 6; 2001 10; 2002 14; 2003 10; 2004 9; 2005 15; 2006 10. 9 Sie belegen augenfällig die marginale Rolle des Tatbestandes (Paeffgen NK Rdn. 9). Der auffällige Zahlenanstieg im Jahre 1987 in der Kriminalstatistik erklärt sich damit, dass die Strafnorm des § 111 im Zusammenhang mit den über die ganze Bundesrepublik verbreiteten Aktionen gegen die Volkszählung 1987 Aktualität erlangt hatte. Diese Zählung erfolgte auf der Grundlage des nach der Teil-

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Bosch MK Rdn. 3; s. auch hier unter Rdn. 5 f. Statistisches Bundesamt Deutschland, Fach-

serie 10 Reihe 3, abrufbar unter https:// www-ec.destatis.de, abgerufen am 4 . 8 . 2 0 0 8 .

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

nichtigkeitserklärung des ersten Volkszählungsgesetzes 1983 durch das BVerfG (E 65, 1 ff) nunmehr verfassungskonformen (BVerfG NJW 1987 2805; 1988 961 f; 962, 963) zweiten Volkszählungsgesetzes 1987. Die Boykottaufrufe forderten zur Unbrauchbarmachung möglichst vieler Erhebungsunterlagen auf, um die Volkszählung zum Scheitern zu bringen. Gerade solche Massenphänomene entsprechen dem spezifischen Erfassungsbereich des § H l . Der in den Aufrufen (OLG Celle JR 1988 433 m. Anm. Geerds) aufgezeigte Weg des Abschneidens der Kennnummern der Volkszählungsfragebögen führt gegebenenfalls zu einer Beseitigung deren bestimmungsgemäßer Brauchbarkeit unter gleichzeitig relevanter Substanzverletzung. Solche Aufrufe sollen somit eine öffentliche Aufforderung zur Sachbeschädigung geringwertiger Sachen gem. § 303 enthalten haben,10 wobei sich zugleich die kriminalpolitische Problematik der Strafnorm zeigt, indem legitime und für die Demokratie auch notwendige Protestformen einschließlich Formen des zivilen Ungehorsams allzu leicht in strafrechtlich relevante Bereiche abgleiten. Der Sache nach handelte es sich eher um Verwaltungsunrecht,11 zumindest war hier die Anwendung der strafprozessualen Opportunitätsmöglichkeiten der §§ 153 ff StPO geboten. Ein weiterer Anlass zur Befassung mit § 111 waren Vorgänge im Zusammenhang mit dem Golfkrieg 1991 (Kissel, S. 46 ff, 191 ff): Aufrufe zum Verlassen der Truppe zwecks Verhinderung eines Einsatzes im Krisengebiet bzw. im Rahmen der Sicherung der türkischen NATO-Flanke u.ä. Derartige Aufrufe können als öffentliche Aufforderung zur Fahnenflucht oder zum Ungehorsam verstanden werden (s. aber Rdn. 23). Auch bei der Bekämpfung rassistischer oder ausländerfeindlicher Tendenzen oder von politischen Aktionen gegen den Anbau genetisch veränderte Lebensmittel (OLG Stuttgart NStZ 2008 36), die nicht selten mit Aufrufen zu bestimmten Straftaten verbunden sind, kommt der Strafvorschrift ein gewisser Stellenwert zu.

Π. Objektiver Tatbestand 16

1. Zum Begriff der Aufforderung. Tathandlung ist die Aufforderung zur Begehung einer rechtswidrigen Tat. Die Aufforderung stellt damit das zentrale Merkmal des § 111 dar.

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a) Begriff. Eine Aufforderung ist eine verbale wie non-verbale Willenskundgebung, von dem oder den Aufgeforderten ein bestimmt bezeichnetes Tun oder Unterlassen zu fordern. Kennzeichnend ist die Einwirkung auf die Motivation anderer mit dem Ziel, diese zur Begehung von rechtswidrigen Taten zu veranlassen. Die Rspr. spricht davon, dass sich die Kundgabe an den Verstand des anderen wendet, der von der Richtigkeit oder Zweckmäßigkeit des geforderten Tuns bzw. Unterlassens überzeugt werden soll (RGSt 63 170, 173); ob aber genauso gut die Emotionen des Gegenübers mit angesprochen werden können (Paeffgen NK Rdn. 12), ist solange nicht zweifelhaft, sofern nur eine Willensbeeinflussung mit intendiert wird. Insofern scheint der Begriff der Aufforderung weitgehend dem Bestimmen zur Haupttat bei der Anstiftung zu entsprechen (Horn/Wolters SK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eser Rdn. 3). Zur Aufforderung gehört jedoch eine Kundgabe, die den Willen des Auffordernden erkennbar macht, den anderen zu einem bestimmten Handeln zu bringen. Es genügt also nicht jede Art von Beeinflussung

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BayObLGSt 38 58, 59; OLG Köln NJW 1988 1102, 1103 m. abw. Rspr Nachw.; Engelage NJW 1987 2 8 0 2 .

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Bosch MK Rdn. 4; Paeffgen NK Rdn. 9; Kissel, S. 2 6 .

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Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

anderer wie bei § 26. 1 2 § 111 ist insoweit enger. Eine nur mittelbare Einwirkung auf fremde Entschlüsse - etwa die wahrheitswidrige Darstellung oder Vorspiegelung eines Vorfalls in der Erwartung, bei anderen den Entschluss zu bestimmten strafbaren Vergehen auszulösen - reicht nicht aus. Es kommt darauf an, dass die Äußerung erkennbar darauf abzielt, die Adressaten unmittelbar zur Begehung der angesonnenen rechtswidrigen Taten motivieren zu wollen.13 Sie muss den Appellcharakter als begriffsnotwendiges Moment deutlich machen (Bloy JR 1985 206; Rogall KK-OWiG § 116 Rdn. 9). Wegen eines fehlenden Aufforderungselementes wird die reine Sachinformation, z.B. die bloße Flugblattinformation über eine Blockadeaktion ohne irgendwie gearteten Teilnahmeaufruf als tatbestandsunerheblich angesehen.14 Nicht erforderlich ist, dass zu bewusst strafbarem Tun aufgefordert wird (vgl. RGSt 59 149). In Hinblick auf die vorausgesetzte abstrakte Gefährlichkeit müssen irgendwelche möglichen Adressaten erreicht werden, so dass die Aufforderung in deren Einfluss- bzw. Wahrnehmungsbereich gelangt, eine Kenntnisnahme ist dagegen nicht zu verlangen.15 Bei öffentlicher Aufforderung (vgl. Rdn. 33) verbaler Art oder durch Plakatanschlag wird dies regelmäßig der Fall sein. Nicht ausreichend ist jedoch z.B. die bloße Absendung von Flugblättern, weil der bloße Aufforderungsversuch nicht erfasst wird, auch nicht durch Absatz 2 (Lackner/Kühl Rdn. 3).

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b) Befürworten. Von dem Auffordern zu Straftaten ist das bloße Befürworten von Straftaten abzugrenzen, das seit Aufhebung des § 88a im Jahr 1981 nicht mehr strafbar ist. Das Befürworten liegt unterhalb der Schwelle der Aufforderung und wird mithin von § 111 nicht erfasst.16 Das bloße Befürworten bleibt begrifflich hinter der Aufforderung zurück, weil die unmittelbar an die Motivation anderer gerichtete, bestimmte Erklärung fehlt. Es enthält nicht die der Aufforderung wesenseigene Kundgebung, einen anderen zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen bringen zu wollen (Rogall GA 1979 11, 22). Die Befürwortung schafft lediglich ein für Tatentschlüsse anderer gedeihliches psychisches Klima (Entw. 14. StRÄndG BTDrucks. 7/3030, S. 8). Bloße Äußerungen, eine Straftat sei begrüßenswert, erwünscht, notwendig oder unvermeidbar, erweisen sich daher ohne Verknüpfung mit einer deutlichen unmittelbaren Motivierungstendenz und mit einem appellativ-imperativen Erklärungscharakter lediglich als tatbestandsunerhebliche Befürwortungen (BGHSt 32 310, 311). Dementsprechend ist die Befürwortung strafbarer Handlungen innerhalb eines öffentlich ausgetragenen Theorienstreits über die ideologische und strategische Konzeption einer nicht mehr fortbestehenden radikalen Bewegung als tatbestandsunerheblich beurteilt worden (KG StV 1981 525, 526). Andererseits hat der Bundesgerichtshof Erklärungen, die schwere, von einer bestimmten kriminellen Vereinigung begangene Verbrechen „auch als in Zukunft erstrebenswert" kennzeichnen, als Aufforderung, solche Verbrechen zu begehen, gewertet (BGHSt 31 16, 22). Auch Richtlinien und Empfehlungen straftatbefürwortenden Charakters, die noch keinen Willen zur

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Kindhäuser LPK Rdn. 4; Kostaras S. 146 ff; Rogall GA 1979 11, 15 f; ders. KK-OWiG § 116 Rdn. 8; Rudolphi RdA 1987 160, 162. BGHSt 2 8 312, 314; 32 310, 313; Rudolphi RdA 1987 160, 162; Kostaras, S. 147, 151. Vgl. LG Bremen StV 1986 439, 4 4 0 ; Paeffgen

NK Rdn. 12; Sch/Schröder/Eser Rdn. 3; krit. 15

Bosch MK Rdn. 7. Vgl. Sch/Schröder/Eser

Rdn. 6; aA RGSt 5

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60, 71; 7 113, 115; 58 197, 198; Erbs/Kohlhaas/Senge OWiG § 116 Rdn. 5; weitergehend Franke GA 1984 4 5 2 , 4 6 5 f, 4 7 1 ; Paeffgen NK Rdn. 28 und Stockmann BB 1978 1 1 8 8 , 1 1 9 1 , die eine inhaltliche Kenntnisnahme seitens Dritter verlangen. Vgl. BGHSt 2 8 312, 314; 31 16, 2 2 ; 32 310, 311, 313; OLG Köln M D R 1983 3 3 8 ; N J W 1988 1 1 0 2 , 1 1 0 3 ; KG StV 1981 525, 5 2 6 .

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt unmittelbaren Motivation des potentiellen Täterkreises erkennen lassen, sind nicht als Aufforderung zu der befürworteten Tat zu werten. In diesem Zusammenhang werden Empfehlungen an zuständige Gewerkschaftsfunktionäre für die Durchführung zukünftiger Arbeitskämpfe erörtert, die den Einsatz bestimmter Kampfmittel wie rechtswidriger Betriebsbesetzungen vorsehen ( R u d o l p h i RdA 1987 160, 163 f); bei einer Aktualisierung - im Falle einer Ausführung der Empfehlung durch die angesprochenen Funktionäre und deren erfolgreichen Aufrufs zu Betriebsbesetzungen - käme indes Anstiftung oder Aufforderung zu einer Straftat nach § 111 in Verbindung mit § 123 in Betracht (Rdn. 4 9 ) . 20

c) Parolen. Einer besonderen Prüfung bedarf es hinsichtlich des Aufforderungscharakters jeweils bei Parolen, d.h. bei knapp formulierten, schlagwortartigen Aufrufen, Äußerungen und Vorstellungen. Er muss dem Aussagegehalt der Parole in objektivierbarer Weise zu entnehmen sein. Die Äußerung muss ihrem sozialen Sinngehalt nach unter Berücksichtigung der aktuellen Bezüge als Aufforderung zu verstehen sein, das Wissen und Wollen des Äußernden müssen in der Öffentlichkeit bzw. von dem Leser der Parole als ernstliche Aufforderung erfasst werden können (BGHSt 32 310, 311; Bloy J R 1985 2 0 6 ) . Der Appell zur Realisierung durch einen Erklärungsadressaten muss sich somit dem verständigen Leser aus dem imperativen Wortlaut oder jedenfalls aus dem objektiven Aussagegehalt der Parole offenbaren. So ist der Aufruf „Besetzt die leerstehenden Häuser" Aufforderung zum Hausfriedensbruch. Fehlt dieses Aufforderungselement, so begründet auch ein zum Ausdruck gebrachtes Einverständnis mit der Straftat oder Erwünschtsein des Taterfolges (Rdn. 19) keine Tatbestandserheblichkeit der Parole.

21

d) Konkretisierung und Ernstlichkeit. Ein wichtiges weiteres Kriterium ist die hinreichende Konkretisierung der angesonnenen Tat. Die Aufforderung muss das vom Erklärungsadressaten erwartete Verhalten eindeutig als Straftat einer bestimmten Art erkennbar machen. Die Anforderungen an die Tatbestimmtheit der angesonnenen Tat sind im Verhältnis zur Anstiftung bei der strafbaren Aufforderung nach § 111 geringer (aA Rogall GA 1 9 7 9 11, 18; vgl. Dreher FS Gallas, S. 321). Die von den Erklärungsadressaten erwartete Tat muss jedoch zumindest ihrer Art und ihrem rechtlichen Wesen nach gekennzeichnet sein. Einengend wird vom Bundesgerichtshof zusätzlich eine Opferkennzeichnung in allgemeinen Wendungen gefordert (BGHSt 32 310, 312). Bei der Anstiftung werden hingegen die Anforderungen an die Bestimmtheit der Tat im allgemeinen überwiegend dahin definiert, dass die in Aussicht genommene Tat in ihren wesentlichen Umrissen von der Vorstellung des Bestimmenden erfasst wird, ohne dass sich der Anstifter jede Einzelheit der Tat vorstellen muss (Jescheck/Weigend AT S. 6 8 8 ; Wessels/

Beulke Rdn. 572). 22

Die Erklärung muss - dem Auffordernden bewusst - den Eindruck der Ernstlichkeit machen und machen sollen, braucht aber nicht ernst gemeint zu sein. 17 Eine tatbestandsrelevante Aufforderung kann zu verneinen sein, wenn der Aussagegehalt der Erklärung im allgemeinen Verständnis hinter deren wörtlichen Sinn zurückbleibt und objektiv nicht den Eindruck der Ernstlichkeit erweckt. Als für Dritte motivationsungeeignet sind solche Äußerungen und Parolen auszuscheiden, die trotz ihres möglicherweise imperativen Wortlauts wegen ihrer Absurdität und erkennbar mangelnden Ernstlichkeit in ihrer Wirkung auf den objektiven Beobachter kein echtes Aufforderungselement enthalten. Über-

17

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BGHSt 32 310; OLG Thüringen NStZ 1995, 445; Sch/Schröder/Eser Rdn. 6; aA Bosch MK Rdn. 9.

Henning Rosenau

Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

§ 111

zeichnete, ironisch-provokative Darstellungen sprechen ebenfalls gegen den Eindruck der Ernstlichkeit (OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003 327, 328). Beispielsweise sind Flugblattparolen „Wir werden Feste feiern, die die Stadt erzittern lassen! Wir werden Demonstrationen machen, die ihnen die nackte Furcht lehren wird!" denkbar ungeeignet, den öffentlichen Frieden zu beeinträchtigen (LG Berlin StV 1982 472). Vom bloßen Wortlaut her überschießende Äußerungen, die sich bei verständiger Wür- 2 3 digung ihres Aussagegehalts unter Berücksichtigung der beabsichtigten Provokationswirkung für den Leser erkennbar als bloße flegelhafte Unmutsäußerung oder überzogene Missfallensäußerung erweisen, stellen ebenfalls keine tatbestandserhebliche Aufforderung dar. Diese Auslegungsmöglichkeit kommt in Betracht, wenn die Äußerung ersichtlich ein reales Tatopfer gar nicht ins Auge fasst. Wendungen wie „Tod dem Klerus" lassen sich nur schwer als ernstgemeinte Appelle zur Begehung von Straftaten verstehen und werden vom hier maßgeblichen verständigen Beobachter als Ausdruck der Missbilligung gesellschaftlicher und politischer Institutionen eingeordnet (BGH NJW 1984 1631; Bosch MK Rdn. 9). Es mangelt hier bereits an einer realisierbaren Handlungsanweisung. Auch die propagierte „Feldbefreiung" von genmanipulierten Pflanzen ist zutreffend als politische Unmutsäußerung und Provokation bewertet worden (OLG Stuttgart NStZ 2008 36, 37; KG NJW 2001 2896; aA Vassilaki MMR 2007 436 f). Dabei hat das Tatgericht die Implikationen der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit des Art. 5 GG mit zu berücksichtigen und den Begriff des Aufforderns bei der Subsumtion der gefallenen Erklärungen unter dieses Merkmal an Art. 5 GG orientiert eng auszulegen (Gänßle NStZ 1999 90). Erweisen sich diese im Rahmen des Erklärungskontextes als - wenn auch überpointierte Teilnahme an der gesellschaftlichen Meinungsbildung und am politischen Meinungskampf, sind strenge Anforderungen an die Konkretisierung vermeintlicher angesonnener Straftaten zu stellen, wie die Mitteilung eines konkreten Tatortes und Zeitpunktes (OLG Stuttgart NStZ 2008 36, 37). Es muss in diesen Fällen geradezu ins Auge stechen, dass ein kriminelles Verhalten gewünscht wird. Demonstrationscharakter kommen vor diesem Hintergrund auch Flugblättern zu, in denen Bundeswehrsoldaten aufgefordert wurden, die weitere Beteiligung am Kosovo-Krieg zu verweigern („Entfernen Sie sich von der Truppe!" und „Verweigern Sie deshalb Ihre Einsatzbefehle!"). Zutreffend hat das Kammergericht dies als plakative Meinungsäußerung gewertet, weil es erkennbar den Initiatoren des Protestes nicht auf eine massenhafte Befehlsverweigerung ankam (KG NJW 2001 2896, 2897; dazu auch Rdn. 55). Mit einer Demontage des Tatbestandes hat die verfassungskonforme Auslegung nichts zu tun (verfehlt Schroeder JR 2001 474). Eine bloße Unmutsäußerung kann nach den Umständen des Einzelfalles auch dann in 2 4 Betracht kommen, wenn der in der Erklärung Genannte aufgrund des Äußerungszusammenhangs erkennbar nicht als Individualperson und potentielles Opfer, sondern als Repräsentant einer gesellschaftlichen Institution oder politischen Partei erscheint, gegen die sich der Unmut des Täters richtet. Die Möglichkeit einer solchen Auslegung hat der Bundesgerichtshof hinsichtlich der von einem Außenseiter an Häuserwänden angebrachten Parolen „Tötet Cremer", „Brandt an die Wand", „Tod Wehner und Brandt" erwogen (BGHSt 32, 310 = JR 1985 205 m. Anm. Bloy; zustimmend Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 41). Das Gericht ist insoweit nicht auf den Mitteilungs- und Schrifteninhalt beschränkt (aA LG Koblenz NStE Nr. 2 zu § 111; LG Berlin StV 1982 472), der allein eine zuverlässige Abgrenzung von echter Handlungsanweisung zu bloßen verbal-radikalen Exzessen oder Missfallenskundgebungen nicht immer ermöglicht. Es handelt sich um eine Frage der Beweiswürdigung, in die der aktuelle situative Zusammenhang der Kundgabe und sämtliche Begleitumstände mit einfließen (Paeffgen NK Rdn. 12).

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

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e) Art und Weise. Die Aufforderung kann ausdrücklich oder durch schlüssige Handlung erfolgen (RGSt 4 106, 108; 47 411, 413; Stockmann BB 1978 1188, 1190), auch in versteckter bzw. verklausulierter - für jeden Eingeweihten jedoch verständlicher - Form (RGSt 72 329, 338), durch Überredung, Raterteilung, „informatorische Ratschläge" z.B. in Boykottflugschriften und durch „Tipps", 18 nicht dagegen - anders als bei der Anstiftung nach § 26 - durch bloßes Anreizen19 als psychologisch berechnete Stimmungsmache (vgl. Entw. 14. StRÄndG, BTDrucks. 7/3030, S. 8). Dieses ist gekennzeichnet durch eine Beeinflussung, die einen Reiz zum Handeln weckt und den Angereizten kraft eigenen Entschlusses zum Handeln bringt (vgl. RGSt 47 411, 413; 63 170, 173). So stellt der Text des Flugblattes „Schnipp-Schnapp - da war die Nummer ab" lediglich ein bloßes Anreizen zu einer Beschädigung (§ 303) der Volkszählungsbögen dar (LG Koblenz NStE Nr. 2 zu § 111). Aufforderungscharakter hat dagegen die in imperativer Form gehaltene schriftliche Erklärung „Schneide Codierung aus dem Bogen" (BayObLGSt 1988 58, 61 f). Gleiches gilt für provokative Äußerungen und indirekte Beeinflussungsversuche ohne Appellcharakter. Als nicht ausreichend wurde etwa die detaillierte Beschreibung verschiedener Methoden des Schwarzfahrens in einem Zeitschriftenartikel angesehen (OLG Köln MDR 1983 338), weil ein persönlicher Appell der Journalisten zur Nachahmung nicht festgestellt war. Da die Form der Aufforderung ohne Belang ist, sind indirekte Einflussnahmen nicht von vornherein aus dem Anwendungsbereich des § 111 ausgenommen. Das scheinbare Abraten in Form der sog. Brutus-Rede hat dann appellativen Charakter, wenn die gegenteiligen wahren Absichten des Animierenden mit den Händen zu greifen sind. 20

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f) Fremde Erklärungen. Der Aufforderungscharakter dieses Äußerungsdelikts setzt seiner Natur nach eine den Willen des Äußernden erkennbar machende Kundgebung voraus, einen eigenen Appell, dass von den Adressaten seiner Äußerung strafbare Handlungen begangen werden sollen (vgl. Franke GA 1984 452, 462). Wird lediglich eine fremde Erklärung, die einen auf Begehung einer rechtswidrigen Tat zielenden Aufruf zum Inhalt hat, als solche in den tatbestandlichen Verbreitungsformen wiedergegeben, mitgeteilt oder über sie - z.B. in Presse, Rundfunk oder Fernsehen - berichtet, so liegt darin folgerichtig nicht ohne weiteres eine Kundgebung im Sinne des § 111. Ein täterschaftlich begangenes Äußerungsdelikt ist in solchen Fällen nur anzunehmen, wenn derjenige, der über eine zu Straftaten auffordernde fremde Äußerung wörtlich berichtet oder sie verbreitet, zugleich durch die Art und Weise der Wiedergabe, durch eine ausdrückliche Identifizierung mit der Äußerung, durch eine eigene Zusatzerklärung oder ähnliches unmissverständlich erkennen lässt, dass er sich diese fremde Äußerung zu eigen macht. 21 Ohne derartige Identifizierung mit dem strafbaren Äußerungsgehalt einer solchen fremden Erklärung kann sie in der Regel dem, der über sie öffentlich berichtet, nicht als eigene Erklärung zugerechnet werden. In Betracht kommt aber u.U. eine Beihilfe zu strafbarer fremder Äußerung mit Aufforderungscharakter durch deren Verbreitung (vgl. BGHSt 36 363, 370 f; 29 258, 266 f). Verfehlt ist die Lesart, der Betreiber eines Zeitschriftenstandes

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OLG Celle J R 1988 4 3 3 ; OVG Koblenz NJW 1987 2 2 5 0 ; LG Koblenz MDR 1987 1047; Geerds JR 1988 436. Vgl. OLG Köln MDR 1983 338; LG Koblenz N J W 1988 1609; Bosch MK Rdn. 10; Rogall GA 1979 11, 16 u. KK-OWiG § 116 Rdn. 9. Bosch MK Rdn. 10; Horn/Wolters SK

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Rdn. 14d; Paeffgen FS Hanack, S. 605; aA v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 9. BGHSt 36 363, 367, 371; OLG Frankfurt a.M. NJW 1983 1207; BayObLG NJW 1998, 1087; OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2 0 0 3 , 327, 328; Fischer Rdn. 2a.

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Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

mache sich bereits durch gezieltes Auslegen einer Zeitschrift und der aufgeschlagenen Seite mit der Aufforderung zur Straftatbegehung den fremd verfassten Artikel zu eigen. Hier mangelt es an einem wie auch immer gearteten Bekenntnis zum Inhalt (vgl. Franke GA 1984 452, 462; aA KG J R 1984 249). g) Medienberichterstattung. Die Aufforderungsdelikte (§§ 111, 130) sind als Presseinhaltsdelikte begehbar ( L ö ß e r / K ü h l LPG § 2 0 Rdn. 54). Das bloße Veröffentlichen bzw. öffentliche Verbreiten von fremden Schrifteninhalten, die zu Straftaten auffordern, begründen keine Vermutung, dass sich der Verbreitende die fremde Äußerung zu eigen macht und den jeweiligen strafbaren Inhalt der Veröffentlichung auch als eigene Meinungsäußerung mittragen will. Es gelten vielmehr die vorstehenden allgemeinen Abgrenzungskriterien. So besteht auch keine Vermutung des Täterwillens zuungunsten des verantwortlichen Redakteurs einer periodischen Druckschrift, d.h. desjenigen, der im Auftrag des Verlegers das Druckwerk auf strafrechtlich relevante Äußerungen zu prüfen hat und kraft seines Einspruchs Veröffentlichungen verhindern kann. 2 2 Soweit presserechtliche Bestimmungen wie § 11 Abs. 1 LPG Hessen und Art. 11 Abs. 2 LPG Bayern 2 3 Vermutungen dahin enthalten, dass der verantwortliche Redakteur die Veröffentlichung mit strafbarem Inhalt „als eigene Äußerung gewollt" bzw. dass er „den Inhalt ... des Textes gekannt und den Abdruck gebilligt" hat, handelt es sich ungeachtet des missverständlichen Gesetzeswortlautes um keine allgemeine Täterschaftsvermutung, die den Tatrichter bei seiner Einzelfallbeurteilung bindet. Vielmehr geht es insoweit um eine widerlegbare Veröffentlichungsvermutung, die sich - ausschließlich im Rahmen der spezifisch pressestrafrechtlichen Haftung bei presserechtlichen Sorgfaltspflichtverletzungen (z.B. § 2 0 Abs. 2 LPG BaWü) - im Falle der Unaufklärbarkeit als Beweisregel zu Lasten des verantwortlichen Redakteurs auswirkt. Für die strafbare Aufforderung nach § 111 als Täter oder Teilnehmer hat sie keinerlei Bedeutung. Gegenüber den allgemeinen Strafgesetzen wie § 111 sind im übrigen die pressestrafrechtlichen Sonderbestimmungen subsidiär.

27

Die wahrheitsgemäße sowie ausschließlich und erkennbar Informationszwecken dienende Berichterstattung über fremde Äußerungen strafbaren Inhalts, die den spezifischen Berichterstattungsmaßstäben entspricht, ist unter Beachtung der verfassungsrechtlich geschützten Presse- und Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) bei differenzierter Kennzeichnung des berichtenden Charakters straflos. Die verfassungsrechtlich verbürgte Pressefreiheit gebietet zudem einen eher restriktiven Ansatz bei der Auslegung des Merkmals „Auffordern" (OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2 0 0 3 327, 328). Soweit sich die Medien indes schlicht zum Sprachrohr strafrechtlich relevanter Äußerungen machen, verlassen sie den Bereich sozialadäquater bzw. gerechtfertigter Berichterstattung (vgl. Willms J R 1984 121; auch BGHSt 2 9 258, 269). Da sich die Medien damit den Text noch nicht zu eigen machen, fordern sie zwar nicht selbst auf, sind folglich nicht Täter des § 111. Es kommt aber strafbare Beihilfe der Verantwortlichen zu einem Vergehen nach § 111 in Betracht, wenn eine von einem Fernsehteam eigens aufgenommene Erklärung des Organisators einer Blockadeaktion, die zu einer gewalttätigen Demonstration aufruft, ausgestrahlt würde, ohne dass sich der Sender distanzierte oder die Aufforderung nach journalistisch anerkannten Maßstäben begleitend kommentierte.

28

22

Groß Presserecht Rdn. 657; Löffler/Kübl

LPG § 2 0 Rdn. 86.

23

Abgedruckt bei Löffler/Kükl zu § 20 LPG.

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h) Unbestimmter Personenkreis. Die Aufforderung muss sich nach h.M. an einen unbestimmten, nicht individualisierten Personenkreis richten,24 sie darf die Adressaten nicht in deren Individualität ansprechen. Für die Abgrenzung dürfte die Unüberschaubarkeit der Auswirkungen der Aufforderung und die mangelnde Möglichkeit weiterer Einflussnahme des Auffordernden ein Hinweis sein. Im Rahmen größerer Aktionen (Volkszählungsboykott, Aufrufe zu Gehorsamsverweigerung und Verlassen der Truppe) wird der Auffordernde in der Regel die Diskussionsteilnehmer an einem Informationsstand oder die ein Flugblatt entgegennehmenden Passanten nicht als konkrete Einzelpersonen, sondern als anonyme Teile der Zielgruppe oder als Personen ansprechen, über die ein Weiterwirken der Argumente und Parolen erhofft wird. Auch bei einem größeren Adressatenkreis kann es indes an der bei § 111 vorausgesetzten Unbestimmtheit mangeln, wenn der angesprochene Personenkreis z.B. aufgrund seiner Funktion bestimmbar ist (Rudolphi RdA 1987 160, 163). Falls die Möglichkeit der Tatbegehung nur bei einer der angesprochenen Personen vorliegt oder vorliegen kann, steht das der Anwendbarkeit des § 111 nicht entgegen, falls der Auffordernde den Täter nicht selbst konkret bestimmt (Sch/Schröder/Eser Rdn. 4). Wendet sich der Auffordernde an eine individuelle, bestimmte Einzelperson, so ist § 111 auch dann nicht anwendbar, wenn die Aufforderung in der Öffentlichkeit oder einer Versammlung erfolgt. Das gilt selbst dann, wenn die weiteren Voraussetzungen einer strafbaren Anstiftung (§§ 26, 30) nicht vorliegen, weil es z.B. an einer hinreichenden Konkretisierung der angesonnenen Tat mangelt oder erfolglos zu einem Vergehen aufgefordert wird. Insoweit kann nicht auf die Vorschrift des § 111 zurückgegriffen werden.25 Es fehlt dann an der typischen Gefährdung des allgemeinen Rechtsfriedens, welche über diejenige einer Einzeltat hinausreicht (Rdn. 5 f).

30

Der mögliche Adressatenkreis grenzt die Aufforderung i.S.d. § 111 und die Anstiftungshandlung i.S.d. § 26 voneinander ab. Die Anstiftung richtet sich an eine bestimmte Person oder an einen individuell bestimmbaren Personenkreis,26 die Aufforderung hingegen ist an einen unbestimmten, individuell nicht überschaubaren Personenkreis gerichtet. So ist nicht nach § 111, sondern als Anstiftung zur - indes zweifelhaften - Nötigung die Aufforderung an die studentischen Teilnehmer eines „Go-in" zu beurteilen, die Mitglieder des Universitätskonvents zwecks Anhörung einer Resolution am Verlassen der Aula zu hindern (vgl. BGH 2 StR 699/77 v. 15.3.1978).

31

Vereinzelt wird die Aufforderung an eine bestimmte Person oder einen bestimmbaren Personenkreis zur Begehung nicht konkretisierter Taten (z.B. Tötungen) unter § 111 subsumiert.27 Andere wollen die Fälle der Aufforderung an einen unbestimmten Personenkreis zu einer konkretisierten Tat zugleich als Anstiftung und als Aufforderung nach § 111 bestrafen.28 Diese Abweichungen führen zu Unschärfen der Grenzziehung. Eine tatbestandliche Überschneidung mit der Anstiftung erscheint nach h.M. praktisch nur denkbar, wenn z.B. in einer Versammlung zugleich bestimmte und unbestimmte Adressaten angesprochen werden.29 24

25

Bosch MK Rdn. 11; Kindhäuser LPK Rdn. 5; Horn/Wolters SK Rdn. 6; Pflieger HK-GS Rdn. 4; Sch/Schönke/Eser Rdn. 4; Stockmann BB 1978 1188, 1190; vgl. auch Ε 1962 Begr. zu § 2 9 2 S. 4 6 4 ; undeutlich Lackner/ Kühl Rdn. 4. Fischer Rdn. 3; vgl. Lackner/Kühl Rdn. 4; Rogall GA 1 9 7 9 11, 17; aA offenbar Baumann/Weber/Mitsch § 30 Rdn. 58; Bosch MK Rdn. 11.

18

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27 28 29

Sch/Schröder/Cramer/Heine § 26 Rdn. 18 u. Sch/Schröder/Eser Rdn. 1; Rogall GA 1 9 7 9 1 1 , 1 6 f. Vgl. Bosch MK Rdn. 11. Dreher FS Gallas, S. 323 f. Horn/Wolters SK Rdn. 10, 16; Rogall GA 1979 11, 18.

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Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

§ 111

2. Handlungsformen der Aufforderung. Die Aufforderung muss öffentlich, in einer 3 2 Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, Tonträgern, Abbildungen oder Darstellungen geschehen. Diese drei Handlungsformen erfassen in ihrem Zusammenspiel den Einsatz aller Medien in ihren spezifischen Wirkungsweisen. Das gilt für die Medien mit nicht verkörperter audieller und visueller Wirkungsweise (Internet) wie für die nicht an die Übergabe bzw. Weitergabe einer Schrift etc. gebundenen Arten der Verbreitung (Plakatanschlag); sie sind der öffentlichen bzw. quasi-öffentlichen Begehungsweise zuzuordnen (Franke GA 1984 452, 457 f, 460 f). Das rein visuelle Wahrnehmbarmachen und die bloße verbale Wiedergabe bei «icfci-öffentlicher Zugänglichkeit sind tatbestandlich unbeachtlich; es fehlt insoweit an dem die strafrechtliche Erfassung begründenden Gefährlichkeitsmoment. a) Öffentliche Aufforderung. Öffentlich ist die Aufforderung dann, wenn sie von 3 3 einer tatsächlich vorhandenen größeren, zahlenmäßig unbestimmten Anzahl individuell nicht bestimmter Personen wahrgenommen werden kann. 30 Das Merkmal „öffentlich" bezieht sich wesentlich auf die Art der Begehung. Es ist daher ohne Belang, ob die Aufforderung an einem öffentlichen oder nichtöffentlichen Ort erfolgt (RGSt 63 431, 432; 65 112, 113). Die Öffentlichkeit besteht in der Unbestimmtheit des angesprochenen Personenkreises, an den die Aufforderung ergeht. Maßgeblich ist, dass der Wirkungsbereich der Aufforderung nicht übersehen werden kann und die Äußerung wegen mangelnder Überschaubarkeit des potentiellen Täterkreises und der dem Auffordernden entglittenen Steuerungsmöglichkeit besonders gefährlich erscheint. Öffentliche Aufforderungen sind etwa denkbar bei Wahlkundgebungen, öffentlichen Diskussionen u.ä., durch Verteilen von Flugblättern an Passanten (Franke GA 1984 452, 460) oder durch Plakatanschlag an allgemein zugänglichen Orten. Bei dem Anschlagen eines Plakates ist entscheidend, dass es mit dem die Aufforderung zur Begehung von Straftaten enthaltenden Teil dem Anblick potentieller Betrachter allgemein zugänglich gemacht wird. An der Öffentlichkeit der Aufforderung fehlt es indes mangels unmittelbarer Wahrnehmungsmöglichkeit selbst dann, wenn eine Broschüre mit einer derart beanstandeten Passage in einem Buch- und Zeitschriftenstand zum Verkauf ausliegt, solange der Inhalt nicht unmittelbar wahrgenommen werden kann (KG JR 1984 249). Anders kann es sich je nach Einzelfallgestaltung verhalten, wenn die Broschüre aufgeschlagen ausliegt und die Seiten mit der Aufforderung zur Straftatbegehung jedermann ins Auge springen. Freilich fehlt es dann regelmäßig an der Aufforderung (Rdn. 26). Ob die Möglichkeit besteht, dass eine unbestimmte Anzahl von Personen die Auffor- 3 4 derung wahrnehmen, ist nach den Erfahrungen des täglichen Lebens zu beurteilen. Dabei müssen, soll nicht der Begriff der Öffentlichkeit überspannt werden, Möglichkeiten ausscheiden, die erfahrungsgemäß nicht Wirklichkeit werden, deren Verwirklichung vielmehr nur durch besondere, ungewöhnliche Umstände herbeigeführt wird. Die Anwesenheit Unbeteiligter, von denen die Weitergabe der Äußerung erwartet werden kann, genügt bei verbaler Aufforderung, so z.B. bei Aufforderung zu militärischer Gehorsamsverweigerung (vgl. Rogall KK-OWiG § 116 Rdn. 20). Öffentliche Begehung ist zu verneinen, wenn die Aufforderung tatsächlich oder nach dem Willen des Animierenden beschränkt war oder beschränkt bleiben sollte und nur einer einzelnen Person oder einem engeren, durch besondere wechselseitige Beziehungen der Einzelnen gekennzeichneten, abgeschlossenen Kreis kundgetan wird. Äußerungen gegenüber einem solchen Personen-

30

Vgl. RGSt 3 361, 362; 37 289, 2 9 0 ; 72 67; 73 90; OLG Karlsruhe NStZ 1988 416, 417.

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kreis sind selbst dann nicht öffentlich, wenn der Täter mit der Weitergabe seiner Äußerung an die Öffentlichkeit rechnet (vgl. jedoch Rdn. 43). Öffentlich handelt ferner nicht, wer sich nacheinander gegenüber einer unbestimmten Anzahl einzelner Personen äußert (Sch/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rdn. 32; aA Schroeder GA 1964 231). 35

aa) Fallbeispiele. Der Handlungsform der öffentlichen Aufforderung sind beispielsweise zuzuordnen: Aufforderung durch Plakatanschlag, wenn sich der Anschlag an einer allgemein zugänglichen Stelle befindet (OLG Karlsruhe, Urt. v. 6.7.1989 - 1 Ss 60/89; Erbs/Kohlhaas/Senge OWiG § 116 Rdn. 7); Anschlagen plakativer Druckschriften, Zeitungen oder Flugblätter an einen Bauzaun (vgl. LG Berlin StV 1982 472); Anbringung eines Aufrufs an eine Reklamesäule (vgl. BayöbLG N J W 1979 2162); Schaufensteraushang einer schriftlichen Aufforderung (Sch/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele $ 184 Rdn. 32); Verteilen von Flugblättern an Passanten auf einem Marktplatz (OLG Karlsruhe Die Justiz 1989 66; vgl. BVerfG J R 1991 13); Anbringen und Mitführen eines auffälligen Aufklebers mit auffordernder Parole an einen PKW im Straßenverkehr (vgl. OLG Frankfurt NJW 1984 1128; Bottke J R 1983 300); Aufsprühen von Parolen mit Aufforderungscharakter auf allgemein zugängliche Glasfronten und Häuserwände (BGH NJW 1984 1631) oder mittels roter Leuchtfarbe auf die Rückseite von Schilderbrücken über der Autobahn (vgl. BGHSt 33 16); verbale Aufforderung durch Aufrufe an einem Informationsstand (VGH Mannheim, Beschl. v. 15.5.1987 - 5 S 1110/87); Aufrufe bei Umzügen und Demonstrationen mit Auftakt- und Schlusskundgebung (OVG Koblenz NJW 1987 2250); Aufforderung durch Lautsprecher an allgemein zugänglichen Plätzen (Samson J Z 1969 261; Sch/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rdn. 32); durch Rap, also Sprechgesang auf der Bühne (LG Mainz NJW 2 0 0 0 2220); bei Einsatz von Piratensendern (Horn/Wolters SK Rdn. 6).

36

bb) Rundfunk, Fernsehen, Presse. Für die Art und Weise der öffentlichen Kundgabe einer strafrechtlich relevanten Aufforderungserklärung kommen mangels gesetzlicher Eingrenzung alle Medien in Betracht, mittels derer ein Gedankeninhalt sinnlich wahrnehmbar gemacht werden kann (Franke GA 1984 452, 458 f). Die öffentliche Aufforderung kann über Rundfunk und Fernsehen erfolgen,31 z.B. die Propagierung von Betriebsbesetzungen durch Erklärungen im Rundfunk (Rudolphi RdA 1987 160, 162). Sie kann auch mittels der Presse begangen werden. Öffentlich ist die Aufforderung strafbaren Inhalts mit ihrer tatsächlichen Veröffentlichung in dem Presseorgan (vgl. OLG Stuttgart NJW 1972 2220, 2221). Ihre bloße Mitteilung an die Zeitungsredaktion zum Zwecke der Veröffentlichung vermag das Merkmal der Öffentlichkeit noch nicht zu begründen. In der Rechtsprechung wird etwa die Veranlassung einer Veröffentlichung der Aufforderung strafbaren Inhalts als Anzeige in einer Zeitung als öffentliche Aufforderung gekennzeichnet (OLG Karlsruhe NStZ 1988 416, 417; OLG Frankfurt a.M. StV 1990 209, 210). Ferner wird eine öffentliche Aufforderung bejaht, wenn die Aufforderungserklärung gegenüber einem Journalisten abgegeben wird und dieser die Aufforderung in der Zeitung veröffentlicht (OLG Karlsruhe Die Justiz 1991 200). In Fällen letzterer Art bestimmt sich die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die objektiv veranlasste öffentliche Aufforderung maßgeblich nach der subjektiven Tatseite. Bei nicht wörtlicher Wiedergabe einer Pressemitteilung mit Aufforderungscharakter durch das Presseorgan

31

Erbs/Kohlhaas/Senge OWiG § 116 Rdn. 7; Göhler/König OWiG § 116 Rdn. 5; Rogall KK-OWiG § 116 Rdn. 2 0 ; Wtllms JR 1984

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121; Sch/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rdn. 32.

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§111

wird indes eine öffentliche Aufforderung des Verfassers der Pressemitteilung verneint (OLG Frankfurt a.M. StV 1990 209, 210). cc) Bildschirmtext, Internet. Eine öffentliche Aufforderung kann auch über das Medium des Bildschirmtextes als „elektronischer Zeitung" (Ladeur N J W 1986 2749) begangen werden, wobei die strafbaren Erklärungen zum Abruf gespeichert und für alle Teilnehmer am Bildschirmtext jederzeit abrufbar sind (Walther NStZ 1990 524). Die abrufbereiten Äußerungen sind hier einem großen, individuell nicht feststehenden oder jedenfalls durch persönliche Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis zugänglich. Der damit begründete Öffentlichkeitsbegriff setzt nicht voraus, dass eine Mehrzahl von Personen dieselbe Information gleichzeitig abruft. Gleiches gilt für die Verbreitung von Aufforderungen im Internet (Kraft/Meister M M R 2003 366, 372). Sofern eine unbestimmte Anzahl von Nutzern Zugriff hat, sind dort abgelegte Informationen öffentlich, selbst wenn Zugangskontrollen vorgesehen sind (Sieber J Z 1996 494, 495 f; Walther NStZ 1990 524). Für Chatrooms gilt prinzipiell nichts anderes, soweit sich der Chatter an einen unbestimmten Personenkreis im Chatroom und nicht unmittelbar an ein bestimmtes, anonymisiertes Gegenüber wendet (Bosch MK Rdn. 18 m.w.N.).

37

b) In einer Versammlung. Neben die öffentliche Tatbegehung tritt als gleichgestellte Begehungsform die Aufforderung in einer Versammlung. Der Versammlungsbegriff ist nicht unumstritten und wird teilweise unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der anzuwendenden Normen 3 2 (im GG, dem VersG, §§ 80a, 86a und 90) unterschiedlich weit gefasst und ist für § 111 selbständig zu bestimmen. 33 Der Begriff der Versammlung setzt eine räumlich zu einem bestimmten Zweck vereinigte Personenmehrheit voraus, die eine nicht allzu kleine Zahl von Personen umfasst 3 4 und nach h.M. durch eine gemeinsame Meinungsbildung oder -äußerung charakterisiert ist. 35

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Das Tatbestandsmerkmal in einer Versammlung überschneidet sich mit der öffentliehen Tatbegehung. Eine eigenständige Funktion kommt dem Versammlungsmerkmal deshalb nur zu, soweit es über den Öffentlichkeitsbegriff hinausreicht. Daher sind der Gesetzessystematik folgend auch die Fälle erfasst, in denen wegen des geschlossenen Charakters der Veranstaltung (Betriebsversammlung, Mitgliederversammlung eines Vereins u. dgl.) 3 6 die öffentliche Tatbegehung zweifelhaft sein kann (RGSt 57 343, 344). Der quasi-öffentliche Begehungscharakter der Aufforderung in einer Versammlung, der nach den gesetzgeberischen Intentionen die gesetzliche Gleichstellung rechtfertigt, ist darin zu sehen, dass sich der Auffordernde allgemein an eine solche Personenmehrheit wendet und schon dadurch die typische, den Strafgrund bildende Gefahr für den Gemeinfrieden schafft. Die Annahme, dass geschlossene Versammlungen von § 111 nicht erfasst seien,

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Vgl. OLG Köln MDR 1980 1040; OLG Düsseldorf GA 1981 521; Franke NStZ 1984 127. Bosch MK Rdn. 20; vgl. OLG Koblenz MDR 1981 6 0 0 zu § 86a; Sch/Schröder/Eser § 111 Rdn. 7 einerseits, Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben § 90 Rdn. 5 andererseits. RGSt 21 71, 73; vgl. auch Rudolphi SK § 90 Rdn. 4; Göhler OWiG § 116 Rdn. 6. Dietel/Gintzel Demonstrations- und Ver-

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sammlungsfreiheit, 10. Aufl. (1991) § 1 Rdn. 163; Broß DVB1. 1981 2 0 8 f; OLG Düsseldorf J R 1982 2 9 9 m. Anm. Merten-, OLG Köln M D R 1980 1040 zu § 106a a.F. Für den Bezug des Merkmals auf geschlossene Veranstaltungen ebenso Fischer Rdn. 5; Horn/Wolters SK Rdn. 6; Erbs/Kohlhaas/ Senge Rdn. 8 und Rogall KK-OWiG Rdn. 21 jew. zu § 116 OWiG; and. Sch/Schröder/Eser Rdn. 7 - 1 0 .

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

ließe sich nur halten wenn dem Merkmal der Versammlung lediglich Klarstellungsfunktion zukäme. Der Gesetzestext gibt dafür allerdings keinerlei Anhaltspunkte her. 40 Die quantitativen Anforderungen an die eine Versammlung bildende Personenmehrheit werden unterschiedlich beurteilt. Während es nach einer Ansicht auf die Größe der Versammlung nicht ankommt,37 wird von anderen einschränkend eine „Vielzahl" von Personen38 vorausgesetzt. Dieser Auffassung ist beizupflichten. Zwar führt sie zu einer unterschiedlichen Auslegung des Begriffs der Versammlung in § 90 und § 111, was aber in der Konsequenz der tatbestandsspezifischen Definition liegt (Rdn. 38). Der Fortfall des zusätzlichen Attributs „vor einer Menschenmenge" mit dem Entwurf 1962 im Zuge der Angleichung des § 111 an § 292 Ε 1962 weist lediglich darauf hin, dass damit vor allem die nichtöffentlichen Versammlungen einbezogen werden sollten (vgl. Ε 1962 Begr. S. 344). Insofern wird das Merkmal bei einer einschränkenden Auslegung der Versammlung mitnichten überflüssig (verfehlt Dreher FS Gallas, S. 314). Die Notwendigkeit einer schwer zu überblickenden Personenvielfalt (wenn nicht unbedingt einer unübersehbaren Anzahl i.S. einer Menschenmenge) folgt dem Telos der Norm, die gesteigerte Gefährlichkeit für den Rechtsfrieden gegenüber der Anstiftungssituation zu pönalisieren und korreliert im übrigen mit den Kautelen der Aufforderung, welche sich an eine unbestimmte Personenmehrheit richten muss.39 Richtet sich die Aufforderung nur an einzelne, aber bestimmte Versammlungsmitglieder, so greift § 111 also mangels der vorausgesetzten, typischen Gefährlichkeit nicht ein, und zwar auch dann nicht, wenn die Voraussetzungen der §§ 26, 30 nicht erfüllt sind. 41

c) Verbreiten von Schriften. Als dritte Handlungsform kommt das Verbreiten von Schriften hinzu. Eine Überschneidung der Begehungsvarianten ist insoweit möglich, als diese Form wie bei dem Verteilen von Flugblättern an Passanten (OLG Karlsruhe Die Justiz 1989 66) öffentlich oder durch Schriftenübergabe in einer nichtöffentlichen Versammlung erfolgt.

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aa) Schriftenbegriff. Der Begriff der Schriften steht stellvertretend für die in § 11 Abs. 3 genannten Gegenstände bzw. Darstellungsmedien. Mit dieser Verweisung wird die Verbreitung durch Ton- und Bildträger, Abbildungen und andere Darstellungen tatbestandlich mit erfasst. Für diesen Sammelbegriff ist es unerheblich, ob die Wahrnehmung unmittelbar oder nur durch den Einsatz technischer Hilfsmittel möglich ist. Einbezogen sind demnach CDs, Schallplatten, Tonbänder, auch kombinierte Ton-Bild-Träger wie DVDs, Videobänder für Videorecorder und ähnliche Kassetten für privates Fernsehen.40 Abbildungen sind z.B. Dias, Photos und Filmstreifen. Die Darstellung erscheint als Oberbegriff der übrigen Verbreitungsmedien.41

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bb) Verbreiten. Der Bereich der Schriftenverbreitung gewinnt praktische Bedeutung, soweit er nicht bereits von den beiden anderen Handlungsformen erfasst wird, bei der

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v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 14; Fischer Rdn. 5. Bosch MK Rdn. 17; Horn/Wolters SK Rdn. 6; Paeffgen NK Rdn. 24; Rogall KK-OWiG § 116 Rdn. 21; Sch/Schröder/Eser Rdn. 7 - 1 0 . Rdn. 2 9 ; i.E. wie hier Bosch MK Rdn. 21; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 93 I Rdn. 4; Paeffgen NK Rdn. 2 4 .

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OLG Düsseldorf N J W 1967 1142; LG Duisburg NStZ 1987 367; Franke GA 1984 452, 455. Zur Zusammenfassung der Darstellungsmedien unter dem Schriftenbegriff vgl. Hilgendorf LK § 11 Rdn. 116 ff; Franke GA 1984 452, 4 5 4 ff; Walther NStZ 1990 5 2 3 f.

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Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

nichtöffentlichen Übergabe von Schriften außerhalb von nichtöffentlichen Versammlungen (Franke GA 1984 452, 460). Schriften und diesen gleichgestellte Darstellungen (§ 11 Abs. 3) verbreitet, wer sie einem größeren, individuell nicht feststehenden Personenkreis zugänglich macht. 4 2 Ein Verbreiten ist hingegen bei einem Adressatenkreis zu verneinen, der nach Zahl, Individualität oder gemeinschaftlicher beruflicher Funktion bestimmt ist. Das gilt etwa, wenn der Verfasser das Schriftstück strafbaren Aufforderungsinhalts einem abgegrenzten Kreis von Redakteuren einer bestimmten Zeitung zuleitet (vgl. OLG Frankfurt StV 1990 209); im Falle eines Zeitungsabdrucks kommt hier jedoch öffentliche Tatbegehung in Betracht (Rdn. 36). Das Verbreiten setzt nach herkömmlichem Verständnis eine besondere Art des Zugänglichmachens der Schrift voraus, und zwar in ihrer Substanz, nicht nur dem Inhalt nach. 4 3 Verbreiten ist daher nur die mit einer Gewahrsamsübertragung, d.h. einer körperlichen Weitergabe verbundene Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, die Schrift gegenständlich, also nicht nur durch bloße Bekanntgabe ihres Inhalts einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen. 4 4 Verbreitungsarten, die nicht an die körperliche Übergabe der Schrift gebunden sind, etwa die Inhaltswiedergabe durch Vorlesen oder das visuelle Wahrnehmbarmachen bei Plakatanschlägen, Aufkleber an Fahrzeugen (s. Rdn. 35) usw. werden von der dritten Handlungsvariante entsprechend nicht erfasst. Soweit sie nicht den beiden anderen Begehungsalternativen unterfallen, sind sie tatbestandlich irrelevant. Die Aushändigung einer Schrift an eine einzelne Person kann indes genügen, wenn damit gerechnet wird, dass sie die Schrift nicht vertraulich behandeln, sondern weiteren noch unbekannten Personen zugänglich machen werde (BGHSt 16 63, 71; krit. Franke GA 1984 467 ff). Eine mit der Aushändigung verbundene Absicht ist hier nicht vorauszusetzen (Rdn. 66). Unter den genannten Voraussetzungen kann auch ein Verleihen genügen (BGHSt 13 257, 258). Wird die Schrift einem bestimmten Empfänger unter dem Vorbehalt noch auszuhandelnder Bedingungen für eine Verbreitung übersandt, so liegt eine straflose Vorbereitungshandlung vor; wie bei der Zusendung eines Manuskripts an den Verleger zwecks bloßer Prüfung einer etwaigen Veröffentlichung (BGH M D R 1966 687). Tatvollendung setzt voraus, dass mindestens eine Schrift in den Einfluss- bzw. Wahrnehmungsbereich eines Empfängers gelangt ist, von dem aus nach der Vorstellung des Täters mit einer nicht mehr kontrollierbaren Weitergabe zu rechnen ist. Zu beachten ist, dass die Definition des Zugänglichmachens im Rahmen der neuen elektronischen Medien und damit der Verbreitungsbegriff Modifikationen unterliegen. Der Bundesgerichtshof hat die Datenübermittlung im Internet als Verbreiten qualifiziert, obgleich von körperlicher Übergabe schlecht gesprochen werden kann. Wenn aber die strafbaren Inhalte auf dem Computer des Internetnutzers im Arbeitsspeicher oder einem anderen dauerhaften Speichermedium angelangt sind, sei das Merkmal erfüllt (BGHSt 4 7 55, 59 f; Kindhäuser LPK Rdn. 11 m.w.N. zur Problematik).

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cc) Gegenbeispiele. Nach vorstehenden Abgrenzungskriterien ist kein Verbreiten von Schriften: das Vorrätighalten zwecks Verbreitung; das offene Anbieten zum Kauf bzw. Auslegen zum Verkauf (KG J R 1984 249; dazu Rdn. 2 6 und 33); Plakatanschläge (BayObLG N J W 1979 2162; aA BGHSt 19 308, 310 zu § 93; s. indes Rdn. 35 zur rnög-

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BGHSt 13 257, 2 5 8 ; 18 63, 64; OLG Hamburg J R 1983 298, 2 9 9 ; OLG Düsseldorf NJW 1974 1474, 1475. Hilgendorf LK § 11 Rdn. 122; Radtke MK § 11 Rdn. 119.

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OLG Frankfurt N J W 1984 1128; StV 1990 2 0 9 ; OLG Hamm NStZ 1 9 8 9 578, 5 7 9 ; Franke GA 1984 4 5 2 , 4 5 9 ff.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

liehen öffentlichen Begehung); das Anbringen und Mitführen eines Aufklebers am PKW (vgl. OLG Hamburg NStZ 1983 127 m. Anm. Franke NStZ 1984 126 u. Bottke J R 1983 300; auch OLG Hamm NStZ 1989 578, 579); das bloße wörtliche Vorlesen aus einer Druckschrift oder das Abspielen eines Tonträgers (BGHSt 18 63, 64; 19 308, 310; OLG Frankfurt NJW 1984 1128; Erbs/Kohlhaas/Senge OWiG § 116 Rdn. 14); mangels Gewahrsamsübertragung am Datenträger das Zugänglichmachen einer Aufforderung zu Straftaten über das Medium des Internets-, dieses Verhalten ist indes als öffentliche Aufforderung erfassbar (Rdn. 37; vgl. anders BGHSt 47 55, 59 f; Rdn. 44). Kein Verbreiten liegt auch im Verfassenr einer Pressemitteilung vor, deren Inhalt die Leser nur durch sinngemäße Wiedergabe über einen Zeitungsartikel zur Kenntnis nehmen (OLG Frankfurt StV 1990 209). 46

d) Abgrenzung zur Anstiftung. Die Art und Weise sowie die Mittel der Tatveranlassung können zwar bei Aufforderung und Anstiftung in wesentlichen Bereichen übereinstimmen. Jedoch ergeben sich aus den spezifischen Merkmalen des Aufforderungsbegriffs und der damit verknüpften unmittelbaren Motivierungstendenz mit Appellcharakter hinsichtlich der Einwirkungsmittel Beschränkungen. Der Begriff des Aufforderns stellt sich als Form des Bestimmens zu einer Tat im Sinne des § 2 6 dar, ist jedoch enger (aA Sch/Schröder/Eser Rdn. 3; Horn/Wolters SK Rdn. 5) als der Begriff der Anstiftung. Das Auffordern setzt eine stärkere gedankliche Beziehung zwischen Agitator und den Empfängern der Kundgabe voraus (Rdn. 17; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 93 Rdn. 1). Die Anstiftung erfasst weitergehend jede Form der psychischen Beeinflussung (vgl. Lackner/Kühl § 26 Rdn. 2 m.w.N.), nach darüber hinausgehender Auffassung jede Art der Verursachung des Tatentschlusses (Hoyer SK § 26 Rdn. 5; Herzberg Täterschaft S. 53, 146), auch bloß befürwortende Äußerungen, Anreizungen, Formen des scheinbaren Abratens, der provokativen und/oder wahrheitswidrigen Schilderung von Ereignissen, das Schaffen einer provozierenden Situation und sonstige nur mittelbare Einwirkungen. Solche Einwirkungsformen umfasst dagegen die Aufforderung nicht. 45 3. Tatbestandserfolg

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a) Rechtswidrige Tat. Bezugsgegenstand der Aufforderung ist eine rechtswidrige Tat. Hierzu rechnen nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 nur solche Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen, also strafrechtlich sanktioniert sind.

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aa) Vorsatztat. Die Aufforderung muss sich - entsprechend der gesetzlichen Regelung auf die rechtswidrige Verwirklichung eines Straftatbestandes richten, die jedoch nicht notwendig schuldhaft zu sein braucht. Diese letztere Erweiterung ist jedoch praktisch ohne Bedeutung. Sie würde nur den Fall treffen, in dem sich der Auffordernde ausschließlich an Schuldunfähige wendet, eher ein reiner „Kathederfall" (Bosch MK Rdn. 12; Horstkotte Prot. VI/366). Jedoch muss es sich bei der Tat, zu der aufgefordert wird, um eine vorsätzliche Tat handeln. 46 Es gilt auch hier das Prinzip der limitierten Akzessorietät (dazu Schünemann LK Vor § 26 Rdn. 18); insoweit kommt der in der Aufforderung enthaltene, anstiftungsähnliche Charakter zum Tragen und wirkt sich die Ver-

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Rogall GA 1979 11, 15 f; ders. KK-OWiG § 116 Rdn. 8 f; Rudolphi RdA 1987 160, 162; Kostaras Demonstrationsdelikte S. 147, 151; aA Horn/Wolters SK Rdn. 14d.

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Geppert GedS Meurer, S. 322; Kindhäuser LPK Rdn. 6; Sch/Schröder/Eser Rdn. 12; aA OLG Hamm JMB1NRW 1963 212.

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Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

wandtschaft zur Anstiftung aus (Bosch MK Rdn. 12; Paeffgert FS Hanack, S. 613). Eine Aufforderung zu fahrlässigen Taten wäre schon begrifflich nicht denkbar. In der Konsequenz der Anlehnung an die Anstiftung unterfällt dem Tatbestand auch eine Aufforderung zu einem erfolgsqualifizierten Delikt i.S. des § 18 oder zu einer Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination i.S.d. § 11 Abs. 2 (Horn/Wolters SK Rdn. 3). Das Ergebnis wird derjenige bezweifeln wollen, der die Janusköpfigkeit des § 111 verneint und die Norm nicht anstiftungsähnlich sieht. Die Rechtsfolgenanordnung des Absatzes 1 „wie ein Anstifter" lässt sich aber wie eine gesetzliche - und damit in Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG unbedenkliche - Analogie zu den Teilnahme-Regeln verstehen. Tatbestandserheblich sind alle angesonnenen Handlungen, die in Bundes- oder Landesgesetzen mit Strafe bedroht sind, also sowohl Verbrechen als auch Vergehen. Über § 111 Abs. 2 ist auch die erfolglose Aufforderung zu Vergehen unter Strafe gestellt, die in § 30 nicht erfasst wird. Das ist durch die gesteigerte Gefährlichkeit gerechtfertigt, die der Aufforderung unter den besonderen Umständen des § 111 innewohnt. Die Aufforderung nach § 111 ist auch möglich zu solchen Straftaten, deren Tatbestand selbst in einem Auffordern besteht (§ 130 Abs. 1 Nr. 1; vgl. RGSt 23 172, 73). Eine Strafbarkeit wegen Aufforderung zu einer nach § 111 strafbaren Aufforderung zu Hausfriedensbrüchen käme etwa in Betracht, wenn aufgrund gewerkschaftlicher Erklärungen über bestimmte Kampfmaßnahmen die zuständigen Funktionäre eine rechtswidrige Betriebsbesetzung (OLG Hamm JMB1NRW 1952 12) beschließen und die jeweiligen Arbeitnehmer sodann dazu unmittelbar aufrufen würden. 47

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bb) Ordnungswidrigkeit. Der Anwendungsbereich des § 111 hat sich mit der Beseitigung der Übertretungen und deren Umwandlung in Ordnungswidrigkeiten verkleinert. Die Aufforderung zur Begehung einer Ordnungswidrigkeit oder zu einer Handlung, die nur eine Dienst- oder Ordnungsstrafe zulässt, fällt - wie sich schon aus der gesetzlichen Begriffsbestimmung der rechtswidrigen Tat in § 11 Abs. 1 Nr. 5 ergibt - nicht unter § 111. Die öffentliche Aufforderung zu Ordnungswidrigkeiten wird von der - durch das EGStGB als Ersatzvorschrift eingeführten - Bestimmung des § 116 OWiG erfasst, die eine dem § 111 entsprechende Funktion im Ordnungswidrigkeitenrecht erfüllt. 48 Anders als bei § 111 Abs. 2 wird jedoch in § 116 OWiG wegen Fehlens von erhöhten Mindestgeldbußen nicht zwischen erfolgreicher und erfolgloser Aufforderung unterschieden.

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cc) Auslandsbezug. Die angesonnene Tat muss im Hinblick auf das Rechtsgut des inneren Gemeinschaftsfriedens eine sein, die im Geltungsbereich des Strafgesetzbuches begangen werden soll; 4 9 § 111 zählt somit zu den Delikten mit tatbestandsimmanenter Beschränkung auf das Inland (Vor § 110 Rdn. 9). Die Aufforderung zu solchen Taten kann jedoch auch an potentielle Adressaten außerhalb dieses Geltungsbereichs gerichtet sein, z.B. an vom Ausland her agierende extremistische Gruppierungen. Bei Aufforderung zu den in § 91 genannten Straftaten werden Verbreitungshandlungen aus dem räumlichen Geltungsbereich des Strafgesetzbuchs vorausgesetzt (Prot. V/1920).

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dd) Ausbleiben des Erfolges. Für den Begriff der Aufforderung kommt es nicht darauf an, ob ein Erfolg eingetreten ist; ist der Erfolg ausgeblieben, so ist es unerheblich,

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Vgl. Rudolphi RdA 1987 160, 163 f, der hier Anstiftung erwägt. Vgl. Rogall KK-OWiG § 116 Rdn. 1; Stockmann BB 1978 1188 ff.

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Bosch MK Rdn. 12; Fischer Rdn. 4 ; aA Horn/Wolters SK Rdn. 3.

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§ 111

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aus welchem Grund das geschah, ob etwa die Aufgeforderten der Aufforderung nicht Folge leisten konnten oder nicht wollten. Der Eintritt oder Nichteintritt des Erfolges ist bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. 53

ee) Unterlassung, Teilnahme- und Vorbereitungshandlungen. Unerheblich ist, ob es sich bei der angesonnenen Tat um eine solche im Sinne eines Verbots- oder Gebotsgesetzes handelt (RGSt 4 106, 108). Auch die Aufforderung zu strafbaren Teilnahme- oder Vorbereitungshandlungen (z.B. § 83) werden von der Vorschrift erfasst. Im Rahmen einer Aufforderung zur Anstiftung gelten die Grundsätze zu § 30 entsprechend; jedoch ist insoweit gegenüber den Fällen der sog. Kettenanstiftung unter dem Gesichtspunkt der Friedensgefährdung als Strafgrund des § 111 eine gewisse Einschränkung geboten. § 30 erfasst sowohl den Fall der Anstiftung zur versuchten Anstiftung wie die erfolglos versuchte Anstiftung zur Anstiftung (vgl. auch BGH NJW 1960 1163, 1164; Jescheck/ Weigend AT S. 703 ff; Mauracb J Z 1961 143). Eine strafbare Aufforderung nach § 111 dürfte demgegenüber voraussetzen, dass ein Aufgeforderter zumindest versucht hat, einen Dritten zu einer rechtswidrigen Tat zu bestimmen (Sch/Schröder/Eser Rdn. 14). Bei der bloßen erfolglosen Aufforderung zur Anstiftung erscheint vom Strafgrund des § 111 her gesehen eine Strafwürdigkeit nicht gegeben; hier ist die maßgeblich gefährliche, bei quasi-öffentlicher Begehung eine mögliche Friedensgefährdung kennzeichnende unmittelbare Einwirkung auf potentielle Täter noch nicht erfolgt.

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Bei erfolgreicher Aufforderung zu Beihilfe (etwa zum Landfriedensbruch durch Zurverfügungstellung von geeigneten Gerätschaften, Waffen etc.) sind die Grundsätze der Anstiftung zur Beihilfe (vgl. Jescheck/Weigend AT S. 697; Hoyer SK § 2 6 Rdn. 32) heranzuziehen (Strafmilderung §§ 27 Abs. 2, 49 Abs. 1 entsprechend Sch/Schröder/Eser Rdn. 14). Ein derartiger Fall liegt auch bei der Aufforderung zur Unterstützung des Betriebs eines ungenehmigten Senders durch Lieferung von Sendebeiträgen bzw. Zurverfügungstellung von Kassetten und sonstigem Sendematerial vor (OLG Karlsruhe NStZ 1985 78; BayObLG M D R 1984 685).

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b) Fallgestaltungen. Als konkrete Fallgestaltungen des § 111 werden erörtert: Aufrufe zu Sachbeschädigung durch Abschneiden der Kennnummern des Volkszählungs-Fragebogens, § 303 (Rdn. 15); der Aufruf zur Nichterfüllung der in § 12 V Z G 1987 begründeten, verfassungsrechtlich sanktionierten (BVerfG NJW 1990 3139) Auskunftsverpflichtung, die gemäß §§ 15, 23 BStatG (zur Reichweite der Bußgelddrohung BayObLGSt 1988 58, 61) bußgeldbewehrt ist (OLG Frankfurt NStZ 1989 127; OLG Karlsruhe NStZ 1988 416, 417), wird von § 116 OWiG erfasst; Aufforderung zum Sabotieren von Fahrpreiserhöhungen durch Schwarzfahren, § 265a (OLG Köln M D R 1983 338); Aufforderung zur Beseitigung öffentlich angeschlagener dienstlicher Schriftstücke, § 134 (OLG Karlsruhe Die Justiz 1991 200). Aufforderung, ein Vergehen nach § 129 zu begehen, z.B. in Bekennerschreiben, Kampfaufrufen etc. (offen gelassen in BGHSt 31 16, 22; vgl. auch BGHSt 36 363); Aufruf zu unfriedlicher Demonstration mittels einer am Schreibtisch abgegebenen, vom Fernsehen aufgenommenen und ausgestrahlten Erklärung, § 125 (vgl. Willms J R 1984 121); Aufruf zu gewalttätigen Boykottaktionen, §§ 125, 240; vgl. Startbahn-West-Fall (BGH N J W 1984 931, 935; BVerfG N J W 1991 91), in dem wegen Mitbeherrschung des Tatgeschehens durch den Auffordernden eine täterschaftliche Beteiligung an den angesonnenen Taten angenommen wurde; Aufrufe zu Betriebsbesetzungen durch die Arbeitnehmer als Kampfmaßnahme gegen Aussperrungen durch Arbeitgeber, § 123 (vgl. Rudolpht RdA 1987 160, 161 f): Aufrufe an Armeeangehörige zur Verweigerung des dienstlichen Einsatzes in Krisengebieten, eher nicht strafbar nach § 111 in Verbindung mit §§ 16, 19 WStG, soweit an deutsche Soldaten und Rekruten gerichtet, und in Verbin-

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Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

dung mit Art. 7 Abs. 3 des Vierten StRÄndG i.d.F. des Art. 147 EGStGB (BGBl. 1974 I S. 576 f; Scholz WStG § 16 Rdn. 35), soweit als potentielle Adressaten nicht-deutsche Angehörige der NATO-Streitkräfte angesprochen werden; dagegen nicht schon die bloß spekulative Befürwortung von Fahnenflucht für den Fall einer künftigen - den Einsatzbereich der Bundeswehr erweiternden - Verfassungsänderung (OLG Karlsruhe NStZ 1993 389, 391). c) Konkretisierungsanforderungen an die Tat. Die rechtswidrige Tat, zu der aufgefordert wird, muss hinreichend bestimmt bezeichnet und festgestellt sein. Die Vorschrift des § 111 erfasst aber nicht nur die an einen unbestimmten Personenkreis gerichtete Aufforderung zur Begehung einer in Einzelheiten konkret abschließend bestimmten Tat. Vielmehr sind an die Konkretisierung unter Berücksichtigung von Strafgrund und gewisser tatbestandlicher Eigenständigkeit des § 111 geringere Anforderungen zu stellen als bei der Anstiftung. Allerdings darf andererseits nicht außer Betracht bleiben, dass der Auffordernde - wie die Bezugnahme in § 111 Abs. 1 auf die Anstiftung zeigt - nach dem Strafrahmen der angesonnenen Tat zu bestrafen ist. Auch die Strafdrohung für die erfolglose Aufforderung (Absatz 2) enthält trotz weitgehender Verselbständigung - wie Satz 2 zeigt - noch eine beschränkte Beziehung zum Strafrahmen der auszuführenden Tat. Die Mindestanforderungen an die Konkretisierung haben sich also daran zu orientieren, dass § 111 eine - wenn auch schmale - Verbindung zur animierten, im Falle des Absatzes 1 verwirklichten Tat voraussetzt. Den unterschiedlichen Gesichtspunkten wird Rechnung getragen, wenn die angesonnene Tat jedenfalls ihrer Art und ihrem rechtlichem Wesen nach gekennzeichnet ist (RGSt 65 200). Eine Bestimmung der Tat nach Zeit, Ort, konkretem Objekt oder Tatopfer, 50 subjektiven Elementen (z.B. §§ 211, 242; Dreher FS Gallas, S. 318; Nehm JR 1993 122) und sonstigen tatsächlichen Umständen ist auch in den Umrissen nicht erforderlich.51

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Ausreichend ist z.B., wenn in den Formen des § 111 aufgerufen wird, Kaufhäuser anzuzünden, Banken zu plündern, eine prominente Persönlichkeit des öffentlichen Lebens zu ermorden oder zu entführen, Asylanten, wo immer möglich, zu misshandeln u.ä. Hinreichend bestimmt ist auch der Aufruf an die Arbeitnehmer zu Betriebsbesetzungen im Falle einer Aussperrung. Die auffordernde Hetze in Parolen und öffentlicher Rede wird sich häufig nur in einer allgemeinen Kennzeichnung der Opfergruppe und bildhafter Andeutung des Delikttypus objektivieren. Das ist ausreichend (Herzberg JuS 1987 618), jedenfalls dann, wenn das erwartete Verhalten als Straftat einer bestimmten Art erkennbar ist. Nach obiger Grenzziehung wird dagegen die allgemein gehaltene Aufforderung zur Begehung irgendwelcher Straf- oder Gewalttaten schlechthin von § 111 nicht erfasst. Im Gegensatz dazu braucht in § 130 Abs. 1 Nr. 1 nicht zu einer bestimmten Tat aufgefordert zu werden. Bloßen „Mubahala"-Verwünschungsformeln, mit denen ein Islamkritiker stigmatisiert werden soll („Dann möge der allmächtige Schöpfer ihn für sein Verbrechen bestrafen"), erfüllen die Anforderungen an die konkreten Straftaten, zu denen aufgerufen wird, hingegen nicht (OLG Oldenburg NJW 2006 3735, 3736; Lackner/Kühl Rdn. 5).

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AA BGHSt 32 310, 312; auch BGHSt 31 16, 22; Sch/Schröder/Eser Rdn. 13, die eine Opferkennzeichnung in allgemeinen Wendungen fordern. RGSt 65 2 0 0 , 2 0 2 ; Bloy J R 1985 2 0 7 ;

Herzberg JuS 1987 618; Horn/Wolters SK Rdn. 14b; Lackner/Kühl Rdn. 5; Rogall GA 1 9 7 9 11, 17; auch KG J R 1971 2 5 5 ; aA LG Lübeck StV 1984 207.

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§111

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Ob schon die Aufforderung zum bloßen Ungehorsam gegen eine bestimmte, nur nach ihren abstrakten Tatbestandsmerkmalen gekennzeichnete Strafnorm ausreicht (bejahend Dreher FS Gallas, S. 307, 318; Fischer Rdn. 4a), erscheint nicht unzweifelhaft. Zumindest wird dies von der Art der Straftat abhängen. So dürfte bei der Aufforderung zum Widerstand gegen die Staatsgewalt, die eine weite Skala von Möglichkeiten ganz unterschiedlichen Gewichts umfasst, jedenfalls die Kennzeichnung vorauszusetzen sein, welcher Art von Amtshandlungen Widerstand geleistet werden soll (vgl. auch RGSt 39 387). Die Parole „Leistet Widerstand!" ist auch deshalb zu unbestimmt, weil die Widerstandsvorschrift des § 113 Gewalt oder Drohung mit Gewalt als Tatmittel voraussetzt (Horn/Wolters SK Rdn. 14b). Nicht hinreichend bestimmt ist ferner die Aufforderung zu „Festen, die die Stadt erzittern lassen" (vgl. LG Berlin StV 1982 472) oder „dem Frankfurter Flughafen einen Besuch abzustatten". Indessen braucht sich die Kennzeichnung der Straftat, zu der aufgerufen wird, nicht allein und erschöpfend aus der Äußerung als solcher zu ergeben; sie kann sich auch in ihrem aktualitätsbezogenen Äußerungszusammenhang aufgrund der Begleitumstände hinreichend erschließen. So ist der Blockadeaufruf „ab 12.30 Uhr bis 22.00 Uhr ist morgen der Flughafen dicht" im Rahmen einer bestimmten Großaktion gegen eine Flughafenerweiterung zumindest als Aufforderung zu strafbarer Nötigung hinreichend bestimmt (vgl. BGH NJW 1984 931, 934; BVerfG NJW 1991 91, 93). Der Aufruf zu „Demonstrationen, die ihnen die nackte Furcht lehren werden" ist als Aufforderung zu gewalttätigem Landfriedensbruch nicht hinreichend bestimmt (Horn/Wolters SK Rdn. 14b; LG Berlin StV 1982 472; aA v. Bubnoff LK 11 Rdn. 23). „Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft" mag im Umfeld vorangegangener gewalttätiger Auseinandersetzungen politischer Gruppierungen den nötigen Bestimmtheitsgrad aufweisen (vgl. RGSt 51 200). Jedenfalls ist dann, wenn Aufrufe mehrere naheliegende Deutungen zulassen, nach dem in dubio pro reo-Grundsatz die straffreie Variante zu Grunde zu legen (Bosch MK Rdn. 14).

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Bei Aufrufen zu Sitzdemonstrationen (Sitzblockaden) stellt das BVerfG hohe Konkretisierungsanforderungen auf. 52 Die vom BVerfG zu § 240 Abs. 2 herausgestellten Feststellungs- und Beurteilungskriterien einer Blockadenötigung (BVerfGE 73 206, 257, 260 f; 76 211, 217) können nicht einfach unter Hinweis auf den unterschiedlichen tatbestandlichen Charakter des § 111 beiseite geschoben werden.53 Zutreffend weist Bosch darauf hin (MK Rdn. 15), dass sich das Unrecht der Nötigung durch die Verwerflichkeit erst konstituiert und entsprechend niemand zu einer Straftat auffordert, der nicht auch selbst Umstände im Auge hat, die in ihrer Gesamtschau die Verwerflichkeit begründen.54 Die ein solches Urteil tragenden Komponenten müssen hinreichend bereits bei der Aufforderung konturiert sein. Zu nennen sind Dauer und Intensität der angesonnenen Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten Betroffener, Sachbezug des Auffordernden zum Protestgegenstand, Zahl der Aufgeforderten, Dringlichkeit der blockierten Geschäfte, Absichten des Auffordernden (BVerfG NStZ 1991 279). Wer zu bloßen Sitzblockaden auffordert, fordert darüber hinaus nicht zu Gewalt (vgl. BVerfGE 91 1, 17 f) und schon deshalb nicht zur strafbaren Nötigung auf (zutreffend OLG Frankfurt a.M. M M R 2006 547, 550 f - Onlineblockade; aA Gercke MMR 2006 493). Das Rechtsgut des Gemeinschaftsfriedens (Rdn. 5) wird dadurch nicht berührt. Wenn im

52

53

3. Kammer des 1. Senates, NStZ 1991 2 7 9 = JR 1991 13, 15 m. krit. Anm. Glaeser; NJW 1992 2 6 8 9 ; s.a. Nehm J R 1993 121 f. v. Bubnoff LK11 Rdn. 2 3 ; Otto BT § 63 Rdn. 65: vgl. Nehm J R 1993 121 f.

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54

I.E. zustimmend auch Paeffgen NK Rdn. 15 Fn. 55; Pflieger HK-GS Rdn. 11.

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Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

Rahmen des § 1 1 1 damit jongliert wird, dass die Umstände der konkreten Durchführung der Sitzblockade für den Auffordernden spekulativ bleiben müssten und er deren Auswirkungen nicht steuern könne (BayObLGSt 1992 15 ff = J R 1993 117 m. Anm. Nehm), äußert sich darin das Unbehagen einer Straf) ustiz, die - wie schon bei der bedenklichen, eine Strafbarkeit konstruierenden „Zweite-Reihe-Rechtsprechung" des Bundesgerichtshofes (BGHSt 41 182 ff) - ihren Frieden mit gewaltlosen Widerstandsformen in der postmodernen Gesellschaft nicht gefunden hat. 55 d) Erfolg (Absatz 1) und Kausalität. Die Vorschrift des § 111 trifft eine Unterscheidung danach, ob die Aufforderung Erfolg hatte oder erfolglos war; im einen Falle tritt die Bestrafung nach Absatz 1, im anderen nach Absatz 2 ein. Der Fall der erfolgreichen Aufforderung setzt die Feststellung des kausalen Zusammenhangs zwischen der Aufforderung und der Tat nach den allgemeinen Grundsätzen voraus. Wie sich schon aus dem Begriff der Aufforderung ergibt (vgl. Rdn. 17), genügt anders als bei § 26 nicht jede Art der Beeinflussung. Vielmehr muss die Aufforderung als solche Ursache der verwirklichten Tat sein. Es ist zwar nicht erforderlich, dass der Täter die Aufforderung selbst vernommen hat; jedoch muss er zumindest durch Dritte Kenntnis von der Aufforderung erhalten haben. Dagegen ist entgegen RGSt 57 285 nicht ausreichend, dass die Tat Folge der durch die Aufforderung hervorgerufenen, allgemeinen Aufregung war (wie hier Dreher FS Gallas, S. 307, 327; Lackner/Kühl Rdn. 7). Im Hinblick auf die unterschiedlichen Strafdrohungen ist im strafgerichtlichen Urteil die Mitteilung unerlässlich, ob die Aufforderung befolgt worden oder ohne Erfolg geblieben ist.

60

War die Aufforderung von Erfolg begleitet, so ist der Auffordernde wie ein Anstifter 61 zu bestrafen. Die Strafdrohung richtet sich unverändert nach der für den Anstifter (§ 26) vorgesehenen Strafe, d.h. der Auffordernde unterliegt der vollen Täterstrafe (vgl. aber Rdn. 54 für den Fall der Aufforderung zur Beihilfe). Die Aufforderung hat Erfolg, wenn ein Aufgeforderter die ihm angesonnene rechtswidrige Tat begangen oder die Einwirkung zumindest zu einem strafbaren Versuch geführt hat. Im Falle eines strafbefreienden Rücktritts eines Aufgeforderten lässt der diesem zukommende persönliche Strafaufhebungsgrund (vgl. Jescheck/Weigend AT S. 548) die Haftung des Auffordernden nach Abs. 1 unberührt. § 111 enthält eine eigene, selbständige Straftat, deren Urheber als Täter dieses Delikts, nicht als Teilnehmer der infolge der Aufforderung von anderen begangenen, strafbedrohten Handlungen bestraft wird, und zwar nicht als Anstifter, sondern wie ein Anstifter. Jedoch bedingt die enge Anlehnung an § 26, dass sich die Deliktsqualifikation (§ 12) bei § 111 Abs. 1 nach der Tat richtet, zu der aufgefordert worden ist.

62

Von § 111 werden auch dem Fall des agent provocateur vergleichbare Fallgestaltungen erfasst; ein auf Tatvollendung gerichteter Wille wird nicht vorausgesetzt (Rdn. 66). 5 6 Das ist durch die Erwägung gerechtfertigt, dass mit der Erreichung potentieller Adressaten der Aufforderung die für § 111 spezifische Gefahr (vgl. Rdn. 5) eintritt. Dreher (FS Gallas, S. 307, 313) will derartige Fälle nach den Grundsätzen der nicht ernst gemeinten Aufforderung (vgl. Rdn. 22 f) behandelt sehen.

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55

56

Vgl Nehm JR 1993 120: „mit unverhohlenem Widerwillen". So auch Fischer Rdn. 6; Horn/Wolters SK

Rdn. 7; Lackner/Kühl Rdn. 6; Plate ZStW 84 (1972) 2 9 4 , 3 0 3 ; aA Sch/Schröder/Eser Rdn. 17.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

64

e) Erfolglose Aufforderung (Absatz 2). Die Regelung des Absatzes 2, die den Fall der erfolglosen Aufforderung erfasst, greift ein, wenn es aus irgendwelchen Gründen nicht einmal zu einer strafbaren Vorbereitungs- oder Versuchshandlung gekommen ist, wenn der Aufgeforderte schon von sich aus zur Begehung der Tat entschlossen war (RGSt 65 200, 202) oder es sonst an der Kausalität der Aufforderung für die begangene Tat mangelt; ferner, wenn die begangene Tat von der in der Aufforderungserklärung objektivierten Vorstellung des Auffordernden qualitativ erheblich abgewichen ist (vgl. Horn/Wolters SK Rdn. 13). Einzubeziehen ist auch der Fall, dass dem Aufgeforderten entgegen der Vorstellung des Auffordernden bei der Tatbegehung ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht (Sch/Schröder/Eser Rdn. 21; Maurach/Schroeder/Maiwald II $ 93 Rdn. 9). Absatz 2 erfüllt eine ähnliche Funktion wie § 30 gegenüber § 26.

65

Für den Fall der erfolglosen Aufforderung sieht Absatz 2 eine eigenständige Strafdrohung - Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe - vor. Diese Regelung ist bedeutsam für die Fälle der erfolglosen Aufforderung zu Taten, die mit einer erhöhten Mindeststrafe oder einem fünf Jahre übersteigenden Höchstmaß bedroht sind. In Fällen, in denen für das angesonnene Delikt zeitige Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren angedroht wird, ist die Strafe im Höchstmaß weiter begrenzt: Die Strafe darf nicht schwerer sein als die für den Fall der erfolgreichen Aufforderung angedrohte und nach $ 49 Abs. 1 Nr. 2 geminderte Strafe; es darf also höchstens auf drei Viertel des für das vollendete Delikt angedrohten Höchstmaßes erkannt werden (vgl. Bericht 14. StRÄndG BTDrucks. 7/4549 S. 8; Prot. 7/ 2247; Laufhütte MDR 1976 445). Insoweit findet auch bei der erfolglosen Aufforderung trotz an sich eigenständiger Strafdrohung das Anstiftungselement mit der es kennzeichnenden Beziehung zur angesonnenen Tat zugunsten des Auffordernden beschränkt Berücksichtigung. Die erfolglose Aufforderung trägt Vergehenscharakter. Bei der konkreten Strafbemessung innerhalb des von Absatz 2 abgegrenzten Strafrahmens wird sich der durch die Höhe der Strafdrohung bestimmte Stellenwert der angesonnenen Tat im allgemeinen Strafrahmengefüge als Orientierungsmaßstab anbieten (vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 21). ΙΠ. Subjektiver Tatbestand

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Für den inneren Tatbestand ist Vorsatz erforderlich; bedingter Vorsatz genügt. Der Vorsatz muss sich insbesondere auch auf die Modalitäten der Tatbegehung (öffentlich) usw. erstrecken. Er muss sich auf eine hinreichend bestimmte sowie vorsätzliche Tat des Aufgeforderten beziehen, braucht jedoch nicht auf Tatvollendung der animierten Tat gerichtet sein (Horn/Wolters SK Rdn. 7; aA Sch/Schröder/Eser Rdn. 17). Der Auffordernde braucht die Tat nicht ernstlich zu wollen; er muss jedoch zumindest billigend in Kauf nehmen, dass seine Aufforderung ernst genommen wird (OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003 327, 328; Rdn. 22). Bedingter Vorsatz ist sowohl hinsichtlich der Modalität der Tatbegehung als auch hinsichtlich des Gegenstands der öffentlichen Aufforderung, der angesonnenen Tat, ausreichend (OLG Karlsruhe Die Justiz 1991 200 für eine öffentliche Aufforderung zur Verletzung amtlicher Bekanntmachungen; OLG Celle NJW 1988 1101, 1102; OLG Karlsruhe Die Justiz 1989 65; Geerds JR 1988 436 für Aufrufe zur Beschädigung von Volkszählungsbögen). Die abweichende, nicht näher begründete Auffassung von Sch/Schröder/Eser Rdn. 17, die hinsichtlich der Begehung der rechtswidrigen Tat durch einen anderen einen zielgerichteten Willen (Absicht) des Auffordernden verlangen, findet in § 111 keine ausreichende Stütze. Weder der Gesetzeswortlaut noch die Auslegung der Vorschrift ergeben, dass bzgl. der Deliktsverwirklichung eine besonders qualifizierte Form der Willensrichtung vorliegen müsse (vgl. Fischer § 15 Rdn. 5). Der

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Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

§ Iii

Vorsatz, der dem eines Anstifters gleichzustellen ist, erfordert keine Kenntnis der Strafrechtswidrigkeit der angesonnenen Tat; es genügt, dass der Auffordernde sich des tatsächlichen Inhalts seiner Aufforderung bewusst ist. 57 Ein Irrtum über die Umstände, die für die Rechtswidrigkeit der Haupttat maßgeblich sind, lässt den Vorsatz entfallen.58 Ein (Bewertungs-)Irrtum über die Rechtswidrigkeit der angesonnenen Tat als solche betrifft dagegen lediglich das Unrechtsbewusstsein und ist Subsumtionsirrtum (Verbotsirrtum) 59 und schließt nicht den Vorsatz aus (Rdn. 69). Im Übrigen kommt einem Irrtum des Auffordernden Bedeutung nach den allgemeinen, zu § 16 entwickelten Grundsätzen zu. IV. Rechtswidrigkeit Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe werden bei einer Tat nach § 111 keine prakti- 6 7 sehe Bedeutung erlangen. Auch der rechtfertigende Gesichtspunkt der prozessual zulässigen Verteidigung bzw. des Verteidigungszusammenhangs (vgl. BGHSt 29 99, 105 ff) wird zur Rechtfertigung einer Aufforderung nach § 111 allenfalls ausnahmsweise in Betracht kommen (BGHSt 31 16, 22 m. krit. Anm. Gössel JR 1983 118). Prozesserklärungen eines Angeklagten, die Aufrufe zu rechtswidrigen Taten enthalten, überschreiten in der Regel den Rahmen zulässiger Verteidigung. Ihr imperativer Charakter deutet darauf hin, dass sie nicht der Rechtfertigung begangenen Unrechts dienen, sondern auf Nutzung der Öffentlichkeitswirkung zielen und ohne jegliche Beeinträchtigung der Verteidigung unterbleiben können. Ob Fortsetzungsparolen strafbaren Inhalts (BGHSt 31 16, 20 ff), die werbenden Charakter für eine kriminelle Vereinigung (§ 129) enthalten, noch im rechtfertigenden Gesamtzusammenhang des Verteidigungsvorbringens gesehen werden können (so BGH 31 16, 22; aA Gössel JR 1983 119 f), erscheint jedenfalls zweifelhaft, wenn durch solche Prozesserklärungen weitere Straftatbestände wie §§ 111, 140 erfüllt werden. Aufforderungen zu rechtswidrigen Taten sind nicht schon dann straflos, wenn sie „im Rahmen" sonst zulässiger Prozesserklärungen abgegeben werden (vgl. Rogall KKOWiG § 116 Rdn. 30). Derartige Aufforderungen nach § 111 überschreiten auch die Grenzen erlaubter Verteidigertätigkeit (BGHSt 32 243, 247; 29 106). Bei mit dem Mandanten abgesprochenen Pressemitteilungen des Verteidigers, die derart überzogene Prozesserklärungen wiedergeben, kommt im Falle ihrer Veröffentlichung Beihilfe zu einer strafbaren Aufforderung nach § 111 in Betracht (Rdn. 26; aA BGHSt 31 16, 23). Abzulehnen sind Versuche, unmittelbar aus Art. 5 GG einen Rechtfertigungsgrund 6 8 abzuleiten (LG Mainz NJW 2000 2220, 2221 zu Art. 5 Abs. 3 GG; Fischer Rdn. 5a; aA Kissel, S. 235 ff, 265 ff). Richtig ist indes, dass Freiheitsverbürgungen für die Anwendung des §111 eine Rolle spielen, sei es, dass bei der Bewertung eines Verhaltens Berücksichtigung findet, dass harsche Willenskundgaben nicht zwingend zu einer Straftat auffordern wollen, sondern legitime Mittel im Meinungskampf, zumal bei grundlegenden, die Gesellschaft berührenden Fragen, darstellen können (vgl. LG Berlin NJ 2000 660, 661 zum Kosovo-Krieg); sei es, dass die Beurteilung des Unrechtsbewusstseins vor der verfassungsrechtlichen Folie des Art. 5 Abs. 1 GG zu erfolgen hat (dazu Rdn. 69).

57 58

Vgl. Fischer Rdn. 6; Lackner/Kühl Rdn. 6. AG Tiergarten NStZ 2000 144, 146 mit Anm. Hassels NStZ 2000 650, 651; Kindhäuser LPK Rdn. 12.

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Rdn. 69 - vgl. Busse NStZ 2000, 634; Dreher FS Gallas, S. 307, 327; Wetzel Strafrecht, S. 500.

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§ 111

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

V. Schuld 69

Für einen Verbotsirrtum ist kein Raum, wenn es sich bei der strafbaren Aktion, zu der aufgefordert wird, um eine gezielte Normverletzung als Mittel der politischen Auseinandersetzung handelt. Die irrige Annahme des Auffordernden, das Verhalten, zu dem er aufgerufen hat, sei keine Straftat, betrifft lediglich das Unrechtsbewusstsein und kann nur einen Verbotsirrtum begründen (OLG Celle NJW 1988 1101, 1102). Bei breiter öffentlicher Diskussion der Strafrechtswidrigkeit der angesonnenen Tat und weitgehend geklärter Rechtslage (z.B. Volkszählungsboykott nach dem zweiten Volkszählungsgesetz 1987, Rdn. 15) wird in der Regel der Verbotsirrtum als vermeidbar angesehen werden können (Bosch MK Rdn. 31; Geerds JR 1988 436). Ist die Rechtslage aber diffus und nicht hinreichend geklärt, ist die Frage komplexer. Sie wurde bei Aufforderungen zur Fahnenflucht im Kosovo-Krieg aktuell, der ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates völkerrechtlich zumindest zweifelhaft war und als denkbarer Angriffskrieg auch keine Strafbarkeit der Fahnenflucht nach § 16 Abs. 1 bzw. § 19 Abs. 1 WStG hätte auslösen können (§ 22 Abs. 1 Satz 1 WStG). Entsprechend hätte die Agitation, sich als Soldat nicht am Jugoslawien-Krieg zu beteiligen, nicht zu einer Straftat aufgerufen.60 In solchen Situationen kann ein unvermeidbarer Verbotsirrtum angenommen werden. Bei zweifelhafter Sachlage kann den Betroffenen nicht zugemutet werden, auf politische Teilhabe an einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage zu verzichten (aA Busse NStZ 2000 634; Paeffgen NK Rdn. 37: bedingtes Unrechtsbewusstsein), wobei mit Blick auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung schon in Frage steht, ob überhaupt eine Aufforderung zu einer Straftat, nämlich der Desertion, anzunehmen ist oder nicht eher eine zugespitzte Form im Meinungskampf (so mit guten Gründen LG Berlin NJ 2000 660, 661).

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Wenn der Auffordernde bei zutreffender Erfassung des Unrechtsumfangs seines Verhaltens irrig davon ausgeht, seine Tat sei eine Ordnungswidrigkeit, sein Verhalten sich indes als Straftat erweist, kommt ein Verbotsirrtum nicht in Betracht (vgl. OLG Celle NJW 1987 78, 79; Herzberg GA 1993 439, 454; Lackner/Kühl § 17 Rdn. 2). Das ist etwa der Fall, wenn der Auffordernde die angesonnene Tat irrig als Ordnungswidrigkeit nach dem BStatG und nicht als eine strafbare Handlung nach § 303 ansieht, sein Verhalten also in Wahrheit nicht lediglich eine Ordnungswidrigkeit nach § 116 OWiG darstellt, sondern als strafbare Aufforderung nach § 111 erscheint (OLG Düsseldorf MDR 1989 89). VI. Täterschaft und Teilnahme

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Die Teilnahme an Taten nach § 111 Abs. 1 und Abs. 2 ist im Hinblick auf den eigenständigen Tatbestandscharakter dieser Vorschrift und deren Ausgestaltung als eigener Unrechtstyp möglich. Sie richtet sich nach den allgemeinen Regeln (§§ 26, 27). 61 Paeffgen will mit dem kriminalpolitischen Einwand des übersetzten Strafrahmens die Beihilfe zu § 111 Abs. 2 von der Strafbarkeit ausnehmen (NK Rdn. 45). Der Hinweis auf § 30 gerät jedoch schief. Denn es geht nicht um die versuchte Beihilfe, die § 30 auch bei Verbrechen nicht kennt, sondern um die Beihilfe zum Versuch. Mit dem Gesetz lässt sich ein

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Vgl. eingehend Busse NStZ 2 0 0 0 631 ff; Jahn KJ 2 0 0 0 4 9 2 ; LG Berlin NJ 2 0 0 0 660, 661; offengelassen durch KG N J W 2 0 0 1 2 8 9 6 2897.

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So zur Beihilfe BGHSt 2 9 258, 2 6 6 f; Horn/ Wolters SK Rdn. 9a; Lackner/Kühl Rdn. 9.

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Öffentliche Aufforderung zu Straftaten

§111

Abweichen von den allgemeinen Regeln nicht begründen. Soweit die Aufforderungsdelikte (§§ 111, 130) als Presseinhaltsdelikte begangen werden, kommt der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme besondere Bedeutung zu. Die pressestrafrechtlichen Sondertatbestände greifen nur ein, soweit eine Bestrafung als Täter oder Teilnehmer nach den allgemeinen Strafgesetzen wegen fehlender Voraussetzungen ausscheidet. Mittäterschaft kommt in Betracht bei gemeinschaftlicher Plakatierungsaktion (vgl. BGHSt 19 3 0 8 , 310); ferner im Verhältnis zwischen (außen stehendem) Verfasser bzw. Einsender einer schriftlichen Aufforderung strafbaren Inhalts (z.B. Bekennerschreiben, Kampfaufrufe etc.) und dem jeweiligen Presseverantwortlichen (Herausgeber, Verleger, für die Veröffentlichung verantwortlicher Redakteur einer periodischen Druckschrift), vorausgesetzt, dass der unkommentierte Zeitungsbeitrag zugleich als eigene Meinungsäußerung der verantwortlichen Redaktionsmitglieder aufgefasst werden kann. Ist letzteres nicht nachweisbar, so ist der Verfasser bzw. Einsender als mittelbarer Täter (§ 2 5 Abs. 1 2 . Alt., Begehung mittels der Presse), der verantwortliche Redakteur als Gehilfe des (außen stehenden) Verfassers strafbar (Rdn. 2 8 ) . Hat der für die Veröffentlichung unmittelbar Verantwortliche im Falle einer Zeitungsanzeige mit strafbarer Aufforderung (OLG Karlsruhe N S t Z 1 9 8 8 416, 417) von dem strafbaren Inhalt fahrlässig keine Kenntnis genommen, so ist der Anzeigenaufgeber mittelbarer Täter, die Strafbarkeit des Redakteurs wegen fahrlässiger presserechtlicher Sorgfaltspflichtverletzung richtet sich nach dem pressestrafrechtlichen Sondertatbestand des § 2 0 Abs. 2 LPG. Stellt ein Einsender der Redaktion einen selbstverfassten Artikel oder eine entsprechende Pressemitteilung strafbaren Aufforderungscharakters als Material zur Verfügung, die der verantwortliche Redakteur nach eigener Entschließung abändert und verarbeitet, so kommt bei dem Einsender in erster Linie Anstiftung oder u.U. auch Beihilfe zu dem Aufforderungsdelikt des Redakteurs in Betracht (vgl. O L G Frankfurt StV 1 9 9 0 2 0 9 ; Löffler/Kühl LPG § 2 0 Rdn. 85), soweit sich der abgedruckte Beitrag im Wesentlichen im Rahmen der in der eingesandten Schrift objektivierten Vorstellung des Einsenders hält. Die Veröffentlichung des Textes einer öffentlich gehaltenen Rede, die zu rechtswidrigen Taten auffordert, stellt sich für den Redner als neue oder fortgesetzte Tathandlung nach § 111 durch die abgesprochene öffentliche Verbreitung, für den Redakteur als Beihilfe hierzu dar (vgl. Hanack L K 1 1 § 140 Rdn. 35). Der Drucker ist in der Regel, sofern er von dem Inhalt des Druckwerks überhaupt Kenntnis nimmt, unter Berücksichtigung der begrenzten betriebsinternen Verantwortung - vor allem für die drucktechnische Herstellung - lediglich als Gehilfe anzusehen (vgl. B G H N J W 1981 61, 6 3 ; Löffler/Kühl LPG § 2 0 Rdn. 9 2 ) . Insoweit bedarf es indes einer besonders genauen Prüfung der subjektiven Voraussetzungen strafbarer Beihilfe.

m

Rücktritt

Ein strafbefreiender Rücktritt ist nicht möglich. 6 2 § 111 enthält keine Rücktrittsvorschrift. Das erscheint letztlich folgerichtig. Hebt man unter dem Gesichtspunkt der Friedensstörung auf eine gewisse Eigenständigkeit des § 111 ab, so könnte in dem späteren Widerruf schon deshalb kein Rücktritt gesehen werden, weil die Tat mit der Aufforderung und Kenntnisnahme durch einen Aufgeforderten vollendet ist. Räumt man dagegen dem Anstiftungselement den Vorrang ein und stellt auf eine Vergleichbarkeit mit der

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Fischer Rdn. 8; Kindhäuser LPK Rdn. 19; Weidner S. 199; Prot. 7/2239.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

Gestaltung der Vorschrift des § 30 ab, so könnte bei § 111 Abs. 2 eine entsprechende Anwendung des § 31 erwogen werden. 63 Eine solche Rücktrittsmöglichkeit wird jedoch in der Regel schon aus praktischen Gründen ausscheiden, weil der Auffordernde bei öffentlicher oder quasi-öffentlicher Begehung zu einer späteren Einflussnahme und Steuerungsmöglichkeit im Sinne einer Tatverhinderung gar nicht in der Lage ist (vgl. Reg. Entw. eines 13. StRÄndG BTDrucks. 7/3030 S. 7; Dreher FS Gallas, S. 307, 313). Dieser letztere Gesichtspunkt war mitbestimmend für die Herabsetzung der Strafrahmenuntergrenze mit der Folge der gesetzlichen Verselbständigung des § 111 Abs. 2. Die entsprechenden Erwägungen gelten auch für die abweichende, weitergehende Auffassung von Horn/Wolters (SK Rdn. 3), nach der sich der Auffordernde in entsprechender Anwendung des § 24 Abs. 2 Straffreiheit verschaffen können soll, solange die angesonnene rechtswidrige Tat eines anderen nur bis zum strafbaren Versuch gediehen ist. Die über den hier konkret handelnden Anderen weit hinausgehende öffentliche bzw. quasi-öffentliche Einwirkung des Auffordernden ist vollendet, die ihr innewohnende Gefährlichkeit für den Rechtsfrieden hat sich in dem strafbaren Versuchshandeln manifestiert; für Rücktrittserwägungen ist kein Raum.

V i n . Konkurrenzen 74

Werden infolge der Aufforderung mehrere strafbare Handlungen begangen, so ist dennoch nur eine Tat im Sinne des § 111 Abs. 1 gegeben. Begeht der Auffordernde auch selbst die Tat, zu der er auffordert, tritt § 111 unbeschadet der zusätzlichen Rechtsgutbeeinträchtigung im Hinblick auf den inneren Gemeinschaftsfrieden als mitbestrafte Begleittat zurück. 64

75

Soweit eine tatbestandliche Überschneidung mit der Anstiftung in Ausnahmefällen überhaupt möglich erscheint, ist im Verhältnis zu §§ 26, 30 im Hinblick auf die Beeinträchtigung des zusätzlichen Rechtsguts in § 111 (Gemeinschaftsfrieden) Tateinheit anzunehmen. 65 Solch eine Tateinheit mit §§ 26, 30 kommt in Betracht, wenn sich der Auffordernde zugleich an bestimmte und unbestimmte Adressaten wendet (Rdn. 9 ff).

76

Tateinheit ist möglich mit §§ 80a, 89 und 130 Abs. 2 Nr. 1. Auch mit § 125 (3. Alternative - Einwirken auf eine Menschenmenge) ist Tateinheit möglich; jedoch tritt § 125 aufgrund der gesetzlichen Subsidiaritätsregelung zurück, wenn die Straftat, zu der aufgefordert wird, schwerer bestraft wird als der Landfriedensbruch (§ 125: „soweit die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwerer Strafe bedroht ist"). Ferner mit § 129, wenn der Auffordernde zur Begehung von die spezifischen Vereinigungszwecke kennzeichnenden und fördernden Straftaten öffentlich auffordert. Tateinheit mit § 130a kommt in Betracht, wenn die Anleitung im Sinne eines weitergehenden Angriffs auf das geschützte Rechtsgut (öffentlicher Frieden) über die Aufforderung hinausgeht; bei Deckungsgleichheit des Gegenstands der Anleitung und Aufforderung tritt § 130a zurück. 66

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Bosch MK Rdn. 34; Paeffgen NK Rdn. 41; Sch/Schröder/Eser Rdn. 17. Fischer Rdn. 9; Horn/Wolters SK Rdn. 10; Schroeder Straftaten S. 30; offengelassen für § 129: BGHSt 31 16, 22; aA v. Bubnoff LK 11 Rdn. 32. Dreher FS Gallas, S. 307, 324; Fischer Rdn. 9; Kindhäuser LPK Rdn. 21; Sch/Schrö-

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der/Eser Rdn. 23; aA Geerds JR 1988 435; Horn/Wolters SK Rdn. 10; Lackner/Kühl Rdn. 10; BGH 2 StR 6 9 9 / 7 7 v. 15.3.1978: Subsidiarität. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben § 130a Rdn. 12; Rudolphi/Stein SK § 130a Rdn. 21; aA Rogall GA 1979 11, 21: generelle Subsidiarität.

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Im Verhältnis zu § 111 gehen als lex specialis vor: § § 5 2 Abs. 1 Nr. 4, 40 Abs. 1 7 7 WaffG - Aufforderung zur Herstellung von Molotow-Cocktails etc.; § 23 VersG - Aufforderung zu Ordnungswidrigkeiten nach § 29 I Nr. 1, 3 VersG: Während die Teilnahme an einer untersagten oder aufgelösten Versammlung eine Ordnungswidrigkeit darstellt, schlägt bei der öffentlichen Aufforderung zu dieser die Qualität der akzessorischen Handlung in eine Straftat um (vgl. Kunert NStZ 1989 455). IX. Strafantrag, Verjährung Eines Strafantrags oder der Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der 7 8 Strafverfolgung bedarf es bei § 111 schon angesichts der zweifachen, zugleich auf den inneren Frieden der Gemeinschaft bezogenen Schutzrichtung (Rdn. 5) nicht, auch wenn zu Straftaten wie §§ 303, 223 aufgefordert wird, die ihrerseits nur bei Vorliegen einer dieser Voraussetzungen (§§ 303c, 232) verfolgbar sind (OLG Stuttgart NJW 1989 1939, 1940). 67 Die Aufforderungsdelikte sind als Presseinhaltsdelikte begehbar (Löfßer/Kühl LPG 7 9 § 20 Rdn. 54, vgl. Rdn. 27). Gegebenenfalls richtet sich die Verjährung nach den Pressegesetzen der Länder; s. Erl. zu § 78.

§ 112

(weggefallen)

§ 113 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet oder ihn dabei tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn 1. der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe bei sich führt, um diese bei der Tat zu verwenden, oder 2. der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt. (3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig.

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AA Horn/Wolters SK Rdn. 9b aufgrund der unterschiedlichen Rechtsgutbetrachtung.

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§ 113

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

(4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 4 9 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 4 9 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.

Schrifttum Amelung Die Rechtfertigung von Polizeivollzugsbeamten, JuS 1986 329; Backes/Ransiek Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, JuS 1989 624; Baumann/Frosch Der Entwurf eines 3. StrRG, J Z 1970 113, 117 ff; Benfer Zum Begriff „Rechtmäßigkeit der Amtshandlung" in § 113 III StGB, NStZ 1985 255; Bergmann Die Milderung der Strafe nach § 49 II StGB, zugl. ein Beitrag zu § 113 Abs. 4 StGB (1988); Born Kann auf die Zuziehung von Zeugen bei der Durchsuchung durch Polizeibeamte (§ 105 Abs. 2 StPO) wirksam verzichtet werden? JR 1983 52; Deiters Rechtsgut und Funktion des § 113 StGB, GA 2002 259; Denninger Polizei und demokratische Politik, JZ 1970 145; Dreher Das 3. StrRG und seine Probleme, NJW 1970 1153, 1156 ff; ders. Die Sphinx des § 113 Abs. 3, 4 StGB, Gedächtnisschrift Schröder (1978) 359; ders. Nochmals zur Sphinx des § 113 StGB, JR 1984 401; Erb Notwehr gegen rechtswidriges Verhalten von Amtsträgern, Festschrift Gössel (2002) 217; Erichsen Polizeiliche Standardmaßnahmen, Jura 1993 45; Falk Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ein praxisbezogenes Forschungsprojekt (2000); Geerds Über strafprozessuale Maßnahmen, insbesondere Entnahme von Blutproben bei Verdacht der Trunkenheit am Steuer, GA 1965 321; ders. Einzelner und Staatsgewalt im geltenden Strafrecht (1969); Geppert Zum strafrechtlichen „Rechtmäßigkeits"-Begriff (§ 113 StGB) und zur strafprozessualen Gegenüberstellung, Jura 1989 274; Götz Die Entwicklung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts, NVwZ 1984 211; Günther Der Begriff der Rechtmäßigkeit einer Vollstreckungshandlung, NJW 1973 311; Herzberg Der Privatdetektiv, JuS 1973 234; ders. Handeln in Unkenntnis einer Rechtfertigungslage, JA 1986 190; Hilger Neues Strafverfahrensrecht durch das OrgKG, NStZ 1992 457, 523; Hippel/Weiß Eingriffsqualität polizeilicher Observierungen, JR 1992 316; Hirsch Zur Reform der Reform des Widerstandsparagraphen (§ 113), Festschrift Klug (1983) 235; Jellinek Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen (1908); Keller/Griesbaum Das Phänomen der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, NStZ 1990 416; Kleinknecht Die Anwendung unmittelbaren Zwangs bei der Blutentnahme, NJW 1974 2181; Kniesel Die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, NJW 1992 857; Kormann System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte (1910, Neudruck 1962); Küper Die „pflichtgemäße Prüfung" bei der Zuziehung von Durchsuchungszeugen, NJW 1971 1681; ders. Die Bedeutung des § 105 II StPO für die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung (§ 113 III StGB), J Z 1980 633; Lenz Die Diensthandlung und ihre Rechtmäßigkeit in § 113 StGB, Diss. Bonn 1987; Lisken Über Aufgaben und Befugnisse der Polizei im Staat des Grundgesetzes, ZRP 1990 15; Lüke Die Bedeutung vollstreckungsrechtlicher Erkenntnisse für das Strafrecht, Festschrift Arthur Kaufmann (1993) 565; Maul Demonstrationsrecht und allg. Strafbestimmungen, JR 1970 81; Meyer Begriff der Rechtmäßigkeit einer Vollstreckungshandlung, NJW 1972 1845; 1973 1074; Möbius Die Funktion des Straftatbestands des § 113, Diss. Regensburg 1985; Naucke Straftatsystem und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 3 und 4), Festschrift Dreher (1977) 459; ders. Die Duldungspflicht gegenüber rechtswidrigem hoheitlichen Handeln im Strafrecht (1996); Niehaus/Achelpöhler Anm. zum Beschluss des BVerfG vom 30.4.3007 - 1 BvR 1090/06, StV 2008 71; Oppe Rechtmäßige Amtsausübung bei Widerstand gegen die Vollstreckungshandlung, MDR 1961 196; Ostendorf Die strafrechtliche Rechtmäßigkeit rechtswidrigen hoheitlichen Handelns, J Z 1981 165; Faeffgen Allgemeines Persönlichkeitsrecht der Polizei u. § 113 StGB, J Z 1979 516; Festalozza Die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung in § 113 StGB, DStR 1939 34; Plonka Zulässigkeit und Grenzen der Freiheitsentziehung und Durchsuchung bei der (allein) beabsichtigten Blutentnahme gem. § 81a StPO, PVT

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 1984 141; Rehbinder Die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung in § 113, GA 1963 33; Reil Die „wesentliche Förmlichkeit" beim Rechtmäßigkeitsbegriff des § 113 III StGB, JA 1998 143; Reinhart Das Bundesverfassungsgericht wechselt die Pferde: Der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff, StV 1995 101; ders. Abschied vom strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff, NJW 1997 911; Rogall Das Notwehrrecht des Polizeibeamten, JuS 1992 551; ders. Moderne Fahndungsmethoden im Licht gewandelten Grundrechtsverständnisses, GA 1985 1; Rostek Der unkritische Befehlsempfänger, NJW 1975 862; Roxin Der strafrechtliche Rechtswidrigkeitsbegriff beim Handeln von Amtsträgern - eine überholte Konstruktion, Festschrift Pfeiffer (1988) 45; Sander Können „unbeteiligte" Dritte i.S.d. 113 Abs. 1 StGB Widerstand leisten? JR 1995 491; Sax Tatbestand und Rechtsgutverletzung, J Z 1976 9 ff, 15 ff, 80 ff, 429 ff; Schall Gesetzliche Grundlagen der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung beim Widerstand gegen die Staatsgewalt, Diss. Heidelberg 1980; Schmid Schutzzweck und Stellung des § 113 StGB im System der Straftatbestände, J Z 1980 56; Schünemann Rundum betrachtet, JA 1972 703, 775; ders. Die Funktion der Abgrenzung von Unrecht und Schuld, in Schünemann u. Dias (Hrsg.) Bausteine des europäischen Strafrechts, Coimbra-Symposium für Claus Roxin (1995) 149; Schumann Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung der anderen (1986); H. Seebode Die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung in § 113 Abs. 3 und 4 StGB (1988); M. Seebode Gezielt tödlicher Schuß, StV 1991 80; Seier Gesetzeseinheit und ihre Rechtsfolgen, Jura 1983 232; Steinke § 163 Abs. 1 StPO, eine Generalermächtigung für polizeiliche „Eingriffe"? MDR 1980 456; Stockei Ungeklärte Notwehrprobleme beim Widerstand gegen die Staatsgewalt, JR 1967 281; Stratenwerth Verantwortung und Gehorsam (1958); Stree Zu OLG Frankfurt NJW 1987 389 - Vollstreckungstätigkeit, JuS 1988 187; Thiele Zum Begriff der Rechtmäßigkeit bei § 113 Abs. 3 StGB, JR 1975 353; ders. Verbotensein und Strafbarkeit des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, JR 1979 397; Triffterer Zur subjektiven Seite der Tatbestandsausschließungs- und Rechtfertigungsgründe, Festschrift Oehler (1985) 209; ders. Ein rechtfertigender (Erlaubnistatbestands-)Irrtum? Irrtumsmöglichkeiten beim polizeilichen Einsatz und deren dogmatische Einordnung, Festschrift Mallmann (1978), S. 373; Vitt Gedanken zum Begriff der „Rechtmäßigkeit der Diensthandlung" bei § 113 StGB, ZStW 106 (1994), 581; Wagner Die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung, JuS 1975 224; ders. Amtsverbrechen (1975); Warda Irrtumslehre 3, Jura 1979 113; Weber Grundgesetz und formeller Rechtmäßigkeitsbegriff - BVerfGE 92, 191, JuS 1997 1080; Welp Der Amtsträgerbegriff, Festschrift Lackner (1987) 761; Werle Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, JuS 1993 935; Zopfs Der „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" als privilegierte Form der „Nötigung" oder der „Körperverletzung"? GA 2000 527. Vgl. weiter die Vorbemerkung zum 6. Abschnitt.

Entstehungsgeschichte § 113 ist durch das 3. StrRG neu gefasst worden. 1 Im Anschluss an die Beratungen der Großen Strafrechtskommission sah der Ε 1 9 6 2 in den §§ 418 und 419 von dem Widerstandsbegriff ab und wollte einerseits die Nötigung zur Vornahme sowie andererseits die Nötigung zur Unterlassung (Nichtvornahme) einer Diensthandlung bestrafen, ohne besonders auf einen Vollstreckungsbeamten abzustellen. Der tätliche Angriff sollte ebenso wie früher erfasst werden (§ 419 Abs. 3); infolge der geänderten Begriffsbestimmung erwies es sich als notwendig, den Versuch in die Strafbarkeit einzubeziehen (§§ 418 Abs. 2 und 419 Abs. 2); besonders schwere Fälle, für die Regelbeispiele aufgestellt wurden, sollten härter bestraft werden (§ 4 2 2 ) ; schließlich trug man dem Schuldgedanken (vgl. BVerfGE 2 0 323, 331) durch eine entsprechende Irrtumsregelung in § 419 Abs. 5 Rechnung (vgl. zu allen geplanten Änderungen des § 113 die Begründung zum Ε 1962 S. 6 0 2 ff). Der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform des Bundestags in der

1

Zur geschichtlichen Entwicklung s. die DarStellung bei Liszt/Schmidt § 171 I; Möbius

Funktion des § 113 S. 2 ff; Paeffgen NK Rdn. 1; H. Seebode S. 4 ff.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

5. Wahlperiode behandelte diesen Vorschlag im März 1969 und gelangte zu den sog. Garmischer Beschlüssen; sie entsprachen weitgehend dem Ε 1962 (zusammengefasst in dem Protokoll über die 150. Sitzung, V/3398 ff). Das Gesetz kam aber damals nicht mehr zustande. Im neuen Bundestag legten die Fraktionen der SPD und FDP einen neuen Entwurf vor, der sich im Absatz 1 des § 113 näher an die alte Fassung anschloss, also auf die Leistung von Widerstand mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt abstellte, nur die Vollstreckungsbeamten einbezog und die ersatzlose Streichung des § 114 vorsah; der tätliche Angriff fehlte jedoch. Demgegenüber hielt der Gegenentwurf der CDU/CSU an der im Ε 1962 und den Garmischer Beschlüssen vorgesehenen Nötigung im wesentlichen fest. Der neugebildete Sonderausschuss für die 6. Wahlperiode beriet darüber und gelangte schließlich zu einem von der großen Mehrheit gebilligten Kompromiss, soweit es sich um die früheren §§ 113 und 114 handelte (Schriftl. Ber., BTDrucks. VI/502 S. 3 ff). Das Ergebnis wurde vom Bundestag zum Gesetz erhoben. § 113 wurde unter dem Gesichtspunkt der Vereinheitlichung des Sprachgebrauchs durch Art. 18 Nr. 43 des EGStGB vom 2.3.1974 (BGBl. I S. 469) neu gefasst (vgl. Ε EGStGB, BTDrucks. 7/550 Begr. S. 219). Mit dem 6. StrRG vom 26.1.1998 (BGBl. I S. 164) wurde in der Beschreibung des besonders schweren Falles des § 113 Abs. 2 Satz 2 der Begriff der „schwere Körperverletzung" durch den Begriff der „schweren Gesundheitsschädigung" ersetzt, weil der Schutz der körperlichen Unversehrtheit eine Erweiterung über die sehr spezielle schwere Körperverletzung des heutigen § 226 (§ 224 a.F.) hinausgehend erfahren sollte. Auf die konkrete Gefahr einer der in § 226 umschriebenen Folgen sollte es nicht mehr ankommen (vgl. Ε 6 StrRG, BTDrucks. 13/8587 Begr. S. 27 f).

Übersicht Rdn. I. Grundlagen 1 1. Regelungsübersicht 1 2. Rechtsgut 3 3. Dogmatik des § 113 5 a) Privilegierender Spezialfall 5 b) Deliktsnatur 6 4. Praktische Bedeutung 7 Π. Objektiver Tatbestand 10 1. Übersicht 10 2. Geschützte Personen 11 a) Begriff des Amtsträgers und Soldaten 11 b) Inländische Amtsträger 13 c) Vollstreckungsbeamter - Begriff und Kriterien 15 aa) Beispiele 16 bb) Vollstreckungstätigkeit von Soldaten 17 3. Vollstreckungshandlung 18 a) Begriff der Vollstreckungshandlung . 18 b) Rechtsprechungsbeispiele 19 c) Beginn und Ende der Vollstreckungshandlung 20 4. Tathandlungen 21 a) Widerstand 22 b) Gewalt 23 c) Rechtsprechungsbeispiele 24 d) Drohung mit Gewalt 25 e) Tätlicher Angriff 26 5. Rechtmäßigkeit der Diensthandlung . 27

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Rdn. a) Dogmatische Einordnung des Rechtmäßigkeitsbegriffs 28 aa) Tatbestandsmerkmal 30 bb) Objektive Strafbarkeitsbedingung 31 cc) Rechtfertigungselement 32 b) Inhaltliche Bestimmung 34 aa) Strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff 35 bb) Verwaltungsrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff 36 cc) Vollstreckungsrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff 37 dd) Diskussion 38 c) Einzelne Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen 42 aa) Sachliche Zuständigkeit . . . . 43 bb) Örtliche Zuständigkeit 44 cc) Einhaltung wesentlicher Förmlichkeiten 45 dd) Vollziehung von Staatsakten . . 48 ee) Pflichtgemäße Ermessensausübung 50 ff) Rechts- und Tatsachenirrtümer des Amtsträgers 51 gg) Handeln auf Befehl 53 hh) Weitere Beispiele aus der Rechsprechung 54 ii) Eingriffsbefugnisse und Notwehr des Amtsträgers 61

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte Rdn. d) Folgen fehlender Rechtmäßigkeit . . aa) Rechtfertigung des Widerstandes bb) Notwehr bei fehlender Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung e) Folgen bei Rechtmäßigkeit der Diensthandlung ΙΠ. Subjektiver Tatbestand IV. Irrtumsregelung 1. Irrige Annahme der Rechtmäßigkeit (Absatz 3 S. 2) 2. Irrige Annahme der Unrechtmäßigkeit (Absatz 4) a) Vermeidbarer Irrtum b) Unvermeidbarer Irrtum c) Voraussetzungen für die Unvermeidbarkeit d) Folgen des unvermeidbaren Irrtums . e) Irrtum eines Dritten V. Rechtsfolgen 1. Strafrahmen 2. Besonders schwere Fälle a) Erstes Regelbeispiel (Waffe)

62 62

63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 74 75 76

Rdn. aa) Begriff der Waffe bb) Beisichführen cc) Verwendungsabsicht dd) Tat 3. Zweites Regelbeispiel (Gewalttätigkeit mit schwerer Folge) a) Begriff der Gewalttätigkeit b) Verwirklichung durch den Täter . . c) Angegriffener d) Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung . . 4 . Vorsatzerfordernis VI. Konkurrenzen 1. Verhältnis zu § 2 4 0 a) Vollendung, Versuch b) Nötigen zum Unterlassen c) Nötigung außerhalb des Tatbestandes des § 113 d) Nötigung unterhalb des tatbestandlichen Widerstandes e) Irrtum über Amtsträgereigenschaft . 2 . Sonstige Konkurrenzverhältnisse . . . . VII. Recht des Einigungsvertrages

77 79 80 81 82 83 84 85 86 88 89 89 90 91 92 93 96 98 99

I. Grundlagen 1. Regelungsübersicht. § 113 Abs. 1 normiert Tathandlung und Handlungsobjekt 1 und damit den objektiven Tatbestand. Zum Tatbestand des Absatzes 1 gehört, dass einer bereits begonnenen oder unmittelbar bevorstehenden bestimmten Vollstreckungshandlung Gewalt oder Drohung mit Gewalt entgegengesetzt wird, um den Amtsträger zur Unterlassung dieser Vollstreckungshandlung zu nötigen (BGH StV 1983 278 f). Die Absätze 2 bis 4 sind durch das 3. StrRG neu gefasst worden. Nach Absatz 3 ist die Strafbarkeit der Tat gemäß § 113 ausgeschlossen, falls die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Mit der Ausgliederung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung aus der gesetzlichen Verhaltensumschreibung des Absatzes 1 und der Anordnung der Straflosigkeit bei fehlender Rechtmäßigkeit hat der Gesetzgeber die sachliche Funktion dieses Merkmals nicht ändern und seine dogmatische Einordnung nicht festlegen wollen. Ungeachtet dessen lassen sich hieraus wie auch aus der Irrtumsregelung des Absatzes 3 Satz 2 und des Absatzes 4 systematische Folgerungen ziehen (vgl. Rdn. 28 f). Der umgekehrte Irrtum wird in Absatz 3 Satz 2 geregelt; danach begründet die irrige Annahme des Täters, die Vollstreckungshandlung sei rechtmäßig, keine Strafbarkeit. Die Irrtumsvorschrift des Absatzes 4 orientiert sich an der Regelung des Verbotsirrtums, modifiziert diese aber in wesentlichen Punkten und stellt insofern eine komplexe Sonderregelung dar. Durch die Vorschrift des Absatzes 2 werden schließlich besonders schwere Fälle mit Regelbeispielen erfasst. § 113 ist durch Art. 19 Nr. 43 des EGStGB dem vereinheitlichten Sprachgebrauch angepasst worden. Insoweit ist der Begriff des Amtsträgers i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 an die Stelle des Beamtenbegriffs getreten und die Amtshandlung durch den umfassenderen Begriff der Diensthandlung ersetzt worden, der auch die Diensthandlung des Soldaten (vgl. §§ 23, 24, 29 WStG) einschließt (vgl. EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 219). Die komplizierte Regelung, die die Schwierigkeiten der Interessenabwägung sichtbar 2 macht, führt zu dogmatischen Problemfragen, bezüglich derer eine bis in alle Verästelungen stimmige, friktionsfreie Lösung kaum erreichbar erscheint (pointiert Bottke JA Henning Rosenau

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

1980 98: „Rätselecke" für Dogmatiker). 2 Der mit unverminderter Intensität weitergeführte Meinungsstreit über die dogmatische Einordnung des Rechtmäßigkeitsmerkmals (Rdn. 28 ff) hat indes für die praktische Rechtsanwendung nur geringe Bedeutung. Denn das Gesetz hat die einschlägigen Rechtsfolgen im Rahmen einer pragmatischen Lösung des Interessenkonflikts (Absatz 3, 4) abschließend geregelt; die unterschiedliche dogmatische Zuordnung hat keine rechtlichen Folgen mehr. 3 Von maßgeblicher praktischer Bedeutung ist dagegen die ebenfalls kontrovers diskutierte Frage, nach welchen Kriterien die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung zu bestimmen ist (Rdn. 34 ff). Der Sache nach geht es insoweit um eine interessenausgewogene Einschränkung des Widerstandsrechts des Betroffenen (vgl. Bergmann Strafmilderung S. 115; Amelung JuS 1986 335 f; Amelung/Brauer J R 1985 475). 3

2. Rechtsgut. In § 113 geht es um den Schutz der rechtmäßigen Betätigung staatlicher Vollstreckungsgewalt vor Widerstand. Unmittelbares Angriffsobjekt der Tat ist das den Staatswillen verkörpernde und durchsetzende Organ. Die Vorschrift will die Durchführung des Staatswillens und damit auch das staatliche Gewaltmonopol sichern und zugleich die Personen schützen, die zu dessen Vollstreckung berufen sind. 4 Die Gegenauffassung, die ausschließlich die Autorität staatlicher Vollstreckungsakte geschützt sehen will, 5 verkürzt den Schutzzweck der Norm. Sie kann die Alternative des tätlichen Angriffs nicht erklären, bei dem eine Beeinträchtigung der Vollstreckungshandlung gerade nicht erforderlich ist. Dass die individualschützende Komponente besser über die §§ 223, 240 zu erreichen gewesen wäre (Bosch MK Rdn. 2; Paeffgen NK Rdn. 7), lässt sich hören, vernachlässigt aber, dass die scharfe Sanktion des Strafrechts angesichts der Vollstreckungssituation, der sich der Bürger ausgesetzt sieht, milder ausfallen muss. Das wäre aber bei den §§ 223, 240 allenfalls prozessual über die §§ 153 ff StPO erreichbar.

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Bei der Begehungsalternative des Widerstandes steht die Schutzbedürftigkeit der staatl. Vollstreckungsmaßnahme als solcher im Vordergrund. Die Person des Amtsträgers oder Soldaten muss beim Widerstand nicht notwendig in Gefahr gebracht werden. Die Pönalisierung der zweiten Begehungsform (tätlicher Angriff) dient vor allem dem Schutz des Amtsträgers in seiner Stellung als staatliches Vollstreckungsorgan. Auch hinter dieser Begehungsform steht jedoch der Gedanke einer Sicherung staatlicher Vollstreckungstätigkeit, deren Verwirklichung einen besonderen Schutz des Amtsträgers erfordert, der mit seiner Tätigkeit dem staatlichen Gewaltmonopol dient. Deshalb steht dem nicht entgegen, dass der tätliche Angriff zu keiner Beeinträchtigung des Staatsaktes zu führen braucht und dies insoweit vom Täter auch nicht beabsichtigt sein muss. Das staatliche Gewaltmonopol ist das § 113 maßgeblich legitimierende (wenn nicht einzige) Rechtsgut, der legitime Durchsetzungsanspruch des Staates ist nicht nur als mittelbares Schutzgut anzuerkennen.6

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Vgl. Lackner/Kühl Rdn. 18; Geppert Jura 1989 2 7 5 ; Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 505; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 3 7 ; H. Seebode Rechtmäßigkeit S. 105. Arzt/Weber BT § 45 Rdn. 31; Eisele BT I Rdn. 1230; Geppert Jura 1 9 8 9 274, 275; Kindhäuser Rdn. 28; Wessels/Hettinger § 14 III 5 Rdn. 6 3 4 ; unzutreffend Pflieger HK-GS Rdn. 11. BGHSt 21 334, 365; 5 StR 2 4 9 / 5 5 v. 5.7.1955; RGSt 41 82, 85; Eisele Rdn. 1216; Kindhäuser

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Rdn. 2; Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 490; Pflieger HK-GS Rdn. 2; Rengier BT 2 § 5 3 Rdn. 1; Sch/Schroeder/Eser Rdn. 2; Tiedemann Prot. VI/207; einschränkend Otto JR 1983 74, Hirsch FS Klug, S. 235, 2 4 0 . Bosch MK Rdn. 2; Deiters GA 2 0 0 2 275; Fischer Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 5; Möbius S. 103; Paeffgen NK Rdn. 7; Schmid J Z 1980 58.

So aber Horn/Wolters SK Rdn. 2, 3 u.

Zielinski AK Rdn. 4, 7.

Henning Rosenau

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

3. Dogmatik des § 113 a) Privilegierender Spezialfall. Jedes Widerstandleisten verfolgt zugleich den Zweck, 5 den berufenen Amtsträger oder Soldaten zur Unterlassung der Vollstreckungshandlung zu nötigen (BGHSt 25 313, 314; VRS 35 174, 175). § 113 ist in dieser Alternative ein privilegierter Spezialfall der Nötigung. 7 Die Privilegierung erweist sich in dem niedrigeren Grundstrafrahmen und in der günstigeren Irrtumsregelung des Absatzes 4. Diese Gesamtregelung ist darauf zurückzuführen, dass der Lage des von der Vollstreckung Betroffenen Rechnung getragen werden soll, dem ein gewisser Erregungszustand bei der Durchführung der gegen seine Person gerichteten Maßnahmen zugute gehalten wird und der aufgrund der affektiven Situation besondere Nachsicht verdient. 8 Die Überzeugungskraft dieses Arguments wird auf den ersten Blick eingeschränkt durch den berechtigten Hinweis auf die mögliche parallele Situation bei einer Jedermann-Festnahme nach § 127 Abs. 1 StPO, bei der ungeachtet einer vergleichbaren Zwangslage § 2 4 0 einschlägig ist (Sch/Schröder/Eser Rdn. 3). Allerdings wird übersehen, dass bei der Privatfestnahme nicht ein eingeschränkter Rechtmäßigkeitsbegriff (dazu Rdn. 35) dem Betroffenen besondere Duldungspflichten im Sinne einer Absicherung des staatlichen Gewaltmonopols auferlegt. Dass unbeteiligte Dritte, die für den Betroffenen Partei ergreifen, nicht unter die Privilegierung fallen, sondern nach § 240 zu bestrafen sind (Horn/Wolters SK Rdn. 16; vgl. Rdn. 73), kann ebensowenig als Systembruch herhalten (so aber Wessels/ Hettinger Rdn. 621). Denn die Gemütslage eines unmittelbaren Betroffenseins liegt bei der Einmischung einer dritten Person typischerweise nicht vor. Vielmehr ist die privilegierende Wirkung des § 113 Ausdruck gesetzgeberischer Intention, die gegenläufigen Interessen von betroffenem Bürger einerseits und dem Schutz des zur Vollziehung von Staatsakten berufenen Amtsträgers andererseits ausgewogen auszutarieren, was im übrigen auch der Grund für einen spezifischen Rechtmäßigkeitsbegriff im Rahmen des § 113 ist (dazu Rdn. 40). Der besondere Schutz, der dem Amtsträger oder Soldaten durch § 113 gewährt werden soll, weil diese angesichts ihrer Stellung und Tätigkeit besonders häufig ungerechtfertigten Angriffen ausgesetzt sind (vgl. BGH GA 1955 244), wird auf diese Weise wieder mit guten Gründen stückweise zurückgenommen. Im übrigen weist § 113 gegenüber § 240 insoweit eine gewisse strengere Ausgestaltung auf, als die Nötigung eines Vollstreckungsbeamten bei rechtmäßiger Vollstreckung mangels einer § 2 4 0 Abs. 2 entsprechenden Rechtfertigungsklausel schlechthin rechtswidrig ist (vgl. Dreher N J W 1970 1157; OLG Frankfurt NJW 1973 1806, 1807). b) Deliktsnatur. § 113 ist unechtes Unternehmensdelikt, das allein durch eine finale Handlungsbeschreibung ohne das Erfordernis einer Zielerreichung bestimmt wird und bei dem die Vollendungsstrafe das Vorliegen der beschriebenen Tatsituation voraussetzt (vgl. Jakobs AT 25/7). Das ist hier der Fall, in beiden Handlungsalternativen sind erfolglose Tathandlungen in die Deliktsvollendung einbezogen worden (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 6; Bosch MK Rdn. 3; Sch/Schröder/Eser Rdn. 2). Damit ist ein Rücktritt versperrt.

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Vgl. BGH bei Dallinger MDR 1968 895; BGHSt 48, 233, 238 f; OLG Frankfurt NJW 1973 1806; KG StV 1988 437; BayObLG MDR 1988 517; zu den Konkurrenzen Rdn. 89 ff; aA Schmid JZ 1980 56, 58; krit.

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aufgrund der Entwicklungsgeschichte der §§ 113, 240 Hirsch FS Klug, S. 235 ff. BGH VRS 5 198, 199; Ber. BTDrucks. VI/502 S. 3 f; Blei JA 1973 208; Paeffgen NK Rdn. 2.

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§ 113

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

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4. Praktische Bedeutung. Der unmittelbare Anlass für die relativ rasche Verabschiedung des 3. StrRG im Jahre 1970 waren Straftaten anlässlich sich häufender Demonstrationen (vgl. Vor § 110 Rdn. 3). Der § 113 ist aber kein typisches Demonstrationsdelikt. Vielmehr fallen die meisten Verstöße gegen diese Vorschrift bei der allgemeinen Verbrechensbekämpfung oder Gefahrenabwehr an; etwa wenn dem Polizeibeamten bei der Verhaftung oder Verkehrskontrolle, dem Gerichtsvollzieher bei der Zwangsvollstreckung Widerstand geleistet wird (mündl. Bericht des Abgeordneten Schlee vor dem Bundestag, 6. Wahlp., Prot. S. 1943).

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Ausweislich der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes kommt der Strafvorschrift des § 113 eine gewisse praktische Bedeutung zu; die Zahl der jährlich erfassten Fälle ist bei deliktsspezifisch hoher Aufklärungsquote beträchtlich, die Aburteilungszahlen der letzten Jahre belaufen sich auf zwischen 4595 (2002) und 5603 (2006); die Verurteiltenstatistik weist folgende Zahlen aus: 2002 3719, 2003 3743, 2004 3995, 2005 4305 und 2006 4513. 9 Die Zahlen bewegen sich auf gleichbleibendem Niveau und sind in den letzten Jahren angestiegen,10 auch wenn die Zeiten der Erscheinungsform organisierten Widerstands von gewaltsamer Konfrontation mit der Staatsgewalt, wie z.B. militante Startbahn-, Kraftwerksgegner oder auch Hausbesetzer an sich vorbei sind. Die Mehrzahl der Konflikte entstammt aber dem Bereich bereits existierender Auseinandersetzungen unter Privaten, bei denen die Polizei als Regelungs- und Entscheidungsinstanz gerufen wird (Falk S. 18). Eine zunehmende Konfliktbereitschaft gegenüber der Polizei zeigt sich daneben bei ausländerfeindlichen Ausschreitungen und gewalttätiger Randale am Rande von Sportgroßveranstaltungen (Hooligans).

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§ 113 wird zutreffend als privilegierender Sonderfall des Nötigungsverbotes umschrieben (Rdn. 5), weil dieser die Sanktion für die Nötigung gegenüber dem Vollstreckungsbeamten gegenüber der Nötigung eines Dritten nach § 240 in seinem Grundtatbestand um ein Drittel absenkt (von bis zu drei Jahren auf bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe).11 Die Praxis dagegen versagt der Privilegierungsthese die Gefolgschaft: Im Gegensatz zu § 240 finden sich nahezu keine Einstellungen und auch doppelt so viele Verurteilungen zu kurzfristigen Freiheitsstrafen (Maurach/Schroder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 3; Paeffgen NK Rdn. 5). Die höheren Verfolgungsraten bei § 113 gegenüber § 240 dürften ihre Erklärung in dem Umstand finden, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte bei Angriffen gegen Hoheitsträger, insbesondere gegen Polizeibeamte, regelmäßig eine geringere Toleranzschwelle zeigen und sich in der Pflicht sehen, diese Vollstreckungsorgane - die ja oftmals auch ihre eigenen sind - zu schützen. Eine Nötigungshandlung gegenüber jedermann, die zur Einstellung nach § 153 StPO führte, wird entsprechend nicht eingestellt, sondern zur Anklage gebracht, wenn ein Polizeibeamter das Opfer ist. Gegen diesen Befund ist wegen der hohen Bedeutung des staatlichen Gewaltmonopols für den Rechtsfrieden in der Gesellschaft wenig zu erinnern, auch wenn in einzelnen Fällen den Strafverfolgungsorganen ein höheres Maß an Gelassenheit und Augenmaß anzuraten wäre.

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Statistisches Bundesamt Deutschland, Fachserie 10 Reihe 3, abrufbar unter https://www-ec.destatis.de, abgerufen am 4.8.2008.

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Zur statistischen Unerheblichkeit allerdings ( 0 , 3 % , die §§ 111 bis 121 eingeschlossen, an allen Taten) Falk S. 3. Paeffgen N K Rdn. 3.

Henning Rosenau

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Π. Objektiver Tatbestand 1. Übersicht. Geschützt werden Amtsträger und Soldaten der Bundeswehr, die zur Vollstreckung i.S.d. Absatzes 1 berufen sind und sich bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung befinden. Der Amtsträgerbegriff konstituiert das Unrecht, welches sich gegen die Autorität der hoheitlichen Vollstreckungsgewalt richtet. Der Amtsträger stellt hier als „Willensmittler" der Staatsgewalt (Schroeder NJW 1985 2392) sozusagen das gleichermaßen mitgeschützte - Handlungsobjekt dar. Der Begriff der Diensthandlung ist i.S.d. Fassung des § 11 Abs. 1 Nr. 4 Ε 1962 (Begr. S. 119) zu verstehen (vgl. EEGStGB S. 219) und umfasst alle Handlungen, durch die ein Amtsträger oder Soldat Aufgaben des öffentlichen Dienstes wahrnimmt. Aus dem Bereich der Diensthandlungen werden von § 113, wie Gesetzesfassung und Überschrift klarstellen, nur die typischen Vollstreckungshandlungen erfasst. Vorausgesetzt wird also, dass der Amtsträger die Verwirklichung des konkretisierten, d.h. auf einen bestimmten Fall anzuwendenden, notfalls zwangsweise durchsetzbaren staatlichen Willens anstrebt.

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2. Geschützte Personen a) Begriff des Amtsträgers und Soldaten. Der Strafschutz des § 113 beschränkt sich 11 auf Amtsträger und Soldaten der Bundeswehr. Der Begriff des Amtsträgers ergibt sich aus § 11 Abs. 1 Nr. 2. Er erfasst nicht nur Beamte im staatsrechtlichen Sinne, Richter sowie Angestellte des öffentlichen Dienstes, sondern auch sonstige Personen, die dazu bestellt sind, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. Es handelt sich um den Bereich der Eingriffsverwaltung bzw. ordnenden Verwaltung in Wahrnehmung von Aufgaben der staatlichen Anordnungs- und Zwangsgewalt (vgl. Welp FS Lackner, S. 761, 776 f). Zwar können auch Bedienstete von privatrechtlich organisierten Unternehmen der Daseinsvorsorge Amtsträger sein, wenn das Unternehmen öffentliche Aufgaben wahrnimmt und bei einer Gesamtschau als „verlängerter Arm" des Staates erscheint (BGHSt 49 240, 249; BGH NStZ 2007 211, 212). Diese Amtsträger sind aber nicht mit dem typischen Vollstreckungshandeln betraut, das § 113 umfasst. Den Amtsträgern ist der in § 114 genannte Personenkreis gleichgestellt; nehmen die dort genannten Nicht amtsträger in Ausübung ihrer Rechte und Pflichten Vollstreckungshandlungen vor, so sind diese im Falle eines Widerstandes oder tätlichen Angriffs den Diensthandlungen eines Amtsträgers i.S.d. § 113 gleichgestellt. Bedeutungslos ist es, ob die Anstellung des Amtsträgers oder die Einberufung des Soldaten vernichtbar ist. Der Staatswille und die zu seiner Ausführung herangezogenen Organe verlangen einen Schutz auch bei Mangelhaftigkeit des Anstellungsaktes, sofern die übrigen Voraussetzungen des Tatbestandes gegeben sind (RGSt 2 82, 83). Das gleiche gilt für den nichtigen Anstellungsakt; auch in diesem Falle kann die tatsächliche Ausübung des übertragenen Amtes zur Anwendung des § 113 ausreichen.12 Bei einer solchen Lage ist aber stets sorgfältig zu prüfen, ob die Diensthandlungen des Beauftragten rechtmäßig und ob überhaupt die Amtsträgerschaft im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 zu bejahen ist (vgl. RGSt 55 161,162).

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Sch/Schröder/Eser Rdn. 7; ferner Battis BBG § 14 Rdn. 2; Münch/Scbmidt-Aßmann/Kunig BesVerwR 6. Kap. Rdn. 105.

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§113

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

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b) Inländische Amtsträger. Grundsätzlich bezieht sich § 113 nur auf inländische Amtsträger (OLG Hamm N J W 1960 1536 m. Anm. Schröder J Z 1960 576) d.h. genauer auf solche der Bundesrepublik (Fischer Rdn. 3; Niewerth N J W 1973 1219). Die grundsätzliche Beschränkung von § 113 auf deutsche öffentliche Rechtsgüter (inländische Vollstreckungsgewalt) ergibt sich aus § 11 Abs. 1 Nr. 2. 1 3 Der Schutz der ausländischen Staatsgewalt und ihrer Organe ist in der Regel nicht Sache des deutschen Gesetzgebers und könnte einer Einmischung in die inneren Verhältnisse dieser Staatsgewalt gleichkommen. Soweit ein Tätigwerden ausländischer Beamten im Inland aufgrund internationaler Verträge bzw. mit Einwilligung der zuständigen einheimischen Stellen (z.B. Pass- und Zollkontrollen) oder eine Zusammenarbeit deutscher und nichtdeutscher Amtsträger (z.B. bei dem Einsatz ausländischer Polizeibeamten zur Verbrechensbekämpfung auf dem Gebiet der Bundesrepublik) in Frage steht, ist eine differenzierende Betrachtung erforderlich. Es kommt maßgeblich darauf an, wessen Hoheitsgewalt im Einzelfall ausgeübt wird. In den Ermächtigungsfällen, in denen deutsche Behörden die Betätigung nichtdeutscher Hoheitsgewalt auf deutschem Gebiet Völker- und staatsrechtlich gestatten, verbleibt es bei der Ausübung fremder Hoheitsgewalt, die durch § 113 nicht geschützt ist. Auch eine gesetzliche Regelung einer solchen Ermächtigung lässt den nichtdeutschen Charakter der ausgeübten Hoheitsgewalt unberührt und begründet allein noch keinen Strafschutz für diese. Eine Strafschutzausdehnung bedarf ggf. eines ausdrücklichen, den Bestimmtheitsanforderungen genügenden Gesetzes, wie sie beispielsweise in Hinblick auf §§ 331 ff durch das EUBestG vom 10.9.1998 (BGBl. II S. 2340) und das IntBestG vom 10.9.1998 (BGBl. II S. 2327) erfolgt ist. Ohne dieses steht das Analogieverbot einer Anwendung von § 113 entgegen. 14 Dies führt jedoch nicht zur Straffreiheit des Täters; es verbleibt eine Strafbarkeit nach § 240 (Individualgüterschutz; vgl. OLG Hamm J Z 1960 576) mit einer aus der Nichtanwendbarkeit von § 113 folgenden Begrenzung (keine Versuchsstrafbarkeit, Strafrahmenobergrenze entsprechend § 113; vgl. Schröder J Z 1960 578). Andererseits gibt es Fälle internationaler Zusammenarbeit, in denen nichtdeutsche Amtsträger zur Erfüllung bestimmter Aufgaben in begrenztem Umfang mit der Ausübung deutscher Hoheitsgewalt betraut, sie gleichsam darin einbezogen werden können. Geschieht dies, sind diese Amtsträger durch § 113 i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 2b oder c gegen Angriffe geschützt.15

14

Es verbleiben allerdings Rechtsbereiche, in denen ein Schutz fremder Amtsträger nach § 113 erforderlich erscheint, jedoch mangels gesetzlicher Regelung derzeit noch nicht besteht. Im Falle der Schaffung übergreifender europäischer Verfolgungszuständigkeiten, z.B. eines Europ. Kriminalamts (Europol) oder einer Europ. Staatsanwaltschaft mit Hoheits- und Wirkungsrechten in allen Staaten (vgl. Art. 69g u. Art. 69e Abs. 1 AEUV Vertrag von Lissabon, ABl. 2007 Nr. C 306), bedarf es zwecks Gewährleistung des Strafschutzes für solche supranationalen Ämter und deren Inhaber der ausdrücklichen gesetzlichen Erstreckung der deutschen Strafnormen. Solange nichtdeutsche Polizeibeamte bei gestatteter Vollstreckungstätigkeit im deutschen Inland noch nicht durch § 113 geschützt sind, bleibt nach geltendem Recht jeweils die Möglichkeit, deren Einbindung durch Übertragungsakte i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2b oder c zu erwägen, um den wünschenswerten

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Vor § 110 Rdn. 9; Gössel FS Oehler, S. 107; Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 4 9 4 . Lüttger Abhandlungen und Vorträge S. 3 3 4 ff; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 69 Rdn. 9; unzutr. Krebl NJW 1992 605 zu § 136 II.

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Fischer Rdn. 3; Lüttger Abhandlungen und Vorträge S. 335 f; vgl. auch Hilgendorf LK § 11 Rdn. 2 2 .

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Strafschutz bewirken zu können. Hinsichtlich der Reichweite des Schutzes nichtdeutscher öffentlicher Rechtsgüter wird im übrigen auf die Vorbem. zum 6. Abschn. Rdn. 7 ff verwiesen. c) Vollstreckungsbeamter - Begriff und Kriterien. Die Amtsträger und Soldaten müs- 1 5 sen zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen und Verfügungen berufen sein. Die Durchsetzung des in Gesetzen usw. näher bezeichneten bzw. in Entscheidungen aktualisierten Staatswillens im Einzelfall gegenüber Personen und Sachen, notfalls durch Zwang, muss zu ihrem Aufgabenbereich gehören (BGH NJW 1982 2081). Die frühere Fassung nannte „Gesetze, Befehle und Anordnungen der Verwaltungsbehörden sowie Urteile und Verfügungen der Gerichte". Eine sachliche Änderung war mit der Neufassung nicht beabsichtigt (Horstkotte Prot. VI/313). Dem Amtsträger, dem die Vollstreckung von Gesetzen oder Rechtsverordnungen obliegt, steht regelmäßig das Recht der eigenen selbständigen Entschließung zur unmittelbaren Verwirklichung des Gesetzeswillens zu. Er schafft rechtlich zunächst eine Grundverfügung, die er dann zugleich durchsetzt.16 Hierher rechnen z.B. die Anwendung sofortigen Zwangs in Eilfällen bei Gefahr im Verzug,17 das Haltegebot eines Polizisten an einen Kraftfahrer im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle,18 ferner die Anordnung und Durchsetzung einer Blutprobe gemäß § 81a Abs. 2 StPO durch einen Polizeibeamten als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft - § 152 GVG, § 53 Abs. 2 OWiG - (vgl. OLG Köln VRS 48 24, 25). Demgegenüber werden die Amtsträger (insbes. Gerichtsvollzieher), die Urteile, Gerichtsbeschlüsse oder Verfügungen zu vollstrecken haben, nur im Auftrag sonstiger Staatsorgane tätig und haben deren Entschließungen und Anordnungen zur Ausführung zu bringen. Den - Urteilen und Beschlüssen gleichgestellten - Verfügungen sind bereits erlassene Akte der Staatsgewalt mit Außenwirkung zuzuordnen. Hierunter fallen sowohl gerichtliche Verfügungen19 als auch Akte der Verwaltungsbehörde (Horstkotte Prot. VI/313), sowie dem Bürger gegenüber bereits erlassene Verwaltungsakte (vgl. Günther NJW 1973 311; auch Wagner JuS 1975 225), Allgemeinverfügungen, eine behördliche Auflösungsanordnung nach § 15 Abs. 2 VersG a.F. (vgl. OLG Karlsruhe NJW 1974 2142 f). Es braucht sich im übrigen nicht stets um Amtsträger zu handeln, denen die typische Aufgabe der Vollstreckung übertragen ist; vielmehr können, je nach den Umständen, auch andere darunter fallen, sofern die Vollstreckung überhaupt im Rahmen deren Amtstätigkeit liegt. aa) Beispiele. Zu den Vollstreckungsbeamten gehören vor allem die Polizeibeamten (KG JW 1937 762), und zwar unabhängig davon, ob sie sich in Uniform oder Zivil befinden (RG DR 1942 1782; OLG Hamburg VRS 24 193, 195), ferner die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft nach § 152 GVG. 20 Auch Kriminalkommissaranwärter können darunter fallen (RG HRR 1939 Nr. 1375); dgl. Gefängniswachtmeister (RG HRR 1938 Nr. 1206); Lehrer an öffentlichen Schulen, sofern sie die öffentliche Gewalt (Durchsetzung der Schulordnung) anordnungsgemäß ausüben;21 Vollzugsbeamte des Bundes 16

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Vgl. Günther NJW 1973 311; OLG Celle NJW 1973 2215; auch Wagner JuS 1975 225. § 6 II VwVG, Art. 5 9 Abs. 1 Satz 2 Bay-PAG, § 52 II PolG BW. Vgl. BGHSt 2 5 313, 315; zust. Krause JR 1975 118 u. Teubner DRiZ 1975 2 4 3 ; aA augenscheinlich Fischer Rdn. 4.

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Z.B. der richterliche Vorführungsbefehl nach § 134 StPO, der mit polizeilicher Hilfe vollstreckt wird; BGH NStZ 1981 2 2 , 2 3 ; Gieß LR § 134 StPO Rdn. 2. Vgl. auch § 53 Abs. 2 OWiG; BGHSt 2 4 125, 130; OLG Köln VRS 48 2 4 , 25. RGSt 41 82, 86; 35 182, 183; 2 8 19; 25 89, 90.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

gem. § 6 UZwG, u.a. Zollbeamte (BayOLGSt 1951 374, 377), Finanzbeamte, insbesondere Steuerfahndungs- (§ 404 AO) und Vollziehungsbeamte,22 Bahnpolizisten23 bzw. die inzwischen mit den bahnpolizeilichen Aufgaben betrauten Beamten der Bundespolizei (§ 3 BPolG), Beamte der Bundesgerichte, Luftaufsichtsbeamte, Polizeivollzugsbeamte des Bundes; ferner Vollstreckungsbeamte der gesetzlichen Versicherungsanstalten (OLG Frankfurt NJW 1972 268); insbesondere Gerichtsvollzieher (vgl. KG GA 1975 213), und zwar auch bei Zustellungen auf Betreiben der Partei (RGSt 41 82); u.U. auch der Schlachthofdirektor bei seuchenpolizeilichen Eilmaßnahmen (vgl. LG Verden NdsRpfl. 1974 256, 257); amtliche Tierärzte und öffentlich bestellte Fleischkontrolleure (§§ 22a, 22b F1HG). Bei Vollzugsbeamten des Wohnungsamtes hat OLG Frankfurt NJW 1951 852 die Amtsträgereigenschaft auch dann bejaht, wenn sie unbeeidigt sind (aA OLG Hamm HESt 2 217, ähnlich RGSt 39 95, 96). Zu den Vollstreckungsbeamten können schließlich auch Richter gehören, wenn sie kraft ihres Amtes eine Anordnung ausführen oder vollstrecken, z.B. bei Ausübung der Sitzungspolizei (RGSt 15 227, 230; 41 82, 86) oder bei Vollstreckungstätigkeit des Jugendrichters als Vollstreckungsleiter. Keine Vollstreckungshandlung ist die schlichte Fürsorgetätigkeit eines Jugendamtsangestellten (OLG Schleswig SchlHA 1983 83, 84 Nr. 17). 17

bb) Vollstreckungstätigkeit von Soldaten. Bei den Soldaten der Bundeswehr bestimmt das UZwGBw vom 12.8.1965 (BGBl. I S. 796), wer zur Vollstreckung befugt und unter welchen Voraussetzungen diese zulässig ist. Vollstreckungshandlungen gegenüber Zivilpersonen können sich insoweit zur Sicherung militärischer Anlagen und der ungestörten Dienstausübung militärischer Einheiten für Feldjäger und sonstiges militärisches Wachpersonal als erforderlich erweisen. Im Verhältnis zwischen Soldaten untereinander verdrängen in der Regel die §§ 24, 25 WStG den § 113. 24 Dem militärischen Wach- und Sicherheitspersonal kommt gegenüber Soldaten Vorgesetzteneigenschaft i.S.d. §§ 24, 25 WStG kraft besonderer Aufgabenstellung zu.25 Bei einer Tat gegen zugezogene Zivilpersonen sind indes die §§ 114 Abs. 2, 113 einschlägig (§ 114 Rdn. 8). Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 5 des 4. StRÄndG i.V.m. dem 8. StRÄndG i.d.F. des 3. StrRG sind die §§ 113, 114 Abs. 2 auch auf Widerstandshandlungen gegen „Soldaten oder Beamte" der in der Bundesrepublik stationierten NATO-Truppen anzuwenden. 3. Vollstreckungshandlung

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a) Begriff der Vollstreckungshandlung. Vorausgesetzt wird, dass der geschützte Amtsträger sich bei der Vornahme einer Vollstreckungshandlung befunden hat, m.a.W. eine konkrete, gezielte Vollstreckungsmaßnahme zur Regelung eines bestimmten Falles getroffen hat. Seine amtliche Tätigkeit muss dem eigentlichen Vollstreckungsbereich zuzurechnen sein; sie muss bereits begonnen haben und darf noch nicht abgeschlossen sein. Ein maßgebliches Kriterium ist insoweit der unmittelbare Bezug zum Objekt der Vollstreckung (Otto JR 1983 73). Dem Vollstreckungshandeln zuzuordnen sind nicht nur die eigentlichen Zwangsmaßnahmen (Festnahme, Durchsuchung, Beschlagnahme) bzw.

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§§ 285, 287 AO; OLG Hamburg NJW 198 4 2898; Klein-Brockmeyer AO § 285 Rdn. 3. Vgl. BGHSt 21 334, 361; OLG Köln NJW 1982 296; StV 1982 359; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1953 152; OLG Stuttgart VM 1973 67; OLG Hamm NJW 1973 2117.

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Fischer Rdn. 5; Horstkotte, Prot. VI/312; Schölz/Lingens WStG § 24 Rdn. 18. § 3 VorgV i.V.m. § 1 Abs. 4 SG, § 1 Abs. 1 UZwGBw; vgl. Scherer % 3 VorgV Rdn. 1.

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

die sonstigen Vollstreckungsakte (Versiegeln einer Baustelle etc.), sondern auch unmittelbar vorangehende, sachbezogene (Eröffnung, Mitteilung an Betroffenen, vgl. Rdn. 20) oder auf die bezweckte Vollstreckungsmaßnahme unmittelbar hinführende Verhaltensakte des Amtsträgers, wobei es auf deren objektive Ausführbarkeit (der Festzunehmende befindet sich nicht in seiner Wohnung) nicht ankommt, ferner abschließende Tätigkeitsakte des Amtsträgers (Rdn. 20). Die Voraussetzungen einer Vollstreckungshandlung sind gegeben, wenn der Amtsträger mit seiner Tätigkeit den konkretisierten, d.h. auf einen bestimmten Fall anzuwendenden und nach Umfang und Inhalt durch das Gesetz oder die in § 113 bezeichneten Staatsorgane begrenzten staatlichen Willen, notfalls mit den Mitteln des Zwangs, zu verwirklichen hat bzw. durchzusetzen bezweckt. 26 Auszuscheiden hat somit zunächst die Wahrnehmung privater Interessen anlässlich der Berufstätigkeit des Amtsträgers (RGSt 29 199, 201). Etwas anderes gilt jedoch, wenn er in hoheitlicher Pflichterfüllung private Rechte gegen Einwirkungen Unbefugter schützt. 27 Nicht unter die Vollstreckungshandlungen fällt der Erlass von Bußgeldbescheiden oder Verwaltungsakten wie auch solche amtliche Tätigkeit, die jeder Amtsträger in einfacher Anwendung der Gesetze vornimmt (Sch/Schröder/Eser Rdn. 10). Denn hierbei geht es noch nicht um Verwirklichung einer konkreten Regelung im Einzelfall, sondern zunächst um die Regelung als solche. Schlichte Überwachungs- oder Ermittlungstätigkeit genügt nicht (BGH NJW 1982 2081). Polizeilich-präventive Maßnahmen wie die vorsorgliche schützende oder beobachtende - Begleitung eines Demonstrationszugs durch Polizeibeamte oder die Wahrnehmung von Schutzaufgaben zugunsten einer bestimmten Person oder Sache (Stree JuS 1988 192) stellen keine Vollstreckungshandlung dar (KG StV 1988 437). Das bloße Beobachten von Personen, von denen möglicherweise Straftaten zu erwarten sind, zwecks Ermöglichung eines unverzüglichen Einschreitens im gegebenen Falle macht die polizeiliche Diensthandlung noch nicht zur Vollstreckungshandlung (KG NStZ 1989 121). Eine zunächst reine polizeiliche Präventivmaßnahme verdichtet sich erst nach dem Auftreten einer konkreten Störung oder zumindest konkreter Anhaltspunkte für eine unmittelbar zu erwartende Störung mit dem Versuch ihrer Abwendung, dem Ansetzen zu ihrer Verhinderung bzw. dem unmittelbar bevorstehenden polizeilichen Einschreiten zu einer Vollstreckungshandlung. Keine Vollstreckungshandlungen sind etwa der Streifengang von Bundeswehrsoldaten im Kasernengelände (BGH bei Holtz MDR 1983 621), die allgemeinen Streifenfahrten von Polizeibeamten,28 die nicht erzwingbare Vernehmung von Beschuldigten durch die Polizei (BayObLG J R 1963 67 mit Anm. Dünnebier), die schlichte Fürsorgetätigkeit eines Jugendamtsangestellten (OLG Schleswig SchlHA 1983 83), die Fahrt des Richters zu einer Amtshandlung (RGSt 14 259, 261), die bloße Ermittlungstätigkeit von Polizeibeamten (vgl. BGH NStZ 1982 328; OLG Schleswig SchlHA 1983 84 Nr. 18), z.B. Befragung von Straßenpassanten (OLG Zweibrücken NJW 1966 1086) oder die Überprüfung der Bereifung eines geparkten Pkw (OLG Frankfurt NJW 1973 1806, 1087); jedoch kann hier die Ermittlungstätigkeit alsbald in eine Vollstreckungshandlung übergehen, wenn wegen Verkehrsuntüchtigkeit des Fahrzeugs die Verhinderung einer Wegfahrt veranlasst ist; ebenso wenn im Zuge von Ermittlungen konkrete Abwehrmaßnahmen erforderlich werden (OLG Schleswig SchlHA 1983 84

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BGHSt 25 313, 315; BGH NStZ 1982 328; OLG Celle NJW 1973 2215; OLG Hamm NJW 1974 1831, 1832; KG StV 1988 437; NStZ 1989 121; auch Hassemer JuS 1974 669. Vgl. OLG Stuttgart Justiz 1972 156; BGH

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NStZ 1982 328; NJW 1982 2081; auch Laubenthal JuS 1993 908 f. OLG Hamm JMB1NRW 1965 44, 45; OLG Zweibrücken NJW 1966 1086, 1087; OLG Celle NJW 1973 2215.

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§ 113

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

Nr. 18). Die Nötigung zur Unterlassung nicht vollstreckender, sonstiger Diensttätigkeiten wird von § 240 erfasst (OLG Frankfurt NJW 1973 1806, 1087). 19

b) Rechtsprechungsbeispiele. Den Vollstreckungshandlungen sind zuzurechnen Durchsuchungen z.B. bei Verdacht verbotenen Waffenbesitzes (OLG Stuttgart NJW 1971 629); Beschlagnahmen; die Durchsetzung von Blutentnahmen (BGHSt 24 125; OLG Köln VRS 48 24, 25); die gewaltsame Entfernung einer Person aus der Polizeiwache zwecks Verhinderung der Fortsetzung eines Hausfriedensbruchs (OLG Hamm NJW 1974 1831, 1832); die Entfernung des Eindringlings beim Hausfriedensbruch;29 der polizeiliche Einsatz von Tränengas gegenüber einer Menschenansammlung (KG NStZ 1989 121); Maßnahmen nach § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 UZwGBw einer Bundeswehrstreife auf dem Kasernengelände z.B. bei einem Überfall (vgl. BGH GA 1983 411); bereits das Betreten des Hauses zur Verhaftung eines bestimmten Straftäters, selbst wenn der Gesuchte in dem Haus dann nicht gefunden wird und deshalb ein Zugriff nicht möglich ist (BGH NStZ 1982 328); das polizeiliche Sich-Zugang-Verschaffen zu einem Spielkasino bei bestehendem Verdacht, dass dort gerade unerlaubtes Glücksspiel stattfindet (KG NStZ 1989 121); die gezielte Suche nach dem Täter einer rechtswidrigen Zueignungshandlung, mit der die Rückgabe der Sache an den Geschädigten veranlasst werden soll (BGH NJW 1982 2081); die Beweissicherung oder die Sicherstellung einer Sache gegenüber einem Täter, der sich diese durch eine rechtswidrige Handlung zugeeignet hat (§ 43 Nr. 2 PolG NW; Otto J R 1983 73); konkrete Abwehrmaßnahmen, die im Zuge von Ermittlungen erforderlich werden (OLG Schleswig SchlHA 1983 84, 84 Nr. 18); das Wegbringen einer durch eine konkret drohende Straftat gefährdeten Person aus dem Einwirkungsbereich des Täters (BayObLG J R 1989 24 m. zust. Anm. Bottke); konkrete erkennungsdienstliche Maßnahmen (vgl. AG Hamburg StV 1985 364), die zwangsweise Durchsetzung einer Identifizierungsgegenüberstellung (Geppert Jura 1989 277); das vorübergehende Festhalten zur Personalienfeststellung gem. §§ 163b, 163c StPO (vgl. Kurth NJW 1979 1378; BVerfG NVwZ 1992 767 zu den verfassungsrechtlichen Grenzen), die über § 46 Abs. 1 OWiG für das Bußgeldverfahren entsprechend anwendbar sind; 30 das Festhalten zur Identitätsfeststellung (§ 163b Abs. 1 Satz 2 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG) zwecks Sicherstellung der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit und deren Aufklärung (OLG Köln NJW 1982 296; Göhler/Seitz OWiG vor § 59 Rdn. 139 ff); eine Befugnisnorm zur vorläufigen Festnahme besteht insoweit nicht, § 127 StPO ist nicht entsprechend anwendbar (§ 46 Abs. 3 OWiG, Lampe KK OWiG § 46 Rdn. 20); Anhalteweisung an einen bestimmten Verkehrsteilnehmer zur Beseitigung einer andauernden Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit (BGHSt 32 248, 252); das Haltegebot eines Polizeibeamten gegenüber einem bestimmten Kraftfahrer (OLG Koblenz VRS 56 38, 39) bei konkretem Trunkenheitsverdacht oder Verdacht einer Verkehrsunsicherheit des Fahrzeugs31 oder zur Ermöglichung der Festnahme auf Grund vorliegenden Haftbefehls (OLG Hamm DAR 1958 330, 331), aber auch das anlässlich einer allgemeinen Verkehrskontrolle gegebene Stoppzeichen,32 Der Beginn einer bestimmten Vollstreckungstätigkeit liegt nach BGH nicht nur in dem Haltegebot an den Kraftfahrer aus besonderem Anlass, sondern schon in der Weisung zum Anhalten zwecks allgemeiner Personen- und Fahrzeugkontrolle gemäß § 36 Abs. 1,

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OLG Schleswig SchlHA 1976 167; LG Bonn NStZ 1984 169; Wagner ]Z 1987 712. BGHSt 32 248, 251; OLG Köln StV 1982 359; Volk J R 1979 2 0 8 . OLG Hamm NJW 1973 1891; BGH 4 StR

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109/70 v. 25.6.1970; OLG Frankfurt NJW 1974 572, 5 7 3 ; auch Blei JA 1974 322. BGHSt 2 5 313; OLG Celle NJW 1973 2215; OLG Hamm N J W 1973 1240.

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

5 StVO (zust. Krause J R 1975 118; Teubner DRiZ 1975 243). Die allgemeine Verkehrskontrolle wird noch nicht mit der Aufforderung zum Anhalten an einen bestimmten Verkehrsteilnehmer zu einer konkreten Vollstreckungshandlung, sondern erst bei einem konkreten Tatverdacht gegen eine bestimmte Person. 33 Dagegen gehören hierher die polizeiliche Razzia mit Personenkontrolle (KG NJW 1975 887; zu einer aufklärungs- und gefahrenabwehrbezogenen Kombination BVerfG NJW 1977 1489, 1490), Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen an Kontrollstellen zum Zwecke der Aufklärung bestimmter Straftaten etwa im Rahmen von Großfahndungen nach terroristischen Anschlägen (§ 111 StPO; vgl. BGHSt 36 30; Kurth NJW 1979 1377, 1381 ff), zur Aufklärung einer Straftat gebotene Identitätsfeststellungen auch von unverdächtigen Personen im Rahmen der §§ 163b Abs. 2, 163c StPO sowie Wohnungsdurchsuchungen in Gebäuden zwecks Ergreifung von bestimmten Beschuldigten (§ 103 Abs. 1 Satz 2 StPO). c) Beginn und Ende der Vollstreckungshandlung. Nach der alten Fassung des § 113 wurde bestraft, wer dem Beamten „in" der Ausübung seines Amtes Widerstand leistete oder wer ihn „während" der Ausübung tätlich angriff. Die neue Fassung erfasst den Widerstand „bei" der Vornahme einer solchen Diensthandlung und den „dabei" verübten tätlichen Angriff. Ein sachlicher Unterschied ist in der Änderung nicht zu finden. Der im Sonderausschuss gestellte Antrag, den tätlichen Angriff auch dann nach § 113 zu bestrafen, wenn er „wegen" einer Diensthandlung erfolge, wurde abgelehnt (Prot. VI/ 308, 318 und 317). Die Vollstreckungshandlung muss bereits begonnen haben und darf noch nicht beendet sein. Der Transport der gepfändeten Gegenstände zum Büro des Gerichtsvollziehers etwa gehört noch zur Vollstreckungshandlung (Blei BT 8 § 102 II 2). Diese Begriffe des Beginns und der Beendigung sind aber nicht rein förmlich zu verstehen. Sie können auch Ereignisse erfassen, die damit in unmittelbarem Zusammenhang stehen und mit ihnen einen einheitlichen Vorgang bilden. Die Grenzen sind mithin fließend. Maßgeblicher Anhaltspunkt für die Zugehörigkeit zur Vollstreckungstätigkeit gegen eine bestimmte Person oder Sache ist, dass sich der Amtsträger bei seinem Handeln im - möglichen (vgl. BGH NJW 1982 2081) - „Kontaktbereich" des von der Amtshandlung Betroffenen (RGSt 22 227, 229) bzw. der zu vollstreckenden Amtshandlung (BayObLG MDR 1988 517) befindet (Sch/Schröder/Eser Rdn. 15; Oifo J R 1983 73). Die Fahrt zum Vollstreckungsort gehört regelmäßig noch nicht zur Vollstreckungstätigkeit als solcher (vgl. AG Tiergarten NJW 1988 3218), wohl aber die sachbezogenen Verhaltensakte des Amtsträgers ab Eintreffen am Einsatzort. Ein derart enger Zusammenhang mit der eigentlichen hoheitlichen Tätigkeit, der die Verhaltensakte des Vollstreckungsbeamten nach natürlicher Lebensauffassung als Bestandteil der ergriffenen Maßnahme erscheinen lässt, 34 ist unter Berücksichtigung des „Kontaktbereich"-Gesichtspunkts zu bejahen, sobald der Herrschaftsbereich (Haus, Garten, Fabrikgelände) des von der Zwangsmaßnahme Betroffenen betreten wird oder ein zwar allgemein zugänglicher, aber räumlich abgegrenzter Bereich (z.B. ein Festplatz) zwecks Festnahme eines dort gesichteten Straftäters erreicht wird. Der Zusammenhang endet mit dem Verlassen der derart begrenzten Räume nach Erledigung der Dienstgeschäfte. § 113 Abs. 1 ist danach einschlägig, wenn der Beamte auf dem Rückweg zu seinem am Rande des Festplatzes abgestellten Dienstfahrzeug tätlich angegriffen wird (BGH NJW 1982 2081), ferner wenn der Versiegelungstrupp nach Vornahme der Versiegelung der Baustelle an dem Verlassen des Gelän-

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OLG Frankfurt NJW 1974 5 7 2 ; Ehlen/Meurer NJW 1974 1776; vgl. Arzt/Weber BT § 4 5 Rdn. 14; aA v. BubnoffLKn Rdn. I I a .

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BGH NStZ 1982 328; BayObLG M D R 1988 517; krit. Otto J R 1983 73.

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des, auf dem die Vollstreckung durchzuführen war, und am Abtransport der sachlichen Hilfsmittel gewaltsam gehindert oder beim Verlassen des Geländes tätlich angegriffen wird (vgl. BayObLG MDR 1988 517). Die Amtsausübung des Gerichtsvollziehers beginnt, wenn er den unmittelbaren Bereich der Stelle betritt, an der er die Vollstreckungshandlung vorzunehmen hat (RGSt 22 227, 228 f), z.B. mit dem Betreten der Wohnung des Schuldners, und endet erst mit dem Verlassen dieses Ortes (RGSt 41 82, 84), ggf. mit der Verbringung der Sache in das Pfandlokal. Dagegen fallen Gewalt, tätlicher Angriff oder Nötigung, die außerhalb, d.h. vor oder nach der Vollstreckungshandlung begangen werden, nicht unter § 113, sondern unter § 240. Allerdings hat die Rspr. in § 113 als Tathandlungen solche Handlungen einbezogen, die sich bewusst und gewollt gegen eine unmittelbar bevorstehende Vollstreckung richten (RGSt 41 181, 183; OLG Stuttgart NJW 1948 636), dagegen die Anwendung des § 113 ausgeschlossen, wenn der unmittelbare Zusammenhang fehlte (RGSt 14 259). Auf der Grenze liegt der in BGHSt 18 133 entschiedene Fall. Dort hatten sich Personen, die in einer Landesheilanstalt verwahrt waren, verbarrikadiert, um der Polizei das erwartete Eindringen zu verwehren. Der BGH hat darin ein vorweggenommenes tätiges Handeln erblickt, das sich gegen die unmittelbar bevorstehende Vollstreckung richtete und zu dem Zeitpunkt fortwirkte, in dem sie durchgeführt wurde.35 Man wird dieser Entscheidung im Hinblick auf das gewaltsame Fortwirken bis zum Beginn der eigentlichen Vollstreckung zustimmen können. 36 Es reicht also aus, wenn die eigene Kraftentfaltung des Täters gleichsam als vorweggenommener Widerstand gegen eine alsbald erwartete Vollstreckung schon vor Beginn der Diensthandlung erfolgt, sofern sie sich als Widerstand gegen den Amtsträger im Zeitpunkt dessen Tätigwerdens auswirkt,37 etwa beim Abschließen der Wohnung in Erwartung des erst später eintreffenden Gerichtsvollziehers oder durch Innenverriegelung des Kraftfahrzeugs in Erwartung alsbaldiger gezielter polizeilicher Kontrollmaßnahmen (OLG Celle NStE Nr. 6 zu § 113). Die Einbeziehung des sog. vorweggenommenen Widerstandes muss insbesondere kriminalpolitisch verstanden werden, weil bei den Widerstandleistenden die privilegierende Ausnahmesituation ebenso vorweggenommen erscheint (aA Bosch MK Rdn. 14) und der strengere Strafrahmen des § 240 nicht gerechtfertigt erscheint (schief BGHSt 18 133,135 f). 21

4. Tathandlungen. Als Tathandlungen erfasst § 113 sowohl die eigentliche Widerstandshandlung als auch den tätlichen Angriff gegen einen Vollstreckungsbeamten. Für eine teleologische Reduktion bei „nichtkommunikativem Verhalten" des Vollstreckungsbeamten (Backes/Ransiek JuS 1989 626; krit. Lackner/Kühl Rdn. 5) lässt sich aus dem tatbestandlichen Schutzzweck nichts Entscheidendes herleiten.

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a) Widerstand. Widerstand ist jede aktive, gegen den Amtsträger gerichtete Tätigkeit, die nach der Vorstellung des Täters geeignet ist, die Vollziehung der Diensthandlung zu verhindern oder zu erschweren. Soweit das Vorgehen des Täters auf eine Verhinderung abzielt, deckt sich das Merkmal des Widerstandes mit der Nötigung zum Unterlassen einer Diensthandlung (vgl. BGHSt 25 313, 314; OLG Koblenz NStE Nr. 2 zu § 113). Die Nötigung im Rahmen sonstiger Amtstätigkeit sowie der Zwang zur Vornahme von Voll-

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Vgl. dazu die Anm. von Ruß N J W 1963 1165. Ebenso Fischer Rdn. 7a; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 12; aA Sch/Schröder/Eser Rdn. 16.

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Horn/Wolters SK Rdn. 6; Lackner/Kühl Rdn. 4; Paeffgen NK Rdn. 18; Pflieger HKGS Rdn. 9; Zielinski AK Rdn. 17.

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streckungshandlungen fallen nicht unter § 113. Jedoch genügt zum Widerstandleisten bereits die vorsätzliche Erschwerung der Vollstreckungshandlung (vgl. Dreher N J W 1970 1156). Den Eintritt des Erfolges setzt § 113 seinem Charakter als unechtem Unternehmensdelikt entsprechend nicht voraus; bestraft wird vielmehr der zielgerichtete Widerstand als solcher; ob der Beamte daran scheitert oder ihn überwindet, ist gleichgültig. Untaugliche Widerstandshandlungen, die noch den Charakter einer Widergesetzlichkeit tragen, reichen aus (vgl. Fischer Rdn. 22; Sch/Schröder/Eser Rdn. 40). b) Gewalt. Der Widerstand muss mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt geleistet werden. Der Gewaltbegriff ist umstritten. 38 Die Tendenz der Rechtsprechung zum Gewaltbegriff geht zwar allgemein dahin, dessen Gewicht von der Kennzeichnung des Mittels der Einwirkung auf die Zwangswirkung des Täterverhaltens zu verlagern. 39 Der Gewaltbegriff wird indes im StGB nicht einheitlich gebraucht; vielmehr ist sein Inhalt nach dem jeweiligen Tatbestand, d.h. unter Einbeziehung des tatbestandlichen Handlungszieles gesondert zu ermitteln. 40 Zunächst ist Gewalt in § 113 nicht gleichbedeutend mit Gewalttätigkeit in §§ 124, 125, die ein aggressives Verhalten voraussetzt (BGH 23 46, 52 f; Martin FS BGH, S. 211, 221). Das bringt das Gesetz schon dadurch zum Ausdruck, dass es - abweichend von Absatz 1 - in Absatz 2 Nr. 2 ausdrücklich von einer Gewalttätigkeit spricht (Dreher NJW 1970 1161), die beiden Begriffe somit abschichtet. Andererseits stimmt die in Absatz 1 genannte Gewalt auch nicht mit dem § 2 4 0 zugrundegelegten Gewaltbegriff (Sch/Schröder/Eser vor §§ 234 Rdn. 6 ff) überein, sondern ist enger zu verstehen. 41 Dabei steht das Zwangsmittel im Vordergrund, weniger die Zwangswirkung. Die Verbindung mit dem „Widerstand", also einer aktiven Tätigkeit (Horstkotte Prot. V/2886), zeigt, dass rein passives Verhalten ebensowenig ausreicht wie bloßer Ungehorsam. 42 Die Widerstandsleistung mit Gewalt muss sich - unmittelbar oder mittelbar - gegen die Person des Amtsträgers, d.h. des zur Vollstreckung des Staatswillens berufenen und insoweit geschützten Organs bei der Vornahme der Vollstreckungshandlung richten (vgl. Prot. VI/311; BGHSt 18 133, 134 f; OLG Hamm NStZ 1995 547, 548). Dies wird durch die straferschwerenden Regelbeispiele des Absatzes 2 ebenso bestätigt wie durch die Gleichstellung im Unrechtsgehalt mit der zweiten Alternative des tätlichen Angriffs gegen den Amtsträger in Absatz 1 sowie durch die die Vorschrift cha-

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Vgl. zu § 113 etwa Arzt/Weber BT § 4 5 Rdn. 2 0 ff, die entscheidend auf den Nötigungseffekt abstellen; Horn/Wolters SK Rdn. 13, der Gewalt als Zwangsmittel auf vis absoluta beschränkt; Backes/Ransiek JuS 1989 624, 6 2 5 u. Keller Gewaltbegriff (1982) S. 261, auch JuS 1984 109, 116, die als Gewalt nur Angriffe auf Leben, Körperintegrität oder Bewegungsfreiheit erfassen; Zielinski AK Rdn. 2 7 u. Calliess Begriff der Gewalt im Systemzusammenhang der Straftatbestände (1974) S. 39, die die Einwirkung auf Sachen als Modus der Widerstandsleistung nicht erfassen; Baumann/Frosch J Z 1970 115, 120, die auf die Stärke der Willensbeugung abstellen. Vgl. BGHSt 8 102; 19 263, 2 6 5 ; 2 3 46; 34 71, 77; BGH NStZ 1985 71; BayObLG J Z

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1986 4 0 4 , 4 0 5 ; zur Entwicklung vgl. Calliess Begriff der Gewalt S. 39; Keller JuS 1984 109; Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 3 3 0 ff, 350a ff; Krey Probleme der Nötigung mit Gewalt, JuS 1974 418; Müller-Dietz GA 1974 33; Martin FS BGH, S. 211; Otto NStZ 1992 5 6 9 ; Schroeder JuS 1982 491; Starck J Z 1987 145; Tröndle GA 1973 325. BGHSt 2 3 4 6 , 4 9 ; 32 1 6 5 , 1 7 0 ; auch Martin FS BGH, S. 211, 213 f. Ber. BTDrucks. VI/502 S. 4; Prot. V/2886; Calliess Begriff der Gewalt S. 3 9 ; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 15; Otto J R 1983 74; Tiedemann J Z 1 9 6 9 7 2 0 ; aA Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 4 9 8 , 3 2 8 a ff. H.M.; vgl. nur Horn/Wolters SK § 113 Rdn. 13; Sch/Schröder/Eser Rdn. 4 2 ; Tiedemann, J Z 1969 7 2 0 .

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rakterisierende Privilegierung (vgl. Rdn. 5) des Täters (vgl. Calliess Begriff der Gewalt, S. 39). Die Drohung mit der Selbstverbrennung ist nicht gegen die Person des Vollstreckenden gerichtet und genügt daher nicht (OLG Hamm NStZ 1995 547, 548). Die bloße Einwirkung auf Sachen scheidet entsprechend als Mittel des Widerstandes aus {Sch/Schröder/Eser Rdn. 42); z.B. das Zerstören der Pfandsache in Gegenwart des Gerichtsvollziehers, das Durchbrechen einer rein gegenständlichen Straßensperre durch einen flüchtigen KFZ-Fahrer. Der Begriff der Gewalt ist danach in § 113 Abs. 1 als eine durch tätiges Handeln bewirkte Kraftäußerung, d.h. als tätiger Einsatz materieller Zwangsmittel, insbesondere körperlicher Kraft, gegen den Amtsträger zu verstehen, der an sich geeignet ist, die Durchführung der Vollstreckungshandlung zu verhindern oder zu erschweren,43 letzterenfalls etwa dergestalt, dass der Amtsträger die Diensthandlung nicht ausführen kann, ohne seinerseits eine nicht ganz unerhebliche Kraft aufwenden zu müssen (BayObLG JR 1989 24; Geppert Jura 1989 275). Insoweit kommt der spezifischen Eignung des Verhaltens zur Zwangswirkung kennzeichnende Bedeutung zu (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1982 1111, 1112; BayObLG JR 1989 24). In Betracht kommt auch der Einsatz von Sachen (RGSt 45 156), der Aufbau von Hindernissen wie das Verstellen des Wohnungszugangs mit einem schweren Eichentisch (vgl. BGH J Z 1981 35) oder das den Weg versperrende Abstellen eines schweren Fahrzeugs (vgl. BayObLG MDR 1988 517), Das „Schneiden" von Polizeifahrzeugen, um diese am Überholen zwecks Festnahme zu hindern (BGHSt 48 233, 235, 238); der Einsatz der Motorkraft des Fahrzeugs (BGH VRS 56 141, 143), schnelles Zufahren auf den Vollstreckungsbeamten.44 Die Handlung braucht nicht unmittelbar gegen die Person des Amtsträgers gerichtet zu sein. Insbesondere bedarf es nicht einer Berührung seines Körpers; es genügt vielmehr eine nur mittelbar gegen die Person, aber unmittelbar gegen eine Sache gerichtete Einwirkung, wenn sie nur von dem Beamten körperlich empfunden wird. 45 Ausreichend sind gezielte Steinwürfe auf ein bemanntes Polizeifahrzeug (aA AG Tiergarten NJW 1988 3218), ungeachtet vorhandener Schutzvorrichtungen (Fenstervergitterung), sofern nach den konkreten Tatumständen die in § 113 vorausgesetzte Nötigungssituation zu bejahen ist, die Polizeibeamten sich z.B. am Aussteigen zur Vornahme der Vollstreckungshandlung gehindert sehen; ferner das Schießen des festzunehmenden Täters auf die Reifen des ihn verfolgenden Polizeifahrzeugs (Arzt/Weber BT § 45 Rdn. 22); der plötzliche Sprung vor ein Polizeifahrzeug zwecks Verhinderung der Weiterfahrt (BayObLG MDR 1989 376); hier strahlt die Sachgewalt auf die Person des Amtsträgers aus. Auch der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform ist davon ausgegangen, dass den vorgenannten einengenden Grundsätzen zu folgen sei (Prot. VI/313 ff; Ber. BTDrucks. VI/502 S. 4). Nach diesen Grundsätzen richtet sich vor allem auch die Unterscheidung zwischen bloßem Ungehorsam und Widerstand mit Gewalt, deren Grenzen allerdings insoweit verschwimmen. 24

c) Rechtsprechungsbeispiele. In der Rechtsprechung spielen die Fälle eine bedeutende Rolle, in denen sich Kraftfahrer gegen das Eingreifen von Polizeibeamten wehren. Die unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Beamten ist offensichtlich, wenn der die Kontrolle Ausübende bereits zugegriffen hat und durch das An- oder Weiterfahren abgeschüttelt wird 4 6 oder der Täter anfährt, obwohl der Polizeibeamte gerade vermittels

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BGHSt 18 133, 134; OLG Karlsruhe NJW 1974 2142 f; OLG Celle NStE Nr. 6. Rdn. 78; OLG Düsseldorf N J W 1982 1111; zur Typizität und Abgrenzung von § 315b Ranft Jura 1987 611.

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Vgl. BGH 21.9.1983, 3 StR 2 2 4 / 8 3 ; Arzt/ Weber BT § 4 5 Rdn. 22; Wessels/Hettinger Rdn. 628 u. 6 3 0 ; aA Zielinski AK Rdn. 27. BGHSt 2 8 87, 91; BGH VRS 19 1 8 8 , 1 9 0 ; 4 44; 56 141, 143.

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eines Griffs durch das halb geöffnete PKW-Fenster zum Entriegeln der Türe angesetzt (BGH 4 StR 109/70 v. 25.6.1970) oder den Angeklagten am Arm oder Pullover ergriffen hatte (OLG Karlsruhe Die Justiz 1981 239). Gewalt ist es ferner, wenn der Täter auf den Polizisten zufährt und ihn zwingt, beiseite zu springen,47 u.U. auch schon, wenn der Täter die Zwangswirkung (OLG Düsseldorf NJW 1982 1111, 1112) durch plötzliches Anfahren und dichtes Vorbeifahren mit seinem PKW an zwei kontrollierenden Polizeibeamten auslöst (OLG Koblenz DAR 1980 348). Das gleiche gilt, wenn der verfolgte Kraftfahrer die Polizeibeamten am Überholen hindert (BGHSt 14 395, 398; 48 233, 235, 238; OLG Köln NJW 1968 1247). In diesen Fällen schaltet der Täter mit Hilfe der der Körperkraft des Beamten weit überlegenen Motorkraft seines PKW die Wirkung des Beamtenzugriffs aus. Gewaltsamen Widerstand leistet auch, wer sich bei Vornahme einer von Polizeibeamten durchgeführten Vollstreckungshandlung dem anfahrenden Polizeifahrzeug in den Weg stellt. 48 Dagegen ist es bloßer Ungehorsam und keine Gewaltanwendung, wenn der Kraftfahrer das Haltezeichen des Polizeibeamten unbeachtet lässt und die Polizeikontrolle ohne Behinderung der Beamten durchfährt; 49 hier hat der Täter die Motorkraft des (gestohlenen) PKW nur zum schnelleren Davonkommen benutzt. Nicht selten ist auch der Widerstand durch Gewaltanwendung gegenüber dem Gerichtsvollzieher. Stellt sich der Schuldner ihm entgegen und verhindert auf diese Weise den Zutritt zu den Räumen, in denen sich die Pfandsache befindet, oder hält er die Türen zu, so übt er Gewalt unmittelbar gegen die Person des Amtsträgers aus (Maurach/Schroeder/Maitvald BT 2 § 71 Rdn. 15, 17). Das gleiche soll gelten, wenn er die Tür vor oder nach dem Eintritt des Gerichtsvollziehers verschließt.50 Ebenso wurde entschieden bei einem Autofahrer, der die Fahrzeugtüren von innen verriegelte.51 Dagegen ist es kein gewaltsamer Widerstand gegen den Beamten, wenn der Schuldner nur auf die Sache einwirkt (Calliess Begriff der Gewalt S. 39). Deswegen ist § 113 unanwendbar, wenn sie der Schuldner vor den Augen des Gerichtsvollziehers vernichtet oder aus dem Fenster wirft; hingegen genügt es, wenn er sie dem Gerichtsvollzieher, der sie bereits an sich genommen hat, wieder zu entreißen sucht (vgl. OLG Oldenburg NdsRpfl. 1953 152). Aktive Gewaltanwendung ist auch das Verschließen der Stahlgittertür in einer Barrikade als einzigem Zugang zu einem besetzten Haus zwecks Verhinderung polizeilichen Zutritts (BGH 3 StR 224/83 v. 21.9.1983). Man wird auch die Abgabe eines Schreckschusses als Gewalt im Sinne des § 113 oder mindestens als Drohung damit anzusehen haben. 52 Ebenso ist die Betäubung durch narkotische Mittel eine Gewaltanwendung nach § 113, und zwar auch dann, wenn sie dem Opfer ohne Aufwendung körperlicher Kraft beigebracht werden.53 Bloßes Unter-

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BGH NJW 1953 672; bei Daliinger MDR 1955 143, 144; VRS 2 6 2 0 2 ; 22 435, 4 3 7 ; BGHSt 25 313; bei Spiegel DAR 1987 195; OLG Düsseldorf NJW 1982 1111, 1112; OLG Hamm NJW 1973 1240; 1891; OLG Koblenz VRS 56 38; DAR 1973 219; KG VRS 11 198, 2 0 0 ; OLG Hamm DAR 1958 330, 331. BayObLGSt 1988 7, 8 f m. Anm. Bottke JR 1989 25; krit. Ostendorf J Z 1989 573. BGH bei Daliinger MDR 1955 144; BGH 4 StR 3 8 4 / 7 0 v. 12.11.1970; Sch/Schröder/Eser Rdn. 44; aA OLG Köln VRS 27 103, 104. BGHSt 18 133, 134; RGSt 2 7 405, 406; Maurach/Schroeder/Matwald BT 2 § 71 Rdn. 15,

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17; aA Zielinski AK Rdn. 2 7 und wohl auch RGSt 41 82, 84; vgl. auch Sch/Schröder/Eser Rdn. 4 3 ; Tiedemann J Z 1969 720, die zwar das Einsperren, nicht aber das Aussperren des Amtsträgers als Widerstandleisten durch Gewalt ansehen. OLG Düsseldorf N Z V 1996 458, 4 5 9 ; aA Ostendorf J Z 1997 1104; Seier/Rohlfs N Z V 2006 460. RG Recht 1914 Nr. 707; vgl. ferner zu $ 2 4 9 BGH 2 StR 4 6 4 / 7 5 v. 22.10.1975 und 2 StR 5 0 5 / 7 4 v. 26.11.1975. BGHSt 1 145, 147; aA RGSt 72 349, 351; 58 98, 99; 56 87, 88.

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lassen (vgl. Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 498; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 16) - z.B. Nichtöffnen der Tür bei Erscheinen der Vollstreckungsbeamten - reicht angesichts des tatbestandlich vorausgesetzten „Leistens von Widerstand", einer aktiven Tätigkeit, nicht aus. Am gewaltsamen Widerstand fehlt es bei rein passivem Verhalten, also etwa beim Nichtaufstehen des Festzunehmenden, dem Sitzenbleiben auf den Straßenbahnschienen oder dem Sich-wegtragen-lassen.54 Deswegen ist es keine Gewaltanwendung, wenn der Schuldner seinen Hund, der den Zugang zum Pfandgegenstand versperrt, trotz Aufforderung des Gerichtsvollziehers nicht entfernt (OLG Neustadt GA 1961 60). Voraussetzung für diese Beurteilung ist natürlich, dass der Schuldner den Hund nicht gerade an der betreffenden Stelle angebunden hat, um dem Gerichtsvollzieher den Zugang zu verwehren; hat er das getan, so liegt der Fall nicht anders, als beim Zuhalten oder Verschließen der Tür. Von einem „untätigen Widerstand" kann nur so lange die Rede sein, wie der Täter die Amtshandlung lediglich dadurch erschwert, dass er dem mit der Verhaftung oder dem Fortschaffen betrauten Beamten nichts anderes als das Gewicht seines Körpers entgegensetzt. Bereitet er dem Polizisten darüber hinausgehende Schwierigkeiten, wie durch Entgegenstemmen, Stemmen der Füße gegen den Boden, Festklammern an einem Treppengitter (aA Blei BT § 102 II 3), krampfhaftes Festhalten am Lenkrad (BGH VRS 56 141, 143), am Wagendach bzw. der Türumrandung eines Pkw (OLG Köln VRS 71 183, 186), durch heftig kreisende Bewegungen zwecks Befreiung aus dem Griff eines Polizeibeamten (OLG Hamburg NJW 1976 2174) oder Losreißen, etwa um die Durchsetzung einer Blutentnahme zu verhindern (OLG Frankfurt NJW 1974 572) oder einer vorläufigen Festnahme zu entgehen (OLG Stuttgart NJW 1971 629), oder durch sonstiges heftiges Sträuben gegen einen Abtransport, ist das Merkmal des gewaltsamen Widerstandes gegeben. 55 Denn derartige Verhaltensweisen sind durch den oftmals nicht unerheblichen Einsatz von Körperkraft gekennzeichnet (BVerfG NJW 2006 136). Im Grenzbereich liegt das feste Einhaken oder Aneinanderklammern mehrerer Personen zwecks Verhinderung ihres polizeilichen Abtransports (vgl. Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 497 u. Fn. 15; gegen Gewalt AG Frankfurt StV 1985 373, 374; Ostendorf J Z 1987 336). Auf der Grenze liegt ebenso der Fall, in dem sich der untätige Widerstand gegen die freie Entfaltungsmöglichkeit des Beamten richtet, wenn ihm z.B. die Ausübung seiner Tätigkeit dadurch unmöglich gemacht wird, dass Demonstranten sich vor die Tür der Polizeiwache setzen, einhaken und den Ein- oder Ausgang dadurch blockieren. Man wird diese Lage derjenigen gleichsetzen können, bei welcher der Täter den Gerichtsvollzieher aus- oder einsperrt und den Gewaltbegriff bejahen müssen (vgl. Prot. V/2895; VI/314 f; krit. Backes/Ransiek JuS 1989 625). Keine Gewalt liegt schon begrifflich vor (vgl. BVerfGE 91 1, 17 f), wenn sich Demonstranten auf die Straße legen, um den Einsatz berittener Polizei gegen Ruhestörer zu verhindern, oder wenn sich Personen zwecks Verhinderung des Abtransports eines Festgenommenen vor und hinter dem polizeilichen Streifenwagen auf die Straße setzen; denn hier mangelt es an der Entfaltung von Körperkraft (BVerfG NJW 2 0 0 6 136; AG Frankfurt StV 1985 373, 374; aA OLG Düsseldorf StV 1986 103, 104). Die Behauptung eines Unterschieds zum Ungehorsam und rein passiven Verhalten (v. BubnoffLK11 Rdn. 15) wirkt konstruiert.

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Vgl. BGHSt 18 133, 134; Sch/Schröder/Eser Rdn. 40; offengelassen in BGHSt 23 46, 51. RGSt 2 411, 412 f; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 17; Sch/Schröder/Eser

Rdn. 4 4 ; Fischer Rdn. 24; aA Backes/Ransiek JuS 1989 624, 625; Blei BT § 102 II 3; Zielinski AK Rdn. 27.

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte d) Drohung mit Gewalt. Drohung mit Gewalt ist die Ankündigung der künftigen Gewaltanwendung in dem soeben gekennzeichneten Sinne. Die Ankündigung kann nicht nur mit Worten, sondern auch durch Gesten erfolgen ( O L G Hamm N J W 1 9 7 3 1240), etwa durch Vorhalten einer Waffe oder durch bedrohliches Hochheben eines Stuhles (KG N J W 1975 887, 888). Auch der vom O L G Koblenz NStE § 113 Nr. 2 entschiedene Fall bedrohliches Zulaufen auf einen vollstreckenden Polizeibeamten unter lautem Schreien und „Herumfuchteln mit den Armen" zwecks Vereitelung der Festnahme eines Dritten dürfte eher dieser Alternative zuzuordnen sein. Der Begriff der Drohung wird gleichbedeutend verwendet wie in § 2 4 0 (vgl. die dortige Erl.). Erforderlich ist allerdings, dass Gewalt angedroht wird; andere Nötigungsmittel genügen nicht. Es ist erforderlich aber auch hinreichend, dass der Täter weiß oder billigend damit rechnet, die Drohung sei geeignet, beim Bedrohten Furcht vor ihrer Verwirklichung hervorzurufen (vgl. B G H N J W 1976 976). Die Drohung braucht nicht ernst gemeint zu sein; es genügt, wenn der Drohende meint und will, dass der Bedrohte sie für ernst hält (vgl. O L G Hamm OLGSt

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§ 113 S. 2 3 ) , so z.B. beim Entgegentreten mit einem ungeladenen Gewehr (RGSt 9 176, 177). Auch mit einem erst nach Beendigung der Amtstätigkeit vorzunehmenden Gewaltakt kann wirksam gedroht werden ( S c h / S c h r ö d e r / E s e r Rdn. 45), dgl. mittelbar durch Gewalt gegen Sachen. O b der Bedrohte das Übel zu fürchten hat, ist gleichgültig. Das Inaussichtstellen von Gewalt gegen die Allgemeinheit kann genügen. Die Drohung mit einem sonstigen empfindlichen Übel (bloßstellende Presseveröffentlichung, Strafanzeige, Dienstaufsichtsbeschwerde; Selbstverbrennung; O L G Hamm N S t Z 2 0 0 5 547, 5 4 8 ) reicht nicht aus. e) Tätlicher Angriff. Neben den durch Gewalt oder Bedrohung mit Gewalt geleisteten Widerstand tritt der bei der Diensthandlung geleistete tätliche Angriff. Darunter ist eine mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper des Beamten oder Soldaten zielende Einwirkung zu verstehen (RGSt 5 9 2 6 4 , 2 6 5 ; BSG N J W 2 0 0 3 164), und zwar ohne Rücksicht auf den Erfolg, u.U. auch körperliche Einwirkungen, die nicht unter den Begriff der versuchten oder vollendeten Körperverletzung zu subsumieren sind (vgl. B G H N J W 1982 2 0 8 1 ; Otto J R 1983 74). Die Art und Umstände des Täterhandelns müssen also die feindselige Zielrichtung einer körperlichen Einwirkung aufweisen. Zur körperlichen Berührung braucht es nicht gekommen zu sein; es genügt also das Ausholen zum Schlag, dagegen mangels unmittelbaren Ansetzens noch nicht das Zulaufen auf einen vollstreckenden Polizeibeamten unter lautem Schreien und „Herumfuchteln mit den Armen" (vgl. O L G Koblenz NStE zu § 113 Nr. 2; s. Rdn. 2 5 ) . Als tätlicher Angriff zu werten ist der gezielte Wurf einer Flasche gegen vollstreckende Polizeibeamte (vgl. KG StV 1 9 8 8 4 3 7 ) , auch wenn der Wurf fehlgeht, sowie das Zurückwerfen von Reizgaskörpern in Richtung auf die räumende Polizei bei polizeilichem Einsatz von Tränengas gegenüber einer Menschenansammlung. Die Abgabe eines Schreckschusses wird man, wenn er den anderen zwar einschüchtern soll, aber nicht körperlich verletzen kann, nicht als tätlichen Angriff verstehen können; denn der Täter will damit gerade nicht auf den Körper des Beamten einwirken (vgl. § 121 Rdn. 3 8 ) . 5 6 Doch kann darin eine Widerstandsleistung durch Gewalt oder Drohung damit liegen. 5 7 Anders ist bei dem gezielten Anlegen einer scharf geladenen Waffe auf den Beamten zu entscheiden, weil hier ein Körperbezug angebahnt ist (BSG N J W 2 0 0 3 164). Das Übergießen des Beamten mit einer erheblichen Menge Brennspiritus, so dass die Oberbekleidung bis auf die Haut durch-

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RG Recht 1914 Nr. 707; Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 499; aA Sch/Schröder/Eser Rdn. 47.

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RGSt 66 353; auch Horn/Wolters SK Rdn. 15.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

nässt ist, ist eine hinreichende körperliche Einwirkung (BGH NStZ 2 0 0 7 701, 702). Die Freiheitsberaubung oder das Herausdrängen des Beamten aus der Tür ist eine auf den Körper des Beamten zielende Einwirkung und kann als tätlicher Angriff gewertet werden; ebenso das Ergreifen des Beamten am Oberarm und Herumreißen unter bedrohlichem Erheben der geballten Faust (BGH NJW 1982 2081). Der Angriff muss während der Vollstreckungstätigkeit erfolgen (KG StV 1988 437), braucht indes keine Elemente des Widerstandleistens zu enthalten. Nicht erforderlich ist, dass mit dem Angriff die amtliche Tätigkeit erschwert werden soll; auch ein reiner Racheakt bei der Durchführung oder Schläge aus Wut über die Durchführung reichen zur Anwendung des § 113 aus (Sch/Schröder/Eser Rdn. 47). Nicht selten werden die Täterhandlungen beide Begehungsalternativen - des gewaltsamen Widerstandes einerseits, des tätlichen Angriffs andererseits - erfüllen. 27

5. Rechtmäßigkeit der Diensthandlung. Nach § 113 Abs. 1 a.F. hing die Bestrafung von der „rechtmäßigen" Amtsausübung ab. 5 8 Das Wort fehlt in der neuen Fassung des Absatzes 1. Dadurch hat sich aber sachlich nichts geändert. Denn gemäß § 113 Abs. 3 S. 1 darf, ebenso wie früher, nicht aus § 113 bestraft werden, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist (Rdn. 34 ff). Die Übernahme des Wortes „rechtmäßig" in einen besonderen Absatz, wie sie bereits in den Garmischer Beschlüssen vorgesehen war (Prot. V/3399), ist nur aus „methodischen und rechtstheoretischen Gründen" erfolgt (Prot. VI/304 und 311).

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a) Dogmatische Einordnung des Rechtsmäßigkeitsbegriffs. Nach der von der Rechtsprechung und einem großen Teil des Schrifttums zur a.F. vertretenen Meinung war die Rechtmäßigkeit objektive Bedingung der Strafbarkeit, so dass ein Irrtum des Täters darüber unbeachtlich war (u.a. BGHSt 21 334, 364 ff; 4 161, 163; jeweils m.w.N.); allerdings befinden sich in diesen Entscheidungen bereits Hinweise auf Ausnahmefälle, in denen die strenge Durchführung jenes Grundsatzes einen Verstoß gegen das Schuldprinzip enthalten könnte. Im Schrifttum fand sich auch die Ansicht, dass die Widerrechtlichkeit ein Tatbestandsmerkmal des § 113 und dass beim Irrtum der § 59 a.F. (§ 16 n.F.) anzuwenden sei (u.a. Frank Anm. VII, Liszt/Schmidt § 171 II 4). Welzel J Z 1952 19 und Lehrb. 11 S. 503 war der Auffassung, dass „der Zusatz von der Rechtmäßigkeit der Amtshandlung ... lediglich das ohnehin selbstverständliche Erfordernis der Rechtswidrigkeit der Widerstandsleistung" hervorhebe; demgemäß richte sich der Irrtum darüber nach den Grundsätzen des Verbotsirrtums.

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Während nach früherem Rechtszustand die dogmatischen Einordnungsmöglichkeiten zu einer unterschiedlichen Strafbarkeitsbegrenzung führten, ist der Strafbarkeitsumfang insbesondere durch die abschließende Regelung der Irrtumsproblematik - nunmehr klar abgegrenzt. Die Neufassung des § 113 durch das 3. StrRG ist in den Absätzen 3 und 4 eigene Wege gegangen. Sie stellt allerdings jedenfalls nach herkömmlicher Betrachtungsweise - was dem Sonderausschuss bewusst war (Prot. VI/305 bis 309) - eine klare dogmatische Zuordnung des Merkmals der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung in Frage. 59 Insoweit werden unterschiedliche Möglichkeiten erörtert.

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Zur Entwicklung dieses Erfordernisses vgl. Möbius S. 58 ff; Bosch MK Rdn. 11. Vgl. Hassemer JuS 1975 3 9 9 ; Lackner/Kühl Rdn. 18; Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 505;

Scbünemann JA 1972 707; H. Seebode (Fn. 1) S. 105, zugl. m. Überblick zum unterschiedlichen Meinungsstand S. 46 ff; vgl. aber Sax J Z 1976 9 , 1 6 .

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

§ 113

aa) Tatbestandsmerkmal. Teilweise wird die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung als 3 0 Tatbestandsmerkmal eingeordnet. Zur Begründung werden unterschiedliche Ansätze und Konstruktionen verwendet, die Problemeinbindung des Absatzes 4 ist differenziert. Einige Vertreter dieser Auffassung60 setzen bei der Beurteilung der sachlichen Einordnung des Rechtmäßigkeitsmerkmals bei der Rechtsgutsfrage (Schutzgut: rechtmäßige Betätigung der Vollstreckungsgewalt) an und suchen von hier aus die Zuordnung zur Tatbestandsebene nachzuweisen. Von einer solchen rechtsgutsbegrenzenden Funktion her gesehen (krit. Dreher GedS Schröder S. 365 f, 374, 379; JR 1984 402) wird die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung als unrechtskonstituierendes Tatbestandselement gekennzeichnet (Zielinski AK Rdn. 18), das aus rein kriminalpolitischen Erwägungen dem Vorsatzerfordernis entzogen sei (Sch/Schröder/Eser Rdn. 20). Für Eser handelt es sich bei § 113 Abs. 1, 3 der Sache nach um eine Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination, bei der für die in § 113 Abs. 1 genannten Tatbestandselemente Vorsatz nötig, für das Merkmal der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung Fahrlässigkeit (Absatz 4) ausreichend sei (für Absatz 4 Satz 1 ebenso Jakobs AT 6/65), d.h. insoweit lediglich vorauszusetzen sei, dass der Täter deren Rechtmäßigkeit hätte erkennen können. Die Irrtumsregelung des Absatzes 4 (vgl. hierzu auch Tiedemann Prot. VI/208) wird als verkappte bzw. gesetzgeberisch misslungene Fahrlässigkeitsregelung interpretiert. Um auch noch § 113 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 (Strafbarkeit trotz Unvermeidbarkeit des Irrtums) erklären zu können, muss diese Auffassung Fahrlässigkeit auch darin sehen, dass der Täter sich spontan zur Wehr setzt, anstatt ihm zumutbare Rechtsbehelfe zu ergreifen (krit. Bergmann [Fn. 33] S. 117; Krey/ Heinrich BT 1 Rdn. 502); aA insoweit Jakobs AT 6/65, der Absatz 4 Satz 2 als weiteren Tatbestand (Verbot abstrakter Gefährdung rechtmäßiger Vollstreckung) zu erklären sucht; hier soll die Rechtmäßigkeit objektive Strafbarkeitsbedingung sein (zust. Zielinski AK Rdn. 21). Zu einer Fahrlässigkeitslösung, die eine Einordnung als Tatbestandsmerkmal stützen könnte, hat sich indes der Gesetzgeber bewusst nicht entschlossen. Denn er ist dem von Bockelmann61 gemachten Vorschlag eines ergänzenden Fahrlässigkeitstatbestandes nicht gefolgt (vgl. de With, Pinger, Sturm Prot. VI/304 f, 310). Gegen eine dogmatische Erfassung der Rechtmäßigkeit als Tatbestandsmerkmal spricht ihre Ausgliederung aus der gesetzlichen Verhaltensumschreibung des Absatzes 1 (vgl. Wessels/Hettinger Rdn. 633). Die Regelung des Absatzes 3 Satz 2 wäre gegebenenfalls unverständlich und überflüssig.62 Mit einer solchen Auffassung ist ferner die Irrtumsregelung nicht vereinbar, die in Absatz 4 eine von § 16 abweichende Beurteilung des Irrtums vorsieht (Paeffgen NK Rdn. 66). Auf dem Boden einer modifizierten Tatbestandslösung argumentieren Naucke (FS Dreher, S. 459, 472 ff), der den insoweit regelwidrigen Absatz 4 als gesetzlich vorgesehene Ausnahme von § 16 kennzeichnet, ferner Sax (JZ 1976 9, 15 f, 80 ff, 430 f; zu beiden Auffassungen krit. Dreher GedS Schröder, S. 371 ff; H. Seebode S. 52 ff, 66 ff), der im Rahmen neuer dogmatischer Ansätze zwischen echten Tatbestandsmerkmalen und solchen besonderer Art - nicht vorsatzbezogenen „objektiven Strafwürdigkeitsvoraussetzungen" - unterscheidet; die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung wird als Strafwürdigkeitsvoraussetzung dem - vom notwendig vorsatzbezogenen gesetzlichen Tatbestand unterschiedenen, als übergreifende Kategorie gedachten - Unrechtstatbestand zugeordnet, weil sie das typische, strafbare Unrecht des § 113 mitbestimme (unrechts-

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Sch/Schröder/Eser Rdn. 20; Jakobs AT 6/65; Zielinski AK Rdn. 18, 20; früher auch Hirsch ZStW 84 (1972) 390 f, s. aber Rdn. 33. Prot. VI/170, 173/174; vgl. auch Niederschriften 13 58; Tiedemann Prot. VI/208.

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Vgl. Dreher GedS Schröder, S. 371, 373; Sch/Schröder/Eser Rdn. 20a, 54; krit. Hirsch ZStW 84 [1972] 388, 392 Fußn. 21.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

konstituierendes Merkmal; ähnlich Horn/Wolters SK Rdn. 22). Hinsichtlich der Strafwürdigkeitsvoraussetzungen sollen danach (abgewandelte) Verbotsirrtumsregeln gelten (Sax J Z 1976 430 f). 31

bb) Objektive Strafbarkeitsbedingung. Teilweise wird auch (und gerade) nach der Neufassung an der Meinung festgehalten, dass die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung eine objektive Bedingung der Strafbarkeit sei (Krause Jura 1980 449; Wessels/Hettinger § 14 III 5 Rdn. 633 „durch § 113 IV modifizierte objekt. Bedingung ..."; ähnlich Pinger Prot. VI/305; KG NJW 1972 781, 782; differenzierend Blei II § 102 III; ferner mit der Abschichtung zwischen Absatz 3 und 4 bei Maurach Nachtr. II S. 12 f: die Rechtmäßigkeit wird in Absatz 3 als objektive Strafbarkeitsbedingung - ihr Fehlen als Strafausschließungsgrund - , dagegen in Absatz 4 als gleichfalls vorsatzfreies spezielles Rechtswidrigkeitselement gekennzeichnet). Dabei wird an die auch der Neufassung zugrundeliegende Tendenz einer weitgehenden Risikoüberbürdung auf den sich Auflehnenden angeknüpft, der eine jedenfalls faktische Vermutung rechtmäßiger Vollstreckungstätigkeit gegen sich hat. Die Annahme einer objektiven Strafbarkeitsbedingung mag zwar mit der Fassung des Absatzes 3 Satz 1 vereinbar sein; gegen sie spricht jedoch die Irrtumsregel des Absatzes 4. Die frühere Rspr. hatte den Weg der Strafbarkeitsbedingung eingeschlagen, um den Irrtum des Täters über die Rechtmäßigkeit auszuschalten, der aber nunmehr nach Absatz 4 erheblich ist. Diese Auffassung lässt im übrigen die Bedeutung des Rechtmäßigkeitsmerkmals für das Tatunrecht außer Betracht (vgl. Dreher GedS Schröder S. 359, 369; Sch/Schröder/Eser Rdn. 19). Friktionen ergeben sich daraus, dass gegen widerrechtliche Vollstreckungshandlungen Notwehr möglich sein muss, bei Annahme einer objektiven Strafbarkeitsbedingung die Rechtswidrigkeit der Widerstandsleistung aber bestehen bliebe (vgl. Dreher FS Heinitz, S. 221). Zu den verschiedenen Einwänden vgl. Dreher GedS Schröder S. 367 ff; Bosch MK Rdn. 27.

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cc) Rechtfertigungselement. Der Vorzug ist nach wie vor der Rechtfertigungslösung zu geben, die im Anschluss an Dreher (NJW 1970 1158; GedS Schröder S. 359, 379; JR 1984 401) weitgehend an Boden gewonnen hat. 63 Das in Absatz 1 typisierte Tatunrecht besteht im Widerstand gegen einen hoheitlichen Vollstreckungsakt, der seinerseits in einem Rechtsstaat regelmäßig eine Vermutung der Rechtmäßigkeit für sich hat, 64 die tatbestandliche Umschreibung des Absatz 1 hat hier also unrechtsbegründenden Funktion. Dem Fehlen der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung kommt eine rechtfertigende Wirkung, d.h. die Bedeutung eines rechtfertigenden Elements zu, das die Rechtswidrigkeit des Widerstandes als solchen entfallen lässt. Es handelt sich mit den folgenden Regelungsbesonderheiten bei Absatz 3 um einen spezialgesetzlichen Rechtfertigungsgrund eigener Art. 65 Diese Auffassung dürfte die bestehenden Spannungen einigermaßen befriedigend überbrücken (so auch Lackner/Kühl Rdn. 18), wobei allerdings gesetzliche Beson-

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Bosch MK Rdn. 30; Fischer Rdn. 20; Heimann-Trosien LK 9. Aufl. Rdn. 20; Herdegen FS BGH, S. 2 0 2 ; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 39; Niemeyer J Z 1976 315; Paeffgen J Z 1 9 7 9 521; H. Seebode (Fn. 1) S. 109; auch Scholz FS Dreher, S. 4 8 2 ; OLG Bremen NJW 1977 158; krit. Wessels/Hettinger § 14 III 5 Rdn. 633; Horn/ Wolters SK Rdn. 2 2 ; Naucke FS Dreher, S. 459, 471; Tiedemann Prot. Vl/208.

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Dreher GedS Schröder, S. 359, 365, 379; JR 1984 401/402; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 39; H. Seebode (Fn. 1) S. 93 f m.w.N. Zu der Annahme eines Rechtspflichtmerkmals vgl. etwa Dreher, FS Heinitz, S. 221; Niemeyer J Z 1976 315; Gössel GA 1980 153; Otto BT § 91 Rdn. 10; Pinger Prot. VI/310; Scholz FS Dreher, S. 4 8 2 f; aA Hirsch FS Klug, S. 235, 2 4 9 Fn. 57.

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

derheiten zu berücksichtigen bleiben. Ein Verteidigungswille, d.h. Kenntnis der Unrechtmäßigkeit der Diensthandlung, wird nicht vorausgesetzt (aA Hirsch FS Klug, S. 251, s. Rdn. 67). Denn Absatz 3 S. 2 bestimmt, dass die irrige Annahme der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung (umgekehrter Irrtum) die rechtfertigende Wirkung unberührt lässt. Während sonst bei Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements teilweise Haftung wegen Tatvollendung,66 vorwiegend Haftung wegen untauglichen Versuchs 67 angenommen wird, hat der Gesetzgeber eine solche Folge ausdrücklich ausgeschlossen (vgl. Prot. V/2890: mit gutem Grund „zur Vorbeugung doktrinärer Mißverständnisse"; vgl. auch Bosch MK Rdn. 30; Dreher J R 1984 403). Dem liegt - ähnlich wie bei § 22 WStG (vgl. Schölz/Lingens WStG § 22 Rdn. 5) - die Erwägung zugrunde, dass bei rechtswidrigem staatlichem Vorgehen der Betroffene auch dann nicht bestraft werden soll, wenn er die Rechtswidrigkeit nicht erkennt (Niederschriften 13 53). Fehlende Rechtmäßigkeit (Absatz 3) rechtfertigt nur den Widerstand als solchen und führt zum Entfallen des § 113 (krit. Sch/Schröder/Eser Rdn. 19). Die Unrechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung kennzeichnet diese zugleich als rechtswidrigen Angriff, gegen den Notwehr möglich ist (vgl. aber Dreher NJW 1970 1159). Die Strafbarkeit des Widerstandleistenden wegen eines über den Widerstand hinausgehenden Delikts beurteilt sich außerhalb des § 113 nach den §§ 32, 33 (Rdn. 62 f; Dreher J R 1984 405). Entlastet das Gesetz den Täter bei rechtswidrigem Vorgehen der Staatsgewalt und nimmt es auf dessen Interessen weitgehend Rücksicht, schlägt dagegen bei objektiv rechtmäßiger Diensthandlung der starke Schutz der staatlichen Gewalt durch. § 113 Abs. 4 S. 2 verweist denjenigen, der irrtümlich die Rechtswidrigkeit der Maßnahme annimmt, auf den Rechtsweg gegen diese Maßnahme, will er straffrei bleiben, selbst dann, wenn der Täter in hohem Maße sorgfältig die Frage der Rechtmäßigkeit bedenkt. Das Risiko, sich doch gegen eine rechtmäßige Diensthandlung zur Wehr gesetzt zu haben, trifft in vollem Umfang den Bürger. Nicht zu Unrecht wird hier ein Widerspruch gesehen: einerseits Rücksichtnahme auf jenen bei rechtswidrigem Staatshandeln, andererseits höchster Schutz der vollziehenden Gewalt bei deren Rechtmäßigkeit {Horn/Wolters SK Rdn. 22; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 70 II Rdn. 41 f). Zu der komplexen Irrtumsregelung des Absatzes 4 und ihrer Abweichung von den für den Irrtum über Rechtfertigungsgründe geltenden Regeln vgl. Rdn. 68 ff; ferner Prot. V/2928 f. Von den Vertretern einer modifizierten Rechtfertigungslösung wird folgendermaßen 3 3 differenziert: Der Widerstand gegen jegliche - auch rechtswidrige (vgl. Horn/Wolters SK Rdn. 22; krit. Dreher GedS Schröder S. 359, 384) - Vollstreckungshandlung wird für rechtswidrig erachtet, sofern er die Voraussetzungen des § 32 nicht erfüllt (Hirsch FS Klug, S. 235, 243 ff unter Aufgabe der Deutung als Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination; zust. Lenz Diensthandlung S. 174) oder statt der zumutbaren Wahrnehmung eines Rechtsbehelfs begangen wird (Bergmann S. 124, 126 f; Thiele J R 1979 397, 398; krit. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 ξ 70 Rdn. 42). Der dann überschießende Inhalt des Absatzes 3 wird teilweise als unwiderlegliche Vermutung für einen der Notwehrüberschreitung ( § 3 3 ) entsprechenden Entschuldigungsgrund (Hirsch aaO) oder als objektiver Strafausschließungsgrund gedeutet (Bergmann, Thiele, Horn aaO). Diese Auffassungen,

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Arzt/Weber BT § 45 Rdn. 43; Hirsch LK 10 vor § 32 Rdn. 59, 61; Scbmidhäuser 6/24; Trifterer FS Oehler, S. 225. KG GA 1975 213; Bockelmann/Volk S. 207 u. Niederschriften 13 59; Jakobs AT 11/22 f; Jescheck/Weigend AT § 31 IV 2 S. 330; Herz-

berg JA 1986 190; Hruscbka GA 1980 16 f; Rönnau LK vor § 32 Rdn. 81; Rudolpbi SK § 22 Rdn. 29 u. FS Maurach, S. 58; Günther SK vor § 32 Rdn. 91; Stratenwerth/Kuhlen AT § 9 Rdn. 152.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

insbesondere die „Notwehreröffnungslösung" von Hirsch, dürften indes weder mit der Fassung des § 113 Abs. 3 Satz 1, 2 in Einklang zu bringen sein noch mit der Zielsetzung des Gesetzes, einen absoluten Schutz des Bürgers vor einem unrechtmäßigen Vorgehen des Völlstreckungsbeamten zu gewährleisten (vgl. Dreher J R 1984 401 f; GedS Schröder S. 359, 365; s.a. Sch/Schröder/Eser Rdn. 19). Absatz 3 sieht weder eine Erforderlichkeitsvoraussetzung noch das Vorhandensein eines Verteidigungswillens vor, die eine derartige Aufspaltung rechtfertigen könnten. Vereinzelt wird Absatz 3 zum Strafausschließungsgrund erklärt (Bottke JA 1980 98). 34

b) Inhaltliche Bestimmung. Kontrovers wird diskutiert, wie das Merkmal der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung (Absatz 3 Satz 1) zu verstehen ist. Es lassen sich drei unterschiedliche Richtungen ausmachen. Der gesetzmäßige oder vollstreckungsrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff68 verlangt, dass die Vollstreckungshandlung unter Berücksichtigung der gesamten materiellen Rechtslage rechtmäßig ist, kommt also dem Bürger weitgehend entgegen und schränkt die Strafbarkeit entsprechend weitgehend ein. Auf der anderen Seite der denkbaren Skala steht der verwaltungsrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff,69 der allein aufgrund einer verbindlichen verwaltungsrechtlichen Wirkung von einer rechtmäßigen Diensthandlung ausgeht, also lediglich das nichtige Verwaltungshandeln, dessen Rechtswidrigkeit diesem geradezu auf der Stirn geschrieben steht, als rechtswidrig einstuft. Diese Ansicht ist eher bürgerfeindlich und weitet die Strafbarkeit extrem aus. Der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff70 schließlich nimmt zwischen den extremen Deutungsmöglichkeiten - der Gesetzmäßigkeitstheorie und der Gleichsetzung mit verwaltungsrechtlicher Verbindlichkeit - eine vermittelnde Position ein und steht damit in Einklang mit der gesetzgeberisch angestrebten (Lackner/Kühl Rdn. 7) konzeptionellen Interessenausgewogenheit zwischen vollstreckungsbetroffenem Bürger und vollstreckendem Amtsträger.

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aa) Strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff. Das für die Zwecke des § 113 entwickelte Verständnis der Rechtmäßigkeit deckt sich nicht mit dem materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff. Nach letzterem ist unrechtmäßig, was nach den Regeln des Verwaltungsrechts nicht der Rechtsordnung entspricht. Die Rechtsprechung hat für § 113 eine Begriffsbestimmung entwickelt, bei der es weniger auf die sachliche, materielle Richtigkeit des Eingriffs 71 als auf die formale Rechtmäßigkeit ankommt. Danach führen nur bestimmte schwere Mängel der Diensthandlung zu deren Unrechtmäßigkeit. In Betracht kommen Zuständigkeitsmängel, fehlende Form, nicht pflichtgemäße Ausübung des Ermessens und besondere Mängel beim Handeln auf Befehl. 72 Abweichend davon ging in Anknüpfung an Welzel (Niederschriften 13 55 f) - ein Vorschlag des BMJ bei den Beratungen der 5. Wahlperiode (Prot. V/2889, 2900) von der Fragestellung aus, was sich der Betroffene gefallen lassen müsse und was nicht. Danach sollte im Rahmen einer verwaltungsrechtlichen Lösung die Rechtmäßigkeit einer Diensthandlung entfallen, wenn diese entweder nichtig sei oder jedenfalls fehlerhaft und dem Betroffenen die Beschrän-

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Paeffgen NK Rdn. 4 0 f m.w.N. Heute etwa noch Erb FS Gössel, S. 2 3 0 ; Krey/Heinrich Rdn. 511 m.w.N; Otto BT § 91 Rdn. 15. Mit punktuellen Abweichungen Fischer Rdn. 11; Lackner/Kühl Rdn. 7 ff; Sch/Schröder/Eser Rdn. 2 2 ; H. Seebode S. 195; Wessels/Hettinger § 14 III 5 Rdn. 635 ff; krit.

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Bergmann Strafmilderung S. 113 f; Amelung JuS 1986 329, 3 3 4 f; Roxin FS Pfeiffer, S. 45 ff. KG Berlin NStZ 2 0 0 6 414; Rostek NJW 1972 1335; s. Schall S. 52 f, 57. Vgl. hierzu Prot. V/2887 ff; BGHSt 21 334, 361 ff; OLG Celle N J W 1971 154; BayObLG J R 1989 24; Dreher N J W 1970 1158.

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

kung auf die vorgesehenen Rechtsbehelfe ausnahmsweise nicht zugemutet werden könne. Dieser Vorschlag, der bei den Beratungen des Sonderausschusses in seiner Tragweite möglicherweise missverstanden wurde (vgl. Thiele J R 1975 355), ist jedoch nicht Gesetz geworden. Der Gesetzgeber war sich vielmehr bei der Fassung des § 113 n.F. über die Beibehaltung des sog. strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs einig, 73 wenn er das auch nicht in der Vorschrift selbst zum Ausdruck gebracht hat (Prot. VI/304; Ber. BTDrucks. VI/502 S. 5). bb) Verwaltungsrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff. Gegen die spezifisch strafrechtliehe Abgrenzung wendet sich die mannigfache Kritik im neueren Schrifttum, die bei der Bestimmung des Rechtmäßigkeitsbegriffs auf abweichende Kriterien abstellt. 74 Teilweise wird der Rechtmäßigkeitsbegriff i.S.d. § 113 Abs. 3 etwa mit der Verbindlichkeit nach öffentlichem Recht gleichgesetzt, wodurch ein dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung zuwiderlaufender Norm- oder Wertungswiderspruch, d.h. ein Auseinanderfallen der öffentlich-rechtlichen Duldungspflicht und der Reichweite des Widerstandsrechts des Bürgers, vermieden werden soll. Dieser verwaltungsrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff sieht auf der Grundlage einer Wirksamkeitstheorie (Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 511; Lüke FS Arthur Kaufmann II, S. 568) in Anlehnung an § 44 Abs. 1 VwVfG lediglich die Vollstreckung nichtiger Vollstreckungsakte (oder nicht vollstreckbarer Urteile oder Verwaltungsakte) als unrechtmäßige Diensthandlung. Auch eine Differenzierung zwischen Tatsachen* und Rechtsirrtum des Amtsträgers entfällt. Zur Rechtfertigung wird vor allem auf den Normzweck abgestellt, der in einer möglichst weitgehenden Sicherung der Durchsetzung des verbindlichen Staatswillens gesehen wird. Diese Auffassung erscheint indes zu eng; sie verschiebt den Interessenausgleich zu Lasten des Bürgers.75

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cc) Vollstreckungsrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff. Die vollstreckungsrechtlichen Lösungansätze76 legen dagegen mit gewissen Unterschieden die materiellen öffentlichrechtlichen Vollstreckungsvoraussetzungen zugrunde. Das „Irrtumsprivileg" des Staates (vgl. Jescheck/Weigend AT S. 392) wird wie jegliche „Subjektivierung der Eingriffsvoraussetzungen" abgelehnt. 77 Es wird zwischen Grund- und Vollzugsakt unterschieden.78 Die Rechtmäßigkeitsbeurteilung erfolgt nach den speziellen vollzugsrelevanten Normen, die indes auf die Verwirklichung des materiellen Rechts angelegt sind und damit in der Regel nur Eingriffe erlauben, die den gesetzlichen Eingriffs Voraussetzungen des materiellen Rechts entsprechen; sie darf sich nur im Rahmen ausdrücklicher gesetz-

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Grundlegend hierzu OLG Karlsruhe NJW 1974 2142; KG NJW 1972 781; 1975 887; GA 1975 213; OLG Köln NStZ 1986 234, 235; VRS 71 183, 185; NJW 1975 889; MDR 1976 67; OLG Hamm GA 1973 244; OLG Düsseldorf NJW 1984 1571. Vgl. Meyer NJW 1972 1845; NJW 1973 1074; Wagner Amtsverbrechen S. 824; JuS 1975 2 2 4 ff; andererseits Thiele JR 1975 353, 1979 397 ff, 1981 30 f; Schünemann JA 1972 703, 775; ferner Rostek NJW 1975 862; Schellhammer NJW 1972 319. Zu deren Kritik vgl. Bergmann S. 115 Fn. 167; Bosch MK Rdn. 33; Günther NJW

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1973 3 0 9 ff; Lackner/Kühl Rdn. 7; Schall S. 2 8 4 f; H. Seebode S. 168 ff, 196; Thiele JR 1975 353; Schünemann JA 1972 703, 709. Amelung JuS 1986 329; Backes/Ransiek JuS 1989 624; Benfer NStZ 1985 255; Ostendorf J Z 1981 165; Paeffgen NK Rdn. 41; Rengier BT 2 § 53 Rn. 14; Schünemann JA 1972 703; Thiele s. Fn. 36; auch Schall Grundlagen S. 2 8 5 ff: vollstreckungsrechtlich modifizierte Gesetzmäßigkeitstheorie. Amelung JuS 1986 329, 335; Ostendorf J Z 1981 1 6 5 , 1 7 2 ; Roxin FS Pfeiffer, S. 45, 50. Thiele JR 1975 353, 356; Ostendorf J Z 1981 165,172.

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licher Ausnahmeregelungen von der materiell-objektiven Betrachtung abheben. 79 Es wird also eine Synchronisierung des § 113 mit der vollziehungsrechtlichen Rechtslage für erforderlich und die öffentlich-rechtliche Zulässigkeit der Dienst-, d.h. Vollstreckungshandlung für ausschlaggebend gehalten.80 Dabei wird u.a. maßgeblich auf die vorläufige Vollstreckbarkeit i.w.S. und den Prognose- bzw. Gefahreinschätzungscharakter als Leitgesichtspunkte abgestellt, die eine Vollstreckungshandlung trotz „materieller Unrichtigkeit" als rechtmäßig erscheinen lassen.81 Deswegen müsse gar nicht auf einen zweifelhaften, gesonderten Begriff zurückgegriffen werden. Eingriffsvoraussetzungen wie die der Anscheinsgefahr oder des Tatverdachtes berücksichtigten bereits hinreichend die Situation der vor Ort handelnden Beamten, bei der oftmals i.S. einer effektiven Gefahrenabwehr rasches Eingreifen notwendig ist, und lässt deren Handeln rechtmäßig sein, auch wenn ex post sich die Situation als Scheingefahr herausstellen sollte. 82 Neben dieser ersten, den Amtsträger vom Rechtswidrigkeitsrisiko entlastenden Ebene wird als zweite Ausgleichsebene zwischen den Interessen des Vollstreckungsbeamten und des betroffenen Bürgers die Notwehreinschränkung des Bürgers zugunsten zumutbarer Rechtsbehelfe selbst bei rechtswidrigen Eingriffen hervorgehoben.83 Andere argumentieren in Anlehnung an die vollstreckungsregelnde Vorschrift des § 6 Abs. 2 VwVG, die sich mit der in ihr enthaltenen Anforderung („innerhalb ihrer - der Amtsträger - gesetzlichen Befugnisse") in vergleichbarer Weise an der materiellen Rechtmäßigkeit orientiert. 84 38

dd) Diskussion. Die Kritiker bemängeln am strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff, dass im Ergebnis dem „zackigen Durchgreifen" (Schünemann JA 1972 708) von Vollstreckungsbeamten ein gegenüber den Freiheitsrechten der Bürger nicht vertretbarer Vorrang gewährt werde. Der Bürger müsse selbst ein rechtswidriges Handeln eines Staatsdieners dulden und könne sich nicht zur Wehr setzen, wie er es bei vergleichbaren Maßnahmen ein Privatmann gem. § 32 StGB tun könnte. Insbesondere wenn es um Eingriffe in die grundrechtlich verbürgten Freiheiten der Versammlung und der Meinungsäußerung gehe, drücke sich im kritisierten Ansatz ein überholtes obrigkeitliches Staatsverständnis aus. 85

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Das BVerfG hat in einem Kammerbeschluss die Verurteilung eines Demonstranten gem. § 113 StGB aufgehoben, der ohne Anmeldung aus einer Versammlung heraus eine Wahlkampfveranstaltung der CDU mit einem Megaphon gestört hatte. Die Polizei hatte den Demonstranten nach Anstiftung durch den Landesinnenminister in Gewahrsam genommen, wobei es in einem Tumult zu Widerstandshandlungen gekommen war. 86 Im Rahmen dieser Entscheidung wird ausdrücklich der eingeschränkte, d.h. strafrechtliche

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Amelung JuS 1986 329, 336; Backes/Ransiek JuS 1989 624, 628. Schünemann JA 1972 703 ff; 710, 775; Thiele, Fn. 36; Ostendorf J Z 1981 165, 172 f. Schünemann JA 1972 7 0 3 ff; 710, 775; zur Gruppe der sog. Verdachts- und Gefahrtatbestände Schall S. 2 8 7 ; Roxin FS Pfeiffer, S. 45, 50 f; Bsp. b. H. Seebode S. 155; vgl. auch Amelung JuS 1986 329, 336; Backes/ Ransiek JuS 1 9 8 9 624, 6 2 8 ; Ostendorf JZ 1981 1 6 5 , 1 7 2 f, 175; Spendet LK § 32 Rdn. 68 ff; Τriffterer FS Mallmann, S. 373, 3 9 4 f.

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Niehaus/Achelpöhler StV 2 0 0 8 73. Amelung JuS 1986 329, 336; aA Benfers NStZ 1985 255, 2 5 6 . Backes/Ransiek JuS 1 9 8 9 6 2 8 ; Ostendorf J Z 1981 172; Thiele JR 1975 356; J R 1979 401. Niehaus/Achelpöhler StV 2 0 0 8 74; Roxin FS Pfeiffer, S. 52; vgl. auch Horn/Wolters SK Rdn. I I a , allerdings beschränkt auf Irrtümer des Amtsträgers. BVerfG NVwZ 2 0 0 7 1180; zum Sachverhalt s. auch Niehaus/Achelpöhler StV 2 0 0 8 71.

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Rechtmäßigkeitsbegriff sanktioniert (BVerfG NVwZ 2007 1180, 1181). Moniert hat die Kammer dagegen, dass der Rahmen dieses Begriffes von den Fachgerichten zu eng gezogen worden war. Dieser sei im Lichte der Bedeutung der Grundrechte, hier der Versammlungsfreiheit des Art. 8 GG, zu bestimmen und verlange als wesentliche Förmlichkeit bei der Entfernung eines Demonstranten die Auflösung bzw. den Ausschluss nach § 13 Abs. 2 bzw. § 18 Abs. 3 VersammlG. Mit der Entscheidung hat es zugleich Stimmen widersprochen, die in der Judikatur des BVerfG einen „Abschied vom strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff" sehen wollten. 87 Vorangegangen waren Aufhebungen in Ordnungswidrigkeitenverfahren, bei denen das BVerfG den strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff als Grundlage einer Geldbuße verworfen hatte. Die Verurteilung bei Verweigerung der Personalien gem. § 111 Abs. 1 OWiG erfordert nicht nur ein formell, sondern ein materiell rechtmäßiges Auskunftsverlangen (BVerfGE 92 191, 199 ff mit Anm. Göhler GA 1996 181; Roellecke NJW 1995 3101; Weber JuS 1997 1080; vgl. auch BVerfG 87 399, 412 f). Zutreffend wird zur Strafbarkeit nach § 113 StGB abgegrenzt und zwischen Sanktionssituation und Handlungssituation unterschieden. Der Schutz des § 113 StGB greift in der Situation der unmittelbaren Vollzugshandlung vor Ort (BVerfG NVwZ 2007 1180, 1181). In der ruhigen Situation der nachträglichen Sanktionierung einer Ordnungswidrigkeit kann dagegen die strenge materielle Rechtsprüfung verlangt werden, weil einem perpetuierten Eingriff in Grundrechte nicht die Notwendigkeiten staatlicher Vollzugsinteressen gegenüberstehen (Bosch MK Rdn. 36). Am strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff ist mithin festzuhalten. Er ist geeignet, 4 0 die typischen Interessenskonflikte von Bürger einerseits und Vollstreckungsbeamten andererseits auf einer mittleren, wohl abgewogenen Linie auszutarieren (Lackner/Kühl Rdn. 7). Diese Linie entspricht auch der gesetzgeberischen Intention, welche die von den im Schrifttum unternommenen Ansätze verlassen würden. Eine „einseitig-obrigkeitliche(n) Privilegierung" (Roxin FS Pfeiffer, S. 52) der Beamten besteht nur zum Schein. Denn die Duldungspflicht des Bürgers, auch materiell nicht rechtmäßige Amsthändlungen zunächst hinzunehmen und nicht dagegen aufzubegehren, und der damit korrelierende Schutz des Amtsträgers qua Strafrecht dient nicht nur der Entschlusskraft der Vollstreckungsbeamten, die häufig ad hoc entscheiden müssen und nicht durch vollumfängliche Beachtung materieller Voraussetzungen in ihren Entscheidungen gelähmt sein sollen (BGHSt 4 161, 163; 21 365; KG StV 2001 260). Das allein trägt den strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff nicht. Die Duldungspflicht findet ihre Legitimation im staatlichen Gewaltmonopol, das für den Rechtsfrieden in der Gesellschaft unabdingbar ist und durch § 113 abgesichert wird. Diese präventive Absicherung der Duldungspflicht betrifft ein eigenständiges Rechtsgut von erheblichem Gewicht (BVerfG NVwZ 2007 1180, 1181 f). Der Schutz der eigenen Grundrechtsausübung mittels tätlicher Angriffe im Rahmen der Notwehr ist dagegen ein denkbar ungeeigneter Weg. Er würde in der Situation einer Vollstreckungshandlung nur weitere Polizeibeamte auf den Plan rufen mit der Gefahr ausufernder Eskalation (Erb FS Gössel, S. 222; Vitt ZStW 106 (1994) 585 Fn. 14). Es erscheint auch nicht unzumutbar, die betroffenen Bürger auf den (nachträglichen) Rechtsweg zu verweisen. Zum einen ist dieser in der Idee des staatlichen Gewaltmonopols verankert, zum anderen ist er keineswegs ineffektiv und daher inadäquat, 88 weil er durchaus Disziplinarmaßnahmen bis hin zu Entschädigungszahlungen (vgl. Art. 41 EMRK) nach sich ziehen kann.

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Reinbart N J W 1997 911; vgl. auch Weber JuS 1997 1 0 8 0 , 1 0 8 1 .

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AA Niehuus!Achelpöhler

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StV 2 0 0 8 74.

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Der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff ist seiner ratio nach auf die Regelungsprobleme des § 113 bezogen und kann auf andere Tatbestände, z.B. solche, die Freiheitsentziehungen erfassen, nicht übertragen werden. Für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten gilt er ebensowenig (BVerfGE 91 191, 199 ff) wie für richterliche Entscheidungsakte wie eine gerichtliche Unterbringungsanordnung.89

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c) Einzelne Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen. Für den - vom Gesetzgeber vorausgesetzten (s. Rdn. 35) - strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff ist erforderlich, dass die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Beamten sowie die wesentlichen Förmlichkeitskriterien für die Amtshandlung vorliegen. Zudem ist eine pflichtgemäße Prüfung der tatsächlichen Eingriffsvoraussetzungen zu verlangen (BVerfGE 91 191; KG NStZ 2 0 0 6 414; Rn. 50). Im Einzelnen gilt folgendes:

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aa) Sachliche Zuständigkeit. Der Amtsträger oder Soldat muss sachlich und örtlich zuständig sein. Die sachliche Zuständigkeit setzt voraus, dass die Handlung in den Kreis seiner Amts- oder Dienstgeschäfte fällt. Das ist nicht der Fall, wenn er hilft, rein private Ansprüche durchzusetzen (RGSt 40 212, 215 f; 2 9 199, 201; 2 6 291, 293), oder wenn ein Richter persönlich pfändet. Polizeibeamte, die nicht Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§ 152 GVG) sind, dürfen keine Anordnungen nach den §§ 81a Abs. 2, 81c Abs. 5, 98 Abs. 1, 105 Abs. 1 StPO aus eigenem Entschluss treffen und alsdann durchführen (RGSt 11 175, 177). 9 0 Die Annahme von Gefahr im Verzug darf nicht auf spekulativ-hypothetischen Erwägungen, sondern muss auf Tatsachen gestützt sein. Anderenfalls kann sich der Beamte nicht auf seine nachrangige Anordnungskompetenz berufen (KG NStZ 2 0 0 6 414, 415). Etwaige Mängel bei der Anstellung des Beamten berühren grundsätzlich die sachliche Zuständigkeit nicht. Der Polizeibeamte verliert seine sachliche Zuständigkeit nicht dadurch, dass er sich in Zivil befindet (RG DR 1942 1782; OLG Hamburg VRS 24 193, 195) oder dass er gerade dienstfrei hat (OLG Neustadt J R 1959 28). Sie fehlt ihm aber, wenn er eine Person - ohne dass die Voraussetzungen des § 127 StPO oder § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO ggf. i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG (s.a. BVerfG NVwZ 1992 767; OLG Hamm NJW 1978 231) vorliegen - zwangsweise nur zur polizeilichen Vernehmung vorführt (BGH NJW 1962 1020, 1021) oder zwecks Personalienfeststellung vorläufig festnimmt (Rdn. 19) oder festhält und zur nächstgelegenen Polizeiwache verbringt (vgl. OLG Bremen NJW 1977 158, 159 mit krit. Anm. Thomas NJW 1977 1072). Zollbeamte nehmen über die Grenzabfertigungsmaßnahmen hinaus auch allgemeine grenzpolizeiliche Präventivmaßnahmen zur vorbeugenden Abwehr von allgemeinen Straftaten wahr, jedoch nur auf deutschem Hoheitsgebiet, ohne eine entsprechende völkerrechtliche Vereinbarung (Grenzabkommen) dagegen nicht an einer auf ausländischem Hoheitsgebiet befindlichen Grenzabfertigungsstelle (OLG Koblenz MDR 1987 957, 958). Die bahnpolizeilichen Aufgaben sind nunmehr gemäß § 3BPolG der Bundespolizei zugewiesen. Für Soldaten und zivile Wachpersonen ergibt sich die sachliche Zuständigkeit aus § 1 UZwGBw.

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Vgl. Otto N S t Z 1 9 8 5 7 5 ; Amelung/Brauer JR 1 9 8 5 4 7 5 ; verfehlt O L G Schleswig N S t Z 1985 74. Z u r Qualifikation als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft kraft Gesetzes oder

aufgrund landesrechtlicher Rechtsverodnungen s. Meyer-Goßner GVG § 1 5 2 Rdn. 6 ff; zu ihrem Darlegungserfordernis im Urteil O L G Düsseldorf N J W 1 9 9 1 5 8 0 .

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

bb) Örtliche Zuständigkeit. Neben der sachlichen muss die örtliche Zuständigkeit 4 4 des Amtsträgers oder Soldaten gegeben sein (BGHSt 4 110 mit Anm. Kern J Z 1953 702; BayObLG NJW 1954 362; OLG Hamm NJW 1954 206; aA OLG Braunschweig NdsRpfl. 1947 90). Sie richtet sich jedenfalls dann nach seinem Amtsbezirk, wenn seine Befugnisse ihrer Art nach eng an den Ort der Ausübung gebunden sind. So stehen der Bundespolizei als Bahnpolizei nach § 3 BPolG polizeiliche Befugnisse (OLG Köln StV 1982 359) grundsätzlich nur auf dem Bahngebiet zu (OLG Schleswig SchlHA 1983 31). Zum Bahngebiet gehören auch die Ladestraßen eines Güterbahnhofs, in der Regel dagegen nicht die Bahnhofsvorplätze,91 es sei denn, dass zu dem Vorplatz geöffnete Verladerampen einen Verladebetrieb bedingen,92 An der räumlichen Begrenzung der sonderpolizeilichen Zuständigkeit auf das Gebiet der Bahnanlagen hält § 3 Abs. 1 BPolG - vor allem für den präventiven Aufgabenbereich - im Grundsatz fest (BTDrucks. 12/1091 S. 8 zur Vorgängerregelung des § 2a BGSG). Für Ausnahmefälle ist indes eine Eilzuständigkeit gesetzlich verankert. So besteht auch außerhalb der Bahnanlagen eine Berechtigung der Bundespolizei zu vorläufigen Zwangsmaßnahmen im Rahmen seiner sachlichen Zuständigkeit, wenn eine auf dem Bahngebiet auf frischer Tat betroffene Person nur im Wege der Nacheile außerhalb des Bahngeländes (z.B. Bahnhofsvorplatz) verfolgt und ergriffen bzw. nach Entweichen wiederergriffen werden kann (§ 58 Abs. 3 i.V.m. § 1 Abs. 7 BPolG); oder wenn die allgemeine Polizei bei einer unmittelbar drohenden Gefahr für den Betrieb der Bahn nicht rechtzeitig eingreifen kann (vgl. die länderpolizeigesetzlichen Ermächtigungsvorschriften, z.B. § 30a Abs. 1 Nr. 3 SOG Hamb.; zur früheren Rechtslage s. OLG Koblenz OLGSt § 120 S. 1). Besteht eine räumliche Beschränkung, wird der Amtsbereich nicht dadurch erweitert, dass der Betreffende zur Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft bestellt worden ist. Grundsätzlich gilt zwar diese Bestellung für den ganzen Bezirk der Staatsanwaltschaft; das gilt aber nur, wenn sich der Amtsbezirk des Amtsträgers damit deckt. Ist das nicht der Fall, so verbleibt es bei der örtlichen Zuständigkeit nur für den hauptamtlichen Bezirk (RGSt 66 339, 340; BayObLG NJW 1954 362, 363; Fischer Rdn. 16; aA RGSt 38 218, 219). Im übrigen kann aber die Frage der örtlichen Zuständigkeit nicht allgemein, weder nach der Einteilung der Polizeibezirke noch für alle Diensthandlungen eines bestimmten Amtsträgers entschieden werden. Vielmehr kommt es jeweils auf die Art der vorgenommenen Diensthandlungen an (BGHSt 4 110, 112). So wirken z.B. strafbare Handlungen vielfach über den Begehungsort hinaus. Die polizeiliche Aufgabe, Verbrechen zu verhüten, ist allgemeiner Art; deswegen kann die Rechtmäßigkeit polizeilichen Einschreitens in solchen Fällen nicht von der Einteilung der Dienstbezirke abhängen (vgl. § 30a SOG Hamb.; RG DR 1942 1782). Sie endet aber wegen des föderativen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich an den Landesgrenzen (BGHSt 4 110, 113). Jedoch können Landesgesetze und Staatsverträge Zuständigkeiten schaffen, die nicht an die Landesgrenzen gebunden sind; davon haben verschiedene Länder Gebrauch gemacht (BayObLG NJW 1954 362; OLG Hamm NJW 1954 206). Dagegen genügt für eine solche Erweiterung der Zuständigkeit nicht die bloße Vereinbarung der örtlichen Polizeistellen untereinander (BayObLGSt 1960 40, 43 und NJW 1954 362). Das Bayerische Oberste Landesgericht verneint in der erstgenannten Entscheidung ferner die örtliche Zuständigkeit des Gemeindepolizisten für außerhalb seines Bezirks vorgenommene Diensthandlungen, wenn nicht die im Landesrecht vorgesehene Ausnahme (Eilfall) gegeben ist. Wirkt allerdings in

91

OLG Hamm N J W 1973 2117; OLG Oldenburg NJW 1973 291; aA noch BGHSt 21 334, 361.

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OLG Stuttgart VRS 4 6 2 4 ; vgl. auch Dernbach NJW 1975 679.

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solchen Fällen ein örtlich zuständiger Polizeibeamter mit den nicht zuständigen zusammen, so ist in der Regel zu deren Gunsten der § 113 über den § 114 Abs. 2 anwendbar. Schließlich sind die Polizeibeamten gemäß § 167 GVG nicht an die Landesgrenzen gebunden, wenn sie einen Flüchtigen verfolgen, um ihn festzunehmen (befugte Nacheile); die Verfolgung muss aber im eigenen Lande begonnen haben (OLG Hamm NJW 1954 206). Die ländergrenzenübergreifende Kompetenz der Beamten des BKA (z.B. Festnahmerecht im ganzen Bundesgebiet) findet ihre Grundlage in der Aufgabenzuweisung (§ 4 BKAG; s. Riegel BKAG § 8 Anm. 2); die Eingriffsbefugnisse der Vollzugsbeamten des BKA richten sich nach der StPO und dem UZwG. Ein polizeiliches Einschreiten auf ausländischem Staatsgebiet setzt eine entsprechende bilaterale völkervertragliche Vereinbarung (z.B. Grenzabkommen) voraus. Ein solches existiert im Rahmen des Schengen-Verbundes für die meisten europäischen Nachbarstaaten Deutschlands nach Art. 40 f SDÜ (Schengen II) vom 19.6.1990 (BGBl. II 1993, 1013; vgl. Hecker § 5 Rdn. 39 f; Paeffgen NK Rdn. 52). Landespolizeibeamte eines Grenzbundeslandes dürfen einen an einer auf ausländischem Hoheitsgebiet befindlichen Grenzabfertigungsstelle Betroffenen nicht zum Zwecke der Entnahme einer Blutprobe ergreifen und in die Bundesrepublik verbringen (OLG Koblenz MDR 1987 957). Diesbezügliche Fehlvorstellungen des Amtsträgers sind unbeachtlich; sie betreffen die unabdingbar vorausgesetzte Eingriffskompetenz und vermögen die Unrechtmäßigkeit der Diensthandlung nicht zu korrigieren (vgl. OLG Koblenz MDR 1987 957). 45

cc) Einhaltung wesentlichen Förmlichkeiten. Die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung hängt ferner von der Beachtung der wesentlichen Förmlichkeiten ab (BGHSt 21 334, 361; KG GA 1975 213). Ob sie wesentlich sind, ist regelmäßig danach zu beurteilen, ob sie für die Wahrung der dem Betroffenen zustehenden Rechte unentbehrlich sind, 93 wobei die Bedeutung der betroffenen Grundrechte ausstrahlt (BVerfG NVwZ 2007 1180, 1182). Deswegen greifen Ansätze, die nur auf die Zulässigkeit des Vollstreckungsaktes unbeschadet der Qualität und Rechtmäßigkeit des zugrundeliegenden Grundaktes abstellen und entsprechend nur die Vorschriften heranziehen, die spezifisch vollstreckungsrechtlicher Art sind (Reif JA 1998 149), zu kurz. Die Grenzziehung zwischen relevanten und irrelavanten Vorschriften zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist an anderer Stelle zu suchen. Dabei ist es zwar ein beachtlicher Hinweis für die Wesentlichkeit, wenn die Form in einem Gesetz angeordnet ist. Ein sicherer Beweis ist es aber nicht; denn auch Gesetze können Sollvorschriften enthalten, die für den Schutz des Betroffenen bedeutungsvoll sind (RGSt 17 122, 125). Somit ist jeweils nach Inhalt und Sinn der Formvorschrift zu prüfen, ob es sich um wesentliche, die Rechtmäßigkeit berührende, oder unbedeutende, evtl. nur innerdienstliche Anordnungen handelt, z.B. über das Tragen vorgeschriebener Dienstkleidung, Abzeichen (RG aaO, 25 112, 115) oder über die Reihenfolge von Alkoholtest und Blutentnahme (Nachw. b. Göhler/Seitz OWiG § 46 Rdn. 23), sofern letztere nicht unverhältnismäßig ist (OLG Köln NStZ 1986 234, 235). Die Belehrung des Schuldners vor der Durchsuchung nach $ 758 ZPO über seine Rechte aus Art. 13 GG ist eine wesentliche Förmlichkeit; 94 dgl. das Vorliegen einer besonderen zusätzlichen richterlichen Anordnung - über das Leistungsurteil hinaus - für die Durchsuchung der Woh93

Vgl. BGHSt 5 93; BayObLG J Z 1980 109; KG StV 2 0 0 5 260, 261; AG Schwandorf NStZ 1987 280, 281 bzgl. Androhungs-, Begründungs- und Unterrichtungserfordernissen; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 13; Reil JA 1998 145.

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Vgl. Zöller/Stöber ZPO § 758 Rdn. 8; aA Langheid MDR 1980 22; Schneider NJW 1980 2377, 2383.

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

nung zum Zwecke der Pfändung beweglicher Sachen gemäß § 758 ZPO, 9 5 sofern nicht der Schuldner die Räume - neben der Wohnung auch die Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume (BVerfG NJW 1971 2299; OLG Hamburg NJW 1984 2898, 2899) - im Bewusstsein rechtserheblichen Handelns zugänglich macht (Zöller/Stöber ZPO § 758 Rdn. 8; Schubert MDR 1980 365). Eine solche richterliche Durchsuchungsanordnung ist dagegen entbehrlich bei Gefahr im Verzug, d.h., wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde (BVerfGE 51 97, 111); ferner bei bloßer Taschenpfändung (OLG Köln NJW 1980 1531, 1532), auch in Schänk- oder Gasträumen Dritter, 96 es sei denn, dass diese gegen den Willen des Schuldners in dessen Wohnung stattfinden soll (Schneider NJW 1980 2378); ferner bei der Herausgabevollstreckung nach § 883 Abs. 1 ZPO; 9 7 bei der Haftanordnung gemäß § 901 ZPO, die zugleich die Wohnungsöffnung zum Zwecke der Suche nach der zu verhaftenden Person impliziert (Zöller/Stöber ZPO § 901 Rdn. 8). Ein Mitbewohner kann sich einer gegenüber einem anderen Mitbewohner zulässigen Durchsuchung nicht widersetzen (LG Lübeck SchlHA 1981 51). Ein wesentliches Formerfordernis ist die Zuziehung von Zeugen zur Zwangsvollstreckung im Falle des § 759 ZPO (RGSt 24 389, 390; OLG Hamm MDR 1951 440; OLG Hamburg J R 1955 272, 273). Jedoch bedarf es dieser Zuziehung nicht, wenn sich der Schuldner in der Zwischenzeit der Zwangsvollstreckung geflissentlich entziehen will und der Gerichtsvollzieher Maßnahmen trifft, um dies zu verhindern (OLG Hamburg J R 1955 272, 273; aA wohl OLG Hamm MDR 1951 440). Hatte der Gerichtsvollzieher zwei Hilfspolizisten zunächst als Zeugen zugezogen und schreiten sie dann zu seiner Unterstützung zwecks Überwindung von Widerstand ein, so bedarf es nicht noch der Zuziehung weiterer Zeugen (RGSt 55 216). Wesentliche Förmlichkeit bei Vollstreckungshandlungen zur Nachtzeit nach § 761 Abs. 1 ZPO ist das Vorliegen einer richterlichen Erlaubnis zur Vornahme; eine von einem Rechtspfleger erteilte Erlaubnis ist unwirksam (KG GA 1975 213, 214). Wesentlich ist ferner das Vorzeigen des Haftbefehls gemäß § 909 Satz 2 ZPO (OLG Düsseldorf JMB1NRW 1965 271 und OLGSt § 113 S. 15). Zur Bekanntgabe einer Begründung vgl. OLG Koblenz DAR 1973 219. Die Vorlage das Haftbefehls ist auch im Ermittlungsverfahren wesentlich gemäß 4 6 § 114a StPO (OLG Köln JMB1NRW 1965 151, 152; OLG Hamm OLGSt § 113 S. 17). Dagegen bedarf es nicht der Übergabe des Haftbefehls, wenn er die Vollstreckungshaft betrifft (OLG Hamm OLGSt § 113 S. 17). Bei der Festnahme zur Identitätsfeststellung gem. § 163b Abs. 1 S. 1 StPO ist die Eröffnung der Tat, derer der Betroffene verdächtig ist, wesentlich (§ 163a Abs. 4 S. 1 StPO; vgl. KG StV 2001 260, 261). Die Zuziehung von Zeugen bei einer Durchsuchung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (§§ 102, 103 StPO) ist eine wesentliche Förmlichkeit, von deren Beachtung die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung abhängt. 98 § 105 Abs. 2 StPO, der die Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Durchsuchung vorwiegend zum Schutz des Betroffenen bezweckt (BayObLG J Z 1980 109; OLG Celle StV 1985 137, 139), hat grundsätzlich zwingenden Charakter; die Möglichkeitsklausel („wenn möglich") lässt aber Ausnahmen zu, z.B. bei Vereitelungsgefahr infolge des zu erwartenden Zeitverlustes (also bei Gefahr im Verzug;

95 96

97

BVerfGE 51 97; 76 83, 89; N J W 1981 2111. OLG Hamburg MDR 1984 963; OLG Düsseldorf DGVZ 1987 75, 76; auch Zöller/ Stöber ZPO § 758 Rdn. 6. AG Darmstadt DGVZ 1 9 7 9 187; Langheid MDR 1980 2 2 ; Schneider N J W 1980 2 3 7 9 ; aA Zöller/Stöber ZPO § 883 Rdn. 10.

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BGH NStZ 1986 84, 85; BayObLG J Z 1980 109 m. Anm. Thiele J R 1981 30; OLG Stuttgart MDR 1984 2 4 9 ; OLG Karlsruhe NStZ 1991 50, 52; OLG Schleswig SchlHA 1985 116; aA OLG München N J W 1972 2275, 2276.

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BGH NStZ 1986 84, 85) oder bei sonstigen erheblichen Schwierigkeiten wie einer beträchtlichen Personengefährdung von etwa zugezogenen Zeugen (vgl. Born J R 1983 52, 54); sie setzt keine absolute Unmöglichkeit voraus (Geerds FS Dünnebier, S. 178). Würde durch die Bemühungen des Amtsträgers um die Beiziehung von Durchsuchungszeugen oder bis zu deren Eintreffen der Durchsuchungserfolg (Auffindung von Beweismitteln, Sicherung von Spuren, Ergreifung des Beschuldigten) gefährdet, so ist die Zuziehung i.S.d. Gesetzes nicht möglich. Hinsichtlich der Möglichkeit der Zuziehung räumt die Vorschrift dem Amtsträger einen Beurteilungsspielraum ein. Bei dem Gefährdungsurteil handelt es sich um eine ex ante zu treffende, auf den Eingriffszeitpunkt bezogene Prognoseentscheidung des Amtsträgers; vorausgesetzt wird eine dem Entscheidungsdruck angemessene sorgfältige Prüfung durch den Amtsträger - ein für die (formelle) Rechtmäßigkeit der Durchsuchung maßgebliches subjektives Rechtfertigungselement (Küper J Z 1980 633, 637 f) - , sofern die Gefährdung des Durchsuchungserfolgs nicht eindeutig objektiviert i s t . " Ein Irrtum des Amtsträgers über die „Möglichkeit" der Zuziehung ist unschädlich (OLG Celle StV 1985 137, 138; Schäfer LR 2 5 § 105 StPO Rdn. 27). Das Unterbleiben der Prüfung z.B. aus Normunkenntnis (§ 105 Abs. 2 StPO) führt zu einer Rechtswidrigkeit der Durchsuchung, falls es an einer Objektivierbarkeit der Gefährdung fehlt. 100 Die Inhaber der nach § 103 StPO durchsuchten Räume können nicht zugleich Durchsuchungszeugen sein (OLG Celle StV 1985 137, 138; zur Tauglichkeit einer Vertrauensperson nach § 106 Abs. 1 Satz 2 StPO s. OLG Karlsruhe NStZ 1991 50, 52). Irrt der Amtsträger hierüber, so ist sein Handeln dennoch rechtswidrig. Der Verzicht des Betroffenen auf die Beachtung des Absatzes 2 ist zulässig und wirksam, 101 die Durchsuchung ggf. rechtmäßig (§ 113 Abs. 3). Zu dem für das Zuziehungserfordernis maßgeblichen Zeitpunkt vgl. BGH NJW 1963 1461; Born JR 1983 52, 54. 47

Weitere Beispiele. Der Vorführungsbefehl erfordert schriftlichen Erlass (arg. aus § 134 Abs. 2 StPO). Voraussetzung für die Vollstreckung eines Vorführungsbefehls (§ 134 StPO) ist dessen Eröffnung (vgl. Boujong KK-StPO § 134 Rdn. 7) vor weiteren Maßnahmen unmittelbaren Zwangs (Aufbrechen der Wohnungstür, Fesselung etc.); erst nach dieser Eröffnung ist der Vorzuführende zum Gehorsam i.S.d. § 113 verpflichtet (BGH NStZ 1981 22; OLG Stuttgart Die Justiz 1982 339, 340). Zu den Rechtmäßigkeitserfordernissen eines Vorführungsbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO vgl. Lemke NJW 1980 1494 m.w.N. Wohnungsdurchsuchung: Die Bekanntgabe des Durchsuchungszwecks vor Betreten und Durchsuchung von Wohnungen zur polizeilichen Gefahrenabwehr ist wesentliche Eingriffsvoraussetzung (vgl. Art. 24 Abs. 3 Bay. PAG ; Ausnahme: Gefährdung des Durchsuchungserfolgs), insbesondere bei Wohnungen Dritter (vgl. OLG Schleswig SchlHA 1978 184, Nr. 30) und vor Beginn einer nächtlichen Durchsuchung (OLG Schleswig SchlHA 1985 116); zum Bekanntgabeerfordernis bei Wohnungsdurchsuchungen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vgl. § 106 Abs. 2 StPO, Rengier NStZ 1981 372, 373. Für die Wohnungsdurchsuchung eines erfolglos zum Strafantritt Geladenen bedarf es keiner besonderen richterlichen Durchsuchungsanordnung (OLG Düsseldorf NJW 1981 2133, 2134; Kaiser NJW 1980 875, 876 - implizierte Befugnis; aA Benfer NJW 1980 1611). Stillschweigende Anordnungen zur Durchsuchung zwecks Ergreifung des Beschul-

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BayObLG J Z 1980 109, 110; Aldenhoff KR 1982 350; Sommermeyer Jura 1992 456. Vgl. BayObLG J Z 1980 109; OLG Stuttgart Die Justiz 1984 2 4 , 25; aA OLG Stuttgart NJW 1971 629, krit. hierzu Küper NJW 1971 1683 f, J Z 1980 636.

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OLG Celle StV 1985 137, 138; OLG Stuttgart Die Justiz 1984 2 4 , 25; Born JR 1983 52, 54, 5 7 ; einschr. Rengier NStZ 1981 374,

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

§ 113

digten enthalten Haftbefehle ( S S 112, 453c StPO), Unterbringungsbefehle ( S 126a StPO), Vorführungsbefehle (§§ 134, 230 Abs. 2 StPO) sowie rechtskräftige Strafurteile und Strafbefehle aufgrund des Haftbefehls zu ihrer Vollstreckung (§ 457 StPO; OLG Hamm NStZ 1982 524). Bei Anwendung unmittelbaren Zwangs (z.B. Art. 64 Abs. 1 S. 1 Bay. PAG) ist in der Regel dessen vorherige Androhung erforderlich (vgl. AG Schwandorf NStZ 1987 280), nicht jedoch bei notwendigem Sofortvollzug bzw. unabdingbarer Gefahrenabwehr (vgl. Lisken/Denninger Handbuch des Polizeirechts F Rdn. 931, 939; auch § 39 Abs. 1 ME PolG) und bei einer Maßnahme nach $ 81a StPO (OLG Koblenz VRS 54 357, 358). Vor Identifizierungsmaßnahmen ist der dafür maßgebliche Grund (OLG Düsseldorf NJW 1991 580), insbesondere auch das zur Last gelegte Fehlverhalten (OLG Düsseldorf NStE Nr. 7 zu § 113) zu eröffnen, ausgenommen bei Gefährdung des Vollstreckungszwecks, solchenfalls jedoch mit alsbaldigem Nachholungserfordernis (OLG Karlsruhe 1 Ss 75/91, 5.12.1991). Im Versammlungsrecht sind die Eingriffsbefugnisse im Lichte der Grundrechte zu sehen, so dass die Auflösung der Versammlung wie der Ausschluss eines Versammlungsteilnehmers aufgrund deren Bedeutung für die Sicherung der Versammlungsfreiheit wesentliche Kautelen sind (BVerfG NVwZ 2007 1180, 1182 f). Ordnungswidrigkeiten: Die Verweigerung der Aushändigung der Fahrzeugpapiere durch einen Ordnungswidrigkeitsverdächtigen gegenüber einem kontrollierenden Polizeibeamten ist nicht rechtswidrig, solange dem Betroffenen nicht der Grund der amtlichen Aufforderung eröffnet wird (vgl. OLG Oldenburg StV 1983 205; OLG Hamm NStZ 1982 76); zu Zwangsmaßnahmen im Falle unberechtigter Verweigerung der Personalienangabe s. Rdn. 19 u. Göhler/Seitz OWiG Rdn. 139 f vor § 59. Die Mitwirkungsbereitschaft des Betroffenen im Verwarnungsverfahren nach § 56 Abs. 2 OWiG (mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt; vgl. OLG Düsseldorf NJW 1984 1571, Ο Stendorf J Z 1987 336: Widerstand gegen Anbringen eines Verwarnungszettels am PKW) ist ein unverzichtbares Erfordernis. Unterbringung: Eine Unterbringung nach den Unterbringungs- bzw. PsychKG der Länder aufgrund einer richterlichen Unterbringungsanordnung ist rechtmäßig i.S.d. § 113 Abs. 3, selbst wenn diese durch ein „Gutachten" eines falschen Arztes veranlasst wurde (OLG Schleswig J Z 1984 1048). dd) Vollziehung von Staatsakten. Im Falle der Vollziehung von Entschließungen anderer Staatsorgane - wie Urteile, gerichtliche Beschlüsse und Verfügungen sowie vollziehbare Verwaltungsakte (vgl. Rdn. 19; Sch/Schröder/Eser Rdn. 32) - orientiert sich die Frage der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung in der Regel an der rechtlichen Wirksamkeit des auszuführenden Staatsaktes, wobei die Frage dessen materieller Richtigkeit zurücktritt (vgl. Günther NJW 1973 311; Ostendorf J Z 1981 172). Unwirksam mangels genauer Bezeichnung ist etwa eine gerichtliche Beschlagnahmeanordnung, in der Gegenstände vorweg pauschal beschlagnahmt werden (BVerfG NJW 1992 551, 552 m.w.N.). Lediglich die Vollstreckung nichtiger oder (noch) nicht vollstreckbarer (vgl. BGH NStZ 1981 22) Staatsakte begründet hier die Rechtswidrigkeit der Diensthandlung.102 Diese Folge hat auch für gerichtliche Urteile zu gelten, wenn sie in einer rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechenden Weise zustande gekommen sind und der Vollstreckungsbeamte dies weiß. Abgesehen davon hat jedoch der Amtsträger richterliche Entscheidungen in der Regel auch dann zu vollstrecken, wenn sie unrichtig sind und ihm dies bekannt ist. 103 Insoweit verbleibt kein Raum für eine Eigenbeurteilung des Voll-

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Vgl. Lackner/Kühl Rdn. 11; Rehbinder GA 1963 37 f; Wagner JuS 1975 2 2 5 Anm. 15 m.w.N.

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Vgl. OLG Kiel SJZ 1947 323, 3 2 4 mit krit. Anm. Arndt; ferner BGH M D R 1964 71; Arzt/Weber BT § 4 5 Rdn. 34.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

streckungsbeamten. Indes kann die Vollstreckungshandlung als solche rechtswidrig sein, wenn sie selbst infolge Nichteinhaltung wesentlicher Förmlichkeiten dem Gesetz widerspricht (vgl. auch OLG Hamburg NJW 1984 2898, 2900). 49

Davon zu unterscheiden ist die unmittelbare Vollziehung von materiellen Gesetzen und Rechtsverordnungen, so etwa die vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 1 u. 2 StPO, wobei auch Absatz 1 - neben der ausnahmsweisen Gestattung eines Bürgerhandelns pro magistratu - zugleich für hoheitliches Tätigwerden gilt (vgl. Rogall JuS 1992 557 f; Arzt FS Kleinknecht, S. 1 ff), oder die zwangsweise Durchsetzung einer Blutentnahme zwecks Feststellung der BÄK gemäß § 81a StPO, u.U. durch Verbringen zur Polizeiwache oder Vorführung bei einem Arzt. 104 In diesen Fällen steht dem Beamten regelmäßig das Recht zu, die sachlichen Voraussetzungen für den Eingriff zur unmittelbaren Verwirklichung des Gesetzeswillens kraft eigener Entschließung zu konkretisieren.

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ee) Pflichtgemäße Ermessensausübung. Ist bei der Vollstreckung von Gesetzen ein unbestimmter Rechtsbegriff zu beurteilen, ist dem Amtsträger hinsichtlich der Feststellung der tatbestandlichen Eingriffsvoraussetzungen ein Beurteilungspielraum oder hinsichtlich der Art der Ausführung ein Ermessensspielraum eingeräumt,105 so handelt er nicht nur rechtmäßig, wenn er bei Innehaltung dieses Spielraums zu einem richtigen Ergebnis kommt, sondern schon dann, wenn er sich auf Grund pflichtgemäßer Ermessensausübung in verantwortungsbewusster Weise um die Wahrung des Beurteilungs- oder Ermessensspielraums bemüht. 106 Das gilt auch in anderen Fällen, in denen ein Abwägungsspielraum verbleibt, z.B. bei der Pfändung. Der Beamte, der bei seinem Einschreiten oft noch ungewisse, nicht nach allen Richtungen aufklärbare Sachlagen zu beurteilen hat, soll nicht schon deshalb den mit der rechtmäßigen Amtsführung verbundenen strafrechtlichen Schutz verlieren, weil sich das Ergebnis seiner Prüfung sachlich als unzutreffend erweist. Daher ist es für die Frage der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung insoweit nicht entscheidend, ob das Ergebnis verwaltungsrechtlich zutreffend oder falsch ist, wenn der Amtsträger auf Grund sorgfältiger Prüfung in der Annahme gehandelt hat, zu der ausgeübten Tätigkeit berechtigt und verpflichtet zu sein. Hierbei ist die Frage nach der Erforderlichkeit der Diensthandlung nicht auf Grund der nachträglich ermittelten Sachlage zu beurteilen. Es kommt vielmehr nur darauf an, ob er im Bewusstsein seiner Verantwortung und unter bestmöglicher Abwägung der ihm erkennbaren Gesamtumstände die Handlung für nötig und sachlich gerechtfertigt halten durfte (BayObLG J R 1989 24), die Maßnahme sich also als Ergebnis sorgsamer Prüfung des Amtsträgers ex ante innerhalb eines in der konkreten Vollstreckungssituation noch vertretbaren Beurteilungsrahmens gehalten hat. 107 Die Prüfungsanforderungen an den Amtsträger korrelieren mit der Handlungssituation; denn er soll bei unübersichtlichen Lagen nicht eingehende rechtliche Erwägungen anstellen müssen. Bei überschaubarer und gesicherter Lage sind entsprechend höhere Anforderungen an die Vertretbarkeit der Entscheidung zu stellen (KG

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BGHSt 24 1 2 5 , 1 3 0 ff; OLG Köln VRS 4 8 2 4 , 2 5 ; OLG Köln NStZ 1986 234; VRS 71 183, 185. Vgl. Küper NJW 1971 1681; Lackner/Kühl Rdn. 10; Stratenwerth Verantwortung S. 172 ff; Wagner JuS 1975 2 2 6 ; auch Thiele JR 1975 354, 1981 30. Zum Unterbleiben einer pflichtgemäßen sorgfältigen Abwägung vgl. Küper NJW

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1971 1683, J Z 1980 637; KG NJW 1972 781, 7 8 2 a.E.; aA OLG Stuttgart NJW 1971 629: rechtsfolgenlos. OLG Köln VRS 71 183, 185; NStZ 1986 234, 235; AG Hamburg StV 1985 364; vgl. auch Küper J Z 1980 633, 636; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 15.

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte N S t Z 2 0 0 6 414, 415). Bei schuldhaften Abwägungsfehlern, Willkür oder missbräuchlicher Auslegung der Amtsbefugnisse ist dagegen die Unrechtmäßigkeit des Handelns zu bejahen. 1 0 8 Diese Grundsätze gelten etwa bei der Beurteilung der Voraussetzungen polizeilichen Einschreitens zur Gefahrenabwehr 1 0 9 oder zur Verhinderung strafbarer Handlungen 1 1 0 und bei der Beurteilung des Fluchtverdachts nach § 127 Abs. 2 StPO (BGH V R S 3 8 115, 116). Unrechtmäßig ist etwa die Unterbringung eines Häftlinges gem. § 88 Abs. 2 Nr. 5 StVollzG in einen besonders gesicherten Haftraum, wenn sich dieser bereits im eigenen Haftraum unter Verschluss befindet und ruhig verhält. In einer solchen Situation verlangt eine situationsangemessene Beurteilung, etwa Alternativen wie die Beobachtung vorzusehen (KG N S t Z 2 0 0 6 414, 415). Die pflichtgemäße Ermessensprüfung als legitimierendes Element wird indes entbehrlich, sofern die Amtshandlung ohnehin den Anforderungen des objektiven Rechts, d.h. den Bedingungen ihrer Zulässigkeit entspricht. 111 ff) Rechts- und Tatsachenirrtümer des Amtsträgers. Weitgehende Übereinstimmung besteht dahin, dass ein unverschuldeter Irrtum des Amtsträgers über die tatsächlichen Voraussetzungen für dessen Einschreiten die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung unberührt lässt (BGHSt 2 4 125, 130 ff; V R S 3 8 115, 117; KG N J W 1 9 7 5 887, 8 8 8 ) . Die „staatliche Rechtsordnung würde sich mit sich selbst in Widerspruch setzen", wenn sie die auf Grund eines pflichtgemäßen Ermessens vorgenommene Diensthandlung als nicht rechtmäßig ansehen würde (RGSt 61 2 9 7 ) . Die Anhänger des vollstreckungsrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff (Rdn. 37) geißeln dies mit durchaus diffamierender Konnotation als Irrtumsprivileg (Horn/Wolters SK Rdn. I I a ) . Der Bürger schulde nur dem Gesetz, nicht aber der Gutgläubigkeit von Amtsträgern Gehorsam (Zielinski AK Rdn. 2 4 ) . Zur Unrechtmäßigkeit führt nach h . M . hier nur ein grobes Verschulden; der auf einfache Fahrlässigkeit zurückzuführende Irrtum reicht nicht aus. 1 1 2 Eine solche kann dem pflichttreuesten Amtsträger unterlaufen; es würde seine Entschlusskraft lähmen, wenn sein Vorgehen schon deswegen als unrechtmäßig zu gelten hätte. Ein die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung nicht berührender Irrtum liegt z.B. vor, wenn der Amtsträger infolge Personenverwechslung (Prot. V/2923) oder eines sich später nicht bestätigenden Tatverdachts einen Unschuldigen festnimmt. Diese Regeln gelten entsprechend für das Sichschlüssig-werden eines Gerichtsvollziehers über die tatsächlichen Voraussetzungen einer Pfändung, wenn etwa der Gerichtsvollzieher irrtümlich in der falschen Wohnung pfändet (vgl. RGSt 61 2 9 7 ) .

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BGHSt 21 334, 363; 4 161, 164 f; KG NJW 1972 781, 782; 1975 888; BayObLG NJW 1965 1088, 1089; BayObLGSt 1954 59; Hirsch ZStW 82 [1970] 411, 417; krit. u.a. Ostendorf ]Z 1981 168; Thiele JR 1975 353; Wagner JuS 1975 224. OLG Celle NJW 1979 57, 58; KG NStZ 1989 121; BayObLGSt 1988 7, 9; OLG Köln StV 1982 359; JMB1NRW 1969 286; OLG Bremen NJW 1977 158; BayObLG JR 1989 24. OLG Köln NStZ 1986 234, 235; OLG Schleswig SchlHA 1978 184 Nr. 31; BGH 4 StR 109/70 v. 25.6.1970.

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KG NJW 1972 781, 782; Küper J Z 1980 637; Lenckner FS H. Mayer, S. 175, 181; Triffterer FS Mallmann, S. 373, 390 f Fn. 49; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 16. Vgl. OLG Celle NJW 1971 154; OLG Hamm VRS 26 435, 436; GA 1973 244; BayObLG JR 1989 24; Lackner/Kühl Rdn. 12; Neuheuser S. 207; Sch/Schröder/ Eser Rdn. 28; einschr. Triffterer FS Mallmann, S. 373, 395 ff, 415.

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Diese Grundsätze sollen nach der angeführten Rechtsprechung nur für einen Irrtum des Amtsträgers oder Soldaten auf tatsächlichem Gebiet gelten. Irrt er jedoch über die rechtliche Zulässigkeit seines Einschreitens, so nimmt die herrschende Ansicht an, dass die Amtshandlung unrechtmäßig ist. 113 Man mag zweifeln, ob diese Unterscheidung trägt. Die Erwägungen, dass der Amtsträger im Moment des schnellen Handelns nicht immer das Richtige treffen mag, gelten in gleichem Maße für die tatsächliche wie die rechtliche Lage. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es sich in der Regel um Vollzugskräfte handelt, deren rechtliche Ausbildung nicht vollständig sein kann und die sich bei geringfügiger rechtlicher Fehlbeurteilung schwerwiegenden Notwehrakten ausgesetzt sehen (v. BubnoffLK11 Rdn. 34; vgl. etwa BayObLGSt 1954 59). 1 1 4 Allerdings trifft dieser Einwand die gesetzliche Systematik insgesamt. Das StGB unterscheidet aber bewusst zwischen Tatsachen- und Rechtsirrtum und weist jenem sehr viel weitreichendere Verantwortungsfreistellungen zu (§ 16 Abs. 1, Erlaubnistatbestandsirrtum analog § 16 Abs. 1). Eine ausgewogene Verteilung der Interessen des Amtsträgers und des Bürgers gebietet daher nicht, auch noch beim reinen Rechtsirrtum das Handeln des Beamten als nicht rechtswidrig zu privilegieren. Die Problematik verlagert sich freilich auf die Frage, ob ein Irrtum über normative Merkmale als Tatsachen- oder Rechtsirrtum zu qualifizieren wäre

(vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 29; Bosch MK Rdn. 51).

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gg) Handeln auf Befehl. Handelt der Vollstreckungsbeamte auf Anordnung oder Befehl einer vorgesetzten Behörde, obliegen also Konkretisierung des Gesetzes und Vollzug zwei verschiedenen Amtsträgern - zu den hiervon zu unterscheidenden Fällen der Vollstreckung von Entscheidungen anderer Staatsorgane vgl. Rdn. 48 - , so gelten folgende Grundsätze: Der Vollstreckungsbeamte handelt stets rechtmäßig, wenn er einen von dem örtlich und sachlich zuständigen Vorgesetzten erteilten, dienstlichen, nicht offensichtlich rechtswidrigen Befehl im Vertrauen auf dessen Rechtmäßigkeit in gesetzlicher Form vollzieht (KG StV 2005 260 f), auch dann, wenn sich seine Vorgesetzten über die Voraussetzungen des Einschreitens geirrt haben. Nach der ständigen Rechtsprechung der Obergerichte spielt es hier keine Rolle, ob dieser Irrtum tatsächlicher oder rechtlicher Natur ist; der Ausführende ist in dem einen wie dem anderen Falle gedeckt, also auch dann, wenn der Vorgesetzte die Rechtslage verkannt hat. 115 Indes kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer auf Befehl vollzogenen Maßnahme auch auf das eigene Wissen bzw. in gewissem Umfang auf die eigene, bei Wahrung im dienstlichen Weisungsbereich üblicher Sorgfalt gegebene Erkenntnismöglichkeit des Weisungsempfängers an, wobei dessen Prüfungspflicht im Rahmen einer dienstlichen Anordnungssituation eingeschränkt ist (vgl. Schumann S. 36, 38). Nach diesen Grundsätzen richtet sich auch die Beurteilung der Polizeihilfe bei Vollstreckungsmaßnahmen des Gerichtsvollziehers (§§ 758 III, 753 ZPO). So lässt der Irrtum des Gerichtsvollziehers, der das Ein-

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BGHSt 2 4 125, 127; RGSt 30 348, 350; BayObLG NJW 1965 1088; BayObLGSt 1954 59, 62; OLG Hamm VRS 2 6 435, 436; JMB1NRW 1959 221; NJW 1951 771; OLG Zweibrücken VRS 4 0 192, 193; KG GA 1975 213, 214; Fischer Rdn. 18; Horn/Wolters SK Rdn. I I a ; Reinhart StV 2 0 0 5 , 103 f; Sch/Schröder/Eser Rdn. 29; aA v. Bubnoff L K " Rdn. 3 4 . Ebenso Werner LK 8 Anm. V 3a; Stratenwerth Verantwortung S. 190; Pinger Prot.

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VI/306; auch Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 16; Thiele J R 1975 353; differenzierend Sch/Schröder/Eser Rdn. 2 9 ; krit. Wagner JuS 1975 225. BGHSt 4 1 6 1 , 1 6 2 ; RGSt 55 161, 162; 58 193, 195; RG L Z 1926 451; KG NJW 1972 781; OLG Köln NJW 1975 889; MDR 1976 67, 68; OLG Karlsruhe NJW 1974 2142; krit. Paeffgen J Z 1979 5 2 3 ; Rostek NJW 1972 1335; 1975 862; vgl. ferner Thiele J R 1975 358.

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte schreiten von Polizeibeamten zu seiner Unterstützung veranlasst, über tatsächliche oder rechtliche Voraussetzungen seines eigenen Handelns im Rahmen der Zwangsvollstreckung die Rechtmäßigkeit des Einschreitens der Polizeibeamten unberührt, sofern diese den Irrtum des Gerichtsvollziehers nicht erkennen. Zur Rechtmäßigkeit der Ausführung einer rechtlich zweifelhaften Anordnung der Durchsuchung einer Person vgl. K G N J W 1972 781. Es kommt ferner nicht unbedingt darauf an, ob sich der Vorgesetzte im Rahmen seines pflichtmäßigen Ermessens gehalten hat; auch eine rechtswidrige Anordnung führt noch nicht zwangsläufig zur Unrechtmäßigkeit der Ausführung durch den Angewiesenen. 116 Allerdings kann eine solche Anordnung diese Wirkung nur entfalten, wenn die Dienststelle, von der sie ausgeht, örtlich und sachlich wenigstens im allgemeinen Rahmen zuständig ist und die vorgeschriebenen Formen eingehalten hat. 1 1 7 Diese Zuständigkeit fehlt z.B., wenn Amtshandlungen verlangt werden, die auf fremdem Hoheitsgebiet vollstreckt werden sollen (BGH v. 7.2.1961 - 5 StR 483/60) oder in private Beziehungen eingreifen (RGSt 2 9 199, 2 0 1 ; 4 0 212, 215). Ebensowenig kann eine Anordnung den Vollstreckungsbeamten binden, wenn die Rechtswidrigkeit der angeordneten Maßnahme offenkundig auf der Hand liegt (Jescheck/Weigend AT S. 3 9 3 ) , die angeordnete Maßnahme bereits ihrer Art nach rechtlich unzulässig ist (Sch/Schröder/Eser Rdn. 31) oder wenn der Vorgesetzte seine Amtsgewalt missbraucht und der Untergebene dies erkennt. Das gleiche gilt, wenn letzterer weiß, dass sich der Anordnende über die tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen des Einschreitens geirrt hat, 1 1 8 oder wenn dies für ihn nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich war, sich ihm also aufdrängen musste. Ein solcher Fall wäre etwa gegeben, wenn der die von einem Vorgesetzten angeordnete vorläufige Festnahme ausführende Polizeibeamte erkennt, dass eine Personenverwechslung vorliegt (vgl. Jescheck/Weigend AT S. 3 9 4 ; Schölz/Lingens WStG § 2 Rdn. 2 5 , 2 9 ) oder dass es sich im Falle angeordneter Unterstützung des Gerichtsvollziehers bei der von den Pfändungsmaßnahmen des Gerichtsvollziehers betroffenen Wohnung in Wahrheit nicht um die Schuldnerwohnung handelt. Hier kann sich der Vollstreckungsbeamte zu seinem Schutz nicht auf die erteilte - möglicherweise aufgrund pflichtgemäßer Prüfung nach dem gegebenen Kenntnisstand des Vorgesetzten sachlich einwandfreie - Weisung berufen; vielmehr gereicht ihm zum Vorwurf, dass er trotz Kenntnis des wahren Sachverhalts und damit unrechtmäßig i.S.d. § 113 gehandelt hat (vgl. Stratenwerth S. 180). Gleiches gilt ferner erst recht, wenn ihm eine strafbare Handlung angesonnen wird (RGSt 5 4 3 3 7 ) . Handelt andererseits der Vollstreckungsbeamte an sich im Rahmen seiner Amtsbefugnisse, jedoch entgegen einem ihm von seinen Vorgesetzten erteilten Befehl, so übt er sein Amt nicht rechtmäßig aus (RGSt 31 76, 79). Umstritten ist, ob und inwieweit der Untergebene zu einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit des ihm erteilten Befehls berechtigt und verpflichtet ist. Von der Rspr. wird eine Prüfungspflicht für den Regelfall verneint. 1 1 9 Indessen wird man davon ausgehen müssen,

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So die Rspr.; vor allem OLG Karlsruhe NJW 1974 2142, 2143; Jescheck/Weigend AT § 35 I u. II S. 390 ff; Stratenwerth S. 168 ff; aA Amelung JuS 1986 337; Maurach/Schroeder! Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 18; Fischer Rdn. 19; wohl auch Sch/Schröder/Eser Rdn. 31; zum militärischen Befehl vgl. Scherer SoldG § 11 Rdn. 9; Schölz/Lingens WStG § 2 Rdn. 32. RGSt 59 330, 335; 55 161, 163; 40 212, 215 f; 29 199, 201; 26 291, 292.

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BayObLG VRS 29 261, 263 f; Sch/Schröder/ Eser Rdn. 31; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 19 f; Stratenwerth Verantwortung, S. 180; Scherer SoldG § 11 Rdn. 7. OLG Karlsruhe NJW 1974 2142, 2143; KG NJW 1972 781, 782; BGHSt 4 161,162; krit. Rostek NJW 1975 862; Thiele JR 1975 357 f; Ostendorf JZ 1981 173; Wagner JuS 1975 224.

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dass der Untergebene die Rechtmäßigkeit des Befehls immerhin in gewissen Grenzen und insoweit nur im Rahmen des ihm nach den Umständen Möglichen zu prüfen hat bzw. prüfen kann, so z.B. wenn die Weisung ganz aus dem Rahmen der Befugnisse des Vorgesetzten fällt, aber auch dann, wenn sich bei dem Untergebenen Zweifel hinsichtlich der Eingriffsvoraussetzungen einstellen (vgl. hierzu auch Jescheck/Weigend AT S. 394; aA Stratenwertb S. 179). 54

hh) Weitere Beispiele aus der Rechtsprechung. Diesen lag regelmäßig die herrschende Ansicht über die Bedeutung des tatsächlichen und rechtlichen Irrtums auf Seiten des Vollstreckungsbeamten zugrunde:

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Widerstandsleistungen sind besonders häufig, wenn Polizeibeamte gegen Kraftfahrer einschreiten, die unter Alkoholeinfluss stehen. Hier ist vielfach die vorläufige Festnahme zwecks Entnahme einer Blutprobe erforderlich. Die rechtliche Grundlage dafür ist, wenn nicht die Voraussetzungen des § 127 Abs. 2 StPO gegeben sind, der § 81a StPO. In dieser Bestimmung ist zugleich die Befugnis für eine Festnahme und zwangsweise Verbringung zum Arzt enthalten. Denn der mit dem § 81a StPO verfolgte Zweck wäre, jedenfalls bei der Blutentnahme, nicht erreichbar, wenn das Gesetz nicht zugleich die Mittel zur Durchsetzung zur Verfügung gestellt hätte. Daraus folgt, dass die Polizisten als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft den Beschuldigten notfalls zwangsweise zum Arzt, nach den örtlichen Verhältnissen auch zum Krankenhaus oder rechtsmedizinischen Institut (OLG Frankfurt M D R 1979 694), bringen dürfen. 120 Es ist auch zulässig, dass sie ihn auf die Polizeiwache mitnehmen, um dort die Durchführung der Blutentnahme durch einen Arzt zu veranlassen. 121 Ebenso dürfen sie zu diesem Zwecke dessen Wohnung betreten, 122 nach überwiegender Meinung allerdings nur unter den Voraussetzungen der §§ 102 ff StPO. 1 2 3 Zur Reichweite zulässiger Zwangsmittel zwecks Durchsetzung der angeordneten Maßnahme, insbesondere zur Zulässigkeit den Widerstand brechender (einfacher) Körperverletzungen zur Eingriffsermöglichung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vgl. Rogall JuS 1992 553. In jedem Falle ist aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Er kann dazu führen, dass dem Beschuldigten die Auswahl des Arztes vorbehalten bleiben muss, wenn dies ohne Schwierigkeiten und Verzögerungen möglich ist (BayObLG NJW 1964 459, 460); ferner verbietet dieser Grundsatz, den Betroffenen ohne zwingenden Anlass bis zum Erscheinen des Arztes in eine Zelle einzusperren (OLG Hamburg M D R 1965 152, 153). Einer vorherigen ausdrücklichen Anordnung bedarf es nicht; es genügt, wenn sie sich aus den Umständen unmissverständlich ergibt (OLG Neustadt M D R 1962 593; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1965 199). Sind die den Tatbestand aufnehmenden Polizisten keine Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft, so sind sie nur auf Grund des § 81a StPO weder zur Festhaltung des

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U.a. BayObLG VRS 6 6 275; J R 1964 149 mit zust. Anm. Dünnebier und Tiedemann J Z 1964 6 2 5 ; OLG Bremen N J W 1966 743; OLG Schleswig N J W 1964 2215; OLG Hamburg MDR 1965 152; OLG Köln VRS 3 0 186, 187; OLG Stuttgart Die Justiz 1971 29; OLG Köln VRS 4 8 2 4 , 2 5 ; NStZ 1986 2 3 4 , 235; OLG Koblenz DAR 1973 219; Hentschel Trunkenheit, Fahrerlaubnisentziehung, Fahrverbot (10. Aufl.) Rdn. 16 ff; Kleinknecht N J W 1964 2181; Kaiser N J W 1964 580.

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BayObLGSt 1964 34; OLG Hamburg MDR 1965 152; OLG Köln VRS 3 0 1 8 6 , 1 8 7 ; 71 184; OLG Schleswig SchlHA 1978 183 Nr. 2 9 ; Meyer-Goßner StPO § 81a Rdn. 29. OLG Stuttgart Die Justiz 1971 2 9 ; OLG Köln VRS 48 24, 2 5 ; OLG Düsseldorf JMB1NRW 1972 21, 22. OLG Düsseldorf VRS 41 4 2 9 f; Senge KK § 81a Rdn. 10; Meyer-Goßner StPO § 81a Rdn. 29.

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Beschuldigten noch zu seiner Verbringung auf die Wache befugt; jedoch können sie die Weiterfahrt des Betrunkenen durch Wegnahme des Zündschlüssels verhindern (OLG Saarbrücken NJW 1959 1190; BGH VRS 39 184). Gemäß § 81a StPO darf die Blutprobe nur von einem Arzt entnommen werden (OLG Düsseldorf NJW 1991 580); ein Medizinalassistent ist dafür nicht zuständig. Zwingt ein Polizeibeamter den Betroffenen, den Eingriff einem solchen Assistenten zu gestatten, so hängt nach herrschender Ansicht die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung davon ab, ob sich der Beamte in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht geirrt hat: Hält er den Assistenten ohne grobes Verschulden für einen Arzt, so ist Widerstand unzulässig;124 meint er aber, auch der Medizinalassistent dürfe die Probe entnehmen, so soll sein Vorgehen unrechtmäßig sein. 125 Nicht gedeckt durch § 81a StPO wird der Zwang zum Blasen in ein Teströhrchen zwecks Prüfung der Atemluft. 126 Das gleiche gilt für das Verbringen zur Unfallstelle; jedoch kann dies zulässig sein, wenn die Voraussetzungen des § 127 Abs. 2 StPO gegeben sind (OLG Hamm JMB1NRW 1965 198). Die Festnahme zwecks Blutentnahme rechtfertigt nicht die körperliche Durchsuchung.127 Eine vorläufige Festnahme nach §§ 127 Abs. 2, 112 Abs. 2 Nr. 3a StPO kommt in Betracht, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu befürchten ist, dass der Beschuldigte durch aktives Tun (Nachtrunk) seinen physischen oder psychischen Zustand in einer die Wahrheitsfindung erschwerenden Weise verändern werde (Bosch KMR § 81a Rdn. 34). Auch bei Verkehrsordnungswidrigkeiten ist die zwangsweise Blutentnahme in Anwendung des § 81a StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG gemäß § 53 Abs. 2 OWiG möglich. § 81b StPO ist Rechtsgrundlage für die zwangsweise (BGHSt 34 39, 45) erkennungsdienstliche Behandlung eines Beschuldigten zur Strafverfolgung (1. Alt.), aber auch für präventivpolizeiliche Zwecke (2. Alt.); die Vorschrift deckt auch die zwangsweise Verbringung zur Polizeidienststelle zwecks ihrer Durchführung; der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss sowohl hinsichtlich der Maßnahme als solcher als auch hinsichtlich der Art und Weise ihrer Durchführung gewahrt sein. 128 Auch die Identifizierungsgegenüberstellung, die der Beschuldigte als Ermittlungsmaßnahme zu dulden verpflichtet ist (KG NJW 1979 1668, JR 1979 347), kann zwangsweise durchgesetzt werden; als eingriffsgesetzliche Grundlage kommt § 81b StPO (analog) in Betracht (vgl. BGHSt 34 39, 49; Geppert Jura 1989 278 m.w.N.), nach aA ist § 81a StPO entsprechend anzuwenden (Odenthal NStZ 1985 433, 434). Zur Durchführung kann der Beschuldigte unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch an einen pflichtgemäß gewählten anderen Ort (Dienststelle, Tatort mit fortbestehender Zeugenanwesenheit) verbracht werden (vgl. Geppert Jura 1989 274, 278; aA AG Tiergarten StV 1988 438).

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In allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland bestehen Gesetze, nach denen die Polizei unter gewissen Voraussetzungen Zwangsmaßnahmen gegen Personen und Sachen (Beschlagnahmen, Durchsuchungen, Festnahmen) ergreifen darf.

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Vgl. für Bayern: PolizeiaufgabenG i.d.F. der Bek. v. 14.9.1990 (GVB1. S. 397); Baden-Württemberg: PolG i.d.F. der Bek. v. 13.1.1992 (GBl. S. 1); Berlin: ASOG v. 1 4 . 4 . 1 9 9 2 (GVB1. S. 119) i.d.F. v. 11.10.2006 (GVB1. S. 930) und UZwG v. 2 2 . 6 . 1 9 7 0 (GVB1. S. 921); Brandenburg: BbgPolG

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BGHSt 2 4 125, 132; krit. Schünemann JA 1972 709, 775; Thiele JR 1975 353; aA Bergmann S. 114 Fn. 164: Recht des Betroffenen auf Widerstand über § 34. BayObLG NJW 1965 1088; OLG Hamm DAR 1964 221, 2 2 2 . BayObLGSt 1963 15; 1964 34; OLG

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Schleswig VRS 3 0 3 4 4 , 3 4 6 ; BGH bei Dallinger M D R 1970 897. LG Berlin NJW 1971 6 2 0 ; OLG Schleswig SchlHA 1978 183, 184 Nr. 2 9 : Durchsuchung auf dem Polizeirevier. AG Hamburg StV 1985 364; Oehm MDR 1986 9 9 m.w.N.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt v. 19.03.1996 (GVB1. S. 74); Bremen: Brem. PolG v. 21.3.1983 (GBl. S. 141) i.d.F. der Bek. v. 6.12. 2001 (GBl. S. 441, ber. GBl. 2 0 0 2 S. 47); Hamburg: Ges. zum Schutz der öffentlichen Sicherheit u. Ordnung (SOG) v. 14.3.1966 (GVB1. S. 77); Hessen: Ges. über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) v. 2 6 . 6 . 1 9 9 0 (GVB1. I S. 197) i.d.F. v. 14.1.2005 (GVB1. I S. 14); Mecklenburg-Vorpommern: SOG MV i.d.F. der Bek. v. 25.3.1998 (GVB1. S. 335); Niedersachsen: Ges. über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (NdsSOG) v. 19.1.2005 (GVB1. S. 9); Nordrhein-Westfalen: PolG i.d.F. d. Bek. v. 25.7.2003 (GVNW S. 441); Rheinland-Pfalz: POG i.d.F. v. 10.11.1993 (GVB1. S. 595); Saarland: SPolG v. 8.11.1989 (ABl. S. 1750) i.d.F. der Bek. v. 26.3.2001 (ABl. S. 1074); Sachsen: SächsPolG i.d.F. der Bek. v. 13.8.1999 (GVB1. S. 4 6 6 ) ; Sachsen-Anhalt: SOG LSA i.d.F. der Bek. v. 2 3 . 9 . 2 0 0 3 (GVB1. S. 214); Schleswig-Holstein: LVwG i.d.F. der Bek. v. 2 . 6 . 1 9 9 2 (GVOB1. S. 243, 534); Thüringen: Thür. PAG v. 4 . 6 . 1 9 9 2 (GVB1. S. 199).

Der BGH hat - entgegen der Entscheidung RGSt 67 351 - im Urteil NJW 1962 1020 in einem obiter dictum gewichtige Zweifel geäußert, ob diese Landesgesetze wirksam sind, soweit sie sich auf die gleichen Sachverhalte beziehen, wie sie in den §§ 98, 105 und 127 StPO geregelt sind; zu einer abweichenden, insbesondere weitergehenden Einschränkung der Grundrechte seien die Länder gemäß Art. 72, 74 Abs. 1 Nr. 1 GG nicht befugt. 129 Man wird hier zu unterscheiden haben, ob es sich um die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten (vgl. §§ 46, 53 OWiG) handelt oder um die Erfüllung sonstiger polizeilicher Aufgaben (z.B. Gefahrenabwehr, zu der auch die präventive Verhinderung drohender Straftaten gehört - OLG Bremen NJW 1977 158, 159; BGHSt 38 388, 389 f; BGH NJW 1982 2081). Bei der erstgenannten Gruppe (Verfolgung von Straftaten) sind die Beschlagnahme, Durchsuchung und Verhaftung an die Voraussetzungen der §§ 98, 105 und 127 StPO gebunden, weil die StPO insoweit eine abschließende Regelung enthält. Eine subsidiäre Anwendung der landespolizeigesetzlichen Normen auf dem Gebiet der repressiven Strafverfolgung ist nicht möglich (Götz NVwZ 1984 212; Rogall GA 1985 7; zur Ergänzungsfunktion der Regeln über die Anwendung unmittelbaren Zwangs s. Rdn. 61). So darf die vorläufige Festnahme eines Verdächtigen nur unter der Voraussetzung des § 127 StPO (Abs. 1: auf frischer Tat betroffen, Fluchtverdacht; Abs. 2: Gefahr im Verzug, dringender Tatverdacht, Fluchtgefahr), nicht jedoch aufgrund landespolizeigesetzlicher Bestimmungen über die Ingewahrsamnahme erfolgen. Bei den sonstigen polizeilichen Aufgaben kann dagegen die Befugnis der Polizei zur Ergreifung jener Maßnahmen auf Grund des Landesrechts nicht angezweifelt werden. Die neuen Polizeigesetze enthalten keine Befugnisse zur Strafverfolgung, sondern im wesentlichen reines Gefahrenabwehrrecht. Zulässig sind danach u.a. freiheitseinschränkende Maßnahmen gegen Personen zur Gefahrenabwehr (Art. 17 Bay. PAG, § 35 PolG NW), der Schutzgewahrsam zur Verhinderung von Selbstmord (§ 28 Abs. 1 Nr. 2c PolG BW; BayObLG NJW 1989 1815 m. Anm. Bottke J R 1989 475), die Entfernung einer durch eine drohende Straftat gefährdeten Person (BayObLG JR 1989 24 m. Anm. Bottke). Die polizeilichen Eingriffsmaßnahmen müssen sich im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Art. 104 Abs. 2 GG halten. Indes ist die scharfe Trennung der vorbeugenden von der strafverfolgenden Tätigkeit der Polizei sachbedingt nicht immer möglich (vgl. z.B. das Ineinanderfließen bei erkennungsdienstlichen Maßnahmen §§ 81b, 163b StPO bzw. § 14 PolG NW etc.; ferner die Festnahmebefugnis gegenüber aus Anstalten Entwichenen, Art. 17 Abs. 3 Bay. PAG); die Bereiche können etwa beim Einschreiten gegen die Fortsetzung strafbarer Handlungen ineinander übergehen, die polizeiliche Einwirkung sowohl die Straftataufklärung als auch die Gefahrenabwehr bezwecken. So kann eine

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S.a. OLG Schleswig SchlHA 1978 184 Nr. 29; krit. Schmidt N J W 1962 2190.

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Razzia mit Durchsuchung (§ 41 Abs. 3 PolG NW, § 38 Abs. 6 HSOG) von Räumlichkeiten (z.B. Drogenberatungsstelle; vgl. BVerfG N J W 1977 1489) sowohl der Täterfahndung (Rauschgifthändler) als auch der Unterbindung von Straftaten (Rauschgifthandel) dienen. Derartig zweckkombinierte polizeiliche Maßnahmen sind zulässig; sie können auf Landesrecht gestützt werden. Zwang zur Identitätsfeststellung (einschr. bei zumutbarer anderweitiger Feststellbarkeit, vgl. BVerfG N V w Z 1992 767; OLG H a m m N J W 1978 231) kann nach den §§ 163b, 163c StPO, § 46 OWiG, bzw. nach § 127 Abs. 1 StPO angewendet werden. Diese Regelungen lassen die polizeilichen Normen mit Ermächtigung zum Zwang (§ 26 Abs. 2 PolG BW; Art. 13 Abs. 2 Bay. PAG: Festhalten zur Personenfeststellung) als tragfähige Eingriffsgrundlage unberührt, sofern die Maßnahme ausschließlich vorbeugende Zielsetzung hat oder lediglich zugleich der Strafverfolgung dient (vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 33). Zur Kontrollstelle nach § 26 Abs. 1 Nr. 5 PolG BW, § 12 Abs. 1 Nr. 4 PolG N W und den daran anknüpfenden Personenfeststellungsmaßnahmen krit. Lisken ZRP 1990 19. Verschiedene höchstrichterliche Entscheidungen verweisen auf jenes Landesrecht. Das 5 8 gilt vor allem für das Mitnehmen zur Polizeiwache, wenn die Personalien des Betroffenen nicht sofort festgestellt werden können oder es untunlich ist, dies an Ort und Stelle zu erledigen. 130 Dagegen wird in dem zuvor genannten Rahmen nichts einzuwenden sein. Über die vorübergehende Festhaltung zu diesem Zweck 1 3 1 ist der Polizeibeamte berechtigt, wenn nach seinem pflichtgemäßen Ermessen das Bevorstehen einer Straftat, die es zu verhindern gilt, angenommen werden kann. Zulässig ist auch die Personalienfeststellung eines in einer Stadt nachts im Auto schlafenden Menschen (OLG Koblenz VRS 45 110, 111); ferner die kurzfristige Wegnahme des Führerscheins, um einen Angetrunkenen von der Weiterfahrt abzuhalten; jedoch mit der Pflicht zur Rückgabe nach der Ausnüchterung, falls die Voraussetzungen der §§ 94, l i l a StPO nicht vorliegen (OLG Braunschweig NJW 1956 1808). Hat sich der Täter sofort vollständig ausgewiesen, erklärt er aber, dass er keine Aussage vor der Polizei machen wolle, darf er nicht, wenn nicht die Voraussetzungen des § 127 StPO vorliegen, zur Dienststelle verbracht werden; denn er ist nicht verpflichtet, sich dort zum Hergang sachlich zu äußern. 1 3 2 Die Ingewahrsamnahme ( § 2 8 Abs. 1 Nr. 1 PolG BW) ist zulässig, um einen nächtlichen betrunkenen Randalierer zur Ausnüchterung auf die Wache zu nehmen, nicht aber zur zwangsweisen Verbringung eines Stadtstreichers „aufs Land" (LG Mainz M D R 1983 1044). Z u m polizeilichen Platzverweis zwecks Gefahrenabwehr s. § 13 RhPf POG, § 34 PolG N W ; die zwangsweise Entfernung von einer Örtlichkeit ist zulässig gegenüber dem Eindringling beim Hausfriedensbruch, 1 3 3 ferner gegenüber einem widerspenstigen Gast im Falle des unbefugten Verweilens im Gastraum über die Sperrstunde hinaus (RGSt 42 16, 17 f) oder bei unmittelbar drohender tätlicher Auseinandersetzung mit anderen Gästen des Lokals (LG Bonn NStZ 1984 169). Der Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr berechtigt auch zur polizeilichen Sicherstellung einer Sache, um den Eigentümer vor Verlust oder Beschädigung zu schützen ( § § 4 3 Ziff. 2, 50 PolG NW; § 32 Abs. 1 PolG BW), notfalls

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BayObLG MDR 1964 617; BayObLGSt 1959 38; 1957 221; 1956 170; OLG Braunschweig NJW 1956 1808; OLG Bremen NJW 1977 158, 160; auch OLG Koblenz VRS 45 110. Vgl. ferner RG JW 1925 1000; 1935 3393; OLG Hamm JMB1NRW 1960 192; OLG Braunschweig GA 1953 28. Nach OLG

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Bremen NJW 1977 158, 160 mit krit. Anm. Thomas NJW 1977 1072. BayObLGSt 1956 170; OLG Schleswig VRS 30 344, 346; aA für das frühere Recht RGSt 67 351. OLG Schleswig SchlHA 1976 167, Nr. 23; LG Bonn NStZ 1984 169; Wagner ]Z 1987 712.

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§ 113

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

unter Anwendung von Zwangsmitteln (BGH NJW 1982 2081). § 81b 2. Alt. StPO, eine rein materiell-polizeirechtliche Vorschrift (Oehm M D R 1986 99, 100, 102 f; s. aber Götz NVwZ 1984 216), gestattet die zwangsweise erkennungsdienstliche Behandlung einschließlich der zwangsweisen Verbringung des Betroffenen zur Polizeidienststelle zwecks ihrer Durchführung. Polizeiliche Eingriffsbefugnisse aufgrund sonstiger Vorschriften: Festnahmerecht der Polizei gemäß § 30 Abs. 2 IfSG; vgl. OLG Köln GA 1966 344; Zuführung Wehrpflichtiger oder Dienstleistender auf Ersuchen der zuständigen Stelle (S 44 Abs. 3 WPflG, § 23a ZDG) als Maßnahme des Verwaltungszwangs (§ 12 VwVG, §§ 5, 2 6 LVwVG BW; vgl. Hahnenfeld/Boehm-Tettelbach WPflG % 44 Rdn. 13, 15); zur Auffindung kann die Polizei dessen Wohnung durchsuchen, u.U. auch Räume Dritter (S 44 Abs. 4 WPflG); lebensmittelüberwachungsrechtliche Eilmaßnahmen (§ 22 Abs. 1 F1HG, SS 41 f LMBG). 59

Die Judikatur zur Rechtmäßigkeit ist umfangreich und naturgemäß auf die Umstände des Falles zugeschnitten. Folgendes wird hervorgehoben: Der Streit, ob S 163 StPO lediglich Aufgabenzuweisungs-, aber keine Eingriffsbefugnisnorm sei, 134 hat sich durch die berichtigenden Worte des Gesetzgebers im StVÄG vom 2.8.2000 (BGBl. I S. 1253) erübrigt. S 163 Abs. 1 S. 2 StPO sieht nun eine generelle Eingriffsbefugnis der Polizei für Ermittlungen vor (vgl. Meyer-Goßner § 163 StPO Rdn. 1). Bei schwererwiegenden Grundrechtseingriffen, die in ihrer Eingriffsintensität den gesetzlich geregelten Zwangsmaßnahmen entsprechen, wird aber weiterhin eine spezielle Eingriffsermächtigung zu verlangen sein (Erb LR S 163 StPO Rdn. 6; Pßeger HK-GS § 163 StPO Rdn. 1). Für entsprechende polizeiliche Maßnahmen mit derartigem Eingriffscharakter von „größerer Eingriffsintensität" (vgl. EOrgKG BTDrucks. 12/989 S. 33) bedarf es somit einer besonderen gesetzlichen Grundlage.

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Ein großer Teil der Entscheidungen des Reichsgerichtes über die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung beruht auf Länderrecht, das heute nicht mehr gilt. Andere Urteile des RG sind auch heute noch ohne wesentliche Einschränkung bedeutsam, wobei vielfach die Unterscheidung zwischen dem Irrtum des Beamten über die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen seines Eingreifens eine Rolle spielt (vgl. oben Rdn. 51 f). Nach RGSt 61 297, 298 lässt sich die Frage, ob ein Gegenstand unpfändbar, ob er Vermögen des Schuldners ist, ob er in dessen oder eines Dritten Gewahrsam steht, ob die Durchsuchung von Wohnungen und Behältnissen statthaft ist, trotz ihrer rechtlichen Natur regelmäßig nur nach den im Einzelfall vorliegenden tatsächlichen Verhältnissen beurteilen und erfordert - zumal bei undurchsichtiger Sachlage - eine nach pflichtmäßigem Ermessen zu treffende Entscheidung des Amtsträgers. Deswegen kann die irrtümliche Pfändung in einer anderen Wohnung als der des Schuldners rechtmäßig sein. Unrechtmäßig ist die Diensthandlung, wenn der Gerichtsvollzieher den Schuldner zwingt, ihm beim Aufsuchen der Pfandsache behilflich zu sein. Das Recht, Störer einer Durchsuchung festzunehmen (§ 164 StPO), besteht nur bei formell zulässigen Amtshandlungen, nicht dagegen z.B. im Falle unzulässigen Unterbleibens der Zuziehung von Durchsuchungszeugen nach § 105 Abs. 2 StPO (vgl. OLG Stuttgart Die Justiz 1984 25; Born J R 1983 52, 54). § 102 StPO bleibt Eingriffsgrundlage einer Durchsuchung auch, wenn Dritte (z.B. Eltern) Mitinhaber der tatsächlichen Herrschaft über Räumlichkeiten sind, die von Verdächtigen bewohnt werden (BGH NStZ 1986 84, 85). Eine photographische Dokumentation der Durchsuchung bzw. der durchsuchten Räume (SS 102 f StPO) ist nur zur Ermöglichung erfor-

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Vgl. BayObLGSt 1959 37, 38 m.N.; OLG

Hamm JMB1NRW 1959 221; v. Bubnoff LK 11 Rdn. 38 m.w.N.

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

derlicher weiterer Durchsuchungs- oder Spurensicherungsmaßnahmen oder zur Sicherung der Beweise zulässig (OLG Celle StV 1985 138, 139). Nach RGSt 37 32, 37 muss der Irrtum des Amtsträgers darüber, ob bei Beschlagnahme nach § 98 Abs. 1 StPO Gefahr im Verzuge ist, die Rechtmäßigkeit nicht beeinträchtigen. Nach RGSt 26 22, 27 ist das von dem Amtsträger ausgeübte Ermessen nicht pflichtgemäß, wenn er entweder das Bewusstsein hatte, dass ein genügender Anlass für die Diensthandlung nicht vorlag, oder wenn er nach ausreichender Prüfung der tatsächlichen Umstände, soweit sie nach Lage der Sache möglich war, dieses Bewusstsein hätte erlangen müssen. Nach RGSt 16 21, 220 darf der Gerichtsvollzieher gemäß § 758 ZPO die Kleidung des Schuldners, die er am Leibe trägt, untersuchen. Nach RG DR 1942 1782 wird die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung noch nicht dadurch berührt, dass der Beamte unter Alkoholeinwirkung steht; anders ist es, wenn er sinnlos betrunken ist und trotzdem tätig werden will. Das in Art. 147 Abs. 1 Hess. Verf. jedermann eingeräumte Widerstandsrecht darf innerhalb der rechtsstaatlichen Ordnung in den Fällen einer Verfassungsverletzung durch verfassungswidrige einzelne Verwaltungsakte (z.B. Polizeiverfügungen) nur auf dem hierfür eingerichteten Rechtswege geltend gemacht werden; Selbsthilfe zum Zwecke der Wiederherstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes ist bei einer solchen Lage gegenüber einzelnen Verwaltungsakten unzulässig (BGH NJW 1953 1639). Die Verkehrserziehung ist grundsätzlich Aufgabe der Polizei; zu diesem Zwecke darf sie Personen anhalten und ermahnen, wenn sie sich verkehrswidrig verhalten haben (OLG Hamburg VRS 24 193). Radarmessungen zur Feststellung überhöhter Geschwindigkeit sind rechtmäßige Amtsausübung (OLG Oldenburg OLGSt S. 3). Der Gerichtsvollzieher darf bis zur Beendigung der Zustellungshandlung in der Wohnung des Schuldners verweilen.135 Mit der Unangemessenheit des Verweilens ab beginnender Durchsuchung zusätzlicher Räume oder Behältnisse zwecks Erledigung weiterer Pfändungsaufträge (§ 827 Abs. 3 ZPO) ohne eigene richterliche Durchsuchungsanordnung wird der Aufenthalt des Gerichtsvollziehers in der Schuldnerwohnung unrechtmäßig (BVerfGE 76 83, 91 f; vgl. Bittmann DGVZ 1989 136). Ein Polizeibeamter handelt nicht in rechtmäßiger Amtsausübung, wenn er bei Übermittlung einer Ladung und Einholung einer Auskunft in der Wohnung des Beschuldigten trotz dessen Widerspruchs länger verweilt, als unbedingt notwendig ist (OLG Hamm JMB1NRW 1959 221; ähnlich BayObLG MDR 1962 1007). Dagegen ist ein solches Verweilen nach bayerischem Landesrecht zulässig, wenn der Polizeibeamte zu prüfen hat, ob für ein Kraftfahrzeug eine Haftpflichtversicherung besteht, und notfalls beauftragt ist, die erforderlichen Maßnahmen durchzuführen (BayObLG DAR 1965 275). Ein Vollstreckungsbeamter des Hauptzollamtes handelt nicht rechtmäßig, wenn er die Wohnung eines Zollschuldners betritt, um bisher unbekannte Beitreibungsmöglichkeiten durch Lohnpfändung zu ermitteln (OLG Hamm MDR 1960 696). Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen setzen hinreichende Anhaltspunkte (§ 152 Abs. 2 StPO) für eine Straftat voraus; sie sind nicht zulässig, um solche erst aufzuspüren. Ein vorläufig Festgenommener bzw. Festgehaltener (§ 127 StPO bzw. § 81a StPO) darf nur bei konkreten Anhaltspunkten für die Auffindung beschlagnahmefähiger Sachen, z.B. das Mitführen von Waffen, durchsucht werden (§ 102 StPO; OLG Schleswig SchlHA 1978 183, 184). Die Beschuldigteneigenschaft als Zulässigkeitsvoraussetzung kann auch mit der Anordnung einer nur gegen einen Beschuldigten zulässigen Maßnahme (z.B. § 81a StPO) begründet werden (vgl. OLG Karlsruhe Die Justiz 1986 143, 144). Nach KG NJW 1975

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OLG Hamm JMB1NRW 1965 9; aA Sch/Schröder/Eser Rdn. 35; Bosch MK Rdn. 48.

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§ 113

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

887, 888 beschränkt sich polizeiliches Handeln nicht auf die Abwehr einer bestehenden Gefahr, sondern erstreckt sich auch auf Sachlagen, die bei objektiver Prüfung den Anschein einer Gefahr erwecken. Die erkennungsdienstliche Behandlung setzt Erforderlichkeit zur Aufklärung und Verhältnismäßigkeit voraus; sie ist bei weniger eingreifenden Möglichkeiten einer Personalienüberprüfung jedenfalls bei wenig gewichtigem strafrechtlichen Vorwurf nicht zulässig (AG Hamburg StV 1985 364). Bei einer Razzia (vgl. Kurth NJW 1979 1381; Wache KK StPO § 163 Rdn. 23) müssen im Rahmen der Personenkontrolle auch Nichtverdächtige oder Nichtstörer ihre Personalien auf Verlangen ausweisen. Die Polizei darf nach einer Razzia Prostituierte zwangsweise zur Sichtungsstelle des Gesundheitsamtes bringen (OLG Köln GA 1966 344, 345). Nach OLG Köln MDR 1976 67 f sind je nach Lage des Einzelfalles Photos eines beschuldigten Demonstranten als ähnliche Maßnahme i.S.d. § 81b StPO zwecks Identifizierung im Strafverfahren zulässig bzw. rechtmäßig. Das gilt auch dann, wenn sich der Betroffene durch Personalausweis ausgewiesen hat. Das Selbsthilferecht des Polizeibeamten gemäß § 164 StPO (vgl. etwa OLG Stuttgart NJW 1971 629) gilt nur für die Dauer der Diensthandlung und darf nicht weiter gehen, als erforderlich ist, um den Widerstand gegen die Durchführung zu brechen; daher ist keine Abführung zur Wache zulässig, wenn die Diensthandlung ohne diese Verbringung möglich ist (OLG Celle MDR 1955 692; ebenso BayObLGSt 1962 316). Der Störung einer zulässigen Wohnungsdurchsuchung kann durch Absonderung in einem (bereits überprüften) Raum des durchsuchten Hauses - und zwar auch im Falle eines sich weisungswidrig verhaltenden Verdächtigen (§ 102 StPO) - begegnet werden (OLG Stuttgart Die Justiz 1984 25). Die Einbehaltung des Führerscheins ist bei einem betrunkenen Kraftfahrer auf Grund Landesrechts bis zur Beendigung des verkehrsunsicheren Zustandes zulässig (OLG Köln VRS 37 33). Die rechtmäßige Vornahme einer Diensthandlung endet, wenn der Polizeibeamte den Betroffenen unberechtigt schlägt; sie kann erst wieder beginnen, wenn der Beamte die Fortsetzung der rechtmäßigen Ausführung in einer nach außen in Erscheinung tretenden Weise deutlich zum Ausdruck bringt (OLG Oldenburg NJW 1952 1189). Der Polizeibeamte darf dem Betroffenen die Hände aus den Taschen reißen, wenn der Verdacht besteht, dass er dort Waffen versteckt hat (OLG Celle NJW 1971 154; OLG Zweibrücken VRS 40 192, 193). Verweigert ein Gast nach Eintritt der Sperrstunde das Verlassen der Gastwirtschaft (§ 28 Abs. 2 Nr. 4 GaststG), so darf ihn der Polizeibeamte gewaltsam entfernen; gleiches gilt im Fall des Verbleibens trotz ausdrücklichen Lokalverbots (LG Bonn NStZ 1984 169). Zwecks Verhinderung der Fortsetzung strafbarer Handlungen können die Polizeibeamten eine Person, die durch eine begonnene oder drohende Straftat gefährdet ist, aus dem Gefahrenbereich wegbringen (BayObLG JR 1989 24). Die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln zur Erlangung von Beweisen in Drogenstrafverfahren ist als Verstoß gegen die Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG zu qualifizieren, zugleich ist sie konventionswidrig. Anderslautende deutsche Judikatur (BVerfG StV 2000 1; OLG Bremen NStZ-RR 2000 270), die dieses Verfahren unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für rechtmäßig gehalten hat, ist mit der Verurteilung Deutschlands durch die Große Kammer des EGMR (NJW 2006 3117) hinfällig. Dagegen ist die Überprüfung der Mundhöhle durch einen Polizeibeamten auch durch den Griff an den Hals, also mittels körperlicher Gewalt, zur Auffindung von Rauschgift nach § 102 StPO zulässig (OLG Celle NJW 1997 2463, 2464). 61

ii) Eingriffsbefugnisse und Notwehr des Amtsträgers. Das Recht zur (vorläufigen) Festnahme oder zur körperlichen Untersuchung (z.B. §§ 81a, 127 StPO) schließt notwendigerweise die Befugnis ein, zur zwangsweisen Durchsetzung der von dem Betroffenen unbeachtet gelassenen Vollstreckungsanordnung oder zur Beseitigung des von ihm geleis-

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teten Widerstands (Rdn. 22 f) unmittelbaren Zwang anzuwenden.136 Als Zwangsmittel kommen je nach den konkreten Erfordernissen des Falles gewaltsames Öffnen und Betreten von Räumen, Beseitigung von als Widerstandsmittel eingesetzten Sachen, evtl. unter Beschädigung, Eingriffe in die Fortbewegungs- und Willensfreiheit (i.S.d. §§ 239, 240 Abs. 1) sowie in begrenztem Rahmen auch - über das „feste Anfassen" oder „Anpacken" (OLG Stuttgart NJW 1984 1694, 1695) hinausgehende - die körperliche Integrität tangierende Handlungen (§ 223) in Betracht (OLG Koblenz VRS 54 357, 359), die bei entsprechendem Widerstand unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Herbeiführung oder Aufrechterhaltung der erforderlichen Freiheitsentziehung notwendig sind.137 Hinsichtlich der Grenzen der Zwangsmittel ist auf den in den gesetzlichen Regeln über die Anwendung unmittelbaren Zwangs abgesteckten Rahmen zurückzugreifen.138 Erst jenseits der Berechtigung der Zwangsmaßnahmen aus den für die hoheitliche Betätigung maßgeblichen Vorschriften stellt sich die weitere Frage eines Notwehrrechts des Amtsträgers. Ein Ausschluss allgemeiner Rechtfertigungsgründe bei hoheitlichem Handeln (Jakobs AT 12/41 ff), insbesondere der Notwehr des zum Selbstschutz handelnden Amtsträgers (dagegen Lackner/Kühl § 32 Rdn. 17 m.w.N.), oder eine differenzierende Aufspaltung in eine strafrechtliche Rechtswidrigkeit (Rechtfertigung) und polizeirechtliche Rechtswidrigkeit139 kann indes weder dem Strafrecht selbst noch den landesrechtlichen Polizeigesetzen (s. vielmehr die ausdrücklichen Notrechtsvorbehalte, z.B. § 54 Abs. 2 HSOG, Art. 60 Abs. 2 Bay. PAG) entnommen werden. Dem Polizeibeamten stehen vielmehr bei Vorliegen (vgl. Schmidhäuser J Z 1991 939; Rogall JuS 1992 551, 552) der gesetzlichen Voraussetzungen des § 32 StGB die Notwehrbefugnisse zu, wenn ihm bei Ausübung rechtmäßiger Vollstreckungstätigkeit ein sich als gegenwärtiger rechtswidriger Angriff darstellender aggressiver Widerstand entgegengesetzt wird. 140 Die personenbezogenen Notrechte des StGB stellen aber keine Erweiterung hoheitlicher Eingriffsbefugnisse dar.141 d) Folgen fehlender Rechtmäßigkeit aa) Rechtfertigung des Widerstandes. Absatz 3 Satz 1 bestimmt, dass die Tat nicht nach § 113 strafbar ist, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Diese Regelung entspricht der bisherigen Rechtsprechung, welche allerdings die Rechtmäßigkeit als objektive Bedingung der Strafbarkeit ansah (vgl. Rdn. 31 ff). Die den Widerstand als solchen (§ 113) rechtfertigende Wirkung des Absatzes 3 tritt ohne Rücksicht darauf ein, ob eine Abwehr des Betroffenen in dem geleisteten Maße erforderlich war, ob auch ein dem Betroffenen zumutbares Rechtsmittel ausgereicht hätte oder ob der Widerstandleistende die Unrechtmäßigkeit der Diensthandlung erkannt bzw. mit Verteidigungswillen

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S. Geerds Jura 1987 319 f; Krause L R 2 5 § 81a Rdn. 64; Hilger LR § 127 Rdn. 28, 34, 43; KMR/Bosch StPO § 81a Rdn. 35; KMR/Wankel § 127 Rdn. 10 f. Boujong KK StPO § 127 Rdn. 27; Hilger LR § 127 StPO Rdn. 28, 31; Rogall JuS 1992 5 5 4 f; LG Bonn NStZ 1984 169; aA Arzt FS Kleinknecht, S. 10; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 39. Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1974 806; BayObLG NStZ 1988 518, 519; Molketin NStZ 1989 488.

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M. Seebode FS Klug, S. 3 5 9 ff; FS Krause, S. 375 ff; StV 1991 80, 85 m.w.N.; dazu Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 22 ff; aA Seh! Schröder/Lenckner/Perron § 32 Rdn. 42b. Vgl. Spendet J R 1991 2 5 0 ; begrenzend Scbaffstein GedS Schröder S. 97, 111 f; Schall S. 283. Amtl. Begr. M E PolG A 3.44; Rosenau SSWStGB Vor § 32 Rdn. 2 7 ; aA Roxin AT I § 15 Rdn. 12.

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gehandelt hat. 1 4 2 Die Vorschrift schließt ihrem Wortlaut nach indes nur die Strafbarkeit nach § 113 aus; je nach Sachlage kann aber die Tat, falls die Widerstandshandlung zugleich weitere Tatbestände erfüllt, als Körperverletzung, Sachbeschädigung usw. strafbar sein, soweit sie nicht durch Notwehr (§ 32) gerechtfertigt ist (Begr. zum Ε 1962 S. 606; Dreher J R 1984 403). Satz 2 des Absatzes 3 stellt klar, dass auch die irrige Annahme des Täters, die Vollstreckungshandlung sei rechtmäßig, keine Strafbarkeit nach § 113 begründet (vgl. Rdn. 67). 63

bb) Notwehr bei fehlender Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung. Die fehlende Rechtmäßigkeit der Diensthandlung rechtfertigt den Widerstand als solchen, lässt somit § 113 entfallen. 143 Die Unrechtmäßigkeit qualifiziert die Diensthandlung zugleich als rechtswidrigen Angriff, gegen den Notwehr zulässig ist. 1 4 4 Verwirklicht die Widerstandshandlung weitere Tatbestände wie etwa die §§ 212, 22, 223 ff, 303, so kommt es insoweit auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 32 an (Dreher FS Heinitz, S. 221; Kindhäuser Rdn. 17), nun insbesondere auch des Verteidigungswillens (BGH NStZ 1981 22, 23). Wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig (Absatz 3 Satz 2), fehlt ihm der Wille, sich gegen ein rechtswidriges Vorgehen zur Wehr zu setzen (Verteidigungswille). Hier bleibt die Widerstandshandlung - soweit sie andere Straftatbestände als § 113 erfüllt - nach diesen Tatbeständen strafbar, z.B. als Versuch von § 224, aber auch als Vollendung des § 223, soweit sich die Körperverletzung als Notwehrüberschreitung (und insoweit auch als Erfolgsunwert) darstellt. 145 Denn Absatz 3 Satz 2 will mit seinem klarstellenden Hinweis nur die Strafbarkeit nach § 113 ausschließen (Fischer Rdn. 30). Bei gegebener Notwehrlage bleibt stets zu prüfen, ob die Art der Verteidigung nicht rechtsmissbräuchlich ist und daher als nicht geboten angesehen werden muss. 1 4 6 Insoweit wird man der in Absatz 4 behandelten Zumutbarkeitsfrage eine nicht unwesentliche Bedeutung beizulegen haben. Dort ist dem Gedanken Rechnung getragen, dass von dem Betroffenen, selbst wenn er sich im Recht fühlt und - nach den Umständen - fühlen darf, die Prüfung zu verlangen ist, ob er sich nicht mit Rechtsbehelfen zu begnügen hat. Die gleiche Beurteilung liegt bei der Notwehr gegen eine unrechtmäßige Diensthandlung nahe, insbesondere wenn Verteidigungsmaßnahmen ergriffen werden, die in keinem Verhältnis zu den Nachteilen stehen, die durch das unrechtmäßige Vorgehen des Beamten verursacht werden, 147 etwa wenn die gewählte Verteidigung eine erhebliche Verletzung oder gar den Tod des Amtsträgers herbeiführen könnte (BGH NStZ 1981 22, 23; AG Schwandorf StV 1987 299, 300). Glaubt sich der Täter in Kenntnis aller Erlaubnistatumstände zu einer objektiv rechtsmissbräuchlichen und daher nicht gerechtfertigten Abwehrmaßnahme berechtigt, so handelt es sich um einen nach § 17 zu behandelnden Verbotsirrtum (vgl. OLG Hamm GA 1973 245).

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Bosch MK Rdn. 53; Dreher J R 1984 4 0 2 f; aA Hirsch FS Klug, S. 235, 251. Vgl. Rdn. 32; Fischer Rdn. 20; Herdegen FS BGH, S. 2 0 2 ; OLG Bremen NJW 1977 158,

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BGHSt 4 1 6 1 , 1 6 3 f; BayObLGSt 1954 59, 64; OLG Köln StV 1982 359; AG Schwandorf StV 1987 299, 3 0 0 ; OLG Darmstadt NJW 1951 165, 166 a.E.; OLG Stuttgart NJW 1971 6 2 9 ; KG GA 1975 213, 215; OLG Hamm GA 1973 2 4 4 , 2 4 5 ; Lackner/Kühl Rdn. 15; Prot. V/2890.

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Zur Folge fehlenden Verteidigungswillens vgl. allerdings Rdn. 6 7 ; Rudolphi SK § 22 Rdn. 29; Günther SK vor § 32 Rdn. 91; Rosenau SSW-StGB Vor § 32 Rdn. 16; KG GA 1975 213, 215. Vgl. BayObLGSt 1954 59, 65; BGH NStZ 1981 22, 23; ähnl. Amelung JuS 1986 336 f; Roxtn FS Pfeiffer, S. 51 f; Schall S. 283. Fischer Rdn. 20; Dreher NJW 1970 1159; vgl. auch BayObLGSt 1954 59, 65; Bedenken bei Horstkotte Prot. Vl/17.

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e) Folgen bei Rechtmäßigkeit der Diensthandlung. Ist die Diensthandlung recht- 6 4 mäßig, ist der Widerstand objektiv rechtswidrig. Die Irrtumsregelung des Absatzes 4, die bei entschuldbarem Irrtum des Täters über die Rechtmäßigkeit unter Umständen zur Straflosigkeit des Widerstandes führen kann, lässt die für die Position des Amtsträgers maßgebliche objektive Rechtslage unberührt; sie betrifft lediglich die Frage der Vorwerfbarkeit (Horstkotte Prot. V/2891; VI/16). Die Fälle der vermeintlichen Notwehr werden im Rahmen des § 113 im wesentlichen durch Absatz 4 erfasst; für die Anwendung der Grundsätze über die Putativnotwehr bleibt insoweit kein Raum (vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 55, 59; Stockei JR 1967 281, 283). Erfüllt die Widerstandshandlung daneben weitere Tatbestände (§§ 223 ff, 303), so gelten insoweit die allgemeinen Regeln über die Putativrechtfertigung.148 Gegen widerrechtliche Begleithandlungen einer sonst rechtmäßigen Diensthandlung (z.B. grundlose Misshandlung des Täters, etwa durch Faustschlag ins Gesicht, bei an sich zulässiger Festnahme) ist Notwehr möglich.149 Bei nur vermeintlich unzulässigem Begleitverhalten des Amtsträgers - wenn z.B. ein Ausholen zum Faustschlag missgedeutetet wird - ist Putativnotwehr denkbar (Sch/Schröder/Eser Rdn. 59).

ΙΠ. Subjektiver Tatbestand Zum subjektiven Tatbestand gehört das Bewusstsein des Täters, dass ihm ein Amtsträger oder Soldat oder eine gleichgestellte Person (§ 114) gegenübersteht, die eine Diensthandlung vornimmt (BGH 3 StR 279/78, 13.10.1978 S. 3; OLG Stuttgart MDR 1983 78), und dass er dieser Handlung durch sein Verhalten ein Hindernis bereitet (RG DR 1942 1782). Bedingter Vorsatz genügt (RGSt 47 270, 279 f; Fischer Rdn. 29). Fehlt der Vorsatz in Bezug auf § 113, so kann auf andere Tatbestände, die durch dieselbe Handlung verletzt sein sollten, zurückgegriffen werden. Auf die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung muss sich der Vorsatz nicht erstrecken, weil diese kein Tatbestandsmerkmal ist. Das ergibt auch der Umkehrschluss aus Absatz 4 (Paeffgen NK Rdn. 76; vgl. Rdn. 29 ff).

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IV. Irrtumsregelung Einen Irrtum über die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung hatte die frühere Recht- 6 6 sprechung in der Regel für unbeachtlich gehalten (zuletzt BGHSt 21 334, 365 f). Das hielt der Gesetzgeber des 3. StrRG für bedenklich, weil auf diese Weise dem Schuldgrundsatz nicht ausreichend Rechnung getragen werde (Paeffgen NK Rdn. 76). Er hat deswegen in Absatz 4 eine neue Irrtumsregelung eingeführt, die sich an den § 17 in der Fassung des 2. StrRG (Verbotsirrtum) anlehnt, ihm aber nicht voll entspricht (vgl. Rdn. 68). Dabei wird aus Zweckmäßigkeitsgründen, entgegen der sonstigen Übung, zunächst der verschuldete und dann der unverschuldete Irrtum behandelt, weil letzterer durch die Zumutbarkeitsklausel zu ergänzen war und sich sonst sprachliche Schwierigkeiten ergeben hätten (Horstkotte Prot. VI/320). Der vermeidbar Irrende wird besser

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OLG Hamm GA 1973 2 4 4 ; OLG Bremen NJW 1 9 7 7 158, 160; Fischer Rdn. 31; Stockei J R 1967 2 8 2 . OLG Oldenburg N J W 1952 1189; Lackner,/

Kühl Rdn. 15; Spendet ]K 1991 2 5 0 ; Stockei J R 1967 2 8 4 ; wenig überzeugend dagegen Hettinger GA 1982 544.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt gestellt als beim Verbotsirrtum nach § 17 S. 2; denn ihm wird eine Strafmilderung nicht nur nach § 4 9 Abs. 1, sondern nach § 4 9 Abs. 2 eingeräumt, zudem ist sogar das Absehen von Strafe zulässig ( P a e f f g e n N K Rdn. 76). Der unvermeidbar Irrende dagegen steht schlechter als beim Verbotsirrtum nach § 17 S. 1, weil er nur dann straflos bleibt, wenn neben der Unvermeidbarkeit des Irrtums die Unzumutbarkeit tritt, Rechtsbehelfe einzulegen. Nunmehr gilt folgendes: 67

1. Irrige Annahme der Rechtmäßigkeit (Absatz 3 S. 2). Nimmt der Täter irrig an, eine unrechtmäßige Diensthandlung sei rechtmäßig, oder hat er sich über den Charakter der unrechtmäßigen Diensthandlung überhaupt keine Gedanken gemacht, bleibt er nach Absatz 3 Satz 2 straflos. Eines subjektiven Rechtfertigungselements bedarf es hier ebenso wie bei § 2 2 Abs. 1 S. 2 W S t G 1 5 0 nicht. 1 5 1 Der Gesetzgeber hat durch die Regelung des Absatzes 3 Satz 2 einer möglichen unterschiedlichen dogmatischen Einordnung des Rechtmäßigkeitsmerkmals und deren eventuellen Folgerungen (vgl. Maurach/Schroeder/ Maiwald B T 2 § 7 0 Rdn. 4 0 ; Dreher J R 1984 4 0 3 ) Rechnung getragen (E 1962 Begr. S. 6 0 6 ; Prot. V / 2 8 9 0 , 2 9 2 5 ; vgl. im übrigen Rdn. 2 9 ff).

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2 . Irrige Annahme der Unrechtmäßigkeit (Absatz 4). Die komplexe Vorschrift des § 113 Abs. 4 ist eine Sonderregelung, die den allgemeinen Irrtumsregeln vorgeht (sehr krit. Schünemann Coimbra-Symposium, S. 169 ff). Systematisch wird die Kernregelung teilweise als Sonderform des Irrtums über die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes eingeordnet, 1 5 2 die indes nicht der rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie folgt, 1 5 3 sondern eher als Ausdruck der strengen Schuldtheorie betrachtet wird, 1 5 4 oder als Spezialregel auf der Grundlage der Verbotsirrtumsgrundsätze. 1 5 5 Absatz 4 knüpft mit der Vermeidbarkeit des Irrtums (Rdn. 6 9 f) jedenfalls an Kriterien der Verbotsirrtumsregelung an. Abweichend von § 17 genügt hier nicht das Fehlen der Unrechtseinsicht (ignorantia). Ist die Vollstreckungshandlung rechtmäßig und macht sich der Täter über die Frage der Rechtmäßigkeit keinerlei Gedanken, so ist der Widerstand bei gegebenem Vorsatz nach § 113 strafbar (Bosch M K Rdn 5 9 ; Paeffgen N K Rdn. 78). Absatz 4 setzt voraus, dass der Täter abwägt und zur Einschätzung kommt, die Vollstreckungshandlung ist unrechtmäßig. Er muss die Unrechtmäßigkeit irrig positiv annehmen. 1 5 6 Der Irrtum über die tatsächlichen Grundlagen der Bewertung und der Bewertungsirrtum werden in Absatz 4 nicht unterschieden, sondern dogmatisch gleichgestellt. 1 5 7 Der Begriff der Rechtmäßigkeit ist derselbe wie in Absatz 3 . 1 5 8 Absatz 4 erfasst jede irrige Annahme einer Unrechtmäßigkeit der Vollstreckungstätigkeit des Amtsträgers (vgl. O L G Köln

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Hierzu Scholz FS Dreher, S. 479 ff, 483. Vgl. Rdn. 63; Niederschriften 13 53; Dreher FS Heinitz, S. 221, JR 1984 405; Herdegen FS BGH, S. 202. Bergmann S. 128; Krümpelmann ZStW Beiheft 1978 55; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 38; wohl auch Dreher GedS Schröder, S. 382 f. Vgl. BGHSt 31 264, 286 f; Jescheck/Weigend AT S. 464 ff; Prot. V/2928; VI/310. Hirsch FS Klug, S. 253; Gössel GA 1980 153; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 38; Paeffgen NK Rdn. 77, anders aber ders. J Z 1979 523: Sonderform des Erlaub-

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nistatbestands- und des Erlaubnisirrtums; abl. Dreher JR 1984 403. Fischer Rdn. 31; Dreher J Z 1970 1158; Horstkotte Prot. V/2891. Vgl. OLG Köln VRS 71 183, 186; Dreher JR 1984 403; NJW 1970 1158; Sax JZ 1976 430 f. Vgl. Herdegen FS BGH, S. 202; Lackner/ Kühl Rdn. 20; vgl. auch Scholz FS Dreher, S. 479, 488. Horstkotte, Sturm Prot. VI/332 f; Raabe Prot. VI/197; aA Meyer Prot. VI/332; Thiele JR 1979 399.

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NJW 1982 296, 297). Das gilt in gleicher Weise, wenn sich der Betroffene von dem vollstreckenden Amtsträger rechtswidrig angegriffen glaubt (OLG Schleswig SchlHA 1983 83, 85), wenn der aufgrund einer Personenverwechslung irrtümlich Festgenommene (Rdn. 51 u. 70) das Handeln des Polizeibeamten eben deshalb für unrechtmäßig hält oder wenn der Betroffene den Umfang seiner Duldungspflichten verkennt. Ein Irrtum über die Rechtmäßigkeit polizeilichen Einschreitens zwecks Verhinderung der Weiterfahrt ist zu verneinen, wenn der Kraftfahrer selbst mit seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit rechnet (BGH VRS 39 184). a) Vermeidbarer Irrtum. Ist der Irrtum vermeidbar, gleichgültig, ob er sich auf Rechts- oder Tatfragen bezieht, kann das Gericht die Strafe entsprechend dem § 49 Abs. 2 mildern oder bei geringer Schuld von Strafe absehen. Das bezieht sich aber nur auf eine Bestrafung „nach dieser Vorschrift"; der Täter bleibt also für andere Straftaten, die durch dieselbe Handlung verwirklicht werden, nach den für diese geltenden Regeln verantwortlich (Horstkotte Prot. VI/310, 320 f). Soweit eine Strafmilderung in Frage steht, hat die Vorschrift nur in den Fällen des Absatzes 2 eine echte Relevanz (Prot. VI/ 320). Doch wird dann häufig schon ein besonders schwerer Fall zu verneinen sein. Ein Absehen von Strafe nach § 113 kommt in Betracht, wenn sich aufgrund einer Gesamtabwägung (vgl. zu § 49 Abs. 2 BGH StV 1985 506) aller schuldrelevanten Umstände unter vorrangiger Berücksichtigung des Irrtums einschließlich des Grades seiner Vermeidbarkeit und der weiteren im Rahmen des Absatzes 4 milderungsrelevanten Umstände (vgl. Dreher GedS Schröder S. 359, 384) eine nur geringe Schuld des Täters ergibt. Zur Strafrahmenmilderung vgl. Bergmann S. 128 ff, 133 ff, der allerdings insoweit nach Irrtumsarten differenziert und vor allem auf Fehlvorstellungen hinsichtlich der Erforderlichkeit der Widerstandsleistung (Rechtsbehelfsmöglichkeit) abstellt.

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b) Unvermeidbarer Irrtum. Ist der Irrtum unvermeidbar, bleibt der Täter nicht ohne 7 0 weiteres aus § 113 straflos. Vielmehr hat der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit den Garmischer Beschlüssen, den Vorschlägen des Richterbundes und verschiedener Sachverständigen die sog. Rechtsbehelfsklausel eingefügt (Schriftl. Ber. BTDrucks. VI/502 S. 6). Im Hinblick auf das dem Täter des Widerstandes zufallende Risiko (BGHSt 21 334, 365; OLG Bremen NJW 1977 158, 160) lässt - abweichend von % 17 - die Unvermeidbarkeit des Irrtums noch nicht schlechthin den Schuldvorwurf entfallen. Das Risiko des Widerstandes wird nur dann als nicht vorwerfbar angesehen, wenn dem Täter die Ergreifung eines Rechtsbehelfs gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung nicht zumutbar war (s. Niederschriften 13 53, 69). Dieser Regelung liegt das Bemühen des Gesetzgebers um den Ausgleich des Interessenkonflikts zwischen dem Schutzbedürfnis des Amtsträgers und dem vermeintlichen Verteidigungsinteresse des irrenden Täters (Ber. BTDrucks. VI/502 S. 6) zugrunde. Im Rechtsstaat können vermeintlich rechtswidrige Hoheitsakte mit Rechtsmitteln bekämpft werden. Auch dem nicht vorwerfbar Irrenden wird deshalb nach der gesetzgeberischen Entscheidung das Widerstandsrisiko dann aufgebürdet, wenn er sich mit einem zumutbaren Rechtsbehelf begnügen könnte. Die Vorwerfbarkeit ergibt sich hier aus dem gewaltsamen Entgegenstellen trotz ausreichender Rechtswahrungsmöglichkeiten durch Nutzung der Rechtsbehelfe (vgl. Lackner/Kühl Rdn. 22). Somit ist neben der Frage nach der Unvermeidbarkeit des Irrtums auch zu klären, ob es dem Täter nicht zuzumuten war, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren. Das Erfordernis der Unzumutbarkeit eines dem Widerstand vorgeschalteten Rechtsmittels ist eine besondere Ausformung des Erforderlichkeitsgesichtspunkts (vgl. Krümpelmann ZStW Beiheft 1978 55). Das bedeutet, dass der Bürger, der sich von seinem Standpunkte aus zu Unrecht durch ein Vorgehen

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der Staatsgewalt angegriffen fühlt, nicht sofort mit Widerstand oder gar Tätlichkeiten antworten darf. Er hat vielmehr zu erwägen, ob ihm nicht Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen, die ihm zu seinem vermeintlichen Recht verhelfen können. Die Zumutbarkeit hat sich vor allem zu orientieren an einer konkreten Abwägung der durch den staatlichen Eingriff entstehenden oder zu erwartenden Nachteile, deren Schwere sowie der umfänglichen und zeitlichen Möglichkeiten einer Abhilfe durch Rechtsbehelfe und der Schäden, die durch den Widerstand oder die Tätlichkeiten des Betroffenen drohen. „Eine Schuld ist ausgeschlossen, wenn das Wagnis der Widerstandsleistung ebensowenig vorgeworfen werden kann, wie die Art und Weise dieses Widerstandes . . . " (BGHSt 21 334, 366). Wer z.B. infolge einer Verwechslung festgenommen wird, muss es in der Regel auf sich nehmen, zur Wache mitzugehen und dort den Irrtum aufzuklären. Die Unzumutbarkeit wird anzunehmen sein, wenn ein entsprechender Rechtsbehelf mutmaßlich zu spät käme und bei Verzicht auf Widerstand ein nicht wiedergutzumachender, bei entsprechender Güterabwägung unzumutbarer Schaden (etwa an Freiheit, Gesundheit usw.) zu besorgen ist. 159 Daraus ergibt sich zugleich, dass diese Rechtsbehelfsklausel, die ihre Parallele in § 97b findet, nicht gegen den Schuldgrundsatz verstößt (ebenso Dreher N J W 1970 1159). Richtet sich die Zwangsmaßnahme wie bei der Pfändung (OLG Köln M D R 1975 417, 418) bzw. Beschlagnahme gegen Sachen oder ist ein sonst etwa drohender Vermögensschaden ohne weiteres ausgleichbar, so ist der Rechtsweg einzuschlagen. Verzicht auf Widerstand zugunsten von Rechtsbehelfen muss auch erwartet werden, wenn es sich um verhältnismäßig geringfügige hoheitliche Eingriffe handelt, wenn dem Widerstandstäter kein unmittelbarer Nachteil aus der Vollstreckungshandlung droht oder er nicht unmittelbar betroffen ist. Im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung ist im übrigen die Intensität der Abwehrhandlung mit den aus ihr resultierenden Gefahren für den vollstreckenden Beamten (Prot. V/2889), aber auch Art und Umfang der Beeinträchtigung staatlicher Vollstreckungstätigkeit unter Berücksichtigung von deren Bedeutung und Eilbedürftigkeit (Bergmann S. 132) zu beachten. Erscheint eine erfolgversprechende Abwehr nur im Wege massiver Gefährdung für Leben oder Gesundheit des Vollstreckungsbeamten möglich, verbleibt es bei der Verweisung auf den Rechtsweg (vgl. Arzt/Weber BT § 45 Rdn. 48). Die Zumutbarkeitsfrage ist nach den dem Täter bekannten Umständen, d.h. auf der tatsächlichen Beurteilungsgrundlage, wie sie sich aus der Sicht des Täters darstellte, zu entscheiden, also auch auf irrig angenommener unzumutbarkeitsindizierender Tatsachengrundlage. 160 Hielt der Täter trotz zutreffender Kenntnis der Sachlage die Beschränkung auf den Rechtsweg irrig für unzumutbar, so ist ein solcher Bewertungsirrtum unerheblich (Lackner/Kühl Rdn. 22), lässt also den Schuldvorwurf nicht entfallen (für den kaum praktisch werdenden Fall eines unvermeidbaren Bewertungsirrtums gegensätzlich Bergmann S. 132, 136 Fn. 269; Hirsch FS Klug, S. 235, 252: Lösung unter dem Gesichtspunkt fehlender Zumutbarkeit oder unmittelbar gemäß § 17 S. 1). In Fällen, in denen es dem Täter gar nicht um die Verhinderung von Vollstreckungshandlungen geht, sondern es ihm nur auf Tätlichkeiten ankommt, kommt Absatz 4 nicht zum Tragen. 161 71

c) Voraussetzungen für die Unvermeidbarkeit. Für die Voraussetzungen, unter denen der Irrtum als unvermeidbar anzusehen ist, gelten die auch sonst für den Verbotsirrtum

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Niederschriften 13 53, 69; Ε 1962 Begr. zu § 419 S. 6 0 7 ; krit. Sax J Z 1976 429, 431. Dreher Prot. V / 2 9 3 4 ; Hirsch FS Klug, S. 2 5 2 ; Bergmann S. 132; einschr. Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 44, die

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hier auf § 35 Abs. 2 analog zurückgreifen wollen. Sch/Schröder/Eser Rdn. 57; Zielinski AK Rdn. 43; vgl. auch Fischer Rdn. 32.

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

entwickelten Grundsätze. 162 Der staatliche Vollstreckungsakt hat regelmäßig die Vermutung der Rechtmäßigkeit für sich. Den Widerstehenden trifft das Risiko, sich gegen eine rechtmäßige Diensthandlung zu wenden. 163 Tatbestandsverwirklichung mit Rechtfertigungstendenz ist riskantes Verhalten und löst Sorgfaltspflichten aus (vgl. Krümpelmann ZStW Beiheft 1978 48). Die Berufung auf einen entschuldigenden Irrtum ist demjenigen versagt, der handelt, ohne - wie er weiß - die rechtliche Tragweite seines Handelns zu übersehen (vgl. Welzel J Z 1953 267). Es sind daher gewichtige Gründe für die Annahme einer unrechtmäßigen Diensthandlung erforderlich, wenn auf Grund dieser Annahme die Unvermeidbarkeit des Irrtums festgestellt werden soll. Müssen sich nach der konkreten Sachlage dem Täter bei gehöriger Anspannung seiner Erkenntniskräfte zumindest Zweifel an seiner Befugnis zum Widerstand aufdrängen, hat er rechtskundigen Rat einzuholen (was indes einem unvorhergesehen von einer Vollstreckungshandlung Betroffenen nur selten möglich sein wird; Bergmann S. 130) oder sein vermeintliches Recht auf dem Rechtsweg zu verfolgen. Wer die Rechtsordnung aus politischen oder weltanschaulichen Gründen als für sich nicht verbindlich ablehnt, kann sich hierauf im Rahmen der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums nicht berufen (OLG Karlsruhe NJW 1974 2144, 2147); ebensowenig darf er sich damit verteidigen, dass er das Verbot nicht genau gekannt habe, wenn er immerhin damit gerechnet und die Zuwiderhandlung trotzdem gewollt hat. 1 6 4 Bei sich aufdrängendem ordnungswidrigen Verhalten einer Person ist deren Irrtum über die Rechtmäßigkeit der Personalienfeststellung durch Polizeibeamte in der Regel vermeidbar (OLG Hamburg J R 1979 206). Ein unvermeidbarer Irrtum kommt bei Widerstand gegen polizeiliche Selbstmordverhinderung in Betracht, weil der Betroffene hier möglicherweise situationsbedingt die Rechtmäßigkeit des gegen ihn gerichteten polizeilichen Einsatzes nicht erkennen kann (BayObLG NStZ 1989 186). Unter Berücksichtigung der strengen Beurteilungsmaßstäbe werden sich je nach konkreter Sachverhaltsgestaltung gerade in Fällen der nach spezifisch strafrechtlichen Kriterien (Rdn. 35 ff) rechtmäßigen, den spezialgesetzlichen Eingriffsnormen indes nicht entsprechenden Vollstreckungshandlungen eher Anhaltspunkte ergeben, die auf einen unvermeidbaren Irrtum hinweisen oder jedenfalls zu einer eingehenderen Prüfung und Erörterung der Vermeidbarkeitsfrage Anlass geben können (zu weitgehend Bergmann S. 131). Dementsprechend hat das OLG Köln einen unvermeidbaren Irrtum in einem Fall angenommen, in dem der Widerstehende bei unrechtmäßiger Zwangsvollstreckung des Gerichtsvollziehers irrig auch von einer unrechtmäßigen Diensthandlung der gemäß §§ 758 Abs. 3, 753 ZPO zugezogenen Polizisten ausgegangen war (NJW 1975 889 f). Angesichts der Geringfügigkeit des Pfändungsbetrages und der kurzfristigen Entbehrlichkeit der gepfändeten Gegenstände konnte jedoch dem Betroffenen hier zugemutet werden, sich mit der Erinnerung (§ 766 ZPO) gegen das Vorgehen des Gerichtsvollziehers zu wenden. In einem solchen Falle ermöglicht allerdings das Gesetz im Hinblick auf die Unvermeidbarkeit des Irrtums eine Strafmilderung nach § 49 Abs. 2 oder ein Absehen von Strafe. Die Kriterien der Vermeidbarkeit des Irrtums über die Rechtmäßigkeit und die der Zumutbarkeit von Abhilfe auf dem Rechtsweg sind - ungeachtet der Schuldgehaltsrelevanz auch des Rechtsbehelfsgesichts-

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Vgl. Vogel LK § 17 Rdn. 35 ff; ferner Rudolph SK § 17 Rdn. 24 ff, 30 ff; differenzierend Bergmann S. 130. Vgl. Niederschriften 13 58; Maurach/Scbroeder/Maiwald BT 2 § 70 Rdn. 39; Sax J Z

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1976 430 f; OLG Bremen NJW 1977 158, 160; s.a. BGHSt 21 334, 366. BGHSt 4 1, 3; Dreher NJW 1970 1159; Schriftl. Ber. BTDrucks. VI/502 S. 6.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

punkts - deutlich zu trennen; sie werden indes von der Rspr. teilweise unzulässig vermengt. 165 72

d) Folgen des unvermeidbaren Irrtums. War der Irrtum unvermeidbar und war dem Betroffenen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen zu begnügen, so ist die Tat nicht strafbar. Das gilt aber, ebenso wie im Falle des Absehens von Strafe im Falle des vermeidbaren Irrtums (Rdn. 69), nur für die Strafbarkeit aus § 113. War ihm zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen zu wehren, kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung aus § 113 absehen. Ein Absehen von Strafe wird - ungeachtet fehlender ausdrücklicher Verknüpfung - nur bei geringer Schuld in Betracht kommen (vgl. Fischer Rdn. 33). Zur Berücksichtigung eines Bewertungsirrtums über die Zumutbarkeit der Einlegung von Rechtsbehelfen (Rdn. 70 a.E.) im Verbund mit der unvermeidbar irrigen Annahme der Rechtswidrigkeit der Diensthandlung im Rahmen des Absatzes 4 Satz 2 2. Halbs, vgl. Bergmann S. 136; Hirsch FS Klug, S. 235, 253; Horstkotte Prot. V/2934. Insgesamt gesehen schafft die Regelung des Absatzes 4 über § 4 9 Abs. 2 einen Rahmen, der eine angemessene Reaktion auf die denkbaren unterschiedlichen Fallkonstellationen ermöglicht (vgl. Krümpelmann ZStW Beiheft 1978 50).

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e) Irrtum eines Dritten. Die Anwendbarkeit des § 113 ist auf die Person beschränkt, gegen die sich die Vollstreckungshandlung richtet. § 113 wirkt daher wie ein Sonderdelikt (aA Fischer Rdn. 34; Küper BT S. 473), auch wenn das im Gesetzeswortlaut nicht unmittelbar zum Ausdruck kommt. Als Täter kommen daher nicht Dritte in Betracht, die sich einmischen, 166 weil bei diesen die psychologische, die Privilegierung des § 113 tragende Sondersituation nicht besteht. Diejenigen, die dagegen auch den Dritten als tauglichen Täter sehen, 167 bekommen mit der Rechtsbehelfsklausel des Absatzes 4 Satz 2 Schwierigkeiten. Denn dem Dritten steht mangels Betroffenheit in der Regel kein Rechtsbehelf gegen die vermeintlich unrechtmäßige Diensthandlung zu. 1 6 8 Das führt zur Konsequenz, dass der Dritte gegenüber dem unmittelbar Betroffenen privilegierter wäre. Bei diesem träte die Straflosigkeit schon mit der Unvermeidbarkeit des Irrtums ein. Versucht wird, diese Unstimmigkeit durch den ergänzend herangezogenen Gesichtspunkt zu überbrücken, ob ein verständiger und pflichtbewusster Bürger eingegriffen hätte (Sch/Schröder/Eser Rdn. 58). Wenig überzeugend sind Auswege, den Begriff des Rechtsbehelfs schlicht weitestgehend auszulegen und alle Möglichkeiten von der Dienstaufsichtsbeschwerde bis zur verwaltungsgerichtlichen Klage zu erfassen. Auf diesem Wege findet sich dann der dringend gesuchte „Rechtsbehelf" im allgemeinen Petitionsrecht an die zuständige Stelle nach Art. 17 GG (Fischer Rdn. 33; Sch/Schröder/Eser Rdn. 58). Freilich stellt sich dann das Folgeproblem, dass derartige Dienstaufsichtsbeschwerden bekanntermaßen sprichwörtlich fruchtlos sind und damit als unzumutbar zu qualifizieren wären.

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Vgl. OLG Hamburg JR 1979 2 0 6 , 2 0 7 ; OLG Karlsruhe N J W 1974 2144, 2147; hierzu Bergmann S. 131. Rdn. 5; Horn/Wolters SK Rdn. 16; Paeffgen Rdn. 81; Sander J R 1995 4 9 4 ; Zielinski AK Rdn. 1, 5 , 1 2 . KG StV 1988 4 3 7 ; Backes/Ransiek JuS 1989 624, 6 2 9 ; Bosch MK Rdn. 6 u. 63;

v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 50; Deiters GA 2 0 0 2

275; Ellbogen/Hentschke JA 2003 412, 418; 168

Fischer Rdn. 22; Zopfs GA 2 0 0 0 543. Bosch MK Rdn. 63; Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 40; Paeffgen Rdn. 81; Zielinski AK Rdn. 43; vgl. auch Horn/Wolters SK Rdn. 2 0 .

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

V. Rechtsfolgen 1. Strafrahmen. Als Strafe ist nach Absatz 1 Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe vorgesehen. Angesichts dieser flexiblen Strafdrohung konnte der Gesetzgeber auf die Berücksichtigung mildernder Umstände (§ 113 Abs. 2 a.F.) verzichten. Die §§ 113, 114 sind Anknüpfungstatbestand für die Anordnung der Entziehung des Jagdscheins (§ 41 Abs. 1 BJagdG).

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2. Besonders schwere Fälle. Bei besonders schweren Fällen ist eine Strafschärfung vorgesehen. Dann ist auf eine Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten zu erkennen, während das Höchstmaß fünf Jahre beträgt. Das Gesetz ist den mittlerweile gängigen Weg gegangen, dass es Regelbeispiele als Leitbilder für die richterliche Wertung vorgibt. Bei den besonders schweren Fällen mit Regelbeispielen handelt es sich um Strafzumessungsregeln (BGHSt 23 254, 256), wenngleich sie Tatbestandsähnlichkeit besitzen. 169 Als Regelbeispiele werden das Mitführen von Waffen in Gebrauchsabsicht (Nr. 1) bei den Tathandlungen und die gefahrensetzende Gewalttätigkeit bei der Tatbegehung (Nr. 2) erfasst. Der EÄndGVersG/StGB 1979 (BTDrucks. 8/2677) strebte zum Schutz der Sicherheitskräfte gegen rechtswidrige Angriffe einen Wegfall der Gebrauchsabsicht beim Schusswaffenführen und eine weitere Konkretisierung durch Aufnahme der körperlichen Verletzung des Angegriffenen als zusätzliches Regelbeispiel an. Diese Änderungsvorschläge konnten sich jedoch nicht durchsetzen (BTDrucks. 8/3726; BTPlenarProt. 8/216/17325). Die Herbeiführung einer ernsthaften Verletzung des Angegriffenen kann indes als unbenannter, sonstiger besonders schwerer Fall erfasst werden (vgl. auch Rdn. 78). Die Regelbeispiele sollen aufzeigen, unter welchen Voraussetzungen die Strafschärfung für angebracht gehalten wird, ohne den Richter aber daran zu binden. Der Richter kann also auch dann, wenn die Voraussetzungen der Regelbeispiele vorliegen, einen besonders schweren Fall verneinen; nur bedarf es hierfür einer besonderen Begründung. Die Indizwirkung des Regelbeispiels kann allerdings nur durch besondere weitere Strafzumessungsfaktoren mit der Folge der Maßgeblichkeit des normalen Strafrahmens kompensiert werden (vgl. BGHSt 23 254, 257; 24 248, 249), und zwar nur bei Vorliegen von - für sich oder in ihrer Gesamtheit - herausgehobenen Milderungsumständen, die bei der Gesamtabwägung unter Berücksichtigung des dem Regelbeispiel zugrundeliegenden Sinngehalts (OLG Karlsruhe NJW 1978 1697, 1699) und dem Maß der Beeinträchtigung des Schutzzwecks der Vorschrift (BGH StV 1989 432) das Unrecht der Tat oder die Schuld des Täters so deutlich vom Regelfall abheben, dass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens als unangemessen erscheint (BGH NJW 1987 2450). Allgemeine Milderungsgründe vermögen indes die die Typisierung des Regelbeispiels tragenden Gründe regelmäßig nicht zu entkräften (vgl. Wessels FS Maurach, S. 302). Andererseits kann der Richter die Voraussetzungen für die Strafschärfung bejahen, ohne dass die in den Beispielen angeführten Merkmale gegeben sind (vgl. BGH NJW 1970 1196). Das wird bei § 113 häufiger in Betracht kommen, als etwa bei der umfangreicheren Regelung des § 243. Zu denken ist insbesondere an Widerstand unter verbaler Bedrohung mit einer schweren Straftat. Diese Möglichkeit war als „Bedrohung mit einem Verbrechen" überhaupt als Regelbeispiel unter Nr. 2 des Katalogs in § 422 Ε 1962 sowie in den Entwürfen der SPD/FDP und CDU/CSU angesetzt. Gestrichen wurde sie, weil man Zweifel über die Auslegung, über die Ernsthaftigkeit der Drohung sowie eine unzulässige Belastung des

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BGHSt 2 6 1 6 7 , 1 7 3 ; 2 9 359, 368; 3 3 370, 374.

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§ 113

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

Betroffenen befürchtete, der sich häufig nicht darüber klar sei, was ein Verbrechen oder ein Vergehen sei. Dagegen wurde die größere Strafwürdigkeit nicht in Abrede gestellt, wenn der Täter ernsthaft mit besonders schwerwiegenden Maßnahmen droht. Bei einer solchen Lage kann daher ein besonders schwerer Fall angenommen werden (vgl. Prot. VI/326). Die Kennzeichnung als besonders schwerer Fall ist nicht in den Urteilstenor aufzunehmen. 170 Bei der Beurteilung nach Jugendstrafrecht hat der Ausspruch, dass es sich um einen besonders schweren Fall handle, zu unterbleiben. 171 76

a) Erstes Regelbeispiel (Waffe). Als erstes Regelbeispiel führt das Gesetz den Fall an, dass der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe bei sich führt, um sie bei der Tat zu verwenden.

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aa) Begriff der Waffe. Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen Schusswaffen und anderen Waffen und setzt Beisichführen in Gebrauchsabsicht voraus. Es sagt nicht, was mit dem Wort Waffe gemeint ist. Aus der Entstehungsgeschichte ergeben sich hierfür keine sicheren Anhaltspunkte. Die angestrebte Gleichschaltung mit § 125a ist nicht zustande gekommen (Prot. VI/306; EÄndGVersG/StGB 1979, BTDrucks. 8/2677); denn dort ist von einer Schusswaffe (Nr. 1) oder einer anderen Waffe (Nr. 2) die Rede. Dem Antrag, neben der Waffe „einen anderen gefährlichen Gegenstand" zu benennen und damit eine dem § 244 Abs. 1 Nr. 2 verwandte Regelung herbeizuführen (Schlee Prot. VI/321), wurde nicht entsprochen. Man einigte sich schließlich auf den Begriff der Waffe schlechthin und meinte, dass man die Auslegung der Rechtsprechung überlassen könne. Dabei wurde allerdings auch die Ansicht vertreten, dass der Waffenbegriff nicht im technischen, sondern im allgemeinen Sinne zu verstehen sei (Sturm Prot. VI/325), ohne dass die Ausschussmitglieder dies aber als ihre Ansicht bestätigt hätten (Prot. VI/225 f; vgl. BVerfG N J W 2 0 0 8 3627, 3629).

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Die Auslegung ist anhand des Zwecks, der mit der Nr. 1 verfolgt wird, sowie des Wortlauts der Vorschrift vorzunehmen. Die Strafschärfung ist wegen der besonderen Gefährlichkeit der Tatausführung vorgesehen. Diese Gefährlichkeit ergibt sich aus der Art des mitgeführten Gegenstands verbunden mit dem vorgesehenen Verwendungszweck. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist als Waffe im Sinne der Nr. 1 jeder Gegenstand anzusehen, der nach seiner Beschaffenheit und typischer Zweckbestimmung geeignet ist, im Angriff oder in der Verteidigung erhebliche Verletzungen zuzufügen. Hierzu gehören als Wurfgeschosse mitgeführte oder am Tatort aufgenommene Pflaster- und Ziegelsteine (LG Berlin NStZ 1992 37; Dölling J R 1987 467, 468), sonstige als Schlagwerkzeuge geeignete Gegenstände: als Stichwaffe zu benutzende Schraubenzieher (BGH 2 StR 264/72 v. 9.8.1972) ebenso wie Chemikalien und Sprengkörper. Rspr. und Lehre haben lange auch ein Kraftfahrzeug als Waffe im nichttechnischen Sinne verstanden. 172 Damit ist die Wortlautgrenze des Begriffes „Waffe" jedoch überschritten. Denn anders als eine Waffe dient ein KFZ entsprechend seines bestimmungsmäßigen Gebrauches nicht als Angriffs- oder Verteidigungsmittel. Es wäre allenfalls unter den Begriff des gefährlichen Werkzeuges zu subsumieren. Die bislang gängige Auffassung kollidiert daher mit dem auch für die Strafzumessungsregeln gültigen Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG und

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BGHSt 2 3 254, 2 5 7 ; 2 7 287, 2 8 9 ; BGH NStZ 1984 2 6 2 , 263. BGH N J W 1 9 7 7 3 0 4 ; GA 1976 369; 1 StR 502/73 v. 12.2.1974.

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BGHSt 2 6 176, 179 f; BGH VRS 44 4 2 2 , 4 2 3 ; 4 StR 198/76 v. 30.9.1976; OLG Karlsruhe Die Justiz 1981 2 3 9 ; Janiszewski NStZ 1982 108.

Henning Rosenau

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ist zurecht vom BVerfG gerügt worden. 1 7 3 Das gegen den Beamten eingesetzte K F Z kann aber die Annahme eines unbenannten, besonders schweren Falles rechtfertigen (BVerfG N J W 2008 3627, 3629). Das dürfte in zahlreichen Fällen naheliegen, so dass die Klarstellung durch die 2. Kammer d. Zweiten Senats d. BVerfG k a u m Auswirkungen auf die Strafzumessung in der Praxis der Strafgerichte haben dürfte. Ebenso wenig genügt eine Scheinwaffe (Attrappe, Spielzeugpistole, das zur Vortäuschung einer Schusswaffe verwendete gebogene Plastikrohr, vgl. B G H N J W 1992 920) oder eine nicht gebrauchsbereite Schusswaffe, sofern sie nicht als Hieb- oder Schlagwerkzeug verwendet werden soll. Immerhin wird bei Gebrauch einer solchen vorgetäuschten Waffe jeweils zu prüfen sein, ob nicht aus allgemeinen Erwägungen auch hier ein unbenannter besonders schwerer Fall in Betracht k o m m t (Rdn. 75). Das wird insbesondere anzunehmen sein, wenn der Täter dem Amtsträger ein Metallrohr ins Genick setzt, das sich wie der Lauf einer Schusswaffe anfühlen soll (vgl. B G H JuS 1992 438; Tenckhoff/Arlotk JuS 1985 130); aber auch dann, wenn die Tatbeteiligten selbst eine Schusswaffe irrig als gebrauchsbereit angesehen und den Schusswaffengebrauch zumindest angedroht haben (BGH 2 StR 264/72 v. 9.8.1972). bb) Beisichführen. Für das Beisichführen gilt die Erl. zu § 2 4 4 entsprechend. Es ist nicht erforderlich, dass der Tatbeteiligte die Waffe schon vor der Tat in Verwendungsabsicht an sich nimmt. Vielmehr genügt es, dass er, was insbesondere bei unfriedlichen Demonstrationen zu beachten ist, die Waffe (z.B. Pflastersteine) zu irgendeinem Zeitpunkt der Tatausführung a u f n i m m t (vgl. Dölling JR 1987 468), etwa einen a m Tatort vorgefundenen gefährlichen Gegenstand zwecks Einsatzes gegen Vollstreckungsbeamte ergreift oder sich erst während der Tat zur Verwendung eines mitgeführten Gegenstandes als Waffe entschließt. Die Erstreckung der Indizwirkung des Regelbeispiels auf andere Tatbeteiligte, d.h. die Zurechnung der in Nr. 1 erfassten erschwerenden Umstände, setzt deren Kenntnis voraus, dass Waffen in Verwendungsabsicht mitgeführt werden. 1 7 4

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cc) Verwendungsabsicht. Der Täter oder ein anderer an der Tat Beteiligter (u.U. ein Gehilfe) muss die Waffe während der Tatbegehung bei sich führen, um sie bei der Tat zu verwenden. Es genügt demnach nicht, dass sich der Gegenstand mehr oder weniger zufällig in seiner Reichweite befindet. Wer regelmäßig eine Pistole bei sich trägt oder zu Hause aufbewahrt oder wer ein Messer in der Tasche hat, fällt (nur) aus diesem Grunde nicht unter die Nr. 1. Die Lage ändert sich aber, wenn er diese Waffe, sei es auch aus einem sich erst bei der Tatbegehung ergebenden Entschluss, hervorzieht, u m sie anlässlich der Widerstandsleistung oder des tätlichen Angriffs zu gebrauchen; in diesem Falle führt er sie bei sich, um sie bei der Tat zu verwenden (Schlee, Sturm Prot. VI/326). Mit den Worten „um ... zu" ist nicht der unbedingte Wille gemeint; vielmehr reicht es aus, wenn die Waffe nur unter einer bestimmten Voraussetzung verwendet werden soll, wenn der Täter eine mögliche besondere Lage in Betracht zieht, in der er die Waffe dem Beamten oder Soldaten entgegenhalten werde, z.B. im Falle des Vorgehens der Polizei mit Schlagstöcken oder des polizeilichen Gebrauchmachens von der Schusswaffe. Die Voraussetzungen der Nr. 1 können sogar dann gegeben sein, wenn der Täter es gar nicht als erwünscht ansieht, in eine Lage zu geraten, die ihn veranlassen könnte, die Waffe zu verwenden (Horstkotte Prot. VI/324 f). Es genügt also, wenn der Täter sich der Waffe im

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BVerfG NJW 2008 3627, 3629. Vgl. BGHSt 27 56; Arzt JuS 1972 577; Wessels FS Maurach, S. 307.

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§ 113

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

Bedarfsfalle bedienen will. Das ist auch bei dem Bereithalten der Waffe durch einen Tatbeteiligten zur Verwendung durch andere beim erwarteten Einsatz der Fall (Sch/Schröder/ Eser Rdn. 65). Der Täter verwendet die Waffe schon dann „bei der T a t " (dem Widerstand), wenn er sie bewusst zur Drohung mit Gewalt einsetzt (BGHSt 2 6 176, 180). 81

dd) Tat. Die Tat, bei der die Waffe verwendet werden soll, besteht im Widerstandleisten oder im tätlichen Angriff. Wie bereits ausgeführt (Rdn. 2 6 ) , braucht die Handlung nicht unmittelbar gegen die Person des Amtsträgers oder Soldaten gerichtet zu sein. Notwendig ist aber, dass die Einwirkung von ihm körperlich empfunden wird. Unter diesen Voraussetzungen ist als zur Verwendung bei der Tat bestimmte Waffe auch ein Gegenstand anzusehen, mit dem unmittelbar nur eine Sache betroffen, mittelbar aber die Person des Amtsträgers oder Soldaten in Mitleidenschaft gezogen werden soll. In Betracht kommen z.B. Brechstangen zum Umstürzen oder Brandsätze zum Anzünden von bemannten Polizeiautos. Ausreichend ist schon, dass der Täter eine mögliche Personengefährdung von Amtsträgern durch die Verwendung einer Waffe billigend in Kauf nimmt. 1 7 5

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2 . Zweites Regelbeispiel (Gewalttätigkeit mit schwerer Folge). Nach dem zweiten Regelbeispiel liegt ein besonders schwerer Fall vor, wenn der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

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a) Begriff der Gewalttätigkeit. Der Begriff der Gewalttätigkeit deckt sich nicht mit dem der Gewalt in § 113 Abs. 1 oder in § 2 4 0 . Er entspricht vielmehr dem in § 125 verwendeten Begriff und verlangt eine körperliche Einwirkung mittels eines aggressiven Verhaltens. 1 7 6 Z u denken ist etwa an Steinwürfe oder das Legen von Sprengkörpern u.ä.

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b) Verwirklichung durch den Täter. Im Gegensatz zur Nr. 1 ist hier nur der Täter, nicht auch ein „anderer Beteiligter" genannt. Das Regelbeispiel erfüllt somit, wie die von Nr. 1 abweichende Gesetzesfassung zeigt, nur derjenige Täter, der die vorausgesetzte Handlungsmodalität eigenhändig verwirklicht (vgl. BGHSt 2 7 5 6 , 5 8 ; Sch/Schönke/Eser Rdn. 6 6 ; Wessels/Hettinger Rdn. 6 4 6 ) . Die gefahrsetzende Gewalttätigkeit kann aufgrund des eindeutigen Wortlautes nicht nach den Grundsätzen des § 2 5 Abs. 2 zugerechnet werden (aA Bosch M K Rdn. 76; Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte [1986] S. 2 8 6 ) .

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c) Angegriffener. Die Tat muss sich gegen den Angegriffenen richten. Das ist das geschützte Vollstreckungsorgan (Rdn. 11), der Amtsträger oder Soldat. Ferner gehören die in § 114 genannten Personen dazu. Ebenso wie im Fall der Nr. 1 (Rdn. 81) kann die unmittelbare Einwirkung auf eine Sache genügen, wenn damit die Person des Beamten usw. mittelbar betroffen werden soll.

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d) Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung. Weitere Voraussetzung ist, dass der Angegriffene in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht wird; z.B. durch Zufahren mit dem P K W in Gefährdungsbewusstsein, nicht jedoch bei langsamem Zufahren (OLG Koblenz V R S 5 6 38, 39); ferner durch

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Vgl. Dötting JR 1987 469; Sch/Schröder/ Eser Rdn. 65; s. zum Einsatz eines KFZ nun aber Rdn. 78.

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BVerfG NJW 1974 1859; BGHSt 23 46, 52 f; vgl. ferner § 125 Rdn. 28 ff.

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Schläge mit einer massiven Eisenstange auf den Kopf (BGH M D R 1976 15) oder durch Abdrücken der Luft (BGH 3 StR 501/77 v. 25.1.1978). 1 7 7 Die Gewalttätigkeit muss eine konkrete Individualgefahr (Lebens- oder Leibesgefahr) ursächlich herbeiführen. Es ist also nach den Umständen des Einzelfalls in Verbindung mit der allgemeinen Lebenserfahrung zu prüfen, ob mit der naheliegenden Möglichkeit der angegebenen Folgen ernsthaft zu rechnen war (vgl. auch BGH NJW 1971 441 zu § 109g). Auf deren Eintritt kommt es ebensowenig an wie darauf, ob sie nur noch durch Schutzmaßnahmen des Bedrohten oder eine sonstige plötzliche Wendung der Dinge verhindert werden können (BGHSt 22 341, 344). Zur Bildung des Wahrscheinlichkeitsurteils s. Jakobs AT 6/79; Zieschang LK § 34 Rdn. 32. Der Begriff der schweren Gesundheitsschädigung (vgl. § 225 Abs. 3 Nr. 1) geht über die schwere Körperverletzung i.S. des § 226 Abs. 1, die bis zum 6. StrRG vom 26.1.1998 als Beschreibung des besonders schweren Falles verwendet wurde, hinaus. Er umfasst auch schwerwiegende, also langwierige, lebensbedrohende oder quälende Krankheiten, die aber heilbar sind (Bosch MK Rdn. 76; Paeffgen NK Rdn. 87). Die erhebliche Beeinträchtigung der bisherigen Arbeitsfähigkeit kann dazu genügen (BTDrucks. 13/8587 S. 28).

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3. Vörsatzerfordernis. Wie sonst können auch die besonders schweren Fälle des Widerstands mangels anderweitiger gesetzlicher Bestimmung nur vorsätzlich verwirklicht werden. 178 Für die Nr. 2 gilt keine Ausnahme. 179 Der abweichenden Auffassung, die die Regeln des § 18 entsprechend anwendet und für die Herbeiführung der Gefahr Fahrlässigkeit genügen lässt, 180 kann nicht beigetreten werden. Die Bedeutung der Vorschrift der Nr. 2 wird durch das Vorsatzerfordernis nicht in Frage gestellt. Das Vorsatzerfordernis ergibt sich einmal aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und der gesetzlichen Regelungssystematik der Regelbeispiele, die als tatbestandsähnlich einen Quasi-Vorsatz verlangen. Zu beachten ist schließlich, dass die konkrete Gefährdung nicht mit der das Erfolgsunrecht charakterisierenden Gefahrverwirklichung bei den erfolgsqualifizierten Delikten vergleichbar ist (vgl. Jakobs AT 9/30; Ostendorf JuS 1982 431). Auch die Rechtsprechung geht einhellig davon aus, dass die der Nr. 2 entsprechenden Regelungen hinsichtlich der Herbeiführung der Gefahr zumindest bedingten Vorsatz voraussetzen. 181

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VI. Konkurrenzen 1. Verhältnis zu § 240. Jedes Widerstandleisten verfolgt zugleich den Zweck, den Beamten oder Soldaten zu einer Duldung oder Unterlassung zu nötigen (Rdn. 5). In der Regel wird dadurch auch der Tatbestand des § 2 4 0 erfüllt. Der § 113 geht aber mit dem geringeren Höchstmaß der Freiheitsstrafe und seiner zum Teil günstigeren Irrtumsregelung in Absatz 4 (möglicherweise Absehen von Strafe) als lex specialis dem allgemei-

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BGHSt 2 6 176, 182; BGH NStE Nr. 1 zu § 315b; OLG Koblenz DAR 1973 219. Vgl. Wessels FS Maurach, S. 295, 3 0 0 f; FS Lackner, S. 423, 4 2 6 ; auch Ε 1962 Begr. zu § 62 S. 185. Vgl. Jescheck/Weigend AT S. 261; Ostendorf JuS 1982 4 2 6 , 431; Paeffgen NK Rdn. 87.

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Heimann-Trosien LK 9 § 113 Rdn. 51. BGHSt 2 6 176, 2 4 4 ; BGH VRS 4 4 4 2 2 ; bei Dallinger MDR 1975 21; OLG Karlsruhe Die Justiz 1981 2 3 9 ; zur Begr. krit. Blei JA 1975 8 0 4 f.

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§ 113

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

neren Tatbestand des § 240 vor. 1 8 2 Das wurde bereits früher so gesehen 183 (vgl. indes die relativierende Auswertung der Entwicklungsgeschichte b. Hirsch FS Klug, S. 236 ff) und hat sich durch die heutige Fassung nicht geändert (OLG Frankfurt NJW 1973 1806, 1807). Jedoch bietet die Abgrenzung der beiden Vorschriften Schwierigkeiten, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 113 nicht erfüllt sind. 90

a) Vollendung, Versuch. § 113 lässt zur Vollendung schon das Widerstandleisten genügen, ohne dass es auf den Eintritt des Nötigungserfolgs - das Unterbleiben der Vollstreckung - ankommt. Er ist unechtes Unternehmensdelikt.184 Der Versuch - das Ansetzen zur Widerstandsleistung, deren Durchführung verhindert wird - ist nach § 113 nicht strafbar. Derartige handlungsbezogene Versuche im Rahmen des § 113 können nicht durch einen Rückgriff auf § 2 4 0 erfasst werden, §§ 240, 22, 23 ist gesperrt. 185 Anders liegt indes der Fall, wenn die in § 113 beschriebene Tathandlung unter irrtümlicher Annahme der Tauglichkeit des Handlungsobjekts begangen wird, also eine entsprechende Nötigungshandlung vorliegt, die sich gegen einen nur vermeintlichen Amtsträger richtet (Rdn. 97).

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b) Nötigung zum Unterlassen. Schwierigkeiten bereitet der Fall, wenn zwischen einem Nötigen zum Unterlassen und einem solchen zum Handeln zu unterscheiden ist. Hindert etwa der Täter durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt den Polizisten, eine Person festzunehmen, so ist regelmäßig der Tatbestand des § 113 gegeben; verlangt er mit denselben Mitteln die Freilassung des eben Festgenommenen oder die Entsiegelung der Pfandsache, so ist § 2 4 0 anwendbar. Wird zweifach Zwang angewandt, kann sich Realkonkurrenz von § 113 und § 240 ergeben (Bosch M K Rdn. 92). Beide Tathandlungen können ineinander übergehen (vgl. Dreher NJW 1970 1157; Lackner/Kühl Rdn. 26) und dann eine natürliche Handlungseinheit bilden.

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c) Nötigung außerhalb des Tatbestandes des § 113. Tateinheit (§§ 113, 240 Abs. 3) ist danach möglich, wenn der Täter über die auf Verhinderung der Vollstreckungshandlung gerichtete Widerstandsleistung hinaus den Amtsträger mittels der Nötigungshandlung zugleich zu einer weitergehenden Handlung (z.B. Festnahme eines Dritten, Sicherstellung von beanspruchtem Geld bei diesem) zu zwingen sucht (BayObLG J R 1989 24). In diesem Falle besteht kein Anlass, den § 1 1 3 als lex specialis gegenüber § 240 anzusehen; vielmehr ist aus beiden Tatbeständen zu bestrafen. Tateinheit kommt also in Betracht, wenn das Verhalten des Täters über § 113 hinausreicht. Das wird z.T. auch dann angenommen, wenn der Täter nicht mit Gewalt, sondern mit einem anderen Übel droht (Lackner/Kühl Rdn. 26), etwa der eigenen Selbstverbrennung (OLG Hamm NStZ 1995 547, 548). Das ist verfehlt; denn übersehen wird, dass die Drohung mit einem anderen Übel in jedem Falle geringfügiger als die Drohung mit Gewalt einzustufen ist. Daher gelten die sogleich zu erörternden Regeln bei der Nötigung unterhalb der Schwelle des § 113. Im Ergebnis wäre die gänzliche Straflosigkeit anzunehmen (Rdn. 95). Das Nötigen von anderen Amtsträgern als Vollstreckungsbeamten oder die Tatausführung vor

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BGHSt 4 8 233, 238 f; BGH VRS 35 174; 50 94, 95; BGH 4 StR 359/86 v. 5.8.1986, NStE Nr. 1 zu § 315b; aA Schmid J Z 1980 5 8 : stets Tateinheit. BGH VRS 35 174; BGH bei Daliinger MDR 1968 895; RGSt 31 3, 4; KG VRS 11 198.

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Rdn. 6; vgl. Sch/Schröder/Eser § 11 Rdn. 52; Hirsch FS Klug, S. 236. BGHSt 3 0 235, 2 3 6 ; Bosch MK Rdn. 91; Seier Jura 1983 232.

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Beginn und nach Beendigung der Diensthandlung (vgl. Rdn. 20) ist nicht nach § 113 strafbar; hier ist zu prüfen, ob § 240 eingreift. d) Nötigung unterhalb des tatbestandlichen Widerstands. In Fällen, in denen der Widerstand nicht das für § 113 erforderliche Maß erreicht, indem statt mit Gewalt mit dem schwächeren, empfindlichen Übel gedroht wird, entfällt § 113. Strittig ist, ob dann noch auf § 240 zurückgegriffen werden kann.

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Eine Ansicht wendet § 240 in modifizierter Form an. Dann gebiete es der Privilegierungsgesichtspunkt des § 113, Absatz 3 und 4 des § 113 analog zugunsten des Täters anzuwenden, gleichsam in den § 240 normativ hineinzuspiegeln.186 Denn der § 113 will den Betroffenen begünstigen, weil ihm ein gewisser Erregungszustand zugute gehalten wird (Rdn. 5). Wenn die von ihm eingesetzten Mittel nicht das in § 113 vorausgesetzte Maß erreichen, jedoch die Voraussetzungen des § 240 erfüllen (Drohung mit einem empfindlichen Übel), würde bei einer Wortauslegung der Täter die ihm durch § 113 gewährten Vergünstigungen verlieren und wäre aus dem mindestens zum Teil strengeren § 2 4 0 zu bestrafen, obwohl seine Schuld geringer ist als bei voller Verwirklichung des § 113. Ein solches Ergebnis ist widersprüchlich und unannehmbar. Es wäre dadurch zu vermeiden, dass zwar aus § 240 zu bestrafen, jedoch § 113 Abs. 3 und 4 zugunsten des Betroffenen entsprechend anzuwenden ist; 187 desgleichen wäre der Grund, der die Privilegierung gem. § 113 rechtfertigt, im Wege einer § 113 entsprechenden Strafrahmenbegrenzung strafmildernd zu berücksichtigen.188 Auch bei dem Fehlen sonstiger Voraussetzungen des § 113 soll auf die allgemeine Bestimmung des § 240 zurückgegriffen werden können; etwa bei einer von § 113 nicht erfassten Auslandstat eines Widerstands gegen ausländische Vollstreckungsbeamte. Konsequenterweise sei auch hier eine Limitierung des Strafrahmens entsprechend § 113 geboten. 189

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Diese Ansicht erscheint wenig konsequent. Vorzuziehen ist daher die Auffassung, die 9 5 $ 1 1 3 als abschließende Spezialregelung begreift und den Rückgriff auf § 240 gänzlich versperrt sieht. Nur so kann verhindert werden, dass die Privilegierungsfunktion des § 113 unterlaufen wird. 190 Mit der Einbeziehung des Strafrahmens des § 113 in den § 240 wird im Ergebnis nach § 113 verurteilt, dessen Voraussetzungen gerade nicht erfüllt sind. Der Gesetzgeber hat § 113 als Delikt sui generis ( Z o p f s GA 2000 535 f) gestaltet und die psychische Zwangslage dessen privilegieren wollen, der sich einer staatlichen Vollstreckungshandlung gegenübersieht. In dieser prekären Situation sollte nur derjenige bestraft werden, der sich mit besonderen Widerstandsleistungen widersetzt. Die Ratio des § 113 gebietet daher, denjenigen straflos zu lassen, der mit seinem Handeln unterhalb dieser Schwelle bleibt (Küper BT S. 472). e) Irrtum über Amtsträgereigenschaft. Wenn der Täter nicht weiß, dass er einem Amtsträger oder Soldaten gegenübersteht, er sich z.B. im Falle seiner vorläufigen Fest-

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OLG Hamm NStZ 1995 547, 548; Ehlen/ Meurer NJW 1974 1777; Otto BT § 91 Rdn. 2 4 f; Rengier BT 2 § 53 Rdn. 28; krit. Bosch MK Rdn. 90. OLG Hamm NStZ 1995 547, 548; v. Bubnoff L K " Rdn. 65; Dreher NJW 1970 1157; Lackner/Kühl Rdn. 26. Hirsch FS Klug, S. 235, 2 4 3 ; Lackner/Kühl Rdn. 26; Wessels/Hettinger Rdn. 629; Schmidt 1980 56.

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Rdn. 5; Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 4 9 5 f; Sch/Schröder/Eser Rdn. 68; vgl. OLG Hamm NJW 1960 1536. BGHSt 3 0 235, 236; Arzt/Weber BT § 4 5 Rdn. 2 5 ; Backes/Ransiek JuS 1989 6 2 9 ; Horn/Wolters SK Rdn. 23; Joecks Rdn. 4 0 ; Möbius S. 104; Pflieger HK-GS Rdn. 4 8 ; Sch/Schröder/Eser Rdn. 43, 45, 68; Schomburg ZRP 1986 67.

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nähme nach § 127 Abs. 1 StPO (durch eine Zivilstreife der Polizei) gegen eine vermeintlich private Zwangsmaßnahme wendet, ist er dann zwar unter Umständen mangels Vorsatzes nicht aus § 113 strafbar (Rdn. 65), wohl aber aus § 240, soweit dessen sonstige Voraussetzungen gegeben sind. Hier besteht kein Anlass, ihm die Vergünstigungen des § 113 zukommen zu lassen, weil ja die Gründe hierfür (Erregung über den staatlichen Eingriff) fehlen. 191 Die Bestrafung aus dem milderen Strafrahmen des § 113 Abs. 1 würde die in § 113 getroffene gesetzgeberische Wertung unterlaufen.192 Verkennt der Täter, dass eine Vollstreckungshandlung vorliegt, richtet sich die Strafbarkeit ebenfalls ausschließlich nach § 240 (aA Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 20). Führt die Verkennung der Amtsträgereigenschaft etwa eines Polizeibeamten in Zivil, den der Täter für eine Privatperson hält, zu einer Fehleinschätzung als rechtswidriger Angriff, so ist das nötigende Abwehrverhalten des Täters (§ 240 Abs. 1, 3) nach den Grundsätzen der Putativnotwehr zu beurteilen (Sch/Schröder/Eser Rdn. 51; s. Lackner/Kühl § 32 Rdn. 19). 97

Im umgekehrten Fall, wenn also der Täter annimmt, eine Privatperson gehöre zu den nach den §§ 113, 114 geschützten Beamten, griff früher die Versuchsstrafe ein, die aber bereits durch Art. 2 Nr. 16 des 3. StRÄndG vom 4.8.1953 (BGBl. I S. 735, 741) wieder gestrichen wurde. Es handelt sich insoweit um einen Fall des (betr. die rechtliche Qualität des Handlungsobjekts) untauglichen Versuchs, der trotz der Kennzeichnung des § 113 als unechtes Unternehmensdelikt (vgl. Rdn. 6; Hirsch FS Klug, S. 236) von dieser Vorschrift nicht erfasst wird (Jakobs AT 25/7). Jedoch ist auf den § 240 zurückzugreifen. Einer Erfassung dieses Irrtumsfalls durch § 16 Abs. 2 und der daraus hergeleiteten Anwendbarkeit des § 113 stehen der nicht ausschließlich privilegierende Charakter des § 113 (Rdn. 5) und die teilweise Andersartigkeit der geschützten Rechtsgüter der konkurrierenden Normen (Rdn. 3) entgegen.193 Im Ergebnis besteht aber weitgehend Einigkeit: Hier muss der Privilegierungsvorstellung des Täters dadurch Rechnung getragen werden, dass nun die Strafrahmenbegrenzungen des § 113 berücksichtigt werden (Sch/Schröder/Eser Rdn. 52; aA Herzberg JuS 1973 239).

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2. Sonstige Konkurrenzverhältnisse. Tateinheit ist möglich mit § 123 (OLG Koblenz OLGSt § 120 S. 1), aber auch Tatmehrheit, wenn der Hausfriedensbruch nur bei Gelegenheit des Vergehens gegen § 113 begangen wird (BayObLG J R 1957 148). Ferner kommt Tateinheit mit § 120 (OLG Koblenz OLGSt § 120 S. 1), § 142 (BGH VRS 13 135; vgl. aber RG HRR 1938 Nr. 1448), §§ 223 ff (RGSt 41 82, 84), schon aus Klarstellungsgründen,194 § 185 (RG JW 1928 1456), § 242 bei noch nicht beendetem Diebstahl (BGHR § 113 Konkurrenzen 2), § 255 (BGHR § 113 Konkurrenzen Nr. 1) und § 303 in Betracht; desgleichen mit §§ 125 und 125a (Ausnahme: Vorrang des § 113 Abs. 2 gegenüber § 125 Abs. I). 1 9 5 Tateinheit ist auch denkbar zwischen § 113 (Absatz 2 Satz 1 u. 2) u. § 315b beim Einsatz des KFZ als Tatmittel des Widerstands gegen Polizeibeamte 191

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Vgl. Wessels/Hettinger Rdn. 631; Zielinski AK Rdn. 35; abw. Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 2 0 : §§ 113, 240, 2 2 , 52. Arzt/Weber BT § 4 5 Rdn. 4; so aber Seh! Schröder/Eser Rdn. 51. Sch/Schröder/Eser Rdn. 52; aA Arzt/Weber BT § 45 Rdn. 41; Horn/Wolters SK Rdn. 7; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 71 Rdn. 21.

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Horn/Wolters SK § 2 2 3 Rdn. 28b; aA bei Versuch Lackner/Kühl Rdn. 26. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben § 125 Rdn. 32; Lackner/Kühl $ 125 Rdn. 16; Arzt/Weber BT § 4 5 Rdn. 54; aA Fischer Rdn. 4 0 , der meint, dass § 125 den § 113 verdrängt.

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Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen

§ 114

(BGHSt 26 176, 177; OLG Düsseldorf NJW 1982 1111, 1112) und mit § 316 StGB, § 21 StVG (OLG Koblenz VRS 56 38, 40) sowie mit mehreren Taten während einer auf einer einzigen Willensentscheidung beruhenden „Polizeiflucht" (BGH NStE Nr. 38 zu § 24 StGB). § 241 wird von § 113 bei Widerstand durch eine Drohung i.S.d. § 241 verdrängt.196 Strafbestimmungen für besondere Fälle von Widersetzlichkeit oder tätlichem Angriff gegenüber Vorgesetzten gehen als Sondervorschriften dem § 113 vor, wie § 1 1 6 SeemG. § 22 VersG ist Spezialregelung für Widerstands- und Angriffshandlungen gegen Leiter und Ordner einer öffentlichen Versammlung, betrifft aber nicht Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel VersG § 22 Rdn. 5, 11). Tateinheit oder Tatmehrheit kann, je nach Lage des Falles, zwischen § 113 Abs. 2 Nr. 1 und § 244 Abs. 1 Nr. 1 bestehen. Im Verhältnis zu §§ 43, 54 Abs. 2 Nr. 2 LMG (gewaltsame Behinderung von Kontrollbeamten) ist § 21 OWiG zu beachten. Zwischen § 1 1 3 Abs. 2 Nr. 1 und den Delikten nach dem WaffenG ist Tateinheit möglich (vgl. BGH 4 StR 359/86, 5.8.1986, NStE Nr. 1 zu § 315b). Bzgl. mehrerer, einander folgenden Widerstandshandlungen besteht natürliche Handlungseinheit (BGH VRS 56 141, 142). Der Widerstand gegen mehrere Beamte ist als natürliche Handlungseinheit zu werten (vgl. BGH VRS 35 418 noch zur fortgesetzten Handlung). Bei tateinheitlichem Zusammentreffen mit § 111 OWiG u. §§ 62, 64a EBO - z.B. bei unbefugter Benutzung der Bahnanlagen zur Flugblattverteilung mit daran anknüpfendem vergeblichen Personalienfeststellungsversuch und Widerstand gegen die zu deren Erzwingung erfolgte Festnahme ist nur § 113 anzuwenden (§ 21 OWiG; OLG Köln NJW 1982 296). Über das Verhältnis zu §§ 24, 25 WStG vgl. Rdn. 17.

VII. Recht des Einigungsvertrages Zum Recht des Einigungsvertrags siehe v. Bubnoff LK 11 Vor § 110 Rdn. 9 ff und 9 9 § 113 Rdn. 69.

§ 114 Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen (1) Der Diensthandlung eines Amtsträgers im Sinne des § 113 stehen Vollstreckungshandlungen von Personen gleich, die die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind, ohne Amtsträger zu sein. (2) § 113 gilt entsprechend zum Schutz von Personen, die zur Unterstützung bei der Diensthandlung zugezogen sind.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift hat ihre inhaltliche Gestaltung durch das 3. StrRG vom 20. Mai 1970 (BGBl. I S. 505) erfahren und ist durch das Einführungsgesetz zum StGB (Art. 19 Nr. 44 EGStGB) vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469) an den Sprachgebrauch des neuen All196

BGH bei Dallinger MDR 1973 902; BGH 4 StR 2 4 3 / 7 8 , 30.5.1978 S. 2; RGSt 5 4 206; aA Schmidt 1980 58.

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gemeinen Teils des StGB angepasst worden. Die gegenwärtige Fassung beruht auf der Bekanntmachung der Neufassung des StGB vom 2. Januar 1975 (BGBl. I S. 1, 43), die Überschrift auf Art. 19 Nr. 207 des EGStGB, Absatz 1 wurde sprachlich an § 152 Abs. 1 GVG durch Art. 12c des 1. JuMoG vom 24. August 2 0 0 4 (BGBl. I 2207) angeglichen, indem der nicht mehr zeitgemäße Begriff des Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft durch den neutralen der Ermittlungsperson ersetzt wurde. Die Vorschrift soll - jedoch unter beträchtlichen Einschränkungen - die früheren Bestimmungen über den Forstwiderstand ( S S 117-119) erfassen (vgl. Schriftl. Bericht, BTDrucks. VI/502 S. 6 f; Prot. VI/326-329 und 3 3 3 - 3 4 1 ; Dreher NJW 1970 1159). Dem Wortlaut nach geht sie über diesen Bereich hinaus, ohne dass aber Einzelfälle in den Beratungen angeführt worden sind. Die Bedeutung des § 114 Abs. 1 ist gering zu veranschlagen; denn die §§ 117 ff, an deren Stelle die Bestimmung getreten ist, haben zur Zeit ihrer Geltung nur zu einer geringen Zahl von Verurteilungen geführt (Prot. VI/329). Durch § 114 Abs. 2 wird ein Teil des § 113 Abs. 3 a.F. erfasst.

Übersicht Rdn. I. Regelungszweck Π. Personenkreis mit staatlichen Vollzugsaufgaben (Absatz 1) 1. Polizeiliche Pflichtenstellung 2. Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft 3. Vollstreckungshandlung

1 3 3 5 6

Rdn. ΙΠ. Hinzugezogene Personen 1. Nichtamtsträger 2. Vollstreckungshelfer IV. Subjektiver Tatbestand 1. Vorsatz bei Absatz 1 2. Vorsatz bei Absatz 2 V. Rechtsfolgen

7 8 9 10 10 11 12

I. Regelungszweck 1

Die Vorschrift des § 114 enthält keinen eigenen Straftatbestand. Sie erweitert vielmehr lediglich den Anwendungsbereich des § 113 durch Ausdehnung des Kreises der geschützten Personen. § 114 ermöglicht die Heranziehung des § 113 auch bei Angriffen und Widerstand gegen bestimmte Nichtamtsträger, soweit diese Vollstreckungshandlungen im Sinne des § 113 vornehmen, auch bei hoheitlichem Vorgehen mittels Maßnahmen, zu denen an sich auch ein Privatmann befugt wäre (§ 127 Abs. 1 StPO). Auch hier werden dagegen Privatpersonen, die private Zwangsmaßnahmen (§ 229 BGB, § 127 Abs. 1 StPO) einleiten, nicht einbezogen. Zu ihren Gunsten greift ggf. der strengere § 240. § 114 führt aufgrund der Existenz des $ 240 zu keiner Erweiterung des Schutzbereiches des § 113, sondern erweitert gegenüber der Nötigung dessen Privilegierungsfunktion (Horn/ Wolters SK Rdn. 2). Absatz 1 erstreckt den Anwendungsbereich des S 113 auf Vollstreckungshandlungen von Personen ohne Amtsträgereigenschaft i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2, die die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind. Absatz 2 ordnet die entsprechende Anwendung des § 113 zum Schutze von Personen an, die zur Unterstützung von Diensthandlungen, also dienstlich zugezogen sind.

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Als gesetzgeberischer Grund wird im Schriftlichen Bericht (BTDrucks. VI/502 S. 6, 7) angeführt, dass auch solche Personen, die zwar keine Amtsträger sind, deren sich der Staat aber zur Erfüllung hoheitsrechtlicher Aufgaben bedient und die er damit gesteigerten Gefahren aussetzt, der gleiche strafrechtliche Schutz gewährt werden soll wie Amtsträgern. Dabei wird jedoch verkannt, dass § 113 vor allem den Täter und nicht den

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Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen

§ 114

Beamten privilegiert.1 Soweit es sich um das Verhältnis zu § 2 4 0 handelt, ist hierauf bei den Beratungen sogar mehrfach hingewiesen worden (Prot. VI/328, 335, 339). Soweit es um den tätlichen Angriff geht, trifft die Schutzerwägung nur bei nicht eintretender Körperverletzung zu. Die Vorschrift des § 114 ist im Gegensatz zu § 113 im Wege einer Kampfabstimmung mit geringer Mehrheit beschlossen worden.

Π. Personenkreis mit staatlichen Vollzugsaufgaben (Absatz 1) 1. Polizeiliche Pflichtenstellung. § 114 Abs. 1 bezieht sich zunächst auf Personen, denen staatliche Vollzugsaufgaben obliegen, die aber keine Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 sind. Auch aus diesem Kreise ist eine Auswahl getroffen. Erfasst werden solche Personen, die die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben, ohne mangels Bestellungsakt solche zu sein. Gedacht ist vor allem an § 25 Abs. 2 BJagdG i.d.F. vom 29.9.1976 (BGBl. I S. 2849). Danach fallen darunter die bestätigten Jagdaufseher innerhalb ihres Dienstbezirks in Angelegenheiten des Jagdschutzes, sofern sie Berufsjäger und forstlich ausgebildet sind. Sie erhalten ihre Funktion kraft Gesetzes, sobald die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Die Einzelheiten über die Bestätigung und Ausbildung regelt das jeweilige Landesrecht. Dieses kann auch über den § 25 Abs. 2 BJagdG hinaus Nichtbeamte zur Vollstreckung berufen und ihnen die Rechte und Pflichten von Polizeibeamten verleihen (vgl. §§ 29 Abs. 1 Nr. 1; 30 LJagdG BW). Das kann etwa bei den auf Grund besonderer Vorschriften über den Forst-, Feld- und FischereischutzBerechtigten der Fall sein (vgl. Art. 35 Abs. 2 BayWaldG; § 68 Abs. 1 Nr. 18 VwVG NW). Soweit jedoch Forst- und Feldhüter sowie Fischereiaufseher ihre Position aufgrund eines hoheitlichen Bestellungsaktes erhalten, sind sie den Amtsträgern nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 zuzurechnen und werden durch § 113 unmittelbar geschützt.2 Ordnungsbedienstete von Privatbahnen (Anschlussbahnen, vgl. RGSt 10 325, 327 f) und Ordnungskräfte eines unter staatlichem Einfluss stehenden U-Bahn- oder Busbetriebs (OLG Hamburg N J W 1984 624) haben - über die jedermann zustehenden Rechte hinaus - keine hoheitlichen Eingriffsbefugnisse. Ihr Handeln wird weder von § 113 geschützt, noch werden solche Ordnungskräfte über § 114 in den Schutz einbezogen.

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§ 25 Abs. 1 BJagdG überträgt den Jagdausübungsberechtigten und bestätigten Jagdaufsehern, die weder Berufsjäger noch forstlich ausgebildet sind, mit dem Jagdschutz nach § 23 BJagdG ebenfalls öffentlich-rechtliche Aufgaben. Durch Landesrecht ist das vielfach auf Fischereiausübungsberechtigte und andere Personen erweitert, und es sind ihnen gewisse hoheitliche Vollstreckungsbefugnisse zugewiesen worden. 3 Der Gesetzgeber hat sie aber, soweit sie nicht schon Amtsträger sind und § 113 unterfallen, bewusst und gewollt nicht in die Vorschrift des ξ 114 Abs. 1 einbezogen (Schriftl. Ber. BTDrucks. VI/502 S. 7). Das Ergebnis ist widerspruchsvoll; das gilt um so mehr, als bei Widerstandsleistungen diesen Personen gegenüber nunmehr der § 240 anwendbar ist, und die in § 113 vorgesehene Privilegierung des Täters entfällt; sie also meistens stärker als die Amtsträger geschützt sind (vgl. Dreher NJW 1970 1159). Der Gesetzgeber hat das aber

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Vgl. § 113 Rdn. 5; Bosch MK Rdn. 1; Fischer Rdn. 2; Dreher NJW 1970 1157; Sch/Schröder/Eser % 114 Rdn. 3. Bosch MK Rdn. 4; vgl. § 50 Abs. 2 und 4 Satz 4 FischG BW; § 53 Abs. 3 u. 4 LFoG NW; § 68 Abs. 1 Nr. 17 VwVG N W ; § 6 7

3

Abs. 2 S. 2, § 7 9 Abs. 4 LWaldG BW; Art. 2 9 BayWaldG. Prot. VI/335; vgl. dazu §§ 23, 2 4 JagdG BW; Art. 4 2 JagdG Bay; § 2 7 HessJagdG; Art. 3 4 NdsJagdG; § 2 5 JagdG NW.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

in Kauf genommen, wohl um den Anschein eines (in Wirklichkeit gar nicht vorhandenen) besonderen Feudalschutzes von Waldeigentümern zu vermeiden. Paeffgen moniert zu Recht eine verquere Logik, die darin zu sehen ist, dass eine „antifeudale Attitüde zu einer verschärften Strafbarkeit des Widerständlers" nach § 240 führt (NK Rdn. 5). Da diese Begründung des Gesetzgebers heute nicht mehr tragen kann und die Durchschlagskraft historischer Auslegung mit dem Zeitverlauf verblassen muss, ist die gesetzgeberische Entscheidung im Rahmen einer täterbegünstigenden Analogie zu korrigieren und sind alle Jagd- und Fischereiausübungsberechtigten in § 114 Abs. 1 einzubeziehen. 4 Es ist wenig konsistent, wenn nach überwiegender Ansicht beim Verhältnis des § 113 zu § 240 die Privilegierungen des § 113 entweder in analoger Anwendung der Strafrahmen (§113 Rdn. 94) oder die Annahme einer Sperrwirkung (§ 113 Rdn. 95) zum Tragen kommen, bei § 114 eine Korrektur des Gesetzes aber ausgeschlossen sein soll. Der Täter befindet sich auch gegenüber dem schlichten Jagdausübungsberechtigten, der Vollstreckungshandlungen durchführt, in der privilegierenden psychischen Zwangssituation. Für ihn ist es gleichgültig, ob die staatliche Zwangsandrohung von einer Person mit oder ohne zusätzliche polizeiliche Pflichtenstellung erfolgt (Sch/Schönke/Eser Rdn. 3). Die Gegenansicht versucht sich damit zu behelfen, dass bei nicht rechtmäßiger Vollstreckungshandlung der Widerstand nicht als verwerflich i.S. von § 240 Abs. 2 anzusehen sei (Fischer Rdn. 5). 5

2. Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft. Zur Qualifikation als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft kraft Gesetzes oder aufgrund landesrechtlicher Rechtsverordnungen s. § 152 GVG (vgl. Meyer-Goßner GVG § 152 Rdn. 6 f). Diese werden fast immer Amtsträger i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 sein und schon deswegen unter § 113 fallen. Ausnahmen sind aber möglich. Im Allgemeinen ist es Sache der Länder, die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft gem. § 152 Abs. 2 GVG zu bestellen (vgl. Meyer-Goßner § 152 GVG Rdn. 6 und Horstkotte Prot. VI/333). Es gibt aber auch solche Ermittlungspersonen kraft Gesetzes, z.B. die bereits erwähnten bestätigten Jagdaufseher gem. § 25 Abs. 2 BJagdG (Rdn. 3), Vollzugsbeamte des Bundes und der Länder gem. § 4 Abs. 1, 2, % 19 Abs. 1 BKAG in der Fassung des Ges. v. 7.7.1997 (BGBl. I S. 1650), die Zoll- und Steuerfahndungsbeamten gem. § 404 Satz 2, 2. Halbs. AO, § 37 Abs. 3 M O G u.a. (s. Kohlmann AO § 404 Rdn. 111); sie brauchen nicht unbedingt Amtsträger zu sein, wenn sie es auch fast durchweg sind und mithin unmittelbar von § 113 erfasst werden.

6

3. Vollstreckungshandlung. Absatz 1 setzt voraus, dass eine der dort erfassten Personen im Rahmen der ihr gesetzlich zuerkannten Befugnisse eine Vollstreckungshandlung ausgeführt hat. Vollstreckungshandlungen sind Handlungen in Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben, die der Vollstreckung einer der in § 113 Abs. 1 genannten Rechtsnormen oder Staatsakte dienen (vgl. § 113 Rdn. 18). Zu Vollstreckungshandlungen des in § 25 Abs. 2 BJagdG genannten, behördlich bestätigten Jagdaufsehers gehört etwa das Anhalten des Wilderers, die Feststellung dessen Personalien, die Abnahme des erlegten Wildes, die Wegnahme von Wildereigeräten und Waffen in seinem Dienstbezirk. 5 Neh-

4

Otto BT § 91 Rdn. 3; Paeffgen NK Rdn. 5; Sch/Schröder/Eser Rdn. 3; aA v. Bubnoff LK 11 Rdn. 3; Fischer Rdn. 5; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 70 II Rdn. 11; s. auch Bosch MK Rdn. 5, der bei grundsätzlicher Kritik eine Analogie für möglich hält.

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5

Vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 LJagdG BW; Art. 42 Abs. 1 Nr. 1 BayJG; § 25 Abs. 4 Nr. 1 LJG NW.

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Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen

§ 114

men solche Personen in Ausübung ihrer Rechte und Pflichten Vollstreckungshandlungen vor, so sind diese im Falle eines Widerstandes oder tätlichen Angriffs den Diensthandlungen eines Amtsträgers i.S.d. § 113 gleichgestellt. Vom Gesetz gleichgestellt werden also nicht die in den beiden Vorschriften genannten Personenkreise, sondern die Vollstreckungshandlungen den Diensthandlungen i.S. des § 113. Nach dem Schriftl. Bericht (BTDrucks. VI/502 S. 7) soll damit vermieden werden, dass der in Absatz 1 genannte zusätzliche Personenkreis in einem weiteren Maße gegenüber tätlichen Angriffen geschützt werde als die Gruppe der in § 113 erfassten Vollstreckungsbeamten. Diese differenzierende Erwägung erscheint wenig plausibel (Sch/Schröder/Eser Rdn. 7), weil die §§ 113, 114 ohnehin nur bei Handlungen in Ausübung hoheitlicher Gewalt in Frage kommen, womit eine übereinstimmende Grenze gezogen ist.

ΙΠ. Hinzugezogene Personen Absatz 2 bestimmt in Anlehnung an § 113 Abs. 3 a.F., dass § 1 1 3 entsprechend zum Schutze von Personen gilt, die von einem Amtsträger, d.h. Vollstreckungsbeamten im Sinne des § 113, oder von einem Nichtamtsträger mit Hoheitsbefugnissen nach Absatz 1 zur Unterstützung bei der Diensthandlung hinzugezogen sind. Gleiches gilt bei Diensthandlungen von Angehörigen der NATO-Streitkräfte (Art. 4 Nr. l a des 3. StrRG i.V.m. Art. 7 Abs. 2 des 4. StRÄndG). Bei einer Tat von Soldaten gegen Soldaten verdrängt § 24 Abs. 2 WStG den § 114 Abs. 2 (Schölz/Lingens WStG § 24 Rdn. 18). Letztere Vorschrift greift jedoch ein im Fall der Zuziehung eines Zivilisten oder des tätlichen Angriffs auf den zugezogenen Soldaten, der nicht Vorgesetzter ist (Fischer § 113 Rdn. 6).

7

1. Nichtamtsträger. Unter die Vorschrift fallen in erster Linie Nichtamtsträger, wie Beauftragte eines Abschleppdienstes (vgl. Coester-Waltjen J K 93, BGB § 839/7), die Zeugen gem. § 105 StPO, § 759 ZPO bei Durchsuchungen (RGSt 25 253; Sch/Schröder/Eser Rdn. 14), medizinisches Personal bei körperlichen Untersuchungen gem. § 81a StPO (Bosch MK Rdn. 8) oder der Spediteur bei der Sachpfändung nach § 808 ZPO (Ztelinski AK Rdn. 10). Es können u.U. aber auch nicht speziell in dieser Eigenschaft zugezogene Amtsträger gemeint sein, wenn z.B. der örtlich zuständige Polizeibeamte einen unzuständigen bittet, ihn bei einer Verhaftung zu unterstützen. In Betracht kommt auch ein bei einer Vollstreckungsaktion gegen BtM-Täter zugezogener V-Mann, der nicht Amtsträger mit Vollstreckungsbefugnis (BGH N J W 1980 846, 847; aA Wagner J Z 1987 595), aber Gehilfe der mit der Verbrechensbekämpfung betrauten Kriminalpolizei ist. Die Zuziehung kann sowohl durch den Vollstreckungsbeamten selbst wie durch die vorgesetzte Behörde erfolgen. Der Zugezogene kann unter Umständen seinerseits wieder dritte Hilfspersonen beauftragen, wie z.B. der Leiter des Abschleppdienstes seinen Fahrer. Allerdings muss sich der zuziehende Beamte mindestens stillschweigend hiermit einverstanden erklären, und die dritte Person muss nach außen als Teilhaber dessen Hoheitsgewalt erscheinen (vgl. Sch/Schönke/Eser Rdn. 17).

8

2. Vollstreckungshelfer. Die Vorschrift erfasst nur dienstlich zugezogene Personen. Wer sich unaufgefordert einmischt, ist nicht „zugezogen"; es bedarf vielmehr der ausdrücklichen oder stillschweigenden Billigung des Vollstreckungsbeamten. Die zugezogene Person muss auf Grund ihrer Beziehungen zum Vollzugsbeamten nach außen bei der Ausübung hoheitlicher Gewalt als Beteiligter erscheinen (Sch/Schröder/Eser Rdn. 17). Ferner muss eine unterstützende Tätigkeit vorliegen. Eine solche kann allerdings - wie bei einem Zeugen der Hausdurchsuchung - in einer bloßen passiven Anwesenheit beste-

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

hen. Eine Person, welcher der Beamte die selbständige Vornahme einer Amtshandlung übertragen hat (z.B. einen Gefangenentransport), ist nicht zugezogen im Sinne des § 114 Abs. 2 (RGSt 32 246 f). Da diesen keine Berechtigung zur Ausübung unmittelbaren Zwanges zukommt, fallen sie auch nicht unter Absatz 1 (Sch/Schröder/Eser Rdn. 16). Nicht erforderlich ist, dass die Zuziehung erst während der Widerstandsleistung stattfindet. IV. Subjektiver Tatbestand 10

1. Vorsatz bei Absatz 1. Der Vorsatz des Täters muss das Bewusstsein umfassen, dass die gegen ihn tätig werdende Person die persönliche Qualifikation des § 114 besitzt, d.h. in Ausübung hoheitlicher Gewalt eine Vollstreckungshandlung vornimmt. Bei fehlendem Vorsatz kommen nur die anderen, evtl. daneben erfüllten Tatbestände (§§ 240, 223 ff) in Betracht (vgl. § 113 Rdn. 65).

11

2. Vorsatz bei Absatz 2. In subjektiver Hinsicht muss der Täter hier die spezifischen Funktionen der Hilfsperson erkannt haben. Er muss also wissen, dass die fragliche Person von dem Amtsträger zu der Vollstreckungshandlung zugezogen wurde. Hat er das nicht erkannt, so mangelt es am Vorsatz. Hält er ein Eingreifen des Zugezogenen für rechtswidrig, so liegt ein Verbotsirrtum vor. V. Rechtsfolgen

12

Liegen die Voraussetzungen des § 114 vor, ist auf die Grundsätze zurückzugreifen, wie sie zu § 113 entwickelt worden sind. Zwar haben die Absätze 1 und 2 insoweit nicht den gleichen Wortlaut. In Absatz 2 ist die entsprechende Anwendung des § 113 vorgesehen, während in Absatz 1 gesagt wird, dass die Diensthandlung eines Amtsträgers im Sinne des § 113 der Vollstreckungshandlung bestimmter Personen gleichstehe. Das führt jedoch zu keinem unterschiedlichen Ergebnis. Auf die Erläuterung zu § 113, insbesondere auch zu Absatz 2 bis 4, wird Bezug genommen. Sofern der Täter über die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung als solcher irrt, greift die Irrtumsregelung des § 113 Abs. 4 ein (s. § 113 Rdn. 68 ff). Zur irrigen Annahme der Rechtmäßigkeit einer unrechtmäßigen Vollstreckungshandlung s. § 113 Rdn. 67.

13

§ 114 kann im Einzelfall zu einem auf den ersten Blick überraschend anmutenden Ergebnis führen. So wird der Eigentümer, der einen Dieb auf Bitten eines Polizeibeamten hin festnimmt, über § 114 Abs. 2 lediglich von § 113 geschützt. Hätte er dagegen selbständig die Verteidigungsrechte des § 32 oder § 127 Abs. 1 StPO in Anspruch genommen, wäre § 240 anzuwenden (Sch/Schröder/Eser Rdn. 19). Leistet der Täter in diesem Fall nicht mit Gewalt oder Drohung damit Widerstand, sondern durch Drohung mit einem empfindlichen Übel, so bleibt er sogar straflos und ist nicht nach § 240 zu belangen.6 Das ist mit der staatlichen Vollstreckungssituation zu erklären, in die sich der Eigentümer einbeziehen lässt, weswegen dem Täter die Privilegien des § 113 zukommen (vgl. Rdn. 5).

6

Ausführlich dazu § 113 Rdn. 89 ff; Paeffgen NK Rdn. 11; Sch/Schröder/Eser Rdn. 19; aA v. Bubnoff LKn Rdn. 11.

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Gefangenenbefreiung

§ 120

§§ 115-119 (weggefallen)

§ 120 Gefangenenbefreiung (1) Wer einen Gefangenen befreit, ihn zum Entweichen verleitet oder dabei fördert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ist der Täter als Amtsträger oder als für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter gehalten, das Entweichen des Gefangenen zu verhindern, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. (3) Der Versuch ist strafbar. (4) Einem Gefangenen im Sinne der Absätze 1 und 2 steht gleich, wer sonst auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird.

Schrifttum Feller Die strafrechtliche Verantwortung des Entscheidungsträgers für die Gewährung von Vollzugslockerungen nach dem Strafvollzugsgesetz und im Maßregelvollzug, Diss. Bochum 1991; Gropp Deliktstypen mit Sonderbeteiligung (1992); Grünebaum Zur Strafbarkeit des Therapeuten im Maßregelvollzug bei fehlgeschlagenen Lockerungen (1996); Herrlein/Werner Täterschaft und Teilnahme bei der Anstiftung zur Selbstbefreiung, § 120 I StGB, JA 1994 561; Herzberg Täterschaft, Mittäterschaft und Akzessorietät der Teilnahme, ZStW 99 (1987) 49; Hess Beiträge zur Lehre von der Gefangenenbefreiung (1904); Holthausen Zum Tatbestand des Förderns in den neuen Strafvorschriften des Kriegswaffenkontrollgesetzes, NJW 1991 203; Jung u.a. Einführung in das neue Strafrecht (1974); Krey Der Fall „Peter Lorenz" - Probleme des rechtfertigenden Notstands bei der Auslösung von Geiseln, ZRP 1975 97; Kusch Die Strafbarkeit von Vollzugsbediensteten bei fehlgeschlagenen Lockerungen, NStZ 1985 385; Lange Die notwendige Teilnahme (1940); Laubenthal Der Schutz des Strafvollzugs durch das Strafrecht, Festschrift Otto (2007) 659; H. Mayer Teilnahme und Gefangenenmeuterei, J Z 1956 434; M.E. Mayer Die Befreiung von Gefangenen (1906); Nagel Gefangenenbefreiung durch Richter? NStZ 2001 233; Ostendorf Strafbare Angriffe auf einzelne Staatsgewalten sowie auf den Bestand staatlicher Maßnahmen, J Z 1994 555; ders. Das Verbot einer strafrechtlichen und disziplinarrechtlichen Ahndung der Gefangenenselbstbefreiung, NStZ 2007 313; Rössner Die strafrechtliche Beurteilung der Vollzugslockerungen, J Z 1984 1065; Peglau Strafvollstreckungsvereitelung durch Mitwirkung beim Erschleichen von Freigang, NJW 2003 3256; Rudolphi Täterschaft und Teilnahme bei der Strafvereitelung, Festschrift Kleinknecht (1985) 379; Schaffstein Die strafrechtliche Verantwortlichkeit Vollzugsbediensteter für den Missbrauch von Vollzugslockerungen, Festschrift Lackner (1987) 795; Schatz Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang beim fahrlässigen Erfolgsdelikt und die Relevanz hypothetischer Kausalverläufe - Zum Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens bei fehlgeschlagener Lockerungsgewährung, NStZ 2003 585; Schneider Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips, Diss. Berlin 1992; Siegert Die Gefangenenbefreiung, J Z 1973 308 ff; Sommer Verselbständigte Beihilfehandlungen und Straflosigkeit des Gehilfen, JR 1981 490; Sturm Änderungen des Bes. Teils des StGB durch das EGStGB, JZ 1975 6 ff; Vogler Rechtshilfe durch Vollstreckung ausländischer Strafurteile, Festschrift Jescheck (1985) 1379; Wagner Rechtsprechung zu den Straftaten im Amt seit 1975, J Z 1987 705; Woher Notwendige Teilnahme und straflose Beteiligung, JuS 1982 343.

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§ 120

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

Entstehungsgeschichte Das bis zum Inkrafttreten des EGStGB vom 2.3.1974 (BGBl. I S. 469) geltende Recht unterschied außerhalb des Grundtatbestandes der Gefangenenbefreiung (§ 120 a.F.) danach, ob der Täter mit der Beaufsichtigung oder Begleitung des Gefangenen beauftragt war (§ 121 Abs. 1 a.F.) oder ob ihm darüber hinaus als Beamten die Beaufsichtigung, Begleitung oder Bewachung anvertraut war (§ 347 Abs. 1 a.F.). Durch besondere Vorschriften stellte es die in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten den Gefangenen gleich (§§ 122a, 347 Abs. 2 a.F.) und bedrohte das Befreien und die Erleichterung des Entweichens von Personen mit Strafe, die auf behördliche Anordnung in einer Anstalt untergebracht waren (§ 122b a.F.). Diese komplizierte Regelung, die in ihrem systematischen Aufbau nach dem tauglichen Täter differenzierte, führte zu Abgrenzungsschwierigkeiten, Friktionen und Inkonsequenzen. Der Gesetzgeber hat die Materie deshalb in Anlehnung an § 425 Ε 1962 (vgl. Begr. S. 610) in Art. 19 Nr. 45 EGStGB neu gestaltet. Die bisherigen Bestimmungen der §§ 120, 121, 122a, 122b und 347 a.F. StGB sind in einer einzigen Strafvorschrift (§ 120 n.F. StGB) zusammengefasst worden. Die Fahrlässigkeitstatbestände des Entweichenlassens von Gefangenen (§§ 121 Abs. 2, 347 Abs. 2 a.F.) wurden - als mit den Bestrebungen eines modernen Strafvollzugs unvereinbar - bereits durch das 1. StrRG vom 25.6.1969 (BGBl. I S. 645) Art. 1 Nr. 39, 96 (Ber. BTDrucks. V/4094 S. 28) aufgehoben. Zur historischen Entwicklung der Vorschrift in der früheren Fassung vgl. Hess Beiträge zur Lehre von der Gefangenenbefreiung (1904); Hofmann Die Gefangenenbefreiung in ihren historischen Grundlagen sowie in rechtsvergleichender und dogmatischer Darstellung (1903); v. Liszt/Schmidt (25. Aufl.) § 173 II; zu ihrer näheren Entstehungsgeschichte Hofmann S. 32 ff und Μ. E. Mayer Die Befreiung von Gefangenen (1906) 1 ff, 35 ff. § 120 Abs. 1, der angesichts der Straflosigkeit der Selbstbefreiung mit seiner Pönalisierung bloßer Förderungshandlungen die infolge des Akzessorietätsgrundsatzes gegebenen Strafbarkeitslücken überwindet, hat eine gesetzgeberische Vorbildfunktion bei der Schaffung des Tatbestands des Förderns in den neuen Strafvorschriften des Kriegswaffenkontrollgesetzes (§§ 19, 20 KWKG) erlangt, die der - nach den Erfahrungen des Golfkonfliktes notwendigen - strafrechtlichen Erfassung der Hilfeleistung deutscher Staatsangehörigen zum Aufbau einer ABC-Waffenproduktion im Ausland dienen (Begr. BTDrucks. 11/4609 S. 10; Holthausen NJW 1991 203). Auch Reformvorschläge zur Neugestaltung des § 258 zwecks strafrechtlicher Erfassung der Beteiligung eines Dritten an der Selbstbegünstigung des Vortäters (vgl. BGH J R 1984 337) orientieren sich an § 120 als gesetzgeberischem Muster für ein verselbständigtes Teilnahmedelikt (Rudolphi FS Kleinknecht, S. 379, 391 f, 394 u. J R 1984 339).

Gesetzesmaterialien EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 219 f; Schriftl. Bericht BTDrucks. 7/1261 S. 11; Prot. 7/209 ff; vgl. ferner Ε 1962 Begr. zu § 4 2 5 S. 610 ff; Niederschriften XIII S. 85, 594, 599, 623, 628; Reg. Bulletin Nr. 151/74 S. 1530 v. 13.12.1974.

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Gefangenenbefreiung

S 120

Übersicht Rdn. I. Grundlagen 1. Systematische Einordnung 2. Regelungsgehalt - Übersicht a) Grundtatbestand b) Qualifikation c) Verwahrte (Absatz 4) d) Versuchsregelung 3. Rechtsgut 4. Praktische Bedeutung Π. Objektiver Tatbestand 1. Begriff des Gefangenen (Absatz 1) . a) Begriff b) Abgrenzung zu Privatgefangenen c) Beispiele d) Auslieferungshaft 2. Begriff des Verwahrten (Absatz 4) . a) Allgemeines b) Verwahrung c) Abgrenzung zu § 121 Abs. 4 ... d) Beispiele e) Nicht erfasste Fälle 3. "Wirksamkeit der Freiheitsentziehung 4. Beginn und Ende des Gewahrsamsverhältnisses a) Beginn b) Ende c) Vollzugslockerungen d) Freiheitsbewusstsein 5. Tathandlungen a) Befreien

1 1 2 2 5 6 7 8 9 10 . 10 11 . 14 15 16 . 17 17 18 . 19 20 21 . 22 23 23 24 25 32 33 34

Rdn.

m.

IV. v. vi. vn.

vm.

IX.

aa) Mittel bb) Vollzugslockerung b) Verleiten c) Fördern des Entweichens aa) Allgemeines bb) Teilnahme cc) Mittelbare Förderungshandlungen Gefangenenbefreiung im Amt (Absatz 2) 1. Allgemeines 2. Pflichtenstellung 3. Einzelheiten 4. Aufhebung eines Haftbefehls Subjektiver Tatbestand Unterlassen Rechtfertigungsgründe Täterschaft und Teilnahme 1. Täter 2. Teilnahme des Gefangenen 3. Teilnahme Dritter 4. Teilnahme von Garanten Vollendung - Versuch - Rücktritt . . . . 1. Tatvollendung 2. Versuch a) Reichweite der Versuchsstrafbarkeit b) Versuchsbeginn bei 2. und 3. Var. c) Versuchsbeginn bei § 120 Abs. 2 . . 3. Rücktritt Konkurrenzen

35 39 40 41 41 44 46 47 47 48 49 50 51 52 55 56 56 58 61 62 63 63 65 65 66 69 70 71

I. Grundlagen 1. Systematische Einordnung. Der Gesetzgeber hat die Strafvorschrift unter den 1 Sechsten Abschnitt „Widerstand gegen die Staatsgewalt" eingereiht. Diese systematische Einordnung wird diskutiert. Einerseits dienen die Tatbestände der Gefangenenbefreiung (§§ 120, 121) überwiegend der Durchsetzung der Sira/gefangenschaft und damit der Sicherung der Strafvollstreckung, also zu Zwecken des Strafrechts selbst. Andererseits dienen sie durch die Einbeziehung des staatlichen Gewahrsams an Gefangenen schlechthin (Untersuchungsgefangene, vorläufig Festgenommene, Ordnungs- und Zwangsmitteln Unterworfene) einem weitergehenden Schutz und sind so als Straftaten gegen die staatliche Tätigkeit zu charakterisieren. 1 2. Regelungsgehalt - Übersicht a) Grundtatbestand. Absatz 1 enthält den Grundtatbestand der Gefangenenbefreiung; er umfasst die Fälle der bisherigen §§ 120 Abs. 1, 121 a.F. Bestraft wird nur die Befreiung anderer, die Selbstbefreiung ist - parallel wie die Selbstbegünstigung nach

1

Maurach/Schroeder/Maiwald § 92 Rdn. 12; Schroeder Die Straftaten gegen das Strafrecht (1985) S. 9.

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2

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

257, 258 - aus kriminalpolitischen Gründen nicht tatbestandsmäßig. Damit wird auf die besondere personale Situation des Gefangenen Rücksicht genommen. 2 Dieser befindet sich in einer besonderen Motivationslage, welche ihn aufgrund des menschlichen Freiheitsdranges zur Flucht verleitet. 3

Mit der Begehungsform des Verleitens zum Entweichen wird auch die Anstiftung zur Selbstbefreiung tatbestandlich erfasst. Darin liegt eine Erweiterung, die die sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Anstiftungs- und Beihilfehandlungen zur Selbstbefreiung im früheren Recht beseitigt hat. Daneben treten die selbständig vertypten Begehungsformen des Befreiens und Förderns. Letztere entspricht sachlich der Beihilfe (vgl. BTDrucks. 7/550 220). Die Begehungsmodalitäten des Verleitens und Förderns sind zu selbständigen Tatbeständen erhobene Teilnahmehandlungen an der nicht mit Strafe bedrohten Selbstbefreiung (vgl. EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 220; aA Zielinski AK Rdn. 8), weil eine akzessorische Teilnahme an der Selbstbefreiung mangels strafbarer Haupttat auscheidet. Die Begehungsarten des Verleitens und Förderns sind der Sache nach Fälle strafbarer Teilnahme an strafloser Haupttat. Ihre tatbestandliche Verselbständigung bedingt, dass für sie aus Teilnahmeregeln, wie sie etwa in §§ 27 Abs. 2 Satz 2, 30 für die akzessorischen Teilnahmeformen Ausdruck finden, keine Folgerungen hergeleitet werden können. An beiden Alternativen dagegen ist strafbare Teilnahme nach den allgemeinen Regeln möglich (zur Frage des Verhältnisses von verselbständigter Beihilfehandlung und Teilnahmebestrafung nach § 27 Sommer J R 1981 490, 4 9 4 f).

4

Das Gesetz stellt die drei Begehungsmodalitäten des Abs. 1 im Strafrahmen und damit in der Unrechtsbewertung einander gleich. Diese Gleichstellung erscheint wegen der Schwierigkeit einer exakten Grenzziehung zwischen den einzelnen Begehungsformen, den Merkmalen Befreien und Fördern des Entweichens einerseits, dem Verleiten und der psychischen Beihilfe andererseits, folgerichtig (vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 2). Die hiergegen gerichteten Bedenken vermögen nicht zu überzeugen; der Hinweis auf § 27 Abs. 2 S. 2 greift nicht. 3 Die allgemeinen Teilnahmegrundsätze stecken für die beiden tatbestandlich verselbständigten Teilnahmehandlungen keinen sachlich verbindlichen Rahmen im Sinne einer gebotenen Strafmaßdifferenzierung ab. Sie gebieten auch nicht die Ausklammerung des versuchten Verleitens aus der Versuchsstrafbarkeit. Einzuräumen ist, dass sich gewisse Spannungen hinsichtlich der Strafbarkeit des erfolglos versuchten Anstiftens, des Beginns des Versuchsstadiums und des Fehlens der Strafmilderung bei der Beihilfe ergeben. 4

5

b) Qualifikation. Absatz 2 enthält einen benannten Strafschärfungsgrund, der hinsichtlich des Qualifikationsgrundes an die Stelle des unechten Amtsdelikts des § 347 Abs. 1 a.F. getreten ist. Die Qualifikationsvorschrift erfasst die Amtsträger und die für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten (§ 11 Abs. 1 Nr. 2, 4), die das Entweichen des Gefangenen zu verhindern gehalten sind. Die Tathandlung ist allerdings dem Abs. 1 zu entnehmen. Die Qualifikationstat nach Abs. 2 ist nun ein Vergehen (§ 12 Abs. 2). Sie ist als unechtes Amtsdelikt ausgestaltet (Bosch MK Rdn. 3; Geppert Jura 1981 43); die Teilnahme Außenstehender ist somit möglich; deren Strafbarkeit richtet sich - unter Beachtung von § 28 Abs. 2 - nach § 120 Abs. 1 (s. Rdn. 61).

2

Vgl. BGHSt 4 396, 4 0 0 ; 17 374; RGSt 3 140, 141; Herzberg JuS 1975 7 9 4 ; Köhler JuS 1984 766 f; Schünemann LK vor § 26 Rdn. 30 ff; Welzel Strafrecht, S. 123; Wolter JuS 1982 343, 346.

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3 4

So aber Siegert J Z 1973 309. Vgl. Blei JA 1973 168; Jung S. 117; Lackner/ Kühl Rdn. 8; Sch/Schröder/Eser Rdn. 9, 23.

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Gefangenenbefreiung

§ 120

c) Verwahrte (Absatz 4). Da Absatz 1 an dem engen Gefangenenbegriff festgehalten 6 hat, werden die Verwahrten in Absatz 4 dem Gefangenen gleichgestellt. Diese Gleichstellung verdeutlicht, dass der Gesetzgeber das schutzwürdige Interesse an der Aufrechterhaltung des Gewahrsams bei behördlich Verwahrten nicht generell geringer bewertet wissen will als bei Strafgefangenen. Auch die Strafschärfung des § 120 Abs. 2 ist insoweit anwendbar. Insgesamt wird der Durchlässigkeit des Maßregelvollzugs, insbesondere der Überweisungsmöglichkeit von Strafhaft in die sozialtherapeutische Anstalt nach § 9 StVollzG und dem Prinzip des Vikariierens der Maßregeln untereinander Rechnung getragen, die eine differenzierende Betrachtung als nicht sachgerecht erscheinen lassen (vgl. Prot. 7/210). d) Versuchsregelung. In Absatz 3 wird die Strafbarkeit des Versuchs für alle Be- 7 gehungsformen der Gefangenenbefreiung vorgesehen. Zum Versuch des Verleitens und Förderns sowie zum Beginn des Versuchs bei den tatbestandlich verselbständigten Teilnahmeformen s. Rdn. 65 ff. 3. Rechtsgut. § 120 beschreibt einen Tatbestand der Auflehnung gegen die Staats- 8 gewalt, nämlich den Haft- oder Verwahrungsbruch durch Fremdbefreiung des Gefangenen (Abs. 1) oder behördlich Verwahrten (Abs. 4) sowie durch Anstiftung oder Beihilfe zu dessen Selbstbefreiung. Der Angriff richtet sich gegen ein Hoheitsrecht des Staates. Die Bezeichnung des geschützten Rechtsguts als Haftrecht des Staates (BGH NJW 1954 1693 f) oder als Recht der Staatsgewalt zur Freiheitsentziehung (BGHSt 9 262, 263) ist einerseits missverständlich; denn dieser Begriff umfasst auch die Inhaftnahme. § 120 verteidigt jedoch nicht das Recht zur Inhaft- oder Inverwahrungnahme, sondern zum Inhafthalten; nicht den Vorgang der Freiheitsentziehung, sondern den Zustand der von Rechts wegen entzogenen Freiheit. Andererseits ist als Zielrichtung auch die staatliche Vollzugstätigkeit mit in das Rechtsgutsverständnis einzubeziehen, damit der Tatbestand nicht zu einem Delikt des schlichten Ungehorsams gegenüber staatlicher Tätigkeit degeneriert.5 Angriffsgegenstand des Vergehens ist somit die behördlich begründete und formell legitimierte Verwahrungsgewalt des Staates über solche Personen.6 Andere sehen, ohne dass dies praktische Auswirkungen hätte, nur das öffentlich begründete Gewahrverhältnis7 oder die staatliche Hoheits- und Verwahrungsgewalt8 geschützt. Die Rechtspflege als solche, die in hiesigem Zusammenhang durch § 258 umfasst wird, liegt außerhalb des Schutzzwecks.9 4. Praktische Bedeutung. Die praktische Bedeutung der Vorschrift des § 120 wird 9 unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird der Tatbestand angesichts der vorrangigen Relevanz des Strafvollzugsbereichs und der großen Zahl von - im Falle deren Fehlschlags

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Bosch MK Rdn. 1; OstendorfNK Rdn. 3; Zielinski AK Rdn. 4. Vgl. BGHSt 37 388, 390: der „formell ordnungsgemäß angeordnete staatliche Gewahrsam in Form einer Unterbringung"; vgl. Horn/Wolters SK Rdn. 2 ; Zielinski StV 1992 227, 228. Vgl. RGSt 7 245: die verwirklichte Gefangenschaft; Kindhäuser LPK Rdn. 1; Krey/Heinrich BT 1 § 7 Rdn. 5 3 0 ; Lackner/Kühl Rdn. 1.

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Vgl. BGHSt 9 2 6 2 , 2 6 3 : der „obrigkeitliche Gewahrsam" an der Person, ihre „Verstrickung" im Sinne eines besonderen öffentlichen Gewaltverhältnisses; RGSt 3 9 7, 8: das ausgeübte Haftrecht. Krey/Heinrich BT 1 § 7 Rdn. 5 3 0 ; Lackner/ Kühl Rdn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald § 72 I Rdn. 7; Peglau N J W 2 0 0 3 3 2 5 6 f Kusch NStZ 1985 385; Zielinski StV 1992 226, 2 2 7 ; and. Koch HK-GS Rdn. 1.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

nicht nach § 120 erfassbaren - Vollzugslockerungen als entbehrlich bezeichnet.10 Aus statistischer Sicht ergibt die Strafverfolgungsstatistik hinsichtlich der Zahl der Verurteilten folgendes Bild: 1994 90; 1995 83; 1996 67; 1997 62; 1998 94; 1999 73; 2000 59; 2001 67; 2002 74; 2003 70; 2004 71; 2005 80; 2006 92. 1 1 Diese Fallzahlen sprechen für eine untergeordnete Relevanz.12 Sie lagen in den siebziger und achtziger Jahren mit deutlich über 100 Verurteilten höher, was möglicherweise mit der weniger ausgefeilten Sicherheitstechnik in den Anstalten zu erklären sein könnte (Nagel NStZ 2001 233; Ostendorf NK Rdn. 4). Π. Objektiver Tatbestand 10

1. Begriff des Gefangenen (Absatz 1). Der Tatbestand des § 120 wendet sich gegen die widerrechtliche faktische Aufhebung bzw. den Bruch staatlichen Zwangsgewahrsams von Gefangenen (Abs. 1) und von sonst auf behördliche Anordnung in einer Anstalt Verwahrten (Abs. 4). Die Abgrenzung von Gefangenen und Verwahrten in vorstehendem Sinne, die für die Vorschrift des § 120 als solche wegen der Gleichstellung an sich keine große praktische Bedeutung hätte, ist in Zusammenhang mit der Meutereivorschrift des § 121 zu sehen, die den Täterkreis - mit einer gewissen Erweiterung - auf Gefangene beschränkt wissen will. Es ist daher erforderlich, als übereinstimmenden Ausgangspunkt beider Vorschriften den Gefangenenbegriff einheitlich einzugrenzen. Gem. Art. 7 Abs. 2 Nr. 6 des 4. StRÄndG vom 11.6.1957 - geändert durch das 8. StRÄndG vom 25.6.1968, durch Art. 4 Nr. la, cc des 3. StrRG vom 20.5.1970 und zuletzt durch Art. 147 EGStGB gilt § 120 auch für die widerrechtliche Befreiung von Gefangenen und Untergebrachten der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten NATO-Truppen, ein Fall der gesetzlichen Ausdehnung des Strafschutzes über die inländische staatliche Tätigkeit hinaus auf den von in der Bundesrepublik stationierten Truppen ausgeübten Personengewahrsam (Vor § 110 Rdn. 10 ff). 13

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a) Begriff. Eine allumfassende Definition des Gefangenenbegriffs dürfte nicht möglich sein. Sie ist in systematischer Abgrenzung zu den in § 120 Abs. 4 gleichgestellten Verwahrten zu bestimmen. Daher passen die an der früheren Rechtsprechung des RG orientierten, mehr oder minder abgewandelten Begriffsbestimmungen14 für die heutige Fassung nicht mehr. Die im Schrifttum in Anlehnung an spätere Entscheidungen (RGSt 48 226, 227; 73 347) vertretene Definition, die auf das staatliche Ingewahrsamhalten in Ausübung von Polizei- oder Strafgewalt abhebt (vgl. Lackner/Kühl Rdn. 3; auch BayObLG VRS 66 275, 276) geht zu weit, weil sie die Sicherungsverwahrten und Untergebrachten mit einschließt.

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Gefangenenstatus hat eine Person, der wegen einer Verfehlung in einem auf deren Ahndung im weitesten Sinne angelegten Verfahren durch gerichtlichen oder polizeilichen

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Kusch N S t Z 1 9 8 5 3 9 3 ; s.a. Wagner J Z 1 9 8 7 709.

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Statistisches Bundesamt Deutschland, Fachserie 10 Reihe 3, abrufbar unter https:// www-ec.destatis.de, abgerufen am 4 . 8 . 2 0 0 8 .

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Diese steht in auffallendem Kontrast zu einer gewissen Beliebtheit im Rahmen studentischer Falllösungen, vgl. Britz/Miiller-Dietz

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JuS 1 9 9 8 2 3 7 ; Hardtung JuS 1 9 9 8 719; Laubenthal JuS 1 9 8 9 8 2 7 ; Miehe JuS 1 9 9 6 1 0 0 0 ; Neubacher JuS 2 0 0 5 1 1 0 1 ; Weber Jura 1 9 8 4 3 6 7 ; Tenckhoff/Arloth JuS 1 9 8 5 129. BGBl. 1 1 9 5 7 S. 5 9 7 ; 1 9 6 8 S. 7 4 1 ; 1 9 7 0 S. 5 0 5 ; 1 9 7 4 S. 5 7 6 . RGSt 1 2 1 6 2 , 1 6 3 ; 3 7 3 6 6 , 3 6 8 ; 3 9 189, 191; 4 4 171.

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Gefangenenbefreiung

§ 120

Akt der Unterstellung unter die Gewalt einer zuständigen Behörde die Freiheit entzogen worden ist (Bosch MK Rdn. 8; Fischer Rdn. 2). Auch diese Kennzeichnung des Gefangenenbegriffs ist allerdings unvollständig. Insoweit handelt es sich nur um den maßgeblichen Kernbereich der zu erfassenden Fälle. Dem Gefangenenbegriff sind darüber hinaus z.B. Kriegsgefangene und Internierte zuzurechnen. Dagegen unterfallen dem Gefangenenbegriff unter Berücksichtigung des Maßnahmezwecks und -Charakters nicht die nach §§ 63 ff in einer Anstalt Untergebrachten und die nach anderen Bestimmungen (Rdn. 18; z.B. UBG BW) aus Gründen der öffentlichen Sicherheit behördlich Verwahrten, die deshalb von Abs. 1 ausdrücklich abgeschichtet, von Abs. 4 gesondert erfasst und den Gefangenen lediglich gleichgestellt werden (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 220). Dies ergibt sich auch aus der Fassung des § 121. § 121 geht von dem engen Gefangenenbegriff des § 120 Abs. 1 aus, erweitert diesen aber durch ausdrückliche (§ 121 Abs. 4) Einbeziehung der Sicherungsverwahrten, womit für § 121 eine Täterschaft von sonstigen Untergebrachten (§§ 63, 64) ausgeschlossen ist. 15 Auch daraus folgt für § 120, der eine solche Erweite/•«ngsklausel nicht enthält, dass alle Fälle der Unterbringung im Maßregelvollzug (§ 61 Nr. 1-3) einschließlich der Sicherungsverwahrung (nicht schlüssig insoweit Ε 1962 S. 611) und sonstige behördliche Verwahrungsfälle in den Anwendungsbereich der Gleichstellungsklausel des § 120 Abs. 4 fallen, derart untergebrachte Personen nach den Intentionen des Gesetzes also nicht den Gefangenen im Sinne des Abs. 1 zuzuordnen sind. Als rechtliche Grundlage für die in Absatz 1 kommt jede auf einer entsprechenden Eingriffsnorm liche Anordnung in Betracht, die auf die Begründung tet ist und es rechtfertigt, den Status des Inhaftierten men als Gefangenen zu kennzeichnen.

vorausgesetzte Freiheitsentziehung beruhende innerstaatliche behördstaatlichen Gewahrsams ausgerichin dem (zuvor) abgegrenzten Rah-

13

b) Abgrenzung zu Privatgefangenen. Die Vorschrift erfasst nur den Bruch öffent- 14 liehen Gewahrsams, den sich die Staatsmacht über eine Person durch eine legitime Freiheitsentziehung verschafft hat. Private Gewaltverhältnisse des einzelnen Menschen über einen anderen bleiben außer Betracht; die Befreiung aus irgendwelchem, sonstwie entstandenem Zustand der Unfreiheit - so etwa Freiheitsentziehungen kraft elterlicher Gewalt wie Ausgehverbot, Stubenarrest (vgl. OLG Hamm JMB1NRW 1962 220) - ist tatbestandlich irrelevant. c) Beispiele. Zu den Gefangenen im Sinne des § 120 Abs. 1 sind demnach zu rechnen: Strafgefangene (RGSt 37 366, 368) jeder Art, mag es sich um allgemeine Kriminalstrafen oder Jugendstrafen (§§ 17 ff JGG), um Ordnungs- oder Disziplinarstrafen (§§ 51, 70 Abs. 1, § 81c Abs. 6, § 95 Abs. 2 StPO, § 178 GVG, §§ 380, 390, 890 ZPO), um Zwangs- (Beuge-)Strafen oder um Erzwingungshaft handeln; 16 Arrestanten im Wehrstraf- und -disziplinararrest;17 im Zuchtmittel des Jugendarrests;18 im Sicherheitsarrest der SS 918, 936 ZPO; in der Ordnungshaft des § 177 GVG (dazu BGHSt 4 308, 309), ferner des § 106 KO a.F.; jedoch nicht im Schularrest (RGSt 39 7; BayObLGSt 19 178 unter Aufgabe früherer gegenteiliger Rspr.). Untersuchungsgefangene von der Ergreifung

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Vgl. EEGStGB S. 221; Ber. BTDrucks. 7/1261 S. 11; Prot. 7/211; vgl. § 121 Rdn. 8. § 70 Abs. 2 StPO; §§ 888, 889, 8 9 0 ZPO; BVerfGE 2 0 323 - §§ 901, 9 0 9 ZPO; BGHSt 4 308, 3 0 9 - §§ 96, 48 Abs. 2 OWiG § 3 3 4 AO.

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§ 9 WStG; §§ 2 2 , 4 9 WDO; BVerfGE 2 2 311, 317; Fischer Rdn. 2. § 13 Abs. 2 Nr. 3, § 16 JGG; BGHSt 18 2 0 9 ; Brunner JGG § 16 Rdn. 1; BGH 5 StR 9 2 0 / 5 2 vom 26.11.1952.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

auf Grund des Haftbefehls (§ 115 StPO) an, 13 auch dann, wenn sie unter Aufrechterhaltung der Haft in eine Krankenanstalt verlegt oder zur Beobachtung nach § 81 StPO eingewiesen werden; 20 nicht jedoch, wenn die Haft unterbrochen oder aufgehoben wird (RG GA Bd. 50 104). 21 Zur Vollstreckung nach § 457 StPO Verhaftete.22 Vorläufig Festgenommene (§ 127 StPO; BTDrucks. 7/550 S. 220), wenn die Festnahme von der Behörde, bei Soldaten gemäß § 17 WDO (vgl. Schölz/Lingens WStG § 48 Rdn. 8) oder bei Zivilisten nach § 6 UZwGBw, bewirkt ist oder sonst zu ihrem Gewahrsam führt (BGHSt 20 305, 307; RGSt 12 426, 427); nicht jedoch bei Festnahme durch „jedermann", solange sich der Festgenommene in dessen Gewahrsam befindet (RGSt 13 254, 255; 67 298, 299). Zwangsweise Vorgeführte,23 solange damit eine Verwahrung verbunden ist. An dieser fehlt es, wenn eine Person zur Blutentnahme nach § 81a StPO verbracht wird (BayObLG NJW 1984 1192; Bosch MK Rdn. 10; Horn/Wolters SK Rdn. 4). Kriegsgefangene,24 weil und solange sie sich in der Gewalt der „bewaffneten Macht" befinden, also nicht bei vollständiger Freilassung auf Ehrenwort oder gegen Versprechen (Rdn. 24). Kriegsgefangene sind auch gefangengesetzte Deserteure (RMG 21 85). Internierte Zivilpersonen.25 16

d) Die Auslieferungshaft in ihren verschiedenen Ausgestaltungen (§§ 15, 16, 34, 45 IRG; vgl. von Bubnoff Auslieferung (1989) S. 36 f, 42 f) und die Vollstreckungshilfehaft als strafvollzugsförmige Haft mit Rechtshilfecharakter26 stellen sich als von § 120 geschützte Formen innerstaatlichen Gewahrsams dar. Ob der insoweit Inhaftierte dem Gefangenen oder lediglich dem umfassenderen Begriff des behördlich Verwahrten (Abs. 4) zugeordnet werden kann, ist für die Tatbestandserheblichkeit nach § 120 letztlich unerheblich, entscheidet aber über die tatbestandliche Erfassung nach § 121. Vogler (FS Jescheck, S. 1379, 1397) verneint die Gefangeneneigenschaft unter Hinweis auf den Rechtshilfecharakter und die fehlende Ausübung deutscher Strafgewalt. Für eine solche Einengung dürfte jedoch kein zwingender Grund bestehen. Gegenstand des Strafschutzes ist in beiden Vorschriften ausschließlich die aufgrund eines innerstaatlichen Hoheitsaktes behördlich begründete Verwahrungsgewalt des Staates (Rdn. 8; § 121 Rdn. 4), die im Falle des Befreiens bzw. des gewaltsamen Ausbruchs aus der Auslieferungs- bzw. Vollstreckungshilfehaft verletzt wird. Die Auslieferungshaft wird auf der Grundlage des Haftbefehls eines deutschen Gerichts nach den Regeln der Untersuchungshaft vollzogen. Die strafvollzugsförmige Vollstreckungshilfehaft hat zur Rechtsgrundlage die Exequatur-

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RGRspr. 4 356; 7 273; BGHSt 9 62; 12 306. BGH GA 1965 204, 205; Bosch MK Rdn. 11; aM Fischer Rdn. 3, der sie den Untergebrachten zurechnen will, was u.U. einen regelmäßigen Statuswechsel zur Folge hätte. RGSt 19 330, 331; OLG Celle MDR 1968 782; Lackner/Kühl Rdn. 3. RGSt 8 313; §§ 908, 909 ZPO; RG GA Bd. 37 433. §§ 51, 134, 230, 329, 387 StPO; §§ 380 Abs. 2, 619 Abs. 3, 654 ZPO; § 21 Abs. 3 InsO; RGSt 12 162, 63; BGHSt 9 62; aA BVerwG JR 1958 153, 154, jedoch durch

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BVerfGE 22 21, 26 überholt; Horn/Wolters SK Rdn. 4. Begriff: III. Genfer Abk., Art. 4, 5, BGBl. 1954 II S. 838; RGSt 37 368; 55 228; RMG 20 52; Pfenninger DRiZ 1950 389. IV. Genfer Abk., Art. 78, BGBl. 1954 II S. 917; RMG 19 228 f, i. üb. überholt; Seh! Schröder/Eser § 120 Rdn. 3. §§ 48 ff IRG, Art. 2 Abs. 2, 9 ff TransfÜbk; Art. 1 RatifikationsG vom 26.9.1991, BGBl. II S. 1006; Art. 68, 69 DurchführungsÜbk zum Schengener Übk., BAnz. 1990 Nr. 217a S. 15.

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Gefangenenbefreiung

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Entscheidung eines deutschen Gerichts, 27 die an das ausländische Straferkenntnis anknüpft, es gleichsam umfasst und - unter Umwandlung der ausländischen Sanktion in eine solche des deutschen Rechts - mit Vollstreckungswirkung im Inland ausstattet, m.a.W. eine von einem deutseben Gericht verantwortete freiheitsentziehende Entscheidung i.S.d. Art. 104 Abs. 2 GG, der gemäß dem formellen Prüfungsprinzip eine Überprüfung des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts auf dessen Tatbestandserheblichkeit auch im Sinne einer deutschen Sanktionsnorm zugrunde liegt. Das gilt auch für die Auslieferungshaft auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls (§§ 78 ff IRG). Sie richtet sich nach den deutschen Vollstreckungs- und Vollzugsvorschriften. Ein innerstaatlicher Strafbezug ist keine notwendige Voraussetzung des Gefangenenbegriffs. 2. Begriff des Verwahrten (Absatz 4) a) Allgemeines. Über § 120 Abs. 1 hinausgehend betrifft Absatz 4 die Befreiung von Personen, die nicht Gefangene im Sinne des Abs. 1 sind, vielmehr sonst auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt werden. Dieser weitergehende Personenkreis wird den Gefangenen gleichgestellt, die widerrechtliche Aufhebung des Gewahrsams bei solchen behördlich Verwahrten - wie die Geltung derselben Strafdrohung zeigt - in gleicher Weise rechtlich missbilligt. Von dem Merkmal der behördlichen Anordnung wird auch die richterliche Anordnung umfasst. Das folgt aus der Klarstellung in § 11 Abs. 1 Nr. 7.

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b) Verwahrung. Die Verwahrung tritt an die Stelle des Merkmals der Gefangenschaft in Abs. 1. Sie setzt begrifflich einen Zwangsgewahrsam voraus, der dem Verwahrten nach objektiver Betrachtung die körperliche Bewegungsfreiheit entzieht. Bleibt diese grundsätzlich erhalten, wird sie nur eingeengt, wie z.B. durch Ausgangsbeschränkungen einer Hausordnung in einer Einrichtung über Tag und Nacht, 28 fehlt es an einer Verwahrung im Sinne des Abs. 4. Diese Vorschrift ist auch nicht einschlägig bei einer Maßnahme des Vormundschaftsrichters nach § 1666 Abs. 1 BGB, außer wenn diese auf Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt lautet (vgl. OLG Hamm JMB1NRW 1964 174 zu § 122b a.F.), deren mögliche Herbeiführung von dem am 1.1.1991 in Kraft getretenen neuen Jugendhilferecht (vgl. KJHG BGBl. 1990 I 1163) unberührt bleibt. 29 Die behördliche Verwahrung besteht ebenso wie die Gefangenschaft nicht nur in der Anstalt selbst, sondern in gleicher Weise unter der Aufsicht, Bewachung oder Begleitung der kraft Amtes oder auf Grund einer Aufsichtspflicht dazu berufenen Personen innerhalb wie außerhalb des Anstaltsbereichs.

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c) Abgrenzung zu § 121 Abs. 4. Zu beachten ist die gesetzliche Differenzierung zwisehen den Merkmalen „verwahrt wird" (§ 120 Abs. 4) und „untergebracht ist" (§ 121 Abs. 4). In § 120 Abs. 4 hat der Gesetzgeber - entgegen einer abweichenden Anregung des Bundesrates - bewusst an dem Merkmal „verwahrt" festgehalten. Mit der Verwendung dieses Merkmals wird der Gefahr einer zu engen Auslegung und damit Einschränkung des gesetzlichen Anwendungsbereichs begegnet, die der Unterbringungsbegriff im spezifischen Sinne des neuen Maßregelsystems auslösen könnte (vgl. Ber. BTDrucks.

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S. Erkl. der BRD zu Art. 3 Abs. 3 TransfÜbk. BGBl. 1992 II S. 99. § 34 Abs. 1 SGB VIII; vgl. Münder SGB VIII § 34 Rn. 14 f; BGH NJW 1963 1412 vgl. aber Rdn. 20.

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Vgl. Oberloskamp NJW 1991 2.

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ZfJ 1 9 9 0 2 6 3 ; Rüfner

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

7/1261 S. 11; Prot. 7/210). Bezüglich des Begriffs der Unterbringung im Sinne der §§ 61 ff ist festzuhalten, dass sich der rechtliche Status des Verurteilten im Falle einer Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel (§ 67a StGB) nach der ursprünglich angeordneten Maßregel richtet, die eigentliche Vollzugsgrundlage bleibt (vgl. v. Bubnoff J R 1976 424). Der rechtliche Unterbringungsstatus wird durch die Verlegung in eine andere Anstaltsart nicht berührt. An diesen Grundsatz knüpft auch die Fassung des § 121 Abs. 4 an, dessen Täterkreis Personen, deren Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet ist und die anschließend in ein psychiatrisches Krankenhaus oder den Vollzug einer Entziehungsanstalt überwiesen werden (§ 67a Abs. 2), an sich weiterhin unterfallen. Das in § 120 Abs. 4 zugrundegelegte Merkmal der behördlich angeordneten Verwahrung erfasst dagegen als umfassender Oberbegriff zwanglos einerseits Fälle wie die Unterbringung nach $ 30 Abs. 2 IfSG (vgl. § 37 Abs. 2 des aufgehobenen BSeuchG), andererseits die Fälle der Unterbringung sowie des Vollzugs einer Maßregel in einem (anderen) Anstaltstypus (§§ 61, 67a Abs. 1, 2). Ist derjenige, der in den Vollzug einer anderen Maßregel überwiesen wird, auch nicht im spezifischen Sinne des Maßregelsystems in der betreffenden Anstalt untergebracht, so wird er doch in ihr „verwahrt" (vgl. Prot. 7/209). Der gemäß § 9 StVollzG in einer sozialtherapeutischen Anstalt befindliche Verurteilte unterfällt bereits dem Gefangenenbegriff des Abs. 1, weil die Unterbringung in diesem Anstaltstypus nur im Rahmen des Vollzugs einer Freiheitsstrafe möglich ist (vgl. § 121 Rdn. 11). 20

d) Beispiele. Zu den auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrten Personen (Abs. 4) gehören im einzelnen: Sicberungsverwabrte, ferner die nach §§ 63, 64 in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt endgültig oder nach § 126a StPO dort einstweilig Maßregel-Untergebrachten; Beschuldigte, die außerhalb der Untersuchungshaft (ohne diese Einschränkung Fischer Rdn. 3) gemäß § 81 StPO, Jugendliche und Heranwachsende, die gemäß §§ 73, 109 J G G sich zur Beobachtung in einer Anstalt befinden; Jugendliche, die in einem Erziehungsheim einstweilen untergebracht sind, weil sie eine Jugendstrafe zu gewärtigen haben (§ 71 Abs. 2 JGG); auch Jugendliche, die in einer geschlossenen Einrichtung über Tag und Nacht (§ 34 SGB VIII) untergebracht sind, sofern dies als Erziehungsmaßregel nach § § 9 Nr. 2, 12 Nr. 2 J G G angeordnet wurde. 30 Fehlt das Zwangselement der jugendstrafrechtlichen Anordnung, und erfolgt die Unterbringung als Erziehungshilfe nach § 27 SGB VIII, unterfallen die Jugendlichen nicht dem Verwahrtenbegriff (Bosch MK Rdn. 10); ferner die in einem abgeschlossenen Krankenhaus(-teil) nach § 30 IfSG Untergebrachten; Ausländer in Abschiebungshaft; 3 1 nach landesrechtlichen Unterbringungsgesetzen Anstaltsverwahrte (vgl. BayObLGZ 1963 177, 178), z.B. nach dem UBG BW (GBl. 1991 794) oder dem PsychKG NW (BGHSt 37 388 f), auch dann, wenn diese Unterbringung in einem psychiatrischen Landeskrankenhaus in Unterbrechung der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe (vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1991 302) erfolgt (insoweit kein fortbestehender Gefangenenstatus nach Abs. 1); insbesondere die von einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung aufgrund gerichtlicher Anordnung im Interesse Dritter bzw. der Allgemeinheit betroffenen Personen, 32 dagegen nicht die durch einen Betreuer (§ 1896 BGB) gemäß

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Vgl. Eisenberg JGG § 12 Rdn. 5; auch Brunner JGG § 12 Rdn. 2 f, 9. § 62 AufenthG - Vorbereitungs- und Sieherungshaft.

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Zur Abgrenzung Jürgens/Kröger/Marschner/ Winterstein Betreuungsrecht Rdn. 489, 505, 537, 572, 581.

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Gefangenenbefreiung

§ 120

§ 1906 Abs. 1 BGB Untergebrachten, ungeachtet der insoweit vorausgesetzten vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung (§ 1906 Abs. 2 BGB; Art. 104 Abs. 2 GG), die keine Anordnungsfunktion, sondern - wie auch die Dispositionsbefugnis des Betreuers über die Beendigung der Unterbringung ohne gerichtliche Genehmigung beleuchtet - ausschließlich Kontrollfunktion zum Schutz des Betreuten hat. 33 Bei dieser freiheitsentziehenden Form der zivilrechtlichen Unterbringung, die nicht im Interesse der Allgemeinheit oder Dritter (Gefährdung) angeordnet werden kann und von der öffentlich-rechtlichen Unterbringung bewusst abgeschichtet wird (Entw. BTDrucks. 11/4528 S. 54), handelt es sich um kein von einem spezifischen behördlichen Gewahrsamsinteresse getragenes, strafrechtlich geschütztes Verwahrungsverhältnis i.S.d. § 120. e) Nicht erfasste Fälle. Weder unter Abs. 1 noch unter Abs. 4 des § 120 fallen der 21 nach § 127 Abs. 1 StPO von einer Privatperson Festgenommene (vgl. RGSt 67 293) und der Schularrestant (vgl. RGSt 39 7). Bei zwangsweiser Verbringung zum Arzt zwecks Entnahme einer Blutprobe nach § 81a StPO fehlt es im Hinblick auf die kurzfristige Freiheitsentziehung als Maßnahme des unmittelbaren Zwangs unter dem Gesichtspunkt der von vornherein zweckbedingt beschränkten Dauer an einem schützenswerten öffentlichen Gewahrsam.34 Zur entsprechenden Auffassung hinsichtlich der zwangsweisen Vorführung zur ärztlichen Untersuchung nach § 18 GeschlkrG a.F.: BGHZ 82 261, 267 ff mit Darstellung des Streitstandes zur Abgrenzung von Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung. 3. Wirksamkeit der Freiheitsentziehung. Es ist für § 120 unerheblich, ob die Frei- 22 heitsentziehung sachlich-rechtlich gerechtfertigt ist (vgl. BGH GA 1965 204, 206 zu § 120 a.F.). Es kommt lediglich auf das formell ordnungsgemäße Zustandekommen des Gewahrsams an. 35 Daher befindet sich auch der unschuldig Verurteilte von Rechts wegen in Strafhaft oder Maßregelvollzug. Ebenso ist der grundlos Verhaftete, selbst wenn sich die Festnahme als tatbestandliche Freiheitsberaubung (§ 239) eines Amtsträgers darstellt, von Gesetzes wegen in staatlichem Gewahrsam. Andererseits ist bei Ausbrechern der Zustand der Gefangenschaft oder Verwahrung nicht schon dann wiederhergestellt, wenn diese auf Grund eines Suchbildes oder Steckbriefes von einer Privatperson aufgegriffen und versehentlich einer unzuständigen Stelle - z.B. Ablieferung eines Strafgefangenen in einer psychiatrischen Klinik statt im Gefängnis oder bei der Polizei - übergeben werden. Maßgebend ist also, dass der Gewahrsam rechtsförmlich und mithin rechtswirksam begründet, d.h. im letzteren Falle wiederhergestellt ist. Nach RGSt 39 191 soll nicht einmal die „äußere" Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme nötig sein. Bei dem dort beurteilten Sachverhalt ist aber damit wohl nur ausgedrückt, dass der gesetzlichen Form schon dann Genüge getan ist, wenn der Beamte zu der Maßnahme allgemein kraft Amtes befugt ist, ohne dass auch seine örtliche oder sachliche Zuständigkeit in dem Einzelfall festgestellt werden müsste. Auch der Rechtmäßigkeitsbegriff i.S.d. ξ 113 Abs. 3 kommt hier nicht zum Tragen (KG JR 1980 513; Sch/Schröder/Eser Rdn. 1). Zu der Problematik der Fälle reiner Willkür im Hinblick auf § 32 StGB vgl. indessen Binding Lehrbuch II 2 § 234 IV Β und Μ. E. Mayer S. 21 (vgl. insoweit auch Genfer Abk. über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 12.8.1949, Art. 3 Nr. 1 Abs. 2b; desgleichen zum Schutze von Zivilper-

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Ε BtG BTDrucks. 1 1 / 4 5 2 8 S. 148; vgl. Lackner/Kühl Rdn. 5. BayObLG MDR 1984 511 m. Anm. Händel BA 1984 451; vgl. auch Rdn. 15.

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Vgl. KG J R 1980 513 m. Anm. Ostendorf J R 1981 2 9 2 ; Kindhäuser LPK Rdn. 3; Maurach/ Schroeder/Maiwald § 72 I Rdn. 5; Weber Jura 1984 380; Zielinski StV 1992 227, 229.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

sonen in Kriegszeiten vom 12.8.1949, Art. 3 Nr. 1 Abs. 2b; Art. 3 4 ; BGBl. 1954 II. 781, 838, 917). Bei rechtswirksam begründetem Gewahrsam ist eine rechtfertigende Nothilfe grundsätzlich ausgeschlossen (Rdn. 55). Im - praktisch kaum denkbaren 3 6 - Falle eines grob fehlerhaft-nichtigen Festnahmeakts würde es hingegen mangels eines geschützten staatlichen Gewahrsams an einer tatbestandserheblichen Befreiungshandlung fehlen (vgl. KG J R 1 9 8 0 513, 514). 4 . Beginn und Ende des Gewahrsamsverhältnisses 23

a) Beginn. Die Gefangenschaft bzw. Verwahrung beginnt mit der vorschriftsmäßigen Begründung des öffentlichen Gewahrsams (RG GA Bd. 3 7 4 3 3 ) - z.B. mit der polizeilichen Festnahme zwecks Einlieferung aufgrund eines Haft- oder Vollstreckungshaftbefehls - und dauert an, solange dieser tatsächlich besteht (RGSt 13 2 5 4 , 2 5 6 ) . Daher genügt nicht die Zuführung eines vorläufig Festgenommenen an die Polizeibehörde, wenn sie dessen Übernahme ablehnt (§§ 127a, 128 StPO; RGSt 6 7 2 9 9 ) , ebensowenig die bloße Ankündigung der Verhaftung (RG GA Bd. 3 7 4 3 3 ; R M G 8 2 2 3 ) . Natürlich reicht auch die Anordnung der Haft oder einstweiligen Unterbringung (§ 114, § 126a StPO; § 901 Z P O ) nicht aus; der Beschuldigte bzw. Schuldner muss tatsächlich ergriffen werden. 3 7 Das geschieht ohne Förmlichkeit. Die Vereitelung der Inverwahrungnahme bzw. Unterbringung bei angeordneter Anstaltsverwahrung vor ihrem Beginn fällt nicht unter § 120 Abs. 4 . Das Bestehen des öffentlichen Gewahrsams ist indes nicht von der räumlichen Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt abhängig. Ein tatbestandserhebliches Befreien ist somit auch unmittelbar nach der polizeilichen Festnahme, durch die ein wirksamer staatlicher Gewahrsam begründet worden ist, möglich (vgl. KG J R 1 9 8 0 513). Bei Zwangsverbringung in eine Anstalt oder in ein psychiatrisches Krankenhaus zur Beobachtung aufgrund eines gerichtlichen Einweisungsbeschlusses nach § 81 StPO und eines durch die Polizei zu vollstreckenden Vorführungsbefehls dazu 3 8 wird die Befreiung aus dem (Polizei-)Gewahrsam während des Abtransportes von § 120 Abs. 1 erfasst. Eine Unterbrechung des staatlichen Gewahrsams tritt auch nicht etwa während der durch angeordneten Ortswechsel notwendigen Überführungsfahrten ein, z.B. bei Verlegung in eine andere Vollzugsanstalt, bei Überführung in ein (Vollzugs-)Krankenhaus infolge Erkrankung oder zur Beobachtung nach §§ 81, 81a StPO, bei Verbringung des in Auslieferungshaft befindlichen Verfolgten zum Flugplatz zwecks Durchführung der Auslieferung. Es handelt sich hierbei um Fälle des „mobilen" Gewahrsams (s.a. Rdn. 27). Zu den Fällen der Vollzugslockerung s. Rdn. 2 5 ff.

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b) Ende. Die Gefangenschaft bzw. Verwahrung endet mit dem tatsächlichen Gewahrsam, d.h. mit der faktischen Aufhebung des Gewahrsams, regelmäßig durch Entlassung aus der Haft, dem Maßregelvollzug oder sonstiger Anstaltsunterbringung in weitestem Sinne, z.B. nach Strafverbüßung oder Strafunterbrechung wegen Vollzugsunfähigkeit (§§ 45, 4 6 StVollstrO), bei bedingter Entlassung aus dem Straf- oder Maßregelvollzug, durch Entlassung nach Ablauf der zulässigen Unterbringungshöchstdauer (§ 67d), bei Aufhebung des Haftbefehls (§ 120 StPO) oder Unterbringungsbefehls (§ 126a Abs. 3 StPO), nach erreichtem Haftziel oder Ablauf der zulässigen Hafthöchstdauer (§§ 9 0 2 , 913 ZPO). Die Kriegsgefangenschaft endet durch Heimschaffung und bei vorheriger

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Vgl. Meyer-Goßner StPO Einl. Rdn. 105; s.a. Sch/Schröder/Lenckner Vorbem. § 32 Rdn. 86a.

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§ 115 StPO; § 909 ZPO; Μ. E. Mayer S. 22. OLG Hamm NJW 1966 685; Krause LR 2 5 § 81 Rdn. 35 ff.

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Gefangenenbefreiung

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gänzlicher Freilassung (RGSt 55 227, 228), auch auf Ehrenwort oder gegen Versprechen (III. Genf. Abk. Art. 21, 118). Wird der Kriegsgefangene nur teilweise freigelassen, erhält er z.B. gegen Ehrenwort die Erlaubnis, sich innerhalb eines bestimmten Ortes frei zu bewegen, so dauert seine Gefangenschaft an; denn er wird an diesem Ort effektiv festgehalten (vgl. dazu Frank § 120 Anm. II). Selbstverständlich endet jede Gefangenschaft bzw. Verwahrung durch eine gelungene Flucht oder bei sonstigem Gewahrsamsverlust,39 etwa infolge nachlässiger Aufsichtsführung, so dass der Gefangene oder behördlich Verwahrte sich beliebig entfernen kann (BGH 1 StR 680/59 v. 19.1.1960; RGSt 57 75). Bei Anstaltsgewahrsam endet die Gefangenschaft erst, wenn der flüchtige Gefangene die Anstaltsmauern hinter sich gelassen hat. In der Haftanstalt ist er niemals frei. 40 Dagegen genügt es, dass er sich der Gewalt des Aufsehers oder Begleiters nur vorübergehend entzieht (RMG 9 24; Horn/Wolters SK Rdn. 6). Das Gewahrsamsverhältnis besteht selbst dann nicht mehr, wenn er sofort verfolgt und alsbald wieder gefasst wird. Entsprechend tritt, erfolgt eine solche Entziehung aufgrund einer Gefangenenbefreiung, der tatbestandliche Erfolg ein. Für diesen ist die kurze oder längere Dauer erlangter Freiheit ebenso ohne Bedeutung (RGSt 26 54; 36 402, 403) wie eine freiwillige Rückkehr in die Gefangenschaft (Μ. E. Mayer S. 24). Bei Verlegung und - erforderlichenfalls überwachter Unterbringung von Straf- oder Untersuchungsgefangenen in einem Krankenhaus außerhalb des Vollzugs infolge Krankheit besteht die Gefangenschaft fort; nicht jedoch, wenn die Strafvollstreckung zwecks klinischer Behandlung unterbrochen worden ist (§ 65 StVollzG).41 c) Vollzugslockerungen. Die Vollzugsregelungen nach dem StVollzG unterscheiden im geschlossenen Vollzug ( § § 1 0 Abs. 2, 141 Abs. 2 StVollzG) den Vollzug innerhalb und als Lockerungen i.w.S. - außerhalb der Justizvollzugsanstalt.42 Außerhalb der Justizvollzugsanstalt sieht § 11 StVollzG die Lockerungen unter Aufsicht (Außenbeschäftigung, Ausführung) und ohne Aufsicht (Freigang, Ausgang) vor. Im offenen Vollzug (§§ 10 Abs. 1, 141 Abs. 2 StVollzG) kann es insgesamt an einer Beaufsichtigung fehlen (Calliess/Müller-Dietz StVollzG § 10 Rdn. 2). In der Frage, bei welchen Vollzugsgestaltungen der Inhaftierte noch Gefangener i.S.v. § 120 Abs. 1 ist, besteht Übereinstimmung lediglich dahin, dass im geschlossenen Vollzug innerhalb der Anstalt der Gefangenenstatus immer begründet ist (Rdn. 24). Für die übrigen Bereiche des Strafvollzugs hat sich eine differenzierte Meinungsvielfalt entwickelt: bejaht wird der Gefangenenstatus i.S.v. § 120 Abs. 1 nach der engsten Abgrenzung nur, wenn bei Außenbeschäftigung und Ausführung nach § 11 StVollzG eine besonders qualifizierte Aufsicht praktiziert wird (Kusch NStZ 1985 386 f; Sch/Schröder/Eser Rdn. 6), nach der auch hier vertretenen, schutzgut- und gewahrsamsbegrifflich orientierten Auslegung bei jeder Aufsicht nach § 11 StVollzG,43 nach der weitestgehenden Auffassung jedoch auch bei Vollzugslockerungen ohne Auf-

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RGSt 37 366; R M G 21 269, 270; III. Genf. Abk. Art. 91. Binding Lehrbuch II 2 § 2 3 4 V Α; Μ. E. Mayer S. 2 3 ; zweifelnd R M G 2 0 271, 273. Vgl. OLG Celle M D R 1968 782; Calliess/Müller-Dietz StVollzG § 65 Rdn. 3, 4; Meyer-Goßner StPO§ 461 Rdn. 1. Vgl. Calliess/Müller-Dietz StVollzG § 11

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Rdn. 2; Schwind/Böhm/}ehle StVollzG § 11 Rdn. 1. Horn/Wolters SK Rdn. 5; Joecks Rdn. 8; Kindhäuser LPK Rdn. 3; Mauracb/Schroeder/ Maiwald § 72 I Rdn. 6; Peglau NJW 2 0 0 3 3 2 5 7 ; Rengier BT 2 § 54 Rdn. 6; Zielinski AK Rdn. 17.

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sieht nach ξ 11 StVollzG (Freigang und Ausgang), bei Urlaub nach §§ 13, 35 Abs. 1 StVollzG und sogar bei offenem Vollzug.44 26

Entscheidendes Beurteilungskriterium für den strafrechtlichen Begriff des Gefangenen ist bei allen nach Abs. 1 in Betracht kommenden Formen staatlicher Freiheitsentziehung einschließlich des Strafvollzugsbereichs das Vorliegen eines tatsächlichen behördlichen Gewahrsams über den Inhaftierten. An diesem Merkmal, das hier weder strengeren noch geringeren Anforderungen unterliegt, sind die einzelnen Vollzugsgestaltungen zu messen.

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Über den geschlossenen Vollzug in der Anstalt hinaus (Rdn. 24) bleibt außerhalb der Anstalt der maßgebliche staatliche Gewahrsam und damit die Gefangenschaft aufrechterhalten, wenn eine - situationsbezogen zu beurteilende - Aufsicht i.S.v. § 11 StVollzG angeordnet und ausgeübt wird (Außenbeschäftigung, Ausführung). Eine besonders qualifizierte Form der Aufsicht, etwa im Sinne einer konkreten physischen Verhinderbarkeit des Entweichens (Kusch NStZ 1985 386 f; Sch/Schröder/Eser Rdn. 6) ist nicht erforderlich (vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald § 72 I Rdn. 6). Das Merkmal tatsächlichen amtlichen Gewahrsams zur Abgrenzung des strafrechtlichen Gefangenenbegriffs ist auch dann noch erfüllt, wenn das faktische staatliche Herrschaftsverhältnis über den Inhaftierten in einer gelockerten Form ausgeübt wird. Insoweit ist ein begriffsvergleichender Blick auf den ebenfalls bestimmte Lockerungen mitumfassenden Gewahrsamsbegriff nach § 242 nicht versagt (vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald aaO; s. aber Zielinski StV 1992 227, 229). Der behördliche Gewahrsam besteht selbst dann fort, wenn z.B. ein körperlich stärkerer (ruhiger) Gefangener durch einen körperlich schwächeren Vollzugsbeamten ausgeführt wird. 45 Insofern ist der Gewahrsam sozial-normativ zu bestimmen. Ein Abstellen auf die physische Verhinderbarkeit als Beurteilungsmaßstab würde im übrigen einen im Einzelfall häufig nicht durchführbaren Kräftevergleich zwischen Gefangenem und Bewacher erforderlich machen und hätte erhebliche praktische Abgrenzungsschwierigkeiten zur Folge; eine qualifizierte Form der Aufsicht müsste zudem für Dritte erkennbar sein (Problem der Vorsatzfeststellung). Tatbestands- und angriffsrelevanter Bezugspunkt sind andererseits nur die - die Gefangenen- bzw. Verwahrteneigenschaft nach Abs. 1 und 4 noch nicht tangierenden - Gewahrsamslockeiungen bei Vollzug unter Aufsicht i.S.v. § 11 StVollzG, nicht dagegen der weitergehende Bereich der Vollzugslockerungen ohne fortbestehenden Gewahrsam (Gewahrsamsaufhebung). Von einem zwar gelockerten, aber fortbestehenden Gewahrsam ist noch auszugehen, wenn der mit der Bewachung von Gefangenen während der Außenarbeit betraute Aufseher sich für kurze Zeit von der Arbeitsstelle dergestalt entfernt, dass er auf die Bewegungen der Gefangenen nicht einwirken und sie auch vorübergehend nicht wahrnehmen kann, der Gefangene sich aber nach tatsächlicher Gestaltung noch in der Gewalt des Aufsehers befindet (RGSt 26 334 f; 36 402, 403); ferner, wenn der Gefangene einem besonders verpflichteten Privatunternehmer zur Beschäftigung zugewiesen ist, welcher sich nur in Abständen von der Anwesenheit des Gefangenen überzeugt (BGH 1 StR 680/59, 19.1.1960); auch bei nur eingeschränkt kontrolliertem Aufenthalt auf dem Anstaltsgelände einer psychiatrischen Krankenanstalt (vgl. BGHSt 37 388, 391 f mit weitergehender Gesamtbetrachtung, aber hier übereinstimmendem Ergebnis, weil jedenfalls zum Zeitpunkt der Ent-

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Bosch MK Rdn. 14; Grünenbaum S. 138; Ostendorf NK Rdn. 6; ders. NStZ 2 0 0 7 313; Otto BT § 9 2 Rdn. 3; Rössner J Z 1984 1067 f; Schaffstein FS Lackner, S. 795; Laubenthal JuS 1989 827, 830; ders. FS Otto, S. 664; Neubacher JuS 2 0 0 5 1101, 1105;

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Fischer Rdn. 4; auch Lackner/Kühl Rdn. 3, der allerdings insoweit ein tatbestandserhebliches Befreien nach Abs. 1 verneint, Rdn. 7 a.E.; offengelassen von BGHSt 37 388, 392. AA Kusch NStZ 1985 386.

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Gefangenenbefreiung

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lassung die Aufsicht bestand). Die Gefangenschaft (Abs. 1) endet mit dem Wegfall der Aufsicht (Rdn. 2 4 ) . 4 6 Der maßgebliche staatliche Gewahrsam besteht nicht mehr, wenn keine Aufsicht i.S.v. § 11 StVollzG ausgeübt wird, d.h. bei Freigang, Ausgang (§ 11 StVollzG), Urlaub (§§ 13, 35 Abs. 1 StVollzG) und i.d.R. bei offenem Vollzug. Das für den strafrechtlichen Begriff der Gefangenschaft nach Abs. 1 maßgebliche Abgrenzungskriterium der tatsächlichen behördlichen Verwahrungsgewalt gilt auch für diese Vollzugsgestaltungen. Dass im Sinne des Strafvollstreckungs- und -vollzugsrechts insoweit Strafhaft „vollstreckt" wird, lässt das straftatbestandliche Abgrenzungskriterium unberührt und erfüllt den strafrechtlichen Gewahrsamsbegriff in den Fällen des Vollzugs ohne Aufsicht nicht. Eine rein vollzugsrechtliche Betrachtung des strafrechtlichen Gefangenenbegriffs 47 wird dem Schutzgut und der Strafwürdigkeit des Täterverhaltens nach § 120 Abs. 1 nicht gerecht.

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Bei Vollzugsformen ohne Aufsicht kann von einem gelockerten staatlichen Gewahrsam, der gebrochen werden könnte, nicht mehr gesprochen werden. Die Behauptung kriminalpolitisch wünschenswerter Straferstreckung (Bosch M K Rdn. 14; Rössner J Z 1984 1067) auf zeitgemäße Formen des offenen Vollzugs kann die durch Art. 103 Abs. 2 G G gesperrte Wortlautgrenze nicht aufheben (so auch Kindhäuser LPK Rdn. 3). Wer schon frei ist, kann nicht befreit werden. Die tatbestandlich vorausgesetzte Befreiung eines Gefangenen ist folglich nicht bei jenem möglich, der sich ohne jegliche Bindung zum staatlichen Vollzug bewegen kann (so auch Lackner/Kühl Rdn. 7; vgl. Feller S. 129). So kann auch nicht der geflohene Gefangene befreit werden, obgleich er noch nicht aus der Strafhaft entlassen ist. Das wird auch nicht von Bosch in Abrede gestellt, 48 wäre aber die Konsequenz einer Ansicht, die die Gefangenschaft bis zur Entlassung aus dem Vollzug behauptet. 49 Für den Bereich des Absatzes 4 streitet der Wortlaut ebenfalls gegen die weitestgehende Lehrmeinung. Ein Untergebrachter, der außerhalb der Anstalt unbegleitet beschäftigt ist, ist währenddessen schon begrifflich nicht „verwahrt". 5 0

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Die Vorschrift des § 120 wendet sich ausschließlich gegen die widerrechtliche Aufhebung staatlichen Zwangsgewahrsams, der den Gefangenen körperliche Bewegungsfreiheit nimmt. Der Betroffene ist jedoch im offenen Vollzug und beim Freigang gerade nicht in vorstehendem Sinne entscheidend in seiner Freiheit beschränkt bzw. seiner Freiheit beraubt. Beim Freigang mangelt es generell ebenso wie beim erlaubten Ausgang ohne Aufsicht an dem tatsächlichen Gewahrsam, den die Vollzugsanstalt zwecks Erleichterung der sozialen Eingliederung des Betroffenen (§ 2 Abs. 1, § 3 StVollzG) bei dessen mutmaßlicher Eignung bewusst aufgibt. Damit entfällt der tatbestandsspezifische Angriffsgegenstand; die Bestimmung des § 120 ist deshalb nicht anwendbar. Daran vermag nicht zu ändern, dass die strafrechtliche Sanktionierung einer Einflussnahme Dritter auf den Freigänger im Sinne einer Vollzugsentziehung - § 2 5 8 dürfte allenfalls bei zusätzlichen weiteren Aktivitäten des Dritten in Betracht kommen - kriminalpolitisch wünschenswert erscheinen könnte. Dass die Zulässigkeit eines modernen offenen Vollzugs eine strafbewehrte Absicherung voraussetzt, kann indes nicht überzeugen.

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Die für die abweichende, rein vollzugsrechtliche Sicht des strafrechtlichen Gefangenenbegriffs angeführten Gründe sind nicht stichhaltig. Das Bemühen um eine einheitliche

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Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald § 72 I Rdn. 6 f, II Rdn. 11; Zielinski AK Rdn. 17; auch Horn/Wolters SK Rdn. 5. Rössner J Z 1984 1065 ff; Schaffstein FS Lackner, S. 795; Schivind/Böhtn/Jehle StVollzG § 11 Rdn. 14; Laubenthal JuS 1989

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827, 830; Fischer Rdn. 4; Uckner/Kühl Rdn. 3, 7; krit. Zielinski StV 1992 228. Bosch MK Rdn. 13. Bosch MK Rdn. 14 m.w.N. Dies wird in BGHSt 9 2 6 2 übergangen.

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Bestimmung der Gefangenschaft nach dem StVollzG und § 120 Abs. 1 StGB führt zu einer vom Schutzzweck der Strafnorm nicht veranlassten Ausweitung des strafrechtlichen Gefangenenstatus, und zwar nur für die Fälle der Vollzugslockerung (vgl. Lackner/Kühl Rdn. 3). Die dahingehende Auffassung begibt sich damit des einheitlichen, für alle Gestaltungen behördlicher Freiheitsentziehung nach Abs. 1 und 4 gleichermaßen geltenden Kriteriums. Im Übrigen macht die aus der strafvollzugsrechtlichen Fassung begründete Ausweitung des strafrechtlichen Begriffs der Gefangenschaft eine bei dem Merkmal des Befreiens ansetzende, begrenzende Korrektur erforderlich, die im Ergebnis zu der hier vertretenen Auffassung mangelnder Tatbestandserheblichkeit führt (vgl. Lackner/ Kühl Rdn. 7 a.E.). Die Befürchtung, ein strafrechtlich enger abgegrenzter Begriff der Gefangenschaft könnte bei der Gewährung von Vollzugslockerungen zu einer möglichen Strafbarkeit des Anstaltsleiters und damit zu einer Kriminalisierung von Vollzugsangelegenheiten führen (Rössner J Z 1984 1066), ist unbegründet. Eine durch den Anstaltsleiter rechtsförmlich einwandfrei angeordnete Vollzugslockerung im Rahmen einer einschlägigen Rechtsnorm des StVollzG erfüllt bereits nicht die tatbestandliche Handlungsform des Befreiens (Rdn. 34; zur Rechtfertigung bei Annahme von Tatbestandserheblichkeit vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald § 72 I Rdn. 6, II Rdn. 16). Im Übrigen hat das Bestreben, über einen strafvollzugsrechtlich gesehenen weiten Gefangenenbegriff die Anordnung von Vollzugslockerungen ohne Aufsicht aus dem tatbestandlichen Erfassungsbereich des § 120 auszugrenzen, weil der Gefangene dann nicht in den Status eines Befreiten überführt werde, Auswirkungen zu Lasten Außenstehender. Diese Dritten werden - über einen als rechtsgutorientiert strafwürdig anzuerkennenden Bereich hinaus - als potentielle Täter einer tatbestandserheblichen Befreiungs-, Verleitungs- oder Förderungshandlung nach Abs. 1 bei Freigang, Ausgang, Urlaub und offenem Vollzug erfasst; so etwa die Überredung zur Nichtrückkehr nach einem Urlaub als Verleitung zur Selbstbefreiung (Rössner J Z 1984 1068). 32

d) Freiheitsbewusstsein. Die Beendigung der Gefangenschaft setzt nicht voraus, dass sich der Gefangene seiner Freiheit bewusst wird. Maßgebend ist allein, dass er dem staatlichen Gewahrsam entzogen, z.B. für die Aufsichtsperson nicht mehr greifbar ist. Die Frage der Bewusstheit wird sich ohnehin nur in seltenen Fällen stellen. Die bloße Möglichkeit der Befreiung, z.B. die offene Zellentür, hebt die Gefangenschaft oder Verwahrung noch nicht auf.

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5. Tathandlungen. Tathandlungen sind das Befreien des Gefangenen oder Verwahrten, das Verleiten zum sowie das Fördern des Entweichens. Die erste Begehungsform ist ihrer Natur nach täterschaftlich (vgl. Rudolphi FS Kleinknecht, S. 379, 391 f). Die beiden letzteren Begehungsformen sind zu selbständigen Tatbeständen erhobene Teilnahmeformen an der straflosen Selbstbefreiung des Gefangenen. Sie erfassen nur die unmittelbare Teilnahme an der Selbstbefreiung (s. Rdn. 46; Maurach/Schroeder/Maiwald § 72 II Rdn. 11). An diesen verselbständigten Teilnahmetatbeständen ist wiederum Teilnahme nach den allgemeinen Regeln möglich (vgl. Rdn. 61; Sommer JR 1981 490, 494 f). Die Anwendungsbereiche der einzelnen Merkmale gehen tatsächlich häufig ineinander über, die Grenzen sind fließend. Das gilt einmal hinsichtlich der schwierigen Abgrenzung zwischen Verleiten (Anstiftung) und Fördern durch psychische Beihilfe, zum anderen aber auch zwischen Befreien und Fördern. So wird das Nichtverschließen der Zelle, das es dem Gefangenen ermöglicht zu entweichen, als Beihilfe zur Selbstbefreiung (RGSt 15 345, 346), das Öffnen der Anstaltstür, auf dass der Gefangene entweiche, als Befreiung (RGSt 3 140; 5 324, 325) gewertet. In beiden Fällen wird der Täter mitursächlich für das Freiwerden des Gefangenen; das Freiwerden erfordert jeweils aber auch die Mitwirkung

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des Gefangenen selbst, sein Entweichen. Als mögliches inhaltliches Kriterium wird für Grenzfälle darauf abgestellt, von wem die Initiative zu dem Geschehen ausgeht (bei Täter-, d.h. Drittinitiative, Befreiung, andernfalls Fördern; vgl. Siegert J Z 1973 308 f). Da die Begehungsformen des Abs. 1 in ihrem Unwertgehalt gleichgestellt sind, ist die Unterscheidung in solchen Grenzfällen praktisch von nachgeordneter Bedeutung. Befreien und Fördern des Entweichens können auch durch pflichtwidriges Unterlassen von Garanten begangen werden (Rdn. 35). a) Befreien. Befreien ist dem Begriff nach jede tatsächliche Aufhebung der Gefangenschaft oder Verwahrung, der Bruch staatlichen Gewahrsams trotz bestehenden Haftrechts. Sie ist nicht beschränkt auf den Haftbruch gegen oder ohne den Willen des Gewahrsamshalters (Lackner/Kühl Rdn. 6; Siegert J Z 1973 108). Das wird insbesondere in Abs. 2 deutlich. Es ist also unerheblich, ob das Entweichen des Gefangenen gegen oder ohne Willen des Anstalts- oder Bewachungspersonals oder mit dessen Zutun erfolgt. Täter der Gefangenenbefreiung nach § 120 n.F. können Außenstehende, aufsichtsführende Amtsträger, also auch der Anstaltsleiter (Fischer Rdn. 5), oder auch mit der Begleitung oder Beaufsichtigung des Gefangenen betraute Privatpersonen sein. Für das Merkmal der Befreiung ist es daher ohne Belang, ob Gewahrsamshalter ein Amtsträger oder eine beauftragte Privatperson, etwa der Werkmeister, dem Gefangene zur Arbeit zugewiesen sind, oder der mit der Bewachung im Krankenhaus betraute Krankenpfleger (RGSt 19 330, 331 f) ist. Eine Befreiung kann ohne Zutun des Gefangenen, sogar gegen seinen Willen (etwa durch gewaltsame Entführung) erfolgen. Sie kann in einem täterschaftlichen Alleinhandeln des Aufsichtsführenden liegen, der den Gefangenen ohne dessen oder eines Anderen Zutun in Freiheit setzt. Unerheblich ist, ob der - etwa infolge bewussten Unbewachtlassens seitens der Aufsichtsperson - freigewordene Gefangene von seiner Befreiung Kenntnis erlangt, flieht oder fliehen will (Ostendorf NK Rdn. 12). Entscheidend ist der tatsächliche Verlust staatlichen Gewahrsams.

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aa) Mittel. Unerheblich ist, was für ein Mittel zur Befreiung angewandt wird, Zwang, Drohung, List, Täuschung (RGSt 34 8, 9 f) bzw. irgendeine Art, den Willen des Gewahrsamshalters zu brechen oder zu umgehen. Genügend ist etwa das Weglocken einer Aufsichtsperson während der Außenbeschäftigung (vgl. RGSt 34 8, 9 f). In Frage kommen ferner Einwirkungen auf gegenständliche Sicherheitsvorkehrungen der Anstalt (Sch/Schröder/Eser Rdn. 8). Der Haftbruch kann auch in einem pflichtwidrigen Unterlassen gebotener Maßnahmen liegen. So entspricht das pflichtwidrige Nichteinschreiten eines Aufsichtspflichtigen in seinem Unrechtsgehalt einer aktiven Befreiungshandlung.

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Die rechtsförmlich einwandfreie Haftentlassung ist schon tatbestandlich kein Befreien i.S.d. § 120 (vgl. Rdn. 50). Gleiches gilt für rechtsförmliche, von den zuständigen Gerichten angeordnete Entlassungen aus der Anstaltsverwahrung nach Abs. 4, selbst wenn sie dem materiellen Recht widersprechen (BGHSt 37 388, 392).

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Untaugliches Befreiungsmittel ist aber auch die willkürlich rechtswidrige Aufhebung des Haftbefehls durch den Richter, selbst wenn sich die Entscheidung als Rechtsbeugung darstellt. 51 Vor einer solchen Handlung wahrt hinreichend die spezielle Regelung des § 339. Hier kommt es nur darauf an, dass der Richter für die getroffene Entscheidung das zuständige Organ war, eine rechtsförmige, aber dem materiellen Recht nicht entspre-

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51

Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 5 3 4 ; Horn/Wolters SK Rdn. 8; Zielinski AK Rdn. 2 9 ; vgl. BGHSt 10 2 9 4 ff; aA Bosch MK Rdn. 19;

Lackner/Kühl § 3 3 9 Rdn. 11; Eser Rdn. 19a.

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§ 120

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

chende Haftentlassung ist kein Befreien; der Gefangene wird nicht widerrechtlich befreit, sondern von Rechts wegen entlassen (BGHSt 37 388, 394; Fischer Rdn. 5). Eine andere Sichtweise wäre inkonsistent. Denn wenn das Rechtsgut in der behördlich begründeten formal legitimierten Verwahrungsgewalt zu sehen ist (Rdn. 8) und es lediglich auf das formal ordnungsgemäße Zustandekommen des Gewahrsams ankommt (Rdn. 22), können umgekehrt bei der Auflösung dieses Verhältnises nun nicht materiell-rechtliche Maßstäbe gelten (vgl. auch Horn/Wolters SK Rdn. 8). Mit seiner Entscheidung lehnt sich der Richter nicht gegen den bestehenden Gewahrsam der Staatsgewalt auf, sondern entzieht ihm - rechtsförmlich einwandfrei - die gesetzliche Grundlage. Das Haftrecht des Staates, das durch rechtsförmliche Gefangensetzung entstanden ist, wird durch die legitimierte Stelle förmlich aufgegeben. Eine solche Art missbräuchlicher Ausnutzung der Staatsgewalt ist nicht nach § 120, sondern ggf. nach $ 339 - möglicherweise in Tateinheit mit § 258a (vgl. BGHSt 10 294) zu beurteilen. Entsprechendes (§ 258a) hätte für eine etwaige willkürliche Anordnung des Staatsanwalts zu gelten, den Untersuchungshäftling gemäß § 120 Abs. 3 StPO freizulassen. Daher ist die zwar rechtswidrige, aber wirksame richterliche Aufhebung des Haftbefehls (§ 120 Abs. 1 S. 2 StPO), etwa als Folge eines auf einer nach § 35 entschuldigten Rechtsbeugung beruhenden - freisprechenden Urteils, keine Befreiung, so dass eine Tatbestandsverwirklichung nach § 120 Abs. 1 in mittelbarer Täterschaft durch den nötigenden Hintermann ausscheidet (Rdn. 56; aA Weber Jura 1984 367, 380). 38

Ein tatbestandserhebliches Befreien kann indes bei formell ordnungsgemäß gerichtlich angeordneter Verwahrung - z.B. nach dem PsychKG NW (§§ 10 f) - auch in Form einer Entlassungsanordnung und Entlassung aus der psychiatrischen Anstalt durch den insoweit nicht anordnungsbefugten Anstaltsleiter erfolgen. Entscheidungen über die Dauer und Aufhebung einer solchen Unterbringung liegen in der alleinigen Kompetenz des Gerichts. Der Anstaltsleiter hat hier - ähnlich wie bei der gerichtlichen Aufhebung des Haftbefehls (s.a. Rdn. 50) - lediglich nach gerichtlicher Aufhebung der Unterbringung oder nach Ablauf der gerichtlich festgesetzten Unterbringungsdauer (§§ 15 PsychKG NW) die Entlassung tatsächlich zu vollziehen (BGHSt 37 338, 393). Eigenverantwortliche Entscheidungs- und Anordnungsbefugnisse stehen ihm nicht zu; er hat insoweit auch aus vollstreckungs- und vollzugsrechtlicher Sicht keine eigene rechtliche Verfügungsmacht.52 Zu möglicher weitergehender Haftung des Anstaltsleiters für voraussehbare Folgen einer solchen unbefugten Entlassungsanordnung - Begehung von Gewaltdelikten durch den Entlassenen nach Entlassung - wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung auf Grund rechtswidrigen gefahrbringenden Vorverhaltens gibt der dem BGH NJW 1991 2977 zugrundeliegende Fall ein anschauliches Beispiel (vgl. auch LG Göttingen NStZ 1985 410; Schatz NStZ 2003 581 ff).

39

bb) Vollzugslockerung. Kein tatbestandliches Befreien ist die förmliche vollzugsbehördliche Anordnung einer im Strafvollzugsgesetz vorgesehenen Vollzugslockerung wie Urlaub, Ausgang durch den sachlich und örtlich zuständigen Vollzugsleiter (§ 156 StVollzG) aufgrund bzw. im Rahmen einer entsprechenden Rechtsnorm (Fischer Rdn. 5). Insoweit handelt es sich um eine rechtsförmlich einwandfreie, wirksame Beurlaubung durch die legitimierte Stelle, um eine (zeitlich begrenzte) Aufhebung des staatlichen Gewahrsams von Rechts wegen, auch bei einer sachlich-rechtlichen Fehlbeurteilung (BGHSt 37 388, 392), selbst dann, wenn der Anordnende eine evtl. Nichtrückkehr des

52

AA Begemann

N S t Z 1 9 9 2 2 7 6 , 2 7 7 ; Zielinski StV 1 9 9 2 2 2 7 , 2 2 9 f, die die mangelnde

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rechtliche Entlassungskompetenz verkennen; ähnlich auch Bosch M K Rdn. 19.

Henning Rosenau

Gefangenenbefreiung

Beurlaubten für möglich hält und sich damit abfindet. 53 Bei derart pflichtwidriger bzw. missbräuchlicher Ausübung der Anordnungsbefugnisse kommen indes bei elementaren und bewussten Verstößen gegen Gesetz und Recht eine Strafbarkeit nach § 339, sonst lediglich disziplinarrechtliche Folgen in Betracht. Dagegen stellt sich eine aufgrund eigener Entschließung eines Vollzugsleiters erfolgende (endgültige) Entlassung des Gefangenen bzw. die von einem Befreiungswillen getragene Freilassung durch ihn oder andere Vollzugsbedienstete mangels einer gesetzlich begründeten Anordnungsbefugnis und Verfügungszuständigkeit als Bruch staatlichen Gewahrsams und damit als Befreien nach Absatz 1 dar (wobei zugleich ein tateinheitlicher Verstoß gegen §§ 258, 258a in Betracht kommt). 54 Tatbestandserhebliches Befreien nach Abs. 1 ist auch bei einer mittels Nötigung, Geiselnahme etc. erzwungenen faktischen Freisetzung durch Vollzugsleiter bzw. Vollzugsbedienstete zu bejahen, wobei die besondere Notlage über die Rechtfertigungsoder Schuldausschließungsebene zur Straflosigkeit führt (s.a. Rdn. 56, dort auch zur mittelbaren Täterschaft). b) Verleiten. Der Begriff des Verleitens wird vom Strafgesetz mehrdeutig verwendet. So ist das Verleiten in § 160 als das Bestimmen eines anderen zu unvorsätzlicher Tat zu verstehen. Erfasst werden dort Fälle der Falschbekundung in mittelbarer Täterschaft (vgl. Lackner/Kühl § 160 Rdn. 2; Sch/Schröder/Lenckner § 160 Rdn. 1). Im Rahmen des § 120 hat das Merkmal jedoch einen anderen Bedeutungsgehalt. Mit dem Begriff des Verleitens wurde bei Konzipierung der Vorschrift an den Sprachgebrauch des sachlich ähnlichen § 86 bzw. § 76 a.F. JWG - inzwischen aufgehoben (Art. 22 Nr. 1 KJHG) und durch das KJHG abgelöst - angeknüpft (vgl. Niederschriften XIII Anhang S. 600). Dort war mit Verleiten zur Selbstentziehung der Sache nach Anstiftung im Sinne des § 26 gemeint. Dieselbe Bedeutung hat das Verleiten auch in Abs. 1 des § 120. 5 5 Mit der tatbestandlich verselbständigten Anstiftung ist eine frühere Gesetzeslücke geschlossen. Verleiten ist also das vorsätzliche Bestimmen eines Gefangenen zur Selbstbefreiung, das Hervorrufen des Entschlusses zum Entweichen. Die Einwirkung des Verleitenden muss ursächlich sein. War der Gefangene zum Entweichen bereits fest entschlossen (omnimodo facturus), kommt nur Strafbarkeit wegen Versuchs des Verleitens (Abs. 3) in Frage (s. Rdn. 66 ff). Als Mittel der Einwirkung auf den Gefangenen sind u.a. Überredung wie auch Drohung (vgl. Fischer Rdn. 6) in Betracht zu ziehen, nicht aber Gewalt oder Täuschung. Ein Haftbruch gegen den Willen des Gefangenen, etwa durch gewaltsame Entführung, ist täterschaftliches Befreien im Sinne des Abs. 1 1. Var. (vgl. Rdn. 34). Der Fall der Täuschung stellt sich als mittelbare Täterschaft dar und unterfällt ebenfalls der ersten Begehungsform.56 Mit dem Verleiten soll nur die - wegen tatbestandsloser Haupttat sonst nicht strafbare - Anstiftung des Gefangenen oder des Verwahrten erfasst werden. Wer aus eigenem Antrieb durch Bitten, Überredung oder Bestechung auf den Gewahrsamshalter bzw. Aufsichtspflichtigen einwirkt und diesen zu einem Entweichenlassen des Gefangenen - etwa bei einer Außenbeschäftigung - veranlasst, ist daher lediglich wegen Anstiftung (§ 26) zur Gefangenenbefreiung (Absatz 1 bzw. je nach Stellung des Aufsichtspflichtigen Absatz 2), gegebenenfalls über § 28 Abs. 2 aus § 120 Abs. 1, zu bestrafen (vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 12).

53

54

55

Vgl. Horn/Wolters SK Rdn. 8; Kusch NStZ 1985 385, 388; Zielinski AK Rdn. 23. AA Begemann NStZ 1992 276, 2 7 7 ; Zielinski StV 1992 227, 229. EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 2 2 0 ; Prot.

56

7/209; Ε 1962 Begr. zu § 4 2 5 S. 611; vgl. zu dem Begriff auch BGHSt 4 305. Vgl. Μ. E. Mayer S. 2 7 Fn. 2; Siegert J Z 1973 309.

Henning Rosenau

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§120

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

c) Fördern des Entweichens 41

aa) Allgemeines. Die dritte Begehungsform der Förderung des Entweichens stellt sich als tatbestandlich verselbständigte Beihilfe zur straflosen Selbstbefreiung dar. Das Entweichen des Gefangenen oder Verwahrten fördert, wer dessen Vorhaben ermöglicht oder in irgendeiner Weise erleichtert. 57 An sich sagt § 120 über die Art der Hilfeleistung nichts Näheres aus. Da sie trotz der gesetzestechnischen Ausgestaltung zur Haupttat eine Beihilfehandlung ist, kann sie indes dem Inhalt nach unbedenklich gemäß den zu § 27 geltenden Grundsätzen bestimmt werden. 58 Sie umfasst daher jeden Beistand durch Rat und Tat, kann aber auch durch pflichtwidriges Unterlassen eines Aufsichtspflichtigen gewährt werden (vgl. Sturm J Z 1975 8). Nur muss der Beistand der Selbstbefreiung des Gefangenen dienlich gewesen sein, also in ursächlichem Zusammenhang mit ihr stehen. Ausreichend ist die dem Gefangenen oder Verwahrten vorher zugesagte persönliche Begünstigung i.S.d. § 258, weil sie ihn in seinem Entschluss zu fliehen bestärkt (BGH 5 StR 306/65 v. 7.9.1965); desgleichen das Einschmuggeln eines Sägeblattes, auch wenn der Gefangene, mit besserem Ausbruchswerkzeug ausgerüstet, von jenem nur im Notfall Gebrauch machen will. Dagegen wird der Tatbestand nur bis zum - strafbaren (Abs. 3) Versuch verwirklicht, wenn der Gefangene das Sägeblatt als untauglich wegwirft oder wenn es, vorher entdeckt, ihn gar nicht erreicht, etwa weil das Zuschmuggeln verhindert wird (BGHSt 9 62) oder die Sendung mit Ausbruchswerkzeugen von der Anstaltsleitung abgefangen wird (BGH 5 StR 72/61 v. 2.5.1961).

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Nicht als Fördern zum Entweichen eines Gefangenen sind Anordnungen von Richtern einzustufen, vorgeführten, gefangenen Zeugen in der Hauptverhandlung zuvor angeordnete Fesselungen u.a. abzunehmen (verfehlt Nagel NStZ 2001 234). Auch wenn die Sicherungsmaßnamen durch dritte Haftrichter oder Justizvollzugsanstalten angeordnet worden waren, steht dem Vorsitzenden aufgrund der sitzungspolizeilichen Befugnisse des § 176 GVG die formelle Befugnis zu, entsprechende Anordnungen auch gegen den Willen der Anstaltsleitung durchzusetzen. Hier hat die Zeugenpflicht und die ordnungsgemäße Durchführung einer Hauptverhandlung, für deren Einhaltung der Richter der Hauptverhandlung Sorge trägt, angesichts des Gewichtes einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege Vorrang vor anderen staatlichen Interessen, insbesondere wenn berücksichtigt wird, dass Sicherungsmaßnahmen nicht stets Ausdruck einer Abwägung mit Gefährdungsmomenten darstellen, sondern auch auf rechtspolitischen Vorgaben beruhen und je nach Couleur der zuständigen Justizminister von einem auf den anderen Tag wechseln können. Eine behauptete Strafbarkeit des Richters scheitert zudem an der Sperrwirkung des § 339 wie am fehlenden Gehilfenvorsatz.

43

Tatbestandliche Vollendung liegt mit der Aufhebung der Gefangenschaft oder Verwahrung vor, d.h. wenn der Gefangene sich dem staatlichen Gewahrsam entzogen hat. Eine dem Gefangenen nach geglückter Flucht oder nach Beendigung der Befreiung, gewährte Unterstützung - die Verhinderung der Wiederergreifung - fällt von vornherein nicht unter den § 1 2 0 ; 5 9 insoweit ist § 258 einschlägig.

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bb) Teilnahme. Die Teilnahme an den Tathandlungen des Absatzes 1 richtet sich nach den allgemeinen Regeln (Begr. zu § 425 Ε 1962 S. 611, dem die Neufassung des Abs. 1 wörtlich entspricht). Das dürfte auch für mittelbare Unterstützungshandlungen 57

58

Zum Begriff des Förderns vgl. auch § 19 Abs. 1 Nr. 2, § 2 0 Abs. 2 Nr. 2 KWKG; Holthausen N J W 1991 203. H.M.; RGSt 2 5 65, 6 7 ; zur begrifflichen

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59

Kongruenz von Beihilfe und Fördern vgl. BGH NStZ 1985 318. Vgl. zur a.F. RGSt 25 65, 66.

Henning Rosenau

Gefangenenbefreiung

§ 120

gelten, wenn z.B. dem Mittelsmann des Gefangenen das Ausbruchswerkzeug beschafft wird (Sch/Schröder/Eser Rdn. 11/12, s. sogleich Rdn. 46). Die Beihilfe Außenstehender zur Fremd- bzw. Drittbefreiung (Abs. 1 1. Var.) wird wie bisher - nicht von der täterschaftlichen Begehungsform des Förderns i.S.d. Abs. 1 3. Alt. erfasst, sondern ist lediglich unselbständige, haupttatabhängige Teilnahme. Demgegenüber wurde zum früheren Recht vereinzelt die Auffassung vertreten, dass Beihilfe zur Fremdbefreiung als mittelbare Unterstützung der Hilfe zur Selbstbefreiung gleichgestellt werden könne. 60 Die Frage ist für die Strafbarkeit des Versuchs bedeutsam. Die Beihilfe Außenstehender zur Drittbefreiung wird richtigerweise nicht unmittelbar aus § 120, sondern nach §§ 120, 27 bestraft.

45

cc) Mittelbare Förderungshandlungen. Bei mittelbaren Förderungshandlungen zur schlichten Selbstbefreiung im eigentlichen Sinne - so wenn ein Außenstehender an den Gewährsmann des Gefangenen Eisensägeblätter aushändigt, die dieser in die Anstalt einschmuggelt und mit deren Hilfe dem Gefangenen die Flucht gelingt - ist Folgendes zu erwägen: An sich ist zwar die Förderung beim Entweichen sachlich eine Beihilfehandlung. Nach den allgemeinen Grundsätzen über das Zusammentreffen mehrerer Beteiligungsformen ist Beihilfe zur Beihilfe als Beihilfe zur Haupttat anzusehen (vgl. Hoyer SK vor § 26 Rdn. 30; Sch/Schröder/Cramer/Heine § 27 Rdn. 18). Die mittelbare Beihilfe wird danach regelmäßig nicht unterschiedlich bewertet (vgl. RGSt 23 300; Jescheck/Weigend AT S. 697). Es fragt sich jedoch, ob eine sinngemäße Übertragung der zur Kettenbeihilfe entwickelten Grundsätze auf die Begehungsform des Förderns beim Entweichen möglich wäre: kann die Beihilfe zum Fördern selbst Fördern sein? Diese Sichtweise hätte folgende Auswirkungen: Alle nur mittelbaren Beihilfehandlungen würden in gleicher Weise als täterschaftlich verselbständigtes Fördern im Sinne des § 120 Abs. 1 - unter (insoweit keineswegs sachbedingtem) Ausschluss der der Beihilfe eigenen, obligatorischen Strafmilderung (§ 27 Abs. 2) - erfasst, eine regelwidrige Folge, die auch angesichts der fließenden Grenzen zwischen den Begehungsformen des Befreiens und Förderns zu sachwidrigen Differenzierungen führen müsste. Ferner ergäbe sich daraus abweichend von der grundsätzlichen Straflosigkeit versuchter Beihilfe eine uneingeschränkte Pönalisierung derartiger versuchter mittelbarer Beihilfehandlungen und damit eine wohl unvertretbare Ausweitung der Versuchsstrafbarkeit (vgl. Absatz 3). Sprechen schon diese Folgerungen gegen eine Übertragbarkeit der Grundsätze zur Kettenbeihilfe, so ist auch dem Gesetzeswortlaut („ihn dabei fördert") in Verbindung mit der gleichläufigen Regelung beim Verleiten (vgl. Rdn. 40) zu entnehmen, dass als tatbestandlich verselbständigtes und in diesem Sinne täterschaftliches Fördern nicht auch mittelbare Unterstützung im Wege bloßen Hilfeleistens zu Befreiungs- oder Förderungshandlungen Dritter einbezogen werden soll. Von der tatbestandlichen Begehungsform des Förderns der Selbstbefreiung (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 220) wird vielmehr nur solche Hilfestellung erfasst, die dem Gefangenen entweder unmittelbar oder auf dessen Veranlassung geleistet wird. 61 Dafür spricht auch die Gleichstellung im Unwert mit dem täterschaftlichen Befreien. Für mittelbare Unterstützungshandlungen (Beihilfe zur Drittbefreiung und zu tatbestandlichen Förderungshandlungen Dritter) gelten somit die allgemeinen Regeln (obligatorische Strafmilderung nach § 27 Abs. 2; Straflosigkeit versuchter Beihilfe). Zur Auswirkung bei Garanten vgl. Rdn. 32.

46

60

61

Vgl. Binding Lehrbuch II 2 § 2 3 5 II 3b; dagegen zutreffend schon Μ. E. Mayer S. 28. Vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 12;

Tenckhoff/Arlotb JuS 1985 129, 134; Maurach/Schroeder/Maiwald § 72 II Rdn. 11.

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§ 120

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

ΙΠ. Gefangenenbefreiung im Amt (Absatz 2 ) 47

1. Allgemeines. Die tatbestandliche Qualifikation erfasst Personen, die als Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2) oder als für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete (§ 11 Abs. 1 Nr. 4) gehalten sind, das Entweichen des Gefangenen zu verhindern. Zum Begriff der Amtsträger und der für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten vgl. Erl. zu § 11. Gemäß § 48 Abs. 1, 2 WStG sind den Amtsträgern im Rahmen des § 120 Abs. 2 Soldaten gleichgestellt (vgl. Schök/Lingens WStG § 48 Rdn. 2 f, 8). Die Qualifikationstat des Abs. 2 hat Vergehenscharakter (§ 12 Abs. 2). Die Tathandlung ergibt sich aus Abs. 1. Bei Tatbegehung durch Unterlassen eines pflichtgemäßen Einschreitens gilt ebenso wie beim aktiven Befreien oder Fördern des Entweichens in gleicher Weise der Strafrahmen des Abs. 2 mit der Milderungsmöglichkeit nach $ 13 Abs. 2. 6 2 Insoweit ist nicht auf die Strafdrohung des Abs. 1 zurückzugreifen (vgl. Rdn. 53). 6 3 Zu Teilnahmefragen Rdn. 62.

48

2. Pflichtenstellung. Die in Frage kommenden Personen (Amtsträger, förmlich Verpflichtete) müssen zur Verhinderung des Entweichens gehalten sein. Diese in Abs. 2 vorausgesetzte Pflicht kann sich aus der dienstlichen Stellung, einem dienstlichen Auftrag oder einer sonstigen, mit dem Amt zusammenhängenden Garantenstellung ergeben. Es genügt, dass der Amtsträger Beaufsichtigung, Begleitung oder Bewachung des Gefangenen im Einzelfall übernommen oder übertragen erhalten hat. Es muss sich nicht um seine dienstliche Hauptfunktion handeln. Als potentieller Täterkreis des Abs. 2 sind in erster Linie das eigentliche Aufsichtspersonal der Vollzugsanstalten und die Polizeibeamten (etwa beim Gefangenentransport) anzusprechen, ferner Soldaten, die befehlsgemäß Gefangene begleiten oder beaufsichtigen. Daneben kommen als Täter wegen der sich kraft ihrer Dienststellung ergebenden Pflichten zur Fluchtverhinderung weiter in Betracht der Leiter der Vollzugsanstalt (vgl. RGSt 58 271); der Haft- oder Ermittlungsrichter und Staatsanwalt, der sich einen Gefangenen (vorläufig Festgenommenen, Untersuchungshäftling) vorführen lässt (vgl. StPO §§ 115, 128, 162, 163a), solange er sich in seinem Einflussbereich befindet; schließlich auch der Polizeibeamte, der bei einem erkannten Gefangenenausbruch nicht einschreitet (Sch/Schröder/Eser Rdn. 19). Vom Grundtatbestand bereits nicht erfasst wird der erkennende Richter, der pflichtwidrig über die Haftentlassung des Häftlings entscheidet (s. Rdn. 37).

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3. Einzelheiten. Mangels einer derartigen, in Abs. 2 vorausgesetzten Dienst- und Pflichtenstellung werden von dieser Vorschrift nicht erfasst Anstaltsärzte (E 1962 S. 611); Sanitätsoffiziere (Schölz/Lingens WStG § 48 Rdn. 8); Anstaltsgeistliche (vgl. Fischer Rdn. 8; Schafbeutle Niederschriften XIII S. 89); Anstaltspädagogen (Lackner/Schwalm Niederschriften XIII S. 90); Gefängnisbeamte, deren Aufgabe ausschließlich in der Erledigung von Verwaltungs- und Büroarbeiten besteht (RGSt 27 611); sonstiges Anstaltspersonal, das nur im technisch-organisatorischen Bereich tätig ist (z.B. Küchen- und sonstiges Anstaltshilfspersonal - Niederschriften XIII Anhang S. 600). Alle diese Personen sind auf Grund ihrer ganz anderen Funktionen keine Garanten staatlichen Gewahrsams und können nicht Täter nach Abs. 2 sein. Letzteres gilt auch für Arbeiter und Angestellte der Anstalt, die nicht unter den Personenkreis des § 11 Abs. 1 Nr. 2 und 4 fallen (E 1962 S. 611). Befreiungs- und Förderungshandlungen solcher Personen können nur nach

62

AA Maurach/Schroeder/Maiwald Rdn. 14.

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§ 72 II

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AA Siegert J Z 1973 310 und Zielinski AK Rdn. 31.

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Gefangenenbefreiung

§ 120

Abs. 1 bestraft werden; desgleichen bei pflichtwidrigem Unterlassen von Personen, die weder Amtsträger noch förmlich Verpflichtete - im Einzelfall eine Aufsichtspflicht übernommen haben. 4. Aufhebung eines Haftbefehls. Die pflichtwidrige Aufhebung des Haftbefehls durch 5 0 den Richter entspricht schon nicht der Tathandlung des Abs. 1 (Befreien) und erfüllt deshalb weder Abs. 2 noch Abs. 1. Obschon sachlich unrechtmäßig, ergeht sie doch gesetzesförmlich, insofern ein Gegenstück zu der materiell widerrechtlichen, aber formgerechten Freiheitsentziehung (Rdn. 22). Für das Aufsichtspersonal in der Vollzugsanstalt, das in Kenntnis der sachlich ungerechtfertigten, aber rechtsförmlich einwandfreien und wirksamen Aufhebung des Haftbefehls die richterliche Freilassungsanordnung tatsächlich vollzieht und den Häftling auf freien Fuß setzt, kommt ein tatbestandsmäßiges Handeln nach Abs. 1 nicht in Betracht. Zur Anordnung von Vollzugslockerungen durch den Vollzugsleiter im Rahmen der einschlägigen Bestimmungen des StVollzG s. Rdn. 25 ff. IV. Subjektiver Tatbestand Für den subjektiven Tatbestand ist Vorsatz erforderlich, der sich vor allem auf die 51 faktische Aufhebung der Gefangenschaft oder Verwahrung, d.h. die Freisetzung trotz bestehenden Haftrechts erstrecken muss. Bedingter Vorsatz genügt.64 Bei den verselbständigten Teilnahmeformen muss die von dem Gefangenen gewählte Art des Entweichens nicht notwendig vom Vorsatz mit umfasst sein. Da tatbestandliche Bezugspersonen Gefangene oder Verwahrte sind, muss der Täter sich jedenfalls unter laienhafter Parallelwertung der Gefangenen- oder Verwahrteneigenschaft bewusst sein. Ein diesbezüglicher vorsatzausschließender Irrtum dürfte allerdings kaum unterlaufen, wenn die Befreiung aus einer Gefangenen- oder Verwahrungsanstalt vonstatten gehen soll; eher schon, wenn sich das Vorhaben gegen eine Aufsichtsperson richtet, z.B. gegen einen Kriminalbeamten, den der Täter für eine Privatperson hält. Unerheblich ist es für die Gefangeneneigenschaft, ob ein sachlich-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Haftgrund besteht oder fortbesteht (Rdn. 22). Daher ist es kein Tatbestands-, sondern ein Verbotsirrtum, wenn der Täter - fälschlich oder zutreffend - annimmt, der Gefangene werde zu Unrecht in Haft gehalten mangels ausreichenden Tatverdachts, mangels Flucht- oder Verdunkelungsgefahr oder weil er überhaupt unschuldig sei, und wenn der Täter sich deshalb zur eigenmächtigen Befreiung des Gefangenen für befugt hält. Bei vermeintlich ordnungsgemäßer Freilassung, d.h. der irrtümlichen Annahme deren tatsächlicher Voraussetzungen, fehlt es am Vorsatz (vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 21). Die irrtümliche Meinung eines nicht Legitimierten, zur Aufhebung eines bestehenden Haftrechts befugt zu sein, ist Verbotsirrtum (vgl. WelzelS. 508).

V. Unterlassen Der Tatbestand der Gefangenenbefreiung (Befreien und Fördern des Entweichens) 5 2 kann auch durch unechtes Unterlassen eines Garanten (vgl. § 13) verwirklicht werden.

64

Bosch MK Rdn. 24; Fischer Rdn. 10; Zielinski AK Rdn. 27; aA Rössner J Z 1984 1065, 1070, der für die Begehungsform des

Förderns Befreiungsabsicht voraussetzt; krit. Maurach/Schroeder/Maiwald § 72 I Rdn. 6, II Rdn. 15.

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§ 120

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

So greift Unterlassungsstrafbarkeit in gleicher Weise ein, wenn ein Aufseher durch bewusste Nichtbetätigung der Sicherungseinrichtungen ein Entweichen ermöglicht, als Begleiter beim Transport eines Gefangenen dessen Entführung in die Freiheit nicht entgegentritt oder bei der Aushändigung von Ausbruchswerkzeugen an einen Gefangenen durch Besucher nicht einschreitet. Die Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen setzt voraus, dass der Betreffende rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg - der Haftbruch, die Aufhebung der staatlichen Verwahrungsgewalt - nicht eintritt (Garantenstellung). Als Täterkreis kommen hier insbesondere die in Abs. 2 genannten Amtsträger sowie nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 förmlich Verpflichtete in Betracht, die gehalten sind, das Entweichen zu verhindern (vgl. Rdn. 48). Abs. 2 umschreibt jedoch nicht abschließend alle möglichen Garantenstellungen, sondern nur diejenigen, bei denen der Gesetzgeber eine Strafschärfung für angezeigt gehalten hat (aA Koffka Niederschriften XIII S. 89, 90). Bei anderen Personen kann sich eine Garantenpflicht aus freiwilliger Übernahme oder Übertragung von Aufsichtspflichten ergeben. In diesen Fällen bestimmt sich die Strafbarkeit einer pflichtwidrigen Nichthinderung des Erfolges nach Abs. 1. Zu denken ist hier etwa an private Unternehmer, Werkmeister und Vorarbeiter, denen Gefangene auf vertraglicher Grundlage zur Arbeit zugewiesen sind und von diesen überwacht werden; 65 ferner der mit der Aufsicht betraute Krankenpfleger in Krankenanstalten, die Gefangene zur Beobachtung und Behandlung aufgenommen haben (RGSt 19 330, 331 f), also Fälle einer Garantenstellung, die nach früherem Recht von § 121 a.F. erfasst wurden (vgl. Dreher Niederschriften XIII S. 89). Die Haftung eines Garanten setzt dessen Handlungsfähigkeit voraus; sie fehlt z.B., wenn der einzige Aufsichtsbeamte nachts von Gefangenen überwältigt und in eine Zelle eingesperrt wird, so dass er den Ausbruch nicht verhindern kann. 53

Hinsichtlich des Täterkreises des Absatzes 2 ist auch bei Tatbestandsverwirklichung durch unechtes Unterlassen von dem Strafrahmen des Abs. 2 auszugehen, wobei allerdings die fakultative Strafmilderung des § 13 Abs. 2 zu berücksichtigen ist (gegen eine solche Milderungsmöglichkeit Maurach/Schroeder/Maiwald § 72 II Rdn. 15 unter Hinweis auf die besondere Pflichtenstellung und der deswegen gerade erhöhten Strafe). Nach anderer Ansicht soll sich dagegen auch bei diesem Personenkreis die Unterlassungsstrafbarkeit nach Absatz 1 richten (Siegert J Z 1973 308, 310). Gegen die Heranziehung der Strafdrohung des Abs. 2 auch auf Unterlassungsfälle wird eingewandt, dass die die Garantenpflicht begründenden Umstände in unzulässiger Weise zum Nachteil des Täters doppelt verwertet würden; denn die Umstände, die eine Gleichstellung mit den Begehungstatbeständen ermöglichen sollten, würden hier zugleich in den Dienst einer Strafschärfung gegenüber der Begehungsform gestellt (so wohl auch Jung S. 117; Zielinski AK Rdn. 31). Diese Bedenken sind indes nicht begründet. Vielmehr ist zu differenzieren zwischen der Pflichtstellung als aufsichtspflichtiger Garant und der Eigenschaft als Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst förmlich Verpflichteter. Die Strafschärfung des Absatzes 2 gründet sich nicht in der Garantenstellung als solcher, sondern in dem besonderen Amtsträgerstatus, der die Garantenpflichtverletzung als besonders schwerwiegende öffentliche Dienstpflichtwidrigkeit qualifiziert.66

54

Dem Entweichenlassen als solchem kommt grundsätzlich jedenfalls Förderungsqualität zu. 67 Ob man die Nichthinderung des Haftbruchs durch Entweichenlassen eher als

65

66

Vgl. Schafheutie Niederschriften XIII S. 89 u. Anhang S. 6 0 0 ; RGSt 36 4 0 2 ; 53 292. Vgl. Bülow Prot. 7/210; Lackner/Kühl Rdn. 12; Sch/Schröder/Eser Rdn. 20; auch Blei JA 1973 168.

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Vgl. Dreher und Gallas Niederschriften XIII S. 89; Sturm J Z 1975 8; BTDrucks. 7/550 S. 2 2 0 .

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Gefangenenbefreiung

§ 120

Befreien einzustufen habe, 68 bleibt für die Entsprechensfrage (5 13) ohne Auswirkungen, weil beide Begehungsformen in ihrem Unrechtsgehalt vom Gesetz gleich bewertet werden. VI. Rechtfertigungsgründe Eine Rechtfertigung tatbestandlichen Befreiens ist in Ausnahmefällen bei Amtsträgern 5 5 unter dem Gesichtspunkt des rechtfertigenden Notstands (§ 34) denkbar. Die Problematik wird im Zusammenhang mit dem Fall der Geiselnahme Peter Lorenz zwecks Freipressung von Terroristen diskutiert (Krey ZRP 1975 97; zu diesem Fall auch Wessels/ Hettinger BT 1 Rdn. 655, der die Bundesregierung als obersten Träger der geschützten Hoheitsrechte nicht zum tauglichen Täterkreis einer Gefangenenbefreiung rechnet und bereits die Tatbestandsmäßigkeit nach § 120 verneint). Zu der schwierigen Interessenabwägung in vergleichbaren Fällen, die über die Frage der Annahme eines rechtfertigenden oder bloß entschuldigenden oder übergesetzlich entschuldigenden Notstands entscheidet, vgl. Bosch MK Rdn. 30; Weber Jura 1984 367, 370 ff. Tatbestandserhebliche Befreiungsund Förderungsakte Dritter sind im Falle materieller Unschuld bzw. grundloser Festnahme des Gefangenen grundsätzlich nicht durch Nothilfe (§ 32) gerechtfertigt. Die nach § 120 allein maßgebliche Rechtswirksamkeit der Begründung bzw. Aufrechterhaltung des staatlichen Gewahrsams (Rdn. 22) schließt hier die Annahme eines rechtswidrigen Angriffs aus. 69

VII. Täterschaft und Teilnahme 1. Täter des Vergehens gegen § 120 kann jedermann sein - ein Außenstehender wie 5 6 eine mit der Begleitung oder Beaufsichtigung des Gefangenen betraute Person, mit Ausnahme des Gefangenen oder Verwahrten selbst (BGHSt 4 397, 400). Auch Mitgefangene können sich nach § 120 (in allen Begehungsformen) strafbar machen - etwa wenn ein Mitgefangener dem Ausbruchswilligen aus der Werkstatt der Anstalt Ausbruchswerkzeuge verschafft - , soweit ihr Handeln nicht zugleich auch ihrer eigenen Befreiung dient (Rdn. 57). Gefangenenbefreiung (Abs. 1) in Form der mittelbaren Täterschaft ist denkbar, wenn etwa ein Angehöriger des Gefangenen einen Vollzugsbediensteten in eine Notstandslage nach § 35 bringt, der dieser nur durch die vom Hintermann bezweckte faktische Freisetzung des Gefangenen entgehen kann; nicht jedoch, wenn er durch Nötigung des Richters eine förmliche Aufhebung des Haftbefehls erreicht (Rdn. 37; aA Weber Jura 1984 380). Bei den Fällen der Täuschung des Amtsträgers ist zu differenzieren: eine der ersten Begehungsform unterfallende mittelbare Täterschaft ist zu bejahen, wenn ein Außenstehender durch Vortäuschung einer gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen Freilassungsanordnung nach § 120 StPO bzw. § 24 IRG mittels eines fingierten Anrufs

68 69

Siegert J Z 1973 308, 310. KG JR 1980 513, 514; Sch/Schröder/Eser Rdn. 16; Wessels/Hettinger BT 1 Rdn. 653; Laubenthal FS Otto, S. 662; abw. Horn/ Wolters SK Rdn. 11, 4, der Nothilfe mangels Erforderlichkeit verneint; vgl. auch Ostendorf JR 1981 2 9 2 f, der als ausgleichende Gesichtspunkte für die grundsätzliche

Respektierung des Gefangenenstatus auch bei materiell ungerechtfertigter Freiheitsentziehung die Rechtsgarantien des Art. 104 GG, die Rechtsbehelfsmöglichkeiten des Gefangenen und die Strafnormen zum Schutz vor willkürlich ungerechtfertigter Freiheitsentziehung nennt.

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§ 120

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

der vermeintlichen Geschäftsstelle des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft bei der Vollzugsanstalt die Freilassung des Gefangenen bewirkt. Für eine mittelbare Täterschaft ist dagegen kein Raum, wenn der Dritte den sachlich und örtlich zuständigen Anstaltsleiter durch Vorlage eines - den lebensbedrohlichen Krankheitszustand der Mutter des Gefangenen bescheinigenden - gefälschten ärztlichen Attests zur Gewährung von Sonderurlaub aufgrund der Amtsrechtsnorm des § 35 StVollzG veranlasst, aus dem der Gefangene nicht zurückkehrt (vgl. auch Horn/Wolters SK Rdn. 8); hier wird der Gefangene nicht widerrechtlich befreit, sondern die rechtsförmliche einwandfreie Beurlaubung durch die legitimierte Stelle veranlasst (Rdn. 39); für den Veranlasser käme hier lediglich eine Strafbarkeit nach §§ 258 Abs. 2, 267 in Betracht. 57

Täterschaft des Gefangenen oder Verwahrten nach § 120 kommt nicht in Betracht. Das Gesetz lässt ähnlich wie bei der Selbstbegünstigung die schlichte Selbstbefreiung des Gefangenen, die Eigenbefreiung als solche (vgl. BGHSt 4 397, 400; RGSt 3 140, 141 zur a.F.) straflos; das bloße Entweichen wie auch das Nutzen einer vom Aufsichtspersonal eröffneten Fluchtchance wird tatbestandlich nicht erfasst. Allerdings ist dies kein Freibrief für Rechtsgüterverletzungen; werden zugleich andere Straftatbestände verwirklicht (z.B. §§ 223 f, 303), bleibt die Strafbarkeit nach diesen Vorschriften unberührt (BGH 2 StR 374/52 v. 11.11.1952; Μ. E. Mayer S. 12). Die gewaltsame Selbstbefreiung mehrerer fällt unter § 121 Abs. 1 Nr. 2.

58

2. Teilnahme des Gefangenen. Die Frage, ob eine strafbare Teilnahme auch des Gefangenen oder Verwahrten selbst an einer Tat nach Abs. 1 möglich ist, wird in Schrifttum und Rechtsprechung uneinheitlich beurteilt. Es handelt sich insoweit um die Fälle, in denen der tatbegünstigte Gefangene über die nach dem Tatbestand vorausgesetzte Rolle das Ausnutzen der gebotenen Gelegenheit zum Entweichen - hinausgeht, wenn er etwa einen Dritten anstiftet, ihn zu befreien oder bei der Selbstbefreiung zu unterstützen. Die Frage der Strafbarkeit einer derartigen rollenüberschreitenden Teilnahme lässt sich nicht von allgemeinen Erwägungen über das Wesen von Täterschaft und Teilnahme her beantworten. 70 Was die dritte Begehungsform des Förderns anbelangt, so handelt es sich zwar der Sache nach um eine Teilnahme an einer tatbestandslosen Haupttat. Die Beihilfe zur Selbstbefreiung ist jedoch zu einem selbständigen Straftatbestand ausgeprägt. An einer derart tatbestandlich verselbständigten Teilnahme ist wiederum Teilnahme möglich (vgl. Ε 1962 S. 611), deshalb auch eine solche des (tatbegünstigten) Gefangenen an sich denkbar (vgl. auch Schröder J Z 1961 264). Die Frage der Strafbarkeit einer derartigen Teilnahme in Fällen, in denen ein Tatbegünstigter nicht Täter sein kann, ist nach dem Sinngehalt des fraglichen Tatbestands bzw. dem sachlichen Grund des Tatbestandsausschlusses zu entscheiden (vgl. Herzberg JuS 1975 794; Welzel S. 123). Die Straflosigkeit täterschaftlicher Selbstbefreiung findet ihren Grund in dem aus dem menschlichen Freiheitsdrang resultierenden Motivationsdruck, somit in einer besonderen personalen Situation des Gefangenen (Rdn. 2). Die Nichterfassung eines täterschaftlichen Entweichens beruht somit auf Schulderwägungen.71 Dieser Gesichtspunkt muss aber wegen der gleich-

70

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Vgl. Welzel Strafrecht, S. 123; Wolter JuS 1982 3 4 4 ; andererseits Lange S. 86 ff. Wolter JuS 1982 343, 3 4 6 hebt auf die „notstandsähnliche Lage" als regulierendes

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Prinzip auf der Schuldebene ab; zur dogmengeschichtlichen Einordnung der Straflosigkeit bei Selbstbeteiligung Gropp Deliktstypen, S. 241 ff.

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Gefangenenbefreiung

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gelagerten Motivationslage folgerichtig auch dann durchschlagen und zur Straflosigkeit führen, wenn der Gefangene einen Dritten anstiftet, ihn zu befreien oder bei seiner Selbstbefreiung zu unterstützen. 72 Für die materielle Bewertung kann es nicht von Belang sein, ob der Gefangene sich selbst befreit oder sich hierbei der Hilfe eines Dritten bedient. Der die Straflosigkeit der Selbstbefreiung tragende Grundgedanke gilt in gleicher Weise für das gemeinsame Entweichen von zwei oder mehreren Gefangenen unter wechselseitiger - auch bloß psychischer - Unterstützung; die Straflosigkeit des die Selbstbefreiung des anderen unterstützenden Verhaltens setzt voraus, dass der dem anderen geleistete Hilfsbeitrag ein die eigene Befreiung in irgendeiner Weise förderndes oder erleichterndes Mittel ist, es sich also um eine gleichsam faktisch notwendige Teilnahme handelt, und dass für die Beteiligten die Selbstbefreiung im Vordergrund steht. Verhilft dagegen ein Gefangener lediglich bei Gelegenheit (OLG Celle J Z 1961 263, 264) der Selbstbefreiung einem Mitgefangenen - etwa durch Öffnen von dessen Zellentür mit dem beschafften Einheitsschlüssel - zur Flucht, ohne dass dies der Durchführung oder Erleichterung der eigenen Befreiung dient oder dienen soll, so wird die Ermöglichung der Flucht des anderen nicht als Mittel der Selbstbefreiung von dem diese kennzeichnenden Motivationsdruck umfasst und ist daher tatbestandserheblich i.S.d. § 120 Abs. I . 7 3 Die alte Judikatur, die insoweit durch die Neufassung des § 120 nicht berührt wird, grenzt den straflosen Bereich lediglich ein. Sie lässt den die Straflosigkeit des Entweichens tragenden Grund lediglich bei wechselseitiger Unterstützung in Fällen gemeinsamer Flucht mehrerer Gefangenen, die einander nur die der eigenen Befreiung (zugleich) dienliche Hilfe leisten, durchschlagen. 74 Darüber hinaus soll auch die Anstiftung eines (später) mitfliehenden Mitgefangenen zur Hilfeleistung bei der Eigenbefreiung des Anstifters straflos bleiben (BGHSt 17 369, 375). Halten sich gemeinschaftlich fliehende Gefangene in dem so abgesteckten Rahmen und tun nicht mehr als das zum Gelingen für notwendig Gehaltene, so wird § 120 in allen Beteiligungsformen für unanwendbar angesehen. Demgegenüber wird als strafbare Anstiftung zu § 120 Abs. 1 gewertet, wenn der Gefangene einen Dritten dazu anstiftet, ihn zu befreien oder beim Entweichen zu fördern. 75 Angestifteter Dritter kann hiernach auch ein Mitgefangener sein, der den Anstifter lediglich bei dem Entweichen unterstützen soll und sich selbst nach § 120 Abs. 1, 3. Alternative strafbar macht. Diese Differenzierung erscheint wenig konsequent; denn die besondere Motivationslage, derentwegen die täterschaftliche Selbstbefreiung straflos ist,

72

Gropp Deliktstypen, S. 2 4 4 ; Lackner/Kühl § 120 Rdn. 11; Horn/Wolters SK § 120 Rdn. 13; Ostendorf NK Rdn. 9; Sch/Schröder/Eser § 120 Rdn. 15; Welzel Strafrecht, S. 123, 507. Vgl. Herzberg, der von einer gebotenen Orientierung an dem Grundgedanken der § § 2 8 Abs. 2, 2 9 her argumentiert; auch Schünemann LK vor § 2 6 Rdn. 31, der auf das Fehlen eines Strafgrundes der Teilnahme hinweist; Strafverfolgung und Strafvollzug seien nicht gegen eine Selbstentziehung des Delinquenten geschützt, so dass auch deren mittelbare Beeinträchtigung ihn nicht inkulpieren könne; Maurach/ Schroeder/Maiwald § 72 II Rdn. 13 und Ostendorf NStZ 2 0 0 7 313, 314 mit dem

73

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Argument a maiore ad minus; Bosch MK Rdn. 34 plädiert für die analoge Anwendung von § 2 5 8 Abs. 5; dagegen nur Herrlein/ Werner JA 1994 5 6 2 . Vgl. Schröder J Z 1961 2 6 4 ; Wolter ]aS 1982 343, 3 4 6 f; weitergehend wohl Arzt/Weber § 4 5 Rdn. 65. Vgl. BGHSt 17 369, 3 7 4 m. Anm. Deubner N J W 1962 2 2 6 0 ; BGH GA 1965 205, 2 0 6 ; OLG Celle J Z 1961 2 6 3 m. Anm. Schröder; OLG Hamm N J W 1961 2 2 3 2 gegen RG GA Bd. 5 9 116, 117; OLG Oldenburg N J W 1958 1598. Vgl. BGHSt 17 369, 373; aA Fischer Rdn. 9; Ε 1962 S. 611; auch Niederschriften XIII Anhang S. 6 0 0 .

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

gilt in gleicher Weise für die personale Situation des Gefangenen als Anstifter (vgl. Tenckhoff/Arlotb JuS 1985 129, 135). 61

3. Teilnahme Dritter. Die Teilnahme Dritter an den Tatbestandshandlungen des Absatzes 1 richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen. So ist etwa die Einwirkung Außenstehender auf Aufsichtspersonen durch Bitten, Überredung oder Bestechung gemäß §§ 120, 26 strafbar. Teilnahme ist - wie ausgeführt - auch an den verselbständigten Teilnahmetatbeständen des § 120 nach den allgemeinen Regeln möglich (vgl. Rdn. 44). So liegt Anstiftung zum Fördern vor, wenn die Verlobte des Gefangenen den Vollzugsbeamten veranlasst, dem Gefangenen Ausbruchswerkzeug zu verschaffen, mittels dessen sich dieser dann befreit (s. Rdn. 40). Bei Beteiligung von Amtsträgern und Außenstehenden ist § 28 Abs. 2 zu beachten; die Strafbarkeit der ersteren bestimmt sich nach Abs. 2; die der letzteren nach Abs. 1 des § 120 (vgl. Baldus/Scbafbeutle Niederschriften XIII S. 88).

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4. Teilnahme von Garanten. Bei Garanten (Bewachungs- und Aufsichtspflichtigen) hatte das frühere Recht auch mittelbare Unterstützungshandlungen in §§ 121, 347 a.F. als täterschaftliches Handeln („dessen Befreiung befördert") tatbestandlich verselbständigt (vgl. v. Bubnoff LK 9 § 121 Rdn. 7 ff; § 347 Rdn. 5 f). Anders als die früheren Bestimmungen, die in ihrem systematischen Aufbau nach dem tauglichen Täter differenzierten, erfasst jedoch das geltende Recht in § 120 n.F. gleichermaßen Außenstehende wie aufsichtspflichtige Garanten; die Tathandlungen des § 120 Abs. 1 n.F. gelten einheitlich. Knüpft man an die obigen Erwägungen (Rdn. 33) zur Abgrenzung des Förderungsmerkmals in Abs. 1 an, so ergeben sich bei Garanten gewisse Unebenheiten. Informiert z.B. ein Aufsichtsbeamter einen Außenstehenden (etwa einen Gewährsmann des Gefangenen) über ausnutzbare Mängel im Sicherungssystem der Anstalt, Möglichkeiten zur Ausschaltung von Warnanlagen oder erforderliche Spezialwerkzeuge zur Überwindung von Sicherungseinrichtungen und kommt es unter Ausnutzung dieser Wissensvermittlung zu einer (Fremd- oder Förderung einer Selbst-)Befreiung, so ist dieser Tatbeitrag des Beamten folgerichtig als Beihilfe (§ 27) zu § 120 zu werten. Darüber hinaus begründet aber die Nichthinderung des Haftbruchs durch den die Gegebenheiten durchschauenden Beamten dienstpflichtwidriges Unterlassen. Misst man dem bloßen Untätigbleiben eines den Erfolgseintritt nicht hindernden Garanten lediglich die Bedeutung einer Beihilfe zu, 76 so ist in vorstehendem Beispielsfall der gesamte Tatbeitrag des Aufsichtspflichtigen als einheitliche Beihilfeleistung (§§ 120, 27) anzusehen; bestimmend ist der aktive Tatbeitrag, das pflichtwidrige Unterlassen ist lediglich dessen konsequente Fortführung. Die Strafe wäre nach dieser Auffassung im Rahmen der §§ 120 Abs. 2, 28 Abs. 2, 27 Abs. 2 zu bestimmen. Legt man dagegen die Auffassung zugrunde, dass jedenfalls in Fällen, in denen der Unterlassende auf Grund besonderer Beziehungen zu dem geschützten Rechtsgut für dessen Bestand einzustehen hat, Täterschaftsregeln gelten,77 so wäre in vorstehendem Beispielsfall die dienstpflichtwidrige Nichthinderung des Haftbruchs als Unterlassungstäterschaft zu werten, der bei der Beurteilung der Vorrang vor dem aktiven Beihilfebeitrag zukäme (vgl. Herzberg JuS 1975 171; Sch/Schröder/Eser Rdn. 20). Die

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Vgl. Gallas J Z 1952 3 7 2 , 1 9 6 0 686, 687; Lackner/Kühl § 2 7 Rdn. 5. Vgl. Sch/Schröder/Cramer/Heine Vorbein.

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§ 2 5 Rdn. 87 f; Sch/Schröder/Stree § 13 Rdn. 31; hierzu auch Rudolphi SK vor § 13 Rdn. 39.

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Gefangenenbefreiung

§ 120

Strafe wäre hiernach im Rahmen des § 120 Abs. 2 unter Berücksichtigung der fakultativen Strafmilderung des § 13 Abs. 2 zu bestimmen.

VIE. Vollendung - Versuch - Rücktritt 1. Tatvollendung. Vollendung tritt bei allen Begehungsmodalitäten mit der Auf- 6 3 hebung der Gefangenschaft oder Verwahrung ein; die Fremdbefreiung vollendet sich, wenn der Gefangene bzw. Verwahrte dem staatlichen Gewahrsam entzogen ist, das Verleiten und Fördern zur Selbstbefreiung, wenn er ihm selbst entronnen ist. Wann wiederum dies der Fall ist, wird je nach der Art des Gewahrsams verschieden sein. Von der geschlossenen Anstalt, dem umzäunten Internierungslager aus beginnt die Freiheit regelmäßig, wenn Mauer oder Stacheldraht überwunden sind (RGSt 25 65, 66; RMG 20 273). Im Übrigen ist die Befreiung vollendet, wenn Aufsicht, Begleitung oder Bewachung der Gewahrsamsgewalt abgeschüttelt sind (RG GA Bd. 37 171, 174). Mangels Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Überwachung ist der Gefangene der Gewalt der Aufsichtsperson auch dann tatsächlich bereits entronnen, wenn er für die Stimme der Aufsichtsperson noch erreichbar ist oder durch einen dazwischentretenden Unbeteiligten aufgehalten wird. Solange jedoch die Aufsichtsperson den Fluchtversuch schon im Ansatz zu vereiteln vermag, sei es auch mit verlängertem Arm, besteht ihre Gewahrsamsgewalt fort. Der flüchtende Gefangene, der durch Waffengebrauch (Warnschuss) oder durch unmittelbares Nachsetzen (Wachhunde) noch im Sichtbereich gestellt wird, hat den Fuß noch nicht in die Freiheit gesetzt; wohl aber, wenn es ihm gelungen war, sich auch nur für eine Zeit lang (RGSt 36 402, 404) so zu verbergen, dass er erst aufgespürt werden musste. Die bloß vorübergehende tatsächliche Aufhebung der Verwahrungsgewalt reicht somit aus. Dies alles gilt gleichermaßen für alle drei Begehungsformen des § 120. BGHSt 9 62, 63 zu § 120 a.F. besagt nichts anderes; denn da es dort um die Abgrenzung zwischen Versuch und Vorbereitung geht, drückt die Entscheidung mit der freilich missglückten - Wendung: nicht die Befreiung selbst, sondern die Unterstützung einer auf dieses Ziel gerichteten Handlung des Gefangenen verwirkliche den Tatbestand, nichts weiter aus, als dass nur eben diese Unterstützung Ausführungshandlung des Vergehens sei und die Selbstbefreiung des Gefangenen (natürlich) nicht dazu gehöre. Einen anderen Sinn schließt der vorhergehende Satz aus. Mit Vollendung der Befreiung ist das Vergehen gegen § 120 in der Regel auch been- 6 4 det. Zu mehr als zur Erlangung der Freiheit kann das Befreiungsunternehmen nicht führen; eine gesicherte Freiheit, Schutz vor dem Wiederzugriff, kann es nicht gewährleisten. Darum fällt der zu solchem Zweck nach erlangter Freiheit gewährte Beistand nicht unter den § 120 (RGSt 25 65, 66). Insoweit ist § 258 StGB einschlägig. 2. Versuch a) Reichweite der Versuchsstrafbarkeit. Der Versuch ist strafbar (Abs. 3). Die Ver- 6 5 suchsstrafbarkeit, deren kriminalpolitischer Grund in dem deliktsspezifischen besonderen Tatanreiz zu sehen ist, erfasst alle Begehungsarten des Abs. 1, auch das Verleiten zum und das Fördern des Entweichens. Da nur die erste Begehungsform eigentlich täterschaftliches Handlungsunrecht enthält, die anderen beiden Modalitäten hingegen der Sache nach Teilnahmecharakter tragen (Rdn. 33), ergibt sich die Merkwürdigkeit, dass der Versuch der Anstiftung oder Beihilfe zur ersten Begehungsform, nämlich zur Fremdbefreiung als einem Vergehen allgemeinen Regeln folgend straflos bleibt (BGHSt 7 234, 237; 14 156, 157), während das versuchte Verleiten oder Fördern der Selbstbefreiung dagegen

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

kraft ausdrücklicher Vorschrift strafbar ist. Aus der begrenzten Strafbarkeit der versuchten Anstiftung (§ 30) und der grundsätzlichen Straflosigkeit versuchter Beihilfe können aber insoweit keine Schlussfolgerungen gezogen werden, 78 weil es sich bei dem Verleiten und Fördern des Entweichens nach der gesetzlichen Konzeption eben nicht um akzessorische Teilnahmeformen handelt, sondern um verselbständigte Begehungsformen. Dem Versuch eines unmittelbaren Inbeziehungstretens zu dem Gefangenen - sei es mit Verleitungs- oder Förderungscharakter - wird ersichtlich ein höherer Gefährdungsunwert beigemessen. Auch der untaugliche Versuch ist strafbar. Wer eine Person, die wegen des Verdachts der Trunkenheit im Verkehr einer Blutprobe zugeführt werden soll, der Polizei zu entziehen sucht, kann wegen Versuchs der Gefangenenbefreiung strafbar sein, aA BayObLG VRS 6 6 275, das in solchen Fällen den Gefangenenstatus zutreffend verneint, bei bloßer irriger Annahme des Gefangenenstatus dann ein strafloses Wahndelikt, bei fälschlichem Ausgehen von einer vorläufigen Festnahme durch die Polizei einen Fall des untauglichen Versuchs für gegeben erachtet. 66

b) Versuchsbeginn bei 2. und 3. Var. Die gesetzliche Umprägung der Anstiftungsoder Beihilfehandlungen in Abs. 1 2. und 3. Var. zur Täterschaft hat die weitere Folge, dass der Versuch dieser Vergehen nicht erst mit der Ausführung der Selbstbefreiung beginnt, sondern - ganz unabhängig davon, ob es überhaupt hierzu kommt - schon mit dem Beginn einer Einflussnahme oder der ersten fördernden Handlung seinen Anfang nimmt. Das Gelingen des Entweichens entscheidet zwar über die Vollendung des Delikts; sein Misslingen oder Unterbleiben ist aber ohne Einfluss auf die Abgrenzung zwischen Vorbereitung und Versuch des Verleitens oder Förderns. Beim Verleiten wird der Bereich des strafbaren Versuchs mit dem Beginn der Einwirkung auf den Gefangenen im Sinne einer Selbstbefreiung, sei es gesprächsweise oder durch Absenden einer entsprechenden schriftlichen - auch verschlüsselten bzw. kaschierten - Erklärung überschritten. Die Abfassung eines derartigen Briefes ist straflose Vorbereitung. Mit jeder Handlung, die die Erklärung aus dem Bereich des Verleitenden in den Bereich des Gefangenen bringen soll, wird zur Verwirklichung des Tatbestands des Verleitens unmittelbar angesetzt. Ohne Belang ist, ob die Erklärung dem Gefangenen zugeht oder vorher abgefangen wird und ob der Gefangene sie versteht.

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Ein Versuch des Verleitens zum Entweichen kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Gefangene das Ansinnen zurückweist, wenn er den auf Grund des Verleitens gefassten Entschluss vor Beginn der Ausführung des Entweichens wieder aufgibt, aber auch dann, wenn der Gefangene zum Entweichen bereits fest entschlossen, die Einwirkung also nicht kausal war, oder wenn er - auf Grund der Einwirkung dazu veranlasst - einen erfolglosen Fluchtversuch unternimmt.

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Auch bei der Begehungsform des Förderns ist in gleicher Weise zu beachten, dass die Ausführungshandlung, mit der der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar ansetzt, die Hilfeleistung zur Selbstbefreiung ist, die gerade auch den vorbereitenden Beistand umfasst (BGHSt 9 62, 63). Das Misslingen oder Unterbleiben des Entweichens hat keine Bedeutung dafür, wann die Hilfeleistung zu Ende geführt ist. Hat der Täter alles nach seiner Meinung zur Förderung der Selbstbefreiung des Gefangenen Nötige getan, so ist er dennoch nur wegen Versuchs der Förderung des Entweichens schuldig, wenn der erstrebte Erfolg, aus welchen Gründen auch immer,

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AA Siegert J Z 1973 3 0 9 ; dagegen Bülotv Prot. 7/210; Sch/Schröder/Eser Rdn. 23.

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ausbleibt (RG J W 1929 2714; RG HRR 1935 Nr. 1629). Die Tat ist aber auch schon dann versucht, wenn seine Hilfe, vorzeitig entdeckt, den Gefangenen gar nicht erreicht, sofern nur die Gefangenschaft in ihrem Fortbestand durch seine Handlungsweise unmittelbar gefährdet worden war (BGHSt 9 62, 64) - so etwa, wenn das Zuschmuggeln von Ausbruchswerkzeugen, Plastiksprengstoff, Zündern etc. verhindert wurde oder das eingebackene Sägeblatt im Kuchenpaket entdeckt und dem Gefangenen nicht zugegangen ist; aA für den in BGHSt 9 62, 63 entschiedenen Fall Jescheck/Weigend AT S. 520, die das Betreten des Dienstgebäudes, in dem dem Gefangenen die Ausbruchswerkzeuge zugespielt werden sollen, lediglich als Vorbereitung der Förderung beurteilt. Nur Versuch liegt auch dann vor, wenn die Förderungshandlung für die geglückte Flucht in keiner Weise mit ursächlich war. c) Versuchsbeginn bei § 120 Abs. 2. In den Garantenfällen des Absatzes 2 beginnt das strafbare Versuchsstadium, wenn sich der Aufsichtsbeamte des Gebotenseins eines pflichtgemäßen Einschreitens zur Verhinderung einer Fremd- oder Selbstbefreiung bewusst ist - so wenn er das Zuschmuggeln von Ausbruchswerkzeugen durch einen Besucher oder Ausbruchsvorbereitungen von Gefangenen erkannt hat - und dennoch keine wirksamen Gegenmaßnahmen ergreift (vgl. Sch/Schröder/Eser § 22 Rdn. 50, 53; auch Rudolphi SK vor § 13 Rdn. 51 ff).

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3. Rücktritt. Die Vorschriften über den Rücktritt vom Versuch (§ 24 Abs. 1) sind für alle Begehungsformen des Abs. 1 unmittelbar anwendbar. Demnach ist zwischen beendetem und unbeendetem Versuch zu unterscheiden (BGH 3 StR 409/53 vom 26.5.1954 zur a.F.; zu den Kriterien vgl. Erl. zu 5 24). Auch bei den verselbständigten Teilnahmehandlungen ist nicht etwa systemwidrig auf § 24 Abs. 2 bzw. § 31 zurückzugreifen.79

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IX. Konkurrenzen Zusammentreffen kann § 120 in Tateinheit mit §§ 113, 114, §§ 223 ff (BGH GA 7 1 1965 204, 206), mit § 240; ferner mit §§ 258, 258a, 8 0 jedoch gilt das Angehörigenprivileg des S 258 Abs. 6 nicht auch für § 120 (vgl. RGSt 57 301); ferner mit § 303 und § 334 (BGHSt 6 308, 309; 5 StR 306/65 vom 7.9.1965). Kontaktaufnahmen im Vorfeld der Gefangenenbefreiung wird durch die Bußgeldvorschrift des § 115 OWiG über den unerlaubten Verkehr mit Gefangenen begegnet (hierzu Göhler/König OWiG § 115 Rdn. 1, 2). Für das Verhältnis zu % 120 gilt § 21 OWiG.

79

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Vgl. Bosch MK Rdn. 38; Sch/Schröder/Eser Rdn. 23; auch BGHSt 15 198, 199; aA Zielinski AK Rdn. 37. Vgl. RGSt 7 244, 245; Fischer Rdn. 12,! 258

Rdn. 9; Händel BA 1984 452; Lackner/Kühl Rdn. 13; einschr. Bosch MK Rdn. 39; Zielinski AK Rdn. 38: i.d.R. Gesetzeskonkurrenz.

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§ 121

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§ 121 Gefangenenmeuterei (1) Gefangene, die sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften 1. einen Anstaltsbeamten, einen anderen Amtsträger oder einen mit ihrer Beaufsichtigung, Betreuung oder Untersuchung Beauftragten nötigen (§ 2 4 0 ) oder tätlich angreifen, 2 . gewaltsam ausbrechen oder 3. gewaltsam einem von ihnen oder einem anderen Gefangenen zum Ausbruch verhelfen, werden mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) In besonders schweren Fällen wird die Meuterei mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter 1. eine Schußwaffe bei sich führt, 2 . eine andere Waffe bei sich führt, um diese bei der Tat zu verwenden, oder 3. durch eine Gewalttätigkeit einen anderen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung (§ 2 2 4 ) bringt. (4) Gefangener im Sinne der Absätze 1 bis 3 ist auch, wer in der Sicherungsverwahrung untergebracht ist.

Schrifttum Blauth „Handeln für einen anderen" nach geltendem und kommendem Strafrecht, Diss. Heidelberg 1968; Herzberg Akzessorietät der Teilnahme und persönliche Merkmale, GA 1991 145; ders. Der agent provocateur und die „Besonderen persönlichen Merkmale" (§ 28 StGB) JuS 1983 737; Hofmann Die Gefangenenbefreiung in ihren historischen Grundlagen sowie in rechtsvergleichender und dogmatischer Darstellung, Diss. Darmstadt 1903; John Aufruhrdelikte, Handbuch des deutschen Strafrechts (HH) Bd. III S. 123; Knödel Der Begriff der Gewalt im Strafrecht (1962); Laubenthal Der Schutz des Strafvollzugs durch das Strafrecht, Festschrift Otto (2007) 659; H. Mayer Teilnahme und Gefangenenmeuterei, J Z 1956 454; M.E. Mayer Die Befreiung von Gefangenen (1906); ders. Der Widerstand gegen Amtshandlungen, VDB Bd. I S. 434; Ostendorf Strafbare Angriffe auf die Staatsgewalt, J Z 1997 1104; Schomaker Der Tatbestand der Gefangenenmeuterei unter Berücksichtigung des Entwurfs eines StGB Ε 1962, Diss. Berlin 1967; Schroeder Die Teilnahme bei § 122 Abs. 3 StGB, NJW 1964 1113; Sturm Änderungen des Bes. Teils des StGB durch das Einführungsgesetz zum StGB, J Z 1975 6; Tenckhoff/Arloth Freiheit um jeden Preis, JuS 1985 129.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift des § 121 über die Gefangenenmeuterei ist in Anlehnung an die S§ 4 2 3 , 4 2 4 Ε 1 9 6 2 (Begr. S. 609) durch Art. 19 Nr. 4 5 des EGStGB (BGBl. 1974 I S. 4 6 9 ff) neu gefasst worden und ersetzt die früheren Vorschriften der S S 122, 122a a.F. (EEGStGB S. 2 2 0 ) . M i t dem 6. StrRG vom 2 6 . 1 . 1 9 9 8 (BGBl. I S. 164) wurde in der Beschreibung des besonders schweren Falles des § 121 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 der Begriff der „schweren Körperverletzung" durch den Begriff der „schweren Gesundheitsschädigung" ersetzt, weil der Schutz der körperlichen Unversehrtheit eine Erweiterung über die sehr spezielle schwere Körperverletzung des heutigen § 2 2 6 (S 2 2 4 a.F.) hinausgehend erfah-

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Gefangenenmeuterei

§ 121

ren sollte. Auf die konkrete Gefahr einer der in § 2 2 6 umschriebenen Folgen sollte es nicht mehr ankommen (vgl. Ε 6 StrRG, BTDrucks. 13/8587 Begr. S. 27 f). Zur Übergangsfassung bis zur endgültigen Aufgabe der sozialtherapeutischen Anstalt durch das StVollzÄndG vom 20.12.1984 (BGBl. I 1654) vgl. v. Bubnoff LK 1 1 . Zur Entstehungsgeschichte der ursprünglichen Fassung vgl. RGSt 58 76, 77; 6 9 289, 290. Gesetzesmaterialien EEGStGB BTDrucks. 7 / 5 5 0 S. 2 2 0 f; Schriftl. Bericht BTDrucks. 7/1261 S. 11; Prot. 7 / 2 0 9 f; Ε 1962 Begr. S. 6 0 9 ; Niederschriften Bd. 13 S. 593, 5 9 8 , 6 2 3 ; RegBulletin Nr. 151/74 S. 1530; zum StVollzÄndG 1984: Entw. BTDrucks. 10/309; Schriftl. Bericht BTDrucks. 10/2213.

Übersicht Rdn. I. Grundlagen 1. Regelungsübersicht 2. Rechtsgut 3. Deliktsnatur a) Aufruhrdelikt b) Sonderdelikt 4. Praktische Bedeutung Π. Objektiver Tatbestand 1. Handlungssubjekt a) Gefangene b) In der Sicherungsverwahrung Untergebrachte c) Überweisung in andere Maßregel . . d) Vollzug in sozialtherapeutischer Anstalt e) Kriegsgefangene f) Außenseiter 2. Tathandlung a) Sich Zusammenrotten b) Meutereihandlungen aa) Zeitliche Koinzidenz bb) Vereinte Kräfte cc) Meutereihandlungen im Einzelnen

1 1 4 5 5 6 7 8 8 8 9 10

Rdn.

ΙΠ. IV.

V. VI.

11 12 13 14 15 23 23 24 27

VI!.

(1) Nötigung oder tätlicher Angriff (Nr. 1) (a) Angriffsobjekt (b) Rechtmäßige Amtsausübung . . . (c) Nötigung (d) Tätliches Angreifen (2) Gewaltsames Ausbrechen (Nr. 2) . . (3) Ausbruchshilfe (Nr. 3) Subjektiver Tatbestand Täterschaft und Teilnahme 1 Täter 2. Teilnehmer Tatvollendung und Versuch Rechtsfolgen 1. Besonders schwere Fälle (Absatz 3) . . a) Beisichführen einer Schusswaffe . . b) Beisichführen einer Waffe in Verwendungsabsicht c) Gewalttätigkeit mit schwerer Folge . d) Unbenannt besonders schwere Fälle e) Vorsatzerfordernis 2. Andere an den Regelbeispielen Beteiligte Konkurrenzen

28 29 31 32 38 40 51 53 54 54 55 56 58 58 59 60 61 63 64 65 67

I. Grundlagen 1. Regelungsübersicht. Der heutige § 121 erfasst die Gefangenenmeuterei, die im 1 Absatz 1 tatbestandlich umschrieben wird. Die Gefangenenmeuterei ist ein zweiaktiges Delikt. Nach dem Erfordernis des sprachlich wenig geglückten Zusammenrottens muss eine der Meutereihandlungen der Nrn. 1 bis 3 „mit vereinten Kräften" begangen werden. Das Gesetz nennt drei Begehungsformen: die Nötigung i.S.d. § 2 4 0 oder der Angriff auf Amtsträger und gleichgestellte Personen, der tätliches Vorgehen erfordert (Nr. 1); das gewaltsame Ausbrechen (Nr. 2) und das Zum-Ausbruch-verhelfen (Nr. 3). Die Tat ist Vergehen mit für strafbar erklärtem Versuch (Absatz 2). Auf die Ausgestaltung als Unternehmensdelikt, wie sie § 122 a.F. für die Fälle des Nötigens und des gewaltsamen Ausbrechens vorsah, wurde verzichtet. Damit besteht nun in Fällen des

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§121

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

Versuchs die Möglichkeit der Strafmilderung (§ 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1). Ferner ist Rücktritt vom Versuch nach § 24 möglich. 3

Der Regelstrafrahmen ist gegenüber dem früheren Recht, entgegen den Vorschlägen des Bundesrates, im Mindestmaß von sechs auf drei Monate ermäßigt worden, um auch Fällen von vergleichsweise geringem Unrechtsgehalt gerecht zu werden.1 Insoweit wurde insbesondere auf die von der Rechtsprechung im Rahmen des § 122 Abs. 2 a.F. behandelten Fälle des Durchschneidens elektrisch geladener Drähte (BGH 2 StR 374/51 v. 11.11.1952) sowie das Abbrechen eines vorher angesägten Gitterstabs (BGH 4 StR 163/61 v. 16.6.1961) hingewiesen. Absatz 3 der Vorschrift erfasst mit der Gesetzestechnik der Regelbeispiele besonders schwere Fälle. Die Regelung orientiert sich an der entsprechenden Vorschrift des § 125a über besonders schwere Fälle des Landfriedensbruchs.

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2. Rechtsgut. Geschütztes Rechtsgut ist wie in den Fällen der Gefangenenbefreiung (§ 120 Rdn. 8) die Verwahrungsgewalt des Staates. Sie ist Angriffsgegenstand, in Gestalt des Haftpersonals in allen Tatbeständen, in Absatz 1 Nr. 2 und 3 auch in Gestalt der Verwahrungseinrichtungen.2 Mit dem Schutz des Haftpersonals (also der Vollstreckungsorgane) bezieht § 121 zugleich den Schutzzweck des § 113 mit ein. Diese Sichtweise eines bipolaren Rechtsgutes des § 120 und des § 113 wird überwiegend vertreten.3 Im Ergebnis nicht anders erscheint auch die alternative Rechtsgutsbestimmung, die den Schutz der Anstaltssicherheit und Anstaltsordnung als Grundlage für den Vollzug von Freiheitsstrafen in den Vordergrund stellt und den Schutz des Haftpersonals zwangsläufig, unklar ob als bloßen Reflex, mitumfasst sehen will (Bosch MK Rdn. 1). Diese Ansicht wird freilich der Bedeutung, die § 121 dem Schutz der Vollzugsbediensteten zumisst, nicht gerecht. Diese zeigt sich in der ausdrücklichen Aufnahme der höchstpersönlichen Rechtsgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit im Regelbeispiel des Absatzes 3 S. 2 Nr. 3. Zu Recht wird eine frühere Judikatur kritisiert, die im Absatz 2 a.F., dem heutigen Absatz 1 Nr. 2 u. 3 n.F., nicht die Verwahrung der Gefangenen, sondern die Unversehrtheit der Abschlusseinrichtungen als geschütztes Rechtsgut sieht (BGHSt 15 198, 200, auch BayObLGSt 1965 151, 152). Indes genießen die Abschlusseinrichtungen den besonderen Schutz des § 121 nur deshalb, weil sie der Verwahrung der Gefangenen dienen und Ausdruck der Verwahrungsgewalt des Staates sind. Ihre stoffliche Unversehrtheit wäre schon durch § 303 geschützt. Offenbar ist BGHSt 15 198, 200 deshalb von BGHSt 16 34, 35 stillschweigend aufgegeben worden.4 3. Deliktsnatur

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a) Aufruhrdelikt. § 121 ist seiner Struktur nach, wie ein Vergleich insbesondere mit dem früheren § 115 ergibt, ein Aufruhrdelikt und kann daher in Absatz 1 Nr. 1 u. 3 überhaupt nicht, in Absatz 1 Nr. 2 allenfalls bedingt als eine Ausnahme von dem Grundsatz der Straflosigkeit der Selbstbefreiung bezeichnet werden,5 weswegen die Straflosig-

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Ber. BTDrucks. 7/1261 S. 11; Prot. 7/210; Bulletin Nr. 151/74 S. 1530. BGHSt 16 34, 35; RGSt 55 67, 68 und schon RGSt 2 80, 81; Schomaker S. 7, 9. s. Rdn. 41; vgl. auch Calliess Der Gewaltbegriff S. 38, der als geschütztes Rechtsgut die Kommunikations- und Anordnungsstruktur der Anstalt ansieht.

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Lackner/Kühl Rdn. 1; Kindbäuser LPK Rdn. 1; Koch HK-GS Rdn. 1; Ostendorf NK Rdn. 3; Sch/Schröder/Eser Rdn. 1. Krit. ebenso Bosch MK Rdn. 1 Vgl. zu § 122 a.F. insoweit RGSt 15 217, 2 2 0 ; Μ. E. Mayer S. 15 f; Schomaker S. 6; aM Maurach J Z 1953 3 4 2 .

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Gefangenenmeuterei

keit von Selbstbefreiungshandlungen nicht in Frage gestellt wird (Bosch MK Rdn. 2). Der innere Grund für die strenge, im Vergleich zu den §§ 113, 125, 240 schärfere Strafe ist die nicht gering einzuschätzende Gefahr, die bei Ausschreitungen sich zusammenschließender Gefangener, oft von Gewalttätern, für die Ordnung und das Eigentum in der Anstalt, für Leib und Leben des Wachpersonals, bei Gelingen eines Ausbruchs auch für die Allgemeinheit, insgesamt für die öffentliche Sicherheit entsteht.6 Die Vorschrift des § 121 beschreibt den Tatbestand eines solchen gefährlichen Rotten- und Gewaltdelikts, tastet also die Straflosigkeit schlichter Selbstbefreiung nicht an (vgl. BGHSt 4 396, 400). b) Sonderdelikt. Der Tatbestand des § 121 ist als Sonderdelikt gefasst. Als Täter kommen nur Personen in Frage, die Gefangene sind und sich in der Zusammenrottung befinden.

6

4. Praktische Bedeutung. Die Strafverfolgungstatistik weist für die letzten Jahre folgende Zahlen aus: 1994 85; 1995 65; 1996 65; 1997 55; 1998 50; 1999 54; 2000 30; 2001 28; 2002 25; 2003 12; 2004 11; 2005 35; 2006 19. 7 Diese Zahlen manifestieren die beschränkte Bedeutung des Tatbestandes (Ostendorf NK Rdn. 4). Die durchweg verhängten Freiheitsstrafen bewegen sich im unteren Bereich, wobei sich ein auffälliges Ungleichgewicht von Erwachsenen- zum Jugendstrafrecht zeigt: Hier fallen die Sanktionen deutlich höher aus (Bosch MK Rdn. 3, 1986 schon Zielinksi AK Rdn. 28). In der Polizeilichen Kriminalstatistik wird die Straftat des § 121 nicht gesondert erfasst.

7

Π. Objektiver Tatbestand 1. Handlungssubjekt a) Gefangene. Der Begriff des Gefangenen wird in § 121 Abs. 1 in gleicher Weise verstanden wie in § 120 Abs. 1 bei der Gefangenenbefreiung. Auch die Meutereivorschrift geht von dem engen Gefangenen begriff aus (vgl. § 120 Rdn. 12).

8

b) In der Sicherungsverwahrung Untergebrachte. § 121 Absatz 4 erweitert den Begriff des Gefangenen. Für die Fälle der Meuterei werden die in der Sicherungsverwahrung untergebrachten Personen ausdrücklich in den Gefangenenbegriff einbezogen. Dieser Teil der Unterbringungs- (d.h. behördlichen Verwahrungs-)Fälle wird also anders als in § 120 Abs. 4 den Gefangenen nicht lediglich gleichgestellt.8 Diese Differenzierung hat gesetzestechnische Gründe. Die nach §§ 63, 64 in einer psychiatrischen Krankenanstalt oder in einer Entziehungsanstalt Untergebrachten oder andere behördlich Verwahrte können sich somit nicht wegen Meuterei strafbar machen. Gegen diesen Personenkreis soll - anders als bei Sicherungsverwahrten - die strenge Meutereivorschrift nicht gehandhabt werden.

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Vgl. BGH 4 StR 581/65 v. 14.1.1966; RGSt 55 67, 68; 6 9 2 9 4 , 2 9 6 ; RG GA Bd. 4 5 120, 121; Bd. 51 48. Statistisches Bundesamt Deutschland, Fachserie 10 Reihe 3, abrufbar unter https:// www-ec.destatis.de, abgerufen am 4.8.2008.

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Vgl. Ber. BTDrucks. 7/1261 S. 11; Prot. 7/211; EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 221; vgl. § 120 Rdn. 12.

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Der Gesetzgeber hält insoweit ersichtlich die allgemeinen Strafbestimmungen gegen Gewalttaten für ausreichend (vgl. zum früheren Recht BGH GA 1965 205). 10

c) Überweisung in andere Maßregel. § 121 Abs. 4 verwendet bewusst den Unterbringungsbegriff im spezifischen Sinne des neuen Maßregelsystems der § § 6 1 ff. Insoweit ist zu beachten, dass sich der rechtliche Status des Verurteilten auch im Falle einer Überweisung (§ 67a StGB) nach der ursprünglich angeordneten Maßregel richtet (Bosch MK Rdn. 6; Laubenthal FS Otto, S. 661; v. Bülow Prot. 7/209). Entscheidend bleibt der Inhalt der gerichtlichen Unterbringungsanordnung. Personen, deren Unterbringung in der Sicherungsverwahrung oder der nachträglichen Sicherungsverwahrung angeordnet ist und die anschließend in ein psychiatrisches Krankenhaus oder den Vollzug einer Entziehungsanstalt überwiesen werden (§ 67a Abs. 2), unterfallen weiterhin dem Absatz 4. Indes wird es hier meist an den weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 121 fehlen, weil eine Zusammenrottung eines Gefangenen bzw. von der Anordnung der Sicherungsverwahrung Betroffenen (Absatz 4) mit einem sonst behördlich Verwahrten nicht ausreicht (Rdn. 54). Wirkt allerdings ein von der Maßregelanordnung nach § 66 Betroffener nach Überweisung gemäß § 67a Abs. 2 in den Maßregelvollzug einer psychiatrischen Anstalt mit einem dorthin vorübergehend gemäß § 81 StPO eingewiesenen Untersuchungsgefangenen (s. § 120 Rdn. 15) zusammen, so ist die Meutereivorschrift des § 121 anwendbar.

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d) Vollzug in sozialtherapeutischer Anstalt. In Anknüpfung an die ursprüngliche Maßregelkonzeption (§ 65) bezog sich § 121 Abs. 4 (i.d.F. des Art. 19 Nr. 45 EGStGB) vor seiner Abänderung (durch Art. 3 Nr. 2 StVollzÄndG, BGBl. 1984 I S. 1655) ausdrücklich auch auf die in der sozialtherapeutischen Anstalt Untergebrachten. Der Eliminierung der sozialtherapeutischen Anstalt als - nie in Kraft getretener - Maßregel aus dem StGB (durch Art. 2 Nr. 3 des StVollzÄndG 1984) lagen ungeachtet sachorientierter, kriminalpolitischer und strafideologischer Gesichtspunkte vor allem finanzielle Erwägungen zugrunde, die zu dem § 65 betreffenden Aufhebungsvorschlag des Bundesrates (BTDrucks. 10/309 S. 9) führten. 9 Das StVollzÄndG 1984 hat indes zugunsten der sog. Vollzugslösung entschieden, bei der die Sozialtherapie als Modalität des Strafvollzugs erhalten bleibt; die Unterbringung in einer sozialtherapeutisch Anstalt ist danach als spezielle Vollzugsmaßnahme im Rahmen des Strafvollzugs anzusehen. Der gemäß § 9 StVollzG aufgrund einer Ermessensentscheidung der Vollzugsbehörde in einer sozialtherapeutischen Anstalt befindliche Verurteilte unterfällt somit bereits dem Gefangenenbegriff des § 121 Abs. 1, da die Unterbringung in diesem Anstaltstypus nur im Rahmen des Vollzugs einer Freiheitsstrafe möglich ist. Einer besonderen Einbeziehungsregelung wie bei der Sicherungsverwahrung bedarf es hiernach nicht.

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e) Kriegsgefangene. Auch Kriegsgefangene (§ 120 Rdn. 15) sind mögliche Täter, weil sie grundsätzlich den Gesetzen des Gewahrsamsstaates unterliegen. Machen sie sich einer strafbaren Handlung allein in der Absicht schuldig, ihre Flucht zu erleichtern, und wenden sie dabei keine Gewalt gegen Personen an, so darf die Tat jedoch nur disziplinarrechtlich geahndet werden. Ebenso dürfen Kriegsgefangene, die zur Flucht oder zu einem Fluchtversuch geholfen haben, nur mit einer Disziplinarstrafe belegt werden (Art. 82, 93

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Vgl. Kaiser/Dünkel/Ortmann ZRP 1982 198; Rosenau StV 1999 388, 397; Schöch ZRP 1982 207, 209.

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Abs. 2, 3 Genfer Abk. v. 12.8.1949, BGBl. 1954 II 781, 838). § 121 Abs. 1 Nr. 2 u. 3 sind daher gegen Kriegsgefangene nicht anwendbar, wenn sie bei einem Ausbruch nur öffentliches Eigentum, z.B. die Absperrvorrichtungen beschädigen oder zerstören. Die Entscheidungen des Reichsmilitärgerichts in RMG 20 50 und 21 83, 85 sind insofern überholt. f) Außenseiter. Für Außenseiter kommt nur Teilnahme an § 121 in Betracht. Als Außenseiter sind sowohl Gefangene, die der Zusammenrottung nicht angehören (vgl. BGHSt 9 119, 120) wie Außenstehende anzusehen; sie können nur wegen strafbarer Teilnahme an der Meuterei belangt werden.

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2. Tathandlung. Gemeinsame Voraussetzung aller tatbestandlichen Begehungsformen ist es, dass Gefangene sich zusammenrotten und die Meutereihandlungen i.S.d. Nr. 1 bis 3 mit vereinten Kräften begehen.

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a) Sich Zusammenrotten. Zusammenrotten bedeutet räumliches Zusammentreten oder Zusammenhalten von mindestens zwei Gefangenen zu einem gemeinschaftlichen, im Wege erkennbar bedrohlichen oder gewaltsamen Verhaltens zu erreichenden Zweck. Kennzeichnend ist ihr geschlossenes Auftreten zu rechtswidrigem Handeln. Dieses unterscheidet sie von dem Verein (§ 2 Abs. 1 VereinsG), der Vereinigung (§§ 85 ff, 129 ff; BGHSt 20 45, 60); die notwendig rechtswidrige Absicht unterscheidet sie von der Versammlung (§§ 80a, 111; § 1 VersG), der Ansammlung (3. StrRG Art. 2; Frowein NJW 1969 1081), dem Aufzug (§ 1 VersG).

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Dem altertümlich anmutenden Begriff haftet ein abwertender Sinn („rotten") und ein Zahlenwert an („zusammen"). Der allgemeine Sprachgebrauch und das Strafgesetz verwenden ihn jedoch nicht in gleicher Bedeutung.10 Übereinstimmend versehen sie ihn zwar mit einem abwertenden Vorzeichen,11 den ihm innewohnenden Zahlenwert bemessen sie jedoch verschieden. Dem Strafgesetz genügen zwei, dem Sprachgebrauch erst Menschen in größerer Anzahl. Gemeinhin hat die Sprache eine öffentliche Zusammenrottung vor Augen, aufrührerische Situationen also, wie sie das Gesetz selbst in §§ 124, 125 und früher eigens in § 115 voraussetzt. Während das StGB aber in §§ 124, 125 (a.F.) durch Hinzufügen des Merkmals der „Menschenmenge" wenigstens im Ergebnis mit dem Sprachgebrauch gleichzieht, bleibt die Diskrepanz im übrigen bestehen. Besonders deutlich war dies im früheren § 115. 12 Der Befund ist für das Strafrecht in gewisser Weise heikel; denn einer Auslegung über die Wortlautgrenze hinaus steht Art. 103 Abs. 2 GG entgegen (BVerfGE 71 108, 115; 92 1, 12). Die überkommene Vorstellung, eine Bande könne aus lediglich zwei Mitgliedern bestehen, ist entsprechend auch aufgrund der Wortbedeutung der Bande von der Rspr. aufgegeben worden (BGHSt 46 321 ff). In Anlehnung an die zitierte Entscheidung des Großen Strafsenates des BGH verlangt Ostendorf eine Abkehr von der bisherigen Auslegung und versteht die Zusammenrottung als einen Zusammenschluss von mehreren, d.h. mehr als zwei Personen (NK Rdn. 8).

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Μ. E. Mayer VDB Bd. 1 4 3 4 , 4 6 9 ; DJZ 1905 5 7 ; aM RGSt 3 1, 2. BGHSt 2 3 46, 52; Heilborn ZStW Bd. 18 (1898) 171 f; Tiedemann J Z 1968 766. Pointiert Binding Lehrb. § 275 III A l a ;

S. 805, Fn. 4: Wer sagte wohl von einem Ehepaar, das sich der Exmittierung durch den Gerichtsvollzieher bis auf die Straße hin widersetzt, es habe sich dazu zusammengerottet?

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Indes lässt sich die ganz überwiegende Ansicht, die lediglich zwei Gefangene genügen lässt,13 halten. Die reflexive Form „sich zusammenrotten" lässt eine Deutung zu, bei der eine Zusammenrottung im sprachlichen Sinne, nämlich bestehend aus mehreren Personen, noch nicht entstanden, wohl aber angelegt ist. Das ist bereits beim Zusammenschluss von zwei Gefangenen der Fall, bei dem schon deren geschlossenes, vereintes Vorgehen in der potentiell aufgeladenen Anstaltssituation einen eigenständigen Teilnahmeanreiz für unbeteiligte Gefangene bedeutet (Bosch MK Rdn. 7). An diese Aktionsgefahr für die Anstaltssicherheit und -Ordnung lässt sich anknüpfen, um ein Zusammenrotten von zwei Anstaltsinsassen ausreichend sein zu lassen. Dabei ist die besonders sensible Lage in einer Anstalt mit zu berücksichtigen. In den besonderen Gewaltverhältnissen der Verwahrungs- und Befehlsunterworfenheit ist einerseits die Strenge der Staatsgewalt fühlbarer, der Anreiz, sich gegen sie aufzulehnen, stärker als sonst. Zudem sind hier schon zwei aufsässige Gefangene eine Übermacht über den einzelnen Aufsichtsbeamten oder Vorgesetzten und damit eine Bedrohung der Ordnung und Sicherheit in der Anstalt (vgl. Tenckhoff/Arloth JuS 1985 129, 130). Die Rspr. hat entsprechend, angefangen von RGSt 2 80, 81 f und RMG 3 128, 131 bis zu BGHSt 20 305, 307, stets daran festgehalten, dass schon zwei Gefangene den Tatbestand des § 122 a.F. (§ 121 n.F.) verwirklichen können.

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Das negative Vorzeichen der Zusammenrottung setzt die Absicht der zusammengeschlossenen Personen voraus, ein gemeinsames Ziel durch geschlossenes Auftreten gegen die Staatsmacht rechtswidrig zu erreichen. Gewalt und Drohung braucht von der Zusammenrottung nicht von vornherein gewollt zu sein (aA AG Bochum NJW 1971 155). Im § 121 sind Zusammenrottung und Gewalttat bzw. bedrohliches Handeln in zeitlicher, nicht in kausaler Folge verknüpft. Daher ist nicht nötig, dass die Zusammenrottung im Sinn hat, gerade eine der Tatbestandshandlungen zu begehen (RGSt 69 294, 296) und noch weitere Gewalt zu verüben (RGRspr. Bd. 8 322). Wohl aber muss sie ihre rechtswidrige Absicht erkennen lassen.14 Diese wird im Bereich des § 121 unschwer an der Bedrohlichkeit geschlossenen Auftretens der Gefangenen abzulesen sein. 15

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Das die Zusammenrottung von der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2; RGSt 15 217, 220) unterscheidende Merkmal ist das geschlossene Auftreten der Rotte als einer Einheit, das in der aus RGSt 2 80, 81 und 3 1, 2 entwickelten Formulierung ein „räumliches Zusammentreten oder Zusammenhalten" zu gemeinschaftlichem rechtswidrigen Handeln verlangt. 16 Tuchfühlung ist nicht vonnöten (RGSt 60 331, 332); Lockerung darf aber nicht zur Auflösung des räumlichen Zusammenhangs führen (BGH 5 StR 454/68 v. 24.9.1968; OGHSt 2 364, 366). Der geistige Urheber eines Ausbruchsplans, der die Ausführung Mitgefangenen überlässt und erst nach geglücktem Unternehmen auf dem geschaffenen

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Bosch MK Rdn. 7; Fischer § 121 Rdn. 3; Koch HK-GS Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 3; Laubenthal FS Otto, S. 6 6 3 ; Maurach/Schroeder/Maiwald § 72 III Rdn. 18; Schomaker S. 14 ff; Sch/Schröder/Eser Rdn. 4; aM Binding Lehrb. § 2 3 6 2; Heilborn ZStW Bd. 18 (1898) 168 ff; John Handbuch des deutschen Strafrechts Bd. III S. 1 2 3 , 1 4 7 . RGSt 2 80, 81; Lackner/Kühl Rdn. 3; aA Horn/Wolters SK Rdn. 5 und Zielinski AK Rdn. 8, die insoweit darauf abstellen, dass diese in den Meutereihandlungen ohnehin zum Ausdruck kommen.

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BGHSt 2 3 46, 52; RGSt 5 4 313, 314; RGSt 6 9 2 9 4 und schon RGSt 3 1, 2; RMG 2 0 50, 53; 160, 162; BGH N J W 1954 1694 zu §§ 115, 125 a.F.; RGSt 53 3 0 5 ; 56 281 zu § 115 a.F.; RGSt 2 0 405, 4 0 6 ; 52 1 1 8 , 1 1 9 und R M G 5 5 7 zu § 125 a.F.; Ε 1962, Begr. zu § 2 9 5 S. 4 6 9 f; BGH NZWehrr 1968 112 zu § 2 7 WStG; RMG 10 2 2 , 2 5 zu § 106 MilStGB 1940. BGH NJW 1954 1694; NZWehrr 1968 112; OLG Schleswig SchlHA 1976 167.

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Fluchtweg selbst entflieht, der führende Kopf, der die Rotte, von ihr deutlich abgesetzt (z.B. aus der Zelle über Sprechfunk) leitet, kann zwar der Mittäterschaft der von der Rotte bei der Meuterei verübten Straftaten schuldig sein; Täter der Meuterei selbst ist er nicht, weil er bei dieser nicht räumlich-körperlich in der Rotte mitgewirkt hat. 1 7 Bei räumlicher Trennung ist eben keine „Zusammenrottung" möglich; insoweit besteht nicht die typische Gefahrenlage, der § 121 begegnen will (RG GA Bd. 51 48). Einzelgefangene in nebeneinander liegenden Zellen, die durch Klopfzeichen verabreden, gemeinsam auszubrechen, sind daher nicht zusammengerottet, wenn sie, jeder in seiner Zelle, auf dieses Ziel hinarbeiten (RG LZ 1922 79), auch nicht dann, wenn sie Löcher in die Zwischenwand stemmen, durch die sie sich zwar verständigen, auch Werkzeug zureichen, durch die sie aber nicht zusammentreten können (RGSt 50 85, 86), anders bei ausreichend großer Öffnung zum Hindurchkriechen (OLG Koblenz OLGSt § 122 a.F. S. 8). Selbst dann besteht noch keine Zusammenrottung, wenn sie gemeinschaftlich und zugleich an der Beseitigung von Hindernissen arbeiten, die ihrem Zusammenkommen im Wege stehen, solange dieser Versuch nicht gelingt (RGSt 54 313, 314 f). Sie besteht somit auch dann nicht, wenn der eine von außen die Schließfeder des Türschlosses hochdrückt und der andere von innen den Sperrriegel zurückschiebt (aM R M G 2 0 160, 162). Dagegen ist das Zusammenrotten zweier Gefangener in einer Zelle ohne weiteres möglich (seit RGSt 2 80, 81 st.Rspr.); ebenso, wenn unmittelbar körperlicher Kontakt ermöglicht wird (OLG Koblenz OLGSt % 122 a.F. S. 7; OLG Düsseldorf M D R 1971 774). Da es kein Wesenszug der Zusammenrottung ist, dass sie zu dem Zweck gebildet wird, ihr rechtswidriges Vorhaben gerade mit Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt durchzusetzen, sind ihre Entstehung und ihr Bestand unabhängig davon, ob es später zu Aufsässigkeiten oder zum Ausbruch kommt (RGSt 4 2 266 f; ungenau BGH 2 StR 374/51 v. 11.11.1952). Mithin ist es, falls doch dergleichen geschieht, für ihr Bestehen ohne Bedeutung, ob sich alle oder nur einzelne Rottenmitglieder an der Nötigung, dem tätlichen Angriff oder dem gewaltsamen Ausbruch beteiligen oder ob nur ein einziges Mitglied sie ausführt (RGSt 15 217, 220; RG GA Bd. 51 48). Demgemäß ist es möglich, dass sich die Rotte - ein Beteiligungsbegriff eigener, von der Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 verschiedener Art - aus Meutereitätern und Meutereigehilfen zusammensetzt. 18

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Die Zusammenrottung kann ausdrücklich verabredet sein oder stillschweigend zuStande kommen (RG GA Bd. 39 326, 327). Sie kann auch aus einer zunächst unverfänglichen Zellengemeinschaft entspringen. 19 Die Verabredung ist ein Anzeichen für eine Zusammenrottung; sie begründet diese jedoch noch nicht; es muss der räumliche Zusammenschluss hinzutreten (RGSt 5 377, 378). Das Zusammenrotten muss ernstlich gewollt sein. Macht ein Gefangener nur zum Schein mit, so besteht die Zusammenrottung nur unter den übrigen; bleibt nur ein Gefangener übrig, weil insgesamt bloß zwei beteiligt waren, so fehlt es an dem Merkmal überhaupt (OLG Hamm J Z 1953 342 m. zust. Anm. Maurach); insoweit ist die für eine Zusammenrottung charakteristische erhöhte Gefährlichkeit nicht gegeben. Im Falle der bloßen Scheinbeteiligung an Meutereiplänen eines von zwei Gefangenen kommt für den Ausbruchswilligen, Nötigenden etc., der von den tatsächlichen Voraussetzungen einer Zusammenrottung ausgeht, untauglicher Versuch in Betracht (vgl. Zielinski AK Rdn. 18). Das Zusammenwirken eines Gefangenen mit einer

21

17

18

RGSt SO 85, 86; BGH 4 StR 581/65 v. 14.1.1966 zu § 122 a.F.; RGSt 58 207, 208 zu § 125 a.F. RGSt 6 9 2 9 4 f; RG HRR 1937 Nr. 680 gibt die gegenteilige Ansicht RGSt 17 47, 4 9 auf,

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dass alle Rottenmitglieder Mittäter seien; bedenklich BGHSt 9 119, 120. BGH NJW 1953 1031; BGH 2 StR 248/68 v. 19.6.1968, bei Daliinger MDR 1968 895; RMG 5 57, 58.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

nicht unter Absatz 1 und Absatz 4 fallenden behördlich verwahrten Person reicht nicht aus (BGH GA 1965 205). 22

Im Tatbestand ist die Zusammenrottung allerdings für sich allein (strafloser) Torso (Binding Lehrb. § 236 3; Heilborn ZStW Bd. 18 (1898) 166). In strafbarer Weise setzt die Verwirklichung des Tatbestands erst ein, wenn ein Mitglied in der geschlossen auftretenden Rotte mit einer Nötigungs- oder Angriffshandlung oder mit dem Ausbruch beginnt. 20 Dabei kommt es dann freilich darauf an, ob das einzelne Rottenmitglied als Mittäter handelt oder nur unterstützend mitwirkt. b) Meutereihandlungen

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aa) Zeitliche Koinzidenz. Tatbestandserheblich ist die Zusammenrottung auch nur dann, wenn sie während der eigentlichen Meutereihandlungen oder bei dem Ausbruch oder der Ausbruchshilfe entsteht oder fortbesteht (RGSt 50 85, 86). Hat sie sich vorher aufgelöst, sind z.B. gemeinsam planende Gefangene einzeln ausgebrochen, ist der Meutereitatbestand nicht gegeben (BGH 4 StR 581/65 v. 14.1.1966). Tatbestandslos ist es, wenn die Zusammenrottung nach geglücktem Unternehmen, etwa auf der Flucht, noch fortgesetzt worden ist (RG GA Bd. 54 478, 479). Unerheblich ist es ferner, ob die Zusammenrottung innerhalb oder außerhalb der Anstalt gebildet, die Meuterei hier oder dort begangen wird. Die Meuterei kann auch bei Außenarbeiten oder im Gerichtssaal während der Verhandlung erfolgen (BayObLG GA 1966 280, 281).

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bb) Vereinte Kräfte. Das Gesetz setzt weiter voraus, dass die Verübung der Meutereihandlungen durch die zusammengerotteten Gefangenen mit vereinten Kräften erfolgt. In diesem Merkmal wiederholt sich das Erfordernis geschlossenen Auftretens der Zusammenrottung (Hofmann S. 70; aM Schomaker S. 19). Dennoch hat der Gesetzgeber abweichend von dem Vorbild des § 423 Ε 1962 an dem Merkmal der Zusammenrottung festgehalten.

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Was das Gesetz mit vereinten Kräften meint, erschließt am besten der Gegensatz. Wenn Gefangene zunächst ein gemeinschaftliches Vorgehen geplant haben, dann aber jeder für sich allein nötigt, tätlich angreift oder gewaltsam ausbricht, fehlt gerade das Charakteristikum der Meuterei: das Handeln in der Mehrheit als Einheit.21 Tritt die Rotte aber räumlich zusammengeschlossen auf, so braucht nicht jedes einzelne Mitglied handgreiflich zu werden (BGH 4 StR 818/52 v. 5.11.1953; RG JW 1933 429, 430). Die Rotte vereinigt ihre Kräfte zum Handeln auch dann, wenn aus ihrer Mitte nur einzelne Mitglieder nötigen, tätlich angreifen oder beim Ausbruch bzw. der Ausbruchshilfe gewaltsam werden und die übrigen eingriffsbereit oder wenigstens unterstützungswillig dabei sind (RG DStrZ 1920 56, 57). Ob die einen als (Mit-)Täter, die anderen mit Gehilfenvorsatz handeln, ist gleichgültig (RMG 10 22, 27; Fischer § 121 Rdn. 4). Täter können ihre Kräfte wie mit Mittätern, so auch mit Gehilfen vereinigen. Ausreichend ist, dass ein Gefangener aktiv handelt, während andere - dem aktiv Tätigen bewusst - als bloße Gehilfen ihm entsprechend der bedrohlichen Tendenz der Zusammenrottung Unterstützung gewähren.22 Bloß untätiges Dabeistehen genügt allerdings nicht. Der Wille mit-

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„Zusammenrotten und . . . " ; RG GA Bd. 4 5 120; RGSt 15 217, 2 2 0 ; 4 2 266, 278; 5 4 314, 316. BGH 2 StR 374/51 v. 11.11.1952 (5); 4 StR 581/65 v. 14.1.1966; RGSt 15 217, 2 2 0 .

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OLG Karlsruhe NStZ 1999 136; AG BerlinTiergarten NJW 1988 3218, 3219; vgl. Maurach/ Schroeder/Maiwald § 71 III Rdn. 19.

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zumachen oder wenigstens zu unterstützen, muss erkennbar bleiben. 2 3 Daher reicht es aus, wenn von zwei Gefangenen nur der eine ausbrechen will, demgemäß gewaltsam vorgeht und der andere ihn hierbei durch Aufpassen, durch Ablenkung der Aufmerksamkeit des Wachpersonals (z.B. mittels Steinchenwerfens, vgl. Tenckhoff/Arloth JuS 1985 130) oder zumindest erkennbar psychisch unterstützt (RG GA Bd. 3 9 326, 327). Der zweite soll dabei sogar aufgrund von Alkoholgenuss schuldunfähig sein können (OLG Karlsruhe NStZ 1999 136). Die Kräftevereinigung dauert an, bis sich die Zusammenrottung nach Erfolg oder Misserfolg auflöst. Der danach überraschend gestartete Alleingang eines Gefangenen fällt nicht unter § 121. Wohl aber trifft das für alle während der Dauer der Zusammenrottung begangenen Meutereihandlungen zu, selbst wenn sie nicht gerade in demselben Augenblick begangen werden. Dass die Meuterer in diesem Sinn zugleich am Werk sind, ist nicht erforderlich ( R M G 21 139, 141). Mit vereinten Kräften können sie auch bei einer Aufeinanderfolge von Gewalttätigkeiten handeln, z.B. wenn der eine den Aufseher überwältigt, dann ein anderer ihm den Schlüsselbund entreißt, nun der erste den Aufseher in die Zelle schleift und der zweite schließlich die Tür zusperrt. Bedingung ist nur, dass währenddessen die Gemeinsamkeit des Unternehmens noch andauert, die Zusammenrottung fortbesteht, der eine sich nicht schon vom anderen löst (an der Grenze BGHSt 2 0 305, 307). Die Gefangenschaft muss zur Zeit der Tathandlung noch bestehen. Handlungen nach gelungener Flucht, die lediglich die Wiederergreifung abwenden sollen, sind nicht tatbestandserheblich.

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cc) Meutereihandlungen im Einzelnen. Als Meutereihandlungen, die mit vereinten Kräften begangen sein müssen, sieht § 121 Abs. 1 drei Begehungsvarianten vor.

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(1) Nötigung oder tätlicher Angriff (Nr. 1). Die erste Variante betrifft das Nötigen oder tätliche Angreifen eines Anstaltsbeamten, eines anderen Amtsträgers oder eines mit ihrer Beaufsichtigung, Betreuung oder Untersuchung von Gefangenen Beauftragten. Angriff und Nötigung brauchen mit einem Ausbruch oder einer Ausbruchshilfe nicht zusammenzuhängen, 24 letztere werden, wenn sie gewaltsam sind, von den Nrn. 2 und 3 erfasst. Meuterei kann auch die Auflehnung gegen vermeintlich schlechte Behandlung sein, der tätliche Racheakt gegen einen strengen Beamten, der Überfall auf den Anstaltsleiter, um eine Verlegung in eine andere Abteilung oder um eine andere Beschäftigung zu erzwingen.

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(a) Angriffsobjekt. Die Tathandlungen richten sich gegen die Anstaltsbeamten, andere Amtsträger oder die mit der Beaufsichtigung, Betreuung oder Untersuchung Beauftragten. Angriffsobjekt sind hiernach zunächst einmal alle im Dienst der betreffenden Anstalt stehenden Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2), also nicht allein das eigentliche beamtete Aufsichtspersonal, sondern auch solche Beamte der Anstalt, die nicht mit Aufsichtsaufgaben betraut sind. Hierzu gehören somit u.a. der Anstaltsleiter, Anstaltsärzte, Bürokräfte sowie sonstiges beamtetes Personal aus dem technisch-organisatorischen Bereich der Anstalt. Andere Amtsträger sind solche Personen, die weder den Anstaltsbeamten

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BGH 4 StR 163/61 v. 16.6.1961; RGSt 4 7 1 7 8 , 1 8 0 f; RGSt 17 47, 49, hierzu jedoch RG HRR 1937 Nr. 6 8 0 ; BayObLG NJW 1955 1806 f.

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Vgl. Zielinski AK Rdn. 11; enger wohl Maurach/Schroeder/Maiwald § 72 III Rdn. 21.

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§121

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noch den Beauftragten zuzurechnen sind, m.a.W. Richter oder beamtete Mitglieder sonstiger Dienststellen, die hoheitliche Aufgaben in der Strafanstalt wahrzunehmen haben (vgl. Ε 1962 Begr. S. 609; EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 220), so etwa der Haft- und Untersuchungsrichter, Staatsanwälte oder Polizeibeamte, die in der Vollzugsanstalt Vernehmungen durchführen; der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle, der eine Revisionsbegründung in der Haftanstalt protokolliert; auch der Notar bei einer Testamentsaufnahme in der Anstalt. Vorausgesetzt ist also, dass der Amtsträger dienstliche Aufgaben in der Vollzugsanstalt wahrnimmt. Es reicht nicht aus, dass sich etwa ein Beamter zufällig in einer Besuchergruppe befindet (Fischer Rdn. 5). Mitgefangene sind kein taugliches Angriffsobjekt. Gewalt gegen sie fällt nicht unter die Nr. 1. 30

Bei der dritten Gruppe der Bezugspersonen, gegen die sich die Meutereihandlungen richten können, wird der Strafschutz gegenüber dem früheren Rechtszustand über die mit der Beaufsichtigung Beauftragten hinaus auf die mit der Betreuung und Untersuchung von Gefangenen Beauftragten ausgedehnt (vgl. EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 220; Sturm J Z 1975 8). Sonstige Beauftragte in diesem Sinne sind nicht nur solche, die unter den Personenkreis des § 11 Abs. 1 Nr. 4 fallen. Insoweit werden zunächst einmal die nicht beamteten Begleit-, Bewachungs- oder Aufsichtspersonen erfasst, so - sei es dienstlich verpflichtet ( § 1 1 Abs. 1 Nr. 4) oder nicht - Wärter und Werksaufseher, die zur Außenarbeit zugewiesene Gefangene aus der Anstalt abzuholen, zurückzugeleiten und während der Arbeit zu bewachen haben; aber auch private Aufsichtspersonen wie etwa der Unternehmer oder Vorarbeiter, der auf Zuweisung Gefangene beschäftigt, und der mit der Aufsicht betraute Krankenpfleger in der Krankenanstalt (vgl. § 120 Rdn. 52). Zu den mit der Betreuung Beauftragten sind zu rechnen Geistliche, Sozialarbeiter, Psychologen, Pädagogen und ärztliches Pflegepersonal, zu den mit der Untersuchung Beauftragten nicht beamtete medizinische und sonstige Sachverständige sowie hinzugezogene Privatärzte. Gegen diese Personen können Meutereihandlungen nur während der Dauer des Auftrags begangen werden, z.B. von der Übernahme zur Außenarbeit bis zur Wiedereinlieferung in die Anstalt.

31

(b) Rechtmäßige Amtsausübung. Die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung der Aufsichtsperson ist - anders als nach § 113 Abs. 3 - keine (ungeschriebene) Strafbarkeitsvoraussetzung. Nr. 1 greift auch bei einem Vorgehen gegen rechtswidrige Diensthandlungen ein. § 121 Abs. 1 Nr. 1 setzt nicht voraus, dass sich der Anstaltsbeamte überhaupt in der Ausübung des Amtes befindet. Auch der Überfall auf den nach Dienstschluss heimgehenden Aufseher kann den Meutereitatbestand erfüllen. Im Übrigen handelt es sich um ein Problem der Rechtswidrigkeit. Selbstverständlich kann gegen den widerrechtlich handelnden Anstaltsbeamten im Einzelfall Notwehr bzw. Nothilfe - etwa zugunsten eines von Aufsehern misshandelten Mitgefangenen - gegeben sein; es ist jedoch gegen unrechtmäßiges Gefangenhalten in der Regel ausgeschlossen (§ 120 Rdn. 22).

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(c) Nötigung. Die Begehungsform des Nötigens entspricht, wie der ausdrückliche Klammerhinweis in Nr. 1 ergibt, dem § 240. Aus der Verweisung folgt einmal, dass als Nötigungsziel wie in § 240 jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen gemeint ist und dass der Tatbestand ferner die Anwendung der in § 240 vorausgesetzten Mittel der Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel erfordert (EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 220). Die in der Rspr. zu § 122 a.F. vertretene Auffassung,25 als Nötigungsmittel

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Vgl. RGSt 58 76, 78; BGH N J W 1951 160; hiergegen Schomaker S. 31; Welzel Strafrecht, S. 5 0 8 ; AG Bochum N J W 1971 155.

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brauchten weder Gewalt noch Drohung angewandt zu werden, vielmehr genüge dafür jede Art unbefugten Zwangs, der die freie Willensentschließung der Aufsichtsperson beeinträchtige, ist - unabhängig von ihrer sachlichen Fragwürdigkeit (vgl. schon Hübner LK 9 § 122 Rdn. 17) - damit kraft gesetzlicher Klarstellung unhaltbar. Sie war ohnehin dem Vorwurf ausgesetzt, die Tathandlung mit der Zusammenrottung zu identifizieren, die dieser von selbst anhaftenden Bedrohlichkeit mit der Nötigung gleichzusetzen und damit den Tatbestand zu verkürzen.26 Als tatbestandserheblich ist danach jedes Vorgehen zu bewerten, durch das ein Anstaltsbeamter oder eine andere der in Nr. 1 genannten Personen durch Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel rechtswidrig zu einem Verhalten i.S. des § 240 veranlasst wird. Bei der Handlung, auf deren Vornahme oder Unterlassung die Nötigung abzielt, braucht es sich nicht um eine Diensthandlung zu handeln. Der Gewaltbegriff ist ebenso wie in § 240 auszulegen; eine dem gegenüber einengende 3 3 Auslegung in § 121 ist nicht veranlasst. Der Gewaltbegriff in der Alternative der Gewaltnötigung genügt dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. 2 7 Gewalt ist der physisch vermittelte Zwang zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstands (Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 342 m.w.N.) bei zugleich - nicht notwendig erheblichem Einsatz körperlicher Kraftentfaltung, der sich auf die Person, gegen die er sich richtet, nicht nur als seelischer, sondern als körperlicher Zwang auswirkt. Körperlich wirkt sich ein Zwang aus, wenn das Opfer ihm gar nicht, nur mit erheblicher Kraftentfaltung oder in unzumutbarer Weise begegnen kann. 28 Zum Gewaltbegriff vgl. Erl. zu § 240. Die vorstehende Auslegung des Gewaltbegriffs wie auch die etwas weitere des BGH, wie sie etwa in BGHSt 23 46, 54, 2 9 ferner in BGHSt 32 165, 170; 34 71, 77 - allerdings unter zunehmend kritischer Beleuchtung des Schrifttums 3 0 - Ausdruck gefunden hat, gibt auch die Lösung in Fällen passiven Widerstandes vor. Bloße Sitzstreiks stellen begrifflich schon keine Gewalt dar (vgl. BVerfGE 91 1, 17 f), eine Bestrafung derartigen passiven Verhaltens als Gewalt verstieße damit gegen den nulla poena sine lege-Grundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG. Dieses Verdikt muss auch die „Zweite-Reihe-Rechtsprechung" des Bundesgerichtshofes (BGHSt 41 182 ff) treffen, der die mutige wie richtige Entscheidung des BVerfG nicht akzeptieren mag und daher eine Strafbarkeit konstruiert. Jedenfalls wäre der Versuch, einen Sitzstreik auf den Gängen der Strafanstalt oder möglicherweise auch ein anordnungswidriges schlichtes Verbleiben im Gemeinschaftsraum der Anstalt zwecks Erzwingung einer bestimmten Handlung in Anlehnung an die überkommene Rspr. 31 als Gewalt zu pönalisieren, nicht mehr haltbar. Ebensowenig kann die schlichte Arbeitsniederlegung oder Arbeitsverweigerung bei Außenarbeit ausreichen.32

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In diese Richtung wieder Bosch MK Rdn. 9; Horn/Wolters SK Rdn. 5; Zielinski AK Rdn. 8. Vgl. BVerfGE 73 2 0 6 ; 76 211; zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gewaltbegriffs Erichsen JK 93, GG Art. 8 1/5; Kühl StV 1987 122; krit. Calliess NJW 1985 1506, 1509; NStZ 1987 2 0 9 ff; Kaufmann N J W 1988 2581, 2 5 8 2 . BayObLGSt 1 9 8 9 1 1 5 , 1 1 6 f; Otto NStZ 1987 212, 213; ders. NStZ 1992 568, 5 7 0 . M. Bespr. von Martin FS BGH, S. 211; Ott NJW 1 9 6 9 2 0 2 3 ; Tröndle GA 1973 3 2 5 ; auch Haffke ZStW 84 (1972) 3 7 ff.

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Hirsch FS Tröndle, S. 19; Jakobs GedS H. Kaufmann, S. 791; Frankenberg StV 1987 395; Keller JuS 1984 109; Krauß N J W 1 9 8 4 9 0 5 ; Sommer N J W 1985 7 6 9 ; Wolter NStZ 1985 193, 2 4 5 ff mit unterschiedlichen Ansätzen. Vgl. die überholte Judikatur zum Gewaltbegriff etwa bei BGHSt 2 3 4 6 , 54; 32 165, 170; 3 8 350, 353. Vgl. Fischer Rdn. 6; Ostendorf NK Rdn. 11; Sch/Schröder/Eser Rdn. 8; Horn/ Wolters SK Rdn. 8; aA AG Bochum NJW 1971 155.

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Auf eine besondere Aufnahme der Begehungsform des Widerstandleistens hat der Gesetzgeber bewusst verzichtet; denn der Begriff der Nötigung erfasst regelmäßig auch das Leisten von Widerstand. 33 Bei Gewalt gegen eine (Aufsichts-)Person zwecks Ermöglichung des Ausbruchs bzw. der Ausbruchshilfe können die Nrn. 2 und 3 zudem einschlägig sein (Rdn. 41).

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Tatvollendung ist erst gegeben, wenn der eigentliche Nötigungserfolg eingetreten, d.h. es zu dem von den Tätern erstrebten Verhalten des Genötigten gekommen ist. 34 Demgegenüber vertreten manche die Auffassung, ein eigentlicher Nötigungserfolg wie nach § 2 4 0 werde in Nr. 1 beim Nötigen nicht vorausgesetzt. 35 Der Klammerhinweis beziehe sich lediglich auf die Nötigungsmittel und Nötigungsziele. Zur Begründung wird auf eine Parallele zum tätlichen Angriff und das Aufgehen der „unechten Unternehmenshandlung" des Widerstandleistens im Merkmal der Nötigung hingewiesen. Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden. Die gesetzliche Neufassung hat entgegen dem früheren Recht auf die Ausgestaltung der Begehungsformen der Nötigung und des gewaltsamen Ausbruchs als Unternehmenstatbestände verzichtet und dafür in Absatz 2 den Versuch für strafbar erklärt. 36 Nach der - täterfreundlicheren - Neufassung muss es demnach zum abgenötigten Verhalten kommen. Andernfalls hätte die gerade im Hinblick auf die Begehungsformen des Nötigens und gewaltsamen Ausbrechens eingeführte Versuchsstrafbarkeit keinerlei Sinn. Die gegenteilige Auffassung würde im übrigen dem Angeklagten die mit der Versuchsregelung zusammenhängende Rücktrittsmöglichkeit (§ 24) nehmen und die Möglichkeit einer Strafmilderung nach § 23 Abs. 2 unterlaufen. Das Aufgehenlassen des Merkmals des Widerstandleistens in der Nötigung gibt keinen Anlass zu einer anderen Auslegung. Als Form der Nötigung bedarf es auch insoweit eines Nötigungserfolges, der in der Erschwerung oder Verhinderung der Diensthandlung zu sehen ist. Angesichts der klaren gesetzlichen Regelung können auch aus der vom Gesetzgeber beibehaltenen Begehungsform des tätlichen Angreifens, die bereits durch die Vornahme der Handlung verwirklicht ist, schon deren sachlich unterschiedlicher Gestaltung wegen keine Folgerungen gezogen werden.

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Die Rechtswidrigkeitsregel des § 2 4 0 Abs. 2 ist an sich auch bei dem Tatbestand der Meuterei anwendbar. 37 Sie könnte unter besonderen konkreten Umständen ausnahmsweise Bedeutung erlangen, wenn sich die Meuterei gegen eine schwerwiegende rechtswidrige Amtshandlung oder die Aufrechterhaltung eines gewichtigen rechtswidrigen Zustands wendet. Allerdings dürfte die Klausel im Regelfall bei der Meuterei kaum praktische Bedeutung erlangen (E 1962 S. 609). Jedenfalls in Fällen der Gewaltanwendung wird die Meuterei in der Begehungsform der Nötigung regelmäßig als rechtswidrig zu beurteilen sein (vgl. BGHSt 23 46, 54 f).

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(d) Tätliches Angreifen ist gekennzeichnet durch eine feindselige, unmittelbar auf den Körper des Amtsträgers oder sonstigen Beauftragten zielende Einwirkung. Durch die - in Anlehnung an § 113 Abs. 1 erfolgte - Einfügung des Merkmals „tätlich" ist ausdrücklich

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EEGStGB BTDrucks. 7 / 5 5 0 S. 2 2 0 ; Prot. 7/210; so auch BGH 4 StR 7 7 / 6 8 v. 10.4.1968, bei Daliinger MDR 1968 895 zu § 113. Lackner/Kühl Rdn. 7; Wessels/Hettinger BT 1 Rdn. 662; Zielinski AK Rdn. 11. Horn/Wolters SK Rdn. 8; Küper BT S. 503; Sch/Schröder/Eser Rdn. 8; Tenckhoff/Arloth

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JuS 1985 130: beendeter Nötigungsversuch ausreichend. EEGStGB BTDrucks. 7 / 5 5 0 S. 2 2 0 ; Ε 1962 S. 609; Niederschriften Bd. 13 Anhang S. 598 „nachdem die Nötigung nicht mehr als Unternehmenstatbestand ausgestaltet ist"; Bülow Prot. 7 / 2 1 0 ; Sturm J Z 1975 6, 9. Bosch MK Rdn. 15; Fischer Rdn. 6.

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klargestellt, dass verbale Angriffe nicht genügen (EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 220). Angriffsgegenstand ist nicht wie in § 32 ein beliebiges Rechtsgut, sondern ähnlich wie in § 102 Leib und Leben bzw. Körperintegrität des geschützten Personenkreises. Andererseits ist das Merkmal nicht buchstäblich, etwa in dem Sinn zu nehmen, dass die körperliche Unversehrtheit des Angegriffenen leiden müsste (restriktiv Zielinski AK Rdn. 12). Es gehört nicht zu seinem Inhalt, dass der beabsichtigte Erfolg eintritt; der Angriff kann missglücken. Im Bereich des § 121 braucht es daher - ebenso wie in § 113 - zu keiner körperlichen Verletzung, selbst nicht zu einer körperlichen Berührung zu führen (wie vordem die „Gewalt an der Person" im früheren § 117 Abs. 2; RGSt 16 172), geschweige denn zum handfesten Anfassen (RGSt 28 32, 33 f). Demgemäß ist der Hieb, der Stich, der scharfe Schuss ein tätlicher Angriff, auch wenn er fehlgeht; dagegen nicht der Schreckschuss, wenn er den anderen zwar einschüchtern soll, aber nicht körperlich verletzen kann. 3 8 Anders ist bei dem gezielten Anlegen einer scharf geladenen Waffe auf den Beamten zu entscheiden, weil hier ein Körperbezug angebahnt ist (BSG N J W 2 0 0 3 164). Ein tätlicher Angriff ist entsprechend auch das Ausholen mit der Stich-, Wurf- oder Schlagwaffe (RGSt 58 110, 112), nicht aber die Drohung mit einer verletzungsuntauglichen Scheinwaffe, z.B. das Ansetzen eines Pfeifenstiels als vermeintlicher Schusswaffe im Rücken des Wachpostens (hier greift indes die Nötigungsalternative mittels Drohung, vgl. § 113 Rdn. 26) oder das Ausholen zur nur symbolischen Geste (vgl. Tenckhoff/ Arloth JuS 1985 130). Die Gegenansicht 39 beruft sich auf RGSt 66 353, 355 - wo jedoch wie auch in RGSt 6 0 157 und BGHSt 2 3 126, 127 die andere Frage der Gewaltanwendung behandelt wird - und ferner darauf, dass der tätliche Angriff nicht einmal die Absicht körperlicher Berührung bedinge, weil er z.B. auf Freiheitsentziehung abzielen könne (RGSt 41 181, 182). Indes lässt sich aus dem letztgenannten Grund keinerlei Verzicht auf die Absicht körperlicher Einwirkung herleiten. Der Körperlichkeitsbezug ist vielmehr mit dem tätlichen, d.h. mittels einer Tätlichkeit unternommenen Angriff untrennbar verbunden (RGSt 59 264, 265). Gerade das Beispiel der Freiheitsberaubung beweist dies, da sie das körperliche Befinden erheblich beeinträchtigen kann (§ 2 3 9 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4). 4 0 Das Übergießen des Beamten mit einer erheblichen Menge Brennspiritus, so dass die Oberbekleidung bis auf die Haut durchnässt ist, ist eine hinreichende körperliche Einwirkung (BGH NStZ 2 0 0 7 701, 702). Zur Abgrenzung des tätlichen Angreifens von einer nicht feindseligen Handgreiflichkeit BSG N J W 1986 2663. Durch bloßes Nichtstun kann kein Angriff tätlich geführt werden (RGSt 4 374, 376). Über den tätlichen Angriff s. ferner § 113 Rdn. 26.

39

(2) Gewaltsames Ausbrechen (Nr. 2). Tathandlung der Nr. 2 ist das gewaltsame Ausbrechen. Abweichend vom früheren Recht wurde von einer Ausgestaltung als Unternehmensdelikt abgesehen. Die Nr. 3 erfasst das gewaltsame Verhelfen zum Ausbruch. Soweit es um die Ausbruchshilfe für einen an der Zusammenrottung Beteiligten geht, hatte die frühere Rechtsprechung (RG GA Bd. 39 326, 329) diesen Fall über § 122 Abs. 2 a.F. erfasst. Die Neufassung des § 121 bezieht nunmehr in Nr. 3 über diesen Fall hinaus auch die gewaltsame Ausbruchshilfe für einen anderen Gefangenen ein.

40

Nach überwiegender Auffassung sollen Angriffsgegenstand hier allein die sächlichen 4 1 Abschlusseinrichtungen sein, die den Gefangenen von der Freiheit trennen; der Ausbruch mittels Gewalt gegen eine Person - jedenfalls aus dem in Nr. 1 genannten Personenkreis -

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RGSt 41 1 8 1 , 1 8 2 f. Maurach/Schroeder/Maiwald § 71 II Rdn. 13; Sch/Schröder/Eser § 113 Rdn. 47.

40

RGSt 2 8 32, 33; 2 7 405, 4 0 6 mit allerdings schiefer Begr., die aus dem damaligen Gewaltbegriff zu erklären ist.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

wird der Nr. 1 zugerechnet41 und darüber hinaus jede gewaltsame Aktion gegen Personen als durch Nr. 1 abschließend geregelt angesehen (Sch/Schröder/Eser Rdn. 8, 11). Auch die Rspr. zu § 122 Abs. 2 a.F. hielt ursprünglich diese Linie ein. 42 Die Nr. 1 betrifft Gewalt- und Nötigungshandlungen unabhängig von dem Zweck, den die zusammengerotteten Gefangenen verfolgen (Rdn. 28). Gerade der Zweck eines gewaltsamen Ausbruchs ist Thema der Nrn. 2 und 3. Eine Beschränkung auf bestimmte Ausbruchsmittel ist in der Vorschrift nicht enthalten, auch nicht in ihrer Wortwahl. Daraus folgt aber noch nicht, dass die Nrn. 2 und 3 gegenüber der Nr. 1 die spezielle Regelung seien (so aber v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 32), zumal das mit der Tat verwirklichte Unrecht bei Gewalt gegen Personen im Schuldspruch nicht hinreichend klargestellt werden könnte. Ein praktisches Bedürfnis für die Gegenansicht ist nicht erkennbar (Bosch MK Rdn. 18; vgl. auch Laubenthal FS Otto, S. 664). 42

Da die Meuterei ein Delikt der Auflehnung gegen die Staatsgewalt ist, erfassen die Nrn. 2 und 3 nur solche gewaltsamen Ausbruchshandlungen, die sich gegen die staatliche Verwahrungsmacht in ihrer sächlichen oder persönlichen Verkörperung richten. Gefangene, die bei ihrer Ausbruchsaktion im Wege der Nötigung oder Überwältigung gegen Personen vorgehen, die nicht kraft ihrer Dienststellung oder ihres Auftrags Garanten staatlichen Gewahrsams sind oder deren Funktion nicht zumindest in weiterem Sinne Ausfluss oder Verkörperung staatl. Verwahrungsmacht ist (vgl. Rdn. 30), fallen nicht unter die Nrn. 2 und 3, sondern sind insoweit nach allgemeinen Vorschriften strafbar (vgl. Schomaker S. 40 f zu § 122 a.F.). Das gilt etwa bei der Nötigung oder Überwältigung von Mitgefangenen oder Anstaltsbesuchern, weil diese nicht zur Sicherung des amtlichen Gewahrsams berufen sind.43 Abweichend vertritt Fischer (Rdn. 8) die Auffassung, dass Fälle der Gewaltanwendung gegen andere Personen als die in Nr. 1 genannten etwa gegen Mitgefangene (zur Verhinderung einer Meldung der Ausbruchsaktion durch sie) - von Nr. 2 erfasst werden (so auch OLG Celle MDR 1964 693).

43

Gewaltsames Ausbrechen bedeutet die Herbeiführung einer - wenn auch nur vorübergehenden - Aufhebung der Freiheitsentziehung mit den Mitteln der Gewalt. Die Begehungsform setzt nicht voraus, dass die Freiheit für längere Zeit erlangt werden soll. Das Vorhaben, zunächst einmal zu entkommen, reicht aus. Nicht einmal die Absicht, demnächst in die Gefangenschaft zurückzukehren, schließt den Tatbestand aus. 44

44

Vollendet ist die Tat in dieser Begehungsform, wenn der Ausbruch gelingt, d.h. wenn der staatliche Gewahrsam über den jeweiligen Gefangenen - wenn auch nur vorübergehend - aufgehoben ist. 45 Damit ist die Tat zugleich auch beendet; 46 sie ist kein Dauerdelikt, das sich bis zur Rückführung in die Gefangenschaft fortsetzt.

45

Nur Versuch liegt ungeachtet eines gelungenen Mauerdurchbruchs vor, wenn das letzte Sachhindernis (z.B. das Außentor) nicht überwunden werden konnte (vgl. Tenckhoff/Arloth JuS 1985 130); ebenfalls nur Versuch, wenn der Ausbrecher nach Überwindung des letzten Sachhindernisses, z.B. nach Übersteigen der Gefängnismauer sofort von

41

42

43

Vgl. Horn/Wolters SK Rdn. 11; Lackner/Kühl Rdn. 6; Tenckhoff/Arloth JuS 1985 130; Zielinski AK Rdn. 13; ferner zu § 122 a.F. Frank § 122 Anm. I 2 d; Welzel Strafrecht S. 508. RGSt 4 9 429, 4 3 0 ; BGHSt 15 198, 2 0 0 ; BGH 1 StR 581/63 v. 3.3.1964; BayObLGSt 1965 151; anders BGHSt 16 34, 35. So auch Bosch MK Rdn. 18; Horn/Wolters SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Eser Rdn. 11.

148

44

45

46

Vgl. RGSt 41 357, 358; Allfeld Lehrb. 8 § 131 II 1; Maurach BT 5 § 71 III D 1. Vgl. BGH 1 StR 704/74 v. 13.2.1975, bei Daliinger MDR 1975 542; 1 StR 416/75 v. 23.9.1975; Koch HK-GS Rdn. 7; Rengier BT 2 § 54 Rdn. 14. Offengelassen in BGH NStZ 1995 339 mit Anm. Wolters.

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Gefangenenmeuterei

einem Vollzugsbeamten in Empfang genommen wird (vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 11; aA Horn/Wolters SK Rdn. 11); hier wird der staatliche Gewahrsam auch nicht vorübergehend aufgehoben. Als Täter der Nr. 2 kommt in Frage, wer selbst mit ausbricht. Ist die Flucht nur einigen von mehreren Tätern der Nr. 2 tatsächlich geglückt, kann von den Zurückgebliebenen neben versuchter Tat nach Nr. 2 zugleich vollendet gewaltsame Ausbruchshilfe im Sinne der Nr. 3 unter den dort vorausgesetzten Umständen verwirklicht sein (aA Horn/Wolters SK Rdn. 12; Zielinski AK Rdn. 13, 17: nur beendeter Versuch nach Nr. 2). Anders als bei § 120 (dort Rdn. 58) ist im Hinblick auf die besonders gefährliche Begehungsweise auch die eigennützige bzw. wechselseitige Ausbruchshilfe von Mitgefangenen strafbar.

46

Außenseiter, insbesondere Mitgefangene, die der Zusammenrottung nicht angehören, können Teilnehmer an der Begehungsform des gewaltsamen Ausbruchs sein. 47 Gewaltsam ist der Ausbruch bei allen Tathandlungen nach Nr. 1, außer wenn er durch schlichte Drohung erzwungen werden soll. Ein solcher Fall ist denkbar, aber situationsfremd. Gewalt gegen die sächlichen Abschlusseinrichtungen erfordert nicht etwa eine außergewöhnliche Anstrengung, sondern nur eben so viel Kraft wie zur Überwindung des Widerstands der Abschlusseinrichtungen gegen ihre nicht ordnungsmäßige Eröffnung aufgewendet werden muss (Knödel S. 170).

47 48

Abschlusseinrichtung ist alles, was das eigenmächtige Entkommen der Gefangenen verhindern soll, die Mauern und Verschlüsse der Haftanstalt, der Stacheldraht um das Außen- oder Hilfslager, der Transportwagen („grüne Minna"), selbst die Zeltplane über dem behelfsweise zur Beförderung eingesetzten LKW (BayObLGSt 1965 151, 152 ff; dass ein Notbehelf erst durch ausdrückliche Bestimmung durch die zuständige Stelle und nicht schon kraft tatsächlicher Verwendung zur Abschlusseinrichtung wird, ist übertrieben formalistisch). Der Abschluss braucht nicht unmittelbar ins Freie zu führen; das Aufbrechen von Innenwänden und Zwischenkammern genügt. 48

49

Beispiele aus der Rspr.: Gewaltsam ist der Ausbruch beim Durchsägen des Zellengitters oder bei seinem Lösen mittels Schraubenschlüssels (RG DStrZ 1921 369; BGHSt 12 306, 308); beim Abreißen eines Gitterstabs, auch wenn dieser schon angesägt ist (BGH 4 StR 163/61 v. 16.6.1961); beim Durchbrechen von Innenwänden einer Arbeitsbaracke (RG GA Bd. 56 86, 87); beim Durchschneiden der Drahtumzäunung eines Lagers (BGH 2 StR 374/51 v. 11.11.1952) oder ihrem Untergraben (RMG 20 50, 53); beim Durchtrennen des Seiles, mit dem die Zeltplane am LKW befestigt ist (BayObLGSt 1965 151, 152); beim Eröffnen eines Schlosses mit solcher Kraft, dass der Bart des (falschen) Schlüssels abbricht (RGSt 17 47, 50). Nicht gewaltsam ist der Ausstieg durch ein zuvor von einem Gefangenen allein aufgestemmtes, mit lose wiedereingefügten Ziegeln verdecktes Mauerloch (RGSt 27 397, 398); das Überklettern einer Mauer (RG DStrZ 1921 369); die Verwendung eines Dietrichs oder Nachschlüssels (BGHSt 16 34, 35); das Entfernen einer vorher entkitteten Glasscheibe (BGH 4 StR 163/61 v. 16.6.1961); das Auffangen eines herabfallenden Stücks des zuvor in einer Einzelaktion durchtrennten

50

47

BGHSt 9 119, 120: Beihilfe durch Zusage der Fluchtunterstützung nach gelungenem Ausbruch; BGH 3 StR 1031/51 v. 21.2.1952: Beiseiteschaffen des beim Ausbruchsversuch anfallenden Bauschutts; RG GA Bd. 45 120, 121: Herrichten von Ausbruchswerkzeug für

48

einen Mitgefangenen; Maurach J Z 1953 342: Randalieren, um die Aufsicht von einem Ausbruchsunternehmen anderer abzulenken. RGSt 49 429, 431; OLG Hamburg J Z 1951 656; beachte aber Rdn. 45.

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Elektrozauns (BGH 2 StR 374/51 v. 11.11.1952). Gewalt gegen mittelbare AbschlussVorrichtungen soll ausreichen; so durch Aufbrechen eines Raumes zur Beschaffung von Schlüsseln oder Zivilkleidern für die Flucht (vgl. RGSt 49 429, 430). 51

(3) Ausbruchshilfe (Nr. 3). Die Nr. 3 stellt die Fälle der tatbestandlich verselbständigten sog. Ausbruchshilfe unter Strafe. Sie betrifft die Förderungsbeiträge der ohne eigenes Fluchtinteresse an der Zusammenrottung Beteiligten. Die erste Alternative erfasst die Förderung der Flucht anderer Beteiligten (Meuterer), wenn ein Gefangener zwar an der Zusammenrottung mitwirkt, nicht aber selbst die Absicht hat, mit auszubrechen. Mit der zweiten Alternative wird das Verhelfen zum Ausbruch für einen an der Zusammenrottung nicht beteiligten Gefangenen erfasst. Insoweit handelt es sich um einen qualifizierten Sonderfall der Gefangenenbefreiung (§ 120 Abs. 1) in der Begehungsform des Förderns einer Selbstbefreiung, den der Gesetzgeber wegen der besonders gefährlichen Begehungsweise nicht in § 120, sondern in § 121 geregelt hat. 49

52

Die Verwirklichung der Begehungsform der Nr. 3 erfordert, dass die an der Zusammenrottung Beteiligten mit vereinten Kräften gewaltsam Gefangenen zum Ausbruch verhelfen. Auch die Strafbarkeit nach Nr. 3 setzt kein eigenhändiges, gewaltsames Vorgehen voraus (vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 16). Erforderlich ist vielmehr, dass aus dem Kreis der Meuterer zur Ermöglichung oder Förderung der Flucht eines Beteiligten oder eines unbeteiligten anderen Gefangenen Gewalthandlungen im oben gekennzeichneten Sinne (Rdn. 50) erfolgen. Gerade die aus der Rotte hervorgehende Gewalt begründet die besondere Gefährlichkeit, die die gesetzliche Einbeziehung auch des Falles der Fluchthilfe für einen unbeteiligten Gefangenen rechtfertigt. Die Hilfe muss in einer Gewalthandlung bestehen. Daher fällt die einem unbeteiligten Gefangenen gewährte Fluchtunterstützung (etwa durch Ablenkung des Aufsichtspersonals etc.) ohne Gewaltakte aus der Rotte auch dann nicht unter Nr. 3, wenn der Entweichende seinerseits Gewalt z.B. gegen Abschlussvorrichtungen anwendet (Bosch MK Rdn. 23; Sch/Schröder/Eser Rdn. 13/14). Geht von zwei Meutereibeteiligten lediglich der Ausbruchswillige gewaltsam vor, während ihn der andere Beteiligte durch Aufpassen, Ablenkung des Wachpersonals u.ä. unterstützt, so ist der unterstützende Tatbeitrag der gewaltsamen Selbstbefreiung des Ausbrechenden untergeordnet und daher nur als Beihilfe zum Ausbruch nach Nr. 2 zu werten (Rdn. 25; vgl. Sch/Schröder/Eser Rdn. 13/14).

ΙΠ. Subjektiver Tatbestand 53

Bei allen tatbestandlichen Begehungsformen ist Vorsatz erforderlich; bedingter Vorsatz genügt (vgl. Fischer Rdn. 13). Der Vorsatz muss sowohl die Zusammenrottung als auch ein Handeln mit vereinten Kräften im Sinne der Nrn. 1 bis 3, mithin die Bedrohlichkeit geschlossenen Auftretens zu rechtswidrigem Handeln, umfassen. Bei dem Tatbestand des gewaltsamen Ausbruchs ist die Absicht, sich der Gefangenschaft dauernd zu entziehen, nicht erforderlich (vgl. RGSt 41 357).

49

Vgl. EEGStGB BTDrucks. 7 / 5 5 0 S. 220; Ε 1962 Begr. S. 609; Prot. 7/210.

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Gefangenenmeuterei

IV. Täterschaft und Teilnahme 1. Täter. Als Täter des Sonderdelikts kommen nur Personen in Frage, die Gefangene 5 4 sind und sich in der Zusammenrottung befinden. Die Frage der (Mit-)Täterschaft ist nach den allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen; eigenhändige Vornahme einer Gewalthandlung i.S.d. Absatzes 1 Nrn. 1 bis 3 ist für die Annahme der Täterschaft nicht erforderlich. Zur Bejahung der Mittäterschaft reicht bei gewaltsamem Vorgehen des einen Tatbeteiligten die auf arbeitsteilige Tatbestandsverwirklichung gegründete Vornahme von Handlungen durch den anderen Beteiligten aus, die einen kausalen Beitrag zur Durchführung des gemeinschaftlichen Tatplans (z.B. Ausbruch) aufgrund eines gemeinschaftlichen Entschlusses darstellen, so z.B. das absprachegemäß gezielte Ablenken des Wachpostens (vgl. Tenckhoff/Arloth JuS 1985 129, 132). Andererseits kann Meutereigehilfe auch sein, wer sich in der Zusammenrottung befindet (Rdn. 20). Wirkt ein Gefangener mit behördlich Verwahrten oder anderen Außenseitern zusammen, ist die Vorschrift des § 121 unanwendbar (vgl. BGH GA 1965 205). Zur Teilnahme von Außenseitern an der Begehungsform der Nr. 2 s. Rdn. 47; zu Teilnahmefragen bei Fluchtunterstützung s. Rdn. 52. 2. Teilnehmer. Die Regelung des § 28 Abs. 1, die eine obligatorische Strafmilderung 5 5 vorsieht, findet auf (außenstehende) Teilnehmer keine Anwendung.50 Bei dem Merkmal des „Gefangenen" in § 121 handelt es sich um kein personales Moment im Sinne des § 28 Abs. 1, sondern ein tatbezogenes Merkmal.51 Insbesondere ist dieses Merkmal nicht etwa Ausdruck einer besonderen personalen Pflichtenstellung, etwa mit der Überlegung, dass nur die Gefangenen die Pflicht zur Wahrung der Ruhe und Ordnung in der Anstalt treffe.52 In der Verletzung einer solchen Pflicht liegt aber nicht der Strafgrund des § 121. Die Beschränkung des Täterkreises in § 121 resultiert allein aus rechtsgutsbezogenen Überlegungen unter Berücksichtigung der für die Tatbegehung vorausgesetzten Lebenssituation. Sie beruht auf der Erwägung, dass das geschützte Rechtsgut, die durch das Haftpersonal repräsentierte oder in den Abschlusseinrichtungen Ausdruck findende staatliche Verwahrungsgewalt, für Gefangene im Sinne einer Verletzung oder Gefährdung am unmittelbarsten erreichbar ist. Die Gefangeneneigenschaft kennzeichnet nur die situationsbedingte Nähe zum Rechtsgut; der Strafgrund beruht auf der besonderen Gefährlichkeit des tatbestandlichen Handelns.53 Dagegen fehlt beim Außenseiter die besondere Stresssituation der Gefangenschaft, so dass eine Strafmilderung ausgerechnet für ihn sinnwidrig wäre (Maurach/Schroeder/Maiwald § 72 III Rdn. 21).

V. Tatvollendung und Versuch Im Falle des tätlichen Angriffs wird der Tatbestand bereits durch die Vornahme der 5 6 Handlung verwirklicht (aA Zielinski AK Rdn. 12, 19, der die tatsächliche Herbeiführung

50

51

Bosch MK Rdn. 27; Fischer Rdn. 14; Lackner/Kühl Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald § 72 III Rdn. 21; Sch/Schröder/Eser Rdn. 16. Zur Problematik des § 28 Sch/Schröder/Cramer/Heine § 28 Rdn. 10 ff, 18; Hoyer SK § 28 Rdn. 2 ff.

52

53

Roxin LK 1 0 § 2 8 Rdn. 41; aA Ostendorf NK Rdn. 6; Schünemann LK § 28 Rdn. 59. Arzt/Weber BT Rdn. 67; Blauth S. 75, 77, 107; Horn/Wolters SK Rdn. 13; Jakobs AT 2 3 / 2 4 ; Sch/Schröder/Eser Rdn. 16; Zielinski AK Rdn. 21.

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6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

einer körperlichen Beeinträchtigung voraussetzt). Bei der Begehungsform der Nötigung ist Tatvollendung erst mit dem Eintritt des Nötigungserfolges (s. Rdn. 36), bei dem gewaltsamen Ausbruch und der Ausbruchshilfe erst mit dem Gelingen des Ausbruchs gegeben (Rdn. 44; vgl. Wessels/Hettinger BT 1 Rdn. 662). 57

Der Versuch ist strafbar (Absatz 2). Die Einführung der Versuchsstrafbarkeit beruht auf dem Verzicht auf die früheren Unternehmenstatbestände. Der Versuch beginnt mit dem Ansetzen zu den Tathandlungen der Nrn. 1 bis 3. Bei dem Ausbruch und der Ausbruchshilfe ist gemeinsame Planung ebenso erst Vorbereitung wie das Handeln einzelner Gefangener außerhalb der Rotte, das der Ausbruchsaktion einen glatten Ablauf sichern soll. Der Versuch beginnt mit der ersten Gewalthandlung aus der Mitte der geschlossenen Rotte (vgl. RGSt 54 314, 316; bedenklich weitgehend BGHSt 16 34, 36 f). Zu Versuchsfällen nach Nr. 2 s. Rdn. 45. Nur versuchte Ausbruchshilfe nach Nr. 3 liegt vor, wenn die gewaltsame Förderungshandlung für den gelungenen Ausbruch in keiner Weise mitursächlich war. Die Strafe kann im Falle des Versuchs nach § 23 Abs. 2 gemildert werden. Strafbefreiender Rücktritt vom Versuch ist möglich (§ 24). VI. Rechtsfolgen

58

1. Besonders schwere Fälle (Absatz 3). Besonders schwere Fälle der Meuterei (§ 12 Abs. 3), gleich welcher Begehungsform, führen zur Schärfung der Freiheitsstrafe auf die Zeit von 6 Monaten bis zu 10 Jahren (Absatz 3). Ob ein besonders schwerer Fall vorliegt, ist unter Abwägung aller Zumessungstatsachen auf Grund einer Gesamtbewertung der tat- und täterbezogenen Umstände zu entscheiden (BGHSt 23 254, 257). Absatz 3 folgt den Prinzipien der schweren Fälle mit Regelbeispielen, die Leitbilder für die richterliche Wertung darstellen, von der Rspr. allerdings als tatsbestandsäbnlich und im Wesen nicht tiefgreifend von selbständigen Qualifikationstatbeständen unterschieden gekennzeichnet werden.54 Ihrer Struktur nach sind sie den Strafzumessungsregeln zuzuordnen.

59

a) Beisichführen einer Schusswaffe. Der erste besonders schwere Fall ist regelmäßig gegeben, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Schusswaffe bei sich führt; wobei die Gebrauchsbereitschaft (etwa das Mitführen von Munition) vorausgesetzt wird (BGHSt 24 276; 2 StR 464/75 vom 22.10.1975). Zum Begriff der Schusswaffe und zum Begriff des Beisichführens s. Erl. zu § 244. Bei Schusswaffen genügt das Bewusstsein des Mitführens; eine Verwendungsabsicht ist nicht erforderlich. Allerdings kann ein Beisichführen zwar noch nach Tatvollendung, nicht aber nach Tatbeendigung Bedeutung gewinnen (BGHSt 31 105 106 f; BGH NStZ 1995 339). Da bei der Begehung nach § 121 Abs. 1 Nr. 2 die Tatvollendung mit der Tatbegehung zusammenfällt, tritt die Regelwirkung nicht ein, wenn die Waffe erst außerhalb der Anstalt in einer Entfernung von 200 bis 300 m zur Verfügung steht, mithin erst nach dem Ausbruch. Bleibt es in einer solchen Konstellation nur beim Versuch des Ausbruchs, weil die 6 m hohe Mauer noch nicht überwunden ist, und ist zum Regelbeispiel noch nicht angesetzt worden, wird die Indizwirkung nicht ausgelöst (BGH NStZ 1995 339 mit Anm. Wolters; Ostendorf J Z 1997 1105).

54

BGHSt 2 6 1 6 7 , 1 7 3 ; 2 9 359, 368; 33 370, 374.

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Gefangenenmeuterei

b) Beisichführen einer Waffe in Verwendungsabsicht. Eine Strafschärfung ist ebenfalls regelmäßig vorzusehen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter eine andere Waffe bei sich führt, um diese bei der Tat zu verwenden. Wie in § 125a Satz 2 Nr. 2 wird hier auch die Waffe im nicht technischen Sinn erfasst (EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 220). Es muss sich um einen nach der objektiven Beschaffenheit und der typischen Art der Benutzung gefährlichen Gegenstand handeln; eine bloße Scheinwaffe (z.B. ein dem Wachposten zur Vorspiegelung einer vorhandenen Schusswaffe in den Rücken gebohrter Pfeifenstiel; vgl. Tenckhoff/Arloth JuS 1985 130 f) genügt nicht, es sei denn, dass der Täter den Gegenstand als Schlagwerkzeug benutzen kann und will (z.B. eine Schreckschusspistole). Es genügt, wenn sich der Tatbeteiligte bei Tatbegehung entschließt, den Gegenstand als Waffe zu benutzen. Im Gegensatz zu Nr. 1 wird hier Gebrauchsabsicht vorausgesetzt. Diese ist zu bejahen, wenn ein Tatbeteiligter die Waffe bei sich hat, um sich ihrer im Bedarfsfall zu bedienen.

60

c) Gewalttätigkeit mit schwerer Folge. Nach dem dritten Regelbeispiel liegt ein 6 1 besonders schwerer Fall vor, wenn der Täter durch eine Gewalttätigkeit einen anderen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt. Die Gewalttätigkeit muss eine konkrete Individualgefahr (Lebens- oder Leibesgefahr) ursächlich herbeiführen. Dies kann durch einen unmittelbaren Angriff auf Menschen geschehen oder durch eine Gewalttätigkeit, die gegen Sachen gerichtet ist, in der Wirkung aber auch Menschen erfasst. Der gefährdete „andere" braucht weder der unmittelbar Angegriffene zu sein, noch dem in Absatz 1 Nr. 1 genannten Personenkreis (Haftpersonal usw.) anzugehören (so aber Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte S. 285), vielmehr genügt eine Gefährdung jedes anderen, auch Unbeteiligten. Allerdings wird der Teilnehmer der Zusammenrottung nicht erfasst; denn er ist als solcher kein „anderer". Dessen Gefährdung ist nach den Gesichtspunkten der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung nicht den weiteren Teilnehmern der Zusammenrottung zurechenbar. 55 Der Begriff der schweren Gesundheitsschädigung (vgl. § 225 Abs. 3 Nr. 1) geht über die schwere Körperverletzung i.S. des § 226 Abs. 1, die bis zum 6. StrRG vom 26.1.1998 als Beschreibung des besonders schweren Falles verwendet wurde, hinaus. Er umfasst auch schwerwiegende, also langwierige, lebensbedrohende oder quälende Krankheiten, die aber heilbar sind. Die erhebliche Beeinträchtigung der bisherigen Arbeitsfähigkeit kann dazu genügen (BTDrucks. 13/8587 S. 28).

62

d) Unbenannt besonders schwere Fälle. Über die Regelbeispiele hinaus kann ein sonstiger besonders schwerer Fall, z.B. bei Anrichtung erheblichen Sachschadens oder der Verletzung zahlreicher Menschen (Fischer Rdn. 15) oder dem Ingangsetzen einer regelrechten Gefangenenrevolte großen Ausmaßes (Bosch MK Rdn. 34; Sch/Schröder/Eser Rdn. 22), in Betracht kommen.

63

e) Vorsatzerfordernis. Wie sonst können auch die besonders schweren Fälle der Meuterei mangels abweichender Regelung nur vorsätzlich begangen werden. Vorausgesetzt ist also grundsätzlich ein auf die Merkmale des Regelbeispiels bezogener, zumindest bedingter (Quasi-(Vorsatz. 56 Das Regelbeispiel Nr. 3 setzt dementsprechend voraus, dass der

64

55

Zutreffend Fischer Rdn. 15; wohl auch Bosch

MK Rdn. 33; aA v. BubnofflX11

56

Rdn. 44.

Vgl. Wessels FS Maurach, S. 3 0 0 f; ders.

FS Lackner, S. 4 2 6 ; auch Ε 1962 Begr. zu

§ 62 S. 185.

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§121

6. Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewalt

Tatbeteiligte durch seinen Tatbeitrag einen anderen vorsätzlich in die genannte Gefahr bringt. 57 65

2. Andere an den Regelbeispielen Beteiligte. Absatz 3 entspricht in seiner Ausgestaltung weitgehend § 125a Satz 2 Nr. 1 bis 3. Allerdings setzt $ 121 Abs. 3 keine Eigenhändigkeit voraus („der Täter oder ein anderer Beteiligter"); anders als bei § 125a (vgl. BGHSt 27 56) erfüllt im Sinne des Absatzes 3 also nicht nur derjenige Täter das Regelbeispiel, der eigenhändig dessen Voraussetzungen verwirklicht.

66

Andere Beteiligte i.S. des Absatzes 3 können daher Mittäter und - in der Zusammenrottung befindliche wie außenstehende - Meutereigehilfen sein, wie bei einer Hilfeleistung beim Ausbruch durch bewaffnete Wärter (Bosch MK Rdn. 30; Sch/Schröder/ Eser Rdn. 21). Für jeden Tatbeteiligten ist gesondert zu prüfen, ob sein Tatbeitrag als besonders schwerer Fall zu werten ist (Fischer Rdn. 14). Die Erstreckung der Indizwirkung eines Regelbeispiels auf andere Beteiligte, d.h. die Zurechnung der (tatbezogenen) erschwerenden Umstände, die ein Beteiligter verwirklicht, setzt voraus, dass die anderen um ihre Verwirklichung wissen oder sie zumindest billigend in Kauf nehmen (§ 16 Abs. 1 analog). 58 Auch die durch bloße Gehilfen verwirklichten erschwerenden Umstände können unter diesen Voraussetzungen den Meuterern zugerechnet werden. Wird der Tatbestand eines Gehilfen als besonders schwerer Fall gewertet, so gilt die obligatorische Strafmilderung nach § 2 7 Abs. 2 (Horn/Wolters SK Rdn. 17; Wessels FS Maurach, S. 307).

VII. Konkurrenzen 67

Innerhalb des § 121 Abs. 1 ist unter den einzelnen Nrn. schon aus Klarstellungsgründen zur Bezeichnung der betroffenen Rechtsgüter Tateinheit möglich. 59 Andere wollen in den Meutereihandlungen verschiedene, unselbständige Begehungsformen desselben Delikts sehen, deren Zusammentreffen keine Konkurrenz begründet. 60 Dies folgt der nicht überzeugenden These, die Gefährlichkeit des Zusammenrottens werde durch die Meutereihandlungen indiziert.

68

Die allgemeineren Vorschriften der §§ 113, 114 und 2 4 0 werden als typische Begleittaten von § 121 Abs. 1 verdrängt. 61 Bei Außenstehenden ist allerdings Idealkonkurrenz von Teilnahme an § 121 mit Täterschaft nach § 113 oder § 240 zu deren Klarstellung möglich (Bosch M K Rdn. 36; Sch/Schröder/Eser Rdn. 23). § 120 Abs. 1 tritt hinter der Nr. 3 des § 121 Abs. 1 als qualifiziertem Sonderfall der Gefangenenbefreiung zurück (Lackner/Kühl Rdn. 9).

57

58 59

Vgl. § 113 Rdn. 88; zu den entsprechend gefassten Regelbeispielen des § 113 Abs. 2 Nr. 2 und § 125a Satz 2 Nr. 3 StGB s. BGHSt 2 6 176, 2 4 4 . Vgl. BGHSt 2 7 56, 57. Fischer Rdn. 8, 2 0 ; Horn/Wolters SK Rdn. 2, 15; Zielinski AK Rdn. 25.

154

Bosch MK Rdn. 35; Lackner/Kühl Rdn. 9; Sch/Schröder/Eser Rdn. 23; Tenckhoff/Arloth JuS 1985 130. Spezialität - BGH 2 StR 5 8 / 5 7 v. 20.3.1957 für § 113; Fischer Rdn. 16; Horn/Wolters SK Rdn. 15; Lackner/Kühl Rdn. 9.

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Gefangenenmeuterei

§ 121

Tateinheit besteht mit Körperverletzungs- und Tötungsdelikten;62 mit Diebstahl; mit (schwerem) Raub; 6 3 mit § 27 WStG (Schölz/Lingens Rdn. 22); wegen der unterschiedlichen Rechtsgüter bei der Beschädigung von Abschlussmitteln auch mit § 303. 6 4 Konkurrenzprobleme tauchen weder zwischen den einzelnen Regelbeispielen des Absatzes 3 noch zwischen Grundtatbestand und Erschwerungsgründen auf, weil die Regelbeispiele keinen selbständigen Tatbestand bilden (vgl. Wessels FS Maurach, S. 295, 307). Bei der Verwirklichung von mehreren Modalitäten des Absatzes 3 liegt nur ein schwerer Fall der Gefangenenmeuterei vor. Tateinheit des Absatzes 3 ist möglich mit allen Vorschriften, zu denen schon der Grundtatbestand des Absatzes 1 in Idealkonkurrenz treten kann; ferner bei Absatz 3 Nr. 1 mit § 53 Abs. 3 Nr. 1 WaffenG.

§ 122 (weggefallen)

62

63

BGH 1 StR 5 / 6 8 v. 28.5.1968, bei Dallinger MDR 1968 7 2 7 für § 223a; BGH 1 StR 5 0 8 / 6 9 v. 10.3.1970; 2 StR 5 8 / 5 7 v. 20.3. 1957 für §§ 211, 43 a.F.; Sch/Schröder/Eser Rdn. 2 3 ; aA Zielinski AK Rdn. 2 4 bzgl. §§ 223, 2 2 3 a : Gesetzeskonkurrenz. BGH 5 StR 4 4 1 / 5 8 v. 4.11.1958; LG Verden an der Aller NStZ-RR 2 0 0 7 2 0 0 ; Fischer Rdn. 16; Tenckhoff/Arloth JuS 1985 132.

64

OLG Celle MDR 1964 693; Bosch MK Rdn. 36; Lackner/Kühl Rdn. 9; Ostendorf NK Rdn. 2 6 ; nach Sch/Schröder/Eser Rdn. 2 3 u. Zielinski AK Rdn. 2 4 nur, soweit sich die Tat nicht lediglich gegen Abschlussvorrichtungen richtet; verneinend RG GA Bd. 56 87; RG DJZ 1921 700.

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69

70

SIEBENTER

ABSCHNITT

Straftaten gegen die öffentliche O r d n u n g

§123 Hausfriedensbruch (1) Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt.

Schrifttum Amelung Der Hausfriedensbruch als Mißachtung physisch gesicherter Territorialität, ZStW 98 (1986) 355; ders. Bemerkungen zum Schutz des „befriedeten Besitztums" in § 123 StGB, NJW 1986 2075; Amelung/Schall Zum Einsatz von Polizeispitzeln: Hausfriedensbruch und Notstandsrechtfertigung, Wohnungsgrundrecht und Durchsuchungsbefugnis - OLG München, DVB1. 1973, 221, JuS 1975 565; Armknecht Hausfriedensbruch: eine strafrechtliche und kriminologische Untersuchung der §§ 123, 124, 342 StGB, Diss. Frankfurt/M. 1970; Artkämper Hausbesetzer, Hausbesitzer, Hausfriedensbruch (1995), zugl. Diss. Frankfurt/Oder 1994; Behm Umfassen die Schutzobjekte des § 123 Abs. 1 StGB auch Zubehörflächen? GA 1986 547; Behm Noch einmal: Zur Bedeutung des Einfriedungserfordernisses beim „befriedeten Besitztum" in § 123 I StGB - OLG Oldenburg, NJW 1985, 1352, JuS 1987 950; Behm Zur Auslegung des Merkmals „Wohnung" im Tatbestand des § 123 und § 244 Abs. 1 Nr. 3, StGB GA 2002 153; Bernsmann Tatbestandsprobleme des Hausfriedensbruchs, Jura 1981 337, 403, 465; Bodendorf Der Hausfriedensbruch: sein Rechtsgut und Tatbestand in neuerer Entwicklung, Diss. Heidelberg 1970; Bohnert Die Willensbarriere als Tatbestandsmerkmal des Hausfriedenbruchs, GA 1983 1; Engeln Das Hausrecht und die Berechtigung zu seiner Ausübung (1989), zugl. Diss. Trier 1987; Geppert Zu einigen immer wiederkehrenden Streitfragen im Rahmen des Hausfriedensbruches (§ 123 StGB), Jura 1989 378; Heinrich Der Umfang der Ausübung des Hausrechts in einer Wohnung bei mehreren Berechtigten im Rahmen des § 123 StGB, J R 1997 89; Hochrathner/Hidden/Camera Ein zulässiges Werkzeug des investigativen Journalismus? ZUM 2001 669; Hümmerich Hausverbot bei Kündigung - Kraftmeierei oder Rechtsinstitut? DB 2001 1778; Janiszewski Eindringen durch Unterlassen? JA 1985 572; Kageler Die gemeinsame und beschränkte zivilrechtliche Inhaberschaft des Hausrechts unter besonderer Berücksichtigung der Bestimmung des Rechtsguts des § 123 StGB, Diss. Hamburg 1973; Kareklas „Eindringen" durch Unterlassen: Die dogmatische Begründung der Rechtsfigur bei § 123 und ihre Fallkonstellationen, Festschrift Lenckner (1998) 459; Kargl Rechtsgüter und Tatobjekte der Strafbestimmung gegen Hausfriedensbruch, J Z 1999 930; Kett-Straub Ist Flitzen über ein Fußballfeld strafbar? JR 2006 158; Krumme Die Wohnung im Recht (2004), zugl. Diss. Heidelberg 2003; Lau Mietrechtliche Probleme des Hausfriedensbruchs, ZMR 1977 194; Lilie Augenscheinseinnahme und Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung, NStZ 1993 121; Ludwig/Lange Mutmaßliche Einwilligung und willensbezogene Delikte - Gibt es ein mutmaßliches Einverständnis? JuS 2000 446; Marnitz Eindringen durch Unterlassen im Rahmen des Hausfriedensbruchs (2006), zugl. Diss. Bielefeld 2005; Mewes Mittäterschaft beim Hausfriedensbruch, Jura 1991 628; Müller-Christmann Warenhauspassage als Ge-

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157

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung schäftsraum oder befriedetes Besitztum? - OLG Oldenburg, N J W 1985, 1352, JuS 1987 19; Olizeg Hausrecht und Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) in Gerichtsgebäuden (2001), zugl. Diss. Berlin 2 0 0 0 ; Rahmlow Einzelne Probleme des Straftatbestands der „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen" (§ 201a StGB), HRRS 2 0 0 5 84; Schall Die Schutzfunktionen der Strafbestimmung gegen den Hausfriedensbruch. Ein Beispiel für die soziologisch fundierte Auslegung strafrechtlicher Tatbestände (1974), zugl. Diss. Göttingen 1973; ders. Hausbesetzungen im Lichte der Auslegung des § 123 StGB, NStZ 1983 241; Schild „Eindringen" (§ 123 I StGB) bei individuellem Betretungsverbot, NStZ 1986 346; Schroeder Ausgewählte Rechtsprobleme des Einsatzes verdeckter Ermittler NStZ 2 0 0 4 359; Schweizer Kraftfahrzeuge und andere Verkehrsmittel als „befriedetes Besitztum" im Sinne des § 123 StGB, GA 1968 81; Seier Problemfälle des § 123 StGB, JA 1978 622; Seier „Instandbesetzung - Hausherrschaft", JA 1982 232; Sickor Die Notwehrfähigkeit einer Zutrittsverweigerung durch Türsteher Jura 2 0 0 8 14; Steinmetz Hausfriedensbruch bei Räumen mit genereller Zutrittserlaubnis, JuS 1985 94; Stoiber Der Hausfriedensbruch im Lichte aktueller Probleme, Diss. München 1971; Stückemann Der getäuschte Hausrechtsinhaber, J R 1973 414; Trabandt Der kriminalrechtliche Schutz des Hausfriedens in seiner geschichtlichen Entwicklung, Diss. Hamburg 1970; Weber Hausbesetzung als strafbarer Hausfriedensbruch? Der Einfluß der Einfügung des Merkmals „befriedetes Besitztum" in § 123 StGB und seinen Vorläufern auf die Bestimmung des Rechtsguts des Hausfriedensbruchs, zugleich ein Beitrag zur Dogmengeschichte des Hausfriedensbruchs (1991), zugl. Diss. Trier 1990. S. ferner noch die Schrifttumsangaben vor Rdn. 39 (zu behördlichen Hausverboten). Umfassend zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung des Hausfriedensbruchs Weber S. 26 ff.

Entstehungsgeschichte Durch Art. 19 Nr. 4 7 , 1 9 0 EGStGB 1 9 7 4 wurden § 1 2 3 Abs. 2 a.F. („Ist die Handlung von einer mit Waffen versehenen Person oder von mehreren gemeinschaftlich begangen worden, so tritt Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem J a h r ein.") sowie § 3 4 2 a.F. (Hausfriedensbruch im A m t ) gestrichen und dafür die Strafdrohung des § 123 Abs. 1 (früher: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei M o n a t e n ) erhöht. Die kriminalpolitische Bedeutung der Vorschrift ist deutlich geringer als die dogmatischen Streitfragen, die sich um § 1 2 3 ranken. Die registrierte Kriminalität ist eher rückläufig (zu den Einzelheiten Ostendorf N K Rdn. 12 ff). Obwohl empörte Betroffene das Delikt häufig als tiefe Beeinträchtigung erleben, gilt der Hausfriedensbruch als typisches Bagatelldelikt. Die Staatsanwaltschaft verweist in der Regel auf den (häufig aussichtslosen) Privatklageweg (§ 3 7 4 Abs. 1 Nr. 1 StPO), auch das Antragserfordernis sowie der niedrige Strafrahmen betonen die eher symbolische Bedeutung des Schutzes des Hausrechts durch Strafrecht (ausführlich dazu Ostendorf N K Rdn. 16).

Übersicht Rdn.

Rdn. I. Geschütztes Rechtsgut . 1. Schutz des Hausrechts 2 . Differenzierende Betrachtungsweisen . Π. Geschützte Tatobjekte . . . . 1. Die Wohnung eines anderen 2. Begriff der Geschäftsräume 3. Befriedetes Besitztum . . . 4. Zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmte abgeschlossene Räume . . . ΙΠ. Der Inhaber des Hausrechts 1. Allgemeines 2. Wohnungen

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1 1 3 8

8 14

16 20 27 27

28

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a) Befugnisse des Vermieters b) Ablauf des Mietvertrags . c) Ehewohnung d) Mitbesitz e) Besitz ohne Nutzungsrecht 3. Öffentliche Versammlung 4 . Übertragung des Hausrechts zur Ausübung a) Zulässige Ermächtigungen b) Fehlen einer solchen Ermächtigung 5. Das Hausrecht der öffentlichen Hand a) Allgemeines

. . . . . .

.

29 32 33 34 35 36 37 37 38 39 39

§ 123

Hausfriedensbruch Rdn. b) Privatrechtliche Natur des Hausverbots c) Gebäude im Verwaltungsvermögen aa) Lehre von der öffentlichrechtlichen Natur des Hausverbots . bb) Lehre von der unterschiedlichen Natur des Hausverbots . cc) Stellungnahme IV. Eindringen in den geschützten Raum . . 1. Begriff des Eindringens 2. Erlaubnis des Hausrechtsinhabers . . a) Erschlichene Eintrittserlaubnis . . . b) Generelle Eintrittserlaubnis . . . . c) Abgenötigte Eintrittserlaubnis . . . 3. Betreten unter Zuwiderhandlung gegen ein als Verwaltungsakt erlassenes Hausverbot 4. Eindringen durch Unterlassen V. Verweilen trotz Aufforderung des Berechtigten 1. Rechtsnatur

Rdn.

40 41 VI. VII.

42 43 44 45 45 49 50 52 55

vm. IX.

X.

56

XI.

58 60 60

ΧΠ.

2 . Aufforderungsberechtigte 3. Aufforderung 4. Weiteres Verweilen Subjektiver Tatbestand Rechtswidrigkeit 1. Widerrechtlichkeit des Eindringens 2. Verweilungsbefugnis Irrtümer Vollendung. Teilnahme 1. Dauerdelikt 2. Eigenhändigkeit Konkurrenzen 1. Ausgangspunkt 2. Tateinheit 3. Tatmehrheit 4. Gesetzeskonkurrenz Strafantrag (Abs. 2) 1. Allgemeines 2 . Antragsberechtigung Strafzumessung

. .

61 64 65 67 68 68 70 74 75 75 76 77 77 78 79 80 82 82 83 85

I. Geschütztes Rechtsgut 1. Schutz des Hausrechts. § 123 ist in den 7. Abschnitt des BT „Straftaten gegen die 1 öffentliche Ordnung" eingestellt, müsste aber eigentlich systematisch richtiger im 18. Abschnitt („Straftaten gegen die persönliche Freiheit") stehen.1 Amelung hat zutreffend nachgewiesen, dass mit dem staatlichen Schutz des öffentlichen Friedens der Hausfriedensbruch individuelle Interessen schützt (Amelung ZStW 98 [1986] 355, 407). Denn das geschützte Rechtsgut ist das Hausrecht i.S. einer „physisch gesicherten Territorialität" (Amelung ZStW 98 [1986] 355, 403). Soweit sich Marnitz an dem Begriff des „Haus"-rechts stört und kritisiert, dass es sich hier gerade nicht nur um das Haus handele (Marnitz S. 108), wirkt dieser Einwand eher formal. Der von ihr vorgeschlagene Begriff der „räumlichen Friedenssphäre" ähnelt stark der von Welzel (S. 332) geprägten „lokalisierten Freiheitssphäre" (Marnitz S. 109). Es handelt sich also eher um eine sprachliche Klarstellung, denn im weiteren Sinn ist das Hausrecht das Interesse an ungestörter Betätigung des eigenen Willens im eigenen oder überlassenen Lebensbereich, sei es das Haus, der Hof, die Wohnung2 oder sonst erkennbar geschütztes Grundeigentum oder -besitz (OLG Köln JR 1984 28; Bernsmann Jura 1981 337; Geppert Jura 1989 378). Der von § 123 strafrechtlich geschützte Kern des Hausrechts ist die Freiheit der Entscheidung darüber, wer zu dem eigenen Schutzbereich Zutritt haben soll. Das Hausrecht ist damit ein Bestandteil der persönlichen Freiheitssphäre, „ein Stück lokalisierter Freiheitssphäre" (Welzel S. 332), ein „persönliches Rechtsgut eigener Art". Es geht insoweit über Art. 13 GG hinaus, da dieses Grundrecht als ein subjektives öffentliches Recht ein Abwehrrecht zum Schutz der räumlichen Privatsphäre gegen die Träger der öffentlichen Gewalt ausgestaltet ist.3 Die widerrechtliche Verletzung des Hausrechts stellt sich danach 1

Lackner/Kühl

R d n . 1 ; Sch/Schröder/Lenckner/

Sternberg-Lieben

3

R d n . 1 ; a u s f ü h r l i c h Arne-

2 0 0 1 3 7 3 ; Lilie N S t Z 1 9 9 3 1 2 4 ; von

lung Z S t W 9 8 ( 1 9 8 6 ) 3 5 5 , 4 0 7 . 2

Z u m Begriff der W o h n u n g ausführlich kämper

B V e r f G N S t Z 2 0 0 1 3 8 3 ; d a z u Amelung Kunig

NStZ Münch/

A r t . 13 G G R d n . 3 .

Art-

S. 3 6 f f .

H a n s Lilie

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§ 123

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

als Angriff gegen die persönliche Freiheit des Hausrechtsinhabers dar, der durch § 123 zugleich in seinem Besitz geschützt wird.4 Die früheren StGB-Entwürfe (vgl. § 172 Ε 1962; § 122 AE 1970) ordneten demgemäß auch, so wie das österreichische Strafgesetzbuch in § 109 mit seinen zwei selbständigen und voneinander unabhängigen Tatbeständen Abs. 1 und 3, 5 den Hausfriedensbruch bei den Straftaten gegen die persönliche Freiheit ein. 2

Bei abgeschlossenen Räumen, die dem Publikumsverkehr gewidmet sind und daher der Allgemeinheit grundsätzlich zur Verfügung stehen, gilt Entsprechendes. Wegen des freien Zugangs der Allgemeinheit dient das Hausrecht dazu, die notwendigen Betriebsabläufe zu sichern, den Geschäfts- oder Dienstbetrieb zu gewährleisten und den Publikumsverkehr, nicht zuletzt auch wegen der Verkehrssicherungspflichten, zu steuern. Indessen zwingt diese Besonderheit nicht dazu, hier ein Rechtsgut anderer Art anzunehmen. Auch bei privaten Geschäftsräumen mit großem Publikumsverkehr, wie z.B. Einkaufspassagen oder Kaufhäusern, ist die Freiheit des Unternehmers, beliebig zu entscheiden, wer Zutritt haben soll, faktisch durch die Zweckbestimmung weitgehend eingeschränkt.

3

2. Differenzierende Betrachtungsweisen. Der herrschenden Meinung über das von § 123 geschützte Rechtsgut stehen Auffassungen gegenüber, die die „formale" Annahme eines - mit gewissen Brechungen - einheitlichen Rechtsguts verneinen und ausführen, dass je nach dem Verwendungszweck der in § 123 genannten Räumlichkeiten unterschiedliche materielle Rechtsgüter in Frage stehen. So ist nach Schall6 die Wohnung eine „räumlich abgesteckte und vor dem Eingriff Dritter geschützte häusliche Privatsphäre". Das Hausrecht diene dazu, diese Sphäre „vor der Wahrnehmung durch Dritte abzuschirmen und dadurch einen Freiraum häuslicher Privatheit zu ermöglichen, in dem sich in der Regel drei gesellschaftlich-funktionale Prozesse vollziehen: die Sozialisation des Kindes durch die Familie, der Spannungsausgleich des einzelnen und die individuelle Selbstentfaltung als Voraussetzung der persönlichen Selbstdarstellung" (Schall Schutzfunktionen S. 134 f). Geschäftsräume seien dagegen (im soziologischen Sinn) weder privat noch durchgehend öffentlich. Der Arbeitsraum sei heute in aller Regel dem „reinen Arbeitszweck" unterworfen. Er diene sowohl der Bereitstellung von Arbeitsmitteln zur Ermöglichung der Zusammenarbeit und der Kontaktaufnahme nach außen als auch dem Schutz vor Eingriffen, die den Ablauf der rationalisierten und funktional disziplinierten Arbeitsvorgänge stören könnten (Schall Schutzfunktionen S. 111 ff). Die zum öffentlichen Dienst bestimmten Räume dienten - unter Teilhabe des Bürgers - dem störungsfreien Dienstbetrieb (Schall Schutzfunktionen S. 123 ff). Das befriedete Besitztum sei überhaupt wegen seiner andersartigen gesellschaftlichen Funktion - den (allgemeinen) Frieden zu wahren ein Fremdkörper in § 123. Als Leitlinie für die Auslegung des Gesetzes müsse gelten, dass der Strafschutz nur soweit reiche, als es zur Abwehr von Störungen der Funktion der einzelnen Raumtypen erforderlich sei. So genüge bei Wohnungen als Tatbestandsverwirklichung nicht allein das Eindringen in die räumliche Sphäre, hinzu kommen müsse viel-

4

5

Arzt/Weber § 8 Rdn. 7; Fischer Rdn. 2; Krey/ Heinrich BT 1 Rdn. 431; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT I § 30 Rdn. 2; Rengier BT II § 30 Rdn. 1; Otto BT § 35 Rdn. 1; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Wessels/ Hettinger BT I Rdn. 573. Der anders ausgerichtete und deshalb auch als wenig sinnvoll bezeichnete § 109 öStGB

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6

(Hausfriedensbruch) findet sich im dritten Abschnitt des öStGB, der die Vorschriften zu strafbaren Handlungen gegen die Freiheit beinhaltet (dazu Bertel Wiener Kommentar § 109 öStGB Rdn. 1). Schall Schutzfunktionen S. 90 ff; s. auch Amelung/Schall JuS 1975 565, 566.

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Hausfriedensbruch

mehr die Beeinträchtigung der sozialen Funktionen (Schall Schutzfunktionen S. 136). Bei Arbeitsräumen bestehe in weiterem Umfang als bei Wohnräumen eine Offenheit nach außen. Erst die Gefährdung des planmäßigen Ablaufs des Arbeitsprozesses begründe den Vorwurf des Hausfriedensbruchs (Schall Schutzfunktionen S. 153). Wegen fehlender Störung des Arbeitsprozesses könnten solche Verbote nicht anerkannt werden, die Personengruppen nur nach ihren inneren Einstellungen, Motiven und Zwecken vom Zutritt ausschließen wollen. Bei den zum öffentlichen Dienst bestimmten Räumen liege Hausfriedensbruch nur bei einer Störung des Dienstbetriebs vor. Amelung stützt sich auf eine anthropologisch-soziologische Sichtweise und betont die einzelnen geschützten Interessen, die in einem Stufenverhältnis „physisch gesicherte Territorialität" als geschütztes Gut beschreiben. 7 Diese Interessen werden durch die Sicherung von Personen und materiellen Gütern, die Abwehr von Störungen, die Geheimhaltung und die Freiheit in Gestalt eines Verhaltensspielraums gewahrt. Einen vergleichbaren Weg schlägt Weber (S. 241) ein, wenn sie die Freiheit, andere vom Aufenthalt auf physisch gesichertem Territorium auszuschließen, als Rechtsgut des Hausfriedensbruchs ansieht, also Amelungs Rechtsgutsbegriff übernimmt und die Tathandlungen, die wesentlich sind, als Limitierung in die Definition des Rechtsguts aufnimmt und dadurch die tatbestandlichen Handlungen begrenzt (Weber S. 240). Ähnlich argumentiert Krumme, der zur Hervorhebung der Trennung von Rechtsgut und Tatobjekt die Bezeichnung Territorialbesitz vorschlägt (Krumme S. 244).

4

Von einer differenzierenden Einzelfallbetrachtung geht Kargl (JZ 1999 930) aus und wendet sich materiellen Gründen zu, um der „Gefahr einer Entgrenzung des Tatbestandes" (Kargl J Z 1999 930, 932) zu entgehen. Um ein „buntes Gesamtrechtsgut" (Freiheit, Sicherheit des Besitzes und Wille des Berechtigten) zu vermeiden, wird jeweils das einzelne Schutzobjekt analysiert und das Rechtsgut unter Heranziehung des Schutzinteresses definiert (Kargl J Z 1999 930, 934 ff). So wird als Rechtsgut der Wohnung „das Interesse am Hausfrieden im Sinne des Anspruchs der Person auf Respektierung der Intimsphäre als Voraussetzung der freien Entfaltung der Persönlichkeit" (Kargl J Z 1999 930, 935) bezeichnet. Auf diese Weise wird zwar ein buntes Gesamtrechtsgut vermieden, stattdessen findet man bei Kargl jedoch eine farbige Palette von Einzelrechtsgütern in § 123 wieder.

5

Für einen funktional betonten Rechtsgutsbegriff setzt sich Olizeg ein. Im Anschluss an Rudolphi/Stein (SK Rdn. 1 f, so auch Ostendorf NK Rdn. 6) stellt er darauf ab, dass die typische Gefahr der tatsächlichen Störung der sozialen Funktion der einzelnen Schutzobjekte daraus resultiert, dass unerwünschte Personen eintreten oder verweilen (Olizeg S. 170). Angesichts des Merkmals „befriedetes Besitztum" meint er jedoch zwischen den einzelnen geschützten Örtlichkeiten keine einheitliche Grundfunktion feststellen zu können (Olizeg S. 171). Dies wird damit begründet, dass, anders als in Wohnungen, Geschäftsräumen und öffentlichen Gebäuden, keine Prozesse im befriedeten Besitztum ablaufen, die gefährdet werden, wenn sich dort unerwünschte Personen aufhalten. Deshalb tritt er für einen funktionalisierenden Rechtsgutsbegriff ein, der dem befriedeten Besitztum nur im Einzelfall die schutzwürdige Nutzung als Rechtsgut zukommen lassen kann (Olizeg S. 171). Insoweit befindet er sich in Übereinstimmung mit Kargl (JZ 1999 930, 937) und Schild (NStZ 1986 346, 351).

6

7

Amelung ZStW 98 (1986) 355, 403; ders. NJW 1986 2075, 2077; außerdem Behm JuS 1987 950, 952; ders. GA 1986 547, 557.

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§ 123

7

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Diesen Auffassungen, dass je nach der Zweckbestimmung der in § 123 aufgezählten Räumlichkeiten verschiedenartige „materielle" Schutzgüter zu unterscheiden seien, kann indessen nicht gefolgt werden. Auch bei Berücksichtigung gewisser sich aus der Zweckbestimmung des Raums ergebender Beschränkungen des Hausrechts sind jedenfalls „soziologisch fundierte" Auslegungen, die auf eine weitgehende Ausschaltung des Hausrechts hinauslaufen, mit der lex lata unvereinbar. Dies gilt insbesondere für die Folgerung, dass bei Wohnungen Hausfriedensbruch erst gegeben sei, wenn eine Störung ihrer sozialen Funktionen vorliege, oder dass bei Geschäftsräumen, obwohl auch hier eine geschäftliche Geheimsphäre gesichert werden soll, § 123 erst Platz greife, wenn der Arbeitsprozess gestört werde.8 Zutreffend ist vielmehr, dass es sich um verschiedene Nutzungsformen eines einheitlichen Rechtsguts handelt (Amelung ZStW 98 [1986] 355, 404). Insoweit ist auch keine Differenzierung hinsichtlich des befriedeten Besitztums angebracht. Denn für das Rechtsgut reicht nach der tatbestandlichen Beschreibung, dass der jeweilige Bereich durch Eindringlinge gestört ist.9 Denn der Strafgesetzgeber hat nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit den Schutz der Räumlichkeiten durch ein Abwehrrecht „formalisiert".10

Π. Geschützte Tatobjekte 8

1. Begriff der Wohnung eines anderen. Wohnung ist der Inbegriff der Räumlichkeiten, die einer Einzelperson oder einer Mehrzahl von Personen zum Aufenthalt dienen oder zur Benutzung freistehen.11 Dient der Raum einer Mehrzahl von Personen zum Aufenthalt, so kommt es nicht darauf an, dass sie - wie z.B. eine Familie - „zusammengehören". Für den Begriff der Wohnung ist es nicht erforderlich, dass der Raum auch zur Nachtruhe dient (Schäfer MK Rdn. 11). Das Vorhandensein von Schlafgelegenheiten bildet zwar ein wichtiges Kennzeichen dafür, dass es sich um eine Wohnung handelt (RGSt 13 312, 313). Doch kann ein Raum auch Wohnung sein, wenn er nicht zum Nächtigen bestimmt oder geeignet ist, wie der Baucontainer zum Aufenthalt der Bauarbeiter während der Arbeitspausen oder das Tageszimmer im Hotel. 12 Ein Raum stellt auch dann eine Wohnung dar, wenn er in der Regel nur zum Nächtigen dient. Offene Schutzhütten, die nur Gelegenheit zu vorübergehendem Schutz vor Regen oder zur Rast gewähren sollen, sind keine Wohnungen.

9

Nicht erforderlich ist, dass der Raum derselben Person dauernd oder für längere Zeit zum Aufenthalt (Nächtigen) dient. Daher ist auch das von einem Gast für kürzere Dauer

8 9

10

Amelung ZStW 9 8 (1986) 355, 404. Maurach/Schroeder/Maiwald BT I § 30 Rdn. 3. So auch Rudolphi/Stein SK Rdn. 2ff und 25, der deshalb nur mit Einschränkungen den differenzierenden Auffassungen zuzurechnen ist; vgl. im Übrigen die Einwendungen von Wagner GA 1976 156, 157; Hirsch ZStW 88 (1976) 752, 756 ff; Maurach/Schröder/Maiwald BT I § 30 Rdn. 3, 11; Ostendorf NK Rdn. 11; Schroeder J Z 1977 39; Sch/Schröder/Lenckner/Stemberg-Lieben Rdn. 2; Wessels/Hettinger BT I Rdn. 574; Otto JR 1978

220.

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11

12

RGSt 12 132, 133; Fischer Rdn. 6; Lackner/ Kühl Rdn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald BT I § 30 Rdn. 10; Rudolphi/Stein SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 4 ; zur Abgrenzung des Wohnungsbegriffs in § 2 4 4 Abs. 1 Nr. 3 (enger Wohnungsbegriff) und § 123 (weiter Wohnungsbegriff) Weber in Arzt/Weber § 14 Rdn. 64 und Behm GA 2 0 0 2 160; aA Krumme S. 274, der einen einheitlichen Wohnungsbegriff fordert. Fischer Rdn. 6; Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 4 3 2 ; Maurach/Schroeder/Maiwald BT I § 30 Rdn. 10; Wessels/Hettinger BT I Rdn. 579.

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Hausfriedensbruch

S

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(auf Stunden oder wenige Tage) gemietete Hotel- oder Gasthauszimmer seine „Wohnung". Es bildet für diesen Zeitraum die Privatsphäre, in der er unter Ausschaltung Außenstehender walten kann, wie er mag (unten Rdn. 31). Das gilt aber nur für das gemietete Hotelzimmer selbst, während alle übrigen zum Hotel gehörenden Räumlichkeiten vom Hausrecht des Hoteliers erfasst werden (Behm GA 2002 155; Heinrich J R 1997 89 ff). Insoweit wird es sich dann freilich eher um Geschäftsräume handeln. Auf den Rechtsgrund, auf dem das Nutzungsrecht beruht, kommt es nicht an. Eine Wohnung ist daher auch die Unterkunft, die den Obdachlosen für die Dauer der Obdachlosigkeit von der zuständigen Behörde zugewiesen wird (vgl. OLG Köln NJW 1966 265; OLG Bremen NJW 1966 1766). Zwar ist deren Hausrecht gegenüber dem der einweisenden Stelle stark beschränkt - anders als beim herkömmlichen Mieter (dazu unten Rdn. 31) - , doch kann auch hier der verbleibende Rest des Hausrechts des Obdachlosen an Bedeutung gewinnen, wenn Außenstehende versuchen, in die Unterkunft einzudringen.

10

Zur Wohnung gehören auch die der Benutzung durch die Wohnungsinhaber dienen- 11 den Nebenräume, wie Treppen, Flure, Keller, Fahrradabsteil- und Trockenräume. Dabei wird zu differenzieren sein. Soweit es sich um das allein bewohnte Einfamilienhaus handelt, ergeben sich keine Besonderheiten für die Nebenräume. Darüber hinaus ist im Gegensatz zur Auffassung Behms (GA 2002 155) die Zuordnung von gemeinschaftlich genutzten Einrichtungen, wie etwa Treppenhaus und Gemeinschaftsgarage, gerade nicht fraglich, weil sie durch die Tatbestandsvariante befriedetes Besitztum geschützt sind und in der Regel der Mietvertrag die Einzelheiten regelt. Das führt daher auch nicht zu begrifflichen Unschärfen {Ostendorf NK Rdn. 21). Dies gilt auch, soweit sich der Nebenraum außerhalb des Wohnhauses befindet, aber eine für jedermann erkennbare Zugehörigkeit zur Wohnung besteht (RGSt 20 150, 155; 36 395, 398). Ein Hausgarten und der Hof gehören dagegen eher zum befriedeten Besitztum (Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 4). Der zur Straße hin offene Vorplatz einer zu einem Wohnhaus gehörenden Garage ist weder der Wohnung zuzurechnen, noch steht er einem befriedeten Besitztum gleich (BayObLGSt 2003 10). Anders als bei § 201a gilt bei § 123 ein weiterer Wohnungsbegriff, da bei § 201a gerade nicht in allen Funktionsräumlichkeiten von einem Vertrauen in die Unbeobachtetheit ausgegangen werden kann (Fischer Rdn. 7; Rahmlow HRRS 2005 85). Auch bewegliche Sachen können Wohnungen sein, wenn sie dazu eingerichtet sind (RGSt 13 312, 313), z.B. Schiffe, Campingzelte, Zirkuswagen, Schäferkarren,13 Wohnwagen, Wohnmobile oder ein mit Schlafkabine ausgestatteter Lkw. Sonstige Kraftfahrzeuge sind Beförderungsmittel und genießen als solche den Schutz des § 123 nur, wenn sie zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind.14

12

Räume, die zwar zum Wohnen bestimmt sind, aber noch leer stehen, sind ebenso wie 1 3 noch nicht bewohnbare Neubauten keine Wohnung (OLG Hamm NJW 1982 2676, 2677; dazu Schön NJW 1982 2649), können aber befriedetes Besitztum sein (Rudolphi/ Stein SK Rdn. 10; Schäfer MK Rdn. 17). Dagegen genießt eine Wohnung, die nicht ständig, sondern nur von Zeit zu Zeit (Wochenendhäuser, Fischerei- oder Jagdhütten) oder nur während bestimmter Zeiten (Sommerhaus, Datsche) bewohnt wird, den Schutz des § 123 auch in der Zeit, in der sie nicht genutzt wird.

13 14

Vgl. Schäfer LK 1 0 Rdn. 10. RGSt 32 371; BGHSt 11 47; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT I § 30 Rdn. 10;

Rudolphi/Stein SK Rdn. 9; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Wessels/ Hettinger BT I Rdn. 579.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

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2. Begriff der Geschäftsräume. Geschäftsraum ist eine (baulich) abgeschlossene Räumlichkeit, die vom Berechtigten (durch einen maßgebenden Willen) für eine gewisse Zeit oder dauernd hauptsächlich zum Betreiben gewerblicher, wissenschaftlicher, künstlerischer und ähnlicher Geschäfte bestimmt ist und dieser Bestimmung gemäß verwendet wird. 1 5 Die Bestimmung und Benutzung zu einer auf Erwerb gerichteten Tätigkeit gehört nicht zum Begriff des Geschäftsraums (RGSt 32 371). In Betracht kommen z.B. Restaurants, Schankräume, Fabriken, Werkstätten, Tankstellen, Kanzleien und Arztpraxen. 16 Die Räume von im Inland befindlichen ausländischen Missionen und Konsulaten gelten ebenfalls, soweit sie nicht als Wohnung dienen, als Geschäftsräume (OLG Köln NJW 1982 2740; aA Bernsmann StV 1982 578). Auch kann eine bewegliche Sache Geschäftsraum sein, z.B. ein fahrbarer Schankwagen, eine Verkaufsinsel, ein Zirkuszelt oder ein Werbestand oder -wagen. Ein Baucontainer ist Geschäftsraum, wenn er zum Aufbewahren des Arbeitsgeräts (BayObLG VRS 1965 115) dient. Der Wagen oder der mobile Supermarkt, von dem aus der Händler seine Waren verkauft, sind Geschäftsräume (RGSt 13 312, 315). Jedoch ist ein beweglicher Gegenstand, dessen wesentliche Zweckbestimmung es ist, als Transportmittel zu dienen, kein Geschäftsraum (LG Zweibrücken NJW 1971 1377) und wird auch nicht dadurch zum Geschäftsraum, dass in ihm Beförderungsverträge abgeschlossen werden. Ein Schiff kann Geschäftsraum sein, soweit es als Verkaufsstätte für die mitgeführten Waren bestimmt ist und verwendet wird. Einzelne Räume eines Kreuzfahrtschiffs oder Ausflugsdampfers, z.B. die Kajüte des Kapitäns, des Pursers oder ein besonderer Kassenraum, können ebenfalls Geschäftsräume sein. Der Geschäftsraum muss zwar baulich abgeschlossen sein, er braucht aber nicht verschlossen oder nur einem bestimmten Personenkreis zugänglich zu sein. Da seine Bestimmung auch darin bestehen kann, für das Publikum allgemein zugänglich zu sein, macht auch das Aufsuchen des Raums durch eine Vielzahl von beliebigen Interessenten ihn nicht zu einem unbefriedeten (BayObLG VRS 1965 115). Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass Fußballstadien als Geschäftsräume zu beurteilen seien (Klett-Straub JR 2006 188). Als Begründung wird angeführt, dass der kommerzielle Hintergrund des Bundesliga-Fußballes der dazugehörigen Stadien so offensichtlich sei, dass es sich um Geschäftsräume handele. Für die Begründung wird ferner ausgeführt, dass die Namensgebung eines Stadions („Signal-Iduna-Park" statt Westfalenstadion) diese Auslegung stützten. Allerdings engt diese Auffassung die Interpretation ausschließlich auf Fußballereignisse in den Stadien ein und berücksichtigt nicht jene Sportstätten, die weiter ihre traditionellen Namen führen. Außerdem ist die Frage aufzuwerfen, ob die Stadien nur dann Geschäftsräume seien, wenn Fußball gespielt wird und bei anderen Sportveranstaltungen und Unterhaltungsshows befriedetes Besitztum seien. Deshalb vermag insgesamt die Einordnung der Fußballstadien als Geschäftsräume kaum zu überzeugen.

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Wie zur Wohnung, so gehören auch zum Geschäftsraum die Nebenräume und zwar einschließlich angrenzender, nicht eingefriedeter Grundflächen, bei denen aus ihrer räumlich-funktionalen Zuordnung für jedermann die Zugehörigkeit zum Geschäftsraum erkennbar ist, wie z.B. beim Biergarten, dem Hof sowie den Stallungen und Scheunen einer Landwirtschaft (BayObLG M D R 1969 778; OLG Hamm VRS 1969 265). Verneint

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RGSt 32 371; BayObLG VRS 29 (1965) 115; Fischer Rdn. 7; Lackner/Kühl Rdn. 3; Schäfer MK Rdn. 13; Otto BT § 35 Rdn. 4; Rengier BT II § 30 Rdn. 3; Wessels/Hettinger BT 1 Rdn. 580. Noch unbeantwortet ist die Frage, ob mit einem Schiebedach verschließbare

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Fußballstadien Geschäftsräume oder befriedetes Besitztum sind. BayObLGSt. 7 344; Otto BT § 35 Rdn. 4; Rengier BT II § 30 Rdn. 3; Wessels/Hettinger BT I Rdn. 58Of.

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hat OLG Hamm VRS 1969 265 die Eigenschaft als Nebenraum bei einem kleinen Platz vor einem Geschäftsgebäude, dessen Benutzung als Parkplatz nach aufgestellten Verbotsschildern nur den Besuchern des Unternehmens erlaubt sein sollte. 3. Befriedetes Besitztum. Besitztum ist, wie sich aus der Entstehungsgeschichte des § 123 ergibt, nur unbeweglich.17 Bewegliche Sachen, wie ein Personenkraftwagen, fallen nicht unter den Begriff (aA Schweizer GA 1968 81).

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Befriedet bedeutet nicht, dass das Besitztum - wie dies bei den Nebenräumen einer Wohnung oder eines Geschäftsraums erforderlich ist - in räumlichem oder wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer Wohnung oder einem Geschäftsraum steht und so mit dem Frieden eines Hauses ausgestattet sein müsste (Amelung ZStW 98 [1986] 355, 374). Befriedet bedeutet vielmehr lediglich eingefriedet oder eingehegt i.S. einer präventiven Sicherung.18 Eingefriedet ist ein Grundstück, wenn es der berechtigte Inhaber in äußerlich erkennbarer Weise mittels zusammenhängender Schutzwehren gegen das beliebige Betreten durch andere gesichert hat, z.B. durch Mauern, Zäune, Hecken. 19 Auch niedrige Umwallungen oder Gräben können genügen. Eine feste Umschließung, wie sie zum Begriff des umschlossenen Raums in § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 gehört, ist zur Befriedung i.S. des § 123 nicht erforderlich. Genügend ist z.B. auch eine Einfriedung durch Absperroder Flatterbänder (OLG Celle NdsRpfl. 1976 40). Lücken in der Schutzwehr schließen das Vorliegen einer Befriedung nicht aus, sofern sie nicht so erheblich sind, dass von einer Einfriedung nicht mehr gesprochen werden kann. Die Umfriedung muss aber ein wenn auch nicht unüberwindliches - körperlich wirkendes (physisches) Hindernis gegen das unbefugte Eindringen bilden. Daher genügen bloße Warn- und Verbotstafeln, die nur ein psychisches Hindernis bereiten, nicht zur Befriedung (OLG Hamm VRS 1968 265; Amelung NJW 1986 2075, 2079; Behm GA 1986 547, 557). Auch nicht abschließbare Tore bilden eine psychische Barriere und gewährleisten Schutz nach § 123 (OLG Oldenburg MDR 2005 1400). Das Gleiche gilt für Kennzeichnungen einer Grundstücksgrenze, die nicht die Bedeutung eines physischen Hindernisses haben, wie etwa nur eine gepflasterte Rinne. Solche Merkmale können aber ausreichend sein, um die Zugehörigkeit einer Grundfläche als Nebenraum zu einer Wohnung oder einem Geschäftsraum erkennbar zu machen (vgl. RGSt 20 150, 155; BayObLG NJW 1995 269). Die Befriedung erstreckt sich auf Einkaufspassagen, weil für Außenstehende erkennbar ist, dass ein enger räumlicher und funktioneller Zusammenhang mit der Gesamtheit der Geschäftsräume besteht. Auch wenn Fußgänger solche Passagen im Einverständnis des einzelnen Geschäftsinhabers nutzen und Ein- und Ausgänge offen sind, berechtigen die aus dem Eigentum oder Besitz abgeleiteten Rechte des Passagenbetreibers, Einzelnen das Verweilen zu untersagen. 20 Anderes gilt für unterirdische Durchgänge, die nicht zu abgegrenzten Bereichen der U-Bahn gehören. Diese sind kein befriedetes Besitztum und im Übrigen auch keine

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RGSt 32 371; Amelung ZStW 98 (1986) 355, 370; Fischer Rdn. 9; Lackner/Kühl Rdn. 3; Schäfer MK Rdn. 14; Rudolphi/Stein SK Rdn. 36; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 6. RGSt 36 395, 3 9 7 ; BayObLG M D R 1 9 6 9 7 7 8 ; OLG Frankfurt/M. N J W 2 0 0 6 1746 ff; Amelung ZStW 98 (1986) 355, 374; Fischer Rdn. 8; Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 4 3 2 ff; Ostendorf NK Rdn. 2 3 ; Otto BT § 35 Rdn. 5; Rengier BT II § 30 Rdn. 4;

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Wessels/Hettinger BT I Rdn. 583. RGSt 11 293, 2 9 4 ; 2 0 150, 154; 3 6 395, 3 9 6 ; 5 4 4 2 , 4 4 ; BayObLG M D R 1 9 6 9 7 7 8 ; LG Lübeck StV 1989 157; Dölling/Duttge/ Rössner/Hartmann/Kindhäuser BT I § 3 3 Rdn. 9. OLG Oldenburg N J W 1985 1352 mit Anm. Amelung J Z 1986 2 4 7 ; Behm JuS 1987 9 5 0 ; ders. GA 1986 5 4 7 ; Bloy J R 1986 80; Müller-Christmann JuS 1987 19.

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zum öffentlichen Dienst bestimmte, abgeschlossene Räume (AG Frankfurt/M. NStZ 1982 334). Ein Besitztum wird nicht bereits deshalb zu einem befriedeten Besitztum, weil es unter dem Straßenniveau liegt und damit naturgemäß über eine Abgrenzung verfügt. Tiefer liegende U-Bahnzugänge, die zugleich als Fußgängerpassage dienen, sollen gerade nicht den freien Zugang Unbefugter verhindern. (OLG Frankfurt/M. N J W 2 0 0 6 1746 ff.) 18

Beispiele. Als befriedetes Besitztum kommen unter der Voraussetzung der Einfriedung z.B. in Betracht: Lagerplätze, Gärten (außerhalb des räumlich-funktionalen Zusammenhangs mit einer Wohnung oder einem Geschäftsraum als Haus- oder Wirtschaftsgärten, solange sie als Gärten genutzt werden), 21 Ställe und Scheunen im freien Feld, Fried- und Kirchhöfe (RGSt 3 6 395, 396), leer stehende Fabriken eher nicht (AG Stuttgart StV 1982 75). Auch ein Schwimmdock ist Teil eines befriedeten Besitztums, wenn es für jedermann erkennbar zum begrenzten Werksgelände gehört (OLG Schleswig OLGSt § 123 StGB Nr. 1), ferner Neubauten, die noch nicht „Wohnung" sind (RG Rspr. 10 638), zum Abbruch bestimmte Gebäude, 2 2 es sei denn, alle Türen und Fenster sind herausgebrochen (OLG Stuttgart NStZ 1983 24), die vermietete umfriedete KFZ-Abstellfläche in einem Parkhaus {Neuberg JuS 1975 110). Befriedetes Besitztum liegt auch vor, wenn auf einem dem Gemeingebrauch unterliegenden Gelände (z.B. Deich am Meeresstrand) vom Eigentümer (Staat) einem Dritten für eine bestimmte Fläche zur Durchführung einer Veranstaltung eine Sondernutzungserlaubnis erteilt wird und dieser im Rahmen der Erlaubnis durch Errichtung von Absperrleinen und Aufstellen von Kassenstellen den Zugang zur Veranstaltung nur Personen eröffnet, die den Eintrittspreis bezahlen (OLG Celle NdsRpfl. 1976 40). Die bloße Beschriftung nicht eingefriedeter privater werkseigener Straßen macht diese nicht zu befriedetem Besitztum (BayObLG N J W 1995 269).

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Hausbesetzungen stellen tatbestandsmäßig einen Hausfriedensbruch dar. Leer stehende Häuser, auch soweit sie zum Abbruch bestimmt sind, erfüllen das Merkmal des befriedeten Besitztums. 23 Soweit Verhandlungen über den Abschluss von Nutzungsverträgen laufen, ist das Betreten der Häuser durch weitere Personen nicht tatbestandsmäßig. Es fehlt insoweit am Eindringen, zwar nicht deshalb, weil die Hausbesetzer ein eigenes Hausrecht inne haben würden (vgl. dazu unten Rdn. 35), sondern vielmehr deshalb, weil die Berechtigten in der Zeit der Verhandlungen ihr Hausrecht nicht ausüben (AG Tiergarten StV 1983 335). Hausbesetzungen sind auch nicht gerechtfertigt. Die Besetzung leer stehender Häuser kann insbesondere nicht mit der Begründung gerechtfertigt werden, es widerspreche der Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG), wenn der Hauseigentümer das Haus lange leer stehen und verkommen lasse, während Wohnungssuchende keine Unterkunft zu erschwinglichen Mietpreisen fänden. 24 Im Übrigen bedarf Art. 14 Abs. 2 GG der einfach-gesetzlichen Ausgestaltung. 25 Auch die Argumentation, die Hausbesetzung sei ein sozialadäquates Mittel, um die Öffentlichkeit auf die Notwen-

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OLG Köln OLGSt § 123 StGB Nr. 1. OLG Hamm NJW 1982 1824 mit Anm. Hassemer JuS 1982 863; OLG Köln NJW 1982 2 6 7 4 mit Anm. Degenhart J R 1984 30. OLG Köln NJW 1982 2 6 7 4 mit Anm. Degenhardt JR 1984 30; OLG Hamm N J W 1982 2 6 7 6 ; NStZ 1982 381 mit Anm. Hassemer JuS 1982 863; OLG Stuttgart NStZ 1983 2 4 ; LG Bückeburg NStZ 1982 71 mit Anm. Hagemann·, Geilen JK 1982 § 123/1; LG Münster NStZ 1982 2 0 2 ; LG Mönchen-

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gladbach NStZ 1982 4 2 4 ; AG Wiesbaden N J W 1991 188; aA AG Stuttgart StV 1982 75 mit Anm. Geilen JK 1982 § 123/2; AG Bückeburg NStZ 1982 70; Küchenhoff JuS 1982 2 3 5 ; vgl. insgesamt Weber S. 2 2 5 ff. Artkämper S. 212, 248, der in Anlehnung an Roxin FS Schüler-Springorum, S. 451 ff allerdings für eine Entschuldigung bloß symbolischer Rechtsverletzungen durch Hausbesetzer eintritt; ebenso Schäfer MK Rdn. 17. BVerfGE 18 121,131 f; 37 132, 140 f.

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digkeit hinzuweisen,26 dass die öffentliche Hand verpflichtet sei, z.B. durch Errichtung von Jugendzentren, den Besetzern einen Raum für sinnvolle Freizeitgestaltung zu bieten, überzeugt ebenso wenig. Gleiches gilt für die Auffassung, die Maßnahme sei nötig, um gegen Fehlentwicklungen im Wohnungsbau, gegen die Höhe der Mieten und die Wohnungsknappheit oder die Vereinsamung des Menschen in modernen Neubauvierteln zu demonstrieren (dazu BGH NJW 1975 49, 51). Für § 34 als weiteren denkbaren Rechtfertigungsgrund fehlt es bereits an einer Gefahr. Missstände im Wohnungsbau sind allgemeiner Natur, begründen aber keine konkrete Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut. Gegen eine Rechtfertigung spricht nicht zuletzt auch, dass die Hausbesetzer die Besetzungen zumeist als Akte zivilen Ungehorsams verstanden wissen wollen, die vom Selbstverständnis her einen Rechtsbruch voraussetzen (Hirsch Strafrecht und Überzeugungstäter [1996] S. 28 ff). An denkbaren Lösungen de lege lata verbleiben danach nur die Ebene der Strafzumessung (Nees Erscheinungsformen und Strafzumessung beim Hausfriedensbruch, Diss. Freiburg 1951) bis hin zur Verwarnung mit Strafvorbehalt gem. § 59, der Täter-Opfer-Ausgleich gem. § 46a oder die Einstellung von Strafverfahren gegen Hausbesetzer aus Opportunitätsgründen. 4. Zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmte abgeschlossene Räume Abgeschlossen ist ein Raum, wenn er eine dem befriedeten Besitztum entsprechende bauliche Begrenzung aufweist, aus der sich ein Hindernis gegen beliebiges Betreten ergibt (Rengier BT II § 30 Rdn. 6). Die Befriedung muss äußerlich erkennbar sein durch zusammenhängende Schutzwehren. Diese müssen willkürliches Betreten durch andere verhindern (LG Lübeck StV 1989 157). Kirchen sind ebenfalls abgeschlossene Räume, die zum öffentlichen Dienst bestimmt sind (Thür. OLG NJW 2006 1892; Fischer Rdn. 11). Das Grundrecht eines Domkapitels (Erfurter Dom) auf Eigentum umfasst auch die Befugnis zu entscheiden, wer wann und bei welchen Gelegenheiten die Räumlichkeiten des Domes betreten darf und genießt den Vorrang vor der Glaubensfreiheit des Besuchers (Thür. OLG aaO). Grundstücke in Gemeingebrauch können durch kurzfristige Umfriedung ausnahmsweise dem Schutz des § 123 unterfallen (OLG Celle MDR 1976 421). Ein einzelner Raum innerhalb eines Gebäudes kann abgeschlossener Raum sein. Dabei ist aber zwischen der Verletzung des Hausrechts - dieses dient der Abwehr von Störungen durch Außenstehende - und Zuwiderhandlungen gegen die interne Ordnungsgewalt durch die ihr unterworfenen Personen zu unterscheiden. Handelt es sich um ein Gebäude, dessen einzelne Räume der Unterbringung einer Vielzahl von Personen dienen, und bei denen jeweils innerdienstlich bestimmte Räume einzelnen Personen zum Aufenthalt oder zur Betätigung zugewiesen sind, so begeht keinen Hausfriedensbruch, wer anordnungs- oder bestimmungswidrig sich in Räume begibt oder dort verweilt, die anderen zugewiesen sind. So dringt ein Strafgefangener nicht i.S. des § 123 in den einem anderen zugewiesenen Haftraum (§ 18 StVollzG) ein, wenn er sich nach dem Hofgang, statt ordnungsgemäß in den ihm zugewiesenen Haftraum zurückzukehren, in den eines anderen begibt (RGSt 28 192, 193). Das Gleiche ist anzunehmen, wenn ein Beamter das Dienstzimmer eines anderen Angehörigen seiner Dienststelle betritt und sich auf die Aufforderung eines Vorgesetzten nicht entfernt oder wenn ein Soldat verbotswidrig in einem anderen Kameraden zugewiesenen Raum der Kaserne nächtigt (ebenso Rudolphi/Stein SK Rdn. 29; vgl. dazu auch LG Lüneburg NJW 1977 1832). Das lässt sich auch so „konstruieren": Wenn

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Zum Hausfriedensbruch zwecks Öffentlichkeitswirkung OLG Düsseldorf N J W 1982

2 6 7 8 ; KG Urt. v. 8.10.1998 - 1 Ss 134/98; AG Wiesbaden N J W 1991 188.

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die Benutzung der Räume durch die einzelnen Personen eine reine Angelegenheit des inneren Geschäftsbetriebs ist, erscheint der einzelne Raum als Teil desselben „abgeschlossenen Raums" und der gegen innerdienstliche Anordnungen verstoßende Übergriff in einen gleichartigen anderen Raum des Gebäudes nicht als Verletzung des Hausrechts. 21

Der abgeschlossene Raum kann unbeweglich oder beweglich sein, wie z.B. das Dienstabteil eines Zuges oder ein Baucontainer (AG Nienburg NdsRpfl. 1964 162).

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Zum öffentlichen Dienst bestimmt sind alle Räume, in denen öffentliche Angelegenheiten nach den entsprechenden Vorschriften erledigt werden. 27 „Öffentliche Angelegenheiten" sind (im Anschluss an die in anderem Zusammenhang gemachten Ausführungen in RGSt 64 298, 303) nicht nur staatliche Angelegenheiten, sondern auch die staatliche Belange berührenden Angelegenheiten von Körperschaften, die durch öffentlichrechtliche Vorschriften zu dem Zweck geschaffen oder anerkannt sind, gleich dem Staat für das Gemeinwohl zu wirken. Trotz der Privatisierung der Bahn führt die Legaldefinition gem. § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) dazu, dass die Deutsche Bahn AG mit ihren Anlagen durch § 123 geschützt wird.

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Zum öffentlichen Verkehr bestimmt sind Flächen, die der Allgemeinheit zugänglich sind und dem Transportverkehr dienen (Kindhäuser BT I § 33 Rdn. 11). Auch Räume, wie die Abteile in der Bahn, Straßenbahnwagen und Omnibusse, die nur den Beförderungsbedürfnissen des Publikums dienen und keine Diensträume sind, genießen den strafrechtlichen Schutz des § 123 (Otto BT § 35 Rdn. 7; Rengier BT II § 30 Rdn. 7).

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Beispiele. Für den öffentlichen Dienst bestimmte Räume sind danach z.B. Justizvollzugsanstalten (RGSt 28 192, 193), Wahllokale (RGSt 46 405, 406), Sitzungssaal in einem Parlamentsgebäude (RGSt 47 270, 278), Schulgebäude (OLG Hamburg J R 1977 477), Kirchen der öffentlichrechtlichen Religionsgemeinschaften (KG DStrZ 1915 50) oder eine in öffentlichrechtlicher Form betriebene Tiefgarage (BayObLG NJW 1986 2065 mit abl. Anm. Allgaier M D R 1987 723). Die Ankunfts- und Abflughallen sowie der Check-inBereich der Flughäfen gehören ebenso dazu wie Universitätsplätze (Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11). Auch Gelände und Gebäude von hier stationierten Truppen der NATO, die zum öffentlichen Dienst und Verkehr dieser Truppen bestimmt sind, 28 fallen darunter. Ob zur Zeit des Eindringens ein Dienst stattfindet, ist ohne Bedeutung. So sind ein Rathaus auch zur Nachtzeit und ein Kirchengebäude außerhalb der Zeiten gottesdienstlicher Handlungen geschützt (Thür. OLG N J W 2006 1892). Zum öffentlichen Verkehr bestimmt sind Straßenbahnwagen (RGSt 75 355, 357), Omnibusse (Rüping/Kamp JuS 1976 660, 661; Wessels/Hettinger BT I Rdn. 583), Fährschiffe, Flughäfen, Eisenbahnzüge, Bahnhofshallen und Wartesäle der Bahnhöfe (einschließlich der Toiletten - OLG Hamburg M D R 1968 1027; aA Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6a und 9 der öffentliche Bedürfnisanstalten zum befriedeten Besitztum zählt), auch wenn in ihnen Wirtschaftsbetrieb stattfindet. 29 Ohne Bedeutung ist, ob der Träger des Verkehrsbetriebs die öffentliche Hand oder ein privater Unternehmer ist. Erforderlich ist aber stets, dass der betreffende Raum zur Tatzeit zum öffentlichen Verkehr bestimmt war (KG J W 1927 1713). Das ist z.B. nicht der Fall, wenn ein Schiff, ein Straßenbahnwagen oder Omnibus von einer geschlossenen Gesellschaft gemietet ist. Dagegen spielt es

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Fischer Rdn. 10; Lackner/Kühl Rdn. 4; Schäfer MK Rdn. 2 2 ; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 8. AG Frankfurt/M. JR 1986 3 0 2 mit abl. Anm. Lenzen J R 1986 303; vgl. ferner OLG Stuttgart NJW 1987 1342 mit Anm.

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Lenckner JuS 1988 349; zum Betretungsverbot militärischer Anlagen nach § 114 OWiG vgl. Heinen NZWehrR 1998 18. RGSt 3 6 188; 37 2 6 0 ; BayObLG NJW 1977 261; OLG Bremen NJW 1962 1453; OLG Celle MDR 1965 595; MDR 1966 944.

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keine Rolle, ob etwa ein Straßenbahnwagen zur Tatzeit zufällig ohne Fahrgäste fährt, wie es auch bei Wohnungen nicht darauf ankommt, ob sich zur Tatzeit Bewohner in ihnen befinden. Die Eigenschaft als abgeschlossener Raum fehlt, wenn der Raum jederzeit von jedermann betreten werden kann, wie z.B. eine öffentliche Telefonzelle. 30 Zweifel können bestehen, wenn es sich um solche Bereiche innerhalb eines abgeschlossenen Raums handelt, wie z.B. bei der frei zugänglichen Kabine eines Fotoautomaten in einer Bahnhofshalle, die der Täter bestimmungswidrig benutzt. Bedenken sind weiterhin angebracht bei Zubehörsflächen zu Räumen, die zum öffentlichen Dienst bestimmt sind (vgl. OLG Oldenburg J R 1981 166 mit abl. Anm. Volk J R 1981 167). Anders als bei Geschäftsräumen soll sich der Schutz nicht auf die Zubehörsflächen erstrecken. Die Unterscheidung hinsichtlich Zubehörsflächen zwischen Diensträumen und Geschäftsräumen wird von Volk zutreffend abgelehnt, weil z.B. Freitreppen vor Dienstgebäuden oder vergleichbare Höfe oder Wege ebenfalls dem Schutz des ξ 123 unterfallen müssen (Volk J R 1981 167).

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Von der Frage, ob es sich um einen zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmten Raum handelt, zu unterscheiden, ist die Rechtsnatur des Hausrechts. Es kann privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Natur sein (vgl. hierzu Rdn. 39 ff). Soweit es Züge, Bahnhöfe und Wartesäle der Deutschen Bahn AG betrifft, hat sich der frühere Streit (vgl. Schäfer LK 1 0 Rdn. 39) durch die Bahnreform von 1994 erledigt. Die Deutsche Bahn AG oder von ihr beauftragte private Sicherheitsdienste nehmen das Hausrecht auf privatrechtlicher Grundlage wahr. Beschränkt wird es allerdings durch die gem. § 3 EVO gegenüber Reisenden grundsätzlich bestehende Beförderungspflicht. Zuwiderhandlungen gegen ein gleichwohl ausgesprochenes Hausverbot stellen daher keinen Hausfriedensbruch dar (BayObLG NJW 1977 261). Nach Wegfall der unmittelbaren Gemeinwohlund Grundrechtsbindung können öffentliche Eisenbahnstrukturunternehmen Bahnhofsverbote wie sonstige Private, die ihre Räume der Allgemeinheit zugänglich gemacht haben, erteilen, soweit nicht besondere gesetzliche Bindungen wie die Beförderungspflicht entgegenstehen (OLG Hamburg NStZ 2005 270).

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ΙΠ. Der Inhaber des Hausrechts 1. Allgemeines. Inhaber des Hausrechts ist zunächst derjenige, dem die unmittelbare Sachherrschaft an der geschützten Räumlichkeit zusteht (Engeln S. 49). Insoweit sind faktische Sachherrschaft und unmittelbarer Besitz identisch (Engeln S. 48). Eigentum wird nicht vorausgesetzt. Bereits die Einräumung eines Nutzungsrechts durch den Eigentümer kann für den Nutzungsberechtigten das Hausrecht begründen, ohne dass es einer besonderen Übertragung des Hausrechts durch den Eigentümer bedarf. Regelmäßig ist der Besitz am Raum die Grundlage des Hausrechts. Dies gilt uneingeschränkt bei rechtmäßig erlangtem Besitz.31 Wer dagegen den Besitz wider das Recht, insbesondere durch verbotene Eigenmacht erlangt hat, hat kein Hausrecht erworben und kann den Schutz des § 123 nicht für sich in Anspruch nehmen. Das Hausrecht verbleibt insoweit bei dem, der aus dem Besitz verdrängt ist (OLG Braunschweig NdsRpfl. 1962 118, 119).

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31

Str. - vgl. auch OLG Hamburg NJW 1962 1438 zum Begriff des umschlossenen Raumes i.S. des § 2 4 3 Abs. 1 Nr. 1; Herzog GA 1975 2 6 3 ; AG Leipzig DJ 1938 341. OLG Düsseldorf NJW 1981 187; Gössel BT I

§ 38 Rdn. 10; Dölling/Duttge/Rössner/Hartmann HK Rdn. 4; Kindhäuser BT I § 33 Rdn. 18; Ostendorf NK Rdn. 33; ders. AK Rdn. 33; Rudolphi/Stein SK Rdn. 14; einschr. Engeln S. 50 f.

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2. Bei Wohnungen steht das Hausrecht dem Inhaber der Wohnung zu, bei einer Mietwohnung grundsätzlich dem Mieter unter Ausschluss des Vermieters bzw. des Hauseigentümers. 32 Letztere sind also z.B. nicht berechtigt, gegen den Willen des Mieters die Wohnung zu betreten, etwa um die Zahlung rückständiger Miete zu erzwingen oder sich zu vergewissern, ob der Mieter die Wohnung nicht mietvertragswidrig benutzt. Ausnahmen können zwar ausdrücklich vereinbart sein, z.B. das Recht des Vermieters, während der Abwesenheit des Mieters die Wohnung zu betreten, wenn Gefahren drohen oder bestehen, obwohl die Notstandsregeln in diesem Fall ebenfalls greifen. Aber auch eine im Mietvertrag vereinbarte Pflicht des Mieters, dem Vermieter das Betreten der Wohnung zu gestatten, um sie Mietinteressenten zu zeigen, gibt dem Vermieter kein Recht, die Wohnung zu betreten, wenn der Mieter den Zutritt nicht erlaubt. Der Vermieter muss dann im Wege des Zivilprozesses sein Recht verfolgen. Grundsätzlich hat auch der Hauseigentümer kein Recht, Besuchern des Mieters den Zutritt zu verwehren. Sie begehen also keinen Hausfriedensbruch, wenn sie entgegen dem Verbot, aber mit ausdrücklicher oder zu vermutender Erlaubnis des Mieters das Haus betreten, um sich zu diesem zu begeben.

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a) Hinsichtlich verbleibender Befugnisse des Vermieters ist zu differenzieren. Der Übergang des Hausrechts vom Vermieter auf den Mieter hinsichtlich der Wohnung einschließlich der Nebenräume schließt es aus, dass dem Vermieter originär oder kraft ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung ein gewisser Restbestand seines ursprünglichen Hausrechts verbleibt (anders Schäfer LK10 Rdn. 54). Aus der Übertragung des unmittelbaren Besitzes ergibt sich zwangsläufig die Konsequenz, dass der Erwerber des Hausrechts dieses ohne Einschränkung erlangt (Engeln S. 11; Schall Schutzfunktionen S. 137 f; Rudolphi/Stein SK Rdn. 15). Allerdings gilt anderes hinsichtlich der Gemeinschaftseinrichtungen, wie Treppenhaus, Trockenraum oder Aufzug. Der Hauseigentümer und alle Mieter werden in ihrem Hausrecht verletzt, wenn etwa Dritte in ein Mehrparteienmiethaus eindringen, um die Wände des Treppenhauses durch Schmierereien zu beschädigen. In Ausübung des gemeinsamen Hausrechts handelt der Hauseigentümer, wenn er im Interesse der Mieter generell Prospektverteilern, Bettlern und Hausierern das Haus verbietet (Weimar JR 1970 58). Ferner ist es als stillschweigend vereinbart anzusehen, dass (in engem Umfang) dem Hauseigentümer das Recht verbleibt, solchen Besuchern der Mieter das Betreten des Mietshauses zu verbieten, deren Aufenthalt im Haus ihm schlechterdings nicht zuzumuten ist, auch wenn der Mieter sie empfangen möchte. Insofern ist die Verfügungsgewalt des Wohnungsinhabers unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs eingeschränkt. Das gilt für Besucher, die den Ruf des Vermieters oder den Charakter des Hauses gefährden oder andere Hausbesucher erheblich belästigen, z.B. bei vertragswidriger Nutzung der Wohnung. 33 Der Leiter eines Altenpflegeheims darf einem Arzt, der Heimbewohner betreut, kein Hausverbot erteilen, weil er sonst die ärztliche Tätigkeit behindert. 34

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33

Heinrich JR 1997 89; Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 437 ff (vor allem Rdn. 439). OLG Köln NJW 1966 265; zur Anwendung dieses Grundsatzes in Einzelfällen vgl. RG GA 50 289 betr. Betreten der Wohnung durch Personen, die dem Vermieterpfandrecht des § 562 BGB unterliegende Sachen wegzuschaffen beabsichtigen; OLG Köln MDR 1954 359, 360; OLG Hamm GA 1961 181; OLG Braunschweig NJW 1966 263 mit

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abl. Anm. Schröder betr. Besucher, dem wegen ständigen, die übrigen Hausbewohner störenden Randalierens in der Wohnung des besuchten Mieters vom Vermieter das Haus verboten ist. Vgl. ferner die abl. Anm. Stegmeier ZMR 1967 325. LG Traunstein MedR 1995 503 mit Anm. Kern; für Krankengymnasten vgl. OLG München, OLGR München 1994 56.

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So wird die „gefährliche" Entwicklung, dass zivilrechtliche Streitigkeiten auf die Ebene des Strafrechts und der Strafgerichte verlagert werden, verhindert. Einmal ist das Ausmaß der „Verlagerung" schon dadurch abgeschwächt, dass die Verfolgung des Hausfriedensbruchs im Wege der Privatklage (§ 374 Abs. 1 Nr. 1 StPO) bereits eine Annäherung an die Parteimaxime beinhaltet. Im Übrigen muss der Vermieter jedenfalls dann in der Lage sein, Besuchern des Mieters den Zutritt zu verbieten, wenn der Raum zur Vorbereitung oder Begehung strafbarer Handlungen benutzt werden soll oder von dem Besucher eine erhebliche Gefahr für die übrigen Bewohner des Hauses ausgeht. 35 So geht es, wenn es sich um die Vorbereitung oder Ausführung eines nach § 138 anzeigepflichtigen Delikts handelt, sicherlich nicht an, den Vermieter auf den Weg der Anzeige zu verweisen, obwohl er sich nach § 139 Abs. 4 Straffreiheit auch dadurch verschaffen kann, dass er den an dem Vorhaben beteiligten Besuchern das Haus verbietet, falls dies ausreichen sollte. Aber auch wenn der Vermieter berechtigten Grund hat, von einem Missbrauch des Mietraums zur Begehung anderer Straftaten auszugehen, etwa zur gewohnheitsmäßigen Veranstaltung von Glücksspielen (§ 2 8 4 Abs. 2) oder zur Nutzung als Drogenumschlagsplatz, ist er auf Grund einer Verletzung des Mietvertrags durch den störenden Mieter berechtigt, dessen unerwünschte Gäste des Hauses zu verweisen. Eine solche Möglichkeit besteht bereits deshalb, weil er auf Grund seiner vertraglichen Pflichten gegenüber den anderen Mietern hierzu verpflichtet ist. Schließlich kann ein Hauswirt auch nur durch solche Maßnahmen eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht (§ 13) erfüllen. Im Übrigen ist die Frage der Unzumutbarkeit verschieden zu beurteilen, je nachdem, ob es sich um die Überlassung eines Einzelraums innerhalb einer Wohnung (Untermieter), um ein Einfamilienhaus oder eine abgeschlossene Etagenwohnung handelt. Auch die Dauer der Überlassung und die Person des Mieters kann für die Frage von Bedeutung sein, ob und in welchem Umfang seine Befugnis zur Bestimmung über den Zutritt zu dem Raum stillschweigend zugunsten vorgehender Rechte des Vermieters beschränkt ist (OLG Köln N J W 1966 265).

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Gleiches gilt bei Räumen, bei denen im Rahmen einer mindestens stillschweigenden Übereinkunft dem Mieter die Befugnis eingeräumt wurde, selbständig über den Zutritt von Besuchern zu bestimmen. Hier ist insbesondere an Hotelzimmer und ähnliche vorübergehend überlassene Beherbergungsräume innerhalb eines Gebäudes zu denken. Auch in diesen Fällen besteht kein selbständiges Hausrecht des Vermieters (RGZ 169 84, 88; OLG Köln N J W 1966 265). Nur soweit Ansehen und Ordnung des Hauses gefährdet sind, überlagern wiederum die vertraglichen Verpflichtungen des Hoteliers das Hausrecht des Hotelgastes. Anderes gilt für die von der öffentlichen Hand eingerichteten Obdachlosen- und Ausländerunterkünfte. Das zwischen der Behörde und den von ihr eingewiesenen Personen bestehende öffentlichrechtliche Benutzungsverhältnis lässt letzteren zwar das Hausrecht hinsichtlich des zugewiesenen Raums. 3 6 Es ist aber dadurch eingeschränkt, dass die Behörde oder die von ihr mit der Verwaltung betrauten Personen Besuchern, die grob die Ruhe und Ordnung stören oder andere Unterkunftsbewohner erheblich belästigen, das Haus verbieten kann. 3 7

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Ähnlich Amelung/Schall JuS 1975 565, 566; Fischer Rdn. 3; Lau Z M R 1977 194, 195; Maurach/Schroeder/Maiwald BT I § 30 Rdn. 17; Rudolphi/Stein SK Rdn. 15; Schröder NJW 1966 2 6 3 ; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 17; Weimar JR 1970 58; aA Welzel S. 333.

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37

Zu Einzelheiten VGH Mannheim N V w Z 1987 1101; Knemeyer JuS 1988 6 9 8 ; Götz JuS 1 9 8 9 3 4 4 . OLG Köln N J W 1 9 6 6 2 6 5 ; weitergehend OLG Bremen N J W 1966 1766, wonach nur der Ordnungsbehörde das Hausrecht gegenüber Außenstehenden zusteht, der Eingewie-

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b) Der Mieter einer Wohnung verliert das Hausrecht nicht mit dem Ablauf des Mietvertrags. Er bleibt Subjekt und Träger des Hausrechts, solange er sich im unmittelbaren Besitz der Wohnung befindet.38 Die tatsächliche Innehabung der Wohnung und die über sie bestehende unmittelbare Verfügungsgewalt bilden dann die rechtliche Grundlage des Hausrechts, das ihm sowohl gegen Dritte wie gegenüber dem Vermieter zusteht (RGSt 36 322, 323; OLG Braunschweig NdsRpfl. 1962 119). Das findet seine Rechtfertigung auch darin, dass die Frage, ob das Mietverhältnis beendet ist, häufig streitig und zweifelhaft und Gegenstand richterlicher Entscheidung ist (vgl. insbesondere §§ 574 ff BGB). Auch bestehen für die Zeit nach Beendigung Räumungsfristen und u.U. kann Vollstreckungsschutz gewährt werden (§§ 721, 765a, 794a ZPO). Selbst in klarliegenden Fällen der Beendigung des Mietverhältnisses kann der Vermieter sich nicht eigenmächtig den Besitz verschaffen (§§ 229, 858 BGB). Lässt der Vermieter bei nicht eingehaltener Räumungszusage des Mieters die Wohnung ausräumen, so verwirklicht er gleichwohl § 123 (OLG Köln NJW 1996 479). Etwas anderes muss freilich gelten, wenn der Mieter nach Ablauf des Mietvertrags in der Wohnung bleibt und seinen unmittelbaren Besitz nicht mehr aus dem früheren Mietvertrag, sondern aus einer Hausbesetzung ableitet. Da es sich dann nicht mehr um eine schützenswerte, sondern um eine angemaßte vermeintliche Rechtsposition handelt, liegt Hausfriedensbruch seitens des nunmehrigen Hausbesetzers vor. 39 Allerdings darf ein Mieter bei einem möglicherweise fortbestehenden Besitzrecht an der Mietwohnung einem neuen Eigentümer nicht verbieten, das Grundstück zu betreten (OLG Dresden NJW-RR 2005 456). Das Hausrecht an einem zum Zwecke der Aufstellung von Wohnwagen überlassenen Grundstück fällt nicht mit Ablauf des Nutzungsvertrages an den Eigentümer zurück, das Hausrecht des Nutzers endet erst dann, wenn der Eigentümer den unmittelbaren Besitz etwa aufgrund eines Räumungstitels wieder erlangt hat (OLG Hamburg NStZ 2007 38).

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c) In einer Ehewohnung steht, entsprechend dem Wesen der Ehe und dem Grundsatz der Gleichberechtigung der Ehegatten (§ 1353 BGB), jedem von ihnen gleichberechtigt das Hausrecht zu, auch wenn der Mietvertrag nur von einem Ehegatten abgeschlossen wurde. 40 Danach kann ein Ehegatte Dritten, die ihm unerwünscht sind, die aber der andere Ehegatte empfangen und aufnehmen will, grundsätzlich nicht das Betreten und das Verweilen in der Ehewohnung verbieten. Auch hier gilt aber, dass ein Ehegatte einseitig - ohne Zustimmung und gegen den Willen des anderen Ehegatten - den Zutritt und Aufenthalt Dritter dann verbieten kann, wenn es ihm nicht zumutbar ist, deren Anwesenheit in der Wohnung zu dulden (OLG Hamm NJW 1955 761; 1965 2068). Unzumutbar ist es für den einen Ehegatten insbesondere, den Aufenthalt des Liebhabers bzw. der Liebhaberin der bzw. des anderen Partners in der gemeinschaftlichen Wohnung zu dulden (BGHZ 6 360; dazu Struck J Z 1976 160; ausführlich Smid Zur Dogmatik der Klage auf Schutz des „räumlich-gegenständlichen Bereichs" der Ehe: das Hausrecht der Ehe [1983]). 41 Den Besuch sehr naher Verwandter des einen Ehegatten hat der andere

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sene Dritten die Mitbenutzung des Raums entgegen Weisungen der Anstaltsleitung nicht gestatten kann und die Ordnungsbehörde kraft ihres Hausrechts berechtigt ist, Dritten den Zugang zu verbieten, wenn sie widmungsfremde Zwecke verfolgen; s. dazu auch OVG Münster Z M R 1973 62. Bernsmann Jura 1981 337, 3 4 2 ; Dölling)R 1992 167; Fischer Rdn. 3; Schäfer MK

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Rdn. 36; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 17. OLG Düsseldorf JR 1992 165 mit Anm. Dolling JR 1992 167 und Hassemer JuS 1991 608; OLG Hamburg NStZ 2 0 0 7 38. OLG Hamm N J W 1965 2067, 2 0 6 8 ; OLG Stuttgart Justiz 1972 156; Krey BT 1 Rdn. 4 4 5 ff; Schäfer MK Rdn. 38. Plastisch Schild JuS 1989 649.

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Ehegatte grundsätzlich zu dulden. Es kann aber im Einzelfall für diesen unzumutbar sein, wenn sie sich ihm gegenüber grobe oder nachhaltige und wiederholte Verletzungen der Achtung und Rücksichtnahme zuschulden kommen lassen. Dass diese Verwandten bei Trübungen des ehelichen Verhältnisses oder familiären Streitigkeiten die Partei des einen Ehegatten ergreifen, gibt dem anderen wiederum allein kein Recht, ihnen die Tür zu weisen (OLG Hamm N J W 1965 2068). Leben die Ehegatten völlig getrennt i.S. der §§ 6 2 0 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, 1361, 1361b BGB, so liegen verschiedene Wohnungen mit verschiedenen Hausrechtsinhabern vor. 4 2 Dann begeht auch der Ehegatte Hausfriedensbruch, der gegen den Willen des anderen dessen Wohnung betritt, selbst, wenn es sich dabei um die ehedem gemeinsam genutzte Wohnung handelt (§ 1361b Abs. 3 BGB). Besitzen dagegen Ehegatten in der gemeinschaftlichen Wohnung getrennte Schlafzimmer, so ist es kein Hausfriedensbruch, wenn ein Ehegatte gegen den Willen des anderen in dessen Schlafzimmer eindringt. All das gilt für gleichgeschlechtliche Partnerschaften entsprechend. § 2 des Lebenspartnerschaftsgesetzes vom 16.2.2001 (BGBl. I S. 266) ist § 1353 BGB nachgebildet und verpflichtet die Partner zur gemeinsamen Lebensgestaltung. d) Verschiedene Personen, die an gemeinschaftlich genutzten Räumen Mitbesitz (§ 866 BGB) haben, insbesondere mehrere Mieter mit Mitbesitz an den Nebenräumen ihrer Wohnungen, haben je für sich ein gleichrangiges Hausrecht. 4 3 Deshalb braucht der eine Mitbesitzer bei Gebrauch seines Hausrechts den entgegenstehenden Willen des anderen grundsätzlich nicht zu beachten. Dies gilt nicht bei missbräuchlicher Ausübung des Hausrechts, die hinzunehmen für den anderen Mitbesitzer nicht zumutbar ist. Verübt ein Mitbesitzer gegenüber dem anderen verbotene Eigenmacht, so verliert ein aus dem Mitbesitz verdrängter Mitbesitzer zwar seinen Mitbesitz. Sein Hausrecht bleibt aber unberührt. Deshalb verletzt er kein fremdes Hausrecht, wenn er den ihm entzogenen Mitbesitz wieder ausübt (OLG Braunschweig NdsRpfl. 1962 119).

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e) Bei rechtmäßig erlangtem unmittelbaren Besitz bleibt der Besitzer auch nach Ablauf des das Recht zum Besitz eines Raums begründenden Rechtsverhältnisses Inhaber des Hausrechts (oben Rdn. 32). Dagegen gibt die rein tatsächliche Benutzung eines Raums kein eigenes Hausrecht, so nicht dem Wanderer, dem das vorübergehende Nächtigen im Heuschuppen gestattet wird, dem Handwerker, der in Abwesenheit des Wohnungsinhabers die Wohnung renoviert, oder dem Hausbesetzer. Jedoch kann ein Auftragsverhältnis mit der Begründung eines Hausrechts verbunden sein, so wenn der Wohnungsinhaber einen anderen damit betraut, sich nach seinem Ableben in der Wohnung aufzuhalten, um von da aus für die Beerdigung zu sorgen (RGSt 57 139). Selbst ein durch verbotene Eigenmacht erlangter unmittelbarer Besitz kann ein Hausrecht gegenüber solchen Dritten begründen, denen es an jeder rechtlichen Beziehung zu dem Raum fehlt, weil der Besitzer sich gegenüber solchen Personen in „rechtlich und tatsächlich ungestörtem unmittelbaren Besitz" befindet (vgl. RGSt 5 7 139).

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Vgl. in diesem Zusammenhang ferner noch die Regelung zur „Überlassung einer gemeinsam genutzten Wohnung" in § 2 Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz GewSchG) vom 11. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3513), der § 1361b BGB nachgebildet ist, aber nicht auf Ehegatten beschränkt ist,

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sondern die eheähnliche Lebensgemeinschaft ebenfalls erfasst. RGSt 1 121; 72 57, 58; OLG Braunschweig NdsRpfl. 1962 119; Sek/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 18; vgl. ferner Sternberg-Lieben Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht (1997) S. 87 ff.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

3. Bei öffentlichen Versammlungen übt gemäß § 7 Abs. 4 VersammlG deren Leiter das Hausrecht aus. Er ist also hausrechts- und strafantragsberechtigt, wenn Personen, die in der Einladung von der Teilnahme ausgeschlossen sind (§ 6 Abs. 1 VersammlG), in den Versammlungsraum eindringen. Der Hauseigentümer oder Vermieter des Versammlungsraums kann seine Befugnisse auf der Grundlage der in Rdn. 29 dargestellten Grundsätze ausüben. 4. Übertragung des Hausrechts zur Ausübung

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a) Zulässige Ermächtigungen. Der Hausrechtsinhaber kann die Ausübung des Hausrechts anderen Personen übertragen. Bei juristischen Personen kann durch Satzung, Vorschriften über die Behörden- oder Betriebsorganisation oder innerdienstliche Anordnungen die Behörde, Stelle oder Person bestimmt werden, die für die juristische Person das Hausrecht wahrnimmt (Engeln S. 112 m.w.N.). Eine Privatperson kann allgemein (Generalbevollmächtigter) oder für bestimmte Räume (Leiter einer Zweigniederlassung, Hausverwalter) oder aus gegebenem Anlass im Einzelfall die Person bezeichnen, die sie bei der Ausübung des Hausrechts vertreten soll. Die Übertragung kann auch stillschweigend geschehen. Sie liegt in der Regel bei dem generellen Auftrag zur Verwaltung eines Raums vor (Hausverwalter, Heimleiter, Leiter einer Zweigstelle oder Gutsverwalter). Bei Abwesenheit eines Gastwirts liegt eine stillschweigende Übertragung an denjenigen vor, der beauftragt ist, die Gäste zu bedienen (OLG München NJW 1966 1165). Die so zur Wahrnehmung des Hausrechts beauftragten oder ermächtigten Stellen und Personen müssen sich im Rahmen ihrer Ermächtigung halten. Sie können durch eine Betretungserlaubnis nicht ausschließen, dass der Betreffende eindringt, wenn dies zu einem erklärten abweichenden Willen des Hausrechtsinhabers in Widerspruch steht (Sch/Schroeder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 21). Umgekehrt ist ein von ihnen ausgesprochenes Betretungsverbot unwirksam, wenn der Hausrechtsinhaber eine Betretungserlaubnis erteilt hat.

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b) Fehlt es an einer solchen Ermächtigung, so sind bei Abwesenheit des Hausrechtsinhabers nicht die Angehörigen der Hausgemeinschaft (z.B. Kinder oder Hauspersonal) oder eines Geschäftsbetriebs (z.B. die Angestellten) als stillschweigend ermächtigt anzusehen, selbständig Bestimmungen über das Hausrecht zu treffen. „Berechtigter", auf dessen erklärten oder zu vermutenden Willen es für die Frage ankommt, ob das Betreten tatbestandlich ein Eindringen ist, ist dann nur der Hausrechtsinhaber (anders bei der Begehungsform des unbefugten Verweilens, unten Rdn. 61 ff). Wer also während der Urlaubsreise der Eltern deren Wohnung betritt, um sie auszurauben, wird nicht dadurch vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs befreit, dass ihm die nichtsahnende Tochter eingeladen hat, in der Wohnung zu übernachten. 5. Das Hausrecht der öffentlichen Hand Schrifttum Arnhold Strafbarer Ungehorsam gegen rechtswidrige Verwaltungsakte, J Z 1977 789; Beaucamp Das Hausrecht von Behörden als Rechtsproblem, JA 2 0 0 3 231; Bethge Das Hausrecht der öffentlichen Hand im Dilemma zwischen öffentlichen Recht und Privatrecht, Die Verwaltung 1977 313; Brüning Von öffentlichen Zwecken und privaten Rechten - Hausverbote für Gebäude der öffentlichen Verwaltung zwischen Scylla und Charybdis DÖV 2 0 0 3 389; Ehlers Gesetzesvorbehalt und Hausrecht der Verwaltungsbehörden, DÖV 1977 737; Finger/Müller Privates Hausrecht auf öffentlichen Straßen, NVwZ 2 0 0 4 593; Frühling Das Hausrecht öffentlicher Einrichtungen, Diss. Göttin-

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gen 1963; Gerhards Die Strafbarkeit des Ungehorsams gegen Verwaltungsakte, NJW 1978 86; Haak Das Hausrecht an Behördengebäuden, DVB1. 1968 134; Knemeyer Öffentlichrechtliches Hausrecht und Ordnungsgewalt, DÖV 1 9 7 0 596; ders. Janusköpfiges Hausrecht? DÖV 1971 303; ders. Das Hausrecht der öffentlichen Verwaltung, VB1BW 1982 2 4 9 ; Knoke Betriebliche Ordnungsgewalt in Räumlichkeiten des Verwaltungsvermögens, AöR n.F. 9 4 (1969) 388; König Kann ein behördliches Hausverbot angefochten werden? BayVBl. 1964 14; Kortmann Muß das Hausverbot einer Verwaltungsbehörde befristet sein? DVB1. 1972 772; D. Lorenz Die Folgepflicht gegenüber rechtswidrigen Verwaltungsakten und die Strafbarkeit des Ungehorsams, DVB1. 1971 165; Ronellenfitsch Das Hausrecht der Behörden, VerwArch 73 (1982) 465; Schmitt Das öffentlich-rechtliche Hausrecht, Diss. Münster 1965; Thierfelder Die aufschiebende Wirkung von Widersprüchen und die Verwirklichung von Straftatbeständen, DVB1. 1968 138; Zeiler Das Hausrecht an Verwaltungsgebäuden, DVB1. 1981 1000 - jeweils mit Nachweisen.

a) Allgemeines. Das Recht von Behörden und öffentlichrechtlichen Anstalten, kraft des Hausrechts Betretungsverbote auszusprechen, deren Nichtbefolgung den Tatbestand des § 123 erfüllt, ist weitgehend durch gesetzliche Vorschriften oder die Zweckbestimmung des betreffenden Raums eingeschränkt. Für öffentliche Gebäude wie den Landtag ist im Rahmen des Hausrechts die öffentlichrechtliche Zweckbestimmung der Einrichtung, die das Gebäude beherbergt, zu beachten. Der Inhaber des Hausrechts darf es nicht in einer Weise ausüben, die sich mit der Zweckbestimmung nicht in Einklang bringen lässt. (OVG Mecklenburg-Vorpommern LKV 2007 229). Soweit diese Beschränkungen reichen, können Hausverbote nicht wirksam erlassen werden und bilden keine Grundlage für eine Bestrafung Zuwiderhandelnder aus § 123. Solche Beschränkungen des Hausrechts ergeben sich z.B. bei Räumen, in denen der Justizverwaltung das Hausrecht zusteht, aus der Pflicht, auch Personen, die nicht bei Verhandlungen und anderen Dienstgeschäften als Partei, Zeuge u.a. beteiligt sind, zur Teilnahme als Zuhörer an öffentlichen Verhandlungen zuzulassen (§ 169 GVG und wegen des Verhältnisses von gerichtlicher Sitzungspolizeigewalt zum Hausrecht der Justizverwaltung BGHSt 3 0 35 0). 4 4 Bei Universitätsgebäuden wird das aus dem Recht der Studierenden zur Teilnahme an universitären Veranstaltungen45 abgeleitet, bei Räumen einer kommunalen Fraktion, in denen der Gemeindeverwaltung das Hausrecht zusteht, aus dem Widmungszweck (OVG Münster DÖV 1990 979; NVwZ-RR 1991 35; Schmidt DÖV 1990 102). Im Einzelnen bestehen im Zusammenhang mit Hausverboten Unterschiede in den Auffassungen über Rechtsnatur, Zweck und Grenzen des Hausrechts der öffentlichen Hand. Für § 123 interessieren dabei weniger dessen Zweck und Grenzen, als vielmehr seine Rechtsnatur, die nach den Grundsätzen des öffentlichen Sachenrechts verschieden sein kann, je nach dem, ob es sich um ein Gebäude des Fiskal- oder Verwaltungsvermögens handelt.

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b) Fälle der privatrechtlichen Natur des Hausverbots. Das Hausverbot ist privat- 4 0 rechtlicher Natur, soweit es sich auf Gebäude des Fiskal- und Finanzvermögens juristischer Personen bezieht, etwa im Falle einer kommunalen Wohnungsgesellschaft bezüglich der Mietshäuser (OVG Münster NVwZ-RR 1989 316; Kopp/Schenke § 40 VwGO Rdn. 22). Insofern nimmt die Kommune ihre Befugnisse als Vermieter wahr (vgl. Rdn. 29).

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Hierzu Geppert JK 1982 StGB § 123/3; Hassemer JuS 1982 630; Seier JA 1982 320; ausführlich Olizeg S. 114 ff. Dazu z.B. VG Karlsruhe DVB1. 1973 2 8 2 , 2 8 3 ; VG Lüneburg NJW 1977 1832; VGH

Mannheim BWVB1. 1973 109 und ESVGH 25 144; OVG Lüneburg N J W 1975 136; OLG Karlsruhe NJW 1978 116; Τ'ettinger WissR 1983 221; Zimmerling DÖV 1977 278.

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c) Differenzierter zu betrachten ist das Hausverbot bei Gebäuden im Verwaltungsvermögen. Hiervon werden nicht nur die im Eigentum der öffentlichen Hand befindlichen, sondern z.B. auch die für Verwaltungszwecke angemieteten Gebäude umfasst.

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aa) Die Lehre von der öffentlichrechtlichen Natur des Hausverbots. Eine im verwaltungsrechtlichen Schrifttum zunächst noch in der Minderheit gebliebene Auffassung geht bei Gebäuden im Verwaltungsvermögen von einer öffentlichrechtlichen Natur des Hausverbots aus. 46 Im Anschluss an die Entscheidung des VGH München vom 9.7.1980 (NJW 1980 2722) hat sich diese Ansicht inzwischen in der verwaltungsgerichtlichen Judikatur durchgesetzt47 und ist im öffentlichrechtlichen Schrifttum herrschend geworden. 48 Die dafür gegebenen Begründungen unterscheiden sich lediglich in Detailfragen (vgl. hierzu Schäfer LK 1 0 Rdn. 41 ff). Ein Hausverbot darf danach nur in Form eines anfechtbaren Verwaltungsakts ausgesprochen werden, soweit es dazu dient, die Funktionsfähigkeit des Verwaltungsapparats zu gewährleisten. Es sind dabei die allgemeinen Lehren des Verwaltungsrechts, wie das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes 49 und das Willkürverbot aus Art. 3 GG, sowie die Zweckbestimmung des Gebäudes zu beachten.

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bb) Die Lehre von der unterschiedlichen Rechtsnatur des Hausverbots. Demgegenüber unterscheidet eine in verwaltungsrechtlicher Judikatur und Literatur früher herrschende, 50 heute jedoch nur noch vereinzelt vertretene Meinung zwischen einem öffentlichrechtlichen (hoheitlichen) und einem privatrechtlichen Charakter des Hausverbots.51 Das Hausverbot ist danach öffentlichrechtlicher Natur und ergeht als Verwaltungsakt, wenn die Rechtsbeziehungen der Beteiligten nach öffentlichem Recht zu beurteilen sind. Es ergeht in privatrechtlicher Form und ist privatrechtlicher Natur als Maßnahme zur Wahrnehmung des aus dem Eigentum an dem Dienstgebäude fließenden Hausrechts, wenn der Bürger das Verwaltungsgebäude nicht zum Zwecke der Inanspruchnahme der öffentlichrechtlich geregelten Aufgabe der Behörde betritt oder sich dort aufhält. So schlägt das Hausrecht durch, wenn jemand seine privatwirtschaftlichen Belange in dem Dienstgebäude wahrnehmen will. Von diesen Grundsätzen geht auch die zivilgerichtliche Judikatur aus. Denn der Fotograf in BGHZ 33 230 und der Handelsvertreter in BGH NJW 1967 1911 nahmen erwerbswirtschaftliche Zwecke wahr. Die Zivilrechtsprechung kann daher nicht für eine privatrechtliche Natur des Hausverbots in Anspruch genommen werden (anders Schäfer LK 1 0 Rdn. 38), sondern bewegt sich auf der früher vorherrschend vertretenen Linie von der unterschiedlichen Rechtsnatur des Hausverbots.

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Haak DVB1. 1968 134; Knemeyer DÖV 1970 5 9 6 ; ders. DÖV 1971 3 0 3 ; Denninger ZRP 1968 42, 45; Ehlers DÖV 1 9 7 7 737, 743. VGH München N J W 1982 1717; OVG Münster (25. Senat) NVwZ-RR 1989 316; VGH Kassel N J W 1990 1250; OVG Schleswig N J W 2 0 0 0 3 4 4 0 ; VG Düsseldorf NwVBl. 2 0 0 1 69. Beaucamp JA 2 0 0 3 2 3 4 ; Bethge Die Verwaltung 1 9 7 7 313; Knemeyer VB1BW 1982 2 4 9 ; Ronellenfitsch VerwArch 73 (1982) 4 6 5 ; Zeiler DVB1. 1981 1000; weitere Nachweise bei Kopp/Schenke § 4 0 VwGO Rdn. 22 in Fn. 81.

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so

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Vgl. hierzu VGH München NJW 1980 2 7 2 2 ; Zeiler DVB1. 1981 1000. Vgl. insbes. BVerwGE 35 103 mit Anm. Bettermann DVB1. 1971 112; Stürner J Z 1971 98; Knemeyer DÖV 1971 303, 3 0 4 ; Bahls DVB1. 1971 275, 2 7 6 ; OVG Münster DVB1. 1963 4 5 0 ; 1968 157, 158; 1975 587; VGH Mannheim DVB1.1977 2 2 3 ; Stern JuS 1965 183, 185; weitere Nachweise bei Ehlers DÖV 1977 737, 7 3 9 Fn. 18. OVG Münster NJW 1995 1573; NJW 1998 1425; NVwZ-RR 1998 5 9 5 ; VGH Mannheim N J W 1994 2 5 0 0 ; VG Minden NVwZ-RR 1999 334.

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cc) Stellungnahme. Welcher der zuvor dargestellten Ansichten hinsichtlich des HausVerbots an Gebäuden im Verwaltungsvermögen der Vorzug gebührt, ist in erster Linie Sache des öffentlichen Rechts (eingehend von strafrechtlicher Seite Engeln S. 116 ff; Brüning DÖV 2 0 0 3 394 f). Soweit sich Strafgerichte hiermit zu befassen haben, sind sie jedenfalls an die Grundsätze der Verwaltungsrechts- und -aktsakzessorietät (hierzu Steindorf LK 11 Vor § 324 Rdn. 22 ff m.w.N.) gebunden, um die es letztlich bei dieser Frage geht. 52 Dem Strafrichter steht es dabei in entsprechender Anwendung von § 2 6 2 Abs. 2 StPO frei, die Hauptverhandlung zur Klärung der Vorfrage der Rechtsnatur eines Hausverbots auszusetzen (vgl. zur entsprechenden Anwendung von § 262 StPO die Nachweise bei Gollwitzer LR § 262 StPO Rdn. 13 ff und speziell für § 123 Rengier BT II § 30 Rdn. 25).

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IV. Eindringen in den geschützten R a u m 1. Eindringen bedeutet das Betreten des Raums (einschl. des Einfahrens mit einem Fahrzeug) gegen den Willen des Berechtigten, d.h. unter Überwindung eines den freien Zutritt ausschließenden oder beschränkenden Hindernisses. 53 Dieses Hindernis kann äußerer Art (z.B. eine verschlossene Tür), aber auch psychischer Art (so Kargl J Z 1999 930, 937) sein und in dem für den Täter erkennbaren und von ihm erkannten entgegengesetzten Willen des zur Wahrung des Hausrechts Berechtigten bestehen („geistige Barriere" - Lagodny Jura 1992 659 [Verbotsschild]). Das Betreten ist also dann nicht tatbestandsmäßig, wenn es im Einklang mit dem Willen des Berechtigten steht. 54 Die Rechtsprechung ordnet diese Frage der Widerrechtlichkeit des Eindringens zu, wobei nicht deutlich wird, ob gleichwohl bereits der Tatbestand oder erst die Rechtswidrigkeit entfällt. 55 Konsequenzen hat diese Einordnung nur in den Fällen, in denen ein Einverständnis irrtümlich angenommen wird.

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Formen der Willenskundgabe. Dieser dem Betreten entgegengesetzte Wille kann ausdrücklich in allgemeiner Form (z.B. durch einen Aushang wie: „Unbefugten ist der Zutritt untersagt") oder im Einzelfall erklärt werden. Das Verbot kann sich an alle oder einen bestimmten Kreis von Personen („Betteln und Hausieren verboten") oder an einzelne Personen unter bestimmten Voraussetzungen richten. So besagt ein Anschlag „Mitbringen von Hunden verboten", dass eindringt, wer den Raum mit einem Hund betritt. Gleiches gilt für den Fall, dass der Betreiber eines Großmarkts durch einen Aushang die Kundschaft auffordert, Einkaufstaschen vor dem Betreten des Ladens in Verwahrung zu geben (OLG Frankfurt NJW-RR 1993 788 und BGH NJW 1994 188). Ein entsprechender Aushang ist eine verbindliche Hausordnung, die bei Vertragsabschluss als Allgemeine Geschäftsbedingung behandelt wird. Wird ein Eintrittsgeld erhoben, so kommt darin

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Rengier BT II § 3 0 Rdn. 21; OLG Frankfurt/M. NJW 2 0 0 6 1749; Finger/Pillipp NVwZ 2 0 0 4 955; aA Bernsmann Jura 1981 4 6 5 , 4 6 9 ff. Insoweit zum etymologischen Material Kargl J Z 1999 930, 932; zur mutmaßlichen Einwilligung bei willensbezogenen Delikten Ludwig/Lange JuS 2 0 0 0 4 4 6 ; Schäfer MK Rdn. 27. So z.B. BayObLG J R 1969 4 6 6 , 4 6 7 ; OLG

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München NJW 1972 2 2 7 5 ; Fischer Rdn. 14; Lackner/Kühl Rdn. 5; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT I § 30 Rdn. 8; Otto BT § 35 Rdn. 12; Rengier BT II § 30 Rdn. 9; Sehl Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14/15; Wessels/Hettinger BT I Rdn. 587. RGSt 2 0 150, 156; BGH bei Daliinger M D R 1968 5 5 0 , 551; OLG Düsseldorf N J W 1 9 8 2 2678, 2679.

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zum Ausdruck, dass Personen ohne Eintrittskarte der Zutritt nicht gestattet ist. Ein Hausverbot kann auch auf der Grundlage der außerordentlichen Kündigung eines Bankenvertrags erfolgen und ist aus dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und § 862 BGB begründet (Burghardt WuB I A 2 Nr. 19 AGB Banken 1993 1.01). Wo es an einer solchen positiven Willensäußerung des Berechtigten fehlt, ist der aus den Umständen zu entnehmende mutmaßliche Wille des Berechtigten maßgebend.56 47

Nach anderer Auffassung 5 7 bedeutet Eindringen lediglich das Betreten ohne den Willen des Berechtigten. Das wird damit begründet, es sei der Sinn des § 123, dass die geschützte Räumlichkeit grundsätzlich nur den Personen offen stehe, die selbst Inhaber des Hausrechts sind oder an dem Hausrecht unmittelbar teilhaben (Arzt/Weber § 8 Rdn. 9). Von diesem Standpunkt aus bedarf es zum Betreten durch andere einer Erlaubnis (Zustimmung) des Berechtigten. Fehlt sie, so ist der Täter „eingedrungen". Aber auch diese Auffassung muss, wenn, wie häufig, insbesondere bei Abwesenheit des Berechtigten, eine ausdrückliche Willensäußerung und damit ein aktueller Wille des Berechtigten nicht gegeben ist, auf seinen mutmaßlichen Willen zurückgreifen (Schröder JR 1967 304, 305; 1969 467). Praktische Folgerungen ergeben sich aus den verschiedenen Betrachtungsweisen kaum. 58 Die hier vertretene Auffassung kann immerhin für sich in Anspruch nehmen, dass schon der Sprachsinn des „Eindringens" die Konstruktion der Überwindung eines (tatsächlichen oder psychischen) Hindernisses nahe legt.

48

Bedeutungslos ist, ob das Betreten mit oder ohne Gewalt gegen Personen oder Sachen bzw. offen oder heimlich als Einschieichen geschieht. Zum vollendeten Eindringen ist nicht erforderlich, dass der ganze Körper in den Raum gelangt. Es genügt, dass der Täter mit einem Körperteil in den Raum gelangt, z.B. den Fuß in die spaltweise geöffnete Wohnungstür stellt (BGH bei Daliinger MDR 1955 143, 144). Das bloße unbefugte Verbringen von Gegenständen in einen Raum (Schuttabladen [OLG Düsseldorf NJW 1982 2678], Abstellen von Fahrzeugen usw.) ist Hausfriedensbruch nur, wenn der Täter selbst den Raum betritt (vgl. BayObLG MDR 1969 778). Ansonsten kann es nach anderen Vorschriften strafbar oder als Ordnungswidrigkeit verfolgbar sein. Auch bloße Störungen der Hausruhe von außen (Schlagen gegen Fenster und Türen) oder im Innern des Raums durch technische Mittel (z.B. durch wiederholte Störtelefonanrufe; dazu Ehmke Polizei 1981 247; Lilie LK § 223 Rdn. 15) fällt nicht unter § 123. 59 Für Fälle von Nachstellung (sog. Stalking) ist insofern aber § 238 Abs. 1 Nr. 2 einschlägig (vgl. dazu Krüger Stalking als Straftatbestand [2007] 114 ff). Zur Strafbarkeit von Störanrufen nach anderen Vorschriften vgl. Brauner/Göhrter NJW 1978 1469.

56

Vgl. u.a. RGSt 12 132; 2 0 1 5 0 ; 7 5 3 5 7 ; B G H bei Daliinger M D R 1 9 6 8 5 5 0 , 5 5 1 ; Maurach/ Schroeder/Maiwald B T I § 3 0 Rdn. 16.

57

Schröder J R 1 9 6 7 3 0 4 , 3 0 5 ; 1 9 6 9 4 6 7 ; Schall Schutzfunktionen S. 1 4 2 ; Amelung/Schall JuS 1 9 7 5 5 6 5 , 5 6 7 ; Amelung N S t Z 1 9 8 5 4 5 7 , der jetzt eine Parallele zu erschlichener Eintrittserlaubnis zieht und insofern von seiner früher mit Schall vertretenen Ansicht abweicht; Rudolphi/Stein SK Rdn. 13.

178

58

So auch Schröder J R 1 9 6 9 4 6 7 und Rudolphi/Stein SK Rdn. 13; vgl. ferner Arzt/Weber § 8 Rdn. 10; BayObLG M D R 1 9 6 9 7 7 8 hat deshalb die Frage offen gelassen.

59

Herzog GA 1 9 7 5 2 5 7 , 2 6 3 , der auch die Anwendbarkeit von § 117 (unzulässiger L ä r m ) und § 118 O W i G (Belästigung der Allgemeinheit) verneint und eine Erweiterung des § 1 2 3 für geboten hält - S. 2 6 5 ff, 2 6 9 ff.

H a n s Lilie

Hausfriedensbruch

2. Die Erlaubnis des Hausrechtsinhabers zum Betreten schließt nicht erst die Widerrechtlichkeit, sondern bereits die Tatbestandsmäßigkeit aus, da das Fehlen der Erlaubnis Tatbestandsmerkmal ist. 60

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a) Dies gilt in der Regel auch bei einer durch Täuschung erschlichenen Eintritts- 5 0 erlaubnis (anders Schäfer LK 1 0 Rdn. 27). Hierfür ist auf die Interpretation des Eindringens zurückzugreifen. Wer Räumlichkeiten mit dem ausdrücklich erklärten Willen des Berechtigten betritt, handelt nicht gegen dessen Willen. Wollte man, wie es die Gegenauffassung61 tut, auf den hypothetischen Willen des (später über die Täuschung informierten) Berechtigten zurückgreifen, würde man die Strafbarkeit von einer im Prozess kaum rekonstruierbaren und letztlich dann auch nicht mehr beweisbaren Voraussetzung abhängig machen (Bernsmann Jura 1981 403, 404). Rechtsprechung und Literatur vermeiden auch in anderen Bereichen den Rückgriff auf ähnliche prozessual kaum belegbare Anknüpfungspunkte, etwa beim unmittelbaren Ansetzen zum Versuch durch die Verstärkung objektiver Kriterien (Täter muss „subjektiv die Schwelle zum ,jetzt geht es los' überschreiten und objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzen" BGHSt 28 162, 163). Schließlich hat auch Bernsmann zu Recht darauf hingewiesen, dass das Suchen nach dem wahren Willen zur Pönalisierung von Unbotmäßigkeiten missbraucht werden kann, weil der Berechtigte durch Vorgabe eines wahren Willens eine ursprünglich gefasste Meinung im Nachhinein manipulieren kann. Auch wird der Schutz des Berechtigten durch diese Auffassung in keinerlei Weise beeinträchtigt, da der getäuschte Hausrechtsinhaber den „Eindringling" des Schutzbereichs verweisen kann, wenn er die wahre Situation erkennt (§ 123 Abs. 1 Var. 2). So kann eine Ausdehnung des Tatbestands des § 123 über das kriminalpolitisch Notwendige hinaus verhindert werden. Damit bleibt auch die Übereinstimmung mit § 242 gewährleistet, wo der wahre Wille des Gewahrsamsinhabers ausschlaggebend ist, unabhängig davon, ob er getäuscht wird oder nicht. 62 Etwas anderes muss bei ausdrücklich erklärten Hausverboten gelten. Hat der Haus- 5 1 rechtsinhaber gegenüber einzelnen Personen, etwa Dieben in Kaufhäusern, Demonstranten in Abflughallen oder Hooligans in Fußballstadien, ein ausdrückliches Hausverbot verhängt, so ist dem Wiedereindringling ein tatsächlich artikulierter konkret entgegenstehender und damit in der Regel auch beweisbarer Wille des Berechtigten bekannt. Maßstab für das Hausverbot ist damit kein mutmaßlicher, sondern der tatsächliche

60

61

Dölling/Duttge/Rössner/Hartmann HK Rdn. 16; Kindhäuser BT I § 3 3 Rdn. 21; lehrreich Geppert Jura 1989 378, 380; Ostendorf NK Rdn. 4 7 ; Otto BT § 35 Rdn. 12; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 22; Wessels/Beulke AT Rdn. 366. U.a. BGH StV 1996 6 6 0 (Schutzgelderpressung); BGH NJW 2 0 0 6 1054 (Verteilung von Flugblättern gegen Abschiebung in Abfertigungshalle); OLG München NJW 1972 2275; Amelung/Schall JuS 1975 565, 5 6 7 mit der Einschränkung auf Wohnräume; Kindhäuser BT I § 33 Rdn. 2 4 ; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT I § 3 0 Rdn. 13; Mewes Jura 1991 628, 631; Rudolphi/Stein SK Rdn. 18, 18b; Schall Schutzfunktionen

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S. 143; Tag Jus 1996 9 0 4 f - zum Erschleichen des Einverständnisses, wenn gegen den Hausrechtsinhaber weitere Straftaten begangen werden sollen. In diesem Sinne auch Amelung NStZ 1985 4 5 7 ; Arzt FS Baumann, S. 201, 211; Bernsmann Jura 1981 403, 4 0 4 ; Fischer Rdn. 15; Geppert Jura 1 9 8 9 378, 3 8 0 f; Lackner/Kühl Rdn. 5; Meyer S. 187 ff; Schäfer MK Rdn. 33; Otto BT § 35 Rdn. 9; ders. Jura 1986 3 3 3 ; ders. N J W 1 9 7 3 6 6 8 ; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 22; Stückemann J R 1973 414; Wessels/Hettinger BT I Rdn. 5 8 7 f; vgl. auch das scharfsinnige Beispiel von Arzt/Weber § 8 Rdn. 12 in Abwandlung zu BGHSt 21 2 2 4 .

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Wille. Setzt der Täter sich über diesen, z.B. auch durch Täuschung, hinweg, dringt er ein. 63 52

b) Wenn durch einen allgemeinen ausdrücklichen oder stillschweigenden Willensakt des Berechtigten der Zugang für beliebige Personen eröffnet ist, entfällt die Wirkung einer generellen Eintrittserlaubnis nicht deshalb, weil der Täter sie zu widerrechtlichen Zwecken ausnutzen will. 64 Dies gilt etwa bei einem Warenhaus, das nicht nur zum Kauf Entschlossenen oder Kauflustigen, sondern auch sonst dem Publikum offen steht, soweit ein anscheinend harmloser Kauflustiger dieses betritt, um dort zu stehlen. Nur wenn das „äußere Erscheinungsbild" (OLG Düsseldorf N J W 1982 2678, 2679) wesentlich von dem gestatteten Verhalten abweicht, z.B. wenn der Bankräuber schon mit der Schusswaffe in der Hand und/oder maskiert während der Kassenstunden den Schalterraum der Bank betritt, liegt ein Hausfriedensbruch vor.

53

Dem muss im Gegensatz zur Auffassung Schäfers (Schäfer LK 1 0 Rdn. 32) gefolgt werden. Auf einen „mutmaßlichen Willen" des nicht beim Zutritt anwesenden Hausrechtsinhabers kann nur in dem Umfang abgestellt werden, wie ein anwesender Berechtigter sich dem Zutritt entgegenstellen würde. Dieser würde einem Irrtum über die wahren Absichten des Betretenden erliegen, wenn der Ladendieb sich nicht durch sein äußeres Erscheinungsbild zu erkennen gibt, und diesen daher einlassen. Weil ein solcher Irrtum unbeachtlich ist, kann bei Räumen mit genereller Zutrittserlaubnis nichts anderes gelten.

54

Die Argumentation von Amelung/Schall JuS 1975 565, 567 differenziert dagegen zwischen den angegriffenen Rechtsgütern: Wer eine Wohnung als anscheinend harmloser Besucher, aber in der Absicht betritt, darin eine Straftat zu begehen, und so den Zugang gewissermaßen erschleicht, begeht Hausfriedensbruch. Das sei aber eine Folgerung aus der „prinzipiell gegen Dritte abgeschlossenen Sphäre der Wohnung". Die „halböffentliche" Sphäre des Warenhauses sei damit nicht zu vergleichen. Der Ladendieb brauche keine psychischen Zutrittsschranken zu überwinden. Er mache sich „nur" zunutze, dass der Hausrechtsinhaber generell alle Personen zugelassen habe, die nicht offensichtlich seinen Betrieb stören.

55

c) Etwas anderes gilt bei einer abgenötigten Erlaubnis, denn hier sind die Voraussetzungen von Gewalt oder Drohung gegeben.65 Durch diese intensive Willensbeugung wird der tatsächliche Wille des Hausrechtsinhabers bewusst verdrängt. Damit kann das Betreten nicht durch das abgenötigte Einverständnis legitimiert werden.

63

64

AG Hamburg NStZ 1988 221; Geppert Jura 1989 378, 380; aA Ostendorf NK Rdn. 30; Rengier BT II § 3 0 Rdn. 12; Schild NStZ 1986 346, 350. So BGH NStZ 1982 158, 159; OLG Zweibrücken NStZ 1985 4 5 6 mit Anm. Offermann ]K 1986 51; Geppert JK 1986 § 123/4; außerdem Albrecht NStZ 1988 2 2 2 , 224; Amelung/Schall JuS 1975 565, 5 6 7 ; Arzt/ Weber $ 8 Rdn. 12; Freund JuS 2001 475, 4 7 8 ; Kargl J Z 1 9 9 9 930, 938; Kett-Straub J R 2 0 0 6 188; Krey/Heinrich BT 1 Rdn. 4 4 8 f; Lackner/Kühl Rdn. 7; Martin JuS 2001 364, 368; Maurach/Schroeder/Maiwald BT I § 30

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Rdn. 14; Rengier BT II § 3 0 Rdn. 11 f; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 6 ; Schall Schutzfunktionen S. 156; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 26; Steinmetz JuS 1985 9 4 mit vermittelnder Ansicht, wonach in diesen Fällen ein Eindringen nur dann vorliegen soll, wenn diese Handlung zugleich den mindestens strafbaren Versuch eines anderen Delikts darstellt; Welzel S. 333; Wessels/Hettinger BT 1 Rdn. 591. So auch Arzt/Weber § 8 Rdn. 12; Bernsmann Jura 1981 403, 404; Wessels/Hettinger BT 1 Rdn. 588.

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Hausfriedensbruch

§ 123

3. Betreten unter Zuwiderhandlung gegen ein als Verwaltungsakt erlassenes Hausverbot. Die praktische Bedeutung der streitigen Frage, ob das Hausverbot, das eine Behörde für die in ihrem Eigentum stehenden oder ihrer Verfügungsgewalt unterliegenden Dienstgebäude ausspricht, ein privatrechtlicher Akt oder ein mit den Rechtsbehelfen nach der Verwaltungsgerichtsordnung anfechtbarer Verwaltungsakt (Rdn. 41 ff) ist, ergibt sich aus Folgendem: Im ersteren Fall entscheidet über die Strafbarkeit einer Zuwiderhandlung alsbald der Strafrichter. Gerade das „kommt den praktischen Bedürfnissen entgegen" (BayObLGSt. 1976 103). Stellt das Hausverbot dagegen einen Verwaltungsakt dar, haben nach § 80 Abs. 1 VwGO Widerspruch und Anfechtungsklage gegen das Hausverbot aufschiebende Wirkung. Es kann also ein Hausverbot, wenn und solange es mit aufschiebender Wirkung angefochten ist, nicht die Grundlage für eine Bestrafung nach § 123 bilden (s. dazu Thierfelder DVB1. 1968 138, 140 f; Lorenz DVB1. 1971 165, 169 f). Der Strafrichter sollte dann das Hauptverfahren analog § 262 Abs. 2 StPO aussetzen, bis der Verwaltungsakt bestandskräftig ist oder ein rechtskräftiges verwaltungsgerichtliches Urteil vorliegt (Schenke J R 1970 454; Gerhards NJW 1978 86, 89; Rengier BT II § 30 Rdn. 25). Dabei muss man freilich sehen, dass die Dauer von verwaltungsgerichtlichen Verfahren in diesem Fall besondere Probleme hervorruft (Schäfer MK Rdn. 46).

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Streitig ist die Rechtslage, wenn der Verwaltungsakt zur Tatzeit zwar anfechtbar (nicht aber nichtig i.S. von § 44 VwVfG), jedoch noch nicht mit aufschiebender Wirkung angefochten ist. In solchen Fällen wird nach einer Auffassung (vgl. OLG Hamburg MDR 1968 1027, 1028) der einmal entstandene Strafanspruch nicht dadurch berührt, also dem Hausverbot nicht rückwirkend seine Rechtswirksamkeit genommen, dass der Täter nach der Tat das Hausverbot wirksam und mit aufschiebender Wirkung oder sogar mit Erfolg anficht (Kölbel GA 2005, 36, 56). Die Strafbarkeit ist in diesem Fall nur nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Tatbegehung zu beurteilen. Dagegen ist nach BGHSt 23 86, 91 ff die Bedeutungslosigkeit der späteren Aufhebung des Verwaltungsakts durch die Widerspruchsbehörde oder das Verwaltungsgericht für die einmal begründete Strafbarkeit durch Zuwiderhandlung gegen den Verwaltungsakt auf den Fall beschränkt, dass der Zuwiderhandelnde „den Vollzug des gegen ihn gerichteten Verwaltungsaktes ohne die Möglichkeit hemmender Rechtsbehelfe zunächst hinnehmen muss, dessen Zuwiderhandlung sich also als Ungehorsam gegen die vollziehbare Verwaltungsanordnung darstellt". 66 Nur in diesem Falle könne dem Betroffenen „zugemutet werden, der Anordnung bei Gefahr der Bestrafung nachzukommen, auch wenn noch nicht feststeht, ob eine Zuwiderhandlung letztlich das sachliche Recht verletzt, weil noch die Möglichkeit einer Aufhebung des Verwaltungsakts durch das Verwaltungsgericht besteht". Mit Rücksicht darauf sind die Verfügungsberechtigten in Fällen, in denen der Erlass eines Hausverbots als Verwaltungsakt in Betracht kommt, bei aktuellem Anlass (s. dazu OVG Lüneburg NJW 1975 136 betr. Anordnung der Vollziehung bei tätlichen Ausschreitungen von Studierenden) dazu übergegangen, gleichzeitig mit dem Erlass des Hausverbots dessen sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO anzuordnen. In einem solchen Hausverbot sieht OLG Karlsruhe NJW 1978 116 im Anschluss an BGHSt 23 86, 92 einen Verwaltungsakt, dessen Vollzug der Betroffene „ohne die Möglichkeit hemmender Rechtsbehelfe zunächst hinnehmen muss", so dass der in der Zuwiderhandlung liegende Hausfriedensbruch seine Strafbarkeit nicht rückwirkend dadurch verliert, dass später das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung wiederherstellt (§ 80 Abs. 5 VwGO) und das Hausverbot aufhebt. Dieser Grundsatz ist in der Folgezeit herrschend in Rechtspre-

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66

Ebenso OLG Hamm M D R 1979 516.

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chung und Schrifttum geworden.67 Die Gegenansicht (vgl. vor allem Dingeidey NStZ 1982 160 ff; Rengier BT II § 30 Rdn. 24) vermag nicht zu überzeugen. Es muss möglich sein, ein Hausverbot alsbald durch Anordnung der sofortigen Vollziehung mit strafrechtlicher Wirksamkeit auszustatten, statt die Frage der Strafbarkeit vom Ausgang eines vielleicht lange Zeit währenden Widerspruchs- und Anfechtungsverfahrens abhängig zu machen. „Das gebieten" - um mit BGHSt 23 86, 92 zu sprechen - „die berechtigten Bedürfnisse der staatlichen Ordnung, die auch ein Anliegen der Allgemeinheit sind, und denen sich jeder einsichtige Bürger, der Ordnung und Sicherheit wünscht, beugen muss". Es überzeugt nicht, wenn Gerhards NJW 1978 81, 86 und ähnlich Arnhold J Z 1977 789 hiergegen einwenden, § 123 bedrohe nicht die Zuwiderhandlung gegen ein sofort vollziehbares Hausverbot, sondern die Verletzung des Hausrechts, denn es wird gerade das Hausrecht verletzt, wenn sich der Täter über ein vollziehbares Hausverbot hinwegsetzt. Nicht zuletzt spricht hierfür noch der Gedanke, dass die Strafbarkeit nur nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Tatbegehung (§ 8 S. 1) zu beurteilen ist. 58

4. Eindringen durch Unterlassen ist - entgegen der wohl noch überwiegenden Ansicht 68 - nicht möglich. Beschreibt man den Begriff des Eindringens als ein aktives und zielbewusstes Vorgehen, so verlangt eine am Gesetzmäßigkeitsprinzip orientierte Auslegung ein aktives Element. 69 Dieses ist aber gerade dann nicht erfüllt, wenn ein Täter, nachdem er der Störung des Hausrechts gewahr wird, gleichwohl den Schaden nicht abwendet. Der von der herrschenden Meinung gezogene Vergleich zur Freiheitsberaubung (§ 239), ebenfalls wie § 123 ein Dauerdelikt, überzeugt nicht. Für § 239 mag es gelten, dass ein Täter, der sich mit der Fortsetzung eines durch ihn verwirklichten Erfolgs abfindet oder ihn billigt, als Unterlassungstäter für die weitere Verschlechterung des Zustande verantwortlich ist. Der Unterschied zu § 239 liegt hier aber gerade darin, dass die zweite Handlungsmodalität bei § 123 für diesen Fall ein echtes Unterlassungsdelikt vorsieht. 70 Auch der Einwand, der im Raum anwesende Täter setze sich quasi fortlaufend über den entgegenstehenden Willen des Berechtigten hinweg, vermag nicht zu überzeugen. Der widerstrebende Wille des Hausrechtsinhabers, der i.S. einer psychischen Barriere fortwährend erneut „überwunden" wird, kann nicht herangezogen werden. Denn auch dieses Verhalten setzt ein Minimum an Aktivität im Hinblick auf eine Hausrechtsverletzung voraus. Das oft zitierte Beispiel des im falschen Hotelzimmer eingeschlafenen Gastes ist ein plastischer Beleg für das Fehlen jeglicher Aktivität. Außerdem steht es dem Hausrechtsinhaber jederzeit frei, den „Störer" des Hauses zu verweisen, wenn die Verletzung des Hausrechts festgestellt wird.71 Ein praktisch relevanter Rechtsverlust ist gerade

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BGH NStZ 1982 158, 159; OLG Karlsruhe JR 1980 342 mit Anm. Schwabe JR 1980 344; OLG Hamburg JR 1981 31 mit Anm. Oehler JR 1981 33; Fischer Rdn. 21; Lackner/Kühl Rdn. 8; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 20. BGHSt 21 224 mit zust. Anm. Schröder JR 1967 304; BayObLG MDR 1969 778; Schäfer LK 10 Rdn. 29; Heinrich JR 1997 89, 94 f; Janiszetvski JA 1985 570; Kindhäuser BT I § 33 Rdn. 29; Schäfer MK Rdn. 26; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Schröder NJW 1966 1001, 1002. Bernsmann Jura 1981 403, 405; Bohnert GA

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1983 1, 9; Geppert Jura 1989 378, 382; Herzberg/Hardtung JuS 1994 492, 493; Kareklas FS Lenckner, S. 460, 462; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT I § 30 Rdn. 7; Ostendorf NK Rdn. 27; Otto BT § 35 Rdn. 11; Rengier BT II § 30 Rdn. 17; Rudolphi/Stein SK Rdn. 19; Seier JA 1978 622, 624 f; Marnitz S. 180. So auch Seier JA 1978 622, 624; kritisch aber Janiszewski JA 1985 570. In diesem Sinne u.a. auch Bernsmann Jura 1981 403, 405; Geppert Jura 1989 378, 382; Rudolphi/Stein SK Rdn. 19; Seier JA 1978 622, 624.

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Hausfriedensbruch

§ 123

hinsichtlich des Charakters des Hausfriedensbruchs als Privatklagedelikt nicht feststellbar. Deshalb erscheint es durchaus vertretbar, nicht mit allen erdenklichen Mitteln einen lückenlosen Schutz erzwingen zu wollen. Lediglich Garanten, die das Eindringen dritter Personen nicht verhindern, machen sich wegen eines Unterlassens strafbar. Aus den genannten Gründen handelt es sich aber nicht um einen Fall der Unterlassungstäterschaft. Es liegt vielmehr bloße Beihilfe durch Unterlassen zum Hausfriedensbruch vor. Dabei muss sich die Garantenstellung entgegen Bernsmann Jura 1981 403, 4 0 4 f und Geppert Jura 1989 378, 382 nicht aus der Beziehung des Garanten zum Eindringenden ergeben. Vielmehr muss sie in Bezug auf das geschützte Rechtsgut, das Hausrecht, vorliegen, z.B. wenn einer von mehreren Hausrechtsinhabern das Eindringen eines Dritten nicht verhindert.

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V. Verweilen trotz Aufforderung des Berechtigten 1. Rechtsnatur. Die zweite Begehungsform der Tathandlung besteht darin, dass der Täter unbefugt in dem Raum verweilt und sich auf die Aufforderung des Berechtigten nicht entfernt. Der Mangel der Befugnis entspricht der Widerrechtlichkeit beim Eindringen, ist also nicht Tatbestandselement. Vielmehr wird damit nur auf das allgemeine Verbrechensmerkmal der Rechtswidrigkeit hingewiesen (Gössel J R 1978 292). Die zweite Alternative ist ein subsidiärer Tatbestand, dem selbständige Bedeutung nur zukommt, wenn die erste Alternative nicht vorliegt (BGHSt 21 2 2 4 , 225). Zu denken ist nach der hier vertretenen Auffassung zunächst an die Konstellationen, die nach herrschender Meinung als Eindringen durch Unterlassen anzusehen sein sollen (dazu oben Rdn. 58). Einzubeziehen ist außerdem der Fall, dass der Täter den Raum ursprünglich befugt betrat und erst im weiteren Verlauf ein dem Verbleiben entgegenstehender Wille des Berechtigten geäußert wird, z.B. ein Zeitschriftenwerber zunächst eingelassen und erst später, etwa wegen ungebührlichen Benehmens oder weil der Berechtigte den weiteren Werbungsbemühungen ein Ende setzen will, des Raums verwiesen wird. Die Strafbarkeit tritt dann ein, wenn der Täter sich nicht entfernt. Die Tat stellt also in dieser Begehungsform ein echtes Unterlassungsdelikt dar. Damit aber objektiv (aus Beweisgründen) und subjektiv (für den Täter) Klarheit besteht, dass die bisherige Berechtigung zum Aufenthalt beendet

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ist, knüpft das Gesetz die Strafbarkeit des Sichnichtentfernens daran, dass zuvor eine Aufforderung des Berechtigten zur Entfernung ergangen ist. 2. Die Aufforderungsberechtigten. Zum Kreis der Aufforderungsberechtigten gehören zunächst der Hausrechtsinhaber oder die Personen, auf die er sein Hausrecht delegiert hat (hierzu oben Rdn. 37). Sind aber diese Personen nicht anwesend, so kann es für die Frage des unbefugten Verweilens nicht auf deren mutmaßlichen Willen ankommen, da § 123 Abs. 1 Var. 2 voraussetzt, dass der Wille zur Wahrung des Hausrechts im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls in konkreter Form verlautbart wird.

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Als zur Aufforderung Berechtigter kann in solchen Fällen angesehen werden, wer zu dem Inhaber des Hausrechts in einer Beziehung steht, die ihn legitimiert, im Interesse des nicht anwesenden Hausrechtsinhabers zu handeln und eine nach Sachlage erforderliche sofortige Bestimmung zu treffen. Über die dogmatische „Konstruktion" einer solchen Aufforderungsberechtigung bestehen Meinungsverschiedenheiten. Es wird von „tatsächlicher Vertretung" des Hausrechtsinhabers gesprochen (Fischer Rdn. 23) oder von „Vertretern in der Erklärung". Nach BGHSt 21 224, 226 sind Familienangehörige nicht erst „als tatsächliche Vertreter" oder „Vertreter in der Erklärung", sondern „kraft ihrer Zugehörigkeit zur Familiengemeinschaft" zur Wahrung des Hausrechts befugt. Nach

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Schröder JR 1967 304, 306 handelt es sich bei der Aufforderung zum Sichentfernen „nicht eigentlich um eine Entscheidung auf Grund des Hausrechts, sondern um die Erfüllung der formalen Voraussetzung der Aufforderung durch Personen, die im Schutzbereich des Hausrechts stehen und als legitimiert anzusehen sind, den mutmaßlichen Willen des Berechtigten in einer Aufforderung zu aktualisieren". Am nächsten liegt die Konstruktion einer stillschweigenden Ermächtigung, entsprechend dem mutmaßlichen Willen des Hausrechtsinhabers zu verfahren (ebenso Rudolphi/Stein SK Rdn. 21). Nur kann es für die Wirksamkeit der aus der Situation heraus getroffenen Aufforderung nicht darauf ankommen, ob die Aufforderung tatsächlich dem mutmaßlichen Willen des Hausrechtsinhabers entspricht, sofern sie nur seinem tatsächlich geäußerten oder seinem nach der Sachlage zu vermutenden Willen nicht offenbar widerspricht. Im Übrigen hat es der Hausrechtsinhaber in der Hand, eine Strafverfolgung auszuschließen, indem er keinen Strafantrag stellt. 63

Vorgenannte Aufforderungsberechtigung liegt ohne Weiteres bei Personen vor, zu deren Aufgaben es gehört, für Ordnung in einem Raum zu sorgen, wie z.B. bei Führern und Schaffnern einer Straßenbahn (RGSt 75 355, 357), bei den Aufsichtspersonen in einem Museum, bei dem Vorstand eines Vereins, dem der Raum einer Gastwirtschaft zur Abhaltung einer Mitgliederversammlung überlassen ist (RGSt 24 194, 196) usw. Bei Lehrveranstaltungen nimmt der Lehrende das Hausrecht für die Leitung der Universität wahr und kann deshalb Störende zum Verlassen des Raums auffordern (zur hochschulinternen Zuständigkeitsabgrenzung bei der Hausrechtsausübung OVG Münster RDV 1994 30). Bei einer Wohnung sind es Personen, die zur Hausgemeinschaft gehören, wie etwa die Kinder des Hausrechtsinhabers (BGHSt 21 224, 226). Darauf, ob sie erwachsen oder minderjährig sind, kommt es nicht an. Denn wenn der Hausrechtsinhaber sie ausdrücklich mit der Wahrung des Hausrechts beauftragen kann, müssen sie auch als berechtigt angesehen werden, ohne ausdrücklichen Auftrag für den Hausrechtsinhaber zu handeln. Entscheidend ist bei Minderjährigen nur, dass sie schon fähig sind, den Sinn des Hausrechts zu begreifen und die Sachlage vernünftig zu beurteilen (BGHSt 21 224, 227 betr. 14-jährige Tochter). Darüber hinaus kommen auch andere Verwandte oder Hausangestellte (RGSt 12 132) in Betracht. Überhaupt ist es nicht notwendig, dass die Aufforderungsberechtigten im engeren Sinn der Familien- oder Hausgemeinschaft angehören. „Nach den Gepflogenheiten des menschlichen Zusammenlebens" (BGHSt 21 224, 226) wird als aufforderungsberechtigt auch jeder anzusehen sein, von dem der abwesende Hausrechtsinhaber erwarten kann, dass er sich während seines rechtmäßigen Aufenthalts in dem Raum des Schutzes des Hausrechts annimmt, wie etwa der allein in der Wohnung befindliche Untermieter, der vorübergehend zu Besuch weilende Freund oder ein Handwerker, der sich längere Zeit zur Renovierung allein in der Wohnung aufhält. Bei Geschäftsräumen sind aufforderungsberechtigt die Personen, die im Geschäft tätig sind, wie der Kellner des Gastwirts. In Dienstgebäuden einer Behörde sind im Allgemeinen auch die Angehörigen der Behörde, denen die einzelnen Räume zugewiesen sind, sowie z.B. Pförtner aufforderungsberechtigt. Ein Polizeibeamter kann aufforderungsberechtigt sein (OLG Schleswig SchlHA 1973 183), aber nicht in allen Diensträumen (RG DStr. 1938 245).

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3. Die Aufforderung einer der vorgenannten Personen - eine einmalige genügt - muss weder wörtlich (es reicht aus z.B. ein Glockenzeichen als Aufforderung zum Verlassen eines Friedhofs am Ende der Öffnungszeit) noch in ausdrücklicher Form erfolgen. Es genügt, dass der Täter aus dem schlüssigen Verhalten des Berechtigten erkennt, sein Verweilen widerspreche dessen Willen (Otto BT § 35 Rdn. 18; Rengier BT II § 30 Rdn. 13; Rudolphi/Stein SK Rdn. 21). Im Übrigen ist der Wortlaut des § 123 insofern ungenau, als

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er zu verlangen scheint, dass zunächst der Zustand des unbefugten Verweilens eingetreten sein muss, bevor die Aufforderung zum Entfernen erfolgt. Das Gesetz will vielmehr besagen, dass das zunächst berechtigte Eintreten zu einem unbefugten Verweilen wird, wenn der andere sich auf die Aufforderung des Berechtigten nicht entfernt und ihm ein besonderer Rechtfertigungsgrund zum Verweilen nicht zur Seite steht. 4. Wer vom Berechtigten aufgefordert ist, sich zu entfernen, hat den Raum unverzüglieh (= ohne schuldhaftes Zögern i.S. von § 121 BGB) zu verlassen. Verbleibt er gleichwohl in der geschützten Räumlichkeit und weiß er auch keine Verweilungsbefugnis auf seiner Seite (hierzu unten Rdn. 70), kann der rechtswidrige Angriff auf das Hausrecht durch gewaltsame Entfernung als Notwehr- oder Nothilfemaßnahme gem. § 32 abgewehrt werden (OLG Düsseldorf [Z] NJW 1997 3383 entgegen OLG Frankfurt/M. [Z] NJW 1994 946). Dies gilt nicht, wenn und solange der Aufgeforderte objektiv oder subjektiv nicht in der Lage ist, der Aufforderung Folge zu leisten. Während dieses Zeitraums ist nach den für das Unterlassungsdelikt geltenden Grundsätzen sein Verbleiben - unbeschadet der Befugnis, auf andere Weise von ihm ausgehende Störungen des Hausfriedens abzuwehren - nicht tatbestandsmäßig. So kann etwa das Straßenbahnpersonal, das kraft der ihm übertragenen Wahrung des Hausrechts den störenden Fahrgast von der Weiterfahrt ausschließt, nicht verlangen, dass dieser während der Fahrt den Wagen durch Abspringen verlässt. Die Bahn muss entweder anhalten oder, weil die einschlägigen Vorschriften ein Besteigen oder Verlassen des Straßenbahnwagens nur an einer Haltestelle zulassen, die Weiterfahrt des Ausgeschlossenen bis zur nächsten Haltestelle dulden (RGSt 75 355).

65

Das weitere Verweilen trotz Aufforderung, sich zu entfernen, muss ferner von solcher Dauer sein, dass es sich als Ungehorsam hiergegen darstellt (Otto BT § 35 Rdn. 17; Wessels/Hettinger BT I Rdn. 593). War der Täter bereits eingedrungen und befolgt er die Aufforderung zur Entfernung nicht, so steht eine Verwirklichung der zweiten Begehungsform nicht in Frage, da diese gegenüber der ersten nur subsidiäre Bedeutung hat. Die Aufforderung ist dann allenfalls für die Erkenntnis der Willenswidrigkeit des Eindringens von Bedeutung. Es liegt aber keine neue Tat vor (BGHSt 21 2 2 4 , 227).

66

VI. Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz. Dolus eventualis genügt (Ostendorf NK Rdn. 45; Wessels/Hettinger BT I Rdn. 597). Bei der ersten Begehungsform (Eindringen) ist das Bewusstsein erforderlich, gegen den geäußerten oder mutmaßlichen Willen des Hausrechtsinhabers zu handeln (RGSt 1 21, 22; 12 132, 134; 32 402, 403), bei der zweiten Begehungsform das Bewusstsein von der Berechtigung dessen, der zum Sichentfernen auffordert (RGSt 32 402, 403; OLG Hamburg J Z 1977 477, 478). Eine darüber hinausgehende Absicht, den Hausfrieden zu brechen, braucht nicht vorzuliegen (RGSt 13 312, 313), weil dieser nicht in seiner Allgemeinheit geschützt ist, sondern nur unter dem Teilaspekt des Hausrechts.

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§ 123

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

VII. Rechtswidrigkeit 68

1. Die Widerrechtlichkeit des Eindringens entfällt, wenn dem Eindringenden ein stärkeres, das Hausrecht zurückdrängendes Recht zum Betreten zusteht.72 Dieses stärkere Recht kann sich - abgesehen von den allgemeinen Rechtfertigungsgründen wie Notwehr und Notstand 73 - in erster Linie aus dem öffentlichen Recht ergeben, so aus den Polizeigesetzen der Länder, die den zuständigen Behörden ein Recht zum Betreten und zur Durchsuchung von Wohnungen aus polizeilichen Gründen einräumen,74 aus den Vorschriften der Verfahrensordnungen über Verhaftung, Beschlagnahme, Durchsuchung, Pfändung oder aus Einzelgesetzen, die bei der Überwachung und Überprüfung eines Betriebs Kontrollpersonen ermächtigen, die Geschäftsräume zu diesem Zweck zu betreten, und dem Inhaber die Pflicht auferlegen, den Zutritt und das Verweilen zu dulden.75

69

Einzelfälle. Bei amtlichen Gebäuden kann sich ein stärkeres Recht des Eindringenden auf die Zweckbestimmung des Gebäudes und auf das Recht des Bürgers stützen, zur Erledigung seiner behördlichen Angelegenheiten mit den Bediensteten der Behörde persönlich zu verhandeln. Gemäß § 6 Abs. 2 VersammlG können Pressevertreter nicht von der Teilnahme an öffentlichen Versammlungen ausgeschlossen werden. Sie haben also ein Betretungsrecht auch gegenüber einem Betretungsverbot des Leiters der Versammlung, der gemäß § 7 Abs. 4 VersammlG das Hausrecht ausübt. Allerdings dürfen Medienvertreter sich keinen Zutritt zu Wohn- oder Geschäftsräumen verschaffen, um Informationen zu erlangen, wenn im Einzelfall ein ausdrückliches oder konkludent erteiltes Einverständnis fehlt (Hochrather ZUM 2001 670). Auch eine übergesetzliche Rechtfertigung unter entsprechender Anwendung des Prinzips der Wahrnehmung berechtigter Interessen scheidet aus (Hochrather aaO 670). Kraft der elterlichen Sorge sind die Eltern berechtigt, die Wohnung der minderjährigen Kinder auch gegen deren Willen zu betreten. Bei Pfändungen durch den Gerichtsvollzieher haben aber der Gläubiger oder sein Vertreter nicht das Recht, gegen den Willen des Schuldners bei der Pfändung in dessen Räumen anwesend zu sein. Den Ehepartnern stehen keinerlei Rechte zu, die Räume eines vom anderen Partner selbständig betriebenen Gewerbeunternehmens gegen dessen Willen zu betreten. Privatdetektive dürfen bei Erledigung ihrer Aufträge nur solche Maßnahmen treffen, zu denen jedermann befugt ist, oder die der Mandant vornehmen und übertragen darf (RGSt 59 291, 298). Das ist auch für die Frage maßgebend, ob sie befugt sind, in eine Wohnung einzudringen. Der Gemeinschuldner darf seine Räume nicht betreten, wenn ihm dies vom Insolvenzverwalter untersagt ist. Zur Rechtswidrigkeit von Hausbesetzungen und weiteren mit diesem Phänomen zusammenhängenden Fragen vgl. oben Rdn. 19.

72

73

RGSt 12 132, 134; 2 0 150; 2 8 2 6 9 ; 35 396; Schäfer MK Rdn. 58. Zu der in einem Sonderfall erörterten Frage, ob aus § 3 4 ein Rechtfertigungsgrund dafür hergeleitet werden kann, dass sich Strafverfolgungsorgane über Beschränkungen des strafprozessualen Durchsuchungsrechts hinwegsetzen, vgl. OLG München NJW 1972 2275; dazu Amelung/Schall JuS 1975 5 6 8 und Otto NJW 1973 6 6 8 ; ferner OLG Köln StV 1982 471 mit Anm. Bernsmann StV 1 9 8 2 578.

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74

75

Vgl. z.B. § 43 Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes SachsenAnhalt (SOG LSA) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2 3 . 0 9 . 2 0 0 3 (GVB1. LSA S. 214); zu den Besonderheiten bei verdeckten Ermittlern BGH NStZ 1997 4 4 8 mit Anm. Hilger NStZ 1997 4 4 9 ; Felsch StV 1998 285; Nelles StV 1991 4 8 8 ; Ranft Jura 1993 449. Z.B. gem. § 2 2 Abs. 2 GaststättenG oder § 64 Abs. 4 Nr. 1 AMG oder §§ 17, 2 0 HandwerksO (dazu BVerfGE 32 54).

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Hausfriedensbruch

§ 123

2. Eine Verweilungsbefugnis auch gefgen den durch die Aufforderung offenbarten Willen des Berechtigten kann sich - wie bei dem die Widerrechtlichkeit des Eindringens ausschließenden Recht zum Betreten - aus den Vorschriften des öffentlichen oder bürgerlichen Rechts ergeben.

70

Wegen der Befugnis, trotz Aufforderung zum Verlassen des Raums sich in dem Dienstgebäude einer Behörde oder einer öffentlichrechtlichen Anstalt aufzuhalten, ist zunächst auf die Ausführungen über das behördliche Hausverbot (oben Rdn. 39 ff) zu verweisen, die sinngemäß auch hier gelten. Insbesondere schließt das jedem Bürger zustehende Recht, zur Erledigung seiner behördlichen Angelegenheiten mit den Bediensteten der Behörde zu verhandeln, die freie Entschließung der Behörde über das Verweilen aus. Die Aufforderung zur Entfernung macht das Verweilen nur dann zum unbefugten, wenn der Bürger sein Betretungsrecht missbraucht, indem er den ordnungsgemäßen Gang der Dienstgeschäfte durch sein Verhalten stört oder ihre Fortsetzung unmöglich macht. Entsprechende Grundsätze gelten auch für sonstige zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmte Räume. So verweilt unbefugt, wer bei einer öffentlichen Wahl deren Fortgang stört und sich auf Aufforderung des Wahlleiters nicht entfernt (RGSt 4 6 405), oder wer, nachdem er als Zuhörer einer öffentlichen Gerichtsverhandlung vom Vorsitzenden wegen krasser Störung der Verhandlung aus dem Sitzungssaal verwiesen ist (§ 177 GVG), trotz Aufforderung des zuständigen Organs der Justizverwaltung das Gerichtsgebäude nicht verlässt. 76 Gleiches gilt, soweit ein Vorsitzender der Gemeinderatssitzung ein Gemeinderatsmitglied bzw. einen Zuhörer wegen dessen störenden Verhaltens des Sitzungssaals verweist (hierzu Rothe NVwZ 1992 529, 535 f).

71

Ein Polizeibeamter, der einem Beschuldigten oder Zeugen eine Vorladung zu einer Vernehmung in einem Strafverfahren in die Wohnung überbringt und eingelassen wird, ist nicht befugt, gegen dessen Willen in der Wohnung zu verweilen (OLG Hamm JMB1. NRW 1959 221), da Vorschriften des Prozess- oder Polizeirechts insoweit keine Verweilungsbefugnis begründen. Nachdem das BVerfG (109 279, 355) festgestellt hatte, dass der Straftatenkatalog des § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO a.F. den Anforderungen des Art. 13 Abs. 3 GG nur teilweise gerecht werde, hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2 0 0 4 (akustische Wohnraumüberwachung) 7 7 in den § 100c, d StPO die Vorgaben umgesetzt. Gleichwohl bleibt ungeklärt (Fischer Rdn. 36), ob verdeckte Ermittler unter Verwendung einer Legende auch mit dem so erlangten Einverständnis des Berechtigten eine Wohnung betreten dürfen (Fischer Rdn. 36; Schneider NStZ 2004 365). Schneider weist zu Recht darauf hin, dass die Wohnungsinhaber nicht erkennen, dass sie „den Staat zu Gast" haben.

72

Im Privatrecht können hauptsächlich Familien-, Dienst-, Arbeits- und Mietverhältnisse ein Recht zum Verweilen gegen den Willen des Hausrechtsinhabers begründen. So hat ein Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Verweilungsrecht so lange, als es nötig ist, seine Sachen zu packen. Wird einem Arbeitnehmer fristlos zu Unrecht gekündigt, so verbleibt ihm die Verweilungsbefugnis, soweit es zur Verwirklichung seiner Ansprüche aus dem Vertrag erforderlich ist; zu Hausverboten anlässlich einer Kündigung ausführlich Hümmerich DB 2001 1778. Dagegen hat er kein Recht, im

73

76

Vgl. RGSt 4 7 2 7 0 , 2 7 7 ; zu den Konflikten zwischen dem Grundsatz der Öffentlichkeit und dem Hausrecht bei Inaugenscheinnahme Lilie N S t Z 1 9 9 3 121; Langkeit W i B 1 9 9 4 7 0 1 zur Beschränkung der Öffentlichkeit durch das Hausrecht des Betriebsinhabers bei

77

einer Hauptverhandlung im Betrieb; Schulte N J W 1 9 8 8 1 0 0 6 zu den Kompetenzen des Verwaltungsrichters bei einer Augenscheinseinnahme. BGBl. I ( 2 0 0 5 ) 1841.

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§ 123

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Arbeitsraum zu verweilen, um seine Vertragspflicht zu erfüllen (RGSt 5 235, 236; s. auch RGSt 13 189, 190). Auch bei ungekündigtem Arbeitsverhältnis besteht, wenn der Arbeitgeber auf die Arbeitsleistung verzichtet, unbeschadet seiner Lohnansprüche kein Recht des Arbeitnehmers zum Verweilen im Arbeitsraum zwecks Erfüllung seiner Vertragspflicht (OLG Hamm JMB1. NRW 1952 12). Ebenso hat ein streikender Arbeitnehmer kein Recht zum Aufenthalt im Arbeitsraum bzw. auf dem Betriebsgelände.78 Anders liegt es bei Betriebsratsmitgliedern, die im Rahmen und zur Erfüllung ihrer Aufgaben auch außerhalb ihrer Arbeitszeit befugt sind, die Betriebsräume zu betreten und darin zu verweilen (OLG Hamm JMB1. NRW 1952 12). Ein Bauleiter hat nicht das Recht, sich in weiterem Umfang als es zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendig ist gegen den Willen des Bauherrn auf dem Baugrundstück aufzuhalten (BayObLG GA 1959 19). Der Gast einer Gaststätte darf zum Verzehr des Bestellten angemessene Zeit bleiben, muss aber gehen, wenn er sich betrinkt und mit den Anwesenden in Streit gerät (RGSt 4 322, 323). Die willkürliche Ausübung des Hausrechts wirft Probleme auf, wenn etwa der Türsteher einer Diskothek eine rechtswidrige Zutrittsverweigerung gegenüber dem Gast ausspricht (Sickor Jura 2008 19). Ein Notwehrrecht zur Durchsetzung des Zutritts würde dazu führen, dass der Gast durch die notwendige Gewaltanwendung nicht mehr die Voraussetzungen der generellen Zutrittserlaubnis erfüllen würde (Sickor aaO 20). Für den Besucher eines Rennplatzes oder einer sonstigen Veranstaltung gilt bei störendem Verhalten Entsprechendes (BayObLG LZ 1926 753; OLG Celle NdsRpfl. 1976 40). Der Hotelgast, der das gemietete Hotelzimmer zu vertragswidrigen Zwecken benutzt, muss abreisen. Die Zahlung eines Entgelts gibt das Recht für das Verweilen nur im Rahmen der ausbedungenen Gegenleistung. V m . Irrtum 74

Bei einem Irrtum über die Befugnis zum Eindringen oder zum Verweilen auf Grund eines stärkeren Rechts ist zu unterscheiden zwischen dem Irrtum über den rechtlichen Bestand oder Umfang des angenommenen Rechts (Verbotsirrtum, § 17) und dem Irrtum über das Vorliegen eines Einverständnisses (Tatbestandsirrtum, § 16). Verbotsirrtum wäre z.B. die Annahme, zwecks Selbsthilfe eindringen oder verweilen zu dürfen, obwohl deren gesetzliche Voraussetzungen nicht gegeben sind. 79 Regelmäßig liegt auch ein Verbotsirrtum vor, wenn sich Hausbesetzer irrtümlicherweise auf die Zulässigkeit demonstrativer Hausbesetzungen berufen (näher dazu Artkämper S. 238; problematisch Ostendorf AK Rdn. 49). Ein Erlaubnistatbestandsirrtum ist dagegen die Annahme, wegen eines irrtümlich für ernst gehaltenen Hilferufs aus der Wohnung zum Eindringen berechtigt zu sein, während es sich nur um einen scherzhaften Hilferuf handelte. Ein Irrtum über die Berechtigung dessen, der zum Sichentfernen auffordert, ist ein Tatbestandsirrtum gem. § 16, z.B. wenn der Täter glaubt, die Aufforderung der 14-jährigen Tochter sei rechtlich unwirksam. Ein Subsumtionsirrtum liegt vor, wenn Hausbesetzer leer stehende Häuser nicht als taugliche Objekte für einen Hausfriedensbruch einstufen (Art-

78

LAG Düsseldorf DB 1994 887; zu dieser Problematik vgl. auch Friedrich DÖV 1988 194; Hellenthal NZA 1987 52; von Hoyningert/Heune JuS 1983 505, 513; Loritz DB 1987 2 2 3 ; Neumann ZStW 109 (1997) 1, 12; Rudolphi RdA 1987 160; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 33.

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79

OLG Hamburg NJW 1977 1831 mit Anm. Gössel JR 1978 2 9 2 ; OLG Hamburg JR 1981 31 mit Anm. Oehler JR 1981 33; OLG Düsseldorf N J W 1982 2 6 7 8 .

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Hausfriedensbruch

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kämper S. 237). Die Täter irren insoweit darüber, dass ein leer stehendes Haus unter den Begriff befriedetes Besitztum zu subsumieren ist. IX. Vollendung. Teilnahme 1. Der Hausfriedensbruch ist Dauerdelikt. Die Tat ist mit dem widerrechtlichen Eindringen und mit dem Beginn des unbefugten Verweilens vollendet, aber erst beendet, wenn der Täter sich entfernt hat (BayObLG MDR 1969 778, 779; Hruschka GA 1968 193, 198).

75

2. Hausfriedensbruch ist kein eigenhändiges Delikt. Die Verletzung des Hausrechts ist deshalb auch in mittelbarer Täterschaft möglich, z.B. indem der Täter einen Schuldunfähigen veranlasst, in eine Wohnung einzudringen.80 Demgegenüber betont Herzberg (ZStW 82 [1970] 897, 927 f), dass dem Hausfriedensbruch ein Beleidigungselement immanent sei, also die höchstpersönliche Missachtung des Selbstbestimmungsrechts in der eigenen Wohnung den eigentlichen Erfolg ausmache. Aber auch, wer sich eines Tatmittlers bedient, drückt seine Missachtung in vergleichbarer Weise aus.

76

X . Konkurrenzen 1. Ausgangspunkt. Der eingedrungene Täter, der sich trotz einer entsprechenden Aufforderung nicht entfernt, begeht nur eine Tat nach der ersten Handlungsmodalität, denn der Hausfriedensbruch ist Dauerstraftat. Die bei der Dauerstraftat auftauchenden Konkurrenzfragen sind teilweise umstritten (vgl. Rissing-van Saan LK Vor § 52 Rdn. 22 und insbesondere Rdn. 38; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Vorbem §§ 52 ff Rdn. 90 ff). Geht man davon aus, dass die Gleichzeitigkeit der Begehung mehrerer Straftaten allein die Annahme von Tateinheit nicht rechtfertigt und die Identität der Ausführungshandlung nicht begründet, ist zu unterscheiden:

77

2. Tateinheit kommt in Betracht, wenn zugleich durch die Vollendung des Hausfriedensbruchs andere Tatbestände ganz oder teilweise erfüllt werden (Fischer Rdn. 45; Sch/Schroeder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 36), z.B. mit Sachbeschädigung gem. § 303, wenn das Eindringen unter Erbrechung einer Tür erfolgt; mit Nötigung gem. § 240 (BGH bei Daliinger MDR 1955 144: Stellen des Fußes zwischen die Tür); mit Beleidigung gem. § 185, wenn der Täter das Verbot des Hausrechtsinhabers, den Raum zu betreten, unter Ausstoßen von Beleidigungen missachtet; mit verbotenem Führen einer Waffe gem. § § 3 5 Abs. 1, 53 Abs. 1 Nr. 3a, b) bzw. Abs. 3 Nr. lb) WaffG (zu den Folgen der Rechtfertigung der Haupttat auf das Waffendelikt vgl. BGH NStZ 1999 347; NStZ 1981 299). Darüber hinaus kommt Tateinheit mit der nach Vollendung des Eindringens verwirklichten Gesetzesverletzung nur in Betracht, soweit besondere Umstände die Verbindung zu einer einheitlichen Handlung ermöglichen. So kann u.U. Tateinheit zwischen Beleidigung, Hausfriedensbruch und Versuch der sexuellen Nötigung (§§ 177 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1) bei entsprechendem Tatentschluss in Betracht kommen, wenn der Täter in die

78

80

So u.a. Kindhäuser BT § 33 Rdn. 2; Lackner/ Kühl Rdn. 12; Maurach/Schroeder/Maiwald BT I § 30 Rdn. 22; Schäfer MK Rdn. 7;

Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 35; insbes. auch Roxin Täterschaft und Tatherrschaft S. 407.

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§ 123

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Wohnung des Opfers eindringt, um es sexuell zu nötigen, und seine Aufforderung, sich zu entfernen, beharrlich missachtet - Prinzip der Klammerwirkung - (vgl. RG HRR 1939 Nr. 463; BGH LM Nr. 8 zu § 177). Tateinheit - nicht aber Gesetzeskonkurrenz wegen der Verschiedenartigkeit der Rechtsgüter - liegt im Übrigen mit § 238 Abs. 1 Nr. 1 vor, wenn der Stalker, um „räumliche Nähe aufzusuchen" (s. dazu Krüger Stalking als Straftatbestand [2007] 109 ff), in die Wohnung des Opfers eindringt. Gleiches gilt mit Blick auf § 4 GewSchG. Soweit § 201a in Betracht kommt, besteht Tateinheit und nicht Gesetzeskonkurrenz mit § 123 wegen der auch hier divergierenden Rechtsgüter (Fischer Rdn. 30). 79

3. In der Regel liegt Tatmehrheit vor, wenn der Täter nach Vollendung, aber vor Beendigung des Hausfriedensbruchs, andere Straftaten begeht.81 Das gilt z.B., wenn der Täter nach Vollendung des Hausfriedensbruchs den Entschluss fasst, ein Delikt gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu begehen. Das Gleiche gilt bei der 2. Variante, soweit der Täter während des unbefugten Verweilens weitere Straftaten begeht, mag dies sein, um weiterhin unbefugt verweilen zu können, oder nunmehr das unbefugte Verweilen auszunutzen, um andere Straftaten zu begehen (BGH JR 1967 303). Tatmehrheit ist danach auch anzunehmen, wenn der aus dem Bahnhofswartesaal Verwiesene sich nicht auf die Aufforderung hin sofort entfernt, womit der Tatbestand des § 123 vollendet ist, und den Beamten des Bundesgrenzschutzes, die die Entfernung erzwingen wollen, mit Gewalt Widerstand leistet (§ 113), weil er verbleiben will. 82

80

4. Gesetzeskonkurrenz. Konsumtion des Hausfriedensbruchs kommt in Betracht beim Eindringen zur Begehung eines Diebstahls unter den Voraussetzungen des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 (KG JR 1979 249 mit Anm. Geerds JR 1979 250; Rissing-van Saan LK Vor § 52 Rdn. 146; Fischer § 243 Rdn. 30). Unsicherheit entsteht aber dadurch, dass der erste Strafsenat des BGH „aus grundsätzlichen Erwägungen" der Auffassung zu „neigt" in Fällen des § 243 Abs. 1 Nr. 1 und 2 allerdings im Verhältnis zu § 303 Tateinheit und nicht Konsumtion anzunehmen (BGH NStZ 2001 642). Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass es sich bei § 243 um Strafzumessungsregeln handele, die zwar höhere Strafen ermöglichten, aber eben keine Umschreibung höheren Unrechts darstellten (BGH NJW 2001 643). Jedoch stehen die Regelbeispiele Qualifikationsmerkmalen (auch von ihrer Herkunft her) näher, sodass § 123 wie eben auch § 303 zutreffender Weise als mitabgegoltene Begleittaten konsumiert werden (Rissing-van Saan LK Vor § 52 Rdn. 146), solange es sich um dasselbe Opfer handelt. Sind Rechtsgüter verschiedener Opfer (Verletzter und Hausrechtsinhaber) betroffen, kommt eher Tateinheit in Betracht. Aus diesen Gründen wird dann auch im Falle des § 244 Abs. 1 Nr. 3 der Hausfriedensbruch konsumiert, während im Übrigen beim Eindringen zur Begehung eines („einfachen") Diebstahls Tatmehrheit vorliegt (OLG Hamm JMB1. NRW 1954 67). Zurückgedrängt (Spezialität) wird § 123 durch landesrechtliche Vorschriften zum Schutze von Feld und Forst

81

RGSt 3 2 137, 138; 5 4 2 8 9 ; 6 6 3 4 6 , 3 4 7 ; BGHSt 18 2 9 , 3 2 ; J R 1 9 6 7 3 0 3 ; Geppert Jura 1 9 8 9 3 7 8 , 3 8 3 ; Lagodny Jura 1 9 9 2 6 5 9 , 6 6 5 ; Rudolphi/Steiti SK Rdn. 4 4 ; a A Fischer Rdn. 4 5 ; Gössel BT I § 3 8 Rdn. 6 7 ; Mitsch JuS 1 9 9 3 3 8 5 , 3 8 7 ; Rengier B T II § 3 0 Rdn. 2 9 ; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 3 6 , der Tateinheit annimmt, was

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aus dem Wesen des § 1 2 3 als Dauerdelikt folge. AA B a y O b L G J R 1 9 5 7 1 4 8 ; Fischer Rdn. 2 8 , weil Tateinheit anzunehmen sei, wenn eine während eines Dauerdelikts begangene Straftat der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustande dient; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 3 6 .

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Hausfriedensbruch

§ 123

(vgl. Art. 4 Abs. 5 EGStGB). Daher scheiden in der Regel eingefriedete Äcker, Wiesen, Weiden oder Schonungen aus dem Anwendungsbereich des § 123 aus, während andererseits nach Landesrecht auch bestimmte Grundflächen geschützt sein können, die nicht eingefriedet sind, oder deren Betreten nur durch Warnungszeichen untersagt ist. Dagegen verdrängt § 123 im Wege der Gesetzeskonkurrenz ordnungswidrigkeiten- 81 rechtliche Tatbestände (§ 21 Abs. 1 OWiG), wie z.B. § 114 OWiG (verbotswidriges Betreten militärischer Anlagen), § 28 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 Nr. 4 GaststättenG (Verweilen des Gastes in einer Schankwirtschaft usw. über den Beginn der Sperrzeit hinaus trotz ausdrücklicher Aufforderung des Wirts oder seiner Beauftragten, sich zu entfernen), § 29 Nr. 3 VersammlG oder § 64b Abs. 2 Nr. 1 EBO 8 3 (unbefugtes Betreten oder Benutzen einer Bahnanlage, soweit sie nicht dem allgemeinen Verkehrsgebrauch dient oder als kein besonderes Nutzungsverhältnis dazu berechtigt).84 In der Praxis wird häufig gleichwohl nur die spezielle Ordnungswidrigkeit in Anwendung von § 21 Abs. 2 OWiG geahndet, da es am gem. $ 123 Abs. 2 erforderlichen Strafantrag, z.B. der Bundeswehr oder der Deutschen Bahn AG (OLG Hamburg NStZ-RR 1999 209, 210), fehlt.

XI. Strafantrag (Abs. 2) 1. Allgemeines. Der Hausfriedensbruch ist Antragsdelikt. Ein nur auf eine beim 8 2 Hausfriedensbruch begangene Sachbeschädigung beschränkter Strafantrag erstreckt sich nicht auf den Hausfriedensbruch (AG Nienburg NdsRpfl. 1964 162). Wenn bei Demonstrationen eine Mehrzahl von Personen in öffentliche Diensträume eingedrungen ist, so soll nach Tiedemann J Z 1969 717, 726 die antragsberechtigte Verwaltungsbehörde gehalten sein, bei der Stellung von Strafanträgen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) zu beachten, also nicht befugt sein, willkürlich einzelne Täter herauszugreifen, um ein Exempel zu statuieren. Ob sich ein solcher Grundsatz aufstellen lässt, braucht hier nicht erörtert zu werden. Keinesfalls wäre es Sache der Strafverfolgungsorgane, die Wirksamkeit von Strafanträgen darauf zu prüfen. 2. Antragsberechtigung. Antragsberechtigt ist der Inhaber des durch Hausfriedens- 8 3 bruch verletzten Hausrechts (KG JW 1931 1979), bei einer Mehrzahl von Hausrechtsinhabern jeder selbständig (§ 77 Abs. 4). Selbständig antragsberechtigt sind z.B. bei Geschäftsräumen deren Inhaber (RGSt 61 35, 36), bei widerrechtlichem Eindringen in einen Nebenraum, der im Mitbesitz mehrerer Mieter steht, jeder Mieter (RGSt 11 53, 55), beim widerrechtlichen Eindringen Außenstehender in ein Hotelzimmer nur der Hotelgast. Hinsichtlich der Ehewohnung sind beide Ehepartner selbständig nebeneinander antragsberechtigt, unabhängig davon, ob sie jeweils Partei des Mietvertrags sind, denn das Hausrecht wird nicht aus dem Mietvertrag, sondern aus der ehelichen Gemeinschaft hergeleitet. Stößt ein Nachzügler zu einer Hausbesetzergruppe, so erstreckt sich ein vor dem Einzug gestellter Strafantrag gegen unbekannt ebenfalls gegen diesen.85 Bei den zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmten Räumen regeln Gesetze (vgl.

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Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung vom 8.5.1967 (BGBl. S. 1563); zuletzt geändert durch Art. 4 9 9 der Verordnung vom 31.10. 2 0 0 6 (BGBl. S. 2 4 0 7 ) . OLG Hamburg NStZ-RR 1 9 9 9 209, 210; OLG Celle NJW 1971 154.

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OLG Düsseldorf N J W 1982 2 6 8 0 ; diese Entscheidung steht nicht im Widerspruch zu der gegenteiligen Erkenntnis des LG Berlin StV 1985 239, weil hier anders als beim OLG Düsseldorf keine gemeinsame Begehung vorlag.

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§ 124

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

wegen des Bundestags Art. 40 Abs. 2 GG), Satzungen oder Verwaltungsvorschriften die Antragsbefugnis. So ist z.B. in Nordrhein-Westfalen der Bürgermeister befugt, Strafantrag zu stellen, wenn jemand während der Sitzung des Gemeinderats Hausfriedensbruch begeht (OLG Düsseldorf DÖD 1988 146). Im Übrigen ist der zuständige Sachbearbeiter des Rechtsamts der Verwaltung einer Gebietskörperschaft, soweit dies im jeweiligen Organisationsrecht geregelt ist, befugt, für die Gemeinde einen wirksamen Strafantrag zu stellen (OLG Köln NStZ 1982 333). Gleiches gilt für Hausbesetzungen hinsichtlich solcher Häuser, die sich im städtischen Eigentum befinden (OLG Köln NVwZ 1982 582). Ist ein Raum zur Abhaltung einer öffentlichen Versammlung vorübergehend überlassen, so ist der Versammlungsleiter (§ 7 Abs. 4 VersammlG) antragsberechtigt. 84

Nicht antragsberechtigt sind dagegen Personen, die nicht selbst Inhaber des Hausrechts und nicht von ihm zur Vertretung in der Erklärung bevollmächtigt sind, sondern die, wie z.B. Familienangehörige oder Angestellte des Hausrechtsinhabers, nur berechtigt sind, den im Raum Verweilenden zu dessen Verlassen aufzufordern. In diesen Fällen muss dem Hausrechtsinhaber die Entschließung überlassen bleiben, ob die Verletzung seines Hausrechts strafrechtlich verfolgt werden soll (ebenso Rudolphi/Stein SK Rdn. 44; Sch/Schroeder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 38). Anders als bei der Entschließung des Aufforderungsberechtigten bedarf es im Hinblick auf die Dauer der Strafantragsfrist auch keiner sofortigen Entscheidung.

ΧΠ. Strafzumessung 85

Schwierigkeiten für die Strafzumessung ergeben sich zunächst daraus, dass § 123 als Bagatelldelikt angesehen wird. Für Verletzte hingegen, insbesondere im privaten Bereich, handelt es sich häufig um emotional stark belastende Vorgänge, die nur mit relativ geringen Sanktionen gesühnt werden oder zur Verweisung auf den Privatklageweg (§ 374 Abs. 1 Nr. 1 StPO) führen. Gerade das vermittelt bei den Betroffenen das Gefühl der Hilflosigkeit. Vor der Erhebung der Privatklage bieten sich deshalb die neuen Wege der Mediation an, etwa als Sühneverfahren vor der Privatklage gem. § 380 Abs. 1 StPO. Die Zuständigkeit der Schiedsstellen sind nach Landesrecht geregelt (vgl. §§ 35 ff des Schiedsstellen- und Schlichtungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.6.2001 [GVB1. LSA S. 214]). Außerdem ist ein Täter-Opfer-Ausgleich gem. § 46a in Erwägung zu ziehen. Kommt es gleichwohl zu einer Verurteilung, ist an eine Verwarnung mit Strafvorbehalt zu denken. Bei öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen spielen demgegenüber generalpräventive Aspekte eine tragende Rolle. Dabei sind insbesondere die Schutzwürdigkeit der jeweiligen Gebäude bzw. Einrichtungen wie auch Dauer und Intensität der Verletzung maßgeblich (Rudolphi/Stein SK Rdn. 42; Sch/ Schroeder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 37).

§ 124 Schwerer Hausfriedensbruch Wenn sich eine Menschenmenge öffentlich zusammenrottet und in der Absicht, Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen mit vereinten Kräften zu begehen, in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst bestimmt sind, widerrechtlich

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Schwerer Hausfriedensbruch

§ 124

eindringt, so wird jeder, welcher an diesen Handlungen teilnimmt, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Rdn. I. Wesen des schweren Hausfriedensbruchs Π. Objektiver Tatbestand 1. Menschenmenge 2. Zusammenrottung 3. Öffentlich ΙΠ. Tathandlungen 1. Geschützte Räume 2. Eindringen a) Bedeutungslosigkeit von Problemen aus dem Bereich des § 123 b) Nicht erforderlich - Eindringen gesamter Menschenmenge c) Unbefugtes Verweilen 3. Die Absicht, Gewalttätigkeit mit vereinten Kräften zu begehen a) Gewalttätigkeit b) Vereinte Kräfte

Rdn. c) Eindringen in der Absicht, Gewalttätigkeiten zu begehen aa) Innere Tatseite bb) Von Anfang an cc) Personen und Sachen außerhalb des geschützten Raumes . . . . IV. Die Tathandlung 1. Wer an diesen Handlungen teilnimmt . a) Teilnahme an öffentlicher Zusammenrottung b) Teilnahme am Eindringen c) Anpassung der Auslegung des § 1 2 4 an § 125 2. Journalisten 3. „Abwiegler" V. Teilnahme VI. Konkurrenzen

1 2 3 4 5 6 6 7 8 9 9 10

11 12 13 14 15 16 17 18 20 21

I. Wesen des schweren Hausfriedensbruchs § 124 bezweckt den Schutz von zwei Rechtsgütern (Näheres zur Entwicklung Schäfer 1 LK 10 Rdn. 3). Geschütztes Rechtsgut ist einmal das Hausrecht (Krey BT 1 Rdn. 455; Otto BT § 35 Rdn. 21). Nach dieser Richtung ist § 124 insofern enger als § 123, als die zum öffentlichen Verkehr bestimmten Räume nicht genannt sind und nur das Eindringen, nicht auch das unbefugte Verweilen entgegen der Aufforderung eines Berechtigten Tatbestandsmerkmal ist. § 124 geht aber über den Schutz des Hausrechts hinaus und schützt zugleich den allgemeinen Rechtsfrieden gegen öffentliche Angriffe (RGSt 73 90, 93). Mit seinen Merkmalen knüpft § 124 an § 125 a.F. (Landfriedensbruch) an („Wenn sich eine Menschenmenge öffentlich zusammenrottet und mit vereinten Kräften gegen Personen oder Sachen Gewalttätigkeiten begeht"). Mit dieser Erweiterung auf den Schutz des Gemeinschaftsfriedens hat § 124 in gewissem Umfang die Züge eines sog. Massendelikts angenommen. Π. Objektiver Tatbestand § 124 knüpft an bestimmte Voraussetzungen an. Er setzt zunächst voraus, dass eine Menschenmenge sich öffentlich zusammenrottet. 1. Als Menschenmenge 1 i.S. des § 124 ist eine größere Zahl von Personen - eine bestimmte Mindestzahl lässt sich nicht angeben 2 - anzusehen, und zwar eine Zahl, die

1

Z u r M e n s c h e n m e n g e ausführlich O L G D ü s s e l d o r f N J W 1 9 9 0 2 6 9 9 ; von

Bubnoff

L K 1 1 § 1 2 5 R d n . 3 1 ; Lackner/Kühl

§ 125

R d n . 3 ; Maurach/Schroeder/Maitvald

2

B G H S t 3 3 3 0 6 , 3 0 8 m i t A n m . Otto

NStZ

1986 70; BGH NStZ 1994 483.

B T II

§ 6 0 Rdn. 22.

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2

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

so groß ist, dass es für die dem Gemeinschaftsfrieden durch die Menge drohende Gefahr nicht darauf ankommt, ob ein Einzelner sich entfernt oder hinzutritt.3 Eine „ungemessene" Personenzahl wird nicht verlangt. In geschlossenen Räumen, z.B. einer Gaststätte, können die Voraussetzungen bereits dann erfüllt sein, wenn „kaum mehr als 10 Personen" gemeinsam agieren (BGH NStZ 1994 483). Auch darauf, ob die Zahl „nicht ohne weiteres" (so Tiedemann J Z 1968 761, 767) oder „nicht leicht und in kürzester Zeit" festzustellen ist, kommt es nicht an, denn das würde von der Übung und Geschicklichkeit der Schätzenden und davon abhängen, ob die Menge wild durcheinander wogt oder sich in einer gewissen Ordnung bewegt (RGSt 40 76). Ohne Bedeutung ist es demgemäß, ob die Teilnehmer der Menge eine „ungeordnete und zusammengewürfelte" Schar bilden, oder ob es sich um organisierte Gruppen handelt, die in äußerer Ordnung vorgehen.4 Erforderlich ist jedoch, dass bei Außenstehenden der Eindruck einer Verbundenheit entsteht (BGHSt 33 306, 308). 3

2. Zur Zusammenrottung gehört, dass die Menschenmenge zu einer gemeinschaftlichen, äußerlich erkennbaren bedrohlichen oder gewalttätigen Handlung räumlich zusammenkommt oder sich zusammenhält.5 Dass einzelne Personen nicht den Willen der Menge teilen, ist bedeutungslos. Organisiertes Handeln bei Unterordnung des Einzelnen unter den Willen der Menge gehört nicht zum Begriff der zusammengerotteten Menge. Wesentlich ist aber ein räumlicher Zusammenhang zwischen den Menschen. Der Wille, zu rechtswidrigem Verhalten zusammenzuwirken, ersetzt ihn nicht. Wer dem Ort der Zusammenrottung fernbleibt, kommt nur als Anstifter oder Gehilfe in Betracht.6 Ein räumlicher Zusammenhang ist aber auch dann möglich, wenn Menschen in gewissen Abständen, in Gruppen oder anderen getrennten Abteilungen Verbindung miteinander haben (RGSt 60 331, 332). Die Zusammenrottung kann sich auf längere Zeiträume erstrecken (RGSt 53 46, 47; J W 1922 1046), aber auch am gleichen Tag und Ort unter denselben Personen geschehen (RGSt 54 299, 301). Nicht erforderlich ist, dass die Menschen von Anfang an zusammentreten, um schweren Hausfriedensbruch zu begehen. Auch eine nur zufällig zusammengekommene Mehrheit von Personen oder eine zunächst friedliche Versammlung kann sich zu einer zusammengerotteten Menschenmenge entwickeln.7 In gleicher Weise kann sich von einer friedlichen Versammlung eine in sich und auch äußerlich geschlossene Gruppe abspalten und zur zusammengerotteten Menschenmenge werden.8 Wenn eine friedliche Versammlung in eine zusammengerottete Menge umschlägt, endet der Schutz des Art. 8 GG und es entfallen die Privilegien des VersammlG, ohne dass es einer Auflösung der Versammlung (§§ 13, 15 Abs. 2 VersammlG) bedarf (OLG Celle NJW 1970 206, 207; aA Ott DRiZ 1969 66, 67).

3

4

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BGHSt 33 306, 3 0 8 (20 bis 2 5 Personen reichen bereits); OGHSt 1 2 4 5 ; 2 250; OLG Schleswig SchlHA 1976 167; Kindhäuser BT I § 34 Rdn. 3; Ostendorf NK Rdn. 7; Otto BT § 35 Rdn. 22; Wessels/Hettinger BT I Rdn. 604. RGSt 4 0 76, 77; 6 0 331, 332; OGHSt 1 2 0 2 ; 2 211. RGSt 51 4 2 2 ; 53 3 0 5 ; 56 281; OGHSt 2 366; BGH NJW 1954 1694; BayObLG NJW 1969 63, 64; OLG Schleswig SchlHA 1976 167; von Bubnoff LK 1 1 § 125 Rdn. 2 7 ; Otto BT

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6

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§ 35 Rdn. 22; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8/9; Rudolphi/Stein SK Rdn. 4; Wessels/Hettinger BT I Rdn. 604. RGSt 4 9 429, 430; 5 0 85, 86; 5 4 315; 56 281; 6 0 331, 332; für § 125 Meyer GA 2 0 0 0 459. RGSt 52 119; J W 1934 1786; BGH NJW 1953 1031; OLG Hamm NJW 1951 206; OLG Schleswig SchlHA 1976 167; Janknecht GA 1969 36. BayObLG NJW 1969 63, 64; Eb. Schmidt J Z 1969 395; Neuberger GA 1969 1, 11.

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Schwerer Hausfriedensbruch

§ 124

3. Die Zusammenrottung der Menschenmenge muss öffentlich erfolgen. Öffentlich bedeutet, dass die konkrete Möglichkeit des Hinzutritts beliebig vieler, nicht bestimmter Personen, auch wenn es sich um einen privaten Platz handelt, gegeben ist. 9 In diesem Sinne kann Öffentlichkeit auch bestehen, wenn die Zusammenrottung sich auf einen durch objektive Merkmale umgrenzten größeren Personenkreis beschränkt, z.B. auf die Belegschaft eines einzelnen großen gewerblichen Betriebs (RGSt 54 88, 89) oder die Zuschauer einer großen Sportveranstaltung (OLG Hamm NJW 1951 206). Dagegen fehlt es an der Öffentlichkeit, wenn die Zusammenrottung nur auf einen abgeschlossenen engen Kreis bestimmter Personen beschränkt bleiben sollte und geblieben ist.

4

ΙΠ. Tathandlungen 1. Die geschützten Räume sind - mit Ausnahme der von § 124 nicht erfassten zum öffentlichen Verkehr bestimmten Räume - die Gleichen wie in § 123, so dass insoweit auf die dortigen Anmerkungen (§ 123 Rdn. 8 ff) verwiesen werden kann. 2. Auch der Begriff des Eindringens ist der Gleiche wie in § 123.

6

a) Bedeutungslosigkeit von Problemen aus dem Bereich des § 123. Beim einfachen Hausfriedensbruch ist streitig, inwieweit ein Betreten eines Raums, der generell dem Zutritt der Öffentlichkeit oder einer relativen Öffentlichkeit dient, wie z.B. eines großen Warenhauses, ein Eindringen darstellt, wenn der Täter ihn in der Absicht betritt, strafbare oder sonst widerrechtliche Handlungen zu begehen (vgl. § 123 Rdn. 52). Diese Frage kann bei § 124 nicht auftauchen, wenn man wie hier den Standpunkt vertritt, dass ein Eindringen nur dann vorliegt, wenn „das äußere Erscheinungsbild" entscheidend von dem „gestatteten Verhalten" abweicht. Es sind praktisch kaum Fälle denkbar, in denen das Betreten durch eine öffentlich zusammengerottete Menschenmenge zwecks Begehung von Gewalttätigkeiten diese Voraussetzungen nicht erfüllt (ebenso Rudolphi/Stein SK Rdn. 7; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8/9). Keine Rolle spielt im Anwendungsbereich des § 124 auch die Frage, ob das Betreten der zum öffentlichen Dienst bestimmten Räume entgegen einem Verbot des Hausrechtsinhabers so lange nicht tatbestandsmäßig ist, als es nicht zu einer mehr oder weniger weitgehenden Störung des ordnungsmäßigen Funktionierens des Dienstbetriebs führt (vgl. § 123 Rdn. 71). Denn mit dem Betreten unter den in § 124 bezeichneten Voraussetzungen ist in aller Regel eine tiefgreifende Störung verbunden (so auch Rudolphi/Stein SK Rdn. 7 gegen Denninger ZRP 1968 42, 45). Auch entfällt der Gesichtspunkt eines öffentlichrechtlichen Anspruchs des einzelnen Staatsbürgers, seine behördlichen Angelegenheiten mit den zuständigen Behördenangestellten besprechen zu können (§ 123 Rdn. 71), ohne Weiteres, wenn das Betreten durch eine öffentlich zusammengerottete Menge in der Absicht geschieht, mit vereinten Kräften Gewalttätigkeiten zu begehen. Dass Art. 8 GG, der nur friedlichen Versammlungen Schutz gewährt, im Fall des § 124 nicht zu einem Ausschluss der Rechtswidrigkeit führen kann, bedarf kaum weiterer Begründung. Auch Art. 5 GG kann ein auf Gewalttätigkeit gerichtetes Handeln nicht rechtfertigen (OLG Celle N J W 1970 2 0 6 , 207; OLG Köln N J W 1970 260, 261).

9

RGSt 2 0 298, 3 0 0 ; 51 4 2 2 ; OGHSt 1 2 4 5 ; 2 184; BGH N J W 1954 1694; OLG Hamm NJW 1951 2 0 6 ; BayObLG N J W 1955 1806; OLG Schleswig SchlHA 1976 167; Fischer

Rdn. 4 ff; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5; Sch/ Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Tiedemann J Z 1968 761, 7 6 7 ; Wessels/Hettinger BT I Rdn. 605.

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§ 124

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

7

b) Nicht erforderlich ist - trotz des scheinbar entgegenstehenden Gesetzeswortlauts dass die gesamte zusammengerottete Menschenmenge eindringt. Das wäre vielfach schon wegen der Enge des Raums, in den eingedrungen wird, nicht möglich. Im Übrigen besteht Streit. Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung genügt schon das Eindringen einzelner Beteiligter, wenn es vom Willen der zusammengerotteten Menschenmenge getragen ist. 10 Richtiger erscheint es zu fordern, es müsse sich um eine so große Zahl eingedrungener Personen handeln, dass in ihrer Mitte sich massenpsychologische Erscheinungen unkontrollierter und unkontrollierbarer Reaktionen entwickeln können (Rudolphi/Stein SK Rdn. 7).

8

c) Anders als in § 123 genügt unbefugtes Verweilen nicht. Es reicht also nicht aus, dass eine Menschenmenge, die rechtmäßig den Raum betreten hat, sich erst in ihm in der Absicht „zusammenrottet", um Gewalttätigkeiten zu begehen, mag dies auch öffentlich geschehen, weil beliebigen anderen der Zutritt offen steht (ggf. findet § 125 Anwendung). Aus den in § 123 genannten Gründen (vgl. § 123 Rdn. 58) kommt eine Begehung des § 124 durch Unterlassen erst recht nicht in Betracht. 3. Die Absicht, Gewalttätigkeiten mit vereinten Kräften zu begehen

9

a) Der auch in §§ 113 Abs. 2 Nr. 2, 121 Abs. 3 Nr. 3, 125 Nr. 2, 125a Nr. 3 verwendete Begriff der Gewalttätigkeit (zum Begriff ausführlich von Bubnoff LK § 125 Rdn. 47; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben $ 125 Rdn. 5) erfordert mehr als der Begriff der Anwendung von Gewalt, etwa in § 240. Zur Gewalttätigkeit gehört ein aktives aggressives Handeln durch Anwendung oder Inbewegungsetzung äußerlichen Zwangs, so dass weder ein nur psychischer (seelischer) Zwang, z.B. durch Androhung von Gewalttätigkeit, noch ein nur untätiges, passives Verhalten genügt. Diese Begriffsbestimmung entspricht der Rechtsprechung,11 vor allem aber auch der aus der Entstehungsgeschichte des 3. StrRG erkennbaren Tendenz, einer „Ausuferung" des Gewaltbegriffs durch die Verwendung des Merkmals der Gewalttätigkeit zu begegnen. Dagegen gehört ein strafbarer Verletzungserfolg des aggressiven Verhaltens nicht zum Begriff der Gewalttätigkeit. Auch der fehlgegangene Wurf mit einem Stein, der eine Person verletzen oder eine Sache zerstören oder beschädigen sollte, ist Gewalttätigkeit (RGSt 47 178, 180; 52 34, 35; 65 389; BGH bei Dallinger MDR 1968 895; OLG Köln NJW 1970 260). Ferner gehört zu dem Begriff nicht eine gesteigerte Aggressivität oder eine erhöhte konkrete Gefahr für den Angriffsgegenstand, etwa dass bei der Gewalttätigkeit gegen Personen Leib oder Leben des Angegriffenen unmittelbar (konkret) gefährdet sei (BGHSt 23 46, 51 gegen LG Köln J Z 1969 80), noch ist erforderlich, dass bei der Gewalttätigkeit gegen Sachen ihnen die konkrete Gefahr der völligen Zerstörung oder einer schwerwiegenden Beschädigung droht. 12

10

b) Die Absicht der Begehung von Gewalttätigkeiten mit vereinten Kräften (vgl. das entsprechende Merkmal in § 125 Abs. 1) erfordert nicht, dass die ganze Menschenmenge

10

11

Vgl. z.B. Fischer Rdn. 7; Lackner/Kühl Rdn. 2; Schäfer MK Rdn. 9; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8/9. Vgl. BGHSt 2 3 4 6 , 52 und dazu Martin FS BGH 25, S. 221; OLG Stuttgart NJW 1 9 6 9 1776; OLG Köln N J W 1970 2 6 0 .

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12

BayObLG NJW 1969 63, 64; aA LG Köln J Z 1969 80, 81; Eilsberger JuS 1970 164, 166; zur weiteren Kasuistik von Bubnoff LK § 125 Rdn. 50 ff.

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Schwerer Hausfriedensbruch

oder ein größerer Teil von ihr sich an den Gewalttätigkeiten aktiv zu beteiligen beabsichtigt. Es genügt, dass innerhalb der zusammengerotteten Menge der Wille zur VerÜbung von Gewalttätigkeiten besteht. Ausreichend ist daher die aktive Betätigung auch nur einer Person, wenn sie von der Menge, insbesondere durch Beifallskundgebungen, aber auch durch sonstiges sympathisierendes Verhalten bewusst getragen und gefördert wird (RGSt 51 422, 423). c) § 124 fordert nur das Eindringen in der Absicht, Gewalttätigkeiten zu begehen. Zur Verwirklichung der Absicht braucht es - anders als nach § 125 - nicht gekommen zu sein.

11

aa) Das für den schweren Hausfriedensbruch konstitutive Merkmal zur inneren Tatseite deckt sich nicht mit dem einfachen Vorsatz des Eindringens. Die Absicht muss dahin gehen, nach erfolgtem Eindringen Gewalttätigkeiten zu begehen. Auch beim einfachen Hausfriedensbruch des § 123 kommen Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen (Wegdrängen oder Niederschlagen einer den Eintritt verwehrenden Person, Einschlagen einer Tür) in Betracht. Das Wissen und Wollen einer solchen Gewalttätigkeit gehört deshalb zum inneren Tatbestand des einfachen Hausfriedensbruchs und kann nicht zugleich straferhöhender Umstand der auf schweren Hausfriedensbruch gerichteten Absicht sein. Beschränkt sich also die Absicht auf gewalttätige Überwindung der dem Eindringen entgegenstehenden Hindernisse, so findet nicht § 124, sondern nur § 123 Anwendung.13 Es mag sein, dass diese Auffassung nicht immer zu einfachen Ergebnissen führt: Rottet sich eine Menschenmenge zusammen, um unter Eindringen in ein Haus die Hausbewohner zu verprügeln, so ist § 124 unanwendbar, wenn sie ihr Vorhaben in der Weise durchführt, dass sie schon die den Zugang in das Haus versperrenden Hausbewohner verprügelt. Dagegen kommt § 124 in Betracht, wenn sie unbemerkt ins Haus gelangt und erst drinnen ihr Vorhaben ausführt. Die Erfassung von Fällen der ersteren Art muss, wenn der Strafrahmen des § 123 nicht ausreicht, dem § 125 überlassen bleiben. Der richtige Weg wäre es, beim einfachen Hausfriedensbruch einen Qualifikationsgrund zu schaffen, der eine angemessene Bestrafung solcher Fälle ermöglicht.

12

bb) Es ist nicht erforderlich, dass die Menge sich schon von Anfang an in der Absicht zusammengerottet hat, Gewalttätigkeiten zu begehen. Jedoch muss diese Absicht spätestens im Zeitpunkt des Eindringens bei den Eindringenden bestehen. Die zusammengerottete Menschenmenge aber muss von dem gemeinsamen feindseligen Willen erfüllt sein, dass aus ihrer Mitte heraus Gewalttätigkeiten begangen werden.14 Nicht genügend wäre, dass eine zunächst zu anderen Zwecken - etwa zur Erzwingung einer Anhörung - eingedrungene Menge sich erst dann zu Gewalttätigkeiten entschließt (OLG Stuttgart NJW 1969 1776).

13

cc) Die beabsichtigten Gewalttätigkeiten können sich auch gegen solche Personen 14 und Sachen richten, die sich außerhalb des geschützten Raums befinden. Es genügt die Absicht, sich von dem besetzten Haus aus mit Gewalttätigkeit Dritter zu erwehren, die die Eindringlinge verdrängen wollen.15 Die abweichende Auffassung von Sch/Schröder/

13

14

RGSt 19 72, 74; 53 64; Rudolphi/Stein SK Rdn. 10; jetzt auch Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 13. RGSt 51 422, 423; Sch/Schröder/Lenckner/

15

Sternberg-Lieben Rdn. 13 ff; Rudolphi/Stein SK Rdn. IIa. RGSt 53 64; Fischer Rdn. 10; Lackner/Kühl Rdn. 2.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Rudolphi/Stein SK Rdn. 9a, die gewalttätige Absicht müsse sich gegen Personen und Sachen im Schutzbereich des verletzten Hausrechts richten, lässt unberücksichtigt, dass die letzteren Personen und Sachen gerade dadurch erhöhter Gefährdung ausgesetzt sein können, dass gewaltsam abgewehrte Außenstehende ihrerseits zu Maßnahmen genötigt oder veranlasst sein können.

IV. Die Tathandlung 15

1. Als Täter wird „jeder, welcher an diesen Handlungen teilnimmt", bestraft. Die Teilnahme muss sich also auf die Beteiligung an der öffentlichen Zusammenrottung der Menschenmenge und an dem Eindringen in die geschützten Räume in der Absicht erstrecken, Gewalttätigkeiten zu begehen. Bei beiden Bestandteilen der Tathandlung ist zur inneren Tatseite Vorsatz erforderlich, wobei bedingter Vorsatz genügt. Im Übrigen ist aber das Merkmal der vorsätzlichen Teilnahme bei den beiden Teilen der Tathandlung unterschiedlich zu beurteilen.

16

a) Für die vorsätzliche Teilnahme an der öffentlichen Zusammenrottung einer Menschenmenge ist erforderlich und genügend, dass der Täter in der versammelten Menge verbleibt oder sich ihr anschließt, nachdem er erkannt hat, dass die Menge oder Gruppen aus ihrer Mitte beabsichtigen, in Gewalttätigkeitsabsicht in die geschützten Räume einzudringen. Der Täter muss sich - mag er auch die Ziele nicht billigen - bewusst sein, dass er durch seinen Anschluss oder sein Verbleiben trotz erkannter Absicht der Menge deren friedensstörende Ziele fördert und die Gefahr für die Allgemeinheit vergrößert. 16 Der Einzelne braucht also nicht zu beabsichtigen, selbst mit einzudringen oder selbst Gewalttätigkeiten zu begehen. Für den ersten - unselbständigen - Teil der Tathandlung genügt sein Bewusstsein, durch sein Verbleiben trotz Erkenntnis der Absicht der Menge deren Ziele zu fördern.

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b) Zur vorsätzlichen Teilnahme am Eindringen gehört zwar nicht, dass der Einzelne selbst mit eindringt, da Eigenhändigkeit nicht zum Begriff des Eindringens gehört (§ 123 Rdn. 76), oder dass er selbst die Absicht hatte, Gewalttätigkeiten zu verüben. Wohl aber muss er, wenn er selbst nicht eindringt, jetzt - anders als im unselbständigen Vorstadium der Beteiligung an der zusammengerotteten Menge - als ein Teil der Menge billigend hinter dem Tun der Eindringenden stehen, also nicht nur die Rolle eines unbeteiligten Zuschauers spielen, sondern sich bewusst und willens sein, durch seine Anwesenheit in der Menge, durch Teilnahme an ihren vorwärtsdrängenden Bewegungen oder gar durch aufhetzende oder anspornende Zurufe oder Überlassung von Angriffswerkzeug das Eindringen zwecks Verübung von Gewalttätigkeiten mit vereinten Kräften zu unterstützen (RGSt 55 35, 36; JW 1933 1659).

18

c) Anpassung der Auslegung des § 124 an § 125. Rudolphi/Stein (Rudolphi/Stein SK Rdn. 15, 17) meint, dass die vorstehend dargestellten Grundsätze einzuschränken seien. Täter des § 124 könne nur sein, wer selbst in der Absicht, sich an den geplanten Gewalttätigkeiten zu beteiligen, in die geschützten Räumlichkeiten eindringe oder sich als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe an dem Eindringen eines anderen beteilige, der diese Absicht

16

Vgl. dazu - zu §§ 115, 125 a.F. als „echte Beteiligungsdelikte" - RGSt 6 0 331, 334;

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BGH NJW 1954 1694; LM Nr. 2 zu § 115; BGH bei Daliinger M D R 1968 895.

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habe. Das ergebe sich aus § 125, der nur diejenigen unter Strafe stellt, die sich an den begangenen Gewalttätigkeiten tatsächlich als Täter oder Teilnehmer beteiligten. Die dadurch vom Gesetzgeber bewusst angestrebte Einschränkung der Strafbarkeit werde jedoch zumindest teilweise sabotiert, wenn man die Mitglieder einer Menschenmenge, die sich an den begangenen Gewalttätigkeiten nicht beteiligten und dies auch nicht beabsichtigt hatten, zwar nicht nach § 125, wohl aber nach § 124 bestrafen würde. Eine solche „Sabotage" steht aber nicht in Frage. Die Frage, ob § 125 einen Anlass zu einer anderen Auslegung von Strafvorschriften bietet, in deren Bestand der Gesetzgeber bei den bisherigen Reformarbeiten bewusst nicht ändernd eingegriffen hat, kann hier unerörtert bleiben. Die Anforderungen, die nach Rudolphi/Stein bei „Anpassung" der Auslegung des § 124 an § 125 an den Vorsatz des Eindringens zu stellen sind, unterscheiden sich nicht von dem, was die Rechtsprechung bisher fordert. Denn auch sie will, wenn der Täter nicht selbst beim Eindringen eine Gewalttätigkeitsabsicht hat, ihm die Absicht Dritter nur nach Akzessorietätsgrundsätzen zurechnen. In RGSt 51 422 mag dieser Gedanke noch nicht mit voller Klarheit zum Ausdruck gelangt sein. In RGSt 55 35, wie in der insoweit wörtlich damit übereinstimmenden Entscheidung RG J W 1933 1659, wird mit aller Deutlichkeit ausgesprochen, dass der Teilnehmer an der Zusammenrottung zwar nicht selbst eingedrungen sein müsse, wegen Teilnahme am widerrechtlichen Eindringen aber nur bestraft werden könne, wenn seine „Teilnahme" sich „wie in anderen Fällen der Mittäterschaft" darin äußert, dass er „das Eindringen seiner Mittäter vorbereitet, unterstützt oder fördert". Wenn in der mitunter im Zusammenhang mit § 124 angeführten Entscheidung RGSt 58 207, 208 zu §§ 115 Abs. 1, 125 Abs. 1 a.F. ausgeführt wird, die Beteiligung an Aufruhr und Landfriedensbruch sei keine echte Mittäterschaft, so gilt dies bei § 124 nur für das rechtlich unselbständige Vorstadium der Teilnahme an der Zusammenrottung, kann aber angesichts des ganz anders strukturierten § 124 nicht auch für das Tatbestandsmerkmal der Teilnahme am widerrechtlichen Eindringen gelten. § 124 mag also - bei entsprechender Auflösung des Tatbestands - entbehrlich sein. Mit der Tendenz des 3. StrRG, für die Bestrafung wegen Landfriedensbruchs nicht schon den Anschluss an die Menschenmenge genügen zu lassen, steht § 124 nicht in Widerspruch, und es besteht auch kein Anlass, den Begriff des Teilnehmers am widerrechtlichen Eindringen über den Kreis der Mittäter, wie er bisher verstanden wurde, hinaus auszudehnen.

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2. Bei Journalisten, die mit der Menge eindringen und sich auf das beschränken, was zur Ausübung ihres Berufs notwendig ist, kommt danach eine Anwendung des § 124 schon deshalb nicht in Frage, weil sie nicht Mittäter des Eindringens in der Absicht zur Teilnahme an Gewalttätigkeiten sind. Dringen sie aber zur Ausübung ihres Berufs gegen den geäußerten oder zu vermutenden Willen des Hausrechtsinhabers mit ein, so bleibt die Frage, ob die Widerrechtlichkeit des einfachen Hausfriedensbruchs (§ 123 Abs. 1) entfällt, weil sich in solchen dramatischen Fällen aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ein stärkeres, den entgegengesetzten Willen des Hausrechtsinhabers zurückdrängendes Recht herleiten lässt (aA Fischer Rdn. 11; Dose DRiZ 1969 75). Das ist jedenfalls beim Eindringen in private Räume zu verneinen (vgl. BVerfGE 20 162, 177; Dose DRiZ 1969 75, 76). Das gilt aber - gegen Dose DRiZ 1969 75, 76 - auch beim Eindringen in Räume, die zum öffentlichen Dienst bestimmt sind. Sie fallen zwar nicht unter Art. 13 GG (vgl. von Münch/Kunig Art. 13 GG Rdn. 9), aber daraus ergibt sich noch nicht, dass das Hausrecht durch die Presse- und Informationsfreiheit zurückgedrängt wird. Es ist z.B. nicht einzusehen, dass beim Eindringen einer Menschenmenge in eine Kirche während des Gottesdienstes, um Gewalttätigkeiten gegen einzelne Besucher des Gottesdienstes zu begehen, dem miteingedrungenen Pressefotografen ein Recht zum Eindringen und Ver-

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

weilen zustehen sollte, um mit weiteren Störungen des Gottesdienstes verbundene Aufnahmen von den Auseinandersetzungen zu machen (wie hier auch Fischer Rdn. 11). 21

3. Bei Personen, die nicht nur - z.B. aus Neugier - mit der Menge den Raum betreten, ohne billigend hinter deren Tun zu stehen, sondern die stattdessen die Absicht haben, beruhigend auf die Menge einzuwirken (sog. „Abwiegler"), fragt sich, ob diese Absicht über § 124 hinaus auch den einfachen Hausfriedensbruch (§ 123) auszuschließen vermag. Unter der Herrschaft der §§ 115, 125 a.F. war in der Rechtsprechung anerkannt (BGH NJW 1954 1694), dass wegen Aufruhrs (Landfriedensbruchs) nicht zu bestrafen sei, wer sich in die Menschenmenge begibt oder in ihr verbleibt und dort beruhigend wirkt. Das ist zwar auf den anders strukturierten § 124 nicht übertragbar. Doch fehlt es, wo nur der mutmaßliche Wille des Hausrechtsinhabers in Frage steht, an einem Eindringen gegen den zu vermutenden Willen, wenn jemand in Beruhigungsabsicht der eindringenden Menge folgt. Ein solches Verhalten entspricht geradezu dem mutmaßlichen Willen. Wenn der Hausrechtsinhaber freilich ausdrücklich auch solchen Personen den Zutritt verbietet, kann auch die gute Absicht des Miteindringenden den einfachen Hausfriedensbruch nicht rechtfertigen, es sei denn, dass die Voraussetzungen des § 34 vorlägen, weil noch andere Rechtsgüter als das Hausrecht gefährdet sind.

V. Teilnahme 22

Teilnahme an der Tat als Anstifter und Gehilfe durch Außenstehende ist nach allgemeinen Vorschriften möglich, z.B. Beihilfe in der Form, dass jemand, der an Zusammenrottung und Eindringen sich nicht räumlich beteiligt, Gerätschaften zur Verfügung stellt, um ein Eindringen zu ermöglichen. Anstiftung kommt in der Form in Betracht, dass der Täter eine bis dahin friedliche Menschenmenge aufwiegelt und zum Eindringen in ein bestimmtes Gebäude auffordert. VI. Konkurrenzen

23

Tateinheit ist möglich mit § 125 (RGSt 37 28, 30; 55 41; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 23; Schäfer MK Rdn. 29; Ostendorf NK Rdn. 20), mit § 129 (BGH NJW 1975 985, 986), mit § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 (RGSt 47 25, 28) oder % 244 Abs. 1 Nr. 3, Tateinheit oder Tatmehrheit mit §§ 223 ff, 303 ff und anderen Eigentumsund Freiheitsdelikten. Im Verhältnis zu § 123 geht § 124 vor.

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Hans Lilie

Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Vor § 125

Straftaten gegen die öffentliche Ordnung Vorbemerkungen zu den §§ 125 ff 1 1. Im Siebten Abschnitt (§§ 123 bis 145d) werden unter dem Oberbegriff „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung" systematisch wenig überzeugend recht verschiedenartige Tatbestände erfasst, die den Schutz ganz unterschiedlicher Rechtsgüter bezwecken. 2 Einzelne Strafvorschriften wie der Hausfriedensbruch (§ 123) oder die unerlaubte Entfernung vom Unfallort (§ 142) dienen dem Schutz eines Individualrechtsgutes. In anderen Strafvorschriften geht es in erster Linie um die Erschütterung des Gemeinschaftsfriedens als einem unmittelbar der Gesellschaft zustehenden Gutes. 3 Dazu zählen insbesondere der Landfriedensbruch (§§ 125, 125a), die Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (§ 126), die Volksverhetzung (§ 130), die Anleitung zu Straftaten (§ 130a), die Verherrlichung von Gewalt (§ 131), die Belohnung und Billigung von Straftaten (§ 140), aber auch die Delikte, die Handlungen im Zusammenhang mit friedensstörenden Vereinigungen (§§ 127, 129, 129a, 129b) unter Strafe stellen. 4 Dem Friedensschutz dient darüber hinaus der Tatbestand der Beschimpfung von Bekenntnissen gem. § 166, der allerdings im 11. Abschnitt (Straftaten, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen) geregelt ist. Die friedensschützenden Delikte im siebten Abschnitt werden ergänzt durch Delikte, die den Schutz der spezifisch staatlichen Sphäre zum Gegenstand haben wie die Autorität des Staates und seiner Organe in § 132, der amtliche Verwahrungsbesitz in § 133, die Integrität und Wirksamkeit amtlicher Kundmachungen in § 134, die innerstaatliche Herrschaftsgewalt über Sachen in § 136 Abs. 1 und das Siegel als Manifestation einer hoheitlichen Anordnung in § 136 Abs. 2. Aber auch insoweit ist der Begriff der „öffentlichen Ordnung" noch so unscharf, dass mit ihm für die Auslegung der einzelnen Vorschriften wenig gewonnen ist. Umso wichtiger ist es, für jeden einzelnen Tatbestand zu klären, welchem speziellen Schutzzweck er dient.

1

Die Regelungsmaterien sind teilweise eng verknüpft mit verfassungsrechtlicher Rahmensetzung, insbesondere mit der Demonstrationsfreiheit (§§ 125, 125a), der Meinungsfreiheit (§ 130) und der Freiheit der Kunst (§ 131). Andere Vorschriften hängen unmittelbar zusammen mit Fragen des Verwaltungs-, Amts-, Dienst- und Berufsrechts (§§ 132, 132a, 133) sowie des Strafprozess- u. Vollstreckungsrechts (§§ 133, 136); zum Teil stehen sie im Kontext zur Gewaltursachenforschung (§§ 125, 130, 131) und sind kriminalpolitisch in die internationale Terrorismus- und OK-Bekämpfung integriert (§§ 129, 129a, 129b, 130a).

2

1

2

Die Kommentierung der §§ 1 2 5 - 1 3 6 schreibt die umfangreiche Kommentierung der 11. Aufl. durch Eckhart von Bubnoff fort, dem auch an dieser Stelle herzlich gedankt wird. Die Neukommentierung verzichtet auf die Darstellung von Rechtsfragen der Wiedervereinigung sowie auf Erläuterungen von Vorschriften des VersG, die im Zusammenhang mit § 125 stehen. Insoweit wird auf die Vorauflage verwiesen. Von der Vorauflage abweichende Meinungen des Verf. sind kenntlich gemacht. Ostendorf NK vor §§ 123 ff Rdn. 4 spricht deshalb von einer „Rumpelkammer".

3

4

Arzt/Weber BT § 4 4 ; Ostendorf NK vor §§ 123 ff Rdn. 2 schlägt deshalb die Bezeichnung „Straftaten gegen den gesellschaftlichen Rechtsfrieden" vor. Nach anderer systematischer Einordnung werden nur die §§ 125-127, 130 den Straftaten gegen den öffentlichen Frieden zugeordnet, während die §§ 129, 129a, 129b, 130a, 131 als Straftaten gegen die Durchsetzung des Strafrechts eingestuft werden; vgl. Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 6 0 I, § 92 Vorbemerkung.

Matthias Krauß

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Vor § 125

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

3

2. Zunehmende Bedeutung gewinnen Rechtsakte des Rates der Europäischen Union im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Dies gilt vor allem im Bereich der internationalen Terrorismus- und OK-Bekämpfung. Zu erwähnen sind insbesondere die am 21. Dezember 1998 verabschiedete Gemeinsame Maßnahme betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die zur Erstreckung der §§ 129, 129a auch auf ausländische kriminelle/terroristische Vereinigungen geführt hat (§ 129b), sowie der Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung des Terrorismus vom 13. Juni 2 0 0 2 , der eine erhebliche Umstrukturierung und Einschränkung des § 129a zur Folge hatte. Im Rahmen der Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit haben die Bemühungen der EU, Rechtsvorschriften der nationalen Strafrechtsordnungen anzunähern, zu dem am 19. April 2 0 0 7 vom Rat der Europäischen Union verabschiedeten Rahmenbeschluss zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit geführt (vgl. § 130 Rdn. 25).

4

3. Die Nutzung des Internets zu strafrechtlich relevanten Zwecken - zu nennen sind im Bereich des siebten Abschnitts insbesondere rechtsradikale Propaganda, die Leugnung des NS-Völkermordes, die Verbreitung von Handbüchern und sonstigen Anweisungen zur Gewaltanwendung, die Verbreitung sonstiger exzessiver Formen gewaltverherrlichender und gewaltverharmlosender Darstellungen, die Anwerbung von Mitgliedern und Unterstützern terroristischer Vereinigungen - haben den einschlägigen Straftatbeständen (§§ 129 ff, 130, 130a, 131) eine internationale Größenordnung verliehen, die die Strafverfolgung vor ganz neue Herausforderungen stellt. Neben der Verantwortlichkeit der Diensteanbieter (vgl. § 130 Rdn. 95) stellt sich insbesondere das Problem, dass der zentrale Bezugspunkt des Strafanwendungsrechts, die territoriale Souveränität, vom Internet gerade überspielt wird, weil die Überschreitung nationaler Grenzen für dieses Medium wesenstypisch ist. Dies führt zur Frage, wie extensiv die Bundesrepublik Deutschland die Anwendung nationalen Strafrechts auf strafbare Beiträge im Internet für sich in Anspruch nehmen kann (vgl. § 129b Rdn. 19a, § 130 Rdn. 138).

5

4. Hauptanliegen der Vorschriften mit friedenschützendem Charakter ist die Gewaltbekämpfung in ihren unterschiedlichen Ausprägungen und ihrem Vorfeld. Dabei handelt es sich um sensible Regelungsbereiche, die in einem ausgeprägten politischen, auch gesellschaftspolitischen (z.B. Demonstrationsrecht) Spannungsfeld stehen und der Gefahr aufgeheizter Auseinandersetzungen ausgesetzt sind. Abweichend von sonstigen (früheren) Entkriminalisierungstendenzen der Strafrechtsreform in anderen Bereichen sind die gesetzgeberischen Bemühungen im siebten Abschnitt seit den siebziger Jahren im Hinblick auf den Gesichtspunkt der Gewaltbekämpfung überwiegend dadurch gekennzeichnet, das strafrechtliche Netz enger zu knüpfen, Lücken im Strafschutz bereits im Vorfeld der eigentlichen Gewaltanwendung zu schließen und dadurch der Ausbreitung von die Allgemeinheit besonders beunruhigenden Gewalttaten entgegenzuwirken.

6

So wurde im Demonstrationsstrafrecht die Liberalisierung durch das 3. Strafrechtsreformgesetz 1970 nach heftiger Kritik an der Beschränkung des § 125 auf Teilnehmer an den Gewalttätigkeiten und die sog. Anheizer schrittweise wieder zurückgenommen; dies erfolgte mit wechselnden Schwerpunkten durch das Gesetz zur Änderung des Versammlungsgesetzes vom 25. September 1978 (BGBl. I S. 1571), vor allem aber nach dem Regierungswechsel 1982 durch das Gesetz zur Änderung des StGB und des Versammlungsgesetzes vom 18. Juli 1985 (BGBl. I S. 1511) und das Gesetz zur Änderung des StGB, der StPO und des Versammlungsgesetzes vom 9. Juni 1989 (BGBl. I S. 1059).

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Matthias Krauß

Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Vor § 125

Das gesetzgeberische Anliegen, das allgemeine Rechtssicherheitsgefühl zu erhalten, führte zur grundlegenden Umgestaltung und Erweiterung des Tatbestands des § 126 durch das 14. Strafrechtsänderungsgesetz vom 22. April 1976 (BGBl. I S. 1056). Hier wurden der Begriff des „gemeingefährlichen Verbrechens" durch einen weiten Katalog von schwerwiegenden Straftaten und das Tatbestandsmerkmal der Störung des öffentlichen Friedens durch die Eignung der Tathandlung, den öffentlichen Frieden zu stören, ersetzt und außerdem die Tatmodalität des Vortäuschens der bevorstehenden Verwirklichung einer Katalogtat eingefügt. § 127 wurde durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 26. Januar 1998 modernisiert und nicht unerheblich ausgedehnt.

7

Die Bewältigung des Terrorismus hat seit den siebziger Jahren zu zahlreichen Ände- 8 rungen des materiellen und formellen Strafrechts geführt, um die politisch verbrämte Gewaltkriminalität terroristischer Vereinigungen unter Wahrung rechtsstaatlicher Garantien verfolgen und ahnden zu können. Nachdem Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Horst Mahler und andere versucht hatten, mit der Rote Armee Fraktion (RAF) eine bewaffnete Untergrundarmee in der Bundesrepublik aufzubauen, wurde durch das „AntiTerrorismusgesetz" vom 18. August 1976 (BGBl. I S. 2181) die Strafvorschrift des § 129a eingeführt. Das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus vom 19. Dezember 1986 (BGBl. I S. 2566) führte als Reaktion auf aktuelle terroristische Anschläge der RAF zu einer Erweiterung des Straftatenkatalogs, Verschärfung der Strafrahmen und einer Änderung der Deliktseinstufung. Die mit Art. 4 des ArtikelG vom 9. Juni 1989 (BGBl. I S. 1059) „als vertretbaren Versuch einer Einengung der Handlungsfähigkeit der Terroristen" zeitlich befristet eingeführte eigenständige Kronzeugenregelung wurde nach Ablauf ihrer Gültigkeit am 31. Dezember 1999 nicht mehr verlängert. Nach den Anschlägen des 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten von Amerika hat der Gesetzgeber in Umsetzung der Gemeinsamen Maßnahme des Rates vom 21. Dezember 1998 mit dem 34. Strafrechtsänderungsgesetz vom 22. August 2002 (BGBl. I 3390) den Anwendungsbereich der §§ 129, 129a auf ausländische kriminelle/terroristische Vereinigungen erweitert (§ 129b), gleichzeitig aber die bis dahin strafbare sogenannte Symphatiewerbung von der Strafbarkeit nach §§ 129, 129a ausgenommen. Die nach den Anschlägen des 11. September 2001 mit dem Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung intensivierten Bestrebungen der Europäischen Union, die Strafvorschriften der Mitgliedstaaten anzugleichen, führten zu einer erheblichen Umstrukturierung des § 129a, mit der der Tatbestand zum Teil ausgedehnt (Erweiterung des Straftatenkatalogs, Einfügung der Strafbarkeit der Androhung von Katalogtaten durch eine terroristische Vereinigung), zum Teil durch die Einfügung weiterer objektiver und subjektiver Voraussetzungen bezüglich der Katalogtaten aber auch nicht unerheblich eingeschränkt wurde. Mit der Ausdehnung der Strafbarkeit auch auf ausländische kriminelle Vereinigungen durch Einfügung des § 129b hat der Gesetzgeber eine aus kriminalpolitischer Sicht schließungsbedürftige Lücke in der Erfassung von solchen international operierenden Vereinigungen geschlossen, deren Zwecke oder deren Tätigkeiten auf bestimmte für die organisierte internationale Kriminalität typische Delikte gerichtet sind, die erfahrungsgemäß auch deutsche öffentliche Schutzbelange berühren (können). 5

9

Der Volksverhetzungstatbestand (§ 130) ist aufgrund zunehmender antisemitischer und neonazistischer Propaganda und Ausschreitungen mehrfach geändert und verschärft

10

5

Vgl. hierzu im Einzelnen v. Bubnoff LK11 vor § 129 Rdn. 7; Nachtrag 2001 § 129b Rdn. 5 ff.

Matthias Krauß

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Vor § 125

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

worden. Nach einer Neufassung durch das 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. Juni 1960 zielte das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3187) vor dem Hintergrund der Aufhebung der Verurteilung des damaligen NPD-Vorsitzenden Deckert durch den Bundesgerichtshof 6 insbesondere auf eine wirksamere Gestaltung der Verfolgung pauschaler Diffamierungen von ausländischen und jüdischen Mitbürgern sowie von Asylbewerbern. Der Gesetzgeber gestaltete die Vorschrift - unter Einbeziehung der vorher in § 131 verankerten Handlungsform der Aufstachelung zum Rassenhass - zu einem allgemeinen Anti-Diskriminierungstatbestand um (§ 130 Abs. 2) und schuf mit der Strafbewehrung der Leugnung/Verharmlosung nationalsozialistischer Gewalttaten (§ 130 Abs. 3 und 5) eine spezielle Strafbestimmung gegen die einfache Auschwitzleugnung, die die - weder geeignete noch ausreichende - verfahrensrechtliche Lösung des 21. Strafrechtsänderungsgesetzes (BGBl. 1985 I S. 965) im Rahmen der Beleidigungsdelikte (§ 194 Abs. 1, 2) in den Hintergrund treten ließ. Um das Verbot rechtsextremistischer Versammlungen zu erleichtern, wurde durch das Gesetz zur Änderung des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches vom 24. März 2 0 0 5 § 130 Abs. 4 eingefügt. 11

§ 130a mit der Strafbewehrung der Anleitung zu schwerwiegenden Straftaten stellte in ihrer Vorläuferfassung zusammen mit der Zwillingsvorschrift des § 88a (verfassungsfeindliche Befürwortung von Gewalttaten) das Kernstück des 14. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 22. April 1976 (BGBl. I S. 1056) dar. Diese Vorschrift wurde bereits fünf Jahre nach ihrer Einführung durch das 19. Strafrechtsänderungsgestz vom 7. August 1981 (BGBl. I S. 808) aufgehoben, im Zuge der Bemühungen um eine Eindämmung des Terrorismus durch das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus vom 19. Dezember 1986 (BGBl. I S. 2 5 6 6 ) in modifizierter Form mit einem deutlich erweiterten Anwendungsbereich jedoch wieder eingeführt.

12

Der gegen Gewaltverherrlichung und Gewaltverharmlosung gerichtete Tatbestand des § 131 ist durch das 4. Strafrechtsreformgesetz vom 23. November 1973 (BGBl. I S. 1725) eingefügt worden. Seine geringe praktische Bedeutung hat den Gesetzgeber veranlasst, den Tatbestand durch das Gesetz zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit vom 25. Februar 1985 (BGBl. I S. 425) inhaltlich zu ändern, Form und Art der Gewaltdarstellung neu zu definieren und damit eine bessere Handhabbarkeit der Vorschrift zu ermöglichen. Eine Erweiterung der Strafvorschrift durch die Erfassung von Schilderungen von Gewalttätigkeiten auch gegen „menschenähnliche Wesen" und eine Gleichstellung der Medien- und Teledienste mit dem Rundfunk erfolgte durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vom 27. November 2 0 0 3 (BGBl. I S. 3007).

13

Zu den weiteren Änderungen und Umgestaltungen der Vorschriften dieses Abschnitts und den jeweiligen Gesetzesmaterialien vgl. die Hinweise bei den einzelnen Strafvorschriften.

14

5. Zahlreiche der dargestellten Gesetzesänderungen erfolgten vor dem Hintergrund herausragender und in der Öffentlichkeit viel beachteter Vorfälle (Terroranschläge, rechtsextremistische Ausschreitungen und Propagandaaktionen, Demonstrationsexzesse etc.) und auffälliger Negativentwicklungen (z.B. die Kommerzialisierung sinnlos ausufernder Gewaltdarstellungen in Fernsehen und auf dem Videomarkt). Darauf hat der

6

BGHSt 4 0 97.

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Matthias Krauß

Landfriedensbruch

§ 125

Gesetzgeber z.T. anlassbezogen, 7 z.T. im Eilverfahren 8 und mit ad-hoc-Gesetzen reagiert. Da die Sicherheitslage in den Gesetzgebungsverfahren mitunter kontrovers beurteilt wurde, kam es zu „Korrekturen gerade erst erfolgter Korrekturen des Systems der Sicherheitsgesetze" im materiellen (z.B. §§ 125, 130a) wie prozessualen Bereich. 9 Dies hat der Strafgesetzgebung mitunter den Vorwurf der Kurzatmigkeit und Konzeptionslosigkeit eingebracht. 1 0 In der Tat dürfte die immer wieder sichtbar werdende (partei) politische Polarisierung für die Entwicklung auf wirkliche Normdefizite beschränkter und auf Akzeptanz angelegter Normen und deren funktionale Ausgestaltung gerade in diesem Bereich kaum zuträglich sein. 1 1

§ 125

Landfriedensbruch (1) Wer sich an 1. Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder 2 . Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt oder wer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. (2) Soweit die in Absatz 1 Nr. 1, 2 bezeichneten Handlungen in § 113 mit Strafe bedroht sind, gilt § 113 Abs. 3, 4 sinngemäß. Schrifttum Achenbach Die Startbahn-West-Novelle, Kriminalistik 1989 633; Amelung/Hassemer/Rudolphi Stellungnahme zum Artikelgesetz, StV 1989 72; Aretz Brauchen wir Verschärfungen des Demonstrationsrechts? ZRP 1983 264; Arndt Das Wesen des Landfriedensbruchs ZStW 53 (1934) 216; Arntz/Koehler Bericht aus der Gesetzgebung, JA 1984 28; Arzt Landfriedensbruch und Demonstrationsfreiheit, JA 1982 269; Asschoff Der Landfriedensbruch, Diss. Göttingen 1928; Baumann Ein neues ad hoc-Gesetz zu § 125 StGB, StV 1988 37; Baumann/Frosch Der Entwurf des 3. Strafrechtsreformgesetzes, J Z 1970 113; Bemmann Staatsschutz und Demonstrationsrecht, Beiträge zur Strafrechtswissenschaft (2004); ders. Friedlicher Landfriedensbruch, Festschrift Pfeiffer (1988) S. 53; Benrath Legalität und Opportunität bei strafrechtlichem Vermummungsverbot, JR 1984 1; Bickel Landfrieden ist Sicherheit unter der Herrschaft des Rechts, DRiZ 1984 99; Blei Demonstrationsfreiheit und Strafrecht JA 1970 273; Brause Landfriedensbruch und Individualangriff, NJW 1983 1640; Broß Grundrechtsschutz der Versammlungsfreiheit, Jura 1986 189; Cafltsch Der Landfriedensbruch, Diss. Bern 1923; Dencker Gefährlichkeitsvermutung statt Tatschuld? - Tendenzen der neueren Strafrechtsentwicklung, StV 1988 262; Dreher Das 3. Strafrechtsreformgesetz und seine Probleme, NJW 1970 1153; Drescher Genese und Hintergründe der Demonstrationsstrafrechtsreform von 1970 unter Berücksichtigung des geschichtlichen Wandels der Demonstrationsformen (2005); Endemann

7

8

Vgl. Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Vorbem. §§ 123 ff Rdn. 2; Achenbach Kriminalistik 1987 296 u. 1989 633; v. Denkowski Kriminalistik 2005 208. Vgl. Dencker KritJ 1987 36 Fn. 3, 4; v. Denkowski Kriminalistik 2005 208; Bertram NJW 2005 1476.

9 10

11

Walter BR-Verh. 12/670, S. 307. Vgl. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Vorbem. §§ 123 ff Rdn. 2 m.w.N. Vgl. Lackner/Kühl § 125 vor Rdn. 1 u. § 129a Rdn. 1; Schwind/Baumann Gewaltursachen Bd. 1 Rdn. 369; s.a. Rabe DJT 1994, Pressemitteilung Nr. 13 S. 5.

Matthias Krauß

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§ 125

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Hetze als Gefährdungsproblem (1924); Frankenberg „Landfrieden" und Demonstationsfreiheit, KritJ 1981 269; Frowein Die Versammlungsfreiheit vor dem Bundesverfassungsgericht, NJW 1985 2378; Gallwas Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG - eine Problemskizze zur Einführung, JA 1986 484; Geerds Rechtsfriedensdelikte, in: Elster/Lingemann/Sieverts, Handwörterbuch der Kriminologie, Bd. III (1969); Greven Das Artikelgesetz, Vorgänge 98 (1989) S. 34; Günther Gegen eine Entkoppelung von Demokratie und Recht, ZRP 1987 118; Gusy Rechtsextreme Versammlungen als Herausforderung an die Rechtspolitik, J Z 2002 105; Hamm Sich-nicht-Entfernen aus einer Demonstration nach hoheitlicher Aufforderung als Straftat? AnwBl. 1984 57; ders. Vermummung als Straftatbestand? StV 1988 40; Heilborn Die geschichtliche Entwicklung des Begriffs Landfriedensbruch, ZStW 18 (1898) 1; ders. Der Landfriedensbruch nach dem Reichsstrafgesetzbuch, ZStW 18 (1898) 161; Heinitz Nötigung, Aufruhr und Landfriedensbruch bei Streikausschreitungen, J R 1956 3; Jahn Verfassungsrechtliche Probleme eines strafbewehrten Vermummungsverbotes, J Z 1988 545; Janknecht Verfassungs- und strafrechtliche Fragen zu „Sitzstreiks", GA 1969 33; Jung Artikelgesetz zur inneren Sicherheit, JuS 1989 1025; Kast Das neue Demonstrationsrecht (1986); Klug Schwerpunkte der Reform des Demonstrations-Strafrechts, Festschrift Luchtenberg (1970) S. 139; Knödel Der Begriff der Gewalt im Strafrecht (1962); Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte unter Berücksichtigung von verfassungsrechtlichen und massenpsychologischen Aspekten (1982); Krauß Sicherheitsstaat und Strafverteidigung, StV 1989 315; Kühl Demonstrationsfreiheit und Demonstrationsstrafrecht, NJW 1985 2379; ders. Landfriedensbruch durch Vermummung und Schutzbewaffnung? NJW 1986 874; Kunert/Bernsmann Neue Sicherheitsgesetze - mehr Rechtssicherheit, NStZ 1989 449; Lücke Vermummte bestrafen oder nicht? Überlegungen der Kleinen Strafrechtskommission des DRiB, DRiZ 1988 29; ders. Strafverfolgung Vermummter, DRiZ 1988 353; Maatz Zur Strafbewehrung des Verbots der Vermummung - § 27 Abs. 2 Nr. 2 in Verb, mit § 17a Abs. 2 Nr. 1 VersG, MDR 1990 577; Martin Zur strafrechtlichen Beurteilung „passiver Gewalt" bei Demonstrationen, Festschrift 25 Jahre Bundesgerichtshof (1975) S. 211; ders. Wie steht es um unseren Staatsschutz, J Z 1975 312; Maurach Demonstrationsnovelle (1971); Meiskt Der strafrechtliche Versammlungsschutz (1995); Meyer Beteiligung am Landfriedensbruch (§ 25 Abs. 1 1. und 2. Variante StGB) und Teilnahme zum Landfriedensbruch (§ 125 Abs. 1 1. und 2. Variante in Verbindung mit §§ 26, 27, 28 Abs. 1 StGB) GA 2000 459; Müller-Emmert Die Reform der Vorschriften über den Gemeinschaftsfrieden, ZRP 1970 1; Nagler Das Verbrechen der Menge, GS 95 157; Ott Das Recht auf freie Demonstration (1969); ders. Gesetz über Versammlungen u. Aufzüge (1987); ders. Demonstrationsfreiheit u. Strafrecht, NJW 1969 454; ders. Rechtsprobleme bei der Auflösung einer Versammlung in Form eines Sitzstreiks, NJW 1985 2384; Ress Demonstration und Freiheit, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Heft 54 (1970); Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier Versammlungsrecht (1992), Rinken Die Demonstrationsfreiheit - ein riskantes Grundrecht, Besprechung des Schubart-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juni 1990 (BVerfGE 82, 236), StV 1994 95; Rogall Die verschiedenen Formen des Veranlassene fremder Straftaten, GA 1979 11; Roos Entkriminalisierungstendenzen im Besonderen Teil (1981); Rühl Versammlungsrechtliche Maßnahmen gegen rechtsradikale Demonstrationen und Aufzüge, NJW 1995 561; Scherer Die Formen der Verbrechensbegehung bei den Rotten- und Bandendelikten im Verhältnis zu den Formen der Verbrechensbegehung des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs, Diss. Mainz 1966; Eb. Schmidt Zur Reform der sogenannten Demonstrationsdelikte, ZStW 82 (1970) 1; Schnoor Brauchen wir Verschärfungen des Demonstrationsrechts? ZRP 1983 185; Scholz Rechtsfrieden im Rechtsstaat, NJW 1983 705; Schreiber Vom ewigen Landfrieden, Kriminalistik 1988 1; Schröder Demonstrationsnovelle (1970); Schultz Demonstrationsfolgen, MDR 1983 183; Schulz Demonstrationsstrafrecht, ZRP 1983 284; ders. Gewalttätige Ausschreitungen, ZRP 1988 269; Selig Die Rechtsprechung zu den geltenden §§ 125, 125a StGB (Demonstration, Ungehorsam, Widerstand gegen Raketenstationierung), Schriftenreihe der Vereinigung Berliner Stafverteidiger (1983), S. 69; Simon Freiheitliche Verfassung und Demonstrationsrecht, Berliner Reden, Heft 17 (1969); Simson Verfassungskonforme Demonstrantenbestrafung, ZRP 1968 10; Spendel Rechtsstaat für den Verbrecher - Polizeistaat für den Bürger? Festschrift Heydte (1977) S. 1209; Starke/Stein Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des § 125 StGB, J R 1984 97; Stock Die Neugestaltung der Delikte gegen die öffentliche Ordnung durch das 3. StrRG, Diss. Hamburg 1979; Stree Beschädigung eines Polizeistreifenwagens BGHSt 31, 185, JuS 1983 836; Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts (1985); ders.

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Das Demonstrationsrecht und seine Reglementierung, ZRP 1985 153; ders. Das neue Demonstrationsrecht, StV 1985 469; Stümper Gewalttätige Störer in der Bundesrepublik Deutschland, Kriminalistik 1981 398; Tiedemann Beteiligung an Aufruhr und Landfriedensbruch, JZ 1968 761; ders. Bemerkungen zur Rechtsprechung in den sog. Demonstrationsprozessen, JZ 1969 717; Wassermann Der Staat muß die Zähne zeigen, Die politische Meinung Heft 276 (November 1992) S. 11; 'Weingärtner Demonstration und Strafrecht. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zum deutschen, französischen, niederländischen und schweizerischen Recht (1986); Werle Die „Teilnahme" am Landfriedensbruch und der Landfriedensbruch durch Vermummung und Schutzbewaffnung (§ 125 Abs. 1 und 2 StGB), Festschrift Lackner (1987) S. 481; Wolter Gewaltanwendung und Gewalttätigkeit, NStZ 1985 193, 245; Wolski Die Wende im Demonstrationsrecht, KritJ 1983 272; Zeidler/Vogel/ Merten/Schreiber Das Recht auf Demonstration (1969); Zuck Mummenschanz, MDR 1990 119. Zur Versammlungsfreiheit Alberts Staatsfreiheit von Versammlungen, NVwZ 1989 839; ders. Zum Spannungsverhältnis zwischen Art. 8 GG und dem Versammlungsgesetz, NVwZ 1992 38; Battis/Grigoleit Neue Herausforderungen für das Versammlungsrecht? NVwZ 2001 121; Beljin Neonazistische Demonstrationen in der aktuellen Rechtsprechung, DVB1 2002 15; Bertrams Demonstrationsfreiheit für Neonazis? Festschrift Arndt (2002) S. 19; Blumenwitz Versammlungsfreiheit u. polizeiliche Gefahrenabwehr bei Demonstrationen, Festschrift Samper (1982) S. 131; Brohm Demonstrationsfreiheit und Sitzblockaden, JZ 1985 506; Brüning Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in der streitbaren Demokratie, in: Der Staat 41 (2002) S. 213; Dietel/Gintzel/Kniesel Demonstrations- und Versammlungsfreiheit (14. Aufl. 2005); Dörr Keine Versammlungsfreiheit für Neonazis? Extremistische Demonstrationen als Herausforderung für das geltende Versammlungsrecht, VerwArch 93 (2002) 485; Drosdzol Grundprobleme des Demonstrationsrechts, JuS 1983 409; Enders Der Schutz der Versammlungsfreiheit, Jura 2003 34, 103; Frankenberg Demonstrationsfreiheit - eine verfassungsrechtliche Skizze, KritJ 1981 370; Frowein Die Versammlungsfreiheit vor dem Bundesverfassungsgericht, NJW 1985 2376; Gallwas Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit - eine Problemskizze, JA 1986 484; Geulen Versammlungsfreiheit und Großdemonstrationen, KritJ 1983 189; Gusy Lehrbuch der Versammlungsfreiheit - BVerfGE 69 315, JuS 1986 608; ders. Rechtsextreme Versammlungen als Herausforderung an die Rechtspolitik, JZ 2002 105; Hofmann Demonstrationsfreiheit und Grundgesetz, BayVBl. 1987 129; Hoffmann-Riem Neuere Rechtsprechung des BVerfG zur Versammlungsfreiheit, NVwZ 2002 257; Hufen Art. 8 GG und volksverhetzende Redebeiträge, JuS 1995 638; Knape Ausgewählte Problemstellungen des Versammlungsrechts im Zusammenhang mit unfriedlichen Demonstationen, insbesondere Auseinandersetzungen Links-Rechts, Die Polizei 2007 151; Kniesel Die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, NJW 1992 857; ders. Versammlungsund Demonstrationsfreiheit, NJW 2000 2857; Kostaras Demonstrationsdelikte (1982); Kühl Sitzblockaden vor dem Bundesverfassungsgericht, StV 1987 122; Maatz Strafbewehrung des Verbots der Vermummung - § 27 Abs. 2 Nr. 2 in Verb, mit § 17a Abs. 2 Nr. 1 VersG, MDR 1990 577; v. Mutius Die Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG, Jura 1988 30, 79; Ott Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (1996); Rühl Versammlungsrechtliche Maßnahmen gegen rechtsradikale Demonstrationen und Aufzüge, NJW 1995 561; Sander Wiederkehrthema: Die öffentliche Ordnung - das verkannte Schutzgut? NVwZ 2002 831; Schwäble Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, Schriften zum öffentlichen Recht Bd. 275 (1975); Strohmaier Die Reform des Demonstrationsrechts (1984); ders. Das neue Demonstrationsrecht, StV 1985 469; Tölle Polizei- und ordnungsbehördliche Maßnahmen bei rechtsextremistischen Versammlungen, NVwZ 2001 153; Wassermann Der Staat muß Zähne zeigen, Die politische Meinung, Bd. 276 (1992) S. 11; Wiefelspütz Aktuelle Probleme des Versammlungsrechs in der Hauptstadt Berlin, DÖV 2001 21; ders. Versammlungsrecht und öffentliche Ordnung, KritV 85 (2002) 19.

Zu Massenpsychologie und Ursachenforschung kollektiver Gewalt Allerbeck/Rosenmayr (Hrsg.) Aufstand der Jugend (1971); Allerbeck Soziologie radikaler Studentenbewegungen (1973); ders. Neue Theorien zur Soziologie der Jugend, in: Aufstand der Jugend

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(Hrsg. Allerbeck/Rosenmayr) S. 11; Baschwitz Verstand und Unverstand in der Masse, Festschrift Dovifat (1960); Böttger Die Gewalt der Hooligans - eine Folge moderner gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse? (1998); Breucker Transnationale polizeiliche Gewaltprävention - Maßnahmen gegen reisende Hooligans (2003); Bull Verfolgung rechtsextremistischer Gewalt, Recht und Politik 1993 1; Canetti Masse und Macht (1960); Cohen Kriminelle Jugend - Zur Soziologie jugendlichen Bandenwesens (1961); Dietrich Das Polizeidebakel von Rostock, Bürgerrechte und Polizei 1993 40; Eckert/Willems Politisch motivierte Gewalt, Dokumentation seit 1985, Informationszentrum Sozialwissenschaften 1993 s. S. 24; Farrington Comparing Football Hooligans and Violent Offenders: Childhood, Adolescent, Teenage and Adult Features, MschrKrim 2006 192; Grabowsky Zur Problematik der Masse, Zeitschrift für Politik 1968 137; Heiss Der Einzelne, die Masse und die Geschichte, Freiburger Dies Universitatis, Bd. 9 (1961); Heitmeyer Bielefelder RechtsextremismusStudie (1992); ders. Desintegration und Gewalt, in: Deutsche Jugend 1992 109; ders. Rechtsextremistische Orientierung bei Jugendlichen (1992); Hennig Organisierte Neonazis und wilde Fußballfans, Pädagogik 1990 30; Hofstätter Gruppendynamik - Kritik der Massenpsychologie (1957), Neuauflage 1971, Ausgabe 1982; ders. Einführung in die Sozialpsychologie (5. Aufl., 1973); Jäger Individuelle Zurechnung kollektiven Verhaltens (1985); Kaase Die politische Mobilisierung der Studenten in der BRD, in: Aufstand der Jugend (Hrsg. Allerbeck/Rosenmayr) S. 155; Kalinowsky Rechtsextremismus und Strafrechtspflege (1990); Kern Vom Seelenleben des Verbrechers (1964); Kipouridy Das Verbrechen in der Masse, Strafr. Abh. Heft 245 (1928); Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte - Demonstrationen im Licht der Massen- und Sozialpsychologie (1982) S. 42; Le Bon Psychologie der Massen (1895; 38. Aufl. 1931), Kröners Taschenausgabe (15. Aufl. 1982); Leutheusser-Schnarrenberger Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, J Z 1993 943; Nagler Das Verbrechen der Menge, GS Bd. 95; Nijboer/ Althoff Fußballgewalt und Hooliganismus in den Niederlanden, MschrKrim 2006 246; Ohder Gewalt durch Gruppen Jugendlicher aus sozialpsychologischer Sicht (1992); Ostendorf Jugend und Gewalt - Möglichkeiten und Grenzen der Konfliktregelung, StV 1993 545; Pilz Noch mehr Gewalt ins Stadion? in: Horak/Reiter/Stocker (Hrsg.) Fußball u. Gewalt in Europa (1988) S. 217; Reiwald Vom Geist der Massen (2. Aufl. 1946); Schneider Ursachen der Gewalt, J Z 1992 499; Schumacher Gruppendynamik und Straftat, NJW 1980 1880; ders. Gruppendynamik und strafrechtliche Schuldfähigkeit, StV 1993 549; Schumann Schutz der Ausländer vor rechtsradikaler Gewalt durch Instrumente des Strafrechts? StV 1993 324; Schwind/Baumann (Hrsg.) Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt; Gutachten und Materialien der Unabhängigen Gewaltkommission Bd. 1 - 4 (1990), zit.: Gewaltursachen; Schwind/Winter Die (Anti)„Gewaltkommission" der Bundesregierung, NStZ 1990 105; Streng Fremdenfeindliche Gewaltkriminalität als Voraussetzung für kriminologische Erklärungsansätze, Jura 1995 182; Stroebe/Hewstone/Codol/Stephenson (Hrsg.) Sozialpsychologie (1990); Wolkov Studentenunruhe als Phänomen kapitalistischer Systeme, in: Aufstand der Jugend (Hrsg. Allerbeck/Rosenmayr) S. 55; Willems/Würtz/Eckert Fremdenfeindliche Gewalt: Eine Analyse von Täterstrukturen und Eskalationsprozessen, Trierer Forschungsbericht 1993; Willems Fremdenfeindliche Gewalt, Gruppendynamik 1992 S. 433.

Entstehungsgeschichte 1. Der ursprüngliche Tatbestand des § 125 und die früheren §§ 115, 116 umfassten bis zu ihrer Umgestaltung durch das 3. Strafrechtsreformgesetz vom 2 0 . Mai 1970 (BGBl. I S. 5 0 5 ) als strafbare Störungen der öffentlichen Ordnung die sog. Massendelikte des Landfriedensbruchs, des Aufruhrs und des Auflaufs. 1 Ihr charakteristisches Merkmal war die Strafbarkeit schon des bloßen Anschlusses an die Menge, wenn von dieser mit

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Zum früheren Tatbestand des § 125 vgl. Baumann StV 1988 37; Maatz MDR 1990 577, 578, Dreher NJW 1970 1153; Strohmeier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts,

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S. 47 ff; Drescher Genese und Hintergründe der Demonstrationsstrafrechtsreform, S. 23 ff.

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vereinten Kräften Gewalttätigkeiten verübt, (beim Aufruhr) Widerstands- oder Nötigungshandlungen gegen die Staatsgewalt begangen wurden oder (beim Auflauf) die Angliederung an die Masse entgegen der Aufforderung der Staatsmacht nicht aufgegeben wurde. Basierend auf der massenpsychologisch begründeten Annahme genereller Gefährlichkeit aktueller Massenbildung 2 wurde bereits der bloß passive Aufenthalt in einer überwiegend unfriedlichen Menge als tatbestandserhebliche Gefahrensteigerung gewertet. 3 Gegen den früheren Tatbestand des einfachen Landfriedensbruchs wurde angeführt, er sei „rechtsstaatlich tief bedenklich", 4 weil er das Verüben von Gewalttätigkeiten nur als Strafbarkeitsbedingung ausgestalte, um Beweisschwierigkeiten zu überwinden. 5 Außerdem führe er zu einer Kollektivhaftung 6 und verstoße daher gegen den Schuldgrundsatz. 7 Die Vorschrift verletze ferner die Gerechtigkeit und das Legalitätsprinzip, weil sie nur gegen eine mehr oder minder willkürlich ausgewählte Minderheit der Demonstranten verwirklicht werden könne, und bringe deshalb die Polizeibeamten in den Verdacht der Begünstigung der vielen nicht ermittelten Teilnehmer. 8 Die Vorschrift sei überholtem obrigkeitsstaatlichem Denken entsprungen 9 und dazu bestimmt, missliebige politische Bewegungen im Volk niederzuhalten. 10 In diesem „historischpolitisch bedingten hysterischen Charakter" 1 1 widerstreite sie den grundgesetzlich verbrieften Rechten der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Schließlich habe sie trotz ihrer überhöhten Strafrahmen keine Präventivwirkung gehabt, wie die Kriminalstatistik ausweise. 12 2. Mit dem 3. Strafrechtsreformgesetz vom 2 0 . Mai 1970 (BGBl. I S. 505) wurde der Tatbestand grundlegend neu gestaltet und liberalisiert. 13 Die gesetzgeberischen Beratungen zur Neufassung des § 125 waren vor allem an der Fragestellung nach den Aufgaben und den Grenzen des Strafrechts bei den sog. Demonstrationsdelikten orientiert. Die Neufassung wurde wesentlich von dem Gedanken her bestimmt, die Strafbarkeit solcher Personen auszuschließen, die an den Ausschreitungen selbst nicht beteiligt waren, sondern durch ihren Anschluss oder ihr Verbleiben in der feindseligen Menschenmenge nur deren Gefährlichkeit gesteigert haben. 1 4 Deshalb wurde die Strafbarkeit der „bloßen" Teilnahme an einer gewalttätigen öffentlichen Zusammenrottung, das bisherige Spezifikum des Landfriedensbruchs, beseitigt, obwohl im Anschluss an § 2 9 5 EStGB 1962 die sog. Garmischer Beschlüsse des Sonderausschusses aus der 5. Wahlperiode, zahlreiche andere Vorschläge und entgegen dem Initiativantrag der SPD/FDP 15 noch der Strafrechtsausschuss des Deutschen Richterbundes und der Gegenantrag der CDU/CSU 16

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Vgl. Schreiber Kriminalistik 1988 2. Hierzu Weingärtner Demonstration und Strafrecht, S. 52; krit. Hamm AnwBl. 1984 57, 58; Tiedemann J Z 1968 761, 764. Klug Prot. VI/187. v. Winterfeld Prot. V / 2 9 7 8 ; aA Kaisbach Prot. V / 2 9 7 8 , S. 2 9 9 6 ; Prot. V/3019, 3 0 2 2 . Tiedemann Prot. VI/205, zurückhaltender J Z 1968 763. Prot. V/2997, 3995. Prot. VI/49, 50, 90, 275; BT-Verh. VI/39, S. 1947 C, 1966 C, D; Klug FS Luchtenberg, S. 139, 143. Kaisbach Prot. V / 2 9 9 7 ; Simon Freiheitliche Verfassung und Demonstrationsrecht, S. 28.

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Prot. VI/118; Müller-Emmert ZRP 1970 1. Kriele ZRP 1969 145. Prot. V / 2 9 7 9 ; VI/40, 63, 65, 90, 154; Niederschriften 13 642. Zum Entwurf des 3. StrRG vgl. Baumann/ Frosch J Z 1970 113. Zu dem Grundanliegen der Neufassung und deren grundsätzlichen Anknüpfungspunkten vgl. Bericht BTDrucks. VI/502, S. 8 f; Laufhütte Prot. 7 / 2 2 4 9 und BTDrucks. 7 / 2 8 8 4 , S. 13 ff zur weiteren Diskussion im Rahmen der Beratungen des 14. StRÄndG. BTDrucks. VI/139. BTDrucks. VI/261.

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daran festgehalten hatten. 1 7 Stattdessen wurde die Strafbarkeit auf Fälle der Beteiligung an Gewalttätigkeiten und Bedrohungen sowie das Aufwiegeln einer Menschenmenge beschränkt. Mit dem Verzicht auf das Merkmal der öffentlichen Zusammenrottung, wie es etwa noch dem § 124 zugrunde liegt, hat sich die Norm vom Charakter eines sog. Massendelikts entfernt. Anklänge in dieser Richtung finden sich nur noch in dem Merkmal der Menschenmenge. 18 Durch den Verzicht auf den räumlichen Anschluss an die Menge enthielt die Neuregelung allerdings für Organisatoren von gewalttätigen Demonstrationen eine Verschärfung gegenüber dem bis 1970 geltenden Recht. 1 9 Die der Neufassung entgegengehaltene Kritik ging vor allem dahin, deren Konzeption sei zu einseitig von ganz bestimmten Erscheinungsformen des Landfriedensbruchs und von der Problematik der sog. Demonstrationsdelikte her bestimmt. 2 0 Kriminalpolitisch fundierte Notwendigkeiten sowie Erkenntnisse der Massenpsychologie blieben außer Betracht. Die Neufassung vermöge nicht die eigentümliche Sog- und Schutzwirkung der hinter den eigentlichen Gewalttätern stehenden Masse und den damit zusammenhängenden Solidarisierungseffekt in befriedigender Weise strafrechtlich zu erfassen. 21 Mit der Beschränkung des § 125 auf Teilnehmer an den Gewalttätigkeiten und auf sog. Anheizer sei der Strafschutz gegen Landfriedensbruch unvertretbar verkürzt. 22 Die Kontroverse um das Demonstrationsstrafrecht war mit dem 3. Strafrechtsreformgesetz nicht abgeschlossen. 23 Vielmehr wurden alsbald Bestrebungen deutlich, eine jedenfalls teilweise Rücknahme der 1970 erfolgten „Liberalisierung" 2 4 zu erreichen und das Demonstrationsstrafrecht zu verschärfen. Sie blieben aufgrund der politischen Machtverhältnisse zunächst ohne Erfolg, wurden jedoch nach dem Regierungswechsel des Jahres 1982 schrittweise vorangetrieben. 25 3. Im Rahmen der gesetzgeberischen Beratungen zum 14. Strafrechtsänderungsgesetz kam es in den gesetzgebenden Körperschaften erneut zu einer kontroversen Diskussion um die Neufassung des § 125, die im Wesentlichen auf die früheren Argumente zurück-

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Vgl. die Synopsis und die Zusammenstellung Prot. VI/235, 2 4 6 , 2 6 2 . Vgl. auch BGH NStZ-RR 2 0 0 1 239, 2 4 0 . Vgl. BGHSt 32 165, 178 ff. Vgl. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1. Vgl. u.a. BTDrucks. 7/2772, S. 7 ff; 9/1258, S. 5; 10/901, S. 4. Vgl. Martin J Z 1975 312, 315; Roos Entkriminalisierungstendenzen im Besonderen Teil, S. 101; Schultz M D R 1983 183 f; Spende! FS von der Heydte, S. 1201, 1209, 1216; Würtenberger FS Peters, S. 209, 219; Wassermann Politische Meinung Heft 2 7 6 (1992) S. 11, 13. Zur Kritik an der Neufassung des § 125 vgl. auch Baumann/Frosch J Z 1970 113; Dreher N J W 1970 1153; Schröder Demonstrationsnovelle, Vorbem. §§ 110 Rdn. 4; Hübner LK 8 Vorbem. vor § 125 Rdn. 5; Schriftl. Bericht SondA, BTDrucks. VI/502, S. 8; Bayer. Gegenvorschlag Prot. V/2910; die

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Empfehlungen des Rechts- und Innenausschusses an den Bundesrat und die an ihn gerichteten Anträge Bayerns und SchleswigHolsteins (BRDrucks. 167/1/2/3/70); die Annahme des Bayer. Antrags im BR (StenBer. BR-Verh. VI/351, S. 7 7 B) und dessen resignierenden Beschluss nach Bestätigung des Gesetzes durch den Vermittlungsausschuss (BRDrucks. 2 2 6 / 7 0 und StenBer. BR-Verh. VI/352, S. 9 9 C-102 C. Vgl. Kast Das neue Demonstrationsrecht, S. 11 f; Meiski Der strafrechtliche Versammlungsschutz, S. 145 ff. Eben J R 1978 136, 137; Jescheck SchwZStr. Bd. 100 [1983] S. 1, 10. Zu den Gesetzesinitiativen bis zum 1. StGB/ VersGÄndG 1985 vgl. Kast Das neue Demonstrationsrecht, S. 11 ff; Weingärtner Demonstration und Strafrecht, S. 41 ff; ferner Hamm AnwBl. 1984 5 7 zugleich zu den argumentativen Gegensätzen.

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griff. 26 Hierbei ging es weiterhin um die Frage, ob das Sich-Anschließen oder das Verweilen in einer unfriedlich gewordenen Menge allein strafwürdiges und strafbedürftiges Unrecht darstellt oder ob es mit der geltenden Fassung des § 125 ausreicht, die eigentlichen Akteure, d.h. Täter oder Teilnehmer an den Gewalttätigkeiten, zu erfassen. Die in den Entwürfen eines Gesetzes zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens des Bundesrates 27 und der CDU/CSU-Fraktion 28 enthaltenen Vorschläge zu einer neuerlichen Änderung des § 125 ließen die geltende Fassung des Absatzes 1 unberührt, sahen jedoch in Absatz 2 einen Auffangtatbestand vor. Danach war der Anschluss an eine Menschenmenge oder das Verweilen in ihr strafbar, falls die Menge die Gewalttätigkeiten in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise unterstützte. 29 Diese Vorschläge konnten sich jedoch nicht durchsetzen; sie wurden vom Sonderausschuss mit Mehrheit abgelehnt. 30 Auch das Vermittlungsverfahren des vom Bundesrat angerufenen Vermittlungsausschusses hatte keinen Erfolg. 31 4. Durch die beiden Gesetzentwürfe der CDU/CSU-Fraktion vom April bzw. Oktober 1977 zum Schutz des inneren Friedens etc. 32 wurden die Vorschläge der 7. Wahlperiode zur Ausweitung des § 125 wieder aufgegriffen. 33 Sie führten mit dem Gesetz zur Änderung des Versammlungsgesetzes vom 25. September 1978 (BGBl. I S. 1 5 7 1 ) 3 4 lediglich zu einer Verschärfung des Versammlungsgesetzes (erweitertes und strafbewehrtes Verbot des Waffentragens; § § 2 Abs. 3, 27 VersG). Eine Erweiterung des § 125 wurde auch durch Einschaltung des Vermittlungsausschusses nicht erreicht. 35 Der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion vom März 1979 zur Änderung des VersG und des StGB, 3 6 der die vorgenannten Vorschläge zur Verschärfung des § 125 übernommen hatte, wurde abgelehnt. 37 Die Gesetzentwürfe der CDU/CSU-Fraktion vom Juni 1981 zum Schutz friedfertiger Demonstrationen 38 und des Bundesrats vom Januar 1982 zur Änderung des VersG und des S t G B 3 9 schlugen ein strafbewehrtes Verbot der Vermummung und passiven Bewaffnung im Versammlungsgesetz vor. In Abweichung von den früheren Vorschlägen sahen die Gesetzentwürfe als weiteres einschränkendes Tatbestandsmerkmal bei § 125 die hoheitliche (polizeiliche) Aufforderung zum Auseinandergehen vor. Nach einem ablehnenden Votum des Innenausschusses 40 wurden die Entwürfe im Bundestag nicht mehr abschließend beraten. 41

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Vgl. Bericht, BTDrucks. 7 / 4 5 4 9 , S. 4 ff; BTDrucks. 7 / 2 8 5 4 , S. 13 ff; Prot. 7 / 2 2 4 9 ff; vgl. Laufhütte MDR 1976 441, 447. BTDrucks. 7 / 2 8 5 4 . BTDrucks. 7 / 2 7 7 2 . Vgl. Entwürfe, BTDrucks. 7 / 2 8 5 4 , 8 f und BTDrucks. 7 / 2 7 7 2 , S. 7 f. BTDrucks. 7 / 4 5 4 9 , S. 4 f. BTDrucks. 7 / 4 8 0 8 ; BTDrucks. 7 / 4 9 3 0 . BTDrucks. 8 / 3 2 2 u. 8 / 9 9 6 . Krit. Eben J R 1978 136, 137. 2. Bericht des RAussch., BTDrucks. 8 / 1 8 4 5 . BTDrucks. 8 / 1 9 8 9 und 8 / 2 0 9 6 . BTDrucks. 8/2677. Bericht, BTDrucks. 8 / 3 7 2 6 u. BT-Verh. 8/216, S. 17325.

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BTDrucks. 9 / 6 2 8 . BTDrucks. 9 / 1 2 5 8 ; s.a. BRDrucks. 2 5 5 / 8 1 . Bericht, BTDrucks. 9 / 1 9 8 5 . Zu den Vorschlägen vgl. Hamm AnwBl 1 9 8 4 57; Stümper Kriminalistik 1981 398; krit. Arzt JA 1982 269, 2 7 3 ; Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 81. Zu den Vorschlägen des Deutschen Richterbundes von 1981 vgl. DRiZ 1981 75 f; zu dem Lummer/Hübner-Entwurf des Landes Berlin vom Februar 1982 s. AusschDrucks. 9 / 4 6 des BT-Innenausschusses, zit. b. Kast Das neue Demonstrationsrecht, S. 19 f.

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5. Mit der 10. Wahlperiode begann eine schrittweise Verschärfung des Demonstrationsrechts. Die Entwicklung nahm ihren Ausgang von der Koalitionsvereinbarung der CDU/CSU und FDP vom März 1983. 4 2 Über Ausgestaltung und Ausnahmeregelungen des § 125 Abs. 2 und 3 gingen die Auffassungen zunächst auseinander. 43 Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf zu § 125 4 4 sah die Einfügung eines Absatzes 2 vor, der an die Begehung von Gewalttätigkeiten etc. i.S. des Absatzes 1 und an die Aufforderung eines Trägers von Hoheitsbefugnissen gegenüber der Menschenmenge zum Auseinandergehen anknüpfte und das Sich-nicht-entfernen sowie den Anschluss an die Zuwiderhandelnden mit Strafe bedrohte. Damit sollte der Verübung gewaltsamer Ausschreitungen aus der Deckung der Menge entgegengewirkt und der bessere Zugriff auf die eigentlichen Gewalttäter erreicht werden. 45 Zu diesem Zweck wurde die Strafbarkeit auf friedliche, einer polizeilichen Aufforderung zum Auseinandergehen zuwiderhandelnde Demonstrationsteilnehmer ausgedehnt, gleichzeitig aber friedlichen Demonstranten und Neugierigen nach Beginn der Gewalttätigkeiten die Möglichkeit zum Rückzug belassen. Das tatbestandsmäßige Verhalten von ausschließlich Dienst- und Berufspflichten ausübenden Personen wurde unter dem Gesichtspunkt der Sozialadäquanz und Pflichtenkollision gerechtfertigt erachtet und auch sog. Abwieglern eine Besserstellung (Strafausschließungsgrund) eingeräumt. Der Vorschlag 46 wurde im Schrifttum nur vereinzelt zustimmend, 47 überwiegend aber ablehnend 48 aufgenommen. Von den im Rechtsausschuss gehörten Sachverständigen 49 wurden mehrheitlich Bedenken gegen einen strafrechtlichen Regelungsbedarf, Eignung und Praktikabilität der Entwurfslösung sowie gegen deren verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit erhoben. 6. Nach der Sachverständigenanhörung hielten die Koalitionsfraktionen an dem Regierungsentwurf nicht mehr fest, sondern suchten nach einer Kompromisslösung, die im Juni 1985 ausformuliert und im Gesetz zur Änderung des StGB und des Versammlungsgesetzes vom 18. Juli 1985 (BGBl. I S. 1511) ihren Niederschlag fand. 5 0 Mit diesem Gesetz, einem Kompromiss mit vergleichsweise restriktiver Tendenz, wurde die „Wende im Demonstrationsstrafrecht" eingeläutet. Der vermutete Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Brokdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1985, 5 1 einer genaueren richterlichen Umgrenzung des Demonstrationsrechts, ist nicht von der Hand zu weisen. 52 Nach dem Gesetz wurde in § 17a VersammlG das vermummte oder passiv bewaffnete Auftreten in einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel zwar nur bußgeldrechtlich erfasst. Derartige Verhaltensweisen wurden allerdings als Vergehen gemäß § 125 Abs. 2 für den strafbar, der in einer unfriedlichen Menge amtlicher Aufforderung zuwider seine passive Bewaffnung/Vermummung nicht ablegte und

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Hierzu Kast Das neue Demonstrationsrecht, S. 2 2 ; Jura Aktuell 1983 5 6 0 . S.a. Gemeinsame Erklärung des BMJ und BMI vom 13.7.1983, recht Nr. 7 / 8 / 1 9 8 3 , S. 5 0 . BTDrucks. 10/901 u. BRD rucks. 3 2 3 / 8 3 . Vgl. Kittlaus RAusschProt. 11/38, S. 27; krit. Baumann StV 1988 37 f. Vgl. Schulz Gesetzgebungsbericht ZRP 1983 284. Aretz ZRP 1983 2 6 4 ; Bickel DRiZ 1984 99; Scholz NJW 1983 705, 711. Vgl. etwa Hamm AnwBl 1984 57; Schnoor

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ZRP 1983 185; Starke/Stein J R 1984 97; Strohmaier ZRP 1985 153; ders. Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 103 ff; s.a. DRiB DRiZ 1983 65 zu der Beweisregel der Abwieglerausnahme des Abs. 3 Nr. 2. RAusschProt. 10/39; Bericht BTDrucks. 10/3580, S. 1. Beschlussempfehlung und Bericht, BTDrucks. 1 0 / 3 5 7 3 u. 1 0 / 3 5 8 0 ; Kast Das neue Demonstrationsrecht, S. 2 2 ff. BVerfG NJW 1985 2395. Vgl. u.a. Kühl NJW 1985 2 3 7 9 u. StV 1987 122, 131.

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sich auch nicht entfernte. Die Aufforderung hatte ihre Ermächtigungsgrundlage im Versammlungsgesetz 53 oder den Polizeigesetzen der Länder. 5 4 Durch den in Absatz 3 enthaltenen Verweis auf § 113 Abs. 3, 4 wurde klargestellt, dass bei Rechtswidrigkeit der polizeilichen Anordnung die Tat nicht strafbar war, wobei als Beurteilungsmaßstab der zu § 113 entwickelte strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff gelten sollte. Die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit von § 125 Abs. 2, einem Vorfeldtatbestand zu Absatz 1, wurde überwiegend bejaht. 5 5 Der neue Absatz erlangte aber keinerlei Bedeutung. Nach der Verurteiltenstatistik sind für die Zeit seiner Geltung nur vier Verurteilungen verzeichnet. 7. Mit dem Gesetz zur Änderung des StGB, der StPO und des Versammlungsgesetzes vom 9. Juni 1 9 8 9 (BGBl. I S. 1059) wurde § 125 Abs. 2 wieder gestrichen. Dafür hat der Gesetzgeber als weiteren Schritt der Verschärfung die allgemeine Strafbewehrung der passiven Bewaffnung und Vermummung für öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel in § 2 7 VersammlG eingeführt. 56

Übersicht Rdn.

Rdn. A. Überblick I. Rechtgut Π. Deliktsnatur ΙΠ. Kriminalpolitische Bedeutung . . . . IV. Verfassungsrecht V. Massenpsychologie und Ursachenforschung kollektiver Gewalt VI. Erscheinungsformen B . Objektiver Tatbestand I. Gewalttätiger Landfriedensbruch (Abs. 1 Nr. 1) 1. Gewalttätigkeiten a) Begriff b) Erheblichkeit der Handlung . . c) Anzahl der Gewalttätigkeiten . . d) Gewalttätigkeiten gegen Menschen e) Gewalttätigkeiten gegen Sachen 2. Menschenmenge a) Begriff b) Mindestzahl c) Räumlicher Bezug d) Grund des Zusammenfindens . e) Öffentlichkeit 3. Aus einer Menschenmenge . . . .

53 54

55

56

1 4 7 10 14 20

28 28 28 30 32 33 37 39 39 40 46 47 48 49

§ 17a Abs. 4 VersG. Zu dem notwendigen Inhalt der Aufforderung s. BayObLG JR 1989 304 m. Anm. Meurer. Z.B. Frowein NJW 1985 2376, 2378; Kühl NJW 1985 2379 u. StV 1987 122, 130; aA Bemmann FS Pfeiffer, S. 58; Strohmaier StV 1985 469, 472. Zur Kritik unter rechtspolitischen und ver-

a) Begriff b) Gewalttätigkeiten innerhalb der Menschenmenge c) Unfriedlichkeit der Menschenmenge 4. M i t vereinten Kräften a) Begriff b) Unfriedlichkeit der Menschenmenge 5. Gefährdung der öffentlichen Sicherheit a) Begriff b) Gefährdung 6. Sich-beteiligen als Täter oder Teilnehmer a) Außenstehende b) Täterschaftliche Beteiligung . . c) Teilnahme d) Psychische Beihilfe e) Vermummung und Passivbewaffnung Π. Bedrohender Landfriedensbruch (Abs. 1 Nr. 2 ) 1. Begriff 2. Angriffsobjekt

49 50 51 52 52 53 54 55 58 63 64 68 72 74 79 80 81 82

fassungsrechtlichen Aspekten vgl. Amelung/ Hassemer/Rudolphi StV 1989 72 ff; Baumann StV 1988 37 ff; Bemmann FS Pfeiffer, S. 53 ff; Hamm StV 1988 40 ff; Jahn J Z 1988 545 ff; Kunert NStZ 1989 449, 452 f; Lenckner in Nörr (Hrsg.) 40 Jahre Bundesrepublik (1990) S. 344 f; Rudolphi StV 1989 74 f; Simon RAusschProt. 11/38, S. 127.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung Rdn. ΙΠ. Aufwieglerischer Landfriedensbruch (Abs. 1 3. Alt.) 1. Einwirken 2. Auf die Menschenmenge 3. Täter C. Subjektiver Tatbestand I. Vorsatz Π. Absicht IE. Irrtumsfragen D. Rechtswidrigkeit

Rdn. £. Täterschaft und Teilnahme F. Versuch und Vollendung G. Konkurrenzen I. Subsidiaritätsklausel Π. Allgemeine Grundsätze H. Rechtsfolgen I. Prozessuales I. Verjährung Π. Geltung für Auslandstaten

83 85 87 90 92 93 94 97

102 103 105 109 111 112 113

A. Überblick I. Rechtsgut 1

§ 125 dient mit wechselnden Schwerpunkten sowohl dem Schutz der öffentlichen Sicherheit als auch dem Schutz der Individualrechtsgüter der durch Gewalttätigkeiten verletzten oder bedrohten Personen. 57 Öffentliche Sicherheit ist gekennzeichnet durch den objektiven Zustand des unbedrohten Daseins aller im Staat sowie durch das subjektive Vertrauen der Bevölkerung in den Fortbestand dieses Zustande. 58 Als Individualrechtsgüter kommen die physische Integrität und das Eigentum sowie die Freiheit von Bedrohungen nach Nummer 2 in Betracht. Der gleichwertige Schutz des Kollektivrechtsguts und von Individualrechtsgütern ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Absatzes 1 Nr. 1 und 2. Daraus geht hervor, dass das Unrecht der Tat durch die kumulative Beeinträchtigung zweier Rechtsgüter gekennzeichnet ist: den Angriff auf bestimmte Einzelne in ihren Individualrechtsgütern und die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.

2

Nach anderer Auffassung kommt als geschütztes Rechtsgut nur die öffentliche Sicherheit in Betracht, weil der dem Einzelnen zukommende Schutz nur eine Reflexwirkung des Gesetzes sei und selbst ganz im Hintergrund stehe. 59 Dies zeige sich auch daran, dass das Opfer einer Gewalttätigkeit nur ihr zufälliges Objekt oder Repräsentant für eine bestimmte Personengruppe sein müsse. 60 Diese Auffassung lässt die vom Gesetzgeber innerhalb des ihm von der Verfassung zugestandenen Ermessensspielraums vorgenommene Konkretisierung des Schutzumfangs des Kerns des strafwürdigen Verhaltens außer Acht. Nach der Neugestaltung des § 125 durch das 3. Strafrechtsreformgesetz setzen der gewalttätige und der bedrohende Landfriedensbruch voraus, dass ganz bestimmte Individualrechtsgüter angegriffen oder bedroht werden, weshalb diese aus dem Schutzbereich nicht ausgeklammert werden können. Beim aufwieglerischen Landfriedensbruch, der mit der Einwirkung im Vorfeld der Gewalttätigkeit oder Bedrohung spezifische Vorberei-

57

OLG Celle N J W 2 0 0 1 2 7 3 5 ; OLG Düsseldorf N J W 1 9 9 0 2 6 9 9 , 2 6 7 0 ; Schäfer M K Rdn. 1; Fischer Rdn. 2 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 ; Lackner/Kühl Rdn. 1; Arzt JA 1 9 8 2 2 6 9 ; aA Meiski Der strafrechtliche Versammlungsschutz, S. 133, 159, der die Versammlungsfreiheit als Rechtsgut ansieht.

59

58

O L G Hamburg N J W 1 9 8 3 2 2 7 3 ; Schäfer M K Rdn. 1; Sch/Schröder/henckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2.

60

214

B G H Z 8 9 383, 4 0 0 ; BGH N S t Z 1 9 9 3 538, Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2 § 6 0 I Rdn. 6; Schmidhäuser BT 12. Kap. Rdn. 1; Geerds J R 1 9 9 0 3 8 4 Fn. 3; vgl. auch Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2: im Wesentlichen ein Delikt zum Schutz der öffentlichen Sicherheit. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 6 0 I Rdn. 6.

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tungshandlungen tatbestandlich verselbstständigt, werden Individualrechtsgüter allerdings nur mittelbar geschützt, weshalb der Individualgüterschutz bei dieser Begehungsform nicht kennzeichnend ist. Der individualschützende Charakter der Norm wird auch durch die Subsidiaritätsklausel des Absatzes 1 letzter Halbsatz belegt. 61 Danach tritt § 125 zurück, wenn die Tat in einer anderen Vorschrift mit schwererer Strafe bedroht ist, es also zu schwerer wiegenden Verletzungen oder Gefährdungen von Individualrechtsgütern gem. den §§ 211 ff, 223 ff, 239, 305 gekommen ist. Dies zeigt, dass der Schutz von Individualrechtsgütern gegenüber demjenigen der öffentlichen Sicherheit in diesen Fällen im Vordergrund steht. 62 Ausgehend davon, dass die öffentliche Sicherheit einen Zustand darstellt, in dem für eine unbestimmte Personenvielzahl innerhalb des betreffenden Staates keine Bedrohung ihrer Individualrechtsgüter besteht und subjektiv befürchtet wird, stellt eine weitere Auffassung den Schutz von Individualrechtsgütern in den Vordergrund. Danach geht es bei § 125 ausschließlich 63 oder vorrangig 64 um Individualrechtsgüter und ist § 125 als konkretes Gefährdungsdelikt gegen eine Vielzahl von Individualrechtsgütern zu qualifizieren.

3

Π. Deliktsnatur § 125 verlagert den Strafschutz im Verhältnis zur Individualstrafnorm vor. Außerdem verschärft er die Strafdrohung, soweit die Vorschrift nicht kraft der Subsidiaritätsklausel zurücktritt. Eigenständigen Charakter entwickelt der Tatbestand erst in der Begehungsform des aufwieglerischen Landfriedensbruchs, der mit der Einwirkung im Vorfeld der Gewalttätigkeit oder Bedrohung spezifische Vorbereitungshandlungen tatbestandlich verselbstständigt 65 und zugleich Auffangcharakter gegenüber den beiden anderen Begehungsformen aufweist. 66

4

Die Vorschrift enthält Elemente eines Massendelikts und eines Individualdelikts. Ihr Charakter als Straftat gegen die öffentliche Sicherheit ist, wie vor allem die Subsidiaritätsklausel ergibt, stark entwertet. Maßgeblich bei den ersten beiden Begehungsformen ist nicht mehr der Anschluss an eine unfriedliche Menge; eigentlicher Strafgrund ist vielmehr die Beteiligung an den Gewalttätigkeiten und Bedrohungen, 67 die - insoweit Restbezug zu einem Massendelikt - mit vereinten Kräften aus einer räumlich vereinigten, unüberschaubaren Personenvielfalt heraus begangen werden; das lässt die Angriffe als besonders gefährlich und für die Betroffenen bedrohlich erscheinen. Unter dem Gesichtspunkt gesteigerter Gefährlichkeit ist zu beachten, dass schon eine überwiegend friedlich gestimmte Menge - ungeachtet fehlender Solidarisierung - die Tatbegehung der Gewalttäter aus der Deckung erleichtert und deren Identifizierung und Ergreifung erschweren kann. 6 8

5

§ 125 ist kein Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs. 2 BGB. 6 9

61

62

63 64

Schäfer MK Rdn. 1; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2, Ostendorf NK Rdn. 6, zweifelnd Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2. Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Ostendorf NK Rdn. 6; zweifelnd Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 2. Hoyer J R 2 0 0 2 34, 36. Ostendorf NK Rdn. 6.

65 66

67

68 69

6

Vgl. OLG Braunschweig NStZ 1991 4 9 2 . Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 II Rdn. 32. BGHSt 32 165, 178; Otto NStZ 1986 71; Meyer GA 2 0 0 0 459. Vgl. Arzt JA 1982 269, 271. BGHZ 89 383, 4 0 0 ; Kornblum JuS 1986 607.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

ΙΠ. Kriminalpolitische Bedeutung 7

§ 125 hat nach der polizeilichen Kriminalstatistik und der Verurteiltenstatistik des Statistischen Bundesamtes eine relativ geringe Bedeutung. 70 8 Die polizeiliche Kriminalstatistik und die Rechtspflegestatistik des Statistischen Bundesamtes weisen für § 125 und § 125a folgende Zahlen aus: Erfasste Fälle nach der polizeilichen Kriminalstatistik

Verurteilte nach der Statistik des Statistischen Bundesamtes 71

§ 125 und § 125a

9

§ 125

§ 125a

1999

1376

136

65

2000

1048

101

44

2001

1284

214

48

2002

1714

137

48

2003

1369

148

36

2004

1362

154

47

2005

1705

90

37

2006

1918

97

22

Bei der Bewertung der Zahlen des Statistischen Bundesamtes ist die Subsidiaritätsklausel des § 125 zu beachten. Diese führt dazu, dass ungeachtet der Tatbestandserfüllung in einer nicht geringen Zahl von Fällen diese statistisch nicht als Landfriedensbruch erfasst werden.

IV. Verfassungsrecht 10 11

§ 125 ist grundgesetzgerecht, er kollidiert nicht mit Art. 5, 8 GG. 72 Art. 8 GG schützt die Freiheit des Einzelnen, sich mit anderen zu einem gemeinsamen Zweck zu versammeln. 73 Praktisch bedeutsam ist die Versammlungsfreiheit, die in engem Kontext mit der Meinungsfreiheit steht, vor allem im politisch-demokratischen Prozess. Dort wird sie als Demonstrationsfreiheit wahrgenommen, die es als solche neben Art. 8 GG nicht gibt. Demonstrationen tragen zur gebündelten Artikulation politischer Mei-

70 71

72

73

Vgl. auch Ο Stendorf NK Rdn. 7 f. Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes, Rechtspflege, Fachserie 10 Reihe 3. Vgl. BGHSt 23 46, 57; Kühl NJW 1985 2379; 1986 875; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 3; Fischer Rdn. 2. Vgl. BVerfGE 69 315 (Brokdorf); 73 206 (Sitzblockaden I); 76 211 (General Bastian);

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82 236 (Schubart), 84 203 (Republikaner); 85 69 (Eilversammlungen); 87 399 (Versammlungsauflösung); 104 92 (Sitzblockaden III); NJW 2000 3053 (Rudolf-Heß-Gedenkfeier); 2001 1409 (Holocaust-Gedenktag); 2001 2069 (NVU-Versammlungsverbot); 2001 2072 („Herren im eigenen Land"); 2001 2076 (1. Mai); 2001 2459 („Love Parade").

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nungen in der Öffentlichkeit bei und ergänzen den Prozess der institutionalisierten Willenbildung in der repräsentativen Demokratie. 7 4 Eine Versammlung i.S. von Art. 8 G G ist tatbestandlich weit zu verstehen. Sie liegt bereits vor bei einer aus zwei oder mehr Personen bestehenden Gruppe, die durch das Zusammentreffen einen gemeinsamen Zweck verfolgen, der sie innerlich verbindet. Eine solche innere Verbindung fehlt mangels gemeinsamer Zweckverfolgung bei zufälligen, nur kurzfristigen Ansammlungen, ausgelöst etwa durch einzelne Flugblattverteiler, bei einem politischen Infostand, bei dem Auflauf Schaulustiger an einer Unfallstelle 75 oder bei rein unterhaltenden und kommerziellen Veranstaltungen wie Konzerte oder Sportveranstaltungen. 76 Art. 8 GG schützt nur versammlungsspezifische Verhaltensweisen, die friedlich und ohne Waffen erfolgen; anderenfalls können sich die Versammlungsteilnehmer von vornherein nicht auf den Schutz des Art. 8 GG berufen. 7 7 Unfriedlich sind Versammlungen, deren Zweck oder Verlauf Straftaten gegen Leib, Leben, Freiheit oder sonstige erhebliche Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit wenn auch nur versuchsweise mit sich bringen. 7 8 Die Abgrenzung zwischen friedlichen und unfriedlichen Versammlungen ist stark umstritten und richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Unfriedlich ist eine Versammlung jedenfalls dann, wenn sie einen gewalttätigen Verlauf i.S. eines Einsatzes körperlicher Gewalt gegen Personen oder Sachen nimmt 7 9 oder unmittelbar zu nehmen droht. 8 0 Maßgeblich für die Bestimmung des Schutzbereichs von Art. 8 GG ist das (un-) friedliche Verhalten der einzelnen Versammlungsteilnehmer, nicht die Versammlung als solche. Die Begehung von Gewalttätigkeiten durch einzelne Demonstranten oder eine Minderheit lässt zwar für diese den Grundrechtsschutz entfallen, 81 berührt aber nicht die Gewährleistung des Art. 8 GG für die friedlichen Versammlungsteilnehmer. 82 Etwas anderes gilt nur, wenn der Versammlungsveranstalter oder -leiter oder die Mehrzahl der Teilnehmer sich unfriedlich verhalten, dann verliert die Versammlung insgesamt ihren friedlichen Charakter. 8 3

12

Da ξ 125 gewalttätiges Handeln, Drohungen mit Gewalttätigkeiten und zu dem einen oder anderen aufreizendes Handeln unter Strafe stellt, Art. 8 GG aber nur das Recht zu friedlicher Versammlung gewährleistet, verstößt der Tatbestand des Landfriedensbruchs nicht gegen Art. 8 GG. Ernsthafte Aufrufe zu friedlichen Demonstrationen fallen im Hinblick auf Artikel 5 und Art. 8 GG auch dann nicht unter § 125, wenn - dem Aufrufenden bewusst - nicht auszuschließen ist, dass sich der Veranstaltung gewalttätige Gruppen anschließen könnten. 8 4 Etwas anderes gilt jedoch bei auf Unfriedlichkeit angelegten Aufrufen zu rechtswidrigen, nicht genehmigten Großaktionen, bei denen bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen eingeplant, Ausschreitungen unvermeidbar sind und verbale Hinweise auf Gewaltfreiheit nur als tarnendes Beiwerk erscheinen. 85

13

74

75 76

77

78 79

Dreier/Scbulze-Fielitz GG Bd. 1 Art. 8 Rdn. 16. Vgl. Drosdzol JuS 1983 409. Vgl. BVerfGE 6 9 3 4 3 ; zum umstrittenen Versammlungscharakter bei Unterhaltungsveranstaltungen wie Rockkonzerten u.a. vgl. v. Mutius Jura 1988 30, 35 f; DreierISchulzeFielitz GG Bd. 1 Art. 8 Rdn. 2 5 ff. BVerfGE 6 9 315, 360; Maunz/Dürig GG Art. 8 Rdn. 78 ff. Dreiet/Schulze-Fielitz GG Art. 8 Rdn. 40. Vgl. BVerfGE 6 9 315, 360; 7 3 2 0 6 , 2 4 8 ; 104 92, 106.

80 81 82

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84 85

Dreier/Schulze-Fielitz Art. 8 Rdn. 4 0 . Vgl. BVerfGE 73 2 0 6 , 248. BVerfGE 6 9 316, 361; Frowein NJW 1985 2 3 7 6 , 2 3 7 8 ; Kühl NJW 1985 2379, 2 3 8 3 ; Ridder/Breitbach/Ladeur Versammlungsrecht GG Art. 8 Rdn. 30; einschränkend Maunz/ Dürig GG Art. 8 Rdn. 85. Vgl. Dreier/Schulze-Fielitz GG Art. 8 Rdn. 47. BGHSt 32 165, 179. BGHSt 32 165, 179 f.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

V. Massenpsychologie und Ursachenforschung kollektiver Gewalt 14

Die Diskussion um Reform, Ausgestaltung und Erweiterung/Wiederverschärfung des Landfriedensbruchtatbestandes war und ist nicht unmaßgeblich bestimmt von der massenpsychologisch begründeten Gefährlichkeit. 86 Die Beurteilung des Massenverhaltens (Kollektivgeschehen) durch die (klassische) Massenpsychologie, nach Stroebe/Hewstone87 ein eher überholter Begriff, geht insbesondere auf Le B o n 8 8 mit Stichworten wie Massenseele, Massenbewusstsein zurück; deren Thesen sind allerdings durch die moderne Sozialpsychologie erheblich relativiert worden. 8 9 Sie fußt auf der Annahme einer großen Ansammlung von Menschen innewohnenden Unberechenbarkeit und spezifischen Gefährlichkeit, die sich vor allem auf das gemeinschaftliche Massegefühl gründe, das die Einzelnen erfasse, ihr Verhalten ändere und zu einem affektiv bedingten Kontrollverlust führe. 9 0 Das normalerweise Gewalttätigkeiten entgegenstehende Verantwortungsgefühl des Einzelnen werde aufgrund des Wir- oder Gruppenbewusstseins in der Masse herabgesetzt und gleichzeitig das Kraftgefühl als Mitglied der Menge gesteigert. 91 Im Gefühl geballter Macht, in der verantwortungslähmenden und die potentielle Gewaltbereitschaft fördernden Anonymität, impulsiv und unberechenbar, wird die Masse als ein Explosivstoff angesehen, 92 der hohe Anziehungskraft und Sogwirkung auf Unbeteiligte auslöse. Springe der zündende Funke auf und komme es zur Entladung, ließen sich die losbrechenden Gewalten kaum abfangen und meist nur schwer eindämmen; ehe man ihrer Herr werde, seien gewöhnlich Personen- und Sachschäden, oft schlimmster Art, angerichtet. 93 Weiter wird auf die leichte Lenkbarkeit der Masseninstinkte, insbesondere durch eine zielgerichtete Führungsgruppe hingewiesen. 94 Zurückhaltender formuliert beruht die Gefährlichkeit danach auf gruppendynamischen Prozessen, die über den Abbau von Hemmschwellen bis zur Gleichschaltung von Motivationen im Sinne einer psychischen Solidarisierung führen (können). 95

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Vgl. BTDrucks. 7/2112, S. 7; 7/4549, S. 5; 9/1258, S. 5; 10/901, S. 4 Sozialpsychologie (1990) S. 11 f. Psychologie der Massen, 1895/1931. Vgl. Jäger Individuelle Zurechnung kollektiven Verhaltens, S. 15; Hofstätter Einführung in die Sozialpsychologie, S. 180; ders. Gruppendynamik - Kritik der Massenpsychologie (1957/1982) S. 7; s.a. die kritische Darstellung bei Kostaras Demonstrationsdelikte, S. 42 ff, 50 ff, 158; Tiedemann JZ 1968 761, 763 f. Hierzu Jäger Individuelle Zurechnung kollektiven Verhaltens, S. 37 ff; Kühl NJW 1986 874, 880; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 II Rdn. 15 f; Schreiber Kriminalistik 1988 2; Sonnen JA 1982 566, 567; Starke/ Stein JR 1984 97, 98 f; Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 115 ff; Tiedemann JZ 1968 762, 764; Schneider JZ 1992 499, 508 ff; Werle FS Lackner, S. 481, 488. Vgl. auch Meyer GA 2000 459, 468.

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Vgl. Arzt/Weber BT § 44 I Rdn. 6; Schreiber Kriminalistik 1988 2. Zu den Erscheinungen und Erfahrungen im Spiegel massenpsychologischer Analyse vgl. Canetti Masse und Macht, S. 17, 51, 84; Dreher NJW 1970 1153,1160; Grabowsky Massenproblematik, S. 137,146,155; Heinitz JR 1956 3, 4; Heiss Der Einzelne, die Masse und die Geschichte, S. 118, 124; Kern Vom Seelenleben des Verbrechers, S. 179 ff; Reiivald Vom Geist der Massen, S. 16, 22, 54 f; ferner Prot. VI/45, 47 f, 167,171,177,182. Vgl. Schreiber Kriminalistik 1988 2. Sonnen JA 1982 566, 567; Starke/Stein JR 1984 97, 98; Schreiber Kriminalistik 1988 2; Streng Jura 1995 182, 189; skeptisch zu den Mechanismen des Hemmungsabbaus in Massen und differenzierend für Gruppentäter Jäger Individuelle Zurechnung kollektiven Verhaltens, S. 37 ff. Zum Wirksamwerden gruppendynamischer Kräfte vgl. Schumacher NJW 1980 1880, zu gruppenspezifischen Einflüssen auf den Einzelnen als sozialpsy-

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Landfriedensbruch

Den massenpsychologischen Annahmen wird teilweise entgegengehalten, dass sie das Kollektivgeschehen vereinheitlichen, statt das Individuum und die individuellen Verhaltensänderungen unter dem Einfluss der Massenphänomene in den Vordergrund der Untersuchung zu stellen. 96 Nur eine Vielzahl von Faktoren im unmittelbaren Umfeld des Einzelnen könne dessen weiteres Verhalten beeinflussen. 97 Zudem wird ihre Ambivalenz unter dem Aspekt geminderter persönlicher Vorwerfbarkeit verwirklichten Unrechts aufgezeigt. 98 Vor allem wird hervorgehoben, dass die vom Strafrecht rezipierten „Erkenntnisse der Massenpsychologie" bloße Thesen, aber keine empirisch gesicherten Forschungsergebnisse seien. 99

15

Unabhängig davon wird kaum in Frage zu stellen sein, dass kriminelles Handeln in der Masse jedenfalls von einer „kollektiven Dynamik" beeinflusst wird oder werden kann, weil der Einzelne empfänglich ist für die von anderen ausgehenden Handlungsanreize. Dies kann eine nicht unerhebliche Gefährlichkeit begründen. 1 0 0 Dies gilt vor allem in Ansammlungen unter freiem Himmel mit unbegrenzter Teilnehmerzahl. 101 Indes sind solche allgemeinen Erkenntnisse ohne Situationsbezug und ohne Berücksichtigung potentieller Umfeldfaktoren zu undifferenziert, um sie im Spannungsfeld zwischen grundgesetzlich verbürgter Demonstrations- und Versammlungsfreiheit (i.S. kollektiven Auftretens) und Kontrolle, Prävention, gefahrenbedingter Beschränkung sowie Strafbewehrung zu gesicherter Abschichtung nutzbar machen zu können.

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Die massenpsychologischen Ansätze werden heute - vor allem auch mit der Zielrichtung von Prävention und Kontrolle - maßgeblich überlagert von differenziert gewaltphänomenologischen Untersuchungen und spezifischer Gewaltursachenforschung. 102 Als zum Teil langfristig wirkende Ursachenketten auch von kollektiven Gewaltphänomenen werden Bedingungen des Heranwachsens, 103 Störungen der Identitätsfindung, Cliquenzugehörigkeit, Stimulationsbedarf, die Gewaltbereitschaft fördernde Sozialisationseinflüsse bei Jugendlichen, Perspektivlosigkeit, diffuse Existenzängste, unreflektierte Frem-

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chologischem M o m e n t bei kollektiver Gewalt Stroebe/Hewstone Sozialpsychologie, S. 275 ff, 4 0 0 ff; s.a. Ohder Gewalt durch Gruppen Jugendlicher aus sozialpsychologischer Sicht, S. 6 7 ff, 2 2 9 f. Vgl. Jäger Individuelle Zurechnung kollektiven Verhaltens, S. 14. Kostaras Z u r strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 50 ff, 158; Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 116. Baumann/Frosch J Z 1970 113, 121; Starke/Stein J R 1984 97, 98 f; Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 117; s.a. Schumacher N J W 1980 1880, 1883 f. Vgl. Jäger Individuelle Zurechnung kollektiven Verhaltens, S. 14; Kühl N J W 1986 874, 880; Strohmaier Die R e f o r m des Demonstrationsstrafrechts, S. 116; Tiedemann J Z 1968 761, 764. Vgl. Kühl N J W 1986 874, 880; Jäger Individuelle Zurechnung kollektiven Verhaltens,

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S. 7, 15; Meyer GA 2 0 0 0 459, 4 6 9 ; Maurach/Schroeder/Maiwald B T 2 § 60 II Rdn. 16; Ο Stendorf N K R d n . 1; Schild GA 1982 69 ff; Kostaras Z u r strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 4 2 ff. Vgl. v. Mutius Jura 1988 79, 80. Insoweit kann u.a. auf den Trierer Forschungsbericht 1993 (Willems/Würtz/ Eckert) und auf die (Sekundär-) Analysen und Vorschläge der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Hrsg. Schwind/ Baumann 1990) hingewiesen werden, deren Einschätzung allerdings durch nicht unerhebliche Meinungsdifferenzen bestimmt ist (vgl. Bd. 1 Rdn. 371; Bd. 2 S. 64, 5 2 6 , 671, 806, 914, 930). Z u einer Z u s a m m e n s c h a u von Befunden aktueller Gewaltphänomene und kriminologischer Erklärungsansätze vgl. Streng Jura 1995 182 m.w.N. Ohder Gewalt durch Gruppen Jugendlicher aus sozialpsychologischer Sicht, S. 177 f.

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denfurcht, Wertkonflikte und politische Einfluss- bzw. Beteiligungsdefizite g e n a n n t . 1 0 4 Gewalttätige Ausschreitungen können politisch motiviert sein oder andere Ursachen h a b e n . 1 0 5 Nicht politisch motivierte öffentliche Krawalle/Randale/Zusammenrottungen sind in ihrer Zielrichtung und Opferauswahl meist willkürlich, oft ohne ersichtlichen Anlass, wie Ausschreitungen zumeist junger, kollektiv agierender Gewalttäter (Stadtgangs, Rockerbanden) als spezifisches Großstadtproblem oder aus Anlass von bestimmten Veranstaltungen. 1 0 6 Beim Zusammenfinden stehen affektive und emotionale Kräfte im V o r d e r g r u n d . 1 0 7 In diesen Zusammenhang gehört auch die Gewalt innerhalb und außerhalb des Stadions in F o r m von vandalistischen Akten, Sachbeschädigungen und Gewalttätigkeiten gegenüber anderen Zuschauern und Passanten. 1 0 8 Im Bereich der politisch motivierten Gewalt stehen vor allem die gewalttätigen Ausschreitungen im Z u s a m m e n h a n g mit Demonstrationen im Blickfeld. 1 0 9 Der Ausbruch gewaltsamer Gruppen- und Massenkonflikte und ihr Verlauf wird wesentlich von der emotionalisierenden Wirkung des Demonstrationsanliegens auf die Teilnehmer und von Art und Intensität der Konfliktinteressen der Trägergruppen bestimmt. Eine nicht unwesentliche Rolle spielen hierbei auch Präsenz und Verhalten der Polizei in der akuten Konfliktsituation. Denkbar sind drei - möglicherweise übergreifende - situationsbedingte F o r m e n : expressive Gewalt als spontaner Ausdruck des Protests, instrumenteile Gewalt als Mittel zur Erzwingung oder Verhinderung von politischen Entscheidungen und Eskalationsgewalt, die sich aus Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizeikräften entwickelt. 1 1 0 Die Z u n a h m e und gruppendynamisch bedingte Eskalation mit oder ohne Demonstrationszusammenhang (z.B. fremdenfeindliche Ausschreitungen) kann aber auch durch staatliche Unterreaktionen infolge mangelnder polizeilicher Präsenz oder Durchsetzungsfähigkeit (Rostock, Hoyerswerda, H a n n o v e r ) gefördert werden. 1 1 1 Z u r Steigerung des Protestpotentials, das bei mangelnder Kanalisierung in gewalttätige Protestformen umschlagen kann, können Faktoren wie die Diskrepanz zwischen Politik und Werterwartungen (z.B. ökologisches Bewusstsein), ein politisch aufgeheiztes kontroverses Themenfeld (z.B. Asylproblematik, Raketenstationierung), objektive politische Defizite oder Fehlentscheidungen (z.B. Wohnungsbausektor: Hausbesetzerkonflikte, Luxussanierung; Betriebsschließungen etc.), politische Skandale, Perspektivlosigkeit vor allem junger Menschen (Arbeitslosigkeit, Massenentlassungen) beitragen. 1 1 2 Charakteristische Phänomene im Problembereich der Demonstrationsexzesse sind die reisenden Gewalttäter der autonomen Szene, insbesondere auch die militanten sogenannten schwarzen Blöcke. 1 1 3

Hierzu Ohder Gewalt durch Gruppen Jugendlicher aus sozialpsychologischer Sicht, S. 161 ff, 2 3 0 ff, 246 f; Schwind/Winter NStZ 1990 105, 108 f. 1 0 5 Vgl. Schreiber Kriminalistik 1988 2. 1 0 6 Vgl. Geerds Rechtsfriedensdelikte, S. 4. 1 0 7 Vgl. Schumacher NJW 1980 1881. 108 Yg] Böttger Die Gewalt der Hooligans; Nijboer/Althoff MschKrim 2 0 0 6 246; Farrington MschKrim 2 0 0 6 193. 109 Schwind/Baumann Gewaltursachen, Bd. 1 Rdn. 90, 314, 328; zu rechtextremistischen Demonstrationen und Ausschreitungen vgl. BTDrucks. 16/4675, S. 26 f; 16/5708; Gusy J Z 2 0 0 2 105. 104

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Vgl. Schwind/Winter NStZ 1990 105, 109; s.a. Kunert/Bernsmann NStZ 1989 449, 454; Ridder/Breitbach/Bertuleit/Herkströter Versammlungsgesetz § 17a Rdn. 8. Vgl. Willems u.a. Trierer Forschungsbericht, S. 140. Zusammenfassend zu den Ergebnissen der Unabhängigen Gewaltkommission vgl. Schwind/Winter NStZ 1990 105, 109. Vgl. auch Breucker Tansnationale polizeiliche Gewaltprävention - Maßnahmen gegen reisende Hooligans (2003); ders. NJW 2 0 0 4 1631.

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Landfriedensbruch

§ 125

Außerhalb des Demonstrationsbereichs stehen (seit 1991 in gesteigerter Dimension) 1 9 ausländerfeindliche Ausschreitungen im Vordergrund, die sich als Störung der öffentlichen Sicherheit qualifizieren.114 Für ein adäquates Verständnis der Genese und Durchführung fremdenfeindlicher Gewalt sind - zu den bereits genannten potentiellen Anknüpfungspunkten hinzukommend - sowohl gruppendynamische Aspekte (Konformitätsdruck,115 Solidaritätszwang, Imponiergehabe, Enthemmung, Stimulierung, Thematisierung von Medienereignissen und Nachahmungseffekte) als auch Überlegungen zur Eskalation von Konflikten bis hin zu kollektiven Krawallen maßgeblich. Über den typischen Gruppenkontext hinausgehend bilden vor allem Zusammenrottungen und Massensituationen einen wichtigen Ausgangspunkt für derartige Übergriffe, die neben (zunehmend organisierten) rechtsextremistischen Gruppierungen, insbesondere gewaltorientierten Skinhead- und Faschogruppen, sowie sonstigen fremdenfeindlichen und gewaltaffinen Gruppen (Hooligans, Heavy-Metal-Freaks etc.) und delinquenten Jugendgangs zuzuschreiben sind.116 Es handelt sich um Mischformen von Steuerung/Planung und Spontaneität/situativen Eskalationsprozessen.117 Konkrete herausragende Exzesse (Rostock, Hoyerswerda) haben Mobilisierungs- und Rekrutierungseffekte und führen zu einer Einpendelung auf höherem Eskalationsniveau.118 VI. Erscheinungsformen Die heute übliche Umschreibung des Sachbereichs als Demonstrationsstrafrecht119 ist, 2 0 da gewalttätige Demonstrationen und deren Vorfeld den Hauptanwendungsbereich der Norm bilden, zwar insoweit durchaus aussagekräftig, vermag aber die Palette der vielfältigen Erscheinungsformen des Landfriedensbruchs nicht hinreichend zu erfassen. Die Begriffswahl erklärt sich aus der Reduzierung der kontroversen Diskussion auf die strafrechtliche Behandlung unfriedlicher Demonstrationen. Sie macht aber nicht deutlich, dass als Landfriedensbruch auch ganz andere Sachverhalte bis hin zu handfesten Dorfstreitigkeiten erfasst werden.120 Die Ursachen und Erscheinungsformen des Landfriedensbruchs unterliegen vielfälti- 21 gen zeitbedingten Strömungen.121 Sie knüpfen an unterschiedlichste Problembereiche und

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Statistisches Material bei Willems u.a. Trierer Forschungsbericht S. 7 f, 14 f, 37; zu rechtsextremistischen Demonstrationen vgl. auch Gusy J Z 2 0 0 2 105; BTDrucks. 16/4675, S. 26 f; BTDrucks. 16/5708.

Jäger Individuelle Zurechnung kollektiven Verhaltens, S. 7, 37. 1 , 6 BTDrucks. 12/4440; Willems Trierer Forschungsbericht, S. 9, 48, 109,137. 117 vgl Willems Trierer Forschungsbericht, S. 38 ff, 109, 138. 1 1 8 Vgl. Willems Trierer Forschungsbericht, S. 9 f; zum Gefährdungspotential S. 97 f; zum Gruppenbezug S. 30, 38, 48, 136 und zur kollektiven Dynamik S. 90, 101, 109; zu Ausländerfeindlichkeit und Jugendgruppengewalt Ohder Gewalt durch Gruppen Jugendlicher aus sozialpsychologischer Sicht, S. 145 ff.

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Zum Begriff Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 15; Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 11; Weingärtner Demonstration und Strafrecht, S. 41; Werle FS Lackner, S. 481; vgl auch Kühl NJW 1985 2 3 7 9 u. StV 1987 1 2 2 , 1 3 0 . Vgl. BGHSt 14 132. Zu Erscheinungsformen und Ursachen Geerds Rechtsfriedensdelikte, S. 4 f; Heitmeyer Bielefelder Rechtsextremismus-Studie 1992; Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 53 ff; Schumann StV 1993 324; Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 52 f; Willems u.a. Trierer Forschungsbericht, S. 6 ff, 38 f.

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§ 125

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Themen im politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftspolitischen und Umweltbereich wie auch im sozialen Umfeld und Großstadtmilieu an. Ein Markstein in der Entwicklung 1 2 2 und ein Ausdruck zuvor unbekannt heftiger Demonstrationsqualität war die Ende der sechziger Jahre beginnende Protestwelle der jungen Generation, insbesondere der Studenten, gegen die etablierte Autorität; sie richtete sich vor allem gegen staatliche Stellen, universitäre Einrichtungen, Wirtschaftsunternehmen, mit „antiimperialistischen" Schlagworten gegen Politikinhalte, auch im außenpolitischen Bereich (Anti-Schah-Demonstration). 1 2 3 Neue Formen kollektiv-demonstrativer Aktionen zur Einwirkung auf die politische Meinungsbildung ließen alsbald ein spürbares Spannungsfeld zwischen den Grundrechten der Art. 5 und 8 GG und den damals einschlägigen Vorschriften des 6. und 7. Abschnitts sowie des § 2 4 0 StGB (Blockaden, Gewaltbegriff, Tangieren der Rechtssphäre Unbeteiligter) 124 erkennbar werden. Derartige Aktionen eskalierten nicht selten zu heftigen Ausschreitungen bis hin zu regelrechten Straßenschlachten. Signifikant waren in der Folgezeit etwa Zusammenrottungen im Zusammenhang mit der Hausbesetzerszene und Demonstrationen gegen Häuserabrisse. 22

Ende der siebziger Jahre begann eine Zeit zunehmender Großdemonstrationen, die Raketenstationierungen, Errichtung von Kernkraftwerken, Wiederaufbereitungsanlagen, Flughafenerweiterung und Umweltzerstörung zum Thema hatten und durch - zumindest z.T. - unfriedliche, das eigentliche Demonstrationsanliegen pervertierende Abläufe, vereinzelt durch bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen (Startbahn-West-Fall) gekennzeichnet waren. Eine besondere Problematik ergab sich hierbei aus der auf Umfunktionierung friedlicher Demonstrationen angelegten Beteiligung von reisenden Gewalttätern aus dem autonomen Lager. 1 2 5

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Das Jahr 1990 kennzeichnet den Beginn ausländerfeindlicher Ausschreitungen aus der rechtsextremistischen Szene (z.B. Rostock, Hoyerswerda). 126 Rechtsradikale Exzesse äußern sich in demütigenden Parolen, Hetzjagden auf Ausländer (Magdeburg 1994), brennenden Asylheimen, Ausschreitungen gegen nationale Gedenkstätten, Brandanschlägen auf Synagogen und sogar in (versuchtem) Mord. 1 2 7 In diesem Rahmen ist vor allem der Problembereich der rechtsextremistisch beeinflussten Skinhead-Szene zu nennen. 1 2 8 Als weiteres zentrales Feld ergeben sich nicht politisch motivierte Ausschreitungen von kollektiv agierenden Gewalttätern, die mit den Stichworten Großstadtkrawalle und Gewalt im Stadion oder im Umfeld von Stadien (Hooligans) am treffendsten umschrieben werden können. 1 2 9

Vgl. hierzu Roos Entkriminalisierungstendenzen im Besonderen Teil, S. 89 ff. 123 Yg] hierzu die Beiträge bei Allerbeck/Rosenmayr Aufstand der Jugend; ferner Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 52. 1 2 4 Vgl. Schwind/Baumann (Hrsg.) Gewaltursachen Bd. 1 Rdn. 101, 380 u. Thesen 18 u. 19, S. 216. 1 2 5 Vgl. Schwind/Winter NStZ 1990 105, 108. 1 2 6 Hierzu Leutheusser-Schnarrenberger JZ 1993 9 4 3 ; zu rechtsextremistischen Demonstrationen vgl. auch Gusy J Z 2 0 0 2 105; Knape Die Polizei 2 0 0 7 151 ff; BTDrucks. 16/4675, S. 26 f; BTDrucks. 16/5708. 1 2 7 Vgl. BGH 4 StR 81/94 v. 28.4.1994, 4 StR 122

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105/94 v. 7.6.1994; 4 StR 5 5 2 / 9 4 v. 17.11. 1994; BT-Verh. 12/227, S. 19607 ff, 19668 zugl. zu den bundesgesetzlichen Konsequenzen. Heitmeyer Bielefelder Rechtsextremismusstudie, S. 362; Kalinowsky Rechtsextremismus und Strafrechtspflege, S. 2 0 , 115; Schumann StV 1993 324, 325. Geerds Rechtsfriedensdelikte, S. 4; Ohder Gewalt durch Gruppen Jugendlicher aus sozialpsychologischer Sicht, S. 30 f; Ostendorf StV 1993 545; Schwind/Winter NStZ 1990 105, 107; Böttger Die Gewalt der Hooligans; Nijboer/Althoff MschKrim 2 0 0 6 2 4 6 ; Farrington MschKrim 2 0 0 6 193.

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Landfriedensbruch

§ 125

Dass der Landfriedensbruch ist kein ausschließliches Demonstrationsdelikt 1 3 0 ist, sondern viele Gesichter hat, wird aus den in Rechtsprechung und Schrifttum behandelten Fallgestaltungen deutlich:

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Angriffe gegen die Staatsgewalt 131 wie aufrührerische Revolten 1 3 2 oder der Sturm auf öffentliche Gebäude und ihre Besetzung; 1 3 3 Ausschreitungen gegen missliebige Bevölkerungsteile; 134 Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten gegen Ausländer (z.B. Rostock, Hoyerswerda, Magdeburg), insbesondere durch rechtsradikale Skinheads oder sonstige gewalttätige Cliquen; 1 3 5 rechtsextremistische Demonstrationen; 1 3 6 Gegendemonstrationen der sogenannten Antifa-Szene gegen rechte Aufmärsche; 1 3 7 parteipolitische Gegnerschaft; 1 3 8 nicht politisch motivierte öffentliche Randale kollektiv agierender Gewalttäter i.S. eines gewalttätigen „Austobens" als spezifisches Großstadtproblem; 1 3 9 jugendliches Bandenunwesen, Rockerkrawalle; 1 4 0 Zerstörungslust; 1 4 1 Arbeitslosenunruhen; 142 Streiks; 143 Betriebsrevolten; 144 Plünderung von Lebensmitteln; 145 Selbstjustiz; 146 Protestmärsche gegen Regierungsmaßnahmen; 147 Dorf- und Nachbarstreitigkeiten; 148 Ausschreitungen bei Tanzveranstaltungen; 149 Auschreitungen zwischen rivalisierenden ausländischen Gruppen; 1 5 0 Fanatismus religiöser A r t ; 1 5 1 Randale bei Sportgroßveranstaltungen und Gewalt im Stadion durch Fußball-Hooligans; 1 5 2 Demonstrationen gegen das sog. „establishment", organisierte Störungen des Universitätsbetriebs und Studentenrevolten; 153 Blockaden gegen Presseunternehmen und Verlage; 1 5 4 Großdemon-

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Zum Begriff vgl. BayObLG NJW 1970 1653; Kühl NJW 1985 2379; Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 62 f, 80 ff; Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 52 ff, 193 f; Ott Das Recht auf freie Demonstration, S. 14. RGSt 9 143; 55 35, 36. RGSt 53 46, 257; 56 281. RGSt 55 35, 36 f; 54 85. BGHSt 2 279; OGHSt 1 198, 249, 284; 2 94, 179, 209, 364. Vgl. BGH NStZ 2000 194; BGH 4 StR 105/94 v. 7.6.1994; OLG Naumburg NJW 2001 2034; Heitmeyer Bielefelder Rechtsextremismus-Studie 1992; Kalinowsky Rechtsextremismus und Strafrechtspflege, S. 115; Schumann StV 1993 325; Willems Trierer Forschungsbericht S. 136 ff; s.a. BTDrucks. 12/4440, S. 6 zu Sozialstrukturen rechtsextremistischer Gewalttäter. Vgl. BTDrucks. 16/4675, S. 26 f; BTDrucks. 16/5708; Knape Die Polizei 2007 151. Vgl. Knape Die Polizei 2007 151, 152. RGSt 60 331, 333; BGH 5 StR 402/52 v. 29.5.1952; BayObLG NJW 1970 479. Geerds Rechtsfriedensdelikte, S. 4; Schwind/ Winter NStZ 1990 105, 108; Werle FS Lackner, S. 481. BGH 5 StR 497/57 v. 10.1.1958; BGH 5 StR 620/57 v. 11.3.1958. RGSt 20 303, 405.

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RGSt 54 299. BGH 5 StR 171/54 v. 19.10.1954 bei Daliinger MDR 1955 144; RGSt 47 178, 179; RG Ann. 3 7; BayObLG NJW 1955 1806 m. Bespr. Heinitz JR 1956 3. RGSt 54 88, 89; RG LZ 1925 99. RGSt 52 34, 118; 55 41; 58 207, 240; RG GA Bd. 64 368 u. 68 272. RGSt 55 248, 249; vgl. auch RGSt 5 378; BGH 2 StR 248/68 v. 19.6.1968 bei Daliinger MDR 1968 895. Prot. VI/266. RGSt 30 391; 37 28, 30; 55 101, 102; BGHSt 14 132; BGH 5 StR 699/67 v. 7.5. 1968; BayObLG NStZ-RR 1999 269. Vgl. BGHSt 33 306. BGH NStZ 2004 618. RGSt 45 153. Vgl. BGH 2 StR 96/65 v. 12.5.1965; 2 StR 170/68 v. 19.6.1968; OLG Hamm NJW 1951 206; OLG Celle JR 2002 33; Ridder/Breitbach/Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht, § 17a Rdn. 12; Schumann StV 1993 325; Schwind/Winter NStZ 1990 105,107. BGHSt 23 46; weit. Fundst. bei Maul J R 1970 81 und Tiedemann J Z 1969 717 ff; Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 55; Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrecht, S. 52. OLG Celle NJW 1970 206; OLG Köln NJW 1970 260; OLG Stuttgart NJW 1969 1543.

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strationen gegen Raketenstationierungen (z.B. Mutlangen), gegen Flughafenerweiterung (Startbahn-West-Fall),155 gegen die Errichtung von Kernkraftwerken (z.B. Grohnde, Brockdorf) 156 oder gegen Wiederaufbereitungsanlagen (z.B. Wackersdorf); 157 sonstige politisch motivierte gewalttätige Ausschreitungen bei Demonstrationen (z.B. Krefelder Krawalle); 158 Ausschreitungen aus der oder bei Demonstrationen für die Hausbesetzerszene (z.B. Hamburger Hafenstraße); 159 gewalttätiges gruppenmäßiges Vorgehen gegen behördlich angeordneten Häuserabriss; 160 politisch motivierte Ausschreitungen von Ausländern gegen ausländische Einrichtungen in der Bundesrepublik wie Generalkonsulate (z.B. durch die kurdische PKK).161

B. Objektiver Tatbestand Der Tatbestand kann auf dreierlei Weise verwirklicht werden: 162 durch Beteiligung an Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen, die aus einer Menschenmenge mit vereinten Kräften begangen werden (gewalttätiger Landfriedensbruch, Abs. 1 1. Alt.); durch Beteiligung an ebensolchen Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit (bedrohender Landfriedensbruch, Abs. 1 2. Alt.); durch Einwirken auf die Menschenmenge, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern (aufwieglerischer Landfriedensbruch, Abs. 1 3. Alt.). 27 Gemeinsam ist dem gewalttätigen und dem bedrohenden Landfriedensbruch, dass Ausschreitungen aus einer Menschenmenge, in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise und mit vereinten Kräften begangen werden. Sie unterscheiden sich in der Art der begangenen Ausschreitungen. Der gewalttätige Landfriedensbruch setzt die Begehung von Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen, der bedrohende Landfriedensbruch Bedrohungen mit einer Gewalttätigkeit voraus. Die dritte Alternative pönalisiert spezifische Vorfeldhandlungen zum gewalttätigen und bedrohenden Landfriedensbruch. 26

I. Gewalttätiger Landfriedensbruch (Abs. 1 Nr. 1) 1. Gewalttätigkeiten 28

a) Begriff. Der gewalttätige Landfriedensbruch setzt die Begehung von Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen voraus. Gewalttätigkeiten im Sinne des § 125 Abs. 1 Nr. 1 sind nicht mit Gewalt im sonst vom Gesetzgeber gebrauchten Sinne gleichzusetzen.163 Während beim allgemeinen Gewaltbegriff bis zur Entscheidung des Bundes-

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BVerfGE 82 236; BGHSt 32 165, 178. BVerfGE 69 315; BGHZ 89 383; v. Mutius Jura 1988 30, 32. BayObLG NStZ 1989 2 8 , 1 9 9 0 38. BGH NStZ 1984 549; 3 StR 257/84 vom 8.8.1984; LG Krefeld StV 1984 249; Gareis RAussch-Prot. 10/39 S. 126; s.a. schon BayObLG NJW 1969 1127. BVerfG NJW 1982 29; LG Nürnberg-Fürth StV 1983 57; AG Freiburg StV 1982 371 u. Geilen JK 83, StGB § 125/1. OLG Karlsruhe NJW 1979 2415.

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BGH NStZ 2000 307; NStZ-RR 2001 239; vgl. auch BGH NJW 1995 2643; NStZ-RR 1998 7. Fischer Rdn. 2; Schäfer MK Rdn. 8; Sch/ Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 3. RGSt 29 11, 12; BGHSt 23 46, 51; BGH NJW 1995, 2643, 2644; OLG Stuttgart NJW 1969 1776, 1777; Schäfer MK Rdn. 20; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 5; vgl. auch Lilie § 124 Rdn. 9, § 131 Rdn. 15; Geerds JR 1990 384 Fn. 1; Wolter NStZ 1985 245, 251; Kostaras Zur

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Landfriedensbruch

§ 125

Verfassungsgerichts zur weiten Auslegung des Gewaltbegriffs im Zusammenhang mit Sitzblockaden 164 vor allem auf die Zwangswirkung beim Opfer abgestellt wurde, 165 setzt Gewalttätigkeit i.S. von § 125 ein aggressives, gegen die körperliche Unversehrtheit von Menschen oder fremden Sachen gerichtetes aktives Tun von einiger Erheblichkeit unter Einsatz physischer Kraft voraus. 166 Zu einem Erfolg im Sinne einer Körperverletzung oder Sachbeschädigung muss es nicht kommen. 1 6 7 Auch eine konkrete Gefährdung von Menschen oder Sachen ist nicht erforderlich. 168 Insoweit handelt es sich um ein unechtes Unternehmensdelikt. 169 Tatbestandlich sind deshalb auch fehlgegangene Flaschen- oder Steinwürfe, 170 durch Schutzschilder abgewehrte Würfe mit Lehmklumpen, 171 das folgenlos gebliebene Bespritzen von Polizeibeamten mit Benzin 1 7 2 oder das geschlossene Vorrücken von Demonstranten gegen Polizeibeamte. 173 Begangen ist die Gewalttätigkeit, sobald die physische Kraft aggressiv eingesetzt, d.h. zwecks unmittelbarer Einwirkung auf Personen oder Sachen in Bewegung gesetzt worden ist. Kennzeichnend dafür ist die sichtbar werdende Aggressivität des Handelns von einiger Erheblichkeit. Bloß passives Verhalten wie etwa das Nichtfreigeben eines Weges 1 7 4 oder das Nichtbefolgen von Anweisungen 175 genügt den begrifflichen Anforderungen der Gewalttätigkeit nicht. Die Handlung muss darauf gerichtet sein, auf die körperliche Substanz von Menschen oder Sachen einzuwirken. Eine lediglich passive Resistenz im Sinne einer von einer Menschenmenge allein wegen des bedrohlichen Auftretens ausgehenden Zwangswirkung reicht nicht aus. 176 Ebenso wenig genügen Handlungen, durch die nicht

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strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 76 f; zur Entwicklung des Gewaltbegriffs vgl. Träger/Altvater LK 1 1 § 2 4 0 Rdn. 9 ff. BVerfGE 92 1. Vgl. BGHSt 41 182; BGH NJW 2 0 0 2 1031; Träger/Altvater LK 1 1 § 2 4 0 Rdn. 2 5 ff. BGHSt 2 0 305; 308; 2 3 4 6 , 52; BGH NJW 1995 2 6 4 3 , 2 6 4 4 ; OLG Karlsruhe NJW 1979 2315, 2416; OLG Hamburg NJW 1983 2 2 7 3 ; BayObLG NStZ 1990 37, 38; OLG Düsseldorf NJW 1993 869; OLG Köln NStZ-RR 1997 2 3 4 ; Schäfer MK Rdn. 2 0 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5; Fischer Rdn. 4; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Altenhain MK § 21 VersammlG Rdn. 7; Wolter NStZ 1985, 245, 251; krit. Martin FS BGH, S. 211, 221 f; Eilsberger JuS 1970 164, der Handlungen voraussetzt, die die Unversehrtheit von Personen oder Sachen konkret gefährden. BGHSt 23 46, 52; OLG Köln NStZ-RR 1997 2 3 4 ; BayObLG NStZ 1990 37, 38; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5. OLG Köln NStZ-RR 1997 2 3 4 ; BayObLG NStZ 1990 37, 38; Fischer Rdn. 4; Schäfer MK Rdn. 20; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5; siehe auch Wolter NStZ 1985 247, 251: aktive Herbeiführung eines unmittelbaren Verletzungs- oder Schädi-

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gungsrisikos, das sich nicht in einem konkreten Gefährdungs- und Verletzungserfolg zu realisieren braucht; aA LG Köln J Z 1 9 6 9 80, 81; Ostendorf NK Rdn. 2 4 ; Ridder/ Breitbach/Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 2 6 f; Eilsberger JuS 1970 164, 166. OLG Köln NStZ-RR 1997 2 3 4 ; Schäfer MK Rdn. 2 0 ; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 5; krit. Ridder/Breitbach/ßeri«leit/Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 2 6 ; zu den deliktsspezifischen Besonderheiten von Unternehmensdelikten vgl. Hilgendorf LK § 11 Rdn. 81 ff. RGSt 4 7 178; BGH b. Daliinger MDR 1968 895; Arzt JA 1982 269, 270; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; aA Heilborn ZStW 18 (1998), 161, 192, 2 2 4 , da er Gewalt gegen die Person und Gewalt an der Person gleichsetzt. BayObLG NStZ 1990 37. BGH NJW 1995 2 6 4 3 . RGSt 54 88, 90; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 II Rdn. 2 5 ; aA Ridder/Breitbach/Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 27. BGHSt 23 4 6 , 51. Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 78; Rudolphi/Stein SK Rdn. 4a. BGHSt 23 4 6 , 52.

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§ 125

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

auf die Körperintegrität eingewirkt werden soll. Sitzblockaden, 177 das gewaltlose Besetzthalten von Räumen, 1 7 8 das Versperren eines Zugangs durch eine Menschenmenge, das Errichten von Barrikaden oder der senkrecht in die Luft abgegebene Schuss sind deshalb keine Gewalttätigkeiten. 179 30

b) Erheblichkeit der Handlung. Die aggressive Handlung muss eine gewisse Erheblichkeit aufweisen. Für das Erfordernis der Erheblichkeit kann es auf das M a ß der angewandten Körperkraft allein nicht entscheidend ankommen. 1 8 0 Die Aggressivität des Handelns hängt nicht davon ab, wie viel Kraft aufgewendet werden muss. Auch der Täter, der ein Haus anzündet oder einen Schuss auf einen Menschen abgibt, begeht zweifellos eine Gewalttätigkeit, obwohl die Kraftentfaltung minimal ist. Für die Fälle der Verunstaltung von Häuserfassaden kommt es deshalb nicht darauf an, ob eine Sachbeschädigung durch Bewerfen mit Farbbeuteln oder den Einsatz einer Sprühdose verübt wird. 181 Entscheidend ist vielmehr, ob die Handlung dem äußeren Anschein nach Ausdruck einer feindseligen Haltung ist. 1 8 2

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Was als erheblich anzusehen ist, wird in Rechtsprechung und Literatur in Einzelfällen kontrovers diskutiert. Auszuscheiden sind Fälle, in denen die Erfolge nur geringfügiger Art sind oder eine Brauchbarkeitsbeeinträchtigung ohne nennenswerten Aufwand behebbar ist. Die Rechtsprechung legt zum Teil einen eher großzügigen Maßstab an. So wurde das bloße Umwerfen eines Gegenstands, 183 das Trommeln mit den Fäusten gegen einen Bus sowie das Schaukeln und leichte Anheben eines mit Personen besetzten Pkw, 1 8 4 das Werfen eines Lehmklumpens auf das geschlossene Helmvisier eines Polizeibeamten 185 oder das Bewerfen eines Pkw mit einem Blutbeutel 1 8 6 als ausreichend erachtet. Nach anderer einschränkender Auffassung widerspreche diese Rechtsprechung nicht nur dem Wortsinn von „Gewalttätigkeit", der ein destruktives, d.h. substanzverletzendes Verhalten erfordere, sondern werde sie dem vom Tatbestand vorausgesetzten Bedrohlichkeitsgrad nicht gerecht. Deshalb sollen von § 125 nur solche Angriffe erfasst werden, die geeignet sind, eine Körperverletzung i.S. der §§ 2 2 3 ff oder eine Sachbeschädigung nach § 303 herbeizuführen. 187 Diese Auffassung hat den Vorteil, dass sie die Bandbreite der Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen mit mehr Randschärfe versieht. Gegen sie ist allerdings einzuwenden, dass sie bestimmte Handlungen nicht erfasst, obwohl physische Kraft unmittelbar gegen eine Person in aggressiver Art und Weise eingesetzt und

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BGHSt 2 3 4 6 , 51 f; Fischer Rdn. 4. OLG Stuttgart N J W 1 9 6 9 1 7 7 6 , 1 7 7 7 . Schäfer MK Rdn. 21; Lackner/Kühl Rdn. 4; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; s.a. Rdn. 35 f. Zutreffend Rudolphi/Stein SK Rdn. 4a; Wolter NStZ 1985 245, 251. AA LG München StV 1982 119, 121, wo das Ansprühen einer Scheibe mit einer Sprühdose mangels Einsatzes körperlicher Stärke (Energie) zur Überwindung eines Widerstands nicht als Gewalttätigkeit gegen Sachen qualifiziert wurde; vgl. nunmehr § 3 0 3 Abs. 2, wonach auch das nicht nur unerhebliche unbefugte Verändern des Erscheinungsbilds als Sachbeschädigung zu qualifizieren ist.

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 4a, Ostendorf NK Rdn. 17. BGHSt 2 3 46, 53. BayObLG NJW 1 9 6 9 63 m. zust. Anm. Eb. Schmidt J Z 1 9 6 9 395, 3 9 6 . BayObLG NStZ 1990 37, 38 m. Anm. Geerds J R 1990 384. OLG Hamburg NJW 1983 2 2 7 3 m. abl. Anm. Rudolphi JR 1983 2 5 2 . Rudolphi/Stein SK Rdn. 5a; Fischer Rdn. 4; Altenhain MK § 21 VersammlG Rdn. 7; Wolter NStZ 1985 251; unklar OLG Köln NStZ-RR 1997 2 3 4 ; für Sachbeschädigungen: OLG Düsseldorf NJW 1993 869; OLG Karlsruhe NJW 1 9 7 9 2415, 2416; LG München StV 1982 121.

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Landfriedensbruch

auch eine Bedrohungslage herbeigeführt wird. Da es bei § 125 nicht nur um den Schutz von Individualrechtsgütern, sondern auch um den Schutz der öffentlichen Sicherheit geht, darf die Schwelle bei der Erheblichkeit von Gewalttätigkeiten gegen Personen aus einer Menge nicht zu hoch angesetzt werden. Entscheidend ist vielmehr eine wertende Betrachtung im Einzelfall, die die abstrakte Gefährlichkeit einer Handlung in die Gesamtabwägung einstellt, so etwa das sichtbeeinträchtigungsbedingte Gefährdungsrisiko beim Werfen mit Lehmklumpen oder die Erwartung des Täters, die Betroffenen gegenüber weiteren Angriffen durch die Auslösung von schutzmindernden Reaktionen (Öffnen des Visiers, Abnehmen des Helms, Anhalten und Verlassen des Pkw) schutzloser zu stellen. 188 Deshalb können auch Handlungen, die objektiv grundsätzlich nicht geeignet sind, eine Körperverletzung herbeizuführen, als Gewalttätigkeiten zu qualifizieren sein, etwa wenn der Täter Lehmklumpen auf das geschlossene Helmvisier eines Polizeibeamten oder Klumpen aus nassem Lehm, Erdboden und kleinen Kieselsteinen auf eine Gruppe von Polizeibeamte wirft. 1 8 9 Dagegen wird bei Angriffen auf Sachen eine Erheblichkeit regelmäßig nur zu bejahen sein, wenn die Handlung tatsächlich geeignet ist, eine i.S. von § 303 tatbestandsmäßige Sachbeschädigung zu bewirken. c) Anzahl der Gewalttätigkeiten. Entgegen dem Wortlaut der Norm ist es ausreichend, wenn nur eine Gewalttätigkeit gegen einen Menschen oder gegen eine Sache begangen wird. 1 9 0 Der Plural, im Anschluss an § 125 a.F. wohl aus sprachlichen Gründen, vielleicht auch deswegen gebraucht, weil er das gewöhnliche Erscheinungsbild des Landfriedensbruchs besser erfasst, 191 ist - wie auch in anderen Vorschriften (z.B. §§ 131, 176, 184 StGB) - kein Tatbestandsmerkmal in dem Sinn, dass erst mehrere Gewalttätigkeiten gegen mehrere Personen oder Sachen es erfüllen würden.

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d) Gewalttätigkeiten gegen Menschen. Diese können nicht allein durch unmittelbaren Angriff auf Leib oder Leben verübt werden, sondern auch mittelbar durch Einwirkung auf eine Sache, sofern diese Einwirkung dem Angegriffenen körperlich fühlbar wird; z.B. Aufdrücken einer Tür, die von innen zugehalten wird oder Schleudern von Brandsätzen in bewohnte Häuser, um die Bewohner zum Verlassen zu zwingen. 192 Eine rein psychische Einwirkung genügt für die Nummer 1 im Gegensatz zu Nummer 2 aber nicht. 193 Ein rohes oder brutales Vorgehen ist nicht erforderlich. 194

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OLG Köln NStZ-RR 1997 234; BayObLG NStZ 1990 37. Vgl. BayObLG NStZ 1990 37, 38 mit Anm. Geerds JR 1990 382. RGSt 55 101, 102; OLG Düsseldorf NJW 1993 869; vgl. auch BGH NStZ 2 0 0 4 618; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6b; Schäfer MK Rdn. 2 0 ; Lackner/Kühl Rdn. 4; Attenham MK § 21 VersammlG Rdn. 6; aA Brause NJW 1983 1640; Ostendorf AK Rdn. 25; RiddtrfßreitbachJBertuleit/Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 25.

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Binding Lehrb. Bd. II 2 S. 888. Vgl. RGSt 4 5 153, 156; BGHSt 2 3 4 6 , 5 2 f; BGH MDR 1968 895; BayObLG NStZ 1990 37, 38; OLG Karlsruhe N J W 1 9 7 9 2415, 2416; Schäfer MK Rdn. 21; Lackner/ Kühl Rdn. 4; Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 78. BGHSt 12 129, 130 zu § 122; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 5. BGHSt 23 4 6 , 51; aA LG Köln J Z 1 9 6 9 80; Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 79.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Als Beispiele aus der Rechtsprechung kommen in Betracht: Treten, Schlagen, Zerren; 1 9 5 gefährliche Körperverletzungen, Misshandlungen; 1 9 6 Fesselung; 197 Schlägereien; 198 das Abschneiden des Kopfhaars bei Hinzutreten besonderer Umstände wie Festhalten, Anbinden und dergleichen; 199 der gezielte Schuss, auch aus einer Gaspistole, wenn dieser verletzen kann; 2 0 0 nicht dagegen der blindlings in die Luft abgefeuerte (Schreck-) Schuss selbst aus einer scharfen Waffe, der nur eine Androhung einer Gewalttätigkeit sein kann; 2 0 1 Steinwürfe; 2 0 2 Bewerfen des Gegners mit Erdklumpen aus Lehm, Erdboden und kleinen Kieselsteinen, auch wenn die betroffenen Polizeibeamten Schutzkleidung und Helme mit Visier tragen; 2 0 3 das Bewerfen mit Feuerwerkskörpern, Molotow-Cocktails, 2 0 4 mit Säure- oder Cola-Flaschen, 205 mit Tomaten, Eiern, Farbbeuteln; 2 0 6 das Bewerfen mit Puddingpulver oder Konfetti, da hierdurch das körperliche Befinden schwer beeinträchtigt werden kann (Augenverletzungen, Erstickungsgefahr); 2 0 7 das Bespritzen von Polizeibeamten mit Benzin; 2 0 8 das Besprühen mit Säure; 2 0 9 das Sprühen von Tränengas in die Augen; 2 1 0 das Werfen von Farbbeuteln gegen die Windschutzscheibe eines fahrenden Pkw (Personengefährdung durch Sichtbehinderung); 2 1 1 das Anhalten von Kraftfahrzeugen und Hindern der Insassen an der Weiterfahrt; 2 1 2 das Schaukeln und Anheben eines Pkw zur Einschüchterung der Insassen an der Weiterfahrt; 2 1 3 Durchsuchungen beim Passieren einer von Demonstranten gesperrten Ausfahrt; 2 1 4 das gewaltsame Einsperren; 215 das Wegdrängen eines Polizeibeamten; 216 das Durchbrechen von Polizeiketten mit langen Stangen; 217 das Anrollen von Stahlrohren, Fässern und dgl. unmittelbar gegen Polizeibeamte; 218 die aggressive Verteidigung

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BGH NJW 1995 2643, 2644. RGSt 60 331, 333; BGHSt 12 129,130 zu § 122 Abs. 3 a.F.; BGH NStZ 2000 194; 307; 2004 618. BGHSt 12 306, 307 zu § 122 Abs. 3 a.F.; Fischer Rdn. 5. RGSt 47 178,179; 60 331, 333. Vgl. aber BGH 1 StR 869/51 v. 4.3.1952. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Liebeti Rdn. 6; Fischer Rdn. 5. Heilborn ZStW 18 (1898) 161, 193; Knodel Gewaltbegriff, S. 141. RGSt 47 178, 179; LG Krefeld StV 1984 249, 250. BayObLG NStZ 1990 37 m. Anm. Geerds JR 1990 382, 384; Schäfer MK Rdn. 22; zweifelnd Rudolphi/Stein SK Rdn. 5. Prot. VI/57, 60. Prot. VI/86, 123. BGH 5 StR 329/68 v. 10.9.1968; OLG Köln NStZ-RR 1997 234; aA Ridder/Breitbach/ Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 27; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; krit. auch Tiedemann JZ 1969 717, 722. Prot. VI/185; aA Tiedemann JZ 1969 717, 722. BGH NJW 1995 2643, 2644. Vgl. BGHSt 1 1 zu § 223a. OLG Karlsruhe NJW 1979 2415, 2416.

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Vgl. OLG Hamburg NJW 1983 2273. Vgl. LG Frankfurt bei Diederichsen/Marburger NJW 1970 777 zur zivilrechtlichen Haftung; Merten NJW 1970 1625,1627. BayObLG JZ 1969 207, 208; BayObLGSt 1968 109,110 und 1969 50; aA Wolter NStZ 1985 245, 251; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5a; zw. auch Sch/SchröderLenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 6. OLG Stuttgart NJW 1969 1543. Schäfer MK Rdn. 22; aA Wolter NStZ 1985 245, 251. BGHSt 23 46, 53; vgl. auch OLG Stuttgart NJW 1969 1776,1777; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 60 II Rdn. 24; aA Fischer Rdn. 4; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Ridder/Breitbach/Berto/eif/ Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 27; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5a unter Hinweis auf das Fehlen eines „aggressiven Handelns von einiger Erheblichkeit"; Wolter NStZ 1985 251. Prot. VI/39. Vgl. AG Frankfurt JZ 1969 201, 206 (verneint, wenn Rohre nur auf die Fahrbahn gerollt werden, um eine Straßensperre zu errichten); aA Ridder/Breitbach/Beria/e/f/ Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 27 beim Ausbleiben eines Verletzungserfolgs.

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Landfriedensbruch von Barrikaden gegen die zur Räumung eingesetzten Ordnungskräfte; 2 1 9 die Erstürmung eines Gebäudes und das Eindringen gegen den Widerstand der Verteidiger; 2 2 0 das Vorrücken eines Kordons von Demonstranten mit verschränkten Armen gegen eine Polizeimannschaft; 2 2 1 das Knüppel schwingende fächerförmige Ausschwärmen gegen außenstehende Meinungsgegner und Passanten; 2 2 2 die widerrechtliche F e s t n a h m e ; 2 2 3 die sexuelle N ö t i g u n g ; 2 2 4 das Plündern bei räuberischer Wegnahme oder Erpressung. Dagegen wird mit dem Sitzstreik 2 2 5 und dem gewaltlosen Besetzthalten von Diensträumen in öffentlichen Gebäuden ungeachtet nachhaltiger Störung des Dienstbetriebs 2 2 6 im Allgemeinen keine Gewalttätigkeit gegen Menschen begangen, da von diesen selbst keine Einwirkung auf Personen in ihrer körperlichen Substanz ausgeht.

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Umstritten ist, ob das Blockieren von Ausgängen und Ausfahrten durch Errichten von Barrikaden als Gewalttätigkeit einzustufen ist. Zum Teil wird dies bejaht, weil es sich nicht mehr nur um passive Resistenz wie bei einem Sitzstreik auf Straßenbahnschienen handele, sondern um aggressives Handeln, das auch Zwangswirkung erzeuge. 2 2 7 Dies erscheint jedoch fraglich, da von diesen selbst keine Einwirkung auf Personen in ihrer körperlichen Substanz ausgeht. 2 2 8 In Einzelfällen kann in solchem Verhalten aber die Bedrohung mit einer Gewalttätigkeit liegen. Das gilt etwa bei der Belagerung eines bewohnten Hauses durch mit Knüppeln und Latten ausgerüstete Belagerer. 2 2 9

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e) Gewalttätigkeiten gegen Sachen. Mit Gewalttätigkeiten gegen Sachen wird jede aggressive Aktion erfasst, die von dem Ziel einer substantiellen 2 3 0 oder zumindest funk-

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BGHSt 32 165, 180; vgl. auch OLG Stuttgart NJW 1969 1543. RGSt 55 35, 37; BGH 3 StR 382/53 v. 3.12. 1953; abgelehnt von OLG Stuttgart NJW 1969 1776, 1777, sofern keine physische Kraft gegen die Bediensteten eingesetzt wird. RGSt 54 89, 90; Prot. VI/197. Vgl. LG Frankfurt NStZ 1983 25. BGH 2 StR 151/50 v. 22.2.1952 [4], BGH 5 StR 620/57 v. 11.3.1958. BGHSt 23 46, 51 m. Anm. Ott NJW 1969 2023 und FMsberger JuS 1970 164; LG Köln JZ 1969 80, 81; Fischer Rdn. 4; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5; Lackner/Kühl Rdn. 4; Ott NJW 1969 454, 456; Tiedemann JZ 1969 720; Wolter NStZ 1985 245, 251; aA BayObLG NJW 1969 63 f m. Anm. Eb. Schmidt JZ 1969 395 und Stöcker J Z 1969 396; BayObLG NJW 1969 1127, 1128 m. Anm. Schwark NJW 1969 1495, das eine mittelbar gegen Personen gerichtete Einwirkung, die von ihnen körperlich empfunden wird, genügen lässt; RGSt 45 153, 156 f; 65 389; BGH 2 StR 248/68 v. 19.6.1968; BayObLG NJW 1955 1806; Janknecht GA 1969 33, 37. OLG Stuttgart NJW 1969 1776, 1777;

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Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5. OLG Stuttgart NJW 1969 1543; BayObLG NJW 1969 1127 m. Anm. Schwark NJW 1969 1495; OLG Köln NJW 1970 260; OLG Celle NJW 1970 206 (Ausübung körperlichen Zwangs durch mittelbare Gewalt) m. abl. Anm. Kreuzer NJW 1970 670; Merten NJW 1970 1625, 1627 aA insoweit noch BGH 2 StR 291/60 v. 13.6.1960. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5; Lackneri Kühl Rdn. 4; Wolter NStZ 1985 245, 251; Maurach Demonstrationsnovelle, S. 20. AA BGH bei Daliinger MDR 1968 895: Einschlägigkeit der Nr. 1; vgl. auch RG Ann. 3 7, das es von den Umständen abhängig macht, ob eine Handlung schon eine Gewalttätigkeit oder erst eine Drohung mit einer solchen ist. Sich mit Latten bewaffnen, auf den Gegner losgehen, mit dem Messer herumfuchteln, dem abziehenden Feind Steine nachwerfen ist nach der (großzügigen) Auffassung jenes Urteils nur die Bedrohung mit Gewalttätigkeiten (des abziehenden Gegners für den Fall seiner Rückkehr). Rudolphi JR 1983 252; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5a.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

tionellen 231 Beeinträchtigung der Sache von einiger Erheblichkeit bestimmt wird. Gewalttätigkeiten gegen Sachen setzen den Einsatz körperlicher Energie zur Überwindung des Widerstands der Materie, der stofflichen Bestandskraft der Sache voraus.232 Auf irgendeinen Erfolg kommt es auch hier nicht an; insbesondere ist eine Zerstörung, Beschädigung oder auch nur Berührung nicht erforderlich. 233 Die aggressive Handlung muss allerdings, um als Gewalttätigkeit gegen Sachen erfasst werden zu können, zumindest geeignet sein, in ihren potentiellen, vom Täter vorgestellten und gewollten Auswirkungen eine tatbestandserhebliche Beeinträchtigung i.S. der spezifisch sachbezogenen Schutzvorschriften (wie § 303) herbeizuführen.234 Bloße Überwindung der Schwerkraft genügt begrifflich nicht, z.B. diebische Wegnahme.235 Die Gewalttätigkeit kann Selbstzweck sein (Zerstörungslust); sie kann aber auch mittelbar der Überwältigung menschlicher Gegenkräfte dienen (Erstürmen eines Hauses). 236 Beim Landfriedensbruch wird es sich gewöhnlich um Gewalttätigkeiten gegen fremdes Eigentum handeln; jedoch kann das Vergehen auch durch Gewalttätigkeiten gegen eigene Sachen begangen werden (die Familie setzt ihr baufälliges Anwesen in Brand, um es zu verwüsten; die Sippe schirmt das Unternehmen ab). 237 38 Als Gewalttätigkeiten gegen Sachen kommen in Betracht: Das Beschädigen, Zerstören oder Vernichten von Gegenständen aller Art, das Eindrücken einer Tür; 2 3 8 das Aufbrechen von Aktenschränken durch Demonstranten in öffentlichen Gebäuden; 239 die Verunreinigung von Bekleidung durch Eier- und Tomatenwürfe; 240 die Beschädigung von Straßenbahnen; 241 das Zerstechen von Autoreifen; 242 das Fahruntüchtigmachen von Kraftfahrzeugen durch Abmontieren von Reifen oder durch Ablassen der Luft aus der Bereifung; 243 das Umwerfen von Gegenständen, wenn dadurch ihre Integrität oder Funktionsfähigkeit gefährdet wird; 244 das sichthindernde Besprühen der Windschutzscheibe eines Lkw mit schwer zu entfernender Lackfarbe, nicht dagegen bei farbiger Flüssigkeit, die nach wenigen Minuten von selbst wieder abtropft; 245 wohl auch nicht das Bewerfen eines Autos mit einem Blutbeutel unter Berücksichtigung der leicht zu beseitigenden Veränderung des äußeren Erscheinungsbilds der Sache. 246 Beim Aufsprühen von Parolen auf eine Wand kommt es darauf an, ob die Beseitigung der Verunstaltung größeren Aufwand an Mühe, Zeit und Kosten erfor-

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OLG Karlsruhe NJW 1979 2415, 2416. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Schäfer MK Rdn. 23. Schäfer MK Rdn. 2 0 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; einschränkend Ridder/Breitbach/ Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 28. Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1979 2415, 2416; OLG Hamburg NJW 1983 2 2 7 3 ; OLG Düsseldorf NJW 1993 869; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5a; Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 5; Rudolphi J R 1983 2 5 2 ; offen gelassen von AG Freiburg StV 1982 582. Corves Prot. V / 3 0 4 1 ; Wolter NStZ 1985 245, 251. BGH 3 StR 3 8 2 / 5 3 v. 3.12.1953 [15]. Vgl. RGSt 2 0 303; Schäfer MK Rdn. 23. RGSt 55 35.

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Denninger ZRP 1968 43. OLG Köln NStZ-RR 1997 2 3 4 f. Vgl. AG Bremen J Z 1969 79. OLG Karlsruhe NJW 1979 2415 f. Vgl. BGHSt 13 2 0 7 zu § 303. Vgl. BGHSt 23 46, 53; Schäfer MK Rdn. 24; Sch/SchröderLenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 5a; Ostendorf AK Rdn. 18; Wolter NStZ 1985 245, 251. Ob in einem solchen Fall die öffentliche Sicherheit gefährdet wird, ist eine Frage des Einzelfalles. OLG Karlsruhe NJW 1979 2415, 2416; vgl. auch LG München StV 1982 119, 121. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Schäfer MK Rdn. 2 5 ; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 5a; Rudolphi J R 1983 252; Wolter NStZ 1985 245, 251; aA OLG Hamburg NJW 1983 2 2 7 3 .

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Landfriedensbruch

§ 125

dert. 2 4 7 Das Plündern ist zwar in seinen gewöhnlich gewaltsamen Erscheinungsformen eine Gewalttätigkeit; nicht jedoch die schlicht gewaltlose Wegnahme einer S a c h e ; 2 4 8 erst recht nicht der hehlerische Erwerb geplünderter Sachen. 2 4 9 2. Menschenmenge a) Begriff. Die Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen müssen aus einer Menschenmenge begangen werden. Eine Menschenmenge ist eine räumlich vereinigte, der Zahl nach nicht auf den ersten Blick überschaubare Personenvielheit. 250 Das räumliche Beieinander ist ihr ebenso wesentlich wie die große, vom hinzukommenden Beobachter nicht gleich abschätzbare Zahl. Der Personenkreis muss so groß sein, dass ein Außenstehender den Eindruck zahlenmäßiger Unbestimmtheit hat und es aus dessen Sicht auf das Hinzukommen oder Weggehen eines einzelnen Menschen nicht mehr ankommt. 2 5 1

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b) Mindestzahl. Ab welcher Mindestzahl von einer Menschenmenge gesprochen werden kann, lässt sich aus dem Begriff nicht ableiten. Auch der übliche Sprachgebrauch lässt keine zwingenden Rückschlüsse zu. Entsprechend uneinheitlich wird der Begriff von der Rechtsprechung interpretiert. Die zu § 125 StGB a.F. ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat in Einzelfällen Personengruppen von jeweils nicht mehr als zwölf Personen als ausreichend erachtet. 2 5 2 Nach engerer Auffassung ist die Subsumtion einer Anzahl von weniger als 15 Personen unter den Begriff der Menschenmenge vom Sprachgebrauch nicht mehr gedeckt. 2 5 3 Verneint wurde deshalb eine Menschenmenge bei den 13 Betreibern eines politischen Informationsstandes, 254 einer zehnköpfigen Rockergruppe 2 5 5 oder einer elfköpfigen jugendlichen Zechergruppe. 2 5 6 Auch der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs stellte in einer Entscheidung aus dem Jahr 1985 auf eine Mindestgröße von 15 Personen ab, als er eine Ansammlung von 15 bis 2 0 Personen noch als Menschenmenge qualifizierte. 257 Demgegenüber hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einem Urteil aus dem Jahre 1994 die Entscheidung BGHSt 33, 3 0 8 nicht als Festlegung einer Untergrenze verstanden, sondern soll es auf die Umstände des konkre-

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Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1993 8 6 9 (Besprühen der weißen Fassade eines Optikergeschäfts mit einem Symbol der Frauenbewegung); AG Freiburg StV 1992 5 8 2 ; LG München StV 1982 119, 121 (Besprühen einer Scheibe eines Bankhauses mit Sprühdosen); Schäfer MK Rdn. 25. Wolter NStZ 1985 245, 251; aA RGSt 52 35. RGSt 58 207, 208. BGHSt 3 3 306, 3 0 8 m. Anm. Otto NStZ 1986 70; BGH NStZ 1993 538, 1994 4 8 3 ; OLG Düsseldorf NJW 1990 2 6 9 9 ; OLG Köln NStZ-RR 1997 234, 2 3 5 ; LG Frankfurt NStZ 1983 25, 26; LG Nürnberg-Fürth StV 1983 5 7 ; AG Berlin-Tiergarten N J W 1988 3218; Schäfer MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8/9; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7; Fischer § 124 Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 3; Kindhäuser

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LPK Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 II Rdn. 2 ; Tiedemann J Z 1968 761, 767. BGHSt 33 306, 3 0 8 ; BGH NStZ 1993 538; 1994 483. BGH 3 StR 511/51 v. 11.6.1953: 8 - 1 0 Personen; 1 StR 667/51 v. 5.2.1952: 8 - 1 0 Personen; 2 StR 291/60 v. 13.7.1960: 11 Personen; 5 StR 691/67 v. 7.5.1968: 12 Personen; nach RGSt 9 143, 147 f sollen nach den Umständen des Falles sechs Personen ausreichen; dagegen OGHSt 2 364, 366. LG Frankfurt NStZ 1983 25, 2 6 ; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 7. LG Frankfurt NStZ 1983 25, 2 6 . LG Nürnberg-Fürth StV 1984 2 0 7 ; s.a. Stree JuS 1983 836. OLG Düsseldorf N J W 1990 2 6 9 9 , 2 7 0 0 . BGHSt 33 306, 308.

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ten Falles ankommen. 2 5 8 Danach soll eine Gruppe von zehn Personen ausreichen, wenn die auf die räumliche Enge zurückzuführende Unübersichtlichkeit es für den Außenstehenden unmöglich mache, die Größe der Menge und die von ihr ausgehende Gefahr zu erfassen. Fehlen dagegen die besondere Unübersichtlichkeit am Tatort oder sonstige Umstände, reichen zehn vor einer Polizeiwache sich einfindende und Polizeibeamte bedrohende Personen nicht aus. 2 5 9 41

O b die Anzahl der Personen am Tatort leicht oder schwer zu überschauen ist, hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren wie den örtlichen Gegebenheiten und Sichtverhältnissen am Tatort, vom Erscheinungsbild der Menge, aber auch von Standpunkt und Geschick des außenstehenden Beobachters ab, weshalb dieses Abgrenzungskriterium bereits im Hinblick auf seine Unbestimmtheit wenig ergiebig ist. Ebensowenig kann es deshalb darauf ankommen, ob und wie schnell es dem außenstehenden Beobachter möglich ist, die von einer Personengruppe ausgehende Gefahr einzuschätzen. Das Abstellen auf solche - begriffsfremden - Kriterien führt nicht zu Rechtsprechungssicherheit, außerdem besteht die Gefahr, dass dadurch die Wortsinngrenze des Begriffs „Menschenmenge" unterlaufen wird. 2 6 0

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Auch sonstige Versuche, den unscharfen Begriff der Menschenmenge durch Auslegung unter Berücksichtigung des Gesetzeswecks zu präzisieren, führen zu keinen befriedigenden Ergebnissen. Mangels hinreichender Bestimmtheit sind weder die Gefährlichkeit der Menge für den Landfrieden überhaupt 2 6 1 noch das Entstehen massenpsychologischer Phänomene, die unkontrollierte und unkontrollierbare Reaktionen hervorrufen, 2 6 2 sachgerechte Abgrenzungskriterien. 263 Ebenso wenig kann es darauf ankommen, welche Stärke der Gegner aufweist. 2 6 4 Ansonsten wären tausend Demonstranten keine Menschenmenge, wenn ihnen ein gleich starkes Polizeiaufgebot gegenübersteht, jedoch sechs Raufbolde, weil sie für den einzigen Dorfpolizisten eine Übermacht sind.

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Nach dem tatbestandsspezifischen Schutzanliegen ist es auch nicht angängig, den Begriff der Menschenmenge von der Frage einer straffen Organisation der Teilnehmer her zu relativieren und auf eine unorganisierte oder spontan zusammengefundene Vielzahl zu reduzieren, 265 und zwar auch nicht unter dem Aspekt strukturbedingt potentieller Gefährlichkeit. 2 6 6 Dem steht schon die (Un-)Wertfreiheit des Begriffs der Menschenmenge entgegen. 2 6 7 Außerdem erscheint es fraglich, ob eine Gruppe, die aufgrund längeren vorangegangenen Beisammenseins und der damit verbundenen Vertrautheit der Mitglieder informelle gruppeninterne Interaktionsstrukturen ausbilden konnte, tatsäch-

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BGH NStZ 1994 483; OLG Köln NStZ 1997 234, 235; zustimmend Fischer § 124 Rdn. 4; Ostendorf NK § 124 Rdn. 7; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 Rdn. 22; Erbs/KohIhaas/Senge § 113 OWiG Rdn. 2; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 7; Sch/SchröderLenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8/9. BGH NStZ 2002 538. Krit. auch Schäfer MK Rdn. 12; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8/9; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7; vgl. auch RGSt 40 76, 77. OLG Hessen HESt 1 271; Arndt ZStW 53 (1934) 216, 222; Maurach Demonstrationsnovelle, S. 19; so aber: Sch/Schröder/ Cramer18 Rdn. 8; Dreher Prot. V/2953.

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Vgl. Tiedemann JZ 1968 761, 767; OLG Schleswig SchlHA 1976 167 Nr. 24; LG Nürnberg StV 1984 207; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 II Rdn. 22. Abi. auch Schäfer MK Rdn. 14; RidderfBieitbach/Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 20. So aber RGSt 9 143, 147; ablehnend LG Frankfurt NStZ 1983 25, 26. So OLG Düsseldorf NJW 1990 2699, 2700: „Konturenlosigkeit"; s.a. BGH 2 StR 291/60 v. 13.7.1960. LG Frankfurt NStZ 1983 25, 26. Hamm AnwBl 1984 57, 58; s.a. Heilborn ZStW 18 (1898) 161, 185; Schulenburg Landfriedensbruch, S. 24 f.

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Landfriedensbruch

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lieh eine geringere Gefährlichkeit im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut aufweist als eine spontan gebildete Zufallsgruppe. 268 Darum ist es nicht von Bedeutung, ob es sich um einen geordneten Zug, eine straff organisierte Menge, eine geschlossene, auf die Integrierung weiterer fremder Personen nicht ausgerichtete Gruppe oder um eine fluktuierende Ansammlung, einen ungeordneten Haufen oder um ein Gemenge handelt. 2 6 9 Teilweise wird eine Personenmehrheit nur dann als Menschenmenge angesehen, wenn sie so groß ist, dass jeder Einzelne darin nicht mehr in der Lage ist, mit jedem anderen Einzelnen in unmittelbare Kommunikation zu treten. 2 7 0 Diesem Eingrenzungskriterium kann ebenfalls keine entscheidende Bedeutung zukommen. 2 7 1 Unabhängig davon, dass die unmittelbare Kommunikationsmöglichkeit von vielen Umständen des Einzelfalls wie den räumlichen Gegebenheiten vor Ort oder dem Lärmpegel abhängt und deshalb meist schwer feststellbar ist, kann die unmittelbare Verständigung im Zeitalter der modernen Kommunikationsmittel auch in größeren Gruppen ohne weiteres mit technischen Hilfsmitteln, insbesondere mit Mobilfunktelefonen, aber auch über Lautsprecher, Sprechfunk oder optische Zeichen hergestellt werden.

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Mangels geeigneter Abgrenzungskriterien und im Hinblick auf die notwendige Rechtssicherheit ist deshalb der Forderung, im Anschluss an BGHSt 33 308 die erforderliche Mindestzahl auf 15 Personen höchstrichterlich festzusetzen, 272 zuzustimmen, auch wenn dieser quantitativen Mindestbegrenzung ein dezisionistisches Moment anhaftet. 2 7 3

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c) Räumlicher Bezug. Neben dem quantitativen Moment ist der enge räumliche Bezug für das Vorliegen einer Menschenmenge unabdingbar. Die Personen müssen einen solchen räumlichen Zusammenhang herstellen, dass bei Außenstehenden die Vorstellung einer Menschenmenge als räumlich verbundenes Ganzes, der Eindruck räumlicher Geschlossenheit entsteht. 2 7 4 Daran fehlt es beispielsweise bei 15 bis 2 0 Anwohnern, die vereinzelt oder in kleinen Grüppchen auf dem Bürgersteig zusammenstehen und erkennbar weder zusammengehören noch gemeinschaftlich auftreten. 2 7 5

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d) Grund des Zusammenfindens. Auf den Grund des räumlichen Zusammenfindens kommt es für das Merkmal der Menschenmenge nicht an. § 125 ist deshalb in gleicher Weise bei Versammlungen und Demonstrationen wie auch bei bloßen Ansammlungen ohne übergreifende Zielrichtung anwendbar. 276 Die Verfolgung eines gemeinsamen

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Vgl. auch LG Frankfurt NStZ 1983 25, 26. Vgl. Rudolpbi/Stein SK Rdn. 7; Schäfer MK 14; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9; zum Begriff des Gemenges vgl. BGH 3 StR 382/53 v. 3.12.1953 [13]; RGSt 4 0 77. Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1990 2699, 2700; OLG Schleswig SchlHA 1976 167; LG Berlin StV 1983 4 6 4 ; LG Nürnberg-Fürth StV 1984 2 0 7 ; Fischer § 124 Rdn. 4; vgl. auch Lackner/Kühl Rdn. 3 („in hohem Maße indiziell"); Sieber Sonderausschuss Strafrechtsreform, Prot. VI, S. 181. LG Frankfurt NStZ 1983 2 5 ; Schäfer MK Rdn. 13; Rudolphi/Stein SK Rdn. 8. Otto NStZ 1986 70, 71; Ridder/Breitbach/ Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 19.

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8/9; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7; Otto NStZ 1986 70, 71; Ridder/Breitbach/ßert«leit/Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 19. RGSt 6 0 331, 3 3 2 ; BGHSt 3 3 3 0 6 , 3 0 8 ; OLG Düsseldorf N J W 1990 2 6 9 9 ; OGHSt 2 209, 211; 364, 366. AG Berlin-Tiergarten NJW 1988 3218, 3219; vgl. auch LG Berlin StV 1983 4 6 4 ; nach Fischer § 124 Rdn. 4 ist es allerdings nicht erforderlich, dass die Menge in irgendeiner Form zusammengehört. Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 Rdn. 21; Schäfer MK Rdn. 10; Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 82.

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Zwecks zumindest durch einen großen Teil der M e n g e 2 7 7 oder ein die Ansammlung gleichsam einendes geistiges B a n d 2 7 8 ist nicht begriffsnotwendig für die Menschenmenge. 2 7 9 Keine Rolle spielt auch, ob sich die Menge infolge eines gesteuerten Einsatz e s 2 8 0 oder durch zufälligen Volksauflauf 2 8 1 gebildet hat. 48

e) Öffentlichkeit. Nicht erforderlich ist weiterhin, dass sich die Menschenmenge öffentlich zusammengefunden hat. Dies folgt bereits daraus, dass § 125 im Gegensatz zu § 124 auf das Merkmal der Öffentlichkeit als Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit verzichtet. Es ist deshalb gleichgültig, ob die Menge sich im Freien oder im geschlossenen Raum, an einem öffentlichen oder nicht öffentlichen O r t 2 8 2 gebildet hat. 3. Aus einer Menschenmenge

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a) Begriff. Die Gewalttätigkeiten müssen „aus einer Menschenmenge" begangen werden, d.h. von Mitgliedern der Menge gegen Personen oder Sachen außerhalb der Menge. 2 8 3 Die ganze Menge braucht nicht beteiligt zu sein; „aus" der Menge heißt nicht „von" der Menge. Es genügt, wenn mehrere Mitglieder der Menge Gewalttätigkeiten gegen Außenstehende oder gegen nicht der Menge zugehörige, nicht von ihr mitgeführte Sachen verüben. „Aus" der Menge sind die Ausschreitungen aber auch dann begangen, wenn sich alle Mitglieder der Menge an ihnen beteiligen. War die eine Menschenmenge bildende Demonstration bereits aufgelöst, so erfüllen mehrere an verschiedenen Stellen gewalttätige „Einzelkämpfer" die tatbestandserheblichen Voraussetzungen nicht, auch wenn sie aufgrund eines vorher abgesprochenen Tatplans vorgehen. 2 8 4 Von § 125 ebenfalls nicht erfasst werden Gewalttätigkeiten, die von einem Außenstehenden begangen werden, der nicht Teil der Menge ist, auch wenn die Handlungen der Unterstützung der Menge dienen. 2 8 5 So sind beispielsweise Steinwürfe eines abseits der demonstrierenden Menge stehenden Täters nicht „aus" der Menge begangen, selbst wenn der Täter von dem Verhalten der Menge hierzu animiert worden ist. 2 8 6

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b) Gewalttätigkeiten innerhalb der Menschenmenge. Zwistigkeiten, die innerhalb der Menschenmenge ausgetragen werden, wie handgreifliche Auseinandersetzungen in einer Vereinsversammlung, eine Schlägerei zwischen Teilnehmern einer in einer Scheune stattfindenden Tanzveranstaltung oder gar eine Art Massenschlägerei aller gegen alle, erfüllen den Tatbestand nicht. 2 8 7 Etwas anderes gilt nur, wenn die Gewalttätigkeiten verübenden

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Ridder/Breitbach/Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 20. Otto NStZ 1986 70, 71. Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 II Rdn. 21. Prot. VI/36. Maurach Demonstrationsnovelle, S. 19. Vgl. BGHSt 33 306, 308; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8/9; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 Rdn. 21; aA Ridder/Breitbach/ßeri«/eii/ Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 21 f. BGHSt 33 306, 308; Rudolphi/Stein SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-

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Lieben Rdn. 10; Schäfer MK Rdn. 15; Fischer Rdn. 7. BGH NJW 1990 2828, 2829. Vgl. LG Krefeld StV 1985 239, 240; Seh! Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Fischer Rdn. 7; Schäfer MK Rdn. 15. LG Krefeld StV 1985 239; vgl. auch BayObLG NStZ 1990 37, 38 m. Anm. Geerds JR 1990 384. BGHSt 33 306, 308; OLG Hamm NStZ 1995 547; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 10; Fischer Rdn. 7; Schäfer MK Rdn. 15; Rudolphi/Stein SK Rdn. 8; OstendorfSK Rdn. 13.

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Landfriedensbruch

Personen als Mitglieder einer Teilmenge agieren, die sich von der Gesamtmenge abhebt und ihrerseits so groß ist, dass sie die Voraussetzungen einer Menschenmenge erfüllt. 288 Die Außenwirkung ist demnach zu bejahen, wenn die Gewalttätigkeiten aus einer solchen Teilmenge gegen Personen begangen werden, die zwar der Gesamtmenge, nicht aber der Teilmenge angehören. 289 Bilden sich zwei feindliche Parteien jeweils von Mengengröße, so kehrt sich § 125 gegen die an den Ausschreitungen beteiligten Mitglieder beider Parteien (z.B. tätliche Auseinandersetzungen zwischen zwei verfeindeten Rockerbanden). 2 9 0 Der eine Menschenmenge kennzeichnende Charakter einer unüberschaubaren Personenvielheit lässt sich aber bei zwei feindlich gegenüberstehenden Gruppen, die jeweils für sich keine Menschenmenge darstellen, nicht aus einer Gesamtschau (Summierung) herleiten. 291 c) Unfriedlichkeit der Menschenmenge. Nach teilweise vertretener Auffassung sind Gewalttätigkeiten aus einer Menschenmenge nur dann begangen, wenn sie Ausdruck der Unfriedlichkeit der Menschenmenge oder zumindest eines wesentlichen Teils von ihr sind: 2 9 2 Nur wenn eine nach außen erkennbare gewalttätige oder bedrohliche Tendenz der Menge vorliege, sehe sich der Betroffene einer großen Zahl feindseliger Personen und damit potenzieller Angreifer gegenüber und werde der spezifische Unrechtsgehalt des Landfriedensbruchs verwirklicht. Ansonsten wäre der Landfriedensbruch nicht mehr als eine durch den besonderen Tatort gekennzeichnete Gewalttätigkeit, an der mehrere beteiligt sind. 293 Nach gegenteiliger Auffassung kommt ein Landfriedensbruch auch dann in Betracht, wenn die Menge im Ganzen friedlich bleibt und nur einzelne Tätergruppen Gewalttätigkeiten begehen. 294 Auf den feindseligen Gesamtcharakter der Menschenmenge kommt es dann nicht an, wenn die Gewalttätigkeiten aus einer Gruppe begangen werden, die sich äußerlich erkennbar von dem Demonstrationszug abgespaltet hat und selbst die quantitativen Voraussetzungen einer Menschenmenge erfüllt. 295 Verbleiben die gewalttätigen Personen in der ansonsten friedlichen Menge, hängt die Strafbarkeit allerdings davon ab, welcher Auffassung man folgt. Gegen die erstgenannte Auffassung spricht zunächst, dass die Neufassung des § 125 durch das 3. Strafrechtsreformgesetz vom 20. Mai 1970 auf das Merkmal der Zusammenrottung, das isolierte Gewalttätigkei-

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BGHSt 3 3 306, 3 0 8 ; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Fischer Rdn. 7. BGHSt 33 3 0 6 m. Anm. Otto NStZ 1986 70; aA Ridder/Breitbach/Beriwto/ Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 23. Rudolphi/Stein SK Rdn. 9. Schäfer MK Rdn. 15; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Rudolphi/Stein SK Rdn. 9. AG Freiburg StV 1982 582, 5 8 3 ; AG BerlinTiergarten NJW 1988 3218; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Rudolphi/Stein SK Rdn. 10; Kindhäuser LPK StGB Rdn. 8; Ostendorf NK Rdn. 14; Lackner/ Kühl Rdn. 7; Meyer GA 2 0 0 0 459, 4 6 8 ; Blei JA 1970 617; Lampe ZStW 106 (1994) 683, 684; offen gelassen von BGH N J W 1995 2644.

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 10; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 10, Ostendorf NK Rdn. 14; differenzierend Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 85 ff, der unter verstärkter Berücksichtigung der Gesamteinstellung der Masse die Spürbarkeit einer gewissen feindseligen Haltung aus der Menge voraussetzt und darauf abstellt, dass die Ausschreitungen von einer Vielzahl begangen oder getragen werden und sich die Gewalttäter und deren Sympathisanten nicht problemlos isolieren lassen. Schäfer MK Rdn. 16; Fischer Rdn. 8, der einen Rückhalt in einer Teilmenge fordert; Dreher N J W 1970 1153, 1160; Ridder/Breitbach/Bertuleit/Herkströter, Versammlungsrecht, § 125 StGB Rdn. 2 4 ; Herzog Prot. VI/ 158; Sieber Prot. W 1 5 8 , S. 182. Vgl. BayObLG N J W 1 9 6 9 1127, 1128.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung ten aus einer friedlichen Menge nicht erfasst, 2 9 6 verzichtet hat und den neutralen Begriff der Menschenmenge verwendet. 2 9 7 Der Hinweis der Gegenauffassung auf die ratio legis, wonach massenpsychologische Eskalationsgefahr und Anonymisierung einzelner Täter einen feindseligen Generalkonsens voraussetzen, ist nicht zwingend. Das mit der Ansammlung typischerweise bestehende Gefahrenpotenzial hängt nicht notwendig davon ab, dass alle Mitglieder einer Menge oder jedenfalls der wesentliche Teil als potenzielle Angreifer in Betracht kommen. Unabhängig vom Problem der Festlegung einer Quote dürfte es schließlich in vielen Fällen für das Gericht fast unmöglich sein, festzustellen, wie viele Personen einer Menge tatsächlich eine gewalttätige oder bedrohliche Tendenz aufweisen, zumal auch eine psychische Unterstützung ausreichend ist. 2 9 8 4. Mit vereinten Kräften 52

a) Begriff. Die Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen müssen „mit vereinten Kräften" begangen werden. Mit vereinten Kräften bedeutet: mit den Kräften mehr als eines Einzelnen. Erforderlich ist, dass diejenigen, die Ausschreitungen begehen oder unterstützen, ihre Kräfte faktisch zu den Tathandlungen vereinen. 2 9 9 Isolierte Aktionen Einzelner sowie Einzelakte ohne inneren und äußeren Bezug auf Handlungen von Mitdemonstranten werden von § 125 nicht erfasst. 3 0 0 Das Merkmal ist daher nicht erfüllt, wenn zwei Einzeltäter aus einer friedlichen Menschenmenge heraus in getrennten Einzelaktionen jeder für sich Steine in Richtung eines Polizeifahrzeugs schleudern 3 0 1 oder sonst gegen Außenstehende ausfällig werden. 3 0 2 Die Gewalttätigkeit eines Einzelnen ist allerdings dann ausreichend, wenn diese von der zustimmenden Haltung der Menge getragen wird. 3 0 3 Findet der Einzelne Rückhalt in der Menge, wird der Tatbestand mit den vereinten Kräften aller ihrer Mitglieder erfüllt, durch die einen als physische Täter, durch die anderen als psychische Beihilfe leistende (täterschaftliche) Gehilfen. Das dem Tatbestandsmerkmal innewohnende Gefahrenpotential ist deshalb gegeben. 3 0 4 Ein vorange-

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Vgl. BGH NJW 1954 1694; BayObLG NJW 1969 1127, 1128; OLG Schleswig SchlHA 1976 167 Nr. 25. Arzt JA 1982 269, 270; Dreher NJW 1970 1153, 1160; Maurach Demonstrationsnovelle, S. 19; Dietel/Gintzel/Kniesel VersG § 27 Rdn. 8; Weingärtner Demonstration und Strafrecht, S. 48; Lücke RAusschProt. 10/39, S. 105. Arzt]A 1982 269, 270 Fn. 8. Vgl. OLG Hamburg NJW 1983 2273; Schäfer MK Rdn. 17; Rudolphi/Stein SK Rdn. 11; Arzt JA 1982 269, 270; Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 141, der aus diesem Merkmal den Charakter eines Konvergenzdelikts herleitet; hierzu Stoffers GA 1993 579, 580; zu dem Merkmal s.a. Rosenau LK § 121 Rdn. 25. OLG Hamburg NJW 1983 2273; vgl. auch BGHSt 33 306; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 10; Schäfer MK Rdn. 17.

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Vgl. AG Berlin-Tiergarten NJW 1988 3218, 3219. Vgl. BGH NJW 1984 1226, 1232 (in BGHZ 89, 383 nicht abgedruckt); BGHSt 33 306, 309. RGSt 47 178, 180; Schäfer MK Rdn. 17; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 II Rdn. 26; Arzt/Weber BT § 44 III Rdn. 29; Meyer GA 2000 459, 469; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 11, wonach mindestens zwei Personen koordinierte Tatbeiträge erbringen müssen und eine den Tatentschluss nur stärkende psychische Beihilfe nicht ausreicht; Ostendorf NK Rdn. 21; Ridder/Brekbach/Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 29 f. BGH 1 StR126/95 v. 20.7.1995; 2 StR 151/50 v. 22.2.1952 (7); 2 StR 96/65 v. 12.5.1965.

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Landfriedensbruch

gangener gemeinsamer Tatentschluss oder eine Abstimmung der Vorgehensweisen ist nicht erforderlich; vielmehr genügt es, wenn sich Mitglieder der Menge an spontanen Gewalttätigkeiten beteiligen. b) Unfriedlichkeit der Menschenmenge. Höchstrichterlich noch nicht entschieden ist die Frage, ob die Menge selbst oder ein wesentlicher Teil von ihr durch eine feindselige Haltung die Basis für die begangenen Ausschreitungen abgeben muss 3 0 5 oder es ausreichend ist, dass die ihre Kräfte zu gewalttätigem Vorgehen vereinigenden Personen aus einer insgesamt neutralen Menge heraus operieren, die Menge also nur Kulisse darstellt. 3 0 6 Die Auffassung, die das Merkmal „mit vereinten Kräften" auf das Zusammenspiel Gewalttäter/Menge bezieht und eine gemeinsame feindselige Willenshaltung fordert, begründet dies mit dem spezifischen Unrechtsgehalt des § 1 2 5 , 3 0 7 dem von § 125 geforderten besonderen Bezug zur öffentlichen Sicherheit 3 0 8 sowie der ratio legis, wonach gerade der massenpsychologische Effekt vorliegen müsse. 3 0 9 Eine derart tatbestandliche Einschränkung ist aber weder durch die Gesetzesfassung veranlasst noch durch den spezifischen Deliktscharakter geboten. Das für § 125 a.F. gültige, dort dem Begriff der Zusammenrottung entnommene feindselige Moment ist in die geltende Fassung nicht eingegangen, sondern mit der Eliminierung der „Zusammenrottung" aus dem Gesetzestext ausdrücklich aufgegeben worden. Man darf es dort nicht durch die Hintertür mit dem Hinweis wieder einlassen, dass sonst der Massendeliktscharakter des Landfriedensbruchs verloren gehe, der erst die strengere Bestrafung der in ihm enthaltenen Individualvergehen rechtfertige. 310 Anders als in der ursprünglichen Fassung der Vorschrift und anders als noch in § 124 StGB ist das Merkmal „mit vereinten Kräften" nicht auf die Menschenmenge, sondern auf die Gewalttätigkeiten bezogen, die aus der Menschenmenge begangen werden. Tatbestandserfordernis ist deshalb (nur noch), dass diejenigen, die Ausschreitungen verüben, ihre Kräfte dazu vereinigen, nicht aber, dass die gesamte Menschenmenge es tut. Dies schließt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder die besondere Gefährlichkeit des Einzelnen beim Handeln in der Menge nicht aus: selbst wenn die Menge ungeachtet der Exzesse Einzelner friedlich bleibt, kann die Abschirmungswirkung einer räumlich vereinten Personenvielzahl und deren mögliche Nutzbarmachung als geeignetes Aktionsfeld für ungehinderte Ausschreitungen das Vorgehen der Täter erleichtern. 311 Eine insgesamt feindselige Haltung der Menge als Basis für begangene Ausschreitungen ist auch nicht erforderlich, um den Landfriedensbruch von der mittäterschaftlichen Begehung eines konkurrierenden Individualdelikts zu unterscheiden,

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So OLG Köln NStZ-RR 1997 2 3 4 , 235; AG Berlin-Tiergarten NJW 1988 3218, 3219; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Rudolphi/Stein SK Rdn. 10; Fischer Rdn. 8, wonach Gewalttätigkeiten Einzelner oder kleinerer Gruppen zumindest in einer Teilmenge Rückhalt finden müssen; Lackner/Kühl Rdn. 7; Meyer GA 2 0 0 0 459, 4 6 9 ; Blei JA 1970 617 f; Lampe ZStW 106 684; Otto NStZ 1986 70, 71; vgl. auch Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 78, 83. So Schäfer MK Rdn. 18; Arzt JA 1982 269, 2 7 0 ; Arzt/Weber BT § 4 4 III Rdn. 23, offen gelassen von BGH N J W 1995 2 6 4 3 , 2 6 4 4 .

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Ostendorf NK Rdn. 14; Meyer GA 2 0 0 0 459, 4 6 9 abstellend auf die besondere Gefährlichkeit des Einzelnen beim Handeln in der Menge aufgrund des besonderen sich aus der Gruppenbindung und Gruppensolidarität ergebenden Handlungsdrucks auf den Einzelnen. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 10. Ostendorf NK Rdn. 21. AA Blei JA 1970 617; s.a. Otto NStZ 1 9 8 6 70, 71; Rudolphi/Stein SK Rdn. 10. Vgl. Knape Die Polizei 2 0 0 7 1 5 1 , 1 5 2 .

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§125

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

da bei § 125 die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit als weiteres, selbstständiges Tatbestandsmerkmal vorliegen muss. 312 54

5. Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Die Ausschreitungen müssen in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise begangen werden.

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a) Begriff. Der Rechtsbegriff der öffentlichen Sicherheit hat nicht die festen Umrisse, die man ihm in den Beratungen schließlich zugesprochen hat; er ist für sich konturenlos und wenig aussagekräftig, 313 weshalb er der wertenden Ausfüllung durch die Rechtsprechung bedarf. Gleichwohl ist es zu weitgehend, diesem Tatbestandsmerkmal jegliche Bedeutung abzusprechen. 314 Der Begriff der öffentlichen Sicherheit wird üblicherweise mit einem objektiven und einem subjektiven Element umschrieben: Öffentliche Sicherheit ist danach sowohl ein objektiv fassbarer Friedenszustand des von Gewalttätigkeiten freien und unbedrohten Daseins aller im Staat als auch das subjektive Vertrauen der Bevölkerung in den Bestand und Fortbestand ihrer Sicherheit im Staat. 315 Im Gegensatz zu § § 123, 241 StGB, die den Rechtsfrieden des Einzelnen schützen, geht es bei § 125 um den Zustand relativer Freiheit aller Bürger von Gefahren für Leben, Gesundheit und Sachgüter. Der Begriff der „öffentlichen Sicherheit" darf nicht mit dem Begriff der „inneren Sicherheit" gleichgesetzt werden, wie er in § 92 Abs. 3 Nr. 2 StGB und in § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GVG Verwendung findet. Eine Beeinträchtigung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik liegt nur vor, wenn deren Fähigkeit, sich gegen Störungen von innen zur Wehr zu setzen, herabgesetzt, mithin die Funktionsfähigkeit des Staates (d.h. seine Organe) und seiner Einrichtungen in Mitleidenschaft gezogen wird 3 1 6 oder eine Tat durch den ihr innewohnenden Verstoß gegen Verfassungsgrundsätze besonderen Charakter gewinnt. 317 Diese Gefahr korrespondiert nicht mit dem weiter zu verstehenden Begriff der öffentlichen Sicherheit, auch wenn die Abgrenzung fließend ist und die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ein Ausmaß annehmen kann, die auch die verfassungsmäßige Ordnung des Staates selbst gefährdet.

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Der in §§ 126, 130, 140 Nr. 2, 166 StGB verwendete Begriff des „öffentlichen Friedens" ist gegenüber dem Begriff der „öffentlichen Sicherheit" in § 125 der umfassendere Begriff, die allgemeine Sicherheit ein „Teilaspekt" des öffentlichen Friedens. 318 Diesen

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Schäfer MK Rdn. 18. Krüger Prot. VI/351; Tiedemann J Z 1968 761, 763. Arzt/Weber BT § 4 4 III Rdn. 30; Arzt JA 1982, 269, 2 7 0 ; Ridder/Breitbach/ßertK/eif/ Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 31. OLG Karlsruhe NJW 1979 2415, 2416; OLG Hamburg NJW 1983 2 2 7 3 ; vgl. auch OLG Celle NJW 2 0 0 1 2 7 3 5 m. zust. Anmerkung Hoyer JR 2 0 0 2 35, 36; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Schäfer MK Rdn. 1; Rudolph/Stein SK Rdn. 12; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 I Rdn. 4; Asschoff Der Landfriedensbruch, S. 3; krit. zum subjektiven Element Kühl NJW 1986 874, 879; aA Ridder/Breit-

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bach/Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 9, der auf den verwaltungsrechtlichen Begriff der öffentlichen Sicherheit abstellt. Vgl. hierzu BGHSt 2 8 312, 316 f; BGH NStZ 1988 215; 2 0 0 1 265, 268; BVerwGE 6 2 36, 38; Schnarr MDR 1993 589, 593; siehe auch § 4 Abs. 1 Buchst, a BVerfSchG. BGH NStZ 2 0 0 1 265, 268. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben § 126 Rdn. 1; Lackner/Kühl Rdn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 I Rdn. 4; Kühl NJW 1986 874, 879; Geerds Rechtsfriedensdelikte, S. 1: ein „Mindestmaß"; aA BGHSt 41 47, 53: innerer Friede als Teil der öffentlichen Sicherheit.

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Landfriedensbruch

§ 125

verstehen Rechtsprechung und herrschende Literaturmeinung als Zustand allgemeiner Rechtssicherheit und des befriedeten Zusammenlebens der Bürger sowie als Vertrauen der Bevölkerung in die Fortdauer dieses Zustande. 3 1 9 Das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit ist jedenfalls bei §§ 130, 166 nicht erst mit dem Entstehen eines Klimas offener oder latenter Feindschaften erschüttert, das sich jederzeit in Gewalt und Gegengewalt entladen kann, sondern bereits dann, wenn ein psychisches Klima der Intoleranz gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen geschaffen wird und Menschen nicht mehr in einer Gesellschaft ohne Befürchtung leben können, wegen bestimmter Merkmale diskriminiert zu werden. 3 2 0 Damit werden auch Unfriedlichkeiten harmloserer Art erfasst, während es beim Landfriedensbruch um einen Zustand ohne Gewalttätigkeiten und Bedrohungen mit diesen geht. Dass die Übergänge fließend sind, zeigt sich daran, dass noch der Koalitionsentwurf im § 125 in Anlehnung an die Titelüberschrift zu §§ 2 9 1 ff Ε StGB 1962 („Straftaten gegen den Gemeinschaftsfrieden") mit dem Begriff des öffentlichen Friedens arbeitete. 3 2 1 Während dieser Begriff in §§ 126, 130 StGB beibehalten, im § 166 StGB sogar erst durch das 1. Strafrechtsreformgesetz vom 2 5 . Juni 1969 neu eingeführt worden ist, 3 2 2 wurde er im § 125 zugunsten des Merkmals der „öffentlichen Sicherheit" aufgegeben, weil man unter diesem sich „etwas vorstellen" könne. 3 2 3 Vom verwaltungsrechtlichen Begriff der öffentlichen Sicherheit, wie er insbesondere durch das Polizeirecht konkretisiert wurde, 3 2 4 unterscheidet sich der Begriff der öffentlichen Sicherheit in § 125 dadurch, dass die Störung nicht in einem Verstoß gegen beliebige Strafrechtsnormen besteht, sondern nur Gewalttätigkeiten und Gewalttatdrohungen als der öffentlichen Sicherheit gefährlich gelten, weshalb grober Unfug und ganz unerhebliche Einwirkungen mit Bagatellcharakter die allgemeine Sicherheit nicht bedrohen. 3 2 5

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b) Gefährdung. Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, wenn wegen der in § 125 bezeichneten Ausschreitungen eine unbestimmte Vielzahl von Personen für Leib oder

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Vgl. mit wechselnder Akzentuierung zu $ 126: BGHSt 34 329, 331; OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2002 209, 210; zu § 130, § 130a a.F.: RGSt 15 116, 117; 18 314, 316; 34 269; 71 248, 249; BGHSt 16 49, 56; 29 26, 27; OLG Celle NJW 1970 2257; OLG Hamburg NJW 1975 1088 m. Anm. Geilen NJW 1976 279; OLG Koblenz MDR 1977 334; OLG Schleswig MDR 1978 333; OLG Hamburg MDR 1981 71; zu S 140: BGHSt 22 282, 285; BGH NJW 1978 58, 59; BGH b. Schmidt MDR 1981 92; zu § 166: OLG Köln NJW 1982 657; OLG Celle NJW 1986 1275, 1276; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238, 240; Schäfer MK § 126 Rdn. 1; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben § 126 Rdn. 1; Rudolphi/Stein SK § 126 Rdn. 2; Ostendorf NK § 126 Rdn. 6; Kindhäuser LPK § 126 Rdn. 1; Schramm NJW 2002, 419, 420; krit. Fischer NStZ 1988 159 ff, GA 1989 445, 451.

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Vgl. BGHSt 29 26, 28; 34 331; 46 36, 40; 46 212, 221 f; 47 278, 280 f; BGH NJW 1978 58, 59 (zu § 140); BGH NStZ 1994 140; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben 5 130 Rdn. la; Berkemann/Hesselberger NJW 1972 1789, 1791; krit. zum „Klimaschutz" Ostendorf NK § 130 Rdn. 6. BTDrucks. VI/139, S. 2. BGBl. I S. 645. Horstkotte Prot. VI/350; s.a. den Oppositionsentwurf, BTDrucks. VI/261. Danach umfasst der Begriff den Schutz zentraler Rechtgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht; vgl. BVerfG NJW 1985, 2395, 2398; Lisken/Denninger Handbuch des Polizeirechts 4. Aufl. 2007, S. 307. Vgl. Arzt JA 1982 269, 270; Blei JA 1970 618.

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§ 125

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Leben oder für Hab und Gut fürchten muss. 3 2 6 Dies ist nicht nur der Fall, wenn schon die gewalttätige Handlung als solche eine unbestimmte Vielzahl von Rechtsgutinhabern gefährdet. Ausreichend ist vielmehr, wenn aufgrund der Vorbild- und Anreizwirkung der Gewalttätigkeiten die Gefahr für künftige Angriffe auf Leib oder Leben oder Sachen einer unbestimmten Vielzahl potenzieller Opfer besteht oder wenn durch die Tat eine unbestimmte Personenmehrheit von der Besorgnis ergriffen wird, fremder Willkür ausgesetzt zu sein und ohne genügenden staatlichen Schutz gegen sie zu bleiben. 3 2 7 59

Umstritten ist, ob die öffentliche Sicherheit auch dann gefährdet sein kann, wenn sich die Ausschreitungen nur gegen einen einzelnen Menschen oder gegen eine einzelne Sache richten oder nur bei einzelnen Personen oder Sachen ein Schaden eintritt. Nach zutreffender h.M. reicht dies aus, wenn die Person oder Sache nur das zufällige Opfer der Gewalttat ist, diese also in gleicher Weise jeden anderen hätte treffen können, oder wenn es dem Täter bei dem Angriff auf eine Einzelperson und deren Sachen nicht um die Person als solche oder deren Eigentum geht, sondern das Opfer als Repräsentant eines Personenkreises angegriffen wird. 3 2 8 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn das Tatopfer als Vertreter einer bestimmten Volksgruppe attackiert wird, 3 2 9 die Gewalttätigkeiten gegen einen Mitarbeiter einer Firma begangen werden, die von der Stadtverwaltung mit dem Abriss einiger Häuser beauftragt wurde, 3 3 0 oder mit den Gewalttätigkeiten gegen einen Politiker oder Wirtschaftsführer nur der Repräsentant einer bestimmten politischen Richtung bzw. des „kapitalistischen Systems" anvisiert wird. 3 3 1 Unerheblich sind der Grund und das verbindende Moment, das die angegriffene Einzelperson zum Mitglied einer Personengruppe macht. Dies kann in der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft, Rasse, Partei oder ausländischen Bevölkerungsgruppe, in beruflich-funktionellen Gemeinsamkeiten oder in der Erledigung gemeinsamer Aufgaben liegen. Entscheidend ist, dass der Angriff den Betroffenen nicht als individuelle Persönlichkeit treffen soll, sondern gegen ihn (vor allem) wegen seiner gruppenspezifisch-repräsentativen Merkmale oder Funktionen gerichtet ist. 3 3 2

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Dies ist auch dann zu bejahen, wenn die Gewalttätigkeiten allein gegen einen bestimmten herausragenden, nicht aber gegen einen beliebig auswechselbaren Vertreter einer bestimmten Gruppe gerichtet sind, wie etwa gegen den Bundesverteidigungsminister als Repräsentant der Verteidigungspolitik der Bundesregierung oder gegen den Vorsitzenden einer Partei. 3 3 3 Nach gegenteiliger Auffassung sei in solchen Fällen die öffent-

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OLG Karlsruhe N J W 1 9 7 9 2415, 2416; OLG Köln NStZ-RR 1 9 9 7 2 3 4 , 235. OLG Köln NStZ-RR 1 9 9 7 2 3 4 , 235; Rudolphi/Stein SK Rdn. 12; Schäfer MK Rdn. 19, Fischer Rdn. 9. BGH NStZ 2 0 0 4 618; NStZ 1993 538; BayObLG NStZ-RR 1 9 9 9 2 6 9 ; OLG Köln NStZ-RR 1 9 9 7 2 3 4 , 2 3 5 ; OLG Hamburg NJW 1983 2 2 7 3 m. Anm. Rudolph ι JR 1983 2 5 2 ; OLG Karlsruhe N J W 1979 2415, 2416; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Fischer Rdn. 9; Schäfer MK Rdn. 19; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 6 0 I Rdn. 4; Arzt JA 1982 269, 270; einschränkend Rudolphi/Stein SK Rdn. 12, wonach die Gruppe aus einer unbestimmten Vielzahl von Personen bestehen müsse; aA

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Schwenck Prot. V/2954, 3017; Ridder/Breitbach/Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht § 125 StGB Rdn. 31; Brause NJW 1983 1640, 1641 unter Hinweis auf die Gesetzesformulierung im Plural. BGH NStZ 2 0 0 4 618. OLG Karlsruhe NJW 1979 2415. OLG Köln NStZ-RR 1997 2 3 4 , 235. BayObLG NStZ-RR 1 9 9 9 2 6 9 ; OLG Köln NStZ-RR 1 9 9 7 2 3 4 , 235; OLG Karlsruhe NJW 1 9 7 9 2415, 2416; einschränkend Rudolphi/Stein SK Rdn. 12. OLG Hamburg NJW 1983 2 2 7 3 ; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 I Rdn. 4; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 12.

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Landfriedensbruch liehe Sicherheit nicht gefährdet, weil bei den anderen Anhängern der entsprechenden Gruppierung nicht der Eindruck entstehen könne, dass sie ebenso wie dieser herausragende Vertreter das Opfer der Gewalttätigkeiten hätten sein k ö n n e n . 3 3 4 Dies ist zu eng. Auch hier ist der Angegriffene als „stellvertretende G r ö ß e " anzusehen und steht das gruppenspezifisch funktional-repräsentative M o m e n t als Beweggrund des Angriffs im Vordergrund. Außerdem sind auch derartige Angriffe geeignet, das Rechtssicherheitsgefühl der Allgemeinheit zu beeinträchtigen, weil sowohl bei den betroffenen Entscheidungsträgern (z.B. Regierungs- und Partei verantwortliche) als auch bei der Bevölkerung der Eindruck entstehen kann, dass man in einem geordneten Gemeinwesen nicht mehr frei von Furcht vor dem Terror gewalttätiger Mengen leben k a n n . 3 3 5 Wird das Sicherheitsgefühl unbestimmt vieler Menschen in dieser Art und Weise tatsächlich beeinträchtigt, kommt ein Landfriedensbruch selbst dann in Betracht, wenn mit dem Angriff auf ein konkretes Opfer keine von ihm repräsentierte Gruppe getroffen werden soll, etwa wenn die Menschenmenge den angeblichen Mörder zu lynchen droht. 3 3 6 Die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ist nach objektiven Kriterien festzustellen. Das Unsicherheitsgefühl der Allgemeinheit muss begründet und darf nicht irrational, z.B. allein durch Medien hervorgerufen sein. 3 3 7 Es müssen berechtigte Gründe für die Befürchtung vorliegen, das Sicherheitsgefühl werde erschüttert werden. 3 3 8 Eine konkrete Gefahr ist nicht erforderlich. 3 3 9 Dass sich die Unsicherheit im ganzen Staatsgebiet oder bei der gesamten Bevölkerung ausbreitet, ist kein Merkmal des Tatbestands. 3 4 0 Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Bedrohungen setzt voraus, dass sie ernst gemeint und ihre Realisierung durch den Drohenden oder ihm Nahestehende möglich erscheint. 3 4 1 Die augenblickliche Überlegenheit der Ordnungskräfte schließt nicht aus, dass die öffentliche Sicherheit durch die Ausschreitungen gefährdet i s t . 3 4 2 Eine Gefährdung scheidet in der Regel aus, wenn die Ausschreitungen den Charakter einer vorwiegend privaten Auseinandersetzung h a b e n . 3 4 3 Indizielle Voraussetzung für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ist eine gewisse Erheblichkeit des aggressiven Handelns. 3 4 4 Bagatellen oder Einzelakte gefährden die öffentliche Sicherheit nicht, z.B. Sachbeschädigungen mit Bagatellcharakter, 3 4 5 das Abreißen von Plakaten, das Verbrennen von Pamphleten oder eines Stapels Zeitungen. 3 4 6 Eine Gefährdung dürfte auch zu verneinen sein, wenn bloß ein Absperrgitter umgeworfen wird, sofern darin überhaupt eine Gewalttätigkeit gegen Sachen zu sehen i s t . 3 4 7

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Im Allgemeinen kann die öffentliche Sicherheit in Gefahr geraten, wenn in den Formen des § 125 Nr. 1 oder Nr. 2 z.B. Sabotagehandlungen i.S. des § 87 Abs. 2 verübt, Wahlen verhindert oder Wähler genötigt werden (§§ 107, 1 0 8 ) ; 3 4 8 Vollstreckungsbeam-

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Rudolphi JR 1983 252, 253. Sch/Scbröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Schäfer MK Rdn. 19, so wohl auch Fischer Rdn. 9; vgl. auch RGSt 55 101, 102; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 12; Ostendorf NK Rdn. 25; Kindhäuser LPK Rdn. 10. Ostendorf NK Rdn. 25. Vgl. § 130 Rdn. 64. AA Ostendorf NK Rdn. 25: konkrete Gefahr. RGSt 34 268, 270 zu § 130 a.F.

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Fischer Rdn. 4. Reuter Prot. V/2953; aA Ostendorf NK Rdn. 25. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Schäfer MK Rdn. 19. Vgl. BayObLG NStZ 1990 37, 38 mit Anm. Geerds JR 1990 384. Arzt JA 1982 269, 270. Dreher Prot. V/3024. Blei JA 1970 618; vgl. aber BGHSt 23 46, 53. Vgl. RGSt 27 429, 431 zu § 130a a.F.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

ten Widerstand geleistet wird (§§ 113, 114); eine Menschenmenge schweren Hausfriedensbruch begeht (§ 124); friedensstörende Androhung von Straftaten (§ 126), Verwahrungs-, Siegel- oder Verstrickungsbruch begangen wird (§§ 133, 136; Sturm auf Behörden und Pfandkammern); 3 4 9 der Gottesdienst gestört (§ 167) oder eine Beisetzungsstätte zerstört oder beschädigt wird (§ 168); Brandanschläge auf nationale Gedenkstätten verübt werden (§ 306); Frauen z.B. durch eine jugendliche Rockerbande überfallen und vergewaltigt werden (§ 177); 3 5 0 Menschen z.B. durch Rollkommandos misshandelt, verschleppt, entführt oder genötigt werden (§§ 211, 223, 234 ff, 240); Ausländerheime mit Molotowcocktails, Stahlkugeln etc. angegriffen oder Brandanschläge auf von Ausländern bewohnte Mehrfamilienhäuser begangen werden, 3 5 1 gewalttätige Hetzjagden auf Ausländer durch die Straßen veranstaltet werden; 3 5 2 wenn organisierte Gewaltbereitschaft demonstrativ zur Schau gestellt wird in (uniformierten) Aufmärschen von Rechtsextremisten, bei denen - unter Gefahr einer Eskalation im Sinne gewalttätiger Übergriffe Teile der Bevölkerung durch aggressive Schlagworte, Symbole und Gesten ausgegrenzt und existentiell eingeschüchtert werden; wenn Banden Diebes- und Raubzüge unternehmen (§§ 243, 244, 249 ff) oder durch Zerstörung fremden Eigentums Schrecken verbreiten (§§ 303 ff), wenn Demonstranten bewaffnet unter aufputschenden Rufen durch die Straßen ziehen. 353 Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kommt ferner in Betracht beim Brandlegen in einer Fabrik oder in einem Kaufhaus als Ausdruck des Protestes gegen das „Kapital", 3 5 4 beim Demolieren eines öffentlichen Gebäudes (Gerichtsgebäude, Rathaus, institutionelle Einrichtungen, Amerikahaus) durch antiautoritäre Halbstarke, einer Kaserne durch Kriegsgegner; oder wenn die Gefahr der Ausbreitung oder der Nachahmung besteht, wie etwa bei gemeingefährlichen Verbrechen 3 5 5 oder Demonstrationsexzessen . 3 5 6 63

6. Sich-beteiligen als Täter oder Teilnehmer. Die Tathandlung des gewalttätigen Landfriedensbruchs ist die Beteiligung an Gewalttätigkeiten als Täter oder Teilnehmer. Abweichend von dem differenzierenden Beteiligungssystem der §§ 25 ff erfasst § 125 als Täter jeden an den Gewalttätigkeiten Beteiligten, unabhängig davon, ob er Täter, Mittäter, mittelbarer Täter, Gehilfe oder Anstifter ist. 357 Insoweit liegt dem Tatbestand ein alle Beteiligungsformen zusammenfassender einheitlicher Täterbegriff zugrunde, wie er sonst im Ordnungswidrigkeitenrecht maßgeblich ist. 358 Trotz dieser gesetzlich angeordneten Gleichstellung von täterschaftlicher und teilnehmerschaftlicher Beteiligung am gewalttätigen Landfriedensbruch bleiben etliche Auslegungsfragen zu klären.

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Vgl. RGSt 54 85; Prot. V/2898. BGH 5 StR 497/57 v. 10.1.1958 bei Dallinger MDR 1958 139; BGH 5 StR 620/57 v. 11.3.1958. BGH 4 StR 81/94 v. 28.4.1994; 4 StR 105/94 v. 7.6.1994. BT-Verh. 12/227, S. 19668. Scholz Prot. V/2953; Dreher dort S. 3008. Vgl. RGSt 54 26, 27 zu § 130 a.F. Corves Prot. V/3019. Scholz Prot. V/2953-, Schwind/Baumann Gewaltursachen Bd. 1 Rdn. 90; s.a. BayObLG NJW 1969 1127 f.

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Schäfer MK Rdn. 28; Rudolphi/Stein SK Rdn. 13; Lackner/Kühl Rdn. 8. Schünemann LK vor § 25 Rdn. 5 ff; Sehl Schröder/Cramer/Heine vor § § 25 ff Rdn. 11; Meyer GA 2000 459, 470 f; Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 140 ff; Strohmaier, Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 87.

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Landfriedensbruch

§125

a) Außenstehende. Umstritten ist zunächst, ob die Täterschaft nach § 125 Abs. 1 1. Alt. erfordert, dass der an der Gewalttätigkeit beteiligte Täter oder Teilnehmer selbst Teil der Menschenmenge ist, aus der heraus die Ausschreitungen erfolgen, oder ob er auch Außenstehender sein kann. Die engste Auffassung betrachtet den gewalttätigen Landfriedensbruch als Sonderdelikt für diejenigen, die der Menschenmenge selber angehören, mit der Folge, dass alle Außenstehenden lediglich als Teilnehmer gem. § 125 i.V.m. §§ 26, 27 zu bestrafen sind, auch wenn sie nach allgemeinen Regeln als Mittäter oder mittelbare Täter zu qualifizieren wären. 3 5 9 Begründet wird dies mit dem Wortlaut 3 6 0 und dem spezifischen Unrechtsgehalt des Landfriedensbruchs, der in der besonderen Gefährlichkeit des Einzelnen beim Handeln in der Menge liege. 361

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Nach anderer Auffassung ist eine teleologische Reduktion insofern geboten, als § 125 nur für diejenigen Außenstehenden in Betracht komme, die einen täterschaftlichen Tatbeitrag als Mittäter oder mittelbarer Täter leisten, während Ortsabwesende, die lediglich einen teilnehmerschaftlichen Tatbeitrag leisten, nur nach § 125 i.V.m. §§ 26, 27 bestraft werden könnten. 3 6 2 Zur Begründung wird hauptsächlich angeführt, die Aufwertung bloßer Teilnahme zur Täterschaft ließe sich nur damit rechtfertigen, dass der Teilnehmer in der Menge mitagiere und dadurch deren Gefährlichkeit erhöhe. 3 6 3 Außerdem wird darauf hingewiesen, dass ansonsten der aufwieglerische Landfriedensbruch (§ 125 3. Alt.) reduziert wäre auf die nach allgemeinen Regeln erfolglose Teilnahme an der 1. oder 2. Alternative. 364

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Der Bundesgerichtshof hat die Streitfrage im Schubart-Urteil aus dem Jahr 1983 teilweise entschieden: Danach kann Täter eines Landfriedensbruchs auch sein, wer sich nicht am Ort der Ausschreitungen aufhält, sofern ihm die Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen nach allgemeinen Grundsätzen als eigene Tat zuzurechnen sind. 3 6 5 Deshalb sei auch der ortsabwesende Befehlsgeber, Organisator oder geistige Anführer Täter des § 125, wenn und soweit die aus der Menge verübten Gewalttätigkeiten seinem Tatwillen entsprechen und unter seiner Tatherrschaft begangen werden. Ob auf das Erfordernis der Anwesenheit am Ort des Geschehens auch dann verzichtet werden kann, wenn die Beteiligung an den Gewalttätigkeiten lediglich als Teilnehmer erfolgt, hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich offen gelassen.

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Die besseren Argumente sprechen dafür, alle Fälle täter- und teilnehmerschaftlicher Beteiligung durch Mitglieder der Menschenmenge sowie durch Außenstehende als täterschaftlichen Landfriedensbruch zu erfassen. 366 Die tatbestandliche Einschränkung des § 125 auf Mitglieder der Menschenmenge findet nach der inhaltlichen Umgestaltung des

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Ostendorf ~NK Rdn. 13; Blei JA 1970 618; Schmidhäuser BT Kap. 12 Rdn. 23; Meyer GA 2 0 0 0 459, 4 6 8 ff; Ridder/Breitbach/ Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht, § 125 StGB Rdn. 13; Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 141; Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 87 ff; Maurach Demonstrationsnovelle, S. 21. Blei JA 1970 618; Rinken StV 1994 95, 98. Ostendorf NK Rdn. 13; ausführlich Meyer GA 2 0 0 0 459, 4 6 8 ff. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Fischer Rdn. 12; Lackner/Kühl Rdn. 10; Kindhäuser LPK StGB Rdn. 12;

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Arzt JA 1982 269, 2 7 0 ; ders. J Z 1984 4 2 8 , 4 3 0 ; Arzt/Weber BT § 4 4 III Rdn 31; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 6 0 II Rdn. 29. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdnr. 13; Lackner/Kühl Rdn. 10; Kindhäuser LPK Rdn. 12; Fischer Rdn. 12. BGHSt 32 165 ff mit Anm. Arzt J Z 1984 4 2 8 ff und Willms J R 1984 120 f; vgl. dazu BVerfG N J W 1991 91, 94 mit Anm. Rinken StV 1994 95. So auch Schäfer MK Rdn. 2 9 ; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 13; Dreher N J W 1 9 7 0 1153,

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§ 125

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

§ 125 durch das 3. Strafrechtsreformgesetz weder in der Gesetzesfassung noch in der ratio legis eine hinreichende Stütze. 3 6 7 Im Gegensatz zu § 125 a.F., der den räumlichen Anschluss des Täters an die gewalttätige Menge voraussetzte, 368 knüpft die Neufassung gerade nicht mehr an die Anwesenheit in der feindseligen Menschenmenge, sondern „nur" an die Beteiligung an den Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen an. 3 6 9 Sinn und Zweck der Neufassung war es, nicht mehr jeden neutralen Mitläufer schon wegen seines Dabeiseins zu erfassen, sondern nur noch die aktiv an Gewalttätigkeiten beteiligten Personen. 3 7 0 Als beteiligt in diesem Sinne kann aber auch derjenige angesehen werden, der sich zwar nicht in der Menge aufhält, dem jedoch die aus dieser heraus verübten Gewalttätigkeiten als eigene Tat zuzurechnen sind, 3 7 1 zumal auch dieser dazu beiträgt, dass sich das besondere Gefahrenpotenzial der aus einer Menschenmenge begangenen Gewalttätigkeiten erhöht. 3 7 2 Aus denselben Gründen können sich auch Außenstehende teilnehmerschaftlich am Landfriedensbruch beteiligen und überzeugt die differenzierende Auffassung - täterschaftliche Beteiligung auch für Außenstehende, teilnehmerschaftliche Beteiligung hingegen nur für Mitglieder der Menge - nicht. 3 7 3 Es dürfte für die Gefährlichkeitssteigerung eines Tatbeitrags keinen so wesentlichen Unterschied machen, ob die anfeuernden Rufe die gewalttätige Gruppe aus der Menge heraus oder von außerhalb mittels Megaphon erreichen, ob der „Lieferant" die Wurfgeschosse vor Bildung der Menge für die von den Gewalttätern geplanten und erwarteten gewaltsamen Ausschreitungen vorbereitend fertigt und bereitlegt oder ob er sie innerhalb der Menge - etwa durch Herausreißen von Pflastersteinen - aufsammelt und den Gewalttätern zur Verfügung stellt. 68

b) Täterschaftliche Beteiligung. Ob jemand die Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen als Täter, Mittäter oder mittelbarer Täter selbst begeht oder zu ihnen anstiftet oder bei ihnen Hilfe leistet, bestimmt sich nach den für Täterschaft und Teilnahme geltenden Regeln der §§ 2 5 bis 27. 3 7 4

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Erfasst werden zunächst eigenhändige Gewalttätigkeiten des aus der Menschenmenge heraus agierenden Gewalttäters, also die unmittelbare Beteiligung an der Tatausführung; so das Einschlagen mit einer Eisenstange auf einen einschreitenden Polizeibeamten aus der Menge heraus; das Benutzen von mitgeführten oder aufgenommenen Knüppeln, Latten oder Steinen durch Angehörige einer „Kampfgruppe"; 3 7 5 das gewalttätige Verteidigen von Barrikaden gegen die zur Räumung eingesetzten Ordnungskräfte unter Verwendung von Brandsätzen usw.; 3 7 6 Schläge und Tritte gegen anrückende Polizeibeamte zwecks Festnahmeverhinderung, sofern sie als Fortsetzung der vorher aus der Menge

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Vgl. BVerfG NJW 1991 91, 94; BGHSt 32 165, 178; Kühl N J W 1985 2379, 2 3 8 0 Fn. 23. Vgl. RGSt 6 0 331 f; BGHSt 2 279, 281. BVerfG N J W 1991 91, 94; BGHSt 32 165, 178; 33 3 0 6 , 3 0 7 ; LG Krefeld StV 1984 249, 2 5 0 ; AG Freiburg StV 1982 371, 372: Aufgabe der aus dem früheren Massendeliktscharakter erklärlichen „Solidarhaftung" bzw. „Gruppenverantwortlichkeit"; vgl. auch Kühl N J W 1985 2 3 8 0 Fn. 2 3 mit dem Hinweis auf die in dem Verzicht auf den räumlichen Anschluss an die Menge liegende Verschärfung.

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Vgl. BVerfG N J W 1991 91, 94. Vgl. BVerfG N J W 1991 91, 94. Schäfer MK Rdn. 29. Rudolphi/Stein SK Rdn. 13; Schäfer MK Rdn. 29; krit. zur differenzierenden Auffassung auch Meyer GA 2 0 0 0 4 6 4 f. Rudolphi/Stein SK Rdn. 13; Lackner/Kühl Rdn. 8; Fischer Rdn. 13; aA Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 141 ff. BGH NJW 1984 1226, 1 2 3 2 , 1 2 3 4 . BGHSt 32 165, 167.

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Landfriedensbruch

§ 125

begangenen gewalttätigen Ausschreitungen anzusehen sind oder im Zusammenhang mit gemeinschaftlichen gezielten Widerstandsaktionen gegen Polizeibeamte stehen. 3 7 7 Erfasst werden auch Gewalttätigkeiten erst während der Räumung des Geländes oder bei einem Rückzugsgefecht; 3 7 8 nicht aber Widerstandshandlungen eines auf der Flucht gestellten Einzelnen. 379 Mittäterschaftliche Beteiligung kommt insbesondere für denjenigen in Betracht, der an der eigentlichen Tatausführung nicht eigenhändig beteiligt ist, dem aber die Gewalttätigkeiten nach den allgemeinen Grundsätzen als eigene Tat zuzurechnen sind. Sie umfasst auch die Ausschreitungen vorbereitende und in die Tatausführung weiterwirkende Tätigkeit des Drahtziehers, Befehlsgebers oder geistigen Anführers. 3 8 0 Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Drahtzieher über die Entwicklung des Tatplans und die Organisation seiner Durchführung hinaus die Ausführung am Tatort mitsteuert oder zumindest eingriffsbereit überwacht oder wenn der Einsatzleiter zur Tatzeit - sei es telefonisch, per Funkspruch oder durch Mittelsmänner - die einzelnen Begehungsakte dirigiert oder koordiniert. 381 Ob auch der ortsabwesende Hintermann, der sich auf die planerische oder organisatorische Tätigkeit im Vorbereitungsstadium beschränkt, der also den „ganzen Schlachtplan der Gewalttätigkeiten entworfen hat", später jedoch nicht mitgeht und die Gewalt am Tatort auch nicht steuert, als Mittäter des § 125 in Betracht kommt, wird im Hinblick auf differenzierte Anforderungen an die nach der Tatherrschaftslehre wesensbestimmenden Täterschaftsmerkmale unterschiedlich beantwortet. 3 8 2 Die engere Auffassung, die eine mittäterschaftliche Zurechnung der aus der Menschenmenge verübten gewalttätigen Ausschreitungen als eigene Tat des im Hintergrund agierenden Organisators ablehnt, begründet dies mit der bei der Mittäterschaft vorausgesetzten „Mitwirkung im Ausführungsstadium". 383 Die organisatorische Vorbereitung stelle keine - über die Geschehensbeeinflussung hinausgehende - Mitbeherrschung des Geschehens dar, der planende Organisator sei bei der Realisierung vielmehr von der Initiative, den Entschlüssen und der Tatgestaltung der unmittelbar Ausführenden abhängig. Nach der weiteren Auffassung kann auch die Planung, organisatorische Gestaltung und Rollenverteilung durch den Organisator, die in die Tatausführung hinein weiterwirkt, als Tatherrschaft zu qualifizieren sein. 3 8 4 Dem ist zuzustimmen. Die Tat, an der ein Beteiligter mitwirken muss, ist als Gesamtgeschehen zu sehen und darf nicht auf das Kerngeschehen reduziert werden. Mittäterschaft kommt deshalb auch dann in Betracht, wenn ein gegenseitige Abhängigkeit begründender wesentlicher Tatbeitrag in der Vorbereitungsphase bei der Tatbestandserfüllung i.w.S. weiterwirkt. 385 Hinsichtlich des die mittäterschaftliche Begehungsweise bestimmenden gemeinsamen Tatentschlusses kann die Willensübereinstim-

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Vgl. BGH 3 StR 2 5 7 / 8 4 vom 8.8.1984. Vgl. BGH NJW 1984 1226, 1232 f. Insoweit nur §§ 113, 2 2 3 ; vgl. BGH NStZ 1984 549. BGHSt 32 165, 178; BVerfG N J W 1991 91, 94. Schünemann LK § 2 5 Rdn. 184; Roxin Täterschaft und Tatherrschaft (8. Aufl. 2 0 0 6 ) S. 2 8 0 , 299. Bejahend: Horstkotte Prot. Vl/355; s.a. de With BT-Verh. VI/39, S. 1947, Rudolphi/ Stein SK Rdn. 13a; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 14; zur Mittäterschaft bei Mitwirkung im Vorbereitungs-

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stadium vgl. Jescheck/Weigend AT § 63 III 1; Küpper GA 1986 437, 4 4 5 ; Seelmann JuS 1980 571, 573. Vgl. Schünemann LK § 2 5 Rdn. 184; Roxin Täterschaft und Tatherrschaft (8. Aufl. 2 0 0 6 ) S. 2 9 8 ff: „Funktionelle" Tatherrschaft; Rudolphi FS Bockelmann, S. 369, 374 f. Beulke J R 1980 423, 4 2 4 ; Küpper GA 1986 437, 4 4 6 ; Seelmann JuS 1980 571, 573. Vgl. Sch/Schröder/Cramer/Heine § 25 Rdn. 66; Jescheck/Weigend AT § 63 III 1; Lackner/Kühl § 2 5 Rdn. 11 u. § 125 Rdn. 9 (nur ganz ausnahmsweise).

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§ 125

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mung auch stillschweigend oder durch schlüssiges Handeln erfolgen, sofern sich nur jeder bewusst ist, dass neben ihm noch andere mitwirken und diese von dem gleichen Bewusstsein erfüllt sind. 3 8 6 71

Der Bundesgerichtshof hat im Schubart-Urteil aus dem Jahr 1983 die Gewalttätigkeiten, die im Zusammenhang mit der neuneinhalbstündigen Blockade des Frankfurter Flughafens begangen wurden, demjenigen als Täter zugerechnet, der als maßgebliche Autorität der Startbahngegner tags zuvor zu der unfriedlichen Großaktion aufgerufen und dabei in Kauf genommen hatte, dass Barrikaden errichtet und diese gewaltsam verteidigt werden, weil er die Gewalttätigkeiten „mitbeherrscht" habe. 3 8 7 Im Hinblick auf Art. 5 und Art. 8 GG darf allerdings derjenige, der ernsthaft zu einer friedlichen Demonstration aufruft, nicht wegen Landfriedensbruchs bestraft werden, wenn sich an der Veranstaltung gewalttätige Gruppen anschließen, und zwar auch dann nicht, wenn er schon bei seinem Aufruf mit deren Auftreten gerechnet hat, er aber die Veranstaltung um deren von der Rechtsordnung gedeckten Ziele willen auf jeden Fall, also auch unter Hinnahme von Ausschreitungen, durchführen wollte. 3 8 8

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c) Teilnahme. Als der Täterschaft gleichgestellte Teilnahmegestaltungen kommen zunächst erfolgreiche Anstiftungshandlungen in Betracht. Durch die Anstiftung muss in einem anderen der Entschluss zur Begehung der Gewalttätigkeiten aus einer Menschenmenge hervorgerufen werden. Dabei genügt es, wenn sich die Aufforderung an einen individuell bestimmten Personenkreis richtet, aus dem sich dann einer zur Tat entschließt. Eine an einen ganz unbestimmten, unübersehbaren und in seiner Zusammensetzung unerkennbaren Personenkreis gerichtete Aufforderung enthält keine genügend bestimmte Bezeichnung der Person des Angestifteten. 389 Die bestimmende Einwirkung kann vor Bildung der Menschenmenge erfolgen 3 9 0 und durch eine innerhalb oder außerhalb der Menge befindliche Person vorgenommen werden. 3 9 1 Der Anstiftervorsatz muss das massendeliktsbezogene Element des § 125 - Begehung aus einer Menschenmenge mit vereinten Kräften - mit umfassen. 3 9 2 Die in Aussicht genommenen gewalttätigen Ausschreitungen aus einer Menschenmenge müssen in ihren wesentlichen Dimensionen und Umrissen, in ihrem zeitlichen und räumlichen Rahmen und dem konkreten Angriffs- und Bezugszusammenhang von der Vorstellung des Bestimmenden erfasst werden; 3 9 3 un-

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Vgl. BGH N J W 1984 1226, 1228; Seh/ Schröder/Cramer/Heine § 2 5 Rdn. 71; JescheckJWeigend AT § 63 II 1, 2. BGHSt 32 165 ff, wobei unklar bleibt, ob von Mittäterschaft oder mittelbarer Täterschaft ausgegangen wird. Das BVerfG NJW 1991 91 ff hat diese Rechtsprechung bei Stimmengleichheit gebilligt; krit. Ostendorf NK Rdn. 2 2 (weder persönliche noch organisatorische Tatherrschaft); Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14 (Rückfall in eine extrem subjektive Täterlehre); Schäfer MK Rdn. 30. BGHSt 32 165, 179. Vgl. Schünemann LK § 26 Rdn. 48 ff; weitergehend Maurach/Scbroeder/Maiwald BT

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§ 60 II Rdn. 30, die auch die Menge als solche als tauglichen Anstiftungsadressaten bezeichnen. 390 Yg[ Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 90, 92. 3 9 1 Für den außenstehenden Teilnehmer offen gelassen: BGHSt 32 165, 179; abw. Maurach/Scbroeder/Maiwald BT 2 § 60 II Rdn. 30, die die bestimmende Einwirkung tatortferner Außenstehender lediglich dem Bereich echter, unmittelbar nach § 26 zu beurteilender Teilnahme zuweisen. 3 9 2 Vgl. Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 92. 3 9 3 Vgl. BGHSt 34 63, 66 f; Schünemann LK § 26 Rdn. 3 9 ff.

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Landfriedensbruch

§ 125

erheblich ist, wenn einzelne konkrete Begehungsmodalitäten der eigentlichen Tatausführung hiervon abweichen. 3 9 4 Als (täterschaftliche) Beihilfe kommen in Betracht: die bewusst tätige Abschirmung, die die eigentlichen Gewalttäter deckt, vor dem Zugriff der Polizei schützt und dadurch weitere Aktionen ermöglicht. 395 Dies kann etwa geschehen durch Bildung eines Kordons, durch Mitvollziehen der räumlichen Bewegungen von Steine werfenden Tätern zwecks Verschleierung, durch Manöver, die den Einsatz der Polizei auf andere Vorgänge ablenken sollen oder durch Bildung von einheitlich gekleideten und vermummten Pulks um die eigentlichen Gewalttäter herum. 3 9 6 Derartige echte Abschirmhandlungen stellen sich als physische, nicht lediglich als psychische Teilnahme dar. 3 9 7 Hierher gehört weiter die Versorgung der Gewalttäter mit Tatmitteln und -Werkzeugen; so das Herausreißen und Weiterreichen von Pflastersteinen zur „Munitionierung" der mit vereinten Kräften agierenden Gewalttäter; 3 9 8 aber auch die Beschaffung und Bereitstellung von Wurfgeschossen oder Brandsätzen für die Gewalttäter vor Bildung der Menge. 3 9 9 Fehlgeschlagene physische Beihilfe kann als psychische Beihilfe zu werten sein. 4 0 0 In der Versorgung mit Wurfgeschossen etwa ist eine Bestärkung des Tatentschlusses der Gewalttäter zu sehen, auch wenn diese Wurfmittel nicht zum Einsatz gekommen sind. Einzubeziehen ist ferner die tatfördernde Beteiligung des verantwortlichen Redakteurs durch Sendung einer von dem Fernsehteam eigens aufgenommenen Erklärung des Organisators einer Blockadeaktion, der zu einer gewalttätigen Demonstration aufruft. 401 Abweichend beschränkt das überwiegende Schrifttum aus tatbestandsspezifischen Erwägungen die täterschaftliche Gleichstellung auf die von einem Mitglied der Menge geleistete Unterstützung der Gewalttäter, so dass nur Beihilfe zu § 125 Abs. 1 in Betracht kommt (vgl. Rdn. 64).

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d) Psychische Beihilfe. Die Aufwertung zum täterschaftlichen Landfriedensbruch gilt auch für die Teilnahmegestaltung der psychischen Beihilfe, die sich nicht in physischen Tatbeiträgen niederschlägt, sondern über die Psyche des Täters als Bestärkung oder Intensivierung des Tatentschlusses in risikosteigernder Form wirkt. 4 0 2 Voraussetzung der Tathandlung ist der Bezug zu einer bestimmten Gewalttätigkeit und ein entsprechender Vorsatz. 403 In Betracht kommen Auskünfte und technische Rathilfe zu erfolgversprechen-

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Zu weitgehend Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 156. LG Krefeld StV 1984 249, 2 5 0 ; LG Nürnberg-Fürth StV 1983 57; Sch/SchröderLenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Pfeiffer RAusschProt. 10/39, Anh. S. 93; zu weitgehend Krüger Prot. Vl/345. Vgl. Lackner/Kühl Rdn. 10; Dreher NJW 1970 1153, 1160; Werte FS Lackner, S. 481, 497; Gareis RAusschProt. 10/39, S. 8. Vgl. Baumann RAusschProt. 10/39, S. 121, 144; Kühl NJW 1985 2379, 2 3 8 0 ; aA Otto RAusschProt. 10/39, Anh. S. 84. Zu den Fällen bloßen Anschlusses an eine unfriedliche Menge zwecks Gewährung von Anonymität für die aktiven Täter in der Masse vgl. auch BGH NJW 1984 1226, 1234. Arzt JA 1982 269, 270; Kostaras Zur straf-

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rechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 151. Vgl. Dreher N J W 1970 1160; zur Relevanz von Tatbeiträgen im Vorbereitungsstadium vgl. Schünemann LK § 27 Rdn. 38. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 64 IV 2; Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 152. Vgl. BGHSt 32 165 (Startbahn-West-Fall); Willms J R 1 9 8 4 1 2 0 , 1 2 1 . Arzt JA 1982 269, 271; Rudolphi/Stein SK Rdn. 13b; Werte FS Lackner, S. 4 9 7 ; zur psychischen Beihilfe vgl. Schünemann LK § 2 7 Rdn. 11 ff; Rudolphi StV 1982 518, 5 2 0 ; aA Ridder/Breitbach/Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht, § 125 StGB Rdn. 13, die die lediglich psychische Unterstützung der dritten Alternative zuweisen. Vgl. LG Nürnberg-Fürth StV 1983 57.

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§ 125

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

der konkreter Durchführung der gewalttätigen Ausschreitungen; 404 das Skandieren von auf konkrete Ausschreitungen bezogenen tatmotivierenden Parolen und Fortsetzungsappellen; anfeuernde Zurufe oder ähnliche, auf Aktionsbestärkung oder Handlungsintensivierung der Gewalttäter gerichtete Bekundungen von Umstehenden in der Gruppe 4 0 5 sowie von außenstehenden Passanten und Anwohnern. 4 0 6 Psychische Unterstützung muss eine Solidarisierung mit den Gewalttätern sichtbar machen und den Teilnehmer auch für die Gewalttäter selbst als Förderer der friedensstörenden Taten erscheinen lassen. Die bloße Teilnahme an einer Demonstration, die von anderen radikalen Randalierern taktisch zur Durchführung von Gewalttätigkeiten ausgenutzt wird, begründet eine Strafbarkeit nach § 125 nicht. 4 0 7 Das gilt in gleicher Weise für die passive Anwesenheit (Dabeistehen, Mitlaufen, Verbleiben) als solche in einer unfriedlichen oder „umfunktionierten" Menge oder in einer sonst aktiven Teilgruppe nach Ausbruch der Gewalttätigkeiten, selbst bei innerer Billigung der Gewalttätigkeiten durch den Dabeistehenden. 408 Passiv Anwesende dienen den Gewalttätern zwar häufig als nützliche Kulisse und bieten ihnen Schutz gegen das Vorgehen der Polizei. Ungeachtet dessen, ob sich die physische Präsenz im Einzelfall im Sinne einer Bestärkung der Gewalttäter auswirkt und ob der passiv Anwesende dies weiß - bei bloßen Mitläufern dürfte ohnehin häufig das aktuelle Bewusstsein einer etwaigen Förderungswirkung hinsichtlich der Gewalttätigkeiten fehlen 4 0 9 - stellt das schweigende Geschehenlassen der Ausschreitungen als solches schon objektiv kein tatbestandsrelevantes psychisches Unterstützen dar. 410 Die Beteiligung nach § 125 setzt vielmehr auch in Gestalt der psychischen Beihilfe ein nach den allgemeinen Teilnahmegrundsätzen beachtliches, bestimmte Gewalttätigkeiten der aktiven Täter förderndes, objektiv fassbares Verhalten voraus, das deren Zurechnung rechtfertigt. 4 1 1 Die bloße Kenntnisnahme von der Tat eines anderen und deren Billigung durch

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Einstellung zu den friedensstörenden Gewalttätigkeiten abhängig. Mit dieser Subjektivierung wird die Bestimmung der Strafbarkeit von der objektiven Begrenzung auf der Tatbestandsebene letztlich in den Bereich tatrichterlicher Beweiswürdigung im Einzelfall verlagert und damit der Boden einer sicheren objektiven Grenzziehung verlassen; krit. auch Werle FS Lackner, S. 4 8 4 , 4 9 2 ff, 4 9 6 ; vgl. auch Tiedemann J Z 1 9 6 8 7 6 1 , 768.

Kostaras Z u r strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 151. Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 8 8 ; Werle FS Lackner, S. 4 8 1 , 4 9 7 ; s.a. L G Krefeld StV 1 9 8 4 2 4 9 , 2 5 0 .

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Z u r abweichenden Beurteilung bei Außenstehenden s. Rdn. 6 4 .

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Vgl. Schäfer M K Rdn. 3 1 ; Sch/SchröderLenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Rudolphi/Stein SK Rdn. 13b; Lackner/Kühl Rdn. 10. Eine abweichende Auffassung hält weitergehend trotz im übrigen passiven Verhaltens eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs aufgrund billigender Mitläuferschaft für möglich. Sie sieht in dem Verweilen in einer gewalttätigen bzw. teilweise unfriedlichen Menge einen tatbestandsrelevanten Gehilfenbeitrag (Arzt JA 1 9 8 2 2 6 9 , 2 7 1 f; Arzt/Weber B T § 4 4 III Rdn. 2 5 ) und macht die Strafbarkeit des Anwesenden ausschließlich von dem Nachweis seiner Kenntnis und dem Inkaufnehmen der Förderungswirkung (vgl. Sonnen JA 1 9 8 2 5 6 7 : Inkaufnahme, dem aktiv Gewalttätigen als „Kulisse" zu dienen) bzw. subjektiv eingrenzend von seiner billigenden

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Vgl. B G H N J W 1 9 8 4 1 2 2 6 , 1 2 3 6 ; zu undifferenziert AG Freiburg N S t Z 1 9 8 2 2 4 7 . 409 Yg[ Lackner/Kiihl Rdn. 13; s.a. Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 9 2 . 408

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Vgl. Schäfer M K Rdn. 3 1 ; Sch/SchröderLenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Rudolphi StV 1 9 8 2 5 1 8 , 5 2 1 . B G H N S t Z 1 9 8 4 5 4 9 ; O L G Köln N S t Z - R R 1 9 9 7 2 3 4 , 2 3 5 ; O L G Naumburg N J W 2 0 0 1 2 0 3 4 ; s.a. BVerfGE 8 2 2 3 6 ; Schäfer M K Rdn. 3 1 ; Ostendorf NK Rdn. 2 2 ; Kindhäuser LPK Rdn. 13; zu eng LG Krefeld StV 1 9 8 4 2 4 9 , 2 5 0 , das ein „Agieren" aus der Menge fordert.

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Landfriedensbruch

einen Anwesenden reicht zur Annahme einer strafbaren Beihilfe noch nicht aus. 412 Vielmehr bedarf es eines die Tatbegehung objektiv fördernden Beitrags, der über das „bloße inaktive Dabeisein oder passive Mitmarschieren" hinausgeht. 413 Maßgeblich ist danach, ob über die bloße Anwesenheit objektiv aussagekräftige Verhaltensumstände vorliegen, die eine Solidarisierung mit den Gewalttätern erkennbar zum Ausdruck bringen und von diesen als Unterstützung ihrer unfriedlichen Aktionen wahrgenommen werden können (manifestierter Solidarisierungsbezug). 414 Eine derart eingrenzende Auslegung der psychischen Beihilfe folgt aus dem gesetzgeberischen Gestaltungswillen, der die Strafbarkeit der bloßen Anwesenheit in der Menge nach § 125a a.F. aufgegeben und damit die Mitläufer aus § 125 ausgeschieden hat. 4 1 5 Eine generell strafbewehrte Entfernungspflicht ist nicht Gegenstand des § 125. Das bloß passive Verweilen in einer unfriedlichen Menge wird nur unter den Voraussetzungen des § 113 OWiG und des § 29 Abs. 1 VersammlG strafrechtlich erfasst. Auch der bloße Aufenthalt von passiv bewaffneten oder vermummten Personen, der nach § 27 Abs. 2 VersammlG strafrechtlich sanktioniert werden kann, stellt ohne Hinzutreten weiterer Umstände noch keine Beteiligung an Gewalttätigkeiten dar. 416

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Aus dem Strafbarkeitsbereich des § 125 Abs. 1 fallen daher nicht nur in der Menge befindliche Abwiegler und von Berufs wegen Anwesende (Ärzte, Rot-Kreuz-Helfer, Pressevertreter) heraus. Vielmehr ist auch die Anwesenheit Neugieriger und sog. Weitermacher, die lediglich das friedliche Demonstrationsanliegen weiterverfolgen wollen, bereits objektiv nicht als psychische Beihilfe zu werten. 417 Aber auch das passive Verbleiben in oder das Nichtentfernen aus einer gewalttätigen Teilgruppe nach Ausbruch der Gewalttätigkeiten erfüllt mangels eines eindeutigen solidarisierungsbezogenen Erklärungswerts ohne zusätzliche aussagekräftige Verhaltensumstände noch nicht die objektiven Voraussetzungen einer psychischen Beihilfe. 418 Ein derartiges, die Strafbarkeitsgrenze des § 125 überschreitendes Solidarisierungsverhalten kann darin liegen, dass sich jemand einer gewalttägigen Gruppe erst nach Beginn der gewalttätigen Auseinandersetzungen anschließt und dort während der Ausschreitungen ohne äußeren Zwang verbleibt. 419 Der dauerhafte Anschluss erscheint hier, wenn nicht besondere Umstände entgegenstehen, als ostentatives Zugesellen und damit als psychisch unterstützende Solidaritätsbekundung. Vor allem der Anschluss eines erkennbar mit einer gefährlichen Schlagwaffe Ausgerüsteten an eine offenkundig zur Gewalt entschlossene Demonstrantengruppe in vorderster Reihe erklärt sich ohne weiteres als Unterstützungs- und Ermutigungsakt für die Gewalttäter. 420 Entsprechendes gilt, wenn der Gehilfe den Haupttäter

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BGH GA 1985 233; NStE Nr. 1 zu § 27 StGB. BGH NStZ 1993 2 3 3 m. Anm. Otto JK 93, StGB § 2 7 / 9 ; BGH NJW 1984 1228, 1236; BGH StV 1995 363, 364; vgl. Rudolphi StV 1982 518, 521. Vgl. BGH NJW 1984 1 2 2 8 , 1 2 3 2 , 1 2 3 6 ; OLG Naumburg NJW 2 0 0 1 2 0 3 4 ; Sch/ SchröderLenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Lackner/Kühl Rdn. 10; Werle FS Lackner, S. 497. 3. StrRG Ber., BTDrucks. VI/502, S. 8 f; vgl. Lackner/Kühl Rdn. 10; Scb/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Schäfer

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MK Rdn. 31; Werle FS Lackner, S. 4 9 0 f, 493, 495; Arzt]h 1982 269, 2 7 2 . Sch/SchröderLenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Rudolphi/Stein SK Rdn. 13; Ostendorf NK Rdn. 2 2 . Vgl. BTDrucks. VI/502, S. 9. Vgl. Lackner/Kühl Rdn. 10; Werle FS Lackner, S. 495, 497. BGH NStZ 1984 549; b. Holtz M D R 1984 980; BayObLG NStZ-RR 1 9 9 6 101, 102; OLG Naumburg N J W 2 0 0 1 2 0 3 4 ; aA Ridder/Breitbach/Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht, § 125 StGB Rdn. 17. Vgl. BGH NJW 1984 1226, 1235.

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§ 125

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

im Wissen um dessen Vorhaben zur Begehung von Gewalttätigkeiten zur Tatausführung begleitet, seine Anwesenheit gleichsam einbringt, um den Haupttäter in seinem Entschluss zu bestärken und ihm das Gefühl erhöhter Sicherheit zu geben. 4 2 1 Aber auch der erkennbar (z.B. mit gefährlichen Schlagwaffen) aktiv bewaffnete Demonstrationsteilnehmer, der nach Beginn bestimmter gewalttätiger Ausschreitungen freiwillig in der kämpfenden Gruppe verharrt, signalisiert - wenn nicht besondere Umstände entgegenstehen durch den bewaffneten Verbleib seine potentielle Tat- und Einsatzbereitschaft, gibt damit den Gewalttätern stützenden Rückhalt 4 2 2 und unterliegt bei Erfüllung der subjektiven Voraussetzungen der Strafbarkeit wegen Teilnahme am Landfriedensbruch. 78

Das für die psychische Beihilfe geltende Erfordernis eines über die bloße Kenntnisnahme von der Tat und deren Billigung hinausgehenden objektiven Förderungsumstands kann nicht durch eine Unterlassungskonstruktion unterlaufen werden. 4 2 3 Die Nichtentfernung aus einer öffentlichen Ansammlung/Versammlung nach mehrfacher polizeilicher Aufforderung (§ 113 OWiG) oder nach Auflösung durch hoheitliche Anordnung (§ 2 9 Abs. 1 Nr. 2 VersammlG) ist zwar unter bestimmten Voraussetzungen durch diese beiden Vorschriften bußgeldbewehrt. Der bloße passive Ungehorsam gegen mögliche straf- oder bußgeldbewehrte polizeiliche Entfernungsgebote, die sich in Einklang mit Art. 8 GG unter eingegrenzten Voraussetzungen auch gegen Nichtstörer und „passive Störer" richten können, begründet aber für sich noch keine Garantenstellung mit Erfolgsabwendungspflicht zur Verhinderung der Gewalttätigkeiten anderer. 4 2 4

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e) Vermummung und Passivbewaffnung. In den Fällen der Vermummung oder Passivbewaffnung ist eine differenzierende Betrachtung geboten. 4 2 5 Das Verbleiben vereinzelter Vermummter oder passiv Bewaffneter innerhalb einer gewalttätigen Teilgruppe allein rechtfertigt noch nicht die Annahme einer psychischen Beihilfe. 4 2 6 Bereits aufgrund der gesonderten Erfassung solcher Personen mit herabgestufter Strafdrohung in § 2 7 Abs. 2 VersammlG ergibt sich, dass derartige Ausrüstungen als solche Anwesende nicht ohne weiteres zu Teilnehmern nach § 125 Abs. 1 machen. Ungeachtet der Förderungseignung 4 2 7 kommt dem vermummten oder passiv bewaffneten Auftreten Einzelner angesichts der ganz unterschiedlichen objektiven Erscheinungsformen und der dahinterstehenden Gründe noch kein eindeutig solidaritätsbezogener Aussagegehalt zu. Der objektive Erklärungswert im Sinne eines augenfälligen Solidarisierungsverhaltens bestimmt sich maßgeblich nach Art und Umständen der Vermummung und des Auftretens des Vermummten/Passivbewaffneten in Bezug zur gewalttätigen Gruppe. So kann das vermummte Auftreten in einer untereinander solidarischen, vermummt auftretenden

OLG Naumburg NJW 2 0 0 1 2 0 3 4 . Vgl. hierzu BGH N J W 1984 1226, 1234, vgl. auch Lücke DRiB RAusschProt. 10/39, Anh. S. 18; Hübner RAusschProt. 10/39, S. 2 0 . 423 vgl. auch Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 94 f. 4 2 4 Vgl. BGH b. Holtz MDR 1982 808; s.a. Ridder/Breitbach/Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht, § 125 StGB Rdn. 16 f. 425 Schäfer MK Rdn. 32; Geilen JK 83, StGB § 125/1; aA RAusschProt. 11/38, S. 119 f; Lücke (DRiB) RAusschProt. 10/39, S. 96, 421

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die einen bez. § 125 tatbestandserheblichen Aussagegehalt der Vermummung und Passivbewaffnung wohl generell in Frage stellen; zur Vermummung und Bewaffnung vgl. auch v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 21 f. BGH NStZ 1984 5 4 9 ; Fischer Rdn. 13; Rudolphi/Stein SK Rdn. 13b; Werle FS Lackner, S. 481, 498. Amelung RAusschProt. 11/38, S. 30; Rudolphi ebd., Anh. S. 531; Amelung/Hassemer/ Rudolphi/Scheerer StV 1989 72, 74 f; Hamm StV 1988 40, 41; Maatz MDR 1990 577, 5 7 9 ; Stark RAusschProt. 10/39, S. 179.

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Landfriedensbruch

aggressiven Aktivistengruppe, aus der heraus bestimmte Gewalttätigkeiten begangen werden, 4 2 8 das Mitmarschieren in einem geschlossenen, gewalttätigen Pulk von einheitlich identitätsverschleiernd mit Gesichtsmasken oder Motorradhelmen gekleideten Personen (z.B. sog. schwarze Blöcke der militanten Autonomen) 4 2 9 tatbestandserheblich sein. Das Verhalten des Teilnehmers erscheint in diesen Fällen über das bloße körperliche Dabeistehen hinaus als Solidarisierungsbeitrag zur Formierung und Stärkung der Schlagkraft der Gruppe. Die Erschwerung der Identifizierung und des polizeilichen Zugriffs auf die eigenhändig beteiligten Gewalttäter kann sich als psychischer Rückhalt für das Zusammenhalten des als Ausgangsbasis für die konkreten Gewalttätigkeiten dienenden Kollektivs darstellen.

Π. Bedrohender Landfriedensbruch (Abs. 1 Nr. 2) In der Begehungsform der Nr. 2 setzt der Landfriedensbruch das Bedrohen von Mensehen mit einer Gewalttätigkeit voraus.

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1. Begriff. Der Begriff der Bedrohung entspricht demjenigen des Androhens in § 126 StGB. 4 3 0 Drohung ist die Ankündigung eines Übels, das der Drohende selbst oder kraft seines Einflusses durch einen anderen wirklich oder vorgeblich jemandem zufügen will und kann. 4 3 1 Der Täter muss zum Ausdruck bringen, dass die Verwirklichung der angedrohten Gewalttätigkeit in seinem Machtbereich liegt. 4 3 2 Die Bedrohung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. 4 3 3 Wie sonst genügt es auch hier, dass die Bedrohung nach dem mindestens bedingten Willen des Täters als ernstlich aufgefasst wird, mag der Täter sie auch gar nicht ausführen wollen. 4 3 4 Der Adressat der Bedrohung braucht nicht mit demjenigen übereinzustimmen, gegen den sich die angedrohte Gewalttätigkeit richten soll; so reicht z.B. die Drohung gegenüber der Polizei, falls sie sich nicht zurückziehe, durch Schleusensprengung ein Stadtviertel unter Wasser zu setzen. 4 3 5 Der Bedrohte braucht nicht anwesend zu sein. 4 3 6 Es ist auch nicht zu verlangen, dass die von den Gewalttätigkeiten Bedrohten von ihrer Gefährdung Kenntnis erlangen; es genügt, dass die Bedrohung aus der Menschenmenge an jemand außerhalb der Menge gerichtet und von diesem verstanden wird, z.B. die außerhalb der Menge vernehmbare Bedrohung von nicht Anwesenden durch Mitglieder der Menge mit Sprechchören. 4 3 7 Die Ankündigung

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S. Geilen JK 83, StGB § 125/1; zu eng AG Freiburg NStZ 1982 2 4 7 u. LG Krefeld StV 1984 249, 2 5 0 . Hierzu Gareis RAusschProt. 10/39, S. 8, 126 f; Maatz MDR 1990 577, 5 7 9 ; Schwind/Winter NStZ 1990 105, 108. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 17/18; Schäfer MK Rdn. 2 6 . Zur Drohung vgl. Träger!Altvater LK 1 1 § 2 4 0 Rdn. 56; Sch/Schröder/Eser Vorbem. §§ 2 3 4 ff Rdn. 30 ff; vgl. auch BGHSt 16 386, 387; BGH NJW 1957 5 9 6 , 598. Schäfer MK Rdn. 26; Laufhütte MDR 1976 441, 4 4 2 ; vgl. BGHSt 31 195, 201 und BGH NStZ-RR 2 0 0 1 171 jeweils zu § 2 4 0 .

Vgl. BGH N J W 1984 1632; Fischer Rdn. 6; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 17/18. 4 3 4 RGSt 2 2 8 6 ; 4 9, 10; BGHSt 16 386, 387; vgl. auch BGH N J W 1 9 5 7 5 9 6 , 5 9 7 f; Schäfer MK Rdn. 2 6 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 15. 435 Schäfer MK Rdn. 2 6 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 15; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 17/18; Weidemann JA 2 0 0 2 43, 44. 436 Schäfer MK Rdn. 2 6 ; aA Dreher N J W 1 9 7 0 1153, 1160. 437 vgl. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 17/18. 433

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

einer Selbsttötung oder -Schädigung erfüllt den Tatbestand nicht, da sich die Bedrohung nicht gegen eine andere Person richtet. 438 82

2. Angriffsobjekt. Die angedrohten Gewalttätigkeiten können sich nach h.M. sowohl gegen Personen als auch gegen Sachen richten. 439 Aus dem Gesetzeswortlaut „Bedrohung von Menschen mit einer Gewalttätigkeit" lässt sich eine Beschränkung der angedrohten Gewalttätigkeiten auf solche gegen Menschen nicht herleiten. Die abweichende Erwägung, Adressat einer Bedrohung sei stets ein Mensch, weshalb die Formulierung „von Menschen" nicht den „Bedrohungen", sondern der „Gewalttätigkeit" zuzuordnen sei, 440 vermag nicht zu überzeugen. Menschen können auch durch Gewalttätigkeiten gegen Sachen bedroht werden, z.B. Bewohner eines Hauses durch die Androhung, das Haus in die Luft zu sprengen oder es zu stürmen; die Einwohner eines Ortes durch die Drohung, man werde die Ortschaft niederbrennen oder überfluten. In solchen Fällen braucht nicht einmal die grundsätzlich richtige Überlegung zuzutreffen, die öffentliche Sicherheit werde durch die Androhung von Gewalttätigkeiten weniger stark gefährdet als durch Gewalttätigkeiten selbst.441 Ansonsten dient das auch beim bedrohenden Landfriedensbruch erforderliche Tatbestandsmerkmal der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit als Korrektiv, um bagatellhafte Sachverhalte auszuscheiden.442 Schließlich spricht auch der Vergleich mit der 3. Begehungsform, nach der das Aufwiegeln zu Gewalttätigkeiten gegen Sachen ausreicht, für die Auffassung der h.M. 4 4 3 Die Entstehungsgeschichte liefert keinen gültigen Beweis dafür, dass „Bedrohungen mit Gewalttätigkeiten gegen Sachen" aus dem Tatbestand ausgeschlossen werden sollten. Allerdings lag jene Auffassung der Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zugrunde, die zur Aufnahme der Nummer 2 in den § 125 geführt hat. 444 Die damals erhobenen Bedenken im Hinblick auf die Ausweitung des Tatbestands 445 waren schließlich mit dem Vertrauen in die Rechtsprechung beschwichtigt worden. 446 Indessen ist hiervon nichts in die schriftliche Begründung des Vorschlags und wohl deshalb auch nicht in die Gesetzesberatungen eingegangen,447 den Erläuterungen Horstkottes hierzu ist bei ihrer wenig klaren Wiedergabe nichts Gewisses, 448 dem schriftlichen Bericht nichts über das Ergebnis zu entnehmen.449 Die Absichten des Deutschen Richterbundes sind nach der hiernach gebotenen objektiven Auslegung nicht verwirklicht worden.

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OLG Hamm NStZ 1995 547, 548; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 17/18. Schäfer MK Rdn. 27; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 17/18; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 16; Lackner/Kühl Rdn. 5; Ο Stendorf NK Rdn. 20; Kindhäuser LPK-StGB Rdn. 16; aA Fischer Rdn. 6; Sehl Schröder/Cramer18 Rdn. 20; Ridder/BreitbachJBertuleit/Herkströter Versammlungsrecht, § 125 StGB Rdn. 32. Sch/Schröder/Cramerls Rdn. 20; Fischer Rdn. 6.

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Sch/Schröder/Cramer18 Rdn. 20. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 17/18; Schäfer MK Rdn. 27. Rudolphi/Stein SK Rdn. 16; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 17/18; aA Fischer Rdn. 6. Prot. d. StrafRAussch. über die Sitzung v. 7.-10.1.1970 in Rüdesheim, S. 31. Horstkotte ebd., S. 31, 34. Baldus ebd., S. 35. Prot. VI/219, 262, 351. Prot. VI/351 1. BTDrucks. VI/502, S. 9.

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Landfriedensbruch

§ 125

ΠΙ. Aufwieglerischer Landfriedensbruch (Abs. 1 3. Alt.) Die dritte Begehungsform des § 125 - den aufwieglerischen Landfriedensbruch - verwirklicht, wer auf eine Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder zu Bedrohungen von Menschen zu fördern.

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Es handelt sich hierbei um eine Form der Veranlassung einer Straftat, die eine gewisse strukturelle Ähnlichkeit mit der Aufforderung zu Straftaten (§ 111) aufweist, 4 5 0 zwar weiter greift als jene, aber bei entsprechender Einwirkungsmodalität und grob umrisshafter Kennzeichnung des angesonnenen Verhaltens beide Tatbestände erfüllen kann. 4 5 1 Die Einwirkung ist auf die Unbestimmtheit von Täter und Taten angelegt, während die Anstiftung auf die Konkretheit von Täter und Tat ausgerichtet ist. 4 5 2 Für die dritte Begehungsform des § 125 genügt das allgemeine gewaltfördernde Aufhetzen, das bloße Anheizen einer feindseligen oder sonst zu Gewalttätigkeiten neigenden Stimmung. 453 Zweck dieser Tatbestandsalternative ist es, die Agitatoren der Ausschreitungen (Anheizer, Aufwiegler) strafrechtlich zu fassen, die sonst mangels Konkretisierung einer bestimmten Tat, mangels eines bestimmten Adressaten oder infolge Ausbleibens des Erfolgs straflos blieben. 454 Es handelt sich insoweit nicht um Teilnahme an den in Nummer 1 und 2 genannten Ausschreitungen, sondern um die Erfassung von Handlungen im Vorfeld der ersten beiden Begehungsformen. 455 Der erfolgreich am Ort der Ausschreitungen agierende Aufwiegler dürfte häufig als Teilnehmer des gewalttätigen oder bedrohenden Landfriedensbruchs zu qualifizieren sein. 4 5 6 Der Tatbestand des aufwieglerischen Landfriedensbruchs erfasst aber darüber hinaus Sachverhalte, in denen der Nachweis einer auf Anstiftung oder Beihilfe zu bestimmten Ausschreitungen angelegten konkreten Einwirkung oder deren Mitursächlichkeit für die tatsächlich begangenen Gewalttätigkeiten nicht erbracht werden kann. Insoweit kommt der 3. Begehungsform gegenüber den Täterschaftsformen der beiden ersten Alternativen Auffangfunktion zu. 4 5 7

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1. Einwirken. Einwirken ist jede Form der Einflussnahme auf den Willen der Menge, um deren Bereitschaft zu gewalttätigen oder Gewalt androhenden feindseligen Aktionen zu fördern, d.h. zu wecken oder zu steigern. Die Einflussnahme kann verbal, durch Zeichen oder durch schlüssige Handlung erfolgen. 458 Darunter fallen aufputschende Agitation, 4 5 9 provokatives An- und Aufreizen 460 oder sonstige anheizende und aufpeitschende

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Vgl. Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 150 f; Rogall GA 1979 11, 25. 4 5 1 Zum Konkurrenzverhältnis vgl. Rdn. 109. 452 Yg] Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 149. 4 5 3 Vgl. OLG Braunschweig NStZ 1991 4 9 2 ; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 II Rdn. 32. 454 Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 II Rdn. 32; Schäfer MK Rdn. 33. 4 5 5 Vgl. Rogall GA 1979 11, 25; Schäfer MK Rdn. 33; aA Arzt J Z 1984 428, 4 3 0 Fn. 18, 21, der die 3. Alternative lediglich als einen Ausschnitt aus der Teilnahme an der 1. und 450

2. Begehungsalternative des § 125 begreift; Ridder/hreitbachJBertuleit/Herkströter Versammlungsrecht, § 125 StGB Rdn. 13. 4 5 6 Vgl. Lackner/Kühl Rdn. 12; Strohmaier Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 89; s.a. Dreher NJW 1970 1153, 1160. 457 yg] Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 II Rdn. 32. 4 5 8 BTDrucks. VI/502, S. 9; de With BT-Verh. VI/39, S. 1947 B; Schäfer MK Rdn. 34; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 21. 4 5 9 OLG Braunschweig NStZ 1991 4 9 2 . 460 Rogall GA 1979 11, 25.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Verhaltensweisen. 461 In Betracht kommen Zurufe, Parolen, Absingen von aufreizenden Liedern, Zeigen von Spruchbändern mit Parolen, anfeuernde Gesten oder Verteilung von Flugblättern mit der Aufforderung zu Gewaltakten. Einwirken ist weder gleichbedeutend mit Anstiftung noch mit Beihilfe. 462 Von der Anstiftung unterscheidet sich die Einwirkung dadurch, dass sie sich nicht an eine individuell bestimmte Person oder einen solchen Personenkreis richtet und keine Ausrichtung auf eine genau konkretisierte Tat voraussetzt. Sie will aber wie die Anstiftung den Tatentschluss herbeiführen und wie die Beihilfe den Täter im Tatentschluss bestärken. Die §§ 26, 27 StGB bieten deshalb einen Anhalt, welche Einwirkungsmittel in Betracht kommen können. Eine tatbestandsmäßige Einwirkung setzt voraus, dass es zur Einwirkung auf die Menge gekommen ist und die Worte oder Gesten wenigstens von einem Großteil der Mitglieder der Menge wahrgenommen worden sind. Bloß handlungsbezogene Versuche (z.B. bei Versagen des Megaphons) bleiben straflos. 4 6 3 Das Einwirken auf eine oder mehrere bestimmte Personen, die keine Menschenmenge bilden, reicht nicht aus. 4 6 4 86 Das Einwirken muss zum Ziel haben, die Bereitschaft der Menschenmenge zu Ausschreitungen der in Nummer 1 und 2 bezeichneten Art zu fördern. Daher genügt es, wenn der Täter seine Handlung für zweckgerecht hält, 4 6 5 mag sie tatsächlich auch ganz ungeeignet sein. 466 Die Einwirkung muss mit der Absicht, d.h. dem zielgerichteten Willen erfolgen, die Bereitschaft der Menschenmenge zu Ausschreitungen im Sinne des gewalttätigen oder bedrohenden Landfriedensbruchs hervorzurufen, zu stärken oder zu unterstützen. 4 6 7 Das aufwieglerische Handeln kann vor oder nach Beginn der Ausschreitungen liegen, deren Auslösung oder Fortsetzung zum Ziel haben. 4 6 8 Zu genau bezeichneten Gewalttätigkeiten oder Drohungen braucht der Täter nicht anzureizen; ein solches Verhalten wird in der Regel unter den § 111 StGB fallen. Für § 125 reicht es aus, wenn der Täter zu irgendwelchen Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen mit Gewalttätigkeiten aufreizen will. Ausreichend sind deshalb Aufrufe wie „Werft Fenster ein", „stürzt Autos um", „zündet das Benzin an", „bedroht die Bonzen mit Tod", „schlagt die Bullen". Genügend ist schon das bloße Anheizen einer feindseligen oder sonst zur Gewalttätigkeit neigenden Stimmung, etwa durch Skandieren der „Hooligan"-Parole als Symbol gewalttätiger Gruppen. 4 6 9 Selbstverständlich fällt aber auch das Anreizen zu konkreten Gewalttätigkeiten unter den Tatbestand, etwa der Aufruf zum Sturm auf das Rathaus, zum Verprügeln des Wohnungsdezernenten oder das Anfeuern zur Ausweitung von Exzessen, z.B. das Rathausinventar kurz und klein zu schlagen, sich den Weg frei zu schießen, die Rathausläden gewaltsam zu plündern. Nicht erforderlich ist, dass die Bereitschaft der Menge zu Ausschreitungen tatsächlich gefördert wird oder es zu Gewalttätigkeiten auf Grund der Einwirkung kommt. Die Tat ist mit der ersten aufwieglerischen Handlung vollendet, unabhängig davon, ob sie Erfolg hat oder erfolglos bleibt, ob die Einwirkung Rechtsgutsverletzungen durch die angesprochene Menge bewirkt oder nicht. Es handelt sich also

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 19; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 21; Fischer Rdn. 14; Strohmaier Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 90. 462 vgl. Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 149 f. 463 Rudolphi/Stein SK Rdn. 20; Arzt JZ 1984 430 Fn. 18. 464 Schäfer MK Rdn. 35; Maurach Demonstrationsnovelle, S. 21.

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Vgl. OLG Braunschweig NStZ 1991 492. Fischer Rdn. 14; Schäfer MK Rdn. 40; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 20, die im Hinblick auf die Gleichgewichtigkeit mit den beiden anderen Varianten die objektive Eignung der Einwirkung verlangen. Fischer Rdn. 14; Lackner/Kühl Rdn. 12. Lackner/Kühl Rdn. 12; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 60 II Rdn. 32. OLG Braunschweig NStZ 1991 492.

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Landfriedensbruch

§ 125

um ein unechtes Unternehmensdelikt. 470 Eine Rücktrittsmöglichkeit besteht folgerichtig nicht. 4 7 1 2. Auf die Menschenmenge. Tatbestandliches Erfordernis ist weiterhin, dass der Täter auf eine bereits vorhandene Menschenmenge einwirkt. 4 7 2 Bemühungen um die Bildung einer solchen Menge etwa durch Aufrufe in Funk und Fernsehen oder durch Flugblätter fallen nicht unter die 3. Begehungsform. Auch sonstige vorbereitende Tätigkeitsakte, die vor Bildung der Menge geleistet werden, z.B. das Drucken von agitatorischen Flugblättern, genügen den tatbestandlichen Anforderungen noch nicht. Mangels Einwirkung auf eine Menschenmenge erfüllt auch die an eine oder an bestimmte einzelne Personen gerichtete Aufforderung zum aktiven Anschluss an eine unfriedfertig agierende Menge den Tatbestand nicht. 4 7 3 Insoweit kann aber eine Anstiftung zur 1. oder 2. Begehungsform des § 125 in Betracht kommen.

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Umstritten ist, ob die Menge vor dem Einwirken bereits unfriedlich sein muss. Von einem Teil des Schrifttums wird dies aufgrund einer sprachlichen Interpretation des Gesetzeswortlauts („um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern") bejaht. 4 7 4 Fördern bedeute nur das Steigern oder Unterstützen einer bereits vorhandenen Bereitschaft zu Ausschreitungen. Danach bliebe straflos, wer durch seine Einwirkung den friedensstörenden Charakter der Menge erst schafft.

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Diese restriktive Auslegung, die zu ungerechtfertigten Differenzierungen führt und dem Gesetzeszweck widerspricht, erscheint nicht zwingend. Vielmehr verdient die Gegenansicht den Vorzug, die als Tatobjekt der Einwirkung eine friedliche Menschenmenge genügen lässt und damit auch das Wecken der Bereitschaft zu Ausschreitungen i.S. der Nummer 1 und 2 in der Menge tatbestandlich erfasst. 4 7 5 Eine solche Auslegung dürfte sich noch im Rahmen des möglichen Wortsinns der Vorschrift des § 125 bewegen 4 7 6 und wird Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung besser gerecht. Das Gesetz will mit der Begehungsform des aufwieglerischen Landfriedensbruchs das Tätigwerden des sog. Anheizers erfassen, weil dieses sich als gefährliche, typische Vorbereitungshandlung des gewalttätigen und bedrohenden Landfriedensbruchs darstellt. 4 7 7 Zu derart typischen Vorbereitungshandlungen gehört aber gerade auch das agitative Vorgehen, das auf das Wecken und Hervorrufen der Bereitschaft zu solchen Ausschreitungen, auf das Schaffen des sicherheitsbedrohenden Charakters der Menge, das „Umfunktionieren" einer friedlichen in eine feindselige Menschenmenge ausgerichtet ist. Einem solchen Verhalten kommt sogar ein höherer Unwertgehalt zu; sein Gefährlichkeitsgrad überwiegt gegenüber dem des bloßen Steigerns oder Unterstützens einer bereits in der Menge vor-

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Burkhardt J Z 1971 354; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 22; Rudolpbi/Stein SK Rdn. 20; Schröder FS Kern, S. 4 6 4 ; Strohmaier Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 89. Vgl. Burkhardt J Z 1971 2 5 7 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 2 a ; aA Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 29, die die Rücktrittsvorschrift des § 31 entsprechend anwenden wollen. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 20; Schäfer MK Rdn. 35; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 18; Strohmaier Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 90 f.

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2 0 ; Schäfer MK Rdn. 35. Dreher N J W 1970 1153, 1161; Hübner LK 9 § 125 Rdn. 29, 32; Ostendorf AK Rdn. 15; Schmidhäuser BT Kap. 12 Rdn. 23. Vgl. OLG Braunschweig NStZ 1991 4 9 2 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 18; Scb/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2 3 ; Schäfer MK Rdn. 36; Ostendorf NK Rdn. 15; Lackner/Kühl Rdn. 12; Fischer Rdn. 14; Blei JA 1 9 7 0 618; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 II Rdn. 32. Vgl. Stree N J W 1976 1177, 1179 Fn. 12. Vgl. Schrift!. Ber., BTDrucks. VI/502, S. 9.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

handenen Geneigtheit, steht ihm zumindest nicht nach. Diesen gefährlicheren Täter zu privilegieren, würde der ratio legis widersprechen. Zur Unterstützung der vorstehenden Auslegung lässt sich auch die Entstehungsgeschichte des § 130a mit dem entsprechenden Merkmal der Förderung der Bereitschaft zur Tatbegehung heranziehen. Der Gesetzgeber hat hier zwar in die durch das Terrorbekämpfungsgesetz wieder eingeführte Neufassung das Wecken der Bereitschaft ausdrücklich aufgenommen, dies aber lediglich zur Klarstellung und Bestätigung der entsprechenden Auslegung zur alten Fassung. 478 Eine derart klarstellende Ergänzung des § 125 wurde allerdings bei dieser Gelegenheit versäumt. 90

3. Täter. Täter des aufwieglerischen Landfriedensbruchs ist, wer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu Ausschreitungen der in Nummer 1 und 2 bezeichneten Art zu fördern. Die Täterschaft richtet sich nach dem allgemeinen Regeln des § 25. Auch die Begehungsmöglichkeit im Wege (individualisierter) mittelbarer Täterschaft, bei der sich der Tatmittler, z.B. durch Verteilung der aufwiegelnden Flugblätter, an eine vorhandene Menschenmenge wendet und dadurch den tatbestandlich vorausgesetzten Bezug zu Menge herstellt, ist zumindest im Falle subjektiver Defizite bei dem Tatmittler rechtlich vorstellbar. 479 Gleichgültig ist, ob der Täter sich in der Menge befindet oder von außen auf sie einwirkt, z.B. mittels eines Megaphons oder eines Lautsprecherwagens. 480 Ob der Aufwiegler nach ξ 125 oder nach § 125a zu bestrafen ist, entscheidet sich - unabhängig davon, ob die Gewalttäter unter den § 125a fallen - allein danach, ob bei ihm ein besonders schwerer Fall anzunehmen ist.

91

Die Teilnahme ist hier der Täterschaft nicht gleichgestellt und daher nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 26, 27 StGB zu beurteilen. 481 Dies gilt auch für die Relevanz von Beiträgen im Vorbereitungsstadium, z.B. Druck und Transport der später vom Aufwiegler genutzten Flugblätter zum Einsatzort. 482

C. Subjektiver Tatbestand I. Vorsatz 92

Der subjektive Tatbestand setzt bei allen Begehungsformen Vorsatz voraus, wobei bedingter Vorsatz genügt. 483 Der Täter des gewalttätigen Landfriedensbruchs muss

BTDrucks. 10/6286, S. 8. 479 Ygj Strohmaier Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 91. 4 8 0 OLG Braunschweig NStZ 1991 4 9 3 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 19; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 25; Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 8 9 f; Dreher NJW 1970 1153, 1160; einschr. RidderiBreitbach/Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht, § 125 StGB Rdn. 13, die eine räumliche Nähe zur Menge verlangen, die ein Einwirken auf die Menschenmenge unmittelbar ermöglicht. 481 Rudolphi/Stein SK Rdn. 22; Strohmaier Die Reform des Demonstrationsstrafrechts, S. 89; aA Arzt J Z 1984 4 2 9 Fn. 11 u. 430, 478

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der zwar den tatortanwesenden, d.h. in oder am Rande der Menge agierenden Einwirkungsbeteiligten als Mittäter nach der 3. Alternative erfasst, die Möglichkeit einer Teilnahme i.S. der §§ 26, 2 7 an der 3. Begehungsform verneint und nur im Falle erfolgreicher Aufwiegelung eine Bestrafung des insoweit Beteiligten aus der 1. bzw. 2. Alternative unter Annahme einer Kettenteilnahme erwägt. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 64 IV 2b; Schünemann LK § 2 7 Rdn. 381; aA Arzt J Z 1984 4 2 9 f m. Fn. 11; Ridder/Breitbach/ Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht, § 125 StGB Rdn. 13. OLG Köln NStZ-RR 1997 234, 235.

Matthias Krauß

Landfriedensbruch

§ 125

erkennen oder für möglich halten, dass Ausschreitungen nach Nummer 1, der Täter des bedrohenden Landfriedensbruchs, dass Ausschreitungen nach Nummer 2 aus einer Menschenmenge mit vereinten Kräften in einer Weise begangen werden, die der öffentlichen Sicherheit gefährlich sind. 4 8 4 Die Anforderungen an die Konkretisierung der Tathandlungen in der Vorstellung der Beteiligten richten sich nach den allgemeinen Grundsätzen. 485 Der Beteiligte muss die Ausschreitungen in der Art ihrer Ausführung, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in ihren wesentlichen Merkmalen und Grundzügen konkretisiert vor Augen haben. 4 8 6 Bei Unterstützung durch Beschaffung von Wurfgeschossen etwa genügt die Vorstellung des Beteiligten von der Angriffsrichtung der von ihm unterstützten Tat und der voraussichtlichen Art der Verwendung bei den Ausschreitungen; eine Kenntnis des konkreten Angriffsobjekts, des genauen Einsatzzeitpunkts oder der eigentlichen tatausführenden Werfer ist nicht erforderlich. 487 Die von dem Förderungsvorsatz getragene Versorgung mit Wurfgeschossen stellt sich im Falle deren Nichtbenutzung als psychische Beihilfe i.S. einer bewussten Stärkung des Tatentschlusses der Gewalttäter dar. Im Falle der psychischen Beihilfe muss der Vorsatz des Teilnehmers unter Bezug auf die konkreten Gewalttätigkeiten das Bewusstsein umfassen, den Gewalttätern durch sein Verhalten Solidarität zu bekunden und durch das Verschaffen eines Gefühls größerer Stärke Unterstützung zu leisten. 488 Bei teilweise unfriedlichen Großdemonstrationen wird der Beteiligungswille/Unterstützungswille in erster Linie auf das für den Teilnehmer überschaubare Aktionsfeld und auf die dort von ihm oder der Gruppe, mit der er sich solidarisiert, ausgeführten Handlungen gerichtet sein. 4 8 9 Die Abweichung einzelner konkreter Begehungsmodalitäten in der eigentlichen Tatausführung von der Vorstellung des Beteiligten ist unerheblich. 490

Π. Absicht Beim aufwieglerischen Landfriedensbruch genügt das bloße Wissen, dass Äußerungen gegenüber der Menge möglicherweise zu gewalttätigen Aktionen führen können, nicht. Der Tatbestand setzt vielmehr die Absicht voraus, die Bereitschaft der Menge zur Begehung von Ausschreitungen i.S. der Nummer 1 und 2 zu fördern. Absicht bedeutet zielgerichtetes Wollen. 491 Eine entsprechende Zielrichtung kann sich aus dem Inhalt von Parolen, Gesten und dem gruppenmäßigen Kontext der Äußerung ergeben. 4 9 2 Der Täter muss sein Handeln zur Erreichung des angestrebten Zieles für geeignet halten, 4 9 3 auch wenn es in Wahrheit gänzlich ungeeignet ist. 4 9 4

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Zu den subjektiven Anforderungen bei den Teilnahmegestaltungen vgl. BGH NJW 1984 1228, 1233 f. Vgl. BGHSt 37 214, 218: im Wesentlichen umrisshaftes Tatbild. Zu den unterschiedlichen Maßstäben des Gehilfen- und Anstiftervorsatzes vgl. Schünemann LK § 26 Rdn. 3 9 ff und § 2 7 Rdn. 56 ff; Schäfer MK Rdn. 37, Dreher NJW 1970 1153, 1160. Vgl. Schünemann LK § 2 7 Rdn. 56 ff. BGH NJW 1984 1226, 1234; Lackner/Kühl Rdn. 13. Vgl. BGH NJW 1984 1226, 1228.

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Zu weitgehend Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 156. Zur Nichtübereinstimmung der tatsächlich verübten Ausschreitungen mit der Vorstellung der als Teilnehmer Beteiligten Hoyer SK vor § 2 6 Rdn. 4 5 ff. Vgl. §§ 16, 17 Ε 1962 und Begr. S. 131; Vogel LK § 15 Rdn. 7 9 ff. Vgl. OLG Braunschweig NStZ 1991 4 9 2 . Vgl. OLG Braunschweig NStZ 1991 4 9 2 ; Fischer Rdn. 16; s.a. Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 150. AA Rudolphi/Stein SK § 11 Rdn. 4 6 .

Matthias Krauß

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§ 125

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

III. Irrtumsfragen 94

Die Tatbestandsmerkmale des § 125 sind teilweise nicht leicht zu fassen, teils sind sie wertender Natur. Für Irrtumsfragen gelten die allgemeinen Regeln über den Tatbestandsund über den Verbotsirrtum. Die Einlassungsmöglichkeiten von Demonstrationsteilnehmern, die bei mangelnder Widerlegbarkeit oder im Falle nicht nachweisbarer Kenntnis zur Annahme eines Tatbestandsirrtums führen können, sind vielgestaltig und erschweren den Tatnachweis. Sie reichen von der behaupteten Unkenntnis und dem mangelnden Einverständnis mit den Gewalttätigkeiten/Bedrohungen über die Verkennung eines Handelns mit vereinten Kräften, einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der feindseligen Grundhaltung der Menge bis hin zu angeblich irriger Annahme von gewaltsamen Einzelaktionen ohne Billigung der Menge. 4 9 5

95

Eine Sonderregelung trifft Absatz 2, soweit die Ausschreitungen nach Absatz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 zugleich Widerstands- oder Angriffshandlungen nach § 113 darstellen. Danach ist die Tat nicht nach § 125 strafbar, wenn der Täter irrig annimmt, die (in Wirklichkeit rechtswidrige) Diensthandlung sei rechtmäßig (§ 113 Abs. 3 Satz 2) oder wenn er die (tatsächlich rechtmäßige) Handlung des Vollstreckungsbeamten unverschuldet für rechtswidrig hält, ihm in diesem Fall auch nicht zuzumuten war, sich mit Rechtsbehelfen gegen sie zu wehren (§ 113 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1). War ihm das zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe des § 125 nach § 49 Abs. 2 mildern oder von der Strafe des § 125 überhaupt absehen (§ 113 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ) . 4 9 6 Hätte der Täter den Irrtum, die Diensthandlung sei rechtswidrig, vermeiden können, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung absehen (§ 113 Abs 4 Satz 1).

96

Die Sonderregelung greift auch in Fällen des aufwieglerischen Landfriedensbruchs, wenn dieser solche Handlungen betrifft. 497 Andernfalls würden die allgemeinen Irrtumsfragen wieder in den Vordergrund rücken, deren Bewältigung Absatz 2 gerade dienen soll. 4 9 8 Schließlich findet § 125 Abs. 1 auch Anwendung in den Fällen des besonders schweren Landfriedensbruchs gem. § 125a, da diese Vorschrift keinen selbstständigen Tatbestand, sondern nur Regelbeispiele für besonders schwere Fälle enthält.

D. Rechtswidrigkeit 97

Eine Rechtfertigung für Taten nach § 125 ergibt sich weder aus dem Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG) noch aus dem Recht zur Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), da jedwede Art von Beteiligung an gewalttätigem oder mit Gewalttätigkeiten drohendem Handeln jenseits der Schranken der Art. 5 und 8 GG liegt. 499 Allerdings hat die Bewertung verbaler Äußerungen, die zur Begründung strafbaren Verhaltens nach § 125

495

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498 499

Vgl. Baumann StV 1988 37, 39 und RAusschProt. 10/39, S. 76 u. Anh. S. 7; Pfeiffer ebd., Anh. S. 94; DRiB ebd., Anh. S. 19. Vgl. Rosenau LK § 113 Rdn. 66 ff. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-hieben Rdn. 27; Schäfer MK Rdn. 39. Schäfer MK Rdn. 41. Vgl. BGHSt 23 46, 56 ff zu § 2 4 0 Abs. 2;

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BayObLG NJW 1969 1127; OLG Celle NJW 1970 2 0 6 , 2 0 7 ; OLG Köln NStZ-RR 1997 2 3 4 , 235; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 2 8 ; Schäfer MK Rdn. 41; Rudolpbi/Stein SK Rdn. 24; Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl Rdn. 14; vgl. auch Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 111 ff.

Matthias Krauß

Landfriedensbruch

§ 125

herangezogen werden sollen (z.B. Aufrufe zu Großdemonstrationen), im Lichte der Art. 5 und 8 GG unter Berücksichtigung der hierzu entwickelten Maßstäbe zu erfolgen. 500 Soweit nach teilweise vertretener Auffassung der bloß passive Mitläufer oder Dabeistehende als vom Tatbestand des § 125 erfasst angesehen wird, sollen Korrekturen auf der Rechtswidrigkeitsebene vorgenommen werden. 501 Danach soll dem fehlenden Förderungswillen durch eine einzelfallbezogene Abwägung der friedfertigen Motivation des Anwesenden gegenüber dem öffentlichen Interesse an effizienter Unterdrückung unfriedlichen Verhaltens auf der Grundlage grundsätzlicher Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit Rechnung getragen werden. 502 Nach hier vertretener Auffassung kann das Problem bereits auf der Ebene des objektiven Tatbestands erfolgen. 503 Auch das Streikrecht hat keine rechtfertigende Wirkung; denn es beschränkt sich auf 9 8 die bloße Arbeitsniederlegung und schließt eine weitergehende Beeinträchtigung strafrechtlich geschützter Interessen aus. 504 Auch der Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen - ohnehin kein allgemeiner Rechtfertigungsgrund 505 - vermag hier nicht zu greifen. 506 Sind die Handlungen des gewalttätigen oder des bedrohenden Landfriedensbruchs 9 9 zugleich als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 StGB zu qualifizieren, schreibt § 125 Abs. 2 die sinngemäße Anwendung des § 113 Abs. 3 Satz 1 vor. Wird also die Gewalttätigkeit oder Drohung als Widerstand gegen eine nicht rechtmäßige Diensthandlung eines der in § 113 Abs. 1 bezeichneten Vollstreckungsbeamten oder als tätlicher Angriff auf diesen bei der Vornahme einer nicht rechtmäßigen Diensthandlung begangen, so ist die Tat nicht als Landfriedensbruch strafbar. Dabei kann dahinstehen, ob das Rechtmäßigkeitserfordernis als Merkmal des Tatbestands, der Rechtswidrigkeit, als objektive Strafbarkeitsbedingung oder als Strafausschließungsgrund zu sehen ist. 507 Die Strafbarkeit wegen Landfriedensbruchs entfällt nach Absatz 2 auch für besonders schwere Fälle; denn § 125a enthält keine selbstständigen Straftatbestände, sondern Regelbeispiele für schwere Fälle, betrifft mithin nur das Strafmaß. 508 Die Strafbarkeit nach anderen verwirklichten Tatbeständen (etwa Körperverletzung oder Tötung) wird nicht ausgeschlossen. Sie richtet sich nach allgemeinen Vorschriften. 509 Soweit jemand eine Menschenmenge zum Widerstand oder zum tätlichen Angriff gegen unrechtmäßig verfahrende Vollstreckungsbeamte i.S. der 3. Alternative des § 125 anreizt, scheidet eine Strafbarkeit wegen aufwieglerischen Landfriedensbruchs gem. § 125 Abs. 2 aus. 510

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BVerfG NJW 1991 91 ff; BGHSt 32 165, 179 f; s.a. Ridder/Breitbach/L^ewr Versammlungsrecht, Art. 8 GG Rdn. 36. Arzt JA 1982 269, 271 ff; vgl. auch Kühl NJW 1985 2379, 2380. Arzt JA 1982 271. Siehe Rdn. 75. BGH AP Nr. 1 zu § 125 StGB; BAG JZ 1989 85, 89; BAG N Z A 1988 846, 849; BayObLG NJW 1955 1806; Sek/Schröder,/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 28; Schäfer MK Rdn. 42. Rönnau LK vor § 32 Rdn. 304; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Vorbem. § § 3 2 ff Rdn. 7 9 , 8 0 .

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Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 115 ff. Vgl. Rosenau LK § 113 Rdn. 27 ff m.w.N.; Sch/Schröder/Eser § 113 Rdn. 18 ff. BGHSt 2 181, 182; 20 116, 120; 23 254, 256; 2 9 359, 368; 33 370, 374; Wessels FS Maurach, S. 298 f. Schäfer MK Rdn. 43; Schafheutie Niederschriften 13, 67; Simon ebd. S. 71; Sturm Prot. VI/353; Ε 1962 Begr. S. 606; aA Bockelmann Niederschriften 13, 59. Horstkotte Prot. VI/351, 353; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 28; Schäfer MK Rdn. 43; aA Dreher NJW 1970 1153, 1161.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

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Absatz 2 verweist für die als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte strafbedrohten Handlungen allein auf § 113 StGB; er ist aber auf die diesen gleichgestellten Vollstreckungs- und Unterstützungshandlungen nach $ 114 Abs. 1 und 2 anzuwenden.

101

Ob die Regelung des Absatzes 2 wirklich, wie man angenommen zu haben scheint, 511 eine zwingende Konsequenz aus § 113 Abs. 3 Satz 1 war, lässt sich bei der Verschiedenheit der betroffenen Rechtsgüter in § 113 und § 125, der ungleich größeren Gefährlichkeit des Landfriedensbruchs und der höheren Strafdrohung bezweifeln. 512

E. Täterschaft und Teilnahme 102

Abweichend von dem differenzierenden Beteiligungssystem der §§ 25 ff erfasst § 125 beim gewalttätigen und bedrohenden Landfriedensbruch als Täter jeden an den Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen Beteiligten, unabhängig davon, ob er Täter, Mittäter, mittelbarer Täter, Gehilfe oder Anstifter ist. 513 Wegen der Einzelheiten wird auf die Erläuterungen im Rahmen des objektiven Tatbestands verwiesen (vgl. Rdn. 63 ff). Echte Teilnahme i.S. der §§ 26, 27 ist beim aufwieglerischen Landfriedensbruch möglich (vgl. Rdn. 91).

F. Versuch und Vollendung 103

Die Tathandlung beim gewalttätigen Landfriedensbruch ist vollendet, wenn eine aggressive Entfaltung der Körperkraft erfolgt ist. Zu einer unmittelbaren physischen Einwirkung auf Personen oder Sachen als solcher oder einem Verletzungserfolg braucht es nicht gekommen zu sein. 514 Der fehlgehende Wurf, Stich oder Schlag sind schon vollendete Gewalttätigkeiten. Mit dem Erheben des Arms zum Steinwurf, dem Aufklappen des Messers zum Stich, dem Ausholen mit der Schlagwaffe oder dem Entflammen des Streichholzes zur Entzündung des Sprengsatzes ist aber noch keine Gewalttätigkeit verübt. Wohl aber kann darin die Bedrohung mit einer Gewalttätigkeit liegen, wenn die Handlung so verstanden werden sollte und so verstanden worden ist. Die Bedrohung ist begangen, sobald sie nach außen getragen und von dem außerhalb der Menge befindlichen Adressaten verstanden worden ist. Nicht erforderlich ist, dass sie den von der in Aussicht gestellten Gewalttätigkeit Bedrohten erreicht hat. Die Tathandlung des aufwieglerischen Landfriedensbruchs ist bereits mit dem Beginn der Einwirkung auf die Menschenmenge vollendet. Erforderlich ist, dass die Einwirkung wenigstens von einem Großteil der Mitglieder wahrgenommen wird. 515 Ob das Einwirken Erfolg hat oder auch nur geeignet ist, Erfolg zu haben, spielt keine Rolle. 516 Der Versuch ist nicht strafbar (§ 2 3 Abs. 1).

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Vgl. die Beratungen des SonderA Prot. VI/ 353, bei denen allerdings die Irrtumsfragen im Vordergrund standen. Dreher, Lackner, Rösch Niederschriften der Länderkommission f. d. Große Strafrechtsreform, 12. Tag, S. 151; anders allerdings Dreher in der Sitzung des Strafrechtsausschusses des Dt. Richterbundes v. 7.-10.1. 1970, Prot. S. 30.

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Schäfer MK Rdn. 28; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 13; Lackner/Kühl Rdn. 8. Schäfer MK Rdn. 46; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6. Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 0 . Schäfer MK Rdn. 46; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 20.

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§ 125

G. Konkurrenzen I. Subsidiaritätsklausel Nach der Subsidiaritätsklausel des § 125 Abs. 1 letzter Halbsatz unterbleibt eine Bestrafung wegen Landfriedensbruchs, wenn die Tat nach anderen Vorschriften mit höherer Strafe bedroht ist. Diese Regelung setzt die praktische Bedeutung des § 125 erheblich herab, weil z.B. auch die einfache Körperverletzung nach § 223 eine höhere Strafdrohung vorsieht. Dadurch wird der Charakter des § 125 als Straftat gegen die öffentliche Sicherheit entwertet und tritt der spezifische Unrechtsgehalt der Norm in vielen Fällen in den Hintergrund. 517 Diese Privilegierung des Täters wird zu Recht als sachlich verfehlt angesehen. 518 Teile der Literatur legen die Subsidiaritätsklausel deshalb restriktiv insoweit aus, als der Landfriedensbruch lediglich gegenüber solchen Strafnormen zurücktreten soll, die im Wesentlichen dem Schutz derselben Rechtsgüter dienen und die gleiche Angriffsrichtung aufweisen (sog. relative Subsidiarität). 519 Danach kommt § 125 nicht zur Anwendung bei gleichzeitigen Verstößen gegen Tatbestände, die Individualrechtsgüter wie etwa das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Bewegungsfreiheit oder das Eigentum schützen; bei Angriffen auf das Hausrecht, die Ehre oder die ungestörte Religionsausübung dagegen kommt Tateinheit unabhängig von der Höhe der angedrohten Strafe in Betracht.

105

Der Bundesgerichtshof ist dieser Auffassung nicht gefolgt. In einer Entscheidung vom 9. September 1997 hat er die einschränkende Auslegung der Subsidiaritätsklausel des § 125 für unzulässig erklärt, weil sie gegen den Wortlaut der Subsidiaritätsklausel verstoße und dieser die äußerste Grenze der Auslegung strafrechtlicher Bestimmungen darstelle. 520 Dieses Ergebnis wird durch Teile der Literatur durch Abstellen auf einen engen Tatbegriff in § 125 Abs. 1, letzter Halbsatz, wieder relativiert. 521 Maßgeblich sei das jeweilige Sichbeteiligen an den einzelnen Gewalttätigkeiten. Auch wenn man der Wortlautargumentation des Bundesgerichtshofs folge, greife die Subsidiaritätsklausel dann nicht ein, wenn neben der Gewalttätigkeit gegen Personen, die aufgrund der Subsidiaritätsklausel verdrängt werde (z.B. Körperverletzung des Opfers), weitere Gewalttätigkeiten gegen Sachen begangen würden (z.B. Sachbeschädigung der Gaststätteneinrichtung). Eine andere Tat liege auch vor, wenn die strenger bestrafte Handlung nicht durch eine der in § 125 genannten Begehungsweisen als solche verwirklicht werde, weshalb § 125 z.B nicht verdrängt werde, wenn Sprechchöre neben einer Bedrohung gem. Absatz 1 2. Alt. zugleich eine Ehrverletzung gem. §§ 185 ff enthielten. 522 Dieser einschrän-

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 31; Schäfer MK Rdn. 4 8 ; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 II Rdn. 39. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 31; Schäfer MK Rdn. 4 8 ; Kindhäuser LPK Rdn. 2 7 ; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 Rdn. 39. Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 7 ; Kindhäuser LPK Rdn. 2 7 ; Ostendorf NK Rdn. 31; v. Bubnoff L K n Rdn. 73 unter Hinweis auf BGHSt 8 191, 192 f; Rudolphi]Z 1998 471. BGHSt 4 3 2 3 7 m. zust. Bspr. Martin JuS 1998 375 und abl. Anm. Rudolphi]Z 1998 471; vgl. auch Schäfer MK Rdn. 49; Seh!

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Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 31; Lackner/Kühl Rdn. 16; Ridder/ Breitbach/Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht, § 125 StGB Rdn. 4 4 ; Kostaras Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 108 f; krit. Fischer Rdn. 19; Rissing-van Saan LK vor § 5 2 Rdn. 127 f; v. Heintschel-Heinegg MK vor §§ 5 2 ff Rdn. 45; Freund/Putz NStZ 2 0 0 3 2 4 2 zu § 2 4 6 . Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 31; Schäfer MK Rdn. 5 0 . Sch/SchröderLenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 31; Schäfer MK Rdn. 50.

Matthias Krauß

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

kenden Auslegung der Subsidiaritätsklausel ist zuzustimmen. Die „Tat" gem. § 125 Abs. 1 letzter Halbsatz bezieht sich nach dem Kontext des Gesetzes (nur) auf die konkret beschriebene tatbestandsmäßige Handlung und nicht auf die Tat i.S. des § 2 6 4 StPO. 5 2 3 107

Für den Vergleich der Strafdrohungen ist nicht allein der § 125, sondern auch der § 125a heranzuziehen, da dieser zwar keine selbstständige Subsidiaritätsklausel, aber auch keine selbständigen Straftatbestände enthält, sondern nur für besonders schwere Fälle die Strafe des § 125 ändert. 5 2 4 Das gilt vice versa ebenso für die konkurrierenden Vorschriften.

108

Nach dieser Maßgabe ist der gewalttätige Landfriedensbruch gem. § 125 Abs. 1 Nr. 1 subsidiär insbesondere gegenüber § 88, § 102, § 106, § 109e, § 113 Abs. 2, § 177, SS 211 ff, SS 2 2 3 ff, S 239, % 2 4 0 im besonders schweren Fall; % 2 4 3 Abs. 1 Nr. 1, 2, 6; S 2 4 4 , SS 2 4 9 ff, 3 0 5 ff, % 313, % 315, % 315b, % 316b, S 317 und S 318. Der bedrohende Landfriedensbruch gem. § 125 Abs. 1 Nr. 2 tritt insbesondere zurück hinter die S 88, S 106, § 113 Abs. 2, S 177 und §S 2 4 9 ff. Der aufwieglerische Landfriedensbruch nach S 125 Abs. 1 3. Alt. ist subsidiär gegenüber SS 30, 130 und gegenüber S 111, soweit die Straftat, zu der aufgefordert wird, mit schwererer Strafe bedroht ist. 5 2 5

Π. Allgemeine Grundsätze 109

Greift die Subsidiaritätsklausel nicht ein, gelten die allgemeinen Grundsätze. 526 Tateinheit ist möglich mit S 106a; § 111, falls die Tat, zu der aufgefordert ist, nicht mit strengerer Strafe bedroht ist, § 113 Abs. 1, § 1 2 4 , 5 2 7 % 126, § 167, % 167a, § 185, % 186, S 231, S 2 4 0 , soweit kein besonders schwerer Fall vorliegt, 5 2 8 S 2 4 1 5 2 9 und § 304. Im Verhältnis zu S 303 besteht Gesetzeskonkurrenz mit Vorrang des S 125, da Gewalttätigkeiten gegen Sachen in der Regel zur Sachbeschädigung führen. 5 3 0 Idealkonkurrenz ist möglich zu SS 21, 2 2 , 2 7 Abs. 1 VersammlG, da diesen Tatbeständen ein anderer oder zusätzlicher Schutzzweck zugrunde liegt. 5 3 1 S 2 7 Abs. 2 VersammlG dagegen tritt im Hinblick auf seinen bloßen Vorfeldschutzcharakter 532 hinter S 125 zurück, soweit letzterer nicht gegenüber anderen Tatbeständen subsidiär ist. 5 3 3 Tateinheit zwischen S 27 Abs. 2 VersammlG und S 125 StGB kommt jedoch in Betracht, wenn die Tathandlung J23 vgl. Rissing-van Saan LK Vor § 52 Rdn. 128. 524

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Rudolphi/Stein SK § 125a Rdn. 24; Sehl Schröder/Lenckner/Sternberg-Liebeti § 125a Rdn. 2 4 ; aA Fischer § 125a Rdn. 9, der die Gültigkeit der Subsidiaritätsklausel für § 125a verneint. Vgl. Rogall GA 1 9 7 9 11, 25. Vgl. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 32; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 6 . BGH 3 StR 382/53 v. 3.12.1953 [14]; RGSt 37 28; 55 41; 55 101, 102; Ridder/Breitbach/ Bertuleit/Herkströter Versammlungsrecht, § 125 StGB Rdn. 45. BGHSt 32 165, 182; OLG Karlsruhe NJW 1 9 7 9 2416. BayObLG NStZ-RR 1999, 269. Vgl. OLG Karlsruhe N J W 1 9 7 9 2416; schon für § 125 Abs. 2 a.F. BGH 5 StR 699/67

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531

532 533

v. 7.5.1968 bei Daliinger MDR 1968 727; Fischer Rdn. 21; aA Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 32; Rudolphi/Stein SK Rdn. 26; Ridder/Breitbach/Bert»fe«i/ Herkströter Versammlungsrecht, § 125 StGB Rdn. 4 5 : Idealkonkurrenz. OLG Köln NStZ-RR 1997 2 3 5 ; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 32; Schäfer MK Rdn. 53; Rudolphi/Stein SK Rdn. 26; Lackner/Kühl Rdn. 16; Altenhain MK § 21 VersammlG Rdn. 2 8 ; § 2 7 VersammlG Rdn. 35; Dietel/Gintzel/Kniesel VersG § 21 Rdn. 16; einschränkend Ott VersammlG § 21 Rdn. 6. Vgl. v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 2 4 , 27. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 32; Schäfer MK Rdn. 5 3 ; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 2 6 ; Fischer Rdn. 2 2 .

Matthias Krauß

Landfriedensbruch

nach § 27 Abs. 2 VersammlG bereits als psychische Beihilfe zu § 125 zu qualifizieren ist. 5 3 4 Ist der Landfriedensbruch vor Verwirklichung des $ 27 Abs. 2 VersammlG bereits rechtlich abgeschlossen, kommt Tatmehrheit von § 125 und § 2 7 Abs. 2 VersammlG in Betracht. 535 Für das Verhältnis der Bußgeldvorschriften des § 29 VersG und § 113 OWiG ist § 21 OWiG zu beachten. 5 3 6 Die Beteiligung an mehreren Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen aus derselben Menschenmenge ist als einheitlicher Handlungskomplex nur eine Tat. 5 3 7 Im Falle sukzessiver Verwirklichung der beiden ersten Begehungsformen des § 125 ist bei engem räumlich-zeitlich-innerem Zusammenhang der Handlungsakte (natürliche bzw. tatbestandliche) Handlungseinheit anzunehmen; 538 so etwa bei der Steigerung der Beteiligung im Falle des Übergangs von Bedrohungen zu Gewalttätigkeiten. Wirkt der Täter auf einzelne Personen in der Menge und daneben auf die Menge selbst mit Erfolg ein, so ist der Anstifter-Aufwiegler bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen wegen tateinheitlich begangenen aufwieglerischen Landfriedensbruchs und Anstiftung oder Beihilfe zu gewalttätigem oder bedrohendem Landfriedensbruch strafbar. 5 3 9

110

H. Rechtsfolgen Der Strafrahmen des § 125 reicht von Geldstrafe bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe. Der Vorschlag einer Strafrahmenerhöhung auf fünf Jahre durch das Land Bayern wurde vom Bundesrat nicht aufgenommen. 540 Als Strafzumessungsgesichtspunkte können strafmildernd die finanzielle Belastung des Täters aufgrund öffentlich-rechtlicher Kostenansprüche oder zivilrechtlicher Schadenersatzansprüche 541 in Betracht kommen. 5 4 2

111

I. Prozessuales I. Verjährung Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre, § 78 Abs. 3 Nr. 4.

112

Π. Geltung für Auslandstaten Begeht ein Deutscher einen Landfriedensbruch im Ausland, kann die Tat gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen. 543

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535

536 537

538 539

Schäfer MK Rdn. 53; Fischer Rdn. 2 2 ; vgl. Kühl NJW 1985 2 3 8 0 ; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 6 . Schäfer MK Rdn. 53; Fischer Rdn. 2 2 ; s.a. Werle FS Lackner, S. 4 9 9 f zu § 125 Abs. 2 i.d.F. des 1. StGB/VersGÄndG 1985. Vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1984 513. RGSt 5 4 30; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 32; Schäfer MK Rdn. 54; Fischer Rdn. 21; vgl. hierzu auch Rissingvan Saan LK Vor § 52 Rdn. 35. Vgl. Rissing-van Saan LK Vor § 52 Rdn. 36. Schäfer MK Rdn. 54; aA Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 32,

540

541 542

543

wonach Täterschaft nach Abs. 1 3. Alt. der Anstiftung und Beihilfe zu der Tat nach Abs. 1 1. u. 2. Alt. vorgeht. Vgl. Entwurfsvorschlag eines RechtsfriedensstärkungsG 1992 des Landes Bayern, BRDrucks. 7 9 2 / 9 2 Begr. S. 2 4 und BRDrucks. 3 9 4 / 9 3 ; BTDrucks. 1 2 / 5 6 8 3 . Vgl. hierzu Schultz MDR 1983 183. Zu weiteren Strafzumessungsgesichtspunkten vgl. BGH bei Schmidt MDR 1993 5 0 6 . Vgl. OLG Celle J R 2 0 0 2 33; vgl. auch Hoyer J R 2 0 0 2 34; Rudolphi/Stein SK Rdn. 12a; Fischer Rdn. 2; Schäfer MK Rdn. 57.

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113

§ 125a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

§ 125a Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs In besonders schweren Fällen des § 125 Abs. 1 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. eine Schusswaffe bei sich führt, 2 . eine andere Waffe bei sich führt, um diese bei der Tat zu verwenden, 3. durch eine Gewalttätigkeit einen anderen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder 4. plündert oder bedeutenden Schaden an fremden Sachen anrichtet. Schrifttum Arzt Regelbeispiele und Teilnahme, JuS 1972 576; Callies Der Rechtscharakter der Regelbeispiele im Strafrecht, NJW 1998 929; Fabry Der besonders schwere Fall der versuchten Tat, NJW 1986 15; Fischer Waffen, gefährliche und sonstige Werkzeuge nach dem Beschluss des Großen Senats, NStZ 2003 569; Gössel Die Strafzumessung im System des Strafrechts, Festschrift Tröndle (1989) S. 357; Granderath Erschwerungsgründe in der strafgerichtlichen Urteilsformel, MDR 1984 988; Graul „Versuch eines Regelbeispiels", - BayObLG, NStZ 1997, 442; BGH, NStZ-RR 1997, 293, JuS 1999 852; Grünwald Teilrechtskraft und Regelbeispiel, JR 1980 303; Günther Verurteilungen im Strafprozeß trotz subsumtionsrelevanter Tatsachenzweifel (1976); Häuf Zur Scheinwaffenproblematik, GA 1994 319; Kaiser Sind nur für den Rechtsfolgenausspruch bedeutsame Tatumstände im Anklagesatz kenntlich zu machen? NJW 1981 1028; Küper Gefährdung als Erfolgsqualifikation? NJW 1976 543; ders. Deliktsversuch, Regelbeispiel und Versuch des Regelbeispiels, JZ 1986 518; Laubenthal Der Versuch des qualifizierten Delikts einschließlich des Versuchs im besonders schweren Fall bei Regelbeispielen, JZ 1987 1065; Lieben Gleichstellung von „versuchtem" und „vollendetem" Regelbeispiel? NStZ 1984 538; Maiwald Bestimmtheitsgebot, tatbestandliche Typisierung und Technik der Regelbeispiele, Festschrift Gallas (1973) S. 137; ders. Zur Problematik der „besonders schweren Fälle" im Strafrecht, NStZ 1984 433; Meyer-Gerhards Subjektive Gefahrmomente, „Schuldform" der Regelbeispiele und Begriff der „besonderen Folge" (§ 18 StGB), JuS 1976 228; Montenbruck Zur Aufgabe der besonders schweren Fälle, NStZ 1987 311; Ostendorf Grundzüge des konkreten Gefährdungsdelikts, JuS 1982 426; Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungsformen (1986); Schmitt Juristische „Aufrichtigkeit" am Beispiel des § 243 StGB, Festschrift Tröndle (1989) S. 313; Wessels Zur Problematik der Regelbeispiele für „schwere" und „besonders schwere Fälle", Festschrift Maurach (1972) S. 295; ders. Zur Indizwirkung der Regelbeispiele für besonders schwere Fälle einer Straftat, Festschrift Lackner (1987) S. 423; Zieschang Besonders schwere Fälle und Regelbeispiele - ein legitimes Gesetzgebungskonzept? Jura 1999 561; Zipf Dogmatische und kriminalpolitische Fragen bei § 243 StGB, Festschrift Dreher (1977) 5. 389.

Entstehungsgeschichte Die Strafzumessungsregel ist durch Art. 1 Nr. 7 des 3. Strafrechtsreformgesetzes vom 2 0 . Mai 1 9 7 0 (BGBl. I S. 5 0 5 ) in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Zuvor enthielt § 125 Abs. 2 a.F. Qualifikationstatbestände des einfachen Landfriedensbruchs. Die Vorschrift wurde durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Versammlungsgesetzes vom 18. Juli 1985 (BGBl. I S. 1511) geringfügig ergänzt. Durch Art. 1 Nr. 9 des 6 . Strafrechtsreformgesetzes vom 2 6 . Januar 1 9 9 8 (BGBl. I S. 164) wurde in Satz 2 Nr. 3 das bisherige Merkmal einer schweren Körperverletzung durch dasjenige einer schweren Gesundheitsbeschädigung ersetzt. Damit sollte der Schutz

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Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs

§ 125 a

der körperlichen Unversehrtheit verstärkt werden. 1 Außerdem wurde die Norm begrifflich etwa § 218 Abs. 2 Nr. 2, § 3 3 0 Abs. 2 Nr. 1 und § 330a Abs. 1 angepasst. Nicht umgesetzt wurde die 1996 zunächst beschlossene Einfügung einer Nummer 5, wonach das Handeln im Rahmen einer verbotenen öffentlichen Versammlung oder eines verbotenen Aufzugs als Regelbeispiel mit höherer Strafe bedroht sein sollte. 2

Übersicht Rdn. I. Strafzumessungsregel und Schutzrichtung Π. Objektive Voraussetzungen 1. Mitführen einer Schusswaffe a) Schusswaffe b) Bei-sich-Führen c) Täter 2. Bei-sich-Führen einer anderen Waffe . a) Waffe b) Bei-sich-Führen c) Gebrauchsabsicht 3. Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung 4. Plündern, Anrichten eines bedeutenden Schadens a) Plündern b) Anrichten eines bedeutenden Schadens

Rdn.

1 5 5 6 8 9 11 12 15 16

ΙΠ. IV. V. VI. VII. Vin.

19

5. Unbenannt besonders schwere Fälle Subjektiver Tatbestand Täterschaft und Teilnahme Vollendung und Versuch Konkurrenzen Wahlfeststellung Verfahrensrechtliche Fragen 1. Verjährung 2 . Haftrecht 3. Anklageschrift und Urteil 4. Rechtsmittel

.

27 28 30 33 36 39 40 40 41 42 43

21 22 26

I. Strafzumessungsregel und Schutzrichtung § 125a enthält eine Strafzumessungsregel und keine Qualifikation des § 125, 3 auch wenn die Rechtsprechung die Erschwerungsmerkmale den Tatbestandsmerkmalen zumindest angenähert hat. 4 Liegt ein besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs, gleich welcher Begehungsform, vor, erhöht sich die Freiheitsstrafe auf die Zeit von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Die Anwendung des § 125a setzt voraus, dass der Betreffende den vollen Tatbestand des § 125 erfüllt. Wer nur ein Regelbeispiel (z.B. Plündern nach Nummer 4) verwirklicht, ohne die Tatbestandsmerkmale des § 125 zu erfüllen, ist kein Täter des § 125a. Bei den Regelbeispielen des § 125a S. 2 steht das Schutzbedürfnis des Opfers im Mittelpunkt. Die eine besondere Handlungsgefährlichkeit erfassenden Nummern 1 bis 3 typisieren unter dem Gesichtspunkt der Personengefährdung einen gegenüber dem Tatbestand (Grunddelikt) erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt, wobei die Nummern 1 und 2 allein an das Handlungsunrecht anknüpfen, die Nummer 3 zusätzlich einen Gefährdungserfolg voraussetzt. 5 Die Nummer 4 verlangt einen besonderen Verletzungserfolg und dient über den Zweck des § 125 hinaus dem Schutz des Eigentums vor zusätzlichen Verletzungen unter Ausnutzung der geschaffenen besonderen Gefahrenlage.

1 2

3

Vgl. BTDrucks. 13/8785, S. 2 7 f. Vgl. BTDrucks. 13/6668, S. 4, 8 und dazu jetzt § 4 7 Abs. 1 Nr. 2 AuslG. BGH NStZ 2 0 0 0 194; Schäfer MK Rdn. 3; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben

4

5

Rdn. 1; Rudolphi/Stein SK Rdn. 1; Ostendorf NK Rdn. 2. Vgl. BGHSt 2 6 1 6 7 , 1 7 3 ; 2 9 359, 3 6 8 ; 3 3 370, 374. Ostendorf NK Rdn. 2.

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1

§ 125a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

2

Den das Regelbeispiel begründenden Umständen kommt nur indizielle Bedeutung für die erhöhte Strafzumessungsschuld und damit für eine Strafrahmenverschärfung zu. Die Regelbeispiele stellen deshalb keinen abschließenden Katalog dar. 6 Trotz Vorliegens der Merkmale eines Regelbeispiels kann daher ein besonders schwerer Fall zu verneinen sein. Ob ein schwerer Fall tatsächlich gegeben ist, entscheidet das Gericht aufgrund einer Gesamtwürdigung nach dem gesamten Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit. 7 Allerdings kann die Indizwirkung eines erfüllten Regelbeispiels nur durch besondere, im Tun oder in der Person des Täters liegende Umstände entkräftet werden, die das Unrecht seiner Tat oder seiner Schuld deutlich vom Regelfall abheben, so dass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens als unangemessen erscheint. 8 Die Verfolgung eines achtenswerten Anliegens von allgemein-politischer Bedeutung kann zwar mildernd zu berücksichtigen sein; angesichts des die Regelbeispiele des § 125a kennzeichnenden schweren Bruchs der rechtlichen Friedensordnung dürfte aber die politische Motivation des Täters allein nicht zur Verneinung eines besonders schweren Falles führen. 9 Auch die Tatsache, dass der Täter sich durch das schlechte Beispiel anderer zur Verwendung einer Waffe verleiten ließ, vermag die indizielle Wirkung des erfüllten Regelbeispiels allein nicht zu entkräften. 10

3

Das Fehlen der in den Regelbeispielen angeführten Merkmale hindert die Annahme eines (sonstigen) besonders schweren Falls nicht. Auch wenn ein Regelbeispiel nicht erfüllt ist, ist ein besonders schwerer Fall zu bejahen, wenn Unrecht und Schuld gegenüber dem Normalfall der Tatbestandsverwirklichung wesentlich erhöht sind und in ihrem Gewicht dem Vorliegen eines Regelbeispiels entsprechen. 11 Daher kann das Gericht bei entsprechender Fallgestaltung den geschärften Strafrahmen auch gegen den im Gesetz nicht mehr eigens genannten Rädelsführer anwenden, der früher Gegenstand des Qualifikationstatbestands § 125 Abs. 2 a.F. war. 12 Ist ein besonders schwerer Fall gegeben, so muss die Strafe geschärft, darf die Mindeststrafe nicht unterschritten werden (Satz 1).

4

§ 125a ist Anknüpfungsbestimmung für § 126 Abs. 1 Nr. 1, § 130a Abs. 1 und Abs. 2, § 140, § 145d Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 sowie für Art. 7 Abs. 2 Nr. 5 des 4. StrÄndG i.d.F. des Art. 4 Nr. l a des 3. StrRG (Anwendung für Straftaten gegen Soldaten und Beamte der in der Bundesrepublik stationierten Nato-Truppen).

Π. Objektive Voraussetzungen 5

1. Mitführen einer Schusswaffe. Nach Satz 2 Nr. 1 liegt ein besonders schwerer Fall in der Regel vor, wenn der Täter eine Schusswaffe bei sich führt. Straferhöhungsgrund ist die große Gefährlichkeit der Handlung. Allein das Bewusstsein, über ein so gefährliches und handliches Angriffsmittel zu verfügen, kann leicht zum Einsatz der Schusswaffe führen. 13 Darum kommt es - anders als im Regelbeispiel der Nummer 2 und in § 113

6

7

8

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BGH NStZ 2 0 0 0 194; BGHSt 2 3 254, 2 5 7 ; 2 9 319, 322; 33 370, 375; vgl. auch Dölling J R 1987 467. BGH NStZ 2 0 0 0 194; BGHSt 23 254, 2 5 7 ; 2 9 319, 322; Schäfer MK Rdn. 3; Ostendorf NK Rdn. 2; Wessels FS Maurach, S. 295, 301 f. BGH N J W 1987 2 4 5 0 ; StV 1989 432; OLG Karlsruhe NJW 1978 1697, 1699. Vgl. Dölling J R 1987 467, 4 7 0 ; Schäfer MK Rdn. 3.

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10 11 12

13

Vgl. Dölling J R 1987 467, 468. BGHSt 2 8 318, 319. Schriftl. Bericht, BTDrucks. VI/502, S. 10 u. Prot. VI/354 f. Vgl. BGHSt 3 0 44, 45; BGH NStZ 1984 216, 217; Schlee Prot. VI/355; Sturm ebd., S. 324 zu § 113.

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Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs

§ 125a

Abs. 2 Nr. 1 1 4 - nicht darauf an, ob der Einsatz der Waffen gewollt war oder nicht. 15 Gleichgültig ist auch, ob der Täter zum Tragen von Schusswaffen an sich berechtigt ist oder die Schusswaffe in Ausübung seines Dienstes bei sich führt. 16 Die von einer solchen Waffe ausgehende Gefährlichkeit hängt nämlich nicht davon ab, ob der Täter die Waffe zufällig bei sich führt oder ob er kraft seines Amtes oder Berufs zum Tragen der Schusswaffe dienstlich verpflichtet ist. a) Schusswaffe. Der Begriff der Schusswaffe ist im Strafgesetzbuch nicht definiert. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 WaffG i.V.m. Anlage 1 Nr. 1.1 sind Schusswaffen Gegenstände, die zum Angriff oder zur Verteidigung, zur Signalgebung, zur Jagd, zur Distanzinjektion, zur Markierung, zum Sport oder zum Spiel bestimmt sind und bei denen Geschosse durch einen Lauf getrieben werden. Im Hinblick auf die unterschiedliche Schutzrichtung der Regelungen des WaffenG und des StGB ist der in § 125a S. 2 Nr. 1 verwendete Schusswaffenbegriff nicht synonym mit dem waffengesetzlichen. 17 Die Schusswaffeneigenschaft nach dem StGB ist aber in Anlehnung an die im Waffengesetz enthaltenen Grundvorstellungen über eine Schusswaffe zu beurteilen. 18

6

Schusswaffen sind eine Untergruppe einer Waffe im (strafrechtlichen) technischen Sinne, d.h. einer beweglichen Sache, die nach ihrer Beschaffenheit und ihrem Zustand zur Zeit der Tat bei bestimmungsgemäßer Verwendung dazu geeignet ist, Menschen erhebliche Verletzungen zuzufügen. 19 Im Gegensatz zu § 2 4 4 und § 2 5 0 , in denen durch das 6. StrRG die alte Unterscheidung zwischen Waffen und Schusswaffen aufgegeben wurde, werden sonstige Waffen im technischen Sinn wie Hieb- und Stoßwaffen von § 125a S. 2 Nr. 1 nicht erfasst. Ob die Geschosse mit Hilfe von Explosivstoffen oder z.B. durch Luftdruck abgefeuert werden, ist unbeachtlich. Unter die Norm fallen neben scharfen Waffen auch Luftdruckpistolen. 20 Auch Gaspistolen sind, wenn die Gase durch den Lauf nach vorn austreten, Schusswaffen im Sinne der Norm, weil sie nach ihrer Konstruktion geeignet und bestimmt sind, den Gegner über eine nicht unbeachtliche Reichweite hinweg auf chemischem Wege körperlich nicht unerheblich zu verletzen. 21 Eine

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19

In § 113 wegen der dort für den Täter oft unvermutet eintretenden Vollstreckungssituation; vgl. auch Krüger Prot. VI/335; de With ebd., S. 308; Schriftl. Bericht, BTDrucks. VI/502, S. 5, 10. BGH NStZ 1985 5 4 7 ; Schäfer MK Rdn. 9. Vgl. BGHSt 3 0 4 4 , 45; OLG Hamm NStZ 2 0 0 7 473, 474; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 4; Schäfer MK Rdn. 9; Ostendorf NK Rdn. 3; Fischer Rdn. 3a; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5; aA v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 2. Vgl. BGHSt 4 8 197, 2 0 5 ; Fischer § 2 4 4 Rdn. 3; Steindorf Waffenrecht 8. Aufl. 2 0 0 7 § 1 WaffG Rdn. 3h, 3i; Hinze Waffenrecht, Kommentar WaffG § 1 Rdn. 8. BGHSt 4 8 197, 2 0 3 ; BGH NStZ 1989 476; Schäfer MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben § 2 4 4 Rdn. 3. BGHSt 4 5 92, 93; 4 8 197, 2 0 0 zu §§ 244,

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2 5 0 ; vgl. hierzu Fischer NStZ 2 0 0 3 5 6 9 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2. BGH bei Dallinger MDR 1974 5 4 7 ; BGH NStZ 2 0 0 0 431; Fischer § 2 4 4 Rdn. 3a; Schäfer MK Rdn. 10. BGHSt 2 4 136 m. krit. Anm. Schröder J Z 1971 82; 4 5 92; BGH NJW 1998 3131; NStZ 1 9 8 9 4 7 6 ; 1 9 9 9 135, 301, 302; aA Rudolphi/ Stein SK Rdn. 2; Sch/Schröder/Eser 25. Aufl. § 2 4 4 Rdn. 3; Ostendorf NK Rdn. 3; Kindhäuser LPK Rdn. 4 unter Berufung darauf, dass Gaspistolen die für Schusswaffen spezifische Gefährlichkeit fehlt, mit Hilfe von Projektilen erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Nach OLG Düsseldorf MDR 1991 4 6 8 fallen auch Gaspistolen, bei denen das Gas durch seitlich bzw. oben gelegene Lauföffnungen austritt, unter den Schusswaffenbegriff.

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§ 125a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

geladene Schreckschusspistole, bei der der Explosionsdruck nach vorn austritt, qualifiziert BGHSt 4 8 197 nunmehr als Waffe i.S.v. § 2 5 0 Abs. 2 Nr. 1, weil sie nach ihrer Beschaffenheit wie die geladene Gaswaffe geeignet sei, beim Abfeuern erhebliche Verletzungen hervorzurufen, es auf eine konkrete Gefahr nicht ankomme und das Waffengesetz im Unterabschnitt „Schusswaffen" Schreckschusspistolen den Gaspistolen gleichstelle. 22 Konsequenterweise müsste - entgegen der bisherigen Rechtsprechung 23 - die Schreckschusspistole auch als Schusswaffe qualifiziert werden, was in der Literatur im Hinblick darauf, dass Schreckschusspistolen nach ihrer Art objektiv nicht zur Verursachung erheblicher Verletzungen bestimmt sind, verneint wird. 2 4 Voraussetzung für die Erfüllung des Regelbeispiels ist, dass die Schusswaffe funktionstüchtig ist und schussbereit gemacht werden kann. 2 5 Geladen oder durchgeladen muss sie nicht sein; es reicht, wenn dies jederzeit durch griffbereite Munition geschehen kann. 2 6 8

b) Bei-sich-Führen. Eine Schusswaffe führt bei sich, wenn sie dem Täter zu irgendeinem Zeitpunkt während des Tathergangs zur Verfügung steht. 27 Dies setzt nicht voraus, dass der Täter die Waffe in der Hand hält oder am Körper trägt. Ausreichend ist, wenn er sich ihrer jederzeit, also ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann. 2 8 Eine Gebrauchsabsicht ist nicht erforderlich. Es genügt, wenn der Täter die Schusswaffe erst während der Tat ergreift. 29 In zeitlicher Hinsicht muss das Bei-sich-Führen während der Vornahme einer der Tathandlungen des § 125 Abs. 1 erfolgen. 30 Ergreift der Täter des § 125 die Schusswaffe erst nach Beendigung der Gewalttätigkeiten, ist das Regelbeispiel nicht erfüllt.

9

c) Täter. Nach § 125a S. 2 muss der Täter des Landfriedensbruchs die Schusswaffe bei sich führen, während ähnliche Vorschriften (§§ 113 Abs. 2 Nr. 1, 2 4 4 Abs. 1 Nr. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1) auf den Täter oder Beteiligten abstellen. Da jedoch Teilnehmer am gewalttätigen und bedrohenden Landfriedensbruch in § 125 als Täter eingestuft sind, 31 erfasst das Regelbeispiel auch den Anstifter oder Gehilfen einer konkreten Gewalttätigkeit oder Bedrohung. Bei § 125a handelt es sich um ein eigenhändiges Delikt. Das Führen von Schusswaffen eines anderen Tatbeteiligten kann deshalb nicht zugerechnet werden (im Einzelnen Rdn. 30).

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25

Vgl. Anlage 1 zu § 1 Abs. 4 WaffG, Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 2 . 7 und 2.8. BGH StV 1998 4 8 6 , 4 8 7 ; 2 0 0 1 274; BGHR StGB § 2 4 4 Abs. 1 Nr. 1 Schusswaffe 1; BGH 2 StR 2 2 / 8 8 vom 19.5.1988, S. 24; Schäfer MK Rdn. 10. Fischer § 2 4 4 Rdn. 3e; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Schäfer MK Rdn. 10; Kindhäuser LPK Rdn. 4; Fischer NStZ 2 0 0 3 569. Vgl. BGHSt 4 4 103; 4 5 249, 2 5 0 ; BGH StV 1987 67; 1998 485; N J W 1998 3131; NStZ-RR 1999 103; NStZ 1999 135, 448, 449; NStZ-RR 2 0 0 3 186, 188; OLG Hamm NStZ 2 0 0 7 4 7 3 ; Fischer § 2 4 4 Rdn. 3b; Sch/Schröder/Eser § 2 4 4 Rdn. 3.

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BGH NStZ 1999 135; NStZ-RR 1 9 9 9 , 1 0 3 . Vgl. BGHSt 31 105; 43 8, 10; BGH NStZ 1998 354; NJW 2 0 0 2 309, 310. BGHSt 31 105; 4 2 368; 43 8, 10; BGH NStZ-RR 1997 16; NJW 2 0 0 2 309, 310; NStZ 2 0 0 4 111. Vgl. BGH NStZ 1985 547; Dölling 1987 467, 468. Vgl. auch Ε 1962, Begr. zu § 2 9 6 und dort die Verweisung auf die Begr. zu §§ 237, 422; Schäfer MK Rdn. 12; Rudolphi/Stein SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 5. Zum „Einheitstäterbegriff" vgl. § 125 Rdn. 63.

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Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs

§ 125a

Der Täter eines aufwieglerischen Landfriedensbruchs ist von der Strafschärfung nicht ausgenommen. 32 Die Vorschrift differenziert insoweit nicht. Die erhöhte Gefährlichkeit, die vom Bei-sich-Führen einer Schusswaffe ausgeht, liegt auch beim Aufwiegler vor. Auch er kann die Kontrolle über sich verlieren und von der Schusswaffe Gebrauch machen. Außerdem besteht die Gefahr, dass er seinem hetzerischen Treiben, z.B. durch entsprechende Gestik mit der Schusswaffe, erst rechte Wirkungskraft oder gar durch Drohung Nachdruck verleiht. Auch dies erhöht die Rechtsgütergefährdung und steigert den Schuld- und Unrechtsgehalt der Tat. 3 3 Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass der Aufwiegler die Menge auffordert, von Schusswaffen Gebrauch zu machen; dies entspricht keinem der Regelbeispiele, kann jedoch aufgrund einer Gesamtwürdigung einen unbenannten besonders schweren Fall darstellen. Da die Teilnahme am aufwieglerischen Landfriedensbruch nicht zur Täterschaft verselbständigt ist, kommt § 125a insoweit nicht zur Anwendung.

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2. Bei-sich-Führen einer anderen Waffe. Satz 2 Nr. 2 verwirklicht der Täter, der „eine andere Waffe bei sich führt, um diese bei der Tat zu verwenden".

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a) Waffe. Der Begriff der Waffe ist ein strafrechtlicher, vom Waffenrecht grundsätzlieh unabhängiger Begriff. 34 Darunter fallen zunächst Waffen im technischen Sinne, d.h. bewegliche Sachen, die nach ihrer bestimmungsgemäßen Art objektiv zur Verursachung erheblicher Verletzungen von Personen oder Beschädigungen von Sachen bestimmt sind (Stilette, Kampfmesser, Schlagstöcke usw.). 35 Nach h.M. sind Waffen im Sinne der Vorschrift auch solche im nichttechnischen Sinne, d.h. Gegenstände, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach der beabsichtigten konkreten Art ihrer Benutzung geeignet sind, erhebliche Verletzungen oder Beschädigungen herbeizuführen. 36 Zwar spricht § 125a S. 2 Nr. 2 nur von Waffen und führt im Gegensatz etwa zu §§ 2 2 4 Abs. 1 Nr. 2, 2 4 4 Abs. 1 Nr. l a , 2 5 0 Abs. 1 Nr. l a andere gefährliche Werkzeuge nicht auf. Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen jedoch dafür, alle gefährlichen Werkzeuge einzubeziehen. Die erhöhte Strafe ist hier dem Täter deswegen angedroht, weil er durch den beabsichtigten Waffeneinsatz die bei Ausschreitungen aus einer Menge ohnehin bedrohliche Lage für Menschen und Sachen ungemein verschärft. Diese erhöhte Gefährdungslage hängt aber nicht davon ab, ob der Täter eine Waffe im technischen Sinne oder beispielsweise Knüppel, Zaunlatten, Flaschen, Fahrradketten oder scharfkantige Schottersteine zum Einsatz bringen will. Nach aller Erfahrung pflegen die Mitglieder einer zu Ausschreitungen bereiten Menschenmenge sich mit solchen Gegenständen eher auszurüsten als mit in der benötigten Zahl weniger leicht zu beschaffenden technischen Waffen. Würden diese gefährlichen Gegenstände von der Vorschrift nicht erfasst, würde das kriminalpolitische

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Vgl. Sch/Schröder/Letickner/Sternberg-Liebeti Rdn. 6; Schäfer MK Rdn. 13; Fischer Rdn. 3a; aA Ostendorf NK Rdn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 II Rdn. 41; differenzierend Rudolphi/Stein SK Rdn. 5. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Schäfer MK Rdn. 13; aA Rudolphi/ Stein SK Rdn. 5; Ostendorf NK Rdn. 3. BGHSt 4 8 197, 2 0 6 . Vgl. auch § 1 Abs. 2 Nr. 2 WaffG; BGHSt 4 4 1 0 3 , 1 0 5 , 45 249, 2 5 0 ; 4 8 197, 2 0 0 .

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Vgl. BGHSt 4 4 103, 105; BGH NJW 1995 2 6 4 3 , 2 6 4 4 ; BGH 4 StR 4 3 8 / 9 7 vom 25.9. 1997; BayObLG J R 1987 466; LG Berlin NStZ 1992 37; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Schäfer MK Rdn. 16; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; Fischer Rdn. 4; Ostendorf NK Rdn. 4; B/ei JA 1970 618; Dötting J R 1978 467, 4 6 8 ; Dreher NJW 1970 1 1 5 3 , 1 1 6 1 .

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§ 125a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Ziel der Norm weithin verfehlt. 37 Diese Auslegung entspricht auch dem gesetzgeberischen Willen 3 8 sowie der Begründung des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 11. Mai 1973, wo es heißt, dass § 121 Abs. 3 Nr. 2 wie § 125a auch die Waffe im nichttechnischen Sinne erfasst. 39 13

Scheinwaffen, deren Verletzungstauglichkeit nur vorgetäuscht wird, genügen nicht, weil das nur subjektive Bedrohungspotential vom Anwendungsbereich des § 125a S. 2 Nr. 2 nicht erfasst wird. 4 0 Etwas anderes gilt aber, wenn der Täter die Scheinwaffe als Schlagwerkzeug benutzen will. Eine qualifizierende Beschränkung auf Gegenstände, die geeignet sind, schwerste Verletzungen hervorzurufen, findet im Gesetz keine Stütze. 41 Werden Pflaster- oder scharfkantige Schottersteine auf Polizeibeamte geworfen, wird das gesteigerte Gefährdungspotential für die potentiellen Opfer nicht dadurch beseitigt, dass die Polizeibeamten Schutzkleidung (Schutzhelme, Schilde und gepolsterte Kampfanzüge) tragen, weil diese keinen absoluten Schutz vor erheblichen Verletzungen bietet. 42

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Als Waffen kommen in Betracht: Pflaster-, scharfkantige Schotter-, Ziegel- und sonstige Steine, 43 Schlagwerkzeuge wie Baseballschläger, 44 Holzknüppel, 45 Zaunlatten, Fahnen-, Transparent-, Bambus- und sonstige Stangen, 46 Hartgummistücke, Rundeisen, Flaschen, zu Schlagwerkzeugen präparierte Fahrradketten, die Folgen eines Schlages deutlich verstärkende Quarzhandschuhe, 47 brennbare Flüssigkeiten wie Benzin beim Bespritzen eines Menschen, 4 8 mit Tränengas gefüllte Sprühdosen, 49 Elektroschockgeräte 5 0 und Explosivkörper wie Molotow-Cocktails oder Brandbomben. 51 Auch ein Kfz, mit dem der Täter auf andere zufährt, kann als Waffe im nichttechnischen Sinn verwendet werden; 5 2 nicht aber, wenn seine Benutzung ausschließlich Absetzbewegungen dient 5 3 oder es an einem bewussten Einsatz als Angriffsmittel fehlt. 54 Unter das Regelbeispiel fällt auch der auf einen Menschen gehetzte Hund. 5 5

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Schäfer MK Rdn. 16. Vgl. Schäfer MK Rdn. 16; Dreher NJW 1970 1153, 1161 unter Hinweis auf Prot, des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform des Bundestages VI, 306, 3 2 4 f, Dölling JR 1987 4 8 6 unter Berufung auf Protokolle des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform V, S. 3 0 3 9 ff; VI, S. 321 ff; BTDrucks. VI/502, S. 10. BTDrucks. 7 / 5 5 0 , S. 2 2 0 . Vgl. BGHSt 4 4 103 f zu § 2 5 0 ; Fischer § 2 4 4 Rdn. 3b, 11; Sch/Schröder!Eser § 2 4 4 Rdn. 3, 5. Zutr. LG Berlin NStZ 1992 37; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8; aA AG Berlin-Tiergarten StV 1983 465; Ostendorf AK Rdn. 4. LG Berlin NStZ 1992 37; vgl. auch OLG Celle NStZ-RR 1997 2 6 6 (Schlag mit einer knapp zwei Meter langen Holzstange auf einen heranreitenden Polizeibeamten, der einen Helm trägt; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 8; Schäfer MK Rdn. 18; differenzierend Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; aA AG Berlin-Tiergarten NStZ 1991 493.

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Vgl. BayObLG J R 1987 4 6 6 ; LG Berlin NStZ 1992 37 (scharfkantige Schottersteine); AG Berlin-Tiergarten NStZ 1991 4 9 3 (Kleinpflastersteine; verneint wegen Schutzkleidung der Opfer); AG Berlin-Tiergarten StV 1983 4 6 5 (differenzierend nach der Größe des Steins). Vgl. BGH 3 StR 2 5 8 / 9 8 v. 14.10.1998. BGH NStZ 2 0 0 0 307. OLG Celle NStZ-RR 1997 265. BGH 4 StR 4 3 8 / 9 7 vom 25.9.1997. BGH NJW 1995 2 6 4 3 , 2 6 4 4 . BGHSt 2 2 2 3 0 . BGH NStZ-RR 2 0 0 4 169. Vgl. BGH NJW 1995 2 6 4 3 , 2645. Vgl. BGHSt 2 6 176, 179; BGH bei Holtz MDR 1978 988; DRiZ 1979 149 Nr. 11; OLG Düsseldorf NJW 1982 1111, 1112; Janiszewski NStZ 1982 108; aA Ostendorf NK Rdn. 4. Vgl. BGH VRS 4 4 4 2 3 . OLG Karlsruhe Die Justiz 1981 239. BGHSt 14 152; OLG Hamm NJW 1965 164 f.

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Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs

§ 125a

b) Bei-Sich-Führen. Für das Bei-sich-Führen gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Nummer 1 (s. Rdn. 8). Der Täter muss die Waffe bei der Tatbegehung dergestalt zur Verfügung haben, dass er sich ihrer jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann. „Bei der Tat" bedeutet in irgendeinem Zeitraum zwischen dem Beginn der Ausführungshandlung bis zu ihrer Beendigung. 56 Es genügt, dass der Täter den gefährlichen Gegenstand erst während der Tat ergreift, etwa einen am Tatort vorgefundenen Pflasterstein aufnimmt und zum Wurf gegen Ordnungskräfte verwendet, 57 oder dass er sich zur Zweckentfremdung des mitgeführten Gegenstandes als Waffe (z.B. Pkw) erst im Augenblick der Tat entschließt. 58 Schon durch das Ergreifen tritt die im Regelbeispiel vorausgesetzte Gefährlichkeit ein.

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c) Gebrauchsabsicht. Im Gegensatz zur Nummer 1 ist ein besonders schwerer Fall nach Nummer 2 nur dann gegeben, wenn der Täter die Waffe in Gebrauchsabsicht bei sich führt. Absicht bedeutet hier zielgerichtetes Handeln. Dies setzt nicht voraus, dass der Täter die Waffe unter allen Umständen oder in einer ganz bestimmten, schon eingeplanten Lage gebrauchen will. Vielmehr genügt es, wenn der Täter die Waffe bei sich hat, um sich ihrer im Bedarfsfall oder auch nur im Notfall zu bedienen. 59 Zu einem tatsächlichen Einsatz braucht es nicht gekommen zu sein. Aus der Art der Waffe kann auf die Verwendungsabsicht geschlossen werden. 60 Auf Vorstellungen des Täters über etwaige Schutzmaßnahmen der potentiellen Opfer kommt es nicht an. 61

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Voraussetzung ist, dass der Täter beabsichtigt, die Waffe gegen Personen einzuset- 1 7 zen. 62 Dies folgt aus dem Gesetzeszweck, wonach im Interesse eines wirksamen Schutzes von Leib und Leben solche Taten erfasst werden sollen, die wegen der Bewaffnung des Täters für Personen besonders gefährlich sind. Will der Täter den gefährlichen Gegenstand ausschließlich zur Einwirkung auf Sachen verwenden, ist das Regelbeispiel nicht erfüllt, so wenn der Täter mit einem Stein nur eine Fensterscheibe einwerfen will. Allerdings kann auch eine Gewaltanwendung gegen Sachen genügen, wenn durch sie mittelbar auf Personen eingewirkt werden soll. 63 Dies kann in Betracht kommen, wenn es dem Täter auf die schädigende Einwirkung auf Sachen ankommt, er aber in Kauf nimmt, dass die beabsichtigte Art der Verwendung der Waffe zur Verletzung von Menschen führen kann, z.B. beim Mitführen einer Bombe zwecks Platzierung in einem Behördenbau/ Geschäftshaus zu üblichen Öffnungszeiten oder eines Molotow-Cocktails zum Schleudern in ein Ausländerwohnheim bzw. Wohn- und Schlafcontainer. 64 Relevant ist weiterhin, dass der Täter eine als Personenschutzwehr dienende Sache beschädigen oder zerstören will, um einen tätlichen Angriff gegen die durch diese Sache geschützten Personen zu ermöglichen. 65 Eine Verwendung als Waffe kann auch dann vorliegen, wenn mit ihr

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BGHSt 2 0 194, 197. Dötting J R 1987 467, 4 6 8 ; vgl. auch BGH NJW 1995 2 6 4 3 , 2 6 4 5 . Vgl. OLG Karlsruhe Die Justiz 1981 239. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7; Dreher NJW 1970 1153, 1161; Horstkotte Prot. Vl/325. BGH NJW 1995 2 6 4 3 , 2 6 4 5 ; aA Ostendorf NK Rdn. 9. LG Berlin NStZ 1992 37, 38; Schäfer MK Rdn. 18.

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BayObLG J R 1987 4 6 6 , Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Schäfer MK Rdn. 38, Rudolphi/Stein SK Rdn. 7; Kindhäuser LPK Rdn. 10; Dötting JR 1987 467, 469. BayObLG J R 1987 4 6 6 , 467. BGH 4 StR 1 0 5 / 9 4 v. 7.6.1994 und 4 StR 5 5 2 / 9 4 v. 17.11.1994; Dötting J R 1987 467, 469; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7. BayObLG J R 1987 4 6 6 , 4 6 7 ; insoweit aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 7.

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§ 125a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

eine Gewaltanwendung gegen Personen nur angedroht werden soll. 66 Ist eine Absicht, die Waffe zumindest mittelbar gegen Personen einzusetzen, nicht gegeben oder nicht nachweisbar, kommt möglicherweise ein sonstiger besonders schwerer Fall in Betracht. 18

Das Regelbeispiel Nummer 2 gilt für jede Begehungsform des Landfriedensbruchs. 67

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3. Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung. Nach Satz 2 Nr. 3 liegt ein besonders schwerer Fall in der Regel vor, wenn der Täter durch eine Gewalttätigkeit einen anderen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt. Das Regelbeispiel betrifft allein den gewalttätigen Landfriedensbruch nach § 125 Abs. 1 Nr. 1; die Gewalttätigkeit (vgl. hierzu § 125 Rdn. 2 8 ff) muss aus einer Menschenmenge mit vereinten Kräften begangen worden sein und eine der beschriebenen Gefahren ursächlich herbeiführen. 68 Gleichgültig ist, ob dies durch einen unmittelbaren Angriff auf Menschen geschieht oder durch eine Gewalttätigkeit, die gegen Sachen gerichtet ist, in der Wirkung aber auch Menschen erfasst (z.B. Umstürzen eines Pkw). 6 9 Im Gegensatz zu § 113 Abs. 2 Nr. 2 ist es unerheblich, ob der unmittelbar Angegriffene oder sonst jemand in oder außerhalb der Menge (auch unbeteiligte Zuschauer oder ein Teilnehmer der Aktion) in jene Gefahr gerät. 70 Nur Gefahren, in die sich der Gewalttäter selbst bringt (z.B. durch eine unvorsichtig geworfene Handgranate), unterfallen dem Regelbeispiel nicht.

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Mit Gefahr ist ein konkreter Gefahrerfolg gemeint, also ein Zustand, bei dem nach den gegebenen konkreten Umständen der Eintritt eines schädigenden Ereignisses wahrscheinlich ist, die Möglichkeit eines solchen nahe liegt. 71 Für die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung reicht es aus, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass das Opfer in eine ernste langwierige Krankheit verfällt oder seine Arbeitskraft erheblich beeinträchtigt wird; die Gefahr eines Erfolgs i.S. von § 2 2 6 Abs. 1 ist nicht erforderlich. 72

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4. Plündern, Anrichten eines bedeutenden Schadens. Das Regelbeispiel nach Satz 2 Nr. 4 erfüllt der Täter, der plündert oder bedeutenden Schaden an fremden Sachen anrichtet. Insoweit handelt es sich um eine Art eigennützigen Landfriedensbruch. Bestimmend für die Unrechtssteigerung ist hier, anders als in den Nummern 1 bis 3, nicht die erhöhte unmittelbare Gefährlichkeit der Tat, sondern die Ausnützung der durch die Tathandlungen geschaffenen Situation der Unruhe und Bestürzung, die den unbefugten Zugriff auf fremdes Eigentum erleichtert. Bei dieser Alternative liegt somit das Gewicht auf dem Eigentumsschutz.

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a) Plündern. Das Gesetz umschreibt den Begriff des Plünderns nicht. In Anlehnung an § 129 MilitärStGB verstand das Reichsgericht hierunter sowohl die diebische Wegnahme von Sachen als auch ihre Abnötigung „unter den tumultuarischen Umständen des

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Vgl. BGHSt 2 6 176, 180; BayObLG J R 1987 4 6 6 , 4 6 7 ; Dötting J R 1987 467, 469. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Rudolphi/Stein SK Rdn. 9. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Kindhäuser LPK Rdn. 12. Schäfer MK Rdn. 2 3 ; aA Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Osten-

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dorf NK Rdn. 5: nur Personen außerhalb der Menge, d.h. Unbeteiligte; in diesem Sinne auch Fischer Rdn. 5. Vgl. BGHSt 18 2 7 2 f. BGH StV 2 0 0 2 4 2 3 f zu § 2 5 0 ; Schäfer MK Rdn. 2 5 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 9; vgl. auch Wolters JuS 1998 582, 584; Kreß NJW 1998 633, 638; BTDrucks. 12/192, S. 28 und 13/8587, S. 2 7 f.

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Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs

§ 125a

§ 125 und namentlich unter Benutzung der durch die Störung der öffentlichen Ordnung verursachten Bestürzung und Schrecken". 7 3 Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsprechung übernommen. 7 4 Danach bedeutet Plündern die Wegnahme oder Abnötigung in Zueignungsabsicht unter Ausnutzung der durch den Landfriedensbruch hervorgerufenen Störung der öffentlichen Ordnung. 75 Keine Rolle spielt, ob die Wegnahme der Sachen offen 7 6 oder heimlich, mit vereinten Kräften oder in Einzelaktionen erfolgt, wenn dies nur unter Ausnutzung und Begünstigung der geschaffenen besonderen Gefahrenlage geschieht. 77 Auch der Täter, der sich aus der Menschenmenge entfernt, um die Gelegenheit zum Plündern auszunutzen, unterfällt dem Regelbeispiel. 78 Nicht erforderlich ist, dass sich der Täter bereits in Plünderungsabsicht am Landfriedensbruch beteiligt. In einem schon geplünderten Geschäft, das Besitzer oder Polizei nicht mehr bewachen, kann nochmals geplündert werden. 7 9 In Zueignungsabsicht handelt auch, wer Sachen wegnimmt, um sie anschließend zu verschenken. 80 Dasselbe muss gelten, wenn der Täter die Sachen wegnimmt, um einem anderen die Herrschaftsgewalt darüber zu verschaffen. 81 Unmittelbare Wegnahme gehört nicht zum Wesen der Plünderung. Es plündert auch, wer sich einer schon anderweit geplünderten Sache bemächtigt und sie damit der Einwirkungsmöglichkeit des Gewahrsamsinhabers endgültig entzieht, d.h. den Gewahrsamsverlust des Berechtigten vollends herbeiführt, z.B. an den aus einem heimgesuchten Ladengeschäft herausgereichten oder unter die Menge geworfenen Gebrauchsgegenständen, solange der Inhaber den Gewahrsam noch nicht vollständig eingebüßt hat. 8 2 Dagegen plündert nicht, wer lediglich den Plünderer um seine Beute bringt oder wer sonst die Gelegenheit zum Stehlen in der Menschenmenge wahrnimmt (Taschendieb im Gedränge; ein Teilnehmer bestiehlt den anderen); denn die Straferschwerung ist an Ausschreitungen aus der Menge gegen Objekte außerhalb der Menge gebunden. 83 Bösgläubiger Erwerb geplünderter Sachen ist Hehlerei. 8 4

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Das Regelbeispiel ist nur gegeben, wenn der Plünderer Täter eines Landfriedensbruchs ist, also als Täter oder Teilnehmer einen gewalttätigen oder bedrohenden Landfriedensbruch oder als Täter einen aufwieglerischen Landfriedensbruch begangen hat.

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Andere Personen, auch wenn sie Mitglieder der Menge sind, fallen nicht unter das Regelbeispiel. 85 Insoweit ist auf die Vorschriften der §§ 2 4 2 ff, §§ 2 4 9 ff zurückzugrei-

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RG J W 1922 1725; ähnlich RGSt 52 35; 56 2 4 7 ; RG H R R 1932 Nr. 394. BGHZ J Z 1952 3 6 9 ; BGH 3 StR 981/51 v. 17.4.1952; 3 StR 2 4 9 / 5 2 v. 7.5.1953. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Rudolphi/Stein SK Rdn. 11; Schäfer MK Rdn. 28. So früher ausdrücklich § 129 MilStGB; dazu RMG 19 2 3 7 ; 21 144, 247. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Rudolphi/Stein SK Rdn. 10; Schäfer MK Rdn. 30. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13. BGH J Z 1952 369; OGHSt 2 209, 212. BGH 3 StR 7 8 3 / 5 3 v. 25.3.1954. Offen gelassen von BGH 3 StR 783/53

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v. 25.3.1954; vgl. auch BGH 2 StR 2 7 / 5 0 v. 29.4.1952. RG L Z 1922 Sp. 387; BGH 3 StR 7 8 3 / 5 3 v. 25.3.1954; Grenzfälle RG GA Bd. 6 4 S. 3 6 9 ; 68 S. 2 7 2 ; RG L Z 1925 152. Sehr weitgehend BGH 3 StR 2 4 9 / 5 2 v. 7.5.1953 (Annahme einer von einem anderen ohne Zueignungsabsicht mitgenommenen Sache nach beendeter Aktion als Plünderung); R M G 19 238 nimmt § 2 4 6 StGB an. Sch/SchröderILenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Rudolphi/Stein SK Rdn. 11, Schäfer MK Rdn. 2 8 ; Fischer Rdn. 7. RGSt 58 2 0 7 ; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13. Schäfer MK Rdn. 29.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

fen. Bei der Aufforderung der Menge zum Plündern durch Außenstehende kommt Anstiftung oder Aufforderung zum Diebstahl in Betracht (§§ 2 4 2 , 26; § 111). 26

b) Anrichten eines bedeutenden Schadens. Das Regelbeispiel des § 125a S. 2 Nr. 4 erfüllt auch der Täter des Landfriedensbruchs, der bedeutenden Schaden an fremden Sachen anrichtet. Die Vorschrift ist missverständlich gefasst, da sie sich wörtlich genommen auch auf die Zerstörung geringwertiger Gegenstände bezieht. Das ist jedoch nicht ihr Sinn. Gemeint ist, wie auch aus dem ursprünglichen Fassungsvorschlag der Landesjustizverwaltungen hervorgeht, das Bewirken eines erheblichen Sachschadens. 86 Die Zerstörung geringwertiger Sachen oder die nur geringfügige Beschädigung wertvoller Sachen genügt nicht. Ob ein erheblicher Schaden vorliegt, beurteilt sich nach den Maßstäben, die auch für § 315 Abs. 1 StGB gelten. Maßgeblich ist danach der wirtschaftliche (finanzielle) Wert, nicht die funktionale Bedeutung der Sache für den Einzelnen oder die Allgemeinheit. 87 Das Regelbeispiel dürfte bei einem Schaden von mehr als 1000 Euro erfüllt sein. 88 Werden mehrere Sachen beschädigt, ist der Gesamtschaden maßgeblich. 89 Der Schaden, der in einer Substanzverletzung oder in einer nicht unwesentlichen Minderung der bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit einer Sache liegen kann, muss an einer fremden Sache eintreten, d.h. an einer beweglichen oder unbeweglichen Sache, die nicht im Alleineigentum des Täters steht. Auch herrenlose Sachen sind für ihn fremdes „Eigentum". 9 0 Nach überwiegender Ansicht greift das Regelbeispiel auch dann ein, wenn es sich um eine nicht mehr vom Willen der Menge getragene Einzelaktion handelt, sofern der Täter überhaupt Beteiligter am Landfriedensbruch ist. 91 Diese zutreffende Ansicht folgt daraus, dass die Nummer 4 das Anrichten eines bedeutenden Schadens dem Plündern gleichstellt und das Gesetz im Gegensatz zu Nummer 3 gerade nicht die Verursachung des Schadens durch eine Gewalttätigkeit verlangt. 92 Wie beim Plündern muss der Schaden bei Objekten außerhalb der Menge eintreten. 93

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5. Unbenannt besonders schwere Fälle. Die in den Nummern 1 bis 4 genannten Regelbeispiele stellen keinen abschließenden Katalog dar. Auch wenn die Merkmale eines Regelbeispiels nicht vorliegen, kann ein besonders schwerer Fall zu bejahen sein, wenn die Tat aufgrund einer Gesamtwürdigung nach dem gesamten Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente, der Täterpersönlichkeit, des Nachtatverhaltens und sonstiger Umstände in ihrem Unrechts- und Schuldgehalt den Regelbeispielen vergleichbar ist. 9 4 Das kann etwa in Betracht kommen, wenn die Tat eine den Regelbeispielen ähnliche Struktur aufweist; wenn die Gewalttätigkeit zu einer zurechenbaren ernsthaften Körperverletzung führt, ohne dass die Voraussetzungen des Satzes 2 Nr. 3 erfüllt sind; wenn der

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Müller-Emmert, de With, Sturm Prot. Vl/356 u. 357; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 14; Schäfer MK Rdn. 32, Rudolphi/Stein SK Rdn. 11; Fischer Rdn. 8. König LK § 315 Rdn. 82 ff; Sch/Schröder/ Heine Vorbem. §§ 3 0 6 ff Rdn. 15. Vgl. BGHSt 43 2 4 0 : 3 0 0 0 DM; OLG Karlsruhe StV 1998 2 5 5 : 7 5 0 0 DM; BGHSt 48 119, 121 zu § 315b: 7 5 0 Euro; Barnickel MK § 315 Rdn. 69: 850 Euro (ausgehend von BGHSt 48 119 und dem Verbrauchspreis bis Januar 2 0 0 6 berücksichtigend); Fischer Rdn. 8 (1300 Euro); Rudolphi/Stein SK Rdn. 11; König LK § 315 Rdn. 94 ff.

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BGHSt 43 240; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 14. AA Rudolphi/Stein SK Rdn. 11. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Rudolphi/Stein SK Rdn. 12; Kindhäuser LPK Rdn. 15; anders Vorauflage Rdn. 9. Rudolphi/Stein SK Rdn. 12. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Rudolphi/Stein SK Rdn. 11. BGH NStZ-RR 1999 45; BGH NStZ 2 0 0 0 194; vgl. auch BGHSt 2 9 319, 322; Seht Schröder/Stree Vorbem. § § 3 8 ff Rdn. 44c.

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Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs

§ 125 a

Täter Rädelsführer ist; 9 5 wenn der Handelnde zu einer wesentlichen Verschärfung und „neuen Qualität" der Gewalttätigkeiten maßgeblich beigetragen hat; wenn die Tathandlungen eine besonders nachhaltige Störung der öffentlichen Sicherheit bewirken; wenn durch die Tathandlungen das Funktionieren lebenswichtiger Versorgungsbetriebe nachhaltig beeinträchtigt wird (§ 3 1 6 b ) 9 6 oder wenn der Aufwiegler die Menge auffordert, von Schusswaffen Gebrauch zu machen oder zu plündern. 9 7

ΠΙ. Subjektiver Tatbestand Die besonders schweren Fälle des Landfriedensbruchs können, da nichts anderes bestimmt ist (vgl. § 15), nur vorsätzlich verwirklicht werden. 9 8 Der Vorsatz muss sich auf alle das Unrecht steigernden Umstände beziehen, die den besonders schweren Fall begründen, unabhängig davon, ob es sich um ein in Nummer 1 bis 4 genanntes Regelbeispiel oder einen sonstigen unbenannten besonders schweren Fall handelt. 9 9 Für das Regelbeispiel der Nummer 3 gilt keine Ausnahme. Die Regeln der erfolgsqualifizierten Delikte (§ 18) sind nach h . M . nicht anwendbar. Ein besonders schwerer Fall nach Nummer 3 ist danach nur dann gegeben, wenn sich der zumindest bedingte Vorsatz des Täters auf den Eintritt der konkreten Gefahr erstreckt. 1 0 0 Der Bundesgerichtshof begründet seine Auffassung mit dem Willen des Gesetzgebers. 1 0 1 Hinzu kommt, dass die Strafzumessungsregel in den Zusammenhang mit den anderen in § 125a genannten Regelbeispielen eingefügt ist, die nur vorsätzlich erfüllt werden können. Diese Austauschbarkeit der für die Straferhöhung maßgebenden Voraussetzungen weist auf die grundsätzliche Gleichwertigkeit der qualifizierenden Verhaltensweisen und damit auf die prinzipiell gleichen Anforderungen auch im subjektiven Bereich hin. 1 0 2

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Für das Mitführen einer anderen Waffe verlangt das Gesetz Verwendungsabsicht (s.o. Rdn. 16)

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IV. Täterschaft und Teilnahme Nach ständiger Rechtsprechung setzen die Regelbeispiele die eigenhändige Begehung voraus. 1 0 3 Eine Zurechnung der tatbezogenen straferschwerenden Umstände auf andere

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BGH NStZ-RR 1999 45. Vgl. BTDrucks. 11/2834, S. 10. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lteben Rdn. 15; Rudolphi/Stein SK Rdn. 13. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 16; Schäfer MK Rdn. 36; vgl. auch Wessels FS Maurach, S. 295, 300 f; ders. FS Lackner, S. 423, 426. Sch/Schröder/Cramer//Sternberg-Lieben § 15 Rdn. 29; Jescheck/Weigend AT § 29 II 3c; aA Jakobs AT 2. Aufl. 1991 8. Abschn. Rdn. 43; Maiwald NStZ 1984 433, 437. BGHSt 26 245; vgl. auch BGH bei Dallinger MDR 1975 21 und BGH VRS 44 422 jeweils zu § 113 Abs. 2; Sch/Schröderl Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 16; Schäfer

101

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MK Rdn. 36; Rudolphi/Stein SK Rdn. 14; Ostendorf NK Rdn. 9; Fischer Rdn. 5; Küper NJW 1976 543 ff; Meyer-Gerhards JuS 1976 228, 232; krit. Blei JA 1975 804 f. Vgl. BGHSt 26 244, 245; insoweit krit. Küper NJW 1976 545; vgl. auch Vorauflage Rdn. 13. Küper NJW 1976 543, 546. BGHSt 27 56 ff; 42 368, 370; 43 237,240; BGH NStZ 2000 194, 195; BayObLG NStZ-RR 1996 101, 103; offen gelassen von BGHSt 48 189, 195; Schäfer MK Rdn. 14; Rudolphi/Stein SK Rdn. 4; Ostendorf NK Rdn. 8; Fischer Rdn. 3a; Kindhäuser LPK Rdn. 2.

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30

§ 125a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Tatbeteiligte, der § 2 8 Abs. 2 StGB grundsätzlich nicht entgegenstünde, kommt nicht Betracht. Die Straferhöhungsvorschrift des ξ 125a knüpft somit etwa bei Nummer 1 und 2 daran an, dass der Täter selbst eine Schusswaffe oder andere Waffe bei sich führt. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, wonach nur derjenige Täter diesen Regelfall erfüllt, der selbst eine Waffe zur Verwendung bei der Tat bei sich führt. Dies bestätigt ein Vergleich mit anderen Vorschriften wie § 113 Abs. 2 Nr. 1, § 2 4 4 Abs. 1 Nr. 1 oder § 2 5 0 Abs. 1 Nr. l a , die nicht allein den Täter, sondern daneben „einen anderen Beteiligten" nennen. Außerdem handelt es sich beim Landfriedensbruch um ein Massendelikt, bei dem die Eingrenzung des zu bestrafenden Täterkreises von besonderer Bedeutung ist. Daraus ist zu folgern, dass der Gesetzgeber bewusst auf den Zusatz „oder ein anderer Beteiligter" verzichtet hat, um die Zurechnung fremder Bewaffnung auszuschließen. 104 Dem entspricht die gesetzgeberische Tendenz des 3. Strafrechtsreformgesetzes, durchweg auf die Erfassung des jeweiligen individuellen Tatbeitrags abzustellen. 105 31

Die gegenteilige Auffassung wird mit dem Hinweis begründet, die unterschiedliche Fassung des § 125a gegenüber vergleichbaren Vorschriften wie etwa § 2 4 4 Abs. 1 Nr. 1 oder § 2 5 0 Abs. 1 Nr. l a beruhe lediglich darauf, dass innerhalb des § 125 nicht zwischen Mittätern und Teilnehmern unterschieden werde, die Teilnehmer am gewalttätigen und bedrohenden Landfriedensbruch ohnehin als Täter eingestuft seien. 106 Nach dieser Auffassung tritt die Regelwirkung der Nummern 1 und 2 auch Mittätern, Anstiftern und Gehilfen gegenüber ein, sofern diese von dem Mitführen der Waffe nur Kenntnis hatten. Das Regelbeispiel der Nummer 3 ist nach dieser Auffassung ohne Rücksicht auf eigenhändige Verwirklichung für jeden Beteiligten erfüllt, der an der konkreten Gewalttätigkeit als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe beteiligt war, d.h. zur Gefahr begründenden Gewalttätigkeit beigetragen hat. Das würde z.B. für den Beteiligten (Mittäter oder Gehilfen) zu gelten haben, der dem Gewalttäter in der Menge Deckung gewährt, ihm dadurch bewusst die Gefahr verursachende Gewaltaktion ermöglicht und mit der Gefährdung einverstanden ist. Der Anstifter unterliegt nach dieser Auffassung der Regelwirkung dann, wenn die Anstiftung sich auch auf die Verwirklichung des besonders schweren Falles bezogen hat.

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Angesichts des klaren Wortlauts des § 125a, der nur auf den Täter, nicht aber auf einen oder einen der Täter abstellt, 107 ist der Auffassung der ständigen Rechtsprechung der Vorzug zu geben. Im Ergebnis lassen sich Friktionen dadurch vermeiden, dass bei einem Beteiligten, auf den das Regelbeispiel nicht zutrifft, etwa im Fall des Zusammenwirkens mit dem das Regelbeispiel erfüllenden Täter in Kenntnis der bei diesem vorliegenden Regelbeispielvoraussetzungen (z.B. Waffenführen in Verwendungsabsicht) die Annahme eines sonstigen besonders schweren Falles nach § 125a S. 1 in Betracht kommen kann. 1 0 8 Entsprechendes gilt, wenn der Aufwiegler des § 125 Abs. 1 3. Alt. erfolgreich zu einer Handlung nach den Nummern 1 bis 4 auffordert. Der Gehilfe des § 125, der gleichzeitig Beihilfe zu § 125a leistet, ist aus dem nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 gemilderten Strafrahmen des § 125a zu bestrafen. 109 Außenstehende, die nicht Täter

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BGHSt 4 2 368, 370; vgl. auch BGHSt 48 189, 195. Vgl. im Einzelnen BGHSt 27 56 ff. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lteben Rdn. 6. BGHSt 2 7 56, 57.

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BGHSt 2 7 56, 59; 43 237, 2 4 0 ; BayObLG NStZ-RR 1996 101, 103; Schäfer MK Rdn. 4 0 ; Fischer Rdn. 10; aA Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 17. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 17; Schäfer MK Rdn. 41.

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Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs

§ 125 a

oder Teilnehmer des § 125 sind, können nicht aus § 125a bestraft werden, da es sich bei § 125a nicht um einen Straftatbestand handelt. 1 1 0

V. Vollendung und Versuch § 125a knüpft an die volle Tatbestandserfüllung des § 125 an. Die Regelbeispiele Nummer 1 und 2 sind mit dem Bei-sich-Führen der Schusswaffe oder der Waffe in Verwendungsabsicht vollendet. Das Regelbeispiel Nummer 3 setzt für die Vollendung den Eintritt der Gefahr voraus, Nummer 4 die Verletzung fremden Eigentums.

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Fraglich ist, ob der erhöhte Strafrahmen des § 125a die vollständige Erfüllung der qualifizierenden Merkmale eines Regelbeispiels voraussetzt oder der Beginn der Ausführung eines Erschwerungsgrundes ausreicht. Das Problem stellt sich - anders als etwa bei §§ 2 4 2 , 2 4 3 - nicht, wenn bereits der Grundtatbestand (§ 125) nicht zur Vollendung gelangt ist, weil der Versuch des Landfriedensbruchs nicht strafbewehrt ist, auch wenn die Voraussetzungen eines Regelbeispiels vorliegen.

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Ist der Grundtatbestand vollendet, das Erschwerungsmerkmal aber nur versucht worden, so wenn der Täter des § 125 die bei der Tat mitgeführte Schusswaffe irrig für gebrauchsbereit hält oder wenn er zum Plündern von Sachen in der Absicht rechtswidriger Zueignung ansetzt, an der Verwirklichung aber gehindert wird, ist zu entscheiden, ob die indizielle Regelwirkung des ξ 125a eingreift. Dies ist zu verneinen. Eine entsprechende Anwendung des § 2 2 auf den Versuch, Regelbeispiele zu verwirklichen, kommt unter dem Gesichtspunkt des Analogieverbots nicht in Betracht. 1 1 1 Sie kann weder mit dem Hinweis auf die Tatbestandsähnlichkeit der Regelbeispiele und deren Unrechts- und schuldtypisierenden Charakter gerechtfertigt 1 1 2 noch mit der mehr „formal-gesetzestechnischen" Natur der jeweiligen Ausgestaltung von Erschwerungsgründen 1 1 3 und dem Fehlen eines „tiefgreifenden Wesensunterschieds" zwischen strafrahmenverschärfenden Regelbeispielen und tatbestandlichen Qualifikationen begründet werden. 1 1 4 Nach der Regelungstechnik einer selbstständigen Qualifizierung setzt die tateinheitliche Berücksichtigung der nur versuchten Qualifikation neben dem vollendeten Grunddelikt eine ausdrückliche gesetzliche Erfassung der versuchten Erschwerung voraus (z.B. §§ 2 4 4 Abs. 2, 2 3 Abs. 1; §§ 2 5 0 , 2 3 Abs. 1, 12 Abs. 1). Soweit BGHSt 3 3 , 3 7 0 , 3 7 6 bei § 2 4 3 das Fehlen einer besonderen Bestimmung über den Versuch für unbeachtlich hält, weil dessen Strafbarkeit in § 2 4 2 Abs. 2 vorgesehen ist, kann diese Argumentation auf § 125a mangels Versuchsstrafbarkeit des Grunddelikts nicht übertragen werden. Im Übrigen enthalten derartige die Versuchsstrafbarkeit begründende Regelungen (§ 2 4 2 Abs. 2 StGB, § 3 7 0 Abs. 2 AO) keinerlei indizielle Aussage im Hinblick auf eine Strafrahmenverschärfung beim Versuch eines besonders schweren Falles. 1 1 5 Einen „Regelbeispielversuch" mit Indizwirkung sieht das Gesetz nicht vor. Die erhöhte Schuld, die in dem Ansetzen zur Verwirklichung eines vom Vorstellungsbild des Täters umfassten Erschwerungsgrundes liegt, rechtfertigt es ungeachtet ihrer Strafzumessungsrelevanz 1 1 6 nicht, dem versuchten

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Fischer Rdn. 10; Rudolphi/Stein SK Rdn. 17; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 17; Schäfer MK Rdn. 42. Vgl. Arzt StV 1985 104, 106; Küper J Z 1986 518, 524 f; Laubenthal J Z 1987 1065, 1070. So BGHSt 33 370, 374 bzgl. § 243.

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BGHSt 2 6 167, 173. BGHSt 2 9 359, 368; vgl. Laubenthal J Z 1987 1065, 1069. Vgl. Küper J Z 1986 518, 523. Vgl. BGHSt 33 370, 374; Laubenthal J Z 1987 1065, 1069; Zipf JR 1981 119, 121.

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§ 125 a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Regelbeispiel letztlich die gleiche Indizwirkung für eine Strafrahmenverschärfung zuzusprechen wie dem verwirklichten. 117 Regelbeispiele des § 125a entfalten ihre strafschärfende Wirkung nur dann, wenn die sie begründenden besonderen Umstände objektiv und subjektiv vollständig erfüllt sind. 118 Die in dem Entschluss zur Verwirklichung eines Regelbeispiels sichtbar werdende erhöhte kriminelle Energie des Täters ist bei nur versuchtem Regelmerkmal als ein - für sich allein noch nicht ausreichender - Anhaltspunkt für einen unbenannten besonders schweren Fall (Satz 1) im Rahmen ergänzender Gesamtbewertung in Ansatz zu bringen. Ein solcher kommt z.B. in Betracht, wenn der Täter die von ihm geführte Schusswaffe irrig als gebrauchsbereit angesehen und bei der Tathandlung des § 125 Schusswaffengebrauch angedroht hat. 1 1 9

VI. Konkurrenzen 36

Werden mehrere Regelbeispiele des § 125a verwirklicht, liegt nur ein besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs vor. 120 Da § 125a keinen selbstständigen Tatbestand enthält, gilt die Subsidiaritätsklausel des § 125 Abs. 1 auch hier. 121 Maßgebend für den Vergleich der Strafdrohungen ist allerdings der Strafrahmen des § 125a. 1 2 2 Dieser wird z.B. verdrängt von § 106 Abs. 3, § 109e Abs. 4, SS 211, 212, §§ 226, 227, SS 249 ff, S 2 5 3 Abs. 4, S 255, SS 306 ff, SS 315 Abs. 3, 315b Abs. 3 und §§ 6 ff VStGB.

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Tateinheit ist mit allen Vorschriften möglich, mit denen schon der Grundtatbestand des S 125 in Idealkonkurrenz treten kann; außerdem mit § 88, § 106 Abs. 1, S H 3 Abs. 2 [114], S 223, S 2 2 4 , § 239 Abs. 1, S 2 4 0 im besonders schweren Fall, S 249 Abs. 2, S 2 5 3 Abs. I , 1 2 3 S 315 Abs. 1, S 315b Abs. 1, S 316b, S 317, S 318 Abs. I . 1 2 4 Tateinheit besteht ferner zwischen S 125a S. 2 Nr. 1 und 2 und S 53 WaffenG. 1 2 5

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Kraft Gesetzeskonkurrenz treten §S 242, 243, 303 hinter S 125a S. 2 Nr. 4 zurück, da dieser zusätzlich das Eigentum schützt. 126 Entsprechendes gilt für § 2 4 0 . 1 2 7 Falls der Plünderer Waffen bei sich trägt, tritt S 2 4 4 Abs. 1 Nr. 1 hinter S 125a S. 2 Nr. 1, 2

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Vgl. BGH NStZ-RR 1997 2 9 3 zu § 176 Abs. 3; BayObLG NJW 1980 2 2 0 7 zu § 2 4 3 ; OLG Düsseldorf NJW 1983 2712 zu S 2 4 3 ; Sch/Schröder/Eser § 2 4 3 Rdn. 4 4 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 18; Lackner/Kühl § 4 6 Rdn. 15; Arzt StV 1985 104, 105 f; Graul JuS 1999 852; Lieben NStZ 1984 538, 5 4 0 f; für Indizwirkung BGHSt 33 3 7 0 m. zust. Anm. Schäfer J R 1986 522; krit. Küper J Z 1986 518, 5 2 4 f. Schäfer MK Rdn. 46. Vgl. BGH 2 StR 2 6 4 / 7 2 v. 9.8.1972. Fischer Rdn. 11; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 18; Schäfer MK Rdn. 48. BGHR StGB § 125a Konkurrenzen 1; offen gelassen noch in BGHSt 43 240; Fischer Rdn. 11; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 18; Rudolphi/Stein SK Rdn. 19.

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Vgl. BGHSt 43 237, 2 4 0 ; BGH NStZ 2 0 0 0 194; Rudolphi/Stein SK Rdn. 19. 1 2 3 Vgl. RGSt 56 247. 124 vgl. Sch/Schröder/Lenckner/StembergLieben Rdn. 18; Schäfer MK Rdn. 47; aA Fischer Rdn. 11, wonach Tateinheit mit einer den § 125 verdrängenden Vorschrift (z.B. § 2 2 3 ) nicht möglich ist. 125 Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 18; BGH 1 StR 7 5 2 / 7 9 v. 18.12.1979 zum Verhältnis von § 125a und einem Verstoß gegen §§ 52a, 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a, 4, 7 und Abs. 3 Nr. 1, 3, 5 - 7 WaffenG a.F. 1 2 6 RG J W 1922 1725; BGH b. Daliinger MDR 1968 7 2 7 ; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 18; Rudolphi/Stein SK Rdn. 20; Schäfer MK Rdn. 47; Fischer Rdn. 7, 11. 127 Fischer Rdn. 7. 122

Matthias Krauß

Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs

§ 125a

zurück. 1 2 8 § 125a S. 2 Nr. 1 und 2 verdrängen § 27 Abs. 1 VersG, da dessen Unrechtsgehalt von der Verurteilung wegen schweren Landfriedensbruchs (z.B. Mitführen und Werfen von Pflastersteinen bei einem öffentlichen Aufzug) miterfasst wird. 1 2 9

Vn. Wahlfeststellung Im Falle der Alternativität (alternative Sachverhaltsfeststellungen) von Regelbeispielen ist eine Strafrahmenverschärfung nach § 125a nur zulässig, wenn die wahlweise festgestellten Regelbeispiele den materiellen Anforderungen einer Wahlfeststellung genügen. Bei ungleichwertigen Regelbeispielen verbleibt es bei dem Strafrahmen des § 125. 1 3 0 Zwischen den Regelbeispielen der Nummern 2 und 3 dürfte Gleichwertigkeit zu verneinen sein. 131

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Vm. Verfahrensrechtliche Fragen 1. Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 fünf Jahre. Die gegenüber § 125 höhere Strafdrohung des § 125a bleibt gem. § 78 Abs. 4 außer Betracht.

40

2. Haftrecht. Im Haftrecht ist der Katalog der Anlasstaten für den Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) um den besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs (§ 125a) durch Art. 2 des 2. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 9. Juni 1989 (BGBl. I S. 1059) erweitert worden. 1 3 2 Damit sollten reisende Gewalttäter erfasst werden. 1 3 3

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3. Anklageschrift und Urteil. Die Kennzeichnung als besonders schwerer Fall nach § 125a ist nicht in den Urteilstenor (§ 2 6 0 Abs. 4 StPO) aufzunehmen. 134 Im Anklagesatz (§ 2 0 0 StPO) sind dagegen entsprechend dessen Informationsfunktion die ein Regelbeispiel kennzeichnenden besonderen Umstände mit der Gesetzesbezeichnung anzuführen. 135 Ergeben sich die Voraussetzungen für die mögliche Verwirklichung eines Regelbeispiels erst in der Hauptverhandlung oder sind sie nicht ohne weiteres aus dem äußeren Sachverhalt erkennbar, so bedarf es eines Hinweises nach § 2 6 5 Abs. 2 StPO. 1 3 6

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 20; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 18. BGH NStZ 1984 4 5 3 ; StV 1984 3 3 0 ; GA 1984 4 7 4 ; NJW 1985 501; Sch/Schröder! Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 18; Schäfer MK Rdn. 4 7 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 0 . Sch/Schröder/Eser § 1 Rdn. 88; aA Günther Verurteilungen im Strafprozeß trotz subsumtionsrelevanter Tatsachenzweifel, S. 6 9 f, der den Strafrahmen des § 125a bei der Verwirklichung eines besonders schweren Falles in jeder Alternative ohne weiteres heranzieht. Wolter JuS 1983 363, 367. Konzeptionelle Dokumentation der BReg,

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StV 1988 42; Achenbach Kriminalistik 1 9 8 9 633, 635; Kunert/Bernsmann NStZ 1 9 8 9 452. BTDrucks. 11/2834, S. 11. BGHSt 2 3 254, 2 5 7 ; 2 7 287, 2 8 9 ; BGH NStZ 2 0 0 0 194; BGHR StGB § 125a Waffe 1; Meyer-Goßner NStZ 1988 529. Kaiser NJW 1981 1028; Meyer-Goßner StPO 51 § 2 0 0 Rdn. 10; Schneider KK StPO § 2 0 0 Rdn. 15, vgl. auch Schlüchter J R 1 9 9 0

10, 12.

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BGH NJW 1980 714; 1988 501; MeyerGoßner StPO 51 § 2 6 5 Rdn. 19; Engelhardt KK StPO § 2 6 5 Rdn. 14.

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§ 126

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Etwas anderes gilt nur bei Annahme eines sonstigen besonders schweren Falles außerhalb der Regelbeispiele. 137 Besonderen Begründungserfordernissen im Urteil (§ 2 6 7 Abs. 3 Satz 3 StPO) unterliegt als Ausnahme von der Regel sowohl die Verneinung eines besonders schweren Falles trotz Vorliegens der Voraussetzungen eines Regelbeispiels als auch die Bejahung eines unbenannten sonstigen besonders schweren Falles. Sind greifbare Anhaltspunkte für die Annahme eines sonstigen besonders schweren Falles erkennbar, liegt eine solche Annahme zumindest nicht fern, so ist die vorzunehmende Gesamtwürdigung des gesamten Tatbildes einschließlich aller subjektiven Momente, Motive und der Täterpersönlichkeit sowie sonstiger beurteilungserheblicher Umstände in den Urteilsgründen nachvollziehbar deutlich zu machen. 138 43

4. Rechtsmittel. Ein Rechtsmittel kann grundsätzlich auf den Rechtsfolgenausspruch und dort auf die Anwendung oder Nichtanwendung des § 125a beschränkt werden. 139 Etwas anderes gilt aber dann, wenn Schuldspruch und Strafzumessung so miteinander verknüpft sind, dass ein die Strafbarkeit erhöhender oder mindernder Umstand einen untrennbaren Teil der Schuldfrage (eine doppelrelevante Tatsache also) bildet und der Anfechtende sich auch dagegen wendet, dass das Erstgericht einen solchen Umstand angenommen oder nicht angenommen hat. 1 4 0 Eine selbstständige Anfechtbarkeit des Strafausspruchs bei doppelrelevanten Feststellungen (z.B. Gewalttätigkeiten mittels Steinwürfe) ist danach nur möglich, wenn der Beschwerdeführer nach seinem eindeutig erklärten Willen nicht die Feststellungen dieser Tatsachen beanstandet, sondern ausschließlich die auf der Grundlage dieser Tatsachenfeststellung erfolgte Bewertung und Strafzumessung angreift; 141 das Rechtsmittelgericht ist dann an diese Feststellungen gebunden.

§ 126 Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. einen der in § 125a Satz 2 Nr. 1 bis 4 bezeichneten Fälle des Landfriedensbruchs, 2. einen Mord (§ 211), Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder ein Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 des Völkerstrafgesetzbuches), 3. eine schwere Körperverletzung (§ 226), 4. eine Straftat gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 232 Abs. 3, 4 oder Abs. 5, des § 233 Abs. 3, jeweils soweit es sich um Verbrechen handelt, der §§ 234, 234a, 2 3 9 a oder 239b, 5. einen Raub oder eine räuberische Erpressung (§§ 2 4 9 bis 251 oder 255), 6. ein gemeingefährliches Verbrechen in den Fällen der §§ 3 0 6 bis 3 0 6 c oder 3 0 7 Abs. 1 bis 3, des 3 0 8 Abs. 1 bis 3, des § 3 0 9 Abs. 1 bis 4, der §§ 313, 314 oder § 315 Abs. 3, des § 315b Abs. 3, des § 316a Abs. 1 oder 3, des § 316c Abs. 1 oder 3 oder des § 318 Abs. 3 oder 4 oder

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Meyer-Goßner StPO 51 § 2 6 5 Rdn. 19. Vgl. BGHSt 2 9 319, 322; BGH 3 StR 4 4 0 / 9 1 v. 2 2 . 1 . 1 9 9 2 . BayObLG J R 1987 4 6 6 .

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BGHSt 2 9 359, 368. BGHSt 2 9 359, 368; OLG Karlsruhe Die Justiz 1981 239.

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Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten

§ 126

7. ein gemeingefährliches Vergehen in den Fällen des § 3 0 9 Abs. 6, des § 311 Abs. 1, des § 316b Abs. 1, des § 317 Abs. 1 oder des § 318 Abs. 1 androht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wider besseres Wissen vortäuscht, die Verwirklichung einer der in Absatz 1 genannten rechtswidrigen Taten stehe bevor.

Schrifttum Berkemann/Hesselberger Die strafrechtliche Beurteilung anonymer Bombendrohungen, NJW 1972 1789; Blei Das 13. Strafrechtsänderungsgesetz, JA 1975 27; Fischer Die Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, NStZ 1988 159; ders. Öffentlicher Friede und Gedankenäußerung, Diss. Würzburg 1986; ders. Das Verhältnis der Bekenntnisbeschimpfung (§ 166 StGB) zur Volksverhetzung (§ 130 StGB), GA 1989 445; Giehring Pazifistische radikale Kritik als Volks Verhetzung? StV 1985 30; Goehrs Der Rechtsfrieden (1900); von Hippel Der sog. Landzwang, in: Vergleichende Darstellung des Deutschen und Ausländischen Strafrechts, Bd. 2 (1906) S. 29; Hörnle Grob anstössiges Verhalten (2005) S. 225; Hoffmann Scheinbare Anschläge - Zur Strafbarkeit sog. Trittbrettfahrer GA 2002 385; Hoyer Die Eignungsdelikte (1987); Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung, ZStW 97 (1985 ) 751; Jung 14. Strafrechtsänderungsgesetz, JuS 1976 477; Laufhütte Das Vierzehnte Strafrechtsänderungsgesetz, MDR 1976 441; Müller-Dietz Vom Wort der Gewalt und der Gewalt des Wortes, Festschrift Würtenberger (1977) S. 167; Schnarr Gehören Vorbereitungshandlungen nach § 30 StGB zum Deliktsbereich von Katalogtaten? NStZ 1990 257; Schramm Zur Strafbarkeit des Versendens von Pseudo-Milzbrandbriefen, NJW 2002 419; Schroeder Die Straftaten gegen das Strafrecht (1985); Schulz „Lex Baader-Meinhof", ZRP 1975 19; Stree Strafrechtsschutz im Vorfeld von Gewalttaten, NJW 1976 1177; Sturm Zum Vierzehnten Strafrechtsänderungsgesetz (Gewaltbekämpfung), JZ 1976 347; Weidemann Die Strafbarkeit falscher Bombendrohungen u. falscher „Milzbrand-Briefe", JA 2002 43.

Entstehungsgeschichte Ursprünglich drohte § 126 Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr demjenigen an, der durch Androhung eines gemeingefährlichen Verbrechens den öffentlichen Frieden stört. 1 Der Tatbestand wurde durch Art. 1 Nr. 4 des 14. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 2 2 . April 1976 (BGBl. I S. 1056) grundlegend umgestaltet und erweitert. 2 Die Neufassung, mit der eine möglichst eindeutige Abgrenzung des Tatbestands angestrebt wurde, enthielt vier wesentliche Änderungen. Der auslegungsbedürftige Begriff des „gemeingefährlichen Verbrechens" wurde durch einen abschließenden Katalog von schwerwiegenden Straftaten ersetzt, deren drohende Verwirklichung weite Teile der Bevölkerung zu beunruhigen vermag. Dabei hat der Gesetzgeber die im Hinblick auf einen Wandel der Verhältnisse mangelnde Elastizität einer solchen kasuistischen Aufzählung ebenso hingenommen wie die Möglichkeit, dass - anders als die regelmäßig eine Vielzahl von Menschen bedrohenden gemeingefährlichen Verbrechen - ein Teil der in § 126 neu einbezogenen Straftaten im Einzelfall auch nur die Individualsphäre einer Einzelperson berühren kann. 3 Des Weiteren wurde in Absatz 2 die Tatmodalität des Vortäuschens der bevorstehenden Verwirk-

1

Zur Entstehungsgeschichte der ursprünglichen Fassung vgl. v. Hippel VDB Bd. 2 S. 29; zum 14. StrÄndG vgl. Müller-Dietz FS Würtenberger, S. 167,171 ff.

2

3

Stree NJW 1976 1177, 1180; Laufhütte MDR 1976 441, 442 f. Vgl. Prot. 7/2269 f, 2273; krit. Stree NJW 1976 1177, 1180.

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§ 126

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

lichung einer Katalogtat eingefügt. 4 Außerdem stellte die Neufassung in Anlehnung an § 130, § 166 nicht mehr - wie das frühere Recht - auf eine tatsächliche Friedensstörung ab, sondern verlangte nur noch die Eignung der Tathandlung, den öffentlichen Frieden zu stören. Damit trug der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass die Feststellung einer Störung des öffentlichen Friedens häufig schwierig ist und deren Eintritt zudem von Zufälligkeiten abhängt. Schießlich wurde die Höchststrafe vor allem im Hinblick auf schwerwiegende Fälle auf drei Jahre Freiheitsstrafe angehoben. Die Konzentration des Umweltstrafrechts durch das 18. Strafrechtsänderungsgesetz vom 2 8 . März 1 9 8 0 (BGBl. I S. 373) brachte technische Änderungen bezüglich § 126 Abs. 1 Nr. 6 und 7. 5 Das Gesetz vom 2 4 . April 1 9 9 0 (BGBl. II S. 326) zum Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial vom 2 6 . Oktober 1979 hat durch die Einbeziehung der Vorschriften des § 311a Abs. 4 a.F. und des § 311d Abs. 1 a.F. - nunmehr § 3 0 9 Abs. 6 und § 311 Abs. 1 - den Straftatenkatalog des § 126 Abs. 1 Nr. 7 erweitert (Art. 3). Die umfassende Überarbeitung des Besonderen Teils durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 2 6 . Januar 1 9 9 8 (BGBl. I S. 164) führte zu redaktionellen Anpassungen bei § 126 Abs. 1 Nr. 3, 6 und 7 (Art. 1 Nr. 10). 6 Absatz 1 Nr. 2 wurde durch das Gesetz zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuchs vom 2 6 . Juni 2 0 0 2 (BGBl. I S. 2 2 5 4 ) sprachlich an die neue Regelung des § 6 VStGB angepasst und um die Delikte Verbrechen gegen die Menschlichkeit gem. § 7 VStGB sowie Kriegsverbrechen gem. § § 8 ff VStGB erweitert. Eine letzte Änderung erfuhr die Vorschrift in § 126 Abs. 1 Nr. 4 durch das 37. Strafrechtsänderungsgesetz vom 11. Februar 2 0 0 5 (BGBl. I 2 3 9 ) , das die Tatbestände des § 2 3 2 Abs. 3, 4 oder Abs. 5, des § 2 3 3 Abs. 3, jeweils soweit es sich um Verbrechen handelt, einfügte. Gesetzesmaterialien 14. StrÄndG: RegEntw., BTDrucks. 7/3030, 3064; Entw. der CDU/CSU-Fraktion und des Bundesrates, BTDrucks. 7/2772, 7/2854; Bericht des Sonderausschusses, BTDrucks. 7/4549; Vermittlungsausschuss, BTDrucks. 7/4808; Prot. 7/2266 ff, 2287 ff, 2313 ff, 2381; Art. 3 des Gesetzes vom 24. April 1990 zum Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial vom 26. Oktober 1989 (BGBl. II S. 326) zu § 126 Abs. 1 Nr. 7; BTDrucks. 11/ 6218; BRDrucks. 47/90; RAusschProt. 11/53, S. 60, 95 ff. Übersicht Rdn. I. Π. ΙΠ. IV.

4 5

Rechtsgut Deliktsnatur Kriminalpolitische Bedeutung Objektiver Tatbestand . . . 1. Androhen einer Straftat (Abs. 1) 2. Vortäuschen einer bevorstehenden Straftat (Abs. 2) a) Vortäuschen b) Bevorstehende Tat

5 7 8 8

V.

VI. VII. Vm. IX.

14 15 17

Vgl. Bericht, BTDrucks. 7/4549, S. 4. Vgl. Möhrenschlager ZRP 1979 97; Sack NJW 1980 1424 ff.

282

Rdn.

1

6

3. Straftat nach Abs. 1 Nr. 1 bis 7 . 4. Eignung zur Friedensstörung . . Subjektiver Tatbestand . 1. Vorsatz 2. Wider besseres Wissen Vollendung Konkurrenzen Taten mit Auslandsbezug Verjährung

Vgl. v. BubnoffLK11

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Nachtrag Rdn. 1-5.

20 26 34 34 36 39 41

43 44

Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten

§ 126

I. R e c h t s g u t Geschütztes Rechtsgut ist der öffentliche Friede. 7 Damit ist nicht der Völkerfriede, der äußere Friede der Bundesrepublik, wie ihn etwa § 80 im Auge hat, oder der Rechtsfriede des Einzelnen, dessen sich § 2 4 1 annimmt, gemeint, sondern das frei von Furcht voreinander verlaufende Zusammenleben der Staatsbürger. 8 Herkömmlich wird zwischen dem Frieden als einem objektiv feststellbaren Lebenszustand allgemeiner Rechtssicherheit und des befriedeten Zusammenlebens der Bürger sowie dem Vertrauen der Bevölkerung in den Fortbestand dieses Zustande als seiner subjektiven Seite unterschieden. 9 Schutzgut des § 126 ist beides, sowohl der Zustand allgemeiner Rechtssicherheit wie auch das Bewusstsein der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden zu leben. 1 0 Über den Schutz der öffentlichen Sicherheit hinaus geht es somit auch um den Schutz eines sozialen Phänomens, nämlich Angst und Schrecken in der Bevölkerung zu verhindern und Verlässlichkeit und Vertrauen in die bestehende Ordnung zu garantieren. 1 1 Nach Auffassung der Rechtsprechung soll § 126 darüber hinaus der Schaffung eines psychischen Klimas entgegenwirken, durch das potentielle Täter zur Begehung von angedrohten Taten aufgehetzt werden. 1 2 Dem wird entgegengehalten, dass es äußerst unwahrscheinlich sei, dass bereits die Täuschung andere Personen animieren könnte, tatsächlich Straftaten wie die angedrohten zu begehen, weil es sich um eine völlig anders motivierte Tätergruppe handele. 1 3

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8

9

Vgl. BGH 4 StR 406/73 v. 30.8.1973; Sek/ Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Schäfer MK Rdn. 1; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Ostendorf NK Rdn. 6; Lackner/Kühl Rdn. 1; Kindhäuser LPK Rdn. 1; krit. Fischer Rdn. 3 („Rechtsgutslyrik", Schutz der Rechtsordnung als Ganzer und ihrer Legitimität); Fischer NStZ 1988 159, 163; ders. GA 1989 445; Schroeder Die Straftaten gegen das Strafrecht, S. 9 ff, 16; Hefendehl Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 284, 295; Hörnle Grob anstößiges Verhalten, S. 225 (Schutz der Sicherheitsinteressen der Personen, die mögliche Opfer der angedrohten Tat sind); Jakobs ZStW 97 (1985) 751, 775 f. Vgl. RGSt 15 116, 117 (zu § 130 a.F.): Zustand des beruhigenden Bewusstseins der Staatsangehörigen, in ihren durch die Rechtsordnung gewährleisteten berechtigten Interessen geschützt zu sein und zu bleiben; 18 314, 316 (zu § 130a a.F.): befriedetes Zusammenleben der Volksgenossen innerhalb derselben rechtlich geschützten staatlichen Ordnung; Sturm J Z 1976 347, 350; Weidemann JA 2002 43; vgl. auch Fischer NStZ 1988 159, 160. Vgl. mit wechselnder Akzentuierung zu § 126: BGHSt 34 329, 331; OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2002 209, 210; zu § 130, § 130a a.F.: RGSt 15 116, 117; 18 314, 316; 34 269; 71 248, 249; BGHSt 16 49,

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56; 29 26, 27; 46 212, 221; BGH NStZ 1994 140; OLG Hamburg NJW 1975 1088 m. Anm. Geilen NJW 1976 279; OLG München NJW 1985 2430, 2431; OLG Celle NJW 1970 2257; JR 1998 79; OLG Koblenz MDR 1977 334; OLG Schleswig MDR 1978 333; OLG Hamburg MDR 1981 71; OLG Stuttgart Die Justiz 1992 186; zu § 140: BGHSt 22 282, 285; BGH NJW 1978 58, 59; BGH b. Schmidt MDR 1981 92; zu § 166: OLG Köln NJW 1982 657; OLG Celle NJW 1986 1275, 1276; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238, 240; Schäfer MK Rdn. 1; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Ostendorf NK Rdn. 6; Kindhäuser LPK Rdn. 1; Schramm NJW 2002 419, 420. Vgl. OLG Hamburg NJW 1975 1088; OLG Schleswig MDR 1978 333; BGH 4 StR 406/73 v. 30.8.1973 zur subjektiven Seite; Schäfer MK Rdn. 1; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 1; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Schramm NJW 2002 419, 420. Vgl. Berkemann/Hesselberger NJW 1972 1789, 1791; Ostendorf NK Rdn. 6; Schäfer MK Rdn. 2. BGHSt 36 329, 331. Hörnle Grob anstößiges Verhalten, S. 226; krit. zu diesem Aspekt des Rechtsguts auch Sch/SchröderLenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1.

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1

§ 126

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

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Gegenüber dem Begriff der „öffentlichen Sicherheit" in § 125 ist der Begriff des „öffentlichen Friedens" der umfassendere Begriff, die allgemeine Sicherheit ein „Teilaspekt" des öffentlichen Friedens, da der öffentliche Friede auch durch ein gesellschaftliches Klima gekennzeichnet ist, das nicht durch allgemeine Unruhe, Unsicherheit oder Ausgrenzung und Diffamierung von Bevölkerungsgruppen gekennzeichnet ist (vgl. § 125 Rdn. 5 5 f). 1 4

3

Nach anderer Auffassung kann weder der objektive noch der subjektive öffentliche Friede als selbstständiges Rechtsgut angesehen werden: Der objektive öffentliche Friede bezeichne nichts anderes als den Begriff „öffentliche Sicherheit" im Sinne des Polizeirechts, eingeschränkt auf den strafrechtlich geschützten Bereich. Geschützt werde deshalb die Gesamtheit einzelner, konkret zuzuordnender Rechtsgüter der Individuen oder des Staates, die durch bereits bestehende Strafrechtsnormen geschützt sind, 15 mithin die Rechtsordnung als Ganzes und ihre Legitimität, daneben mittelbar die von den Katalogtaten geschützten Rechtsgüter. 16 Zum Teil wird auch bestritten, dass zumindest das Vortäuschen (§ 126 Abs. 2) und nicht ernst gemeinte Drohungen (§ 126 Abs. 1) überhaupt zu einer Beeinträchtigung der Sicherheitslage führen. 1 7 Gegen den subjektiven öffentlichen Frieden als Rechtsgut wird eingewandt, er sei nicht mit einer dem Bestimmtheitsgebot genügenden Sicherheit feststellbar und der Begriff umschreibe nicht, was über die Sicherheit der Rechtsgüter alle tatsächlich denken, sondern was alle denken sollen. 18 Außerdem seien die Zusammenhänge von allgemeinen Stimmungsbildern und konkreter Tathandlung völlig unklar. 19

4

Soweit § 126 das Vortäuschen einer bevorstehenden Straftat unter Strafe stellt, sind hiervon zwei weitere Fallgestaltungen der Vortäuschung abzugrenzen, die ebenfalls durch das 14. Strafrechtsänderungsgesetz neu erfasst wurden: § 241 Abs. 2 bezieht in den Strafschutz solche bedrohliche Vortäuschungen ein, die objektiv geeignet sind, den Rechtsfrieden des Einzelnen zu beeinträchtigen. Abweichend von § 126 Abs. 2 kommt es insoweit nicht auf die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens an. Durch den neu gefassten § 145d werden zusätzlich die Fälle erfasst, bei denen über bevorstehende Delikte im Sinne der Aufzählung des § 126 Abs. 1 (Abs. 1 Nr. 2 des § 145d) oder über die Beteiligten an bevorstehenden Gewaltdelikten (Abs. 2 Nr. 2 des § 145d) getäuscht wird. Insoweit geht es um den Schutz der inländischen Rechtspflege und der Präventivorgane.

Π. 5

Deliktsnatur

Da die Störung des öffentlichen Friedens nicht mehr als Taterfolg zum Tatbestand gehört, ist das Vergehen ebenso wie § 130 kein Verletzungs-, sondern ein Gefährdungs-

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Ο Stendorf NK Rdn. 6; Lackner/Kühl $ 125 Rdn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 I Rdn. 4; Berkemann/Hesselberger NJW 1972 1789, 1790 f; Kühl NJW 1986 874, 879; Geerds Rechtsfriedensdelikte S. 1; aA BGHSt 41 47, 53: innerer Friede als Teil der öffentlichen Sicherheit. Fischer NStZ 1988 159, 163; ders. GA 1989 445, 451.

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19

Fischer Rdn. 3; vgl. auch Hoffmann GA 2002 385 388 f; Jakobs ZStW 97 (1985) 751, 775 f, der die jeweils in Rede stehende Norm auf der Seite der Betroffenen als Schutzgut sieht; Hefendehl Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 284, 295 f. Hörnte Grob anstößiges Verhalten, S. 226. Fischer NStZ 1988 159, 163; ders. GA 1989 445, 451; Fischer Rdn. 3; vgl. auch Jakobs ZStW97(1985) 751, 775 f. Hörnte Grob anstößiges Verhalten, S. 227.

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Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten

§ 126

delikt. Dabei handelt es sich weder um ein konkretes noch um ein klassisches abstraktes Gefährdungsdelikt.20 Die Rechtsprechung ordnet den Tatbestand den abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten als Untergruppe der abstrakten Gefährdungsdelikte zu.21 Teilweise finden sich auch die Bezeichnungen „potentielles Gefährdungsdelikt" 2 2 oder „konkretes Gefährlichkeitsdelikt" 2 3 Unabhängig von der Deliktsbezeichnung gilt folgendes: Für die Eignung zur Friedens- 6 Störung ist der Eintritt einer konkreten Gefahr nicht erforderlich. Entscheidend ist die generelle Gefährlichkeit der konkreten Tat, d.h. die aufgrund bestimmter Umstände wie Art und Inhalt der Ankündigung, der Besonderheiten ihrer Abgabe und ihrer voraussichtlichen Folgewirkungen sich ergebende, konkrete Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens. Diese muss aufgrund generalisierender Betrachtung konkret festgestellt werden.24 ΙΠ. Kriminalpolitische Bedeutung In der Verurteiltenstatistik (Rechtspflegestatistik) des Statistischen Bundesamtes, 7 Fachserie 10, Reihe 3, werden erst seit 2003 Angeklagte gesondert erfasst, die nach § 126 verurteilt worden sind. Zuvor wurde § 126 in einer Straftatengruppe mit §§ 127, 134, 144,145 zusammengefasst.25 Ab 2003 ergeben sich folgende Verurteilungszahlen.

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24

Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Fischer Rdn. 9: abstraktes Gefährdungsdelikt mit einer tatbestandlich-normativen Restriktionsmöglichkeit, vgl. auch Fischer GA 1989 445, 452 ff. BGHSt 46 212, 218 (zu § 130); vgl. auch die Rechtsprechung zu vergleichbaren Eignungsdelikten wie § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG: BGH NJW 1999 2129, Freisetzen ionisierender Strahlen nach § 311d a.F., jetzt § 311: BGHSt 39 371, 372; BGH NJW 1994 2161; Schröder J Z 1967 522; ders. ZStW 81 18 ff. OLG Koblenz MDR 1977 334; OLG Hamburg NJW 1975 1088, 1089; MDR 1981 71 (jeweils zu § 130); BGH NJW 1994 2161 (zu s 311d a.F., jetzt § 311); Lackner/Kühl Rdn. 4; vgl. auch Sieber NJW 1999 2065, 2067. Zieschang Die Gefährdungsdelikte (1998) S. 281; Hirsch FS Arthur Kaufmann, S. 545, 562. Vgl. BGHSt 34 329, 332; OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 1999 209, 210 (jeweils zu § 126); BGHSt 16 49, 56; 46 212, 218; BGH NStZ 2007 216, 217; OLG Koblenz MDR

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1977 334; OLG Hamburg MDR 1981 71; OLG Düsseldorf NJW 1986 2518, 2519 (jeweils zu § 130); OLG Köln NJW 1982 65; OLG Celle NJW 1986 1275, 1276; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238, 240 (jeweils zu § 166); BGH NJW 1978 58 (zu § 140); vgl. auch BGHSt 39 371, 372; BGH NJW 1994 2161 (jeweils zu % 311d a.F.); BGH NJW 1999 2129 (zu § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG); Schäfer MK Rdn. 6; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; Ostendorf NK Rdn. 16; Fischer Rdn. 9; Kindhäuser LPK Rdn. 6; Hirsch FS Arthur Kaufmann, S. 545, 562; Wehinger Kollektivbeleidigung - Volksverhetzung, S. 100, i.E. auch Hoyer Die Eignungdelikte, S. 134 ff, 142, der § 126 den Eignungsdelikten als eigenständiger, spezifischer Deliktsart zuordnet; aA Zipf NJW 1969 1944 (zu § 166); Roxin Strafrecht AT Bd. 1 3. Aufl. § 11 Rdn. 28; Gallas FS Heinitz, S. 181 f. Zu den wenig aussagekräftigen Zahlen vor 2003 vgl. Schäfer MK Rdn. 7; Ostendorf TM. Rdn. 7; v. Bubnoff LK 11 Rdn. la.

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Verurteilte 2003

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2005

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2006

73

IV. Objektiver Tatbestand 8

1. Androhen einer Straftat (Abs. 1). Tathandlung des Absatzes 1 ist das Androhen einer der in Nummern 1 bis 7 aufgeführten Straftaten. Androhung ist die Ankündigung, dass eine der genannten Gewalttaten durch den Drohenden oder kraft seines Einflusses durch andere tatsächlich oder vorgeblich verwirklicht werden soll. 26 Dabei muss der Täter ein bestimmtes künftiges Ereignis in Aussicht stellen. Hat er schon mit der Ausführung einer verbrecherischen Handlung begonnen, so kann diese Ausführungshandlung selbst nicht zugleich als (konkludente) Androhung des begonnenen Verbrechens angesehen werden. 27 Mit der Übersendung eines Pseudo-Milzbrandbriefes wird deshalb keine zukünftige Straftat angedroht, da der Täter das Geschehen bereits aus der Hand gegeben hat. 2 8

9

Der Täter muss zum Ausdruck bringen, dass die Verwirklichung des Angedrohten in seinem Machtbereich liegt. 29 Keine Androhung liegt deshalb vor, wenn der Ankündigung weder die Behauptung zu erwartender eigener Tatbegehung noch eigener Einflussmöglichkeit entnommen werden kann. Derartige Ankündigungen sind der Fallgruppe der Warnungen zuzuordnen, deren Strafbarkeit sich nach den engeren Voraussetzungen des Absatzes 2 richtet.

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Die Annahme einer Drohung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Zufügung des in Aussicht gestellten Nachteils von dem ungewissen Eintritt oder Nichteintritt eines weiteren Umstandes abhängen soll und dass der Drohende auf die Erfüllung dieser Bedingung keinen Einfluss hat. 3 0 So erweist sich die mit einer Geldforderung verknüpfte Ankündigung, auf bestimmten Bahnstrecken sei zu bestimmten Zeiten mit Bombenanschlägen zu rechnen, als Androhung von Straftaten nach §§ 308, 315 Abs. 3. 31 Denn hier ist die Aussage der Vermeidbarkeit der Bombenexplosion durch Zahlung der geforderten Geldsumme mit der - unausgesprochenen - Behauptung des Täters verbunden, Einfluss auf die Entscheidung zur Tatausführung zu haben.

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27

Vgl. BGHSt 16 386, 387 zu § 114 a.F. (Beamtennötigung); Fischer Rdn. 5; Schäfer MK Rdn. 10; Rudolphi/Stein SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Schramm NJW 2 0 0 2 419, 4 2 0 . BGH NStZ 1984 4 5 4 (zu § 241), OLG Frankfurt NStZ-RR 2 0 0 2 2 0 9 ; Fischer Rdn. 5; Schramm NJW 2 0 0 2 419, 420; aA Esser Jura 2 0 0 4 273, 2 7 9 : abzustellen ist auf die zukünftig drohende Vollendung, solange der Täter noch vom beendeten Versuch zurücktreten kann.

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OLG Frankfurt NStZ-RR 2 0 0 2 209; Sehl Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Ostendorf NK Rdn. 13; Fischer Rdn. 5; Hoffmann GA 2 0 0 2 385, 388; Schramm NJW 2 0 0 2 419, 4 2 0 ; Weidemann JA 2 0 0 2 43, 47. Schäfer MK Rdn. 10; Fischer Rdn. 5; Weidemann JA 2 0 0 2 43. Vgl. BGHSt 16 386, 387 (zu § 114 a.F.). BGHSt 34 329, 331.

Matthias Krauß

Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten

§ 126

Unerheblich ist, ob der Drohende die angedrohte Tat verwirklichen will oder kann. Entscheidend ist vielmehr, dass die Androhung den Eindruck der Ernstlichkeit erzeugt und die begründete Besorgnis einer allgemeinen Beunruhigung der Bevölkerung rechtfertigt. 32 Deshalb fällt unter Absatz 1 auch das Vortäuschen einer bevorstehenden Straftat, falls der Täter nur zum Ausdruck bringt, die Tat entweder selbst oder durch unter seinem Einfluss stehende Dritte begehen zu wollen.

11

Eine Androhung setzt nicht voraus, dass die Verwirklichung der angedrohten Tat als unmittelbar bevorstehend hingestellt wird. 33 Das Gesetz macht eine solche Einschränkung nur bei der Tatmodalität des Vortäuschens. In Fällen einer für eine fernere Zukunft angedrohten Tatverwirklichung kann aber unter Umständen das weitere tatbestandliche Erfordernis einer Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens entfallen. 34

12

Die Androhung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Wie die Straftat angekündigt wird, etwa direkt, telefonisch, mit Brief, Flugblatt, über die Medien, per Internet oder in einer Versammlung, spielt keine Rolle. 3 5 Die Androhung muss nicht öffentlich erfolgen. Droht der Täter eine Straftat nur gegenüber einem Einzelnen an, ist die Eignung zur Friedensstörung aber nur unter besonderen Umständen zu bejahen (siehe unten Rdn. 2 6 ff). Der Adressat der Drohung braucht nicht dem Personenkreis anzugehören, der von der angedrohten Straftat tatsächlich betroffen werden würde. Er kann von der Drohung ganz unberührt bleiben. 36 Teilt der Täter Ort und Zeitpunkt der angedrohten Tat mit (z.B. bei einer Bombendrohung), lässt dies ungeachtet etwa möglicher Schutz- oder Gegenmaßnahmen den Androhungscharakter nicht entfallen. 37

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2. Vortäuschen einer bevorstehenden Straftat (Abs. 2). Dem Androhen gleichgestellt ist gemäß Absatz 2 das Vortäuschen einer bevorstehenden Straftat. Die Tatmodalität des Absatzes 2 erfüllt, wer vortäuscht, die Verwirklichung einer der in Absatz 1 genannten rechtswidrigen Taten stehe bevor. Diese Erweiterung des Strafschutzes beruht auf der Erwägung, dass solche Täuschungen die Öffentlichkeit in gleicher Weise beunruhigen können und dieselben Vorkehrungen notwendig machen wie bei Androhung von Gewalttaten. 38

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a) Vortäuschen. Damit ist jedes Verhalten gemeint, das auf wahrheitswidrige Erweckung des Anscheins einer bevorstehenden Katalogtat, also auf die Erregung oder Unterhaltung eines Irrtums über eine mögliche, in naher Zukunft zu erwartende Tatverwirklichung gerichtet ist. Ob ein solcher Irrtum tatsächlich eintritt, ist ohne Belang. 39 Ausreichend ist, dass sich eine Verunsicherung durch die Vorstellung von der Möglich-

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Fischer Rdn. 5; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Rudolphi/Stein SK Rdn. 3. Vgl. BGHSt 16 386, 387 (zu § 114 a.R). Vgl. Stree NJW 1976 1177, 1180; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Schäfer MK Rdn. 15; aA Ostendorf NK Rdn. 13: Straftat muss alsbald bevorstehen; Fischer Rdn. 5, der in solchen Fällen einen Drohungscharakter verneint. Schäfer MK Rdn. 12.

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RGSt 7 393, 3 9 4 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 3; Weidemann JA 2 0 0 2 43, 4 4 . Vgl. Berkemann/Hesselberger N J W 1972 1790; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 5; aA Ostendorf NK Rdn. 13. RegEntw., BTDrucks. 7 / 3 0 3 0 , S. 7. OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2 0 0 2 2 0 9 ; Fischer Rdn. 8; Schäfer MK Rdn. 17; Sehl Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Esser Jura 2 0 0 4 273, 279, Fn. 70.

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§ 126

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

keit einstellt, die Tat werde begangen. 40 Bei völlig ungeeigneten oder unwahrscheinlichen Androhungen fehlt jedenfalls die konkrete Eignung zur Friedensstörung; 41 nach anderer Auffassung soll bereits der Drohcharakter zu verneinen sein. 4 2 16

Absatz 2 erfasst zunächst Fälle, in denen der Täter fälschlich die Begehung einer Tat durch einen in seiner Entscheidung von ihm unabhängigen Dritten ankündigt. Darunter fallen auch Sachverhalte, in denen einer fälschlichen Mitteilung oder gar Warnung gegenüber einer Zeitung, einer Behörde oder anderen Stellen, die Begehung einer Gewalttat stehe bevor, ein eindeutiger Hinweis auf eine vorgeblich eigene Einflussmöglichkeit des Ankündigenden hinsichtlich der Tatverwirklichung nicht entnommen werden kann. 4 3 Darin erschöpft sich der Anwendungsbereich der Norm aber nicht. Unter Absatz 2 fallen auch Fälle, in denen der Täter anderen gegenüber eine gerade von ihm eingeleitete Katalogtat als bevorstehend vorspiegelt, sofern aus der Ankündigung hervorgeht, er habe den Geschehensablauf bereits aus der Hand gegeben und sei von ihm nicht mehr beeinflussbar. 4 4 Dafür sprechen der Wortlaut des § 126 Abs. 2, der nur das Vortäuschen, nicht aber das Vortäuschen der Straftat eines anderen verlangt, sowie Sinn und Zweck der Norm. Der öffentliche Friede kann in diesen Fällen genauso gefährdet sein wie beim Androhen einer eigenen oder beim Vortäuschen einer fremden Tat. 4 5 Versendet jemand Briefe mit einem harmlosen weißen Pulver, mit dem der Eindruck erweckt werden soll, es enthalte Anthrax-Viren, ist demnach ein Vortäuschen i.S. des Absatzes 2 zu bejahen. 4 6 Mit dem Versenden der Pseudo-Milzbrandbriefe versucht der Täter den Irrtum zu erregen, die Verwirklichung der Katalogtat eines Mordes (mit gemeingefährlichen Mitteln) stehe bevor. 47 Kündigt der Täter dagegen eine Straftat an, deren Verwirklichung er noch nicht aus der Hand gegeben hat und bringt er - wenn auch nur konkludent, z.B. durch die Forderung eines Geldbetrages und die daraus zu entnehmende Vermeidbarkeit der Tat bei Zahlung - zum Ausdruck, die Verwirklichung der behaupteten Tat liege in seinem Machtbereich, so ist ein Fall der Androhung nach Absatz 1 gegeben.

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b) Bevorstehende Tat. Die Ankündigung muss auf eine bevorstehende Tat gerichtet sein. Der objektive Tatbestand wird hierdurch deutlich eingeschränkt. Die Äußerung, Mitteilung oder Warnung muss darauf schließen lassen, dass die Tatverwirklichung unmittelbar oder jedenfalls in naher Zukunft droht oder gar mit der Tatausführung bereits begonnen worden ist. 4 8 Äußerungen, die einen solchen Anschein zeitlicher Nähe der rechtswidrigen Tat nicht enthalten, sind nicht tatbestandserheblich. Das gilt insbesondere für Hinweise auf noch unbestimmte Planungen, deren Verwirklichung in weiter Ferne liegt. 4 9 Den weiterreichenden Begriff der Planung hat der Gesetzgeber bewusst ver-

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Schäfer MK Rdn. 17; vgl. auch den Sachverhalt in BGH NStZ-RR 1999 266. Kindhäuser LPK Rdn. 4. Fischer Rdn. 8. Prot. 7/2288, 2 2 9 1 . OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2 0 0 2 2 0 9 m. Anm. Martin JuS 2 0 0 2 9 2 9 ; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Schäfer MK Rdn. 18; Rudolphi/Stein SK Rdn. 4; Ostendorf NK Rdn. 14; Lackner/Kühl Rdn. 3; Kindhäuser LPK Rdn. 4; Schramm N J W 2 0 0 2 419, 4 2 0 ; Weidemann JA 2 0 0 2 43, 4 7 ; aA Fischer Rdn. 8; v. BubnofflX11

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Rdn. 13; Hoffmann GA 2 0 0 2 388; nicht eindeutig BGH NStZ-RR 1999 2 6 6 , 267. OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2 0 0 2 2 0 9 ; Schäfer MK Rdn. 18. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6. AA Fischer Rdn. 8. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Schäfer MK Rdn. 20; weiter: Rudolphi/Stein SK Rdn. 4 (Erwecken des Anscheins, es bestehe zumindest ein Tatentschluss). Prot. 7/2268, 2 2 9 2 .

Matthias Krauß

Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten

§ 126

mieden. 50 Nicht erforderlich ist aber, dass die vorgetäuschte Tat als bereits im (strafbaren) Versuchsstadium befindlich dargestellt wird. 51 Die Vortäuschung einer Dauergefahr der Verwirklichung, also einer Gefahr, die über einen längeren Zeitraum in dem Sinne gegenwärtig ist, dass sie jederzeit - zu einem ungewissen Zeitpunkt, alsbald oder auch später - in einen Schaden umschlagen kann, genügt. 52

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Der Tatbestand wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich die angedrohte Straftat wider Erwarten zufällig verwirklicht. Ansonsten käme dem Täter zugute, dass die von ihm ausgelöste Verunsicherung in der Bevölkerung durch die Begehung der Tat tatsächlich gesteigert wird. 53

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3. Straftat nach Absatz 1 Nr. 1 bis 7. Die Androhung oder Täuschung muss sich auf eine der in Absatz 1 Nr. 1 bis 7 abschließend aufgezählten Straftaten beziehen. 54 Neben gemeingefährlichen Verbrechen, auf die § 126 a.F. beschränkt war, 55 werden nunmehr alle schwerwiegenden Gewalttaten in den Katalog einbezogen, deren drohende Verwirklichung nach der Wertung des Gesetzgebers weite Teile der Bevölkerung beunruhigen kann.

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Nummer 1 bezeichnet die in § 125a S. 2 Nr. 1 bis 4 enthaltenen besonders schweren Fälle des Landfriedensbruchs. Ahnlich schwerwiegende, den Gestaltungen des § 125a Satz 2 vergleichbare Fälle des Landfriedensbruchs (Satz 1) werden nicht erfasst. In den Nummern 2 bis 5 werden weitere schwerste Gewaltverbrechen wie Mord, Totschlag, Völkermord, Raub, räuberische Erpressung und schwere Straftaten gegen die persönliche Freiheit einbezogen. Die Nummer 6 bezeichnet gemeingefährliche Verbrechen (Brandstiftungsdelikte, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, Missbrauch ionisierender Strahlen, Herbeiführen einer Überschwemmung, gemeingefährliche Vergiftung, besonders schwerwiegende Delikte aus dem Bereich des gefährlichen Eingriffs in den Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr sowie Beschädigung wichtiger Anlagen mit dem Eintritt schwerer Folgen), Nummer 7 einzelne gemeingefährliche Vergehen (Strahlendelikte, Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens, Störung öffentlicher Betriebe und von Telekommunikationsanlagen). 56

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Nach h.M. genügt die Androhung oder Vortäuschung einer tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Tat; schuldhaft muss sie nicht sein. 57 Zwar lässt nur die Begehungsmodalität der Vortäuschung (Absatz 2) die Vorspiegelung einer rechtswidrigen Tat (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 5) ausreichen; nach Sinn und Zweck der Vorschrift gilt für die Androhung nach Absatz 1 aber nichts anderes. Die Androhung einer Gewalttat, die durch einen Schuldunfähigen begangen werden soll, kann den öffentlichen Frieden in gleicher Weise stören wie die Androhung der Begehung durch einen schuldfähigen Täter. Ausreichend

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Vgl. RegEntw., BTDrucks. 7 / 3 0 3 0 , S. 7. Schäfer MK Rdn. 20; Laußütte MDR 1976 441, 4 4 3 ; Sturm J Z 1976 347, 350. Vgl. BGH NStZ-RR 1999 2 6 6 zu § 2 5 5 ; Fischer Rdn. 8; Schäfer MK Rdn. 2 0 . Ostendorf NK Rdn. 13; Kindhäuser LPK Rdn. 4; aA Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLiebett Rdn. 6: strafloser Versuch. Krit. gegenüber der Kasuistik des Deliktskatalogs Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 III Rdn. 51.

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Zur umstrittenen Auslegung des Begriffs des gemeingefährlichen Verbrechens in § 126 a.F. vgl. Sturm J Z 1976 347, 350. Krit. gegen deren Einbeziehung Kühl N J W 1987 737, 745. Fischer Rdn. 4, Schäfer MK Rdn. 2 3 ; Seht Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5; Lackner/Kühl Rdn. 2; Kindhäuser LPK Rdn. 5; aA Ostendorf NK Rdn. 15.

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ist somit der Hinweis, ein Schuldunfähiger (z.B. Geisteskranker) werde die Tat ausführen. 23

Das Androhen einer bloßen nach § 3 0 strafbaren Vorbereitungshandlung eines der in dem Straftatenkatalog des § 126 aufgeführten Verbrechens genügt zur Tatbestandserfüllung nicht. 5 8

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Die angekündigte Tat muss hinreichend konkretisiert sein. Es ist zwar nicht erforderlich, dass die Androhung auch Angaben zu Ort, Zeit und Opfer der Tat enthält. 5 9 Das angedrohte Delikt muss aber so genau umschrieben sein, dass die Subsumtion unter einen der im Katalog aufgeführten Tatbestände möglich und nachvollziehbar ist. 6 0 So ist zwar die Androhung einer Unterbrechung der städtischen Stromversorgung durch einen Sprengstoffanschlag auf das Ε-Werk im Hinblick auf § 316b Abs. 1 Nr. 2 hinreichend deutlich gefasst. Dagegen wird dem illegalen Streikaufruf „Morgen gibt es kein Wasser mehr" tatbestandliche Relevanz im Sinne des § 126 Abs. 1 Nr. 7 abzusprechen sein. 61 Durch diese allgemeine, nicht näher substantiierte Erklärung allein droht der Täter noch keine tatbestandliche Handlung im Sinne des § 316b an. Bei Taten nach § 315 Abs. 3, § 315b Abs. 3 muss aus der Ankündigung hervorgehen, dass es zu einem Unglücksfall kommen soll.

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Das Erfordernis einer deutlichen Umschreibung der Tat hat maßgebliche Bedeutung insbesondere bei den Delikten, die durch objektive oder subjektive Merkmale gegenüber einem Grundtatbestand qualifiziert sind oder wo - wie bei § 125a - nur der besonders schwere Fall eines Tatbestandes aufgenommen ist. Für diese Beschränkung war das Bestreben maßgeblich, eine tatbestandliche Überdehnung des § 126 zu vermeiden. Die Androhung oder die Vortäuschung einer bevorstehenden Straftat muss die qualifizierenden Merkmale (z.B. §§ 2 2 6 , 315 Abs. 3, 315b Abs. 3) in ausreichend konkreter Form benennen. Soweit es bei dem angekündigten Delikt um einen besonders schweren Fall eines Landfriedensbruchs nach § 125a S. 2 Nr. 1 bis 4 geht, müssen die Merkmale des Regelbeispiels schon der Androhung oder Vortäuschung entnommen werden können. Ohne Belang ist es dagegen, ob die angedrohte Tat auch nach einer Gesamtabwägung als besonders schwerer Fall zu beurteilen wäre. 6 2 Soweit bei den im Katalog genannten Qualifikationstatbeständen vorsätzliche wie fahrlässige Erfolgsherbeiführung (erfolgsqualifizierte Delikte, § 18) erfasst werden (vgl. §§ 2 5 1 , 3 0 7 Abs. 3, 315 Abs. 3 Nr. 2; § 315b Abs. 3; § 316a Abs. 3, § 316c Abs. 3, § 318 Abs. 3 und 4), ergibt sich aus dem Tatbestandscharakter des § 126, dass sich die Androhung naturgemäß nur auf vorsätzlich herbeizuführende Qualifizierungen beziehen kann. 6 3

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4. Eignung zur Friedensstörung. Während § 126 a.F. eine tatsächliche Friedensstörung als Taterfolg voraussetzte, stellt die geltende Fassung auf die Eignung ab, den

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Schnarr NStZ 1990 257, 258; Schäfer MK Rdn. 23; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 2. BGHSt 29 258, 268 (zu § 88a). Schäfer MK Rdn. 24; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 4; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5; Ostendorf NK Rdn. 15; Laufhütte MDR 1976 441, 442.

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Schäfer MK Rdn. 24; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 4; Laufhütte MDR 1976 441, 442; Prot. 7/2315. Schäfer MK Rdn. 25; Fischer Rdn. 7; Lackner/Kühl Rdn. 2. Bericht, BTDrucks. 7/4549, S. 8; Fischer Rdn. 7; Schäfer MK Rdn. 25; Ostendorf NK Rdn. 15; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 5.

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öffentlichen Frieden zu stören. Sie entspricht damit der gesetzgeberischen Entwicklung, wie sie auch in §§ 130, 140 Nr. 2 und 166 Ausdruck gefunden hat. 6 4 Maßgeblich ist die konkrete Eignung der Tat zur Störung des öffentlichen Friedens (vgl. hierzu auch § 130 Rdn. 62 ff). 65 Dies bestimmt sich sowohl nach Art und Inhalt der Äußerung sowie den Umständen ihrer Abgabe als auch nach ihren voraussichtlichen Folgewirkungen und dem Kreis der Erklärungsempfänger. Es muss aufgrund dieser Umstände aus der Sicht eines objektiven Beobachters eine begründete Besorgnis dafür bestehen, dass die Tathandlung Teile der Bevölkerung bzw. eine nicht unbeträchtliche Personenmehrheit ernsthaft beunruhigen und das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit beeinträchtigen oder bei potentiellen Tätern durch Schaffung eines für Imitationsanreize gedeihlichen Klimas die Neigung zur Begehung von Taten wie den angedrohten wecken oder verstärken werde. 66 Der Eintritt einer konkreten Gefahr ist nicht erforderlich, verlangt wird aber, dass die jeweilige Handlung bei genereller Betrachtung gefahrengeeignet ist. 6 7 Die Eignung zur Friedensstörung darf dabei nicht nur abstrakt bestehen, sie muss - wenn auch aufgrund generalisierender Betrachtungsweise - konkret festgestellt werden. 68 Dabei ist auf den „normalen Gang der Dinge", 6 9 also auf den voraussehbaren, wahrscheinlichen Geschehensablauf abzustellen. 70

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Da der öffentliche Friede durch die Tat noch nicht gestört, nicht einmal konkret gefährdet zu sein braucht, führt das Merkmal der Eignung gegenüber dem früheren Rechtszustand zu einer Erweiterung und Vorverlegung des Strafrechtschutzes. So ist es unerheblich, wenn der tatsächliche Eintritt einer friedensstörenden Beunruhigung durch rechtzeitige Vorkehrungen der Polizei verhindert wird.

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Auf der anderen Seite hat die Eignungsklausel auch eine einschränkende Funktion. Sie scheidet ihrem Wesen nach ungeeignete Ankündigungen ohne Rücksicht auf den einge-

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Bericht, BTDrucks. 7 / 4 5 4 9 , S. 8; Prot. 7/2277, 2313; Hoyer Eignungsdelikte,

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BGHSt 34 329, 331 f; 4 6 212, 219 (zu § 130); Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Schäfer MK Rdn. 26, 30; Fischer Rdn. 9; Ostendorf NK Rdn. 16; Stree NJW 1976 1177, 1180; Hoffmann GA 2 0 0 2 385, 389; nach Gallas FS Heinitz, S. 182, Fn. 21 läuft diese Auslegung konstruktiv auf die Annahme „eines konkreten Gefährdungsdelikts in der Form eines Versuchsdelikts (unechten Unternehmensdelikts)" hinaus. BGHSt 34 329, 331 f; OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2 0 0 2 209, 210; vgl. auch zu § 130: BGHSt 2 9 2 6 , 27; 4 6 212, 219; BGH NStZ 2 0 0 7 216, 217; OLG Celle NJW 1970 2 2 5 7 ; OLG Hamburg MDR 1981 71; NJW 1975 1088; OLG Koblenz MDR 1977 334; StV 1985 15, 16 m. Bspr. Giehring StV 1985 30, 35; OLG Schleswig MDR 1978 333; OLG Düsseldorf NJW 1986 2518, 2519; zu § 166: OLG Köln NJW 1982 657; OLG Celle NJW 1986 1275; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238, 2 4 0 ;

S. 134 ff; krit. Hassemer JuS 1987 996.

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zu § 140: BGH N J W 1978 58, 59; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Schäfer MK Rdn. 2 6 ; Fischer Rdn. 9; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 6 f; Lackner/Kühl Rdn. 4; Ostendorf NK Rdn. 16; Schramm NJW 2 0 0 2 419, 420; Weidemann JA 2 0 0 2 43, 4 4 ; Frommel KritJ 1994 323, 337. Vgl. BGHSt 4 6 212, 218; BGH NJW 2 0 0 5 689, 691 (jeweils zu § 130); vgl. auch BGH NJW 1999 2129 zu § 3 4 Abs. 2 Nr. 3 AWG; BGHSt 3 9 371, 372, BGH N J W 1994 2161 jeweils zu § 311d a.F., jetzt § 311; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; Lackner/Kühl Rdn. 4; Hoyer Eignungsdelikte, S. 138; aA Gallas FS Heinitz, S. 1 7 1 , 1 8 2 ; Ζ φ / ' N J W 1969 1944: Konkretes Gefährdungsdelikt. Vgl. BGHSt 4 6 212, 218 zu § 130. Sturm Prot. 7 / 2 2 8 0 . BGHSt 3 4 329, 332; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 9; BTDrucks. 7 / 4 5 4 9 , S. 8.

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tretenen Erfolg von vornherein aus dem strafbaren Bereich aus. 71 So sind als Täuschung klar durchschaubare oder sonst nach Art der Vornahme oder dem Äußerungszusammenhang offensichtlich nicht ernst zu nehmende Ankündigungen mangels friedensstörender Eignung nicht tatbestanderheblich. 72 30

Inwieweit eine nur gegen eine oder mehrere bestimmte Personen gerichtete Verbrechensdrohung nicht nur das Sicherheitsgefühl der Betroffenen selbst erschüttert, sondern auch die Gefahr einer Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls der Allgemeinheit begründet, ist Tatfrage. Bei besonderen persönlichen, beruflichen oder geschäftlichen Beziehungen zwischen Täter und dem Adressaten der Androhung (Totschlagsdrohung des Ehemannes gegenüber Ehefrau, gegenüber Geschäftspartner u.ä.) wird dies in der Regel zu verneinen sein, so dass nur § 241 in Betracht kommt. 7 3 Anderes gilt hingegen, wenn mit dem bedrohten Opfer eine von ihm repräsentierte Personengruppe getroffen werden soll oder sich berechtigt betroffen fühlen könnte. 74 So sind bei Morddrohungen gegenüber bestimmten Politikern oder Wirtschaftsführern diese zugleich als Repräsentanten des Staates oder der Wirtschaft betroffen. 75

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Bei der Ankündigung einer Straftat gegenüber einem Einzelnen ist zu differenzieren. Öffentliche Begehung, d.h. Kundgabe in der Öffentlichkeit, wird nicht vorausgesetzt. Die Ankündigung gegenüber einer Einzelperson kann genügen, wenn nach den konkreten Umständen zu erwarten steht, dass der angekündigte Angriff einer breiteren Öffentlichkeit oder einer individuell nicht mehr überschaubaren Personengruppe bekannt wird. 76 Dies wurde von der Rechtsprechung bejaht bei einer Zuschrift an eine Zeitungsredaktion, 7 7 bei der Übersendung einer Schrift an einen nicht näher eingegrenzten Kreis von Privatpersonen, von deren Diskretion nicht auszugehen ist, 78 bei einer Veröffentlichung im Internet, 79 bei Äußerungen in einer Hauptverhandlung 80 oder gegenüber einem unmittelbar Betroffenen, wenn anzunehmen ist, dass er sich aus Sorge um das Opfer oder aus Empörung über die Drohung an die Öffentlichkeit wendet. 81 Letzteres kann etwa anzunehmen sein bei der telefonischen Drohung mit der Ermordung eines Politikers gegenüber dessen Ehefrau, wenn nach Sachlage damit zu rechnen ist, dass die Drohung über eine Verständigung der Nachbarn oder eine Alarmierung der Polizei - an die Öffentlichkeit dringt. 82 Die Zurechnungsvoraussetzungen bedürfen in solchen Fällen einer besonders sorgfältigen Prüfung. 83

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Bericht, BTDrucks. 7 / 4 5 4 9 , S. 8; Sturm JZ 1976 347, 350; Schäfer MK Rdn. 29. Scb/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 10. Schäfer MK Rdn. 28. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7; Ostendorf NK Rdn. 16. Vgl. auch OLG Karlsruhe NJW 1979 2415, 2416. BGHSt 3 4 329, 332; vgl. auch BGHSt 2 9 26, 27; 4 6 36, 4 2 , 212, 219 (jeweils zu § 130); Schäfer MK Rdn. 31; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 6; Lackner/Kühl Rdn. 4; Schramm N J W 2 0 0 2 419, 4 2 0 ; Geilen NJW 1976 2 7 9 f.

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BGHSt 2 9 26, 2 7 zu § 130 (Einsendung eines Leserbriefs, auch wenn nicht mit kommentarlosem Abdruck, aber mit kritisch-ablehnender Berichterstattung zu rechnen ist) m. Anm. Wagner J R 1 9 8 0 120; krit. hierzu Fischer Rdn. 10; Ostendorf NK Rdn. 17; vgl. auch Hörnte NStZ 2 0 0 2 113, 117. BGH 3 StR 4 4 0 / 8 0 (S) vom 14.1.1981 (in NStZ 1981 2 5 8 und bei Holtz MDR 1981 4 5 3 nicht abgedruckt). Vgl. BGHSt 4 6 212, 219 zu § 130; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238, 2 4 0 zu § 166. Vgl. BGHSt 4 6 36, 4 2 zu § 130. Vgl. BGHSt 34 329, 332; BGH 3 StR 1 9 3 / 8 0 vom 19.5.1980. Eyrich Prot. 7 / 2 2 7 8 ; Sturm Prot. 7 / 2 2 8 0 . Vgl. Hassemer JuS 1987 996.

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Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten

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Bei der Frage der Eignung von Äußerungen gegenüber Einzelpersonen ist nicht nur auf die eigentliche Tathandlung im engsten Sinne abzustellen. Vielmehr sind auch ihre voraussichtlichen Folgewirkungen einzubeziehen, aufgrund deren, je nach Gestaltung im Einzelfall, die Befürchtung gerechtfertigt sein kann, es werde eine ernsthafte Beunruhigung einer beträchtlichen Mehrzahl von Personen entstehen. Zu denken ist hier etwa an die Räumung eines Gebäudes wegen einer Bombendrohung, an nicht zu verheimlichende Schutzmaßnahmen wie persönliche Abschirmung, Hausbewachung und ähnliche erkennbare Vorkehrungen bei Morddrohung oder angedrohter Geiselnahme. Eine bloß abstrakte Eignung der Äußerung, etwa die Androhung einer schweren Straftat bei einem privaten Telefongespräch, die lediglich durch eine Indiskretion eines zufälligen Mithörers der Öffentlichkeit bekannt wird, genügt nicht. Daher werden in engem Kreise getätigte Äußerungen, die nach dem Teilnehmerkreis voraussichtlich nicht in die Öffentlichkeit gelangen werden, tatbestandlich nicht erfasst.

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Richtet sich die Drohung an staatliche Organe als Adressaten, bei denen mit Präventivmaßnahmen zur Verhinderung der angedrohten Taten, zugleich aber mit Diskretion zwecks Gewährleistung der Wirksamkeit der Gegenmaßnahmen zu rechnen ist, ist die Voraussetzung einer friedensstörenden Eignung nicht erfüllt; 8 4 insoweit kommt § 145d Abs. 1 Nr. 2 in Betracht.

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V. Subjektiver Tatbestand 1. Vorsatz. Für den subjektiven Tatbestand des Androhens einer Straftat (Abs. 1) ist Vorsatz erforderlich, der auch das Bewusstsein der konkreten Störungseignung der Drohung umfasst. Bedingter Vorsatz ist ausreichend. 85 Der Täter muss damit rechnen, dass seine Androhung nach Art und Umständen der Begehung oder aufgrund ihrer Folgewirkungen einer nicht unbeträchtlichen Personenzahl zur Kenntnis kommen und dort zu einer ernsthaften Beunruhigung führen könnte. Dies gilt auch in den Fällen einer nur gegenüber einer bestimmten Person gemachten Ankündigung. Die Drohung braucht nicht ernst gemeint zu sein; es ist ausreichend, wenn der Täter davon ausgeht, die Bevölkerung nehme sie ernst. 86 Eine an sich als Scherz gemeinte, als solche aber nicht eindeutig erkennbare Androhung erfüllt den subjektiven Tatbestand, wenn der Täter damit rechnet, der Erklärungsempfänger werde die Drohung ernst nehmen, und sich aus Bedenkenlosigkeit damit abfindet. 87 Eine besondere Absicht des Täters in Richtung auf die Gefährdung des öffentlichen Friedens ist nicht erforderlich. Nicht zu wissen braucht der Täter, dass die von ihm angedrohte Handlung als ein Verbrechen oder gemeingefährliches Vergehen im Sinne des Katalogs des Absatzes 1 klassifiziert ist. Vorsätzlich handelt er bereits dann, wenn er im Wege einer laienhaften Parallelwertung erkennt, dass das angedrohte Vorhaben ein grobes, die Allgemeinheit schwer beunruhigendes Unrecht darstellt. 88

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BGHSt 34 329, 332: Bombendrohung gegenüber Bahnhofsvorständen der Deutschen Bundesbahn, die zum Zeitpunkt der Tat noch eine Behörde war; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Fischer Rdn. 10; Ostendorf NK Rdn. 17. BGH 1 StR 6 6 5 / 8 5 v. 4.2.1986; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Schäfer MK Rdn. 32.

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Ostendorf NK Rdn. 18; Schäfer MK Rdn. 33. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 12. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Fischer Rdn. 11; Schäfer MK Rdn. 34; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 III Rdn. 50.

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Ein Irrtum des Täters, der sich auf das Verbotensein des Androhens oder Vortäuschens bezieht, unterfällt § 17. 8 9 Bei den in § 126 Abs. 1 bis 6 aufgeführten Straftaten dürfte das Androhungsunrecht aber in der Regel auf der Hand liegen; die Berufung auf einen Verbotsirrtum wird nach den strengen Maßstäben und hohen Anforderungen der Rechtsprechung an das normative Bewusstsein des Täters in der Regel meist nicht stichhaltig erscheinen. 90 Auf eine positive Kenntnis des Täters von der Zugehörigkeit des angedrohten Delikts zum Kreis der Katalogtaten des § 126 kommt es nicht an. 9 1 Bei der Androhung von gemeingefährlichen Vergehen nach § 126 Abs. 1 Nr. 7 kann die tatrichterliche Prüfung der Vermeidbarkeit des behaupteten Verbotsirrtums zu einem anderen Ergebnis führen, wobei insbesondere die konkret angedrohte Art und Begehungsweise des in Frage stehenden Delikts, der sich daraus ergebende Unrechtsgehalt und die Tätermotivation von Bedeutung sind.

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2. Wider besseres Wissen. Das Vortäuschen einer Straftat nach Absatz 2 muss wider besseres Wissen erfolgen. Der Täter muss bei seiner Ankündigung die sichere Kenntnis haben, dass die von ihm behauptete Straftat nicht bevorsteht. 92 Ankündigungen fremder Taten, deren bevorstehende Verwirklichung sich der Täter nur als möglich vorgestellt hat, werden somit von der Vorschrift nicht erfasst. Dagegen bleibt die nach der Tätervorstellung fälschliche Ankündigung einer Gewalttat auch dann tatbestandserheblich, wenn zufällig ein ähnliches Delikt tatsächlich bevorstand und der Täter keine Anhaltspunkte dafür hatte. 9 3

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Mit den erhöhten Anforderungen im subjektiven Bereich bei Absatz 2 wird eine Beeinträchtigung des in § 138 gewährleisteten Rechtsschutzes vermieden. Andernfalls könnten möglicherweise die Anzeigepflichten nach § 138 mit der Begründung vernachlässigt werden, im Falle unrichtiger Anzeige könne dem Anzeigenden bedingter Vorsatz nach § 126 Abs. 2 zur Last gelegt werden. 94

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Hinsichtlich der sonstigen Tatbestandsmerkmale genügt bei der Begehungsmodalität des Vortäuschens wie bei Absatz 1 bedingter Vorsatz. 95

VI. Vollendung 39

Die Tat ist vollendet, wenn die Androhung oder wahrheitswidrige Ankündigung in den Wahrnehmungsbereich bestimmter oder möglicher Adressaten gelangt ist. Bei öffentlicher Androhung verbaler Art oder durch Plakatanschlag oder Transparent genügt bereits die Entäußerung, wenn die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch Dritte besteht. 9 6 Beim Versenden von angeblichen Milzbrandbriefen ist der Tatbestand bereits

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Fischer Rdn. 11; Schäfer MK Rdn. 35; Sch/ Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 12. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 41 I 3, 4. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 III Rdn. 50; vgl. auch Jescheck/Weigend AT § 41 I 3a; BGHSt 15 377, 383. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Schäfer MK Rdn. 36. Schäfer MK Rdn. 36; Blei JA 1975 27, 30; Stree NJW 1976 1 1 7 7 , 1 1 8 0 . Vgl. RegEntw., BTDrucks. 7 / 3 0 3 0 , S. 7;

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Laufhütte MDR 1976 441, 4 4 3 ; krit. zu der gesteigerten subjektiven Anforderung im Zusammenhang mit dem Gesichtspunkt der Erhaltung der Anzeigebereitschaft Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 III Rdn. 52. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 12. OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2 0 0 2 209, 210; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Schäfer MK Rdn. 39; Fischer Rdn. 12.

Matthias Krauß

Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten

§ 126

dann vollendet, wenn die Briefe auf dem Postweg versendet werden und jeder, der die Briefe in den Händen hält, im Sichtfenster den Text mit dem Hinweis auf die Milzbranderreger lesen kann. 9 7 Bei schriftlichen Androhungen gegenüber einem bestimmten Adressaten kommt es auf den Zugang beim Adressaten a n . 9 8 Nicht ausreichend ist z.B. die bloße Absendung von Flugblättern, wohl aber deren Einwurf in zahlreiche Hausbriefkästen. 40

Der Versuch ist nicht strafbar.

VII. Konkurrenzen Tateinheitlich zusammentreffen kann § 1 2 6 Abs. 1 mit § 125, § 145, § 2 4 0 , § 2 4 1 Abs. 1 " und mit 2 5 5 S t G B . 1 0 0 Bei Absatz 2 ist Tateinheit möglich mit § 145, § 145d Abs. 1 Nr. 2 und § 2 4 1 . Zwischen § 126 und der angedrohten Straftat besteht Realkonkurrenz, falls diese tatsächlich verwirklicht wird. 1 0 1

41

Absatz 1 und Absatz 2 schließen einander aus. 1 0 2 Bei entsprechendem Äußerungsverhalten gegenüber mehreren Adressaten kann zwischen dem Androhen und dem Vortäuschen aber natürliche Handlungseinheit bestehen. 1 0 3

42

VÜL Taten mit Auslandsbezug Die Androhung oder Vortäuschung muss im räumlichen Geltungsbereich des Strafgesetzbuches begangen werden. Eine Inlandstat liegt gem. § 3 i.V.m. § 9 auch dann vor, wenn der zum Tatbestand gehörende Erfolg in der Bundesrepublik eingetreten ist. Bei dem abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikt des § 126 ist ein Erfolg i.S. des § 9 in Deutschland eingetreten, wenn die konkrete Tat ihre Gefährlichkeit im Hinblick auf das im Tatbestand umschriebene Rechtsgut in Deutschland entfaltet, d.h. wenn die Androhung oder Vortäuschung konkret geeignet, ist den Frieden in der Bundesrepublik Deutschland zu stören (vgl. § 130 Rdn. 138). 1 0 4 Eine Androhung im Ausland wird außerdem dann von § 126 erfasst, wenn sie auf eine Tat gegen einen Deutschen bezogen ist (§ 7 Abs. 1), z.B. die Androhung eines Mordes an einem deutschen Politiker. J e nach Art der Androhung bedarf hier die erforderliche Eignung zur Friedensstörung in der Bundesrepublik besonderer Prüfung und Darlegung.

43

IX. Verjährung Die Verjährungsfrist beträgt gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 fünf Jahre. Handelt es bei der Tat um ein Presseinhaltsdelikt, gelten die Verjährungsregeln der landesrechtlichen Pressegesetze.

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OLG Frankfurt NStZ-RR 2002 209, 210; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Fischer Rdn. 12. Schäfer MK Rdn. 42; Sch/SchröderIhenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 9.

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BGH StV 1999 377. Schäfer MK Rdn. 42; Rudolphi/Stein SK Rdn. 9; Ostendorf NK Rdn. 21. Laufhütte MDR 1976 441, 443; Schäfer MK Rdn. 41; Ostendorf NK Rdn. 21. Schäfer MK Rdn. 41. Vgl. BGHSt 46 212, 218; Fischer Rdn. 6.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

§127

Bildung bewaffneter Gruppen Wer unbefugt eine Gruppe, die über Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge verfügt, bildet oder befehligt oder wer sich einer solchen Gruppe anschließt, sie mit Waffen oder Geld versorgt oder sonst unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Schrifttum Goehrs Der Rechtsfrieden (1900); von Hippel Bildung bewaffneter Haufen usw., in: Vergleichende Darstellung des Deutschen und Ausländischen Strafrechts, BT Bd. 2 (1906) S. 40; John Landfriedensbruch, Landzwang, bewaffneter Haufen, in: Holtzendorff Handbuch des deutschen Strafrechts, Bd. 3 (1874); Kuntz Die organisierte Nothilfe, ZStW 95 (1983) S. 973; Lenckner Zur Strafgesetzgebung unserer Zeit: Der zu neuem Leben erweckte § 127 StGB, Gedächtnisschrift Keller (2003) S. 151; Licht Bildung bewaffneter Haufen, Diss. Jena 1932; Ostendorf Bürgerwehren - ein Fall für den Staatsanwalt. Zur vergessenen Vorschrift „Bildung bewaffneter Haufen" (§ 127 StGB), RuP 1982 139; Volkersen § 127 StGB - Von der vergessenen Norm zum Schwert des Damokles, Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie Frankfurt a.M. (Hrsg.), Irrwege der Strafgesetzgebung (1999) S. 285.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift, die auf § 9 7 PrStGB zurückgeht, 1 blieb seit der Einführung des StGB bis zum 6 . Strafrechtsreformgesetz vom 2 6 . Januar 1 9 9 8 (BGBl. I S. 164) mit Ausnahme der Straftatfolgen unverändert. 2 Der Ε 1962 (Begr. S. 4 6 2 ) hatte sogar die Streichung des § 127 im Hinblick auf die anderweitige strafrechtliche Erfassbarkeit der in § 127 aufgeführten Tathandlungen vorgesehen. Vor dem Hintergrund des staatlichen Gewaltmonopols und der Gefährlichkeit bewaffneter Zusammenschlüsse für den öffentlichen Frieden sah der Gesetzgeber bei der Reform des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs durch das 6. Strafrechtsreformgesetz jedoch weiterhin ein kriminalpolitisches Bedürfnis für die Strafbarkeit entsprechender Verhaltensweisen. M i t der Neufassung sollte der Sprachgebrauch modernisiert und aufgetretene Auslegungsschwierigkeiten beseitigt werden. 3 Tatsächlich wurde der Tatbestand jedoch nicht unerheblich ausgedehnt. 4 Die in der Literatur nicht unumstrittenen Begriffe der „Mannschaft" und des „Haufens" der alten Fassung wurden durch den neutraleren Begriff der Gruppe ersetzt und die Vorschrift auch auf Gruppen erstreckt, die über andere gefährliche Werkzeuge als Waffen verfügen. Das Sich-Anschließen an eine bewaffnete Gruppe wurde im Strafmaß den anderen Tatbestandsalternativen gleichgestellt und das Unterstützen als weitere Tathandlung aufgenommen. Das im Entwurfsvorschlag vorgesehene Merkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens wurde im Hinblick auf die fehlende Anknüpfung an bestimmte Ver-

1

2

Goltdammer Materialien Bd. 2, S. 151; v. Hippel VDB Bd. 2 S. 40; RGSt 30 393; RG GA Bd. 46 35. Vgl. Ο Stendorf Rdn. 2. Die Strafdrohung war durch Art. 12 EGStGB geändert bzw. durch wahlweise Androhung von Geldstrafe ergänzt worden.

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3 4

BTDrucks. 13/8587, S. 28. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Ostendorf NK Rdn. 2; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 1.

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Bildung bewaffneter Gruppen

§ 127

haltensweisen und die Gefahr erheblicher Auslegungsprobleme nicht in das Gesetz übernommen. 5 Gesetzesmaterialien Entwurf eines 6. StrRG, BTDrucks. 13/8587, S. 28; Stellungsnahme des Bundesrats; ebda. S. 56; Gegenäußerung der Bundesregierung, ebda. S. 80; Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 13/9064, S. 9; Rechtsausschuss-Protokoll Nr. 88 vom 4.6.1997 (Sachverständigenanhörung).

I. Π. ΠΙ. IV.

V.

Übersicht Rdn. Rechtsgut 1 Deliktsnatur 3 Kriminalpolitische Bedeutung 4 Bewaffnete Gruppe 5 VI. 1. Gruppe 6 VII. 2. Bewaffnung 14 \ΊΠ. a) Waffen 15 IX. b) Andere gefährliche Werkzeuge . . . 16 X. c) Verfügen 17 XI. Tathandlungen 19 ΧΠ. 1. Bilden 20 ΧΠΙ. 2. Befehligen 21

3. Sich-Anschließen 4. Mit Waffen oder Geld versorgen oder sonst Unterstützen Subjektiver Tatbestand Unbefugtheit Sonstige Rechtfertigungsgründe Täterschaft und Teilnahme Versuch und Vollendung Konkurrenzen Rechtsfolgen Prozessuales

Rdn. 22 23 28 29 33 34 35 37 40 42

I. Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut sind der innere Rechtsfriede sowie das staatliche Gewaltmono- 1 pol, mitgeschützt sind die Wehrhoheit des Bundes und dessen Interesse an der Wahrung seiner Neutralität in Kriegen zwischen anderen Staaten. 6 Unabhängig davon, welche (illegalen) Zwecke eine bewaffnete Gruppe verfolgt, stellt bereits ihre bloße Existenz ein besonderes Gefährdungspotential für den inneren Rechtsfrieden und das staatliche Gewaltmonopol dar. Dies gilt etwa für Gruppen, die unter Absage an die innere Rechtsordnung und Rückkehr zum Faustrecht gewaltsam ihre Interessen durchsetzen, ein friedens-, hoch- oder landesverräterisches Unternehmen vorbereiten, militante Auseinandersetzungen zwischen ausländischen ethnischen oder politischen Gruppen zum Ziel haben oder gewalttätige Protest- oder Demonstrationsaktionen durchführen. Nach anderer Auffassung werde durch solche Gruppen nicht nur ein spezifisch Staat- 2 liches Interesse berührt, weil es nicht mehr nur um Gewaltausübung gehe, die dem Staat vorbehalten sei. Vielmehr gehe es auch um per se illegale Gewaltausübung wie die Vorbereitung von Landfriedensbrüchen usw. Geschützt sei deshalb ein Kollektivinteresse der potenziell betroffenen Individuen. 7

5 6

BTDrucks. 13/8587, S. 56 f, 80. BTDrucks. 13/8587, S. 28; Schäfer MK Rdn. 1; Lackner/Kühl Rdn. 1; Fischer Rdn. 2; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Kindhäuser LPK Rdn. 1; zum Teil anders Lenckner GS Keller, S. 151, 154 (öffentliche Sicherheit als Teilaspekt des

7

öffentlichen Friedens); Ostendorf NK Rdn. 3 und RuP 1982 139, 140 (demokratisch legitimiertes Gewaltmonopol des Staates begrenzt auf die Aufrechterhaltung der innerstaatlichen Ordnung). Rudolphi/Stein SK Rdn. 2.

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§ 127

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Π. Deliktnatur 3

§ 127 ist den abstrakten Gefährdungsdelikten zuzuordnen. 8 Einzelrechtsgüter müssen nicht verletzt oder konkret gefährdet werden. Die Vorschrift dient vielmehr dem strafrechtlichen Schutz im Vorfeld anderer Tatbestände des 1. bis 5. Abschnitts des Besonderen Teils des StGB wie der § § 8 1 ff, § 100, §§ 105 ff, aber auch von Landfriedensbrüchen (§ 125) und der Bildung krimineller und terroristischer Vereinigungen (§§ 129 f). Auch wenn andere Strafbestimmungen, etwa die §§ 113, 129, 129a StGB, §§ 52a, 53 WaffG und § 22a KWKG Teile seines Schutzbereichs mit abdecken, hielt der Gesetzgeber an dieser Strafbestimmung fest, um vereinzelt auftretende Lücken im Strafschutz zu schließen, die vor dem Hintergrund des staatlichen Gewaltmonopols und der Gefährlichkeit bewaffneter Zusammenschlüsse für den öffentlichen Frieden verbleiben können. Beispielhaft genannt werden von anderen Tatbeständen nicht erfasste Formen sog. Wehrsportgruppen sowie Fälle, in denen nicht hinreichend sicher ist, ob der Zweck des bewaffneten Zusammenschlusses auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet ist und deshalb keine kriminelle Vereinigung vorliegt oder die Voraussetzungen der besonderen Straftatbestände nach dem Waffengesetz nicht erfüllt sind. 9

ΙΠ. Kriminalpolitische Bedeutung 4

In der polizeilichen Kriminalstatistik wird dieser Tatbestand nicht besonders ausgewiesen, in der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes erst seit dem Jahr 2003. Danach ist für 2 0 0 3 , 2 0 0 4 und 2 0 0 6 jeweils ein Verurteilter ausgewiesen, für das Jahr 2 0 0 5 sind 15 Verurteilte verzeichnet. In der strafrechtlichen Praxis hat die Norm bislang ein „Dornröschendasein" geführt, 10 weswegen zum Teil die Streichung gefordert wird. 1 1

IV. Bewaffnete Gruppe 5

Alle vier Tathandlungen beziehen sich auf eine Gruppe, die über Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge verfügt.

6

1. Gruppe. Gruppe ist eine Mehrzahl von Personen, die sich zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks zusammengeschlossen haben. 1 2

7

Eine festgefügte Organisationsstruktur und eine auf Straftatbegehung ausgerichtete organisierte Willensbildung, wie sie § 129 voraussetzen, ist bei der bewaffneten Gruppe nach § 127 nicht erforderlich. 13 Die gegenteilige, sich auf das Tatbestandsmerkmal „befehligen" berufende Auffassung 14 widerspricht dem gesetzgeberischen Willen, wonach es bei § 127 auf einen bestimmten Grad von Organisation gerade nicht ankom-

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Sch/Scbröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1. BTDrucks. 13/8587, S. 28. v. BubnoffULn Rdn. 1; Lenckner GS Keller, S. 151, 152. Ostendorf NK Rdn. 5.

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12 13

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Lenckner GS Keller, S. 151, 156. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Schäfer MK Rdn. 12; Rudolphi/Stein SK Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 2. Fischer Rdn. 3, der eine § 129 ähnliche Organisationsstrukur verlangt.

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Bildung bewaffneter Gruppen

§127

men soll. 15 ξ 127 erfasst deshalb nicht nur militärähnliche Organisationen mit straffen Befehlsstrukturen, sondern auch lose Zusammenschlüsse ohne besondere Organisationsform und gruppenspezifische Führungsstruktur. 16 Der Gruppenzusammenschuss muss nicht auf Dauer angelegt sein. 17 Die Gruppe kann auch zur Verwirklichung eines speziellen Unternehmens gebildet werden, etwa als Kampfgruppe zum Einsatz für eine gewaltsame Besetzung, eine gewalttätige Demonstration oder als Sabotagetrupp für einen personengefährdenden Angriff auf eine bestimmte Einrichtung. Ausreichend sind auch spontan gebildete Grupppen, wie etwa vom Sportplatz kommende und mit Baseballschlägern ausgerüstete Jugendliche, die sich ad hoc zusammentun, um Randale zu machen. 18

8

Im Gegensatz zum früheren „Haufen" 1 9 und zur Menschenmenge in § 125 erfordert der Begriff der Gruppe nach dem gesetzgeberischen Willen keine räumliche Nähe der Mitglieder. 20 Tatbestandlich erfasst werden damit auch milizartig organisierte, einsatzund abrufbereite Gruppierungen, abrufbare bewaffnete Bürgerwehren und bewaffnete Skinhead-Banden.

9

Die notwendige Mindestzahl kann nicht allgemeingültig festgelegt werden. Diese ist unter Berücksichtigung des Normzwecks nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen. 21 Der Regierungsentwurf hatte die Mindestzahl von drei Personen zunächst als nicht ausreichend erachtet. 22 Nach dem Hinweis des Bundesrats auf § 88, wonach in der Regel drei Personen genügen sollen, 23 änderte die Bundesregierung ihre ursprüngliche Auffassung und ging mit dem Bundesrat davon aus, dass die Mindestzahl von drei Personen für die Annahme einer Gruppe in der Regel genügt. 24 Dies dürfte allerdings nur als Untergrenze zu verstehen sein. Der Hinweis auf § 88 ist insoweit problematisch, als dort bei der Tatbestandsalternative der Tatbegehung durch eine Gruppe die dort genannten Sabotagehandlungen von dieser tatsächlich ausgeführt worden sein müssen, während es bei § 127 gerade zu keiner Aktion gekommen sein muss. 25 Auch aus der Mindestpersonenzahl bei § 129 lassen sich angesichts der dort vorausgesetzten gefahrerhöhenden Momente (festgefügte Organisationsstruktur, Moment der Dauer) keine Rückschlüsse ziehen.

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BTDrucks. 13/8578, S. 28, ablehnend auch Lenckner GS Keller, S. 151, 157 f. Wie hier: Schäfer MK Rdn. 12; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Liebeti Rdn. 2 und Lenckner GS Keller, S. 151, 157, soweit es um Gruppen mit räumlichen Zusammenschluss geht, bei Gruppen ohne räumliche Zusammenfassung wird ein gewisses Maß an Organisation verlangt; aA v. Bubnoff LK 11 Nachtrag 2001 Rdn. 4, der eine gewisse gruppenspezifische Führungsstruktur fordert; Rudolphi/Stein SK Rdn. 4, der eine gewisse Stabilität verlangt, die über den Zusammenhalt einer aus aktuellem Anlass spontan sich zusammenschließenden Personenmehrheit deutlich hinausgeht. Fischer Rdn. 3; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Schäfer MK Rdn. 14; Lenckner GS Keller, S. 151, 156.

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19 20

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Schäfer MK Rdn. 14; Kindhäuser LPK Rdn. 2; Lenckner GS Keller, S. 151, 156; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 4; Ostendorf NX. Rdn. 8. RGSt 56 281, 2 8 2 . BTDrucks. 13/8587, S. 2 8 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 4. Schäfer MK Rdn. 13; Rudolphi/Stein SK Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 2; Lenckner GS Keller, S. 151, 157. BTDrucks. 13/8587, S. 28. BTDrucks. 13/8587, S. 57. BTDrucks. 13/8587, S. 80. Denselben Standpunkt vertrat der Rechtsausschuss, BTDrucks. 1 3 / 9 0 6 4 , S. 9. Vgl. Lenckner GS Keller, S. 151, 156.

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§ 127

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

11

Zutreffenderweise ist deshalb darauf abzustellen, ob der Gruppe in ihrer Zusammensetzung schon ein erhebliches Gefahrenpotential für den inneren Rechtsfrieden zuk o m m t . 2 6 Dies hängt neben der zahlenmäßigen Größe vom verfolgten Zweck, der Organisationsform, der Art der Ausrüstung, der Einsatzbereitschaft der Gruppenmitglieder sowie davon ab, ob es sich um eine räumlich zusammengeschlossene oder weit verstreute Gruppe Einzelner handelt. 2 7 Nur bei entsprechendem Gefährdungspotenzial kann auch ein aus drei Personen bestehender Zusammenschluss als Gruppe i.S. von § 127 angesehen werden. 2 8

12

Im Hinblick auf die Weite des Tatbestandsmerkmals „Gruppe" wird es teilweise für notwendig erachtet, den Begriff der Grupppe unter Schutzzweckgesichtspunkten einschränkend auszulegen. Erforderlich sei, dass es nur noch von der Ausrüstung mit Waffen usw. und dem verfolgten Zweck abhänge, ob der fragliche Zusammenschluss für den inneren Rechtsfrieden bereits ein messbares und ins Gewicht fallendes Gefahrenpotential darstelle. 29 Nach anderer Auffassung müsse die Gruppe von einer rechtsfeindlichen, das staatliche Gewaltmonopol angreifenden Gesinnung getragen sein. 3 0 Wieder andere verlangen, dass die Zweckvereinbarung der Gruppe auch die Möglichkeit von Gewaltanwendung gegen Menschen umfasse 3 1 bzw. eine personengefährdende Zielrichtung aufweise. 3 2

13

Dagegen spricht der Wille des Gesetzgebers, der das Merkmal der Eignung zur Gefährdung des öffentlichen Friedens gerade nicht in den Tatbestand aufgenommen hat. 3 3 Fraglich ist auch, ob die sehr unbestimmten Merkmale des ins Gewicht fallenden Gefahrenpotentials oder der rechtsfeindlichen Gesinnung geeignete Kriterien sind, das Tatbestandsmerkmal der Gruppe wirksam einzuschränken, zumal eine abstrakte Gefährdung des inneren Rechtsfriedens ausreichend ist. 3 4 Schließlich steht mit dem Merkmal der Unbefugtheit ein Instrument zur Verfügung, um unbedenkliche Personenzusammenschlüsse vom Tatbestand auszunehmen.

14

2. Bewaffnung. Die Gruppe muss über Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge verfügen.

15

a) Waffen. Unter den Waffenbegriff, der hier im technischen Sinne zu verstehen ist, 35 fallen alle beweglichen Sachen, die nach ihrer bestimmungsgemäßen Art objektiv zur Verursachung erheblicher Verletzungen von Personen oder Beschädigungen von Sachen bestimmt sind (vgl. § 125a Rdn. 12). Dazu zählen neben Schusswaffen beispielsweise Hieb-, Stoß- und Stichwaffen. 3 6

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30 31

RudolphUStein SK Rdn. 4; Lenckner GS Keller, S. 151,157. Lenckner GS Keller, S. 151,157. aA Ο Stendorf NK Rdn. 9, der im Hinblick auf das Gefährdungsmoment mindestens zehn Personen verlangt. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2. Ο Stendorf ΉΚ. Rdn. 11. Rudolphi/Stein SK Rdn. 3; Kindhäuser LPK Rdn. 3.

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35

36

v. Bubnoff LK 11 Rdn. 11. Vgl. BTDrucks. 13/8587, S. 13, 80. Ablehnend auch Schäfer MK Rdn. 12; Fischer Rdn. 4. Fischer Rdn. 4; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5; Schäfer MK Rdn. 15; Lenckner GS Keller, S. 151,158. Vgl. BGHSt 44 103, 105; 45 249, 250; 48 201.

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Bildung bewaffneter Gruppen

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b) Andere gefährliche Werkzeuge. Andere gefährliche Werkzeuge sind Gegenstände, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach der konkreten Art ihrer in Aussicht genommenen Benutzung geeignet sind, erhebliche Verletzungen oder Beschädigungen herbeizuführen. 37 Da die Gruppe über die gefährlichen Werkzeuge verfügen muss, hängt es von der Bestimmung der Gruppe und nicht des einzelnen Mitglieds ab, wie ein Gegenstand im Bedarfsfall eingesetzt werden soll. 3 8 Eine Verwendungsabsicht ist nicht erforderlich. 39

16

c) Verfügen. Verfügen bedeutet, dass die Waffen oder gefährlichen Werkzeuge zur Nutzung bei Gruppeneinsätzen bereitgehalten werden. Sie müssen dergestalt zur Verfügung stehen, dass die Gruppenmitglieder jederzeit auf sie Zugriff haben oder ohne großen (auch zeitlichen) Aufwand damit ausgerüstet werden und diese gruppenzweckbezogen einsetzen können. 4 0

17

Dabei müssen die Waffen oder gefährlichen Gegenstände so zahlreich zur Verfügung stehen, dass damit eine erhebliche Anzahl der Gruppenmitglieder ausgerüstet werden kann. Ohne dass es auf eine zahlenmäßige Feststellung der Bewaffnung im Einzelfall ankommt, muss die Bewaffnung so beschaffen sein, dass sie ein wesentliches Kennzeichen der Gruppe ausmacht und ihren spezifischen Charakter bestimmt. 4 1 Dies hängt auch von der Art der Bewaffnung ab. Alleiniger Zweck oder Endzweck braucht die Bewaffnung nicht sein. 4 2 Die Forderung nach einer latenten Bereitschaft der Gruppe, die Waffen oder gefährlichen Werkzeuge gegen andere einzusetzen, 43 widerspricht nicht nur dem gesetzgeberischen Willen, 4 4 sondern ist auch im Hinblick auf den Wortlaut der Norm sowie auf das Merkmal „unbefugt" in der Sache nicht geboten. 4 5

18

V. T a t h a n d l u n g e n Mit Strafe bedroht sind das unbefugte Bilden oder Befehligen einer bewaffneten Gruppe, das unbefugte Sich-Anschließen an eine solche Gruppe, ihre Versorgung mit Waffen oder Geld sowie ihre Unterstützung.

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1. Bilden. Eine Gruppe bildet, wer die notwendige Zahl von bewaffneten Personen zusammenbringt oder einen bereits bestehenden Zusammenschluss in einer diesen prägenden Weise mit der erforderlichen Bewaffnung ausstattet. Da die Gruppe keinen räumlichen Zusammenschluss voraussetzt, reicht es aus, wenn der Täter eine sonstige Verbindung zwischen den Gruppenmitgliedern herstellt. 4 6 Die Bildung der Gruppe für einen einmaligen Einsatzzweck genügt. Der die Gruppe bildende Täter muss der Gruppe später nicht als Mitglied angehören. 4 7

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39 40

Rudolphi/Stein SK Rdn. 5; Schäfer MK Rdn. 16; Lenckner GS Keller, S. 151, 158 f; BTDrucks. 13/9064, S. 9; krit. zur Erstreckung der Bewaffnung auf gefährliche Werkzeuge: Volkersen § 127 StGB - Von der vergessenen Norm zum Schwert des Damokles (1999) S. 285, 287 ff. Lenckner GS Keller, S. 151, 160; Rudolphi/Stein SK Rdn. 4. Fischer Rdn. 4. Rudolphi/Stein SK Rdn. 5.

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42 43

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Lenckner GS Keller, S. 151, 160 f; RudolphU Stein SK Rdn. 5; Fischer Rdn. 4; Schäfer MK Rdn. 17. Fischer Rdn. 4; Schäfer MK Rdn. 17. So Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Rudolphi/Stein SK Rdn. 3; v. Bubnoff LKn Nachtrag Rdn. 11. BTDrucks. 13/9064, S. 9. Fischer Rdn. 4; Schäfer MK Rdn. 18. Schäfer MK Rdn. 20. Schäfer MK Rdn. 20.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

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2. Befehligen. Die Gruppe befehligt, wer die Kommandogewalt innehat. 48 Woraus sich die Führungsposition ableitet, etwa aufgrund von Übertragung, Wahl oder unwidersprochener Inanspruchnahme, ist unerheblich, sofern die Befehle von den Gruppenmitgliedern nur befolgt werden. Ausreichend ist, dass sich die Ausübung der Befehlsgewalt auf selbstständige Organisationseinheiten einer Gruppe bezieht. 4 9 Inhaber der Kommandogewalt können auch mehrere gleichgestellte Personen sein. Bei Unterführern ist erforderlich, dass die ihnen unterstellten Gruppenmitglieder für sich eine bewaffnete Gruppe darstellen. 50 Anders als das Bilden setzt das Befehligen voraus, dass der Betreffende zugleich Mitglied der Gruppe ist. 51

22

3. Sich-Anschließen. Sich-Anschließen bedeutet die mitgliedschaftliche Eingliederung in eine Gruppe. 5 2 Bloße Teilnahmehandlungen nach §§ 2 6 , 2 7 reichen nicht aus. 5 3 O b es für das Sich-Anschließen - wie nach § 127 a.F. 5 4 - genügt, dass die bewaffnete Gruppe durch den Zusammenschluss mehrerer Einzelpersonen erst entsteht 5 5 oder im Hinblick auf den Wortlaut der Vorschrift eine bewaffnete Gruppe bereits vorhanden sein muss, 5 6 kann dahinstehen, weil im ersteren Fall jedenfalls ein mittäterschaftliches Bilden in Betracht kommt. Der Sich-Anschließende muss selbst nicht bewaffnet sein. 5 7

23

4. Mit Waffen oder Geld versorgen oder sonst unterstützen. Das Versorgen mit Waffen oder Geld ist ein Unterfall des Unterstützens, das dem Unterstützen gem. § 129 Abs. 1, § 129a Abs. 5 entspricht. Es handelt sich um eine zur Täterschaft verselbstständigte Beihilfe. 5 8 Die Unterstützungshandlung muss im Hinblick auf das Gefährdungspotential der Gruppe für den inneren Frieden an sich wirksam und für die Gruppe irgendwie vorteilhaft sein. O b die Hilfe den Erfolg hat, den der Täter mit ihr erstrebt, oder ob der Gruppe nachweisbar ein messbarer Nutzen entstanden ist, ist unerheblich. Ganz geringfügige Zuwendungen, z.B. geringe Geldspenden, scheiden aus. 5 9 Die Förderhandlung kann sich auf die innere Organisation der Gruppe und deren Zusammenhalt, auf die Erleichterung einzelner von ihr geplanten Aktionen oder allgemein auf die Erhöhung ihrer Aktionsmöglichkeiten beziehen. Die zu § 129 gemachten Ausführungen gelten sinngemäß (vgl. dort Rdn. 132 ff).

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Der Täter kann, muss aber nicht Mitglied der Gruppe sein. Ausreichend ist, wenn die Unterstützung anonym oder über Mittelsmänner erfolgt.

25

Nach der ratio legis der Norm und entgegen der Tatbestandsformulierung kommt es nicht darauf an, ob eine bereits bestehende bewaffnete Gruppe unterstützt wird oder die Förderhandlungen (z.B. die Lieferung von Waffen) demjenigen zugute kommen, der eine bewaffnete Gruppe erst bildet. 6 0 48

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53 54 55

Fischer Rdn. 7; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; Schäfer MK Rdn. 22; Sch/Schröder/Letickner/ Sternberg-Lieben Rdn. 4. Fischer Rdn. 7. Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 4. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 4. Fischer Rdn. 8; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; Schäfer MK Rdn. 27. Fischer Rdn. 8; Schäfer MK Rdn. 27. Vgl. RG GA Bd. 46 S. 35. So Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; v. Bubnoff L K " Nachtrag Rdn. 14.

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Schäfer MK Rdn. 28; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 5. Vgl. RGSt 30 391, 392; Schäfer MK Rdn. 27; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6. Fischer Rdn. 9; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; Schäfer MK Rdn. 29. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6. Fischer Rdn. 9; Schäfer MK Rdn. 32; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6, wonach nur eine Beihilfe zum Gründen in Betracht kommt.

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Bildung bewaffneter Gruppen

§ 127

In Betracht kommen beispielsweise die Zuführung neuer Mitglieder, logistische Hilfe und die Versorgung mit gefährlichen Werkzeugen. Aufgrund der Tatsache, dass die Norm nur die Versorgung mit Waffen, nicht aber mit anderen gefährlichen Werkzeugen erwähnt, kann nicht im Umkehrschluss geschlossen werden, dass die Versorgung mit gefährlichen Werkzeugen keine (sonstige) Unterstützunghandlung darstellt. 61

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Die Versorgung mit Waffen oder Geld wird im Gesetz als bedeutsames Beispiel für eine Unterstützungshandlung herausgehoben. 62 Sie kann in einer einmaligen Leistung von gewisser Erheblichkeit oder in wiederholten Zuwendungen bestehen. Umfasst ist jede Art des Zurverfügungsstellens von Waffen oder Geld ungeachtet davon, ob die Gegenstände entgeltlich oder unentgeltlich geliefert werden. 63 Auch die Kreditgewährung erfüllt das Tatbestandsmerkmal. Wird ein Erpressungsopfer zu Zahlung von Geldern genötigt, soll nach teilweise vertretener Auffassung mangels Freiwilligkeit bzw. mangels innerer unterstützender Tendenz bereits tatbestandlich kein Unterstützen vorliegen. 64

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VI. Subjektiver Tatbestand Für den subjektiven Tatbestand genügt bedingter Vorsatz. 65 Die Vorstellung des Täters muss insbesondere den von der Bewaffnung geprägten Gruppencharakter des Zusammenschlusses umfassen. Einzelheiten der von der bewaffneten Gruppe verfolgten Zwecke braucht der Täter weder zu kennen noch zu billigen.

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VII. Unbefugtheit Nach den Gesetzesmaterialien handelt es sich bei dem Merkmal „unbefugt" um das entscheidende Kriterium, um unbedenkliche Personenmehrheiten verlässlich auszugrenzen, wofür beispielhaft die Schützengesellschaften genannt werden. 66

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Über die dogmatische Einordnung als tatbestandliches Begrenzungs- oder als allgemeines Rechtswidrigkeitsmerkmal besteht keine Einigkeit. Nach einer Auffassung ist das Merkmal aufgrund der Weite des objektiven Tatbestands des § 127 zwingend bereits dem Tatbestand zuzuordnen. 67 Maßgebliches inhaltliches Kriterium für die Abgrenzung ist danach der Zweck, den die zu bildende Gruppe verfolgen will. Ist der Gruppenzweck ein legaler und macht dieser die Bewaffnung notwendig, ist die Tathandlung nicht mehr unbefugt, während bei ungesetzlichen Zwecken das Tatbestandsmerkmal erfüllt ist. 68 Bereits nicht tatbestandsmäßig sind danach nicht nur das Zusammenstellen eines Ein-

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65

Fischer Rdn. 9; Schäfer MK Rdn. 34; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6. BTDrucks. 13/8587, S. 28. Fischer Rdn. 9; Schäfer MK Rdn. 29; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6. Fischer Rdn. 9; Schäfer MK Rdn. 30; aA Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lteben Rdn. 4. Schäfer MK Rdn. 35; Fischer Rdn. 12; Ostendorf NK Rdn. 16; Sch/Schröder/Lenckner/

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Sternberg-Lieben Rdn. 7, die allerdings davon ausgehen, dass beim Bilden der Natur der Sache entsprechend nur Absicht im Sinne von zielgerichtetem Handeln in Betracht kommt. BTDrucks. 1 3 / 9 0 6 4 , S. 9. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Lenckner GS Keller, S. 151, 162 f; Fischer Rdn. 11, vgl. auch Rudolphi/Stein SK Rdn. 7. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Lenckner GS Keller, S. 151, 163.

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§127

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

satzkommandos bewaffneter Polizeibeamter, sondern auch die Bildung einer mit Schlagstöcken ausgerüsteten Bürgerinitiative, die bei Nacht in einem besonders gefährlichen Viertel wacht und für mehr Sicherheit sorgt, sowie „Selbstverteidigungs-Einheiten" ethnischer, nationaler oder religiöser Minderheiten, wenn der staatliche Schutz in der konkreten Situation nicht gegenwärtig ist. 6 9 Dabei wird die Gesetzesfassung nach einhelliger Auffassung derart interpretiert, dass sich das Merkmal „unbefugt" nicht auf die Tathandlung, sondern auf die Gruppe bezieht, weshalb § 127 so zu lesen ist, dass das Bilden, Befehligen usw. einer unbefugt existierenden Gruppe unter Strafe gestellt ist und nicht das unbefugte Befehligen im Sinne der Überschreitung der eigenen Weisungskompetenzen. 7 0 31

Nach anderer Auffassung handelt es sich bei dem Merkmal „unbefugt" um das allgemeine Rechts Widrigkeitserfordernis. 71 Danach handelt der Täter unbefugt, wenn er ohne gesetzliche Erlaubnis eine Tatbestandsalternative verwirklicht, d.h. sein Handeln nicht durch die nach Bundes- oder Landesgesetz zuständigen Stellen gebilligt oder sonst aufgrund völkerrechtlicher Regeln gerechtfertigt ist. Für diese Einordnung spricht, dass der Gesetzgeber das Merkmal als Moment der Rechtswidrigkeit im Tatbestand entbehrlich angesehen, bei der Neufassung der Vorschrift durch das 6. Strafrechtsreformgesetz entgegen ursprünglichen Planungen beibehalten und nicht durch das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens ersetzt hat. 7 2 Das Bilden von bewaffneten Gruppen ist angesichts des ihnen wesenseigenen Gefährdungspotentials für den inneren Rechtsfrieden regelmäßig rechtlich unerlaubt. Dies gilt im Hinblick auf das Gewaltmonopol des Staates auch für sogenannte Selbstverteidigungsgruppen oder Bürgerwehren, deren vereinbarter Zweck die kollektive Ausübung von Nothilfe ist. 7 3 Nur unter den engen Voraussetzungen einer Nothilfesituation kommt ausnahmsweise eine Rechtfertigung in Betracht. 7 4

32

Letztlich dürften beide Auffassungen regelmäßig zu den gleichen Ergebnissen kommen. Ordnet man das Merkmal „unbefugt" dem Tatbestand zu, sind Irrtümer allerdings Tatbestandsirrtümer nach § 16, während bei der Qualifikation als Rechtswidrigkeitsmerkmal Irrtumsfragen sich nach den Regeln über den Erlaubnistatbestands- bzw. Verbotsirrtum richten.

VIE. Sonstige Rechtfertigungsgründe 33

Sonstige Rechtfertigungsgründe spielen praktisch keine Rolle.

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Vgl. Lenckner GS Keller, S. 151, 163 f. Fischer Rdn. 11; Rudolpbi/Stein SK Rdn. 7; Ostendorf NK Rdn. 17; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Schäfer MK Rdn. 38. Schäfer MK Rdn. 38; Ostendorf NK Rdn. 17; Lackner/Kühl Rdn. 5; Kindhäuser LPK Rdn. 6; krit. Rudolphi/Stein SK Rdn. 7, der von einem Missverständnis spricht.

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Vgl. Niederschriften II. Unterkommission, 2. Bd. S. 1978; Ostendorf NK Rdn. 17; Schäfer MK Rdn. 38; aA Fischer Rdn. 11. Rudolphi/Stein SK Rdn. 7; Ostendorf RuP 1982 139, 140; aA Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 3. Vgl. Rönnau/Hohn LK § 32 Rdn. 204 ff; Fischer Rdn. IIa; Rudolphi/Stein SK Rdn. 9; Ostendorf NK Rdn. 17.

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Bildung bewaffneter Gruppen

§ 127

IX. Täterschaft und Teilnahme Für die Täterschaft und Teilnahme gelten die Ausführungen zu § 129 entsprechend (vgl. § 129 Rdn. 158). Möglich sind zunächst eine Anstiftung und eine Beihilfe zum Bilden oder Befehligen einer Gruppe. 7 5 Das Unterstützen stellt sich als eine zur Täterschaft verselbstständigte Beihilfe dar. Anstiftung und Beihilfe zum Unterstützen haben ihrerseits Förderungscharakter und sind daher regelmäßig selbst als tatbestandlich verselbstständigtes Unterstützen zu werten. Weitergehende Teilnahme an dieser täterschaftlich verselbstständigten Verhaltensform ist nach allerdings umstrittener Auffassung ausgeschlossen. 7 6

34

X . Vollendung und Versuch Die Bildung ist vollendet mit dem Zustandekommen einer über Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge verfügenden Gruppe in der erforderlichen Besetzungsstärke. 7 7 Die Vollendung des Befehligens setzt voraus, dass der Befehligende eine Position innehat, in der die Befehle befolgt werden. 7 8 Das Anschließen ist vollendet, wenn der Täter in die Gruppe aufgenommen ist. Das Unterstützen erfordert, dass die Gruppe über den Nutzen verfügen kann, unabhängig davon, ob sie davon Gebrauch macht. 7 9 Der Versuch ist straflos.

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XI. Konkurrenzen Tateinheitlich zusammentreffen kann § 127 mit §§ 5 2 a , 5 3 WaffenG, § 2 2 a K W K G , da die Tatbestände sich nicht decken, sondern überschneiden. 8 0 Idealkonkurrenz ist auch möglich mit § 129 und § 129a, wenn die Gruppe die Voraussetzungen einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung erfüllt. 81

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Werden mehrere Tatbestandsalternativen des § 127 verwirklicht, gelten die Grundsätze des § 129 (vgl. § 129 Rdn. 189 ff).

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Hinsichtlich der von der Gruppe begangenen Straftaten ist in der Regel Tatmehrheit zu § 127 anzunehmen. 8 2

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Schäfer MK Rdn. 41. Schäfer MK Rdn. 41; aA Sek/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lteben Rdn. 10. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Schäfer MK Rdn. 42; Fischer Rdn. 13. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Schäfer MK Rdn. 42; Fischer Rdn. 13. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Schäfer MK Rdn. 42; Fischer Rdn. 13.

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Fischer Rdn. 15; Schäfer MK Rdn. 44; Sch/Scbröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11. Fischer Rdn. 15; Schäfer MK Rdn. 44; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11. Fischer Rdn. 10; etwas anderes gilt nur, soweit § 127 als Dauerdelikt verwirklicht wird, vgl. Ostendorf NK Rdn. 20.

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§129

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

ΧΠ. Rechtsfolgen 40

Das Gesetz sieht für alle Tathandlungen eine einheitliche Strafe - Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe - vor.

41

Nach zutreffender Auffassung kommt bei geringer Schuld des Täters und einer Mitwirkung von nur untergeordneter Bedeutung sowie in Fällen tätiger Reue eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe in analoger Anwendung von § 129 Abs. 5 und 6 in Betracht. 8 3 Die entsprechende Anwendung des § 125 Abs. 5 und 6 ist aufgrund der weitgehend übereinstimmenden Angriffsrichtung beider Delikte gerechtfertigt. 84 Außerdem würden im Falle der Nichtanwendung Wertungswidersprüche insbesondere dann auftreten, wenn eine Gruppe gleichzeitig eine kriminelle Vereinigung ist und der Täter aufgrund der Mitläuferklausel oder wegen tätiger Reue zwar nicht nach § 129, aber nach § 127 bestraft würde. 8 5

ΧΙΠ. Prozessuales 42

Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre, § 78 Abs. 3 Nr 4.

§ 128 Aufgehoben durch Art. 2 Nr. 8 des 8. StÄG vom 25. Juni 1968 (BGBl. I 741).

§129

Bildung krimineller Vereinigungen (1) Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt oder sie unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Absatz 1 ist nicht anzuwenden, 1. wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat, 2. wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist oder 3. soweit die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung Straftaten nach den § § 8 4 bis 87 betreffen. (3) Der Versuch, eine in Absatz 1 bezeichnete Vereinigung zu gründen, ist strafbar.

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Schäfer MK Rdn. 47; Fischer Rdn. 14; Rudolphi/Stein SK Rdn. 10. Vgl. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 12.

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Schäfer MK Rdn. 47; Rudolphi/Stein SK Rdn. 10.

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Bildung krimineller Vereinigungen

§ 129

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern oder liegt sonst ein besonders schwerer Fall vor, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen; auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Zweck oder die Tätigkeit der kriminellen Vereinigung darauf gerichtet ist, in § 100c Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a, c, d, e und g mit Ausnahme von Straftaten nach § 2 3 9 a oder § 2 3 9 b , Buchstabe h bis m, Nr. 2 bis 5 und 7 der Strafprozessordnung genannte Straftaten zu begehen. (5) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, von einer Bestrafung nach den Absätzen 1 und 3 absehen. (6) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 4 9 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter 1. sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Vereinigung oder die Begehung einer ihren Zielen entsprechenden Straftat zu verhindern, oder 2 . freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, dass Straftaten, deren Planung er kennt, noch verhindert werden können; erreicht der Täter sein Ziel, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern, oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird er nicht bestraft.

Schrifttum Altvater Das 34. Strafrechtsänderungsgesetz - § 129b StGB, NStZ 2003 179; Bader Der Straftatbestand der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Lichte aktueller Rechtsprechung des BGH, NStZ 2007 618; Beck Unrechtsbegründung und Vorfeldkriminalisierung, Berliner Strafrechtl. Abhandlungen N. F. Bd. 76; Bernasconi Geldwäscherei, Schriftenreihe des Schweiz. Anwaltsvereins Bd. 8 S. 7; Bernsmann Kronzeugenregelung des geltenden Rechts J Z 1988 539; Burckhardt Gewalt von rechts - Herausforderung für die Justiz, DRiZ 1994 194; Cobler Plädoyer für die Streichung der §§ 129, 129a StGB, KritJ 1984 407; Eisenberg Straf(Verfahrens-) rechtliche Maßnahmen gegenüber „Organisiertem Verbrechen", NJW 1993 1033; Erb Die Reichweite des Strafklageverbrauchs bei Dauerdelikten und bei fortgesetzten Taten, GA 1994 265; Fezer §§ 129, 129a StGB und der strafprozessuale Tatbegriff, in: Rechtsdogmatik und Rechtspolitik (1990) S. 129; Federle Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act der USA (RICO) - Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse? ZStW 110 (1998) 767; Felske Kriminelle und terroristische Vereinigungen - §§ 129, 129a StGB (2002); Fleischer Verhältnis von Dauerdelikt und Einzelstraftaten, NJW 1979 1337; ders. Die materiellrechtliche Bewältigung von Serienstraftaten, NJW 1979 248; Franzheim Organisiertes Verbrechen auf dem Wirtschaftssektor, Kriminalistik 1987 237; Frister Getrennte Aburteilung von Teilen derselben prozessualen Tat, StV 1994 453; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, Diss. Göttingen 1989; Giehring Politische Meinungsäußerung und die Tatmodalitäten des Werbens und der Unterstützung in den §§ 129, 129a StGB, StV 1983 296; Gillmeister Zur normativ-faktischen Bestimmung der strafprozessualen Tat, NStZ 1989 1; Gössel Strafbarkeit gewaltpropagierender Prozeßerklärungen, UrtAnm. zu BGHSt 31 16, JR 1983 118; ders. Zum Begriff derselben Tat i.S. des Art. 103 Abs. 3 GG, UrtAnm. zu BVerfGE 56 22, JR 1982 111; ders. Vorschläge zur Verfahrensbeschleunigung - Abtrennung selbständiger Tatteile, Gutachten zum 60. DJT 1994 C 54; Gräßle-Münscher Der Tatbestand der kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) aus historischer und systematischer Sicht, Diss. München 1982; Grünwald Der Verbrauch der Strafklage bei Verurteilungen nach den §§ 129, 129a StGB, Festschrift Bockelmann (1979) S. 737; Haberstumpf Konkurrenzprobleme bei der Anwendung der §§ 129, 129a StGB, MDR 1979 977; Harms/Heine Ne bis in idem - Es führt kein Weg am EuGH vorbei. Die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 54 SDÜ, die Probleme der Praxis und die Vorlagepflicht der Strafgerichte, Festschrift Günter Hirsch (2008) S. 85 ff; Hassemer Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität (OrgKG), KritJ 1992 64; von Heintschel-Heinegg Gemeinschaftskonforme Auslegung des Vereinigungsbegriffs in den §§ 129 ff StGB,

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§ 129

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Festschrift Schroeder (2006) S. 799; Herdegen Materiellrechtliches Verhältnis mitgliedschaftlichen Sichbeteiligens an den vereinigungszielorientierten Straftaten, MDR 1980 438; Hess Rauschgiftbekämpfung und desorganisiertes Verbrechen, KritJ 1992 315; Hetzer Bekämpfung der organisierten Kriminalität durch Unterbindung der Geldwäsche, wistra 1993 286; ders. Organisierte Kriminalität in Europa zwischen Theorie und Empirie, Kriminalistik 2007 251; Hobmann Zur eingeschränkten Anwendbarkeit des § 129 StGB auf Wirtschaftsdelikte, wistra 1992 85; Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung, ZStW 97 (1985) 751; Kinzig Die rechtliche Bewertung von Erscheinungsformen organisierter Kriminalität (2004); Kniesel Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten, ZRP 1992 164; Krauth Zum Umfang der Rechtskraftwirkung bei Verurteilung von Mitgliedern krimineller und terroristischer Vereinigungen, Festschrift Kleinknecht (1985) S. 215; Krehl § 129 StGB als Auffangtatbestand bei der Strafverfolgung der sogenannten Regierungskriminalität der früheren DDR? DtZ 1992 113; Kress Das Strafrecht in der Europäischen Union vor der Herausforderung durch organisierte Kriminalität und Terrorismus, JA 2005 220; Kröpil Die Bedeutung des Tatbegriffs für den Strafklageverbrauch, DRiZ 1986 448; Kunig Vereinsverbot, Parteiverbot, Jura 1995 384; Lampe Systemunrecht und Unrechtssystem, ZStW 106 (1994) 683; Langer-Stein Legitimation und Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen, Diss. Trier 1987; Lemke Probleme der strafprozessualen Vorab- und Ergänzungsklage, ZRP 1980 141; Mitsch Dauerdelikt und Strafklageverbrauch, MDR 1988 1005; Möhrenschlager Das OrgKG - eine Übersicht nach amtlichen Materialien, wistra 1992 281 u. 326; Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland (2007); Neuhaus Der strafprozessuale Tatbegriff und seine Identität, MDR 1989 213; Niewald/Kasecker Aktuelle Erscheinungsformen und strategische Aspekte der OK-Bekämpfung, Kriminialistik 2008 4; Ostendorf Verteidigung am Scheideweg J Z 1979 252; ders. Entwicklungen in der Rechtsprechung zur „Bildung krimineller bzw. terroristischer Vereinigungen" §§ 129, 129a StGB, JA 1980 499; ders. Strafbarkeit und Strafwürdigkeit von Hausbesetzungen, JuS 1981 640; ders. Organisierte Kriminalität - eine Herausforderung für die Justiz, J Z 1991 62; ders. Das Recht zum Hungerstreik GA 1984 308; Otto Tatbegriff, GA 1983 475; Paeffgen § 129a StGB und der prozessuale Tatbegriff, NStZ 2002 281; Ranft Der Tatbegriff des Strafprozessrechts, JuS 2003 417; Rebmann Zum Begriff der prozessualen Tat bei Straftaten nach §§ 129, 129a StGB, NStZ 1981 44; ders. Inhalt und Grenzen des Straftatbestands „Werben für eine terroristische Vereinigung" nach § 129a StGB, NStZ 1981 457; ders. Strafverfolgung im Bereich terroristischer Publikationen, NStZ 1989 97; ders. Beschlagnahme von terroristischen „Bekennerschreiben" bei Presseunternehmen, Festschrift Pfeiffer (1988) S. 225; Rebscher/Vahlenkamp Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland (1988); Reimers Erscheinungsformen und Ursachen organisierter Kriminalität in Italien, den USA und der Bundesrepublik (1989); Rissing-van Saan Die Behandlung rechtlicher Handlungseinheiten in der Rechtsprechung nach Aufgabe der fortgesetzten Handlung (unter besonderer Berücksichtigung des Staatsschutz-Strafrechts), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festschrift aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof (2000) S. 475; Rudolphi Verteidigerhandeln als Unterstützung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung i.S. der §§ 129, 129a StGB, Festschrift Bruns (1978) S. 315; ders. Notwendigkeit und Grenzen einer Vorverlagerung des Strafschutzes im Kampf gegen den Terrorismus, ZRP 1979 214; ders. Spezialprobleme des BT Zum Begriff des Werbens {§ 129a StGB), Jura 1980 258; Schaefer Polizeiarbeit auf schwankendem Grund, Kriminalistik 1987 230; ScheiffWann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? (1997); Schild Der strafrechtsdogmatische Begriff der Bande, GA 1982 55; ders. Die Bande des § 30 BtMG als Organisation, NStZ 1983 69; Schlüchter Von der Unabhängigkeitsthese zu materiellrechtlich begrenzter Tatidentität beim Dauerdelikt, J Z 1991 1057; Schneider Das organisierte Verbrechen, Jura 1984 169; Schroeder Die Straftaten gegen das Strafrecht (1985); Schünemann Parteispendenproblematik, Konfliktforschung Bd. 11 (1986) S. 35; Schultz Die kriminelle Vereinigung, SchweizZStr. 106 (1989) 15; Sieber/Bögel Logistik der organisierten Kriminalität, BKA-Forschungsreihe Bd. 28 (1993); Sommer Verselbständigte Beihilfehandlungen und Straflosigkeit des Gehilfen, J R 1981 490; Stein Kriminelle und terroristische Vereinigungen mit Auslandsbezug seit der Einführung von § 129b StGB, GA 2005 433; Walischewski Die kriminelle Vereinigung, Wunderwaffe der Strafverfolgung, StV 2000 583; Werle Die Konkurrenz bei Dauerdelikt, Fortsetzungstat und zeitlich gestreckten Gesetzesverletzungen, Strafrechtl. Abhandlungen N. F. Bd. 42 (1981); ders. Die Beteiligung an kriminellen Vereinigungen und das Problem der Klammerwirkung, JR 1979 93;

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Bildung krimineller Vereinigungen

§ 129

ders. Konkurrenz und Strafklageverbrauch bei der mitgliedschaftlichen Beteiligung an kriminellen oder terroristischen Vereinigungen, N J W 1 9 8 0 2 6 7 1 ; Wertbebach/Droste-Lehen Organisierte Kriminalität, Z R P 1 9 9 4 5 7 ; Willms Z u r strafrechtlichen Absicherung von Organisationsverboten, Festschrift Lackner ( 1 9 8 7 ) S. 4 7 1 ; Woher Tatidentität und Tatumgestaltung im Strafprozeß, GA 1 9 8 6 143. Vgl. ferner die Schrifttumsnachweise bei § 1 2 9 a und § 1 2 9 b .

Entstehungsgeschichte1 Anknüpfend an das Preußische „Edikt wegen Verhütung und Bestrafung geheimer Verbindungen" vom 20. Oktober 1798 stellte das StGB ursprünglich geheime Verbindungen, Verbindungen mit Gehorsamspflicht und Verbindungen zur Verhinderung der Vollziehung von Verwaltungsmaßnahmen und Gesetzen unter Strafe (§§ 128, 129). 2 Die heutige Fassung beruht im Wesentlichen auf Art. 2 Nr. 4 des 1. StrÄndG vom 30. August 1951 (BGBl. I S. 739), das die Organisationsdelikte und das Staatschutzstrafrecht neu regelte. 3 Der Vereinigungszweck in § 129 wurde ganz allgemein auf die Begehung von Straftaten festgelegt, während der neu geschaffene § 90a, ein Vorgänger der §§ 84, 85 StGB, Gründer, Rädelsführer und Hintermänner einer Vereinigung erfasste, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richteten. Gleichwohl blieb der Anwendungsbereich des § 129 nicht auf schlicht kriminelle (unpolitische) Organisationen beschränkt, sondern lag ein Schwerpunkt weiterhin bei der Bekämpfung von Aktivitäten von Organisationen mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung.4 Mit dem VereinsG vom 5. August 1964 (BGBl. I S. 593) wurde die Tathandlung des Werbens für eine kriminelle Vereinigung in den Tatbestand aufgenommen und die Versuchsstrafbarkeit eingefügt. 5 Ferner wurde als Reaktion auf die Entscheidung BVerfGE 17 155, 163 ff, 6 wonach Art. 21 GG gebiete, § 129 dahin auszulegen, dass politische Parteien keine Vereinigungen im Sinne dieser Vorschrift seien, das Parteienprivileg in Absatz 2 geregelt. 7 Art. 2 Nr. 9 des 8. StrÄndG vom 25. Juni 1968 (BGBl. I S. 741, 752) hat den Absatz 2 Nr. 3 an die Neufassung der § § 84 ff angepasst und die Absätze 5 und 6 neu gefasst. 8 Durch das 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) wurden der Strafrahmen des Absatzes 4 neu geregelt und die Absätze 5 und 6 an § 15 (jetzt § 4 9 Abs. 2) StGB angeglichen. Art. 19 Nr. 49 des EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469, 481) hat die Absätze 1, 2 Nr. 3 und Absatz 6 sprachlich und gesetzestechnisch an den neuen Allgemeinen Teil des StGB angepasst; die in Absatz 4 Satz 2 geregelte Möglichkeit der Zulassung von Polizeiaufsicht für Rädelsführer und Hintermänner wurde im Hinblick

1

2

Vgl. Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 1 2 9 , 1 2 9 a StGB, S. 16 ff, 2 5 ff; Felske Kriminelle und terroristische Vereinigungen, S. 11 ff; Gräßle-Münscher Der Tatbestand der kriminellen Vereinigung (§ 1 2 9 StGB) aus historischer und systematischer Sicht, S. 3 ff; Hobmann wistra 1 9 9 2 8 5 ; Schnarr M D R 1 9 8 8 89, 9 2 . Ausführlich Felske Kriminelle und terroristische Vereinigungen, S. 4 3 1 ff; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 1 2 9 a StGB, S. 16 ff; Kinzig Erscheinungsformen organisierter Kriminalität, S. 1 6 4 ff.

3

4 5

6

7 8

Vgl. Fürst Grundlagen und Grenzen der Η 129, 1 2 9 a StGB, S. 2 5 ff; Felske Kriminelle und terroristische Vereinigungen, S. 2 7 6 ff. Vgl. Schnarr M D R 1 9 8 8 89, 9 3 . Gesetzesmaterialien: BTDrucks. I V / 4 3 0 ; I V / 2 1 4 5 ; Prot. I V / 2 0 3 ff; BTVerh. I V / 1 5 2 5 u. 6236. Vgl. hierzu die Vorlage des B G H N J W 1 9 6 1 1315. Vgl. B G H N J W 1 9 7 4 5 6 5 . Vgl. hierzu Bericht BTDrucks. V / 2 8 6 0 , S. 2 7 und Prot. V / 2 6 0 5 .

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

auf Art. 14 EGStGB gestrichen und in Absatz 5 die Strafmilderung nach Ermessen beseitigt. Gem. Art. 12 EGStGB trat neben die bis dahin allein angedrohte Freiheitsstrafe wahlweise die Geldstrafe. Der Qualifikationstatbestand des § 129a ist durch das so genannte Antiterrorismusgesetz vom 18. August 1976 (BGBl. I S. 2181) in das StGB eingefügt worden. 9 Das OrgKG vom 15. Juli 1992 (BGBl. I S. 1302) hat § 30b BtMG eingefügt, wonach auch im Ausland bestehende Vereinigungen unter § 129 fallen, wenn ihre Zwecke oder ihre Tätigkeit auf den unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln gerichtet sind. 10 In allen anderen Fällen verlangte die h.M. für den Tatbestand des § 129 weiterhin, dass die Vereinigung zumindest in Form einer Teilorganisation im Bundesgebiet besteht. 11 Tragende Grundlage hierfür war die Erwägung, dass es sich bei § 129 um eine strafrechtliche Sanktionierung des in Art. 9 Abs. 2 GG normierten Verbotes krimineller Vereinigungen handele, der sich nur auf Inlandsvereinigungen beziehe. Mit dem 34. StrÄndG vom 22. August 2 0 0 2 (BGBl. I S. 3390) hat der Gesetzgeber durch Einfügung des § 129b den Anwendungsbereich des § 129 auf ausländische kriminelle Vereinigungen erweitert, wobei allerdings für Vereinigungen im Nicht-EU-Ausland einschränkende Voraussetzungen gelten. 12 Außerdem beschränkte das 34. StrÄndG die Tatmodalität des Werbens auf das Werben um Mitglieder oder Unterstützer und schied damit die sog. Sympathiewerbung aus. Das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2 0 0 2 zur Terrorismusbekämpfung und zur Änderung anderer Gesetze vom 22. Dezember 2 0 0 3 (BGBl. I S. 2836) hat den Qualifikationstatbestand des § 129a geändert, ließ § 129 aber unberührt. Durch Art. 5 des Gesetzes zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2 0 0 4 vom 24. Juni 2 0 0 5 (BGBl. I 1841) wurde in Absatz 4 ein 2. Halbsatz neu eingefügt. 13 Die durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3186) in Fällen der Organisierten Kriminalität auf § 129 erweiterte sog. Große Kronzeugenregelung (vgl. § 129a Entstehungsgeschichte) ist mit Ablauf des 31. Dezember 1999 außer Kraft getreten. Am 25. Mai 2 0 0 7 hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf für eine neue Kronzeugenregelung vorgelegt, die nicht auf bestimmte Deliktsbereiche beschränkt ist. Sie soll als § 46b in das Strafgesetzbuch eingefügt werden. 14

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Siehe § 129a Entstehungsgeschichte. EOrgKG, BTDrucks. 12/989, S. 31; Bericht BTDrucks. 1 2 / 2 7 2 0 , S. 40; vgl. auch Hess KritJ 1992 315, 320 f; Hassemer KritJ 1992 64. BVerfG NJW 1964 539, 540; BGHSt 3 0 328 ff m. Anm. Rudolphi NStZ 1982 198; BGHSt 4 5 26, 35; BGH NJW 1966 310, 312. BTDrucks. 1 4 / 7 0 2 5 (GesE BReg); StenProt. 18698 (1. Beratung in der 192. Sitzung des BT am 11.10.2001); BTDrucks. 1 4 / 8 8 9 3 (Beschlussempfehlung und Bericht des

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BTRAussch.); StenProt. 2 3 3 3 0 (2. und 3. Beratung in der 2 3 4 . Sitzung des BT am 2 6 . 4 . 2 0 0 2 ) ; BRDrucks. 3 7 9 / 0 2 (Gesetzesbeschl.); StenProt. 2 9 9 (Beratung im Bundesrat in der 776. Sitzung am 31.5.2002); BRDrucks. 3 7 9 / 0 2 (Anrufung des Vermittlungsausschusses); BTDrucks. 5 2 8 / 0 2 (Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses, Einspruch des Bundesrats, Zurückweisung des Einspruchs). BTDrucks. 1 5 / 5 6 2 1 , 1 5 / 5 7 3 7 . BRDrucks. 3 5 3 / 0 7 ; BTDrucks. 16/6268.

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S 129

Übersicht Rdn. A. Überblick I. Rechtsgut Π. Deliktsnatur ΙΠ. Erfassungsbereich 1. Politisch-kriminelle Organisationen 2. Sonstige Organisationen 3. Organisierte Kriminalität IV. EU-Recht und kriminelle Vereinigungen V. Kriminalpolitische Bedeutung . . . . B. Objektiver Tatbestand I. Vereinigung 1. Definition a) Festgefügte Organisation . . . . aa) Voraussetzungen bb) Einbindung in Gesamtorganisation cc) Inhaftierung von Mitgliedern dd) Indizien b) Verbindlicher Gemeinschaftswille c) Mindestpersonenzahl d) Dauer e) Organisatorischer Inlandsbezug 2. Abgrenzung zu anderen Formen des Zusammenwirkens 3. Europarechtskonforme Auslegung des Vereinigungsbegriffs Π. Vereinigungszweck 1. Straftaten a) Straftaten beim Zusammenschluss der Vereinigung b) Mehrere Straftaten c) Erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit d) Begehung eigener Straftaten . . e) Straftaten im Ausland 2. Ausrichtung auf Straftatbegehung . a) Zweck der Straftatbegehung . . b) Tätigkeit der Vereinigung . . . . ΠΙ. Tatbestandliche Ausnahmen (Abs. 2) . 1. Politische Parteien 2. Untergeordnete Bedeutung 3. Straftaten nach §§ 84 bis 87 . . . . IV. Beispiele aus der Rechtsprechung . . . 1. Extremistische Vereinigungen . . . 2. PKK 3. Hausbesetzerfälle 4. Rauschgifthändlerringe 5. Organisiertes Glücksspiel 6. Illegale Arbeitnehmerüberlassung/ Steuerhinterziehung/Schmuggel . . 7. Organisierter Diebstahl 8. Parteispendenwaschanlagen . . . . V. Tathandlungen 1. Gründen 2. Beteiligen als Mitglied a) Eingliederung in die Organisation b) Willensübereinstimmung mit Vereinigung c) Auf Dauer ausgerichtete Teilnahme am Verbandsleben . . .

Rdn.

1 1 4 7 7 8 9 11 15 17 18 18 19 19

d) e) f) g)

23 24 25 27 34 35 36 40

C. D. E.

44 50 51 F. 52 53 57 63 66 70 71 77 78 79 83 87 89 89 91 92 93 94 95 97 98 99 100 104 104 105

G.

H.

I.

J.

Förderung von innen Dauermoment Prozesserklärungen Mitgliedschaft trotz H a f t / Hungerstreik 3. Werben um Mitglieder oder Unterstützer a) Begriff b) Existenz der Vereinigung . . . . c) Tätigkeit eines Nicht-Mitglieds . d) Form und Adressat e) Werbende Zielrichtung f) Verbreitung und Wiedergabe fremder Meinungsäußerungen g) Konkreter Organisationsbezug . h) Erfolg der Werbung 4. Unterstützen a) Begriff b) Werben kein Unterstützen . . . c) Psychische Unterstützung . . . . d) Beispiele e) Verteidigerhandeln Subjektiver Tatbestand Rechtswidrigkeit Täterschaft und Teilnahme I. Anwendbarkeit der § § 2 6 , 2 7 StGB . . Π. Teilnahme bei den einzelnen Tatvarianten Versuch und Vollendung I. Vollendung Π. Versuch ΙΠ. Rücktritt vom Versuch Rechtsfolgen I. Strafrahmen Π. Besonders schwere Fälle nach Absatz 4 1. Rädelsführer 2. Hintermann 3. Besonders schwere Straftaten . . . 4. Sonstiger besonders schwerer Fall . ΙΠ. Absehen von Strafe nach Abssatz 5 . . IV. Tätige Reue 1. Allgemeines 2. Absatz 6 Halbsatz 1 Nr. 1 3. Absatz 6 Halbsatz 1 Nr. 2 4. Absatz 6 Halbsatz 2 5. Einstellung des Verfahrens Konkurrenzen I. Konkurrenzfragen innerhalb des § 129 H. Verhältnis zu anderen Straftaten . . . ΙΠ. Konkurrenzen im Übrigen Strafklageverbrauch I. Bestimmung der strafprozessualen Tat Π. Art. 54 SDÜ Prozessuales I. Verjährung Π. Zuständigkeiten ΙΠ. Ermittlungsmaßnahmen IV. Kronzeugenregelung V. Sonstige Regelungen

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200 206 207 207 208 210 211 212

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A. Überblick I. Rechtsgut 1

Geschütztes Rechtsgut ist die innere öffentliche Sicherheit und die staatliche Ordnung 1 5 einschließlich des öffentlichen Friedens, der von der Rechtsprechung als Teilaspekt der öffentlichen Sicherheit angesehen wird. 1 6 M i t der Strafvorschrift soll den erhöhten Gefahren begegnet werden, die im Falle der Planung und Begehung von Straftaten von fest gefügten Organisationen aufgrund der ihr innewohnenden Eigendynamik für die öffentliche Sicherheit ausgehen können. 1 7 Die typische Eigendynamik hat ihre spezifische Gefährlichkeit darin, dass sie geeignet ist, dem einzelnen Beteiligten die Begehung von Straftaten zu erleichtern und bei ihm das Gefühl persönlicher Verantwortung zurückzudrängen. 1 8 Letztlich soll also der Begehung von Straftaten bereits im Vorbereitungsstadium entgegengewirkt werden. 1 9

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Unter Hinweis auf diese Vorverlagerung des Rechtsgüterschutzes in das Vorbereitungsstadium und eine gewisse Verwandtschaft mit § 3 0 beschränkt ein Teil der Literatur die Schutzbelange des 5 129 auf die Rechtsgüter des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs, die auch durch den Versuch und die Vollendung jener sonstigen Straftaten beeinträchtigt würden und verneint ein darüber hinausgehendes eigenes spezifisches Rechtsgut (sog. Vorverlagerungstheorie). 2 0 Dies greift zu kurz. Der Schutzzweck des § 129 beschränkt sich gerade nicht auf eine Vorverlegung des Strafschutzes in das Vorbereitungsstadium. 2 1 Vielmehr gewinnt die bloße Existenz krimineller Vereinigungen aufgrund ihrer inneren Struktur, spezifischen Organisation und Zielsetzung - sei es im Bereich politisch/ideologisch-extremistischer Organisationen oder auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität - wegen der von ihnen ausgehenden massiven Bedrohung der Allgemeinheit unter dem Aspekt der öffentlichen Sicherheit eine ganz andere kriminelle Qualität

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Vgl. BGHSt 30 328, 331; 31 202, 207; 41 47, 51, 53; BGH NJW 1966 310, 312; StV 1992 14, 15; NStZ 2 0 0 5 377, 378; OLG Düsseldorf NJW 1994 398, 399; NStZ 1998 249; BayObLG StV 1998 265, 266; Miebach/Schäfer MK Rdn. 1; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 1; Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl Rdn. 1; Kindhäuser LPK Rdn. 1; Federle ZStW 119 (1998) 767, 793; Gössel JR 1983, 118; Hofmann NStZ 1998 249, 2 5 0 ; Griesbaum FS Nehm, S. 123, 129; vgl. auch Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 119 ff; Prot. 7/2443, 2444, 2445. BGHSt 41 47, 53; BayObLG StV 1998 265, 266; OLG Düsseldorf NStZ 1998 249; NJW 1994 398, 399; aA Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 1, wonach die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom öffentlichen Frieden mit umfasst ist. BGHSt 31 202, 2 0 7 ; 41 47, 51. BGHSt 28 147,148; BGH NJW 1992 1518,

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 3; Rudolphi FS Bruns, S. 315, 317. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 I Rdn. 3 bezeichnen als Rechtsgut deshalb „die Verhinderung von Straftaten". Rudolphi/Stein SK Rdn. 3; Ο Stendorf NK Rdn. 5; Bottke JR 1985 122, 123; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 55, 68 f; Giehring StV 1983 296, 303; Hefendehl StV 2 0 0 5 156, 160; Hohmann wistra 1992 85, 86; Ostendorf J Z 1979 252, 253; JA 1980 499, 500; Rudolphi FS Bruns, S. 315, 317 f; ZRP 1979 214, 216; Langer-Stein Legitimation und Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen, S. 150 ff; Schroeder Die Straftaten gegen das Strafrecht, S. 9, 11, 28; Scheiff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 2 5 ff. Zur Vorverlegung des Strafschutzes vgl. BGHSt 28 110, 116; 41 47, 51.

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§ 129

als deliktische Einzelaktionen. 2 2 Die abstrakt gefährlichen Verhaltensweisen, die der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung oder der Unterstützung einer solchen zugrunde liegen, haben eine gemeinschaftsbezogene Dimension, die über den Schutz individueller Rechtsgüter hinausgeht. Gerade die spezifisch vereinigungsbezogene Gefährlichkeit macht die Akzentverlagerung auf den Schutz der Allgemeinheit sichtbar.^3 Die öffentliche Sicherheit ist auch dann gefährdet, wenn die kriminelle Organisation geheim gegründet wurde und durch sie noch keine Straftaten verwirklicht wurden. 2 4 Mit der Ausdehnung der Strafbarkeit auf ausländische kriminelle Vereinigungen durch Einfügung des § 129b haben sich auch die Grenzen des Rechtsgutes verschoben. Der Schutzbereich erfasst nunmehr auch die öffentliche Sicherheit und staatliche Ordnung außerhalb der Bundesrepublik Deutschland (siehe unten § 129b Rdn. 1 f). M i t der Erstreckung des Anwendungsbereichs des § 129 auf ausländische Vereinigungen, die in Deutschland nicht zumindest mit einer Teilorganisation verankert sind, hat der Gesetzgeber eine aus kriminalpolitischer Sicht schließungsbedürftige Lücke in der Erfassung von solchen international operierenden Vereinigungen geschlossen, deren Zwecke oder deren Tätigkeiten auf bestimmte für die organisierte internationale Kriminalität typische Delikte gerichtet sind, die erfahrungsgemäß auch deutsche öffentliche Schutzbelange berühren (können). Damit ist dem Anliegen der Vorauflage Rechnung getragen. 2 5

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Π. Deliktsnatur § 129 ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. 26 Die besondere Gefährlichkeit krimineller Vereinigungen liegt in der von den einzelnen Mitgliedern nicht mehr voll steuerbaren Eigendynamik der Organisation. 2 7 Die bei den Mitgliedern ablaufenden gruppendynamischen Prozesse bauen individuelle Hemmschwellen ab, mindern das Verantwortungsbewusstsein der einzelnen Mitglieder und schaffen Anreize zum Weitermachen. Außerdem erhöht die auf Begehung von Straftaten ausgerichtete organisatorische Struktur die Schlagkraft der Vereinigung, erleichtert dem Einzelnen die Begehung von Straftaten und steigert damit das Verbrechenspotential.

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Sämtliche vier Tatbestandsalternativen des § 129 (Gründung, Beteiligung als Mitglied, Werbung um Mitglieder und Unterstützer sowie Unterstützung) stellen ein Organisationsdelikt dar. 28 Materiellrechtliche Voraussetzung der Strafbarkeit nach $ 129 ist

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Miebach/Schäfer MK Rdn. 1; Fischer Rdn. 3; Lackner/Kühl Rdn. 1. Vgl. BGHSt 31 202, 207; 33 16, 17; BGH bei Schmidt MDR 1993 505; Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 11; Gössel JR 1983 118, 119; s.a. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 I Rdn. 3. Gössel JR 1983 118, 119; aA Rudolph ι FS Bruns, S. 315, 318. Vgl. v. BubnoffLKn Vor § 129 Rdn. 6 f. Vgl. BGH bei Schmidt MDR 1993 505; Miebach/Schäfer MK Rdn. 4; Rudolphi/Stein SK Rdn. 3; Ostendorf Rdn. 5; Fischer Rdn. 3; Gössel JR 1983 118, 119; abw. aus der Sicht der Vorverlagerungstheorie Langer-

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Stein Legitimation und Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen, S. 196 ff, 211, 243: Konkretes Gefährdungsdelikt; Schroeder Die Straftaten gegen das Strafrecht, S. 21, der die Zuordnung zu den Gefährdungsdelikten überhaupt verneint. BGHSt 28 147, 148; 41 47, 51; BGH NJW 1992 1518; Rudolphi FS Bruns, S. 315, 320; ders. NStZ 1982 198, 199; JR 1979 32, 35 u. 1984 32, 33; Schild GA 1982 55, 79; Schroeder Straftaten gegen das Strafrecht, S. 6. Vgl. BVerfG NJW 1964 539, 540; BGHSt 29 288, 291; 33 16, 17; 36 192, 198; 46 349, 357; BGH NStZ 2004 385; vgl. auch Fleischer NJW 1979 1337 f; Werte JR 1979 93, 95.

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deshalb ein konkreter Organisationsbezug der Tathandlung. Erfasst werden nur solche Handlungen, die in einem Zusammenhang mit der Vereinigung als Organisation stehen. 2 9 Im Unterschied zu den §§ 8 4 - 8 6 sowie zu § 2 0 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 - 4 VereinsG setzt die Strafbarkeit nicht voraus, dass ein staatliches Verbot bereits ausgesprochen ist. 3 0 Die mitgliedschaftliche Beteiligung ist ein dem Dauerdelikt ähnliches Delikt, Im Gegensatz zum Dauerdelikt setzt § 129 eine ununterbrochene deliktische Tätigkeit oder einen in deliktischer Weise geschaffenen Zustand nicht voraus. 3 1

ΠΙ. Erfassungsbereich 7

1. Politisch-kriminelle Organisationen. Nach der Einführung des Qualifikationstatbestands des § 129a erfasst § 129 einmal solche politisch-kriminellen Organisationen, die entweder nicht auf Taten nach § 129a Abs. 1 oder 2 angelegt sind oder die zwar die Begehung von Katalogtaten nach § 129a Abs. 2 zum Ziel haben, bei denen aber die dort geforderte besondere objektive Schädigungseignung der Tat fehlt. Hierzu zählen etwa die Führungsebene der kurdischen Arbeiterpartei PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen, 3 2 linksradikale Gruppierungen mit dem Ziel gewaltsamer Veränderung 3 3 oder Vereinigungen, die Erpressungen und Raubüberfälle mit dem Ziel planen und begehen, die für den Zusammenhalt der Vereinigung und für die Verwirklichung politisch-extremistischer oder anarchistischer Pläne erforderlichen Geldmittel zu beschaffen. 3 4 Dazu zählen auch Mitglieder rechtsextremistischer Gruppierungen, beispielsweise Vereinigungen, die Plakatierungs- und Sprühaktionen mit ausländer- und fremdenfeindlichen Parolen ausführen, 3 5 oder eine Musikband, die CDs und Musikkassetten mit rechtsradikal-propagandistischem Inhalt herausgibt, um Hass und Emotionen zu schüren. 3 6

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2. Sonstige Organisationen. Eine Beschränkung der Vorschrift auf politische oder politisch-motivierte Vereinigungen mag zwar Anhaltspunkte in der Entstehungsgeschichte haben, findet im Gesetz aber keinerlei Stütze. 3 7 Auch aus der Deliktsnatur, der systematischen Stellung oder dem von § 129 geschützten Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit ergeben sich keine Argumente für eine entsprechende Einschränkung des Anwendungs-

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BGHSt 33 16, 17; BGH NStZ-RR 2005 73, 74; Rebmann NStZ 1981 457, 460; Rissingvan Saan FS 50 Jahre BGH, S. 475, 482. Ostendorf JA 1980 499, 500. Vgl. BGHSt 42 21 f zu § 99; Rissing-van Saan FS 50 Jahre BGH, S. 475, 482; Faeffgen JR 1999 89 zu § 99; z.T. wird § 129 auch als Dauerdelikt qualifiziert: vgl. BVerfGE 45 434, 435; BGHSt 15 262; 29 288, 291, 293 f; OLG Karlsruhe NJW 1977 2222, 2223; Fleischer NJW 1979 1337, 1338 f; krit. Fleischer NJW 1976 878. Vgl. BGHSt 49 268 ff. Vgl. BGHSt 27 325 (Planung von gewalttätigen Demonstrationen nach § 125); BGH NJW 1995 3395 (Autonome Antifa); BGH NJW 2008 86 („militante gruppe"); zur

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politischen Kriminalität „links" vgl. Zweiter periodischer Sicherheitsbericht der Bundesregierung vom 27.11.2006, BTDrucks. 16/3930, S. 162 ff. BGH 2 StR 103/76 vom 19.5.1976. BGHSt 41 47; OLG Düsseldorf NJW 1994 398; zur politischen Kriminalität „rechts" vgl. Zweiter periodischer Sicherheitsbericht der Bundesregierung vom 27.11.2006, BTDrucks. 16/3930, S. 137 ff; vgl. auch BTVerh. 12/227, S. 19607 ff, 19668 und Burckhardt DRiZ 1994 194. Vgl. BGH NStZ 2005 377. BGH NStZ 2005 377, 378; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Ostendorf NK Rdn. 8; aA Hohmann wistra 1992 85; Walischewski StV 2000 583, 585.

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bereichs. 38 § 129 erfasst vielmehr auch sonstige rein kriminelle Vereinigungen, deren Bestrebungen auf die Begehung von Straftaten gerichtet sind, die eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten und von einigem Gewicht sind. 39 Dies zeigt der 1992 eingefügte § 30b BtMG, der für den Bereich der Betäubungsmittelkriminalität eine Ausdehndung des Anwendungsbereichs des § 129 auf kriminelle Vereinigungen mit Sitz im Ausland vorsieht. Der Tatbestand kann deshalb bei Vorliegen der entsprechenden Tatbestandsmerkmale auch bei einer Vereinigung von Wirtschaftsstraftätern, 40 einem fest gefügten kriminellen Verband von Scheckbetrügern oder Hehlerbanden 41 sowie bei Zusammenschlüssen erfüllt sein, deren Hauptzweck und Tätigkeit in Raubüberfällen, Autodiebstählen oder auch provozierten Autounfällen mit versicherungsbetrügerischer Tendenz besteht. 42 3. Organisierte Kriminalität. § 129 unterfallen auch Tätergruppierungen aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität, soweit diese die organisatorischen, voluntativen und sonstigen Voraussetzungen des Tatbestands erfüllen. Zu nennen sind beispielsweise Rauschgifthändlerringe, 43 organisierte Diebesunternehmen und Hehlerringe, etwa im Bereich der Verschiebung hochwertiger Kraftfahrzeuge in das Ausland. Darunter fallen des Weiteren Organisationen, deren kriminelle Aktivitäten in den Bereichen Schutzgelderpressung, Menschenhandel, Geldfälschung, Geldwäsche, illegaler Waffenhandel, Schleusungen, unerlaubter Verschub von radioaktiven Stoffen, 4 4 illegale Arbeitnehmerüberlassung 45 oder organisiertes Glücksspiel liegen.

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Unter „Organisierter Kriminalität" ist eine von Gewinnstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten durch mehrere Beteiligte zu verstehen, die auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder unter dem Bemühen, auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft Einfluss zu nehmen, zusammenwirken. 46 Diese weite Definition, die versucht

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BGH NStZ 2 0 0 5 377, 378. BGHSt 31 2 0 2 , 2 0 7 ; 41 4 7 ; Fischer Rdn. 4; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 3 7 m.w.N.; Scbeiff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 9 ff. Vgl. BGHSt 31 2 0 2 , 2 0 7 ; 4 8 2 4 0 ; BGH NStZ 2 0 0 4 5 7 4 ; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 1. BGH NStZ 2 0 0 4 385; Prot. 7/2442. Vgl. Fleischer NJW 1976 878 ff; Fischer Rdn. 3; aA Hohmann wistra 1992 85, 87. BGH NStZ 1981 303. Vgl. Mattausch/Baumann NStZ 1994 4 6 2 . Vgl. BGHSt 31 2 0 2 , 2 0 6 . Gemeinsame Richtlinie der Justizminister/ -Senatoren und der Innenminister/senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von Staatanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität, abgedruckt in Meyer-Goßner, Anh 12 RiStBV Anl E; vgl. auch Kinzig Die rechtliche Bewältigung von Erscheinungsformen organisierter Kriminalität, S. 5 7 ff; Aden Die Auswahl der

normsetzenden Institutionen im Prozess der Globalisierung des Rechts: Organisierte Kriminalität und Klimawandel als Beispiele für Modethemen bei der internationalen Normsetzung, in: Nahamowitz, P. und R. Voigt (Hg.), Globalisierung des Rechts II, S. 281 ff; Bottke FS Gössel, S. 2 3 5 ff; Rothärmel Abhörmaßnahmen und Kronzeugenregelung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität im deutschen und italienischen Strafprozessrecht; Stegmann Organisierte Kriminalität: Feindstrafrechtliche Tendenzen in der Rechtsetzung zur Bekämpfung Organisierter Kriminalität; Graf Rasterfahndung und organisierte Kriminalität, S. 34 ff; Luczak, Organisierte Kriminalität im internationalen Kontext, S. 199 ff; Ambos Jura 2 0 0 3 674, 6 7 8 ; Hefendehl StV 2 0 0 5 156 ff; Soine, Kriminalistik 2 0 0 5 409, 410; Eisenberg N J W 1 9 9 3 1033; Schoreit MDR 1992 1013; krit. zur Definitionsfähigkeit und den als typisch gekennzeichneten Indikatoren Hassemer KritJ 1992 64, 65; Körner N J W 1993 2 3 3 ff; Meertens ZRP 1992 205.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

alle Phänomene der Organisierten Kriminalität zu erfassen, deckt sich nur teilweise mit dem Begriff der kriminellen Vereinigung nach § 129. Die bei § 129 auf „Vereine" und parteiähnliche Gruppen abstellende Rechtsprechung verlangt wesentliche höhere Anforderungen im Hinblick auf die besonderen organisationsspezifischen Voraussetzungen und den „verbandsmäßig Organisierten Gemeinschaftswillen". 4 7 Nicht zuletzt deshalb kommt § 129 bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität keine maßgebliche Rolle zu. 4 8 Die das Vereinigungsmerkmal des § 129 bestimmenden Kriterien werden der besonderen Gefährlichkeit anderer Organisationsgestaltungen mit OK-Bezug, insbesondere den überwiegend hierarchisch aufgebauten und organisierten Straftätergruppierungen nicht gerecht. 4 9 Dies lässt Prüfungsanregungen zumindest nicht als unberechtigt erscheinen, ob und wie die Konzeption des § 129 in rechtsstaatlicher Weise geändert und auf solche OK-Fälle erstreckt werden könnte. 5 0 Dies gilt umso mehr, als der herkömmliche Vereinigungsbegriff, weil zu eng gefasst, europarechtlichen Vorgaben nicht entspricht und das nationale Recht in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht auszulegen und fortzubilden ist (vgl. Rdn. 4 4 ff)

IV. E U - R e c h t u n d kriminelle Vereinigungen Die voranschreitende europäische Rechtsetzung auf dem Gebiet des Strafrechts 5 1 und die damit verbundenen europäischen Vorgaben zur Harmonisierung der nationalen Straftatbestände haben auch Auswirkungen auf § 129 gezeitigt. Der europäische Normgeber hat am 21. Dezember 1 9 9 8 die Gemeinsame Maßnahme betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union erlassen. 5 2 Ziel der Harmonisierungsmaßnahme, die die Empfehlung Nr. 17 des EU-Aktionsplanes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität vom 28. April 1997 umsetzt, 5 3 war angesichts der Schwere und Entwicklung bestimmter Formen der organisierten Kriminalität die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union insbesondere im Hinblick auf folgende Straftaten zu verstärken: Drogenhandel, Menschenhandel, Terrorismus, illegaler Handel mit Kunstgegenständen, Geldwäsche, schwere Wirtschaftskriminalität, Erpressung sowie sonstige Gewalttaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit der Person oder Gewalttaten, die zu einer Gemeingefahr für Personen führen.

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49

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BGHSt 31 239; BGH NJW 1992 1518. Fischer Rdn. 4; Kress JA 2005 220, 224 f; Schaefer Kriminalistik 1987 230, 234; Scheiff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 12 f; Kinzig Die rechtliche Bewältigung von Erscheinungsformen organisierter Kriminalität, S. 169, 266 f; vgl. auch Sieber/Bögel Logistik der organisierten Kriminalität, S. 358 f; Schneider Jura 1984 169, 181. Vgl. BGH NJW 1992 1518, 1519, s.a. v. Bubnoff LK» Vor § 129 Rdn. 4; v. HeintschelHeinegg FS Schroeder, S. 799, 802. Vgl. Sieber/Bögel Logistik der organisierten Kriminalität S. 359 f; Fischer Rdn. 4; Rebscher/Vahlenkamp Organisierte Kriminalität,

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S. 70; Schaefer Kriminalistik 1987 230, 235; v. Heintschell-Heinegg FS Schroeder S. 799, 802 ff; vgl. auch das Schlussdokument der Anti-Verbrechens-Konferenz der UNO (Neapel) vom 23.11.1994, das u.a. eine strafrechtliche Harmonisierung und gesetzgeberische Maßnahmen zur wirksamen Bekämpfung der organisierten Kriminalität anmahnt. Hierbei sollte auch die Vorschrift des § 129 in weitest möglichem Umfang nutzbar gemacht werden, BTDrucks. 12/989 S. 20 f. Vgl. Vogel GA 2003 314 ff. ABl. EG Nr. L 351/1 vom 29.12.1998, berichtigt durch ABl. L 57/36 vom 3.1.1999. ABl. EG 1997 Nr. C 251/4 und 11.

Matthias Krauß

§ 129

Bildung krimineller Vereinigungen

Die Gemeinsame Maßnahme definiert in Art. 1 den Begriff der kriminellen Vereinigung (vgl. unten Rdn. 45); nach Art. 2 verpflichten sich die Mitgliedstaaten, in Absatz 1 im Einzelnen bezeichnete Verhaltensweisen mit wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Strafen zu ahnden; Art. 3 enthält den Auftrag, juristische Personen für ihr unter Art. 2 fallendes Verhalten strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. 54 Art. 4 schreibt die Pönalisierung der in Art. 2 beschriebenen Tathandlungen vor, die sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ereignet haben und zwar unabhängig von dem Ort im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, an dem die Vereinigung ihre Operationsbasis hat oder ihre Straftaten ausübt - gemeint sind wohl die Bezugstaten. 55

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Bei der wenig klaren Beschreibung der zu pönalisierenden Verhaltensweisen in Art. 2 Abs. 1 eröffnet die Gemeinsame Maßnahme im Gegensatz zu den Vorgaben des Rahmensbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung (vgl. § 129a Entstehungsgeschichte) den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, entweder nach dem Organisationsmodell oder nach dem Verschwörungsmodell vorzugehen. 56 Während bei dem Verschwörungsmodell bereits die bloße Verabredung zweier Personen zur Deliktsbegehung unter Strafe gestellt wird, 5 7 fordert das Organisationsmodell die Beteiligung an einer organisierten Personenverbindung. 58

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In Umsetzung der Gemeinsamen Maßnahme vom 21. Dezember 1998 sowie des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2 0 0 2 zur Terrorismusbekämpfung hat der deutsche Gesetzgeber § 129b in das Strafgesetzbuch eingefügt. Die Frage, ob der Begriff der kriminellen Vereinigung im Sinne der deutschen Auslegung den europäischen Vorgaben anzupassen ist, hat der Gesetzgeber dabei nicht aufgeworfen (siehe unten Rdn. 44).

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V. Kriminalpolitische Bedeutung Die Strafverfolgungsstatistik weist für § 129 folgende Anwendungszahlen aus: 5 9

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1995 1996 1997 1998 1999 2 0 0 0 2 0 0 1 2 0 0 2 2 0 0 3 2 0 0 4 2 0 0 5 2 0 0 6 Abgeurteilte Verurteilte

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Die Polizeiliche Kriminalstatistik, die bekannt gewordene Straftaten nach Abschluss der Ermittlungen vor Aktenabgabe an Staatsanwaltschaft oder Gericht erfasst, weist § 129 StGB nicht gesondert aus. Die beim Generalbundesanwalt anhängigen Verfahren

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Vgl. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1. Vgl. Stein GA 2 0 0 5 433, 4 4 2 f. Vgl. hierzu Kress JA 2 0 0 5 2 2 0 , 221 f. Vgl. die conspiracy des englischen Strafrechts (Sec 1 Criminal Law Act 1971) oder Kapitel 2 3 § 2 Abs. 2 des schwedischen Brottsbalken. Vgl. Art. 416 des italienischen Codice penal. Tabelle 2.1 der vom Statistischen Bundesamt

in der Fachserie 10 (Rechtspflege) als Reihe 3 herausgegebenen Strafverfolgungsstatistik. Diese bezieht sich allerdings nur auf das alte Bundesgebiet einschließlich Berlin; vgl. auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BTDrucks. 14/5687, BTDrucks. 16/49, BTDrucks. 16/4007, BTDrucks. 16/5696 und BT-Drucks. 16/10045.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

nach § 129 (vgl. § 129a Rdn. 12) sind nicht repräsentativ, da sie nur kriminelle Vereinigungen mit Staatsschutzbezug erfassen. Die vorliegenden Zahlen belegen, dass § 129 jedenfalls nach Abschluss der Ermittlungen keine bedeutende Rolle spielt. Während des Ermittlungsverfahrens kommt die Vorschrift als Anknüpfungspunkt für die Begründung strafprozessualer Maßnahmen (z.B. Rasterfahndung, Einsatz verdeckter Ermittler, Telekommunikationsüberwachung) in Betracht. 60 Die wenigen Anklagen und die Differenz zwischen Abgeurteilten und Verurteilten spiegeln die Nachweisschwierigkeiten insbesondere hinsichtlich der Organisationsstruktur und des Gesamtwillenerfordernisses wider, die dazu führen, dass § 129 bei tateinheitlichem Vorliegen weiterer Straftaten häufig gemäß § 154a StPO ausgeschieden wird.61

B. Objektiver Tatbestand 17

Den objektiven Tatbestand verwirklicht, wer eine kriminelle Vereinigung gründet, sich als Mitglied an einer solchen Vereinigung beteiligt, für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt oder sie unterstützt. Alle vier Begehungsformen beziehen sich auf eine Vereinigung, deren Zwecke oder Tätigkeiten auf die Begehung von Straftaten gerichtet sind.

I. Vereinigung 18

1. Definition. Eine Vereinigung ist nach ständiger Rechtsprechung und h.M. ein auf eine gewisse Dauer angelegter organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen. 62 Eine Vereinigung muss also organisatorische, voluntative, zeitliche und personelle Merkmale erfüllen,63 wobei die Einzelmerkmale teilweise ineinander übergehen. Die Rechtsprechung hat die Begriffselemente zunehmend schärfer und einengender konturiert und die Vereinigung gegenüber anderen Beteiligungsformen abgegrenzt. Hinsichtlich der die Vereinigung prägenden begrifflichen Elemente knüpft die Rechtsprechung an die gesetzliche Begriffsbestimmung des Vereins nach § 2 Abs. 1 VereinsG an. 64

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Ostendorf NK Rdn. 6, allerdings unter Heranziehung von Zahlen zu § 129a; Schäfer MK Rdn. 6; Fischer Rdn. 4; Sieber/ Bogel Logistik der organisierten Kriminalität, S. 359; Federle ZStW 110 (1998) 767, 794; Schaefer Kriminalistik 1987 2 3 0 , 234; Walischewski StV 2 0 0 0 5 8 3 ; Rauschenberger Kriminalistik 2 0 0 1 773. Vgl. Schaefer Kriminalistik 1987 2 3 0 , 2 3 4 f; Sieber/Bögel Logistik der organisierten Kriminalität, S. 359. BGHSt 10 16; 2 8 147, 148 f; 2 9 288, 2 9 4 ; 3 0 328, 329; 31 2 0 2 , 2 0 4 f; 31 2 3 9 f; 3 6 192, 198; 41 47; 4 5 2 6 , 35; 4 6 321, 329; 4 6 349,

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354; 4 9 2 6 8 ; BGH NJW 1975 985; 1978 4 3 3 ; 1992 1518; 2 0 0 5 1668, 1670; 2 0 0 8 86; NStZ 1999 503, 504; 2 0 0 4 574; 2 0 0 7 31; 2 0 0 8 146, 148, 575; NStZ-RR 2 0 0 2 300, 301; 2 0 0 6 2 6 7 ; OLG Düsseldorf NJW 1994 398, 3 9 9 ; OLG Dresden StV 2 0 0 6 700; Sehl Schröder/Lenckner/Sternberg-Liebett Rdn. 4; Miebach/Schäfer MK § 129a Rdn. 21; Rudolphi/Steitt SK Rdn. 5; Fischer Rdn. 6; Ostendorf NK Rdn. 12; Lackner/Kühl Rdn. 2; Kindhäuser LPK Rdn. 6. Vgl. Hassemer JuS 1983 6 3 9 u. 808. BGHSt 2 8 1 4 7 , 1 4 8 ; BGH NStZ 1982 68.

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Bildung krimineller Vereinigungen

§ 129

a) Festgefügte Organisation aa) Voraussetzungen. Die Vereinigung setzt ein Mindestmaß an fester Organisation mit gegenseitiger Verpflichtung der Mitglieder voraus.65 Die Straftaten und Aktionen müssen aus einer fest organisierten Gruppierung heraus geplant und begangen werden. 66 Wesentliches Kennzeichen hierfür ist ein mitgliedschaftliches Zusammenwirken zu einem gemeinsamen Zweck mit verteilten Rollen und einer abgestimmten, koordinierten Aufgabenverteilung.67 Gegenüber der bandenmäßigen Deliktsverwirklichung muss ein Mehr an personeller Geschlossenheit und instrumenteller Vorplanung vorliegen, um die spezifische Gefahr einer unkontrollierten Eigendynamik zu begründen.68 Dies setzt bestimmte Kommunikationsregeln, eine sächliche Infrastruktur (z.B. Kommunikationsmittel, Räumlichkeiten, Verkehrsmittel) und die Fähigkeit voraus, die Infrastruktur tatsächlich zu nutzen.69 Die äußere Organisations- und Rechtsform eines solchen Personenzusammenschlusses ist ohne weitergehende Bedeutung.70

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Weiterhin ist in organisatorischer Hinsicht eine interne Verbandsstruktur dergestalt 20 erforderlich, dass sich die arbeitsteilig koordinierte Durchsetzung der Vereinigungsziele nach bestimmten Gruppenregeln vollzieht, hinter denen der individuelle Gestaltungseinfluss des Einzelnen zurücktritt. Hinzukommen muss ein durch die Art der Organisation gewährleisteter Gruppenwille, dem sich die einzelnen Mitglieder als für sie maßgeblich unterordnen und zur Maxime ihres Handelns machen (zur Bildung dieses Gruppenwillens vgl. unten Rdn. 27 ff). 71 Der Einzelne muss also subjektiv in die internen Willensbildungsprozesse der Vereinigung eingebunden sein. Dies macht den maßgeblichen Unterschied zur Bande aus. 72 Nur wenn sich die Mitglieder einer Personengruppe zur Verwirklichung des gemeinsamen Ziels bestimmten Regeln der Willensbildung unterwerfen und diese auch als verbindlich tatsächlich praktizieren, wird ihre Verbindung zu einer organisierten Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und empfinden sich die Mitglieder als einheitlicher Verband. Das vorausgesetzte Maß an fester Organisation ist noch nicht erfüllt, wenn drei Per- 21 sonen nur der gewinnorientierte Wille verbindet, gemeinsam Straftaten wie etwa Diebstähle, Betrügereien oder Urkundenfälschungen zu begehen.73 Dies gilt selbst dann, wenn es sich um die Planung und Verwirklichung eines groß angelegten Einzelvorhabens (z.B. Druck von gefälschten Euroscheckvordrucken) gemäß einem zwischen den Beteiligten abgesprochenen Tatplan handelt 74 oder einer der Anführer ist, der die größere Übersicht hat und dem daher im wesentlichen die Planung als Aufgabe zufällt und nach dem sich

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BGH bei Holtz MDR 1977 282; BGH NStZ 1982 68; 31 2 0 2 , 205. BGHSt 31 202, 2 0 6 ; 31 239, 2 4 2 . Vgl. BGH NJW 1992 1518; OLG Düsseldorf NJW 1994 398, 399, Miebach/Schäfer MK § 129a Rdn. 2 3 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6a; Fischer Rdn. 7. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Ostendorf NK Rdn. 12; Kindhäuser LPK Rdn. 7. Rudolphi/Stein SK Rdn. 6d. BGHSt 7 222, 2 2 3 ; 14 194, 195; 15 167, 173; 16 2 9 8 zu § 90a a.F. BGH NJW 1992 1518,1519; NStZ 2 0 0 4 574; 2 0 0 8 575; wistra 2 0 0 6 4 6 2 .

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74

Vgl. BGHSt 4 6 321, 329. BGH bei Holtz MDR 1977 2 8 2 ; BGH NStZ 1982 68; wistra 2 0 0 6 4 6 2 ; BGHR StGB § 129 Gruppenwille 3; Miebach/Schäfer M K § 129a Rdn. 27; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 4. LG Berlin wistra 1985 241 f; vgl. aber auch BGHSt 4 8 2 4 0 , 251, wo aus Größe und Arbeitsteiligkeit einer Lieferantengruppe im Rahmen einer Schmuggeltätigkeit auf einen organisatorischen Zusammenschluss nach § 129 geschlossen wurde.

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§ 129

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

die anderen richten. 75 Allein aufgrund der Art und Intensität vorbereitender Maßnahmen für bestimmte strafbare Aktionen kann noch nicht auf einen ausreichenden Organisationsgrad geschlossen werden. 76 Das Element des organisatorischen Zusammenschlusses setzt auch mehr voraus als enge persönliche Bindungen der Täter und intensives Hand in Hand arbeiten. 77 22

Eine über den Zusammenschluss zur Begehung bestimmter einzelner Straftaten hinausgehende gewisse organisatorische Selbstständigkeit hat der Bundesgerichtshof in Abgrenzung gegenüber Mittäterschaft und Bande beispielsweise im Fall einer illegalen Arbeitsvermittlung durch mehrere Unternehmer verneint: Wer eine Einzelfirma, Personen- oder Kapitalgesellschaft zur Beteiligung am Wirtschaftsleben gründe, gründe regelmäßig auch dann noch keine kriminelle Vereinigung, wenn die Mitglieder beim Betrieb eines solchen Unternehmens Straftaten planen. 78 Eine personelle Geschlossenheit im Sinne einer organisatorischen Struktur könne sich aber aus dem besonderen Maß organisierter verbrecherischer Aktivitäten ergeben, so etwa wenn der Unternehmensführer und seine eingeweihten Mittäter sich bereits vor der Gründung der betreffenden (Sub-) Unternehmen mit bestimmter Rollenzuweisung geeinigt hätten, den Staat oder die Sozialversicherungsträger systematisch zu schädigen. 79 Auch ein eingespieltes Bezugs- und Vertriebssystem von Betäubungsmitteln, in dem die Kontakte zu den Schmuggler- und Verteilerorganisationen arbeitsteilig zugewiesen und bestimmte Personen mit der Gestaltung der Kuriertätigkeit betraut sind, kann eine kriminelle Vereinigung darstellen. 80 Eine über das Ziel bloßer Begehung von Straftaten hinausgehende Zielsetzung des Personenzusammenschlusses legt ein Mindestmaß an fester Organisation nahe. 81 Zwingende Voraussetzung für eine kriminelle Vereinigung ist dies allerdings nicht. 82 Nicht erforderlich ist, dass alle Mitglieder der Vereinigung sich an Straftaten der Vereinigung beteiligen. Diese können in wechselnder Besetzung begangen werden. 83 Immer muss aber bei den Mitgliedern zur Zeit der Handlung das Bewusstsein bestehen, einem organisatorisch fest gefügten kriminellen Verband anzugehören. 84

23

bb) Einbindung in Gesamtorganisation. Eine eigenständige Vereinigung kann auch dann bestehen, wenn sie in eine Gesamtorganisation eingebunden ist. So kann eine kriminelle Vereinigung derartig organisiert und strukturiert sein, dass neben einzelnen regionalen Vereinigungen eine übergeordnete Dach-Vereinigung besteht, die ihrerseits die Kriterien einer kriminellen Vereinigung nach § 129 erfüllt. 85 Die Qualifizierung der „Teilorganisation" als selbstständige Vereinigung setzt allerdings voraus, dass sie eine gewisse Selbstständigkeit besitzt und über eigene Entscheidungs- und Handlungsbefugnisse verfügt. 86 Sie muss sich organisatorisch verselbständigt haben. Dies kann sich in der Unterschiedlichkeit der Ziele oder durch Zuweisung von Sonderaufgaben manifestieren. 87 In diesem Sinne können auch der Funktionärskörper oder der Führungszirkel einer Gesamt-

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BGHSt 31 2 0 2 , 2 0 5 ; BGH NStZ 1982 68; wistra 2 0 0 6 4 6 2 ; vgl. auch OLG Köln NStE Nr. 2 zu § 129. Vgl. Hassemer JuS 1983 6 4 0 . Vgl. BGH NStZ 1982 68; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6d. BGHSt 31 2 0 2 , 2 0 6 mit Anm. Hassemer JuS 1983 639; vgl. auch OLG Dresden StV 2 0 0 6 700. BGHSt 31 2 0 2 , 2 0 6 .

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Vgl. BGH NStZ 1981 303; BGHSt 48 240, 251. BGH NStZ 1982 68, 69. BGH NStZ 2 0 0 5 377, 378. Vgl. BGHSt 31 2 0 2 , 2 0 6 . BGHSt 31 202, 207. Vgl. BGHSt 4 6 349, 354 m. Anm. Verrel JR 2002 212. BGHSt 10 16, 18; 4 6 349, 354. BGHSt 10 16, 18.

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§ 129

organisation eine eigenständige Organisation bilden, sofern sich ihre Mitglieder durch ein besonderes Einverständnis von der Gesamtorganisation abheben. 8 8 Die Qualifikation der Gesamtorganisation oder Dach-Vereinigung als selbstständige Vereinigung im Sinne des § 129 wiederum setzt voraus, dass diese selbst über eigene Entscheidungsstrukturen verfügt und die verabredeten Straftaten unter ihrer Verantwortung verübt werden. 89 Dass einzelne selbstständige Zellen gelegentlich zusammenarbeiten oder sie ein einheitliches Symbol verwenden, reicht für die Annahme einer „Gesamtvereinigung" i.S. des § 129 nicht aus. 9 0 cc) Inhaftierung von Mitgliedern. Eine kriminelle Vereinigung kann trotz Inhaftierung einiger ihrer Mitglieder in der bisherigen Zusammensetzung fortbestehen, wenn die inhaftierten Mitglieder den Kontakt zu den in Freiheit befindlichen Mitgliedern, gegebenenfalls unter Umgehung der gesetzlich vorgesehenen Kontrollen in der Haftanstalt, aufrechterhalten können und dadurch weiterhin am Willensbildungsprozess der Vereinigung beteiligt sind. 91 Eine kriminelle Vereinigung kann auch nur durch Inhaftierte neu gegründet werden. 92 Dies gilt nicht nur, wenn die Vereinigung Straftaten innerhalb der Haftmauern z.B gegen das Bewachungspersonal oder andere Gefangene beabsichtigt, sondern auch, wenn die Mitglieder sich mit der Zielsetzung zusammenschließen, strafbare Aktionen außerhalb der Haftanstalt zu begehen. 93

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dd) Indizien. Als Indizien für einen solchen auf Dauer angelegten, organisierten und von einem Gruppenwillen getragenen Zusammenschluss kommen in Betracht: eine über den bloßen Zweckzusammenhang der Begehung von Straftaten hinausreichende Zielsetzung; 9 4 eine gemeinsame politische oder sonstige ideologische Grundhaltung der Beteiligten, 95 ein nach Art, Inhalt und Intensität enges Beziehungsgeflecht der Mitglieder auf ideologisch-extremistischer Grundlage; 96 die Wahl von Führungspersonen und die Beauftragung einzelner Mitglieder mit Sonderaufgaben, die Verpflichtung der Mitglieder zu Beiträgen und Verschwiegenheit; regelmäßige Zusammenkünfte zwecks gemeinsamer Be-

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gegenseitiger Informationsaustausch und Koordinationsprozess zwischen den inhaftierten und nicht inhaftierten Organisationsmitgliedern.

BGHSt 1 0 1 6 , 1 8 f, BGHSt 4 9 2 6 8 , 2 6 9 (Führungsebene der PKK). BGHSt 4 6 3 4 9 , 3 5 4 f. BGHSt 4 6 3 4 9 , 3 5 4 f. Vgl. BGHSt 3 2 2 4 3 , 2 4 4 ; B G H StB 1 7 1 / 7 8 v. 2 . 8 . 1 9 7 8 ; zu den insoweit differenzierenden und teilweise weitergehenden Anforderungen im Schrifttum vgl. Rudolphi FS Bruns, S. 315, 3 2 3 u. Bottke J R 1 9 8 5 122: Teilhabe am kollektiven Willensbildungsprozess und Fähigkeit, sich an den beabsichtigten vereinigungstypischen Straftaten zu beteiligen; Gräßle-Münscher Der Tatbestand der kriminellen Vereinigung, S. 1 0 2 : bestimmende Führungsposition der inhaftierten Teilgruppe; Hassemer/Welp Gutachten, zit. bei Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 1 2 9 a StGB, S. 191: zumindest faktische Mitbestimmung der gemeinsamen Willensbildung; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 1 2 9 a StGB, S. 1 9 2 : kontinuierlicher,

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Vgl. BGHSt 31 16, 17; B G H N J W 1 9 7 8 4 3 3 (insoweit in BGHSt 2 7 3 2 5 nicht vollständig abgedruckt); B G H N J W 1 9 8 2 2 5 0 8 , 2 5 1 0 ; vgl. auch O L G H a m b u r g J Z 1 9 7 9 2 7 5 mit Anm. Ostendorf S. 2 5 2 .

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Vgl. hierzu Rudolphi FS Bruns, S. 315, 3 2 4 f; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 1 2 9 a StGB, S. 1 8 5 ff; Ostendorf JA 1 9 8 0 4 9 9 , 5 0 1 verlangt eine Realitätschance für die Verwirklichung der Zielsetzung.

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BGH NStZ 1982 68.

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BGHSt 4 1 47, 4 8 ; B G H N S t Z 1 9 8 2 6 8 ; B G H N S t Z - R R 2 0 0 2 3 0 0 ; O L G Düsseldorf N J W 1994 398. BGHSt 3 6 1 9 2 , 1 9 8 ; B G H N S t Z - R R 2 0 0 2 3 0 0 ; vgl. auch O L G Düsseldorf N J W 1 9 9 4 398, 399.

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sprechung und Entscheidungsfindung zu Zielsetzung und kriminellen Aktionen; 9 7 die Einrichtung von ständigen Gruppentreffs/Vereinslokalen; ein Handeln unter einer einheitlichen Gruppenbezeichnung; 9 8 der Aufbau von Kadern, Ortsgruppen, Gebiets- und Regionalkomitees; 9 9 die gemeinsame Gründung von Schein- und Tarnfirmen; eine konspirative Vorgehensweise (Decknamen, verschlüsselte Kommunikation, konspirative Wohnungen); 1 0 0 Abschottung nach außen und ein besonders hohes M a ß abgestimmter verbrecherischer Aktivitäten; 1 0 1 regelmäßige theoretisch-propagandistische Veröffentlichungen und Bekennerschreiben. 1 0 2 26

Die Anforderungen der Rechtsprechung an die zu treffenden organisationsspezifischen Feststellungen sind hoch. Nur wenn eine Vereinigung über eine feste innere Organisationsstruktur verfügt, entfaltet sich jene auf die Begehung von Straftaten gerichtete Eigendynamik, die ihre besondere Gefährlichkeit ausmacht und es rechtfertigt, den Strafrechtsschutz in das Vorbereitungsstadium vorzuverlagern. 103 Die faktische Organisation der Gruppe muss im Urteil des Tatrichters umfassend dargelegt und mit konkreten Tatsachen ausreichend untermauert werden; eine bloße Umschreibung durch definitorisch formelhafte Wendungen reicht nicht aus. 1 0 4

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b) Verbindlicher Gemeinschaftswille. Eine kriminelle Vereinigung setzt weiterhin voraus, dass sich ein Gruppenwille gebildet hat, dem sich die einzelnen Mitglieder als für sie verbindlich unterordnen und zur Maxime ihres Handelns machen. 1 0 5 Der Gruppenwille muss unter Einbindung der einzelnen Mitglieder nach verbindlichen Regeln entstanden sein. 1 0 6 Die Unterwerfung der Mitglieder unter diese organisierte Willensbildung setzt das Vorhandensein konkreter Führungs- und Entscheidungsstrukturen voraus, die unter Einbindung der einzelnen Mitglieder gebildet worden sind und die vom Gruppenwillen getragen werden. 1 0 7 Erst die Bildung eines solchen von individuellen Einzelmeinungen losgelösten Gruppenwillens macht die besondere Gefährlichkeit der organisierten Vereinigung aus. 1 0 8

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Auf welche Art und Weise der verbindliche Gruppenwille gebildet wird, spielt keine Rolle. Die Regeln über die Willensbildung können auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam aufgebaut sein oder sie können dem Demokratieprinzip entsprechen. 1 0 9 Der Gruppenwille kann demnach auch so ausgestaltet sein, dass die Mitglieder gemeinsam einem aus ihrer Mitte die weiteren Entscheidungsbefugnisse zuweisen und sich künftig dessen Willen unterordnen. 1 1 0 Dies setzt allerdings eine Art gemeinsamen Unterwer-

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OLG Düsseldorf NJW 1994 398, 399; vgl. auch BGHSt 41, 47, 48; BGH NStZ 2002 300. BGH NJW 2008 86, 87. BGHSt 41 47, 48. BGH NStZ 1995 601, 602; 2005 377; BGHR StGB § 129a Abs. 1 Vereinigung 5. BGH NStZ 1982 68, 69; OLG Dresden StV 2006 700. Vgl. BGH NJW 2008 86, 87. Vgl. BGHSt 28 147, 148 f; Rudolphi FS Bruns, S. 315, 321. Vgl. BGHSt 31 239, 240; BGH NJW 1992 1518, 1519; NStZ 1982 68; 2004 574; 2007 31; s.a. Hassemer JuS 1983 639 u. 809. BGHSt 31 202, 206; 36 192, 198; BGH

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NJW 1992 1518,1519; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Miebach/Schäfer MK § 129a Rdn. 30; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6b; Fischer Rdn. 7; Kindhäuser LPK Rdn. 6. BGHSt 31 239, 240; Fischer Rdn. 7. BGHSt 46 349, 354; BGH NStZ 2007 31; Miebach/Schäfer MK § 129a Rdn. 30; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6b; ScheiffWann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 40. BGH NJW 1992 1518. BGHSt 31 239, 240; 45 26, 35. BGH NJW 1992 1518, 1519; BGH bei Schmidt MDR 1993 505; BGHR StGB § 129 Gruppenwille 2; BGH NStZ 2004 574.

Matthias Krauß

Bildung krimineller Vereinigungen

§ 129

fungsbeschluss aller Mitglieder voraus. Außerdem darf die autoritäre Führungsstruktur die Entfaltung einer Gruppendynamik nicht zur Gänze verhindern. 111 An einem solchen, die spezifischen Gefahren einer Eigendynamik schaffenden Gruppenwillen fehlt es, wenn mehrere zur Begehung von Straftaten entschlossene Personen, jeder für sich, der autoritären, nicht vom Gruppenwillen abgeleiteten Führung einer Person unterwerfen. 112 Bestimmt diese individuell und autoritär die für die Gruppe verbindlichen Regeln, repräsentiert sie nur ihren eigenen Willen, nicht aber den Willen einer hinter ihr stehenden Mehrheit. 113 Der Wille innerhalb des Personenkreises wird dann nicht unter Einbindung der einzelnen Mitglieder gebildet und löst sich nicht von einer individuellen Einzelmeinung. In diesen Fällen verbindet der bloße Wille mehrerer Personen, gemeinsam Straftaten zu begehen, diese noch nicht zur einer kriminellen Vereinigung, weil der Wille des Einzelnen maßgeblich bleibt und die Unterordnung unter einen Gruppenwillen unterbleibt. 114 So hat die Rechtsprechung einen Gruppenwillen verneint bei einem Wirtschaftsunternehmen, in dem die Beteiligten lediglich aufgrund arbeitsrechtlicher Stellung dem allein entscheidungsbefugten Geschäftsführer verpflichtet sind, 115 bei einem Geflecht von Unternehmen und Subunternehmen zur systematischen Hinterziehung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, 116 bei einer hierarchisch strukturierten Organisation zum Betrieb unerlaubter Glücksspiele, in der die maßgeblichen organisationsbezogenen und gruppenverbindlichen Entscheidungen durch den Rädelsführer aus eigener Machtvollkommenheit bestimmt und durch Sanktionsmöglichkeiten gegen die Mitglieder abgesichert wurden, 117 bei einem international agierenden „Umsatzsteuerkarussell" 118 und bei einer hierarchisch strukturierten Gruppierung, deren Ziel der gewinnbringende Schmuggel und Absatz unversteuerter Zigaretten war. 119

29

Bei Zusammenschlüssen von Wirtschaftsstraftätern ist deshalb sorgfältig zu prüfen, ob sie eine einheitliche Zielsetzung und gleichgerichtete Interessenlage verbindet, die Straftatbegehung als zentrales Anliegen im Interesse der Gesamtheit erfolgt, 120 die Zusammenschlüsse einen entsprechend hohen Organisationsgrad aufweisen und das Handeln sich nach verbandsmäßigen Regeln vollzieht. 121 Kann lediglich das gemeinsame Ziel, aufgrund einer arbeitsteiligen Tatausführung Einnahmen aus den Taten zu erzielen, festgestellt werden, genügt dies für eine Vereinigung nach § 129 nicht. 1 2 2

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Eine entsprechende organisierte Willensbildung hat der Bundesgerichtshof in einschränkender Tendenz auch in einem Fall von Hausbesetzera verneint, die sich mittels gemeinsamer Kampfmaßnahmen gegenüber den mit der Räumung beauftragten Polizeibeamten möglichst lang im unrechtmäßigen Besitz des besetzten Hauses halten woll-

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Vgl. BGH NJW 1992 1518 f; Kress JA 2 0 0 5 220, 224. BGH NJW 1992 1518, 1519; BGH 5 StR 2 2 / 9 2 v. 10.3.1992 (Organisation von Spielcasinos, in der der Kopf der Organisation den einzelnen Beteiligten bestimmte Aufgabenbereiche zur Erledigung zuwies und die Mitarbeiter nur diesem gegenüber Rechenschaft schuldig waren); BGHR StGB § 129 Gruppenwille 2 und 3 (Betrugshandlungen im Zusammenhang mit umweltgefährdender Abfallbeseitigung). BGH NStZ 2 0 0 4 574. BGH NJW 1992 1518; BGH NStZ 2 0 0 4 574; BGHR StGB § 129 Gruppenwille 3.

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BGHR StGB § 129 Gruppenwille 3. BGHSt 31 2 0 2 , 2 0 6 mit Anm. Hassemer JuS 1983 6 3 9 ; vgl. auch OLG Dresden StV 2 0 0 6 700. BGH N J W 1992 1518; vgl. auch BGH 5 StR 2 2 / 9 2 v. 10.3.1992. BGH NStZ 2 0 0 4 574. BGH NStZ 2 0 0 7 31. Vgl. Lampe ZStW 106 (1994) 683, 708: „essentiell nicht lediglich akzidentiell". Vgl. BGHSt 31 2 0 2 , 2 0 6 ; OLG Dresden StV 2 0 0 6 700; Hohmann wistra 1992 85, 88. Vgl. BGH NStZ 2 0 0 7 31.

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§129

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

ten. 1 2 3 Da in der dem gewaltsamen Widerstand vorausgehenden Versammlung der Hausbesetzer sich zwei Gruppen gegenüber standen, von denen eine sich für Gewaltlosigkeit ausgesprochen hatte, hat der Bundesgerichtshof eine Unterwerfung aller oder eines Teils der Versammelten unter einen übergeordneten Verbandswillen in diesem Stadium verneint. Der spätere gemeinsame Widerstand der Hausbesetzer gegen die Räumung reichte dem Senat nicht als Feststellung dafür aus, dass dieser Widerstand eine organisierte Willensbildung als Grundlage hatte, weil nicht schon jedes gemeinsame Handeln mehrerer Personen innerhalb eines gewissen Zeitraumes und zur Erreichung eines gemeinsamen Endzwecks einen verbandsmäßig organisierten Gemeinschaftswillen begründe. 124 Dagegen spräche die personelle Fluktuation der Beteiligten und die zeitliche Kürze des ganzen Vorgangs. 125 Diese restriktive Auslegung verknüpft zeitliche und organisatorische Elemente des Vereinigungsbegriffs und kompensiert das Fehlen ausdrücklicher Vereinbarungen oder sonst von vorneherein „bestehender klarer Verhältnisse" mit erhöhten Anforderungen an die zeitliche Dauer des Prozesses organisierter Willensbildung bzw. des Sicheinspielens einer solchen Organisation. 1 2 6 32

Die Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen hinsichtlich der Art der Willensbildung sind hoch. Organisatorische Vorkehrungen der Gruppe oder der Umstand, dass mehrere Personen ein gestecktes Ziel mit verteilten Rollen verfolgen, lassen noch keine zwingenden Rückschlüsse darauf zu, dass die Handelnden Einigkeit darüber herbeigeführt hätten, ein vom aktuellen Willen des einen oder anderen unabhängiger organisierter Gesamtwillen solle für sie auf Dauer maßgeblich und verbindlich sein. 1 2 7 Lässt sich aus veröffentlichten Schriften der Gruppierung entnehmen, dass geplante oder ausgeführte Aktionen Folge einer breit angelegten theoretisch-ideologischen Diskussion sind, aus deren Ergebnissen die Gruppenmitglieder ihre vermeintliche Legitimation ableiten, spricht viel dafür, dass die Gruppenmitglieder ihre Aktionen an den ideologischen Vorgaben und der daraus entwickelten Strategie der Organisation ausrichten und sich somit dem aus der internen Meinungsbildung entspringenden Gruppenwillen unterordnen. 128

33

Der Nachweis der erforderlichen subjektiven Einbindung der Mitglieder in die kriminellen Ziele der Organisation und in deren entsprechende Willensbildung unter Zurückstellung individueller Einzelmeinungen bereitet Probleme vor allem bei hierarchisch strukturierten Organisationen, die über einseitige Befehlswege und strikt getrennte Informationsbereiche verfügen und bei denen die Mitarbeiter nicht untereinander, sondern lediglich dem Chef verantwortlich sind. Ungeachtet der besonderen Qualität ihres Organisationspotentials und der sich daraus ergebenden Gefährlichkeit 1 2 9 werden deshalb weite Bereiche des Phänomens der organisierten Kriminalität von § 129 nicht erfasst. 130

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c) Mindestpersonenzahl. Die Vereinigung setzt einen Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus. 131 Nicht ausreichend sind Zweierverbindungen, da ihnen

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BGHSt 31 239, 2 4 2 mit Anm. Hassemer JuS 1983 808. BGHSt 31 239, 2 4 2 . BGHSt 31 239, 2 4 2 (ein Tag bis zur Räumung) in Abgrenzung zu BGH NJW 1975 985 und BGH 3 StR 9/75 v. 14.5.1975 (fünfwöchige Hausbesetzung). Zustimmend Rudolphi JR 1984 32 ff. BGHSt 31 239, 2 4 0 ; BGH NStZ 1982 68, 69; N J W 1992 1518 f; vgl. auch LG Berlin wistra 1985 241.

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BGH NJW 2 0 0 8 86, 87. Vgl. Werthebach/Droste-Lehnen ZRP 1994 57. Vgl. Fischer Rdn 7; Kress JA 2 0 0 5 220, 2 2 4 f; aA Rudolphi/Stein SK Rdn 6c. BGHSt 28 1 4 7 , 1 4 8 ff; BGH NStZ 1982 68, 69; 2 0 0 5 377; krit. Rudolphi FS Bruns, S. 315, 319 f.

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Bildung krimineller Vereinigungen

§ 129

die spezifische Gefährlichkeit, die von einem organisierten Verband von Personen ausgeht, regelmäßig nicht eigen ist. Die typische Eigendynamik, die geeignet ist, dem Einzelnen die Begehung von Straftaten zu erleichtern und bei ihm das Gefühl persönlicher Verantwortung zurückdrängen, entwickelt sich bei Verabredungen von nur zwei Personen noch nicht. 1 3 2 Außerdem ist eine Unterordnung des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit bei einem Zusammenschluss von nur zwei Personen nicht möglich. 1 3 3 d) Dauer. Die Personenzusammenschlüsse dürfen nicht nur kurzfristig erfolgen, sondem müssen auf eine gewisse Dauer angelegt sein. 1 3 4 Maßgeblich sind dabei die Vorstellungen, die die Mitglieder der Vereinigung bei deren Gründung hegen. 1 3 5 Ausreichend ist, dass sich die Personen ernsthaft darüber einigen, für eine gewisse Zeit zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks zusammenbleiben zu wollen. Allgemeingültige Mindestanforderungen hinsichtlich des Dauermoments lassen sich nicht aufstellen. Der Zusammenschluss zur Begehung einer einzigen Straftat dürfte aber - unabhängig von der Frage, ob nach dem Gesetzeswortlaut nicht mehrere Straftaten geplant werden müssen (s. hierzu unten Rdn. 53) - das Dauerkriterium regelmäßig nicht erfüllen. 136 Etwas anderes kann sich dann ergeben, wenn die Planungs- und Vorbereitungszeit für eine konkrete Straftat längere Zeit in Anspruch nimmt. 1 3 7

35

e) Organisatorischer Inlandsbezug. Bis zur Einführung des § 129b durch das 34. StrÄndG vom 22. August 2 0 0 2 (BGBl. I S. 3390) setzte die Strafbarkeit nach § 129 nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass die Vereinigung innerhalb der Bundesrepublik besteht. 138 Handelte es sich bei der Vereinigung um eine ausländische oder international tätige, war § 129 nur dann anwendbar, wenn die Vereinigung zumindest in Form einer Teilorganisation auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland existierte, wobei die Teilorganisation ihrerseits die Voraussetzungen des § 129 erfüllen musste. 1 3 9 Begründet wurde dies damit, dass § 129 und § 129a an das Verbot des Artikel 9 Abs. 2 GG anknüpfe, der sich als Ausnahme von dem Grundrecht der Vereinsfreiheit allein auf Vereinigungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes beziehe. 1 4 0 Nicht verlangt wurde allerdings, dass die organisierte Willensbildung sich innerhalb der inländischen Teilorganisation vollzieht. Es genügte vielmehr, dass deren Mitglieder in die Willensbildung der ausländischen oder internationalen Organisation integriert waren und sich den auf dieser

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BGHSt 2 8 147, 148. BGHSt 2 8 147, 149. BGHSt 31 2 3 9 ; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 4; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6a; Miebach/Schäfer MK ξ 129a Rdn. 34. BGH NStZ-RR 2 0 0 2 301. Miebach/Schäfer MK § 129a Rdn. 34; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6a; Scheiff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 46 ff. BGH NStZ-RR 2 0 0 2 300, 301 (Vorbereitungszeit von fast zwei Jahren). BGHSt 3 0 328; 45 2 6 , 35; BGH NJW 1966 310, 311; BGH CR 2 0 0 2 3 7 8 ; BGHR StGB § 129a Abs. 3 Unterstützen 6: Unterstützung der französischen terroristischen Vereinigung

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Action Directe; BayObLG NStZ-RR 1 9 9 7 251; OLG Celle NdsRpfl 1998 50, 51; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 4a; Fischer Rdn. 8; Krehl DtZ 1992 113, 114 f; Rebmann DRiZ 1 9 7 9 363, 364; NStZ 1986 289, 2 9 0 ; Scheiff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 52 ff. BGHSt 3 0 328. BGHSt 3 0 328 ff; BGH N J W 1966 310, 312; aA Rudolphi NStZ 1982 198; ZRP 1 9 7 9 214, 216; ders. FS Bruns, S. 315, 318 f; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 5 9 ff; Langer-Stein Legitimation und Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen, S. 2 2 2 f.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Ebene getroffenen Entschlüssen unter Zurückstellung ihrer individuellen Meinungen unterwarfen. 141 37

Mangels organisatorischen Inlandsbezugs kam eine Strafverfolgung von Mitgliedern einer Vereinigung mit Sitz im Ausland nach §§ 129, 129a selbst dann nicht in Betracht, wenn von ihr Gefahren für den inneren Frieden der Bundesrepublik ausgingen, etwa wenn einige Mitglieder ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik hatten und von dort für die Vereinigung tätig waren, wenn Rädelsführer oder Mitglieder ausschließlich oder überwiegend Deutsche waren (Wehrsportgruppe Ausland) oder wenn die Hauptangriffsrichtung der ausländischen Vereinigung in das Bundesgebiet zielte. 142 Eine Ausnahme regelte lediglich § 30b BtMG für den Bereich der Betäubungsmittelkriminalität.

38

Diese tatbestandliche Beschränkung auf Vereinigungen mit einer räumlich-organisatorischen Inlandsverankerung ist durch die Einfügung des § 129b aufgegeben worden. § 129 erstreckt sich nunmehr generell auf Vereinigungen im Ausland, wobei allerdings für Vereinigungen im Nicht-EU-Ausland einschränkende Voraussetzungen gelten (siehe § 129b Rdn. 17 ff).

39

Für Straftaten, die vor dem In-Kraft-Treten des § 129b am 30. August 2 0 0 2 begangen worden sind, verbleibt es bei dem bisherigen Erfordernis, dass die betroffene Vereinigung zumindest in Form einer Teilorganisation im Bundesgebiet bestand.

40

2. Abgrenzung zu anderen Formen des Zusammenwirkens. Die Vereinigung ist von anderen Formen strafbaren Zusammenwirkens mehrerer Personen abzugrenzen.

41

Mittäterschaft liegt vor, wenn mindestens zwei Tatbeteiligte auf Grund und im Rahmen eines gemeinsamen Tatentschlusses einen Beitrag zur Durchführung der Tat liefern. Sie müssen weder organisatorisch in besonderer Weise miteinander verbunden sein noch einen Gruppenwillen ausbilden, hinter dem Einzelmeinungen zurückgestellt werden. 143 Die Zusammenarbeit muss auch nicht auf eine gewisse Dauer angelegt sein, weshalb die kurzfristige Zusammenarbeit zur Begehung einer Straftat ausreicht.

42

Die Bande setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Straften zu begehen. 144 Von der kriminellen Vereinigung unterscheidet sich die Bande dadurch, dass sie keine feste Organisationsstruktur aufweisen muss und für sie kein verbindlicher Gesamtwille ihrer Mitglieder erforderlich ist. 145 Vielmehr können die Bandenmitglieder ihre eigenen Interessen an einer risikolosen und effektiven Tatausführung und Beute- und Gewinnerzielung verfolgen. 146 Soweit die frühere Rechtsprechung als Voraussetzung für die Annahme einer Bande ein Handeln mit gefestigtem Bandenwillen und ein gemeinsames übergeordnetes Bandeninteresse verlangte und damit die Bandentat in die Nähe des Organisationsdelikts des § 129 rückte, 147 ist dieses Erfordernis seit der Entscheidung des Großen Senats des Bundesgerichtshofs vom 2 2 . März 2001 aufgegeben worden. 148

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BGH NJW 1966 310, 311; BGH CR 2 0 0 2 378. Vgl. BGHSt 3 0 328, 331; Krehl DtZ 1992 113; Rebmann NStZ 1986 289, 290; Schmidt M D R 1983 2; Hassemer JuS 1982 5 4 0 f. Vgl. BGHSt 31 2 0 2 , 205. BGHSt 4 6 321 ff.

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BGHSt 31 2 0 2 , 2 0 5 . BGHSt 4 6 321, 3 2 9 f. Vgl. BGHSt 4 2 255, 2 5 9 ; BGH NStZ 1997 90, 91; 1998 2 5 5 ; 2 0 0 1 32, 33. BGHSt 4 6 321 ff. Zur Abgrenzung der Vereinigung gegenüber dem früheren Bandenbegriff vgl. v. Bubnoff LK 11 Rdn. 25.

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§ 129

Auch die Gruppe im Sinne von § 127 setzt weder ein Mindestmaß an konkreter Organisation oder festgelegte Strukturen noch einen verbindlichen Gesamtwillen voraus (vgl. § 127 Rdn. 7).

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3. Europarechtskonforme Auslegung des Vereinigungsbegriffs. Im Hinblick auf die Bestrebungen des europäischen Normgebers, das nationale Strafrecht unter anderem im Bereich des Kriminalitätsfeldes der Organisierten Kriminalität zu harmonisieren (s.o. Rdn. 11 ff), wird in der Literatur diskutiert, ob die herkömmliche Interpretation des Vereinigungsbegriffs europarechtlichen Vorgaben überhaupt noch entspricht oder der Begriff entsprechend angepasst werden muss. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Frage weder bei der Umsetzung der Gemeinsamen Maßnahme des Rates der Europäischen Union vom 21. Dezember 1998 betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung noch bei der Änderung des § 129a in Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2 0 0 2 zur Terrorismusbekämpfung aufgeworfen.

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Eine kriminelle Vereinigung wird in Art. 1 der Gemeinsamen Maßnahme vom 21. Dezember 1 9 9 8 als der auf längere Dauer angelegte organisierte Zusammenschluss von mehr als zwei Personen definiert, die in Verabredung handeln, um Straftaten zu begehen, die mit Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung im Höchstmaß von mindestens vier Jahren oder einer schwereren Strafe bedroht sind, gleichviel, ob diese Straftaten Hauptzweck oder ein Mittel sind, um geldwerte Vorteile zu erlangen und gegebenenfalls die Tätigkeit öffentlicher Stellen in unzulässiger Weise zu beeinflussen. Der zur Angleichung der nationalen Bestimmungen zur Terrorismusbekämpfung ergangene Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2 0 0 2 bezeichnet in Art. 2 Abs. 1 als terroristische Vereinigung einen auf längere Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die zusammenwirken, um terroristische Straftaten zu begehen. Dabei wird der Begriff organisierter Zusammenschluss als Zusammenschluss definiert, der nicht nur zufällig zur unmittelbaren Begehung einer strafbaren Handlung gebildet wird und der nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder, eine kontinuierliche Zusammensetzung oder eine ausgeprägte Struktur hat.

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Danach stimmen diese Begriffsbestimmungen mit dem Vereinigungsbegriff des deutsehen Rechts überein, als ein auf Dauer angelegter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen gefordert wird. Bezüglich der organisatorischen und voluntativen Voraussetzungen besteht jedoch eine inhaltliche Divergenz zum deutschen am Vereinsrecht orientierten Vereinigungsbegriff, der insoweit höhere Anforderungen stellt. So verzichtet die europäische Vorgabe auf eine feste Rollenverteilung der Mitglieder, eine kontinuierliche Zusammensetzung und eine ausgeprägte Struktur, verlangt bezüglich der organisationsspezifischen Voraussetzungen also lediglich ein Mindestmaß längerfristiger instrumenteller Vorausplanung und Koordinierung. 1 4 9 Von der nach deutschem Verständnis erforderlichen Bildung eines Gesamtwillens und der Unterwerfung der Mitglieder unter diesen Gesamtwillen ist in der europäischen Definition dagegen überhaupt keine Rede.

46

Rahmenbeschlüsse des Rates sind zwar in den Mitgliedstaaten nicht unmittelbar wirksam; der Europäische Gerichtshof sieht jedoch die Mitgliedstaaten und ihre Staatsorgane, Gerichte eingeschlossen, verpflichtet, das nationale Recht europarechtskonform auszulegen, d.h. der Variante den Vorzug einzuräumen, welche mit Wortlaut, Sinn und

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So Kress JA 2005 220, 223; von HeintschelHeinegg FS Schroeder, S. 799, 803.

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Zweck des europäischen Rechtsakts am besten vereinbar ist. Dies gilt auch für Rahmenbeschlüsse.150 Die höchstrichterliche Rechtsprechung in Deutschland hat die gemeinschaftskonforme Auslegung in den Kanon der Auslegungsmethoden aufgenommen.151 48

In der Literatur wird deshalb z.T. die Auffassung vertreten, dass eine vorsichtige Anpassung des deutschen Vereinigungsbegriffs an die Definition des Rahmenbeschlusses geboten erscheint. 152 Hinsichtlich der organisatorischen Voraussetzungen soll danach der Zusammenschluss lediglich ein Mindestmaß längerfristiger instrumenteller Vorausplanung und Koordinierung aufweisen müssen. 153 Das anspruchsvolle Gesamtwillenerfordernis soll auf die Notwendigkeit einer „irgendwie regelhaften Willensbildung" zurückgeführt werden. 154 Ausreichend und dem Bestimmtheitsgebot Rechnung tragend wäre danach der Nachweis eines durch die Art der Organisation gewährleisteten Gesamtwillens, dem sich die einzelnen Mitglieder als für sie maßgeblich unterordnen. Unerheblich wäre es dagegen, wenn die Willensbildungs- und Führungsstruktur nicht durch Vereinbarung sämtlicher Vereinigungsmitglieder im Sinne eines gemeinsamen Unterwerfungsbeschlusses zustande gekommen 155 oder die Willensbildungs- und Führungsstruktur nicht geeignet wäre, das Gefühl einer Gruppenidentität aufzubauen.156

49

Auch der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hatte zunächst in einer Entscheidung, in der es allerdings um eine terroristische Vereinigung ging, Zweifel geäußert, ob an der herkömmlichen deutschen Definition des Vereinigungsbegriffs festgehalten werden könne oder ob nicht die Anforderungen an Struktur und Willensbildung solcher Zusammenschlüsse überprüft und herabgesetzt werden müssten. 157 Gleichzeitig hat er angedeutet, er neige einer solchen Neubestimmung des Begriffs zumindest für die Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes vom 22. Dezember 2003 zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2002 zu. 158 Eine abschließende Entscheidung erforderte der dem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt nicht. Demgegenüber hat der 3. Strafsenat in einem Beschluss vom 20. Dezember 2007 Zweifel angemeldet, ob die diskutierte europafreundliche Auslegung rechtlich überhaupt möglich ist. 159 Für eine entsprechende Anpassung sieht er jedenfalls beim Begriff der kriminellen Vereinigung keinen Raum. Ein Verzicht auf die bisherigen strengen Anforderungen an die Organisationsstrukturen und eine geregelte Willensbildung würde die zwingend erforderliche Abgrenzung zur Bande und zu mittäterschaftlichen Zusammenschlüssen vor kaum zu bewältigende Probleme stellen. Außerdem setze die Strafbarkeit eines Zusammenschlusses von Tätern, die etwa Diebstähle begehen, im Hinblick auf das abgestufte System von Tatvollendung, Versuch und Vorbereitungshand-

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EuGH (Maria Pupino) NJW 2 0 0 5 2 8 3 9 ; Gärditz/Gusy GA 2 0 0 6 2 2 5 ; Tinkl StV 2 0 0 6 36 ff; von Heintschel-Heinegg FS Schroeder, S. 799, 803; vgl. auch Di Fabio NJW 1990 947, 953; Dannecker Festgabe 5 0 Jahre BGH Bd. IV S. 339, 3 6 4 ff; Eisele J Z 2 0 0 1 1157. BGHSt 3 7 333, 336 f; vgl. auch BGHZ 138 55; Dannecker Festgabe 50 Jahre BGH Bd. IV S. 339, 366. Vgl. Kress JA 2 0 0 5 2 2 0 , 2 2 3 ; von Heintschel-Heinegg FS Schroeder, S. 799, 803; krit. Rudolphi/Stein SK Rdn. 6b; vgl. auch Miebach/Schäfer MK § 129a Rdn. 4 0 ff. Kress JA 2 0 0 5 2 2 0 , 2 2 3 ; von HeintschelHeinegg FS Schroeder, S. 799, 803.

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Kress JA 2 0 0 5 220, 2 2 3 ; von HeintschelHeinegg FS Schroeder, S. 799, 803; krit. Rudolphi/Stein SK Rdn. 6b; vgl. auch Miebach/Schäfer MK § 129a Rdn. 4 0 ff. Vgl. BGH NJW 1992 1518, 1519. Vgl. BGHSt 28 147; 31 239, 2 4 0 ; 45 26, 35; BGH NStZ-RR 2 0 0 2 3 0 0 , 301; NStZ 2 0 0 4 574; krit. hierzu auch Rudolphi/Stein SK Rdn. 6c. BGH NStZ-RR 2 0 0 6 2 6 7 („Freikorps Havelland"); vgl. auch schon OLG Düsseldorf III-VI 7/03 vom 26.11.2003. BGH NStZ-RR 2 0 0 6 267. BGH NStZ 2 0 0 8 146 m. Anm. Winkler juris PR-StrafR 7/2008 Anm. 2.

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Bildung krimineller Vereinigungen

§ 129

lung voraus, dass dieser schon für sich ein strafwürdiges Gefährdungspotential enthalte, was bei einer Gruppierung mit nur rudimentären Organisationstrukturen und ohne bindende Regeln über die Bildung des Gruppenwillens noch nicht angenommen werden könne. Eine Modifikation des bisherigen, an Vereinsstrukturen anknüpfenden Vereinigungsbegriffs bei der kriminellen Vereinigung im Sinne der europarechtlichen Vorgaben dürfte danach nur durch den Gesetzgeber möglich zu sein (zum Begriff der terroristischen Vereinigung vgl. § 129a Rdn. 26).

Π. Vereinigungszweck Zwecke oder Tätigkeit der Vereinigung müssen darauf gerichtet sein, Straftaten 160 zu begehen.

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1. Straftaten. Straftaten i.S. des § 129 sind grundsätzlich alle Verhaltensweisen, die in rechtwidriger, schuldhafter und strafbarer Weise einen gesetzlichen Straftatbestand verwirklichen. 161 Bloße Ordnungswidrigkeiten reichen nicht aus. 1 6 2 Im Einzelnen gilt folgendes:

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a) Straftaten beim Zusammenschluss der Vereinigung. Aus dem Kreis der Straftaten, auf deren Begehung Zwecke oder Tätigkeit der Vereinigung gerichtet sind, fallen zunächst die Delikte heraus, die mit dem organisatorischen Zusammenschluss der Vereinigung und seiner Aufrechterhaltung zusammenfallen. 163 Die Straftaten müssen also der Gründung der Vereinigung und den zu ihrer Aufrechterhaltung dienenden Aktivitäten zeitlich und logisch nachfolgen. Ist schon der organisatorische Zusammenschluss als solcher eine Straftat, so kann diese nicht mehr davon losgelöst als ein durch besondere und selbstständige Einzelhandlungen zu erreichendes Ziel im Sinne des § 129 angesehen werden. 164 Deshalb scheiden die in §§ 84 bis 87 StGB erfassten verfassungswidrige Vereinigungen betreffende Organisationsdelikte gemäß Absatz 2 Nr. 3 als Bezugsstraftat des § 129 aus (siehe unten Rdn. 87). Dies gilt auch, wenn Straftaten nach § 2 0 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 VereinsG vorliegen. 165

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b) Mehrere Straftaten. Nach dem Gesetzeswortlaut ist es erforderlich, dass die Vereinigung die Begehung mehrerer Straftaten beabsichtigt. Der Zusammenschluss zu einer bestimmten deliktischen Einzelaktion genügt nach h.M. nicht, auch wenn dadurch mehrere Straftatbestände verwirklicht werden. 166 Zur Begründung wird angeführt, dass die

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Krit. zur Verwendung des Straftatenbegriffs Schroeder Die Straftaten gegen das Strafrecht, S. 16 f. Miebach/Schäfer MK Rdn. 16; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 7. Miebach/Schäfer MK Rdn. 16; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 II Rdn. 6. BGHSt 7 6, 8; 41 47, 50; BGH NJW 1954 1253; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7b; Miebach/ Schäfer MK Rdn. 17; Ostendorf NK Rdn. 14. BGH 6 StR 5 3 / 5 4 v. 21.7.1954, bei Wagner GA 1960 231; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7b.

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 7b; Miebach/Schäfer MK Rdn. 51; Fischer Rdn. 21. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 31; Rudolphi/Stein SK Rdn. 9; Maurach /Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 II Rdn. 6; LangerStein Legitimation und Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen, S. 219 ff; Scheiff Wann begint der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 4 7 f.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

spezifische, die besondere Gefährlichkeit einer Vereinigung begünstigende Eigendynamik nur dann entstehe, wenn mehr als eine Tat Gegenstand des Gesamtwillens der Vereinigung sei. 1 6 7 Außerdem sei die Verabredung zu einer Einzeltat gemäß § 3 0 Abs. 2 nur bei Verbrechen strafbar. 1 6 8 54

Wann das Erfordernis, mehrere Straftaten zu begehen, als erfüllt anzusehen ist, wird im Einzelnen unterschiedlich interpretiert. Nach einer Auffassung müssen die geplanten gleich- oder verschiedenartigen Straftaten nicht in zeitlich größerem Abstand voneinander erfolgen. 1 6 9 Die Begehung einer Mehrheit von Straftaten im Rahmen einer geplanten zusammenhängenden Aktionseinheit wird insoweit für ausreichend erachtet. 1 7 0 Der Bundesgerichtshof hat es in der ersten Hausbesetzerentscheidung genügen lassen, wenn eine Gruppe von Hausbesetzern zur Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Inbesitznahme eines Hauses weitere Straftaten plant, um dem erwarteten Eingreifen der Polizei mit massiver Gewalt zu begegnen. 171 Nach gegenteiliger Auffassung reiche dies nicht aus, weil es sich um ein räumlich-zeitlich zusammenhängendes Vorhaben und deshalb lediglich um eine Aktion handele. Voraussetzung sei aber eine größere Anzahl strafbarer, voneinander unabhängiger Aktionen. 1 7 2 In den Hausbesetzerfällen komme § 129 deshalb nur dann in Betracht, wenn sich die Personengruppe zwecks mehrerer, unabhängig voneinander stattfindender Hausbesetzungen zusammenschließe. 173

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Dies erscheint zu weitgehend. Der besondere Strafgrund besteht nicht in der Verletzung der Rechtsgüter des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs; vielmehr geht es um den Schutz der Allgemeinheit vor der spezifisch vereinigungsbezogenen Gefährlichkeit eines Täterzusammenschlusses, der sich in kollektiver Form über Ordnungsnormen des Strafrechts hinwegsetzt. Die die besondere Gefährlichkeit einer Vereinigung begründenden gruppendynamischen Prozesse können sich aber auch dann entfalten, wenn die Organisation zweckrational auf die gemeinschaftliche Planung und Ausführung von Straftaten im Rahmen einer oder mehrerer Aktionen in schneller Folge gerichtet ist, sofern das Dauermoment der Vereinigung vorliegt. Anders als in § 30 richtet sich die Strafdrohung des § 129 auch nicht nach den von der Vereinigung intendierten Straftaten, weshalb der Hinweis, die Organisationsstraftat müsse sich von der Verbrechensverabredung durch die Zahl der intendierten Straftaten unterscheiden, nicht überzeugt.

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Ausreichend ist jedenfalls, wenn in den Hausbesetzerfällen die Vereinigung ursprünglich den Entschluss gefasst hatte, sich nicht nur einer Räumungsaktion mit Gewalt zu widersetzen, sondern auch bei weiteren Räumungsversuchen gewaltsamen Widerstand zu leisten. 174 Maßgeblich sind nämlich grundsätzlich die Vorstellungen, die die Mitglieder der Vereinigung bei der Gründung hegten. 175 War die Zielrichtung zu diesem Zeitpunkt

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Rudolphi FS Bruns, S. 315, 321; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7a. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7a. Miebach/Schäfer MK Rdn. 31; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7a; Mauracb/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 II Rdn. 7. Lackner/Kühl Rdn. 3. BGH N J W 1975 985; BGH 3 StR 9/75 vom 14.5.1975. Rudolpbi/Stein SK Rdn. 9; Ostendorf NK Rdn. 14; Langer-Stein Legitimation und

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Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen, S. 219 ff; Rudolphi ZRP 1979 214, 216; vgl. auch Rudolphi FS Bruns, S. 315, 321 f; im Ergebnis ebenso Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 7a. 173 Rudolphi/Stein SK Rdn. 9. 174 Yg[ Langer-Stein Legitimation und Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen, S. 221. 1 7 5 BGH NStZ-RR 2 0 0 2 300, 301.

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§ 129

nicht auf die Durchführung einer einzigen Aktion beschränkt, ist § 129 unabhängig davon zu bejahen, ob es später zur Ausführung derartiger Taten k o m m t . 1 7 6 c) Erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die begangenen oder geplanten Straftaten müssen eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten und unter diesem Blickwinkel von einigem Gewicht sein. 1 7 7 Dies folgt bereits aus dem Schutzzweck der Norm, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Bedeutung des § 129 als Katalogtat für besondere strafprozessuale M a ß n a h m e n . 1 7 8 Sind Zwecke oder Tätigkeit einer Vereinigung nur auf die Begehung geringfügiger Delikte gerichtet, die die öffentliche Sicherheit nicht oder nur ganz unerheblich beeinträchtigen, ist bereits der Schutzzweck der Norm nicht tangiert. Eines Rückgriffs auf § 1 2 9 Abs. 2 Nr. 2 , 1 7 9 der nicht auf das absolute Gewicht der Bezugsstraftaten, sondern auf deren Relation zu sonstigen Zwecken der Vereinigung abstellt, bedarf es zur Begründung dieser einschränkenden Auslegung nicht. 1 8 0

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Auszuscheiden haben danach Bagatelldelikte, auch wenn sie in großer Zahl begangen werden. 1 8 1 Zu weit geht aber die Auffassung, § 129 auf Vereinigungen zu beschränken, deren Zwecke oder Tätigkeit auf die Begehung besonders schwer wiegender Taten gerichtet sind. 1 8 2 Für eine solche Einschränkung bieten weder der Wortlaut des § 129 noch der Schutzzweck eine Grundlage. 1 8 3

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Ob Straftaten eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, ist aufgrand einer Gesamtwürdigung aller beurteilungserheblichen Fakten zu ermitteln, die für das M a ß der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit relevant sein können. 1 8 4 Dabei kann nicht nur auf den objektiven Unrechtsgehalt einer Straftat oder die abstrakte Strafdrohung abgestellt werden. Einzubeziehen in die Beurteilung der Frage, ob die von geplanten oder begangenen Straftaten ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit erheblich sind, sind vielmehr alle Begleitumstände. Dazu zählen insbesondere Art und nähere Umstände der geplanten oder geschehenen Taten, die tatsächlichen oder potentiellen

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Vgl. BGH NStZ-RR 2002 300, 301. BGHSt 31 202, 207; 41 47, 51 mit Anm. Krehl JR 1996 208; Ο Stendorf JZ 1996 55; Schittenhelm NStZ 1995 343; BGH NJW 1975 985; 1995 3395, 3396; OLG Düsseldorf NStZ 1998 249 m. Anm. Hofmann·, BayObLG StV 1998 266; Miebach/Schäfer MK Rdn. 18; Sch/Schröder/henckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 10, die unter Berufung auf den Gesetzeswortlaut und die Gesetzessystematik (Fehlen einer in anderen Tatbeständen, z.B. §§ 125, 126, 130, enthaltenen ausdrücklichen Beschränkung auf Fälle einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit) nur Straftaten von einigem Gewicht verlangen. BGHSt 41 47, 51; BayObLG StV 1998 265 f. Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1994 399; Lackner/Kühl Rdn. 3; Ostendorf NK Rdn. 14; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 II Rdn. 6.

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 10; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Scheiff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 80 f; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 94. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 94. Problematisch LG Berlin NStZ 1982 203, Hohmann wistra 1992 85, 89; dagegen Fischer Rdn. 12; Lackner/Kühl Rdn. 3; Rudolphi/Stein SK Rdn. 10, Scheiff, Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 81; missverständlich BGHSt 27 325, 328: erhebliche Straftaten. Lackner/Kühl Rdn. 3; Ostendorf NK Rdn. 14; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 II Rdn. 6. BGHSt 41 47, 51; BGH NJW 1995 3395, 3396.

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Tatauswirkungen, im Falle eines Äußerungsverhaltens der Inhalt der Verlautbarungen und die Zeitverhältnisse als Rahmen und Hintergrund des in Frage stehenden strafrechtswidrigen Verhaltens. 185 60

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Rechtsprechung den erforderlichen Erheblichkeitsgrad bejaht bei Gewalttätigkeiten im Zusammenhang mit Demonstrationen (Autonome Antifa), 1 8 6 bei Vorbereitungen eines Kampfeinsatzes im Rahmen einer mehrwöchigen Hausbesetzung, bei dem Delikte wie gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung geplant sind, 187 bei planmäßig begangenen Delikten gem. § 90b, § 185, § 187 in Form der systematischen Hetze gegen die Bundesregierung und die Justizorgane, 188 bei Sachbeschädigungen in Form von Farbsprühaktionen mit rechtsextremistischem Hintergrund, 189 bei Unterstützungshandlungen zugunsten von terroristischen Vereinigungen gem. § 129a Abs. 5, 1 9 0 bei systematischer Beschaffung falscher Ausweise und Aufenthaltserlaubnisse und anderen Verstößen gegen das Ausländergesetz sowie dem Unterhalten eines Strafsystems gegen schädliche Mitglieder, das mit der Begehung von Delikten wie Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Nötigung und Bedrohung verbunden ist (Heimatbüro der PKK), 191 bei der Veröffentlichung von Liedern mit Texten strafbaren Inhalts nach §§ 86, 90a, 111, 130, 140 (Musikgruppe Landser), 192 bei fortgesetztem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln 1 9 3 und bei organisierten Steuerstraftaten. 194

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Im Falle von Sachbeschädigungen kommt es nach der Rechtsprechung nicht allein auf das Gewicht der Substanzverletzungen an, vielmehr sind der Inhalt aufgesprühter Parolen, Bilder und Zeichen und deren Folgen für den inneren Frieden unter Berücksichtigung der Zeitverhältnisse mit in die Bewertung einzustellen. 195 Dem wird entgegengehalten, dass die Strafbarkeit vom Zeitgeist abhängig gemacht werde, was nicht nur zu Unsicherheiten in der Auslegung des § 129 führte, sondern auch im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz bedenklich sei. Außerdem konterkariere eine solche Auslegung die Absicht des Gesetzgebers bei der Neufassung des § 129 Abs. 2, wonach bei politischen Vereinigungen Begleitstraftaten von geringerem Gewicht wie Sachbeschädigung, Körperverletzung und politische Beleidigungen gerade keine Anwendung des ξ 129 begründen solle. 196

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Dagegen spricht, dass die Beurteilung einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht allein im Rahmen einer abstrahierenden und generalisierenden Betrachtung am objektiven Unrechtsgehalt einer Straftat festgemacht werden kann. Der Rechtsbegriff der erheblichen Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit ist für sich konturenlos und wenig aussagekräftig. Er bedarf einer wertenden Ausfüllung durch das Tatgericht.

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BGHSt 41 47, 51 ff; BGH NJW 1995 3395, 3 3 9 6 ; Miebach/Schäfer MK Rdn. 20. BGH NJW 1995 3395, 3 3 9 6 ; vgl. auch BGHSt 2 7 325. BGH N J W 1975 985; einschränkend Ostendorf JuS 1981 640, 6 4 2 . Vgl. BGHSt 2 0 87, 88; BGH NJW 1954 1253. BGHSt 41 47. OLG Düsseldorf NStZ 1998 2 4 9 mit zust. Anm. Hofmann. BGHSt 4 9 2 6 8 ff. BGH NStZ 2 0 0 5 377.

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BGH NStZ 1981 303. Vgl. BGHSt 4 8 2 4 0 , 2 5 0 f; BGH NStZ 2 0 0 4 574. BGHSt 41 47, 52 f; OLG Düsseldorf NJW 1994 398, 399; zustimmend Miebach/Schäfer MK Rdn. 2 2 ; Fischer Rdn. 12; zweifelnd Lackner/Kühl Rdn. 3. Krehl J R 1996 2 0 8 ; Ostendorf J Z 1996 55; Schittenhelm NStZ 1995 3 4 3 ; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 10a; Ostendorf NK Rdn. 24; krit. auch Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 6.

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Dies ist jedoch nur möglich, wenn auch die konkreten Umstände der Tatbegehung, die über die Verletzung des individuellen Rechtsguts hinausgehende, der Tat innewohnende Tendenz und die von der Vereinigung grundsätzlich verfolgten Ziele Berücksichtigung finden. Da die öffentliche Sicherheit gekennzeichnet ist durch den objektiven Zustand des unbedrohten Daseins aller im Staat sowie durch das subjektive Vertrauen der Bevölkerung in den Fortbestand dieses Zustande, 1 9 7 ist auch das aktuelle gesellschaftliche Klima bei der Beurteilung des Grades der Gefährdung mit zu berücksichtigen. 1 9 8 Wohnen Sachbeschädigungen in Form von Farbsprühaktionen mit rechtsextremen Parolen über die Eigentumsverletzung hinaus eine Missachtung elementarer verfassungsrechtlicher Werte wie der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft inne, gewinnt die Tat im Vergleich zu anderen Sachbeschädigungen einen besonderen Charakter. Sie kann deshalb geeignet sein, das friedliche Zusammenleben der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in Frage zu stellen und die öffentliche Ordnung zu stören, auch wenn die Schwelle des § 130 noch nicht erreicht ist. Hinzu kommt, dass solche als Sachbeschädigungen gewertete Aktionen in ihren Auswirkungen gewichtiger sein können als die Begehung qualifizierter Sachbeschädigungen nach §§ 3 0 5 , 3 0 5 a , die sogar als Katalogtat in § 129a Abs. 2 aufgeführt sind. 1 9 9 d) Begehung eigener Straftaten. Ziel der Vereinigung muss die Begehung eigener Straftaten sein. 2 0 0 Dabei spielt die Art der Tatbeteiligung keine Rolle. Es reicht deshalb aus, wenn den Mitgliedern einer Vereinigung begangene oder noch zu begehende Straftaten im Wege der Täterschaft oder der Teilnahme zugerechnet werden k ö n n e n . 2 0 1

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Umstritten ist, ob die Unterstützung oder Förderung fremder Straftaten ein für § 129 ausreichender Vereinigungszweck ist, z.B. der Zweck, eine terroristische Vereinigung zu unterstützen (§ 129a Abs. 5), öffentlich zu Straftaten aufzufordern (§ 111), andere in Schriften zu Straftaten anzuleiten (§ 130a) oder Straftaten öffentlich zu billigen (§ 140 Nr. 2). Grundsätzlich kommt als Zweck oder Tätigkeit der Vereinigung die Verwirklichung aller Tatbestände des deutschen Strafrechts in Betracht. Eine schematische Ausgliederung von Straftatbeständen lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen. 2 0 2 Maßgeblich ist insoweit nur, ob die geplanten oder begangenen Straftaten geeignet sind, das Schutzgut des § 129 zu gefährden. Da die genannten Delikte ihrerseits z.T. auf weitere Tatbestände verweisen, ist eine Gesamtbewertung unter Einbeziehung des Gewichts des Delikts, auf das verwiesen wird, erforderlich und nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu entscheiden, ob eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit heraufbeschworen wird. 2 0 3

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Vgl. OLG Hamburg NJW 1983 2273; Schäfer MK § 125 Rdn. 1; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben § 125 Rdn. 2. Miebach/Schäfer MK Rdn. 24. BGHSt 41 47, 53. BGHSt 27 325, 328; BGH NStZ 1999 503, 504; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7a; Fischer Rdn. 14; Scheiff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 71. BGH NStZ 1999 503, 504. OLG Düsseldorf NStZ 1998 249 m. Anm.

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Hofmann entgegen OLG Koblenz, OJs 13/95 vom 5.3.1997, aufgehoben durch BGH StB 7/97; vgl. auch Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 82 f. Vgl. Miebach/Schäfer MK Rdn. 25; Fischer Rdn. 14; Ostendorf NK Rdn. 14; Scheiff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 68; aA bzgl. §§ 111, 140: v. Bubnoff L K " Rdn. 7; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 II Rdn. 7.

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In Fällen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 5), der Anleitung zu Straftaten (§ 130a) und der Billigung von Straftaten (§ 140 Nr. 2) dürfte dies regelmäßig zu bejahen sein. 2 0 4 Da der Kreis der in Bezug genommenen Vorschriften in § 111 nicht näher bestimmt ist, kommt § 111 als Anknüpfungstat nur nach Maßgabe des Einzelfalls in Betracht. Der Bundesgerichtshof hatte es für die Strafbarkeit nach § 129 zunächst nicht als ausreichend erachtet, wenn eine Vereinigung Straftaten anderer billigt oder andere zu Straftaten auffordert. 205 Nunmehr neigt er dazu, § 129 bei Taten nach § 111 für anwendbar zu halten, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalls eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit begründet wird. 2 0 6

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e) Straftaten im Ausland. Straftaten, die im Ausland begangen werden sollen, fielen nach bisheriger Rechtsprechung nur dann unter § 129, wenn nach den Regeln des Rechtsgeltungsrechts der §§ 3 ff StGB das deutsche Strafrecht auf sie im Fall ihrer Begehung Anwendung fände. 2 0 7 Ob diese einschränkende Auslegung nach der Erstreckung des § 129 auf ausländische Vereinigungen aufrecht erhalten werden kann, wird kontrovers beurteilt. Nach einer Ansicht kommt § 129 weiterhin nur dann in Betracht, soweit für die zu begehenden Straftaten die Voraussetzungen der §§ 3 bis 7 erfüllt sind. 208 Dies erscheint jedoch fraglich, weil mit der Einfügung des § 129b der tragende Grund für das bisherige Erfordernis eines Inlandsbezuges nach den § § 3 ff entfallen ist. 2 0 9 Der Schutzbereich des § 129 ist mit der Einbeziehung ausländischer Organisationen in den Vereinigungsbegriff nicht mehr nur auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. § 129 kann deshalb nicht mehr als „Ausführungsgesetz" des Art. 9 Abs. 2 GG qualifiziert werden, der nur solche Vereinigungen verbietet, deren Zwecke oder Tätigkeiten den deutschen Strafgesetzen zuwiderlaufen. 210 Die bisherige restriktive Auslegung würde der erklärten Zielsetzung des Gesetzgebers zuwiderlaufen, gerade international operierende Vereinigungen zu erfassen. Sie stünde bezüglich ausländischer Vereinigungen im europäischen Ausland auch nicht in Einklang mit der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe der Gemeinsamen Maßnahme des EU-Rates betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung vom 21. Dezember 1998. Danach dürfen die nationalen Gesetzgeber die Pönalisierung der kriminellen Vereinigung nicht davon abhängig machen, in welchem EU-Mitgliedstaat sich die Organisationsstruktur der Vereinigung oder der Ort befindet, wo nach dem Ziel der Vereinigung die Straftaten begangen werden sollen. 211

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Dies bedeutet, dass der Tatbestand des § 129 auch dann erfüllt ist, wenn der Zweck der Vereinigung auf die Begehung solcher Straftaten gerichtet ist, bei denen keine Anknüpfungspunkte nach den § § 3 ff für die Geltung deutschen Strafrechts vorliegen,

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Fischer Rdn. 14; Sch/SchröderIhencknerl Sternberg-Lieben Rdn. 7; vgl. auch OLG Düsseldorf NStZ 1998 2 4 9 m. Anm. Hofmann. BGHSt 2 7 325, 327; offen gelassen in BGHSt 41 47, 54. BGH NStZ 2 0 0 0 27. BGH NJW 1966 310, 312; NStZ-RR 2 0 0 2 300, 301; CR 2 0 0 2 378. Miebach/Schäfer MK Rdn. 2 6 ; Fischer Rdn. 10; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 6, wonach es gem. § 3 i.V.m. § 9 Abs. 2 ausreichend ist, wenn die Be-

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gehung der Auslandstat zentral in der Bundesrepublik Deutschland gesteuert wird. Rudolphi/Stein SK Rdn. 8; Kindhäuser LPK Rdn. 13; Lackner/Kühl Rdn. 3; Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 180; Stein GA 2 0 0 5 433, 4 4 8 ; Kress JA 2 0 0 5 220, 227. Rudolphi/Stein SK Rdn. 8; Kindhäuser LPK Rdn. 13; Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 180; Stein GA 2 0 0 5 433, 4 4 8 ; Kress JA 2 0 0 5

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Stein GA 2 0 0 5 433, 443, 4 4 8 ; Kress JA 2 0 0 5 2 2 0 , 227.

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etwa beim Zusammenschluss ausländischer Staatsbürger, die ausschließlich Betrügereien zu Lasten von Versicherungen im Ausland begehen wollen. 212 Unberührt davon bleibt das Erfordernis, dass die Tathandlungen des § 129 (mitgliedschaftliche Beteiligung, Gründung, Werbung und Unterstützung) weiterhin nur nach Maßgabe der §§ 3 ff deutschem Strafrecht unterfallen (siehe § 129b Rdn. 8 ff) 2 1 3 Deutsches Recht bleibt allerdings maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob die Zwecke oder Tätigkeit der Organisation überhaupt auf Straftaten gerichtet sind. Zielt die Vereinigung auf Aktionen ab, die nur im Ausland unter Strafe gestellt sind, sich aber nicht unter einen deutschen Straftatbestand subsumieren lassen, ist § 129 nicht erfüllt. Es ist nicht Aufgabe des deutschen Strafrechts, ausländischen Rechtsvorstellungen zum Durchbruch zu verhelfen. 214

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Der umgekehrte Fall, dass die Bezugsstraftaten zwar nach deutschem, nicht aber am ausländischen Tatort unter Strafe gestellt sind, wird kontrovers beurteilt. Eine Auffassung will unter Berufung auf die Regeln der lex loci § 129 nur dann anwenden, wenn die beabsichtigte Tat auch nach dem ausländischen Tatortrecht strafbar wäre, es sei denn die Bezugstat richtet sich gegen inländische oder gegen international geschützte Rechtsgüter, für die unabhängig vom Recht des Tatorts nach Maßgabe der §§ 5, 6 StGB deutsches Recht gilt. 215 Nach gegenteiliger Auffassung spielt es keine Rolle, ob die intendierten Taten nach ausländischem Tatortrecht strafbar oder gegen deutsche oder international geschützte Rechtgüter gerichtet wären. 216 Als Anknüpfungspunkt reiche aus, dass das Tatverhalten des ξ 129 den Voraussetzungen der § § 3 ff genüge. Für die erste Auffassung spricht der im internationalen Strafrecht in § 7 zum Ausdruck kommende Grundsatz, dass sich das deutsche Strafrecht nicht für solche Gebiete Geltung anmaßen soll, in denen der territorial primär zuständige Auslandsstaat strafrechtlichen Schutz für nicht geboten hält. 217

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2. Ausrichtung auf Straftatbegehung. Entweder die Zwecke der Vereinigung oder ihre Tätigkeit müssen darauf gerichtet sein, Straftaten zu begehen.

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a) Zweck der Straftatbegehung. Eine Vereinigung ist dann auf die Begehung von Straftaten gerichtet, wenn dies der verbindlich festgelegte Zweck ist, zu dessen Erreichung sich die Mitglieder verpflichtet haben. 218 Dies bedeutet, dass die Organisation der Vereinigung auf den Zweck der gemeinschaftlichen Begehung von Straftaten hin konzipiert sein muss. 219 Der gemeinsame Wille zur Begehung von Straftaten muss fest gefasst und darf nicht nur vage oder vom Ergebnis weiterer Willensbildungsprozesse abhängig sein. Die Zweckvereinbarung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Nicht ausrei-

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 8; Kindhäuser LPK Rdn. 13; Lackner/Kühl Rdn. 3; Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 180; Stein GA 2 0 0 5 433, 448; Kress JA 2 0 0 5 2 2 0 , 227. Rudolphi/Stein SK Rdn. 8; Miebach/Schäfer MK § 129b Rdn. 9; Altvater NStZ 2 0 0 3 179. Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 180; Rudolphi/Stein SK Rdn. 8; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lteben Rdn. 6; Kindhäuser LPK Rdn. 13; Stein GA 2 0 0 5 433, 438, 4 4 6 .

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Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 180; Kindhäuser LPK Rdn. 14; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6. Rudolphi/Stein SK Rdn. 8; Stein GA 2 0 0 5 433, 4 4 8 f. Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 180. BGHSt 4 9 268, 271; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 7; Rudolphi/Stein SK Rdn. 11; Miebach/Schäfer MK Rdn. 27; Fischer Rdn. 11. BGHSt 4 9 268, 271; Rudolphi/Stein SK Rdn. I I a ; Rudolphi FS Bruns, S. 315, 321.

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chend ist es, wenn sich die Mitglieder der Vereinigung nur bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Straftaten kommen kann. 2 2 0 Bereits der Wortlaut des § 129 verlangt eine zweckrationale Ausrichtung des Willens der Mitglieder auf Begehung von Straftaten und damit mehr als das bloße Bewusstsein, dass es zu Straftaten kommen könnte. 2 2 1 Nur bei entsprechender Zweckbestimmung ist die besondere Gefährlichkeit der Vereinigung zu bejahen, die den Gesetzgeber veranlasst hat, den Strafrechtsschutz so weit in das Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung vorzuverlagern. 222 72

Das Ziel, Straftaten zu begehen, muss vom Gesamtwillen der Gruppe getragen werden. Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob eine Vereinigung auf die Begehung von Straftaten konzipiert ist, sind deshalb die Personen, die die kriminelle Vereinigung bilden. Missverständlich ist insoweit die Formulierung, es komme (nur) auf die Willensbildung der maßgeblichen Führungspersonen an. 2 2 3 Das Ziel, Straftaten zu begehen, ist nur dann Ziel der Vereinigung, wenn es durch einen vereinigungsinternen Willensbildungsprozess der Mitglieder gedeckt ist. Werden kriminelle Zwecke nur vom Anführer oder von einzelnen Mitgliedern verfolgt, ohne dass die Zweckgerichtetheit von den übrigen Gruppenmitgliedern getragen wird, ist eine solche Gruppierung nicht auf kriminelle Zwecke i.S. von § 129 gerichtet. 2 2 4 Ausreichend ist es aber, wenn die für die Willenbildung innerhalb des Zusammenschlusses maßgeblichen Personen, die keine Organstellung zu haben brauchen, 2 2 5 das Ziel verfolgen, strafbare Handlungen zu begehen und die Mitglieder sich dem Gruppenwillen unterwerfen und die Führungs- und Entscheidungsstrukturen anerkennen. 2 2 6 Bildet sich innerhalb einer Bewegung ein harter Kern, dessen Mitglieder sich an Straftaten beteiligen wollen, so bildet nur dieser eine kriminelle Vereinigung. 227 Personen außerhalb dieses Kerns, die die Gewalttaten zwar billigen, aber nicht bereit sind, an der Begehung von Straftaten mitzuwirken oder diese mit zu tragen, sind allenfalls Unterstützer einer solchen Vereinigung, nicht aber Mitglieder. 228 Allerdings setzt § 129 nicht voraus, das alle Mitglieder Straftaten begehen oder diese billigen. 2 2 9 Ausreichend ist, wenn die Ausführung der geplanten Straftaten einzelnen Mitgliedern zugewiesen und dies vom Gesamtwillen der Gruppe getragen wird.

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Die Begehung von Straftaten braucht nicht das Endziel bzw. der Hauptzweck der Vereinigung zu sein. Auch wenn sie die Erreichung eines weiter gesteckten Endziels nur vorbereiten sollen, bleiben Zwecke oder Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung strafbarer Handlungen gerichtet. 2 3 0 Dabei ist es unerheblich, ob der über die Begehung von Straftaten hinausgehende Endzweck seinerseits missbilligenswert ist. 2 3 1 Allerdings darf

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BGHSt 4 9 268, 2 7 2 unter Aufgabe von BGHSt 2 7 325, 328; BGH NStZ 1999 503, 5 0 4 ; BGHR StGB § 129 Gruppenwille 2; Ostendorf NK Rdn. 13; Miebach/Schäfer MK Rdn. 27; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 II Rdn. 5. BGHSt 4 9 268, 2 7 2 ; Rudolphi FS Bruns, S. 315, 321. BGHSt 4 9 268, I I I . Kindhäuser LPK Rdn. 16; Lackner/Kühl Rdn. 2 unter Hinweis auf BGHSt 7 2 2 2 , 225. BGHR StGB § 129 Gruppenwille 2; BGHSt 4 9 268, 2 7 2 ; Miebach/Schäfer MK Rdn. 2 9 ; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Fischer Rdn. 16.

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BGHSt 7 2 2 2 , 2 2 4 . Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7. BGHSt 45 2 6 , 36. BGHSt 45 2 6 , 36. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Miebach/Schäfer MK Rdn. 29; Rudolphi/Stein SK Rdn. 11; Fischer Rdn. 16. BGHSt 15 259, 2 6 0 ; 2 7 325, 326; 41 47, 56; BGH NJW 1966 310, 312; 1975 985; BayObLG NStZ-RR 1997 251, 2 5 2 ; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Fischer Rdn. 15. BayObLG NStZ-RR 1997 251, 252.

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Bildung krimineller Vereinigungen

§ 129

die Begehung von Straftaten nicht von völlig untergeordneter Bedeutung sein. Sie muss vielmehr das Erscheinungsbild der Vereinigung aus Sicht informierter Dritter mitprägen. 2 3 2 Dies ist nicht der Fall, wenn es nur gelegentlich oder beiläufig zu Straftaten kommt. 2 3 3 Das verbindlich festgelegte Ziel der Begehung von Straftaten muss sich nach h . M . nicht in Planungen einer konkreten Tat oder gar in vorbereitenden Aktivitäten für solche Taten manifestiert haben. 2 3 4 Es genügt die bloße Existenz der Vereinigung, wenn sie auf die Begehung von Straftaten konzipiert ist, wobei die bezweckten Taten noch nicht im Einzelnen konkretisiert sein müssen. 2 3 5 Die Gegenmeinung, die als „Gefährlichkeitstest" des Zusammenschlusses zumindest die konkrete Planung der ersten T a t 2 3 6 oder eine Manifestation prinzipieller Bereitschaft zur Straftatbegehung in ersten vorbereitenden Handlungen 2 3 7 verlangt, findet im Gesetz keine Stütze. 2 3 8 Gerade bei politisch motivierten Vereinigungen, deren Endziel die Erreichung weitergehender Zwecke ist, bedarf es aber insbesondere in der Gründungsphase der Vereinigung sorgfältiger Prüfung, ob die Organisationsstruktur der Vereinigung tatsächlich gerade auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist. 2 3 9

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Für die Strafbarkeit ist es unerheblich, ob die Vereinigung ihre Ziele öffentlich oder im Geheimen verfolgt. 2 4 0

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Der Charakter einer Gruppierung kann sich durch Änderung ihrer Zwecke und Tätigkeit wandeln. Eine bereits bestehende Vereinigung, die legalen Zwecken dient, kann durch die spätere Ausrichtung auf die Begehung von Straftaten eine kriminelle Vereinigung werden. 2 4 1 Ändert sich die Zielrichtung einer kriminellen Vereinigung dahingehend, dass sie nunmehr beabsichtigt, Straftaten gem. § 129a zu begehen, liegt eine terroristische Vereinigung vor. 2 4 2 Umgekehrt kann eine terroristische Vereinigung ihre terroristischen Aktivitäten einstellen und als bloß kriminelle Vereinigung weiter bestehen. 2 4 3 Gibt eine kriminelle Vereinigung ihre bisherige Ausrichtung auf und verfolgt einen legalen Kurs, kommt § 129 nicht mehr in Betracht, sofern dies ernsthaft und nicht nur vorübergehend geschieht, etwa um die Kräfte zu erneuern oder einem aktuellen Verfolgungsdruck auszuweichen. Behält sich eine Vereinigung, die nach einem Kurswechsel ihre Ziele mit friedlich-politischen Mitteln verfolgt, die Begehung von Straftaten unter Bedingungen vor, von denen nicht absehbar ist, ob und wann sie eintreten, fehlt es an

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BGHSt 41 47, 56; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 7; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 II Rdn. 5. BGHSt 27 325, 328; 31 202, 206, Fischer Rdn. 16; Lampe ZStW 106 (1994) 683, 707. BGHSt 27 325, 328; 49 268, 272; BGH NStZ 1999 503, 504; 2005 377, 378; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Miebach/Schäfer MK Rdn. 28; Rudolphi/Stein SK Rdn. IIa; Fischer Rdn. 15; Ostendorf NK Rdn. 13; Kindhäuser LPK Rdn. 16. Lackner/Kühl Rdn. 3. Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 14, Langer-Stein Legitimation und Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen, S. 221.

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Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 78 f; Scheiff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Verreinigungen? S. 74 f. BGHSt 49 268, 273. Vgl. Fischer Rdn. 15. BGHSt 7 222, 224; 9 101,103 jeweils zu § 90a a.F.; Miebach/Schäfer MK Rdn. 34; Fischer Rdn. 15. BGHSt 27 325, 326; 49 268, 273. Vgl. BayObLG NStZ-RR 1997 251, 252. Vgl. das Beispiel der innerhalb der Kurdischen Arbeitpartei PKK in Deutschland bestehenden terroristischen Vereinigung, die ab Sommer 1996 nur noch als kriminelle Vereinigung weiterbestand, BGHSt 49 268, 269.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

der erforderlichen festen Ausrichtung der Zwecke der Vereinigung auf die Begehung von Straftaten. 2 4 4 77

b) Tätigkeit der Vereinigung. Nach dem Gesetzeswortlaut genügt es, wenn die Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist. Die Tätigkeit kann in der unmittelbaren Vorbereitung oder Durchführung von Straftaten liegen, aber auch legale Handlungen umfassen (Anmieten von Wohnungen, Maßnahmen zur Tarnung). Voraussetzung ist immer, dass die Tätigkeit eine der Vereinigung zurechenbare Verfolgung des Straftatenbegehungszwecks ist. 2 4 5 In der Literatur wird deshalb das Abstellen des Gesetzgebers auch auf die Tätigkeit der Vereinigung zu Recht als überflüssig erachtet. 2 4 6

ΙΠ. Tatbestandliche Ausnahmen (Abs. 2) 78

§ 129 Abs. 2 nimmt bestimmte Vereinigungen, die unter § 129 Abs. 1 zu subsumieren wären, vom Anwendungsbereich der Norm aus.

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1. Politische Parteien. Nach § 129 Abs. 2 Nr. 1 gilt Absatz 1 nicht für politische Parteien, die das Bundesverfassungsgericht noch nicht für verfassungswidrig erklärt hat. Damit trägt der Gesetzgeber dem Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 2 GG Rechnung. Die Ausnahmebestimmung wurde als Reaktion auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Oktober 1963, die die Anwendbarkeit des § 129 auf politische Parteien verneint hat, 2 4 7 durch das Vereinsgesetz vom 5. August 1964 eingefügt. Die Rechtsprechung hatte aber bereits zuvor politische Parteien vom Tatbestand des § 129 ausgenommen. 2 4 8

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Der Begriff der Partei bestimmt sich nach § 2 ParteienG. 249 Ob eine Vereinigung eine Partei i.S. des Art. 21 Abs. 1 GG ist, wird - soweit die Frage gemäß § 129 Abs. 2 Nr. 1 StGB für die Entscheidung von Bedeutung ist - von den Strafgerichten geprüft. 250 Qualifiziert das Bundesverfassungsgericht eine Partei in einer Entscheidung als verfassungsgemäß, hat dies allerdings Bindungswirkung. Das Parteienprivileg gilt nicht für parteiunabhängige Tarn- und Nebenorganisationen, 251 für von Parteien gesteuerte, als deren verlängerter Arm fungierende Teilorganisationen 252 oder für sonstige politische Organisationen ohne spezifischen Parteicharakter i.S. des § 2 ParteienG. 253 Der Ausschlusstatbestand des § 129 Abs. 2 Nr. 1 gilt auch nicht für selbstständige Organisationen, die sich innerhalb einer Partei bilden. Erfüllen diese die spezifischen Voraussetzungen einer Vereinigung, kommt eine Strafbarkeit nach § 129 Abs. 1 in Betracht. 2 5 4 Die Vorschrift schützt auch nicht einzelne Parteimitglieder, die sich zur Begehung von Straftaten organisie-

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BGHSt 4 9 268. Kudolpbi/Stein SK Rdn. 12. Rudolphi/Stein SK Rdn. 12 (logisch überflüssig); Fischer Rdn. 15 (Formulierung irreführend); Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 II Rdn. 5 (sinnlose Formulierung). Vgl. BVerfGE 17 155, 163 ff. BGHSt 15 259, 260; vgl. auch die Nachweise bei Wagner GA 1963 241. Vgl. BVerfGE 91 2 6 2 , 2 6 6 ff; BVerfG NJW

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1987 769; BVerwG NJW 1986 2654; BGH NJW 1974 565; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 46. Vgl. BGH NJW 1974 565. Vgl. BGHSt 2 7 59, 61. BVerfG NJW 1987 769. Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1994 398, 399. Fischer Rdn. 18; Miebach/Schäfer MK Rdn. 47.

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ren. 2 5 5 Auf ausländische Vereinigungen ist Abs. 2 Nr. 1 nicht anwendbar, weil sich das Parteienprivileg auf sie nicht erstreckt. 256 Bei anhängigem Verbotsverfahren gegen eine Organisation entfällt die Ausschlussvorschrift des Absatzes 2 Nr. 1 mit der verfassungsgerichtlichen Feststellung der Verfassungswidrigkeit als politischer Partei. Eine Rückwirkung im Hinblick auf den Ausschlusstatbestand entfaltet eine entsprechende Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht 2 5 7

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Umstritten ist, ob der Tatbestandsausschluss auch dann eingreift, wenn die geplanten oder begangenen Straftaten einer noch nicht für verfassungswidrig erklärten Partei nicht mehr im Rahmen der politischen Tätigkeit der Partei liegen. 258 Dies ist zu bejahen. Eine Einschränkung des Ausnahmetatbestands auf politisch motivierte oder im Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit der Partei stehende Straftaten ist dem Wortlaut der Norm nicht zu entnehmen und lässt sich auch aus den einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 259 und des Bundesgerichtshofs 260 nicht herleiten. 261 Sie würde auch die Feststellungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts unterlaufen. 262 Im Übrigen dürften dem Versuch einer Abgrenzung politisch motivierter Straftaten von solchen, die nicht im Rahmen der politischen Tätigkeit einer Partei begangen werden, schon erhebliche praktische Schwierigkeiten entgegenstehen. 263

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2. Untergeordnete Bedeutung. Gem. § 129 Abs. 2 Nr. 2 fallen Vereinigungen, bei denen die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist, nicht unter den Tatbestand.

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Bei diesem Ausnahmetatbestand geht es nicht darum, ob die geplanten oder durchgeführten Straftaten eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. 264 Dies betrifft die Frage, ob überhaupt eine Straftat i.S.v. § 129 Abs. 1 vorliegt (siehe oben Rdn. 57 ff). Prüfungsmaßstab von Absatz 2 Nr. 2 ist nach dem Wortlaut der Norm vielmehr, ob die Begehung von Straftaten im Verhältnis zum Gesamtzweck der Vereinigung nicht von untergeordneter Bedeutung ist. 2 6 5 Die Begehung von Straftaten muss nicht Endziel, Hauptzweck oder ausschließliche Tätigkeit der Vereinigung sein. 2 6 6 Auch wenn die Begehung von Straftaten nur einen von mehreren Zwecken oder eine von mehreren Tätigkeiten der Vereinigung darstellt, ist dieser Zweck oder diese Tätigkeit nicht mehr von untergeordneter Bedeutung, wenn die kriminellen Aktivitäten das Erscheinungsbild

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Fischer Rdn. 18; Miebach/Schäfer MK Rdn. 47. Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 180; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 7a; Fischer Rdn. 18; Lackneri Kühl Rdn. 3. Vgl. Rühl NJW 1995 561, 5 6 2 . Bejahend Rudolphi/Stein SK Rdn. 7a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 46; Fischer Rdn. 19; Kindhäuser LPK Rdn. 38; Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 18; verneinend Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9. BVerfGE 4 7 130, 141. BGHSt 2 9 50, 54. Vgl. Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 1 2 9 , 1 2 9 a StGB, S. 87; Miebach/Schäfer MK Rdn. 4 6 .

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 7a. Fischer Rdn. 19; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 87. So aber v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 4 0 . BGHSt 41 47, 5 5 f; 4 9 268, 2 7 4 f; Miebach/ Schäfer MK Rdn. 50; Rudolphi/Stein SK Rdn. 13; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 10; Fischer Rdn. 2 0 ; Scheiff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 80 ff. BGHSt 41 47, 56 m. Anm. Krehl J R 1996 208, Ostendorf J Z 1996 55 und Schittenhelm NStZ 1995 343.

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der Vereinigung aus der Sicht informierter Dritter mitprägen. 2 6 7 Damit scheiden gelegentliche oder eher beiläufige kriminelle Handlungen aus dem Anwendungsbereich des § 129 ebenso aus wie solche kriminelle Aktivitäten, die im Vergleich zum Gesamtzweck und der Gesamttätigkeit der Vereinigung nebensächlich sind. 2 6 8 Kriterien zur Beurteilung der Frage, ob die kriminellen Aktivitäten das Erscheinungsbild der Vereinigung mitprägen, sind zum Beispiel, ob die strafrechtlichen Aktivitäten systematisch, über einen längeren Zeitraum und in welcher Anzahl begangen werden. Daneben spielt eine Rolle, in welchem inhaltlichen Bezug die konkreten Zielsetzungen geplanter oder begangener Straftaten zu den sonstigen Zwecken der Vereinigung stehen. Danach können selbst gelegentliche erhebliche Straftaten nicht ausreichend sein, wenn sie keinen prägenden Einfluss auf das Erscheinungsbild der Vereinigung ausüben. 2 6 9 85

Der Gesetzgeber hat bei Einführung der Tatbestandsausschlussklausel vor allem an Fallgestaltungen gedacht, bei denen Vereinigungen politischen Charakters gelegentliche Straftaten oder zwar häufiger vorkommende, aber geringfügige Delikte wie Abreißen von Plakaten, Beschmieren von Hauswänden, zu Körperverletzungen führendes Randalieren in politischen Versammlungen oder Verunglimpfungen von politischen Gegnern begehen. 2 7 0 Die Rechtsprechung hat den Ausnahmetatbestand nach Nummer 2 verneint bei planmäßiger, mit häufiger Begehung von Straftaten nach §§ 185, 187, 187a verbundener Hetze gegen die Bundesregierung oder Justizorgane, 271 bei massiven Gewaltmaßnahmen von Hausbesetzern im Rahmen eines Kampfeinsatzes gegen die Polizei, 272 bei ausländerfeindlichen Sprühaktionen 2 7 3 und bei systematischer Beschaffung falscher Ausweise und von Aufenthaltserlaubnissen sowie anderer Verstöße gegen das Ausländergesetz im Rahmen der Schleusung von Kämpfern und als Voraussetzung des illegalen Aufenthalts eigener Kader der PKK. 2 7 4

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In Fällen, in denen die kriminelle Vereinigung nur aus einem Teil der Mitglieder einer Gesamtorganisation besteht, wie z.B. der engere Führungszirkel der PKK in Deutschland, kommt es zur Beurteilung der Frage, ob die Straftatenbegehung ein Zweck von untergeordneter Bedeutung ist, vorrangig auf die kriminellen Aktivitäten und die sonstigen Zwecke speziell der Personen an, die die kriminelle Vereinigung bilden. 275

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3. Straftaten nach § § 8 4 bis 87. Nach § 129 Abs. 2 Nr. 3 ist Absatz 1 nicht anzuwenden auf Vereinigungen, deren Zweck oder Tätigkeit die Begehung von Straftaten nach § § 8 4 bis 87 ist. Damit soll eine Doppelbestrafung wegen desselben Verhaltens vermieden werden. 2 7 6 Die Regelung wird auch als Ausdruck des so genannten Verbots- und Feststellungsprinzips verstanden, wonach die Verfolgung verfassungswidriger Ziele im

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BGHSt 41 47, 55 f; 4 9 2 6 8 , 2 7 4 f; Sch/ Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Miebach/Schäfer MK Rdn. 49; Fischer Rdn. 20; im Ergebnis ebenso Rudolphi/Stein SK Rdn. 13. BGHSt 4 9 268, 274; Miebach/Schäfer MK Rdn. 4 9 ; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 10. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Rudolpbi/Stein SK Rdn. 13; Scbeiff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 82 f. Vgl. BTDrucks. IV/2145, S. 8; BGHSt 41 47, 52; BGH N J W 1975 985 f.

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BGHSt 2 0 87, 88. BGH NJW 1975 985 f; vgl. auch LG Berlin NStZ 1982 203. BGHSt 41 47, 5 5 ff; OLG Düsseldorf NJW 1994 398, 399. BGHSt 4 9 2 6 8 ff. BGHSt 4 9 268, 2 7 5 ; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Fischer Rdn. 2 0 . Sch/Scbröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Miebach /Schäfer MK Rdn. 51; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7b.

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Rahmen einer Partei oder Vereinigung grundsätzlich erst nach der in einem Partei- oder Vereinigungsverbot zum Ausdruck kommenden Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Partei oder Vereinigung durch die dafür zuständigen Stellen unter Strafe gestellt sein soll. 2 7 7 Aus denselben Gründen scheidet eine Bestrafung nach § 129 auch dann aus, wenn es um Taten nach § 2 0 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 VereinsG geht. 2 7 8 Diese Vorschrift ist lediglich aus technischen Gründen nicht aufgenommen worden. 2 7 9 Nummer 3 gilt nicht für Straftaten außerhalb der § § 8 4 bis 87, die sich unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Vereinigung an jedermann richten. So kommen § 8 9 , 2 8 0 § 9 0 a , 2 8 1 § 90b, § 185, § 187, § 1 8 7 a ; 2 8 2 § 111, § 126, § 130a, § 140 oder § 3 0 3 2 8 3 als Straftaten gemäß § 129 in Betracht, soweit sie nicht nur untergeordnete Bedeutung haben (Absatz 2 Nr. 2).

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IV. Beispiele aus der Rechtsprechung 1. Extremistische Gruppierungen. Im Bereich der rechtsextremistischen PersonenZusammenschlüsse hat die Rechtsprechung z.B. neonazistische Ortsgruppen und Kader, die Plakatierungs- und Sprühaktionen mit agitativer Hetze und ausländer- und fremdenfeindlichen Parolen planen und ausführen, als kriminelle Vereinigung eingestuft. 2 8 4 Hierzu zählen auch Angehörige rechtsextremer Musikgruppen, die Lieder rechtsradikalen, rassistischen und ausländerfeindlichen Inhalts verbreiten (Musikgruppe Landser, 2 8 5 Musikgruppe Race W a r 2 8 6 ) .

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Aus dem linksextremistischen Bereich zu nennen sind Gruppierungen aus der autonomen Szene, die Straftaten im Zusammenhang mit gewalttätigen Demonstrationen begehen, 2 8 7 Personenzusammenschlüsse, die linksextremistische Untergrunddruckschriften herausgeben und verbreiten 2 8 8 sowie Gruppen, die in Umsetzung ihrer linksextremistischen, gewaltbejahenden Ideologie Brandanschläge gegen Gebäude und Fahrzeuge staatlicher Institutionen sowie privatwirtschaftlicher Einrichtungen begehen. 2 8 9

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2. PKK. Die innerhalb Deutschlands tätige, aus den Europa-, Regions- und Gebietsverantwortlichen sowie aus den leitenden Kadern der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen KADEK/KONGRA-GEL bestehende Organisation wurde bis Sommer 1996 als terroristische Vereinigung verfolgt. 2 9 0 Nachdem die Gewaltaktionen in Westeuropa ab 1996 - mit Ausnahme der gewaltsamen Besetzungsaktionen im Zusammenhang mit der

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Vgl. hierzu BGHSt 41 47, 53 f m.w.N. BGH NJW 2 0 0 5 80, 82 bzgl. § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG (insoweit in BGHSt 49 268 ff nicht abgedruckt); Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Miebach/Schäfer MK Rdn. 51; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7b; Fischer Rdn. 21. BTDrucks. IV/2145, S. 13; Fischer Rdn. 21; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11. BGH StE 18/54 vom 19.2.1955 zu § 91 a.F. (jetzt § 89), bei Wagner GA 1960 232. Vgl. BGH bei Wagner DRiZ 1964 362; BGH NJW 1964 557. BGHSt 2 0 87, 88 zu § 97 a.F.

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BGHSt 41 47, 54. BGH NJW 1995 2117; OLG Düsseldorf NJW 1994 398. BGH NStZ 2 0 0 5 377. LG Stuttgart v. 22.11.2006, BTDrucks. 16/4675, S. 36. BGH NJW 1995 3395 (Autonome Antifa). BGH NStZ 1995 601; OLG Düsseldorf NStZ 1998 249. BGH NJW 2 0 0 8 86 („militante gruppe"). Vgl. BGHSt 4 9 2 6 8 ; BGH NStZ 2 0 0 2 607; BayObLG NStZ-RR 1997 251; OLG Celle Nds. Rpfl. 1998 50; ausführlich zur Geschichte und Entwicklung der PKK OLG Celle 2 StE 3/06-6 vom 11.10.2006.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Ergreifung Öcalans im Februar 1999 - tatsächlich eingestellt wurden, wird die Organisation als kriminelle Vereinigung eingestuft. Zwar wurden nach der auf dem 7. außerordentlichen Parteikongress am 17. Januar 2 0 0 0 beschlossenen „Friedensinitiative" nach diesem Zeitpunkt in Deutschland keine von der PKK organisierten demonstrativen Gewalttaten mehr begangen, gleichwohl hat die Rechtsprechung die Organisation im Hinblick auf die von ihren Mitgliedern begangenen Straftaten in den Bereichen „Heimatbüro" und Strafsystem weiterhin als kriminelle Vereinigung eingestuft. 291 Bei den Straftaten handelt es sich im Bereich des von der Führungsebene der PKK geleiteten „Heimatbüros" um die systematische Beschaffung falscher Ausweise und Aufenthaltserlaubnisse sowie andere Verstöße gegen das Ausländergesetz im Zusammenhang mit Schleusungen von Personen; im Bereich „Strafsystem" setzten die Kader in der Vergangenheit Strafen gegen Mitglieder, die als schädlich eingestuft wurden, aber auch gegen Außenstehende fest und ließen sie von eingesetzten Kommandos vollstrecken, wobei es zu Straftaten nach §§ 223, 239, 240, 241 kam. 92

3. Hausbesetzerfälle. Eine kriminelle Vereinigung kann vorliegen, wenn eine feste Gruppe von sog. „Hausbesetzern" zur Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Inbesitznahme (§ 123) weitere Straftaten von erheblichem Gewicht (etwa gefährliche Körperverletzungen, militanten Widerstand gegen die Staatsgewalt, Sachbeschädigungen) plant und vorbereitet, um dem erwarteten Eingreifen der Polizei mit massiver Gewalt zu begegnen. 2 9 2 Allerdings ist in Fällen, in denen der Zusammenschluss nur von relativ kurzer Dauer ist, besonders sorgfältig zu prüfen, ob eine auf Dauer angelegte Unterordnung des Einzelnen unter einen für alle verbindlichen Gesamtwillen vorliegt. 2 9 3 Auch eine personelle Fluktuation der Hausbesetzer lässt die Annahme eines für alle verbindlichen Gruppenwillens als fernliegend erscheinen.

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4. Rauschgifthändlerringe. Das vorausgesetzte strukturelle Mindestmaß ist noch nicht erfüllt, wenn eine Dreiergruppe als Täterkollektiv ohne deutliche Organisationsstrukturen beim Rauschgifthandel nur intensiv Hand in Hand zusammenarbeitet. 294 Ein festes Konzept arbeitsteiligen Vorgehens wie etwa der Aufbau eines eingespielten Rauschgiftverteilungssystems mit Beiträgen aus der fest gefügten Gruppe heraus in Verfolgung des Gesamtwillens kann jedoch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 129 erfüllen. 2 9 5

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5. Organisiertes Glücksspiel. Personenzusammenschlüsse zum Betrieb organisierten illegalen Glücksspiels (Spielcasino-Organisationen) werden von § 129 nicht erfasst, wenn Planung, Aufbau und verbindliche Organisationsregeln ausschließlich von dem individuellen Gestaltungswillen des Rädelsführers bestimmt werden, dem sich die einzelnen Gruppenmitglieder oder die eingeweihten Strohmänner - jeder für sich - jeweils unterordnen. In diesen Fällen fehlt die für eine organisierte Vereinigung typische besondere Gefährlichkeit, die gerade in der Bildung eines von der individuellen Einzelmeinung losgelösten Gruppenwillens liegt. 2 9 6 Anders kann es sich darstellen, wenn alle wesentlichen 291 292

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BGHSt 4 9 268, 274. BGH N J W 1975 985; BGH 3 StR 9/75 v. 14.5.1975; s.a. BGHSt 31 2 0 2 , 2 0 7 ; Hassemer JuS 1975 5 9 6 ; zu abweichenden Meinungen vgl. Rdn. 54 f. Vgl. BGHSt 31 2 3 9 ; vgl. hierzu Hassemer JuS 1983 808; Rudolphi J R 1984 32.

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Vgl. BGH NStZ 1982 68; 2 0 0 8 575. BGH NStZ 1981 3 0 3 ; s.a. BGH 3 StR 170/80 v. 8.5.1980 und 3 StR 56/81 v. 8.5.1981. BGH NJW 1992 1518; BGH 5 StR 2 2 / 9 2 v. 10.3.1992 bei Schmidt MDR 1993 505.

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Entscheidungen im Rahmen von gemeinsamen Absprachen unter gleichberechtigten Partnern getroffen werden. 2 9 7 Suchen die Spieler das Casino freiwillig auf und werden sie nicht mit unerlaubten oder gar kriminellen Mitteln zur Fortsetzung des Spiels oder zu existenzgefährdenden Einsätzen veranlasst, bedarf es besonderer Begründung, warum die Begehung der Straftaten eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt (s. Rdn. 5 7 ff). 2 9 8 6. Illegale Arbeitnehmerüberlassung/Steuerhinterziehung/Schmuggel. Zum Zwecke entgeltlicher illegaler Arbeitskräftevermittlung gegründete und betriebene wirtschaftliche Unternehmungen, die auf die illegale Erwirtschaftung möglichst hoher Gewinne durch systematische Einsparung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen (Steuerhinterziehung, Beitragsvorenthaltung) angelegt sind, unterfallen nur dann § 129, wenn ein ausreichender Organisationsgrad sowie ein übergeordneter Gruppenwille festgestellt werden kann. 2 9 9 Finden sich die Mittäter in den Subunternehmen nur lose zusammen und weist der Zusammenschluss über die Begehung bestimmter einzelner Straftaten hinaus keine gewisse organisatorische Selbstständigkeit auf, fehlt es an einem organisatorisch festgefügten kriminellen Verband. Ein solcher kann aber beispielsweise vorliegen, wenn der Unternehmensführer und seine eingeweihten Mittäter sich bereits vor der Gründung der betreffenden (Sub-)Unternehmen mit bestimmter Rollenzuweisung geeinigt haben, den Staat oder die Sozialversicherungsträger systematisch zu schädigen. 3 0 0 Meist fehlt es in diesen Fällen an der ausreichend festen Verbandsstruktur zur organisierten Herausbildung eines Gruppenwillens, dem sich die Mitglieder unterordnen. 3 0 1

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Soweit die Rechtsprechung die gemeinschaftsgutbezogenene Gefährlichkeit eines solchen Zusammenschlusses in Frage gestellt h a t , 3 0 2 ist dies im Hinblick auf die dynamische Entwicklung dieses Problembereichs und die Bedeutung des Interesses der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung und die öffentlichen Haushalte überholt. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof in neueren Entscheidungen klargestellt, dass auch organisierte Steuerstraftaten (Umsatzsteuerkarussell) und bandenmäßiger Schmuggel (polnische Lieferantengruppe, die unversteuerte Zigaretten einschmuggelt) grundsätzlich dem Begriff der kriminellen Vereinigung unterfallen können. 3 0 3

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7. Organisierter Diebstahl. Organisierte Diebesbanden sind, auch wenn die einzelnen Diebesfahrten organisiert sind, nur dann eine kriminelle Vereinigung, wenn die Beteiligten einen organisatorischen Zusammenschluss bilden und sich der Einzelne unter den Willen der Gesamtheit untergeordnet hat. 3 0 4

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8. Parteispendenwaschanlagen. Die Organisation von Parteispendenwaschanlagen zur Ermöglichung und Durchführung von Steuerhinterziehungen kann zwar grundsätz-

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BayObLG StV 1998 265, 2 6 6 . Vgl. BayObLG StV 1998 265. Verneint von BGHSt 31 2 0 2 , 2 0 6 ; BGH wistra 2 0 0 6 4 6 2 ; OLG Dresden StV 2 0 0 6 7 0 0 ; Hohmann wistra 1992 85, 88. Vgl. BGHSt 31 2 0 2 , 2 0 6 ; Hassemer JuS 1983 639.

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Vgl. BGH NStZ 2 0 0 7 31. BGHSt 31 2 0 2 , 207. Vgl. BGHSt 4 8 2 4 0 , 2 4 9 f; BGH NStZ 2 0 0 4 574. Vgl. OLG Köln NStE § 129 Nr. 2.

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lieh unter § 129 subsumiert w e r d e n ; 3 0 5 allerdings werden die organisatorischen Vorgaben des § 129 nicht ohne weiteres erfüllt sein. 3 0 6

V.

Tathandlungen

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Als Täter wird nach Absatz 1 bestraft, wer eine kriminelle Vereinigung gründet, wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt oder sie unterstützt.

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1. Gründen. Gründen ist die Neubildung einer Vereinigung. Welche Anforderungen an die Qualität der Beiträge der Gründer zu stellen sind, ist umstritten. Der Bundesgerichtshof hat in BGHSt 2 7 3 7 2 als Gründer nicht jedes Gründungsmitglied schlechthin angesehen, sondern nur denjenigen, der beim Gründungsakt führend und richtungweisend mitwirkt. 3 0 7 Dem hat sich die Literatur weitgehend angeschlossen. 3 0 8 Nach gegenteiliger Auffassung laufe die enge Auslegung der h . M . darauf hinaus, die Tathandlung des Gründens einer Vereinigung auf Rädelsführer zu beschränken, die § 129 Abs. 4 jedoch für alle in Absatz 1 erfassten Handlungsformen gesondert behandele. Außerdem belege Absatz 5, dass es auch im Fall des Gründens Beteiligte von untergeordneter Bedeutung gebe. 3 0 9 Eine kriminelle Vereinigung gründe deshalb jeder, der bei ihrem Zustandekommen durch Beteiligung an der Planung oder an der Entwicklung von Absprachen mitwirke. 3 1 0

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Erfolg der Tathandlung ist die Existenz der Vereinigung als funktionsfähige organisatorische Struktur. Zu weit würde es jedoch gehen, jeden Beitrag, der für das Entstehen der Vereinigung ursächlich geworden ist, als Tathandlung des Gründens zu qualifizieren. Der bloße Beitritt als Gründungsmitglied, die bloße Zusage, sich an der zu gründenden Vereinigung als Mitglied zu beteiligen, ist noch nicht als täterschaftliches Gründen anzusehen. 3 1 1 Auszuscheiden haben auch Unterstützungshandlungen von Beteiligten, die außerhalb des Kreises der beim Gründungsvorgang mitwirkenden Personen stehen, sowie Beiträge von untergeordneter Bedeutung, die keine prägende Wirkung auf die Struktur der Vereinigung haben. 3 1 2 Anderseits ist nicht zu verlangen, dass der am Gründungsakt Beteiligte eine herausragende Funktion im Rahmen gemeinsamer Absprachen und Planungen inne hat, etwa dass seine Anordnungen und Beiträge von den anderen Beteiligten

305 Ygj Schünemann Parteispendenproblematik, in: De Boor u.a., Strafrecht u. Gesellschaft; Schriftenreihe des Instituts für Konfliktforschung, Bd. 11 (1986) S. 35, 63. 306

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Vgl. Miebach/Schäfer MK Rdn. 43; grundsätzlich ablehnend Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 7. BGHSt 23 325, 327 unter Berufung auf BGH NJW 1954 1254. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 12a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 54; Ο Stendorf Rdn. 17; Lackner/Kühl Rdn. 4; Kindhäuser LPK Rdn. 22; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 II Rdn. 8; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 95 f; Schei ff Wann

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beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 89 ff; Haberstumpf MDR 1979 977, 978; Ostendorf JA 1980 499, 501. Vgl. Fischer Rdn. 23; Rudolphi/Stein SK Rdn. 14; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 II Rdn. 8. Rudolphi/Stein SK Rdn. 14; Fischer52 Rdn. 23. Rudolphi/Stein SK Rdn. 14; Fischer Rdn. 23; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 12a; ScheiffWann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 96 f. Scheiff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 92.

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als verbindlich angenommen werden oder er sich als Führer der anderen beteiligten Personen geriert. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Verwirklichung der Tathandlung des Gründens ist vielmehr, dass der am Gründungsvorgang Mitwirkende die Gründung mit seinem Beitrag wesentlich gefördert hat. 3 1 3 Hierfür genügt es, wenn der Gründungsbeitrag ein Teilstück des arbeitsteiligen Zusammenwirkens der Gründungsmitglieder in dem Sinne ist, dass er den Gründungsvorgang wesentlich mitgestaltet, mag er im Verhältnis zu den Beiträgen anderer Gründer auch von lediglich untergeordneter Bedeutung sein. Dies kann in der Auswahl und Gewinnung von weiteren Mitgliedern, in der Einbringung von für den Aufbau der kriminellen Vereinigung maßgeblichen Kenntnissen und Fähigkeiten, im Bereitstellen von für die Bildung der Vereinigung maßgeblichen Sachmitteln oder in der Auswahl und Gewinnung von Unterstützern liegen, wenn dadurch die Entwicklung der Struktur der Vereinigung und die Verfolgung der kriminellen Ziele wesentlich gefördert wird. 3 1 4 Die entsprechenden Absprachen können durch die Teilnahme der Gründungsmitglieder an Internet-Chaträumen getroffen werden. 3 1 5 Der Gründer braucht nicht selbst Mitglied der gegründeten Vereinigung zu werden. 3 1 6 Eine kriminelle Vereinigung kann auch dadurch gegründet werden, dass ein legaler Zusammenschluss in eine Vereinigung umgewandelt wird, die kriminelle Zielsetzungen verfolgt. 317 Es muss sich aber um eine eindeutige Änderung der Zwecksetzung handeln. Die Umwandlung kann durch Mehrheitsentscheid der Mitglieder oder durch Entscheidung der für die Willensbildung der Vereinigung maßgebenden Funktionäre erfolgen. Dabei ist es ohne Belang, wenn einzelne Mitglieder die neu festgelegte Zielsetzung nicht billigen, sofern sie sich dennoch der neuen Willensbildung unterordnen und damit zur Mitwirkung an der neuen, an sich nicht gebilligten Zielsetzung verpflichten. 318 Möglich ist auch, dass mindestens drei Mitglieder eines legalen Zusammenschlusses eine neue Vereinigungsabrede treffen und dadurch unter sich eine neue kriminelle Vereinigung gründen. Die Schaffung einer neuen Teilorganisation einer bereits bestehenden kriminellen Vereinigung stellt dagegen keine Gründung dar. 3 1 9

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Inhaftierte Mitglieder einer Organisation können in der Haft eine neue Vereinigung bilden. 3 2 0

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2. Beteiligen als Mitglied a) Eingliederung in Organisation. An einer kriminellen Vereinigung beteiligt sich als Mitglied, wer sich unter Eingliederung in die Organisation deren Willen unterordnet und eine auf Dauer ausgerichtete Tätigkeit zur Förderung der kriminellen Ziele der Vereini-

So jetzt ausdrücklich und klarstellend BGH NStZ-RR 2 0 0 6 267, 2 6 9 und auch schon BGH 6 StR 8 8 / 5 4 v. 19.5.1954 (insoweit in BGH NJW 1954 1254 nicht abgedruckt); Fischer Rdn. 23; in diesem Sinne auch Scheiff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 92. 314 yg] j m e i n z e ] n e n Scheiff ^lann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 93 ff. 315 Vgl. OLG Schleswig 1 OJs 1/07 v. 24.01. 313

2008. 316

Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben

Rdn. 12a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 57; Fischer Rdn. 23; Rudolphi/Stein SK Rdn. 14; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 1 2 9 , 1 2 9 a StGB, S. 95. 317 BGHSt 27 325, 326; Rudolphi/Stein SK Rdn. 15; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 12a. 318 fürst Grundlagen und Grenzen der § § 129, 129a StGB, S. 95; Rudolphi/Stein SK Rdn. 15; Miebach/Schäfer MK Rdn. 55. 319 Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 12a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 56. 3 2 0 Vgl. BGHSt 27 325; 31 16,17.

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gung entfaltet. 3 2 1 Dies muss sich aus dem Gesamtverhalten des Täters ergeben. Nicht erforderlich ist eine förmliche Mitgliedschaft, etwa eine listenmäßige Erfassung als Mitglied, die Zahlung von Mitgliedsbeiträgen oder die Ausstellung eines Mitgliedsausweises. 3 2 2 105

b) Willensübereinstimmung mit Vereinigung. Das Tatbestandsmerkmal der mitgliedschaftlichen Beteiligung setzt eine Willensübereinstimmung zwischen dem Handelnden und der Vereinigung dahingehend voraus, dass der Handelnde dem Kreis der Vereinigung zugehört und in dieser Eigenschaft tätig wird. 3 2 3 Eine solche Übereinstimmung kann durch ausdrückliche Erklärung oder stillschweigend herbeigeführt werden. Förderhandlungen, die nicht von einem derart einvernehmlichen Willen zu fortdauernder Teilnahme am Verbandsleben getragen sind, fallen nicht unter das Merkmal der mitgliedschaftlichen Beteiligung. 3 2 4 Auf lediglich einseitigem Willensentschluss beruhendes Unterordnen und Tätigwerden genügt nicht, auch wenn der Betreffende bestrebt ist, die Vereinigung und ihre kriminellen Ziele zu fördern. Die Mitgliedschaft setzt ihrer Natur nach eine Beziehung voraus, die einer Vereinigung regelmäßig nicht aufgedrängt werden kann, sondern ihre Zustimmung erfordert. 3 2 5

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c) Auf Dauer ausgerichtete Teilnahme am Verbandsleben. Weitere Voraussetzung für die Annahme einer Beteiligung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung ist eine auf Dauer gerichtete Teilnahme am Verbandsleben. 3 2 6 Ein für die mitgliedschaftliche Beteiligung beachtlicher Teilnahmeakt kann in einer irgendwie gearteten Tätigkeit für die Zwecke der Vereinigung bestehen. 3 2 7 Die Beteiligungshandlungen können die unmittelbaren Ziele der Vereinigung durchsetzen helfen, sie können aber auch lediglich die Grundlagen für die Tätigkeit der Vereinigung schaffen oder erhalten wollen. Ausreichend ist deshalb die Förderung von Aufbau, Zusammenhalt oder Tätigkeit der Organisation. 3 2 8 Eine Beteiligung als Mitglied liegt somit vor, wenn der Täter organisationsfördernde oder sonstige vereinigungstypische Daueraktivitäten von entsprechendem Gewicht entfaltet oder wenn sein wiederholtes Tätigwerden gezielt auf die Verwirklichung der von der Vereinigung geplanten strafrechtswidrigen Aktionen gerichtet ist und er dadurch zu erkennen gibt, dass er sich die Ziele der Vereinigung zu eigen gemacht hat. 3 2 9 Der persönliche Einsatz des Einzelnen im Rahmen seiner organisatorischen Einbindung kann beispielsweise in der Erledigung logistischer Aufgaben, dem Anmieten von

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Vgl. BGHSt 18 296, 299 f zu §§ 90a, 128 a.F.; 29 114, 116; 29 288, 294; BGH NJW 1960 1772, 1773 zu § 128 a.F.; 1966 310, 312; NStZ 1993 37, 38; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Miebach/ Schäfer MK Rdn. 59; Rudolphi/Stein SK Rdn. 16; Fischer Rdn. 24; Ostendorf NK Rdn. 18; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 97. Vgl. BGHSt 18 296, 299 f; 29 114, 121; BGH NJW 1960 1772, 1773; BayObLG NStZ-RR 1997 251, 252; Rebmann NStZ 1989 97, 100 Fn. 27; Haberstumpf MDR 1979 977, 978. Vgl. BGHSt 18 296, 300; 29 114, 121; BGH NStZ 1993 37, 38; BayObLG NStZ-RR

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1997 251, 252; Wagner MDR 1966 185, 187. BGHSt 29 114,121; BGH NStZ 1993 37, 38. BGHSt 18 296, 300; BGH NStZ 1993 37, 38. BGHSt 29 114,122 f; 29 288, 294; BGH NJW 1960 1772, 1773; 1966 310, 312. BVerfGE 56 22, 33; BGHSt 29 114,123; 29 288, 294; 31 16, 19; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 97. BGHSt 29 288, 291; Ostendorf JA 1980 499, 502. Vgl. Dahs NJW 1976 2145, 2148; Haberstumpf MDR 1979 977, 978.

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konspirativen Wohnungen, dem Beschaffen von Hilfsmitteln, in finanziellen Transaktionen und in der Mitwirkung bei der Öffentlichkeitsarbeit der Vereinigung liegen. 3 3 0 Die Werbetätigkeit von Mitgliedern krimineller Vereinigungen ist (ausschließlich) als Akt mitgliedschaftlicher Beteiligung zu werten, 3 3 1 so auch die öffentliche Propagierung der Ziele und Bestrebungen der Vereinigung durch Verfassen und Versenden sog. „Bekennerschreiben" oder Rechtfertigungsschreiben nach verübten Straftaten. 3 3 2 Notwendig ist immer eine aktive Förderhandlung, in der sich die gesteigerte Verbandsförderung aktualisiert. 333 Der bloße Eintritt in die Vereinigung und die lediglich passive, für das Wirken der Vereinigung bedeutungslose Mitgliedschaft stellen grundsätzlich noch keinen aktiven mitgliedschaftlichen Beteiligungsakt dar. 3 3 4 Etwas anderes kann sich ergeben, wenn der Beitritt mit der Erklärung verbunden ist, in einer bestimmten Führungsposition für die Vereinigung tätig zu werden und dies wegen der besonderen Umstände - lange andauernde ideelle und beratende Begleitung der Vereinigung durch den Beitretenden, Rolle als deren „geistiger Ziehvater" - eine gewichtige Stärkung der Organisation darstellt. 335 Ist die Mitgliedschaft mit der Zahlung regelmäßiger Mitgliedsbeiträge verbunden, kann dies, je nach Höhe des Beitrags und Motiv des Mitglieds, im Einzelfall als organisationsfördernde Daueraktivität zu qualifzieren sein. 3 3 6

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Die Mitwirkung an einzelnen Straftaten der Vereinigung oder die Zusage einer MitWirkung an solchen ist nicht zwingend erforderlich, weil die Beteiligung an der Vereinigung nicht gleichgesetzt werden darf mit der Beteiligung an strafbaren Handlungen, deren Begehung lediglich das Ziel der Vereinigung sein muss. 3 3 7 Als Mitglied kann sich deshalb auch derjenige strafbar machen, der bei dem eigentlichen strafbaren Unternehmen der Vereinigung nicht mitwirkt, aber sonstige für die Zwecke der Vereinigung dienliche Tätigkeiten erbringt, etwa von dem Leiter stets als Verbindungsmann und „Zubringer" eingesetzt wird. 3 3 8

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Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1 9 7 7 2 2 2 2 , 2 2 2 3 ; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13; zur Beteiligung an der Öffentlichkeitsarbeit als mitgliedschaftlicher Betätigungsakt vgl. Rebmann NStZ 1989 97 ff. BGHSt 31 1 6 , 1 7 ; Haberstumpf MDR 1 9 7 9 977, 978. Vgl. Rebmann FS Pfeiffer, S. 225, 236. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Miebach/Schäfer MK Rdn. 63; Fischer Rdn. 24; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 1 2 9 , 1 2 9 a StGB, S. 98, 101; Haberstumpf MDR 1979 977, 978; Werte J R 1979 93, 95. BGHSt 2 9 114, 121; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 13; Miebach/Schäfer MK Rdn. 63; Fischer Rdn. 24; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 98; Dahs N J W 1976 2145, 2148. BGHSt 2 9 114, 119 f; zustimmend Miebach/ Schäfer MK Rdn. 63; aA Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Rudolphi/Stein SK Rdn. 16a; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB,

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S. 100 f; Ostendorf JA 1 9 8 0 499, 5 0 2 . Danach ist dieser Fall als Unterstützung oder als strafloser Versuch des Sichbeteiligens zu qualifizieren. Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1 9 7 7 2 2 2 2 , 2 2 2 3 ; Fischer Rdn. 24; Miebach/Schäfer MK Rdn. 63; Kindhäuser LPK Rdn. 2 4 ; Haberstumpf MDR 1 9 7 9 977, 9 7 8 ; Fleischer N J W 1 9 7 9 1337, 1338; aA Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 16a; v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 45; Werte JR 1 9 7 9 93, 95; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 99. BVerfGE 56 22, 33; BGHSt 2 9 114, 123; 2 9 2 8 8 , 291; OLG Karlsruhe N J W 1 9 7 7 2 2 2 2 , 2 2 2 3 ; Miebach/Schäfer MK Rdn. 6 2 ; Sehl Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Rudolphi/Stein SK Rdn. 16b; Ostendorf NK Rdn. 18; Lackner/Kühl Rdn. 5; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 II Rdn. 8; Fleischer N J W 1979, 1337, 1338; Haberstumpf MOR 1 9 7 9 977, 978. BGH N J W 1966 310, 312.

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Umgekehrt bedeutet die Mitwirkung an Straftaten der Vereinigung nicht automatisch, dass sich der Täter mitgliedschaftlich an der Vereinigung beteiligt. Dies gilt nur, wenn die Beteiligung an der Straftat sich als auf Dauer ausgerichtete Teilnahme am Verbandsleben darstellt, was aber meist der Fall sein dürfte. 3 3 9 In Betracht kommt die Beteiligung an Straftaten, die den Zielen der Organisation entsprechen, aber auch an solchen, mit denen die den Zielen der Vereinigung entsprechenden Straftaten lediglich vorbereitet werden, die z.B. das Versteckthalten ihrer Mitglieder ermöglichen oder zur Aufrechterhaltung der Organisation beitragen sollen. 3 4 0

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d) Förderung von innen. Die Begehungsform der mitgliedschaftlichen Beteiligung setzt im Unterschied zu den verselbstständigten Teilnahmehandlungen (Werben, Unterstützen) immer voraus, dass der Täter die Vereinigung von innen und nicht lediglich von außen her fördert. 3 4 1 Besteht die Vereinigung nur aus dem harten Kern einer größeren Bewegung, sind Förderhandlungen von Personen außerhalb dieses Kerns, auch wenn sie die Straftaten billigen, nur als Unterstützung der Vereinigung, nicht aber als mitgliedschaftlicher Betätigungsakt zu qualifizieren. 342

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e) Dauermoment. Die mitgliedschaftliche Beteiligung muss auf Dauer oder zumindest längere Zeit angelegt sein. Bloß einmalige Unterstützungshandlungen, die nicht von dem einverständlichen Willen zu fortdauernder Teilnahme am Verbandsleben getragen sind, reichen nicht aus. Andererseits setzt die mitgliedschaftliche Beteiligung keine fortwährende Betätigung voraus. 3 4 3 Tatbestandserheblich ist auch die erstmalige Betätigung für die Zwecke der Vereinigung, wenn der Täter mit dem Willen handelt, sich auch künftig am Verbandsleben zu beteiligen. 3 4 4 Mit späteren Beteiligungsakten, die in völlig unterschiedlichen Verhaltsweisen liegen können, wird das Organisationsdelikt fortgesetzt. Die mitgliedschaftliche Beteiligung kann sich deshalb über mehrere Jahre erstrecken. Längere Pausen zwischen den einzelnen Betätigungsakten führen nicht zwangsläufig zur Beendigung der einheitlichen Tat, solange die Mitgliedschaft auf eine aktive Teilnahme am Verbandsleben und damit auf eine Fortsetzung der Tätigkeit im Einvernehmen mit der Organisation gerichtet bleibt. 3 4 5 O b eine längere Unterbrechung der aktiven Beteiligung die Fortdauer der Mitgliedschaft berührt, richtet sich nach der Dauer der zeitlichen Zäsur und einer Gesamtbetrachtung der Umstände, insbesondere der Ausgestaltung der weiteren Beziehungen zu der Vereinigung. 346 J e länger die „Auszeit" des Mitglieds andauert und je weiter es sich in dieser Zeit von den Aktivitäten der Vereinigung fernhält, desto ferner liegt die Annahme einer noch auf eine aktive Teilnahme am Verbandsleben gerichteten Tätigkeit. 3 4 7

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Vgl. Miebach/Schäfer MK Rdn. 62; Sch! Schröder/Lenckner/Sternberg-Liebett Rdn. 13; Rudolphi/Stein SK Rdn. 16b; Kindhäuser LPK Rdn. 24; Lackner/Kühl Rdn. 5; weitergehend Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 II Rdn 9. BGHSt 29 288, 294. BGHSt 18 296, 300; 29 114, 123. Vgl. BGHSt 45 26, 36. BVerfGE 56 22, 33; BGHSt 29 288, 294; OLG Karlsruhe NStE IRG § 3 Nr. 2; Sch/

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Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13. BGHSt 29 114, 120; 29 288, 294; Sch/ Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Miebach/Schäfer MK Rdn. 59. BGHSt 29 288, 294; 46 349, 356; vgl. auch BGHSt 43 1 ff zu § 99; Miebach/Schäfer MK Rdn. 63; Fischer Rdn. 24. BGHSt 46 349, 356; Rissing-van Saan FS 50 Jahre BGH, S. 485 ff. Miebach/Schäfer MK Rdn. 61.

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f) Prozesserklärungen. In Hauptverhandlungen abgegebene Prozesserklärungen, die der Rechtfertigung begangenen Unrechts dienen, sich gleichzeitig aber auch günstig für den Fortbestand der kriminellen Vereinigung oder die Realisierung ihrer Pläne auswirken, sind grundsätzlich nicht als mitgliedschaftliche Beteiligungsakte strafbar, soweit sie dem Bereich der erlaubten Selbstverteidigung zuzuordnen sind. 3 4 8 Dies gilt auch dann, wenn durch die Erklärungen andere Straftatbestände wie §§ 111, 140 erfüllt werden. 3 4 9 Einen sachlichen Bezug zum Verfahrensgegenstand und damit zur Verteidigung begründet nicht nur die Einlassung des Angeklagten zu dem - für unberechtigt gehaltenen eigentlichen Tatvorwurf, sondern auch die Darstellung von Hintergründen, Antrieben und Zielen der angeklagten Taten sowie der politisch-ideologischen Motivationslage der Angeklagten, ihrer Überlegungen und Sicht des bekämpften Gesellschaftssystems. Die Darstellung des Selbstverständnisses der Vereinigungsmitglieder, bekenntnishafte Erklärungen eines Angeklagten zu der Vereinigung oder die Erläuterung des handlungsbestimmenden Weltbildes der angeklagten Mitglieder sind selbst dann dem Verteidigungszusammenhang zuzurechnen, wenn aus der Sicht des Angeklagten die Ausführungen aus sich heraus zwangsläufig auch zukunftsweisenden Charakter haben, sie aber in der Verteidigung dienende, den Standort der Angeklagten beschreibende Erklärungen eingebunden sind und damit als Darstellung ihres Selbstverständnisses insgesamt Verteidigungscharakter haben. 3 5 0 Propagandistische Nebenzwecke solcher Äußerungen, Zuhörer für die eigene Denkweise einnehmen zu wollen, stellen ihre etwaige Verteidigungsrelevanz nicht in Frage. 351 Ob ein wirklicher Verteidigungsbezug besteht und dieser den Charakter der Äußerung insgesamt bestimmt, ist im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung zu ermitteln; Einzeläußerungen dürfen nicht aus einem gegebenen verteidigungsrelevanten Zusammenhang gelöst und isoliert gewürdigt werden. 3 5 2 Ein sachlicher Verteidigungszusammenhang ist allerdings dann zu verneinen sein, wenn es sich um eindeutige und ausdrückliche Erklärungen handelt, die - in die Zukunft gerichtet - Gewaltaktionen propagieren und ohne jede Beeinträchtigung der Verteidigung unterbleiben können. 3 5 3

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g) Mitgliedschaft trotz Haft/Hungerstreik. Die mitgliedschaftliche Beteiligung kann auch aus der Haft heraus fortgesetzt werden, wenn das inhaftierte Mitglied weiterhin am Willensbildungsprozess der auf freiem Fuß befindlichen Vereinigungsmitglieder beteiligt ist (vgl. Rdn. 24). Einen Akt mitgliedschaftlicher Beteiligung hat der Bundesgerichtshof in der detaillierten Unterrichtung der Parteizentrale durch ein inhaftiertes Mitglied einer PKK-Teilorganisation in der Bundesrepublik über seine Bemühungen um Erfüllung ihm erteilter Mordaufträge und über dabei gewonnene Erkenntnisse und Anregungen für eine bessere Planung künftiger Fälle gesehen. 354

113

Kollektive Hungerstreiks von inhaftierten Vereinigungsmitgliedern können unter bestimmten Voraussetzungen als mitgliedschaftliche Beteiligunghandlungen tatbestandliche Relevanz i.S. der §§ 129, 129a erlangen, etwa wenn der Hungerstreik der Inhaftierten nach der in Zusatzerklärungen, geäußerten Beweggründen und Begleitumständen

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Vgl. BGHSt 31 1 6 , 1 8 ff; BGH NStZ 1990 183; Miebach/Schäfer MK Rdn. 66; Sch/ Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Fischer Rdn. 24; abl. v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 4 7 ; Gössel J R 1983 118, 119 f. Vgl. BGHSt 31 16, 18 ff; BGH NStZ 1990 183; aA v. Bubnoff LK 1 1 ξ 129a Rdn. 22.

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BGHSt 31 16, 18 ff; BGH NStZ 1990 183 f. BGH NStZ 1990 183, 184. BGHSt 31 16, 21; BGH bei Holtz M D R 1990 487. Vgl. hierzu v. Bubnoff LK 1 1 § 129a Rdn. 21 ff. BGH NStE § 129a Nr. 7.

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§ 129

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

objektivierten eindeutigen Zwecksetzung darauf angelegt ist, den Zusammenhalt einer in der Haft bestehenden kriminellen Vereinigung aufrechtzuerhalten, die Geschlossenheit der Gruppe und den Kommandoeinsatz zu exerzieren, in Freiheit befindliche Mitglieder zu neuen Taten anzustacheln und das kriminelle Umfeld zu erweitern. 3 5 5 Hungerstreikerklärungen solcher Art stehen, wenn sie in der Hauptverhandlung abgegeben werden, nicht in einem verteidigungsrelevanten Zusammenhang. 3 5 6 Beschränken sich Zwecksetzung des Hungerstreiks und objektivierter Aussagegehalt der Hungerstreikerklärung dagegen ausschließlich auf humanitäre Anliegen, auf ein Eintreten für eine bloße Veränderung oder Verbesserung der Haftsituation, auf eine Erleichterung der Kommunikationsbelange und die Ermöglichung freier politischer Information oder auf sonstige organisationsneutrale Begehren, so wird der tatbestandliche Bereich der §§ 129, 129a (noch) nicht berührt. 3 5 7 Wird der zur Unterstreichung der Forderung nach Zusammenlegung der Gefangenen durchgeführte Hungerstreik mit vereinigungsbezogenen Kampfparolen verknüpft, um den Fortbestand der Vereinigung auch unter den inhaftierten Mitgliedern zu sichern, die Aufrechterhaltung ihrer Schlagkraft durch Schulung und Disziplinierung der einzelnen Mitglieder zu gewährleisten und den gemeinsamen Kampf innerhalb und außerhalb des Vollzugs fortzusetzen, kann sich die Hungerstreikerklärung und Zusammenlegungsforderung als tatbestandserhebliche - möglicherweise mit den in Freiheit befindlichen Mitgliedern der Vereinigung abgesprochene und geplante - gemeinsame Kampfmaßnahme mit organisationsförderndem Bezug darstellen. 3 5 8 Nach gegenteiliger Auffassung wird durch eine Hungerstreikaktion wie auch durch hungerstreikbezogene Solidarerklärungen das konkrete Gefährdungspotential einer Vereinigung nicht nachweislich gestärkt. 3 5 9 Darüber hinaus wird dem Hungerstreik unter dem Blickwinkel der Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 G G ein besonderer Grundrechtsschutz zuerkannt.

3. Werben um Mitglieder oder Unterstützer 116

a) Begriff. Werben bedeutet das planmäßige Vorgehen mit dem für den Durchschnittsadressaten erkennbaren Ziel, andere für die Organisation als Mitglied oder Unterstützer zu gewinnen. 3 6 0 Um Mitglieder für eine kriminelle Vereinigung wirbt, wer sich um die Gewinnung von Personen bemüht, die sich mitgliedschaftlich in die Organisation einer bestimmten Vereinigung einfügen; um Unterstützer wirbt, wer bei anderen die Bereitschaft wecken will, die Tätigkeit oder Bestrebungen einer solchen Vereinigung direkt oder über eines ihrer Mitglieder zu fördern, ohne sich selbst als Mitglied in die Organisation einzugliedern. 3 6 1 Ob das Unterstützungsverhalten im Einzelfall oder im Rahmen länger dauernder Zusammenarbeit erfolgen soll, spielt keine R o l l e . 3 6 2

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Vgl. BGH NJW 1982 2508, 2510; StV 1989 285, 286; Rebmann NStZ 1981 457,461. BGH NJW 1982 2508, 2510. Vgl. BGH StV 1989 286; BGH NStZ 1985 263. Vgl. BGH NJW 1988 1679; MDR 1987 1040; NStE § 129a Nr. 4; bei Schmidt MDR 1988 355. Vgl. Ostendorf Recht zum Hungerstreik, S. 227; GA 1984 308, 324 f; J Z 1979 252, 256 und AK § 129 Rdn. 20; ferner Bottke JR 1985 122, 123; Fürst Grundlagen und

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Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 193 ff, 203; Nestler-Tremel NStZ 1986 538 f. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14b; Miebach/Schäfer MK Rdn. 69. BGH NStZ 2007 635, 637. Miebach/Schäfer MK Rdn. 73; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Lackner/Kühl Rdn. 7; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 18, der eine Werbung um ein auf gewisse Dauer angelegtes Unterstützungsverhalten verlangt.

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Bildung krimineller Vereinigungen

§ 129

Durch das 34. StrÄndG vom 2 2 . August 2 0 0 2 (BGBl. I 3 3 9 0 ) wurde die Tathandlung des Werbens auf das Werben um Mitglieder und Unterstützer beschränkt. Zuvor hatte die Rechtsprechung das Merkmal des „Werbens" weit ausgelegt und jede Betätigung einbezogen, mit der eine Stärkung der Vereinigung und deren gezielte Unterstützung mit den Mitteln der Propaganda bezweckt war, auch wenn diese nicht die konkrete Mitgliederwerbung oder die Herbeiführung bestimmter Unterstützungshandlungen zum Ziel hatte. 3 6 3 Darunter fiel insbesondere die so genannte Sympathiewerbung, d.h. die Tätigkeit, die auf das Wecken von Verständnis oder Sympathie für die Existenz, Tätigkeit und Ziele der Vereinigung gerichtet war. 3 6 4 Diese ist nun aus dem Tatbestand ausgeschieden. 3 6 5 Der Gesetzgeber wollte - auch im Hinblick auf Auslegungsschwierigkeiten der Praxis, die sich bei der Erstreckung der Tathandlung auf ausländische Vereinigungen verschärft hätten, - die in ihrem Wortlaut zu weit gefasste Tathandlung auf einen klar umgrenzten und in der strafrechtlichen Praxis auch anwendbaren Gehalt zurücknehmen und werbende Meinungsäußerungen umfassend und zweifelsfrei von einem strafrechtlichen Risiko freistellen. Wegen des eher geringen Unrechtsgehalts, den die Rechtsprechung der Sympathiewerbung zugewiesen hatte, sah der Gesetzgeber keine Einbuße für bedeutsame Rechtsgüter. 366

117

Die bisherige Auslegung des Werbungstatbestandes durch die Rechtsprechung kann unter Berücksichtigung der Einschränkung des Anwendungsbereichs grundsätzlich auch auf die Neufassung angewendet werden. 3 6 7 Im Einzelnen ist von folgendem auszugehen:

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b) Existenz der Vereinigung. Das Werben setzt zunächst voraus, dass die Vereinigung schon oder noch besteht. 3 6 8 Eine Werbetätigkeit, die auf die Neugründung einer Vereinigung ausgerichtet ist, erfüllt den Tatbestand des Werbens nach zutreffender herrschender Auffassung nicht. 3 6 9 Insoweit kommt je nach Fallgestaltung eine Strafbarkeit wegen

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Vgl. BGHSt 28 2 6 , 28 m. Anm. Rudolphi JR 1979 32; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2a; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Miebach/Schäfer MK Rdn. 70 ff. Vgl. BGHSt 2 8 2 6 , 2 8 ; 3 3 1 6 , 1 7 ; BGH NJW 1988 1679; BGH N J W 1990 2 8 2 8 , 2 8 3 0 ; BayObLG StV 1987 392, 393; NStZ-RR 1996 7, 8; KG StV 1990 210; OLG Frankfurt StV 1983 2 8 5 ; OLG Schleswig NJW 1988 352; OLG Stuttgart StV 1984 76; Gössel JR 1983 118, 119; Haberstumpf MDR 1 9 7 9 977, 9 7 8 ; Rebmann NStZ 1 9 8 9 97, 100; Schmidt M D R 1985 185; zur Kritik an dieser Auslegung vgl. Rudolphi JR 1 9 7 9 33; ZRP 1 9 7 9 214, 218 f; Ostendorf JA 1980, 499, 5 0 2 ; Giehring StV 1983 293, 305 ff; Langer-Stein Legitimation und Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen, S. 2 2 7 f; vgl. auch die weiteren Nachweise bei v. BubnoffhK11 Rdn. 58 ff. Vgl. BGH NStZ-RR 2 0 0 5 73, 74; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 2a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 70 ff; Ostendorf NK Rdn. 19; Sehl Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14.

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Vgl. Bericht BTRAussch., BTDrucks. 14/8893, S. 8; aA allerdings Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion, BTDrucks. 14/8942; Empfehlung des Rechtsausschusses des Bundesrates, BRDrucks. 379/1/02; Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat, BRDrucks. 3 7 9 / 0 2 ; vgl. auch Altvater NStZ 2 0 0 3 179; Kindhäuser LPK Rdn. 28. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 74. Vgl. BayObLG JR 1 9 9 9 81 m. Anm. Radtke; KG StV 1981 5 2 5 ; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 14a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 79; Rudolphi/Stein SK Rdn. 18a; Fischer Rdn. 26; Kindhäuser LPK Rdn. 33. Vgl. BayObLG JR 1 9 9 9 81 m. Anm. Radtke·, KG StV 1981 525, 5 2 6 ; Miebach/Schäfer MK Rdn. 79; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14a; Fischer Rdn. 2 6 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 18a; Lackner/Kühl Rdn. 7; Kindhäuser LPK Rdn. 33; Rebmann NStZ 1981 457, 4 6 0 ; Giehring StV 1983 2 9 6 , 2 9 8 ; aA v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 4 9 ; Haberstumpf M D R 1 9 7 9 977, 979.

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§ 129

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Gründung, Anstiftung oder Beihilfe zur Gründung oder wegen versuchter Gründung in Betracht. 120

c) Tätigkeit eines Nicht-Mitglieds. Erfasst werden nur Werbetätigkeiten von NichtMitgliedern einer Vereinigung. Wer als Mitglied einer kriminellen Vereinigung für diese wirbt, erfüllt das Tatbestandsmerkmal des Sich-Beteiligens als Mitglied. 3 7 0

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d) Form und Adressat. Unerheblich ist die Form der Werbung. Sie kann offen oder in versteckter Weise, mündlich, schriftlich, per Internet oder unter Benutzung von Publikationsmitteln erfolgen. 371 Keine Rolle spielt, ob Adressat der Werbung ein Einzelner oder die Öffentlichkeit ist. 3 7 2 Für eine Beschränkung des Werbens auf Beeinflussungsversuche durch Schriften i.S. des § 11 Abs. 3 S t G B 3 7 3 sprechen weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte noch Sinn und Zweck der Vorschrift. 374 Unerheblich ist weiterhin, ob die Werbung im Zusammenwirken oder Einverständnis mit der Vereinigung oder unabhängig von ihr mittels selbstständiger Aktivitäten erfolgt. 375

122

e) Werbende Zielrichtung. Der Tatbestand des Werbens ist ein persönliches Äußerungsdelikt. 376 Werben bedeutet, dass der Täter durch ausdrückliche oder konkludente Äußerungen einen Außenstehenden planmäßig zu gewinnen versucht, sich einer bestimmten Vereinigung als Mitglied anzuschließen oder die Vereinigung zu unterstützen. Dies setzt eine werbende Zielrichtung der Äußerung zu Gunsten einer konkreten Organisation voraus. 3 7 7

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Die werbende Äußerung muss nach Inhalt, Art und Adressatenkreis geeignet sein, Mitglieder oder Unterstützer für eine bestimmte Vereinigung zu gewinnen. 378 Maßgeblich ist insoweit, ob aus der Sicht eines verständigen Durchschnittsadressaten die Werbung objektiv geeignet ist, von dem im Einzelfall angesprochenen Adressaten als Aufforderung verstanden zu werden, einer bestimmten Organisation beizutreten oder diese zu unterstützen. 379 Dies setzt voraus, dass der werbende Charakter der Äußerung für den

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BGHSt 31 16, 17; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 14a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 80; Fischer Rdn. 2 5 ; Lackner/ Kühl Rdn. 7; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 18. Miebach/Schäfer MK Rdn. 76; Fischer Rdn. 27; Rudolphi/Stein SK Rdn. 18; zur Werbung im Internet vgl. BGH NStZ 2 0 0 7 635. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 6 3 7 ; Fischer Rdn. 26; Miebach/Schäfer MK Rdn. 76; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 18; Lackner/Kühl Rdn. 7. Giehring StV 1983 2 9 6 , 3 0 6 f. Miebach/Schäfer MK Rdn. 76; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 18. Miebach/Schäfer MK Rdn. 76; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14b; aA Giehring StV 1983 2 9 6 , 307.

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Vgl. BGHSt 3 6 363, 367, 370; OLG Schleswig NJW 1988 352; Miebach/Schäfer MK Rdn. 69; Fischer Rdn. 27; Rudolphi/Stein SK Rdn. 18; Giehring StV 1983 2 9 6 ff. BGH NJW 1988 1679; NStZ 2 0 0 7 635, 638; KG StV 1990 210. BGHR StGB § 129a Abs. 3 Werben 4; Seh/ Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Miebach/Schäfer MK Rdn. 75; Rudolphi/Stein SK Rdn. 18; Fischer Rdn. 29; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 II Rdn. 10. BGHSt 33 16, 18, 2 0 ; 43 41, 44; BGHR StGB § 129a Abs. 3 Werben 4; BGH NJW 1988 1679; 1995 3 3 9 5 ; MDR 1987 1040; OLG Koblenz StV 1989 205; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14b; Miebach/Schäfer MK Rdn. 77.

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Bildung krimineller Vereinigungen

§ 129

Adressaten eindeutig erkennbar ist. 3 8 0 Je nach angesprochenem Adressatenkreis und dessen Verständnishorizont kann dies unterschiedlich zu beurteilen sein. 3 8 1 Ob Texten, Parolen oder Bilddarstellungen eine entsprechende Qualität zukommt, ist aufgrund einer umfassenden Gesamtbetrachtung zu beurteilen. 3 8 2 Eine isolierte Beurteilung von Einzelaussagen, die aus dem Textzusammenhang herausgelöst sind, ist nicht zulässig. 383 So kann das als Blickfang dienende Symbol einer Vereinigung bei einem mehrdeutigen Text den insgesamt werbenden Aussagegehalt bestimmen. 3 8 4 Andererseits können (beiläufige) Einzelaussagen mit isoliert werbender Tendenz im gesamten Kontext derart in den Hintergrund treten, dass ihnen kein bestimmender Einfluss auf die Gesamtbewertung zukommt. 3 8 5 Maßgeblich ist eine umfassende Würdigung des Textes, die den Gesamtzusammenhang der Äußerungen beachtet und die besondere Bedeutung der Kommunikationsgrundrechte der Meinungs- und Pressefreiheit berücksichtigt. 386

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Zumindest aus den Gesamtumständen muss sich ergeben, dass der Werbende gezielt Mitglieder oder Unterstützer gewinnen will. Hat die Handlung nur einen solchen Nebeneffekt, ist die Tatbestandsalternative nicht erfüllt. 3 8 7 Nicht ausreichend sind deshalb der bloße Hinweis auf eine kriminelle Vereinigung 388 oder das Zur-Schau-Stellen von Symbolen einer Vereinigung zu dem einzig erkennbaren Zweck, die bürgerliche Gesellschaft zu provozieren. 389 Auch das bloß befürwortende Eintreten für eine Vereinigung, die Rechtfertigung ihrer Ziele oder der aus ihr heraus begangenen Straftaten sowie die Verherrlichung der Ideologie, aus der verschiedene Vereinigungen ihre Tätigkeit legitimieren und die gegebenenfalls auch Einzelpersonen zur Rechtfertigung für die Begehung von Straftaten dient, stellt noch keine gezielte Werbung um Mitglieder oder Unterstützer für eine bestimmte Vereinigung dar. 3 9 0 Allerdings kann sich aus den Gesamtumständen - bei Aufrufen zum Jihad etwa aus dem Adressatenkreis und der herausgehobenen Stellung der im Adressatenkreis der Werbung bekannten Rädelsführer einer Vereinigung - ergeben, dass die Werbung nicht nur auf allgemeine Propaganda und Rechtfertigung von Straftaten ausgerichtet ist, sondern die Gewinnung neuer Mitglieder oder Unterstützer im Vordergrund steht. 3 9 1

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Vgl. BGHSt 33 16, 18; BGHR StGB § 129a Abs. 3 Werben 4; BGH N J W 1988 1679; OLG Düsseldorf NStZ 1990 145, 146; vgl. auch BGH 3 StR 151/84 u. 3 StR 7 7 / 8 4 vom 25.7.1984; Miebach/Schäfer MK Rdn. 77. Vgl. BGHSt 33 16; BGH MDR 1987 1039, 1040; BGH NJW 1988 1679; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 18; Rebmann NStZ 1989 97, 101. Vgl. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 637; BGH NJW 1988 1677, 1679; NStZ 1985 2 6 3 ; N J W 1995 3395; BayObLG StV 1987 3 9 2 ; OLG Stuttgart StV 1984 76; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14c; Miebach/ Schäfer MK Rdn. 77. Vgl. BGHR StGB § 129a Abs. 3 Unterstützen 1. Vgl. BGH NJW 1988 1677, 1679.

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Vgl. BGH NStZ 1985 2 6 3 ; BGH N J W 1995 3395; OLG Hamburg StV 1986 2 5 3 ; s.a. OLG Schleswig N J W 1988 3 5 2 ; KG StV 1990 210. Vgl. BVerfGE 4 3 130, 137 ff; BGHSt 3 3 16, 18; Rebmann NStZ 1 9 8 9 97, 101. BGHSt 3 3 16, 18; BayObLG NStZ-RR 1996 7, 8 und 135; KG Berlin StV 1990 210; OLG Schleswig N J W 1988 3 5 2 ; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14b. BGHSt 3 3 16, 18 f; BayObLG NStZ-RR 1996 135; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 14b; Rudolphi/Stein SK Rdn. 18. BayObLG NStZ-RR 1 9 9 6 7; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14b. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 638. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 638.

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§ 129

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

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Schon nach § 129 a.F. als nicht ausreichend ist z.B. angesehen worden: die Forderung nach verbesserten Haftbedingungen inhaftierter Vereinigungsmitglieder,392 insbesondere wenn in dem Flugblatt vornehmlich individuelle Interessen verfochten werden; 3 9 3 die Herausgabe von Dokumentationen mit „Originalreprints zensierter Texte" einer Vereinigung, 3 9 4 mit Beiträgen von und über die RAF, 3 9 5 mit Briefen von RAF-Mitgliedern; 396 das offene Zur-Schau-Tragen des Symbols einer Vereinigung auf einer Wahlveranstaltung zur Provokation der bürgerlichen Gesellschaft; 397 die Verwendung von Symbolen und Kürzeln einer Vereinigung, denen durch einen begleitenden Text der werbende Erklärungswert genommen wird. 3 9 8

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f) Verbreitung und Wiedergabe fremder Meinungsäußerungen. Die Verbreitung fremder Meinungsäußerungen erfüllt den Tatbestand des Werbens grundsätzlich nicht. 3 9 9 Etwas anderes gilt aber, wenn die Veröffentlichung aus objektiver Sicht nach Art und Weise der Wiedergabe erkennen lässt, dass sich der für die Veröffentlichung Verantwortliche den strafbaren Inhalt für eigenes zielgerichtetes Handeln zu eigen gemacht hat und als eigenes werbendes Eintreten für die Vereinigung verstanden wissen will. 4 0 0 Ob dies der Fall ist, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung des Textes unter Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 1 GG zu beurteilen. 401 Beurteilungskriterien sind insoweit der Veröffentlichungszusammenhang, die Aufmachung, Hervorhebungen, eigene befürwortende Zusatzerklärungen, eigene Erläuterungen und der redaktionelle und journalistische Zusammenhang, in den die strafbare fremde Äußerung eingebettet ist. Verbreitet etwa der Werbende Audio- und Videobotschaften von Rädelsführern und Mitgliedern krimineller/terroristischer Vereinigungen in islamistisch ausgerichteten Chatrooms, kann sich schon durch die Gestaltung und Ausrichtung des Chatrooms für den Besucher unverkennbar ergeben, dass diejenigen, die dort Dateien zugänglich machen, die in diesen enthaltenen Erkärungen gutheißen und als eigene Botschaften weitergeben. 402

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Andererseits können werbende Äußerungen ihre Eigenbedeutung verlieren, wenn die Wiedergabe in einen den werbenden Gehalt entschärfenden Darstellungszusammenhang kritischer Berichterstattung oder eindeutig wertfreier Dokumentation eingebunden ist. 4 0 3 Gibt der Publizierende dagegen aufgrund der Art der Zusammenstellung der werbenden Texte der Veröffentlichung eine eindeutig propagandistische Tendenz 4 0 4 oder dient eine vorgebliche „Dokumentensammlung" ersichtlich nur der Verschleierung der in Wahrheit auf Werbung gerichteten Zwecksetzung, 405 kann dies für eine eigene affirmative Stellungnahme des Publizierenden sprechen. 392

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BGHSt 3 3 16 m. Anm. Bruns NStZ 1985 2 2 ; BGH NStZ 1985 2 6 3 ; NStZ-RR 1996 135; BGHR § 129a Abs. 3 a.F. Werben 4; vgl. auch BGH NStE § 129a Nr. 4; OLG Stuttgart StV 1984 76. BGHR § 129a Abs. 3 a.F. Werben 4. KG Berlin StV 1990 201. BGH NJW 1995 3395, 3 3 9 6 . OLG Schleswig N J W 1988 352. BayObLG NStZ-RR 1996 7; vgl. aber BGH N J W 1988 1677, 1678. Vgl. BGH Schmidt MDR 1985 185; OLG Koblenz StV 1 9 8 9 205. BGHSt 36 363, 3 6 7 f; 4 3 41, 4 4 ; BGH NJW 1995 3395, 3 3 9 6 ; OLG Schleswig NJW 1988 352; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-

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Lieben Rdn. 14b; Miebach/Schäfer MK Rdn. 69; Rudolphi/Stein SK Rdn. 18; Fischer Rdn. 27; Rebmann NStZ 1981 457, 461 f. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 638; BGHSt 36 363, 3 7 0 f; 43 41, 44; BGH bei Schmidt MDR 1988 355; s.a. Giehring StV 1983 296, 3 0 9 ; Rebmann NStZ 1981 457, 4 6 2 . Vgl. BGHSt 36 363, 371 f; 4 3 41, 44. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 638. Vgl. BGH NJW 1995 3395, 3396; NStZ 1985 2 6 3 ; OLG Schleswig NJW 1988 352; OLG Hamburg StV 1986 253. Vgl. hierzu KG StV 1990 210. Vgl. OLG Schleswig N J W 1988 352; OLG Hamburg StV 1986 253.

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Bildung krimineller Vereinigungen

§ 129

Bei bloßem Verbreiten fremder werbender Äußerung oder bei unkommentiertem Abdruck kommt Beihilfe zum Werben in B e t r a c h t . 4 0 6 Der Drucker/Setzer ist in der Regel, sofern er von dem Inhalt des Druckwerks überhaupt Kenntnis nimmt, unter Berücksichtigung seiner vornehmlich auf die drucktechnische Herstellung bezogenen Verantwortung lediglich als Gehilfe anzusehen. 4 0 7

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g) Konkreter Organisationsbezug. Die Werbung muss sich auf eine bestimmte, zumindest eindeutig identifizierbare Vereinigung beziehen. 4 0 8 Der Name der Vereinigung braucht nicht ausdrücklich genannt zu sein, wenn deren Identität nach dem Inhalt der werbenden Erklärung auf der Hand liegt. Ausreichend ist, wenn sich die Werbung auf mehrere zumindest bestimmbare Vereinigungen bezieht und der Täter anheim stellt, welcher von ihnen sich der Angesprochene anschließt oder welche er unterstützt. 4 0 9 Nicht ausreichend ist es, wenn sich der Bezug der werbenden Äußerung auf eine bestimmte Vereinigung nur aufgrund eines speziellen Wissens herstellen lässt, über das der Durchschnittsadressat nicht verfügt. 4 1 0 Bloße allgemeine Propaganda für kriminelle oder terroristische Mittel zur Verwirklichung bestimmter Ziele ohne derartigen Vereinigungsbezug entspricht nicht den tatbestandlichen Anforderungen. 4 1 1 So genügt ein allgemein gefasster Aufruf, sich dem Jihad anzuschließen, für sich genommen nicht, da dieser Begriff nicht allein für den Kampf einer oder mehrerer bestimmter Vereinigungen steht, sondern

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für eine Vielzahl von islamistischen Aktivitäten. 4 1 2 Etwas anderes kann für einen solchen Aufruf allerdings dann gelten, wenn er durch eine Person erfolgt, die eine Vereinigung derart herausgehoben repräsentiert, dass sich allein daraus ausreichend konkret ergibt, die Aufforderung gelte zu allererst oder zumindest auch zu Gunsten der repräsentierten Vereinigung. 413 Ist dies der Fall, wird die Strafbarkeit nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Äußerung als Werbung auch für andere, ideologisch gleich gesinnte Vereinigungen verstanden werden kann oder gleichzeitig auch deren Tätikeit preist sowie zu deren Fortsetzung aufruft. 4 1 4 h) Erfolg der Werbung. Die werbende Tätigkeit braucht nicht erfolgreich zu sein. 4 1 5 Die Gesetzesfassung „werben ... u m " bringt zum Ausdruck, dass bereits das erfolglose Bemühen, andere zu gewinnen, vollendetes Werben ist. 4 1 6 Bei der Tatvariante des Werbens handelt es sich somit um ein unechtes Unternehmensdelikt. 4 1 7 Die gegenteilige Auffassung, die in Abweichung von der gesetzlichen Wortwahl und den Gesetzesmaterialien 4 1 8 als Werben nur die erfolgreiche Anwerbung von Mitgliedern erfassen

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Vgl. BGHSt 36 363. Vgl. BGH NJW 1981 61, 63; Löfßer/Ricker Handbuch des Presserechts (2005) Kap. 50 Rdn. 36. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 637; BGH NStZ-RR 2 0 0 5 73 f; OLG Koblenz StV 1989 2 0 5 ; OLG Düsseldorf NStZ 1990 1 4 5 , 1 4 6 ; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14a; Fischer Rdn. 26. BGH NStZ-RR 2 0 0 5 73. Vgl. OLG Koblenz StV 1989 205; OLG Frankfurt StV 1983 285, 286; Rebmann NStZ 1981 457, 460 m. Beispielen. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 637; vgl. auch Giehring StV 1983 296, 298.

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BGH NStZ 2 0 0 7 635, 637. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 637; vgl. auch schon BGHSt 33 16, 19; Rebmann NStZ 1981 457, 460. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 637. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 637; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Fischer Rdn. 29; Miebach/Schäfer MK Rdn. 75; Rudolphi/Stein SK Rdn. 18a; Ο Stendorf ΉΚ

Rdn. 19; aA Ostendorf AK Rdn. 19, 29, 30.

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Altvater NStZ 2 0 0 3 179, Ostendorf NK Rdn. 19. Rudolphi/Stein SK Rdn. 18a. BTDrucks. 14/8893, S. 8.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

will, 419 überschreitet den Auslegungsspielraum und lässt die weitgehende gesetzgeberische Entscheidungsprärogative hinsichtlich des Gefahrenaspekts außer Acht. 4 2 0 4. Unterstützen 132

a) Begriff. Eine Vereinigung unterstützt, wer als Nichtmitglied deren Tätigkeit oder die Verwirklichung ihrer Ziele direkt oder über eines ihrer Mitglieder fördert. 421 Nach h.M. handelt es sich bei dieser Tatbestandalternative um eine zur Täterschaft verselbstständigte Beihilfe durch ein Nichtmitglied (vgl. aber unten Rdn. 163). 4 2 2 Die begriffliche Auslegung hat sich daher an den für die Beihilfe geltenden Grundsätzen zu orientieren. Die Förderung kann sich richten auf die innere Organisation der Vereinigung und deren Zusammenhalt, auf die Erleichterung einzelner von ihr geplanter Straftaten, aber auch allgemein auf die Erhöhung ihrer Aktionsmöglichkeiten oder die Stärkung ihrer kriminellen Zielsetzung. 423 Die Unterstützung muss also nicht speziell die organisatorische Struktur der Vereinigung fördern, sondern kann auch deren Tätigkeit oder Zweck betreffen 4 2 4 Dies zeigt ein Vergleich mit § 20 Abs. 1 Nr. 3 VereinsG, § § 8 4 Abs. 2, 85 Abs. 2 StGB, die ein Unterstützen des organisatorischen Zusammenhalts voraussetzen. 425

133

Ob die Hilfe den Erfolg hat, den der Täter mit ihr erstrebt, oder ob der Organisation nachweisbar ein messbarer Nutzen entstanden ist, ist unerheblich. 426 Die Hilfe muss nur an sich wirksam und für die Organisation irgendwie vorteilhaft sein; 4 2 7 ob die Vereinigung von ihr Gebrauch macht und daher etwa eine konkrete, aus der Organisation heraus begangene Straftat oder auch nur eine organisationsbezogene Handlung eines ihrer Mitglieder mitgeprägt wird, ist ohne Belang. 428 Das Tatbestandsmerkmal der Unterstützung liegt aber dann nicht vor, wenn die Handlung der Vereinigung von vornherein nicht nützlich war und sein konnte. 4 2 9 Nach anderer einschränkender Auffassung setzt das Unterstützen voraus, dass das konkrete Gefährdungspotential der Vereinigung, das in der Fähigkeit und Bereitschaft zur Begehung einer Mehrzahl von Straftaten liegt, nachweis-

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Ostendorf AK Rdn. 19, 29, 30 u. JA 1980 499, 5 0 2 ; Langer-Stein Legitimation und Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen, S. 2 2 7 ff, die ihren generellen Streichungsvorschlag für die Werbungsalternative (S. 2 3 0 ) mit der Erfassbarkeit der Anwerbung über § 2 6 als Anstiftung zum Sichbeteiligen begründet. Giehring StV 1983 2 9 6 , 3 0 5 f. BGHSt 2 9 99, 101; 32 243, 2 4 4 ; BayObLG StV 1987 392, 393; BGH NStZ 2 0 0 7 635, 636; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Miebach/Schäfer MK Rdn. 81; Lackner/Kühl Rdn. 6; Fischer Rdn. 30. Vgl. BGHSt 2 0 89; 2 9 99, 101; BGH bei Schmidt MDR 1985 185; Miebach/Schäfer MK Rdn. 81; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Rudolphi/Stein SK Rdn. 17; Ostendorf NK Rdn. 20; Fischer

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Rdn. 30; Lackner/Kühl Rdn. 6; krit. Sommer J R 1981 4 9 0 ; Lampe ZStW 106 (1994) 683, 726; Cobler KritJ 1984 407, 414. BGHSt 2 0 89 f; 2 9 99, 101; 32 2 4 3 244; 33 16, 17; BGH NStZ 2 0 0 7 635, 636. Fischer Rdn. 30; Miebach/Schäfer MK Rdn. 83; Rudolphi FS Bruns, S. 315, 329. Vgl. BGH NJW 2 0 0 5 2164 f; NStZ 2 0 0 6 355, 356; aA Ostendorf JA 1980 499, 502. BGHSt 2 9 99, 101; 32 243, 2 4 4 ; BGH NStZ 2 0 0 7 635, 636. BGHSt 2 9 89, 90; 2 9 99, 101; 32 243, 2 4 4 ; 33 16, 17; BGH NJW 1988 1 6 7 7 , 1 6 7 8 ; NStZ 2 0 0 7 635, 636; BayObLG StV 1984 77; 1987 3 9 2 , 393. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 636; Sch/Schröder/ Lenckner/Stemberg-Lieben Rdn. 15; Fischer Rdn. 3 0 . BGH bei Schmidt MDR 1981 91.

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§129

lieh mitursächlich aufrechterhalten oder erhöht worden ist. 4 3 0 In der Praxis dürfte diese einen nachweisbaren Kausalbeitrag fordernde Auffassung regelmäßig zu denselben Ergebnissen kommen wie die Rechtsprechung. 4 3 1 Die Unterstützung setzt keinen Auftrag der Vereinigung voraus. 4 3 2 Die gezielte UnterStützung einzelner Mitglieder der Vereinigung ist nur dann tatbestandserheblich, wenn sie auf die Organisation als solche durchschlägt und die Bestrebungen der Organisation insgesamt gefördert werden. 4 3 3 Wie bei der mitgliedschaftlichen Beteiligung handelt es sich bei der Tatbestandsalternative des Unterstützens um ein Organisationsdelikt. Sie erfasst organisationsbezogene Betätigungen, also nur solches Tun, das in einem Zusammenhang mit der Vereinigung als Organisation steht.

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b) Werben kein Unterstützen. Mit Beschluss vom 16. M a i 2 0 0 7 hat der Bundesgerichtshof die Tatvariante des Unterstützens bei § 129a dahingehend eingeschränkt, dass Tätigkeiten, die sich als Werben für eine terroristische Vereinigung darstellen, nicht unter das Tatbestandsmerkmal des Unterstützens subsumieren lassen und zwar unabhängig davon, ob es sich um ein Werben um Mitglieder oder Unterstützer oder um Werben für die Ideologie oder die Ziele der Vereinigung handelt. 4 3 4

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Zuvor hatte die Rechtsprechung die Tatbestandsalternativen des Unterstützens und des Werbens im Hinblick auf dieselbe Strafdrohung und die Strafbarkeit auch der sogenannten Sympathiewerbung nicht scharf voneinander abgegrenzt. So wurde z.B. das Herstellen und Verbreiten von Druckschriften nicht nur als Werbung, sondern auch als Unterstützungshandlung qualifiziert, wenn die eine Unterstützung einer Organisation bezweckende Zielrichtung eindeutig erkennbar war und die Äußerungen einen unmittelbaren Organisationsbezug zu einer bestimmten Vereinigung aufwiesen. 4 3 5 Der Bundesgerichtshof hatte dies beispielsweise bezüglich der Verbreitung eines Zeitschriftenartikels bejaht, in dem Attentate der terroristischen Vereinigung R A F gutgeheißen und ihnen Vorbildhaftigkeit suggeriert worden waren. Das für die Vereinigung vorteilhafte Tun lag so der Bundesgerichtshof - darin, dass bei dem angesprochenen Leserkreis ein Gefühl der Gemeinsamkeit der Kampfstellung gegenüber dem gemeinsamen Gegner erzeugt werden könne und der Artikel geeignet sei, die Leser in eine innere Nähe zur Vereinigung zu

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 17; Ostendorf NK. Rdn. 20; vgl. auch Rudolphi FS Bruns, S. 315, 329 und ZRP 1979 214, 217; Bottke JR 1985 122, 123; Ostendorf JA 1980 499, 502 und J Z 1979 2 5 2 , 253; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 110 f. So auch Rudolphi FS Bruns, S. 315, 329; vgl. auch Langer-Stein Legitimation und Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen, S. 226. BGH 3 StR 4 4 / 5 8 vom 27.5.1959, bei Wagner GA 1960 234. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 15. BGH NStZ 2 0 0 7 635. Vgl. BGHSt 33 16; 36 51, 53; 43 41, 44; BGH NJW 1988 1677, 1678; OLG

Schleswig NJW 1988 352; OLG Düsseldorf NStZ 1990 1 4 5 , 1 4 6 ; Miebach/Schäfer MK Rdn. 91; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 15a; Fischer Rdn. 6; Rebmann NStZ 1989 97, 100; Rudolphi JR 1979 33, 34; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 17c. Bloße Sympathiebekundungen für Vereinigungen oder deren Mitglieder (vgl. BGH bei Schmidt MDR 1986 178) oder die Befürwortung allein der politischen oder sonstigen Endziele einer Vereinigung, nicht aber der Begehung von Straftaten zur Erreichung dieser Ziele reichten schon nach alter Rechtsprechung nicht aus, vgl. BayObLG StV 1987 392, 393; Rudolphi FS Bruns, S. 315, 331; Miebach/Schäfer MK Rdn. 93; Rudolphi/Stein SK Rdn. 17a; vgl. auch BGH NJW 1988 1677, 1678.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

bringen und damit deren Aktionsmöglichkeiten, eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld zu erweitern und insgesamt zu einer Stärkung ihres Gefährdungspotentials zu führen. 4 3 6 137

Die Abkehr von dieser Rechtsprechung begründet der Bundesgerichtshof mit der durch das 34. StrÄndG vom 22. August 2 0 0 2 eingeführten Beschränkung des Werbens auf Werben um Mitglieder und Unterstützer sowie mit der durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2 0 0 2 zur Terrorismusbekämpfung vom 22. Dezember 2 0 0 3 vorgenommenen deutlichen Differenzierung zwischen den Tatbestandsalternativen des Werbens und Unterstützens bei den Strafdrohungen und im Hinblick auf die Straflosigkeit der Werbung um Mitglieder oder Unterstützer für eine terroristische Vereinigung nach § 129a Abs. 3. Darin zeige sich der objektivierte Wille des Gesetzgebers, die Werbung um Mitglieder, Unterstützer oder Sympathie für eine terroristische Vereinigung zu privilegieren, nämlich alle Handlungen, die sich (nur) in einem Werben für die Ideologie und die Ziele einer terroristischen Vereinigung oder in einem Werben um Mitglieder oder Unterstützer für eine Vereinigung nach § 129a Abs. 3 erschöpfen, aus der Strafbarkeit herauszunehmen und im Falle der Mitglieder- oder Unterstützerwerbung für eine Vereinigung nach § 129a Abs. 1 oder 2 einen im Vergleich zum Unterstützungstatbestand geringeren Strafrahmen vorzusehen.

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Konsequenterweise ist diese den Unterstützungstatbestand des § 129a Abs. 5 betreffende Auslegung auf § 129 zu übertragen, da die Privilegierung infolge des Ausscheidens der Symphatiewerbung durch das 34. StrÄndG auch für die Tatbestandsalternative des Werbens nach § 129 Abs. 1 gilt. Dies hat zur Folge, dass die propagandistische Tätigkeit des Nichtmitglieds einer kriminellen Vereinigung, die sich in dem befürwortenden Eintreten für sie, der Rechtfertigung ihrer Ziele oder der aus ihr heraus begangenen Straftaten sowie in der Verherrlichung der Ideologie, aus der die Vereinigung ihre Tätigkeit legitimiert und gegebenenfalls auch Einzelpersonen zur Rechtfertigung für die Begehung von Straftaten dient, erschöpft, weder als Werben noch als Unterstützen gem. § 129 erfasst werden kann.

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Als tatbestandserhebliche Unterstützung ist somit jedes Tätigwerden anzusehen, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der kriminellen Vereinigung unmittelbar fördert, die Realisierung der von der Vereinigung geplanten Straftaten - wenn auch nicht unbedingt maßgebend - erleichtert oder sich sonst auf Aktionsmöglichkeiten und kriminelle Zwecksetzung der Vereinigung in irgendeiner Weise positiv auswirkt und damit die ihr wesenseigene Gefährlichkeit festigt, 437 solange diese Tätigkeit sich nicht als Werben für eine kriminelle Vereinigung darstellt.

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c) Psychische Unterstützung. Ausreichend ist auch eine rein psychische Unterstützung, wenn durch sie entweder die Gruppenmoral gefestigt oder einzelne Mitglieder in ihrer Bereitschaft zur Begehung von Straftaten bestärkt werden. 4 3 8 Voraussetzung ist jedoch, dass die Unterstützungshandlung im Hinblick auf den organisatorischen Charakter des § 129 darauf gerichtet ist, den organisatorischen Zusammenhalt der Vereinigung

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BGH NJW 1988 1677, 1678 (vgl. aber auch BayObLG StV 1987 3 9 2 als Vorinstanz); vgl. auch BGHSt 3 6 51, 53. Vgl. Miebach/Schäfer MK Rdn. 83; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 111; ähnlich Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 15 (objektive Förderungseignung).

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BGH N J W 1975 985, 986; BGHSt 2 9 99, 101; 32 2 4 3 , 2 4 4 ; 3 3 16, 17; Miebach/Schäfer MK Rdn. 90; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 15a; krit. zur argumentativen Grundlage bloß psychischer Bestärkung Giehring StV 1983 2 9 6 , 310.

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§ 129

zu fördern. 4 3 9 So hat der Bundesgerichtshof in einem Beschluss vom 5. April 1 9 9 0 die Zusage einer Beschaffung von Waffen ausreichen lassen, weil bereits die Übernahme der Beschaffungstat sich positiv für das Bestehen und die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung auswirke. 4 4 0 Gegen diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof neuerdings Bedenken angemeldet, weil - auch mit Blick darauf, dass der Versuch der Unterstützung nicht strafbar ist - der Bereich der Vollendung des Delikts zu weit nach vorne verlagert würde. 4 4 1 Dient ein Hungerstreik inhaftierter Vereinigungsmitglieder dem Ziel, den Zusammenhalt der Vereinigung aufrechtzuerhalten und die Fortsetzung ihrer kriminellen Ziele zu sichern, so kann sich derjenige wegen Unterstützung schuldig machen, der Hilfe bei der Durchführung des Hungerstreiks leistet oder die der Stärkung der Organisation dienende Kampfmaßnahme in sonstiger Weise psychisch unterstützt. 4 4 2 Solche Akte der Solidarisierung durch Außenstehende setzen aber voraus, dass sie überhaupt Wirksamkeit entfalten, was bei Briefen an gefangene Mitglieder einer Organisation, die vor Aushändigung beschlagnahmt werden, nicht der Fall ist. 4 4 3

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d) Beispiele. Als Förderungsakte kommen in Betracht: die Zuführung neuer Mitglied e r ; 4 4 4 das Erbieten, selbst für die Vereinigung tätig werden zu wollen; 4 4 5 die Erteilung von Ratschlägen, die die kriminellen Zielsetzungen und Planungen der Vereinigung konkretisieren; die finanzielle Unterstützung der Vereinigung; 4 4 6 die Verschleierung des Aufenthalts der konkrete Straftaten vorbereitenden Mitglieder; 4 4 7 die Lieferung von Waffen, falschen Pässen und sonstigen der Verwirklichung der kriminellen Zielsetzung dienlichen Werkzeugen oder Materialien ohne Rücksicht darauf, ob sie bei späterer Straftatbegehung Verwendung finden; 4 4 8 die den Mitgliedern der Vereinigung zugesagte Übernahme einer Beschaffungstat ungeachtet der wegen Scheiterns des Einbruchsdiebstahls fehlgeschlagenen Materialbeschaffung; 4 4 9 die Übernahme und Ausführung einer umfassenderen Kuriertätigkeit zwecks Verbreitung organisationsfördernder Schriften ungeachtet einer gescheiterten ersten Kurierfahrt; 4 5 0 die Erbringung logistischer Hilfsdienste zum zweckgerichteten Ausbau der organisatorischen Infrastruktur, z.B. durch Anmieten oder Zur-Verfügung-Stellen von Räumen, Fahrzeugen oder eines Telefonanschlusses; 451 die Beherbergung von Personen, die für die Organisation Straftaten begehen sollen; 4 5 2 das Ausspähen von potentiellen Tatopfern oder Tatgelegenheiten, die Mitwirkung an einzel-

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BGHSt 3 3 16, 17; BGH N J W 1 9 8 9 2 0 0 2 . B G H R StGB § 1 2 9 a Abs. 3 Unterstützen 4. BGH StB 3 / 0 5 v. 1 9 . 5 . 2 0 0 5 . Vgl. BGHSt 3 2 2 4 3 , 2 4 4 f; BGH NStE § 129a Nr. 5 (Teilnahme an einem mit Gewalttätigkeiten verbundenen Demonstrationsmarsch, bei dem mit Flugblättern zur Solidarität mit im Hungerstreik befindlichen RAF-Häftlingen aufgerufen wurde); B G H N J W 1 9 8 9 2 0 0 2 (die mit einem Hungerstreik eines anderen Gefangenen verbundene Forderung nach Zusammenlegung der RAFHäftlinge, dort aus tatsächlichen Gründen verneint); vgl. auch O L G Düsseldorf NStE § 129a Nr. 6; einschränkend Ο Stendorf GA 1 9 8 4 3 0 8 , 3 2 4 ff; Ostendorf N K Rdn. 21. Vgl. BGH bei Schmidt M D R 1 9 8 6 1 7 8 ;

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 15a; Miebach/Schäfer M K Rdn. 9 0 . Rudolphi Z R P 1 9 7 9 214, 2 1 7 ; Rudolphi FS Bruns, S. 315, 331 f. B G H StB 4 und 5 / 0 8 v. 1 5 . 5 . 2 0 0 8 . B G H N S t Z - R R 2 0 0 2 301. Vgl. B G H N S t Z 2 0 0 7 2 3 0 . Vgl. B G H R StGB § 129a Abs. 3 Unterstützen 5 ; Fischer Rdn. 31. B G H R StGB § 129a Abs. 3 Unterstützen 4. B G H R StGB § 129a Abs. 3 Unterstützen 3; B G H M D R 1 9 9 0 104. O L G Stuttgart 2 0 Js (24) 4 1 / 7 9 v. 2 1 . 5 . 1 9 8 1 , bei Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 107. B G H 2 StE 4 / 0 1 - 6 .

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

nen Straftaten, denen Bedeutung für Fortbestand und Zielsetzung der Organisation insgesamt zukommt. 4 5 3 143

Das bloße Vorrätighalten von zur Werbung geeignetem Propagandamaterial 4 5 4 oder der bloße Besitz von Broschüren der Vereinigung erfüllen die Tatbestandsalternative des Unterstützens noch nicht. 4 5 5 Auch die Zuleitung eines Drohbriefs an ein Gerichtsmitglied fällt mangels irgendeines Nutzens für die Vereinigung nicht unter den Tatbestand. 4 5 6

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Auszuklammern sich auch sozialübliche Verhaltensweisen ohne spezifischen Bezug zum Vereinigungszweck wie der Verkauf von Lebensmitteln, Kleidung, Fahrzeugen usw. oder die Vermietung von Wohnungen an Mitglieder einer kriminellen Organisation. 4 5 7 Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Überlassung der Gegenstände die Vereinigung in ihren kriminellen Bestrebungen und ihrer Tätigkeit fördert, etwa die Wohnung der Organisation als Unterschlupf oder logistische Basis dient.

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e) Verteidigerhandeln. Auch ein Verteidigerhandeln kann den Unterstützungstatbestand erfüllen. Aufgrund der Weite, die der Tatbestand zur äußeren und inneren Tatseite hat, besteht allerdings die Gefahr, dass auch eine erlaubte Verteidigertätigkeit in den Anwendungsbereich der Vorschrift fällt, wenn der Beschuldigte Mitglied einer kriminellen Vereinigung ist. Da Strafverteidigung ihrer Natur nach auf den Schutz des Beschuldigten vor Anklage, Verhaftung und Verurteilung ausgerichtet ist, wird sie sich häufig notwendigerweise günstig auf den Fortbestand einer solchen Organisation oder die Realisierung ihrer Pläne auswirken. 4 5 8 In Rechtsprechung und Literatur besteht Einigkeit, dass der Konflikt zwischen prozessual zulässigem Verteidigerhandeln und dem strafrechtlichen Unterstützungsverbot dahin zu lösen ist, dass solches Handeln straflos bleibt. 4 5 9

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Umstritten ist insoweit, ob erlaubte Verteidigung schon als nicht tatbestandsmäßig i.S. des § 129 anzusehen i s t 4 6 0 oder ob sie eine tatbestandsmäßige Handlung rechtfertigt. 461 Nach der Tatbestandslösung ist der Tatbestand des § 129 im Wege teleologischer Reduktion auf seinen „deliktstypischen" Schutzbereich zurückzuführen. Danach stellt ein prozessrechtlich erlaubtes Verteidigungsverhalten, das trotz seiner Eignung, das Gefährdungspotential einer Vereinigung mit zu erhöhen, kein „deliktstypisches" Verhal-

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Miebach/Schäfer MK Rdn. 85. BayObLG StV 1984 7 7 ; Fischer Rdn. 6; Miebach/Schäfer MK Rdn. 93. BGH NStZ 1990 501. BGH StB 17/80 vom 11.01.1980. Rudolphi/Stein SK Rdn. 17b; Ostendorf NK Rdn. 22; Miebach/Schäfer MK Rdn. 93; Rudolphi FS Bruns, S. 315, 332; Weißer J Z 2 0 0 8 388, 3 9 0 . BGHSt 2 9 9 9 , 1 0 2 ; 32 243, 2 4 7 ; 4 6 36, 44. BGHSt 2 9 99, 102 m. Anm. Kuckuk NJW 1980 2 9 8 und Müller-Dietz J R 1981 76; BGHSt 31 16 m. Anm. Gössel J R 1983 118; BGHSt 32 2 4 3 m. Anm. Bottke J R 1985 122; BGHSt 4 6 36, 4 3 ff; BGH NStZ 1990 183; NJW 2 0 0 6 2 4 2 1 ; OLG Hamburg J Z 1979 2 7 6 m. Anm. Ostendorf J Z 1979 2 5 2 ; Miebach/Schäfer MK Rdn. 86; Rudolpbi/

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Stein SK Rdn. 17b; Fischer Rdn. 33; Sch/ Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 15a; Ostendorf NK Rdn. 23; Kindhäuser LPK Rdn. 36; Lackner/Kühl Rdn. 10; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 II Rdn. 8; Rudolphi FS Bruns, S. 315, 3 3 4 und ZRP 1 9 7 9 214, 217 ff; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 2 0 4 ff; Rietmann Zur Strafbarkeit von Verfahrenshandlungen, S. 13 ff, 93 ff. Rudolphi/Stein SK Rdn. 17b; Fischer Rdn. 33; Lackner/Kühl Rdn. 10; Bottke JA 1980 4 4 8 ; J R 1985 122, 124; Giemulla JA 1 9 8 0 2 5 3 ; Müller-Dietz J R 1981 76, 77. Gössel J R 1983 118, 119; Kuckuk NJW 1980 2 9 8 ; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 15a; v. Bubnoff LK 1 1 § 129a Rdn. 32 ff.

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ten dar. 4 6 2 Andere verweisen auf die Vergleichbarkeit mit dem Tatbestand der Strafvereitelung, wo das prozessual zulässige Verteidigerverhalten ebenfalls nicht tatbestandsmäßig sei. 4 6 3 Außerdem handele es sich in solchen Fällen um eine „berufstypische Sachlage" und keine Ausnahmesituation, was gegen einen Rechtfertigungsgrund spreche, da Rechtfertigungstatbestände ihrer Natur nach als Gegennormen ausgestaltet seien. 4 6 4 Nach gegenteiliger Auffassung überzeuge die Anknüpfung an die zu § 2 5 8 entwickelten Grundsätze mangels hinreichender Vergleichbarkeit der typischen Fallkonstellationen nicht. 4 6 5 Der Grund der mangelnden tatbestandlichen Relevanz zulässigen Verteidigerverhaltens bei § 2 5 8 liege in der unmittelbaren systematischen Verknüpfung zwischen prozessual unzulässigem Verteidigerhandeln und strafbarer Strafvereitelung. Der nach materiellem Recht entstandene Strafanspruch als Schutzgut des § 2 5 8 könne nur beeinträchtigt werden, soweit er nach Verfahrensgrundsätzen durchsetzbar sei. Demgegenüber fehle es bei § 129 an einem solch unmittelbaren systematischen Zusammenhang, weil die Frage prozessualer Zulässigkeit des Verteidigerverhaltens und eine etwaige Qualität als Unterstützungshandlung nicht im Sinne einer derartigen Wechselbeziehung miteinander verknüpft seien. 4 6 6 Die Rechtsprechung hat sich bislang nicht eindeutig festgelegt. Der Bundesgerichtshof hat in BGHSt 32 2 4 3 die Frage ausdrücklich offen gelassen. Sprachliche Wendungen in anderen Entscheidungen weisen eher auf die Zuerkennung einer rechtfertigenden Wirkung hin, etwa wenn prozessual zulässiges Verteidigerhandeln als nicht rechtswidriges Unterstützen qualifiziert w i r d 4 6 7 oder von der Ausnahme von der an sich gegebenen Strafbarkeit nach § 129 die Rede ist. 4 6 8

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Letztlich spielt die Streitfrage im Ergebnis, auch bei Irrtumsfragen des Verteidigers, nicht die entscheidende Rolle. 4 6 9 Vielmehr kommt es darauf an zu bestimmen, wie weit die Befugnisse des Strafverteidigers jeweils reichen und wo der strafrechtlich relevante Bereich beginnt. Die Einzelheiten der Abgrenzung prozessual zulässiger Verteidigung vom strafbaren Bereich eines an sich unterstützungsrelevanten Verteidigerhandelns sind zum Teil noch ungeklärt und umstritten. Sie lässt sich nicht aufgrund allgemeingültiger Kriterien vornehmen. Erforderlich ist vielmehr eine Abwägung im Einzelfall, bei der das Verbot der Unterstützung der Vereinigung und das Gebot, dem Mandanten Beistand zu gewähren, zu berücksichtigen ist. 4 7 0

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Maßgeblich sind insoweit zunächst die Regeln des Prozessrechts. 471 Ein Verhalten, das der Verfahrensordnung entspricht und sich im Rahmen der Verfahrensnormen hält, begründet grundsätzlich keine Strafbarkeit nach § 129. Insoweit erfüllt der Verteidiger einen gesetzlichen Auftrag im Interesse des Beschuldigten und einer am Rechtsstaatsgedanken ausgerichteten Strafrechtspflege. Die Grenzen erlaubter Verteidigertätigkeit sind nach BGHSt 32 2 4 3 , 2 4 7 aber dann überschritten, wenn die Außerachtlassung des Verbots, einer Vereinigung Hilfe zu leisten, wegen der Art oder der schweren Folgen der

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Bottke JA 1980 4 4 8 ; J R 1985 122, 124; Giemulla JA 1980 253. Müller-Dietz J R 1981 76, 77. Müller-Dietz J R 1981 76, 77. v. BubnoffLK» § 129a Rdn. 33 f. v. Bubnoff L K n § 129a Rdn. 34; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 2 3 0 ff. BGHSt 2 9 9 9 , 1 0 5 . BGHSt 31 16, 22; siehe auch BGHSt 38

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471

345, 3 4 8 f; vgl. aber auch BGH NStZ 1 9 9 0 183, wo der Verteidigung dienende Prozesserklärungen des Angeklagten als nicht tatbestandsrelevantes Verhalten gewertet worden sind. Vgl. BGHSt 32 243, 2 4 8 . BGHSt 32 2 4 3 , 2 4 7 ; krit. zur Einzelfallabwägung Müller StV 1981 90, 98. Vgl. BGH N J W 2 0 0 6 2421.

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Handlung von der Verteidigerstellung nicht mehr gedeckt ist. Prüfungskriterium ist insoweit, ob die Handlung des Verteidigers noch verteidigungstypisch war, weil sie der Abwehr des Tatvorwurfs diente. Der Bundesgerichtshof stellt dabei auch darauf ab, welche Zwecke der Verteidiger subjektiv mit seiner prozessual zulässigen Verteidigertätigkeit verfolgt. 4 7 2 Erlaubt sei ein Verhalten des Verteidigers nur, solange es vom Verteidigungszweck getragen werde. Diene ein Tun, das sich nur den äußeren Anschein statthafter Verteidigung gebe, in Wirklichkeit dem Ziel, einer kriminellen Vereinigung zu helfen, liege kein prozessual zulässiges Verteidigerhandeln, sondern verteidigungsfremdes Verhalten vor. 4 7 3 Dem Abstellen auf die Motivlage des Verteidigers werden die damit verbundenen erheblichen Beweisprobleme und die Gefahr der „Gesinnungsschnüffelei" entgegengehalten. 4 7 4 150

Im Einzelnen gilt folgendes: Ein nicht mehr vom Verteidigungszweck getragenes Handeln liegt vor, wenn der Verteidiger das Besuchsrecht zum Einschmuggeln von Waffen, Sprengstoff, Mobiltelefonen, Kassibern etc. in die Justizvollzugsanstalt mit der bedachten Folge einer möglichen Straftatbegehung der Vereinigungsmitglieder in der Haft missbraucht. 4 7 5 Verteidigungsfremd und deshalb strafbar sind weiterhin Aktivitäten, durch die der Verteidiger die Organisationsstrukturen oder die Tätigkeit der Vereinigung aufrechterhält, etwa durch die Übermittlung von die Vereinigungstätigkeit betreffenden, verteidigungsfremden Informationen inhaftierter Vereinigungsmitglieder an nicht inhaftierte oder durch Sicherung der Gewinne aus der weiter laufenden kriminellen Tätigkeit der Vereinigung. 476 Beteiligt sich der Verteidiger am Aufbau und Betrieb eines von gefangenen Vereinigungsmitgliedern unterhaltenen Informationssystems, hängt die Strafbarkeit vom Inhalt der in Umlauf gebrachten Papiere ab. Dient der Inhalt der Vorbereitung oder Begehung geplanter Straftaten oder enthält er Anweisungen und Maßregelungen für das Verhalten in der Haft zur Aufrechterhaltung der Organisation, ist die Tätigkeit des Verteidigers nicht mehr vom Verteidigungszweck getragen. 4 7 7 Nach zutreffender Auffassung gilt dies auch für propagandistische Strategie- und Positionspapiere der Vereinigung, die über eine Darstellung von Hintergründen und ideologischer Motivationslage der angeklagten Taten hinaus offen auf künftige Gewalt ausgerichtet sind und zukunftsweisend den bewaffneten Kampf und revolutionäre Umstürze befürworten. 4 7 8 Damit werden das Zusammenhörigkeitsgefühl der Vereinigung gefestigt, der Wille zum kriminellen Einsatz gestärkt und fortgesetzte Aktivitäten gefördert. Dagegen wird eingewandt, solche Papiere legten zugleich die Motivation der Vereinigungsmitglieder für die Begehung ihrer Straf-

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BGHSt 2 9 9 9 , 1 0 6 ; 32 243, 2 4 6 ; 46 36, 4 4 ; vgl. auch BGH NStZ 1990 183, 184; NStZ 1987 554. BGHSt 2 9 99, 106; vgl. auch BGHSt 4 6 36, 45; BGH N J W 2 0 0 6 2 4 2 1 . Vgl. Bottke J R 1985 1 2 2 , 1 2 3 f; MüllerDietz J R 1981 76, 77; krit. zum subjektiven Element auch Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 15a; Rudolphi/Stein SK Rdn. 17b. BGH StB 171/78 vom 2.8.1978; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 15a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 88; Fischer Rdn. 33. Fischer Rdn. 33; Miebach/Schäfer MK Rdn. 88; Rudolphi ZRP 1 9 7 9 214, 217.

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Vgl. BGHSt 31 16, 2 4 (vollständig abgedruckt in NJW 1982 2 5 0 8 , 2510); 32 243, 2 4 4 ; OLG Hamburg J Z 1 9 7 9 275, 276; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 15a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 88; Fischer Rdn. 33; Rudolphi/Stein SK Rdn. 17b; Ostendorf J Z 1 9 7 9 2 5 2 , 2 5 5 ; Rudolphi ZRP 1979 214, 218; vgl. auch Fürst Grundlagen und Grenzen der § § 129, 129a StGB, S. 219 ff. Vgl. BGH 3 StR 323/79 v. 14.11.1979, bei Schmidt MDR 1981 91; BGH NJW 1982 2 5 0 8 , 2 5 1 0 (in BGHSt 31 2 4 nicht abgedruckt); 32 243, 2 4 4 ; OLG Hamburg J Z 1 9 7 9 275, 2 7 6 ; Miebach/Schäfer MK Rdn. 88; Fischer Rdn. 33.

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§ 129

taten dar, weshalb sie den Gegenstand des Verfahrens beträfen und nicht ohne weiteres als verteidigungsfremd qualifiziert werden könnten. 4 7 9 Die Hilfe bei der Durchführung eines als „Kampfmaßnahme" der Stärkung des Gruppenzusammenhalts dienenden Hungerstreiks inhaftierter Mitglieder einer Vereinigung ist ebenfalls als Unterstützungshandlung zu qualifizieren. 480 Bei der Abgabe von Prozesserklärungen durch den Verteidiger oder ihrer Weitergabe an die Presse legt die Rechtsprechung einen großzügigen Maßstab an. Hat die Erklärung aufgrund einer Gesamtbetrachtung noch Verfahrensbezug, weil sie auch der Rechtfertigung begangener Taten dient, bleibt ihre Abgabe straflos, auch wenn sie darüber hinaus ein Bekenntnis zur Fortsetzung des bewaffneten Kampfes enthält und ihr Propagandawert für die politischen Ziele und Absichten der Vereinigung zukommt. 4 8 1 Die Weitergabe der dem Verteidiger zugänglichen Informationen z.B. aus Ermittlungsakten an den Beschuldigten ist grundsätzlich gestattet, es sei denn, die Aushändigung würde den Untersuchungszweck gefährden oder zu verfahrensfremden Zwecken missbraucht werden. 4 8 2

C. Subjektiver Tatbestand Für den subjektiven Tatbestand ist Vorsatz notwendig. Bedingter Vorsatz genügt bei allen Tatmodalitäten hinsichtlich der Umstände, die das Bestehen einer bereits existierenden oder im Falle der Gründung der künftigen Vereinigung ausmachen. 483 Der (bedingte) Vorsatz muss sich auf die strafbare Zwecksetzung und Betätigung der Vereinigung erstrecken, da diese zum äußeren Tatbestand gehört. Erkennt der Täter nicht, dass die von der kriminellen Vereinigung geplanten oder begangenen Handlungen strafwürdiges Unrecht sind, oder hält er sie mangels genauerer Kenntnis für von untergeordneter Bedeutung (Abs. 2), so fehlt es am erforderlichen Vorsatz. 484 Die genauen Einzelheiten der strafbaren Handlungen muss der Täter nicht kennen. 4 8 5

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Bei der mitgliedschaftlichen Beteiligung ist der Wille zu fortdauernder Teilnahme am Verbandsleben und das Bewusstsein einvernehmlicher Einbindung erforderlich. 486 Der Begriff des Werbens setzt als subjektives Element voraus, dass der Täter - propagandis-

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Ostendorf J Z 1979 252, 2 5 5 ; GA 1984 308, 324; Rudolphi ZRP 1979 214, 218; vgl. auch Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 219 ff. BGH NJW 1982 2 5 0 8 , 2510; Miebach/Schäfer MK Rdn. 88; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 15a; vgl. auch BGHSt 32 2 4 3 m. Anm. Bottke J R 1985 122 zur Übermittlung eines Strategiepapiers, das sich mit dem Abbruch des Hungerstreiks befasste; aA Ostendorf GA 1984 308, 3 2 4 ff; J Z 1979 2 5 2 , 2 5 6 ; Rudolphi ZRP 1979 214, 218; vgl. auch Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 218 f und Nestler-Tremel NStZ 1986 534, 538 f. BGHSt 31 16, 21; krit. Gössel J R 1983 118, 119 f; vgl. auch Miebach/Schäfer MK Rdn. 89. Handelt es sich der Sache nach um

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Werbung, greift die Privilegierung des Werbungstatbestands, vgl. Rdn. 135 ff. Vgl. BGHSt 2 9 99, 102 f m. Anm. MüllerDietz JR 1981 76, Kuckuk N J W 1 9 8 0 2 9 8 . Vgl. BGHSt 2 9 99, 102 zur Begehungsform des Unterstützens; BGH bei Wagner GA 1960 2 3 6 Nr. 2, 3; BayObLG NStZ-RR 1996 7, 8. BGH LM § 129 StGB Nr. 6; Miebach/Schäfer MK Rdn. 95; Fischer Rdn. 34; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 19; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 16. Sch/Schröder/Lenckner/Stemberg-Lieben Rdn. 16; Miebach/Schäfer MK Rdn. 96. Vgl. BGH NStZ 1993 37, 38; BGH bei Wagner MDR 1966 185, 187 zu § 90a a.F.; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 16; Miebach/Schäfer MK Rdn. 96.

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tisch - auf eine Gewinnung von Mitgliedern oder Unterstützern der Vereinigung hinzielt, also insoweit mit Absicht handelt. 4 8 7 Bedingter Vorsatz genügt dazu nicht. Bei der Wiedergabe oder dem Abdruck fremder Werbetexte reicht es nicht aus, dass der Publizierende sich deren Zielrichtung und möglicher Werbewirkung auf den Durchschnittsadressaten bewusst ist oder sie billigend in Kauf nimmt. 4 8 8 Als Täter der Tatbestandsalternative des Werbens muss er sich vielmehr darüber hinaus die werbenden Aussagen zu eigen machen, sie bewusst, gewollt und zielgerichtet als eigene Meinungsäußerung mittrag e n . 4 8 9 Mit bedingtem Vorsatz kann sich lediglich ein Gehilfe an gezielter Werbung eines (anderen) Täters beteiligen. 4 9 0 Dem abgestuften betriebsinternen Verantwortungsbereich der nur an der drucktechnischen Herstellung einer Werbeschrift Mitwirkenden und dem entsprechend begrenzten M a ß an Aufmerksamkeit dieser Personen gegenüber dem Inhalt der Druckschrift muss bei der Prüfung der subjektiven Voraussetzungen strafbarer Beihilfe Rechnung getragen werden. 4 9 1 153

Für den Tatbestand des Unterstützens reicht bedingter Förderungsvorsatz a u s . 4 9 2 Der Vorsatz des Unterstützers muss sich aber auf die Unterstützung gerade der betreffenden kriminellen Vereinigung beziehen. 4 9 3 Bei Unterstützung durch Verteidigerhandeln stellt sich der Irrtum über die rechtlichen Grenzen erlaubter Verteidigung als Verbotsirrtum (§ 17) dar. 4 9 4 Nimmt der Täter dagegen irrig Umstände an, die sein Verhalten als erlaubte Verteidigung erscheinen lassen, oder irrt er sich über die sachlich verteidigungsbezogene Notwendigkeit der Tätigkeit innerhalb der Grenzen erlaubter Verteidigung, so ist § 16 je nach Einordnung strafprozessual erlaubten Verteidigerhandelns als Tatbestandsausschluss (dann Tatbestandsirrtum) oder Rechtfertigungsgrund (dann Erlaubnistatbestandsirrtum) direkt oder entsprechend heranzuziehen. 4 9 5

154

Im Falle der Rädelsführerschaft (Absatz 4) muss sich der Täter der maßgeblichen Förderung der Organisation bzw. ihres organisatorischen Zusammenhalts und der seine führende Rolle begründenden Umstände bewusst sein; eine wertende Einschätzung seiner Tätigkeit i.S. einer Rädelsführerschaft braucht er nicht zu vollziehen.

D. Rechtswidrigkeit 155

Das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes wird meist bei der Tatbestandsvariante des Unterstützens diskutiert. So kann ein Verteidigerhandeln unter dem Gesichtspunkt der prozessual erlaubten Verteidigung gerechtfertigt sein, falls man nicht bereits von einem Tatbestandsausschluss ausgeht (s. Rdn. 146). Ein Rückgriff auf rechtfertigenden

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BGH NStZ 1987 552, 553; NJW 1988 1679; bei Schmidt MDR 1993 505; BGHR StGB § 129a Abs. 3 Werben 4; BayObLG NStZ-RR 1996 7, 8; OLG Koblenz StV 1989 205, 206; OLG Schleswig NJW 1988 352; Miebach/Schäfer MK Rdn. 96; Sehl Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 16; Rudolphi/Stein SK Rdn. 19; Fischer Rdn. 34; aA BayObLG NStZ 1983 123; Rebmann NStZ 1981 457, 462. Vgl. BGHSt 36 363, 370; aA Rebmann NStZ 1981 457, 462. Vgl. BGH NStZ 2007 635, 638; bei Schmidt

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MDR 1988 355; OLG Schleswig NJW 1988 352. BGH NJW 1988 1679. Vgl. BGHSt 29 258, 266; krit. Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 242; SchlothauerITscherch StV 1981 22, 23. BGHSt 29 99, 101 f. BGH bei Schmidt MDR 1991 186; BGH NStZ 1990 501. BGHSt 32 243, 247; OLG Hamburg J Z 1979 275, 277 f. BGHSt 32 243, 248.

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Notstand bei Unterstützungshandlungen verdeckter Ermittler oder verdeckt operierender Polizeibeamter ist nur unter den engen Voraussetzungen des § 34 zulässig. 496 Erfolgt die Zahlung von Schutzgeldern vor dem Hintergrund einer gegenwärtigen Gefahr für hochrangige Individualrechtsgüter, kann die in der Zahlung liegende Unterstützungshandlung ausnahmsweise gerechtfertigt sein. 4 9 7

156

Auch wenn die Vereinigung mit rechtswidrigen Mitteln gegen Zustände kämpft, die dem Leitbild einer freiheitlich demokratisch verfassten Staatsordnung zuwiderlaufen, rechtfertigt dieses Ziel grundsätzlich nicht die Begehung von Anschlägen. Das Ziel, Völker- oder menschenrechtlich anerkannte Rechtspositionen durchzusetzen, verleiht nicht ohne weiteres die Befugnis zu gewaltsamen Vorgehen. Auch die Berufung auf ein allgemeines Widerstandsrecht ist regelmäßig ausgeschlossen. 498

157

E. Täterschaft und Teilnahme I. Anwendbarkeit der §§ 26, 27 StGB Kontrovers diskutiert wird, ob eine Teilnahme an den einzelnen Tathandlungen nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 26, 27 möglich oder die Strafdrohung des § 129 ausnahmsweise auf Fälle der Täterschaft beschränkt ist.

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Nach der weitesten Auffassung ist Anstiftung und Beihilfe zu allen Begehungsmodalitäten möglich. 4 9 9 Dies folge aus der grundsätzlich umfassenden Geltung der Teilnahmevorschriften und der besonderen Gefährlichkeit krimineller Vereinigungen. Einzige Ausnahme sei die Anstiftung zur mitgliedschaftlichen Beteiligung, die stets als täterschaftliches Werben um Mitglieder oder Unterstützer zu qualifizieren sei. 5 0 0 Als täterschaftliches Unterstützen wird hiernach die unmittelbare Leistung fördernder Beiträge erfasst, bei denen der Handelnde „über das Ob und Wie entscheidet"; nur mittelbare Förderung (z.B. Hilfe bei der Waffenbeschaffung durch bloße Transporttätigkeit, Vermittlung einer konspirativen Wohnung oder andere - über ihrerseits als Täter anzusehende außenstehende Dritte laufende - Förderung) wird als Beihilfe zum Unterstützen angesehen, um damit die Möglichkeit einer Strafmilderung nach § 27 offenzuhalten. 501

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Die engste Auffassung versteht § 129 als abschließende Regelung. Die Mitwirkungsformen des Gründens, Werbens und Unterstützens erfülle nur derjenige, der eine nach dem Maßstab des $ 2 5 täterschaftliche Beteiligung am Gründungs-, Werbe- oder Unterstützungsvorgang leiste. Daneben sei eine ergänzende Anwendung der §§ 26, 27 ausge-

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Vgl. hierzu Arzt J Z 2 0 0 1 1055; Hilger NStZ 1992 523, 5 2 5 Fn. 161; Lesch StV 1993 94; Schwarzburg NStZ 1995 469, 473; Amelung/Schall JuS 1975 565; Seelmann ZStW 95 (1983) 797, 808 ff; Miebach/Schäfer MK Rdn. 98; Fischer Rdn. 37; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 0 ; Zieschang LK § 34 Rdn. 17. Zieschang LK § 34 Rdn. 69a; aA Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 17; Fischer Rdn. 37; Miebach/Schäfer MK Rdn. 98: Entschuldigender Nötigungsnotstand.

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Vgl. BGH NJW 1966 310, 312; 2 0 0 0 3 0 7 9 ; BVerfG NStZ 2 0 0 1 187; Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 182. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2 4 ; Bader NStZ 2 0 0 7 618, 6 2 2 . Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2 4 . Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2 4 ; krit. zur Abgrenzbarkeit von mittelbarer und unmittelbarer Förderung: Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 236.

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schlossen. 502 Aus dem Vorfeld-Charakter dieser Tatvarianten sei zu schließen, dass nicht noch zusätzlich die nicht-täterschaftliche Mitwirkung hieran strafbar sein soll. 5 0 3 Nach einschränkender Auffassung soll dies jedenfalls für die strafrechtliche Teilnahme an den verselbstständigten Teilnahmeformen des Werbens und Unterstützens 504 beziehungsweise für die Beihilfe zum Werben oder Unterstützen gelten. 5 0 5 Dies zeige bereits die begrifflich-logische Argumentation: Eine Anstiftung oder Beihilfe zum Werben oder Unterstützen verwirkliche entweder diese Handlungsmodalität selbst oder sei rechtlich ein „nullum". 5 0 6 Außerdem entferne man sich bei einer weiteren Ergänzung der Strafbarkeitszone des schon weit ins Vorfeld des Strafrechtsschutzes angesiedelten Werbens und Unterstützens so weit von der als Unrechtskern gedachten Rechtsgutsverletzung, dass der Schutzbereich des § 129 überschritten sei. 5 0 7 Zur Stützung dieser einschränkenden Auslegung wird das Werben - in verallgemeinernder Anlehnung an eine die Werbung als eine besondere Form der Unterstützung kennzeichnende Formulierung des Bundesgerichtshofs 5 0 8 - als Unterfall der Unterstützung herausgestellt, die Beihilfe zum Werben materiell als Beihilfe zur versuchten Anstiftung bzw. versuchten Beihilfe umschrieben, die nach den allgemeinen Grundsätzen eine Beihilfestrafbarkeit nicht begründen könne. 5 0 9 Diese Auffassung ist zu eng. 510 Bereits die systematische Stellung der §§ 26, 27 weist auf die grundsätzlich umfassende Anwendbarkeit der Teilnahmeregeln für alle Tatbestände des Besonderen Teils hin. 5 1 1 Die mit einem Unrechtsminus versehenen Teilnahmehandlungen können das Gefährdungspotential einer kriminellen Vereinigung durchaus erhöhen, weshalb auch nach der ratio legis keine Notwendigkeit besteht, für untergeordnete Hilfeleistungen strafrechtsfreie Räume zu schaffen. Schließlich kann auch die Entwicklungsgeschichte des § 129 für eine Verdrängung der Teilnahmeregeln nicht herangezogen werden. 512 Im Einzelnen ist von folgendem auszugehen:

Π. Teilnahme bei den einzelnen Tatvarianten 162

Möglich sind zunächst eine Anstiftung und eine Beihilfe zum Gründen einer kriminellen Vereinigung.513 Nach gegenteiliger Auffassung sei die Anstiftung zum Gründen einer kriminellen Vereinigung nicht möglich, weil sie von der Tathandlung des Werbens erfasst werde. 514 Insoweit handele es sich der Sache nach um eine tatbestandlich verselbststän-

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 7 ; Schlothauer/ Tscherch StV 1981 22; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 2 4 0 ff. Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 6 . Ostendorf NK Rdn. 28. Sommer J R 1981 4 9 0 , 4 9 4 f; vgl. auch Sehet ff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 133 ff bzgl. der Beihilfe zum Werben. Ostendorf NK Rdn. 2 8 ; Schlothauer/ Tscherch StV 1981 22, 23. Sommer JR 1981 4 9 0 , 4 9 5 . BGHSt 2 0 89, 90; 2 8 2 6 , 2 7 ; 2 9 258, 2 6 4 . Schlothauer/Tscherch StV 1981 22, 23. Ablehnend auch Miebach/Schäfer MK Rdn. 101; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-

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Lieben Rdn. 2 4 ; Bader NStZ 2 0 0 7 618,

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Bader NStZ 2 0 0 7 618, 620. BGHSt 2 9 258, 2 6 3 ff; 36 363, 365 ff, jeweils bzgl. der Beihilfe zum Werben; Miebach/Schäfer MK Rdn. 101; vgl. auch Kindhäuser LPK Rdn. 4 2 . Miebach/Schäfer MK Rdn. 100; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 2 7 ; Ostendorf NK Rdn. 2 8 ; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 24; Fischer Rdn. 38; Sommer J R 1981 490, 4 9 4 f; Dahs NJW 1976 2145, 2148. v. BubnoffLK11 Rdn. 73; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 142; Schlothauer/Tscherch StV 1981 22, 2 3 ; Scheiff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 126.

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digte Anstiftung. 5 1 5 Dagegen spricht, dass die Tatvarianten des Werbens und Unterstützens eine bereits bestehende Vereinigung voraussetzen 5 1 6 und ohne die Möglichkeit der Beteiligung nach §§ 2 6 , 2 7 die Hintermänner und Gehilfen straflos blieben. 5 1 7 Anstiftung zur mitgliedschaftlichen Beteiligung wird von der Tatbestandshandlung des Werbens erfasst und hat darüber hinaus keine eigenständige Bedeutung mehr. 5 1 8 Beihilfe zur mitgliedschaftlichen Beteiligung ist regelmäßig täterschaftliches Unterstützen, aber nicht notwendigerweise deckungsgleich. 519 Denn das Hilfeleisten i.S. von § 2 7 bezieht sich stets auf die vorsätzliche rechtswidrige Tat eines Haupttäters, während sich das Unterstützen gem. § 129 auf die Vereinigung als solche richtet und lediglich nach der besonderen Gestaltung des Einzelfalles gleichzeitig eine Beihilfe zu der mitgliedschaftlichen Betätigung eines Mitglieds der Organisation darstellen kann. Z u m anderen setzt die Strafbarkeit nach § 2 7 Abs. 1 voraus, dass die Haupttat in ihrer konkreten Ausgestaltung durch die Hilfeleistung gefördert oder erleichtert w i r d , 5 2 0 während ein entsprechender Erfolg der Unterstützungshandlung für die Vereinigung gerade nicht notwendig ist. 5 2 1 Nach anderer Auffassung ist Beihilfe zur mitgliedschaftlichen Beteiligung stets täterschaftliches Unterstützen, weshalb der Täter nach § 129 bestraft wird ohne die Möglichkeit der Strafmilderung nach § 2 7 Abs. 2 , § 2 9 Abs. I . 5 2 2

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Anstiftung und Beihilfe zum Unterstützen haben ihrerseits Förderungscharakter und sind daher selbst als tatbestandlich verselbstständigtes Unterstützen zu werten. 5 2 3 Weitergehende Teilnahme an dieser täterschaftlich verselbstständigten Verhaltensform ist ausgeschlossen.

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Bei der Tatbestandshandlung des Werbens kommen Anstiftung und Beihilfe in Betracht. 5 2 4 Die sich insbesondere auf teleologische Gesichtspunkte stützende Gegenmein u n g 5 2 5 überzeugt gerade vor dem Hintergrund der Einschränkung des Tatbestands auf Werben um Mitglieder und Unterstützer nicht. Die Abgrenzung von täterschaftlichem Werben und Beihilfe zum Werben beim Abdruck werbender Beiträge von Presseverantwortlichen bestimmt sich in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von den Vorstellungen des Beteiligten umfasst sind. Maßgebliche Anhaltspunkte sind

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v. Bubno ff LKn Rdn. 73. Vgl. BayObLG NJW 1998 2 5 4 2 m. Anm. Radtke JR 1999 84; KG StV 1981 525; Miebach/Schäfer MK Rdn. 100; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 24; Rudolphi/Stein SK Rdn. 26; Fischer Rdn. 38. Miebach/Schäfer MK Rdn. 100; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 24. Miebach/Schäfer MK Rdn. 102; Fischer Rdn. 38; Kindhäuser LPK Rdn. 44. Vgl. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 637; Bader NStZ 2 0 0 7 618, 619 ff. Vgl. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 637. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 637; vgl. aber BGHSt 20 89; 2 9 99,101. Miebach/Schäfer MK Rdn. 102; Fischer Rdn. 38; Kindhäuser LPK Rdn. 44. Vgl. BGH 3 StR 438/83 v. 9.12.1983, bei Schmidt MDR 1985 185; Miebach/Schäfer

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MK Rdn. 103; Fischer Rdn. 38; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 236; aA Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 24; Bader NStZ 2 0 0 7 618 ff; Dahs NJW 1976 2145, 2148, die hier Teilnahme an § 129 annehmen; Rudolphi/Stein SK Rdn. 27: Straflosigkeit; vgl. auch Sommer JR 1981 4 9 0 ff. BGHSt 2 9 258, 2 6 4 f; 3 6 363, 365 f; 43 41, 51 jeweils für die Beihilfe; Miebach /Schäfer MK Rdn. 101; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 24; Fischer Rdn. 38; Lackner/Kühl Rdn. 8; Dahs NJW 1976 2145, 2148. Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 7 ; Ο Stendorf NK Rdn. 28; Sommer JR 1981 490, 4 9 4 f; vgl. auch Scheiff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 130 ff.

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insoweit der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft. 526

F. Versuch und Vollendung I. Vollendung 166

Vollendet sind die mitgliedschaftliche Beteiligung, das Werben und Unterstützen mit der Vornahme der entsprechenden Handlung. 527 Das bloße Ansetzen zur Handlungsverwirklichung ist als bloßer Handlungsversuch noch nicht als vollendetes Delikt strafbar, z.B. das Bereitstellen von werbenden Flugblättern an dem vorgesehenen Verteilungsort, ohne dass mit deren Verteilung bereits begonnen wurde. 5 2 8 Im Falle des Unterstützens muss sich die Förderhandlung für die Vereinigung irgendwie vorteilhaft ausgewirkt haben. Werden Briefe organisationsfördernden Inhalts an inhaftierte Vereinigungsmitglieder von der Beförderung an die Adressaten durch die Justizvollzugsanstalt ausgeschlossen, so ist die im Absenden zu sehende Unterstützungshandlung nicht zur Wirkung gekommen; der Versuch des Unterstützens ist nicht strafbar. 529

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Die Tatbestandsvariante des Gründens ist erst vollendet, wenn die Vereinigung entstanden ist. Dies setzt voraus, dass die Organisationsstruktur der Vereinigung eingerichtet, ein Gruppenwille gebildet und der Vereinigungszweck festgelegt ist. 5 3 0

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Zur konkreten Planung, Vorbereitung oder gar Ausführung einzelner Straftaten muss es in keinem Fall gekommen sein. 531

Π. Versuch 169

Der Versuch ist nur strafbar, soweit er sich auf die Gründung einer kriminellen Vereinigung bezieht (Absatz 3). Voraussetzung ist, dass der Täter nach Maßgabe seines Tatplans zur Tat unmittelbar angesetzt hat, d.h. wenn die Tätigkeit nach der Vorstellung des Täters bei ungestörtem Fortgang ohne Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung unmittelbar einmündet oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang steht. Für den Tatbestand der Gründung einer kriminellen Vereinigung kann im Regelfall davon ausgegangen werden, dass der Täter jedenfalls dann das Vorbereitungsstadium verlassen und zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt hat, wenn er eine Person mit dem konkreten Ansinnen, diese als Mitglied der zu gründenden Vereinigung zu rekrutieren, angesprochen hat. 5 3 2 Auch derjenige, der dazu ansetzt, eine bereits bestehende, legale Vereinigung in eine kriminelle umzuwandeln, unterliegt der Versuchsstrafbarkeit. 533

526 527

528 529 530

Vgl. BGHSt 3 6 363, 367; 43 41, 5 0 f. Sch/Schröder/Lenckner/Stertiberg-Lieben Rdn. 18; Fischer Rdn. 35. BGH 3 StR 4 4 4 / 8 1 vom 2 4 . 2 . 1 9 8 2 . Vgl. BGH bei Schmidt MDR 1986 178. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 18; Miebach/Schäfer MK Rdn. 104; Fischer Rdn. 35.

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531 532

533

Miebach/Schäfer MK Rdn. 104. BGH NStZ-RR 2 0 0 4 4 0 ; Miebach/Schäfer MK Rdn. 105, vgl. auch Sehet ff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 171 ff. BGHSt 2 7 325, 327.

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§ 129

ΙΠ. Rücktritt vom Versuch Für den Rücktritt von der versuchten Gründung gilt § 24. Nach teilweise vertretener Ansicht soll die Rücktrittsregel des § 24 trotz formeller Vollendung der Tathandlung auch beim Werben und beim Unterstützen analoge Anwendung finden. 5 3 4 Dem stehen grundsätzliche Bedenken gegen die Analogie bei unechten Unternehmensdelikten entgegen. 5 3 5 Tritt der Täter allein vom Versuch einer einzelnen von der Vereinigung geplanten Tat zurück, so wirkt dieser Rücktritt nur für die betreffende Einzeltat, nicht aber für die Bestrafung nach § 129. 5 3 6 Sind zugleich die Voraussetzungen des § 129 Abs. 6 erfüllt, greifen insoweit die dortigen Rechtsfolgen.

170

G. Rechtsfolgen I. Strafrahmen Als Strafdrohung sieht Absatz 1 für den Regelfall Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder zu den Hintermännern oder liegt sonst ein besonders schwerer Fall nach Absatz 4 Halbsatz 1 vor, so ist die Mindeststrafe auf sechs Monate Freiheitsstrafe erhöht. Die Höchststrafe bleibt unverändert. Eine Erhöhung des Strafrahmens auf zehn Jahre Freiheitsstrafe sieht Absatz 4 Halbsatz 2 vor, wenn Zweck oder Tätigkeit der Vereinigung auf besonders schwere Straftaten nach § 100c Abs. 2 StPO gerichtet ist. Absatz 5 erlaubt ein fakultatives Absehen von Strafe, wenn die Schuld des Täters gering und seine Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist (so genannte Mitläufer-Klausel). Nach Absatz 6 kann das Gericht die Strafe nach den Absätzen 1 oder 3 mildern oder von einer Bestrafung absehen, wenn ein Fall tätiger Reue vorliegt.

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Π. Besonders schwere Fälle nach Absatz 4 Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern oder ist Zweck oder Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung bestimmter, in § 100c Abs. 2 genannter Straftaten gerichtet oder liegt ein sonstiger unbenannter besonders schwerer Fall vor, führt dies zwingend zur Anwendung des höheren Strafrahmens. 5 3 7 Bei der Rädelsführerschaft und der Tätigkeit als Hintermann handelt es sich also nicht lediglich um Regelbeispiele, bei denen die Indizwirkung für die Annahme eines besonders schweren Falles auf Grund einer Gesamtabwägung widerlegt werden kann. 5 3 8

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1. Rädelsführer. Rädelsführer ist, wer innerhalb der Vereinigung eine maßgebliche Führungsrolle innehat oder sonst geistig oder wirtschaftlich erhebliches Gewicht und

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 18 für das Werben; Rudolpbi/Stein SK Rdn. 2 2 für das Werben und Unterstützen. Hilgendorf LK § 11 Rdn. 84; Rudolphi/ Stein SK § 11 Rdn. 4 7 ; Miebach /Schäfer MK Rdn. 106. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 23; Miebach/Schäfer MK Rdn. 107.

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Fischer Rdn. 41; Miebach /Schäfer MK Rdn. 118; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 25. Fischer Rdn. 41; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 25.

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§ 129

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

beträchtlichen Einfluss besitzt. 5 3 9 Maßgeblich ist das objektive Hervortreten, weniger das subjektive Selbstverständnis der Beteiligten. Die Eigenschaft als Rädelsführer wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass er von Weisungen abhängig ist. 5 4 0 Erfasst werden sollen vor allem die Führungskräfte, Drahtzieher und solche Personen, die kraft einer Schlüsselstellung einen bestimmenden Einfluss haben. Eine rein formale Stellung des Täters in dem Führungsgremium der Organisation reicht für die Annahme einer Rädelsführerschaft nicht aus. i 4 1 174

2. Hintermann. Als Hintermann kommt in Betracht, wer als Außenstehender - und damit ohne formelle Weisungsbefugnis - geistig oder wirtschaftlich maßgebenden Einfluss auf die Führung der kriminellen Vereinigung ausübt. 5 4 2 Das Gesetz stellt also nicht darauf ab, welche Tätigkeit der Hintermann versieht, sondern darauf, welchen Einfluss er ausübt. Er unterscheidet sich vom Rädelsführer dadurch, dass er die Vereinigung von außen fördert, während sich letzterer innerhalb der Organisation betätigt. Eine Tarnung der Tätigkeit ist für den Hintermann nicht wesentlich. 543 Erfasst werden soll vor allem die Förderung von außen durch ausschlaggebende Hilfen finanzieller oder technischer Art.

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3. Besonders schwere Straftaten. Eine Erhöhung des Mindest- und Höchststrafrahmens sieht Absatz 4 Halbsatz 2 vor, wenn der Zweck oder die Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung bestimmter in § 100c Abs. 2 StPO genannter Straftaten gerichtet ist. Die Vorschrift wurde durch Art. 5 des Gesetzes zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2 0 0 4 (akustische Wohnraumüberwachung) vom 2 4 . Juni 2 0 0 5 (BGBl. I 1841) eingefügt, 544 nachdem das Bundesverfassungsgericht die akustische Wohnraumüberwachung nur bei besonders schweren Straftaten für zulässig erklärt und eine Straftat nur dann als besonders schwer deklariert hatte, wenn sie mit einer höheren Höchststrafe als fünf Jahren bewehrt ist. 5 4 5 Der Gesetzgeber wollte mit der Änderung dem kriminalpolitischen und kriminalistischen Bedürfnis Rechnung tragen, zur Bekämpfung von Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität weiterhin die akustische Wohnraumüberwachung als Ermittlungsinstrument einzusetzen. 546

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4. Sonstiger besonders schwerer Fall. Ein sonstiger besonders schwerer Fall nach Absatz 4, 1. Halbsatz kommt in Betracht, wenn die Täter ihre Ziele mit besonders

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Vgl. BGHSt 6 1 2 9 , 1 3 0 ; 15 259, 2 6 2 ; 2 0 74, 76; 2 0 121, 123; BGH NStZ 2 0 0 2 607; Laufhütte/Kuschel LK § 84 Rdn. 14; Rudolphi/Stein SK Rdn. 30; Miebach/Schäfer MK Rdn. 119. BGH bei Wagner GA 1960 235. Vgl. OLG Düsseldorf V 21/88 v. 7.3.1994: Mitglied des in der kurdischen PKK bestehenden Arbeitsgebiets „Aufsicht und Nachrichtenwesen". BGHSt 2 0 1 2 1 , 1 2 3 ; BGH bei Wagner GA 1960 201; Laufbütte/Kuschel LK § 84 Rdn. 15; Miebach/Schäfer MK Rdn. 121. BGH 3 StR 21/57 v. 26.6.1957.

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Ursprünglicher Gesetzentwurf, BTDrucks. 15/4533; Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BTDrucks. 15/5486; Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat, BRDrucks. 3 5 9 / 0 5 ; BTDrucks. 15/5621, S. 2; Vermittlungsverfahren, BTDrucks. 15/5373; Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, BTDrucks. 15/5737. BVerfGE 109 279, 3 4 7 ff. Empfehlung des Rechtsausschusses, BRDrucks. 359/1/05; Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat, BRDrucks. 359/05.

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§ 129

schweren Straftaten zu erreichen suchen, 5 4 7 der Zielsetzung der Vereinigung ein besonders negatives Gewicht zukommt (z.B. Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung) 5 4 8 oder Art und Umfang einzelner Tathandlungen eine besondere Gefährlichkeit der Vereinigung begründen. Dies kann z.B. bei der Bedrohung von „Aussteigern", Konkurrenten oder Mitarbeitern von Strafverfolgungsbehörden, der Schaffung eines Systems existentieller Abhängigkeit von Mitgliedern oder dem Aufbau eines verfestigten Korruptionssystems vorliegen. 5 4 9 Mit der Einführung des Qualifikationstatbestandes des § 129a hat die Vorschrift an Bedeutung verloren. Soll das Ziel der Vereinigung durch besonders verwerfliche Mittel wie Mord, Brandstiftungen oder Sprengstoffverbrechen erreicht werden, greift grundsätzlich die Vorschrift des § 129a ein, die vorgeht. 5 5 0 Ein sonstiger besonders schwerer Fall kommt aber dann in Betracht, wenn die besonderen Voraussetzungen nach § 129a Abs. 2 nicht vorliegen oder es sich bei der schweren Tat nicht um eine Katalogtat nach § 129a handelt (z.B. bewaffneter Raub). 5 5 1

ΙΠ. Absehen von Strafe nach Absatz 5 Nach der Mitläuferklausel des Absatzes 5 kann das Gericht bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, von einer Bestrafung nach den Absätzen 1 und 3 absehen. Die Vorschrift des Absatzes 5 entspricht § 84 Abs. 4 mit der Maßgabe, dass nur ein Absehen von Strafe in Frage kommt. Die subjektiv geringe Verantwortlichkeit und ein objektiv geringer Tatbeitrag müssen kumulativ vorliegen. Eine Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Tatbeitrag des Beschuldigten insgesamt nicht erheblich ins Gewicht fällt oder wenn seine Beteiligung gar an der unteren Schwelle der im Tatbestand vorausgesetzten Wirksamkeit liegt. 5 5 2 Der Begriff der Mitwirkung umfasst nach h.M. grundsätzlich alle Tatvarianten des § 129, also neben der Beteiligung als Mitglied insbesondere die Fälle des Werbens und Unterstützens. 553

177

Wird von Strafe abgesehen, so ist der Angeklagte (nur) mit der Kostenfolge des § 4 6 5 1 7 8 StPO schuldig zu sprechen. 5 5 4 Das wird sich dann aufdrängen, wenn an der Herbeiführung des Schuldspruchs ein öffentliches Interesse besteht. Andernfalls besteht die verfahrensrechtliche Möglichkeit des Absehens von der öffentlichen Klage (§ 153b Abs. 1 StPO) und nach erhobener Anklage der gerichtlichen Einstellung des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft (§ 153b Abs. 2 StPO).

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Fischer Rdn. 4 2 ; Miebach/Schäfer M K Rdn. 122; Rudolphi/Stein SK Rdn. 30; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 25. Rudolphi/Stein SK Rdn. 30; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2 5 ; Miebach/Schäfer M K Rdn. 123. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 25; Fischer Rdn. 42; Miebach/Schäfer M K Rdn. 123. Miebach/Schäfer M K Rdn. 122; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 25; Rudolphi/Stein SK Rdn. 30.

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B G H GA 1978 148, 149; s.a. Bericht, BTDrucks. 7/5401, S. 5; Miebach/Schäfer M K Rdn. 122. Vgl. BGH EzSt StGB § 129a Nr. 1 (3 StR 213/83 v. 2 4 . 6 . 1 9 8 3 ) ; Miebach/Schäfer MK Rdn. 125. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 26; Miebach /Schäfer M K Rdn. 126; Fischer Rdn. 43. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 54 vor § § 3 8 ff; Kindhäuser LPK Rdn. 47.

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§ 129

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

IV. Tätige Reue nach Absatz 6 179

1. Allgemeines. Absatz 6 enthält eine Sonderregelung für den Rücktritt vom formell bereits vollendeten Delikt. Die Bestimmung stellt eine Fortentwicklung der Konzeption der tätigen Reue dar, 5 5 5 geht über deren eigentlichen definitorischen Rahmen aber hinaus. Sie enthält differenzierte Möglichkeiten der fakultativen Strafmilderung oder sogar der Straflosigkeit; der Strafaufhebungsgrund des Absatzes 6, 2. Halbsatz ordnet die Straflosigkeit des Täters zwingend an. 5 5 6

180

Kriminalpolitisches Ziel der Regelung ist es, durch Schaffung von Anreizen die Bereitschaft des Täters zur Mithilfe bei der Abwehr oder Minderung vereinigungstypischer Gefahren zu fördern und durch Ausschöpfung aller Möglichkeiten, insbesondere auch unter Nutzung von Insiderkenntnissen, den von der kriminellen Vereinigung ausgehenden Gefahren entgegenzuwirken. 557 Im Vordergrund steht hierbei die mit der Aufklärungshilfe verbundene Wissensoffenbarung zur Überwindung von Ermittlungsschwierigkeiten sowie zur Schließung von Aufklärungslücken. Insoweit stellt sich Absatz 6 zugleich als kleine - weil auf die §§ 129, 129a beschränkte - Kronzeugenregelung dar. 558 Sie gilt allerdings nicht für vom Täter begangene Begleitdelikte. 559 Im Einzelnen unterscheidet das Gesetz die folgenden Fallgruppen:

181

2. Absatz 6 Halbsatz 1 Nr. 1. Das Gericht kann die Strafe nach den Grundsätzen des § 49 Abs. 2 mildern oder von einer Bestrafung nach Absatz 1 und 3 absehen, wenn der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Vereinigung oder die Begehung einer ihren Zielen entsprechenden Straftat zu verhindern (Absatz 6 Halbsatz 1 Nr. 1). Das Bemühen des Täters muss darauf gerichtet sein, alles zu tun, was nach seiner Vorstellung erforderlich ist; der Täter muss die ihm bekannten Möglichkeiten ausschöpfen; sein Bemühen darf nicht nur zum Schein erfolgen. 560 Die Anforderungen an ein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen entsprechen denjenigen bei § 24.

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Die vereinigungsbezogene erste Alternative des Absatzes 6 Halbsatz 1 Nr. 1 betrifft nur Fälle, in denen die Bemühungen des Täters erfolglos geblieben sind und die Vereinigung fortbesteht; andernfalls ist Halbsatz 2 mit obligatorischen Rechtsfolgewirkungen einschlägig. 561 Die Variante eröffnet die Möglichkeit, einem Täter, der - ohne dadurch den Bestand der Vereinigung ernsthaft in Frage zu stellen - die Seite wechselt und der Strafverfolgungsbehörde alle ihm verfügbaren Informationen (z.B. über Aktionsbereich der Vereinigung, Mitgliederaufenthalt etc.) vermittelt, mit Strafvergünstigungen entgegenzukommen. 562 Voraussetzung ist, dass vor Beginn der Bemühungen die Vereinigung als solche noch bestanden hat. 5 6 3 Außerdem muss die Vorstellung des Täters dahin gehen, dass ohne sein Eingreifen die Vereinigung fortbestehen würde, er aber durch sein Bemühen das Fortbestehen verhindern will. 5 6 4

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Vgl. Jung ZRP 1986 38, 41. Miebach/Schäfer MK Rdn. 127; Bernsmann J Z 1988 539, 542. OLG Naumburg 2 StE 8 / 0 3 - 2 (1/03) v. 22.8. 2 0 0 3 ; Miebach/Schäfer MK Rdn. 128. Vgl. Bernsmann J Z 1988 539, 541 f; Miebach/Schäfer MK Rdn. 128; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 6 . Miebach/Schäfer MK Rdn. 128; Hilger NJW 1989 2377, 2 3 7 8 .

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Vgl. BGHSt 33 295, 301. Miebach/Schäfer MK Rdn. 131; Fischer Rdn. 45; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 21. Vgl. Bernsmann J Z 1988 539, 542. BGH NStZ-RR 2 0 0 6 2 3 2 , 2 3 3 . BGH NStZ-RR 2 0 0 6 232, 2 3 3 ; Fischer Rdn. 45.

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§ 129

Die zweite Alternative des Absatzes 6 Nr. 1 betrifft das freiwillige und ernsthafte Bemühen, die Begehung einer den Zielen der Vereinigung entsprechenden Straftat zu verhindern. Verhinderung der Begehung einer Straftat bedeutet Verhinderung der Tatvollendung, weshalb das tätige Bemühen um Abwendung noch im Versuchsstadium einsetzen kann. Diese straftatbezogene Fallvariante erfasst nicht nur das erfolgreiche Bemühen um Verhinderung der Begehung; die Vergünstigung kann auch gewährt werden, wenn das Bemühen erfolglos war oder der deliktsspezifische Erfolg durch andere Umstände abgewendet worden ist. 5 6 5 Das ohne Rücksicht auf sein Ergebnis privilegierte Bemühen um Straftatverhinderung (Nummer 1) kann an sich auch in einer Wissensoffenbarung an eine Dienststelle i.S. der Nummer 2 liegen. 5 6 6 Insoweit ist jedoch die Nummer 2 einschlägig; die Nummer 1 hat allenfalls Auffangfunktion. 5 6 7 Geht der Täter davon aus, dass die Tat ohne ihn nicht begangen werden kann, reicht es aus, wenn der Täter den eigenen Tatbeitrag unterlässt. 5 6 8

183

Die Anforderungen der Nummer 1 können bereits erfüllt sein, wenn sich das Bemühen des Täters auf die Verhinderung einer einzigen, den Zielen der Vereinigung entsprechenden und von ihr geplanten Straftat bezieht. Nach dem Regelungszweck erscheint aber die Gewährung einer Strafvergünstigung dann nicht veranlasst, wenn die Bemühungen des Täters unvollständig sind, sie sich beispielsweise nur auf eine Tat beziehen, obwohl dem Täter eine Mehrzahl bevorstehender Delikte bekannt ist. 5 6 9 Entsprechendes gilt, wenn der Täter nach Scheitern seiner Bemühungen das Gefährdungspotential der Vereinigung durch weitere Mitgliedschaft in der Organisation oder durch erneute Unterstützungshandlungen stärkt. 5 7 0

184

3. Absatz 6 Halbsatz 1 Nr. 2. Eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe nach Absatz 6 Halbsatz 1 Nr. 2 kommt dann in Betracht, wenn der Täter freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, dass Straftaten, deren Planung er kennt, noch verhindert werden können. Dienststellen sind die Polizei und sonstige Strafverfolgungsbehörden, Bundeskriminalamt, Landeskriminalämter und die Verfassungsschutzbehörden. 5 7 1 Soweit die Mitteilung über einen Dritten erfolgt, muss sie die Dienststelle erreicht haben.

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Erforderlich ist, dass der Täter sein gesamtes Wissen über geplante Straftaten offenbart und so deren Verhinderung ermöglicht. 5 7 2 Umstritten ist, ob Nummer 2 eine erfolgreiche Verhinderung voraussetzt 5 7 3 oder es ausreicht, dass die Straftat bei pflichtgemäßem Handeln der staatlichen Stellen aufgrund der Offenbarung hätte abgewendet werden können, wofür der Wortlaut der Norm spricht („verhindert werden k ö n n e n " ) . 5 7 4 Verlangt man eine erfolgreiche Straftatverhinderung, wird die Wissensübermittlung des Täters an die Dienststelle als bloßes ernsthaftes Bemühen um eine Straftatverhinderung

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Miebach/Schäfer MK Rdn. 132; Fischer Rdn. 46; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 21. Vgl. BGH NStZ 1984 319. Fischer Rdn. 46. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 21; Miebach/Schäfer MK Rdn. 132. Miebach/Schäfer MK Rdn. 133; Fischer Rdn. 46. Miebach/Schäfer MK Rdn. 133; Fischer Rdn. 46; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 21.

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574

Vgl. Laufhütte/Kuschel LK § 87 Rdn. 20. Vgl. BGHSt 27 120, 122 f zu § 98 StGB. Fischer Rdn. 47; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 22; Kindhäuser LPK Rdn. 49. Miebach/Schäfer MK Rdn. 136; v. Bubnoff LK 11 Rdn. 82; Lackner/Kühl § 87 Rdn. 7; Laufhütte/Kuschel LK § 87 Rdn. 20; für die gleich lautende Regelung des § 87 Abs. 3 vgl. BTDrucks. 5/2860, S. 11.

Matthias Krauß

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S 129

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

durch die Nummer 1 privilegiert. 575 Dies gilt auch, wenn die maßgeblichen Umstände ohne dass der Täter dies wusste - der Dienststelle bereits bekannt waren. 5 7 6 187

4. Absatz 6 Halbsatz 2. Nach Absatz 6 Halbsatz 2 bleibt der Täter straflos, wenn das Fortbestehen der Vereinigung verhindert wird, sei es, dass die Bemühungen des Täters kausal zu diesem Erfolg geführt haben, sei es, dass dieser Erfolg ohne sein Zutun erreicht wird, er sich aber ernsthaft und freiwillig um die Herbeiführung des Erfolgs bemüht hat. 5 7 7 Kausal gewordene und nicht kausale Reuebetätigung werden hier gleichgestellt, sofern die Vereinigung aus anderen Gründen ihre Tätigkeit einstellen musste. Dies kann durch Bemühungen anderer Täter, durch Einschreiten der Verfolgungsorgane oder durch Selbstauflösung der Organisation geschehen. 578 Erforderlich ist aber immer ein Tätigwerden des Täters, das auf einer autonomen Motivation beruht, den Bestand der Vereinigung zu beenden. 5 7 9 Ein ernsthaftes Bemühen setzt voraus, dass der Täter selbst die aus seiner Sicht notwendigen Maßnahmen ergreift und sich dabei um die bestmögliche Maßnahme bemüht. Das Bemühen des Täters muss demnach darauf gerichtet sein, alles zu tun, was die ihm bekannten Möglichkeiten ausschöpft, die Organisation hinsichtlich ihrer personellen und sachlichen Ressourcen aufzulösen und damit ihren Fortbestand zu verhindern. 580 Aus Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 129 Abs. 6 folgt, dass vor Beginn der Bemühungen, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern, die Vereinigung als solche noch bestanden haben muss, also ihre Zwecke oder Tätigkeiten nach wie vor darauf gerichtet waren, Straftaten i.S. des § 129 zu begehen. 581 Zum anderen ist Voraussetzung, dass nach der Vorstellung des Täters ohne sein Eingreifen die Vereinigung fortbestehen würde, er aber durch sein Bemühen das Fortbestehen verhindern will. 5 8 2 Löst sich die Vereinigung durch Mitgliederbeschluss auf, erlangt jedes Mitglied, das für die Auflösung gestimmt hat, Straffreiheit. 583 An der Voraussetzung einer tätigen Reue fehlt es aber, wenn die Mitglieder einvernehmlich zum Ergebnis kommen, dass sich ihre Ziele nicht erreichen lassen und ein Weitermachen somit sinnlos geworden ist; ein solches Scheitern steht der Annahme von Freiwilligkeit entgegen. 584

188

5. Einstellung des Verfahrens. Im Ermittlungsverfahren kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren mit Zustimmung des Gerichts gem. § 153b Abs. 1 StPO in den Fällen tätiger Reue gem. Absatz 6 Halbsatz 1 Nr. 1 und 2 einstellen. Nach Klageerhebung kann das Gericht bis zum Beginn der Hauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen (§ 153b Abs. 2 StPO). Liegen die Voraussetzungen des Strafaufhebungsgrundes des Absatzes 6 Halbsatz 2 vor, wird

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2 2 ; Kindhäuser LPK Rdn. 49. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2 2 . Scb/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 19; Miebach/Schäfer MK Rdn. 137; Fischer Rdn. 48; vgl. auch OLG Naumburg 2 StE 8 / 0 3 - 2 (1/03) v. 2 2 . 8 . 2 0 0 3 ; BVerfG 2 BvR 1 3 7 8 / 0 6 v. 8.11.2006. OLG Naumburg 2 StE 8 / 0 3 - 2 (1/03) v. 2 2 . 8 . 2 0 0 3 . Vgl. BGH NStZ-RR 2 0 0 6 232; BVerfG 2 BvR 1 3 7 8 / 0 6 v. 8.11.2006.

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Vgl. Römer Fragen des „Ernsthaften Bemühens" bei Rücktritt und tätiger Reue, S. 65 f und 168 ff. BGH NStZ-RR 2 0 0 6 232; BVerfG 2 BvR 1378/06 v. 8.11.2006. BGH NStZ-RR 2 0 0 6 232; BVerfG 2 BvR 1378/06 v. 8.11.2006. Vgl. OLG Naumburg 2 StE 8/03-2 (1/03) v. 2 2 . 8 . 2 0 0 3 . BGH NStZ-RR 2 0 0 6 232, 233.

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Bildung krimineller Vereinigungen

§ 129

das Ermittlungsverfahren im Vorverfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, im Hauptverfahren ist der Angeklagte durch Urteil freizusprechen. 585 H.

Konkurrenzen

I. K o n k u r r e n z f r a g e n innerhalb des § 1 2 9 Alle mitgliedschaftlichen Betätigungsakte in derselben Vereinigung werden zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit verbunden. 5 8 6 Dies gilt auch, wenn die Verhaltensweisen unterschiedlich ausgestaltet und in nicht unerheblichen Zeitabständen ausgeführt worden sind. Zwar unterscheidet sich das Organisationsdelikt des § 1 2 9 von anderen Dauerdelikten dadurch, dass es keine ununterbrochene deliktische Tätigkeit oder einen in deliktischer Weise geschaffenen Zustand als Tatbestandsmerkmal voraussetzt. 5 8 7 Kennzeichnend ist jedoch, dass der Tatbestand seinem Sinn nach alle Betätigungen im Rahmen eines über den Einzelfall hinausreichenden, in eine Organisation eingebetteten Verhaltens erfassen soll. 5 8 8 Wird die Mitgliedschaft unterbrochen und beginnt der Täter sie später wieder neu (vgl. Rdn. 111), liegen mehrere Taten v o r . 5 8 9

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Betätigt sich der Täter durch unterschiedliche Handlungen in verschiedenen Organisationen, liegen materiell-rechtlich und prozessual mehrere selbstständige Organisationsdelikte vor. 5 9 0 Kommt es bei einer Organisation zu strukturellen Veränderungen, so hängt es von den Umständen des Einzelfalles ab, ob es sich gleichwohl noch um die gleiche Organisation handelt oder infolge der Veränderung eine neue, davon unabhängige Organisation entstanden ist. Für die Organisationsidentität sprechen ungeachtet einer Änderung oder Beibehaltung des Namens, dass der organisatorische Apparat und seine Träger im Wesentlichen dieselben geblieben sind. 5 9 1 Eine Zäsur zwischen verschiedenen

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Miebach/Schäfer MK Rdn. 127; Kindhäuser LPK Rdn. 49. BVerfGE 56 22, 33; BGHSt 15 259, 262; 29 288, 294; 46 349, 355 ff; BGH NStZ 1981 72; 2002 328, 330 f; 2004 385; 2007 401; vgl. auch BGHSt 43 1, 3 zu § 99 Abs. 1; Rissing-van Saati LK vor § 52 Rdn. 24; Miebach/Schäfer MK Rdn. 108; Rudolphi/Stein SK Rdn. 31; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 27; Fischer Rdn. 49. Eine abweichende, differenzierende Auffassung spaltet das Dauerdelikt auf und bewertet mitgliedschaftliche Beteiligungsakte, die in Tateinheit mit anderen, durch einen höheren Strafrahmen gekennzeichneten Delikten stehen, als selbstständig, d.h. als in Realkonkurrenz zu den übrigen mitgliedschaftlichen Beteiligungsakten stehend, vgl. Werte NJW 1980 2671, 2675 ff; ders. Die Konkurrenz bei Dauerdelikt, Fortsetzungstat und zeitlich gestreckten Gesetzesverletzungen, S. 161 ff; Puppe JR 1986 205, 207. Vgl. BGHSt 29 288, 249. § 129 als Dauerdelikt qualifizieren BGH NStZ 1981 72; OLG Karlsruhe NJW 1977 2222 f;

588 589

590 591

Miebach/Schäfer MK Rdn. 108; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 31; Ostendorf NK Rdn. 32; Altvater NStZ 2003 179, 180; Fleischer NJW 1979 1337, 1338; Haberstumpf MDR 1979 977, 979; krit. zur Wertung des § 129 als Dauerdelikt Rissing-van Saan LK Rdn. 24 vor § 52; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 27; Werte NJW 1980 2671, 2674. Rissing-van Saan LK Rdn. 24 vor § 52. Vgl. BGHSt 46 349, 356 ff; Miebach/Schäfer MK Rdn. 108, Rudolphi/Stein SK Rdn. 31; Haberstumpf MDR 1979 977, 979. BGH NStZ 2007 401. BGH NJW 1998 1653: Spaltung der Devrimci-Sol in die sich bekämpfenden Yagan-Flügel und Karatas-Flügel; vgl. auch BGHSt 46 349, 354, wo nach der Umstrukturierung der „Revolutionäre Zellen" in verschiedene lokale „Revolutionäre Zellen" mit selbstständiger Entscheidungsgewalt verbunden mit einem inhaltlichen und programmatischen Wandel ein Fortbestand der bisherigen Organisation verneint wurde.

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§ 129

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

mitgliedschaftlichen Betätigungsakten mit der Folge einer neuen tatbestandlichen Handlungseinheit kommt trotz Beibehaltung der wesentlichen Strukturen einer Vereinigung dann in Betracht, wenn sich auf der Grundlage eines Mitgliederbeschlusses die Zweckrichtung der Vereinigung wesentlich ändert, etwa wenn eine bisher lediglich kriminelle Vereinigung sich entschließt, nunmehr terroristische Straftaten i.S. des § 129a zu begehen. 592 Eine Zusammenfassung mehrerer mitgliedschaftlicher Betätigungsakte zu einer einzigen fortlaufenden tatbestandlichen Handlungseinheit ist auch dann ausgeschlossen, wenn die bisherige nur nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 VereinsG strafbare Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts eines in Deutschland verbotenen Vereins sich nach Einfügung des seit 30. August 2002 geltenden § 129b nunmehr als mitgliedschaftliche Betätigung in einer ausländischen kriminellen oder terroristischen Vereinigung darstellt. 593 191

Bei der Gründung einer Vereinigung verwirklichen eine Mehrzahl aufeinander aufbauender Gründungsakte nur einmal die Tatbestandsvariante des Gründens. 594 Das Gründen und die anschließende mitgliedschaftliche Beteiligung stellen sich ebenfalls als eine einheitliche Tat dar. 595 192 Verschiedene Einzelakte der Tätigkeit als Rädelsführer gem. Absatz 4 werden zu einer vom Gesetz geschaffenen Handlungseinheit zusammengefasst, auch wenn sie unterschiedlich ausgestaltet sind und in nicht unerheblichen Zeitabständen ausgeführt werden. 5 9 6 Häufig ergibt sich die Rädelsführerschaft erst aus der gemeinsamen Beurteilung mehrerer Handlungen des Täters. 193

Die normativ bestimmte, pauschale Zusammenfassung mehrerer Einzelakte der mitgliedschaftlichen Betätigung zu einem tatbestandlichen Verhaltenstypus i.S. einer tatbestandlichen Handlungseinheit gilt wegen der unterschiedlichen rechtlichen Struktur nicht für die Tatbestandsvarianten des Werbens und Unterstützens. Bei mehrfachem Werben oder Unterstützen liegt in der Regel Tatmehrheit vor. 597 Tatbestandliche Handlungseinheit kommt insoweit nur in Betracht, wenn es um ein und denselben Werbungs- oder Unterstützungserfolg geht und die einzelnen Akte einen engen räumlichen, zeitlichen und bezugsmäßigen Handlungszusammenhang aufweisen. 598

Π. Verhältnis zu anderen Straftaten 194

Nach ständiger Rechtsprechung 599 und h.M. in der Literatur 6 0 0 besteht zwischen einer mitgliedschaftlichen Betätigung und den einzelnen, in Verfolgung der Ziele der Ver592 593 594 595

596

597 598

BGH NStZ 2007 401, 402. Vgl. BGH NStZ 2007 401, 402. Rudolphi/Stein SK Rdn. 31. BGH NStZ 2004 385; Miebach/Schäfer MK Rdn. 108; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 27; Rudolphi/Stein SK Rdn. 32, Kindhäuser LPK Rdn. 51; vgl. auch Fleischer NJW 1979 1337,1339. BGHSt 15 259, 262; Miebach/Schäfer MK Rdn. 109; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 27; Rudolphi/Stein SK Rdn. 31. Vgl. BGH NStZ 2007 635. Miebach/Schäfer MK Rdn. 110; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 27;

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 31; Kindhäuser LPK Rdn. 51. s " BGHSt 29 288, 290; BGH NJW 1980 2029, 2030; bei Holtz MDR 1980 988; NStZ 1981 72 m. Anm. Rieß; 1982 517, 518, 969; 1984 212; NStZ-RR 2006 232, 233; StV 1999 352, 353; BGHR § 129 Konkurrenzen 1; BayObLG NJW 1991 2575, 2577; OLG Stuttgart JZ 1992 537, 539; vgl. auch BVerfGE 56 22, 29 ff m. Anm. Grünwald StV 1981 323 und Gössel JR 1982 111. 600 Miebach/Schäfer MK Rdn. 112; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 27; Rudolphi/Stein SK Rdn. 34; Ο Stendorf NK

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Bildung krimineller Vereinigungen

§ 129

einigung begangenen Verbrechen und Vergehen Tateinheit. Mehrere durch dieselbe mitgliedschaftliche Betätigung verwirklichte weitere Straftaten, die für sich jeweils selbstständig strafbar wären und in Realkonkurrenz stünden, werden kraft der Klammerwirkung des § 129 StGB zur Tateinheit verbunden, wenn zwischen den an sich selbstständigen Taten und § 129 zumindest eine annähernde Wertgleichheit besteht oder § 129 die schwerste Tat ist. 601 Das Eingreifen des persönlichen Strafausschließungsgrundes gem. § 129 Abs. 6 oder eine Ausscheidung von § 129 nach § 154a StPO verhindert die Klammerwirkung nicht. 6 0 2 Nach gegenteiliger Auffassung liegt zwischen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und den im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft begangenen Straftaten Tatmehrheit vor, weil die Mitgliedschaft reines Organisationsdelikt sei, zu dessen Tatbestand die Begehung der auf die Zielerreichung gerichteten Straftaten gerade nicht gehöre. 6 0 3 Hintergrund der Ablehnung tateinheitlicher Verknüpfung der Außentat mit der mitgliedschaftlichen Beteiligung ist meist die Verknüpfung der materiellrechtlichen Konkurrenzfrage mit der prozessualen Rechtskraftproblematik (vgl. unten Rdn. 200).

195

Das OLG Karlsruhe hat zwischen „organisationsbezogenen" Straftaten (z.B. der betrügerischen Anmietung einer konspirativen Wohnung) und „das Ziel der Vereinigung bildenden" Straftaten unterschieden und im letzteren Falle Tateinheit mit der Begehungsform der mitgliedschaftlichen Beteiligung grundsätzlich ausgeschlossen. 604 Diese Differenzierung überzeugt nicht. Die mitgliedschaftliche Beteiligung kann sich gerade auch in der Begehung von Straftaten, die in Verfolgung der Ziele einer kriminellen Vereinigung begangen werden, manifestieren und den organisatorischen Zusammenhalt der Vereinigung fördern. 605 Außerdem dürfte in vielen Fällen eine Abgrenzung zwischen organisationsbezogenen Straftaten und das Ziel der Vereinigung bildenden Straftaten nicht möglich sein.

196

601

Rdn. 33; Fischer Rdn. 50; Kindhäuser LPK Rdn. 50; Rissing-van Saan LK § 52 Rdn. 27; Rissing-van Saan FS 50 Jahre BGH, S. 4 8 2 ; Grünwald StV 1986 241, 2 4 3 u. FS Bockelmann, S. 737, 740; Haberstumpf MDR 1979 977, 980; Fleischer NJW 1979 1337, 1339; Neuhaus NStZ 1987 138; Rieß NStZ 1981 74; Krauth FS Kleinknecht, S. 215, 217; Werle J R 1 9 7 9 93, 96; ders. NJW 1980 2671, 2 6 7 4 (der zwar von Tateinheit ausgeht, aber alle Einzelakte aus der tatbestandlichen Bewertungseinheit des § 129 ausgliedern will, die gegen ein idealkonkurrierendes Strafgesetz mit einem höheren Strafrahmen verstoßen); ebenso Puppe J R 1986 2 0 5 ff. BGHSt 2 9 288, 291; BGH NJW 1975 985, 986; MDR 1980 6 8 4 , 685; GA 1980 314; bei Holtz MDR 1982 969; StV 1999 352, 353; NStZ 2 0 0 1 436, 438; 2 0 0 4 385; 2 0 0 5 46; NStZ-RR 1998 2 3 4 (zu § 2 3 9 Abs. 2 a.F.), 2 0 0 6 232, 2 3 3 ; BGHR § 129a Konkurrenzen 4; Miebach /Schäfer MK

Rdn. 112; Rudolphi/Stein SK Rdn. 34; Sch/Schröder/ Lenck ner/Sternberg-Lieben Rdn. 2 7 ; Fischer Rdn. 50; Rissing-van Saan

LK § 52 Rdn. 28 ff; krit. Puppe NK § 52

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Rdn. 41, 48; Geppert Jura 1997 214, 215; Paeffgen NStZ 2 0 0 2 281, 2 8 7 ; Ranft JuS 2 0 0 3 417, 4 2 3 ; Fleischer NJW 1976 879; Meyer J R 1978 35; s. a. Laufhütte Prot. 7/2442. BGH NStZ 2 0 0 5 46, 47. Herdegen MDR 1980 438, 4 3 9 ; Gössel J R 1982 111, 112; Meyer J R 1978 35; LangerStein Legitimation und Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen, S. 2 3 7 : i.S. einer Vor- und Nachtat. OLG Karlsruhe NJW 1977 2 2 2 2 m. Anm. Meyer J R 1978 35; hierzu BVerfGE 4 5 4 3 4 ; ebenso Gössel JR 1982 111, 112. Rissing-van Saan LK § 52 Rdn. 27; vgl. auch Krauth FS Kleinknecht, S. 215, 218; Haberstumpf MDR 1979 977, 980.

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§ 129 197

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Zwischen dem Unterstützen einer kriminellen Vereinigung und einer zugleich verletzten anderen Strafnorm besteht Tateinheit. 6 0 6 Entsprechendes gilt zwischen dem Werben um Mitglieder oder Unterstützer und einer dabei verwirklichten weiteren Straftat.

ΙΠ. Konkurrenzen im Übrigen 198

Tateinheit ist möglich mit §§ 84, 85 (soweit nicht der Zweck oder die Tätigkeit der Vereinigung ausschließlich strafbare Handlungen nach diesen Vorschriften betreffen, was nach § 129 Abs. 2 Nr. 3 zur Unanwendbarkeit des § 129 führt), § 86a Abs. 1 Nr. I , 6 0 7 § 111, S 1 2 6 , 6 0 8 § 130, § 130a, § 1 4 0 ; 6 0 9 § 2 4 4 Abs. 1 Nr. 2 , 6 1 0 § 261; % 303, § 3 0 5 a ; 6 1 1 §§ 2 9 ff B t M G ; 6 1 2 §§ 51 ff WaffenG; 6 1 3 § 4 0 SprengstoffG; 6 1 4 § 34 AWG.

199

§ 2 0 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 VereinsG tritt gemäß der speziellen Subsidiaritätsklausel des Absatzes 1 hinter § 129 zurück. 615 § 129a geht als speziellere Regelung dem § 129 vor.

I. Strafklageverbrauch I. Bestimmung der strafprozessualen Tat 200

Abweichend vom allgemeinen Grundsatz, wonach eine Tat in materiell-rechtlicher Hinsicht auch eine einheitliche prozessuale Tat i.S. des § 2 6 4 StPO ist, 6 1 6 geht die ständige Rechtsprechung davon aus, dass ein Strafklageverbrauch dann nicht eintritt, wenn die materiellrechtlich tateinheitlich in Verfolgung der Ziele der Vereinigung begangenen Straftaten nach der Strafdrohung schwerer wiegen als ξ 129 und tatsächlich nicht Gegenstand der Anklage und rechtskräftigen Aburteilung wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung waren. 6 1 7 Die prozessuale Klammerwirkung eines rechtskräftigen Urteils umfasst

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BGH NJW 1975 985, 9 8 6 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 34; Miebach/Schäfer MK Rdn. 114; Meyer J R 1978 35. BGH NJW 1995 2117, 2119. Miebach/Schäfer MK Rdn. 116. Miebach/Schäfer MK Rdn. 116; Kindhäuser LPK Rdn. 52; aA Schroeder Die Straftaten gegen das Strafrecht, S. 33: Zurücktreten; offen gelassen in BGHSt 31 16, 22. Fischer § 2 4 4 Rdn. 28. BGH bei Holtz M D R 1989 3 7 0 f; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 33. BGH 3 StR 170/80 v. 8.5.1980, bei Holtz MDR 1980 9 8 8 ; BGH NStZ 1984 212. BGH NJW 1995 2117, 2119 zu § 53 Abs. 3 Nr. l a WaffG a.F. BGH NJW 1995 2117, 2119. Fischer Rdn. 49. Vgl. BVerfGE 4 5 4 3 4 , 4 3 5 ; BGHSt 13 21, 23; 2 6 284, 285. BGHSt 2 9 288, 2 9 2 ff; 4 6 349, 358; 4 8 153, 161 zu § 2 2 0 a a.F.; BGH StV 1999 352, 353; NStZ 1 9 9 9 415, 416; 2 0 0 1 436, 438 zu

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§ 2 0 Abs. 1 Nr. 1 VereinsG m. zust. Anm. Mitsch NStZ 2 0 0 2 1 5 9 , 1 6 0 ; 2 0 0 2 607, 6 0 8 ; NStZ-RR 1999 176, 177 zu § 180b a.F. (Menschenhandel); N J W 2 0 0 5 2166, 2167; hierzu Krauth FS Kleinknecht, S. 215 f, 2 4 0 , allerdings ohne Beschränkung auf idealkonkurrierende schwerere Straftaten; Beulke BGH Festg. Bd. IV (2000) S. 798 ff; Werte J R 1979 93 ff und N J W 1980 2671 ff; Rieß NStZ 1981 74; Gössel J R 1982 111, 113; Neuhaus NStZ 1987 138, 139 f; Kröpil DRiZ 1986 4 4 8 ; Lampe ZStW 106 (1994) 683, 727; Paeffgen NStZ 2 0 0 2 281, 2 8 5 ff; Ranft JuS 2 0 0 3 417, 4 2 0 f; abweichend: Ostendorf NYL Rdn. 3 4 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 35; Cording Strafklageverbrauch bei Dauer- und Organisationsdelikten (1993) 152 f, 107 f; Grünwald FS Bockelmann, S. 737, 742 f; Fleischer NJW 1979 1337, 1340; Grünwald StV 1981 326, 327 u. StV 1986 2 4 3 ; Wolter GA 1986 1 4 3 , 1 5 9 ; Mitsch MDR 1988 1005; Gillmeister NStZ 1 9 8 9 1, 3; Schlüchter]Z 1991 1057, 1061;

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§ 129

danach zwar alle mitgliedschaftlichen Betätigungsakte und die mit diesen in Tateinheit stehenden, nicht schwerer wiegenden anderen Delikte; nicht jedoch idealkonkurrierende Straftaten mit einem höheren Strafrahmen als dem des § 129, die als konkreter Vorgang tatsächlich nicht, auch nicht unter dem Gesichtspunkt mitgliedschaftlicher Beteiligung, Gegenstand des Verfahrens waren. Der Bundesgerichtshof hat dies mit der speziellen Struktur der Organisationsdelikte der §§ 129, 129a begründet, die ganz verschiedenartige Verhaltensweisen über lange Zeiträume zu einer materiellrechtlichen Einheit zusammenfasse und deshalb mit anderen Dauerstraftaten nicht vergleichbar sei. Eine abweichende Entscheidung entspräche weder dieser besonderen Struktur des Organisationsdelikts noch dem Gebot materieller Gerechtigkeit. Das in Art. 103 Abs. 3 GG niedergelegte Verbot wiederholter Strafverfolgung (ne bis in idem) stehe einer solchen „Grenzkorrektur" nicht entgegen, da sowohl der verfassungsrechtliche als auch der prozessuale Tatbegriff unabhängig vom materiellen Strafrecht zu bestimmen seien und damit eine erneute, unter Durchbrechung der Identitätsthese erfolgende Verurteilung nicht notwendig auch das von Art. 103 Abs. 3 G G geschützte Vertrauen des Abgeurteilten verletze. Eine andere Entscheidung würde sowohl dem Zweck des § 129, der bei kriminellen Vereinigungen die Möglichkeiten der Strafverfolgung verbessern, nicht aber verschlechtern wolle, als auch dem Gebot materieller Gerechtigkeit zuwiderlaufen: Es entstünde eine Privilegierung der Mitglieder einer kriminellen Vereinigung gegenüber anderen Straftätern - etwa den Mitgliedern einer Diebesbande - , bei denen die Aburteilung eines strafbaren Aktes nicht zwingend den Verbrauch der Strafklage hinsichtlich weiterer strafbarer Handlungen nach sich ziehe. 618

201

Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Weg gebilligt. 619 Die Aufgabe der Verknüpfung der Rechtsfigur der materiell-rechtlichen Tateinheit mit dem prozessualen Tatbegriff sei in diesen Fällen gerechtfertigt, weil der prozessuale Tatbegriff ganz andere Probleme zu lösen habe als die materiell-rechtlichen Konkurrenzen und der Betroffene nicht darauf vertrauen dürfe, wegen der Verbrechen, die nicht Gegenstand der ersten Verurteilung waren, unbehelligt zu bleiben, nur weil es ihm zunächst noch gelungen war, sich der Verfolgung zu entziehen.

202

In Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung will der Bundesgerichtshof zukünftig bei einem Organisationsdelikt mehrere prozessuale Taten annehmen, wenn nur einzelne Betätigungen eines Mitglieds einer solchen Organisation (kriminelle oder terroristische Vereinigung, Verein i.S. des § 2 0 Abs. 1 Nr. 1 VereinsG) Gegenstand der früheren Anklage und gerichtlichen Untersuchung waren und der Angeklagte nicht darauf vertrauen durfte, dass durch das frühere Verfahren alle Betätigungsakte für die Vereinigung erfasst wurden. 6 2 0

203

Das darin zum Ausdruck kommende enge Verständnis des prozessualen Tatbegriffs ist zu begrüßen. Der Bundesgerichtshof hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die uferlose

204

Verrel J R 2 0 0 2 212, 214; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 249. Zu prozessualen Lösungsvorschlägen de lege ferenda vgl. Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 2 4 3 ff; Grünwald FS Bockelmann, S. 737, 747 f; Langer-Stein Legitimation und Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen, S. 2 3 3 ; Lemke

618 619

620

ZRP 1980 141; Werte J R 1 9 7 9 93, 94 und v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 93. BGHSt 2 9 2 8 8 , 2 9 6 ; 4 6 349, 358. BVerfGE 56 22, 2 7 ff m. Anm. Gössel J R 1982 111; BVerfG N J W 2 0 0 4 279, 2 8 0 . BGHSt 4 6 349, 358 m. krit. Anm. Verrel J R 2 0 0 2 212, 214; vgl. auch schon BGHSt 4 3 2 5 2 , 2 5 7 ; BGH NStZ 2 0 0 1 436, 438; vgl. dazu Krauth FS Kleinknecht, S. 215, 2 2 9 ff.

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§129

205

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Ausdehnung der Kognitionspflicht des Tatrichters durch den prozessualen Tatbegriff bei lang gestreckten Delikten (Organisationsdelikte, Dauerdelikte, Bewertungseinheiten) dessen Leistungsfähigkeit übersteige und eine den Grundsätzen des Strafverfahrens widersprechende Verlagerung von Ermittlungstätigkeit in das gerichtliche Hauptverfahren zur Folge habe. Gleichzeitig würden die auch dem Schutz des Angeklagten dienenden Verfahrensinstitute wie Anklage und Eröffnungsverfahren ausgehöhlt. 621 Eine Zäsur zwischen verschiedenen mitgliedschaftlichen Betätigungsakten mit der Folge einer neuen prozessualen Tat ist auch dann zu bejahen, wenn trotz Beibehaltung der wesentlichen Strukturen einer Vereinigung auf der Grundlage eines Mitgliederbeschlusses die Zweckrichtung der Vereinigung wesentlich geändert wird, etwa wenn eine bisher lediglich kriminelle Vereinigung sich entschließt, nunmehr terroristische Straftaten i.S.d. § 129a zu begehen. 622 Eine neue prozessuale Tat ist auch dann anzunehmen, wenn die bisherige Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts eines in Deutschland verbotenen Vereins (strafbar nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 VereinsG) sich nach Einfügung des seit 30. August 2 0 0 2 geltenden § 129b nunmehr als mitgliedschaftliche Betätigung in einer ausländischen terroristischen Vereinigung darstellt. 623

Π. Art. 54 SDÜ 206

Innerhalb der Europäischen Union haben die Art. 54 bis 58 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) das Verbot der Doppelbestrafung etabliert. Art. 54 SDÜ gewährleistet, dass rechtskräftige Verurteilungen und Freisprüche innerhalb des gesamten Schengener Rechtsraumes ein Verfahrenshindernis bewirken. 624

J . Prozessuales I. Verjährung 207

Die Verjährungsfrist beträgt bei allen Tatvarianten grundsätzlich fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4). Handelt es sich bei Werbehandlungen um Presseinhaltsdelikte, unterliegen sie der verkürzten Verjährungsfrist der Landespressegesetze. 625

Π. Zuständigkeiten 208

Die Ermittlung von Straftaten gem. § 129 obliegt grundsätzlich den Staatsanwaltschaften der Länder. Erkennendes Gericht des ersten Rechtszuges ist gemäß § 74a Abs. 1 Nr. 4 GVG die für den Bezirk eines Oberlandesgerichts zu bildende Staatsschutzkammer

621

BGHSt 4 6 349, 358; vgl. auch BGHSt 43 2 5 2 , 2 5 7 ; zustimmend Miebach/Schäfer MK Rdn. 113; Mitsch NStZ 2 0 0 2 159 f; Ranft JuS 2 0 0 3 417, 4 2 0 f; Paeffgen NStZ 2 0 0 2

281, 286; krit. Rudolphi/Stein SK Rdn. 35;

622 623

Verrel JR 2 0 0 2 212, 214. BGH NStZ 2 0 0 7 401, 4 0 2 . Vgl. BGH NStZ 2 0 0 7 401, 4 0 2 .

380

624

625

Zur Auslegung durch den EuGH vgl. Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner IRG, Art. 54 SDÜ Rdn. 9 ff; Harms/Heine FS Hirsch, S. 85 ff. Vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1998 249; BGH bei Haitz MDR 1977 8 0 9 zu $ 86 Abs. 1 Nr. 4; Schmid LK § 78 Rdn. 14 ff.

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§ 129

bei einem Landgericht. Dies gilt nicht, wenn die strafbare Handlung zugleich eine Straftat nach dem BtMG darstellt (§ 74a Abs. 1 Nr. 4, 2. Halbsatz GVG). Dann verbleibt es bei der Zuständigkeit der allgemeinen Strafkammern. Durch die Ausnahmeregelung soll sichergestellt werden, dass kriminelle Vereinigungen zur Begehung von Betäubungsmitteldelikten von den mit der örtlichen Drogenszene besser vertrauten allgemeinen Strafkammern abgeurteilt werden, nicht hingegen von der auf Staatsschutzdelikte spezialisierten Strafkammer am Sitz des Oberlandesgerichts. 626 Gemäß § 74a Abs. 2 GVG kann der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren wegen der besonderen Bedeutung des Falles an sich ziehen. 627 Voraussetzung ist allerdings, dass es sich um einen Fall mit Staatsschutzbezug handelt (arg. aus Art. 96 Abs. 5 GG). 6 2 8 Für die erstinstanzliche Zuständigkeit wird in diesen Fällen die Zuständigkeit des Staatsschutzsenats beim Oberlandesgericht begründet (§ 120 Abs. 2 Nr. 1 GVG), der dann Bundesgerichtsbarkeit ausübt (§ 120 Abs. 6 GVG i.V.m. Art. 96 Abs. 5 GG).

209

ΙΠ. Ermittlungsmaßnahmen § 129 ist Katalogtat in zahlreichen prozessualen Eingriffsermächtigungen. Dies soll in verfahrensrechtlicher Hinsicht ermöglichen, in den Kernbereich krimineller Organisationen einzudringen und auch die im Hintergrund agierenden Initiatoren zu überführen. Unter den jeweiligen Voraussetzungen dürfen beispielsweise der Telekommunikationsverkehr überwacht (§ 100a Abs. 1, 2 Nr. l d StPO), das nichtöffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln außerhalb von Wohnungen abgehört (§ lOOf Abs. 1 StPO), in einer Wohnung allerdings nur beim Verdacht eines besonders schweren Falls nach § 129 Abs. 4 Halbsatz 2 (§ 100c Abs. 2 Nr. l b StPO), verdeckte Ermittler eingesetzt (§ 110a Abs. 1 Nr. 2 StPO ) oder eine Rasterfahndung durchgeführt werden (§ 98a Abs. 1 Nr. 2 StPO).

210

IV. Kronzeugenregelung Art. 5 des Verbrechensbekämpfungsgesetzes vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3186) dehnte die Kronzeugenregelung auf Taten nach § 129 und mit ihnen zusammenhängende Taten der Organisierten Kriminalität aus. Sie ist mit Ablauf des 31. Dezember 1999 außer Kraft getreten (vgl. § 129a Entstehungsgeschichte). Am 15. Mai 2 0 0 7 hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf für eine neue Kronzeugenregelung vorgelegt. Sie soll als § 46b in das Strafgesetzbuch eingefügt werden. 629 Die neue allgemeine Strafzumessungsregel ist nicht auf bestimmte Deliktsbereiche beschränkt. Der Kronzeuge muss sein Wissen vor Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn offenbaren; der Strafnachlass, über den die Gerichte entscheiden, ist beschränkt.

626

627

628

RAusschProt. 9 / 9 8 , S. 61; Katbolnigg NStZ 1981 417, 4 2 0 f. Vgl. BGHSt 4 6 238, 2 5 3 f; BGH NJW 1988 1474; NStZ 2 0 0 2 4 4 7 ; 2 0 0 8 146, 147; Welp NStZ 2 0 0 2 1, 7 und 6 0 9 f. Vgl. BGHSt 4 6 238; BGH NJW 1988 1474;

629

Schnarr M D R 1993 5 8 9 ff; Nehm Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts für die Verfolgung extremistischer Einzeltäter, S. 10 ff. BRD rucks. 3 5 3 / 0 7 ; BTDrucks. 1 6 / 6 2 6 8 .

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§ 129a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

V. Sonstige Regelungen 212

Der Generalbundesanwalt kann gem. § 153d Abs. 1 StPO von der Verfolgung einer Tat nach § 129 absehen, wenn die Durchführung des Verfahrens die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführen würde oder wenn der Verfolgung sonstige überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen. Ist die Klage bereits erhoben, kann der Generalbundesanwalt sie nach § 153d Abs. 2 in jeder Lage des Verfahrens zurücknehmen und das Verfahren einstellen. Leistet der Täter einen Beitrag zu Gefahrenabwendung, kann das Verfahren unter den Voraussetzungen des § 153e StPO vor Klageerhebung durch den Generalbundesanwalt, nach Erhebung der Klage durch das zuständige Oberlandesgericht eingestellt werden, wobei jeweils die Zustimmung des Gerichts bzw. des Generalbundesanwalts erforderlich ist.

§ 129a Bildung terroristischer Vereinigungen (1) Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, 1. Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8,9,10,11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder 2. Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung als Mitglied gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, 1. einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 2 2 6 bezeichneten Art, zuzufügen, 2. Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1, 3. Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3, 4. Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder 5. Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

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§ 129a

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. (4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen. (5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2 , 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 4 9 Abs. 2 ) mildern. (7) § 1 2 9 Abs. 6 gilt entsprechend. (8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 4 5 Abs. 2). (9) In den Fällen der Absätze 1, 2 und 4 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 6 8 Abs. 1).

Schrifttum 1. Allgemeines Achenbach Das Terrorismusgesetz 1986, Kriminalistik 1987 296; Albrecht „Krieg gegen den Terror" - Konsequenzen für ein rechtsstatliches Strafrecht, ZStW 117 (2205) 852; Altvater Das 34. Strafrechtsänderungsgesetz - § 129b StGB, NStZ 2003 179; Ambos Feindstrafrecht, ZStrR 2006 1; Arzt Terrorismus und Tourismus-Strafrecht dogmatisch betrachtet, Festschrift Weber (2004) S. 17; Bader Der Straftatbestand der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Lichte aktueller Rechtsprechung des BGH NStZ 2007 618; Backes Der Kampf des Strafrechts gegen nicht-organisierte Terroristen, StV 2008 654; Bendiek Die Terrorismusbekämpfung der EU (SWPStudie August 2006); Birkenmaier Mit falschen Mitteln gegen den Terror, DRiZ 1987 68; v. Bubnoff Terrorismusbekämpfung - eine weltweite Herausforderung, NJW 2002 2672; Burckhardt Gewalt von rechts - Herausforderung für die Justiz, DRiZ 1994 194; Dahs Das „Anti-TerroristenGesetz" - eine Niederlage des Rechtsstaats, NJW 1976 2145; Deckers/Heusel Strafbarkeit terroristischer Vorbereitungshandlungen - rechtsstaatlich nicht tragbar, ZRP 2008 169; Demetrio Crespo Das „Feindstrafrecht" darf nicht sein!, ZIS 2006 413; Dencker Das „Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus", StV 1987 117; ders. Kronzeuge, terroristische Vereinigung und rechtsstaatliche Strafgesetzgebung, KritJ 1987 36; Di Fabio Sicherheit in Freiheit, NJW 2008 421; Ebert Tendenzwende in der Straf- und Strafprozeßgesetzgebung? JR 1978 136; Foth Terrorismus vor Gericht, DRiZ 2001 388; Felske Kriminelle und terroristische Vereinigungen - §§ 129, 129a StGB (2002); Fröba Die Reichweite des § 129a StGB bei der Bekämpfung des transnationalen islamistischen Terrorismus (2009); Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB (1989); Greco Über das so genannte Feindstrafrecht GA 2006 96; Griesbaum Zum Verhältnis von Strafverfolgung und Gefahrenabwehr vor dem Hintergrund der Bedrohung durch den internationalen islamistischen Terrorismus, Festschrift Nehm (2006) S. 125; Hefendehl Organisierte Kriminalität als Begründung für ein Feind- oder Täterstrafrecht? StV 2005 156; von Heintschel-Heinegg Gemeinschaftskonforme Auslegung des Vereinigungsbegriffs in den §§ 129 ff StGB, Festschrift Schroeder (2006) S. 799; Helm Die Bildung terroristischer Vereinigungen: Auslegungsprobleme beim neuen § 129a StGB, StV 2006 719; Hess Terrorismus und globale Staatsbildung, KritJ 2002 450; Hetzer Terrorismusbekämpfung zwischen

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Risikosteuerung und Rechtsgüterschutz, MschrKrim 2005 111; ders. Sicherheit durch Ausnahmezustand? Terrorabwehr: Kriegserklärung und Bürgeropfer, StraFo 2008 93; Hirsch Bilanz der Strafrechtsreform, Hilde-Kaufmann-Gedächtnisschrift (1986) S. 133, 153; Hörnle Deskriptive und normative Dimensionen des Begriffs „Feindstrafrecht", GA 2006 80; Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung, ZStW 97 (1985) 751; ders. Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht, HRRS 2004 88; ders. Das Selbstverständnis der Strafrechtswissenschaft vor den Herausforderungen der Gegenwart, in: Eser, Hassemer und Burkhardt (Hrsg.), Tagungsdokumentation „Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende" (2000) S. 47 ff; ders. Terroristen als Personen im Recht? ZStW 117 (2005) 839; Jung Das Anti-TerrorG 1986, JuS 1987 249; Klughardt Die Gesetzgebung zur Bekämpfung des Terrorismus aus strafrechtlich-soziologischer Sicht, Diss. München 1984; Krekeler Strafverfahrensrecht und Terrorismus, AnwBl. 1979 212; Kress Das Strafrecht in der Europäischen Union vor der Herausforderung durch organisierte Kriminalität und Terrorismus, JA 2005 220; Kühl Neue Gesetze gegen terroristische Straftaten, NJW 1987 737; Kühne Unzeitgemäße Betrachtungen zum Problem des Terrorismus, Festschrift Schwind (2006) S. 103; Lameyer Streitbare Demokratie contra Terrorismus? ZRP 1978 49; Langer-Stein Legitimation und Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen, Diss. Trier 1987; Löchner Terrorismus und Justiz, DRiZ 1980 94; ders. Politische Verteidigung in Verfahren gegen terroristische Gewalttäter, Festschrift Rebmann (1989) S. 303; Maul Gesetz gegen Terrorismus und Rechtsstaat, DRiZ 1977 207; Meliä Zum Unrecht der kriminellen Vereinigung: Gefahr und Bedeutung, Festschrift Jakobs (2007) S. 27; Monar Die EU und die Herausforderung des internationalen Terrorismus in: W. Weidenfeld (Hrsg.) Herausforderung Terrorismus (2004) S. 136; Nehm ein Jahr danach - Gedanken zum 11. September 2001, NJW 2002 2665; ders. Der unerreichbare potentiell entlastende Tatzeuge im Rechtsstaat, Festschrift Widmaier (2008) S. 371; Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland (2007); Nestler-Tremel Das Verbot der Mehrfachverteidigung gemäß § 146 StPO, NStZ 1986 534; Neufeld Die besonderen Überwachungsmaßnahmen nach § 148 Abs. 2 StPO - Voraussetzungen und Anordnungskompetenz, NStZ 1984 154; Nolte Die Anti-Terror-Pakete im Lichte des Verfassungsrechts, DVB1 2002 573; Ostendorf Verteidigung am Scheideweg, J Z 1979 252; ders. Entwicklungen in der Rechtsprechung zur „Bildung krimineller bzw. terroristischer Vereinigungen", JA 1980 499; Paeffgen § 129a StGB und der prozessuale Tatbegriff, NStZ 2002 281; Pieper Völkerrechtliche Aspekte der internationalen Terrorismusbekämpfung, Diss. München 2004; v. Plottnitz § 129a StGB: Ein Symbol als ewiger Hoffnungsträger, ZRP 2002 351; Pollähne Wie Castor und Pollux ... Störung von Atommüll-Transporten als gemeingefährliche § 129a StGB-Katalogtaten, KritJ 2005 292; Rebmann Terrorismus und Rechtsordnung, DRiZ 1979 363; ders. Inhalt und Grenzen des Straftatbestands „Werben für eine terroristische Vereinigung" nach § 129a StGB, NStZ 1981 457; ders. Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts zur Verfolgung terroristischer Straftaten, NStZ 1986 289; ders. Beschlagnahme von terroristischen „Bekennerschreiben" bei Presseunternehmen, Festschrift Pfeiffer (1988) S. 225; ders. Strafverfolgung im Bereich terroristischer Publikationen, NStZ 1989 97; Rissing-van Saan Die Behandlung rechtlicher Handlungseinheiten in der Rechtsprechung nach Aufgabe der fortgesetzten Handlung (unter besonderer Berücksichtigung des Staatsschutz-Strafrechts), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festschrift aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof (2000) S. 475; Rudolphi Die Gesetzgebung zur Bekämpfung des Terrorismus, JA 1979 1; ders. Notwendigkeit und Grenzen einer Vorverlagerung des Strafschutzes im Kampf gegen den Terrorismus, ZRP 1979 214; ders. Verteidigerhandeln als Unterstützung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung i.S. der § 129 und § 129a StGB, Festschrift Bruns (1978) S. 315; Sauer Das Strafrecht und die Feinde der offenen Gesellschaft, NJW 2005 1703; Scheiff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? (1997); Schnarr Gehören Vorbereitungshandlungen nach § 30 StGB zum Deliktsbereich von Katalogtaten? NStZ 1990 257; ders. Irritationen um § 120 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 GVG, MDR 1988 89; ders. Innere Sicherheit - die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts nach § 129 II 1 Nr. 3 GVG, MDR 1993 589; Schräder Terrorismus und das Problem seiner Definition, Kriminalistik 2002 570; Schroeder Die Straftaten gegen das Strafrecht (1985); Schulz Gesetzgebungs-Report, ZRP 1989 199; Schünemann Feindstrafrecht ist kein Strafrecht! Festschrift Nehm (2006) S. 219; Sinn Moderne Verbrechensverfolgung - auf dem Weg zu einem Feindstrafrecht? ZIS 2006 107; Soine Organisierte Kriminalität und Terrorismus - von Kooperation in Richtung Symbiose? Kriminalistik 2005 409; Stein

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Bildung terroristischer Vereinigungen

§ 129a

Kriminelle und terroristische Vereinigungen mit Auslandsbezug seit der Einführung von § 129b StGB, GA 2 0 0 5 433; Sturm Zur Bekämpfung terroristischer Vereinigungen - ein Beitrag zum Gesetz vom 18. August 1976 M D R 1977 6; Vogel Strafverfahrensrecht und Terrorismus - eine Bilanz, NJW 1978 1217; Warg Terrorismusbekämpfung in der Europäischen Union (Speyerer Arbeitsheft Nr. 145, 2002); Wasser/Piaszek Staatschutzstrafrecht in Bewegung? DRiZ 2 0 0 8 315; Weigend Terrorismus als Rechtsproblem, Festschrift Nehm (2006) S. 152; Weißer Der „Kampf gegen den Terrorismus" - Prävention durch Strafrecht? J Z 2 0 0 8 388; Willms Zur strafrechtlichen Absicherung von Organisationsverboten, Festschrift Lackner (1987) S. 471; v. Winterfeld Terrorismus - „Reform" ohne Ende? ZRP 1977 265; ders. Entwicklungslinien des Strafrechts und des Strafprozeßrechts in den Jahren 1947 bis 1987, N J W 1987 2631; Zöller Der Rechtsrahmen der Nachrichtendienste bei der „Bekämpfung" des internationalen Terrorismus, J Z 2 0 0 7 763; siehe auch Schrifttumsverzeichnis zu § 129 und § 129b.

2. Kronzeugenregelung Achenbach Die Startbahn-West-Novelle, Kriminalistik 1989 633; Bandisch Zum Entwurf eines Kriminalitätsbekämpfungsgesetzes der Fraktion der CDU/CSU und FDP vom 4.1.1994, StV 1994 153; Behrendt Überlegungen zur Figur des Kronzeugen im Umweltstrafrecht, GA 1991 337; Bernsmann Die Kronzeugenregelung, NStZ 1989 456; ders. Kronzeugenregelungen des geltenden Rechts, J Z 1988 539; Bocker Der Kronzeuge (1991); Dencker Kronzeuge, terroristische Vereinigung und rechtsstaatliche Strafgesetzgebung, KritJ 1987 36; Deutscher Richterbund Stellungnahme zum Artikelgesetz - Kronzeuge, DRiZ 1988 153; Füllkrug Unzulässige Vorteilszusicherung, M D R 1989 121; Hassemer Die Kronzeugenregelung, StV 1989 79; Hilger Die Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten, NJW 1989 2377; Hoyer Die Figur des Kronzeugen, J Z 1994 2 3 3 ; Jäger Der Kronzeuge unter besonderer Berücksichtigung des § 31 BtMG (1986); Jung Der Kronzeuge - Garant der Wahrheitsfindung oder Instrument der Überführung, ZRP 1986 38; ders. Gesetzgebungsübersicht - Artikel zur inneren Sicherheit, JuS 1989 1025; Kühl Das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus, N J W 1987 743; Krauß Sicherheitsstaat und Strafverteidigung - der Kronzeuge, StV 1989 321; Lammer Terrorbekämpfung durch Kronzeugen, ZRP 1989 248; ders. Kronzeugenregelung und Strafzumessung, J Z 1992 510; Mehrens Die Kronzeugenregelung als Instrument zur Bekämpfung organisierter Kriminalität (2001); Mühlhoff/Mehrens Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis (1999); Mühlhoff/Pfeiffer Der Kronzeuge - Sündenfall des Rechtsstaats oder unverzichtbares Mittel der Strafverfolgung? ZRP 2 0 0 0 121; Peglau Überlegungen zur Schaffung neuer „Kronzeugenregelungen", ZRP 2001 103; Schlüchter Erweiterte Kronzeugenregelung? ZRP 1997 65; Schulz Gesetzgebungs-Report, ZRP 1989 39; ders. Gesetzgebungs-Report, ZRP 1993 154; Stellungnahme des Strafrechtsausschusses des DAV zur Neuauflage einer Kronzeugenregelung, StV 2 0 0 1 317; Walter Zur Kronzeugenregelung, Recht und Politik 1989 189; Weigend Anmerkungen zur Diskussion um den Kronzeugen aus der Sicht des amerikanischen Rechts, Festschrift Jescheck (1985) 2. Halbband, S. 1333; ders. Das „Opportunitätsprinzip" zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Systemeffizienz, ZStW 109 (1997) 103; Widmaier Das Dilemma der Kronzeugenregelung, ZRP 1991 148; Zuck Der Kronzeuge, M D R 1989 1065.

Entstehungsgeschichte Die Mitte der 7 0 e r Jahre einsetzenden Bemühungen des Gesetzgebers um eine Bewältigung des Terrorismusphänomens führten zu zahlreichen Gesetzesänderungen, die eine Verschärfung des materiellen Strafrechts, verfahrensrechtliche Neuerungen und flankierende Regelungen in Spezialgesetzen mit präventiver Ausrichtung und zur Fahndungserleichterung zum Gegenstand hatten. 1 Die Gesetzesvorhaben wurden im Parlament und in

1

Vgl. Eben J R 1978 136, 142; Kühl NJW 1987 738; zur Entstehungsgeschichte des § 129a

und den rechtspolitischen Reforminitiativen und Änderungsanregungen des Schrifttums

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§ 129a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

der Öffentlichkeit im Hinblick auf die geeigneten Formen zur Bekämpfung des Terrorismus, Reichweite und Unabdingbarkeit bestimmter Maßnahmen kontrovers diskutiert. Die Vorschrift des § 129a ist im Zusammenhang mit der Bedrohung des inneren Friedens und der inneren Sicherheit durch terroristische Gewalttäter der Roten Armee Fraktion (RAF) durch das Gesetz zur Änderung des StGB, der StPO, des GVG, der BRAO und des StVollzG vom 18. August 1976 (BGBl. I S. 2181) - das sog. Anti-TerroristenG in das Strafgesetzbuch eingefügt worden und am 2 0 . September 1976 in Kraft getreten (Art. 8). 2 Ziel war die Erfassung solcher krimineller Vereinigungen, „deren Gefährlichkeit dadurch gekennzeichnet ist, dass ihre Tätigkeiten auf die Begehung schwerster Delikte gerichtet sind". 3 Bei den Gesetzesberatungen, denen mehrere Gesetzentwürfe unterschiedlicher Reichweite zugrunde lagen, wurden vor allem die Strafrahmenbestimmung und die damit zusammenhängende Frage der Einstufung des Tatbestands als Verbrechen oder Vergehen sowie der Umfang des Straftatenkatalogs kontrovers diskutiert. Für eine Verbrechenseinstufung (mit der Folge einer Strafbarkeitsausdehnung nach § 30) wurde unter Hinweis auf vorangegangene Gewaltakte die außerordentliche Gefährlichkeit solcher Vereinigungen ins Feld geführt, die in einem schwereren Unwerturteil des Gesetzgebers und in einer gegenüber § 129 deutlich höheren Strafdrohung Ausdruck finden müsse. 4 Die mehrheitliche Gegenmeinung stellte darauf ab, dass sich § 129a im Vorfeld der eigentlichen Straftatbegehung bewege und - etwa in den Formen des Werbens und Unterstützens - zugleich Fälle minderschwerer Bedeutung erfasse, die schweren Fälle in Gestalt der Rädelsführerschaft und des Hintermanns als Verbrechen eingestuft seien, die Strafrahmenfrage im übrigen durch die häufig vorliegende Tateinheit mit schweren anderen Straftaten relativiert werde und schließlich bei einer abweichenden Strafrahmenbestimmung Spannungen zu den Strafdrohungen anderer Delikte entstünden. 5 Die gegenüber dem Regierungsentwurf auf Erweiterung des Straftatenkatalogs zielenden Vorschläge konnten sich nicht durchsetzen: Ein kriminalpolitisches Bedürfnis für die Aufnahme der §§ 2 3 4 , 2 3 4 a wurde mangels einer Relevanz der für sie typischen Fallgestaltungen im tatbestandlichen Rahmen des § 129a verneint. 6 Eine Einbeziehung der sog. Finanzierungsdelikte sah man im Hinblick auf die an § 129a geknüpfte Folgeregelung als zu weitgehend an. 7 Auch der Regierungsentwurf wurde durch Streichung des § 229 (Vergiftung) sowie der für terroristische Vereinigungen nicht als typisch angesehenen Tatbestände der §§ 313 Abs. 1, 315 Abs. 3, 315b Abs. 3 eingeengt. Da die Anrufung des Vermittlungsausschusses hinsichtlich der weitergehenden Forderungen zu keinem Eini-

§ 4 9 b , der die Mordverbindung unter Strafe stellte; Ansatzpunkt für die Regelung war auch § 2 9 4 Abs. 4 Ε 1 9 6 2 (Begr. S. 4 6 7 ) , der Vereinigungen zur Begehung von Verbrechen wider das Leben und von gemeingefährlichen Verbrechen als Regelbeispiele besonders herausstellte.

Felske Kriminelle und terroristische Vereinigungen, S. 3 4 9 ff; Fürst Grundlagen und Grenzen der § § 129, 1 2 9 a StGB, S. 4 0 ff, 2 5 1 ff, 2 8 7 ; ferner Schnarr M D R 1 9 8 8 89, 9 2 ; Willms FS Lackner, S. 4 7 1 ; Krekeler AnwBl. 1 9 7 9 2 1 2 , 217. 2

3

Vgl. Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 1 2 9 a StGB, S. 4 0 ff; Felske Kriminelle und terroristische Vereinigungen, S. 3 4 9 ff; v. Bubnoff LKn Vor § 1 2 9 a Rdn. 8 ff. BTDrucks. 7 / 5 4 0 1 S. 4 f. Die Vorschrift findet hinsichtlich der Verbrechen wider das Leben ein gewisses Vorbild in dem auf die Republikschutzgesetze zurückgehenden früheren

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4 5

6 7

BTDrucks. 7 / 4 0 0 5 , S. 17; 7 / 5 6 0 7 , S. 2. RAussch Prot. 7 / 9 7 , S. 14, 16; Prot. 7 / 2 4 4 3 ff, 2 4 5 3 ff, 2 4 6 3 ; vgl. auch Vogel D R i Z 1 9 7 6 287. Bericht BTDrucks. 7 / 5 4 0 1 , S. 5; Prot. 7 / 2 4 5 4 . RAussch Prot. 7 / 9 7 , S. 15 f, 2 1 ; Prot. 7 / 2 4 5 2 ff.

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§ 129a

gungsvorschlag führte, stimmte der Bundesrat unter Aufrechterhaltung seiner Bedenken dem Gesetz zu. 8 Auch nach ihrem Inkrafttreten am 20. September 1976 blieb die Norm umstritten. 9 Diskutiert wurde unter anderem die Möglichkeit einer Aufspaltung des § 129a nach der Schwere der bezweckten Taten oder nach den Tathandlungen in einen Verbrechens- und Vergehenstatbestand. 10 Das als Reaktion auf aktuelle terroristische Anschläge 11 eingeführte Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus (TerrBG) vom 19. Dezember 1986 (BGBl. I S. 2 5 6 6 ) führte neben einer Erweiterung der Zuständigkeit des Generalbundesanwalts (sog. Evokationslösung, § 120 GVG) vor allem zu einer Verschärfung des materiellen Strafrechts. 12 In § 129a wurden die Strafrahmen für die Mitgliedschaft und Gründung (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren) sowie für Rädelsführer und Hintermänner (Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren) angehoben. 13 Nur das Unterstützen und das Werben waren danach noch als Vergehen ausgestaltet, während die Gründung und die mitgliedschaftliche Beteiligung als Verbrechen eingestuft wurden mit der Folge der Strafbarkeit auch der versuchten mitgliedschaftlichen Beteiligung und der versuchten Gründung sowie der Anwendbarkeit des § 30. Die Möglichkeit des Absehens von Strafe für den Versuch des Gründens einer terroristischen Vereinigung (früherer Absatz 4) wurde beseitigt. Außerdem erweiterte der Gesetzgeber in § 129a Abs. 1 Nr. 3 den Kreis der Katalogtaten um den ebenfalls neu geschaffenen § 305a (Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel) sowie um § 315 Abs. 1 (Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr) und § 316b Abs. 1 (Störung öffentlicher Betriebe), weil diese Delikte als typisch für „das gewalttätige Umfeld des Terrorismus" angesehen wurden. 14 Hintergrund waren zahlreiche Anschläge auf Einrichtungen der öffentlichen Stromversorgung, Einsatzfahrzeuge der Polizei, Baufahrzeuge und andere Objekte. Die Entstehung des Gesetzes war gekennzeichnet durch äußerste Eile und vollzog sich in einer Atmosphäre aufgeladener politischer Gegensätze. 15 Der Koalitionsentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP war am 31. Oktober 1986 eingebracht worden. 1 6 Die Sachverständigenanhörung fand bereits am 14. November 1986 statt. 17 Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Bundestags-Rechtsausschusses datieren vom 3. Dezember 1986, 1 8 der Bundestag beschloss das Gesetz am 5. Dezember 1986, 1 9 der Bundesrat stimmte dem Gesetz am 19. Dezember 1986 zu. 2 0

8 9

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BRDrucks. 5 0 6 / 7 6 . Vgl. Dahs NJW 1976 2145; Ebert J R 1978 1 3 6 , 1 4 1 ; Lameyer ZRP 1978 49; Maul DRiZ 1977 2 0 7 ; Rudolphi JA 1979 1, 3; Sturm MDR 1977 6; Vogel NJW 1978 1217; v. Winterfeld ZRP 1977 265. Vgl. auch den im April 1977 eingebrachten Gesetzentwurf der CDU/ CSU-Fraktion zur Bekämpfung des Terrorismus etc., BTDrucks. 8 / 3 2 2 . Vgl. v. Winterfeld ZRP 1977 265, 269. Vgl. Bericht, BTDrucks. 10/6635, S. 11. Modifizierte Wiedereinführung der Anleitung zu Straftaten (§ 130a neu); Erweiterung der Billigungsvorschrift des § 140; Schaffung einer neuen Vorschrift über die Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel (§ 305a); vgl. auch v. BubnoffLK11 Vor § 129a Rdn. 8 ff.

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Vgl. Kühl NJW 1987 737, 743 f; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 143 ff. Zu den Vorfällen (mehrheitlich Sachbeschädigungen), die zu der Katalogerweiterung des § 129a durch das Terrorbekämpfungsgesetz Anlass gegeben haben, Lochte RAusschProt. 10/101, Anh. S. 148. Vgl. BT-Verh. 10/243, S. 18822 u. 1 0 / 2 5 4 , S. 19789. BTDrucks. 1 0 / 6 2 8 6 . RAusschProt. 10/101. BTDrucks. 10/6635. BRDrucks. 5 9 1 / 8 6 . BRDrucks. 5 9 1 / 8 6 .

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Die Kritik an der Neuregelung entzündete sich vor allem daran, dass mit §§ 305a, 315, 316b erstmals Vergehen zu Katalogtaten gemacht wurden: 2 1 Damit würden Organisationen erfasst, deren Tätigkeit nur auf die Begehung von Vergehen gerichtet sei. Für Mitglieder dieser Organisationen bedeute dies eine Bestrafung mit einem Strafrahmen von einem bis zehn Jahren bzw. drei bis 15 Jahren wegen der abstrakten Gefahr, dass diese Organisation Taten begeht, die ihrerseits nur mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren strafbar sind. Dies sei mit dem Schuldprinzip nicht mehr vereinbar. 22 Teile des Schrifttums forderten deshalb eine teleologisch-restriktive Auslegung, die eine Ausscheidung von Fällen nur allgemeiner Kriminalität und eine Beschränkung der verfahrensrechtlichen Folgewirkungen auf Verhaltensweisen von wirklicher kollektiv-terrorismusspezifischer Gefährlichkeit gewährleiste, 23 oder gar eine negative Typenkorrektur. 24 Kritisiert wurden weiterhin die entstehenden Unschärfen in den Konturen des gesetzlichen Terrorismusbegriffs, 25 da die Vergleichbarkeit im kriminellen Gewicht mit den übrigen Katalogtaten fraglich 2 6 und die Typizität z.B. bei § 305a, einer Qualifikation der Sachbeschädigung, zweifelhaft sei. 27 Es dränge sich deshalb die Frage auf, ob durch die Einbeziehung der §§ 305a, 316b angesichts der in Handlungsform und Objektbezug denkbaren vielfältigen Fallgestaltungen mit unterschiedlicher Unrechtsintensität nicht auch Fälle allgemeiner Kriminalität von § 129a erfasst würden und die Beschränkung auf „echte terroristische Straftaten" durchbrochen werde. 28 Nachdem der Vorschlag einer eigenständigen Kronzeugenregelung im Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung des Terrorismus vom 31. Oktober 1986 im Hinblick auf die überwiegende Ablehnung durch die gehörten Sachverständigen fallengelassen worden war, 2 9 wurde mit Artikel 4 des sog. ArtikelG (KronzG) vom 9. Juni 1989 (BGBl. I S. 1059) die „große Kronzeugen-Regelung" bei terroristischen Straftaten „als vertretbarer Versuch einer Einengung der Handlungsfähigkeit der Terroristen" eingeführt. 30 Die kriminalpolitisch umstrittene Regelung sah, abgestuft nach der Art der vom Vereini-

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Dencker KritJ 1987 36, 4 9 und StV 1987 117, 121; Kühl NJW 1987 737, 746; Jung JuS 1987 2 4 9 ; Achenbach Kriminalistik 1987 2 9 6 ; Birkenmaier DRiZ 1987 68; vgl. auch Miebach/Schäfer MK Rdn. 12; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 2; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 1; Fürst Grundlagen und Grenzen der SS 129, 129a StGB, S. 150 ff; Lochte RAusschProt. 10/101, Anh. S. 148 f. Dencker KritJ 1987 36, 48 und StV 1987 117, 121; vgl. auch Kühl N J W 1987 737, 746; krit. auch Rudolphi/Stein SK Rdn. 2. v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 5; vgl. auch Kühl NJW 1987 746; Achenbach Kriminalistik 1987 2 9 6 , 298. Dencker StV 1987 117, 121; krit. hierzu Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2. Achenbach Kriminalistik 1987 296, 2 9 9 : „Diffuses Terrorismusverständnis". Vgl. Dencker KritJ 1987 36, 48 u. StV 1987 119; Kühl NJW 1987 737, 746.

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Birkenmaier DRiZ 1987 68; Dencker StV 1987 117 f; s.a. BTDrucks. 10/6635, S. 12. Vgl. Dencker RAusschProt. 10/101, Anh. S. 30; Fürst Grundlagen und Grenzen der SS 129, 129a StGB, S. 150 f; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1. Vgl. BTDrucks. 10/6286, S. 10 f; RAusschProt. 10/101; BT-Drucks. 10/6635, S. 1; vgl. hierzu Bernsmann J Z 1988 5 3 9 f; Kühl N J W 1987 744; Dencker KritJ 1987 36 ff. Zu den zahlreichen erfolglosen Gesetzesinitiativen unterschiedlichen Inhalts Jäger Der Kronzeuge unter besonderer Berücksichtigung des S 31 BtMG (1986) S. 1 ff; s.a. Jung ZRP 1986 38 ff. Vgl. Bernsmann NStZ 1989 4 5 6 ; Hilger NJW 1 9 8 9 2 3 7 7 ; v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 13 ff vor S 129a und S 129a Rdn. 5 5 ff; Fezer FS Lenckner, S. 681; Hoy er J Z 1994 223; Schlüchtern 1997 65; Weigend ZStW 109 (1997) 103, 110.

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§ 129a

gungszweck umfassten Straftaten, ein Absehen von Strafe oder die Möglichkeit von Strafmilderung vor. 31 Ziel war es, bereits begangene terroristische Straftaten besser aufklären und terroristische Gewalttäter ergreifen zu können, noch nicht oder nicht mehr verfestigte Mitglieder aus der Vereinigung herauszubrechen, den organisatorischen Zusammenhalt der Vereinigung zu stören und dadurch zugleich die Begehung künftiger Straftaten zu verhindern. 32 Die Geltungsdauer des ursprünglich bis 31. Dezember 1992 befristeten Gesetzes wurde durch das Kronzeugenverlängerungsgesetz vom 16. Februar 1993 (BGBl. I S. 238) bis 31. Dezember 1995 und durch das Gesetz vom 19. Januar 1996 (BGBl. I S. 58) bis 31. Dezember 1999 verlängert. Art. 5 des Verbrechensbekämpfungsgesetzes von 1994 (BTDrucks. 12/6853) dehnte die Kronzeugenregelung auf Taten nach § 129 und mit ihnen zusammenhängende Taten der Organisierten Kriminalität aus. Der Antrag auf eine weitere Verlängerung der Geltungsdauer bis zum 31. Dezember 2 0 0 2 fand keine Mehrheit. 3 3 Vorgeschlagen wurden seitdem eine gesetzliche Regelung im Allgemeinen Teil (§ 4 6 b ) 3 4 sowie Einzelregelungen in zahlreichen Tatbeständen des Besonderen Teils. 35 Am 25. Mai 2 0 0 7 hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf für eine neue Kronzeugenregelung vorgelegt. Sie soll als § 46b in das Strafgesetzbuch eingefügt werden. 3 6 Die neue allgemeine Strafzumessungsregel ist nicht auf bestimmte Deliktsbereiche beschränkt. Der Kronzeuge muss sein Wissen vor Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn offenbaren; der Strafnachlass, über den die Gerichte entscheiden, ist beschränkt. Die Änderungen durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 2 6 . Januar 1998 (BGBl. I S. 164) betrafen redaktionelle Folgeänderungen in Absatz 1 Nr. 3 der Vorschrift. 37 Durch Art. 2 Nr. 6 des Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches vom 26. Juni 2 0 0 2 (BGBl. I S. 2 2 5 4 ) wurde in Abs. 1 Nr. 1 § 2 2 0 a a.F. ersetzt und die neuen Katalogtaten Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8 bis 12 VStGB) eingefügt. Mit dem Inkrafttreten des 34. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 22. August 2 0 0 2 (BGBl. I S. 3390) am 30. August 2 0 0 2 hat der Gesetzgeber durch Einfügung des S 129b den Anwendungsbereich des § 129a auf ausländische terroristische Vereinigungen erweitert, wobei allerdings für Vereinigungen im Nicht-EU-Ausland einschränkende Voraussetzungen gelten. 38 Außerdem wurde die Tatmodalität des Werbens auf das Werben

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Vgl. v. Bubnoff L K " Rdn. 5 5 ff. BTDrucks. 11/2834, S. 7 , 1 3 . Entwurf der Fraktion CDU/CSU vom 1.6. 1999, BTDrucks. 14/1107; Prot. 14/7098 ff. Vgl. Gutachten der Kommission zur Prüfung des strafrechtlichen Sanktionensystems; Eckpunktepapier Niedersachsens vom 11.10.2001 und Eckpunktepapier des BMJ vom 6.4.2000. Vgl. Gesetzantrag Bayern für Gesetz zur Ergänzung der Kronzeugenregelungen im Strafrecht vom 2 8 . 6 . 2 0 0 0 , BRDrucks. 395/00; 896/1/02; Ε-Brat, BTDrucks. 14/5938; GesE CDU/CSU, BTDrucks. 14/6834; CDU/CSU-Fraktionsentwurf vom 13.1.2004, BTDrucks. 15/2333; vgl. auch Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. la; Fischer Rdn. 33; Mühlhoff/Pfeiffer ZRP 2 0 0 0 121; Peglau ZRP 2 0 0 1 103;

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Stellungnahme des Strafrechtsausschusses des DAV, StV 2 0 0 1 317. BRDrucks. 3 5 3 / 0 7 ; BTDrucks. 16/6268. Vgl. v. Bubnoff LK 1 1 Nachtrag Rdn. 1 f. BTDrucks. 14/7025 (GesE BReg); StenProt. 18698 (1. Beratung in der 192. Sitzung des BT am 11.10.2001); BTDrucks. 14/8893 (Beschlussempfehlung und Bericht des BTRechtsausschusses); StenProt. 2 3 3 3 0 (2. und 3. Beratung in der 2 3 4 . Sitzung des BT am 2 6 . 4 . 2 0 0 2 ) ; BRDrucks. 3 7 9 / 0 2 (Gesetzesbeschl.); StenProt. 2 9 9 (Beratung im Bundesrat in der 776. Sitzung am 31.5.2002); BRDrucks. 3 7 9 / 0 2 (Anrufung des Vermittlungsausschusses); BTDrucks. 5 2 8 / 0 2 (Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses, Einspruch des Bundesrats, Zurückweisung des Einspruchs).

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

um Mitglieder oder Unterstützer beschränkt und die sog. Sympathiewerbung ausgeschieden. Durch das am 28. Dezember 2003 in Kraft getretene Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2 0 0 2 zur Terrorismusbekämpfung und zur Änderung anderer Gesetze vom 22. Dezember 2 0 0 3 (BGBl. I S. 2836) wurde der Tatbestand erheblich umstrukturiert, zum Teil ausgedehnt und zum Teil eingeschränkt. Dies war erforderlich geworden, weil die bisherigen Regelungen den Vorgaben des Rahmenbeschlusses nicht im vollen Umfang entsprachen. Der Rahmenbeschluss (ABl. EG L 164 S. 3) ist Teil eines umfassenden - durch die Ereignisse des 11. September 2001 intensivierten - Vorgehens der Europäischen Union gegen Terrorismus mit dem Ziel, die strafrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten weiter anzugleichen. Er ist in 13 Artikel gegliedert. Artikel 1 enthält eine EU-weite Definition der terroristischen Straftaten. Die in einem Katalog einzeln aufgeführten vorsätzlichen Handlungen werden dort als terroristisch eingestuft, wenn durch die Art ihrer Begehung oder den jeweiligen Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft geschädigt werden kann und die Straftaten mit einem bestimmten Ziel begangen werden. Dies kann darin liegen, die Bevölkerung auf schwer wiegende Weise einzuschüchtern oder öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören. Artikel 2 definiert den Begriff der terroristischen Vereinigung und benennt die unter Strafe zu stellenden Beteiligungshandlungen. Artikel 4 verpflichtet die Mitgliedstaaten, Anstiftung zu einer Straftat nach Art. 1 oder 2, Mittäterschaft und Versuch unter Strafe zu stellen. In Artikel 5 werden Mindesthöchststrafen für die terroristischen Straftaten vorgeschrieben. Artikel 6 nennt Fälle, in denen Strafmilderungen möglich sind. Art 7 regelt die Verantwortlichkeit juristischer Personen. In Umsetzung von Art. 1 des Rahmenbeschlusses wurde § 129a erheblich umstrukturiert. Während der bisherige Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2 als Absatz 1 fortbesteht, wurde der Straftatenkatalog des bisherigen Absatzes 1 Nummer 3 (jetzt Absatz 2) erweitert um die Herbeiführung einer schweren Körperverletzung oder ähnlich schwerer Schäden, die Computersabotage (§ 303b), die Zerstörung von Bauwerken (§ 305), die Störung von Kommunikationsanlagen (§ 317 Abs. 1), die schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften (§ 330a) sowie um Verstöße gegen das Kriegswaffenkontroll- und Waffengesetz. Gleichzeitig wurden die Katalogtaten in Absatz 2 durch das Erfordernis einer speziellen Zielrichtung der Taten und in objektiver Hinsicht einer besonderen Schädigungseignung der Definition der terroristischen Straftaten im Rahmenbeschluss angepasst. Im neuen Absatz 3 stellt der Gesetzgeber die bloße Androhung einer der in § 129a Abs. 1 und 2 genannten Straftaten durch die terroristische Vereinigung unter Strafe. Außerdem sah sich der Gesetzgeber in Umsetzung von Artikel 5 des Rahmenbeschlusses gezwungen, die Strafrahmen teilweise anzuheben. Das Gesetzgebungsverfahren verlief kontrovers. Mit der Anrufung des Vermittlungsausschusses wollte der Bundesrat den Gesetzentwurf der Regierungsfraktion dahin ändern, dass die Symphatiewerbung für kriminelle und terroristische Vereinigungen wieder unter Strafe gestellt wird, Straftaten nach den §§ 2 2 3 bis 2 2 7 als Katalogtaten erfasst werden und der neue, eine bestimmte Zielrichtung und Schädigungseignung voraussetzende Absatz 2 auf Delikte beschränkt wird, die nicht schon per se von einem terroristischen Element geprägt sind (Körperverletzungsdelikte, §§ 303b, 305 und 317 Abs. I ) . 3 9 39

Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat, BTDrucks. 15/2001.

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Da der Vermittlungsausschuss keinen Einigungsvorschlag machte, 4 0 legte der Bundesrat Einspruch gem. Art. 7 7 Abs. 3 G G ein, 4 1 den der Bundestag durch Beschluss vom 19. Dezember 2 0 0 3 zurückwies. 4 2 Die Einfügung weiterer subjektiver und objektiver Tatbestandsmerkmale bei Vereinigungen nach Absatz 2 , deren Zweck auf die Begehung von Straftaten mit geringerem Unrechtsgehalt ausgerichtet ist, hat zu einer erheblichen Strafbarkeitseinschränkung geführt, was im Hinblick auf die Bedenken gegen die frühere Fassung bezüglich der Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip z.T. begrüßt wird. 4 3 Außerdem ist Absatz 2 nunmehr durch eine „Vielzahl kaum handhabbarer Tatbestandsmerkmale" geprägt 4 4 und zeichnet sich die Bestimmung durch eine schwer durchschaubare Verschachtelung von objektiven Zwecken, subjektiven Absichten und Ketten-Verweisungen aus. 4 5 Im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens durch Bestimmtheit strafrechtlicher Normen (Art. 103 Abs. 2 GG) bedürfen die wenig aussagekräftigen und konturenlosen Tatbestandsmerkmale des Absatzes 2 einer konkretisierenden Auslegung durch die Rechtsprechung. 4 6 Im Dezember 2 0 0 7 hat der Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Aufenthalts in terroristischen Ausbildungslagern vorgelegt, um früher und effektiver gegen terroristische Gefahren vorgehen zu können. 4 7 Danach soll § 129a um die Strafbarkeit von Aufenthalten in sogenannten „Terror-Camps" erweitert werden. Zugleich soll die seit 2 0 0 2 straffreie Symphatiewerbung wieder unter Strafe gestellt werden. Schließlich sieht der Gesetzentwurf vor, das Strafanwendungsrecht in § 5 um eine neue Nummer 5a zu ergänzen, die die Anwendbarkeit des StGB auf Fälle ausweitet, in denen der Täter entweder zur Zeit der Tat Deutscher ist oder sich im Inland befindet und in denen Tätigkeit und Zweck der terroristischen Vereinigung zumindest auch auf die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist. Um Vorbereitungshandlungen im Vorfeld von schweren terroristischen Gewalttaten über das bestehende gesetzliche Instrumentarium hinaus noch gezielter strafrechtlich erfassen zu können, hat das Bundesministerium der Justiz im April 2 0 0 8 einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren Gewalttaten vorgelegt. 4 8 Dieser sieht einen neuen § 8 9 a StGB im Staatsschutzstrafrecht vor, der die Vorbereitung einer schweren Gewalttat mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu 10 Jahren unter Strafe stellt. Die Pönalisierung wird auf die Vorbereitung von Straftaten beschränkt, die dem terroristischen Kernbereich zuzurechnen sind. Namentlich handelt es sich um die auch in dem Katalog des § 129a Abs. 1 enthaltenen Straftaten gegen das Leben in den Fällen der §§ 211, 2 1 2 und gegen die persönliche Freiheit in den Fällen der §§ 2 3 9 a , 2 3 9 b , wenn sie einen Staatschutzbezug aufweisen. Im Einzelnen definiert der

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BRDrucks. 855/03. BTDrucks. 15/2122. PIPr 15/84 vom 19.12.2003, 7415. Rudolphi/Stein SK Rdn. 8. Beschluss des Bundesrates zur Anruf des Vermittlungsausschusses, BTDrucks. 15/2001. Fischer Rdn. 6a, vgl. auch Weigend FS Nehm, S. 151, 163 ff; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1. Vgl. BGH NJW 2008 86 m. Anm. Lampe juris-StrafR S/2008 Anm 1; BGH NStZ 2008 146 m. Anm. Winkler juris-StrafR 7/2008

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Anm 2; Miebach/Schäfer MK Rdn. 18 (Grenzbereich des hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots noch Zulässigen erreicht); Rudolphi/Stein SK Rdn. 10; Weigend FS Nehm, S. 151, 164 f. BRDrucks. 827/07; vgl. auch ZRP 2006 71. Vgl. hierzu Uhl DRiZ 2008 140 und Montag DRiZ 2008 141; Wasser/Piaszek DRiZ 2008 315; Deckers/Heusel ZRP 2008 169; Walter KritJ 2008 443; Backes StV 2008 654; Kauder ZRP 2009 20.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Tatbestand als strafbare Vorbereitungshandlung: die Ausbildung und das Sich-AusbildenLassen z.B. in terroristischen Ausbildungslagern, die Herstellung, das Sich-Verschaffen, Überlassen und Verwahren von Waffen, bestimmten Stoffen (z.B. radioaktive Stoffe, Sprengstoffe) oder besonderen zur Ausführung der vorbereitenden Tat erforderlichen Vorrichtungen, das Sich-Verschaffen oder Verwahren von erforderlichen wesentlichen Gegenständen oder Grundstoffen, um diese Waffen, Stoffe oder Vorrichtungen herzustellen sowie das Sammeln, Entgegennehmen oder Zurverfügungstellen nicht unerheblicher Vermögenswerte zur Planung oder Durchführung eines Anschlags. Damit sollen Fälle erfasst werden, in denen Handlungen zur Vorbereitung von Straftaten mangels Bestehens oder Nachweisbarkeit einer terroristischen Vereinigung nicht als Beteiligung oder Unterstützung einer solchen gem. § 129a verfolgt werden können. § 89a Abs. 3 ermöglicht die Erfassung von Vorbereitungshandlungen im Ausland, wenn sie durch einen Deutschen oder einen Ausländer mit Lebensgrundlage im Inland begangen werden oder die vorbereitete schwere Gewalttat im Inland oder durch oder gegen einen Deutschen begangen werden soll. Um insbesondere die vielfach ohne konkreten Tatbezug erfolgende Verbreitung von Bombenbauanleitungen und sogenannten „Kochbüchern" zur Planung terroristischer Anschläge zu erfassen, sieht der Referentenentwurf die Einfügung des neuen Tatbestands des § 91 StGB vor. Dieser soll das Anpreisen oder Zugänglichmachen von Schriften erfassen, die nach ihrem Inhalt geeignet sind, als Anleitung zu bestimmten schweren Gewalttaten zu dienen und die nach den Umständen ihrer Verbreitung auch geeignet sind, bei anderen die Bereitschaft zu fördern oder zu wecken, solche Taten zu begehen.

Gesetzesmaterialien 1. Terrorismusbekämpfungsgesetz 1976 RegEntw. eines Gesetzes zur Änderung des StGB, der StPO, des GVG, der BRAO und des StVollzG, BTDrucks. 7/4005; Entw. eines Gesetzes zur Bekämpfung terroristischer krimineller Vereinigungen der Fraktion der CDU/CSU, BTDrucks. 7/3661; Entw. eines Gesetzes zur Änderung des StGB, der StPO etc. der Fraktionen der SPD und FDP, BTDrucks. 7/3729; Entw. eines Gesetzes zur Bekämpfung terroristischer krimineller Vereinigungen des Bundesrats, BTDrucks. 7/4004; Entw. eines Gesetzes zur Erleichterung der Strafverfolgung krimineller Vereinigungen des Bundesrats, BTDrucks. 7/3734; Bericht und Antrag des Rechtsausschusses des Bundestages, BTDrucks. 7/5401; Anrufung des Vermittlungsausschusses durch Bundesrat, BTDrucks. 7/5607 und 7/5663 sowie BRDrucks. 506/76; Prot. 7/2441 ff, 2463 ff, 2783; Prot, des Rechtsausschusses des Bundestages, 7/97, S. 9 ff, 7/98, S. 86 ff; BTVerh. 7/12434, 14745 u. 17990.

2. Terrorismusbekämpfungsgesetz 1986 ETerrBG der CDU/CSU u. FDP-Fraktionen, BTDrucks. 10/6286; Schriftl. Bericht des RAussch., BTDrucks. 10/6635; BTVerh. 10/243, S. 18822 u. 10/254, S. 19789; RAusschProt. 10/99,101 (Sachverständigenanhörung), 102, 103; Gesetzesbeschluss, BRDrucks. 591/86; Entschließungsantrag der SPD-Fraktion, BTDrucks. 10/6654; abgelehnter Entw. der SPD-Fraktion zur Streichung des Werbungsmerkmals, BTDrucks. 10/1883; ferner SPD-Antrag auf Rücknahme der Verschärfungen, BTDrucks. 11/17; Streichungsantrag der Fraktion der Grünen, BTDrucks. 10/2396 u. 11/7139.

3. Kronzeugengesetz 1989 Gesetz zur Änderung des StGB, der StPO, des VersG u. zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten: RegEntw., BTDrucks. 11/2834; Schriftl. Bericht, BTDrucks.

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11/4359; RAusschProt. 11/38 (Sachverständigenanhörung), 11/40-44; BT-Verh. 11/95 u. 11/138; Kronzeugenregelung-VerlängerungsG: Entw., BTDrucks. 12/3685; Ausschussbericht und Beschlussempfehlung, BTDrucks. 12/3973; Gesetzesbeschluss des BT, BRDrucks. 909/92; VerbrechensbekämpfungsG 1994 Art. 5: Entw., BTDrucks. 12/6853; Beschlussempfehlung, BTDrucks. 12/7584; BRVerh. 12/670 S. 2 9 8 ff

4. 34. Strafrechtsänderungsgesetz 2 0 0 2 Gesetzentwurf der BReg., BTDrucks. 14/7025; 1. Beratung in der 192. Sitzung des B T am 11.10.2001, StenProt. 18698; Beschlusssempfehlung und Bericht des BT-Rechtsausschusses, BTDrucks. 14/8893; 2 . und 3. Beratung in der 2 3 4 . Sitzung des B T am 2 6 . 4 . 2 0 0 2 , StenProt. 2 3 3 3 0 ; Gesetzesbeschl., BRDrucks. 379/02; Beratung im Bundesrat in der 7 7 6 . Sitzung am 31.5.2002, StenProt 2 9 9 ; Anrufung des Vermittlungsausschusses, BRDrucks. 379/02 (Beschluss); (unechter) Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses, BTDrucks. 528/02; Einspruch des Bundesrats, BRDrucks. 528/02; Zurückweisung des Einspruchs gem. Art. 77 Abs. 4 GG, BRDrucks. 528/02 (Beschluss).

5. Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates zur Terrorismusbekämpfung 2 0 0 3 Antrag der Fraktion der CDU/CSU, BTDrucks. 15/540, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2 0 0 2 zur Terrorismusbekämpfung und zur Änderung anderer Gesetze, BTDrucks. 15/813; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 15/1730; Anrufung des Vermittlungsaussschusses, BTDrucks. 15/2001; Einspruch des Bundesrates gem. Art. 77 Abs. 3 GG, BTDrucks. 15/2122; Zurückweisung des Einspruches, Plenarprotokoll 15/84 v. 19.12.2003, S. 7403, 7415, BTDrucks. 15/2267.

Übersicht Rdn. 1 1

A. Uberblick I. Rechtsgut Π. Deliktsnatur ΙΠ. EU-Recht und terroristische Vereinigungen IV. Kriminalpolitische Bedeutung B . Terroristische Vereinigung I. Vereinigungsbegriff 1. Voraussetzungen 2. Europarechtliche Vorgaben 3. Ausnahmeregelungen des § 129 Abs. 2 Π. Zweck der Straftatbegehung ΠΙ. Schwerstkriminelle Vereinigungen (§ 129a Abs. 1) IV. Vereinigungen mit besonderer Zwecksetzung (§ 129a Abs. 2) 1. Straftatenkatalog a) Absatz 2 Nr. 1 b) Absatz 2 Nr. 2 c) Absatz 2 Nr. 3 d) Absatz 2 Nr. 4 e) Absatz 2 Nr. 5 f) Sonstige Delikte 2. Besondere Zielsetzung der Taten . . . a) Zweck des Rahmenbeschlusses . . b) Auslegung aa) Erhebliche Einschüchterung der Bevölkerung

Rdn. bb) Nötigung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt cc) Beseitigung oder erhebliche Beeinträchtigung der politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen

2 6 11 18 19 19

20 27 30 39 C. 40 40 41 42 43 44 45 46 49 51 53

D. E. Ε G. H.

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I.

Organisation 3. Objektive Schädigungseignung . . V. Vereinigungen zum Zweck der Drohung (§ 129a Abs. 3) VI. Beispiele aus der Rechtsprechung . . Tathandlungen I. Allgemeines Π. Privilegierung des Werbungstatbestandes Rädelsführer und Hintermänner . . . . Subjektiver Tatbestand Täterschaft und Teilnahme Versuch und Vollendung Rechtsfolgen I. Strafrahmen Π. Strafmilderung III. Tätige Reue IV. Sonstige Rechtsfolgen Konkurrenzen

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62 68 71 76 76 77 81

82 83 85 91 91 95 96 97

100

393

§ 129a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung Rdn.

J. Prozessuales I. Allgemeines Π. Verjährung ΙΠ. Strafklageverbrauch IV. Zuständigkeiten

Rdn.

102 102 104 107 108

V. VI. VII. Vm.

Ermittlungsmaßnahmen Haftrecht Sonstige Regelungen Kronzeugenregelung

109 110 113 115

A. Überblick I. Rechtsgut 1

Geschütztes Rechtsgut ist wie bei § 129 die innere öffentliche Sicherheit und staatliche Ordnung (vgl. § 129 Rdn. 1 ff). 4 9 Die Vorschrift bezweckt den Schutz vor besonders gefährlichen Vereinigungen. Die von ihnen ausgehenden erhöhten Gefahren resultieren aus der ihnen innewohnenden Eigendynamik, 50 die geeignet ist, dem einzelnen Beteiligten die Begehung von Straftaten zu erleichtern und bei ihm das Gefühl persönlicher Verantwortung zurückzudrängen, 51 sowie bei Absatz 1 aus dem gerade auf die Begehung von abschließend aufgeführten schwerwiegenden Katalogtaten ausgerichteten Vereinigungszweck. Die in Absatz 2 genannten Katalogtaten sind aufgrund der dort vorausgesetzten Bestimmung und Schädigungseignung Ausdruck der kompletten Verneinung des Rechts und des Werteverständnisses der Gesellschaft und kennzeichnen deshalb die Vereinigung als besonders gefährlich für die innere Sicherheit. Bei Absatz 2 tritt die Funktionsfähigkeit des Staates oder einer internationalen Organisation als Schutzgut hinzu. Um dieser Bedrohung des Rechts wirksam zu begegnen, ist die mit § 129a einhergehende Vorverlagerung des Rechtsgüterschutzes über § 30 hinaus gerechtfertigt. 52 § 129a hat deshalb auch präventive Funktion. 5 3

Π. Deliktsnatur 2

Bei der Vorschrift handelt es sich um einen Qualifikationstatbestand zu § 129. 5 4 Daran hat sich durch die Umgestaltung durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2 0 0 2 zur Terrorismusbekämpfung und zur Änderung anderer Gesetze vom 22. Dezember 2 0 0 3 nichts geändert, auch wenn durch die Einfügung neuer Tatbestandsmerkmale und die zwischen den Tatbestandsalternativen Werben und Unterstützen differenzierende Strafrahmenbestimmung die Kluft zum Grunddelikt

49

Vgl. BTDrucks. 7 / 4 0 0 5 , S. 8 , 1 6 f; Prot. 7 / 2 4 5 7 ; Miebach/Schäfer M K Rdn. 1; Weißer J Z 2 0 0 8 3 8 8 ; differenzierend nach den aufgrund der Zweckabreden verschiedenen Arten der Vereinigung Rudolphi/Stein SK Rdn. 6. Nach anderer Auffassung geht es bei § 129a vorwiegend um den Schutz der individuellen und kollektiven Rechtsgüter der Katalogtaten: vgl. OLG München N J W 2 0 0 7 2 7 8 6 , 2 7 8 8 ; Hefendehl StV 2 0 0 5 156, 160; Nehrtng Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 132 f.

394

50 51

52

53 54

BGHSt 31 2 0 2 , 2 0 7 ; 41 47, 51. BGHSt 2 8 1 4 7 , 1 4 8 ; BGH N J W 1992 1518; Rudolphi/Stein SK Rdn. 3; Rudolphi FS Bruns, S. 315, 317; Weißer J Z 2 0 0 8 388, 3 9 4 . Mauracb/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 I Rdn. 3; Weißer J Z 2 0 0 8 3 8 8 , 3 9 0 . Griesbaum FS Nehm, S. 125, 129. Bericht, BTDrucks. 1 0 / 6 6 3 5 , S. 4 ; Prot. 7 / 2 4 4 3 , 2 4 5 6 ; BGHSt 3 0 3 2 8 ; Miebach/Schäfer M K Rdn. 2 ; Fischer Rdn. 2 (bzgl. § 129a Abs. 3 allerdings verneint: selbstständiger Tatbestand); Kindhäuser LPK Rdn. 1.

Matthias K r a u ß

Bildung terroristischer Vereinigungen

§ 129a

größer geworden ist. Wie § 129 enthält § 129a ein Organisationsdelikt und ein abstraktes Gefährdungsdelikt (vgl. § 129 Rdn. 4 ff). Obwohl nach der Gesetzesüberschrift die Bildung einer terroristischen Vereinigung 3 unter Strafe gestellt ist, findet sich im StGB keine Legaldefinition des Terrorismus.55 Die in der Überschrift zu § 129a angeführte Bezeichnung „terroristische Vereinigung" ist insoweit irreführend, als der Begriff „terroristisch" nicht zur spezifischen Kennzeichnung einer eigenständigen Erscheinungsform sozialschädlichen Verhaltens verwendet wird. Die Vorschrift des § 129a setzt grundsätzlich nicht voraus, dass die strafrechtlich relevanten Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung einen politisch-ideologischen Beweg- oder Hintergrund haben. 56 Erfasst wird z.B. auch eine Vereinigung, die ihre Tätigkeit ausschließlich aus gewinnsüchtigen Gründen auf erpresserischen Menschenraub (§ 239a Abs. 1) gerichtet hat. Die Überschrift „Bildung terroristischer Vereinigungen" weist lediglich darauf hin, dass der Gesetzgeber bei der Einfügung des Tatbestands in das Strafgesetzbuch die in den Straftatenkatalog aufgenommenen Delikte als an sich charakteristische Erscheinungsformen terroristischer Aktivitäten gewertet hat. 5 7 Spätestens mit der Erweiterung des Straftatenkatalogs in Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses sind die Katalogtaten aber zu breit gestreut, um eine Eingrenzung auf höchst gefährliche und bedrohliche Angriffe auf die öffentliche Sicherheit zu leisten. Diese Funktion übernehmen nunmehr entsprechend der europarechtlichen Systematik die in Absatz 2 eingefügte besondere terroristische Zielsetzung und die Schädigungseignung. Zum Staatsschutzdelikt wird § 129a über § 120 Abs. 1 GVG, der sich an Art. 96 Abs. 5 GG messen lassen muss. 58 Im Anschluss an einen Beitrag von Jakobs 5 9 wurde eine Debatte angestoßen, ob die 4 strafrechtliche Verfolgung u.a. terroristischer Verbrechen ein Feindstrafrecht als Legitimationsfigur erforderlich macht. 60 Jakobs unterscheidet unter Verweisung auf Rousseau, Fichte, Hobbes und Kant 6 1 ein von ihm so bezeichnetes Feindstrafrecht vom „Normalfall" des in befriedeten Gesellschaften geltenden Bürgerstrafrechts. Während es im Bürgerstrafrecht mit seinen rechtsstaatlichen Eigenschaften um Bürger gehe, die die Rechtsordnung des Staates grundsätzlich anerkennen und die Sanktion dazu diene, die Normgeltung zu erhalten bzw. wiederherzustellen, trete im Feindstrafrecht anstelle des Bürgers der gefährliche Feind, der sich dauernd vom Recht angewandt habe, die kognitiven Mindeststandards personellen Verhaltens nicht garantiere und gegen den deshalb sichernd vorgegangen werden müsse. Jakobs verweist auf die Terroristen des 11. September 2001, die die Legitimität der Rechtsordnung prinzipiell geleugnet hätten und diese

55

56

57

58 59

60

Zu Definitionsversuchen vgl. Schräder Kriminalistik 2 0 0 2 5 7 0 ; Hetzer StraFo 2 0 0 7 397, 401; Zöller J Z 2 0 0 7 764; Nehrmg Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 7 ff. Miebach/Schäfer MK Rdn. 2; Fischer Rdn. 2; Griesbaum FS Nehm, S. 125, 129. Vgl. Prot. 7/2443, 2 4 5 8 f; RAusschProt. 7/97, S. 16, 21. Franke LR § 120 GVG Rdn. 3. Jakobs in: Eser, Hassemer und Burkhardt (Hrsg.), Tagungsdokumentation „Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende" S. 4 7 ; ders. HRRS 2 0 0 4 88; ders. ZStW 117 (2005) 839 ff. Vgl. Ambos SchwZStR 124 (2006) 1 ff;

61

Demetrio Crespo ZIS 9 (2006) 413 ff; Depenheuer Selbstbehauptung des Rechtsstaates (2007) S. 55 ff; Di Fabio N J W 2 0 0 8 4 2 1 ; Düx ZRP 2 0 0 3 1 8 9 , 1 9 4 f; Greco GA 2 0 0 6 96 ff; Hefendehl StV 2 0 0 5 156 ff; Hetzer StraFo 2 0 0 8 93 ff; Hörnle GA 2 0 0 6 80 ff; Jahn Das Strafrecht des Staatsnotstandes (2004) S. 2 3 4 f; Meliä ZStW 117 ( 2 0 0 5 ) S. 267, 2 8 0 ff; ders. FS Jakobs ( 2 0 0 7 ) S. 2 7 ff; Sauer N J W 2 0 0 5 1703 ff; Schulz ZStW 112 (2000) S. 653 ff; Schünemann FS Nehm, S. 219 ff; ders. GA 2 0 0 1 2 0 5 ff; Sinn ZIS 3 (2006) 107 ff. Krit. hierzu Schünemann FS Nehm, S. 219, 221 ff.

Matthias Krauß

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§ 129a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

zerstören wollten. Kennzeichnend im Feindstrafrecht sei deshalb die weite Vorverlagerung der Strafbarkeit. Feinde würden wegen ihrer Gefährlichkeit schon im Vorfeld bekämpft, während im Umgang mit Bürgern gewartet werden könne, bis die Tat als Vorgang störend gewirkt habe. 5

Die von Jakobs propagierte Unterscheidung zwischen einem Feind- und Bürgerstrafrecht ist abzulehnen. Zunächst erscheint eine saubere Trennung von Verbrechern, die nicht als prinzipielle Gegner der Rechtsordnung gelten, von solchen, die sich entschieden und dauerhaft vom Recht abgewandt haben, fragwürdig und in der Praxis nicht möglich. 6 2 Außerdem ist es nicht tragbar, mit der Einführung eines Feindstrafrechts eine Kategorie zu eröffnen, die mit der Einschränkung elementarer subjektiver Rechte und der Erosion rechtsstaatlicher Grundsätze einhergehen kann. Ein solches Feindstrafrecht findet im Grundgesetz keine Stütze. Hier sind alle vor dem Gesetz gleich, der Rechtsstaat fahndet nach jedem Verbrecher in grundsätzlich gleicher Weise. 63 Dies schließt nicht aus, bei besonders gefährlichen Tätern besondere Reaktionen des Rechtsstaates zu erlauben; dies stellt die davon Betroffenen aber nicht prinzipiell als Feinde außerhalb des Rechts. Außerdem ist bereits das geltende Straf- und Strafverfahrensrecht im Rahmen eines Bürgerstrafrechts geeignet und in der Lage, die „Feinde" strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen und dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit Rechnung zu tragen.

ΙΠ. EU-Recht und terroristische Vereinigungen 6

Die innerdeutsche Diskussion, den Beitrag des Strafrechts bei der Bekämpfung des Terrorismus zu bestimmen, wird zunehmend von entsprechenden internationalen Bemühungen im Bereich des Terrorismus überlagert. 64 Dabei kommt insbesondere der Anti-Terrorpolitik der EU eine wichtige Rolle zu, die zu zahlreichen rechtlichen Initiativen geführt hat. 6 5 Zur Verbesserung der grenzüberschreitenden justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen beschloss der Rat am 29. Juni 1998 die Gemeinsame Maßnahme 98/428/JI zur Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes (EJN). 6 6 Am 21. Dezember 1998 verabschiedete der Rat die Gemeinsame Maßnahme betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die der Verbesserung der Zusammenarbeit auch im Bereich des Terrorismus dienen sollte (siehe hierzu § 129 Rdn. 11 ff). 6 7 Darauf hat der deutsche Gesetzgeber mit der Einfügung des § 129b reagiert. Mit Beschluss des Rates vom 28. Februar 2 0 0 2 wurde Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität gewissermaßen als Pendant zu Europol als mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattetes Koordinierungsbüro in Strafsachen errichtet. 68

62

63

64

65

Vgl. Schünemann FS Nehm, S. 2 2 5 ; Hörnle GA 2 0 0 6 80, 89 f; Sinn ZIS 2 0 0 6 107,114. Di Fabio NJW 2 0 0 8 421, 4 2 2 ; Demetrio Crespo ZIS 2 0 0 6 413, 4 2 6 ; Greco GA 2 0 0 6 96,106. Zu internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vgl. v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 5 ff vor § 129a; Pieper Völkerrechtliche Aspekte der internationalen Terrorismusbekämpfung, S. 4 4 . Vgl. v. Bubnoff NJW 2 0 0 2 2 6 7 2 ff; Bendiek Die Terrorismusbekämpfung der EU; Monar

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66

67 68

in: Weidenfeld (Hrsg.), Herausforderung Terrorismus, S. 136; Ahlbrecht J R 2 0 0 5 4 0 0 . ABl. EG L 191 vom 7.7.1988, S. 4; vgl. v. Langsdorf StV 2 0 0 3 427. ABl. EG L 351/1 vom 29.12.1998. Beschluss des Rates (2002/187/JI) vom 2 8 . 2 . 2 0 0 3 , ABl. EG L 63 vom 6.3.2002; Umsetzung in deutsches Recht durch Eurojust-Gesetz vom 12.5.2004, BGBl. I S. 902; vgl. hierzu Esser/Herbold N J W 2 0 0 4 2421; Esser GA 2 0 0 4 711.

Matthias Krauß

Bildung terroristischer Vereinigungen

§ 129a

Nach den Anschlägen vom 11. September 2 0 0 1 verabschiedete der Rat am 21. September 2 0 0 1 einen 6 4 Punkte umfassenden ressortübergreifenden „Aktionsplan zur Terrorismusbekämpfung", 6 9 der darauf ausgerichtet war, den Ausbau polizeilicher und justizieller Zusammenarbeit sowie die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung und die Verbesserung der Luftsicherheit im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik voranzutreiben. Auf dem Gipfel von Laeken im Dezember 2 0 0 1 konnte der Europäische Rat eine politische Einigung über die Schaffung des Europäischen Haftbefehls, über die Einführung gemeinsamer Ermittlungsgruppen und über eine für alle Mitgliedstaaten geltende Terrorismusdefinition erzielen. Letztere fand im Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung des Terrorismus vom 13. Juni 2 0 0 2 ihren Niederschlag (siehe oben Entstehungsgeschichte). 70 Am selben Tag erließ der Rat auch die Rahmenbeschlüsse über gemeinsame Ermittlungsgruppen 71 und über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten. 7 2

7

Auf der Grundlage der Resolution 1373 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 28. September 2 0 0 1 , 7 3 die die Mitgliedstaaten der U N O aufforderte, die Terrorismusfinanzierung u.a. durch das Einfrieren von Geldern von Personen und Organisationen zu bekämpfen, die terroristische Handlungen begehen, ergingen der Gemeinsame Standpunkt 2001/931/GASP 7 4 und die Verordnung Nr. 2 5 8 0 / 2 0 0 1 des Rates, beide vom 27. Dezember 2 0 0 1 . 7 5 Letztere ordnete das Einfrieren der Gelder von Personen und Organisationen an, die in einer durch Beschlüsse der Rates aufgestellten und regelmäßig

8

69

70

71

Schlussfolgerungen des Vorsitzes der Sondertagung des Europäischen Rates von Brüssel am 21.9.2001, Rats-Dokument Nr. SN 140/01. ABl. EG L 164 vom 22.6.2002, S. 3-7; zum Stand der Umsetzung des Rahmenbeschlusses in den Mitgliedstaaten vgl. Bericht der Kommission vom 8.6.2004 (KOM [2004] 409) und zweiten Bericht KOM [2007] 681; vgl. auch die Definition des Terrorismus im UNÜbereinkommen gegen die Finanzierung terroristischer Aktivitäten vom 9.12.1999, in Kraft getreten am 10.4.2002, dem Deutschland mit Wirkung vom 19.12.2003 beigetreten ist (BGBl. 2003 II S. 1923), vgl. hierzu Weigend FS Nehm, S. 151 ff. ABl. EG L 162 vom 20.6.2002; vgl. Artikel 3 des Übereinkommens vom 29. Mai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über gemeinsame Ermittlungsgruppen und Empfehlung des Rates vom 8. Mai 2003 zu einem Modell für eine Vereinbarung über die Bildung einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe (GEG) sowie die gemeinsame Erklärung vom 12. Oktober 2006 zur Stärkung der justiziellen Zusammenarbeit zwischen

72 73

74

75

der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Frankreich. ABl. EG L 190 vom 18.7.2002. S/RES/1368 u. 1377 (2001) vom 12.11.2001; vgl. auch Resolutionen Nr. 1267 (1999), Nr. 1333 (2000), Nr. 1390 (2000) und Sicherheits-Resolution 1566 vom 8.10.2004; zu den rechtlichen Auswirkungen der Terrorlisten im deutschen Recht, insbesondere im Strafrecht vgl. Meyer/Macke HRRS 2007 445. Gemeinsamer Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27.12.2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABl. EG L 344, S. 93); aktualisiert durch Gemeinsamer Standpunkt 2005/936/GASP des Rates vom 29.5.2006 (Dokumentennummer 2006/231 GASP). Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 des Rates vom 27.12.2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABl. EG L 344 vom 28.12.2001, S. 70); zuletzt geändert durch Beschluss des Rates 2007/445 vom 28. Juni 2007 (ABl. L 169, 58); zu den Verfahrensanforderungen vgl. BTDrucks. 16/6236 und 16/6879.

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§ 129a

9

10

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

aktualisierten Liste genannt sind. 7 6 Eine weitere Verpflichtung zum Einfrieren von Vermögenswerten anderer Organisationen und Personen enthält auf der Grundlage der VNSicherheitsresolution Nr. 1 2 6 7 (1999) und des Gemeinsamen Standpunktes 2 0 0 2 / 4 0 2 / GASP des Rates vom 27. M a i 2 0 0 0 die Verordnung des Rates Nr. 8 8 1 / 2 0 0 2 vom 27. Mai 2 0 0 2 , 7 7 letztmalig geändert durch die 95. Veränderungsverordnung vom 5. M a i 2 0 0 8 . 7 8 Zu erwähnen sind weiterhin das Anfang November 2 0 0 4 beschlossene Haager Programm, 7 9 das in Bezug auf den Austausch von Informationen zu Strafverfolgungszwecken und eben auch zur Terrorabwehr festlegt, dass ab Januar 2 0 0 8 der Austausch von Informationen gemäß dem Grundsatz der Verfügbarkeit zu erfolgen h a t . 8 0 Die im Dezember 2 0 0 5 verabschiedete EU-Strategie zur Terrorismusbekämpfung wurde in einem Aktionsplan im Februar 2 0 0 6 festgelegt und strukturiert die mehr als 160 Einzelmaßnahmen entlang der vier Arbeitsfelder Prävention, Schutz, Verfolgung und Reaktion. 8 1 Da die EG-Kommission bei der Bekämpfung des Terrorismus in Europa noch erhebliche Defizite sieht und weitere Maßnahmen für unbedingt erforderlich hält, hat sie 2 0 0 7 ein Maßnahmepaket vorgeschlagen, das u.a. den bisherigen Rahmenbeschluss der Kommission zur Terrorismusbekämpfung aus dem Jahr 2 0 0 2 ergänzen soll. 8 2 Danach sollen die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, zukünftig auch die Anwerbung und Ausbildung für terroristische Zwecke und das öffentliche Auffordern zur Begehung terroristischer Straftaten unter Strafe zu stellen.

76

77

Zum gerichtlichen Individualrechtsschutz gegen Nennung auf Terrorlisten und Einfrieren von Geldern vgl. Schlussanträge des EuGH-Generalanwalts vom 16.01.2008 in der Rs. C-402/05 P; EuGRZ 2008 130 ff. und NJW-Spezial 2008 90; Schwalenbach J Z 2009 35; Meyer/Macke HRRS 2007 445; Schmahl EuR 2006 566; vgl. auch EuGH Urteil v. 18.01.2007 (Nichtigkeitsklage der PKK) EuGRZ 2007 30. Verordnung Nr. 881/2002 (EG) des Rates vom 27.5.2002 über die Anwendung bestimmter restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, und zur Aufgebung der Verordnung Nr. 467/2001 (ABl. EG L 139, 9); bekannt gemacht im Bundesanzeiger Nr. 179 vom 24.9.2002, S. 22473 und im Hinblick auf die

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82

Neufassung des AWG im Bundesanzeiger 69b v. 7.4.2006, S. 94; vgl. hierzu Schlarmann/Spiegel NJW 2007 870. EG Nr. 400/2008 (ABl. EG L 118 v. 6.5.2008, S. 14); vgl. hierzu auch BTDrucks. 16/6236 und 16/6879. Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der EU vom 5.11. 2004, Dokumentennummer 16054/04. Vgl. auch Vorschlag der EU-Kommission für einen Rahmenbeschluss des Rates über den Austausch von Informationen vom 12.10. 2005. EU-Aktionsplan zur Terrorismusbekämpfung, http://register.consilium.eu.int/pdf/en/ 06/st05/st05771-re01.en06.pdf Dokumentennummer: 5771//06. KOM [2007] 650; vgl. auch BRDrucks. 825/07; BTDrucks. 16/7769; NJW-Spezial 2007 618.

Matthias Krauß

Bildung terroristischer Vereinigungen

§ 129a

IV. K r i m i n a l p o l i t i s c h e B e d e u t u n g Die Strafverfolgungsstatistik weist für § 129a folgende Anwendungszahlen a u s : 8 3

Abgeurteilte Verurteilte

1997

1998

25

9

8

9

1999

11

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

3

7

10

1

5

2

7

13

3

7

10

1

5

2

7

13

In der elektronischen Datensammlung des Generalbundesanwalts sind folgende Z a h len erfasst: 8 4 Eingeleitete Verfahren nach §§ 129, 129a, 129b

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

Anklagen nach §§ 129, 129a, 129b

Urteile nach §§ 129, 129a, 129b Gesamt (Anzahl der verurteilten/freigesprochenen Personen)

Links 85 Gesamt (129a/129/ 129b)

Rechts 86 Links Gesamt (129a) Gesamt (129)

Rechts

Links

Rechts

73 93 89 78 71 53 79 62

2(0) 2(1) KD 4(4) 1(1) KD 3(2) 3(3)

2 1 0 1 0 0 0 0

12 8 6 6 6 5 15 8

2 1 0 3 0 2 0 0

(51/21) (79/14) (74/5) (47/5) (18/15) (8/1) (18/3/58) (15/6/41)

12 (4) 8(4) 7(4) 8(2) 2(1) 7 (3/1/3) 87 9 (3/4/1) 88 9 (0/3/6) 89

12

(14/1) (8/1) (6/0) (6/1) (6/0) (5/0) (15/0) (10/0)

(6/0) (5/0) (11/0) (8/0)

unter anderem

13

Gemessen an den Zahlen der Verurteilungen ist die Bedeutung der Vorschrift gering. Deswegen v o n einem nur „symbolischen" Charakter der N o r m zu sprechen, 9 0 greift

14

In der polizeilichen Kriminalstatistik werden Staatsschutzdelikte, § 129a, nicht gesondert erfasst.

83

84

Tabelle 2.1 der vom Statistischen Bundesamt in der Fachserie 10 (Rechtspflege) als Reihe 3 herausgegebenen Strafverfolgungsstatistik. Diese bezieht sich allerdings nur auf das alte Bundesgebiet einschließlich Berlin. Antwort der Bundesregierung auf Kleine Anfrage BTDrucks. 14/5687 (Verfahren 1996 bis 2000); BTDrucks. 16/49 (Verfahren 2001 bis 2004); BTDrucks. 16/4007 (Verfahren 2005); BTDrucks. 16/5537 (Verfahren 2006), BTDrucks. 16/10045 (Verfahren 2007); zu statistischem Material vor 1994 vgl. v. Bubnoff LK U vor § 129a Rdn. 16.

85

86 87 88 89 90

Einschließlich Verfahren mit islamistischem Hintergrund. Vgl. auch BT-Drucks 16/4675, S. 71. Anklagen nach § 129/§ 129a/§ 129b. Anklagen nach § 129/§ 129a/$ 129b. Anklagen nach § 129/§ 129a/§ 129b. Vgl. v. Bubnoff LK 11 vor § 129 Rdn. 15; Achenbach Kriminalistik 1987 299; Dencker KritJ 1987 36, 50; v. Plottnitz ZRP 2002 351, 352; zu symbolischen Straftatbeständen vgl. Hassemer NStZ 1989 553 f; Jung JuS 1987 250; Schmehl ZRP 1991 251 ff.

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§ 129a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

allerdings zu kurz. Dagegen sprechen nicht nur die Anzahl der zu § 129a ergangenen höchstrichterlichen Entscheidungen und die eingehende Behandlung der Norm im Schrifttum, sondern auch das weit überdurchschnittliche Interesse der Öffentlichkeit an entsprechenden Ermittlungs- und Strafverfahren. 9 1 Die in Madrid (11. März 2 0 0 3 ) und London (und 21. Juli 2 0 0 4 ) verübten Anschläge islamistischer Täter, aber auch die vereitelten Anschläge auf mehrere Passagierflugzeuge mittels selbstgefertigten Sprengsätzen und sprengfähiger Lösungen in handelsüblichen Trinkflaschen in London (9. August 2 0 0 6 ) , die in zwei Regionalzügen in Dortmund und Koblenz entdeckten Kofferbomben (31. Juli 2 0 0 6 ) und der verhinderte Zusammenbau von Sprengvorrichtungen aus Wasserstoffperoxyd in einem Ferienhaus im Sauerland (4. September 2 0 0 7 ) haben gezeigt, dass Europa und auch Deutschland Teil eines weltweiten Gefahrenraumes und mögliches Ziel von Anschlägen mit terroristischem Hintergrund sind. Dies unterstreicht die fortbestehende und praktische Relevanz und Notwendigkeit einer strafrechtlichen Sanktionierung der Gründung oder Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung sowie der Unterstützung einer solchen Vereinigung und der Werbung um Mitglieder oder Unterstützer. Der Schwerpunkt der Ermittlungsverfahren nach § 129a liegt seit den Anschlägen des 11. September 2 0 0 1 auf dem Gebiet des islamistischen Terrorismus. Von den in den Jahren 2 0 0 0 bis März 2 0 0 7 eingeleiteten Ermittlungsverfahren hatten 2 4 0 einen islamistischen Hintergrund. 9 2 Aufgrund der internationalen Verflechtung des islamistischen Terrorismus und seines globalen Handlungsraums kommt der Verfolgung von Mitgliedern und Unterstützern ausländischer terroristischer Vereinigungen seit Einführung des § 129b im Jahr 2 0 0 2 eine zunehmende Bedeutung zu (vgl. § 129b Rdn. 4 ff). 15

Der Gesetzgeber hat den Strafverfolgungsbehörden bei Ermittlungsverfahren nach § 129a eine ganze Reihe von Ermittlungsmaßnahmen eröffnet. 9 3 Dazu zählen z.B. die Überwachung der Telekommunikation, das Abhören des nichtöffentlich gesprochenen Wortes innerhalb und außerhalb von Wohnungen, der Einsatz verdeckter Ermittler, die Einrichtung von Kontrollstellen oder die Schleppnetzfahndung (im Einzelnen siehe unten Rdn. 1 0 9 ) . 9 4 Die Reduzierung des § 129a auf die Funktion eines Schlüssels zu besonderen Eingriffsbefugnissen 9 5 ist allerdings nicht sachgerecht. Das Grundgesetz misst einer wirksamen Strafrechtspflege eine besondere Bedeutung mit Verfassungsrang bei. Das Bundesverfassungsgericht hat daher in ständiger Rechtsprechung das Interesse der Allgemeinheit und eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens an der Gewährleistung einer wirksamen Strafrechtspflege hervorgehoben. 9 6 Der Rechtsstaat kann jedoch nur verwirklicht werden, wenn sichergestellt ist, dass schwerwiegende Straftaten aufgeklärt, Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden. Wegen der dieser Kriminalitätsform in hohem M a ß e eigenen Abschottung und Kon-

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So auch Miebach/Schäfer MK § 129 Rdn. 6. Antwort des Parlamentarischen Staatssekretär Alfred Hattenbach vom 21. März 2007 auf eine Anfrage, BTDrucks. 16/4803, S. 12. Krit. hierzu Pollähne KritJ 2005 292, 301 ff; Radtke ZStW 117 (2005) 475, 480; v. Göttnitz ZRP 2002 351, 352 f. Zur Entwicklung dieser „strafprozeßrechtlichen Komponente" der Terrorismusbekämpfung vgl. v. BubnoffLKu Vorbem. § 129a Rdn. 11; Ebert JR 1978 138; Erhard

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ZRP 1980 28; Krekeler AnwBl. 1979 212 ff; Kühl NJW 1987 737; Vogel NJW 1978 1217, 1219 ff; v. Winterfeld NJW 1987 2631, 2633. Vgl. V. Buhnoff LKn Rdn. 5: „materiellprozessuale Mischnorm"; Achenbach Kriminalistik 1987 297; Felske Kriminelle und terroristische Vereinigungen, S. 449: „strafprozessuale Exklave". Vgl. BVerfGE 33 367, 383; 38 105,115 ff; 38 312, 321; 39 156, 163; 41 246, 250; 44 353, 374; 46 214, 222; 77 65, 76; 80 367, 375; 100 313, 386; 107 299, 316.

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spiration ist der Einsatz auch eingriffsintensiver strafprozessualer Maßnahmen unabdingbar. 9 7 Dies gilt umso mehr, als es erklärtes Ziel der Organisationsstraftat des § 129a und der darin anknüpfenden Ermittlungsbefugnisse ist, ein möglichst frühzeitiges Eingreifen in terroristische Strukturen zu ermöglichen, um die Verübung der bezweckten Katalogtaten bereits im Vorfeld zu vereiteln und dadurch der Bedrohung sowohl der freiheitlichen Ordnung als auch der persönlichen Freiheit der Bürger durch den Terrorismus entgegenzuwirken. Darüber hinaus knüpfen Vorschriften im Haft- und Vollzugsrecht sowie im GerichtsVerfassungsgesetz an § 129a besondere Regelungen an (vgl. unten Rdn. 110 f).

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Im Bereich des materiellen Strafrechts löst § 129a eine strafbewehrte Anzeigepflicht nach § 138 Abs. 2 StGB aus. 9 8 Die Anzeigepflicht gilt für alle Handlungsformen des § 129a. Da zahlreiche von einer terroristischen Vereinigung konkret geplante Taten bereits über § 138 Abs. 1 der Anzeigepflicht unterliegen, gewinnt die Verweisung in § 138 Abs. 2 praktische Bedeutung vor allem in den Fällen, in denen die Tatbestandshandlung nach § 129a nicht auf die unmittelbare Förderung einer bestimmten Katalogtat gerichtet ist (z.B beim Werben um Mitglieder oder Unterstützer oder beim Unterstützen).

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B . Terroristische Vereinigung Seit der Neufassung des § 129a durch das Gesetz zur Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung vom 2 2 . Dezember 2 0 0 3 (BGBl. I S. 2 8 3 6 ) ist zwischen drei verschiedenen Arten von terroristischen Vereinigungen zu differenzieren. Während es in Absatz 1 um Vereinigungen geht, die die Begehung besonders schwerer Katalogtaten zum Ziel haben, nennt Absatz 2 Katalogtaten mit geringerem Unrechtsgehalt, verlangt aber in strafbarkeitseinschränkender Weise eine in Halbsatz 2 aufgeführte besondere Bestimmung, die mit der Begehung der Katalogtat verfolgt wird, und eine in Halbsatz 3 aufgeführte besondere Schädigungseignung der Katalogtat. Absatz 3 erfasst Vereinigungen, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Androhung der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Taten gerichtet sind.

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I. Vereinigungsbegriff 1. Voraussetzungen. Der Begriff der Vereinigung entspricht nach ständiger Rechtsprechung dem des § 129. Wegen der erforderlichen organisatorischen, voluntativen, personellen und zeitlichen Voraussetzungen wird auf die dortigen Erläuterungen Bezug genommen (S 129 Rdn. 18 ff).

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2 . Europarechtliche Vorgaben. In der Literatur und in der Rechtsprechung wird diskutiert, ob der bisherige Vereinigungsbegriff europarechtlichen Vorgaben anzupassen und deshalb weiter zu fassen ist. Um die Bekämpfung des Terrorismus im strafrechtlichen Bereich in der Europäischen Union zu harmonisieren, hat der R a t der Europäischen Union den Begriff der terroristischen Vereinigung im oben genannten Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2 0 0 2 definiert. Danach bezeichnet der Begriff „terroristische

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Vgl. auch Weißer J Z 2 0 0 8 388, 3 9 4 . Krit. hierzu Helm StV 2 0 0 6 719, 720; vgl. auch Weißer J Z 2 0 0 8 388, 391.

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Vereinigung" einen auf längere Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die zusammenwirken, um terroristische Straftaten zu begehen. Der Begriff „organisierter Zusammenschluss" wird als Zusammenschluss definiert, der nicht nur zufällig zur unmittelbaren Begehung einer strafbaren Handlung gebildet wird und der nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder, eine kontinuierliche Zusammensetzung oder eine ausgeprägte Struktur hat (Art. 2 Abs. 1). 21

Danach besteht bezüglich der organisatorischen und voluntativen Voraussetzungen eine inhaltliche Divergenz zum deutschen Vereinigungsbegriff, der insoweit höhere Anforderungen stellt. Von der nach deutschem Verständnis erforderlichen Bildung eines Gesamtwillens und der Unterwerfung der Mitglieder unter diesen Gesamtwillen (vgl. § 129 Rdn. 27 ff) ist in der europäischen Definition keine Rede. Im Hinblick auf die organisatorischen Voraussetzungen (vgl. § 129 Rdn. 19 ff) verzichtet die europäische Vorgabe auf eine feste Rollenverteilung der Mitglieder, eine kontinuierliche Zusammensetzung und eine ausgeprägte Struktur.

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Der deutsche Gesetzgeber ist auf diese unterschiedlichen Anforderungen weder bei der Umsetzung der Gemeinsamen Maßnahme des Rates der Europäischen Union vom 21. Dezember 1998 betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung noch bei der Änderung des § 129a in Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2 0 0 2 zur Terrorismusbekämpfung eingegangen. Die Begründung zum Entwurf des Gesetzes vom 2 2 . Dezember 2 0 0 3 weist vielmehr auf die vom Rahmenbeschluss unter anderem vorgegebene Definition des Vereinigungsbegriffs ausdrücklich hin, um sodann bei der Erörterung des Änderungsbedarfs nur noch festzustellen, dass das geltende Recht „bereits in vielem den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses" entspreche, indem es mit den §§ 129, 129a und 129b „weitgehende Strafvorschriften zur Sanktionierung von Straftaten im Zusammenhang mit terroristischen Vereinigungen zur Verfügung stelle." Dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses davon ausging, der deutsche Vereinigungsbegriff könne die europarechtlichen Vorgaben bereits bei entsprechender Auslegung durch die Gerichte erfüllen. 100 Rahmenbeschlüsse des Rates sind zwar in den Mitgliedstaaten nicht unmittelbar wirksam; der Europäische Gerichtshof sieht jedoch die Mitgliedstaaten und ihre Staatsorgane, Gerichte eingeschlossen, verpflichtet, das nationale Recht europarechtskonform auszulegen, d.h. der Variante den Vorzug einzuräumen, welche mit Wortlaut, Sinn und Zweck des europäischen Rechtsakts am besten vereinbar ist. Dies gilt auch für Rahmenbeschlüsse. 101 Die höchstrichterliche Rechtsprechung in Deutschland hat die gemeinschaftskonforme Auslegung in den Kanon der Auslegungsmethoden aufgenommen. 102

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In der Literatur 1 0 3 und in der Rechtsprechung 104 wird deshalb z.T. die Auffassung vertreten, dass eine vorsichtige Anpassung des deutschen Vereinigungsbegriffs an die Definition des Rahmenbeschlusses geboten erscheint. Hinsichtlich der organisatorischen Voraussetzungen soll danach der Zusammenschluss lediglich ein Mindestmaß länger-

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BTDrucks. 15/813, S. 5. So auch OLG Düsseldorf III-VI 10/05 v. 5.12.2007. EuGH (Maria Pupino) N J W 2 0 0 5 2 8 3 9 ; Gärditz/Gusy GA 2 0 0 6 2 2 5 ; Tinkl StV 2 0 0 6 36 ff; v. Heintschel-Heinegg FS Schroeder, S. 799, 803; vgl. auch Di Fabio NJW 1990 947, 953; Dannecker FS 50 Jahre BGH Bd. IV, S. 339, 3 6 4 ff; Eisele J Z 2001 1157.

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BGHSt 37 333, 336 f; vgl. auch BGHZ 138 55; Dannecker FS 50 Jahre BGH Bd. IV, S. 339, 366. Kress JA 2 0 0 5 220, 2 2 3 ; v. Heintschel-Heinegg FS Schroeder, S. 799, 8 0 3 ; vgl. auch Weißer J Z 2 0 0 8 388, 389 Fn. 29. OLG Düsseldorf III-VI 10/05 v. 5.12.2007.

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fristiger instrumenteller Vorausplanung und Koordinierung aufweisen müssen. 1 0 5 Das anspruchsvolle Gesamtwillenerfordernis soll auf die Notwendigkeit einer „irgendwie regelhaften Willensbildung" zurückgeführt werden. 1 0 6 Ausreichend und dem Bestimmtheitsgebot Rechnung tragend wäre danach der Nachweis eines durch die Art der Organisation gewährleisteten Gesamtwillens, dem sich die einzelnen Mitglieder als für sie maßgeblich unterordnen. Unerheblich wäre es dagegen, wenn die Willensbildungs- und Führungsstruktur nicht durch Vereinbarung sämtlicher Vereinigungsmitglieder im Sinne eines gemeinsamen Unterwerfungsbeschlusses zustande gekommen 1 0 7 oder die Willensbildungs- und Führungsstruktur nicht geeignet wäre, das Gefühl einer Gruppenidentität aufzubauen. 108 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Frage bislang nicht entschieden. In einem obiter dictum hatte er am 10. Januar 2 0 0 6 zunächst Zweifel geäußert, ob an der herkömmlichen deutschen Definition des Vereinigungsbegriffs bei der terroristischen Vereinigung festgehalten werden könne oder ob nicht die Anforderungen an Struktur und Willensbildung solcher Zusammenschlüsse überprüft und herabgesetzt werden müssten. 1 0 9 Gleichzeitig hatte er angedeutet, er neige einer solchen Neubestimmung des Begriffs zumindest für die Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes vom 22. Dezember 2 0 0 3 zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2 0 0 2 zu. 1 1 0 Eine abschließende Entscheidung erforderte der dem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt nicht.

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Demgegenüber hat der 3. Strafsenat in einem Beschluss vom 20. Dezember 2 0 0 7 Zweifel angemeldet, ob die diskutierte europafreundliche Auslegung rechtlich überhaupt möglich ist. 1 1 1 Für eine entsprechende Anpassung sieht er jedenfalls beim Begriff der kriminellen Vereinigung (§ 129) keinen Raum. Ein Verzicht auf die bisherigen strengen Anforderungen an die Organisationsstrukturen und eine geregelte Willensbildung würde die zwingend erforderliche Abgrenzung zur Bande und zu mittäterschaftlichen Zusammenschlüssen vor kaum zu bewältigende Probleme stellen. Außerdem setze die Strafbarkeit eines Zusammenschlusses von Tätern, die etwa Diebstähle begehen, im Hinblick auf das abgestufte System von Tatvollendung, Versuch und Vorbereitungshandlung voraus, dass dieser schon für sich ein strafwürdiges Gefährdungspotential enthalte, was bei einer Gruppierung mit nur rudimentären Organisationstrukturen und ohne bindende Regeln über die Bildung des Gruppenwillens noch nicht angenommen werden könne.

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Das obiter dictum des Senats betrifft primär nur den Vereinigungsbegriff nach § 129. Ob die restriktive Auslegung des Vereinigungsbegriffs bei der kriminellen Vereinigung auch auf die Qualifikationsnorm des § 129a durchschlägt, hat der Senat offen gelassen. Wünschenswert im Interesse einer effektiven Bekämpfung von Terrorismus mit straf-

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OLG Düsseldorf III-VI10/05 v. 5.12.2007; Kress JA 2 0 0 5 2 2 0 , 2 2 3 ; v. Heintschel-Heinegg FS Schroeder, S. 799, 803; vgl. auch Weißer J Z 2 0 0 8 388, 3 8 9 Fn. 29. OLG Düsseldorf III-VI 10/05 v. 5.12.2007: Grundregeln der Willensbildung, die entweder von allen Mitgliedern der Organisation gemeinsam oder von einem Gruppenmitglied gebildet und von allen anderen ausdrücklich oder konkludent - gebilligt worden sind; Kress JA 2 0 0 5 2 2 0 , 2 2 3 ; v. Heintschel-Heinegg FS Schroeder, S. 799,

803; krit. Rudolphi/Stein SK Rdn. 6b; vgl.

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auch Miebach/Schäfer MK § 129a Rdn. 4 0 ff. Vgl. BGH N J W 1992 1518, 1519. Vgl. BGHSt 2 8 147; 31 239, 2 4 0 ; 45 2 6 , 35; BGH NStZ-RR 2 0 0 2 300, 301; NStZ 2 0 0 4 574; krit. hierzu auch Rudolphi/Stein SK Rdn. 6c. BGH NStZ-RR 2 0 0 6 2 6 7 („Freikorps Havelland"); vgl. auch schon OLG Düsseldorf III-VI 7/03 vom 2 6 . 1 1 . 2 0 0 3 . BGH NStZ-RR 2 0 0 6 267. BGH NStZ 2 0 0 8 146, 149.

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rechtlichen Mitteln wäre zumindest ein Zubewegen auf die Begriffsbestimmungen des Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2002. 1 1 2 Der bisherige an § 2 Abs. 1 VereinsG orientierte Vereinigungsbegriff entspricht gerade im Bereich des islamistischen Extremismus nicht mehr der Wirklichkeit gefährlicher Verbrecherorganisationen. Im Gegensatz zur terroristischen Vereinigung der RAF oder zu kurdischen und türkischen Kaderorganisationen geht die Gefahr dort häufig von international operierenden, über das Internet in Kontakt stehenden Zusammenschlüssen von Jihad-Kämpfern aus, die gerade keinen festen Organisationsstrukturen und klaren Handlungssträngen folgen. Al Qaida dient dabei oft „nur" als Impulsgeber, Leitbild, propagandistisches Sprachrohr oder Geldgeber, während die gewaltbereiten Kämpfer weitgehend autonom arbeiten und eigene Ziele verfolgen. Damit in Widerspruch steht unsere Vorstellung einer terroristischen Vereinigung mit festen Strukturen, klar gegliederten Hierarchieebenen und festen Aufgabenverteilungen sowie von Mitgliedern, die sich als einheitlicher Verband fühlen. Diese tatsächlichen Gegebenheiten berücksichtigend setzt der Vereinigungsbegriff des Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2 0 0 2 gerade keine förmlich festgelegten Rollen für seine Mitglieder, keine kontinuierliche Zusammensetzung und keine ausgeprägte Struktur voraus, sondern lediglich einen organisierten Zusammenschluss. Die Beibehaltung des engen herkömmlichen deutschen Vereinigungsbegriffs stößt auch auf Bedenken im Hinblick auf die Notwendigkeit einer europafreundlichen Auslegung europäischer Rechtsakte. 113 Die im Rahmenbeschluss normierten Voraussetzungen stellen Mindeststandards dar, die durch die Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht durch zusätzliche Strafbarkeitsvoraussetzungen unterschritten werden dürfen. 114 Ansonsten wäre nicht sichergestellt, dass ein bestimmtes Verhalten in sämtlichen Mitgliedstaaten strafbar ist. Deshalb muss das nationale Recht in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht ausgelegt und fortgebildet werden, indem die Anforderungen an das Gesamtwillenserfordernis und die Organisationsstruktur einer Vereinigung tiefer anzusetzen sind. Erfolgt dies nicht, hat dies zur Folge, dass Islamisten, gegen die in Deutschland mangels Nachweises der Voraussetzungen des § 129a nicht vorgegangen werden kann, bei einer Ausreise in europäische Nachbarländer wegen Terrorismusverdachts festgenommen und - nicht zuletzt mit im Rechtshilfeweg zur Verfügung gestellten deutschen Beweismitteln - auch verurteilt werden können. Einer Herabsetzung der Anforderungen an Organisationsstruktur und Gruppenwillenerfordernis stehen die Gründe, die zur Verneinung einer europarechtsfreundlichen Auslegung bei der kriminellen Vereinigung angeführt werden, nicht zwingend entgegen. Im Gegensatz zu § 129 geht es bei § 129a entweder um Vereinigungen, die eine für die innere Sicherheit besonders gefährliche Zielsetzung kennzeichnen und die Strafdrohung der besonderen Schutzbedürftigkeit des Rechtsguts „Leben" und der Freiheit der Betroffenen Rechnung trägt (Abs. 1) oder um Vereinigungen, bei denen die Strafbarkeit über die auf Begehung einer Katalogtat ausgerichtete Vereinigungsabrede hinaus eine objektive - einschränkend auszulegende - Schädigungseignung der Katalogtat und in subjektiver Hinsicht eine besondere Bestimmung voraussetzt. Aufgrund dieser einschränkenden Kriterien geht von diesen Zusammenschlüssen auch ohne eine ausgeprägte Organisationsstruktur und bindende Regeln über die Bildung des Gruppenwillens schon für sich ein strafwürdiges Gefährdungspotential für geschützte Rechtsgüter aus, weshalb die ratio legis der Norm die bisher aufgestellten hohen Voraussetzungen an Organisationsstruktur und Gesamt-

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So auch Miebach/Schäfer MK § 129a Rdn. 4 2 . OLG Düsseldorf I I I - V I 1 0 / 0 5 v. 5.12.2007; siehe auch oben Rdn. 2 2 .

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v. Heintschel-Heinegg 802 f.

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willenerfordernis nicht zwingend verlangt. Soweit gegen eine europafreundliche Auslegung vorgebracht wird, eine Änderung der Definition des Vereinigungsbegriffs nur im Bereich des § 129a hätte die systemwidrige unterschiedliche Auslegung eines Merkmals in Grund- und Qualifikationsdelikt zur Folge, ist dies hinzunehmende Folge des EU-Rahmenbeschlusses, der aufgrund der hohen Gefährlichkeit die Rechtsangleichung gerade im Bereich der terroristischen Vereinigungen im Blick hat. Im Übrigen wird seit der Neufassung des § 129a durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2 0 0 2 zur Terrorismusbekämpfung vom 2 2 . Dezember 2 0 0 3 § 129a auch auf der Grundlage der herkömmlichen Auslegung des Vereinigungsbegriffes zumindest zum Teil nicht mehr als Qualifikationstatbestand, sondern als selbstständiger Tatbestand qualifiziert. 115 3. Ausnahmeregelung des § 129 Abs. 2. Eine in § 129 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 entsprechende Regelung, durch die bestimmte Vereinigungen von der Strafbarkeit ausgenommen werden (vgl. § 129 Rdn. 78 ff), enthält § 129a nicht.

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Das Parteienprivileg des § 129 Abs. 2 Nr. 1 schließt die Anwendbarkeit der Strafvorschrift des § 129 auf politische Parteien aus, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat. Unter Berufung auf Art. 21 GG und die Kompetenzzuweisung des Art. 21 Abs. 2 GG, wonach das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet, wendet eine verbreitete Auffassung die Vorschrift des § 129 Abs. 2 Nr. 1 auf terroristische Vereinigungen entsprechend an. 1 1 6 Dies widerspricht jedoch dem Willen des Gesetzgebers, der die im Regierungsentwurf (§ 129a Abs. 7 ) 1 1 7 noch enthaltene Bezugnahme auf die Ausnahmebestimmung des § 129 Abs. 2 Nr. 1 bewusst nicht übernommen hat. Zur Begründung beruft sich der Gesetzgeber auf den Regelungsbereich des § 129a, in dem es zu einer Kollision mit der Freiheit politischer Parteien, die durch eine offene Tätigkeit im Rahmen offen verkündeter Ziele gekennzeichnet sei, nicht kommen könne. 1 1 8 Gegen eine analoge Anwendung der Ausnahmevorschrift auf politische Parteien spricht außerdem Sinn und Zweck des Parteienprivilegs, dessen Aufgabe es nicht sein kann, die Betätigung für eine Partei straflos zu lassen, die auf die Begehung von Mord usw. oder von Katalogtaten nach § 129a Abs. 2 ausgerichtet ist, die dazu bestimmt sind, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates zu beseitigen. 119

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Eine entsprechende Anwendung des § 129 Abs. 2 Nr. 2 , der Fälle betrifft, bei denen die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist, ist angesichts des Gewichts und der Tragweite der Katalogtaten des

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So Fischer Rdn. 2 bzgl. § 129a Abs. 3, soweit der Straftatenkatalog der Abs. 1 und 2 über denjenigen des § 126 Abs. 1 hinausgeht. Vgl. Rudolphi/Stein SK Rdn. 7; Kindhäuser LPK Rdn. 15; v. Bubnoff LKn Rdn. 15; Dahs NJW 1976 2145, 2 1 4 7 ; Sturm MDR 1977 6, 8; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 89; differenzierend zwischen § 129a Abs. 1 und 2 Fischer Rdn. 19; vgl. auch Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 III Rdn. 16.

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BTDrucks. 7/4005, S. 4, 10 mit krit. Stellungnahrae des Bundesrats, ebd. S. 17. Vgl. Laufhütte RAusschProt. 7/97, S. 2 8 ; 7/98, S. 88; Prot. 7 / 2 4 4 4 f; Bericht, BTDrucks. 7/5401, S. 6; s.a. Sturm MDR 1977 8. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Miebach/Schäfer MK Rdn. 56, vgl. auch Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 III Rdn. 16.

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§ 129a ebenfalls ausgeschlossen. 120 § 129 Abs. 2 Nr. 3 ist ohnehin unanwendbar, da die dort genannten Organisationsdelikte im Katalog des § 129a nicht enthalten sind.

Π. Zweck der Straftatbegehung 30

Im Gegensatz zu § 129, wo der Vereinigungszweck auf die Begehung irgendeiner Straftat von einiger Bedeutung für die öffentliche Sicherheit ausgerichtet sein kann, muss es sich bei § 129a um eine Vereinigung handeln, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, die in den Absätzen 1 oder 2 abschließend aufgezählten Straftaten zu begehen oder anzudrohen.

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Eine Vereinigung ist dann auf die Begehung von Straftaten gerichtet, wenn dies der verbindlich festgelegte Zweck ist, zu dessen Erreichung sich die Mitglieder verpflichtet haben (vgl. § 129 Rdn. 70 ff). 1 2 1 Dies bedeutet, dass die Organisation der Vereinigung auf den Zweck der gemeinschaftlichen Begehung von Straftaten hin konzipiert sein muss. 1 2 2 Der gemeinsame Wille zur Begehung von Straftaten muss fest gefasst und darf nicht nur vage oder vom Ergebnis weiterer Willensbildungsprozesse abhängig sein. Nicht ausreichend ist es, wenn sich die Mitglieder der Vereinigung nur bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Straftaten kommen kann. 1 2 3 Vielmehr müssen die Mitglieder über das bloße Bewusstsein, dass es zu Straftaten i.S. des § 129a kommen könne, solche Taten als Ziel und Zweck ihres Zusammenschlusses anstreben. Es genügt, wenn Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung auf eine einzige Art der genannten Katalogtaten gerichtet sind. 124

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Nicht vorausgesetzt wird, dass die Begehung solcher Taten die ausschließliche Zielsetzung oder das Endziel der Vereinigung ist. Auch wenn sie die Erreichung eines weiter gesteckten Endziels nur vorbereiten sollen, bleiben Zwecke oder Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung strafbarer Handlungen gerichtet. 125

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Nach h.M. ist keine terroristische Vereinigung anzunehmen, wenn nur eine Einzeltat geplant oder durchgeführt worden ist. 1 2 6 Dies gilt auch dann, wenn die (geplante) Einzeltat in den Rahmen einer umfassenderen, jedoch nicht im Sinne des § 129a relevanten, kriminellen Zielsetzung fällt. 1 2 7 Bei der Frage, ob eine Vereinigung mehrere Straftaten plant, ist nicht auf den Begriff der materiell-rechtlichen Tat, sondern auf Anschlagskomplexe oder Aktionen abzustellen. Ansonsten wäre etwa die geplante Begehung eines Ver-

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Miebach/Schäfer MK Rdn. 56; Fischer Rdn. 19; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 3. BGHSt 4 9 2 6 8 , 271; Sch/Scbröder/Lenckner/ Sternberg-Liebett § 129 Rdn. 7; Rudolphi/ Stein SK § 129 Rdn. 11; Miebach/Schäfer MK § 129 Rdn. 27. BGHSt 4 9 2 6 8 , 271; Rudolphi/Stein SK § 129 Rdn. I I a ; Rudolphi FS Bruns, S. 315, 321. BGHSt 4 9 2 6 8 , 2 7 2 unter Aufgabe von: BGHSt 2 7 325, 328; BGH NStZ 1999 503, 5 0 4 ; BGHR StGB $ 129 Gruppenwille 2; vgl. auch Ostendorf NK § 129 Rdn. 13; Fischer Rdn. 5; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 95 II Rdn. 5.

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Miebach/Schäfer MK Rdn. 53; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2. BGHSt 15 259, 2 6 0 ; 2 7 325, 326; 41 47, 56; BGH NJW 1966 310, 312; 1975 985; BayObLG NStZ-RR 1 9 9 7 251, 2 5 2 ; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Fischer Rdn. 5. Vgl. BGH NStZ-RR 2 0 0 2 300, 301; Sehl Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Fischer Rdn. 5; Miebach /Schäfer MK Rdn. 34; Lampe ZStW 106 (1994) 683, 707. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2.

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brechens des Völkermordes, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und mehrere Morde zu einer Handlung im materiellrechtlichen Sinne verbindet, nicht ausreichend, um eine terroristische Vereinigung zu bilden. 128 Ob nur eine Einzeltat geplant ist, hängt von den Vorstellungen ab, die die Mitglieder der Vereinigung bei der Gründung hegten. 1 2 9 Die Planung und Durchführung eines Selbstmordanschlages durch die Vereinigungsmitglieder genügt deshalb dann, wenn der Zweck der Vereinigung bei Gründung nicht ausschließlich auf die Begehung einer einzigen Tat beschränkt war. 1 3 0 Eine terroristische Vereinigung hört nicht deswegen auf zu existieren, weil sie als Abschluss ihrer Tätigkeit einen kollektiven Selbstmordanschlag konzipiert. Die Auffassung, dass eine Vereinigung nach § 129a ausscheidet, wenn nur eine Einzeltat geplant ist, führt zu unbefriedigenden Ergebnissen insbesondere in Fällen islamistischer Selbstmordattentäter. Eine Gruppierung von mindestens drei Personen, die von vornherein einen kollektiven Selbstmordanschlag plant, diesen über einen längeren Zeitraum vorbereitet und sich durch den Tod der Mitglieder auflösen soll, wäre danach keine terroristische Vereinigung. Derjenige, der eine solche Vereinigung unterstützt, wäre u.U. straflos, wenn der konkretere Gehilfenvorsatz gem. §§ 211, 27 nicht nachweisbar ist. Zu einem anderen Ergebnis gelangt man nur, wenn man in diesen Fällen die Begehung einer Tat ausreichend lässt. 131 Der Wortlaut der Vorschrift lässt insoweit keine eindeutigen Rückschlüsse zu. Während § 129a Abs. 1 Nr. 2 und § 129a Abs. 2 von Straftaten in der Mehrzahl spricht, lässt § 129a Abs. 1 Nr. 1 Mord, Totschlag und Völkermord in der Einzahl genügen. Auch der Schutzzweck der Norm spricht nicht zwingend dagegen, die Begehung eines längerfristig vorbereiteten Selbstmordanschlages als ausreichend zu erachten. Der besondere Strafgrund besteht nicht in der Verletzung der Rechtsgüter des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs; vielmehr geht es um den Schutz der Allgemeinheit vor der spezifisch vereinigungsbezogenen Gefährlichkeit eines Täterzusammenschlusses, der sich in kollektiver Form über Ordnungsnormen des Strafrechts hinwegsetzt. Die die besondere Gefährlichkeit einer solchen Vereinigung begründenden gruppendynamischen Prozesse können sich aber auch dann entfalten kann, wenn die Organisation zweckrational auf die gemeinschaftliche und längere Zeit in Anspruch nehmende Planung und Ausführung nur einer schwerwiegenden Aktion gerichtet ist. Anders als in § 30 richtet sich die Strafdrohung des § 129a auch nicht nach den von der Vereinigung intendierten Straftaten, weshalb der Hinweis, die Organisationsstraftat müsse sich von der Verbrechensverabredung durch die Zahl der intendierten Straftaten unterscheiden, nicht überzeugt.

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Das verbindlich festgelegte Ziel der Begehung von Katalogtaten muss sich nach h.M. nicht in Planungen einer konkreten Tat oder gar in vorbereitenden Aktivitäten für solche Taten manifestiert haben. 1 3 2 Es genügt die bloße Existenz der Vereinigung, wenn sie auf

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Vgl. BGHSt 4 5 64, 86 (mehrmonatiger Ausrottungsfeldzug gegen bosnische Muslime als eine Tat). Vgl. BGH NStZ-RR 2 0 0 2 300, 301; vgl. auch BGH NJW 2 0 0 7 384, 388. Vgl. BGH NStZ-RR 2 0 0 2 300, 301; später offen gelassen in N J W 2 0 0 7 384, 388; Miebach/Schäfer MK Rdn. 34. Offen gelassen von BGH N J W 2 0 0 7 384, 388; für eine Tatbestandsmäßigkeit

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Miebach/Schäfer MK § 129 Rdn. 31; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben § 129 Rdn. 7a. BGHSt 2 7 325, 328; 4 9 268, 2 7 2 ; BGH NStZ 1 9 9 9 503, 5 0 4 ; 2 0 0 5 377, 3 7 8 ; Sch/ Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben § 129 Rdn. 7; Miebach/Schäfer MK § 129 Rdn. 2 8 ; Rudolphi/Stein SK § 129 Rdn. I I a ; Fischer § 129 Rdn. 15; Ostendorf NK § 129 Rdn. 13; Kindhäuser LPK § 129 Rdn. 16.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

die Begehung von Straftaten konzipiert ist, wobei die bezweckten Taten noch nicht im Einzelnen konkretisiert sein müssen. 133 36

Ziel der Vereinigung muss die Begehung eigener Straftaten sein (vgl. § 129 Rdn. 63 ff). 134 Dabei spielt die Art der Tatbeteiligung keine Rolle. Es reicht deshalb aus, wenn den Mitgliedern einer Vereinigung begangene oder noch zu begehende Straftaten im Wege der Täterschaft oder der Teilnahme zugerechnet werden können. 135

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Ändert sich die Zielrichtung einer legalen oder einer kriminellen Vereinigung dahingehend, dass sie nunmehr beabsichtigt, Straftaten gem. § 129a zu begehen, liegt eine terroristische Vereinigung vor. 136 Der Täter wird danach beurteilt, in welches Stadium seine Organisationstat fällt. Umgekehrt kann eine terroristische Vereinigung ihre terroristischen Aktivitäten einstellen und als bloß kriminelle Vereinigung weiter bestehen. 137 Gibt eine terroristische Vereinigung ihre bisherige Ausrichtung ganz auf und verfolgt einen legalen Kurs, kommt § 129a nicht mehr in Betracht, sofern dies ernsthaft und nicht nur vorübergehend geschieht, etwa um die Kräfte zu erneuern oder einem aktuellen Verfolgungsdruck auszuweichen. 138 Behält sich eine Vereinigung, die nach einem Kurswechsel ihre Ziele mit friedlich-politischen Mitteln verfolgt, die Begehung von Straftaten unter Bedingungen vor, von denen nicht absehbar ist, ob und wann sie eintreten, fehlt es an der erforderlichen festen Ausrichtung der Zwecke der Vereinigung auf die Begehung von Straftaten. 139

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Eine terroristische Vereinigung kann trotz Inhaftierung einiger ihrer Mitglieder in der bisherigen Zusammensetzung fortbestehen oder nur durch Inhaftierte neu gegründet werden (vgl. § 129 Rdn. 24).

ΙΠ. Schwerstkriminelle Vereinigungen (§ 129a Abs. 1) 39

Der Straftatenkatalog des Absatzes 1 betrifft Delikte, die eine für die innere Sicherheit besonders gefährliche Zielsetzung kennzeichnen. Er entspricht § 129a Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 a.F. Absatz 1 Nr. 1 berücksichtigt die besondere Schutzbedürftigkeit des Rechtsguts „Leben" und nennt Mord (§ 211), Totschlag (§ 212) und die in den §§ 6 ff VStGB geregelten Tatbestände Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. 140 Mit dem erpresserischen Menschenraub (§ 239a) und der Geiselnahme (§ 239b) werden in Absatz 1 Nr. 2 Erscheinungsformen kriminellen Verhaltens erfasst, von dem besondere Gefahren für den in seiner Freiheit Betroffenen ausgehen. Obwohl der EU-Rahmenbeschluss das in § 129a Abs. 2 eingefügte Erfordernis der besonderen Zielrichtung der Katalogtat und der Schädigungseignung für alle Katalogtaten vorsieht, hat der Gesetzgeber bei Absatz 1 auf eine entsprechende Ergänzung verzichtet, weil er eine solche

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Lackner/Kühl § 129 Rdn. 3. BGHSt 2 7 325, 328; BGH NStZ 1999 503, 504; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben § 129 Rdn. 7a; Fischer § 129 Rdn. 14; Scfcei/f Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 71. BGH NStZ 1999 503, 5 0 4 . Vgl. BGHSt 2 7 325, 326; 4 9 268, 273; BGH NStZ 2 0 0 7 401, 4 0 2 ; BayObLG NStZ-RR 1997 251, 2 5 2 ; Fischer Rdn. 5. Vgl. das Beispiel der innerhalb der Kurdi-

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schen Arbeiterpartei PKK in Deutschland bestehenden terroristischen Vereinigung, die ab Sommer 1996 nur noch als kriminelle Vereinigung weiterbestand, BGHSt 4 9 268, 269. Vgl. BayObLG N J W 1998 2 5 4 2 , 2 5 4 3 (RAF). Vgl. BGHSt 4 9 2 6 8 . Krit. zu den Tatbeständen der § § 6 bis 12 VStGB Fischer Rdn. 7.

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wegen des hohen Unrechtsgehalts dieser Katalogtaten „kriminalpolitisch nicht möglich" erachtete. 1 4 1

IV. Vereinigungen mit besonderer Zwecksetzung (§ 129a Abs. 2) 1. Straftatenkatalog. Im Vergleich zu § 129a a.F. zeichnet sich Absatz 2 zunächst durch eine Erweiterung des Straftatenkatalogs aus.

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a) Absatz 2 Nr. 1 nennt Straftaten, die einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 2 2 6 bezeichneten Art, zufügen. Entgegen dem EU-Rahmenbeschluss, wonach Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit einer Person bei terroristischer Zielsetzung als terroristische Straftaten unter Strafe zu stellen sind, sowie der Auffassung des Bundesrates, der sämtliche Körperverletzungsdelikte als Katalogtaten einfügen wollte, 1 4 2 hat der Gesetzgeber die Verweisung auf die Folgen der schweren körperlichen oder seelischen Schäden unter Hinweis auf entsprechende andere ausländische Sprachfassungen für ausreichend erachtet. 1 4 3 Erfasst werden damit zunächst die in § 2 2 6 genannten Erfolgsqualifikationen des Verlustes des Sehvermögens, des Gehörs, des Sprechvermögens oder der Fortpflanzungsfähigkeit, eines wichtigen Körpergliedes, der dauernden erheblichen Entstellung und des Verfalls in Siechtum, Lähmung, eine geistige Krankheit oder eine Behinderung. Da die dortige Aufzählung nach dem Wortlaut des § 129a Absatz 2 Nr. 1 nicht abschließend ist, kommen auch vergleichbare andere, den Verletzten in seiner Lebensqualität empfindlich beeinträchtigende Folgen in Betracht. 1 4 4

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b) Absatz 2 Nr. 2 erweitert den bisherigen Katalog des § 129a Abs. 1 Nr. 3 (ZerStörung wichtiger Arbeitsmittel gem. § 3 0 5 a , Brandstiftung gem. § 3 0 6 , schwere Brandstiftung gem. § 3 0 6 a , besonders schwere Brandstiftung gem. § 3 0 6 b , Brandstiftung mit Todesfolge gem. § 3 0 6 c , Herbeiführung einer Explosion durch Kernenergie in den Fällen des § 3 0 7 Abs. 1 bis 3, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion in den Fällen des § 3 0 8 Abs. 1 bis 4 , Missbrauch ionisierender Strahlen gem. § 3 0 9 Abs. 1 bis 5, Herbeiführen einer Überschwemmung gem. § 313, gemeingefährliche Vergiftung gem. § 314, gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr in den Fällen des § 315 Abs. 1, 3 oder 4 , Störung öffentlicher Betriebe in den Fällen des § 316b Abs. 1 oder 3, Angriffe auf den Luft- oder Seeverkehr in den Fällen des § 316c Abs. 1 bis 3) in Umsetzung von Art. 1 Abs. l d des Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2 0 0 2 um folgende Delikte: Computersabotage gem. § 3 0 3 b , Zerstörung von Bauwerken gem. § 3 0 5 und Störung von Telekommunikationsanlagen gem. § 317 Abs. 1. Die dagegen eingewandte K r i t i k 1 4 5 entspricht den bereits gegen die Erweiterung des Straftatkatalogs durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 19. Dezember 1986 erhobenen Bedenken (siehe oben Entstehungsgeschichte).

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c) Absatz 2 Nr. 3 erfasst erstmals die Umweltstraftaten gem. § 3 3 0 a Abs. 1 bis 3.

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BTDrucks. 15/813, S. 6. BRDrucks. 15/2001. BTDrucks. 15/813, S. 7. Miebach/Schäfer MK Rdn. 45; Fischer Rdn. 9.

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Vgl. Fischer Rdn. 10, Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Weigend FS Nehm, S. 151, 164.

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d) Absatz 2 Nr. 4 (Straftaten nach § § 1 9 bis 2 2 a des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen) setzt Art. 1 Abs. 1 f des Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2 0 0 2 um.

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e) Absatz 2 Nr. 5 schließlich erfasst Strafvorschriften nach dem Waffengesetz.

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f) Sonstige Delikte. Obwohl der Rahmenbeschluss auch Herstellung, Besitz, Erwerb, Beförderung oder Bereitstellung oder Verwendung von Sprengstoffen als terroristische Straftaten qualifiziert, unterblieb in § 129a ein Verweis auf Tatbestände des SprengG mit der Begründung, das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion gem. § 3 0 8 Abs. 1 bis 4 sei bereits im Katalog des § 129a enthalten. 1 4 6

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Die Frage, ob auf Katalogtaten des § 129a hinführende Vorbereitungshandlungen nach § 3 0 zum Deliktsbereich der Vorschrift gehören, stellt sich nach der Tatbestandsgestaltung des § 129a in dieser Form nicht. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 129a sind bereits erfüllt, wenn die Vereinigung auf die Begehung von Katalogtaten hin konzipiert ist, ohne dass Katalogtaten konkret geplant oder gar begangen zu sein brauchen. 1 4 7

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Häufig werden terroristische Vereinigungen neben der Begehung von Katalogtaten auch weitere kriminelle Aktivitäten anstreben oder entfalten wie etwa Raub oder räuberische Erpressung zur Beschaffung der für die Finanzierung der Organisation erforderlichen Mittel. Für die Frage der Einstufung einer Vereinigung als eines qualifizierten Zusammenschlusses im Sinne des § 129a ist das Bezwecken oder die Begehung derartiger „Finanzierungsdelikte" ohne Belang. Der Gesetzgeber hat Delikte wie Raub, räuberische Erpressung etc. bei der Einfügung des § 129a in das Strafgesetzbuch bewusst nicht in den Straftatenkatalog aufgenommen, weil sie entweder lediglich Begleiterscheinungen der qualifizierten Bestrebungen i.S. des § 129a sind oder als bloßer Selbstzweck nicht die in § 129a vorausgesetzte besondere Gefährlichkeit der Vereinigung indizieren. 1 4 8 Obwohl der Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2 0 0 2 verlangt, auch Diebstahl und Erpressung als terroristische Straftaten zu qualifizieren, wenn sie terroristischen Zwecken dienen, hat sich an dieser Rechtslage nichts geändert. Die Ausführung einer solchen Tat (z.B. Bankraub) zur Mittelbeschaffung für eine terroristische Vereinigung stellt sich aber bei Kenntnis von deren eigentlichen Zielsetzung als strafbares Unterstützen dar.

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2 . Besondere Zielsetzung der Taten. Über die auf Begehung einer Katalogtat ausgerichtete Vereinigungsabrede setzt eine Strafbarkeit nach § 129a Abs. 2 in Umsetzung von Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2 0 0 2 weiterhin voraus, dass die Taten die in Absatz 2 Halbsatz 3 bezeichnete besondere Bestimmung aufweisen.

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Unterschieden werden drei Ziele, die ihrerseits zum Teil wieder verschiedene Alternativen enthalten. Der Tatbestand enthält insoweit - wie der Rahmenbeschluss - zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe, die einer sauberen Subsumtion in der Praxis schwer zugänglich und im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot nicht unbedenklich sind. 1 4 9 Die deutschen Gesetzesmaterialien geben kaum Auslegungshilfe und ein Rückgriff auf die Aus-

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BTDrucks. 15/813, S. 7; krit. im Hinblick auf die Ausschöpfung der EU-Vorgabe Fischer Rdn. 11 f. Vgl. Schnarr NStZ 1990 257, 258; Miebach/ Schäfer MK Rdn. 51. RAusschProt. 7/97, S. 16, 21; Prot. 7/2452 ff; Miebach/Schäfer MK Rdn. 52.

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Krit. auch Miebach/Schäfer MK Rdn. 65; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2a, Fischer Rdn. 17; Weigend FS Nehm, S. 151,164 f; Pollähne KritJ 2005 292, 310.

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legung von Tatbestandsmerkmalen anderer Strafbestimmungen ist mangels genauer Entsprechung nur bedingt möglich. Die Tatbestandsmerkmale bedürfen deshalb in besonderer Weise der wertenden Ausfüllung durch die Rechtsprechung. a) Zweck des Rahmenbeschlusses. Mit den im Rahmenbeschluss aufgeführten und in § 129a Abs. 2 übernommenen Zielen wollte die Europäische Union Terrorakte von „gewöhnlichen" Straftaten durch Abstellen auf die politischen Ziele des Täters abgrenzen. 1 5 0 Dabei hat sich der Rat an die Terrorismusdefinition in Art. 2 Ziff. l b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 9. Dezember 1999 angelehnt. Auch dort ist von der Absicht, eine Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen, die Rede. 1 5 1 Entscheidendes Merkmal der terroristischen Tat sind für die Europäische Union die Beweggründe des Täters: Während Einzelpersonen oder Gruppen in ihrer physischen oder psychischen Integrität, ihrer Freiheit oder in Bezug auf ihr Eigentum durch Terrorakte genauso geschädigt würden wie durch gewöhnliche Straftaten, komme es dem Täter bei terroristischen Taten darauf an, andere Rechte zu verletzen, nämlich die Grundprinzipien und tragenden Elemente eines Staates wesentlich zu verändern oder die Bevölkerung einzuschüchtern. 152

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Zur Begründung beruft sich die Kommission auf bereits bestehende Rechtsvorschriften zahlreicher Mitgliedstaaten zu Terrorismus. So würden im französischen Strafgesetzbuch terroristische Handlungen als Taten definiert, die dazu geeignet sind, die öffentliche Ordnung durch Drohungen oder Terror nachhaltig zu stören (Art. 421-1). Im portugiesischen Strafgesetzbuch seien sie definiert als Beeinträchtigung nationaler Interessen, Veränderung oder Störung staatlicher Einrichtungen, Druck auf öffentliche Behörden, etwas zu tun oder zu unterlassen sowie Bedrohung von Einzelpersonen oder Gruppen (Art. 300). Das spanische Strafgesetzbuch enthalte einen Hinweis auf die Aushöhlung der verfassungsmäßigen Ordnung und die nachhaltige Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Art. 571); im italienischen Strafgesetzbuch finde sich die Formulierung der Unterwanderung der demokratischen Ordnung (Art. 270a, 280, 289a). Im Terrorism Act 2000 des Vereinigten Königreichs sei Terrorimus definiert als die Anwendung und Androhung von Gewalt, sofern diese mit dem Vorsatz der Einflussnahme auf die Regierung oder Einschüchterung der Öffentlichkeit oder von Teilen der Öffentlichkeit angewandt oder angedroht werde, und die Gewaltanwendung oder -androhung zur Förderung einer politischen, religiösen oder ideologischen Überzeugung diene. 153

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Vorschlag der Kommission für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Terrorimusbekämpfung vom 19.9.2001 KOM(2001)521 endgültig; Dokument 12103/01 DROIPEN 81; vgl. auch Aufzeichnung des Vorsitzes für den AStV/Rat vom 10.10.2001, Dokument 12647/01 DROIPEN 85 CATS 31; Beratungserge bniss des AStV vom 12. und 14.11.2001, Dokument 1 2 6 4 7 / 3 / 0 1 REV 3 LIMITE DROIPEN 85 CATS 31; I/A-PunktVermerk des Generalsekretariats vom 31.5.2002, Dokument 9 3 8 2 / 0 2 LIMITE DROIPEN 34 CATS 32.

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Abgedruckt in VN 4 9 (2001) S. 21 ff; vgl. auch Art. 206^ uin i uies schweizerisches StGB; Jositsch ZStrR Bd. 123 (2005) S. 458. Vorschlag der Kommission für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Terrorimusbekämpfung vom 19.9.2001 KOM(2001)521 endgültig; Dokument 12103/01 DROIPEN 81. Vorschlag der Kommission für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Terrorismusbekämpfung vom 19.9.2001 KOM(2001)521 endgültig, S. 7; Dokument 12103/01 DROIPEN 81.

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b) Auslegung. Die Formulierungen des Rahmenbeschlusses sind zwar weitgehend, aber nicht wörtlich in § 129a Abs. 2 übernommen worden. Für die Auslegung ergeben sich folgende Anhaltspunkte:

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Zunächst stellt § 129a Abs. 2 im Gegensatz zum Rahmenbeschluss nicht unmittelbar auf die Zielsetzung des Täters bei Begehung der Tat, sondern darauf ab, dass die Tat bestimmt ist, die besonderen Wirkungen hervorzurufen. Da die Strafbarkeit nach § 129a aber nicht voraussetzt, dass die Katalogtaten tatsächlich begangen werden, ist bezüglich der Bestimmung zur Hervorrufung der im Einzelnen beschriebenen Wirkungen auf den Zweck der Vereinigung abzustellen. Dieser muss darauf ausgerichtet sein, Taten mit solcher Bestimmung zu begehen. 1 5 4 Dabei können die im Gesetz verlangten Wirkungen nach dem Vereinigungszweck durch die Tatbegehung selbst oder durch die Folgewirkungen der Tat ausgelöst werden. 1 5 5

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Auch wenn § 129a Abs. 2 seinem Wortlaut nach nur von einer Tat spricht, die die Bestimmung und Eignung aufweisen muss, reicht es aus, wenn eine Tat i.S. des § 129a die erforderliche Bestimmung und Eignung erst im Zusammenhang mit weiteren von der Vereinigung geplanten Taten aufweist („Nadelstichtaktik"). 1 5 6 Dies ergibt die Auslegung nach Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der N o r m . 1 5 7

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aa) Erhebliche Einschüchterung der Bevölkerung. Das Tatbestandsmerkmal der erheblichen Einschüchterung der Bevölkerung ist dahingehend auszulegen, dass nicht die Gesamtbevölkerung eingeschüchtert werden muss. Vielmehr reicht es aus, wenn wenigstens nennenswerte Teile der Bevölkerung auf erhebliche Weise eingeschüchtert werden sollen. 1 5 8 Dies folgt aus Sinn und Zweck der Vorschrift, weil ansonsten ein erheblicher Teil terroristischer Aktivitäten, die sich nur gegen Teile der Bevölkerung richten, die ethnisch, religiös, national oder rassisch bestimmt sein können, von der Vorschrift nicht erfasst würde. 1 5 9

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Bei der Auslegung des Merkmals der erheblichen Einschüchterung sind die zu § § 125, 126 entwickelten Kriterien der Störung der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Friedens ebenso heranzuziehen wie die vom Bundesgerichtshof zur Beeinträchtigung der inneren Sicherheit gem. § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 G V G entwickelten Grundsätze. 1 6 0 Der die wirksame Verfolgung terroristischer Straftaten bezweckende Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2 0 0 2 qualifiziert in Art. 1 und 2 der Präambel terroristische Straftaten als schwerste Verstöße gegen die universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität, der Achtung der Menschenrechte sowie die Grundsätze der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das erforderliche M a ß an Einschüchterung dürfte deshalb immer dann erreicht sein, wenn über den engeren örtlichen Bereich der Tatbegehung hinaus bei dem betroffenen Bevölkerungsteil ein allgemeines Klima der Angst vor willkürlichen, grundlosen Angriffen und eine Unsicherheit darüber hervorgerufen wird, ob das friedliche und gewaltfreie Zusammenleben der Bevölkerung noch gewährleistet ist und die durch die Katalogtaten geschützten Rechtsgüter noch sicher

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Fischer Rdn. 14; Rudolphi/Stein SK Rdn. 9. Rudolphi/Stein SK Rdn. 9. BGH NStZ-RR 2006 267, 268; BGH NJW 2008 86 m. Anm. Lampe juris-StrafR 5/2008 Anm 1; Fischer Rdn. 13. Vgl. BGH NStZ-RR 2006 267, 268. BGH NStZ-RR 2006 267, 268; Fischer

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Rdn. 15, aA Miebach /Schäfer MK Rdn. 66: weit überwiegender Teil der Bevölkerung; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2a: überwiegender Bevölkerungsteil; Weigend FS Nehm, S. 151, 165. BGH NStZ-RR 2006 267, 268. Vgl. BGHSt 46 238, 251 f.

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sind. 161 Die Rechtsprechung hat das Tatbestandsmerkmal bejaht bei einer Vereinigung, die mit Hilfe systematischer und wiederholter Brandanschläge gegen Geschäftsobjekte von Ausländern diese aus der Region („ausländerfreies Havelland") und letztlich aus Deutschland vertreiben wollte. 1 6 2 bb) Nötigung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt. Die Bestimmung, eine Behörde oder eine internationale Organisation mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen, ist an die Nötigungstatbestände der §§ 105, 106, 2 4 0 angelehnt. Unklar bleibt, ob der Kreis der Nötigungsmittel - wie bei § 105 - normativ dahingehend einzuschränken ist, dass Gewalt oder Drohung mit Gewalt nur dann vorliegt, wenn die erzeugte Zwangswirkung eine derartige Intensität erreicht, dass sich die verantwortungsbewusste Behörde oder internationale Organisation zur Kapitulation vor der Forderung des Täters gezwungen sehen kann, um schwerwiegende Schäden von dem Gemeinwesen oder einzelnen Bürgern abzuwenden. 163 Aufgrund der ähnlichen Fallgestaltungen und des Erfordernisses, die Bestimmungsalternativen des § 129b Abs. 2 qualitativ vergleichbar auszulegen, erscheint dies angezeigt. 164 Ausreichend ist die Nötigung einzelner Behördenmitarbeiter, wenn die Nötigung mit den ihnen obliegenden dienstlichen Aufgaben im Zusammenhang steht. 1 6 5 Wegen der fehlenden Vergleichbarkeit mit Behörden kommen privatrechtliche internationale Organisationen als Tatobjekt nicht in Betracht. 1 6 6

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cc) Beseitigung oder erhebliche Beeinträchtigung der politischen, verfassungsrechtliehen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation. Maßgeblich ist insoweit, ob nach den Vorstellungen der Mitglieder der Vereinigung durch die konkrete Tat, gegebenenfalls im Zusammenhang mit weiteren von der Vereinigung geplanten Taten, die Integrität eines Staates oder einer (öffentlich-rechtlichen) internationalen Organisation auf eine Art und Weise angegriffen werden sollen, dass die Sicherung der das Gemeinwesen konstituierenden Strukturen und die Gewährleistung grundlegender (rechtsstaatlicher) Prinzipien tatsächlich wesentlich gefährdet oder beseitigt würde. Ob dies der Fall ist, kann nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entschieden werden.

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Eine einzige Aktion dürfte derartige Auswirkungen in der Regel nicht hervorrufen. Etwas anderes kann anzunehmen sein bei der Zerstörung zentraler Infrastruktur- oder Versorgungseinrichtungen, gezielten Angriffen mit Hilfe der IT mit gewaltigen Auswirkungen auf Leben und Gesundheit der Bevölkerung oder die wirtschaftliche und/oder politische Handlungsfähigkeit von Staaten sowie bei der Ausschaltung bedeutender Finanzzentren. Zu berücksichtigen ist insoweit auch, wie schnell die Schäden wieder behoben werden können. Meist geht es den Terroristen aber nicht oder nicht primär um den eigentlichen Zerstörungseffekt des Angriffs - damit kämen sie mit ihren Mitteln auch nicht weit genug. 1 6 7 Die Strategie konzentriert sich häufig vielmehr auf einen pri-

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Vgl. auch Rudolphi/Stein SK Rdn. 9, Miebach/Schäfer MK Rdn. 66; Kindhäuser LPK Rdn. 8; Fischer Rdn. 15. BGH NStZ-RR 2 0 0 6 267. Vgl. hierzu BGHSt 32 165, 174 f; Bauer/Gmel LK § 105 Rdn. 11. Für eine normative Tatbestandseinschrän-

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kung Miebach/Schäfer MK Rdn. 6 7 und wohl auch Kindhäuser LPK Rdn. 8; nach Fischer Rdn. 15 ist § 105 nur eingeschränkt heranzuziehen. Fischer Rdn. 15. Rudolphi/Stein SK Rdn. 10; Fischer Rdn. 15. Vgl. Nehm N J W 2 0 0 2 2665, 2 6 6 6 .

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mär symbolischen, d.h. auf die Erzeugung des psychischen Effekts (vor allem Angst und Schrecken) abstellenden Angriff. Auch wenn beispielsweise die Folgewirkungen der Anschläge des 11. September 2001 beträchtlich waren, ging es bei diesem Anschlag und den jüngsten Großanschlägen islamistischer Täter nicht in erster Linie um die Zerstörung militärisch, wirtschaftlich oder sonstwie relevanter Infrastruktur an und für sich, sondern um die Symbolik solcher Anschläge und die Auswirkungen auf diejenigen, die das terroristische Massaker über die Medien wahrnehmen. 61

Ausreichend für das subjektive Element ist, wenn die Vereinigung so konzipiert ist, dass sie durch eine Vielzahl kleinerer Straftaten im Sinne einer „Nadelstich-Taktik" ihre politischen Ziele der Destabilisierung eines Staates und seiner Grundstrukturen erreichen will, 1 6 8 wobei dem Ziel der Auslösung von Nachahmungseffekten mit der Folge einer für die Sicherheitsorgane immer schwerer beherrschbaren Gefahr indizielle Bedeutung zukommt. Wichtiges Kriterium ist insoweit, welchem Endziel die geplanten oder begangenen Anschläge dienen. Lässt sich z.B. aus Verlautbarungen der Vereinigung entnehmen, dass die Anschläge Teil eines revolutionären Kampfes sind, der zu einer kommunistischen Staats- und Gesellschaftsordnung führen soll, oder bekennt sich die Organisation zur Abschaffung westlicher Werte und Errichtung eines islamischen Gottesstaates auf der Grundlage der Scharia, so ist in der Regel von der Bestimmung, die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, auszugehen. 169

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3. Objektive Schädigungseignung. Voraussetzung der Strafbarkeit nach § 129 Abs. 2 ist weiterhin, dass die Katalogtat durch die Art ihrer Begehung oder ihrer Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

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Mit Staaten sind nur Staatsgebilde auf der Ebene der Vertragsstaaten, die den EURahmenbeschluss gefasst haben, nicht aber Gliedstaaten eines Bundesstaates gemeint. 170 Für die Eignung zur Schädigung kommt es auf den Zeitpunkt der Gründung der Vereinigung und ihrer Ausrichtung auf bestimmte Straftaten an. Abzustellen zur Ermittlung der objektiven Qualität der bezweckten Tat ist auf die Vorstellungen der Vereinigungsmitglieder von der (künftigen) Katalogtatbegehung. Unerheblich ist, ob bei rückblickender Betrachtung nach der Auflösung der Vereinigung - etwa durch polizeilichen Zugriff tatsächlich ein solcher Schaden eingetreten ist. 1 7 1

64

Erforderlich ist eine konkrete Eignung der Katalogtat zur erheblichen Schädigung des Staates oder einer internationalen Organisation, sie darf nicht nur abstrakt bestehen, sondern muss - wenn auch aufgrund generalisierender Betrachtung - konkret festgestellt werden. 1 7 2 Dieses Verständnis von der Schädigungseignung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu anderen Eignungsdelikten wie der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (§ 126), der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 und 3), dem Freisetzen ionisierender Strahlen nach § 311 Abs. 1 oder der Straftat nach § 34 Abs. 2 AWG, 1 7 3 die als abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte, 174 zum Teil als

168

169 170 171

Vgl. auch BGH NStZ-RR 2 0 0 6 267, 2 6 8 ; Kindhäuser LPK Rdn. 8. Vgl. BGH NJW 2 0 0 8 86, 88. BGH NStZ-RR 2 0 0 6 267, 268. BGH NStZ-RR 2 0 0 6 267, 2 6 9 ; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 54.

414

172

173

174

Vgl. BGH N J W 2 0 0 8 86 m. Anm. Lampe juris-StrafR 5/2008 Anm. 1. Vgl. BGHSt 34 331 (§ 126); BGHSt 2 9 26; 4 6 218 (S 130); BGHSt 3 9 371 (§ 311); N J W 1 9 9 9 2 1 2 9 (§ 34 Abs. 2 AWG). Vgl. BGHSt 4 6 , 218; 3 9 371; BGH NJW 1999 2129.

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§ 129a

potentielle Gefährdungsdelikte bezeichnet werden. 175 Danach ist zwar der Eintritt einer konkreten Gefahr nicht erforderlich; festgestellt werden muss aber, dass die Tat - auch im Zusammenwirken mit möglicherweise geplanten weiteren vergleichbaren Taten („Nadelstichtaktik") - bei genereller Betrachtung gefahrengeeignet ist, mithin konkrete Gründe für die Befürchtung vorliegen, die (geplante) Tat werde einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen. 176 Dazu reicht die realistische Möglichkeit aus, dass der Schaden nach den Umständen der (vorgestellten) Tatbegehung eintritt. Die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts oder eine erhöhte Wahrscheinlichkeit sind nicht erforderlich. 177 Der Bundesgerichtshof hat das konturenlose und wenig aussagekräftige Merkmal „einen Staat erheblich schädigen kann" einschränkend ausgelegt. 178 Danach droht dem Staat nur dann ein relevanter Schaden i.S. des objektiven Merkmals, wenn die Straftaten geeignet sind, die Bevölkerung in erheblicher Weise einzuschüchtern, eine Behörde rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen des Staates erheblich zu beeinträchtigen. Vermögensnachteile, die nicht wegen ihres Ausmaßes zu einer dieser - oder jedenfalls vergleichbaren - Wirkung führen, reichen dagegen nicht aus, auch wenn sie rein wertmäßig als erheblich angesehen werden könnten. Damit übernimmt der Bundesgerichtshof die Beschreibung der vom Gesetz vorausgesetzten subjektiven Zielrichtung der Straftaten zur eingrenzenden Auslegung des objektiven Merkmals der Schädigungseignung. Zur Begründung beruft er sich auf die wegen derselben Strafdrohung erforderliche Konkordanz der in Absatz 2 genannten Organisationen mit Organisationen nach Absatz 1, wo sich die hohe Strafdrohung bereits aufgrund der dort aufgeführten äußerst schweren Katalogtaten ergebe. Diese Konkordanz könne nur hergestellt werden, wenn keine zu geringen Anforderungen an das objektive Merkmal gestellt würden. 179

65

Wann eine drohende Schädigung erheblich ist, entzieht sich dabei einer abstrakten Beschreibung und kann nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Im Fall der Zerstörung von Einrichtungen der Infrastruktur kann es darauf ankommen, wie gravierend die Folgen für die Bevölkerung oder die Wirtschaft sind und wie schnell die Schäden behoben werden können. 1 8 0 Eine entsprechende Schädigungseignung hat die Rechtsprechung bejaht bei gezielten Brandanschlägen gegen Geschäftsobjekte von Ausländern, um diese erheblich einzuschüchtern und aus einem bestimmten Teilgebiet der Bundesrepublik Deutschland zu vertreiben („ausländerfreies Havelland"). 181 Diese Taten wären nämlich im Falle ihrer Verwirklichung nach der Vorstellung der Vereinigung geeignet gewesen, das Sicherheitsgefühl der ausländischen Bewohner Deutschlands oder zumindest des betroffenen Gebiets in einer Weise zu beeinträchtigen, dass diese sich zu einem Wegzug entschlossen hätten. Dadurch wäre das allgemeine Vertrauen in die Wirkungskraft elementarer Verfassungsgrundsätze in einer

66

175 176

BGH NJW 1994 2161. Im Ergebnis ebenso Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2a (eine der Tat nach den konkreten Umständen innewohnende Erfolgsgefahr); Miebach /Schäfer MK Rdn. 54 (generelle Gefährlichkeit der von der Vereinigung ins Auge gefassten Tat); aA Fischer Rdn. 16 (eine nach den Umständen der vorgestellten Tatbegehung bestehende Wahrscheinlichkeit, dass der Erfolg ein-

177 178 179 180 181

treten wird); vgl. auch Rudolphi/Steiti SK Rdn. 11 (eine Tat, die nach den konkreten Umständen im Hinblick auf eine Schädigung objektiv sorgfaltswidrig ist). BGH NJW 2 0 0 8 86, 88. BGH NJW 2 0 0 8 86, 88. BGH NJW 2 0 0 8 86, 89. BGH NJW 2 0 0 8 86, 89. BGH NStZ-RR 2 0 0 6 269.

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§ 129a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Weise geschwächt worden, dass der Staat selbst einen erheblichen Schaden erlitten hätte. 182 67

Im Fall der Straftaten der „militanten gruppe" dagegen, der in den Jahren 2000 bis 2007 insgesamt 25 Anschläge auf Gebäude und Kraftfahrzeuge staatlicher Einrichtungen sowie von Privatfirmen und -personen mit einem Gesamtschaden von 1 Mio Euro zugerechnet werden, hat der Bundesgerichtshof das Tatbestandsmerkmal der objektiven Schädigungseignung verneint. Hier sei keine nennenswerte Beeinträchtigung der Tätigkeit der betroffenen staatlichen und privaten Stellen eingetreten oder zu erwarten; der eher propagandistische Effekt der Taten mit potentieller Mobilisierungswirkung bei Gleichgesinnten müsse als mittelbare Folge bei der Prüfung der Schädigungseignung außer Betracht bleiben. 183 Zum gleichen Ergebnis kam der Bundesgerichtshof bezüglich einer Gruppierung, deren Ziel es war, durch Brandanschläge und Sachbeschädigungen gewaltbereite Gesinnungsgenossen zu mobilisieren, um den Weltwirtschaftsgipfel (G 8) vom Frühsommer 2 0 0 7 in Heiligendamm durch Gewalttaten erheblich zu stören oder zu verhindern. 184 Dieser Gruppierung wurden in einem Zeitraum von 20 Monaten zwölf Anschläge auf Kraftfahrzeuge und Gebäude mit einem Gesamtschaden von ca. 2,6 Mio Euro zugerechnet. Diese Taten seien weder nach der Art ihrer Begehung, d.h. nach ihrer Frequenz und Intensität, noch nach ihren Auswirkungen geeignet, die Bundesrepublik Deutschland erheblich zu schädigen, zumal die Gefährdung von Menschen ausgeschlossen war und sein sollte. Das Fernziel, durch die Anschläge Dritte für gewalttätige Proteste zu mobilisieren, hat nach Auffassung des Bundesgerichtshofs als mittelbare Tatfolge, die sich erst durch eigenständiges Handeln Dritter ergeben könnte, bei der Prüfung der Schädigungsseignung außer Betracht zu bleiben.

V. Vereinigungen zum Zweck der Drohung (§ 1 2 9 a Abs. 3 ) 68

Vereinigungszweck von Vereinigungen nach Absatz 3 ist die Androhung eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten.

69

Das Tatbestandsmerkmal des Androhens entspricht dem in § 126. Danach ist es erforderlich, dass der Vereinigungszweck darauf ausgerichtet ist, eine der in Absatz 1 oder 2 aufgeführten Taten ausdrücklich oder konkludent anzukündigen oder in Aussicht zu stellen, wobei der Täter zum Ausdruck bringen muss, die Tat entweder selbst begehen zu wollen oder auf ihre Begehung bestimmenden Einfluss zu haben (vgl. § 126 Rdn. 8 f). Die Verwirklichung der Androhung muss nicht ernstlich gewollt sein; es reicht aus, wenn der Vereinigungszweck darauf ausgerichtet ist, beim Empfänger den Eindruck der Ernstlichkeit zu erzeugen. Die auf die Abgabe von bloßen Warnungen ausgerichtete Zwecksetzung erfüllt den Tatbestand nicht. 185

70

Entsprechend der Zwecksetzung nach Absatz 1 und 2, mehrere Straftaten begehen zu wollen (vgl. oben Rdn. 33), muss die Androhung darauf gerichtet sein, Katalogtaten durch mehrere Aktionen zu begehen. 186 Soweit die Androhung Katalogtaten nach Absatz 2 betrifft, müssen die dort aufgeführten Voraussetzungen der besonderen Bestimmung und Schädigungseignung vorliegen. Dies wird zutreffend dahingehend ausgelegt,

182 183

184

BGH NStZ-RR 2 0 0 6 269. BGH NJW 2 0 0 8 86, 89 m. zust. Anm. Knauer NJ 2 0 0 8 183. BGH NStZ 2 0 0 8 146, 147 m. Anm. Winkler juris-StrafR 7 / 2 0 0 8 Anm. 2.

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185 186

Miebach/Schäfer MK Rdn. 50. Rudolphi/Stein SK Rdn. 13.

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§ 129a

dass nach der Vereinigungsabrede nicht die angedrohten Straftaten, sondern schon die Androhung selbst diese besondere Bestimmung und Schädigungseignung aufweisen muss. 1 8 7 Dies folgt daraus, dass der Vereinigungszweck nicht auf die Verwirklichung der angedrohten Straftaten ausgerichtet zu sein braucht. Eine Vereinigung, die keine Katalogtaten begehen will, kann die in Absatz 2 genannte besondere Bestimmung aber nur bei der Androhung aufweisen.

VI. Beispiele aus der Rechtsprechung Das Bild der terroristischen Vereinigung des § 129a wurde vor allem in den siebziger und achtziger Jahren maßgeblich von der „Rote-Armee-Fraktion ( R A F ) " 1 8 8 und anderen Gruppierungen aus dem linksextremistischen Spektrum wie die „Bewegung 2. Juni", 1 8 9 die „Revolutionäre Zellen" 1 9 0 sowie sonstigen Zusammenschlüssen der guerilla diffusa geprägt.

71

Die innerhalb Deutschlands tätige, aus den Europa-, Regions- und Gebietsverantwortlichen sowie aus den leitenden Kadern der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen KADEK/KONGRA-GEL bestehende Organisation wurde bis Sommer 1996 als terroristische Vereinigung verfolgt. 191 Nachdem die Gewaltaktionen in Westeuropa ab 1996 - mit Ausnahme der gewaltsamen Besetzungsaktionen im Zusammenhang mit der Ergreifung Öcalans im Februar 1999 - tatsächlich eingestellt worden waren, wird die Organisation als kriminelle Vereinigung eingestuft, da ein gewichtiger Teil der Aufgaben, die dem Funktionskörper der PKK in Deutschland durch die Parteiführung übertragen sind, weiterhin unter Verletzung von Strafvorschriften in die Tat umgesetzt werden.

72

Die Mitglieder der in Deutschland tätigen Funktionärskörper der zwei durch Spaltung der marxistisch-leninistischen Organisation „Devrimci Sol" (Revolutionäre Linke) entstandenen, sich bekämpfenden Gruppierungen, der sog. Yagan-Flügel und der Karatas-Flügel, der mit der heutigen DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungsfront) identisch ist, wurden in Deutschland insbesondere seit den neunziger Jahren als terroristische Vereinigungen verfolgt. 1 9 2

73

Deutlich geringer ist die Zahl der rechtsextremistischen Gruppierungen, die in der Vergangenheit die Voraussetzungen einer terroristischen Vereinigung erfüllt haben. 1 9 3

74

187

188

Rudolphi/Stein SK Rdn. 13; Fischer Rdn. 18; aA Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2; offen gelassen von Kindhäuser LPK Rdn. 10. Vgl. BGHSt 31 16; 32 2 4 3 ; 33 16; 3 6 2 0 5 ; BGH NStZ 1985 2 6 3 ; MDR 1986 178; MDR 1987 1039; NJW 1988 1677 und 1679; N J W 1 9 8 9 2 0 0 2 ; N J W 1992 989; NStZ 1993 37; N J W 1995 3 3 9 5 ; OLG Hamburg J Z 1979 275; StV 1986 2 5 3 ; NStZ 1 9 9 7 4 4 3 ; BayObLG StV 1978 3 9 2 ; NStZ 1983 123; StV 1984 7 7 ; StV 1987 392; NJW 1991 2 5 7 5 ; NStZ-RR 1996 7; NStZ-RR 1996 135; NJW 1998 2 5 4 2 ; OLG Stuttgart StV 1984 76; J Z 1992 5 3 7 ; OLG Schleswig NJW 1988 352; KG StV 1990 210; OLG Düsseldorf NStZ 1990 145.

189

190

191

Vgl. KG StV 1981 5 2 5 ; Wunschik Die Bewegung 2. Juni, in: Kraushaar (Hg.), Die RAF und der linke Terrorismus, S. 531. Vgl. BGHSt 3 6 3 6 3 ; 4 6 3 4 9 ; BGH M D R 1990 103; NStZ 1990 501; NStZ-RR 2 0 0 6 232. Vgl. BGHSt 4 9 2 6 8 ; BGH M D R 1990 103; NStZ 2 0 0 2 6 0 7 ; BayObLG NStZ-RR 1 9 9 7 251; OLG Celle NdsRpfl 1998 50; ausführlich zur Geschichte und Entwicklung der PKK OLG Celle 2 StE 3/06-6 vom 11.10.

2006. 192 193

Vgl. BGH StV 1 9 9 9 352. BGHSt 2 9 114; BGH NStZ-RR 2 0 0 6 2 6 7 ; OLG Düsseldorf N J W 1994 3 8 9 ; Burckhardt DRiZ 1994 194.

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§ 129a 75

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Seit Ende der neunziger Jahre rückte die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus immer mehr in den Vordergrund. 1 9 4 Zu den wichtigsten Zielsetzungen gewaltorientierter Gruppen wie Al Qaida und anderen Mudjahedin-Netzwerken gehören die Bekämpfung der westlichen Welt als vermeintliche „Ungläubige", vor allem der USA und Israel, aber auch von Muslimen, die ihrer verzerrten Islam-Interpretation entgegenstehen, sowie die Errichtung islamischer Gottesstaaten auf der Basis des islamischen Rechts. Dabei berufen sie sich auf den Jihad als vorgeblich legitime Form des Kampfes und erheben ihn zu einer individuellen Pflicht eines jeden Muslims. Von den linksextremistischen Erscheinungsformen des Terrorismus der siebziger und achtziger Jahre unterscheidet sich der islamistische Terrorismus vor allem durch den weltweiten Handlungsraum, bei dem Landesgrenzen keine Barrieren bilden, durch eine Verzahnung mit einem religiösen Fundamentalismus, durch den Einsatz von Selbstmordattentätern und die Auswahl schwer zu schützender sog. weicher Ziele sowie durch einen Netzwerkcharakter, bei dem die formelle Gruppenidentität als Organisationskriterium gegenüber der Idee des globalen Jihad an Bedeutung verliert.

C. Tathandlungen I. Allgemeines 76

Die Tathandlungen des § 129a stimmen mit denen des § 129 überein. Auf die dortigen Ausführungen wird verwiesen. Erfasst werden in Absatz 1, 2 und 3 das Gründen einer terroristischen Vereinigung (vgl. § 129 Rdn. 100 ff) und das mitgliedschaftliche Sich-Beteiligen an einer solchen Vereinigung (vgl. § 129 Rdn. 104 ff), in Absatz 5 das Unterstützen (vgl. § 129 Rdn. 132 ff) und das Werben um Mitglieder oder Unterstützer (vgl. S 129 Rdn. 116 ff). Während die Unterstützung jeder der in den Absätzen 1 bis 3 genannten terroristischen Vereinigungen - mit unterschiedlicher Strafdrohung - strafbar ist, ist die werbende Tätigkeit um Mitglieder oder Unterstützer nur für eine der in den Absätzen 1 oder 2 genannten Vereinigungen unter Strafe gestellt.

Π. Privilegierung des Werbungstatbestandes 77

Der Bundesgerichtshof misst dem Tatbestand des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung 1 9 5 nunmehr exklusiven Charakter zu. Tätigkeiten, die sich als Werben für eine terroristische Vereinigung darstellen, können danach weder unter das Tatbestandsmerkmal des Unterstützens subsumiert werden noch als Beihilfe zur mitgliedschaftlichen Betätigung erfasst werden. 1 9 6 Dies gilt sowohl für das Werben um Mitglieder oder Unterstützer, als auch für das Werben für die Ideologie oder die Ziele der Vereinigung. 1 9 7

78

Die frühere Rechtsprechung hatte das Herstellen und Verbreiten von Propagandamaterial nicht nur als Werben, sondern auch als Unterstützungshandlung qualifiziert, wenn die eine Unterstützung einer Organisation bezweckende Zielrichtung eindeutig

194

Vgl. BGH NStZ 1999 503; 2000 27; CR 2002 378; NStZ-RR 2002 300; 2004 40; 2005 73; NStZ 2007 230, 635; vgl. auch Nehm NJW 2002 2665.

418

195 196

197

Vgl. BGH NJW 1988 1677 f. BGH NStZ 2007 635, 637; aA Bader NStZ 2007 618, 623. BGH NStZ 2007 635.

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§ 129a

erkennbar war und die Äußerungen einen unmittelbaren Organisationsbezug zu einer bestimmten Vereinigung aufwiesen. 198 Danach war z.B. als Unterstützer strafbar, wer Druckwerke verbreitete, in denen Attentate einer terroristischen Vereinigung gutgeheißen und ihnen Vorbildhaftigkeit suggeriert wurden. Das für die Vereinigung vorteilhafte Tun bestand in diesen Fällen darin, dass bei dem angesprochenen Leserkreis ein Gefühl der Gemeinsamkeit der Kampfstellung gegenüber dem gemeinsamen Gegner erzeugt werden konnte und dies geeignet war, die Leser in eine innere Nähe zur Vereinigung zu bringen und damit deren Aktionsmöglichkeiten, eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld zu erweitern und insgesamt zu einer Stärkung ihres Gefährdungspotentials zu führen. 1 9 9 Die Abkehr von dieser Rechtsprechung begründet der Bundesgerichtshof mit der durch das 34. Strafrechtsänderungsgesetz vom 22. August 2 0 0 2 eingeführten Beschränkung des Werbens auf Werben um Mitglieder und Unterstützer sowie mit der durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2 0 0 2 zur Terrorismusbekämpfung vom 2 2 . Dezember 2 0 0 3 vorgenommenen deutlichen Differenzierung zwischen den Tatbestandsalternativen des Werbens und Unterstützens bei den Strafdrohungen und im Hinblick auf die Straflosigkeit der Werbung um Mitglieder oder Unterstützer für eine terroristische Vereinigung nach § 129a Abs. 3 (siehe oben Entstehungsgeschichte). Darin zeige sich der objektivierte Wille des Gesetzgebers, die Werbung um Mitglieder, Unterstützer oder Sympathie für eine terroristische Vereinigung zu privilegieren, nämlich alle Handlungen, die sich (nur) in einem Werben für die Ideologie und die Ziele einer terroristischen Vereinigung oder in einem Werben um Mitglieder oder Unterstützer für eine Vereinigung nach § 129a Abs. 3 erschöpfen, aus der Strafbarkeit herauszunehmen und im Falle der Mitglieder- oder Unterstützerwerbung für eine Vereinigung nach § 129a Abs. 1 oder 2 einen im Vergleich zum Unterstützungstatbestand geringeren Strafrahmen vorzusehen. Offen gelassen hat der Bundesgerichtshof, ob die Sperrwirkung auch dann eingreift, wenn ein strafloses Werben für eine Organisation dieser tatsächlich einen messbaren Vorteil verschafft, etwa durch den Beitritt eines neuen Mitglieds. 2 0 0

79

Diese Rechtsprechung hat zur Folge, dass die propagandistische Tätigkeit des Nichtmitglieds einer terroristischen Vereinigung, die sich in dem befürwortenden Eintreten für sie, der Rechtfertigung ihrer Ziele oder der aus ihr heraus begangenen Straftaten sowie in der Verherrlichung der Ideologie, aus der die Vereinigung ihre Tätigkeit legitimiert und gegebenenfalls auch Einzelpersonen zur Rechtfertigung für die Begehung von Straftaten dient, erschöpft, nicht mehr nach § 129a erfasst werden kann. Allgemein gefasste Aufrufe, sich an nicht näher gekennzeichneten terroristischen Aktivitäten zu beteiligen, oder der bloße Aufruf, sich dem Jihad anzuschließen, bleiben bereits mangels konkreten Organisationsbezugs straflos (vgl. § 129 Rdn. 130). Eine strafbare Werbung kommt allenfalls dann in Betracht, wenn der durch den Täter verbreitete Aufruf durch eine Person erfolgt, die eine Vereinigung derartig herausgehoben repräsentiert, dass sich allein daraus ausreichend konkret ergibt, die Aufforderung gelte zuallererst oder zumindest auch zu Gunsten der repräsentierten Vereinigung. 201 Hinzukommen für die Strafbarkeit des Nichtmitglieds im Falle der Beteiligung an propagandistischer Tätigkeit muss weiter-

80

198

Vgl. BGHSt 3 3 16; 3 6 51, 53; 43 41, 44; BGH N J W 1988 1677, 1678; OLG Schleswig NJW 1988 352; OLG Düsseldorf NStZ 1990 145, 146; Miebach/Schäfer MK § 129 Rdn. 91; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben § 129 Rdn. 15a; Rebmanrt NStZ 1989 9 7 , 1 0 0 ; Rudolphi JR 1979 33, 34.

199

200 201

BGH N J W 1988 1677, 1678 (vgl. aber auch BayObLG StV 1987 3 9 2 als Vorinstanz); vgl. auch BGHSt 36 51, 53. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 637. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 637.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

hin, dass dieses sich um die Gewinnung von Personen bemüht, die sich mitgliedschaftlich in die Organisation einer bestimmten Vereinigung einfügen oder dass es bei einem anderen die Bereitschaft wecken will, die Tätigkeit oder die Bestrebungen einer konkreten Vereinigung direkt oder über eines ihrer Mitglieder zu fördern. Haben die verbreiteten Äußerungen einen entsprechenden Inhalt, kommt ein Werben zudem nur in Betracht, wenn das solche Äußerungen verbreitende Nichtmitglied sich ihren werbenden Inhalt erkennbar als eigene Meinungsäußerung zu eigen macht und als eigenes werbendes Eintreten für die Vereinigung verstanden wissen will (vgl. § 129 Rdn. 127). 2 0 2 Dies bestimmt sich nach den Gesamtumständen des Handelnden. 203 Für Personen, die bei der Verbreitung fremder Äußerungen nur in technischer Hinsicht beteiligt sind, wie etwa Drucker oder Verteiler, kommt allenfalls Beihilfe zum Werben in Betracht.

D. Rädelsführer und Hintermänner 81

Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern einer terroristischen Vereinigungen (zu den Begriffen vgl. § 129 Rdn. 173 f), sieht Absatz 4 eine nach der Art der Vereinigung differenzierende Strafschärfung vor. Insoweit handelt es sich um einen echten Qualifikationstatbestand und nicht nur - wie § 129 Abs. 4 - um zwingende Beispiele für die Annahme eines besonders schweren Falles. 204 Beide Qualifikationsmerkmale kennzeichnen ein besonders gefährliches Verhalten und kein speziell personales Unrecht, weshalb sie keine besonderen persönlichen Merkmale i.S.d. § 28 Abs. 2 sind. 205

E. Subjektiver Tatbestand 82

Zum inneren Tatbestand ist Vorsatz erforderlich, wobei bedingter Vorsatz grundsätzlich genügt. 206 Der Vorsatz muss sich auf die strafbare Zwecksetzung oder Betätigung der Vereinigung erstrecken, da diese zum äußeren Tatbestand gehört. Der Täter muss sich also bewusst sein oder zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen, dass die Bestrebungen der Vereinigung die Verwirklichung zumindest einer Art von Katalogtaten nach Absatz 1 oder 2 oder die Androhung solcher Taten umfassen. Zieht der Täter (z.B. bei finanzieller Unterstützung) nur anders geartete Straftaten in Betracht, so richtet sich seine Strafbarkeit nach § 129. In den Fällen des Absatzes 2 und bei Vereinigungen, deren Zweck auf die Androhung von Katalogtaten des Absatzes 2 gerichtet ist, muss der Vorsatz des Täters auch die besondere Bestimmung der Katalogtaten und die Schädigungseignung umfassen. Bezüglich der Schädigungseignung genügt bedingter Vorsatz. 207 Entgegen zum Teil vertretener Auffassung, wonach auch bezüglich der besonderen Bestimmung der Katalogtaten bedingter Vorsatz ausreicht, 208 ist insoweit zu verlangen, dass der Täter mit direktem Vorsatz handelt. 209 Die noch im Gesetzentwurf enthaltene

202 203 204

205

206

207

Vgl. BGHSt 3 6 3 6 3 , 3 6 7 f. Vgl. B G H N S t Z 2 0 0 7 6 3 5 . Scb/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 4 ; Miebach/Schäfer M K Rdn. 8 4 . Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Liebeti Rdn. 4 ; Kindhäuser LPK Rdn. 13. Prot. 7 / 2 4 5 3 ; Miebach/Schäfer M K Rdn. 6 2 ; Fischer Rdn. 2 2 . Fischer Rdn. 2 2 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 15.

420

208 209

Rudolphi/Stein SK Rdn. 15. So auch Miebach/Schäfer M K Rdn. 6 4 ; Fischer Rdn. 2 2 (direkter Vorsatz in vermittelter Weise insoweit, als der Täter mindestens bedingt in Kauf nehmen muss, dass die Vereinigung Katalogtaten begehen oder androhen will, die, wenn dies geschieht, die genannte Bestimmung sicher haben).

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§ 129a

Fassung „in der Absicht" ist durch die Formulierung „bestimmt ist" ersetzt worden, um den subjektiven Tatbestand an die Terminologie des StGB anzupassen. 210 Als Vorbild diente hierbei § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GVG. Das voluntative Element bedeutet deshalb, dass der Täter die möglichen Folgen der Tat in seinen Willen aufgenommen und gewollt haben muss. Ein zielgerichtetes Handeln im Sinne einer Absicht ist nicht erforderlich. 211 Zu dem Erfordernis zielgerichteten Handelns beim Werben s. § 129 Rdn. 152. 2 1 2

F. Täterschaft und Teilnahme Für die Fragen von Täterschaft und Teilnahme gelten die bei § 129 dargestellten Grundsätze (vgl. § 129 Rdn. 158 ff). In Betracht kommen danach Anstiftung und Beihilfe zum Gründen einer terroristischen Vereinigung sowie zum Werben.

83

Beihilfe zur mitgliedschaftlichen Beteiligung ist regelmäßig täterschaftliches Unterstützen, aber nicht notwendigerweise deckungsgleich. Denn das Hilfeleisten i.S. von § 27 bezieht sich stets auf die vorsätzliche rechtswidrige Tat eines Haupttäters, während sich das Unterstützen gem. § 129a Abs. 5 S. 1 auf die Vereinigung als solche richtet und lediglich nach der besonderen Gestaltung des Einzelfalles gleichzeitig eine Beihilfe zu der mitgliedschaftlichen Betätigung eines Mitglieds der Organisation darstellen kann. Zum anderen setzt die Strafbarkeit nach § 27 Abs. 1 voraus, dass die Haupttat in ihrer konkreten Ausgestaltung durch die Hilfeleistung gefördert oder erleichtert wird, 213 während ein entsprechender Erfolg der Unterstützungshandlung für die Vereinigung gerade nicht notwendig ist. 214 Anstiftung und Beihilfe zum Unterstützen sind als tatbestandlich verselbstständigtes Unterstützen zu werten. 215 Soweit es um Verbrechenstatbestände geht, sind über § 30 Abs. 1 und 2 auch die versuchte Anstiftung und die Verabredung strafbar. 216

84

G. Versuch und Vollendung Auch insoweit gelten die Erläuterungen zu ξ 129 (vgl. § 129 Rdn. 166 ff).

85

Der Versuch der Gründung und der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer Vereinigung nach Absatz 1 und 2 ist nach dem Grundsatz des § 23 Abs. 1 aufgrund des Verbrechenscharakters strafbar. Der Versuch des Gründens oder Sich-Beteiligens an Vereinigungen nach Absatz 3 bleibt dagegen straflos. Etwas anderes gilt nur, wenn der Täter Rädelsführer oder Hintermann nach Absatz 4 ist. Eine versuchte mitgliedschaftliche Beteiligung kann in Betracht kommen beim Eintritt in eine terroristische Vereinigung,

210

211

212 213 214

215

Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 15/1730, S. 7. Vgl. BGHSt 4 6 238, 251, auf den der Bericht des BT-Rechtsausschusses verweist, BTDrucks. 15/1730, S. 7. BGH NJW 1988 1679; 1990 2 8 2 8 , 2 8 3 0 . Vgl. BGH NJW 2 0 0 7 384, 388. BGH NStZ 2 0 0 7 635, 637; vgl. aber BGHSt 2 0 89; 2 9 99, 101. Vgl. BGH 3 StR 4 3 8 / 8 3 v. 9.12.1983, bei Schmidt MDR 1985 185; Miebach/Schäfer

216

MK Rdn. 73; Fischer § 129 Rdn. 38; Fürst Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 236; aA Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben § 129 Rdn. 24; Bader NStZ 2 0 0 7 618 ff; Dahs NJW 1976 2145, 2148, die hier Teilnahme an § 129a annehmen; Rudolphi/Stein SK § 129 Rdn. 27: Straflosigkeit; vgl. auch Sommer JR 1981 4 9 0 ff. Krit. Fischer Rdn. 2 4 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 17.

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421

86

§ 129a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

wenn es wegen des Zugriffs der Strafverfolgungsbehörden zu mitgliedschaftlichen Tätigkeiten nicht mehr gekommen ist, 2 1 7 oder bei versuchten Förderungshandlungen eines außenstehenden Hintermannes. Zu denken ist etwa an das misslungene Unterfangen des Hintermannes, die für die Verwirklichung der verbrecherischen Zielsetzung entscheidenden Waffen zu liefern oder ausschlaggebende finanzielle Zuwendungen an die Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu transferieren. 2 1 8 87

Für den Tatbestand der Gründung einer terroristischen Vereinigung kann im Regelfall davon ausgegangen werden, dass der Täter jedenfalls dann das Vorbereitungsstadium verlassen und zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt hat, wenn er eine Person mit dem konkreten Ansinnen, diese als Mitglied der zu gründenden Vereinigung zu rekrutieren, angesprochen hat. 2 1 9 Wer erfolglos dafür wirbt, dass eine nicht mehr existente terroristische Vereinigung ihre terroristischen Aktivitäten wieder entfaltet, kann sich wegen versuchter Anstiftung zur Gründung einer terroristischen Vereinigung nach §§ 3 0 , 129a Abs. 1 strafbar machen. 2 2 0

88

Bei den in Absatz 5 aufgeführten Begehungsarten des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer und des Unterstützens wird der Versuch nicht unter Strafe gestellt.

89

Soweit der Versuch strafbar ist, kann der Täter nach § 2 4 von der Tat zurücktreten. Die Regelung des § 129 Abs. 6 über die tätige Reue ist kraft der Bezugnahme in Absatz 7 uneingeschränkt auch bei Taten des § 129a anwendbar (vgl. § 129 Rdn. 179 ff) 2 2 1

90

Vollendet sind die mitgliedschaftliche Beteiligung, das Werben und Unterstützen mit der Vornahme der entsprechenden Handlung. Zur konkreten Planung, Vorbereitung oder gar Ausführung einzelner Straftaten muss es in keinem Fall gekommen sein. Im Falle des Unterstützens muss sich die Förderhandlung für die Vereinigung irgendwie vorteilhaft ausgewirkt haben. Bei der Handlungsalternative des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer setzt die Vollendung einen Erfolg der Werbung nicht voraus; auch der erfolglose Versuch, andere als Mitglieder oder Unterstützer einer Vereinigung zu gewinnen, wird von der Strafbarkeit erfasst (vgl. § 129 Rdn. 131). Die Tatbestandsvariante des Gründens ist erst vollendet, wenn die Vereinigung entstanden ist. Dies setzt voraus, dass die Organisationsstruktur der Vereinigung eingerichtet, ein Gruppenwille gebildet und der Vereinigungszweck festgelegt i s t . 2 2 2 Die entsprechenden Absprachen können durch die Teilnahme der Gründungsmitglieder an Internet-Chaträumen getroffen werden. 2 2 3

217 218 219

220

221

Vgl. hierzu BGH NJW 1980 462, 463. Vgl. Kühl JuS 1980 124. BGH NStZ-RR 2 0 0 4 40; Miebach/Schäfer MK Rdn. 105, vgl. auch Sehet ff Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen? S. 171 ff. Vgl. BayObLG NJW 1998 2542 f; aA v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 38. Zu Bedenken gegen die praktische Bedeutung der Vorschrift im Rahmen des § 129a

422

222

223

im Hinblick auf die erweiterte Anzeigepflicht des Verteidigers und eine dadurch bedingte Hemmschwelle des Mandanten vor dem Anvertrauen vgl. Dahs NJW 1976 2145, 2148; s.a. Jung ZRP 1986 38, 41. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben § 129 Rdn. 18; Miebach/Schäfer MK § 129 Rdn. 104; Fischer § 129 Rdn. 35. Vgl. OLG Schleswig 1 OJs 1/07 v. 24.01.

2008.

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§ 129a

H. Rechtsfolgen I. Strafrahmen Der Gesetzgeber hat die Rechtsfolgen bei der Neufassung des § 129a zum Teil aufgrund von Vorgaben des Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2 0 0 2 sehr differenziert ausgestaltet. Für das Gründen oder das mitgliedschaftliche Beteiligen an einer terroristischen Vereinigung nach Absatz 1 und 2 sieht das Gesetz als Strafdrohung Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren vor. Die Tat ist insoweit ein Verbrechen (§ 12 Abs. 1); der Versuch ist gemäß § 23 Abs. 1 stets strafbar. Im Falle der Gründung oder mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer Vereinigung nach Absatz 3 beträgt der Strafrahmen wegen des geringeren Unrechtsgehalts sechs Monate bis zu fünf Jahren.

91

Die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ist je nach Art der Vereinigung mit unterschiedlicher Strafe bedroht. Für die Unterstützung einer der in den Absätzen 1 oder 2 genannten Organisationen sieht das Gesetz gemäß der EU-Vorgabe (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 i.V.m. Art. 2 Abs. 2b des Rahmenbeschlusses) Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor, für die Unterstützung einer von Absatz 3 erfassten Organisation Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

92

Soweit eine werbende Tätigkeit um Mitglieder oder Unterstützer für eine der in den Absätzen 1 oder 2 genannten Vereinigungen in Frage steht, ist die Strafandrohung mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren im Vergleich zu § 129a a.F. unverändert geblieben.

93

Für Rädelsführer und Hintermänner einer Vereinigung nach den Absätzen 1 und 2 wird Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren angedroht und damit der bisherige Strafrahmen nach § 129a Abs. 2 a.F. beibehalten. Rädelsführer und Hintermänner einer Vereinigung nach Absatz 3 werden mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft, wodurch die Tat zum Verbrechen wird.

94

Π. Strafmilderung Die Mitläuferldausel des Absatzes 6 ermöglicht bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach § 4 9 Abs. 2 zu mildern. Dies ist besonders zu prüfen, wenn der Tatbeitrag des Beschuldigten nicht erheblich ins Gewicht fällt. 2 2 4 Im Gegensatz zu § 129 Abs. 5 kommt kein Absehen von Strafe, sondern nur eine Strafmilderung nach dem Ermessen des Tatgerichts in Betracht. Rädelsführer und Hintermänner nimmt die Regelung von der Anwendbarkeit aus.

95

ΙΠ. Tätige Reue Für die tätige Reue gilt § 129 Abs. 6 entsprechend (§ 129a Abs. 7 ) . 2 2 5 Das Gericht kann somit nach seinem Ermessen die Strafe gem. § 4 9 Abs. 2 mildern, wenn einer der dort geregelten Fälle tätiger Reue vorliegt (vgl. § 129 Rdn. 179 ff). Die Vereinigung muss vor Beginn der Bemühungen, deren Fortbestand zu verhindern, noch bestanden haben,

224

BGH EzSt Nr. 1.

225

Vgl. B G H NStZ-RR 2 0 0 6 2 3 2 , 2 3 3 .

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§ 129a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

also ihre Zwecke und Tätigkeiten noch auf die Begehung von Katalogtaten gerichtet haben. 2 2 6

IV. Sonstige Rechtsfolgen 97

Nach § 129a Abs. 8 kann das Tatgericht neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten gem. § 45 Abs. 2 sowohl die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter als auch das passive Wahlrecht für die Dauer von zwei bis zu fünf Jahren aberkennen. 2 2 7 Wird der Täter wegen eines Verbrechens nach § 129a Abs. 1, 2 oder 4 zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt, geht die Amtsfähigkeit und Wählbarkeit nach § 4 5 Abs. 1 automatisch verlustig.

98

In Fällen der Absätze 1, 2 und 4 sieht § 129a Abs. 9 die Möglichkeit einer Anordnung der Führungsaufsicht gemäß § 68 Abs. 1 vor. Dies setzt voraus, dass der Täter zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist und die Gefahr besteht, dass er weitere Straftaten begehen wird. 2 2 8

99

Gemäß Verordnung EG Nr. 2580/2001 vom 27. Dezember 2001 2 2 9 und Verordnung EG Nr. 881/2002 vom 25. Mai 2 0 0 2 , 2 3 0 letztmalig geändert durch die 95. Veränderungsverordnung vom 5. Mai 2 0 0 8 , 2 3 1 können Gelder und wirtschaftliche Resourcen von Personen, die in den Anlagen der Verordnungen aufgeführt sind, eingefroren werden (s.o. Rdn. 8)

I. Konkurrenzen 100

Zu den Konkurrenzen kann auf die Ausführungen zu § 129 Bezug genommen werden (dort Rdn. 189 ff).

101

Zwischen mitgliedschaftlicher Betätigung und den einzelnen, in Verfolgung der Ziele der Vereinigung begangenen Verbrechen und Vergehen besteht Tateinheit. 2 3 2 Mehrere durch dieselbe mitgliedschaftliche Betätigung verwirklichte weitere Straftaten, die für sich jeweils selbstständig strafbar wären und in Realkonkurrenz stünden, werden kraft der Klammerwirkung des § 129a StGB zur Tateinheit verbunden, wenn zwischen den an sich selbstständigen Taten und § 129a zumindest eine annähernde Wertgleichheit besteht oder § 129a die schwerste Tat ist. 2 3 3 Dagegen hat § 129a nicht die Kraft, etwa die mit

216

227 228 129 230

231

232

233

BGH NStZ-RR 2 0 0 6 2 3 2 ; vgl. hierzu auch BVerfG 2 BvR 1378/06 v. 8.11.2006. Vgl. Theune LK § 4 5 Rdn. 13 ff. Vgl. Schneider LK § 68 Rdn. 3 ff. ABl. EG L 344, S. 70. ABl. EG L 139, 9 vom 27.5.2002; vgl. hierzu Schlarmann/Spiegel N J W 2 0 0 7 870. EG Nr. 4 0 0 / 2 0 0 8 ABl. EG L 118 v. 6.5. 2 0 0 8 , S. 14; vgl. hierzu auch BTDrucks. 16/6236 und 16/6879. Vgl. BGH StV 1 9 9 9 352, 353; BGHR StGB § 129a Konkurrenzen 2 (§ 311 a.E), BGH NStZ 2 0 0 7 2 3 0 (§§ 2 1 1 , 2 7 ) . Vgl. BGHSt 2 9 288, 291; BGH NJW 1975

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985, 9 8 6 ; M D R 1980 684, 685; bei Holtz MDR 1982 9 6 9 ; StV 1999 352, 353; 2 0 0 4 385; 2 0 0 5 46, 4 7 ; NStZ-RR 1998 2 3 4 , 235, 2 0 0 6 2 3 2 , 2 3 3 ; BGHR § 129a Konkurrenzen 4; Miebach/Schäfer MK Rdn. 79; Rudolphi/Stein SK Rdn. 19; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben § 129 Rdn. 27; Fischer § 129 Rdn. 50; Rissing-van Saan LK § 52 Rdn. 2 8 ff; aA Fleischer N J W 1976 879; Meyer J R 1978 35; s.a. Laufhütte Prot. 7 / 2 4 4 2 ; krit. Puppe NK § 52 Rdn. 4 4 ff; Geppert Jura 1997 215; Paeffgen NStZ 2 0 0 2 281, 2 8 7 ; Ranft JuS 2 0 0 3 423.

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§ 129a

höherer Strafe bedrohten Verbrechen des versuchten Mordes und der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion (§ 308) miteinander zur Tateinheit zu verbinden. 234 Die Grundsätze der Klammerwirkung greifen auch dann ein, wenn der die Tateinheit herstellende Verbindungstatbestand vom erkennenden Gericht übersehen 2 3 5 oder nach § 154a StPO von der Strafverfolgung ausgenommen worden ist. 2 3 6

J. Prozessuales I. Allgemeines Die Mitte der siebziger Jahre einsetzenden Bemühungen des Gesetzgebers um eine Bewältigung des Terrorismusphänomens haben nicht nur zur Einführung des 129a im Jahr 1976 und seinen späteren Erweiterungen geführt, sondern auch zu zahlreichen Neuerungen und Änderungen im Strafverfahrensrecht. 237 Damit sollte der Missbrauch prozessualer Rechte und die Fortführung krimineller Tätigkeit unter dem Schutz des Verfahrensrechts unterbunden 238 und den Bedürfnissen wirkungsvollerer Fahndungs- und Ermittlungstätigkeit durch eine Erweiterung strafprozessualer Eingriffsbefugnisse Rechnung getragen werden. Die gesetzgeberischen Neuerungen betrafen unter anderem die Beschränkung der Verteidigerzahl (§ 137 StPO), das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO), den Verteidigerausschluss (§ 138a Abs. 2 StPO), die erweiterte Befugnis zur Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§§ 231a, 231b StPO), die Überwachung des schriftlichen Verteidigerverkehrs (§§ 148, 148a StPO) oder die Einführung der Trennscheibe bei mündlichen Verteidigergesprächen (§ 148 Abs. 2 StPO).

102

Daneben wurden der Katalog der Ermittlungsmaßnahmen durch Einführung neuer und Ergänzung bestehender Vorschriften (siehe unten Rdn. 109) sowie die Haftgründe erweitert ( § 1 1 2 Abs. 3 StPO i.V.m. § 129a).

103

Π. Verjährung Die Gründung und die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung nach Absatz 1 oder 2 sowie die Unterstützung einer solchen Vereinigung verjähren in zehn Jahren, § 78 Abs. 3 Nr. 3. Handelt der Täter als Rädelsführer oder Hintermann nach § 129a Abs. 4 beträgt die Verjährungsfrist 20 (bei Vereinigungen nach Abs. 1 oder 2)

234

235 236

237

BGHR StGB § 129a Konkurrenzen 4 zu §§ 211, 2 2 und % 311 a.F. Vgl. BGH NStZ-RR 2 0 0 0 360, 361. Vgl. BGH NStZ 1984 135 und 2 6 2 ; 1989 20; 2 0 0 5 46, 47; BGHR StGB § 52 Abs. 1 Klammerwirkung 3; Risstng-van Saan LK S 52 Rdn. 29. Vgl. etwa Gesetz zur Ergänzung des 1. Strafverfahrensreformgesetzes (StVRG) vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3686); Antiterrorismusgesetz vom 18. August 1976 (BGBl. I S. 2181); Kontaktsperregesetz vom 30. September 1977 (BGBl. I S. 1877);

238

Gesetz zur Änderung der StPO vom 14. April 1978 (BGBl. I S. 497); Passgesetz und Gesetz zur Änderung der StPO vom 19. April 1986 (BGBl. I S. 537, 543); Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15. Juli 1992 (BGBl. I S. 1302); Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3186); vgl. auch v. Bubnoff LK 11 vor § 129a Rdn. 11; Achenbach Kriminalistik 1987 2 9 8 ; Dencker KritJ 1987 49; Hilger RAusschProt. 1 0 / 1 0 2 S. 4 0 f. Vgl. Vogel NJW 1978 1223.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

bzw. zehn Jahre (bei Vereinigungen nach Absatz 3), § 78 Abs. 3 Nr. 2 und 3. Im Übrigen beläuft sich die Verjährungsfrist gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 auf fünf Jahre. 105

Handelt es sich bei der Tat nach § 129a Abs. 5 um ein Presseinhaltsdelikt, das mittels Verbreitens einer Druckschrift i.S. der Landespressegesetze begangen ist, gilt deren kurze Verjährungsfrist (sechs Monate). 2 3 9 Ist die dem Täter zur Last gelegte Tat nicht ausschließlich mittels eines Druckwerks begangen (gewalttätiger Demonstrationsmarsch und Flugblattverbreitung), sondern liegt der Schwerpunkt einer Aktion beispielsweise in einer aufsehenerregenden Massenzerstörung, ist der Tatrichter unter der Voraussetzung, dass der Unterstützungstatbestand nicht durch den Werbetatbestand ausgeschlossen ist, 240 nicht gehindert, trotz Verjährung des gleichzeitig begangenen Presseinhaltsdelikts die gesamte Aktion als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu qualifizieren, wobei die für sich verjährte Schriftenverbreitung indiziell für Feststellung der Handlung als Unterstützung herangezogen werden kann. 241 Entsprechendes gilt für eine mitgliedschaftliche Beteiligung insoweit, als sich in dem presserechtlich relevanten Tätigkeitsakt, dessen Aussagegehalt nicht nachträglich entfällt, die maßgebliche, auf Dauer angelegte, gesteigerte Verbandsförderung (mit) manifestiert hat.

106

Bei der mitgliedschaftlichen Beteiligung beginnt die Verjährungsfrist in dem Zeitpunkt, in dem der Täter seine auf Dauer ausgerichtete Teilnahme am Verbandsleben endgültig eingestellt hat. Wurde der Strafrahmen des § 129a während der Tat der mitgliedschaftlichen Beteiligung hochgestuft mit der Folge der Verlängerung der Verjährungsfrist, gilt die längere Verjährungsfrist auch für den Teil des Organisationsdelikts, der vor der Strafrahmenerhöhung begangen worden ist. 2 4 2

ΙΠ. Strafklageverbrauch 107

Zum Strafklageverbrauch wird auf die auch für § 129a geltenden Ausführungen zu § 129 (Rdn. 2 0 0 ff) verwiesen.

IV. Zuständigkeiten 108

Gem. § 142a Abs. 1 GVG i.V.m. § 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG übt der Generalbundesanwalt in Verfahren nach § 129a das Amt der Staatsanwaltschaft aus. Er kann das Verfahren in Sachen von minderer Bedeutung an die Landesstaatsanwaltschaft abgeben (§ 142a Abs. 2 Nr. 2 GVG), wenn nicht eine Ausnahme nach § 142a Abs. 3 GVG vorliegt. Ungeachtet eines gegen den Beschuldigten schon von der Landesstaatsanwaltschaft wegen anderer Taten eingeleiteten Ermittlungsverfahrens kann der Generalbundesanwalt im Rahmen sog. ARP-Vorgänge das Vorliegen eines Anfangsverdachts nach § 129a prüfen und Vorermittlungen aufnehmen. 243

239

Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1998 249; Schmid LK § 78 Rdn. 14 ff; zum Begriff des Presseinhaltsdelikts vgl. auch Franke GA 1982 4 0 4 ; krit. zu deren Anwendung auf die Untergrundpublikationen mit strafbarem Inhalt des § 129a Rebmann NStZ 1989 97, 102 und Schmidt MDR 1990 104.

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240 241 242 243

Vgl. oben Rdn. 76. Vgl. BGH StGB § 129a Abs. 3 Unterstützen 2. BGHR StGB § 129a Verjährung 1. Vgl. hierzu Diemer NStZ 2 0 0 5 666.

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§ 129a

V. Ermittlungsmaßnahmen Nach § 100a Abs. 2 Nr. l d StPO darf der Fernmeldeverkehr überwacht und aufgezeichnet werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Straftat nach § 129a begangen hat. Die durch Maßnahmen nach § 100a StPO rechtmäßig gewonnenen Erkenntnisse dürfen im Strafprozess auch für die Aufklärung der Taten verwertet werden, die die Mitglieder bei der Verfolgung der Ziele der Vereinigung abgesprochen oder begangen haben. Dies gilt auch, wenn - etwa infolge Ausscheidung nach § 154a StPO - Anklage nicht nach § 129a, sondern nur wegen einer Zusammenhangstat erhoben wurde oder wenn sich der Verdacht einer Straftat nach § 129a im Laufe der Ermittlungen zwar nicht bestätigt, die abzuurteilende Tat aber derart im Zusammenhang mit der die Abhörmaßnahme auslösenden Anknüpfungstat des § 129a steht, dass sie als Ausfluss des Tätigkeitsfeldes der bei der Überwachung vermuteten terroristischen Vereinigung erscheint. 244 Für Zufallserkenntnisse gilt § 4 7 7 Abs. 2 S. 2. Rechtmäßig gewonnene Zufallserkenntnisse, die nicht Katalogtaten betreffen, dürfen zwar nicht zu Beweiszwecken verwertet werden, sie können aber Anlass zu weiteren Ermittlungen zur Gewinnung neuer Beweismittel sein. 2 4 5 Die Wohnraumüberwachung ist unter den Voraussetzungen des § 100c Abs. 1, Abs. 2 Nr. l b StPO zulässig. Nach § lOOf Abs. 1 StPO darf das nichtöffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln außerhalb einer Wohnung abgehört und aufgezeichnet werden. § 100g Abs. 1 Nr. 1 StPO gestattet die Einholung von Auskünften über Telekommunikationsverbindungsdaten. § lOOi Abs. 1 StPO erlaubt den Einsatz eines „IMSI-Catcher". Bei dringendem Verdacht einer Straftat nach § 129a ist gem. § 103 Abs. 1 S. 2 StPO die Durchsuchung sämtlicher Wohnungen und Räume (auch von Nichtverdächtigen) eines Gebäudes zwecks Ergreifung des Beschuldigten gestattet. § 98a Abs. 1 Nr. 2 StPO erlaubt den maschinellen Abgleich und die Übermittlung personenbezogener Daten in Fällen von erheblicher Bedeutung. Zur Ergreifung des Täters oder zur Sicherstellung von Beweismitteln dürfen gem. § 111 Abs. 1 StPO Kontrollstellen mit besonderen Befugnissen eingerichtet werden. 246 § 163d Abs. 1 Nr. 1 StPO schließlich erlaubt die Schleppnetzfahndung. 247

109

VI. Haftrecht Bei dringendem Verdacht nach § 129a Abs. 1 oder 2 erweitert 5 112 Abs. 3 StPO die Möglichkeit der Anordnung der Untersuchungshaft auf Fälle, in denen kein Haftgrund nach § 112 Abs. 2 StPO vorliegt (Haftgrund der Tatschwere). Die Vorschrift ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass der Erlass eines Haftbefehls nur zulässig ist, wenn Umstände vorliegen, die die Gefahr begründen, dass ohne Festnahme des Beschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnte; ausreichen kann schon die zwar nicht mit bestimmten Tatsachen belegbare, aber nach den Umständen der

244

Vgl. BVerfG NJW 1988 1075; BGHSt 2 8 122; BGH NStZ 1982 125; Meyer-Goßner StPO 51 § 100a Rdn. 33 f; vgl. auch OLG Karlsruhe MDR 1994 5 0 0 ; Allgayer NStZ 2 0 0 6 603; krit. Odenthal NStZ 1982 390; Vogel NJW 1979 2 5 2 4 .

245

246 247

Vgl. Meyer-Goßner StPO 51 § 4 7 7 Rdn. 5; vgl. auch BVerfG NJW 2 0 0 5 2 7 6 6 . Hierzu Schnarr NStZ 1 9 9 0 257, 259. Vgl. hierzu Kühl NJW 1987 737, 741 f; Rogall NStZ 1986 388 ff.

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§ 129a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Falles doch nicht auszuschließende Flucht- oder Verdunkelungsgefahr oder die ernstliche Befürchtung, dass der Täter weitere Taten ähnlicher Art begehen werde. 2 4 8 111

Zur Abwehr schwerer terroristischer Gefahren für Leib, Leben und Freiheit einer Person kann gegen wegen einer Tat nach § 129a Inhaftierte (Straf- und Untersuchungsgefangene) eine Kontaktsperre angeordnet werden, die sich auf die Verbindung zu Personen außerhalb der Anstalt und zu Mitgefangenen bezieht (§ 31 EGGVG), vor allem aber auch auf den schriftlichen und mündlichen Verkehr mit dem Verteidiger. 249 Die Feststellung nach § 31 EGGVG treffen die Justizminister der Länder (§ 32 EGGVG); sie muss nach spätestens zwei Wochen von dem Oberlandesgericht am Sitz der Landesregierung bestätigt werden (§ 35 EGGVG).

112

§§ 148, 148a StPO regeln die Einschränkung des Verkehrs des inhaftierten Beschuldigten mit seinem Verteidiger. 250 Die besondere Überwachung nach Absatz 2 soll verhindern, daß der einer Straftat nach § 129a verdächtige Gefangene sich aus der JVA heraus weiterhin für die terroristische Vereinigung betätigt und so zu deren Fortbestand beiträgt. 251 Voraussetzung ist die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach § 129a. 2 5 2 Die Überwachung ist auch bei Untersuchungshaft in anderer Sache, bei Unterbrechung der Untersuchungshaft zur Strafvollstreckung (§ 122 Abs. 2 StVollzG) und bei Strafhaft zulässig. 253 Auch insoweit setzen die beschränkenden Maßnahmen nach § 148 Abs. 2 StPO, die einer richterlichen Anordnung (nicht jedoch eines Haftbefehls) bedürfen, 254 die Feststellung des dringenden Tatverdachts einer Straftat nach § 129a voraus. 2 5 5 Die Beschränkung des Verteidigerverkehrs kommt auch bei Vollzug einer Freiheitsstrafe wegen einer Straftat nach § 129a in Betracht (§ 29 Abs. 1 Satz 2 u. 3 StVollzG). 256

VII. Sonstige Regelungen 113

§ 138a Abs. 2 und 5 StPO enthalten Sonderregelungen für den Ausschluss eines Verteidigers in einem Verfahren wegen einer Straftat nach § 129a.

114

Soweit das Gericht gem. § 129a Abs. 7 i.V.m. § 129 Abs. 6 von einer Bestrafung absehen kann, kann das Verfahren unter den Voraussetzungen des § 153b StPO eingestellt werden. Der Generalbundesanwalt kann unter den Voraussetzungen des § 153d StPO aus politischen Gründen und unter denjenigen des § 153e Abs. 1 StPO bei tätiger Reue von der Verfolgung einer Tat nach § 129a absehen. Ist bereits Anklage erhoben, kann er nach § 153d Abs. 2 StPO die Klage in jeder Lage des Verfahrens zurücknehmen und das Verfahren einstellen. In den Fällen des § 153e kann nach Anklageerhebung das zuständige Oberlandesgericht das Verfahren einstellen.

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249

250

251

BVerfGE 19 342, 350; Meyer-Goßner StPO § 112 Rdn. 36 ff; Graf KK StPO § 112 Rdn. 4 2 m.w.N. Vgl. BTDrucks. 8/935, S. 5; BVerfGE 4 6 1, 12; 4 9 2 4 ff. Vgl. BGHSt 3 0 38; 3 6 2 0 5 ; BGH NStZ 1981 236; 1984 177; OLG Celle JR 1980 165; krit. Göhl FS Rebmann, S. 199, 209. BGH NStZ 1984 177 f.

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252 253 254

255

256

Vgl. BGH NStZ 1989 333. BGHSt 36 2 0 5 ; OLG Celle JR 1980 165. BGHSt 36 205, 210; OLG Celle JR 1980 165; and. Neufeld NStZ 1984 156 f. BGHSt 3 6 205, 2 0 8 ; s.a. BGH NStZ 1989 3 3 4 m.w.N.; Sauer StV 1984 212; aA Hilger NStZ 1982 528. Zur Eingrenzung vgl. BGH NJW 1981

1222.

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Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland

§ 129b

VIE. Kronzeugenregelung Die mit Artikel 4 des sog. ArtikelG (KronzG) vom 9. Juni 1989 (BGBl. I S. 1059) eingeführte und mit Ablauf des 31. Dezember 1999 außer Kraft getretene Kronzeugen-Regelung sah, abgestuft nach der Art der vom Vereinigungszweck umfassten Straftaten, ein Absehen von Strafe oder die Möglichkeit von Strafmilderung vor. 2 5 7 Die Regelung galt auch für die mit § 129a zusammenhängenden Straftaten, allerdings mit Ausnahme von Völkermord gem. § 2 2 0 a a.F. und mit Modifikationen bei Mord und Totschlag. 258 Ziel war es, bereits begangene terroristische Straftaten besser aufklären und terroristische Gewalttäter ergreifen zu können, noch nicht bzw. nicht mehr verfestigte Mitglieder aus der Vereinigung herauszubrechen, den organisatorischen Zusammenhalt der Vereinigung zu stören und dadurch zugleich die Begehung künftiger Straftaten zu verhindern. 259 Am 25. Mai 2 0 0 7 hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf für eine neue Kronzeugenregelung vorgelegt. Sie soll als § 46b in das Strafgesetzbuch eingefügt werden. 2 6 0 Die neue allgemeine Strafzumessungsregel ist nicht auf bestimmte Deliktsbereiche beschränkt. Der Kronzeuge muss sein Wissen vor Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn offenbaren; der Strafnachlass, über den die Gerichte entscheiden, ist beschränkt.

§ 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, Erweiterter Verfall und Einziehung (1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bstrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

257

Vgl. v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 55 ff; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. la; Bernsmann J Z 1988 5 3 9 ; Kunert/Bernsmann NStZ 1989 449, 4 5 6 ; Hassemer StV 1989 79; Hilger NJW 1989 2 3 7 7 ; Lammer ZRP 1989 2 4 8 ; ders. J Z 1992 510; Widmaier ZRP 1991 148; Zuck MDR 1989 1065; Schlüchtern 1997 46; Weigend ZStW 109 (1997) 103, 110; Pegau ZRP

258

259 260

Zu der bisherigen Anwendung und Handhabung des Gesetzes durch die Rechtsprechung vgl. BVerfG NJW 1993 190; BGH N J W 1992 989; BGH NStZ 1992 126; BayObLG NJW 1991 2 5 7 5 ; OLG Hamburg NStZ 1997 4 4 3 ; OLG Stuttgart J Z 1992 537. BTDrucks. 1 1 / 2 8 3 4 , S. 7 , 1 3 . BRDrucks. 3 5 3 / 0 7 ; BTDrucks. 1 6 / 6 2 6 8 .

2001 103 ff; Mühlhoff/Pfeiffer ZRP 2000 123 ff; Mühlhoff/Mehrens Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis.

Matthias Krauß

429

115

§ 129b

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

(2) In den Fällen der §§ 1 2 9 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, sind die §§ 73d und 7 4 a anzuwenden.

Schrifttum Altvater Das 34. Strafrechtsänderungsgesetz - § 129b StGB, NStZ 2003 179; Betmann § 129b StGB - sinnvolles besonderes Strafanwendungsrecht? Kriminalistik 2006 186; v. Bubnoff Herausforderungen grenzüberschreitender Strafrechtspflege aus europäischer Sicht (1997); ders. Länderübergreifende Kriminalität in Europa, Jahrbuch für Italienisches Recht Bd. 11 (1998) S. 153; ders. Terrorismusbekämpfung - eine weltweite Herausforderung, NJW 2002 2672; Detjen § 129b StGB: Verzögerter Lückenschluss im Strafrecht, ZRP 2002 277; Griesbaum Zum Verhältnis von Strafverfolgung und Gefahrenabwehr vor dem Hintergrund der Bedrohung durch den internationalen islamistischen Terrorismus, Festschrift Nehm (2006) S. 125; v. Heintschel-Heinegg Gemeinschaftrechtskonforme Auslegung des Vereinigungsbegriffs in den §§ 129 ff StGB, Festschrift Schroeder (2006) S. 799; Kempf Strafrecht goes global, Festschrift Richter II (2006); Kress Das Strafrecht in der Europäischen Union vor der Herausforderung durch organisierte Kriminalität und Terrorismus, JA 2005 220; Nehm Ein Jahr danach - Gedanken zum 11. September 2001, NJW 2002 2665; Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland (2007); Rauschenberger Bildung krimineller Vereinigungen - Zur Ergänzung der Vereinigungstatbestände durch § 129b StGB, Kriminalistik 2001 772; Rebmann Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts zur Verfolgung terroristischer Straftaten, NStZ 1986 289; Stein Kriminelle und terroristische Vereinigungen mit Auslandsbezug seit der Einführung von § 129b StGB, GA 2005 433; Weigend Terrorismus als Rechtsproblem, Festschrift Nehm (2006) S. 152; Zöller Der Rechtsrahmen der Nachrichtendienste bei der „Bekämpfung" des internationalen Terrorismus, J Z 2007 763. Siehe auch Schrifttumsverzeichnis zu § 129 und § 129a.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde durch das 3 4 . Strafrechtsänderungsgesetz vom 2 2 . August 2 0 0 2 (BGBl. I 3 3 9 0 ) in das Strafgesetzbuch eingefügt. Die Einführung geht zurück auf die Gemeinsame Maßnahme des EU-Rates vom 21. Dezember 1 9 9 8 betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. E G 1 9 9 8 Nr. L 351, 1). Damit wollte der EU-Rat angesichts der Schwere und Entwicklung bestimmter Formen der organisierten Kriminalität die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch im Bereich Terrorismus harmonisieren und verstärken (vgl. § 1 2 9 Rdn. I I ) . 1 Art. 4 Abs. 1 der Gemeinsamen Maßnahme verpflichtet die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in ihrem Hoheitsgebiet strafrechtlich geahndet werden kann, und zwar „unabhängig von dem Ort im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, an dem die Vereinigung ihre Operationsbasis hat oder ihre strafbaren Tätigkeiten ausübt". 2 Dieser Vorgabe widersprach die Rechtslage in Deutschland, wonach eine Tat nach §§ 129, 129a nur dann strafbar war, wenn die Vereinigung zumindest in Form einer Teilorganisation in Deutschland bestand (vgl. § 129 Rdn. 36). Eine Ausnahme von dieser Auslegung war nur für den Bereich der Drogenkriminalität in § 3 0 b BtMG vorgesehen, der den Anwendungsbereich des § 1 2 9 auf Organisationen erweitert, die nicht oder nicht nur im Inland bestehen.

1

ABl. L 351/1 vom 29.12.1998, berichtigt durch ABl. L 57/36 vom 3.1.1999.

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2

Zur Auslegung dieser Merkmale vgl. Kreß JA 2005 220, 221.

Matthias Krauß

Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland

§ 129b

Entgegen dem Vorentwurf des Bundesministeriums der Justiz vom 21. März 2 0 0 0 , der §§ 1 2 9 , 1 2 9 a gemäß dem Rahmenbeschluss nur auf Vereinigungen in Mitgliedstaaten der EU erstreckte, 3 entschloss sich der Gesetzgeber nach den Anschlägen des 11. September 2001, den Anwendungsbereich auf kriminelle und terroristische Vereinigungen weltweit zu erweitern, um den internationalen Terrorismus effektiv zu bekämpfen. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 2 0 . September 2 0 0 1 sollte § 1 2 9 b lediglich dahingehend lauten, dass die § § 129 und 129a auch für Vereinigungen im Ausland gelten. 4 Erst die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 2 4 . April 2 0 0 2 sah eine nach Vereinigungen in und außerhalb der Mitgliedstaaten der EU differenzierende Regelung und den Ermächtigungsvorbehalt vor. 5 Zugleich wurde die Tatvariante des Werbens in §§ 129, 129a auf Werben um Mitglieder oder Unterstützer eingeschränkt und § 129b um einen Absatz 2 ergänzt, der die insbesondere der Bekämpfung der organisierten Kriminalität dienenden Rechtsfolgen der § 73d und § 74a für anwendbar erklärte. Nach der Annahme des Gesetzentwurfs durch den Bundestag am 2 6 . April 2 0 0 2 6 rief der Bundesrat den Vermittlungsausschuss an, um die im Gesetzentwurf vorgesehene Beschränkung des Werbungstatbestands auf Werbung um Mitglieder und Unterstützer rückgängig zu machen. 7 Der Vermittlungsausschuss bestätigte das vom Bundestag beschlossene Gesetz am 12. Juni 2 0 0 2 . 8 Der vom Bundesrat gegen das Gesetz eingelegte Einspruch 9 wurde vom Bundestag am 4. Juli 2 0 0 2 mit der erforderlichen Mehrheit zurückgewiesen. 10 Das Gesetz trat am 3 0 . August 2 0 0 2 in Kraft.

Gesetzesmaterialien Gesetzentwurf der BReg. vom 20.9.2001, BTDrucks. 14/7025 und BRDrucks. 725/01; Beratung in der 192. Sitzung des BT am 11.10.2001, StenProt. 18698; Protokoll der 104. Sitzung des Rechtsausschusses vom 7.11.2001 (Sachverständigenanhörung); Beschlusssempfehlung und Bericht des BT-Rechtsausschusses vom 24.4.2002, BTDrucks. 14/8893; Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vom 26.4.2002, BTDrucks. 14/8942; 2. und 3. Beratung in der 234. Sitzung des BT am 26.4.2002, StenProt. 23330; Gesetzesbeschl. des BT vom 26.4.2002, BRDrucks. 379/02; Empfehlung der Ausschüsse vom 21.5.2002, BRDrucks. 379/1/02; Beratung im Bundesrat in der 776. Sitzung am 31.5.2002, StenProt 299; Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat am 31.5.2002, BRDrucks. 379/02 (Beschluss); (unechter) Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses vom 12.6.2002, BRDrucks. 528/02; Antrag des Freistaates Bayern vom 20.6.2002, BRDrucks. 528/1/02; Einspruch des Bundesrats gem. Art. 77 Abs. 3 GG vom 21.6.2002, BRDrucks. 528/02 (Beschluss); Zurückweisung des Einspruchs durch den BT gem. Art. 77 Abs. 4 GG am 4.7.2002, BRDrucks. 528/02 (Beschluss).

3

4 5 6

Vgl. v. Bubnoff LK 11 Nachtr. § 129b Vorbemerkung und Rdn. 1 ff. BRDrucks. 725/01 und BTDrucks. 14/7025. BTDrucks. 14/8893. BTDrucks. 379/02.

7 8 9 10

BRDrucks. BRDrucks. BRDrucks. BRDrucks.

Matthias Krauß

379/02 (Beschluss). 528/02. 528/02 (Beschluss). 528/02 (Beschluss).

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129b

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung Übersicht Rdn.

I. Π. ΠΙ. IV. V.

Rechtsgut Deliktsnatur Kriminalpolitische Bedeutung Verhältnis zu den §§ 3 ff S t G B Rechtsanwendungsregeln bei Vereinigungen außerhalb der E U ( § 1 2 9 Abs. I S . 2) 1. Die Tat wird im Inland begangen . . . 2. Der Täter ist Deutscher 3. Der Täter befindet sich im Inland . . . 4 . Das Opfer ist Deutscher

Rdn. 5. Das Opfer befindet sich im Inland VI. Verfolgungsermächtigung

1 3 4 8

Vü. Vm. IX. X.

17 19 20 21 23

(S 129 Abs. 1 S. 3 - 5 ) Parteienprivileg Verhältnis zu § 3 0 b B t M G Verfall und Einziehung Prozessuales 1. Zuständigkeiten 2. Ermittlungsmaßnahmen 3. Sonstige Regelungen

25 26 32 33 34 35 35 36 37

I. Rechtsgut Erblickt man das Rechtsgut der §§ 129, 129a in der öffentlichen Sicherheit und staatlichen Ordnung einschließlich des Rechtsfriedens in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 129 Rdn. 1), ist aufgrund der Strafausdehnung mit weltweiter Ausrichtung konsequenterweise die öffentliche Sicherheit und Ordnung weltweit als durch die Norm geschützt anzusehen. 11 Soweit es in § 129b um die Bekämpfung krimineller und terroristischer Vereinigungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union geht, ist im Hinblick auf die enge Verzahnung der Schutzbelange der Mitgliedstaaten und die länderübergreifenden Rückwirkungen durch die Schäden krimineller und terroristischer Zusammenschlüsse das Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einschließlich des allgemeinen Rechtssicherheitsgefühls in dem gemeinsamen europäischen Rechtsraum anzuerkennen. Ziel der Gemeinsamen Maßnahme des Rats vom 21. Dezember 1998 war es gerade, ein strafrechtliches Fundament in den EU-Staaten zum Schutz der übereinstimmenden Wertvorstellungen und den grundlegenden Gemeinschafts- und Ordnungsinteressen in der Europäischen Union zu schaffen. 12 Soweit es in § 129b um die Verfolgung krimineller und terroristischer Vereinigungen außerhalb der Mitgliedstaaten der EU geht, ist ein Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit auf der ganzen Welt allerdings akademischer Natur, weil es, worauf zutreffend hingewiesen wird, keine Orientierung für die Verfolgungspflicht deutscher Strafverfolgungsbehörden gibt. 13 Im Übrigen sind §§ 129, 129a auf die Verhältnisse im demokratischen Rechtsstaat zugeschnitten und wollte der Gesetzgeber trotz der Strafausdehnung auch auf Vereinigungen außerhalb der Mitgliedsstaaten der EU eine uferlose Ausdehnung deutschen Strafrechts gerade vermeiden. 14 Nach anderer Auffassung ist deshalb auf die durch die Vereinigungsdelikte der §§ 129, 129a mittelbar mitgeschützten individuellen und kollektiven Rechtsgüter der Katalogtaten abzustellen. 15

11

12

13

Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2. v. Bubnoff LK 1 1 Nachtrag § 129b Rdn. 5; vgl. auch Leitgedanken (Tampere) Nr. 4 0 ff, NJW 2 0 0 0 339. Fischer Rdn. 3; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 133 (inhaltsleere Formel); vgl. auch Miebach/Schäfer MK Rdn. 2 (diffuses Rechtsgut).

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15

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 14/8893; vgl. auch Miebach/Schäfer MK Rdn. 2; Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 133. OLG München NJW 2 0 0 7 2 7 8 6 , 2 7 8 8 ; Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 132 f.

Matthias Krauß

Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland

§ 129b

Π. Deliktsnatur Die Ausdehnung der Strafbarkeit auf ausländische kriminelle und terroristische Vereinigungen ändert nichts an der Natur der §§ 129, 129a als Organisations- und abstrakte Gefährdungsdelikte (vgl. § 129 Rdn. 4 f). 1 6

3

ΙΠ. Kriminalpolitische Bedeutung Da weder in der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes noch in der polizeilichen Kriminalstatistik Straftaten nach § 129b gesondert erfasst werden, ist eine Bewertung der Norm in kriminalpolitischer Hinsicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur insoweit möglich, als es um Verfahren geht, die beim Generalbundesanwalt anhängig sind oder waren. Da der Generalbundesanwalt jedoch nur für Verfahren zuständig ist, die Staatsschutzbezug aufweisen, ist keine statistische Aussage möglich, ob und inwieweit § 129b bei der Bekämpfung der internationalen organisierten Kriminalität Bedeutung erlangt hat.

4

Aus der elektronischen Datensammlung des Generalbundesanwalts ergeben sich folgende Zahlen: 1 7

5

2002 2003 2004 2005 2006 2007

Eingeleitete Verfahren nach § 129b

Anzahl der Beschuldigten

10 26 38 37 58 40

20 66 35 37 43 45

Anklagen

0 0 1 3 1 6

Urteile

0 0 0 0 1 3

Entsprechend der internationalen Verflechtung und des globalen Handlungsraumes insbesondere des islamistischen Terrorismus haben die Verfahren gegen Mitglieder und Unterstützer ausländischer terroristischer Vereinigungen seit der Einführung der Norm auch im Verhältnis zu Verfahren gegen Mitglieder und Unterstützer inländischer terroristischer Vereinigungen stark zugenommen. Das Hauptanwendungsgebiet der Norm liegt gegenwärtig im Bereich der Bekämpfung außereuropäischer islamistischer terroristischer Vereinigungen. Die bisher erhobenen Anklagen umfassen das gesamte Spektrum der Tathandlungen des § 129a (Gründung, Mitgliedschaft, Unterstützen und Werben um Mitglieder oder Unterstützer). Mit der nunmehr bestehenden Möglichkeit, Personen strafrechtlich zu verfolgen, die terroristische Vereinigungen wie etwa Al Qaida, Al Qaida im Zweistromland, Ansar al Islam, Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat (GSPC) - jetzt: Organisation Al Qaida im islamischen Maghreb - , Islamische Jihad Union (IJU), Hamas oder DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front) von

16 17

Miebach/Schäfer MK Rdn. 3. Antwort der Bundesregierung auf Kleine Anfrage, BTDrucks. 16/49 (Verfahren in den Jahren 2 0 0 1 bis 2 0 0 4 ) ; BTDrucks. 16/3947 und BTDrucks. 16/4007 (Verfahren im Jahr

2 0 0 5 ) ; Kleine Anfrage, BTDrucks. 16/5537 und Antwort der BReg., BTDrucks. 16/5696; Kleine Anfrage, BTDrucks. 16/9941 und Antwort der BReg., BTDrucks. 16/10045; vgl. auch BTDrucks. 16/5820, S. 3 f.

Matthias Krauß

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6

§ 129b

7

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Deutschland aus insbesondere mit Finanzmitteln, durch Rekrutierung und Schleusung von Kämpfern für den Einsatz in den Jihad-Gebieten sowie durch sonstige logistische Hilfsdienste unterstützen oder die von Deutschland aus um Mitglieder oder Unterstützer für diese Vereinigungen werben, ist eine zweifellos vorhanden gewesene Strafbarkeitslücke geschlossen worden. Die Zahl der Ermittlungsverfahren und die bis 2 0 0 8 erhobenen Anklagen und Urteile dokumentieren, dass es sich bei der Vorschrift keineswegs um eine „praktisch bedeutungslose Symbol-Verlautbarung" handelt. 18 Allerdings ist nicht zu verkennen, dass die Ermittlung von Auslandssachverhalten, insbesondere die Feststellung der hohen organisationsspezifischen Voraussetzungen einer Vereinigung nach §§ 129, 129a durchaus Schwierigkeiten sowohl im Rahmen der Ermittlungstätigkeit als auch in den Hauptverhandlungen mit sich bringt. Die teilweise geäußerte Einschätzung, diesbezügliche Probleme würden durch die zunehmend intensivere internationale Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden sowie die Nutzung der diesbezüglichen Aufklärungsmöglichkeiten von Europol und vergleichbaren übernationalen Organen weitgehend ausgeräumt, 19 ist zu optimistisch. 20 Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit hat sich zwar innerhalb der Mitgliedstaaten der EU deutlich verbessert; Rechtshilfeersuchen zur Aufklärung von Sachverhalten in Nicht-EU-Staaten bleiben aber trotz vielfältiger Beteuerungen, bei der internationalen Terrorismusbekämpfung zusammenarbeiten zu wollen, noch zu oft unbeantwortet oder können wegen der nicht auszuschließenden Anwendung von Folter oder Todesstrafe gar nicht oder nur eingeschränkt gestellt werden. 21 Die Verwertung von Erkenntnissen der Nachrichtendienste löst das Problem nur teilweise. 22 Nicht zuletzt wegen dieser praktischen Schwierigkeiten dürfte § 129b im Bereich der Bekämpfung der internationalen Organisierten Kriminalität insbesondere bei Bezügen zu Ländern außerhalb der Mitgliedstaaten der EU keine entscheidende Rolle zukommen. 23

IV. Verhältnis zu den §§ 3 ff StGB 8

§ 129b bezieht Vereinigungen im Ausland in den Geltungsbereich der §§ 129, 129a ein. Um die Strafbarkeit von Beteiligungshandlungen in Bezug auf ausländische NichtEU-Vereinigungen zu begrenzen, hat der Gesetzgeber den persönlichen und räumlichen Geltungsbereich der Norm durch die Rechtsanwendungsregeln des § 129b Abs. 1 S. 2 eingeschränkt. Für Beteiligungshandlungen in Bezug auf EU-Vereinigungen dagegen enthält die Vorschrift keine besonderen Rechtsanwendungsregeln.

9

Fraglich ist, in welchem Verhältnis § 129b zu den allgemeinen Regeln des internationalen Strafrechts der § § 3 bis 7 StGB steht, die den Anwendungsbereich deutschen Strafrechts im Einzelnen bestimmen. Da die Rechtsanwendungsregeln des ξ 129b Abs. 1 S. 2 für Nicht-EU-Vereinigungen zum Teil großzügiger sind als die Regeln der § § 3 ff und die in § 129b Abs. 1 S. 2 normierte Einschränkung des Geltungsbereichs der Vorschrift EUVereinigungen nicht erfasst, könnte aufgrund der Gesetzessystematik die Deutung nahe liegen, dass das Rechtsanwendungsrecht der § § 3 ff bei Beteiligungshandlungen in Bezug auf ausländische Vereinigungen keine Anwendung findet, sondern § 129b als abschließende Regelung zu verstehen ist.

18 19

20

So Fischer Rdn. 2. v. Bubnoff LK 1 1 Nachtrag Rdn. 13; vgl. auch Kindhäuser LPK Rdn. 3. Vgl. schon Rebmann NStZ 1986 289, 291.

434

21 22 23

Vgl. BGH NStZ 1999 634. Vgl. Zöller J Z 2 0 0 7 763. Krit. auch Fischer Rdn. 2; Kress JA 2 0 0 5 2 2 0 , 2 2 6 ff.

Matthias Krauß

Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland

§ 129b

Die Gesetzesmaterialen geben kaum Hinweise auf die Lösung des Problems; die Regeln des internationalen Strafrechts der § § 3 ff und ihr Verhältnis zu § 129b werden dort nicht ausdrücklich thematisiert. 24 Einzelne Äußerungen bei den Beratungen im Bundestag scheinen eher für eine Verdrängung der §§ 3 ff zu sprechen, etwa wenn betont wird, dass die §§ 129, 129a bei Vereinigungen in Mitgliedstaaten in der Europäischen Union uneingeschränkt - ohne den „Filter" des § 129b Abs. 1 S. 2 - Anwendung finden sollen „entsprechend dem Gebot des Gemeinschaftsrechts in dem von uns gewollten Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der E U " . 2 5

10

Das Gemeinschaftsrecht verlangt keine Erstreckung der §§ 129, 129a auf sämtliche Vereinigungen mit Sitz in Mitgliedstaaten der EU ohne Inlandsbezug der Tathandlung. Art. 4 der Gemeinsamen Maßnahme fordert zwar von den Mitgliedstaaten eine strafrechtliche Ahndung der Beteiligungshandlungen an kriminellen Vereinigungen unabhängig von dem Ort im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, an dem die Vereinigung ihre Operationsbasis hat oder ihre strafbaren Tätigkeiten ausübt. Diese Pönalisierungspflicht besteht nach Art. 4 aber nur, soweit sich die in Art. 2 im Einzelnen beschriebenen strafbaren Verhaltensweisen in dem Hoheitsgebiet des jeweiligen Mitgliedstaates ereignet haben. Eine entsprechende Regelung enthält neben anderen inländischen Anknüpfungspunkten Art. 9 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2 0 0 2 zur Terrorismusbekämpfung.

11

Bereits im Hinblick auf diese europarechtlichen Vorgaben erscheint es mehr als fraglieh, ob der Gesetzgeber das deutsche Strafrecht uneingeschränkt auf alle Beteiligungshandlungen an kriminellen oder terroristischen Vereinigungen in Mitgliedstaaten der EU ohne Inlandsbezug angewendet wissen wollte. Gegen eine unbeschränkte Ausdehnung des Anwendungsbereichs der §§ 129, 129a innerhalb der EU sprechen der Respekt vor der völkerrechtlichen Souveränität anderer Staaten und die nur begrenzen Ermittlungsmöglichkeiten der deutschen Strafverfolgungsbehörden im Ausland. 26 Es macht keinen Sinn, die in Spanien von einem Spanier geleistete Unterstützungshandlung zugunsten der baskischen Terrororgansisation ETA ohne jeden Deutschlandbezug der Strafbarkeit nach § 129b zu unterstellen. 27 Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 129b auch das GVG ergänzt und dem Generalbundesanwalt die Verfolgung ausländischer terroristischer Vereinigungen zugewiesen hat (vgl. Rdn. 35). Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts setzt jedoch im Hinblick auf Art. 96 Abs. 5 GG voraus, dass der zu ermittelnde Sachverhalt deutsche Staatsschutzbelange berührt, was bei Fällen ohne spezifischen Inlandsbezug in der Regel nicht vorliegen dürfte.

12

Die besseren Gründe sprechen deshalb dafür, den Umfang der deutschen Strafgewalt auch bei Taten nach § 129b i.V.m. SS 129, 129a durch die Regeln des internationalen Strafrechts der § § 3 bis 7 StGB zu begrenzen. Diese Regeln werden durch § 129b weder ersetzt noch treten sie dahinter zurück. 2 8 Das Gründen, das Sich-Beteiligen, die Unter-

13

24

25

26

27 28

Vgl. auch Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 2 5 2 . Pari. Staatssekretär Pick, 2 3 4 . Sitzung am 2 6 . 4 . 2 0 0 2 , StenProt. S. 2 3 3 3 0 , 23331. Kindhäuser LPK Rdn. 5; Stein SK Rdn. 3; Stein GA 2 0 0 5 433, 4 5 4 . Vgl. Kress JA 2 0 0 5 2 2 0 , 227. OLG München N J W 2 0 0 7 2 7 8 6 ; BGH Ermittlungsrichter 2 BGs 4 4 9 / 0 8 vom 17.10. 2 0 0 8 ; Miebach/Schäfer MK Rdn. 9, 17; Stein

SK Rdn. 3 f; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Fischer Rdn. 4a, 6; Lackneri Kühl Rdn. 1; Kindhäuser LPK Rdn. 5; Altvater NStZ 2 0 0 3 179 f; Stein GA 2 0 0 5 433, 4 5 3 ff; vgl. auch Kress JA 2 0 0 5 2 2 0 , der eine Neufassung fordert; Ostendorf NK Rdn. 9, der von einer Ausdehnung des Geltungsbereichs deutschen Strafrechts über die § § 3, 7 hinausgeht, gleichwohl einen Inlandsbezug fordert, aA Betmann Krimina-

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§ 129b

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Stützung und das Werben um Mitglieder oder Unterstützer sind damit nur nach Maßgabe der §§ 3, 7 strafbar. Der Täter muss also beispielsweise im Inland gehandelt haben, der Taterfolg muss im Inland eingetreten sein (§§ 3, 9) oder der Täter oder das Opfer müssen Deutsche sein ( § 7 ) . Dies gilt für strafbare Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Vereinigungen innerhalb und außerhalb der Mitgliedstaaten der EU. Der Gesetzgeber wollte Straftaten mit Bezug auf EU-Vereinigungen nicht engeren Voraussetzungen unterwerfen als Straftaten im Zusammenhang mit Vereinigungen im Nicht-EU-Ausland. 29 14

Allerdings führt diese Auslegung zu nicht unerheblichen Wertungswidersprüchen zwischen §§ 3 ff und den Rechtsanwendungsregeln des § 129b Abs. 1 Satz 2 (siehe unten Rdn. 17 ff).

15

Fehlt es an einer entsprechenden Inlandsanknüpfung kommt gemäß dem Unterstützungsgebot des Art. 2 Abs. 2 der Gemeinsamen Maßnahme vom 21. Dezember 1998 eine Auslieferung an das zuständige EU-Mitgliedsland in Betracht.

16

Von dem Problem der Geltung der § § 3 ff bezüglich der konkreten Beteiligungshandlung zu unterscheiden ist die Frage, ob die Strafbarkeit nach §§ 129, 129a i.V.m. § 129b voraussetzt, dass die Taten, auf deren Begehung die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung gerichtet sind, nach den §§ 3 ff deutschem Strafrecht unterliegen müssen. Nach zutreffender Auffassung ist dies zu verneinen mit der Folge, dass die Strafbarkeit nach §§ 129, 129a i.V.m. § 129b beispielsweise nicht deshalb entfällt, weil der Zweck der ausländischen Vereinigung auf die rechtswidrige Tötung von Ausländern im Ausland gerichtet ist und insoweit keiner der in §§ 3 ff bezeichneten Anknüpfungspunkte vorliegt (vgl. hierzu § 129 Rdn. 66 ff). 3 0

V. Rechtsanwendungsregeln bei Vereinigungen außerhalb der EU (§ 129 Abs. 1 S. 2) 17

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§ 129b differenziert zwischen Vereinigungen in Mitgliedstaaten der EU und solchen außerhalb von Mitgliedstaaten der EU und stellt für die Strafbarkeit von Taten mit Bezug zu Nicht-EU-Vereinigungen zusätzliche Voraussetzungen auf. Maßgeblich ist, wo die Vereinigung ihren Sitz hat. Satz 1 ist anwendbar, wenn die Vereinigung zumindest eine Teilorganisation in einem Mitgliedstaat der EU unterhält (vgl. § 129 Rdn. 36). 3 1 Beteiligungshandlungen in Bezug auf Vereinigungen außerhalb der EU sind nur strafbar, wenn sie den in § 129 Abs. 1 S. 2 geregelten spezifischen Inlandsbezug aufweisen. Damit wollte der Gesetzgeber einer uferlosen Ausdehnung deutschen Strafrechts Grenzen setzen. 32 Die Umsetzung dieser an sich begrüßenswerten Zielsetzung wird in der Literatur einhellig kritisiert, insbesondere weil das Verhältnis des § 129b Abs. 1 S. 2 zu §§ 3 ff nicht genügend bedacht worden ist. 33 Nach § 129 Abs. 1 S. 2 ist der spezifische Inlandsbezug gegeben, wenn eine der fünf dort genannten Fallgruppen vorliegt:

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listik 2 0 0 6 186, 187: keine Anwendbarkeit der § § 3 ff. für innereuropäische Vereinigungen und § 129b Abs. 1 S. 2 als lex specialis für außereuropäische Vereinigungen. Vgl. BGH Ermittlungsrichter 2 BGs 4 4 9 / 0 8 vom 17.10.2008; Kress JA 2 0 0 5 220, 2 2 6 . Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 180; Kress JA 2 0 0 5 2 2 0 , 227. Vgl. BGHSt 3 0 328, 329; Sch/Schröder/

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Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Fischer Rdn. 6; Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 180. BTDrucks. 14/8893. Vgl. Fischer Rdn. 4 f, 7 ff; Miebach/Schäfer MK Rdn. 15 ff; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 7; Kindhäuser LPK Rdn. 6; Kress JA 2 0 0 5 2 2 0 , 2 2 7 ; Stein GA 2 0 0 5 433, 4 3 4 .

Matthias Krauß

Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland

§ 129b

1. Die Tat wird durch eine im Geltungsbereich des Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen. Insoweit wird das an den Tatort anknüpfende Territorialitätsprinzip der § § 3, 9 aufgegriffen. Die Tat ist in örtlicher Hinsicht dort begangen, wo ein Tatbeteiligter gehandelt hat. Bezüglich der ausgeübten Tätigkeit ist auf das Gründen, mitgliedschaftliche Betätigen, Werben und Unterstützen und nicht auf die Ausführung eines von der Vereinigung bezweckten Delikts abzustellen. Besteht die strafbare Handlung aus mehreren Einzelakten, so ist die Tat als Inlandstat zu qualifizieren, wenn auch nur ein Handlungsteil im Inland begangen wurde. 34 Ausreichend ist, wenn im Inland nur der Tatbeitrag eines Mittäters geleistet worden ist, weil jedem Mittäter nach Maßgabe des § 2 5 Abs. 2 das Handeln der anderen und daher auch der Ort ihres Handelns zuzurechnen ist. 35 Bei Teilnahmehandlungen ist Tatort sowohl der Ort der Haupttat als auch der Ort der Teilnahmehandlung. 36 Ob eine im Geltungsbereich des Gesetzes ausgeübte Tätigkeit vorliegt, wenn der Täter seine Handlungen auf einem unter deutscher Flagge fahrenden Schiff oder in einem das Staatsangehörigkeitszeichen der Bundesrepublik Deutschland führenden Luftfahrzeug begeht, ist umstritten. 37

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Umstritten ist schließlich auch die Anwendbarkeit des § 129b in Fällen, in denen aus- 1 9 a ländische Staatsangehörige vom Ausland aus über das Internet der Bundesrepublik den „Heiligen Krieg" erklären und Terrorangriffe gegen deutsche Ziele propagieren oder zur Unterstützung ausländischer Organisationen etwa durch Sammlung und Weiterleitung von Geldern aufrufen (zur Strafbarkeit des Unterstützens und Werbens um Mitglieder oder Unterstützer vgl. % 129 Rdn. 116 ff, Rdn. 132 ff). § 129b Abs. 1 S. 2 1. Alt. knüpft wie § 91 an eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit und damit an das strenge Tatortprinzip, also an den Handlungsort und nicht an den Erfolg der tatbestandlichen Handlung an. Werden Daten vom Ausland ins Internet gestellt, wird ein Handlungsort in Deutschland grundsätzlich nicht begründet. 38 Dies gilt auch, wenn die Informationen durch Datenübertragung im Inland verfügbar gemacht werden und unabhängig davon, ob der Server, auf dem der Täter vom Ausland aus die Daten speichert, sich im Ausland oder in Deutschland befindet. 39 Zu einem anderen Ergebnis gelangt die den Begriff des Handlungsortes ausdehnende Auffassung, die auch die inländischen Wirkungen der Tathandlung noch als Teil der Handlung erfasst. 40 Diese Erweite-

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gen auf einem ausländischen Server ins Internet stellt, die von einem inländischen Internet-Nutzer aufgerufen werden, sich eines ihm zuzurechnenden Werkzeugs (der Rechner einschließlich der Proxy-Server, Datenleitungen und der Übertragungssoftware des Internets) zur - physikalischen - Beförderung der Dateien ins Inland bedient, BGHSt 4 6 2 1 2 , 224.

Vgl. Sch/Schröder/Eser § 9 Rdn. 3. Vgl. B G H Ermittlungsrichter 2 BGs 5 5 / 0 7 vom 2 0 . 3 . 2 0 0 7 und zu § 9: B G H N J W 1 9 9 1 2 4 9 8 ; KG N J W 1 9 9 1 2 5 0 1 , 2 5 0 2 ; Küpper J R 1 9 9 3 2 9 2 , 2 9 4 ; a A Hebring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 2 6 3 f, wonach entscheidend ist, was der Täter selbst im Inland tut. Vgl. B G H Ermittlungsrichter 2 BGs 5 5 / 0 7 vom 2 0 . 3 . 2 0 0 7 und 2 BGs 4 4 9 / 0 8 vom 1 7 . 1 0 . 2 0 0 8 ; B G H N J W 1 9 9 1 2 4 9 8 ; aA Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 2 6 4 , 2 6 6 . Bejahend Nebring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 2 5 4 ff. Werle/Jeßberger L K § 9 Rdn. 7 9 ; Fischer Rdn. § 9 Rdn. 5 a ; vgl. auch Heinrich FS Weber, S. 91, 103. Auch der B G H hat Bedenken, eine bis ins Inland wirkende Handlung darin zu sehen, dass der Täter, der Äußerun-

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Werle/Jeßberger L K § 9 Rdn. 7 9 ; a A Sch/ Schröder/Eser § 9 Rdn. 4 ; Cornils J Z 1 9 9 9 3 9 6 , wonach es auf den Standort des Servers ankommen soll.

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Vgl. KG N J W 1 9 9 9 3 5 0 0 , 3 5 0 1 f; vgl. auch Sieber N J W 1 9 9 9 2 0 6 5 , 2 0 6 8 ff, der den Begriff des Handlungsortes um den „Tathandlungserfolg" erweitert, der jede vom Täter verursachte und ihm zurechenbare in einschlägigen Tatbeständen genannte Folge seiner Handlung umfasst.

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§ 129b

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

rung des Handlungsortes auf den Ort aller Tatwirkungen, im Falle der Einrichtung einer Internetseite also auf alle Orte, an denen die Seite abgerufen werden kann, würde den Tathandlungsbegriff nicht nur in örtlicher und zeitlicher Hinsicht ins Uferlose ausdehnen, sondern die Differenzierung zwischen der Tathandlung und dem Taterfolg in § 9 überflüssig machen. 4 1 19b

Geht man deshalb davon aus, dass ein deutscher Handlungsort in den Fällen der sog. Distanzdelikte grundsätzlich nicht in Betracht kommt, ist der Anwendungsbereich deutschen Strafrechts allenfalls dann eröffnet, wenn man den Erfolgsort i.S. von § 9 Abs. 1 3. Alt. als Anknüpfungspunkt ausreichen und sich beim abstrakten Gefährdungsdelikt des § 129b ein Erfolgsort i.S. von § 9 überhaupt ausmachen lässt. Gemäß der o.g. Auffassung, wonach § 129b Abs. 1 S. 2 nicht im Sinne einer abschließenden, die §§ 3 ff verdrängenden Spezialregelung zu verstehen ist, kann der Erfolgsort in Deutschland als Anknüpfungspunkt der Tatortbestimmung nicht außer Betracht bleiben. O b und unter welchen Voraussetzungen bei abstrakten Gefährdungsdelikten eine im Ausland begangene Handlung zu einem Erfolg i.S. von § 9 Abs. 1 3. Alt. im Inland führen kann, ist umstritten. 4 2 Für das abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikt des § 130 Abs. 1 und Abs. 3 hat der Bundesgerichtshof die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts in den Intemet-Fällen bejaht (vgl. § 130 Rdn. 138). 43 O b bei rein abstrakten Gefährdungsdelikten ein Erfolgsort jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn die Gefahr sich realisiert hat, hat er in der Entscheidung offen gelassen. Dies ist zu bejahen. Der Begriff des zum Tatbestand gehörenden Erfolges (§ 9 Abs. 1 3. Alt.) ist nicht mit dem Erfolgsbegriff der allgemeinen strafrechtlichen Tatbestandslehre gleichzusetzen, sondern eigenständig auszulegen und jeweils tatbestandsbezogen zu ermitteln. 44 Auch sonst wird der Begriff des Erfolgsorts nicht im Sinne der allgemeinen Tatbestandslehre verstanden. So hat der Bundesgerichtshof bei abstrakten Gefährdungsdelikten einen „zum Tatbestand gehörenden Erfolg" in Sinne des § 78a S. 2 (Verjährungsbeginn) für möglich gehalten; außerdem kann ein abstraktes Gefährdungsdelikt durch Unterlassen begangen werden, wobei § 13 gleichfalls einen Erfolg voraussetzt, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört. 4 5 Auch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen dafür, bei abstrakten Gefährdungsdelikten einen Erfolgsort i.S. des § 9 Abs. 1 anzuerkennen. Nach dem Grundgedanken des § 9 soll deutsches Strafrecht Anwendung finden, wenn es im Inland zur Schädigung eines Rechtsgutes oder zu Gefährdungen kommt, deren Vermeidung Zweck der jeweiligen Strafvorschrift ist. 46 Mit dieser Zweckbestimmung lässt sich nicht vereinbaren, in Fällen, in denen sich eine vom Tatbestand vorausgesetzte abstrakte Gefahr in einer konkreten Gefährdung oder gar einer Verletzung des Rechtsgutes im Inland niederschlagen kann, nur deshalb die Geltung des deutschen Strafrechts abzulehnen, weil der Gesetzgeber die Schwelle der Strafbarkeit unterhalb des Eintritts konkreter Gefahren angesetzt hat. 4 7

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Der Begriff des zum Tatbestand gehörenden Erfolges i.S. von § 9 Abs. 1 ist deshalb eigenständig auszulegen und jeweils tatbestandsbezogen unter Berücksichtigung von Strafgrund und Schutzzweck der jeweiligen Strafnorm zu ermitteln. Ein inländischer Handlungserfolg liegt bei abstrakten Gefährdungsdelikten vor, wenn sich eine aus der Risikoschaffung durch ein öffentliches Zugänglichmachen resultierende abstrakte Gefahr

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Krit. auch Werle/Jeßberger LK § 9 Rdn. 84; Heinrich FS Weber, S. 91, 103 ff. Zum Streitstand vgl. Werle/Jeßberger LK § 9 Rdn. 27 ff, 86 ff; Fischer Rdn. § 9 Rdn. 4b; vgl. auch Heinrich FS Weber, S. 91,103. BGHSt 46 212, 220 ff.

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BGHSt 46 212, 220. BGHSt 46 212, 222. BGHSt 46 212, 220; 42 235, 242. Werle/Jeßberger LK § 9 Rdn. 33; Heinrich GA 1999 72, 81.

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Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland

§ 129b

im Hinblick auf das im Tatbestand umschriebene Rechtsgut auch im Inland realisieren könnte, wenn somit gerade für das Inland das deliktstypische Gefährdungsmoment zu bejahen ist. 4 8 Geschütztes Rechtsgut bei § 129b ist die öffentliche Sicherheit und die staatliche Ordnung (vgl. §§ 129, § 129a, § 129b jeweils Rdn. 1) Mit der Strafvorschrift soll den erhöhten Gefahren begegnet werden, die im Falle der Planung und Begehung von Straftaten von fest gefügten Organisationen aufgrund der ihr innewohnenden Eigendynamik für die öffentliche Sicherheit ausgehen können. 4 9 Dabei setzen bereits die Tathandlungen des § 129b, also die auf Dauer ausgerichtete Tätigkeit zur Förderung der terroristischen Ziele der Vereinigung (mitgliedschaftliche Beteiligung), das planmäßige Vorgehen mit dem für den Durchschnittsadressaten erkennbaren Ziel, andere für die Organisation als Mitglied oder Unterstützer zu gewinnen (Werben) oder die Förderung der Tätigkeit der Vereinigung oder der Verwirklichung ihrer Ziele durch ein Nichtmitglied (Unterstützen) jeweils voraus, dass das spezifische Gefährdungspotential der ausländischen Vereinigung gefördert, gestärkt oder abgesichert wird. Ungeachtetet der Reichweite des Schutzgutes des § 129b (vgl. Rdn. 1) ist für die hier zu entscheidende Frage allein darauf abzustellen, ob durch die im Ausland begangene Tathandlung die innere Sicherheit und die staatliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland gefährdet wird. Tathandlungen, deren Förderungswirkung der terroristischen Vereinigung im Hinblick auf deren Gefährdungspotential zwar zukommt, die aber die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nicht tangieren, kommen als Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nicht in Betracht. Ob Äußerungen im Internet eine solche inlandsbezogene Eignung aufweisen, bestimmt sich maßgeblich nach den Zielen der terroristischen Vereinigung sowie dem Inhalt und der Form der Erklärung, wobei die Verwendung der deutschen Sprache einen Anhaltspunkt bildet. Bei Aufrufen zu Terrorakten in Deutschland, aber auch bei Aufforderungen zu Unterstützungshandlungen in Deutschland wie z.B. Geldsammlungen für eine terroristische Vereinigung, deren terroristische Zielsetzung auch deutsche Angriffsziele umfasst, dürfte eine abstrakte Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu bejahen sein. Soweit der Bundesgerichtshof zusätzlich zum Eintritt des Erfolgs im Inland einen „völkerrechtlich legitimierenden Anknüpfungspunkt" verlangt, um den Geltungsbereich des deutschen Strafrechts für Inlandstaten völkerrechtskonform auszurichten, 50 ergibt sich dieser in den genannten Fällen aus der Inlandsbezogenheit der Tat. 2. Der Täter ist Deutscher. Diese Variante, die Auslandstaten von Ausländern von der Strafbarkeit ausnehmen will, stützt sich auf das aktive Personalitätsprinzip des § 7 Abs. 2 Nr. 1. Maßgeblich ist die Deutscheneigenschaft zur Zeit der Tat. 5 1 Im Gegensatz zu § 7 Abs. 2 Nr. 1 verzichtet § 129b Abs. 1 S. 2 aber auf die dort genannte weitere Voraussetzung, dass die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt. Geht man mit der h.M. davon aus, dass das Rechtsanwendungsrecht der §§ 3 ff von § 129b Abs. 1 S. 2 nicht ersetzt wird, erscheint diese Alternative überflüssig. 52 Zu einem anderen Ergebnis gelangt man nur, wenn man § 129b Abs. 1 S. 2 mit der

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Werle/Jeßberger L K § 9 Rdn. 8 9 ff; vgl. auch v. Bubnoff L K 1 1 Nachtrag § § 130, 131 Rdn. 17.

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BGHSt 31 2 0 2 , 2 0 7 ; 4 1 47, 51. BGHSt 4 6 2 1 2 , 2 2 4 ; vgl. hierzu auch Werle/Jeßberger L K § 9 Rdn. 9 9 ff m.w.N.

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Miebach/Schäfer M K Rdn. 1 8 ; Sek/Schröder! Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7 ; Fischer Rdn. 8 ; Kress JA 2 0 0 5 2 2 0 , 2 2 7 ; einschränkend Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 2 7 5 f.

Vgl. Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 2 7 4 .

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§ 129b

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Gegenmeinung als Modifizierung des § 7 Abs. 2 Nr. 1 auslegt. 53 Dann könnten von § 129b beispielsweise auch Fälle erfasst werden, in denen Deutsche sich in Ausbildungslagern von Al Qaida oder anderen Organisationen unter Eingliederung in die Organisation terroristisch ausbilden lassen, wenn die Staaten, in denen sich die Ausbildungslager befinden, keine entsprechenden Organisationsdelikte kennen. Dagegen wird zurecht eingewandt, dass das deutsche Strafrecht unter Missachtung der lex loci einem anderen Staat aufgedrängt würde, obwohl die Regeln der §§ 5, 6 gerade hierfür eine ausdrückliche und abschließende Regelung vorsehen. 54 21

3. Der Täter befindet sich im Inland. Diese Alternative, die die erste Alternative mitumfasst, 5 5 stellt klar, dass ein Inlandsbezug bereits dann anzunehmen ist, wenn das Mitglied einer Vereinigung sich in Deutschland aufhält ohne eine vereinigungsbezogene Tätigkeit zu entfalten (vgl. oben Rdn. 19). 5 6 Dabei dachte der Gesetzgeber beispielsweise an Fälle, in denen das Mitglied einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bereist und hierbei nicht vereinigungsbezogen tätig wird. 5 7 Damit werden nicht nur - in der Praxis so kaum vorkommende - „Schläfer" erfasst, die - ausgebildet für Terroranschläge - in Deutschland auf ihren Einsatz warten und die Bundesrepublik gezielt als Ruheraum nutzen, 58 sondern auch Mitglieder einer ausländischen Vereinigung, die Deutschland nur als Durchreiseland benutzen. 59 Eine darüber hinausgehende substantielle Verknüpfung von Inlands- und Auslandssachverhalten und ein besonderes Hineinwirken in inländische Schutzbelange verlangt die Vorschrift nicht. 6 0 Dies folgt auch aus § 153c Abs. 1 Nr. 4 StPO, der ein Absehen von der Strafverfolgung unter anderem dann ermöglicht, wenn die im Inland begangene Beteiligungshandlung sich auf „bloße" Mitgliedschaft in einer ausländischen Vereinigung beschränkt, womit die nicht betätigte Mitgliedschaft gemeint ist. 61 Kann von der Strafverfolgung abgesehen werden, bedeutet dies aber, dass solche Sachverhalte grundsätzlich strafbar sind.

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Da aufgrund der Tatbestandsstruktur des Organisationsdelikts der mitgliedschaftlichen Beteiligung diese in Zeiten, in denen das Mitglied vorübergehend keine Tätigkeiten für die Vereinigung entfaltet, nicht automatisch endet, solange sie nur weiterhin auf eine aktive Teilnahme am Verbandsleben ausgerichtet ist, 6 2 ist die Tat mit der Einreise nach Deutschland auch hier begangen, weshalb bereits die 1. Alternative des § 129 Abs. 1 S. 2 (inländischer Handlungsort) einschlägig ist. 6 3 Eigenständige Bedeutung erlangt diese Alternative nur bei den im Ausland begangenen Tathandlungen des Unterstützens und Werbens, die mit ihrer Begehung abgeschlossen sind und bei denen ein Rückgriff auf den Begehungsort in Deutschland allein aufgrund der späteren Einreise nicht in

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Ostendorf NK Rdn. 10; Betmann Kriminalistik 2 0 0 6 186, 187. Kindhäuser LPK Rdn. 8. Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 181. Miebach/Schäfer MK Rdn. 19; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Kindhäuser LPK Rdn. 9; Altvater NStZ 2 0 0 3 179,180. BTDrucks. 14/8893, S. 9. So Kindhäuser LPK Rdn. 9; ablehnend Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 276. Vgl. auch Nehring Kriminelle und terroristi-

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sche Vereinigungen im Ausland, S. 278 f; aA v. Bubnoff LK 1 1 Nachtrag Rdn. 9; Kindhäuser LPK Rdn. 9; krit. zu dieser Alternative auch Fischer Rdn. 10. Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 2 8 0 ff. Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 180; Miebach/ Schäfer MK Rdn. 11; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 3. Vgl. hierzu BGHSt 4 6 349, 356 f. Vgl. Fischer Rdn. 10 f, Stein GA 2 0 0 5 433, 451.

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Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland

§ 129b

Betracht kommt. Um der Regelung überhaupt einen Sinn zu geben, sollen nach Fischer solche Beteiligungshandlungen nach §§ 129, 129a erfasst werden, die früher im Ausland begangen wurden. 6 4 Dann stellt sich allerdings die Frage nach dem Verhältnis zu § 7 Abs. 2 Nr. 2, der für die Geltung deutschen Strafrechts zusätzlich verlangt, dass eine Verfolgung des Täters durch den Heimatstaat wegen Nichtauslieferung nicht in Betracht kommt. 4. Das Opfer ist Deutscher. Bei der Anknüpfung an die deutsche Staatsangehörigkeit des Opfers geht es nach dem Willen des Gesetzgebers um Fälle, in denen ein Deutscher oder eine Deutsche Opfer einer Ausführungstat wird, die der ausländischen Vereinigung zuzurechnen ist. 6 5 Der Opferbegriff wird also nicht auf die Tathandlungen der opferlosen Delikte der §§ 129, 129a bezogen, sondern auf die von der Vereinigung begangenen Ausführungstaten. 66 Potentiell zukünftige Opfer finden keine Berücksichtigung mit der Folge, dass mitgliedschaftliche Betätigung oder Unterstützen der Vereinigung, bei der es noch nicht zur konkreten Begehung einer Ausführungstat gekommen ist, von der

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4 . Fallgruppe nicht erfasst werden. 6 7 Ein Wertungswiderspruch ergibt sich daraus, dass § 129b Abs. 1 S. 2 im Gegensatz zu § 7 Abs. 1 auf das einschränkende Erfordernis der Tatortstrafbarkeit verzichtet. Versteht man § 129b Abs. 1 S. 2 nicht als lex specialis zu den allgemeinen Rechtsanwendungsregeln der §§ 3 ff und verlangt das Vorliegen eines dort geregelten Anknüpfungspunktes, kommt dieser Alternative kein eigenständiger sachlicher Gehalt zu. 6 8 Aufgrund des kaum überschaubaren Anwendungsbereichs bei Auslandstaten gegen einen Deutschen (§ 7 Abs. 1) wird vereinzelt gerade für diesen Fall ein zusätzlicher Anknüpfungspunkt nach 3 ff verlangt. 6 9

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5. Das Opfer befindet sich im Inland. Auch hier ist auf das Opfer einer von der ausländischen Vereinigung begangenen Ausführungstat abzustellen. 7 0 Maßgebend ist nach dem gesetzgeberischen Willen, ob das Opfer auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verletzt worden ist. 7 1 Der spezifische Inlandsbezug ist danach nicht gegeben, wenn das ausländische Opfer einer im Ausland begangenen Ausführungstat einer ausländischen Vereinigung die Bundesrepublik Deutschland nach der Tat (zufällig) bereist. 7 2 Allerdings dürfte in Fällen, in denen das Opfer im Inland verletzt wurde, bereits die 1. Alternative des § 129b Abs. 1 S. 2 (inländischer Handlungsort) einschlägig sein.

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Fischer Rdn. 10a; so auch Stein SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Kress JA 2005 220, 227. BTDrucks. 14/8893, S. 9; Altvater NStZ 2003 179, 181; Miebach/Schäfer MK Rdn. 20; Stein SK Rdn. 5; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Fischer Rdn. 9; Stein GA 2005 433, 452. Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 286 ff. Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 289. Vgl. Miebach/Schäfer MK Rdn. 20; Stein SK Rdn. 5; Fischer Rdn. 9; Altvater NStZ 2003 179, 181; Kress JA 2005 220, 227; vgl. auch

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Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 292. So Altvater NStZ 2003 179, 181; krit. Fischer Rdn. 9. Miebach/Schäfer MK Rdn. 21; Stein SK Rdn. 5; Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 295. BTDrucks. 14/8893, S. 9; Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 295. Miebach/Schäfer MK Rdn. 21; Stein SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 7; Altvater NStZ 2003 179, 181; Stein GA 2005 433, 453; aA Fischer Rdn. 11; Kress JA 2005 220, 227.

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§ 129b

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

VI. Verfolgungsermächtigung (§ 129 Abs. 1 S. 3 - 5 ) 26

Handelt es sich bei einer Vereinigung um eine solche außerhalb der Mitgliedstaaten der EU, wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz verfolgt.

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Das Ermächtigungserfordernis, das zum Teil begrüßt, 7 3 zum Teil als systemfremde Verfolgungshürde 74 und als Politisierung der Justiz 7 5 abgelehnt wird, dient dem Zweck, nicht strafwürdige Fälle von der Strafverfolgung auszunehmen, diese vielmehr auf schwerwiegende Sachverhalte zu konzentrieren. 76 Außerdem wollte der Gesetzgeber Sachverhalte, bei denen auch „die (außen-) politisch sinnvolle Handhabung der Strafrechtspflege" eine Rolle spielt, nicht der Verantwortung der Staatsanwaltschaften und Gerichte überlassen. 77 Dabei dachte der Gesetzgeber insbesondere an Spannungen, die auftreten können, wenn es um die strafrechtliche Bewertung sogenannter Befreiungsbewegungen geht, d.h. um Vereinigungen, die sich mit Verhältnissen auseinandersetzen, die dem Leitbild einer freiheitlich demokratisch verfassten Staatsordnung zuwiderlaufen. Da das Ziel, Völker- oder menschenrechtlich anerkannte Rechtspositionen durchzusetzen, nicht ohne weiteres die Befugnis zu gewaltsamen Vorgehen verleiht, 78 könnten auch Befreiungsbewegungen als kriminelle oder terroristische Vereinigungen eingestuft werden. 7 9 Als weiteres Beispiel nennt BTDrucks. 14/8893 den Fall der Einleitung eines Prozesses der Verständigung zwischen den Beteiligten um einen bewaffneten Konflikt im Ausland, der Unterstützung verdient.

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Die Ermächtigung kann gem. Absatz 1 Satz 4 für den Einzelfall, aber auch allgemein für die Verfolgung künftiger Taten einer Vereinigung erteilt werden, die im Einzelnen noch nicht genau bestimmbar sind. Diese von sonstigen Ermächtigungsregelungen (vgl. § 90 Abs. 4, § 90b Abs. 2, § 97 Abs. 3, § 194 Abs. 4, § 353b Abs. 4) abweichende Regelung soll den bürokratischen Aufwand gering halten und die internationale Koordination des Vorgehens gegen kriminelle und terroristische Vereinigungen erleichtern. 80

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-Die Ermächtigung zur Strafverfolgung wird von der Staatsanwaltschaft von Amts wegen eingeholt. In der Schwebezeit bis zur Erteilung oder Verweigerung sind Maßnahmen zur Strafverfolgung zulässig, die durch Gefahr im Verzug geboten sind. 81 Zuständig für die Erteilung ist das Bundesministerium der Justiz. Von einer Zuständigkeit der Bundesregierung als Kollegialorgan hat der Gesetzgeber wegen der unter Umständen knappen Fristen in Haftsachen abgesehen. 82

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Eine erteilte Ermächtigung kann jederzeit zurückgenommen werden (§§ 77e, 77d). Die Rücknahme einer allgemein erteilten Ermächtigung schließt nicht aus, eine Einzelermächtigung, auch für die Vergangenheit, zu erteilen. 83 § 77d Abs. 1 S. 3 ist insoweit nur eingeschränkt anwendbar, weil die Rücknahme der allgemeinen Ermächtigung kei-

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Altvater NStZ 2 0 0 3 1 7 9 , 1 8 1 . v. Bubnoff N J W 2 0 0 2 2675. v. Plottnitz ZRP 2 0 0 2 351, 353; Rautenberg N J W 2 0 0 2 2154; krit. auch Fischer Rdn. 13; LacknerlKühl Rdn. 4; Stein GA 2 0 0 5 433, 4 5 8 ; v. Bubnoff N J W 2 0 0 2 2 6 7 2 , 2675. BTDrucks. 14/8893, S. 9; vgl. auch Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 3 0 2 ff. BTDrucks. 14/8893, S. 8. Vgl. BGH N J W 1966 312; 2 0 0 0 3079; BVerfG NStZ 2 0 0 1 187.

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Vgl. Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 181; Miebach/ Schäfer MK Rdn. 23. BTDrucks. 14/8893, S. 9; Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 182. BTDrucks. 14/8893, S. 9. BTDrucks. 14/8893, S. 9. Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 182; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8; aA Stein SK Rdn. 7.

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Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland

§ 129b

nen Verzicht auf Strafverfolgung zum Ausdruck bringt. 8 4 Die Erteilung oder Rücknahme einer Ermächtigung steht im Ermessen des Bundesministeriums der Justiz. § 129b Abs. 1 S. 5 enthält Hinweise für die Ausübung des Ermessens, die allerdings auf Vereinigungen mit politisch motivierten Zielen zugeschnitten sind. 8 5 Das Gesetz stellt auf Bestrebungen gegen fundamentale, innerhalb der Völkergemeinschaft allgemein anerkannte Werte ab, um zu vermeiden, die eigene verfassungsrechtliche Ordnung zum absolut gültigen Maßstab zu erheben. 8 6 Dabei wird eine Gesamtabwägung aller Umstände gefordert, auch solcher, die nicht im Gesetz aufgeführt sind, wie z.B. das konkret verwirklichte Unrecht bei der Erteilung einer Ermächtigung für den Einzelfall. Die Entscheidung muss nicht begründet werden und ist auf ihre formelle Wirksamkeit hin, nicht aber inhaltlich gerichtlich überprüfbar. 87 Die Ermächtigung ist Prozessvoraussetzung. Sie ist an keine Frist gebunden und kann noch in der Revisionsinstanz erteilt werden. 8 8

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VII. Parteienprivileg Die Ausnahmebestimmung des ξ 129 Abs. 2 Nr. 1, der als Ausfluss des Parteienprivilegs des Art. 21 GG politische Parteien, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat, von der Anwendbarkeit der Vorschrift ausnimmt, gilt nicht für ausländische Vereinigungen. Der Anwendungsbereich der Norm reicht nicht über den Geltungsbereich des Grundgesetzes hinaus. 8 9

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Vm. Verhältnis zu § 30b BtMG Die speziellere Vorschrift des § 30b BtMG, der eine uneingeschränkte Geltung des deutschen Strafrechts auch für Nicht-EU-Vereinigungen anordnet, geht dem § 129b Abs. 1 vor. 9 0 Die Beteiligung an Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit auf den unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln gerichtet sind, bleibt deshalb weiterhin auch ohne Ermächtigung verfolgbar. Anwendbar ist indessen § 129b Abs. 2, weil sich die Vorschrift auf alle kriminellen und terroristischen Vereinigungen bezieht. 91

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Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 182; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8. Krit. Miebach/Schäfer MK Rdn. 25: wohlklingender möglicherweise die Beruhigung der Öffentlichkeit bezweckender Programmsatz. BTDrucks. 14/8893, S. 9. Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 182; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Stein SK Rdn. 6; für eine Prüfung auf Willkür OLG München N J W 2 0 0 7 2 7 8 6 , 2789. Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 182.

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Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 180; Miebach/Schäfer MK Rdn. 12. BTDrucks. 14/8893, S. 9; Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 182; Miebach/Schäfer MK Rdn. 2 8 ; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 8; vgl. auch Nehring Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, S. 3 7 2 ff. Altvater NStZ 2 0 0 3 179, 182; Stein SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 9.

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§ 129b

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

IX. Verfall und Einziehung 34

Absatz 2 erklärt die insbesondere der Bekämpfung der organisierten Kriminalität dienenden Rechtsfolgen der § 73d (Erweiterter Verfall) und § 74a (Dritteinziehung) auf in- und ausländische Vereinigungen für anwendbar. Ob das erklärte Ziel, terroristischen Organisationen effizient den finanziellen Nährboden zu entziehen, 92 damit erreicht werden kann, erscheint fraglich. Ergänzt wird die Regelung durch § 443 StPO, der die Beschlagnahme des Vermögens des Beschuldigten zur Sicherung des Verfahrens ermöglicht. X . Prozessuales

35

1. Zuständigkeiten. Die bisherige Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern (vgl. § 129 Rdn. 208, § 129a Rdn. 108) wird durch die Ergänzungen der §§ 74a Abs. 1 Nr. 4, 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG für Auslandsvereinigungen beibehalten. Danach sind die Landesstaatsanwaltschaften für die Verfolgung von Taten zuständig, die sich auf kriminelle Vereinigungen im Ausland beziehen, sofern der Generalbundesanwalt nicht die Verfolgung wegen der besonderen Bedeutung des Falles übernimmt (§ 74a Abs. 2 GVG). Erkennendes Gericht des ersten Rechtszuges ist gemäß § 74a Abs. 1 Nr. 4 GVG die für den Bezirk eines Oberlandesgerichts zu bildende Staatsschutzkammer bei einem Landgericht. Dies gilt nicht, wenn die strafbare Handlung zugleich eine Straftat nach dem BtMG darstellt (§ 74a Abs. 1 Nr. 4, 2. Halbsatz GVG). Dann verbleibt es bei der Zuständigkeit der allgemeinen Strafkammern. Handelt es sich um eine ausländische terroristische Vereinigung übt gem. § 142a Abs. 1 GVG i.V.m. § 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG der Generalbundesanwalt das Amt der Staatsanwaltschaft aus. Er kann das Verfahren in Sachen von minderer Bedeutung an die Landesstaatsanwaltschaft abgeben (§ 142a Abs. 2 Nr. 2 GVG), wenn nicht eine Ausnahme nach § 142a Abs. 3 GVG vorliegt. Für die Verhandlung und Entscheidung im ersten Rechtszug sind die Oberlandesgerichte zuständig, die insoweit Gerichtsbarkeit des Bundes ausüben (Art. 96 Abs. 5 GG).

36

2. Ermittlungsmaßnahmen. Ermittlungsmaßnahmen, deren Einsatz die StPO für die Verfolgung von Beteiligten an kriminellen und terroristischen inländischen Vereinigungen erlaubt (s. § 129 Rdn. 210 und § 129a Rdn. 109), sind auch bei der Verfolgung von Beteiligten ausländischer Vereinigungen anwendbar. Soweit erforderlich wurden die entsprechenden Regelungen in der StPO durch das 34. StrÄndG ergänzt.

37

3. Sonstige Regelungen. Das Inkrafttreten des § 129b hat für einschlägige mitgliedschaftliche Betätigungsakte nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 VereinsG einerseits und nach § 129b andererseits eine Zäsur bewirkt, die ihre Zusammenfassung zu einer einzigen fortlaufenden tatbestandlichen Handlungseinheit ausschließt und einem Strafklageverbrauch entgegensteht. 93

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Um zu verhindern, dass schwerste Straftaten, deren Begehung Ziel der terroristischen Vereinigung ist, verwirklicht werden, hat der Gesetzgeber mit dem 34. StrÄndG die Möglichkeit der Untersuchungshaft gem. § 112 Abs. 3 StPO zugelassen. Im Blick hatte der Gesetzgeber vor allem potenzielle Selbstmordattentäter, bei denen es am Vorliegen eines Haftgrundes fehlt. 94

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BTDrucks. 14/8893, S. 7. Vgl. BGH NStZ 2007 401.

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BTDrucks. 14/8893, S. 7; vgl. aber BVerfG 19 342, 350.

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Volksverhetzung

§ 130

Außerdem wurden die Einstellungsvorschriften um einen § 153c Abs. 1 Nr. 3 StPO erweitert, um Taten gem. § 129b mit Schwerpunkt im Ausland, die deutsche Interessen nicht oder nur sehr geringfügig berühren, von der Verfolgung ausnehmen zu können. Als Beispiele für untergeordnete Beteiligungshandlungen nennen die Gesetzesmaterialien die Entrichtung von Mitgliedsbeiträgen oder die Vornahme einfacher Hilfsdienste, während die Begehung von Straftaten im Inland im Auftrag der Vereinigung keine Einstellung rechtfertigen soll. 95

§ 130 Volksverhetzung (1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder 2 / die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. Schriften (§ 11 Abs. 3), die zum Hass gegen Teile der Bevölkerung oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordern oder die Menschenwürde anderer dadurch angreifen, dass Teile der Bevölkerung oder eine vorbezeichnete Gruppe beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden, a) verbreitet b) öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, c) einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überlässt oder zugänglich macht oder d) herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Buchstaben a bis c zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, oder 2. eine Darbietung des in Nummer 1 bezeichneten Inhalts durch Rundfunk, Medien oder Teledienste verbreitet. (3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost. (4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt. (5) Absatz 2 gilt auch für Schriften (§ 11 Abs. 3) des in den Absätzen 3 und 4 bezeichneten Inhalts. (6) In den Fällen des Absatzes 2, auch in Verbindung mit Absatz 5, und in den Fällen der Absätze 3 und 4 gilt § 86 Abs. 3 entsprechend.

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BTDrucks. 14/8893, S. 10.

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Schrifttum Amelung Strafrechtswissenschaft und Strafgesetzgebung, ZStW 92 (1980) 19; Aydin Die strafrechtliche Bekämpfung von Hassdelikten in Deutschland und in den Vereinigten Staaten von Amerika (2006); Bandisch Zum Entwurf eines Kriminalitätsbekämpfungsgesetzes der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP vom 4.1.1994, StV 1994 153; Bastian Auschwitz und die „Auschwitz-Lüge". Massenmord und Geschichtsfälschung (1997); Beisel Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes und ihre strafrechtlichen Grenzen (1997); ders. Die Strafbarkeit der Auschwitzlüge, NJW 1995 997; Berg Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes im 21. Jahrhundert, Festschrift Otto (2007) S. 1065; Bertram Der Bundesgerichtshof und die „Auschwitzlüge", NJW 1994 2002; ders. Noch eimal: Die „Auschwitzlüge" - Anmerkungen zum Urteil der 6. Großen Strafkammer des LG Mannheim vom 22.6.1994, NJW 1994 2397; ders. Der Rechtsstaat und seine Volksverhetzungs-Novelle NJW 2005 1476; Boese Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Verweisungen durch Links im Internet (2000); Bottke Das öffentliche Anbieten von Hitler's „Mein Kampf". Versagt unser Rechtsstaat? Buch und Bibliothek (BuB) 1980 254; Bremer Strafbare Internet-Inhalte in internationaler Hinsicht - Ist der Nationalstaat wirklich überholt? (2001); Brockelmann § 130 StGB und antisemitische Schriften, DRiZ 1976 213; Brugger Verbot oder Schutz von Haßrede? Ein Konflikt zwischen Deutschland und Amerika, Festschrift Lampe (2003) 383; ders. Verbot oder Schutz von Haßrede? Rechtsvergleichende Beobachtungen zum deutschen und amerikanischen Recht, AöR 128 (2003) 372; ders. Hassrede, Beleidigung, Volksverhetzung, JA 2006 687; v. Bubnoff Die strafrechtliche Bekämpfung rechtsextremistischer Aktivitäten, ZRP 1982 118; Cobler Das Gesetz gegen die „Auschwitz-Lüge", KritJ 1985 159; Dabs Das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 - ein Produkt des SuperWahljahres, NJW 1995 553; Dau Der strafrechtliche Ehrenschutz der Bundeswehr, NJW 1988 2650; v. Denkowski Rechtsextremismus, Versammlungsfreiheit und der 8. Mai 2005, Kriminalistik 2005 208; DRiB Dokumentation u. Erklärung, DRiZ 1985 225 u. 1994 229; v.Dewitz NS-Gedankengut und Strafrecht - Die §§ 86, 86a StGB und § 130 StGB zwischen der Abwehr neonazistischer Gefahren und symbolischem Strafrecht (2006); Dietz Die Lüge von der „Auschwitzlüge" - Wie weit reicht das Recht auf freie Meinungsäußerung? KritJ 1995 210; Eschen Das 21. Strafrechtsänderungsgesetz - eine stumpfe Waffe gegen den Rechtsradikalismus, ZRP 1983 10; Fischer Das Verhältnis der Bekenntnisbeschimpfung (§ 166 StGB) zur Volksverhetzung (§ 130 StGB), GA 1989 445; ders. Die Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, NStZ 1988 159; ders. Öffentlicher Friede und Gedankenäußerung (usw.), Diss. Würzburg 1986; Foerstner Kollektivbeleidigung, Volksverhetzung und „lex Tucholsky" (2002); Frommel Fremdenfeindliche Gewalt, Polizei und Strafjustiz, KritJ 1994 332; dies. Das Rechtsgut der Volksverhetzung - oder ein „Ablaßhandel" in drei Akten, KritJ 1995 402; Gallas Abstrakte und konkrete Gefährdung, Festschrift Heinitz (1972) S. 171; Geilen Zur Problematik des volksverhetzenden Leserbriefs, NJW 1976 279; ders. Unvorsätzliche „Auschwitzlüge"? - Bemerkungen zu § 130 Abs. 3 StGB, Festschrift Herzberg (2008) S. 593 ff; ders. Volksverhetzung (§ 130 StGB), in: Ulsamer (Hrsg.), Lexikon des Rechts, Strafrecht, Strafverfahrensrecht (1996) 1168; Giehring Pazifistische radikale Kritik als Volksverhetzung? StV 1985 30; Gotting Das Tatortprinzip im Internet anhand des Beispiels der Volksverhetzung, Kriminalistik 2007 615; Gounalakis Freiräume und Grenzen politischer Karikatur u. Satire, NJW 1995 809; Hassemer Kommentare zum „Soldatenurteil", Strafrechtliche Aspekte, KritJ 1990 359; Hefendehl Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht (2002); Heghmanns Strafrechtliche Verantwortlichkeit für illegale Inhalte im Internet, JA 2001 71; Herdegen „Soldaten sind Mörder", NJW 1994 2933; Hilgendorf Zur Anwendbarkeit des § 5 TDG auf das Strafrecht, NStZ 2000 518; Hilgendorf/Frank/Valerius Computer- und Internetstrafrecht (2005) S. 126; Hill Tucholskys Schuh Anmerkungen zum „Soldatenurteil" DRiZ 1994 458; Hörnle Der Schutz von Gefühlen im StGB, in: Hefendehl u.a. (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie (2003) 268; dies. Grob anstössiges Verhalten, Strafrechtlicher Schutz von Moral, Gefühlen und Tabus (2005) 282 ff; dies. Aktuelle Probleme aus dem materiellen Strafrecht bei rechtsextremistischen Delikten, NStZ 2002 113; dies. Pornographische Schriften im Internet: Die Verbotsnormen im deutschen Strafrecht und ihre Reichweite, NJW 2002 1008; dies. Deskriptive und normative Dimensionen des Begriffs „Feindstrafrecht", GA 2006 80; Hoeren Das Telemediengesetz, NJW 2007 801; Hoffmann-Riem Demonstationsfreiheit auch für Rechtsextremisten, NJW 2004 2777; Holznagel Verantwortlichkeiten im Internet und Free Speech am Beispiel der Haftung für illegale und jugendgefährdende Inhalte, ZUM 2000 1007; ders. Mei-

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Volksverhetzung

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nungfreiheit oder Free Speech im Intertnet, AfP 2002 128; Holznagel/Kussel Möglichkeiten und Risiken bei der Bekämpfung rechtsradikaler Inhalte im Internet, M M R 2001 347; Hoyer Die Eignungsdelikte (1987); Huster Das Verbot der „Auschwitzlüge", die Meinungsfreiheit und das Bundesverfassungsgericht, NJW 1996 487; Jahn Strafrechtliche Mittel gegen Rechtsextremismus - Die Änderungen der §§ 130 und 86a StGB als Reaktion auf fremdenfeindliche Gewalt im Licht der Geschichte des politischen Strafrechts in Deutschland (1998); Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung, ZStW 97 (1985) S. 751; Junge Das Schutzgut des § 130 StGB, Diss. Augsburg 2000; Kargl Rechtsextremistische Parolen als Volksverhetzung, Jura 2001 176; Kessler Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Zugangsprovidern (2003); Klug Das Aufstacheln zum Angriffskrieg (§ 80a StGB) Festschrift Jescheck (1985) S. 583; Koch, A. Zur Strafbarkeit der „Auschwitzlüge" im Internet - BGHSt 46, 212, JuS 2002 123; Koch, Alexander Strafrechtliche Verantwortlichkeit beim Setzen von Hyperlinks auf mißbilligte Inhalte, MMR 1999 704; Koch, Frank A. Zivilrechtliche Anbieterhaftung für Inhalte in Kommunikationsnetzen, CR 1997 193; Köhler Zur Strafbarkeit des Leugnens von Völkermordtaten, NJW 1985 2389; König/Seitz Die straf- und verfahrensrechtlichen Regelungen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes, NStZ 1995 1; Körber Rechtsradikale Propaganda im Internet - der Fall Toben (2003); Krone Die Volksverhetzung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Berücksichtigung der soziologischen, psychologischen und sozialpsychologischen Gesetzmäßigkeiten des zugrunde liegenden Aggressionsprozesses sowie des historischen und kriminologischen Hintergrundes von § 130 StGB, Diss. Mainz 1979; Krüger Das VerbrechensbekämpfungsG - Hilfe bei der Problembewältigung? Kriminalistik 1995 41; Kubiciel Rechtsextremistische Musik von und mit V-Leuten, NStZ 2003 57; Kubink Rechtsextremistische und fremdenfeindliche Straftaten, ZRP 2002 308; Kudlich Die Neuregelung der strafrechtlichen Verantwortung von Internetprovidern, JA 2002 798; ders. Altes Strafrecht für Neue Medien, Jura 2001 305; Kübler Rassenhetze und Meinungsfreiheit, Grenzüberschreitende Aspekte eines Grundrechtskonflikts, AöR 125 (2000) 109; Kühl Auschwitz-Leugnen als strafbare Volksverhetzung? Festschrift Geilen (2003) S. 103; Kühner Das Recht auf Zugang zu Gaststätten und das Verbot der Rassendiskriminierung, NJW 1986 1397; Küpper Strafrechtlicher Ehrenschutz und politische Meinungsäußerungen, ZRP 1991 249; Kugelmann Bekämpfung rassistischer und fremdenfeindlicher Computerstraftaten. Das Zusatzprotokoll des Europarates, DuD 2003 345; Laitenberger Die Strafbarkeit der Verbreitung rassistischer, rechtsextremistischer und neonazistischer Inhalte (2003); Leist Die Änderung des Versammlungsrechts: ein Eigentor? NVwZ 2005 500; Leukert Die strafrechtliche Erfassung des Auschwitzleugnens, Diss. Tübingen 2005; Lömker Die gefährliche Abwertung von Bevölkerungsteilen (§ 130 StGB), Diss. Hamburg 1970; Lohse Werden Gastarbeiter und andere Ausländer durch § 130 StGB gegen Volksverhetzung wirksam geschützt? NJW 1971 1245; ders. „Türken ist der Zutritt verboten" - Volksverhetzung durch Zugangsverweigerung, NJW 1985 1677; Louven Die Strafbarkeit antisemitischer Ausschreitungen, DRiZ 1960 211; Mahrenholz „DeckertUrteil", „Soldaten/Mörder-Beschluß" - ein DRiZ-Interview, DRiZ 1995 35; Maiwald Zur Beleidigung der Bundeswehr und ihrer Soldaten, J R 1989 485; Mitsch Das deutsche Strafrecht und die Bekämpfung rassischer Diskriminierung und Gewalttaten, in: Klein (Hrsg.) Rassische Diskriminierung - Erscheinungsformen und Bekämpfungsmöglichkeiten (2002) S. 147; Neumann Zum Entwurf eines Verbrechensbekämpfungsgesetzes StV 1994 273; Ostendorf Im Streit: die strafrechtliche Verfolgung der „Auschwitzlüge", NJW 1985 1062; Paul Primärrechtliche Regelungen zur Verantwortlichkeit von Internetprovidern aus strafrechtlicher Sicht (2005); Pelz Die Strafbarkeit von OnlineAnbietern, wistra 1999 53; v. Pollern Wann liegt der Tatbestand des § 130 StGB (Volksverhetzung) vor? Die Verwaltungspraxis 1967 250; Popp Die strafrechtliche Verantwortung von Internet-Providern (2002); Poscher Neue Rechtsgrundlagen gegen rechtsextremistische Versammlungen, NJW 2005 1316; Renzikowski Toleranz und die Grenzen des Strafrechts, Gedächtnisschrift für Meurer (2002) S. 179; Römer Nochmals: Werden Gastarbeiter und andere Ausländer durch § 130 StGB gegen Volksverhetzung wirksam geschützt? NJW 1971 1735; Römer Nicole Verbreitungs- und Äußerungsdelikte im Internet (2000); Rühl Versammlungsrechtliche Maßnahmen gegen rechtsradikale Demonstrationen, NJW 1995 561; Satzger Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Zugangsvermittlern - Eine Untersuchung der Verantwortlichkeit für rechtswidrige Inhalte im Internet vor dem Hintergrund der neuen E-Commerce-Richtlinie der EG, CR 2001 109; Schafheutie Das sechste Strafrechtsänderungsgesetz, J Z 1960 470; Scheidler Das Gesetz zur Änderung des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuchs - Ein Vergleich mit der bisherigen Rechtslage, BayVBl 2005 453; Schnei-

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der Hasskriminalität: eine neue kriminologische Deliktskategorie, J Z 2003 497; Schramm Über die Beleidigung von behinderten Menschen, Festschrift Lenckner (1998) S. 539; H. Schröder Abstraktkonkrete Gefährdungsdelikte J Z 1967 522; Schubert Verbotene Worte? Versuch einer Neubestimmung im Umgang mit rassistischen Äußerungen jenseits des Strafrechts (2005); H. Schultz Gewaltdelikte als Schutz der Menschenwürde im Strafrecht, Festschrift Maihofer (1988) S. 517; Sendler Kann man Liberalität übertreiben? ZRP 1994 343; ders. Zur Krankheit verurteilt? Das DeckertUrteil und die Folgen, ZRP 1994 377; Sieber Internationales Strafrecht im Internet, NJW 1999 2065; ders. Die Bekämpfung von Hass im Internet, ZRP 2001 97; Six Die Beschimpfung im Internet, in: Ackermann (Hsg), Strafrecht als Herausforderung (1999) S. 313; Spindler Dogmatische Strukturen der Verantwortlichkeit der Diensteanbieter nach TDG und MDStV, MMR 1998 639; ders. Das Gesetz zum elektronischen Geschäftsverkehr - Verantwortlichkeit der Diensteanbieter und Herkunftslandprinzip, NJW 2002 921; Stark Die Rechtsprechung des BVerfG zum Spannungsverhältnis von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz, JuS 1995 689; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, Diss. München 2000; ders. Der Straftatbestand gegen die Auschwitzleugnung - eine Zwischenbilanz, NStZ 2000 281; ders. Die Rechtsprechung zu § 130 StGB nach der Neufassung, JR 2004 281; ders. Rechtsprechungsübersicht zu den Propaganda- und Äußerungsdelikten, NStZ 2008 73; Streng Das Unrecht der Volksverhetzung, Festschrift Lackner (1987) S. 501; Tolmein Strafrechtliche Reaktionsmöglickeiten auf rassistisch motivierte Gewaltdelikte, ZRP 2001 315; Ufer Die Haftung der Internet Provider nach dem Telemediengesetz, Diss. Hamburg 2007; Valerius Das globale Unrechtsbewusstsein - Oder: zum Gewissen im Internet, NStZ 2003 341; Vec Internet, Internationalisierung und nationalstaatlicher Rechtsgüterschutz, NJW 2002 1535; Vitzthum Die Menschenwürde als Verfassungsbegriff, J Z 1985 201; Vogelsang Die Neuregelung zur sog. „Auschwitzlüge" - Beitrag zur Bewältigung der Vergangenheit oder „widerliche Aufrechnung"? NJW 1985 2386; Wandres Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens (2000); Warda Zur natürlichen und tatbestandlichen Handlungseinheit bei Äußerungsdelikten, insbesondere der Volksverhetzung (§ 130 StGB), Festschrift Geilen (2003) S. 199; Weber Garantenstellung kraft Sachherrschaft, Festschrift Oehler (1985) S. 83; Weber Strafbarkeit der Holocaustleugnung in der Europäischen Union, ZRP 2008 21; Weber/Meckbach Äußerungsdelikte in Internetforen, NStZ 2006 492; Wehinger Kollektivbeleidigung-Volksverhetzung: Der strafrechtliche Schutz von Bevölkerungsgruppen durch die §§ 185 ff und § 130 StGB (1994); Werte Der Holocaust als Gegenstand der bundesdeutschen Strafjustiz, NJW 1992 2529; Zieschang Die Gefährdungsdelikte (1998).

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift, die früher die „öffentliche Anreizung verschiedener Klassen der Bevölkerung" zu Gewalttätigkeiten in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise unter Strafe gestellt hatte, 1 ist durch das 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 3 0 . Juni 1 9 6 0 (BGBl. I S. 4 7 8 ) neu gefasst worden. 2 Die Neufassung war die Reaktion des Gesetzgebers auf eine Welle von antisemitischen und neonazistischen Ausschreitungen in der Bundesrepublik Deutschland um die Jahreswende 1 9 5 9 / 6 0 , die sich auch im Ausland ausbreitete, so dass auch in Staaten des Auslands ein Einschreiten des Gesetzgebers gefordert

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Zur Entstehungsgeschichte des § 130 a.F. vgl. RGSt 22 293; 35 96, 97; Junge Das Schutzgut des § 130 StGB, S. 5 ff; Krone Die Volksverhetzung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 20 ff; Lömker Die gefährliche Abwertung von Bevölkerungsteilen, S. 23 ff. Vgl. Brockelmann DRiZ 1976 213; Lohse

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NJW 1971 1245; Schafheutie J Z 1960 470; Streng FS Lackner, S. 501, 502 ff; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 163 ff; Wehinger Kollektivbeleidigung - Volksverhetzung, S. 95 ff; Jahn Strafrechtliche Mittel gegen Rechtsextremismus, S. 130 ff; Frommel KritJ 1995 402.

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wurde. 3 Ziel der Vorschrift war die Sicherung des innergesellschaftlichen Friedens als einem fundamentalen Rechtsgut der Gesellschaft. 4 Schon im Vorfeld von unmittelbaren Menschenwürdeverletzungen wollte der Gesetzgeber dem Ingangsetzen einer historisch als gefährlich nachgewiesenen Eigendynamik entgegenwirken und den Anfängen wehren. 5 Als Reaktion auf zunehmende ausländerfeindliche Tendenzen und Ausschreitungen seit 1990 und vor dem Hintergrund der Aufhebung der Verurteilung des damaligen NPD-Vorsitzenden Deckert nach §§ 130 a.F., 186 durch den Bundesgerichtshof 6 hat der Gesetzgeber mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 2 8 . Oktober 1994 (BGBl. I S. 3186) den Tatbestand grundlegend umgestaltet und erweitert. 7 Im Hinblick auf Ausmaß und gefährliche Auswirkungen rechtsextremistischer und ausländerfeindlicher Propaganda zielte die Änderung auf eine Erleichterung der Anwendung in der Praxis und auf eine Erhöhung der generalpräventiven Wirkung des Tatbestandes, um insbesondere pauschalen Diffamierungen und Diskriminierungen von Asylbewerbern sowie ausländischen und jüdischen Mitbürgern entgegenzuwirken. 8 In Absatz 1 Nr. 1 wurden die Aufstachelungs- und Aufforderungsalternative des § 130 Nr. 1 und Nr. 2 a.F. zusammengefasst, wobei das in der alten Fassung enthaltene Tatbestandsmerkmal eines Angriffs auf die Menschenwürde nur in Absatz 1 Nr. 2 beibehalten wurde. 9 Der aus § 131 a.F. ausgegliederte Tatbestand der Aufstachelung zum Rassenhass wurde unter Erweiterung des Kreises der Betroffenen in Absatz 2 als allgemeiner und umfassender Anti-Diskriminierungstatbestand ausgestaltet und der Strafrahmen verschärft. Mit Einfügung der Absätze 3 und 4 stellte der Gesetzgeber die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung einer unter der NS-Herrschaft begangenen Handlung i.S. des § 6 VStGB (§ 2 2 0 a a.F.) unter Strafe und schuf damit eine spezielle Strafbestimmung gegen die einfache Auschwitzleugnung. Diese war zuvor von der Rechtsprechung nur als Beleidigung qualifiziert worden, weil sie nicht das in § 130 a.F. vorausgesetzte Erfordernis des Angriffs auf die Menschenwürde erfüllte. 10 Durch Gesetz zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches vom 26. Juni 2 0 0 2 (BGBl. I S. 2254) wurde der nunmehr in § 6 VStGB geregelte Völkermord anstelle von § 2 2 0 a StGB eingefügt. Mit dem am 1. April 2 0 0 4 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. Dezember 2 0 0 3 (BGBl. I S. 3007) wurde die Strafbarkeit der Verbreitung gem. § 130 Abs. 2 Nr. 2 auf die Medien- und Teledienste erweitert. 11

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5

6 7

Schafheutie J Z 1960 4 7 0 , 471; Wehinger Kollektivbeleidigung - Volksverhetzung, S. 95 ff; Krone Die Volksverhetzung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 4 5 f; Lömker Die gefährliche Abwertung von Bevölkerungsteilen, S. 3 9 ff. Vgl. Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. III/1746, S. 4; Wehinger Kollektivbeleidigung - Volksverhetzung, S. 99. BGHSt 4 6 212, 2 2 1 ; Streng FS Lackner, S. 501, 5 0 8 f. BGHSt 4 0 97. Beisel N J W 1995 997; Stegbauer NStZ 2 0 0 0 281, 2 8 2 ; Junge Das Schutzgut des § 130

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StGB, S. 15 ff; Wandres Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 123 ff. Vgl. BTDrucks. 12/6853, S. 2 4 u. 12/8588, S. 4. Krit. Jahn Strafrechtliche Mittel gegen Rechtsextremismus, S. 135. Vgl. BGHSt 4 0 97; Wandres Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 113 ff; Baumann NStZ 1994 3 9 2 ; Jakobs StV 1994 5 4 0 ; Bertram N J W 1994 2 0 0 2 , 2 3 9 7 ; 2 0 0 5 1476; Stegbauer NStZ 2 0 0 0 281 f; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 6 0 V Rdn. 56. BTDrucks. 15/350, S. 21.

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§ 130

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

E i n e w e i t e r e Ä n d e r u n g des V o l k s v e r h e t z u n g s t a t b e s t a n d e s e r f o l g t e u n t e r d e m Eind r u c k einer g e p l a n t e n D e m o n s t r a t i o n d e r N P D a m 8. M a i 2 0 0 5 a m B r a n d e n b u r g e r T o r d u r c h d a s a m 1. April 2 0 0 5 in K r a f t g e t r e t e n e Gesetz zur Ä n d e r u n g des Versammlungsgesetzes u n d des Strafgesetzbuches v o m 2 4 . M ä r z 2 0 0 5 (BGBl. I S. 9 6 9 ) . D a d u r c h w u r d e n G e d e n k o r t e f ü r O p f e r des N a t i o n a l s o z i a l i s m u s u n t e r b e s o n d e r e n v e r s a m m l u n g s r e c h t l i c h e n S c h u t z gestellt (§ 15 A b s . 2 V e r s a m m l G ) u n d in § 130 ein n e u e r A b s a t z 4 e i n g e f ü g t , d e r w ü r d e v e r l e t z e n d e Billigungen d e r n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e n G e w a l t - u n d W i l l k ü r h e r r s c h a f t u n t e r S t r a f e stellt. 1 2

Gesetzesmaterialien 6. StrAndG: RegE eines Gesetzes gegen Volksverhetzung, BTDrucks. III/918; Anträge der Fraktion der FDP u. SPD, BTDrucks. III/1527 u. III/1551; Schriftl. Bericht, BTDrucks. III/1143, zu 1143 u. III/1746, 1746; BTVerh. III/3623, 5080, 5285 u. 6667. VerbrechensbekämpfungsG 1994: Entwürfe des Bundesrats, BRDrucks. 534/94 u. BTDrucks. 12/4825, 12/8411; Länderanträge, BRDrucks. 887/92 u. 534/2/94; BRVerh. 12/670 u. 674; BRDrucks. 575/94 u. 872/94; Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU u. FDP, BTDrucks. 12/6853; Entwurf eines ÄndG StGB der SPD-Fraktion, BTDrucks. 12/7960 u. der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen, BTDrucks. 12/7421; Zustimmungsverweigerung, BRDrucks. 416/1/94; Beschlussempfehlungen des RAussch., BTDrucks. 12/7584; Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, BTDrucks. 12/7837, 12/7872, 12/7841; Schriftl. Bericht, BTDrucks. 12/8588; BTVerh. 12/227, S. 19605 ff, 19664 ff (zu den bundesgesetzlichen Konsequenzen aus rechtsradikalen Ausschreitungen), 12/229, S. 19867 ff u. 12/243, S. 21547 ff, 13/15, S. 855; RAusschProt. 12/120 (Sachverständigenanhörung: S. 39, 119 f, 134, 240, 360, 392, 393, 402), 12/121 u. 12/127; Gesetzesbeschluss, BRDrucks. 416/94; Zu Abs. 3 vgl. auch 21. StrÄndG: 9. Wahlp.: RegE, BRDrucks. 382/82; Entwurf der SPD-Fraktion, BTDrucks. 9/2090; 10. Wahlp.: RegE, BTDrucks. 10/1286; Entwurf der SPD-Fraktion, BTDrucks. 10/891; Entwurf der Fraktion der Grünen, BTDrucks. 10/3260; Schriftl. Bericht, BTDrucks. 10/3242; Änderungsanträge der Fraktionen der SPD und Die Grünen, BTDrucks. 10/3256 u. 10/3255; Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung: GesE der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BTDrucks. 15/350; Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 15/1311; Gesetz zur Änderung des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuchs: GesE der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BTDrucks. 15/4832; Bericht des Innenausschusses, BTDrucks. 15/5051.

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Vgl. Poscher NJW 2005 1316; Bertram NJW 2005 1476.

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Volksverhetzung

§ 130

Übersicht Rdn. A. Rechtsgut I. $ 130 Abs. 1 Π. § 130 Abs. 2 ffl. § 130 Abs. 3 IV. § 130 Abs. 4 V. § 130 Abs. 5 B . Deliktsnatur C. Kriminalpolitische Bedeutung D . Verfassungsrecht E. Europäisches Recht F. Objektiver Tatbestand I. Der Äußerungstatbestand (Abs. 1) . . 1. Angriffsobjekt 2. Tathandlungen a) Qualifizierter Angriff b) Auslegung der Äußerung . . . . c) Form der Äußerung d) Persönliches Äußerungsdelikt . . e) Aufstacheln zum Hass (Abs. 1 Nr. 1 1. Alt.) f) Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen (Abs. 1 Nr. 1 2. Alt.) g) Angriff auf die Menschenwürde durch Beschimpfen, Verächtlichmachen oder Verleumden (Abs. 1 Nr. 2) aa) Beschimpfen bb) Verächtlichmachen cc) Verleumden dd) Angriff auf die Menschenwürde 3. Eignung zur Friedensstörung . . . Π. Verbreitung von Schriften und von Darbietungen durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste (Abs. 2) . . 1. Angriffsobjekt 2. Angriffsmittel a) Schriften aa) Begriff bb) Inhalt aaa) Aufstacheln zum Hass . . bbb) Aufforderung zu Gewaltoder Willkürmaßnahmen . Angriff auf die Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden . ddd) Auslegung

1 2 9 10 13 14 15 17 19 25 26 26 26 33 33 35 36 37 38

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ccc)

b) Darbietungen im Rundfunk, in Medien- oder Telediensten . . . 3. Tathandlungen a) Schriften (Abs. 2 Nr. 1) aa) Verbreiten

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Rdn. bb) Zugänglichmachen cc) Öffentliches Ausstellen, Anschlagen und Vorführen . . dd) Anbieten, Überlassen an eine Person unter achtzehn Jahren ($ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe c) ee) Weitere Vorbereitungshandlungen b) Verbreitung von Darbietungen (Abs. 2 Nr. 2) aa) Begriff bb) Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Tele- und Mediendiensteanbietern nach §§ 7 bis 10 T M G . . . ΙΠ. Billigen, Leugnen und Verharmlosen des NS-Völkermordes (Abs. 3) . . . . 1. Regelungsgrund 2. Tathandlungen a) Allgemeines b) Billigen c) Leugnen d) Verharmlosen 3. Anknüpfungsgegenstand 4. Handlungsformen a) Öffentlich b) Versammlung 5. Eignung zur Friedensstörung . . . IV. Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt-und Willkürherrschaft (Abs. 4) 1. Tathandlungen a) Billigen b) Verherrlichen c) Rechtfertigen 2. Handlungsformen 3. Verletzung der Würde der Opfer . 4. Störung des öffentlichen Friedens . V. Schriftenverbreitungstatbestand (Abs. 5) Subjektiver Tatbestand Tatbestandsausschlussklausel (Abs. 6) . . Rechtswidrigkeit Täterschaft und Teilnahme Rechtsgeltungsrecht Konkurrenzen Rechtsfolgen I. Strafrahmen Π. Strafzumessungsgesichtspunkte . . . ΙΠ. Einziehung und Verfall N . Prozessuales I. Verjährung Π. Klageerzwingungsverfahren

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§ 130

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

A. Rechtsgut 1

Hinsichtlich des geschützten Rechtsguts besteht ein breites Meinungsspektrum, wobei zwischen den einzelnen Tatbeständen des § 130 differenziert wird.

I. § 1 3 0 Abs. 1 2

Nach zutreffender h.M. ist geschütztes Rechtsgut bei § 1 3 0 Abs. 1 in erster Linie der öffentliche Friede, 1 3 daneben ist auch die Würde des einzelnen Menschen als Schutzgut anzusehen. 1 4

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Der öffentliche Friede bezeichnet sowohl einen objektiv feststellbaren Lebenszustand allgemeiner Rechtssicherheit und des frei von Furcht voreinander verlaufenden Zusammenlebens der Staatsbürger als auch das Vertrauen der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden leben zu können (vgl. auch § 126 Rdn. I ) . 1 5 Über den Schutz der öffentlichen Sicherheit, der „Gesichertheit des R e c h t s " 1 6 hinaus geht es auch um den Schutz eines sozialen

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Vgl. BGHSt 46 212, 221; BGH NStZ 1994 140; OLG Hamburg NJW 1975 1088; OLG München NJW 1985 2430, 2431; OLG Celle J R 1998 79; OLG Stuttgart Die Justiz 1992 186; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. la; Miebach /Schäfer MK Rdn. 2; Lackner/Kühl Rdn. 1; Rudolphi/Stein SK Rdn. l b und 1 f; Kindhäuser LPK Rdn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 V Rdn. 57 f; Arzt BT § 44 IV Rdn. 45; Schmidhäuser BT 12. Kap. Rdn. 1 ff; Foerstner Kollektivbeleidigung, Volksverhetzung und „lex Tucholsky", S. 169 ff; v. Dewitz NSGedankengut und Strafrecht, S. 171 ff; Brugger FS Lampe, S. 383, 395; Lohse NJW 1985 1677, 1678; Wehinger Kollektivbeleidigung Volksverhetzung, S. 86 ff; krit. Kargl Jura 2001 176; Junge Das Schutzgut des § 130 StGB, S. 35 ff, 50. OLG Karlsruhe NJW 1986 1276, 1277; OLG Stuttgart Die Justiz 1992 186; AG Linz NStZ-RR 1996 358, 359; Miebach/Schäfer MK Rdn. 2; Lackner/Kühl Rdn. 1; Kindhäuser LPK Rdn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 V Rdn. 57 f; Foerstner Kollektivbeleidigung, Volksverhetzung und „lex Tucholsky", S. 169 ff; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 163 ff, 246; weiter Rudolphi/Stein SK Rdn. l b und l e (Individualrechtsgüter der durch die Tat unmittelbar betroffenen noch lebenden Personen oder Gruppen in einer die Menschenwürde der Betroffenen berührenden Intensität); offen gelassen von OLG Celle NStZ 1997 495; aA (nur öffent-

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licher Frieden): OLG München NJW 1985 2430, 2431; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. la; Beisel Die Kunstfreiheitsgarantie, S. 341; Mitsch Das deutsche Strafrecht und die Bekämpfung rassischer Diskriminierung, S. 167 ff; Wehinger Kollektivbeleidigung - Volksverhetzung, S. 88 ff. Vgl. mit wechselnder Akzentuierung: RGSt 15 116,117: Zustand des beruhigenden Bewusstseins der Staatsangehörigen, in ihren durch die Rechtsordnung gewährleisteten berechtigten Interessen geschützt zu sein und zu bleiben; RGSt 18 314, 316: befriedetes Zusammenleben der Volksgenossen innerhalb derselben rechtlich geschützten staatlichen Ordnung; RGSt 34 269; 71 248, 249; BGHSt 16 49, 56; 29 26, 27; 46 212, 221 f; 47 278, 280 f; OLG Celle NJW 1970 2257; OLG Hamburg NJW 1975 1088 m. Anm. Geilen NJW 1976 279; OLG Koblenz MDR 1977 334; OLG Schleswig MDR 1978 333; OLG Hamburg MDR 1981 71; OLG München NJW 1985 2430, 2431; OLG Stuttgart Die Justiz 1992 186; OLG Celle JR 1998 79 m. Anm. Popp; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. la; Rudolphi/Stein SK Rdn. lg; Miebach/Schäfer MK Rdn. 2; Lackner/Kühl Rdn. 1; Lohse NJW 1985 1677 1678; Geilen NJW 1976 279, 280; Wandres Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 213 ff; Wehinger Kollektivbeleidigung Volksverhetzung, S. 74 ff; vgl. auch Fischer NStZ 1988 159, 160. Fischer NStZ 1988 159, 163.

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Phänomens, nämlich des gesellschaftlichen Friedens im Sinne eines psychischen Klimas, das nicht durch allgemeine Unruhe, Unsicherheit, Angst und Schrecken in der Bevölkerung sowie durch Ausgrenzung und Diffamierung von Bevölkerungsgruppen vergiftet ist. Schon im Vorfeld von unmittelbaren Menschenwürdeverletzungen wollte der Gesetzgeber im Wege einer Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes ein politisches Klima verhindern, das ein ungestörtes Zusammenleben der Angehörigen verschiedener Bevölkerungsteile beeinträchtigt, weil etwa bestimmten Menschen das Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeiten in der innerstaatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als unterwertige Wesen behandelt werden, 17 Feindseligkeiten gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen durch verhetzende Äußerungen angeheizt oder verstärkt, dadurch gewalttätigen Aktionen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen der Boden bereitet und potentielle Täter zur Begehung entsprechender Gewalttaten aufgehetzt werden. 18 Andere Auffassungen dagegen verstehen den öffentlichen Frieden nur unter dem Aspekt anderweitig geschützter (Individual-)Rechtsgüter und bezweifeln die Berechtigung eines darüber hinaus gehenden Schutzes eines politischen, geistigen oder gesellschaftlichen Klimas. Fischer und Jakobs verneinen die Rechtsgutsfähigkeit des öffentlichen Friedens überhaupt. 19 Friede im strafrechtlichen Sinne sei stets nur auf das Recht bezogen, weshalb er nichts anderes darstelle als die „Gesichertheit aller Rechtsgüter" oder die „Gesichertheit des Rechts". 2 0 Der objektive öffentliche Friede bezeichne deshalb nichts anderes als den Begriff „öffentliche Sicherheit" im Sinne des Polizeirechts, eingeschränkt auf den strafrechtlich geschützten Bereich. Geschützt würde deshalb die Gesamtheit einzelner, konkret zuzuordnender Rechtsgüter der Individuen oder des Staates, die durch bereits bestehende Strafrechtsnormen geschützt seien. 21 Der subjektive öffentliche Friede sei mit dem Wertkonsens der Gesellschaft gleichzusetzen und ein rein normativer Begriff und deshalb nichts anderes als die Legitimation des Strafrechts selbst. Dieser sei aber kein Rechtsgut, sondern der Maßstab, an welchem sich die Rechtsgutsqualität von Gegenständen prüfen lasse. 2 2 § 130 schütze deshalb (nur) die Rechtsstellung der betroffenen Gruppenangehörigen. 23 Jakobs siedelt § 130 im Vorfeld der Verletzung bestimmter anderer Rechtsgüter an und sieht das Partialunrecht in der Vorbereitung auf die spätere Verletzung dieser Rechtsgüter. 24 Noch weiter einschränkend will Junge das Schutzgut auf die Individualrechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit zurückführen. 25 Der Täter werde bestraft, weil durch seine Äußerungen möglicherweise andere dazu motiviert würden, Rechtsgüter eines Dritten zu verletzen. Nach weitergehender Auffassung sind vor allem die Individualrechtsgüter der von aufhetzenden Äußerungen Betroffenen geschützt, daneben die öffentliche Sicherheit als Zustand eines von Gewalthandlungen und Selbsthilfe freien gesellschaftlichen Zusammenlebens. 26

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Bericht, BTDrucks. III/1746, S. 3. Vgl. BGHSt 34 331; 46 36, 40; 4 6 212, 221 f; 4 7 278, 2 8 0 f; BGH N J W 1978 58, 5 9 (zu § 140); BGH NStZ 1994 140; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. l a ; Berkemann/Hesselberger NJW 1972 1789, 1791; krit. zum „Klimaschutz" Ostendorf NK Rdn. 6. Fischer GA 1 9 8 9 445, 451 ff u. NStZ 1988 163 f; Jakobs ZStW 9 7 (1985) 751, 775 f; vgl. auch Streng FS Lackner, S. 501, 510. Fischer Öffentlicher Friede und Gedankenäußerung, S. 512 f.

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Fischer NStZ 1988 159, 163; ders. GA 1 9 8 9 445, 451. Fischer NStZ 1988 159, 163; ders. GA 1 9 8 9 445, 451; vgl. auch Fischer § 126 Rdn. 3. Fischer GA 1 9 8 9 445, 455. Jakobs ZStW 9 7 (1985), 751, 775 f; in diesem Sinne auch Streng FS Lackner, S. 501, 510. Junge Das Schutzgut des § 130 StGB, S. 6 9 ff; Mitsch Das deutsche Strafrecht und die Bekämpfung rassischer Diskriminierung, S. 171: Leben, Gesundheit und Freiheit. Fischer Rdn. 2.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

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Wiederum andere Auffassungen betonen den Aspekt des Schutzes der Menschenwürde und sehen diese als alleiniges, unmittelbar geschütztes Rechtsgut an. 2 7 § 130 sei im Gesetzgebungsverfahren immer wieder als Norm zum Schutz der Menschlichkeit charakterisiert worden und wolle nicht nur im Vorfeld von unmittelbaren Menschenwürdeverletzungen dem Ingangsetzen einer als gefährlich nachgewiesenen Eigendynamik entgegenwirken und den Anfängen wehren, sondern vor unmittelbaren Menschenwürdeverletzungen durch Beschimpfungen und Ähnlichem schützen. Die Zugehörigkeit zur einer bestimmten Gruppe einschließlich der daran geknüpften Zuschreibungen erhalte jeder Einzelne als dominantes Persönlichkeitsmerkmal zugewiesen, weshalb Hetze gegen spezielle Gruppen den Einzelnen in der Entfaltung seiner Individualität behindern und ihn gewissermaßen in einen Objektstatus versetzen könne. 2 8 Unter Berufung auf das Angriffsobjekt in § 130 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3, das in Teilen der Bevölkerung bestehe, qualifiziert Ostendorf als Rechtsgut die Menschenwürde von mehreren, zu Bevölkerungsteilen zusammengefassten Menschen, eine quantitative Menschenwürde 29 bzw. eine imaginäre „Menschenwürde von Bevölkerungsgruppen als quantitativer Mittelwert". 3 0

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Die Zurückführung des Schutzguts des § 130 allein auf Individualrechtsgüter bzw. auf die Menschenwürde nimmt § 130 den eigenständigen Charakter als Tatbestand der Volksverhetzung und lässt unberücksichtigt, dass der Gefährdung des öffentlichen Friedens eine zusätzliche, mit bloßen Individualrechtsgutsverletzungen nicht zu vergleichende Qualität zukommt. 31 Die Verletzung der Rechtsgüter einer einzelnen Person unterscheidet sich deutlich von einer gesellschaftlichen Atmosphäre, in der das Verhältnis des Einzelnen zu den Mitmenschen wegen seiner Gruppenzugehörigkeit gestört ist und der Einzelne nicht ohne Furcht leben kann, aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bevölkerungsteil von Seiten der Restbevölkerung diskriminiert und angefeindet zu werden. 32

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An der Ausrichtung des Tatbestandes auf das Universalrechtsgut des öffentlichen Friedens hat sich auch nichts dadurch geändert, dass der Angriff auf die Menschenwürde als Tatbestandsmerkmal in den Tatbestand eingefügt und jedenfalls in Absatz 1 Nr. 2 durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 ausdrücklich beibehalten worden ist. Dadurch wurde weder die Struktur des Tatbestands entscheidend geändert noch erfolgte eine Schwerpunktverlagerung dahin, dass nunmehr in erster Linie der Angriff auf das Individuum unter Strafe gestellt würde. Mit dem erst nachträglich in den Beratungen des Rechtsausschusses eingefügten Merkmal des Angriffs auf die Menschenwürde 3 3 wollte der Gesetzgeber vielmehr den weit gefassten Tatbestand einschränken

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Vgl. Streng FS Lackner, S. 501, 510, der den öffentlichen Frieden nur mittelbar geschützt sieht; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 163 ff; vgl. auch Foerstner Kollektivbeleidigung, Volksverhetzung und „lex Tucholsky", S. 164 ff. Streng FS Lackner, S. 501, 5 0 8 f; krit. Wehinger Kollektivbeleidigung - Volksverhetzung, S. 90 ff im Hinblick auf den regelmäßig fehlenden individuellen Bezug von Äußerungen über umfangreiche Kollektive. Ostendorf NK Rdn. 4; vgl. auch Maurach/ Scbroeder/Maiwald BT 2 § 60 V Rdn. 58

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bzgl. § 130 Abs. 1 und 2; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 166. Ostendorf AK Rdn. 4 ; vgl. auch Frommel KritJ 1995 4 0 2 , 4 0 8 (Universalrechtsgut der Achtung der Menschenwürde aller Menschen als Gleiche). Miebach/Schäfer MK Rdn. 3; vgl. auch v. Dewitz NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 174 f; Jahn Strafrechtliche Mittel gegen Rechtsextremismus, S. 177 ff. Wehinger Kollektivbeleidigung - Volksverhetzung, S. 84. Vgl. BTDrucks. III/1746.

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und verhindern, dass die Strafvorschrift auch auf solche Auseinandersetzungen im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Leben angewendet wird, die selbst im Falle von Auswüchsen nicht unterbunden werden dürfen. 34 Dadurch hat das Merkmal der Eignung zur Friedensstörung seine eigenständige, Schutzrichtung und Gefahrmaß bestimmende, zugleich restriktive Funktion aber nicht eingebüßt; 35 das Eignungsurteil ist in seiner tatbestandsbegrenzenden Bedeutung ungeachtet der Erheblichkeitsschwelle des Menschenwürdeangriffs und der möglichen Doppelrelevanz bestimmter beurteilungserheblicher Umstände nicht entscheidend verkürzt. Die Eignung kann insbesondere nicht auf die bloße Öffentlichkeitsfähigkeit des Angriffs reduziert werden. 36 Die Anerkennung des öffentlichen Friedens als Schutzgut schließt allerdings nicht aus, daneben die Würde des einzelnen Menschen als weiteres Schutzgut anzusehen. 37 Dagegen wird eingewandt, dass § 130 Abs. 1 Nr. 1 n.F. auf das Erfordernis eines Angriffs auf die Menschenwürde gerade verzichtet habe, um die praktische Anwendung der Vorschrift zu erleichtern und Absatz 3 unter Verzicht auf das Merkmal eines Angriffs auf die Menschenwürde gerade deshalb geschaffen wurde, um auch das einfache Leugnen des Holocaust zu erfassen. 38 Das in Absatz 1 Nr. 2 beibehaltene Merkmal des Angriffs auf die Menschenwürde bzw. die Einfügung des würdeverletzenden Vollzugs der Tathandlung in Absatz 4 ändere daran nichts, weil damit lediglich eine Begrenzung des Tatbestands auf besonders massive Schmähungen sichergestellt bzw. die in Absatz 4 liegende Beschränkung der Meinungsfreiheit durch ein nicht meinungsneutrales Gesetz über die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG legitimiert werden sollte. 39 Dagegen spricht jedoch, dass auch Tathandlungen nach Absatz 1 Nr. 1 regelmäßig mit einem Angriff auf die Würde der betroffenen Menschen verknüpft sind 4 0 und der Wegfall des Tatbestandsmerkmals nicht zur tatbestandlichen Erfassung weiterer Fallgruppen führt, sondern allenfalls zu einer Vereinfachung der Beurteilung in vereinzelten Grenzfällen bei Unschärfen im Randbereich der Norm. 4 1

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Π. § 1 3 0 Abs. 2 Mit § 130 Abs. 2, der in Nummer 1 die diskriminierende Schriftenpropaganda erfasst und dieser in Nummer 2 die Verbreitung im Rundfunk und über Medien- und Teledienste gleichstellt, soll vor allem der Schaffung bzw. Intensivierung eines für fremdenfeindliche Aktionen gedeihlichen Klimas und einer für die betroffenen Gruppen gefährlichen emotionellen Aufladung entgegengewirkt werden. Geschütztes Rechtsgut ist auch hier in erster Linie der öffentliche Friede, daneben als individuelle Komponente die

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Schafheutie J Z 1960 4 7 2 ; s.a. Entw. BTDrucks. 12/6853, S. 2 4 . And. Streng FS Lackner, S. 501, 514 ff; vgl. auch Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 V Rdn. 58. So aber Streng FS Lackner, S. 501, S. 516 f; dagegen Lackner/Kühl Rdn. 10. Miebach/Schäfer MK Rdn. 3; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 V Rdn. 57; nach Fischer Rdn. 2 ist die Menschenwürde nur mittelbar geschützt; offen gelassen von OLG Celle NStZ 1997 495, 4 9 6 und OLG Stuttgart NJW 2 0 0 2 2 8 9 4 .

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. l a ; Rudolphi/Stein SK Rdn. l b und le bzgl. Abs. 1 Nr. 1; vgl. auch Beisel Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes, S. 338 ff. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. la. Vgl. BTDrucks. 1 2 / 6 8 5 3 , S. 2 4 . Vgl. König/Seitz NStZ 1995 1, 3; Miebach/ Schäfer MK Rdn. 3; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 173; krit. Neumann StV 1994 273, 274.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Würde der einzelnen Gruppenmitglieder. 42 Hinzu tritt in Absatz 2 Nr. l c der Jugendschutz, als hassgesteuert-aggressive Fehlentwicklungen bei Jugendlichen und deren Identifikation mit Gruppen vermieden werden sollen, die durch Vorurteile gegenüber nicht gruppenzugehörigen Personen bis hin zur vollkommenen Negierung der Menschenqualität ihrer Angehörigen geprägt sind. 4 3 Nach anderer Auffassung komme wegen der Weite des Tatbestands und seiner weltweiten Schutzrichtung der innere öffentliche Friede in Deutschland als Schutzgut nicht in Betracht, sondern bleibe nichts anderes als das allgemeine Prinzip der Toleranz und Menschlichkeit und der Gedanke der Völkerverständigung. 4 4

ΙΠ. § 1 3 0 A b s . 3 10

Geschütztes Rechtsgut des § 130 Abs. 3 ist der öffentliche Friede, aber auch die persönliche Würde und der persönliche Achtungsanspruch der Betroffenen. 4 5

11

Die Tathandlungen des § 130 Abs. 3 tangieren zunächst Würde und Ansehen der Überlebenden des Holocaust sowie als postmortaler Achtungsanspruch die Würde der Ermordeten und ihrer Angehörigen. 4 6 Die Vorschrift will die in den tatbestandlichen Äußerungsformen zum Ausdruck kommende besondere Missachtung, Verhöhnung und (fortgesetzte) Diskriminierung der von dem Gewaltunrecht und der Massenvernichtung während der NS-Herrschaft Betroffenen erfassen und der hierin liegenden Kränkung des Rechtsbewusstseins der Bevölkerung Rechnung tragen (Opferaspekt). Schutzgut ist des-

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Miebach/Schäfer MK Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 1; Rudolphi/Stein SK Rdn. lb; aA Junge Das Schutzgut des § 130 StGB, S. 95 ff (konkrete Individualrechtsgüter der Gruppenangehörigen, insbesondere das Leben und die körperliche Unversehrtheit); Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 174 (Menschenwürde). Miebach/Schäfer MK Rdn. 4; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 174; Beisel NJW 1995 997, 1000; krit. zum Jugendschutz Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. la; Fischer Rdn. 2a. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. la. Vgl. Miebach/Schäfer MK Rdn. 5; Rudolphi/ Stein SK Rdn. l c und d (öffentlicher Frieden, Persönlichkeitsrechte der lebenden Personen und Interesse der Allgemeinheit daran, dass Verstorbene nicht der ihnen zukommende Geltungswert abgesprochen wird); Sehl Schröder/Lenckner/Stemberg-Lieben Rdn. la (öffentlicher Frieden); Lackner/Kühl Rdn. 1 (öffentlicher Frieden und Würde des Einzelmenschen, kritisch allerdings bzgl. des Allgemeininteresses, dass das politische Klima nicht vergiftet wird); Kindhäuser LPK Rdn. 3;

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Huster NJW 1996 487, 488 (öffentlicher Frieden); Ostendorf NK Rdn. 4 (Schutz des Wahrheitsanspruchs der Opfer bzgl. ihres erlittenen Leids und ihrer geschichtlichen Identität); v. Dewitz NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 199 f (öffentlicher Friede); krit. Fischer Rdn. 2a, 24; Stricker NStZ 1995 239 f; Beisel NJW 1995 997, 1000 (öffentlicher Frieden bei der „einfachen Auschwitzlüge" nicht einschlägig); Hirsch FS Lüderssen, S. 253, 261; Jahn Strafrechtliche Mittel gegen Rechtsextremismus, S. 175 ff; Kühl Auschwitz-Leugnen als strafbare Volksverhetzung? S. 103, 113 f; Junge Das Schutzgut des § 130 StGB, S. 124 (Ehre der Angehörigen der von NS-Völkermordhandlungen betroffenen Gruppen); Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 174 ff (persönlicher Achtungsanspruch und Menschenwürde); Bertram NJW 2005 1476,1477 (zweifelnd, ob sich überhaupt ein Schutzgut finden lässt). Vgl. BGHSt 47 278, 280; Jahn Strafrechtliche Mittel gegen Rechtsextremismus, S. 185 f; BTDrucks. 12/7421, S. 4: postmortaler Achtungsanspruch; vgl. auch Streng JZ 2001 205 (kollektive Scham über Massenvernichtung); krit. hierzu Fischer Rdn. 24.

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Volksverhetzung

§ 130

halb die in Art. 1 GG verankerte Anerkennung der persönlichen Betroffenheit der Opfer staatlicher Menschenwürdeverletzungen. 47 Darüber hinaus soll der Tendenz entgegengewirkt werden, (neo-)nazistisches Gedankengut, die agitative Grundlage der NS-Willkür, durch Infragestellen oder beschönigendes Herunterspielen der Untaten als akzeptabel oder gar unter Billigung rassistischer Zielsetzung als erstrebenswert erscheinen zu lassen und damit das friedliche Zusammenleben zu stören bzw. das politische Klima in der Bundesrepublik zu vergiften (Friedensstörungsaspekt). 48 Dabei kommt der in den Gesetzmaterialien genannten und von der Rechtsprechung aufgegriffenen „Verhinderung einer politischen Klimavergiftung" 4 9 Schutzzweckcharakter zu. Es soll ein Volksverhetzungsklima verhindert werden, das die Gefahr eines Wiederaufkeimens nationalsozialistischen Gedankenguts als Ursache für den NS-Völkermord in sich birgt und zu einer historisch als gefährlich nachgewiesenen Eigendynamik führen kann. Ein derartiges Klima ist geeignet, Gewaltanwendungen gegen als minderwertig stigmatisierte Gruppen zu provozieren, ihnen den Boden zu bereiten und deshalb verständliche Angst bei den betroffenen Bevölkerungsgruppen hervorzurufen. 50 Da die Gefahr von gewalttätigen Angriffen und Verfolgung aber letztlich nur ein Reflex der in der Vorschrift aufgeführten Tathandlungen darstellt, dürfte es zu weit gehen, ausschließlich in der Beziehung solcher Äußerungen zur Anwendung pysischer Gewalt die Legitimation der Vorschrift zu sehen. 51

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IV. § 1 3 0 Abs. 4 Absatz 4 dient dem Schutz des öffentlichen Friedens und, da er eine die Würde der Opfer verletzende Verherrlichung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft voraussetzt, dem Schutz der Menschenwürde der Betroffenen. 52

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Stegbauer NStZ 2 0 0 0 281, 2 8 2 ; Streng J Z 2 0 0 1 2 0 5 ; aA Huster NJW 1996 487, 4 8 8 ; Hirsch FS Lüderssen, S. 253, 261; Rudolphi/ Stein SK Rdn. l d (Interesse der Allgemeinheit daran, dass Verstorbenen nicht der ihnen zukommende Geltungswert abgesprochen wird). Vgl. BTVerh. 12/227, S. 19664 ff u. 12/229, S. 1 9 8 7 0 , 1 9 8 7 4 f, 1 9 8 8 0 f, 19887; BR-Verh. 12/670, S. 2 9 8 f, 308; BTDrucks. 12/8588, S. 8 und 12/7421; BGHSt 4 6 36, 40 m. Bspr. Hörnle NStZ 2 0 0 1 309; 4 6 212, 221 f; 4 7 278, 2 8 0 f m. Anm. Stegbauer J R 2 0 0 3 74; BGH NStZ 2 0 0 2 538, 539; Jahn Strafrechtliche Mittel gegen Rechtsextremismus, S. 178 ff. Schriftl. Bericht, BTDrucks. 12/8588, S. 8; vgl. auch BGHSt 4 6 212, 221 f; 4 7 278, 281. Zur Beziehung entsprechender Äußerungen zur Anwendung physischer Gewalt vgl.

51 52

Kubier AöR 125 (2000) 109, 126 f; Brugger AöR 128 (2003) 372, 391 f; Streng J Z 2 0 0 1 2 0 5 ; krit. zum Schutzgut der Vergiftung des Allgemeininteresses: Lackner/Kühl Rdn. 1 (keine Legitimation für § 130 Abs. 3); Fischer Rdn. 2 4 (nur politisches Ziel, aber kein hinreichend fassbares Rechtsgut); Hefendehl Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 2 9 9 ; Stegbauer NStZ 2 0 0 0 281, 2 8 3 (Bedrohungswirkung nur ein Reflex der Tathandlung). Vgl. Fischer Rdn. 2 4 . Vgl. BVerfG NJW 2 0 0 5 3 2 0 2 , 3 2 0 3 ; BVerwG J Z 2 0 0 8 1102; Lackner/Kühl Rdn. 1; Kindhäuser LPK Rdn. 4; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. l a (nur öffentlicher Frieden); Poscher NJW 2 0 0 5 1316 (öffentlicher Frieden und Ehrschutz); aA bzgl. der Menschenwürde Rudolphi/Stein SK Rdn. le; insgesamt krit. Bertram NJW 2 0 0 5 1476, 1478.

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§ 130

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

V. § 1 3 0 A b s . 5 14

D a s Schutzgut des Absatzes 5 entspricht d e m Schutzgut der Absätze 3 und 4.

B. 15

Deliktsnatur

D i e Vergehen des § 1 3 0 Abs. 1 u n d Abs. 3 sind den abstrakt-konkreten Gefährdungsd e l i k t e n 5 3 bzw. den „potenziellen G e f ä h r d u n g s d e l i k t e n " 5 4 als Untergruppe der abstrakten Gefährdungsdelikte zuzuordnen. Dabei handelt es sich w e d e r u m ein konkretes n o c h u m ein klassisches abstraktes Gefährdungsdelikt. Kennzeichnend ist, dass es zu einer konkreten Gefahr für den öffentlichen Frieden nicht g e k o m m e n sein m u s s . 5 5 Entscheidend ist vielmehr die generelle Gefährlichkeit der konkreten Tat, d.h. die aufgrund bestimmter U m s t ä n d e w i e Art und Inhalt der A n k ü n d i g u n g , der Besonderheiten ihrer A b g a b e und ihrer voraussichtlichen Folgewirkungen sich ergebende, konkrete Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens, die aufgrund generalisierender Betrachtung k o n kret festgestellt w e r d e n m u s s (vgl. Rdn. 6 2 f f ) . 5 6 D a g e g e n handelt es sich bei § 130 Abs. 2 u m ein abstraktes Gefährdungsdelikt, da eine Eignung der Tathandlung zur Störung des

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BGHSt 46 212, 218; vgl. auch die Rechtsprechung zu vergleichbaren Eignungsdelikten wie § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG: BGH N J W 1999 2129, Freisetzen ionisierender Strahlen nach § 311d a.F., jetzt § 311: BGHSt 39 371, 372; BGH NJW 1994 2161; Miebach/Schäfer MK Rdn. 7; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. l a ; Ostendorf NK Rdn. 5; Lohse N J W 1985 1677,1678; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 50 V Rn. 38 (abstraktes Gefährdungsdelikt mit Teilkonkretisierung, bei dem eine geringere Erfolgswahrscheinlichkeit genüge als bei der konkreten Gefahr); vgl. auch v. Dewitz NSGedankengut und Strafrecht, S. 176 ff (abstraktes Gefährdungsdelikt); Fischer GA 1989 445, 453, 463; Schröder J Z 1967 522; den. ZStW 81 (1969) 7, 18 ff. Teilweise findet sich auch die Bezeichnung „konkretes Gefährlichkeitsdelikt", vgl. Hirsch FS A. Kaufmann, S. 545, 562; Zieschang Die Gefährdungdelikte S. 280; aA (konkretes Gefährdungsdelikt): Z i p / N J W 1969 1944 (zu § 166); Roxin Strafrecht AT Bd. 1, 4. Aufl. 2006 § 11 Rdn. 163; Schmidhäuser BT 12. Kap. Rdn. 4 und 11; Gallas FS Heinitz, S. 171, 181 f; Lohse N J W 1971 1247; Trommel KritJ 1995 403, 409. OLG Koblenz M D R 1977 334; OLG Hamburg NJW 1975 1088, 1089; M D R 1981 71;

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OLG Köln NJW 1981 1281; Lackner/Kühl Rdn. 1; vgl. auch Sieber N J W 1999 2065, 2067; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 189. BGHSt 46 212, 218; BGH NStZ 2007 216, 217; OLG Düsseldorf N J W 1986 2518, 2519; OLG Köln N J W 1982 657; N J W 1981 1280, 1281; Hoyer Eignungsdelikte, S. 134 ff, 142. Vgl. BGHSt 16 49, 56; 46 212, 218; BGH NStZ 2007 216, 217; OLG Koblenz M D R 1977 334; OLG Hamburg M D R 1981 71; OLG Düsseldorf N J W 1986 2518, 2519; Miebach/Schäfer MK Rdn. 7; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. l a ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 10; Ostendorf NK Rdn. 5; Fischer Rdn. 13; Kindhäuser LPK Rdn. 3; Hirsch FS A. Kaufmann, S. 545, 562; Wehinger Kollektivbeleidigung - Volksverhetzung, S. 100 ff, i.E. auch Hoyer Die Eignungsdelikte, S. 134 ff, 142, der § 130 den Eignungsdelikten als eigenständiger, spezifischer Deliktsart zuordnet und die Geeignetheit über eine Verletzung oder konkrete Gefährdung hinaus auch dann bejaht, wenn ein Gefährdungserfolg „nur wegen der spezifischen, vom Täter nicht sichergestellten Besonnenheit des konkreten Adressatenkreises" der betreffenden Äußerung ausgeblieben ist.

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Volksverhetzung

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öffentlichen Friedens nicht erforderlich ist. 5 7 § 130 Abs. 4 ist als Erfolgsdelikt ausgestaltet. 5 8 Die Begehungsalternativen des § 130 Abs. 1, 3 und 4 sind mit Ausnahme der Verleumdung durch Tatsachenverbreitung den persönlichen Äußerungsdelikten zuzuordnen, da das die Tatbestände kennzeichnende Verhalten (Aufstacheln zum Hass, Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen, Beschimpfung usw.) eine bestimmte eigene Auffassung des Äußernden zum Ausdruck bringen muss (vgl. Rdn. 3 7 ) . 5 9 Eine fremde Erklärung kann dem Verbreiter somit nur dann täterschaftlich zugerechnet werden, wenn er sich deren volksverhetzenden Äußerungsgehalt erkennbar zu eigen macht.

16

C. Kriminalpolitische Bedeutung § 130 hat bis in die zweite Hälfte der siebziger Jahre im Strafanwendungsbereich eine untergeordnete Rolle gespielt. Die Verurteilungszahlen lagen in den Jahren 1972 bis 1977 nur zwischen sieben und 2 0 . 6 0 Nach einem Anwachsen der Verurteilungszahlen auf ca. 80 in den achtziger Jahren 6 1 hat mit dem Anstieg der registrierten neonazistischen und ausländerfeindlichen Propaganda seit Beginn der neunziger Jahre auch die praktische Bedeutung des § 130 zugenommen. 62 Der Verfassungsschutzbericht 2 0 0 6 weist 17.597 rechtsextremistisch motivierte Straftaten aus, davon fast 9 0 % Propagandadelikte. 63 Der Schwerpunkt der Anwendung der Norm liegt bei Absatz 1. Auffällig ist die hohe Zahl der justiziellen Verurteilungen von Jugendlichen, bei denen es sich in erster Linie um männliche, neonazistische Straftäter handelt. Dabei nutzt die rechtsradikale Szene vermehrt das Internet, um ihr Gedankengut und illegale Inhalte zu verbreiten und vor allem Jugendliche anzuwerben. 64

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Miebach/Schäfer MK Rdn. 9; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. l a ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 1 f. Vgl. BTDrucks. 15/5051, S. 5; BVerfG NJW 2 0 0 5 3202, 3 2 0 3 ; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. l a ; Lackner/Kühl Rdn. 1; krit. Fischer Rdn. 2a. Vgl. BGHSt 4 6 212, 217; OLG Schleswig MDR 1978 333; Miebach/Schäfer MK Rdn. 7; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 17; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Franke GA 1984 452, 4 6 2 ; Giehring StV 1985 30, 34; Geilen N J W 1976 279, 281. Vgl. die Angaben bei Brockelmann DRiZ 1976 213 und Streng FS Lackner, S. 501 f.

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Vgl. Streng FS Lackner, S. 501 f; v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 3. Vgl. Hörnle NStZ 2 0 0 2 113; zu Verurteiltenzahlen in den neunziger Jahren vgl. v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 3. Zur erheblichen Steigerung der rechtsextremistisch motivierten Kriminalität vgl. auch BTDrucks. 16/1353; 16/6305 und Verfassungsschutzbericht 2 0 0 6 . Ostendorf'NK Rdn. 6; Sieber ZRP 2 0 0 1 97 f; Lömker Die gefährliche Abwertung von

Bevölkerungsteilen, S. 56; Vec NJW 2002

1535; Sieber ZRP 2 0 0 1 97; Hilgendorf/ Frank/Valerius Computer- und Internetstrafrecht (2005) Rdn. 4 6 3 ff.

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§ 130

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

In der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes und in der polizeilichen Kriminalstatistik sind zu § 130 folgende Zahlen erfasst: Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes

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Verurteilte insgesamt nach § 130

1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

Abs. 1

Abs. 2

Abs. 3

Abs. 4

192 197 199 186 329 330 297 246 226 220

12 21 34 32 85 94 49 47 46 34

5 12 16 7 44 17 18 24 33 26

3

Polizeiliche Kriminalstatistik (erfasste Fälle) 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

3.294 4.365 3.022 2.202 2.649 2.812 3.096

D. Verfassungsrecht 19

Im Schrifttum ist die Norm nicht unumstritten. Kritisiert wird das „nur schwer durchschaubare Geflecht von sich teils überschneidenden Vorschriften", 6 6 Jakobs spricht den sog. Klimaschutztatbeständen einen Platz im bürgerlichen Strafrecht ab und hält flankierende Vorfeld-Kriminalisierung nur da für gerechtfertigt, wo es um die Beeinträchtigung der Normgeltung durch die Androhung bzw. Drohung kommender Rechtsbrüche geht. 6 7 Gerade eine solche ist aber angesichts zunehmender rechtsextremistischer Hetze evident. Zum Teil wird auch angesichts der den Kriminalitätsbereich weitgehend abdeckenden §§ 111, 131, 140 und 185 ff die Notwendigkeit des § 130 angezweifelt. 68 Be-

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Rechtspflegestatistik des Statistischen Bundesamtes Fachserie 10, Reihe 3 (bezogen auf das alte Bundesgebiet). König/Seitz NStZ 1995 1, 3; Schubert Verbotene Worte? S 199: Labyrinth mit diffusen Tatbestandsmerkmalen).

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Jakobs ZStW 9 7 (1985) 751, 774, 781 ff; vgl. auch Kühl N J W 1987 745. Ostendorf NK Rdn. 8.

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denken werden schließlich im Hinblick auf die Geeignetheit der Norm wegen ihres zum Teil nur symbolhaften Charakters erhoben. 6 9 Zum Teil werden im Hinblick auf die in Art. 5 GG geschützte Meinungsfreiheit sowie auf das Bestimmtheitsprinzip des Art. 103 Abs. 2 GG Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der Norm geäußert. 7 0 Popp hält § 130 Abs. 2 in der Ausgestaltung als abstraktes Gefährdungsdelikt für verfassungswidrig. 71 Nach zutreffender Auffassung ist die Vorschrift verfassungsgemäß. 72 Dies gilt auch für § 130 Abs. 3 7 3 und § 130 Abs. 4 . 7 4

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Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gilt nicht vorbehaltlos, sondern findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG eine Schranke in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch § 130 gehört. Insoweit sind bei der Auslegung und Anwendung der Norm die sich aus Art. 5 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, damit die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit für das einfache Recht auch auf der Rechtsanwendungsebene zur Geltung kommt. 7 5 Daher sind eine Auslegung der Äußerung und eine Abwägung der Meinungsfreiheit und der durch die Meinungsfreiheit beeinträchtigten Rechtsgüter vorzunehmen. 76 Für die zunächst erforderliche Feststellung des Erklärungsinhalts ist zunächst der objektive Sinn der Äußerung zu ermitteln. Maßgeblich ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. 7 7 Dabei ist stets von dem Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und ihren Begleitumständen bestimmt, soweit diese für den Rezipienten erkennbar sind. 7 8 Außerdem verlangt Art. 5 Abs. 1 GG, vor Annahme einer die Strafbarkeit begründenden Bedeutung andere, ebenfalls mögliche Deutungen mit

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Vgl. Amelung ZStW 9 2 (1980) 19, 5 5 ff, 59; Fischer Rdn. 3 bzgl. der Einfügung des Absatzes 4. Ostendorf ~NK Rdn. 8; Beisel N J W 1995 997, 1000 hinsichtlich der „einfachen Auschwitzlüge" gem. § 130 Abs. 3 2. Alt.; Jahn Strafrechtliche Mittel gegen Rechtsextremismus, S. 163 ff (Verstoß der Strafbarkeit der einfachen Auschwitz-Leugnung nach § 130 Abs. 3 gegen Art. 2 Abs. 1 GG); Junge Das Schutzgut des § 130 StGB, S. 128 ff (bzgl. § 130 Abs. 3, sofern man den öffentlichen Frieden als geschütztes Rechtsgut ansieht); Leukert Die strafrechtliche Erfassung des Auschwitzleugnens, S. 210 ff (Verfassungsmäßigkeit des § 130 Abs. 3 Alt. 2 nur bei einschränkender Auslegung der Eignungsklausel; Köhler NJW 1985 2389, 2 3 9 0 ; vgl. auch Kargl Jura 2 0 0 1 176, 182. Popp JR 1998 80, 82; ebenso Junge Das Schutzgut des § 130 StGB, S. 127 f. Miebach/Schäfer MK Rdn. 65; vgl. auch Stegbauer NStZ 2 0 0 0 281, 2 8 3 f; Huster NJW 1996 487, 4 8 8 ; Bertram N J W 1 9 9 9

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3544; Köhler N J W 1985 2 3 8 9 ; Kubier AöR 125 (2000) 109 ff; Brugger AöR 128 (2003) 373, 378 ff; Dietz KritJ 1995 210; Wandres Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 275 ff; Foerstner Kollektivbeleidigung, Volksverhetzung und „lex Tucholsky", S. 2 0 2 ff. BVerfG N J W 2 0 0 6 3 0 5 3 ; LG Traunstein 7 NS 110 Js 4 3 2 9 3 / 0 4 vom 3 0 . 8 . 2 0 0 6 bei Stegbauer NStZ 2 0 0 8 73, 78. BayVGH BayVBl 2 0 0 5 755; 2 0 0 6 7 6 0 ; BayVGH 2 4 Β 0 6 . 1 8 9 4 vom 2 6 . 3 . 2 0 0 7 bei Stegbauer NStZ 2 0 0 8 73, 79; BVerwG J Z 2 0 0 8 1102; offen gelassen von BVerfGK NJW 2 0 0 5 3204. Vgl. BVerfG NJW 1992 1439, 1440; 1 9 9 3 916; 1994 1779, 1780; 2 0 0 3 6 6 0 , 661. BVerfG NJW 2 0 0 3 660, 661; N J W 2 0 0 6 3 0 5 3 zu Abs. 3; NJW 2 0 0 5 3 2 0 2 zu Abs. 4. BVerfG 1 BvR 1753/03 v. 2 5 . 3 . 2 0 0 8 , HRRS 2 0 0 8 Nr. 374. BVerfG 1 BvR 1753/03 v. 2 5 . 3 . 2 0 0 8 , HRRS 2 0 0 8 Nr. 374.

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§ 130

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

überzeugenden Gründen auszuschließen. 79 Soll das Urteil über die rein sprachliche Fassung hinaus auf in der Äußerung verdeckt enthaltene zusätzliche Aussagen gestützt werden, muss sich die verdeckte Aussage dem angesprochenen Publikum als unabweisbare Schlussfolgerung aufdrängen. 80 Hierfür müssen die Gerichte die Umstände benennen, aus denen sich ein solches am Wortlaut der Äußerung nicht erkennbares abweichendes Verständnis ergibt. 22

Anschließend ist zu klären, ob die so ausgelegte Äußerung dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG unterfällt. Das NS-Gewalt- und Massenvernichtungsunrecht - durch vielerlei Zeitzeugen, zuverlässige Dokumente, Feststellungen der Gerichte und Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft belegt - ist eine sicher erwiesene geschichtliche Tatsache. 81 Ihre Leugnung wird als erwiesen unrichtige und bewusst unwahre Tatsachenbehauptung von dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit nicht umfasst und ist daher nicht abwägungsfähig. 82 Einer Abwägung nicht zugänglich ist weiterhin eine Äußerung, die die Menschenwürde verletzt. 83 Die Menschenwürde ist aber nicht schon immer dann angegriffen, wenn durch eine Äußerung die Ehre oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines anderen tangiert ist. Vielmehr muss der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als minderwertiges Wesen behandelt werden. Der Angriff muss sich mithin gegen den ihre menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit richten. 84 Enthält die Äußerung Werturteile und damit verbundene Tatsachen, die Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind, genießt sie den Grundrechtsschutz nach Art. 5 GG, soweit die Tatsachenbehauptung nicht erwiesen unwahr ist. 85 Ist der Schutzbereich von Art. 5 GG tangiert, kommt es bei der erforderlichen Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit und dem Rang des durch die Meinungsäußerung beeinträchtigten Rechtsguts entscheidend darauf an, ob es sich bei der beanstandeten Äußerung um Werturteile oder Tatsachenbehauptungen handelt. Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht. 86 Bei tatsachenhaltigen Werturteilen spielt die Wahrheit der tatsächlichen Bestandteile eine Rolle. Eine mit erwiesen unwahren Annahmen vermengte Meinung ist weniger schutzwürdig als eine auf zutreffende Annahmen gestützte. 87 Anders kann es sein, wenn der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm ist, dass er gegenüber der subjektiven Wertung in den Hintergrund tritt. 88

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BVerfG NJW 2 0 0 3 660, 661; BVerfG 1 BvR 1 7 5 3 / 0 3 v. 25.3.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 374; vgl. auch OVG Frankfurt (Oder) NJ 2 0 0 3 48, 49. BVerfG 1 BvR 1 7 5 3 / 0 3 v. 25.3.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 374. BVerfG NJW 1993 916, 917; 1994 1779, 1780; BGHSt 4 0 97, 99; 4 7 278, 280; BGH NJW 1995 340. BVerfG NJW 1992 1439, 1440; 1994 1779 f; 2 0 0 3 660, 661; BVerfG 1 BvR 1753/03 v. 2 5 . 3 . 2 0 0 8 , HRRS 2 0 0 8 Nr. 374; vgl. hierzu Gounalakis NJW 1995 809, 813; Sendler ZRP 1994 3 4 7 ; Hufen JuS 1995 638, 639; Jahn Strafrechtliche Mittel gegen Rechtsextremismus, S. 168 f, 195; vgl. auch EGMR

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NJW 2 0 0 4 3691, 3 6 9 2 f; NStZ 1995 2 3 7 zu Art. 10 EMRK. BVerfG N J W 1995 3 3 0 3 ; NJW 2001 61, 62; BVerfG 1 BvR 1 7 5 3 / 0 3 v. 25.3.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 374; BVerwG J Z 2 0 0 8 1102. BVerfG NJW 2 0 0 1 61, 63; BVerfG 1 BvR 1 7 5 3 / 0 3 v. 2 5 . 3 . 2 0 0 8 , HRRS 2 0 0 8 Nr. 374. Vgl. BVerfG NJW 1992 1439; NJW 2 0 0 3 660, 661; vgl. auch OVG Frankfurt (Oder) NJ 2 0 0 3 48, 4 9 zur Äußerung: „Schluss mit der Masseneinwanderung russischer Juden, Deutschland uns Deutschen"). BVerfG NJW 2 0 0 3 660, 662; 2 0 0 4 277, 278. BVerfG N J W 2 0 0 3 660, 662, 2 0 0 4 277, 278. Vgl. BGH VI Z R 1 8 9 / 0 6 v. 11.3.2008.

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Volksverhetzung

§ 130

Entsprechendes gilt für das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit.89 Ein bloßer historischer Bezug oder pseudowissenschaftliches Infragestellen des NS-Gewaltunrechts vermag eine Äußerung nicht dem Schutzbereich der Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit zuzuordnen. 90 Der Verfolgung echter wissenschaftlicher Zwecke - mit den Tatbestandshandlungen wohl kaum vereinbar - wird durch die Verweisung auf § 86 Abs. 3 Rechnung getragen.

23

Die wegen der Weite des Tatbestands im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG erhobenen Bedenken 9 1 - auch der Bundesrat hatte einem früheren Gesetzesvorschlag zur Erweiterung des § 1 4 0 , 9 2 dessen Formulierungen in § 130 Abs. 3 weitgehend übernommen wurden, den Mangel an tatbestandlicher Bestimmtheit kritisiert 93 - kann durch eine verfassungskonforme restriktive Auslegung der Norm Rechnung getragen werden. 94

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E. Europäisches Recht Zur weiteren Annäherung der Rechtsvorschriften und Regelungen der Mitgliedstaaten betreffend die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hat der Rat der Europäischen Union am 19. April 2 0 0 7 einen Rahmenbeschluss zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verabschiedet. 95 Danach verpflichten sich die Mitgliedstaaten in Artikel l a und l b , die öffentliche Aufstachelung zu Gewalt oder Hass gegen eine nach den Kriterien Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe und die öffentliche Verbreitung oder Verteilung von entsprechendem Schrift-, Bild- oder sonstigem Material unter Strafe zu stellen. Artikel 3 sieht dafür eine Freiheitsstrafe im Höchstmaß von einem bis drei Jahren vor. Diese Vorgaben des Rahmenbeschlusses sind durch § 130 erfüllt. Artikel l c verlangt darüber hinaus, das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gegenüber einer der genannten Gruppen unter Strafe zu stellen. § 130 erfasst insoweit nur das Billigen, Leugnen und Verharmlosen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und bedarf deshalb einer Ergänzung.

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F. Objektiver Tatbestand I. Der Außerungstatbestand (Absatz 1) 1. Angriffsobjekt. Die Tat muss sich bei allen Tatvarianten gegen Teile der Bevölkerung richten. Die geltende Fassung gibt damit den früher verwendeten Begriff der „Klasse" auf und verallgemeinert den Schutz, um den Eindruck eines Schutzgesetzes für bestimmte

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Vgl. BVerfG N J W 1993 916; Emmerich/ Würkner N J W 1986 1195. Vgl. BVerfG NJW 1993 916. Vgl. König/Seitz NStZ 1995 1, 3; Lackner/ Kühl Rdn. 8a; Ostendorf NK Rdn. 8; Junge Das Schutzgut des § 130 StGB, S. 127, 128.

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Vgl. BTDrucks. 9/2090, 10/1286. Vgl. BTDrucks. 10/1286, S. 11. BVerwG J Z 2 0 0 8 1102. Dok. 8544/07; vgl. Weber ZRP 2 0 0 8 21 ff.

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rassische oder religiöse Gruppen zu vermeiden. 96 Während die Rechtsprechung des Reichsgerichts unter „Klasse" eine Mehrheit von Personen verstand, die sich wegen gleicher Lebensstellung oder wegen dauernder Übereinstimmung der Ansichten, Zwecke oder Interessen als verbunden betrachtete, also eine auf dauernder Gleichheit beruhende Übereinstimmung der Lebens- und sozialen Verhältnisse forderte, 97 schützt die Vorschrift nunmehr alle Teile der inländischen Bevölkerung, die sich nach politischen, nationalen, ethnischen, rassischen, religiösen, weltanschaulichen, sozialen, wirtschaftlichen, beruflichen oder anderen Merkmalen unterscheiden lassen. 98 Es muss sich also um eine Gruppe handeln, die sich durch irgendein festes äußeres oder inneres Unterscheidungsmerkmal als äußerlich erkennbare Einheit heraushebt. 27

Damit eine solche Personenmehrheit als „Teil der Bevölkerung" anerkannt werden kann, muss sie über eine geringfügige Zahl hinausgehen und von einiger Erheblichkeit sein. Sie muss zahlenmäßig so groß sein, dass der Kreis der zugehörigen Individuen nicht mehr überschaubar ist. 99 Eine Aktion gegen eine Einzelperson wegen ihrer individuellen Eigenschaften genügt nicht, doch kann im Hetzen gegen einen Einzelnen auch ein Angriff auf einen Bevölkerungsteil liegen. 100

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Die Gruppe muss Teil der inländischen Bevölkerung sein, da die Vorschrift in erster Linie den innerstaatlichen öffentlichen Frieden schützt. 101 Geschützt sind auch in der Bundesrepublik lebende Ausländer, die trotz einer gewissen Fluktuation als Minderheit der Bevölkerung insgesamt zuzurechnen sind und von dieser entsprechend respektiert werden sollen. Erforderlich ist aber eine gewisse, wenn auch nicht notwendig vollständige soziale Integration als Minderheit in der innerstaatlichen Bevölkerung. 102 Eine besondere Gefährdung der Gruppe ist kein für die Bestimmung als Bevölkerungsteil maßgebendes Kriterium. 103 Das Ausmaß der Gefährdung einer Gruppe ist vielmehr bei der Frage der Eignung zur Friedensstörung relevant. Die Gruppendiffamierung muss auch vom Gruppenbezug her - eine innerstaatliche Relevanz aufweisen. Eine lediglich nach außen gerichtete, ausländerablehnende Stimmungsmache genügt nicht, auch wenn sie an das Verhalten einzelner sich in der Bundesrepublik aufhaltender Ausländer anknüpft. 104 Angriffe gegen Rassen, ethnisch-religiöse Gruppen oder andere Personenmehrheiten im Ausland werden nach Absatz 1 nur dann erfasst, wenn damit zugleich feindselige Gefühle gegen deren in der Bundesrepublik lebende und einen inländischen Bevölkerungsteil bildende Angehörige geweckt werden sollen. 105 Ob in einer rassen- oder

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Vgl. Kargl Jura 2 0 0 1 176. RGSt 35 96, 98. Vgl. BGH GA 1979 391; BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 458; OLG Celle NJW 1970 2 2 5 7 ; OLG Hamburg NJW 1975 1088; OLG Hamm MDR 1981 336; OLG Frankfurt NJW 1989 1367, 1369; 1995 1 4 3 , 1 4 4 ; BayObLG NJW 1994 952, 953; 1995 145; KG Berlin J R 1998 213, 214; LG Frankfurt NJW 1988 2 6 8 3 ; LG Bremen StV 1997 358; AG Linz NStZ-RR 1996 358; Miebach/Schäfer MK Rdn. 21; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Fischer Rdn. 4; Schafheutie J Z 1960 470, 4 7 2 ; Kargl Jura 2001 176. BGH GA 1979 391; BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 4 5 8 ; Miebach/

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Schäfer MK Rdn. 21; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Rudolpbi/Stein SK Rdn. 3a. BGHSt 21 371, 372. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Miebach/Schäfer MK Rdn. 22. Vgl. BTDrucks. III/1746, S. 2; Geilen NJW 1976 279. Vgl. Giehring StV 1985 30, 32; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Miebach/Schäfer MK Rdn. 2 2 ; einschränkend Streng FS Lackner, S. 501, 523. Geilen N J W 1976 279, 2 8 0 . Vgl. BGH NStZ 1981 2 5 8 ; s.a. BTDrucks. 12/6853, S. 24; Miebach /Schäfer MK Rdn. 2 2 .

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nationenbezogenen Äußerung zugleich ein Angriff auf ihre in der Bundesrepublik lebenden Teile zu sehen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. 106 Die Zusammengehörigkeit der Gruppe muss von gewisser Dauer sein. Ausländer, die sich als Touristen oder Messebesucher nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, sind ebensowenig einbezogen wie sonstige vorübergehende Gruppierungen (z.B. Diskussionsteilnehmer, Teilnehmer einer Demonstration, streikende oder nicht streikende Arbeiter, Anhänger eines Fußballclubs). 1 0 7 Allein die Fluktuation bei der Bundeswehr bedeutet aber nicht, dass die Soldaten der Bundeswehr nicht als Teil der Bevölkerung zu qualifizieren sind. 1 0 8 Die kasernierte Grenzschutzeinheit GSG 9 ist bereits unter räumlichen Aspekten nicht als Teil der Bevölkerung anzusehen. 109

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Institutionalisierte Personenmehrheiten wie die Bundeswehr oder die Kirchen zählen nicht zu den geschützten Teilen der Bevölkerung, soweit es bei der Tathandlung um die Institution als solche geht und nicht um die hinter ihr stehenden Menschen. 1 1 0 Allerdings können auch einzelne Gruppen staatlicher Funktionsträger als Teile der Bevölkerung anzusehen sein, wenn der jeweilige Personenkreis von einer gewissen zahlenmäßigen Erheblichkeit und in äußerlich erkennbarer Weise unterscheidbar ist, weshalb die Soldaten der Bundeswehr zum von § 130 geschützten Personenkreis gehören. 1 1 1 Maßgeblich ist insoweit eine Auslegung der Äußerung unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände. 112

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Als Teile der Bevölkerung werden angesehen: Katholiken, Protestanten, Juden; 1 1 3 alle in der Bundesrepublik lebenden Ausländer; 1 1 4 Aussiedler; Asylanten und Asylbewerber, auch solche ohne Anspruch auf Asyl; 1 1 5 die in Deutschland lebenden Gastarbeiter oder bestimmte Gastarbeitergruppen; 116 die vergleichbare Gruppe der Gaststudenten; die in

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Vgl. OLG Hamburg N J W 1970 1649, 1650. Vgl. OLG Braunschweig StraFo 2 0 0 7 212; Miebach/Schäfer MK Rdn. 2 4 ; Fischer Rdn. 4. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 V Rdn. 60; Miebach/Schäfer MK Rdn. 24; aA Streng FS Lackner, S. 501, 523. OLG Hamm MDR 1981 336. BGHSt 3 6 83, 91 (Bundeswehr); OLG Stuttgart NJW 2 0 0 2 2 8 9 3 ; KG N J W 2 0 0 3 685, 686; LG Frankfurt StV 1990 73, 76; NJW 1988 2 6 8 3 ; BayObLG OLGSt StGB § 130 Nr. 6; Giehring StV 1985 30, 32 f; Sehl Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Miebach/Schäfer MK Rdn. 23. OLG Frankfurt N J W 1 9 8 9 1367, 1369; Giehring StV 1985 30, 32; bejaht auch für Beamte der Schutz- und Kriminalpolizei, OLG Düsseldorf JMB1NW 1981 223, 2 2 4 . Vgl. BVerfG N J W 1994 2 9 4 3 ; 1995 3 3 0 3 ; BGHSt 3 6 83, 91; KG NJW 2 0 0 3 685; OLG Düsseldorf JMB1NW 1981 2 2 3 , 2 2 4 ; OLG Koblenz StV 1985 15, 16; Dau N J W 1988 2650, ders. NStZ 1 9 8 9 361, 3 6 3 ; Giehring StV 1985 30, 32; Grasnick J R 1995 162; Hassemer KritJ 1990 359; Herdegen NJW

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1994 2 9 3 3 ; Hill DRiZ 1994 4 5 8 ; Maiwald JR 1 9 8 9 4 8 5 ; Sendler ZRP 1994 343, 3 4 4 ff; Junge Das Schutzgut des § 130 StGB, S. 177 ff. BGHSt 16 49, 5 6 ; 19 63; 21 371; 31 2 2 6 , 2 3 2 ; BGH NStZ-RR 2 0 0 6 305, 3 0 6 ; NStZ 1981 2 5 8 ; bei Holtz MDR 1981 4 5 3 ; OLG Koblenz M D R 1977 3 3 4 ; OLG Schleswig MDR 1978 3 3 3 ; OLG Köln N J W 1981 1280. BGHR StGB § 130 Nr. 1 Bevölkerungsteil 2; OLG Hamburg MDR 1981 71; OLG Hamm NStZ 1995 136; OLG Frankfurt NStZ-RR 2 0 0 0 368; OLG Brandenburg N J W 2 0 0 2 1440, 1441; AG Linz NStZ-RR 1996 358. Vgl. OLG Frankfurt N J W 1995 143, 144; OLG Karlsruhe M D R 1995 735, 736; OLG Düsseldorf M D R 1995 9 4 8 ; BayObLG N J W 1994 952, 953 m. Anm. Otto J R 1994 4 7 3 ; BayObLG N J W 1995 145; KG J R 1998 213, 214. BGHR StGB § 130 Nr. 1 Bevölkerungsteil 2 ; OLG Celle N J W 1970 2 2 5 7 m. Anm. Blei JA 1971 2 7 ; OLG Frankfurt N J W 1985 1720; Lohse N J W 1971 1245; ders. N J W 1985 1677, 1979; Römer N J W 1971 1735.

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der Bundesrepublik lebenden Farbigen 1 1 7 und dunkelhäutige Menschen; 1 1 8 die Sinti und Roma; 1 1 9 nach wirtschaftlichen, beruflichen und sozialen Gesichtspunkten bestimmte Gruppen wie Arbeiter, Bauern, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Kapitalisten, Besitzlose; 120 Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger; 121 Flüchtlingsgruppen; Kommunisten wegen ihrer gemeinsamen weltanschaulichen, politisch-ideologischen Grundüberzeugung; 1 2 2 Punker; 1 2 3 staatliche Funktionsträger wie Beamte, bestimmte Beamtengruppen, Richter, Staatsanwälte, 124 Beamte der Schutz- und Kriminalpolizei; 125 Soldaten der Bundeswehr; 126 politische und weltanschauliche Gruppen, z.B. Freimaurer; 1 2 7 landsmannschaftliche Gruppen wie Bayern, Schwaben, Einheimische oder Vertriebene; 128 Behinderte. 129 32 Als Teile der Bevölkerung sind nicht anerkannt worden: Repräsentanten des Staates, die sich beruflich mit der Verfolgung der politisch motivierten Gewaltkriminalität befassen; 130 die etwa 200 Beamte umfassende Grenzschutzsondereinheit GSG 9 im Hinblick auf ihre geringe Personenzahl und ihre örtliche Konzentration auf einzelne dienstliche Unterkünfte; 1 3 1 der mit der Kampf-Parole „Rot-Front verrecke" angesprochene „linksstehende" Personenkreis wegen Unüberschaubarkeit und mangelnder Abgrenzungsmerkmale; 132 Funktionsträger, die dazu berufen sind, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, Anhänger eines Fußballclubs. 133

2. Tathandlungen 33

a) Qualifizierter Angriff. Der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 1 enthält zwei Varianten, die sich überschneiden können: das Aufstacheln zum Hass und das Aufrufen zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen. Absatz 1 Nr. 2 erfüllt, wer Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet und dadurch die Menschenwürde anderer angreift. Bei Absatz 1 Nr. 1 ist aufgrund der Umgestaltung durch das Verbre-

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OLG Hamburg NJW 1975 1088; krit. Geilen NJW 1976 279, 280; Blei JA 1976 245, 246. OLG Zweibrücken NStZ 1994 490, 491. OLG Karlsruhe NJW 1986 1276. Vgl. RGSt 50 324, 325. Vgl. Miebach/Schäfer MK Rdn. 25; Sehl Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Kargl Jura 2001 176. BGH 3 StR 394/07 v. 3.4.2008, HRRS 2008 Nr. 458. BGH 3 StR 394/07 v. 3.4.2008, HRRS 2008 Nr. 458. Vgl. LG Göttingen NJW 1979 173. OLG Düsseldorf JMB1 N W 1981 223, 224; vgl. auch LG Bremen StV 1997 358. OLG Koblenz GA 1984 575; OLG Düsseldorf NJW 1986 2518; OLG Frankfurt NJW 1989 1367, 1369; LG Frankfurt StV 1990 73, 77; KG NJW 2003 685, 686; Dau NStZ 1989 361 f; Beisel NJW 1995 998; vgl. auch LG Frankfurt NJW 1988 2683; Giehring StV 1985 30 ff; Streng FS Lackner, S. 501, 523.

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Vgl. OLG Hamm MDR 1981 337. Miebach/Schäfer MK Rdn. 25; Fischer Rdn. 5. Miebach/Schäfer MK Rdn. 25; Fischer Rdn. 5; Schramm FS Lenckner, S. 539, 558. BGH GA 1979 391 unter Hinweis auf die mangelnde Eingrenzbarkeit und die Kennzeichnung durch nur punktuelle, zeitweilige Zusammenarbeit; LG Göttingen NJW 1979 1558, 1560; and. LG Göttingen NJW 1979 173 (Staatsanwälte, Richter, Regierungsund Polizeipräsidenten). OLG Hamm MDR 1981 336. BGHR § 130 Nr. 1 Bevölkerungsteil 1; vgl. auch BGH bei Schmidt MDR 1988 353 und BGH 3 StR 394/07 v. 3.4.2008, HRRS 2008 Nr. 458 („Linke und Anifa-Brut" sowie „Rote Flut"). OLG Braunschweig StraFo 2007 212; offen gelassen von OLG Rostock StraFo 2007 426, 427.

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chensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 die zusätzliche Prüfung eines Angriffs auf die Menschenwürde entfallen. Diese Fallgruppe ist aber regelmäßig, wie auch einschlägige Rechtsprechungsbeispiele deutlich machen (vgl. Rdn. 38 f, 44), mit einem Angriff auf die Würde der betroffenen Menschen verknüpft. 134 Der Wegfall des Tatbestandsmerkmals führt nicht zur tatbestandlichen Erfassung weiterer Fallgruppen, sondern allenfalls in vereinzelten Grenzfällen zu einer Vereinfachung der Beurteilung bei Unschärfen im Randbereich. 1 3 5 Das in Absatz 1 Nr. 2 beibehaltene Erfordernis des Angriffs auf die Menschenwürde dient der Begrenzung des Tatbestands auf besonders massive Schmähungen, Diffamierungen und Diskriminierungen und der Rechtfertigung der im Vergleich zu den Beleidigungsvorschriften wesentlich höheren Freiheitsstrafdrohung. Sowohl Absatz 1 Nr. 1 als auch Nummer 2 erfassen nur Handlungen mit gesteigertem Unrechtsgehalt. Voraussetzung ist ein besonders qualifizierter Angriff. Tatbestandlich sind nur Fälle gesteigerter, von Feindseligkeit getragener Einwirkung auf den unverzichtbaren Persönlichkeitskernbereich der Betroffenen, ferner gesteigerte schwerwiegende Formen der Missachtung, die durch ein besonderes M a ß an Gehässigkeit oder Rohheit oder eine besonders gehässige Ausdrucksweise geprägt sind, wodurch die Gruppenmitglieder als insgesamt unterwertig und ohne Existenzrecht in der Gemeinschaft deklassiert werden.

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b) Auslegung der Äußerung. O b die Voraussetzungen der Nummer 1 und 2 erfüllt sind, bestimmt sich nach ihrem objektiven, durch Auslegung unter Berücksichtigung aller hierfür bedeutsamen Umstände zu ermittelnden Erklärungswert (vgl. auch Rdn. 21 ff). 1 3 6 Maßgeblich ist, wie die Äußerung von einem unbefangenen Durchschnittsempfänger verstanden werden muss. Kriterien für die Auslegung sind neben dem Wortlaut und dem sprachlichen Kontext auch für die Zuhörer erkennbare Begleitumstände, unter denen die Äußerungen fallen. Deshalb kann es z.B. darauf ankommen, ob sich die Äußerungen an einen in irgendeiner Richtung voreingenommenen Zuhörerkreis richten und ob den Zuhörern die politische Einstellung des Äußernden bekannt ist. 1 3 7 Lässt eine Äußerung mehrere Deutungen zu, von denen nur eine strafbar ist, so darf die zur Bestrafung führende Interpretation nur zugrunde gelegt werden, wenn die anderen Deutungsmöglichkeiten, insbesondere solche, die mit der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) vereinbar wären, mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können. 1 3 8

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c) Form der Äußerung. Bei den Tathandlungen des Absatzes 1 ist es gleichgültig, in welcher Form der fragliche Angriff erfolgt; 1 3 9 er kann mündlich, durch Schriften oder durch Veröffentlichungen im Internet begangen werden. 1 4 0

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Vgl. BTDrucks. 12/6853, S. 2 4 ; krit. Neumann StV 1994 2 7 4 ; vgl. auch BVerfG N J W 2 0 0 3 660, 662. Vgl. König/Seitz NStZ 1995 1, 3. Vgl. BVerfGE N J W 2 0 0 1 61, 62; 2 0 0 3 660, 661; BGHSt 4 0 97, 101 m. Bspr. Baumann NStZ 1994 3 9 2 ; BVerwG J Z 2 0 0 8 1102; Bertram NJW 1994 2 0 2 ; Jakobs StV 1994 5 4 0 ; BGH NStZ-RR 2 0 0 6 305; OLG Karlsruhe N J W 1986 1276; BayObLG NJW 1994 952; OLG Rostock StraFo 2 0 0 7 4 2 6 , 4 2 7 ;

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5. BGH NStZ-RR 2 0 0 6 305. BVerfG NJW 1994 2 9 4 3 ; BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 4 5 8 ; OLG Rostock StraFo 2 0 0 7 4 2 6 , 4 2 7 ; OVG Frankfurt (Oder) NJ 2 0 0 3 48, 49. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Miebach/Schäfer MK Rdn. 14. Zu Veröffentlichungen im Internet vgl. BGH NStZ 2 0 0 7 216; BGHSt 4 6 212, 2 2 0 ff

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d) Persönliches Äußerungsdelikt. Anders als bei Absatz 2 und 5 handelt es sich bei den Begehungsalternativen des § 130 Abs. 1 mit Ausnahme der Verleumdung um persönliche Äußerungsdelikte. 141 Dem Verbreiter einer fremden Erklärung kann diese nur dann täterschaftlich zugerechnet werden, wenn er sich deren volksverhetzenden Äußerungsgehalt erkennbar zu eigen macht. 1 4 2 Bloße Verbreitungs- und Wiedergabeakte wie Veröffentlichen, Verbreiten, Nachdruck, Ausstellen etc. als solche rechtfertigen für sich genommen nicht ohne weiteres die Annahme einer Identifizierung mit dem Gedankeninhalt der wiedergegebenen fremden Äußerung, begründen also keine Täterschaftsvermutung. Dies gilt auch bei Presseveröffentlichungen für den verantwortlichen Herausgeber und Redakteur. Die Beurteilung, ob sich jemand wegen Verbreitung einer fremden Äußerung eines eigenen Äußerungsdelikts schuldig gemacht hat, ob sein Handeln als Ausdruck eigener Missachtung und Feindseligkeit erscheint, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Besonderheiten des Einzelfalles kennzeichnenden Umstände zu treffen. Bei der Ermittlung des Erklärungswerts können Bedeutung erlangen die Art und Weise der Wiedergabe, der Veröffentlichungszusammenhang, Wortlaut und besonderer Erklärungsgehalt der wiedergegebenen Äußerung, 143 eigene Zusatzerklärungen, der Mitabdruck und Sinngehalt eines Begleitartikels, ein etwaiger identifikationsausschließender Dokumentationszusammenhang, das Veröffentlichungsorgan und andere beurteilungsrelevante Umstände und Verhaltensweisen, die Schlussfolgerungen auf eine etwaige Identifizierung des Verbreiters einer antisemitischen Hetzschrift mit dem den Schrifteninhalt kennzeichnenden NS-rassenideologischen Gedankengut zulassen. 144 Das Oberlandesgericht Koblenz hat es genügen lassen, dass eine Erzieherin eine von einem 15jährigen im Rahmen einer pädagogischen Veranstaltung hergestellte Collage in einem Gruppenraum unter zahlreichen anderen nicht anstößigen Werken ausstellt. 145 Soweit diesem Verhalten der objektive Erklärungswert beigemessen wird, die für das Ausstellen verantwortliche Pädagogin mache sich mangels eindeutiger Distanzierung den gedanklichen Aussagegehalt zu eigen, erscheint dies jedoch fraglich. 146 Lässt sich der Nachweis eigener Tatbestandsverwirklichung nicht führen, so kommt Beihilfe zu strafbarer fremder Äußerung und Strafbarkeit nach Absatz 2 (Schriftenverbreitungstatbestand) in Betracht; bei Presseverantwortlichen darüber hinaus die pressestrafrechtliche Haftung wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht (vgl. § 2 0 Abs. 2 LPressG BaWü; § 51 LMedienG BaWü).

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e) Aufstacheln zum Hass (Absatz 1 Nr. 1 1. Alt.). Aufstacheln zum Hass ist ein Verhalten, das auf die Gefühle oder den Intellekt eines anderen einwirkt und objektiv geeig-

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m. Anm. Jeßberger J R 2 0 0 1 4 3 2 ; Heghmanns JA 2001 2 7 6 ; Kudlich StV 2001 397; Hörnle NStZ 2 0 0 1 3 0 9 ; Sieber ZRP 2001 97, Koch JuS 2 0 0 2 123; Lagodny J Z 2001 1198; Valerius NStZ 2 0 0 3 341; Gotting Kriminalistik 2 0 0 7 615; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 190 ff. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Junge Das Schutzgut des § 130 StGB, S. 156; Wandres Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 135 f. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Giehring StV 1985 30, 34; Junge Das Schutzgut des

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§ 130 StGB, S. 156 f; Wandres Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 136, 261; Hörnle NStZ 2 0 0 2 113, 116. Vgl. BGH NStZ 1981 2 5 8 ; OLG Köln NJW 1 9 7 9 1562, vgl. aber auch Giehring StV 1985 30, 34. BGH NStZ 1981 2 5 8 ; BGH 2 StR 508/76 vom 10.11.1976; OLG Schleswig MDR 1978 3 3 3 ; vgl. auch BayObLG NJW 1994 952, 953. OLG Koblenz StV 1985 15. Giehring StV 1985 30, 34; Streng FS Lackner, S. 501, 524, vgl. aber Schroeder JR 1 9 7 9 89, 93.

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net sowie subjektiv bestimmt ist, eine emotional gesteigerte, über bloße Verachtung und Ablehnung hinausgehende feindselige Haltung gegen die betreffenden Bevölkerungsteile zu erzeugen oder zu verstärken. 147 Der Begriff deckt sich weitgehend mit dem des „Anreizens" in § 130 a.F., das die Rechtsprechung als Beeinflussung und Einwirkung auf Sinne und Leidenschaften verstand, die einen Reiz zum Handeln weckt und den Angereizten kraft eigenen Entschlusses zum Handeln bringt. 1 4 8 Allerdings meint „Aufstacheln" eine gesteigerte Form des Anreizens in der Form, dass der Täter über bloße Ablehnung oder Verachtung hinaus in eindringlicher Form die Feindschaft schürt 1 4 9 und damit die gleichwertige soziale Subjektqualität der Betroffenen in Frage stellt. Die Einwirkung des Täters muss auf die Erzeugung oder Steigerung von Hassgefühlen anderer angelegt sein, die als emotionale Grundlage für Aktionen gegen die betroffene Bevölkerungsgruppe in Betracht kommen. Unmittelbare Aktionen bestimmter Art brauchen vom Täter aber nicht beabsichtigt zu sein. 1 5 0 Auch ein Erfolg dahingehend, dass tatsächlich bei Dritten Hass erzeugt wird, ist nicht erforderlich, es reicht vielmehr aus, dass der Tat die entsprechende Eigenschaft innewohnt. 151 Die als Hetzmittel dargestellte Eigenschaft einer Bevölkerungsgruppe muss nach der Vorstellung des Täters nicht auf diese beschränkt sein. 1 5 2 Von dieser Tatalternative werden insbesondere erfasst: Die antisemitische Agitation, so z.B. die auf einem Pkw aufgesprühte Parole „Juda verrecke" unter Beifügung eines Hakenkreuzes, 153 die Anbringung von Aufklebern mit Hakenkreuzemblemen und der Parole „Kauft nicht bei J u d e n " ; 1 5 4 bildliche Schmähungen unter Missbrauch von Symbolen; Äußerungen gegen das Lebensrecht ("So wie die Juden immer sagen: Ein toter Deutscher ist ein guter Deutscher! So nehmen wir nur das Recht, das gleiche über die Juden zu sagen"); 1 5 5 vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Verbrechen auch das Absprechen der Eignung für bestimmte öffentliche Ämter 1 5 6 oder der Fähigkeit, deutsche

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BGHSt 21 371, 3 7 2 ; 4 0 97, 102 mit Anm. Baumann NStZ 1994 3 9 2 und Bspr. Bertram NJW 1994 2 0 0 2 und Jakobs StV 1994 5 4 0 ; 46 212, 217; BGH NStZ 1981 2 5 8 ; 1994 140; 2 0 0 7 216; BGH 3 StR 394/07 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 4 5 8 ; BayObLG N J W 1990 2479, 2 4 8 0 m. Anm. Horn JR 1991 83; OLG Köln N J W 1981 1280; OLG Frankfurt N J W 1995 143, 144; KG JR 1998 213, 215; OLG Brandenburg N J W 2 0 0 2 1440, 1441; LG Hannover NdsRpfl 1995 110; LG Mannheim N J W 1994 2 4 9 4 , 2 4 9 7 m. Anm. Bertram S. 2 3 9 7 und Sendler ZRP 1994 377; AG Linz NStZ-RR 1996 358; vgl. auch BVerfG N J W 2 0 0 3 660, 6 6 2 ; Fischer Rdn. 8, Miebach/Schäfer MK Rdn. 29; Sch/ Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5a; Rudolphi/Stein SK Rdn. 4a; Lackner/Kühl Rdn. 4; Schubert Verbotene Worte? S. 2 0 0 ff; zT. anders Lohse NJW 1985 1677, 1679 f; Kargl Jura 2 0 0 1 176, 177, wonach es genügt, dass die Äußerung objektiv geeignet ist, eine entsprechende Wirkung hervorzurufen. RGSt 63 170, 173; Stegbauer Rechtsextre-

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mistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 2 0 3 ; vgl. auch Entw. 14. StrÄndG BTDrucks. 7 / 3 0 3 0 , S. 8. Vgl. BGHSt 21 371, 3 7 2 ; BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 4 5 8 ; OLG Köln N J W 1981 1280; LG Köln NStZ 1981 261 (zu §§ 80, 80a); Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 2 0 4 ; vgl. auch Klug FS Jescheck, S. 583, 5 9 6 f. OLG Brandenburg N J W 2 0 0 2 1440, 1441; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 2 9 ; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 2 0 4 . Kargl Jura 2 0 0 1 176, 177. OLG Hamm NStZ 1981 2 6 2 zu § 131 a.F.; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5a. OLG Koblenz M D R 1977 334. Vgl. BGH 3 StR 4 4 9 / 8 4 vom 14.11.1984. BGHSt 2 9 2 6 . Vgl. BGHSt 21 371, siehe aber auch BVerfG N J W 2 0 0 1 61.

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Kinder zu unterrichten; 1 5 7 die öffentliche Bezichtigung der Lüge und finanziellen Erpressung mittels offenkundig unwahrer Tatsachenbehauptungen; 1 5 8 die Qualifizierung der Juden als „minderwertige Menschen, unglaubwürdige Fälscher und profitgierige Paras i t e n " ; 1 5 9 das qualifizierte Bestreiten des NS-Gewaltunrechts 1 6 0 etwa durch die Unterstellung, die Juden betrieben „als Urheber einer Vernichtungslegende (6-Millionenlüge) die politische Unterdrückung und finanzielle Ausbeutung des deutschen Volkes" 161 oder der Film „Jud S ü s s " . 1 6 2 40

Auch ausländerfeindliche Hetze unterfällt bei entsprechendem Gewicht dem Tatbestand; etwa die gegen Ausländer gerichtete Äußerung „Schade, dass Dachau nicht mehr geheizt w i r d " , 1 6 3 die gegen ausländische Fahrgäste einer S-Bahn gerichtete Äußerung „Euch Ausländer sollte man vergasen wie Juden" 1 6 4 oder Parolen wie „Ausländer raus" und „Sieg Heil" aus einer Gruppe in Skinhead-Kleidung unter Zeigen der „Reichskriegsflagge". 1 6 5 Allein das Hissen der Reichskriegsflagge reicht dagegen nicht aus. 1 6 6 Tatbestandsmäßig ist auch die Darstellung von Asylbewerbern als betrügerische Schmarotzer, die auf Kosten der schwer arbeitenden deutschen Bevölkerung ein faules Leben führen und sich über die dummen Deutschen auch noch lustig machen, 1 6 7 als „Sozialparasiten" 1 6 8 oder die Stigmatisierung von in Deutschland lebenden Ausländern als „Vertreibungsmasse", die es „loszuwerden" gelte. 1 6 9

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Nicht tatbestandsmäßig ist eine wahrheitsgemäße Berichterstattung, auch wenn sie in tendenzieller Absicht erfolgt und geeignet ist, ein feindseliges Klima gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zu schaffen (z.B. Bericht über Ausländeranteil bei der Kriminalität). 1 7 0 Etwas anderes gilt aber, wenn sie durch einseitige Verzerrungen und wahrheitswidrige Verfälschungen auf eine Stimmungsmache abzielt, bei Äußerungen, die auf das Schüren von Hass angelegt und als scheinbar sachliche Enthüllungen verbrämt sind 1 7 1 oder die unter dem Deckmantel einer Auseinandersetzung mit geschichtlichen Vorgängen in einen solchen Darlegungszusammenhang eingefügt werden. 1 7 2

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Zugangsverweigerungen zu Gaststätten durch Schilder wie „Gastarbeiter unerwünscht" oder „Türken dürfen dieses Lokal nicht betreten" erfüllen die Handlungsform des Aufstacheins zum Hass ohne Hinzutreten weiterer Umstände mangels des tatbe-

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OLG Schleswig MDR 1978 333. BGH NStZ 1994 140: „Remer-Depesche"; vgl. auch BGH NStZ 1981 258 (Bezeichnung des Völkermordes an Juden als Lüge zionistischen Ursprungs, die einen gigantischen politischen und finanziellen Betrug ermöglicht). BGHSt 31 226, 231; vgl. auch BGHSt 19 63 (NS-Film „Jud Süss"). BGHSt 46 212, 216 f. BGHSt 31 226, 231; vgl. auch 40 97, 101; BGH NStZ 1981 258; 1994 140; LG Mannheim NJW 1994 2494, 2497. Vgl. BGHSt 19 63. Vgl. OLG München NJW 1985 2430. OLG Hamburg MDR 1981 71. OLG Brandenburg NJW 2002 1440. Vgl. VGH Mannheim NJW 2006 635, 636; Miebach/Schäfer MK Rdn. 30; Sch/Schröder/

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Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5a; vgl. aber OVG Münster NJW 1994 2909. OLG Frankfurt NJW 1995 143; vgl. auch BAG NJW 1996 2253; LG Hannover NdsRpfl 1995 110, 111; AG Linz NStZ-RR 1996 358. OLG Frankfurt NStZ-RR 2000 368 m. Bspr. Kargl Jura 2001 176. BGH NStZ 2007 216. OLG Brandenburg 1 Ws 75/06 vom 15.5.06 (Darstellung der Sinti und Roma als überproportional kriminell, wenig integrationswillig und das staatliche Sozialsystem unberechtigt ausnutzend); Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5a; Fischer Rdn. 8; vgl. auch VerwG Regensburg NJW 1994 2040. Vgl. BGHSt 16 49 ff; 21 371. Vgl. OLG Köln NJW 1981 1280.

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standlich vorausgesetzten Moments einer die Tathandlung kennzeichnenden gesteigerten Feindseligkeit regelmäßig noch nicht (vgl. auch Rdn. 61).173 f) Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen (Absatz 1 Nr. 1 2 . Alt.). Der Begriff der Aufforderung, der wie bei § 111 auszulegen ist (vgl. § 111 Rdn. 16 ff), bedeutet ein über bloßes Befürworten hinausgehendes, ausdrückliches oder konkludentes Einwirken auf andere mit dem Ziel, in ihnen den Entschluss zu bestimmten Handlungen hervorzurufen. 174 Die Erkärung muss den Eindruck der Ernstlichkeit erwecken und diesen Eindruck machen wollen; sie braucht aber nicht ernst gemeint zu sein. 1 7 5 Ob die Äußerung einen Appell zur Realisierung der formulierten Straftaten enthält, ist ausgehend vom Wortlaut unter Berücksichtigung des Kontextes und der sonstigen Begleitumstände der Äußerung durch den Tatrichter auszulegen.

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Gewalt- und Willkürmaßnahmen sind diskriminierende Handlungen, die den elementaren Geboten der Menschlichkeit widersprechen. 176 Als Gewaltmaßnahmen kommen z.B. Gewalttätigkeiten i.S. von § 125, Freiheitsberaubungen, gewaltsame Vertreibungen, Progrome oder bedrohliche Hetzjagden gegen Ausländer in Betracht. 1 7 7 Gewalt gegen Sachen reicht grundsätzlich aus. 1 7 8 Willkürmaßnahmen sind sonstige Behandlungen aller Art, die im Widerspruch zu elementaren Geboten der Menschlichkeit stehen, 1 7 9 z.B. die Aufforderung zu einer willkürlichen, rechtsstaatswidrigen Fernhaltung Einzelner von öffentlichen Ämtern wegen ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Bevölkerungsteilen 180 oder mit wirtschaftlichen und beruflichen Beeinträchtigungen verbundene Boykottaufrufe („kauft nicht bei Juden"). 1 8 1 Bei der Art der angesonnenen Maßnahmen wird der Tathandlung der rechtsstaatswidrige und die Grundsätze der Gerechtigkeit und Menschenwürde verletzende Charakter in der Regel ohne weiteres anhaften. Eine besondere Intensitätsprüfung ist allerdings bei Aufrufen zu Maßnahmen erforderlich, die sich ausschließlich gegen Sach- und Vermögenswerte richten. 1 8 2

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Parolen wie „Juden raus", „Ausländer raus", „Türken raus" sind tatbestandserheblieh, wenn sie nach ihrem objektiven, durch Auslegung unter Berücksichtigung aller hierfür bedeutsamen Umstände zu ermittelnden Erklärungswert nicht nur als Aufforderung, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, zu verstehen sind, sondern (konkludent) auf eine gewaltsame und willkürliche Vertreibung hinweisen und deshalb auch als Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gemeint sind. 1 8 3 Der kriminelle Sinn-

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Fischer Rdn. 8; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 5; Miebach/Schäfer MK Rdn. 33; Rudolphi/Stein SK Rdn. 4b; Römer N J W 1971 1735; Streng FS Lackner, S. 501, 521 f; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 2 0 7 f. BGHSt 32 310, 313 m. Anm. Bloy JR 1985 2 0 6 ; BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 4 5 8 ; OLG Brandenburg N J W 2 0 0 2 1440, 1441; Miebach/Schäfer MK Rdn. 34; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 5b; Fischer Rdn. 10; Streng FS Lackner, S. 501, 5 2 0 . BGHSt 32 310 f. BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 458.

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Fischer Rdn. 10; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 5b. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5b; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5a. Vgl. BGHSt 21 371, 3 7 2 f. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5b; Miebach/Schäfer MK Rdn. 35; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5a. Miebach/Schäfer MK Rdn. 36. Vgl. BGHSt 32 310, 313 (differenzierend und nur für die Parole „Juden raus" bejahend); OLG Hamm NStZ 1995 136; OLG Brandenburg N J W 2 0 0 2 1440, 1441; BVerfG 1 BvR 1753/03 v. 2 5 . 3 . 2 0 0 8 , HRRS 2 0 0 8 Nr. 374; Miebach/Schäfer MK

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gehalt der Äußerung kann sich insbesondere aus dem Gesamtzusammenhang des Geschehens und den Begleitumständen ergeben. So liegt beim Mitführen von Hakenkreuzen oder NS-Ersatzsymbolen oder beim Skandieren vor Ausländerheimen unter einem neonazistischen Aufmarsch vergleichbaren Umständen der Bezug der Äußerung zu NS-Verfolgungs- und Vertreibungsmethoden auf der Hand. 1 8 4 Entgegen BGHSt 32 313 gilt dies gilt nicht nur für die Parole „Juden raus", sondern vor dem Hintergrund der ausländerfeindlichen Ausschreitungen der letzten Jahre auch für andere Parolen, die allgemein gegen Ausländer oder bestimmte Ausländergruppen gerichtet sind. 1 8 5 Enthält ein gegen Punker gerichteter Liedtext neben beschimpfenden und böswillig verächtlich machenden Passagen die Formulierung „Wir werden sie von der Straße fegen", kann die Bewertung ergeben, dass die Zielrichtung der Aussage nicht dahin geht, eigene Handlungen oder Absichten der Interpreten darzustellen, sondern die eigentliche Intention darauf gerichtet ist, andere zu animieren, Gewalt- oder Willkürmaßnahmen zu verüben oder sich solchen anzuschließen. 186 46

g) Angriff auf die Menschenwürde durch Beschimpfen, Verächtlichmachen oder Verleumden (Absatz 1 Nr. 2). Absatz 1 Nr. 2 erfüllt, wer Bevölkerungsteile beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet. Diesen Begehungsvarianten kommt, wie sich aus der Schutzrichtung des § 130, den tatbestandseingrenzenden Elementen und der erhöhten Mindeststrafdrohung ergibt, nicht die Funktion eines erweiterten Ehrenschutzes zu. 1 8 7 Es muss sich um einen menschenwürdefeindlichen Angriff handeln. Das Abgrenzungskriterium gegenüber den von §§ 185 ff erfassten Ehrverletzungen liegt darin, dass die verletzenden Äußerungen nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 die Angehörigen des betreffenden Bevölkerungsteils in ihren grundlegenden Lebensrechten als gleichwertige Persönlichkeiten in der Gemeinschaft treffen sollen und sie eine den unverzichtbaren Persönlichkeitskernbereich tangierende soziale Abwertung enthalten (siehe Rdn. 51).

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aa) Beschimpfen. Beschimpfen bedeutet die durch Form oder Inhalt besonders verletzende Äußerung der Missachtung. 1 8 8 Das besonders Verletzende kann äußerlich in der Rohheit des Ausdrucks, etwa in groben Schimpfworten, oder inhaltlich in dem Vorwurf eines schimpflichen Verhaltens liegen. 189 Eine Beschimpfung kann sowohl in der Behaup-

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Rdn. 37; Bloy JR 1985 2 0 6 , 2 0 7 ; Rubi NJW 1995 561, 5 6 4 ; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 5b; Fischer Rdn. 10; Lackner/Kühl Rdn. 5; Streng FS Lackner, S. 501, 519 f. Vgl. OLG Hamm NStZ 1995 136, 137; OLG Brandenburg N J W 2 0 0 2 1440; VGH Mannheim NJW 2 0 0 6 635, 636, wonach das bloße Mitführen der Reichskriegsflagge im Rahmen einer Feier von Fußballanhängern nicht ausreichen soll. Scb/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5b; Miebach/Schäfer MK Rdn. 37; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5a; Riihl NJW 1995 561, 5 6 4 ; Bloy JR 1985 206, 2 0 7 ; Streng FS Lackner, S. 501, 519 f. BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 458. BTDrucks. III/1746, S. 3; KG NJW 2 0 0 3

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685, 6 8 6 ; OLG Frankfurt NJW 1989 1367, 1369; Miebach/Schäfer MK Rdn. 38; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5c; Dau NStZ 1989 361, 363; and. Jakobs ZStW 9 7 (1985) 751, 782: „Ausgliederung von Kollektivbeleidigung". Vgl. BGHSt 7 110; 4 6 212, 216; BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 4 5 8 ; OLG Hamburg N J W 1975 1088; OLG Koblenz StV 1985 15, 16; KG J R 1998 213, 215; LG Göttingen NJW 1979 173, 174; LG Mannheim N J W 1994 2 4 9 4 , 2 4 9 7 ; Fischer Rdn. 11; Miebach/Schäfer MK Rdn. 39. BGHSt 7 110; OLG Hamburg NJW 1975 1088; OLG Köln NJW 1982 657 f; OLG Schleswig SchlHA 1977 179; OLG Karlsruhe NStZ 1986 363; LG Göttingen NJW 1979 1 7 3 , 1 7 4 .

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tung schimpflicher Tatsachen als auch in besonders abfälligen Werturteilen bestehen. 190 Bloße harte, scharfe Kritik, auch wenn sie unberechtigt und unsachlich ist oder auf Uneinsichtigkeit beruht, ist noch keine Beschimpfung. 191 Der Erklärungswert einer mündlichen oder schriftlichen Äußerung, ihre etwaige Bewertung als besonders verletzend i.S. eines Beschimpfens, bestimmt sich nach ihrem Sinn- und Aussagegehalt wie er unter Berücksichtigung des Äußerungszusammenhangs und allgemeinkundiger Tatsachen von einem unbefangenen und sorgfältigen Durchschnittsleser oder -hörer verstanden wird. 192

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bb) Verächtlichmachen. Darunter ist jede Äußerung verstehen, durch die jemand als der Achtung der Staatsbürger unwert oder unwürdig hingestellt wird. 1 9 3 Dies kann durch Werturteile oder Tatsachenbehauptungen erfolgen. 194 Das zusätzliche, dem inneren Tatbestand zuzuordnende Erfordernis der Böswilligkeit hat strafbarkeitseinschränkende Funktion (vgl. Rdn. 128).

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cc) Verleumdung. Der Begriff der Verleumdung lehnt sich an § 187 an, bezieht sich aber nicht auf eine bestimmte Einzelperson, sondern auf einen Bevölkerungsteil. Erforderlich ist, dass unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt oder verbreitet werden, die das Ansehen des betroffenen Bevölkerungsteils herabzusetzen geeignet sind, wobei der Täter wider besseres Wissen handeln muss. 195 Eine Diffamierung nur durch Werturteile genügt nicht. 196

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dd) Angriff auf die Menschenwürde. Die Tathandlung muss einen Angriff auf die Menschenwürde anderer enthalten. Darin liegt eine maßgebliche tatbestandliche Einschränkung. Das Tatbestandsmerkmal stellt sicher, dass nur besonders massive Diskriminierungen und Diffamierungen als strafbar angesehen werden. 197 Die Vorschrift knüpft an Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG an, wonach es die Verpflichtung aller Staatsgewalt ist, die Menschenwürde zu achten und zu schützen. Dabei ist nicht die Verletzung der Men-

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OLG Köln NJW 1982 657, 658. BGHSt 19 311, 317; OLG Köln GA 1972 214, 216; OLG Celle StV 1983 2 8 4 , 285. BGH bei Wagner GA 1961 19 Nr. 12; NStZ 1981 183, 184; OLG Köln GA 1972 214, 215; OLG Bremen J R 1979 118; LG Frankfurt NJW 1988 2 6 8 3 , 2 6 8 4 . Zur Verwendung des Begriffs „Zigeuner" neben „Gangstern, Gaunern, Ganoven, Heiratsschwindlern und verkrachten Existenzen" im Bürgerbrief (Stadtteilszeitung) eines Polizeirevierleiters zur Warnung vor Haustürtätern vgl. OLG Karlsruhe NJW 1986 1 2 7 6 , 1 2 7 7 ; zur Bewertung als Beschimpfung bei Karikaturen s. LG Bochum NJW 1989 727; bei satirischem Charakter der Äußerung s. auch BVerfG NJW 1992 2 0 7 3 . BGHSt 3 346, 348; BGH NStZ-RR 2 0 0 6 3 0 5 f; BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 4 5 8 ; BayObLG NJW 1995 145; KG J R 1998 213, 215; OLG Koblenz StV 1985 15, 16; OLG Frankfurt NJW 1995

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143, 144; NStZ-RR 2 0 0 0 368; LG Frankfurt NJW 1988 2 6 8 3 ; Miebach/Schäfer MK Rdn. 4 0 ; Fischer Rdn. 11; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; Giehring StV 1985 30, 33; Kargl Jura 2 0 0 1 176, 177. Miebach/Schäfer MK Rdn. 40; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 6; Lohse NJW 1985 1677, 1680; aA Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 V Rdn. 61. BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3 . 4 . 2 0 0 8 , HRRS 2 0 0 8 Nr. 4 5 8 ; Miebach /Schäfer MK Rdn. 41; Fischer Rdn. 11; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 5d. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5d. Vgl. BVerfG NJW 2 0 0 1 61, 6 3 ; KG NJW 2 0 0 3 685, 686; Miebach/Schäfer MK Rdn. 4 3 ; Fischer Rdn. 12; Fischer GA 1989 445, 4 5 6 ; Giehring StV 1985 30, 34; Streng FS Lackner, S. 501, 5 0 6 , 511; Schubert Verbotene Worte? S. 2 0 4 .

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schenwürde als abstraktes Rechtsgut, 1 9 8 sondern der Angriff auf die Menschenwürde anderer Personen gemeint. Dies sind die Angehörigen des angegriffenen Bevölkerungsteils, gegen die sich die Hetzaktion richtet. 52

Die verfassungsrechtlich gewährleistete Menschenwürde schützt den sozialen Wertund Achtungsanspruch des Menschen, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. 1 9 9 Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Angriff auf die Menschenwürde anderer" hat allerdings unter Berücksichtigung des besonderen Schutzzwecks des § 130 und der Rückwirkung auf das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 G G zu erfolgen. 2 0 0 Daraus folgt, dass allein die Beeinträchtigung einzelner Persönlichkeitsrechte, insbesondere die Verletzung der Ehre einer Person noch nicht als Angriff auf die Menschenwürde i.S. des § 130 einzuordnen ist. 2 0 1 Erforderlich ist vielmehr, dass der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als minderwertiges Wesen behandelt wird. Der Angriff muss sich mithin gegen den ihre menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit, nicht lediglich gegen einzelne Persönlichkeitsrechte, richten. Das ist etwa der Fall, wenn sie in einem wichtigen Bereich in ihrer Persönlichkeitsentfaltung behindert oder unter Missachtung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes als minderwertige Person behandelt werden soll oder wenn ihr ungeschmälertes Lebensrecht in der Gemeinschaft in Frage gestellt oder relativiert wird. 2 0 2 Dies setzt mehr voraus als die Verletzung

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Vgl. Streng FS Lackner, S. 501, 508, der zusätzlich auf die Menschenwürde als oberstes Verfassungsprinzip und das daran orientierte Selbstverständnis der Gesamtgesellschaft abhebt. BVerfG NJW 2001 61, 63; 1993 1457. Vgl. BVerfG NJW 2001 61, 62 f; Maiwald JR 1989 485, 488 f. BGHSt 36 83, 90; OLG Düsseldorf JMB1NW 1981 223, 224; Giehring StV 1985 30, 34; Streng FS Lackner, S. 501, 504 f; Maiwald JR 1989 485, 489. Vgl. BVerfG NJW 2001 61, 63; BGHSt 16 49, 56; 19 63 ff; 21 371, 373; 31 226, 231; 36 83, 90 f; 40 97, 100 m. Anm. Jakobs StV 1994 540; 46 212; BGH NStZ 1981 258; NStZ-RR 2006 305, 306; BGH 3 StR 394/07 v. 3.4.2008, HRRS 2008 Nr. 458; BayObLG NJW 1991 1493; 1994 942, 943 m Anm. Otto JR 1994 473; 1995 145; OLG Hamburg NJW 1975 1088 m. Anm. Geilen NJW 1976 279; OLG Celle NJW 1982 1546; OLG Düsseldorf JMB1 NW 1981 223, 224; OLGSt Nr. 2; NJW 1986 2518; MDR 1995 948; OLG Frankfurt NJW 1985 1720, 1721 m. Anm. Blau JR 1986 82; NJW 1989 1367, 1369 m. Anm. Dau NStZ 1989 361; NJW 1995 143, 144; NStZ-RR 2000 368; OLG Hamm NStE Nr. 7 zu § 130 StGB; NStZ 1995 136, 137; KG JR 1998 213, 215;

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NJW 2003 685, 686; OLG Karlsruhe MDR 1995 736; OLG Koblenz StV 1985 15; OLG Schleswig MDR 1978 333; LG Frankfurt NJW 1988 2683, 2685; StV 1990 73, 77; LG Bremen StV 1997 358; LG Hannover NdsRpfl 1995 110, 111; VG Regensburg NJW 1994 2040; Miebach /Schäfer MK Rdn. 43; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 6; Fischer Rdn. 12; RudolphH Stein SK Rdn. 7; Ostendorf NK Rdn. 14; Lackner/Kühl Rdn. 3; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 60 V Rdn. 59; Beisel NJW 1995 997, 998; Brockelmann DRiZ 1976 213; Schafheutie J Z 1960 470, 473; Maiwald JR 1989 485, 488 f; Otto JR 1994, 473; Jura 1995 277; Vogelsang NJW 1986 2386, 2387; Schultz FS Maihofer, S. 517, 519 f; Streng FS Lackner, S. 501, 511 ff; Wehinger Kollektivbeleidigung - Volksverhetzung, S. 124 ff; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 193; siehe auch BTDrucks. 12/6853, S. 24; BTDrucks. 12/7960, S. 6; BTDrucks. 12/8411, S. 6; einschränkend Kargl Jura 2001 176,178 (Aufforderung zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen); weitergehend Lohse NJW 1985 1677, 1679, der jede Form der Diskriminierung auch unterhalb dieser Schwelle ausreichen lässt; vgl. auch Giehring StV 1985 30, 35, der zur

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des sozialen Geltungsanspruchs der Betroffenen in dem Sinne, dass ihnen die Möglichkeit genommen wird, unvoreingenommene Gemeinschaft mit den anderen zu haben; 2 0 3 erforderlich ist vielmehr, dass der Täter das „Menschentum" der Angegriffenen bestreitet oder relativiert. 204 Entsprechend der deutlichen Erheblichkeitsschwelle setzen die Begehungsmodalitäten der Nummer 2 eine besonders qualifizierte Form, eine durch massive Angriffe herausgehobene Ehrverletzung voraus, 2 0 5 die durch erhebliche Rohheit oder anderweitige gewichtige Angriffe gekennzeichnet ist. Moralische Abqualifizierungen allein, das bloße Zuschreiben bestimmter ehrenrühriger Verhaltensweisen, selbst schwerere Ehrverletzungen, u.U. auch die Bezichtigung mit einer gewichtigeren Straftat sofern damit nicht eine generelle Abwertung als Menschen minderen Wertes und minderen Rechts verbunden wird - erfüllen den Tatbestand noch nicht; 2 0 6 insbesondere auch dann nicht, wenn beschimpfende Vorwürfe mit beruflichen Funktionen verknüpft 2 0 7 oder auf den dienstlichen Einsatz bezogen werden (z.B. Polizei u. Kriminalbeamte). 2 0 8 Unterhalb der gekennzeichneten Schwelle greifen gegebenenfalls die Beleidigungstatbestände ein. Nach h.M. setzt ein Angriff auf die Menschenwürde aber nicht voraus, dass das biologische Lebensrecht bestritten wird. 2 0 9 Es reicht vielmehr aus, dass den Angegriffenen ihr ungeschmälertes Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen wird und sie als unterwertige Menschen gekennzeichnet werden (z.B. durch die pauschale Diffamierung von Asylbewerbern als Aidskranke, Faulenzer, Rauschgifthändler und Betrüger, die sich über die dummen Deutschen lustig machen). 210

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Die Grenzziehung zwischen einem bloßen Beschimpfen, Verächtlichmachen oder Verleumden und einem Angriff auf die Menschenwürde kann in Einzelfällen außerordentlich schwierig sein. Maßgeblich für die Subsumtion ist zunächst, den Sinn der umstrittenen Äußerung zutreffend zu erfassen. Dabei ist ausgehend vom Wortlaut auch auf den Kontext und die sonstigen Begleitumstände der Äußerung in Form einer Gesamtschau abzustellen. 211 Ist eine Äußerung mehrdeutig, so haben die Gerichte, wollen sie die zur Verurteilung führende Deutung ihrer rechtlichen Würdigung zu Grunde legen, andere Auslegungsvarianten mit schlüssigen Gründen auszuscheiden. 212 Außerdem ist bei der Frage, ob ein Angriff auf die Menschenwürde vorliegt, dem Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Rechnung zu tragen und eine weite Auslegung zu vermeiden. Das Rechtsgut der Menschenwürde ist im Verhältnis zur Meinungsfreiheit zwar nicht abwägungsfähig,

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Präzisierung des Merkmals ausschließlich an die Ausformungen des Gleichheitsgrundsatzes anknüpft. Scb/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6 entgegen Otto J R 1994 473, 474. BGHSt 3 6 83, 90; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 6. OLG Koblenz StV 1985 15, 16; KG NJW 2 0 0 3 685, 686; Giehring StV 1985 30, 33; Streng FS Lackner, S. 501, 5 0 4 f; krit. Blau J R 1986 82, 83 f. Vgl. LG Frankfurt NJW 1988 2 6 8 4 ; OLG Brandenburg 1 Ws 7 5 / 0 6 vom 15.5.2006; Streng FS Lackner, S. 501, 517, 524; Scb/Scbröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6, Fischer Rdn. 12.

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BGHSt 3 6 83, 91. OLG Düsseldorf JMB1NW 1981 223, 2 2 4 . BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 458. BayObLG NJW 1995 145, 146; vgl. auch BGHSt 21 371, 373; OLG Hamburg N J W 1975 1088, OLG Düsseldorf NJW 1 9 8 6 2518; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 6; Miebach /Schäfer MK Rdn. 4 3 ; Fischer Rdn. 12; aA OLG Frankfurt NJW 1995 143 f. Vgl. BVerfG NJW 2 0 0 1 61, 62; 2 0 0 3 6 6 0 , 661; BGHSt 4 0 97, 101; BGH NStZ-RR 2 0 0 6 3 0 5 ; NStZ 1984 310. Vgl. BVerfG NJW 2 0 0 1 61, 62; 2 0 0 3 6 6 0 , 661.

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so dass bereits die Bejahung der tatbestandlichen Voraussetzungen dazu führt, dass Belange der Meinungsfreiheit immer dann, wenn nur der Tatbestand des § 130 verwirklicht ist, prinzipiell keine Berücksichtigung mehr finden. 2 1 3 Wegen dieses die Belange der Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist bereits bei der Auslegung der Äußerung zu berücksichtigen, dass die Menschenwürde nicht schon dann angegriffen ist, wenn durch eine Äußerung die Ehre oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines anderen tangiert ist, sondern erst, wenn der Person das Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen wird. Insoweit gelten dieselben Maßstäbe wie bei der Einstufung einer Äußerung als Schmähkritik, wo die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktritt, der Begriff der Schmähkritik aber eng ausgelegt wird. 2 1 4 55

Die einschlägigen Rechtsprechungsbeispiele verdeutlichen den inhaltlichen Rahmen, auch wenn sie nicht immer ein einheitliches Bild bieten. Als Angriff auf die Menschenwürde anderer sind angesehen worden:

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Ausländerfeindliche Parolen wie die Kennzeichnung von Beziehungen zwischen Andersfarbigen als grobe Perversion; 2 1 5 ein Aufkleber mit der Aufschrift „Rassenmischung ist Völkermord", der stilisierten Darstellung eines sich umarmenden Paares verschiedener Hautfarbe und dem Zusatz „So n i c h t " ; 2 1 6 das Skandieren der „Ausländer raus "-Parole vor einem Ausländerheim aus einer feindseligen Ansammlung heraus; 2 1 7 der gegen Asylbewerber gerichtete verallgemeinerte Vorwurf, sie seien „unwertige Aidsverbreiter, kinderverführende Drogenhändler, Betrüger und parasitäre Faulenzer"; 2 1 8 die Gleichsetzung von Aussiedlern und Asylbewerbern mit tierischen Schädlingen oder mit wilden Tieren, „die man schießen k ö n n e " ; 2 1 9 die Gleichsetzung von Aussiedlern und Asylbewerbern mit Schweinekot; 2 2 0 das Bezeichnen von Asylbewerbern als Parasiten, die aus der Gemeinschaft zu entfernen seien; 2 2 1 die Äußerung „Euch Ausländer sollte man vergasen wie die J u d e n " ; 2 2 2 nicht aber ein Aufkleber mit der Aussage „Gegen multikulturelle Gesellschaft und Ausländerintegration". 2 2 3

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Antisemitische Agitationen wie Äußerungen gegen das Lebensrecht ("So wie die Juden immer sagen: „Ein toter Deutscher ist ein guter Deutscher!", so nehmen wir uns das Recht, das gleiche über die Juden zu s a g e n " ) ; 2 2 4 die Bezeichnung als „Untermens c h e n " ; 2 2 5 die auf einem Pkw aufgesprühte Parole „Juda verrecke" unter Beifügung eines Hakenkreuzes, 2 2 6 vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Verbrechen das

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Vgl. BVerfG NJW 1995 3303, 3304; 2001 61, 62; 2003 660, 662. Vgl. BVerfG NJW 1995 3303, 3304; 2001 61, 62; 2003 660, 662; BGH VI ZR 189/06 v. 11.3.2008. Vgl. OLG Hamburg NJW 1975 1088. Vgl. OLG Zweibrücken NStZ 1994 490; krit. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7. Vgl. OLG Hamm NStZ 1995 136. BayObLG NJW 1995 145; and. OLG Frankfurt NJW 1995 143,144; krit. auch Otto JR 1994 473; vgl. auch BayObLG NJW 1994 952; KG JR 1998 213; OLG Karlsruhe MDR 1995 735; LG Hannover NdsRpfl 1995 110. OLG Braunschweig NJW 1978 2045

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(Zuordnung von Generalbundesanwalt Buback und anderer Vertreter staatlicher Gewalt zu den Kapitalisten, für die es genug und auch gute Gründe zum Abschießen gäbe); s.a. EGMR NStZ 1995 237 („Ein Nigger ist kein Mensch, er ist ein Tier,..."). OLG Düsseldorf MDR 1995 948. KG JR 1998 213, 215. OLG Hamburg MDR 1981 71. OLG Zweibrücken NStZ 1994 490, 491. BGHSt 29 26. Vgl. BGH 3 StR 4/63 vom 25.7.1963 zu dem NS-Film „Jud Süss" (in BGHSt 19 63 nicht abgedruckt). OLG Koblenz MDR 1977 334.

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Absprechen der Eignung für bestimmte öffentliche Ämter 2 2 7 oder der Fähigkeit, deutsche Kinder zu unterrichten; 2 2 8 die „qualifizierte Auschwitzlüge", d.h. das Leugnen des Holocaust, wenn der Täter sich mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifiziert oder seine Äußerungen sonst damit in Zusammenhang stehen, etwa wenn er die Tatsache der systematischen Morde an Juden als Lügengeschichte darstellt, absichtlich erfunden zur Knebelung und Ausbeutung Deutschlands zugunsten der J u d e n ; 2 2 9 die Qualifizierung der Juden als „minderwertige Menschen, unglaubwürdige Fälscher und profitgierige Parasiten"; 2 3 0 die Behauptung, Juden billigten ungeachtet strafrechtlicher Verbote wegen anderer, für sie vorrangiger Lehren im Talmud den sexuellen Missbrauch von Kindern und seien nicht würdig, Synagogen zu errichten; 2 3 1 die Forderung nach einer gruppenbezogen schwer diskriminierenden Fremdengesetzgebung in Europa, 2 3 2 die Anmeldung zweier Aufzüge mit Kundgebungen unter dem Motto „Stoppt den Synagogenbau - 4 Millionen fürs V o l k ! " , 2 3 3 nicht dagegen die bloße Bezeichnung als „Jude" ohne besondere Begleitumstände. 234 Als Angriff auf die Menschenwürde der Kommunisten hat die Rechtsprechung einen Liedtext qualifiziert, in dem es auszugsweise heißt: „Blöder als die Polizei erlaubt/ Dreckiger als das dreckigste Schwein/ Du stinkst mehr als ein Hundehaufen/ Dein Gehirn ist erbsenklein/ Du bist ein Kommunist und deine Ideen gehören auf Mist/ Nie wieder werdet ihr unser Volk zerspalten/ Unser Heimat vergewaltigen". Der Refrain lautete: „Rote raus, Rote raus, Rote raus/ Das ist unsere Heimat, hier sind wir zu haus/ Rote raus, Rote raus, Rote raus/ Ihr lächerlichen Kasper, wir lachen euch bloß a u s " . 2 3 5 Damit werden Kommunisten nicht nur in einzelnen Persönlichkeitsrechten wie ihrer Ehre getroffen, sondern darüber hinausgehend in besonders gehässiger und roher Weise sozial abgewertet und im Kern ihrer Persönlichkeit verletzt. 236 Eine Verletzung der Menschenwürde der Punker sah die Rechtsprechung bei einem Lied mit dem Kehrreim: „Du bist ein Punk, du bist so krank/ bist so abnorm und nie in Form/ benimmst dich wie das letzte Schwein/ Gefällt es dir, Abschaum zu sein?" und „Die Zeit ist reif für Deutschlands Segen/ Die Zukunft liegt in unserer Hand/ Wir werden sie von den Straßen fegen/ Und frei und sauber sei das L a n d " . 2 3 7

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Bei beschimpfenden Äußerungen über berufliche oder soziale Funktionen ist zu beachten, dass institutionalisierte Personenmehrheiten nicht zu den in § 130 geschützten Teilen der Bevölkerung zählen, soweit es bei der Äußerung um die Institution als solche geht und nicht um die hinter ihr stehenden Menschen (vgl. oben Rdn. 30). Verletzende Äußerungen und Angriffe, die sich ausschließlich mit den beruflichen Funktionen der angegriffenen Gruppenmitglieder befassen (z.B. Soldaten der Bundeswehr, Polizeibeamte,

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Vgl. BGHSt 21 371 (Überkleben eines Wahlplakats mit einem Papierstreifen mit dem Aufdruck „Jude"); siehe aber auch BVerfG NJW 2 0 0 1 61. OLG Schleswig MDR 1978 333. Vgl. BGHSt 31 2 2 6 , 231 f; 4 0 97, 100 f; BGH NStZ 1981 2 5 8 ; 1994 140 („RemerDepesche"); OLG Celle NJW 1982 1545; LG Mannheim N J W 1994 2 4 9 4 , 2 4 9 7 f. BGHSt 31 2 2 6 , 231. BGH NStZ-RR 2 0 0 6 305. Vgl. BGH 3 StR 2 2 9 / 7 7 vom 2 4 . 8 . 1 9 7 7 zu

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dem Buch „Ist Rassebewußtsein verwerflich?". Vgl. BVerfG NVwZ 2 0 0 4 1111 (einstweiliges Rechtsschutzverfahren). Vgl. BVerfG N J W 2 0 0 1 61. BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 458. BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 458. BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 458.

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Richter, Staatsanwälte etc.), sind grundsätzlich nicht tatbestandserheblich. 238 Das Gewicht einer mittelbaren Kränkung der hinter der Berufsgruppierung stehenden Einzelpersönlichkeiten durch verletzende funktionsbezogene Kritik wird durch den vorrangig beruflich-institutionellen Aspekt relativiert. 239 Etwas anderes gilt aber dann, wenn sich aus der Äußerung zugleich der Schluss ergibt, die Tätigkeit charakterisiere den, der sie ausübt, als unterwertiges Wesen und nehme ihm sein Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit. 240 Unter Berücksichtigung des vorrangig beruflich institutionellen Aspekts wurde ein Angriff auf die Menschenwürde z.B verneint bei der Bezeichnung der „Repräsentanten des Staates", die sich „beruflich mit der Verfolgung politisch-motivierter Straftäter befassen" als „Verbrecher, die verfolgt werden müssen"; 2 4 1 ferner bei der abwertenden sinngemäßen Äußerung, die Polizeibeamten missbrauchen die ihnen eingeräumte Macht zum Nachteil der Bürger. 242 60 Bei verletzender Kritik gegenüber dem Soldatenberuf kommt es darauf an, ob nur das „Soldatenhandwerk" als solches gemeint ist oder ob die Soldaten der Bundeswehr zu Schwerstkriminellen und minderwertigen Gliedern der Gesellschaft gestempelt und sie dadurch in ihrer Menschenwürde angegriffen werden. 2 4 3 Bei Bezeichnungen der Bundeswehrsoldaten als „vom Staat bezahlte Berufsmörder", als „geborene Mörder", „gedungene Killer", „Menschenschlächter" o.ä. drängt es sich auf, dass nicht der beruflich institutionelle Aspekt im Vordergrund steht, sondern die Soldaten im Kern ihrer Persönlichkeit getroffen werden. 2 4 4 Derartige Bezeichnungen stellen sich als diffamierende Schmähung, als Stigmatisierung des Personenkreises im Sinne einer gefährlichen und verabscheuungswürdigen Täterkategorie dar. Die Verurteilung wegen Volksverhetzung und Beleidigung aufgrund des Anbringens eines Aufklebers mit der Aufschrift „Soldaten sind Mörder" und einer darunter befindlichen Unterschrift „Kurt Tucholsky" hat das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Verletzung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit verfassungsrechtlich beanstandet, weil die Äußerung nur in einem fachlich-technischen

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BGHSt 36 83, 90 f; Giehring StV 1985 30, 32 f. BGHSt 36 83, 91. BGHSt 36 83, 90 f; OLG Frankfurt NJW 1989 1367 m. Anm. bzw. Bspr. Dau NStZ 1989 361; Maiwald ]K 1989 485; OLG Hamm NStE Nr. 7 zu § 130 StGB; KG NJW 2003 685, 686; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 7; Miebach/Schäfer MK Rdn. 47. LG Göttingen NJW 1979 1558, 1560; der Bundesgerichtshof (GA 1979 391) verneint hier bereits die Eigenschaft als Teil der Bevölkerung. OLG Düsseldorf JMB1NW 1981 223 (jeder wisse genau, wie leicht einem dieser Herrn die Hand ausrutschen könne und fast täglich lese man von Menschen, die in Polizeigewahrsam zusammengeschlagen würden). Zur gegen eine Polizeiaktion gerichteten Kritik, die Grundrechte seien eher durch fragwürdige Polizeiaktionen als durch Terroristen gefährdet, vgl. OLG Köln NStZ 1981 183: keine Polizeibeamtenbeleidigung.

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Aus der Rspr. vgl. BVerfG NJW 1994 2943 m. Bspr. bzw. Anm. Herdegen NJW 1994 2933; Grasnick JR 1995 162; Hill DRiZ 1994 488; BGHSt 36 83, 90; KG NJW 2003 685, 686; OLG Frankfurt NJW 1989 1367; LG Frankfurt NJW 1988 2683 m. abl. Bspr. Dau NJW 1988 2650 und Hassemer KritJ 1990 359; LG Frankfurt StV 1990 73, 77 (jeweils zur Äußerung „Jeder Soldat ist ein potentieller Mörder" und „Bei der Bundeswehr gibt es einen Drill zum Morden"); OLG Hamm NStE Nr. 7 zu § 130 StGB; OLG Düsseldorf NJW 1986 2518; OLG Koblenz StV 1985 15; BayObLGSt 1990 118, 120; AG Spaichingen NJW 1991 1496 (Bezeichnung von Soldaten als „Henker im Wartestand"); Miebach/Schäfer MK Rdn. 49; Ostendorf *NK Rdn. 15; vgl. aber auch Giehring StV 1985 30, 34 f; Streng FS Lackner, S. 501, 522 ff. Scb/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Miebach/Schäfer MK Rdn. 49; Giehring StV 1985 30, 32; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 7b.

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(Mord i.S. des § 211 StGB), nicht aber im umgangssprachlichen Sinn gedeutet worden sei, der keine Gleichsetzung mit Straftätern beinhalte. 2 4 5 Den Vergleich des Soldatenberufs mit dem des Folterknechts oder Henkers hat BGHSt 3 6 83, 90 nicht ausreichen lassen, weil der Artikel sich in erster Linie gegen den Beruf des Soldaten gerichtet habe und die verletzende Kritik an den beruflichen Funktionen unter Berücksichtigung gleichzeitiger Äußerungen, die Verständnis für die „armen Teufel, die sich zum Bund verpflichtet haben", den Soldaten nicht das Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft habe absprechen wollen. 2 4 6 Die strafrechtliche Bewertung von Zugangsverweigerungen zu Gaststätten ist umstritten, insbesondere der objektive Erklärungswert und die Angriffsintensität von Schildern wie „Gastarbeiter unerwünscht" oder „Türken dürfen dieses Lokal nicht betreten". Das OLG Frankfurt sieht in letzterem zwar eine Diskriminierung, aber noch keine Volksverhetzung, weil nur ein Zugangsverbot ohne Begründung ausgesprochen worden sei und daraus nicht entnommen werden könne, dass die Türken etwa zu unterwertigen Gliedern der Gemeinschaft erklärt würden oder ihr Lebensrecht innerhalb der Gemeinschaft bestritten werde. 2 4 7 Nach anderer Auffassung ist ein Angriff auf die Menschenwürde zu bejahen, weil zum Ausdruck gebracht werde, die Mitglieder des betroffenen Bevölkerungsteils seien Wesen minderen Ranges, denen nicht die Rechte zustünden, die sonst für jeden selbstverständlich seien. 2 4 8 Zum Teil wird unter Berufung auf die soziale Dimension der Menschenwürde darauf abgestellt, dass entsprechende Schilder den Türken ihr soziales Lebensrecht in der staatlichen Gemeinschaft bestreiten; 2 4 9 argumentiert wird weiterhin mit einer Verletzung des Gleichheitssatzes. 250 Maßgeblich für die Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit solcher Zugangsverbote ist, ob unter Berücksichtung des Kontextes und der sonstigen Begleitumstände mit dem Zugangsverbot zum Ausdruck gebracht werden soll, dass Personen einer bestimmten Gruppe nicht würdig sind, in dem Lokal bedient zu werden und sie deshalb als Menschen zweiter Klasse qualifiziert werden. 2 5 1

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3. Eignung zur Friedensstörung. Die Tat muss geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören.

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Der öffentliche Friede bezeichnet sowohl einen objektiv feststellbaren Lebenszustand allgemeiner Rechtssicherheit und des frei von Furcht voreinander verlaufenden Zusammenlebens der Staatsbürger als auch das Vertrauen der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden leben zu können (vgl. auch § 126 Rdn. I ) . 2 5 2 Über den Schutz des Vertrauens in die

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BVerfG N J W 1994 2 9 4 3 f. BGHSt 3 6 83, 9 0 m. Anm. Maiwald 1989 485, 4 8 8 f und Dau NStZ 1 9 8 9 361. OLG Frankfurt J R 1986 81 m. Anm. Blau S. 82 ff; vgl. auch Miebach/Schäfer MK Rdn. 4 8 ; Fischer Rdn. 8; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7b. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 V Rdn. 59. Blau JR 1986 82, 83, vgl auch BayObLG NJW 1995 145 f zum „Gedicht"-Pamphlet „Der Asylbetrüger" im Anschluss an BayObLG NJW 1 9 9 4 952 f; krit. Jahn Strafrechtliche Mittel gegen Rechtsextremismus, S. 136.

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Vgl. Blau J R 1 9 8 6 82, 84; vgl. hierzu auch Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Straftechts S. 198 f; Lohse NJW 1985 1677, 1679; Streng FS Lackner, S. 501, 5 2 0 ff. Streng FS Lackner, S. 501, 5 2 0 ff; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7b. Vgl. mit wechselnder Akzentuierung: RGSt 15 116, 117; 18 314, 316; 34 2 6 9 ; 71 248, 2 4 9 ; BGHSt 16 49, 56; 2 9 2 6 , 2 7 ; 4 6 212, 221 f; 4 7 278, 2 8 0 f; BGH N J W 2 0 0 5 689, 691; NStZ-RR 2 0 0 6 305, 306; OLG Celle NJW 1970 2 2 5 7 ; OLG Hamburg N J W 1975 1088 m. Anm. Geilen NJW 1976 2 7 9 ;

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öffentliche Rechtssicherheit hinaus geht es dabei auch um den Schutz eines sozialen Phänomens, nämlich des gesellschaftlichen Friedens im Sinne eines psychischen Klimas, das nicht durch allgemeine Unruhe, Unsicherheit, Angst und Schrecken in der Bevölkerung sowie durch Ausgrenzung und Diffamierung von Bevölkerungsgruppen vergiftet ist. 2 5 3 Schon im Vorfeld von unmittelbaren Menschenwürdeverletzungen kann der öffentliche Frieden deshalb durch die Schaffung eines politischen Klimas tangiert sein, das ein ungestörtes Zusammenleben der Angehörigen verschiedener Bevölkerungsteile beeinträchtigt, etwa weil bestimmten Menschen das Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeiten in der innerstaatlichen Gemeinschaft abgesprochen wird und sie als unterwertige Wesen behandelt werden, 2 5 4 Feindseligkeiten gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen durch verhetzende Äußerungen angeheizt oder verstärkt, dadurch gewalttätigen Aktionen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen der Boden bereitet und potentielle Täter zur Begehung entsprechender Gewalttaten aufgehetzt werden 2 5 5 oder verständliche Angst vor gefährlicher Ausbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts hervorgerufen wird. 2 5 6 Der öffentliche Friede muss durch die Tat nicht wirklich gestört oder auch nur konkret gefährdet werden. 2 5 7 Vielmehr kommt es darauf an, ob die Tat sowohl nach Art und Inhalt der Äußerung sowie den Umständen ihrer Abgabe als auch nach ihren voraussichtlichen Folgewirkungen und dem Kreis der Erklärungsempfänger zur Störung des öffentlichen Friedens konkret geeignet ist. 2 5 8 Dies ist dann der Fall, wenn aus der Sicht eines objektiven Beobachters eine begründete Besorgnis dafür besteht, es werde zu einer Friedensstörung kommen, also tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Tathandlung eine nicht unbeträchtliche Personenmehrheit ernsthaft beunruhigen und das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit beeinträchtigen oder ein gesellschaftliches Klima schaffen werde, das durch allgemeine Unruhe, Unsicherheit oder Ausgrenzung

OLG Koblenz MDR 1 9 7 7 3 3 4 ; OLG Schleswig M D R 1978 3 3 3 ; OLG Hamburg MDR 1981 71; OLG Celle J R 1998 7 9 m. Anm. Popp; OLG Frankfurt NStZ-RR 2 0 0 0 368; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Rudolphi/Stein SK Rdn. 9; Miebach/Schäfer MK Rdn. 16; Lackner/Kühl Rdn. 10; Lohse N J W 1985 1677, 1678; Geilen N J W 1976 279, 2 8 0 ; Wandres Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 213 ff; Wehinger Kollektivbeleidigung Volksverhetzung, S. 81 ff; nach Kargl Jura 2001 176, 181 meint öffentlicher Frieden nur den Rechtsfrieden, der in der Gewährleistung des Vollzugs derjenigen Maßnahmen liegt, die das Strafgesetz für Rechtsverletzungen vorsieht; krit. zur praktischen Bedeutung des Merkmals Fischer NStZ 1988 159; GA 1 9 8 9 4 4 5 ; Stegbauer NJ 2 0 0 5 225, 2 2 6 . 253

Vgl. BGHSt 4 7 278, 2 8 0 ; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Miebach/Schäfer MK Rdn. 16; krit. Kargt Jura 2 0 0 1 176, 182.

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Bericht, BTDrucks. III/1746, S. 3. Vgl. BGHSt 34 331 (zu § 126); 4 6 36, 42; 4 6 212, 221 f; 4 7 278, 2 8 0 f; BGH NJW 1978 58, 59; Berkemann/Hesselberger NJW 1972 1789, 1791. Vgl. BGHSt 4 7 278, 2 8 0 f. Vgl. BGHSt 4 6 212, 218; BGH NStZ-RR 2 0 0 6 305, 3 0 6 ; NStZ 2 0 0 7 216, 217; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Miebach /Schäfer MK Rdn. 17; Rudolphi/Stein SK Rdn. 10; Fischer Rdn. 13; Kudlich StV 2 0 0 1 397; Beisel NJW 1995 997, 999; aA Gallas FS Heinitz, S. 1 7 1 , 1 8 2 . BGHSt 34 329, 331 f (zu § 126); 46 212, 219; BGH N J W 2 0 0 5 689, 691; NStZ 2 0 0 7 216, 217; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben R d n . l l ; Miebach/Schäfer MK Rdn. 17; Fischer Rdn. 13; Ostendorf NK Rdn. 16; Hoffmann GA 2 0 0 2 385, 389; nach Gallas FS Heinitz, S. 182, Fn. 21 läuft diese Auslegung konstruktiv auf die Annahme „eines konkreten Gefährdungsdelikts in der Form eines Versuchsdelikts (unechten Unternehmensdelikts)" hinaus.

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und Diffamierung von Bevölkerungsteilen gekennzeichnet ist. 259 Die Eignung zur Friedensstörung darf nicht nur abstrakt bestehen, sie muss - wenn auch aufgrund generalisierender Betrachtungsweise - konkret festgestellt werden. 260 Dabei ist auf den voraussehbaren, wahrscheinlichen Geschehensablauf abzustellen. 261 Die Äußerung muss die angeführten Reaktionen vernünftigerweise erwarten lassen. 262 Daran kann es fehlen, wenn die Äußerung angesichts ihres Inhalts und ihres Verfassers vom aufgeschlossenen Teil der Öffentlichkeit nicht ernst genommen wird. 263 Ob dies allerdings bei der Veröffentlichung eines 100 Tages-Programms für eine zukünftige „Notstandsregierung" nach einer „Wiedereinsetzung des Deutschen Reiches" zu bejahen ist, das alle Ausländer von jeder Beschäftigung und von der Arbeitslosenversicherung ausschließen und ausweisen will, erscheint im Hinblick auf die erhebliche Steigerung rechtsextremistisch motivierter Kriminalität fraglich. 264 Die Verhetzung eines bereits aufnahmebereiten Publikums genügt für die Eignung zur 6 5 Friedensstörung. 265 Sie wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Eintritt einer friedensstörenden Beunruhigung dadurch verhindert wird, dass das Bekanntwerden der Äußerung durch Dritte unterbunden wird, etwa durch alsbaldige Verbringung eines mit verhetzenden Parolen besprühten Pkw unter polizeilichen Verschluss. 266 Unter dem Blickwinkel bloßer konkreter Eignung ist es auch unerheblich, dass eine volksverhetzende Aufkleberaktion letztlich „keine große Resonanz" hatte und „kein großes Aufsehen" erregte. 267 Maßgeblich ist insoweit eine objektivierte Ex-ante-Prognose aus Sicht eines verständigen Betrachters, wobei nachträglich eintretende Umstände als Indizien für die Beurteilung herangezogen werden können. Dabei stellt die Rechtsprechung insbesondere darauf ab, welche Reaktionen die Äußerungen in der Öffentlichkeit hervorgerufen haben 2 6 8 Die Beurteilung, ob die Tathandlung konkret geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu 6 6 stören, setzt eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände voraus. Maßgebliche Kriterien sind zunächst die inhaltliche Intensität und die Art des Angriffs, z.B. das bedrohliche Skandieren von ausländerfeindlichen Parolen aus einer rechtsextremistischen Ansammlung heraus 269 oder die Aufhängung eines ausländerfeindlichen Pamphlets aus-

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Vgl. BGHSt 29 26, 27; 46 212, 219; BGH NJW 1978 58, 59; 1987 1898; NStZ-RR 2006 305, 306; NStZ 2007 216, 217; OLG Celle NJW 1970 2257; OLG Hamburg NJW 1975 1088; OLG Koblenz MDR 1977 334; OLG Schleswig MDR 1978 333; OLG Braunschweig NJW 1978 2046; OLG Düsseldorf NJW 1986 2518, 2519; OLG Koblenz StV 1985 15, 16. Vgl. BGHSt 46 212, 218; BGH NStZ 2007 216, 217. Vgl. BGHSt 34 329, 332 zu § 126. BGH NJW 2005 689, 691. Vgl. BGH NStZ 2007 216, 217. Krit. auch Stegbauer NStZ 2008 73, 78. Vgl. OLG Koblenz StV 1985 15, 16 und MDR 1977 334; Fischer Rdn. 13; Katholnigg NStZ 1986 555; aA OLG Karlsruhe NStZ 1986 363 m. Anm. Otto; LG Bochum NJW 1989 728.

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Vgl. OLG Koblenz MDR 1977 334; Rudolphi/Stein SK Rdn. 10. BGH 3 StR 449/84 vom 14.11.1984. BGH NJW 2005 689, 691 (abstellend auf die scharfen Angriffe anwesender Journalisten in der Presse und die Reaktion eines Versammlungsteilnehmers); BGHSt 46 36, 42 (abstellend auf Presseberichte und den Eingang zahlreicher Strafanzeigen); BGHSt 47 278, 282 (Beobachtung der Hauptverhandlung durch die Öffentlichkeit und Presse); OLG Brandenburg NJW 2002 1440, 1441 (Verständigung der Polizei durch mehrere Personen); Fischer Rdn. 13; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 10 bzgl. der Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände. Vgl. OLG Hamm NStZ 1995 136,137; vgl. auch OLG Brandenburg NJW 2002 1440, 1442.

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gerechnet in einem Ausländeramt. 2 7 0 Der möglichen Breitenwirkung der verhetzenden Äußerung kommt ein nicht unmaßgebliches Indiz zu. 2 7 1 Zu berücksichtigen sind auch Art und Zusammensetzung des Kreises der unmittelbaren Erklärungsempfänger, 2 7 2 deren besondere Empfänglichkeit für tendenziöse politische oder polemische Beeinflussung 2 7 3 oder deren einheitlicher intellektueller kritischer Standard. 2 7 4 Mit einzubeziehen sind gruppenbezogene Umstände wie die Größe der betroffenen Gruppe, ihre Homogenität, die Art der sie bestimmenden Unterscheidungsmerkmale, die ihr in der Gesellschaft zukommende Stellung, das Integrationsmoment, insbesondere die aufgedrängte Randständigkeit, das Ausmaß der faktischen Ausgrenzung in der Bevölkerung und ob ihr im Hinblick auf ein offenes oder latentes Gewaltpotential eine gefährdete Position in der Gesellschaft zukommt. Weitere Kriterien sind die Empfänglichkeit der Öffentlichkeit für derartige Angriffe aufgrund des politischen Klimas und der gesellschaftlichen Situation zur Zeit der Tat, Bezüge zu den die Bevölkerung oder die Bevölkerungsteile beunruhigenden radikalen Strömungen und Erscheinungen neonazistischer, rassistischer oder fremdenfeindseliger A r t 2 7 5 oder eine Verknüpfung mit geschichtlichen Bezügen und Erfahrungen. 2 7 6 Eine gleich geartete verhetzende Äußerung kann in ihrer Ausrichtung gegen eine bestimmte Gruppierung zur Störung des öffentlichen Friedens nicht geeignet sein, als Angriff gegen Juden, Ausländer oder Asylanten die vorausgesetzte Eignung dagegen aufweisen. 2 7 7 Zu berücksichtigen sind auch Besonderheiten in der Person des Urhebers der Äußerung, z.B. die für Dritte erkennbare Äußerung eines Jugendlichen; 2 7 8 die Unauffälligkeit einer bildhaften Äußerung (Collage) innerhalb einer Vielzahl von gleich gearteten, nicht anstößigen Darstellungen 2 7 9 oder der Verwendungszweck einer vergegenständlichten Äußerung im Rahmen pädagogischer Arbeit. 2 8 0 Bei Druckschriften spielen neben der inhaltlichen Aussage an sich auch sonstige begleitende öffentliche Äußerungen des Verfassers eine Rolle. 2 8 1 Bezogen auf die im Mittelpunkt der Vorschrift stehenden Minderheiten wird die Gefahr der Erzeugung aggressiver Tendenzen gegenüber staatlichen Funktionsträgern in der Regel wesentlich geringer erscheinen, weshalb in diesen Fällen der für die Eignung zur Friedensstörung erforderliche Gefahrengrenzwert nicht zu tief angesetzt werden darf. 2 8 2

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Vgl. BayObLG NJW 1995 146. Vgl. OLG Köln NJW 1981 1280, 1281; 1982 657 (zu § 166); OLG Düsseldorf NJW 1986 2518, 2519; vgl. auch BGHSt 46 212, 219 zur Veröffentlichung im Internet; einschränkend aber BGH NStZ 2007 216, 217. OLG Köln NJW 1981 1280, 1281. LG Frankfurt NJW 1988 2683, 2685; vgl. auch OLG Zweibrücken NStZ 1994 490, 491 (besondere Empfänglichkeit von Jugendlichen). LG Bochum NJW 1989 728. BGH 3 StR 449/84 vom 14.11.1984; vgl. auch OLG Brandenburg NJW 2002 1440, 1441. BGHSt 16 49, 57; BGH NStZ 1981 258; OLG Schleswig MDR 1978 333.

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Zur Ausländer- und Asylantenhetze vgl. BayObLG NJW 1994 952; 1995 145; Frankfurt NJW 1995 143; OLG Hamm NStZ 1995 136; OLG Brandenburg NJW 2002 1440; LG Hannover NdsRpfl 1995 10; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Miebach/Schäfer MK Rdn. 18; s.a. Streng FS Lackner, S. 501, 518 ff, jedoch m. abw. Zuordnung. OLG Koblenz StV 1985 15. Vgl. OLG Koblenz StV 1985 15. Vgl. Giehring StV 1985 30, 35. BGH 2 StR 508/76 vom 11.11.1976. Vgl. Giehring StV 1985 30, 32, 35; Sch/ Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11.

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Die Eignung zur Friedensstörung setzt nicht voraus, dass die Tat öffentlich begangen wird. 2 8 3 Die betroffene Bevölkerungsgruppe muss auch nicht von der Äußerung erfahren. 2 8 4 Maßgeblich ist vielmehr, ob nach den konkreten Umständen damit zu rechnen ist, der Angriff werde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt werden oder die Kundgabe werde zum Gegenstand öffentlicher, friedensstörender Auseinandersetzung gemacht werden. 2 8 5 Unter diesen Voraussetzungen genügen Äußerungen in einem Gastzimmer oder in einem Eisenbahnabteil, 2 8 6 die Flüsterpropaganda oder das Handeln im Untergrund, 2 8 7 das Aufhängen einer vergegenständlichten Äußerung (Collage) in einem Gemeindezentrum, 2 8 8 Äußerungen in einer Hauptverhandlung 2 8 9 oder Äußerungen gegenüber einem Einzelnen. 2 9 0 In Betracht kommen auch Äußerungen gegenüber einem unmittelbar Betroffenen, wenn zu erwarten ist, dass sich dieser aus Empörung oder Sorge an die Öffentlichkeit wenden wird. 2 9 1 Ausreichend sind Zuschriften an einen nicht näher begrenzten Kreis von Privatpersonen, von deren Diskretion nicht auszugehen i s t ; 2 9 2 auch Briefe an Empfänger, von denen nach den konkreten Gegebenheiten zu erwarten steht, dass sie über den Briefinhalt die Presse informieren. 2 9 3

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Bei der Zuleitung von Leserbriefen und sonstigen Zuschriften an eine Zeitungsredaktion - ohne die Redakteure zu kennen oder ihnen nahe zu stehen - hat sich der Verfasser des Zuschrifteninhalts entäußert und sich seiner Einflussmöglichkeit, wie mit der Zuschrift weiter verfahren wird, begeben; er ist aus dem engen, Diskretion indizierenden Kreis, aus der zwischen zwei individuellen Briefpartnern üblichen geschlossenen Sphäre herausgetreten, 2 9 4 weshalb mit einer breiteren Öffentlichkeitswirkung regelmäßig zu rechnen ist. 2 9 5 Die potentielle Gefährdung zur Störung des öffentlichen Friedens entfällt nicht deshalb, weil ein friedensstörender Erfolg nur infolge Absehens von einer publizistischen Verwertung der volksverhetzenden Zuschrift ausgeblieben ist. 2 9 6 Bei einem rassistisch-volksverhetzenden Leserbrief wird sich die Eignung zur Friedensstörung regelmäßig auch dann aufdrängen, wenn kein kommentarloser Abdruck, sondern eine kritisch-ablehnende Berichterstattung zu erwarten steht. 2 9 7 Bei der Entäußerung des Zuschrifteninhalts an ein ausländisches Presseorgan kommt eine Eignung zur Friedensstörung in der Bundesrepublik Deutschland allenfalls dann in Betracht, wenn konkret zu

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Vgl. BGHSt 29 26, 27; 34 329, 332; OLG Celle NJW 1970 2257; OLG Hamburg MDR 1981 71; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 11; Miebach/Schäfer MK Rdn. 19. OLG Koblenz MDR 1977 334, 335. BGH bei Schmidt MDR 1981 974; NJW 1987 1898; OLG Köln NJW 1982 657; OLG Celle NStZ 1998 88, 89; KG JR 1998 213, 216; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 11. OLG Celle NJW 1970 2257. Schafheutie JZ 1960 470, 472. OLG Koblenz StV 1985 15. Vgl. BGHSt 46 36, 42. BGHSt 29 26, 27. Vgl. OLG Hamburg MDR 1981 71. BGH 3 StR 440/80 vom 14.1.1981 (in NStZ

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1981 258 und bei Holtz MDR 1981 453 nicht abgedruckt). Vgl. BGH 3 StR 193/80 vom 19.5.1980; einschränkend für eine Zuschrift an eine deutsche Auslandsvertretung bei zu erwartender Weiterleitung an ausländische Presseorgane BGH bei Schmidt MDR 1981 92. Vgl. Wagner JR 1980 121. Vgl. OLG Hamburg NJW 1975 1088; OLG Schleswig MDR 1978 333; Geilen NJW 1976 279, 280. Vgl. Hoyer Eignungsdelikte, S. 142; Wagner JR 1980 120. Vgl. BGHSt 29 26, 27 m. Anm. Wagner JR 1980 120; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 11; Miebach /Schäfer MK Rdn. 19; Rudolphi/Stein SK Rdn. 11; aA Ostendorf NK Rdn. 17.

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erwarten stünde, dass die ausländische Presseveröffentlichung zu einer friedensstörenden Erörterung in der deutschen Presse führen könnte. 2 9 8 70

Beim Versenden von Mitteilungen per SMS oder E-Mail gelten dieselben Grundsätze. Die Versendung an einzelne Empfänger kann ausreichen, wenn der Absender nicht auf deren Diskretion vertrauen kann und deshalb damit rechnen muss, dass der Inhalt einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird. 2 9 9 Werden Texte abrufbar ins Internet gestellt, so ist regelmäßig davon auszugehen, dass sie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt werden. 3 0 0 Eine Äußerung kann deshalb auch dann konkret zur Friedensstörung in Deutschland geeignet sein, wenn sie auf einem ausländischen Server in das Internet eingestellt wird, der Internetnutzern in Deutschland zugänglich ist. 3 0 1 Im Hinblick auf die inflationäre Einstellung von Nachrichten in das Internet und der Abrufbarkeit für jedermann hat der Bundesgerichtshof neuerdings allerdings Zweifel geäußert, ob allein die Wahrnehmbarkeitsbreite der Nachricht für eine konkrete Eignung zur Friedensstörung ausreichend i s t . 3 0 2

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Eine Eignung ist bejaht worden bei Aufklebern mit volksverhetzenden Parolen an Wandertafeln, Schaukästen und öffentlichen G e b ä u d e n ; 3 0 3 der Anbringung eines beschrifteten Tuchs mit Parolen an der Außenwand eines Wohnhauses; 3 0 4 der Beschimpfung von „Negern" in einem Leserbrief; 3 0 5 der Verteilung von Flugblättern mit der Beschimpfung von Soldaten als „bezahlten Berufsmördern"; 3 0 6 bei Asylbetrüger-Pamp h l e t e n ; 3 0 7 der Beschimpfung als Sozialparasiten; 3 0 8 der qualifizierten Auschwitz-Leugn u n g ; 3 0 9 der Skandierung ausländerfeindlicher Parolen wie „Sieg heil", „Ausländer raus", „Hoch die nationale Solidarität", „Deutschland den Deutschen". 3 1 0

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Die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens wird in der Literatur zum Teil stark relativiert, indem ausschließlich auf die Öffentlichkeitswirksamkeit abgestellt wird; 3 1 1 zum Teil wird dem Merkmal jegliche Relevanz abgesprochen. 3 1 2 In der Tat beschränkt sich die Praxis verschiedentlich auf die

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Vgl. BGH 3 StR 193/80 vom 19.5.1980. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Miebach/Schäfer MK Rdn. 20; einschränkend Hörnle NStZ 2002 113, 117, wonach die Anzahl der Empfänger grundsätzlich einen kritischen Wert überschritten haben muss. BGHSt 46 212, 219 m. Anm. Hörnle NStZ 2001 309; Clauß MMR 2001 232; Vassilaki CR 2001 262; krit. Heghmanns JA 2001 276; KuJlich StV 2001 397; Sieber ZRP 2001 97; vgl. auch Klengel/Heckler CR 2001 243, 245; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238, 240 zu § 166; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 11; Miebach/Schäfer MK Rdn. 20. BGHSt 46 212, 219; zweifelnd im konkreten Fall Vassilaki CR 2001 262, 264. BGH NStZ 2007 216, 217. BGH 3 StR 449/84 vom 14.11.1984. BGHR StGB § 130 Bevölkerungsteil 1.

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OLG Hamburg NJW 1975 1088 m. Anm. Geilen NJW 1976 279. Vgl. OLG Koblenz StV 1985 15, 16; OLG Düsseldorf NJW 1986 2518; krit. Giehring StV 1985 35; abl. bzgl. der Parole „Soldaten sind Mörder": Lackner/Kühl Rdn. 10; Sehl Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11. BayObLG NJW 1995 145; OLG Frankfurt NJW 1995 143; KG JR 1998 213,216. OLG Frankfurt NStZ-RR 2000 368; krit. Kargl Jura 2001 176, 181. BGHSt 46 212, 219 ff m. Anm. Jeßberger JR 2001 432; BGHSt 36 42; BGH NStZ-RR 2006 305; vgl. auch BGH NJW 2005 689, 691. OLG Brandenburg NJW 2002 1440, 1441. Vgl. Stegbauer NStZ 2000 281, 285 f. Vgl. Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 66; vgl. auch Fischer GA 1989 451 ff und NStZ 1988 1630.

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§ 130

Feststellung der Öffentlichkeit der Äußerung 313 und erscheinen darüber hinausgehende Begründungen (notgedrungen) zum Teil knapp und formelhaft. 314 Auch wenn der Bundesgerichtshof davon ausgeht, ein Gegenbeweis sei in Einzelfällen möglich, 315 werden Beweiserhebungen über zu erwartende gesellschaftliche Entwicklungen kaum angestellt und dürften Feststellungen in gesicherter Form auch schwer zu treffen sein. 316 Gleichwohl geht es zu weit, der Eignungsklausel jegliche Bedeutung abzusprechen. Auch die Reduktion auf die bloße Öffentlichkeitsfähigkeit der Äußerung wird der Eignungsklausel nicht gerecht. 317 Vielmehr ist eine Gesamtabwägung aller entscheidungserheblicher Umstände im Einzelfall vorzunehmen und anhand dieser Umstände festzustellen, ob die Äußerung über die Öffentlichkeitswirksamkeit hinaus tatsächlich geeignet ist, eine unruhestiftende Wirkung hervorzurufen. Insoweit kommt dem Tatbestandsmerkmal jedenfalls die Bedeutung zu, eine Mindestintensität bzw. eine bestimmte Handlungsqualität der Tathandlung festzustellen. 318

Π. Verbreitung von Schriften und von Darbietungen durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste (Absatz 2 ) Die durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 neu geschaffene Regelung ist eine Umgestaltung und Erweiterung der Rassenhetzevorschrift des § 131 a.F. Sie ist in Nummer 1 als Schriftenverbreitungstatbestand ausgestaltet 319 und erfasst exzessive Formen diskriminierender Schriftenpropaganda. Nummer 2 stellt den Schriften Darbietungen durch Rundfunk, Medien- und Teledienste gleich. Die Norm will vor allem der Schaffung oder Intensivierung eines für fremdenfeindliche Aktionen gedeihlichen Klimas und einer für die betroffenen Gruppen gefährlichen emotionellen Aufladung entgegenwirken und hat den Charakter eines allgemeinen Anti-Diskriminierungstatbestandes. 320 Im Gegensatz zu Absatz 1 ist die Feststellung einer Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens nicht erforderlich. Es handelt sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. 321

73

1. Angriffsobjekt. Angriffsobjekt sind nicht nur - wie in Absatz 1 - Teile der (inländischen) Bevölkerung (vgl. Rdn. 2 6 ff), sondern auch nationale, rassische, religiöse und durch ihr Volkstum bestimmte Gruppen.

74

Eine Gruppe ist eine durch gemeinsame Merkmale und deren subjektive Entsprechung verbundene Mehrzahl von Menschen, die sich hierdurch von den anderen abhebt. Die gemeinsamen Merkmale können in nationalem, rassischem, religiösem oder ethnischem Zusammenhang stehen oder durch das sonstige Volkstum begründet sein. Der in § 131 a.F. verwendete, die Angriffsrichtung begrenzende Begriff „Rassenhass" ist wegen

75

313

314

315 316

317

Vgl. BGHSt 2 9 2 6 , 2 7 ; 4 6 36, 42; 4 6 212, 219; BGH NStZ-RR 2 0 0 6 305. Vgl. Giehring StV 1985 30, 35; krit. auch Schubert Verbotene Worte? S. 203. BGHSt 4 6 218. Vgl. auch Streng J Z 2 0 0 1 205, 2 0 6 ; Fischer Rdn. 14. Vgl. auch Lackner/Kühl Rdn. 10; aA Streng FS Lackner, S. 501, 514 ff; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 V Rdn. 58, 62.

318

319 320

321

Vgl. Streng J Z 2 0 0 1 205, 2 0 6 ; ähnlich Fischer Rdn. 14a (Wertung unter Heranziehung von Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit auf der Basis einer Strafwürdigkeitsbeurteilung). Vgl. BGHSt 3 6 363, 370. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Miebach/Schäfer MK Rdn. 50; König/Seitz NStZ 1995 1, 3. Miebach/Schäfer MK Rdn. 9.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

seiner Unschärfe und seines unzureichenden Erfassungsbereichs in Absatz 2 nicht übernommen, sondern durch die Terminologie des § 6 VStGB (§ 220a a.F.) ersetzt worden. 3 2 2 Das frühere Merkmal „Rassenhass" stützte sich nicht auf eine wissenschaftlich gesicherte, streng biologisch-anthropologische Abgrenzung des Rassenbegriffs; seine inhaltliche Bestimmung knüpfte vielmehr - mit der Folge von Auslegungsproblemen 3 2 3 in weitergehendem Sinne an die Begriffswelt rassischer Ideologien an. Dagegen ist das Gruppenmerkmal „rassisch" nunmehr ausschließlich nach den Erkenntnissen der dafür zuständigen Fachwissenschaften zu bestimmen. 324 Wesentliche Kriterien der rassischen Gruppe sind nach h.M. vererbliche grundlegende äußere Merkmale. 3 2 5 Die Gruppeneinbindung braucht nicht auf demselben Merkmal zu beruhen; sie kann bei einem Teil der Zugehörigen durch religiöse Aspekte, bei einem anderen Teil durch volkstumsmäßige/ ethnische Ausprägungen oder Besonderheiten bestimmt sein. 326 Ein räumlicher oder organisatorischer Zusammenhang innerhalb dieser Gruppen ist nicht erforderlich. 327 Bloße gemeinsame politische oder wirtschaftliche Interessen reichen als gruppenkonstituierendes Bindeglied aber nicht aus. 328 Ebensowenig werden Staaten, die „Dritte Welt" oder die „Entwicklungsländer" als eine Sammelbezeichnung von Staaten von der Norm erfasst. 329 76

Soweit es sich bei der durch die abschließend genannten Merkmale bestimmten Gruppe um eine inländische mit entsprechender Größe handelt, wird sie bereits von dem Merkmal „Teile der Bevölkerung" als Oberbegriff erfasst. Absatz 2 geht jedoch insofern weiter, als er keine Beschränkung auf das Inland enthält und damit - in Einklang mit der Vorläuferfassung des § 131 - auch Gruppen schützt, deren Angehörige sich ausschließlich im Ausland aufhalten. 330

77

2. Angriffsmittel. Tatmittel sind bei Nummer 1 Schriften, bei Nummer 2 Darbietungen im Rundfunk sowie in Medien- oder Telediensten. a) Schriften

78

aa) Begriff. Schriften sind Erzeugnisse i.S. von § 11 Abs. 3. Diese Vorschrift bestimmt, dass mit dem Rechtsbegriff „Schriften" zugleich Ton- und Bildträger (CD mit Liedtexten), 331 Datenspeicher (z.B. auf der Festplatte gespeicherte Daten, ins Internet eingestellte Texte), 3 3 2 Abbildungen und andere Darstellungen gemeint sind. 333 Erfasst werden auch vorkonstitutionelle Schriften etwa aus der NS-Zeit. 3 3 4

322

323

Vgl. BTDrucks. 12/6853, S. 24; Fischer Rdn. 15. Vgl. BGH NStZ 1981 2 5 8 ; OLG Köln NJW 1981 1280, 1281; OLG Hamm NStZ 1981

330

Rdn. 12; Rudolphi/Stein SK Rdn. 14; krit.

262. 324

32s 326 327

328 329

Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Miebach/Schäfer MK Rdn. 5 2 . Kreß MK § 2 2 0 a / § 6 VStGB Rdn. 41. Vgl. Jähnke LK 1 0 § 2 2 0 a Rdn. 9. Miebach/Schäfer MK Rdn. 52; Kreß MK § 2 2 0 a / § 6 VStGB Rdn. 35. Rudolphi/Stein SK Rdn. 14. Vgl. BayObLG NJW 1990 2479, 2 4 8 0 m. Anm. Horn J R 1991 83; Miebach/Schäfer MK Rdn. 52; aA Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 13.

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BTDrucks. 12/6853, S. 24; s.a. Prot. VI/1893; Miebach/Schäfer MK Rdn. 52; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben

331

332

333 334

hierzu Nehm RAusschProt. 12/120, S. 135; König/Seitz NStZ 1995 1, 3; Popp JR 1998 80, 81; vgl. auch Fischer Rdn. 15. Vgl. BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 4 5 8 ; BayObLG J R 2 0 0 2 347. BGHSt 4 6 212, 216; 4 7 55, 58; BGH NStZ 2 0 0 7 216, 217. Vgl. Hilgendorf LK § 11 Rdn. 115 ff. OLG Celle NStZ 1997 4 9 5 m. Anm. Popp JR 1998 80; Rudolphi/Stein SK Rdn. 14; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 209.

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bb) Inhalt. Die tatbestandlich vorausgesetzten und für den Schrifteninhalt maßgebliehen Angriffsformen entsprechen denen des Absatzes 1. Bestimmender Inhalt der Schrift müssen nach ihrem objektiven Sinngehalt sein:

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(1) Aufstacheln zum Hass. In dieser Alternative ist der Rassenhetzetatbestand des § 131 a.F. und sein Einzugsbereich aufgegangen. Unter Aufstacheln ist wie bei Absatz 1 ein gesteigertes Aufreizen bzw. Aufhetzen zu verstehen (vgl. Rdn. 3 8 ) . 3 3 5 Das hasserzeugende Moment in der Schrift oder Darstellung, deren hassschürende gruppenhetzerische Tendenz, muss für den Leser/Betrachter aus dem objektiven Erklärungsinhalt augenfällig sein. Unerheblich ist, wenn die dargestellte (angebliche) Eigenschaft oder Besonderheit nach der Vorstellung des Täters - aus der gleichen negativen Motivation heraus auch gegenüber nicht gruppenzugehörigen Personen verwendet werden könnte. 3 3 6 Wesentliche Erscheinungsformen des Tatbestands sind vor allem juden-, ausländer- und minderheitenfeindliche Propaganda in Form von pauschalen Diffamierungen und Diskriminierung e n . 3 3 7 Diese orientiert sich oftmals an der Begriffswelt rassischer Ideologien, nach denen gruppenspezifisch biologische/anthropologische Besonderheiten als Ursache unterschiedlicher Wertigkeit postuliert und biologisch-anthropologische Begründungen gezielt zur Grundlage einer Abqualifizierung als minderwertig gemacht werden. 3 3 8 Tatbestandserheblich sind vor allem diskriminierende Hetzschriften aus der N S - Z e i t 3 3 9 sowie der rechtsextremen neonazistischen Szene. Darunter fallen z.B. schriftliches Aufhetzen zum „Neger klatschen", rassistische Lieder von neonazistischen Skinhead-Rockbands oder agitative Texte, die von einem rechtsradikalen Info-Telefon für beliebige Fernsprechteilnehmer abrufbar sind. Ein Plakat mit einem aufreißerisch dargestellten „Negerkopf" und der Aufschrift „Statt Abtreibung in Deutschland - Kondome für die Dritte W e l t " soll dagegen noch kein Aufstacheln zum Hass sein. 3 4 0

80

(2) Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen. Das Tatbestandsmerkmal der Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen entspricht demjenigen des Absatzes 1 (vgl. Rdn. 4 3 ff). Der Appell zur Realisierung durch einen Erklärungsadressaten muss sich dem verständigen Leser aus dem imperativen Wortlaut oder aus dem objektiven Aussagegehalt der Schrift deutlich offenbaren. Für das Merkmal der Gewalt- oder Willkürmaßnahmen - ein auch in § 2 3 4 a und § 2 4 1 a verwendeter Begriff - ist kennzeichnend, dass sich die angesonnenen Maßnahmen nach den in der Schrift objektivierten Zwecken und Tendenzen nicht an die Gebote und Grundsätze der Gerechtigkeit und Menschlichkeit halten werden. 3 4 1

81

(3) Angriff auf die Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden. Insoweit kann auf die Ausführungen zum identischen Tatbestandsmerkmal in Absatz 1 Bezug genommen werden (Rdn. 4 6 ff). Nicht erfasst werden mittels schriftlicher Propaganda geführte Auseinandersetzungen legaler politischer Art,

82

335

336

337

Vgl. auch LG Köln NStZ 1981 261; BayObLG NJW 1990 2479, 2480 zu § 131; Prot. VI/1796, 1893 f. Vgl. OLG Hamm NStZ 1981 262 zu § 131 a.F. Vgl. BTDrucks. 12/6853, S. 23 f; BGH MDR 1981 453 u. 974; NStZ 1981 258; Emmerich/Würkner NJW 1986 1195, 1200.

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339

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341

Vgl. BGH NStZ 1981 258; OLG Köln NJW 1981 1281. Vgl. Bottke Buch und Bibliothek 32 (1980) 254, 259. BayObLG NJW 1990 2479 m. Anm. Horn JR 1991 83; aA Miebach/Schäfer MK Rdn. 58. Vgl. BGHSt 1 392.

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etwa über soziale oder Wirtschaftsfragen, selbst wenn diese in überhitzter Atmosphäre zu gewissen Auswüchsen führen. 3 4 2 83

(4) Auslegung. Maßgeblich für die Auslegung der Schrift/Darstellung ist deren objektiver Sinngehalt, Zweck und Erklärungswert, wie sie von einem verständigen, unvoreingenommenen Durchschnittsleser oder -hörer verstanden werden. Ob die Schrift die inhaltlichen Anforderungen des objektiven Tatbestands erfüllt, muss sich in erster Linie aus ihr selbst ergeben. Umstände außerhalb der Schrift wie Motive, Absichten, Vorstellungen, Ziele und Neigungen des Verfassers, Verlegers, Herstellers oder Verbreiters bleiben entsprechend dem Deliktscharakter als Verbreitungsdelikt außer Betracht. 3 4 3 Erfordert das Tatbestandsmerkmal subjektive Zielsetzungen wie das Aufstacheln zum Hass, müssen diese aus der Schrift zum Ausdruck kommen. Sie müssen zumindest zwischen den Zeilen erkennbar sein. 3 4 4 Bei Verbreitung von Flugblättern, Postern oder Plakaten kann der inhaltliche Aussagewert gegebenenfalls aus dem Zusammenhang zwischen bildlicher Darstellung und Text entnommen werden. 3 4 5 Lässt eine Äußerung mehrere Deutungen zu, von denen nur eine strafbar ist, so darf die zur Bestrafung führende Interpretation nur zugrunde gelegt werden, wenn die anderen Deutungsmöglichkeiten, insbesondere solche, die mit der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) vereinbar wären, mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können. 3 4 6

84

b) Darbietungen im Rundfunk, in Medien- oder Telediensten. Absatz 2 Nr. 2 stellt den Schriften Darbietungen, die durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste verbreitet werden, gleich. Diese Tatbestandsmerkmale sind im gleichen Sinne zu verstehen wie diejenigen in § 184d, der durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vom 27. Dezember 2 0 0 3 (BGBl. I 3007) als § 184c eingefügt und durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der EU zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31. Oktober 2 0 0 8 (BGBl. I 2149) umnummeriert wurde. Im Gegensatz zu Schriften, bei denen Gedankeninhalte zumindest vorübergehend auf einem körperlichen Medium fixiert oder gespeichert sind und daher weitergegeben werden können, sind Darbietungen i.S. der Nummer 2 nur Live-Darbietungen, also jede Form der flüchtigen Kundgabe von Gedankeninhalten, die der Kenntnisnahme während des Kundgabeverlaufs dienen wie etwa die Aufführung von Theaterstücken, Hörspielen, Lesungen, Reden usw. 3 4 7 Reproduktionen von Ton- oder Bildträgern werden nicht erfasst. 3 4 8

85

Unter den weit auszulegenden Begriff des Rundfunks fallen der öffentlich-rechtliche und der privatrechtliche Hör- und Fernsehfunk, 3 4 9 nach h.M. aber nicht der Amateurfunk. 3 5 0 Auf die Art der Übertragung - Satellit, Funk oder Datenleitungen - kommt es

342 343

344

345 346

347

Vgl. BTDrucks. 12/6853, S. 2 4 . BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 4 5 8 ; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 14; Miebach/Schäfer MK Rdn. 5 7 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 14. BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 458. Vgl. BayObLG N J W 1990 2 4 7 9 , 2 4 8 0 . BVerfG NJW 1994 2 9 4 3 ; BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 458. Fischer § 184d Rdn. 2 f und § 130 Rdn. 19; Rudolphi/Stein SK Rdn. 17; Sch/Schröder/

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348

349

350

Lenckner/Perron/Eisele § 184c Rdn. 4; Beisel N J W 1995 997, 9 9 9 ; vgl. auch BTDrucks. 15/350 S. 21. Fischer § 184d Rdn. 3; aA Miebach/Schäfer MK Rdn. 61. Sch/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184c Rdn. 3. Fischer § 184d Rdn. 4; Rudolphi/Stein SK Rdn. 17; aA Hörnle MK § 184c Rdn. 6; Sch/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184c Rdn. 3.

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nicht an. 3 5 1 Die Begriffe Tele- und Mediendienste knüpfen an die Begriffsdefinitionen des Teledienstgesetzes (§ 2 Abs. 1 T D G ) und des Mediendienste-Staatsvertrages (§ 2 Abs. 1 MDStV) an, die beide mit Wirkung vom 1. März 2 0 0 7 aufgehoben worden sind. 3 5 2 An deren Stelle trat das Telemediengesetz vom 2 6 . Februar 2 0 0 7 , 3 5 3 das die Tele- und Mediendienste unter dem Begriff „Telemedien" zusammengefasst hat. § 1 Abs. 1 T M G versteht unter Mediendienste alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste, soweit sie nicht Telekommunikation, die ganz in der Übertragung von Signalen bestehen, telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr. 2 5 des T K G oder Rundfunk sind. Keine Telemediendienste sind danach der herkömmliche Rundfunk, Live-Streaming (zusätzliche parallele/zeitgleiche Übertragung herkömmlicher Rundfunkprogramme über das Internet) und Webcasting (ausschließliche Übertragung herkömmlicher Rundfunkprogramme über das Internet). Auch die bloße Internet-Telefonie (Voice over Internet Protocol) fällt nicht unter die Telemediendienste, weil das bloße Telefonieren über das Internet keinen äußerlich erkennbaren Unterschied zur herkömmlichen leitungsgebundenen Telefonie aufweist. 3 5 4 Telekommunikationsdienste, die nur überwiegend in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, also neben der Übertragungsdienstleistung noch eine inhaltliche Dienstleistung anbieten, wie der Internet-Zugang oder die E-Mail-Übertragung sind dagegen auch Telemediendienste. 3 5 5 Erfasst werden also alle Informations- und Kommunikationsdienste, die nicht ausschließlich Telekommunikationsdienste oder Rundfunk sind und - sei es über Abruf- oder Verteildienste elektronisch in Form von Bild-, Text- oder Toninhalten zur Verfügung gestellt werden. Dies sind z.B. Online-Angebote von Waren/Dienstleistungen (Newsgroups, Chatrooms, elektronische Presse, Fernseh-/Radiotext) oder Video auf Abruf. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Diensteanbieter die Nutzung seiner Angebote ganz oder teilweise unentgeltlich oder gegen Entgelt ermöglicht oder ob es sich um Angebote privater oder öffentlicher Stellen handelt (§ 1 Abs. 1 Satz 2 T M G ) . 3 5 6

3. Tathandlungen a) Schriften (Absatz 2 Nr. 1). Im Gegensatz zum persönlichen Äußerungsdelikt des Absatzes 1 setzen die Tathandlungen des Absatzes 2 nicht voraus, dass der Täter sich den Inhalt der Schrift zu eigen macht. Absatz 2 erfasst daher auch die Publikation fremder Hetzschriften durch Verleger, Zeitungs- oder Rundfunkredakteure, Journalisten usw. 3 5 7

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aa) Verbreiten. Der Begriff des Verbreitens (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) wird in mehreren Straftatbeständen des StGB verwendet (vgl. u.a. §§ 74d, 86, 86a, 131, 184a, 184b, 184c). Verbreiten gem. § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) bedeutet die mit einer körperlichen Weitergabe der Schrift verbundene Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, die Schrift

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Scb/Schröder/Lenckner/Perrort/Eisele § 184c Rdn. 3; Fischer § 184d Rdn. 4; Hörnle MK § 184c Rdn. 6. 3 5 2 Art. 5 Satz 2 G v. 26.2.2007 (BGBl. I S. 179), Art. 2 StV v. 31.7.2006 (GVB1. S. 414). 353 Verkündet als Art. 1 ElektronischerGeschäftsverkehr-VereinheitlichungsG v. 26.2.2007 (BGBl. I S. 179), in Kraft getreten am 1.3.2007; vgl. hierzu Hoeren NJW 2007 801; Kitz ZUM 2007 368; zu den inhaltlich 351

354 355 356

357

unverändert übernommenen Vorgängervorschriften der § § 8 - 1 1 TDG vgl. Spindler NJW 2002 921; Hörnle NJW 2002 1008. GEntw BTDrucks. 16/3078, S. 13. GEntw BTDrucks. 16/3078, S. 13. Vgl. Sch/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rdn. 55, § 184c Rdn. 3. Rudolphi/Stein SK Rdn. 16; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Beisel NJW 1995 997, 999.

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ihrer Substanz nach - und nicht nur bezüglich ihres Inhalts - einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen, wobei dieser nach Zahl und Individualität so groß sein muss, dass er für den Täter nicht mehr kontrollierbar ist. 358 Nach Auffassung der Rechtsprechung reicht schon die Weitergabe eines Exemplars der Schrift aus, wenn dies mit dem Willen geschieht, der Empfänger werde die Schrift durch körperliche Weitergabe einem größeren Personenkreis zugänglich machen oder wenn der Täter mit einer Weitergabe an eine größere nicht mehr zu kontrollierende Zahl von Personen rechnet (Kettenverbreitung). 359 Bei der Aushändigung einer Vielzahl gleicher Exemplare an verschiedene Abnehmer (Mengenverbreitung) wird bereits verbreitet, wenn der Täter das erste Exemplar einer Mehrzahl von ihm zur Verbreitung bestimmter Schriften an einen einzelnen Bezieher abgegeben hat. Voraussetzung ist aber immer, dass an einen größeren und nicht (vom Täter) kontrollierbaren Personenkreis weitergegeben wird oder weitergegeben werden soll. Die Weitergabe an einzelne bestimmte Dritte allein erfüllt das Merkmal des Verbreitens nicht, wenn nicht feststeht, dass der Dritte seinerseits die Schrift an weitere Personen überlassen wird. Entscheidend ist, dass die Schrift so vielen Personen zugänglich gemacht wird, dass es sich bei den Empfängern um einen für den Täter nicht mehr kontrollierbaren Personenkreis handelt. 3 6 0 88

Bei Tonaufnahmen und Filmen reicht das Abspielen oder Vorführen vor einem größeren Personenkreis. 361 Dabei ist es gleichgültig, ob dieser Personenkreis zusammen anwesend ist oder entsprechend dem Vorhaben des Täters nach und nach bei mehreren Vorführungen zusammenkommt. Die Ausstrahlung von Radio- oder Fernsehsendungen reicht aus, wenn auf Ton- oder Bildträger gespeichertes Material gesendet wird. 3 6 2

89

Bezüglich der Datenübertragung im Internet geht der Bundesgerichtshof von einem spezifischen Verbreitensbegriff aus. 3 6 3 Wegen der vom Gesetzgeber vorgenommenen Gleichstellung des Datenspeichers (z.B. der elektronische Arbeitsspeicher) mit Schriften komme es nicht mehr darauf an, dass die Schrift ihrer Substanz nach - und damit körperlich - einem größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis zugänglich gemacht werde. Ein Verbreiten im Internet liege bereits dann vor, wenn die Datei auf dem Rechner des Internetnutzers - sei es im (flüchtigen) Arbeitsspeicher oder auf einem (permanenten) Speichermedium - angekommen sei. Dabei sei es unerheblich, ob dieser die Möglichkeit des Zugriffs auf die Daten genutzt oder ob der Anbieter die

358

359 360

Vgl. BGHSt 13 257, 258; 18 63, 64; 19 63, 70 f; BGH N J W 2005 689, 690, wo die Weitergabe von Pressemappen an zwei Journalisten nicht als Verbreiten angesehen wurde; vgl. auch OLG Thüringen NStZ 2004 628, 629 zum selben Sachverhalt; Rudolphi/Stein SK Rdn. 15; Sch/Schröder/ Lettckner/Perron/Eisele § 184b Rdn 5. BGH N J W 2005 689, 690. BGH N J W 2005 689, 690 m. krit. Anm. Stegbauer NJ 2005 225; vgl. auch BGHSt 13 257, 258; 19 63, 71; 47 55, 59; BGH M D R 1966 687; N J W 1999 1979, 1980 (insoweit in BGHSt 45 41 nicht abgedruckt); BayObLG NStZ 1983 120 ff m. Anm. Ketsch; NStZ 1996 436, 437; 2002 258, 259 m. Anm. Beisel JR 2002 348 und

490

361 362

363

abl. Anm. Schröder J Z 2002 412 f; OLG Frankfurt StV 1990 209; OLG Thüringen NStZ 2004 628; vgl. auch Laufhütte/ Kuschet LK § 86 Rdn. 19 ff; krit. Rudolphi/ Stein SK Rdn. 15. Laufhütte/Kuschel LK § 86 Rdn. 27. Laufhütte/Kuschel LK § 86 Rdn. 27; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 15. BGHSt 47 55 (zu § 184 Abs. 3 Nr. 1) m. krit. Anm. Gercke M M R 2001 678; Kudlich J Z 2002 310 f; Lindemann/Wachsmuth JR 2002 206; abl. Sch/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184b Rdn. 5; Rudolphi/Stein SK Rdn. 15; Stegbauer NStZ 2008 73, 78; krit. auch Fischer § 184 Rdn. 35, vgl. auch Körber Rechtsradikale Propaganda im Internet - der Fall Toben, S. 121.

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Daten übermittelt habe. 3 6 4 Danach spielt es für das Verbreiten keine Rolle, ob die Daten durch eine explizite Handlung des Anbieters zum Nutzer „geschickt" werden (Upload), oder der Nutzer angebotene Daten „abholt" (Download). Auch hier bedarf es jedoch der Intention des Täters, einer unbestimmten Zahl von Personen die Möglichkeit der Kenntnisnahme zu verschaffen. 365 Noch weitergehend bejaht der Bundesgerichtshof in einer neueren Entscheidung ein Verbreiten, wenn ein Text ins Internet eingestellt worden und unter einer bestimmten Internetadresse abrufbar und lesbar ist. 3 6 6 Das Versenden von E-Mails volksverhetzenden Inhalts ist ebenfalls ein Verbreiten i.S. von § 130 Absatz 2 Nr. l a . 3 6 7 bb) Zugänglichmachen. Die Tathandlung des Zugänglichmachens (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b) liegt vor, wenn einem anderen die Möglichkeit eröffnet wird, sich durch sinnliche Wahrnehmung vom Inhalt der Schrift Kenntnis zu verschaffen. Dies kann entweder durch Wahrnehmung des Erzeugnisses in seiner Substanz oder in seinem Inhalt geschehen. 368 Das Zugänglichmachen muss öffentlich erfolgen und ist dann gegeben, wenn die Möglichkeit der Wahrnehmung durch eine unbestimmte Vielzahl von - innerlich nicht notwendigerweise verbundenen - Personen eröffnet ist. 3 6 9 Dies kann auch dann zu bejahen sein, wenn zu einer Veranstaltung neben Delegierten nur Pressevertreter zugelassen sind, nicht aber sonstige Öffentlichkeit und die Schrift nur an Pressevertreter ausgegeben wird. 3 7 0 Ein Zugänglichmachen liegt bereits dann vor, wenn eine Datei zum Lesezugriff ins Internet gestellt wird. Ausreichend ist die bloße Zugriffsmöglichkeit, auf einen Zugriff des Internetnutzers kommt es nicht an. 3 7 1 Insoweit unterscheidet sich das Zugänglichmachen vom Verbreiten, bei dem der Nutzer die heruntergeladene Datei vervielfältigen und weitergeben kann. 3 7 2 Umstritten ist, ob derjenige, der Hyperlinks auf inkriminierte Internetinhalte setzt, die Tathandlung des Zugänglichmachens täterschaftlich verwirklicht oder sich nur in der Form der Beihilfe strafbar macht. 3 7 3 Da der Linksetzende das in Bezug genommene Internetangebot weder selbst öffentlich zum Abruf bereithält noch dieses selbst auf Abruf an Dritte übermittelt, sondern der Link ins Leere läuft, wenn die verlinkte Website gelöscht wird, dürfte in der Regel nur eine Beihilfe zu Verbreitungs- bzw. Weitergabedelikten in Betracht kommen (vgl. auch Rdn. 97). 3 7 4

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Vgl. BGHSt 4 7 55, 59. Gercke M M R 2 0 0 1 676. BGH NStZ 2 0 0 7 216, 217; krit. Stegbauer NStZ 2 0 0 8 73, 78. LG Traunstein 7 Ns 110 Js 4 3 2 9 3 / 0 4 vom 3 0 . 8 . 2 0 0 6 bei Stegbauer NStZ 2 0 0 8 73, 78; vgl. aber auch BayObLG M M R 2 0 0 0 758, 759 m. Anm. Bär, die ein Herunterladen der übermittelten E-Mail von dem Mailserver verlangen. BGH NJW 2 0 0 5 689, 690; NJW 1976 1984; Sch/Schröder/Letickner/Perron/Eisele § 184 Rdn. 9. BGH NJW 2 0 0 5 689, 690; vgl. auch BayObLG M M R 2 0 0 0 758, 759. BGH NJW 2 0 0 5 689, 690. BGHSt 4 7 55, 60; 4 6 212, 217; BGH NStZ

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2 0 0 7 216, 217; Hörnle N J W 2 0 0 2 1008, 1009. BGHSt 4 7 55, 60; Fischer § 184 Rdn. 3 4 ; Pelz wistra 1999 53, 54; krit. zur Einebnung des Unterschieds zwischen Verbreiten und Zugänglichmachen im Internet Gercke M M R 2 0 0 1 678, 679. Für Täterschaft: OLG Stuttgart M M R 2 0 0 6 387, 388 m. krit. Anm. Liesching. Vgl. BGH M M R 2 0 0 3 719, 723; Liesching M M R 2 0 0 6 3 9 0 , 391; Schwarzenegger FS Rehbinder (2002) S. 723, 7 3 3 ; Vassilaki CR 1999 85, 88; Ernst/Vassilaki/Wiebe Haftung für Hyperlinks (2002) Rdn. 324; Koch Internet-Recht (2005) S. 6 2 0 ; aA Koch M M R 1999 704, 7 0 8 f.

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cc) Öffentliches Ausstellen, Anschlagen und Vorführen. Diese Tathandlungen des § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b) sind Modalitäten des den Oberbegriff darstellenden Zugänglichmachens und wie in §§ 74d, 184 Abs. 1 Nr. 2, § 184b Abs. 1 Nr. 2 zu verstehen. 3 7 5 Sie zeichnen sich dadurch aus, dass der gedankliche oder bildliche Inhalt ohne Weitergabe der Sache selbst optisch oder akustisch wahrnehmbar gemacht wird.

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dd) Anbieten, Überlassen an eine Person unter achtzehn Jahren (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe c). Anbieten ist die einseitige, ausdrückliche oder stillschweigende Erklärung der Bereitschaft, den Gegenstand einem anderen entgeltlich oder unentgeltlich zu überlassen. 376 Die Annahme durch den Erklärungsempfänger ist nicht erforderlich. Das bloße Auslegen einer Schrift reicht aus; eine konkrete Individualisierung eines bestimmten Empfängers ist nicht erforderlich. 377 Überlassen ist die Besitzübertragung zu eigenem, wenn auch nur vorübergehendem Gebrauch. 378

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ee) Weitere Vorbereitungshandlungen. Die übrigen Handlungsmerkmale (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe d) entsprechen denjenigen des § 131 Abs. 1 Nr. 4, § 184 Abs. 1 Nr. 5, 8, 9 und sind wie diese zu interpretieren. 379 Der bloße Besitz oder das Sich-Verschaffen sind nicht strafbar; etwas anderes gilt aber beim Besitz einer Schrift zu dem in der Vorschrift genannten Zweck. Der Täter muss sich nicht persönlich am Verbreiten beteiligen; unerheblich ist auch, ob es überhaupt zu einem Verbreiten gekommen ist. Für das Vorrätighalten genügt der Besitz eines Exemplars, mit dem eine Verbreitung durch andere ermöglicht werden soll. 3 8 0 b) Verbreitung von Darbietungen (Absatz 2 Nr. 2)

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aa) Begriff. Absatz 2 Nr. 2 erfasst die Verbreitung von Darbietungen des in Nummer 1 genannten Inhalts durch Rundfunk, Medien- und Teledienste. Darunter ist jede Art der Übertragung an die Allgemeinheit zu verstehen, wobei das Zugänglich-Machen genügt. 381 Die Tat ist deshalb vollendet, wenn die Sendung empfangen werden kann. Da unter den Begriff der Darbietungen nur Live-Darbietungen fallen (siehe oben Rdn. 84), ist Verbreiten nur die Echtzeitübertragung, nicht aber die Ausstrahlung von Aufzeichnungen. 382

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bb) Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Diensteanbietern nach §§ 7 bis 10 TMG. Besonderheiten hinsichtlich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Tele- und Mediendiensteanbietern bei einer Verbreitung über das Internet ergeben sich aus ξ § 7 - 1 0 Telemediengesetz (TMG) vom 26. Februar 2007, 3 8 3 durch das die Vorschriften des Tele-

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Vgl. LK § 184. Vgl. BGHSt 34 94, 98; Fischer § 184 Rdn. 10. Vgl. AG München NStZ 1998 518; LG München N J W 2 0 0 0 1051; Schänke/ Schröder/Lenckner/Perron § 184 Rdn. 9; Erbs/Kohlhaas/Liesching § 15 JSchG Rdn. 5. Fischer § 184 Rdn. 10. Vgl. LK § 184; Laufhütte/Kuschel LK § 86 Rdn. 30 ff; Sch/Schröder/Lenckner/Perron/ Eisele § 184 Rdn. 6 ff, 4 2 ff. Vgl. BayObLG NStZ 2 0 0 2 2 5 8 f m. Anm.

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Beisel JA 2 0 0 2 348 und Schroeder J Z 2 0 0 2 412 f. 3 8 1 Vgl. Fischer § 184c Rdn. 5; Sch/Schröder/ Lenckner/Perron/Eisele § 184c Rdn. 5. 382 Rudolphi/Stein SK Rdn. 17; Sch/Schröder/ Lenckner/Perron/Eisele § 184c Rdn. 4. 383 Verkündet als Art. 1 ElektronischerGeschäftsverkehr-VereinheitlichungsG v. 2 6 . 2 . 2 0 0 7 (BGBl. I S. 179), in Kraft getreten am 1.3.2007; vgl. hierzu Hoeren NJW 2 0 0 7 801; Kitz Z U M 2 0 0 7 368.

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dienstgesetzes (TDG) vom 22. Juli 199 7 3 8 4 und des Mediendienste-Staatsvertrags vom 27. Juli 2001 3 8 5 zusammengeführt wurden. Die Bestimmungen über die Verantwortlichkeit (SS 7-10) wurden aus dem TDG (§ § 8 bis 11 TDG) und dem MDStV (§§ 6 bis 9 MDStV) unverändert übernommen. 386 Diensteanbieter kann jede natürliche oder juristische Person sein, die eigene oder 9 6 fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt, unabhängig davon, ob dies entgeltlich oder gegen Entgelt erfolgt (S 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1 TMG). Die Regelungen des T M G finden auch auf Privatpersonen Anwendung, die etwa eine Homepage erstellt haben. 3 8 7 Das Telemediengesetz modifiziert teilweise die allgemeinen strafrechtlichen Regelungen der Verantwortlichkeit, wobei dem Gesetz ein abgestuftes System der Haftung zugrundeliegt. Die allgemeinen Handlungs- und Beteiligungsregeln bleiben unberührt. Für eigene Informationen haftet der Anbieter (Content-Provider) uneingeschränkt 9 7 nach allgemeinem Recht (S 7 Abs. 1 TMG); insoweit ergeben sich keine Besonderheiten aus dem TMG. 3 8 8 Der Content-Provider installiert Daten auf einem eigenen Rechner oder dem Server eines anderen zur Nutzung durch beliebige andere Personen, die auf die Internet-Seiten zugreifen können. 3 8 9 Keine Rolle spielt, ob ihm Urheber- oder Verwertungsrechte an dem Material zustehen. 390 Eigene Informationen i.S. von S 7 Abs. 1 T M G sind Gedankeninhalte, die der Anbieter selbst erstellt hat oder hat erstellen lassen oder die er sich durch bewusste Übernahme zu eigen macht. 3 9 1 Wer volksverhetzendes Material ins Internet stellt, eröffnet die Möglichkeit der Kenntnisnahme und macht dieses öffentlich zugänglich. Auch derjenige, der innerhalb einer eigenen Datei Links zu einer Internet-Seite mit volksverhetzendem Inhalt setzt und damit diese zu einem eigenen Inhalt macht, für den er gem. S 7 Abs. 1 T M G verantwortlich ist, kann sich nach S 130 strafbar machen. 3 9 2 Eine Einschränkung der Verantwortlichkeit nach SS 8 ff T M G kommt nicht in Betracht, da der Gesetzgeber eine Bevorzugung für das Setzen von Hyperlinks gerade nicht wollte. 393 Allerdings werden die Grenzen des Haftungsumfangs und die Frage, ob der Linksetzer als Täter oder Gehilfe einzuordnen ist, unterschiedlich beurteilt. Ob sich der Linksetzer den Inhalt des Links zu eigen macht, ist eine Frage des

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Verkündet als Art. 1 Informations- und KommunikationsdiensteG v. 22.7.1997 (BGBl. I S. 1870), zuletzt geändert durch Art. 1 und 4 Abs. 1 des Gesetzes vom 14.12.2001 (BGBl. IS. 3721). In der Fassung der Bekanntmachung vom 27.7.2001, geändert durch Art. 3 Sechster Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 15.6.2002 (GVB1. S. 229) und § 25 Abs. 4 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag vom 20.2.2003 (GVB1 S. 147). GesE BTDrucks. 16/3078, S. 15; zu den Vorgängervorschriften vgl. Spindler NJW 2002 921; Hörnle NJW 2002 1008. Park GA 2001 23, 30 f; Sieber Verantwortlichkeit im Internet Rdn. 265; Hörnle MK § 184 Rdn. 44. Hörnle MK § 184 Rdn. 44; Hörnle NJW 2002 1008, 1009.

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Vgl. Hörnle NJW 2002 1008,1009. Koch CR 1997 193, 197; Spindler NJW 1997 3193, 3196. Fischer § 184 Rdn. 28b. Vgl. OLG Stuttgart MMR 2006 387, 388 m. Anm. Liesching und Kaufmann CR 2006 545; Hörnle NJW 2002 1008, 1010; ausführlich zu Hyperlinks Sieber/Liesching MMR 2007 Beilage zu Heft 8, S. 3; Spiecker MMR 2005 727. BTDrucks. 14/6098, S. 23, 37; OLG Stuttgart MMR 2006 387, 388 m. zust. Anm. Kaufmann CR 2006 545 und krit. Anm. Liesching MMR 2006 390, 391; vgl. auch BGH MMR 2004 529; BGH I ZR 102/05 v. 18.10.2007.

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Einzelfalls.394 Zu bejahen ist dies, wenn der Link-Setzer nur auf weitere eigene Webseiten verweist oder sich mit eigenem Text zustimmend zum Inhalt der Seite äußert, auf die der Link führt. Maßgebliches Beurteilungskriterium ist weiterhin die Anzahl der Links sowie der Umfang der Dateien, auf die verwiesen wird. Bei pauschalen Verweisen auf zahlreiche und umfangreiche Dokumente dürfte eine Inhaltsübernahme meist ausscheiden. 395 Muss sich der Linksetzer den Inhalt eines Links zurechnen lassen, kommt in der Regel eine Strafbarkeit nur wegen Beihilfe in Betracht, da er keine Herrschaft über die Daten hat. 396 Die gegenteilige Auffassung stellt darauf ab, dass der Linksetzer die mit einem Seitenaufruf verbundenen Schwierigkeiten beseitigt und die Verbreitung strafbarer Inhalte wesentlich beeinflusst werden kann. 397 98 Eine Haftungsprivilegierung sieht § 8 TMG für Access-Provider vor. Ein Access-Provider beschränkt sich auf die Bereitstellung des Zugangs zum Netz, ohne darüber hinaus den Nutzern Speicherkapazität zur Verfügung zu stellen. 398 Zu den Access-Providern gehören auch die Betreiber von W-Lans und Peer-to-Peer-Systemen.399 Wegen des meist automatisiert ablaufenden Prozesses ist der Access-Provider nach § 8 T M G für fremde Informationen, die er in einem Kommunikationsnetz übermittelt oder zu denen er den Zugang zur Nutzung vermittelt, nicht verantwortlich, sofern er die Übermittlung nicht veranlasst, den Adressaten der übermittelten Informationen nicht ausgewählt und die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert hat. Die beschränkte Verantwortlichkeit greift auch dann ein, wenn der Diensteanbieter die Information zur Durchführung der Übermittlung automatisch kurzzeitig zwischenspeichert (§ 8 Abs. 2 TMG). Die Haftungsregelung stellt nicht darauf ab, dass der Diensteanbieter keine Kenntnis von der Information hatte, weshalb selbst bei entsprechendem Wissen eine Bestrafung regelmäßig ausscheidet.400 Etwas anderes gilt nur, wenn der Diensteanbieter kollusiv mit dem Nutzer seines Dienstes zusammenarbeitet (§ 8 Abs. 1 S. 2 TMG). Die verantwortungseinschränkende Regelung wirkt wie ein Filter mit der Folge, dass eine Verantwortung im strafrechtlichen Bereich nicht begründet werden kann. 401 Die strafrechtsdogmatische Einordnung ist umstritten. Während das LG München im CompuServe-Fall die Norm auf der Schuldebene ansiedelte,402 geht die überwiegende Meinung zutreffend davon aus, dass bereits die Tatbestandsmäßigkeit des § 130 ausgeschlossen ist. 403

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Vgl. Hörnle MK § 184 Rdn. 47; Hörnle NJW 2 0 0 2 1 0 0 8 , 1 0 1 0 ; Ufer Die Haftung der Internet Provider nach dem Telemediengesetz, S. 51 ff, 76 ff; Boese Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Verweisungen durch Links im Internet, S. 76 ff; MarberthKubicki DRiZ 2 0 0 7 212, 217. Vgl. Hörnle MK § 184 Rdn. 47; Hörnle NJW 2 0 0 2 1 0 0 8 , 1 0 1 0 ; Marberth-Kubicki DRiZ 2 0 0 7 212, 217; Sieber Verantwortlichkeit im Internet Rdn. 308. Vgl. Hörnle MK § 184 Rdn. 47; Hörnle NJW 2 0 0 2 1008, 1010; Liesching M M R 2 0 0 6 390, 391; Flechsig/Gabel CR 1998 351, 356; Schwarzenegger FS Rehbinder (2002) S. 723, 733; Vassilaki CR 1999 85, 88; Ernst/Vassilaki/Wiebe Haftung für Hyperlinks (2002) Rdn. 324; Koch InternetRecht (2005) S. 620. OLG Stuttgart M M R 2 0 0 6 387, 388 (letzt-

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lich offen gelassen); für Täterschaft auch Koch M M R 1999 704, 709. Vgl. Hörnle MK § 184 Rdn. 4 8 ; Fischer § 184 Rdn. 29; Hörnle NJW 2 0 0 2 1008, 1010; Sieber Verantwortlichkeit im Internet Rdn. 14; vgl. auch BTDrucks. 14/6098, S. 2 4 . Marberth-Kubicki DRiZ 2 0 0 7 212, 216; Fischer § 184 Rdn. 29. BTDrucks. 14/6098, S. 2 4 . BTDrucks. 1 4 / 6 0 9 8 , S. 23. LG München NJW 2 0 0 0 , 1051 m. zust. Anm. Vassilaki NStZ 2 0 0 0 535. Vgl. Hörnle MK § 184 Rdn. 4 8 ; Hörnle NJW 2 0 0 2 1008, 1011; Sch/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rdn. 56 m.w.N.; Spindler NJW 1997 3193, 3195; ders. M M R 1998 639, 640, 643; ders. NJW 2 0 0 2 921, 922; Pelz wistra 1999 53, 5 8 ; Hilgendorf NStZ 2 0 0 0 518 f; Satzger CR 2001 109.

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Eine Verantwortlichskeitprivilegierung für die zeitlich begrenzte Zwischenspeicherung, die alleine dem Zweck dient, die Übermittlung an andere Nutzer auf deren Anfrage effizienter zu gestalten, sieht § 9 Abs. 1 T M G vor (sog. Caching). Das Caching geht über die reine Durchleitung hinaus. Im Gegensatz zur Zwischenspeicherung nach § 8 Abs. 2 T M G , wo es sich um eine Kopie handelt, die während und ausschließlich zum Zweck der Übertragung der Information erstellt wird und zu der der Nutzer keinen direkten Zugang hat, erfolgt die Zwischenspeicherung beim Caching, um Nutzern schnelleren Zugang zu den Informationen zu verschaffen. Voraussetzung für die Privilegierung ist, dass der Diensteanbieter die in § 9 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 T M G genannten Voraussetzungen erfüllt.

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Der sogenannte Host-Service-Provider ermöglicht den Nutzern die Speicherung von eigenen Inhalten auf einem Server des Providers (etwa auf einem News-, WWW- oder FTP-Server). Bietet der Provider eigene Daten an, etwa wenn er Dateien redaktionell überprüft, ist er für deren Inhalt verantwortlich. Im Übrigen bestimmt § 10 Abs. 1 T M G , dass Diensteanbieter für fremde Informationen, die sie für einen Nutzer speichern, nicht verantwortlich sind, sofern sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben oder sie unverzüglich tätig geworden sind, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren, sobald sie diese Kenntnis erlangt haben. Anknüpfungpunkt für die strafrechtliche Verantwortlichkeit ist nicht die Bereitstellung des Servers, sondern das Unterlassen der Löschung der Daten, sobald der Diensteanbieter von deren strafbaren Inhalt Kenntnis erlangt hat. Dies setzt eine Garantenstellung nach allgemeinen Grundsätzen voraus. Nach überwiegender Auffassung besteht eine Garantenstellung wegen der Herrschaft über die Gefahrenquelle. 404 Der Diensteanbieter muss den rechtswidrigen Inhalt der gespeicherten Datei positiv kennen, dolus eventualis reicht nicht aus. 4 0 5 Selbst bei Vorliegen von Verdachtsmomenten treffen ihn keine Kontrollpflichten (§ 7 Abs. 2 T M G ) . Bei doloser Verweigerung der Kenntnisnahme kann die Berufung auf § 10 Abs. 1 S. 1 T M G aber wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ausgeschlossen sein. 4 0 6 Die Bestrafung des Diensteanbieters setzt weiterhin voraus, dass ihm die Entfernung oder Sperrung von Informationen technisch möglich und zumutbar i s t . 4 0 7

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ΙΠ. Billigen, Leugnen und Verharmlosen des NS-Völkermords (Absatz 3) 1. Regelungsgrund. Vor dem Hintergrund des Anwachsens fremdenfeindlicher Gewalttaten und Propaganda zu Beginn der neunziger Jahre und der als unzureichend empfundenen Sanktionierung der einfachen Auschwitzleugnung durch §§ 185 ff S t G B 4 0 8 ent-

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Vgl. Hörnle MK § 184 Rdn. 50; Sch/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rdn. 60; Hörnle NJW 2002 1008,1011; Pelz wistra 1999 53, 56; Park GA 2001 23 33; Satzger CR 2001 109; Kudlich Jura 2001 305, 310; ders. JA 2002 798, 801; Pätzel CR 1998 625, 627; zweifelnd Fischer § 184 Rdn. 32. Vgl. Hörnle MK § 184 Rdn. 51; Sch/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rdn. 60; Hörnle NJW 2002 1008, 1012. Vgl. Hörnle MK § 184 Rdn. 51; Hörnle NJW 2002 1008,1012. BTDrucks. 14/6098, S. 25; Sch/Schröder/ Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rdn. 60.

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Das 21. StrÄndG 1985 (BGBl. I S. 965) hatte noch in Erwartung, der Schutz sei schon durch die Beleidigungsvorschriften hinreichend gewährleistet, auf einen Sondertatbestand verzichtet und eine verfahrensrechtliche Lösung gewählt (Verzicht auf das Strafantragserfordernis in § 194 Abs. 1, 2), BTDrucks. 10/3242, S. 9; zust. Vogelsang NJW 1985 2386, 2388; vgl. auch Beisel NJW 1995 997, 999 ff; v. Dewitz NSGedankengut und Strafrecht, S. 194 f.

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schloss sich der Gesetzgeber, die Verharmlosung und Leugnung des planmäßigen NSGewaltunrechts in einer eigenständigen Strafvorschrift unter Strafe zu stellen und damit ein politisches Signal gegen rechtsextremistische und neonazistische Entwicklungen zu setzen. 409 Unmittelbarer Auslöser für das gesetzgeberische Tätigwerden waren eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15. März 1994, mit der eine Verurteilung des damaligen NPD-Vorsitzenden Deckert nach §§ 130 a.F. wegen Leugnung des Holocaust mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen zu einem Angriff auf die Menschenwürde der deutschen jüdischen Bevölkerung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen wurde, 410 sowie eine missverstandene Presseerklärung hierzu, 411 die eine breite öffentliche Diskussion auslösten. 412 Der am 27. April 1994 eingebrachte Gesetzentwurf 413 wurde am 18. Mai 1994 im Rechtsausschuss verabschiedet 414 und am 2 0 . Mai 1994 im Bundestag angenommen. 415 Am 28. Oktober 1994 wurde das Verbrechensbekämpfungsgesetz mit dem neuen § 130 Abs. 3 schließlich verkündet (BGBl. I 3186). 4 1 6 102

Die Regelung stellt nicht nur das einfache Leugnen des Holocaust, das von § 130 a.F. nicht erfasst wurde, 417 sondern auch das Billigen, Leugnen und Verharmlosen der in der NS-Zeit begangenen Handlungen i.S.v. § 6 VStGB unter Strafe. Mit der Vorschrift soll die in den tatbestandlichen Äußerungsformen zum Ausdruck kommende besondere Missachtung, Verhöhnung und (fortgesetzte) Diskriminierung der Betroffenen bzw. der Zugehörigen der betroffenen Gruppe strafrechtlich sanktioniert und dadurch dem besonderen Verfolgungsschicksal vor allem der Juden Rechnung getragen werden. 418 Sie soll darüber hinaus der Tendenz entgegenwirken, neo-nazistisches Gedankengut, die agitative Grundlage der NS-Willkür, durch Infragestellen oder beschönigendes Herunterspielen der Untaten als akzeptabel oder gar unter Billigung rassistischer Zielsetzung als erstrebenswert erscheinen zu lassen und damit das friedliche Zusammenleben zu stören bzw. das politische Klima in der Bundesrepublik zu vergiften. 419

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Die Strafbarkeit des Leugnens oder Infragestellens des Holocausts verstößt nicht gegen Art. 10 Abs. 2 E M R K 4 2 0 2. Tathandlungen

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a) Allgemeines. Tathandlungen sind das Billigen, Leugnen oder Verharmlosen einer NS-Völkermordhandlung. Mit diesen Handlungsmodalitäten wollte der Gesetzgeber vor dem Hintergrund einer besonderen historischen Verantwortung Deutschlands alle denk-

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von

£ s s e n > Leutheusser-Schnarrenber-

ger BTVerh. 12/227, S. 19669, 19671; zur Entstehung der Norm vgl. auch Stegbauer NStZ 2 0 0 0 281, 2 8 2 ; Wandres Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 106 ff. BGHSt 4 0 97 m. Anm. Bertram NJW 1994 2 0 0 2 ; Baumann StV 1994 3 9 2 ; Jakobs StV 1994 5 4 0 ; krit. Hufen JuS 1995 638, 639. BGH NJW 1994 Η 1 5 / X . Vgl. Bertram NJW 1994 2 0 0 2 ff und 2 3 9 7 ; Baumann NStZ 1994 3 9 2 ; Jakobs StV 1994 5 4 0 ; König/Seitz NStZ 1995 1, 3; vgl. auch Stellungnahme des Deutschen Richterbundes DRiZ 1994 229. BTDrucks. 12/7421. BTDrucks. 12/7584.

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BTVerh. 12/229, S. 19906. Eine Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses (BTDrucks. 12/7837) hatte zu einer Strafrahmenerhöhung von 3 auf 5 Jahre geführt. Vgl. BGHSt 4 0 97; BGH NStZ 1981 258. Krit. zur Beschränkung auf NS-Gewalt- und Willkürherrschaft Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 V Rdn. 64. Vgl. BTDrucks. 12/6853, S. 2 3 f; Schriftl. Bericht, BTDrucks. 12/8588, S. 8; BTVerh. 12/227, S. 1 9 6 6 4 ff u. 12/229, S. 19870, 19874 f, 1 9 8 8 0 f, 19887; BR-Verh. 12/670, S. 2 9 8 f, 3 0 8 ; BGHSt 4 6 36, 4 0 . Vgl. EGMR NStZ 1995 237, 2 3 9 m. Anm. Stöcker.

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baren Facetten agitativer Hetze wie auch verbrämter diskriminierender Missachtung erfassen und zu erwartenden Bemühungen um eine Nuancierung, Verfeinerung und Anpassung an die neue Gesetzeslage vorbeugen. 421 Zwischen den einzelnen Handlungsvarianten besteht ein gewisses Gefalle, wobei es an einer klaren Trennschärfe insbesondere zwischen den Varianten des Billigens und des „qualitativen" Verharmlosens einerseits, des Leugnens und des „quantitativen" Verharmlosens anderseits fehlt. 4 2 2 Sämtliche Tathandlungen sind Außerungsdelikte, d.h. der Täter muss eine eigene Stellungnahme zum Ausdruck bringen. 423 Strafbare Äußerungen eines Pseudosachverständigen im Rahmen einer Revisionismus-Veranstaltung können dem Veranstalter bei abgesprochenem Inhalt, zustimmenden Anmerkungen etc. als eigene Erklärung zugerechnet werden; dem Sprachmittler eines ausländischen Referenten nur dann, wenn er dessen Äußerungen zustimmend kommentiert; andernfalls kommt Beihilfe zu strafbarer fremder Kundgabe oder Absatz 5 in Betracht. Werden propagandistische Ziele neonazistischer Kreise unter dem Deckmantel mehrdeutiger Begriffe 4 2 4 und durch differenzierte, vermeintlich relativierende Ausdrucksweise weiterverfolgt, ist der inhaltliche Gesamtaussagewert der Äußerung aus Sicht eines verständigen Zuhörers oder Lesers durch genaue Textanalyse unter Berücksichtigung der Begleitumstände zu ermitteln. 425 Will das Gericht bei einer mehrdeutigen Äußerung die zur Verurteilung führende Deutung ihrer rechtlichen Würdigung zu Grunde legen, sind andere Auslegungsvarianten mit schlüssigen Gründen auszuscheiden. 4 2 6 Dem Aussagetext eines von Rechtsradikalen betriebenen Info-Telefons mit Schmähungen gegen Spielbergs Film „Schindlers Liste" und der Äußerung „dieser Film hält den Auschwitz-Mythos am Leben" dürfte kein neutraler Bedeutungsgehalt ohne Leugnungs- und Verharmlosungstendenz mehr zukommen. 427 b) Billigen. Billigen bedeutet wie in § 140 Nr. 2 das ausdrückliche oder konkludente Gutheißen einer konkreten Tat (vgl. § 140 Rdn. 14 ff). 4 2 8 Das Merkmal ist erfüllt, wenn der Äußernde die Gewalttaten als richtig, akzeptabel oder notwendig hinstellt, sich hinter die Willkürmaßnahmen stellt oder zustimmende Befriedigung äußert. 4 2 9 Eine ausdrückliche Billigung verlangt das Gesetz nicht; vielmehr reicht die konkludente Billigung aus. 4 3 0 Billigen setzt voraus, dass die zustimmende Kundgebung aus sich heraus verständlich ist und als solche unmittelbar, „ohne Deuteln", erkannt wird. 4 3 1 Dies kann

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BTVerh. 12/227, S. 19672; krit. zur Strafbarkeit einfachen Auschwitz-Leugnens Schubert Verbotene Worte? S. 217 ff m.w.N. BGHSt 4 7 278, 281; BGH NJW 2 0 0 0 2217, 2 2 2 0 (insoweit in BGHSt 4 6 36 nicht abgedruckt); vgl. auch OLG Rostock StraFo 2 0 0 7 4 2 6 ; Fischer Rdn. 28. Miebach/Schäfer MK Rdn. 66; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 18; Fischer Rdn. 2 6 . Vgl. hierzu Grasnick J R 1995 162, 165. Vgl. BGHSt 4 6 36, 4 0 . Vgl. BVerfG NJW 2001 61, 62; OLG Rostock StraFo 2 0 0 7 4 2 6 , 427. AA AG Hamburg NJW 1995 1039; zust. Beisel NJW 1995 9 9 7 , 1 0 0 0 ; zu Recht krit. Hufen JuS 1995 639; zur gezielten Verwendung des Begriffs „Auschwitz-Mythos" im

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rechtsextremistischen Spektrum zwecks Thematisierung angeblicher Unwahrheit vgl. auch BGHSt 31 2 2 6 , 231 und 4 0 97, 99; LG Hamburg NStZ-RR 1 9 9 6 2 6 2 . OLG Rostock StrafFo 2 0 0 7 4 2 6 ; BVerwG J Z 2 0 0 8 1102; Miebach/Schäfer MK Rdn. 67; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 18; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 3 ; Stegbauer NStZ 2 0 0 0 281, 285; Beisel NJW 1995 997, 9 9 9 ; v. Dewitz NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 201. BTVerh. 12/227, S. 1 9 6 7 0 ff. BVerwG J Z 2 0 0 8 1102. Vgl. BGHSt 2 2 2 8 2 , 2 8 7 ; BGH NJW 1990 2 8 2 8 , 2 8 2 9 (insoweit in BGHSt 36 363 nicht abgedruckt); OLG Rostock StraFo 2007 426.

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auch dann zu bejahen sein, wenn der Täter bei einem Gesamtgeschehen lediglich von Einzelhandlungen abrückt. 4 3 2 106

c) Leugnen. Unter Leugnen ist das Bestreiten, In-Abrede-Stellen oder Verneinen von geschichtlichen Tatsachen zu verstehen. 433 Hauptanwendungsbereich sind die Erscheinungsformen des einfachen sowie des qualifizierten Bestrebens des Holocaust. Im Gegensatz zum bloßen Bestreiten von unter der NS-Herrschaft begangenen Katalogtaten i.S. des § 6 V S t G B 4 3 4 liegt eine schon von § 130 a.F. erfasste qualifizierte Äußerung vor, wenn das Bestreiten in einer verhetzenden Form erfolgt oder mit feindseligen Angriffen verbunden wird. Dies kommt beispielsweise in Betracht, wenn das Schicksal der Juden unter der NS-Gewaltherrschaft als „Erfindung" oder als „zur Knebelung und Ausbeutung Deutschlands erfundene Lügengeschichte" dargestellt und mit dem Motiv der angeblichen Erpressung verbunden wird oder wenn die Leugnung mit dem Vorwurf der Erschleichung von Wiedergutmachungsleistung oder „eines gigantischen politischen und finanziellen Betrugs" verknüpft wird. 4 3 5 Sind historische Geschehnisse wissenschaftlich umstritten, kommt ein Leugnen nicht in Betracht. 4 3 6 Das Bestreiten muss nicht ausdrücklich erfolgen; es genügt, wenn durch Auslegung der Äußerung unter Berücksichtigung der Begleitumstände ein eindeutiger Erklärungsinhalt dahingehend ermittelt werden kann, dass der Holocaust entweder überhaupt nicht oder nicht in der als geschichtliche Tatsache anerkannten Art und Weise oder in dem überlieferten Umfang stattgefunden hat. 4 3 7 Ein solcher Inhalt kann auch Prozesserklärungen in der Hauptverhandlung 438 sowie Einladungen zu einer unter dem Motto „Ruhm und Ehre der Waffen-SS" stehenden Versammlung in unmittelbarer Nähe eines ehemaligen Konzentrationslagers zukommen. 4 3 9 Tatbestandsmäßig ist es auch, wenn der Täter den Holocaust als „per Maulkorbparagraphen zwangsglaubensverordneten absurden Mythos, ersonnen aus dem kranken Geiste profitschachernder Tempelhändler" bezeichnet und das staatliche Vorgehen mit der Inquistion und der Verfolgung Galileo Galileis vergleicht. 4 4 0 Unerheblich ist, ob bestimmte Worte wie „Auschwitzlüge" oder „Auschwitz-Mythos" verwendet werden oder der Täter sich von den bestrittenen Taten distanziert. 441 Die Tathandlung umfasst grundsätzlich auch das teilweise Leugnen, wobei ein Verneinen nur unwesentlicher

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Zur Offenkundigkeit des Holocaust vgl. BVerfG N J W 1993 916, 917; 1994 1779, 1780; BGHSt 4 0 97, 99; 4 7 278, 2 8 4 ; BGH N J W 1995 3 4 0 ; NStZ 1994 140; BGHR StPO § 2 4 4 Abs. 3 Satz 2 Offenkundigkeit 1; Becker NStZ 2 0 0 3 416. Vgl. BVerfG N J W 1993 916; BGH bei Schmidt MDR 1981 975; OLG Zweibrücken NStZ 1994 4 9 0 , 491; BVerwG N J W 2 0 0 0 1433. Vgl. BVerfG MDR 1983 22; BGHSt 31 226, 231 betr. das Buch „Der AuschwitzMythos"; 4 0 97, 100 m. Anm. Baumann NStZ 1994 3 9 2 ; 4 6 212, 216; BGH NStZ 1994 140 „Remer-Depesche"; BGH NStZ 1981 2 5 8 ; OLG Köln NJW 1981 1280;

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Bertram NJW 1994 2 0 0 2 , 2 0 0 3 ; vgl. auch BGH NJW 1995 3 4 0 ; v. Dewitz NSGedankengut und Strafrecht, S. 195. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 19; Miebach/Schäfer MK Rdn. 68. Vgl. Fischer Rdn. 30a; Stegbauer NStZ 2 0 0 0 281, 285. Vgl. BGHSt 4 6 36 zum Verharmlosen, BGHSt 4 7 278, 2 8 4 f zum Leugnen. Vgl. OVG Münster NVwZ 2 0 0 2 737 und die bestätigende Entscheidung BVerfG NVwZ 2 0 0 2 714. LG Nürnberg-Fürth 1 KLs 4 0 2 Js 4 9 4 7 7 / 0 3 vom 6 . 4 . 2 0 0 5 bei Stegbauer NStZ 2 0 0 8 73, 78. Fischer Rdn. 30a; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 19; König/Seitz NStZ 1995 1, 3.

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Nebensächlichkeiten oder Einzelheiten allerdings nicht genügt. 4 4 2 Nach überwiegender Auffassung reicht es auch nicht aus, wenn der Äußernde die NS-Gewalttaten nur in Zweifel zieht. 4 4 3 d) Verharmlosen. Das Handlungsmerkmal des Verharmlosens ist erfüllt, wenn der Äußernde die Anknüpfungstatsache herunterspielt, beschönigt, in ihrem wahren Gewicht verschleiert oder in ihrem Unwertgehalt bagatellisiert bzw. relativiert. 444 Der Täter muss in qualitativer oder quantitativer Hinsicht Art, Ausmaß, Folgen oder Unrechtsgehalt einzelner oder die Gesamtheit nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen bagatellisieren. 445 Das quantitative Verharmlosen, z.B. durch Herunterrechnen der Opferzahlen, überschneidet sich mit dem Begriff des teilweisen Leugnens. Die Grenze der Strafbarkeit beim quantitativen Verharmlosen lässt sich angesichts der in die Millionen gehenden Zahl der Opfer des Holocaust nicht abstrakt bestimmen, vielmehr ist unter Berücksichtigung des Textzusammenhangs und der Begleitumstände der objektive Bedeutungsgehalt der betreffenden Äußerung im Einzelfall zu ermitteln. Ein nur zahlenmäßiges Infragestellen im Randbereich der geschichtlich feststehenden Größenordnung wird vom Tatbestand nicht mehr erfasst. 446 Ausreichend ist die Behauptung, die Zahl der ermordeten Juden liege allenfalls bei einer Million oder es habe jedenfalls die Gaskammer-Morde nicht gegeben. 4 4 7 Unabhängig von einer quantitativen Verharmlosung wird der Unwertgehalt von tatsächlich begangenen Taten des Völkermordes auch dadurch bagatellisiert bzw. relativiert, dass angebliche „Rechtfertigungsgründe" oder rassen- oder gesundheitspolitische „Notwendigkeiten" behauptet oder die Taten als unvermeidliche Kriegshandlungen qualifiziert werden. 4 4 8 Eine Gleichsetzung oder quantitative Aufrechnung mit anderen Völkermordtaten reicht nicht aus. 4 4 9

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3. Anknüpfungsgegenstand. Das Billigen, Leugnen und Verharmlosen muss sich auf eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art beziehen. Die Formulierung „der in § 6 VStGB bezeichneten Art" trägt dem Umstand Rechnung, dass die in Betracht kommenden Taten vor dem Inkrafttreten des § 6 VStGB begangen worden sind. 4 5 0 Der Verweis auf § 6 Abs. 1 VStGB bedeutet, dass nur Taten erfasst werden, die gegen eine nationale,

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Scb/Scbröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 19; Miebach/Schäfer MK Rdn. 68; Stegbauer NStZ 2 0 0 0 281, 2 8 4 . Fischer Rdn. 30; Scb/Scbröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 19; Miebach/Schäfer MK Rdn. 68; Ostendorf NK Rdn. 27; Lackner/Kühl Rdn. 8; Beisel NJW 1995 997, 1000; aA v. Bubnoff LKn Rdn. 4 4 ; Stegbauer NStZ 2 0 0 0 281, 2 8 4 unter Hinweis auf die ratio der Norm; v. Dewitz NSGedankengut und Strafrecht, S. 201 f. BGHSt 4 6 36, 4 0 ; BGH NJW 2 0 0 5 689, 691 m. krit. Anm. Stegbauer NJ 2 0 0 5 225; OLG Rostock StraFo 2 0 0 7 4 2 6 f; Sch/ Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 21; Miebach/Schäfer MK Rdn. 70; Stegbauer NStZ 2 0 0 0 281, 285; Wandres

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Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 2 3 0 ff, 2 4 5 ff; v. Dewitz NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 2 0 2 ; König/Seitz NStZ 1995 1, 3; krit. Bertram NJW 2 0 0 5 1467, 1477. Vgl. BTDrucks. 9 / 2 0 9 0 , S. 7 f; 1 0 / 1 2 8 6 , S. 9; BGH N J W 2 0 0 5 689, 691; Fischer Rdn. 31; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 21. BGH N J W 2 0 0 5 689, 691; Stegbauer NStZ 2 0 0 0 281, 285; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 21. BGH N J W 2 0 0 5 689, 691 m. krit Anm. Stegbauer NJ 2 0 0 5 225. Fischer Rdn. 31. Fischer Rdn. 31. Vgl. BTDrucks. 1 2 / 8 5 8 8 , S. 8.

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rassische, religiöse oder ethnische Gruppe gerichtet waren. Dazu zählen auch Aktionen gegen einzelne Opfer, wenn diese in der von § 6 Abs. 1 VStGB geforderten Absicht als Angehörige einer Gruppe und nicht aus persönlichen Gründen angegriffen wurden. 4 5 1 Z u den Betroffenen zählen insbesondere die Juden sowie die Sinti und Roma, aber auch Polen, Russen, Ukrainer und andere Ethnien der früheren Sowjetunion, 4 5 2 nicht dagegen die Opfer der sog. „Euthanasie-Aktionen" gegen Behinderte, da diese keine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe i.S. des § 6 Abs. 1 VStGB sind. 4 5 3 Die in Bezug genommenen Taten müssen unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangen worden sein. Dies setzt voraus, dass sie während des Dritten Reiches von Repräsentanten des nationalsozialistisch geführten Staates oder der NSDAP oder ihrer Organisationen verübt worden oder den nationalsozialistischen Machthabern in sonstiger Weise zurechenbar sind. 4 5 4 Erfasst wird die gesamte Bandbreite der NS-Gewalt- und Willkürmaßnahmen wie Massenvernichtungen, Menschenversuche im K Z , Zufügung schwerer körperlicher und seelischer Schäden, Zwangssterilisationen, Schaffung unmenschlicher Lebensbedingungen durch Einweisung in Konzentrationslager, Verfolgung und Ächtung nebst völligem Eigentumsentzug oder Gettoisierung. 4 5 5 109

4. Handlungsformen. Die Leugnung etc. muss öffentlich oder in einer Versammlung erfolgen.

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a) Öffentlich. Die Tathandlung erfolgt öffentlich, wenn sie unabhängig von der Öffentlichkeit des fraglichen Ortes von einem größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis unmittelbar wahrgenommen werden kann. 4 5 6 Maßgeblich ist, dass der Täter aufgrund der Unüberschaubarkeit des Adressatenkreises die Wirkungen seiner Äußerung nicht abzusehen vermag. Dies ist bei Äußerungen in Rundfunk und Fernsehen stets gegeben, 4 5 7 aber auch bei Äußerungen, die ins Internet eingestellt werden und von Internetnutzern ohne weiteres abgerufen werden können. 4 5 8 Ausreichend sind auch Äußerungen in einer öffentlichen Hauptverhandlung, wenn die Öffentlichkeit tatsächlich anwesend ist. 4 5 9 Demgegenüber fehlt es an der Öffentlichkeit, wenn die Äußerung auf die Wahrnehmung durch einzelne Personen oder einen engeren untereinander verbundenen Personenkreis beschränkt ist oder beschränkt bleiben soll. 4 6 0

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b) Versammlung. Eine Versammlung ist eine räumlich zu einem bestimmten Zweck vereinigte Personenmehrheit; dabei kann es sich auch um einen begrenzten Personenkreis handeln, z.B. eine Mitgliederversammlung, eine Vertreterversammlung eines Verbands oder eine Betriebsratssitzung. 461 In quantitativer Hinsicht wird nicht vorausgesetzt, dass

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Miebach/Schäfer MK Rdn. 74; Kreß MK § 220a/§ 6 VStGB Rdn. 7 ff, 49; Geilen FS Herzberg, S. 593, 594. Geilen FS Herzberg, S. 593, 594. Miebach/Schäfer MK Rdn. 74; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 16; Rudolphi/Stein SK Rdn. 20; Stegbauer NStZ 2000 281, 285; Schramm FS Lenckner, S. 539, 558. Rudolphi/Stein SK Rdn. 20; Fischer Rdn. 27. Vgl. Kreß MK § 220a/§ 6 VStGB Rdn. 55 f; Stegbauer NStZ 2000 281, 285. Vgl. BGHSt 46 212, 217; BGH MDR 1966

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347; OLG Hamm GA 1980 222, 223; KG JR 1984 249; siehe auch Rosenau LK § 111 Rdn. 34 f; Sch/Schröder/Lenckner § 186 Rdn. 19; Hörnle NStZ 2002 113, 117. Vgl. Rosenau LK § 111 Rdn. 36; Sch/Schröder/Lenckner § 186 Rdn. 19. Vgl. BGHSt 46 212, 217. Vgl. BGHSt 47 278, 282; Sch/Schröder/ Lenckner § 186 Rdn. 18; Fischer Rdn. 19. Vgl. Laufhütte/Kuschel LK § 90 Rdn. 6 ff. Vgl. BGH NJW 2005 689, 691; Rosenau LK § 111 Rdn. 38 ff.

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eine nicht mehr überschaubare und vom Täter nicht mehr kontrollierbare Vielzahl von Personen anwesend ist. 4 6 2 Die Mindestzahl lässt sich nur nach dem Umständen des Einzelfalls beurteilen. 463 Dabei ist der Versammlungsbegriff gemäß dem Schutzzweck des § 130 weiter zu verstehen als im Versammlungsgesetz, wo schon eine Gruppe von drei Personen als Versammlung angesehen worden ist. 4 6 4 Maßgeblich ist die Möglichkeit der Multiplikation der Nachricht durch eine beachtliche, nicht notwendig unüberschaubare Personenvielfalt, wobei ausreicht, wenn zu einem Verbandstag neben den Delegierten nur Pressevertreter zugelassen sind, nicht aber sonstige Öffentlichkeit. 465 5. Eignung zur Friedensstörung. Die Tathandlung muss in einer Art und Weise erfolgen, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Maßgeblich ist eine Würdigung des Gehalts der fraglichen Äußerung sowie sämtlicher Äußerungsmodalitäten einschließlich des zur Tatzeit herrschenden geistigen Klimas. 4 6 6 Die unter Rdn. 62 ff angeführten Kriterien gelten entsprechend. Billigendes sowie erkennbar auf Hetze angelegtes Äußerungsverhalten, aber auch eine verschleierte Diskriminierung auf der Grundlage gezielten Bestreitens der NS-Gewaltmaßnahmen oder deren generalisierendes Verharmlosen indizieren regelmäßig die Eignung zur Friedensstörung. 467 Andererseits kann mit dem eingrenzenden Korrektiv der friedensstörenden Eignung der begrifflichen Weite insbesondere der Verharmlosung und Leugnung, ihrer unterschiedlichen Intensität sowie einer möglicherweise nur auf einzelne Anknüpfungsgegenstände bezogenen Äußerung ohne generalisierende Tendenz im Einzelfall angemessen Rechnung getragen werden. 4 6 8 Diese eingrenzende Funktion dürfte allerdings nur ausnahmsweise bei nach Art und Umständen der Äußerung mindergewichtigen Grenzfällen zum Tragen kommen, etwa bei der Verharmlosung einzelner Willkürmaßnahmen außerhalb des Kernbereichs des nationalsozialistischen Vernichtungsunrechts. Ob der in Absatz 3 vorausgesetzte Grad der Strafwürdigkeit ausnahmsweise mangels friedensstörender Eignung unterschritten wird, hängt von dem Ergebnis der konkreten Gesamtwürdigung im Einzelfall ab. Gewichtiges Indiz für die Eignung zur Friedensstörung ist die tatsächlich eingetretene erhebliche unruhestiftende öffentliche Wirkung einer Äußerung über den eigentlichen Kreis der Empfänger hinaus, was u.a. durch Presseberichterstattung, eine Vielzahl von Leserbriefen oder durch den Eingang zahlreicher Strafanzeigen bei den Strafverfolgungsbehörden zum Ausdruck kommen kann. 4 6 9 Wird die tatbestandliche Grenze des Absatzes 3 nicht erreicht, so ist die Äußerung unter dem Blickpunkt der Beleidigung zu prüfen.

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Fischer § 111 Rdn. 5; aA Kindhäuser LPK § 111 Rdn. 10; Sch/Schröder/Eser § 111 Rdn. 7 - 1 0 ; Horn/Wolter SK § 111 Rdn. 6; Rosenau LK § 111 Rdn. 40. Laufhütte/Kuschel LK § 90 Rdn. 10 f. Vgl. BayObLG NJW 1979 1895, 1896; OLG Hamburg MDR 1965 319; OLG Köln MDR 1980 1040. Vgl. BGH NJW 2 0 0 5 689, 691. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 22; Miebach/Schäfer MK Rdn. 75.

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Vgl. BGHSt 4 7 278, 2 8 0 . Vgl. BTDrucks. 1 2 / 8 5 8 8 , S. 8; König/Seitz NStZ 1995 1, 3; krit. zur Funktion der Eignungsklausel Fischer Rdn. 32, Stegbauer NStZ 2 0 0 0 281, 285 f; Koch JuS 2 0 0 2 123, 126. Vgl. BGHSt 4 6 36, 4 2 f; 4 7 278, 2 8 2 ; krit. Stegbauer NJ 2 0 0 5 225, 2 2 6 .

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IV. Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft (Absatz 4) 113

Der Tatbestand wurde durch das am 1. April 2 0 0 5 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches vom 24. März 2 0 0 5 (BGBl. I S. 9 6 9 f) eingefügt. 4 7 0 Damit sollte insbesondere das Verbot von rechtsextremistischen Versammlungen erleichtert werden, die sich in Themenwahl, Veranstaltungsort und Ausgestaltung immer stärker an das Gepräge historischer Aufmärsche des NS-Regimes angleichen, die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft verherrlichen oder verharmlosen, durch bewusste Provokationen das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in unerträgerlicher Weise missachten und das Gefühl der Bevölkerung, insbesondere der Nachkommen der Opfer, hier in Frieden leben zu können, erschüttern. 471 Darüber hinaus sah der Gesetzgeber ein rechtspolitisches Bedürfnis, das Verherrlichen oder Verharmlosen der schwerwiegenden Unrechtshandlungen der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft strafrechtlich zu sanktionieren. Entgegen dem ursprünglichen Gesetzesentwurf ist § 130 Abs. 4 als Erfolgsdelikt ausgestaltet, um kein Gesinnungsstrafrecht zu betreiben. 4 7 2 Außerdem muss sich die Äußerung - entgegen Absatz 3 und dem ursprünglichen Gesetzentwurf - nicht auf konkrete Handlungen im Sinne von § 6 Abs. 1 VStGB beziehen, sondern auf die nationalsozialistische Gewaltund Willkürherrschaft, wobei das Verharmlosen als Tathandlung nicht genügt. Ursprünglich war geplant, in Umsetzung von Vorgaben aus Art. 6 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Europaratsübereinkommen über Computerkriminalität betreffend die Kriminalisierung mittels Computersystemen begangener Handlungen rassistischer und fremdenfeindlicher Art auch die Billigung, Rechtfertigung, Leugnung und Verharmlosung der von einem internationalen Gericht rechtskräftig festgestellten Völkermorde zu pönalisieren. 4 7 3 Dies wurde jedoch wieder fallengelassen, nachdem die Beratungen zu dem Entwurf eines EU-Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wieder aufgenommen worden waren. 4 7 4

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1. Tathandlungen. Tathandlungen sind das Billigen, Verherrlichen und Rechtfertigen der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft. Bei allen Tatvarianten ist bei der Subsumtion wie bei Absatz 1 und 3 ausgehend vom Wortlaut der Äußerung auch auf den Kontext und die sonstigen Begleitumstände der Äußerung in Form einer Gesamtschau abzustellen. 475 Ist eine Äußerung mehrdeutig, so haben die Gerichte, wollen sie die zur Verurteilung führende Deutung ihrer rechtlichen Würdigung zu Grunde legen, andere Auslegungsvarianten mit schlüssigen Gründen auszuscheiden. 476

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Vgl. Bertram N J W 2 0 0 5 1476; Poscher NJW 2 0 0 5 1316. GesE BTDrucks. 15/4832, S. 1; Bericht des Innenausschusses, BTDrucks. 15/5051, S. 1; Zweifel, ob § 130 Abs. 4 tatsächlich dazu beitragen wird, rechtsextremistische Versammlungen leichter zu verbieten, werden geäußert von Berg FS Otto, S. 1065, 1077; Leist NVwZ 2 0 0 5 501, 5 0 2 f. BTDrucks. 15/5051, S. 6; zu Recht krit. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2 2 c ; Fischer Rdn. 40. GesE BTDrucks. 15/4832, S. 3.

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BTDrucks. 15/5051, S. 5; vgl. auch Rahmenbeschluss des Rates der EU vom 19.4.2007, Dok 8544/07. Vgl. BVerfG N J W 2 0 0 1 61, 62; 2 0 0 3 660, 661; BGH NStZ 1984 310; BVerwG J Z 2 0 0 8 1102: Äußerungen im Zusammenhang mit Versammlung „Gedenken an Rudolf Hess", Veranstaltungsthema, Veranstaltungsort, geplanter Ablauf der Veranstaltung. Vgl. BVerfG N J W 2 0 0 1 61, 62; 2 0 0 3 660, 661; BVerwG J Z 2 0 0 8 1102.

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a) Billigen. Die Tatvariante des Billigens der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erfüllt, wer diese ausdrücklich oder konkludent gutheißt (Rdn. 105); das Gutheißen muss sich auf die NS-Gewalt- und Willkürherrschaft kennzeichnenden Menschenrechtsverletzungen beziehen und damit den Achtungsanspruch der Opfer angreifen. 4 7 7 Die Menschenrechtsverletzungen waren nämlich das für die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft charakteristische Merkmal. Damit erfasst der Tatbestand nicht jedes Billigen nationalsozialistischer Anschauungen oder einzelner Aspekte der damaligen Staats- und Gesellschaftsordnung, bei denen sich kein Bezug zur nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft und den sie kennzeichnenden Menschenrechtsverletzungen herstellen lässt, etwa „abwegiges Geschwätz über Heldentaten von Wehrmacht und Waffen-SS, bewundernde Äußerungen über Reichsarbeitsdienst oder Autobahnbau" usw. 4 7 8 Aufgrund dieser einschränkenden Auslegung wird dem Bestimmtheitsgebot ausreichend Rechnung getragen. 4 7 9 Das Billigen kann sich auf die Gewalt- und Willkürherrschaft insgesamt oder auf einzelne unter der NS-Herrschaft begangene Menschenrechtsverletzungen beziehen. 4 8 0 Die Billigung muss nicht in Form vorbehaltloser Zustimmung geäußert werden; vielmehr genügt es, wenn schwerwiegende Verbrechen, welche die NS-Gewalt- und Willkürherrschaft charakterisieren, als zwar bedauerlich, aber unvermeidbar hingestellt werden. 4 8 1 Ausreichend ist auch, wenn der Täter konkludent - etwa durch Werturteile über verantwortliche Personen - eine positive Einschätzung der unter der NS-Herrschaft begangenen Menschenrechtsverletzungen abgibt, falls aus dem Äußerungszusammenhang deutlich wird, dass die betreffende Person (auch) als Symbol für die Herrschaft des Nationalsozialismus als solche gemeint

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b) Verherrlichen. Der Begriff des Verherrlichens erfasst das Berühmen der NSGewalt- und Willkürherrschaft als etwas Großartiges, Imponierendes oder Heldenhaftes. 4 8 3 Wie bei § 131 (vgl. dort Rdn. 28 f) erfüllt das Tatbestandsmerkmal nicht nur, wer Unrechtshandlungen der NS-Gewalt- und Willkürherrschaft direkt glorifiziert, sondern auch, wer das Dargestellte in einen positiven Bewertungszusammenhang stellt oder in der Schilderung der Unrechtshandlungen und ihrer Verantwortungsträger entsprechende positive Wertakzente setzt. 4 8 4 Dies kann z.B. dadurch zum Ausdruck kommen, dass ein Verantwortungsträger oder eine Symbolfigur des NS-Regimes angepriesen oder in besonderer Weise hervorgehoben wird. 4 8 5

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c) Rechtfertigen. Die Tathandlung des Rechtfertigens bezeichnet nach dem Willen des Gesetzgebers das Verteidigen der die NS-Gewalt- und Willkürherrschaft kennzeich-

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BGH N J W 2 0 0 5 3223, 3225; BVerwG J Z 2 0 0 8 1102; BTDrucks. 15/5051, S. 5. Vgl. Fischer Rdn. 34; BVerwG J Z 2 0 0 8

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BVerwG J Z 2 0 0 8 1102; krit. Fischer Rdn. 34; zweifelnd an der Verfassungsmäßigkeit Bertram N J W 2 0 0 5 1 4 7 6 , 1 4 7 8 . Vgl. BTDrucks. 15/5051, S. 5; Fischer Rdn. 34; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 22b; aA unter Berufung auf den Wortlaut Rudolphi/Stein SK Rdn. 30: Billigung nur einzelner Gewalt- oder Willkürmaßnahmen genügt nicht.

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BTDrucks. 15/5051, S. 5; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 22b. BTDrucks. 15/5051, S. 5; BVerwG J Z 2 0 0 8 1102; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 22b. BTDrucks. 15/5051, S. 5. BTDrucks. 15/5051, S. 5; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 22b. BTDrucks. 15/5051, S. 5; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 22b; Rudolphi/Stein SK Rdn. 30.

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nenden Menschenrechtsverletzungen als notwendige Maßnahmen, wobei es ausreicht, wenn die Handlungsweise eines für die Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen als richtig oder gerechtfertigt dargestellt wird. 4 8 6 118

2. Handlungsformen. Die Tathandlungen müssen öffentlich (vgl. Rdn. 110) oder in einer Versammlung (vgl. Rdn. 111) erfolgen.

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3. Verletzung der Würde der Opfer. Die Tathandlungen müssen in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise begangen werden. Entgegen der missverständlichen Formulierung bezieht sich das Merkmal der Verletzung der Opferwürde auf die Tathandlungen des Billigens usw. und nicht auf das Erfordernis der Störung des öffentlichen Friedens. 4 8 7 Nach dem gesetzgeberischen Willen verdeutlicht dieses Merkmal, dass nur eine Handlung tatbestandsmäßig ist, die den Achtungsanspruch als Teil der persönlichen Würde der Opfer verletzt. 4 8 8 Nach anderer Auffassung ist unter Würdeverletzung eine Ehrverletzung erheblichen Grades zu verstehen, die die Grenze zu einem Angriff auf die Menschenwürde noch nicht überschritten haben muss. 4 8 9 Die Unterschiede dürften eher akademischer Natur sein. In der Regel ist davon auszugehen, dass das Billigen, Verherrlichen oder Rechtfertigen der die NS-Herrschaft kennzeichnenden Menschenrechtsverletzungen den Achtungsanspruch sowie die Menschenwürde der Opfer von Gewalt- und Willkürmaßnahmen verletzt. 4 9 0

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4. Störung des öffentlichen Friedens. Im Unterschied zu den Absätzen 1 und 3 reicht eine konkrete Eignung zur Friedensstörung nicht aus, vielmehr muss es bei Absatz 4 zu einer tatsächlichen Störung des öffentlichen Friedens gekommen sein. 4 9 1 Dies bedeutet, dass ein objektiv feststellbarer Lebenszustand allgemeiner Rechtssicherheit und des frei von Furcht voreinander verlaufenden Zusammenlebens der Staatsbürger nicht mehr gewährleistet, das Vertrauen der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden leben zu können, gestört oder ein psychisches Klima entstanden ist, das durch allgemeine Unruhe, Unsicherheit, Angst und Schrecken in der Bevölkerung sowie durch Ausgrenzung und Diffamierung von Bevölkerungsgruppen vergiftet ist (vgl. oben Rdn. 62). Proteste, Demonstrationen, Strafanzeigen oder verstärkte Medienberichterstattung kommen als - nicht zwingende - Indizien für das Vorliegen einer Friedensstörung in Betracht. 4 9 2 Ein empirischer Nachweis dürfte nur schwer zu führen sein. Zu Recht wird deshalb kritisiert, dass das Erfordernis, eine Störung des öffentlichen Friedens tatsächlich festzustellen, die Praxis vor erhebliche Probleme stellt. 4 9 3 Bejaht wurde das Tatbestandsmerkmal bei geplan-

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BTDrucks. 15/5051, S. 5; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 22b. Vgl. BTDrucks. 15/5051, S. 5; BVerwG J Z 2 0 0 8 1102; Rudolpki/Stein SK Rdn. 28; vgl. aber auch Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 22d; Poscher NJW 2 0 0 5 1316, 1318. BTDrucks. 15/5051, S. 5; BVerwG J Z 2 0 0 8 1102; vgl. auch BGH N J W 2 0 0 5 3223, 3 2 2 5 ; zum Achtungsanspruch vgl. BVerfG NJW 1993 1457; 2 0 0 1 61, 63; BGHZ 75 163 ff. Rudolphi/Stein SK Rdn. 31, vgl. auch Poscher N J W 2 0 0 5 1316, 1318.

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BTDrucks. 15/5051, S. 5; Fischer Rdn. 39. OLG Rostock StraFo 2 0 0 7 515. Vgl. Rudolphi/Stein SK Rdn. 32; Ostendorf NK Rdn. 36. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 22c. Fischer Rdn. 4 0 geht sogar von einer weitgehenden Unanwendbarkeit des Tatbestands aus; vgl. auch Poscher NJW 2 0 0 5 1316, 1318; v. Denkowski Kriminalistik 2 0 0 5 2 0 8 ; Bertram N J W 2 0 0 5 1476, 1478.

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ten Versammlungen zum „Gedenken an Rudolf H e ß " . 4 9 4 Das Anbieten eines T-Shirts mit dem Aufdruck „Ruhm und Ehre der Waffen-SS" im Internet und das öffentliche Tragen solcher T-Shirts ohne weitere Feststellungen, warum dadurch der öffentliche Friede gestört wird, reicht dagegen nicht aus. 4 9 5

V. Schriftenverbreitungstatbestand (Absatz 5) Absatz 5 erklärt den Schriftenverbreitungstatbestand des Absatzes 2 für Schrifteninhalte mit Absatz 3 und 4 entsprechenden Angriffsweisen für anwendbar. Voraussetzung der Strafbarkeit ist eine Tathandlung nach Absatz 2 Nr. 1 (Rdn. 86 ff), die sich auf eine Schrift i.S.v. § 11 Abs. 3 StGB (Rdn. 78) mit dem in Absatz 3 oder 4 bezeichneten Inhalt bezieht. Der Verweis auf den Inhalt nach Absatz 3 oder 4, wo die Äußerung eine konkrete Eignung zur Friedensstörung (Absatz 3) bzw. deren tatsächlichen Eintritt (Absatz 4) zur Folge haben muss, bedeutet, dass dieses Tatbestandsmerkmal auch bei der Verbreitung von Schriften gem. Absatz 5 erfüllt sein muss. 4 9 6 Ist der Tatbestand des Absatzes 5 erfüllt, ist die Strafe dem Strafrahmen des Absatzes 2 (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) und nicht dem des § 130 Abs. 3 oder 4 zu entnehmen. 497 Damit hat der Gesetzgeber für die Verbreitung von Schriften mit Absatz 3 entsprechenden Inhalten einen geringeren Strafrahmen vorgesehen als bei dem entsprechenden Äußerungsdelikt. 498

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G. Subjektiver Tatbestand Für den subjektiven Tatbestand ist Vorsatz erforderlich, der sich auf alle Tatbestandsmerkmale, auch auf die Eignung zur Friedensstörung, erstrecken muss. 4 9 9 Grundsätzlich genügt bedingter Vorsatz, 5 0 0 es sei denn einzelne Tatbestandsmerkmale verlangen schon nach ihrem Wortsinn ein zielgerichtetes Handeln. Eine besondere Absicht, den öffentlichen Frieden zu stören, ist nicht erforderlich. 501 Macht der Täter die inkriminierte Äußerung unter vier Augen oder in kleinem Kreis von Gleichgesinnten oder Freunden und geht er davon aus, dass sie nicht einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird, kann es am Vorsatz hinsichtlich der Eignung zur Friedensstörung fehlen. 5 0 2

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BVerwG J Z 2 0 0 8 1102; BayVGH BayVBl 2 0 0 5 755; 2 0 0 6 7 6 0 f; BayVGH 2 4 Β 0 6 . 1 8 9 4 vom 2 6 . 3 . 2 0 0 7 bei Stegbauer NStZ 2 0 0 8 73, 79; krit. Stegbauer NStZ 2 0 0 8 73, 79; offen gelassen von BVerfG NJW 2 0 0 5 3 2 0 4 und BayVBl 2 0 0 6 760. OLG Rostock StraFo 2 0 0 7 515 entgegen AG Schwedt/Oder 12 Ds 2 5 6 Js 4 2 2 9 4 / 0 6 vom 2 5 . 1 . 2 0 0 7 bei Stegbauer NStZ 2 0 0 8 73, 79. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 23; Fischer Rdn. 41. Vgl. BGHR StGB § 130 Strafrahmen 1. Krit. insbesondere in Fällen massenhafter Verbreitung von Schriften: Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 23; Fischer Rdn. 41.

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Vgl. OLG Karlsruhe N J W 1986 1 2 7 6 , 1 2 7 7 . Vgl. BGH NJW 2 0 0 5 689, 691; BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3 . 4 . 2 0 0 8 , HRRS 2 0 0 8 Nr. 4 5 8 ; OLG Celle NJW 1970 2257, 2 2 5 8 ; OLG Hamburg NJW 1 9 7 0 1649, 1650; Miebach/ Schäfer MK Rdn. 78. RGSt 54 27; OLG Hamburg NJW 1970 1649, 1650; OLG Düsseldorf NJW 1986 2519, 2 5 2 0 ; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2 4 ; Lohse NJW 1985 1677, 1680. Vgl. OLG München NJW 1985 2 4 3 0 ; 2 4 3 1 ; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2 4 .

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Maßgeblich für den bedingten Vorsatz ist es, ob der Täter das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt. 5 0 3 Bei normativ geprägten Tatbestandsmerkmalen - wie etwa „Beschimpfen" in § 130 Abs. 1 Nr. 2 - , die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie überhaupt nur unter logischer Voraussetzung einer Norm vorgestellt oder gedacht werden können und eine hinzutretende Wertung beinhalten, genügt nach h.M. bloße Tatsachenkenntnis nicht, um Vorsatz zu begründen. Vielmehr muss der Täter die für diese Merkmale maßgeblichen Tatumstände auch „geistig verstehen" und „Bedeutungskenntnis" haben. 5 0 4 Dabei braucht der Täter aber nicht die aus den Gesetzesbegriffen folgende rechtliche Wertung nachzuvollziehen; vielmehr genügt die Parallelwertung in der Laiensphäre, die voraussetzt, dass der Täter die Tatsachen kennt, die dem normativen Begriff zugrunde liegen, und auf der Grundlage dieses Wissens den sozialen Sinngehalt des Tatbestandsmerkmals richtig begreift. 505 Ist dies nicht der Fall, befindet sich der Täter in einem Tatbestandsirrtum nach § 16.

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Schwierige Abgrenzungsfragen können sich ergeben, wenn der Täter im Vorfeld der Tat ein juristisches Gutachten eingeholt hat, in dem ein normativ zu bewertender Tatumstand dahingehend beurteilt wird, dass das Verhalten des Täters nicht tatbestandsmäßig sei. Je nach Stand der (Un-)Kenntnis des Täters über normative Tatbestandsmerkmale kann das Vertrauen des Täters in juristische Auskünfte sowohl im Rahmen des Tatbestandsvorsatzes Bedeutung erlangen als auch einen vermeidbaren oder unvermeidbaren Verbotsintum (§ 17) begründen, wenn der Täter einen in seiner Bedeutung zutreffend erkannten Umstand rechtlich unrichtig subsumiert. Eine sachgerechte Einordnung etwaiger Fehlvorstellungen oder -bewertungen ist durch Rückgriff auf wertende Kriterien und differenzierende Betrachtungen vorzunehmen. 506 Pauschale Auskünfte und substanzlose Hinweise ohne fassbare konkrete Hinweise auf eine Strafnorm oder gar ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal lassen einen Tatbestandsirrtum eher fernliegend erscheinen. 507

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Auch ein Verbotsirrtum liegt aber nicht automatisch dann vor, wenn der Täter ein ihn entlastendes Gutachten vorweisen kann. Der Täter hat bereits dann ausreichende Unrechtseinsicht, wenn er bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnete, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt. 5 0 8 Maßgebend ist also insoweit, ob der Täter auf die Richtigkeit eines ihn entlastenden Gutachens vertraut hat oder ob er trotz des Gutachtens noch derart erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Verhaltens hat, dass kein Verbotsirtum vorliegt. Letzeres kommt vor allem in Fällen in Betracht, in denen sich der Täter in einer strafrechtlichen „Grauzone" bewegt oder in denen er den Rechtsrat bewusst zum Zwecke der Gesetzesumgehung eingeholt hat. 5 0 9

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Liegt ein Verbotsirrtum vor, ist zu prüfen, ob dieser unvermeidbar war. Die Unvermeidbarkeit setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Ein-

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BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 458.

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Vogei L K

ξ

16 R d n

25 ff.

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BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 4 5 8 ; Kirch-Heim/Samson wistra 2 0 0 8 81, 87. Vgl. BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 4 5 8 ; BGH NStZ 2 0 0 6 214, 217 zu § 266.

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Vgl. BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 458. BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 4 5 8 ; Kirch-Heim/Samson wistra 2 0 0 8 81, 82. Kirch-Heim/Samson wistra 2 0 0 8 81, 82.

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holung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinn nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. 5 1 0 Maßgebend sind die Umstände des konkreten Falles, wobei auch die Verhältnisse und Persönlichkeit, der Bildungsstand, die Erfahrung und die berufliche Stellung des Täters zu berücksichtigen sind. 511 Unter welchen Voraussetzungen ein eingeholter rechtsanwaltlicher Rat einen unvermeidbaren Verbotsirrtum begründet, wird nicht einheitlich beurteilt. 512 Erforderlich ist jedenfalls, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife noch nicht ein. 5 1 3 Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte Gefälligkeitsgutachten scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus. Auch Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine „Feigenblattfunktion" erfüllen sollen, können den Täter nicht entlasten. 514 Nimmt der Täter in Folge eines Subsumtionsirrtums irrig an, seine in tatsächlicher Hinsicht zutreffend erkannten Äußerungen seien noch vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt und erfüllten deshalb nicht die Tatbestandsmerkmale des § 130, kann nach den Umständen des Einzelfalls ein vermeidbarer Verbotsirrtum gem. § 17 vorliegen. 515 Im Übrigen ergeben sich folgende Besonderheiten:

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In Absatz 1 setzen das Aufstacheln zum Hass und die Aufforderung zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen bereits nach ihrem Wortsinn ein zielgerichtetes Handeln (dolus directus 1. Grades) voraus. 5 1 6 Beim Verleumden ist hinsichtlich der Unwahrheit der behaupteten Tatsache positive Kenntnis (dolus directus 2. Grades) erforderlich; insoweit genügt bedingter Vorsatz nicht. Das Verächtlichmachen muss böswillig erfolgen. Böswillig ist ein Handeln aus niederträchtiger, bewusst feindseliger Gesinnung, also ein Handeln aus verwerflichen Beweggründen. 517 Dies kann sich daraus ergeben, dass der Täter

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BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 4 5 8 ; Vogel LK § 17 Rdn. 78, 85. BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 458. Vgl. die Übersicht bei Kirch-Heim/Samson wistra 2 0 0 8 81, 83. BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 4 5 8 ; enger Kirch-Heim/Samson wistra 2 0 0 8 81, 83: Rechtswidrigkeit des Verhaltens muss sich aufdrängen. BGH 3 StR 3 9 4 / 0 7 v. 3.4.2008, HRRS 2 0 0 8 Nr. 4 5 8 ; BGH NStZ 2 0 0 0 307, 309.

Vgl. BGH NStZ-RR 2006 305, 306.

BGHSt 4 0 97, 102; OLG Brandenburg 1 Ws 75/06 vom 15.5.06 bei Stegbauer NStZ

2008 73, 77; NJW 2002 1440, 1441; KG JR 1998 213, 215; BayObLG NJW 1990 2479, 2 4 8 0 m. Anm. Horn JR 1991 83; OLG Frankfurt N J W 1995 143, 144; OLG Köln

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N J W 1981 1280; LG Mannheim N J W 1994 2494, 2497; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5a, 5b; Miebach/Schäfer MK Rdn. 79; Fischer Rdn. 4 2 , Ostendorf NK Rdn. 35; Rudolphi/Stein SK Rdn. 12 (nur bzgl. des Aufstacheins); aA v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 2 9 ; Kargl Jura 2 0 0 1 176, 177 (objektive Eignung genügt). Vgl. RGSt 6 6 140; 72 118; BGHSt 7 110 (zu § 96 a.F.); BGH bei Wagner GA 1961 19 Nr. 11; N J W 1964 1 4 8 1 , 1 4 8 3 ; BGH NStZ-

RR 2006 305; BayObLG NJW 1995 145;

LG Göttingen N J W 1979 1 7 3 , 1 7 4 ; Giehring StV 1985 30, 3 3 f; Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 2 0 5 ; vgl. auch Kargl Jura 2 0 0 1 176, 177: keine ethische Ausrichtung auf Absichten und spezielle Motivlagen erforderlich.

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hartnäckig Erkenntnisquellen, die seine Behauptung widerlegen, oder Möglichkeiten zu weniger anstößigen Formulierungen ausschlägt. 518 Die Beweggründe des Äußernden können sich unmittelbar aus dem Aussagegehalt der Äußerung als solcher 5 1 9 sowie aus den Begleitumständen der Äußerung, etwa einer interpretatorischen Begleitäußerung des Täters ergeben. 5 2 0 129

Bei Absatz 2 muss der Vorsatz auf die Verbreitung der Schrift in Kenntnis ihres Inhalts, insbesondere der ihr zugrunde liegenden hassschürenden, hetzerisch diskriminierenden oder verunglimpfend menschenwürdefeindlichen Tendenzen oder auf eine der sonst angeführten Tathandlungen gerichtet sein. Eine Identifizierung des Verbreiters mit der inkriminierten Äußerung wird nicht vorausgesetzt (vgl. Rdn. 86). Bei den Vorbereitungshandlungen des Absatzes 2 Nr. ld) bedarf es zusätzlich der dort vorausgesetzten Absicht strafbaren Verbreitens.

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Das Vorsatzerfordernis bzgl. des Leugnens gem. Absatz 3 wird kontrovers diskutiert. 5 2 1 Da Leugnen i.S. von Absatz 3 das Bestreiten, In-Abrede-Stellen oder Verneinen von geschichtlichen Tatsachen ist, setzt der Vorsatz voraus, dass der Täter entweder weiß oder zumindest billigend in Kauf nimmt, dass die Völkermordhandlung entgegen seiner Behauptung tatsächlich stattgefunden hat. Bei konsequenter Anwendung der Grundsätze des § 16 Abs. 1 handelt danach ohne Vorsatz, wer aus Dummheit oder ideologischer Verblendung überzeugt ist, dass die historischen Tatsachen des NS-Völkermords nicht stattgefunden haben, selbst wenn diese offenkundig sind. Demgegenüber geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass eine „bewusste Lüge" nicht erforderlich sei. 5 2 2 Jedenfalls bei einer Äußerung, die nicht nur eine begrenzte Völkermordhandlung, sondern den gesamten Holocaust oder ein ihn kennzeichnendes Teilgeschehen betreffe, könne es für den Vorsatz nicht darauf ankommen, ob dem Täter abzunehmen wäre, dass er die historisch unzweifelhafte Tatsache des Vernichtungsgeschehens in Auschwitz in revisionistischer Verblendung negiere. Vielmehr habe der Gesetzgeber mit § 130 Abs. 3 gerade auch den Unbelehrbaren begegnen wollen. Danach reicht es aus, wenn sich der Täter der sozialen Relevanz seiner leugnenden Äußerung bewusst ist, er also weiß oder im Sinne eines dolus eventualis für möglich hält, dass er sich gegen die Geschichtsschreibung wendet. 5 2 3 Nach gegenteiliger Auffassung ist diese verständliche Sichtweise mit den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Schuldstrafrechts nicht mehr in Einklang zu bringen, weil sie auch denjenigen unter Strafe stellt, der glaubt, seine Äußerung entspreche der Wahrheit, und der sich (lediglich) in Widerspruch zu dem setzt, was nach „herrschender Meinung" für diese unbestreitbar eine historische Tatsache ist. 5 2 4 Diese eng am Gesetzeswortlaut orientierte

Schroeder J R 1 9 7 9 89, 92. Vgl. BGHSt 2 9 159, 161; BGH 2 StR 817/79 vom 2 . 4 . 1 9 8 0 . 5 2 0 Vgl. Blau J R 1986 82, 83. 521 Vgl. die Darstellung des Meinungsstandes bei Leukert Die strafrechtliche Erfassung des Auschwitzleugnens, S. 104 ff. 5 2 2 BGHSt 4 7 2 7 8 ; krit. hierzu Geilen FS Herzberg, S. 593, 5 9 7 ff. 5 2 3 BGHSt 4 7 2 7 8 ; 281 f; vgl. auch BGH NJW 2 0 0 5 689, 691 bzgl. des Verharmlosens; so auch Rudolphi SK 6 Rdn. 23; Ostendorf NK Rdn. 37; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 60 V Rdn. 68; Stegbauer NStZ 2 0 0 0 281, 2 8 6 ; ders. JR 2 0 0 3 74, 75; ders. 2 0 0 4 281, 518

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2 8 3 ; Wandres Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 231; Leukert Die strafrechtliche Erfassung des Auschwitzleugnens, S. 103 ff, 114. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 20; Miebach/Schäfer MK Rdn. 81; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 7 ; Arzt/Weber BT § 4 4 Rdn. 46; Kindhäuser LPK Rdn. 29; Streng J Z 2001 205, 2 0 7 f (gesetzgeberisches Versagen); krit auch Jahn Strafrechtliche Mittel gegen Rechtsextremismus, S. 2 0 0 ; Schubert Verbotene Worte? S. 215; Geilen FS Herzberg, S. 593, 5 9 9 ff (versteckte Umgehung des § 16).

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§ 130

Auslegung des Merkmals „Leugnen" steht allerdings im Widerspruch zur ausdrücklichen Intention des Gesetzgebers, der auch die „Unbelehrbaren" mit den Mitteln des Strafrechts erfassen wollte und damit den gesellschaftlichen Konsens über die historischen Begebenheiten zum Bezugspunkt der Tathandlung des Leugnens gemacht h a t . 5 2 5 In der Praxis dürfte sich das Problem häufig auf der tatsächlichen Ebene lösen lassen. Im Hinblick auf die Offenkundigkeit der geschichtlichen Tatsachen werden dem Nachweis zumindest eines dolus eventualis bzgl. der Unrichtigkeit der Äußerungen in vielen Fällen keine unüberwindbaren Hindernisse entgegenstehen. 5 2 6

H. Tatbestandsausschlussklausel gem. Absatz 6 Absatz 6 erklärt bei Tathandlungen nach den Absätzen 2 bis 5 die auf dem Gedanken der sozialen Adäquanz beruhende Vorschrift des § 86 Abs. 3 für entsprechend anwendbar. Die Sozialadäquanzklausel enthält einen Tatbestandsauschluss, keinen Rechtfertigungsgrund. 527 Danach entfällt der Tatbestand, wenn die Schrift oder Darbietung oder die Handlung nach den Absätzen 3 und 4 der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient (vgl. hierzu § 86 Rdn. 3 7 ff). Diese Inbezugnahme dient angesichts der Weite des Tatbestands, vor allem in der Verharmlosungsalternative des Absatzes 3, der Sicherung von Grundrechten, insbesondere des Artikels 5, vor Einschränkungen, die zum Schutz des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats nicht erforderlich sind. 5 2 8

131

Die Sozialadäquanzklausel dürfte im Rahmen des § 130 weitgehend bedeutungslos sein, weil Äußerungen oder Schriften, die zum Hass aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordern oder die Menschenwürde anderer angreifende Beschimpfungen, Verächtlichmachungen oder Verleumdungen enthalten, mit den privilegierten Zwecken des ξ 86 Abs. 3 kaum vereinbar sind. 5 2 9 Entsprechendes gilt, wenn z.B. der Holocaust in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gebilligt oder geleugnet wird. Eine Anwendbarkeit kommt allenfalls in Ausnahmefällen in Betracht. Zu denken ist an das Verteilen von Schriften im Schulunterricht zu Ausbildungszwecken 5 3 0 oder bei kritischer Presse- und Fernsehberichterstattung über rassistische Äußerungen durch Rechtsradikale. Werden mit einer rechtsextremistischen Gruppierung geführte Fernsehinterviews oder Zusammenschnitte anstößiger volksverhetzender Äußerungen ohne eine kritische oder distanzierende Begleitkommentierung ausgestrahlt und drängt sich dabei dem Zuschauer der Eindruck einer schlichten Sprachrohrfunktion der Medien für strafrechtlich relevante Äußerungen auf, kommt eine Privilegierung nach

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Vgl. BTDrucks. 12/7960, S. 4; 12/8411, S. 4; Streng JZ 2001 205, 207. In diesem Sinne auch Miebach/Schäfer MK Rdn. 81; Fischer Rdn. 44. BGHSt 46 36, 43 ff; 46 212, 217 f; 47 278, 282 f; Miebach/Schäfer MK Rdn. 82; Sch/ Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 25; Rudolphi/Stein SK Rdn. 38; Laufhütte/Kuschel LK § 86 Rdn. 36, zweifelnd

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Fischer Rdn. 46; aA Streng J Z 2001 205, 208; Stegbauer JR 2003 74, 75. Vgl. BTDrucks. 12/6853, S. 24; BGHSt 46 36, 43. Vgl. Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 25; Fischer Rdn. 46. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 25; Miebach /Schäfer MK Rdn. 84.

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§130

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

§ 86 Abs. 3 nicht in Betracht. 5 3 1 Nachdruck und Vertrieb von zum Hass gegen die in Absatz 2 genannten Gruppen aufstachelnden NS-Schriften oder von daran anknüpfenden rechtsradikalen Schriften werden auch dann nicht von Absatz 6 gedeckt, wenn sie vom Hersteller bzw. Verbreiter nicht zum Zwecke neonazistischer Agitation bestimmt, sondern als Information über „Wesen und ideologische Grundlagen" des Nationalsozialismus gedacht sind. Denn der in Absatz 6 vorausgesetzte Berichterstattungscharakter muss folgerichtig aus dem Darstellungsinhalt zu entnehmen sein; das Merkmal „dienen" beschreibt die objektive, aus dem Inhalt zu ermittelnde Zwecksetzung. 532 Nicht in der Schrift zum Ausdruck kommende Informationsziele des Herausgebers oder Verbreiters vermögen die fortbestehende Gefährlichkeit solcher Schriften und ihre potentiell hassschürende Wirkung im Rahmen neonazistischer Erscheinungen nicht zu relativieren. Das gilt in gleicher Weise im Falle kommentarloser Übernahme antisemitischer Äußerungen eines bekannten Rechtsextremisten ohne gleichzeitige kritische Distanzierung des Herstellers in einem Dokumentarfilm. Auch bei dem antiquarischen Einzelvertrieb von NSHetzschriften ist Absatz 6 in der Regel nicht einschlägig. 533 Lediglich zur Ausscheidung von nicht als strafwürdig zu erachtenden Fällen bietet sich hier - je nach den Umständen des Einzelfalles - die Sozialadäquanzklausel als korrektiver Ansatz für eine Tatbestandseinschränkung an; z.B. im Falle einer Veräußerung an eine universitäre Einrichtung oder Bibliothek zu wissenschaftlichen Zwecken oder bei einem Zugänglichmachen in einer solchen Einrichtung. 5 3 4 Als sozialadäqat wurde auch angesehen, wenn der Betreiber einer Internet-Homepage Hyperlinks zu nationalsozialistischen Propagandaseiten setzt, um eine umfassende Diskussion über Zensur im Internet zu ermöglichen, wenn er sich vom Inhalt der Seiten ausdrücklich distanziert. 535 Dieselben Grundsätze gelten für die Möglichkeit von Friktionen mit der grundgesetzlich garantierten Freiheit der Kunst, die selbst bei Anwendung eines weiten Kunstbegriffs nur selten einer Strafbarkeit nach § 130 entgegenstehen dürfte (vgl. § 86a Rdn. 2 7 ff; § 131 Rdn. 5 3 ) . 5 3 6 Allenfalls gerechtfertigt, aber nicht sozialadäquat sind auch Tathandlungen von V-Personen, bei denen der Zweck (Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen oder Strafverfolgung) nach außen nicht hervortritt. 5 3 7 133

Soweit § 86 Abs. 3 für den Tatbestandsausschluss auch ähnliche Zwecke nennt, muss es sich um solche handeln, die in ihrem Gewicht den anderen in Absatz 3 ausdrücklich genannten gleichkommen. Der Bundesgerichtshof zählt dazu im Hinblick auf die Möglichkeit zu wirksamer Verteidigung als notwendiger Bestandteil eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens sowie im Hinblick auf Art. 12 GG auch die Strafverteidigung.538 Dadurch soll vermieden werden, dass prozessual erlaubtes, im Rahmen wirksamer Verteidigung liegendes Verhalten in den Anwendungsbereich des auslegungsbedürftigen

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Zu den Eingrenzungskriterien sozialadäquater Berichterstattung s. EGMR NStZ 1995 237. Vgl. Lackner/Kühl § 86 Rdn. 8. Vgl. Bottke Buch und Bibliothek 1980 254, 2 5 9 ; in BGHSt 2 9 7 3 nur unter dem Gesichtspunkt der §§ 86, 86a erörtert; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 25. Vgl. Bottke Buch und Bibliothek 1980 254,

260. 535

LG Stuttgart ITRB 2 0 0 5 271; OLG Stuttgart M M R 2 0 0 6 387.

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Vgl. BVerfGE 75 2 4 9 ; 7 7 2 4 0 , 253 ff; 82 1; 83 130, 138 f; BGHSt 3 7 55, 58 f; BayObLG N J W 1995 1 4 5 , 1 4 6 ; KG JR 1998 213, 215 f; OLG Koblenz StV 1985 15. Fischer Rdn. 46a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 84; vgl. auch LG Cottbus NJ 2 0 0 5 2 7 7 ; Kubiciel NStZ 2 0 0 3 57, 58 f. BGHSt 4 6 36, 4 3 ff; 4 7 278, 2 8 2 ; BGH N J W 2 0 0 6 2 4 2 1 ; zust. Stegbauer JR 2 0 0 1 3 7 ; Streng J Z 2 0 0 1 205, 2 0 8 ; Wohlers StV 2 0 0 1 4 2 0 , 4 2 8 ; Widmaier FG BGH 50, Bd. IV, S. 1043, 1046 f; vgl. auch BGH N J W 2 0 0 6 2421.

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Volksverhetzung

§ 130

Straftatbestands des § 130 fallen kann (zur ähnlichen Problematik bei § 129 vgl. dort Rdn. 145 ff). Der Tatbestandsausschluss greift allerdings dann nicht ein, wenn der Verteidiger mit seinem Handeln ausschließlich verteidigungsfremde Zwecke verfolgt und sein Verhalten sich nur den äußeren Anschein der Verteidigung gibt. Ob dies der Fall ist, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände festzustellen. Erweist sich etwa das Verharmlosen des Holocaust als unvermeidlicher oder dem Verteidiger gar „erwünschter Begleiteffekt" neben der Verfolgung anerkannter Verteidigungszwecke, greift die Tatbestandsausschlussklausel. Dagegen kann im Gewände von Prozesserklärungen oder Antragstellungen Volksverhetzung begangen werden, wenn eine ausschließlich von politisch-demonstrativem Charakter geprägte Äußerung mit beschimpfenden Formulierungen zur Sachaufklärung und Verteidigung im konkreten Verfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt etwas beizutragen vermag. 5 3 9 In Fällen des Leugnens des gesamten Holocaust oder eines ihn kennzeichnenden Teilgeschehens drängt sich die Annahme verteidigungsfremden Verhaltens auf, da entsprechende Äußerungen regelmäßig zur Sachaufklärung oder rechtlichen Beurteilung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt etwas beizutragen vermögen. 5 4 0 Ein Bezug zur Strafverteidigung wurde beispielsweise verneint bei einem Antrag der Verteidigung, die Hauptverhandlung auszusetzen, um die Verfassungsmäßigkeit des § 130 Abs. 3, 4 überprüfen zu lassen, der u.a. damit begründet war, diese Vorschriften dienten nur der strafrechtlichen Flankierung des Kollektivschuldwahns und der Absicherung des von Protagonisten bundesdeutscher Politik definierten Geschichtsmythos, dessen Kern die Behauptung der Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden durch die Nationalsozialisten sei. 5 4 1

I. Rechtswidrigkeit Eine Rechtfertigung nach Art. 5 GG kommt grundsätzlich nicht in Betracht. 5 4 2 Das durch Art. 5 Abs. 1 GG normierte Grundrecht der Meinungsfreiheit findet seine Schranke in dem dem Schutz der Menschenwürde und des öffentlichen Friedens dienenden Volksverhetzungstatbestand, 543 der zu den die Meinungsfreiheit einschränkenden allgemeinen Gesetzen i.S. des Art. 5 Abs. 2 G G gehört. 5 4 4 Der Meinungsfreiheit ist durch die Tatbestandsbegrenzungen des § 130 und den vom Bundesverfassungsgericht immer wieder hervorgehobenen Grundsatz, grundrechtsbeschränkende allgemeine Gesetze stets ihrerseits im Lichte der wertsetzenden Bedeutung des jeweiligen Grundrechts im freiheitlich demokratischen Rechtsstaat auszulegen und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder einschränkend zu interpretieren, 545 bereits auf tatbestandlicher Ebene in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise Rechnung getragen. So ist stets zu

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BGHSt 4 6 36, 45 f. BGHSt 4 7 278, 2 8 3 . OLG Nürnberg 2 St OLG Ss 13/06 vom 10.5.2006 bei Stegbauer NStZ 2 0 0 8 73, 79 f; vgl. auch BGH NJW 2 0 0 6 2421. Vgl. BAG NJW 1996 2 2 5 3 ; OLG Düsseldorf NJW 1986 2518, 2519; AG Linz NStZ-RR 1996 358; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 26; Miebach/Schäfer MK Rdn. 87; vgl. auch Stegbauer Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 180 ff.

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Vgl. OLG Düsseldorf N J W 1986 2518, 2519; OLG Koblenz StV 1985 15, 16; Bay N J W 1994 952, 953 m. Bspr. bzw. Anm. Hufen JuS 1994 1977; Otto J R 1994 4 7 3 , 4 7 4 ; KG J R 1998 213, 215 f; LG Hannover NdsRpfl 1995 110, 111; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2 6 . Vgl. BVerfG N J W 2 0 0 1 61, 62; 2 0 0 3 6 6 0 , 661. Vgl. BVerfGE 4 7 198, 232, BVerfG N J W 1992 1439; 2 0 0 3 660, 661.

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§ 130

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

prüfen, welche Interpretationsmöglichkeiten sich aus dem Sinnzusammenhang einer Äußerung oder einer Schrift ergeben; bei mehrdeutigen Äußerungen sind die zur Straflosigkeit führenden Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren Gründen auszuschließen. 546 Um einen den Wertvorstellungen des Grundgesetzes entsprechenden Ausgleich der verfassungsmäßig geschützten, gegenläufigen Interessen zu finden, ist eine Abwägung der Meinungsäußerungsfreiheit mit anderen von der Verfassung geschützten Gütern, die Art. 5 widerstreiten, erforderlich, wobei keinem Wert, mit Ausnahme der Menschenwürde, von vornherein Vorrang vor den anderen eingeräumt werden darf. 547 135

In gleicher Weise findet die Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG ihre Schranke in § 130; z.B. im Falle der Ausstellung einer volksverhetzenden Collage 548 oder in einer den Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 2 erfüllenden Beschimpfung von Asylanten in Reimform. 549 136 Für den rechtfertigenden Gesichtspunkt der berechtigten Interessenwahrnehmung (§ 193) ist ebenfalls kein Raum, angesichts der Art und der Angriffsintensität der gegen Bevölkerungsteile gerichteten Handlungsformen auch nicht bei Absatz 1 Nr. 2. 550 Im Hinblick auf den - insoweit unbestrittenen - überpersönlichen Rechtsgutscharakter kann auch die Einwilligung eines dem betroffenen Bevölkerungsteil angehörenden Erklärungsempfängers der verletzenden Äußerung die Rechtswidrigkeit niemals ausschließen.551

J. Täterschaft und Teilnahme 137

Es gelten die allgemeinen Regeln. Soweit § 130 als Außerungsdelikt ausgestaltet ist, kann dem Verbreiter einer fremden Erklärung diese nur dann täterschaftlich zugerechnet werden, wenn er sich deren volksverhetzenden Äußerungsgehalt erkennbar zu eigen gemacht hat (vgl. Rdn. 37). Versieht ein Dritter einen Pkw mittels Farbspray mit volksverhetzenden Parolen, so stellt sich das Umherfahren mit dem beschrifteten Kraftfahrzeug in Kenntnis der strafbaren Aufschrift für den Benutzer/Eigentümer als fortlaufende Kundgebung in den Handlungsformen des § 130 und damit als täterschaftliches Handeln dar. 552 Insoweit geht es nicht um die Frage eines Sichzueigenmachens bei der Weiterverbreitung als Fremdäußerung. Wird die volksverhetzende Parole von einem Dritten auf eine Hauswand aufgesprüht, so kann der Eigentümer mangels Beseitigungspflicht nicht nach § 130 durch täterschaftliches Unterlassen zur Verantwortung gezogen werden. 553

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BVerfG NJW 1990 1980, 1981; 2001 61, 62 (Bezeichnung als Jude); 2003 660, 661 (rhetorische Fragen); OLG Karsruhe NJW 2003 1200, 1201 (zu § 140); Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 26. Vgl. BVerfGE 81 278, 297; 93 266, 293; BVerfG NJW 2001 61, 62; 2003 661, 662; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 26. OLG Koblenz StV 1985 15; aA Streng FS Lackner, S. 501, 524. BayObLG NJW 1994 952; KG JR 1998 213,

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215 f; vgl. auch Fischer Die strafrechtliche Beurteilung von Werken der Kunst, S. 107 ff. Vgl. BGH NStZ-RR 2006 305, 306; OLG Hamm NStE Nr. 7 zu § 130 StGB; Sch/ Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 26; Miebach/Schäfer MK Rdn. 88; Ostendorf NK Rdn. 40. Miebach/Schäfer MK Rdn. 88; Maurach/ Scbroeder/Maiwald BT 2 § 60 V Rdn. 58. Vgl. Weber FS Oehler, S. 83, 85 f. Vgl. Weber FS Oehler, S. 83, 92 ff m.w.N.

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Volksverhetzung Κ.

§ 130

Rechtsgeltungsrecht

Es gelten die §§ 3 ff StGB. Im Fall des australischen Holocaust-Leugners Frederic Toeben hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 12. Dezember 2 0 0 0 entschieden, dass § 130 Abs. 1 und 3 auch für Seiten des „word-wide-web" ( W W W ) mit volksverhetzenden Inhalten gilt, die ein ausländischer Staatsbürger auf einem ausländischen Server bereitstellt, wenn die Seiten in Deutschland abgerufen werden k ö n n e n . 5 5 4 Dabei lässt der Bundesgerichtshof offen, ob ein inländischer Handlungsort nach § 9 Abs. 1 1. Alt. vorliegt, wenn ein inländischer Internet-Nutzer die Seiten auf dem australischen Server aufruft und damit die Dateien nach Deutschland „herunterlädt". 5 5 5 Ein inländischer Tatort wird aber aufgrund inländischen Erfolgsorts bejaht, da bei abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten wie § 1 3 0 Abs. 1 und 3 ein Erfolg im Sinne des § 9 auch dort eintrete, wo die konkrete Tat ihre Gefährlichkeit im Hinblick auf das im Tatbestandsmerkmal umschriebene Rechtsgut entfalten könne. 5 5 6 Bei der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 und 3 ist das die konkrete Eignung zur Friedensstörung in der Bundesrepublik Deutschland. Wann bei dem rein abstrakten Gefährdungsdelikt des § 1 3 0 Abs. 2 eine Handlung lediglich im Ausland zu einem Erfolg im Inland i.S. von § 9 Abs. 1 führen kann, ist offen (vgl. hierzu § 129b Rdn. 1 9 a ) . 5 5 7 Setzt der Betreiber einer deutschen Homepage Links zu inkriminierten Internetinhalten im Ausland, handelt er im Inland. 5 5 8

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In der Literatur wird auf die Problematik einer zu weiten Ausdehnung nationalen Strafrechts auf Handlungen außerhalb seines originären Geltungsbereichs hingewiesen, zumal Souveränitätsrechte desjenigen Staates betroffen sein können, auf dessen Territorium gehandelt wurde und wo die Tat möglicherweise sogar erlaubt ist. 5 5 9 Um bei den Internetdelikten eine strafrechtliche Selbstbeschränkung herbeizuführen, wird deshalb

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BGHSt 46 212; vgl. hierzu Hörnle NStZ 2001 309 ff; Jeßberger JR 2001 432; Klengel/Heckler CR 2001 243; Kudlicb StV 2001 397; ders. Jura 2001 305, 307 f; Heghmanns JA 2001 276; Koch JuS 2002 123; Lagodny JZ 2001 1198; Sieber NJW 1999 2065; ders. ZRP 2001 97; Valerius NStZ 2003 341; Gotting Kriminalistik 2007 615; abl. Rudolphi/Stein SK Rdn. 36; Velten FS Rudolphi (2004), S. 329 ff. Zum Teil wird befürwortet, im Hinblick auf die Netzstruktur des Internets den Ort der Handlung i.S. des § 9 Abs. 1 umfassender zu interpretieren und ihn nach den Standorten der an dem verursachten Datentransfer beteiligten Rechner zu bestimmen, womit der Begehungsort eines Äußerungsdelikts nicht nur am Ort der physischen Präsenz des Täters, sondern auch am Standort des Servers liegt, auf dem die jeweiligen Inhalte zum Abruf bereitgestellt werden, vgl. hierzu Cornils J Z 1999 394, 396 f; Sch/Schröder/ Eser § 9 Rdn. 4. Einen inländischen Handlungsort verneinend Rudolphi/Stein SK Rdn. 36; Kudlich StV 2001 397, 398; Klengel/Heckler CR 2001 243, 244; Hilgendorf/

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Frank/Valerius Computer- und Internetstrafrecht (2005) Rdn. 233; vgl. auch Werle/Jeßberger JuS 2001 35, 39; Sieber NJW 1999 2065, 2070; Gotting Kriminalistik 2007 615, 618 (Täter handelt, wo er sich körperlich aufhält und dort, wo er die Daten bearbeitet, ablegt oder hinschickt); Heinrich FS Weber, S. 91 ff. BGHSt 46 212, 221; OLG Stuttgart MMR 2006 387. Vgl. OLG Stuttgart MMR 2006 387; Stegbauer NStZ 2008 73, 74; einen Erfolgsort ablehnend und zum Streitstand Klengel/ Heckler CR 2001 243, 246; einen Erfolgsort in bestimmten Fällen bejahend Werle/Jeßberger LK § 9 Rn 89. Stegbauer NStZ 2008 73, 74. Vgl. Valerius NStZ 2003 341, 342; Koch JuS 2002 123, 124; Heghmanns JA 2001 276, 279; Lagodny J Z 2001 1198; Sieber NJW 1999 2065, 2068; Hilgendorf NJW 1997 1873, 1874; Collardin CR 1995 618, 621; Hilgendorf/Frank/Valerius Computer- und Internetstrafrecht (2005) Rdn. 249 (versteckte Erweiterung des Weltrechtsprinzips).

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§130

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

die teleologische Reduktion des § 9 Abs. 1 3. Alt. gefordert und eine zusätzliche völkerrechtliche Legitimation in Gestalt der Finalität 5 6 0 oder eines spezifisch territorischen Bezugs gefordert. 561 Zum Teil wird im Bereich der online-Kommunikation ein Regulativ auch im Unrechtsbewusstsein gesehen, das die spezifische Rechtsgutsverletzung nach der jeweiligen Rechtsordnung erfassen müsse. 562 Ein Verbotsirrtum liegt danach vor, wenn der Täter die Rechtsgutsverletzung nicht als Unrecht erkennt oder keine Verbindung zu der spezifischen Rechtsordnung herzustellen weiß. Der Bundesgerichtshof hat in BGHSt 4 6 212 über die in § § 3 bis 9 normierten Grundsätze des deutschen internationalen Strafrechts hinaus eine völkerrechtlich legitimierende Anknüpfung bejaht. Diese stützt er zum einen auf die Singularität der unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen, zum anderen auf die Bedeutung des Rechtsguts, das durch § 130 geschützt wird. 5 6 3

L. Konkurrenzen 140

Mit der Einfügung des Leugnungstatbestands (Abs. 3) und der Vorschrift des Absatzes 4 besteht ein Geflecht von ineinandergreifenden Vorschriften. Überschneidungen können sich insbesondere ergeben zwischen Absatz 3 und Absatz 1 Nr. 1, 2, zwischen Absatz 3 und Absatz 2 i.V.m. Absatz 5 sowie zwischen Absatz 3 und Absatz 4. Bei gleichzeitiger Erfüllung mehrerer Begehungsvarianten desselben Absatzes des § 130 liegt nur eine Tat vor. 5 6 4 Die wiederholte (iterative) gleichartige Verwirklichung des Tatbestands in unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Abfolge kann ebenfalls eine Tatbestandsverwirklichung (natürliche Handlungseinheit) sein. 565 Stellen sich die konkreten Handlungen nach Absatz 3 oder Absatz 4 im Einzelfall als qualifizierte Angriffe i.S. der Absätze 1 oder 2 dar, so ist eine tateinheitliche Verurteilung aus beiden Tatbeständen möglich und angezeigt. Damit wird dem besonderen menschenwürdefeindlichen Aspekt und dem gesteigerten Verhaltensunwert derartiger Äußerungsformen Rechnung getragen. 566 Dies gilt insbesondere für die sog. qualifizierte Auschwitzlüge, die damit über den bereits von Absatz 3 erfassten Unwertgehalt eines bloßen Bestreitens herausgehoben wird. § 130 Abs. 2 wird von § 130 Abs. 1 verdrängt, wenn die in § 130 Abs. 2 genannten Gruppen nur als Teile der inländischen Bevölkerung angegriffen werden. 567 Lebt die Gruppe auch im Ausland und wird sie insgesamt angegriffen, so besteht Tateinheit. 5 6 8

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Collardin CR 1995 618, 621. Vgl. Hilgendorf NJW 1997 1 8 7 3 , 1 8 7 6 ; Hörnle NJW 2 0 0 1 309, 310; Hilgendorf/ Frank/Valerius Computer- und Internetstrafrecht (2005) Rdn. 2 5 4 . Valerius NStZ 2 0 0 3 341, 3 4 4 . BGHSt 4 6 212, 221. Sch/Scbröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2 7 ; Miebach/Schäfer MK Rdn. 91; Rudolphi/Stein SK Rdn. 37; Fischer Rdn. 48. Rudolphi/Stein SK Rdn. 37; Rissing-van Saan LK vor § 52 Rdn. 35.

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Vgl. BTDrucks. 12/8588, S. 8; BGHSt 4 6 212, 217; Fischer Rdn. 48; Miebach/Schäfer MK Rdn. 91; Ostendorf NK Rdn. 42; König/Seitz NStZ 1995 1, 3. Vgl. BGHSt 4 6 212, 217; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 27; Miebach/Schäfer MK Rdn. 91; Stegbauer JR 2 0 0 4 281, 2 8 2 . Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 27; Miebach/Schäfer MK Rdn. 91; Fischer Rdn. 4 8 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 37; Hörnle NStZ 2 0 0 2 113, 116.

Matthias Krauß

Volksverhetzung

§ 130

Tateinheit kommt in Betracht mit §§ 86, 86a, 111, 129, 130a, 1 4 0 ; 5 6 9 desweiteren bei zweifacher Angriffsrichtung der Äußerung - mit § 1 6 6 . 5 7 0 § 140 Nr. 2 wird von § 130 Abs. 3 verdrängt, wenn der Täter lediglich den Holocaust billigt. 5 7 1

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Tateinheitlich kann § 130 auch mit §§ 185 ff zusammentreffen, wenn ein Einzelner unter einer Kollektivbezeichnung angegriffen w i r d . 5 7 2 Das Bestreiten und Verharmlosen von NS-Gewalt- und Willkürmaßnahmen erfüllt vor allem dann zugleich die Tatbestände der §§ 185, 186, wenn die vom Äußernden gebrauchten Formulierungen („Erfindung", „Gaskammer-Mythos", „astronomische Z a h l e n " , „Greuelmärchen zionistischer Berufslügner" etc.) oder die Begleitumstände der Kundgabe (öffentliche Bezichtigung der Lüge etc.) geeignet sind, das besondere Verfolgungsschicksal der Betroffenen, welches Teil ihrer persönlichen Würde i s t , 5 7 3 verächtlich zu machen. 5 7 4 Ferner kommt Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189) in Betracht. 5 7 5 Mit der tateinheitlichen Erfassung nach §§ 185 ff wird der Charakter der Tat als einer spezifischen Verletzung des Persönlichkeitsrechts und der über den Tod fortwirkenden individuellen Menschenwürde hervorgehoben. 5 7 6

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Idealkonkurrenz mit § 131 liegt vor, wenn von mehreren Teilen einer Schrift ein Teil unter § 130, der andere unter § 131 fällt. 5 7 7 Dagegen tritt § 131 zurück, wenn die Gewaltverherrlichung inhaltlicher Teil der Äußerung nach § 130 i s t . 5 7 8 § 2 7 JugSchG wird von § 130 Abs. 2 Nr. l c verdrängt. 5 7 9

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M. Rechtsfolgen I. Strafrahmen Das Gesetz sieht für die verschiedenen Tatbestände differenzierende Strafdrohungen vor. Der Strafrahmen der Volksverhetzungsalternative des Absatzes 1 beträgt Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren. Der Strafrahmen für den Verbreitungstatbestand des Absatzes 2 (Mindeststrafe Geldstrafe, Höchststrafe Freiheitsstrafe von drei Jahren) hebt sich nicht unerheblich von dem Strafmaß des Absatzes 1 a b . 5 8 0 Für den Leugnungstatbestand (Absatz 3) sieht das Gesetz Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vor; bei der Verbreitung von Schriften derartigen Inhalts ist der Höchststrafrahmen - durch

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Fischer Rdn. 48; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 27; Kindhäuser LPK Rdn. 32. Vgl. Sch/Schröder/Lenckner § 166 Rdn. 23; aA Fischer GA 1989 445, 464. BGH NJW 1999 1561; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 27; Miebach/Schäfer MK Rdn. 93; Fischer Rdn. 48. Vgl. OLG Hamburg NJW 1970 1649, 1650; zu den Kriterien kollektiver Beleidigungsfähigkeit vgl. BGHSt 36 83, 85 ff; Maiwald JR 1989 485. Vgl. BVerfG NJW 1993 916; BGHZ 75 160, 162 f.

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Vgl. BGHSt 11 207, 208; 40 97, 103 f; BGH 5 StR 866/83 vom 27.1.1984. Vgl. BGHSt 40 97, 104; OLG Zweibrücken NStZ 1994 490, 491. Zum Ganzen vgl. Baumann NStZ 1994 392; krit. zum beleidigungsrechtlichen Aspekt Jakobs StV 1994 540. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 27; Miebach/Schäfer MK Rdn. 93. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 27; Miebach/Schäfer MK Rdn. 93; Fischer Rdn. 48. Fischer Rdn. 48; Miebach/Schäfer MK Rdn. 93. Krit. hierzu Hörnle NStZ 2002 113,116.

Matthias Krauß

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§130

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

die Verweisungsnorm des Absatzes 5 - dem Verbreitungstatbestand (Absatz 2) angeglichen. 5 8 1

Π. Strafzumessungsgesichtspunkte 145

Bei der Strafzumessung nach Absatz 1 kann nicht strafmildernd berücksichtigt werden, wenn der Täter von der sachlichen Richtigkeit des Vorgebrachten (Leugnen der systematischen Tötung von Juden in Gaskammern unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft) überzeugt ist, weil der Massenmord als geschichtliche Tatsache offenkundig ist und das bewusste Hinwegsetzen über offenkundige Tatsachen keine Strafmilderung verdient. 5 8 2 Ebensowenig ist politische Verblendung im Zusammenhang mit dem Leugnen des Holocaust ein Strafmilderungsgrund. 583 Für die Strafzumessung nach Absatz 3, bei dem schon das bloße Leugnen tatbestandsmäßig ist, kann nichts anderes gelten. 5 8 4 Aufgrund des unterschiedlichen Gewichts der Tathandlungen des Absatzes 3 ist bei der Strafzumessung zwischen der Erfüllung der schwersten Deliktsform des Billigens, der leichtesten Deliktsform des Verharmlosens und des dazwischenliegenden Tatbestands des Leugnens zu differenzieren. 585

ΙΠ. Einziehung und Verfall 146

Zu beachten ist die Sonderregelung des § 74d über die Einziehung und Unbrauchbarmachung von Schriften.

N. Prozessuales I. Verjährung 147

Die Verjährungsfrist beträgt gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 bei allen Tatvarianten grundsätzlich fünf Jahre. Soweit die Tat als Presseinhaltsdelikt begangen wird, richtet sich die Verjährung nach den Pressegesetzen der Länder; es denn, Straftaten nach § 130 sind von den landesrechtlichen Verjährungsregeln ganz oder teilweise ausgenommen. 5 8 6

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Krit. zur Strafrahmensenkung für die u.U. massenhafte Verbreitung von Äußerungen durch Schriften Fischer Rdn. 41. BGH N J W 1995 3 4 0 zu § 130 a.F.; vgl. auch LG Mannheim NJW 1994 2 4 9 4 m. Anm. Bertram N J W 1994 2 3 9 7 ; Sendler ZRP 1994 377; zust. Miebach/Schäfer MK Rdn. 95; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLiebeti Rdn. 2 8 ; vgl. auch Jung JuS 1995 462. BGH N J W 1995 340.

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Zweifelnd Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 28. BGH J R 2 0 0 1 34, 37 (insoweit in BGHSt 4 6 36 nicht abgedruckt); Stegbauer JR 2 0 0 1 37, 38; Miebach/Schäfer MK Rdn. 95. Vgl. z.B. § 2 4 Abs. 1 S. 2 LPressG BW; Art. 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BayPresseG; § 3 7 Abs. 1 S. 2 LMedienG RhPf.; s.a. Löffler/ Ricker Handbuch des Presserechts, 5. Aufl. 2 0 0 5 , 11. Abschn. X Rdn. 33.

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Anleitung zu Straftaten

§ 130a

Π. Klageerzwingungsverfahren Nach der hier vertretenen Auffassung zum Schutzgut sind die Angehörigen einer durch Volksverhetzung betroffenen Bevölkerungsgruppe im Klageerzwingungsverfahren antragsberechtigt; denn zur Begründung der Verletzteneigenschaft nach § 172 StPO genügt es, dass die verletzte Norm nur nachrangig ein den Antragsteller betreffendes individuelles Gut schützt. 5 8 7 Anträge, die vom Verbandsvertreter als solchen im Klageerzwingungsverfahren gestellt werden, sind dagegen unzulässig, da die Verbände keine unmittelbar Verletzten i.S. von § 171 Abs. 1 S. 1 StPO sind. 5 8 8

§ 130a Anleitung zu Straftaten (1) Wer eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die geeignet ist, als Anleitung zu einer in § 1 2 6 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat zu dienen, und nach ihrem Inhalt bestimmt ist, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen, verbreitet, öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer 1. eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die geeignet ist, als Anleitung zu einer in § 1 2 6 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat zu dienen, verbreitet, öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht oder 2 . öffentlich oder in einer Versammlung zu einer in § 1 2 6 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat eine Anleitung gibt, um die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen. (3) § 8 6 Abs. 3 gilt entsprechend. Schrifttum Achenbach Kriminalpolitische Tendenzen in den jüngeren Reformen des besonderen Strafrechts, JuS 1980 82; ders. Das Terrorismusgesetz 1986, Kriminalistik 1987 296; Amelung/Hassemer/Rudolphi/Scheerer Stellungnahme zum Artikelgesetz, StV 1989 72; Birkenmaier Mit falschen Mitteln gegen den Terror, DRiZ 1987 68; Blei Das 13. Strafrechtsänderungsgesetz, JA 1975 27; Dehrn Aufhebung der §§ 88a und 130a StGB, JA 1981 670; Demski/Ostendorf „Vom Kanzelparagraph zur Anleitung zu Straftaten — Der § 130a StGB — ein Paradebeispiel für ein politisch instrumentalisiertes Strafrecht", StV 1989 30; Dencker Das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus, StV 1987 117; ders. Kronzeuge, terroristische Vereinigung und rechtsstaatliche Strafgesetzgebung, KritJ 1987 36; Derksen Die Hinterlegung einer Anleitung zur Herstellung von Sprengstoffen in einer Mailbox - ein strafbarer Verstoß gegen das Waffengesetz? NJW 1998 3760; Ebert Tendenzwende in der Straf- und Strafprozeßgesetzgebung, JR 1978 136; Franke Strukturmerkmale der Schriftenverbreitungstatbestände des StGB, GA 1984 452; Jescheck Strafrechtsreform in Deutschland, SchwZStr. 100 (1983) 1; Jung 14. Strafrechtsänderungsgesetz, JuS 1976 477; ders. Strafvorschriften der §§ 88a und 130a

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Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1986 1277; Meyer-Goßner StPO § 172 Rdn. 11; Schmid KK StPO § 172 Rdn. 23; Haas GA 1988 494; Miebach/Schäfer MK Rdn. 100; aA

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OLG München NJW 1985 2430, 2431; OLG Stuttgart Die Justiz 1992 186. OLG Brandenburg 1 Ws 75/06 vom 15.5.2006 bei Stegbauer NStZ 2008 73, 77.

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§ 130a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

StGB aufgehoben, JuS 1981 854; Krauß Sicherheitsstaat und Strafverteidigung, StV 1989 315; Kühl Neue Gesetze gegen terroristische Straftaten, N J W 1987 737; Laufhütte Das 14. Strafrechtsänderungsgesetz, MDR 1976 441; Marxen Strafgesetzgebung als Experiment? GA 1985 5 3 3 ; MüllerDietz Vom Wort der Gewalt und der Gewalt des Wortes, Festschrift Würtenberger (1977) S. 167; Naucke Über deklaratorische, scheinbare und wirkliche Entkriminalisierung, GA 1984 199; Rogall Die verschiedenen Formen des Veranlassens fremder Straftaten, GA 1979 11; Rudolphi Notwendigkeit und Grenzen einer Vorverlagerung des Strafschutzes im Kampf gegen den Terrorismus, ZRP 1979 214; Schroeder Der Schutz von Staat u. Verfassung (1970); Schwind/Baumann Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Analysen und Vorschläge der Unabhängigen Regierungskommission (Gewaltkommission) Bd. 1 - 4 (1990); Stree Strafschutz im Vorfeld von Gewalttaten, NJW 1976 1177; Sturm Zum 14. Strafrechtsänderungsgesetz (Gewaltbekämpfung), J Z 1976 3 4 7 ; Wagner Drei Jahre § 88a StGB - eine Zwischenbilanz, ZRP 1 9 7 9 2 8 0 ; v. Winterfeld Terrorismus „Reform" ohne Ende ZRP 1977 265; Zieschang Die Gefährdungsdelikte (1998).

Entstehungsgeschichte Anlass des im Jahr 1871 (RGBl. I S. 442) in das Reichsstrafgesetzbuch eingefügten § 130a war der beginnende Kulturkampf der Reichsregierung gegen den politischen Katholizismus. Der „Kanzelparagraph" richtete sich gegen katholische Geistliche und stellte unter Strafe, wer Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung machte. 1 Nachdem der Tatbestand in der Weimarer Republik kaum eine Rolle gespielt hatte, diente er im Nationalsozialismus als Instrument zur Verfolgung der kirchlichen Opposition, u.a. in Verfahren gegen Pastor Martin Niemöller und Pater Rupert Mayer. 2 Nachdem die Vorschrift durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 aufgehoben worden war, wurde sie durch das 14. Strafrechtsänderungsgesetz vom 2 2 . April 1976 (BGBl. I S. 1056) mit geändertem Inhalt wieder eingeführt. 3 Ziel war es, die Propagierung von Gewalt zu pönalisieren, um terroristischen Tendenzen entgegenzuwirken. Die verschiedenen Gesetzesentwürfe wollten mit § 130a sowohl die Anleitung zu als auch die Befürwortung von Gewalttaten erfassen. Die Norm wurde jedoch im Rahmen der Gesetzesberatungen aufgespalten und auf die Anleitung zu schweren Gewalttaten beschränkt, während die Befürwortung von Straftaten - tatbestandlich eingeengt auf Taten mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung - im ebenfalls neu eingefügten § 88a pönalisiert wurde. 4 Bereits fünf Jahre nach seiner Einführung wurde § 130a a.F. durch das 19. Strafrechtsänderungsgesetz vom 7. August 1981 (BGBl. I S. 808) wieder aufgehoben. 5 Begründet wurde dies mit den negativen Wirkungen der Vorschrift, insbesondere auf das geistige Klima sowie den Gefahren für die Meinungsfreiheit, die in keinem angemessenen Verhältnis zum kriminalpolitischen Nutzen stünden. 6

1

2 3

4 5

Vgl. Demski/Ostendorf StV 1 9 8 9 30 ff; Ostendorf NK Rdn. 2. Demski/Ostendorf StV 1 9 8 9 3 0 ff. Vgl. Ble, JA 1975 27, 3 0 ff; Jung JuS 1976 4 7 7 ; Laufhütte M D R 1976 441, 4 4 5 f; Sturm J Z 1976 347, 348 f; v. Winterfeld ZRP 1977 2 6 5 ; Stree NJW 1976 1177, 1180 f. Prot. 7/2375 ff. Vgl. BTDrucks. 9/23 u. 9/135; BTDrucks. 9/559; BRDrucks. 195/81.

518

6

Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 9/135, S. 3; vgl. auch Dehrn JA 1981 670; Ebert J Z 1983 633, 6 4 3 ; Geerds GA 1984 335; Jung JuS 1981 854; Vogel ZRP 1981 1, 5; sowie zur Gegenauffassung Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 9/135, S. 3: Minderheitsvotum; Schmidt MDR 1983 3 u. 1987 183.

Matthias Krauß

Anleitung zu Straftaten

§ 130a

Dieser Akt der „Entkriminalisierung" 7 wurde jedoch schon nach fünf Jahren wieder rückgängig gemacht und § 130a durch das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus vom 19. Dezember 1 9 8 6 (BGBl. I S. 2 5 6 6 ) in modifizierter Form mit einem deutlich erweiterten Anwendungsbereich wieder eingeführt. Hintergrund waren zunehmende Anschläge und Sabotageakte aus dem gewalttätigen Umfeld des Terrorismus. 8 Das wechselvolle Schicksal, das „ E x p e r i m e n t " 9 des § 130a, kann insgesamt kaum als Ausdruck gebotener gesetzgeberischer Beständigkeit und kriminalpolitischer Weitsicht gewertet werden. Im Vergleich zur Vorgängervorschrift wurde der Anwendungsbereich der Norm nicht unwesentlich erweitert. Zunächst erfasst die Neufassung nunmehr Anleitungen zu allen in § 126 Abs. 1 genannten Straftaten, also auch zu den in Nummer 7 aufgeführten gemeingefährlichen Vergehen. 1 0 Eine deutliche Erweiterung des Erfassungsbereichs sieht die neu eingefügte Tatbestandsvariante des Absatzes 2 Nr. 1 zur schriftlichen Anleitung vor. Sie bezieht auch solche Schriften ein, die die spezifische Zweckbestimmung des Absatzes 1 zur Förderung der Tatbereitschaft nicht enthalten. Dieses tatbestandseinschränkende objektive Merkmal wird nunmehr durch das Erfordernis einer entsprechenden subjektiven Zwecksetzung (Förderungsabsicht) des Täters als unrechtskonstitutives Element ersetzt. 1 1 Hinsichtlich der schriftlichen Anleitung ist die neue Vorschrift insoweit enger gefasst, als reine Vorbereitungshandlungen der Schriftenverbreitung wie Herstellen, Vorrätighalten etc. nicht genügen.

Gesetzesmaterialien Terrorbekämpfungsgesetz: Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU u. FDP (BTDrucks. 10/6286); Bericht des Rechtsausschusses (BTDrucks. 10/6635); BTRAusschProt. 10/99, 101 (Sachverständigenanhörung), 102, 103; BTVerh. 10/243, S. 18822 ff u. 10/254, S. 19789 ff; BRDrucks. 591/86; Entschließungsantrag der SPD-Fraktion (BTDrucks. 10/6654); vgl. ferner den gescheiterten Aufhebungsantrag der SPD-Fraktion (BTDrucks. 11/17) sowie Art. 1 Nr. 3 des Entwurfs eines Strafrechtsänderungsgesetzes der Fraktion Die Grünen (BTDrucks. 11/7139); konzeptionelle Dokumentation der BReg. StV 1988 42; zur Statistik BTDrucks. 11/1012. 14. StrÄndG: Entwürfe eines „Gesetzes zum Schutze des Gemeinschaftsfriedens" des Bundesrats (BTDrucks. 7/2854) und der Fraktion der CDU/CSU (BTDrucks. 7/2772); RegEntwurf eines 13. StRÄndG (BTDrucks. 7/3030 u. 7/3064); Vorlage an Vermittlungsausschuss (BTDrucks. 7/4808); Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses (BTDrucks. 7/4549); Protokolle des Sonderausschusses 7/2293 ff und 7/2373 ff. 19. StrÄndG: Entwurf der Fraktionen der SPD und FDP (BTDrucks. 9/23); Bericht des Rechtsausschusses (BTDrucks. 9/135); Einspruch des Bundesrats (BTDrucks. 9/559); Fraktionsantrag der SPD/FDP (BTDrucks. 9/576); Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses (BRDrucks. 195/81).

7 8

Naucke GA 1984 199, 203. Vgl. BTDrucks. 10/6286, S. 5; Kühl NJW 1987 737, 745; Jung JuS 1987 249; Demski/ Ostendorf StV 1989 30, 36; krit. Achenbach Kriminalistik 1987 296; Birkenmaier DRiZ 1987 68; Dencker RAusschProt. 10/101, S. 139.

9

10 11

Marxen GA 1985 533, 540; Eben JR 1978 136, 141. Krit. hierzu Miebach/Schäfer MK Rdn. 9. Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 10/6635, S. 13; Kast RAusschProt. 10/102, S. 64 ff.

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§ 130a

7. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n gegen die öffentliche O r d n u n g Übersicht Rdn.

I. II. ΠΙ. IV. V. VI.

Rechtsgut Deliktscharakter Kriminalpolitische Bedeutung Verfassungsrecht Tatbestandsgestaltung Objektiver Tatbestand des Absatzes 1 . . 1. Tatgegenstand a) Schriften b) Eignung, als Anleitung zu einer rechtswidrigen Katalogtat zu dienen aa) Begriff der Anleitung bb) Eignung, als Anleitung zu dienen cc) Objektiv erkennbare Zweckrichtung dd) Straftat nach § 126 Abs. 1 . . . c) Bestimmungsklausel aa) Inhaltliche Bestimmung . . . . bb) Wecken oder Fördern der Bereitschaft anderer 2. Tathandlung VII. Objektiver Tatbestand des Absatzes 2 Nr. 1

Rdn.

1 3 5 6 8 9 9 9

Vin.

10 10 IX. 12 13 14 16 17

X. XI. ΧΠ. ΧΙΠ.

21 23 24

XTV.

1. Tatgegenstand a) Bezug zu einer Katalogtat und Eignung zur Anleitung b) Objektiv erkennbare Zweckrichtung 2. Tathandlung Objektiver Tatbestand des Absatzes 2 Nr. 2 1. Anleitung zu einer der in § 126 genannten rechtswidrigen Tat 2. Öffentliche Äußerung 3. Versammlung Subjektiver Tatbestand 1. Vorsatz 2. Absicht gem. Absatz 2 a) Absatz 2 Nr. 1 b) Absatz 2 Nr. 2 Tatbestandsausschluss gem. Absatz 3 . . Versuch und Vollendung Konkurrenzen Rechtsfolgen 1. Strafe 2. Einziehung Prozessuales

24 26 27 28 29 30 32 33 34 34 35 36 37 38 39 40 42 42 43 44

I. Rechtsgut 1

Geschütztes Rechtsgut ist der innerstaatliche öffentliche Friede, d.h. sowohl der objektive Zustand der allgemeinen Rechtssicherheit und des frei von Furcht voreinander verlaufenden Zusammenlebens der Staatsbürger als auch das Vertrauen der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden leben zu können (zum Begriff vgl. § 126 Rdn. 1 ). 12 § 130a soll die Propagierung einfach nachzumachender Gewaltanwendungsrezepte erfassen. Ein derartiges Sanktionserfordernis im Vorfeld von Gewaltverbrechen wird gestützt auf entsprechende empirische Befunde über die zunehmende Verbreitung von Handbüchern, Broschüren, Flugblättern etc. mit detaillierten Anweisungen zu verschiedenen Methoden der Gewaltanwendung13 und den festgestellten auffälligen zeitlich/räumlichen Zusammenhängen zu tatsächlich durchgeführten Anschlägen.14 Diese rechtfertigen jedenfalls Aussagen über eine gewisse Wahrscheinlichkeit einer stimulierenden Wirkung solcher Schriften.15 Mit der Vorschrift soll der variantenreichen Praxis extremistischer Gruppen entgegengewirkt werden, ihren Anhängern durch Zugänglichmachen des technischen „Know-how" Hilfestellung zur Begehung von Gewalttaten zu leisten. Die Propagierung von Gewalt vermag auch in Gestalt der Anleitung bereits die Allgemeinheit zu gefährden;

12

Vgl. B T D r u c k s . 1 0 / 6 2 8 6 , S. 5 ; B T D r u c k s . 1 0 / 6 6 3 5 , S. 1 3 ; Miebach/Schäfer Lackner/Kühl Rdn. 2;

13

R d n . 1 ; Rudolphi/Stein

nebst A n l . S. 1 ; Trometer

SK

1 0 / 1 0 1 , S. 1 2 6 ; Eylmann

Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-

Lieben

R d n . 1 ; Ostendorf

häuser

L P K R d n . 1 ; einschr. Fischer

N K Rdn 4;

w e i t v o r v e r l e g t e r S c h u t z der öffentlichen Sicherheit u n d der v o n d e n in § 1 2 6 g e n a n n -

14

B K A R A u s s c h P r o t . 1 0 / 1 0 1 , Anl. S. 1 0 .

15

Vgl. Kühl

N J W 1 9 8 7 737, 745;

F S W ü r t e n b e r g e r , S. 1 6 7 , 1 8 4 .

ten D e l i k t e n verletzten Individualrechtsgüter.

520

RAusschProt. BT-Verh. 1 0 / 2 5 4 ,

S. 1 9 7 9 0 , 1 9 8 0 5 .

Kind-

Rdn. 2:

Vgl. B T D r u c k s . 1 0 / 6 6 3 5 , S. 1 2 ; Kast R A u s s c h P r o t . 1 0 / 1 0 2 , S. 7 1 u. 1 0 / 1 0 3 , S. 11

M K Rdn. 1;

Matthias Krauß

Müller-Dietz

Anleitung zu Straftaten

§ 130a

denn sie kann ein psychisches Klima schaffen, in dem schwere sozialschädliche Gewalttaten gedeihen und nachgeahmt werden.16 Mit dem Ziel, Nachahmungstendenzen zu verhindern, verbindet sich der Zweck, die öffentliche Sicherheit, aber auch das Gefühl der Rechtssicherheit zu schützen. Die Anleitung ist eine Form des Veranlassens fremder Straftaten unterhalb der 2 Schwelle der Anstiftung (§§ 26, 30) und Aufforderung (§ 111). Sie liegt typischerweise noch in deren Vorfeld und braucht sich - anders als die Anstiftung oder Bestimmung zu Straftaten 17 - nicht auf eine bestimmte, ihrem wesentlichen Unrechtsgehalt und der Angriffsrichtung nach fest umrissene, in ihren Grundzügen konkret-individualisierbare Straftat zu beziehen. Anders als die Aufforderung (§ 111), die eine unmittelbare Einwirkung auf fremde Entschlüsse, eine bestimmte appellativ-imperative Erklärung an die Motivation anderer 18 sowie eine zumindest allgemeine Opferkennzeichnung19 voraussetzt, erfolgt die Beeinflussung bei der Anleitung nicht in unverhüllt fordernder Form, sondern in mehr subtiler, mittelbarer Weise durch unterschwellige Motivierung zur Tatbegehung nach dem anleitenden „Strickmuster". 20 Zur tatsächlichen Förderung der Tatbereitschaft anderer braucht es nicht gekommen zu sein. Wegen dieser weiten Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes sind die Individualrechtsgüter der in § 126 genannten Delikte allenfalls mittelbar geschützt.

Π. Deliktscharakter Die Strafnorm wird z.T. als abstraktes Gefährdungsdelikt,21 zum Teil als potentielles 3 bzw. konkret-abstraktes Gefährdungsdelikt22 eingestuft. Zwar ist nicht erforderlich, dass die Bereitschaft anderer zur Tatbegehung tatsächlich gefördert worden ist. Auch ist die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens kein Tatbestandsmerkmal. Der Gesetzgeber hat aber bewusst davon abgesehen, das bloße Befürworten von Straftaten unter Strafe zu stellen (vgl. oben Entstehungsgeschichte). Stattdessen wird an die Eignung angeknüpft, als Anleitung zu einer Straftat dienen zu können. Die Schrift muss also tatsächlich geeignet sein, Kenntnisse über die Möglichkeiten einer Tatausführung zu vermitteln. Deshalb erscheint es gerechtfertigt, die Norm als potentielles Gefährdungsdelikt zu qualifizieren.23 Bei Absatz 1 handelt es sich um ein Verbreitungsdelikt,24 bei dem allein der Schrifteninhalt und nicht ein irgendwie geartetes Bekenntnis des Verbreiters zum Schrifteninhalt maßgebend ist. 25 Bei Absatz 2 dagegen wird der sozialschädliche Charakter maß-

16

17 18

19 20

21

Vgl. BTDrucks. 1 0 / 6 2 8 6 , S. 5, 8; s.a. BTDrucks. 7 / 3 0 3 0 , S. 5, 8; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Miebach/ Schäfer MK Rdn. 1; krit. Jakobs ZStW 97 (1985) 751, 7 8 2 f. BGHSt 34 63. BGHSt 32 310, 313; Rosenau LK § 111 Rdn. 17 f. BGHSt 31 16, 2 2 ; 32 310, 312. Vgl. Kast RAusschProt. 10/103, S. 13; Rogall GA 1979 11, 19; Schnarr NStZ 1990 258. Fischer Rdn. 2; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben

22 23

24

25

Rdn. 2; Ostendorf NK Rdn. 4; Kindhäuser LPK Rdn. 1; Zieschang Die Gefährdungsdelikte, S. 310. Miebach/Schäfer MK Rdn. 5. AA Rudolphi/Stein SK Rdn. 2, weil das Tatverhalten nur typischerweise, nicht aber in jedem Einzelfall eine solche Eignung aufweise. BGHSt 36 363, 370; Laufhütte M D R 1976 441, 445; s.a. Franke GA 1984 4 5 2 , 4 6 2 . Vgl. BGHSt 2 9 107, 108; Laufhütte M D R 1976 441, 445; Sturm J Z 1976 347, 3 4 8 ; Miebach/Schäfer MK Rdn. 6.

Matthias Krauß

521

4

§ 130a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

geblich durch die von dem Täter verfolgte gewaltfördernde Zwecksetzung bestimmt. Das subjektive Erfordernis, das sich als unrechtskonstitutives Merkmal in den Begleitumständen der Verbreitung manifestiert haben muss, 2 6 weist diese Alternative der Gruppe der Absichts- bzw. Tendenzdelikte zu. 2 7 Bei Absatz 2 Nr. 2 handelt es sich zudem um ein mündliches Äußerungsdelikt. 28

ΙΠ. Kriminalpolitische Bedeutung 5

Die justizpraktische Bedeutung der Vorschrift nach ihrer Wiedereinführung im Jahr 1986 als politische Reaktion auf aktuelle terroristische Anschläge ist ungeachtet der erweiternden Ausgestaltung gering. 29 Bereits während der fünfjährigen Geltungsdauer der alten Fassung gab es nur zwei Verfahren nach § 130a, wobei in einem der beiden Fälle (Anleitung zur Herstellung eines Molotow-Cocktails) statt des einschlägigen § 53 WaffenG fälschlich § 130a herangezogen wurde. 3 0 In der Polizeilichen Kriminalstatistik wird die Norm nicht gesondert erfasst. Die Strafverfolgungstatistik des Statistischen Bundesamtes weist folgende Zahlen auf: 3 1 Verurteilte 2 4 2 3 4 3 4 5 1 2

1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

IV. Verfassungsrecht 6

Die Strafnorm ist zahlreichen rechtspolitischen und verfassungsrechtlichen Einwendungen ausgesetzt. Diese richten sich gegen eine extensiv prophylaktische Vorfeldkriminalisierung, die als überzogen, 32 kriminalpolitisch nicht veranlasst 3 3 und nicht hinreichend empirisch untermauert 3 4 angesehen wird, weshalb Bedenken im Hinblick auf den

26 27 28

29

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Vgl. Dencker StV 1987 117, 121. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 30 II. Vgl. Miebach/Schäfer MK Rdn. 6; Fischer Rdn. 18; vgl. auch Franke GA 1984 452, 462. Vgl. auch Ostendorf NK Rdn 5; v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 4. Vgl. RAusschProt. 10/102, S. 71 u. 10/103, S. 10. Rechtspflegestatistik des Statistischen Bundes-

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amtes Fachserie 10, Reihe 3 (bezogen auf das alte Bundesgebiet). Vgl. Cobler RAusschProt. 10/101, S. 153; de With BTVerh. 10/254, S. 19793; Demski/ Ostendorf StV 1 9 8 9 30, 37. Vgl. schon Achenbach JuS 1980 82, 87; s.a. Rudolphi StV 1989 78. Cobler RAusschProt. 10/101, S. 2 0 6 ; Mann BT-Verh. 10/254, S. 19798.

Matthias Krauß

Anleitung zu Straftaten

§ 130a

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erhoben werden. 3 5 Belegt mit den Verurteilungszahlen werden Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit der Norm bestritten und dieser der Charakter eines bloßen „politischen Zeichens" mit „plakativer Signalwirkung gegen die Gewaltkriminalität aus dem terroristischen Umfeld" beigemessen. 36 Verfassungsrechtliche Bedenken werden außerdem aus dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz und dem Grundrecht des Art. 5 G G hergeleitet. 37 Kritisiert werden der hoch normative Charakter der Norm mit zu großem Auslegungsspielraum, unscharf konturierte tatbestandliche Begriffe 3 8 sowie das Fehlen eines relativ eindeutigen kriminellen objektiven Geschehens, d.h. eines gesicherten Tathintergrunds des Absichtsmerkmals des Absatzes 2 Nr. I , 3 9 weshalb die tatbestandliche Abgrenzungsfunktion in Frage gestellt wird. Die Eignungsklausel wird als wenig wirksames Mittel zur Beschränkung der Strafbarkeit angesehen; 4 0 das Absichtsmerkmal (Abs. 2 Nr. 1) und die Sozialadäquanzklausel (Abs. 3 i.V.m. § 8 6 Abs. 3) werden angesichts der Weite der Eignungsklausel als untauglich zur Ausscheidung sozialadäquater Verhaltensweisen gekennzeichnet. 41 Zu diesen Einwendungen ist zu bemerken: Die Schließung einer Strafbarkeitslücke durch § 130a kann wegen mangelnder Erfassbarkeit der Verbrechensanleitung durch andere Vorschriften nicht in Frage gestellt werden (siehe oben Rdn. 2). Ungeachtet der geringen Verurteilungszahlen ist auch ein Bedürfnis für eine Strafandrohung nicht zu verneinen. 4 2 Gerade die aktuellen Erfahrungen bei der Bekämpfung extremistisch-terroristischer Organisationen zeigen die Bedeutung terroristischer Handbücher, die häufig über das Internet verbreitet und in denen den Anhängern die nötigen Instruktionen für die Ausführung schwerwiegender Straftaten wie Waffenhandhabung, Sprengstoffkunde, Zusammenbau von Sprengvorrichtungen und Details einer Anschlagsplanung zur Verfügung gestellt werden. Die Bezeichnung als „Zensurparagraph" 4 3 und die Charakterisierung als „Paradebeispiel eines politisch instrumentalisierten Strafrechts" sowie als Instrument zur Bekämpfung oppositioneller Meinungen 4 4 sind unbegründet. Instruktionen zu Mord und Sprengstoffanschlägen unterfallen nicht dem Grundrecht der Meinungsfreiheit. Im Übrigen ist Art. 5 G G durch eine einschränkende Auslegung der Tatbestandsmerkmale Rechnung zu tragen. Dies gilt insbesondere für die sog. neutralen Anleitungsschriften bei Absatz 2 Nr. 1, bei denen eine restriktive Auslegung den verfassungs-

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Vgl. Rudolphi/Stein SK Rdn. 3; Fischer Rdn. 4; Hassemer NStZ 1989 553, 554; Jung JuS 1987 249, 250. Vgl. Fischer Rdn. 4; v. Bubnoff LK 11 Rdn. 4; Rudolphi/Stein SK Rdn. 3; vgl. auch Hassemer NStZ 1989 554, 558 f. Vgl. Achenbach Kriminalistik 1987 296, 297 u. JuS 1980 82, 88; Cobler RAusschProt. 10/101, S. 206; Demski/Ostendorf StV 1989 30, 37; Rudolphi/Stein SK Rdn. 3. Vgl. Dencker RAusschProt. 10/101, S. 223; Rudolphi StV 1989 72, 78 zu dem entsprechenden Fassungsvorschlag des § 130b; Achenbach JuS 1980 81, 87 f; ders. Kriminalistik 1987 296, 297; Demski/Ostendorf StV 1989 30, 37; Dencker StV 1978 117, 121; Hassemer StV 1989 72, 77; Jung JuS 1987 249, 250; krit. auch Rudolphi/Stein SK Rdn. 3; Rudolphi ZRP 1979 214, 221.

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Vgl. Dencker RAusschProt. 10/101, S. 141, 2 2 3 ; KritJ 1987 47 f; StV 1987 117, 121 (Gesinnungsstrafrecht); Demski/Ostendorf StV 1989 30, 37 (Paradebeispiel eines politisch motivierten Strafrechts); v. Winterfeld NJW 1987 2631, 2635; Schroeder Der Schutz von Staat und Verfassung, S. 2 9 8 ; s.a. BTDrucks. 11/7139, S. 24. Laufhütte RAusschProt. 10/101, Anl. S. 119; Kühl NJW 1987 737, 745; s.a. Giehring StV 1983 307. Dencker KritJ 1987 47, 48. Vgl. BTDrucks. 10/6635, S. 12; BTDrucks. 10/6286, S. 8; Miebach/Schäfer MK Rdn. 3; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Kühl NJW 1987 737, 745; krit. Fischer Rdn. 4; Rudolphi/Stein SK Rdn. 3. Mann BTVerh. 10/254, S. 19798. Demski/Ostendorf StV 1989 30, 37.

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§ 130a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

rechtlichen Gewährleistungen Rechnung tragen und sozialadäquate Verhaltensweisen verlässlich ausgrenzen muss (vgl. unten Rdn. 24). 4 5 Unter diesen Voraussetzungen dürfte auch Absatz 2 Nr. 1 den verfassungsgerichtlichen Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot noch entsprechen. 46

V. Tatbestandsgestaltung 8

Die Vorschrift unterscheidet zwischen den zwei Handlungsformen des Verbreitens usw. von Schriften (Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1) und der mündlichen Anleitung zu Straftaten in der Öffentlichkeit oder in einer Versammlung (Abs. 2 Nr. 2). Die Schriftenverbreitungsalternativen orientieren sich in ihrem tatbestandlichen Aufbau an der Vorschrift des § 131 Abs. 1. Sowohl die Schriften nach Absatz 1 als auch die Schriften nach Absatz 2 Nr. 1 müssen die Eignung aufweisen, als Anleitung zu einer Straftat zu dienen. Dieses Tatbestandsmerkmal ist in seiner tatbestandseinschränkenden Funktion wenig präzise und zur Vermeidung einer tatbestandlichen Ausuferung insbesondere bei Absatz 2 Nr. 1 unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks restriktiv auszulegen. Das in Absatz 1 enthaltene weitere objektive Tatbestandsmerkmal, die auf Gewaltstimulierung bezogene Bestimmungsklausel, wird in der Schriftenverbreitungsalternative des Absatzes 2 Nr. 1 durch eine entsprechende subjektive Zwecksetzung (Förderungsabsicht) ersetzt, um einem möglichen Umgehungsverhalten begegnen zu können. 4 7 Der Tatbestand der mündlichen gewaltanleitenden Äußerung (Abs. 2 Nr. 2) ist objektiv gekennzeichnet durch den unmittelbaren Bezug der Anleitung auf die Begehung einer rechtswidrigen Katalogtat (§ 126 Abs. 1); er wird subjektiv durch das Erfordernis der Absicht zur Förderung der Tatbereitschaft anderer eingegrenzt.

VI. Objektiver Tatbestand des Absatzes 1 1. Tatgegenstand 9

a) Schriften. Tatgegenstand der als Verbreitungsdelikt ausgestalteten Norm (vgl. oben Rdn. 4) sind Schriften. Durch die Verweisung auf die Erweiterungsklausel des § 11 Abs. 3 StGB werden den Schriften Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen gleichgestellt (vgl. § 11 Abs. 3 und § 130 Rdn. 78). Eine Gleichstellung von durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste verbreitete Äußerungen, wie sie § 130 Abs. 2 Nr. 2, § 131 Abs. 2 oder § 184d vorsieht, fehlt bei § 130a, da insoweit § 130a Abs. 2 eingreift. Der Verbreitungstatbestand des Absatzes 1 setzt objektiv die Eignung der Schrift, als Anleitung zu einer in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat zu dienen, sowie die inhaltliche Bestimmung voraus, die Bereitschaft anderer zur Begehung einer solchen Tat zu fördern und zu wecken.

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Vgl. Scb/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Miebach/Schäfer MK Rdn. 3; Fischer Rdn. 3 Vgl. BVerfGE 45 363, 371; s.a. BVerfG NStZ 1993 75. Für eine dem Absatz 1 ähnliche Tatbestandsgestaltung des § 88a a.F. wurde

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die hinreichende Gesetzesbestimmtheit in BGHSt 2 8 312, 314 f bejaht. Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 10/6635, S. 13; Käst RAusschProt. 10/102, S. 64 ff.

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Anleitung zu Straftaten

§ 130a

b) Eignung, als Anleitung zu einer rechtswidrigen Katalogtat nach § 126 Abs. 1 zu dienen aa) Begriff der Anleitung. Anleitungen zu Straftaten sind unterweisende Darlegungen, die konkrete Kenntnisse darüber vermitteln, wie eine bestimmte Straftat begangen werden kann. 4 8 Unter diesen Begriff fallen alle Ausführungen schriftlicher Art, die Möglichkeiten zur Begehung einschließlich Planung und Vorbereitung strafbarer Handlungen (z.B. Sprengstoffverbrechen, Brandanschläge und Sabotageakte gegen Bahnanlagen, Versorgungseinrichtungen, Kaufhäuser) aufzeigen. Die Unterweisung kann insbesondere durch Hinweise technischer Natur (z.B. über die Herstellung von Molotow-Cocktails, Bomben und sonstigen Sprengsätzen, die Handhabung von Waffen) sowie durch die Erläuterung des Einsatzes solcher Mittel erfolgen. 4 9 Für das Merkmal der Anleitung reicht eine mittelbare Einflussnahme durch Hinweise aus, die Möglichkeiten konkreter Tatausführung darlegen.

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Die Anleitung als Form des Veranlassens fremder Straftaten liegt in der Regel unterhalb der Schwelle der Anstiftung (§§ 2 6 , 30) und der Aufforderung zu Straftaten (§ 111) und typischerweise noch in deren Vorfeld. Während die Aufforderung i.S. von § 111 eine unmittelbare Einwirkung auf fremde Entschlüsse, eine bestimmte appellativ-imperative Erklärung an die Motivation anderer 5 0 und eine - wenn auch nur in allgemeinen Wendungen erfolgende - Opferkennzeichnung 51 voraussetzt, reicht bei der Anleitung eine Beeinflussung in subtiler, mittelbarer Weise durch unterschwellige Motivierung zur Tatbegehung nach dem anleitenden „Strickmuster". 5 2 Maßgeblich ist, ob mit der tendenziell auf Begehung gerichteten Handlungsbeschreibung ein Nachahmungsanreiz geschaffen wird.

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bb) Eignung, als Anleitung zu dienen. Im Hinblick auf den Gesetzeszweck, Nachahmungstendenzen entgegenzuwirken, muss die Anleitung bestimmte inhaltliche Mindestanforderungen erfüllen. Zunächst muss sie tauglich sein, also die zur Verwirklichung einer Straftat geeignete Begehungsweise so genau und allgemein verständlich beschreiben, dass diese in der geschilderten Weise begangen werden kann. 5 3 Abzustellen ist auf einen verständigen Durchschnittsadressaten, für den die Anleitung nachvollziehbar sein muss; nicht ausreichend ist eine nur für Einzelne (z.B. Sprengmeister, Spezialisten) verständliche Beschreibung. 54 Bewusst irreführende Handlungsunterweisungen werden mangels Anleitungseignung tatbestandlich nicht erfasst. Die anleitenden Hinweise müssen zumindest so detailliert sein, dass die Durchführung einer Straftat der jeweiligen Art ganz erheblich erleichtert wird, indem zumindest ein wesentlicher Teil der dazu notwendigen Informationen verschafft wird. 5 5 Nicht erforderlich ist, dass allein mit Hilfe der Anleitung die Straftat begangen werden kann. 5 6 Ausreichend ist vielmehr, wenn die Anleitung sich auf einen notwendigen Teilbereich der Durchführung bezieht. 57 Dies können Hinweise zur Planung (z.B. Tatortbestimmung, Aufgabenverteilung), Vorbereitung oder Ausführung der Tat sein. In Betracht kommen auch Anleitungen technischer Art

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Miebach/Schäfer MK Rdn. 14; Fischer Rdn. 7. Vgl. BTDrucks. 10/6635, S. 12 f; Trometer RausschProt. 10/101. Vgl. BGHSt 32 310, 313. Vgl. BGHSt 31 16, 22; 32 310, 312. Vgl. Kast RAusschProt. 10/103, S. 13; Rogall GA 1979 11, 19; Schnarr NStZ 1990 258.

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Vgl. BTDrucks. 10/6635, S. 13; BayObLG N J W 1988 1087 zu § 5 3 Abs. 1 Nr. 5 WaffG a.F. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 4. Vgl. BTDrucks. 10/6635, S. 13. Rudolphi/Stein SK Rdn. 5. Rudolphi/Stein SK Rdn. 5.

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über Herstellung, Handhabung und Einsatz von Waffen, Sprengkörpern, Brandsätzen, Gift und sonstigen Tatmitteln, über die Installierung von Entgleisungsvorrichtungen, über die Entfernung von Schwellen aus Gleiskörpern 5 8 sowie über die Anbringung von Wurfankern und das Umsägen von Leitungsmasten. Erfasst werden aber auch Unterweisungen taktischer Art zur erfolgversprechenden Tatdurchführung, z.B. über Logisitik, Vermummung, Maskierung, Umgehung von Kontrollen, Beschaffung falscher Identitätspapiere, Diebstahl von Tat- und Fluchtfahrzeugen, Spurenbeseitigung usw. Auch Instruktionen über Möglichkeiten zur Überwindung von tathemmenden Schutzvorrichtungen (Alarmanlagen, Sprinkleranlagen etc.) kommen bei entsprechendem Katalogtatbezug in Betracht. Beispiele sind insbesondere die in der terroristischen Szene als „Kochbücher" bezeichneten Anleitungsschriften mit genauen Gewaltanwendungsrezepten 5 9 und Terrorlisten mit bestimmten potentiellen Zielpersonen unter Angabe von Namen, Adressen, Telefonnummern und Fahrzeugkennzeichen sowie der detaillierten Beschreibung der Lebensgewohnheiten, Lage und Beschaffenheit der Wohngrundstücke der potentiellen Opfer, soweit sie den Tattypus der geförderten Katalogtat (z.B. Tötung, schwere Körperverletzung, Brandstiftung, Briefbombe) hinreichend deutlich machen. 13

cc) Objektiv erkennbare Zweckrichtung. Die Auslegung des Eignungsmerkmals hat sich an seinem Bezugsbegriff „als Anleitung dienen" zu orientieren. Dieser beschreibt die objektive, aus dem Schrifteninhalt zu ermittelnde anleitende Zwecksetzung. Anleiten bedeutet allgemein: in etwas einführen, zu etwas anhalten, zeigen, wie etwas zu tun ist. Der Anleitung zu Straftaten ist somit eine entsprechende Zielrichtung, eine auf Begehung von Straftaten gerichtete Tendenz begriffsimmanent. 60 In diesem begrifflichen Erfordernis liegt bereits eine gewisse Eingrenzung der Eignungsklausel, an die die Bestimmungsklausel bei schriftlichen Äußerungen anschließt. Diese auch dem Willen des Gesetzgebers entsprechende Auslegung 61 erscheint im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Erfordernis einer restriktiven Auslegung der Norm (siehe Rdn. 7) vorzugswürdig. Der Schrift muss also objektiv die Tendenz zur Verwirklichung des Dargestellten zu entnehmen sein. Bloße Schilderungen, bei denen es an einer derartigen erkennbaren Zielrichtung mangelt, werden von der Vorschrift nicht erfasst. Demzufolge sind wissenschaftliche Ausführungen technischen Inhalts, Lehrbücher der Physik und Chemie, Patentschriften über Herstellung oder Wirkungsweise von Waffen, Sprengstoffen oder Giften keine tatbestandserheblichen Anleitungen, auch wenn sie als allgemeine Informationshilfe, etwa über ein Tatmittel, bei der Gesamtplanung einer Katalogtat nützlich sein können. 6 2 Sie weisen naturgemäß keinerlei tendenziell anleitenden Bezug zur Begehung einer rechtswidrigen Katalogtat auf. Mangels anleitungsspezifischer Verwirklichungstendenz gilt dies auch für bloße, wenn auch hinsichtlich der Tatausführung noch so genaue Darstellungen von Ver-

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BTVerh. 10/254, S. 19805. Vgl. BTDrucks. 10/6286, S. 8. Vgl. Laufhütte M D R 1976 441, 445 u. RAusschProt. 10/101, S. 148 sowie Anl. S. 119; Rogall GA 1979 11, 19; Sturm J Z 1976 349; Miebach/Schäfer MK Rdn. 17; Lackner/Kühl Rdn. 4; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Derksen NJW 1998 3760; aA Fischer Rdn. 9, der lediglich einen aus dem Inhalt der Schrift sich ergebenden Zusammenhang mit einer Katalogtat fordert und Werke der Grundlagenfor-

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schung und technische Bau- oder Gebrauchsbeschreibungen neutraler Gegenstände ausscheidet; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 93 II Rdn. 14. Vgl. BTDrucks. 10/6635, S. 13; BTDrucks. 10/6286, S. 5, 8. Vgl. BTDrucks. 10/6635, S. 13; Kast RAusschProt. 10/102, S. 79 u. 10/103, S. 17; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Miebach/Schäfer MK Rdn. 18; aA Fischer Rdn. 9.

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Anleitung zu Straftaten

§ 130a

brechen in Kriminalromanen, Kriminalfilmen oder Tatsachenberichten. Eine strafrechtliche Relevanz solcher Schilderungen wurde schon nach den Gesetzesmaterialien zur alten Fassung klar verneint; 6 3 die Einfügung der Eignungsklausel hat hieran bei Auslegung der Begriffe gemäß dem Gesetzeszweck nichts geändert. Etwas anderes gilt lediglich, wenn im Gewand einer solchen Darstellung eine verschleierte Förderungs- und Verwirklichungstendenz i.S. des ξ 130a erkennbar wird. 6 4 Auszuscheiden sind weiter Beschreibungen einer Tatbegehung, die erkennbar von dem Bestreben getragen sind, mögliche Ansatzpunkte für die Abwehr einer solchen Tat aufzuzeigen. 65 Auch insoweit fehlt der Äußerung die gewaltanleitende Eignung. dd) Straftat nach § 126 Abs. 1. Die Anleitung muss sich auf eine der in § 126 Abs. 1 aufgeführten Katalogtaten beziehen. Durch die Bezugnahme auf § 126 Abs. 1 werden abweichend von der früheren Fassung - auch die in Nummer 7 bezeichneten gemeingefährlichen Vergehen in den Tatbestand einbezogen. 6 6 Erforderlich ist, dass die Anleitungsschrift einen erkennbaren Bezug zu einem katalogtatspezifischen Verhalten i.S. des § 126 Abs. 1 aufweist. 6 7 Die Mindestanforderungen an die Konkretisierung der Tat, zu der angeleitet wird, sind aber geringer als bei der Anstiftung. Die Anleitung braucht sich - anders als die Anstiftung oder die Bestimmung zu Straftaten 6 8 - nicht auf eine bestimmte, ihrem wesentlichen Unrechtsgehalt und der Angriffsrichtung nach fest umrissene, in ihren Grundzügen konkret-individualisierbare Straftat zu beziehen. Der Gegenstand der Anleitung muss aber zumindest nach dem Typus der Tat hinreichend bestimmt sein, die Handlungsanweisung muss den Charakter der geförderten Katalogtat hinreichend deutlich machen. 6 9 An der erforderlichen Kenntlichmachung des einschlägigen Tattypus mangelt es etwa bei der bloßen bezugslosen Beschreibung von Tatmitteln, z.B. bei Schriften, die die Herstellung von bestimmten Sprengstoffen und Brandsätzen, die Überwindung einer Alarmanlage oder die Funktionsweise von Waffen ganz allgemein beschreiben. 7 0 Etwas anderes gilt aber, wenn die Tatmittelbeschreibung in der Schrift in einen erkennbaren Zusammenhang zur Begehung einer Katalogtat gestellt wird. 7 1 Ausreichend ist, wenn dieser Zusammenhang durch ein der Tatmittelbeschreibung vorangestelltes Vorwort hergestellt wird. 7 2 Der erkennbare Bezug gerade zu einer der in § 1 2 6 Abs. 1 genannten Tat kann sich auch aus die Tatbegehung fördernden Hinweisen über konkrete Möglichkeiten der Tatvorbereitung sowie durch Anweisungen zu Vorbereitungshandlungen nach § 3 0 ergeben. 7 3 Unbeachtlich ist, dass die Handlungsanweisung rechtmäßig ist, weshalb auch Dienstvorschriften über eine Brückensprengung im Verteidigungsfall dem objektiven Tatbestand unterfallen. 74

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Die Anleitung nach Absatz 1 kann sich sowohl generell auf Katalogtaten (z.B. Anschläge auf Versorgungseinrichtungen, Brandanschläge auf Kaufhäuser, Regierungs-

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BTDrucks. 7/3030, S. 6; Prot. 7/2294. BTDrucks. 10/6286, S. 5. Sturm J Z 1976 347, 349. Krit. Dencker RAusschProt. 10/101, S. 140 u. KritJ 1987 36, 46. Vgl. Ber., BTDrucks. 10/6635, S. 13; Miebach/Schäfer MK Rdn. 21; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Lackner/ Kühl Rdn. 4; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; Fischer Rdn. 9. Vgl. BGHSt 34 63. Vgl. Otto RAusschProt. 10/101, S. 23 u. Anl.

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S. 157; Miebach/Schäfer MK Rdn. 21; Sch/ Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 4. Ber., BTDrucks. 10/6635, S. 13; Kast Prot. 10/102, S. 78. Vgl. Kast RAusschProt. 10/103, S. 18, 20; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 4. Vgl. RAusschProt. 10/102, S. 64 u. 10/103, S. 7. Vgl. Schnarr NStZ 1990 258. Miebach/Schäfer MK Rdn. 21.

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gebäude) als auch auf eine konkrete Katalogtat (Anschlag auf eine bestimmte Person oder Einrichtung) beziehen. Die vorausgesetzte Präzisierung der Bezugstat wird bei der Anleitung zu Sabotagedelikten einfacher, bei Katalogtatbeständen mit mehreren Tathandlungen bzw. mit der Begründung einer besonderen Gefahr schwieriger zu ermitteln sein. In Betracht kommen z.B. anleitende schriftliche Planspiele für Mordanschläge auf Politiker und andere Führungskräfte des demokratischen Rechtsstaats; 75 rechtsextremistische Terrorlisten; Unterweisungen zum Bau von Entgleisungsvorrichtungen, zum Umsägen von Hochspannungsmasten, zur Sabotage an Sprengschächten, 76 zu Anschlägen auf Oberleitungen der Bahn AG, 7 7 zur Lahmlegung der Strom- oder Fernwärmeversorgung von Gemeinden, Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen durch Ausschaltung von Kraft- bzw. Ε-Werken; 78 auch schriftliche Anleitungen zur Handhabung von illegalen Streiks in Versorgungsbetrieben zwecks Unterbrechung der Versorgung, z.B. durch Verbreitung solcher Streikanleitungen an Elektrizitätswerker; 79 nicht jedoch legale gewerkschaftliche Streikanleitungen für Versorgungsbetriebe ungeachtet zu erwartender Versorgungsbeeinträchtigungen. 80 16

c) Bestimmungsklausel. Die Anleitungsschriften nach Absatz 1 müssen im Gegensatz zu den „neutralen" Anleitungsschriften nach Absatz 2 nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sein, die Bereitschaft anderer zur Begehung einer Katalogtat nach $ 126 Abs. 1 zu fördern oder zu wecken.

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aa) Inhaltliche Bestimmung. Das Merkmal „bestimmt" ist erfüllt, wenn die schriftliche Äußerung zumindest ansatzweise erkennbar darauf abzielt, andere Personen gegenwärtig oder künftig 81 zur Begehung von Straftaten zu motivieren, also eine entsprechende Förderungstendenz aufweist. Die gewaltanleitende Förderungstendenz braucht jedoch nicht der maßgebliche oder ausschließliche Zweck der Schrift zu sein. 82 Ausreichend ist, dass der gewaltpropagierende Anleitungscharakter nur einen kleinen Ausschnitt eines sonst beanstandungsfreien Schrifteninhalts kennzeichnet. 83 Das Bestimmungsmoment wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die in der tendenziellen Schrift geförderte Tatbegehung als letztlich unerwünschtes, aber zur Erreichung bestimmter Ziele notwendiges Mittel dargestellt wird. Die eigentliche Zweckbestimmung ist aus dem inhaltlichen Gesamtzusammenhang unter Außerachtlassung vordergründiger Einkleidung zu ermitteln. 8 4

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Der ausdrückliche Hinweis „nach ihrem Inhalt" stellt klar, dass sich die gewaltstimulierende Wirkung der Schrift aus ihrem objektiven Inhalt ergeben muss. Die nicht in der Schrift zum Ausdruck kommende Absicht oder Willensrichtung des Verfassers, Verlegers oder Verbreitenden ist unerheblich. 85 Nicht relevant sind auch andere, außerhalb der

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Vgl. Jescheck SchwZStr. 100 (1983) 1, 12. BTDrucks. 10/6635, S. 12; BTVerh. 10/254, S. 19789 u. 19805. RAusschProt. 10/101, S. 126. EStGB/VersGÄndG, BTDrucks. 11/2834, S.10. Vgl. Dencker KritJ 1987 36, 46 u. RAusschProt. 10/101, Anl. S. 32. Unzutr. BTDrucks. 11/7139, S. 2 4 . Vgl. jedoch Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 93 II Rdn. 16, der eine Konkretisierung auf Taten in unmittelbarer Zukunft verlangt.

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BGHSt 2 9 258, 2 6 8 zu § 88a a.F. Vgl. Kast RAusschProt. 10/102, S. 63. Vgl. BGHSt 23 64, 73. BTDrucks. 1 0 / 6 2 8 6 , S. 8; vgl. auch BTDrucks. 7 / 3 0 6 4 , S. 2; Miebach/Schäfer MK Rdn. 22; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 93 II Rdn. 16; vgl. auch BGHSt 2 8 312, 315 (zu § 88a a.F.); Laufhütte MDR 1976 441, 445; Sturm J Z 1976 347, 348 zur a.F.

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Anleitung zu Straftaten

§ 130a

Schrift liegende Umstände, etwa mündliche Hinweise bei der Verbreitung; insoweit kommt die Begehungsvariante des Absatzes 2 Nr. 1 in Betracht. Allerdings kann sich die in der Schrift anklingende Zielrichtung auch unter Einbeziehung des „zwischen den Zeilen" Stehenden oder aufgrund von Hinweisen auf andere Schriften erschließen. 8 6 Erfasst werden danach auch Fälle, in denen die tatanleitende und -fördernde Bestimmung durch geschickte Formulierungen, scheinbar distanzierende oder relativierende Hinweise verschleiert wird. Tatbestandserheblich sind schließlich Schriften, die zwar in die Form eines scheinbar neutralen Tatsachenberichts gekleidet sind oder im Gewand einer theoretischen Abhandlung über Widerstandshandlungen und dabei anzuwendender Methoden daherkommen, bei denen aber die Art der Darstellung bei verständiger Würdigung des eigentlichen Sinn- und Bedeutungsgehalts aufgrund einer inhaltlichen Gesamtschau für den verständigen Leser erkennbar nur der Tarnung der verfolgten Ziele dient. 8 7 Entsprechendes gilt für einschlägige Handlungsbeschreibungen (z.B. zum Fällen von Strommasten), deren auf Förderung der Tatbereitschaft anderer gerichtete Tendenz durch offenkundig Verschleierungszwecken dienende angehängte Zusatzerklärungen (z.B. „Über die Form seines Widerstands gegen die Staatsgewalt oder gegen geplante Großvorhaben muss jeder selbst entscheiden") oder durch entsprechende relativierende Hinweise (z.B. „Wir sagen ja gar nicht, dass jetzt jeder, der gegen A K W s ist, Strommasten umlegen soll") erkennbar lediglich kaschiert werden soll. Die vorausgesetzte Zweckbestimmung fehlt bei Anleitungen zu rechtmäßigen Verhaltensweisen. Nicht von Absatz 1 erfasst werden daher anleitende Beschreibungen zu bestimmten Verteidigungs- oder Notwehrhandlungen oder gerechtfertigtem Widerstandsverhalten. 88 Ein Anleitungscharakter kann aber dann gegeben sein, wenn eine auch als Anleitung zur rechtswidrigen Begehung einer Katalogtat verwendbare Handlungsbeschreibung von an sich rechtmäßigen Zerstörungsakten (z.B. aus Heeresdienstvorschriften) in eine tendenziell gewaltfördernde scheinbare Biographie eines Autonomen eingebunden ist. 8 9

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Bei älteren Schriften, die eine bestimmte geschichtliche Gegebenheit oder ein zurückliegendes Ereignis betreffen, fehlt es bereits an dem Merkmal der Bestimmung, jedenfalls aber an der Geeignetheit zur Förderung. 9 0 Etwas anderes gilt nur, wenn die Schrift auch für die Zukunft zu entsprechenden Straftaten anleiten will. Die Tatsache bloßen Neuabdrucks solcher Schriften vermag als äußerer Umstand das Merkmal der Bestimmung nicht zu begründen. Jedoch kann sich aus ergänzenden Ausführungen, etwa einem Vorwort, in dem eine auf ein zurückliegendes Ereignis bezogene, gewaltanleitende Äußerung auch als geeignete Lösung heutiger Probleme bejaht wird, eine Neubestimmung ergeben.

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bb) Wecken oder Fördern der Bereitschaft anderer. Bezugspunkt des einschränkenden Bestimmungsmerkmals ist das Wecken oder die Förderung der Bereitschaft anderer zu einer Begehung einer Katalogtat nach § 126 Abs. 1. Wie die Wendung „oder zu wecken" zeigt, wird eine gewisse Bereitschaft zur Begehung solcher rechtswidrigen Taten bei dem Empfänger nicht vorausgesetzt. 91 Die gewaltanleitende Äußerung kann aber auch darauf abzielen, eine bereits vorhandene Tatbereitschaft zu steigern und zu verfestigen. Ein kon-

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Miebach/Schäfer MK Rdn. 22; Lackner/Kühl Rdn. 5. BTDrucks. 10/6286, S. 5; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5. Kast RAusschProt. 10/102, S. 76 u. 10/103, S. 6.

89 90

91

RAusschProt. 10/102, S. 64; 10/103, S. 7. Vgl. BTDrucks. 7/3030, S. 8; Laufhütte MDR 1976 441, 446; Sturm JZ 1976 348, 349; Miebach/Schäfer MK Rdn. 24. BTDrucks. 10/6286, S. 8.

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§ 130a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

kreter Tatentschluss muss nicht hervorgerufen werden; als „Bereitschaft" anzusehen ist vielmehr eine allgemeine subjektive Geneigtheit, die Ausführung einer rechtswidrigen Katalogtat als Täter oder Teilnehmer in Betracht zu ziehen. 92 Zu einer tatsächlichen Förderung oder Weckung der Bereitschaft anderer braucht es nicht gekommen zu sein. 22

Das Förderungsziel muss mit der Schrift erreichbar erscheinen. Einen ausdrücklichen Hinweis auf das - dem Gesetzeszweck zu entnehmende - Erfordernis einer Geeignetheit der Schrift zur Gewaltförderung hat der Gesetzgeber abweichend von der alten Fassung mit der Erwägung für entbehrlich gehalten, die Zweckbestimmung setze eine entsprechende Eignung voraus. 93 Die Förderungseignung ist nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung des tatbestandlichen Schutzzwecks zu beurteilen. Sie ist zu bejahen, wenn die Schrift durch präzise, für jedermann verständliche Beschreibungen oder Hinweise auf erfolgversprechende Ausführungsmöglichkeiten einer bestimmten strafbaren Handlung eine gewaltstimulierende Wirkung zu entfalten und die Entschließung anderer entsprechend zu beeinflussen vermag. Dies ist zu verneinen bei nicht verifizierbaren Beschreibungen oder ganz unrealistischen Schilderungen; wenn im Hinblick auf das eigene Risiko bei der Tatbegehung ersichtlich ist, dass die Anleitung keine Nachahmer finden wird; bei älteren Verbrechensanleitungen, die in ihrer mit den heutigen Verhältnissen nicht vergleichbaren Ausgangssituation für die Gegenwart keinen Nachahmungsanreiz zu entfalten vermögen oder bei solchen Verbrechensanleitungen, denen wegen ihres Zuschnitts auf ausländische, von Deutschland ganz unterschiedliche Verhältnisse eine entsprechende Eignung nicht zukommt. 94

23

2. Tathandlung. Die Tathandlungen des Absatzes 1 bestehen im Verbreiten der Schrift und ihrem öffentlichen Zugänglichmachen einschließlich der besonderen Modalitäten des Ausstellens, Anschlagens und Vorführens (vgl. hierzu § 74d Rdn. 8, § 130 Rdn. 86 ff, § 184b). Vorbereitungshandlungen wie das Herstellen und Vorrätighalten solcher schriftlicher Anleitungen sind nicht als Tathandlung unter Strafe gestellt; 95 so z.B. nicht die Lagerhaltung solcher Schriften bei Verlag und Buchhändler. 96 Zur Tatbegehung durch Verbreitung im Internet vgl. § 130 Rdn. 8 9 , 1 3 8 f.

VE. Objektiver Tatbestand des Absatzes 2 Nr. 1 24

1. Tatgegenstand. Die Schriftenverbreitungsalternative des Absatzes 2 Nr. 1 setzt wie Absatz 1 eine Schrift i.S. des § 11 Abs. 3 voraus, die geeignet ist, als Anleitung zu einer rechtwidrigen Katalogtat im Sinne des § 126 Abs. 1 zu dienen. Im Gegensatz zu Absatz 1 ist bei Absatz 2 Nr. 1 aber nicht erforderlich, dass sich eine Bestimmung zum Fördern und Wecken von Tatbereitschaft aus dem Inhalt der Schrift selbst ergibt. Die tatbestandliche Begrenzung findet vielmehr im subjektiven Bereich statt; die gewaltstimulierende objektive Zweckbestimmung der Schrift nach Absatz 1 wird hier auf ein entsprechendes Absichtsmerkmal reduziert. 97 Erst diese subjektive Zwecksetzung des Täters ist strafbarkeitsbestimmend. Die Vorschrift erfasst also - über den Absatz 1 hinausgehend - neu-

92

93

94

Fischer Rdn. 13; Miebach/Schäfer MK Rdn. 23. BTDrucks. 1 0 / 6 2 8 6 , S. 8; s.a. BTDrucks. 1 1 / 2 8 3 4 , S. 9; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 5. Vgl. BTDrucks. 1 1 / 2 8 3 4 , S. 9.

530

95

96 97

Krit. Rebmann, Trometer RAusschProt. 10/101, S. 38, 81, 127 u. Anl. S. 70. Vgl. Kast RAusschProt. 10/103, S. 22. Vgl. Otto RAusschProt. 10/101, S. 23; Kast RAusschProt. 10/102, S. 69.

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Anleitung zu Straftaten

§ 130a

trale Anleitungsschriften, die der Täter in der Absicht der Förderung der Bereitschaft anderer zur Begehung rechtswidriger Katalogtaten zweckentfremdet. In Betracht kommen z.B. spezielle technische Anleitungen für Abbruchingenieure zur Sprengung von Stahlkonstruktionen, 9 8 Gebäuden und Fabrikschornsteinen; anleitende Beschreibungen zu bestimmten Verteidigungs- oder Notwehrhandlungen; 9 9 Heeresdienstvorschriften mit anleitenden Unterweisungen zu gerechtfertigten Widerstandshandlungen, etwa über die Durchführung der Sprengung von Brücken oder die Unbrauchbarmachung von Bahnanlagen im Verteidigungsfall. 100 Die Verkürzung des objektiven Tatbestands um das Bestimmungsmerkmal und die daraus resultierende Weite des Tatbestands ist nicht unproblematisch im Hinblick auf Art. 5 G G und Art. 103 Abs. 2 G G . Um den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen Rechnung zu tragen, ist eine restriktive Auslegung geboten, die bereits im objektiven Tatbestand ansetzt. 1 0 1 Ansonsten würden alle Beschreibungen dem objektiven Tatbetand unterfallen, die irgendwie als Handwerkszeug für Vorbereitung oder Durchführung einer Katalogtat verwendungsfähig sind. 1 0 2 Eine klare tatbestandliche Grenzziehung und eine befriedigende Ausgrenzung sozialadäquater Sachverhalte erscheint allein weder durch das subjektive Merkmal der Förderungsabsicht 1 0 3 noch durch die unbestimmte Generalklausel des § 86 Abs. 3 1 0 4 hinreichend gewährleistet. Im Einzelnen gelten deshalb folgende Anforderungen an die erforderliche Eignung der Schrift:

25

a) Bezug zu einer Katalogtat und Eignung zur Anleitung. Die schriftlichen Hinweise und Handlungsanweisungen müssen unterweisende Ausführungen enthalten, die gerade für die Vorbereitung oder Ausführung von - wenngleich nicht rechtswidrigen - Gewaltoder Zerstörungsakten der in den Katalogtatbeständen beschriebenen Art hilfreich sein sollen. 1 0 5 Die Schrift muss also über hilfreiche Anhaltspunkte für eine Überwindung von Verbrechenshemmnissen oder eine Erleichterung der Tatdurchführung hinaus einen anleitenden Bezug auf eine Handlungsbeschreibung aufweisen, die den äußerlichen Handlungsakten eines Katalogtatbestandes entspricht. Auszuscheiden sind deshalb alle Darstellungen, in denen ein solcher spezieller Bezugszusammenhang fehlt. Nicht erfasst sind deshalb technische Kenntnisse vermittelnde Handwerks-, Bastei- oder Chemielehrmittel; betriebstechnische Unterweisungen oder Abhandlungen über Versorgungsunternehmen, auch wenn sie als allgemeine Informationsquelle für eine Katalogtatbegehung nutzbar gemacht werden können; bloße Funktionsbeschreibungen (z.B. für Alarm- und Sprinkleranlagen); Unterweisungen zur Vermeidung von innerbetrieblichen Störungen oder gefährlichen Bränden, betriebliche Bedienungsanleitungen oder Arbeitsanweisungen (z.B. über die Gleisverlegung bei der Bahn). Nicht einschlägig sind schließlich neutrale Beschreibungen eines Tatmittels (z.B. betriebliche Anleitungen zur Herstellung von Sprengstoff), die nur im Rahmen eines Gesamtplans nützlich sein können. 1 0 6 Die Anforderungen an die Präzisierung der anweisenden Handlungsbeschreibung und Eignung der Anleitung entsprechen denen des Absatzes 1 (vgl. oben Rdn. 12).

26

98 99 100 101

102

BTDrucks. 10/6286, S. 9. RAusschProt. 10/102, S. 76 u. 10/103, S. 6. RAusschProt. 10/102, S. 74. Miebach/Schäfer MK Rdn. 28; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Dencker KritJ 1987 36, 47; krit. Fischer Rdn. 17: Grenze rechtsstaatlicher Strafgesetzgebung. Vgl. de With RAusschProt. 10/103, S. 17.

103

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Vgl. Dencker KJ 1987 36, 47; and. wohl Otto RAusschProt. 10/101, Anl. S. 157. Vgl. Achenbach Kriminalistik 1987 297; Cobler RAusschProt. 10/101, S. 154. Lackner/Kühl Rdn. 4; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 6. Vgl. Kast RAusschProt. 10/102, S. 79.

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§ 130a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

27

b) Objektiv erkennbare Zweckrichtung. Der schriftlichen Handlungsbeschreibung muss auch hier ihrem Inhalt nach eine Tendenz zur Verwirklichung des Dargestellten zu entnehmen sein (vgl. Rdn. 13). 1 0 7 Eine solche Anleitungstendenz fehlt nicht nur bei einem Teil der bereits unter a) als bezugslos ausgeschiedenen Schrifteninhalte wie bloßen Funktionsbeschreibungen und theoretischen Abhandlungen, sondern auch im Falle bloßer Schilderung von Gewalt- und Zerstörungsakten, z.B. in Kriegsfilmen. Mangels Verwirklichungstendenz werden von Absatz 2 Nr. 1 weder Dokumentationen und Tatsachenberichte über begangene Katalogtaten noch entsprechende Kriminalromane und -filme erfasst, und zwar ungeachtet etwaiger detaillierter Angaben zur Begehungsweise.

28

2 . Tathandlung. Rdn. 2 3 ) .

Die

Tathandlungen

entsprechen

jenen

des Absatzes

1

(oben

V i n . Objektiver T a t b e s t a n d des Absatzes 2 N r . 2 29

Die durch Absatz 2 Nr. 2 beschriebene Anleitungsmodalität bezieht sich auf mündliche Anleitungen zu den in § 126 Abs. 1 genannten Taten, wenn sie öffentlich oder in einer Versammlung abgegeben werden und nach dem Willen des Täters darauf zielen, die Bereitschaft anderer zur Begehung bestimmter Gewalttaten hervorzurufen oder zu stärken. Die Vorschrift stellt in Anlehnung an § 125 auf den sog. „Anheizer" ab. Die gegenüber Absatz 1 unterschiedliche Tatbestandsfassung trägt den Besonderheiten von münlichen Äußerungen Rechnung und berücksichtigt, dass gerade im Rahmen einer unbestimmten Personenmehrheit eine besondere Gefahr gewaltstimulierender Wirkung oder eines Nachahmungseffektes gegeben ist.

30

1. Anleitung zu einer der in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat. Die Äußerung muss als Unterweisung tauglich sein und in nachvollziehbarer und zumindest so konkreter Weise über eine geeignete Möglichkeit zur Begehung eine der Katalogtaten unterrichten, dass auf dieser Grundlage eine entsprechende Tatausführung möglich ist. 1 0 8 Völlig untaugliche Hinweise werden schon von dem Merkmal der Anleitung zu Straftaten nicht erfasst. Die anleitende Äußerung muss sich unmittelbar auf die Begehung einer der in § 126 Abs. 1 genannten Taten beziehen und eine der Anleitung begriffsimmanente Tendenz zur Begehung der betreffenden rechtswidrigen Tat deutlich machen (vgl. Rdn. 1 3 ) . 1 0 9 Eine besondere Eignung der Äußerung zur Förderung der Tatbereitschaft wird nicht vorausgesetzt; der Gesetzgeber hat von einer solchen Eignungsklausel im Hinblick auf die mündlichen Äußerungen beigemessene gefährlichere Wirkung bewusst abgesehen. 1 1 0

31

Die mündliche Äußerung kann auch durch Lautsprecher erfolgen. Äußerungen in Live-Sendungen von Rundfunk und Fernsehen werden ebenfalls von Absatz 2 Nr. 2 erfasst. 1 1 1 Dagegen unterfallen Ausstrahlungen von entsprechenden Aufzeichnungen in Rundfunk oder Fernsehen dem Absatz 1.

107

108 109

Miebach/Schäfer MK Rdn. 28; Sch/Scbröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; Fischer Rdn. 10. Rogall GA 1979 11, 19. Vgl. Laufhütte RAusschProt. 10/101, S. 148

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110 111

u. Anl. S. 119; Sch/Schröder/Lenckner/Sterttberg-Liebeti Rdn. 8, krit. Fischer Rdn. 18. BTDrucks. 10/6286, S. 8. Fischer Rdn. 5.

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Anleitung zu Straftaten

§ 130a

2. Öffentliche Äußerung. Die Tathandlung erfolgt öffentlich, wenn sie unabhängig von der Öffentlichkeit des fraglichen Ortes von einem größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis unmittelbar wahrgenommen werden kann (vgl. § 130 Rdn. 110). 112 Maßgeblich ist, dass der Täter aufgrund der Unüberschaubarkeit des Adressatenkreises die Wirkungen seiner Äußerung nicht abzusehen vermag. Dies ist bei Äußerungen in Rundfunk und Fernsehen stets gegeben, 113 aber auch bei Äußerungen, die ins Internet eingestellt werden und von Internetnutzern ohne weiteres abgerufen werden können. 114

32

3. Versammlung. Eine Versammlung ist eine räumlich zu einem bestimmten Zweck vereinigte Personenmehrheit; dabei kann es sich auch um einen begrenzten Personenkreis handeln, z.B. eine Mitgliederversammlung, eine Vertreterversammlung eines Verbands oder eine Betriebsratssitzung. 115 In quantitativer Hinsicht wird nicht vorausgesetzt, dass eine nicht mehr überschaubare und vom Täter nicht mehr kontrollierbare Vielzahl von Personen anwesend ist. 116 Die Mindestzahl lässt sich nur nach dem Umständen des Einzelfalls beurteilen (vgl. § 130 Rdn. I I I ) . 1 1 7

33

IX. Subjektiver Tatbestand 1. Vorsatz. Für den inneren Tatbestand ist bei allen Tatbestandsalternativen zunächst Vorsatz erforderlich, wobei bedingter Vorsatz genügt. 118 Der Täter braucht nicht zu wissen, dass der Bezugsgegenstand der Anleitung vom Strafgesetzbuch als Verbrechen bzw. Vergehen i.S. des Katalogs des § 126 klassifiziert wird. Ausreichend ist insoweit das laienhafte Bewusstsein, dass es sich um gröbliches Gewaltunrecht handelt (vgl. § 126 Rdn. 34). 1 1 9 Bei Absatz 1 muss der Vorsatz auf die Verbreitung der Schrift in Kenntnis ihres Inhalts und ihrer Bedeutung im Hinblick auf die tatbestandlich vorausgesetzten Eignungs- und Bestimmungsmerkmale gerichtet sein. Der Täter muss sich des gefährlichen Inhalts der Schrift, d.h. der gewaltfördernden Tendenz und entsprechenden Eignung, bewusst sein sowie den unrechtsspezifischen Bedeutungssinn der zu fördernden Tat erfasst haben, ohne diese jedoch gerade unter die Katalogtatbestände des ξ 126 Abs. 1 zutreffend subsumieren zu müssen. Nicht erforderlich ist, dass er selbst eine solche gewaltfördernde Zielrichtung verfolgt oder auch nur den Inhalt der Schrift billigt.

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2. Absicht gem. Absatz 2. Absatz 2 setzt für beide Begehungsalternativen die Absicht voraus, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine Katalogtat nach § 126 Abs. 1 zu begehen. Die Absicht ist als nur ins Subjektive vorverlegtes Merkmal des objektiven Tatbestands kein besonderes persönliches Merkmal i.S. des § 2 8 Abs. I . 1 2 0

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112

113

114 115 116

Vgl. BGHSt 4 6 212, 217; BGH MDR 1966 347; OLG Hamm GA 1980 2 2 2 , 2 2 3 ; KG JR 1984 2 4 9 ; Hörnle NStZ 2 0 0 2 113, 117. Vgl. Rosenau LK § 111 Rdn. 36; Sch/Schröder/Lenckner § 186 Rdn. 19. Vgl. BGHSt 4 6 212, 217. Vgl. BGH NJW 2 0 0 5 689, 691. Fischer § 111 Rdn. 5; aA Kindhäuser LPK § 111 Rdn. 10; Sch/Schröder/Eser § 111 Rdn. 7 - 1 0 ; Horn/Wolter § 111 SK Rdn. 6; Rosenau LK § 111 Rdn. 40.

117 118

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Laufhütte/Kuschel LK § 90 Rdn. 10 f. Miebach/Schäfer MK Rdn. 36; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9. Miebach/Schäfer MK Rdn. 36; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9. Vgl. Jescheck/Weigend AT § 30 II, § 61 VII 4a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 37; Lackner/ Kühl Rdn. 10.

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a) Absatz 2 Nr. 1. Die gewaltstimulierende Zwecksetzung ist tatbestandsbestimmendes Element der Schriftenverbreitungsvariante des Absatzes 2 Nr. 1. Dem Absichtsmerkmal kommt die eigentliche Unrechts- und strafbarkeitsbegründende Funktion des Tatbestands zu. Das Verbreiten sozialneutraler Schrifteninhalte als solches stellt sich objektiv als eine an sich erlaubte Verhaltensweise dar; es enthält keine unrechtsindiziellen Anhaltspunkte für das sozialinadäquate Handlungsziel. Durch die restriktive Auslegung des Eignungsmerkmals wird zwar schon der objektive Tatbestand auf Schrifteninhalte begrenzt, die einen handlungsspezifischen Zusammenhang zu einer Katalogtat und eine Tendenz zur Verwirklichung des Dargestellten aufweisen. Kennzeichnend für das Unrecht ist aber, dass der Täter an sich neutrale Anleitungsschriften für seine sozialinadäquate Zielsetzung „umfunktioniert" und sich erst aus dem Gesamtzusammenhang des Verhaltens des Täters die Absicht ergibt, die Bereitschaft anderer zu fördern, eine rechtswidrige Tat zu begehen. 121 Erforderlich ist deshalb, dass die Förderungsabsicht nach außen objektiv erkennbaren Ausdruck findet, sich also in erkennbaren Verhaltensakten des Täters, die über das bloße Verbreiten hinausgehen, eindeutig manifestiert. 122 Dies dient auch dem Ausschluss einer Gefahr bloßer Gesinnungsstrafbarkeit. 123 In Betracht kommen alle Verhaltensumstände bei der Verbreitung, die bei einer Gesamtbewertung die gewaltfördernde Zwecksetzung des Verbreiters deutlich machen. 1 2 4 Dies können z.B. entsprechende Äußerungen anlässlich des Verbreitens, besondere Hinweise des Täters, sonstiges Begleitverhalten oder die den subjektiven Förderungszweck dokumentierende Ausnutzung situationsbezogener Gegebenheiten sein. Zu denken ist beispielsweise an das Ausstellen einer neutralen Anleitungsschrift im Schaufenster, wenn durch die weitere Gestaltung des Schaufensters dem Betrachter der Eindruck vermittelt wird, die Anleitung könne zugleich und solle auch zum Sprengen von Strommasten dienen. 125 Ein die Förderungsabsicht manifestierendes Begleitverhalten kann ferner in dem ausdrücklichen Hinweis an Demonstranten auf die „Verwendbarkeit auch für Eure Aktionen" gesehen werden. Kommentarloses Verteilen einschlägiger neutraler Anleitungsschriften an Demonstranten kann ausnahmsweise ausreichen, wenn es in erkennbar aggressionsbereiter Atmosphäre der Menschenansammlung erfolgt, die sich der Verbreiter zunutze macht. 1 2 6

37

b) Absatz 2 Nr. 2. Auch die mündliche Anleitung in der Öffentlichkeit muss von einer gewaltfördernden Zielsetzung (Förderungsabsicht) des Täters getragen sein. Diese Willensrichtung kann sich sowohl aus dem Inhalt der Äußerung als auch aus anderen Umständen ergeben. Abweichend von Absatz 1 ist es also nicht erforderlich, dass die Äußerung bereits nach ihrem Inhalt die fördernde Zweckbestimmung erkennbar macht; diese kann auch aus dem Äußerungszusammenhang und sonstigen Begleitumständen hervorgehen. Allerdings wird sich die sozialinadäquate subjektive Zwecksetzung angesichts der einer Anleitung begriffsimmanenten Verwirklichungstendenz (Rdn. 30) in der Regel bereits aus der mündlichen Erklärung als solcher ergeben. Eine eigenständige

121

122

123

Vgl. BTDrucks. 1 0 / 6 2 8 6 , S. 9; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Miebach/Schäfer MK Rdn. 38. Miebach/Schäfer MK Rdn. 38; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 7; krit. Fischer Rdn. 17. Vgl. Dencker KritJ 1987 36, 4 7 u. StV 1987 117, 121.

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124

125

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Vgl. BTDrucks. 10/635, S. 13; RAusschProt. 10/102, S. 67, 70, 77. Vgl. BTDrucks. 1 0 / 6 2 8 6 , S. 9; RAusschProt. 10/102, S. 74 u. 103, S. 6. Vgl. Kast RAusschProt. 10/102, S. 70.

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Anleitung zu Straftaten

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Funktion kommt dem Absichtserfordernis deshalb vor allem bei der mündlichen Wiedergabe einer fremden Anleitung zu. 1 2 7

X . Tatbestandsausschluss gem. Absatz 3 Absatz 3 erklärt die auf dem Gedanken der sozialen Adäquanz beruhende Vorschrift des § 86 Abs. 3 für entsprechend anwendbar. Die Sozialadäquanzklausel enthält einen Tatbestandsauschluss, keinen Rechtfertigungsgrund. 128 Danach entfällt der Tatbestand, wenn die Schrift oder die mündliche Äußerung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient (vgl. hierzu § 86 Rdn. 37 ff). Die Sozialadäquanzklausel ist lediglich zur zweifelsfreien Absicherung und Klarstellung eingefügt worden. 129 Angesichts der tatbestandlichen Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 dürfte ihr kaum praktische Bedeutung zukommen. In Fällen der nüchternen Berichterstattung, der Darstellung des Zeitgeschehens oder der staatsbürgerlichen Aufklärung wird es bereits an einer anleitungsspezifischen Eignung und einer in der Schrift objektivierten „Bestimmung" fehlen. Inwiefern tatbestandserhebliche Schriften nach Absatz 1 jemals der Kunst, Wissenschaft, Forschung oder Lehre sollen „dienen" können, bleibt unerfindlich. Mit der in Absatz 2 vorausgesetzten gewaltfördernden Absicht sind die Zwecksetzungen des § 86 Abs. 3 unvereinbar. 130

38

XI. Versuch und Vollendung Die Schriftenverbreitungsalternativen des Absatzes 1 und des Absatzes 2 Nr. 1 sind vollendet mit dem Verbreiten oder öffentlichen Zugänglichmachen der Anleitung. Im Fall des Absatzes 2 Nr. 2 tritt Vollendung mit dem Abschluss der die Anleitung enthaltenen Äußerung ein. Ein Erfolg ist nicht erforderlich. Ob die Tatbereitschaft anderer gefördert oder geweckt wurde, ist unerheblich. Ebensowenig ist es erforderlich, dass die Straftat, zu der angeleitet worden ist, als solche begangen oder versucht wird. Der Versuch ist nicht strafbar (§ 2 3 Abs. 1, § 12).

39

XII. Konkurrenzen Tateinheit zwischen Absatz 1 und Absatz 2 Nr. 2 ist möglich, wenn etwa ein Versammlungsredner seine mündlichen Anleitungen durch die Verteilung von als Anleitung

127

128

Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8. Vgl. BGHSt 4 6 36, 43 ff; 4 6 212, 217 f; 47 278, 2 8 2 f; Miebach/Schäfer MK Rdn. 41; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Laufbütte/Kuschel LK § 86 Rdn. 36, Fischer Rdn. 22; Achenbach Kriminalistik 1987 2 9 6 ; Bottke J R 1982 77, 78; aA Greiser NJW 1969 1155, 1156: Rechtfertigungsgrund.

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Vgl. BTDrucks. 1 0 / 6 2 8 6 , S. 9; zur a.F. Reg.Entw. BTDrucks. 7 / 3 0 3 0 , S. 8 u. BTDrucks. 7 / 3 0 6 4 , S. 2. Vgl. Cobler RAusschProt. 10/101, S. 154; Fischer Rdn. 2 2 ; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 10; abw. Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 93 II Rdn. 18.

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geeigneten Schriften i.S. von Absatz 1 ergänzt. 131 Handelt es sich hierbei um neutrale Schriften i.S. von Absatz 2 Nr. 1, kommt Tateinheit zwischen Absatz 2 Nr. 2 und Absatz 2 Nr. 1 in Betracht. 41

Tateinheit ist ansonsten möglich mit SS 83, 84, 125, 126, 129, 130, 131, 140. § 130a tritt hinter § 111 zurück, soweit Anleitung und Aufforderung sich auf dieselbe rechtswidrige Tat beziehen, da § 130a wie § 111 den öffentlichen Frieden schützt und lediglich Handlungen in dessen Vorfeld erfassen soll. 1 3 2 Tateinheit besteht dagegen, wenn die Anleitung über die Aufforderung hinausgeht und deshalb eine weitergehende Gefährdung des öffentlichen Friedens bewirkt. 133 S 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, Satz 3 i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 5 WaffG (Anleitung zur Herstellung von Molotow-Cocktails) geht als lex specialis dem § 130a vor. 1 3 4

ΧΠΙ. Rechtsfolgen 42

1. Strafe. Die Strafandrohung beträgt bei allen Varianten des Tatbestands Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.

43

2. Einziehung. Einziehung und Unbrauchbarmachung von Schriften i.S. des Absatzes 1 richten sich nach § 74d Abs. 1 und 2. Bei den wertneutralen Schriften des Absatzes 2 Nr. 1 richtet sich die Einziehung nach § 74d Abs. 3. Maßgebend ist hier nicht die Gefährlichkeit der Schrift als solche. Strafrechtsrelevant ist insoweit die Schriftverbreitung nur im Falle des Hinzutretens einer sich aus den äußeren Begleitumständen der Verbreitung ergebenden gewaltfördernden Zwecksetzung des Täters. 1 3 5 Eine Einziehung nach S 74d Abs. 3 wäre etwa zulässig bei bestehender Gefahr, dass ein Buchhändler weitere Exemplare einer derart „geeigneten" Schrift in gewaltfördernder Absicht verbreiten werde. 136 Bloße Vorbereitungshandlungen wie das Herstellen und Vorrätighalten von Schriften reichen als Anknüpfungsvorgang für eine Einziehung nicht aus.

XIV. Prozessuales 44

Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre, § 78 Abs. 3 Nr. 4. Stellt die Tat ein Presseinhaltsdelikt dar, gelten für die Verjährung die landesrechtlichen Pressegesetze.

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Miebach/Schäfer MK Rdn. 4 8 ; Fischer Rdn. 2 4 ; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 21: einheitliche Tatbestandsverwirklichung. Miebach/Schäfer MK Rdn. 4 8 ; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Fischer Rdn. 2 4 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 21; aA Lackner/Kühl Rdn. 13. Miebach/Schäfer MK Rdn. 48; aA Rogall

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135 136

GA 1 9 7 9 11, 21: Generelle Subsidiarität des § 130a gegenüber § 111. Miebach/Schäfer MK Rdn. 48; Fischer Rdn. 24; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 21; v. Bubnoff L K " Rdn. 34. Vgl. BGHSt 2 9 107,108. Vgl. Kast RAusschProt. 10/103 S. 21, 29.

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Gewaltdarstellung

§ 131 Gewaltdarstellung (1) Wer Schriften (§ 11 Abs. 3), die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt, 1. verbreitet, 2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, 3. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überlässt oder zugänglich macht oder 4. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 bis 3 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer eine Darbietung des in Absatz 1 bezeichneten Inhalts durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste verbreitet. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn die Handlung der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient. (4) Absatz 1 Nr. 3 ist nicht anzuwenden, wenn der zur Sorge für die Person Berechtigte handelt; dies gilt nicht, wenn der Sorgeberechtigte durch das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen seine Erziehungspflicht gröblich verletzt.

Schrifttum Bandura Aggression - Eine sozial-lerntheoretische Analyse (1979); Becker Pornographische und gewaltdarstellende Schriften nach dem Vierten Strafrechtsreformgesetz, MDR 1974 177; ders. Film und Recht 1975 83 u. 746; Beisel Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes und ihre strafrechtlichen Grenzen (1997); Beisel/Heinrich Die Strafbarkeit der Aussendung jugendgefährdender Fernsehsendungen, NJW 1996 491; Blei Eine neue Strafvorschrift gegen die Gewaltverherrlichung und gegen die Aufstachelung zum Rassenhaß, JA 1973 169; Bottke Das öffentliche Anbieten von Hitlers „Mein Kampf". Versagt unser Rechtsstaat? Buch und Bibliothek 32 (1980) 254; Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hrsg.) Medienwirkungsforschung in der Bundesrepublik Deutschland (1986); Duttge/Hörnle/Renzikowski Das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, NJW 2004 1065; Emmerich/Würkner Kunstfreiheit oder Antisemitismus? NJW 1986 1195; Erdemir Filmzensur und Filmverbot (2000); ders. Gewaltverherrlichung, Gewaltverharmlosung und Menschenwürde, ZUM 2000 699; ders. Jugendschutzprogramme und geschlossene Benutzergruppen, CR 2005 275; Erhardt Kunstfreiheit und Strafrecht (1989); Franke Zum Begriff des Presseinhaltsdelikts, GA 1982 404; ders. Strukturmerkmale der Schriftenverbreitungstatbestände des StGB, GA 1984 452; Geilen Gewaltdarstellung, in: Ulsamer (Hrsg.) Lexikon des Rechts, Strafrecht (1996) 413; Gerhardt Gewaltdarstellungsverbot und Grundgesetz (1974); ders. Die Beschränkung der Gesetzgebung auf das Unerläßliche (dargestellt am Beispiel des § 131 StGB), NJW 1975 375; ders. Gewaltdarstellungsverbote im Strafrecht, in: Wassermann (Hrsg.) Justiz und Medien (1980) S. 113; Glogauer Delinquenz Heranwachsender durch Medieneinflüsse, ZRP 1990 376; Greger Die Video-Novelle 1985 und ihre Auswirkungen auf StGB und GjS, NStZ 1986 8; Gounalakis Freiräume u. Grenzen politischer Karikatur u. Satire, NJW 1995 809; Hammerschmidt Gewaltdarstellung und Pornographie im Rundfunk, Schriftenreihe des Instituts für Rundfunkrecht an der Univ. Köln, Bd. 11 (1972) 23; v. Hartlieb Gewaltdarstellungen in Massenmedien, UFITA 1980 (Bd. 86) S. 101; ders. Gesetz zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit, NJW 1985 830; ders. Jugendmedienschutz auf dem Prüfstand, ZUM 1986 111; Henschel Die Kunstfrei-

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heit in der Rechtsprechung des BVerfG, NJW 1990 1937; Hödel Kannibalismus im Wohnzimmer? Psychosoziale Auswirkungen der Gewaltdarstellung in Videos, Kriminalistik 1986 354; Hörnle Das strafrechtliche Verbot von Gewaltdarstellungen (§ 131 StGB), Festschrift Schwind (2006) S. 337; Höynck/Pfeiffer Verbot von „Killerspielen"? - Thesen und Vorschläge zur Verbesserung des Jugendmedienschutzes, ZRP 2007 91; Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung, ZStW 97 (1985) 751; Jauch Verursachen die Massenmedien Kriminalität? Kriminalistik 1977 339; Jung Reform des Jugendschutzrechtes, JuS 1985 565; Kellner/Hörn „Gewalt im Fernsehen" - Literaturbericht über Medienforschung, insbesondere zu den experimental-psychologischen Untersuchungen hinsichtlich Gewaltdarstellungen in Massenkommunikationsmitteln, Schriftenreihe des ZDF, Heft 8 (1971); Kepplinger/Dahlem Medieninhalte und Gewaltanwendung (Sondergutachten) in: Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt (Hrsg. Schwind/Baumann) Bd. 3 S. 381; Kirchhof Garantie der Kunstfreiheit NJW 1985 225; Köhne Zombies und Kannibalen. Zum Tatbestand der Gewaltdarstellung (§ 131 Abs. 1 StGB), GA 2004 180; ders. Die Verhältnismäßigkeit des Gewaltdarstellungsverbots, KritV 2005 244; Kraegeloh Gesetz zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit, BAnz 1985 Nr. 84a, S. 9, 72; Kunczik Gewalt und Medien (1987) S. 64; Lange Ist das Fernsehen kriminogen? Festschrift Heinitz (1972) S. 593; Laufhütte Viertes Gesetz zur Reform des Strafrechts - pornographische, gewaltverherrlichende und jugendgefährdende Schriften, J Z 1974 46; Lober Jugendgefährdende Unterhaltungssoftware - kein Kinderspiel, CR 2002 397; Löffler (Hrsg.) Die Darstellung der Gewalt in den Massenmedien (1973); Lüscher Wie wirkt das Fernsehen? Festschrift Löffler (1980) S. 233; Meirowitz Horror auf Video, Jura 1993 152; ders. Gewaltdarstellungen auf Videokassetten (1993); Ohder Gewalt durch Gruppen Jugendlicher (1992), darin: Gewalt und Medien, S. 219; Ory Jugendschutz in Neuen Medien, ZUM 1986 123; ders. Gesetzliche Regelungen des Jugendschutzes beim Rundfunk, NJW 1987 2967; Otto Strafrechtlicher Ehrenschutz und Kunstfreiheit der Literatur, NJW 1986 1206; ders. Ehrenschutz in der politischen Auseinandersetzung, JR 1983 1; Rackow Das Gewaltdarstellungsverbot des § 131 StGB: ein Risikodelikt und sein symbolischer Subtext, Festschrift Maiwald (2003) S. 195; Scarbath Videokonsum und pädagogische Verantwortung (1986); Scharnke Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der leitenden Personen des Rundfunks, Schriftenreihe des Instituts f. Rundfunkrecht Heft 23; Schefold Jugendschutz vor Video und in der Öffentlichkeit, ZRP 1984 127; Schenk Medienwirkungen, kommentierte Auswahlbibliografie der anglo-amerikanischen Forschung (1987); Schneider Ursachen der Kinder- und Jugenddelinquenz, Jura 1991 454; Schraut Das Gesetz zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit, UFITA 1986 (Bd. 102) S. 89; Schroeder Das „Erzieherprivileg" im Strafrecht, Festschrift Lange (1976) S. 391; ders. Der Schutz der Zombiewürde, JZ 1990 858; Schwind/Baumann (Hrsg.) Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Analysen und Vorschläge der Unabhängigen Regierungskommission (Gewaltkommission) Bd. 1 bis 4 (1990); Seetzen Vorführung und Beschlagnahme pornographischer und gewaltverherrlichender Spielfilme, NJW 1976 497; Störzer Gewaltdarstellungen im Videobereich, Kriminalistik 1986 377; Volk Der Strafschutz für Staatssymbole und die Freiheit der Kunst, JR 1984 441; Walther Zur Anwendbarkeit der Vorschriften des strafrechtlichen Jugendmedienschutzes auf im Bildschirmtext verbreitete Mitteilungen, NStZ 1990 523; Weides Der Jugendmedienschutz im Filmbereich, NJW 1987 224; Weigend Gewaltdarstellung in den Medien, Festschrift Herrmann (2002) S. 35; Winterhoff-Spurk Fernsehen; psychologische Befunde zur Medienwirkung (1986); ders. Kalte Herzen - wie das Fernsehen unseren Charakter formt (2005); ders. Medienpsychologie: Themen, Befunde und Perspektiven eines expandierenden Forschungsfeldes, Psychologische Rundschau 1989 (Bd. 40) 18; Würkner Wie frei ist die Kunst? NJW 1988 317; Würtenberger Kunst, Kunstfreiheit und Staatsverunglimpfung, JR 1979 309; ders. Karikatur und Satire aus strafrechtlicher Sicht, NJW 1982 610; ders. Satire und Karikatur in der Rechtsprechung, NJW 1983 1144; Zechlin Kunstfreiheit, Strafrecht und Satire, NJW 1984 1091; Zöbeley Zur Garantie der Kunstfreiheit in der gerichtlichen Praxis, NJW 1985 254.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift des § 131 StGB über die Gewaltverherrlichung und die Aufstachelung zum Rassenhass wurde durch das 4. Strafrechtsreformgesetz vom 2 3 . November 1 9 7 3

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Gewaltdarstellung (BGBl. I S. 1725) in das StGB eingefügt. 1 Sie trat an die Stelle des Tatbestandes der Staatsverleumdung, auf den der Gesetzgeber wegen anderweitigen, ausreichenden Strafschutzes (vgl. §§ 9 0 a , 90b, 109d, 187, 187a Abs. 2 StGB) verzichtet hatte. Zuvor bestanden aus Gründen des Jugendschutzes lediglich Regelungen im Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (GjS), die Verbreitungs- und Werbebeschränkungen für verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende sowie den Krieg verherrlichende Darstellungen enthielten (vgl. §§ 1, 6 GjS). Im Rahmen der Sachverständigenanhörung des Sonderausschusses zu Fragen des Sexualstrafrechts war mehrfach auf die mögliche gefährliche und sozialschädliche Wirkung von gewaltund brutalitätsverherrlichenden Darstellungen hingewiesen worden. 2 Dabei wurde die pornographische Schilderung von Gewalttätigkeiten als nur eine - wenn auch besonders raffinierte - Form der Werbung für Gewalt gekennzeichnet, neben der jedoch auch das strafrechtliche Verbot anderer Arten grausamer oder sonst unmenschlicher Schilderung von Gewalttätigkeiten erwogen werden müsse. 3 Aufgrund dieser Anregungen leitete das Bundesministerium der Justiz im Februar 1971 dem Sonderausschuss einen ersten Formulierungsvorschlag einer Strafvorschrift über gewaltverherrlichende oder -verharmlosende Darstellungen zu. 4 Die weiteren Beratungen des Sonderausschusses, in deren Rahmen Sachverständige insbesondere aus dem Bereich der Massenmedien, der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft und des Deutschen Presserats gehört wurden, 5 waren vor allem von dem Bemühen um eine präzise tatbestandliche Ausformung und Abgrenzung gekennzeichnet, die einerseits den Bestimmtheitsanforderungen genügt und die strafrechtliche Praxis nicht überfordert, andererseits aber die grundgesetzlich garantierte Meinungs- und Informationsfreiheit sowie die Kunstfreiheit nicht tangiert. Die neue Vorschrift wurde vom Sonderausschuss am 16. Dezember 1971 beschlossen, 6 nach vorzeitiger Auflösung des Bundestages im Rahmen eines 4 . StrRG 1973 erneut eingebracht und gebilligt. 7 Durch Art. 19 Nr. 5 0 E G S t G B vom 2. M ä r z 1974 (BGBl. I S. 4 6 9 ) wurde die Gleichstellungsklausel des § 11 Abs. 3 eingefügt. Der Entwurf eines Zweiten ÄndG/JÖSchG, 8 der u. a. auf Verbesserung des Schutzes gegen gefährdende Videounterhaltungsspielgeräte angelegt war, wurde wegen vorzeitigen Endes der 9. Legislaturperiode im Bundestag nicht mehr beraten. 9 Um eine wirksamere Bekämpfung der menschenverachtenden, Gewalt und Horror in exzessiver Weise darstellenden Videofilme zu ermöglichen und deren Verbreitungsmöglichkeiten entgegenwirken, wurde § 131 durch Art. 3 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit vom 2 5 . Februar 1985 (BGBl. I S. 4 2 5 ) neu gefasst. 1 0 Abweichend von der früheren Fassung ordnete der Gesetzgeber zur Klarstellung 1

2

3

4

Vgl. Laufhütte J Z 1974 46, 49 f; Becker MDR 1974 177; Blei JA 1973 169; v. Hartlieb UFITA 1980 101, 107 ff. Vgl. Prot. VI/843-1139: Sigusch S. 870; Affemann S. 948; Mitscherlich S. 970; Hallermann S. 999; Matthes S. 1020. Vgl. Prot. VI: Lempp S. 933; Geerds S. 907; Jescheck S. 1103; auch Hanack S. 1110; Lantzke S. 1125. Vgl. Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung Nr. 30/1971 S. 316 ff vom 2. März 1971; recht Nr. 11/1971, S. 6.

5 6 7 8 9

10

Vgl. Prot. VI/1819-1860. Prot. VI/1904. Vgl. BTDrucks. 7/80; Prot. 7/41 f, 63. BTDrucks. 9/1992. Vgl. BTDrucks. 9/2302 zur Bestandsaufnahme. Vgl. Beisel/Heinrich NJW 1996 491, 495; Erdemir ZUM 2000 699, 704; Greger NStZ 1986 8; v. Hartlieb NJW 1985 830; Jung JuS 1985 565; Schefold ZRP 1984 127; Schraut UFITA 1986 89.

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die beiden Attribute „grausam" und „sonst unmenschlich" der Gewalttätigkeit als solcher und nicht mehr der Schilderung zu. 11 Außerdem wurde die Vorschrift ausgeweitet, als nicht nur Darstellungen erfasst werden, die eine Gewaltverherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrücken, sondern auch Darstellungen, die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise schildern. Diese Ergänzung diente der Erfassung selbstzweckhaft übersteigerter Gewaltdarstellungstendenzen und sollte zur Verbesserung des Strafschutzes gegen exzessive massenmediale Gewaltdarstellungen eine insoweit bestehende Strafbarkeitslücke schließen. 1 2 Durch Art. 1 Nr. 7 und 8 des Verbrechensbekämpfungsgesetzes vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3186) wurde der Tatbestand der Aufstachelung zum Rassenhass aus § 131 ausgegliedert und als Absatz 2 in § 130 eingefügt. Durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. November 2 0 0 3 (BGBl. I S. 3007) wurde der Tatbestand erweitert. 13 Erfasst werden nunmehr auch Schilderungen von Gewalttätigkeiten gegen „menschenähnliche Wesen", weil es nach Auffassung des Gesetzgebers nicht darauf ankomme, ob die Opfer der wiedergegebenen Gewalttätigkeiten als „Androide", „künstliche Menschen", „Außerirdische", „Untote" oder als Verkörperung übersinnlicher Wesen dargestellt werden. 14 In Absatz 2 wurden die Medien- und Teledienste dem Rundfunk gleichgestellt. In Absatz 4 wurde der zweite Halbsatz eingefügt, der den Tatbestandsausschluss beim Zugänglichmachen durch den Sorgeberechtigten wieder zurücknimmt, wenn der Sorgeberechtigte seine Erziehungspflichten gröblich verletzt.

Gesetzesmaterialien Entw. eines 4. StrRG der Fraktionen der SPD und FDP, BTDrucks. 7/80; Berichte des Sonderausschusses, BTDrucks. VI/3521, S. 4 und BTDrucks. 7/514, S. 3; Prot. VI/843 ff, 1792 ff, 1812 ff, 1825 ff, 1861 ff, 1877 ff, 1889 ff, 1987 ff, 2118 f; Prot. 7/41 ff, 63 f; Entw. eines JÖSchNG der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BTDrucks. 10/722; Schriftl. Bericht des 13. BT-Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit (JFGAussch.), BTDrucks. 10/2546, S. 21 ff; BTVerh. 10/108, S. 8 0 0 0 ; Protokoll des JFGAusschusses 10/24 (Sachverständigenanhörung); Entw. eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BTDrucks. 15/350; Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 15/1311.

11 12

Bericht, BTDrucks. 10/2546, S. 2 2 . Vgl. Greger NStZ 1986 8, 10; vgl. auch LG Heilbronn, LG Saarbrücken u. LG Hamburg

b. v. Hartlieb UFITA 1980 101, 115, 121 zu

den sog. „Hongkong-Filmen", „Sodom" etc.; BGH 2 StR 739/77 v. 21.4.1978, UFITA 1980 2 0 8 .

13

Vgl. Duttge/Hörnle/Renzikowski

14

BTDrucks. 15/1311, S. 2 2 ; krit. wegen der Schwierigkeit der Unterscheidung von menschenähnlichen und nicht menschenähnliehen Wesen: Rudolphi/Stein SK Rdn. 1;

Duttge/Hörnle/Renzikowski

NJW 2004

1065.

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NJW 2004

1065, 1070; Bundesrat, BTDrucks. 15/1642, S. 1 f.

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Gewaltdarstellung

§ 131

Übersicht Rdn. I. Π. ΙΠ. IV. V.

Rechtsgut Deliktsnatur Kriminalpolitische Bedeutung Verfassungsrecht Objektiver Tatbestand des Absatzes 1 . . 1. Tatmittel 2. Inhalt der Tatmittel a) Schilderung grausamer oder sonst unmenschlicher Gewalttätigkeiten . aa) Gewalttätigkeit bb) Gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen . . . cc) Grausam oder sonst unmenschlich b) Urheber der Gewalttätigkeit . . . . c) Schildern der Gewalttätigkeit . . . d) Arten der Darstellung aa) Verherrlichen

Rdn.

1 7 8 9 12 12 13

VI. Vü. VHI. IX. X.

14 15 18

XI. ΧΠ. ΧΙΠ. XIV. XV.

19 22 23 27 28

bb) Verharmlosen cc) Schilderung in einer die Menschenwürde verletzenden Weise dd) Ausdrucksdelikt 3. Tathandlungen Objektiver Tatbestand des Absatzes 2 . . Subjektiver Tatbestand Berichterstatterprivileg gem. Absatz 3 . . Erzieherprivileg gem. Absatz 4 Rechtswidrigkeit 1. Kunstfreiheit 2. Sonstige Grundrechte Täterschaft und Teilnahme Versuch und Vollendung Konkurrenzen Rechtsfolgen Prozessuales

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32 36 39 40 42 44 47 53 53 56 57 58 59 60 62

I. Rechtsgut Die Vorschrift des § 131 soll exzessiven Formen gewaltverherrlichender, gewaltverharmlosender und menschenwürdeverletzender Schriften und Darstellungen entgegenwirken. Sie ist in erster Linie auf den Schutz der Allgemeinheit vor sozialschädlicher Aggression und Hetze ausgerichtet, die stimulierend auf die Gewaltbereitschaft von Gewalttätern wirken kann. Im Wege einer Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes soll verhindert werden, dass durch die Verbreitung von Gewaltdarstellungen ein gesellschaftliches Klima entsteht, das durch drohende Gewalttätigkeiten und Brutalisierung gekennzeichnet ist und das ein nachhaltiges Gefühl der Rechtsunsicherheit bei der Bevölkerung hervorruft. Geschütztes Rechtsgut ist deshalb vorrangig der öffentliche Friede. 1 5 Darunter ist - wie in den Vorschriften der §§ 126, 130, 130a - sowohl der Zustand der allgemeinen Rechtssicherheit zu verstehen als auch das Friedensgefühl der Bevölkerung, im Schutze der Rechtsordnung zu leben (vgl. § 126 Rdn. 1; § 130 Rdn. 3).

1

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Norm darüber hinaus - als Mittel zur Erreichung dieses Zieles - den Einzelnen vor einer aggressionsbedingenden Fehlentwicklung bewahren, wie sie etwa durch Aktivierung vorhandener Labilitäten oder Anlagemomente im Sinne einer Stimulierung oder Abstumpfung und Verrohung eintreten kann. 1 6 Dem wird zum Teil entgegengehalten, dass es grundsätzlich nicht Aufgabe des Strafrechts sein könne, Menschen vor sich und um ihrer selbst willen zu schützen, weshalb der

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Miebach/Schäfer MK Rdn. 1; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Rudolphi/Stein SK Rdn. 3; Lackner/Kühl Rdn. 1; Kindhäuser LPK Rdn. 1; Erdemir ZUM 2000 699, 701; aA Fischer Rdn. 3: Schutz des Einzelnen und der Allgemeinheit vor Gewalttaten; ähnlich Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 94 I Rdn. 2; Ostendorf NK Rdn. 3; Hörnle FS Schwind, S. 337, 338 ff: Kombina-

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tion von Schutz vor Gewalttaten, Schutz der Menschenwürde und Jugendschutz. Vgl. Ber., BTDrucks. Vl/3521, S. 6 und 10/2546, S. 21; Miebach/Schäfer MK Rdn. 2; Lackner/Kühl Rdn. 1; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 94 I Rdn. 2; vgl. auch BVerfG NJW 1993 1457, 1458; BGH NStZ 2000 307, 308.

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Schutz des Einzelnen vor Fehlentwicklungen als eigenständiges Rechtsgut verneint oder allenfalls bei jugendlichen Konsumenten anerkannt wird. 1 7 3

Schließlich dient die Norm insbesondere in Absatz 1 Nr. 3 dem Jugendschutz und tritt insoweit neben die Vorschriften des JuSchG. 1 8

4

Die Zusammenhänge zwischen Gewaltdarstellungen in Film, Funk, Fernsehen und Schriften und später begangenen Gewalttätigkeiten sind wissenschaftlich allerdings noch nicht eindeutig und abschließend geklärt. Die Wirkungen der Medien auf das menschliche Zusammenleben werden zwar als erheblich, weitreichend, vielschichtig und verhaltensbeeinflussend erkannt, 1 9 ihr Einfluss auf die Entwicklung der Gewaltbereitschaft jedoch kontrovers diskutiert. 20 Trotz der bisherigen Bemühungen der psychologischen und soziologischen Wirkungsforschung gibt es noch keine letztlich gesicherten Erkenntnisse darüber, wie sich Gewaltdarstellungen auf das Verhalten und die Vorstellungswelt des Betrachters - des Jugendlichen wie des Erwachsenen - auswirken. Insoweit werden eine ganze Anzahl unterschiedlicher, teilweise einander widersprechender Theorien vertreten. 21 Nach älteren Ansätzen wie der Katharsis-Theorie (Feschbach u.a.) etwa, auch Reinigungstheorie oder Theorie der Abreaktion genannt, hat die Mediengewalt eine Ersatz- oder Ventilfunktion und führt zum Abbau aggressiver Verhaltenstendenzen durch die Identifikation mit der dargestellten Gewalt. Demgegenüber hat nach der Stimulations· und Lerntheorie die Gewaltdarstellung aggressionsstimulierende Wirkung; Gewaltdarbietungen werden als Vorbilder für Lern- und Nachahmungsprozesse verstanden, also Verstärkungen aggressiver Verhaltensweisen beim Rezipienten unterstellt. Die Habitualisierungsthese (Gewöhnungs- bzw. Abstumpfungstheorie) geht davon aus, dass die wiederholte Konfrontation mit Gewaltdarstellungen Gewöhnungseffekte erwarten lässt, weil über eine Abstumpfung der emotionalen Ansprechbarkeit Gewaltbereitschaft sowie Gleichgültigkeit gegenüber Aggressionsopfern steigen. Nach der Inhibitionstheorie (Berkowitz) wirkt die Gewaltdarstellung bei gleichzeitig zum Ausdruck kommender Verurteilung der Gewalt auf eigene aggressive Verhaltenstendenzen hemmend, bei in der Darstel-

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 2a; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Tröndle/ Fischer Rdn. 2; Hefendehl Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 301. Miebach/Schäfer MK Rdn. 2; Kindhäuser LPK Rdn. 1; aA Sch/Scbröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 1. Vgl. Lüscher FS Löffler, S. 233, 2 4 9 ; v. Hartlieb UFITA 1980 101, 103, 106; Höynck/ Pfeiffer ZRP 2 0 0 7 91 (zu Computerspielen); vgl. auch die bemerkenswerte Studie zur Vermittlung von Selbstmordmotivation durch fiktive Fernsehmodelle von Schmidtke/Hafner Nervenarzt 1986 5 0 2 . Vgl. Eisenberg Kriminologie, Rdn. 13 ff; Göppinger/Bock Kriminologie, § 28 II.l Rdn. 3 4 ff; Erdemir Z U M 2 0 0 0 699, 701; Glogauer ZRP 1990 3 7 6 ff; Hefendehl NuR 2 0 0 1 498, 5 0 3 ; Hörnle FS Schwind, S. 337, 3 3 9 ff; Köhne KritV 2 0 0 5 2 4 4 , 2 4 5 ; Lange FS Heinitz, S. 5 9 3 ff; Lober CR 2 0 0 2 3 9 7 f; Rackow FS Maiwald, S. 195, 201; Kepplinger

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Medieninhalte und Gewaltanwendung, S. 381, 391; Ohder Gewalt durch Gruppen Jugendlicher, S. 2 2 0 ; Schwind/Baumann (Hrsg.) Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt Bd. 1, S. 170 Rdn. 4 8 6 u. Bd. 2, S. 2 0 ff, 377. Zu den verschiedenen experimentalpsychologischen Untersuchungen sowie den unterschiedlichen Wirkungsmodellen und Theorieansätzen vgl. Göppinger/Bock Kriminologie, § 2 8 II.l Rdn. 41 m.w.N.; Ostendorf NK Rdn. 6; Kellner/Hörn Gewalt im Fernsehen Rdn. 32 ff; Kepplinger Medieninhalte und Gewaltanwendung, S. 385 ff; Ohder Gewalt durch Gruppen Jugendlicher, S. 2 2 0 f; Schwind/Baumann (Hrsg.) Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt Bd. 2, S. 2 0 2 ; Winterhoff-Spurk Psych. Rundschau 1989 2 3 sowie Wilems/Würtz/Eckert Fremdenfeindliche Gewalt, Trierer Studie (1993); Laufhütte Prot. VT/1793 ff.

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Gewaltdarstellung

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lung zum Ausdruck kommender Rechtfertigung von Gewalt dagegen aggressionsfördernd. Trotz der nicht abschließenden wissenschaftlichen Klärung ist nach dem gegenwärtigen Stand der Wirkungsforschung zumindest von der Möglichkeit der Auswirkung von fiktionalen oder realen Gewaltdarstellungen in den Medien im Sinne einer Erhöhung des Aggressionspotentials und der Gewaltbereitschaft auszugehen. 22 Als Wirkungsspektrum einer Häufung von Gewaltdarstellungen in den Medien werden Banalisierung und Desensibilisierung gegenüber Gewalt, Legitimierungs- und Neutralisationseffekte, Akzeptanz als Problemlösungsmittel, Werte- und Einstellungsveränderung sowie der komplexe Verstärkereffekt genannt. Diese angedeuteten Wirkungen gelten als im Rahmen der sozialkognitiven Lerntheorie abgesichert. 2 3 Allerdings hängt die Steigerung von aggressivem Verhalten von zahlreichen Variablen ab, insbesondere dem sozialen Umfeld des Rezipienten und den konkreten Bedingungen der Rezeption; monokausale Erklärungen sind nicht möglich. 2 4 Jedenfalls ist bei entsprechender Prädisposition von einer mindestens möglichen, d.h. nicht ausschließbaren Eignung extremer, gewaltverherrlichender Darstellungen zur Aktivierung oder Verstärkung einer latent vorhandenen Aggressionsbereitschaft und zur Bewirkung von Nachahmungseffekten und damit zur Auslösung sozialschädlicher Folgen auszugehen. 25 Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen wird die potentiell aggressionssteigernde Wirkung der Mediengewalt durch Liefern von Vorbildern und Inspiration für wirkliches Gewaltverhalten, 2 6 durch Anregung zur Nachahmung, 2 7 durch die Gefahr einer Lernwirkung i.S. einer Verstärkung bestimmter Verhaltensbereitschaften 28 oder zumindest der Abrufung aggressiver Verhaltensmuster in besonderen Situationen 2 9 - auch aufgrund US-amerikanischer Untersuchungen 3 0 - überwiegend bejaht. An dieses, im Hinblick auf die Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter für nicht hinnehmbar gehaltene Risiko hat der Gesetzgeber, ausgehend von einem lerntheoretischen Ansatz, bei der Schaffung des strafrechtlichen Verbots angeknüpft. 3 1

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Vgl. Gehrhardt NJW 1975 375 ff; Glogauer ZRP 1990 376 ff; Höynck/Pfeiffer ZRP 2007 91; Jung JuS 1985 565, 566; Köhne KritV 2005 244, 245 f; Lober CR 2002 397, 399; Miebach/Schäfer MK Rdn. 4; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Ostendorf NK Rdn. 6; Göppinger/Bock Kriminologie, § 28 II. 1 Rdn. 42; Hömle FS Schwind, S. 337, 342; Lange FS Heinitz, S. 593, 602; Ohder Gewalt durch Gruppen Jugendlicher, S. 220; Schwind/Baumann (Hrsg.) Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt Bd. 2, S. 199 f; vgl. auch BGH NStZ 2000 307, 308; BVerfG NJW 1986 1241, 1242 und NVwZ 2001 1264, 1265 bzgl. des Gefahrenpotentials von „ Ge waltspielautomaten ". Vgl. Ohder Gewalt durch Gruppen Jugendlicher, S. 221; Schwind/Baumann (Hrsg.) Ursachen Prävention und Kontrolle von Gewalt Bd. 1, S. 220; s.a. Bandura Aggression - Eine sozial-lerntheoretische Analyse, S. 293 ff. Göppinger/Bock Kriminologie, § 28 II. 1

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Rdn. 43; Hömle FS Schwind, S. 337, 342; Lober CR 2002 397, 399; vgl. auch Höynck/ Pfeiffer ZRP 2007 91, 94. Vgl. Lange FS Heinitz, S. 593 ff; Hömle FS Schwind, S. 337, 342; ferner Prot. VI: Hallermann S. 999; Lempp S. 933; Mitscherlich S. 970; Krüger S. 1843. Ohder Gewalt durch Gruppen Jugendlicher, S. 220. Schneider Jura 1991 460; Dok. DRiZ 1984 374. Scarbath JFGAusschProt. 10/24 S. 56; Kunczik Gewalt und Medien, S. 64 ff. Roth JFGAusschProt. 10/24, S. 65. Glogauer ZRP 1990 376 ff; Hömle FS Schwind, S. 337, 342 m.w.N.; Schenk Medienwirkungen, S. 8 und Anlage mit Dokumentation. Vgl. Ber., BTDrucks. VI/3521, S. 6; Ber., BTDrucks. 7/513, S. 4 und Ber., BTDrucks. 10/2546, S. 21; Erdemir ZUM 2000 699, 701; vgl. auch BVerfG NJW 1986 1241, 1242.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

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Darüberhinaus wollte der Gesetzgeber mit der neuen Vorschrift durch eine plakative Missbilligung exzessiver Gewaltdarstellungen über die Grenze der möglichen Rechtsanwendung hinaus ein Signal gegen die zunehmenden Brutalisierungstendenzen setzen und vor allem bei den für die Masssenmedien Verantwortlichen das erhebliche Risiko der Gewaltverherrlichung bzw. -verharmlosung bewusst machen. 32 Π. Deliktsnatur

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Der Tatbestand setzt weder einen Erfolg in Form der tatsächlichen Auslösung von Gewalttätigkeiten noch die Begründung einer derartigen konkreten Gefahr voraus. Im Gegensatz zu § 126, § 130 oder § 130a ist auch nicht erforderlich, dass die Tathandlung eine konkrete Eignung zur Herbeiführung bestimmter sozialschädlicher Folgen - wie Aggressionsstimulierung, Verrohung etc. - aufweist. Davon hat der Gesetzgeber im Hinblick auf die zu erwartenden Beweisschwierigkeiten bewusst abgesehen. 33 Da gesetzgeberisches Motiv für die Pönalisierung der Gewaltverherrlichung deren befürchtete generelle Gefährlichkeit ist, ist die Vorschrift den abstrakten Gefährdungsdelikten zuzuordnen. 34 Nach anderer Auffassung wird der Tatbestand als sog. Risikodelikt eingestuft, weil gerade die Fälle umstrittener, aber nicht auszuschließender (genereller) Eignung zur Herbeiführung sozialschädlicher Wirkungen erfasst werden. 35 ΠΙ. Kriminalpolitische Bedeutung

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Die Verurteilungszahlen in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts stagnierten auf einem sehr niedrigen Niveau. 36 Dies hat sich nicht geändert, die Vorschrift spielt in der strafrechtlichen Praxis eine nur untergeordnete Rolle. Dies hängt auch daran, dass die Strafverfolgungsbehörden ihre knappen Resourcen auf den Darstellungsschutz im Bereich Kinderpornografie konzentrieren.37 Wegen eines Vergehens gem. § 131 wurden verurteilt im Jahr 1999 19, 2000 8, 2001 24, 2002 21, 2003 22, 2004 15, 2005 18 und 2006 32 Personen. Der Norm kommt deshalb in erster Linie präventive Bedeutung zu. 38 IV. Verfassungsrecht

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Die Vorschrift war unter verfassungsrechtlichen und kriminalpolitischen Aspekten von Anfang an umstritten. 39 Die Bedenken werden auch gegen die erweiternde Neu-

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Vgl. Ber., BTDrucks. VI/3521, S. 7; Ber., BTDrucks. 7/513, S. 4 u. Ber., BTDrucks. 10/2546, S. 22; Prot. VI/2118; 7/42, 43, 46; krit. Rudolphi/Stein SK Rdn. 4; Gerhardt N J W 1975 375, 376; vgl. auch Rackow FS M a i w a l d , S. 195, 212 ff. Ber., BTDrucks. VI/3521, S. 7; Prot. VI/1795, 1879; 7/57. Miebach/Schäfer M K Rdn. 7; Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl Rdn. 1; Kindhäuser LPK Rdn. 2 ; Hörnle FS Schwind, S. 337, 342. Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald B T 2 § 94 I Rdn. 3; Rackow

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FS M a i w a l d , S. 195, 201; Weigend FS Herrmann, S. 35, 42; vgl. auch Kaufmann J Z 1971 5 7 4 , 576. Vgl. Rackow FS Maiwald, S. 195, 196 f. Vgl. Höynck/Pfeiffer Z R P 2 0 0 7 91, 92. Vgl. v. Hartlieb UFITA 1980 1 0 1 , 1 1 4 ff u. 138; Weigend FS Herrmann, S. 35, 46. Ber., BTDrucks. 10/2546, S. 17, 21; zur a.F. Gerhardt N J W 1975 376 f; ders. Justiz und Medien, S. 121; v. Schoeler Prot. 7/41 ff; s.a. die Gutachten der Sachverständigen des Rundfunks, Prot. VI/1825 ff, 1861.

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Gewaltdarstellung

fassung durch das JÖSchNG erhoben. 4 0 Ansatzpunkte grundsätzlicher Kritik sind der Charakter der Gewaltdarstellungsvorschrift als bloßer „Klimaschutztatbestand", die Vorfeldkriminalisierung zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes über die Lenkung der Werthaltung der Bürger, 41 das Fehlen einer Zwangswirkung der inkriminierten Handlung auf die Handlungsfreiheit eines anderen als Kriminalisierungsvoraussetzung 42 und die nur symbolische Funktion der Norm. 4 3 Die gegen die Vorschrift erhobenen Einwendungen knüpfen vor allem an die nicht zweifelsfreie Erweislichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen Gewaltdarstellungen und später begangenen Gewalttätigkeiten und auftretenden Aggressionstendenzen an und stellen im Hinblick auf die durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 und S. 3 GG geschützte ungehinderte Verbreitung von Medieninhalten Erforderlichkeit und Eignung sowie verfassungsrechtliche Legitimität der Vorschrift in Frage. 4 4 Grundsätzlich ist zwar davon auszugehen, dass nur bei erwiesener Sozialschädlichkeit bestimmter Handlungen deren Pönalisierung gerechtfertigt erscheint. 45 Jedoch ist es dem Gesetzgeber im Hinblick auf die ihm eröffnete Gefahreneinschätzungs- und Entscheidungsprärogative unbenommen, den Freiheitsraum auch dann ausnahmsweise durch eine Strafvorschrift einzuengen, wenn die Schädlichkeit bestimmter Verhaltensweisen weder eindeutig belegbar noch ausschließbar ist, die naheliegende Möglichkeit sozialschädlicher Wirkungen aber im Hinblick auf deren mögliche Ausmaße und die Bedeutung der tangierten Rechtsgüter nicht verantwortet werden kann. 4 6 Von einem Verstoß gegen das Übermaßverbot ist deshalb nicht auszugehen. 47

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Weitere verfassungsrechtliche Bedenken werden wegen der Ansammlung von im hohen Maße unbestimmten Rechtsbegriffen im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG erhoben. 4 8 Insbesondere das abstrakte Merkmal „in einer die Menschenwürde verletzenden Weise" wird als ungeeignetes Kriterium zur Abgrenzung bei Gewaltdarstellungen angesehen. 49 In der Tat sind die normativen Merkmale des Tatbestands einer exakten rechtlichen Bestimmung zum Teil schwer zugänglich. Das Bundesverfassungsgericht hat eine noch hinreichend bestimmte Tatbestandsumschreibung bejaht, hinsichtlich des Merkmals „in einer die Menschenwürde verletzenden Weise" aber nur bei verfassungskonform einengender Auslegung (im Einzelnen Rdn. 3 4 ) . 5 0 Die Tat-

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Vgl. Ostendorf NK Rdn. 5; Rackow FS Maiwald, S. 195, 212; Köhne GA 2 0 0 4 180, 187; ders. KritV 2 0 0 5 2 4 4 , 2 4 5 ff; Erdemir Z U M 2 0 0 0 699, 7 0 4 ; Müller-Dietz, Hassemer, Rudolphi JFGAusschProt. 10/24, S. 110 ff. Vgl. Jakobs ZStW 9 7 (1985) 774, 781 f; vgl. Ber., BTDrucks. VI/3521, S. 6. Vgl. Hassemer JFGAusschProt. 10/24, S. 124. Vgl. Rackow FS Maiwald, S. 195, 212 ff. Vgl. Köhne KritV 2 0 0 5 2 4 4 ff, 2 5 0 ff; ders. GA 2 0 0 4 180, 187; Weigend FS Herrmann, S. 45, 4 2 f. Vgl. hierzu Hanack Gutachten A 47. DJT Rdn. 385; s.a. Müller-Dietz JFGAusschProt. 10/24, S. 112 f, der auf den Vorrang präventiver Maßnahmen vor Sanktionierung bei nicht zweifelsfreier kriminologischer Indikation hinweist. Vgl. BVerfGE 83 130, 141 ff; Rudolphi/Stein

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SK Rdn. 4; Miebach/Schäfer MK Rdn. 4; Laufhütte J Z 1974 46, 4 9 ; Erdemir Z U M 2 0 0 0 699, 701; Rackow FS Maiwald, S. 195, 2 0 6 ; Weigend FS Herrmann, S. 35, 43; BTDrucks. VI/3521, S. 6; Lackner Sitzungsbericht Κ zum 47. DJT, S. 41 f. Meirowitz Jura 1993 1 5 2 , 1 5 4 f; Hörnle FS Schwind, S. 337, 345, 352. Vgl. Rudolphi/Stein SK Rdn. 4a; Miebach/ Schäfer MK Rdn. 6; Erdemir Z U M 2 0 0 0 699, 7 0 7 f; Weigend FS Herrmann, S. 35, 43. Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 9 4 II Rdn. 9; JFGAusschProt. 10/24: Hassemer S. 122 f; Müller-Dietz S. 115; aA Lerche ebda. S. 108 f; Meirowitz Jura 1993 152, 160; einschr. BVerfGE 87 209, 2 2 7 ff. BVerfGE 87 2 0 9 ff; krit. Rudolphi/Stein SK Rdn. 4a.

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§ 131

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bestandsmäßigkeit einer Schilderung, „die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt", dürfte danach nur dann zu bejahen sein, wenn und soweit die mit ihnen in Bezug genommenen Maßstäbe für den konkreten Fall eindeutig verletzt sind. 51 Entsprechendes gilt für das Merkmal der „menschenähnlichen Wesen". 5 2 Die gleichwohl verbleibenden Abgrenzungsschwierigkeiten erschweren eine funktionsgerechte Handhabung der Vorschrift in der Praxis und relativieren damit ihre praktische Bedeutung stark. 53

V. Objektiver Tatbestand des Absatzes 1 12

1. Tatmittel. Tatmittel sind Schriften und diesen durch die Legaldefinition des § 11 Abs. 3 gleichgestellte Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und sonstige Darstellungen. 54 Diese Begriffe kennzeichnen verkörperte Zeichen, technisch gespeicherte Ton- und Bildfolgen sowie sonstige dauerhafte Vergegenständlichungen. Bei Datenspeichern muss die Speicherung der Daten allerdings von gewisser Dauer sein, wobei die vorübergehende Ablage in Arbeitsspeichern genügt. 55 Allen diesen Darstellungen ist gemeinsam, dass sie einen sinnlich wahrnehmbaren Vorgang oder einen Gedanken zur Übermittlung einer Vorstellung an andere gegenständlich verkörpern. 56 Folgerichtig werden Live-Darbietungen von Absatz 1 tatbestandlich nicht erfasst. Jedoch erstreckt Absatz 2 in Anknüpfung an die sachlichen Voraussetzungen des Absatzes 1 den Strafbarkeitsbereich auf Live-Sendungen des Rundfunks und solche, die über Tele- und Mediendienste verbreitet werden (s. Rdn. 40).

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2. Inhalt der Tatmittel. Der Tatbestand setzt voraus, dass die in Frage stehenden Schriften usw. grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen schildern. Hinsichtlich der Art der Darstellung sieht das Gesetz zwei Alternativen vor: Die Schilderung muss entweder eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrücken (1. Alt.) oder das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellen (2. Alt.). Während die erste Alternative im Wesentlichen die Regelung des früheren Rechts aufnimmt, 57 dient die zweite letztlich der Schließung verbleibender Lücken, bezweckt also insoweit eine Erweiterung des Strafschutzes. Der Tatbestand will vornehmlich solche Schriften erfassen, in denen Grausamkeitsdarstellungen zum Selbstzweck gemacht werden, d.h. Gewalt ohne jegliche übergeordnete sozial-sinnhafte oder künstlerische Zwecksetzung um ihrer selbst willen oder als reiner Unterhaltungsanreiz geschildert wird. 58 Auch die Neufassung bringt das eigentliche Anliegen des Gesetzgebers, die Beschreibung der Verknüpfung von Inhalt und Form der Darstellung, nur unvollkommen zum Ausdruck.

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Miebach/Schäfer MK Rdn. 6; v. Hartlieb UFITA 1980 101, 111; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 4a. Vgl. Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2 0 0 4 1065,1070. Vgl. schon zur a.F. Becker M D R 1974 177, 178; v. Hartlieb UFITA 1980 101, 138; Sturm Prot. 7/46.

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Vgl. Hilgendorf LK § 11 Rdn. 115 ff. Vgl. Hilgendorf LK § 11 Rdn. 121. Vgl. Ε 1962 Begr. S. 384; Franke GA 1984 4 5 4 ff; Walther NStZ 1990 5 2 3 f. Ber., BTDrucks. 10/2546, S. 2 2 . Vgl. Prot. VI/1871, 1880.

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Gewaltdarstellung

a) Schilderung grausamer oder sonst unmenschlicher Gewalttätigkeiten. Anknüpfungspunkt beider Alternativen ist die Schilderung grausamer oder sonst unmenschlicher Gewalttätigkeiten. Im Gegensatz zur alten Fassung stellt die Vorschrift jetzt klar, dass sich die beiden Attribute „grausam" oder „sonst unmenschlich" nicht auf die Schilderung selbst, sondern auf die geschilderte Gewalttätigkeit beziehen müssen. 59

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aa) Gewalttätigkeit. Unter Gewalttätigkeit ist ein aggressives, aktives Tun zu verstehen, durch das unter Einsatz oder Ingangsetzen physischer Kraft unmittelbar auf den Körper eines Menschen in einer dessen leibliche oder seelische Unversehrtheit beeinträchtigenden oder konkret gefährdenden Weise eingewirkt wird. 60 Voraussetzung ist eine signifikante Entfaltung von Körperkraft. Passive Verhaltensweisen oder ein pflichtwidriges Unterlassen wie Ertrinken-, Verbrennen- oder Erfrierenlassen reichen nicht aus. 61 Der Tatbestand wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Opfer mit den an ihm vorgenommenen Handlungen tatsächlich oder vermeintlich einverstanden ist, z.B. bei sadomasochistischen Exzessen. 62 Erforderlich ist eine nachteilige unmittelbare physische Einwirkung auf einen anderen. Ein bloß mittelbares Vorgehen durch Einwirkung auf eine Sache, die dem anderen körperlich fühlbar wird, reicht - im Unterschied zu § 125 StGB nicht aus, auch nicht bloßer psychischer Terror. 63 Darstellungen von Vandalismus werden ebenfalls nicht erfasst; ebenso wenig die exzessive Schilderung mittelbarer qualvoller Auswirkungen menschlicher Ursachensetzung. 64 Nicht tatbestandsmäßig ist auch die bloße statische Darstellung von verletzten oder getöteten Menschen. 65 Eine Einbeziehung von Gewalttätigkeiten gegen Sachen und Tiere hat der Gesetzgeber zwecks Vermeidung einer Überdehnung des Tatbestands bewusst unterlassen. 66

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Rohheit und Brutalität sind begrifflich keine unabdingbaren Kennzeichen einer Gewalttätigkeit als solcher. 67 Begrifflich erfasst werden daher nicht nur Folterungen, Misshandlungen und gefährliche Körperverletzungen. In Betracht kommen insbesondere auch das Einsperren in überhitzten Räumen oder in einem dunklen Kellerloch, die gezielte Beschallung für eine erhebliche Dauer, das Gefangenhalten in einer Kiste oder das Anketten. Die Einwirkung muss aber immer ein gewisses Gewicht haben. Nur belanglose leichte Beeinträchtigungen sind keine Gewalttätigkeiten i.S. der Vorschrift. 68

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Unerheblich ist, ob die Darstellung ein reales, realitätsnahes oder ein erkennbar fiktives Geschehen zum Gegenstand hat. 6 9 Es kommt auch nicht darauf an, ob es sich um

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Vgl. BTDrucks. 10/2546, S. 2 2 ; v. Hartlieb NJW 1985 830, 334; Jung JuS 1985 565, 5 6 7 ; krit. Greger NStZ 1986 8, 9 f. Vgl. BVerfGE 87 209, 2 2 7 ; BGHSt 2 3 46, 51 ff; OLG Köln NJW 1981 1458, 1459; LG Stuttgart CR 2 0 0 5 675 f; Miebach/Schäfer MK Rdn. 15; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Fischer Rdn. 5; v. Hartlieb UFITA 1 9 8 0 101, 123 ff. Vgl. Blei JA 1973 169, 170; Miebach/Schäfer MK Rdn. 16; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6. Vgl. BGH NStZ 2 0 0 0 307, 309; OLG Köln NJW 1981 1458, 1459; OLG Karlsruhe MDR 1977 864; Miebach/Schäfer MK Rdn. 16; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 6.

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Fischer Rdn. 5; Miebach/Schäfer MK Rdn. 15; weitergehend (auch mittelbare Einwirkungen) : Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6. Vgl. v. Hartlieb UFITA 1 9 8 0 101, 124; vgl. auch LG Stuttgart CR 2 0 0 5 675 f. LG Stuttgart CR 2 0 0 5 675 f. Ber., BTDrucks. VI/3521, S. 7. Vgl. BGHSt 23 4 6 zu § 125. Vgl. Miebach/Schäfer MK Rdn. 17; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6. BVerfGE 87 209, 2 2 8 f; BGH NStZ 2 0 0 0 3 0 7 ; Fischer Rdn. 5; Miebach/Schäfer MK Rdn. 18; aA Köhne GA 2 0 0 4 180, 181 f.

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§ 131

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

rechtmäßige oder rechtswidrige Gewalttätigkeiten handelt. Nach Gesetzeswortlaut und -zweck sind Grund und Zielsetzung der Gewaltanwendung unerheblich. 7 0 Damit werden auch rechtmäßige oder als rechtmäßig dargestellte Gewalthandlungen bei einem Polizeieinsatz oder solche im Rahmen einer gerechtfertigten Verteidigung erfasst. 18

bb) Gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen. Die Gewalttätigkeiten müssen sich gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen richten. Das Tatbestandsmerkmal „Mensch" knüpft an den biologischen Begriff des Menschen an. 7 1 Da der Phantasie entsprungene, menschenähnliche Wesen im Hinblick auf das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 G G nicht unter das Merkmal „Mensch" subsumiert werden können, 7 2 hat der Gesetzgeber zum 1. April 2 0 0 4 das Objekt der Gewalttätigkeiten um die menschenähnlichen Wesen erweitert, da auch insoweit ein Gefährdungspotential vermutet wird. 7 3 Nach Auffassung des Gesetzgebers kann es nicht darauf ankommen, ob die Opfer der wiedergegebenen Gewalttätigkeiten als „Androide", „künstliche Menschen", „Außerirdische", „Untote" oder als Verkörperung übersinnlicher Wesen dargestellt werden. 7 4 Nach überwiegender Auffassung liegt eine Ähnlichkeit von fiktiven Wesen mit Menschen allerdings nur dann vor, wenn die fiktiven Wesen nach objektiven Maßstäben ihrer äußeren Gestalt nach Ähnlichkeit mit Menschen aufweisen. 75 In Betracht kommen beispielsweise Zeichnungen, Comic-Figuren oder Darstellungen in Computerspielen. Die Menschenähnlichkeit wird nicht automatisch dadurch aufgehoben, dass das fiktive Wesen über Fähigkeiten verfügt, die dem Menschen nicht eigen sind. 7 6 Weitergehend verlangen Rudolphi/Stein, dass die menschenähnlichen Wesen auch in psychischer Hinsicht ein dem Menschen ähnliches Selbst-Bewusstsein aufweisen, d.h. ein Bewusstsein ihrer eigenen Existenz und Individualität, und dass sie ihr Verhalten an Maßstäben einer inhaltlich wie auch immer gearteten Moral orientieren. 7 7

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cc) Grausam oder sonst unmenschlich. Über die tatbestandlich vorausgesetzte Intensität der dargestellten Gewalttätigkeit entscheiden die beiden Attribute „grausam" und „sonst unmenschlich", deren tatbestandlicher Aussagewert sich aber nur aus dem gesamten Darstellungscharakter nach Inhalt, Form und Zusammenhang herleiten lässt (Rdn. 36).

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Das Merkmal „grausam" ist in Anlehnung an § 211 zu bestimmen. 7 8 Grausam ist danach ein Handeln, durch das dem Opfer aus gefühlloser unbarmherziger Gesinnung

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Vgl. Prot. VI/1866 f; Blei JA 1973 169, 170; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Miebach/Schäfer MK Rdn. 18; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6a. BVerfGE 87 209, 225; BGH NStZ 2000 307, 308. Vgl. BVerfGE 87 209, 225; BGH NStZ 2000 308; Erdemir ZUM 2000 699, 701; Schroeder JZ 1990 858; Köhne GA 2004 181, 184; Greger NStZ 1986 8, 9. Vgl. BTDrucks. 10/2546, S. 22 f; 15/1311, S. 22; vgl. auch Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004 1065, 1070. BTDrucks. 15/1311, S. 22; krit. wegen der Schwierigkeit der Unterscheidung von menschenähnlichen und nicht menschenähnlichen Wesen: Rudolphi/Stein SK Rdn. 1;

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Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004 1065, 1070; Bundesrat, BTDrucks. 15/1642, S. 1 f. Fischer Rdn. 6; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Miebach/Schäfer MK Rdn. 20; Kindhäuser LPK Rdn. 7; enger Duttge/Hörnle/Renzikowski NJW 2004 1065, 1070: „in ihrem Erscheinungsbild einem Menschen zum Verwechseln ähnlich". Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; aA Köhne GA 2004 180, 183. Rudolphi/Stein SK Rdn. 6c. BVerfGE 87 209, 226; Miebach/Schäfer MK Rdn. 21; Sch/Schröder/Lenckner/StembergLieben Rdn. 7; Laufhütte JZ 1974 46, 50; Prot. VI/1796; einschränkend Fischer Rdn. 7.

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Gewaltdarstellung

besonders starke Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zugefügt werden. 79 In dem hier verstandenen Sinne bedeutet dies, dass das wirkliche oder scheinbare Quälen oder rohe Misshandeln sowie die brutale und unbarmherzige Haltung des Täters aus der Darstellung heraus deutlich werden muss und dadurch der Vorgang in seiner Grausamkeit von dem objektiven Betrachter nachempfunden werden kann. 8 0 Bejaht wurde dies etwa beim Skalpieren einer Frau 8 1 oder bei der Darstellung einer besonders menschenverachtend ausgeführten Vergewaltigung sowie einem Überbordwerfen eines Kleinkindes vor den Augen der verzweifelten Mutter. 8 2 Das Tatbestandsmerkmal „unmenschlich" liegt vor, wenn der Täter mit menschenverachtender, rücksichtsloser, roher oder unbarmherziger Gesinnung handelt, 83 sein Verhalten also durch eine bewusste Missachtung der Gebote der Rücksicht, Teilnahme und Hilfsbereitschaft für den Mitmenschen und eine schwerwiegende Verletzung des menschlichen Achtungsanspruchs gekennzeichnet ist und deshalb eine Negierung der Prinzipien der Menschenwürde und der Menschlichkeit zum Ausdruck kommt. Das Merkmal „unmenschlich" reicht insoweit über den Grausamkeitsbegriff hinaus, als es die Momente des Quälens bzw. Schmerzzufügens nicht unbedingt voraussetzt. Eine unmenschliche Gewalttätigkeit liegt vor, wenn der gewalttätige Vorgang in seiner ganzen menschenverachtenden, rücksichtslosen und gleichgültigen Tendenz in der Darstellung greifbaren Ausdruck findet. Hier werden etwa Filme und Schriften erfasst, in denen das genussvolle oder völlig bedenkenlose, kaltblütige und sinnlose Niederschießen von Menschen in aller Breite und unter Hervorhebung der rohen und menschenverachtenden Einstellung des Täters dargeboten wird. 84

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b) Urheber der Gewalttätigkeit. Urheber muss nicht zwingend ein Mensch sein. Die Gewalttätigkeit kann vielmehr auch von menschenähnlichen Wesen oder Fantasiewesen begangen werden. 85

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c) Schildern der Gewalttätigkeit. Die Schrift usw. muss die grausamen oder sonst unmenschlichen Gewalttätigkeiten schildern. Dies kann durch die unmittelbare Wiedergabe oder durch eine anschaulich berichtende Beschreibung jeweils auf optischem und/oder akustischem Weg erfolgen. 86 Der Schilderung können sowohl wirkliche Begebenheiten und Ereignisse als auch erfundene Geschehnisse und gestellte Vorgänge zugrunde liegen, bei denen Gewalttätigkeiten ohne tatsächliche Schadenszufügung nur scheinbar begangen oder vorgetäuscht werden. 87 Auch eine menschenverachtende Darstellung rein fiktiver grausamer Gewaltvorgänge kann das Gebot zur Achtung der Würde

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Vgl. BTDrucks. 10/2546, S. 22; BVerfGE 87 2 0 9 , 2 2 6 ; OLG Koblenz N J W 1986 1700; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Miebach/Schäfer MK Rdn. 21; Erdemir Z U M 2 0 0 0 699, 701; Greger NStZ 1986 8, 9; Laufhütte J Z 1974 4 6 , 50. Vgl. Ber., BTDrucks. VI/3521, S. 7; OLG Koblenz N J W 1986 1700. OLG Koblenz N J W 1986 1700. OLG Koblenz NStZ 1998 4 0 . BVerfGE 87 209, 2 2 6 f; Miebach/Schäfer MK Rdn. 2 2 ; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 7; Greger NStZ 1986 8, 9.

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Vgl. Prot. VI/1869; Ber., BTDrucks. VI/3521, S. 7; BVerfGE 87 209, 2 2 6 f. BGH NStZ 2 0 0 0 307, 3 0 8 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 8; aA v. Hartlieb UFITA 1980 123; Köhne GA 2 0 0 4 181, 184; Meirowitz Gewaltdarstellungen auf Videokassetten, S. 337. Miebach/Schäfer MK Rdn. 23; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Rudolphi/Stein SK Rdn. 9. BGH NStZ 2 0 0 0 3 0 7 ; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Miebach/Schäfer MK Rdn. 2 3 ; Erdemir Z U M 2 0 0 0 699, 701 f.

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des Menschen verletzen. 88 Die Schilderung muss das äußere Geschehen vom gewalttätigen Verhalten sowie erforderliche subjektive Momente des Gewalttätigen darstellen. Letzere können bei bildhaften Darstellungen dergestalt zum Ausdruck kommen, dass die äußeren Umstände den Betrachter zu entsprechenden Schlussfolgerungen drängen. 89 24

Entsprechend dem Schutzzweck - Verhinderung sozialisationsgefährdender Brutalitätsdarstellung - muss gerade das Grausame und Unmenschliche des Vorgangs den wesentlichen Inhalt und zugleich den Sinn der Schilderung der Gewalttätigkeit ausmachen. 9 0 Dies muss für den durchschnittlichen Leser oder Betrachter erkennbar sein. Diese einschränkende Interpretation gilt auch nach der Neufassung der Vorschrift im Jahr 1985. Mit der geänderten Zuordnung der Merkmale „grausam" und „unmenschlich" (siehe oben Rdn. 19) bezweckte der Gesetzgeber lediglich eine sprachliche Klarstellung, aber keine tatbestandliche Ausweitung des Tatbestands. 91 Dies bedeutet, dass es sich um eine qualifizierte Form der Darstellung einer grausamen oder unmenschlichen Gewalttätigkeit handeln muss.

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Dabei ist darauf abzustellen, ob bei der Schilderung eines grausamen oder sonst unmenschlichen Geschehens (z.B. Folterungen oder sonstige exzessive Gewalttätigkeiten) gerade die die Grausamkeit und Unmenschlichkeit kennzeichnenden Momente - das rohe und brutale Handeln des Täters, seine unbarmherzige und rücksichtslose Einstellung, die qualvollen Leiden und Schmerzen des Opfers, das Ausmaß schwerer Verletzungen - herausgestellt, in all ihren spezifischen Einzelheiten ausgebreitet und damit zum bestimmenden Inhalt der Darstellung gemacht werden. 92 In erster Linie sind hier Fälle angesprochen, in denen rohe Gewalthandlungen in aufdringlicher, anreißerischer Weise ohne jegliche sozial sinnhafte Motivationen um ihrer selbst willen, zum bloßen Unterhaltungsanreiz oder zur Stimulierung von Emotionen dargeboten werden. 93 Hierzu gehört das „Ausspielen" wie auch das genussvolle „Ausmalen" von grausamen Gewaltszenen. Jedoch ist nach obigem Maßstab der tatbestandliche Bereich nicht auf derartige Fälle selbstzweckhafter Darstellungen beschränkt. Auch bedarf es nicht unbedingt einer übersteigerten Form wie etwa einer Hervorhebung durch Nahaufnahmen oder einer besonders brutalen Ausdrucksweise. 94 Vielmehr kann es für das Merkmal der „Schilderung grausamer oder sonst unmenschlicher Gewalttätigkeiten" genügen, dass der grausame Vorgang in seiner ganzen Realität dem Betrachter vor Augen geführt wird. Erfasst wird somit unter Umständen schon die objektive Wiedergabe eines grausamen Geschehens, wenn es über einen längeren Zeitraum in allen charakteristischen Einzelheiten dargestellt wird. Die tatbestandliche Relevanz wird nicht schon dadurch in Frage gestellt, dass die maßgeblichen Szenen erkennbar „gestellt" wirken oder dass für den Betrachter erkennbar Gewalttätigkeiten ohne reale Verletzungsfolgen nur simuliert werden. 95

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BVerfGE 87 209, 2 2 8 f. Miebach/Schäfer MK Rdn. 23; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8; v. Hartlieb UFITA 1980 101, 127. Vgl. BGH N J W 1978 58; NStZ 2 0 0 0 307, 3 0 8 ; Miebach/Schäfer MK Rdn. 2 4 ; Sch/ Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Rudolphi/Stein SK Rdn. 9a. Ber., BTDrucks. 10/2546, S. 2 2 . Vgl. BGH N J W 1978 58; BGH bei Schmidt MDR 1981 975, 976; OLG Koblenz NJW

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1986 1700; Rudolphi/Stein SK Rdn. 9a; Lackner/Kühl Rdn. 6. 9 ? Vgl. Prot. Vl/1871, 1879. 94 Blei JA 1973 171; Rudolphi/Stein SK Rdn. 9a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 24. 9 5 Vgl. BVerfGE 87 209, 2 2 8 f; BGH NStZ 2 0 0 0 307, 3 0 8 ; OLG Köln NJW 1981 1458, 1459; v. Hartlieb UFITA 1980 1 0 1 , 1 2 5 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 9a; Miebach /Schäfer MK Rdn. 2 4 .

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Gewaltdarstellung Nicht tatbestandserheblich ist die Schilderung einer Gewalttätigkeit, die zwar von einiger Erheblichkeit ist, aber in einer unauffälligen, zurückhaltenden Darstellungsweise erfolgt. Tatbestandlich ebenfalls nicht erfasst werden kriegsverherrlichende Szenen oder die Glorifizierung von Heldentaten ohne Unterlegung exzessiver Gewaltschilderung, ferner distanzierte oder verfremdete Beschreibungen eines an sich grausamen Vorgangs, wenn die grausamen oder sonst unmenschlichen Gewalttätigkeiten dadurch nicht mehr ohne weiteres als solche zu erkennen sind, 9 6 sowie zurückhaltende und gemäßigte Darstellungen nur andeutender Natur. 9 7 Die phantasieanregende Wirkung, auf die solche Schilderungen angelegt sein können, hat der Gesetzgeber bewusst außer Betracht gelassen. Soweit eine einigermaßen zurückhaltende, diskrete oder rücksichtsvoll verhaltene Darstellungsweise eingehalten wird, wird auch eine verharmlosende filmische Schilderung einer Gewalttätigkeit von einiger Erheblichkeit aus dem Genre der Agenten-, Wildwest- und Historienfilme nicht erfasst. 9 8 Bei einer echten Filmgroteske (z.B. Dick-undDoof-Filme) oder vergleichbaren Darstellungen kann selbst eine grobe Aggression durch den weiteren (entschärfenden) Darstellungsgang, eine ins Lächerliche reichende Situationskomik, 9 9 eine grotesk-bizarre Übersteigerung oder andere Stilmittel so relativiert und verfremdet sein, dass bereits der Darstellungscharakter als grausame Gewalttätigkeit zu verneinen ist; zumindest fehlt es hier jedoch an den tatbestandlich vorausgesetzten Darstellungstendenzen (Rdn. 2 8 ff).

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d) Arten der Darstellung. Die grausamen oder sonst unmenschlichen Gewalttätigkeiten müssen in einer Art geschildert werden, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt (1. Alt.) oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt (2. Alt.).

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aa) Verherrlichen. Das Merkmal der Verherrlichung ist aus dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften übernommen, das als Beispiel in § 1 Abs. 1 „die den Krieg verherrlichenden Schriften" anführte. Grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten werden verherrlicht, wenn die Gewalttätigkeiten in einem positiven Bewertungszusammenhang dargestellt werden, so dass sie als in besonderer Weise nachahmenswert erscheinen. 1 0 0 Das ist der Fall, wenn die Gewalthandlungen als reizvolles, keineswegs verwerfliches Abenteuer geschildert, als Bewährungsprobe für besondere Fähigkeiten und Tugenden oder als Kennzeichen für Heldentum und kraftvolle M ä n n lichkeit dargestellt, als billigenswertes Mittel, sich im Leben durchzusetzen, oder als erstrebenswerte Möglichkeit zur Erlangung von Anerkennung, Ruhm und Auszeichnung

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 9a; Miebach/Schäfer MK Rdn. 25; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 8. Vgl. Ber., BTDrucks. VI/3521, S. 6, 7. Miebach/Schäfer MK Rdn. 25; nach Rudolphi/Stein SK Rdn. 7 fehlt es bereits am Tatbestandsmerkmal der Unmenschlichkeit der Gewalttätigkeiten; Rackow FS Maiwald, S. 195, 211 nimmt eine Tatbestandskorrektur unter dem Gesichtspunkt der sozialen Adäquanz vor und schließt solche Darstellungen aus, die sich innerhalb der Gesetzmäßigkeiten der allgemein anerkannten Genres halten.

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Vgl. OLG Köln MDR 1981 247. Miebach/Schäfer MK Rdn. 27; Sch/Schröder/ Lettckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9; einschränkend Rudolphi/Stein SK Rdn. 10; Fischer Rdn. 9: keine nachahmenswerte Darstellung erforderlich; Erdemir ZUM 2000 699, 703 verlangt, dass die Darstellung eindeutig und für jedermann erkennbar für die konkret ausgeübte Gewalttätigkeit gerade auch in ihrer Grausamkeit oder sonstigen Unmenschlichkeit wirbt; ebenso Ostendorf NK Rdn. 10.

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hingestellt oder als nachahmenswertes Leitbild gepriesen werden. 101 Nicht erforderlich ist eine direkte Glorifizierung der Gewalttätigkeiten, die Darstellung in einem positiven Bewertungszusammenhang reicht aus. 102 29

Nicht erfasst werden Darstellungen, die lediglich zeigen, zu welchen Grausamkeiten der Mensch fähig ist oder welch unheilvolle Rolle die Gewalt im menschlichen Zusammenleben spielt. 103 Ebensowenig fallen die gängigen Western, Krimis und Actionfilme sowie Comic-Strips unter den Tatbestand, selbst wenn sie grausame Schilderungen enthalten. 104

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bb) Verharmlosen. Verharmlosen von Gewalttätigkeiten ist ihre Bagatellisierung als eine übliche, jedenfalls aber akzeptable oder nicht verwerfliche Form menschlichen Verhaltens oder gesellschaftlicher Auseinandersetzung. 105 Kennzeichnend sind ein Herunterspielen oder Unauffälligmachen des fraglichen Ereignisses oder ein Verschleiern seiner wahren Bedeutung. In diesen Fällen besteht das Risiko einer Gewöhnung und Einstellungsänderung des Konsumenten gegenüber der Gewaltanwendung sowie einer zunehmenden Bereitschaft, ebenso zu verfahren. Aus der Rechtsprechung zu nennen ist etwa die Schilderung grausamer Frauenmorde in ihren qualvollen Einzelheiten, durch die ein Täter seinen Mutter-Sohn-Konflikt zu lösen sucht. 106

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Von dem Merkmal der Verharmlosung begrifflich nicht mehr gedeckt werden - entgegen dem als Auslegungshilfe gedachten Hinweis des Bundestagsauschusses 107 - die Fälle der „beiläufigen, emotionsneutralen" Schilderung von grausamen oder sonst unmenschlichen Gewalttätigkeiten ohne ein „Herunterspielen", auch wenn derartige Schilderungen als selbstzweckhaft einzuordnen sind. Hier kommt allenfalls die zweite Alternative in Betracht, soweit sich die Schilderung als menschenwürdeverletzende Übersteigerung darstellt.

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cc) Schilderung in einer die Menschenwürde verletzenden Weise. Nach der zweiten Alternative wird vorausgesetzt, dass die grausamen usw. Gewalttätigkeiten in einer Art geschildert werden, die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt.

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Das Merkmal einer die Menschenwürde verletzenden Darstellungsweise knüpft anders als die Menschenwürdeklausel des § 130 (dort Rdn. 51 ff) - nicht an individuelle oder personale Ausprägungen des Menschenwürdeschutzes an; es geht nicht um das Individualgrundrecht konkreter Personen (Gewaltopfer, Betrachter, Darsteller) i.S. eines Schutzes der Subjektstellung des Individuums, sondern um die Würde des Menschen als

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Vgl. BTDrucks. VI/3521, S. 7; BVerwG MDR 1966 700, 701; Miebach/Schäfer MK Rdn. 27; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 9; Greger NStZ 1986 8, 10; v. Hartlieb UFITA 1980 101, 127; Laufhütte J Z 1974 46, 50. AA Erdemir Z U M 2 0 0 0 699, 702 f. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Miebach/Schäfer MK Rdn. 28. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Miebach/Schäfer MK Rdn. 28; Erdemir Z U M 2 0 0 0 699, 7 0 2 f; nach Rudolphi/Stein SK Rdn. 7 fehlt es insoweit

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bereits am Tatbestandsmerkmal der Unmenschlichkeit der Gewalttätigkeiten. Vgl. BTDrucks. Vl/3521, S. 7; Prot. Vl/1885, 1890; Rudolphi JFGAusschProt. 10/24, S. 14; BayObLG NStE Nr. 2 zu § 131 StGB; OLG Koblenz N J W 1986 1700; NStZ 1998 40, 41; Miebach/Schäfer MK Rdn. 2 9 ; Seht Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 9; krit. Erdemir Z U M 2 0 0 0 699, 703 f; Rackow FS Maiwald, S. 195, 2 0 8 ff. OLG Koblenz N J W 1986 1700. Ber., BTDrucks. 1 0 / 2 5 4 6 , S. 22; zust. Greger NStZ 1986 8, 10.

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Gewaltdarstellung

abstrakter Rechtswert. 108 Das Tatbestandsmerkmal hat die Funktion eines objektiven allerdings für die Praxis nicht leicht umsetzbaren - Maßstabes, der die Grenze des noch Hinnehmbaren bestimmt. Maßgebend dabei ist, ob die Verletzung der Menschenwürde in der Art der Darstellung als solcher zu sehen ist; 1 0 9 grausame und unmenschliche Gewalttätigkeiten verletzen diese nämlich per se. 1 1 0 Das Tatbestandsmerkmal wird wegen seiner Unbestimmtheit und seiner mangelnden Eignung zur Abgrenzung strafbarer Fälle von straflosem Verhalten als problematisch bezeichnet. 111 Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung vom 20. Oktober 1992 das Merkmal „in einer die Menschenwürde verletzenden Weise" für noch hinreichend bestimmt erachtet, sofern es verfassungskonform dahingehend ausgelegt wird, dass nur Darstellungen von grausamen oder unmenschlichen Gewalttätigkeiten erfasst werden, die darauf angelegt sind, beim Betrachter eine Einstellung zu erzeugen oder zu verstärken, die den jedem Menschen zukommenden fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugnet. 112 Kennzeichnend ist danach die Vorstellung von der Verfügbarkeit des Menschen als bloßem Objekt, mit dem nach Belieben verfahren werden kann. 1 1 3

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Als maßgebliches Kriterium kann hier in Anlehnung an die ähnliche AbgrenzungsProblematik der pornographischen Darstellung in § 1 8 4 1 1 4 die selbstzweckhafte Übersteigerung unmenschlicher Gewaltschilderung angesehen werden, die (angelegt auf die Ansprechbarkeit des Betrachters) die Vorstellung einer beliebigen Verfügbarkeit des Menschen als bloßes Gewalt-/Triebobjekt vermittelt oder die dargestellte Person als menschenunwert erscheinen lässt und die Aufnahmebereitschaft des Betrachters für Nervenkitzel und genüsslichen Horror wecken bzw. ein sadistisches Vergnügen an dem Geschehen befriedigen soll. 115 Ein menschenwürdeverletzender Darstellungscharakter ist danach zu bejahen, wenn unter tendenzieller Infragestellung des fundamentalen menschlichen Wert- und Achtungsanspruchs Gewalttätigkeiten in übersteigerter anreißerischer Weise ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensvorgängen geschildert oder gedankliche Inhalte zum bloßen Vorwand für eine provozierende Darstellung von Gewaltexzessen genommen werden. Tatbestandsspezifisch für derartige Darstellungen ist, dass der Mensch auf ein gnadenloses Aktions- oder Reiz-Reaktionswesen reduziert (z.B. sadomasochistische Exzesse) oder zum verfügbaren hilflosen Gewaltobjekt degradiert und als solches liquidiert, abgeschlachtet oder gefoltert wird. Mitleid, Erbarmen, Hilfsbereitschaft werden ausgeblendet oder negiert, Mitleidsappelle des Opfers systematisch missachtet. 116 Indizielle Hinweise für eine solche menschenwürdeverletzende Darstellung ergeben sich aus einem menschenverachtenden In-den-Vordergrund-Rücken von Gewalt-

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Vgl. BTDrucks. 10/2546, S. 23; BVerfGE 87 209, 2 2 8 f; Miebach/Schäfer MK Rdn. 35; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Rudolphi/Stein SK Rdn. 12; Fischer Rdn. 13; Meirowitz Jura 1993 152, 154; Greger NStZ 1986 8, 10; krit. Köhne GA 2 0 0 4 180, 185 f. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Miebach/Schäfer MK Rdn. 35; Rudolphi/Stein SK Rdn. 12a; Fischer Rdn. 12. Vgl. OLG Koblenz NStZ 1998 40, 41. Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 94 II Rdn. 9. BVerfGE 87 209, 228.

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BVerfGE 87 209, 228. Vgl. BGHSt 2 3 44; OLG Karlsruhe N J W 1974 2015, 2016. Greger NStZ 1986 8, 10 f; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Miebach/Schäfer MK Rdn. 36; Beisel/Heinrich N J W 1996 4 9 6 ; krit. Erdemir Z U M 2 0 0 0 699, 7 0 5 ff, der verlangt, dass die Schilderung darauf angelegt ist, beim Betrachter eine Einstellung zu erzeugen oder zu verstärken, die den fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugnet; Köhne GA 2 0 0 4 180, 186; Ostendorf NK Rdn. 10. Vgl. Scarbath JFGAusschProt. 10/24, S. 5 6 .

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Vorgängen in grob aufdringlicher, anreißerischer Weise unter Ausklammerung jeglicher sonstiger menschlicher Bezüge, 117 aus einer fortschreitenden Steigerung der dargestellten Gewaltvorgänge sowie aus exzessiven Darstellungen von grausamer usw. Gewalttätigkeit in allen Einzelheiten, z.B. das detaillierte Ausmalen eines blutrünstigen Geschehens mit ekelerregenden Verletzungen, das (zugleich) genüssliche Verharren auf einem leidverzerrten Gesicht oder auf den aus einem aufgeschlitzten Bauch herausquellenden Gedärmen, 1 1 8 die extensive Schilderung der Erwürgung und anschließenden Skalpierung einer Frau, 1 1 9 die Schilderung von in Zeitlupe gefilmten Tötungen mit unbegrenzten Variationen bis hin zur Kettensäge 1 2 0 oder für einen normal empfindenden Betrachter völlig unerträgliche Darstellungen von Gewaltorgien, Kannibalismus und qualvollen Folterungen in Großaufnahme. 1 2 1 36

dd) Ausdrucksdelikt. Die Verherrlichung, Verharmlosung oder die menschenwürdefeindliche Darstellung von grausamen oder sonst unmenschlichen Gewalttätigkeiten der konkret geschilderten Art muss aus der Darstellung als solcher hervorgehen. Mit den Tatbestandsmerkmalen „in einer Art schildern", „ausdrückt" und „in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt" wird klargestellt, dass es sich bei der Vorschrift um ein Ausdrucksdelikt handelt. Maßgebliche Erkenntnisquelle für die tatbestandlich vorausgesetzte, verwerfliche Tendenz ist allein die Schrift usw. als solche. Es kommt darauf an, ob die Schilderung bei objektiver Interpretation aus Sicht eines verständigen, unvoreingenommenen Beobachters ein Verherrlichen oder Verharmlosen ausdrückt oder das Gebot der Menschenwürde verletzt. 122 Motive, Absichten, Vorstellungen, Ziele und Neigungen des Verfassers, Verlegers, Herstellers oder Verbreiters bleiben außer Betracht. 1 2 3 Gleiches gilt für beigefügte oder angehängte distanzierende Erklärungen oder sonstige Begleitumstände außerhalb der Darstellung. 124

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Der eigentliche Aussagewert einer Gewaltschilderung lässt sich in der Regel nicht unabhängig von dem Darstellungsinhalt - der geschilderten Gewalttätigkeit als solcher und dem Zusammenhang, in den die einzelne Gewaltdarstellung gestellt ist, ermitteln. Es kommt daher auf eine Würdigung des gesamten Darstellungszusammenhangs an. 1 2 5 Der isoliert betrachteten Schilderung einer Gewalthandlung dürfte eine gewaltverherrlichende Tendenz nur selten zu entnehmen sein. Bei Filmen oder Büchern entscheidet der dem verständigen Durchschnittsbetrachter vermittelte Gesamteindruck, für den auch im Film oder Buch zum Ausdruck kommende distanzierende Hinweise, Andeutungen und aufklä-

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Vgl. aber BVerfGE 87 209, 229, wonach weder die Häufung noch die aufdringliche und anreißerische Darstellung von Gewalttätigkeiten für sich allein den Tatbestand erfüllen können. Ben, BTDrucks. 10/2546, S. 2 3 ; Greger NStZ 1986 8 , 1 1 . OLG Koblenz N J W 1986 1700. Vgl. Schefold ZRP 1984 127; vgl. auch OLG Koblenz N J W 1986 1700. Vgl. DRiZ 1984 374. BGH NStZ 2 0 0 0 307, 3 0 8 f; Miebach/Schäfer MK Rdn. 31; Sch/Schröder/Lenckner/ Sternberg-Lieben Rdn. 10; Rudolphi/Stein SK Rdn. I I a ; Fischer Rdn. 8, 11.

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Ber., BTDrucks. VI/3521, S. 8; Prot. VI/1870, 1891; BGH NStZ 2 0 0 0 307, 3 0 8 f; OLG Köln N J W 1981 1459 (zu § 184); BayObLG NJW 1990 2479, 2 4 8 0 u. NStE Nr. 2 zu § 131; Miebach/Schäfer MK Rdn. 31; Sch/Schröder/Lenckner/SternbergLieben Rdn. 10; Rudolphi/Stein SK Rdn. 11; Fischer Rdn. 11. Ber., BTDrucks. VI/3521, S. 8; Prot. VI/1892; Fischer Rdn. 11. BGH NStZ 2 0 0 0 307, 3 0 9 ; OLG Koblenz NJW 1986 1700; Miebach/Schäfer MK Rdn. 32; Fischer Rdn. 11; Rudolphi/Stein SK Rdn. I I a .

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Gewaltdarstellung

rerisch-kritische Elemente mitbestimmend sind. 1 2 6 Kriegsfilme mit erkennbar pazifistischer Tendenz unterfallen somit nicht der Strafvorschrift. Darstellungen von Gewalttätigkeiten in einem Aufklärungsfilm über Kriegsverbrechen und Foltermethoden können bei Einhaltung eines Mindestmaßes von Distanz tatbestandslos sein, während die entsprechenden Szenen in einem Unterhaltungsvideo den Charakter der Verharmlosung oder selbstzweckhaften menschenwürdeverletzenden Übersteigerung tragen können. 1 2 7 In die Darstellung integrierte Distanzierungen mit offensichtlicher Alibifunktion sind unbeachtlich. Es ist nicht erforderlich, dass ein ganzer Film eine gewaltverherrlichende Tendenz aufweist; vielmehr reicht aus, wenn dies bei einzelnen Szenen der Fall ist. 1 2 8 Ein wesentlicher Unterschied kann ferner darin liegen, ob ein grausamer Vorgang filmisch oder in mit kritischen Anmerkungen versehenen Standbildern einer Illustrierten dargestellt wird. 129 Bei derartigen Standbildern und Plakaten etc. muss der Aussagewert der Gewaltschilderung aus dem Zusammenhang zwischen bildlicher Darstellung und Text entnommen werden. 130 Für eine Verharmlosung der Gewalttätigkeiten kann sprechen, dass die Opfer als wenig bemitleidenswert dargestellt werden und der Eindruck vermittelt wird, sie hätten die grausame oder sonst unmenschliche Behandlung „verdient". 131 Die bloße nüchterne, ungeschminkte Wiedergabe grausamen oder unmenschlichen Zeitgeschehens ist mangels Verherrlichungs-, Verharmlosungs- oder selbstzweckhafter Übersteigerungstendenz grundsätzlich tatbestandsunerheblich. Das wird durch Absatz 3 ausdrücklich klargestellt. Auch solche Gewaltdarstellungen, deren klar erkennbarer Sinn es ist, dem kritischen Bewusstsein des Lesers, Hörers oder Betrachters die Problematik der Ursachen und unheilvollen Wirkungen der Gewalt nahe zu bringen und dadurch einen Denkanstoß zu liefern, werden tatbestandlich mangels Verherrlichungstendenz nicht erfasst. 132 Indes werden sich in diesem Bereich bereits Abgrenzungsschwierigkeiten zu den Fällen bloßer Verbrämung einer gewaltverherrlichenden Tendenz selbstzweckhafter Gewaltdarstellung ergeben. Allein aus der Häufigkeit ähnlicher Darstellungen in einer Schrift usw. lässt sich in der Regel eine gewaltverherrlichende Tendenz bestimmter Gewaltschilderungen noch nicht herleiten. Allerdings können übermäßig ausgespielte Gewaltdarstellungen durch ihre auffällige Häufung in eine andere Qualität umschlagen und einen tatbestandsrelevanten selbstzweckhaften Charakter im Sinne einer der beiden gesetzlichen Alternativen gewinnen. 133

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3. Tathandlungen. Die Vorschrift enthält ein generelles Herstellungs- und Verbreitungsverbot. Die Tathandlung des Verbreitens gem. Absatz 1 Nr. 1 entspricht derjenigen gem. § 130 Abs. 2 Nr. l a (vgl. dort Rdn. 87 ff), § 184a Nr. 1, § 184b Abs. 1 Nr. 1 (vgl. § 184b). Die Tat kann auch durch Verbreiten im Internet begangen werden (vgl. § 130 Rdn. 89, 138 f). Nummer 2 erfasst die Modalitäten des öffentlichen Ausstellens, Anschlagens, Vorführens oder sonstigen Zugänglichmachens und entspricht den Tathandlungen des § 130 Abs. 2 Nr. l b (vgl. dort Rdn. 90 f), § 130a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, § 184a Nr. 2, § 184b Abs. 1 Nr. 2 (vgl. § 184a). Nummer 3 verbietet das Anbieten, Überlassen

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Vgl. OLG Köln N J W 1981 1459; v. Hartlieb NJW 1985 830, 834; Ber., BTDrucks. 10/2546, S. 21. Vgl. Greger NStZ 1986 8, 11. Vgl. Prot. 7/45. BGHR StGB § 131 Abs. 1 Nr. 4 Gewaltdarstellung 1. Vgl. BayObLGSt 1990 32 zu § 131 a.F.

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Miebach/Schäfer MK Rdn. 32; Fischer Rdn. 11. Ber., BTDrucks. VI/3521, S. 7 u. Ber., BTDrucks. 10/2546, S. 21. Vgl. BayObLG NStE Nr. 2 zu § 131; v. Hartlieb N J W 1985 830, 834; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 10.

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oder Zugänglichmachen einer Schrift an eine Person unter 18 Jahren und entspricht den Tathandlungen des § 130 Abs. 2 Nr. l c (vgl. dort Rdn. 92), § 184 Abs. 1 Nr. 1 (vgl. § 184). Diese Modalität, die aus Gründen des Jugendschutzes eingeführt worden ist, ist bereits mit der Übergabe eines einzigen Exemplars ohne Verbreitungstendenz erfüllt. Nummer 4 umschreibt Vorbereitungshandlungen zu den Nummern 1 bis 3, die von der Verwendungsabsicht oder der Absicht, einem anderen die Verwendung zu ermöglichen, getragen sein müssen. Die Tathandlungen entsprechen § 130 Abs. 2 Nr. Id, § 184a Nr. 3 (vgl. § 130 Rdn. 93, § 184a). Soweit hier das Einführen oder Ausführen in Frage steht, handelt es sich um Unternehmenstatbestände (§ 11 Abs. 1 Nr. 6), so dass jede Tätigkeit genügt, die als Versuch der Einfuhr oder Ausfuhr anzusehen ist. Eine Schrift, die hergestellt wird, um aus ihr gewonnene Stücke zu verbreiten, kann auch ein zur technischen Vervielfältigung freigegebenes Manuskript mit festgelegtem Inhalt sein, sei es als unmittelbare technische Unterlage für den (ersten) Abbildungsvorgang im fototechnischen Vervielfältigungsverfahren, sei es lediglich als Vorlage für den Inhalt der zu verbreitenden Vervielfältigungsstücke.134 Das Ankündigen muss die tatbestandlich umschriebene Zielrichtung aufweisen, d.h. es muss nach seinem Aussagegehalt für den durchschnittlich interessierten und informierten Betrachter erkennbar machen, dass es sich auf gewaltverherrlichendes usw. Material bezieht.135 Der werbende Charakter des Ankündigens setzt voraus, dass das wohlwollende Interesse des Publikums geweckt werden soll. Eine aufklärerisch-kritische Auseinandersetzung (z.B. kritischer Illustriertenbeitrag zu einem gewaltverherrlichenden Film) ist kein Ankündigen.136

VI. Objektiver Tatbestand des Absatzes 2 40

Durch Absatz 2 wird die Strafdrohung auf die Verbreitung einer Darbietung des in Absatz 1 bezeichneten Inhalts durch Rundfunk, Medien- und Teledienste erstreckt. Die Norm entspricht § 130 Abs. 2 Nr. 2 und § 184d S. 1; auf die dortigen Ausführungen wird verwiesen (§ 130 Rdn. 94 ff, § 184d).

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Soweit bereits aufgezeichnete Sendungen wie Filme oder Studioaufnahmen ausgestrahlt werden, handelt es sich um verkörperte Darstellungen, die bereits dem Absatz 1 und den dort verwendeten Merkmalen der Ton- und Bildträger unterfallen. Absatz 2 ist einschlägig bei Live-Sendungen, die über Rundfunk, Medien- und Teledienste verbreitet werden und ohne diese Sonderregelung nicht erfasst würden. 137 Nicht vom Rundfunk sowie über Tele- und Mediendienste verbreitete Live-Darbietungen wie Theateraufführungen und Varieteveranstaltungen sind dagegen nicht tatbestandserheblich im Sinne des § 131. 138 Diese Differenzierung ist mit der jederzeitigen Reproduzierbarkeit von Funkaufzeichnungen und der Breitenwirkung von Funk und Fernsehen auch unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes begründet worden. 139 Die Begrenzung führt allerdings zu dem mit Art. 3 GG kaum zu vereinbarenden Ergebnis, dass die Aufführung eines gewaltverherrlichenden Theaterstücks zulässig, eine Live-Sendung dieser Aufführung oder die Wiedergabe ihrer Aufzeichnung in Funk und Fernsehen dagegen strafrechtlich

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BGHSt 32 1, 6 ff. Vgl. BGHSt 34 94, 98 f (zu § 184); BGH N J W 1 9 8 9 4 0 9 ; M D R 1977 678, 679. BGHSt 34 218, 2 2 0 . Vgl. Prot. VI/1797, 1889; Ben, BTDrucks. VI/3521, S. 8, Laufbütte J Z 1974 46, 49.

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Miebach/Schäfer MK Rdn. 42; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 3. Vgl. Prot. VI/1797; recht Nr. 46/1972, S. 3, 5.

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Gewaltdarstellung

§ 131

sanktioniert ist. 1 4 0 Eine erweiternde Auslegung dahin, dem Begriff der Darstellung in Absatz 1 jede Live-Darbietung einschließlich Bühnenaufführungen zuzuordnen, erscheint nicht mehr vertretbar. Eine derartige Einbeziehung lässt sich nicht mit dem begrifflichen Zusammenhang der in § 11 Abs. 3 genannten Merkmale vereinbaren und würde zu einer unzulässigen Tatbestandserweiterung führen. 141

VII. Subjektiver Tatbestand Für den subjektiven Tatbestand ist Vorsatz erforderlich, wobei bedingter Vorsatz genügt. 142 Der Vorsatz muss sich vor allem auf die Verbreitung oder auf eine der sonst angeführten Tathandlungen des Absatzes 1 oder Absatzes 2 sowie auf die Inhalte der Darstellung beziehen. Der Täter muss also wissen oder zumindest billigend in Kauf nehmen, dass Gegenstand der Darstellung grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten sind und dass durch die Darstellung solche Gewalttätigkeiten verherrlicht oder verharmlost werden oder die Menschenwürde verletzt wird. Dabei muss der Täter sich der tatsächlichen Umstände bewusst sein, die den Gegenstand der Darstellung als grausame oder unmenschliche Gewalttätigkeiten kennzeichnen und die gewaltverherrlichende Tendenz oder die menschenwürdeverletzende Darstellungsweise ausweisen; maßgeblich ist, ob er aufgrund laienhafter Parallelwertung deren wesentlichen Bedeutungsgehalt erfasst hat. 1 4 3 Ist sich der Täter des unrechtsspezifischen Bedeutungssinns der Darstellung bewusst, so ist seine irrtümliche Annahme mangelnder tatbestandlicher Relevanz für den Vorsatz unerheblich (Subsumtionsirrtum), kann aber als Verbotsirrtum Bedeutung gewinnen. 144 Auch das Einholen einer anwaltlichen oder behördlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung kann einen Verbotsirrtum begründen, der allerdings nicht unvermeidbar ist, wenn die Prüfung erkennbar oberflächlich ist oder nach dem Willen des Anfragenden nur eine „Feigenblattfunktion" erfüllen soll. 1 4 5 Der Täter braucht weder eine der gewaltverherrlichenden Tendenz der Schrift entsprechende Zielrichtung zu verfolgen noch den Inhalt der Schrift zu billigen. 146 Liegen die subjektiven Voraussetzungen vor, so kann er sich nicht durch eine der gewaltverherrlichenden Darstellung angehängte Distanzierung entlasten. 1 4 7 Bei Absatz 1 Nr. 4 bedarf es zusätzlich der dort vorausgesetzten Absicht. 1 4 8

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Vin. Berichterstatterprivileg gem. Absatz 3 Das Berichterstatterprivileg des Absatzes 3, das durch die Novellierung des § 131 durch das JÖSchNG nicht berührt worden ist, führt in Fällen der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens und der Geschichte zum Ausschluss des Tatbestands. 1 4 9

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Miebach/Schäfer MK Rdn. 42. Miebach/Schäfer MK Rdn. 42; vgl. auch Laufbütte J Z 1974 46, 49. Miebach/Schäfer MK Rdn. 4 3 ; Fischer Rdn. 18. Vgl. hierzu Vogel LK § 16 Rdn. 2 5 ff; Miebach/Schäfer MK Rdn. 4 3 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 14; Scb/Schröder/henckner/Sternberg-Lieben Rdn. 13.

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Fischer Rdn. 18. BGH NStZ 2 0 0 0 307, 3 0 9 ; Fischer Rdn. 18. Fischer Rdn. 18. Vgl. Ber., BTDrucks. VI/3521, S. 8. Vgl. BayObLG NStE Nr. 2 zu § 131. Ber., BTDrucks. VI/3521, S. 9; Miebach/ Schäfer MK Rdn. 4 7 ; Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 15/16; Fischer Rdn. 15; Rudolphi/Stein SK Rdn. 16.

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§131

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Diese Sozialadäquanzklausel soll die verfassungsrechtlich geschützte Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit (Art. 5 GG) gewährleisten. 150 45

Unter den Begriff der Berichterstattung fällt jede Form der Nachrichtenübermittlung oder Dokumentation, die ein wahres Geschehen zum Inhalt hat und Informationszwecken dient. Erfasst wird auch die Wiedergabe wirklicher Vorgänge in gestellten Szenen sowie die in einen bestimmten wahren historischen Zusammenhang gestellte fiktive Nachgestaltung - unter Umständen auch im Rahmen von Spielfilmen und Theaterstücken. 1 5 1 Vom Berichterstatterprivileg werden jedoch solche Schilderungen nicht mehr gedeckt, die historische Ereignisse lediglich zum Anlass für Darstellungen von Grausamkeiten nehmen. 1 5 2 Das gilt insbesondere für tendenziöse Verzerrungen, Übertreibungen und Verfälschungen. 153 Auch die eine Darstellung von Gewalttätigkeiten i.S. der Norm enthaltende Würdigung oder Kommentierung von Ereignissen der Vergangenheit oder Gegenwart ist keine Berichterstattung.

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In der Praxis kommt dem Berichterstatterprivileg angesichts der gebotenen einschränkenden Auslegung des Absatzes 1 keine große Bedeutung zu. Es hat im Wesentlichen klarstellende Funktion. Die wahrheitsgemäße und nüchterne Berichterstattung grausamer oder sonst unmenschlicher Gewaltvorgänge (Schilderungen über Kriegs- und Bürgerkriegsereignisse, KZ-Greuel etc.) wird regelmäßig bereits keine Verherrlichungs- oder Verharmlosungstendenz aufweisen. 154 Nach dem Wortlaut muss die „Handlung" der Berichterstattung dienen, wobei Handlung nicht die Gewaltdarstellung, sondern das Verbreiten usw. von Schriften usw. ist. Dies wird bei der Verbreitung einer eindeutig gewaltverherrlichenden Schrift jedoch nur ausnahmsweise der Fall sein, etwa im Rahmen des Schulunterrichts oder bei öffentlichen Vorträgen. 1 5 5

IX. Erzieherprivileg gem. Absatz 4 47

Das sog. Erzieherprivileg des Absatzes 4 schließt die Anwendung des Absatzes 1 Nr. 3 aus, wenn der Personensorgeberechtigte handelt.

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Nach den gesetzgeberischen Grunderwägungen soll das Erzieherprivileg dem Sorgeberechtigten einen erzieherischen Spielraum einräumen, um die nach seiner Auffassung bestehenden Erziehungsnotwendigkeiten zu verwirklichen. Dem Sorgeberechtigten soll ermöglicht werden, im Rahmen seiner erzieherischen Eigenverantwortlichkeit den Jugendlichen aus pädagogischen Gründen mit Darstellungen im Sinne des § 131 zu konfrontieren. 1 5 6 Außerdem soll mit den Mitteln des Strafrechts möglichst nicht in das Familienleben eingegriffen werden. Wegen der Nichtbeweisbarkeit schädlicher Auswirkungen auf Jugendliche hat der Gesetzgeber darauf verzichtet, die den Personensorgeberechtigten durch Art. 6 Abs. 2 GG garantierte Entscheidungsfreiheit in der Erziehung bereits unter

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 15/16. Prot. VI/1797, 1814, 1899; Lackner/Kühl Rdn. 11. Ber., BTDrucks. VI/3521, S. 9; Miebach/ Schäfer MK Rdn. 51; krit. Fischer Rdn. 16; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 16, die darauf abstellen, ob die Darstellung im Hinblick auf ihren Wahrheitsgehalt noch den Anforderungen des Art. 5 GG genügt.

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Vgl. Lackner/Kühl Rdn. 11. Krit. Fischer Rdn. 16. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 15/16; Fischer Rdn. 15. Ber., BTDrucks. VI/3521, S. 9; BTDrucks. 15/1311, S. 2 2 ; vgl. auch Schroeder FS Lange, S. 391 ff.

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Gewaltdarstellung

dem Gesichtspunkt abstrakter Gefährdung durch ein strafrechtliches Verbot einzuschränken. 1 5 7 Die Ausnahmeklausel ist als Tatbestandsausschluss ausgestaltet. 158 Auf einen besonderen pädagogischen Grund oder eine pädagogisch anerkennenswerte Motivation kommt es nicht an. 1 5 9 Bis zum 31. März 2 0 0 4 war das Erzieherprivileg nicht durch eine Missbrauchsklausel eingeschränkt. Dies bedeutete, dass selbst in Fällen, in denen sich die Überlassung von Darstellungen gem. § 131 als grobe Verletzung der Erziehungspflichten darstellte, eine Bestrafung des Sorgeberechtigten nicht möglich war. Durch Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vom 27. Dezember 2 0 0 3 hat der Gesetzgeber in Halbsatz 2 eine Missbrauchsklausel eingefügt, die § 180 Abs. 1 Satz 2, § 184 Abs. 2 entspricht. Danach greift das Erzieherprivileg nicht ein, wenn das Anbieten, Überlassen oder Zugänglich-Machen im Einzelfall die Erziehungspflicht des Täters gröblich verletzt.

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Zu den Personensorgeberechtigten gehören die Eltern (§§ 1626 ff, 1671 ff BGB), die Vormünder (§§ 1793 ff BGB) und die Pfleger (§ 1630 BGB). Das Erzieherprivileg erstreckt sich auch auf den Bezug einer entsprechenden Schrift (Absatz 1 Nr. 4) zum Zwecke der Verwendung i.S. des Absatzes 1 Nr. 3. 1 6 0 Ansonsten gilt die Ausnahmeklausel nur für den Bereich der Nummer 3 des Absatzes 1. Gibt der Sorgeberechtigte dem Jugendlichen ein die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllendes Buch zugleich zur Weitergabe an andere, so wird sein Verhalten von der Nummer 1 des Absatzes 1 erfasst; insoweit gilt das Erzieherprivileg nicht.

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Die Tatbestandslosigkeit gilt für den Sorgeberechtigten, der als Täter oder Teilnehmer handelt. 161 Da der Personensorgeberechtigte nicht tatbestandsmäßig handelt, ist strafbare Teilnahme Dritter mangels einer mit Strafe bedrohten Haupttat nicht möglich. 1 6 2 Ist eine nicht-privilegierte andere Person Alleintäter, so ist der Sorgeberechtigte auch als Anstifter (z.B. Veranlassung eines Buchhändlers zum Verkauf einer gewaltverherrlichenden Schrift an Jugendliche) oder Gehilfe straflos; die einschränkende Wirkung des Absatzes 4 bezieht sich auch auf die Strafausdehnungsgründe der §§ 26, 27. 1 6 3 Umstritten ist, ob auch Dritte, die zwar täterschaftlich, aber mit Zustimmung oder im Auftrag des Sorgeberechtigten handeln, straffrei bleiben. In der Entwurfsfassung war eine „Verlängerung" des Erzieherprivilegs in der Weise vorgesehen, dass auch eine andere Person tatbestandslos handelt, wenn sie mit Einwilligung des Sorgeberechtigten tätig wird. 1 6 4 Diese Regelung hat sich jedoch im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt. 165 Im Hinblick auf die bewusste Nichtaufnahme eines „verlängerten" Erzieherprivilegs durch den Gesetzgeber sind Dritte daher trotz Einwilligung oder Auftrag des Sorgeberechtigten als Täter strafbar; dies gilt unabhängig davon, ob der Dritte nach eigenem Ermessen handelt oder eine konkrete Entscheidung des Sorgeberechtigten ausführt. 166

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Vgl. BTDrucks. 15/1311, S. 22 f; Sch/Schröder/Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rdn. 9b. Vgl. Ber., BTDrucks. VI/3521, S. 9, 4 4 ff; Prot. VI/1900 ff; Sch/Schröder/Lenckner/ Perron/Eisele § 184 Rdn. 9b; Miebach/Schäfer MK Rdn. 53; Rudolphi/Stein SK Rdn. 17. Miebach/Schäfer MK Rdn. 54; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 17; krit. Hanack NJW 1974 1, 8.

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Miebach/Schäfer MK Rdn. 55; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 17.

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Miebach/Schäfer MK Rdn. 65; Fischer Rdn. 17. Vgl. Horstkotte J Z 1974 84, 87. Vgl. Dreher J Z 1974 52; Horstkotte J Z 1974 84, 87. Vgl. BTDrucks. 7 / 8 0 , S. 3. Vgl. BTDrucks. 7 / 1 1 6 6 . Miebach/Schäfer MK Rdn. 65; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 18 (planwidrige Regelungslücke); Sch/Schröder/Lenckner/Perron/ Eisele § 184 Rdn. 9d; Kindhäuser LPK Rdn. 21.

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§ 131

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Eine gröbliche Pflichtverletzung des Sorgeberechtigten liegt vor, wenn die Pflichtverletzung unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsentwicklung des Jugendlichen und des Inhalts der Schrift besonders schwer wiegt.167 Allein die Duldung oder Einrichtung eines Internet-Zugangs dürfte ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht ausreichen.168

X . Rechtswidrigkeit 53

1. Kunstfreiheit. Als Rechtfertigungsgrund kommt zunächst die Garantie der Freiheit der Kunst gem. Art. 5 Abs. 3 GG in Betracht.169 Im Falle von Darstellungen, die die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 131 erfüllen, dürfte eine Zuordnung zu dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG im Hinblick auf die enge Fassung des Tatbestands und die gebotene enge Auslegung der Tatbestandsmerkmale allerdings eher Ausnahmecharakter haben. Der Tatbestand des § 131 erfasst nur besonders exzessive, tendenziöse Gewaltdarstellungen. Bei Grausamkeitsschilderungen mit gewaltverherrlichender oder verharmlosender Tendenz wird es regelmäßig an einem in der Darstellung zum Ausdruck kommenden künstlerischen Gestaltungswillen oder einer künstlerischen Zielsetzung fehlen. 170 Künstlerisch geprägte Darstellungen von Gewalttätigkeiten dagegen werden zumeist durch Sublimierung, Abstraktion, Verfremdung und kritische Distanzierung gekennzeichnet sein, die über die bloße affirmative Abbildung hinausgeht. Das gilt auch für die Satire nach den dieser Kunstgattung wesenseigenen Merkmalen.171 Ein Konflikt zwischen Kunstfreiheit und dem Regelungsbereich des § 131 dürfte daher nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen.172 Wegen des weiten verfassungsrechtlichen Kunstbegriffs,173 der eine staatliche Stil-, Niveau- und Inhaltskontrolle untersagt, ist ein solcher aber nicht ausgeschlossen.174 Der Gesetzgeber hat eine Erweiterung des § 131 Abs. 3 durch einen ausdrücklichen Kunstvorbehalt bewusst unterlassen, um unerwünschte Rückschlüsse auf ein grundsätzliches Für-möglich-Halten des Kunstcharakters einer Schrift i.S. des Absatzes 1 zu vermeiden.175

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 17; Sch/Schröder/ Lenckner/Perron/Eisele § 184 Rdn. 9c; Fischer Rdn. 17a, der allerdings auch auf das Maß der subjektiven Pflichtverletzung des Sorgeberechtigten abstellt. Vgl. Miebach/Schäfer MK Rdn. 54; Fischer Rdn. 17a. Miebach/Schäfer MK Rdn. 56; Sch/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 17; Rudolphi/Stein SK Rdn. 19; Ostendorf NK Rdn. 16; Kindhäuser LPK Rdn. 19; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 94 II Rdn. 13; Würtenberger NJW 1982 610, 613; aA v. Hartlieb NJW 1985 830, 834: Tatbestandsausschluss; allgemein zur Kunstfreiheit Hentschel NJW 1990 1937; Noll ZStW 77 (1965) S. 1, 32 ff; Emmerich/Würkner NJW 1986 1195; Beisel Die Kunstfreiheitsgarantie des GG und ihre strafrechtlichen Grenzen, S. 293 ff.

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Vgl. hierzu OLG Düsseldorf NJW 1964 562, 563; OLG Stuttgart NJW 1969 1779, 1780. Vgl. BVerfGE 86 1 ff; s.a. Gounalakis NJW 1995 811 f. Zutr. Ber., BTDrucks. 10/2546, S. 23; Jahn recht Nr. 46/1972, S. 6; s.a. v. Hartlieb NJW 1985 830, 834; Greger NStZ 1986 8, 11; Meirowitz Jura 1993 152 f; Miebach/ Schäfer MK Rdn. 56. BVerfGE 67 213, 226 f; 75 369, 377; 77 240, 251; 81 278, 291; 83 130, 138 m. Anm. Hufen JuS 1992 249; BGHSt 37 55, 58 f; Henschel NJW 1990 1937, 1938 ff; Meirowitz Jura 1993 152; Otto J R 1983 1, 9 f; Würtenberger NJW 1982 610, 613 ff. Ostendorf NK Rdn. 16; Meirowitz Jura 1993 152,153. Ber., BTDrucks. 10/2546, S. 23.

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Gewaltdarstellung

Enthält eine von der Kunstfreiheit umfasste Veröffentlichung Gewaltdarstellungen i.S. des § 131, kommt es für das Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes darauf an, ob die Darstellung sich noch in den Schranken der Kunstfreiheit hält. Die Kunst ist in ihrer Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zwar vorbehaltslos gewährleistet. Der Gesetzesvorbehalt des Absatzes 2 ist auf den Bereich der Kunstfreiheit weder unmittelbar noch analog anzuwenden. Jedoch kommt der künstlerischen Tätigkeit kein absoluter Vorrang gegenüber anderen Grundwerten der Verfassung zu. Vielmehr ist die Kunstfreiheit an die grundgesetzliche Wertordnung einschließlich der Menschenwürde gebunden und sind ihr durch die Grundrechte anderer Rechtsträger und die sonstigen, mit Verfassungsrang ausgestattenen Rechtsgüter Grenzen gesetzt.176

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Einschränkungen der Kunstfreiheit lassen sich allerdings nicht formelhaft mit allgemeinen Zielen wie der „Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege" oder dem „Schutz der Verfassung" rechtfertigen.177 Vielmehr bedarf es der konkreten Herausstellung der verfassungsrechtlich geschützten, mit der Kunstfreiheit kollidierenden Rechtsgüter. Als solche kommen in Betracht der Jugendschutz,178 die Persönlichkeitsrechte Dritter wie die Ehre 1 7 9 und die Menschenwürde anderer, 180 ferner Schutzgüter des Staates und seiner Symbole.181 Hierzu gehören auch die unter dem Sammelbegriff des öffentlichen Friedens fassbaren Verfassungswerte, insbesondere die in § 131 geschützten Interessen. 182 Bei der Lösung eines Widerstreits mit einem solchen anderen Recht von Verfassungsrang darf nicht allein auf die Wirkungen eines Kunstwerkes im außerkünstlerischen Sozialbereich abgehoben werden, sondern ist auch kunstspezifischen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen. 183 Beide kollidierende Rechtsgüter sind - soweit überhaupt möglich - mit dem Ziel der Optimierung zu einem angemessenen, verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen. 184 Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, welche Intensität der der künstlerischen Äußerung zugrundeliegende Angriff auf das unmittelbar betroffene Rechtsgut aufweist und ob dieser noch verhältnismäßig ist. 185 In der Mehrzahl der Fälle dürfte den Gegeninteressen größeres Gewicht zukommen als der Kunstfreiheit mit der Folge, dass das Gewaltdarstellungsdelikt nicht nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gerechtfertigt ist. 186 Die Kunstfreiheitsgarantie tritt insbesondere bei einer unmittelbaren, gegenwärtigen Gefahr für oberste Grundwerte der Verfassung187 oder bei einer die Menschenwürde tangierenden, schwerwiegenden Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zurück. 188 Als mög-

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Vgl. BVerfGE 3 0 173, 191 ff; Henschel NJW 1990 1937, 1940 ff; Meirowitz Jura 1993 152, 153; Zöbeley N J W 1985 2 5 ; Zechlin NJW 1984 1091, 1092 f; Otto J R 1983 1, 10 u. 511; Erbardt Kunstfreiheit und Strafrecht, S. 38 ff. BVerfGE 7 7 2 4 0 , 2 5 5 . BVerfGE 83 130, 139 ff; BGHSt 3 7 55, 62 f; Beisel/Heinrich N J W 1996 491, 4 9 6 ; Berkemann J R 1991 1 8 6 , 1 8 7 . Vgl. Geppert J R 1985 4 3 0 , 4 3 2 ; Otto JR 1983 1, 8 f. BVerfGE 3 0 173, 193; 67 213, 2 2 8 ; 75 369, 380. BVerfGE 3 3 52, 70 f; 81 278, 2 9 3 f; OLG Frankfurt NJW 1984 1128, 1130; Hufen JuS 1991 687, 688. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 17; Miebach/Schäfer MK Rdn. 57;

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Beisel/Heinrich N J W 1996 491, 4 9 6 ; Meirowitz Jura 1993 152, 154. Vgl. BVerfGE 3 0 173, 195. Vgl. BVerfGE 75 369, 380; 7 7 2 4 0 , 2 5 3 ; 81 278, 2 9 3 ; 83 130, 143; Henschel N J W 1990 1942; Meirowitz Jura 1993 152, 154 f; krit. Fischer Rdn. 21. Vgl. BVerfGE 67 213, 2 2 8 . Rudolphi/Stein SK Rdn. 19; Miebach/Schäfer MK Rdn. 58; Ostendorf NK Rdn. 16; aA Fischer Rdn. 21; Lackner/Kühl Rdn. 12; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 94 II Rdn. 14; Meirowitz Gewaltdarstellungen auf Videokassetten, S. 383 f. BVerfGE 33 52, 71. Vgl. BVerfGE 6 7 213, 2 2 8 ; 75 369, 3 8 0 ; Greger NStZ 1986 8, 11; Henschel N J W 1990 1942; Würkner N J W 1988 318.

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§ 131

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

liehe Ausnahmefälle, in denen bei an sich zu bejahender Tatbestandserheblichkeit der Kunstvorbehalt des Art. 5 Abs. 3 GG Vorrang haben kann, werden im Schrifttum Kunstwerke der Vergangenheit genannt, die aus der Zeit heraus verstanden werden müssen, sowie moderne Literatur, die eine künstlerische Nachgestaltung historischer Gegebenheiten unter Hervorhebung der damaligen zeitbedingten Einstellung (Glorifizierung der Gewalt, Gleichgültigkeit etc.) zum Gegenstand hat. 1 8 9 Indes ist in derartigen Fällen jeweils zu prüfen, ob die Gestaltung in ihrem konkreten historischen Bezug nicht eine verfremdende Einengung mit sich bringt, bei der schon eine allgemeine Verherrlichungstendenz i.S. des § 131 verneint werden muss. 56

2. Sonstige Grundrechte. Die Meinungs- und Filmfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) werden durch § 131 nicht verletzt; der gesetzliche Eingriff ist Ausdruck der Schranken des Art. 5 Abs. 2 G G . 1 9 0 Auch sonstige Grundrechte eines Vertreibers von Spielfilmen oder Büchern (z.B. Art. 12 u. 14 GG) werden durch § 131 nicht beeinträchtigt. 191

XI. Täterschaft und Teilnahme 57

Täterschaft und Teilnahme sind nach den allgemeinen Regeln der § § 25 ff zu beurteilen. Bei gewaltverherrlichenden usw. Filmen kommen als Täter (Mittäter oder Nebentäter) Produzent, Regisseur, Drehbuchautor und Darsteller, bei Schriften neben dem Autor der Verleger, aber auch der eigenständige Versender 192 in Betracht. Bei gewaltdarstellenden Rundfunk- und Fernsehsendungen hat für die Frage der Täterschaft die in den rundfunkrechtlichen Regelungen bestimmte Verantwortlichkeit für die jeweilige Sendung indizielle Bedeutung. Täter kann hier nur sein, wer für die fragliche Sendung verantwortlich oder mitverantwortlich ist. Danach können bei entsprechendem Vorsatz der Intendant, der Abteilungsleiter und der Redakteur den Tatbestand erfüllen. 193 Andererseits fallen Personen, die allein mit der technischen Vorbereitung und Durchführung einer Sendung befasst sind, nicht in den potentiellen Täterkreis. 194 Insoweit kommt jedoch unter den entsprechenden Voraussetzungen eine Strafbarkeit wegen Beihilfe in Betracht. Gleiches gilt für den Drucker. Zur Verantwortlichkeit bei Verbreiten und Zugänglichmachen im Internet vgl. § 130 Rdn. 89 f, 95 ff.

ΧΠ. Versuch und Vollendung 58

Die Tat ist mit der Vornahme der Handlung vollendet. Ein Erfolg in Form einer Störung oder Gefährdung des öffentlichen Friedens muss nicht eintreten.

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 17; Miebach/Schäfer MK Rdn. 58; Ostendorf NK Rdn. 16. Miebach/Schäfer MK Rdn. 59; Meirowitz Jura 1993 1 5 2 , 1 5 6 . Vgl. Meirowitz Jura 1993 152, 155 ff; Hörnle FS Schwind, S. 337, 352.

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Vgl. BGH 3 StR 4 4 0 / 8 0 (S) v. 14.1.1981: Absendung einer Schrift aus eigenem Antrieb an Hunderte von Personen. Prot. VI/1834, 1897 f. Ber., BTDrucks. Vl/3521, S. 8.

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Gewaltdarstellung

§ 131

ΧΙΠ. Konkurrenzen Zusammentreffen kann § 131 in Tateinheit mit § 86, § 86a, § 184 Abs. 3, §§ 185 ff. Idealkonkurrenz mit § 130 liegt vor, wenn von mehreren abgrenzbaren Teilen einer Schrift ein Teil unter § 130, der andere unter § 131 fällt. 1 9 5 Dagegen tritt § 131 zurück, wenn die Gewaltverherrlichung inhaltlicher Teil der Äußerung nach § 130 ist. 1 9 6 Entsprechendes gilt für das Verhältnis zu § 140 Nr. 2 . 1 9 7 § 2 7 JugSchG tritt hinter § 131 Abs. 1 Nr. 3, der vorrangig dem Jugendschutz dient, zurück, nicht jedoch, soweit § 2 7 JugSchG auch fahrlässiges Handeln erfasst. Dagegen kommt bei den Tathandlungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1, 2 , 4 Tateinheit mit § 2 7 JugSchG in Betracht, da ansonsten die zugleich vorliegende Verletzung der Interessen des Jugendschutzes nicht hinreichend sichtbar würde. 1 9 8

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XIV. Rechtsfolgen Die Strafandrohung beträgt in allen Fällen Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

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Die Einziehung von Schriften usw. im Sinne des Absatzes 1 bestimmt sich nach § 74d. Für Absatz 2 kann die Frage der Einziehung der instrumenta sceleris Bedeutung erlangen, die nach §§ 74, 75 unter Beachtung der Grenzen des § 74b eingezogen werden können.

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XV. Prozessuales 1. Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt grundsätzlich gem. § 78 Abs. 3 Nr. 5 drei Jahre. Wird die Tat als Presseinhaltsdelikt begangen, richtet sich die Verjährung nach den Pressegesetzen der Länder, sofern § 131 in diesen Regelungen nicht ausgenommen ist. 1 9 9

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2 . Verfolgungsvoraussetzungen. Die Tat ist ein Offizialdelikt, ein Strafantrag ist nicht erforderlich.

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Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 18; Miebach/Schäfer MK Rdn. 68; Rudolphi/Stein SK Rdn. 21. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 18; Miebach/Schäfer MK Rdn. 68. Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben Rdn. 18; Miebach/Schäfer MK Rdn. 68; Rudolphi/Stein SK Rdn. 21. Rudolphi/Stein SK Rdn. 21; Miebach/Schäfer MK Rdn. 69; Lackner/Kühl Rdn. 15; aA Sch/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben

199

Rdn. 18 (immer Tateinheit); Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 94 Rdn. 14: Gesetzeskonkurrenz. Vgl. BayObLG NStE Nr. 2 zu § 131; Schmid LK § 78 Rdn. 14 ff; Miebach/Schäfer MK Rdn. 72; Löffler/Ricker Handbuch des Presserechts 5. Aufl. 2005, 11. Abschnitt X Rdn. 32 ff; zum Begriff des Presseinhaltsdelikts Franke GA 1982 404 und NStZ 1984 126.

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§132

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

§ 132

Amtsanmaßung Wer unbefugt sich mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes befasst oder eine Handlung vornimmt, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Schrifttum Baumann Mißbrauch polizeilicher Aufforderungsschreiben, NJW 1 9 6 4 705; Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln (1990); Fiedler Anmaßung und Erschleichen eines öffenlichen Amtes, Diss. Bonn 1962; Ceppert Ausgewählte Delikte gegen die „öffentliche Ordnung", insbesondere Amtsanmaßung (§ 132 StGB) und Verwahrungsbruch (§ 133 StGB), Jura 1986 5 9 0 ; Herzberg „Der Privatdetektiv" - Der praktische Fall, JuS 1973 2 3 4 ; Kahle Amtsanmaßung, GA 1993 191; Küper Zum Verhältnis der beiden Begehungsformen des § 132 StGB, J R 1967 451; Mendel Das Delikt der Amtsanmaßung im deutschen Strafrecht, Diss. Göttingen 1957; Merkel Anmaßung eines öffentlichen Amtes, VDB Bd. II S. 311 (1906); Oetker Amtsanmaßung durch Verbreiten nachgemachter amtlicher Schreiben, N J W 1984 1602; Schröder Zur Amtsanmaßung durch Vortäuschung eines Zahlungsbefehls, UrtAnm. zu OLG Frankfurt N J W 1964 61; Sternberg-Lieben Anmerkung zum Urteil des BayObLG vom 19.11.2002, JR 2 0 0 4 74; Warda Grundzüge der strafrechtlichen Irrtumslehre, zur Ambivalenz des Merkmals „unbefugt", Jura 1 9 7 9 2 8 6 , 295.

Entstehungsgeschichte In den Partikulargesetzgebungen z.Zt. der Mitte des 19. Jahrhunderts war die Amtsanmaßung teilweise als Delikt mit betrügerischem Charakter (z.B. Art. 339 BayStGB 1813; Art. 150 HannovStGB 1840), teilweise als Delikt gegen die staatlichen Interessen (z.B. Art. 157 WürttStGB 1839; Art. 191 HessStGB 1841) ausgestaltet. Zum Schutz der Autorität des Staates fand die Amtsanmaßung in folgender Fassung Eingang in § 104 des Preußischen StGB: „Wer unbefugt sich mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes befasst oder solche Handlungen vornimmt, die nur in Kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden dürfen, soll ... bestraft werden." Mit nur unwesentlichen redaktionellen Änderungen hat diese Vorschrift 1871 in das deutsche Strafgesetzbuch Eingang gefunden und trotz vielfacher Reformbemühungen bis heute keine Änderung erfahren. Lediglich die Strafdrohung wurde durch Art. 2 Nr. 19 des 3. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 741) verschärft. 1 Die ergebnislosen Reformbemühungen betrafen vor allem die Zusammenfassung der beiden Begehungsformen und das Merkmal „unbefugt". Eine Vereinfachung der Vorschrift i.S.d. § 138 Ε 1925 durch Zusammenfassung beider Handlungsformen in dem Begriff des „Anmaßens der Ausübung eines öffentlichen Amtes" war in allen Entwürfen seit 1911 vorgesehen. Der Ε 1927 kehrte aus Gründen vermeintlicher Rechtsklarheit zu der geltenden Fassung zurück. Die Einfügung des Begriffs „wissentlich unbefugt" in § 145 Ε 1930 zielte auf eine Begrenzung der Vorsatzform. In der den Entwürfen 1959,

1

Zur Entwicklung des Tatbestands in Gesetzgebung und Schrifttum vgl. Fiedler Anmaßung und Erschleichen eines öffentlichen Amtes, S. 2 4 ff; Merkel VDB Bd. II S. 311 ff;

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Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 3 ff mit einem Überblick über die gesamte geschichtliche Entwicklung des Sachbereichs.

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Amtsanmaßung

§ 132

1960 und 1962 vorangehenden Reformdiskussion der Großen Strafrechtskommission wurden bedeutsame Fassungs- und Abgrenzungsprobleme des geltenden Rechts und Fragen einer kriminalpolitisch veranlassten Lückenschließung angesprochen: Diskutiert wurde eine Schärfung der tatbestandlichen Konturen durch Ersetzung des Begriffs „unbefugt" durch eine Wendung, die den vom Vorsatz umfassten Tatbestandscharakter des Merkmals deutlich macht. Fassungsvorschläge wie „ohne dazu berufen zu sein", „ohne dieses Amt oder diese Dienststellung innezuhaben", „ohne zur Ausübung des Amtes bestellt zu sein" 2 oder „eigenmächtig" 3 fanden zwar in § 4 6 7 Ε 1962 in veränderter Wortwahl („ohne dazu berechtigt zu sein") ihren Niederschlag. Bei der teilweisen Neugestaltung des Besonderen Teils des StGB durch Art. 19 EGStGB hat das Anliegen jedoch keine Berücksichtigung gefunden. Auch die Zielsetzung, den Begriff „unbefugt" im StGB ausschließlich in tatbestandsbegrenzendem Sinne zu verwenden, ist nicht erreicht worden. 4 Der Vorschlag einer Verwendung des plastischen Begriffs der Anmaßung i.S. von „ohne Innehabung des Amts und seiner Machtbefugnisse" 5 wurde mit dem nicht unberechtigten Hinweis verknüpft, der Unterschied zwischen den beiden Handlungsvarianten sei „ohne Kommentar und langes Nachdenken" kaum zu begreifen. 6 Mit der vorgeschlagenen Beschränkung des Tatbestands auf „wissentliches" Handeln sollte der bedingte Vorsatz unter anderem zur Vermeidung einer Initiativhemmung von Beamten ausgegrenzt werden. 7 Der Anregung einer Einbeziehung einer Anmaßung militärischer Befehlsbefugnis (§ 4 6 7 Ε 1962, Begr. S. 658) zwecks Schließung der Lücke beim Handeln von Zivilpersonen wurde mit dem Hinweis einer Erfassung dieser Fälle durch die Vorschrift gegen unbefugtes Uniformtragen (§ 132a) begegnet. 8 Da das Erschleichen eines Amtes durch arglistige Täuschung durch § 132 nicht erfasst wird (vgl. Rdn. 26), sah Ε 1962 (Begr. S. 658) - anknüpfend an die Entwürfe 1922 bis 1936 eine entsprechende Vorschrift (§ 468) vor, um den öffentlichen Dienst vor fachlich oder charakterlich ungeeigneten Beamten und drohendem Autoritätsverlust zu bewahren und die Allgemeinheit vor der Amtsausübung durch ungeeignete Amtsträger zu schützen. 9 Der Vorschlag wurde aber im Rahmen des Art. 19 EGStGB nicht berücksichtigt, wohl im Hinblick auf die Verneinung eines unabweisbaren kriminalpolitischen Bedürfnisses und die - allerdings umstrittene 10 - Erfassbarkeit wirklich schwerwiegender Fälle unter den rechtlichen Gesichtspunkten des Betrugs und der Urkundenfälschung. 11

2 3 4

Welzel Niederschriften 10 363. Koffka Niederschriften 10 364. Vgl. Dreher, Schafheutie Niederschriften 10 364. Das geltende Recht hielt an der uneinheitlichen Verwendung fest, und zwar i.S. eines bereits tatbestandsausfüllenden Merkmals in § 132, § 132a und § 107a oder i.S. eines auf die gesamte Tatbestandsverwirklichung bezogenen allgemeinen Verbrechensbzw. Rechtswidrigkeitsmerkmals, das lediglich auf das Fehlen von (allgemeinen oder speziellen) Rechtfertigungsgründen hinweist (z.B. § 127, SS 201 ff, S 324); vgl. hierzu

5

6 7 8 9 10 11

auch Dahs NStZ 1986 97, 101 f; Rogall NStZ 1983 6 f; Warda Jura 1979 2 8 6 , 2 9 4 ff; Herzberg GA 1993 4 3 9 ff. Vgl. Fiedler Anmaßung und Erschleichen eines öffentlichen Amtes, S. 105. Gallas Niederschriften 10 365. Niederschriften 10 365. Schafheutie Niederschriften 10 363. Vgl. Niederschriften 13 3 2 7 ff. Lange, Gallas Niederschriften 13 329, 332. Vgl. BGHSt 1 13; 5 358; zust. Jescheck, Baldus Niederschriften 13 3 2 9 ff.

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§ 132

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung Übersicht Rdn.

I. Π. ΠΙ. IV.

Rechtsgut Deliktsnatur Kriminalpolitische Bedeutung Objektiver Tatbestand 1. Unbefugtes Befassen mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes (1. Alt.) . . . a) Öffentliches Amt b) Mit der Ausübung befassen . . . . aa) Hinweis auf die Funktion als Amtsinhaber bb) Amtshandlung cc) Einzelfälle c) Unbefugt

Rdn.

1 4 5 7 8 9 14

V. VI. VII. VTÜ. IX.

15 21 24 25

2. Vornahme einer Handlung, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf (2. Alt.) . . .

28

a) Handlung, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf b) Unbefugt Subjektiver Tatbestand Rechtswidrigkeit Täterschaft und Teilnahme Konkurrenzen Prozessuales

29 36 37 40 41 43 44

I. Rechtsgut 1

Geschütztes Rechtsgut ist die Autorität des Staates und seiner Organe, die beeinträchtigt wird, wenn Unbefugte anderen gegenüber die öffentlich-rechtlichen Funktionen eines von ihnen angeblich bekleideten Amtes in Anspruch nehmen und auf diese Weise der Schein amtlichen Handelns für Tätigkeiten erweckt wird, die in Wahrheit nicht unter der Kontrolle der staatlichen Ordnung zustande gekommen sind. 12 Das besondere Ansehen öffentlicher Ämter und staatlicher Organe und die davon abhängige Funktionsfähigkeit staatlicher Verwaltung beruht maßgeblich auf dem Vertrauen der Bevölkerung in die Echtheit und Zuverlässigkeit der ihr als Amtsträger gegenübertretenden Personen und deren hoheitlichen Tätigwerdens. Mit der Strafbewehrung der Amtsanmaßung soll einem möglichen Schwinden dieses Vertrauens und der daraus entstehenden Gefahr staatlicher Autoritätseinbuße sowie nachteiliger Rückwirkung auf die Effizienz hoheitlichen Handelns infolge einer Verunsicherung der Bürger durch Personen entgegengewirkt werden, die sich unbefugt hoheitliche Funktionen anmaßen oder sich den unberechtigt beigelegten äußeren Anschein der Amtlichkeit ihres Handelns zu Nutze machen. 13

2

Gegenstand des Schutzes ist nicht die (innere) staatliche Organisationsgewalt, d.h. die Behördengestaltung und staatliche Ämterzuweisung. 14 Fälle, in denen der Täter das Amt erschlichen hat, werden von § 132 nicht erfasst, weil trotz Täuschung das Amt übertragen und die vorgenommene Amtshandlung wirksam ist. 15

12

BGHSt 3 241, 2 4 4 ; 12 30, 31; 4 0 8, 12 f; BGH bei Daliinger MDR 1953 19; OLG Stuttgart StraFo 2 0 0 6 2 5 5 ; BayObLG NJW 2 0 0 3 1616, 1617; Hohmann MK Rdn. 1; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Lackner/Kühl Rdn. 1; Fischer Rdn. 2; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Krey BT 1 Rdn. 5 2 6 ; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 80 Rdn. 1: Funktionsfähigkeit der öffentlichen Ämter; Geppert Jura 1986 590, 591; Sternberg-Lieben J R 2 0 0 4 74, 75; aA Ostendorf NK Rdn. 4: Schutz der bürgerlichen Freiheit vor pseudostaatlicher Machtausübung; vgl. auch Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 2 4 0 ff, die den

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13

14

15

Verhaltensunwert stärker betont und als Strafgrund den Missbrauch (vorgetäuschter) staatlicher Zwangsgewalt zur Erreichung eigener Zwecke herausstellt. Vgl. Arzt/Weber BT § 4 5 VI Rdn. 101; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 80 I Rdn. 1. BayObLG NJW 2 0 0 3 1616, 1617; Hohmann MK Rdn. 2; Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 1; vgl. auch Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 80 I Rdn. 1. OLG Braunschweig NdsRpfl 1950 127; Hohmann MK Rdn. 2; Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 1; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Fiedler Anmaßung und Erschleichen eines öffentlichen Amtes, S. 97.

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Amtsanmaßung

§132

Die Vorschrift dient auch nicht dem Schutz von Privatpersonen (Individualrechten) gegen einen Eingriff in ihre Rechtssphäre oder gegen Übergriffe treuwidrig handelnder Amtsträger.16 Die Amtsanmaßung setzt keine Verletzung von Individualrechtsgütern voraus. Aus rechtswidrigen Eingriffen hoheitlicher Ausrichtung in Rechte und Rechtsgüter Einzelner allein lässt sich deshalb nicht ohne weiteres eine Amtsanmaßung ableiten. 17 So bleibt etwa die Zufügung eines Vermögensschadens durch die angemaßte amtliche Tätigkeit außerhalb des tatbestandlichen Rahmens. 18 Die durch die pseudo-hoheitliche Tätigkeit bewirkte zusätzliche Beeinträchtigung von individuellen Rechtsgütern wird durch die ihrem jeweiligen Schutz dienenden und tateinheitlich hinzutretenden Spezialnormen (z.B. 242, 253, 263) erfasst.

3

Π. Deliktsnatur Eine Gefahr für das geschützte Rechtsgut setzt voraus, dass der Täter nach außen scheinbar hoheitliche Tätigkeit entfaltet und für Dritte der Eindruck hoheitlichen Handelns entsteht oder entstehen kann. Hierdurch wird eine generelle Gefährdung der Autorität staatlicher Organe indiziert. Der Nachweis ihrer Schmälerung durch die Amtsanmaßung im konkreten Einzelfall wird vom Tatbestand nicht vorausgesetzt; die Gefährlichkeit ist lediglich gesetzgeberischer Grund der Strafdrohung. Die Vorschrift ist als schlichtes Tätigkeitsdelikt19 und abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet. 20 Der tatbestandsspezifische Unwertgehalt wird entscheidend durch das (abstrakt) rechtsgutsgefährdende Anmaßungsmoment bestimmt. Es ist daher grundsätzlich ohne Belang, ob der Betroffene im Einzelfall die fehlende Befugnis des Täters durchschaut hat, 21 die Angesprochenen auf ein nachgemachtes amtliches Schreiben reagiert haben 2 2 oder wieviele Bürger dem pseudo-amtlichen Ansinnen auf den Leim gegangen sind. 23 Ist allerdings die Vortäuschung der Amtsbefugnis offenkundig oder das Täterverhalten für jedermann ersichtlich nicht wirklich auf die (unberechtigte) Inanspruchnahme von hoheitlichen Befugnissen angelegt, ist also der nicht amtliche Charakter der Maßnahme, der Verlautbarung oder des Schreibens für jedermann erkennbar, so fehlt es an dem gefährdungstypischen Element der Täterhandlung und damit an der Tatbestandserheblichkeit. 24

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17 18 19 20

21

BGHSt 3 2 4 5 ; 4 0 8, 15; BGH bei Daliinger MDR 1953 19; BayObLG N J W 2 0 0 3 1616, 1617; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Hohmann MK Rdn. 2; aA OLG Hamm NJW 1951 245, 2 4 6 ; missverst. OLG Braunschweig NdsRpfl 1950 127. Vgl. BGHSt 4 0 8, 15. BGH GA 1964 151. Hohmann MK Rdn. 3. Hohmann MK Rdn. 3; Fischer Rdn. 2; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2. BGH 1 StR 4 4 2 / 7 3 v. 23.10.1973; OLG Karlsruhe 3 Ss 2 2 / 9 1 v. 11.11.1991.

22

23

24

RGSt 23 205, 2 0 7 ; OLG Frankfurt N J W 1964 61, 63. Vgl. AG Göttingen NJW 1983 1209: Aufforderung zu Schutzraumreservierung oder Notstandsbereitstellung; LG Paderborn N J W 1989 178: vermeintlicher Behördenaufruf zur Rückgabe der Volkszählungsbögen; Geppert Jura 1986 590, 591; Oetker NJW 1984 1602,1603. Vgl. LG Hannover StV 1981 5 5 2 ; Geppert Jura 1986 590, 591; OeftfeerNJW 1984 1602; 1603; Schröder NJW 1964 61, 62.

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§132

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

ΙΠ. Kriminalpolitische Bedeutung 5

Die Zahl der zu § 132 ergangenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs von grundsätzlicher Bedeutung ist gering. 25 Auch unter Berücksichtigung der statistischen Zahlen hält sich die praktische Bedeutung des Tatbestands in Grenzen. 26 Die statistische Erfassung seit 1954 zeigt im Vergleich zur (steigenden) Gesamtkriminalität eine eher fallende Tendenz. 27 Nach der Rechtspflegestatistik des Statistischen Bundesamtes lagen die Verurteiltenzahlen für den Zeitraum von 1978 bis 1991 jeweils unter 2 0 0 Fällen. 28 In den letzten Jahren wurden wegen Amtsanmaßung verurteilt: 29 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

6

137 140 121 127 113 135 120 116 114 132

Dem statistischen Zahlenmaterial dürfte allerdings ein nur relativer Aussagewert zuzumessen sein. Die Fallgestaltungen der §§ 132, 132a sind überwiegend als Begleittaten bzw. Handlungsmittel zur Erreichung weitergehender krimineller Ziele gekennzeichnet; die Tatbestände sind also mit weiterer Kriminalität eng verflochten. Die Kriminalitätsstatistik erfasst den Täter aber nur unter dem schwersten von ihm verwirklichten Delikt. Im Übrigen dürfte angesichts der vorwiegend im betrügerischen Umfeld angesiedelten Handlungszusammenhänge von einer nicht unerheblichen Dunkelziffer auszugehen sein. 30

IV. Objektiver Tatbestand 7

Der Tatbestand sieht zwei Alternativen vor: die Befassung mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes und die Vornahme einer Handlung, die nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf. Übereinstimmendes Erfordernis beider Begehungsformen ist die Vornahme einer Handlung, die nach außen als eine dem öffentlichen Amt vorbehaltene Tätigkeit erscheint.31 Der Unterschied der beiden Alternativen liegt darin, dass der Täter bei der ersten Alternative als angeblicher Amtsträger auftreten muss und aufgrund dieser Anmaßung Handlungen ausführt, die einem Amtsinhaber vorbehalten sind, während bei der zweiten Alternative die Ausübung scheinbar hoheitlicher Tätigkeit

25

26

Vgl. BGHSt 3 241, 2 4 4 ; 12 30; 4 0 8; BGH GA 1964 151; MDR 1953 19; BGHR StGB § 132 Ausübung 1. Zu kriminologischen Aspekten, insbesondere den Erscheinungsformen der Amtsanmaßung, den Ursachen und der Tätertypisierung vgl. Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 155 ff, 2 8 8 ff. m.w.N.

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28 2? 30

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Vgl. Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 140 f, 2 8 5 f. Vgl. v. Bubnoff LK 11 Rdn. 2. Rechtspflegestatistik Fachserie 10 Reihe 3. Vgl. Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 152; Kahle GA 1993 191, 192. KG StraFo 2 0 0 7 250.

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Amtsanmaßung

§ 132

genügt. Das Auftreten des Täters als angeblicher Amtsträger, z.B. als Kriminalbeamter bei einer Hausdurchsuchung, hebt als bestimmendes Merkmal der ersten Alternative den Sachverhalt unter einem besonderen Gesichtspunkt aus dem umfassenderen Anwendungsbereich der zweiten Alternative heraus. Die beiden Alternativen stehen deshalb in einem Spezialitätsverhältnis mit Vorrang der ersten Handlungsform. 32 Teilweise wird auch angenommen, dass die 2. Alternative durch die erste konsumiert wird. 33 Ein weiterer Teil der Literatur plädiert für tatbestandliche Exklusivität der beiden Begehungsformen, weil sie auf unterschiedliche Weise bewirkte Beeinträchtigungen desselben Rechtsgutes erfassen: 34 Während der Unrechtsgehalt der ersten Alternative im Vortäuschen einer Amtsträgereigenschaft liege, fehle dieser Täuschungsakt bei der zweiten Alternative. Praktische Bedeutung kommt der Streitfrage nicht zu. Der teilweise auch vertretenen Annahme von Tateinheit zwischen beiden Begehungsformen 35 steht entgegen, dass in beiden Alternativen ein einheitliches Rechtsgut geschützt wird. 36 1. Unbefugtes Befassen mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes (1. Alt.). Der Täter muss sich unbefugt mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes befassen.

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a) Öffentliches Amt. Der Begriff des öffentlichen Amtes bestimmt sich vornehmlich nach den Auslegungsregeln des Staats- und Verwaltungsrechts und ist sowohl im statusrechtlichen als auch im funktionellen Sinne zu verstehen. 37 Erforderlich ist eine Tätigkeit im unmittelbaren oder mittelbaren Dienst des Bundes, eines Landes 3 8 oder einer Kommune. 39 Der Begriff des öffentlichen Amtes umfasst nicht nur alle Ämter der staatlichen und kommunalen Verwaltung sowie der Rechtspflege, sondern auch Ämter der Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, soweit sie staatlichen Zwecken dienen. 40 Hierunter fallen auch vergleichbare, mit der Übertragung eines Geschäftskreises im Bereich der vollziehenden oder rechtsprechenden Gewalt verknüpfte und durch ein beamtenähnliches Dienst- und Treueverhältnis gekennzeichnete öffentlich-rechtliche Amtsverhältnisse. So bekleiden Notare und Notarassessoren (§§ 1, 7 Abs. 3, 4, § 4 9 BNotO) 4 1 sowie ehrenamtliche Richter (§ 1 DRiG, § 32 Nr. 1, 2 GVG) im Hinblick auf ihre hoheitlichen Aufgaben ein öffentliches Amt. 4 2 Die Zuordnung sonstiger als Organe hoheitlicher Verwaltung wirkender Funktionsträger zu dem Begriff des öffentlichen Amtes wird durch die konkrete öffentliche Aufgabenstellung bestimmt. 43 Öffentliche Ämter sind danach solche, deren Träger im Rahmen der öffentlich-rechtlich abgegrenzten Zuständigkeiten und von der zuständigen Stelle hierzu ausdrücklich oder stillschweigend berufen

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OLG Stuttgart StraFo 2 0 0 6 2 5 5 ; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Holtmann MK Rdn. 5; Fischer Rdn. 18; Geppert Jura 1986 590, 593; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 80 II Rdn. 5; Oetker NJW 1984 1602; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 3: eine einheitliche (einmalige) Tatbestandsverwirklichung. Herzberg JuS 1973 2 3 4 , 236; Lackner/Kühl Rdn. 10; Ostendorf NK Rdn. 17. Küper JR 1967 451, 453; Rudolphi SK6 Rdn. 2. So offenbar RGSt 58 173, 176; 5 9 291, 295. Ostendorf NK. Rdn. 17; Rudolphi SK6 Rdn. 2.

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Hohmann MK Rdn. 7; Fischer Rdn. 3; Rudolphi/Stein SK Rdn. 4; vgl. auch Theune LK § 4 5 Rdn. 3 ff. RGSt 3 6 4 3 4 , 435. Vgl. OLG Stuttgart StraFo 2 0 0 6 2 5 5 ; AG Göttingen NJW 1983 1210. BTDrucks. 7 / 5 5 0 , S. 209. BGHSt 4 4 186, 189; Fischer Rdn. 3; Leisner AöR Bd. 93 (1968) S. 162, 188 f: „außerdienstliches öffentliches Amt". Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 4; vgl. auch § 11 Abs. 1 Nr. 3. Vgl. Ossenbühl J R 1992 473, 474; vgl. auch Welp FS Lackner, S. 7 8 6 .

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

dienstliche Verrichtungen wahrnehmen, die sich aus der Staatsgewalt ableiten und staatlichen Zwecken dienen. 4 4 Bei den nicht in die Staatsorganisation eingegliederten „ B e l i e henen" muss die „verliehene" amtliche Aufgabenerfüllung die vorrangige Tätigkeit des Amtswalters darstellen, 45 so z.B. die bedeutsame Beurkundungsfunktion des öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs oder die Tätigkeit des öffentlich bestellten Fleischkontrolleurs. Auch der Wahlvorsteher übt bei der Wahl ein öffentliches Amt aus. 4 6 Dient die Tätigkeit rein fiskalischen Zwecken oder wird jemand als Bediensteter eines kommunalen Eigenbetriebs oder einer juristischen Person des Privatrechts tätig, bei der die öffentliche Hand Allein- oder Mehrheitsbeteiligter ist und die in privatrechtlicher Form Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge wahrnimmt, liegt kein öffentliches Amt vor. 4 7 Ämter des ehemaligen Deutschen Reiches sind von § 132 nicht geschützt. 48 10

Lediglich staatlich reglementierte Berufe wie etwa der des Rechtsanwalts unterfallen mangels Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben nicht dem Erfassungsbereich des öffentlichen Amts. 4 9 Gleiches gilt für Testamentsvollstrecker, Insolvenzverwalter und Nachlassverwalter, die aufgrund einer nicht-öffentlichen treuhänderischen Funktion fremdes Vermögen kraft eigenen Rechts verwalten. 50 Nicht erfasst werden auch Betreuer gem. § 1896 B G B als zwar hoheitlich bestellte, aber die Aufgaben in eigener Verantwortung im Interesse des Betreuten wahrnehmende Treuhänder. 51 Auch der Auktionator übt kein öffentliches Amt aus. 5 2 Ebensowenig gehören die Innungsämter zu den öffentlichen Ämtern. 5 3

11

Die Ämter der vom Staat getrennten Kirchen und Religionsgemeinschaften werden ebenfalls nicht erfasst, da sie zwar den Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts innehaben (Art. 140 G G i.V.m. Art. 137 Abs. 5 W R V ) , aber keine staatlichen Zwecke verfolgen. 54 Etwas anderes kann sich dann ergeben, wenn ihnen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung übertragen sind. 5 5

12

Die Ausübung militärischer Hoheitsbefugnisse und die Wahrnehmung militärischer Aufgaben ist nicht dem Begriff des öffentlichen Amtes zuzuordnen. Die Soldaten stehen zwar in einem Dienstverhältnis zum Staat, üben aber kein öffentliches Amt aus. 5 6 Sie sind daher keine Amtsträger im strafrechtlichen Sinne. Bei der Anmaßung militärischer Befehlsbefugnisse, Disziplinargewalt oder sonstiger Aufgaben handelt es sich somit nicht um die Anmaßung eines öffentlichen Amtes gem. § 132. Für Soldaten und Zivilpersonen nach § 1 Abs. 2 W S t G gilt insoweit ausschließlich § 38 W S t G , dem wehrstrafrechtlichen Gegenstück zu § 132. 5 7 Die Anmaßung militärischer Befehlsbefugnisse durch Zivilisten

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Vgl. BGHSt 37 191, 194 m.w.N. Vgl. Leisner AöR Bd. 93 (1968) S. 162, 192, 196. Vgl. RGSt 46 183,184. Rudolphi/Stein SK Rdn. 4. OLG Stuttgart StraFo 2006 255 („Reichspräsident", „Präsident des Deutschen Reichs"). Hobmann MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Fischer Rdn. 3; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5; aA OLG Celle NdsRpfl 1948 249. Rudolphi/Stein SK Rdn. 4. Rudolphi/Stein SK Rdn. 4. RGSt 17 291, 292. RGSt 72 289, 290. Vgl. BGHSt 37 191, 194; Hohmann MK Rdn. 10; Rudolphi/Stein SK Rdn. 4.

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RGSt 37 194; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 4. Vgl. Schwalm Niederschriften 10 283; EEGStGB BTDrucks. 7/550, S. 209, 340; Fischer Rdn. 5; Hohmann MK Rdn. 9; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Rudolphi/Stein SK Rdn. 4. Vgl. OLG Celle GA 1965 253, 254; Scholz/ Lingens WStG § 38 Rdn. 1; Fischer Rdn. 5; Hohmann MK Rdn. 9; Möhrenschlager NZWehrr 1980 81; aA AG Bonn NZWehrr 1983 156, das die Anmaßung militärischer Befehlsbefugnisse eines Unteroffiziers durch einen Bundeswehrgefreiten auch nach § 132 bestraft.

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Amtsanmaßung

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(z.B. der Fall des Hauptmann von Köpenick) kann somit weder unter § 38 W S t G noch unter § 132 subsumiert werden. Zwar werden durch § 16 BBesG Amtsbezeichnung und militärischer Dienstgrad gleichgestellt, was für die Anwendbarkeit des § 132a Abs. 1 Nr. 1, 4 auf den Missbrauch von Dienstbezeichnungen und Dienstgradabzeichen i.V.m. Uniformtragen durch Zivilpersonen und durch Soldaten maßgebend ist. 5 8 Eine vergleichbare Gleichstellung militärischer Befehlsbefugnis enthält § 132 aber nicht. Der entsprechende Gesetzesvorschlag des § 4 6 7 Ε 1962 (Begr. S. 6 5 8 ) ist nicht geltendes Recht geworden. Berühmt sich ein außerhalb eines Wehrdienstverhältnisses stehender uniformtragender Reservist eines Vorgesetztenverhältnisses und erteilt Befehle, so ist er mangels Soldateneigenschaft kein tauglicher Täter nach § 38 W S t G und mangels Ausübung eines öffentlichen Amtes kein tauglicher Täter nach § 132. Gemäß den Gleichstellungsvorschriften des Art. 7 Abs. 2 Nr. 8 des 4. StrÄndG 1957 (BGBl. 1957 I S. 6 0 2 ) i.V.m. Art. 5 Nr. 1 des 8. StrÄndG 1 9 6 8 (BGBl. 1968 I S. 751) und Art. 4 Nr. l a , cc des 3. StrRG 1 9 7 0 (BGBl. 1 9 7 0 I S. 5 0 7 ) ist § 132 allerdings einschlägig, wenn sich jemand dienstliche Befugnisse von Soldaten oder Bediensteten der in der Bundesrepublik stationierten NatoTruppen nichtdeutscher Vertragsstaaten anmaßt. Eine Amtsanmaßung setzt voraus, dass sich die Tathandlung auf ein inländisches Amt bezieht. 5 9 Amter der E U und sonstiger supranationaler Organisationen fallen nicht in den Schutzbereich der Vorschrift, auch wenn die Bundesrepublik Deutschland Hoheitsbefugnisse auf diese übertragen h a t . 6 0 Vielmehr muss es sich um Tätigkeiten handeln, die auf einem bestimmten Amts-, Dienst- oder Auftragsverhältnis zu einer öffentlichen Stelle beruhen, deren Träger nach deutschem Bundes-, Landes- oder Kommunalrecht zu ihren Aufgaben bestellt ist. 6 1 Im Gegensatz zu § 132a, der den Missbrauch ausländischer Amts- und Dienstbezeichnungen ausdrücklich einbezieht, fehlt es bei § 132 an einer entsprechenden Gleichstellungsklausel (vgl. auch § 11 Abs. 1 Nr. 2 ) . 6 2 Nach § 132 macht sich auch nicht strafbar, wer sich den Status eines ausländischen Diplomaten anmaßt oder sich als ausländischer Richter oder Polizeibeamter ausgibt, dem aufgrund einer Genehmigung deutscher Behörden Beweisaufnahmen oder eigene Ermittlungen im (deutschen) Inland erlaubt seien. 6 3 Die gegenteilige Auffassung, die auch öffentliche Ämter der Europäischen Union in den Schutzbereich des § 132 einbezieht, 6 4 sprengt den Rahmen einer zulässigen Auslegung und verstößt gegen das Analogieverbot. 6 5 Ihre Gleichstellung ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage kann nicht mit der Übertragung von Hoheitsrechten durch die Vertragsstaaten auf die Gemeinschaftsorgane gerechtfertigt werden. 6 6 Die Bestellung der Amtsträger der EU beruht auf europäischem Gemeinschaftsrecht. Ein Strafschutz der Ämter der EU und ihrer Amtsträger kann nur durch eine Harmonisierung der nationalen Strafrechtsordnungen der Vertragsstaaten - in der

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Vgl. AG Bonn NZWehrr 1983 156; Dau NZWehrr 1987 133, 139. OLG Stuttgart StraFo 2006 255; Hohmann MK Rdn. 8; Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 1; Fischer Rdn. 4; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 5. AA Rudolphi SK6 Rdn. 6; Ostendorf NK Rdn. 10; Lackner/Kühl Rdn. 4; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 80 I Rdn. 2; Satzger Internationales und Europäisches Strafrecht, § 8 Rdn. 107. OLG Stuttgart StraFo 2006 255.

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 5. Vgl. Lüttger Bemerkungen zu Methodik und Dogmatik des Strafschutzes für nichtdeutsche öffentliche Rechtsgüter, S. 334 f, 355. Rudolphi SK6 Rdn. 6; Ostendorf NK Rdn. 10; Lackner/Kühl Rdn. 4; Satzger Internationales und Europäisches Strafrecht, ξ 8 Rdn. 107. AA Rudolphi/Stein SK Rdn. 5. Vgl. Niederschriften 10 284; EEGStGB BTDrucks. 7/550, S. 210.

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Bundesrepublik Deutschland etwa im Wege der Erweiterung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 auf Amtsträger der EU - oder durch die Einführung supranationaler Sanktionsbefugnisse erreicht werden. 67 Im Hinblick auf die Übertragung von nationalen Befugnissen im Strafverfolgungsbereich (z.B. Europol, OLAF) und die Einrichtung gemeinsamer deutschfranzösischer Ermittlungsgruppen 68 erscheint eine Erstreckung dringend geboten. 69 14

b) Mit der Ausübung befassen. Mit der Ausübung eines Amtes befasst sich, wer sich ausdrücklich oder konkludent als Inhaber eines öffentlichen Amtes ausgibt, das er in Wirklichkeit nicht bekleidet, und in Ausübung des angemaßten Amtes tätig wird, also eine Handlung vornimmt, die als Vollzug öffentlich-rechtlicher Funktionen erscheint. 70

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aa) Hinweis auf die Funktion als Amtsinhaber. Erforderlich ist, dass der Täter ausdrücklich oder konkludent auf eine Funktion als Amtsinhaber hinweist. Dabei reicht jedoch die allgemein gehaltene Kennzeichnung als Funktionsträger von Polizeigewalt, etwa die (fernmündliche) Erklärung „hier ist die Kriminalpolizei". 71 Im Gegensatz zu § 132a Abs. 1 Nr. 1, der die Verwendung einer dem Täter nicht zukommenden förmlichen Amtsbezeichnung erfasst, wird § 132 maßgeblich durch die missbräuchliche Ausübung einer sachlich angemaßten Amtsbefugnis bestimmt, ohne dass es dabei auf eine dienstrechtlich fehlerfreie Bezeichnung oder überhaupt auf eine ausdrückliche Hervorhebung von Namen und Art des öffentlichen Amtes ankommt. 7 2 Erst recht bedarf es keines Zugehörigkeitshinweises zu einer bestimmten Dienststelle. 73 Die angeblich polizeiliche Aufforderung zum Leisestellen des Radios und zum Anleinen der bellenden Hunde unter Berufung auf Nachbarschaftsbeschwerden kann deshalb als angemaßte fernmündliche Polizeiverfügung erfasst werden. 74

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Die Inanspruchnahme einer Amtsträgerstellung kann sich auch aus den Umständen ergeben, 75 so aus dem Auftreten in der Amtskleidung eines Polizeibeamten 76 oder aus dem Vorzeigen einer nachgemachten polizeilichen Dienstmarke. 77 Dabei kann der angebliche Amtsträger auch unter Verwendung eines falschen Namens auftreten.

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Vgl. Oehler Internationales Strafrecht, Rdn. 910, 918; Vogel GA 2 0 0 3 314 ff. Vgl. Artikel 3 des Übereinkommens vom 29. Mai 2 0 0 0 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union; Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2 0 0 2 über gemeinsame Ermittlungsgruppen und Empfehlung des Rates vom 8. Mai 2 0 0 3 zu einem Modell für eine Vereinbarung über die Bildung einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe (GEG) sowie die gemeinsame Erklärung vom 12. Oktober 2 0 0 6 zur Stärkung der justiziellen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Frankreich. Fischer Rdn. 4. BGHSt 4 0 8 , 1 1 ; BGH GA 1967 114; BGHR StGB § 132 Ausübung 1; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2 0 0 2 301, 302; KG StraFo 2 0 0 7 250; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Fischer Rdn. 8.

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OLG Karlsruhe NStZ-RR 2 0 0 2 301; Sch/ Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Hohmann MK Rdn. 12; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7; Fischer Rdn. 6; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 80 II Rdn. 7; aA OLG Koblenz NStZ 1989 2 6 8 m. abl. Anm. Geppert]K 1 und Krüger NStZ 1989 477. RGSt 2 293, 2 9 4 ; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2 0 0 2 301, 302; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Hohmann MK Rdn. 13; Fischer Rdn. 6. Unzutreffend OLG Koblenz NStZ 1989 2 6 8 m. abl. Bspr. Krüger NStZ 1989 477, 478. Zutreffend Krey BT 1 Rdn. 526a; Krüger NStZ 1989 4 7 7 ; Fischer Rdn. 6; aA OLG Koblenz NStZ 1989 268; Ostendorf NK Rdn. 11. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2 0 0 2 301, 302; Hohmann MK Rdn. 13. BGH GA 1964 151. BGH GA 1967 114.

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Amtsanmaßung Das vorgetäuschte Amt braucht nicht einmal zu bestehen, soweit seine Inanspruchnähme als Hinweis auf die Ausübung hoheitlicher Funktionen der Bundesrepublik Deutschland verstanden werden kann. 7 8 So reicht es aus, wenn der Täter als vorgeblicher „Direktor des Bundesamtes für Drogenbekämpfung" auftritt, nicht aber, wenn er sich als „Reichspräsident", „Präsident der Nationalversammlung" oder „Präsident des Deutschen Reichs" bezeichnet 7 9 oder sich als angeblicher Funktionsträger eines nicht eingerichteten europäischen Kriminalamts geriert. Entscheidend ist, dass der Täter durch Vortäuschung einer wenngleich nicht existierenden Amtsstellung seinem Handeln staatliche Autorität beilegt, deren unbefugter Inanspruchnahme durch die Strafvorschrift gerade entgegengewirkt werden soll. Vor diesem Hintergrund kommt es für die Tatbestandserheblichkeit auch nicht darauf an, ob die vorgenommene Handlung in den Zuständigkeitsbereich des angemaßten Amtes fällt. 8 0 Gleichgültig ist ferner, ob der Täter die Handlung auch als Privatmann hätte vornehmen können wie z.B. die vorläufige Festnahme gem. § 127 Abs. 1 StPO. 8 1 Die einen Einbrecher bei der Tatausführung stellende Privatperson (§ 127 Abs. 1 StPO) etwa schlüpft mit dem Hinweis „Kriminalpolizei, Sie sind verhaftet!" in die funktionelle Rolle eines Polizeibeamten und gibt der vorläufigen Festnahme dadurch den Anschein amtlichen Charakters. Entsprechendes gilt für eine Zeugenbefragung.

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Auch ein Amtsträger kann Täter sein, wenn er die Grenzen seiner Amtsbefugnis derart weit überschreitet, dass die Handlung den Charakter der Ausübung eines anderen Amts gewinnt. 8 2 Eine solche Kompetenzüberschreitung muss so geartet sein, dass sie „den Charakter einer in den Kreis eines anderen Amtes einschlagenden Amtshandlung" annimmt. 8 3 Dies setzt voraus, dass der Amtsträger mit seiner Amtshandlung sich nicht im Rahmen der sachlichen Zuständigkeit des übertragenen Amtes h ä l t 8 4 oder die nicht nur innerdienstliche örtliche Zuständigkeit überschreitet. 8 5 Die Nichtbeachtung der sachlichen Zuständigkeit kann darin liegen, dass der Täter in den Geschäftskreis einer anderen Behörde (Führerscheinausstellung unter bewusster Überschreitung der Behördenzuständigkeit des Straßenverkehrsamtes) 8 6 oder die sachliche Kompetenz eines anderen Beamten derselben Behörde eingreift (z.B. Ausübung ausschließlich richterlicher Befugnisse durch den Geschäftsstellenbeamten oder Rechtspfleger desselben Gerichts; Erlass eines Haftbefehls durch Gerichtsreferendar). 8 7 Allein die Verletzung der Vorschriften über die räumliche Beschränkung der Tätigkeit eines Notars auf seinen Amtsbezirk (§§ 10a und 11 B N o t O ) stellt allerdings noch keine Amtsanmaßung dar, weil die Zustän-

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OLG Stuttgart StraFo 2006 255; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; Fischer Rdn. 6; Oetker NJW 1984 1602. OLG Stuttgart StraFo 2006 255. Vgl. BayObLGSt 1956 269, 270; Hohmann MK Rdn. 13; Fischer Rdn. 8; aA Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 76. Hohmann MK Rdn. 12; Fischer Rdn. 8. Vgl. hierzu BGHSt 3 241, 244; 12 85, 86; 37 207, 211; BayObLG NJW 2003 1616 f; KG JR 1993 388, 389; Fischer Rdn. 8a; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7a; Sternberg-Lieben JR 2004 74.

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RGSt 58 173, 176; 67 226; BGHSt 3 241, 244; BayObLG NJW 2003 1616, 1617. BGHSt 3 241, 244; vgl. auch BayObLG NJW 1951 245. Vgl. BGHSt 12 85, 86; 37 207, 211; 44 186, 189 (Notar); BayObLG NJW 1951 245. BGHSt 37 207, 211. Vgl. auch RGSt 58 173, 176: Vornahme von der Gemeindeverwaltung bzw. dem Städtischen Kämmereiamt vorbehaltenen Vermittlungsgeschäften von Begräbnisplätzen durch den Friedhofsverwalter; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7a.

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digkeitsnorm rein dienstrechtlicher Natur ist und keine Außenwirkung im Verhältnis zu den Beteiligten eines beurkundeten Vorgangs entfaltet. 88 19 Nicht tatbestandserheblich sind dagegen solche Amtshandlungen, für die ein Amtsträger generell zuständig ist, mit deren Ausführung er aber gegen innerdienstliche Vorschriften oder Weisungen, Dienstbereichseinteilungen oder sonstige innerdienstliche Organisationsvorschriften oder gegen gesetzliche Bestimmungen verstößt. 89 Nicht erfasst werden auch Handlungen, die sich als treuwidrige Ausnutzung der dem Amtsträger zustehenden Amtsrechte darstellen.90 Eine tatbestandliche Relevanz ist auch bei Vornahme der Amtshandlung trotz fehlender materieller Voraussetzungen zu verneinen,91 so z.B. bei Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen durch den zuständigen Gruppenleiter des Ausländeramts ohne Nachweis der gesetzlichen Anforderungen oder bei dem Erlass eines Haftbefehls ohne Haftgründe.92 Zur Abgrenzung bloß befugniswidrigen Handelns von tatbestandserheblichem Verhalten kann auf die in § 44 VwVfG enthaltene Regelung zur Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes als Leitlinie zurückgegriffen werden.93 20

Tatbestandserheblich ist nicht nur die angemaßte, (an sich) zulässige amtliche Tätigkeit, 94 erfasst wird entsprechend dem Normzweck vielmehr auch (pseudo-)amtliches unzulässiges Handeln, soweit es einem unbefangenen Beobachter als hoheitliches Handeln erscheint, so z.B. erkennbar sexualbezogene „Untersuchungshandlungen" eines angeblichen Schularztes,95 die scheinbar gesundheitsbehördliche schriftliche Abschiebungsandrohung gegenüber einem Ausländer wegen angeblich unsauberer Führung einer Imbissstube96 oder die Vereidigung eines Angeklagten durch einen sich als Richter gerierenden Gerichtsreferendar. Denn gerade auch in solchen Fällen wird das Vertrauen in die Echtheit und Zuverlässigkeit von Hoheitsakten und damit die staatliche Autorität gefährdet. Dies gilt jedoch nicht, wenn eine Rechtsgutsgefährdung wegen offenkundig nicht amtlichen Charakters ausscheidet, weil das Täterhandeln für jedermann ersichtlich so weit von einer normalen staatlichen Tätigkeit abweicht, dass der Eindruck legalen staatlichen Handelns unter keinen Umständen entstehen kann. 97

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bb) Amtshandlung. Zu dem Auftreten als angeblicher Amtsträger muss eine Amtshandlung hinzukommen. Das Befassen mit der Ausübung setzt begrifflich ein Handeln voraus, das aufgrund der vorgetäuschten Amtsträgereigenschaft nach außen als Ausübung hoheitlicher Tätigkeit erscheint. Das Auftreten als Amtsträger allein oder erkennbar zu privaten Zwecken genügt nicht. So reicht es beispielsweise nicht aus, wenn jemand ein Geldstück als angebliche Dienstmarke mit dem Bemerken vorzeigt, er sei Kriminalbeamter, um Einlass in einen Club zu erhalten, ohne das geforderte Eintrittsentgelt entrichten zu müssen,98 oder der vorgeblich hochrangige Amtsträger um bevorzugte

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BGHSt 44 186, 189. Vgl. BayObLG NJW 2003 1616, 1617 m. zust. Anm. Otto JK 3; Sternberg-Lieben JR 2004 74; s.a. RGSt 67 226; ferner RGSt 56 234; 58 173, 176; Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 15; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7a. BGHSt 3 241, 244; BayObLG NJW 2003 1616,1617; Sternberg-Lieben J R 2004 74, 76; aA OLG Hamm NJW 1951 245, 246. RGSt 56 234, 235. Niederschriften 10 363.

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Sternberg-Lieben J R 2004 74, 76; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 15; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 7d. So aber Fiedler Anmaßung und Erschleichen eines öffentlichen Amtes, S. 97. BGH 1 StR 442/73 v. 23.10.1973. OLG Karlsruhe 3 Ss 22/91 v. 11.11.1991. OLG Stuttgart StraFo 2006 255; Schröder NJW 1964 62; Ε 1962 Begr. S. 658: „Angebliche, aber schlechthin unzulässige Amtshandlung"; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 7c. BGHR StGB § 132 Ausübung 1.

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Bedienung im Hotel oder um Freimachen eines Platzes im Bahnabteil nachsucht." Auch das Vorzeigen einer unechten polizeilichen Dienstmarke allein ist keine Amtshandlung, sondern lediglich Täuschungsmittel. 100 Gibt sich dagegen ein Rechtsanwalt am Telefon gegenüber einer Mitarbeiterin der zuständigen Polizeidirektion als Staatsanwalt aus und begehrt mit Nachdruck die Auszahlung eines polizeilich beschlagnahmten Geldbetrages an die von ihm vertretene Mandantin, stellt sich dies als amtliche Tätigkeit dar. 101 Die Handlungen müssen sich für Außenstehende als Ausfluss der dem (angemaßten) Amt staatlich zugewiesenen Rechte und Pflichten oder jedenfalls eines Aufgabenbereichs mit hoheitlichem Bezug darstellen. 102 Das ist zu verneinen bei erwerbswirtschaftlichfiskalischer Tätigkeit, wie etwa beim Einkauf von Waren unter Angabe, ein Bediensteter der örtlichen Justizvollzugsanstalt 103 oder ein Polizeibeamter zu sein. 1 0 4 In diesen Fällen wird das geschützte Rechtsgut, die Autorität des Staates, nicht tangiert. 1 0 5

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Das pseudo-amtliche Handeln kann fernmündlich ausgeführt werden, z.B. im Wege einer telefonischen Einholung von Amtsauskünften oder einer Anordnung in Form einer fernmündlichen Polizeiverfügung unter der Legende eines Polizeibeamten. Die angemaßte hoheitliche Tätigkeit kann aber auch auf schriftlichem Wege erfolgen. Eine schriftliche Anmaßung eines Amtes kommt in Betracht, wenn der Täter die Amtsträgerstellung unter seinem Namen in Anspruch nimmt. Die Rechtsprechung bemüht teilweise die erste Alternative auch in den Fällen der mit gefälschter oder unleserlicher Unterschrift versehenen pseudo-behördlichen Schreiben, in denen sich der Verfasser als Leiter oder Funktionsträger eines bestimmten Amtes ausgibt, z.B. mit dem Briefkopf „Stadt Ζ - der Stadtdirektor" oder „Gesundheitsamt Y - der Leiter" und der Zeichnung als „Der Leiter des . . . " oder „Beamter des staatlichen Polizeipräsidiums X " . 1 0 6 Dies erscheint jedoch nicht unbedenklich. Denn der Verfasser tritt in solchen Fällen gegenüber dem zu täuschenden Empfänger nicht individualisierbar als Amtsträger und Urheber der angemaßten Amtshandlung auf. Solche Fälle werden vielmehr durch die zweite Alternative erfasst. 1 0 7

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cc) Einzelfälle. Als Amtsanmaßung i.S. der ersten Alternative des § 132 ist z.B. angesehen worden: Vornahme von Verkehrskontrollen in Polizeiuniform und Erteilung gebührenpflichtiger Verwarnungen; 1 0 8 vorläufige Festnahme einer Frau unter Ausgabe als Polizist, um sie dann gegen geschlechtliche Hingabe wieder freilassen zu können; 1 0 9 Auftritt als Kriminalbeamter und Beschlagnahme von Schmuckstücken bei einem Juwelier zwecks angeblicher Überprüfung ihrer Herkunft aus einem Raubüberfall; 1 1 0 Auftreten als Kriminalbeamter zur Durchsetzung eines quasi-behördlichen Einlassbegehrens in eine Wohnung; 1 1 1 Einwirkung eines vermeintlichen Amtsträgers auf eine Partei eines

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Geppert Jura 1986 590, 5 9 2 ; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 80 II Rdn. 8; Hohmann MK Rdn. 14. Vgl. BGH GA 1967 114. AA KG StraFo 2 0 0 7 2 5 0 mit der Begründung, der Rechtsanwalt habe von der Möglichkeit, gem. § 161 Abs. 1 S. 2 StPO, § 152 Abs. 1 GVG eine verbindliche dienstliche Anweisung zu erteilen, keinen Gebrauch gemacht. Rudolphi/Stein SK Rdn. 4. BGHSt 12 30. Vgl. OLG Oldenburg MDR 1987 604.

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Vgl. BGHSt 12 30, 31 f; vgl. auch OLG Karlsruhe N J W 1983 352; Welp FS Lackner, S. 761, 7 8 6 . Vgl. RG DJZ 1902 5 3 4 ; RGSt 6 8 77, 81; Fiedler Anmaßung und Erschleichen eines öffentlichen Amtes, S. 9 9 f. Vgl. OLG Stuttgart StraFo 2 0 0 6 2 5 5 ; LG Paderborn N J W 1 9 8 9 178. BGH GA 1964 151. RGSt 2 2 9 2 . Füllkrug Jura 1 9 8 9 362; vgl. auch RGSt 5 4 255. RG J W 1935 2 9 6 0 .

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Arbeitsrechtsstreits zwecks Herbeiführung eines Vergleichs; 112 unerlaubte Durchsuchung in Diebesabsicht; 113 Untersuchung von Schülerinnen als angeblicher Schularzt; 114 Erlass eines Mahnbescheids; 1 1 5 Abschiebungsandrohung gegen Ausländer durch angeblichen Leiter des Gesundheitsamts. 116 Die Telefonüberwachung durch Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR erfüllt die erste Alternative des Tatbestands nicht, weil die Mitarbeiter tatsächliche Inhaber eines öffentlichen Amtes waren und nicht der Anschein staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit erweckt worden ist. 117 25

c) Unbefugt. Der Täter muss sich unbefugt mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes befassen. Der gesetzlich umschriebenen Verhaltensweise als solchen, die für sich genommen wertneutral ist, kann eine abschließende Umschreibung tatbestandlichen Unrechts nicht entnommen werden. 118 Erst die Unbefugtheit des Handelns verleiht dem Tatbestand den deliktstypischen Unwertcharakter der Anmaßung. 1 1 9 Die Unbefugtheit ist deshalb ein normatives tatbestandsausfüllendes Merkmal. 120 Kennzeichnend für den durch das Merkmal „unbefugt" umschriebenen tatbestandlichen Unwertgehalt ist der Mangel einer zur Ausübung der öffentlich-rechtlichen Funktion berechtigenden öffentlichen Amtsstellung oder anderweitigen staatlichen Ermächtigung. Unbefugt handelt somit, wer nicht durch seine Amtsstellung oder kraft sonstiger gesetzlicher oder behördlicher Ermächtigung, amtlicher Bestellung, Berufung oder Beauftragung durch die zuständige amtliche Stelle zur Vornahme der entsprechenden hoheitlichen Tätigkeit legitimiert ist. 121

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Die Befugnis zur Wahrnehmung der Dienstgeschäfte ergibt sich aus dem übertragenen Amt, nicht aus den dafür erforderlichen Qualifikationen. Deshalb handelt nicht unbefugt i.S.v. § 132, wem die Ausübung eines öffentlichen Amtes aufgrund einer arglistigen Täuschung oder einer strafbaren Handlung, z.B. eines Anstellungsbetrugs, übertragen worden ist. 122 Dies lässt die mit der Übertragung des Amtes verknüpfte Befugnis zur Vornahme der Dienstgeschäfte nach außen unberührt. Auf die Außenwirkung kommt es aber im Hinblick auf den Normzweck des § 132 an. 1 2 3 Das missbräuchliche Bewirken der Amtsübertragung und die rückwirkenden Rechtsfolgen einer Rücknahme der Ernennung bzw. deren Nichtigkeit berühren lediglich das Innenverhältnis zwischen dem Amtsträger und seinem Dienstherrn. Ungeachtet der Nichtigkeit oder der Möglichkeit der Rücknahme des Anstellungsakts ( S S 11, 12 Abs. 1 BBG; § S 18, 19 Abs. 1 DRiG) wird der Träger eines Amtes kraft Gesetzes bis zur Untersagung der Dienstgeschäfte oder der Rücknahme der Ernennung als nach außen zur Wahrnehmung dienstlicher Verrichtungen aus dem ihm übertragenen, wenngleich erschlichenen Amtsbereich befugt angesehen und

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RG GA Bd. 60 85. OGHSt 1 303. BGH 1 StR 442/73 v. 23.10.1973. RGSt 23, 205; vgl. aber LG Hannover StV 1981 552. OLG Karlsruhe 3 Ss 22/91 v. 11.11.1991. BGHSt 40 8, 11 f; aA OLG Dresden DtZ 1993 287, 288; KG JR 1993 388; vgl. dazu Ostendorf JZ 1997 1104,1106. Ostendorf NK Rdn. 13. Vgl. Warda Jura 1979 286, 295; Fischer Rdn. 15. Hohmann MK Rdn. 8; Fischer Rdn. 15;

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Ostendorf NK Rdn. 13; aA Dahs NStZ 1986 101: allgemeines Rechtswidrigkeitsmerkmal. BGHSt 40 8, 15; Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 11; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7d. Vgl. BGH StB 11/74 v. 7.7.1976; OLG Braunschweig NdsRpfl 1950 127; Sehl Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Hohmann MK Rdn. 16; Fischer Rdn. 15; Lackner/Kühl Rdn. 5; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 80 II Rdn. 9. BayObLG NJW 2003 1616,1617.

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Amtsanmaßung

sind die von ihm vorgenommenen dienstlichen Handlungen der Allgemeinheit gegenüber gültige Amtshandlungen (§ 14 BBG). 1 2 4 Auch die Vornahme einer Diensthandlung unter Missachtung einer Zwangsbeurlaubung im Rahmen eines Disziplinarverfahrens ist keine unbefugte Amtsanmaßung. Die Zwangsbeurlaubung als dienstinterne Maßnahme und vorübergehende Beschränkung der konkreten Amtsausübung tangiert das Amtsträgerverhältnis als solches nicht. 125 Entsprechendes gilt, wenn ein Notar trotz vorläufiger Amtsenthebung mit Gültigkeit nach außen (§ 55 Abs. 2 S. 2 BNotO) einen Grundstückskaufvertrag beurkundet und die dafür fällig gewordenen Gebühren erhebt. 126 Unbefugt handelt ein Amtsträger schließlich auch dann nicht, wenn die Amtshandlung zwar zu seiner Amtszuständigkeit gehört, er aber im konkreten Einzelfall kraft Gesetzes oder durch Geschäftsverteilungsplan ausgeschlossen ist (z.B. § 59 BBG; §§ 22, 23 Abs. 2, 31 StPO). 127 Etwas anderes gilt nur, wenn die Überschreitung der Dienstbefugnisse den Charakter einer in den Kreis eines anderen Amts einschlagenden Amtshandlung gewinnt, 128 so wenn ein Rechtsreferendar als Richter einen Haftbefehl erlässt 129 oder ein Bediensteter des Straßenverkehrsamtes unter bewusster Überschreitung der Behördenzuständigkeit Führerscheine ausstellt. 130

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2. Vornahme einer Handlung, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf (2. Alt.). Die zweite Alternative verlangt, dass der Täter unbefugt eine Handlung vornimmt, die nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf. Strafbarkeitsbegründend ist hier die Vornahme der Handlung selbst. Damit werden Fälle erfasst, in denen der Täter keine Amtsinhaberschaft vortäuscht und sich nicht persönlich als Amtsträger ausgibt, aber etwas tut, was nur ein Amtsträger tun darf. 131 Unter Berücksichtigung von Deliktscharakter und Normzweck kommt es (auch hier) stets darauf an, dass die vorgenommene Handlung im Rahmen der sie begleitenden Umstände bei einem objektiven Betrachter den Anschein hoheitlichen Handelns hervorruft und deswegen mit einer solchen verwechselbar ist. 132 Nur dann kann der Autorität des Staates und seiner Behörden ein Vertrauensverlust drohen, dem entgegenzuwirken Sinn und Zweck des § 132 ist.

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a) Handlung, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf. Im Hinblick auf das Erfordernis, dass die Vornahme einer Handlung den Anschein einer Amtshandlung erwecken muss, kommen zunächst Tathandlungen in Betracht, die wegen ihres hoheitlichen Eingriffscharakters ausschließlich den Trägern öffentlicher Ämter vorbehalten und einer Privatperson grundsätzlich untersagt sind. Darunter fallen beispielsweise die Verhaftung, die Vornahme einer Durchsuchung oder Beschlagnahme 133 oder die Versendung eines den inhaltlichen Erfordernissen der §§ 699 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 692

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Hohmann MK Rdn. 16; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 11. Fischer Rdn. 15; vgl. RG J W 1933 2140. AA RGSt 76 25. BayObLG NJW 2 0 0 3 1616, 1617. Vgl. BGHSt 3 241, 2 4 4 ; 12 85, 86; Bay ObLG NJW 2 0 0 3 1616, 1617. Hohmann MK Rdn. 15. BGHSt 37 207, 211. Hohmann MK Rdn. 18; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Fischer Rdn. 10.

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133

BGHSt 4 0 8, 12 f unter Aufgabe der Rspr. des Reichsgerichts, das in dem Hervorrufen des Anscheins einer Amtshandlung keine notwendige Tatbestandsvoraussetzung des § 132 2. Alt. gesehen hatte (vgl. RGSt 56 156); BayObLGSt 1956 2 6 9 ff; OLG Köln NJW 1999 1042, 1044; OLG Stuttgart StraFo 2 0 0 6 2 5 5 ; Hohmann MK Rdn. 17; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lteben Rdn. 8; Fischer Rdn. 10; Rudolphi/Stein SK Rdn. 9. RGSt 59 291, 2 9 8 .

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Abs. 1 ZPO entsprechenden Vollstreckungsbescheids 134 sowie die Erteilung einer gebührenpflichtigen Verwarnung. 135 Erfolgt die Handlung allerdings unter Umständen, die sie als Privathandlung erscheinen lässt, ist § 132 nicht erfüllt, so z.B. die Abnahme eines Privateids 136 oder die Wohnungsdurchsuchung durch einen Privatdetektiv. 137 Erfasst werden darüber hinaus Handlungen, die zwar auch von Privatpersonen vorgenommen werden dürfen, aber unter äußeren Umständen erfolgen, die sie als Ausübung hoheitlichen Handelns erscheinen lassen und deshalb den Anschein einer Amtshandlung hervorrufen. 138 In Betracht kommen die vorläufige Festnahme gem. § 127 Abs. 1 StPO oder die Befragung von Zeugen. 30

Für die Beurteilung, ob der Täter nach dem äußeren Anschein hoheitliche Tätigkeit ausgeübt hat, ist auf die Sicht eines unbefangenen Beobachters abzustellen. 139 Es genügt nicht, dass der Betroffene die Handlung im Sinne einer Amtlichkeit (miss)versteht oder sich durch die Handlung täuschen lässt. 1 4 0 Maßgebliches Beurteilungskriterium ist vielmehr, ob die Tathandlung aufgrund der begleitenden Umstände aus Sicht eines objektiven Beobachters Form- und Inhaltserfordernissen einer hoheitlichen Maßnahme entspricht und deshalb mit ihr verwechselt werden kann. 1 4 1 Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Handlung des Täters in allen Punkten der für das angemaßte hoheitliche Verhalten vorgeschriebenen Form genügt. 142 Vielmehr sind die Anforderungen an die beurteilungserheblichen Merkmale, insbesondere hinsichtlich der Beachtung der wesentlichen formalen Elemente der echten Amtshandlung, fallbezogen unterschiedlich. So kann eine Befragung aufgrund der behördentypischen Durchführung (Personalienfeststellung, Erstellung einer Vernehmungsniederschrift) je nach konkreter Gestaltung als amtliche Vernehmung erscheinen. Bei einer Festnahme kann, auch wenn sie nach § 127 Abs. 1 StPO vorgenommen werden könnte, durch die Art und Weise ihrer Ausführung - Gestaltung der „Eröffnung", Mitteilung eines Festnahmegrundes, Personalienfeststellung - der Anschein entstehen, es handele es sich um eine vorläufige Festnahme im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. 143 Dagegen ist die Bestätigung der von operativen Einheiten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) erteilten Aufträge zum Abhören von Fernmeldeanschlüssen durch einen Offizier dieser Behörde keine Amtsanmaßung, weil sich diese Handlung als Maßnahme im Rahmen der allgemeinen Spitzeltätigkeit des MfS, nicht aber als Wahrnehmung staatsanwaltschaftlicher Befugnisse im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens darstellt. 144

31

Auch in den Fällen der Ausstellung und Versendung scheinbar amtlicher Urkunden und unechter Behördenbescheide kommt es für die Frage, ob der Täter nach dem äußeren Anschein hoheitliche Tätigkeit ausübt, darauf an, ob die scheinbar amtlichen Urkunden aus Sicht eines unbefangenen Beobachters unter dem Gesichtspunkt der Verwechsel-

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OLG Frankfurt a.M. NJW 1964 61. BGH GA 1964 151. RGSt 3 4 288. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 8. Vgl. BGHSt 4 0 8, 13 f; OLG Stuttgart StraFo 2 0 0 6 2 5 5 ; BayObLGSt 1956 269, 2 7 0 ; Hohmann MK Rdn. 18. BGHSt 4 0 8 , 1 3 ; OLG Stuttgart StraFo 2 0 0 6 2 5 5 ; LG Paderborn NJW 1989 178, 179. BayObLGSt 1956 269, 271.

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BGHSt 4 0 8, 13; OLG Stuttgart StraFo 2 0 0 6 2 5 5 ; OLG Köln NJW 1 9 9 9 1042, 1044; Hohmann MK Rdn. 19; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 8. Vgl. RGSt 68 77, 80; BayObLGSt 1956 269, 271; OLG Frankfurt a.M. NJW 1964 61, 63; OLG Stuttgart StraFo 2 0 0 6 255. Vgl. BayObLGSt 1956 269, 271; RGSt 5 9 291, 293, 2 9 8 : Vernehmung nach scheinbar amtlicher Sistierung. BGHSt 4 0 8, 12 f.

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Amtsanmaßung

§132

barkeit den amtlichen entsprechen. 145 Sie müssen zwar nicht in allen Punkten der für die amtlichen Dokumente vorgeschriebenen Form genügen und es reicht aus, dass sie dem äußeren Anschein „amtlich" wirken. § 132 2. Alt. scheidet aber aus, wenn wesentliche Inhalts- oder Formerfordernisse nicht gewahrt sind, deren Fehlen die Wirksamkeit amtlicher Schriftstücke beeinträchtigt. 146 So genügt die bloße Benutzung von Behördenformularen allein noch nicht. 1 4 7 Die Zusendung von privaten Zahlungsaufforderungen, die Mahnbescheiden zwar in der äußeren Form ähnlich sind, diesen inhaltlich aber nicht entsprechen (vgl. § 692 Abs. 1 ZPO), ist nicht tatbestandsmäßig. 148 Eine Verwechselbarkeit ist auch dann zu verneinen, wenn nicht jedenfalls auf ein bestimmtes Amtsgericht als die den Mahnbescheid erlassende Stelle hingewiesen worden ist. Denn die Bezeichnung des erlassenden Gerichts (und dessen Zuständigkeit) ist unverzichtbare Wirksamkeitsvoraussetzung eines Mahnbescheides ( S S 6 9 0 Abs. 1 Nr. 2, 691 Abs. 1, 6 9 2 Abs. 1 Nr. 1 Z P O ) 1 4 9 und deshalb für den Eindruck der Echtheit bei einem objektiven Betrachter bestimmend. Dagegen steht das Fehlen einer Unterschrift des Rechtspflegers (S 689 Abs. 1 ZPO; S 20 Nr. 1 RpflG) einer Verwechslungsfähigkeit nicht entgegen, 150 da das Gesetz anstelle einer handschriftlichen Unterschrift einen Stempelabdruck oder eine elektronische Signatur genügen lässt (S 6 9 2 Abs. 2 ZPO). Die Anforderungen an Form und Inhalt hängen von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab. Indizielle Kriterien dafür, ob das Erscheinungsbild eines nachgemachten Behördenschreibens den Eindruck eines amtlichen Bescheids erweckt, sind formelle Umstände wie die Verwendung des amtsüblichen Briefkopfs mit Aufdruck von Behörde, Behördenstempel, leitendem Amtsträger, Abteilung, Sachbearbeiter und Zimmernummer, inhaltliche Gesichtspunkte, wie die Verwendung von Begriffen aus der Rechtssprache (Ausweisung, Abschiebung etc.) sowie Art und Weise des Zugangs beim Adressaten. 151 Ausreichend ist beispielsweise die Verbreitung eines Aufrufs zur Rückgabe der Volkszählungsbögen, der den von einer Stadt verwendeten Kopf aufweist, mit „Der Stadtdirektor" unterschieben ist und das Signet der Volkszählung enthält. 1 5 2 Im Hinblick auf den Deliktscharakter des S 132 als abstraktes Gefährdungsdelikt ist unerheblich, ob und ggf. wieviele Personen auf das angebliche amtliche Schreiben tatsächlich hereingefallen sind und in irgendeiner Weise reagiert haben. 1 5 3

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Die bloße Herstellung von Falschurkunden (z.B. Fälschung eines Reisepasses) ist nur dann eine Amtsanmaßung, wenn der Täter die Verfälschung ganz bewusst unter Umständen vornimmt, die nach außen den Anschein amtlicher Tätigkeit begründen sollen. 154 In Betracht kommt beispielsweise die Umschreibung eines Führerscheins unter unberechtigter Erweiterung der Fahrzeugklassen, wenn ein Beamter des Straßenverkehrsamtes unter bewusster Überschreitung der Zuständigkeit seines Amtes handelt, diese durch die Art und Weise seines Tätigwerdens den zahlenden Interessenten gegenüber aber bewusst vor-

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OLG Stuttgart StraFo 2 0 0 6 2 5 5 ; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 10b; Fischer Rdn. 11; Schröder NJW 1964 61, 62. OLG Stuttgart StraFo 2 0 0 6 2 5 5 ; Hohmann MK Rdn. 2 0 . Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 10. Vgl. RGSt 68 77, 79 f; OLG Frankfurt NJW 1964 61 m. Anm. Schröder; vgl. aber auch RGSt 23 205. Vgl. BGH RPfleger 1989 516.

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Vgl. OLG Frankfurt NJW 1964 61; RGSt 23 205. Vgl. LG Paderborn N J W 1 9 8 9 178; AG Göttingen N J W 1983 1209. LG Paderborn NJW 1 9 8 9 178. Vgl. OLG Stuttgart StraFo 2 0 0 6 255, 2 5 6 ; Geppert Jura 1986 5 9 0 , 591; Oetker NJW 1984 1602, 1603; vgl. aber LG Hannover StV 1981 5 5 2 . Vgl. Geppert Jura 1986 5 9 0 , 5 9 3 ; in diesem Sinne wohl auch schon RGSt 68 2 5 5 .

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

täuscht. 1 5 5 In den üblichen Fällen beruflicher Fälscher von Reisepässen und Führerscheinen dagegen will der Täter mit seinem Handeln gegenüber den Empfängern der Falsifikate oder gegenüber anderen Personen gerade nicht als angeblicher Amtsinhaber in Erscheinung treten, weshalb eine Strafbarkeit nur nach § 2 6 7 in Betracht kommt. 1 5 6 Die vom Täter bedachte (mögliche) Fernwirkung durch das Produkt der Verfälschung allein, z.B. dass die gefälschten Papiere bei später kontrollierenden Polizeibeamten den Eindruck einer amtlichen Herkunft erwecken, vermag eine Erheblichkeit nach § 132 nicht zu begründen. 1 5 7 34

Nicht erforderlich ist, dass der Täter offen als Urheber der angemaßten Amtshandlung dem Publikum gegenüber in Erscheinung tritt. 1 5 8 Tatbestandserheblich sind deshalb auch das heimliche Aufstellen von Verkehrsschildern, 159 das Überkleben der die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h begrenzenden Verkehrsschilder mit dem Zeichen 5 0 km/h, 1 6 0 das Ein- und Ausschalten einer Verkehrsampel oder die Anbringung einer Pfandmarke, 161 wenn der Eindruck hoheitlicher Anordnung entsteht. 1 6 2 Tatbestandserheblich ist weiterhin die Anbringung von nachgedruckten „amtlichen" Verwarnungszetteln an fremden Kraftfahrzeugen in betrügerischer Absicht. 1 6 3 Eine weitere Fallgruppe bildet die Versendung/Verbreitung nachgemachter amtlicher Schreiben, bei denen es dem Täter regelmäßig auf die Wahrung seiner Anonymität ankommen wird. 1 6 4

35

Eine Strafbarkeit nach § 132 ist dagegen zu verneinen, wenn der Täter zur Täuschung der Polizei einen Verwarnungszettel von einem Fahrzeug entfernt und am eigenen Pkw anbringt, um folgenlos dort parken zu können, wo Parken verboten ist. Hier richtet der Täter den Anschein hoheitlichen Handelns allein gegen die Polizei, nicht aber gegen die Allgemeinheit, deren Vertrauen in die Korrektheit staatlichen Handelns gerade geschützt werden soll. 1 6 5 Die Vorschrift ist auch nicht anwendbar, wenn der Täter eigenmächtig ein Pfandsiegel entfernt; sein Handeln erweckt hier nach außen nicht den Anschein der Amtlichkeit (Strafschutz nach § 136 Abs. 2). Etwas anderes gilt, wenn er das abgenommene Pfandsiegel anschließend zwecks Täuschung an ein gleichartiges, weniger wertvolles Möbelstück anheftet. 1 6 6 Hier hat das Handeln rechtsgutgefährdende Außenwirkung, weil eine Autoritätsgefährdung durch mögliches Schwinden des Vertrauens der Vollstreckungsgläubiger in die Echtheit und Zuverlässigkeit von hoheitlichen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eintreten kann. Nicht erfasst werden das bloße Verfälschen einer amtlichen Urkunde 1 6 7 sowie das Entfernen oder das Zerstören von Verkehrszeichen. 168

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Vgl. BGHSt 37 207. BGHR StGB § 132 Ausübung 2; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 10b, wenn die Falsikate aus der Hand gegeben werden. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Geppert Jura 1986 590, 5 9 3 ; aA Arzt/Weber BT § 4 5 VI Rdn. 105. Vgl. RGSt 2 3 205, 2 0 7 ; OLG Köln NJW 1999 1042, 1044 m. Anm. Wrage NStZ

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2000 32, 33; KG JR 1993 388, 389; OLG

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Dresden DtZ 1993 287, 2 8 8 ; Fischer Rdn. 11; Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 9; Hohmann MK Rdn. 21; Küper JR 1967 451, 4 5 3 ; Oetker NJW 1984 1602, 1603; missverst. RGSt 68 251, 255. Arzt/Weber BT § 4 5 VI Rdn. 105.

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OLG Köln NJW 1 9 9 9 1 0 4 2 , 1 0 4 4 . RG HRR 41 Nr. 789. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Fischer Rdn. 11. Fischer Rdn. 14. Oetker NJW 1984 1602. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Hohmann MK Rdn. 21; Fischer Rdn. 13; Baumann N J W 1964 705, 708; Schröder JR 1964 229, 2 3 0 ; Schünemann JA 1974 107; einschränkend Rudolphi/Stein SK Rdn. 10b. Vgl. RG HRR 1941 Nr. 788. BGHR StGB § 132 Ausübung 2. Fischer Rdn. 14; Hohmann MK Rdn. 21; einschränkend Rudolphi/Stein SK Rdn. 10b.

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Amtsanmaßung

§ 132

b) Unbefugt. Wie bei der ersten Alternative muss auch hier der Täter unbefugt handein. 169 Die obigen Ausführungen gelten entsprechend (vgl. Rdn. 25 ff).

36

V. Subjektiver Tatbestand Beide Begehungsformen erfordern vorsätzliches Handeln, wobei bedingter Vorsatz 3 7 genügt.170 Der Täter muss zumindest billigend in Kauf nehmen, dass er sich ohne Befugnis mit der Ausübung eines ihm nicht übertragenen öffentlichen Amtes befasst bzw. dass er eine Handlung vornimmt, die, weil sie nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf, als hoheitliche Tätigkeit erscheint. In Fällen, in denen der Täter nicht als Inhaber eines öffentlichen Amtes aufgetreten ist, sondern im Sinne der zweiten Begehungsform Handlungen vorgenommen hat, die ausschließlich dem Träger eines solchen Amtes vorbehalten sind, muss er sich bewusst gewesen sein, dass die Handlung in der Art und Weise ihrer Vornahme nach außen den Eindruck amtlichen Handelns hervorruft, im Falle der Verbreitung nachgemachter amtlicher Schreiben bei den Adressaten den Eindruck der Amtlichkeit erzeugt.171 Ein Irrtum über das Vorliegen oder die Reichweite der staatlichen Ermächtigung 172 3 8 oder über das Fortbestehen des Amtsträgerverhältnisses betrifft die Befugnis und begründet einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum.173 Ein solcher Irrtum kommt in Betracht, wenn ein Beamter im Rahmen der Obliegenheiten seines früheren Amtes trotz wirksam angeordneter Versetzung oder Entlassung Diensthandlungen vornimmt, weil ihm die Versetzungsanordnung oder die sofort vollziehbare Entlassungsverfügung nicht bekannt geworden ist. 174 Die Fehlvorstellung eines Amtsträgers über den Umfang seiner durch sein amtliches Handeln überschrittenen sachlichen Zuständigkeit führt zu einem Tatbestandsirrtum.175 Irrtumsfälle sind auch bei sog. beliehenen Unternehmern denkbar: Hat die Straßenbaubehörde an einer Baustelle nur eine halbseitige Straßensperre mit Einbahnregelung angeordnet, stellt der Bauunternehmer in Kenntnis dieser Anordnung aber zusätzlich Geschwindigkeitsbegrenzungsschilder auf, so verwirklicht er vorsätzlich die zweite Begehungsform. Geht der Bauunternehmer jedoch irrtümlich davon aus, der behördlich genehmigte Verkehrszeichenplan sehe auch die zusätzliche Geschwindigkeitsbeschränkung vor, so handelt er in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum. 176 Hält der Täter dagegen in Kenntnis der nicht gegebenen Amtsstellung bzw. einer feh- 3 9 lenden staatlichen Ermächtigung sein (hoheitliches) Handeln für erlaubt, so kommt lediglich ein Verbotsirrtum in Betracht, so etwa bei der irrigen Annahme einer Privatper-

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Hobmann MK Rdn. 22; Fischer Rdn. 15; Rudolphi/Stein SK Rdn. 12; aA Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 84 f, die das Merkmal unbefugt nur der ersten Alternative zuordnet und die entsprechende Eingrenzung der zweiten Alternative bereits dem Wörtchen „nur" entnehmen will. Hohmann MK Rdn. 2 4 ; Fischer Rdn. 16. Vgl. OLG Frankfurt NJW 1964 61, 63; Geppert Jura 1986 590, 5 9 2 ; Oetker NJW 1984 1603.

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BGHSt 4 0 8, 15. Vgl. RGSt 5 9 291, 2 9 7 ; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Hohmann MK Rdn. 2 5 ; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 80 II Rdn. 11; Oetker N J W 1984 1602, 1603; Warda Jura 1979 295. Warda Jura 1979 2 8 6 , 295. Vgl. Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 93. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 14.

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§ 132

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

son, bei der Festnahme eines auf frischer Tat betroffenen Täters sich als Verfolgungsbeamter ausgeben zu dürfen, 1 7 7 oder der irrigen Annahme des Bauunternehmers, ohne behördlichen Auftrag Verkehrsschilder aufstellen oder die behördlich angeordnete Beschilderung durch eine andere ersetzen zu dürfen. Wenn der Täter trotz zutreffender Erfassung des Unrechtsgehalts seines Verhaltens irrig davon ausgeht, seine Tat sei lediglich als Ordnungswidrigkeit zu qualifizieren, während sein Verhalten tatsächlich eine Straftat nach § 132 darstellt, kommt dagegen ein Verbotsirrtum nicht in Betracht. 1 7 8

VI. Rechtswidrigkeit 40

Das Merkmal „unbefugt" hat bei § 132 doppelfunktionalen Charakter. Es dient zur Begrenzung des Tatbestands (siehe oben Rdn. 25) und ist gleichzeitig als allgemeines Verbrechensmerkmal der Rechtswidrigkeit zu qualifizieren. 179 Allerdings dürften Rechtfertigungsgründe bei § 132 kaum praktisch werden. Die einem Privatmann z.B. gegenüber Straftätern zustehenden Rechte (§ 127 Abs. 1 StPO) sind gesetzlich abgegrenzt. Sie gestatten es nicht, sich bei ihrer Ausübung als Amtsträger auszugeben. Die Voraussetzungen für Maßnahmen zur Beschaffung von Beweismitteln wie Durchsuchung und Beschlagnahme sind in der StPO (§§ 94, 98, 102 ff) klar geregelt und staatlichen Organen vorbehalten. 1 8 0 Bestimmen aber speziellere Normen aufgrund gesetzlicher Bewertung vorausschaubarer Interessenkonflikte die Eingriffsbefugnisse nach Art und Umfang abschließend, so ist darüber hinaus ein Rückgriff auf § 34 in der Regel nicht statthaft und eine „Abwägung der widerstreitenden Interessen" ausgeschlossen. 181 Eine Hausdurchsuchung bei dem mutmaßlichen Dieb durch den als Kriminalbeamten auftretenden Eigentümer zwecks Auffindung des Diebesguts lässt sich nicht durch Notstandserwägungen rechtfertigen. 182

ΥΠ. Täterschaft und Teilnahme 41

Täter beider Alternativen kann grundsätzlich jeder unbefugt Handelnde sein. Auch der Amtsträger selbst kommt als Täter in Betracht (vgl. oben Rdn. 18 f), wenn er als Inhaber eines anderen als des von ihm bekleideten öffentlichen Amtes auftritt (1. Alt.) oder sich durch sein Handeln Befugnisse anmaßt, die mit dem ihm zustehenden Amt nicht verbunden sind (2. Alt.).

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Die beiden Tatbestandsalternativen enthalten keine eigenhändigen Delikte. 183 Ungeachtet der Ausformung als schlichtes Tätigkeitsdelikt besteht der Unrechtsgehalt beider Handlungsformen nicht in einem höchstpersönlichen sozialschädlichen Verhalten, er wird vielmehr entscheidend durch die mit der tatbestandlichen Handlung typischerweise

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Vgl. Krey BT 1 Rdn. 5 2 8 ; Herzberg JuS 1973 2 3 4 , 2 3 5 Fn. 6. OLG Celle N J W 1987 78, 79; s.a. Herzberg GA 1993 439, 4 5 4 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 12; aA AG Göttingen N J W 1983 1209, 1210 (Verbotsirrtum) m. krit. Bespr. Oetker N J W 1984 1603. Geppert Jura 1986 5 9 0 , 5 9 3 ; Sch/Schröder/ Lenckner vor § 13 Rdn. 65.

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Vgl. RGSt 5 9 2 9 6 . Vgl. Fischer § 34 Rdn. 2 4 ; Herzberg GA 1993 439, 451. 1 8 2 Vgl. Herzberg JuS 1973 2 3 4 , 235. 183 Yg] Dürjng Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 2 6 ; Hohmann MK Rdn. 26; Rudolphi SK 6 Rdn. 4; Ostendorf NK Rdn. 9; Fischer Rdn. 17. 180 181

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Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen

§ 132a

verknüpfte abstrakte Rechtsgutsgefährdung bestimmt. 184 Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft sind deshalb nach den allgemeinen Grundsätzen möglich. 185 V i n . Konkurrenzen Die beiden Begehungsalternativen des § 132 stehen in einem Spezialitätsverhältnis mit Vorrang der ersten Handlungsform (vgl. Rdn. 7). 1 8 6 Tateinheit kommt insbesondere in Betracht mit Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen (§ 132a), die der Täter zur Unterstreichung seiner angeblichen Legitimierung nutzt, 187 mit Freiheitsberaubung,188 Nötigung, 189 Diebstahl, 190 Betrug, 191 Erpressung, Untreue 192 und Urkundenfälschung.193 Ferner kommt Tateinheit mit §§ 331 ff in Betracht, wenn der Täter Amtsträger ist und sich mit der Ausübung eines (anderen) öffentlichen Amtes befasst. 194

43

I X . Prozessuales Die Verjährungsfrist beträgt gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 fünf Jahre.

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§ 132a Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen (1) Wer unbefugt 1. inländische oder ausländische Amts- oder Dienstbezeichnungen, akademische Grade, Titel oder öffentliche Würden führt, 2. die Berufsbezeichnung Arzt, Zahnarzt, Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Tierarzt, Apotheker, Rechtsanwalt, Patentanwalt, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer, Steuerberater oder Steuerbevollmächtigter führt, 3. die Bezeichnung öffentlich bestellter Sachverständiger führt oder 4. inländische oder ausländische Uniformen, Amtskleidungen oder Amtsabzeichen trägt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

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Rudolphi SK 6 Rdn. 4; aA RGSt 55 265, 2 6 6 f; 5 9 79, 81; OGHSt 1 3 0 3 3 0 4 bzgl. der ersten Alternative; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7 bzgl. der ersten Alternative, weil der Täter selbst als Amtsinhaber auftreten müsse. Vgl. LG Paderborn N J W 1989 178 f; AG Göttingen N J W 1983 1209, 1210; einschränkend bzgl. der 1. Alt. Rudolphi/Stein SK Rdn. 7. OLG Stuttgart StraFo 2 0 0 6 2 5 5 ; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Hohmann MK Rdn. 5; Fischer Rdn. 18; Geppert Jura 1986 5 9 0 , 5 9 3 ; Maurach/Schroeder/

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Maiwald BT 2 § 80 II Rdn. 5; Oetker N J W 1984 1602; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 13: eine einheitliche (einmalige) Tatbestandsverwirklichung. Hohmann MK Rdn. 2 7 ; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 16. RGSt 5 9 291, 2 9 8 . RGSt 56 156. RGSt 5 4 2 5 5 , 2 5 6 ; OGHSt 1 303. RG H R R 1941 Nr. 7 8 8 ; BGH GA 1964 151. RGSt 76 25. LG Paderborn N J W 1 9 8 9 178. RGSt 76 62.

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§ 132a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

(2) Den in Absatz 1 genannten Bezeichnungen, akademischen Graden, Titeln, Würden, Uniformen, Amtskleidungen oder Amtsabzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Amtsbezeichnungen, Titel, Würden, Amtskleidungen und Amtsabzeichen der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts. (4) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 1 Nr. 4, allein oder in Verbindung mit Absatz 2 oder 3, bezieht, können eingezogen werden.

Schrifttum Baldus Der Verzicht auf den akademischen Grad, Jura 1988 573; Bolewski Missbrauch und Schutz diplomatischer Titel, VR 2003 189; ders. Diplomatische Privilegien - Strafrechtlicher Schutz vor Missbrauch, Jura 2006 921; Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? Missbrauch von Zeichen nach § 132a StGB und §§ 124 ff OWiG: Zeichenunfug oder sanktionswürdiges Delikt (2004); Dau Uniformen, Rang- und Tätigkeitsabzeichen der Bundeswehr im Schutze des § 132a StGB, NZWehrr 1987 133; Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, Diss. Frankfurt 1990; dies. Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, ArchKrim 187 (1991) 129; Geppert Ausgewählte Delikte gegen die „öffentliche Ordnung", insbesondere Amtsanmaßung (§ 132 StGB) und Verwahrungsbruch (§ 133 StGB), Jura 1986 594; Hillmann Das Rechtsinstitut des Honorarprofessors - Zugleich ein Beitrag zur Typologie der Bezeichnung „Professor", VerwArch 1988 369; Kahle Der Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen - Rechtsgut, Schutzzweck und Anwendungsbereich des § 132a StGB, Diss. 1995; Kern Zum Weiterführen der Amtsbezeichnung Professor nach der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis, MedR 1988 242; Krause Führung von ausländischen Professorenbezeichnungen in der BRD (1996); Neugebauer Ein falscher Arzt, ArchKrim. 124 (1959) 145; Prieß Die Genehmigung zum Führen ausländischer akademischer und staatlicher Grade gemäß ξ 2 Abs. 1 GFaG, NVwZ 1991 111; Quarch Zur Verfassungsmäßigkeit des § 132a Abs. 3 StGB, ZevKR 1986 90; Thieme Der Verzicht auf den Doktorgrad, DÖV 1988 250; Thieme Deutsches Hochschulrecht 3. Aufl. (2004); Vahle Hoheitliche Auszeichnungen und Ehrungen in der Bundesrepublik Deutschland, DVP 2000 228; Ziekow Die Befugnis zur Führung der im Ausland erworbenen Bezeichnung „Professor" im Inland, NVwZ 1999 834; Zimmerling Akademische Grade und Titel (1995); ders. Der im In- oder Ausland ehrenhalber verliehene Doktorgrad („Dr. h.c."), WissR 1996 320.

Entstehungsgeschichte Die ursprünglich als Übertretung nach § 3 6 0 Nr. 8 StGB eingestufte Vorschrift ist durch das Gesetz zur Änderung des StGB vom 28. Juni 1935 (RGBl. I S. 8 3 9 ) in das StGB eingefügt worden. Art. 2 Nr. 2 0 des 3. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 4 . August 1953 (BGBl. I S. 7 3 5 ) hat den Strafschutz auf Amts- und Dienstbezeichnungen und öffentliche Würden ausgedehnt. Durch das E G O W i G vom 2 4 . M a i 1968 (BGBl. I S. 503) wurde § 132a Absatz 4 eingefügt. Durch Art. 19 Nr. 51 E G S t G B vom 2. März 1974 (BGBl. I 4 6 9 ) ist § 132a geändert und durch die Einbeziehung einiger bisher im Nebenstrafrecht geschützter Berufsbezeichnungen und der akademischen Grade erweitert worden. 1 Artikel 4 des Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, zur Änderung des 5. Buches SGB und anderer

1

Vgl. Göhler Das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch NJW 1994 825, 832.

584

Matthias Krauß

§ 132a

Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen

G e s e t z e v o m 1 6 . J u n i 1 9 9 8 ( B G B l . I S. 1 3 1 1 ) h a t die B e r u f s b e z e i c h n u n g e n d e s A b s a t z e s 1 Nr. 2 erweitert.

Gesetzesmaterialien E E G S t G B , B T D r u c k s . 7 / 5 5 0 , S. 2 2 1 f, 3 6 1 f, 3 6 6 , 3 6 8 , 3 7 7 , 4 0 2 , 4 0 6 , 4 1 6 ; Schriftl. B e r i c h t , B T D r u c k s . 7 / 1 2 6 1 , S. 1 1 f; P r o t . 7 / 2 3 5 .

Übersicht Rdn. I. Π. Π1. IV.

Rechtsgut Deliktsnatur Kriminalpolitische Bedeutung Handlungsobjekte 1. Inländische und ausländische Amtsund Dienstbezeichnungen, akademische Grade, Titel und öffentliche Würden (Abs. 1 Nr. 1)

7

a) Amtsbezeichnungen b) Dienstbezeichnungen c) Bezeichnungen im Hochschulbereich d) Akademische Grade e) Titel f) Öffentliche Würden 2. Berufsbezeichnungen {Abs. 1 Nr. 2) . . a) Einzelne Berufe aa) Arzt bb) Zahnarzt cc) Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Psychotherapeut dd) ee) ff) gg)

Rdn.

1 4 5 7

Tierarzt Apotheker Rechtsanwalt Patentanwalt

8 12 14 24 32 33 34 35 36 37

38 39 40 41 42

V.

VI. VII. VOL

hh) Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer ii) Steuerberater, Steuerbevollmächtigte b) Sonstige Berufe 3. Öffentlich bestellte Sachverständige (Abs. 1 Nr. 3) 4. In- und ausländische Uniformen, Amtskleidungen, Amtsabzeichen (Abs. 1 Nr. 4) a) Uniformen b) Amtskleidung c) Amtsabzeichen 5. Verwechslungsgeeignete Bezeichnungen (Abs. 2) 6. Erstreckung auf Kirchen und andere Religionsgemeinschaften (Abs. 3) . . . Tathandlungen 1. Führen 2. Tragen 3. Unbefugt Subjektiver Tatbestand Konkurrenzen Prozessuales 1. Verjährung 2 . Einziehung

43 44 45 48

49 50 51 52 53 56 58 59 63 65 68 71 73 73 74

I. Rechtsgut Die Vorschrift dient d e m Schutz der Allgemeinheit v o r d e m Auftreten v o n Personen, die

sich

durch

den

unbefugten

Gebrauch

falscher

Bezeichnungen

Erscheinungsbild den Schein besonderer Funktionen, Fähigkeiten und

oder

ein

Vertrauenswürdig-

keit g e b e n . 2 D a m i t soll z u r W a h r u n g d e r B e l a n g e d e r B e v ö l k e r u n g der G e f a h r

2

falsches entgegen-

Vgl. B G H S t 3 1 61, 6 2 ; 3 6 2 7 7 , 2 7 9 ; B G H

590, 594;

N S t Z 1 9 9 4 2 3 6 ; O L G Düsseldorf N J W 2 0 0 0

ben R d n . 3 ; Hohmantt

1052; BayObLG N S t Z - R R 1 9 9 7 135; N J W

SK R d n . 2 ; vgl. a u c h Bottke

1 9 7 9 2 3 5 9 ; O L G Oldenburg N J W 1 9 8 4

o d e r s t r a f b a r e r E r n s t ? S. 2 8 ff: a b s t r a k t e r

Scb/Schröder/Cramer/Sternberg-LieM K Rdn. 1;

Rudolpbi

Lästiger Scherz

2 2 3 1 , 2 2 3 2 ; O L G Dresden N J W 2 0 0 0 2 5 1 9 ,

S c h u t z s o w o h l des allgemeinen F u n g i e r v e r m ö -

2 5 2 0 ; O L G Köln N J W 2 0 0 0

g e n s des s i g n e n n ü t z i g e n S y s t e m s als a u c h des

1053,1054;

O L G Thüringen AnwBl 1 9 9 8 5 3 5 ; L G Saar-

Individualverwaltervermögens vor Leistungs-

b r ü c k e n N J W 1 9 9 6 2 6 6 5 ; Geppert

trug.

Jura 1 9 8 6

Matthias Krauß

585

1

§ 132a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

gewirkt werden, dass einzelne Bürger im Vertrauen auf eine vorgetäuschte gewichtige Stellung einer bestimmten Person bzw. bei Amtsbezeichnungen möglicherweise auch auf den vorgeblichen Status einer mit staatlicher Autorität versehenen Persönlichkeit für sich oder andere schädliche Handlungen vornehmen oder zulassen. 3 Es geht somit um die Bekämpfung von Verhaltensweisen, die vor allem im Vorfeld der Betrugskriminalität und Hochstapelei liegen, aber auch im Vorbereich anderer schadensträchtiger strafbarer Verhaltensweisen. 4 Dieser Schutz greift entsprechend dem gesetzgeberischen Grund auch dann ein, wenn der Täter Phantasietitel oder Bezeichnungen für sich in Anspruch nimmt, die bestehenden zum Verwechseln ähnlich sind. 5 Nicht geschützt ist der rein äußerliche Missbrauch, durch den sich der Täter einen falschen Schein gibt, ohne ein entsprechendes Vertrauen der Allgemeinheit zu beeinträchtigen. 6 Nicht geschützt werden auch die berechtigten Inhaber solcher Amtsbezeichnungen usw. wegen ihrer herausgehobenen Stellung, auch nicht die Behörden oder Dienststellen, die durch den Träger der Amtsoder Dienstbezeichnung repräsentiert werden oder die die Bezeichnung verliehen haben. Dies folgt daraus, dass § 132a auch ausländische Amtsbezeichnungen und Kleidungen erfasst und es allgemein anerkannten Regeln unseres StGB zuwiderläuft, ausländische staatliche Institutionen als solche zu schützen. 7 2

Soweit in Absatz 1 Nr. 2 Berufsbezeichnungen geschützt sind, ist als Schutzgut auch das Vertrauen in die wirkliche, mit der Berufsbezeichnung verknüpfte Funktion des Berufsträgers und mittelbar die auf dem Vertrauensbestand basierende Funktionsfähigkeit der jeweiligen Berufsgruppen anzusehen. 8 Die funktionsgerechte Ausübung der dort genannten Berufe setzt ein besonderes Vertrauensverhältnis des rat-, rechts- oder hilfesuchenden Bürgers zu den Trägern dieser für die Allgemeinheit wichtigen Berufsgruppen voraus, das in der Berufsbezeichnung den maßgeblichen Anknüpfungspunkt findet.

3

Weitergehend will Lüttger unter Hinweis auf den ausdrücklichen Auslandsbezug in Absatz 1 Nr. 1 und 4 auch das Interesse des ausländischen Staates an der Autorität seiner Titel usw. als geschützt ansehen. 9 Nach Kahle liegt der Schutzzweck der Norm im staatlichen oder institutionellen Monopol für bestimmte Bezeichnungen und Kennzeichen. 1 0

Π. Deliktsnatur 4

§ 132a ist ein schlichtes Tätigkeitsdelikt 11 und ein abstraktes Gefährdungsdelikt. 12 Ob der Betroffene die fehlende Befugnis des Täters erkennt oder das Vertrauen in die vom Täter angemaßte Funktion tatsächlich enttäuscht wird, spielt keine Rolle.

3 4 5

6 7

8

EEGStGB BTDrucks. 7/550, S. 361. Vgl. BGH NStZ 1987 174. BGH GA 1966 279; OLG Köln NJW 2000 1053; Hohmann MK Rdn. 1. Hohmann MK Rdn. 1. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Hohmann MK Rdn. 1. BayObLG NJW 1979 2359; Rudolphi SK Rdn. 2.

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9 10

11

12

Lüttger FS Jescheck, S. 121, 171 ff. Kahle Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, S. 65 ff, 83. Hohmann MK Rdn. 3; Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 127. OLG Thüringen AnwBl 1998 535; Hohmann MK Rdn. 3; Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 252; Geppert Jura 1986 590, 594; Meurer J R 1984 470, 472.

Matthias Krauß

Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen

§ 132a

ΠΙ. Kriminalpolitische Bedeutung Die Rechtspflegestatistik weist folgende Verurteiltenzahlen aus: 1 3

1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

5

Verurteilte 125 133 117 129 125 137 142 139 126 150

Der Aussagewert statistischer Erhebungen dürfte im Hinblick auf die enge Verflechtung des § 132a mit anderer Kriminalität, 14 die statistische Erfassung nur des schwersten rechtlichen Gesichtspunkts und die Dunkelziffer im Umfeld betrügerischer Machenschaften als begrenzt einzuschätzen sein.

6

IV. Handlungsobjekte 1. Inländische und ausländische Amts- und Dienstbezeichnungen, akademische Grade, Titel und öffentliche Würden (Abs. 1 Nr. 1). Zur inhaltlichen Bestimmung der in Absatz 1 Nr. 1 aufgeführten Handlungsobjekte sind außerstrafrechtliche Regelungen heranzuziehen, es handelt sich insoweit um sog. Verweisungsbegriffe. 15

7

a) Amtsbezeichnungen. Amtsbezeichnungen werden nach öffentlichem Dienstrecht von Beamten und Richtern geführt, denen ein in der Besoldungsordnung oder im Stellenplan aufgeführtes Amt übertragen ist. Es handelt sich somit um förmliche Bezeichnungen, die mit einem staatlichen oder kommunalen Amt verbunden und in der Regel gesetzlich oder durch einen gesetzlich vorgesehenen Hoheitsakt (vgl. § 81 BBG; § 104 Abs. 2 LBG BaWü) festgelegt sind. 16 Die Amtsbezeichnungen kennzeichnen Stellung, Verantwortung, Befähigung wie auch teilweise Zuständigkeit des Amtsträgers, verdeutlichen die Bedeutung des Amtes in Abgrenzung von anderen Ämtern und tragen im Interesse der Öffentlichkeit zur Durchschaubarkeit des Verwaltungsbereichs, der Kompetenz und der Qualifikation des dem Bürger gegenübertretenden Amtsinhabers bei. 17 Das

8

13

14

15

Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3; weitere statistische Angaben bei Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 2 8 3 ff. Anschauungsmaterial bei Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 169 ff. Vgl. RGSt 10 199, 2 0 0 ; Geppert Jura 1986 590, 594; Herzberg JuS 1 9 8 0 469, 4 7 3 .

16

17

Vgl. BGHSt 2 6 2 6 7 ; Fischer Rdn. 5; Hohmann MK Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 3; Kahle Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, S. 157. Vgl. BVerfG NJW 1984 912 f; Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 5 2 f.

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§ 132a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Recht zum Führen einer Amtsbezeichnung wird grundsätzlich durch die Ernennung begründet; es bestimmt sich nach den entsprechenden Vorschriften des Bundes-, Landesund Gemeinderechts, bei ausländischen Amtsbezeichnungen nach den einschlägigen ausländischen Vorschriften. Es handelt sich insoweit um einen klar umrissenen Begriff des Beamtenrechts, der in § 132a gleichbedeutend verwendet wird, z.B. Richter am Landgericht, Vorsitzender Richter (§ 19a DRiG), Notar (§ 1 BNotO), Oberbürgermeister (vgl. etwa § 4 2 Abs. 4 GemO BaWü), Landrat, Kreisoberamtmann, Polizeiobermeister,18 Kriminalhauptkommissar, 19 Oberforstrat, Studienrat, Medizinaldirektor, 20 Pastor, 21 Botschafter, Botschaftsrat, Gesandter oder Attache. 22 Im Hochschulbereich kommen auf der Grundlage des § 32 BBesG nebst Anlage II (Besoldungsgruppe W) als Amtsbezeichnung vor allem Universitätsprofessor, Professor an einer wissenschaftlichen Hochschule, Professor an einer Kunsthochschule, Professor an einer Pädagogischen Hochschule, Professor an einer Fachhoche, Juniorprofessor, akademischer Rat, akademischer Oberrat und akademischer Direktor in Betracht. Den Amtsbezeichnungen ist bei Soldaten der Dienstgrad gleichgestellt (§ 16 BBesG). 9

Nicht erfasst werden bloße Funktionsbezeichnungen, die lediglich die von dem Beamten ausgeübten Funktionen kennzeichnen, 23 z.B. Abteilungsleiter, Dezernent, Gemeindefachbeamter, Leiter des Rechnungsprüfungsamtes, Fachbeamter für das Finanzwesen (§§ 58, 110, 116 GemO BaWü) oder „Städtischer Amtsleiter." 24 Nicht geschützt ist auch der Gebrauch bloß allgemeiner Bezeichnungen als Angehöriger einer größeren Gruppe von Amtsträgern wie etwa Polizeibeamter oder Kriminalbeamter. 25

10

Nach Eintritt in den Ruhestand darf die letzte Amtsbezeichnung mit dem Zusatz „außer Dienst" („a.D.") weitergeführt werden (vgl. § 81 Abs. 3 BBG). 2 6 Im Falle einer Entlassung erlischt das Recht des Beamten zum Führen der Amtsbezeichnung; die Weiterführung mit dem Zusatz „a.D." ist jedoch zulässig, wenn eine entsprechende Erlaubnis der obersten Dienstbehörde vorliegt (§ 81 Abs. 4 BBG). Bei Beendigung des Beamtenverhältnisses auf Grund disziplinarrechtlicher Entfernung aus dem Dienst oder wegen strafgerichtlicher Verurteilung ist eine Weiterführung der Amtsbezeichnung ausgeschlossen (§ 4 9 Satz 2 BBG). Für die Amtsbezeichnungen der Richter gilt Entsprechendes (§ 46 DRiG i.V.m. § 81 Abs. 3 BBG für Richter im Bundesdienst). Im Falle einer Ausschließung aus der Anwaltschaft (§ 13 BRAO) soll der Betroffene auch seine frühere richterliche Amtsbezeichnung mit dem Zusatz „a.D." nicht wieder aufnehmen dürfen. 27

11

Das Führen einer ausländischen Amtsbezeichnung im Inland bedarf grundsätzlich keiner Genehmigung, vielmehr verweist § 132a bezüglich des Rechts zur Führung auf das einschlägige ausländische Recht (zur ausländischen Professorenbezeichnung s. Rdn. 21 ff). Die Verweisung steht jedoch unter dem Vorbehalt des ordre public, nach dem die Anwendung ausländischen Rechts nicht statthaft ist, wenn sie mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar ist. 28

18 19 20 21 22 23 24

25

BGHSt 2 6 267, 2 6 8 . BGH 2 StR 52/85 v. 21.2.1985. Vgl. BVerwG N J W 1991 2 9 8 0 . OLG Düsseldorf N J W 1984 2959. Bolewski Jura 2 0 0 6 921, 923. Hohmann MK Rdn. 8; Fischer Rdn. 5. OLG Dresden N J W 2 0 0 0 2519, 2 5 2 0 ; Bolewski Jura 2 0 0 6 921, 923. BGHSt 2 6 267, 2 6 9 ; Fischer Rdn. 5;

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28

Hohmann MK Rdn. 25; Geppert Jura 1986 590, 5 9 4 ; Blei JA 1976 4 5 6 ; Kahle GA 1993 191, 192; aA Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 98. Vgl. Arndt DRiZ 1976 42. Vgl. OLG Celle J W 1937 185; KG DStR 1938 395; aA OLG Köln HRR 1932 Nr. 76 Vgl. Bolewski Jura 2 0 0 6 921, 9 2 4 zum Ausstellen eines Diplomatenpasses zum Schein.

Matthias Krauß

Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen

§ 132a

b) Dienstbezeichnungen. Dienstbezeichnungen sind die sich aus entsprechenden gesetzlichen Vorschriften ergebenden Bezeichnungen für eine berufliche oder dienstliche Tätigkeit, die - ohne unmittelbar mit der Übertragung eines staatlichen Amtes verbunden zu sein - öffentlich-rechtliche Befugnisse umfasst und daher nur auf Grund öffentlich-rechtlicher Zulassung ausgeübt werden darf. 2 9 Als Beispiele für derartige Dienstbezeichnungen kommen in Betracht: Fleischbeschauer (§§ 4, 5 FIHG), Fleischkontrolleur (§ 9 Abs. 3 TierSG), vereidigter Landmesser, 30 vereidigter und öffentlich bestellter Versteigerer, 31 Bezeichnungen im Hochschulbereich wie Privatdozent (§ 4 4 Abs. 2 L H G BaWü), 3 2 Referendar.

12

Beamte auf Probe führen nach § 9 Abs. 1 BLVO bis zur Anstellung keine Amtsbezeichnung, da ihnen kein Amt verliehen ist, sondern als Dienstbezeichnung die Amtsbezeichnung des Eingangsamtes ihrer Laufbahn mit dem Zusatz „zur Anstellung" („z.A") oder in den Laufbahnen des höheren Dienstes auch die Dienstbezeichnung „Assessor" mit einem die Fachrichtung oder die Laufbahn bezeichnenden Zusatz (§ 5 Abs. 2 LVO BaWü). Die bloße Bezeichnung „Assessor" ohne einen solchen die spezifische Fachrichtung bezeichnenden Zusatz ist weder den Amts- und Dienstbezeichnungen noch den Titeln zuzuordnen. Es handelt sich insoweit um eine berufliche Qualifikationsbezeichnung, die durch Absatz 1 Nr. 1 nicht erfasst wird. Gleiches gilt für die allgemeine Bezeichnung „Rechtsassessor". Mit der Entlassung aus dem Probebeamtenverhältnis entfällt auch die Befugnis zur Führung der Dienstbezeichnung. 33 Diese Wirkung tritt bereits dann ein, wenn die Entlassungsverfügung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt wird. 3 4 Nicht unter die Dienstbezeichnungen fallen - entgegen früherer Handhabung 3 5 - die Berufsbezeichnungen Rechtsanwalt und Patentanwalt. Sie werden als besonders schutzwürdige Berufsbezeichnungen von Absatz 1 Nr. 2 erfasst. 3 6

13

c) Bezeichnungen im Hochschulbereich. Die Hochschulen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und zugleich staatliche Einrichtungen (vgl. § 58 Abs. 1 HRG). Die Professoren stehen danach in einem doppelten Rechtsverhältnis, einerseits in einem mitgliedschaftlichen, korporationsrechtlichen und andererseits in einem dienstrechtlichen Verhältnis. 37 Keine Kategorie des wissenschaftlichen Hochschulpersonals ist auf einen einzigen dienstrechtlichen Status festgelegt; alle sind vielmehr für eine beamtenrechtliche oder arbeitsvertragsrechtliche Gestaltung offen. 3 8

14

Gem. § 4 6 HRG sind Professoren grundsätzlich Beamte (vgl. auch Art. 8 BayHSchPG; § 49 LHG BaWü); sie können jedoch auch in einem Angestelltenverhältnis beschäftigt werden. 39 Die Professoren im Beamtenverhältnis führen die Bezeichnung „Professor" als Amtsbezeichnung (vgl. Art. 79 BayHSG). Die in einem Angestelltenverhältnis be-

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30 31 32 33

34

Hohmann MK Rdn. 9; Fischer Rdn. 6; enger Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 99 f. OLG Kiel J W 1926 2 6 4 8 . § 34b Abs. 5 GewO. KG GA Bd. 4 8 S. 314. Vgl. BGHSt 3 6 277, 2 7 9 ; zum Verhältnis verwaltungsbehördlicher Verfügungen zu den daran anknüpfenden Straftatbeständen vgl. Kühl FS Lackner, S. 825 ff. Vgl. z.B. BGHSt 2 3 86, 91 zur Verbindlichkeit verwaltungsgerichtlicher Anordnungen

35 36

37

38 39

ab dem Zeitpunkt ihrer Vollziehbarkeit im Rahmen strafrechtlicher Bewertung; BGHSt 3 6 277, 2 7 9 ; Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 19. BGH AnwBl 1964 52. EEGStGB Begr. S. 2 2 2 ; Hohmann MK Rdn. 9. Tkieme Deutsches Hochschulrecht, Rdn. 473, 695, 730. Hailbronner/Walter HRG § 4 2 Rdn. 2 0 ff. Thieme Deutsches Hochschulrecht, Rdn. 698.

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§ 132a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

schäftigten Hochschullehrer führen die Bezeichnung „Professor" als Dienstbezeichnung. 4 0 Ein Probebeamtenverhältnis für Professoren sehen u.a. § 50 Abs. 1 LHG BaWü, Art. 8 BayHSchPG vor (vgl. auch § 4 6 HRG 2. Halbsatz u. § 3 Abs. 1 BRRG). 4 1 Insoweit wird - wie bei Beamten auf Probe auch sonst - die Bezeichnung „Professor" als Dienstbezeichnung geführt. 42 16

Die Bezeichnung „Professor" ist für die Hochschullehrer neben ihrer Amtsbezeichnung zugleich eine grundsätzlich für das ganze Leben unverlierbare persönliche akademische Würde (S 4 9 Abs. 5 LHG BaWü; Art. 12 Abs. 1 BayHSchPG). 4 3 Nach dem Ausscheiden aus dem Hochschuldienst wegen Eintritts in den Ruhestand oder aus anderen Gründen, z.B. wegen Übernahme einer freiberuflichen Tätigkeit oder einer Chefarztstellung in einem Krankenhaus, ist daher die Weiterführung der Professorenbezeichnung ohne den Zusatz „außer Dienst" („a.D.") zulässig. Teilweise verlangen die landesgesetzlichen Regelungen aber, dass der Hochschullehrer eine Mindestzahl an Jahren an der Hochschule tätig war (§ 4 9 Abs. 5 LHG BaWü) oder beim Ausscheiden aus sonstigen Gründen die Hochschulleitung zustimmt (Art. 12 BayHSchPG). 4 4 Nach dem Eintritt in den Ruhestand braucht der Zusatz „a.D." nicht geführt zu werden. 45

17

Zu Beamten auf Zeit werden grundsätzlich auch die Juniorprofessoren ernannt. Zum Teil sehen die Landeshochschulgesetze vor, dass mit der Berufung in das Beamtenverhältnis das Recht verbunden ist, die Bezeichnung „Professor" als akademische Würde zu führen (vgl. Art. 15 Abs. 2 BayHSchPG). Im Übrigen führen Juniorprofessoren im Beamtenverhältnis die Bezeichnung „Juniorprofessor" (§ 51 Abs. 8 LHG BaWü).

18

Die Bezeichnung „Honorarprofessor" wird als titelgleiche akademische Würde durch den zuständigen Landesminister oder die Hochschule an geeignete Persönlichkeiten zur Mitwirkung an den Aufgaben der Hochschule verliehen (§ 55 Abs. 1 LHG BaWü; Art. 2 5 BayHSG), vor allem an wissenschaftlich ausgewiesene Praktiker mit langjähriger Lehrbeauftragtentätigkeit, aber auch an hauptamtliche Professoren hinsichtlich ihrer nebenamtlichen Tätigkeit an einer anderen Hochschule oder an leitende Wissenschaftler renommierter Facheinrichtungen (z.B. Max-Planck-Gesellschaft) hinsichtlich ihrer Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Hochschulen. 46 In den neuen Landeshochschulgesetzen ist die Rechtsfigur des Honorarprofessors auf der Grundlage einiger allgemein anerkannter Regeln im Wesentlichen übereinstimmend kodifiziert worden. Sie führen im akademischen oder außerakademischen Bereich regelmäßig die Bezeichnung „Professor" (vgl. Art. 2 6 Abs. 1 BayHSchPG, anders § 55 Abs. 1 L H G BaWü: „Honorarprofessor"). Die Bezeichnung „Honorarprofessor" wird z.T. als akademischer Grad, 4 7 z.T. als Dienstbezeichnung qualifiziert. 48 Gegen die Einordnung als akademischer Grad spricht, dass diese Bezeichnung meist nicht von der Hochschule, sondern vom Staat verliehen

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Vgl. § 4 9 Abs. 2 LHG BaWü; Art. 12 Abs. 2 BayHSchPG. Vgl. BGHSt 36 277, 2 7 8 ; Thieme Deutsches Hochschulrecht, Rdn. 6 9 6 ; Hailbronner/Walter HRG § 4 6 Rdn. 10. Vgl. Kern MedR 1988 2 4 2 . Vgl. Thieme Deutsches Hochschulrecht, Rdn. 7 3 3 ; Zimmerling Akademische Grade & Titel, Rdn. 3 0 6 . Vgl. auch Hillmann VerwArch. 1988 369, 374 f; Kern MedR 1988 2 4 2 ; Zimmerling Akademische Grade & Titel, Rdn. 3 0 7 ff.

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Vgl. Zimmerling Akademische Grade & Titel, Rdn. 307. Hillmann VerwArch 1988 369, 379; Thieme Deutsches Hochschulrecht, Rdn. 782. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 4 ; Ostendorf NK Rdn. 9; Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 55. BayObLG N J W 1978 2 3 4 8 , 2 3 4 9 ; v. Bubnoff LK 1 1 Rdn. 5c.

Matthias Krauß

Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen

§ 132a

wird. 49 Da mit der Bestellung zum Honorarprofessor weder ein arbeits- oder dienstvertragliches noch ein Beamtenverhältnis im eigentlichen Sinne verbunden ist (vgl. z.B. Art. 2 6 Abs. 1 Satz 2 BayHSchPG, § 55 Abs. 1 S. 5 LHG BaWü), sondern der Honorarprofessor hinsichtlich seiner hochschulbezogenen Tätigkeit zur Hochschule in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis eigener Art steht, durch das ihm öffentlich-rechtliche Befugnisse (unabhängige, selbstständige Lehr- u. Prüfungsbefugnis) zuerkannt werden, stellt die Bezeichnung auch keine Amts- oder Dienstbezeichnung dar. 50 Vielmehr handelt es sich um eine titelgleiche akademische Würde. 51 Als Amtsbezeichnungen für die sonstigen akademischen Mitarbeiter, denen weisungsgebunden im Rahmen der Aufgabenerfüllung der Hochschule wissenschaftliche Dienstleistungen obliegen, kommen in Betracht Universitätsdozent (§ 51a Abs. 4 LHG BaWü), Oberassistent, Oberingenieur, wissenschaftlicher Assistent (Art. 35 BayHSchPG, § 8 des 2. HRÄG BaWü v. 1.1.2005), Akademischer Rat, Akademischer Oberrat, Akademischer Direktor (vgl. § 52 LHG BaWü, Art. 19 f BayHSchPG, § 2 0 BBesG u. Anl. I BesO A).

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Bei der Bezeichnung „Ordinarius" (Art. 12 Abs. 3 BayHSchPG, § 67 Abs. 6 UG BaWü i.V.m. § 15 Abs. 3 2. HRÄG BaWü v. 1.1.2005) und „Extra-Ordinarius" (Art. 12 Abs. 3, 37 BayHSchPG) handelt es sich um keine beamtenrechtlichen Bezeichnungen, sondern um reine Ehrentitel besonderer Art, die allerdings in ihren Voraussetzungen an eine bestimmte beamtenrechtliche Stellung anknüpfen. 52 Die Bezeichnung ist den Titeln i.S. des § 132a Abs. 1 Nr. 1 zuzuordnen. Mit der Erteilung der Lehrbefugnis an Habilitierte ist das Recht verbunden, die akademische Bezeichnung „Privatdozent" zu führen. 53 Die Verleihung der Lehrbefugnis begründet kein Beamten- oder Arbeitsverhältnis, sondern ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis eigener Art. 5 4 Die Bezeichnung „Privatdozent" ist daher in ihren bestimmenden Merkmalen den Dienstbezeichnungen i.S. der Nummer 1 zuzurechnen.

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Zur ausländischen Professorenbezeichnung ergibt sich folgende Rechtslage: 55 Die Anmaßung einer ausländischen Amtsbezeichnung eines Professors, die dem Betreffenden nicht verliehen worden ist, ist nach § 132a Abs. 1 strafbar. In der Mehrzahl der Fälle geht es jedoch um die Frage, ob die von einer zuständigen ausländischen Stelle tatsäch-

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lich verliehene Professorenbezeichnung befugt in der Bundesrepublik Deutschland geführt wird. Die älteren Landeshochschulgesetze verlangten für das Führen einer von einer ausländischen Stelle als Amts- bzw. Dienstbezeichnung vergebenen Professorenbezeichnung in der durch Verleihungsakt zuerkannten ausländischen Originalfassung meist eine ministerielle Genehmigung. 56 Bei fehlender Genehmigung war die Titelführung unbefugt i.S. des § 132a. Nach den neuen Hochschulgesetzen dürfen ausländische Hoch-

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Zimmerling Akademische Grade 8i Titel, Rdn. 310; i.E BayObLG NJW 1978 2 3 4 8 ; LG Saarbrücken NJW 1976 1160. Vgl. Hillmann VerwArch 1988 369, 398, 400; Zimmerling Akademische Grade &c Titel, Rdn. 311. Fischer Rdn. 7; Thieme Deutsches Hochschulrecht, Rdn. 783; so auch Art. 2 6 Abs. 1 BayHSchPG. Thieme Deutsches Hochschulrecht, Rdn. 475; vgl. auch Hillmann VerwArch 1988 369, 399. Art. 65 Abs. 10 BayHSchPG, § 3 9 Abs. 3 LHG BaWü.

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Thieme Deutsches Hochschulrecht, Rdn. 512 f. Zu der ausländischen Professorenbezeichnung vgl. im Übrigen Hillmann VerwArch 1988 369, 387 f, Thieme Deutsches Hochschulrecht, Rdn. 7 2 8 f; Zimmerling Akademische Grade &C Titel, Rdn. 178 ff, 314 ff; vgl. auch BVerwG N V w Z 1988 366; BayObLG ArztR 1987 130. Vgl. § 55b Abs. 2 UG BaWü; Art. 88 Abs. 1 S. 3 BayHSchG, § 2 9 Abs. 3 NdsHSchG; § 141 Abs. 1, 3 UGNRW; vgl. hierzu VGH Mannheim N V w Z 1 9 9 9 314 ff.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

schultitel und Hochschultätigkeitsbezeichnungen genehmigungsfrei geführt werden, falls sie in der Form geführt werden, in der sie verliehen wurden (vgl. Art. 68 Abs. 3 BayHSchG, § 37 Abs. 3 LHG BaWü). Dabei kann die verliehene Form gegebenenfalls in lateinische Schrift übertragen und die im Herkunftsland zugelassene oder nachweislich allgemein übliche Abkürzung geführt sowie eine wörtliche Übersetzung in Klammern hinzugefügt werden. 22

Das Führen der von einer ausländischen Universität verliehenen Amts- oder Dienstbezeichnung ausschließlich in der deutschsprachigen Form anstelle der ausländischen Originalbezeichnung bedarf danach der Prüfung und Genehmigung des für das Hochschulwesen zuständigen Ministeriums. In den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen ist die Verwendung der deutschen Bezeichnung „Professor" anstelle der ausländischen Originalbezeichnung aus Gründen mangelnder Gleichwertigkeit in zahlreichen Fällen für unzulässig erklärt worden, 5 7 so etwa das Führen der Bezeichnung „Professor" bzw. der Abkürzung „Prof." - letztere nach Absatz 2 im Hinblick auf die Verwechslungsfähigkeit mit der deutschen Amts- bzw. Dienstbezeichnung „Professor" - aufgrund einer in der Republik Irland ausgeübten Gastprofessur (Guest Professor of Experimental Surgery), 58 das Führen eines von einem privatrechtlich organisierten College of Medicine erworbenen philippinischen Titels „Professor of Medicine" 5 9 oder das Führen eines von einer Privatuniversität nach Scheinabsprache über die der Ernennung zugrundeliegenden Dienstpflichten verliehenen guatemaltekischen „Profesor Extraordinario". 6 0 Das Führen derart ins Deutsche übertragener ausländischer Bezeichnungen, sei es vollständig oder in Abkürzung, ist geeignet, über die berufliche Qualifikation der nach deutschem Hochschulrecht bestehenden fachlichen Anforderungen zu täuschen.

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Der von einer ausländischen Hochschule ohne Bezug zur Tätigkeit an einer wissenschaftlichen Hochschule verliehene Ehrentitel „Professor" ist kein ausländischer akademischer Grad i.S. der Landeshochschulgesetze. 61 Die Führung eines im Ausland als Ehrentitel erworbenen Professorentitels durch Deutsche bedarf der Genehmigung nach § 5 OrdensG; die Titelführung ohne eine solche Genehmigung ist nach § 132a Abs. 1 Nr. 1 strafbar. 6 2 Etwas anderes gilt, falls es sich um einen ausländischen Ehrengrad handelt, der von einer nach dem Recht des Herkunftslandes zur Verleihung berechtigten Hochschule verliehen wurde; dieser kann nach landesrechtlichen Regelungen nach Maßgabe der für die Verleihung geltenden Rechtsvorschriften in der verliehenen Form unter Angabe der verleihenden Stelle geführt werden (vgl. § 37 Abs. 2 LHG BaWü, Art. 68 Abs. 2 BayHSG).

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Vgl. BVerwG N V w Z 1988 366 (Führung der Bezeichnung „Professor" durch einen Arzt, dem eine Universität in Guatemala die Bezeichnung „Profesor Extraordinario da Ginecologia verliehen hatte); MedR 1988 264; BGH N J W 1987 2 9 3 0 ; N J W 1989 1545 (Profesor Extraordinario de Cirurgia Plastica); OLG Stuttgart MedR 1986 4 3 (zu § 3 U W G wegen der Bezeichnung „Professor" oder „Prof." durch den Geschäftsführer einer Firma, der approbierter Arzt war und von der ausländischen Universität in Südamerika zum „Professor Visitante" des Instituts für Informatik und Computerwissenschaften und später zum „professor extra

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ordinario" ernannt wurde); BayObLGSt 1993 97 (Verleihung der Professorenbezeichnung von der University of the east Manila nach vierstündigem Vortrag und einer Geldspende); Kahle Der Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, S. 171, 186; vgl. auch ArztR 2 0 0 3 , 21; 2 0 0 6 73. BayObLG NJW 1978 2 3 4 8 . AG Ulm MedR 1985 190. BVerwG N V w Z 1988 366. Vgl. LG Saarbrücken NJW 1976 1160. Vgl. LG Saarbrücken NJW 1976 1160; AG Ulm MedR 1985 190; BVerwG MedR 1988 2 6 4 , 265.

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Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen

§ 132a

d) Akademische Grade. Akademische Grade sind Graduierungsbezeichnungen oder Ehrungen, die nach Maßgabe der autonom erlassenen Prüfungs- oder Promotionsordnungen nach Abschluss eines ordnungsgemäßen Studiums oder nach Erbringung einer besonderen wissenschaftlichen Leistung verliehen werden. 6 3 Akademische Grade sind keine Berufsbezeichnungen 6 4 und können begrifflich nur von Universitäten, wissenschaftlichen Hochschulen und Fachhochschulen, denen ein Graduierungsrecht gesetzlich zuerkannt ist, verliehen werden. Grundsätzlich ist das Recht der akademischen Grade Landesrecht und in den Landeshochschulgesetzen geregelt. 6 5 Erfasst werden insbesondere die Grade Bachelor oder Bakkalaureus, Master und Magister (§ 35 Abs. 1 L H G BaWü; Art. 6 6 Abs. 1 BayHSchG) sowie der Diplomgrad wie Diplomvolkswirt, 6 6 Diplomkaufmann, 6 7 Diplomingenieur, Diplomdolmetscher, 6 8 Diplompädagoge, Diplomarchivar, Diplomrechtspfleger. Fachhochschulen verleihen den Diplomgrad mit dem Zusatz „Fachhochschule" ( „ F H " ) . 6 9 Die Weglassung des Klammerzusatzes „ F H " (Fachhochschule) ist - ungeachtet der Vorschrift des § 18 Abs. 1 Satz 2 H R G - aus tatbestandlicher Sicht wegen auszuschließender Irreführung jedenfalls dann bedeutungslos, wenn nur bestimmte Fachhochschulen (z.B. für Rechtspflege) diesen Grad verleihen. 7 0 Soweit es sich dagegen um sonstige Diplome, insbesondere staatlich verliehene Qualifikationen handelt, sind sie - ungeachtet der oft unbedeutenden Unterschiede in den Verleihungsvoraussetzungen 7 1 - als bloße berufliche Qualifikationsbezeichnungen nicht in den Strafschutz einbezogen. Die Bezeichnung „Diplombibliothekar" wird mehrdeutig verwendet; sie kann akademischer G r a d 7 2 oder bloße Berufsbezeichnung sein. 7 3 Das unbefugte Führen dieser Bezeichnung dürfte jedenfalls über Absatz 2 erfasst sein. 7 4

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Ein akademischer Grad ist auch der Doktorgrad (Art. 6 6 BayHSchG, § 38 L H G BaWü) sowohl in allgemeiner Form als auch unter Angabe der Fakultät, 7 5 der Ehrendoktor („Dr. h . c . " , „Dr. e . h . " ) 7 6 sowie der „Dr. h a b i l . " 7 7

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Da gem. § 76 Abs. 2 L H G BaWü das an einer Berufsakademie abgeschlossene Studium dem Studium an einer Fachhochschule des Landes Baden-Württemberg gleichgestellt ist, unterfallen auch die von der Berufsakademie verliehenen Diplome dem Schutz-

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Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Hobmann MK Rdn. 10; Fischer Rdn. 8; Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 54 f; vgl. auch Vahle DVP 2000 228 ff. BGH NJW 1963 581, 582. Thieme Deutsches Hochschulrecht, Rdn. 409 ff; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Verleihung akad. Grade durch die Fachhochschulen vgl. BVerfG NJW 1981 911. BGH NJW 1955 839. OVG Berlin NJW 1967 1053. Vgl. BGHSt 26 131, 135. § 18 Abs. 2 S. 2 HRG. Vgl. StA Ulm Rpfleger 1990 108 m. Anm. Reiß. Vgl. v. Hippel GA 1970 18, 21. § 40 FHG BaWü i.V. m. § 1 Abs. 1 DiplVOFH BaWü a.F.

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Lansky/Seidenschnur Z. f. Bibliothekswesen 1977 224 ff. AA Kahle Der Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, S. 210. BGH NStZ 1987 174; BVerwG NJW 1984 1317; für den Gebrauch der Abkürzung „Dr." ohne Bezeichnung der Fakultät oder Fachrichtung AG Ulm MedR 1985 189, 190; OLG Breslau GA Bd. 42 S. 422. Fischer Rdn. 8; Hohmann MK Rdn. 10; Rudolphi SK Rdn. 4; Thieme Deutsches Hochschulrecht, Rdn. 423; Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 55; aA Zimmerling Akademische Grade & Titel, Rdn. 61; ders. WissR 1996 344: Würde. Kahle Der Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, S. 205.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

bereich des § 132a. Die Diplome müssen mit dem Zusatz „Berufsakademie (BA)" und Angabe des Studienganges geführt werden (§ 91 Abs. 6 LHG BaWü). Der von einer deutschen staatlichen Hochschule verliehene akademische Grad darf im gesamten Bundesgebiet ohne besondere Genehmigung geführt werden. Die Weiterführung eines akademischen Grades ist dagegen unbefugt nach bestandskräftiger Entziehung (vgl. § 35 Abs. 7 LHG BaWü), 78 mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Widerrufsverfügung oder nach rechtswirksamem Verzicht auf den akademischen Grad. 7 9

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Die unberechtigte Anmaßung ausländischer akademischer Grade wird von § 132a Abs. 1 Nr. 1 ebenfalls erfasst. Die Führung ausländischer Doktortitel bedurfte nach früherer Rechtslage gemäß §§ 2, 3 GFaG oder gemäß den die Regelungen des GFaG ersetzenden Vorschriften der Landeshochschulgesetze (z.B. § 55 UG BaWü, § 88 BayHSchG) behördlicher Genehmigung (Nostrifikation). 80 Diese regelten das Verfahren der Zustimmung, die näheren Gründe einer Versagung sowie die Form der Führung des Grades mit oder ohne Herkunftsangabe und der entsprechenden deutschen Form. Die von einem Bundesland erteilte Genehmigung, die für bestimmte ausländische Hochschulen bestimmter Länder auch allgemein erteilt werden konnte, 8 1 war in allen anderen Bundesländern wirksam. 8 2 Das Genehmigungserfordernis bezweckte den Schutz der Allgemeinheit vor dem Auftreten von Personen, die sich durch unbefugten Gebrauch falscher Bezeichnungen den Schein besonderer Funktionen geben, sowie den Schutz der inländischen akademischen Grade vor Entwertung durch unkontrollierte Führung ausländischer Grade. 8 3 Tatbestandserheblich i.S. des § 132a war das Führen des akademischen Grades ohne ministerielle Genehmigung oder in nicht genehmigter Form, z.B. ohne dem „Dr."Titel den Zusatz „(USA)" beizufügen. 84 Strafbar war auch, wenn die Führung des akademischen Grades im Inland mit erschlichener behördlicher Genehmigung erfolgte. 85 Die Genehmigung zur Führung des Grades knüpfte an die Verleihung im Ausland an, konnte diese aber nicht ersetzen. 86

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Die nunmehr einschlägigen Hochschulgesetze haben auf die Nostrifikation weitgehend verzichtet (vgl. Art. 68 Abs. 1 BayHSchG, § 37 LHG BaWü). Danach kann der ausländische akademische Grad, der von einer nach dem Recht des Herkunftslandes anerkannten Hochschule oder anderen Stelle, die zur Verleihung dieses Grades berechtigt ist, auf Grund eines tatsächlich absolvierten und ordnungsgemäß durch Prüfung abgeschlossenen Studiums verliehen worden ist, in der Form, in der er verliehen wurde, unter

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Vgl. BVerwG NJW 1988 2911; Thieme Deutsches Hochschulrecht, Rdn. 441 ff. Vgl. hierzu Baldus Jura 1988 573, 577; einschr. Thieme DÖV 1988 250, 254. Vgl. BVerwG NJW 1972 917; 1991 3108; BGH NJS 1994 808; KG NJW 1971 1530; BayObLG NJW 1972 1337; OLG Düsseldorf NJW 2000 105 f; BayLandesberufsG NStZRR 2002 185; w. Rspr. Nachw. bei Prieß NVwZ 1991 111 Fn. 8; Zimmerling Akademische Grade Sc Titel, Rdn. 100 ff; zu den landesrechtlichen Regelungen vgl. Erbs/Kohlhaas/Senge A 111 vor § 1 Rdn. 4 ff GFaG. § 55b Abs. 1 Nr. 2 UG BaWü; § 88 Abs. 1 Nr. 2 BayHSchG, Erbs/Kohlhaas/Senge A 111, § 2 Rdn. 9 GFaG.

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Art. 1 Abs. 1 Abk. der Bundesländer über die Genehmigung z. Führen akad. Grade, GBl. BaWü 1994 S. 644. OLG Düsseldorf NJW 2000 1052. Vgl. BVerwG N V w Z 1988 365 zu § 29 Abs. 3 NdsHSchG; OLG Düsseldorf NJW 2000 1052. BGH NStZ 1994 236 m. krit. Anm. Zimmerling. BVerwG NVwZ 1988 366; BGH NStZ 1994 236, 237; Hohmann MK Rdn. 30; aA Zimmerling NStZ 1994 238, der die strafrechtliche Relevanz von der Rücknahme der erteilten Genehmigung abhängig machen will.

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Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen

§ 132a

Angabe der verleihenden Institution genehmigungsfrei geführt werden. Entsprechendes gilt für die im Herkunftsland zugelassene oder nachweislich übliche Abkürzung. 87 Eine materielle Prüfung der Vergleichbarkeit von Hochschule und Hochschulabschluss ist bei Graden, die in EU-Staaten verliehen worden sind, unzulässig. Sie sind auf Grund einer EU-Richtlinie in dem dortigen Umfang anzuerkennen. 88

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Die Strafbarkeit nach Nummer 1 setzt voraus, dass der akademische Grad tatsächlich verliehen werden kann. Wer eine Bezeichnung verwendet, die einem akademischen Grad zwar ähnelt, aber nirgends als akademischer Grad verliehen wird, kann nach Absatz 2 strafbar sein. 89

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e) Titel. Titel sind Bezeichnungen, die ohne Beziehung zu einem Amt ausschließlich oder jedenfalls vornehmlich zum Zwecke einer Ehrung nach Maßgabe des OrdenG verliehen werden. 90 Ohne Belang ist, ob sie heute noch verliehen werden können. Als Beispiele kommen in Betracht Baurat, Justizrat, Veterinärrat, Sanitätsrat, Kammermusiker, Kammersänger, Staatsschauspieler und (Titular-) Professor, soweit die Bezeichnung ohne bestimmenden Bezug zu der Tätigkeit an einer wissenschaftlichen Hochschule Persönlichkeiten des freien Berufslebens verliehen wird. 91 Die Bezeichnungen „Ordinarius" oder „Extra-Ordinarius" (Art. 12 Abs. 3 BayHSchPG; § 67 Abs. 6 UG BaWü i.V.m. § 15 Abs. 3 des 2. HRÄG v. 1.1.2005) sind reine Ehrentitel besonderer Art, die allerdings an eine bestimmte beamtenrechtliche Stellung anknüpfen. 92 Als Titel kommt auch die Bezeichnung „Honorarprofessor" in Betracht, die vornehmlich aus Gründen der Ehrung und Anerkennung für die auf einem an der Hochschule vertretenen Fachgebiet erbrachten hervorragenden Leistungen verliehen wird (s. Rdn. 18). 9 3 Berufsbezeichnungen und berufliche Qualifikationsbezeichnungen gehören nicht zu den Titeln i.S. des § 132a Abs. 1. So sind die aus dem Wort „Diplom" und einer Berufsangabe zusammengesetzten Bezeichnungen, die keine akademischen Grade sind, nicht den Ehrentiteln zuzurechnen. 94 Nicht

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Vgl. Tbieme Deutsches Hochschulrecht, Rdn. 452. Vgl. Richtlinie 89/48/EWG des Rates v. 21.12.1988 über die allgemeine Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, ABl. L 19 v. 14.1.1989, S. 1 6 - 2 3 ; vgl. auch Richtlinie 2 0 0 5 / 3 6 EG v. 7.9.2005, ABl. L 2 2 5 5 v. 30.9.2005, S. 2 2 ff; VO der BReg v. 2.11.1995 (BGBl. I S. 1493) sowie VO der Länder z.B. BW VO v. 15.8.1996 (GBl. S. 564); Art. 3 Abs. 2b des Europäischen Übereinkommens über die Anerkennung akademischer Grade vom 14.12.1959, in Kraft getreten für die Bundesrepublik am 28.2.1970 (BGBl. 1 9 6 9 II S. 2 0 5 7 u. BGBl. 1970 II S. 207); Gesetz v. 2 . 9 . 1 9 9 4 (BGBl. II S. 2321) zu dem Übk. v. 21.12.1979 über die Anerkennung von Studien, Diplomen und Graden im Hochschulbereich in den Staaten der europ. Region; vgl. auch BayVGH DVB1 1985 6 7 zur Abkürzung eines in Italien erworbenen Doktorgrades der Medizin bzw. Tiermedizin; Prieß NVwZ 1991 114 ff.

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Vgl. KG J R 1964 68; BayObLG N J W 1972 1337; OLG Düsseldorf N J W 1 9 7 9 937: „Doctor of divinity" einer amerikanischen kirchlichen Organisation. Fischer Rdn. 8; Kahle Der Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, S. 2 4 7 f; Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 56. Vgl. LG Saarbrücken N J W 1976 1160. Fischer Rdn. 9; Zimmerling Akademische Grade Sc Titel, Rdn. 2 5 2 ; aA Kahle Der Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, S. 2 5 8 . Fischer Rdn. 7. Kahle Der Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, S. 2 5 5 . Für die abweichende extensive Auslegung (KG J R 1964 68, 69; LG Nürnberg, Mitteilungsblatt des Verbandes der Bibliothekare des Landes NRW 1971 150 f: Diplombibliothekar, Diplombraumeister) ist nach der differenzierten Gesetzesfassung des § 132a Abs. 1 kein Raum mehr.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

hierher gehört auch die Bezeichnung „Assessor" (Rdn. 13). 95 Die Führung ausländischer Titel durch Deutsche bedarf nach § 5 Abs. 1 und 2 OrdenG der Genehmigung des Bundespräsidenten. Ein Titelführen in nicht genehmigter Form unterliegt § 132a (zum Führen des im Ausland verliehenen Professorentitels vgl. oben Rdn. 21 ff). 33

f) Öffentliche Würden. Öffentliche Würden sind Ehrungen, die auf öffentlichem Recht beruhen und in der Regel in der Form ehrenhalber Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft verliehen werden (Ehrenbürger einer Gemeinde, Ehrensenator einer Universität). 96

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2. Berufsbezeichnungen (Abs. 1 Nr. 2). Geschützt durch § 132a sind ferner bestimmte Berufsbezeichnungen von Berufen, die im Hinblick auf die jeweils begründete funktionsbedingte Abhängigkeit des rat-, rechts- und hilfesuchenden Bürgers von einer für das Gemeinschaftsleben besonderen Bedeutung sind (Absatz 1 Nr. 2 ) . 9 7 Die Regelung ist an Stelle der nebengesetzlichen Schutzvorschriften getreten, die durch das EGStGB in Wegfall gekommen sind; sie hat abschließenden Charakter.

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a) Einzelne Berufe. Einbezogen sind folgende Berufsbezeichnungen - in männlicher und weiblicher Form:

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aa) Arzt. Ärzte sind Mediziner, die als Ärzte approbiert oder zur vorübergehenden Ausübung des Arztberufes berechtigt sind (§ 2a BÄO). Unter den Schutzbereich fallen auch alle die eine Spezialisierung kennzeichnenden Bezeichnungen wie Chirurg, Internist, Facharzt für innere Medizin, Frauenheilkunde, Psychiatrie usw. 98 Die Verwendung von Zusatzbezeichnungen wie Badearzt oder Kurarzt durch eine nicht approbierte Medizinalperson wird von der Nummer 2 des § 132a Abs. 1 ebenfalls erfasst. Nicht hierher gehören ähnliche Bezeichnungen wie „praktischer Vertreter der arzneilosen Heilk u n d e " 9 9 oder „Homöopath". 1 0 0 Die Bezeichnung „Medizinalrat" fällt unter die Amtsbezeichnungen. Bei der Bezeichnung „Heilpraktiker" handelt es sich um eine nicht verwechslungsfähige, eigenständige zugelassene Berufsbezeichnung von Personen, die - ohne Ärzte zu sein - zur Ausübung der Heilkunde im Rahmen des Heilpraktikergesetzes berechtigt sind.

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bb) Zahnarzt. Zahnärzte sind als solche approbierte Zahnheilkundige (§ 1 Abs. 1 ZahnHKG). Nicht erfasst werden Personen, die sich als „Zahnheilkundiger", „Zahn-

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Kable Der Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, S. 2 5 9 ; aA KG DStR 1938 395; zweifelnd Fischer Rdn. 9; offen gelassen von Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 8. Hohmann MK Rdn. 12; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Fischer Rdn. 10; Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 55. Lackner/Kühl Rdn. 3; krit. zum Merkmal der Abhängigkeit Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 56 Fn. 94: Berufs-

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bezeichnungen reflektieren geschenktes besonderes Vertrauen und öffentlich-rechtliche Lizenzierung. Einschränkend Kahle Der Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, S. 2 9 0 f auf Bezeichnungen, bei denen das Wort „Arzt" im Namen vorkommt. Vgl. RGSt 2 7 335. Vgl. RGSt 15 170; Kahle Der Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, S. 2 9 2 .

Matthias Krauß

Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen

§ 132a

praktiker" oder „Dentist" bezeichnen; für diese kommt allenfalls Absatz 2 in Betracht. 1 0 1 cc) Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Psychotherapeut. Diese Berufsbezeichnung umfasst psychologische und ärztliche Psychotherapeuten, die nach Maßgabe des PsychThG approbiert sind (§§ 1, 2 PsychThG). 1 0 2

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dd) Tierarzt. Tierärzte sind Tierheilkundige, die als Tierärzte approbiert sind ( § 3 BTÄO).

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ee) Apotheker. Apotheker sind solche der pharmazeutischen Wissenschaft Kundige, die als Apotheker approbiert oder zur vorübergehenden Ausübung des Berufs befugt sind (S 3 BApothO).

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ff) Rechtsanwalt. Rechtsanwälte sind zum Richteramt Befähigte oder zur Zulassung zur Rechtsanwaltschaft Geeignete, die zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sind (§§ 4, 12 Abs. 3, 4 BRAO). Die Befugnis, die Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt" zu führen, entfällt mit der Zurücknahme der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft oder deren Erlöschen durch Ausschließung (§ 17 BRAO). 1 0 3 § 132 Abs. 1 Nr. 2 gilt auch für die gleichgestellten Rechtsanwälte aus den EG-Staaten und den anderen Vertragsstaaten des E W R (§ 4 2 Abs. 2 EuRAG idF des G vom 9. März 2 0 0 0 , BGBl. I S. 182). 1 0 4 Das Führen einer gesetzlich zugelassenen Fachanwaltsbezeichnung (§ 4 3 c Abs. 1 BRAO, § 1 Fachanwaltsordnung für Rechtsanwälte) ohne entsprechende Erlaubnis oder die Anmaßung einer gesetzlich nicht anerkannten anderen Qualifikationszusatzbezeichnung durch einen Rechtsanwalt beurteilt sich nach den wettbewerbsrechtlichen und standesrechtlichen Vorschriften. 1 0 5 § 132a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 ist insoweit nicht einschlägig. Das eigenmächtige Führen einer Fachanwaltsbezeichnung durch Personen, die weder als Rechtsanwälte zugelassen sind noch die qualifikationsspezifische Tätigkeit (vgl. für die Verteidigung im Strafverfahren § 138 Abs. 1, 2. Alt. StPO u. § 3 9 2 Abs. 1 AO) ausüben dürfen, kann mangels Identität der Kernbezeichnung zwar nicht über Absatz 1 Nr. 2 des § 132a, jedoch über dessen Absatz 2 erfasst werden. 1 0 6 Gleiches gilt für Bezeichnungen wie etwa Anwalt, Handelsanwalt oder Verteidiger. 107 Rechtsbeistand ist eine eigenständige Berufsbezeichnung, deren Missbrauch in § 8 Abs. 1 Nr. 3 RBerG als Ordnungswidrigkeit eingestuft ist.

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gg) Patentanwalt. Patentanwälte sind Personen, die von der zuständigen Behörde (Präsident des Patentamts) als Patentanwälte zugelassen sind (§ 19 Abs. 3 PatAnwO).

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EEGStGB BTDrucks. 7/550, S. 2 2 2 ; eine Verwechslungsfähigkeit wird verneint von Kahle Der Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, S. 2 9 6 . Vgl. BTDrucks. 13/8035, S. 2 3 ; 13/9212, S. 42; Schlund N J W 1998 2 7 2 2 ; Haage MedR 1998 291; vgl. auch BVerfG NJW 1999 2 7 3 0 . Vgl. BayObLG GA 1974 151. Fischer Rdn. 13.

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Vgl. BGH NJW 1990 1739; EGH für Rechtsanwälte Koblenz StV 1991 3 5 3 ; Fischer Rdn. 13; Müller-Thele/Schlegel M D R 2 0 0 7 1291. Fischer Rdn. 13; Kahle Der Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, S. 2 9 8 f. Kahle Der Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, S. 299.

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§ 132a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

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hh) Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer. Wirtschaftsprüfer bzw. vereidigte Buchprüfer sind persönlich und fachlich geeignete Personen, die nach erfolgreich bestandenem Zulassungs- und Prüfungsverfahren als Wirtschaftsprüfer bzw. vereidigter Buchprüfer öffentlich bestellt sind (§§ 1 Abs. 1, 128 Abs. 1 WPO). Die Bezeichnungen „Wirtschaftstreuhänder", „Buchprüfer", „Bücherrevisor" können als zum Verwechseln ähnliche Bezeichnungen dem Absatz 2 unterfallen. 108 Nicht verwechslungsfähig sind dagegen die allgemeinen Bezeichnungen „Wirtschaftsberater" oder „Betriebsberater".

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ii) Steuerberater, Steuerbevollmächtigte. Steuerberater ist, wer die Steuerberaterprüfung erfolgreich bestanden hat oder von dem Erfordernis der Prüfung nach dem StBerG befreit wurde und zum Steuerberater bestellt ist; Steuerbevollmächtigter ist, wer nach den Vorschriften des StBerG als solcher bestellt ist (§§ 42, 43 StBerG, vgl. auch § 161 StBerG).

45

b) Sonstige Berufe. Sonstige Berufe, die nicht mit öffentlich-rechtlichen Befugnissen ausgestattet sind, keine besonders verantwortliche Funktion im Rahmen der sozialen Gemeinschaft begründen oder keine bestimmte Ausbildung voraussetzen wie etwa Fabrikant, Gastwirt oder Musikdirektor, verleihen keine geschützten Berufsbezeichnungen.

46

Neben die Strafvorschrift des § 132a treten ergänzend eine ganze Reihe von Bußgeldvorschriften des Bundes- und Landesrechts, in denen der Missbrauch weiterer Berufsbezeichnungen als Ordnungswidrigkeit eingestuft wird. Hierzu gehören einmal die Fälle des unbefugten Führens von Berufsbezeichnungen der sog. Heilhilfsberufe wie Krankenschwester, Gesundheits- und Krankenpfleger, Kinderkrankenschwester, Krankenpflegerhelfer (§§ 1, 21 Krankenpflegegesetz); Hebamme, Entbindungspfleger (§ 25 Hebammengesetz vom 4. Juni 1985, BGBl. I S. 902); Masseur, medizinischer Bademeister, Physiotherapeut (§ 15 Masseur- und PhysiotherapeutenG); Medizinisch-technischer Laboratoriumsassistent, Medizinisch-technischer Radiologieassistent, Medizinisch-technischer Assistent für Funktionsdiagnostik, Veterinärmedizinisch-technischer Assistent (§§ 1, 12 Gesetz über technische Assistenten in der Medizin); Diätassistent (§§ 1, 10 Gesetz über den Beruf des Diätassistenten vom 8. März 1994, BGBl. I S. 446); Pharmazeutisch-technischer Assistent (§§ 1, 10 Gesetz über den Beruf des Pharmazeutisch-technischen Assistenten); Apothekerassistent (§§ 1, 2 Gesetz über die Rechtsstellung vorgeprüfter Apothekenanwärter vom 4. Dezember 1973, BGBl. I S. 1813); Logopäde (§§ 1, 7 Gesetz über den Beruf des Logopäden vom 7. Mai 1980, BGBl. I S. 529); Orthoptist (§§ 1, 10 OrthoptG v. 28. November 1989, BGBl. I S. 2061); Rettungsassistent (§§ 1, 12 RettAssG v. 10. Juli 1989, BGBl. I S. 1384). Geschützt werden ferner die Bezeichnungen Meister (§§ 5 1 , 1 1 7 HandwerksO) und Rechtsbeistand (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 RBerG).

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Durch landesrechtliche Gesetze werden folgende Berufsbezeichnungen geschützt: Ingenieur, allein oder in Wortverbindung (vgl. die Ingenieurgesetze der Länder z.B. § § 1 bis 3, 7 IngenieurG BaWü); Prüfingenieur für Baustatik (z.B. §§ 1, 8, 15 BauprüfVO BaWü vom 21. Mai 1996, GBl. S. 410); Architekt, Innenarchitekt, Garten- und Landschaftsarchitekt, Stadtplaner (vgl. die ArchitektenG der Länder, z.B. §§ 2, 28 ArchG BaWü); Lebensmittelchemiker (§§ 1, 7 BaWüGes. zum Schutz der Berufsbezeichnung Lebensmittelchemiker vom 14. März 1972, GBl. S. 69).

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Fischer Rdn. 13; Kahle Der Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, S. 3 0 3 ; aA EEGStGB, BTDrucks. 7/550, S. 223, wo unter Hinweis auf die Bußgeld-

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vorschrift des § 132 WiPO gefolgert wird, dass das Gesetz diese Bezeichnungen nicht als verwechslungsfähig ansehe.

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Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen

§ 132a

3. Öffentlich bestellte Sachverständige (Abs. 1 Nr. 3). Die Bezeichnung öffentlich bestellter Sachverständiger bezieht sich auf Personen, die auf Grund ihrer besonderen Sachkunde und persönlichen Eignung nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Staatsoder Kommunalrechts durch einen Verwaltungsakt als Sachverständige für ein bestimmtes Sachgebiet bestellt sind. 109 Für die öffentliche Bestellung gelten teils bundes-, teils landesrechtliche Vorschriften, z.B. § 36 Abs. 1 Satz 1 GewO, § 91 Abs. 1 Nr. 8 HandwO, Art. 1 und 3 Bayerisches Gesetz über öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige. Der öffentlich bestellte Sachverständige muss nicht allgemein vereidigt sein. Unerheblich ist, ob der Sachverständige auf bestimmte Zeit oder auf unbegrenzte Zeit bestellt ist. 110 Die unbefugte Benutzung von Stempeln und Siegeln, die auf einen öffentlich bestellten Sachverständigen hinweisen, stellt sich als strafbares unbefugtes Führen der Bezeichnung öffentlich bestellter Sachverständiger dar und wird daher von Absatz 1 Nr. 3 erfasst.

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4. Inländische und ausländische Uniformen, Amtskleidungen oder Amtsabzeichen (Abs. 1 Nr. 4). Geschützt werden weiter in- und ausländische Uniformen, Amtskleidungen oder Amtsabzeichen.

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a) Uniformen sind die auf Grund öffentlich-rechtlicher Bestimmungen eingeführten einheitlichen Dienstkleidungen für Angehörige der Bundeswehr und bestimmter Verwaltungszweige, die den einzelnen Träger als diesen zugehörig ausweisen oder als eine mit der Durchführung bestimmter staatlicher Aufgaben betraute Person kennzeichnen. 111 Geschützt sind daher insbesondere die Uniformen der Bundeswehr, 112 der Polizei, der Zollverwaltung, der Berufsfeuerwehr, der Forstverwaltung und des Strafvollzugsdienstes. Die Befugnis und Pflicht zum Tragen folgt aus Vorschriften des Bundes- und Landesrechts (vgl. z.B. § 76 BBG, § 94 LBG BaWü und die für die einzelnen Verwaltungszweige erlassenen Dienstkleidungsvorschriften). Bloße Uniformstücke bzw. Uniformteile fallen ebenso wenig unter die Strafvorschrift 113 wie Phantasieuniformen 114 oder uniformähnliche Bekleidungen privater Unternehmen (z.B. Sicherheitsunternehmen, Restaurantketten). 115 Geschützt ist dagegen eine durch polizeiliche Vorschrift angeordnete Einheitskleidung für bestimmte berufliche Funktionsträger. 116 Dienstgradabzeichen sind nur dann taugliches Handlungsobjekt i.S. von § 132a, wenn sie an der vorschriftsmäßigen Uniform angebracht sind. 117 Erfasst werden auch ausländische staatliche Uniformen.

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b) Amtskleidung ist jede durch öffentlich-rechtliche Vorschriften eingeführte Tracht, die die Würde eines Gerichts oder einer Behörde und die Bedeutung der Amtshandlung hervorheben soll, im Gegensatz zur Uniform aber nicht ständig getragen wird, sondern nur bei bestimmten dienstlichen Anlässen wie z.B. die Roben der Richter, Staatsanwälte

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Meyer-Goßner StPO § 73 Rdn. 16; Hohmann MK Rdn. 15; Fischer Rdn. 14; Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 57 f. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 11. Vgl. BayObLGSt 1959 178; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 12. Vgl. hierzu Dau NZWehrr 1987 133 ff. BayObLGSt 7 324; Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 59. Vgl. StA Osnabrück NStZ 2 0 0 7 183.

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Hohmann MK Rdn. 16; Fischer Rdn. 15; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 59. Hohmann MK Rdn. 16; Rudolphi SK Rdn. 9; aA Fischer Rdn. 15; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 12. BGH NStZ 1992 4 9 0 ; vgl. auch AG Bonn NZWehrr 1983 156; Dau NZWehrr 1987 133, 137.

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§ 132a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

und Rechtsanwälte oder die Talare der Hochschullehrer oder kirchliche Messgewänder. 118 52

c) Amtsabzeichen sind durch öffentlich-rechtliche Vorschriften eingeführte Zeichen, die, ohne Bestandteil der Kleidung zu sein, den Träger als Inhaber eines bestimmten Amts kennzeichnen, 119 z.B. die Amtskette des Bürgermeisters oder Universitätsrektors; ferner zur Uniform getragene Amtsabzeichen der Bundeswehr, etwa die zur Kennzeichnung der Soldaten im Wachdienst und deren besonderer Befugnisse dienenden Amtsabzeichen (Schulterschnur, Armbinde, Ansteckabzeichen); 1 2 0 nicht dagegen Dienstgradabzeichen für sich allein. 121 Das Aeskulap-Zeichen (Stab mit Schlange) wird ebenfalls nicht erfasst. 1 2 2

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5. Verwechslungsgeeignete Bezeichnungen (Abs. 2). Durch Absatz 2 werden auch solche Bezeichnungen einbezogen, die den in Absatz 1 geschützten Amts- und Berufsbezeichnungen, akademischen Graden, Würden und Kleidungen zum Verwechseln ähnlich sind. Für die Beurteilung der Verwechslungsmöglichkeit kommt es maßgeblich auf den Gesamteindruck eines durchschnittlichen, nicht besonders sachkundigen und nicht genau prüfenden Beurteilers an. 1 2 3 Ob sich jemand durch die Bezeichnung tatsächlich täuschen lässt, ist unerheblich.

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Hinsichtlich der Amts- und Dienstbezeichnungen ist darauf abzustellen, ob nach der allgemeinen laienhaften Vorstellung eines unvorgebildeten Durchschnittsbürgers von der Ämter- bzw. Gerichtsorganisation und deren Trägern der Eindruck entstehen kann, als handele es sich um eine förmliche Amtsbezeichnung. 124 Erfasst werden somit auch erfundene Bezeichnungen, die von dem unvorgebildeten Durchschnittsbürger als echte Amtsbezeichnungen verstanden werden können und nach Vorstellung und Willen des Täters auch sollen, 1 2 5 wie „Kommissar von der Polizei". 1 2 6 Maßgeblich sind die Gesamtumstände und in welchem Zusammenhang die verwechslungsfähige Bezeichnung geführt wird. 1 2 7 Die Bezeichnung „Städt. Amtsleiter a.D." vermittelt für sich genommen lediglich die Vorstellung von einer ausgeübten Funktion, nicht jedoch einer Amtsstellung. 128 Hinsichtlich der Berufsbezeichnungen der Nummer 2 hängt die Verwechslungsfähigkeit davon ab, ob die im Einzelfall verwendete Bezeichnung den Anschein der Zugehörigkeit zu den jeweiligen Funktionsträgern zu erwecken geeignet ist (z.B. „Handelsanwalt"). 1 2 9 Nicht erfasst sind Bezeichnungen, die lediglich auf spezielle Fachkenntnisse oder Fähigkeiten hinweisen. 130 Eine Verwechslungsfähigkeit bei Diplombezeichnungen hängt davon

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LG Offenburg NJW 2 0 0 4 1609; aA für die Robe des Rechtsanwalts Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 58: Amtstracht, aber keine Amtskleidung, weil Anwälte kein Amt inne haben. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Hohmann MK Rdn. 16. Vgl. Dau NZWehrr 1987 133, 138. BGH NStZ 1992 4 9 0 ; aA AG Bonn NZWehrr 1983 156. LG Dortmund MedR 2 0 0 1 93. BGH GA 1966 2 7 9 ; BayObLG NStZ-RR 2 0 0 0 2 3 6 ; KG JR 1964 68, 69; OLG Köln N J W 2 0 0 0 1053, 1054; Sch/Scbröder/Cramer/Sternberg-Lteben Rdn. 13; Bottke Lästi-

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ger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 61; zum Begriff der Verwechslungsfähigkeit vgl. auch BVerfG N J W 2 0 0 6 3 0 5 0 zu § 86a Abs. 2 mit krit. Bespr. Horsch JR 2 0 0 8 9 9 , 1 0 1 ff. BGHSt 2 6 267, 2 6 9 ; OLG Dresden NJW 2 0 0 0 2519, 2 5 2 0 ; Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 13. BGHSt 2 6 267, 2 6 9 ; Blei JA 1976 456. BGHSt 3 9 212. Scb/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 13. OLG Dresden NJW 2 0 0 0 2519, 2 5 2 0 . Ber., BTDrucks. 7/1261, S. 12. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Fischer Rdn. 18.

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Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen

§ 132a

ab, ob die verwendete Bezeichnung auf einen Hochschulabschluss hindeutet (z.B. Diplom-Bibliothekar) oder erkennbar lediglich auf eine angemaßte berufliche Qualifikation hinweist. 131 So ist die Bezeichnung „Diplomkosmetikerin" als verwechslungsfähig angesehen worden, 1 3 2 was im Hinblick auf die extensive Auslegung des tatbestandlichen Begriffs des Titels fraglich ist. Ob Wortverbindungen mit dem Suffix ,,-loge" (Soziologe, Philologe) von Absatz 2 erfasst werden, ist umstritten. 1 3 3 Als verwechslungsfähig ist von der Rechtsprechung angesehen worden: die Bezeichnung „Konsul" eines erfundenen ausländischen Staates; 1 3 4 die Abkürzung „Prof." als verwechslungsfähig mit der Dienstbezeichnung „Professor"; 1 3 5 die von einer amerikanischen kirchlichen Organisation verliehene Bezeichnung „Doctor of Divinity" als verwechslungsfähig mit einem ausländischen akademischen Grad; 1 3 6 die Bezeichnung „Generaldekan der Protestantischen Kirche X " im Hinblick auf die bei einigen evangelischen Landeskirchen bestehende Amtsbezeichnung als Dekan; 1 3 7 die Bezeichnung „Pater" im Hinblick auf die Amtsbezeichnung als Ordenspriester. 138 Verwechslungsfähig sind auch Bezeichnungen wie „Spezialist für Frauenheilkunde" 1 3 9 oder „Naturarzt"; 1 4 0 nicht dagegen „Klinischer und curientiver Psychologe" 1 4 1 und „Tierheilpraktiker". 142 Die Bezeichnungen „Wirtschaftstreuhänder", „Buchprüfer" und „Bücherrevisor" können im Hinblick auf die Berufsbezeichnungen „Wirtschaftsprüfer" und „vereidigter Buchprüfer" als zum Verwechseln ähnliche Bezeichnungen dem Absatz 2 unterfallen. Bezeichnungen, die auf eine wirtschaftsberatende Tätigkeit hindeuten, wie Wirtschaftsberater und Betriebsberater, sind angesichts der ganz speziellen Berufsbezeichnung des Wirtschaftsprüfers dagegen grundsätzlich nicht als verwechslungsfähige Bezeichnungen i.S. des Absatzes 2 einzustufen. 143 Das unbefugte Tragen einer zum Verwechseln ähnlichen Uniform liegt vor, wenn sich mehrere Personen durch eine einheitliche Uniform den Anschein einer (para-)militärischen Einheit mit Rückschluss auf Soldaten der Bundeswehr geben (z.B. Wehrsportgruppe). Verwechslungsgefahr kann auch vorliegen beim Tragen eines eingefärbten Dienstgradabzeichens der Bundeswehr in Verbindung mit einer ausländischen Uniform. 1 4 4

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6. Erstreckung auf Kirchen und andere Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts (Abs. 3). Absatz 3 schützt auch Amtsbezeichnungen, Titel, Würden, Amtskleidungen und Amtsabzeichen der Kirchen und anderer Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts. Geschützt wird nur das besondere Vertrauen, das von einem öffentlichrechtlichen Verleihungsakt ausgeht. 145 Den Kirchen sind die traditionellen christlichen Religionsgemeinschaften zuzurechnen; dazu gehören die römisch-katholische Kirche und die evangelischen Landeskirchen, die evangelisch-methodistische Kirche, der Bund evangelisch-freikirchlicher Gemeinden, die russisch-orthodoxe Kirche und die altkatholische Kirche. Zu den anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts gehören z.B. die

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Fischer Rdn. 18. KG JR 1964 68, 69; zw. Fischer Rdn. 17. Bejahend Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 13; aA Fischer Rdn. 18. BGH GA 1966 279. BayObLG NJW 1978 2348; AG Ulm MedR 1985 189, 191. Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1979 937. LG Mainz MDR 1984 511. Vgl. LG Offenburg NJW 2004 1609 (offen gelassen).

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EEGStGB BTDrucks. 7/550, S. 222; Fischer Rdn. 17. Hohmann MK Rdn. 20; Fischer Rdn. 17. LG Saarbrücken NJW 1976 1160, 1161. BGH NJW 2 0 0 0 870. EEGStGB BTDrucks. 7/550, S. 223. BGH 1 StR 58/92 v. 23.4.1992. Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 1986 92, 96.

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§ 132a

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

israelischen Kultusgemeinden, die Mennoniten und die Heilsarmee, nicht dagegen die griechisch-katholische und die griechisch-orthodoxe Kirche, die Zeugen Jehovas und die Buddhisten, bei denen es sich um privatrechtlich organisierte Zusammenschlüsse handelt, 1 4 6 sowie die nicht als Religionsgesellschaft organisierten Muslime. 1 4 7 Die Privilegierung der Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts gegenüber privatrechtlich organisierten Religionsgesellschaften ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. 1 4 8 Absatz 3 verbietet den Funktionsträgern privatrechtlich organisierter Religionsgesellschaften ebenso wie jeder anderen Person den Gebrauch kirchlicher Amtsbezeichnungen. Als strafrechtlich geschützte Amtsbezeichnungen kommen etwa in Betracht Vikar, Pfarrer, Pastor, 1 4 9 D e k a n , 1 5 0 Bischof, Erzbischof, 1 5 1 Landesbischof, Oberkirchenrat, als Titel Prälat und Monsignore. Zu der kirchlichen Amtskleidung gehören Talare, Sutane, Messgewänder 1 5 2 und Ordenskleidung. 1 5 3

V. Tathandlungen 58

Tathandlungen sind das unbefugte Führen einer inländischen oder ausländischen Amts- oder Dienstbezeichnung, eines akademischen Grades usw. und das unbefugte Tragen einer inländischen oder ausländischen Uniform, einer Amtskleidung oder eines Amtsabzeichens.

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1. Führen. Der Täter führt eine Amtsbezeichnung usw., wenn er diese im sozialen Leben für sich in Anspruch nimmt, wobei ein aktives Verhalten des Täters erforderlich ist. 1 5 4 Das bloße Dulden der Anrede durch Dritte reicht im Allgemeinen nicht aus; 1 5 5 etwas anderes kann sich ergeben, wenn das gesamte Verhalten des Täters planmäßig darauf angelegt ist, in der Umgebung den Anschein der Berechtigung zum Führen der Bezeichnung zu erwecken. 1 5 6 Das Führen muss nicht eigenhändig erfolgen. 1 5 7 Alle Täterformen des § 2 5 sind daher möglich. In Betracht kommt z.B. ein mittäterschaftliches Zusammenwirken, in dem der eine den anderen stets mit der diesem nicht zustehenden

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Maunz/Dürig GG Art. 140 Rdn. 18 f und Art. 137 WRV, Anhang zu Art. 140 GG, Rdn. 30; Sch/SchröderI CramerßternbergLieben Rdn. 15; Hohmann MK Rdn. 17; aA LG Mainz MDR 1984 511. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Heckel]Z 1999 751, 752 ff. BVerfG ZevKR 1986 90; OLG Düsseldorf NJW 1984 2959, 2960; OLG Köln NJW 2000 1053, 1054; Quarch ZevKR 1986 92. OLG Düsseldorf NJW 1984 2959. LG Mainz MDR 1984 511. OLG Köln NJW 2000 1053. LG Offenburg NJW 2004 1609. BayObLG JW 1935 690; Fischer Rdn. 19; aA Hohmann MK Rdn. 18; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 15; v. Bubnoff LK 11 Rdn. 18: Berufstrachten von religiösen Vereinigungen, für die § 126 OWiG gilt; Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 60.

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RGSt 33 305, 306; OLG Karlsruhe StraFo 2007 427, 428; Hohmann MK Rdn. 23; Rudolphi SK Rdn. 12; Fischer Rdn. 21; Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 62: wenn der Täter die Bezeichnung direktiv mit dem Anspruch respekterheischend gebraucht, er habe den durch sie repräsentierten Status oder Verdienst und erwarte berechtigt Respekterweis; Bolewski Jura 2006 921, 923. RGSt 33 305, 306; OLG Karlsruhe StraFo 2007 426, 427; Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 63 f: keine Gleichwertigkeit mit aktivem Tun mangels Ausübung direktiver Gestaltungsmacht. OLG Karlsruhe StraFo 2007 427, 428. Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 62.

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Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen

§ 132a

Amtsbezeichnung anredet und der Angeredete dieses Verhalten ohne Widerspruch duldet. 1 5 8 Führen einer Amtsbezeichnung usw. ist nicht nur das ausdrückliche Sichausgeben als Amtsträger, sondern auch das Vorzeigen eines gefälschten Dienstausweises, 159 die Verwendung der Amts- oder Berufsbezeichnung auf Briefköpfen oder Rezeptvordrucken, 1 6 0 die Anbringung von Praxisschildern, 161 das Aufhängen von Zertifikaten im Wartezimmer, die Veranlassung entsprechender Eintragungen in Adress- und Telefonbüchern 1 6 2 oder in Zeitungsanzeigen, die Benutzung eines auf einen öffentlich bestellten Sachverständigen hinweisenden Stempels oder Siegels. Die Kenntnisnahme Dritter ist nicht erforderlich. Die Tat ist vielmehr vollendet, wenn der Täter anderen Personen durch den Kundmachungsakt die Möglichkeit der Wahrnehmung verschafft. 163 Daher ist es z.B. beim Vorzeigen des gefälschten Dienstausweises ohne Belang, ob die vom Täter angesprochenen und kontrollierten Personen vom genauen Inhalt des Ausweises einschließlich der Amtsbezeichnung „Polizeiobermeister" Kenntnis genommen haben; entscheidend ist, dass ihnen hierzu Gelegenheit gegeben wurde. 1 6 4

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Unter Berücksichtigung der Schutzrichtung der Vorschrift muss das Führen der Amts-, Dienst- oder Berufsbezeichnung in einer Art und Weise und unter Umständen erfolgen, dass die in Schutz genommenen Interessen der Allgemeinheit irgendwie berührt werden. 1 6 5 Ob das beim Gebrauch im privaten Verkehr sowie beim einmaligen oder vorübergehenden Gebrauch der Fall ist, bestimmt sich maßgeblich nach den Umständen des Einzelfalles. 166 Tatbestandserheblich ist beispielsweise der Missbrauch einer Dienstbezeichnung zwecks Vertrauenserschieichung im Rahmen der betrügerischen Machenschaften eines Heiratsschwindlers. 167 Nicht ausreichend ist dagegen die Inanspruchnahme gegenüber einer einzigen, bestimmten Person bei einer einmaligen Gelegenheit im privaten Bereich, so wenn der Täter, um einer Bekannten zu imponieren, sich dieser gegenüber als Major der Bundeswehr bezeichnet, obwohl er in Wirklichkeit nur Feldwebel ist, 1 6 8 oder wenn er sich unter entsprechenden Umständen wahrheitswidrig als promovierter Rechtsanwalt bezeichnet. 169 Eine Rechtsgutsgefährdung tritt auch dann nicht ein, wenn ein Gerichtsreferendar im Rahmen einer polizeilichen Personenkontrolle eines Dritten sich gegenüber Polizeibeamten als Rechtsanwalt bezeichnet, ohne jedoch auf die Polizeibeamten irgendwie Einfluss zu nehmen. 1 7 0

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Ein einmaliger Gebrauch kann genügen, wenn er öffentlich erfolgt oder der Täter sich dabei an eine Mehrzahl von Personen wendet, 171 so wenn er sich gegenüber mehreren

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Hohmann MK Rdn. 23. BGHSt 2 6 267, 268. BayObLGSt 1986 4 0 . BayObLGSt 1986 4 0 ; AG Ulm MedR 1985 189,191. Vgl. AG Ulm MedR 1985 189, 190. Vgl. Blei JA 1976 455. BGHSt 2 6 267, 268. Vgl. BGHSt 31 61, 62; OLG Stuttgart NJW 1969 1777, 1778; BayObLG GA 1974 151; NJW 1 9 7 9 2 3 5 9 ; OLG Thüringen AnwBl 1998 535; OLG Köln N J W 2 0 0 0 1053, 1054; OLG Dresden NJW 2 0 0 0 2519, 2 5 2 0 ; OLG Karlsruhe StraFo 2 0 0 7 427, 4 2 8 ; KG StraFo 2 0 0 7 250, 2 5 1 ; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 17; Hohmann

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MK Rdn. 2 4 ; Fischer Rdn. 21; Geppert Jura 1986 595. Zu eng OLG Oldenburg J R 1984 468, 469, das ein öffentliches Verwenden der Bezeichnung gegenüber einer unbestimmten Allgemeinheit fordert. Vgl. BGH 2 StR 52/85 v. 21.2.1985. OLG Stuttgart N J W 1 9 6 9 1 7 7 7 , 1 7 7 8 . BGHSt 31 61, 63. Vgl. OLG Saarbrücken NStZ 1992 2 3 6 . Vgl. OLG Hamburg DStR 1938 140; KG GA Bd. 71 S. 2 2 7 ; OLG Oldenburg J R 1984 4 6 8 m. Anm. Meurer J R 1 9 8 4 4 7 0 ; OLG Thüringen AnwBl 1998 5 3 5 ; vgl. auch Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 66 m.w.N.

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§ 132a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Privatpersonen unbefugt als Professor bezeichnet. 172 Auch das einmalige Sichausgeben als Staatsanwalt gegenüber einer Kioskinhaberin angesichts des Verkaufs einer gerichtlich beschlagnahmten (vgl. §§ 111b, η StPO) Zeitung unter andeutender Bezugnahme auf die mit dem bezeichneten Amt verbundenen Aufgaben und Befugnisse ist als unbefugtes Führen angesehen worden. 173 Dagegen wurde der Tatbestand verneint bei einem Rechtsanwalt, der gegenüber der Polizei telefonisch als Staatsanwalt auftrat, um die Auszahlung eines polizeilich beschlagnahmten Geldbetrages zu erreichen, anschließend durch die Übersendung eines Schreibens mit anwaltlichem Briefkopf per Fax dafür sorgte, dass der zunächst durch die Meldung als Staatsanwalt erzeugte Schein keine weitere Wirkung entfalten konnte. 1 7 4 Der Gebrauch einer nicht zustehenden Berufsbezeichnung zwecks unbeanstandeter Erlangung eines Parkplatzes (Arzt-Plakette an Pkw) berührt dagegen den von der Vorschrift intendierten spezifischen Interessenschutz nicht. 175 Die Arztplakette am Pkw zielt nach ihrem objektiven Erklärungswert auf die Inanspruchnahme von Parkerleichterung oder Parkduldung; es werden hiermit keine Funktionen oder Fähigkeiten einer ärztlichen Vertrauensperson vorgetäuscht und deshalb die Interessen der Allgemeinheit an vertrauenswürdigen Ärzten nicht berührt. Verneint worden ist ein tatbestandserhebliches Verhalten, wenn der Täter nach Rücknahme seiner Zulassung zur Anwaltschaft bei zwei Folgeschreiben an einen früheren Mandanten wegen der Geltendmachung von Honoraransprüchen weiterhin Briefbögen mit dem Briefkopf „Rechtsanwalt" verwendet. 176 Beim unbefugten Führen einer Professorenbezeichnung ist die Art der missbräuchlichen Inanspruchnahme angesichts der unterschiedlichen Zuordnungsmöglichkeiten (Rdn. 15) dem Zusammenhang der Äußerung zu entnehmen. 63

2. Tragen. Eine Uniform oder Amtskleidung wird getragen, wenn der Täter sich in der Uniform zumindest einmal öffentlich oder gegenüber mehreren Personen zeigt, ohne dass es in der Regel auf die Begleitumstände ankommt, unter denen der Täter in der Kleidung auftritt. 177 Es muss sich um ein nach außen gerichtetes Verhalten mit Aussagewert handeln, so dass ein zufällig von einem Dritten durch das Fenster von Privaträumen beobachtetes Anprobieren ausscheidet. Wesentlich ist, dass der Täter durch das Tragen der Uniform, wenn auch nur mittelbar, fälschlich den Eindruck erwecken kann, er gehöre der Organisation an, auf die die Uniform hinweist, dass also bei unbefangenen Dritten der Eindruck entstehen kann, die durch die besondere dienstliche Kleidung verkörperte Funktion und Autorität werde ernsthaft in Anspruch genommen. 178 Das kann z.B. dann der Fall sein, wenn sich bei einer Landtagswahl ein Kandidat, der nicht mehr der Polizei angehört, mit einer Polizeiuniform auf einem Wahlwerbefoto ablichten lässt, das ohne klärenden Hinweis in der Presse veröffentlicht werden soll. 1 7 9 Der mittelbare Weg der Zugänglichmachung über ein Pressefoto steht der tatbestandlichen Erheblichkeit i.S. des Absatzes 1 Nr. 4 nicht entgegen. 180

64

Grundsätzlich kommt es nicht darauf an, ob andere den Uniformcharakter der Kleidung erkannt haben, ob sie sich über die Befugnis des Trägers haben täuschen lassen oder ob sie sein nach außen gerichtetes Verhalten tatsächlich im Sinne einer Inan-

172 173 174 175 176 177 178

BGH 1 StR 1 7 3 / 7 3 v. 7.8.1973, S. 5. BGH 5 StR 374/71 v. 9.11.1971, S. 21. KG StraFo 2 0 0 7 2 5 0 , 251. BayObLG NJW 1979 2359. BayObLG GA 1974 151. Vgl. RGSt 61 7, 8. Vgl. OLG Zweibrücken NJW 2 0 0 3 982,

604

179

180

983; Meurer J R 1984 4 7 0 , 472; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 18; Hohmanti MK Rdn. 27. Meurer JR 1984 4 7 0 , 4 7 2 ; Hohmann MK Rdn. 27; Fischer Rdn. 22; aA OLG Oldenburg NJW 1984 2231. Meurer JR 1984 4 7 0 , 4 7 3 .

Matthias Krauß

Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen

§ 132a

spruchnahme einer bestimmten Stellung aufgefasst haben. § 132a ist dagegen nicht erfüllt, wenn das Tragen der Uniform in der Öffentlichkeit von vornherein nicht geeignet ist, bei anderen den Anschein zur Berechtigung des Tragens der Uniform zu erwecken und diese irrezuführen, so etwa beim Tragen einer Uniform auf der Bühne oder bei Fastnachtsumzügen und sonstigen offenkundigen Maskeraden. 1 8 1 Da in solchen Fällen der Schutzzweck der Vorschrift offensichtlich nicht tangiert ist, ist das Verhalten nicht tatbestandserheblich oder jedenfalls unter dem Gesichtspunkt sozialer Adäquanz aus dem tatbestandlichen Anwendungsbereich auszuscheiden. 182 Entsprechendes gilt für das Tragen ausgesonderter Bundeswehruniformen durch Zivilpersonen in der Freizeit, z.B. bei der Jagd, beim Angeln oder bei Gartenarbeiten, also unter Begleitumständen, die ein Auftreten der Personen als Soldaten der Bundeswehr offensichtlich ausschließen. 183 3. Unbefugt. Das Führen oder Tragen muss unbefugt erfolgen. Unbefugt handelt, wer mangels Innehabung des Amtes, Verleihung des Titels oder der Würde, mangels Zugehörigkeit zu den im Tatbestand geschützten Berufen oder mangels Berechtigung nach den jeweils einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften kein Recht zum Führen der geschützten Bezeichnungen hat. Entsprechendes gilt für das Tragen von Uniformen, Amtskleidungen und Amtsabzeichen. 184 Da den in der Vorschrift genannten Verhaltensweisen als solchen keine abschließende Umschreibung des tatbestandlichen Unrechts entnommen werden kann, kommt eine tatbestandliche Erheblichkeit nur in Betracht, wenn der Täter handelt, ohne die in den einschlägigen öffentlich-rechtlichen Normen dafür aufgestellten Voraussetzungen zu erfüllen. Dem Merkmal „unbefugt" kommt somit eine tatbestandsergänzende bzw. -ausfüllende Funktion zu. 1 8 5

65

Unbefugt handelt beispielsweise ein Beamter auf Probe, der seine Dienstbezeichnung nach der Entlassung aus dem Probebeamtenverhältnis weiterführt, 1 8 6 sowie derjenige, der einen im Ausland erworbenen akademischen Grad ohne die erforderliche Genehmigung führt oder zwar die (erschlichene) inländische Genehmigung, nicht aber einen ausländischen Grad besitzt (vgl. Rdn. 28 f). 1 8 7 Bloße Verstöße gegen Dienstpflichten reichen allerdings nicht aus. So handelt ein Notar, der neben seiner Amtsbezeichnung (§ 1 BNotO) die Berufsbezeichnung „Wirtschaftsprüfer" nach erfolgter Bestellung bis zu deren Erlöschen (§§ 2, 19 WiPO) führt, zwar im Hinblick auf die Unvereinbarkeit des Wirtschaftsprüferberufs mit dem Notaramt (Unparteilichkeitsgewährleistung) dienstpflichtwidrig, 188 aber nicht unbefugt i.S. des § 132a, dessen Schutzzweck hier nicht berührt wird.

66

Die Berechtigung zum Tragen von Uniformen und Amtskleidungen bestimmt sich vor allem nach den Dienstvorschriften, aber auch nach dem Amtsbrauch und der Verkehrssitte. Danach kann die Befugnis zum Tragen auf bestimmte Zeiten und Gelegenheiten

67

Vgl. BayObLG NStZ-RR 1997 135; RGSt 61 7, 8; VG Köln NJW 1983 1212, 1215 (Tragen der Imitation einer Bundeswehrgeneralsuniform im Rahmen eines erkennbar theatralischen Umzugs). 182 Yg[ Sch/Scbröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 19; Fischer Rdn. 23. 1 8 3 Vgl. Dau NZWehrr 1987 133, 137. 184 Hohmann MK Rdn. 28; Bottke Lästiger Scherz oder strafbarer Ernst? S. 65. 181

185

OLG Düsseldorf NJW 2000 1052;

186 187

188

Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lteben Rdn. 19; Fischer Rdn. 2 4 ; Warda Jura 1 9 7 9 2 8 6 , 295; Tiedemann N J W 1981 947. BGHSt 36 277, 279. Vgl. BGH N J W 1 9 9 4 808 m. abl. Anm. Zimmerling NStZ 1 9 9 4 2 3 8 (zur Rechtslage vor Aufhebung des AkadGrG); Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 19; Ziekow NVwZ 1 9 9 9 834. BGH DNotZ 1 9 8 9 3 3 0 .

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605

§ 132a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

beschränkt sein. So besteht z.B. für Bundeswehrangehörige ein dienstrechtliches Uniformverbot für die außerdienstliche Teilnahme an politischen Veranstaltungen (§ 15 Abs. 3 SoldG). Unbefugt handelt auch der als Soldat der Bundeswehr verpflichtete Uniformträger, der sich zu Unrecht mit einem ihm nicht zustehenden Dienstgradabzeichen ausweist 1 8 9 oder zur Uniform ein Amtsabzeichen trägt, das eine ihm nicht zustehende Funktion (z.B. Offizier vom Wachdienst) vortäuscht. 1 9 0 Die Befugnis zum Tragen der Uniform endet in der Regel mit dem Dienstverhältnis. So steht einem ehemaligen Polizeibeamten nach dessen Ausscheiden aus dem Polizeidienst das Tragen von als solchen erkennbaren Uniformen der Polizei nicht mehr zu. 1 9 1 Jedoch sind Reservisten der Bundeswehr mit dienstlicher Genehmigung (§ 4a SoldG; §§ 1, 2 Abs. 2 und 3 UniformVO, BGBl. 1986 I S. 1305) zum Tragen der Uniform außerhalb eines Wehrdienstverhältnisses berechtigt; ohne eine solche Genehmigung ist das Uniformtragen unbefugt und tatbestandserheblich, nicht jedoch bei bloßer Unterlassung der Kennzeichnung des Reservistenstatus. 192

VI. Subjektiver Tatbestand 68

Für den subjektiven Tatbestand ist Vorsatz erforderlich, wobei bedingter Vorsatz genügt. 193 Vorsätzliches Handeln setzt die Vorstellung des Täters voraus, dass er nicht zum Führen der entsprechenden Bezeichnungen (Nummer 1 bis 3) oder zum Tragen der Dienstkleidung berechtigt ist. Hinsichtlich der Handlungsform der Nummer 4 ist ferner erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Träger billigend in Kauf nimmt, dass das Tragen der Uniform bei unbefangenen außenstehenden Beobachtern als Ausdruck der Innehabung einer bestimmten Amtsstellung verstanden werden könnte. 1 9 4 Bei Absatz 2 muss der Vorsatz sich auch auf die Verwechselbarkeit erstrecken.

69

Nimmt der Täter irrig Umstände an, die ihn zur Führung oder zum Tragen berechtigen würden, so handelt er in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum. Ein solcher Irrtum käme etwa bei der Weiterführung der Dienstbezeichnung eines Probebeamten in Betracht, wenn dem Täter die sofort vollziehbare Entlassungsverfügung trotz wirksamer Zustellung nicht bekannt geworden wäre; ferner bei dem Uniformtragen, wenn der Träger irrig davon ausgeht, sein Verhalten sei bereits äußerlich für jedermann als bloße symbolische Geste erkennbar und erwecke nicht den Eindruck, als stehe ihm die Uniform zu. Ein Tatbestandsirrtum wäre aber auch dann anzunehmen, wenn der Täter einen akademischen Grad (z.B. Dr. h.c.) auf Grund einer Zuerkennung durch eine - mangels Übertragung der Verleihungskompetenz - dazu nicht ermächtigte Stelle (z.B. durch den selbstherrlich handelnden Leiter L eines Universitätsinstituts) 195 führt und dabei von der Erteilung einer Verleihungskompetenz an L ausgeht.

70

Zieht der Täter aber aus den richtig erkannten Umständen den rechtlich falschen Schluss, er sei zur Führung oder zum Tragen befugt, handelt er im Verbotsirrtum. 196 Ein Verbotsirrtum kommt danach bei der Fehlvorstellung des Täters in Betracht, trotz ihm

189

190 191 192

Vgl. BGH NStZ 1992 4 9 0 ; AG Bonn NZWehrr 1983 156: Tragen der Schulterstücke eines Feldwebels durch einen Gefreiten. Dau NZWehrr 1987 133, 138 f. Vgl. OLG Oldenburg J R 1984 468, 469. Vgl. Dau NZWehrr 1987 133, 139.

606

193 194

195 196

RGSt 61 7, 9; BayObLG GA 1961 152. Vgl. OLG Zweibrücken N J W 2 0 0 3 983; Meurer JR 1984 4 7 0 , 4 7 2 . Vgl. Herzberg GA 1993 4 4 4 f, 451 f. BGHSt 14 223, 2 2 8 ; BayObLG GA 1961 152, 153; LG Saarbrücken N J W 1976 1160, 1161; vgl. auch KG JR 1964 68.

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Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen

§ 132a

bekannter Entlassung die Amtsbezeichnung überhaupt oder ungeachtet der beschränkten dienstbehördlichen Erlaubniserteilung ohne den Zusatz „a.D." weiterführen zu dürfen. 1 9 7 Allerdings ist das Vorliegen eines Verbotsirrtums im konkreten Einzelfall auszuschließen, wenn der Täter als Volljurist die Rechtsfolge einer Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entlassungsverfügung kennt, diese aber nur aufgrund seiner Überzeugung, die Entlassung sei rechtswidrig, innerlich nicht annimmt, und die Dienstbezeichnung eines Probebeamten weiterführt. 198 Ein Verbotsirrtum wäre ferner dann anzunehmen, wenn der Täter einen akademischen Grad oder einen Titel führt und dabei weiß, dass er nicht im Besitz der Verleihungsurkunde ist, er aber über das Erfordernis des Besitzes der Verleihungsurkunde als rechtlicher Voraussetzung einer befugten Führung (§ 8 TitelG) irrt. 1 9 9

ΥΠ. Konkurrenzen Zwischen dem unerlaubten Führen des Doktortitels, verschiedener Amts- und Dienstbezeichnungen sowie dem unbefugten Tragen einer Uniform kann eine natürliche Handlungseinheit bestehen, wenn die einzelnen Betätigungen räumlich und zeitlich in einem so engen Zusammenhang stehen, dass sie äußerlich eine Einheit bilden. 2 0 0 Das auf demselben Entschluss beruhende mehrfache Führen eines Titels bei verschiedenen Gelegenheiten ist ebenfalls nur eine Tat, da schon der gesetzliche Tatbestand eine Mehrheit natürlicher Betätigungen, die auf demselben Entschluss beruhen, zu einer einheitlich bewerteten Straftat zusammenfasst. 201 Bei größerem zeitlichen Abstand und verschiedener Sachlage der jeweiligen Gelegenheiten kann aber auch eine Mehrheit von Einzelfällen vorliegen. 202

71

Tateinheit ist möglich mit § 132, 2 0 3 § 2 2 3 , 2 0 4 § 239, § 2 4 0 , § 25 3, 2 0 5 § 2 6 3 , 2 0 6 § 2 6 7 (Gebrauchen eines gefälschten Dienstausweises), 207 § 53 WaffG (Bei-Sich-Tragen und Ausgeben einer Waffe als angebliche Dienstwaffe, um der Rolle als vermeintlicher Kriminalhauptkommissar größere Glaubwürdigkeit zu verleihen). 208

72

VIE. Prozessuales 1. Verjährung. Verfolgungsverjährung tritt gem. § 78 Abs. 3 Nr. 5 nach drei Jahren ein.

197

198 199

200

201 202 203

AA Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 123 f: Tatbestandsirrtum. Vgl. BGH NJW 1990 918. Vgl. Herzberg GA 1993 4 4 6 , 449, 4 5 2 ; zur Frage der Vermeidbarkeit BGHSt 14 2 2 4 , 228. BGH GA 1965 373, 374; BGH 2 StR 5 0 / 7 6 v. 1.9.1976. BGH GA 1965 373. Vgl. BGH bei Herlan GA 1965 289. Hohmann MK Rdn. 36; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 21; aA Düring

204

205

206 207 208

Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 129 f; Fiedler Amtsanmaßung S. 129: Konsumtion des § 132a. BGH 1 StR 5 9 8 / 8 6 v. 2 3 . 1 2 . 1 9 8 6 : Erschleichen der Einwilligung von Patienten zu Eingriffen unter Sich-Ausgeben als Arzt. Düring Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 130 f. BGH b. Meyer-Goßner NStZ 1986 53. Hassemer JuS 1983 70, 71. BGH 2 StR 5 2 / 8 5 v. 21.2.1985.

Matthias Krauß

607

73

§ 133 74

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

2 . Einziehung. Die Einziehung der Tatwerkzeuge und Mittel, z.B. des Schildes mit Berufsbezeichnung, des verwendeten Sachverständigenstempels, des gefälschten Dienstausweises etc. richtet sich nach § 74 Abs. 1. Die Einziehung von Beziehungsgegenständen der Tat nach Absatz 1 Nr. 4 - Uniformen, Amtskleidungen und Amtsabzeichen, auch solchen, die den echten zum Verwechseln ähnlich sind - ist nach § 132 Abs. 4 zulässig. 209 Da die Einziehung insoweit durch eine besondere Vorschrift i.S. des § 74 Abs. 4 über § 74 Abs. 1 hinaus zugelassen ist, müssen die Voraussetzungen des § 74 Abs. 2, 3 erfüllt sein. Die Einziehung ist nicht zwingend vorgeschrieben. § 74a ist nicht anwendbar.

§133

Verwahrungsbruch (1) Wer Schriftstücke oder andere bewegliche Sachen, die sich in dienstlicher Verwahrung befinden oder ihm oder einem anderen dienstlich in Verwahrung gegeben worden sind, zerstört, beschädigt, unbrauchbar macht oder der dienstlichen Verfügung entzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Dasselbe gilt für Schriftstücke oder andere bewegliche Sachen, die sich in amtlicher Verwahrung einer Kirche oder anderen Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts befinden oder von dieser dem Täter oder einem anderen amtlich in Verwahrung gegeben worden sind. (3) Wer die Tat an einer Sache begeht, die ihm als Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten anvertraut worden oder zugänglich geworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Schrifttum Brammsen Zum Verwahrungsbruch in der Begehungsform „der dienstlichen Verfügung entziehen" - BGH - Urt. v. 25.8.1988 - 4 StR 165/88, Jura 1989 81; Brüggemann Der Verwahrungsbruch (§ 133 StGB) Diss. Bochum 1981; Geppert Ausgewählte Delikte gegen die „öffentliche Ordnung", insbesondere Amtsanmaßung (§ 132 StGB) und Verwahrungsbruch (§ 133 StGB) Jura 1986 590; Krehl/Westphalen „Vorbereitungen für ein großes Happening", Jura 1990 485; Lüke Die Bedeutung vollstreckungsrechtlicher Erkenntnisse für das Strafrecht, Festschrift Arthur Kaufmann (1993) S. 565; Marcelli Anmerkung zu BGH 3 StR 66/85 v. 24.4.1985, NStZ 1985 500; Merkel Strafbare Eingriffe in die öffentlich-amtliche Verfügungsgewalt, VDB Bd. II S. 349 (1906); Meyer Das gepfändete Auto, JuS 1971 643; Ostendorf Strafbare Angriffe auf einzelne Staatsgewalten sowie auf den Bestand staatlicher Maßnahmen, J Z 1994 555; Otto Verwahrungsbruch und Zueignung bei der Aneignung beglaubigter Überstücke von Anklageschriften - OLG Köln, NJW 1980, 898, JuS 1980 490; Rudolphi Anmerkung zu OLG Köln 2 Ss 410/79 v. 21.8.1979, JR 1980 383; Schroeder §§ 246, 133 StGB auf dem Prüfstand der MfS-Postplünderungen - Zum Vorlagenbeschluss des 5. Strafsenats des BGH, JR 1995 95; Wagner Die Rechtsprechung zu den Straftaten im Amt seit 1975 - Teil 3, J Z 1987 705; Waider Verwahrungsbruch bei Gebrauchsdiebstahl aus staatlichen oder kommunalen Galerien, Museen oder Bibliotheken, GA 1961 366.

209

Zum Begriff der Beziehungsgegenstände vgl. Schmidt LK § 74 Rdn. 61 ff; BGHSt 10 28;

608

Eser Die strafrechtlichen Sanktionen gegen das Eigentum (1969) S. 318 ff.

Matthias Krauß

§

Verwahrungsbruch

133

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift ist durch Art. 19 Nr. 51 EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469) in enger Anlehnung an § 426 Ε 1962 neu gefasst worden.1 Der Tatbestand des Absatzes 1 entspricht im Wesentlichen der früheren Fassung, enthält allerdings einige Klarstellungen. Der Begriff „dienstlich" (statt „amtlich") bringt zum Ausdruck, dass auch Verwahrungsverhältnisse innerhalb des Aufgabenbereichs der Bundeswehr erfasst werden.2 Das Merkmal der Verwahrung, das an die Stelle des früher verwendeten Begriffs der Aufbewahrung getreten ist, soll den Charakter des fürsorglichen Amtsgewahrsams (BGHSt 18 312, 313) verdeutlichen, auf den es in § 133 ankommt, und den dienstlichen Verwahrungsbesitz von dem schlichten Amtsbesitz abschichten. Die Strafdrohung des Absatzes 1 wurde gegenüber der früheren Fassung wesentlich herabgesetzt. Entsprechend der Auslegung der Rechtsprechung zu § 133 a.F. wurde in Absatz 2 der kirchenamtliche Gewahrsam ausdrücklich in den Strafschutz einbezogen.3 Die Qualifizierung des Absatzes 3 für Amtsträger lehnt sich an die Regelung des § 348 Abs. 2 a.F. an, der gemäß Art. 19 Nr. 193 EGStGB entfallen ist. Die in § 133 Abs. 2 a.F. vorgesehene Qualifikation bei gewinnsüchtiger Absicht wurde ersatzlos gestrichen.

Übersicht Rdn. I. Π. ΙΠ. IV.

Rechtsgut Deliktsnatur Kriminalpolitische Bedeutung Tatobjekt 1. Bewegliche Sachen 2. Dienstliche Verwahrung a) Sachen, die sich in dienstlicher Verwahrung befinden (1. Alt.) . . . aa) Begriff bb) Abgrenzung zum allgemeinen Amtsbesitz cc) Wirksamkeit der Anordnung . dd) Dauer, Zweck und Zeitpunkt der Verwahrung ee) Aufbewahrungsort ff) Beispiele b) Sachen, die einem anderen dienst-

Rdn.

1 2 3 4 4 7

V.

8 8 VI. VII. Vm.

11 13 14 17 18

IX. X.

lieh in Verwahrung gegeben worden sind (2. Alt.) c) Kirchenamtliche Verwahrung . . . Tathandlungen 1. Zerstören, Beschädigen und Unbrauchbarmachen 2. Der dienstlichen Verfügung entziehen . a) Begriff b) Einverständnis des Berechtigten . . Subjektiver Tatbestand Täterschaft und Teilnahme Qualifikationstatbestand gem. Abs. 3 . . 1. Anvertraut 2. Dienstlich zugänglich 3. Unechtes Amtsdelikt Konkurrenzen Prozessuales

19 21 22 23 26 26 31 35 36 37 38 40 41 42 43

I. Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist der dienstliche Gewahrsam (Absatz 1) und der kirchenamt- 1 liehe Gewahrsam (Absatz 2). Grundgedanke der Vorschrift ist es, die dienstliche und kirchenamtliche Verfügungsgewalt über alle dienstlich aufbewahrten oder übergebenen Sachen gegen unbefugte Eingriffe zu schützen und das Vertrauen in die ordnungsmäßige

1

Vgl. E n t w . B T D r u c k s . 7 / 5 5 0 , S. 2 2 4 . Z u den

b a r e Eingriffe in die ö f f e n t l i c h - a m t l i c h e Ver-

gesetzgeberischen W u r z e l n , d e r A n k n ü p f u n g

f ü g u n g s g e w a l t , S. 3 4 9 .

an Vorläufernormen und der Entstehungsgeschichte d e r V o r s c h r i f t vgl.

2

D e r V e r w a h r u n g s b r u c h , S. 4 ff; Merkel

Straf-

E E G S t G B B T D r u c k s . 7 / 5 5 0 , S. 2 2 4 ; N i e d e r schriften 1 3 5 9 5 , 6 0 1 ; Sturm

Brüggemann 3

J Z 1 9 7 5 6 , 9.

E E G S t G B B T D r u c k s . 7 / 5 5 0 , S. 2 2 4 .

Matthias Krauß

609

§133

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Aufbewahrung von Gegenständen, die sich kraft staatlichen Hoheitsrechts im Besitz des Staates befinden, zu sichern. 4 Eigentum der Behörde oder Kirche wird nicht vorausgesetzt; andererseits reicht der bloße Besitz nicht aus, da nur solche Verwahrungsverhältnisse gemeint sind, deren Zweck über das bloße Funktionsinteresse der Behörde hinausgeht. Dies ist zu bejahen, wenn der Fortbestand des Amtsgewahrsams entweder im von der Behörde zu wahrenden Interesse bestimmter Personen außerhalb des Behördenbereichs liegt (z.B. notarielle Aufbewahrung) oder die Fortdauer des Besitzes notwendig ist, um die Interessen der Allgemeinheit zu wahren, die außerhalb des inneren Geschäftsbetriebs der Behörde liegen (z.B. Verwahrung beschlagnahmter Beweismittel, Gerichtsakten). 5 Im Hinblick auf diesen Schutzzweck fallen Handlungen, die den dienstlichen Gewahrsam selbst nicht beeinträchtigen, nicht unter den Tatbestand, wie etwa die Bekanntgabe des Inhalts einer verwahrten Urkunde oder die Beschreibung einer verwahrten Sache. 6 Nach anderer Auffassung müsse zwischen Gegenständen, die im staatlichen oder kirchlichen Besitz stehen und Gegenständen, die in Fremdverwahrung genommen worden seien, differenziert werden. Während es im letzteren Fall um den Schutz der amtlichen Verwahrpflicht, also um Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gehe, würden im ersten Fall nur Gegenstände geschützt, die aufgrund ihrer Bedeutung für den Dienstbetrieb „aufbewahrt" werden müssen, um die Funktionen dienstlicher Einrichtungen zu erhalten. 7

Π. Deliktsnatur 2

Der Verwahrungbruch ist als Erfolgsdelikt ausgestaltet,8 Absatz 3 beschreibt ein unechtes Amtsdelikt. 9

ΠΙ. Kriminalpolitische Bedeutung 3

Die Vorschrift hat auch nach der Neufassung nur geringe praktische Bedeutung erlangt. Die Strafverfolgungsstatistik weist folgende Verurteilungszahlen in den Jahren 1997 bis 2 0 0 6 aus: 1 0

4

RGSt 72 172, 174; BGHSt 5 155, 159; 9 67; 18 312, 313 m. Anm. Schröder JR 1963 4 2 7 ; 35 340, 341; 38 381, 3 8 6 ; BGH NStZ 1995 4 4 2 , 4 4 4 ; OLG Köln VRS 5 0 421, 423; Brammsen Jura 1 9 8 9 81, 83; Geppert Jura 1986 5 9 0 , 595; Brüggemann Der Verwahrungsbruch, S. 37 ff; Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 2; Hohmann MK Rdn. 1; Rudolphi SK Rdn. 2 (die zur Erhaltung und Verwahrung von Sachen ausgeübte fürsorgliche Hoheitsgewalt); Fischer Rdn. 2;

610

5 6

7 8

9 10

ablehnend zur Vertrauenskomponente.· Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 73 Rdn. 5. Schröder JR 1963 427. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben 2; Hohmann MK Rdn. 1. Ostendorf NK Rdn. 4. Hohmann MK Rdn. 2; Ostendorf NK. Rdn. 7. Vgl. Geppert Jura 1981 42, 43. Verurteiltenstatistik des Statistischen Bundesamtes, Rechtspflege, Fachserie 10, Reihe 3.

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Verwahrungsbruch

1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

§ 133

44 38 34 36 31 27 24 24 29 31

IV. Tatobjekt 1. Bewegliche Sachen. Abweichend von § 133 a.F. begnügt sich der Tatbestand mit einer allgemeineren Umschreibung der Tatobjekte und führt neben den beweglichen Sachen lediglich beispielhaft noch Schriftstücke an.

4

Die strafbare Handlung kann demnach begangen werden an beweglichen Gegenständen jeglicher Art; 11 als Tatobjekte kommen auch vertretbare und verbrauchbare Sachen in Betracht, sofern sie nicht nur der Gattung nach zurückerstattet werden sollen. 12 Geeignete Tatobjekte sind schließlich auch zu Untersuchungs- und Beweiszwecken behördlich in Verwahrung genommene Sektionsleichen, denen nach h.M. Sacheigenschaft zukommt.13 Auf die Eigentumsverhältnisse des Tatobjekts kommt es nicht an, 14 weshalb § 133 auch in Betracht kommt, wenn der Täter einen ihm gehörenden Gegenstand entzieht, z.B. durch Entwendung der gepfändeten eigenen Sache aus dem Gewahrsam des Gerichtsvollziehers oder durch Wegfahren des beschlagnahmten eigenen Pkw vom Hof der Polizeidienststelle nach Aufbrechen des Hoftores 15 bzw. vom Betriebsgelände des Abschleppunternehmers ohne polizeiliche Freigabeerklärung.16 Gegenstand der Tat können deshalb auch herrenlose Sachen sein. Der Wert der Gegenstände ist für die Strafbarkeit unerheblich.17

5

Schriftstücke brauchen keinen Urkundencharakter i.S. des § 267 zu haben, auf ihre 6 Beweiserheblichkeit kommt es somit nicht an. Jedoch muss ihnen in Unterscheidung zu den anderen beweglichen Sachen zumindest ein gedanklicher Inhalt zukommen.18 Hierzu zählen z.B. die Versteigerungsbenachrichtigung des Gerichtsvollziehers,19 entwertete, bestimmungsgemäß auf polizeiliche Erlaubnisscheine aufgeklebte Gebührenmarken, 20 Register,21 Akten, auch weggelegte, wenn sie noch aufbewahrt werden müssen,22 die Personalakte eines Beamten oder Richters 23 und Briefe. 24 11 12 13 14 15 16 17

Vgl. RGSt 51 416, 417; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 73 II Rdn. 6. BGHSt 18 312, 313. Vgl. Sch/Schröder/Eser § 2 4 2 Rdn. 10. RGSt 4 7 393, 394; Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 3. Vgl. Otto Jura 1985 148, 150. BayObLG NJW 1992 1399; Geppert JK 93, StGB § 133/2. RG Recht 1916 Nr. 2 0 2 8 ; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Hohmann MK Rdn. 4.

18 19 20 21 22 23 24

Vgl. RGSt 63 31, 32; RG H R R 1940 Nr. 5 7 6 ; OLG Oldenburg NdsRpfl 1949 110, 111. RGRspr. 6 614. BGHSt 3 289. RGSt 67 2 2 6 , 229. RGSt 63 31, 33; vgl. aber OLG Köln J R 1 9 8 0 382, 383. Vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1981 25. Vgl. BGHSt 4 0 8, 24.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

2. Dienstliche Verwahrung. Die Sache muss sich in dienstlicher Verwahrung befinden (1. Alt.) oder einem anderen dienstlich in Verwahrung gegeben worden sein (2. Alt.). a) Sache befindet sich in dienstlicher Verwahrung (1. Alt.)

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aa) Begriff. Eine Sache befindet sich in dienstlicher Verwahrung, wenn sie von einer Behörde, einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts, 25 einem Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2), Richter oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, von einem Organ der Selbstverwaltung 26 oder einer Dienststelle der Bundeswehr 2 7 im Rahmen des jeweiligen dienstlichen Aufgabenbereiches in Gewahrsam genommen wurde, um sie für bestimmte, über das bloße Funktionsinteresse der Behörde hinausgehende Zwecke zu erhalten und sie hierzu der dienstlichen Verfügung zu unterwerfen. 2 8 Der dienstliche Gewahrsam setzt also entsprechende hoheitliche Kompetenzen der die Verwahrung begründenden Stelle voraus. Die Verwahrung muss auf deutsche Hoheitsgewalt zurückzuführen sein. 29 Eine entsprechende, durch den Staat verliehene hoheitliche Kompetenz zur dienstlichen Inverwahrungnahme kommt auch den sog. beliehenen Unternehmern (TÜV; amtlich bestellte Vermessungsingenieure) und anderen außerstaatlichen Trägern hoheitlicher Befugnisse (Notare, §§ 23, 25 BNotO) zu. 3 0 Privatpersonen können mangels hoheitlicher Befugnisse eine dienstliche Verwahrung i.S. der ersten Alternative nicht begründen, 31 kommen aber als Empfänger einer kraft hoheitlicher Anordnung übertragenen dienstlichen Herrschaftsgewalt i.S. der zweiten Alternative in Betracht. An einem dienstlichen Gewahrsamsverhältnis mangelt es auch, wenn der Gerichtsvollzieher eine nach §§ 808 Abs. 2, 809 ZPO gepfändete Sache im Besitz des Schuldners oder Gläubigers belässt. 32

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Bei Post und Bahn handelt es sich nach dem PTNeuOG 1994 (BGBl. I S. 2325) und dem ENeuOG 1993 (BGBl. I S. 2378) um privatrechtliche Aktiengesellschaften mit privatrechtlichen Benutzungsverhältnissen. Diese Unternehmen haben also nicht mehr die rechtliche Struktur eines Sondervermögens des Bundes mit hoheitlich bzw. dienstlich ausgestalteter Aufgabenstellung; es mangelt an einer Ausprägung staatlicher Organstellung. 33 Die der Deutschen Post AG oder der Deutschen Bahn AG übergebenen Sachen werden deshalb nicht mehr dienstlich verwahrt. 3 4 Die für Post- und Bahngut zu § 133 ergangenen Entscheidungen 3 5 sind insoweit nicht mehr einschlägig. Eine Ausnahme gilt für ein der Post zur förmlichen Zustellung übergebenes Schriftstück, da der Deutschen Post AG als beliehener Unternehmer gem. § 33 Abs. 1 Satz 2 PostG das Recht übertragen ist, Schriftstücke nach den Regeln des Prozess- und Verfahrensrechts förmlich zustellen zu können. 3 6 Gleiches gilt für die anderen nach den §§ 5 ff PostG lizensierten privaten Anbieter von Briefzustellungsleistungen. 25

26 27 28 29

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31 32 33

BGHSt 18 312, 313; Brüggemann Der Verwahrungsbruch, S. 59. Vgl. OGHSt 2 1 5 7 , 1 5 9 . EEGStGB BTDrucks. 7/550, S. 2 2 4 . BGHSt 18 312, 313; BayObLG JZ 1988 726. Vgl. Brüggemann Der Verwahrungsbruch, S. 235. Vgl. Brüggemann Der Verwahrungsbruch, S. 6 0 f; Geppert Jura 1986 5 9 0 , 595 f. RGSt 5 0 357, 359. Vgl. Meyer JuS 1971 643, 644. Vgl. hierzu BGH N J W 1957 1673; BayObLG N J W 1993 2947.

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Sch/SchröderlCramer/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Hohmann M K Rdn. 10; Rudolphi SK Rdn. 6a. RGSt 2 2 206; 43 175; 51 226; 51 417; 53 2 2 0 ; 5 7 371; RG LZ 1918 572; 1920 532; RG JW 1927 1594; BGH bei Dallinger M D R 1952 658; OGHSt 2 148; OLG Hamburg JR 1953 27. Vgl. BGH NJW 1998 1716; OLG Frankfurt NJW 1996 3159.

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Verwahrungsbruch

Erfolgt die Übergabe einer Sache an einen Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, sei es durch eine Privatperson oder einen anderen Amtsträger, so ist die Übergabe eine dienstliche, wenn sie mit Rücksicht auf die dienstliche Stellung des Empfängers oder auf Grund amtlicher Anordnung erfolgt oder sich aus den Umständen ergibt, dass der dienstliche Gewahrsam weiterbestehen soll. Ein Verwahrungsbruch entfällt nicht deshalb, weil der Beamte zur Entgegennahme des Gegenstandes nicht berechtigt ist. 37 Etwas anderes gilt aber, wenn die Übergabe an den Amtsträger außerhalb der dienstlichen Sphäre erfolgt und der Amtsträger die Weiterleitung des Gegenstandes als Akt privater Gefälligkeit für den Geber vornehmen will. 38

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bb) Abgrenzung zum allgemeinen Amtsbesitz. Der dienstliche Verwahrungscharakter äußert sich darin, dass die Verwahrung kraft der Dienststelle verliehenen Hoheitsrechts angeordnet ist, um die Sache als solche für bestimmte, über das innerbehördliche Funktionsinteresse hinausgehende Zwecke, für die Erfüllung der ihr obliegenden öffentlichen Aufgaben unversehrt zu erhalten und vor unbefugten Zugriffen zu bewahren.39 Maßgebend ist somit, dass sich in dem Gewahrsam die besondere dienstliche Herrschafts- und Verfügungsgewalt äußert, die den jeweiligen staatlichen Aufgaben der verwahrenden Dienststelle entspringt.40

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An einem Verwahrungsverhältnis mit einer derartigen Zweckbestimmung fehlt es bei Gegenständen des allgemeinen Amtsbesitzes, deren Funktion sich in Gebrauch oder Verbrauch im Amt oder als Mittel zur Durchführung dienstlicher Aufgaben erschöpft.41 Nicht verwahrt werden deshalb behördliche Inventarstücke,42 Schreibmaschinen und Computeranlagen in einem Büro, 43 Formblätter vor ihrer Ausfüllung,44 Blanko-Formulare für Führerscheine,45 Einrichtungsgegenstände einer Dienststelle und Werkzeug zur Erfüllung ihrer Aufgaben,46 Benzinmarken,47 Generalschlüssel der Vollzugsbediensteten für Verschlusseinrichtungen in der Vollzugsanstalt,48 Verbrauchsgegenstände wie Benzinvorräte der Behörde, 49 zur Bestreitung von Ausgaben vorgesehene Geldmittel in öffentlichen Kassen, 50 Gegenstände, die zum alsbaldigen Verkauf oder zur Vernichtung bestimmt sind 51 wie abgelaufene Reisepässe52 oder zum Einstampfen bestimmte Schriftstücke,53 der Brief eines Gefangenen, der noch nicht der Verwaltung der Justizvollzugs-

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BGHSt 38 381, 387; Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 11; Hohmann MK Rdn. 12. Vgl. BGHSt 38 381, 385. Vgl. BGHSt 5 155, 160; 9 64, 66 f; 18 312, 313; 38 381, 386; BayObLG JZ 1988 726; AG Koblenz wistra 1999 397 f; vgl. auch Otto JuS 1980 490; Brammsen Jura 1989 81, 83, 85. AG Koblenz wistra 1999 397 f; EEGStGB BTDrucks. 7/550, S. 224; Niederschriften 13,

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601. 41

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Vgl. BGHSt 18 312, 314; Geppert Jura 1986 590, 596; Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 6. RGSt 52 240. RG HRR 1937 608. RGSt 24 385 f; BGHSt 18 312, 314. Geppert Jura 1986 590, 596 f; aA Marcelli

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NStZ 1985 500; offengelassen in BGHSt 33 190, 193. RGSt 52 240; BGHSt 18 312, 314. BGHSt 4 237, 241. AA Krehl Jura 1989 646, 648. RGSt 72 172, 173; BGHSt 4 236, 241; 38 381, 386; BGH bei Herlan MDR 1955 527 (Benzin für den Eigenbedarf). BGHSt 18 312, 314 m. Anm. Schröder JR 1963 427. RGSt 63 31, 33; BGHSt 9 64, 66 f (Schlacken und Metallreste, die als Abfälle aus dem Verbrauch von Kohle- und Metallvorräten bei einem Betriebswerk eines öffentlichen Unternehmens lagern und aufbewahrt werden, um demnächst verkauft zu werden); BGHSt 18 312, 314. OLG Köln MDR 1960 946. OLG Oldenburg NdsRpfl 1949 110, 111.

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anstalt übergeben ist, auch wenn er auf einem ihm ausgehändigten Briefbogen geschrieben ist, 5 4 einem Staatsanwalt als Hilfsmittel zur Weiterbildung oder als Bearbeitungsmuster (Schimmel) überlassene Überstücke von Anklageschriften mangels behördlichen Erhaltungsinteresses, 55 Sachen, die eine Behörde dem Empfänger zur bestimmungsgemäßen Verwendung ausgehändigt hat, z.B. Führerscheine oder Personalausweise, 56 Gegenstände in öffentlichen Sammlungen und Bibliotheken, auch wenn sie als Kulturgut für spätere Generationen erhalten bleiben sollen. 57 Diesen Gegenständen fehlt die Zweckbestimmung fürsorglicher Hoheitsgewalt. Sie genießen deshalb keinen weitergehenden strafrechtlichen Schutz als Eigentum und Gewahrsam anderer Rechtsträger. 58 13

cc) Wirksamkeit der Anordnung. Die Verwahrung muss auf einer bestandskräftigen Anordnung beruhen; 5 9 auf die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung kommt es nicht an. 6 0 Unerheblich ist also, ob die dienstliche Verwahrung sachlich gerechtfertigt, der Amtsträger zuständig, die Verwahrung vorschriftsmäßig, der Amtsträger im Falle amtlicher Inverwahrungnahme zur Entgegennahme berechtigt oder verpflichtet war.

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dd) Dauer, Zweck und Zeitpunkt der Verwahrung. O b es sich um eine dauernde oder vorübergehende Verwahrung handelt, spielt keine Rolle. 6 1 Unerheblich ist auch der Zweck der Verwahrung; diese kann dem öffentlichen oder privaten Interesse dienen, im Interesse der Rechtsordnung oder des wirtschaftlichen Verkehrs liegen. 62

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§ 133 ist allerdings nur anwendbar, wenn der Gegenstand zur Zeit der Tat in dienstlichen Gewahrsam genommen und noch nicht daraus entlassen war. Ein übergeordneter Mitgewahrsam der verwahrenden Stelle im Sinne eines verbleibenden Einflusses auf die weitere Behandlung der Sache reicht aus. 6 3 Die dienstliche Verfügungsgewalt dauert so lange an, bis sie durch Erfüllung des Zwecks der Verwahrung oder durch anderweitige dienstliche Verfügung wieder aufgehoben wird. 6 4 Die dienstliche Verfügungsgewalt endet beispielsweise, wenn der Gegenstand auf Veranlassung des zur amtlichen Verfügung darüber Berechtigten der allgemeinen dienstlichen Verwendung zugeführt wird, indem etwa

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RGSt 72 172, 173. OLG Köln NJW 1 9 8 0 898 m. zust. Anm. Rudolphi J R 1980 383 f; Otto JuS 1980 4 9 0 ff. OLG Braunschweig N J W 1960 1120,1121. Hobmann MK Rdn. 7; Fischer Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 7; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 73 II Rdn. 7; Waider GA 1961 366, 371; aA Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 7; Sternberg-Lieben Jura 1996 5 4 4 ; 5 4 6 ; Brüggemann Der Verwahrungsbruch, S. 126, 130 (generalisierend für Ausstellungsstücke in öffentlichen Museen/Galerien etc. mit dem Hinweis, dass es bei Kunstgegenständen auch um die Erhaltung in ihrer Individualität zwecks weiterer Verwendung gehe; differenzierend für Bücher nach der Funktion der jeweiligen Bibliothek). Vgl. BGHSt 3 3 190, 193; 38 381, 386. Hohmann MK Rdn. 9; Sch/Schröder/Cramer/

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Sternberg-Lieben Rdn. 13a; Lackner/Kühl Rdn. 5; Brüggemann Der Verwahrungsbruch, S. 94; aA Maurach /Schroeder/ Maiwald BT 2 § 73 II Rdn. 10, § 69 II Rdn. 10 ff, die eine Rechtmäßigkeit der dienstlichen Verwahrung im weiteren Sinne voraussetzen. Vgl. auch RGSt 2 8 382; BGHSt 5 155, 160; 33 190, 194; 3 8 381, 387 (tatsächliche Begründung staatlicher Herrschaftsgewalt mit der Pflicht zum fürsorglichen Gewahrsam); Luke FS Arthur Kaufmann, S. 573. Vgl. RGSt 2 2 2 0 4 , 2 0 5 ; 4 3 175; BGHSt 4 0 8; BayObLG GA 1959 350. Vgl. RGSt 2 2 2 0 4 , 2 0 5 ; 4 3 175. BGHSt 4 0 8, 25. RGSt 28 107; 33 413, 415; BGHSt 18 312, 313; BGH bei Daliinger MDR 1952 658; OGHSt 2 157, 158; OLG Hamburg J R 1953 27.

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der ausgefertigte Führerschein an den Fahrerlaubnisinhaber ausgehändigt 65 oder das abgeschleppte Kraftfahrzeug nach polizeilicher Freigabeerklärung bzw. nach Begleichung der Abschlepp- und Aufbewahrungskosten herausgegeben wird. 6 6 Gibt der Gerichtsvollzieher die gepfändete Sache, die er in Besitz genommen hatte, dem Schuldner zurück, endet das von § 133 vorausgesetzte Obhutsverhältnis. 67 Der amtliche Gewahrsam dauert fort, wenn Sachen einem amtlichen/beliehenen Übermittler zur Überbringung an den bestimmungsgemäßen Empfänger ausgehändigt werden. 6 8 Endet die amtliche Eigenschaft des Beamten, in dessen Verwahrung sich der Gegenstand befindet, hört der dienstliche Gewahrsam nicht ohne weiteres a u f ; 6 9 es bestehen insoweit nachwirkende Amtspflichten unter Fortdauer des dienstlichen Gewahrsams bis zur korrekten Rückgabe. Im Einzelnen ist es Tatfrage, ob der dienstliche Gewahrsam - wenn auch in gelockerter Form - noch besteht. 70 Dieser dürfte bei Transportgütern, die aus einem Güterwagen auf den Bahnkörper geworfen wurden, zu verneinen sein (zur geänderten Rechtslage bei Bahn und Post siehe oben Rdn. 9). 7 1 Gibt der Strafverteidiger die ihm zur Einsichtnahme überlassenen und damit dienstlich in Verwahrung gegebenen Prozessakten unbefugt an den Beschuldigten weiter, so wird mit der Übergabe der spezifisch dienstliche Gewahrsam beseitigt; mangels tauglichen Tatobjekts können nunmehr erfolgende Manipulationen des Beschuldigten nicht nach § 133 erfasst werden. 7 2 Die gleiche Folge ergibt sich bei einer pflichtwidrigen, den spezifischen dienstlichen Rahmen sprengenden Herausgabe von verwahrten Gegenständen durch den an sich dienstlich Verfügungsberechtigten an Dritte. 7 3

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ee) Aufbewahrungsort. Keine maßgebliche Bedeutung kommt dem Aufbewahrungsort zu. Er muss nicht allgemein für die dienstliche Verwahrung bestimmter Gegenstände vorgesehen sein; 7 4 es genügt, dass ein privater Ort für den Einzelfall zur dienstlichen Verwahrung bestimmt wird. 7 5 Dienstlicher Gewahrsam wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass dritte Personen zu dem Verwahrungsort Zutritt haben. 7 6 So befinden sich zur Feststellung der Blutalkoholkonzentration bestimmte Blutproben, die in einem für Dritte zugänglichen polizeilichen Dienstraum in einem offenen Schrank abgestellt sind, in dienstlicher Verwahrung. 77 Verbringt ein Amtsträger den Gegenstand in seine Wohnung, um damit zu arbeiten, so befindet sich dieser auch dort in dienstlicher Verwahrung, z.B. bei Mitnahme von Prozessakten durch einen Richter zum Wochenendstudium oder von Examensklausuren durch einen Prüfer zwecks Korrektur. 7 8 Der Aufbewah-

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BGHSt 3 3 190, 193; aA Wagner J Z 1987 705, 7 0 6 für den Fall der bösgläubigen Ausstellung von Führerscheinen durch den Amtsträger, weil noch nicht einmal der Anschein einer gesetzmäßigen Beendigung des Verwahrungsbesitzes erweckt werde. Vgl. BayObLG NJW 1992 1399 m. Anm. Geppert JK 93 StGB § 133/2. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Hobmann MK Rdn. 18. Vgl. BGH 4 StR 356/57 v. 15.8.1957. RGSt 2 8 108. Vgl. RGSt 2 2 2 0 4 , 2 0 6 . Rudolphi SK Rdn. 5; vgl. auch Scb/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 8; a A RG L Z 1920 532; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2

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§ 73 II Rdn. 7; vgl. auch OGHSt 2 157, 158; OLG Hamburg J R 1953 2 7 ; BGH bei Daliinger MDR 1952 658. Vgl. Schmitt Jura 1983 658, 659. Vgl. BGHSt 4 0 8, 2 4 ; hierzu Geppert, JK 94, StGB § 246/8. RGSt 2 8 108; RG H R R 1 9 4 0 Nr. 576. BayObLGSt 1 9 5 9 37: ein Kontrollbeamter bewahrt entnommene Proben vorübergehend in der Küche des kontrollierten Anwesens auf. RGSt 5 0 356, 358; BayObLGSt 1 9 5 9 37. BayObLG J Z 1988 726. Vgl. BGH 1 StR 7 7 2 / 5 2 v. 23.7.1953; wistra 1997 99; Geppert Jura 1 9 8 6 5 9 0 , 5 9 6 .

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rungsort kann auch beweglich sein. 79 Es ist nicht erforderlich, dass eine Beziehung des verwahrten Gegenstandes zu einem oder mehreren bestimmten Menschen besteht; daher waren vor der Privatisierung von Post und Bahn auch die in den Briefkasten der Post eingeworfenen Briefe oder Waren im Güterwagen der staatlichen Eisenbahnbehörde dienstlich verwahrt. 8 0 18

ff) Beispiele. Als dienstlich verwahrte Sachen sind z.B. angesehen worden: Wahlzettel in der Wahlurne, 8 1 behördliche oder gerichtliche Akten, auch wenn sie archiviert sind, 8 2 der Schriftsatz einer Partei, nachdem er zu den Akten genommen worden ist, 83 die amtlich aufbewahrte Blutprobe, 84 der nach § 44 Abs. 3 S. 2 StGB, § 25 Abs. 2 StVG amtlich verwahrte Führerschein, der ausgefertigte und zur Abholung durch den Antragsteller bereitgestellte Führerschein, 85 selbst wenn er versehentlich oder absichtlich für nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigte Personen ausgestellt wird, 8 6 Gegenstände, die aufgrund der Hinterlegungsordnung bei Gericht hinterlegt sind, Urkunden und Wertgegenstände in der Verwahrung des Notars (§§ 23, 25 BNotO), Asservate der Staatsanwaltschaft, Schriftstücke, Beweis- und Zahlungsmittel, die ein Staatsanwalt im Rahmen seines dienstlichen Aufgabenbereichs entgegennimmt, 87 auch zur Erfüllung von Auflagen nach § 153a StPO übergebene Schecks, Dienstregister des Gerichtsvollziehers, 88 Kostenregister der Gerichtskassen, 89 Fahrerlaubniskarteien der Führerscheinbehörden, 90 bei Polizeidienststellen befindliche Messprotokolle über Funk-Stopp-Verfahren, 91 das Resteverzeichnis bei einer Behörde, 92 Examensklausuren in der Obhut des Prüfers. 93 Bei Geld kommt es darauf an, ob die Münzen oder Scheine in amtlichen Kassen zur weiteren amtlichen Verfügung gehalten werden sollen. 94 Ist es zur Auszahlung bestimmt, liegt es zur Erfüllung der behördlichen Zahlungsverpflichtungen bereit oder dient es dem amtlichen Geschäftsverkehr, kommt § 133 nicht in Betracht. 95

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b) Sache ist einem anderen dienstlich in Verwahrung gegeben (2. Alt.). In den Schutzbereich des § 133 fallen ferner Sachen, die einem Nichtamtsträger dienstlich in Verwahrung gegeben worden sind (§ 133 Abs. 1 2. Alt.). Wird ein Gegenstand einem Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten mit Rücksicht auf seine dienstliche Stellung von einem Dritten, sei es einer Privatperson oder einem anderen Amtsträger, übergeben, so tritt mit der Übergabe dienstliche Verwahrung ein oder besteht diese im Falle der Übernahme von einem anderen Amtsträger bei schon begründetem dienst-

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Vgl. RGSt 22 204. Vgl. RGSt 22 204, 206; 51 416, 417; 57 371; RG H R R 1927 Nr. 188. RGSt 56 399. RGSt 63 31, 33; OLG Köln NJW 1980 898 m. Anm. Rudolphi JR 1980 383 und Otto JuS 1980 490. BGH 4 StR 512/66 v. 10.11.1967. BGH N J W 1954 281, 282; BayObLG NStE § 133 StGB Nr. 1. BGHSt 33 190, 193. Wagner J Z 1987 705, 706; vgl. Brüggemann Der Verwahrungsbruch, S. 2 0 7 f. BGHSt 38 381, 386 m. Anm. Brammsen NStZ 1993 542. RGSt 7 252.

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RGSt 23 236. BGH 3 StR 47/73 v. 29.8.1973. OLG Köln VRS 50 421, 423. RGSt 49 32. Vgl. Geppert Jura 1986 590, 596. Vgl. BGH 3 StR 238/54 v. 20.1.1955 bei Pfeiffer/Maul/Schulte Anm. 3 (Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf der Bundesbahn); aA Schröder JR 1963 427 bzgl. des Geldes, das als abgerechneter Bestand einer Kasse zur amtlichen Ablieferung bereitgehalten wird. Vgl. BGHSt 18 312, 314; Schröder JR 1963 427; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 6.

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Verwahrungsbruch

liehen Gewahrsam fort. Diese Fälle werden bereits von der ersten Alternative erfasst. Mit der zweiten Alternative soll auch der Schutz solcher Gegenstände sichergestellt werden, die einer Privatperson dienstlich übergeben werden, 96 etwa einer Bank zur Verwahrung im Stahlfach für eine Dienststelle, 97 ferner Strafakten, die dem Verteidiger gemäß § 147 Abs. 4 StPO zur Akteneinsicht in dessen Kanzlei ausgehändigt werden. 98 Dienstlich in Verwahrung gegeben ist eine Sache nur dann, wenn dem Empfänger dienstliche Herrschaftsgewalt übertragen worden ist. 99 Das setzt voraus, dass die Übergabe aufgrund dienstlicher Anordnung kraft Amtes des Übergebenden zustande gekommen ist; 1 0 0 sie muss mindestens mittelbar von einem Amtsträger ausgehen. Außerdem muss objektiv erkennbar sein, dass trotz der Übergabe an eine Privatperson „der amtliche Gewahrsam, die amtliche Verfügungsgewalt" fortdauern soll. 101 Das ist z.B. angenommen worden bei einem Kraftfahrzeug, das im Auftrag der Polizei auf das Betriebsgelände eines privaten Abschleppunternehmers geschleppt wird, wenn die Entscheidung über die Herausgabe bei der Polizei verbleibt; 1 0 2 im Falle einer Deponierung beschlagnahmter Gegenstände bei der Frau des Gemeindevorstehers; 103 bei Aushändigung eines Beschlusses wegen Bestrafung von Schulversäumnissen zum Durchlesen und Unterschreiben. 104 Bei der Übertragung von Sachgesamtheiten werden von der (fortbestehenden) Herrschaftsgewalt auch solche Teile umfasst, die den Beteiligten in ihrer Individualität nicht bekannt sind. 105 Eine Fortdauer des dienstlichen Gewahrsams ist dagegen nicht gegeben, wenn die Übergabe einer Urkunde im Wege der Zustellung oder Ersatzzustellung erfolgt, 106 wie sie überhaupt in allen Fällen zu verneinen ist, in denen die Sache oder das Schriftstück dem Beteiligten zu seiner freien Verfügung ohne erkennbaren Vorbehalt des dienstlichen Gewahrsams überlassen wird. So besteht kein dienstlicher Gewahrsam an einem polizeilichen Aufforderungszettel, der an einem Kraftfahrzeug angebracht wird; 1 0 7 ebenso wenig bei Aushändigung von Führerscheinen oder amtlichen Ausweisen. 108 Die Belassung gepfändeter Sachen im Besitz des Schuldners führt ebenfalls nicht zur Übertragung dienstlicher Verwahrungsgewalt auf diesen, weil die Sache dem Schuldner nicht dienstlich in Verwahrung gegeben, sondern mit einem Pfandzeichen versehen lediglich in dessen Wohnung belassen wird. 1 0 9

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c) Kirchenamtliche Verwahrung (Abs. 2). Absatz 2 dehnt den Strafschutz auf Fälle aus, in denen sich das Tatobjekt in amtlicher Verwahrung einer Kirche oder anderen Religionsgemeinschaft des öffentlichen Rechts 1 1 0 befindet. Als Tatobjekte kommen insbesondere Kirchenbücher oder andere kirchenamtliche Personenstandsurkunden in Betracht. 111

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Fischer Rdn. 5; Geppert Jura 1986 590, 597; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 73 II Rdn. 8. 9 7 Ε 1962, S. 612; Niederschriften 13 601. 98 Schmitt Jura 1983 658 f. " Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Rudolphi SK Rdn. 8; Lackner/Kühl Rdn. 4. 1 0 0 RGSt 43 2 4 6 ; 5 4 2 4 4 , 245. 101 RGSt 5 4 2 4 4 , 245; OLG Hamburg JR 1964 228, 2 2 9 m. Anm. Schröder; Geppert Jura 1986 5 9 0 , 597. 1 0 2 BayObLG NJW 1992 1399 m. Anm. Geppert JK 93 StGB § 133/2. 96

RGSt 54 2 4 4 , 245. RGSt 10 387. 105 Yg] Brüggemann Der Verwahrungsbruch, S. 153. 1 0 6 RGSt 35 28. 1 0 7 OLG Hamburg NJW 1964 736, 738; Schröder JR 1964 2 3 0 . 108 Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Hohmann MK Rdn. 11. 109 Geppert Jura 1986 590, 596; Meyer JuS 1971 643, 645; Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 10; Hohmann MK Rdn. 11. 1 1 0 Vgl. § 132a Rdn. 5 6 ff. 111 Ε 1962 S. 612. 103 104

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§ 133

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

V. Tathandlungen 22

Die Tathandlung besteht darin, dass der Täter die Sache zerstört, beschädigt, unbrauchbar macht oder der dienstlichen Verfügung entzieht.

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1. Zerstören, Beschädigen und Unbrauchbarmachen. Zerstören bedeutet sowohl die völlige Vernichtung des Gegenstandes in seiner Sachsubstanz, z.B. das Verbrennen der polizeilichen Ermittlungsakte, wie auch die vollständige Aufhebung der bestimmungsgemäßen Gebrauchsfähigkeit im Wege einer Substanzbeeinträchtigung. 112

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Beschädigen bedeutet eine Beeinträchtigung der Substanz oder eine nicht nur unwesentliche Minderung der Brauchbarkeit i.S. der dem dienstlichen Verwahrungszweck entsprechenden Funktion. 113 Dies kann bei Urkunden und anderen Schriftstücken auch ohne Beeinträchtigung der stofflichen Unterlagen durch Durchstreichen, Radieren, Überkleben oder sonstiges Fälschen, d.h. im Wege der verändernden Einwirkung auf den verkörperten Gedankeninhalt geschehen. 114 Erfasst wird auch das Entfernen der Blutspuren von einem Kleidungsstück des potentiellen Täters, das im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens als wichtiger Beweisgegenstand in dienstliche Verwahrung genommen ist. Bei einem Fahrerlaubnisregister ist das Beschädigen (durch Vernichtung einer Karteikarte und ihre Ersetzung durch eine solche mit unvollständigen Eintragungen) auf die Gesamturkunde zu beziehen, deren gedanklicher Inhalt dadurch verändert wird. 115 Nicht ausreichend ist das Anbringen von Notizen oder unbefugten Eintragungen in den Geschäftskalender, wenn der bisherige Inhalt des Schriftstücks dabei nicht verändert wird; 1 1 6 ebensowenig eine Verschmutzung, die die Lesbarkeit nicht beeinträchtigt. Das Öffnen und Wiederverschließen eines Briefes allein ist noch keine Beschädigung einer Urkunde. 117 Als Beschädigen ist aber das Beseitigen der Plomben an einem zollrechtlich verschlossenen Behältnis anzusehen. 118

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Das Merkmal „unbrauchbar machen" liegt vor, wenn die bestimmungsgemäße Funktionsfähigkeit einer Sache aufgehoben, eine dem Zweck der dienstlichen Verwahrung entsprechende Verwendung also unmöglich gemacht wird. Dies kann z.B. erfüllt sein beim Löschen eines Tonbandes oder beim Auseinandernehmen einer technisch kompliziert zusammengesetzten Sache. 119 Ein derart tatbestandsrelevantes Verhalten kommt auch dann in Betracht, wenn an Leichen, die zwecks behördlich angeordneter Obduktion (§ 87 Abs. 2 StPO) in Verwahrung genommen sind, von dem betrauten Institut außerhalb des Anordnungsrahmens aus Forschungsgründen eigenmächtig Eingriffe vorgenommen werden, die eine zweckentsprechende Durchführung ermittlungsrelevanter Untersuchungen gefährden oder in Frage stellen. Unter den gleichen Voraussetzungen erfüllt die eigenmächtige Entnahme von Leichenteilen bei wissenschaftlichen Nebensektionen außerhalb des gerichtlichen Sektionszwecks das Merkmal „unbrauchbar machen".

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Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Hohmann MK Rdn. 15. Vgl. OLG Celle NJW 1988 1101; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Hobmann MK Rdn. 15. BGH 3 StR 4 7 / 7 3 v. 29.8.1973; RGSt 19 319, 320; 5 9 321, 322; 67 2 2 6 , 229.

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BGH 3 StR 4 7 / 7 3 v. 29.8.1973. RGSt 67 2 2 6 , 229. Vgl. OLG Stuttgart NJW 1950 197. RGSt 67 231, 2 3 2 . Vgl. Ε 1962, S. 4 2 0 .

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Verwahrungsbruch

§ 133

2. Der dienstlichen Verfügung entziehen a) Begriff. Der dienstlichen Verfügung entzogen ist eine Sache, wenn dem Berechtigten - der verwahrenden Stelle, dem Vorgesetzten des Täters oder einem Mitberechtigten - die Möglichkeit einer jederzeitigen Verfügung im Sinne einer bestimmungsgemäßen Verwendung der Sache auch nur vorübergehend genommen oder erheblich erschwert wird. 120 Der Tatbestand will die staatliche Herrschaftsgewalt gegen unbefugte Eingriffe sichern und zugleich das Vertrauen in diese Herrschaftsgewalt sichern, nämlich das Vertrauen, dass Gegenstände, die sich kraft staatlichen Hoheitsrechts im Besitz des Staates befinden und denen der Staat seine Fürsorge erkennbar zugewendet hat, auch ordnungsgemäß aufbewahrt werden.121 Nicht erforderlich ist, dass durch die Tat tatsächlich eine geplante Verwendung der Sache verhindert wurde. Einen Schaden oder einen Nachteil als Folge der Tat setzt § 133 nicht voraus. Auf die Dauer der Entziehung kommt es nicht an; 122 es genügt z.B. die Entwendung von Strafakten aus der Geschäftsstelle eines Gerichts, auch wenn die Akten dem Täter bereits beim Verlassen des Gerichtsgebäudes wieder abgenommen werden können; 123 ferner das Ansichnehmen und Einstecken von Blutprobenvenülen in einer Polizeidienststelle durch einen Unbefugten, um eine Bestimmung der Blutalkoholkonzentration zu verhindern, und zwar auch dann, wenn der Täter von einem Bediensteten beobachtet und noch im Dienstgebäude gestellt werden kann. 124 Wann eine Sache der dienstlichen Verfügung entzogen ist, richtet sich unter Beachtung der vorstehenden Beurteilungskriterien nach den konkreten Umständen des Einzelfalles. Tatbestandsmäßig ist die Verwendung eines zur Erfüllung einer Geldauflage im Rahmen einer Verfahrenserledigung nach § 153a StPO übergebenen Schecks durch einen Staatsanwalt zu privaten Zwecken, 125 die unbefugte heimliche Mitnahme von Behördenakten durch einen Anwalt zum Zwecke des Fotokopierens, die unbefugte Weitergabe der dem Strafverteidiger gemäß § 147 Abs. 4 StPO überlassenen Ermittlungsakten an nicht berechtigte Dritte, z.B. an den Beschuldigten oder einen Zeugen, 126 die Überlassung von Verschlusssachen eines Ministeriums an die Presse.127

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Bei der Begehungsmodalität des der dienstlichen Verfügung Entziehens handelt es sich um eine Generalklausel. Erfasst werden nicht nur Fälle der Aufhebung der Verfügungsmöglichkeit des Berechtigten durch die Entfernung der Sache von dem bisherigen Aufenthaltsort, 128 sondern auch Sachverhalte, in denen dies ohne eine Ortsveränderung geschieht. Als Entziehen kommen deshalb in Betracht das Verstecken innerhalb der Amtsräume,129 das Einlegen eines Schriftstücks in eine falsche Akte 130 oder das Verschließen einer Akte im Schreibtisch zwecks Verhinderung ihrer Auffindung.131 Bloßes Verheimlichen der Aufbewahrung an einem zulässigen Ort als solches reicht trotz geschäftsordnungswidriger Behandlung dagegen nicht aus, 132 auch nicht das Ablegen

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Vgl. RGSt 2 2 2 4 2 ; 23 100, 101; 2 6 413, 414; 56 118; 72 1 9 3 , 1 9 7 ; BGHSt 35 340, 341; BGH NStZ 1995 4 4 2 , 4 4 4 ; BGH bei Dallinger MDR 1958 141; Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 15; Hohmann MK Rdn. 16. BGH NStZ 1995 4 4 2 , 4 4 4 . Vgl. RG DRiZ 1933 198. Krehl/Westphalen Jura 1990 485, 492; aA Meyer-Goßrter Jura 1989 324, 327 f für einen ähnlich gelagerten Fall: strafloser Versuch.

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Vgl. BayObLG J Z 1988 726. BGHSt 3 8 381, 386 f. Geppert Jura 1986 590, 5 9 7 ; Schmitt Jura 1983 658, 659. Vgl. BGHSt 2 9 2 4 4 f. EEGStGB BTDrucks. 7 / 5 5 0 , S. 2 2 4 . RGSt 2 6 413, 414. Vgl. BGHSt 15 18, 23. BGH 4 StR 5 6 6 / 5 6 v. 21.2.1957; RG L Z 1921 5 0 8 ; zust. Brüggemann Der Verwahrungsbruch, S. 180. RGSt 10 189 ff.

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von Schriftstücken im unverschlossenen Schreibtisch, da dort ihrer Auffindung keine Schwierigkeiten entgegenstehen. 133 Maßgebliches Abgrenzungskriterium ist insoweit die vom Täter verursachte Erschwernis der Auffindbarkeit des dienstlich verwahrten Gegenstandes. 1 3 4 Dagegen dürfte das ausdrückliche Ableugnen des Besitzes einer dienstlich verwahrten Sache gegenüber dem Vorgesetzten trotz ansonsten zulässiger Aufbewahrung als tatbestandserheblich zu werten sein. 135 Nach BGHSt 35 3 4 0 sollen Asservate und ein ärztliches Gutachten, die einem Kriminalbeamten in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren überlassen worden sind, nicht der dienstlichen Verfügung entzogen worden sein, wenn sie nach Beendigung der Ermittlungstätigkeit entgegen den Dienstvorschriften nicht zusammen mit den Ermittlungsvorgängen an die Staatsanwaltschaft weitergereicht, sondern, ohne dies in den Akten zu vermerken, weiter in einem unverschlossenen Schrank oder im unverschlossenen Schreibtisch im Dienstzimmer des Kriminalbeamten aufbewahrt werden. 1 3 6 28

Der Eintrag eines unrichtigen Erledigungsvermerks in das amtliche Tagebuch durch einen Polizeibeamten zwecks Vortäuschung der Bearbeitung einer liegengelassenen Strafanzeige gegenüber seinem Vorgesetzten erfüllt die Begehungsmodalität der Entziehung nicht; 1 3 7 ebenso Wenig ein kurzfristiger unbefugter Gebrauch wie Kopieren oder Durchlesen einer Gerichtsakte durch einen Nichtberechtigten am Verwahrungsort, der die jederzeitige Verfügbarkeit für den berechtigten Amtsträger nicht in Frage stellt. 138

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Die Mitnahme von Akten durch einen Amtsträger in seine Wohnung als solche ist nicht ohne weiteres ein Entziehen; etwas anderes gilt allerdings, wenn die Mitnahme aus pflichtwidrigen Gründen geschieht, etwa um Versäumnisse zu verschleiern, Daten für persönliche Zwecke zu gewinnen oder bei bewusster Beeinträchtigung ihrer Zugänglichkeit und Auffindbarkeit. 1 3 9

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Die Entziehung kann auch durch pflichtwidriges Unterlassen erfolgen, etwa durch die Nichtrückgabe eines Aktenstücks im Falle des Ausscheidens aus der Beamtenstelle, 1 4 0 durch die eine dienstliche Anordnung missachtende Verweigerung der Herausgabe einer Sache, die ein Amtsträger ordnungswidrig in Besitz hat 1 4 1 oder durch das pflichtwidrige Unterlassen der Weiterleitung einer sog. Anhaltemeldung durch einen Polizeibeamten, um die übliche Weiterbearbeitung des Vorgangs zu vermeiden. 142

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b) Einverständnis des Berechtigten. Die Entziehung muss gegen den Willen des Berechtigten oder Mitberechtigten geschehen. 1 4 3 Das Einverständnis des Berechtigten mit der Aufhebung der dienstlichen Verfügungsgewalt nimmt der entsprechenden Handlung

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Vgl. BGHSt 15 18, 23; 35 340, 343; BGH bei Daliinger MDR 1958 141; BGH 5 StR 559/60 v. 9.6.1961. BGHSt 35 340, 342. Hohmann MK Rdn. 17; Rudolphi SK Rdn. 10; Geppert Jura 1986 590, 598; aA zu § 133 a.F. RGSt 10 189; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 15. BGHSt 35 340, 343; aA Brammsen Jura 1989 81, 83 ff, der in der Nichtweitergabe eine „Besitzableugnung durch konkludentes Tun" sieht; zust. Lackner/Kühl Rdn. 6. BGHSt 15 18, 23.

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Brüggemann Der Verwahrungsbruch, S. 186. Fischer Rdn. 11. RG HRR 1940 Nr. 1153. Vgl. BGHSt 3 82, 88 m. Anm. Klein NJW 1953 636. BGH NJW 1975 2212. RG JW 1926 1175; BGHSt 40 8, 25; BGH 1 StR 504/60 v. 20.12.1960; OLG Düsseldorf NStZ 1981 25 f; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Hohmann MK Rdn. 18; Fischer Rdn. 10.

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Verwahrungsbruch

§ 133

den Charakter des Entziehens, wirkt somit tatbestandsausschließend.144 Dies gilt auch, wenn die Herausgabe durch Täuschung veranlasst ist. 145 Berechtigter ist derjenige Amtsträger, der kraft seines Amtes formell und selbstständig entscheidungsbefugt ist, die dienstliche Verfügungsgewalt über die Sache aufzuheben und den Gegenstand an Dritte herauszugeben. Das Einverständnis eines nicht verfügungsberechtigten Amtsträgers ist unerheblich.146 Steht die Freigabe der dienstlich in Verwahrung genommenen Sache im Ermessen des Amtsträgers und entscheidet sich dieser - wenngleich in pflichtwidriger Ermessensausübung - für eine Herausgabe an den berechtigten Empfänger, so liegt kein Verwahrungsbruch vor; so z.B. bei Herausgabe eines polizeilich vorläufig beschlagnahmten, d.h. in amtlichen Gewahrsam übernommenen Führerscheins an den Führerscheininhaber durch den Polizeibeamten.147 Entscheidend ist insoweit, ob der Amtsträger zur Freigabe von Sachen oder zur Aufgabe des Gewahrsams und damit des fürsorglichen Verwahrungsverhältnisses formell befugt ist und von dieser Befugnis in wirksamer Weise Gebrauch macht. Eine tatbestandserhebliche Entziehungshandlung des an sich zur dienstlichen Verfügung legitimierten Amtsträgers kommt allerdings dann in Betracht, wenn die Verfügung nicht mehr „im Rahmen des Dienstbetriebs" liegt; nicht ausreichend ist die dienstliche, wenn auch gesetzwidrige Verwendung eines Gegenstandes.148 § 133 kommt beispielsweise in Betracht, wenn sich der Amtsträger die Sache selbst zueignet,149 etwa einen dienstlich entgegengenommenen Scheck für private Zwecke einlöst, da es bereits am Anschein einer Freigabe fehlt; 150 wenn er die Sache an eine keinesfalls als rechtmäßiger Empfänger in Betracht kommende Person herausgibt,151 insbesondere, wenn sich Art und Weise wie auch die sich daraus erhellende Zwecksetzung der Aufbewahrungsbeendigung bzw. Drittüberlassung, ungeachtet eines gewissen dienstlichen Zusammenhangs, als gröbliche Verletzung der eigentlichen behördlichen Aufgaben- und Pflichtenstellung darstellt; 152 ferner wenn der Amtsträger die in dienstliche Verwahrung genommene Sache in einer den behördlichen Zielen widersprechenden Weise der Weiterbearbeitung entzieht 153 oder ihre spezifisch zweckbestimmte Verwendung etwa als Beweismittel vereitelt (z.B. Verschwindenlassen des Messprotokolls im Funk-Stopp-Verfahren).154

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Alle diese Missbrauchshandlungen fallen aus dem spezifisch dienstlichen Rahmen heraus. Das gilt auch für die bösgläubige Ausstellung und Herausgabe eines Führerscheins an einen Nichtberechtigten trotz eindeutig fehlender gesetzlicher Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis. Durch sie wird der Gegenstand dem geordneten Geschäftsgang, nämlich der gebotenen fortdauernden Verwahrung oder der

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Vgl. BGHSt 33 190, 194; BGH NJW 1954 281, 2 8 2 ; Geppert Jura 1986 590, 5 9 8 ; Brüggemann Der Verwahrungsbruch, S. 194 f. RGSt 56 118; BGHR StGB § 133 Entziehen 2; Fischer Rdn. 10. BGH NJW 1954 281, 2 8 2 . BGHSt 5 155, 161. BGHSt 33 190, 193 f m. Anm. Marcelli NStZ 1985 5 0 0 ; vgl. auch BGHSt 4 0 8, 2 5 m. Anm. Geppert JK 94 StGB § 2 4 6 / 8 ; BGH NStZ 1995 4 4 2 , 4 4 5 : wenn die Entziehung einer Sache unter nicht einzelfallbezogenem Missbrauch des dienstlichen Verwahrungszwecks erfolgt, dessen Achtung im

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berechtigten Interesse der Allgemeinheit liegt; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Hobmann MK Rdn. 18; Fischer Rdn. 11. BGHSt 5 155, 160. Vgl. BGHSt 38 381, 387; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Hohmantt MK Rdn. 18. BGHSt 5 155, 161; BGH GA 1978 2 0 6 . Vgl. hierzu BGH NStZ 1995 4 4 2 , 4 4 4 f; Schroeder J R 1995 95, 97; vgl. aber auch BGHSt 4 0 8, 2 4 f. BGH NJW 1975 2212. OLG Köln VRS 5 0 421, 4 2 3 .

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innerdienstlichen Vernichtung entzogen und einem wesentlichen dienstlichen Verwahrungszweck, die Aushändigung von Führerscheinen an Unberechtigte zu verhindern (vgl. hierzu etwa § 44 Abs. 3 Satz 2 StGB, § 25 Abs. 2 Satz 2 StVG), eklatant zuwidergehandelt. 155 Der Bundesgerichtshof hat den Bereich möglicher Täterschaft von Amtsträgern in diesem Fall allerdings enger eingegrenzt und entschieden, dass die Aushändigung des Führerscheins sich noch „im Rahmen des Dienstbetriebs" hält, auch wenn der amtlich Verfügungsberechtigte damit eine eindeutige Gesetzesverletzung begeht. 156 Hierdurch wird ein nicht unbedenklicher tatbestandlicher Freiraum für Amtsträger geschaffen. 34

Die Vernichtung von Briefsendungen durch Angehörige des MfS wird nach BGHSt 4 0 8, 25 von § 133 nicht erfasst, da der Gewahrsam der Deutschen Post zu diesem Zeitpunkt beendet und auf das MfS übertragen worden war, so dass an den nunmehr in den Gewahrsam des MfS gelangten Postsendungen kein rechtswidriger Gewahrsamsbruch verübt werden konnte. 1 5 7 Nach Auffassung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs dagegen liegt ein Entziehen durch den Postbeamten vor, weil mit der Herausgabe von Poststücken an das MfS der Gewahrsam des Vorgesetzten beeinträchtigt ist. 1 5 8

VI. Subjektiver Tatbestand 35

Für den subjektiven Tatbestand des Absatzes 1 und 2 ist Vorsatz erforderlich, wobei bedingter Vorsatz genügt. 159 Der Täter muss unter zutreffender Erfassung der sozialen Sinnbedeutung das Bewusstsein haben, dass sich die Sache in dienstlicher Verwahrung befindet oder einer Person dienstlich übergeben worden ist und dieses Verwahrungsverhältnis durch die Tathandlung beeinträchtigt wird. Soweit die Sache der dienstlichen Verfügung entzogen wird, muss der Täter wissen, dass dies gegen den Willen des Berechtigten geschieht. 160 Nicht erforderlich ist dagegen die Absicht oder das Bewusstsein, sich mit der amtlichen Autorität oder der öffentlichen Ordnung in Widerspruch zu setzen. 161 Soweit ein Irrtum des Täters über die Befugnis zu seiner Tat in Frage steht, ist zwischen der irrigen Annahme von zum Handeln berechtigenden Umständen (vorsatzausschließender Sachverhaltsirrtum) und der irrigen Annahme einer Befugnis trotz richtig erkannter Umstände (Verbotsirrtum) zu unterscheiden. 162 Die irrige Meinung des Täters, als Eigentümer zur Handlung befugt zu sein oder zu einer Herausgabe der Sache nicht verpflichtet zu sein, ist als Verbotsirrtum anzusehen. 163

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Wagner J Z 1987 705, 7 0 6 . BGHSt 33 190 ff; krit. Marcelli NStZ 1985 5 0 0 f unter Herausstellung der den Entziehungsbegriff prägenden, zweckhaften - subjektiv-finalen - Ausrichtung des Verhaltens, des „feindlich-finalen" Elements; vgl. hierzu auch Brammsen Jura 1 9 8 9 81, 85. BGHSt 4 0 8, 2 5 f m. Anm. Geppert JK 94, StGB § 246/8; Weiß J R 1995 29; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Liebeti Rdn. 15. BGH NStZ 1995 131, 134 (Anfragebeschluss) und NStZ 1995 4 4 2 , 4 4 4 (Vorlage-

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beschluss); vgl. auch Schroeder JR 1995 95; BGHSt 41 187, 190 f hat diese Frage offen gelassen. BGHSt 35 340, 341 f; Hohmann MK Rdn. 2 0 ; Sch/Schröder/Cramer/StembergLiebert Rdn. 16. Vgl. RGSt 12 6 7 ; 22 2 0 4 ; 72 197. RGSt 2 3 283. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 16. Geppert JK 93 § 133/2; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 16.

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Verwahrungsbruch

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ΥΠ. Täterschaft und Teilnahme Täter kann jeder sein, auch der Eigentümer, für den die Sache dienstlich verwahrt wird, 1 6 4 sowie derjenige, dem die Sache in dienstliche Verwahrung gegeben worden ist, wenn dieser außerhalb des spezifisch dienstlichen Rahmens die die verwahrte Sache betreffende Tathandlung begeht; und zwar selbst dann, wenn er den Gegenstand persönlich in Amtsgewahrsam übernommen hat. 1 6 5 Mittäterschaft kommt beispielsweise in Betracht, wenn ein Tatbeteiligter durch List und Ablenkung eines Behördenbediensteten einem anderen Tatbeteiligten die eigenmächtige Wegnahme eines Schriftstücks aus dem amtlichen Gewahrsam ermöglicht. 1 6 6 Auch mittelbare Täterschaft ist denkbar, 1 6 7 z.B. wenn ein Dritter denjenigen, dem ein Schriftstück dienstlich in Verwahrung gegeben ist, durch Täuschung zur Herausgabe ohne Einverständnis des Berechtigten veranlasst. 1 6 8 Anstiftung zu § 133 kommt in Betracht, wenn der Beschuldigte seinen Verteidiger zur unbefugten Überlassung der diesem dienstlich in Verwahrung gegebenen Prozessakten veranlasst; mit der Übergabe ist der spezifisch dienstliche Gewahrsam entfallen, so dass Manipulationen des Beschuldigten wie die Entnahme und Vernichtung des Geständnisprotokolls aus den Akten mangels tauglichen Tatobjekts nicht von § 133 erfasst werden.

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Vin. Qualifikationstatbestand gem. Abs. 3 Absatz 3 enthält einen Qualifikationstatbestand für Amtsträger i.S. des § 11 Abs. 1 Nr. 2 und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete i.S. des § 11 Abs. 1 Nr. 4 (vgl. § 11 Rdn. 2 0 ff und Rdn. 65 ff), sofern ihnen das Tatobjekt in ihrer dienstlichen Eigenschaft anvertraut worden ist oder zugänglich wurde. Kirchenamtsträger unterfallen der Qualifikation nur dann, wenn ihnen zugleich die Eigenschaft bzw. Funktion eines Amtsträgers oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten i.S. des § 11 Abs. 1 Nr. 2 , 4 zukommt, wenn sie also auch vom Staat mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betraut sind. 1 6 9

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1. Anvertraut. Eine Sache ist dem Täter über den bloßen etwaigen Übergabeakt hinausgehend dann als Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten anvertraut, wenn er die Verfügungsmacht darüber aufgrund allgemeiner oder spezieller dienstlicher Anordnung auf der Grundlage des dienstlichen Vertrauens- und Pflichtenver-

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hältnisses erlangt hat, das ihm die Sorge für ihre Verfügbarkeit, Gebrauchsfähigkeit und

Bestandserhaltung auferlegt. 1 7 0 Der Begriff des Anvertrautseins umfasst sowohl den Fall der Übergabe der Sache an den Amtsträger als auch den Fall der sonstigen Erlangung der Verfügungsgewalt über sie, z.B. nach Herstellung der Urkunde durch den Amtsträger selbst, mit der sich die Urkunde zugleich in dienstlicher Verwahrung i.S. des Absatzes 1 befindet. 1 7 1 Anvertraut ist somit auch ein beweiserhebliches amtliches Schriftstück, das

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RGSt 12 247, 249; 4 7 393, 394. BGHSt 38 381, 387; Hobmann MK Rdn. 25. Vgl. Paeffgen Jura 1980 479, 492. BGH JR 1995 1 2 0 , 1 2 2 . Vgl. RGSt 12 67, 68; Brüggemann Der Verwahrungsbruch, S. 193. BGHSt 8 273, 277; Rudolphi SK Rdn. 14; Scb/Scbröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 18.

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RGSt 64 2, 3; RG HRR 1940 264; BGHSt 3 305, 306; 38 381, 387; BGH NJW 1975 2212; GA 1978 206. RGSt 7 253, 2 5 7 ; RG DRiZ 1926 Rspr. Nr. 964; RG HRR 1941 571; BGH NJW 1975 2212, 2213; Hohmann MK Rdn. 22; Rudolphi SK Rdn. 16; Marcelli NStZ 1985 500; Wagner J Z 1987 705; aA BGHSt 3 3 190; Blei BT § 104 I; Ο Stendorf NK Rdn. 9.

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ein Polizeibeamter in amtlicher Eigenschaft nach den bestehenden allgemeinen Anweisungen und in den durch behördliche Anordnung vorgegebenen Formen selbst fertigt, selbst wenn die Herstellung unter dem geheimen Vorbehalt einer Verwendung zu privaten missbräuchlichen Zwecken erfolgt; 1 7 2 ebenso der durch den verantwortlichen Leiter einer zur Erteilung von Fahrerlaubnissen zuständigen Stelle ausgefertigte Führerschein, selbst wenn er versehentlich oder absichtlich für eine nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigte Person ausgestellt wird. 173 39

Der Ort der Aufbewahrung und die Person des Übergebenden sind grundsätzlich gleichgültig. Die Sache muss dem Amtsträger allerdings mit Rücksicht auf seine Amtsstellung unmittelbar oder mittelbar durch eine Dienststelle anvertraut sein. 174 Das ist nicht der Fall, wenn z.B. die Übertragung des Besitzes an einer Urkunde auf den Amtsträger zwar auf einer von diesem ausgehenden Täuschung beruht, eine amtliche Anordnung, die Urkunde in Gewahrsam zu nehmen, aber nicht besteht und der Getäuschte auch nicht mit einer Inverwahrungnahme in seinem Interesse rechnet; 1 7 5 hier fehlt es bereits an einer dienstlichen Verwahrung nach Abs. I . 1 7 6 Ist der Amtsträger zu dienstlicher Inverwahrungnahme außerhalb des Amtsbereichs ermächtigt, so ist ihm die Sache mit der Entgegennahme zugleich als Amtsträger anvertraut; nicht dagegen, wenn der Amtsträger eine Sache ohne ausdrückliche oder stillschweigende dienstliche Genehmigung eigenmächtig in der Privatwohnung entgegennimmt. Eine solche Sache ist erst dann dienstlich verwahrt und anvertraut, wenn der Amtsträger sie in die Dienststelle verbringt. 177 Gefundene Sachen, die für den Verlierer dienstlich verwahrt werden, sind dienstlich anvertraut oder zugänglich. 178

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2. Dienstlich zugänglich. Eine dienstlich verwahrte Sache ist dienstlich zugänglich, wenn der Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete infolge seiner dienstlichen Eigenschaft die tatsächliche Möglichkeit hat, zu der Sache zu gelangen, 179 auch außerhalb der Dienststunden. 180 Auf die dienstliche Befugnis, die Sache in Besitz zu nehmen, kommt es nicht an. 181 Ein eigener Gewahrsam des Amtsträgers ist nicht erforderlich. Gleichgültig ist auch, ob die Sache offen aufbewahrt wird oder sich unter Verschluss befindet. 182 Nicht dienstlich zugänglich ist die Sache jedoch, wenn sie sich in einem Raum befindet, dessen Zugang dem Beamten untersagt ist, 1 8 3 oder wenn sie in dem von ihm mitbenutzten Dienstraum in einem verschlossenen Behältnis verwahrt ist, das der Beamte ordnungswidrig, z.B. mit einem Nachschlüssel öffnet; in diesen Fällen greift nur der Grundtatbestand des Absatzes 1 oder auch § 2 4 2 ein. 1 8 4 Hingegen ist die Sache für den Amtsträger dienstlich zugänglich, wenn das Behältnis zwar verschlossen ist, der Schlüssel jedoch steckt. Eine Urkunde kann auch dann dienstlich zugänglich werden, wenn der Täter sie selbst fälschlich angefertigt hat 1 8 5 oder er einen zu Unrecht ausgestellten Führerschein von einem gutgläubigen Mitarbeiter unterzeichnen lässt. 186

172

173 174

175 176

177

BGH NJW 1975 2212 (Anhaltemeldung bezüglich einer Prostituierten) m. krit. Anm. Blei JA 1976 32. Vgl. Wagner J Z 1987 705, 706. Vgl. RGSt 6 4 2, 3; BGHSt 3 304, 306; 4 54; BGH 5 StR 1 2 0 / 5 5 v. 20.9.1955; Rudolphi SK Rdn. 16. BGHSt 3 3 0 4 , 3 0 6 . Vgl. Brüggemann Der Verwahrungsbruch, S. 213. Vgl. BGHSt 4 54.

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178 179

180 181 182 183 184 185 186

BGH 1 StR 7 5 2 / 5 3 v. 9.7.1954. RGSt 17 103, 105; 77 1 4 8 , 1 4 9 ; OGHSt 1 253, 255. Vgl. OGHSt 1 2 5 3 , 2 5 5 . RGSt 32 265, 267. Vgl. RGSt 32 265, 2 6 6 . RG H R R 1927 4 4 0 ; OGHSt 1 253, 255. RGSt 61 334. RG H R R 1941 Nr. 571. BGHSt 12 85, 86.

Matthias Krauß

Verletzung amtlicher Bekanntmachungen

§ 134

3. Die Tat ist ein unechtes Amtsdelikt. 1 8 7 Die Strafbarkeit von Teilnehmern, bei denen die in Absatz 3 vorausgesetzten Sondereigenschaften nicht vorliegen, weil sie nicht Amtsträger sind oder ihnen die Sache nicht anvertraut oder zugänglich ist, richtet sich gem. § 2 8 Abs. 2 nach den Absätzen 1 und 2.

41

IX. Konkurrenzen Tateinheit ist möglich mit § 1 3 2 , 1 8 8 § 136 Abs. I , 1 8 9 § 136 Abs. 2 , §§ 2 4 2 , 2 4 3 , 1 9 0 § 2 4 6 , 1 9 1 § 2 5 9 , 1 9 2 § 2 6 3 , 1 9 3 § 2 6 7 , 1 9 4 § 2 6 8 , § 2 7 4 Abs. 1 Nr. I , 1 9 5 § 3 0 3 . 1 9 6 Zwischen § 133 und Wertzeichenfälschung (§ 148 Abs. 2) besteht Realkonkurrenz. 1 9 7

42

X. Prozessuales Die Verfolgungsverjährung tritt gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 nach fünf Jahren ein.

43

§ 134 Verletzung amtlicher Bekanntmachungen Wer wissentlich ein dienstliches Schriftstück, das zur Bekanntmachung öffentlich angeschlagen oder ausgelegt ist, zerstört, beseitigt, verunstaltet, unkenntlich macht oder in seinem Sinn entstellt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Schrifttum Sturm Änderungen des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch, JZ 1975 6. Entstehungsgeschichte Die Vorschrift ist durch Art. 19 Nr. 51 des EGStGB vom 2 . März 1 9 7 4 (BGBl. I S. 4 6 9 , 4 8 2 ) in Anlehnung an § 4 2 8 Ε 1 9 6 2 (Begr. S. 613) umgestaltet worden, entspricht aber ihrem sachlichen Gehalt nach im Wesentlichen der bisherigen Fassung. Gegenüber der alten Fassung wurde der Schutz auf nur ausgelegte Schriftstücke erstreckt und damit alle allgemein zugänglich gemachten dienstlichen Schriftstücke einbezogen. Auf der sub-

187

188 189

190

191

Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 19; Rudolphi SK Rdn. 15. Vgl. BGHSt 12 85, 86. Vgl. RGSt 54 244, 245; BGHSt 5 155, 160; vgl. Brüggemann Der Verwahrungsbruch, S. 220. Vgl. RGSt 43 175; vgl. Krehl/Westphalen Jura 1990 485, 492: Wegnahme von Strafakten aus der Geschäftsstelle. Vgl. RGSt 59 339, 340; BGHSt 38 381, 387;

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197

GA 1956 318, 319; OLG Hamburg JR 1953 27. Vgl. RG JW 1921 493. Vgl. RGSt 60 241, 243; RG LZ 1920 613. Vgl. RGSt 19 319. Vgl. RG LZ 1914 1052; RG GA Bd. 37 S. 283. Ε 1962, S. 612; vgl. auch RGSt 19 319; Fischer Rdn. 16. BGHSt 3 289 zu § 276 a.F.

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§ 134

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

jektiven Seite ist das Merkmal der Böswilligkeit entfallen; stattdessen setzt die Neufassung Wissentlichkeit hinsichtlich der tatbestandlich vorausgesetzten Eigenschaft des Tatgegenstandes voraus. 1 Übersicht Rdn. I. Rechtsgut II. Kriminalpolitische Bedeutung ΠΙ. Tatobjekt 1. Schriftstück 2. Dienstlich 3. Amtlicher Inhalt 4. Öffentlich angeschlagen oder ausgelegt IV. Tathandlungen

Rdn.

1 2 3 4 5 6 8 10

1. Zerstören, Beseitigen, Unkenntlichmachen und In-seinem-Sinn Entstellen 2. Verunstalten V. Subjektiver Tatbestand VI. Konkurrenzen VII. Prozessuales

.

10 11 12 13 14

I. Rechtsgut 1

§ 134 will die mit dem Anschlag oder der Auslegung verbundene dienstliche Zwecksetzung sicherstellen, der angesprochenen Bevölkerung die Kenntnisnahme von Mitteilungen amtlichen Inhalts unverfälscht und vollständig zu ermöglichen. Geschütztes Rechtsgut ist somit die Integrität und Wirksamkeit öffentlicher Kundmachungen staatlicher, kommunaler oder sonstiger öffentlich-rechtlicher Stellen im Rahmen der Realisierung ihnen obliegender dienstlicher Aufgaben. 2

Π. Kriminalpolitische Bedeutung 2

§ 134 hat im Hinblick auf die vielfältigen weiteren Möglichkeiten amtlicher Bekanntmachung (Presse, Amts- bzw. Gemeindeblatt, Rundfunk, Fernsehen) eher untergeordnete Bedeutung und ist wohl deshalb auch statistisch nicht ausgewiesen.3

ΙΠ. Tatobjekt 3

Tatobjekt sind dienstliche Schriftstücke, die zur Bekanntmachung öffentlich angeschlagen oder ausgelegt sind.

4

1. Schriftstück. Ein Schriftstück ist eine durch Zeichen verkörperte Gedankenerklärung. Schriftstücke sind daher nicht nur (amtliche) Schreiben, sondern auch schriftliche Hinweise auf entsprechenden Hinweistafeln z.B. an Gefahrenstellen. 4 Elektronisch gespeicherte Dateien werden von § 134 nicht erfasst, da der Tatbestand nur von Schriftstücken spricht und eine Verweisung auf § 11 Abs. 3 fehlt. 5

1

2

Zu Entstehungsgeschichte und Auslegungsfragen hinsichtlich der alten Tatbestandsfassung: Kleinfeiler Beschädigung amtlicher Bekanntmachungen, VDB Bd. II S. 291. EEGStGB BTDrucks. 7/550, S. 2 2 4 ; Holtmann MK Rdn. 1; Rudolphi SK Rdn. 1.

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3 4

5

Vgl. Ostendorf NK Rdn. 4 f. Bericht BTDrucks. 7/1261, S. 12; Prot. 7/237; Hohmann MK Rdn. 5. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Hohmann MK Rdn. 5; Fischer Rdn. 3.

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Verletzung amtlicher Bekanntmachungen

§ 134

2. Dienstlich. Ein Schriftstück ist dienstlich, wenn es von einer staatlichen oder kommunalen Behörde oder von Dienststellen öffentlich-rechtlicher Körperschaften oder Anstalten, z.B. Fakultäten oder Fachbereichen einer Universität, stammt. Einbezogen sind auch Schriftstücke von Dienststellen der Bundeswehr, wie sich aus der Verwendung des Begriffs „dienstlich" im gesetzesüblichen Sprachgebrauch ergibt. 6 Nicht in den Anwendungsbereich des § 134 fallen hingegen Bekanntmachungen von Kirchen und anderen Religionsgesellschaften. 7 Dies folgt aus dem Fehlen einer entsprechenden Gleichstellungsklausel, wie sie etwa § 133 Abs. 2 vorsieht. Ebensowenig sind private Bekanntmachungen durch § 134 geschützt, auch wenn sie auf gemeindlichen Anschlagtafeln erfolgen.

5

3. Amtlicher Inhalt. Die Schriftstücke müssen einen amtlichen Inhalt haben. Dies ist dann der Fall, wenn sie im Rahmen der amtlichen Aufgabenverwirklichung oder im Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit gefertigt sind und Mitteilungszwecken dienen. § 134 ist jedoch nicht auf Bekanntmachungen im engeren Sinne beschränkt. Die Schriftstücke brauchen keine hoheitlichen Anordnungen (Verordnungen, Befehle etc.) zu enthalten; es genügen vielmehr dienstliche Aufrufe (z.B. zur Impfung) sowie Mitteilungen jeder Art. 8 Einbezogen in den Strafschutz sind daher z.B. auch die Urliste der Schöffen, 9 das Aufgebot des Standesamtes, die Tagesordnung einer Gemeindevertretung, ein durch das Arbeitsamt anonymisierter und ausgehängter Strafbefehl über den Leistungsmissbrauch durch Arbeitslose, 10 im Hochschulbereich Ankündigungen und Mitteilungen der Fakultäten und Fachbereiche sowie des Rektorats.

6

Auf die Rechtmäßigkeit des Inhalts und die Zuständigkeit der veranlassenden Dienststelle kommt es grundsätzlich nicht an. Nicht erfasst werden aber Bekanntmachungen, die für jedermann ganz offensichtlich erkennbar von der unzuständigen Stelle herrrühren oder offensichtlich einen verfassungswidrigen oder gesetzwidrigen Inhalt haben. 1 1 Die bloße amtliche Herkunft vermag in solchen Fällen einen Strafschutz nicht zu rechtfertigen.

7

4. Öffentlich angeschlagen oder ausgelegt. Das Schriftstück muss zur Bekanntmachung öffentlich angeschlagen oder ausgelegt sein. Angeschlagen ist ein Schriftstück, wenn es in einer Weise befestigt ist, dass es nicht ohne besondere Tätigkeit zu beseitigen, seine Wegnahme nicht ohne vorherige Lösung der Verbindung möglich ist. Auslegen ist jede andere Form des öffentlichen Zugänglichmachens. In Betracht kommen neben dem Anschlagen (an der Anschlagsäule) das Ankleben, das Aushängen, Anheften oder sonstiges Anbringen am Schwarzen Brett oder in einem Mitteilungskasten, das Auslegen zur Einsicht (z.B. Bebauungsplan, Wahlliste) sowie das Aufstellen einer amtlichen Hinweistafel.

8

6

7 8

9

10 11

Vgl. EEGStGB BTDrucks. 7/550, S. 219, 2 2 4 zu § 133 StGB. Rudolphi SK Rdn. 2. Vgl. EEGStGB BTDrucks. 7/550, S. 2 2 4 ; Hohmann MK Rdn. 7; Rudolpbi SK Rdn. 3. Ε 1962, Begründung S. 613; Rudolphi SK Rdn. 3. OLG Karlsruhe Die Justiz 1991 2 0 0 . OLG Hamburg MDR 1953 247, 2 4 8 ; Hobmann MK Rdn. 8; Scb/Scbröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 3; Rudolphi SK

Rdn. 3; aA Maurach/Scbroeder/Maiwald BT 2 § 70 II 2, § 72 V Rdn. 2 3 ; differenzierend Ostendorf NK Rdn. 7 zwischen Bekanntmachungen, die in einem gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrensgang angeschlagen werden müssen - hier soll es auf die Rechtmäßigkeit nicht ankommen - , und nur im Falle ihrer Rechtmäßigkeit schützenswerten Bekanntmachungen aufgrund dienstlicher Eigeninitiative.

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§ 134 9

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Die Voraussetzung des öffentlich Zugänglichmachens ist erfüllt, wenn das Schriftstück zur Kenntnisnahme durch die Allgemeinheit oder einen bestimmten Personenkreis bestimmt ist. Das ist z.B. auf Straßen und Plätzen (Anschlagsäule), im Treppenhaus eines Amtsgebäudes oder in einem zum Verkehr für das Publikum bestimmten Amtsraum der Fall. Ist das Schriftstück zur Kenntnisnahme der Allgemeinheit bestimmt, so ist es ohne Belang, ob es der Sache nach nur eine einzelne Person oder einen nach konkreten Merkmalen bezeichneten und abgegrenzten Personenkreis betrifft. 12 In den Schutzbereich des § 134 fallen daher auch die öffentliche Zustellung (§§ 2 0 3 f ZPO), die öffentliche Empfehlung von Impfungen für bedrohte Bevölkerungsteile (z.B. § 14 Abs. 3 BSeuchenG) und die Aufforderung zur Musterung durch öffentliche Bekanntmachung (§ 2 Abs. 3 MusterungsVO). Nicht erfasst wird hingegen der polizeiliche Verwarnungszettel an einem Kfz, da er lediglich an den Einzelnen gerichtet, nicht aber zur Kenntnis der Allgemeinheit bestimmt ist. 13

IV. Tathandlungen 10

1. Zerstören, Beseitigen, Unkenntlichmachen und In-seinem-Sinn-Entstellen. Die Tathandlungen Zerstören, Beseitigen, Unkenntlichmachen und In-seinem-Sinn-Entstellen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die uneingeschränkte Wahrnehmbarkeit des Bekanntmachungsinhalts für die angesprochene Öffentlichkeit beeinträchtigen oder vereiteln. Das Zerstören umfasst sowohl die völlige Vernichtung des Schriftstücks in seiner Sachsubstanz als auch sonstige Einwirkungen, die die bestimmungsgemäße Gebrauchsfähigkeit des Schriftstücks, die Allgemeinheit über seinen Inhalt zu informieren, völlig aufheben. Eine bloße Beschädigung, die die Erkennbarkeit des Bekanntmachungsinhalts unberührt lässt, reicht dagegen nicht aus. Beseitigen bedeutet räumliches Entfernen, d.h. jedes unbefugte Wegnehmen des Schriftstücks von dem Ort, an dem es angeschlagen oder ausgelegt ist, so dass es dem Kreis der Adressaten nicht mehr zugänglich ist. Auf einen Zueignungswillen des Täters kommt es nicht an. Als Unkenntlichmachen ist jede Einwirkung zu verstehen, die die Wahrnehmungsmöglichkeit des gedanklichen Inhalts eines dienstlichen Schriftstücks einschränkt oder verhindert, z.B. durch Überkleben, Übermalen, Beschmieren oder Ausradieren. Das Merkmal In-seinem-Sinn-Entstellen ist erfüllt, wenn der gedankliche Aussagegehalt eines dienstlichen Schriftstücks durch Manipulationen wie Einfügungen oder teilweise Streichung verändert wird.

11

2. Verunstalten. Bei der Begehungsmodalität des Verunstaltens steht hinsichtlich der Schutzrichtung die funktionale Wirksamkeit dienstlicher Kundmachungen im Vordergrund. 14 Erfasst werden von diesem Merkmal entstellende, unwürdige Veränderungen dienstlicher Schriftstücke, sei es durch Hinzufügung karikierender Zusätze oder Anbringung sonstiger Zusätze, die zwar die Wahrnehmbarkeit des eigentlichen Bekanntmachungsinhalts nicht tangieren, aber den Eindruck mangelnder Ernsthaftigkeit des Schriftstücks erwecken oder eine deutliche Missachtung zum Ausdruck bringen. 15 12

13

14

Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Rudolphi SK Rdn. 4. Baumann N J W 1964 705, 708; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Hohmann M K Rdn. 10. Rudolphi SK Rdn. 7; Hohmann M K Rdn. 11.

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15

Hohmann M K Rdn. 13; Rudolphi SK Rdn. 7; Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 6; einschränkend Ostendorf Rdn. 9.

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NK

Verstrickungsbruch, Siegelbruch

§ 136

V. Subjektiver Tatbestand Für den subjektiven Tatbestand ist Wissentlichkeit erforderlich; bedingter Vorsatz reicht daher nicht aus. 1 6 Der Täter muss insbesondere sicher wissen, dass es sich um ein öffentlich angeschlagenes oder ausgelegtes Schriftstück dienstlichen Charakters handelt, dessen Integrität oder inhaltliche Verständlichkeit er beeinträchtigt. Bei der Tathandlung des In-seinem-Sinn-Entstellens muss er sich der Sinnverfälschung bewusst sein.

12

VI. Konkurrenzen § 303 tritt hinter der spezielleren Norm des § 134 zurück. 1 7 Tateinheit kommt in Betracht mit § 242, § 2 6 7 und § 274.

13

VII. Prozessuales Zwischen den sich überschneidenden Tathandlungen ist Wahlfeststellung möglich. Die Verfolgungsverjährung tritt gem. § 78 Abs. 3 Nr. 5 nach drei Jahren ein.

§ 135 Aufgehoben durch 1. StÄG

§ 136 Verstrickungsbruch, Siegelbruch (1) Wer eine Sache, die gepfändet oder sonst dienstlich in Beschlag genommen ist, zerstört, beschädigt, unbrauchbar macht oder in anderer Weise ganz oder zum Teil der Verstrickung entzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer ein dienstliches Siegel beschädigt, ablöst oder unkenntlich macht, das angelegt ist, um Sachen in Beschlag zu nehmen, dienstlich zu verschließen oder zu bezeichnen, oder wer den durch ein solches Siegel bewirkten Verschluss ganz oder zum Teil unwirksam macht. (3) Die Tat ist nicht nach den Absätzen 1 und 2 strafbar, wenn die Pfändung, die Beschlagnahme oder die Anlegung des Siegels nicht durch eine rechtmäßige Diensthandlung vorgenommen ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig. (4) § 113 Abs. 4 gilt sinngemäß.

16

17

EEGStGB BTDrucks. 7/550, S. 192, 224; Sturm J Z 1975 6, 9. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben

Rdn. 8; Hohmann M K Rdn. 16; Fischer Rdn. 6.

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§136

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Schrifttum Alisch Die strafrechtliche Bedeutung des § 759 ZPO, DGVZ 1984 108; Baumann Pfandentstrickung beim Verkauf gepfändeter Gegenstände, NJW 1956 1866; Berghaus Der strafrechtliche Schutz der Zwangsvollstreckung (1967); Bergmann Die Milderung der Strafe nach § 4 9 Abs. 2 StGB, zugleich ein Beitrag zu §§ 113 Abs. 4, 136 Abs. 4 StGB (1988) S. 109, 137; Gaul Sachenrechtsordnung und Vollstreckungsordnung im Konflikt, NJW 1989 2 5 0 9 ; Geppert Verstrickungsbruch (§ 136 Abs. 1 StGB) und Siegelbruch (§ 136 Abs. 2 StGB) Jura 1987 35; ders. Verstrickungen um eine Strickmaschine, Jura 1987 102; Geppert/Weaver Die Auswirkungen zivilprozessualer Vollstreckungsfehler bei Sachpfändungen auf die Strafbarkeit nach § 136 StGB, Jura 2 0 0 0 46; Kienapfel Siegel, Plomben und andere durch § 136 Abs. 2 StGB geschützte Zeichen, in: Urkunden und andere Gewährschaftsträger (1979) S. 140; Krause/Wuermeling Mißbrauch von Kabelfernsehanschlüssen, NStZ 1990 526; Krehl Strafbarkeit wegen Siegelbruchs (§ 136 II StGB) bei Verletzung ausländischer Zollplomben? N J W 1992 604; Kühr Siegelbruch ($ 136 II StGB) Diss. Münster 2005; Luke Die Bedeutung vollstreckungsrechtlicher Erkenntnisse für das Strafrecht, Festschrift Arth. Kaufmann (1993) S. 565; Mattern Traumatomechanische Forschung an Leichen - rechtliche u. ethische Voraussetzungen, Heidelberger Jahrbücher 1994 125; Niemeyer Bedeutung des § 136 Abs. 3 und 4 StGB bei Pfändungen von Sachen, J Z 1976 314; Ostendorf Strafbare Angriffe auf einzelne Staatsgewalten sowie auf den Bestand staatlicher Maßnahmen, J Z 1994 555; Röther Gehören zu den „Sachen" des § 137 StGB auch Forderungen? N J W 1952 1403; Schwinge Der fehlerhafte Staatsakt im Mobiliarvollstreckungsrecht (1930).

Entstehungsgeschichte s 1 3 6 ist durch Art. 1 9 Nr. 5 2 E G S t G B v o m 2 . M ä r z 1 9 7 4 (BGBl. I 4 6 9 ) in Anlehnung an § 4 2 7 Ε 1 9 6 2 1 umgestaltet worden und fasst die Tatbestände des Verstrickungsbruchs und des Siegelbruchs (§§ 136 und 1 3 7 a.F.) in einer Vorschrift z u s a m m e n . 2 Die Bestimmung entspricht in ihrem sachlichen Regelungsgehalt im Wesentlichen §§ 136, 1 3 7 a.F. Die Umschreibung der Tathandlungen beim Verstrickungsbruch (Absatz 1) wurde mit einer geringen Modifikation der des § 1 3 3 angeglichen. Beim Siegelbruch (Absatz 2) entfiel die Tathandlung des Erbrechens. Die Problematik der Rechtmäßigkeit der zu einem Akt der Pfändung, Beschlagnahme oder Siegelanlegung führenden Diensthandlung sowie die damit zusammenhängenden Irrtumsfragen hat der Gesetzgeber in den Absätzen 3 und 4 für beide Tatbestände nach dem Vorbild des § 1 1 3 Abs. 3, 4 ausdrücklich geregelt. Die Strafdrohung des Siegelbruchs wurde gegenüber § 136 a.F. verschärft und der Strafdrohung für den Verstrickungsbruch angeglichen. 3

Rdn. I. Π. 1Π. IV.

1 2

Rechtsgut Deliktsnatur Kriminalpolitische Bedeutung Verstrickungsbruch (Abs. 1) 1. Tatobjekte a) Sachen b) Pfändung und sonstige dienstliche Beschlagnahme aa) Verstrickung

7 8

Begr. S. 612; Niederschriften 13 594, 601 f. BTDrucks. 7/550, S. 224.

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Rdn. bb) Dienstliche Beschlagnahme . . . cc) Pfändung dd) Wirksamkeit der Verstrickung . ee) Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 2. Tathandlungen a) Zerstören, Beschädigen, Unbrauchbarmachen b) Der Verstrickung entziehen . . . .

1 3 4 5 5 5

3

10 16 17 22 23 24 25

EEGStGB BTDrucks. 7/550, S. 224; krit. Rudolphi SK Rdn. 2; Ostendorf NK Rdn. 6.

Matthias Krauß

Verstrickungsbruch, Siegelbruch Rdn. 3. Subjektiver Tatbestand V. Siegelbruch (Abs. 2) 1. Tatobjekt a) Siegel b) Dienstlich c) Anlegen, um Sachen in Beschlag zu nehmen, dienstlich zu verschließen oder zu bezeichnen aa) Anlegen bb) Zweck der Siegelung cc) Wirksamkeit der Siegelung . . . 2. Tathandlungen

Rdn.

29 31 31 32 33

VI. VII.

35 36 37 38 39

Vm. DC. X.

a) Beschädigen, Ablösen, Unkenntlichmachen b) Unwirksammachen des Verschlusses 3. Subjektiver Tatbestand Die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung (Abs. 3) Besondere Irrtumsregelung (Abs. 3 S. 2 und Abs. 4) Täterschaft und Teilnahme Konkurrenzen Prozessuales

40 41 42 43 47 50 53 54

I. Rechtsgut Die Vorschrift enthält zwei selbstständige Tatbestände. Schutzgut des Verstrickungs- 1 bruchs (Absatz 1) ist die durch die Pfändung oder die Beschlagnahme begründete staatliche Herrschaftsgewalt, die gegen unbefugte Eingriffe geschützt werden soll. 4 Schutzgut des Siegelbruchs (Absatz 2) ist dagegen das Siegel als Manifestation einer hoheitlichen Anordnung. Die in § 136 Abs. 2 aufgestellte Strafdrohung gegen den Siegelbruch soll nicht eine in amtlicher Verfügungsgewalt befindliche Sache, sondern das äußere Zeichen der amtlichen Herrschaft über die Sache, wie es in dem dienstlichen Siegel und dem dadurch bewirkten Verschluss zutage tritt, gegen die in Absatz 2 aufgeführten Handlungsmodalitäten schützen. 5 Nach anderer Auffassung ist das Siegel nicht um seiner selbst willen geschützt, sondern wegen der ihm zukommenden Funktion, weshalb als Schutzgut des Absatzes 2 ebenso wie in Absatz 1 die über eine Sache begründete, durch die Tathandlungen des Absatzes 2 konkret gefährdete staatliche Herrschaftsgewalt angesehen wird. 6 Dem ist entgegenzuhalten, dass der Siegelbruch zwar häufig in Vorbereitung oder Durchführung eines Verstrickungsbruchs begangen wird; insoweit handelt es sich aber nur um eine von zahlreichen möglichen Fallkonstellationen, die einer selbstständigen Auslegung des Absatzes 2 hinsichtlich Rechtsgut, Tatbestandstypus, Wirksamkeitsfrage etc. nicht den Blick verstellen darf. 7 Da Absatz 1 allein dem Schutz der hoheitlichen Herrschaftsgewalt dient, kommt es 2 auf den materiellen Bestand des der Pfändung zugrunde liegenden Anspruchs nicht an, sondern nur auf die Wirksamkeit der öffentlich-rechtlichen Verstrickung als solche. 8 Nicht geschützt sind vertragliche oder gesetzliche Pfandrechte; insoweit greift die privaten Vermögensinteressen dienende Vorschrift der Pfandkehr (§ 289) ein. 9 Ein sachlicher Zusammenhang besteht mit ξ 113. Während § 113 den Amtsträger bei der Durchführung

4

5

6

BGHSt 5 155, 157; vgl. Geppert Jura 1987 35; Geppert/Weaver Jura 2000 46; Hobmann MK Rdn. 1; Rudolphi SK Rdn. 1; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Fischer Rdn. 2. Zust. OLG Köln NStZ 1987 330; Geppert Jura 1987 35, 42; Hobmann MK Rdn. 1; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2. Rudolphi SK Rdn. 1; Lackner/Kühl Rdn. 1; Ostendorf NK Rdn. 3; krit. hierzu Kienapfel

7

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Siegel, Plomben und andere durch § 136 Abs. 2 StGB geschützte Zeichen, S. 142 f, 160; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2. Kienapfel Siegel, Plomben und andere durch § 136 Abs. 2 StGB geschützte Zeichen, S. 143. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 73 III Rdn. 13. Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 73 III Rdn. 13; Geppert Jura 1987 35. Zum Unterschied zwischen beiden Vorschriften vgl. RGSt 64 77.

Matthias Krauß

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§ 136

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

staatlicher Vollstreckungstätigkeit schützt, die zu einem Akt der Pfändung, Beschlagnahme oder Siegelanlegung führt, bezieht sich § 136 Abs. 1 auf das Ergebnis der Vollstreckungstätigkeit und schützt das als Verstrickung bezeichnete, durch den Pfändungsbzw. Beschlagnahmeakt begründete besondere öffentlich-rechtliche Gewalt- und Verfügungsverhältnis. Demgegenüber schützt § 133 mit dem dienstlichen Verwahrungsbesitz den unmittelbaren dienstlichen Gewahrsam an Sachen, während beim Verstrickungsbruch mittelbarer Besitz ausreicht.

Π. Deliktsnatur 3

Sowohl der Verstrickungsbruch als auch der Siegelbruch sind Erfolgsdelikte.10 Beide Tatbestände sind deshalb erst vollendet, wenn das staatliche Herrschaftsverhältnis über die verstrickte Sache oder das Siegel tatsächlich wesentlich beeinträchtigt ist.

ΙΠ. Kriminalpolitische Bedeutung 4

In der polizeilichen Kriminalstatistik wird die Vorschrift des § 136 nicht gesondert ausgewiesen. Die Verurteiltenstatistik des Statistischen Bundesamtes, die die Delikte Verstrickungsbruch und Siegelbruch nur gemeinsam erfasst, weist einen starken Anstieg in der ersten Hälfte der achtziger Jahre aus (1981 327; 1982 462; 1983 488; 1984 505; 1985 577; 1986 567; 1987 532; 1990 456; 1991 443) auf. 11 Die aktuellen Zahlen ergeben eine rückläufige Entwicklung: Verurteilte 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

291 325 300 249 222 184 178 186 150 165

Steigende Verurteiltenzahlen dürften unmittelbar mit der steigenden Zahl von Zwangsvollstreckungen in Zeiten wirtschaftlicher Rezession zusammenhängen. 12

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Hohmann MK Rdn. 2; Geppert Jura 1987 35, 3 7 ; aA Rudolphi SK Rdn. 1: Siegelbruch ist konkretes Gefährdungsdelikt.

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Rechtspflege, Fachserie 10, Reihe 3; vgl. auch Kühr Siegelbruch, S. 70 ff. Vgl. auch Kühr Siegelbruch, S. 72 f.

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§ 136

IV. Verstrickungsbruch (Abs. 1) 1. Tatobjekte a) Sachen. Als Gegenstand der Tat kommt nur eine Sache in Betracht. Zu den Sachen im Sinne der Vorschrift gehören körperliche Gegenstände jeder Art, bewegliche und unbewegliche, im Eigentum stehende und herrenlose. Deswegen kommen auch Sektionsleichen als Tatobjekt in Betracht. 1 3 Unkörperliche Gegenstände wie Rechte und Forderungen scheiden als Tatobjekt dagegen aus, und zwar auch dann, wenn sie auf Herausgabe oder Leistung beweglicher Sachen gerichtet sind. 14

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Mit der Zustellung des Pfändungsbeschlusses an den Drittschuldner ist lediglich der Anspruch auf Herausgabe der Sache verstrickt (beschlagnahmt), nicht jedoch die Sache selbst. 15 Die mittelbare Beeinträchtigung von Fortbestand oder Qualität des Herausgabeanspruchs durch Sacheinwirkung wird von Absatz 1 nicht erfasst. Im Falle vorwerfbarer Vernichtung der herauszugebenden Sache durch den Drittschuldner nach Anspruchspfändung geht der Herausgabeanspruch in eine Schadensersatzforderung über, wobei sich die Pfändung nunmehr auf diesen Ersatzanspruch erstreckt. 16 Bei freiwilliger Herausgabe der Sache durch den Drittschuldner an den Gerichtsvollzieher tritt allerdings anstelle der Verstrickung des Herausgabeanspruchs durch Surrogation eine Verstrickung der Sache, 1 7 die folglich mit der Inbesitznahme durch den Gerichtsvollzieher zum tauglichen Tatobjekt einer Entziehungshandlung nach Absatz 1 wird. Nach RGSt 2 4 161 soll bei der Pfändung einer Hypothekenforderung die Hypothekenurkunde als Zubehör der Forderung von der Pfändung erfasst und als körperliche Sache anzusehen sein, die der Verstrickung entzogen werden kann; diese Auffassung ist jedoch mit §§ 97, 9 5 2 BGB und § 830 ZPO schwer zu vereinen. Bei Wechseln ist die Forderung an das Vorhandensein der Urkunde als ihrem Träger und ihrer Verkörperung geknüpft, so dass die Urkunde eine körperliche Sache ist, die Gegenstand des Vergehens nach Absatz 1 sein kann.

6

b) Pfändung oder sonstige dienstliche Beschlagnahme. Die Sachen müssen durch die zuständigen Behörden oder Amtsträger gepfändet oder sonst dienstlich in Beschlag genommen und damit der Zustand der Verstrickung herbeigeführt worden sein.

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aa) Verstrickung. Erforderlich ist, dass durch die Diensthandlung ein hoheitliches Gewaltverhältnis, d.h. eine öffentlich-rechtliche Verstrickung wirksam begründet wird. 1 8 Die Begriffe der Pfändung, Beschlagnahme und der Verstrickung sind keine spezifisch strafrechtlichen Begriffe, vielmehr richten sich die Zulässigkeit und der Vollzug von Pfändung und Beschlagnahme nach außerstrafrechtlichem Bundes- und Landesrecht. 19 Bundesrechtliche Regelungen enthalten z.B. S S 808 ff ZPO; §§ 2 0 ff, 148 Z V G i.V.m. § 8 6 4 ZPO; § 6 Justizbeitreibungsordnung; §§ 94, 98, 100, l i l a ff, 4 6 3 b StPO; § 4 6 OWiG; §§ 76 Abs. 3, 215, 399, 4 0 2 AO; SS 47, 48 BPolG; SS 7, 8 UZwGBw; S 39 Abs. 2 Nr. 5

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Vgl. §§ 87 Abs. 2, 9 4 StPO. RGSt 24 40 ff; OLG Celle NdsRpfl 1958 162, 163; Berghaus Der strafrechtliche Schutz der Zwangsvollstreckung, S. 110 ff; Hohmann MK Rdn. 5; Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 5; Rudolphi SK Rdn. 4; aA Röther N J W 1952 1403. Vgl. Brox/Walker Zwangsvollstreckungsrecht Rdn. 614, 703, 7 0 6 .

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Vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO § 846 Rdn. 4. Brox/Walker Zwangsvollstreckungsrecht Rdn. 7 0 4 . Vgl. BGHSt 5 155, 160. Vgl. RGSt 65 248, 2 4 9 ; BGHSt 15 149, 150; Rudolphi SK Rdn. 5.

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LFGB; § 25 Abs. 2 und 3 StVG; §§ 3, 10 VereinsG. Landesrechtliche Regelungen finden sich beispielsweise in den Polizeigesetzen und Landespressegesetzen. 9

Verstrickung ist die rechtliche Gebundenheit der beschlagnahmten/gepfändeten Sache aufgrund eines besonderen, durch den Hoheitsakt entstandenen öffentlich-rechtlichen Gewalt- und Verfügungsverhältnisses. 20 Sie dient der Sicherstellung weiterer staatlicher Verfügung und des Fortgangs der Vollstreckung gegen Beeinträchtigungen, bewirkt den Übergang der Verfügungsmacht auf den Staat und führt zivilrechtlich zu einem Verfügungs- und relativen Veräußerungsverbot (§§ 135, 136 BGB) für den Sacheigentümer. Die Entstehung der Verstrickung hängt von der Wirksamkeit der Beschlagnahme/Pfändung ab, wobei auch eine rechtlich fehlerhafte und anfechtbare Beschlagnahme/Pfändung durchaus wirksam sein kann. Nur eine an evident und grundlegend schweren Mängeln leidende Beschlagnahme/Pfändung ist nichtig und bewirkt keine Verstrickung. 21 Zu den Auswirkungen von Vollstreckungsmängeln auf die strafrechtliche Beurteilung nach § 136 s. Rdn. 17 ff. Mit der Beendigung der Verstrickung endet das öffentlich-rechtliche Gewaltverhältnis über die Sache und scheidet die betreffende Sache als taugliches Tatobjekt eines Verstrickungsbruchs aus (vgl. Rdn. 21).

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bb) Dienstliche Beschlagnahme. Die dienstliche Beschlagnahme ist gegenüber der Pfändung der weitere Begriff; 2 2 sie setzt voraus, dass eine Sache durch eine Diensthandlung der Verfügung der sonst berechtigten Person entzogen und in gleichem Umfang der ausschließlichen Verfügungsgewalt einer Behörde unterworfen wird, sei es zum Zweck der Sicherung von Privatinteressen Dritter oder im öffentlichen Interesse. 23 Nicht erforderlich ist, dass ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis der Behörde über die beschlagnahmte Sache begründet wird; ausreichend ist vielmehr ein rechtliches Gewaltverhältnis. 24 Keine Beschlagnahme liegt allerdings vor bei bloßen Veräußerungsverboten, durch die lediglich die Verfügungsgewalt des Berechtigten eingeschränkt, jedoch keine staatliche Verfügungsgewalt über die Sache begründet wird (z.B. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). 2 5 Ob und unter welchen Voraussetzungen, von welchem Anfangs- bis zu welchem Endzeitpunkt eine wirksame dienstliche Beschlagnahme erfolgt ist, richtet sich nach den besonderen gesetzlichen Verfahrensvorschriften. 26

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Bei der Beschlagnahme nach §§ 94 ff StPO wird die Beschlagnahme nicht schon durch deren bloße Anordnung bewirkt, vielmehr bedarf es eines weiteren amtlichen Ausführungsaktes, durch den die Anordnung auch nach außen betätigt wird. Dieser Ausführungsakt ist nicht an besondere Förmlichkeiten geknüpft. Bei der strafprozessualen Beschlagnahme von Beweismitteln wird das staatliche Herrschaftsverhältnis in der Regel durch Inbesitznahme oder sonstige Sicherstellung der Sache begründet. In Ausnahmefäl-

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Geppert Jura 1987 35; Geppert/Weaver Jura 2 0 0 0 46; Brox/Walker Zwangsvollstreckungsrecht Rdn. 361. Geppert/Weaver Jura 2 0 0 0 46; Brox/Walker Zwangsvollstreckungsrecht Rdn. 362 f. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 6; Fischer Rdn. 5. RGSt 14 2 8 6 , 2 8 8 ; 65 248, 249; BayObLGSt 1983 167, 168; Hohmann MK Rdn. 6; Rudolphi SK Rdn. 6; Geppert Jura 1987 35, 36.

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Hohmann MK Rdn. 7; Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 7. RGSt 2 0 2 4 4 , 246; 51 228, 2 3 7 ; vgl. auch BayObLGSt 1983 167, 168. RGSt 4 8 361, 362; 65 248, 2 4 9 ; BayObLGSt 1983 167, 168; aA Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 73 III Rdn. 15, wonach es auf die Tragweite der Manifestation der Beschlagnahme ankommt.

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Verstrickungsbruch, Siegelbruch

§ 136

len genügt das an den Inhaber gerichtete amtliche Verfügungsverbot. 27 Die Formerfordernisse bei der Beschlagnahme von Sachen, die der Einziehung und dem Verfall unterliegen, ergeben sich aus §§ 111c ff StPO. Wird eine Sache vom Beschuldigten freiwillig herausgegeben und von der Strafverfolgungsbehörde in Verwahrung genommen, liegt keine Beschlagnahme i.S. des § 136 Abs. 1 vor; in diesen Fällen kommt § 133 in Betracht. 2 8 Grundlage für die Beschlagnahme durch die Polizei bilden die Landespolizeigesetze. Die polizeiliche Beschlagnahme unterliegt keiner besonderen Formvorschrift; insbesondere ist eine Besitzergreifung nicht zwingend erforderlich. 2 9 Gibt ein Polizeibeamter Schüsse auf ein Kraftfahrzeug ab, um dieses fahrunfähig zu machen, liegt aber keine Beschlagnahme vor. 3 0 Die Aufhebung einer Beschlagnahme ist formfrei möglich, z.B. konkludent durch das Sich-Entfernen des Polizeibeamten von dem beschlagnahmten Fahrzeug, wenn der Beschlagnahmezweck erkennbar erreicht ist.

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Die praktisch wenig bedeutsame gerichtliche Vermögensbeschlagnahme (§§ 2 9 0 , 2 9 2 StPO) unterfällt nicht dem Schutzbereich des § 136 Abs. 1. Durch sie wird zwar dem abwesenden Angeschuldigten jede Verfügungsberechtigung über sein Vermögen entzogen, aber keine staatliche Verfügungsgewalt des die Anordnung treffenden Strafgerichts über die Vermögensgegenstände begründet. 31 M i t der anzuordnenden Güterpflegschaft (§ 2 9 2 Abs. 2 StPO) geht die Verfügungsgewalt auf den an die Stelle des Abwesenden tretenden Pfleger über, der mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts im Rahmen der rein zivilrechtlichen Vermögensverwaltung Verfügungen treffen kann, die zu einer Minderung oder Veränderung des beschlagnahmten Vermögens führen, soweit nicht der Zweck der Vermögensbeschlagnahme dadurch untergraben wird. 3 2

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Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt nach der Rechtsprechung und h . M . die Beschlagnahme und damit die öffentlich-rechtliche Verstrickung des gesamten zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorhandenen, der Zwangsvollstreckung unterliegenden Vermögens des Gemeinschuldners (§ 80 Abs. 1 InsO); eine Besitzergreifung ist nicht erforderlich. 3 3 Soweit nach anderer Auffassung ein engerer Verstrickungsbegriff zugrunde gelegt und der Strafschutz von einer unmittelbaren bzw. symbolischen Besitzergreifung oder zumindest einer Benachrichtigung des unmittelbaren Besitzers abhängig gemacht wird, 3 4 ist diese Einschränkung weder durch den Gesetzeswortlaut noch durch den Regelungszweck des Absatzes 1 veranlasst, dessen Strafdrohung im Interesse der öffentlichen Ordnung der Nichtbeachtung aller behördlicher Sicherstellungs- und Bereitstellungsanordnungen mit Verstrickungswirkung entgegenwirken soll. Nicht erfasst werden Gegenstände, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insol-

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RGSt 18 71, 72; BGHSt 15 149, 150; OLG Oldenburg GA 1962 313. Vgl. Geppert Jura 1987 35, 36; Rudolphi SK Rdn. 7. Vgl. RGSt 63 347, 350 f; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 7; aA OLG Zweibrücken NStZ 1989 268, 269, das eine Beschlagnahme eines Fahrzeugs bei polizeilicher Sicherstellung zwecks Straftatvereitelung ungeachtet des dem Fahrer gegenüber ausgesprochenen Verbots, das Fahrzeug zu entfernen, verneint. OLG Zweibrücken NStZ 1989 268, 269. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 73 III Rdn. 16.

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Vgl. BayObLG NJW 1964 301; Hilger NStZ 1982 374, 375. RGSt 41 256; BGHR StGB § 136 Beschlagnahme 1; Seh/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 7; Hohmann MK Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 8; Fischer Rdn. 5; aA Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 73 ΙΠ Rdn. 15; Geppert Jura 1987 35, 36, die der durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkten Verstrickung die hinreichende Manifestation nach außen absprechen. Vgl. OLG Frankfurt SJZ 1949 Sp. 869 f m. Anm. H. Mayer; vgl. auch Geppert Jura 1987 35, 36.

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venzverfahrens dem Gemeinschuldner nicht gehören oder die erst danach durch die Tätigkeit des Gemeinschuldners erworben werden (konkursfreier Neuerwerb). Daher macht sich der Gemeinschuldner nach § 136 Abs. 1 schuldig, wenn er in Kenntnis der Insolvenzverfahrenseröffnung oder diese billigend in Kauf nehmend 3 5 Waren aus dem Geschäft verkauft oder Gelder aus der Kasse nimmt, die zur Bezahlung schon vorhanden gewesener Außenstände in die Kasse gelangt waren. 3 6 Im Falle der Veräußerung eines Massegegenstandes durch den Gemeinschuldner mit Einwilligung des Insolvenzverwalters erstreckt sich die Beschlagnahme auch auf den Erlös. 3 7 Ein vor der Insolvenzverfahrenseröffnung erlassenes allgemeines Veräußerungsverbot (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO) ist allerdings noch keine Beschlagnahme im Sinne des Absatzes l . 3 8 15

Für die Beschlagnahme eines Grundstücks zum Zwecke der Zwangsversteigerung nach § 2 0 ZVG reicht die Zustellung des die Zwangsversteigerung anordnenden Beschlusses aus (§ 2 2 Z V G ) . 3 9 Die Beschlagnahme erfasst nicht nur das Grundstück, sondern gem. § 2 0 Abs. 2 ZVG auch die Sachen, auf die sich als Zubehör die Hypothek erstreckt (vgl. § 865 ZPO; § § 1 1 2 0 ff BGB).

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cc) Pfändung. Pfändung ist die Beschlagnahme von beweglichen Sachen durch behördlichen Zwang unter Entziehung der Verfügungsmacht zur Befriedigung oder Sicherung von vermögensrechtlichen Ansprüchen. 40 Nach § 808 Abs. 1 ZPO erfolgt die Pfändung von beweglichen Sachen dadurch, dass der Gerichtsvollzieher sie in Besitz nimmt. Er muss also die tatsächliche Gewalt über die Sache erlangen. Nach § 808 Abs. 2 ZPO reicht es allerdings aus, wenn der Gerichtsvollzieher die Sachen im Gewahrsam des Schuldners belässt, sofern er die Pfändung durch Anlegung von Siegeln oder auf sonstige Weise kenntlich macht. Etwas anderes gilt nur für Geld, Wertpapiere und Kostbarkeiten, die der Gerichtsvollzieher wegnehmen muss.

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dd) Wirksamkeit der Verstrickung. Voraussetzung der Tatbestandsverwirklichung ist, dass durch die Beschlagnahme oder Pfändung eine wirksame Verstrickung begründet worden ist. Die Entstehung der Verstrickung hängt von der Wirksamkeit der staatlichen Beschlagnahme/Pfändung ab. Andererseits können auch rechtlich fehlerhafte staatliche Beschlagnahme/Pfändungsmaßnahmen durchaus wirksam sein. Nur wenn die wesentlichen formellen Voraussetzungen bei der Beschlagnahme/Pfändung nicht eingehalten worden sind und die Beschlagnahme/Pfändung an evident schwerwiegenden Vollstreckungsmängeln leidet, ist sie nichtig und führt keine wirksame Verstrickung herbei, so dass eine Strafbarkeit nach § 136 Abs. 1 bereits mangels tauglichen Tatobjekts nicht in Betracht kommt. 4 1 Von der Frage der Wirksamkeit der Verstrickung ist die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahme gem. Absatz 3 zu trennen (vgl. Rdn. 43 ff). Die Abgrenzung zwischen fehlerhaften Vollstreckungsakten, die anfechtbar, aber wirksam sind und eine Verstrickung herbeiführen, und solchen, die nichtig sind, bestimmt sich

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RGSt 10 425, 431. RGSt 6 3 338, 339. RGSt 6 3 338, 339. RGSt 2 0 2 4 4 , 2 4 7 ; vgl. auch RGSt 51 228, 237; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 7. RGSt 65 248, 2 4 9 ; Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 8; aA Geppert }vua 1987 35, 36;

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Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 73 III Rdn. 15. Vgl. Zöller ZPO § 803 Rdn. 2. BGHSt 5 155, 160; LG Konstanz DGVZ 1984 119, 120 m. Anm. Alisch; Hohmann MK Rdn. 9; Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 8; Fischer Rdn. 4; Geppert Jura 1987 35, 37, 39.

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nach der Schwere und Offenkundigkeit des Fehlers. 4 2 Nichtigkeit, die im Rahmen des § 136 Abs. 1 zum Tatbestandsausschluss führt, ist nur anzunehmen, wenn sich der schwerwiegende Mangel jedem Verständigen ohne weiteres aufdrängt, der Hoheitsakt seine Fehlerhaftigkeit quasi auf der Stirn trägt. 4 3 Die Beschlagnahme muss deshalb durch die für solche Akte im Allgemeinen zuständige Behörde erfolgen; konkrete Zuständigkeit braucht im Einzelfall nicht gegeben zu sein. 44 Eine strafprozessuale Beschlagnahme darf gem. § 98 Abs. 1 StPO nur durch den Richter und nur bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen angeordnet werden. Geht der Polizeibeamte irrig davon aus, dass Gefahr im Verzug vorliegt, macht dies die Beschlagnahme nicht unwirksam. 45

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Bei einer Pfändung liegt ein schwerer, eine wirksame Verstrickung verhindernder Vollstreckungsfehler beispielsweise vor, wenn die notwendigen allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung fehlen, z.B. ein vollstreckbarer Titel 4 6 oder die Benennung des Schuldners in Titel oder Klausel. 4 7 Eine Verstrickung scheidet auch dann aus, wenn es an der funktionellen Zuständigkeit des tätig werdenden Vollstreckungsorgans mangelt, 4 8 so bei einer Zwangsvollstreckung in Grundstücke durch den Gerichtsvollzieher oder bei einer Sachpfändung durch das Vollstreckungsgericht. Werden Förmlichkeiten nicht beachtet, die erst den Charakter der Handlung als Pfändung begründen, z.B. die Besitzergreifung der gepfändeten Gegenstände durch den Gerichtsvollzieher gem. § 808 Abs. 1 ZPO, tritt ebenfalls keine Verstrickung ein. 4 9 Belässt der Gerichtsvollzieher die gepfändete Sache im Gewahrsam des Schuldners, so setzt die nach § 136 geschützte Verstrickung voraus, dass die Pfändung durch Anlegen von Siegeln oder in sonst geeigneter Weise ersichtlich gemacht wird. 5 0 Dies erfordert ein gewisses M a ß an Augenfälligkeit und Haltbarkeit; die Pfändung muss also für jedermann bei verkehrsüblicher Sorgfalt erkennbar sein, wenngleich auch nicht jedem sofort ins Auge fallen. 51 Eine die Pfändung verbergende Art der Siegelanlegung erzeugt keine Verstrickung, 52 so etwa, wenn der Gerichtsvollzieher die Pfandmarke im Handschuhfach des Kraftwagens anbringt. 5 3 Mangels hinreichender Kenntlichmachung liegt auch dann keine Verstrickung vor, wenn der Gerichtsvollzieher eine Pfandmarke lediglich lose auf den zu pfändenden Schrank legt oder von innen in ein Schrankfach klebt. Ein entsprechender Mangel wird durch nachträgliche Versteigerung und durch Übergabe der Sache an den Ersteigerer nicht geheilt. 54 Fällt das angebrachte Pfandsiegel später ab oder wird die angebrachte Pfand-

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Vgl. BGH N J W 1979 2 0 4 5 ; Geppert Jura 1987 35, 37; Brox/Walker Zwangsvollstreckungsrecht Rdn. 362 f; Zöller ZPO vor § 7 0 4 Rdn. 34. Vgl. Gaul N J W 1 9 8 9 2509, 2511; Geppert Jura 1987 35, 37; Geppert/Weaver Jura 2 0 0 0 46, 47. Fischer Rdn. 4. BGH J Z 1964 72; vgl. auch OLG Koblenz NStZ 2 0 0 2 6 6 0 . Vgl. BGH N J W 1988 1026, 1027; Geppert Jura 1987 35, 37. Berghaus Der strafrechtliche Schutz der Zwangsvollstreckung, S. 118 Fn. 59; Geppert Jura 1987 35, 37.

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Vgl. Brox/Walker Zwangsvollstreckungsrecht Rdn. 2 0 7 ; Zöller ZPO vor § 7 0 4 Rdn. 34. Brox/Walker Zwangsvollstreckungsrecht Rdn. 364. RGSt 32 316, 317; 3 6 165; 61 101, 102; RG DR 1941 847; BGH 1 StR 2 7 8 / 5 4 v. 28.10.1954; OLG Schleswig SchlHA 1961 199, 2 0 0 . Zöller ZPO § 8 0 8 Rdn. 19. RGSt 61 101. BGH 2 StR 410/55 v. 7.2.1956 bei Ffetffer/Maul/Schulte Anm. 2; Geppert/ Weaver Jura 2 0 0 0 46, 47. RGZ 3 7 341, 3 4 3 ; BGHZ 100 95, 98; vgl. Gaul N J W 1 9 8 9 2509, 2510 f m.w.N.

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anzeige beseitigt, berührt dies die Wirksamkeit der Pfändung nicht. 5 5 Ob die für eine wirksame Verstrickung erforderliche Individualität der ergriffenen Sache genügend festgestellt und die Pfändung selbst für Dritte hinreichend erkennbar gemacht worden ist, ist im Wesentlichen Tatfrage. 20

Leichtere Vollstreckungsfehler tangieren die Wirksamkeit der Verstrickung dagegen nicht und schließen den Tatbestand des § 136 nicht von vornherein aus. Eine von einem zuständigen Vollstreckungsorgan in den Grenzen seiner Amtsbefugnisse vorgenommene Vollstreckungshandlung ist in aller Regel wirksam, auch wenn sachliche oder förmliche Voraussetzungen fehlen oder der Vollstreckungsakt bei richtiger Sachbehandlung hätte unterbleiben müssen. 56 Die Fehlerhaftigkeit führt insoweit lediglich zu einer Beseitigungsmöglichkeit mittels Rechtsbehelf. O b für den Gläubiger ein Pfändungspfandrecht begründet wird, ist für die Wirksamkeit der Pfändung ohne Belang. Vollstreckungsfehler, die die Pfändung nicht nichtig machen und eine Verstrickung herbeiführen, sind beispielsweise die örtliche Unzuständigkeit des Gerichtsvollziehers, die fehlende Zustellung des Vollstreckungstitels, 57 die fehlerhafte Bestellung eines Zwangsverwalters unter Nichtbeachtung der Vorschrift des § 17 GVG, 5 8 fehlendes Eigentum des Schuldners an der zu pfändenden Sache nach §§ 808, 809 Z P O , 5 9 Pfändung einer nach § 811 ZPO unpfändbaren Sache, 6 0 Pfändung aufgrund eines nicht nichtigen, sondern nur anfechtbaren Bescheides, 61 Missachtung des Verbots der Überpfändung (§ 803 I S. 2 ZPO) und der zwecklosen Pfändung (§ 803 Abs. 2 ZPO), Pfändung ungetrennter Früchte trotz Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 810 Z P O , 6 2 irrtümliche Annahme des Gewahrsams des Schuldners, 63 Pfändung zur Nachtzeit entgegen § 758a Abs. 4 ZPO, Pfändung in einer Wohnung ohne richterliche Erlaubnis gem. § 758a Abs. 1 Z P O , 6 4 Pfändung einer auf einem Grundstück vorhandenen Sache, die irrtümlicherweise nicht als Zubehör qualifiziert wird (§ 865 Abs. 2 ZPO), 6 5 fehlende Zustellung einer Abschrift des Pfändungsprotokolls an den Schuldner, 66 fehlende Aufnahme der Pfändung in das Pfändungsprotok o l l 6 7 sowie sonstige Mängel des Pfändungsprotokolls, da die Niederschrift nur berichtende und beweisende Aufgaben hat. 6 8

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Die rechtswirksam erfolgte Pfändung oder Beschlagnahme muss, damit § 136 Abs. 1 anwendbar ist, auch zur Zeit der Tat noch bestehen. 69 Die Wirkungen der zivilprozes-

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RGSt 18 163; OLG Hamm N J W 1956 1889. Vgl. BGHZ 3 0 1 7 3 , 1 7 5 zu § 750 Abs. 1 ZPO, § 17 ZVG; B G H Z 6 6 79, 80 f: fehlende Zustellung des Titels; BGHZ 70 317 f: Pfändung aufgrund fehlerhaften Titels; BGH W M 1980 870 ff zu §§ 808, 831, 8 4 7 ZPO (Pfändung eines Gutes, bei dem der Herausgabeanspruch gegen einen Dritten durch ein indossables kaufmännisches Orderpapier verkörpert wird, ohne Inbesitznahme des Orderkonnossements); BGHZ 8 0 2 9 6 , 2 9 8 zu § 8 0 9 ZPO. BGHZ 6 6 79, 82. BGHZ 3 0 173, 175. BGHZ 8 0 2 9 6 , 2 9 9 ; Geppert Jura 1987 35, 37. OLG Hamm NJW 1956 1889; Geppert Jura 1987 35, 3 7 ; Geppert/Weaver Jura 2 0 0 0 46, 47.

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BGHZ 7 0 313, 317. Geppert/Weaver Jura 2 0 0 0 46, 47. RG J W 1931 2127. Zöller ZPO § 758a Rdn. 37. RGSt 61 368; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Rudolphi SK Rdn. 10; Geppert Jura 1987 35, 38 u. 107 f; Geppert/ Weaver Jura 2 0 0 0 4 6 , 4 7 ; Gaul N J W 1 9 8 9 2511 f; vgl. hierzu auch RGZ 135 197, 2 0 6 ; OLG München MDR 1957 4 2 8 ; BGHZ 104 299, 302. RGRspr 10 6 4 8 f. RG Leipziger Zeitschrift für das Deutsche Recht 1928 6 2 . BGH 5 StR 139/54 v. 1.6.1954 bei Pfeiffer/ Maul/Schulte Anm. 2. Vgl. RGSt 15 388, 390.

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sualen Pfändung dauern im Allgemeinen fort, bis die Verwertung der gepfändeten Sache abgeschlossen ist oder das Vollstreckungsorgan die Verstrickung aufgehoben hat. Die Aufhebung geschieht dadurch, dass die tatsächlichen Akte, die zur Entstehung der Verstrickung geführt haben, rückgängig gemacht werden, der Gerichtsvollzieher also die weggenommene Sache dem Schuldner wieder zurückgibt oder die Pfandzeichen von der im Gewahrsam des Schuldners belassenen Sache entfernt. 70 Die Verstrickung wird daher weder durch die Befriedigung des Gläubigers 71 noch durch dessen Verzicht auf die Rechte aus der Pfändung 7 2 aufgehoben. Auch eine die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aussprechende gerichtliche Entscheidung (§§ 767, 771, 775 ZPO) führt nicht per se zu deren Beseitigung. 73 Schließlich lässt auch die Hemmung der Vollstreckbarkeit (vgl. § 775 Nr. 2 ZPO) die Verstrickung unberührt. Die Pfändung einer Sache, die im Gewahrsam eines nicht zur Herausgabe bereiten Dritten steht, ist bis zu ihrer Aufhebung auf Grund einer Erinnerung (§ 766 ZPO) wirksam. 74 ee) Rechtmäßigkeit der Diensthandlung. Pfändung und Beschlagnahme müssen durch eine rechtmäßige Diensthandlung vorgenommen sein. (vgl. Rdn. 4 3 ff).

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2. Tathandlungen. Die Tathandlung besteht darin, dass die gepfändeten Sachen zerstört, beschädigt, unbrauchbar gemacht oder in anderer Weise ganz oder zum Teil der Verstrickung entzogen werden.

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a) Zerstören, Beschädigen, Unbrauchbarmachen. Zerstören bedeutet sowohl die völlige Vernichtung des Gegenstandes in seiner Sachsubstanz als auch die vollständige Aufhebung der bestimmungsgemäßen Gebrauchsfähigkeit im Wege einer Substanzbeeinträchtigung. 75 Eine Sache ist beschädigt, wenn ihre Substanz beeinträchtigt oder ihre Brauchbarkeit nicht nur unerheblich gemindert ist. 76 Das Merkmal „unbrauchbar machen" liegt vor, wenn die bestimmungsgemäße Funktionsfähigkeit einer Sache aufgehoben wird, z.B. durch das Löschen eines Tonbandes oder das Auseinandernehmen einer technisch kompliziert zusammengesetzten Sache. 7 7

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b) Der Verstrickung entziehen. Eine Verstrickungsentziehung ist gegeben, wenn die durch die Beschlagnahme oder Pfändung begründete Verfügungsgewalt der Behörde über die Sache ganz oder teilweise, dauernd oder vorübergehend aufgehoben oder nicht ganz unerheblich erschwert wird. 78 Ob dem Verbringen der gepfändeten Sache an einen anderen Ort, etwa bei einem Wohnungswechsel oder einer Auslagerung der gepfändeten Gegenstände wegen beabsichtigter anderweitiger Verwendung des Lagerraums, das spezifische Moment des Entziehens anhaftet, beurteilt sich nach der konkreten Fallgestaltung. 79 Maßgebend ist, ob die jederzeitige behördliche Zugriffsmöglichkeit des Gerichtsvollziehers auf die Pfandsache erheblich erschwert wird; eine ganz unerhebliche Zu-

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Vgl. OLG Oldenburg J R 1954 33; Brox/Walker Zwangsvollstreckungsrecht Rdn. 366. Vgl. RGSt 2 6 308. OLG Oldenburg J R 1954 33. Rudolphi SK Rdn. 11. Geppert Jura 1987 35, 38. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Hohmann MK Rdn. 15. Vgl. OLG Celle NJW 1988 1101; Hohmann MK Rdn. 15.

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Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Hohmann MK Rdn. 15. Vgl. RGSt 3 255, 2 5 6 ; 15 2 0 5 , 2 0 6 ; 17 90; 18 410, 411; 2 2 2 4 2 ; 7 0 251, 2 5 4 ; OLG Hamm NJW 1956 1889; 1980 2 5 3 7 ; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Rudolphi SK Rdn. 13; Geppert jura 1987 35, 39. Vgl. RGSt 18 410, 412 einerseits und RGRspr 10 2 6 4 f; RG Recht 1915 Nr. 9 7 8 andererseits; vgl. auch Krey BT 1 Rdn. 539, 543.

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griffsbeeinträchtigung des Gerichtsvollziehers als Folge einer solchen Ortsveränderung ist tatbestandlich unbeachtlich. 80 Nicht jede Ortsveränderung ist ein Entziehen; denn der Pfändungsschuldner ist berechtigt, die in seinem Besitz belassene Sache weiter zu benutzen, 81 und der bestimmungsgemäße Gebrauch etwa bei Fahrzeugen kann eine Ortsveränderung mit sich bringen. Allerdings hat die Rechtsprechung bei der Benutzung eines gepfändeten Kraftfahrzeugs einen Verstrickungsbruch unter dem Gesichtspunkt der Wertminderung bejaht, wobei jede Ortsveränderung für ausreichend erachtet wird. 8 2 Dagegen wird zutreffend eingewandt, dass das Gläubigerinteresse kein Schutzzweck des § 136 ist, 8 3 weshalb ein tatbestandliches Entziehen nur dann vorliegt, wenn die Zugriffsmöglichkeit des Gerichtsvollziehers auf das gepfändete Fahrzeug unmöglich gemacht oder erheblich erschwert wird. 26

Das Entziehen verlangt keineswegs unmittelbares körperliches Handanlegen beim Fortschaffen der Sachen; 8 4 genügen kann vielmehr die Täuschung des Vollstreckungsbeamten, 8 5 z.B. durch falsche Standortangabe oder Ableugnen des Verwahrungsortes, 86 das Verarbeiten beschlagnahmter Sachen in einer Weise, dass sie nicht wiederzuerkennen sind, 87 oder das Verbauen gepfändeter Hölzer. 88 Nicht erforderlich ist, dass der Täter sich die Sache aneignet oder durch das Entziehen jemandem ein Vorteil oder ein Nachteil erwächst. 8 9 Kein Verstrickungsbruch liegt vor, wenn der Schuldner die in dessen Gewahrsam belassene gepfändete Sache veräußert, solange dies zu keiner Ortsveränderung führt. 9 0

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Hat der Gerichtsvollzieher die Zugriffsmöglichkeit auf die nach § 808 Abs. 2 ZPO gepfändete Sache durch eine Entziehungshandlung des Vollstreckungsschuldners verloren, so liegt kein (erneutes) tatbestandliches Entziehen vor, wenn ein nachfolgender tatunbeteiligter Erwerber die infolge der Tat des Vollstreckungsschuldners der Verstrickung bereits entzogene Sache unter neuerlicher Gewahrsamsveränderung weiterveräußert, selbst wenn der Erwerber bösgläubig war. Eine tatbestandserhebliche Handlung nach Absatz 1 ist in diesen Fällen nur möglich, wenn die Verfügungsgewalt des Gerichtsvollziehers faktisch wieder hergestellt oder aufs Neue begründet wurde. Veräußert und übergibt der Vollstreckungsschuldner die gepfändete Sache an einen hinsichtlich der Pfändung gutgläubigen Dritten, so erwirbt dieser lastenfreies Eigentum (§§ 936, 136, 135 Abs. 2 BGB); die Verstrickung entfällt. 91 Die Sache ist damit bereits aus Rechtsgründen kein taugliches Objekt der Handlungsform des Entziehens nach Absatz 1 mehr. 92

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Eine tatbestandserhebliche Entziehung kommt auch in Betracht, wenn im Falle behördlich angeordneter Leichenöffnung (§ 87 Abs. 2 StPO) von dem befassten Institut unter Zweckentfremdung wissenschaftliche Versuche an Leichen vorgenommen werden,

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Vgl. OLG Hamm NJW 1980 2 5 3 7 m. Anm. Ostendorf GA 1982 331 ff, Hohmann MK Rdn. 16; vgl. auch Geppert Jura 1987 35, 40. Vgl. OLG Hamburg MDR 1967 763 f. Vgl. OLG Hamm VRS 13 34; OLG Schleswig SchlHA 1961 199, 2 0 0 ; Rudolphi SK Rdn. 13. Geppert Jura 1987 35, 4 0 ; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Ostendorf NK Rdn. 12. RGSt 31 80, 81. RGSt 15 205, 2 0 6 ; 58 353, 356; RG J W 1930 2787.

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R G J W 1938 2 8 9 9 f. RG DR 1943 894. RG Recht 1907 Sp. 5 2 3 Nr. 1101. RGSt 41 2 5 6 , 259. RGSt 61 367, 369; OLG Hamm NJW 1956 1889; vgl. auch Geppert Jura 1987 102, 104. Brox/Walker Zwangsvollstreckungsrecht Rdn. 370, 385; Zöller ZPO § 804 Rdn. 13. AA Geppert Jura 1987 35, 40, der hier auf den fehlenden faktischen Bestand der amtlichen Verfügungsgewalt bei Weiterveräußerung abstellt.

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Verstrickungsbruch, Siegelbruch

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die nicht von dem Untersuchungsauftrag gedeckt sind und den mit der Sicherstellung/ Beschlagnahme (§ 94 StPO) verfolgten bestimmungsgemäßen Untersuchungszweck gefährden; unter den gleichen Voraussetzungen kann § 136 Abs. 1 auch bei einer eigenmächtigen Entnahme von Leichenteilen im Rahmen einer Nebensektion außerhalb des gerichtlich angeordneten Sektionszwecks zu wissenschaftlicher Auswertung vorliegen. 3. Subjektiver Tatbestand. § 136 setzt Vorsatz voraus, wobei bedingter Vorsatz genügt. 93 Der Täter muss billigend in Kauf nehmen, dass die Sache zur Zeit der Tat gepfändet oder sonst dienstlich in Beschlag genommen ist und dass er sie durch seine Handlung der amtlichen Verfügungsgewalt bzw. der Verstrickung entzieht. Eine Zueignung der Sache braucht der Täter ebenso wenig anzustreben wie einen Vermögensvorteil. 94

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Irrt der Täter über die Wirksamkeit der Beschlagnahme oder Pfändung, d.h. nimmt er irrig Umstände an, die eine Beschlagnahme unwirksam machen und einem Verstrickungseintritt entgegenstehen würden oder geht er aufgrund falscher rechtlicher Wertung irrtümlich davon aus, die Pfändung einer schuldnerfremden oder unpfändbaren Sache führe nicht zur Verstrickung, so liegt darin ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum. 95 Glaubt der Täter, nach Befriedigung des Gläubigers oder nach dessen Verzicht auf die Rechte aus einer Pfändung bedürfe es keiner besonderen Aufhebung der Pfändung (Entstrickung), so irrt er über das Fortbestehen des hoheitlichen Gewaltverhältnisses, befindet sich also in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum. 96 Für den Irrtum über die Rechtmäßigkeit der zu einem Akt der Pfändung oder Beschlagnahme führenden Diensthandlung gilt die Sonderregelung des Absatzes 4 (vgl. Rdn. 47 ff).

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V. Siegelbruch (Abs. 2 ) 1. Tatobjekt. Gegenstand des Schutzes von § 136 Abs. 2 ist das dienstliche Siegel, das angelegt ist, um Sachen in Beschlag zu nehmen, dienstlich zu verschließen oder zu bezeichnen.

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a) Siegel. Siegel ist der Siegelabdruck, unabhängig davon aus welchem Material (Lack, Wachs, Plombe usw.) er besteht. 97 Dem Siegel stehen andere amtliche Kennzeichen mit Beglaubigungscharakter wie Siegelmarken, Plomben, Pfandtafeln, Prägeoder Druckstempel gleich. 98 Erfasst werden z.B. der Stempel des Fleischbeschauers auf dem untersuchten Fleisch, 99 die Versiegelung von beim Hersteller zurückgelassenen Proben im Rahmen der amtlichen Lebensmittelüberwachung, 100 Plombenverschlüsse an

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Fischer Rdn. 12; Hohmann MK Rdn. 17. RGSt 41 2 5 6 , 259. Fischer Rdn. 13; Hohmann MK Rdn. 18; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 34b; Geppert Jura 1987 35, 41 f; Bergmann Die Milderung der Strafe nach § 4 9 Abs. 2 StGB, zugleich ein Beitrag zu §§ 113 Abs. 4 , 1 3 6 Abs. 4 StGB, S. 129 m. Fn. 239, S. 138; Niemeyer J Z 1976 314, 316; aA Rudolphi SK Rdn. 16. Hohmann MK Rdn. 18; Lackner/Kühl Rdn. 8; Ostendorf NK Rdn. 19; Niemeyer

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J Z 1976 314, 316; aA Meyer JuS 1971 6 4 3 : Verbotsirrtum. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 20; Hohmann MK Rdn. 21; Geppert Jura 1987 35, 4 2 . Vgl. RGSt 3 2 8 6 , 2 8 8 ; 3 4 398, 399; 3 9 367, 368; 65 132, 133; RGZ 4 6 364, 365; Mäurach ßchroeder Maiwald BT 2 § 73 IV Rdn. 2 0 ; Kühr Siegelbruch, S. 6 ff. RGSt 3 9 367, 368. § 43 Abs. 2 LFBG; Prinz Lebensmittelrecht (2008) § 43 Anm. 3.2.

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einem öffentlichen Feuermelder, 1 0 1 zollamtliche Verplombungen an Güterwagen der Bundesbahn, 1 0 2 die den Siegelabdruck ersetzende Siegelmarke 1 0 3 wie die mit dem Dienstsiegel des Gerichtsvollziehers versehene Pfändungsanzeige, in der die gepfändeten Gegenstände verzeichnet sind und die am Verwahrungsort der Pfändungsobjekte angebracht ist, 1 0 4 die Plakette der Kfz-Zulassungsstelle auf einem Kfz-Kennzeichen und die zum Verschluss eines Gebäudes angebrachte behördliche Versiegelungs- oder Sperrverfügung. 1 0 5 Der Siegelabdruck muss nicht das vollständige Amtssiegel der Behörde tragen; die abgekürzte Angabe der Herkunftsbehörde reicht jedenfalls dann aus, wenn bei objektiver Betrachtung erkennbar ist, von welcher staatlichen Einrichtung das Siegel stammt. 1 0 6 Eingescannte Siegel sind mangels ausreichender Legitimationskette zwischen Siegelführer und Siegelverwender keine tauglichen Tatobjekte i.S. von § 136 Abs. 2 . 1 0 7 33

b) Dienstlich. Dienstlich ist ein Siegel, das im Rahmen des hoheitlichen Aufgabenbereichs einer staatlichen Behörde, einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts oder der Bundeswehr verwendet wird. 1 0 8 Nicht geschützt werden Privatsiegel eines Beamten. Nach der Privatisierung von Post und Bahn sind die nicht zollamtliche Verplombung von Güterwagen und die Verplombung von Breitbandkabel-Anschlüssen nicht mehr von § 136 erfasst. 1 0 9 Kirchenamtliche Siegel der Kirchen und anderer Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts sind abweichend von § 4 2 7 Abs. 5 Ε 1 9 6 2 1 1 0 nicht in den Schutzbereich der Vorschrift einbezogen. 1 1 1

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Der Siegelbruchtatbestand schützt grundsätzlich nur inländische Siegel. 1 1 2 Wie bereits das Tatbestandsmerkmal „dienstlich" zeigt, besteht Strafrechtsschutz nur insoweit, als sich in der Siegelung die besondere innerstaatliche Herrschafts- und Verfügungsgewalt äußert, die dem jeweiligen Aufgabenbereich der handelnden Dienststelle entspricht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die ausländischen Siegel durch internationale Verträge anerkannt sind, z.B. Verplombungen, die von der Zollverwaltung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union im Rahmen der gemeinschaftlichen Versandverfahren T 1 und T 2 zum Zwecke der zollamtlichen Überwachung und der Nämlichkeitssicherung von Waren im gesamten Zollgebiet der Gemeinschaft angebracht worden sind. 1 1 3

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RGSt 65 134. Vgl. BGH 2 StR 286/52 v. 14.4.1953. RGSt 3 286, 287. RGSt 18 388; 34 398, 399; RG GA Bd. 51 181; RG DR 1941 847; Geppert Jura 1987 35, 43; Hohmann MK Rdn. 21. Vgl. OLG Frankfurt MDR 1973 1033; OLG Köln NStE Nr. 1 zu § 136 StGB. OLG Frankfurt MDR 1973 1033: Plombe mit der abgekürzten Prägung „L.A. Dst." = Landratsamt Darmstadt; vgl. auch KG JR 1955 474: Plombe mit der Prägung „Polizei Berlin"; OLG Dresden GA Bd. 39 166: amtl. Plombe mit Angabe einer Kontrollnummer, der Abgangsstation und dem Verwendungstag; z.T. krit. Kühr Siegelbruch, S. 6 ff. Kühr Siegelbruch, S. 12 f.

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Hohmann MK Rdn. 22; Rudolphi SK Rdn. 19; Kühr Siegelbruch, S. 13 f. Fischer Rdn. 9; Hohmann MK Rdn. 22; aA Lackner/Kühl Rdn. 5; Krause/Wuermeling NStZ 1990 526, 528. Begr. S. 613. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 20; aA Hohmann MK Rdn. 22. Fischer Rdn. 9; Krehl NJW 1992 604; differenzierend Kühr Siegelbruch, S. 16 f. Vgl. BGH NStZ 1996 229; Hohmann MK Rdn. 22; Rudolphi SK Rdn. 19; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 18; Fischer Rdn. 9; Lackner/Kühl Rdn. 5; Krehl NJW 1992 604, 605; Dannecker FG BGH Bd. IV, 339, 356; aA v. BubnoffULn Rdn. 17a.

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Verstrickungsbruch, Siegelbruch

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c) Anlegen, um Sache in Beschlag zu nehmen, dienstlich zu verschließen oder zu bezeichnen. Das Siegel muss angelegt sein, um Sachen in Beschlag zu nehmen, dienstlich zu verschließen oder zu bezeichnen. Die Sachen können beweglich oder unbeweglich sein.

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aa) Anlegen. Unter Anlegen eines Siegels ist die mechanische Verbindung des Siegels mit dem Gegenstand zu verstehen. 114 Ungenügend ist daher das Einlegen des Siegels in das Innere des Pfandgegenstandes. 115 Bei Pfändungen geschieht das Anlegen des Siegels in der Regel durch Aufkleben der Siegelmarke auf das Pfandstück. Anders als beim Verstrickungsbruch (Abs. 1) braucht das Siegel nicht sichtbar angebracht zu sein. 1 1 6 Das Anheften des Pfandsiegels am Ärmelinnenfutter eines Pelzmantels ist daher ausreichend, 1 1 7 ebenso das Ankleben der Pfandmarke von innen in ein Schrankfach. Die unzureichende Kenntlichmachung (§ 8 0 8 Abs. 2 Z P O ) führt zwar im Hinblick auf das dem Gläubigerinteresse dienende Erfordernis der Erkennbarkeit der Pfandmarke zu keiner wirksamen Pfändung mit der Folge des Tatbestandsausschlusses nach Absatz 1 mangels Verstrickung (Rdn. 19). Die Wirksamkeit der Siegelung wird hierdurch aber nicht berührt; das Pfandsiegel bleibt für den, der sich ihm gegenübersieht, ungeachtet des Anbringungsorts Ausdruck staatlicher Autorität. 1 1 8

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bb) Zweck der Siegelung. Die Siegelung muss zu einem der in Absatz 2 genannten Zwecke vorgenommen werden. Der Begriff der Beschlagnahme umfasst auch die Pfändung beweglicher Sachen. Der Zweck des dienstlichen Verschließens kommt bei Versiegelung von Gebäuden und Räumen in Betracht, bei dienstlicher Verplombung kommunaler Versorgungs- und Sicherungsanschlüsse 119 sowie bei Versiegelung von Lebensmittelproben (vgl. § 4 3 Abs. 2 LFBG). Der Zweck der Bezeichnung liegt z.B. vor bei der Stempelung von untersuchtem Fleisch durch den Fleischbeschauer; 1 2 0 ferner bei Dienstsiegelabdrücken in den Büchern öffentlicher Bibliotheken sowie bei dem Präge- oder Druckstempel der Zulassungsbehörde auf den Autokennzeichen, mit dem die Zulassung des Fahrzeugs zum Verkehr dienstlich bezeichnet wird. 1 2 1

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cc) Wirksamkeit der Siegelung. Eine wirksame Siegelung setzt voraus, dass der Amtsträger das Siegel in Ausübung seines Amtes, also in Ausübung der durch dieses Amt begründeten Befugnis angelegt hat und er für die Maßnahme im Allgemeinen sachlich und örtlich zuständig ist. Er muss das Recht, Siegel anzulegen, auf dem Gebiet besitzen, auf dem er tätig wird; übt er durch die Anlegung des Siegels Zwangsbefugnisse aus, so müssen ihm gerade solche verliehen sein. 1 2 2 Die Wirksamkeit der Siegelung setzt aller-

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RGSt 61 101, 102; Geppert Jura 1987 35, 43. RGSt 61 101,102; RG DR 1941 847; Seh/ Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 21. RGSt 61 101, 104; Hobmann MK Rdn. 23; aA Rudolphi SK Rdn. 20. BGH bei Daliinger MDR 1952 658. Geppert Jura 1987 35, 43; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 21; aA Ostendorf NK Rdn. 10; Rudolphi SK Rdn. 20. Vgl. RGSt 48 361; KG JR 1955 474, die allerdings von einer Beschlagnahme ausgehen.

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§ 22 F1HG; vgl. RGSt 39 367. Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 73 IV Rdn. 20; zur Siegelanlegung zwecks dienstlicher Bezeichnung sowie zur Abgrenzung bzw. Überschneidung von Siegelbruch und Urkundendelikten nach dem herrschenden Urkundenbegriff krit. Kienapfel Siegel, Plomben und andere durch § 136 Abs. 2 StGB geschützte Zeichen, S. 142, 147 ff, 160. Vgl. BayObLGSt 1951 612, 613.

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dings nicht voraus, dass im Einzelfall alle tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen der Siegelanlegung vorgelegen haben. 1 2 3 Sie wird z.B. nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Siegelung entgegen § 750 ZPO vor Zustellung des Vollstreckungstitels 124 oder entgegen § 865 Abs. 2 Satz 1 ZPO unter Verkennung der Zubehöreigenschaft erfolgt. 125 Die Frage der Berücksichtigung von Vollstreckungs- und Siegelungsfehlern bei wirksamer Siegelung bestimmt sich auf der Beurteilungsebene des Absatzes 3, für die der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff maßgeblich ist (siehe Rdn. 4 3 ff). 39

2. Tathandlungen. Als Tathandlungen kommen das Beschädigen, das Ablösen, das Unkenntlichmachen des dienstlichen Siegels in Betracht sowie das Unwirksammachen des durch ein Siegel bewirkten Verschlusses.

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a) Beschädigen, Ablösen, Unkenntlichmachen. Maßgebend ist bei diesen Tathandlungen, dass die Kennzeichnungsfunktion des Siegels hinsichtlich der beschlagnahmten oder unter dienstlichen Verschluss gestellten Sache beseitigt oder beeinträchtigt wird. 126 Beschädigen eines Siegels bedeutet die Beeinträchtigung der Substanz des Siegels, die zugleich die zweckbestimmte Funktion, die Eignung als Kennzeichen für die Pfandverstrickung oder den sonstigen Zweck der Siegelanlegung beseitigt oder wesentlich beeinträchtigt (vgl. auch § 133 Rdn. 24). Insoweit kommt auch bloßes Verbiegen, Lockern, Verschieben oder Ausfeilen in Betracht. 127 Ablösen ist die Aufhebung der Verbindung zwischen Siegel und zugeordneter Sache, die auch ohne Beschädigung erfolgen kann, z.B. durch Abtrennung der gesiegelten Metallplombe, 128 Ablösen der Pfandmarke, Abheben des amtlichen Prägestempels oder Herausschneiden des Stempelabdrucks. Ist das Pfandsiegel von selbst abgefallen, ist für Absatz 2 kein Raum; die Wiederanbringung am Pfandobjekt ist nicht Sache des Vollstreckungsschuldners. Unkenntlichmachen ist jede Einwirkung, die die mühelose Wahrnehmungsmöglichkeit des dienstlichen Siegels verhindert oder erheblich erschwert, z.B. durch Überkleben (mit einer dem Möbelholz ähnlichen Folie bei gepfändeten Möbelstücken), 129 Übermalen oder Zuhängen (Überdecken eines gesiegelten Sperrschildes).

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b) Unwirksammachen des Verschlusses. Ein tatbestandserhebliches Verhalten liegt schließlich auch dann vor, wenn der Täter den durch ein solches Siegel bewirkten Verschluss ganz oder zum Teil unwirksam macht. Diese weitere Handlungsmodalität entspricht sachlich der „Aufhebung des amtlichen Verschlusses" i.S. der früheren Fassung. 130 Einen Verschluss macht unwirksam, wer die durch die Siegelung gebildete dienstliche Sperre missachtet. 131 Dabei kann das Siegel unverletzt und an seiner Stelle bleiben. Der Tatbestand wird daher auch erfüllt, wenn der Täter durch ein Fenster in einen Raum einsteigt, dessen Tür versiegelt ist, 132 wenn ein Gegenstand aus einer versie-

Vgl. RG GA Bd. 6 8 S. 395; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 22; Hohmann MK Rdn. 24; Geppert Jura 1987 35, 43. 1 2 4 RGSt 34 398; Hohmann MK Rdn. 2 4 ; Zöller ZPO § 750 Rdn. 24. 125 Geppert/Weaver Jura 2 0 0 0 4 6 , 4 7 ; Hohmann MK Rdn. 24. 1 2 6 Vgl. OLG Köln MDR 1969 69; Rudolphi SK Rdn. 22. 127 Yg] j(ienapfel Siegel, Plomben und andere 123

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durch § 136 Abs. 2 StGB geschützte Zeichen, S. 150. Vgl. OLG Frankfurt MDR 1973 1033. Vgl. OLG Köln MDR 1969 69, das hierin eine Beschädigung sah. Vgl. EEGStGB BTDrucks. 7 / 5 5 0 , S. 224. OLG Frankfurt NJW 1959 1288; OLG Hamm JMB1NW 1953 2 5 8 ; Kühr Siegelbruch, S. 46 f. Hohmann MK Rdn. 27; Rudolphi SK Rdn. 23; Geppert Jura 1987 35, 43.

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gelten Umschnürung ohne Verletzung des Siegels entfernt w i r d 1 3 3 oder wenn der Inhalt dem versiegelten Zollbehältnis durch dessen Aufschneiden entnommen wird. 1 3 4 Eine ordnungsbehördliche „Versiegelung einer Baustelle" kann durch bloße Anheftung einer Versiegelungsverfügung an der Baubudentür vorgenommen werden; ihre Missachtung durch Weiterbauen ist als Siegelbruch strafbar. 1 3 5 Voraussetzung ist jedoch jeweils, dass zur Zeit der Tat ein dienstliches Siegel, das den Verschluss bewirkt, noch angebracht ist. 1 3 6 3. Subjektiver Tatbestand. Der subjektive Tatbestand erfordert bei allen Begehungsformen Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muss zumindest für möglich halten, dass das dienstliche Siegel angelegt ist, um eine Sache in Beschlag zu nehmen, dienstlich zu verschließen oder zu bezeichnen und dass er das Siegel durch eine der genannten Begehungsformen unwirksam macht. 1 3 7 Auf die Rechtmäßigkeit der Siegelung muss sich der Vorsatz dagegen nicht beziehen, da diese kein Tatbestandsmerkmal ist. Zum Irrtum über die Rechtmäßigkeit der Siegelanlegung vgl. Rdn. 4 7 ff. Glaubt der Täter, nach Befriedigung des Gläubigers oder nach dessen Verzicht auf die Rechte aus einer Pfändung bedürfe es keiner besonderen Aufhebung der Beschlagnahme bzw. Pfändung, so irrt er nicht über die Rechtmäßigkeit der Siegelanlegung, sondern über die fortbestehende Wirksamkeit des hoheitlichen Aktes, befindet sich also in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum. 1 3 8

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VI. Die R e c h t m ä ß i g k e i t der Diensthandlung (Abs. 3 ) Absatz 3 macht die Strafbarkeit der Tat als Verstrickungsbruch (Absatz 1) oder Siegelbruch (Absatz 2) von der weiteren Voraussetzung abhängig, dass die Diensthandlung, die zu einem Akt der Pfändung, Beschlagnahme oder Siegelanlegung führt, rechtmäßig ist. Diese Vorschrift ist der für den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte getroffenen Regelung des § 113 Abs. 3 nachgebildet. 1 3 9 Die dogmatische Einordnung der Rechtmäßigkeit ist umstritten. 1 4 0 Während nach einer Auffassung dem Fehlen der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung die Bedeutung eines Rechtfertigungsgrundes zuzuerkennen ist, für den nach Absatz 3 S. 2, Absatz 4 dieselbe Irrtumsregel gilt wie bei § 113, 1 4 1 sieht eine andere Auffassung in ihr eine objektive Bedingung der Strafbarkeit. 1 4 2 Zum

RG Urt. v. 22.1.1932 - 1 365/31; vgl. auch Geppert Jura 1987 35, 43. 134 Yg[ Kienapfel Siegel, Plomben und andere durch § 136 Abs. 2 StGB geschützte Zeichen, S. 144. 135 OLG Köln MDR 1971 67; NStZ 1987 330; vgl. auch RG LZ 1923 653; BayObLGSt 1951 299, 300; OLG Hamm JMB1NW 1953 258; Hohmann MK Rdn. 27; aA Rudolphi SK Rdn. 23; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 25; Geppert Jura 1987 35, 43; Kühr Siegelbruch, S. 47, die den Begriff „Verschluss" rein körperlich-räumlich verstehen. 136 OLG Köln MDR 1971 67; OLG Hamm JMB1 NW 1953 258. 137 Vgl. KG JR 1955 474, 475. 133

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Niemeyer J Z 1976 314, 316; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 34b; aA Meyer JuS 1971 643 f. EEGStGB BTDrucks. 7/550, S. 224; Ε 1962, S. 613. Vgl. Rosenau LK § 113 Rdn. 27 ff; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 II Rdn. 33 ff; Geppert Jura 1987 35, 42; Kühr Siegelbruch, S. 49 ff. Fischer Rdn. 13; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 II Rdn. 38; Niemeyer J Z 1967 314, 315; Paeffgen JZ 1979 516, 521; Dreher GedS Schröder, S. 359, 376 ff. Vgl. BGHSt 21 334, 365; KG NJW 1972 781, 782; Hohmann MK Rdn. 29; Wessels/ Hettinger BT 1 § 14 III 5 Rdn. 633.

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§ 136

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Teil wird die Rechtmäßigkeit auch als unrechtskonstituierendes Merkmal angesehen, auf das sich der Vorsatz des Täters nicht zu erstrecken braucht. 143 Da die Irrtumsfragen im Gesetz geregelt sind, hat die dogmatische Einordnung keine rechtlichen Folgen mehr. 44

Der Vorschrift liegt nach h.M. wie bei § 113 Abs. 3 ein strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff zugrunde. 144 Danach kommt es nicht auf die materiellrechtliche Rechtmäßigkeit der Diensthandlung an, z.B. ob für den Gläubiger ein Pfändungspfandrecht entsteht oder ob eine sonstige Beschlagnahme sachlich rechtlich begründet ist. Maßgeblich ist vielmehr eine bloß formelle Rechtmäßigkeit der Pfändung, Beschlagnahme oder Siegelung, und zwar unabhängig von der konkreten Vorstellung des Täters. Entscheidend ist danach die örtliche, sachliche bzw. funktionelle Zuständigkeit des tätig werdenden Organs, d.h. die generelle Zuständigkeit für Beschlagnahmen oder Siegelungen der fraglichen Art, die Einhaltung der für Pfändung und Beschlagnahme oder Siegelung wesentlichen Förmlichkeiten sowie gegebenenfalls die pflichtgemäße Wahrung eines Ermessensoder Beurteilungsspielraums durch den Amtsträger. 145 Ob das Ergebnis richtig oder falsch ist, ist solange nicht von Bedeutung, wie die Entscheidung nicht auf einem schuldhaften Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen zur Befugnis zum Einschreiten beruht oder nicht Willkür bzw. Amtsanmaßung vorliegen. 146

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Nach anderer, engerer Auffassung wird die Frage einer wirksamen Verstrickung der Beurteilungsebene des Absatzes 3 zugewiesen und die Rechtmäßigkeit mit der Wirksamkeit des Pfändungs- bzw. Beschlagnahmeaktes nach den Regeln des öffentlichen Rechts gleichgesetzt. Dem Begriff der „nicht-rechtmäßigen" Diensthandlung werden danach lediglich jene evident schwerwiegend fehlerhaften Vollstreckungsakte zugeordnet, die keine wirksame Verstrickung zu begründen vermögen. 147 Eine derart einengende Auslegung des Absatzes 3 Satz 1 würde diese Regelung aber als entbehrlich erscheinen lassen. Mangels Begründung eines staatlichen Herrschaftsverhältnisses bezüglich der Sache ist hier bereits ein tatbestandsrelevantes Verhalten nach Absatz 1 ausgeschlossen; eines Rückgriffs auf Absatz 3 Satz 1 bedarf es insoweit nicht. Die weiteste Auffassung geht von einem materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff aus und stellt auf die volle Übereinstimmung mit den einschlägigen vollstreckungsrelevanten Normen einschließlich der materiellen öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsvoraussetzungen ab. 1 4 8 Dagegen spricht, dass im Rahmen des § 136 jeder Vollstreckungsfehler den jeweiligen Pfändungs- oder Beschlagnahmeakt als nicht rechtmäßig i.S. des Absatzes 3 Satz 1 ausweisen würde. Dies würde der spezifischen Entlastungsfunktion der dem Betroffenen zustehenden gesetzlichen Rechtsbehelfsmöglichkeiten, etwa der §§ 766, 771 ZPO, nicht gerecht werden und zu einer mit dem Schutzzweck des § 136 kaum zu vereinbarenden, wesentlichen Einschränkung des Strafbarkeitsbereichs führen. 149

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Rudolphi SK Rdn. 30; Ostendorf NK Rdn. 16; vgl. auch Sax J Z 1976 9, 16 (objektive Strafwürdigkeitsvoraussetzung). OLG Düsseldorf NStZ 1984 316, 317; Hohmann MK Rdn. 30; Lackner/Kühl Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 26; Fischer § 113 Rdn. 11; Geppert/Weaver Jura 2 0 0 0 46, 48; zweifelnd Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 2 8 - 3 2 für den Bereich der Zwangsvollstreckung; krit. Ostendorf NK Rdn. 18.

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Maurach/Schroeder/Maitvald BT 2 § 70 II Rdn. 10 ff. Kühr Siegelbruch, S. 50. Krey BT 1 Rdn. 5 4 2 f, 546; Luke FS Arth. Kaufmann, S. 573. Ostendorf NK Rdn. 17 f. Vgl. Geppert Jura 1987 35, 38; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 II Rdn. 2 4 .

Matthias Krauß

Verstrickungsbruch, Siegelbruch

§ 136

Ausgehend vom strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff ist die Tragweite des Absatzes 3 wesentlich geringer als bei der entsprechenden Vorschrift des § 113. Beim Verstrickungs- und Siegelbruch handelt es sich um ein Erfolgsdelikt; entscheidend ist die Beeinträchtigung eines wirksam begründeten staatlichen Gewaltverhältnisses über die Sache bzw. der manifestierten Siegelgewalt. Die Besonderheit liegt gegenüber § 113 in dem tatbestandlich vorausgesetzten Erfordernis, dass durch die Diensthandlung die öffentlich-rechtliche Verstrickung bzw. der durch die Siegelanlegung bewirkte Verschluss begründet worden ist. 1 5 0 Bei schwerwiegenden formellen Mängeln wie etwa der funktionellen Unzuständigkeit des Vollstreckungsorgans wird eine wirksame Verstrickung und Siegelanlegung nicht bewirkt (vgl. oben Rdn. 17 ff, 38). 1 5 1 In solchen Fällen fehlt es mangels tauglichen Tatobjekts bereits an der Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens. Eine praktische Bedeutung gewinnt Absatz 3 deshalb lediglich in den Fällen, in denen die Vollstreckungshandlung trotz ihrer in formellem Sinne verstandenen Unrechtmäßigkeit, d.h. trotz erheblicher Formmängel, eine öffentlich-rechtliche Verstrickung bzw. wirksame Siegelanlegung begründet hat. In Betracht kommen beim Verstrickungs- und Siegelbruch Verstöße gegen zwingende Schutzvorschriften des Vollstreckungsrechts, z.B. eine Vollstreckung, zu der entgegen $ 759 ZPO keine Zeugen hinzugezogen werden, 1 5 2 eine Vollstreckung in der Wohnung des Schuldners ohne richterliche Anordnung (§ 758a Abs. 1 ZPO), 1 5 3 Fälle offenkundigen Vorliegens der Voraussetzungen der Unpfändbarkeit (§ 811 ZPO) bzw. eines für jedermann sichtbaren, belegten Dritteigentums, 154 bei ersichtlicher wirtschaftlicher Einheit bzw. Zuordnung der beweglichen Sache (§ 865 Abs. 2 S. 1 Z P O ) 1 5 5 oder wenn die gepfändete Sache offensichtlich dem Schuldner nicht gehört. Nicht erforderlich für die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung ist, dass der Amtsträger bei an sich gegebener, d.h. allgemeiner Zuständigkeit gerade zu der konkreten Beschlagnahme im Einzelfall zuständig war. 1 5 6 Mängel des Protokolls und die entgegen § 808 Abs. 3 ZPO unterbliebene Benachrichtigung des Schuldners führen ebenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der Diensthandlung. 157

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VII. Besondere Irrtumsregelung (Abs. 3 S. 2 und Abs. 4) Absatz 3 S. 2 und Absatz 4 enthalten spezielle Irrtumsregelungen, die denjenigen des § 1 1 3 Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 entsprechen.

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Die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung muss nicht vom Vorsatz erfasst sein. Ist die Diensthandlung rechtmäßig und macht sich der Täter keine Gedanken darüber, so ist die Tat nach § 136 strafbar, wenn im Übrigen Vorsatz gegeben ist. Dagegen ist die Tat straflos, wenn die Pfändung, Beschlagnahme oder Siegelung auf Grund einer rechtswidrigen Diensthandlung erfolgte, auch wenn der Täter diese irrig als rechtmäßig bewertete (Abs. 3 S. 2).

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Vgl. BGHSt 5 155, 160. Brox/Walker Zwangsvollstreckungsrecht Rdn. 364. BGHSt 5 93, 94; LG Konstanz DGVZ 1984 119 f m. krit. Anm. Alisch ebd. S. 108; Hohmann MK Rdn. 30; Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 2 8 - 3 2 ; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 70 II Rdn. 13. Zu dem weggefallenen § 761 ZPO vgl. KG GA 1975 213, 214; Hohmann MK Rdn. 30;

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Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2 8 - 3 2 . Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2 8 - 3 2 ; Geppert Jura 1987 35, 39; Niemeyer J Z 1976 314, 316. Niemeyer J Z 1976 314, 316. RGSt 2 6 2 8 7 ; 2 8 379, 383; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2 8 - 3 2 . Hobmann MK Rdn. 30; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2 8 - 3 2 .

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§ 136 49

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Nimmt der Täter irrig an, die in Wahrheit rechtmäßige Diensthandlung sei aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht rechtmäßig, so gilt gem. § 136 Abs. 4 die Regelung des § 1 1 3 Abs. 4. War der Irrtum vermeidbar, kann die Strafe nach § 4 9 Abs. 2 gemildert werden; für die Vermeidbarkeit gelten die zum Verbotsirrtum entwickelten Grundsätze. War der Irrtum nicht vermeidbar, ist danach zu differenzieren, ob es dem Täter zuzumuten war, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren. Nur wenn ihm die Einlegung von Rechtsbehelfen unzumutbar war, was regelmäßig zu verneinen ist, 1 5 8 bleibt der Täter straflos, andernfalls kommt eine Strafmilderung nach § 4 9 Abs. 2 in Betracht. Handelt der Täter allerdings in der irrigen Vorstellung, es bestehe gar keine wirksame Verstrickung oder Siegelung, so liegt ein auf das Bestehen staatlicher Herrschaftsgewalt bezogener vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum vor, wenn dieser Irrtum auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung beruhte. 1 5 9 Nach abweichender Auffassung fallen die Verstrickung betreffende Fehleinschätzungen des Täters ebenfalls unter Absatz 4 , 1 6 0 so dass Straflosigkeit angesichts der strengen Handhabung der Rechtsbehelfsklausel nur selten in Betracht kommen würde. 161

Vni. Täterschaft und Teilnahme 50

Täter kann jeder sein, also nicht nur der Schuldner oder der sonst von der Beschlagnahme Betroffene, sondern auch der die Zwangsvollstreckung betreibende Gläubiger 1 6 2 oder ein Dritter. 1 6 3 Als Täter kommt auch der Gerichtsvollzieher oder Amtsträger in Betracht, der selbst die Pfändung oder Beschlagnahme durchgeführt hat, so z.B. ein Gerichtsvollzieher, der eine von einem anderen Gerichtsvollzieher gepfändete Sache aus dessen Besitz entfernt, um sie in einer anderen Rechtssache zu pfänden, 1 6 4 oder der sich eine gepfändete Sache zueignet oder sie zerstört. 165 Umstritten ist die Tatbestandserheblichkeit im Falle einer sachlich nicht gerechtfertigten Freigabe durch den Amtsträger im Rahmen seiner formellen Amtsbefugnisse. Nach BGHSt 5 155, 158 macht sich ein Polizeibeamter keines Verstrickungsbruchs schuldig, wenn er die von ihm vorläufig beschlagnahmte Sache pflichtwidrig freigibt, solange er allein (d.h. als „alleiniger Träger des öffentlichen Besitzwillens") zur Entscheidung über die Freigabe nach den bestehenden Vorschriften befugt ist; die Zueignung der Sache oder die Herausgabe an eine nicht zum Empfang berechtigte Person sollen lediglich als Verwahrungsbruch strafbar sein. Für den Gerichtsvollzieher hat die Rechtsprechung jedoch Verstrickungsbruch bejaht, wenn er die von ihm gepfändete Sache ohne Anweisung des Gläubigers und ohne Ermächtigung des Gerichts freigibt. 1 6 6 Demgegenüber wird im Schrifttum die Tatbestandserheblichkeit zu Recht davon abhängig gemacht, ob ein Freigabeakt von der formellen Legitimation des

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Bergmann Die Milderung der Strafe nach § 4 9 Abs. 2 StGB, S. 138; Niemeyer J Z 1976 314, 316; Rudolphi SK Rdn. 29; Hohmann MK Rdn. 33; krit. Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 34a. Hobmann MK Rdn. 32; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 34b; Geppert Jura 1987 35, 41. Rudolphi SK Rdn. 16 und Krey BT 1 Rdn. 542. Krit. zu den Auswirkungen Geppert Jura 1987 35, 41.

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RGRspr 1 705. BayObLGSt Bd. 5 [alte Folge] 184. RGSt 8 2 5 6 . Vgl. auch Geppert Jura 1987 35, 40 f: Kein Handeln des Gerichtsvollziehers „im Rahmen des Dienstbetriebs". RGSt 4 4 41, 4 3 ; BGHSt 3 306, 307; Winkelbauer NStZ 1988 201, 2 0 3 ; Ostendorf NK Rdn. 13.

Matthias Krauß

Verstrickungsbruch, Siegelbruch

§ 136

Gerichtsvollziehers getragen und damit formell wirksam ist. 1 6 7 Gleiches gilt für die Freigabe einer von der Polizei beschlagnahmten Sache. 1 6 8 Teilnahme kommt in F o r m der Beihilfe wie der Anstiftung ebenfalls bei jedem Beliebigen in Betracht, z.B. durch Bestimmung des Vollstreckungsschuldners zur Veräußerung der gepfändeten Sache unter gleichzeitiger Gewahrsamsveränderung oder eines anderen zum Abtransport der Sache vom Standort bei Pfändung nach Maßgabe von § 8 0 8 Abs. 2 S. 2 ZPO. Die Tat kann auch durch Unterlassen begangen w e r d e n . 1 6 9

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IX. Konkurrenzen Verstrickungs- und Siegelbruch können tateinheitlich begangen werden, weil unterschiedliche Schutzgüter betroffen sind. 1 7 0 Tateinheit sowohl von Verstrickungs- als auch von Siegelbruch kommt in Betracht mit § 113 und § 1 3 3 . 1 7 1 Tateinheit des Absatzes 1 ist ferner möglich mit § 2 4 2 , 1 7 2 § 2 4 6 , 1 7 3 § 2 6 3 , 1 7 4 § 2 8 8 1 7 5 und mit § 2 8 9 . 1 7 6 Tateinheit kommt darüber hinaus in Betracht zwischen Absatz 2 und § 2 4 2 , 1 7 7 § 2 7 4 Abs. 1 Nr. 1 1 7 8 und § 3 0 4 . 1 7 9

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Rudolphi SK Rdn. 15; Hohmann MK Rdn. 34; Sch/Schröder/Cramer/SternbergLteben Rdn. 17. Vgl. Geppert Jura 1987 35, 40 f. Vgl. RG GA Bd. 40 (1892) 334 (keine Rechtsverpflichtung des Schuldners, einem zweiten Gerichtsvollzieher von der vorherigen Pfändung durch einen anderen Gerichtsvollzieher Kenntnis zu geben); RGSt 61 367, 370 (Rechtspflicht des Schuldners, den mittelbaren Besitz des Gerichtsvollziehers nicht zu beeinträchtigen); krit. Geppert Jura 1987 102, 109, der die Herleitung einer Sachgarantenstellung zum Schutze öffentlicher Verfügungsgewalt aus den Obliegenheiten des Vollstreckungsschuldners/Pfandsacheninhabers bei Pfändung nach Maßgabe des § 808 Abs. 2 S. 2 ZPO in Frage stellt. RGSt 48 361, 365; Hohmann MK Rdn. 35; Fischer Rdn. 15; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 35; Geppert/Weaver Jura 2000 49; aA Rudolphi SK Rdn. 31; Ostendorf NK Rdn. 22; Berghaus Der strafrechtliche Schutz der Zwangsvollstreckung, S. 129: Gesetzeskonkurrenz; differenzierend Lackner/Kühl Rdn. 9 und Meyer JuS 1971 643, 646: Konsumtion des Absatzes 2, falls der Siegelbruch an einer nach §§ 808 Abs. 2, 809 ZPO gepfändeten Sache nur der Verdeckung eines Verstrickungsbruchs dient. RGSt 54 244, 245; BGH 2 StR 286/52

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v. 14.4.1953; Brüggemann Der Verwahrungsbruch, S. 220 f. RGSt 2 318, 319; BGHR StGB § 136 Beschlagnahme 1. BayObLGSt Bd. 5 (alte Folge) 184. Vgl. RGSt 15 205. RGSt 17 42. Vgl. RGSt 64 77, 78 (offen gelassen). BGH 3 StR 901/53 v. 20.5.1954 bei Pfeiffer/ Maul/Schulte Anm. 2 zu § 136 a.F. BGH NStZ 1996 229; Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 35; Lackner/Kühl Rdn. 9; Geppert Jura 1987 102, 106 f: z.B. das Entfernen der Pfandmarke von dem gepfändeten Gegenstand mit dem sicheren Wissen um den Beweisnachteil für den Gerichtsvollzieher/Pfandgläubiger; aA Kienapfel Siegel, Plomben und andere durch § 136 Abs. 2 StGB geschützte Zeichen, S. 159 ff, für den - ausgehend von einem engeren Urkundenbegriff - eine tatbestandliche Überschneidung überhaupt nur bei der Einwirkung auf die schriftliche Pfändungsanzeige, Versiegelungsverfügung etc. in Betracht kommt und dann § 136 Abs. 2 hinter dem Urkundendelikt zurücktritt (Subsidiarität); umgekehrt Rudolphi SK Rdn. 31, wonach § 136 Abs. 2 als lex specialis vorgeht; vgl. ferner Geppert Jura 1983 188 ff zu § 274. RGSt 65 133, 135.

Matthias Krauß

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53

§ 138

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

X . Prozessuales 54

Die VerfolgungsVerjährung tritt s o w o h l beim Verstrickungsbruch als a u c h beim Siegelbruch g e m . § 7 8 Abs. 3 N r . 5 nach drei J a h r e n ein.

§ 137 (weggefallen)

§ 138

Nichtanzeige geplanter Straftaten (1) Wer von dem Vorhaben oder der Ausführung 1. einer Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 80), 2. eines Hochverrats in den Fällen der § § 8 1 bis 83 Abs. 1, 3. eines Landesverrats oder einer Gefährdung der äußeren Sicherheit in den Fällen der § § 9 4 bis 96, 97a oder 100, 4. einer Geld- oder Wertpapierfälschung in den Fällen der §§ 146, 151, 152 oder einer Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion und Vordrucken für Euroschecks in den Fällen des § 152b Abs. 1 bis 3, 5. eines Mordes (§ 211) oder Totschlags (§ 212) oder eines Völkermordes (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder eines Kriegsverbrechens (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 des Völkerstrafgesetzbuches), 6. einer Straftat gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 232 Abs. 3, 4 oder Abs. 5, des § 233 Abs. 3, jeweils soweit es sich um Verbrechen handelt, der §§ 234, 234a, 239a oder 239b, 7. eines Raubes oder einer räuberischen Erpressung (§§ 249 bis 251 oder 255) oder 8. einer gemeingefährlichen Straftat in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 310, 313, 314 oder 315 Abs. 3, des § 315b Abs. 3 oder der §§ 316a oder 316c zu einer Zeit, zu der die Ausführung oder der Erfolg noch abgewendet werden kann, glaubhaft erfährt und es unterläßt, der Behörde oder dem Bedrohten rechtzeitig Anzeige zu machen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer von dem Vorhaben oder der Ausführung einer Straftat nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, zu einer Zeit, zu der die Ausführung noch abgewendet werden kann, glaubhaft erfährt und es unterläßt, der Behörde unverzüglich Anzeige zu erstatten. § 129b Abs. 1 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend. (3) Wer die Anzeige leichtfertig unterläßt, obwohl er von dem Vorhaben oder der Ausführung der rechtswidrigen Tat glaubhaft erfahren hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Schrifttum zu den §§ 138 und 139 Allgayer Die Unterlassung der Anzeigepflicht nach dem Republik-Schutzgesetz vom 25.3.1930, Diss. Erlangen 1933; B/oy Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe (1976); Dahs Das „Anti-Terroristen-Gesetz" - eine Niederlage des Rechtsstaats,

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Matthias Krauß/Ernst-Walter Hanack

Nichtanzeige geplanter Straftaten

§ 138

NJW 1976 2145; Detert Die Pflicht zur Anzeige drohender Verbrechen (1936); de Wall Seelsorgegeheimnisschutz (nicht nur) im Strafverfahren, NJW 2007 1856; Dreher Das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1953 421 (= Bemühungen um das Recht, 1972, S. 286); Fischedick Das Beicht- und Seelsorgegeheimnis - Zur Legitimation und Reichweite des Zeugnisverweigerungsrechts für Geistliche, DÖV 2008 584; Fischer Die unterlassene Verbrechensanzeige (1930); Geilen Stillschweigen der Angehörigen beim Mordkomplott, FamRZ 1964 385; Geilen Unterlassene Verbrechensanzeige und ernsthafte Erfolgsabwendungsbemühungen - BGHSt 19 295, JuS 1965 426; Grünwald Das unechte Unterlassungsdelikt - Seine Abweichungen vom Handlungsdelikt, Diss. Göttingen 1957; Heimberger Unterlassung der Anzeige drohender Verbrechen, VDB Bd. II (1906) S. 403; Heß Die Anzeigepflicht im Strafrecht (1893); Joerden Zur Reichweite der Anzeigepflicht aus § 138 I StGB ... BGHSt 36 167 ff, Jura 1990 633; Arm. Kaufmann Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959); Kielwein Unterlassung und Teilnahme, GA 1955 225; Kisker Die Nichtanzeige geplanter Straftaten - §§ 138, 139 StGB: Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2002 = Diss. Hagen 2001); Köhler Die Unterlassung der Verbrechensanzeige und die Wehrmittelbeschädigung in ihrer neuen Fassung, DStR 1936 397; Landsberg Die Rechtspflicht zur Verhinderung mit Strafe bedrohter Handlungen, Diss. Hamburg 1956; Ling Zum Geistlichenprivileg im Strafrecht, GA 2001 325; ders. Geistlicher gem. § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO - eine Standortbestimmung, KuR (Kirche und Recht) 2008 70; Lobe § 139 n.F., GS 1936 56; Loss/Westendorf Rechtzeitige Anzeige und Rücktritt bei § 138 Abs. 1 StGB, Jura 1998 403; Marquardt/v. Damnitz Die Zusammensetzung des Straftatenkatalogs der Nichtanzeige geplanter Straftaten in § 138 Abs. 1 StGB - Einige kritische Anmerkungen zu Tendenzen einer Ausweitung in der jüngsten Reformdiskussion, FS Rudolphi S. 497; Meister Echtes und unechtes Unterlassungsdelikt, MDR 1953 649; Radtke Der Schutz des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses, ZevKR (Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht) Bd. 52 (2007) S. 617; Redslob Die kriminelle Unterlassung (1906); Ritter Der Einzelne als Helfer bei der Verbrechensverhinderung, GS 1942 121; Rudolphi Zur Rechtzeitigkeit der Anzeige einer geplanten Straftat gemäß § 138 Abs. 1 StGB, FS Roxin S. 867; Schneidewin Kommentierung des Gesetzes zum Schutze der Republik vom 25. März 1930, in Stenglein, Strafrechtliche Nebengesetze5, Bd. II 1931, S. 877; Schmidhäuser Über die Anzeigepflicht des Teilnehmers, Bockelmann-Festschrift S. 683; Schmidhäuser Form und Inhalt der Strafgesetze (1988; zit. Form); Schomberg/Körte Zur Notwendigkeit der Verbesserung der Rechtsstellung des nach § 138 StGB Anzeigepflichtigen, ZRP 1990 417; Schöne Unterlassene Verbrechensanzeige und Strafgesetz (1974); Schroeder Die Straftaten gegen das Strafrecht (1985); Joachim Schwarz Die unterlassene Verbrechensanzeige (1968); Stree Teilnahme am Unterlassungsdelikt, GA 1963 1; Sturm Zur Bekämpfung terroristischer Vereinigungen - ein Beitrag zum Gesetz v. 18. August 1976, MDR 1977 6; Tag Nichtanzeige geplanter Straftaten, unterlassene Hilfeleistung oder Freispruch? JR 1995 133; Westendorf Die Pflicht zur Verhinderung geplanter Straftaten durch Anzeige (1999 = Diss. Göttingen 1998).

Entstehungsgeschichte Zur komplizierten historischen Entwicklung des Delikts bis zum StGB s. z.B. Maurach/Schroeder/Maiwald 2 , § 98 Rdn. 1, 2; Westendorf S. 21. Zur Entwicklung danach eingehend Kisker. Im StGB war die Nichtanzeige bestimmter schwerer Verbrechen ursprünglich nach § 139 strafbar (während § 138 die Dingpflicht der Zeugen, Geschworenen, Schöffen und Sachverständigen betraf); die Strafbarkeit setzte voraus, dass die Verbrechen begangen oder versucht worden waren. Durch Gesetz v. 2 . 7 . 1 9 3 6 (RGBl. I 5 3 2 ; dazu die Amtl. Begründung DJ 1 9 3 6 9 9 6 ; Lobe GS 1 9 3 6 56) wurde die Anzeigepflicht auf alle Tötungsverbrechen und die Wehrmittelbeschädigung erstreckt, von der Ausführung der geplanten Tat unabhängig gemacht und die Strafdrohung bis hin zur Todesstrafe erhöht. Die heutige Ordnung in den §§ 138 und 139 beruht auf Art. 2 Nr. 2 2 - 2 5 des 3. StRÄndG (dazu Dreher J Z 1953 4 2 7 ) . Sie knüpft sachlich insbesondere an § 199 Ε 1927 und Ε 1 9 3 0 an, in Einzelheiten des § 139 (s. dort „Entstehungsgeschichte") aber auch an die Weimarer Republikschutzgesetze, und bezieht erstmals die

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche O r d n u n g

leichtfertige Unterlassung in die Strafbarkeit ein (jetzt: Absatz 3). Spätere Änderungen brachten: Art. 2 Nr. 10 des 8. StRÄndG (Anpassung an geänderte Vorschriften des 1. und 2. Abschnitts); Art. 19 Nr. 5 3 und Nr. 2 0 7 EGStGB (redaktionelle Präzisierung des Absatz 1, Einbeziehung des Völkermords gemäß § 2 2 0 a a.F. und des damaligen § 311b Abs. 1 Nr. 2 [vgl. BTDrucks. 7/1261 S. 12], Beseitigung der Strafschärfung für besonders schwere Fälle); das sog. Anti-TerroristenG v. 1 8 . 8 . 1 9 7 6 (BGBl. I 2181), das insbesondere den jetzigen Absatz 2 einfügte; Art. 1 Nr. 6 des 18. StRÄndG (redaktionelle Anpassung); Art. 1 Nr. 4 des 2. WiKG (Erweiterung des Abs. 1 Nr. 4 um Fälle des § 152a); Art. 1 Nr. 2 des 2 6 . StRÄndG (Einbeziehung der neuen Nr. 3 des § 181 Abs. 1); Art. 1 Nr. 13 des 6. StRG (Änderung des Abs. 1 Nr. 4 als Konsequenz der Neufassung des § 1 5 2 a und der Nr. 9 [jetzt Nr. 8] als Folge der Neugestaltung des 2 8 . Abschnitts); Art. 2 Nr. 8 des Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches v. 2 6 . 6 . 2 0 0 2 (Konsequenzen für Abs. 1 Nr. 6 [jetzt Nr. 5]); das 3 4 . StRÄndG v. 2 2 . 8 . 2 0 0 2 (Einfügung des neuen § 1 2 9 b in Abs. 2); Art. 1 Nr. 3 das 35. StRÄndG (Anpassung des Abs. 1 Nr. 4); Art. 1 Nr. 14 des 37. StRÄndG v. 1 1 . 2 . 2 0 0 5 (Neubezifferung des Abs. 1, Änderung der Nr. 6 n.F. als Konsequenz der Neuordnung das strafbaren Menschenhandels durch § 2 3 2 und § 2 3 3 . - N a c h heftigem Streit abgelehnt wurde im Rahmen der Beratungen zum Gesetz v. 2 7 . 1 2 . 2 0 0 3 eine Erweiterung des § 138 auf wesentliche Sexualdelikte (vgl. BTDrucks. 15/1311, S. 2 3 ; dazu näher u.a. Amelung/Funke-Auffermann StraFO 2 0 0 4 116; Frommel Neue Kriminalpolitik ( 2 0 0 4 ) 6.

Rdn. I. Allgemeines 1. Grundgedanke. Praktische Bedeutung 2. Spezieller Schutzzweck 3. Inhalt der Anzeigepflicht 4 . Ausnahmecharakter. Katalog Π. Die Anzeigepflicht nach Absatz 1 . . . . 1. Vorhaben oder Ausführung einer Tat nach Absatz 1 a) Vorhaben. Allgemeines b) Ausführung. Allgemeines c) Nur täterschaftliche Verhaltensweisen? d) Geplante Taten ohne Schuld; Rechtswidrigkeit e) Der untaugliche Versuch 2. Glaubhafte Kenntnis und Abwendungsmöglichkeit a) Tatsächliches Vorliegen eines ernsthaften Plans b) „Glaubhaft Erfahren" c) Bestehende Abwendungsmöglichkeit 3. Erforderlichkeit der Anzeige 4. Rechtzeitigkeit der Anzeige 5. Anzeige bei der Behörde oder dem Bedrohten; Wahlmöglichkeiten . . . . a) Anzeige bei „der Behörde" . . . . b) Anzeige bei „dem Bedrohten" . . . c) Wahlweise Anzeige bei der Behörde oder beim Bedrohten 6. Form und Inhalt einer wirksamen Anzeige

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Rdn.

1 1 2 4 5 6 6 6 8

ΙΠ.

9 10 12 13 13 14 19 22 23 28 29 33 36

IV. V. VI. VII. Vm.

7. Vorliegen einer Anzeige; „Rücktritt" . 8. Jedermannspflicht; persönliche Ausnahmen a) Anzeigepflicht des Bedrohten . . . b) Anzeigepflicht von Beteiligten an der geplanten Tat c) Anzeigepflicht und Garantenstellung insbesondere d) Anzeigepflicht des Verdächtigen . . e) Notstand Die Anzeigepflicht im Bereich des § 129a (Absatz 2) 1. Allgemeines 2. Gegenstand der Anzeigepflicht . . . . 3. Abweichungen von Absatz 1 a) „Unverzügliche" Anzeige b) Anzeige nur bei der Behörde . . . . c) Überschneidungen zwischen Absatz 1 und 2 d) Anzeigepflicht auch des Bedrohten . e) Nur „Abwendung der Ausführung"? Vorsatz und Irrtum; Leichtfertigkeit nach Absatz 3 Vollendung Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe Täterschaft und Teilnahme Konkurrenzen. Wahlfeststellung und Stufenverhältnis

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38 39 40 42 47 48 49 50 50 52 53 54 55 56 57 58 61 64 65 67 73

Nichtanzeige geplanter Straftaten

§ 138

I. Allgemeines 1. Grundgedanke. Praktische Bedeutung. Die Vorschrift beruht - unbeschadet des 1 weiteren Streits um ihren speziellen Schutzzweck (Rdn. 2) - auf dem Gedanken, dass der Einzelne infolge seiner sozialen Verbundenheit mit den Mitbürgern und dem staatlichen Gemeinwesen dafür mitverantwortlich ist, dass bestimmte besonders wertvolle Rechtsgüter des Individuums und der Gemeinschaft vor ernsthaften Verletzungen bewahrt bleiben (Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Schöne S. 115 m.w.N.). In der Gerichtspraxis hat § 138 marginale Bedeutung (näher Westendorf S. 25; Marquardt/v. Danwitz S. 501, auch S. 497). 2. Spezieller Schutzzweck. Der spezielle Zweck der Pflicht zur Anzeige drohender Straftaten war und ist umstritten (eingehend Schöne S. 103 ff; Schwarz S. 25 ff, Westendorf S. 54 ff), was nicht zuletzt mit der komplizierten historischen Entwicklung des Delikts (Nachweise bei „Entstehungsgeschichte") zusammenhängt. Im Wesentlichen ist man sich heute zwar einig, dass es nicht um die Pönalisierung der bösen Gesinnung geht, die im Unterlassen der Anzeige hervortritt (Schöne S. 104 m.N., auch zu abweichenden Ansichten). Verschieden sind jedoch die Auffassungen über den Schutzzweck im Übrigen. Aus dem Umstand, dass die Verbrechensverhinderung wesentlich eine Aufgabe der öffentlichen Hand darstellt und § 138 bei den „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung" eingeordnet ist, hat man vielfach geschlossen, dass die Vorschrift die Rechtspflege schütze (so insbes. Maurach BT 5 § 79 IV; ähnlich Ε 1962, S. 633) oder doch den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bezwecke bzw. als „reines Polizeidelikt" zu verstehen sei. Diese Ansichten werden Inhalt und Zweck der Vorschrift mindestens seit der Neufassung vom Jahre 1936 nicht mehr gerecht, weil seitdem die Anzeigepflicht auch gegenüber dem (noch) straflosen Vorhaben eines Katalogdelikts besteht und weil überdies nach dem gesetzlichen Regelfall die Anzeige an den Bedrohten genügt, die Einschaltung staatlicher Organe u.U. also überhaupt nicht erforderlich ist. Aus diesen Gegebenheiten muss entnommen werden, dass grundsätzlich das durch die geplante Tat bedrohte Rechtsgut selbst geschützt wird; dem steht nicht entgegen, dass § 138 Abs. 2 jetzt bei den Delikten nach § 129a stets die Anzeige bei der Behörde verlangt, weil es insoweit um eine besondere Situation geht vgl. unten Rdn. 51, 55). Die dargelegte Ansicht entspricht heute auch der herrschenden Meinung.1

2

Soweit angenommen wird, darüber hinaus sei die öffentliche Rechtspflege ebenfalls Schutzgut der Bestimmung, insbesondere weil es bei einzelnen der in § 138 angeführten Straftaten eine unmittelbar bedrohte Einzelperson nicht gibt, 2 vermag das nicht zu überzeugen. Denn es besagt nur, dass auch überindividuelle Rechtsgüter geschützt sind, nicht aber, dass das speziell im Interesse der Rechtspflege geschieht (Schöne S. 106 Fn. 350), um deren Schutz es bei den betreffenden Delikten auch nicht geht.

3

1

Hohmann MK Rdn. 1; Lackner/Kühl Rdn. 1; Ostendorf NK Rdn. 3; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Sch/Schröder/Cramer Sternberg-Lieben Rdn. 1; Fischer Rdn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 98 Rdn. 6; Kisker S. 174; Schmidhäuser FS Bockelmann S. 6 8 8 und BT 16/11; Schöne S. 114; Westendorf S. 59 f; weitergehend die in Fn. 2 Genannten sowie Arzt/Weber BT §46 Rdn. 3 ff. Abweichend

2

Otto BT § 67 Rdn. 2 4 : mitmenschliche Solidarität; Vormbaum Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils (1987) S. 4 6 4 : Schutz der präventivpolizeilichen Tätigkeit; Schroeder S. 11: Straftaten gegen das Strafrecht. So Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 3; Arzt/Weber aaO; Blei BT § 110 II; Krey Rdn. 635; Schwarz S. 93 f; Tag J R 1995 133, 134; vgl. auch RGS 43 3 4 2 , 2 3 6 f.

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4

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

3. Inhalt der Anzeigepflicht. Mit der Frage nach dem Schutzzweck der Vorschrift berührt sich die umstrittene weitere Frage nach dem Inhalt der Anzeigepflicht, die für das Verständnis des Gesetzes wichtig ist. Zum Teil wird angenommen, Inhalt der Pflicht sei die Entfaltung einer schlichten Tätigkeit, nämlich die Erstattung der Anzeige (so z.B. Jescheck/Weigend § 58 III 2 m.w.N.), oder doch die Bewirkung des in der bloßen Gebotserfüllung liegenden Erfolges, nämlich die Unterrichtung der Behörde bzw. des Bedrohten (so z.B. Welzel § 26 II lc). Dem ist nicht zu folgen, weil bei einer solchen Betrachtung der Schutzzweck des § 138 außer Betracht bleibt und die Anzeigepflicht in sinnwidriger Weise gewissermaßen verselbständigt würde: So müsste die Erfüllung der Pflicht, strenggenommen, auch dann bei Strafe geboten sein, wenn sie überflüssig ist, z.B. weil schon ein Dritter rettend eingegriffen hat oder weil es sich bei der geplanten Tat überhaupt nur um einen untauglichen Versuch handelt, der keinen Schaden anrichten kann. Und umgekehrt müsste, genaugenommen, der Anzeigepflichtige selbst dann straflos bleiben, wenn er die Behörde oder den Bedrohten zwar informiert, obwohl er weiß, dass die informierte Stelle oder Person im konkreten Fall nicht in der Lage ist, die Gefahr abzuwenden, ein anderer Adressat dies aber könnte (s. Rdn. 36; vgl. auch Schöne S. 119 m. w. Nachw.). Da solche Ergebnisse - zur Überzeugung auch der herrschenden Meinung - erkennbar nicht dem Zweck des Gesetzes entsprechen, bedarf der Inhalt der Anzeigepflicht einer teleologischen Betrachtung. Sie führt dazu anzunehmen, dass Inhalt des Anzeigegebots die Verpflichtung ist, die durch die geplante Katalogtat drohende oder weitere Rechtsgutsverletzung durch das Mittel der Anzeige abzuwenden.3

5

4. Ausnahmecharakter. Katalog. Das Strafrecht kennt keine allgemeine Verpflichtung, drohende Straftaten anzuzeigen. § 138, eines der wenigen echten Unterlassungsdelikte des StGB, hat daher Ausnahmecharakter: Die Vorschrift bedroht nur die Nichtanzeige bestimmter, dort besonders aufgezählter Delikte mit Strafe (OLG Düsseldorf NJW 1968 1343; allg. Meinung) und auch das nur, wenn die Tat oder der Erfolg durch eine Anzeige möglicherweise noch verhindert werden kann (unten Rdn. 19) bzw. nicht schon ein Dritter Anzeige erstattet hat oder der Bedrohte anderweitig unterrichtet ist (unten Rdn. 22). Da das Gesetz einen geschlossenen Katalog der anzeigepflichtigen Taten aufstellt, ist es nicht zulässig, gleichartige, aber in dem Katalog nicht erfasste Delikte einzubeziehen. Das gilt auch dann, wenn diese gleichartigen Delikte ihrerseits auf Vorschriften verweisen, die in § 138 angeführt sind, wie das z.B. bei § 252 - „gleich einem Räuber" - der Fall ist; dies ergibt sich heute deutlich schon daraus, dass das Gesetz zur Klarstellung der erfassten Delikte auch deren Paragraphenbezeichnung aufführt. Der Katalog der anzeigepflichtigen Taten betrifft zwar regelmäßig besonders schwere Delikte, ist jedoch nicht mehr auf Verbrechen beschränkt. Die häufigen Änderungen des Katalogs spiegeln gesetzgeberische Unsicherheit wider, und zwar in der Einschätzung der dem Bürger zumutbaren Sozialverpflichtung (Rdn. 1) wie in der kriminalpolitischen Einschätzung der jeweils in Frage stehenden anzeigepflichtigen Straftaten selbst. Kritisch zu den Möglichkeiten ihrer (weiteren) Ausdehnung Marquardt/v. Danwitz S. 497 und kritisch zum heutigen Katalog z.B. Ostendorf NK Rdn. 5; ScblSchröder/Cramer/Sternberg3

Ostendorf NK Rdn. 3; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2b; Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 2; Rudolphi FS Roxin S. 8 3 0 f, 832; Schöne S. 114 ff; WestendorfS. 86 ff („Erfolgsabwendungsgebot"). - BGHSt 4 2

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86, 88, spricht wohl nur missverständlich vom „mittelbaren" Schutz der Rechtsgüter der Katalogtat (vgl. Loos/Westendorf Jura 1998 404).

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§ 138

Lieben Rdn. 7, vgl. auch „Entstehungsgeschichte" a.E. sowie Rdn. 50. Verwirrend ist die Formulierung in Absatz 1 Nr. 6 „jeweils soweit es sich um Verbrechen handelt", weil die dort aufgeführten Tatbestände gemäß § 12 Abs. 3 sämtlich Verbrechen sind. Mit der Formulierung sollen - in sachlicher Abweichung von § 12 Abs. 3 - offenbar die minder schweren Fälle der genannten Tatbestände von der Anzeigepflicht ausgenommen werden (vgl. Schroeder GA 2005 307, 308). Erweitert wird der Kreis der anzeigepflichtigen Delikte durch die dem § 138 nachgebildete Vorschrift des § 43 WStG für die Meuterei (§ 27 WStG) wobei § 139 entsprechend gilt. Π. Die Anzeigepflicht nach Absatz 1 1. Vorhaben oder Ausführung einer Tat nach § 138 Abs. 1. Die Anzeigepflicht setzt 6 zunächst voraus, dass jemand von „dem Vorhaben oder der Ausführung" eines der erfassten Delikte glaubhaft erfährt. Dazu zählt, trotz des missverständlichen Gesetzeswortlauts auch die geplante Begehung durch strafbares Unterlassen gemäß § 13 (Westendorf S. 77). a) Vorhaben. Allgemeines. Der Begriff „Vorhaben" erfasst nach dem Zweck der Vorschrift, wie unbestritten ist, jeden ernsthaften Plan, also schon die ernstliche Planung (BGH bei Holtz MDR 1976 987). „Bloßes ,Maulheldentum' fällt nicht darunter" (Schwarz S. 40; Ritter GS 1942 145). Erforderlich ist vielmehr, dass der Täter seine Absicht auf bestimmte Personen oder Ziele konkretisiert und auch die Art seines geplanten Vorgehens wenigstens in Grundzügen festgelegt hat (Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 4). Dass der Plan bereits in allen Einzelheiten festliegt, wird nicht vorausgesetzt; unerheblich ist daher z.B., ob die Ausführung noch vom Eintritt bestimmter äußerer Bedingungen abhängt oder ob noch nicht feststeht, wer von mehreren Personen zu seiner Durchführung ausgewählt wird (RGSt 60 254; Rudolphi/Stein SK Rdn. 7; Seh! Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben aaO). Vom „Vorhaben" werden nach dem Schutzzweck auch Vorgänge erfasst, die als sol- 7 che straflose Vorbereitung sind oder gar noch im Stadium vor der Vorbereitung liegen (Rudolphi/Stein SK Rdn. 7; Westendorf S. 64). Die Planenden brauchen also Vorbereitungen zur Ausführung noch nicht getroffen zu haben (Rudolphi/Stein aaO; Schwarz S. 40). Bedenklich erscheint darum BGH NJW 1964 1330 (in BGHSt 19 295 nur zum Teil abgedruckt): Die Entscheidung stellt auf den Zeitpunkt ab, zu dem der Pflichtige erkannte, dass der Haupttäter nach einem „endgültig" gefassten Entschluss zur Ausführung der Tat schritt, nicht aber auf den Zeitpunkt, zu dem er erkannte, dass der Haupttäter „mit dem Plan ernsthaft umgeht" (vgl. dazu Geilen JuS 1965 429). Auf diesen letzteren Zeitpunkt aber muss es ankommen (RG JW 1932 57). b) Ausführung. Allgemeines. Neben das „Vorhaben" ist seit dem 3. StRÄndG die 8 „Ausführung" getreten. Damit soll - im Zusammenhang mit der weiteren Klausel von der Abwendung „des Erfolges" - klargestellt werden, dass die Verpflichtung zur Anzeige besteht, solange noch ein Schaden oder ein weiterer Schaden verhütet werden kann. Das entsprach zwar schon der früher herrschenden Meinung (RGSt 14 214, 217; 63 105, 107), wurde aber im Schrifttum von einer starken Mindermeinung bestritten, die annahm, dass das „Vorhaben" mit Beginn eines strafbaren Versuchs ende (näher Schwarz S. 40 m. Nachw.). Seit dem 3. StRÄndG steht fest, dass § 138 Abs. 1 eingreift, bis die Tat beendet ist und weiterer Schaden nicht mehr abgewendet werden kann. Erfasst wird also Ernst-Walter Hanack

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nicht nur der unbeendete oder beendete Versuch, sondern u.U. auch das vollendete Delikt, falls nämlich noch weiterer Schaden droht bzw. der rechtswidrige Zustand noch andauert. 4 So erlischt z.B. bei der Brandstiftung die Anzeigepflicht erst dann, wenn feststeht, dass Löschen keinerlei Erfolg mehr zeitigen kann (möglicherweise zu eng RGSt 6 3 105 zum früheren Recht). Bei der Falschmünzerei ist auch nach tatsächlicher Beendigung des Nachmachens eine Anzeigepflicht gegeben, solange der Fälscher die Absicht des Inverkehrbringens hat (Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 7; Kohlrausch/Lange Anm. IV; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 6). Zum Begriff des „Erfolges" s. auch unten Rdn. 25. 9

c) Nur täterschaftliche Verhaltensweisen? Streitig ist, ob § 138 allein die täterschaftliche Begehung der aufgezählten Delikte erfasst. Ein Teil des Schrifttums bejaht dies, weil nur der Täter eine Straftat planen und ausführen könne und weil die Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung, die die Vorschrift verhindern will (Rdn. 2), erst und lediglich bei einer täterschaftlichen Begehung der anzeigepflichtigen Taten drohe, nicht aber z.B. bei einer in ihrem Erfolg noch ungewissen versuchten Anstiftung. 5 Diese Ansicht ist indes nicht immer überzeugend. Ihr ist zwar zuzugeben, dass jemand, der Kenntnis von einer geplanten Beihilfe hat, damit zugleich meist auch Kenntnis von der geplanten täterschaftlichen Begehung besitzt, also jedenfalls aus diesem Grunde anzeigepflichtig ist. Doch muss das nicht immer so sein. Vielmehr ist im Einzelfall, und zwar wohl gerade bei besonders gefährlichen Deliktsplanungen durch mehrere Beteiligte, durchaus denkbar, dass - aus der Sicht des Pflichtigen oder gar objektiv - eine geplante Beihilfe schon feststeht, die Haupttat aber noch keine hinreichend sicheren Konturen gewonnen hat. Hier eine Anzeigepflicht abzulehnen, wäre mit dem Schutzzweck des § 138 nicht vereinbar. Und ähnliches gilt z.B., wenn jemand weiß, dass ein anderer, der fest entschlossen ist, seinen Todfeind aus dem Weg räumen zu lassen, ernsthafte und vermutlich erfolgversprechende Bemühungen zur Gewinnung eines Täters („Killers") unternimmt: Dass er erst dann zur Anzeige verpflichtet sein soll, wenn der Täter gewonnen ist, wovon der Pflichtige u.U. gar nichts erfährt (vgl. Schwarz S. 4 4 ) , ist nicht einsichtig; nicht einsichtig ist es aber auch, dass in diesem Fall die Anzeigepflicht von den umstrittenen Grundsätzen zur Frage abhängen müsste, ob man denjenigen, der den „Killer" sucht, als Anstifter oder Täter der geplanten Tat qualifiziert. So ist der geschilderten Meinung nicht zu folgen. Täter- und Teilnehmerplan sind nicht so wesensverschieden, dass - zumal bei den verschwimmenden und umstrittenen Grenzen der Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme (vgl. dazu Schwarz S. 4 3 f) - eine unterschiedliche Behandlung angezeigt oder geboten wäre. Da schließlich auch der Teilnehmer die Verwirklichung eines bestimmten Tatbestandes anstrebt oder fördert, muss vielmehr die Anzeigepflicht auch dann bestehen, wenn jemand eine andere Person zu einem anzeigepflichtigen Delikt anstiften oder sie bei dessen Begehung unterstützen will, falls die beabsichtigte Erfolgsbewirkung nur als ernsthafter Plan (Rdn. 6) zu qualifizieren ist. 6

4

5

RuJolphi/Stein SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Fischer Rdn. 7; Schwarz S. 40 f; Westendorf S. 71 f; einschränkend Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 98 Rdn. 11. So Ostendorf NK Rdn. 13; Maurach/

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6

Schroeder/Maiwald 2, § 98 Rdn. 14; Rudolphi FS Roxin S. 831 f mit Einschränkungen; WestendorfS. 75 f m.w.N. So im Ergebnis auch Hohmann MK Rdn. 7; Lackner/Kühl Rdn. 2; Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 5; Fischer Rdn. 6;

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Nichtanzeige geplanter Straftaten

§ 138

d) Geplante Taten ohne Schuld; Rechtswidrigkeit. Entsprechend der Ratio des Gesetzes (oben Rdn. 2) besteht die Anzeigepflicht auch gegenüber dem Plan eines schuldlos Handelnden, also etwa eines Geisteskranken oder eines Kindes. Das ist heute, mit etwas verschiedener Begründung, allgemein anerkannt.7

10

Dem kann auch nicht entgegenstehen, dass das Gesetz, recht ungeschickt, in Absatz 1 Nr. 6 und Nr. 8 (und in Absatz 2) von „Straftaten" spricht, weil dies ersichtlich nur zur Anknüpfung für die Aufzählung dient, hingegen nichts darüber besagt, ob die geplante Tat schuldhaft begangen werden muss. Dies zeigt jetzt auch Absatz 3 („rechtswidrige Tat"). Der Gesetzgeber hatte bei den Beratungen zum 3. StRÄndG erwogen, ob er ausdrücklich aussprechen solle, dass für die geplanten Taten auch schuldloses Handeln reicht (so § 449 Ε 1962), hat davon aber abgesehen, weil es beim Stand von Lehre und Rechtsprechung selbstverständlich sei (Dreher J Z 1953 427; vgl. auch Schroeder S. 16). Eindeutig ist, dass das geplante Vorhaben oder seine Ausführung rechtswidrig sein muss. Greift, was praktisch freilich kaum denkbar ist, ein Rechtfertigungsgrund ein, besteht keine Anzeigepflicht, weil die geplante Tat dann nicht dem Recht zuwiderläuft (vgl. auch § 449 Ε 1962).

11

e) Der untaugliche Versuch der Planung oder Ausführung einer Straftat mag bei grammatikalischer Auslegung der Anzeigepflicht unterliegen. Er muss es nach Ansicht derjenigen, die die staatliche Rechtspflege oder die öffentliche Ordnung als (mit-) geschütztes Rechtsgut der Vorschrift ansehen (so in der Tat heute noch Arzt/Weber BT § 46 Rdn. 92, weil der planende Täter auf taugliche Mittel übergehen könnte; ferner zahlreiche Autoren aus älterer Zeit, vgl. Schwarz S. 45). Geht man hingegen mit der herrschenden Meinung davon aus, dass § 138 das bedrohte Rechtsgut schützt (Rdn. 2) und dies auch den Inhalt der Anzeigepflicht charakterisiert (Rdn. 4), ist die Anwendbarkeit des § 138 in diesen Fällen zu verneinen, weil die geschützten Rechtsgüter durch den untauglichen Versuch nicht gefährdet werden können. Das entspricht, mit etwas unterschiedlicher Begründung, auch der weit überwiegenden Auffassung.8

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Erhält jemand von einem untauglichen Versuch Kenntnis, den er irrtümlich für tauglich hält, so begeht er einen nicht strafbaren Versuch (vgl. § 23 Abs. 1) des § 138. 2. Glaubhafte Kenntnis und Abwendungsmöglichkeit. Die Anzeigepflicht besteht, wenn jemand von dem Vorhaben oder der Ausführung „glaubhaft erfährt", und zwar „zu einer Zeit, zu der die Ausführung oder der Erfolg noch abgewendet werden kann". a) Tatsächliches Vorliegen eines ernsthaften Plans. Voraussetzung der Anzeigepflicht ist danach zunächst, dass sich das Wissen des Täters auf ein Geschehen bezieht, das den

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Arzt/Weber BT § 46 Rdn. 8; eingehend Schwarz S. 44 f m.w.N. - Speziell zur versuchten (Ketten-)Anstiftung gemäß § 30 BGHSt 42 86 = NStZ 1996 595 mit Anm. Puppe = J Z 1997 45 mit Anm. Lagodny; Loos/Westendorf Jura 1998 404. Z.B. Rudolphi/Stein SK Rdn. 4b; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Fischer Rdn. 8; Maurach/Schroeder/Maiwald 2, ξ 98

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Rdn. 9; Schwarz S. 42 f und Westendorf S. 72 f je m.w.N.; aA zum früheren Recht z.B. Frank § 139 Anm. 1; Liszt/Schmidt BT S. 849. Z.B. Lackner/Kühl Rdn. 2; Ο Stendorf NK Rdn. 13; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Fischer Rdn. 6; Schwarz S. 4 4 f; WestendorfS. 73.

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Tatsachen entspricht. Die in Frage stehende Katalogtat muss also wirklich geplant oder in der Ausführung begriffen sein.9 Es handelt sich insoweit um ein objektives Tatbestandsmerkmal. Es genügt auch nicht, dass der Plan einmal vorhanden gewesen ist; notwendig ist vielmehr, dass er noch zu dem Zeitpunkt besteht, zu dem das Gesetz die Anzeige verlangt. Die irrtümliche Annahme, die Tat sei doch ernstlich geplant oder werde ausgeführt, begründet auch hier (s. schon Rdn. 12) keine Strafbarkeit aus § 138; vielmehr handelt es sich um einen straflosen Versuch (RGSt 71 386; ganz h.L). Der gegenteiligen Ansicht von Schöne S. 161 f ist aus den schon von Rudolphi/Stein SK Rdn. 9 dargelegten Gründen nicht zu folgen. 14

b) „Glaubhaft Erfahren". „Erfahren" vom - tatsächlich - vorliegenden Plan oder seiner Ausführung hat der Pflichtige nur dann, wenn er davon „Kenntnis" erhält (so die ausdrückliche Formulierung in § 139 a.F.), also tatsächlich weiß. Die Kenntnis der Person des Täters ist dafür nicht erforderlich (RGSt 60 256; vgl. schon oben Rdn. 6). Dass der Täter die Kenntnis bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit hätte gewinnen können oder müssen, genügt nicht. 10 Das folgt nicht nur aus dem Gesetzeswortlaut, sondern auch aus Absatz 3, der etwas anderes allein für das Unterlassen der Anzeige, nicht aber für das glaubhafte „Erfahren" besagt.

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Streitig ist, wann der Pflichtige „glaubhaft" vom Plan oder seiner Ausführung erfahren hat (eingehend Schwarz S. 52 ff; Westendorf S. 79 ff). Insbesondere im älteren Schrifttum wird vielfach eine „objektive Theorie" vertreten, d.h. angenommen, „glaubhafte" Kenntnis liege vor, wenn ein verständiger Durchschnittsmensch an dem Vorhaben oder der Ausführung nicht zweifeln würde; ob es der Pflichtige im Einzelfall getan hat, sei dann unbeachtlich.11 Die Rechtsprechung und die herrschende Meinung vertreten demgegenüber eine „subjektive Theorie". Sie sehen ein „glaubhaftes" Erfahren nur als gegeben an, wenn der Pflichtige im konkreten Fall tatsächlich an die Tatbegehung glaubt, sie eher für wahrscheinlich als für unwahrscheinlich hält; seine Auffassung ist also maßgebend, und zwar weitgehend (s. im folg. Text) ohne Rücksicht darauf, ob er besonders leichtgläubig oder skeptisch ist. 12

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Der herrschenden Meinung ist im Ergebnis zu folgen. Denn der Begriff „glaubhaft" hätte bei einer „objektiven" Betrachtung neben dem „Erfahren" keinen rechten Sinn, sondern würde auf eine Tautologie hinauslaufen oder doch mindestens auf eine ganz gekünstelte Gedankenführung beim Pflichtigen abstellen (vgl. Schwarz S. 57). Insbesondere aber spricht für eine „subjektive" Betrachtung, dass es für ein Schuldstrafrecht angemessen ist, nur denjenigen zu bestrafen, der die Anzeige unterlassen hat, obwohl er selbst mit einer Verwirklichung der Tat rechnete (E 1962, S. 634; vgl. auch Niederschriften, Bd. 6, S. 123), zumal die Anzeigepflicht sonst letztlich doch zum Fahrlässigkeits-

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Lackner/Kühl Rdn. 3; Rudolphi/Stein SK Rdn. 9; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 98 Rdn. 19; vgl. auch RGSt 71 385. BGH bei Holtz MDR 1976 987; RGSt 64 370; 71 385; Lackner/Kühl Rdn. 3; Seh! Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Fischer Rdn. 9; Schwarz S. 53; vgl. auch Ε 1962, S. 634; aA Meister M D R 1953 651. So u.a. Frank § 139 Anm. VII; Welzel § 761 I

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lb; Detert S. 5 5 m.w.N.; Meister MDR 1953 651; ebenso Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 98 Rdn. 19. So BGH bei Holtz MDR 1976 987; RGSt 60 2 5 4 f; 64 37 f; 71 385 (einschränkend); Lackner/Kühl Rdn. 3; Ostendorf NK Rdn. 19; Rudolphi/Stein SK Rdn. 10; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Schwarz S. 53; Westendorf S. 84.

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Nichtanzeige geplanter Straftaten

§ 138

delikt würde. Der Ε 1962 wollte demgemäß auch ausdrücklich darauf abstellen, dass der Täter die Anzeige unterlässt, „obwohl er mit der Ausführung oder dem Erfolg rechnet" (§ 449); dass diese Klausel nicht Gesetz geworden ist, besagt nicht, dass der Gesetzgeber von einer „objektiven" Betrachtung ausgeht. Nicht überzeugend ist demgegenüber der Einwand, mit der befürworteten Betrachtungsweise werde § 138 „praktisch aufgelöst" (so aber Welzel § 76 I lb), weil die Anzeigepflicht dann vom „mehr oder weniger leichtfertigen Glauben" des Pflichtigen abhänge bzw. im Falle seiner „Uninteressiertheit und Gleichgültigkeit" praktisch ausscheide. Wer etwas nur aus Bequemlichkeit oder Uninteressiertheit nicht wahrhaben will, hat in Wahrheit davon regelmäßig doch „glaubhaft" erfahren (Schwarz S. 58); auch wird das „leichtfertige Nichtglauben" bei erdrückenden gegenteiligen Tatumständen vielfach durchaus eine so zweifelhafte Ausnahmeerscheinung sein, dass der entsprechende Einwand des Täters - unbeschadet des In-dubio-pro-reoGrundsatzes - die Vermutung der Richtigkeit kaum für sich haben dürfte, also den Richter nicht zwingt oder berechtigt, ihn ohne weiteres als unwiderlegbar hinzunehmen (vgl. auch BGH bei Holtz MDR 1978 108). Dies bedeutet, entgegen einer vermittelnden Betrachtungsweise13 allerdings noch nicht, dass das Erfahrene dann, wenn es objektiv allgemein glaubhaft ist, eine Beweisregel für den subjektiven Glauben des Täters begründet, die nur unter Berücksichtigung seines speziellen und individuellen Auffassungsvermögens im Einzelfall widerlegt werden kann. Eine derartige „Umkehr der Beweislast" widerspräche im Strafrecht allgemeinen Regeln und lässt sich dem Gesetz hier auch nicht ausnahmsweise entnehmen (vgl. insbes. Schwarz S. 58 f m.w.Begr.).

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Die veröffentlichten Entscheidungen lassen vermuten, dass die kritischen Fälle des „glaubhaften" Erfahrens in der Praxis überwiegend solche betreffen, in denen es darum geht, ob ein Angehöriger des Täters von der geplanten Tat glaubhaft Kenntnis erlangt hat; auch das mag für die hier vertretene Auffassung sprechen. Einen typischen Fall dieser Art behandelt BGH 5 StR 115/77 v. 18.3.1977: Die Ehefrau glaubte zwar an die Ernsthaftigkeit des von ihrem Mann gefassten Plans, nahm aber an, dass er infolge seines alkoholischen Zustands nicht in der Lage sein würde, die Tat auszuführen, sondern den Plan alsbald wieder aufgeben werde. Der BGH hat hier „glaubhafte" Kenntnis im Anschluss an RG GA 1894 394 und RGSt 64 370, 371 zu Recht verneint.

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c) Bestehende Abwendungsmöglichkeit. Die Anzeigepflicht setzt weiter voraus, dass der Täter „zu einer Zeit" von dem Vorhaben oder der Ausführung der Tat erfahren hat, „zu der die Ausführung oder der Erfolg noch abgewendet werden kann". Daraus und aus dem Erfordernis der „rechtzeitigen" Anzeige folgt, dass eine Anzeigepflicht nicht besteht, wenn es an dieser Möglichkeit fehlt. Es handelt sich insoweit um einen gesetzlich geregelten Fall der Unmöglichkeit, das Normgebot zu erfüllen, der zugleich auch den Inhalt dieses Normgebots deutlich macht (oben Rdn. 4). Daraus folgt weiter, dass die Abwendungsmöglichkeit objektives Tatbestandsmerkmal ist.

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Maßgebend für die Beurteilung ist daher die objektive Sachlage, nicht aber ihre EinSchätzung durch den Täter. 14 Es kommt also darauf an, ob - objektiv - ein drohender oder (s. Rdn. 8) drohender weiterer Schaden noch abgewendet werden kann bzw. der rechtswidrige Zustand noch andauert. Daran fehlt es nicht nur, wenn die Tat nicht

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Welzel § 76 I l b und NJW 1953 328 Fn. 6; Meister MDR 1953 651 Fn. 4; weitere Nachw. bei Schwarz S. 54. RGSt 71 385; Rudolphi/Stein SK Rdn. 11;

Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Fischer Rdn. 9; eingehend Schwarz S. 47.

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durchführbar oder vom Täter freiwillig aufgegeben worden ist (Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 9; Schwarz S. 45 f; vgl. auch oben Rdn. 12), sondern insbesondere auch dann, wenn die gefährliche Tat zwar ausgeführt wird, die Anzeige aber aus zeitlichen Gründen ihre Verhinderung nicht mehr ermöglicht hätte. 15 21

Nimmt der Täter irrtümlich an, dass keine Abwendungsmöglichkeit mehr besteht, ist also nach dem Gesagten sein Vorsatz ausgeschlossen (RGSt 71 385). Bis zum 3. StRÄndG vertretene gegenteilige Auffassungen, die den Irrtum des Täters stets für unbeachtlich halten wollten, sind jedenfalls seit der Neufassung überholt, weil sie geklärt hat, dass Fahrlässigkeit zur Bestrafung grundsätzlich nicht mehr ausreicht (vgl. im Einzelnen näher Schwarz S. 4 7 f). Nimmt jemand umgekehrt irrtümlich eine noch bestehende Abwendungsmöglichkeit an, die in Wahrheit nicht oder nicht mehr gegeben ist, und bleibt er dennoch untätig, liegt strafloser Versuch vor (vgl. schon Rdn. 12, 13).

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3. Erforderlichkeit der Anzeige. Die Anzeigepflicht entfällt aber nicht nur dann, wenn keine Abwendungsmöglichkeit mehr besteht (Rdn. 19). Sie entfällt vielmehr mangels Erforderlichkeit auch, wenn der Bedrohte oder die Behörde bereits ausreichend unterrichtet ist, z.B. durch die Anzeige eines Dritten. 16 Es handelt sich insoweit um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, weil § 138 der Abwehr bestimmter drohender Straftaten dient (Rdn. 2), diese Abwehr hier aber nicht mehr nötig ist. Da § 138 nicht die bloße gemeinschaftswidrige Gesinnung pönalisiert, folgt daraus, dass der Irrtum über die Erforderlichkeit den Vorsatz ausschließt.

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4. Rechtzeitigkeit der Anzeige. Falls die Ausführung oder der Erfolg durch Anzeige noch abgewendet werden kann (Rdn. 19) und die Anzeige erforderlich ist (Rdn. 22), muss der Pflichtige sie „rechtzeitig" erstatten. Bis zum 3. StRÄndG stellte das Gesetz auf eine Anzeige „zur rechten Zeit" ab; die heutige Formulierung bedeutet eine Klarstellung, die auch sachliche Bedeutung haben kann, vgl. im folg. Text. Die Anzeigepflicht entsteht in dem Augenblick, in dem der Pflichtige von der geplanten Tat oder ihrer Ausführung Kenntnis erlangt, und dauert bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Anzeige noch geeignet ist, den Erfolg zu verhüten oder (s. Rdn. 8) zu verringern. Wird sie während dieses Zeitraums erstattet, ist sie grundsätzlich „rechtzeitig". 17 Eine sofortige Anzeige ist, anders als bei § 138 Abs. 2 und bei § 43 WStG, nicht erforderlich (kann freilich nach Lage des Einzelfalls geboten sein, vgl. z.B. 'Westendorf S. 102). Das Gesetz verlangt vielmehr bewusst nur, dass die Anzeige „rechtzeitig" erstattet wird, d.h. nach dem Gesamtzusammenhang der Klausel: solange die Anzeige noch ausreicht, um dem Bedrohten oder der Behörde die Abwehr der Tat oder ihrer (weiteren) Folgen zu ermöglichen. Abzustellen ist dabei nach bislang herrschender Meinung auf die objektive Sachlage (eingehend Schwarz S. 61 ff), während eine neuere Ansicht, im Ergebnis ohne

Rudolphi/Stein SK Rdn. 11; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Fischer Rdn. 13. BayObLGSt 1962 2 5 9 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 4 ; Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 2, 12; Fischer Rdn. 14; Schwarz S. 48 ff; WestendorfS. 99; kritisch Arzt/ Weber BT § 4 6 Rdn. 12.

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BGHSt 42 86 = NStZ 1996 595 mit Anm. Puppe = J Z 1997 4 5 mit Anm. Lagodny; Hohmann MK Rdn. 14; Lackner/Kühl Rdn. 5; Ostendorf NK Rdn. 14; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 12; vgl. auch Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 98 Rdn. 13.

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große Unterschiede, ähnlich wie bei § 323c auf eine ex-ante-Sichtweise des Pflichtigen abhebt. 18 Der Pflichtige hat also für die „rechtzeitige" Erstattung der Anzeige u.U. durchaus einen gewissen, im Einzelfall sogar erheblichen zeitlichen Spielraum. Dies gilt auch dann, wenn nach den Gegebenheiten des konkreten Falles kein vernünftiger Zweifel darüber bestehen kann, dass die geplante Tat durch- oder weitergeführt wird, für ein Zuwarten also objektiv kein begründeter Anlass besteht. Eine mit dem Zuwarten verbundene Risikosteigerung hindert, entsprechend dem Gesetzeswortlaut, die Rechtzeitigkeit nicht, weil der Pflichtige durch frühzeitiges Eingreifen der Strafbarkeit möglicherweise von einer späteren, noch rechtzeitigen Anzeige abgehalten werden könnte. 19 Die zeitliche Grenze für die Rechtzeitigkeit der Anzeige ist erst dort überschritten, wo sie zur Abwendung der Ausführung oder des (weiteren) Erfolges nicht mehr geeignet ist. Ist die Anzeige nicht rechtzeitig, führt sie aber im Ergebnis dennoch zur Verhinderung des Erfolges, erscheint die Strafbarkeit des Pflichtigen, insbesondere im Vergleich zum Garanten (§ 13), unbillig. Eine verbreitete Lehre befürwortet daher - in etwas unterschiedlicher Weise - zu Recht eine analoge Anwendung des § 24 Abs. 1 Satz 1 (2. Alt.) 20 oder auch des § 139 Abs. 4. 2 1

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Zweifelhaft ist jedoch Folgendes: Versteht man das Gesetz wörtlich, würde eine Abwendung des „Erfolges" auch vorliegen, wenn der Pflichtige grundlos eine Rechtsgutsverletzung abwartet, die als solche noch keinen „Erfolg" i.S. eines Ktfta/ogdelikts darstellt, und erst danach den „Erfolg" dieses Delikts abwendet (z.B. die Vergiftung des Mordopfers zulässt, um dann die rettende Behörde zu benachrichtigen). Man wird annehmen dürfen, dass dies nicht gemeint ist, eine Abwendung des „Erfolges" vielmehr nach der Ratio des § 138 auch die dem Pflichtigen mögliche Abwehr solcher Verletzungen verlangt, die für sich der Anzeigepflicht nicht unterliegen (Vergiftung), aber als notwendiger Bestandteil der geplanten anzeigepflichtigen Tat (§ 211) von ihr miterfasst sind 22 (vgl. auch LK § 139 Rdn. 34).

25

Irrt der Täter über die zeitliche Grenze, glaubt er also irrtümlich, die Anzeige noch zu einem späteren Zeitpunkt wirksam erstatten zu können, liegt ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum vor. 23 Denn die „Rechtzeitigkeit" ist Merkmal des objektiven Tatbestandes, nicht etwa bloße Strafbarkeitsbedingung, weil nach dem Schutzzweck der Vorschrift die Anzeigepflicht entfällt, wenn sie nicht mehr geeignet ist, die Ausführung oder den Erfolg zu verhindern (oben Rdn. 19). Daher kommt gegebenenfalls nur Strafbarkeit wegen Leichtfertigkeit nach Absatz 3 in Betracht. Die gegenteilige Auffassung von RG JW 1934 38 und von Tröndle StGB 48 Rdn. 8, nach der bei irrig verzögerter Anzeige wegen vorsätzlicher Unterlassung zu strafen ist, erscheint vom Standpunkt des RG aus

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19

Hohmann M K Rdn. 14; Rudolphi/Stein SK Rdn. 13; eingehend Loos/Westendorf Jura 1 9 9 8 4 0 6 f; WestendorfS. 123 ff, 127; vgl. auch Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 12. BGHSt 4 2 86, 88 (vgl. dazu Fn. 17) mit Überbetonung des „Opferschutzes"; Lackner/Kühl Rdn. 5; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Fischer Rdn. 2 4 ; Maurach/Schroeder/Maiwald 2 § 98 Rdn. 13; aA Ο Stendorf NK Rdn. 14; Rudolphi/Stein SK Rdn. 16, 2 3 ff und Rudolphi FS Roxin S. 4 3 3 f; Loos/Westendorf Puppe NStZ 1 9 9 6 597.

Jura 1 9 9 8 4 0 3 ;

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Ostendorf N K Rdn. 14, 2 2 ; Lackner/Kühl Rdn. 5; Fischer Rdn. 2 4 ; Loos/Westendorf Jura 1 9 9 8 4 0 7 f, Rudolphi FS Roxin S. 4 3 7 ff. So Schwarz S. 6 3 Fn. 11; Puppe N S t Z 1 9 9 6 598. Ebenso TenckhoffFS Spendel S. 3 5 8 ; aA die ganz h.M., z.B. Hohmann M K Rdn. 15; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Fischer Rdn. 2 5 ; WestendorfS. 94. Ostendorf N K Rdn. 19; Rudolphi/Stein SK Rdn. 3 0 a ; Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 12; Fischer Rdn. 2 5 ; Schwarz S. 6 4 ff.

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folgerichtig, weil das RG grundsätzlich eine sofortige Anzeige verlangte („zur rechten Zeit", § 139 a.F.), während ihre Ableitung bei Tröndle unklar bleibt; näher zu dieser gegenteiligen Auffassung Schwarz S. 65 f. 27 Die - nach geltendem Recht wohl unabweisbare, auch durch Absatz 3 bestätigte Konsequenz, dass die „Rechtzeitigkeit" Tatbestandsmerkmal ist, kann zu unerfreulichen Ergebnissen führen (Schwarz S. 65). Der Gefahr bloßer Schutzbehauptungen des Pflichtigen wird der Richter durch die sorgfältige Prüfung zu begegnen haben, ob der Täter die Anzeige wirklich vorhatte und damit rechnete, sie noch rechtzeitig erstatten zu können, oder ob er sie nicht doch mit dolus eventualis unterließ. Es besteht wohl eine gewisse Vermutung, dass jemand, der eine ihm leicht fallende unverzügliche Anzeige nicht macht, das auch später nicht ohne weiteres tut (Grünwald S. 88; vgl. auch Schwarz S. 64 Fn. 24a). 28

5. Anzeige bei der Behörde oder dem Bedrohten; Wahlmöglichkeiten. Nach dem Gesetz kann der Pflichtige die Anzeige bei „der Behörde" „oder" bei „dem Bedrohten" erstatten (anders in Absatz 2, s. unten Rdn. 55). Dieses Wahlrecht muss jedoch als durch die Sache beschränkt angesehen werden, ist also nicht ohne weiteres ein „freies" Wahlrecht, vgl. näher Rdn. 36.

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a) Anzeige bei „der Behörde". Das Gesetz sagt nicht, welche Behörde gemeint ist. In der Regel wird es diejenige sein, die zur unmittelbaren Gefahrenabwehr bestimmt ist, also die Polizei. Doch kommen auch andere Behörden in Betracht, sofern von ihnen was bei Behörden grundsätzlich zu vermuten ist - die Verhinderung der Tat oder weiteren Schadens durch eigene Tätigkeit (Feuerwehr) oder durch Information der zuständigen Stelle zu erwarten ist, namentlich und entgegen Westendorf S. I l l f also die Staatsanwaltschaft, nach dem Gesetz aber auch - s. § 11 Abs. 1 Nr. 7 - das Gericht. Auch die Unterrichtung ausländischer Behörden kann reichen, sofern von ihnen ein entsprechendes Verhalten erwartet werden darf (Köhler DStR 1936 401; Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 16).

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Wie schon die nicht ohne Grund sehr pauschale Gesetzesformulierung deutlich macht, dürfen an den Begriff der „Behörde" keine strengen Anforderungen hinsichtlich der Auswahl einer zuständigen Behörde gestellt werden. So muss die Anzeigeerstattung bei der nächsten Polizeidienststelle oder der Staatsanwaltschaft grundsätzlich ausreichen. Anderes kann im Einzelfall gelten, wenn eine „rechtzeitige" Anzeige nur durch die Benachrichtigung einer auswärtigen oder besonderen Dienststelle möglich ist und der Pflichtige entsprechende Vorstellungen und Kenntnisse von dieser Dienststelle besitzt. Denn obwohl das Gesetz selbst nur von „Behörde" spricht: Der Begriff steht doch im Zusammenhang mit der Pflicht zur „rechtzeitigen" Anzeige, so dass in kritischen Situationen ein sachgerechtes Verhalten rechtlich durchaus zu verlangen ist.

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Grundsätzlich besteht jedoch in den übrigen Fällen keine Verpflichtung des Anzeigenden, sich von der angerufenen Polizeibehörde, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht an eine andere innerdienstlich zuständige Dienststelle verweisen zu lassen oder eine ihm erkennbare Nichtbehandlung der ordnungsgemäßen Anzeige durch weiteres Nachstoßen zu verhindern: Hat der Pflichtige die Anzeige bei einer der genannten Behörden erstattet, ist es grundsätzlich deren Sache, das Weitere zu veranlassen; alles andere würde den Pflichtigen in unerträglicher Weise überfordern. Weitergehende Anforderungen sind (aus dem in Rdn. 30 genannten Rechtsgrund) allenfalls in Extremfällen denkbar, z.B. wenn sich der diensthabende Beamte erkennbar in einem krankheitsähnlichen Ausnahmezustand befindet, nicht aber, wenn er sich aus sonstigen Gründen weigert, die Anzeige entgegenzunehmen.

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Zweifelhaft und noch wenig erörtert ist, welche Bedeutung die Anzeige bei einer unzuständigen Behörde hat. Man wird insoweit unterscheiden müssen: Benachrichtigt der Pflichtige absichtlich eine unzuständige Behörde, um scheinbar gebotsmäßig zu handeln, dürfte eine Gebotserfüllung überhaupt nicht vorliegen (Fischer Rdn. 23; Schwarz S. 68); der Täter bleibt nach § 138 Abs. 1 strafbar, selbst wenn die betreffende Behörde die Tat aufgrund der Anzeige noch rechtzeitig verhindert. Benachrichtigt der Täter hingegen nur irrtümlich eine unzuständige Behörde, entfällt sein Vorsatz, und es kommt allenfalls Bestrafung wegen Leichtfertigkeit gemäß Absatz 3 in Betracht. Schwarz (S. 99) meint, da der Pflichtige hier eine Anzeige bei „der Behörde" nicht „unterlässt", sei er nach dieser Vorschrift auch dann nicht strafbar, wenn der Irrtum über die Zuständigkeit auf Leichtfertigkeit beruhe. Dies erscheint indes nach der ratio legis fragwürdig (und wird von Schwarz S. 100 selbst als unbefriedigend angesehen), weil das „Unterlassen" des Absatz 3 - trotz glaubhafter Kenntnis von der Tat oder ihrer Ausführung - in engem Zusammenhang mit den Anforderungen an eine „rechtzeitige" Anzeige steht. Man wird daher annehmen müssen, dass der leichtfertige Irrtum über die Zuständigkeit der Behörde der unterlassenen Anzeige i.S. des Absatz 3 gleichsteht (so im Ergebnis auch Fischer aaO; Westendorf S. 111 f; vgl. auch Welzel § 28 B), vorausgesetzt freilich, dass eine Leichtfertigkeit auch hinsichtlich der „rechtzeitigen" Anzeige vorliegt. Die leichtfertig-fehlerhafte Anrufung der falschen Stelle wollte auch die Begründung zum 3. StRÄndG als Fall des § 138 Abs. 3 verstanden wissen (S. 46; s. unten Rdn. 63).

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b) Anzeige bei „dem Bedrohten". Bedrohter ist die (Privat-)Person, gegen die sich der Angriff unmittelbar richten soll, deren individuelle Rechtsgüter also gefährdet sind. Bei Personen, die nicht einsichts- oder verteidigungsfähig sind (Kinder, Kranke u.ä.), kann die Anzeige im Allgemeinen wirksam gegenüber einem gesetzlichen Vertreter erstattet werden; 24 die Anzeige gegenüber dem gesetzlichen Vertreter muss deswegen genügen, weil er Vertreter ist und seine Pflicht zur Personensorge ausreichende Gewähr für die Gefahrenabwehr bietet. Ist ein gesetzlicher Vertreter nicht vorhanden, erscheint zweifelhaft, ob die Benachrichtigung einer schutzpflichtigen Person genügt (z.B. des zuständigen Krankenhausarztes, falls er nicht „Behörde" ist). Man wird dies wohl verneinen müssen, 25 weil solche Personen nicht in der gleichen Weise wie gesetzliche Vertreter zur Gefahrenabwehr verpflichtet sind; die Anzeigepflicht reduziert sich in diesen Fällen daher (s. im folg. Text Rdn. 36) auf die Pflicht zur Anzeige gegenüber der Behörde.

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Sind mehrere Personen bedroht, ist jede zu benachrichtigen, weil nach dem Gesagten grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Benachrichtigung einer Person, die nicht gesetzlicher Vertreter der Bedrohten ist, zur Gefahrenabwehr ausreicht. Ist die Benachrichtigung aller Bedrohten nicht möglich, kommt nur die Benachrichtigung der Behörde in Betracht (Westendorf S. 105 m.w.N.).

34

Richtet sich die geplante Tat nicht oder nicht nur gegen die individuellen Rechtsgüter von Privatpersonen, wie das insbesondere bei den Geldfälschungsdelikten, den gemeingefährlichen Straftaten und den sonstigen Straftaten gegen Universalrechtsgüter der Fall ist,

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Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 18; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 18; Schwarz S. 6 9 ff; aA Ο Ishausen § 139 Anm. 9b; Ostendorf NK Rdn. 11; Westendorf S. 106 ff (die insoweit aber eine Gesetzesänderung vorschlägt).

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AA insoweit Heimann-Trosien aaO.

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und Schwarz

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fehlt es an einem „Bedrohten" in dem vom Gesetz vorausgesetzten Sinne, so dass sich die Anzeigepflicht auf die Pflicht zur Anzeige gegenüber der Behörde reduziert. 26 36

c) Wahlweise Anzeige bei der Behörde oder beim Bedrohten. Nach dem Gesetz steht es dem Pflichtigen in den Fällen des § 138 Abs. 1 (anders bei Absatz 2, s. unten Rdn. 55) grundsätzlich frei, ob er die Anzeige bei der Behörde oder dem Bedrohten erstattet; er hat also insoweit, wie schon bemerkt, ein Wahlrecht. Dem steht nicht entgegen, dass das Gesetz an erster Stelle die Anzeige gegenüber der Behörde nennt, weil darin eine notwendige Rangfolge nicht zum Ausdruck kommt. Doch ist dieses Wahlrecht nach der Natur der Sache und dem Schutzzweck der Vorschrift (Rdn. 2) in verschiedener Weise beschränkt: So reduziert es sich auf eine Anzeigepflicht gegenüber der Behörde, wenn die geplante Tat nicht oder nicht nur gegen individuelle Rechtsgüter einer Privatperson gerichtet ist (Rdn. 35). Es entfällt grundsätzlich ferner dann, wenn der „Bedrohte" nicht einsichts- oder verteidigungsfähig ist und auch ein gesetzlicher Vertreter nicht für ihn handeln kann (näher Rdn. 33). Darüber hinaus entfällt das Wahlrecht nach allgemeiner Meinung auch, wenn einer der möglichen Adressaten - Behörde oder Bedrohter - aus anderen Gründen nicht oder nicht mehr in der Lage ist, die drohende Gefahr oder (s. Rdn. 8) weitere Schäden abzuwenden. 2 7 In diesem Fall ist der Pflichtige nach dem Schutzzweck der Vorschrift stets gehalten, den anderen Adressaten zu benachrichtigen; denn er ist verpflichtet, die Anzeige demjenigen zu erstatten, der (noch) wirksam eingreifen kann.

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6. Form und Inhalt einer wirksamen Anzeige. Das Gesetz schreibt für die Anzeige eine bestimmte Form nicht vor. Sie kann daher in jeder geeigneten Form, also mündlich, schriftlich, elektronisch oder durch Einschaltung eines zuverlässigen Beauftragten erfolgen. Erforderlich ist jedoch, dass die Anzeige nach ihrem Inhalt geeignet ist, der Behörde oder dem Bedrohten die Ernsthaftigkeit der geplanten Tat zu verdeutlichen und ihre Abwehr zu ermöglichen. Die Anforderungen richten sich insoweit stark nach den Besonderheiten des Einzelfalles. Der Pflichtige muss grundsätzlich die Art der geplanten Tat angeben. Regelmäßig wird er auch verpflichtet sein, den geplanten Tatort sowie die in Aussicht genommene Tatzeit zu schildern. Nicht selten wird er ferner die Gründe der geplanten Tat darstellen müssen, z.B. bei einem Mordkomplott, wenn der Bedrohte einen solchen Anschlag sonst nicht für denkbar hält. In diesen Fällen dürfte er im Allgemeinen auch gehalten sein, Namen zu nennen. Im Übrigen braucht der Pflichtige den Namen des voraussichtlichen Täters jedoch nur dann anzugeben, wenn dies zur Erfolgsabwendung notwendig ist. 2 8 Denn § 138 verpflichtet grundsätzlich nur zur Anzeige eines bestimmten Plans, nicht aber einer Person. Die Auffassung, dass der Anzeigepflichtige seinen eigenen Namen nicht zu nennen brauche, ist nur im Grundsatz richtig: anderes muss dann gelten,

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RGSt 9 384; 43 342, 3 4 4 ; RG J W 1932 57; Hohmann MK Rdn. 16; Rudolphi/Stein SK Rdn. 18; Fischer Rdn. 23; aA Westendorf S. 112, die eine Kumulationspflicht annimmt. Lackner/Kühl Rdn. 5; Sch/Schröder/Cramer/

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Sternberg-Lieben Rdn. 13; Fischer Rdn. 23; eingehend Schwarz S. 71 f. RGSt 6 0 2 5 6 ; Lackner/Kühl Rdn. 5; Rudolphi/Stein SK Rdn. 15; Westendorf S. 114 f; wohl auch Schwarz aaO.

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wenn bei einer anonymen Anzeige die Gefahr besteht, dass sie nicht ernst genommen wird, also nicht ausreicht. 29 7. Vorliegen einer Anzeige; „Rücktritt". Das Gesetz verpflichtet den Täter „Anzeige zu machen". Trotz dieser Formulierung liegt eine „Anzeige" erst mit dem Zugang der entsprechenden Mitteilung vor, nicht also schon mit ihrer Absendung, wie insbesondere der Sinnzusammenhang mit der „rechtzeitigen" Anzeige deutlich zeigt. Tritt der Pflichtige vom Gebotserfüllungsversuch zurück, indem er etwa den gefertigten Brief nicht abschickt oder indem er ihn zurückholt, bevor ihn der Adressat gelesen hat, bleibt er ebenso strafbar, wie wenn er von vornherein untätig geblieben wäre (Roxin FS Engisch S. 382 f).

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Gleiches gilt aber auch, wenn er die rechtzeitige Anzeige nach Eingang beim Empfänger dergestalt widerruft, dass dieser an einen ernsthaften Plan nicht mehr glauben kann. Die Auffassung von Rudolphi SK 6 Rdn. 22, dass der Pflichtige in einem solchen Fall „als Begehungstäter wegen der den Gegenstand der Anzeige bildenden Straftat strafbar" sei, weil er den rettenden Kausalverlauf durch das rechtzeitige Absenden der Anzeige bereits aus der Hand gegeben hatte, erscheint nicht überzeugend. Denn der Pflichtige stellt dann nur die Situation wieder her, die ohne die Anzeige bestanden hätte, so dass keine schärfere Haftung in Betracht kommt (so auch Roxin aaO m.w.N.). Anderes gilt nur, wenn der Pflichtige durch sein Verhalten auch die von einem anderen erstattete Anzeige beim Empfänger so neutralisiert, dass dieser deswegen einen ernsthaften Plan nicht oder nicht mehr für gegeben hält; denn dann liegt in der Tat ein „Abstiften" vom rettenden Kausalverlauf vor, das unter dem Gesichtspunkt des Begehungsdelikts relevant ist. 8. Jedermannspflicht; persönliche Ausnahmen. Die Anzeigepflicht besteht - von den Sonderregelungen nach § 139 Abs. 2 bis Abs. 4 und ihrer streitigen Bedeutung abgesehen - grundsätzlich für jedermann. Unter gewissen Voraussetzungen kommen jedoch Ausnahmen von der Pflicht aus persönlichen Gründen in Betracht.

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a) Anzeigepflicht des Bedrohten. Weitgehende Einigkeit besteht im Ergebnis, dass der Bedrohte die gegen ihn selbst gerichtete Tat nicht anzuzeigen braucht. 30 Ob man dies daraus ableitet, dass er die Anzeige „ja auch an sich selbst erstatten könne", oder daraus, dass er schon informiert ist, kann dahinstehen, mag die letztere Begründung auch die größere Überzeugungskraft für sich haben (näher Schwarz S. 104). Voraussetzung der Freistellung von der Anzeigepflicht ist freilich immer, dass sich die geplante Tat allein gegen den Bedrohten richtet. Sie greift also nicht ein, wenn (auch) Rechtsgüter der Allgemeinheit betroffen sind (oben Rdn. 35) oder die Individualgüter anderer Privatpersonen gefährdet werden (oben Rdn. 34).

40

Bedenklich erscheint die Ansicht von Westendorf S. 129 f und die Tendenz von 4 1 Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 98 Rdn. 16, auch bei alleiniger Gefährdung von individuellen Rechtsgütern des Bedrohten seine Anzeigepflicht dann zu bejahen, wenn die

29

Hohmann MK Rdn. 13; Lackner/Kühl Rdn. 5; Rudolphi/Stein SK Rdn. 15; Westendorf S. 114; eingehend Schomberg/Korte S. 417 (die im Hinblick auf die damit verbundene Gefährdung einen gesetzlichen Anspruch auf vertrauliche Behandlung fordern); aA Ostendorf NK Rdn. 11; Schwarz S. 60.

30

Z.B. Lackner/Kübl Rdn. 6; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 19; Fischer Rdn. 17; Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 98 Rdn. 17 mit Einschränkungstendenzen (dazu im folg. Text); eingehend Schwarz S. 104.

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§ 138

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Gefährdung unverzichtbarer Individualrechtsgüter in Frage steht, diese also ebenso zu behandeln wie Rechtsgüter der Allgemeinheit. Eine solche Betrachtung widerspräche nicht nur der grundsätzlichen Behandlung dieser Güter im Strafrecht (auch nach § 216 ist das „Verlangen" des Getöteten straflos); sie wäre auch mit Wortlaut und Zweck des § 138 nicht in Einklang zu bringen.31 42

b) Anzeigepflicht von Beteiligten an der geplanten Tat. In Rechtsprechung32 und Schrifttum 33 besteht im Ergebnis Einigkeit, dass Personen, die an der geplanten oder in Ausführung begriffenen Tat in strafbarer Weise als Täter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt sind, grundsätzlich nicht nach § 138 bestraft werden können (zur Strafbarkeit wegen bloßen Verdachts der Beteiligung s. Rdn. 48 und Rdn. 74 f). Umstritten ist jedoch, ob die Strafbarkeit auch entfällt, wenn sich der Beteiligte durch seine Mitwirkung noch nicht strafbar gemacht hat oder von der Beteiligung strafbefreiend zurückgetreten ist. Die Rechtsprechung bejaht das; 34 sie verlangt für die Strafbarkeit nach § 138, dass die geplante Tat für den Pflichtigen eine „vollkommen fremde" ist. Im Schrifttum werden insoweit vielfach gegenteilige Standpunkte vertreten.35

43

Hinter dem Streit um die Begrenzung der Anzeigepflicht bei Tatbeteiligten stehen heute in erster Linie (aber nicht nur) unterschiedliche Auffassungen über den Charakter der Pflicht. Die Rechtsprechung und mindestens das ihr folgende Schrifttum sehen, wenn auch oft in wenig klarer Form, die Anzeigepflicht der an der Tat Beteiligten meist schon tatbestandsmäßig als ausgeschlossen an, begründen das jedoch in recht verschiedener Weise und Akzentuierung (näher Schwarz S. 105 ff). So wird teils mehr darauf abgehoben, dass das Gesetz keine Pflicht zur Selbstanzeige kenne oder diese unzumutbar sei (vgl. etwa BGH NStZ 1993 50, 51), teils mehr argumentiert, dass das dem Gesetz zugrundeliegende Erfolgsabwendungsgebot nur die Abwendung fremder Straftaten betreffe oder bezwecke (vgl. etwa RGSt 68 286, 288). Insbesondere Schwarz hat die verschiedenen Begründungen und ihre Ergebnisse einer ausführlichen Erörterung unterzogen und ihre durchaus vorhandenen Schwächen deutlich gemacht. Im Anschluss an seine Untersuchung und an eine Studie Schmidhäusers wird daher neuerdings zunehmend die Meinung vertreten, dass es sich in Wahrheit um ein Konkurrenzproblem handele: Die Anzeigepflicht bestehe grundsätzlich auch beim Tatbeteiligten oder doch beim Teilnehmer im engeren Sinne; sie trete jedoch zurück, soweit die Beteiligung an der Tat als solche strafbar sei. 36 Die Argumentation mit der Verbrechenskonkurrenz ist an sich nicht neu

31

32

33

Ablehnend auch Lacktier/Kühl Rdn. 6; Rudolphi/Stein SK Rdn. 4a; Fischer Rdn. 17; Arzt/Weber BT § 4 6 Rdn. 11 mit Fn. 13. BGHSt 3 6 167, 169; 3 9 164, 167; BGH NJW 1956 30, 31; 1964 731, 732 = J R 1964 225, 2 2 6 mit Anm. Schröder (insoweit in BGHSt 19 167 nicht abgedruckt); BGH NStZ 1982 244; 1993 50, 51; BGH StV 1988 202 LS; BGH bei Dallinger M D R 1956 269; bei Holtz MDR 1979 635; OGHSt 3 121, 123; std. Rechtsprechung des RG seit RGSt 3 1, 3, so RGSt 6 0 2 5 4 , 2 5 6 ; 68 2 8 6 , 288; 73 52, 58: RG J W 1932 57 und 1933 2395. Hohmann MK Rdn. 22; Lackner/Kühl Rdn. 6; Ostendorf NK Rdn. 6; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 5, 6; Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 2 0 / 2 1 ; Maurach/

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Schroeder/Maiwald 2, § 98 Rdn. 17; Welzel § 76 I 2; ferner die sonstigen in Fn. 30 und die in Fn. 36 Genannten. Vgl. BGH NJW 1956 30, 31; BGH NStZ 1988 244; BGH bei Dallinger MDR 1956 2 6 9 f; RG J W 1933 2395; zweifelnd bei noch fehlender Strafbarkeit RGSt 73 52, 60. Rudolphi/Stein SK Rdn. 5, 6 und Rudolphi FS Roxin S. 8 3 4 ff; Blei BT § 110 VI; Maurach/Schroeder/Maiwald 2 § 98 Rdn. 17; Drost J W 1932 57; Kruse JuS 1987 386, 388 (Falllösung); Meister MDR 1953 650; Schroeder S. 31; Schwarz S. 106 ff und 114 ff. So namentlich Schwarz S. 106 ff (unter Abstellung nur auf Gehilfen); Schmidhäuser FS Bockelmann S. 683 ff und Form S. 39 ff;

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Nichtanzeige geplanter Straftaten

§ 138

(vgl. Schwarz S. 106 Fn. 44). Aber sie vermag letztlich nicht zu überzeugen. Denn von der Logik dieses Standpunkts aus (vgl. Rudolphi/Stein SK Rdn. 19) müssten auch Täter (mindestens Mittäter) und Anstifter der geplanten Tat der Anzeigepflicht unterliegen, wenn und solange die Planung nicht oder noch nicht als Vorbereitung (s. Rdn. 7), Versuch usw. strafbar ist. Dies jedoch wäre ungereimt, und zwar nicht nur beim Täter (dazu z.B. Joerden S. 635, 638; Schmidhäuser Form S. 32), sondern auch beim Anstifter. Es geht dem Gesetz eben erkennbar nicht um einen besonderen Appell an die Beteiligten der geplanten Tat, und es geht ihm auch nicht um eine Anzeigepflicht, die die allgemeinen Bestimmungen über strafbares oder strafloses Verhalten im Bereich von Planung, Vorbereitung und Versuch überwuchert. Es geht ihm vielmehr um die soziale Mitverantwortung des Bürgers bei der Abwehr von Verletzungen wertvoller Rechtsgüter (Rdn. 1), und zwar durch drohende Straftaten. Daraus muss folgen, dass sich die Anzeigepflicht grundsätzlich nicht an Tatbeteiligte richtet, deren Angriff auf das Rechtsgut eigenen Strafdrohungen unterliegt (vgl. auch Arzt/Weber BT % 46 Rdn. 21 mit Fn. 19; Ostendorf NK Rdn. 6). Nach dem Gesagten wird man für die umstrittenen Grenzfälle, in denen sich der Beteiligte hinsichtlich der geplanten Tat noch nicht strafbar gemacht hat oder in denen er aufgrund strafbefreienden Rücktritts nicht mehr strafbar ist, unterscheiden müssen:

44

Beteiligte, die sich noch nicht strafbar gemacht oder von dem Vorhaben nicht in strafbefreiender Weise gelöst haben, unterliegen keiner Anzeigepflicht; denn sie sind nicht Außenstehende, sondern in die geplante Tat verstrickt; sie wegen dieser Planung zur Anzeige zu zwingen, wäre sinnwidrig. Anderes gilt für Beteiligte, die strafbefreiend „abgesprungen" sind. Die traditionelle Argumentation der gegenteiligen Meinung, dass es dem Zweck des Gesetzes widerspräche, ihnen den Rückzug von dem geplanten Vorhaben durch eine dann eintretende Verpflichtung zu einer für sie „peinlichen" oder vielleicht sogar „gefährlichen" Anzeige zu erschweren (RGSt 60 254, 256), erscheint wenig überzeugend; sie ist auch mit der Vorschrift des § 31 und den durch das 2. StrRG verschärften Anforderungen an den strafbefreienden Rücktritt des Beteiligten vom Versuch (§ 24 Abs. 2) inhaltlich nur schwer in Einklang zu bringen. Da wegen dieser Anforderungen der Rücktritt den Beteiligten in der Regel nicht entlastet, wenn die Tat doch begangen wird, sonst aber wohl meist § 139 Abs. 4 eingreift, hat die ganze Frage heute geringe praktische Bedeutung.37 Begünstiger und Hehler sind von der Anzeigepflicht nicht frei, weil die geplante Tat 4 5 zu der Zeit, zu der die Anzeige in Frage kommt, für sie noch eine fremde ist, ihre Strafbarkeit in diesem Zeitpunkt zudem regelmäßig noch ganz ungewiss erscheint. 38 Anderes gilt jedoch bei einer vorher zugesagten Begünstigung, die nach § 257 Abs. 3 als Beihilfe zu behandeln ist. Der Lockspitzel beteiligt sich nach h.M. in der Regel nicht in strafbarer Weise an der 4 6 geplanten Tat (näher Schünemann LK § 26 Rdn. 60 ff). Er ist danach insoweit grundsätzlich anzeigepflichtig.39 Gleiches gilt für V-Leute, verdeckt auftretende Polizeibeamte (vgl. Joerden S. 6 3 4 ff; ferner Maurach/Schroeder/Maiwald, der, jeweils a a O . 37

38

Rudolphi/Stein, Kruse, Schroe-

So schon Schwarz S. 116 f ebenso Schmidhäuser FS Bockelmann S. 6 9 8 ; vgl. auch Rudolphi/Stein SK Rdn. 6. Im Ergebnis ganz h.M., vgl. etwa Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2 0 / 2 1 ; Fischer Rdn. 2 1 ; Westendorf S. 1 5 2 .

39

N a c h B G H 4 StR 7 6 0 / 5 2 v. 2 8 . 5 . 1 9 5 3 , zit. bei Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 2 0 , k o m m t bei ihm auch die umstrittene Freistellung von der Anzeigepflicht wegen Beteiligungsverdachts (dazu Rdn. 4 8 ) nicht in Betracht, weil er ihrer nicht verdächtig sei.

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§ 13 8

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Meyer-Goßner § 110a Rdn. 4) und Verdeckte Ermittler i.S. des § 110a StPO, für die spezielle Ausnahmen von der Anzeigepflicht gesetzlich nicht konstitutiert sind. Bei ihnen wie bei Lockspitzeln kommen auch Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe (unten Rdn. 65 f) nur in Ausnahmefällen in Betracht. 47

c) Anzeigepflicht und Garantenstellung insbesondere. An der geplanten oder in Ausführung begriffenen Tat ist auch derjenige beteiligt, der aufgrund einer Garantenstellung (§ 13) zur Abwendung des Erfolges verpflichtet ist, und zwar gleichgültig, ob als Täter oder Teilnehmer. Auch bei ihm besteht daher nach dem Gesagten im Ergebnis keine Anzeigepflicht.40 Ist eine solche Garantenstellung gegeben, ist das Schweigen regelmäßig bereits mindestens Beihilfe zu der in Frage stehenden Katalogtat.41 Den Garanten treffen u.U. weitergehende Abwendungspflichten, als sie von der Anzeigepflicht des § 138 verlangt werden (BGH NJW 1964 731 [insoweit in BGHSt 19 167 nicht abgedruckt]), wobei sich freilich kritische Zumutbarkeitsprobleme ergeben können. Vgl. zu diesen Problemen und kritisch zu BGH insbesondere Geilen FamRZ 1964 315; Schröder Anm. in J R 1964 227.

48

d) Anzeigepflicht des Verdächtigen. Der BGH hat verschiedentlich ausgesprochen, dass derjenige nicht gemäß § 138 bestraft wird, der der Teilnahme an der geplanten Straftat lediglich verdächtig ist. Vom BGH selbst und im Schrifttum ist daraus teilweise gefolgert worden, dass die Anzeigepflicht auch beim Verdächtigen entfalle, weil oder wenn er sich in derselben Zwangslage befinde wie der Tatbeteiligte, also ernsthaft befürchten müsse, durch die Anzeige ein Einschreiten gegen sich selbst zu fördern.42 Dem ist jedoch zu widersprechen, wie mittlerweile auch BGHSt 36 167, 169 f unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung schon des RG (RGSt 73 52, 58 f) klargestellt hat. 43 Dabei kann offenbleiben, ob die Freistellung von der Anzeigepflicht beim Tatbeteiligten entscheidend auf der fehlenden Verpflichtung zur Selbstanzeige oder auf anderen Gründen beruht (oben Rdn. 43). Denn selbst wenn man bei ihm entscheidend auf die mangelnde Pflicht zur Selbstanzeige abstellt, so besagt das doch nicht, dass Entsprechendes auch für den Tatverdächtigen gilt, schon weil ihm der Grundsatz in dubio pro reo zugute kommt, seine Lage also von der des Teilnehmers durchaus verschieden ist. Da ihn der genannte Grundsatz vor Strafe schützt, besteht keinerlei Anlass, ihn von der Anzeigepflicht freizustellen. Der Einwand von Joerden S. 639, dass bei dieser Sicht die Gefahr des Fehlurteils außer acht bleibe, ist zwar richtig. Er führt, entgegen Joerden, aber nicht dazu, auf die Größe einer solchen Gefahr abzustellen, schon weil das keinen überzeugenden Maßstab ergibt, vor allem aber, weil die rechtliche Wertung auf der Gefahr eines Fehlurteils nicht aufbauen kann. Vielmehr kommt es allein darauf an, ob der Teilnahme-

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BGH NJW 1964 731, 732; RGSt 73 52, 58; Rudolphi/Stein SK Rdn. 34; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2 0 / 2 1 ; Fischer Rdn. 18; Schwarz S. 117 f; eingehend WestendorfS. 148 ff. BGHSt 19 167 = JR 1964 2 2 6 mit Anm. Schröder; RGSt 73 52, 58; vgl. auch RG J W 1934 1357. BGH NJW 1964 731, 732 (insoweit in BGHSt 19 167 nicht abgedruckt); BGH NStZ 1982 2 4 4 ; BGH bei Holtz MDR 1979

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635 und 1986 794; Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 20; Jescheck/Weigend § 59 VIII 2; eingehend Joerden S. 6 3 9 (dazu im folg. Text). Ebenso BGHSt 3 9 167; Ostendorf NK Rdn. 8; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2 0 ; Fischer Rdn. 2 0 ; Geilen FamRZ 1964 386; Schmidhäuser FS Bockelmann S. 698; Schwarz S. 117 ff; Tag JR 1995 134 f; kritisch - außer Joerden - insbes. Westendorf S. 153 ff.

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Nichtanzeige geplanter Straftaten

§ 138

verdacht noch im Augenblick des Urteils besteht (so auch BGH aaO; vgl. auch BGH bei Holtz M D R 1988 276), weil dann, aber nur dann, der Verdacht in dubio pro reo zu unterstellen ist. e) Notstand. Auch Gesichtspunkte des Notstands lassen die Anzeigepflicht nicht als solche entfallen. Vielmehr ist anzunehmen, dass sie nur als Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund in Betracht kommen, vgl. dazu unten Rdn. 65 f.

49

ΙΠ. Die Anzeigepflicht im Bereich des § 129a (Absatz 2) 1. Allgemeines. § 138 Abs. 2 erweitert die schon nach § 138 Abs. 1 bestehenden Anzeigepflichten, die selbstverständlich auch für geplante Taten einer terroristischen Vereinigung gelten, auf alle dem Tatbestand des § 129a sowie dem § 129b unterfallenden Handlungen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie im konkreten Fall eine der Straftaten unmittelbar fördern oder fördern sollen, auf deren Verwirklichung die Vereinigung ausgerichtet ist. Die Anzeigepflicht geht damit, entsprechend dem Umfang der erfassten Verhaltensweisen, sehr weit, ist durch die Verweisung auf den Katalog des § 129a höchst unübersichtlich und führt überdies zu unklaren Verweisungen. 44 Bedenklich ist ferner, dass die Regelung den präventiven Aspekt des § 138 in problematischer Weise mit dem Gesichtspunkt der Aufklärung bereits begangener Taten vermischt (vgl. unten Rdn. 58). Dies wiegt schwer, weil die Vorschrift, unbeschadet des § 139 Abs. 3 S. 2, auch den Bereich der Strafverteidigung berührt und nach § 148a StPO auch für den Richter gilt, der den schriftlichen Verkehr zwischen Verteidiger und inhaftiertem Beschuldigten in den Fällen des § 148 Abs. 2 StPO zu überwachen h a t 4 5

50

Die Statuierung der umfänglichen Anzeigepflicht, über die bei den Gesetzesberatungen zur Einfügung des Absatz 2 erheblich gestritten wurde (vgl. Sturm M D R 1977 9), erklärt sich aus der befürchteten Gefährlichkeit des modernen Terrorismus. Diese Gefährlichkeit ist auch der gesetzgeberische Grund dafür, dass die Anzeigepflicht des Absatz 2 etwas abweichend von der Regelung des § 138 Abs. 1 ausgestaltet ist (Rdn. 53 ff).

51

Zweck der Vorschrift ist wie bei Absatz 1 (s. Rdn. 2, 4) jedoch auch hier und trotz aller Besonderheiten der Schutz der bedrohten Rechtsgüter, also derjenigen, auf deren Beeinträchtigung die terroristische Vereinigung gerichtet ist (Rudolphi/Stein SK Rdn. 25 eingehend Westendorf S. 112 ff). 2. Gegenstand der Anzeigepflicht. Anzeigepflichtig ist, wer vom Vorhaben oder der Ausführung „einer Straftat" nach § 129a, gegebenenfalls in Verbindung mit § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, glaubhaft erfährt. Obwohl das Gesetz von „Straftat" spricht und damit im heutigen Sprachgebrauch des StGB regelmäßig die tatbestandsmäßig-rechtswidrige und schuldhafte Handlung gemeint ist, ist auch bei Absatz 2 davon auszugehen, dass nach der ratio legis (vgl. oben Rdn. 10 für Absatz 1) die Planung oder Durchführung einer rechtswidrigen Tat reicht, schuldhaftes Handeln also nicht erforderlich ist.

44

Kritisch zu Absatz 2 Ostendorf N K Rdn. 5; Rudolphi/Stein SK Rdn. 1 und Rudolphi Z R P 1 9 7 9 2 1 9 Fischer Rdn. 10; Dahs N J W 1 9 7 6 2 1 4 5 ; Schroeder S. 3 3 ; Westendorf insbes. S. 198, 199, 2 0 2 f; Blei JA 1 9 7 7 9 2

45

hält die Regelung hingegen für völlig unzureichend. Dazu Dahs a a O S. 2 1 4 8 ; eingehend Welp GA 1 9 7 7 135 ff; Westendorf S. 1 9 9 ff.

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§ 138

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Anzeigepflichtig sind im Übrigen, wie schon angedeutet, sämtliche von § 129a erfassten Verhaltensweisen 4 6 , also nicht nur die Gründung oder versuchte Gründung einer terroristischen Vereinigung sowie die mitgliedschaftliche Beteiligung, sondern auch das Unterstützen und Werben i.S. des § 129a Abs. 5 als Fälle der verselbständigten Beihilfe zum Fortbestehen der Vereinigung, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die entsprechenden Handlungen Erfolg haben. Gleichgültig ist dabei, ob es sich um ein Verhalten handelt, das beim Planenden oder Ausführenden wegen geringer Schuld oder untergeordneter Bedeutung zur Anwendung des § 129a Abs. 6 berechtigt, und gleichgültig auch, ob beim Planenden oder Ausführenden später die Voraussetzungen der §§ 129a Abs. 7, 129 Abs. 6 eingreifen. Z u Besonderheiten hinsichtlich der Abwendung vermeidbarer „Erfolge" s. unten Rdn. 58 ff. 52a

In den Fällen des § 129b Abs. 1 besteht eine unbedingte Anzeigepflicht f ü r drohende Taten einer terroristischen Vereinigung, die mindestens eine Teilorganisation innerhalb eines Mitgliedstaats der EU aufweist. Bei sonstigen ausländischen terroristischen Vereinigungen ist die Anzeigepflicht gemäß Satz 2 der Vorschrift inhaltlich durch verschiedene Formen eines - z.T. wenig einsichtigen - Inlandbezugs beschränkt. Überdies folgt aus der Verweisung des § 138 Abs. 2 Satz 2 auf die „entsprechende" Anwendung von Satz 3 bis 5 des § 129b Abs. 1, dass die Nichtanzeige insoweit nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz verfolgt wird; ob für die in Frage stehende Tat selbst eine Verfolgungsermächtigung erteilt wurde oder nicht, ist hingegen ohne Belang (Altvater N S t Z 2003 179, 183).

53

3. Abweichungen von Absatz 1. Aus dem Zweck des Gesetzes, der besonderen Gefährlichkeit terroristischer Vereinigungen zu begegnen (Rdn. 51), sowie aus der Eigenart des § 129a erklären sich die folgenden Besonderheiten gegenüber der Anzeigepflicht nach § 138 Abs. 1.

54

a) „Unverzügliche" Anzeige. Anders als bei Absatz 1, w o die „rechtzeitige" Anzeige reicht, dem Pflichtigen also u.U. ein zeitlicher Spielraum bleibt (vgl. Rdn. 2 3 f), ist in den Fällen des Absatz 2 die Anzeige „unverzüglich", d.h. ohne schuldhaftes Zögern zu erstatten (vgl. § 121 BGB; Fischer Rdn. 26). Die Verschärfung gegenüber der „rechtzeitigen" Anzeige schien dem Gesetzgeber erforderlich, weil es bei § 129a nicht immer um die Verletzung konkreter Rechtsgüter geht (s. Sturm M D R 1977 9); die Regelung soll aber wohl auch sicherstellen, dass die Behörde zum Zwecke der besseren Bekämpfung terroristischer Vereinigungen möglichst frühzeitig unterrichtet wird (vgl. Rudolphi/Stein SK Rdn. 29). Wie bei Absatz 1 (oben Rdn. 22) entfällt die Anzeigepflicht, wenn die Behörde schon anderweitig Kenntnis erlangt hat (Rudolphi/Stein a a O ; Fischer Rdn. 27).

55

b) Anzeige nur bei der Behörde. Anders als bei Absatz 1, wo die Anzeige regelmäßig gegenüber der Behörde „oder dem Bedrohten" erstattet werden kann (Rdn. 28, 36), verlangt Absatz 2 zwingend, dass die Anzeige bei der Behörde (dazu oben Rdn. 29 ff) erfolgt. Grund dafür ist wiederum der Umstand, dass bei den Taten nach § 129a ein konkreter Bedrohter vielfach nicht vorhanden ist (Sturm aaO), zugleich aber wohl auch die Einsicht, dass allein die Behörde in der Lage ist, terroristische Vereinigungen wirksam zu bekämpfen (so Rudolphi/Stein SK Rdn. 30). 46

Rudolphi/Stein SK Rdn. 46; Sch/Schröder/Cramer/Sterrtberg-Lieben

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Rdn. 3; Fischer Rdn. 10; vgl. auch Sturm MDR 1977 9.

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Nichtanzeige geplanter Straftaten

§ 138

Bedenklich ist darum die Ansicht, dass bei „schon konkretisierten Taten gegenüber bestimmten Personen", z.B. gegen „einzelne Regierungsmitglieder", „nach dem der gesamten Vorschrift zugrundeliegenden Schutzzweck eine Anzeige diesen gegenüber" ausreichen soll, falls es sich nicht um Delikte „gegen einen größeren Personenkreis" handele. 47 Das ist mit Charakter und Schutzzweck des Absatz 2 (Rdn. 51) in dieser Form wohl nicht zu vereinbaren. c) Überschneidungen zwischen Absatz 1 und 2. Es liegt nahe, Absatz 2 gegenüber 5 6 Absatz 1 als abschließende Sonderregelung mit der Folge zu verstehen, dass Straftaten nach § 129a (und b) auch dann stets „unverzüglich" und nur gegenüber „der Behörde" anzuzeigen sind, wenn es sich um Taten gemäß § 129a handelt, die nach dem Wortlaut des Gesetzes sowohl unter § 138 Abs. 1 als auch unter § 138 Abs. 2 fallen. Indes bliebe dabei außer acht, dass sich bei § 138 Abs. 1 das Wahlrecht zwischen der Anzeige bei der Behörde und beim Bedrohten auf die Verpflichtung zur Unterrichtung des Bedrohten konkretisiert, falls das die einzige Möglichkeit ist, ihm drohenden Schaden noch abzuwenden (oben Rdn. 36). Auch enthält § 138 Abs. 1 eine Anzeigepflicht noch bei möglicher Abwendung des „Erfolges", die bei § 138 Abs. 2 fehlt (dazu näher Rdn. 58 ff). Diese weitergehenden Pflichten des Absatzes 1 in den Fällen zu verneinen, die sowohl unter Absatz 1 als auch unter Absatz 2 fallen, wäre sachwidrig. Man wird daher anzunehmen haben, dass im Überschneidungsbereich der Absätze 1 und 2 zwar grundsätzlich ein Vorrang der weitergehenden Pflichten nach Absatz 2 besteht („unverzügliche" Anzeige bei „der Behörde"), daneben aber auch die Anzeigepflicht gegenüber dem Bedrohten nach Absatz 1 sowie die Pflicht zur Abwendung des „Erfolges" insoweit zusätzlich erhalten bleibt, wie sie schon von Absatz 1 verlangt wird. Den Pflichtigen trifft also neben der Pflicht zur „unverzüglichen" Anzeige bei der „Behörde" im Einzelfall u.U. auch die Pflicht, den Bedrohten zu unterrichten, und zwar „rechtzeitig", was in diesen Fällen dann meist „unverzüglich" bedeutet. 48 d) Anzeigepflicht auch des Bedrohten. Aus dem Wortlaut des Absatz 2 folgt, entspre- 5 7 chend seinem Charakter und seinem Zweck (Rdn. 51), dass hier, anders als bei Absatz 1 (s. Rdn. 40), auch der Bedrohte selbst anzeigepflichtig ist. Die Einschränkung von Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 19 und Rudolphi/Stein Rdn. 27, dass dies dann nicht gelte, wenn sich die geplante Tat des Absatz 2 lediglich und allein gegen eine bestimmte Person richte, ist nach dem Schutzzweck des Absatz 2 nicht überzeugend; vgl. auch schon oben Rdn. 55. e) Nur „Abwendung der Ausführung"? Auffällig und verwirrend ist, dass Absatz 2, 5 8 abweichend von Absatz 1, eine Anzeigepflicht nur konstituiert, wenn die „Ausführung" der Tat, nicht also auch ihr „Erfolg", noch abgewendet werden kann. Die Tragweite dieser Besonderheit ist schwierig zu bestimmen, zumal die gesetzgeberischen Äußerungen insoweit unklar sind, s. im Einzelnen: Protokolle des Rechtsausschusses, 7. Leg. Per., S. 90 ff, 98; BTDrucks. 7/5401 S. 6; Sten. Prot, des Bundestages, 7. Leg. Per. S. 17992, 17994, 17996, 18054 (253. Sitzung); Prot. (Sonderausschuss) VII, 2464.

47

48

So Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 16; Fischer Rdn. 26; ablehnend Westendorf S. 198. Im Ergebnis ebenso Hohmann M K Rdn. 18;

Rudolphi/Stein SK Rdn. 30; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 17; vgl. auch Fischer Rdn. 28.

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§ 138

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Rudolphi/Stein SK Rdn. 28 nehmen das Gesetz beim Wort, wenn sie bemerken, dass es „auf die Abwendbarkeit eines tatbestandsmäßigen Erfolges i.S. des § 129a ... im Gegensatz zu Absatz 1 ... nicht" ankomme. Demgegenüber meinen Fischer Rdn. 11 und Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 17, der Pflichtige, der z.B. von der Gründung einer terroristischen Vereinigung erfahren habe, brauche zwar den abgeschlossenen Gründungsvorgang nicht anzuzeigen, sei aber beim Charakter des § 129a als eines Dauerdelikts deswegen zur Anzeige verpflichtet, weil er mit der Kenntnis vom Gründungsvorgang auch glaubhaft erfahren habe, dass „die Vereinigung Mitglieder hat, die sich auch weiterhin an der Vereinigung beteiligen". Sturm MDR 1977 9 wiederum erklärt einerseits, die Anzeigepflicht ende, „wenn die Taten ausgeführt sind, d.h. die Vereinigung gegründet, unterstützt oder für sie geworben worden ist", will andererseits aber die Anzeigepflicht „bis zur tatsächlichen Beendigung" andauern lassen, „falls" die Tat zwar „rechtlich vollendet, aber tatsächlich noch nicht beendet ist", wobei er die Beteiligung als Mitglied i.S. des § 129a „mit der einzelnen Beteiligungshandlung" als beendet ansieht, weil „die passive Mitgliedschaft" nicht strafbar sei. Auf die fehlende Beendigung stellt in einem Einzelfall möglicher mitgliedschaftlicher Betätigung auch BGH MDR 1990 167, 168 ab. 59

Die Unklarheit der zit. Gesetzgebungsmaterialien erklärt sich aus dem durch unterschiedliche Gesetzesinitiativen und wechselseitige Vorwürfe geprägten Streit der politischen Parteien über die zweckmäßige und rechtsstaatlich vertretbare Konzeption des § 138 Abs. 2 namentlich im Hinblick auf die Frage, wieweit die Vorschrift nicht nur drohende Taten, sondern auch weiterwirkende abgeschlossene Akte erfassen dürfe. Ein überzeugendes Bild von den gesetzgeberischen Vorstellungen, das der Interpretation des Gesetzes zugrunde gelegt werden könnte, lässt sich den Äußerungen nicht entnehmen.

60

Bei diesen Gegebenheiten erscheint folgende Interpretation angemessen (so wohl auch Rudolphi/Stein Rdn. 28): § 138 Abs. 1 verpflichtet seit dem 3. StRÄndG auch über die Vollendung des geplanten Delikts hinaus zur Anzeige, solange noch weiterer Schaden droht oder ein rechtswidriger Zustand anhält (oben Rdn. 8). Dass dies bei solchen Delikten einer terroristischen Vereinigung anders sein sollte, die auch von § 138 Abs. 1 erfasst werden, ist sicher nicht anzunehmen, da nichts dafür spricht, dass Absatz 2 eine Einschränkung der Anzeigepflicht des Absatz 1 enthält (vgl. auch oben Rdn. 56). Für die weitergehenden, allein von Absatz 2 erfassten Tathandlungen hingegen lässt sich nicht negieren, dass das Gesetz lediglich darauf abstellt, ob ihre „Ausführung", nicht aber auch: ihr „Erfolg", noch abgewendet werden kann. Dies muss, im Ergebnis wohl entsprechend gewissen Vorstellungen der Bundestags-Mehrheit, dazu führen, für diese Tathandlungen die Anzeigepflicht nach der „Ausführung" ohne Rücksicht auf den Dauerdelikts-Charakter des § 129a und ohne Rücksicht darauf zu verneinen, ob sich nach der „Ausführung" durch eine Anzeige auch ein „Erfolg" der „Ausführung" noch abwenden lässt. Nicht anzeigepflichtig sind, mit anderen Worten, abgeschlossene Tathandlungen, die sich lediglich auf die Förderung einer kriminellen Vereinigung als solche (Gründen, Werben, Unterstützen usw.) beziehen, selbst wenn sie für die Vereinigung förderliche weitere Wirkungen oder Dauerwirkungen entfalten; anzeigepflichtig bleiben hingegen solche abgeschlossenen Tathandlungen im Rahmen des § 129a, die gleichzeitig die unmittelbare Gefährdung der nach Absatz 1 geschützten Rechtsgüter betreffen, solange durch Anzeige von diesen Rechtsgütern ein Schaden noch abgewendet oder geringer gehalten werden kann. Dass eine derartige Differenzierung nicht recht überzeugend sein mag und zu Abgrenzungsschwierigkeiten führt, ist zuzugeben, nach der Gesetzesformulierung aber wohl nicht zu ändern, zumal jede andere Betrachtung den speziellen Charakter des § 138 (Abwehr drohender Taten) letztlich sprengen müsste.

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IV. Vorsatz und Irrtum; Leichtfertigkeit nach Absatz 3 1. Vorsatz und Irrtum bei Absatz 1, 2. Die Strafbarkeit nach § 138 Abs. 1 und 2 setzt 61 grundsätzlich Vorsatz voraus, wobei bedingter Vorsatz reicht. Das ist seit der Neuregelung im 3. StRÄndG (Einfügung des heutigen Absatz 3) unbestritten und jetzt auch angesichts des § 15 unbestreitbar; die früher vielfach vertretene Ansicht, dass Fahrlässigkeit genüge (z.B. RGSt 45 395), ist überholt. Vorsatz ist gegeben, wenn der Täter in Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die die Anzeigepflicht begründen, nicht handelt. Für die besonders kritischen Voraussetzungen des Absatz 1 ist das im Wesentlichen bereits bei deren Erörterung (Rdn. 6 ff) dargelegt; es gilt entsprechend für Absatz 2. Der Täter muss also glaubhafte Kenntnis (Rdn. 13 ff) vom tatsächlichen Vorliegen (Rdn. 13) eines ernstlichen und tauglichen Plans (Rdn. 6 f, 12) oder dessen Ausführung, bezogen auf eine anzeigepflichtige Tat, nicht aber bezogen auch auf die Person des Täters (Rdn. 6), besitzen. Kennenmüssen des Plans oder der Ausführung reicht nicht (Rdn. 13 ff). Der Pflichtige muss weiter wissen, dass er durch rechtzeitige Anzeige die Ausführung oder den Erfolg der Tat noch verhindern kann; ein Irrtum darüber schließt den Vorsatz aus, selbst wenn er verschuldet ist (Rdn. 19 ff, 26 f). Gleiches gilt, wenn der Pflichtige irrtümlich annimmt, die Behörde oder der Bedrohte sei bereits unterrichtet (Rdn. 22). Zu den subjektiven Anforderungen einer Anzeige bei „der Behörde" s. Rdn. 28 ff, insbesondere 32. Die Frage des Vorsatzes wirft, wie bei anderen Unterlassungsdelikten, häufig Probleme auf, wenn es an einem spezifischen Entschluss zur (Anzeige-)Unterlassung fehlt, der Täter sich vielmehr während einer langsam heranreifenden Situation zu einem Entschluss nicht aufrafft, sondern untätig bleibt. Hier genügt für den Vorsatz Kenntnis der tatbestandsmäßigen Situation sowie das Bewusstsein der eigenen Handlungsfähigkeit. Vgl. dazu statt aller näher Jescheck/Weigend AT § 59 VI 2 b; Schwarz S. 86 ff. Kennt der Täter die Umstände, die seine Handlungspflicht begründen, und hat er 6 2 auch das Bewusstsein der Handlungsfähigkeit, nimmt er jedoch irrig an, zur Anzeige rechtlich nicht verpflichtet zu sein, liegt ein Gebotsirrtum vor, der nach § 17 zu behandeln ist.49 An die Vermeidbarkeit eines solchen Irrtums stellt BGHSt 19 295, 299 strengere Anforderungen, wenn der Pflichtige ein naher Angehöriger des Opfers ist. 2. Leichtfertig unterlassene Anzeige (Absatz 3). § 138 Abs. 3 stellt dem vorsätzlichen 6 3 Unterlassen einer nach Absatz 1 oder Absatz 2 gebotenen Anzeige die leichtfertig unterlassene Anzeige gleich.50 Nach dem klaren Gesetzeswortlaut bezieht sich die Gleichstellung nur auf das Unterlassen, nicht hingegen auch auf die Kenntnis vom Vorhaben oder der Ausführung: „Die Bestrafung soll nur den treffen, der ... trotz glaubhafter Kenntnis leichtfertig nicht das vom Gesetz verlangte Verhalten zeigt" (Begr. z. 3. StRÄndG S. 46; allg. Meinung). Denkbar ist solche Leichtfertigkeit, wenn der Pflichtige mit der erforderlichen Anzeige zu lange zögert (Rdn. 26 f), sie vergisst, in fehlerhafter Weise vornimmt, „namentlich ... nicht bei der richtigen Stelle anbringt" (Begr. aaO; vgl. schon oben Rdn. 32), oder sie irrtümlich für zwecklos hält (vgl. Rdn. 22). Die Beurteilung ist in weitem Maße Frage des Einzelfalls; ausführlich dazu Schwarz S. 95 ff sowie - namentlich zur Abgrenzung vom Vorsatz - Arm. Kaufmann S. 187 ff.

49

Dazu BGHSt 19 2 9 5 und Besprechung Geilen JuS 1965 4 2 6 ; BGH bei Dallinger MDR 1970 4 9 7 ; eingehend Westendorf S. 171 ff.

50

Kritisch zu der Regelung Ostendorf NK Rdn. 5; Fischer Rdn. 3 3 ; Arzt/Weber BT § 4 6 Rdn. 18; Westendorf S. 183 ff.

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V. Vollendung 64

§ 138 erschöpft sich in der Nichtvornahme der vom Gesetz geforderten Handlung (vgl. aber oben Rdn. 4), ist also in den Fällen des Absatz 1 vollendet, wenn die gebotene Anzeige nicht rechtzeitig erfolgt (dazu oben Rdn. 23 ff), und in den Fällen des Absatz 2, wenn die Anzeige nicht unverzüglich vorgenommen wird (dazu oben Rdn. 54). Ob die geplante Tat verhindert wird oder nicht, ist dann ohne Belang. Ohne Belang ist aber auch, ob es überhaupt zu ihrer Ausführung kommt; die Begehung des geplanten Delikts ist also keine Bedingung der Strafbarkeit, geschweige denn ein Tatbestandsmerkmal, wie heute klar aus § 139 Abs. 1 folgt (s. dort Rdn. 2) und unbestritten ist; nach § 139 Abs. 1 kann freilich von Strafe abgesehen werden, wenn die Tat nicht versucht worden ist.

VI. Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe 65

Von der besonderen Regelung in § 139 abgesehen (s. die dort Erl.), gilt Folgendes: 1. Rechtfertigungsgründe. Das Unterlassen einer nach Absatz 1 oder Absatz 2 gebotenen Anzeige kann durch einen allgemeinen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt sein (Rudolphi/Stein SK Rdn. 32; Welzel § 76 I 2). Denkbar ist das nach Lage des Einzelfalles durch einen vorherigen Verzicht des Bedrohten auf Benachrichtigung, wenn sich die Tat, von der der Anzeigepflichtige danach glaubhaft erfährt, allein gegen seine individuellen Rechtsgüter richtet. Rechtfertigung nach § 34 dürfte nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht kommen, schon weil § 138 den Schutz der bedrohten Rechtsgüter selbst bezweckt, die Rechtfertigung also voraussetzt, dass gerade durch die Anzeige eine Verletzung noch höherwertiger Rechtsgüter ernstlich zu besorgen ist. Zur Notwehr s. RGSt 43 342. Das Vorhandensein eines Zeugnisverweigerungsrechts begründet als solches gegenüber dem Anzeigegebot des § 138 keinen Rechtfertigungsgrund (Rudolphi/Stein SK Rdn. 32; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 24). Hier gilt vielmehr die abschließende Sonderregelung des § 139, die das gerade deutlich macht. Auch straf- oder bußgeldrechtlich sanktionierte Schweigepflichten (z.B. § 203, § 353b) berechtigen nicht dazu, eine Anzeige nach § 138 zu unterlassen. Das ergibt sich wiederum aus der Sonderregelung des § 139, insbesondere aus § 139 Abs. 3 S. 2, der nur für eng begrenzte Fälle etwas anderes bestimmt (s. LK § 139 Rdn. 6 ff, 25 ff; übereinstimmend Ostendorf NK Rdn. 20; Rudolphi/Stein aaO; Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 23). In Durchbrechung des § 35 SBG I gestattet § 71 SBGX im Falle des § 138 überdies die Offenbarung persönlicher Daten durch den Leistungsträger. Allerdings muss derjenige, der ansonsten gesetzlich zur Wahrung von Geheimnissen verpflichtet ist, die Anzeige streng auf solche Umstände beschränken, die zur Verhinderung der geplanten Tat oder ihrer Ausführung notwendig sind (Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben aaO); er darf also die Schweigepflicht nicht stärker durchbrechen als für eine wirksame Anzeige (dazu oben Rdn. 37) erforderlich.

66

2. Entschuldigungsgründe. Eine unterlassene Anzeige kann nach den allgemeinen Regeln entschuldigt sein. Denn dass § 139 auch insoweit - für das Handeln Schuldfähiger - eine abschließende Sonderregelung enthält, lässt sich nach der Natur dieser Vorschrift nicht annehmen. Nicht anzunehmen ist aber auch, dass die Unzumutbarkeit

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§ 138

normgemäßen Verhaltens bei § 138 schon den Tatbestand ausschließt,51 weil § 138, anders als § 323c, eine entsprechende Einschränkung selbst nicht normiert und die Bindung an die allgemeinen Schuldausschließungsgründe der Bedeutung der Anzeigepflicht besser entsprechen dürfte als die Annahme einer gesetzlich nicht fixierten Tatbestandseinschränkung. Doch bleibt zu beachten, dass der Beteiligte an der geplanten Tat einer Anzeigepflicht grundsätzlich nicht unterliegt (oben Rdn. 42 ff), der einer Beteiligung Verdächtige hingegen ohne Rücksicht auf die Gefahr eigener Strafverfolgung anzeigepflichtig ist (streitig; s. oben Rdn. 48). Folgt man dem, kommt eine Schuldausschließung unter Notstandsgesichtspunkten (§ 35) über den Anwendungsbereich des § 139 Abs. 3 S. 1 hinaus wohl nur dann in Betracht, wenn der Anzeigepflichtige im Falle der Anzeige eine sonstige erhebliche Gefährdung seiner selbst, eines Angehörigen oder einer nahestehenden Person zu besorgen hat, so etwa die ernstliche Bedrohung mit dem Tode durch den präsumtiven Täter. Einen Fall dieser Art hat unter recht großzügigen Voraussetzungen (vgl. Geilen JuS 1965 430) schon die Entscheidung RGSt 43 342 zum Gegenstand, die im Schrifttum durchweg zustimmend zitiert wird. 52 Dass auch der Fall BGHSt 19 295 Anlass zur Prüfung der Frage bot, meint Geilen aaO wohl zu Recht. Zur Anwendung des § 35 bei Angehörigen s. auch Rdn. 69. VII. Täterschaft und Teilnahme Grundsätzlich ist derjenige, der vom Vorhaben oder der Ausführung einer anzeige- 6 7 Pflichtigen Tat glaubhaft erfährt, damit selbst zur Anzeige verpflichtet, so dass er für ihr Unterlassen als Täter haftet. 53 Für eine strafbare Teilnahme bleibt daher bei § 138 meist kein Raum, weil der „Teilnehmer" die glaubhafte Kenntnis von der geplanten Tat durchweg besitzen wird. In Betracht kommen höchstens die sicherlich ganz ungewöhnlichen Fälle, in denen die nach § 139 Abs. 2 und 3 privilegierten Personen einen Dritten zur Unterlassung anstiften oder ihm dabei Beihilfe leisten. Insoweit gilt Folgendes: Personen, die wegen ihrer Berufsstellung privilegiert sind, in den genannten Fällen als 6 8 Teilnehmer zu bestrafen, ist nicht unbillig, weil die Konfliktsituation, die zu ihrer Besserstellung führt, hier regelmäßig nicht in Frage steht und die berufliche Stellung auch nicht die Pflicht mit sich bringt, die Täter der geplanten Tat in jeder Weise vor Entdeckung zu schützen.54 Zweifelhaft ist jedoch, ob nicht speziell für Geistliche (und nur für sie, vgl. § 139 Rdn. 24) anderes gelten muss, soweit sie auf ihre „berufsmäßigen Gehilfen" einwirken, eine Anzeige zu unterlassen, zu der diese (s. näher LK § 139 Rdn. 9) selbst dann verpflichtet sind, wenn sie lediglich im Rahmen ihrer Hilfstätigkeit von der drohenden Tat zufällig erfahren. Man wird die Zweifelsfrage verneinen müssen. Denn wenn die Hilfspersonen zur Anzeige verpflichtet sind, die Ausnahmen des § 139 also nur dem Geistlichen unmittelbar zugute kommen, widerstreitet es dem Sinn des Gesetzes, die Auf-

51

52

Lackner/Kühl Rdn. 8; wohl auch Rudolphi/ Stein SK Rdn. 32a und Geilen JuS 1965 430; aA Fischer Rdn. 15; wohl auch Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 22. Z.B. von Rudolphi/Stein SK Rdn. 32a; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 22; Fischer Rdn. 15.

53

54

Rudolphi/Stein SK Rdn. 33; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 27; Fischer Rdn. 35; eingehend Schwarz S. 135 ff. WestendorfS. 298; Schwarz S. 138; aA Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 27 und Fischer Rdn. 35.

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forderung zur Nichtanzeige durch ihn für irrelevant zu halten. Es zeigt sich auch hier die fragwürdige Konsequenz der gesetzlichen Regelung, die berufsmäßigen Gehilfen des Geistlichen von der Anzeigepflicht nicht freizustellen (vgl. LK aaO). 69

Zweifelhaft ist weiter, ob strafbare Teilnahme vorliegt, wenn ein Angehöriger des Täters der geplanten Tat einen Außenstehenden auffordert, die Anzeige zu unterlassen. Schwarz (S. 139) möchte das unter Berufung auf die „besondere ,notstandsähnliche' Situation" des Angehörigen verneinen, „die in gleicher Weise das eigene Verschweigen wie auch die Aufforderung dazu an andere" erfasse. Indes enthält § 139 Abs. 3 S. 1 erkennbar eine - auch an besondere Einschränkungen und Voraussetzungen gebundene Ausnahmeregelung nur für das Unterlassen der Anzeige, betrifft also gerade nicht die rechtlich und psychologisch kaum vergleichbare Situation der Einwirkung auf einen Dritten durch positives Tun. Man wird danach eine Gleichstellung wohl abzulehnen und auch anzunehmen haben, dass § 35 nicht eingreift (anders Westendorf S. 298, die eine analoge Anwendung des § 139 Abs. 3 Satz 1 befürwortet).

70

Im Übrigen ist in vielen, aber nicht in allen Fällen die Anstiftung oder Beihilfe zur Anzeige-Unterlassung gleichzeitig eine Beteiligung an der drohenden Tat selbst; so insbesondere, wenn der Aufgeforderte die beabsichtigte Anzeige unterlässt und der Täter sein Vorhaben nun ungestört ausführen kann (näher Schwarz S. 139; Stree GA 1963 1). Der Verstoß gegen die Anzeigepflicht ist dann schon tatbestandsmäßig ausgeschlossen, vgl. näher Rdn. 42 ff.

71

Sind mehrere Personen anzeigepflichtig, haftet grundsätzlich jeder von ihnen für das Unterlassen, und zwar als („Neben"-)Täter. Ob Mittäterschaft gegeben ist, wenn die Pflichtigen sich verabreden, die Anzeige zu unterlassen, ist streitig, aber regelmäßig ohne praktische Bedeutung. In der Regel wird auch hier Nebentäterschaft zu bejahen sein, eben weil jeden Pflichtigen eine eigene Gebotserfüllungspflicht trifft. 55 Etwas anderes gilt entgegen Westendorf S. 295 f nur dann, wenn die Anzeigepflichtigen aus besonderen Gründen ausnahmsweise die Anzeigepflicht nur gemeinsam erfüllen können.

72

Hindert jemand den Anzeigepflichtigen durch Gewalt, durch Hervorrufen eines vorsatzausschließenden Irrtums oder auf andere seine Tatherrschaft begründende Weise an der rechtzeitigen Erstattung der Anzeige, so ist er als Begehungstäter der betreffenden Katalogtat strafbar, wenn die anzeigepflichtige Straftat ausgeführt wird (Rudolphi/Stein SK Rdn. 33). Die gleichzeitige Verletzung der eigenen Anzeigepflicht tritt dann im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück, vgl. dazu im folg. Text. Vin. Konkurrenzen. Wahlfeststellung und Stufenverhältnis

73

1. Konkurrenzen. Gegenüber § 323c ist § 138 das speziellere Delikt (BGHSt 39 164, 167). Im Übrigen kann die strafbare Nichtanzeige nach allgemeinen Regeln mit der Verletzung anderer Tatbestände konkurrieren. Doch ist folgendes zu beachten: Für Täter und Teilnehmer der anzeigepflichtigen Tat ist nach der hier vertretenen herrschenden Meinung eine Anzeigepflicht schon tatbestandsmäßig nicht gegeben (oben Rdn. 42 ff). Folgt man dem, entsteht insoweit überhaupt kein Konkurrenzproblem. Soweit man hingegen die Argumentation der herrschenden Meinung nicht für tragfähig

55

Rudolphi, Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben, Schwarz jeweils aaO; weitere Nachw. bei Westendorf S. 295 Fn. 1.

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hält (vgl. oben Rdn. 43, 44), beurteilt es sich nach Konkurrenzgrundsätzen, ob oder wann Täter und Teilnehmer der Katalogtat anzeigepflichtig sind. Bei Betrachtung unter Konkurrenzgrundsätzen tritt die Strafbarkeit wegen unterlassener Anzeige nach § 138 nur dann zurück, wenn der Täter oder Teilnehmer wegen seiner Mitwirkung an dem anzeigepflichtigen Delikt tatsächlich strafbar ist (vgl. oben Rdn. 43), während nach der hier vertretenen Meinung vom Tatbestandsausschluss die Strafbarkeit u.U. auch ohne solche Strafbarkeit entfällt (oben Rdn. 44). Folgt man dieser Meinung, besteht ein Konkurrenzproblem nur ganz ausnahmsweise, nämlich in denjenigen Fällen, in denen der nach § 138 Anzeigepflichtige über die Verletzung seiner Anzeigepflicht hinaus auf Dritte einwirkt und dadurch deren Tat als Täter fördert (s. Rdn. 72). Dann schließt die Beteiligung an der anzeigepflichtigen Tat die Verurteilung wegen Gesetzeskonkurrenz zwingend aus. 2. Wahlfeststellung. Stufenverhältnis. Steht nicht fest, ob jemand die Anzeigepflicht nach § 138 verletzt hat oder an der geplanten Tat beteiligt war, wäre bei Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo jeweils für beide Möglichkeiten zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass weder das eine noch das andere vorliegt, müsste der Angeklagte also deswegen (vgl. RGSt 73 52, 58) von beiden Vorwürfen freigesprochen werden. Dies ist in der Tat der Standpunkt der traditionellen Rechtsprechung. 56 Sie hält - insoweit in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre 57 - in solchen Fällen auch eine Wahlfeststellung zwischen § 138 und der strafbaren Beteiligung nicht für möglich, weil die beiden in Frage stehenden Verhaltensweisen rechtsethisch und psychologisch nicht vergleichbar seien.

74

Das Ergebnis ist anerkanntermaßen „wenig erfreulich" (so Heimann-Trosien Rdn. 30), ja „paradox" (so Geilen JuS 1965 420). Es vermag nicht zu überzeugen.

75

LK 9

Ob es sich vermeiden lässt, wenn man bei der Wahlfeststellung die umstrittene Klausel von der rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit zugunsten einer mehr auf die Vergleichbarkeit im Unrechtskern abstellenden Betrachtung lockert (so im Ergebnis Arzt/Kleber BT § 46 Rdn. 23), mag hier offenbleiben; Heimann-Trosien (aaO) meint, die Zulässigkeit einer Wahlfeststellung sei „ernsthaft zu erwägen", und RGSt 73 52, 59 f hat sie unter der Herrschaft des § 2b a.F. tatsächlich befürwortet (dazu Geilen FamRZ 1964 387; Schwarz S. 117 f). Denn entscheidend ist etwas anderes: § 138 will, wie dargelegt (Rdn. 2), jeweils gerade das Rechtsgut schützen, das durch die anzeigepflichtige Tat bedroht wird. „Enthält aber das Delikt des § 138 ebenso wie die anzeigepflichtige Straftat einen Angriff auf dasselbe Rechtsgut, unterscheiden sie sich also allein in der Schwere des Handlungsunwertes, so stehen beide Delikte ... in einem normativen Stufenverhältnis, so dass ebenso wie in den Fällen der Alternativität von Begehungs- und unechtem Unterlassungsdelikt eine eindeutige Verurteilung, und zwar hier aus § 138, möglich ist" (so Rudolphi SK 6 Rdn. 35). Diese Ansicht entspricht heute der herrschenden Lehre 5 8 ; sie wird neuerdings auch vom 4. StS des BGH befürwortet (NStZ 2004 4 9 9 , 5 0 0 ) . 56

57

J8

BGHSt 3 6 167, 170, 174; 3 9 164, 167; BGH StV 1988 2 0 2 LS; BGH bei Holtz MDR 1979 635; 1986 7 9 4 ; RG J W 1933 2395; 1934 1357; 1935 2 0 5 3 ebenso Hohmann MK Rdn. 2 5 ; Ostendorf NK Rdn. 25; Tag JR 1995 133, 136. Nachw. in Fn. 58; aA Arzt/Weber BT § 46 Rdn. 23. Lackner/Kühl Rdn. 6 (zögernd); Rudolphi/

Stein Rdn. 35; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2 9 ; Fischer Rdn. 2 0 ; Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 98 Rdn. 17; Otto BT § 6 7 Rdn. 34; Schmidhäuser AT 5/44 und FS Bockelmann S. 6 9 8 ; Schroeder S. 32; Schwarz S. 119; Westendorf S. 164 ff; Rudolphi FS Roxin S. 836 f; Wolter JuS 1983 7 7 3 ; Joerden S. 6 4 0 f, der den Gesichtspunkt der Postpendenz heranzieht.

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§139

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

§ 139 Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten (1) Ist in den Fällen des § 138 die Tat nicht versucht worden, so kann von Strafe abgesehen werden. (2) Ein Geistlicher ist nicht verpflichtet anzuzeigen, was ihm in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden ist. (3) Wer eine Anzeige unterläßt, die er gegen einen Angehörigen erstatten müßte, ist straffrei, wenn er sich ernsthaft bemüht hat, ihn von der Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden, es sei denn, daß es sich um 1. einen Mord oder Totschlag (§§ 211 oder 212), 2. einen Völkermord in den Fällen des § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den Fällen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder ein Kriegsverbrechen in den Fällen des § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder 3. einen erpresserischen Menschenraub (§ 239a Abs. 1), eine Geiselnahme (§ 239b Abs. 1) oder einen Angriff auf den Luft- und Seeverkehr (§ 316c Abs. 1) durch eine terroristische Vereinigung (§ 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1) handelt. Unter denselben Voraussetzungen ist ein Rechtsanwalt, Verteidiger, Arzt, Psychologischer Psychotherapeut oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut nicht verpflichtet anzuzeigen, was ihm in dieser Eigenschaft anvertraut worden ist. Die berufsmäßigen Gehilfen der in Satz 2 genannten Personen und die Personen, die bei diesen zur Vorbereitung auf den Beruf tätig sind, sind nicht verpflichtet mitzuteilen, was ihnen in ihrer beruflichen Eigenschaft bekannt geworden ist. (4) Straffrei ist, wer die Ausführung oder den Erfolg der Tat anders als durch Anzeige abwendet. Unterbleibt die Ausführung oder der Erfolg der Tat ohne Zutun des zur Anzeige Verpflichteten, so genügt zu seiner Straflosigkeit sein ernsthaftes Bemühen, den Erfolg abzuwenden.

Schrifttum s. bei § 138. Entstehungsgeschichte Bis zum 3. StRÄndG regelte § 139 alle Voraussetzungen für die Anzeigepflicht bei drohenden Verbrechen. Das 3. StRÄndG verteilte die Materie aus Gründen der Übersichtlichkeit (vgl. Dreher J Z 1953 427) auf die §§ 138 und 139. Absatz 1 des § 139 übernahm dabei wörtlich eine durch die Reform von 1936 (s. LK § 138, „Entstehungsgeschichte") eingeführte Regelung, während die Absätze 2 bis 4 für das StGB neues Recht schufen. Sie knüpfen inhaltlich weitgehend - aber nicht ganz - an § 199 des Ε 1927 und des Ε 1930 an; verwandte Teilregelungen enthielten insoweit bereits § 5 des RepublikschutzG 1922 (RGBl. I 585) und §§ 2, 8 RepublikschutzG 1930 (RGBl. I 91) sowie § 9 des Gesetzes gegen den Verrat militärischer Geheimnisse v. 3.6.1914 (RGBl. S. 195). Seit dem 3. StRÄndG ist § 139 geändert worden: durch Art. 19 Nr. 54 und Nr. 207 EGStGB (Einfügung des Völkermords gemäß § 220a Abs. 1 Nr. 1 a.F. bei Absatz 3; im Übrigen nur redaktionell); durch das sog. Anti-TerroristenG v. 18.8.1976, BGBl. I 2181 (Aufgliederung des Absatz 3 Satz 1 in Nr. 1-3 und Einfügung der in Nr. 3 genannten Delikte einer terroristischen Vereinigung); durch Art. 1 Nr. 14 des 6. StrÄndG (redaktionelle 678

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Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten

§ 139

Korrektur von Absatz 3 Satz 1 Nr. 3: „Luft- und Seeverkehr"); durch Art. 2 Nr. 9 des Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches v. 26.6.2002, BGBl. I 2254 (Umstellung von Absatz 3 Satz 1 Nr. 2 auf das VStGB in Ablösung des § 220a StGB); durch das 34. StRÄndG v. 22.8.2002, BGBl. I 3390 (Einbeziehung des 129b); durch Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes v. 27.12.2003, BGBl. I 3007 (Erstreckung des Absatz 3 Satz 2 auf die genannten Psychotherapeuten und Einfügung des Satz 3). - Zu weiteren Einzelheiten s. die folgende Kommentierung der einzelnen Absätze.

Übersicht I. Allgemeines Π. Absehen von Strafe (Absatz 1) m . Sonderregelung für Geistliche (Absatz 2) 1. Allgemeines 2. „Geistliche" 3. Anvertraut „in seiner Eigenschaft als Seelsorger" 4. „Anvertraut" 5. Rechtsnatur IV. Die Anzeigepflicht von Angehörigen (Absatz 3 Satz 1) 1. Allgemeines 2. „Gegen einen Angehörigen" 3. „Ernsthaftes Bemühen" um Tatverhinderung 4. Anzeigepflichtige Delikte (Nr. 1 - 3 ) . . .

Rdn.

Rdn.

1 2 5 5 6

5. Bedeutung der „Straffreiheit" 23 V. Anzeigepflicht beruflicher Geheimnisträger (Absatz 3 Satz 2) 24 1. Allgemeines 24 2. Erschöpfende Aufzählung; Umgrenzung 25 3. Voraussetzungen der Freistellung . . . . 29 4. Berufsmäßige Gehilfen pp. (Satz 3) . . . 2 9 a 5. „Nicht verpflichtet"; Rechtsnatur . . . . 3 0 VI. Straffreiheit durch Abwendung oder ernsthaftes Bemühen (Absatz 4) 32 1. Allgemeines 32 2. Abwendung der Tat (Satz 1) 33 3. Ernsthaftes Bemühen um Abwendung (Satz 2) 35 4. Bedeutung der „Straffreiheit" 37

10 12 13 14 14 15 18 22

I. Allgemeines § 139 enthält in kasuistischer, nicht durchweg überzeugender Weise (Fischer Rdn. 2) 1 Einschränkungen der in § 138 statuierten Anzeigepflicht. Die Einschränkungen beruhen auf unterschiedlichen Gesichtspunkten. Sie berücksichtigen Grundsätze des Verhältnismäßigkeitsprinzips, insbesondere aber verschiedenartige Kollisionen zwischen Zwangslagen und Interessenkonflikten (Fischer aaO). So mag es sich (mit)erklären, dass die Rechtsnatur der einzelnen Einschränkungen fast durchweg sehr umstritten ist. Versuche, sie durch Rückführung auf ein einheitliches Grundprinzip zu systematisieren, um dadurch ihre Auslegung zu erleichtern (so insbesondere Westendorf S. 205 ff, S. 277), vermögen angesichts der genannten Unterschiedlichkeiten nicht zu überzeugen.

Π. Absehen von Strafe (Absatz 1) Ursprünglich war im StGB die Nichtanzeige drohender Verbrechen nur strafbar, wenn das Verbrechen ausgeführt oder doch versucht wurde. Die Neuregelung vom Jahre 1936 (s. LK § 138, „Entstehungsgeschichte") sah dann von diesem Erfordernis ab. Seitdem ist unbestritten und angesichts des § 139 Abs. 1 unbestreitbar, dass die Nichtanzeige des Vorhabens auch dann unter Strafe steht, wenn es zu einem Beginn der Tat nicht gekommen ist. Als Ausgleich bestimmt das Gesetz jedoch, dass in diesem Fall von Strafe abgesehen werden kann. Die Regelung soll Unbilligkeiten verhindern. Sie könnten insbesondere entstehen, wenn der die Tat Planende straflos bleibt, weil er sich auf Vorbereitungshandlungen Ernst-Walter Hanack

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§139

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

beschränkt, die auch bei den in § 138 genannten Delikten nicht generell mit Strafe bedroht sind. Hier soll es dem Richter ermöglicht werden, im Einzelfall auch den Mitwisser von Strafe freizustellen, der die Anzeige unterlassen hat (Amtl. Begr. z. Gesetz v. 2.7. 1936, DJ 1936 996). Aber auch sonst sind besonders leichte Fälle denkbar, in denen von der Möglichkeit des Absatz 1 Gebrauch gemacht werden kann (Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 2). 3

Die Entscheidung darüber steht im Ermessen des Gerichts („kann"). Die Urteilsformel lautet dann gegebenenfalls dahin, dass der Angeklagte eines Vergehens nach § 138 schuldig ist, aber von Strafe abgesehen wird (§ 260 Abs. 4 S. 3 StPO). Es handelt sich also um eine Verurteilung in der besonderen Form eines Schuldspruchs ohne Strafausspruch, die zur Tragung der Verfahrenskosten verpflichtet (§ 465 Abs. 1 S. 2 StPO); die Verurteilung wird jedoch in das Bundeszentralregister nicht eingetragen, weil nicht „auf Strafe erkannt" ist (§ 4 BZRG). Von der Regelung unberührt bleibt die Möglichkeit, das Verfahren gemäß §§ 153 ff StPO einzustellen; namentlich eine Einstellung nach § 153b StPO wird sich dabei vielfach empfehlen.

4

Hat der Versuch der geplanten Tat bereits in strafbarer Weise begonnen (§ 22), ist für die Anwendung des § 139 Abs. 1 kein Raum mehr; das gilt auch dann, wenn der Versuch wegen Rücktritts (§ 24), tätiger Reue (z.B. §§ 83a, § 314a) oder aus sonstigen Gründen (§ 23 Abs. 3) straflos bleibt.1 Unanwendbar ist § 139 Abs. 1 ferner, wenn Handlungen vorgenommen worden sind, die zwar materiell Vorbereitungshandlungen darstellen, vom Gesetz aber als formell selbständige Delikte ausgestaltet sind (z.B. §§ 80, 83, 310).

ΙΠ. Sonderregelung für Geistliche (Absatz 2) 5

1. Allgemeines. Seit dem 3. StRÄndG besteht - nach dem Vorbild der Weimarer Republikschutz-Gesetze und übereinstimmend mit § 199 Ε 1927 und Ε 1930 (s. „Entstehungsgeschichte") - für Geistliche grundsätzlich keine Anzeigepflicht hinsichtlich dessen, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden ist. Die Regelung geht auf eine alte Tradition zurück (vgl. Detert S. 44 ff; Fischedick DÖV 2008 584 f) und löst einen komplizierten Konflikt insbesondere - aber nicht nur - mit Rücksicht auf das katholische Beichtgeheimnis.2 Während ihre Rechtsnatur seit jeher lebhaft erörtert wird (unten Rdn. 13), ist die praktisch und kriminalpolitisch sehr viel kritischere Frage, für welchen Personenkreis und in welchem Umfang die Freistellung gilt, vergleichsweise wenig erörtert. Sie wirft, auch de lege ferenda, Probleme auf, die derzeit zum Teil befriedigend kaum lösbar sind, vgl. im Einzelnen im folg. Text.

6

2. „Geistliche". Als Geistliche i.S. des § 139 Abs. 2 werden nach überwiegender, wenn auch umstrittener Meinung nur Personen verstanden, die von einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft (vgl. Art. 140 GG, Art. 137 WRV) zu Trägern geistlicher

1

Hohmann M K Rdn. 5; Rudolpbi/Stein SK Rdn. 2; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Fischer Rdn. 3; Schwarz S. 1 4 6 ff; Westendorf S. 2 8 1 .

2

Dazu eingehend Detert S. 2 8 ff;

Allagayer

Eb. Schmidt Niederschriften VI S. 1 2 6 ; Frätikel ebenda S. 3 3 8 ; Kisker S. 2 0 5 ; Schwarz S. 1 6 2 f; Obermayer in Ev. Staatslexikon 3 Bd. I S. 1 8 7 („rechtspolitisch höchst bedenklich").

S. 3 3 ; kritisch zu der Regelung Welzel und

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§ 139

Ämter bestellt worden sind.3 Die Einengung auf staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften entspricht der herrschenden Auslegung von § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO. 4 Auf § 53 StPO nimmt auch die Begründung zum 3. StRÄndG (BTDrucks. 1/1307 S. 46) ausdrücklich Bezug. Aus dem Wortlaut, dem Sprachgebrauch oder Art. 137 WRV ergibt sich die genannte Beschränkung allerdings nicht zwingend. Sie folgt jedoch aus der Gesamtregelung des § 139, seiner Entstehungsgeschichte und dem von ihm verfolgten Zweck: Die Geistlichen sind, im Gegensatz zu den Angehörigen und den beruflichen Geheimnisträgern des Absatz 3, auch bei den in § 139 Abs. 3 S. 1 Nr. 1-3 genannten Delikten nicht anzeigepflichtig; das Gesetz legt ihnen ferner nicht die ausdrückliche Verpflichtung des § 139 Abs. 3 auf, den Täter von der geplanten Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden. Es geht vielmehr davon aus, dass es „selbstverständliche Pflicht" der Geistlichen ist, „auf andere Weise alles ihnen Mögliche zu tun, um eine ihnen in Ausübung der Seelsorge anvertraute geplante Straftat zu verhindern" (Begr. z. 3. StRÄndG aaO). Ein solches Verhalten ist bei den Geistlichen einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft zu erwarten; ob auch bei anderen, „steht dahin" (Heimanti-Trosien LK 9 Rdn. 5). Jedenfalls könnte es bei der Fülle bestehender Religionsgemeinschaften zu einer bedenklichen Ausweitung führen, wenn jeder Prediger einer Sekte oder jeder Funktionär einer religiösen Vereinigung in der umfassenden Form des § 139 Abs. 2 privilegiert wäre, von den dabei auftauchenden Abgrenzungsschwierigkeiten nicht zu reden. In Übereinstimmung mit den gesetzgeberischen Vorstellungen, der Entwicklungsgeschichte (Rdn. 5) und dem Ausnahmecharakter der Vorschrift muss daher angenommen werden, dass § 139 Abs. 2 auf Geistliche der anerkannten Religionsgemeinschaften beschränkt bleibt, mag das im Einzelfall auch zu Härten führen. Dass diese Beschränkung im Hinblick auf Art. 4 GG verfassungswidrig sein könnte (vgl. Westendorf S. 220 ff), ist nicht zu erkennen. Die Frage, welche Personen innerhalb des so abgesteckten Rahmens „Geistliche" (einer anerkannten Religionsgemeinschaft) sind, ist schwierig. Die Schwierigkeiten einer Bestimmung ergeben sich, gerade heute, aus den Problemen des Verständnisses vom geistlichen Amt in den verschiedenen Religionsgemeinschaften. Sie werden auch durch die Klausel von der „Eigenschaft als Seelsorger" kaum deutlicher, weil der Begriff des „Seelsorgers" letztlich nicht klarer ist, sondern eher zusätzliche Unsicherheiten bedingt, da die theologische Interpretation der „Seelsorge" Schwierigkeiten aufwirft, die (s. näher Rdn. 10 f) auf die rechtliche Interpretation zurückstrahlen. Immerhin deutet nicht nur der Umfang der strafrechtlichen Freistellung, sondern auch die Kombination der Begriffe „Geistlicher" und „Seelsorger" sowie der Umstand, dass die „berufsmäßigen Gehilfen" der „Geistlichen" nicht erfasst sind (s. Rdn. 9), darauf hin, dass der Gesetzgeber mit dem „Geistlichen" nur eine ausgewählte Personengruppe innerhalb derjenigen gemeint hat, die als sog. Religionsdiener im Bereich der anerkannten Religionsgemeinschaften tätig sind. Man wird vermuten dürfen, dass er - in Anlehnung an die Umgangssprache und im Hinblick auf den mit der Vorschrift vornehmlich bezweckten Schutz des Beichtgeheimnisses (Rdn. 5) - an amtierende Theologen gedacht hat, also insbesondere geweihte katholische Priester, ordinierte evangelische Pfarrer und berufene jüdische Rabbiner.

3

Hohmann MK Rdn. 7; Rudolpbi/Stein SK Rdn. 4; Fischer Rdn. 4; Ling GA 2 0 0 1 326; Schwarz S. 123 f; unklar Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 2; aA Eser in Listl/ Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchen-

4

rechts Bd. 2 2 1995, S. 1040 f; Westendorf S. 218 ff (eingehend und dezidiert). Dahs L R § 5 3 Rdn. 2 3 m.w.N.; eingehend und kritisch Haas N J W 1990 3253.

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Doch bleibt zu beachten, dass die Probleme aufgrund der innerkirchlichen Gegebenheiten komplizierter liegen bzw. geworden sind. So ist einerseits nicht notwendig jeder im Kirchendienst beschäftigte Theologe als „Geistlicher" tätig, weil dazu gehört, dass er nach Amt oder Funktion gegenüber den Gläubigen zur Wortverkündung und zur Sakramentsverwaltung bestellt oder berufen ist. Vor allem aber sind nach kirchlichem Recht vielfach auch andere Personen als Priester oder Pfarrer befugt oder beauftragt, spezifisch „geistliche" Aufgaben der Wortverkündung und sogar der Sakramentsverwaltung wahrzunehmen (dazu z.B. Ling KuR 2 0 0 8 70, 73; Fischedick DÖV 2 0 0 8 584, 587). Bei diesen Gegebenheiten dürfte heute davon auszugehen sein, dass der Priester, Pfarrer oder Rabbiner für den Begriff des „Geistlichen" allenfalls eine Art Leitbild darstellt. Ihnen müssen im Bereich des § 139 Abs. 2 einmal solche Personen gleichgestellt werden, die in Ausnahmesituationen in vergleichbarer Weise geistliche Funktionen auszuüben berechtigt sind (z.B. als Spender der sog. Nottaufe). Insbesondere aber müssen als Geistliche i.S. des § 139 Abs. 2 auch diejenigen gelten, die anstelle von Priestern oder Pfarrern oder neben ihnen ständig geistliche Aufgaben durchführen, wenn damit eine vergleichbare Befugnis zur eigenständigen Wortverkündung und zur Spendung von Sakramenten verbunden ist und die Aufgabe nach innerkirchlicher Regelung einen ausgebildeten Theologen verlangt. In diesem Sinne haben für § 53 StPO neuerdings auch der BGH und das BVerfG im Fall eines als Gefängnisseelsorger bestellten katholischen Gemeindereferenten entschieden. 5 So sind im Bereich der katholischen Kirche jedenfalls nach dem II. Vatikanischen Konzil „Geistliche" nicht nur Bischöfe und Priester, sondern auch ständige Diakone (als Kleriker mit abgestufter geistlicher Vollmacht 6 ); bei Pastoralreferenten dürfte es für die Eigenschaft als „Geistliche" i.S. des § 139 Abs. 2 auf die konkrete Art der „Sendung" (Beauftragung) gemäß dem Rahmenstatut der Dt. Bischofskonferenz 7 ankommen, so etwa auf das Maß der Verantwortlichkeit in Gemeinden, für die kein eigener Priester zur Verfügung steht. Im evangelischen Bereich ist der Diakon überkommener Prägung (als Beauftragter für soziale Aufgaben) kein „Geistlicher", wohl aber der Pfarrvikar nach abgelegter Amtsprüfung, der in ein übergemeindliches Pfarramt berufene „Sonderpfarrer" und der Inhaber eines höheren geistlichen Amts (Superintendent, Bischof). 8 Die „berufsmäßigen Gehilfen" der „Geistlichen" fallen nicht unter § 139 Abs. 2. Dies ergibt sich - wenn nicht schon aus dem Begriff des „Geistlichen" und seiner „Eigenschaft als Seelsorger" - eindeutig aus dem Fehlen einer entsprechenden Vorschrift nach Art des § 203 Abs. 3 S. 1 und des § 53a StPO sowie - seit dem Gesetz v. 27.12.2003 (unten Rdn. 24) - insbesondere im Umkehrschluss aus der Regelung des Absatz 3 Satz 3. Der Gesetzgeber hat die Freistellung von der Anzeigepflicht nur als höchstpersönlichen Konflikt des „Geistlichen" und nur in bezug auf das verschwiegene Zwiegespräch mit ihm anerkannt.

5

6

BGHSt 51 1 4 0 = N J W 2 0 0 7 3 0 7 = N S t Z 2 0 0 7 2 7 5 mit Anm. Bussenius/Dahs = JR 2 0 0 7 1 7 0 mit Anm. Schroeder; BVerfG (Kammer) N J W 2 0 0 7 1 8 6 5 ; dazu eingehend Radtke Z e v K R 2 0 0 7 6 1 7 ; de Wall N J W 2 0 0 7 1 8 5 6 ; Fischedick D Ö V 2 0 0 8 5 8 4 ; Ling KuR 2 0 0 8 70. Vgl. Aymans: Listl/Müller/Schmitz (Hrsg.) Grundriss des nachkonzilaren Kirchenrechts, 1 9 8 0 , S. 1 2 7 ff. - Katholische Hilfsgeistliche

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(Pfarrvikare) gehören als Kleriker stets zu den „Geistlichen". Vgl. Aymans a a O S. 131; Heinemann in: Listl/ Müller/Schmitz (Hrg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 1 9 8 3 , S. 4 8 1 . Z u m Vikar, zum „Sonderpfarrer" und zu den höheren geistlichen Ämtern in der evangelischen Kirche vgl. Stein Ev. Kirchenrecht 3 , 1 9 9 2 , S. 1 0 9 f, 1 0 7 f, 141 ff.

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§ 139

Die Konsequenz dieser Regelung ist durchaus fragwürdig: Sie führt dazu, dass selbst die nur als „verlängerter A r m " des „Geistlichen" tätige Sekretärin oder Gemeindehelferin, die von dem im Zwiegespräch anvertrauten Geheimnis erfährt, gemäß § 138 zur Anzeige verpflichtet ist, obwohl z.B. nach dem Codex Iuris Canonici (Can. 9 8 3 § 2) jeder zur Wahrung des Beichtgeheimnisses verpflichtet ist, der davon auf irgendeine Weise erfährt. Denn da Dritte von der Anzeigepflicht des § 138 nicht freigestellt sind, besteht diese Pflicht für sie als eigene Pflicht, sobald sie, aus welchem zufälligen oder absichtlichen Grund auch immer, von der geplanten Tat glaubhaft erfahren (s. LK § 138 Rdn. 67). Es gibt bei dieser Gegebenheit nach geltendem Recht keine Möglichkeit, sie nur als straflose Teilnehmer an der (s. Rdn. 13) nicht tatbestandsmäßigen oder nicht rechtswidrigen Haupttat des „Geistlichen" anzusehen. Der „Geistliche" muss daher hier auf äußerste Geheimhaltung bedacht sein, wenn er nicht eine Aushöhlung des SeelsorgeGeheimnisses riskieren will. Er macht sich im Übrigen, als weitere Folge dieser Rechtslage und unbeschadet seiner persönlichen Freistellung von der Anzeigepflicht, u.U. als Teilnehmer an der Tat seines berufsmäßigen Gehilfen strafbar, wenn er dessen Verletzung der Anzeigepflicht vorsätzlich hervorruft oder fördert (s. näher LK § 138 Rdn. 68). 3. Anvertraut „in seiner Eigenschaft als Seelsorger". Das Gesetz verlangt - wie bei § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO und ähnlich wie bei den Schweigepflichtigen des § 2 0 3 - , dass dem Geistlichen das Verbrechensvorhaben „in seiner Eigenschaft als Seelsorger" anvertraut wird. Dies wirft, wie schon angedeutet (Rdn. 7), gerade im Zeichen des heutigen theologischen Verständnisses von den Mitteln und dem Umfang des spezifisch Seelsorgerischen Probleme auf, die noch wenig geklärt sind.

10

Grundsätzlich erfasst die Seelsorge die gesamte religiöse Betreuung, also nicht nur die (Ohren-)Beichte, die zudem nicht alle Religionsgemeinschaften kennen (Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 6; vgl. dazu auch Baldus Niederschriften Bd. 6, S. 127). Eine solche religiöse Betreuung aber kann nach theologischer Übung auch mit durchaus „weltlichen" Mitteln oder in bezug auf durchaus „weltliche" Ziele erfolgen (Mittel der Psychologie, der Psychotherapie, der sozialen Hilfe; Bezug auf Ehe- und Familienberatung oder auch auf den sonstigen äußeren Sozialbereich). Die herrschende Meinung versucht hier eine gewisse Einschränkung zu erreichen, indem sie verlangt, dass die Kenntniserlangung mit der seelsorgerischen Tätigkeit in unmittelbarem Zusammenhang steht. Daher soll nicht nur ausscheiden, was dem Geistlichen „sonst in amtlicher Eigenschaft" bekanntgeworden ist, z.B. als Vertreter der Kirchengemeinde ( H e i m a n n - T r o s i e n aaO; Schwarz S. 124). Ausscheiden soll vielmehr auch, was er „aus karitativer, fürsorgerischer oder erzieherischer Arbeit" erfährt. 9 Diese letztere Differenzierung ist jedoch in dieser Form weder realistisch noch logisch (ablehnend auch Hohmann M K Rdn. 9; Westendorf S. 2 2 4 Fn. 6 7 ; vgl. auch Ling K u R 2 0 0 8 70, 7 2 f), weil sich ein wesentlicher Teil der speziellen seelsorgerischen Tätigkeit gerade im Rahmen oder gar in der Form der „karitativen, fürsorgerischen oder erzieherischen Arbeit" vollzieht. So muss Heimann-Trosien (aaO) auch anerkennen, dass „die Grenze hier allerdings fließend" ist, und er muss sogar zu dem ganz ungewöhnlichen und im materiellen Recht dogmatisch nicht vertretbaren Kunstgriff Zuflucht nehmen, dass „bei Zweifeln die dem Geistlichen günstigere Auslegung maßgebend" sei.

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BGHSt 51 140, 141 f (dazu oben Fn. 5); ebenso oder ähnlich Lackner/Kühl Rdn. 2; Eser

(oben Fn. 3) S. 1041; Rudolphi/Stein SK Rdn. 6; vgl. auch BGHSt 37 138, 140.

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Richtigerweise lässt sich eine Grenzziehung demgegenüber wohl nur durch die Unterscheidung gewinnen, ob die „karitative, fürsorgerische oder erzieherische Arbeit" eine abstrakt-verwaltende Tätigkeit darstellt oder ob sie - in welchen Zusammenhängen auch immer - aus religiösen Motiven mit einer direkten zwischenmenschlichen („seelsorgerischen") Zuwendung verbunden ist, in der sich das Entscheidende, ein „Anvertrauen" von Geheimnissen, vollziehen kann. Nur aber stets, wenn diese letztere Situation gegeben ist, liegt die vom Gesetz vorausgesetzte Beziehung vor. Sie ist dann ohne Rücksicht auf den Anlass und die Mittel der Seelsorge oder ihren Bezug, aber auch ohne das Hilfsmittel von der dem Geistlichen günstigeren Auslegung, zu bejahen. In echten Grenz- und Zweifelsfällen wird man dabei jedoch auf die Gewissensentscheidung des Geistlichen abstellen dürfen (BGHSt 51 140, 141 für § 53 StPO m.w.N.). 12

4. „Anvertraut". Anvertraut i.S. des Gesetzes ist jede als Vertrauensakt gedachte Mitteilung, deren Geheimhaltung verlangt oder stillschweigend vorausgesetzt wird. Erfasst werden daher nicht nur mündliche oder schriftliche Äußerungen. Vielmehr reicht auch das Gewähren von Gelegenheit zur Wahrnehmung und Beobachtung.10 Was der Geistliche nur gelegentlich eines Hausbesuchs zufällig erfährt (im Nebenzimmer wird ein Mord verabredet), ist ihm jedoch nicht in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut (Schwarzhaupt Niederschriften Bd. 6, S. 127; Westendorf S. 224), und zwar selbst dann nicht, wenn er es nach Kirchenrecht geheimzuhalten hat.

13

5. Rechtsnatur. Sehr umstritten ist, ob § 139 Abs. 2 den Tatbestand des § 138 einschränkt oder nur einen Rechtfertigungsgrund enthält. Praktisch ist die Frage indes ohne große Bedeutung (vgl. auch Rudolphi/Stein SK Rdn. 3; Schwarz S. 216), wenn man mit der Rechtsprechung und dem überwiegenden Schrifttum den Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes als oder wie einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum behandelt (sog. eingeschränkte Schuldtheorie), weil die unterschiedliche Einordnung auch für die Strafbarkeit eines „Teilnehmers" an der Tat des Geistlichen durchweg nicht von Belang ist (Schwarz aaO; s. oben Rdn. 9 und § 138 Rdn. 67 f). Aus dogmatischer Sicht lässt sich die Streitfrage wohl verschieden beantworten. Doch dürften insgesamt die besseren Gründe für die Annahme eines Rechtfertigungsgrundes sprechen (näher Schwarz aaO), und zwar insbesondere vielleicht, weil es sich um die doch sehr spezielle und enge Lösung eines Sachkonflikts zwischen widerstreitenden Pflichten handelt. Von einer solchen Be trachtung ist erkennbar auch der Gesetzgeber ausgegangen (Antrag Arndt in der 2. Lesung des 3. StRÄndG, 265. Sitzung des Bundestags v. 12.5.1953, Sten. Protokolle S. 13017). Sie entspricht heute auch der herrschenden Ansicht.11

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 5. Vgl. auch BGHSt 3 3 140, 150 = J R 1986 33 mit Anm. Hanack; RGSt 13 60; 6 6 2 7 3 jeweils zu § 53 StPO und § 2 0 3 bzw. § 3 0 0 a.F. Hohmann MK Rdn. 6; Lackner/Kühl Rdn. 2; Rudolphi/Stein SK Rdn. 3; Fischer Rdn. 4; Jescheck/Weigend § 5 9 VIII1; Maurach/ Schroeder/Matwald 2 § 98 Rdn. 25; Schwarz

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S. 125 ff m.w.N.; wohl auch Welzel S 76 12; aA Ostendorf NK Rdn. 15; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Roxin AT I s 2 2 Rdn. 135 Fn. 184; Bloy S. 135 Fn. 1; Kielwein GA 1955 231; wohl auch Schöne S. 166 ff; Westendorf S. 2 4 4 ff bejaht einen Entschuldigungsgrund.

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IV. Die Anzeigepflicht von Angehörigen (Absatz 3 Satz 1) 1. Allgemeines. „Straffrei" ist nach Absatz 3 Satz 1, wer die Anzeige gegen einen Angehörigen unterlässt, wenn er sich ernsthaft bemüht hat, ihn von der Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden, es sei denn, dass eine der in Satz 1 Nr. 1-3 genannten Taten droht. Die „Straffreiheit" ist hier also, anders als beim Geistlichen, in mehrfacher Weise begrenzt. Die Regelung löst wiederum einen Interessenkonflikt, und zwar im Hinblick auf die Situation des Angehörigen, der im Falle der Anzeige einen nahen Angehörigen der Bestrafung oder mindestens der Verachtung der Umwelt aussetzen oder auch die familiäre Atmosphäre vergiften müsste (vgl. BGH FamRZ 1958 211). Das Gesetz entscheidet diesen Konflikt seit dem 3. StRÄndG durch weitgehende, aber eben nicht ausnahmslose Rücksicht auf den Angehörigen (zur Entwicklungsgeschichte näher Geilen JuS 1965 431; Westendorf S. 226). Die Möglichkeit, Straffreiheit auch gemäß Absatz 4 zu erlangen, wird durch die Regelung nicht berührt. Sehr umstritten ist wiederum die Rechtsnatur der Vorschrift (dazu unten Rdn. 23).

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2. „Gegen einen Angehörigen". Straffrei bleibt nur, wer die Anzeige gegen einen „Angehörigen" (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 1) richten müsste. Für die Anzeige gegen eine „andere nahestehende Person" (vgl. § 35) gilt dies also nicht, was - insbesondere nach Einbeziehung der Partner einer eingetragenen Lebensgemeinschaft i.S. des § 1 LPartG in die Begriffsbestimmung des § 11 Abs. 1 Nr. 1 - in der Sache zu Unzuträglichkeiten führen kann, angesichts der nicht erweiterungsfähigen Regelung nach geltendem Recht aber wohl nicht zu ändern ist. Schwierigkeiten machen Fälle, in denen an der geplanten Tat mehrere beteiligt sind, aber nur einer der Beteiligten Angehöriger des Mitwissers ist. Heimann-Trosien (LK9 Rdn. 13; vgl. auch RG JW 1936 1606 für die Begünstigung nach § 257 Abs. 2 a.F.) hat angenommen, da hier die Zwangslage gegenüber den übrigen Beteiligten nicht bestehe, werde man „im Hinblick auf die Schwere der in Betracht kommenden Taten" „wohl doch verlangen müssen", dass der Pflichtige „jene Mitbeteiligten anzeigt und das Wagnis einer Verwicklung seines Angehörigen in Kauf nimmt". Die herrschende Meinung folgt dem nicht,12 weil auch in diesem Fall regelmäßig die spezifische Zwangslage bestehe, der das Gesetz Rechnung tragen wollte (wie an sich auch Heimann-Trosien nicht verkennt). In der Tat ist aus diesem Grunde anzunehmen, dass Absatz 3 Satz 1 auch für die geschilderte Fallkonstellation gelten muss. Eine Ausnahme besteht entsprechend der Ratio des Gesetzes allerdings, wenn eine strafrechtliche Verfolgung des Angehörigen im Einzelfall ausgeschlossen erscheint. Diese Voraussetzung dürfte selten gegeben sein, ist aber immerhin denkbar. Sie kommt in Betracht, wenn die Anzeige den beteiligten Angehörigen noch nicht oder nicht mehr belasten würde, z.B. weil er noch nicht wegen Vorbereitung strafbar ist oder weil er bereits strafbefreiend zurückgetreten ist, unter besonderen Gegebenheiten vielleicht aber auch dann, wenn die Gefahr seiner Strafverfolgung durch eine nur gegen die Mitbeteiligten gerichtete Anzeige nach den konkreten Verhältnissen mit hinreichender Sicherheit verneint werden kann (ebenso Hohmann MK Rdn. 18).

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Auf einem anderen Blatt steht die schwierige Frage, ob § 139 Abs. 3 S. 1 auch dann herangezogen werden kann, wenn zwischen dem Mitwisser, dem Planenden und dem

12

Hohmann MK Rdn. 13; Lackner/Kühl Rdn. 3; Ostendorf NK Rdn. 22; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Cramer/

Sternberg-Lieben Rdn. 4; Geilen JuS 1965 4 3 0 ; Schwarz S. 130; Westendorf S. 2 2 9 f.

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Bedrohten ein Angehörigenverhältnis mit entsprechenden Garantenpflichten besteht, die Vorschrift also diese Garantenpflicht berührt; s. dazu BGH JR 1964 225 m. Anm. Schröder (in BGHSt 19 167 insoweit nicht abgedruckt); Geilen JuS 1964 385, 386; Schwarz S. 127 Fußn. 5. 18

3. „Ernsthaftes Bemühen" um Tatverhinderung. Das Gesetz verlangt, dass sich der Angehörige ernsthaft bemüht, den Planenden von der Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden. Ob das Bemühen glückt oder nicht, ist gleichgültig; entscheidend ist allein, dass der Angehörige entsprechende Anstrengungen unternommen hat. Das „ernsthafte" Bemühen unterscheidet sich in der Sache nicht von dem „ernstlichen", auf das das Gesetz bis zum EGStGB abstellte (bloße Sprachvereinheitlichung, vgl. schon Ε 1962, S. 635). Auf ein „ernsthaftes Bemühen" kommt es auch bei § 139 Abs. 4 S. 2 sowie - in verschiedenen Zusammenhängen - bei zahlreichen anderen Vorschriften an, so z.B. bei § 24 oder bei den §§ 83a Abs. 3, 84 Abs. 5 , 1 2 9 Abs. 6, 314a Abs. 4. Voraussetzung für die Pflicht zum „ernsthaften Bemühen" nach Absatz 3 ist stets, dass der Angehörige von der geplanten Tat i.S. des § 138 „glaubhaft erfährt", was nach dem Bild der Praxis offenbar gerade in diesem Bereich nicht selten tatsächliche Schwierigkeiten aufwirft (s. LK § 138 Rdn. 18, auch 61).

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Was unter „ernsthaftem Bemühen" zu verstehen ist, hängt bei § 139 weitgehend von den Umständen des Einzelfalles ab (Schwarz S. 128; Westendorf S. 231). Der Pflichtige muss jedenfalls alles tun, was geboten und ihm zumutbar ist, um den Angehörigen zum Abstehen von dem Vorhaben zu veranlassen. Bloßes Abraten und Warnen genügt in der Regel nicht. 13 Vielmehr muss der Pflichtige alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ausschöpfen, gegebenenfalls auch mit Anzeige drohen (Schwarz und Westendorf aaO). Dabei ist jedoch kein rein objektiver Maßstab anzulegen, sondern auch auf die Person des Anzeigepflichtigen, sein Können und sein Wissen Rücksicht zu nehmen.14

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Nach diesen Grundsätzen ist auch die Streitfrage zu lösen, ob solche Bemühungen selbst dann erforderlich sind, wenn mit Sicherheit vorauszusehen ist, dass sie erfolglos sein werden: „Sie sind nicht zu verlangen, wenn der Verpflichtete unter Berücksichtigung alles dessen, was ihm zuzumuten ist, keine Möglichkeit zu sehen vermag, die er hätte ausschöpfen können" (Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 9). 1 5 Entscheidet man anders, müsste man im Übrigen mit}escheck/Weigend § 60 I 2 dem Angehörigen einen Irrtum über die Handlungspflicht wohl stets zugute halten.

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Das ernstliche Bemühen muss darauf gerichtet sein, den Planenden „von der Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden". Entgegen wohl Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 12 greift dabei die Pflicht zum Bemühen um Erfolgsabwendung nicht notwendigerweise erst ein, wenn eine vorherige Einwirkung auf den Angehörigen gescheitert ist. Nach dem Gesetz stehen vielmehr beide Möglichkeiten an sich gleichberechtigt nebeneinander, so dass - aus gutem Grund - die „Straffreiheit" auch dann eintritt, wenn der Pflichtige auf den Angehörigen gar nicht einwirkt, sondern ein anderes sicheres Mittel benutzt, um später die Tat zu verhindern. Zu beachten ist freilich, dass der Angehörige stets den Weg

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Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 11; Rudolphi SK 7 Rdn. 9; Schwarz S. 128. Heimann-Trosien aaO: Geilen FamRZ 1964 391; Schwarz S. 128 Fn. 9. Ebenso heute die h.M.: Hohmann MK Rdn. 14; Rudolphi/Stein SK Rdn. 11, 8; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben

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Rdn. 4; Fischer Rdn. 6; Geilen JuS 1965 4 3 0 ff; Westendorf S. 2 3 4 ff; aA Ostendorf NK Rdn. 2 6 , der in Umkehr des Zweifelsgrundsatzes verlangt, dass sich der Angeklagte entlastet; Schwarz S. 129; nicht eindeutig BGHSt 19 295.

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einschlagen muss, der die meiste Aussicht hat, die drohende Rechtsgutsverletzung zu verhindern (vgl. LK § 138 Rdn. 36). Eine endgültige und sichere „Abstiftung" des Angehörigen kann dazu nach Lage des Einzelfalles geeigneter sein als z.B. eine anonyme Anzeige und die Mitteilung hiervon an den die Tat Planenden (vgl. Westendorf S. 231; Schwarz S. 129), die die Gefahr meist nicht völlig ausräumt. Doch kann gerade umgekehrt auch die „Abstiftung" eine so unsichere Sache sein, dass das Bemühen um eine spezifische Erfolgsabwendung größere Sicherheit verspricht. Im Einzelfall zu verlangen ist nach der ratio legis u.U. sogar, dass der Pflichtige in kritischen Fällen beide Abwehrmöglichkeiten nebeneinander ausnutzt (Schwarz aaO; Allgayer S. 35 m.w.N. zu § 2 RepublikschutzG 1930). 4. Anzeigepflichtige Delikte (Nr. 1-3). Die gesetzlich normierten Ausnahmen von der „Straffreiheit" des § 139 Abs. 3 sind erschöpfend, mag die Abgrenzung des Katalogs der stets anzeigepflichtigen Taten auch nicht unbedingt überzeugen (kritisch Dahs NJW 1976 2148; Fischer Rdn. 5 bezüglich § 129a). Die Einbeziehung der genannten Delikte einer terroristischen Vereinigung (s. „Entstehungsgeschichte") soll besonders gefährlichen Planungen in diesem Bereich begegnen.

22

Die Anzeigepflicht besteht auch hier nur unter den sonstigen Voraussetzungen des § 138 und vorbehaltlich des § 139 Abs. 4. Sie setzt im Übrigen voraus, dass der Pflichtige die tatsächlichen Umstände erkannt hat, die die gesetzlichen Merkmale der genannten Delikte ausmachen. Ein Irrtum über die rechtliche Subsumtion dieser tatsächlichen Voraussetzungen kommt ihm jedoch nach der Natur der Regelung grundsätzlich nicht zugute. Hingegen begründet die irrtümliche - tatsächliche oder rechtliche - Annahme, eine geplante Tat falle unter eines der aufgezählten Delikte, noch nicht die Ausnahme von der „Straffreiheit", weil es nach Wortlaut und Zweck des Gesetzes auf die objektiven Gegebenheiten, nicht aber (s. auch LK § 138 Rdn. 2) auf das Maß der rechtsfeindlichen Gesinnung des Pflichtigen ankommt. 5. Bedeutung der „Straffreiheit". Wie bei den Geistlichen (Absatz 2; oben Rdn. 13), den beruflichen Geheimnisträgern (Absatz 3 Satz 2; unten Rdn. 31) sowie den Fällen des Absatz 4 (unten Rdn. 37) ist auch bei den Angehörigen der Rechtsgrund der Straflösigkeit lebhaft umstritten. Die wohl herrschende Meinung bejaht, mit zum Teil etwas unterschiedlicher Begründung, einen Entschuldigungsgrund, weil es um den Ausgleich eines typischen Konflikts unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens gehe.16 Demgegenüber halten andere unter Hinweis auf Gesetzeswortlaut und Entstehungsgeschichte einen persönlichen Strafaufhebungsgrund für gegeben.17 Schöne (S. 166 ff) verneint die Tatbestandsmäßigkeit, weil es sich um eine generell typisierte Wertentscheidung handele. Auch Arzt/Weber BT § 46 Rdn. 17 i.V. mit Rdn. 4 bejahen einen Ausschluss des Tatbestands, jedenfalls aber der Rechtswidrigkeit. Dazu näher und ablehnend Westendorf S. 237 f.

16

Hohmann MK Rdn. 11; Ostendorf NK Rdn. 22; Rudolphi/Stein SK Rdn. 10; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Jescheck/Weigend § 4 2 II 1; Roxin AT I § 22 Rdn. 135 Fn. 184; Schmidhäuser BT 16/29; WestendorfS. 241; Bloy S. 129 ff

17

(der aber auch eine Unrechtsmilderung annimmt); Geilen JuS 1965 431 f; Schwarz S. 131 ff. Lackner/Kühl Rdn. 3; Fischer Rdn. 5; Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 98 Rdn. 16; Otto BT § 6 7 3 IV c.

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23

§ 139

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Die speziellen Voraussetzungen und die Einschränkungen, von denen § 139 Abs. 3 S. 1 die Straflosigkeit abhängig macht, deuten darauf hin, dass es sich im Kern um ein Zumutbarkeitsproblem, also einen Entschuldigungsgrund handelt. Da mit einer solchen Betrachtung auch Irrtümern des Angehörigen im Bereich der normativen Wertung am besten begegnet werden kann und der gegenteilige Wortlaut des Gesetzes nicht unbedingt zwingend ist (vgl. Schöne S. 168), sprechen (im Anschluss insbesondere an Geilen JuS 1965 431 f) die überzeugendsten Gründe wohl für die Annahme eines Entschuldigungsgrundes.

V. Anzeigepflicht beruflicher Geheimnisträger (Absatz 3 Satz 2, 3) 24

1. Allgemeines. „Unter denselben Voraussetzungen" wie die Angehörigen sind die in Absatz 3 Satz 2 genannten Berufspersonen „nicht verpflichtet anzuzeigen, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden" ist. Die Regelung berücksichtigt die besondere Bedeutung des Berufsgeheimnisses bei diesen Personen. Ihre Besserstellung war noch im Ε 1927 und im Ε 1930 als zu weigehend abgelehnt worden, während das RepublikschutzG 1930 sie immerhin „straffrei" stellte. Die Freistellung erstreckt sich seit dem Gesetz v. 27.12.2003 (s. „Entstehungsgeschichte") auch auf die berufsmäßigen Gehilfen der privilegierten Berufsträger sowie die bei ihnen zur Berufsvorbereitung tätigen Personen (Satz 3; dazu Rdn. 29a ff). Die zeitgemäße Neuregelung (dazu BTDrucks. 15/1311, S. 23) beseitigt eine gefährliche Konsequenz des früheren Rechts, nach dem jede Wahrnehmung des geschützten Geheimnisses durch eine Hilfsperson, z.B. beim Diktat für das Krankenblatt oder die Handakte, unweigerlich deren Anzeigepflicht auslöste (näher LK 11 Rdn. 24).

25

2. Erschöpfende Aufzählung; Umgrenzung. Die Aufzählung der freigestellten Personen ist, wie schon angedeutet, erkennbar abschließend gemeint. Es ist daher nicht zulässig, verwandte Berufe einzubeziehen, wie sie etwa in § 203 Abs. 1, 2, in § 53 Abs. 1 Nr. 3-5 StPO oder in § 383 Abs. 1 Nr. 5 u. 6 ZPO genannt sind. Danach fallen nicht unter § 139 z.B. Patentanwälte, Notare, Rechtsberater, Redakteure (BVerfG NJW 1966 1603, 1614, beiläufig), aber auch nicht (s. Rdn. 28) Zahnärzte und Heilpraktiker.

26

Im Einzelnen gilt danach folgende Umgrenzung: Rechtsanwälte sind die durch Urkunde (§ 12 BRAO) zur Rechtsanwaltschaft zugelassenen Personen, solange die Zulassung nicht gemäß §§ 13 ff BRAO erloschen oder zurückgenommen ist. Ein Berufs- oder Vertretungsverbot (§§ 150 ff BRAO) hat diese Wirkung nicht, dürfte daher die Anwendbarkeit des § 139 Abs. 3 S. 2 nicht ausschließen. Den zugelassenen Rechtsanwälten gleichgestellt sind amtliche Vertreter (§ 53 BRAO) sowie zur Abwicklung der Kanzlei eines gestorbenen oder früheren Rechtsanwalts bestellte Personen (§ 55 BRAO). Gleichgestellt sind auch Anwälte aus den EG-Staaten, gemäß §§ 2 ff, aber auch gemäß §§ 25 ff des EuRAG v. 9.3.2000, BGBl. I 182. 18 Zum Rechtsanwalt, der im Einzelfall von einer Verteidigung ausgeschlossen ist, s. den folg. Text.

18

Denn die in § 2 5 ff erfassten Anwälte sind, unbeschadet der ihnen auferlegten Beschränkungen, immerhin als solche tätig.

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Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten

§ 139

Verteidiger sind Personen, die in Straf- oder Bußgeldsachen zu Verteidigern gewählt, zugelassen oder bestellt worden sind (§§ 138 Abs. 1 und 2, 139, 141 StPO; § 46 Abs. 1 OWiG). Beistände (§ 149 StPO) gehören dazu nicht. Verteidiger, die nach §§ 138a ff StPO von der Verteidigung im Einzelfall ausgeschlossen sind, haben im Umfang des Ausschlusses die Befugnisse eines Verteidigers nicht, so dass ihnen insoweit auch § 139 Abs. 3 S. 2 nicht zugute kommt. Gleiches muss für den vorläufigen Ausschluss gelten (§ 138c Abs. 3 StPO), weil er ein Ruhen der Verteidigerrechte bedingt und das Gericht für die Dauer der Anordnung zur Bestellung eines anderen Verteidigers verpflichtet. Diese Regelung bezieht sich ihrer Natur nach auch auf verteidigende Rechtsanwälte (aA Hobmann MK Rdn. 17).

27

Arzte sind nur die nach § 3 BundesärzteO (BÄO) oder nach früherem Recht (vgl. § 14 BÄO) ordnungsgemäß bestellten Medizinalpersonen; ihnen gleichgestellt sind Personen, denen gemäß § 10 BÄO eine Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs erteilt worden ist, jedoch nur im Umfang dieser Erlaubnis. Wird die Bestellung rechtswirksam zurückgenommen, widerrufen oder ist durch vollziehbare Verfügung (vgl. § 6, § 13 BÄO) ihr Ruhen angeordnet, ist die Eigenschaft als Arzt nicht mehr gegeben, also auch § 139 Abs. 3 S. 2 unanwendbar. Nicht zu den „Ärzten" rechnen, so ungereimt das in der Abgrenzung und im Einzelfall bisweilen sein mag, Zahnärzte, Heilpraktiker, Hebammen und Wochenpflegerinnen. Denn die Stellung dieser Personen ist von denen der „Ärzte" rechtlich durch besondere Gesetze abgehoben.

28

Psychotherapeuten sind von Absatz 3 Satz 2 nicht generell, sondern (seit dem Gesetz v. 27.12.2003, s. „Entstehungsgeschichte") nur hinsichtlich der durch das PsychThG v. 16.6.1998 (BGBl. I 1311) neu geschaffenen Berufe des Psychologischen Therapeuten sowie des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten erfasst. Beide Berufe haben nach dem PsychThG einen genau umschriebenen Tätigkeitsbereich (§ 1 Abs. 3) und setzen eine spezielle Approbation voraus (§2).

28a

3. Voraussetzungen der Freistellung. Sie sind zunächst „dieselben" wie bei Absatz 3 Satz 1, d.h. der Pflichtige muss sich i.S. dieser Vorschrift „ernsthaft bemüht" haben (Rdn. 18 ff), und es darf keines der in Absatz 3 Satz 1 Nr. 1-3 bezeichneten Delikte vorliegen (Rdn. 22). Hat sich der Pflichtige „ernsthaft bemüht", tritt, wie bei den Angehörigen (oben Rdn. 18), in dem genannten Umfang die Straflösigkeit auch dann ein, wenn das Bemühen misslingt. Hinzukommen muss, dass dem beruflichen Geheimnisträger die geplante Tat „in dieser Eigenschaft anvertraut worden ist". Die Mitteilung muss also speziell im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit erfolgt sein, so dass z.B. ein „Gespräch unter Freunden" nicht reicht (Schwarz S. 138), falls es im Einzelfall nicht doch entscheidend durch den beruflichen Zusammenhang geprägt ist. Es bestehen trotz der Unterschiedlichkeit der Gesetzeszwecke keine Bedenken, zur Interpretation der Klausel die reichhaltigen Auslegungsergebnisse zu den entsprechenden Formulierungen in § 203 Abs. 1 sowie in § 53 Abs. 1 StPO heranzuziehen. Darauf zu achten ist jedoch, dass hier, anders als bei den genannten Bestimmungen und bei Satz 3, nur das „Anvertrauen" erfasst wird, nicht auch das (sonstige) „Bekanntgeworden"-Sein (dazu Ostendorf NK Rdn. 17, der aber Mitteilungen über Dritte wohl zu Unrecht generell ausschließt).

29

4. Berufsmäßige Gehilfen; zur Berufsvorbereitung Tätige. Ihre Einbeziehung durch das Gesetz v. 27.12.2003 (vgl. Rdn. 24) bedeutet eine außerordentliche Erweiterung des von der Anzeigepflicht freigestellten Personenkreises. Sie wirft erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten auf. Zweifelhaft ist, ähnlich bei § 203 (s. die dort. Erl.), insbesondere, ob

29a

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§ 139

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

„berufsmäßig" eine haupt- oder nebenberufliche Einbindung des Gehilfen verlangt oder ob damit schon jede Unterstützung der in Abs. 3 Satz 2 genannten Personen in ihrer speziellen beruflichen Tätigkeit gemeint ist. Für das Letztere spricht entscheidend, dass es nach dem Sinn der Regelung um den erweiterten Schutz des Berufsgeheimnisses dieser Personen geht, der Schutz aber nicht von der formalen (arbeitsrechtlichen) Stellung des Berufshelfers abhängig ist, sondern allein durch die Art seiner Mitwirkung an der Arbeit des Berufsträgers bestimmt wird. Daher ist z.B. auch die ohne Arbeitsvertrag gelegentlich in der Praxis mithelfende Ehefrau des Arztes grundsätzlich erfasst. 29b

Einbezogen ist nach dem Gesagten das gesamte interne Personal des Berufsträgers, soweit es an dessen Berufsausübung unmittelbar unterstützend teilnimmt, nach der Art dieser Tätigkeit also im direkten Bereich der vertrauensbegründenden Beziehung tätig ist. Nicht erfasst werden demgegenüber externer Helfer, denen gegenüber ein Direktionsrecht des Berufsträgers nicht besteht, sowie Helfer, die lediglich für die äußeren Bedingungen der Berufstätigkeit zuständig sind, z.B. Pförtner und Reinigungskräfte.

29c

Zur Berufsvorbereitung tätige Personen müssen nicht notwendig einen der in Satz 2 genannten Berufe anstreben (Fischer Rdn. 10). Es genügt trotz des etwas missverständlichen Gesetzeswortlauts jedenfalls auch die Ausbildung zum Beruf eines „berufsmäßigen Gehilfen" (z.B. als Schwesterschülerin). Erforderlich ist jedoch auch hier (vgl. Rdn. 29b), dass die Berufsvorbereitung in den direkten Bereich der vertrauensbegründenden Beziehung des Berufsträgers einbezogen ist.

29d

„Bekannt geworden" muss den im Satz 3 Genannten die geplante Tat i.S. des § 138 sein, und zwar (dazu Rdn. 29) in beruflicher Eigenschaft. Dass ihnen die entsprechenden Umstände i.S. des Satz 2 „anvertraut" worden sind, verlangt das Gesetz nicht. Ihnen „bekannt geworden" ist freilich auch das, was ihnen im Einzelfall (in ihrer beruflichen Eigenschaft) besonders anvertraut ist.

29e

Eine Pflicht zum ernsthaften Bemühen um Tat- oder Erfolgsabwendung (vgl. Rdn. 29) besteht für die von Satz 3 erfassten Personen nicht (Fischer Rdn. 10); zu den überzeugenden Gründen dafür s. BTDrucks. 15/1311, S. 23.

30

5. „Nicht verpflichtet"; Rechtsnatur. Nicht überzeugend ist die früher gelegentlich vertretene Ansicht (Kielwien GA 1955 231; vgl. auch Kohlrausch/Lange Anm. IV, V), die Gesetzesformulierung von Satz 2 solle zum Ausdruck bringen, dass die berufliche Verschwiegenheitspflicht der Anzeigepflicht stets vorgehe. Die Worte „nicht verpflichtet" besagen dies nicht, schon weil die Pflicht zur Anzeige in allen Fällen des § 138 - also nicht nur bei den in § 139 Abs. 3 S. 1 Nr. 1-3 genannten Delikten - dann fortbesteht, wenn die Rechtsanwälte usw. sich nicht ernstlich um die Abwendung der geplanten Straftat bemüht haben (vgl. Welzel § 76 I 4 d; Schöne S. 168). Das Gesetz räumt ihnen im Hinblick auf ihre besondere Vertrauensstellung und ihre Verschwiegenheitspflicht nur „gleichsam ein dem gewöhnlichen' Mitwisser nicht zustehendes zusätzliches Wahlrecht" ein (Schwarz S. 133); erstatten sie eine Anzeige, entsprechen sie ihrer Pflicht aus § 138 und können nicht nach § 203 zur Verantwortung gezogen werden.19

31

Die geschilderte Frage nach dem Verhältnis von Verschwiegenheitspflicht und Anzeigepflicht berührt sich mit der weiteren Frage nach der Rechtsnatur des § 139 Abs. 3 S. 2 und 3. Sie ist, wie bei den Geistlichen (oben Rdn. 13), den Angehörigen (oben Rdn. 23) und den Fällen des Absatz 4 (unten Rdn. 37), speziell für Satz 2 wiederum

19

Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 21; Schwarz S. 133; vgl. auch LK § 138 Rdn. 65.

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Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten

§ 139

äußerst umstritten. Klar ist allerdings, wie schon der von Absatz 3 Satz 1 abweichende Gesetzeswortlaut nahelegt, dass es sich hier jedenfalls im Kern nicht um eine Zumutbarkeitsproblematik, also einen Entschuldigungsgrund, handelt (anders aber Westendorf S. 244), weil die Freistellung erkennbar aus ganz anderen Gründen erfolgt als bei den Angehörigen. Gestritten wird hingegen darüber, ob die Gesetzesregelung den Tatbestand entfallen lässt, wenn sich der Rechtsanwalt usw. „ernsthaft bemüht" hat, 20 ob sie einen Rechtfertigungsgrund darstellt21 oder ob sie nur einen persönlichen Strafaufhebungsgrund bedeutet.22 Eine Einschränkung des Tatbestandes anzunehmen, erscheint beim Gesamtcharakter der Regelung noch schwerer angängig als beim Geistlichen (oben Rdn. 9). Hingegen entspricht es dem Wortlaut wie dem erkennbaren Gesetzeszweck, einen Rechtfertigungsgrund zu bejahen, weil es um die gesetzliche Lösung einer Sachkollision zwischen verschiedenen Rechtsgütern und die Bedeutung des Berufsgeheimnisses geht; dies war auch die Absicht des Bundestages, als er auf Antrag Arndts bei der 2. Lesung des 3. StRÄndG den zunächst vorgesehenen Begriff „straffrei" durch „nicht verpflichtet" ersetzte (Sten. Prot, der 265. Sitzung, S. 13017; vgl. Dreher J Z 1953 427).

VI. Straffreiheit durch Abwendung oder ernsthaftes Bemühen (Absatz 4) 1. Allgemeines. Die - wenig glücklich formulierte und eingeordnete - Bestimmung räumt dem Täter ein gewisses Wahlrecht ein. Will er, aus welchen Gründen auch immer, seiner Anzeigepflicht nach § 138 nicht genügen, z.B. weil er eine Bloßstellung des Planenden scheut, so kann er dennoch „Straffreiheit" dadurch erlangen, dass er die Durchführung der Tat verhindert. Jedoch hat er das Wagnis dieser Wahl zu tragen (näher Bloy S. 137; Schöne S. 150): Misslingt sein Abwendungsbemühen, wird er aus § 138 bestraft, falls nicht die Ausführung oder der Erfolg der Tat ohne sein Zutun unterbleibt und er sich um Erfolgsabwendung ernstlich bemüht hatte. Die Vorschrift gilt grundsätzlich für alle Anzeigepflichtigen und für alle Delikte des § 138, also auch für die in § 139 Abs. 3 S. 1 genannten (Schwarz S. 149 f). Vorausgesetzt ist dabei selbstverständlich, dass die Anzeigepflicht wirklich besteht; fehlt es daran, z.B. weil auch eine Anzeige die Gefahr nicht mehr abwenden konnte (s. LK § 138 Rdn. 19 ff), führt auch der dennoch unternommene vergebliche Versuch der Tatverhinderung nicht zur Strafbarkeit (eingehend Schwarz S. 150 Fn. 7).

32

2. Abwendung der Tat (Satz 1). Der Anzeigepflichtige muss „die Ausführung oder 3 3 den Erfolg der Tat" „anders als durch Anzeige" gemäß § 138 „abwenden". Die „Abwendung" setzt grundsätzlich eine eigene Tätigkeit voraus. Misslingt sie, ist der Täter, wie bemerkt (Rdn. 32), strafbar, falls die Anzeigepflicht wirklich bestand und nicht Satz 2 eingreift; das Misslingen wird dabei regelmäßig unter dem Gesichtspunkt der „leichtfertigen" Anzeigeunterlassung gemäß § 138 Abs. 3 zu bestrafen sein (Schwarz aaO; Lange Niederschriften Bd. 6, S. 129 f), weil - und soweit - dem Pflichtigen der Vor-

20

11

So Ostendorf NK Rdn. 14; Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Roxitt AT I § 22 Rdn. 135 Fn. 184; Kielwein GA 1955 2 2 9 ; Schöne S. 166 ff. So Heimann-Trosien aaO; Hohmann MK Rdn. 16; Lackner/Kühl Rdn. 2; Rudolphi/

22

Stein SK Rdn. 3; Fischer Rdn. 7; Jescheck/ Weigend § 5 2 II 2 ; Otto BT § 6 7 Rdn. 38; einschränkend Schwarz S. 133 ff. So insbes. Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 98 Rdn. 2 6 ; Welzel 76 I 4b.

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§ 139

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

wurf zu machen ist, dass er statt der Anzeige den gefährlicheren Weg des § 139 Abs. 4 gewählt hat. Die „Ausführung oder der Erfolg der Tat" wird „anders als durch Anzeige" durch jede Vereitelung des Plans abgewendet. Geschehen kann das z.B. durch gutes Zureden auf den zur Tat Entschlossenen, durch Verstecken des Tatwerkzeugs (Schwarz S. 149), aber auch dadurch, dass der Pflichtige ohne eigentliche „Anzeige" (vgl. LK § 138 Rdn. 37) den Bedrohten zu ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen veranlasst oder aktiv zu seinen Gunsten eingreift (Schwarz aaO). 34

Die Abwendung „der Ausführung" und „des Erfolges" stehen gleichberechtigt nebeneinander (Schwarz S. 149). Der Pflichtige ist also nicht gehalten, in erster Linie „die Ausführung" zu verhindern (Schwarz aaO; wohl auch Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 6), mag dies in den meisten Fällen auch der sinnvollere, weil weniger riskante Weg sein. Zweifelhaft ist gerade in diesem Zusammenhang jedoch folgendes (vgl. auch Detert S. 54 f): Nimmt man das Gesetz beim Wort, müsste als - gleichberechtige Abwendung „des Erfolgs" z.B. reichen, dass der Pflichtige bis zur Verletzung des Mordopfers zuwartet und es gewissermaßen im letzten Augenblick dem rettenden Arzt zuführt, weil er auch dann den Erfolg des § 211, um den es bei § 138 allein geht, noch „abwendet". Dass dies nicht überzeugen kann, liegt auf der Hand (s. schon LK § 138 Rdn. 25). Man wird daher entgegen der h.M. (Hohmann MK Rdn. 24 m.w.N.) auch hier annehmen müssen, dass eine ausreichende Abwendung „des Erfolges" dann nicht mehr vorliegt, wenn der Pflichtige die Verletzung von Rechtsgütern hingenommen hat, die zwar als solche der Anzeigepflicht nach § 138 nicht unterliegen (§§ 223 ff), aber im Zusammenhang mit der geplanten Tat (§ 211) als ihr notwendiger Bestandteil mit erfasst sind.

35

3. Ernsthaftes Bemühen um Abwendung (Satz 2). Das Gesetz stellt - ähnlich wie in § 24 Abs. 1 S. 2, in § 31 Abs. 2 und z.B. in den §§ 83a Abs. 3, 84 Abs. 5, 129 Abs. 6, 239a Abs. 4 S. 2, 314a Abs. 4 - den Anzeigepflichtigen auch dann „straffrei", wenn sein „ernsthaftes Bemühen" vorliegt, „den Erfolg abzuwenden", falls die Tat „ohne (sein) Zutun" unterblieben ist. Es geschieht dies, weil es ungerecht wäre, das ernsthafte Bemühen nur deswegen nicht zu Buche schlagen zu lassen, weil die geplante Tat aus anderen Gründen unterbleibt und das Bemühen deswegen nicht zum Erfolg führen kann. Problematisch bleibt dabei, dass dies auch dann gilt, wenn der Pflichtige leichtfertig statt der Anzeige den Weg der sonstigen Erfolgsabwendung beschritten hat, weil die Leichtfertigkeit im Falle des § 138 Abs. 3 sonst ohne Rücksicht auf den Taterfolg strafbar ist (Arm. Kaufmann S. 234; vgl. auch Geilen Fam R Z 1964 392; Schwarz S. 154 f). Voraussetzung für die Anwendung des Satz 2 ist aber wie bei Satz 1, dass der Erfolg nicht eintritt, so dass auch insoweit eine gewisse Erfolgshaftung besteht. Aus welchen Gründen es nicht zum Erfolg kommt, ist gleichgültig; ein freiwilliges Abstandnehmen durch den Täter der geplanten Tat reicht mithin ebenso wie jeder andere äußere Grund, der die Durchführung der Tat hindert.

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Zum Begriff des „ernsthaften Bemühens" s. oben Rdn. 18 ff. Abzustellen ist dabei hier nur auf das Bemühen um Abwendung „anders als durch Anzeige" nach § 138, weil die Anzeige bei Absatz 4 ja ohnedies nicht in Frage steht; verlangt wird also „das subjektive Optimum minus Anzeige" (Geilen aaO; Schwarz S. 154). Erforderlich ist aber, dass aus der Sicht des Täters eine reale Abwehrchance noch vorhanden ist (ähnlich Geilen und Schwarz aaO), weil sonst von einem ernsthaften Bemühen nicht mehr die Rede sein kann.

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Belohnung und Billigung von Straftaten

§ 140

4 . Bedeutung der „Straffreiheit". Sehr umstritten ist auch bei Absatz 4 die rechtliche Bedeutung des Bestrafungshindernisses (vgl. schon oben Rdn. 2 3 und Rdn. 31 für Absatz 3 sowie Rdn. 13 für Absatz 2). Eine verbreitete Meinung nimmt trotz des entgegenstehenden Gesetzeswortlauts an, dass die Vorschrift schon den Tatbestand des § 138 entfallen lässt. 2 3 Dies wird vor allem damit begründet, dass der Pflichtige seine Erfolgsabwendungspflicht nach § 138 im Ergebnis erfülle, das Gesetz aber kein Interesse daran haben könne, dass er dies gerade durch Anzeige tut, falls auch der andere Weg zum Erfolg geführt hat. Indes ist die Formulierung „straffrei" vom Gesetzgeber ersichtlich nicht zufällig gewählt. Sie ist auch nicht mit sachlogischer Notwendigkeit unrichtig, weil die Anzeigepflicht des § 138, wie auch die meisten Befürworter der genannten Ansicht nicht verkennen, trotz des § 139 Abs. 4 an sich grundsätzlich bestehen bleibt. Dies zeigt, dass das Gesetz die Abwendung nach § 139 Abs. 4 eben nicht als völlig gleichrangig erachtet, wofür ja auch das Risiko spricht, das der Täter hier trägt (Rdn. 32). Schließlich steht auch die problematische Regelung des Satz 2 von § 139 Abs. 4 (s. Rdn. 35), die von den Vertretern der geschilderten Ansicht vielfach nicht besonders gewürdigt wird, sachlich in sehr viel engerer Beziehung zum Regelungsgehalt des § 139 Abs. 1 als zum Charakter einer Tatbestands-Einschränkung. Es erscheint bei diesen Gegebenheiten (und unbeschadet des allein auf den Schutz der bedrohten Rechtsgüter ausgerichteten Zwecks von § 138 [s. LK § 138 Rdn. 2]) insgesamt wohl doch überzeugender, entsprechend dem Gesetzeswortlaut nur einen persönlichen Strafaufhebungsgrund anzunehmen. 2 4

§ 140 Belohnung und Billigung von Straftaten Wer eine der in § 138 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 und in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Taten oder eine rechtswidrige Tat nach § 176 Abs. 3, nach den §§ 176a und 176b, nach den §§ 1 7 7 und 178 oder nach § 179 Abs. 3, 5 und 6, nachdem sie begangen oder in strafbarer Weise versucht worden ist, 1. belohnt oder 2. in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) billigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Schrifttum Bemmann Meinungsfreiheit und Strafrecht (1981); Dreher Das dritte Strafrechtsänderungsgesetz, J Z 1953 421 (= Bemühungen um das Recht, 1972, S. 286); Ebert Zum Bedeutungswandel der Billigung begangener Straftaten, Festschrift Spendel S. 115; Fetscher Zum Prozeß um das Buch „Wie alles anfing" von Michael (Bommi) Baumann, in Lüderssen/Sack (Hrsg.), Vom Nutzen und

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Hobmann MK Rdn. 23; Ostendorf NK Rdn. 9; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Jescheck/Weigend § 52 II 2; Otto BT § 67 Rdn. 39 für Satz 1; Bloy S. 135 ff; Arm. Kaufmann S. 2 3 4 ; Schöne S. 162 ff; Schwarz S. 150 ff; Westendorf S. 261 ff. Ebenso Lackner/Kühl Rdn. 4; Rudolphi/Stein

Rdn. 13; Fischer Rdn. 11; Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 98 Rdn. 28; Schmidhäuser BT 16/20; Welzel § 76 I 4b; wohl auch Geilen FamRZ 1964 392 für Satz 2; Arzt-Weber BT § 46 Rdn. 13 verstehen § 139 Abs. 4 Satz 1 als bloße Klarstellung für den Zeitpunkt der Anzeigepflicht.

Ernst-Walter Hanack

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§ 140

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche O r d n u n g

N a c h t e i l der Sozialwissenschaften für das Strafrecht, Bd. 2 , 1 9 8 0 , S. 5 0 6 ; Fischer und G e d a n k e n ä u ß e r u n g , Diss. W ü r z b u r g 1 9 7 9 2 9 1 ; Grünwald

1986;

Grünwald

Öffentlicher Friede

Meinungsfreiheit und Strafrecht,

KJ

Billigung von Straftaten ($ 1 4 0 StGB) - D e r P r o z e ß u m das Buch . . . v o n

M i c h a e l . . . B a u m a n n , in Lüderssen/Sack a a O (wie bei Fetscher) S. 4 8 9 ; Hörnte Verhalten ( 2 0 0 5 ) ; Hoyer

G r o b anstößiges

Die Eignungsdelikte ( 1 9 8 7 ) ; Jakobs

Kriminalisierung im Vorfeld einer

Rechtsgutsverletzung, Z S t W 9 7 ( 1 9 8 5 ) S. 7 5 1 ; Kiesow/Zweigert

Gesetz zum Schutz der Republik

( K o m m e n t a r ; 1 9 2 3 ) ; Kühl hütte

N e u e Gesetze gegen terroristische Gewalttaten, N J W 1 9 8 7 7 3 9 ;

D a s Vierzehnte Strafrechtsänderungsgesetz, M D R 1 9 7 6 4 4 1 ; Leffmann

der Republik ( K o m m e n t a r ; 1 9 3 1 ) ; Müller-Dietz

Lauf-

Gesetz zum Schutze

V o m W o r t der G e w a l t und der Gewalt des W o r t e s .

M a r g i n a l i e n zu T h e o r i e und P r a x i s heutiger Strafgesetzgebung, Festschrift W ü r t e n b e r g e r S. 1 6 7 ; Rudolphi

N o t w e n d i g k e i t und Grenzen einer Vorverlagerung des Strafschutzes im K a m p f gegen den

Terrorismus, Z R P 1 9 7 9 2 1 4 ; Schneidewin

K o m m e n t i e r u n g des Gesetzes zum Schutze der Republik

v o m 2 5 . M ä r z 1 9 3 0 , in Stenglein, Strafrechtliche N e b e n g e s e t z e 5 , Bd. II 1 9 3 1 , S. 8 7 7 ; Schroeder

Die

Straftaten gegen d a s Strafrecht ( 1 9 8 5 ) ; Stree Strafschutz im Vorfeld von Gewalttaten. Das 1 4 . Strafrechtsänderungsgesetz, N J W 1 9 7 6 1 1 7 7 ; Sturm b e k ä m p f u n g ) , J Z 1 9 7 6 3 4 7 ; Velten

D a s Vierzehnte Strafrechtsänderungsgesetz (Gewalt-

Grenzüberschreitende Gefährdungsdelikte, Festschrift Rudolphi

( 2 0 0 4 ) S. 3 2 9 .

Entstehungsgeschichte § 140 erfasste ursprünglich die strafbare Auswanderung Wehrpflichtiger (aufgehoben durch Art. I KRG Nr. 11). Die heutige Vorschrift ist durch Art. 2 Nr. 23 des 3. StRÄndG eingeführt worden. Sie geht weitgehend auf die §§ 3 Abs. 2 und 5 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes zum Schütze der Republik v. 25.3.1930 (RGBl. I 91) zurück, die ihrerseits auf ξ 7 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes zum Schutze der Republik v. 21.7.1922 (RGBl. I 585) fußen, bezog auf Vorschlag des Bundesrates darüber hinaus aber auch die Belohnung oder öffentliche Billigung der damals in § 138 Abs. 1 genannten Verbrechen ein; näher BGHSt 22 282 m. Nachw.; Dreher J Z 1953 427 f. Nach mehr formalen Änderungen durch das 7. StRÄndG (Neuregelung der Sprengstoffverbrechen) sowie Anpassungen durch Art. 19 Nr. 55 und 207 EGStGB (u.a.: Wegfall der Strafbarkeit besonders schwerer Fälle) wurde die Bestimmung durch das 14. StRÄndG in mehrfacher Hinsicht geändert (näher Laufhütte MDR 1976 444; Stree NJW 1976 1181; Sturm J Z 1976 350): durch Erweiterung des Katalogs der erfassten Taten um die - jetzt - in § 126 Abs. 1 Nr. 1 und 3 genannten Delikte; durch Einfügung der Eignungsklausel bei der Alternative des Billigens; durch Streichung einer Subsidiaritätsklausel; durch Herabsetzung des Strafmaßes. Das Gesetz v. 19.12.1986 (BGBl. I 2566) erstreckte Absatz 1 auf alle Katalogtaten des § 126 Abs. 1, und das Gesetz v. 27.12.2003 (BGBl. I 3007) auf die genannten Sexualdelikte (dazu BTDrucks. 15/350, S. 15; unten Rdn. 3). Das 37. StRÄndG bedingte eine redaktionelle Anpassung an die Änderung des § 138 (s. dort „Entstehungsgeschichte"). - Ausführliche Darstellung des Bedeutungswandels der „Billigung" seit dem römischen Recht bei Ebert S. 119 ff und der Entwicklung des strafrechtlichen Friedensschutzes seit der Carolina bei Fischer S. 6 ff.

Übersicht Rdn. 1. Allgemeines 1. Zweck und Schutzgut des § 140 2. Problematik Π. Die erfassten begangenen oder versuchten Taten 1. Erschöpfende Aufzählung

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1 1

2 3 3

Rdn. 4 5

2. Taten, nicht Täter 3. Rechtswidrige Taten; Einzelheiten . . . 4 . Begangen oder in strafbarer Weise versucht. Bestimmtheit . . . 5. Taten im Ausland. Internet m . Die Tathandlungen des § 140

Ernst-Walter H a n a c k

7 10

11

Belohnung und Billigung von Straftaten

§ 140 Rdn.

Rdn. 1. Belohnen der Tat (Nr. 1) 2. Friedensstörendes Billigen der Tat (Nr. 2) a) Billigen; Allgemeines b) Deutlichkeit und Erkennbarkeit des Billigens c) Billigen und bloßes Verbreiten insbesondere; Presseorgane d) Billigung speziell durch Tatbeteiligte

11 14 14 IV. V. VI.

17 22 25

νΉ.

e) Öffentliches Billigen f) Friedensstörende Eignung g) Weit zurückliegende Taten insbesondere Vorsatz und Irrtum Täterschaft und Teilnahme Sozialadäquanz, Meinungs- und Pressefreiheit, Prozessverhalten Konkurrenzen

27 29 32 34 35 38 40

I. Allgemeines 1. Zweck und Schutzgut des § 140. Nach Entstehungsgeschichte (s. dort) und herr- 1 sehender Meinung soll § 140 verhindern, dass durch die Verherrlichung der aufgezählten Straftaten die allgemeine Bereitschaft zur Begehung der erfassten Delikte gefördert wird. Die Vorschrift ergänzt aus dieser Sicht § 130a (so BTDrucks. 10/2686, S. 9) und enthält eine Art generalpräventiver Ergänzung des auf spezialpräventive Verbrechensverhütung gemünzten § 138: Sie soll einem „psychischen Klima" vorbeugen, das die Nachahmung derartiger Delikte begünstigt.1 Als Schutzgut gelten daher nach herkömmlicher Betrachtung die öffentliche Sicherheit, aber auch oder sogar „insbesondere" das „Gefühl der Rechtssicherheit in der Bevölkerung". 2 Dass namentlich der Gedanke von der Gefahr des Nachahmens („Anreiz") nach allen bisherigen Erfahrungen schon empirisch wenig überzeugt, hat Schroeder S. 7 treffend dargelegt. Er weist wohl auch zu Recht darauf hin, dass es den Tätern um eine solche Nachahmung in der Regel gar nicht geht und dass die Vorschrift zudem durch die Beschränkung auf tatsächlich begangene Taten für die Abwehr der Anreizung zur Begehung von Verbrechen ungeeignet ist. Es spricht daher viel für eine neuerdings vertretene Auffassung, dass es in Wahrheit (oder doch: vor allem) um die Beeinträchtigung des öffentlichen Friedens durch die Provokation der Rechtsgemeinschaft geht, nämlich den Angriff auf ihren Rechts- oder Wertkonsens durch die Solidarisierung mit der begangenen Tat 3 - eine Auffassung, die sich mit dem Gedanken des BGH vom „Gefühl der Rechtssicherheit" (Rdn. 1) wohl mindestens stark berührt. Aus dem Gesagten folgt jedoch nicht, wie Schroeder S. 10, 11, 15 und Hohntann MK Rdn. 2 meinen, dass § 140 als „Straftat gegen das Strafrecht" kein eigenes Rechtsgut enthalte, sondern nur die Rechtsgüter der in Bezug genommenen Tatbestände schütze. Es geht dem Gesetz erkennbar um mehr oder anderes.

1

2

BGHSt 2 2 2 8 2 , 2 8 6 ; 2 8 312, 314; BGH bei Schmidt MDR 1981 92; OLG Hamm MDR 1980 159, 160; Lackner/Kühl Rdn. 1; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 und Rudolphi ZRP 1979 219; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Otto BT § 63 IV 1; Laufkütte MDR 1976 440. So BGHSt 2 2 2 8 2 , 2 8 5 ; BGH NJW 1978 58, 59; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1996 58, 59;

3

vgl. ferner (in etwas unterschiedlicher Akzentuierung) die in Fn. 1 Genannten; ebenso Hattack in der 10. Aufl. Schroeder aaO; Hobmann MK Rdn. 3; Ostendorf NK Rdn. 3; Arzt/Weber BT Rdn. 35; Maurach/Schroeder/Maiwald 2, 5 102 Rdn. 2; vgl. auch Fischer Rdn. 2; einschränkend Rudolphi/Stein SK Rdn. 2.

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1a

§ 140 2

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

2. Problematik. Aber wie immer man den gesetzlichen Schutzzweck des § 140 im einzelnen bestimmt oder akzentuiert: Seine Förderung oder Wahrung ist mit Hilfe der Bestimmung nur sehr bedingt möglich, schon weil sie sich leicht umgehen lässt und regelmäßig nur grobe Fälle trifft und treffen kann.4 Daher droht insbesondere in unruhigen Zeiten oder in Fällen öffentlicher Empörung leicht die Gefahr, dass die Voraussetzungen der Vorschrift übersprungen werden oder aber ihre Anwendung ganz unbefriedigend bleibt und die Gefühle der Bevölkerung (Rdn. 1, la) vielleicht sogar gerade dadurch verletzt. Die Schwierigkeiten der Justiz, mit der Verbreitung des sog. Buback-Nachrufs angemessen fertig zu werden,5 und der höchst unbefriedigende Prozess um das Buch von Michael („Bommi") Baumann6 deuten exemplarisch auf diese Probleme hin. Sie haben sich in ganz ähnlicher Weise schon bei den Weimarer Republikschutz-Gesetzen (s. „Entstehungsgeschichte") gezeigt. Dass sie sich überzeugend je werden lösen lassen, erscheint zweifelhaft. Es spricht viel dafür, dass die Vorschrift kriminalpolitisch mindestens keinen Nutzen bringt oder im Rechtsstaat sogar einen Fremdkörper darstellt (so eingehend Hörnle S. 242 ff). Ihre Streichung ist wiederholt gefordert worden7 neuerdings vor allem im Zusammenhang mit der kritischen Erörterung sog. Vorfeldkriminalisierungen bei „Klimaschutzdelikten".8

Π. Die erfassten begangenen oder versuchten Taten 3

1. Erschöpfende Aufzählung. § 140 erfasst nur die in der Vorschrift genannten Delikte. Ob der Kreis der Taten sachgerecht bestimmt ist (dazu z.B. Prot. V, 2316f; Ε 1962, S. 465), ist eine kriminalpolitische Frage; eine richterliche Erweiterung des Katalogs ist aufgrund des Analogieverbots jedenfalls unzulässig. Gegen die Einbeziehung des § 126 Abs. 1 Nr. 7 (s. „Entstehungsgeschichte") sind verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden.9 Auch die Erstreckung auf Sexualdelikte durch das Gesetz v. 27.12.2003 (s. „Entstehungsgeschichte") wird - als unnötig - stark kritisiert.10

4

2. Taten, nicht Täter. Dass der Täter wegen der begangenen oder versuchten Taten verurteilt worden ist oder auch nur (s. Rdn. 5) verurteilt werden kann, wird vom Gesetz nicht verlangt, da es nicht um die Verherrlichung bestimmter Täter, sondern bestimmter 4

5

6

7

Allgemein zur Problematik einer Pönalisierung „verbaler Gewalt" Müller-Dietz insbes. FS Würtenberger S. 167 ff und zuletzt in Schuh (Hrsg.), Gewalt im Alltag, 1990, S. 131 ff m.w.N.; vgl. auch bei Fn. 8. Dazu eingehend Bemmann insbes. S. 4 f, 8 f, 14 f; vgl. auch unten Rdn. 14a. Dazu näher Grünwald und Fetscher in Lüderssen/Sack sowie Heinrich Boll in Tintenfisch 9 (1976) 5. 84 f; Müller-Dietz FS Würtenberger S. 182 m.w.N. in Fn. 92. So von Dreher schon bei den Beratungen der Großen Strafrechtskommission im Jahre 1958 (Niederschriften Bd. 6 S. 130); ebenso später Bemmann S. 16; Grünwald KJ 1979 S. 2 9 9 ; Fischer Öffentlicher Friede S. 6 3 6 f bezüglich § 140 Nr. 2; Hörnle S. 2 5 0 f; höchst kritisch auch Ostendorf NK Rdn. 5.

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8

9

10

Jakobs ZStW 9 7 S. 7 7 9 ff (vgl. auch Jakobs AT 2/25 c); ferner etwa Beck Unrechtsbegründung und Vorfeldkriminalisierung, 1992, insbes. S. 195 f; Voß Symbolische Gesetzgebung, 1989, insbes. S. 144 ff; Müller-Dietz (oben Fn. 4); vgl. auch Kühl NJW 1987 745; Hefendehl Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, 2 0 0 2 , S. 305; Fischer Rdn. 2a. Dencker StV 1987 121; kritisch auch Kühl aaO; dagegen Maurach/Schroeder! Maiwald 2, § 102 Rdn. 1. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Fischer Rdn. 5; Duttge/Hörnle/Renztkowski NJW 2 0 0 4 1 0 6 5 , 1 0 6 9 ; Amelung/ Funke/Auffermann StraFo 2 0 0 4 265, 268.

Ernst-Walter Hanack

Belohnung und Billigung von Straftaten

§ 140

Taten geht (BayObLG DRiZ 1979 25; Hohmann MK Rdn. 6). Auch reicht nach der ratio legis die Verherrlichung der Teilnahme, nicht also nur der Täterschaft (Hohmann MK Rdn. 6). 3. Rechtswidrige Taten; Einzelheiten. Die Beschränkung auf rechtswidrige Taten macht deutlich, dass die in Frage stehende Bezugstat nicht notwendigerweise schuldhaft begangen und strafbar sein muss. Ausreichend ist daher insbesondere auch die rechtswidrige Tat eines Schuldunfähigen (allg. M.).

5

Nichts anderes gilt nach dem Sinnzusammenhang und entgegen dem etwas ungeschickten Gesetzeswortlaut auch für den Versuch: Er muss als mit Strafe bedrohte rechtswidrige Tat begangen sein, nicht hingegen notwendig gerade „in strafbarer Weise". 11 Die Gesetzesformulierung wollte nur klarstellen, dass solche Fälle nicht erfasst werden, bei denen der Versuch überhaupt nicht mit Strafe bedroht ist, insoweit vielmehr Vollendung vorliegen muss (Prot. VII, 2296; RegE z. 14. StRÄndG, BTDrucks. 7/3030 S. 8). Taten, für die ein Rechtfertigungsgrund besteht, scheiden grundsätzlich aus. Rechtfertigungsgrund ist dabei auch das Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4 GG (Fischer Rdn. 4). Vgl. dazu auch unten Rdn. 15.

6

Mit der h.M. wird jedoch anzunehmen sein, dass solche rechtswidrigen Taten nicht erfasst werden, die nach den §§ 33, 35 oder nach den Grundsätzen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands (vgl. LK Rdn. 342 ff Vor § 32) entschuldigt sind; denn ihre Belohnung oder Billigung ist in Anbetracht der Eigenheiten dieser Entschuldigungsgründe von vornherein nicht geeignet, den Schutzzweck des § 140 (oben Rdn. 1, la) zu verletzen.12 Fälle der Schuldausschließung aufgrund einer rechtswidrigen Weisung nach Beamten- oder Soldatenrecht (§§ 56 Abs. 2 S. 3 BBG, 38 Abs. 2 S. 2 BeamtenrechtsrahmenG, 5 Abs. 1 WStG, § 47 des früheren MilStGB) sind hingegen wegen ihres durchaus andersartigen Charakters nicht in der gleichen Weise zu behandeln, unterfallen also dem Tatbestand. 4. Begangen oder in strafbarer Weise versucht. Bestimmtheit. § 140 setzt voraus, 7 dass eine der genannten rechtswidrigen Taten begangen oder zumindest doch in strafbarer Weise (dazu Rdn. 5) versucht worden ist. Es genügt daher nicht, dass der Täter ohne Beziehung auf ein bestimmtes verbrecherisches Geschehen eines der aufgezählten Delikte abstrakt gutheißt, also lediglich Straftaten einer bestimmten Gattung verherrlicht, oder (so Kiesow/Zweigert zu § 7 Nr. 3 RepublikschutzG 1922, Anm. II) theoretische Erörterungen radikaler Art über bloß wünschenswerte Straftaten anstellt. Derartige abstrakte Erklärungen fallen nicht unter § 140; 13 gegebenenfalls kann aber § 111 eingreifen. In Anbetracht des Schutzzwecks sind dabei jedoch an die Individualisierung der Tat nicht zu strenge Anforderungen zu stellen; so reicht die Billigung „der Judenvergasungen' durch Hitler" (Maurach BT 5 § 73 II C 2) und ebenso die erkennbare Zusammenfassung bestimmter Einzeltaten unter einer Sammelbezeichnung (Fischer Rdn. 3; dazu auch unten Rdn. 15, 26). Dass keine genauen Angaben von Zeit und Ort erforderlich sind, betont

11

12

Stree NJW 1976 1181; heute ganz h.M., z.B. Hohmann MK Rdn. 6; Lackner/Kühl Rdn. 2; Fischer Rdn. 3. Hohmann MK Rdn. 7; Rudolphi/Stein SK Rdn. 4a; Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 102 Rdn. 3; Schroeder S. 18 f; vgl. auch Leffmann § 5 Anm. 24.

13

BGHSt 22 282, 287; BGH NJW 1990 2828, 2829 (insoweit in BGHSt 36 363 nicht abgedruckt); Hohmann MK Rdn. 8; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Fischer Rdn. 3; Lauthütte MDR 1976 445.

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§140

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

BGH NJW 1978 58 und 1990 2828, 2829. Zur Frage zeitlich lang zurückliegender Taten s. Rdn. 32 f. Begangen ist die Tat, wenn sie vollendet ist; beendet braucht sie nicht zu sein (Fischer aaO). 8

In strafbarer Weise versucht ist die rechtswidrige Tat auch im Falle des untauglichen Versuchs. Voraussetzung ist dabei selbstverständlich, dass der Versuch des betreffenden Delikts überhaupt mit Strafe bedroht ist (oben Rdn. 5), was nicht bei allen von § 140 in Bezug genommenen Delikten der Fall ist. Ein wirksamer Rücktritt vom Versuch der rechtswidrigen Tat berührt die Strafbarkeit nach § 140 dann nicht, wenn sich die Tathandlung des § 140 unter Missbilligung des Rücktritts gerade auf den strafbaren Versuch bezieht.14 Eine weitergehende Auffassung,15 wonach der Rücktritt die Strafbarkeit nach § 140 „nicht berührt" oder „beseitigt", erscheint hingegen unberechtigt oder doch missverständlich. Versuchte Delikte, von deren Vollendung der Täter selbst freiwillig Abstand genommen hat, kann ein Dritter nicht in der von § 140 vorausgesetzten Weise belohnen oder billigen. Anderes gilt nur, wenn lediglich ein Beteiligter wirksam zurückgetreten ist, im übrigen aber die Tat begangen oder im strafbaren Versuch Steckengeblieben ist.

9

Vorbereitungshandlungen sind noch keine „in strafbarer Weise versuchte" Taten. Sie werden daher nur erfasst, soweit sie als solche selbständig unter Strafe gestellt sind und unter den Katalog des § 140 fallen (so die über § 138 Abs. 1 Nr. 1, 2 erfassten Delikte gemäß § 80 und § 83 Abs. 1).

10

5. Taten im Ausland. Internet. Zweifelhaft und streitig ist, ob oder wieweit sich § 140 auch auf die Belohnung und Billigung von Taten bezieht, die im Ausland begangen worden sind. Es ist nicht zu verkennen, dass auch die Verherrlichung einer solchen Tat geeignet sein kann, die Verbrechensbereitschaft im Inland zu fördern, also dem Schutzzweck der Vorschrift zuwiderläuft. Andererseits ist es nicht Aufgabe des deutschen Strafrechts, die Rechtsgüter ausländischer Staaten gegen Angriffe zu schützen; das könnte, insbesondere bei Feststellung des Unrechtstatbestandes, sogar einen bedenklichen Eingriff in fremde innenpolitische Angelegenheiten bedeuten (Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 5; vgl. auch BGHSt 22 282, 285 f m. Anm. Hübner LM Nr. 1 a.F.). Man wird daher im Anschluss an Heimann-Trosien (aaO) zu unterscheiden haben, ob die Belohnung oder Billigung entsprechender Taten die Bereitschaft zu ihrer Begehung in der Bundesrepublik fördern könnte (Bankraub, Geiselnahme, z.T. auch Flugzeugentführungen) oder ob sich die Tat ihrer Art nach allein auf ein Geschehen im Ausland beschränkt, das nicht „transponibel" erscheint (Südtirol-Konflikt in BGHSt 22 282). Lediglich im letzteren Falle scheidet eine Anwendung des § 140 aus.16 BGHSt 22 282, 285 f hat das kritische Problem offengelassen. - Mit der Frage, wieweit im Ausland begangene Taten Bezugstaten i.S. des § 140 sind, nicht zu verwechseln ist die durchaus andere Frage, ob das Gesetz auch solche Tathandlungen des § 140 erfasst, die im Ausland begangen sind;

14

15

Rudolphi SK 6 Rdn. 4; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Maurach/ Schroeder/Maiwald 2, § 102 Rdn. 4; Stree NJW 1976 1181. Hohmann MK Rdn. 7; Lackner/Kühl Rdn. 2; Fischer Rdn. 4; Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 102 Rdn. 4.

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Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 102 Rdn. 4; Schmidhäuser BT 12/19; Laufhütte MDR 1976 4 4 5 eingebend Rudolphi/Stein SK Rdn. 5; anders Fischer Rdn. 4; Blei BT § 74 II 1, die auf die §§ 3 - 7 abstellen (dazu Ostendorf NK Rdn. 11).

Ernst-Walter Hanack

Belohnung und Billigung von Straftaten

§ 140

das ist zu verneinen, weil eine Ausnahme von § 3 nicht gegeben ist, so unbefriedigend das sein mag. Gänzlich ungeklärt ist jedoch, ob das auch für Äußerungen i.S. des § 140 Nr. 2 gilt, die jemand im Ausland im Internet mit der Folge stellt, dass sie inländischen InternetNutzern ohne weiteres zugänglich sind. BGHSt 46 212 hat bei einer entsprechenden Verbreitung im Fall einer Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 und 3 einen im Inland eingetretenen Erfolg i.S. des § 9 Abs. 1 bejaht. Folgt man dem, liegt es nahe, hier ebenso zu entscheiden (Fischer § 9 Rdn. 8). Aber die genannte Entscheidung ist, insbesondere wegen ihrer massiven Ausdehnung des deutschen Strafrechts, nicht nur umstritten und in ihrem Ergebnis zweifelhaft (vgl. Werle/Jeßberger LK § 9 Rdn. 91 ff; Fischer § 9 Rdn. 8 ff je m.w.N.). Sie dürfte bei genauerem Zusehen auf § 140 Nr. 2 auch nicht übertragbar sein. Denn dies verlangt einen völkerrechtlich legitimierenden Bezugspunkt (vgl. BGHSt 46 212, 224; näher Velten S. 329). Ihn hat der BGH (aaO) für die Volksverhetzung des § 130 im Hinblick auf das Gewicht des Rechtsguts und den besonderen Bezug zum Gebiet der Bundesrepublik bejaht. Ob das dogmatisch zwingend ist, mag hier offen bleiben (ablehnend z.B. Velten aaO; Lagodny J Z 2001 1198, 1200). Denn jedenfalls lässt sich für das vergleichsweise banale und fragwürdige Delikt des § 140 (vgl. Rdn. 2) ein solcher Bezugspunkt von Gewicht ohne seine völlige Aushöhlung nicht bejahen.

10a

ΙΠ. Die Tathandlungen des § 1 4 0 1. Belohnen der Tat (Nr. 1). Belohnen ist das nachträgliche Gewähren irgendwelcher 11 Vorteile für die begangene oder versuchte rechtswidrige Tat. In Betracht kommen materielle wie immaterielle Vorteile (allg. M.). Es braucht sich also nicht um eine Geldzuwendung zu handeln; vielmehr reicht z.B. eine Beförderung oder die Verleihung eines Ordens, ja selbst die geschlechtliche Hingabe. Auch eine mittelbare Zuwendung an Angehörige, nahestehende Personen oder an eine Vereinigung, die für die Tat verantwortlich ist, bedeutet ein „Belohnen". Eine Billigung setzt das Belohnen begrifflich nicht voraus (aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 6) Entsprechend der Beziehung zu einer konkreten Tat (oben Rdn. 7), muss jedoch beiderseitiges Einverständnis darüber vorhanden sein, dass der Vorteil für die begangene Tat gewährt, diese also „vergütet" werden soll. 17 Daraus folgt, so unbefriedigend das sein mag, dass es an einer Belohnung fehlt, wenn nicht die Tat als solche „vergütet" wird, sondern für ihre literarische Darstellung ein Entgelt gezahlt wird (Verlagsvertrag). Zur kritischen Frage, wieweit dann die Veröffentlichung der entsprechenden Darstellung im Einzelfall als friedensstörende Billigung durch Autor oder/und Verleger strafbar sein kann, s. unten Rdn. 22 ff, 26, 35 f.

12

Das bloße Versprechen von Vorteilen fällt ebenfalls nicht unter das Belohnen, wird jedoch, wenn es vor der Tat geschieht, meist nach § 30 Abs. 1, nach § 111, wenn nicht gar als Anstiftung oder Beihilfe zu der begangenen Tat strafbar sein.

13

17

Ostendorf N K Rdn. 7 ; Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 4 ; a A Rudolphi/Stein SK Rdn. 6.

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§ 140

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

2. Friedensstörendes Billigen der Tat (Nr. 2) 14

a) Billigen; Allgemeines. Billigen bedeutet soviel wie Gutheißen (BGHSt 22 282, 286; OLG Braunschweig NJW 1978 2044, 2045; OLG Karlsruhe NJW 2003 1200, 1201). Dies ist gegeben, wenn der Billigende eindeutig (dazu Rdn. 17 ff) „seine Zustimmung dazu kundgibt, dass die Tat begangen worden ist, und sich damit moralisch hinter den Täter stellt" (Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 5), z.B. sie als praktisch nötig, als moralisch gerechtfertigt oder als sittlich einwandfrei darstellt. Die bloße Erklärung, die Tat sei rechtmäßig, bedeutet noch nicht immer und unbedingt eine Billigung.18 Auf das Motiv des Täters kommt es nicht an, so dass auch Handeln aus menschlichem Mitgefühl, aus persönlicher Sympathie oder ohne politische Zustimmung ausreicht, wenn nur das Gutheißen als solches vorliegt. Die Billigung muss jedoch im Augenblick der Äußerung vorhanden sein; daher genügt nicht, dass jemand berichtet, er habe die Tat früher gutgeheißen, wenn er gleichzeitig zum Ausdruck bringt, dass er zur Zeit der Äußerung davon abgerückt ist (vgl. auch BGH NJW 1978 58, 59). Auch die Billigung hat sich stets auf eine konkrete Tat zu beziehen (oben Rdn. 7, BGHSt 22 282, 287), die zudem als spezielle Katalogtat erkennbar ist (dazu insbes. BGH NJW 1990 2828, 2829, insoweit in BGHSt 36 363 nicht abgedruckt).

14a

Reflektierende Betrachtungen über eine begangene Tat reichen auch bei verfehlter Polemik nicht (OLG Karlsruhe aaO). Äußerungen, bei denen sich Bekundungen der Sympathie oder des Verständnisses mit Kritik oder Ablehnung mischen, enthalten ein Billigen nur, wenn die Zustimmung zur Tat dergestalt im Vordergrund steht bzw. überwiegt, dass die Betrachtung mit der erforderlichen Eindeutigkeit (Rdn. 17 ff) ein Gutheißen erkennen lässt. Die isolierte richterliche Würdigung von Einzelteilen der Betrachtung reicht in solchen Fällen also nicht. Erst recht darf dem Täter natürlich nicht angelastet werden, dass seine Betrachtungen später in den Medien einseitig oder sinnentstellend wiedergegeben werden (vgl. Bemmantt S. 3 zum sog. Buback-Nachruf) und es dadurch zu einer öffentlichen Erregung von friedensstörender Eignung kommt.

15

Bei einer Gesamtdarstellung, die mehrere begangene Taten betrifft, schließt das Abrücken von einzelnen Taten oder gar nur von solchen, die sich nicht als „werbewirksam erwiesen haben", die Billigung anderer Taten naturgemäß nicht aus (BGH NJW 1978 58, 59). Wohl aber muss die Gesamtdarstellung in der erforderlichen Weise (dazu im folg. Text Rdn. 17 ff) eindeutig ein Billigen der in Frage stehenden Bezugstaten erkennen lassen. Daher reicht nicht, dass der Verfasser der Darstellung ein allgemeines Widerstandsrecht gegen bestimmte Zustände bejaht, wenn nicht eindeutig ist, dass sich dieses bejahte Recht auch auf konkrete Bezugstaten erstreckt, weil das Bekenntnis zu einem allgemeinen Widerstandsrecht nicht notwendig gleichbedeutend mit der Billigung bestimmter einzelner Handlungen ist, die im Widerstand begangen wurden (BGHSt 22 282, 288; Preisendanz Anm. 2). Eingehend zu derartigen Gesamtdarstellungen BGH aaO und NJW 1978 58, 59. Der letzteren Entscheidung lässt sich mindestens mittelbar die Ansicht des BGH entnehmen, dass der strafbare Charakter einer Gesamtdarstellung nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass die Darstellung zugleich ein Dokument der Zeitgeschichte darstellt, also über die friedensstörende Billigung bestimmter Taten hinaus einen vielleicht allgemein interessierenden Wert besitzt. Das ist im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 GG gewiss pro-

18

Fischer Rdn. 7; Schroeder S. 18, der das billigende Inkaufnehmen der Rechtswidrigkeit verlangt; vgl. auch Hohmann MK Rdn. 14.

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Belohnung und Billigung von Straftaten

§ 140

blematisch. Dennoch ist dem BGH jedenfalls im Grundsatz zuzustimmen, weil andernfalls auf dem Weg über solche Gesamtdarstellungen § 140 stets unterlaufen werden könnte und weil sich ein Dokument der Zeitgeschichte auch ohne friedensstörende Billigung begangener Taten erstellen lässt, also ihre Verherrlichung nicht voraussetzt. Die Frage ist wohl allein, ob in solchen Fällen einer strafbaren Gesamtdarstellung stets und notwendig auch die vorsätzliche Verbreitung eines derartigen Berichts durch einen Dritten, der selbst eine Billigung der Darstellung nicht zum Ausdruck bringt, als Beihilfe strafbar sein muss; vgl. dazu unten Rdn. 22 ff, 35 ff. Vollendet ist die Billigung, wie jedes Äußerungsdelikt, in dem Augenblick, in dem sie in der Weise zur Kenntnis anderer gelangt, dass sie von diesen richtig verstanden werden kann; ob sie auch richtig verstanden wird, ist, wenn die erforderliche Eindeutigkeit (dazu im folg. Text) vorliegt, dann ohne Belang (RGSt 57 193; Schneidewin zu § 5 RepublikschutzG 1930, Anm. 12).

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b) Deutlichkeit und Erkennbarkeit des Billigens. Eine „ausdrückliche" Billigung wird vom Gesetz, anders als in § 7 Abs. 1 Nr. 3 RepublikschutzG 1922 und in § 5 Abs. 1 Nr. 4 RepublikschutzG 1930, nicht verlangt. Es genügt danach und entsprechend allgemeinen Grundsätzen auch eine Äußerung durch schlüssiges Verhalten.19 Dass jedoch „im Ausnahmefall" auch ein (bloßes) Schweigen ausreicht, „wenn es einer Erklärung gleichkommt" 2 0 ist schwer vorstellbar, weil es sich dann um ein Billigen durch Unterlassen handelt, dessen Strafbarkeit eine entsprechende Rechtspflicht und Gleichwertigkeit (§13) voraussetzt. Vgl. zum Ganzen auch den folg. Text.

17

Zweifelhaft und umstritten ist, welche Anforderungen an Deutlichkeit und Erkennbarkeit der Billigung zu stellen sind. Hier liegt eines der Kernprobleme des § 140. BGHSt 22 282, 286 f (dazu Hübner LM Nr. 1 a.F.) verlangt, im Grundsatz unter allgemeiner Zustimmung von Rechtsprechung (z.B. BGH NJW 1995 3395, 3396) und Schrifttum, „dass die zustimmende Kundgebung aus sich selbst heraus verständlich sein muss, also als solche unmittelbar, ohne Deuteln erkannt wird"; eine „indifferente oder gar anders lautende Kundgebung", die „erst durch außerhalb der Erklärung liegende Umstände, also erst im Wege des Rückschlusses, als zustimmende Kundgebung gewertet werden könnte", soll nicht ausreichen. Eine „eindeutige und unmittelbare" Billigung verlangt im Ansatz auch die Entscheidung BGH NJW 1978 58, die dann aber doch erhebliche Lockerungen erkennen lässt (dazu im weiteren Text, insbes. Rdn. 22, 25 f).

18

Im Ergebnis ähnlich hat RGSt 57 379 (zu § 7 Abs. 1 Nr. 3 RepublikschutzG 1922) in einem Fall entschieden, in dem die Angeklagten in ihrem Papierwarenladen eine Spendenliste für „Liebesgaben" auslegten, die einem wegen Teilnahme an der Ermordung Rathenaus Verurteilten zugute kommen sollten; das RG hat hier - aufgrund der näheren Umstände - allerdings ein Billigen bejaht, dann aber die im RepublikschutzG geforderte „ausdrückliche" Billigung verneint, weil die Spendenliste nichts als die Mitteilung enthielt, dass „Liebesgaben" „für den früheren Studenten T." gesammelt würden, jedoch nicht zum Ausdruck brachte, dass das gerade im Hinblick auf die Beteiligung an der Mordtat geschehen oder gar einer Anerkennung dieser Tat dienen sollte; der Wille zur

19

BGHSt 2 2 282, 2 8 6 ; OLG Braunschweig NJW 1978 2 0 4 4 , 2 0 4 5 ; Rudolpbi/Stein SK Rdn. 7; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lteben Rdn. 5; Fischer Rdn. 7; Laufhütte MDR 1976 4 4 5 ; wohl auch Maurach/Schroeder/ Maiwald 2, § 102 Rdn. 5.

20

So Heimann-Trosien I.K 9 Rdn. 7; wohl auch BGH und Laufhütte aaO; klar dagegen Hohmann MK Rdn. 14; Ostendorf NK Rdn. 8.

Ernst-Walter Hanack

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§ 140

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Billigung möge vorhanden gewesen sein, habe aber nicht den erforderlichen „unzweideutigen Ausdruck gefunden" (aaO S. 382). 19

Grundsätzlich wird man aus den überzeugenden Gründen von BGHSt 22 282 in der Tat anzunehmen haben, dass nur die - in dem umschriebenen Sinne - eindeutige Kundgabe ausreicht, weil die Vorschrift sonst auszuufern droht und mit dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG in Kollision gerät (vgl. auch den Hinweis des BGH [aaO S. 282] auf die Kritik an der weiten Fassung des § 140 a.F. in Niederschriften Bd. 6, S. 130 f). Dass das Gesetz, im Gegensatz zu den Republikschutz-Gesetzen, auf eine „ausdrückliche" Billigung verzichtet, kann daran nichts ändern und besagt nichts Gegenteiliges.

20

Heimantt-Trosien (LK 9 Rdn. 7) hat nun zu Recht darauf hingewiesen, dass es „gar nicht fern liegende Fälle" gibt, in denen „sich der Täter auf Worte (und zu ergänzen ist: oder auf sonstige Verhaltensweisen) beschränkt, die unverfänglich scheinen, von allen Angesprochenen aber als eindeutiges Gutheißen des Verbrechens erkannt werden"; er meint, dass auch solche Fälle von § 140 erfasst werden müssen, weil es nach dem Schutzzweck der Vorschrift „auf die Bedeutung an(kommt), welche die Erklärung für die Empfänger unmissverständlich - und ohne dass sie weiter nachzudenken brauchen - hat". 21 Ob dies, wie Heimann-Trosien (aaO) meint, auch BGHSt 22 282, 287 mit der Bemerkung im Sinn hat, „auch" das Billigen einer bestimmten Tat (oben Rdn. 7) müsse „für den Erklärungsempfänger mit normalem Durchschnittsempfinden" eindeutig sein, erscheint indes nach dem Gesamtzusammenhang zweifelhaft, zumal der BGH ausdrücklich davon spricht, die Billigung der bestimmten Tat müsse „eindeutig und ohne weiteres aus der Kundgebung selbst hervorgehen" (aaO). Sicher ist jedoch, dass andere Entscheidungen der Richtung von Heimann-Trosien folgen, vgl. Rdn. 22, 25 f. Die Überlegungen von Heimann-Trosien laufen im Ergebnis auf die Ansicht hinaus, dass sich ein „Billigen", auch wenn es in der Äußerung selbst nicht („ausdrücklich") zum Ausdruck kommt, im Einzelfall dennoch annehmen lässt, weil und wenn es von den „Angesprochenen" als solches „erkannt" wird. Diese Ansicht macht ein Dilemma deutlich, das in § 140 unausweichlich angelegt ist: Folgt man nämlich den Äußerungen von Heimann-Trosien nicht, ist kaum zu bezweifeln, dass die Vorschrift in erheblichem Umfang (und je nach dem Geschick des Täters) auf Verhaltensweisen unanwendbar bleibt, die klar gegen den Schutzzweck verstoßen. Folgt man hingegen der Ansicht von Heimann-Trosien, ist die von BGHSt 22 282 überzeugend dargelegte Gefahr wohl nicht mehr zu bannen, dass die Bestimmung verschwimmt. Diese Gefahr besteht - insbesondere bei Bezugstaten, die die Öffentlichkeit erregen - namentlich darin, dass bei einer Betrachtung im Sinne Heimann-Trosiens im Grunde die „friedensstörende Eignung" entscheidend ist und die „Billigung" gewissermaßen überwuchert oder gar ersetzt; denn letztlich sind dann, entgegen BGHSt 22 282, doch „außerhalb der Erklärung liegende Umstände", nämlich die Auffassung der „Angesprochenen" oder gar die bei ihnen eintretende Wirkung (Erregung) maßgebend.

21

Eine solche Konsequenz ist nicht annehmbar. Sie widerspricht nicht nur der Funktion des zwischenzeitlich eingefügten Merkmals von der friedensstörenden Eignung, das die strafbare Billigung einschränken soll (s. näher Rdn. 29); sie würde vielmehr auch den

21

Zust. Rudolphi SK 6 Rdn. 7 (der sich dabei aber zu Unrecht auf BGHSt 2 8 312, 3 1 4 beruft, w o nur ein allgemeiner Wortsinn des Billigens umschrieben wird, vgl. BGHSt 2 2

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2 8 6 ) ; im Erg. auch Rudolphi/Stein SK Rdn. 8. Anders aber wohl Ostendorf N K Rdn. 8 und Fischer Rdn. 7.

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Belohnung und Billigung von Straftaten

§ 140

gesamten Charakter des Delikts verändern und überdies im Einzelfall zu kaum erträglichen Spannungen namentlich mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG führen. Die geschilderten Gefahren werden insbesondere in der Entscheidung BGH NJW 1978 58 deutlich; vgl. im folg. Text. c) Billigung und bloßes Verbreiten insbesondere; Presseorgane. BGH NJW 1978 58 2 2 bejaht ein „Billigen" durch die Verleger eines Buches, in dem anarchistische Gewalttaten durch einen Beteiligten in friedensstörender Weise billigend beschrieben werden (Bericht des „Bommi" Baumann; vgl. Rdn. 2), augenscheinlich allein durch die Tatsache der Veröffentlichung des Buches, weil es sich dabei (s. II 4 der Urteilsgründe) weder um eine „wertfreie Dokumentation" noch um „die Berichterstattung eines Presseorgans" handelt, „das sich nicht mit der Kundgebung identifiziert"; die „Identifizierung mit der Kundgebung" sieht der BGH allem Anschein nach schon in der Veröffentlichung als solcher, da die Verleger eine darüber hinausgehende Billigung ersichtlich nicht zum Ausdruck gebracht haben (so auch Rudolphi ZRP 1979 219). Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die zitierte Entscheidung wiederholt auch BGH NJW 1990 2828, 2829 (insoweit in BGHSt 36 363 nicht abgedruckt) in sehr missverständlicher Weise 22 deren Formulierung, die Billigung könne „unter Umständen schon aus der Form der Darstellung entnommen werden". Auch OLG Braunschweig NJW 1978 2044, 2046 sieht (bei einem Abdruck des von anderen verfassten „Buback-Nachrufs" [vgl. Rdn. 2]) das Billigen letztlich in der fehlenden Distanzierung.23 Solche Tendenzen sind höchst fragwürdig. Sie laufen darauf hinaus, dass Presseorgane bei Dokumenten, die nicht „wertfrei" sind, in der Regel schon dann gegen § 140 Nr. 2 verstoßen, wenn sie sie ohne Distanzierung veröffentlichen, weil das Veröffentlichen dann den Eindruck der „Identifizierung" erweckt. Damit aber würde die Feststellung eines eigenen Billigens überspielt oder sogar fingiert und allein durch eine „friedensstörende Eignung" des Verhaltens ersetzt; von einer zustimmenden Kundgebung, die „aus sich selbst heraus verständlich" ist, „also als solche unmittelbar, ohne Deuteln erkannt wird" (BGHSt 22 282, oben Rdn. 18), könnte jedenfalls keine Rede mehr sein. Auch entstünde die kritische Frage, welche Anforderungen dann eigentlich an eine ausreichende Distanzierung zu stellen wären. Man müsste folgerichtig dafür eine Intensität verlangen, die auch die „friedensstörende Eignung" beseitigt. Das aber wird nicht selten unmöglich sein, so dass schon aus diesem Grunde eine Pflicht zur Distanzierung als Voraussetzung eine Publizierung ohne „Billigung" sich auch mit Art. 5 GG wohl nicht mehr vereinbaren lässt.

23

Hinzuweisen ist vielmehr auf die schon vom RG entwickelte Einsicht, auf die auch BGHSt 36 363, 371 abhebt, dass bei denjenigen Äußerungsdelikten, die ihrer Natur nach eine eigene Zustimmung zum Inhalt der Äußerung voraussetzen (Billigen, Beschimpfen, Verherrlichen), der bloße Bericht über fremde Äußerungen oder ihr bloßes sonstiges Verbreiten den Tatbestand allein noch nicht erfüllt; hinzukommen muss vielmehr in derlei Fällen, dass sich der Verbreitende die fremde Mitteilung erkennbar selbst zu eigen

24

22

Missverständlich, weil gerade dieselbe Entscheidung (insoweit abgedruckt in BGHSt 36 363, 371 f) zu Recht darauf hinweist, dass die bloße Veröffentlichung von Meinungsäußerungen Dritter noch kein eigenes Billigen ist. Dazu im folg. Text.

23

Dazu kritisch oder ablehnend Ostendorf NK Rdn. 8; Rudolphi/Stein SK Rdn. 9 und Rudolphi ZRP 1979 219; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Fischer Rdn. 7.

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§ 140

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

macht. 2 4 Sonst bleibt insoweit lediglich die - auch vom BGH (aaO) angesprochene Möglichkeit einer strafbaren Beihilfe am Billigen durch den Urheber der Äußerung; zu den dabei entstehenden Problemen s. unten Rdn. 35 ff. 25

d) Billigung speziell durch Tatbeteiligte. Probleme entstehen, wenn es um die Schilderung begangener Taten geht, an denen der Schildernde, wie im Fall „Bommi" Baumann (vgl. Rdn. 2), als Mittäter oder Sympathisant selbst teilgenommen hat. Dass die Schilderung eigener Taten unter § 140 fallen kann, hält B G H N J W 1978 58 mit Recht für „selbstverständlich" (vgl. aber unten Rdn. 39, Rdn. 42). Der BGH meint jedoch - ohne dass es bei seiner Entscheidung über den Bericht des „Bommi" Baumann darauf im Ergebnis angekommen zu sein scheint - , eine solche Billigung könne sich auch bei bloßer Beschreibung des früheren Tuns „unter Umständen" „schon aus der Form der Darstellung" ergeben, „weil ... der Darstellende teils Mittäter, teils erklärter Sympathisant der Täter ist und sich nicht ausdrücklich von den Taten distanziert".

26

Das erscheint wiederum bedenklich 25 Denn die bloße Schilderung eines Geschehens ist, auch wenn sich der Schildernde von ihm nicht ausdrücklich distanziert, als solche eben noch keine „Billigung". Die „Umstände", die sie zum Billigen machen, können darum, wohl entgegen den Überlegungen des BGH, auch hier nicht allein in der fehlenden Distanzierung liegen, weil dies wiederum keine Frage des Billigem, sondern der „friedensstörenden Eignung" ist. Wollte man anders entscheiden, wäre die Konsequenz, dass der Mittäter oder Sympathisant in derartigen Fällen ohne die „Distanzierung" überhaupt schweigen müsste. Ob dies mit der Meinungs- und Informationsfreiheit des Art. 5 GG vereinbar wäre, erscheint auch hier mindestens zweifelhaft. Denn die Beschränkung dieser Freiheit durch die allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG) erfasst zwar das Billigen, kaum aber das bloße Schildern, schon weil nach der Rechtsprechung des BVerfG (z.B. BVerfGE 7 198, 2 0 8 f; 2 0 162, 176 f) die Beschränkung ihrerseits in Wechselwirkung zur Bedeutung des Grundrechts steht und Art. 5 Abs. 1 GG auch die Pflicht zur Distanzierung verfassungsrechtlich fragwürdig machen dürfte. Der bloße Bericht kann mithin erst dann zur Billigung werden, wenn er als solcher „unmittelbar", „ohne Deuteln" (oben Rdn. 18) Zustimmung zu den begangenen Taten erkennen lässt, und sei es (so eine treffende Formulierung von BGH aaO) „als ... Reaktion eines jungen Mannes auf die gesellschaftlichen Zustände". Das beurteilt sich grundsätzlich nach den Gegebenheiten des Einzelfalles, ist aber auch bei fehlender Reflexion nur dann der Fall, wenn nach dem Gesamtcharakter der Darstellung die fortdauernde Bejahung der begangenen Taten oder die fortdauernde Sympathie für sie in dem oben Rdn. 18 geschilderten Sinn „unmittelbar" und „ohne Deuteln" einsichtig ist. Es mag sein, dass sich das bei Schilderungen ohne Reflexion oder Distanzierung vielfach oder gar in der Regel bejahen lässt (vgl. auch unten Rdn. 31). Allein in der fehlenden Reflexion oder Distanzierung ist die Billigung (entgegen dem BGH aaO) aber noch nicht zwingend erkennbar; so kann die Billigung in diesen Fällen (ebenfalls entgegen wohl BGH aaO) insbesondere dann ausgeschlossen oder doch nicht deutlich genug erkennbar sein, wenn die Schilderung auch den eigenen Rückzug aus dem Milieu der begangenen Taten oder das Scheitern ihrer Bestrebungen zum Gegenstand hat. Zur Bedeutung des Prozessverhaltens s. Rdn. 39. 24

Vgl. insbes. RGSt 4 6 356; 5 9 181 (etwas unsicher): 61 308; 6 2 145; 64 55; ebenso Ostendorf NK Rdn. 8; Rudolphi ZRP 1 9 7 9 2 2 0 ; Bemmann S. 14; vgl. auch Fischer Rdn. 7; Grünwald KJ 1978 279.

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25

Ablehnend auch Hohmann MK Rdn. 23; Ostendorf aaO; Rudolphi ZRP aaO; Sehl Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 102 Rdn. 6.

Ernst-Walter Hanack

Belohnung und Billigung von Straftaten

§ 140

e) Öffentliches Billigen. Die Billigung muss öffentlich erfolgen. Das ist, entsprechend dem Gesetzeszweck, dann der Fall, wenn die Kundgebung für eine nach Zahl und Zusammensetzung unbestimmte Mehrheit von Personen wahrnehmbar ist, 26 wozu z.B. die Wahrnehmungsmöglichkeit durch nur zwei unbeteiligte Personen nicht ausreicht (OLG Hamm MDR 1980 159). Diese Interpretation wird jetzt mittelbar durch die gesonderte Erfassung des Billigem in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften bestätigt, s. im folg. Text. Ein öffentliches Billigen ist auch durch Prozessbeteiligte in der Hauptverhandlung denkbar; dazu unten Rdn. 39.

27

Der öffentlichen Billigung gleichgestellt ist seit dem 14. StRÄndG die Billigung in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften i.S. des § 11 Abs. 3. Die Erweiterung soll Äußerungen einbeziehen, die wegen der Bestimmtheit des angesprochenen Personenkreises nicht „öffentlich" gemacht sind, ihrem Unrechtsgehalt nach aber der öffentlich begangenen Tat gleichkommen (Stree NJW 1976 1181; näher Sturm J Z 1976 350). Angesichts dieses Zwecks sowie auch angesichts der allgemeinen Zielsetzung des § 140 (oben Rdn. 1, la), wird man danach annehmen müssen, dass geschlossene Versammlungen mit ganz wenigen Teilnehmern nicht ausreichen (Rudolphi/Stein SK Rdn. 10; Ostendorf NK Rdn. 9; Hohmann MK Rdn. 18); bei der Abgrenzung muss insoweit entscheidend sein, ob nach der Größe der Versammlung eine friedensstörende Eignung überhaupt denkbar ist.

28

f) Friedensstörende Eignung. Seit dem 14. StRÄndG verlangt das Gesetz, dass die Billigung - nicht aber die Belohnung - „in einer Weise" erfolgt, „die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören". Die Klausel schränkt nach Wortlaut, Zweck und Entstehungsgeschichte die Strafbarkeit des Billigens ein (Stree NJW 1976 1181; Sturm J Z 1976 351). Sie soll im Anschluss schon an § 293 Ε 1962 in Angleichung insbesondere an § 130 den Charakter des Delikts klarer stellen und namentlich die Auffassung der Praxis sanktionieren, dass die Billigung längst vergangener Taten (dazu Rdn. 32 f) vom Tatbestand nicht erfasst wird (Prot. VII, 2286; vgl. auch BTDrucks. 7/3030 S. 8; BTDrucks. 7/4549 S. 8). Der Begriff der friedensstörenden Eignung findet sich schon vor dem 14. StRÄndG in den §§ 130 und 166, seit dem 14. StRÄndG ferner in § 126, wo er jeweils beträchtliche Zweifel und Auslegungsschwierigkeiten aufwirft (vgl. im Einzelnen die Erl. zu den §§ 126,130, 166). 2 7

29

Eine friedensstörende Eignung setzt (auch) bei § 140 berechtigte Gründe für die Befürchtung voraus, dass es zu einer Störung des öffentlichen Friedens kommt; dass sie tatsächlich eintritt, wird hingegen vom Gesetz nicht verlangt. 28 Folgt man der überkommenen Auffassung vom Schutzzweck der Vorschrift (oben Rdn. 1), kann die Friedensstörung sowohl durch die Erschütterung des Vertrauens in die öffentliche Rechtssicherheit als auch durch Aufhetzung weiterer potentieller Täter geschehen, also durch die Schaffung eines „psychischen Klimas", in dem „gleichartige Untaten gedeihen". 29 Nach

30

26

27

BGHSt 2 2 2 8 2 , 2 8 7 im Anschluss an RGSt 58 53 und 6 3 431, 4 3 2 ; Ostendorf NK Rdn. 9; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 6. Ablehnend zu dem Begriff und seiner traditionellen Auslegung namentlich Fischer Öffentlicher Friede insbes. S. 411 ff, 4 5 2 ff (dessen Meinung auf Gesetzeskritik und -änderung hinausläuft); vgl. auch Fischer

28

29

NStZ 1988 159 ff und Fischer Rdn. 8 sowie Hörnle S. 90 ff. BGH N J W 1978 58; vgl. auch BGHSt 34 329, 331 zu § 126; Hoyer S. 138, 140; der bei nicht eingetretener konkreter Gefährdung im Grunde auf ihre fahrlässige Verursachung abstellt. So BGH aaO m.w.N. im Anschluss an Rudolphi; ebenso Blei BT § 2 4 II 3.

Ernst-Walter H a n a c k

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

einer neueren Auffassung vom Schutzzweck des § 140 (oben Rdn. l a ) wird man hingegen entscheidend auf die Provokation der Rechtsgemeinschaft in dem (aaO) umschriebenen Sinne abstellen (was die Auslegung des Merkmals ein wenig anders akzentuiert und für die normative richterliche Wertung konkretisiert). Dass begangene Taten in der Bevölkerung Abscheu hervorgerufen haben, schließt die friedensstörende Eignung grundsätzlich nicht aus. Sie beurteilt sich im Übrigen nicht allein nach dem Inhalt der billigenden Erklärung. Von Bedeutung sind auch die äußeren Umstände, so der Umfang ihrer Verbreitung, 30 der angesprochene Adressatenkreis und insbesondere die konkrete gesellschaftliche und massenpsychologische Situation, in der die Erklärung erfolgt ist. 31 31

Dass bei einer Gesamtdarstellung für die Würdigung der friedensstörenden Eignung eine isolierte Betrachtung einzelner Äußerungen zu vermeiden ist, betont BGH N J W 1978 58, 59 an sich zu Recht (vgl. auch Rdn. 15). So ist es sicher friedensstörend, wenn der Verfasser der Äußerung „eine große Zahl sich immer mehr in ihrem Ausmaß steigernder Rechtsgutverletzungen als nahezu selbstverständliche Folge gesellschaftskritischer Einstellung schildert, ohne über die Opfer und den dabei angerichteten Schaden zu reflektieren" (BGH). Zu beachten bleibt dabei jedoch, dass allein die bloße Schilderung begangener Taten, selbst wenn sie ohne Distanzierung geschieht, als solche noch keine Billigung erhält (oben Rdn. 2 2 ff, 26). Entgegen der in LK 1 0 Rdn. 31 vertretenen Auffassung nicht selbstverständlich ist es, wenn der BGH (aaO) bei der friedensstörenden Eignung einer Gesamtdarstellung Momente mit ins Gewicht fallen lässt, die über die eigentliche Billigung erfasster Taten hinaus friedensstörend wirken, so „Ausführungen, ,in denen der Volkskrieg mit den einfachsten Mitteln' gerühmt wird: ,die Bomben immer so primitiv machen, dass jeder andere sie machen kann'". Die Gefahr, dass bei einer solchen Einbeziehung die erforderliche Billigung vom Merkmal der friedensstörenden Eignung überwuchert oder ersetzt und überdies der einschränkende Charakter des Merkmals (Rdn. 29) ausgehöhlt wird, ist nicht zu verkennen. 32 Andererseits ist aber die friedensstörende Eignung einer Billigung auch (und nicht nur im Strafmaß) von der Art und Weise der Äußerung abhängig, also ihrer friedensgefährdenden Intensität (vgl. Rdn. 30 a.E.). Im Widerstreit dieser Gesichtspunkte erscheint es richtig, für die friedensstörende Eignung solche in der billigenden Darstellung enthaltenen Äußerungen heranzuziehen, die der Billigung gewissermaßen Farbe und Konsequenz verleihen und damit für ihre friedensstörende Wirkung bedeutsam sind, selbst wenn diese Umstände für sich genommen kein Billigen einer Katalogtat enthalten. Die in Fn. 3 0 zitierte Entscheidung gibt dafür wohl ein überzeugendes Beispiel.

32

g) Weit zurückliegende Taten insbesondere. Nach herrschender Meinung erfasst § 140 mindestens in der Regel nicht das Billigen von Taten, die weit zurückliegen, insbesondere nur noch von historischem Interesse sind. 33 Davon ist, wie bemerkt, auch der Gesetz30

31

32

BGH bei Schmidt M D R 1981 92 (insoweit in BGHSt 2 9 5 0 nicht abgedruckt). So treffend Rudolphi ZRP 1 9 7 9 2 2 0 f in kritischer Auseinandersetzung mit BGH NJW 1978 58, 5 9 und OLG Braunschweig NJW 1978 2 0 4 4 , 2 0 4 6 ; vgl. auch Hohmann MK Rdn. 19; Ostendorf NK Rdn. 10. Ablehnend darum Rudoiphi/Stein Rdn. 11 sowie Hohmann und Ostendorf aaO; Fischer Öffentlicher Friede S. 4 5 6 ; Grünwald in Lüderssen/Sack S. 497.

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33

BGH N J W 1978 58 59; Lackner/Kühl Rdn. 4 („in der Regel"); Ostendorf NK Rdn. 10 („regelmäßig"); Rudolphi/Stein Rdn. 4b, 11; Schönke/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 5a; Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 102 Rdn. 8; Stree NJW 1976 1181; Sturm J Z 1976 351; kritisch Hohmann MK Rdn. 20; Fischer Rdn. 8a; Fischer Öffentlicher Friede insbes. S. 415 ff, 455 ff.

Ernst-Walter Hanack

Belohnung und Billigung von Straftaten

§ 140

geber ausgegangen, der diese Meinung mit der Klausel von der friedensstörenden Eignung sanktionieren wollte (oben Rdn. 29; s. auch Ε 1962, S. 465). Im Einzelnen ist jedoch die Frage wenig geklärt. Dies hängt wohl vor allem damit zusammen, dass sich die herrschende Meinung weder aus dem Gesetzeswortlaut noch gar aus dem Schutzzweck zwingend ableiten und überzeugend konkretisieren lässt. Die heute im Anschluss an die Gesetzesmaterialien zum 14. StRÄndG (Rdn. 29) übliche Auffassung, dass es hier an der friedensstörenden Eignung fehle, überzeugt wenig, weil gerade das im Einzelfall durchaus zweifelhaft sein kann oder gar zu verneinen ist. Im Übrigen war die geschilderte Meinung bereits vor Einfügung der Klausel von der friedensstörenden Eignung herrschend; es spricht einiges dafür, dass sie auf die Erinnerung an die Weimarer Republikschutzgesetze (s. „Entstehungsgeschichte") zurückgeht, bei denen in der Tat eine solche Interpretation geboten war, aber nur deswegen, weil es sich dort um irgendwie aktuelle Delikte („gegen den Reichspräsidenten", „gegen die verfassungsmäßig festgestellte republikanische Staatsform" usw.) handeln musste. Im heutigen Recht lässt sich die Beschränkung in vergleichbarer Weise aus dem Katalog der erfassten Bezugsdelikte nicht oder doch nur zum Teil und damit nicht zwingend ableiten. Vielmehr ergibt sie sich heute allenfalls aus der Gleichstellung von „Belohnen" und „Billigen", wenn man nämlich argumentiert, da das Belohnen seiner Natur nach (Rdn. 11) nur gegenüber noch lebenden Personen möglich ist, müsse auch das Billigen einer in etwa gleichartigen zeitlichen Schranke unterliegen. Aber das ist nicht sehr überzeugend, gerade weil beim friedensstörenden Billigen der Schutzzweck der Vorschrift eher gegen eine solche Interpretation spricht. So lässt sich - auch angesichts der Absicht des Gesetzgebers die herrschende Meinung wohl nur sehr eingeschränkt und mit der Erwägung rechtfertigen, dass das ohnedies problematische Schutzgut (vgl. Rdn. 2) eine Beschränkung auf solche Taten nahelegt, die ihrer Art nach unmittelbaren Bezug zur Jetztzeit aufweisen, also ähnlich der Unmittelbarkeit des Billigens (s. Rdn. 18) ohne Umsetzung historischer Bezüge von jedem als aktuelle Problematik verstanden werden; diesen letzteren Gesichtspunkt meint wohl auch der BGH (NJW 1978 58, 59), wenn er von „Vorgängen der jüngsten Zeitgeschichte" spricht, die „noch so aktuell sind, dass ihre Billigung geeignet sein kann, den öffentlichen Frieden zu stören". Entgegen Blei (BT § 74 III 1) und Rudolphi/Stein SK Rdn. 4c kommt es dabei jedoch 3 3 nicht notwendigerweise darauf an, ob für die Bezugstat zur Zeit ihrer Begehung die heute einschlägige Strafvorschrift oder eine ihr im wesentlichen Unrechtsgehalt entsprechende Bestimmung gegolten hat; die Bezugstat muss nur zur Zeit der Billigung (oder Belohnung) Katalogtat i.S. des § 140 sein. Strafbar ist danach das Billigen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen (BGH NStZ 1999 348; Ε 1962, S. 465) und erst recht noch kürzer zurückliegender Taten, aber wohl auch noch die Ermordung von Liebknecht und Rosa Luxemburg (so Blei aaO), nicht jedoch z.B. die Ermordung Cäsars oder Wallensteins (so im Ergebnis auch Blei aaO). Dass Judenprogrome des Mittelalters nicht erfasst sind (so Blei aaO und Rulophi/Stein SK Rdn. 11), erscheint nach Lage des Einzelfalles heute (vgl. Rdn. 30 a.E.) zweifelhaft.

IV. Vorsatz und Irrtum § 140 setzt Vorsatz voraus (§ 15), wobei bedingter Vorsatz reicht. Der Vorsatz muss 3 4 sich insbesondere auf das Vorliegen einer konkreten rechtswidrigen Katalogtat (Rdn. 7) sowie auf das Belohnen oder Billigen dieser Tat beziehen. Dabei ist in der Regel nicht davon auszugehen, dass ein Buch- oder Zeitschriftenhändler alle in seinem Geschäft Ernst-Walter Hanack

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

feilgebotenen Druckerzeugnisse liest und auf ihren strafbaren Inhalt überprüft oder überprüfen lässt (KG StV 1987 436). Dass der Täter die Bezugstat strafrechtlich richtig einordnet, z.B. als Vorbereitung eines Angriffskrieges nach § 80 qualifiziert, gehört nicht zum Vorsatz.34 Im Falle des Billigens muss der Vorsatz auch die Erkennbarkeit (s. Rdn. 17 ff) sowie die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens (Rdn. 29 ff) umfassen.35 Nimmt der Täter irrig an, die Bezugstat sei wegen eines (existierenden oder nicht existierenden) Rechtfertigungsgrundes nicht rechtswidrig, ist ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum gegeben; doch gilt dies nicht, wenn der Täter weiß, dass die Rechtsordnung den von ihm angenommenen Rechtfertigungsgrund nicht anerkennt (vgl. auch Fischer Rdn. 9). Zu Vorsatz- und Irrtumsproblemen bei der Teilnahme s. im folg. Text. V. Täterschaft und Teilnahme 35

Täterschaft und Teilnahme sind nach den allgemeinen Regeln möglich. Insbesondere ist § 140 kein eigenhändiges Delikt, so dass die Tathandlungen des Belohnens und des Billigens grundsätzlich auch in mittelbarer Täterschaft begangen werden können. Zu beachten ist jedoch, dass das Billigen seiner Natur nach voraussetzt, dass der Äußernde eine eigene Zustimmung zum Ausdruck bringt; der bloße Bericht über fremde Äußerungen oder ihr bloßes Verbreiten ist daher noch keine Billigung (oben Rdn. 22 ff, insbes. 24), so dass insoweit Täterschaft ausscheidet. Doch kann das Wiedergeben fremder Äußerungen in solchen Fällen, wie schon angedeutet (Rdn. 24), strafbare Beihilfe darstellen (BGHSt 29 258, 267; 36 363, 371; ganz h.L.). Dadurch ergibt sich eine schwierige Problematik insbesondere für Presseorgane. Denn für die strafbare Beihilfe reicht grundsätzlich, dass der Verbreitende die fremde Kundgebung in Kenntnis ihrer Strafbarkeit mit bedingtem Vorsatz fördert, selbst wenn er die Haupttat nicht billigt oder sogar missbilligt (s. die Erl. zu § 27). So hat Schnetdewin (zu § 5 RepublikschutzG 1930, Anm. 10) auch angenommen, dass das Wiedergeben einer fremden Äußerung, die sich der Handelnde nicht zu eigen macht, dann Beihilfe ist, „wenn er damit die fremde Kundgebung fördern will und fördert". Demgegenüber hat RGSt 64 55, 56 (für einen Fall des „Beschimpfens" nach § 8 Nr. 1 RepublikschutzG 1930) Beihilfe offenbar deswegen verneint, weil der Verleger einer Verbandszeitschrift bei der Wiedergabe einer fremden Rede „in der Hauptsache" „geschäftliche Zwecke" verfolgte. Das erscheint kaum vertretbar, weil das Motiv den Vorsatz zur Förderung der Haupttat nicht ausschließt. Ebenso bedenklich ist es, wenn die genannte Entscheidung eine Beihilfe auch deswegen ablehnt, weil im Zeitpunkt der Publikation die Haupttat (eine Rede) schon abgeschlossen gewesen sei. Denn wenn, wie zu vermuten steht, die Veröffentlichung nach Absprache mit dem Redner geschah, enthält ihre Wiedergabe auch für ihn eine (neue oder fortgesetzte) Tathandlung, die durch die Veröffentlichung als solche gefördert wird.

34

Schneidewin zu § 5 RepublikschutzG 1 9 3 0 Anm. 13; Hohmann M K Rdn. 21 und Ostendorf N K Rdn. 13 verlangen eine Parallelwertung in der Laiensphäre, die den Vorsatz ausschließen kann.

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35

Ostendorf N K Rdn. 13; Fischer Rdn. 9; vgl. auch Rudolphi/Stein SK Rdn. 12; aA wohl Hoyer S. 138.

Ernst-Walter H a n a c k

Belohnung und Billigung von Straftaten

§ 140

Folgt man den bedenklichen Wegen von RGSt 64 55 nicht, ist in den erörterten Fällen nach dem Wortlaut des Strafgesetzes Beihilfe in weitem Umfang gegeben. Dieses Ergebnis bedarf jedoch der Korrektur im Hinblick auf die Maßstäbe des Art. 5 Abs. 1 GG: Die Berichterstattung über fremde Äußerungen, mögen diese auch strafbar sein, kann als solche, solange sie eine eigene Billigung nicht enthält, keine strafbare Verhaltensweise bedeuten. Denn sonst wäre eine Berichterstattung über derartige Äußerungen gänzlich ausgeschlossen. Dies aber wäre verfassungswidrig. Dem steht auch nicht entgegen, dass § 140 eine sog. Sozialadäquanz-Klausel nicht kennt (s. Rdn. 38) und dass nach Art. 5 Abs. 2 GG die Freiheit der Berichterstattung ihre Grenzen in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze findet. Denn das kann den Ausschluss der Berichterstattung bzw. ihre Strafbarkeit als Beihilfe zu § 140 nicht rechtfertigen, sondern wäre auch mit der Wechselwirkung zwischen Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 (vgl. BVerfGE 7 198, 208 f; 20 162, 176 f) nicht zu vereinbaren.36 Entgegen der Tendenz von BGH NJW 1978 58 (s. oben Rdn. 22 ff) kann die Straflösigkeit der Berichterstattung dabei auch nicht von einer besonderen „Distanzierung" gegenüber dem Inhalt der wiedergegebenen Äußerung abhängen, schon weil eine solche Distanzierung vielfach praktisch unmöglich ist (Rdn. 23), im Übrigen und damit zusammenhängend - aber auch dem Wesen der Berichterstattung widerspricht.

36

Eine andere Frage ist, wie weit diese Maßstäbe über die spezifische Berichterstattung hinaus auch für die sonstige Verbreitung fremder Äußerungen gelten können, insbesondere wenn die Äußerungen dadurch erst eine „Plattform" erhalten. Hier liegt - unter dem Aspekt der Beihilfe - das eigentliche Problem der Publikation des „Bommi"-Baumann-Berichts (oben Rdn. 22 ff). Dass sich Verleger auf das Grundrecht des Art. 5 GG nicht berufen können, wenn in der Publikation „eine Anzahl schwerer Verbrechen billigend in einer Weise dargestellt wird, die den öffentlichen Frieden zu stören geeignet" ist, ist dem BGH (NJW 1978 58, 59; vgl. auch BGHSt 29 258, 269) im Grundsatz zuzugeben. Doch bleibt zweifelhaft, ob dies so unbedingt gelten kann, falls nämlich in der Darstellung trotz ihres billigenden und friedensstörenden Inhalts der Berichtscharakter überwiegt und der Äußerung ihr wesentliches Gepräge gibt. Es spricht einiges dafür, dass in solchen Fällen nach den Grundsätzen einer verfassungskonformen Auslegung die Förderung der Information der Förderung des Billigens vorgeht oder vorgehen kann, obwohl es an sich ungereimt erscheint, für die vorsätzliche Förderung einer Haupttat, die beim Täter grundsätzlich strafbar bleibt (s. Rdn. 15), unter Umständen eine Beihilfe dennoch zu verneinen; so wird es sich insoweit schon um besonders gelagerte Konstellationen handeln müssen (vgl. auch Ostendorf NK Rdn. 14). Im Übrigen bedarf in diesem kritischen Bereich der Gehilfenvorsatz der besonders sorgfältigen Prüfung und ebenso die Möglichkeit eines Verbotsirrtums nach § 17. Das gilt in verstärktem Maße bei Personen, die innerhalb eines Druckereibetriebes lediglich bei der drucktechnischen Herstellung einer Schrift mitwirken (vgl. auch BGHSt 29 258, 266).

37

VI. Sozialadäquanz, Meinungs- und Pressefreiheit, Prozessverhalten Anders als in den §§ 86, 86a, 130 und 130a ist in § 140 eine sog. SozialadäquanzKlausel nicht enthalten. Der BGH schließt eine analoge Anwendung dieser Klausel bei

36

Hohmann

MK Rdn. 23; Rudolphi/Stein

Rdn. 17; im Erg. auch Ostendorf NK Rdn. 14, der § 1 9 3 analog anwendet; vgl. auch BGHSt 2 9 2 5 8 , 2 6 9 , wo tendentiell auf

das „Überwiegen eines BerichterstattungsCharakters" abgestellt wird, sowie die Bern. in BGHSt 3 6 3 6 3 , 3 7 1 f.

Ernst-Walter Hanack

709

38

§ 140

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

§ 140 aus, „weil eine billigende Berichterstattung über schwere Verbrechen nicht als sozialadäquat angesehen werden kann". 37 Das entspricht ohne Zweifel dem Willen des Gesetzes, mag es insbesondere gegenüber § 130a vielleicht auch nicht ganz überzeugend sein. Doch bleibt zu beachten, dass dies gerade bei der Berichterstattung Überzeugungskraft eben nur für „eine billigende Berichterstattung" (BGH) besitzt; soweit die Meinungs- und Pressefreiheit durch eine nicht billigende Berichterstattung in Frage steht, sind, wie dargelegt (Rdn. 36), durchaus andere Gesichtspunkte zu beachten. Und ähnliches gilt in den sonstigen Fällen einer nicht „billigenden" Verbreitung, die bei den genannten anderen Delikten unter die Sozialadäquanz-Klausel fallen würden (vgl. Rdn. 37). 39

Schwierigkeiten entstehen, wenn eine Billigung durch spezifisches Prozessverhalten in Frage steht. Für die Rechtspflegeorgane, insbesondere den Verteidiger, gilt insoweit der allgemeine Grundsatz, dass die Wahrnehmung prozessualer Befugnisse nicht gegen das Strafgesetz verstoßen darf. Ein allgemeiner oder spezieller Rechtfertigungsgrund greift nicht ein. Insbesondere besteht kein Anlass, § 193 analog anzuwenden, da die Wahrnehmung berechtigter Verteidigungsinteressen grundsätzlich auch ohne Billigung der in Frage stehenden Taten möglich ist.38 Soweit es jedoch um das Prozessverhalten des Angeklagten geht, liegt eine strafbare Billigung grundsätzlich nicht vor, wenn er als (Mit-)Täter oder Teilnehmer der Bezugstat diese im Prozess verherrlicht, und sei es auch in exzessiver Weise. Gleiches gilt für den nach § 140 Angeklagten, der im Prozess die Billigung wiederholt oder verstärkt. Es handelt sich in beiden Fällen insoweit um eine prozessual erlaubte Form der Selbstverteidigung, weil jede andere Betrachtung notwendigerweise darauf hinauslaufen müsste, dem Angeklagten das Bemühen um Rechtfertigung und Erklärung seiner Motive oder auch den Mangel an prozessualem Wohlverhalten als strafbares Tun anzurechnen.39 Statthaft ist es nach umstrittener Rechtsprechung in engen Grenzen jedoch, ein solches Prozessverhalten dann bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, wenn es den - eindeutigen Schluss auf eine weiter bestehende rechtsfeindliche Gesinnung zulässt (vgl. näher Bruns Strafzumessungsrecht S. 595 ff, 604 ff m. Nachw.).

VE. Konkurrenzen 40

Bis zum 14. StRÄndG hatte § 140 subsidiären Charakter: Strafbarkeit trat nur ein, „wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht" war. Der Gesetzgeber hat die Subsidiaritätsklausel gestrichen, weil „bei der Neufassung ... der Schutz des öffentlichen Friedens im Vordergrund" stehe, so dass „keine Bedenken dagegen" bestünden, Tateinheit anzunehmen, wenn die Handlung außerdem noch einen anderen Tatbestand erfüllt (Sturm Prot. VII, 2296). Dies ist insbesondere möglich durch gleichzeitige Verletzung der §§ 111, 129, 129a und b, 130, 130a, 131, 189, aber (so Rudolphi/Stein SK Rdn. 19; Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 9) im Einzelfall

37

38

So BGH NJW 1978 58, 59; ähnlich BGHSt 2 9 258, 2 6 9 ; ebenso Fischer Rdn. 8a; Maurach/Schroeder-Maiwald 2, § 102 Rdn. 9. Ebenso im Erg. Rudolphi/Stein SK Rdn. 16; Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 102 Rdn. 9.

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39

BGHSt 31 16, 23 = JR 1983 116 (mit insoweit nicht einschlägiger Anm. Gössel); ebenso Ostendorf NK Rdn. 12; Rudolphi/Stein aaO; Fischer Rdn. 7; enger Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 102 Rdn. 9.

Ernst-Walter Hanack

Belohnung und Billigung von Straftaten

§140

wohl auch durch die Verwirklichung der §§ 257, 258, die ebenfalls andere Rechtsgüter betreffen. Gegenüber § 130 Abs. 3 tritt § 140 Nr. 2 freilich zurück (BGH NJW 1999 1561). Auch nach Wegfall der Subsidiaritätsklausel ist anzunehmen, dass § 140 zurücktritt, 41 wenn eine erfolgte Belohnung zugleich deswegen Teilnahme an der Bezugstat ist, weil sie schon vor ihrer Begehung zugesagt wurde: 40 Zwar betrifft § 140 die Belohnung, „nachdem" die Tat begangen wurde, so dass man angesichts des Schutzzwecks der Vorschrift (Rdn. 1, la) daran denken könnte, den Teilnehmer zusätzlich auch aus § 140 zu bestrafen; doch ist insoweit der Unrechtsgehalt der nachträglichen Belohnung nur eine Konsequenz des früheren Verhaltens, die daher von der Teilnahme als der schwereren Beziehung grundsätzlich miterfasst wird. Hingegen schließt ein Billigen vor Begehung der Bezugstat, auch soweit es - wie regelmäßig - als Beihilfe zu dieser Tat strafbar ist, die zusätzliche Strafbarkeit wegen eines nach der Tat erfolgten Billigens nach § 140 nicht aus. 41 Denn die spätere friedensstörende Billigung erscheint, anders als die Aushändigung einer zuvor versprochenen Belohnung, nicht als bloße Konsequenz des vorausgegangenen Versprechens; sie besitzt vielmehr einen durchaus neuen Unrechtsgehalt, wie insbesondere die regelmäßig wohl verschiedene Art der Tatbegehung („öffentlich", „in einer Versammlung" usw.) deutlich macht.

42

Gleiches gilt - für Täter und Teilnehmer - erst recht, wenn die Mitwirkung an der Bezugstat in irgendeiner anderen Weise erfolgte. Daher kann sich insbesondere auch der (Mit-)Täter der Bezugstat durch nachträgliches Billigen strafbar machen (s. schon oben Rdn. 25, aber auch Rdn. 39). 4 2 Eine Mehrheit billigender Äußerungen wird regelmäßig als natürliche Handlungseinheit aufzufassen sein, wenn die Äußerungen in derselben Rede fallen, in demselben Schriftwerk stehen oder sonst in einem Zuge geschehen (Schneidewin zu § 5 RepublikschutzG 1930, Anm. 13). Ansonsten ist bei mehreren Äußerungen an verschiedenen Orten oder zu verschiedenen Zeiten regelmäßig Tatmehrheit gegeben (Hobmann MK Rdn. 24; Rudolphi/Stein SK Rdn. 19).

§ 141

(weggefallen)

40

41

Lackner/Kühl Rdn. 4; Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 9; Fischer Rdn. 11; Laufhütte MDR 1976 4 4 4 Fn. 52; aA Rudolphi/Stein Rdn. 19; Ostendorf NK Rdn. 16, der aber in Rdn. 17 § 154 StPO heranzieht. Ebenso wohl Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-

42

Lieben Rdn. 9; Fischer Rdn. 11; aA Hohmann MK Rdn. 24; Lackner/Kühl Rdn. 5. Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 9; anders Hohmann MK Rdn. 2 4 ; Maurach/Schroeder/Maiwald 2, § 102 Rdn. 6 und Schroeder S. 31, die die Billigung der eigenen Tat als subsidiär zurücktreten lassen.

Ernst-Walter Hanack

711

43

§ 142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung § 142

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (1) Ein Unfallbeteiligter, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er 1. zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat oder 2 . eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Nach Absatz 1 wird auch ein Unfallbeteiligter bestraft, der sich 1. nach Ablauf der Wartefrist (Absatz 1 Nr. 2 ) oder 2 . berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt hat und die Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht. (3) 1 Der Verpflichtung, die Feststellungen nachträglich zu ermöglichen, genügt der Unfallbeteiligte, wenn er den Berechtigen (Absatz 1 Nr. 1) oder einer nahe gelegenen Polizeidienststelle mitteilt, dass er an dem Unfall beteiligt gewesen ist, und wenn er seine Anschrift, seinen Aufenthalt sowie das Kennzeichen und den Standort seines Fahrzeuges angibt und dieses zu unverzüglichen Feststellungen für eine ihm zumutbare Zeit zur Verfügung hält. 2 Dies gilt nicht, wenn er durch sein Verhalten die Feststellungen absichtlich vereitelt. (4) Das Gericht mildert in den Fällen der Absätze 1 und 2 die Strafe (§ 4 9 Abs. 1) oder kann von Strafe nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Unfallbeteiligte innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach einem Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs, der ausschließlich nicht bedeutenden Sachschaden zur Folge hat, freiwillig die Feststellungen nachträglich ermöglicht (Absatz 3). (5) Unfallbeteiligter ist jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann.

Schrifttum a) Allgemein: Anton Bedingter Vorsatz beim Vergehen der Verkehrsunfallflucht (§ 142 StGB), Diss. jur. Frankfurt a.M. (1980); Arbab-Zadeh Der innere Tatbestand des Unfallfluchtdeliktes aus ärztlich-sachverständiger Sicht, NJW 1965 1049; Arloth Verfassungsrecht und § 142 StGB - Grenzen extensiver Auslegung von Täterschaft und Teilnahme, GA 1985 492; Bach Wertgrenzen für den Sachschaden bei tätiger Reue i.S. von § 142 Abs. 4 StGB, DAR 2007 667; Bär Wer ist Feststellungsberechtigter? DAR 1983 215; Bär/Hauser/Lehmpuhl Unfallflucht, Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, Kommentar (Stand: 1.2.2001); Bauer Nochmals: (Kein) Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort bei Verlassen der Unfallstelle als letzter, NStZ 1985 301; Baumann Das Verhalten des Täters nach der Tat, NJW 1962 1793; Beier „Verkehrsunfallflucht" auf dem Wasser, MDR 1978 12; Bernsmann Der Verzicht auf Feststellungen bei § 142 StGB, NZV 1989 49; Berz Unfallflucht nach vorsätzlicher Tat, JuS 1973 558; ders. Zur Auslegung des § 142 StGB, DAR 1975 309; ders. „Berechtigtes" und „entschuldigtes" Verlassen der Unfallstelle, JURA 1979 125; Beulke Strafbarkeit gemäß § 142 StGB bei vorsatzlosem Sich-Entfernen vom Unfallort, NJW 1979 400; ders. Strafbarkeit gemäß § 142 StGB nach einverständlichem Verlassen der Unfallstelle und späterem Scheitern der Einigung? - OLG Köln (NJW 1981, 2367), JuS 1982 815; Blum Das unvorsätzliche Sich-Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB), NZV 2008 495; Blum von Ann Die Straftat des unerlaubten Sich-Entfernens vom Unfallort als Vermögensdelikt, Diss. jur. Hamburg (1987); Bönke Die neue Regelung

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Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

über „tätige Reue" in § 142 StGB, NZV 1998, 129; Böse Die Einführung der tätigen Reue nach der Unfallflucht - § 142 Abs. 4 StGB n.F., StV 1998 509; Bouska Das „unverzügliche" Ermöglichen nachträglicher Feststellungen bei Verkehrsunfällen, Verkehrsdienst 1977 21; ders. Nochmals: Das „unverzügliche" Ermöglichen nachträglicher Feststellungen bei Verkehrsunfällen - § 142 StGB, Verkehrsdienst 1977 289; Bringewat Verdunkelungsverbot, Vorstellungs- und Meldepflicht bei Verkehrsunfällen, JA 1977 231; Brock Der objektive Tatbestand des § 142 StGB. Die Geschichte der Ausdehnung eines Tatbestandes, Diss. jur. Kiel (1971); Brückner Auswirkungen auf die materiellrechtliche und prozessuale Tat bei Straßenverkehrsdelikten gemäß §§ 315c, 316 StGB durch die Verwirklichung des § 142 Abs. 1 StGB nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, NZV 1996 266; Brüning Die Strafbarkeit gemäß § 142 StGB wegen unvorsätzlichen Entfernens vom Unfallort, ZIS 2007 317; dies. Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort gemäß § 142 StGB, ZIS 2008 148; Bullert Verkehrsunfallflucht auf privaten Wegen und Plätzen, DAR 1965 7; Bücken Verkehrsunfallflucht: ein straf- und versicherungsrechtliches Dilemma, in: 41. Deutscher Verkehrsgerichtstag 2003, S. 183; Deichmann Grenzfälle der Sonderstraftat. Zum Problem der Subjektsqualifikation durch besondere persönliche Merkmale bei den Aussage- und Verkehrsdelikten, Diss. jur. Marburg (1993); Dietrich, Gero § 142 StGB n.F. und das Verbot zwangsweiser Selbstbelastung (1998); Dornseifer Struktur und Anwendungsbereich des § 142 StGB, J Z 1980 299; Dünnebier Die Verkehrsunfallflucht, GA 1957 33; Dütz Der Unfallbeteiligte gemäß § 142 Abs. 5 StGB, Diss. jur. Münster (2000); Duttge Unterdrückung archaischer Urtriebe mittels Strafrecht? Grund und Grenzen einer Pönalisierung der Verkehrsunfallflucht, J R 2001 181; Dvorak Zur Wartepflicht auf die Polizei nach einem Verkehrsunfall bei Trunkenheitsverdacht, J Z 1981 16; ders. § 142 StGB als Befugnisnorm für Rechtsguteingriffe? Zur dogmatischen Funktion einer umstrittenen Strafbestimmung, MDR 1982 804; Eich Die Verkehrsunfallflucht nach § 142 StGB als potentiell konkretes Forderungsgefährdungsdelikt, Diss, jur. Bonn (1973); ders. Unfallflucht und Vorsatztat, MDR 1973 814; Engelstädter Der Begriff des Unfallbeteiligten in § 142 Abs. 4 StGB (1997); Enskat Unfallflucht durch Täuschungshandlungen, NJW 1962 332; Erdsiek Umwelt und Recht: 2. Verfassungswidrigkeit des § 142 StGB? NJW 1963 632; Feiertag Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort unter Einbeziehung der sog. „tätigen Reue", ZAP 2001 15; Fieberg Verkehrsunfallflucht. Zur Regelung der tätigen Reue: „Schwankender Steg" statt „Goldener Brücke"? in: 41. Deutscher Verkehrsgerichtstag 2003, S. 190; Fitz Die Verkehrsunfallflucht im Versicherungsrecht: ein Update, DAR 2008 668; Franke Feststellungspflicht nach vorsatzlosem Sich-Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB), JuS 1978 456; Freund Funktion und Inhalt des Begriffs des Unfalls bei der Verkehrsunfallflucht, GA 1987 536; Friemel Die Verkehrsunfallflucht als Unterlassungsdelikt, Diss. jur. Saarbrücken (1961); Geppert Zur Frage der Verkehrsunfallflucht bei vorsätzlich herbeigeführtem Verkehrsunfall, GA 1970 1; ders. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (% 142 StGB), JURA 1990 78; ders. Unfallflucht (§ 142 StGB) in strafrechtlicher Sicht und vor dem Hintergrund des „nemo-tenetur-Satzes", Blutalkohol 1991 31; ders. Zur Erstreckung der Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB auf Fälle unvorsätzlichen Sichentfernens vom Unfallort, DAR 2007 380; Granicky Konkurrenzfragen bei der Verkehrsunfallflucht, insbesondere beim Zusammentreffen mit fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit, SchlHA 1966 60; Grohmann Belangloser Schaden i.S. von § 142 StGB, DAR 1978 176; ders. Abhauen und dann bereuen, DAR 1998 487; ders. Die Freiwilligkeit im Sinne des § 142 Abs. 4 StGB, Verkehrsdienst 2003 3; ders./Pompe Hilfsangebote Dritter und Wartepflicht des Unfallbeteiligten, Verkehrsdienst 2003 7; Hahn Wartepflicht und Wartedauer im neuen § 142 StGB, NJW 1976 509; Halm Versicherungsrechtliche Konsequenzen der Unfallflucht, DAR 2007 617; Hammerstein Bemerkungen zur Beratung und Verteidigung in Fällen der Unfallflucht, in: 20. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1982, S. 131; Hartmann-Hilter Die Bedeutung des Meldezettels bei Bagatellunfällen mit einfacher Sachund Rechtslage, NZV 1992 429; dies. Zur „Unfall"-Flucht des Vorsatztäters, NZV 1995 340; dies. Warten am Unfallort - eine unabwendbare Pflicht? § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Die Pflicht des Unfallbeteiligten, auf Verlangen des Feststellungsberechtigten das Eintreffen der Polizei am Unfallort abzuwarten (1996); Härtung Zum inneren Tatbestande der Verkehrsunfallflucht, J Z 1953 398; Haubrich Nächtliche Verkehrsunfälle und die „Unverzüglichkeits"-Frist des § 142 Abs. 2 StGB, DAR 1981 211; Hauser Verkehrsteilnahme unter Alkoholeinfluss und die nachträgliche Unfallmeldepflicht (§ 142 StGB), Blutalkohol 1989 237; Herzberg Zur Teilnahme des Fahrzeughalters am Unterlassungsdelikt nach § 142 Abs. 2 StGB, NZV 1990 375; Himmelreich Wahrnehmbarkeitspro-

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§ 142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

bleme im Rahmen der Verkehrsunfallflucht (§ 142 StGB), DAR 1995 340; ders. Fehlgeschlagene „tätige Reue" im Rahmen der Verkehrsunfallflucht als Ausnahmegrund bei Fahrerlaubnis-Entzug, DAR 2001 486; ders. Gutachter-Einsatz im Rahmen der Verkehrsunfallflucht, DAR 2006 1; ders. Irrtümer bei der Verkehrsunfallflucht, DAR 2007 44; ders. Bagatell-Fremd-Schaden im Rahmen der Verkehrsunfallflucht (J 142 StGB), DAR 2007 669; ders. Unfallflucht (§ 142 StGB): Wegfall oder Verkürzung von Fahrerlaubnis-Entzug (§§ 69, 69a StGB) und Fahrverbot (§ 44 StGB) bei Nachschulung und Therapie, DAR 2008 69; Himmelreich/Bücken Verkehrsunfallflucht. Verteidigerstrategien im Rahmen des § 142 StGB, 4. Aufl. (2005); Höfle Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort § 142 StGB, zfs 1999 458; Jacob Zur Anwendbarkeit des strafrechtlichen Handlungsbegriffs im Rahmen des § 142 StGB, MDR 1983 461; Jagusch Der neue § 142 StGB gegen Unfallflucht, NJW 1975 1631; ders. Zum Umfang der Vorstellungspflicht gemäß § 142 StGB, NJW 1976 504; Janiszewski Zur Neuregelung des § 142 StGB, DAR 1975 169; Janker Checkliste zur Verteidigung bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort, DAR 1989 435, 1990 276 und 1991 195; ders. Verteidigung bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB), NJW 1991 3113; ders. Straflosigkeit bei Ermöglichung nachträglicher Feststellungen nach unerlaubtem Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) unter besonderer Berücksichtigung der „tätigen Reue" (§ 142 Abs. 4 StGB), JbVerkR 1999 211; Joerden Erzwungenes „Sich-Entfernen" vom Unfallort, JR 1984 51; Kleppe Unfallflucht auf Skipisten, NJW 1967 2194; Klinkenberg Und dennoch: Kein „Sich-Entfernen" durch „Entfernt-Werden", MDR 1983 808; Klinkenberg/Lippold/Blumenthal Kein Sich-Entfernen durch Entferntwerden, NJW 1982 2359; Koch Unfallflucht durch Täuschungshandlungen, NJW 1961 2195; ders. Unfallflucht hilfsbereiter Kraftfahrer, DAR 1964 208; Kreissl Unfall und Unfallbeteiligung im Tatbestand des § 142 StGB, NJW 1990 3134; Kretschmer, Bernhard Unfallflucht nach Anfahren eines Toten? NZV 2004 496; Krüger Unfallflucht durch Täuschungshandlungen, NJW 1965 142; ders. Tatmehrheit oder Tateinheit bei Trunkenheitsfahrt mit Unfallflucht? NJW 1966 489; ders. Die Trunkenheitsfahrt mit anschließender Unfallflucht als Konkurrenzproblem, Blutalkohol 1967 6; Krümm Arbeitshilfe: Vorwurf der Unfallflucht nach erlaubtem Entfernen - § 142 Abs. 2 StGB, NZV 2008 497; Kuckuk/Reuter Die Zuordnung optischer und akustischer Wahrnehmungen zueinander für den Vorsatznachweis im Bereich des § 142 StGB, DAR 1978 57; Küper Grenzfragen der Unfallflucht, J Z 1981 209 und 251; ders. Zur Tatbestandsstruktur der Unfallflucht, NJW 1981 853; ders. Vorstellungspflicht und „Feststellung der Person" bei § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB, J Z 1988 473; ders. Die juristische Denksportaufgabe: Der Rollentausch beim Unfall oder das Geheimnis der Vorstellungspflicht (S 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB), JuS 1988 212 und 286; ders. Unfallflucht und Rauschdelikt, NJW 1990 209; ders. Täuschung über Personalien und erschlichener Verzicht auf Anwesenheit bei der Unfallflucht (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB), J Z 1990 510; ders. Richterrecht im Bereich der Verkehrsunfallflucht, in: Richterliche Rechtsfortbildung, Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (1986) S. 451; ders. „Pflichtverletzung" und „Tathandlung" bei der Unfallflucht, GA 1994 49; ders. Verfassungswidrige und verfassungskonforme Auslegung des $ 142 StGB, NStZ 2008 597; Kuhlbusch Der Unfall: eine Übersicht über einen vielfältigen Begriff, JuS 1997 960; Lessing Neue Aspekte der Bemerkbarkeit im Rahmen der Verkehrsunfallflucht (S 142 StGB), DAR 1997 329; Loos/Schwerdtfeger Grenzen der Strafbarkeit wegen „Unerlaubten Entfernens vom Unfallort" nach geltendem Recht, DAR 1983 209; Mater, Bernhard Die Pflichten des Unfallbeteiligten nach der Neufassung der §§ 142 StGB und 34 StVO, J Z 1975 721; ders. Vorstellungspflicht gemäß § 142 StGB, NJW 1976 1190; Maier, Karl Die Neufassung des Tatbestandes der Unfallflucht (§ 142 StGB) - Auswirkungen auf die Kraftfahrtversicherung, NVersZ 1998 59; Mikla Probleme der nachträglichen Feststellungspflicht (§ 142 Abs. 2 StGB), Diss. jur. Passau (1990); Misere Unfallflucht (§ 142 StGB) und Rauschdelikt, JURA 1991 298; Mitsch Verkehrsunfallflucht und Irrtum, Gedächtnisschrift für Rolf Keller (2003) S. 165; ders. § 142 Abs. 2 StGB und Wartezeit-Irrtum (§ 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB), NZV 2005 347; ders. Die verfassungskonforme Anwendung des § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB, NZV 2008 217; Mollenkott Der § 142 Abs. 4 StGB - ein Fehlschlag? zfs 1999 366; Müller Henning Ernst/Kraus Unfallflucht nach vorsätzlichem Rammen durch ein Polizeifahrzeug, NZV 2003 559; Müller-Emmert/Maier Zur Neufassung des § 142 StGB, DRiZ 1975 176; Ohr Der räumliche und zeitliche Zusammenhang der Unfallflucht mit dem Unfallgeschehen, DAR 1960 221; Oppe Nochmals: Unfallflucht nach Vorsatztat, GA 1970 367; Faeffgen § 142 StGB - eine lernäische Hydra, NStZ 1990 365; Pfannmüller Das Verhalten nach einem Ver-

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kehrsunfall. Die Bestimmung des Rechtsguts und die Konsequenzen für das Tatbestandsverständnis der §§ 142 StGB und 34 StVO, Diss. jur. Gießen (1981); Philipps Unbestimmte Rechtsbegriffe und Fuzzy Logic - ein Versuch zur Bestimmung der Wartezeit nach Verkehrsunfällen (§ 142 Abs. 2 StGB), Festschrift für Arthur Kaufmann (1993) S. 265; Poeck, Wartepflicht und Wartedauer des § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB, Diss. jur. Frankfurt a.M. (1994); Rietzsch Die Verordnung zur Änderung der Strafvorschriften über fahrlässige Tötung, Körperverletzung und Flucht bei Verkehrsunfällen vom 2. April 1940, DJ 1940 534; Römer Der räumliche und zeitliche Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen - ein Zumutbarkeitskriterium für das Unterlassungsdelikt des § 142 Abs. 2 StGB? M D R 1980 89; Roth-Stielow Warte-, Folge-, Rückkehr- oder Selbstanzeigepflichten nach dem Verkehrsunfall, NJW 1963 1188; Roxiη Unfallflucht eines verfolgten Diebes, N J W 1969 2038; Ruck § 142 StGB als Vermögensdelikt, Diss. jur. Bochum (1985); Rupp Die Pflicht zum Warten auf die Polizei bei der Verkehrsunfallflucht - aus der Sicht des Verfassungs- und Verwaltungsrechts, JuS 1967 163; Schäfer, Herbert Ist auch dann vom Regelbeispiel des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB auszugehen, wenn die Anwendung des § 142 Abs. 4 n.F. StGB ausschließlich daran scheitert, dass ein „bedeutender Sachschaden" vorliegt? N Z V 1999 190; Scherer Unfallflucht nach nächtlichem Unfall und Benachrichtigung des Geschädigten erst am nächsten Morgen - Verzicht auf Entziehung der Fahrerlaubnis? DAR 1983 218; Schnabl Der Unfallbegriff des § 142 Abs. 1 StGB und die „deliktische Planung", N Z V 2005 281; Schulz Die tätige Reue gem. § 142 Abs. 4 StGB aus dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, N J W 1998 1440: ders. Die zeitliche Ausdehnung der Unfallmeldung bei der Verkehrsunfallflucht, Z R P 2006 149; Schwab § 142 Abs. 1 StGB: Sich entfernen = entfernt werden? M D R 1983 454; ders. Verkehrsunfallflucht trotz „Schuldanerkenntnis" - Feststellungsinteresse an polizeilicher Unfallaufnahme? M D R 1984 538; ders. Unfallflucht bei Verlassen der Unfallstelle als letzter, M D R 1984 639; Schu/itzke Zur Annahme von Tatmehrheit zwischen Trunkenheit am Steuer und nachfolgender Fahrerflucht, N J W 1952 1203; Seelmann Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort, JuS 1991 290; Steenbock Über die Unfallflucht als Straftat (2004); Stein Ein Bewusstloser entfernt sich vom Unfallort, J Z 1983 511; Sturm Die Neufassung des ξ 142 StGB durch das 13. Strafrechtsänderungsgesetz, J Z 1975 406; Ulmer Die strafrechtliche Beurteilung der Verkehrsunfallflucht (§ 142 StGB), Diss. jur. Bonn (1959); Ulsenheimer Wartepflicht auf die Polizei nach Verkehrsunfällen, JuS 1972 24; Volk Die Pflichten des Unfallbeteiligten (§ 142 StGB), DAR 1982 81; Wetgelt Verkehrsunfallflucht und unterlassene Hilfeleistung (1960); ders. Strafaussetzung zur Bewährung bei Verkehrsunfallflucht, DAR 1959 12; ders. Konkurrenzfragen bei der Verkehrsunfallflucht, DAR 1959 96; ders. Täterschaft und Teilnahme bei der Verkehrsunfallflucht, DAR 1959 151; ders. Was ist ein Verkehrsunfall i.S. von § 142 StGB? DAR 1959 180; ders. Art und Umfang der passiven Feststellungspflicht, DAR 1959 206; ders. Z u m inneren Tatbestand des § 142 StGB, DAR 1959 262; ders. Vollendung und Versuch der Verkehrsunfallflucht, DAR 1959 318; ders. Strafzumessung bei der Verkehrsunfallflucht, Strafaussetzung zur Bewährung bei Verkehrsunfallflucht, Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Verkehrsunfallflucht, DAR 1960 10; ders. Wann ist ein Schaden belanglos? DAR 1961 10; Weimar Entfällt Verkehrsunfallflucht bei strafrechtlichem Notstand? JR 1960 338; Werner Rauschbedingte Schuldunfähigkeit und Unfallflucht, N Z V 1988 88; ders. Zur Subsidiarität des Ordnungswidrigkeitenrechts gegenüber dem Strafrecht bei Verkehrsunfällen, DAR 1990 11; Wimmer Zur Strafzumessung bei Verkehrsdelikten, DAR 1953 145; Wölfel Die Rückkehrpflicht - ein Vergleich zwischen der alten und der neuen Fassung des § 142 StGB, Diss. jur. München (1987); Zabel Einige Probleme zur Unfallflucht, Blutalkohol 1983 328; Zopfs Unfallflucht bei eindeutiger Haftungslage? Unverzüglichkeitsgebot und Wahlmöglichkeit in § 142 Abs. 2 und 3 StGB (1993); ders. Die versicherungsrechtliche Aufklärungspflicht (§ 7 AKB) und § 142 StGB, VersR 1994 266. b) Reform: Albrecht Peter-Alexis Entkriminalisierung als Gebot des Rechtsstaats, KritV 1996 330; Beter Reform des § 142 StGB, DAR 1973 85; Berz „Tätige Reue" nach Unfallflucht? DAR 1986 251; ders. Wie kann der Schutzgedanke des § 142 StGB bei Sachschäden besser verwirklicht (wiederhergestellt) werden? in: 24. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1986, S. 181; Cramer Überlegungen zur Reform des § 142 StGB, ZRP 1987 157; ders. Kriminalisierung der Unfallflucht als kriminalpolitisches Problem, in: Eser/Kaiser/Weigend (Hrsg.), Viertes deutsch-polnisches Kolloquium über Strafrecht und Kriminologie (1991), S. 415; Denzlinger Entkriminalisierung des Verkehrsun-

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falls? ZRP 1982 178; Eisenberg/Ohder/Bruckmeier Verkehrsunfallflucht: eine empirische Untersuchung zu Reformmöglichkeiten (1989); Geppert „Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort" (§ 142 StGB): Wie können die Rechte des Geschädigten verbessert werden? Blutalkohol 1986 157; Haag Wie kann der Schutzgedanke des § 142 StGB bei Sachschäden besser verwirklicht (wiederhergestellt) werden, AnwBl 1987 57; Händel Kritische Bemerkungen zur Reform der Strafvorschriften über die Unfallflucht, DAR 1973 60; Heublein Reformüberlegungen zu § 142 StGB, DAR 1985 15; ders. Wie kann der Schutzgedanke des § 142 StGB besser verwirklicht werden? DAR 1986 133; Hoffmann, W. Die Verkehrsunfallflucht im geltenden und künftigen deutschen Strafrecht, Diss. jur. Heidelberg (1964); Höfle Reform der Verkehrsunfallflucht, AnwBl 1987 429; lmhof Rechtspolitische Erwägungen zur Unfallflucht, DAR 1965 268; Janiszewski Gedanken zur Reform des Unfallflucht-Tatbestandes, Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht (VOR) 1972 395; ders. Überlegungen zur Entkriminalisierung des Verkehrsstrafrechts auf der Grundlage eines Gesetzesantrages, DAR 1994 1; von lmhof Rechtspolitische Erwägungen zur Unfallflucht, DAR 1965 268; Lackner Gedanken zur Reform des Tatbestandes der Unfallflucht, DAR 1972 283; Magdowski Die Verkehrsunfallflucht in der Strafrechtsreform (1980); Mollenkott Der § 142 Abs. 4 StGB - ein Fehlschlag? zfs 1999 366; Müller-Metz Zur Reform von Vergehenstatbeständen und Rechtsfolgen im Bereich der Verkehrsdelikte, NZV 1994 89; von Münch Die Verkehrsunfallflucht - ein Fremdkörper im deutschen Strafrechtssystem? DAR 1957 205; Park Der Sinn der Einführung der tätigen Reue bei $ 142 StGB, DAR 1993 246; Scholz Straffreie Unfallflucht bei tätiger Reue? ZRP 1987 7; Schürtemann Überkriminalisierung und Pefektionismus als Krebsschaden des Verkehrsstrafrechts. Oder: Deutschland - ein Land der kriminellen Autofahrer? DAR 1998 424; ders. Historie der missglückten Reformversuche des § 142 StGB, DAR 2003 207; Schwab § 142 StGB: Ruf nach dem Gesetzgeber? Verkehrsdienst 1986 100; Seib Zur Einführung eines strafbefreienden Rücktritts bei § 142 StGB durch Nachmeldung binnen 24 Stunden, J R 1986 397; Spiegel Gedanken zur Reform des Tatbestandes der Unfallflucht aus der Sicht des Richters, DAR 1972 291; Thirolf Kollision von Täterinteressen und Opferschutz bei § 142 StGB. Ein Reformvorschlag unter Berücksichtigung einer empirischen Untersuchung. Diss. jur. Frankfurt am Main (1992); Weigend Zur Reform von § 142 StGB, Festschrift für Herbert Tröndle (1989) S. 753; Wetekamp Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 142 StGB, DAR 1987 11; Zopfs Unfallflucht bei eindeutiger Haftungslage? Unverzüglichkeitsgebot und Wahlmöglichkeit in § 142 Abs. 2 und 3 StGB (1993); ders. Ist die Regelung des § 142 StGB reformbedürftig? DRiZ 1994 87; ders. Die versicherungsrechtliche Aufklärungspflicht (§ 7 AKB) und § 142 StGB. Zur Verwendung einer aufklebbaren Schadensmeldung nach Unfällen mit Fremdschaden im ruhenden Verkehr, VersR 1994 266. c) Kriminologische, kriminalistische und rechtsmedizinische Aspekte (auszugsweise): Barbey Die Verkehrsunfallflucht - ein Sonderdelikt in der forensisch-psychiatrischen Begutachtung? Blutalkohol 1992 252; Bark Ursachen der Verkehrsunfallflucht, dargestellt an Hand einer Auswertung von 796 Verkehrsunfallfluchttatbeständen aus den Jahren 1956 bis 1957, Diss. jur. Berlin (1962); Baumert, W. Zur taktilen Bemerkbarkeit leichter Fahrzeugkollisionen, DAR 2 0 0 0 283; Benicke Untersuchung von Fahrzeuglampen nach einem Verkehrsunfall, DAR 1989 57; Bergermann Die Verkehrsunfallflucht. Kriminologische Untersuchungen im Landgerichtsbezirk Düsseldorf in den Jahren 1961 und 1962, Diss. jur. Bonn (1966); Brede Die Problematik der unverzüglichen Meldung nach Unfallflucht im Dämmerzustand, Verkehrsforum 1982 „Unfallflucht nach Schock" (1983), S. 26; Brettel/Gerschow/Großpietzsch Über die Alkoholbeeinflussung bei der Unfallflucht, Blutalkohol 1973 137; Brühning/Schmid Charakteristische Umstände bei Unfallflucht, Zeitschrift für Verkehrssicherheit (ZVS) 33 (1987) 109; Brüssow Verkehrskriminologie - Untersuchung von „Unfallfluchtdelikten", Polizei, Verkehr und Technik (PVT) 9 (1987) 250; ders. Unfallflucht - ein Massendelikt. Kriminologische Untersuchung von Unfallfluchtdelikten, PVT 1989 301; Bürger Sicherung von Materialspuren nach Verkehrsunfällen, Kriminalistik 1969 70; Eisenberg Bemerkungen zu einem Forschungsprojekt mit dem Ziel einer Prognose (bzw. Abschätzung) der Wirkung von Maßnahmen zur Senkung der Fluchtrate nach Sachschadensunfall im Straßenverkehr, Festschrift für Hans Göppinger (1990) S. 549; ders. Empirische Untersuchungen zur Verkehrsunfallflucht (§ 142 StGB), in: Eser/Kaiser/Weigend (Hrsg.), Viertes deutsch-polnisches Kolloquium über Strafrecht und Kriminologie (1991), S. 389; ders./Ohder/Bruckmeier Verkehrsunfallflucht: eine empirische Untersuchung zu

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Reformmöglichkeiten (1989); Emmerich Die Verkehrsunfallflucht im Bezirk des Landgerichts Essen in den Jahren 1953 bis 1957, Diss. jur. Bonn (1962); Flügel Verkehrsunfallflucht und Alkohol, Diss, jur. Erlangen (1960); Forster/Ropobl Die Begutachtung der Fahrerflucht nach Schädel-Hirn-Trauma und Alkoholgenuss, in: Grote/Bock, Führerschein bei Hirnerkrankungen und Schädel-Hirn-Trauma (1980), S. 29; Frischmann Die Verkehrsunfallflucht jugendlicher und heranwachsender Täter im Landgerichtsbezirk Hamburg in den Jahren 1961 und 1962, Diss. jur. Hamburg (1965); Gaisbauer Verkehrsunfallflucht und mangelnde Zurechnungsfähigkeit infolge Kopflosigkeit, PTV 1964 356; Graßberger Zur Psychologie der Fahrerflucht, in: Arzt und Kraftfahrer (1979) S. 75; Großpietzsch Alkohol und Unfallflucht, Diss. Frankfurt a.M. (1970); Grulich Verkehrsunfallflucht - ein wachsendes Problem, PTV 1985 141; Grüner Zur Schuldfrage bei Unfallflucht, Dt. Zeitschrift für ges. gerichtl. Medizin 49 (1959/60) 592; Guelde Verkehrsunfallflucht und Arzt, ZBl.f.Verk.Med. 1955/56 42; Hartmann Kriminologie der Verkehrsdelikte, Festschrift für Pallin (1989) S. 125; Hauser Der Schadensfreiheitsrabatt - ein bedeutsames Motiv zur Unfallflucht? Verkehrsdienst 1981 290; ders. Unfallflucht - ein typisches Alkoholdelikt, Blutalkohol 1982 193; ders. Verkehrsteilnahme unter Alkoholeinfluss und die nachträgliche Unfallmeldepflicht ($ 142 StGB) Blutalkohol 1989 237; ders. Verkehrskriminologie - Motive zur Unfallflucht, DAR 1989 360; Hein Die Voraussetzungen des Unfallschocks, in: Verkehrsforum 1982 „Unfallflucht nach Schock" (1983) S. 43; Hiob Verkehrsflucht und postkommotioneller Dämmerzustand, Münch. Med. Wochenschr. 1973 1230; Hirschmann Fahrerflucht: Schreck und Panikreaktion, in: Kriminalbiologische Gegenwartsfragen 4 (1960) 44 und 56; ders. Verkehrsunfallflucht im Zustand von Bewusstseinsstörung und krankhafter Störung der Geistestätigkeit, in: Aktuelle Probleme der Verkehrsmedizin 2 (1965) 105; Hunsicker Kriminalistische Ermittlungsansätze bei „Unfallfluchtdelikten", PVT 1986 263; Janski Multifaktorielle Untersuchungen über objektive Unfallbedingungen und Persönlichkeitsmerkmale des Unfallflüchtigen, Diss. Tübingen (1973); Jarosch Interessenkollision bei Verkehrsunfällen, in: Beiträge zur gerichtl. Medizin 31 (1973) 46; ders. Unfallflucht, in: Handwörterbuch der Rechtsmedizin (1973) S. 434; Jost Multifaktorielle Untersuchungen über Handlungsabläufe und zur Motivation bei der Verkehrsunfallflucht, Diss. Tübingen (1973); Kaiser, A. Die Verkehrsunfallflucht ($ 142 StGB) im Landgerichtsbezirk Krefeld in den Jahren 1955 bis 1959, Diss. jur. Bonn (1964); Kaiser, G. Fahrerflucht und Dämmerzustand, in: Beiträge z. gerichtl. Medizin 31 (1973) 15; Karl, J. Verkehrsunfallflucht: Unfallgeschehen - Aufklärungsquoten - Polizeiarbeit, NZV 2003 457 (zugleich in: 41. Deutscher Verkehrsgerichtstag 2003, S. 200); Kast Schreck ist nicht gleich Schock, in: Verkehrsforum 1982 „Unfallflucht nach Schock" (1983) S. 37; Krezdorn Psychiatrisch-forensische Gesichtspunkte bei Unfallflucht unter besonderer Berücksichtigung der Fluchtmotive und der Rolle des Alkohols (1984); Langer Alkoholdelikte im Straßenverkehr - kriminologische Untersuchung im Landgerichtsbezirk Bonn im Jahre 1963, Diss. jur. Bonn (1963); Laubichler Fahrerflucht im Dämmerzustand, Blutalkohol 1977 247; Laumann Kriminologie der Verkehrsunfallflucht (§ 142 StGB). Erscheinungsformen, Ursachen und Kontrollen (1999); Leckband Fahndung, Spurensuche und -Sicherung bei Verkehrsunfallflucht, PTV 1969 330; Leder Zur Statistik der Verkehrsunfallflucht unter Alkoholeinfluss, Diss. jur. Erlangen-Nürnberg (1961); Lincke Verkehrsunfallflucht (§ 142 StGB): eine kriminologische und strafrechtliche Studie unter besonderer Berücksichtigung der in den Jahren 1964 und 1965 im Landgerichtsbezirk Kiel durchgeführten Strafverfahren, Diss. jur. Frankfurt a. M. (1968); Löhle (technischer Unfallsachverständiger) Verkehrsunfallflucht, Festschrift zum 25-jährigen Bestehen der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (2004) S. 399; Luff Die Bewusstseinslage des Kraftfahrers nach alkoholbedingten Verkehrsunfällen und ihre Bedeutung für die Unfallflucht, Blutalkohol 1963 126; ders. Zur Problematik der strafrechtlichen Verantwortlichkeit bei Fahrerflucht nach alkoholbedingten Verkehrsunfällen, in: Das Trunkenheitsdelikt im Straßenverkehr (1967) S. 67; Luff/Karger Zur Frage der Verhaltenskontrolle von Kraftfahrern nach Verkehrsunfällen unter Berücksichtigung des Schuldmaßes, in: Beiträge z. gerichtl. Medizin 31 (1973) 18; Lutze/Miltner Ist unerlaubtes Entfernen vom Unfallort noch immer ein typisches Alkoholdelikt? Blutalkohol 2004 483; Middendorf Kriminologie der Unfallflucht, Blutalkohol 1982 356; Mittmeyer/Staak/Janski Über die objektiven Unfallbedingungen und die Persönlichkeit des Unfallflüchtigen, in: Beiträge z. gerichtl. Medizin 31 (1973) 29; Moser Fahrerflucht - nicht immer das hässliche Delikt (zum Unfallschock) PVT 1984 385; Müller, A. Psychologische Aspekte der Verkehrsunfallflucht, Dt. Polizei 1964 282 und 302; ders. Zur Kriminologie der Unfallflucht, Zeit-

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

schrift für Verkehrsicherheit (ZVS) 1966 31; Müller, Ε. K. Zur Kriminologie der Unfallflucht, ZVS 1964 169; ders. Zur Kriminologie der Unfallflucht, Kraftfahrt und Verkehrsrecht (k + v) 1968 135; Nass Fahrerflucht als psychologisches Problem, in: Psychologie und Praxis 4 (1960) 27; ders. Zur Psychologie der Flucht, MSchKrim 1968 210; Neuninger Chemische Materialuntersuchungen nach Verkehrsunfällen, Kriminalistik 1968 449; Pack Der Unfallschock, in: Verkehrsforum 1982 „Unfallflucht nach Schock" (1983) S. 40; Pantke Die akuten psychisch-vegetativen Regulationsstörungen in der Rechtsprechung, NJW 1966 371; Pieper, H. Die Flucht nach einem Verkehrsunfall, Diss. jur. Hamburg (1957); Pieper, W. Die Verkehrsunfallflucht. Eine kriminologische Untersuchung der in den Jahren 1964 und 1965 im Bereich des Verkehrsunfallkommandos der Polizei der Stadt Frankfurt am Main begangenen und abgeurteilten Delikte, Diss. jur. Mainz (1970); Rauch Zur Psychologie der Fahrerflucht, Diss. Erlangen-Nürnberg (1957); Reckel Psycho-dynamische Aspekte der Verkehrsunfallflucht, MSchKrim 1973 33; ders. Verkehrsunfallflucht und Affekt, ZBl.f.Verk.Med. 1973 65; ders. Differentialdiagnostisch-psychiatrische Erwägungen zur Schutzbehauptung des affektiven Ausnahmezustandes bei Verkehrsunfallflucht, in: Beiträge z. gerichtl. Medizin 31 (1973) 41; Sachse Unfallflucht und Kopflosigkeit, Dt. Z. f.ges. gerichtl. Med. 54 (1963/64) 3; dies. Zur Problematik der Unfallflucht, in: Aktuelle Probleme der Verkehrsmedizin 2 (1965) 119; Schewe Versuch einer Orientierung über juristische und psychologisch-psychiatrische Maßstäbe bei der Unfallflucht, in: Beiträge z. gerichtl. Medizin 31 (1973) 9; Schewe/Kaatsch Zur Rolle des Alkohols bei Unfällen und Unfallflucht, in: Eser/Kaiser/Weigend (Hrsg.) Viertes deutsch-polnisches Kolloquium über Strafrecht und Kriminologie (1991) S. 265; Schmedding Unfallflucht aus der Sicht des technischen Sachverständigen, NZV 2003 24; Schwerdtner, E. Unfallflucht unter Alkoholeinfluss, Diss. jur. Mainz (1964); Staak/Mittmeyer Verkehrsunfallflucht und Alkoholisierung, Blutalkohol 1973 310; Staak/ Mittmeyer/Jost Untersuchungen zur Motivation und zum Handlungsablauf bei der Verkehrsunfallflucht, in: Beiträge z. gerichtl. Medizin 31 (1973) 22; Steinke Aufklärungsmöglichkeiten bei Fahrerflucht, DAR 2005 527; Ternig Art der Beteiligung am Unfall und notwendige Blutentnahme, Verkehrsdienst 2003 9; Voltmer Unfallflucht nach Schock, in: Verkehrsforum 1982 „Unfallflucht nach Schock" (1983) S. 9; Welther Ingenieurwissenschaftliche Untersuchung zur Frage der Wahrnehmbarkeit leichter Fahrzeugkollisionen, Diss. München (1982); Winkler Der „innere Tatbestand" als Objekt der Ursachenfindung bei Verkehrsunfällen, Archiv für Unfallforschung 1962 39; Zabel Unfallflucht im Dämmerzustand nach Schock infolge starken Blutverlustes, aus Angst oder in einer Schrecksituation, in: Verkehrsforum 1982 „Unfallflucht nach Schock" (1983) S. 13. d) Rechtsvergleichende Aspekte: Arbab-Zadeh Die tatbestandsmäßige Unfallflucht in der deutschen, oesterreichischen und schweizerischen Rechtsprechung, Dt Z.f.ges.gerichtl.Med. 57 (1966) S. 55; Bär/Hauser/Lehmpfuhl Unfallflucht (Loseblatt-Kommentar, Stand: 1. Februar 2001) dort unter VI (Internationaler Vergleich); Bockelmann Wesentliche Unterschiede des Verkehrsstrafrechts in Europa und Vorschläge zu seiner Vereinheitlichung, DAR 1974 1; Bysträ/Janker Verkehrsregeln und Unfallschadensregulierung in der Tschechoslowakei, DAR 1990 328; Duttge Rechts vergleichende Anmerkungen zur Strafbarkeit der Führerflucht (Art. 92 Abs. 2 SVG) Schweiz. ZStrR 119 (2001) 147; Gardocki Kriminalisierung der Unfallflucht als kriminalpolitisches Problem (aus polnischer Sicht) in: Eser/Kaiser/Weigend (Hrsg.) Viertes deutsch-polnisches Kolloquium über Strafrecht und Kriminologie (1991) S. 405; Leipold Verkehrsunfallflucht. Eine rechtsvergleichende Untersuchung der Länder Oesterreich, Schweiz und Bundesrepublik (1987); Peeters Fahrerflucht in den Niederlanden und Deutschland im Vergleich (1995); Weigend/Geuenich Verkehrsunfallflucht im europäischen Ausland, DAR 1988 258; Willkommen Es beginnt bei der Unfallflucht - Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Kriminalistik 1987 466; Wussow Die Fahrerflucht im Deutschen und Ausländischen Strafrecht (1957).

Entstehungsgeschichte N a c h § 2 2 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen (KFG) vom 3 . 5 . 1 9 0 9 (RGBl. I 4 3 7 ) wurde mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu zwei Monaten bestraft, wer es als Führer eines Kraftfahrzeuges nach einem Unfall unternimmt, sich

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der Feststellung des Fahrzeugs und seiner Person durch die Flucht zu entziehen; der Täter blieb straflos, wenn er spätestens am nächstfolgenden Tage nach dem Unfall Anzeige bei einer inländischen Polizeibehörde erstattet und die Feststellung des Fahrzeugs und seiner Person bewirkt (Satz 2 ) . 1 Mit VO vom 2 . 4 . 1 9 4 0 (RGBl. I 6 0 6 ) wurde § 2 2 K F G aufgehoben und die bis dahin nur für Kraftfahrzeugführer geltende Strafvorschrift unter Ausdehnung auf alle Verkehrsteilnehmer als § 139a in das StGB eingeführt. 2 Dort hat die Vorschrift im Abschnitt „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung" bis heute ihren (systematisch jedoch nicht zutreffenden: nachfolgend Rdn. 1) Standort gefunden. Durch das 3. StrÄndG vom 4 . 8 . 1 9 5 3 (BGBl. I 7 3 5 ) ohne inhaltliche Änderung in § 1 4 2 umbenannt und durch die Bekanntmachung der Neufassung des StGB vom 1 . 9 . 1 9 6 9 (BGBl. I 1 4 4 5 ) 3 sowie durch das EGStGB vom 2 . 3 . 1 9 7 4 (BGBl. I 4 6 9 ) 4 nur geringfügig geändert, erhielt § 1 4 2 durch das 13. StrÄndG vom 1 3 . 6 . 1 9 7 5 (BGBl. I 1 3 4 9 ) seine am 2 1 . 6 . 1 9 7 5 in Kraft getretene und - mit Ausnahme des erst zum 1 . 4 . 1 9 9 8 eingefügten neuen Absatzes 4 (tätige Reue), womit der vormalige Absatz 4 unverändert zu Absatz 5 wurde - bis heute gültige Fassung; diese ist im Wesentlichen dem § 3 4 7 (Verkehrsflucht) des StGBEntwurfes 1 9 6 2 nachgebildet. 5 Die amtl. Begründung ist in BTDrucks. 7 / 2 4 3 4 veröffentlicht. 6 Weitere Materialien: Sitzungsniederschriften der III. Unterkommission 7 sowie Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 8 in denen der spätere § 3 4 7 Ε 1 9 6 2 - zunächst unter der Überschrift „Vereitelung von Schadensersatzansprüchen", später als „Verkehrsflucht" - vorberaten wurde. S. auch BTDrucks. 7 / 3 5 0 3 (Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform) sowie die Stenographischen Berichte 7 / 8 2 4 5 9 sowie 7 / 1 1 7 3 1 bis 1 1 7 3 5 , 1 0 in denen die Neufassung des § 1 4 2 beraten wurde.

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Nachdem die Novelle vom 6.2.1924 (RGBl. I 44) nur den Strafrahmen der Geldstrafe erweitert hatte, führte die Änderung vom 7.11.1939 (RGBl. I 2223) dann zu einer erheblichen Ausweitung des gesamten Strafrahmens (Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft oder Geldstrafe). Die Strafbefreiung durch Anzeige spätestens am nächstfolgenden Tag kam zum Wegfall; zur amtl. Begründung s. DJ 1940 508. Nach Ansicht des nationalsozialistischen Gesetzgebers geht das durch diese Strafvorschrift geschützte Interesse der Verkehrsgemeinschaft dahin, dass die Ursachen eines Verkehrsunfalles erschöpfend aufgeklärt würden, damit erforderliche Verwaltungsmaßnahmen getroffen, strafbare Handlungen geahndet und zivilrechtliche Ansprüche befriedigt werden können. Dazu auch Freister DJ 1940 525 und Rietzsch DJ 1940 532. Statt wie bisher „in besonderen" Fällen sieht Abs. 3 nunmehr für „besonders schwere" Fälle Freiheitsstrafe nicht unter sechs Monaten vor. Durch Art. 19 Nr. 56 EGStGB wird in § 142 Abs. 1 das Wort „vorsätzlich" gestrichen;

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dazu auch BTDrucks. 7/550 (Reg.-Entwurf eines EGStGB), speziell zu § 142: S. 225 mit S. 191. BTDrucks. IV/650 (Entwurf eines StGB Ε 1962 - mit Begründung: Bundestagsvorlage): Begründung speziell zu § 347 (Verkehrsflucht) S. 529 ff. Auszugsweise abgedruckt bei Jagusch/Hentschel (letztmals in der 31. Aufl.) § 142 StGB Rdn. 1 bis 19. Zum „Umdruck V/16 (Verkehrsdelikte)" s. die Protokolle der 1. Arbeitssitzung vom 22. bis 27.10.1956 (damals noch zur „Vereitelung von Schadensersatzansprüchen": S. 10 bis 19), der 3. Arbeitssitzung vom 8. bis 13.4.1957 (ab hier zur „Verkehrsflucht": S. 4 bis 13) sowie der 4. Arbeitssitzung vom 20. bis 25.5.1957 (S. 7 sowie Anlage S. 3 f). Speziell zum späteren § 347 Ε 1962 (Verkehrsflucht) s. Bd. 5 (S. 295), Bd. 9 (S. 344 ff, S. 441 ff, S. 537 und S. 557), Bd. 12 (S. 623) und Bd. 13 (S. 469 ff, S. 753 ff und S. 761). Erste Lesung (123. Sitzung vom 11.10.1974). Zweite und dritte Lesung (167. Sitzung vom 14.4.1975).

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Die an Empfehlungen des 24. Deutschen Verkehrsgerichtstages 1986 anknüpfende Gesetzesinitiative des Landes Berlin (BRDrucks. 316/86 vom 27.6.1986) blieb parlamentarisch zunächst ebenso ohne Erfolg wie einige Jahre später ein Gesetzesantrag des Landes Hessen (BRDrucks. 400/93 vom 9.6.1993); 1 1 beide Gesetzesinitiativen hatten vorgeschlagen, den Täter nach Unfällen im ruhenden Verkehr mit Sachschaden bei freiwilliger nachträglicher Meldung innerhalb von 24 Stunden straffrei zu lassen. 12 Dieser Vorschlag fand zwar im Bundesrat keine Mehrheit, führte aber dazu, dass die Chancen einer solchen Gesetzesänderung in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe näher ausgelotet wurden. Über diese Kommission fand der Vorschlag eines Strafaufhebungs- bzw. Strafmilderungsgrundes tätiger Reue schließlich Eingang in das Gesetzgebungsverfahren zum 6. StrRG. Nachdem entsprechende Vorschläge weder im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP (BTDrucks. 13/7164) noch im gleichlautenden Regierungsentwurf vom 25.9.1997 (BTDrucks. 13/8587) enthalten waren, hat Rheinland-Pfalz den von der erwähnten Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeiteten Vorschlag in die Beratungen eingeführt und der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines 6. StrRG erstmals eine Ergänzung des § 142 um einen neuen Abs. 3a angeregt. 13 In ihrer Gegenäußerung (BTDrucks. 13/8587) erhob die Bundesregierung gegen diesen Vorschlag zwar keine grundsätzlichen Bedenken, wollte den Anwendungsbereich der Regelung jedoch auf Unfälle mit „lediglich nicht bedeutendem Sachschaden" begrenzt sehen, um Wertungswidersprüche mit § 69 Abs. 2 Nr. 3 zu vermeiden. 14 Mit nur kleinen sprachlichen Veränderungen folgte dem auch der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages 15 und schließlich dessen Plenum, das durch das 6. StrRG vom 26.1.1998 (BGBl. I 164) in § 142 Abs. 4 mit Wirkung zum 1.4.1998 eine Bestimmung über tätige Reue einführte.

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Die hessische Gesetzesinitiative beruhte auf Vorschlägen der Hessischen Kommission „Kriminalpolitik" zur Entkriminalisierung im Straßenverkehrsrecht (Dokumentation in StV 1992 202); dazu auch Janker DAR 1993 11 ff. Zur Entstehungsgeschichte s. auch Bönke N Z V 1998 129 und Böse StV 1998 509. Noch weiter ging ein Vorschlag der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die in ihrem Antrag zur „Entkriminalisierung des Ladendiebstahls, Schwarzfahrens und der Fahrerflucht" vom 18.7.1995 (BTDrucks. 1 3 / 2 0 0 5 ) einen Strafaufhebungsgrund tätiger Reue bei Sachschaden schlechthin forderte und sich im Übrigen für ein Antragsdelikt aussprach. BTDrucks. 13/8587, S. 57: obligatorische Milderung oder fakultatives Absehen von Strafe bei nachträglicher freiwilliger Mel-

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dung innerhalb von 2 4 Stunden „nach einem Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs, der ausschließlich Sachschaden zur Folge hatte". BTDrucks. 13/8587, S. 80. Im Übrigen regte die Bundesregierung an zu prüfen, ob als Rechtsfolge für die angesprochenen Sachverhalte nicht sogar ein „Tatbestandsausschluss" vorzugswürdig sei. Zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 12.11.1997 s. BTDrucks. 13/8991, S. 13 sowie zum Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. 1 3 / 9 0 6 4 , S. 9 f (Beschränkung auf „nicht bedeutenden Sachschaden" sowie Ablehnung des von der Bundesregierung erwogenen Tatbestandsausschlusses) und S. 7 f (mehrheitliche Ablehnung des SPD-Antrages, die Einschränkung „außerhalb des fließenden Verkehrs" zu streichen).

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

Übersicht I.

Π.

ΠΙ.

IV.

Rdn. 1 Einleitung 1 1. Schutzzweck und Rechtsgut . . . . 2. Strafgrund 3 3. Kriminalpolitischer Hintergrund 4 a) Statistische Aspekte 8 b) Kriminologische Hinweise . . . . 9 4. Anwendungsbereich 13 a) „Öffentlicher" Straßenverkehr . . 14 b) „Nicht-öffentlicher" Straßenverkehr 16 c) Sonstige Verkehrsbereiche? . . . . 18 Die äußeren Tatumstände 20 1. Unfall im Straßenverkehr 20 a) Bezug zum öffentlichen Straßenverkehr 21 b) Verkehrstypischer Gefahrzusammenhang 23 c) Unfallschaden 27 aa) Unfallbegriff 28 bb) Schadensbegriff 29 cc) Bagatellgrenzen 31 2. Unfallbeteiligter (Abs. 5) 35 a) Kreis möglicher Unfallbeteiligter . 36 b) Anwesenheit am Unfallort . . . . 37 c) Einschränkungen der Unfallbeteiligung 39 aa) (Mit-)Verursachung der aktuellen Unfallsituation . . . 40 bb) Unmittelbare und mittelbare Unfallbeteiligung 43 cc) Konkrete Möglichkeit der Mitverursachung 45 3. Weitere beteiligte Personen 48 a) Feststellungsberechtigte Personen . 49 b) Geschädigte 50 c) Feststellungsbereite Personen . . . 51 4. Unfallort 53 Das Unrecht des Delikts im Allgemeinen 57 1. Grundstruktur des Straftatbestandes 57 a) Verhältnis der Tatbestandsalternativen zueinander 58 b) Wahlfeststellung 60 2. Verfassungsrechtliche Aspekte . . . . 61 a) Bestimmtheitsprinzip (Art. 103 Abs. 2 GG) 62 b) Nemo tenetur-Prinzip 63 3. Verhältnis zu § 34 StVO 65 a) Allgemeines 65 b) Gemeinsamkeiten und Unterschiede 66 Das tatbestandsmäßige Verhalten nach Abs. 1 68 1. Allgemeines 68 a) Verbotsinhalt 68 b) Deliktsnatur: Begehungs- oder verkapptes Unterlassungsdelikt? . . . 69 c) abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt 70 2. Teleologische Reduzierung des Tatbestandes 71

a) bei Alleinschaden b) bei herrenlosem Wild c) bei sofortiger Befriedigung bzw. Beseitigung des Schadens d) bei erklärtem Feststellungsverzicht aa) Verzichtsberechtigung . . . . bb) Form der Verzichtserklärung . cc) Umfang des Verzichts . . . . dd) Wissens- und Willensmängel . ee) insbesondere bei erschlichenem ff) bei abgenötigtem Verzicht . . e) bei mutmaßlichem Feststellungsverzicht aa) Umfang und Rechtsfolgen . . bb) Kasuistik 3. Die Pflichten bei Anwesenheit feststellungsbereiter Personen (Nr. 1) . . a) Vorstellungspflicht aa) Umfang und Inhalt bb) Falschangaben b) passive Feststellungsduldungspflicht aa) Gegenstand und Umfang . . . (1) Person (2) Fahrzeug (3) Art der Beteiligung . . . . bb) Ende der Feststellungsduldungspflicht cc) Feststellungen durch die Polizei? 4. Die Wartepflicht bei Fehlen feststellungsbereiter Personen (Nr. 2) . . a) Voraussetzungen b) insbesondere: Dauer der Wartepflicht c) Beeinflussung der Wartefrist durch eigenes Verhalten aa) Verkürzung der Wartefrist . . bb) Verlängerung der Wartefrist . 5. Tathandlung („Sichentfernen") . . . a) Begriff des Sichentfernens . . . . b) Erfordernis willensgetragener Ortsveränderung c) Kasuistik V. Das tatbestandsmäßige Verhalten nach Abs. 2 und Abs. 3 1. Verbotsinhalt im Allgemeinen . . . . 2. Voraussetzungen a) Ablauf der Wartefrist (Abs. 2 Nr. 1) b) Berechtigtes oder entschuldigtes Sichentfernen (Abs. 2 Nr. 2) . . . aa) Erfordernis willensgetragenen Sichentfernens bb) „Berechtigtes" Sichentfernen . cc) „Entschuldigtes" Sichentfernen dd) Vorsatzloses Sichentfernen . . 3. Inhalt der nachträglichen Pflichten . a) Mindestpflichten (Abs. 3 S. 1) . . aa) Form der Mitteilung bb) Adressaten der Mitteilung . .

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung Rdn.

(1) Benachrichtigung der Berechtigten (2) Benachrichtigung einer nahe gelegenen Polizeidienststelle cc) Inhalt der Mitteilungen . . . (1) Angabe der eigenen Unfallbeteiligung . . . . (2) Vorstellung der eigenen Person (3) Angaben zum Fahrzeug dd) Bereithaltung des Fahrzeugs (1) zu „unverzüglichen Feststellungen" (2) „für eine zumutbare Zeit" b) Pflichterfüllung nach Abs. 2 . . . aa) Rückkehr an den Unfallort . . bb) Weitere Wege zur Ermöglichung nachträglicher Feststellungen 4. Das „Unverzüglichkeits"-Erfordernis a) Allgemeine Grundsätze b) Streitfragen c) Kasuistik 5. Das Vereitelungsverbot (Abs. 3 S. 2) a) Anwendungsbereich b) Umfang c) Voraussetzungen VI. Die innere Tatseite 1. Grundlagen a) Vorsatzerfordernis und Tatbestandsirrtum b) Verbotsirrtum c) Vorsatzausschluss durch Unfallschock? 2. Einzelheiten und weitere Kasuistik . a) Kenntnis des Verkehrsunfalls . . . b) Kenntnis der eigenen Unfallbeteiligung c) Kenntnis eines fremden Feststellungsinteresses d) Besonderheiten aa) im Rahmen von Abs. 1 . . . . bb) im Rahmen von Abs. 2 . . . . cc) im Rahmen von Abs. 3 S. 1 VH. Weitere deliktische Besonderheiten . . . 1. Vollendung, Beendigung und Versuch a) im Rahmen von Abs. 1 b) im Rahmen der Absätze 2 und 3 c) Rücktritt oder tätige Reue? . . . . 2. Täterschaft und Teilnahme a) Allgemeines b) Mittäterschaft, Nebentäterschaft und mittelbare Täterschaft . . . . c) Teilnahme aa) Anstiftung bb) Beihilfe 3. Besonderheiten a) der Rechtswidrigkeit b) der Schuld 4. Tätige Reue (Abs. 4)

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Rdn. a) Anwendungsbereich aa) Unfälle außerhalb des fließenden Verkehrs bb) Unfälle mit ausschließlich nicht bedeutendem Sachschaden b) „Rücktritts"handlung aa) Rücktrittsfrist bb) Ermöglichung nachträglicher Feststellungen cc) Freiwilligkeit c) Irrtumsfragen d) Rechtsfolgen aa) Obligatorische Strafmilderung bb) Fakultatives Absehen von Strafe cc) Mittelbare Auswirkungen . . VIII. Konkurrenzen 1. „Handlungs" -Begriff a) Zum Maßstab der „natürlichen" Handlung speziell bei § 142 . . . b) Besondere Konstellationen: . . . . aa) Unfallserien bb) Polizeifluchtfälle 2. Tateinheit a) im Bereich von § 142 Abs. 1: . . . aa) Straftaten, die der Durchführung der Verkehrsunfallflucht dienen bb) Straftaten, die im Verlauf einer einheitlichen Flucht begangen werden cc) Zur Konkurrenz mit Unterlassungsdelikten b) im Bereich von § 142 Abs. 2 . . . 3. Tatmehrheit a) im Regelfall b) Ausschluss von Tatmehrheit durch Klammerwirkung? aa) Unfall als Zäsur eines einheitlichen Dauerdelikts? bb) Voraussetzungen einer Klammerwirkung im Allgemeinen cc) Schlussfolgerungen speziell für § 142 4. Konkurrenz mit Ordnungswidrigkeiten IX. Rechtsfolgen 1. Strafzumessung a) Allgemeines b) Strafschärfung c) Strafmilderung 2. Strafaussetzung zur Bewährung . . . 3. Entziehung der Fahrerlaubnis und Fahrverbot a) Entziehung der Fahrerlaubnis . . . b) Fahrverbot 4. Einziehung des Fahrzeugs (§ 74) . . . X. Verfahrensrechtliche Aspekte 1. Verfahrensgegenstand und Strafklageverbrauch (§ 264 StPO)

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§ 142

Rdn. a) Annahme verfahrensrechtlicher „Tat"-Identität b) Verneinung verfahrensrechtlicher „Tat"-Identität 2. Nachtragsanktage und veränderte rechtliche Gesichtspunkte 3. Urteilsformel

Rdn. 4. Urteilsanfechtung a) Rechtsmittelbeschränkung und Teilrechtskraft aa) Zulässige Beschränkungen . . bb) Unzulässige Beschränkungen . b) Sonstiges 5. §§ 153 und 153a StPO

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I. Einleitung 1. Schutzzweck und Rechtsgut. Wie in Übereinstimmung mit schon früher herrschen- 1 der Meinung 1 6 und langjähriger Rechtsprechung 1 7 in der Amtl. Begründung zu § 142 in seiner seit 1975 gültigen neuen Fassung ausgeführt, besteht der Schutzzweck des § 142 darin, „Feststellungen zur Klärung der durch einen Unfall entstandenen zivilrechtlichen Ansprüche zu sichern, d.h. die Durchsetzung berechtigter oder die Abwehr unberechtigter Ansprüche zu ermöglichen" 1 8 . Somit handelt es sich um ein abstraktes 19 Vermögensgefährdungsdelikt individualschützender Art. 20 Die Einordnung bei den „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung" durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber des Jahres 1940 war systematisch falsch und irreführend; 2 1 als Schutzzweck des § 142 scheidet die Rechtspflege 22 daher ebenso aus wie das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung oder das Interesse der Allgemeinheit an lückenloser Erfassung von Verkehrsunfällen, um durch Bestrafung der Schuldigen und durch geeignete Präventivmaßnahmen die Verkehrssicherheit zu heben. 2 3 Geschütztes Rechtsgut ist somit nur (und ausschließlich) 24 das private Beweissicherungsrecht aller Unfallbeteiligten und Geschädigten an der Feststellung der Unfallursachen zwecks Klarstellung der zivilrechtlichen Verantwortlich-

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Grundlegend Dünnebier GA 1957 33 ff: dort mit ausführlichen Nachweisen auch für die Gegenpositionen; s. auch den Überblick bei Blum von Ann Straftat des unerlaubten SichEntfernens vom Unfallort (1987) S. 1 ff. Der Umschwung der Rechtsprechung erfolgte in BGHSt 8 263 ff; seither ständige Rechtsprechung (s. statt vieler nur BGHSt 12 258, 24 385 und 29 142 sowie OLG Hamburg NJW 1979 439, OLG H a m m NJW 1977 207 und NJW 1985 445 sowie BayObLG N Z V 1992 413). Vgl. auch BVerfGE 16 191 ff. BTDrucks. 7/2434, S. 5. S. ferner die in Fn. 7 und 8 genannten Belege. „Abstrakt", weil der Unrechtstatbestand des § 142 auch erfüllt ist, wenn es nach Lage der Dinge nicht zu einer Gefährdung der Ansprüche kommt: etwa weil Passanten das Kfz-Kennzeichen des flüchtigen Unfallbeteiligten notiert haben oder sich nachträglich herausstellt, dass keine berechtigten Schadensersatzansprüche gegeben waren (OLG Stuttgart M D R 1956 119). Ausführlich dazu

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Eich Verkehrsunfallflucht nach § 142 StGB als potentiell konkretes Forderungsgefährdungsdelikt (1973), Ruck § 142 StGB als Vermögensdelikt (1985) sowie Blum von Ann aaO (Fn. 16). Vgl. auch Rudolphi SK Rdn. 2 und Maurach/Schroeder/Maiwald Strafrecht Besonderer Teil 1 (9. Aufl. 2003) 49/6 (S. 619). Daher wird § 142 zu Recht als deliktsrechtliches Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB anerkannt (BGHZ DAR 1981 85). Der Gesetzgeber hat den Zweck der Vorschrift damals auch in der Bestrafung einer in der Unfallflucht zum Ausdruck kommenden rücksichtslosen Gesinnung gesehen: Amtl. Begründung DJ 1940 508. So aber noch Maurach Strafrecht Besonderer Teil (5. Aufl.) S. 714. So aber noch BGHSt 5 128. Die von Tröndle/Fischer in früheren Auflagen (49. Aufl. 1999: dort zu § 142 Rdn. 4) gemachte Einschränkung (nur: „vorrangig") ist in neueren Auflagen nicht mehr aufrechterhalten worden: vgl. § 142 Rdn. 2.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

keit. 25 Dies ist im Wortlaut der Vorschrift auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass die nötigen Feststellungen ausweislich von Abs. 1 Nr. 1 (nur) „zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten" und nicht auch zugunsten öffentlicher Interessen (etwa zwecks staatlicher Strafverfolgung) zu ermöglichen sind. Ausgeschlossen ist damit auch die Auffassung, dass auch das Interesse der Unfallbeteiligten an der Abwehr staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen in den tatbestandlichen Schutzbereich der Vorschrift miteinzubeziehen sei; 2 6 sonst müsste der Begriff des „Unfalls" auch auf bloße 'Verkehrsgefährdungen (z.B. nach §§ 315c oder 316), auf Minimalunfälle oder auf Verkehrsunfälle mit ausschließlicher Selbstschädigung erweitert werden, die zwar allesamt nicht zu zivilrechtlichen Ersatzansprüchen führen (dazu nachfolgend Rdn. 28 ff), wohl aber staatliche Strafverfolgungsmaßnahmen nach sich ziehen können. 27 Somit wird der Kern des Unrechtsvorwurfs auch durch die (gegenüber der früheren Bezeichnung „Verkehrsflucht" bzw. „Verkehrsunfallflucht" bewusst geänderte) neue Überschrift „Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort" nach wie vor nicht exakt umschrieben, zumal sie ohnehin nur die Begehungsweisen des Abs. 1 trifft; der Sache nach geht es in allen Tatmodalitäten der Absätze 1 bis 3 um die „Nichtermöglichung beweiserheblicher Feststellungen nach einem Verkehrsunfall".28 2 Dass Literatur und Rechtsprechung dem heute weithin zustimmen, hat seinen Grund nicht zuletzt in verfassungsgerichtlichen Vorgaben. So hat das BVerfG in einer Entscheidung aus dem Jahre 1964 (BVerfGE 16 191), in der § 142 (jedenfalls) in seiner früheren Fassung als mit dem Grundgesetz vereinbar angesehen wurde, zum Ausdruck gebracht, dass eine Begründung des § 142 mit dem Öffentlichkeitsinteresse an einer Bestrafung unfallflüchtiger Verkehrsteilnehmer mit dem Grundsatz strafloser Selbstbegünstigung in Konflikt kommen könne. Auch wenn ein solches Prinzip nicht uneingeschränkt garantiert sei und zwingend weder vom Gebot unantastbarer Menschenwürde (Art. 1 GG) noch vom allgemeinen Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verlangt werde, entspreche es deutscher Rechtstradition. Angesichts des Willkürverbotes und des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips könne die Strafbarkeit der Verkehrsunfallflucht danach letztlich nur mit dem privaten Schutzinteresse der Unfallbeteiligten gerechtfertigt werden. 29 Ungeachtet dessen ist nicht zu verkennen, dass die Neufassung des Gesetzes einen Unfallbeteiligten nicht zuletzt durch die neu eingeführten Mitteilungspflichten der Absätze 2 und 3 partiell zu aktiver Selbstbelastung mit möglicherweise strafrechtlichen Konsequenzen zwingt und damit jedenfalls mittelbar auch der Strafverfolgung dient. Bei diesem Befund darf man sich nicht damit beruhigen, dass der nur mittelbare Zwang zur Selbstbelastung „keine vom Gesetz erstrebte, sondern nur eine - im Interesse der Verkehrssicherheit allerdings durchaus willkommene - Nebenfolge der Anwendung des auf

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S. statt vieler Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 1, Rudolphi SK Rdn. 2, Lackner/Kühl Rdn. 1, Schild NK Rdn. 16 f sowie Zopfs MK Rdn. 2: alle m.w.N.; ausführlich Magdowski S. 30 ff, Ruck S. 13 ff und Blum von Ann S. 9 ff. So nunmehr nachdrücklich auch Fischer Rdn. 2. Zu § 142 a.F. so aber noch Geppert GA 1970 4 und Oppe GA 1970 368 sowie einzelne ältere Entscheidungen (OLG Stuttgart DAR 1960 52 und OLG Hamburg DAR 1960 141); in dieser Richtung tendenziell aber offenbar auch noch zu § 142 n.R

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Loos/Schwerdtfeger DAR 1983 2 0 9 mit Fn. 4. Ebenso Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Magdowski S. 38 und Geppert JURA 1990 78 mit Fn. 8 (unter Aufgabe seiner in GA 1970 4 vertretenen gegenteiligen Ansicht). Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 49/4 (S. 618); dem nachdrücklich folgend auch Duttge JR 2 0 0 1 181 f. So die zutreffende Analyse bei Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 1 49/11 (S. 619).

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

den Schutz anderer Interessen gerichteten Tatbestandes" ist. 30 Wie nachfolgend im Einzelnen zu zeigen sein wird, ist vielmehr sorgfältig darauf zu achten, dass sich die Auslegung des Tatbestandes immer und ausschließlich am zivilrechtlichen Aufklärungs- und Beweissicherungsinteresse orientiert und eine Handhabung der Vorschrift vermieden wird, die weniger dem Schutz privater Beweissicherung als vielmehr der Erweiterung staatlicher Strafverfolgungsmöglichkeiten dient.31 2. Danach ist es auch verfehlt, dem rein privaten Feststellungs- und Beweissiche- 3 rungsinteresse einen jedenfalls auch an öffentlichen Zwecken orientierten Strafgrund gegenüberstellen zu wollen mit dem Ziel, auf diese Weise bei Auslegung der Vorschrift auch derartigen Zwecken Einfluss einräumen zu können. 32 Daher geht es auch nicht an, mit der Begründung, dass angesichts zahlreicher nicht strafbewehrter anderer vermögensrechtlicher Ansprüche die bloße Sicherung zivilrechtlicher Ansprüche eine Kriminalstrafe wohl kaum rechtfertigen könne und sich zudem nur schwer begründen ließe, weshalb im Rahmen von $ 142 auf das Strafantragserfordernis verzichtet wurde, auch das sozialethisch besonders verwerfliche Täterverhalten einer „Verkehrsunfallflucht" als gesetzgeberisches Motiv für einen strafbewehrten § 142 ansehen zu wollen. 33 Demgegenüber: Der Gesetzgeber hat auf ein Strafantragserfordernis nur deshalb verzichtet, weil andernfalls die abschreckende Wirkung der Vorschrift beeinträchtigt worden und zu befürchten gewesen wäre, dass der Tatbestand bagatellisiert und damit auch die Grundforderung, am Unfallort verbleiben zu müssen, geschwächt worden wäre. 34 Zum andern liegt der Grund für den strafrechtlichen Schutz des privaten Beweissicherungsinteresses und dessen Bevorzugung gegenüber (nicht strafbewehrten) anderen vermögensrechtlichen Ansprüchen weniger in einer besonders verwerflichen Gesinnung des Unfallflüchtigen als vielmehr in Besonderheiten eben dieses privaten Interesses, d.h. in Besonderheiten des öffentlichen Straßenverkehrs; denn die Bevorzugung von Straßenverkehrsunfallgeschädigten gegenüber sonstigen Schadensfällen ist nicht zuletzt dadurch gerechtfertigt, dass Anonymität, Dichte und Schnelligkeit des heutigen Straßenverkehrs einem Schädiger besonders günstige Voraussetzungen bieten, sich nach einem Verkehrsunfall der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit zu entziehen, und eine erfolgversprechende Sicherung etwaiger Schadensersatzansprüche in aller Regel nur durch alsbaldige Feststellungen am Unfallort möglich ist. 35 Ein solches Rechtsschutzbedürfnis wird im Übrigen auch durch

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So die Amtl. Begründung zur Neufassung des § 142: BTDrucks. 7/2434, S. 5. Spiegel (DAR 1972 2 9 2 ) spricht warnend von einem „Vorbeizwinkern an der harten Wirklichkeit des Verkehrsalltags" und Ruck (S 142 StGB als Vermögensdelikt, S. 161) sieht „exakt in diesem Punkt der unehrlichen Verschleierung wahrer Schutzinteressen alle für die ... Deliktshäufigkeit verantwortlichen grundsätzlichen Probleme der Verkehrsunfallflucht" kristallisiert. In dieser Richtung tendenziell auch Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 49/12 (S. 620), Arzt/Weber Strafrecht BT 38/49 ff (S. 845 ff) sowie Geppert Blutalkohol 1986 161. Missverständlich die Begründung zu § 3 4 7 Ε 1962, S. 531.

33

34 35

So unter Berufung auf den Ε 1962 (S. 531) in der 49. Aufl. noch Tröndle/Fischer Rdn. 5: in der neuesten (55.) Auflage ist diese Position jedoch nicht mehr aufrechterhalten (§ 142 Rdn. 3). BTDrucks. 7/2434, S. 6 und 7/3505, S. 4. BTDrucks. 7/2434, S. 5. Eingehend Magdowski S. 13 ff und S. 31 ff sowie Blum von Ann S. 10 ff. Eher kritisch aber Fischer Rdn. 4: „Das Problem des Tatbestandes liegt, so gesehen, im Anachronismus eines speziellen Vermögensgefährdungs-Tatbestands in einem Bereich, der wohl im Jahre 1940 als Schwerpunkt der Anonymisierung sozialer Beziehungen erschienen sein mag, inzwischen jedoch insoweit hinter andere Lebensbereiche zurückgetreten ist"; auf dieser Linie auch

Klaus Geppert

725

§ 142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

die Existenz des Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen (§ § 12 und 13 PflVG) nicht ausgeschlossen; 3 6 denn abgesehen davon, dass die durch ξ 142 mitgeschützte Abwehr unberechtigter Ansprüche durch diesen Fond nicht tangiert wird, würden mögliche Schäden ohnehin nicht vollständig abgedeckt. 3 7 Zudem wäre selbst bei vollständiger Abdeckung solcher Schäden der Anreiz zu völlig risikolosem Entfernen nach einem Unfall (und mit erhöhter Inanspruchnahme jenes Fonds eine weitere Belastung aller Versicherungsnehmer in Form höherer Beiträge) zu groß. 3 8 4

3. Um den kriminalpolitischen Hintergrund der vorstehenden Überlegungen und ihre für die Handhabung der Vorschrift maßgeblichen Ergebnisse besser verstehen zu können,

5

a) zunächst einige statistische Aspekte, 3 9 wobei eine exakte Erfassung des quantitativen Umfangs des Delikts durch ein weites Dunkelfeld (hinsichtlich der Zahl der Unfälle 4 0 ebenso wie bezüglich der einzelnen Fälle von Verkehrsunfallflucht 41 ) sehr erschwert wird. Vor allem bei Verkehrsunfallflucht nach Sachschadensunfällen ist die Dunkelziffer sehr hoch; der (ohnehin recht vage und empirisch kaum abgesicherte) generelle Schätzwert von 1 : 1 0 dürfte hier noch deutlich höher liegen. 4 2 Zudem lassen auch

36

37

38 39

40

schon Weigend J R 1993 116. Wie hier jedoch Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 49/13 (S. 620). Vgl. dazu die VO vom 14.12.1965 (BGBl. I 2093). Näher dazu Bär/Hauser/Lehmpuhl VII/5. So werden Sachschäden am Fahrzeug des Ersatzberechtigten überhaupt nicht und sonstige Sachschäden nur erstattet, soweit sie den Betrag von 500 Euro übersteigen (§ 12 Abs. 2 S. 3 PflVG). Dazu auch Janiszewski DAR 1975 171. Weiterführend und mit unterschiedlichem Datenmaterial vor allem Bär/Hauser/Lehmpuhl IX und X sowie Eisenberg/Ohder/ Bruckmeier S. 25 ff und S. 56 f; s. auch den Überblick bei Schild NK Rdn. 2 ff. Mit neuerem Datenmaterial auch /. Karl NZV 2003 457 ff. Rechtsgrundlage für die einschlägige Straßenverkehrsunfallstatistik des Statistischen Bundesamtes ist das Gesetz über die Statistik der Straßenverkehrsunfälle vom 15.6.1990 (BGBl. 1 1078), zuletzt geändert durch das erste Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsunfallstatistikgesetzes vom 23.11.1994 (BGBl. I 3491) sowie durch die VO zur näheren Bestimmung des schwerwiegenden Unfalls mit Sachschaden im Sinne dieses Gesetzes vom 21.12.1994 (BGBl. I 3970). Nach Einschätzung des Statistischen Bundesamtes werden insbesondere Verkehrsunfälle mit nur Sachschaden oder mit nur geringfügigen Verletzungen zu einem relativ

726

41

42

großen Teil der Polizei erfahrungsgemäß nicht angezeigt (Stat. Bundesamt: Fachserie 8, Reihe 7, 2004, S. 9). Das Bundesverkehrsministerium schätzt die Dunkelziffer für Unfälle mit geringem Sachschaden (das waren bis 31.12.1994 nach damaliger Gesetzeslage Unfälle, bei denen bei keinem Unfallbeteiligten die Schadenshöhe von 4.000 DM überschritten wurde) auf mehr als 50 % (zum Vergleich: Unfälle mit schweren Personenschaden auf „unter 15 % " ) : vgl. Seidenstecher DAR 1992 291. Die Gründe für den Verzicht auf eine Strafanzeige entsprechen auch in diesem Bereich den Erfahrungen hinsichtlich allgemeiner Kriminalität (z.B. Anzeige erscheint sinnlos, da nicht als erfolgversprechend eingeschätzt; geringer oder zu spät bemerkter Schaden; Scheu vor Kontakten mit der Polizei wegen eigenen Fehlverhaltens u.ä.): vgl. Eisenberg/Ohder/Bruckmeier S. 28 (dort mit Fn. 11). Zum Schätzwert immerhin von 1:10 s. Ruck S. 167 (in Fn. 4 und 5 m.w.N.), während Duttge neuerdings wohl zu Recht noch vorsichtiger von einer „geschätzten Dunkelziffer von 1:10 bis 1 : 3 0 " spricht (JR 2001 182). Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/1 f (S. 151: „ohnehin völlig unbekannte Größe"), Eisenberg/ Ohder/Bruckmeier S. 28 und S. 56 sowie Schild NK Rdn. 2 hingegen sehen aus guten Gründen davon ab, selbst eine nur vage Schätzzahl zu nennen.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

systematische Mängel im vorhandenen Datenmaterial über weite Bereiche nur vage Schätzwerte zu: 43 (1) Bei Zunahme des Kraftfahrzeugbestandes auf rund 50,6 Millionen Fahrzeuge (bei 6 noch immer leicht steigender Tendenz) ging die Unfallstatistik für das Jahr 1999 bei insgesamt 2.413.473 polizeilich registrierten Unfällen im Straßenverkehr von 395.689 Unfällen mit Personenschaden (davon 7.772 mit tödlichem Ausgang) und insgesamt 2.017.784 Unfällen mit Sachschaden aus. 44 Dem entsprechen tendenziell auch die neuesten Zahlen. So geht die Unfallstatistik für das Jahr 2007 bei einem Bestand von ca. 55 Millionen Kraftfahrzeugen und bei insgesamt 2.335.005 registrierten Unfällen im Straßenverkehr von 335.845 Unfällen mit Personenschaden (davon 4.949 mit tödlichem Ausgang) und insgesamt 1.975.435 Unfällen mit Sachschaden aus. 45 Damit zu vergleichen sind die einschlägigen Aburteilungs- und Verurteilungszahlen, die zwar auch die Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende erfassen, sich jedoch nur auf Unfälle ohne Personenschaden beziehen; denn Unfälle mit Personenschaden werden statistisch durch die §§ 222 oder 229 erfasst. 46 Die Zahl der Verurteilungen nach Abs. 2 von § 142 (Verletzung nachträglicher Meldepflichten) ist im Verhältnis zu Schuldsprüchen aus Abs. 1 dabei minimal. Im Einzelnen: 47

43

44

Jahr

Abgeurteilt

Verurteilt nach § 142 StGB

davon mit Trunkenheit

1994

46.777

36.214 36.084 nach Abs. 1 (99,65 %) 130 nach Abs. 2 (0,35 %)

8.431 (23,28 %)

1996

47.363

35.902 35.769 nach Abs. 1 (99,63 %) 133 nach Abs. 2 (0,37%)

7.600 (21,17%)

1998

42.925

32.267 32.233 nach Abs. 1 (99,59 %) 134 nach Abs. 2 (0,41 %)

7.185 (22,20%)

So werden Verstöße gegen § 142 nicht durch die Kriminalstatistik erfasst. Bundes- und Länderstatistiken weisen Verkehrsunfallflucht nur nach Unfällen mit Personen- oder erheblichem Sachschaden aus; polizeiliche Unterlagen sind nur punktuell für begrenzte Regionen ausgewertet worden. Auch in den Verurteiltenstatistiken des Bundes und der Länder sind Verurteilungen nach § 142 nur unvollständig enthalten; bei Tatmehrheit oder Tateinheit wird nur die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat (z.B. §§ 222, 315b oder 315c) erfasst. Zu diesen Schwierigkeiten s. Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/le sowie Eisenberg/Oh der/Bruckmeier S. 26 ff und S. 56. Zitiert nach den Unterlagen des Statistischen Bundesamtes. Vergleichsweise dazu s. auch die Unfallbilanz des Jahres 1995, in der bei einem Kfz-Bestand von über 48 Millionen Kraftfahrzeugen 2.240.473 Straßenverkehrs-

45

46

47

unfälle registriert sind, davon 389.449 mit Personenschaden und 9.485 mit tödlichem Ausgang (nach DAR 1996 250). Für das Berichtsjahr 2004 ergeben sich folgende Zahlen: 2.261.689 polizeilich registrierte Unfälle, davon 339.310 mit Personenschaden und 5.842 mit tödlichem Ausgang. Vgl. für die Vorjahre auch die Übersichten in DAR 1995 420, DAR 1994 298 und DAR 1993 119. Die amtlichen Unterlagen des Statistischen Bundesamtes sind einzusehen über dessen Homepage: www.destatis.de/presse/deutsch/ pm2004/pl470191.htm. Auch die Zahl der Verdächtigen, deren Verfahren wegen Verkehrsunfallflucht nach 153 oder 153a StPO eingestellt wurde, wird statistisch nicht erfasst. Zitiert nach den Strafverfolgungsstatistiken des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden: Lange Reihen zur Strafverfolgungsstatistik II.

Klaus Geppert

727

§ 142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Diesem langjährigen Trend entsprechen auch neuere Verurteilungszahlen:

7

Jahr

Verurteilt nach § 142 StGB

davon mit Trunkenheit

2000

31.610

6.110 (19,33 %)

2001

32.050

6.653 (20,75%)

2002

31.937

6.395 (20,15%)

2003

31.045

6.371 (20,52%)

2004

31.325

6.881 (21,96%)

2005

30.277

6.958 (22,98 %)

2006

29.304

6.423 (21,91 %)

(2) Weil Fluchtfälle nach Straßenverkehrsunfällen mit geringem Sachschaden statistisch nicht erfasst sind, kann auch die Fluchthäufigkeit insgesamt nur geschätzt werden. Einschlägige frühere Untersuchungen gehen von einer Fluchtquote von ca. 15 bis 17 % aus. Die Fluchtquote nimmt mit Schwere der Unfallfolgen deutlich ab; während sie bei Unfällen mit tödlichen Folgen oder schweren Verletzungen nur bei etwa 3 bis 5 % liegt, muss bei schwerem Sachschaden mit etwa 14 bis 15 % und bei geringerem Sachschaden mit Werten bis zu 20 % , vor allem in Ballungsräumen mit wohl noch höheren Quoten (bis zu 25 %) gerechnet werden.48 In den aufgeführten Vergleichsjahren machen die nach § 142 verurteilten Personen jeweils rund 17 bis 18 % aller wegen Straftaten im Straßenverkehr (nach StGB) insgesamt Verurteilten aus. Seit Jahren werden mindestens 350.000 Verstöße gegen § 142 polizeilich registriert; es gibt keine statistisch sicheren Anhaltspunkte dafür, dass die Häufigkeit der Unfallflucht in den letzten Jahren signifikant zugenommen hat. 49 Nach neuerem Zahlenmaterial bewegt sich die Gesamtzahl der Beteiligten bei Straßenverkehrsunfällen mit Personenschaden in den Jahren von 1991 bis 2001 zwischen 730.000 und 770.000. Der Anteil der Unfallflüchtigen schwankt zwischen 4,5 und 4,7 %, was einer Zahl von ca. 30.000 bis 35.000 (davon ca. 65 % innerorts) entspricht. Bei der Beteiligung an schwerwiegenden Unfällen mit Sachschaden ist die Ände-

48

49

Nach Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/1 f (S. 151); auf dieser Linie tendenziell auch Eisenberg/ Obder/Bruckmeier S. 56 f und Barbey Blutalkohol 1992 2 5 3 . Ähnlich das Datenmaterial bei Staak/Mittmeyer Blutalkohol 1973 313. Ebenso Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/ld (aaO

728

S. 149 (1): seit Anfang der 80er Jahre „gewisse Stabilisierung, wenn auch auf relativ hohem Niveau") sowie Eisenberg/Ohder/ Bruckmeier S. 36 („nach einem rapiden Ansteigen in den 50er und 60er Jahren seit Mitte der 70er Jahre auf einem hohen Niveau eingependelt") und S. 57.

Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen v o m Unfallort

§142

rung der Schadensbestimmungen im Straßenverkehrsunfallstatistikgesetz zum 1.1.1995 5 0 deutlich spürbar. So kam 1994 auf insgesamt 504.000 Beteiligte ein Anteil von 9,1 % an Unfallflüchtigen (ca. 46.000) und im Jahre 1995 auf 245.000 Beteiligte ein Anteil von 9,8 % Unfallflüchtigen (ca. 24.000). Im Jahre 2001 hat sich der Anteil bei 204.000 Beteiligungen sogar auf 8,7 % (ca. 18.000) reduziert, was jedoch in erster Linie an den geänderten Unfallaufnahmebestimmungen liegt.51 Nicht erfasst ist in diesen Statistiken die ungleich höhere Zahl der Unfallfluchten bei den sog. Kleinunfällen, insbesondere im Fall von Parkremplern. Zusammenfassend: Nach dem von J. Karl (NZV2003 457 ff) auf dem 41. Deutschen Verkehrsgerichtstag 2001 aufbereiteten Zahlenmaterial kamen auf die im Jahre 2001 polizeilich erfassten Straßenverkehrsunfälle rund 400.000 Unfallfluchten; demzufolge ist mindestens jeder sechste, in städtischen Gebieten sogar jeder vierte registrierte Verkehrsunfall mit einer Unfallflucht verbunden.52 Rund 90 % dieser Fluchtfälle sind Verkehrsunfälle mit Sachschäden; davon ereignen sich ungefähr 75 % an haltenden bzw. parkenden Fahrzeugen. So bleiben ca. 55.000 Fluchtfälle mit Personen- oder schwerwiegenden Sachschäden pro Jahr, bei denen dann im Schnitt zwischen 30.000 bis 35.000 verurteilt werden. (3) Ausweislich unterschiedlicher regionaler Polizeistatistiken schwanken die Angaben hinsichtlich der Aufklärungsquote bei den Gesamtfluchtfällen durchschnittlich zwischen 25 bis rund 50. 5 3 Mit der Schwere der Unfallfolgen steigt sie aus einleuchtenden Gründen54 und kann bei Unfällen mit tödlichem Ausgang Höchstwerte erreichen.55 Zu verbesserten polizeilichen Ermittlungsmethoden (z.B. bei der Untersuchung von Opferund Tatfahrzeugen, bei weiterer Spurensuche und nicht zuletzt bei der Fahndungsarbeit in der Öffentlichkeit) s. J. Karl NZV 2003 457 ff.

7a

b) Um den Schutzgedanken des § 142 und dessen Effektivität überprüfen zu können, 8 sind auch einige kriminologische Hinweise zur Phänomenologie von Tat und Tätern sowie zu möglichen Motiven einer Unfallflucht angebracht,56

50

Bis 3 1 . 1 2 . 1 9 9 4 galten als schwerwiegende Unfälle mit Sachschaden alle Unfälle mit nur Sachschaden, bei denen die Schadenshöhe bei einem Geschädigten die 4 0 0 0 DM-Grenze überschritt: nach Stat. Bundesamt, Fachserie 8, Reihe 7, 2 0 0 4 , S. 10.

51

N a c h ]. Karl N Z V 2 0 0 3 457. Diese Zahl deckt sich im Wesentlichen mit dem Ergebnis, das Lutze/Miltner (Blutalkohol 2 0 0 4 4 8 3 ff) aus dem von ihnen aufbereiteten Zahlenmaterial ( 4 . 2 7 1 erfasste Unfälle in Ulm und Umgebung im Jahre 1 9 9 7 ) gewonnen haben: Danach hat sich jeder fünfte Autofahrer unerlaubt vom Unfallort entfernt ( 2 0 , 6 % ) . Ermittelt werden konnte etwa jeder dritte unfallflüchtige Kraftfahrer ( 3 5 , 2 % ) .

52

53

Z u älteren Schätzwerten s. vor allem Bär/ Hauser/Lehmpuhl D i / l g S. 151 (2) und Eisenberg/Oh der/Bruckmeier S. 2 8 f; je m.w.N.

54

Bei den Personenschadensfällen ist meist der Geschädigte selbst als Zeuge vorhanden; zudem enthalten diese Unfälle und auch die schwereren Sachschadensunfälle in aller Regel eine ausgeprägtere Spurenlage und werden meist auch sofort angezeigt (besserer Zeitansatz). Verkehrsunfälle mit kleineren Sachschäden (z.B. Parkplatzschäden) erfolgen meist ohne Zeugen und werden häufig erst zu Hause entdeckt (weiter dazu }. Karl N Z V 2003 458).

55

Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/1 g S. 151 (2). Neben der im vorangestellten Schrifttumsverzeichnis aufgeführten Spezialliteratur s. weiterführend und zusammenfassend neben Kaiser Verkehrsdelinquenz ( 1 9 7 0 ) S. 2 6 7 ff vor allem Bär/Hauser/Lehmpuhl I X sowie Eisenberg/Ohder/Bruckmeier S. 3 6 ff. Aus neuester Zeit s. ferner Lutze/Miltner Blutalkohl 2 0 0 4 4 8 3 ff sowie J. Karl N Z V 2 0 0 3 4 5 7 ff.

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§ 142 9

10

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

(1) zunächst zum Unfallgeschehen als solchem: Rund 9 0 % aller Verstöße gegen § 142 erfolgen nach reinen Sachschadensunfällen, 57 in Ballungsräumen mit Abweichungen nach oben und in ländlichen oder kleinstädtischen Bereichen mit Abweichungen nach unten; 5 8 wie bereits ausgeführt (Rdn. 7a), nimmt das Delikt mit der Schwere der Unfallfolgen ab. In ca. 80 bis 90 % aller Fluchtfälle sind Personenkraftwagen beteiligt. 59 Auch wenn die Häufigkeit der Unfallflucht im Allgemeinen parallel zum zeitlichen Verlauf der Unfallhäufigkeit verläuft (allenfalls deutliches Ansteigen der Fluchthäufigkeit in der „dunklen" Jahreszeit), 60 ist statistisch belegt, dass die Zahl der Unfälle am Wochenende (eingeschlossen Freitag und Montag) und in den Abend- und Nachtstunden signifikant ansteigt. 61 Von hier aus ist ebenfalls empirisch weithin gesichert, dass das Ansteigen seinen Grund nicht nur in einem geringeren Entdeckungsrisiko bei Dunkelheit, sondern auch darin hat, dass der Anteil von Trunkenheitsfahrten in dieser Zeit besonders ansteigt. 62 Flucht nach Unfällen im fließenden Verkehr ist relativ selten. Die Schätzungen für den Anteil unerlaubten Sichentfernens vom Unfallort nach Unfällen im ruhenden Verkehr, d.h. nach Unfällen mit abgestellten Fahrzeugen oder an Verkehrseinrichtungen (Leitplanken, Verkehrszeichen etc.), schwanken zwischen 5 0 und 90 % . 6 3 (2) Empirisch sind keine spezifischen Tätermerkmale belegbar, auch wenn sich unter den wegen Verkehrsunfallflucht verurteilten Personen verhältnismäßig viele (sowohl wegen diverser Verkehrsstraftaten als auch wegen allgemeiner Delikte) Vorbestrafte befinden. Bei einzelnen Ausreißern nach oben wie nach unten schwankt das Datenmaterial zwischen 30 bis 50 % ; auffällig ist dabei der hohe Anteil alkoholisierter Täter unter den vorbestraften Unfallflüchtigen (dazu nachfolgend auch Rdn. I I ) . 6 4 Das Lebensalter hat - so jedenfalls bislang herrschende Ansicht - keinen spezifischen Einfluss auf den Fluchtanteil in Trunkenheit; die Fluchtquote bei Trunkenheit folgt im Wesentlichen der Fluchthäufigkeit der Altersgruppen. 65 Nach neuerem Untersuchungsmaterial ist die Altersklasse von 41 bis 60 Jahren bei der Deliktsgruppe der Trunkenheitsfahrt im Übrigen in etwa gleich stark vertreten wie bei der Verkehrsunfallflucht. Demgegenüber waren in der Altersklasse von 21 bis 40 Jahren prozentual mehr Trunkenheitsfahrer als unfallflüchtige Kraftfahrer anzutreffen, während Fahrer mit Unfallflucht im Alter von 61 Jahren und darüber deutlich stärker vertreten waren als alkoholisierte Kraftfahrer. 66 Dass

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Ebenso neuerdings J.Karl N Z V 2 0 0 3 457. S. vor allem Hauser Blutalkohol 1982 193; vgl. auch Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/2b und Eisenberg/Ohder/Bruckmeier S. 37: alle m.w.N. Eisenberg/Ohder/Bruckmeier S. 38 sowie Brettel/Gerchow/Großpietzsch Blutalkohol 1973 145. Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/2c S. 156. Auch nach J.Karl (NZV 2 0 0 3 4 5 7 ) sind insbesondere Januar und Februar die Monate mit den häufigsten Fluchtfällen. So schon Kaiser Verkehrsdelinquenz (1970) S. 271 (dort m.w.N.), Brettel/Gerchow/ Großpietzsch Blutalkohol 1973 147 und Staak/Mittmeyer Blutalkohol 1973 315 sowie rund zehn Jahre später Hauser Blutalkohol 1982 196; vgl. auch Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/2c, Eisenberg/Ohder/Bruckmeier S. 4 0 f

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64

65 66

sowie Barbey Blutalkohol 1992 2 5 3 : alle m.w.N. Klarstellend Lutze/Miltner Blutalkohol 2 0 0 4 485: relativ gleichmäßige Verteilung auf alle Wochentage, doch mit deutlichen Spitzenwerten am Freitag und Montag sowie einer relativ geringen Zahl am Samstag. Dazu vor allem Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/6c; in dieser Richtung nachdrücklich schon Middendorf Kriminalistik 1961 239, Kaiser Verkehrsdelinquenz S. 271, Brettel/Gerchow/ Großpietzsch Blutalkohol 1973 145 sowie Eisenberg/Ohder/Bruckmeier S. 40. Nach Eisenberg/Ohder/Bruckmeier S. 38 ff und S. 5 7 sowie Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/3. Barbey Blutalkohol 1992 2 5 3 ; so auch schon Staak/Mittmeyer Blutalkohol 1973 319. Nach Hauser Blutalkohol 1982 195. Nach Lutze/Miltner Blutalkohol 2 0 0 4 486.

Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

jüngere Kraftfahrer signifikant häufiger zur Unfallflucht neigen, 67 ist empirisch somit nicht sicher zu belegen; der Anteil unfallflüchtiger Fahrer entspricht auch insoweit alles in allem ihrem Anteil an der Verursachung von Verkehrsunfällen insgesamt und ist aus diesem Grund, also insbesondere wegen mangelnder Fahrpraxis und weniger wegen generell gesteigerter Neigung zur Unfallflucht für die Altersgruppe zwischen 18 und 25 Jahren deutlich erhöht; 68 zur Alkoholneigung/-problematik dieser Altersgruppe nachfolgend auch Rdn. 11. Auch der Anteil unfallflüchtiger Frauen entspricht in etwa ihrem Anteil an den Verkehrsunfällen insgesamt; 69 die alkoholbedingte Unfallverursachung von Frauen (ca. 5 % ) liegt jedoch deutlich unter der ihrer allgemeinen Unfallverursachung (17 bis 18 %). 7 0 Statistisch auffällig ist der hohe Anteil von Arbeitern; dies mag mit (beruflich bedingten) überdurchschnittlich hohen Fahrleistungen und damit erhöhtem Unfallrisiko,71 dürfte aber auch damit zusammenhängen, dass der Anteil von Arbeitern (oder Personen ohne Berufsausbildung) unter den Alkoholtätern überproportional hoch ist. 72 Bei der Verkehrsunfallflucht handelt es sich somit keineswegs um ein „rätselhaftes Delikt". 73 Sieht man von dem signifikant hohen Anteil alkoholbeeinflusster Täter ab (nachfolgend Rdn. 11), fallen bei den unfallflüchtigen Probanden gegenüber nichtunfallflüchtigen Unfallverursachern jedenfalls kaum maßgebliche demographische oder psychopathologische Besonderheiten auf. 74 Bei der Verkehrsunfallflucht handelt es sich nach allgemeiner Auffassung vielmehr um ein typisches Massendelikt, das in allen Berufssparten, Bevölkerungsschichten und bei Angehörigen sämtlicher Bildungsschichten anzutreffen ist. 75 (3) Empirisch zuverlässig belegt ist der hohe Anteil alkoholisierter unfallflüchtiger 11 Täter, 76 wobei die Trunkenheit nicht nur die Unfallwahrscheinlichkeit erhöht, sondern in 67

68

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So aber noch Kaiser Verkehrsdelinquenz S. 2 7 5 und Janski S. 6 0 . Dazu vor allem Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/5c und Barbey Blutalkohol 1 9 9 2 2 5 4 ; auf dieser Linie letztlich auch (wenngleich mit einem allenfalls geringfügig erhöhten Anteil für die Altersgruppe zwischen 18 und 3 5 Jahren) Brettel/Gerchow/Großpietzsch Blutalkohol 1 9 7 3 1 3 9 und Etsenberg/Ohder/Bruckmeier S. 4 3 . So früher schon Kaiser Verkehrsdelinquenz ( 1 9 7 0 ) S. 2 7 6 und Bergermann S. 7 2 und S. 1 6 6 , dem folgend dann auch Barbey Blutalkohol 1 9 9 2 2 5 4 und Bär/Hauser/ Lehmpuhl I X / 5 d . Von einem „leicht überproportionalen Anteil" von Frauen scheinen jedoch Brettel/Gercho/Großpietzsch Blutalkohol 1 9 7 3 1 4 0 und Eisenberg/Ohder/ Bruckmeier S. 4 3 ausgehen zu wollen.

70

Hauser Blutalkohol 1 9 8 2 1 9 7 ; ebenso schon Brettel/Gerchow/Großpietzsch Blutalkohol 1 9 7 3 1 4 0 sowie Staak/Mittmeyer Blutalkohol 1 9 7 3 312.

71

So schon Bergermann S. 8 6 ff, Kaiser Verkehrsdelinquenz S. 2 7 7 und S. 2 8 3 , Janski S. 6 9 und Linke S. 7 8 ; zustimmend Eisenberg/Ohder/Bruckmeier S. 4 5 und Bär/Hauser/Lehmpuhl I X / 5 e : alle m.w.N.

72

Staak/Mittmeyer Blutalkohol 1 9 7 3 313 und Hauser Blutalkohol 1 9 8 2 1 9 6 ; vgl. auch Etsenberg/Ohder/Bruckmeier S. 5 0 und Brettel/Gerchow/Großpietzsch Blutalkohol 1 9 7 3 141.

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So aber noch Krumme DAR 1 9 6 8 2 3 4 ; berechtigter Widerspruch schon bei Barbey Blutalkohol 1 9 9 2 2 6 1 . So aus forensisch-psychiatrischer Sicht schon Barbey Blutalkohol 1 9 9 2 2 5 8 , unter medizinisch-soziologischen Aspekten Staak/Mittmeyer Blutalkohol 1 9 7 3 318 und aus kriminologischer Sicht schon Kaiser Verkehrsdelinquenz ( 1 9 7 0 ) S. 2 7 5 if, Jost ( 1 9 7 3 ) und Middendorf Blutalkohol 1 9 8 2 3 5 6 ff; vgl. auch Schild N K Rdn. 3 ff: je m.w.N.

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So einmal mehr nachdrücklich auch J R 2 0 0 1 183.

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Dazu schon Staak/Mittmeyer Blutalkohol 1 9 7 3 3 1 0 ff und Barbey Blutalkohol 1 9 9 2 2 5 8 ; s. auch den verdienstvollen Überblick bei Bär/Hauser/Lehmpuhl I X / 6 c (S. 1 7 0 ff). Mit neuerem Zahlenmaterial s. auch Lutze/ Miltner Blutalkohol 2 0 0 4 4 8 3 ff.

Klaus Geppert

Duttge

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§ 142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

hohem Maße auch die Tendenz zur Unfallflucht fördert. 77 Dabei wächst die Neigung zur Unfallflucht nicht allein aus Furcht vor Bestrafung oder anderen sich daraus ergebenden negativen Begleiterscheinungen (nachfolgend Rdn. 12), sondern auch weil alkoholbedingt das Verantwortungsgefühl des Einzelnen gemindert wird („Desozialisierung")78 und dadurch die Reizschwelle für die Auslösung von Primitivreaktionen, zu denen auch der Fluchttrieb gehört, sinkt 79 (sofern die Berauschung nicht schon die Wahrnehmung des Unfalls als solche beeinträchtigt: dazu nachfolgend Rdn. 168 ff). Ausweislich (älteren und jüngeren) Datenmaterials stehen durchschnittlich mindestens 20 bis 40 % aller Fälle von Unfallflucht erwiesenermaßen mit Alkohol in Zusammenhang.80 Rechnet man diesem Anteil unter Berücksichtigung des weiten Dunkelfeldes noch die Fälle wahrscheinlicher oder jedenfalls möglicher Alkoholbeeinflussung hinzu,81 kann man davon ausgehen, dass mindestens die Hälfte aller Fluchtfälle mit Alkohol zusammenhängt.82 Die Untersuchungen von Brettel/Gerchow/Großpietzsch83 haben ergeben, dass Alkoholtäter die Unfallstelle dreimal so häufig zu Fuß verlassen wie nüchterne Unfallbeteiligte und rund zwanzigmal so oft wie diese trotz eigener Verletzungen Unfallflucht begehen. Somit kann die Unfallflucht insgesamt wohl als „typisches Alkoholdelikt" bezeichnet werden.84 Dafür spricht auch der Umstand, dass Fluchtfälle zur Nachtzeit weit über der Unfallquote liegen und sich dieser Trend noch deutlich verstärkt, wenn Alkoholbeeinflussung hinzukommt.85 Die Höhe der Blutalkoholkonzentration bei unfallflüchtigen Kraftfahrern weist im Verhältnis zu anderen alkoholisierten Unfallbeteiligten jedoch keine signifikanten Besonderheiten auf. 86 Zum kriminogenen Zusammenhang mit anderen Straftaten,

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Weiterführend Eisenberg/Ohder/Bruckmeier S. 49 und Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/6c; s. auch schon Kaiser Verkehrsdelinquenz S. 273 ff: alle m.w.N. Jost S. 119 f; vgl. auch Eisenberg/Ohder/ Bruckmeier S. 49 und Hauser Blutalkohol 1982 197. Hauser Blutalkohol 1982 197. Auf gleicher Linie auch Schild NK Rdn. 5 (Vergrößerung der Fluchtneigung durch Verringerung der Fähigkeit zur psychischen Verarbeitung des Unfallerlebnisses) und Duttge J R 2001 183 (mehr Zeichen der Schwäche, der Versuchung und des getrübten Bewusstseins als Ausdruck einer besonders kriminellen Energie). Vgl. Staak/Mittmeyer Blutalkohol 1973 311 sowie Brettel/Gerchow/Großpietzsch Blutalkohol 1973 139 (differenzierend nach 23,9 % „Alkoholtätern", 38,7 % erwiesenen „Nichtalkoholtätern" und 37,4 % „Dunkelziffertätern"). Von einem etwas geringeren Anteil (soweit erwiesen, doch ohne Berücksichtigung der Dunkelziffer: „knapp 15 Prozent") gehen neuerdings Lutze/Miltner (Blutalkohol 2004 487) aus. S. insofern die eindrucksvolle Übersicht älterer und jüngerer Vergleichszahlen bei Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/6c (S. 170 ff). So nachdrücklich Hauser Blutalkohol 1982 195; ebenso schon Staak/Mittmeyer Blut-

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alkohol 1973 311 sowie Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/6c und Lincke S. 90. Von einem Anteil alkoholbedingter Fluchtfälle „jedenfalls höher als 50 Prozent" geht auch Duttge aus (JR 2001 182). Blutalkohol 1973 146 f. So schon Lincke S. 90 und so auch die Titelüberschrift im Aufsatz von Hauser (Blutalkol 1982 193); ebenso Geppert JURA 1990 78 und Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/6c S. 170 (1). Dem pflichten vorbehaltlos auch neuere Stimmen im Schrifttum bei: vgl. Duttge JR 2001 182 („verkapptes Alkoholdelikt"), Schild NK Rdn. 2 sowie Lutze/Miltner Blutalkohol 2004 483. Nach Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/6c S. 170 (1) und Eisenberg/Ohder/Bruckmeier S. 48 ff: alle mit weiterem empirischen Material. Dem entspricht auch das von Lutze/Miltner (Blutalkohol 2004 487) aufbereitete Zahlenmaterial. So hat Jost S. 54 in den von ihm untersuchten Fällen von Unfallflucht eine BÄK von weniger als 1,5 Promille bei 38, 1 %, 1,5 bis 2,0 Promille bei 31,9 % und über 2,0 Promille bei rund 30 % festgestellt. Ähnlich die Vergleichswerte bei Staak/Mittmeyer Blutalkohol 1973 311 und 319 und letztlich auch diejenigen von Lutze/Miltner Blutalkohol 2004 487 und Duttge J R 2001 183.

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etwa mit Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) oder unbefugter Benutzung eines Kraftfahrzeuges (§S 242, 248b), s. Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/6d (S. 1173 f) und Eisenberg/ Ohder/Bruckmeier S. 51. (4) Hinsichtlich möglicher Motive der Unfallflucht kann empirisch als weithin gesichert gelten, dass in aller Regel entweder Angst vor Bestrafung oder - davon nicht lupenrein zu trennen und mit fließenden Übergängen (Motivbündelung) - der Wunsch, weitere Unannehmlichkeiten vielfältigster Art zu vermeiden, einen Unfallbeteiligten zur Unfallflucht bewegt.87 Die nachfolgenden Aussagen enthalten zugegebenermaßen spekulative Elemente: zum einen basieren sie in großem Umfang auf subjektiv gefärbten Einlassungen der Beschuldigten selbst, die aus gegebenem Anlass (strafrechtliche Ermittlungsverfahren!) häufig schöngefärbt sein dürften; 88 zum andern ist die Rationalisierung der Motive nicht selten nachträglich konstruiert. Im Übrigen hat vor allem Schild zu Recht darauf hingewiesen, dass man bei der Frage nach möglicher Fluchtmotivation zwischen der Flucht vom Unfallort (Verletzung von Abs. 1) und dem Unterlassen nachträglicher Feststellungsermöglichung (Verstoß gegen Abs. 2) zu unterscheiden hat. 89 Was die Flucht vom Unfallort weg angeht, handelt es sich - sieht man von eher seltenen Fluchtreaktionen auf rationaler Motivbasis ab - meist um ein eher unbewusst motiviertes Affektivdelikt, bei dem die akuten Belastungsreaktionen erfahrungsgemäß nach kurzer Zeit, günstigstenfalls sogar nach Minuten wieder abklingen. 90 Zu Recht sprechen moderne Autoren insoweit von einem „asthenischen" Affektdelikt (in der Nähe z.B. zum Notwehrexzess des § 33 StGB, 91 doch nicht als tiefgreifende Bewusstseinsstörung i.S. von § 20 zu bewerten, sondern nur als extreme Belastungsreaktion zu begreifen) und damit von einem Augenblicksversagen, das begangen wird aus nachvollziehbarer menschlicher Schwäche unter dem nachgerade „archaischen Urtrieb" eines nur unvollkommen beherrschbaren Fluchttriebs.92 Dieser „biologisch determinierte Selbstschutzmechanismus" 9 3 wird bei der Flucht vom Unfallort weg durch rationale Motive (Angst vor strafrechtlichen Sanktionen und/oder sonstigen Unannehmlichkeiten) erfahrungsgemäß nur verstärkt. In dieser Angst vor Strafe, der ausweislich aller vorliegenden kriminologischen Untersuchungen jedenfalls bei der zweiten Fallgestaltung - bei der die akute Belastungssituation am Unfallort bereits überstanden ist und bei der der Täter entweder der Fluchtneigung bereits widerstanden hat (Abs. 1 Nr. 1) oder ihr jedenfalls nicht in vergleichbarer Weise ausgesetzt war (Abs. 1 Nr. 2) - die dominierende Rolle zufällt,94 ist mitenthalten die Furcht vor dem Verlust der Fahrerlaubnis bzw. vor einem Fahrverbot. Die Prozentzahlen, die dieser Motivgruppe zugeordnet werden, liegen zwischen 50 und 70 % (bei Höchstwerten meist im Zusammenwirken mit anderen Motiven). 95 Neben der Besorgnis, wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG) oder - zahlen-

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Zusammenfassend und weiterführend vor allem Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/6 (S. 169 ff), Ruck S. 4 ff und Eisenberg/Ohder/Bruckmeier S. 53 ff; ebenso Duttge J R 2001 182. Dazu vor allem Eisenberg/Ohder/Bruckmeier S. 53. Schild NK Rdn. 3 ff; auf gleicher Linie Zopfs MK Rdn. 17 f. So aus forensisch-psychiatrischer Sicht zu Recht schon Barbey Blutalkohol 1992 261. Vgl. Schewe Beiträge zur gerichtl. Medizin 31 (1971), S. 13. So vor allem Duttge J R 2001 186; auf

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gleicher Linie Schild NK Rdn. 4 ff und Zopfs MK Rdn. 17: je m.w.N. Barbey Blutalkohol 1992 260. Zutreffend Zopfs MK Rdn. 18. Bergermann S. 122 geht von knapp 50 %, Kaiser Verkehrsdelinquenz (1970) S. 281 von etwa der Hälfte aller Fälle aus; bei Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/6b S. 169 (2) liegt der entsprechende Wert bei 58,6 %. Vgl. auch Ruck S. 5 („mehr als die Hälfte", im Höchstfall bis zu 75 %) sowie Hauser Blutalkohol 1982 194 (mindestens 55 bis 60 %).

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mäßig mit deutlichem Abstand - wegen unbefugter Benutzung des Unfallfahrzeuges (§§ 242, 246 oder 248b) verantwortlich gemacht zu werden,96 ist es vor allem die Angst, wegen eines Alkoholdeliktes strafrechtlich belangt zu werden.97 Wie bereits ausgeführt (Rdn. 11), kann inzwischen als weitgehend sicher davon ausgegangen werden, dass mindestens die Hälfte aller Fluchtfälle mit mehr oder weniger hohem Alkoholkonsum des flüchtigen Täters zusammenhängt. Für die zweite Gruppe möglicher Motive (Vermeidung sonstiger Unannehmlichkeiten) ist in erster Linie die Furcht vor dem Verlust des Schadensfreiheitsrabattes zu nennen; die Prozentzahlen schwanken hier zwischen 15 und 25 %. 9 8 Deutlich dahinter (10 bis 15 %) rangiert der Ärger, den der Unfallbeteiligte nach einem Unfall mit einem ihm nicht gehörenden Fahrzeug mit dem Halter des Unfallfahrzeuges (Arbeitgeber, Eltern/Ehegatten oder Freunde/Bekannte) befürchtet.99 Zahlenmäßig kaum ins Gewicht fallen dürfte die Furcht vor nachteiligen beruflichen Folgen oder Ärger wegen einer möglichen Identifizierung eines Beifahrers (z.B. der „Freundin" eines verheirateten Mannes oder bei verbotener Mitnahme eines Beifahrers im Dienstfahrzeug u.a.). 100 13

4. Anwendungsbereich. Wie entstehungsgeschichtlich belegt101 und nicht zuletzt im Hinblick auf Schutzzweck und Strafgrund der Norm (dazu bereits Rdn. 1 bis 3) inzwischen weithin anerkannt, ist die Vorschrift auf Unfälle im öffentlichen Straßenverkehr beschränkt. 102 Nicht erfasst sind Unfälle im Bahn-, Luft- und Schiffsverkehr (dazu nachfolgend Rdn. 18).

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a) „Öffentlich" in diesem straßenverkehrsrechtlichen Sinn (der §§ 142 und 315b, 315c und 316) 1 0 3 sind zunächst einmal alle nach dem Wegerecht des Bundes, der Länder oder der Kommunen dem allgemeinen Verkehr gewidmeten Straßen, Wege, Plätze und Brücken, 104 und zwar unabhängig davon, ob sie dem fließenden oder dem ruhenden Verkehr dienen (wegerechtlicher ,,Öffentlichkeits"-Begriff). Geschützt ist dabei nicht nur die Fahrbahn im engeren Sinn, sondern das gesamte Gelände des zum öffentlichen Straßenverkehr zugelassenen Bereichs 105 einschließlich der dazugehörenden Zu- und Abfahrts-

Dazu Bär/Hauser/Lehmpuhl IX/6d S. 173. Vgl. schon Emmerich (1962) S. 45, Kruse und E. Müller auf dem 2. Dt. Verkehrsgerichtstag 1964 (aaO S. 181 und S. 165), Arbab-Zadeh NJW 1965 1051, Brettel/Gerchow/Großpietzsch Blutalkohol 1973 138, Staak/Mittmeyer Blutalkohol 1973 310 ff und Middendorf DAR 1979 153. 9 8 Vgl. vor allem Bergermann S. 116 sowie Ruck S. 9; eher skeptisch Kaiser Verkehrsdelinquenz S. 280. 9 9 Vgl. Bergermann S. 117 sowie Bär/Hauser/ Lehmpuhl IX/6e S. 175 ff. 100 entsprechenden Nachweisen Ruck S. 8. 101 Amtliche Begründung zu § 139a (in der Fassung des Jahres 1940) DJ 1940 508; dazu auch Rietzsch DJ 1940 532. 1 0 2 Grundlegend BGHSt 8 264 und 12 255 (seither ständige Rechtsprechung). 1 0 3 Zum engen wegerechtlichen und zum weiteren straßenverkehrsrechtlichen „Straßen"96 97

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und „Öffentlichkeits"-Begriff s. mit weiterführendem Rechtsprechungsmaterial erst jüngst Rebler DAR 2005 65 ff und Zörner NZV 2002 261 ff. Nicht dazu gehört das freie Feld (Beispiel: Bauer oder Waldarbeiter mit Trecker auf seinem Acker oder in seinem Wald). Zum örtlichen Bereich der „Straße" gehört nicht nur die eigentliche Fahrbahn (§ 2 Abs. 1 StVO) einschließlich neben der Fahrbahn liegender oder mit ihr verbundener Parkstreifen bzw. Parkplätze, sondern das gesamte Gelände des für den öffentlichen Verkehr freigegebenen räumlichen Bereiches, also z.B. auch Seitenstreifen (Bankette), Bordsteinkanten, ggf. parallel angelegte Rad-, Fußgänger- oder Reitwege. Nicht zum öffentlichen Verkehrsraum gehört der Straßengraben, jedenfalls soweit er nach Lage der Dinge nicht mehr zum Seitenstreifen gehört: OLG Hamm VRS 39

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wege; private Grundstücksein- und Grundstücksausfahrten (§ 10 StVO) demgegenüber gehören als Teil des (privaten) „Grundstücks" nicht zur „öffentlichen" Straße. 106 Dem Schutzzweck der Vorschrift (Sicherheit des Straßenverkehrs) entsprechend sind „öffentlich" darüber hinaus aber auch diejenigen Verkehrsflächen, bei denen ohne Rücksicht auf eine förmliche (wegerechtliche) Widmung und ungeachtet der Eigentumsverhältnisse allein auf Grund ausdrücklicher oder nur stillschweigender Duldung seitens des Verfügungsberechigten die Benutzung durch jedermann oder jedenfalls durch bestimmte Gruppen von Verkehrsteilnehmern (z.B. Autobahnen nur durch Kraftfahrzeuge, Rad-, Reitoder Fußgängerwege/Fußgängerzonen nur durch Radfahrer, Reiter oder Fußgänger) 107 dauernd oder vorübergehend zugelassen wird und die von der Allgemeinheit zu diesem Zweck auch tatsächlich benutzt werden (faktischer oder verkehrsrechtlicher „Öffentlichkeits"-Begriff); dieser korrespondiert nicht mit dem Straßenrecht (als öffentlichrechtlichem Sachenrecht), sondern mit dem Straßenverkehrsrecht (als präventivem Verkehrssicherheitsrecht).108 Wiederum dem Schutzzweck der Norm entsprechend ist für die Frage, ob eine Duldung des Verfügungsberechtigten vorliegt, nicht auf dessen inneren Willen, sondern auf die für etwaige Benutzer erkennbaren äußeren Umstände (Zufahrtssperren, Schranken, Ketten, Verbotsschilder, verschlossenes Rolltor einer Tiefgarage, 109 fehlende Beleuchtung als Zeichen dafür, dass die Tankstelle geschlossen ist, 110 einfahrtähnliche Zubindung einer Zufahrt über abgesenkte Bordsteinkanten,111 Nummerierung oder namentliche Beschilderung von Abstellplätzen,112 Firmenparkplatz mit dem Zeichen „Verbot für Fahrzeuge aller Art", doch dem Zusatz „Lieferverkehr frei", 113 Tor, das den Hof eines Miethauses von der Straße abtrennt 114 u.ä.) abzustellen.115 Unter dieser Voraussetzung ist auch der Verkehr auf (eigentumsrechtlich) privatem Gelände „öffentlicher" Straßenverkehr, sofern er nur einem unbestimmten und nicht durch persönliche Beziehungen (untereinander oder zu dem Verfügungsberechtigten) verbundenen Kreis von Verkehrsteilnehmern zur Benutzung offen steht. Der Kreis der möglichen Besucher muss dabei so unbestimmt sein, dass von einer Abgrenzung des zugelassenen Verkehrs auf einen individuell bestimmten oder bestimmbaren Kreis von Personen nicht (mehr) gesprochen werden kann; 116 demzufolge kommt es für den verkehrsrechtlichen Begriff

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(1970) 2 7 0 ; zustimmend Lackner/Kühl § 315c Rdn. 2. Zum Begriff der „Straße" s. die einschlägigen Kommentierungen zu § 2 StVO. BGH VRS 12 (1957) 414; ebenso OLG Karlsruhe Justiz 1984 66. Vgl. BGHSt 2 2 365 („öff. Straßenverkehr" auf Gehweg, der neben der Fahrbahn ausschließlich für die Benutzung durch Fußgänger angelegt ist). Grundlegend BGHSt 16 7 ff; vgl. auch H.W. Schmidt DAR 1963 345, Bullert DAR 1965 7 und Anton Böhm DAR 1966 169. S. auch die Zusammenfassungen bei Bär/ Hauser/Lehmpuhl I/5e, Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 15 und Rudolphi SK Rdn. 12 - je zu § 142 - sowie Fischer § 315b Rdn. 3 und Lackner/Kühl § 315c Rdn. 2: alle mit zahlreichen Nachweisen. Ausführlich dazu erst jüngst OLG Hamm N Z V 2 0 0 8 2 5 7 = VRS 114 (2008) 273.

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LG Krefeld DAR 1988 65. OLG Hamm NJW 1967 119 und OLG Hamburg VRS 37 (1969) 278. OLG Hamm VRS 52 (1977) 2 0 7 und OLG Düsseldorf VRS 74 (1988) 181. VG Saarlouis N Z V 1991 47. LG Leipzig DAR 2 0 0 2 327: „nicht-öffentlich" sei ein solcher Firmenparkplatz jedenfalls nachts um 2 3 Uhr, weil erkennbar außerhalb jeder Geschäfts- und Lieferzeit. OLG Hamm N Z V 2 0 0 8 2 5 7 = VRS 114 (2008) 273. BayObLG VRS 73 (1987) 57; s. schon BayObLG VRS 43 (1972) 135 und VRS 63 (1982) 2 8 7 sowie erst jüngst OLG Hamm N Z V 2 0 0 8 257. BGHSt 16 7 (9 f). Ebenso in neuerer Zeit BGHSt 4 9 128 ff zur „Nicht-Öffentlichkeit" eines Werkgeländes, wenn der Zutritt lediglich Werksangehörigen und Personen mit individuell erteilter Erlaubnis möglich ist.

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der „Öffentlichkeit" maßgeblich darauf an, ob der betreffende Bereich der Allgemeinheit zugänglich ist, d.h. ob er von einem zufälligen Personenkreis genutzt werden kann. 1 1 7 Soweit dies zu bejahen ist, spielt auch keine Rolle, ob die Benutzung zeitlich, sachlich oder in persönlicher Beziehung eingeschränkt oder die Benutzung nur vorübergehend oder nur gegen Bezahlung gestattet ist. Eine Verkehrsfläche kann somit zeitweilig „öffentlich" und zu anderen Zeiten „nicht-öffentlich" sein. 1 1 8 Wird etwa ein Behördenparkplatz außerhalb der Dienstzeiten für jedermann „auf eigene Gefahr" freigegeben, findet für die Zeit der Freigabe „öffentlicher" Straßenverkehr statt. 1 1 9 Danach ist auch unerheblich, ob der (jedenfalls Teilen der Allgemeinheit zugänglich gemachte) Verkehrsraum in unerlaubter Weise benutzt wird (z.B. reine Fußgängerwege vorschriftswidrig durch Rad- oder Mopedfahrer, 1 2 0 Waldwege durch Reiter 1 2 1 oder Fußgängerzonen durch Kraftfahrzeuge u.ä.). Umgekehrt vermag die gelegentliche Mitbenutzung durch Unbefugte 1 2 2 an der „Nicht-Öffentlichkeit" aber ebensowenig zu ändern wie die Aufstellung amtlicher Verkehrszeichen auf einem Privatgelände (z.B. Fabrikgelände, Großparkplatz nur für Betriebsangehörige). 1 2 3 Anderes gilt nur, wenn die Verkehrsfläche durch entgegengesetzte längere Übung praktisch jedermann zugänglich geworden ist. 1 2 4 Weitere Kasuistik. Zum Bereich des „öffentlichen" Straßenverkehrs gehören Parkhäuser/Tief- oder Hochgaragen (mit allen ihren Abstellflächen, Verbindungsbahnen sowie Zu- und Abfahrtswegen), wenn das Areal für den allgemeinen Publikumsverkehr geöffnet ist: und zwar auch dann, wenn die Benutzung nur gegen Entgelt und/oder nach Passieren einer Schranke möglich ist. 1 2 5 Gleiches gilt folgerichtig für Parkplätze bzw. Tiefgaragen, die an ein Einkaufscentrum angebunden sind, soweit sie einem unbestimmten und wechselnden Kundenkreis offenstehen. 1 2 6 Außerhalb der normalen Betriebszeit sind

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So erst jüngst OLG Hamm NZV 2008 257: die „Öffentlichkeit" verneinend beim Hof eines von vier Mietparteien bewohnten Hauses, der durch ein Tor von der Straße getrennt ist und nur nachts abgeschlossen wird. LG Leipzig DAR 2002 327 zu einem Firmenparkplatz mit dem Zeichen 250 (Verbot für Fahrzeuge aller Art) und dem Zusatz „Lieferverkehr frei": „Nicht-öffentlich" sei der Verkehr jedenfalls außerhalb jeglicher Geschäfts- und Lieferzeit, angesichts wechselnder Besucher „öffentlich" jedoch während dieser Zeit. BayObLG VRS 41 (1971) 42. Gleiches gilt für das Gelände eines Reitervereins für die Zeit eines Reitturniers, während deren das (ansonsten nur für Mitglieder offene) Gelände vorübergehend für die Allgemeinheit geöffnet wird; Eintrittszwang steht der zeitweiligen „Öffentlichkeit" insofern nicht entgegen: OLG Celle VRS 92 (1997) 109. OLG Hamm VRS 62 (1982) 47. BayObLG GA 1972 210. So schon BGHSt 16 7 (11); ebenso OLG Braunschweig VRS 27 (1964) 458 sowie BayObLG VRS 63 (1982) 287 und VRS 73

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(1987) 57. Ebenso erst jüngst BGH DAR 2004 529 zu einer mehrere Meter breiten und nicht als Zugang zu dem Gebäude dienenden Rasenfläche, die auch dann keinen „öffentlichen" Straßenverkehr eröffne, wenn tatsächlich einzelne Besucher den Weg zu dem Gebäude aus Bequemlichkeit über den Rasen abkürzen. OLG Karlsruhe Justiz 1984 66. Vgl. schon Schmidt DAR 1963 346; ebenso Zörner NZV 2002 263. OLG Bremen NJW 1967 990, OLG Düsseldorf VRS 39 (1970) 204, OLG Karlsruhe VRS 54 (1978) 153 und VRS 55 (1978) 373, OLG Stuttgart NJW 1980 68 (noch zweifelnd in VRS 30 (1966) 210), KG DAR 1983 80 sowie BayObLG DAR 1992 349; ebenso Bullert DAR 1963 326 und Schmidt DAR 1963 346. Vgl. auch AG Homburg/Saar VM 1987 56 (Zufahrt zu einem öffentlichen Parkhaus) sowie schon OLG Hamm VRS 14 (1958) 437 (für einen durch die Allgemeinheit genutzten Parkplatz auf privatem Fabrikgelände). Ebenso OLG Saarbrücken NJW 1974 1099 und OLG Köln VRS 48 (1975) 453; gegenteiliger Ansicht Müller-Foru/erk MDR 1963

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jedoch auch solche Parkhäuser nicht als „öffentlicher" Verkehrsraum anzusehen: 127 und zwar auch dann nicht, wenn zwar noch ein gewisser Restverkehr stattfindet, dieser jedoch durch einen Nachtwächter individuell betreut wird und damit nur einem individuell näher bestimmten oder jedenfalls individuell kontrollierbaren Personenkreis offensteht. 128 Zum Bereich des „öffentlichen" Straßenverkehrs zu rechnen sind auch einem unbestimmten Kundenkreis zugängliche (und in Betrieb befindliche) 129 Tankstellen (Einund Ausfahrten sowie der Bereich um die Zapfsäulen, ggf. einschließlich allgemein zugänglicher Autowaschanlagen 130 ). 131 Für die Zeit der Betriebsruhe kann aber nicht von einer „öffentlichen" Verkehrsfläche ausgegangen werden: so etwa, wenn der Tankstellenbetreiber durch Ausschaltung der Beleuchtung zum Ausdruck gebracht hat, in dieser Zeit keinen öffentlichen Verkehr auf seinem Gelände zu dulden.132 Gleiches gilt für einen Firmenparkplatz mit dem Zeichen 250 (Verbot für Fahrzeuge aller Art), wenn durch den Zusatz „Lieferverkehr frei" nach außen zum Ausdruck kommt, dass jedenfalls außerhalb der üblichen Geschäfts- und Lieferzeit ein Zutritt zu dem Gelände verboten ist. 133 Parkplätze von Gasthäusern, Privatbetrieben oder Behörden/Gerichtsgebäuden gehören selbst dann zum „öffentlichen" Verkehrsraum, wenn das Gelände ausweislich eines besonderen Schildes an sich „nur für Gäste" oder „nur für Besucher" freigegeben, der wechselnde Besucherkreis aber nicht individuell bestimmt und damit nicht überschaubar ist und zudem nicht weiter kontrolliert wird. 134 Daher bleibt der Parkplatz einer Gaststätte auch außerhalb ihrer Öffnungszeit straßenverkehrsrechtlich jedenfalls solange „öffentlich", wie ein etwaiger Wille des Verfügungsberechtigten, den Platz außerhalb der Öffnungszeiten seines Lokals der Allgemeinheit als Parkplatz nicht zur Verfügung zu stellen, nicht nach außen manifest geworden ist. 135 Anders ist die Rechtslage, wenn die Verkehrsfläche z.B. durch den Hotelier erkennbar nur für seine Übernachtungsgäste oder durch den Privatbetrieb/die Behörde ausschließlich für die dort beschäftigten Betriebs- oder Behördenangestellten zur Verfügung gestellt wird. 136 Können

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721. Zu möglicher Unfallflucht nach Beschädigung eines Pkw durch einen Einkaufswagen auf dem Parkplatz eines Supermarktes LG Bonn NJW 1975 178 und OLG Koblenz MDR 1993 366. Ebenso LG Leipzig DAR 2 0 0 2 327. OLG Stuttgart NJW 1980 68; zustimmend Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 15. „In Betrieb" befindet sich auch eine während der Nacht an sich geschlossene Tankstelle, wenn sie in dieser Zeit eine Münztankmöglichkeit anbietet: OLG Hamburg VRS 3 7 ( 1 9 6 9 ) 2 7 8 . BayObLG N J W 1980 715. So vor allem BayObLG J R 1963 192 (zustimmend Martin aaO S. 193) und NJW 1980 715; ebenso OLG Hamm VRS 2 6 (1964) 4 5 7 und VRS 3 0 (1966) 4 5 2 sowie OLG Hamburg VRS 37 (1969) 279. Anderes kann gelten, wenn an die allgemein zugängliche Tankstelle eine Waschanlage oder eine Reparaturwerkstatt angeschlossen ist, zu der nur ein individueller Zugang erlaubt ist; ebenso Schmidt DAR 1963 346.

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Noch offen BGH VRS 31 (1966) 291. Wie hier BayObLG JR 1963 192 (zustimmend Martin aaO S. 193), OLG Hamm VRS 2 6 (1964) 4 5 7 und VRS 3 0 (1966) 4 5 2 sowie OLG Hamburg VRS 37 (1969) 279. Anderes mag gelten, wenn das Gelände der Tankstelle in den abendlichen oder nächtlichen Stunden der Betriebsruhe mit Duldung des Inhabers als allgemein zugänglicher Parkplatz (z.B. gegenüber einem Kino oder einer Gaststätte) genutzt wird. LG Leipzig DAR 2 0 0 2 327. So gegen OLG Hamm VRS 2 0 (1961) 6 9 grundlegend BGHSt 16 7 ff = N J W 1961 1124 (seither ständige Rechtsprechung); statt vieler: OLG Stuttgart DAR 1960 51, OLG Frankfurt VRS 31 (1966) 184 und BayObLG nach Rüth DAR 1978 201. OLG Düsseldorf N Z V 1992 120: zustimmend Pasker N Z V 1992 120; kritisch Hentschel J R 1992 3 0 0 . OLG Braunschweig VRS 2 7 (1964) 4 5 8 und OLG Düsseldorf VRS 63 (1982) 2 8 9 (Privatparkplätze nur für Betriebsangehörige); vgl. auch OLG Düsseldorf VRS 6 4 (1983)

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Besucher jedoch ohne jede Kontrolle einfahren oder steht ein Behörden- oder Firmenparkplatz auch allen Besuchern/Kunden zur Verfügung, werden auch solche Plätze zu „öffentlichem" Verkehrsraum. 137 Ungeachtet eines Schildes „Unbefugten ist die Zufahrt verboten" oder einer Einzäumung sind somit auch Straßen auf Fabrikgelände, Verladestraßen der Bundesbahn oder andere Zufahrtsstraßen zu einem Güterbahnhof als „öffentliche" Straßen anzusehen, wenn sie einem unbestimmten Benutzerkreis (Lieferanten, Abholer, Besucher) offenstehen. 138 Anderes gilt auch hier nur, soweit der Zugang nur einem ganz bestimmten Personenkreis erlaubt ist und dies auch kontrolliert wird. 1 3 9 Trotz Zaun und Zugangskontrollen bleibt ein Klinikgelände „öffentlich", wenn es auch für Besucher (mit Kraftfahrzeugen) zugänglich bleibt. 140 Schließlich sind auch Mülldeponien „öffentlich", selbst wenn nicht jedermann, sondern nur Bewohner der jeweiligen Stadt zur Benutzung berechtigt sind; denn auch in diesem Fall ist der Benutzerkreis nicht mehr so eng und genau umschrieben, dass er sich deutlich aus einer unbestimmten Vielheit möglicher Benutzer aussondern lässt. 141 16

b) Im straßenverkehrsrechtlichen Sinn „nicht-öffentlich" sind Verkehrsflächen, die erkennbar nur für bestimmte oder jedenfalls individuell bestimmbare und damit nur für solche Benutzer zugelassen sind, die entweder untereinander oder zum Verfügungsberechtigten nur durch persönliche oder sachliche Beziehungen verbunden sind. 142 Nichtöffentlich ist somit der Privatparkplatz einer Hausgemeinschaft, der grundsätzlich nur den jeweiligen Hausbewohnern und ihren (diesen meist persönlich bekannten) Besuchern, nicht aber dritten Personen offen steht; denn auch die Besucher eines Mieters leiten ihr Nutzungsrecht vom jeweiligen Mieter und im Zweifelsfall nur nach vorheriger Absprache mit diesem ab. 1 4 3 Dies gilt nicht nur, wenn die Parkbuchten nummeriert oder mit einem Namensschild für bestimmte Bewohner (oder deren Besucher) reserviert sind, sondern auch dort, wo besondere Absperrungen oder Verbotsschilder fehlen, die Abstellflächen für Kraftfahrzeuge aber schon durch ihre bauliche Anordnung erkennen lassen, dass sie zu einer privaten Wohnanlage gehören und die Berechtigten die Benutzung durch Dritte nicht dulden wollen. 1 4 4 „Nicht-öffentlich" sind ferner Zufahrten zu einem Privat-

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3 0 0 (Flughafengelände). So nunmehr nachdrücklich auch BGHSt 4 9 128 ff für ein Werksgelände, zu dem der Zutritt nur Werksangehörigen und anderen Personen nur mit individuell erteilter Erlaubnis gestattet ist. BayObLG: nach Rüth DAR 1978 201 sowie VRS 6 6 (1984) 2 9 6 . Vgl. OLG Braunschweig VRS 8 (1955) 144 (privates Fabrikgelände), OLG Karlsruhe N J W 1956 1 6 4 9 (allgemein zugängliches Munitionslager) sowie OLG Schleswig VM 1958 15, OLG Hamm VRS 16 (1959) 306, OLG Köln VRS 16 (1959) 5 5 und OLG Celle DAR 1965 100: alle bezüglich von Ladestraßen der Bahn. Zum Fall eines privaten Betriebsgeländes, das nicht nur Betriebsangehörigen, sondern auch jedem beliebigen Besucher, Lieferanten oder Abholer offensteht, sofern er beim Pförtner einen entsprechenden Passierschein ausfüllt: OLG

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Bremen MDR 1980 421 („Öffentlichkeit" bejaht; eher kritisch Brede aaO S. 422). Zu dieser Fallgruppe auch Schmidt DAR 1963 3 4 6 f. OLG Hamm VRS 6 (1954) 218 und VRS 7 (1954) 215. LG Dresden N Z V 1999 221. OLG Zweibrücken VRS 6 0 (1981) 218. Grundlegend BGHSt 16 7 ff. OLG Hamm N Z V 2 0 0 8 2 5 7 = VRS 114 (2008) 273. BayObLG NJW 1983 129 = VRS 6 3 (1982) 2 8 7 (zu Unrecht zweifelnd insofern bei einem „ungewöhnlich großen Wohnhaus"); auf dieser Linie auch LG Krefeld VRS 74 (1988) 2 6 2 (Tiefgarage einer privaten Wohnanlage mit insgesamt 95 Einstellplätzen, deren Großteil an Bewohner der Anlage, von denen aber einige wenige auch an interessierte Dritte vermietet waren).

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haus oder zu einem zu einem Wohnhaus gehörenden Hofraum; 1 4 5 daher reicht z.B. die Benutzung eines (von der öffentlichen Straße nicht einsehbaren, nur durch eine tunnelartige Hausdurchfahrt erreichbaren unbefestigten) Hofgrundstücks zu Parkzwecken allein durch die Hausbewohner und ihre Besucher zur Annahme eines faktisch „öffentlichen" Verkehrsraumes nicht aus. 1 4 6 „Nicht-öffentlich" ist folglich auch die mehrere Meter breite Rasenfläche, die nicht als Zuweg von einem (öffentlichen) Parkplatz zu einem Gebäude dient: dies selbst dann nicht, wenn tatsächlich einzelne Besucher den Weg zu dem Gebäude aus Bequemlichkeit über den Rasen suchen. 1 4 7 Anders ist die Rechtslage bei Anliegerstraßen, sofern diese sich nach dem Gesamtbild der Verkehrsführung nicht als Einfahrt zu einem Privathaus darstellen (dann „nicht-öffentlich"), 1 4 8 sondern als gemeinsame Zufahrt zu mehreren Wohnanlagen (dann wohl „öffentlicher" Verkehrsraum); 149 Gleiches gilt für eine Zufahrt zu einer Arztpraxis. 1 5 0 Auch ein Weg, der nur zu einem bestimmten Anwesen führt, als „Privatweg" bezeichnet und dessen Benutzung Unbefugten ausdrücklich untersagt ist, ist keine „öffentliche" Straße. 1 5 1 Weitere Kasuistik. Danach ist das Gelände eines Großmarktes jedenfalls solange „nicht-öffentlich", wie die Anlage nur Benutzern mit besonderem Kundenausweis offensteht und dies auch kontrolliert wird. 1 5 2 Steht ein derartiges Areal jedoch Käufern ohne Begrenzung auf einen bestimmten Personenkreis offen, ist von „öffentlichem" Verkehrsgrund auszugehen; denn auch die Anordnung, nur mit einem Parkausweis einzufahren, und die damit verbundene Kontrollmöglichkeit der abgestellten Fahrzeuge schränken den Zugang auch in diesen Fällen nicht auf einen bestimmten Personenkreis ein. 1 5 3 Zum „nicht-öffentlichen" Verkehrsraum zu zählen ist auch ein Kasernen- oder Flugplatzgelände, solange der Zugang nur nach individueller Kontrolle erlaubt wird. 1 5 4 Das Wagendeck eines Fährschiffs ist nicht nur während der Zeit des Übersetzens, 155 sondern schon bei der Ein- und Ausfahrt auf die Fähre kein „öffentlicher" Verkehrsraum mehr; denn es geht dabei weniger um die Benutzung öffentlicher Straßen als vielmehr um die Beförde-

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Selbst dann keine „öffentliche" Verkehrsfläche, wenn gelegentlich von Unbefugten genutzt: BayObLG VRS 73 (1987) 57. So erst jüngst auch OLG Hamm N Z V 2 0 0 8 257. BGH N Z V 1998 418 = DAR 1998 3 9 9 (anders allenfalls bei regelmäßiger Benutzung auch durch Anwohner der anliegenden Nachbarhäuser und deren Besucher). So zu Recht BGH DAR 2 0 0 4 529. In dieser Richtung OLG Düsseldorf N J W 1988 922. So BayObLG VRS 6 4 (1983) 375 und jedenfalls tendenziell auch OLG Düsseldorf GA 1976 2 4 7 (Parallele zu Anliegerstraße für einen auf Privatgelände angelegten und von vielen genutzten „wilden" Parkplatz). Zur „öffentlichen" Natur von Anliegerstraßen vgl. OLG Hamm V M 1 9 5 9 2 4 und OLG Köln N J W 1964 311 sowie BGH (Z) VM 1957 14 (Nr. 20): unter Bezug auf RG J W 1938 1320 (Nr. 17). BayObLG bei Rüth DAR 1982 2 4 6 ; zustimmend Jäger HK Rdn. 39.

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OLG Köln GA 1956 3 und OLG Hamm VRS 3 7 (1969) 270. BGH N J W 1963 152. BayObLG VRS 6 2 (1982) 133. „Öffentlich" jedoch nur, soweit für jedermann ohne besondere Kontrolle zugänglich. Vgl. BGH VRS 2 6 (1964) 2 5 7 (Kasernengelände der US-Streitkräfte) sowie BayObLG VRS 2 4 (1963) 3 0 4 und OLG Celle DAR 1 9 5 9 2 2 (jeweils für Fliegerhorst): dabei sei die (ggf. große) Zahl der durch Ausnahmegenehmigung zugelassenen Personen ebenso belanglos wie die Frage, ob das Gelände völlig eingezäumt ist und ob Verkehrszeichen nach StVO angebracht sind; ebenso Schmidt DAR 1963 347. Zu einem Sonderfall (internationales Curling-Turnier auf dem Gelände einer kanadischen Kaserne) OLG Karlsruhe VRS 6 0 (1981) 439. So jedenfalls OLG Karlsruhe N Z V 1993 7 7 = VRS 8 4 (1993) 100; zweifelnd Janiszewski NStZ 1993 275.

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rung eines Kraftfahrzeuges durch ein Schiff nach individueller Zugangskontrolle. „Nichtöffentlich" ist der Parkplatz eines Sportvereins, wenn er nur Mitgliedern des Vereins freigegeben ist, 156 oder das Parkgelände einer Universität/Schule, das erkennbar (z.B. durch den Hinweis „Privatgrundstück: Benutzung nur mit Berechtigungsplakette") nur einem ganz bestimmten Benutzerkreis zur Verfügung steht. 157 Anders ist die Rechtslage jedoch, wenn z.B. ein Klinikgelände trotz Umzäunung und Zugangskontrolle auch für Besucher von Patienten (und damit einen nicht näher bestimmbaren Personenkreis) zur Benutzung mit dem Kraftfahrzeug offensteht. 158 18

c) Wie bereits ausgeführt (Rdn. 13), findet die Vorschrift auf Unfälle im Schiffs-, Luft- und Bahnverkehr keine Anwendung.159 Für die Abgrenzung zwischen Straßen- und Bahnverkehr kommt es weniger auf den Ort, in dem sich die jeweilige Gefahr verwirklicht, 160 als vielmehr auf den Verkehrsraum an, aus dem die unfallrelevante Gefahr kommt. 161 Danach findet § 142 auf Unfälle im Schienenverkehr nur Anwendung, soweit die Schienenbahn am (öffentlichen) Straßenverkehr teilnimmt (§ 315d); 1 6 2 dies ist nicht nur zu bejahen, wenn ein Schienenfahrzeug auf einem auch für Landfahrzeuge freigegebenen Untergrund fährt, sondern auch dort, wo es auf besonderem Verkehrsgrund fährt, sein Führer infolge der nur unvollständig durchgeführten Trennung von der Straße sein Fahrverhalten aber (auch) nach dem ihn umgebenden Straßenverkehr zu richten hat. 1 6 3 Für den Bereich der Seeschifffahrt existiert in § 6 Abs. 2 der VO über die Sicherung der Seefahrt 164 eine auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Seeschifffahrt ausgerichtete Regelung, die erkennbar den Normbefehlen des § 142 Abs. 1 nachgebildet, aber nur bußgeldbewehrt ist (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 VO). Für den Bereich deutscher Territorial- und Binnengewässer165 gibt es derzeit keine entsprechend weitreichende Regelung; 166 denn die auf Anregung des Bundesrates im Gesetzge bungs verfahren zum 13. StrÄndG vorgesehene Vorschrift ist nicht zustandegekommen.167 Die einschlägigen Normen des Binnenschifffahrtsrechts enthalten nur Verhaltenspflichten zur Sicherung von Schifffahrtswegen

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OLG Braunschweig VRS 2 7 (1964) 458. BayObLG nach Rüth DAR 1978 201, OLG Karlsruhe Justiz 1980 4 8 5 (für den Parkbereich der Uniklinik Freiburg) und Justiz 1984 66 (für den Parkplatz einer Gewerbeschule). LG Dresden N Z V 1 9 9 9 221. So speziell für den Schiffsverkehr im Anschluss an OLG Koblenz N J W 1959 1378 und entgegen KG VRS 17 (1959) 410 grundlegend (und seither unbestritten) BGHSt 14 116: Zur Begründung wird neben der Entstehungsgeschichte der Norm und der Geschichte ihrer späteren Änderung nicht zuletzt darauf hingewiesen, dass die Erfüllung des Normbefehls der Vorschrift (Wartepflicht am Unfallort zwecks Spurensicherung an Ort und Stelle des Unfalls) außerhalb des Straßenverkehrs kaum möglich ist. Vgl. statt vieler Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 5, Fischer Rdn. 4, Lackner/Kühl Rdn. 6 sowie Janiszewski Rdn. 476: alle m.w.N.

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Bedenklich BGHSt 11 162 (zu § 315). Vgl. Geppert JURA 1996 6 3 9 (dort zu § 315b). Anders noch RGSt 75 3 5 5 (Sturz eines Fahrgastes aus einer auf eigener Fahrbahn fahrenden Straßenbahn). Wie hier Janiszewski Rdn. 476. Geppert JURA 1996 6 4 0 ; in diesem Sinn auch BTDrucks. IV/651, S. 29. Vom 27.7.1993 (BGBl. I 1417) in der Fassung der 11. ÄndVO vom 18.2.2004 (BGBl. I 300). Dazu auch Beier MDR 1978 12 und Schünemanti ZfB 1 9 7 9 91; vgl. auch Janiszewski Rdn. 477. So im Ergebnis auch OLG Karlsruhe N Z V 1993 7 7 (zum Unfall auf dem Wagendeck eines Fährschiffes von Konstanz nach Meersburg). Bericht und Antrag des Sonderausschusses: BTDrucks. 7/3503 (dort zu Art. 1 Nr. 2 Ziff. 2).

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und Schifffahrtseinrichtungen, doch nicht zur Sicherung privater Feststellungsinteressen nach dem Vorbild von § 142; 1 6 8 eine analoge Anwendung von § 6 Seeschifffahrts-VO wird daher zu Recht abgelehnt. 169 Das Befahren von Skipisten/Skihängen ist zwar Teilnahme am „öffentlichen" Verkehr, doch nicht Teilnahme am „Straßen"verkehr. 170 Soweit es sich dabei um Sport und Spiel handelt (und damit um Verhaltensweisen, die nach § 31 StVO von der Benutzung öffentlichen Verkehrsraumes ausgeschlossen sind), ist die Anwendung von § 142 somit ausgeschlossen.171 Etwas anderes gilt nur, soweit Skifahrer ganz bewusst am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen (z.B. als Landbriefträger im winterlichen Hochschwarzwald) oder in Ausübung ihres Sportes (z.B. bei einem Zusammenprall mit einem Kraftfahrzeug auf einer Abfahrtpiste, die über eine öffentliche Straße führt) auf den öffentlichen Straßenverkehr einwirken. In Bayern sieht Art. 24 Abs. 6 Nr. 4 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) 1 7 2 eine Geldbuße für Skifahrer vor, die sich nach einem Unfall während des Skibetriebes vom Unfallort entfernen, ohne erforderliche Feststellungen ermöglicht zu haben.

Π. Die äußeren Tatumstände Man erleichtert sich den Zugang zu dem in seinem Normbefehl besonders unübersichtlichen Straftatbestand, wenn man sich vorweg dessen äußere Tatumstände vor Augen führt. Danach ist zunächst ein Doppeltes erforderlich: Zum einen ist die Vorschrift nur auf „Unfälle im Straßenverkehr" anwendbar (nachfolgend Rdn. 21 ff) und zum andern kann sie (täterschaftlich) nur von „Unfallbeteiligten" (§ 142 Abs. 5) verwirklicht werden (Rdn. 35 ff). Zu klären ist ferner der Begriff des „(Feststellungs-) Berechtigten" (Rdn. 49), des „Geschädigten" (Rdn. 50) sowie feststellungsbereiter Personen, die als solche „bereit" waren, „die (gemeint: zur Klärung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit an Ort und Stelle des Unfalls erforderlichen) Feststellungen zu treffen" (nachfolgend Rdn. 51). Der Erörterung bedürftig ist schließlich der Begriff des „Unfallorts" (Rdn. 53).

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1. Unter „Unfall im Straßenverkehr" versteht man ein plötzliches, d.h. zumindest für einen der Betroffenen ungewolltes Ereignis im öffentlichen Straßenverkehr, das mit den Gefahren des (fließenden oder ruhenden) Straßenverkehrs in ursächlichem Zusammenhang steht und einen nicht ganz unerheblichen Personen- oder Sachschaden verursacht hat. 1 7 3 In dieser inzwischen allseits anerkannten Definition stecken ganz unterschiedliche Erfordernisse:

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Für den Bereich der Schifffahrt auf dem Bodensee sieht Art. 1.11 Abs. 2 S. 1 der Bodenseeschifffahrtsordnung eine (ebenfalls nur bußgeldbewehrte) Meldepflicht nach Schiffsunfällen vor: für Bayern in Kraft gesetzt durch VO vom 20.3.1976 (GVB1. S. 55) und in Baden-Württemberg durch VO vom 1.3.1976 (GBl. S. 257). Ebenso Beier MDR 1978 13; so offenbar auch Janiszewski Rdn. 477. Anders Kleppe NJW 1967 2194.

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Ebenso Dambeck DAR 1993 137 (dort zugleich zu den FIS-Regeln, nach denen sich das Verhalten der Skisportler bei Ausübung ihres Sportes zu richten hat), Janiszewski Rdn. 477, Kürschner NJW 1982 1967, Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 14 und Fischer Rdn. 4. Zuletzt geändert durch das Gesetz vom 8.7.2008 (GVB1 S. 364). Statt vieler: BGHSt 8 2 6 4 , 1 2 2 5 5 und 2 4 383; ebenso erst jüngst BGHSt 4 7 158 ff.

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a) Wie aus Rechtsgut und Strafgrund der Vorschrift (Rdn. 1 bis 3) folgt, muss sich der Verkehrsunfall unmittelbar im oder jedenfalls im Zusammenhang mit dem öffentlichen Straßenverkehr ereignet haben (zur „Öffentlichkeit" des Straßenverkehrs bereits Rdn. 14 ff). 174 Unfälle auf privatem Grund und Boden werden durch § 142 nicht erfasst. Auch wenn das hier geschützte private Beweissicherungsinteresse an sich unabhängig davon besteht, ob sich ein Unfall auf öffentlichem oder privatem Grund ereignet hat, setzt der Strafgrund dieser Strafvorschrift (Rdn. 3) hinsichtlich des Erfordernisses eines „Verkehrsunfalls" auf Seiten zumindest eines Unfallbeteiligten notwendigerweise die Teilnahme am „öffentlichen" Straßenverkehr voraus; 175 denn der Grund für die Bevorzugung der in einen Verkehrsunfall verwickelten Personen gegenüber nicht strafbewehrten anderen vermögensrechtlichen Ansprüchen ist nicht in einer besonders verwerflichen Gesinnung des Unfallflüchtigen als vielmehr in den Besonderheiten gerade des öffentlichen Straßenverkehrs begründet (Rdn. 3: weil Anonymität, Dichte und Schnelligkeit des heutigen Straßenverkehrs einem Schädiger besonders günstige Voraussetzungen bieten, sich nach einem Verkehrsunfall der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit zu entziehen). Doch muss sich der Unfaller/o/g nicht notwendig innerhalb des öffentlichen Verkehrsraums realisiert haben und die den Unfall mitverursachende Person muss sich nicht unbedingt im öffentlichen Verkehrsraum befunden haben; es genügt, wenn sich der Unfallbeteiligte (dazu nachfolgend Rdn. 35 ff) verkehrserheblich verhalten, indem er z.B. unmittelbar auf den Ablauf eines sich im öffentlichen Straßenbereich abspielenden Verkehrsvorganges eingewirkt hat. 176

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Kasuistik. Danach reicht es aus, wenn zwar die Ursache im öffentlichen Straßenverkehr gesetzt wird, der Schaden sich aber außerhalb des öffentlichen Verkehrsraumes realisiert, etwa wenn ein Kraftwagen infolge überhöhter Geschwindigkeit von der Straße abkommt und neben der Straße befindlichen Personen oder Sachen Schaden zufügt.177 Gleiches gilt, wenn die Ursache zwar außerhalb des öffentlichen Verkehrsbereiches gesetzt wird (z.B. Steinwurf gegen die Windschutzscheibe eines fahrenden Kraftfahrzeuges oder Blendung eines Kraftfahrers mit einem Spiegel von einem privaten Grundstück aus), der Schaden aber im öffentlichen Verkehrsraum eintritt. Der erforderliche „unmittelbare" Zusammenhang mit dem öffentlichen Straßenverkehr, wie er von der Rechtsprechung gefordert wird (BGHSt 18 396), ist auch dann noch gegeben, wenn jemand im Rahmen der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr versehentlich von der öffentlichen Straße auf ein Privatgrundstück abkommt 178 oder umgekehrt.179 Entscheidend ist dabei nicht, ob das Fahrzeug sich gerade noch (oder schon) auf „öffentlichem" Verkehrsbereich befindet, sondern ob der Unfall auf einer Fahrweise beruht, die noch beim Verlassen des öffentlichen Verkehrsbereiches oder bereits beim Verlassen eines privaten

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Statt vieler BGHSt 18 393 und Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 16 sowie Zopfs MK Rdn. 2 5 : je m.w.N. Anders noch OLG Bremen VRS 18 (1960) 115 und OLG Stuttgart DAR 1960 51; dem

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zustimmend Schmidt DAR 1963 348, Gan-

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schezian-Finck NJW 1963 1812 und Bullert DAR 1965 8. Wie hier jedoch Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 16 und Rudolphi SK Rdn. 11. BGHSt 14 2 4 (27). BGH VRS 5 9 (1980) 186, BGHSt 18 3 9 3

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(ablehnend Rutkowsky NJW 1963 1838) sowie schon BGH VM 1957 13; ebenso OLG Düsseldorf NJW 1982 2391 und OLG Karlsruhe N Z V 1993 77. OLG Oldenburg VRS 6 (1954) 363 und OLG Hamburg VRS 38 (1970) 218; so im Ergebnis auch BGHSt 18 3 9 3 (doch mit der eher bedenklichen Begründung, das Fahrzeug habe sich jedenfalls noch teilweise auf öffentlicher Straße befunden). BayObLG VRS 4 4 (1973) 365.

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Grundstücks auf die Beachtung der Pflichten gerichtet sein muss, die einem Teilnehmer am öffentlichen Straßenverkehr obliegen. 180 Hat der Fahrer (wenngleich möglicherweise nur versehentlich) den öffentlichen Straßenbereich jedoch verlassen und verursacht er z.B. beim Parken auf privatem Grund und Boden einen Unfall, ist allenfalls noch ein „mittelbarer" Zusammenhang mit der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr gegeben, der nicht zur Anwendbarkeit von § 142 führt (der Versuch ist nicht strafbewehrt). 181 b) Zum andern muss es sich um einen Unfall „im Straßenverkehr", d.h. um einen Unfall handeln, in dem sich gerade die besonderen Risiken des (fließenden oder ruhenden) Straßenverkehrs realisiert haben. 1 8 2 Eine solche teleologische Reduzierung des Tatbestandes ist erforderlich, um schädigende Geschehensabläufe von der Bewertung als „Verkehrsunfall" auszuschließen, die völlig außerhalb des Straßenverkehrs liegen 1 8 3 oder bei denen ausschließlich verkehrsfremde Zwecke verfolgt werden. Auszuscheiden sind danach schädliche Geschehensabläufe, bei denen der öffentliche Verkehrsraum eher zufälliger Art und der eingetretene Schaden weniger die unmittelbare Folge eines Verkehrsvorganges als vielmehr das Ergebnis ausschließlich verkehrsfremden Verhaltens ist: so etwa, wenn jemand vorsätzlich die Reifen eines parkenden Fahrzeugs durchsticht, zu Diebstahlszwecken die Fensterscheiben eines Kraftfahrzeuges einschlägt oder ein Kraftfahrzeug nur benutzt, um damit einen Gegner zu töten/zu verletzen oder das Gartentor des Nachbarn zu zerstören. 184 Verneint werden kann das Vorliegen eines „Unfalls im Straßenverkehr" - so jedenfalls gefestigte höchstrichterliche Judikatur 1 8 5 und bislang wohl noch h.M. im Schrifttum - 1 8 6 jedoch nur, wenn das Fahrzeug „ausschließlich" als Tatwerkzeug verwendet und damit ersichtlich in „Verkehrsatypischer" Weise genutzt wird. Benutzt ein Täter sein Fahrzeug bei Verfolgung an sich verkehrsfremder Zwecke zielgerichtet jedoch auch zu eigener Fortbewegung, bleibt es nach bisheriger Rechtspre-

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So ausdrücklich BayObLG nach Rüth DAR 1984 2 3 9 und OLG Hamburg VRS 38 (1970) 218; so tendenziell auch BGHSt 18 395 (mit dem Hinweis, das Wegfahren von der öffentlichen Straße auf ein Privatgrundstück sei „ebenso ein dem öffentlichen Verkehr zuzurechnender Vorgang wie umgekehrt das Einfahren von einem Privatgrundstück in den Straßenraum"). Auf dieser Linie auch Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 16 und Fischer Rdn. 9. Bedenklich BGH VRS 31 (1966) 421 und OLG Hamm VRS 14 (1958) 4 3 7 ; wie hier jedoch Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 16 und Fischer Rdn. 9. Dass sich in dem Unfall die typische Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs (§ 7 StVG) verwirklicht, ist nicht erforderlich; ebenso Schild NK Rdn. 39. Beispiele: Herabfallende Dachziegel beschädigen ein parkendes Auto; einem Bauarbeiter entgleitet von einem Baugerüst ein schwerer Hammer und verletzt einen Pas-

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Beispiele aus BGHSt 2 4 384: insoweit wohl allenthalben Zustimmung im Schrifttum; vgl. statt vieler nur Rudolphi SK Rdn. 15, Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 19 sowie Schild NK Rdn. 39. So grundlegend BGHSt 2 4 3 8 2 = N J W 1972

1960 = MDR 1972 962 (teilweise kritisch

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Berz JuS 1973 5 5 8 und Eich M D R 1973 814); vgl. auch OLG Stuttgart VRS 18 (1960) 117 sowie BayObLG N J W 1980 299, DAR 1985 327 und VRS 83 (1993) 268. Dem folgend neuerdings auch BGHSt 4 7 158 ff; bedenklich von diesem Ausgangspunkt aus BGHSt 4 8 2 3 3 (239). Vgl. statt vieler Rudolphi SK Rdn. 13, Schild AK Rdn. 96 sowie Schild NK Rdn. 39, Geppert JURA 1990 80 und Magdowski S. 94. Diesen Ansatz ablehnend aber Hartmann-Hilter N Z V 1995 3 4 0 ff; tendenziell skeptisch neuerdings auch Sternberg-Lieben JR 2 0 0 2 386 ff.

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chung bei einem „Unfall im Straßenverkehr". 187 Unter diesen einschränkenden Voraussetzungen können nach bislang noch überwiegender Ansicht somit auch Verletzungen und Schädigungen, die von einem der Beteiligten in vorsätzlicher Form herbeigeführt wurden, den tatbestandlichen Anwendungsbereich des § 142 eröffnen, was im Schrifttum neuerdings aber wieder heftiger umstritten ist (näher dazu nachfolgend Rdn. 26). Umstritten ist dies im Übrigen auch für Schadensfälle im stehenden Verkehr und für schädigende Ereignisse nur unter Fußgängern (nachfolgend Rdn. 25). Sind die einschränkenden Voraussetzungen jedoch gegeben, verbietet es sich, die Strafbarkeit nach § 142 nachfolgend wegen entschuldigender Unzumutbarkeit (dazu Rdn. 195 ff) 1 8 8 oder aus Konkurrenzgründen entfallen zu lassen (dazu Rdn. 221). 1 8 9 24

Nach Weigend liegt die dem geschützten Rechtsgut (privates Beweissicherungsinteresse) drohende „verkehrstypische Gefahr" gerade des Straßenverkehrs, wie allein sie den Straftatbestand des § 142 zu rechtfertigen imstande sei, in der Vielzahl denkbarer anonymer Schädigungen mit leichter Fluchtmöglichkeit und hohem Fluchtanreiz. 190 Von diesem Ausgangspunkt aus dürfe ein Unfall im Straßenverkehr nur bejaht werden, wenn sich die typischen Anreize des Straßenverkehrs gerade in der Flucht des Täters manifestiert haben, was aber nur der Fall wäre, wenn der Täter die besonderen Chancen des modernen Straßenverkehrs (Kontinuität der Fortbewegung des Verkehrsmittels, Angebot verschiedener Verkehrswege oder evt. auch anderer Verkehrsmittel) zur Flucht nach einem Unfall ausnutzt. Demgegenüber skeptisch meinerseits: Auch wenn die Abgrenzungskriterien der Rechtsprechung, wie sie inzwischen auch im Schrifttum weithin Zustimmung gefunden haben, nicht immer zu eindeutigen Lösungen führen, hat der Vorschlag Weigends bisher überwiegend zu Recht keine Zustimmung erfahren. 191 Sein Wechsel der Betrachtung weg vom Unfall hin zur Tat(flucht)handlung ist nicht nur mit dem Wortlaut des Gesetzes kaum zu vereinbaren, 192 sondern führt auch zu kriminalpolitisch wenig überzeugenden Ergebnissen und zu neuen Zweifelsfragen. So müsste § 142 danach auch eingreifen, wenn nur die Flucht, nicht aber der Unfall selbst mit dem Straßenverkehr zu tun hat, und von § 142 nicht erfasst wären nicht nur die Fälle, in denen der Täter zu Fuß das Weite sucht (weil er sich insoweit nicht die Vorteile des Straßenverkehrs zunutze machen würde), sondern nicht zuletzt auch alle Unfälle im ruhenden Verkehr (weil insoweit keine prä-existente Verkehrsdynamik vorhanden ist).

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Weitere Kasuistik. Inwieweit sich im Schadensereignis gerade ein dem Straßenverkehr typisches Schadensrisiko niederschlägt, ist vor allem bei Vorkommnissen nur unter Fußgängern und bei Unfällen im stehenden Verkehr zweifelhaft. Auch wenn ein ursäch-

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Dem steht wohl auch BGHSt 4 7 158 ff nicht entgegen: In dieser Entscheidung hat der B G H einen „Unfall im Straßenverkehr" auch bei vorsätzlichem Vandalismus aus einem Fahrzeug heraus verneint, obgleich das Fahrzeug an sich auch hier als Fortbewegungsmittel benutzt wurde, im Täterplan als zur Unfallflucht nutzbares Fortbewegungsmittel aber ersichtlich keine maßgebliche Rolle gespielt hat. So aber Hartmann-Hilter N Z V 1995 340. In dieser Richtung aber noch LG Duisburg N J W 1 9 6 9 1261 (abl. Oppe a a O und GA 1 9 7 0 367, im Wesentlichen zustimmend jedoch Roxin N J W 1 9 6 9 2 0 4 0 und zunächst

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auch Geppert GA 1 9 7 0 8, woran ich aber nicht mehr festhalte). Wie hier Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 19, Lackner/Kühl Rdn. 8 sowie Maurach/Schroeder/ Maiwald B T 1 4 9 / 1 9 (S. 6 2 1 ) und 4 9 / 6 9 (S. 6 3 3 ) ; dazu auch Berz JuS 1 9 7 3 und Ulsenheimer GA 1 9 7 2 1 ff. 190 191

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J R 1 9 9 3 115. Tendenzielle Zustimmung allenfalls bei Zopfs M K Rdn. 3 4 . Skeptisch gegenüber dieser an sich „durchaus bedenkenswerten Idee" daher auch Schild N K Rdn. 39, zumal Weigend selbst diesen kritischen Punkt erkennt (JR 1 9 9 3 117 mit Fn. 2 3 ) .

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

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licher Zusammenhang mit den typischen Gefahren des Straßenverkehrs vereinzelt verneint worden ist, wenn z.B. der Hund eines Fußgängers den Hund eines anderen Fußgängers anfällt und dieser daraufhin seinen ihn an der Leine haltenden Führer umreisst und verletzt,193 wird ein straßenverkehrstypisches Risiko von der Rechtsprechung selbst bei Unfällen unter alleiniger Beteiligung von Fußgängern jedenfalls dann nicht generell ausgeschlossen, wenn die Fußgänger als solche am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen haben. 194 Dies erscheint jedoch zweifelhaft, unterliegen dem § 142 tatbestandlich doch nur solche Vorfälle, die seinem Schutzbereich unterfallen und bei denen infolge ihres Massencharakters von einem erhöhten Unfall- und Schadensrisiko und einem entsprechend gesteigerten Aufklärungsinteresse auszugehen ist. Wie bereits ausgeführt (Rdn. 3), steht hinter § 142 entweder die erhöhte Gefahr, sich mit Hilfe eines Fahrzeugs schnell vom Unfallort entfernen zu können, oder aber das Risiko höheren (Personen-oder Sach-)Schadens, wie es Unfällen mit Fahrzeugen angesichts der von ihnen bewegten höheren Energie eigen ist. Weil derartige Risiken bei reinen Fußgängerunfällen nicht ersichtlich sind und daher jedenfalls auch kein gesteigertes Aufklärungsinteresse bestehen dürfte, sollten Schadensereignisse ausschließlich unter Fußgängern und ohne Beteiligung eines (nicht unbedingt: Kraft-) Fahrzeuges nicht als „Unfall im Straßenverkehr" gewertet werden.195 Folgerichtig gilt Gleiches für Beschädigungen eines parkenden Fahrzeugs durch einen Fußgänger. Anders ist die Rechtslage (auch nach der Rechtsprechung) jedoch bei Beschädigung geparkter Fahrzeuge oder Verletzung von Menschen durch umhergeschobene oder ins Rollen geratene Einkaufswagen oder Mülltonnen auf Rädern; denn da auch solche Schäden aus der verkehrsüblichen Nutzung des öffentlichen Verkehrsraumes resultieren, gehören sie als Transportgefahr zu den typischen Gefahren des Straßenverkehrs und damit zum verkehrsüblichen Risiko bei Teilnahme am Parkplatzverkehr:196 dies selbst dann, wenn der Schaden erst nach Abschluss des eigentlichen Transportvorganges (etwa beim Abstellen des leeren Einkaufswagens) verursacht wird. Aus diesem Grund sind nicht nur Unfälle im fließenden und im ruhenden (z.B. Beschädigung parkender Fahrzeuge), sondern auch Unfälle im stehenden Verkehr jedenfalls dann als „Unfälle

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BayObLGSt 1 9 7 9 132 = N J W 1 9 8 0 2 9 9 ; zustimmend Rudolphi SK Rdn. 13. Anders wäre die Rechtslage jedoch, wenn der Hund von einem anderen Fahrzeug angefahren worden wäre oder vor einem Fahrzeug gescheut und dann seinen Führer zu Fall gebracht hätte (BayObLG a a O ) . Ob Gleiches auch gilt, wenn der Hund von einem Fußgänger getreten worden wäre (auch hier einen „Unfall im Straßenverkehr" bejahend BayObLG a a O ) , ist jedoch fraglich. Generell ablehnend (weil „Unfälle im Straßenverkehr" nur bei Beteiligung von Fahrzeugen anerkennend) neuerdings Schild N K Rdn. 39.

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So etwa O L G Stuttgart VRS 18 ( 1 9 6 0 ) 117 (Sachschaden unter Fußgängern im Gedränge eines öffentlichen Volksfestes). Zustimmend Fischer Rdn. 9, Rudolphi SK Rdn. 14, Janiszewski Rdn. 4 9 0 und Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 4 9 / 1 8 (S. 6 2 1 ) ; vorsichtige Zustimmung auch bei

Zopfs M K Rdn. 3 4 . Zweifelnd aber schon Dünnebier Ndschr. 9 3 4 8 f sowie Lackner/ Kühl Rdn. 6 ; eindeutige Ablehnung neuerdings bei Schild N K Rdn. 3 9 (nur bei Beteiligung von Fahrzeugen). 195

So schon Berz JuS 1 9 7 3 5 5 8 mit Fn. 10 und ebenso Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 17, Magdowski S. 8 9 und Pfannmüller S. 2 2 0 ; auf dieser Linie folgerichtig auch Weigend J R 1 9 9 3 115. So nachdrücklich nunmehr auch Schild N K Rdn. 39. An meiner gegenteiligen Ansicht (JURA 1 9 9 0 8 0 ) halte ich nicht mehr fest.

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Ebenso O L G Stuttgart DAR 1 9 7 4 1 9 4 und O L G Koblenz M D R 1 9 9 3 3 6 6 sowie zuvor LG Bonn N J W 1 9 7 5 178. Zustimmend Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 17; anders aber Schild N K Rdn. 3 9 . So bejahend für Mülltonnen auf Rädern der Berliner Stadtreinigung erst jüngst zu Recht auch LG Berlin N Z V 2 0 0 7 3 2 2 = N S t Z 2 0 0 7 100.

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im Straßenverkehr" anzusehen, wenn sie mit dem Verkehrsgeschehen in unmittelbarem Zusammenhang stehen: 197 etwa wenn beim Entladen eines Lastwagens die Ladeklappe herabfällt 198 oder ein Fahrzeug beim Reifenwechsel vom Wagenheber rutscht und dabei ein anderes Fahrzeug beschädigt wird; 199 ob die Fahrzeuge dabei stehen oder eher zufällig noch (oder schon) rollen, ist dabei unerheblich. 200 Nicht erfasst sind demgegenüber Schäden an der Schranke einer öffentlichen Tiefgarage beim Versuch, sie manuell wieder zu schließen, 201 oder Beschädigungen von Verkehrszeichen/-einrichtungen bei Aufstellung durch Bauarbeiter. 202 Weil Inline-Skates, Skateboards, Micro-Scooter (Kickboards), Tretroller u.ä. straßenverkehrsrechtlich nicht als „Fahrzeuge", 203 sondern - jedenfalls bis zu einer ausdrücklichen Regelung durch den Verordnungsgeber - als „ähnliche Fortbewegungsmittel" i.S. von § 24 Abs. 1 StVO anzusehen und somit grundsätzlich den Regeln für Fußgänger zu unterwerfen sind, 204 scheidet die Anwendung von § 142 folgerichtig auch für derartige Unfälle aus: dies allerdings nur für die Zusammenstöße von Skateboardfahrern etc. untereinander oder von diesen mit Fußgängern, nicht jedoch, wenn es durch einen Skateboardfahrer zu einem Unfall mit einem Fahrzeug kommt (Beispiel: ein Pkw fährt in den Straßengraben beim Versuch, einem unvorsichtig die Straße überquerenden Inline-Skater auszuweichen).205 26 Nach wie vor umstritten ist, ob ein „Unfall im Straßenverkehr" auch dann bejaht werden kann, wenn der Schaden von einem der Beteiligten vorsätzlich herbeigeführt worden ist. 2 0 6 Diesbezüglich ist ein Doppeltes auseinander zu halten: (1) Dass das schädigende Ereignis von einem oder mehreren Beteiligten oder gar von dem allein Verletzten (etwa wenn dieser in selbstmörderischer Absicht einem anderen vor das Fahrzeug gesprungen ist) 2 0 7 vorsätzlich herbeigeführt wurde, steht der Annahme eines Verkehrs„unfalls" an sich nicht entgegen, sofern für einen anderen dabei ein von außen kommender plötzlicher und ungewollter Schaden entstanden ist. Dafür spricht nicht zuletzt der Schutzzweck der Norm. 2 0 8 Anderes gilt jedoch, wenn alle Beteiligten vorsätz-

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AA Schild NK Rdn. 3 9 sowie Zopfs MK Rdn. 34; wie hier jedoch Lackner/Kühl Rdn. 6, Fischer Rdn. 9 und Janiszewski Rdn. 489. OLG Stuttgart N J W 1 9 6 9 1726. Gegenteiliger Ansicht erst jüngst jedoch AG Tiergarten VRS 115 (2008) 3 0 0 : Kein „Verkehrsunfall", wenn im stehenden Verkehr beim (noch nicht beendeten) Be- oder Entladen ein Gegenstand von einem Lkw auf einen daneben stehenden Pkw fällt, da sich in diesem Geschehen kein typisches Unfallrisiko gerade des Straßenverkehrs verwirklicht habe. OLG Köln VRS 65 (1983) 431; zustimmend Rudolphi SK Rdn. 13. Vgl. auch LG Wuppertal N Z V 1988 78 (Lkw verliert beim Zurücksetzen einen Kanister, dessen Inhalt die Fahrbahndecke beschädigt und die Kanalisation verunreinigt). BayObLG N Z V 1992 3 2 6 = DAR 1992 349: kritisch Weigend J R 1993 115; zustimmend aber Rudolphi SK Rdn. 13.

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BayObLG VRS 83 (1993) 2 6 8 = N Z V 1992 326 = DAR 1992 349. Zur verkehrsrechtlichen Beurteilung von Inline-Skating und Skateboarding s. weiterführend Wendrich N Z V 2 0 0 2 212 ff und Frommhold N Z V 2 0 0 2 3 5 9 ff. So nunmehr ausdrücklich auch BGH NZV 2 0 0 2 225. Wie hier Schild NK Rdn. 39. Grundlegend BGHSt 2 4 382 = NJW 1972 1960 = MDR 1972 962; dazu Berz JuS 1973 558, Forster N J W 1972 2319 und Eich MDR 1973 814. Auf dieser Linie nach wie vor dann auch BGHSt 4 7 158 ff: Dem nur im Ergebnis zustimmend, doch mit anderem Lösungsansatz Sternberg-Lieben JR 2 0 0 2 386 ff (kein „Unfall im Straßenverkehr" bei absichtlich oder mit direktem Vorsatz herbeigeführter Schädigung); partiell skeptisch auch Schnabl N Z V 2 0 0 5 281 ff. BGHSt 12 2 5 3 . So in Anlehnung an die Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGSt 75 368) der BGH in ständiger Rechtsprechung: vgl. statt vieler

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lieh zusammenwirken. Ein gemeinsam verabredeter „Unfall" wird von § 142 nicht erfasst; hier fehlt es an einem „Unfall", wird ein solcher in Wahrheit letztlich doch nur vorgetäuscht. 209 (2) Von der Frage des „Unfalls" zu trennen ist die Frage, ob es sich speziell um einen „Straßenverkehrs"unfall handelt, d.h. ob der eingetretene Schaden als Realisierung eines (zumindest auch) mit der Benutzung des Fahrzeuges als Fortbewegungsmittel zusammenhängenden Verkehrsrisikos anzusehen ist. 210 Ein solcher Risikozusammenhang wird nach der Rechtsprechung nur dort verneint, wo der Täter das Fahrzeug „nicht auch als Mittel der Fortbewegung im Straßenverkehr, sondern nur als Werkzeug zur Verwirklichung eines außerhalb des Straßenverkehrs liegenden Erfolges benutzt" (BGHSt 24 384), d.h. wo die Schädigung aus verkehrs-atypischen Verhaltensweisen resultiert, die ausschließlich das Produkt deliktischer Planung und nicht (zumindest auch) des allgemeinen Straßenverkehrsrisikos sind. 211 Dass sich in dem Schadensereignis ein verkehrstypisches Unfallrisiko realisiert hat, kann danach jedenfalls dann nicht angenommen werden, „wenn ein Verhalten schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild keine Auswirkung des allgemeinen Verkehrsrisikos, sondern einer deliktischen Planung ist" (BGHSt 47 159). Zu Recht hat demzufolge das OLG Jena einen „Unfall im Straßenverkehr" verneint bei körperlichen Auseinandersetzungen unter Kraftfahrern bzw. von Fußgängern mit Kraftfahrern. 212 Zu den typischen Verkehrsgefahren gehört es jedoch auch, wenn der Täter an sich verkehrsfremde Zwecke verfolgt, das Fahrzeug dabei aber ganz bewusst als Mittel der Fortbewegung oder gar der Flucht benutzt: z.B. indem er sich am Fahrzeug festhaltende Personen abzuschütteln versucht 213 oder auf der Flucht vor der Polizei das ihn verfolgende Polizeifahrzeug vorsätzlich rammt. 214 Keine „verkehrstypische" Gefahr wird jedoch verwirklicht, wenn umgekehrt ein Polizeifahrzeug ganz bewusst ein flüchtendes

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VRS 11 (1956) 425, BGHSt 12 254, BGH VRS 56 (1979) 189 sowie grundlegend BGHSt 2 4 382; ebenso Jattiszewski Rdn. 487. Auf gleicher Linie nunmehr BGHSt 4 7 158 ff. BayObLG VRS 71 (1986) 2 7 7 ; ebenso Hartmann-Hilter N Z V 1995 3 4 0 sowie nunmehr auch Zopfs MK Rdn. 35 und Feiertag ZAP 2001 16. Anderes gilt, wenn der durch einen gewollten Zusammenstoß bei einem der Fahrzeuge herbeigeführte Schaden erheblich größer ist als von beiden Beteiligten beabsichtigt; auch hier wird man einen „Verkehrsunfall" annehmen müssen. Beispiel (nach BayObLG bei Rüth DAR 1980 264): Ein Kraftfahrer, der vom Weg abgekommen ist, durchfährt vorsätzlich einen Weidezaun, um auf die Fahrbahn zurückzukommen. Ebenso Geppert GA 1970 3 und Oppe GA 1970 368. Erfolgversprechend differenzierend insoweit Berz JuS 1973 5 6 0 : „Verkehrsunfall" sei zu bejahen, wenn eine bereits bestehende Verkehrsgefahr nur zu einer Schädigung ausgenutzt wird, dagegen zu verneinen, wo eine solche Gefahr zwecks

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Erreichung deliktischer Erfolge überhaupt erst ausgelöst wird. N Z V 2 0 0 8 3 6 6 = NStZ-RR 2 0 0 8 74. BGH VRS 56 (1979) 144 sowie 189; ablehnend Rudolphi SK Rdn. 15. BGHSt 2 4 3 8 2 ff; zustimmend Rudolphi SK Rdn. 15. Anders ist die Rechtslage jedoch, wenn umgekehrt ein Polizeifahrzeug ein flüchtendes Fahrzeug vorsätzlich rammt, um dieses zum Anhalten zu zwingen: Wenn BGHSt 4 8 2 3 3 ff einen solchen bewusst zweckwidrigen Einsatz des Kraftfahrzeuges zu Recht als Eingriff in den Straßenverkehr begreift und damit dem tatbestandlichen Schutzbereich des $ 315b unterzieht, hätte mangels „Unfalls im Straßenverkehr" (eben weil nicht Realisierung einer verkehrstypischen Gefahr) die Anwendung von § 142 konsequenterweise verneint werden müssen (verfehlt daher BGHSt 4 8 239). Berechtigte Kritik insoweit bei Η. E. Müller/Kraus N Z V 2 0 0 3 5 5 9 ff; gegen den BGH zu Recht auch Schild NK Rdn. 40, Hentschel NJW 2 0 0 4 657 sowie Himmelreich/Halm NJW 2 0 0 4 319.

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Fahrzeug vorsätzlich rammt, um dieses zum Anhalten zu zwingen; wenn BGHSt 48 233 ff einen solchen bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Kraftfahrzeuges zu Recht als verkehrsfeindlichen (und nicht nur als fehlerhafte Teilnahme am fließenden Verkehr i.S. von § 315c zu begreifenden) Eingriff in den Straßenverkehr versteht und damit dem tatbestandlichen Schutzbereich des § 315b zuordnet, hätte mangels Realisierung einer verkehrstypischen Gefahr folgerichtig ein „Unfall im Straßenverkehr" verneint und damit auch die Anwendbarkeit von § 142 ausgeschlossen werden müssen.215 Erfolgt die vorsätzliche Schädigung letztlich aber nur bei Gelegenheit der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr und wird das Kraftfahrzeug ausschließlich als Tatwerkzeug eingesetzt, ohne dass seine Benutzung als Mittel der Fortbewegung/Flucht nach der Vorstellung des Täters eine maßgebliche Rolle spielt, kann nicht von einem „Verkehrsunfall" ausgegangen werden. 216 So scheint dies auch der BGH zu sehen, der erst jüngst den Fall eines vorsätzlichen Vandalismus auch aus einem fahrenden (und somit als Fortbewegungsmittel genutzten) Fahrzeug heraus nicht mehr als „Unfall im Straßenverkehr" angesehen hat (BGHSt 47 158 ff): zu Recht, weil das Fahrzeug im Tatplan des Täters jedenfalls als Fortbewegungsmittel hier ersichtlich keine besondere Rolle gespielt hat. Anders als noch in der Vorauflage vertreten (dort Rdn. 26), gehört nach alledem auch das Bewerfen eines vorausfahrenden Autos mit Flaschen,217 das Einschlagen einer Windschutzscheibe durch einen Fußgänger 218 oder das aus Frustration erfolgte mutwillige Umfahren von Verkehrszeichen 219 selbst dann nicht zu den in § 142 intendierten typischen Verkehrsgefahren, wenn das Schadensereignis seine eigentliche Ursache im Straßenverkehr hat (etwa als Spontanreaktion auf eine Behinderung im Begegnungs- oder Überholverkehr).220 26b (3) Mit beachtlichen Gründen mehren sich demgegenüber im Schrifttum die Stimmen, die die diesbezügliche Differenzierung der Rechtsprechung (nochmals: ob der Vorsatztäter das Fahrzeug ausschließlich zu deliktischen Zwecken missbraucht oder sein Fahrzeug zielgerichtet immerhin auch als Fortbewegungsmittel eingesetzt hat) für zu ungenau und vom potentiell Wartepflichtigen für kaum einschätzbar erachten. Von hier aus gehen sie zwar auch bei täterseits nur mit bedingtem Vorsatz herbeigeführter Schädi-

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Nicht überzeugend daher BGHSt 48 233 (239). Berechtigte Kritik bei Η. E. Müller/ Kraus NZV 2003 559 ff; zu Recht ablehnend auch Schild NK Rdn. 40, Hentschel NJW 2004 657 sowie Himmelreich/Halm NJW 2004 319. Bedenklich OLG Koblenz VRS 56 (1979) 342. Berechtigte Ablehnung bei Rudolphi SK Rdn. 15, zustimmend aber Jäger HK Rdn. 29. Auf der hier vertretenen Linie aber auch LG Frankfurt NStZ 1981 303 (Täter hat seine Fahrt nur unterbrochen, um mit seinem Fahrzeug eine bestimmte Sache zu beschädigen, und dann seine ursprüngliche Fahrt wieder aufgenommen): zustimmend Fischer Rdn. 13 und Rudolphi SK Rdn. aaO. Einen „Verkehrsunfall" verneinend aber OLG Hamm NJW 1982 2456. Zustimmend Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 18 und Fischer Rdn. 13; ablehnend

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Jäger HK Rdn. 30. An der von mir in JURA 1990 80 vertretenen Ansicht („Unfall im Straßenverkehr" bejahend) halte ich nicht mehr fest. Bejahend BayObLGSt 1986 70 = JR 1987 246 = VRS 71 (1986) 277. Zustimmung bei Geppert JURA 1990 80; Ablehnung bei Hentschel JR 1987 247, Janiszewski NStZ 1986 540, Lackner/Kühl Rdn. 8 und Sehl Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 19. BayObLG J Z 1985 855 = DAR 1985 326; ablehnend Rudolphi SK Rdn. 15. Berechtigte Skepsis bei Sternberg-Lieben (JR 2002 389 mit Fn. 66) gegen das in der Vorauflage befürwortete Kriterium einer verkehrsbedingten Motivation, die auch den Fall einer vorsätzlichen Schädigung in den tatbestandlichen Anwendungsbereich des § 142 führen könne.

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gung von genereller Anwendbarkeit von § 142 aus, 2 2 1 sind aber nicht mehr bereit, solche Schädigungen als „Unfall im Straßenverkehr" in den tatbestandlichen Schutzbereich von § 142 zu ziehen, bei denen das schadensstiftende Ereignis gerade die beabsichtigte Folge eines vorsätzlichen Delikts ist: Eine nachgerade beabsichtigte Folge könne schwerlich als Realisierung einer typischen Verkehrsgefahr angesehen werden; es handle sich dabei letztlich um das allgemeine Lebensrisiko, Opfer einer ggf. auch zu Vermögenseinbußen führenden Straftat zu werden, das als solches keine Privilegierung nach § 142 verdiene. 2 2 2 c) Das für mindestens einen Beteiligten ungewollte Ereignis im Straßenverkehr muss zu einem Unfallschaden, d.h. zur Tötung oder Verletzung eines Menschen oder zu einem nicht völlig belanglosen Sachschaden geführt haben (zur Bagatellgrenze Rdn. 31 ff). Aus diesem Grund ist das Uberfahren einer Leiche nicht als Verursachung eines „Unfalls" zu bewerten und führt jedenfalls dann nicht in den tatbestandlichen Schutzbereich des § 142, wenn der überfahrene menschliche Körper im Augenblick des Überfahrens bereits nachweisbar tot war; denn allein das dadurch verletzte Totenfürsorgerecht der Hinterbliebenen oder deren Pietätsempfinden begründet kein nach § 142 schutzwürdiges Feststellungsinteresse. 223

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aa) Es muss sich dabei um schädigende Einwirkungen auf Personen oder Sachen handein (Unfallbegriff). Ein Zusammenstoß zwischen zwei Verkehrsteilnehmern ohne Personen· oder Sachschaden genügt daher ebensowenig 2 2 4 wie wenn bei einer kritischen Situation ein Zusammenstoß gerade noch vermieden wurde; in beiden Fällen kann von einem „Unfall" schon deshalb nicht gesprochen werden, weil ein Vorkommnis ohne Schaden keine zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche auslösen und damit auch kein schadensersatzrechtliches Beweissicherungsinteresse beeinträchtigen kann. Ein Ereignis (z.B. das Liegenlassen eines Fahrzeugs wegen gebrochener Achse) wird im Übrigen auch nicht deswegen zum Unfall, weil es später zu einem Unfall führen kann; der Unfall muss tatsächlich passiert sein. 2 2 5 Anders als hinsichtlich der Unfallbeteiligung, wo bereits der Verdacht der Beteiligung genügt (nachfolgend Rdn. 35 ff), reicht der bloße Verdacht eines Unfalls somit ebensowenig a u s 2 2 6 wie bloße Gefährdungen, können doch auch

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„Verkehrsunfall" aber offenbar auch unter Einschluss nur bedingt vorsätzlich herbeigeführter Schädigung generell verneinend jedoch Hartmann-Hilter NZV 1995 340 ff. 2 2 2 So tendenziell schon Roxin NJW 1969 2038 ff und so eine wachsende Meinung im Schrifttum: vgl. Rudolphi SK Rdn. 15, Schild NK Rdn. 40, Otto, Strafrecht II, § 80 Rdn. 52 (S. 449) und neuerdings vor allem Sternberg-Lieben JR 2002 386 ff (ders. nicht ganz eindeutig insofern noch in Scb/Schröder/Cramer Rdn. 18 f). 223 Nicht überzeugend AG Rosenheim NStZ 2003 318: An sich zu Recht ausgehend von der Leiche nur als „Sache" im Rechtssinn, liegt der Schaden, der durch das Überfahren, Erfassen und Mitschleifen einer Leiche entstanden ist, für den Rosenheimer Amtsrich221

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ter „in der Verletzung der Substanz dieser Sache, durch welche eine dem Pietätsempfinden der Hinterbliebenen entsprechende Totenfürsorge und Bestattung vereitelt worden ist". Berechtigte Kritik jedenfalls gegen diese Begründung auch bei B. Kretscbmer (NZV 2004 496 ff), der dieser Entscheidung jedoch mit anderer Begründung beipflichtet (dazu nachfolgend Rdn. 28: am Ende). Zweifelnd auch Fischer Rdn. 11. So schon BayObLG VkBl 1952 262. Ebenso Schild NK Rdn. 34 und Zopfs MK Rdn. 25. Ebenso BayObLG bei Rüth DAR 1979 237 sowie OLG Köln VRS 26 (1964) 285 (dort gegen OLG Celle MDR 1957 435); zustimmend Jäger HK Rdn. 15 und Schild NK Rdn. 34.

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diese für sich allein keine zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche auslösen. 2 2 7 Stellt sich später heraus, dass tatsächlich kein tatbestandsrelevanter Schaden eingetreten ist, der Täter aber von einem solchen ausgegangen ist, handelt es sich um einen (nicht strafbewehrten) untauglichen Versuch. Umgekehrt schließt die irrige Annahme des Täters, ein Unfall sei vom anderen Unfallbeteiligten nur vorgetäuscht, in Wahrheit aber nicht gegeben, den Vorsatz a u s . 2 2 8 Zum Unfallbegriff gehört schließlich auch die Kausalität des Unfallereignisses für den eingetretenen Schaden bzw. dessen Höhe; als objektives Tatbestandserfordernis muss auch dieser Ursachenzusammenhang vom Vorsatz des Täters erfasst sein. Ist somit nicht aufzuklären, ob es sich in Wirklichkeit nicht um eine Vorbeschädigung handelt, ist der Tatbestand des § 142 ebensowenig g e g e b e n 2 2 9 wie wenn zu einer Vorbeschädigung ein vom Täter verursachter weiterer Schaden hinzukommt, der rechnerisch zu keiner maßgeblichen Erhöhung der Wiederherstellungskosten führt (zur Bagatellgrenze solcher Schäden Rdn. 31 f f ) . 2 3 0 Folgerichtig dazu fehlt es am Tatbestandserfordernis eines (mit Personen- oder Sachschaden verbundenen) „Unfalls", wenn ein auf der Straße liegender menschlicher Körper überfahren wird, doch nach dem Zweifelssatz davon auszugehen ist, dass der überfahrene Mensch bereits vorher tot war. Wie bereits ausgeführt (Rdn. 2 7 ) , bejahte das AG Rosenheim (NStZ 2 0 0 3 318 f) auch bei solcher Verdachtslage den tatbestandlichen Schutzbereich des § 142, was Bernhard Kretschmer ( N Z V 2 0 0 4 4 9 6 ff) mit der Begründung zu rechtfertigen sucht, gerade in solchen Zweifelsfällen bestehe „aus objektiv-vernünftiger Sicht ex ante" auch im Hinblick auf mögliche Schadensersatzansprüche der Hinterbliebenen deren manifestes Interesse an der Klärung des Unfallherganges; demzufolge sei es auch „normativ sinnhaft", einen Fahrer jedenfalls so lange zum Warten und zur Duldung von Feststellungen zu verpflichten, „solange er nur in der tatbestandsmäßigen Situation ex ante an Unfall nebst Schaden beteiligt sein mag" (aaO S. 5 0 0 ) . Wie Schild demgegenüber zu Recht ausführt, 2 3 1 verkennt B.Kretschmer damit, dass nach dem Normzweck der Vorschrift zwar der Verdacht der Unfallbeteiligung ausreicht, das Vorliegen eines Unfalls jedoch sicher erwiesen sein muss: es gehe nicht an, dem Gesetzeswortlaut zuwider auch eine nur mögliche Schädigung genügen zu lassen. 2 3 2 Die irrige Annahme einer tatbestandsrelevanten Kausalität führt daher ebenfalls zu einem (nicht strafbewehrten) untauglichen Versuch. 29

bb) Durch den Verkehrsvorgang muss ein (nicht gänzlich unerheblicher: dazu Rdn. 31 ff) Personen- oder Sachschaden entstanden sein. Im Hinblick auf das durch § 142 geschützte Rechtsgut (Rdn. 1) umfasst der Schadensbegriff ebenso wie im Rahmen von § 6 9 Abs. 2 Nr. 3 grundsätzlich alle Schadenspositionen, die bei vernünftigem wirtschaftlichen Verhalten erforderlich sind, um den Geschädigten so zu stellen, wie wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre (Rdn. 84 zu § 6 9 mit weiteren Nachweisen). Zu den berücksichtigungsfähigen Positionen gehören somit zunächst einmal alle unmittelbaren Schäden (z.B. Material- und Reparaturkosten einschließlich eines mög-

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Überholt insoweit BGH VRS 3 (1951) 262 (allerdings zu § 139a StGB a.F.) und BGH DAR 1955 116 (hier offengelassen für den neugefassten § 142). Zutreffend OLG Köln VRS 13 (1957) 351 sowie OLG Stuttgart (Beschl. v. 2.6.1989 - 6 Ss 294/89: zit. nach Jäger HK Rdn. 15). Wie hier auch Zopfs MK Rdn. 25 und Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 11. BayObLG bei Rüth DAR 1979 237.

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Anders noch OLG Köln VRS 26 (1964) 283. Wie hier jedoch BayObLG NJW 1990 335 = VRS 78 (1990) 43 (dagegen aber Kreissl NJW 1990 3134). Wie hier auch Schild NK Rdn. 34. OLG Köln VRS 22 (1962) 275. Schild NK Rdn. 34. Gleicher Ansicht offenbar auch Zopfs MK Fn. 106 zu Rdn. 31.

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liehen merkantilen Minderwertes sowie die geldwerte eigene Arbeitsleistung, die zur Behebung des Schadens eingesetzt wird), 2 3 3 die zur Tatzeit bereits eingetreten sind und somit direkt, d.h. ohne Zwischenschaltung eines weiteren Ereignisses auf den maßgeblichen Verkehrsvorgang zurückgeführt werden können. 2 3 4 Entgegen vereinzelten Stimmen im Schrifttum 235 können darüber hinaus aber auch mittelbare Schäden (z.B. Bergungs- oder Abschleppkosten 236 oder Miete für ein Ersatzfahrzeug) berücksichtigt werden: dies aber nur, wenn der den Unfall begründende „Schaden" jedenfalls auch an der in den Unfall verwickelten Person oder Sache selbst entstanden ist. Ausgenommen sind somit z.B. mögliche Verdienstausfälle, auf das Ausforschen des Unfallflüchtigen ausgesetzter Finderlohn 2 3 7 oder Kosten, die nach Beschädigung eines Kennzeichens durch den mit dem Gang zur Zulassungsstelle verbundenen Zeitverlust entstanden sind. 2 3 8 Auch unter Berücksichtigung des durch § 142 geschützten Rechtsgutes kann in allen diesen Fällen nicht mehr von einem „Sach"-Schaden gesprochen werden. Berücksichtigungsfähig sind jedoch die Fälle, bei denen der den Anwendungsbereich des § 142 begründende Schaden erst durch einen durch den maßgeblichen Verkehrsvorgang ausgelösten weiteren Kausalverlauf bewirkt wird: z.B. wenn ein vom Täter angefahrener Baum auf Menschen oder Sachen fällt und diese verletzt oder beschädigt, ein durch einen Verkehrsvorgang scheu gewordenes Tier durchgeht und sich oder andere verletzt, 239 ein Unfallzeuge einen Schock erleidet 2 4 0 oder beim Wiederaufrichten eines umgekippten Fahrzeugs Sachschäden verursacht werden. 241 Maßgebend ist im Übrigen immer der Schaden zum Zeitpunkt des Unfalls; die hypothetische Berücksichtigung nachträglicher Schadensentwicklungen (z.B. dass das beschädigte Fahrzeug ohnehin bald verschrottet oder der beschädigte Baum im Zuge späterer Baumaßnahmen ohnehin alsbald entfernt worden wäre) hat außer Betracht zu bleiben. 2 4 2 Der „Schadens"-Begriff als solcher ist an sich nicht auf Fremdschäden beschränkt; auch bei bloßer Selbstschädigung des einen kann der andere Unfallbeteiligte ein rechtlich geschütztes Interesse daran haben, vor unberechtigten zivilrechtlichen Ansprüchen geschützt zu werden. Daher hat einen zu einem „Unfall im Straßenverkehr" führenden Personen- oder Sachschaden auch derjenige erlitten, der z.B. allein einen (die Bagatellgrenze überschreitenden) Schaden davongetragen hat. Von einem „Schaden" ist folglich auch auszugehen, wenn der Unfallbeteiligte den von ihm verursachten Schaden an Ort und Stelle beseitigt (z.B. durch Reparatur der beschädigten Sache), lediglich ein von ihm benutztes, doch (zivilrechtlich) einem anderen gehörendes Fahrzeug beschädigt 2 4 3 oder

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OLG Frankfurt a.M. VRS 3 7 (1969) 2 5 9 und KG VRS 63 (1982) 3 4 9 ; zustimmend Schild NK Rdn. 35. Ebenso Zopfs MK Rdn. 25. Vgl. Rudolphi SK Rdn. 7, Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 12, Zopfs MK Rdn. 2 5 und Schild NK Rdn. 35. OLG Hamm VRS 16 (1959) 2 5 und VRS 18 (1960) 113 sowie OLG Celle VRS 13 (1957) 270. Ebenso Schild NK Rdn. 35; zum „Finderlohn bei Fahrerflucht" s. auch Will MDR 1976 6 ff. KG VRS 6 3 (1982) 3 4 9 ; zustimmend Fischer Rdn. 11 und Schild NK Rdn. 35.

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Ebenso Rudolphi SK Rdn. 7 und Bär/Hauser/Lehmpuhl I/5a. Ebenso Bär/Hauser/Lehmpuhl I/5a: im Anschluss an Weigelt DAR 1 9 5 9 182. Unklar OLG Hamm VRS 16 (1959) 2 5 ; anders aber Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 12 und Hentschel/König, § 142 Rdn. 25. OLG Stuttgart VRS 54 (1978) 355. Dies gilt vor auch für einen Alleinunfall mit einem Leasingfahrzeug, wenn der Leasingnehmer vertraglich für jeden Schaden und damit auch für Zufall einzutreten hat: so zu Recht OLG Hamm N Z V 1998 33, weil der Leasinggeber unter diesen Voraussetzungen

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(zivilrechtlich nicht „fremdes", weil noch) herrenloses Wild überfahren hat. 2 4 4 In allen diesen Fällen geht es weniger um das Vorliegen eines kaum bestreitbaren Sach- oder Personenschadens und damit um das Vorliegen eines „Unfalls" 2 4 5 als vielmehr um die Frage, ob mangels eines (überhaupt nicht oder jedenfalls nicht mehr bestehenden) fremden Feststellungsinteresses nicht die Pflichten aus § 142 entfallen. Gleiches gilt für das Überfahren einer Leiche; hier fehlt es an einem auf Sach- oder Personenschadensersatz gerichteten Feststellungsinteresse (dazu bereits Rdn. 27 f). Zu entsprechenden Bemühungen um teleologische Reduzierung des Tatbestandes s. nachfolgend auch Rdn. 71 ff sowie zu daraus folgenden Irrtumsfragen Rdn. 173. 31

cc) Bagatellgrenzen. Trotz eines missverständlichen Hinweises in der Amtl. Begründung 2 4 6 besteht in Rechtsprechung und Schrifttum auch für § 142 n.F. weiterhin Einigkeit dahin, dass Minimalschäden vom Unfallbegriff dieser Norm schon tatbestandlich nicht erfasst sind; denn auch bei Neufassung des Gesetzes im Jahre 1975 hat der Gesetzgeber offenbar nichts an der schon seit vielen Jahren gefestigten Rechtsprechung ändern wollen, nach der völlig belanglose Schäden - gleichgültig, ob minimale Personen- oder minimale Sachschäden - nicht in den tatbestandlichen Schutzbereich des § 142 zu ziehen sind. 2 4 7 Nicht zu verwechseln mit Minimalschäden in diesem Sinn ist die „nicht unerhebliche" Verletzung von Menschen bzw. der „bedeutende Schaden" an Sachen, wie sie ausweislich von § 69 Abs. 2 Nr. 3 bei unerlaubtem Sichentfernen vom Unfallort in der Regel zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen. Wurde dieser Schwellenwert im Herbst 2 0 0 7 noch bei ca. 1.300 Euro angesetzt (dazu bereits Rdn. 85 zu § 6 9 ) , 2 4 8 scheint er sich angesichts der fortschreitenden allgemeinen Preis- und Kostenentwicklung derzeit (Herbst 2 0 0 8 ) vereinzelt schon auf ca. 1.500 Euro erhöht zu haben. 2 4 9 Dieser Wert liegt jeden-

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nicht an Feststellungen am Unfallort interessiert sei. Ebenso Hentschel/König Rdn. 23, Höfle ZfS 1 9 9 9 458, Janiszewski Rdn. 4 9 9 und Zopfs MK Rdn. 29. Zur Unfallflucht nach Beschädigung eines vom Täter gesteuerten Firmenfahrzeugs BayObLG NZV 1992 413. Bejahend AG Öhringen NJW 1976 5 8 0 (zustimmend Jäger HK 18 und Magdowski S. 80 ff); überwiegende Ablehnung jedoch im Schrifttum: vgl. Jagusch N J W 1976 583, Hentschel/König Rdn. 22, Rudolphi SK Rdn. 19, Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 7, Fischer Rdn. 11 sowie Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 49/25 (S. 622). So aber mittels „funktionaler" Bestimmung des Unfallbegriffs Freund GA 1987 536 ff. In dieser Richtung neuerdings wohl auch B. Kretschmer N Z V 2 0 0 4 4 9 6 ff. BTDrucks. 7 / 2 4 3 4 , S. 6: Mit dem Tatbestandsmerkmal des „Verkehrsunfalles" verschließe sich die Neufassung des § 142 „zugleich der bisweilen erhobenen Forderung, aus dem Anwendungsbereich solche Taten auszunehmen, die ... mit verhältnis-

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mäßig geringfügigem Sachschaden begangen worden sind; durch eine solche Einschränkung ... würden dem Unfallbeteiligten in kaum übersehbarem Umfang unwiderlegbare Ausreden dahin ermöglicht, er habe den Schaden ... für gering gehalten". So schon Weigelt DAR 1 9 5 9 180 und 1961 10 sowie Grohmann DAR 1978 176: beide m.w.N. Ebenso nachdrücklich Berz DAR 1975 3 0 9 und Janiszewski Rdn. 482. Auf gleicher Linie das Schrifttum auch heute noch: Zopfs MK Rdn. 2 6 und Schild NK Rdn. 35, beide m.w.N. Ausführliche neuere Rechtsprechungs- und Literaturnachweise bei Himmelreich/Halm NStZ 2 0 0 4 319 und NStZ 2 0 0 8 384 sowie bei Himmelreich DAR 2 0 0 7 6 6 9 ff. So nachdrücklich vor allem OLG Dresden VRS 109 (2005) 2 0 und erklärtermaßen auch für die neuen Bundesländer; ähnlich LG Wuppertal DAR 2 0 0 7 6 6 0 und LG Gera DAR 2 0 0 6 107. So schon AG Saalfeld VRS 107 (2004) 4 2 8 und so nunmehr auch LG Hamburg DAR 2 0 0 8 219.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

falls deutlich höher als die Minimalerfordernisse, wie sie für einen „Unfall" i.S. von § 142 erforderlich sind. Der Grund dafür, dass völlig belanglose Minimalschäden schon tatbestandlich nicht als „Unfälle" angesehen werden, liegt weniger im natürlichen Sprachgebrauch als vielmehr wohl schon im allgemeinen Geringfügigkeitsprinzip250 und nicht zuletzt einmal mehr im geschützten Rechtsgut; denn wenn der Zweck des § 142 darin liegt, die beweismäßige Durchsetzung berechtigter oder die Abwehr unberechtigter zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche sicherzustellen, scheiden Schäden aus, bei denen „üblicher- oder vernünftigerweise", d.h. unabhängig von den Vermögensverhältnissen des Geschädigten251 nicht mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zu rechnen ist: 2 5 2 etwa weil der Geschädigte den Schaden wegen seiner Belanglosigkeit oder angesichts des schlechten Erhaltungszustandes des beschädigten Fahrzeugs überhaupt nicht beseitigt oder ihn ohne maßgeblichen Arbeits- oder Materialaufwand unschwer selbst beseitigen kann. 253 Ob ein Sachschaden in diesem Sinn gänzlich belanglos ist, beurteilt sich nach objektiven Maßstäben und somit danach, welcher Schaden sich im Unfallzeitpunkt unter Berücksichtigung gewöhnlicher Umstände hinsichtlich des zu erwartenden Reparatur- und Materialaufwandes abzeichnet; maßgeblich ist dabei auch hier eine Beurteilung „ex ante". 254 Besondere Umstände des Einzelfalles, die die Schadensbeseitigung im Nachhinein mit nur geringem Aufwand ermöglichen (z.B. Freundschaftsdienste, eigene handwerkliche Geschicklichkeit oder besonders günstiger Materialerwerb), bleiben demzufolge unberücksichtigt.255 Ungeachtet des Streites um die geldmäßige Grenze solcher Bagatellschäden (Kasuistik 3 2 in Rdn. 34) ist umstritten, von welchem Maßstab dabei „üblicher- oder vernünftigerweise" auszugehen ist. Rechtsprechung und h.M. im Schrifttum nehmen dabei nur die Schäden aus dem tatbestandlichen Schutzbereich des § 142 aus, deretwegen der Geschädigte in aller Regel überhaupt keine Schadensersatzansprüche geltend machen dürfte. 256

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Danach lässt sich die kriminalstrafbewehrte Beschränkung individueller Freiheit nur rechtfertigen, wenn der pflichtauslösende Faktor (Unfallschaden) eine gewisse Erheblichkeit aufweist, d.h. Rechtsgutsbeeinträchtigungen größeren Umfangs befürchten lässt (Magdowski S. 79). Zum Geringfügigkeitsprinzip als materiellrechtliche Auslegungsregel auch Ostendorf GA 1982 3 3 3 ff (speziell für den „Verkehrsunfall" i.S. von § 142 aaO S. 340). OLG Karlsruhe VRS 18 (1960) 47; zustimmend Lackner/Kühl Rdn. 7. Vgl. statt vieler BayObLG NJW 1960 832, OLG Düsseldorf VM 1962 57, OLG Hamm VRS 5 9 (1980) 2 5 9 und OLG Köln VRS 86 (1994) 281; zustimmend Grohmann DAR 1978 177. Auf dieser Linie neuerdings auch OLG Nürnberg N Z V 2 0 0 7 535 = DAR 2 0 0 7 5 3 0 („so unbedeutend..., dass Ersatzansprüche regelmäßig nicht geltend gemacht werden"). Offenbar synonym dazu wird gelegentlich darauf abgestellt, ob „vernünftigerweise" Schadensersatzansprüche gestellt werden: vgl. BayObLG NJW 1960 832,

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OLG Karlsruhe DAR 1960 52 und OLG Köln VRS 2 2 (1962) 275. So etwa durch Politur von leichteren Lackschäden: OLG Koblenz VRS 4 8 (1975) 338; zustimmend Zopfs MK Rdn. 27. Vgl. auch schon We,gelt DAR 1961 10. Ebenso Lackner/Kühl Rdn. 7, Fischer Rdn. 11 sowie Schild NK Rdn. 35. Für eine Beurteilung „ex post" jedoch Magdowski S. 73 (allerdings mit dem Hinweis, dass es in aller Regel wohl am erforderlichen Vorsatz fehle, wenn ein Schaden „ex ante" nicht feststellbar sei). OLG Düsseldorf VRS 3 0 (1966) 4 4 6 , OLG Hamm VRS 61 (1981) 4 3 0 und KG VRS 6 3 (1982). So vor allem BayObLG NJW 1960 832; ebenso OLG Karlsruhe DAR 1 9 6 0 5 2 , OLG Düsseldorf VM 1962 57 und OLG Hamm VRS 5 9 (1980) 259. Auf dieser Linie auch Fischer Rdn. 11, Lackner/Kühl Rdn. 7, Rudolphi SK Rdn. 8 und Janiszewski Rdn. 4 8 2 ; so auch schon Weigelt DAR 1961 10. So erst jüngst nachdrücklich auch OLG Nürnberg N Z V 2 0 0 7 535.

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Von diesem Ausgangspunkt aus wird die tatbestandsrelevante Grenze des Minimalschadens jedenfalls nicht allzu hoch zu bemessen sein (derzeit etwa 3 0 bis allenfalls 5 0 Euro: zur Kasuistik nachfolgend Rdn. 34). Mit der Begründung, dass $ 142 nicht den Anspruch als solchen, sondern maßgeblich dessen beweisrechtliche Sicherung zu schützen im Auge habe, mehren sich im Schrifttum in jüngerer Zeit jedoch die Stimmen, welche die Bagatellgrenze deutlich erhöhen und jedenfalls bei Sachschäden darauf abstellen wollen, ob ein „verständiger Geschädigter ohne Rechtsschutzversicherung" bereit sein würde, seinen Schaden notfalls auch im Prozessweg geltend zu machen; unterhalb dieser Grenze, die für Sachschäden derzeit bei etwa 150 bis 175 Euro angesetzt wird, 2 5 7 sei die Bußgeldbewehrung nach § $ 3 4 i.V. mit 4 9 Abs. 1 Nr. 2 9 StVO ausreichend. 2 5 8 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden: Abgesehen davon, dass der Unfallbegriff der §§ 142 StGB und 3 4 StVO trotz gleichen Gesetzeswortlauts damit letztlich unterschiedlich ausgelegt würde, könnte eine derartige Forderung den Zweck des § 142 kriminalpolitisch erheblich gefährden. Eine solche Anhebung der Bagatellgrenze würde kaum widerlegbaren Schutzbehauptungen Tür und Tor öffnen; zudem wäre die Wahrscheinlichkeit einer gerichtlichen Geltendmachung eines Schadens schon deshalb kein geeigneter M a ß stab, weil Haftpflichtversicherer entsprechende Schäden bei hinreichender Beweisbarkeit auch ohne Inanspruchnahme von Gerichten zu bezahlen pflegen. Unter der „Üblicheroder vernünftigerweise" zu erwartenden Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ist somit nicht allein die Durchsetzung nur im Gerichtswege, sondern z.B. auch schon die Ermittlung des Haftpflichtversicherers und die Anmeldung des Schadens bei ihm zu verstehen. 2 5 9 33

Kasuistik. Bei Personenschäden wird in diesem Sinne eine völlig unerhebliche körperliche Verletzung und damit ein tatbestandsausschließender Minimalschaden jedenfalls dort auszuschließen sein, wo der Unfall eine tatbestandliche „Gesundheitsbeschädigung" oder eine „körperliche Misshandlung" i.S. von § 2 2 3 verursacht hat (unbestritten); 2 6 0 auf die einschlägigen Erläuterungen zur dortigen Bagatellgrenze kann verwiesen werden (Rdn. 9 zu § 2 2 3 ) . Als unerheblich dürften danach harmlose Kratzer, ein paar blaue Flecken oder andere mehr oder weniger geringfügige Hautabschürfungen, 2 6 1 bloße Beschmutzungen des Körpers oder einzelner Körperteile (z.B. Beschmutzung des Gesichtes oder der Haare durch Schmutzspritzer aus einer Straßenpfütze) 2 6 2 oder andere alsbald vergehende Schmerzen ausscheiden, nicht aber z.B. Prellungen mit Blutergüssen 2 6 3 oder ein Unfallschock mit zeitweiligen vegetativen Störungen 2 6 4 . O b die Grenze der Erheblichkeit überschritten ist, beurteilt sich auch hier nach objektiven Kriterien; besondere subjektive Empfindlichkeiten bleiben unberücksichtigt. 2 6 5

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Nachweise bei Himmelreich/Halm NStZ 2008 385. So vor allem Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 9; auf gleicher Linie offenbar schon Loos/Schwerdtfeger DAR 1983 210 sowie in jüngerer Zeit auch Zopfs MK Rdn. 27 und Schild NK Rdn. 35: alle derzeit etwa 150 Euro. M.w.N. in dieser Richtung Himmelreich/Halm NStZ 2008 385: u.a. mit Hinweis auf einen Beschluss der StA Köln (9.11.2006 - 401 Js 1090/06), wo ein „bedeutender" Sachschaden bei einer Höhe von 129,06 Euro verneint wurde. OLG Düsseldorf VM 1972 29 und KG VRS

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61 (1981) 206; ebenso Grohmann DAR 1978 179. Schild NK Rdn. 35, Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 8 sowie Rudolphi SK Rdn. 12; ebenso Feiertag ZAP 2001 16 und Höfle zfs 1999 458. OLG Hamm DAR 1958 308. BayObLG VRS 15 (1958) 43. OLG Köln VRS 44 (1973) 97. OLG Koblenz VRS 42 (1972) 29. BayObLG VRS 15 (1958) 43; zustimmend Janiszewski Rdn. 485 und Schild NK Rdn. 35.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

Bei Sachschäden ist eine zahlenmäßig verbindliche Wertgrenze völliger Belanglosigkeit aus guten Gründen nicht gesetzlich festgeschrieben; diese Grenze der Geldentwertung einerseits und gesteigerten Reparatur- und Materialkosten andererseits fortschreibend anzupassen und zur durchschnittlichen Einkommensentwicklung in Bezug zu setzen, bleibt permanente Aufgabe der Rechtsprechung. Individuelle (besonders günstige oder besonders ungünstige) Vermögensverhältnisse des Geschädigten haben dabei außer Betracht zu bleiben. 266 Sieht man von jener in Rdn. 32 erwähnten, doch vorliegend nicht befürworteten literarischen Gegenposition ab, die die Grenze eines minimalen Sachschadens (tendenziell steigend) erst bei ca. 150 Euro anzusetzen bereit ist, bleibt festzuhalten, dass Tatrichter diesbezüglich offenbar zu etwas höheren Werten neigen, 2 6 7 während die Obergerichte überwiegend einen deutlich strengeren Standpunkt zu vertreten scheinen. Sie setzen die Grenze eines minimalen Sachschadens auch derzeit (Herbst 2008) noch bei etwa 20 bis 25 Euro an, 2 6 8 obgleich es auch schon vereinzelte obergerichtliche Entscheidungen gibt, die diese Grenze bei 50 Euro anzusetzen bereit sind. 2 6 9 Betrachtet man die Beispiele für Bagatellsachschäden, wie sie früheren Entscheidungen zugrundeliegen (z.B. Beschädigung der Freitreppe eines Hauses und dreier Holzlatten eines Tores, 2 7 0 Beschädigung eines Rückspiegels, 271 geringfügige Lackkratzer 2 7 2 oder leichtere Blechschäden an einem älteren Fahrzeug), 273 und setzt diese Schäden zu heutiger Preis- und durchschnittlicher Einkommensentwicklung in Beziehung, sollte man die Bagatellgrenze völlig belanglosen Sachschadens derzeit (Herbst 2008) insgesamt durchaus schon bei etwa 4 0 bis 50 Euro ansetzen, doch nicht höher, um nicht künftigen Unfallbeteiligten die kaum widerlegbare (und zu einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum führende) Einlassung zu ermöglichen, sie hätten den Schaden für völlig belanglos gehalten. In Grenzfällen sollte verstärkt von den strafprozessualen Möglichkeiten der §§ 153 und 153a StPO Gebrauch gemacht werden (dazu nachfolgend Rdn. 252). 2 7 4 Beim Anfahren von fremden Tieren (z.B. Hunden, Katzen oder Hühnern) oder von herrenlosem Wild kommt es darauf an, ob angesichts des materiellen Wertes des Tieres mit Ersatzansprüchen oder ggf. mit Tierarztkosten zu rechnen ist. Dies wird im Hinblick auf Tierarztkosten bei Haustieren oder den materiellen Wert bei der Tötung eines erkennbar wertvollen Tieres (z.B. eines teuren Jagdhundes) eher zu bejahen sein als beim Überfahren sonstiger Kleintiere oder von Wild; 2 7 5 doch bleiben besondere Affektionsinteressen des Geschädigten außer

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OLG Karlsruhe VRS 18 (1960) 47; zustimmend Fischer Rdn. 11. Für einen Grenzwert von ca. 50 DM schon vor rund 20 Jahren AG Nürnberg MDR 1977 66 (dagegen aber BayObLG DAR 1979 237) und AG Alzenau DAR 1977 136; vgl. rund 20 Jahre später auch LG Gießen DAR 1997 364 (Schaden von ca. 55 DM sei noch belanglos). Das AG Lahr (DAR 2005 690) ging sogar von einem Schwellenwert von 80 Euro aus. Vgl. OLG Köln VRS 86 (1994) 281, OLG Düsseldorf MDR 1997 485 (überholt damit NZV 1990 158: 30 bis 40 DM) und OLG Jena StV 2006 529; etwas vorsichtiger OVG Münster DAR 2005 708 („zwischen 20 und 25 Euro"). Tendenziell zustimmend Lackner/

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Kühl Rdn. 7 und Janiszewski Rdn. 484 (je ca. 20 Euro) sowie Fischer Rdn. 11 und Hentschel/König Rdn. 28 (je ca. 25 Euro). So OLG Nürnberg NZV 2007 535 = DAR 2007 531. BGH VM 1956 13 Nr. 17. KG VRS 13 (1957)265. OLG Hamm VRS 5 (1953) 40 und BayObLG NJW 1960 832. OLG Düsseldorf VM 1959 80 Nr. 136. So auch BTDrucks. 7/2434, S. 6; zustimmend Berz DAR 1975 309 und Janiszewski DAR 1975 172. Auf dieser Linie auch Bär/Hauser/Lehmpuhl V5d und Janiszewski Rdn. 483; vgl. auch OLG Braunschweig VRS 4 (1952) 121 zum Überfahren eines Hundes.

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Betracht. 276 Weil bei älteren Fahrzeugen reine Schönheitsreparaturen häufig unterbleiben, werden leichtere Blech- oder Lackschäden oder Beschädigungen nur der Stoßstange/ Zierleisten an solchen Fahrzeugen oft als gänzlich belanglos anzusehen sein. 277 Ein tatbestandsrelevanter Verkehrsunfall ist schließlich zu verneinen, wenn eine neu hinzugekommene Beschädigung angesichts vorhandener Vorschäden kaum ins Gewicht fällt. 278 Muss der Geschädigte den Schaden zur Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit oder nicht zuletzt der Verkehrssicherheit des Fahrzeugs jedoch beseitigen lassen, ist maßgeblich der insgesamt erforderliche Wiederherstellungswert; dabei wird die Vorbeschädigung zwar einem möglichen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch wertmindernd entgegengehalten werden können, steht der Annahme eines „Verkehrsunfalles" (bei Beurteilung „ex ante") angesichts des Schutzzweckes der Norm aber nicht entgegen. 279 Entsprechendes gilt bei Schäden an Verkehrsschutzvorrichtungen (z.B. Absperrgittern, Leitplanken oder anderen Schutzvorrichtungen),280 für Beschädigungen von Verkehrszeichen oder für Schäden am Straßenkörper selbst. Solche Schäden werden häufig erst wieder beseitigt, wenn sie so gravierend sind, dass die betreffenden Einrichtungen schlicht ihrem Zweck nicht mehr genügen oder ihre Reparatur jedenfalls aus Verkehrssicherheitsgründen zwingend erforderlich ist. Weil üblicherweise erst dann mit der Geltendmachung von Ersatzansprüchen zu rechnen ist, ist (nur) bis dahin von einem noch belanglosen Sachschaden auszugehen.281 35

2. Die Verkehrsunfallflucht (§ 142) ist Sonderdelikt und kann täterschaftlich (auch als Mit- oder mittelbarer Täter) somit nur von einem „Unfallbeteiligten" verwirklicht werden. 282 Nach der Legaldefinition des Absatzes 5 (die mit der Legaldefinition des § 34 Abs. 2 StVO weitestgehend übereinstimmt) ist unfallbeteiligt „jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann". Erforderlich für die Annahme einer Unfallbeteiligung ist danach nicht, dass jemand den Unfall tatsächlich (mit)verursacht oder gar (mit)verschuldet hat; 2 8 3 es reicht aus, wenn jemand den Unfall dem äußeren Anschein nach („nach den Umständen"!) jedenfalls (mit(verursacht haben könnte, selbst wenn sich später herausstellt, dass diese Person tatsächlich keinen Beitrag zum Unfall geleistet hat und zivilrechtlich nicht ersatzpflichtig ist („hypo-

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Jäger H K Rdn. 19. Vgl. O L G Düsseldorf V M 1 9 5 9 8 0 Nr. 136 (eingedrückte Radkappe am Hinterrad eines älteren Fahrzeugs) und BayObLG V R S 18 ( 1 9 6 0 ) 1 9 6 (Kratzspuren, die entweder so leicht waren, dass sie kaum ins Auge fallen, oder denen wegen des schlechten Erhaltungszustandes des Fahrzeuges keine Bedeutung zukommt). Ebenso erst jüngst O L G Nürnberg N Z V 2 0 0 7 5 3 5 . O L G Stuttgart N J W 1 9 5 8 1 6 4 7 und BayO b L G V R S 18 ( 1 9 6 0 ) 1 9 6 . So auch B a y O b L G VRS 18 ( 1 9 6 0 ) 196. O L G H a m m NVersZ 2 0 0 0 3 3 4 (oberflächliche Betonabplatzungen an Brückenpfeiler). O L G Köln V R S 2 2 ( 1 9 6 2 ) 2 7 5 (eisernes Schutzgitter an einem Bach) und O L G H a m m V R S 5 9 ( 1 9 8 0 ) 2 5 8 (Schäden an einer Autobahnbrücke); zustimmend Lackner/Kühl Rdn. 7 sowie tendenziell wohl

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auch Bär/Hauser/Lehmpuhl I/5d. S. auch O L G Karlsruhe VersR 1 9 9 5 5 2 8 (leicht verbogene Metallstäbe eines Fahrbahnteilers). 282

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Monographisch dazu vor allem Regina Engelstädter, Der Begriff des Unfallbeteiligten in § 1 4 2 Abs. 4 StGB (a.F.), Frankfurter Kriminalwiss. Studien Band 5 9 ( 1 9 9 7 ) , sowie Alexander Dütz, Der Unfallbeteiligte gemäß § 1 4 2 Abs. 5 StGB, Diss. jur. Münster ( 2 0 0 0 ) . Z u m unerlaubten Entfernen vom Unfallort (§ 1 4 2 ) als einem Grenzfall der Sonderstraftat s. auch Marco Deichmann, Grenzfälle der Sonderstraftat ( 1 9 9 4 ) , S. 151 ff. Z u § 1 4 2 als einem Sonderdelikt (in der Form einer Inpflichtnahme aus Ingerenz) neuerdings auch Steenbock S. 1 1 9 ff. Insoweit unbestritten (s. statt vieler schon BGHSt 8 2 6 5 und 12 2 5 5 ) .

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

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thetischer" Unfallbeteiligter). 284 Es handelt sich somit um einen Verdachtsbegriff („Beteiligungsverdacht"), 285 der keinen wirklichen (und häufig erst ex post feststellbaren) Kausalbeitrag zum Unfall voraussetzt, sondern lediglich eine ex ante zu beurteilende Verdachtslage, die den realen Beitrag vermutungsweise und vorläufig indiziert (näher zu konkreten Möglichkeiten der Mitverursachung eines Unfalls nachfolgend auch Rdn. 45 ff). 2 8 6 Weil sich die Unfallbeteiligung danach auch nicht auf willensgesteuerte Verhaltensweisen beschränken lässt, führen nicht willensgetragene Vorgänge (z.B. Unfall infolge Ohnmacht oder Einschlafens des übermüdeten Fahrers) ebenso zu einer Unfallbeteiligung wie wenn es dadurch zu einem Unfall kommt, dass - losgelöst von jeglicher Willenssteuerung des Fahrers - die Bremsen des Fahrzeugs versagen oder die Ladung verrutscht u.ä. 2 8 7 a) Soweit auf Grund konkreter Tatsachen der nicht ganz unbegründete Verdacht einer Mitverursachung des Unfalls besteht (zu weiteren Einschränkungen einer „nach den Umständen" möglichen Mitverursachung s. nachfolgend auch Rdn. 39 ff), kommen als Täter somit nicht nur Kraftfahrer, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer (z.B. Radfahrer, Lenker eines bespannten Fuhrwerks oder Reiter, 2 8 8 Fußgänger, Beifahrer oder Fahrzeughalter) und nach herrschender, doch nicht ganz unbestrittener Ansicht in besonders gelagerten Fällen sogar Nicht-Verkehrsteilnehmer in Betracht. Unfallbeteiligter kann danach auch sein, wer nicht selbst als Verkehrsteilnehmer am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen, jedoch so auf den Ablauf des Straßenverkehrs eingewirkt hat, dass sein Verhalten für die Herbeiführung eines Unfalls im Straßenverkehr jedenfalls (mit)ursächlich war und das schädigende Ereignis mit den typischen Gefahren des Straßenverkehrs im Zusammenhang stand (dazu bereits Rdn. 23 ff): etwa wenn der Täter mit einem Spiegel von seiner Wohnung aus einen Kraftfahrer blendet oder durch Hinauswerfen/Liegenlassen von Gegenständen auf der Fahrbahn oder dadurch Gefahren für Verkehrsteilnehmer schafft, dass er als Arbeiter mit einem Sandstrahlgebläse eine Autobahnbrücke reinigt und es dadurch infolge schlechter Sichtverhältnisse auf der darunter liegenden Fahrbahn zu einem Unfall kommt. 2 8 9 Nicht am Unfall beteiligt ist demzufolge ein in das Unfallgeschehen nicht mitverwickelter reiner Unfallzeuge. 290

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b) Wartepflichtig ist ein Unfallbeteiligter aber nur, wenn er (insoweit unbestritten: jedenfalls schon im Zeitpunkt des Unfalls) am Unfallort anwesend ist; denn nur wer am Unfallort anwesend ist, kann dem Normbefehl des Absatzes 1 (sich nicht vom Unfallort zu entfernen: dazu nachfolgend Rdn. 57 ff) nachkommen. Demzufolge ist tatbestandsmäßig weder die Entfernung von einem anderen Ort als der Unfallstelle (nachfolgend Rdn. 53 ff) noch unterlassenes nachträgliches Aufsuchen der Unfallstelle. 291 Nach wohl herrschender und jüngst auch vom OLG Jena (DAR 2 0 0 4 599) erneut bekräftigter, doch umstrittener und hier abgelehnter (nachfolgend Rdn. 38) Ansicht scheiden als Täter einer

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Z u diesem Begriff Engelstädter S. 2 9 . Himmelreich/Bücken, Verkehrsunfallflucht Rdn. 1 5 4 a . So im Anschluss an Küper JuS 1 9 8 8 2 8 6 f auch B a y O b L G N Z V 2 0 0 0 1 3 3 = DAR 2 0 0 0 79. O L G Karlsruhe VRS 7 4 ( 1 9 8 8 ) 4 3 2 . O L G Celle VRS 9 2 ( 1 9 9 7 ) 109.

teilnehmer beschränkend allerdings Engelstädter S. 117 f und S. 2 9 1 ; wie hier jedoch Schild N K Rdn. 4 6 , Lackner/Kühl Rdn. 4 , Hentscbel/König Rdn. 2 9 und Magdowski S. 101: alle m.w.N. 290 291

Gegenteiliger Ansicht, weil den Begriff der

Ebenso Feiertag Z A P 2 0 0 1 17. Ebenfalls unbestritten: O L G Stuttgart N S t Z 1 9 9 2 3 8 4 , BayObLG VRS 7 2 ( 1 9 8 7 ) 7 2 sowie KG VRS 4 6 ( 1 9 7 2 ) 4 3 4 .

„Unfallbeteiligung" bewusst auf Verkehrs-

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Verkehrsunfallflucht sowohl nach Absatz 1 ebenso wie nach Absatz 2 jedoch aus, wer z.B. als Lenker eines auf abschüssiger Straße nicht hinreichend gesicherten oder eines verkehrswidrig parkenden Fahrzeugs erst nach Eintritt des (von ihm jedenfalls mittelbar mitverursachten) Unfalls am Unfallort erscheint und sich wieder entfernt, ohne die notwendigen und noch möglichen Feststellungen ermöglicht oder eine angemessene Zeit gewartet zu haben. 292 Diese Ansicht beruft sich neben dem Wortlaut des Gesetzes, das als Normadressaten nur den schon im Unfallzeitpunkt anwesenden möglichen Unfallverursacher im Auge habe, vor allem auf die Rechtsnatur der Vorschrift als echtes Unterlassungsdelikt (dazu Rdn. 69) und im Zusammenhang damit darauf, dass Täter danach nur sein könne, wer von Anfang an zum Kreis der tauglichen Täter gehöre. Zudem sei allein diese Gesetzesauslegung vom Zweck des § 142 gedeckt, der doch erkennbar darauf ausgerichtet sei, die vergleichsweise günstige Beweissituation unmittelbar im zeitlichen Anschluss an den Unfall und räumlich ebenfalls unmittelbar am Unfallort ausnutzen zu können. 293 Schließlich sei es ungereimt und zudem eine auch verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung, z.B. einen nachträglich zur Unfallstelle zurückkehrenden Unfallverursacher in den tatbestandlichen Schutzbereich des § 142 zu ziehen und damit schlechter zu stellen als einen Unfallverursacher, der trotz nachträglicher Kenntnis vom Unfall ganz bewusst nicht zum Unfallort zurückkehrt oder der gar einen Dritten, der als Nicht-Unfallverursacher kein „Unfallbeteiligter" ist und somit als möglicher Täter ausscheidet, dazu veranlasst, das verkehrswidrig parkende Fahrzeug wegzuführen.294 38 Diese Überlegungen können nicht überzeugen: So ist der Wortlaut des § 142 augenfällig für beide Auslegungen offen. 295 Liegt es aber im Zweck der Vorschrift, zugunsten des Geschädigten oder anderer Unfallbeteiligter möglichst noch am Unfallort Feststellungen zum Unfallhergang zu ermöglichen, trifft die Wartepflicht auch einen erst nachträglich zum Unfallort zurückgekehrten Unfallverursacher jedenfalls dann, wenn im Augenblick der Rückkehr an die Unfallstelle dort noch Feststellungen möglich sind und von feststellungsbereiten Personen (Rdn. 51 f) auch erwartet werden. 296 Mangels sinnvoller möglicher Feststellungen wird vom Normbefehl des § 142 selbstverständlich nicht erfasst, wer als früherer Unfallbeteiligter z.B. erst nach Tagen oder gar Wochen, wie BayObLG (JZ 1987 49) befürchtet, an den Unfallort zurückkehrt.297 Die Dauer der Wartepflicht (Abs. 1 Nr. 2) bemisst sich dabei jedoch nicht nach dem Zeitpunkt der Rückkehr,

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So auch schon BayObLG VRS 7 2 (1987) 72 und N Z V 2 0 0 0 133, OLG Köln NJW 1989 1683, OLG Stuttgart NStZ 1992 384 (kritisch Berz NStZ 1992 592), OLG Düsseldorf N Z V 1993 157 sowie OLG Frankfurt a.M. N Z V 1997 125. Auf dieser Linie im Schrifttum auch Rudolphi SK Rdn. 16a, Hentschel/König Rdn. 29, Janiszewski Rdn. 4 9 2 a , Lackner/Kühl Rdn. 4, Sehl Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 21 sowie Fischer Rdn. 16; ebenso Arloth GA 1985 4 9 9 (§ 142 wolle einer Verschlechterung der Beweislage vorbeugen, nicht aber eine vorgegebene Beweissituation verbessern) und dem (im Hinblick auf die ratio der Vorschrift jedenfalls im Ergebnis) folgend nunmehr auch Zopfs MK Rdn. 37. Zum Streitstand s. auch Engelstädter S. 119 ff.

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So vor allem OLG Stuttgart NStZ 1992 384 und OLG Jena DAR 2 0 0 4 599. OLG Köln NJW 1989 1683 und BayObLG VRS 72 (1987) 74; so jetzt auch OLG Jena DAR 2 0 0 4 5 9 9 f. So zu Recht jetzt auch Schild NK Rdn. 52. So zu Recht schon Berz NStZ 1992 591 f (gegen OLG Stuttgart NStZ 1992 384) und Geppert JURA 1990 81. Ebenso, doch selbstverständlich ebenfalls nur unter der Voraussetzung noch möglicher Feststellungen schon Weigelt DAR 1959 152 und Janiszewski NStZ 1987 113; dem folgend nunmehr auch Schild NK Rdn. 52. Zutreffend Schild NK Rdn. 52.

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sondern nach dem des Unfalls. 298 Ist der Geschädigte (Rdn. 50) in diesem Sinn nicht zugleich „Unfallbeteiligter", kommt nach Entstehung eines Unfalls aber zum Unfallort zurück, darf er diesen jederzeit wieder verlassen, selbst wenn ein Unfallbeteiligter zur Ermöglichung bestimmter Feststellungen seine Anwesenheit am Unfallort verlangt. 299 c) Einschränkungen der Unfallbeteiligung. Würde man für den Begriff der Unfallbeteiligung i.S. einer „nach den Umständen" des Falles nur möglichen Mitverursachung nach den weiten Regeln der Äquivalenztheorie jede „conditio sine qua non" für ausreichend erachten oder den Gesichtspunkt regelwidrigen Verhaltens völlig außer acht lassen, hätte dies eine kriminalpolitisch unvernünftige und wohl auch verfassungsrechtlich bedenkliche (dazu nachfolgend Rdn. 63 f) Ausweitung der Strafhaftung zur Folge. Ungeachtet dessen zu weit geht jedoch Regina Engelstädter,300 wenn sie Absatz 5 im Wege verfassungskonformer Auslegung u.a. dahin einengt, dass der Kreis der Täter (entgegen hier vertretener Ansicht: Rdn. 36) auf Verkehrsteilnehmer beschränkt ist und (ebenfalls entgegen hier vertretener Ansicht: Rdn. 38) zudem gleichzeitige Anwesenheit des potentiellen Täters sowohl am Unfallort wie auch zur Unfallzeit vorausgesetzt wird. Zu weit gehen somit auch jene Stimmen im Schrifttum, die den § 142, wenn oder soweit dessen Absatz 5 im Zweifelsfall „contra reum" sogar einen bloßen Unfall verursachungsfer^acfcf ausreichen lässt, wegen Verstoßes gegen das verfassungsrechtlich geschützte Selbstbelastungsverbot partiell für verfassungswidrig halten. 301 Ungeachtet dessen ist aber einzuräumen, dass der Begriff der „Unfallbeteiligung" über die bislang vorgetragene Definition hinaus wie folgt einzuschränken ist:

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aa) Erforderlich ist zunächst einmal eine nach den Umständen des Falles mögliche (Mit-)Verursachung der aktuellen Unfallsituation. Daher werden der (mitfahrende und am Unfallort anwesende) Halter oder Eigentümer des Fahrzeugs ebensowenig wie die Begleitperson beim „begleiteten Fahren ab siebzehn" (dazu nachfolgend auch Rdn. 42) allein schon dadurch zum wartepflichtigen „Unfallbeteiligten", dass sie dem Fahrer das Fahrzeug überlassen haben: dies jedenfalls dann nicht, wenn der Fahrer Inhaber einer gültigen Fahrerlaubnis ist und Anhaltspunkte für eine persönliche UnZuverlässigkeit des Fahrers oder für einen verkehrsunsicheren Zustand des Fahrzeugs fehlen (insoweit unbestritten 302 ). Umstritten ist jedoch, ob jede Mitverursachung der aktuellen Unfallsituation ausreicht, was jedenfalls die Rechtsprechung in einem recht weiten Umfang bejahen zu wollen scheint: so beispielsweise schon dann, wenn der Halter die Führung des Fahr-

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Berz NStZ 1992 5 9 2 und Schild NK Rdn. 52. Magdowski S. 101 (dort gegen Pfannmüller S. 128) und Schild NK Rdn. 4 6 ; missverständlich Janiszewski Rdn. 4 9 2 . Der Begriff der Unfallbeteiligung in § 142 StGB (1997): dort monographisch zu vielerlei Einschränkungsmöglich- und Einschränkungsnotwendigkeiten auch aus allgemeinzurechnungsrechtlicher Sicht, zusammenfassend S. 2 9 3 f. So - wenngleich in Absicherung gegenüber der absolut hM und nicht zuletzt auch gegenüber BVerfGE 16 191 vorsichtshalber nur in einer Fußnote - Arzt/Weber, Besonde-

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rer Teil, Fn. 5 0 in § 38 Rdn. 5 6 (S. 848); so tendenziell wohl auch Dütz S. 132 ff sowie nunmehr ausdrücklich auch Schild NK Rdn. 4 6 (ausführlicher ders. auch in N Z V 1 9 8 9 79 f). Dieser apodiktischen Schlussfolgerung vermag aber auch Zopfs MK Rdn. 43 nicht zuzustimmen. Anders noch BayObLG VRS 12 (1957) 115 116, klargestellt aber durch BGHSt 15 1 ff. Seither ständige Rechtsprechung: OLG Stuttgart NJW 1981 2369, OLG Frankfurt NJW 1983 2 0 3 8 , BayObLG DAR 1988 3 6 4 und OLG Köln VRS 86 (1994) 2 8 0 ; so wohl auch KG VRS 4 6 (1974) 4 3 4 (trotz missverständlichen Leitsatzes).

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zeugs „einer ungeeigneten, unzuverlässigen oder fahruntüchtigen Person" überlassen hat. 303 Von hier aus wird ein am Unfallort anwesender Halter/Eigentümer zum (mit)wartepflichtigen „Unfallbeteiligten", wenn er das Fahrzeug zuvor einem erkennbar alkoholisierten 304 oder einem Fahrer ohne gültige Fahrerlaubnis anvertraut 305 oder wenn das Fahrzeug sich nicht in einem verkehrssicheren Zustand befunden hat; 3 0 6 dies selbst nach der Rechtsprechung aber nur dann, wenn der Unfall nach Lage der Dinge gerade auf den alkoholisierten Zustand 307 oder auf die mangelnde Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zurückzuführen ist 3 0 8 oder wenn gerade der technisch mangelhafte Zustand (z.B. mangelhafte Bremsen) nach Lage der Dinge zum Unfall (mit)beigetragen haben kann. 309 Auf ähnlicher Linie liegen im Schrifttum jene Stimmen, die für den Begriff der „Unfallbeteiligung" Einwirkungen auf das Unfallgeschehen für erforderlich halten, die ein verkehrsübliches (erlaubtes!) Risiko überschreiten, und die von hier aus ein (sozialinadäquates!) zusätzliches Gefahrenmoment verlangen, das dann auch vom Vorsatz erfasst sein müsse (dazu nachfolgend Rdn. 171 ff). 310 Da die allgemeinen Zurechnungsregeln auch beim Begriff der „Unfallbeteiligung" zu berücksichtigen seien,311 wird der Zurechnungszusammenhang einer Unfallbeteiligung folgerichtig auch dort verneint, wo sich die Mitverursachung auf erlaubte Risiken beschränkt 312 (Beispiel: Ehefrau bittet ihren Mann, sie nach Hause zu fahren).313 Aus diesem Grund ist es selbst von der Rechtsprechung aus bedenklich, z.B. den Halter und Mitinsassen eines besonders antriebsstarken Kraftfahrzeugs schon deshalb zum Mitunfallbeteiligten machen zu wollen, weil dieser seiner in der Führung eines solchen Fahrzeugs unerfahrenen, doch eine gültige Fahrerlaubnis besitzenden Ehefrau trotz ungünstiger Fahrbedingungen (Nachtfahrt bei winterlichen Straßenverhältnissen) das Steuer überlassen hat. 314 Bei einer solchen Sachlage ist der von der Fahrerin verursachte Unfall schon nach allgemeinen Zurechnungsregeln ausschließlich allein ihr zuzurechnen. Gleichermaßen bedenklich ist es somit ferner, die „Unfallbeteiligung" eines Halters und Mitinsassen schon deshalb annehmen zu wollen, weil er dem Fahrer ein Fahrzeug mit vereisten Scheiben übergeben hat; denn diese zu enttauen, ist allein Sache des Fahrers und somit nicht mehr dem Halter zuzurechnen.315 41

Eigene Ansicht. Zu Recht noch weiter gehen im Schrifttum jene Stimmen, wonach nur solche (erlaubte Risiken überschreitende) Verhaltensweisen zur „Unfallbeteiligung" führen, die mit dem aktuellen Unfallrisiko derart verbunden sind, dass sie nur an Ort und Stelle aufgeklärt werden können. Ausgeschlossen sind damit letztlich alle Fehlverhal303 304

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BayObLG: zitiert nach Rüth DAR 1976 174. So schon BGHSt 18 7; s. statt vieler auch KG VRS 10 (1956) 453, OLG Köln VRS 86 (1994) 2 8 0 und mehrfach BayObLG: VRS 12 (1957) 115, nach Rüth DAR 1979 237, DAR 1982 2 4 9 und DAR 1984 240. Zustimmung bei Fischer Rdn. 16 und Schild NK Rdn. 50. OLG Stuttgart VRS 72 (1987) 186; wiederum zustimmend Fischer Rdn. 16 und Schild NK Rdn. 50. BayObLG nach Rüth DAR 1978 2 0 8 (vereiste Scheiben) sowie OLG Frankfurt NStZRR 1996 87; vgl. auch Fischer Rdn. 16 (mangelhafte Ausführung einer Reparatur). So schon BayObLG (Urt. v. 3.11.1978 - 1 St 2 4 / 7 8 ) : zitiert nach Rüth DAR 1979 237;

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so auch deutlich OLG Köln VRS 86 (1994) 280. OLG Stuttgart VRS 72 (1987) 186. BayObLG nach Rüth DAR 1978 2 0 8 (im Ergebnis allerdings verfehlt). OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 86. Monographisch dazu vor allem Engelstädter (1997); auf dieser Linie zu Recht auch Schild NK Rdn. 5 0 . So vor allem Schild NK Rdn. 50. Auf dieser Linie auch Jäger HK Rdn. 52 f sowie (obgleich vorsichtig „zweifelnd") wohl auch Lackner/Kühl Rdn. 4. So aber BayObLG: zitiert nach Rüth DAR 1980 265. Verfehlt daher BayObLG: zitiert nach Rüth DAR 1978 208.

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tensweisen, die zeitlich vor der den Unfall auslösenden Situation liegen. Für diese Sichtweise spricht nicht zuletzt die Zielsetzung von § 142, der bekanntlich vorwiegend darauf gerichtet ist, diejenigen Feststellungen zu ermöglichen, die am besten gerade am Unfallort getroffen werden können. 316 Die (hier abgelehnte, weil noch immer zu weite) Gegenansicht (Rdn. 40) übersieht, dass aus der passiven Feststellungspflicht des Absatzes 1 (dazu nachfolgend Rdn. 68 und 95 ff) nur die Ermöglichung einer Untersuchung des Zustandes von Fahrer oder Fahrzeug am Ort des Unfalls folgt, ein mitverursachendes Vbrverhalten letztlich indes nur durch eine aktive Mitwirkung des am Unfallort anwesenden Beifahrers/Halters geklärt werden könnte, wozu dieser aber nicht verpflichtet ist. 317 Die „Unfallbeteiligung" kann auch aus einem Unterlassen resultieren, sofern für den am Unfallort anwesenden Garanten nach allgemeinen Grundsätzen eine entsprechende Rechtspflicht besteht. 318 Anders als bei einer möglichen Beihilfe durch Unterlassen zur Unfallflucht eines anderen, wo es um die Rechtspflicht zur Verhinderung der Wegfahrt des Unfallfahrers geht (dazu nachfolgend Rdn. 189), ist die zu eigener Unfallbeteiligung führende Garantenpflicht des am Unfallort anwesenden Halters/Eigentümers/Mitinsassen ausschließlich auf die Vermeidung eines Verkehrsunfalles zu beziehen. Eine solche Rechtspflicht wird in der Judikatur in aller Regel z.B. schon aus personenbezogener Überwachungspflicht oder arbeitsrechtlicher Weisungsbefugnis, 319 aus einem Zusammenwirken von Fahrer und Beifahrer bei einem Unfall (z.B. Fehlleistungen beim Rangieren), 320 aus (sozialinadäquatem) gefahrerhöhendem Vorverhalten (Ingerenz) 321 oder gelegentlich offenbar allein schon aus der dem Eigentümer/Halter zukommenden Sachherrschaft und Verfügungsbefugnis über das (von einem anderen gefahrene) Unfallfahrzeug hergeleitet. 322 Auf der Grundlage der hier befürworteten restriktiven Ansicht (Rdn. 41) führt eine solche Rechtspflicht jedoch nur dann zur „Unfallbeteiligung" aus Unterlassen, wenn das Schwergewicht des Unrechtsvorwurfs nicht bei einem früheren Fehlverhalten (z.B. Überlassen des Fahrzeugs an einen fahruntüchtigen oder an einen Fahrer ohne gültige Fahrerlaubnis oder Fehlleistungen des Monteurs bei der Reparatur des Fahrzeugs) liegt. 323 Zu eigener Unfallbeteiligung des inaktiven Beifahrers führen somit allenfalls Fehlleistungen vor Ort, z.B. beim Rangieren. 324 Bedenklich sind somit

So im Anschluss an Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 21 auch Rudolphi SK Rdn. 16, Hentschel/König Rdn. 2 9 , Janiszewski Rdn. 4 9 2 a , Arloth GA 1 9 8 5 5 0 0 , Magdowski S. 9 9 und Geppert J U R A 1 9 9 0 81; anders aber Schild N K Rdn. 5 0 (mit Fn. 110). 317

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Überzeugend Cramer 21. So im Ansatz an sich auch Zopfs M K Rdn. 39, der dieses folgerichtige Ergebnis dann aber dadurch verwässert, dass er demjenigen, der z.B. dem Fahrer zuvor in pflichtwidriger Weise das Fahrzeug überlassen hat und dann mitfährt, eine Garantenpflicht zum Eingreifen vor Ort zumisst und von hier aus in der Verletzung dieses Handlungsgebotes die zur „Unfallbeteiligung" führende Mitwirkung an der aktuellen Unfallsituation sieht. Ebenso Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 2 1 , Lackner/Kühl Rdn. 4 und

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Schild N K Rdn. 4 8 ) ; mit weiterführenden Nachweisen auch Engelstädter S. 5 8 ff. Vgl. B G H VRS 6 ( 1 9 5 4 ) 3 3 , B G H VRS 2 4 ( 1 9 6 3 ) 3 4 und O L G Stuttgart N J W 1 9 8 1 2369. O L G Karlsruhe VRS 5 3 ( 1 9 7 7 ) 4 2 6 . O L G Stuttgart N J W 1981 2 3 6 9 . Dem folgend auch Zopfs M K Rdn. 39. O L G Stuttgart N J W 1 9 8 1 2 3 6 9 ; dazu auch schon B a y O b L G VRS 12 ( 1 9 5 7 ) 116 und O L G Köln N Z V 1 9 9 2 8 0 (krit. Geppert, J K § 142/18). Ebenso Arloth GA 1 9 8 5 5 0 0 und Magdowski S. 1 0 0 . N u r im Ergebnis zutreffend O L G Karlsruhe VRS 5 3 ( 1 9 7 7 ) 4 2 6 (bedenklich aber die Begründung: die Garantenpflicht beruhe auf der Gefahrengemeinschaft einander ablösender Fernfahrer eines großen Sattelschleppers).

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vor allem Entscheidungen, die eine Garantenpflicht aus personenbezogener Überwachungs- oder Weisungsbefugnis oder aus der dem Halter/Eigentümer eigenen Sachherrschaft über das Unfall- und Fluchtfahrzeug herleiten wollen. 3 2 5 Da für das grundsätzlich selbstzuverantwortende Verhalten des Fahrers eines Unfallfahrzeugs (der im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis ist!) weder ein Fahrzeughalter/Eigentümer noch ein weisungsberechtigter Vorgesetzter verantwortlich ist, 326 ist es verfehlt, eine Garantenpflicht des Halters/Eigentümers zur Verhinderung von Unfällen aus dessen Verfügungsbefugnis über das Unfallfahrzeug herleiten zu wollen; 3 2 7 denn allein durch seine Verfügungsbefugnis hat der Halter/Arbeitgeber kein (sozial-inadäquates) zusätzliches Gefahrenmoment geschaffen. Gleiches gilt für das Verhältnis von Eltern gegenüber ihren Kindern. So darf die Obhutspflicht zum Schutze besonders schutzempfohlener Personen (sog. Beschützergarantenstellung) nicht zur Kontrollpflicht zur Überwachung bestimmter Gefahrenquellen (sog. Überwachergarantenstellung) umfunktioniert werden; denn ein Fahrer (mit einer gültigen Fahrerlaubnis) ist immer für sich selbst verantwortlich. 3 2 8 Aus diesem Grund wird auch die Begleitperson beim „Begleiteten Fahren ab 17 Jahren", dessen Einführung den Bundesländern durch das 3. Gesetz zur Änderung des StVG und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften 3 2 9 im Sommer 2005 versuchsweise (bis 31. Dezember 2010) freigestellt und das von den meisten Bundesländern inzwischen auch als Modellversuch übernommen worden ist, 330 nur dann zum wartepflichtigen Mit-„Unfallbeteiligten", wenn sie durch aktives Handeln (z.B. durch Ziehen der Handbremse oder Herumreißen des Lenkrades) selbst in das Unfallgeschehen eingegriffen hat. 3 3 1 Auch unter den Bedingungen des „begleiteten Fahrens ab 17" wird der gesetzliche Vertreter des minderjährigen Fahrers oder der Halter/Eigentümer des Fahrzeuges somit ebensowenig zum Überwachergaranten wie jeder sonstige Dritte; denn ausweislich der neuen §§ 6e Abs. 1 Nr. 3 StVG und 48a Abs. 4 FeV hat die begleitende Person dem minderjährigen Fahrer „ausschließlich als Ansprechpartner beratend zur Verfügung zu stehen". Damit ist gesetzlich ein Doppeltes klargestellt: zum einen, dass der Gesetzgeber an der grundsätzlichen Verantwortlichkeit zwischen Fahrer und Begleitperson nichts ändern wollte und alleinverantwortlicher Führer des Kraftfahrzeuges nach wie vor der minderjährige Fahrer bleibt, 332 woraus zum andern folgt, dass der begleitenden Person weder eine Ausbildungsfunktion übertragen noch eine mit Weisungsbefugnissen verbundene Autoritätsstellung eingeräumt worden ist. 3 3 3 Anders ist die Rechtslage jedoch für einen Fahrlehrer; denn anders als beim „begleiteten Fahren ab 17" ist die Garantenstellung des Fahrlehrers auch auf die Verhinderung eines Unfalls ausgerichtet und als solche eindeutig schon im Gesetz selbst angelegt (vgl. § 2 Abs. 15 StVG und 6 Abs. 2 FahrlG). 334

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So tendenziell BGH VRS 25 (1963) 36 sowie zuvor schon VRS 6 (1954) 33. Ebenso Schild NK Rdn. 48. So aber OLG Stuttgart NJW 1981 2369. Dazu schon Geppert, JK 92 StGB § 142/18; zustimmend Schild NK Rdn. 48. Vom 14. August 2005 (BGBl. I 2412): in Kraft ab 15. August 2005. Näher dazu Feltz/Kögel, Risikominimierung bei begleitetem Fahren, DAR 2004 121 ff sowie Fischinger/Seibl, Rechtliche Probleme des Projekts „Begleitetes Fahren ab 17", N J W 2005 2886 ff.

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Ebenso Feltz/Kögel DAR 2004 128 und Fischinger/Seibl NJW 2005 2889. So auch schon BTDrucks. 15/5315, S. 9: „Auch beim Modell des .Begleiteten Fahrens ab 17' sind die Fahranfänger verantwortliche Führer der Fahrzeuge und die Begleiter haben lediglich den .Status' von Beifahrern." So zu Recht auch Fischinger/Seibl NJW 2005 2889. So zutreffend schon Weigelt DAR 1959 153; ebenso Sch/Schröder/Stree § 13 Rdn. 52 und Schild NK Rdn. 48 sowie Magdowski S. 101.

Klaus Geppert

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bb) Ungeachtet schwieriger Abgrenzungsfragen im Einzelnen ist in der Sache heute weithin anerkannt, dass jedenfalls bei unmittelbaren Unfallursachen die Regelwidrigkeit der Verursachung nicht maßgeblich ist. 3 3 5 Bei (entfernter liegenden) mittelbaren Ursachen hingegen ist es nach h.M. im Schrifttum 3 3 6 und nach sich festigender, wenngleich noch immer nicht abschließend geklärter Rechtsprechung letztlich unverzichtbar, für die Beurteilung der „Unfallbeteiligung" auch auf die Regelwidrigkeit (nicht: Verschuldetheit!) des Verhaltens abzustellen. 337 „Regelwidrig" in diesem Sinn ist jedes Verhalten, das sich nicht mehr im Rahmen eines korrekten Verkehrsvorgangs hält und damit nicht mehr als verkehrsgerecht anzusehen ist (z.B. Fahrfehler, Fahrzeug verliert Teile der Ladung oder hinterlässt eine Ölspur u.a.). 3 3 8 In diesem Sinn ist „unmittelbar" unfallbeteiligt, wer an dem Verkehrsablauf, wie er zu dem Unfall führt, nicht nur durch das Vorhandensein seines Fahrzeuges oder nicht nur durch die bloße Existenz seiner Person, sondern gerade durch seine Fahrweise (wenn auch nur nach dem äußeren Anschein) möglicherweise aktiv beteiligt ist. 3 3 9 Nur „mittelbar" unfallbeteiligt ist somit derjenige (meist: Verkehrsteilnehmer), der zwar nicht selbst in eine Kollision verwickelt ist, doch eine Gefahrenlage mitgeschaffen (oder der äußeren Verdachtslage nach möglicherweise mitverursacht) hat, in deren nahtloser Folge andere (Fahrzeuge) einen Unfall erleiden, 3 4 0 der nach allgemeinen Zurechnungsregeln immerhin auch als „sein" Unfall zu werten ist. 3 4 1 Unter diesen Voraussetzungen kann es für die Bejahung der „Unfallbeteiligung" auch auf die Regelwidrigkeit des Vorverhaltens ankommen.

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Kasuistik. 342 Wer sein Fahrzeug erlaubtermaßen am rechten Straßenrand geparkt 3 4 3 oder sich ordnungsgemäß zum Linksabbiegen eingeordnet h a t 3 4 4 oder wessen Fahrzeug von einem anderen Fahrzeug überholt wird, 3 4 5 wird als nur mittelbar Beteiligter mangels regelwidrigen Verhaltens nicht schon dadurch zum wartepflichtigen Unfallbeteiligten, dass es für vorbeifahrende oder nachfolgende Fahrzeuge zum Unfall kommt. In einem solchen Fall wird der überholte/passierte Fahrer allenfalls zur Ursache für Fahrfehler anderer und kommt somit nur als unbeteiligt-zufälliger Zeuge eines ihm nicht zurechen-

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Anders Arloth GA 1 9 8 5 5 0 2 (nur pflicht-, d.h. verkehrswidriges Verhalten könne zu einer tatbestandsrelevanten Unfallbeteiligung führen). Vgl. Zopfs M K Rdn. 3 8 , Schild N K Rdn. 5 0 , Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 21, Rudolphi SK Rdn. 16, Himmelreich/Bücken 1 5 5 bis 1 6 0 sowie Geppert J U R A 1 9 9 0 81: alle m.w.N. Dazu aus jüngerer Zeit vor allem O L G Stuttgart D A R 2 0 0 3 4 7 5 : Zustimmung bei Hentschel/König Rdn. 3 0 , Schild N K Rdn. 5 0 und Zopfs M K Rdn. 3 8 ; teilweise skeptisch jedoch Geppert, JK 0 2 / 0 4 , StGB § 142/22.

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O L G Karlsruhe V R S 7 4 ( 1 9 8 8 ) 4 3 3 ; zustimmend Schild N K Rdn. 5 0 .

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KG VRS 5 0 ( 1 9 7 6 ) 39. O L G Karlsruhe VRS 7 4 ( 1 9 8 8 ) 4 3 2 ; ebenso Engelstädter S. 5 0 .

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So zutreffend auch Schild N K Rdn. 5 0 . Mit weiterem Rechtsprechungsmaterial

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auch Engelstädter S. 5 0 ff sowie Himmelreich/Bücken 1 5 5 ff. Anders wäre es bei (nach § 12 Abs. 4 StVO) verkehrswidrigem Parken in zweiter Reihe (dazu BGHSt 2 8 1 4 3 ) : Hier ist an der „Unfallbeteiligung" des Falschparkers an sich nicht zu zweifeln; umstritten ist insofern jedoch, ob es ausreicht, wenn der Falschparker erst nachträglich zum Unfallort zurückkehrt (verneinend O L G Stuttgart N S t Z 1 9 9 2 3 8 4 ; zum Streitstand s. schon Rdn. 3 7 f.

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Dazu schon B a y O b L G V R S 7 ( 1 9 5 4 ) 1 9 0 sowie vor allem VRS 4 2 ( 1 9 7 2 ) 2 0 0 ; zu einem ähnlichen Fall s. LG Gießen D A R 1 9 9 7 3 6 4 (Mitursächlichkeit verneint bei einem auf der Gegenfahrbahn erfolgten Auffahrunfall). Dazu aus jüngerer Zeit vor allem O L G Stuttgart D A R 2 0 0 3 4 7 5 (skeptisch Geppert, J K 0 2 / 0 4 , StGB § 1 4 2 / 2 2 ) .

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Vgl. O L G Koblenz N Z V 1 9 8 9 2 0 0 und schon KG V R S 5 0 ( 1 9 7 6 ) 39.

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baren Verkehrsgeschehens, nicht aber als Mit-„Unfallbeteiligter" in Betracht. 346 Anders kann die Rechtslage jedoch sein, wenn (wichtig: bei ex ante-Sicht!) nach Lage des Einzelfalles mögliche Zweifel nicht auszuschließen sind, dass gerade die Fahrweise des überholten oder des vorausfahrenden (und nicht mitverunglückten) Fahrzeuges für den sonst unerklärlichen Unfall mitursächlich geworden ist oder jedenfalls mitkausal geworden sein könnte; 3 4 7 denn derartige Ursachenzusammenhänge an Ort und Stelle sofort festzustellen, ist im Schutzgut des § 142 angelegt. Eine Wartepflicht trifft somit auch denjenigen, der z.B. im Rahmen von Wettfahrten auf öffentlichen Straßen ein Überholtwerden provoziert 348 oder dessen verkehrswidriges Überholmanöver dazu geführt hat, dass andere Fahrzeuge aufeinander auffahren. Unmittelbar beteiligt und damit als Unfallbeteiligter in eigener Person wartepflichtig ist schließlich ein Mitinsasse, sofern er auf Grund hinreichend konkreter Indizien verdächtig ist, entweder selbst Fahrer gewesen zu sein (näher Rdn. 46) oder als Beifahrer durch aktives Tun (z.B. Ablenkungsmanöver, InsSteuer-Greifen u.ä.) in die Fahrweise des Fahrers eingegriffen oder als Garant zur Verhinderung eines Verkehrsunfalles diesen nicht verhindert zu haben (dazu schon Rdn. 42). 45

cc) Konkrete Möglichkeit der Mitverursachung. Wenn Unfallbeteiligter nach dem Wortlaut des Gesetzes jeder ist, „dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann", scheiden jedenfalls die Personen aus, deren Verhalten zweifelsfrei nicht dazu beigetragen haben kann. Dies ist anzunehmen, wenn schon nach dem äußeren Anschein (zur Zeit des Unfalls!) kein Zweifel daran bestehen kann, dass der Unfall sich auch ohne Zutun der fraglichen Person ereignet hätte. 349 Ausreichend, aber auch erforderlich ist jedoch, dass zum Unfallzeitpunkt (ex ante-Betrachtung) 350 der objektiv nicht ganz unbegründete Verdacht bestand, eine (am Unfallort anwesende) bestimmte Person habe den Unfall zumindest mitverursacht.351 Der nur unbestimmt vage Verdacht, dass die Person mit dem Unfallgeschehen etwas zu tun gehabt haben könnte, genügt danach nicht; vielmehr muss an Hand konkreter Umstände die Möglichkeit der Mitverursachung und somit dargetan sein, weshalb der Verdacht gerade auf diese Person fallen konnte. 352 Wie bereits erläutert (Rdn. 35), ist somit eine lediglich ex ante gegebene Verdachtslage gemeint, die keinen wirklichen (häufig erst ex post feststellbaren) Kausalbeitrag zum Unfall voraussetzt, sondern den realen Beitrag nur vermutungsweise und vorläufig indiziert.353 Ein solcher Verdacht muss zudem nicht

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Angesichts der berechtigten Kritik von Schild NK Rdn. 5 0 halte ich die in der Vorauflage (Rdn. 4 4 ) vertretene Ansicht, auch in solchen Fällen sei eine „unmittelbare" Unfallbeteiligung zu bejahen und demzufolge werde auch der korrekt fahrende überholte Fahrer zwingend zum „Unfallbeteiligten", nicht mehr aufrecht. So lag es wohl in dem von OLG Stuttgart DAR 2 0 0 3 4 7 5 zu beurteilenden Fall (ablehnend daher Geppert, JK 02/04, StGB s 142/22). BGH VRS 8 (1955) 2 9 5 und VRS 15 (1958) 338. BGHSt 15 4 sowie BGH VRS 2 4 (1963) 34. Insoweit unbestritten: s. für viele nur Arloth GA 1985 4 9 7 und Engelstädter S. 105.

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So im Ausgangspunkt zutreffend BGHSt 15 1 ff = N J W 1960 2 0 6 0 (Grundsatzentscheidung); so auch schon RG DJ 1941 995 zum damaligen § 139a StGB. Inzwischen gefestigte Rechtsprechung: vgl. statt vieler nur Zeit OLG Düsseldorf N Z V 1993 157, OLG Köln NStE § 142 StGB Nr. 7 und OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 1996 86. OLG Frankfurt a.M. NJW 1983 2039, OLG Stuttgart VRS 72 (1987) 189 und OLG Köln VRS 7 5 (1988) 342. So zutreffend Jäger HK Rdn. 4 2 ff; auf dieser Linie schon Kreissl NJW 1990 3134 und Bürgel M D R 1976 353. Zum „Verdachts"Begriff in diesem Sinn vor allem Küper JuS 1988 287, dem folgend auch BayObLG N Z V 2 0 0 0 133 = DAR 2 0 0 0 79.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

sofort an Ort und Stelle des Unfalls von einer dort anwesenden Person tatsächlich geäußert worden sein; 3 5 4 allenfalls kann die Nichtäußerung eines solchen Verdachtes für die Vorsatzfrage bedeutsam werden (nachfolgend Rdn. 171 ff). Stellt sich später heraus, dass das Verhalten in Wirklichkeit in keiner zurechenbaren Weise für den Unfall mitursächlich war, beseitigt dies jedoch keineswegs nachträglich die zur Tatzeit „nach den Umständen" durchaus vorhandene Unfallbeteiligung und steht einer Bestrafung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort nicht entgegen. 355 Somit muss auch der Verdacht, nicht nur Mitinsasse des Tatfahrzeuges, sondern Fahrer des Unfallfahrzeugs oder jedenfalls an der Verursachung des Unfalls mitbeteiligt gewesen zu sein, durch konkrete Verdachtsmomente belegt sein. Ein durch Tatsachen substantiierter Verdacht wurde zu Recht in einem Fall bejaht, in dem die verdächtige Person nach dem Unfall zunächst in der Nähe der Unfallstelle angetroffen wurde und es sich bei dem Tatfahrzeug um den Wagen ihres Freundes handelte, in dessen Wohnung sie wenige Stunden nach dem Unfall in alkoholisiertem Zustand angetroffen wurde. 3 5 6 Ein solcher Verdacht kann durch den Umstand verstärkt werden, dass die Art des Unfalls auf einen alkoholisierten Fahrer hindeutet und die auf Grund weiterer Indizien als Fahrer in Frage kommende Person erwiesenermaßen Alkohol getrunken hat. 3 5 7 Ohne derart konkrete Indizien darf allein aus der Haltereigenschaft in aller Regel jedoch nicht auf eine Unfallbeteiligung geschlossen werden. 358

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Entsprechendes gilt bei Zweifeln, wer von mehreren Insassen Führer des Tatfahrzeugs war. Allein der Umstand, dass nicht feststeht, wer von zwei Fahrzeuginsassen zum Tatzeitpunkt Führer des Fahrzeugs war, macht nicht zwangsläufig beide Insassen zu Unfallbeteiligten, 359 und zwar auch dann nicht, wenn nur einer von zwei Insassen Fahrzeugführer gewesen sein kann. Der Verdacht, gerade Führer des Unfallfahrzeuges gewesen zu sein, muss sich auch hier aus konkreten Umständen ergeben: etwa daraus, dass einer von zwei als Fahrer in Betracht kommenden Personen das Unfallfahrzeug gemietet hat und die dafür erforderliche Fahrerlaubnis besaß, während dem anderen die für dieses Fahrzeug erforderliche Fahrerlaubnis fehlte. 360 Dass der Beifahrer Halter/Eigentümer des Fahrzeugs oder naher Verwandter, insbesondere Ehepartner des Fahrers ist, reicht zur Begründung dieses Verdachtes für sich allein ebenfalls nicht aus; 3 6 1 auch in solchen Fäl-

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Missverständlich KG VRS 50 (1976) 4 0 und OLG Köln VRS 4 5 (1973) 4 4 0 . BGH VRS 2 4 (1963) 35; so auch schon OLG Hamm VRS 15 (1958) 2 6 5 und OLG Köln VRS 75 (1988) 342. So zu Recht auch BayObLG N Z V 2 0 0 0 133 in einem Fall, in dem sich entgegen früherer konkreter Gegenindizien nachträglich herausgestellt hat, dass der Halter wirklich nur Beifahrer war. OLG Köln N Z V 1989 78 (kritisch Schild NZV 1989 79). Zu einem ähnlichen Fall auch BayObLG N Z V 2 0 0 0 133. OLG Düsseldorf VM 1976 Nr. 30 und OLG Köln VRS 75 (1988) 343. Ständige Rechtsprechung: BGHSt 25 365 sowie zuletzt OLG Köln N Z V 1998 37, je m.w.N. So unmissverständlich deutlich und zutreffend OLG Frankfurt a.M. N Z V 1997 125

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und zuvor schon in NStZ-RR 1996 86; zustimmend Schild NK Rdn. 53. OLG Zweibrücken (Beschl. v. 12.2.1982 1 Ss 3 2 / 8 2 ) : zit. nach VRS 75 (1988) 293. Bedenklich, doch - soweit ersichtlich - seitens des BGH später nicht mehr wiederholt jedoch BGHSt 15 1 (5). Auf gleicher Linie später aber auch OLG Celle M D R 1966 432, OLG Hamburg VRS 55 (1978) 3 4 7 sowie mehrfach vor allem BayObLG: so etwa bei Rüth DAR 1982 249, DAR 1984 2 4 0 und DAR 1985 241 sowie zuletzt N Z V 1993 35; wie hier auch Schild NK Rdn. 53. Deutlich strenger jedoch Zopfs MK Rdn. 4 2 : Maßgeblich sei ein erwiesenes tatsächliches Verhalten; daher gehe es nicht an, mit Hilfe von Abs. 5 auf ein nur möglicherweise vollzogenes Verhalten abzustellen.

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len muss konkret belegt sein, dass der Beifahrer entweder selbst das Fahrzeug geführt/die Fahrweise des Fahrers beeinflusst oder auf andere Weise zur Verursachung des aktuellen Unfallgeschehens beigetragen haben könnte. 3 6 2 Auch dass der Betroffene sich gegen die Beschlagnahme des Führerscheins nicht gewehrt hat, rechtfertigt nicht den Verdacht auf die Täterschaft. 363 48

3. Weitere beteiligte Personen. Die Feststellungen, die ein Unfallbeteiligter nach den Absätzen 1 bis 3 zu ermöglichen hat (ausführlich dazu Rdn. 95 ff und 122 ff), muss er

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a) zugunsten der anderen Unfallbeteiligten (dazu schon Rdn. 35 ff) und der Geschädigten ermöglichen. Dies folgt aus dem geschützten Rechtsgut, das bekanntlich darin besteht, Feststellungen zur Klärung der durch einen Verkehrsunfall entstandenen zivilrechtlichen Ansprüche zu sichern (Rdn. 1). Damit ist der Kreis der feststellungsfcerec/tfigten Personen bezeichnet, von dem in Abs. 3 S. 1 und dort mit Bezug auf Abs. 1 Nr. 1 die Rede ist. 3 6 4 Diese Personengruppe ist nicht zu verwechseln mit dem Kreis „feststellungsbereiter" (nachfolgend Rdn. 51 ff) 3 6 5 und auch nicht mit der Gruppe „feststellungsduldungspflichtiger" Personen (dazu nachfolgend Rdn. 100 ff).

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b) Geschädigt ist jeder, der durch den Verkehrsunfall einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch erlangt hat. Geschädigt ist somit der Eigentümer des bei dem Unfall beschädigten Fahrzeugs bzw. der dabei beschädigten Sachen ebenso wie ein körperlich Verletzter (auch der verletzte Mitfahrer) oder die Unterhaltsberechtigten einer bei dem Unfall getöteten oder verletzten Person. 366 Häufig wird die Person des Geschädigten mit der eines anderen Unfallbeteiligten zusammenfallen; in diesem (und nur in diesem) Fall gilt die Wartepflicht auch für den Geschädigten. Ist der Geschädigte nicht zugleich unfallbeteiligt, kommt nach erfolgtem Unfall aber an die Unfallstelle, darf er diese jederzeit wieder verlassen, selbst wenn ein Unfallbeteiligter für nähere Feststellungen seine Anwesenheit am Unfallort verlangt (dazu schon Rdn. 38). Das Feststellungsrecht des Geschädigten setzt nicht notwendig dessen Anwesenheit am Unfallort voraus und hängt auch nicht davon ab, ob er von der Schädigung Kenntnis erlangt hat oder nicht. 3 6 7 Zu teleologischer Reduzierung des Tatbestandes bei Selbstschädigungen oder in anderen Fällen von Feststellungsverzicht nachfolgend Rdn. 71 ff.

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c) Feststellungsbereite Personen. Im Rahmen des Absatzes 1 ist im Hinblick auf die verbotene Tathandlung danach zu differenzieren, ob im Augenblick des Sichentfernens vom Unfallort (dazu Rdn. 118 ff) Personen am Unfallort anwesend sind, die „bereit" waren, „die Feststellungen zu treffen". Feststellungsbereit in diesem Sinn sind neben den (am Unfallort anwesenden) Geschädigten und den anderen Unfallbeteiligten zunächst einmal alle Personen, die wie insbesondere die Polizei schon kraft Amtes zur Aufnahme

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Zutreffend BayObLG (Beschl. v. 1 6 . 5 . 1 9 7 5 1 St 1 5 5 / 7 5 ) : zit. nach Rüth D A R 1 9 7 6 174.

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Zutreffend O L G H a m m ZfS 1 9 9 1 3 2 1 ; zu-

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Mit einschlägigen Rechtsprechungsnachweisen vor allem Himmelreich/Bücken Rdn. 1 6 9 ff; s. dazu auch Schild NK Rdn. 5 5 .

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Sprachlich ungenau Bär D A R 1 9 8 3 215,

stimmend Schild NK Rdn. 53.

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dessen Ausführungen zu den „Feststellungsberechtigten i.S. von § 1 4 2 Abs. 1 StGB" sich in Wahrheit auf die „feststellungsfcereiten" Personen beziehen. 366 M l t einschlägigen Rechtsprechungsnachweisen dazu auch Himmelreich/Bücken Rdn. 171 und 171a. 367

Missverständlich O L G Bremen J R 1 9 7 2 2 9 5 (klarstellend Schröder a a O S. 2 9 6 ) .

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

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des Unfalles und im Zusammenhang damit verpflichtet sind, die Personalien der Unfallbeteiligten, die Kennzeichen ihrer Fahrzeuge und die Art ihrer Beteiligung am Unfall festzustellen. 368 Weil es an sich nicht zu ihren Aufgaben gehört, geeignete Ermittlungen zur Aufklärung des Unfallgeschehens durchzuführen, können Angehörige der Feuerwehr, 369 eines Abschleppunternehmens 370 oder zu Erster Hilfe an den Unfallort gerufenes Sanitätspersonal (Notarzt, Sanitäter usw.) nur dann als feststellungsbereite Personen angesehen werden, wenn sie zur Durchführung solcher Feststellungen und zu ihrer Weitergabe an den Geschädigten im Einzelfall auch tatsächlich bereit sind. 371 Feststellungsbereit können aber auch (am Unfallort anwesende oder hinzukommende) unbeteiligte Dritte (Zuschauer, Passanten, Nachbarn u.ä.) sein, sofern sie erkennbar fähig und auch willens sind, zugunsten aller Unfallbeteiligten und der/des Geschädigten und nicht etwa einseitig im Interesse nur eines Beteiligten die zur späteren Schadensfeststellung erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu treffen und das Ergebnis ihrer Bemühungen zur Kenntnis des/der Geschädigten zu bringen. 3 7 2 Ist der unbeteiligte Dritte nur dazu bereit, die Polizei, den Notarzt oder die Feuerwehr oder auch nur den Geschädigten zu benachrichtigen, genügt dies nicht; er muss auch willens und in der Lage sein, selbst die erforderlichen Feststellungen zu treffen und zur Kenntnis des Berechtigten zu bringen. 373 Die Bereitschaft zur Weitergabe der zu treffenden Feststellungen an einen (von mehreren) Feststellungsberechtigten genügt, wenn nach Lage des Falles zu erwarten ist, dass dieser die Feststellungen an alle weitergeben wird. 3 7 4 Die gleichen Überlegungen gelten für Beifahrer. Sind diese z.B. als Ehegatte, sonstiger Angehöriger oder Freund/ Bekannter des Fahrers ersichtlich nicht willens, die erforderlichen Feststellungen zugunsten aller Beteiligten zu treffen und alle Feststellungsberechtigten auch neutral über das Ergebnis ihrer Feststellungen zu informieren, kommen sie als feststellungsbereite Personen nicht in Betracht; 3 7 5 allein die Bereitschaft, den Geschädigten nur über den Unfall als solchen in Kenntnis zu setzen, genügt daher ebenfalls nicht. 376 Zur Feststellung am Unfallort ungeeignet sind Personen, von denen augenfällig nicht zu erwarten ist, dass sie vor Ort zuverlässig die tatsächlich erforderlichen Feststellungen treffen und später dazu sachdienliche Angaben machen können (z.B. Kinder, Betrunkene, durch den Unfall ver-

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BayObLG DAR 1993 31, OLG Zweibrücken DAR 1982 332, OLG Stuttgart NJW 1978 900 und OLG Celle NdsRpfl 1978 287. Ebenso schon Bär DAR 1983 217 sowie nunmehr auch Schild NK Rdn. 61 und Zopfs MK Rdn. 53. KG VRS 67 (1984) 262. OLG Karlsruhe VRS 22 (1962) 442. KG VRS 67 (1984) 262 und OLG Karlsruhe VRS 22 (1962) 442; zu eng wohl Jäger HK Rdn. 72. So mehrfach das BayObLG: 1 St 210/63 nach Rüth DAR 1964 240, 2 St 132/81 nach Rüth DAR 1982 249, VRS 64 (1983) 119 und 1 St 126/90 nach Bär DAR 1991 366; ebenso OLG Koblenz NZV 1996 324, OLG Zweibrücken DAR 1991 431, KG VRS 67 (1984) 262, OLG Köln VRS 64 (1982) 193 und VRS 63 (1982) 352, OLG Stutgart VRS

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60 (1981) 301 sowie wiederum OLG Köln StV 2002 363: alle m.w.N. Auf dieser (weiten) Linie auch die hM im Schrifttum: so schon Berz DAR 1975 312 und Janiszewski Rdn. 504a sowie die einschlägige ältere und neuere Kommentarliteratur (Lackner/Kühl Rdn. 16, Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 32, Fischer Rdn. 24 und Zopfs MK Rdn. 53). KG VRS 67 (1984) 262 sowie OLG Köln StV 2002 363. So schon Berz DAR 1975 312 und ihm folgend Schild NK Rdn. 61. OLG Koblenz NZV 1996 324, OLG Zweibrücken DAR 1991 431, OLG Köln VRS 63 (1982) 353 sowie BayObLG (2 St 132/81) nach Rüth DAR 1982 249. OLG Köln VRS 63 (1982) 353 und BayObLG VRS 64 (1983) 119.

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letzte oder unter Schock stehende oder anderweitig beanspruchte Personen usw.). 377 Ob eine an sich unbeteiligte Person zur Feststellung der erforderlichen Tatsachen bereit ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles a b ; 3 7 8 z.B. von Art und Schwere des Unfalls, den äußeren Bedingungen, unter denen der Unfall sich ereignete oder die erforderlichen Feststellungen durchzuführen sind (Verkehrsdichte, Wetter, Tageszeit usw.), oder von den Beziehungen der feststellungsfcereiiew zu den ieststellungsberechtigten Personen, in deren Interesse im Übrigen ein strenger Maßstab angebracht ist. Zu weit dürften allerdings Bär379 und ihm folgend nunmehr auch Schild380 gehen, wenn sie nur solche zur Feststellung an sich bereiten Personen auch als dazu „berechtigt" anerkennen wollen, die als Beauftragte oder jedenfalls in Art eines Geschäftsführers ohne Auftrag in einer persönlich engeren Beziehung (z.B. als Angehöriger oder Nachbar) zu dem Geschädigten oder einem Unfallbeteiligten stehen. 381 Nicht zu folgen ist auch jener Ansicht, die es schon als Verletzung der in Abs. 1 normierten Vorstellungs- und Ermöglichungspflicht ansieht, wenn ein Unfallbeteiligter anwesende oder am Unfallort eintreffende feststellungsbereite Personen sich entfernen lässt. 382 Die Feststellungen, die zu treffen sind und zu deren Durchführung die Person bereit und in der Lage sein muss, beziehen sich im Übrigen nur auf die Klarstellung zivilrechtlicher Haftungsfragen, nicht aber auf das Interesse der Allgemeinheit an der Strafverfolgung z.B. eines alkoholisierten Verkehrsteilnehmers. 383 Zur Frage, inwieweit feststellungsbereite Dritte mit Wirkung für den Geschädigten auf weitere Feststellungen verzichten können, nachfolgend Rdn. 77 sowie zur Frage, wann trotz Vorhandensein feststellungsbereiter Dritter auf Wunsch des Geschädigten oder anderer Unfallbeteiligten das Erscheinen der Polizei abgewartet werden muss, s. nachfolgend Rdn. 109. 53

4. Im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut definiert sich der „Unfallort" zunächst danach, ob der Täter an dieser Stelle unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 1 der ihm auferlegten Pflicht, dem Unfallgegner oder einer sonstigen feststellungsbereiten Person seine Unfallbeteiligung zu offenbaren und Feststellungen seiner Person, seines Fahrzeuges und der Art seiner Beteiligung vor Ort zu ermöglichen, nachkommen kann oder ob im Fall der Nr. 2 bei Fehlen von feststellungsbereiten Personen ein anderer Unfallbeteiligter oder eine feststellungsbereite Person den Täter unter den gegebenen Umständen noch als wartepflichtigen Unfallbeteiligten vermuten und ggf. durch Befragen als solchen ermitteln kann. 3 8 4 Von hier aus definiert sich der Unfallort als der Bereich, in dem der Unfallbeteiligte seine Pflicht, einem Berechtigten seine Unfallbeteiligung zu offenbaren, erfüllen kann oder in dem - unabhängig davon - eine feststellungsbereite Person unter den gegebenen Umständen einen zum Warten verpflichteten Unfallbeteiligten als solchen

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OLG Oldenburg RdK 1954 16 und OLG Neustadt VRS 14 (1958) 4 4 0 (Kinder), OLG Köln VRS 66 (1984) 128 (schwer verletzter Unfallgegner) und OLG Koblenz VRS 71 (1986) 187. Zustimmend im Schrifttum: vgl. für viele Janiszewski Rdn. 504a, Bär/Hauser/Lehmpuhl I/6d, Himmelreich/Bücken Rdn. 181 und Zopfs MK Rdn. 53. OLG Köln StV 2 0 0 2 363. DAR 1983 215 ff. Schild NK Rdn. 61. Auf dieser einschränkenden Linie wohl auch Jäger HK Rdn. 70.

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So aber Schild NK Rdn. 61: dort zugleich aber einräumend, dass der Unfallbeteiligte den Normbefehl jedoch gegenüber später eintreffenden feststellungsbereiten Personen erfüllen (und die frühere Normverletzung damit heilen) kann, sofern noch erfolgversprechende Feststellungen möglich sind. Zutreffend OLG Zweibrücken DAR 1991 431 und OLG Koblenz NZV 1996 324. So zu § 142 a.F. schon BGH NJW 1955 310.

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noch vermuten würde; dabei ist auf die Vorstellung eines im unmittelbaren Unfallbereich zurückgebliebenen Unfallbeteiligten, andernfalls auf eine - gedachte - später hinzukommende feststellungsbereite Person abzustellen. 385 Wenngleich die räumliche Bestimmung dieses Bereichs maßgeblich von den besonderen Umständen des Einzelfalles abhängt, hat die Rechtsprechung den Radius des so verstandenen „Unfallortes" im Interesse eines wirksamen Rechtsgüterschutzes bisher allgemein eher eng gehalten. 3 8 6 Unfallort ist danach zunächst einmal die eigentliche Unfallstelle, an der sich der Unfall ereignet hat und der Schaden (wenngleich nicht unbedingt bemerkt, so doch) eingetreten ist. 3 8 7 Sind Fahrzeuge an dem Unfall beteiligt, wird dies in aller Regel dort der Fall sein, wo die Fahrzeuge nach einer Kollision zum Stehen gekommen sind 3 8 8 oder unter Beachtung der den Fahrer bei geringfügigem Schaden treffenden Pflicht, unverzüglich beiseite zu fahren (§ 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO), hätten angehalten werden können. 3 8 9 Dem Schutzzweck der Norm entsprechend gehört zum Unfallort aber auch der räumliche Nahbereich der Unfallstelle, bei der noch ein räumlicher Bezug zum eigentlichen Unfallort dergestalt vorhanden ist, dass ein anderer Unfallbeteiligter/eine feststellungsbereite Person den Täter nach Lage des Falles unschwer als wartepflichtigen Unfallbeteiligten erkennen oder als solchen jedenfalls noch vermuten k a n n ; 3 9 0 auch dabei ist auf die Erkennungsmöglichkeiten eines an der eigentlichen Unfallstelle zurückgebliebenen (anderen) Unfallbeteiligten oder eines feststellungsbereiten Dritten abzustellen. 391 Wie weit dieser Nahbereich reicht, lässt sich nicht in exakten Meterangaben bezeichnen und ist im Übrigen weder pedantisch e n g 3 9 2 noch bewusst weit zu begreifen, sondern nach den Umständen des Falles maßgeblich davon abhängig, ob für die anderen Unfallbeteiligten oder für feststellungsbereite Dritte (von der eigentlichen Unfallstelle aus) noch ein räumlicher Bezug des wartepflichtigen Täters zum unmittelbaren Unfallgeschehen als dem Ort der erforderlichen Feststellungen zu erkennen ist. So kann eine metermäßig nur geringe räumliche Spanne zum räumlichen Nahbereich der eigentlichen Unfallstelle schon für ein vollendetes Sichentfernen ausreichen, wenn der wartepflichtige Täter nach Lage der Dinge ersichtlich nicht willens ist, sich dem Normbefehl des Absatzes 1 (Verbot, sich zu entfernen) zu beugen: also wenn z.B. ein anderer Unfallbeteiligter, ein Polizeibeamter oder eine andere feststellungsbereite Person sofort nach dem Unfall die Verfolgung des

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So schon OLG Karlsruhe NStZ 1988 410 und OLG Stuttgart NStZ 1992 385; dem folgend nunmehr auch OLG Jena DAR 2 0 0 4 600. Vgl. nur OLG Karlsruhe NStZ 1988 410 und OLG Jena DAR 2 0 0 4 6 0 0 : je m.w.N. Auf dieser Linie erst jüngst auch Küper NStZ 2 0 0 8 603 und Blum N Z V 2 0 0 8 4 9 6 . Insoweit unbestritten: vgl. für viele nur Cramer 51 und Berz NStZ 1992 591 sowie erst jüngst Küper NStZ 2 0 0 8 603. So auch OLG Hamm (Z) N Z V 2 0 0 3 291 zu einem Fall, bei dem der Kraftfahrer nach einer Kollision mit einer Autobahn-Leitplanke erst ca. 100 bis 150 Meter später zum Halten gekommen ist. Hat ein Lkw eine äußere Reifendecke verloren und sich daraus später ein Unfall entwickelt, ist unmittelbare Unfallstelle in

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diesem Sinn der Ort, wo der spätere Unfall eingetreten ist: OLG Karlsruhe NStZ 1988 4 0 9 (mit Anm. Janiszewski S. 410). OLG Hamm DAR 1978 139, KG DAR 1 9 7 9 22, BayObLG VRS 56 (1979) 439, OLG Karlsruhe NStZ 1988 409, OLG Stuttgart DAR 1 9 8 0 2 4 8 und NStZ 1992 und OLG Köln N J W 1 9 8 9 1684. Auf dieser engen Linie im Schrifttum auch Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 43, Schild NK Rdn. 61, Zopfs MK Rdn. 53 und Küper J Z 1981 215; so schon Sturm J Z 1975 407, Janiszewski DAR 1975 172 und Berz DAR 1975 310. OLG Karlsruhe NStZ 1988 409, OLG Stuttgart NStZ 1992 385 und OLG Jena DAR 2004 600. Zu Recht warnend Küper J Z 1981 215 sowie ders. erst jüngst in NStZ 2 0 0 8 603.

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Täters aufnimmt und ihm, ohne ihn aus den Augen zu verlieren, hinterherfährt, bis er ihn stellen kann. 3 9 3 Für eine restriktive Sichtweise spricht in solchen Fällen nicht zuletzt die Amtliche Begründung, 3 9 4 ausweislich deren die Ersetzung des Tatbestandsmerkmales „Entziehung durch Flucht" (§ 142 a.F.) durch „Sichentfernen vom Unfallort" (§ 142 n.F.) ein maßgeblicher Grund dafür war, die Grenzlinie der Tatbestandserfüllung zeitlich vorzuverlegen und auf die frühere Versuchsstrafbarkeit zu verzichten. 395 Eine deutlich großzügigere Sichtweise (also: noch kein vollendetes Verlassen des Nahbereichs) ist jedoch angebracht, wo ein äußerlicher Zusammenhang mit dem eigentlichen Unfallgeschehen noch vorhanden und die räumliche Absetzbewegung des wartepflichtigen Täters ersichtlich von seinem Bestreben getragen ist, der gesetzlichen Wartepflicht in verkehrssicherer Weise gerecht zu werden oder sich selbst bzw. sein Fahrzeug nicht zu gefährden. 3 9 6 Der räumliche Nahbereich der Unfallstelle ist aber verlassen, wenn die Feststellungen vor Ort dadurch gefährdet werden und der Wartepflichtige als solcher seitens feststellungsbereiter Personen nach Lage der Dinge kaum mehr zu ermitteln ist. 3 9 7 Ein so verstandener Nahbereich kann weiter reichen als die Pflicht des § 34 I Nr. 2 StVO, nach einem Verkehrsunfall den Verkehr zu sichern und bei geringfügigem Schaden unverzüglich beiseite zu fahren. 3 9 8 Vom „Unfallort" hat sich jedoch entfernt, wer als wartepflichtiger Unfallbeteiligter auch den räumlichen Nahbereich der eigentlichen Unfallstelle verlassen hat: z.B. um nach der Beschädigung einer Leitplanke vom nächstgelegenen Autobahnparkplatz oder von einem Streckentelephon aus die Polizei/Versicherung zu benachrichtigen 3 9 9 oder um sich, selbst wenn den anderen Unfallbeteiligten mitgeteilt, in seine Wohnung oder eine nahegelegene Gaststätte zu begeben und dort das Eintreffen der Polizei abzuwarten. 4 0 0 In diesen Fällen war nach früherer Gesetzeslage eine Verkehrsunfallflucht verneint worden, weil der Unfallbeteiligte sich für Feststellungen durchaus zur Verfügung halten und sich ihnen keineswegs „durch Flucht" entziehen wollte. 4 0 1 Angesichts der bewusst neuen

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So unter Abweichung von seiner früheren gegenteiligen Rechtsprechung (NdsRpfl 1976 44) und im Anschluss an BayObLG MDR 1976 3 3 0 nachdrücklich OLG Celle (1 Ss 2 3 / 7 7 ) NdsRpfl 1977 169; ebenso OLG Düsseldorf VM 1976 Nr. 41 (Polizist holt den flüchtenden Täter nach zwei Straßenecken ein), KG VRS 35 (1968) 2 6 8 (Verfolgung durch feststellungsbereite Personen) sowie BayObLG (2 St 299/75) nach Rüth DAR 1977 203. BTDrucks. 7 / 2 4 3 4 , S. 7. Vgl. dazu vor allem OLG Karlsruhe NStZ 1988 4 0 9 (mit Anm. Janiszewski) sowie zuvor schon OLG Celle NdsRpfl 1977 169, KG DAR 1 9 7 9 2 2 und BayObLG VRS 56 (1979) 4 3 8 ; ebenso Blum N Z V 2 0 0 8 4 9 6 . OLG Bremen VRS 52 (1977) 4 2 3 , OLG Hamm VRS 54 (1978) 4 3 3 und BayObLG (1 St 50/76) nach Rüth DAR 1977 203. OLG Bremen VRS 52 (1977) 4 2 3 , OLG Hamm VRS 54 (1978) 4 3 3 und VRS 68 (1985) 111, OLG Köln VRS 6 0 (1981) 4 3 4 und N Z V 1989 198 (mit Anm. Bernsmann

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aaO). Auch insoweit im Schrifttum (jedenfalls als Regel) heute wohl unbestritten: vgl. statt vieler nur Rudolphi SK Rdn. 35, Sehl Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 43, Zopfs MK Rdn. 53 und Schild NK Rdn. 61: alle m.w.N. Zu Recht hat das OLG Jena (DAR 2 0 0 4 5 9 9 ) die nahegelegene Wohnung eines Freundes nicht als noch ausreichenden Nahbereich eines „Unfallortes" anerkannt. Zutreffend Küper J Z 1981 215 und NStZ 2 0 0 8 6 0 3 sowie Rudolphi SK Rdn. 35. OLG Hamm N Z V 2 0 0 3 291. OLG Jena DAR 2 0 0 4 600. Zu früherer Gesetzeslage s. OLG Oldenburg NJW 1955 192, BayObLG JR 1969 4 2 9 (mit Anm. Schröder), OLG Karlsruhe GA 1970 311 und OLG Hamburg VM 1973 Nr. 93 sowie LG Bonn J Z 1972 532 (Täter verlässt die Unfallstelle, um einen anderen flüchtigen Unfallbeteiligten zu verfolgen und zu stellen). Diesbezüglich zur neuen Gesetzeslage Janiszewski DAR 1975 173 und Berz DAR 1975 310.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

Gesetzesformulierung und im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm, Feststellungen möglichst vor Ort und bei Anwesenheit aller Unfallbeteiligten zu ermöglichen, verbietet es sich, die Begriffe des „Unfallortes" und des Sichentfernens vom Unfallort nach wie vor durch „Flucht"momente teleologisch zu erweitern. 4 0 2 Der Begriff des „Unfallortes" muss vom Begriff des (den anderen Unfallbeteiligten tatsächlich oder mutmaßlich bekannten) „Aufenthalts"ortes des Täters, wo dieser für die anderen Unfallbeteiligten jederzeit erreichbar ist, unterschieden werden. In Fällen dieser Art ist allenfalls an einen tatbestandsausschließenden Feststellungsverzicht (nachfolgend Rdn. 76 ff) oder an mögliche Rechtfertigungsgründe (nachfolgend Rdn. 193) zu denken; zu beachten bleiben jedoch auch hier gegebenenfalls die nachträglichen Pflichten des Absatzes 2 . 4 0 3 Zu weiteren Fragen vollendeten Sichentfernens vom Unfallort s. nachfolgend Rdn. 118 ff. Nach derzeitiger Gesetzeslage ist ein Sichentfernen von einem anderen als dem Unfallort nicht möglich. 4 0 4 Hat ein Unfallbeteiligter den Unfall erst bemerkt, nachdem er den Unfallort bzw. dessen räumlichen Nahbereich verlassen hat, 4 0 5 trifft ihn der Normbefehl des Absatzes 1 nicht mehr und folglich ist der Unfallbeteiligte dann auch nicht mehr zu den Mitteilungen des Absatzes 2 verpflichtet (früher umstritten; näher dazu Rdn. 133 ff). Gleiches gilt, wenn ein Unfallbeteiligter von der Möglichkeit eines Unfalls erst außerhalb des zum „Unfallort" gehörenden räumlichen Nahbereichs erfährt und sich zunächst zu Fuß an die mögliche Unfallstelle zurückbegeben will, dann aber noch außerhalb des räumlichen Nahbereichs halt macht und schließlich doch nicht zur Unfallstelle zurückkehrt. 4 0 6 Nur wenn der Täter den Unfall bemerkt, sich aber berechtigterweise vom Unfallort entfernt hat (z.B. um ein schwerverletztes Unfallopfer in das Krankenhaus zu bringen oder sich selbst in ärztliche Behandlung zu begeben), kommt eine Strafhaftung nach Absatz 2 in Betracht (dazu Rdn. 124 ff). Kehrt ein Unfallbeteiligter nach verspäteter Kenntniserlangung von dem Unfall jedoch an den Unfallort zurück und sind dort noch Feststellungen zur Unfallverursachung möglich, bleibt Absatz 1 anwendbar (umstritten; dazu schon Rdn. 37 f).

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ΙΠ. D a s U n r e c h t des Delikts im Allgemeinen 1. Grundstruktur des Straftatbestandes. Nach einem Unfall im Straßenverkehr (Rdn. 20 ff) hat jeder daran beteiligte mögliche Unfallverursacher (zum Begriff des „Unfallbeteiligten" Rdn. 35 ff) ausweislich von § 34 StVO ein Bündel bestimmter Pflichten zu erfüllen, die sich mit den Verhaltenspflichten des § 142 StGB jedoch nicht völlig

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So tendenziell im Schrifttum aber nach wie vor Lackner/Kühl Rdn. 11 sowie Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 1 49/28 (S. 623); so wohl auch Schild NK Rdn. 82. Wie hier jedoch Küper NStZ 2 0 0 8 601. Ebenso Küper J Z 1981 215 und Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 4 3 sowie erst jüngst Krumm N Z V 2 0 0 8 498. Zutreffend OLG Karlsruhe NStZ 1988 4 0 9 (zustimmend Janiszewski aaO S. 410). So war es erst jüngst im Fall von OLG Düsseldorf N Z V 2 0 0 8 107 = DAR 2 0 0 8 154 (zustimmend Geppert, JK 8/08, StGB

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§ 142/24): Kein räumlich-zeitlicher Zusammenhang mit der eigentlichen Unfallstelle, wenn der Unfallbeteiligte nach dem Unfall innerorts gut fünf Minuten weitergefahren ist und in dieser Zeit etwa drei Kilometer zurückgelegt hat. Dem zustimmend (jedenfalls im Ergebnis) auch Küper NStZ 2 0 0 8 6 0 2 ; skeptisch demgegenüber Blum (NZV 2 0 0 8 496): der „räumlich-zeitliche Zusammenhang" zur eigentlichen Unfallstelle sei nicht „zu eng" zu begreifen, sondern bis zur Beendigung des Sichentfernens zu erstrecken. OLG Karlsruhe NStZ 1988 409.

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§ 142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

decken (zu Übereinstimmungen und Verschiedenheiten nachfolgend Rdn. 66 f). Die fehlende Kongruenz mit § 142 und die allseits beklagte Unübersichtlichkeit dieses strafbewehrten Normbefehls mit seinem gestaffelten und miteinander zusammenhängenden System unterschiedlicher Pflichten ist nicht Folge gesetzgeberischen Unvermögens, sondern ersichtlicher Ausdruck seines Bemühens, dem geschützten Rechtsgut möglichst großen Schutz zuteil werden zu lassen, ohne dabei den verfassungsrechtlich gebotenen Respekt vor dem grundsätzlich nach Straffreiheit drängenden Selbstbegünstigungsgedanken zu verletzen (dazu nachfolgend Rdn. 63 ff). Tatbestandsmäßig sind somit allein die Verhaltensweisen des Unfallbeteiligten, mit denen er gegen seine in den Absätzen 1 bis 3 näher ausgestalteten Pflichten verstößt, die allesamt darauf hinauslaufen, den anderen Unfallbeteiligten und den Geschädigten die in Abs. 1 Nr. 1 näher beschriebenen Feststellungen zu ermöglichen. 58

a) Verhältnis der einzelnen Tatbestandsalternativen zueinander. Zwecks bestmöglicher Sicherung der zivilrechtlichen Beweislage zielt Abs. 1 darauf ab, Feststellungen zum Unfallgeschehen primär am Unfallort selbst zu ermöglichen, und zwar bei möglichst geringer zeitlicher Verzögerung. Der Normbefehl des Abs. 1 an den Unfallbeteiligten lautet danach: „Du sollst Dich nicht vom Unfallort entfernen, bevor Du nicht (alternierend) entweder die Pflicht der Nr. 1 {an sieb nur passive Wartepflicht zur Duldung von Feststellungen durch andere, doch aktive Angabe der eigenen Unfallbeteiligung) oder der Nr. 2 (Pflicht, eine angemessene Zeit zu warten) erfüllt hast!" Wie ein Umkehrschluss aus Nr. 2 zeigt, setzt die Nr. 1 feststellungsbereite Personen (zu diesem Begriff schon Rdn. 51 f) am Unfallort voraus. Die Nr. 2 hingegen betrifft die Konstellation, dass keine feststellungsbereiten Personen am Unfallort anwesend sind; in diesem Fall hat der Unfallbeteiligte „eine nach den Umständen angemessene Zeit" zu warten. Mit Abs. 2 hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich strafbaren unerlaubten Sichentfernens vom Unfallort gegenüber der früheren Gesetzeslage bewusst erweitert. So wird nunmehr auch der Unfallbeteiligte, der sich ohne Verstoß gegen § 142 Abs. 1 vom Unfallort entfernt hat, unter Strafdrohung verpflichtet, die Feststellungen, wie sie in Abs. 1 Nr. 1 beschrieben sind, wenigstens „nachträglich (zu) ermöglichen", und zwar „unverzüglich". Dabei gibt Abs. 3 der Vorschrift (beispielhafte, doch nicht abschließende) Hinweise dafür, was der Unfallbeteiligte („unverzüglich") zu tun hat. Diese Pflicht knüpft an die von der Rechtsprechung zur früheren Gesetzesfassung entwickelte Rückkehrpflicht an, erweitert diese aber beträchtlich; denn unter den Voraussetzungen des neuen Abs. 2 ist der Unfallbeteiligte nunmehr verpflichtet, durch eigenes aktives Handeln jedenfalls nachträglich die (nach Abs. 1 Nr. 1) erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Zu mehr ist der Unfallbeteiligte jedoch auch unter den Bedingungen des neuen Abs. 2 nicht verpflichtet; insbesondere ist er nicht verpflichtet, die gebotenen Feststellungen durch eigene Aktivitäten zu ermöglichen oder zu erleichtern. 407 Im Vergleich zur früheren Gesetzeslage ist ihm damit gleichwohl eine deutlich intensivierte Pflicht zur Aktivität aufgebürdet, wodurch jedenfalls der indirekte Zwang zu strafrechtlicher Selbstbelastung unverkennbar größer geworden ist, was seinerseits zu verfassungsrechtlichen Friktionen führt (nachfolgend Rdn. 63 f).

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Ist maßgeblich primär das Handlungsgebot des Absatzes 1, folgt daraus ein Dreifaches: (1) Hat ein Unfallbeteiligter die ihm nach Nr. 1 dieses Absatzes obliegenden Pflichten vollständig und korrekt erfüllt, ist die in Abs. 2 vorgesehene Ergänzungs- oder

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So auch BTDrucks. 7 / 2 4 3 4 , S. 7 f.

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Nachholpflicht für ihn gegenstandslos; er bleibt endgültig straffrei. 4 0 8 (2) Hat der Unfallbeteiligte hingegen die ihm durch Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 auferlegten Pflichten verletzt, ohne dass zu seinen Gunsten ein Rechtfertigungs- oder ein Entschuldigungsgrund eingreift, hat er sich nach Maßgabe von Abs. 1 zu verantworten. Auch in diesem Fall bleibt Abs. 2 gegenstandslos; selbst die nachträgliche Ermöglichung von Feststellungen ist dann nicht imstande, die bereits verwirklichte Tatbestandsmäßigkeit nachträglich wieder aufzuheben. 4 0 9 (3) Ist der Unfallbeteiligte den ihm durch Abs. 1 auferlegten Pflichten aber nicht nachgekommen, hat sich jedoch „berechtigt oder entschuldigt" oder erst nach Ablauf einer angemessenen Wartefrist vom Unfallort entfernt, entsteht für ihn nach Maßgabe von Abs. 2 eine dem Unverzüglichkeitsgebot unterstehende Pflicht, die erforderlichen Feststellungen wenigstens nachträglich zu ermöglichen. b) Lässt sich nicht abschließend klären, ob der Unfallbeteiligte seiner Wartepflicht nachgekommen ist oder diese zwar erfüllt, es dann aber unterlassen hat, nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 nachträglich die gebotenen Feststellungen zu ermöglichen, ist eine Wahlfeststellung zwischen Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 möglich; denn es handelt sich um (wichtig: rechtsethisch und psychologisch vergleichbare) verschiedene Begehungsformen des gleichen Straftatbestandes. 410 Sind tatrichterlich jeweils auch die Voraussetzungen zur inneren Tatseite rechtsfehlerfrei festgestellt, kann auf der Grundlage dieser Feststellungen das Revisionsgericht die wahlweise Verurteilung selbst aussprechen. 411

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2. Verfassungsrechtliche Aspekte. Die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift wird vereinzelt aus doppeltem Grund in Frage gestellt:

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a) zum einen unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsprinzips (Art. 103 Abs. 2 GG), und zwar vor allem bezüglich der reichlich unpräzisen Formulierung der Wartefrist in Abs. 1 Nr. 1 („eine nach den Umständen angemessene Zeit"?) sowie im Hinblick darauf, dass die Absätze 2 und 3 der Vorschrift letztlich offenlassen, ob dem Unfallbeteiligten noch andere als die dort genannten Wege zu unverzüglicher Ermöglichung der Feststellungen verbleiben. 412 Angesichts zwischenzeitlich gefestigter Rechtsprechung hält die h.M. die Schwelle zur Verfassungswidrigkeit diesbezüglich jedoch noch nicht für überschritten, 413 zumal den Belangen der Geschädigten auch bei falsch eingeschätzter, d.h. zu schneller Abkürzung einer „angemessenen" Wartefrist durch die Nachholpflicht des neuen Absatzes 2 stärker als nach früherer Gesetzeslage Rechnung getragen ist. Ungeachtet dessen wird selbst mancher Volljurist allein nach der Lektüre des Gesetzeswortlautes und gegebenenfalls in Unkenntnis einer allenfalls noch für Fachleute überschaubaren Fülle einschlägiger Judikatur bei eigener Unfallbeteiligung oft kaum so recht wissen, was zu tun oder zu unterlassen ihm durch das Normengeflecht des § 142 unter Androhung kriminalstrafrechtlicher Folgen zwingend aufgegeben oder

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Von Anfang an unbestritten: vgl. statt vieler nur OLG Köln VRS 64 (1983) 193 sowie OLG Hamburg NJW 1 9 7 9 439. OLG Köln VRS 6 3 (1982) 3 5 2 sowie DAR 1994 2 0 4 . BayObLG (1 St 185/79) nach Rüth DAR 1980 265 und OLG Köln VRS 64 (1983) 119; zustimmend Janiszewski Rdn. 559, Lackner/ Kühl Rdn. 4 2 und Rudolphi SK Rdn. 62.

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OLG Köln VRS 6 4 (1983) 119. Diesbezügliche gewiss nicht völlig unberechtigte Bedenken schon bei Hahn N J W 1976 5 0 9 sowie neuerdings bei Schild NK Rdn. 19. Auf der Linie von Jagusch N J W 1975 1632 („wohl gerade noch tolerierbar") auch Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 49/11 (S. 620).

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

untersagt ist. Steht hinter dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsprinzip des Art. 103 Abs. 2 G G („nullum crimen sine lege") aber der Druck unserer Verfassung, dem Rechtsgenossen durch das Strafgesetz das ihn bindende Normenverbot oder auch Normengebot hinlänglich sicher vor Augen zu führen, steht § 142 in der Tat hart an der Grenze der verfassungsrechtlichen Unbestimmtheit. 63

b) Angesichts der selbstbegünstigungsspezifischen Spannungslage des § 142 mehren sich im Schrifttum die Stimmen, die den neu gefassten Straftatbestand im Hinblick auf das mit Verfassungsrang ausgestattete Prinzip „nemo tenetur se ipsum accusare vel prodere" (jedenfalls partiell) für verfassungswidrig halten. 4 1 4 Diese Kritik gilt maßgeblich der im Jahre 1975 neu eingeführten Vorstellungspflicht des Abs. 1 Nr. 1 sowie in noch stärkerem M a ß e den damals neu eingeführten nachträglichen Meldepflichten der Absätze 2 und 3: Weil gerade diese Aktivpflichten in der früheren Gesetzesfassung nicht enthalten waren, habe die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 1963 (BVerfGE 16 191 ff), in der § 142 a.F. als mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt wurde, heute weitgehend ihre Gültigkeit verloren. Trotz dieser und ähnlicher weiterer Bedenken sind die im neueren Schrifttum gegen die Neufassung des § 142 vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken in der Rechtsprechung bisher nicht zum Tragen gekommen und auch im Schrifttum überwiegend nur in der Weise aufgenommen worden, dass die Rechtsanwender sich um eine besonders restriktive Interpretation dieser Aktivpflichten bemühen müssen. 4 1 5 Die Vorschrift wird aber nach wie vor weithin für insgesamt verfassungsgemäß gehalten, 4 1 6 wovon ausweislich eines Nichtannahmebeschlusses vom

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So für § 142 a.F. schon AG Ulm NJW 1963 688 (dagegen Erdsiek NJW 1963 633). So aber auch für die Neufassung des Gesetzes neben Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst (1977), S. 163 f (etwas zurückhaltender Rogall dann aber in StV 1996 65) vor allem Schünemann in der Zeitschrift für Binnenschifffahrt und Wasserstraßen (ZfB) 1979 97 sowie in DAR 1998 426 f f ; letzterer sehr harsch: § 142 StGB sei auch aus der Sicht des Nemo tenetur-Grundsatzes ein „Musterbeispiel für eine rücksichtslose, die Grundrechte des Bürgers missachtende Überkriminalisierung". Ähnlich letztlich auch Dahs GA 1978 90, Reiss NJW 1980 1806, Ruck $ 142 StGB als Vermögensdelikt (1985), S. 62 ff, Seebode JA 1980 497 und Paeffgen NStZ 1990 371 sowie jedenfalls mit erheblichen Zweifeln auch Volk DAR 1982 82, Thirolf S. 70, Engelstädter S. 266 und Schild NK Rdn. 21 (der die Aktivpflichten insbesondere des Abs. 2 allenfalls dann noch für verfassungsrechtlich haltbar hielte, wenn dort weniger auf zivilrechtliche Beweissicherungsinteressen als vielmehr „primär auf das Interesse an der Aufrechterhaltung des Straßenverkehrs" abzustellen sei, was

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aber gerade nicht Schutzzweck der Norm sei). Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der „Gemeinschuldner-Entscheidung" (BVerfGE 56 37 ff) für ein Beweisverbot plädierend Gero Dietrich, § 142 StGB und das Verbot zwangsweiser Selbstbelastung (1998), S. 103 ff. Kölbel (Selbstbelastungsfreiheiten. Der Nemo-tenetur-Satz im materiellen Strafrecht, 2006, S. 479 ff) plädiert in diesem Zusammenhang für eine verfassungskonforme Reduzierung des Tatbestandes bei nur geringfügiger Gefährdung des gegnerischen Beweissicherungsinteresses: ein solcher Fall sei gegeben und damit schon die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens zu verneinen, wenn z.B. der Täter dem Opfer zwar seine Personalien mitteilt, das Eintreffen der Polizei am Unfallort aber nicht abwartet. Für viele: Arloth GA 1985 494, Günther GA 1978 203, Hentschel/König Rdn. 20, Janiszewski Rdn. 473 und 500, Lackner/Kühl Rdn. 2, Magdowski S. 65 ff, Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 1 49/11 (S. 619), Seib JR 1986 397, Fischer Rdn. 2 sowie Zopfs Unfallflucht bei eindeutiger Haftungslage? (1993), S. 136 ff und ders. MK Rdn. 63.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

16. März 2 0 0 1 durch eine Dreier-Kammer nunmehr erklärtermaßen auch das Bundesverfassungsgericht ausgeht. 417 Eigener Standpunkt. 418 Nach dem auch in den §§ 136 Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 3 und 4 sowie 2 4 3 Abs. 4 S. 1 StPO spezialgesetzlich verankerten (und nach § 4 6 Abs. 1 OWiG auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren gültigen) Grundsatz kann niemand gezwungen werden, sich wegen einer Straftat (oder einer Ordnungswidrigkeit) selbst zu belasten („nemo tenetur se ipsum accusare vel prodere"). 4 1 9 Wie schon an anderer Stelle ausgeführt, 4 2 0 gewährt der mit Verfassungsrang ausgestattete und zunehmend nicht nur aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 2 0 Abs. 3 GG), sondern auch aus dem Kernbereich der Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitete Grundsatz dem Beschuldigten eines Straf- oder Bußgeldverfahrens lediglich ein umfassendes Schweigerecht und von hier aus, doch nicht darüber hinaus die globale Garantie negativer Mitwirkungsfreiheit. 421 In dem Recht des

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Beschl. v. 16.3.2001 - 2 BvR 65/01; dort wörtlich: „Die Vorschrift des § 142 StGB ist verfassungsgemäß (BVerfGE 16, 191, 193); das begrenzte Verbot der Selbstbegünstigung widerspricht weder dem Rechtsstaatsprinzip noch der Unantastbarkeit der Menschenwürde (BVerfGE 16, 191, 194). Selbst wenn der Nemo-tenetur-Grundsatz in diesem Zusammenhang bestimmen sollte, dass dem Unfallbeteiligten bei der Frage, wem gegenüber (Unfallgegner oder Polizei) er die notwendigen Feststellungen zu ermöglichen hat, ein Wahlrecht zuzubilligen wäre (BGHSt 29, 138 ff), hätten Amts- und Landgericht hiergegen nicht verstoßen. Denn die Fachgerichte haben der Beschwerdeführerin nicht angelastet, sich nicht direkt an die Polizei gewendet zu haben, sondern sie verurteilt, weil sie innerhalb der ihr zur Verfügung stehenden Frist gar nichts zur Unterrichtung der Unfallgegnerin unternommen hat." Dazu schon Geppert Blutalkohol 1991 31 ff; auf ähnlicher Linie H. Schneider, Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips (1991), S. 137 ff sowie Zopfs, Unfallflucht bei eindeutiger Haftungslage? (1993), S. 136 ff. Dagegen jedoch Gero Dietrich S. 131 ff; dem tendenziell zustimmend Schild NK Rdn. 21. Zu diesem Prinzip monographisch erstmals vor allem Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst (1977), S. 124 ff; s. dann auch Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren (1987), S. 201 ff, Nothhelfer, Die Freiheit von Selbstbezichtigungszwang (1989), S. 9 ff, Hartmut Schneider, Strafrechtliches Selbstbegünstigungsprinzip (1991), S. 27 ff, Nikolaus Bosch, Aspekte des nemo tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht

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(1998), Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren (2001), Maike Aselmann, Die Selbstbelastungs- und Verteidigungsfreihet (2004), Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten: Der nemo-tenetur-Satz im materiellen Strafrecht (2006) sowie Böse, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Satzes „Nemo tenetur se ipsum accusare", GA 2002 98 ff. Geppert Blutalkohol 1991 31 ff sowie ders. FS Spendel, S. 667 ff (dort zur Einführung verdachtsfreier Atemalkoholkontrollen). S. dazu vor allem die Grundsatzentscheidung BVerfGE 56 37 ff („Gemeinschuldner"-Beschluss), wo das BVerfG den Nemo tenetur-Satz als „selbstverständlichen Ausdruck einer rechtsstaatlichen Grundhaltung" bezeichnet, „die auf dem Leitgedanken der Achtung vor der Menschenwürde beruht" (S. 43); in dieser Richtung schon BVerfGE 38 113 und wohl auch BGHSt 14 364 sowie BGHSt 38 220. Demgegenüber scheint der BGH diesen Satz insgesamt wohl eher im grundgesetzlichen Rechtsstaatsprinzip angesiedelt wissen zu wollen (BGHSt 31 308 und 34 46): wohl zu Recht; denn auch wenn der persönlichkeitsrechtliche Einschlag des Nemo tenetur-Satzes keineswegs geleugnet werden kann, ist doch darauf zu achten, dass dieses Prinzip in Kollisionsfällen mit anderen rechtsstaatlichen Forderungen in abwägende Übereinstimmung zu bringen ist (so tendenziell wohl auch Günther GA 1978 203 f und H. Schneider, Strafrechtliches Selbstbegünstigungsprinzip, S. 142 ff sowie Verrel NStZ 1997 364; anders aber Schünemann DAR 1998 428 und Rogall StV 1996 64). Selbst wenn man das Privileg, sich in staatlichen Beweisverfahren nicht unmittelbar aktiv selbst

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Beschuldigten zur Passivität ist sein negatives Abwehrrecht enthalten, durch den Staat in staatlichen Beweisverfahren nicht zur Selbstbelastung durch aktives Tun gezwungen zu werden. Das bedeutet umgekehrt, dass dem strafverfolgenden Staat auch durch den Nemo tenetur-Grundsatz die Statuierung passiver Duldungspflichten ebensowenig verwehrt ist, wie durch das Verbot aktiver Selbstbegünstigungshandlungen Passivität zu erzwingen. 422 Vor diesem Hintergrund steht der auf Passivität gerichtete Basisnormbefehl des § 142 Abs. 1 im Einklang mit der Verfassung, untersagen die hier normierten Anwesenheits-, Warte- und Feststellungsduldungspflichten dem Unfallbeteiligten doch nur eine bestimmte Form selbstbegünstigender Aktivität und liegen damit außerhalb des staatlichen Schutzbereiches von „Nemo tenetur". Soweit Abs. 1 Nr. 1 dem Beschuldigten über das bloß passive Warte- und Feststellungsduldungsgebot hinaus die „Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist", abverlangt und besonders die neuen Absätze 2 und 3 zusätzliche Nachholpflichten vorsehen, handelt es sich um Afcti'fpflichten, die zwar nicht unmittelbar eine aktive Selbstbezichtigung verlangen, doch immerhin mittelbar in erhöhtem Maße selbstbelastende Auswirkungen nach sich ziehen können. Nach dem Gesamtkonzept des Gesetzes dienen indes auch diese Aktivpflichten der Gesamtkonzeption nach erkennbar nur dazu, einer Verdeckung der Unfallbeteiligung vorzubeugen und dem Unfallgegner die (ohnehin durch diesen selbst vorzunehmenden!) Feststellungen zu ermöglichen; somit dienen auch sie primär nur dazu, den auf Passivität gerichteten Hauptnormbefehl zu unterstützen und die Durchsetzung der passiven Feststellungspflicht zu gewährleisten. 423 So gesehen ist schon in der Konzeption des Gesetzes das Bestreben des Gesetzgebers um eine (verfassungskonforme) selbstbegünstigungsfreundliche Ausgestaltung des Gesetzes nicht zu übersehen. 424 Weil der Nemo tenetur-Grundsatz aber nur für staatliche Beweisverfahren und demzufolge prinzipiell nicht für das Verhältnis von Privaten untereinander gilt, 425 die anfänglichen oder nachträglichen Meldepflichten des § 142 nach der Konzeption der Vorschrift aber nicht zwangsläufig in ein staatliches Beweisverfahren eingebunden sind, sondern primär einem privatnützigen Informationsfluss dienen, ist der Schutzbereich des verfassungsrechtlichen Selbstbelastungsverbotes auch hinsichtlich dieser Aktivpflichten jedenfalls nicht unmittelbar betroffen. Ungeachtet dessen ist nicht zu verkennen, dass mit den neuen Pflichten häufig ein mittelbarer Zwang zur Selbstbelastung auch gegenüber staatlichen Strafverfolgungsorganen verbunden sein kann. Aus diesem Grund ist eine verfassungskonforme Normauslegung der einschlägigen Aktivpflichten dahin geboten, dass die dem Betroffenen auferlegten Meldepflichten jedenfalls nicht zwingend auf die Einschaltung der Polizei hinauslaufen dürfen; auf derartige auch verfassungsrechtlich gebotene Restriktionen bei Auslegung der einschlägigen

belasten zu müssen, dem unantastbaren Kernbereich der Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG zuordnen will, dürfte jedenfalls ein mittelbarer Z w a n g zur Selbstbelastung nicht in diesen Kernbereich fallen. 422

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So letztlich schon BVerfGE 1 6 191 (193) zu § 1 4 2 a.F. Auch die Nachholpflichten der Absätze 2 und 3 ziehen letztlich keine weitergehenden zusätzlichen Belastungen nach sich. Zudem ist bei verfassungsrechtlicher Würdigung der selbstbegünstigungsfeindlichen Spannungslage zu berücksichtigen, dass die nach Abs. 2 verlangten zusätzlichen Angaben erst

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notwendig wurden, weil dem Unfallbeteiligten unter Berücksichtigung seiner Interessen gesetzlich zuvor gestattet worden ist, den Unfallort vorzeitig verlassen zu dürfen (Zopfs S. 1 4 2 ) . 424 425

Vgl. BTDrucks. 7 / 2 4 3 4 , S. 6 f. So im Anschluss an Reiß (Besteuerungsverfahren, S. 181 ff) vor allem H. Schneider, Strafrechtliches Selbstbegünstigungsprinzip, S. 1 4 2 ff; auf gleicher Linie wohl auch Magdowski S. 110 und S. 121 und Weigend FS Tröndle, S. 7 6 8 f und neuerdings nicht zuletzt auch das BVerfG (Kammerbeschluss v. 16. M ä r z 2 0 0 1 - 2 BvR 6 5 / 0 1 ) .

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

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Tathandlungen wird später einzugehen sein (Rdn. 96 und 137 ff). Im Übrigen wird die verfassungsrechtliche Problematik seit einigen Jahren dadurch entschärft, dass dem Unfallbeteiligten bei tätiger Reue nach Maßgabe des neuen Abs. 4 unter bestimmten Voraussetzungen Strafmilderung oder das Absehen von Strafe zuteil werden kann. 3. Verhältnis zu § 34 StVO a) In der Fassung der Verordnung vom 27.11.1975 (BGBl. I 2967) enthält der im Jahre 1970 neugeschaffene § 34 StVO 4 2 6 eine umfassende Regelung der Pflichten eines Beteiligten nach einem Verkehrsunfall. Grundlage der derzeitigen Gesetzesfassung ist das 13. StrÄndG vom 13.6.1975 (BGBl. I 1349), das den § 142 neu gefasst und zugleich damit auch die Ermächtigungsvorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 4a StVG dahin erweitert hat, das Verhalten der Beteiligten nach einem Verkehrsunfall insgesamt neu zu regeln. 427 Ziel dieser Regelung ist es, den an einem Verkehrsunfall beteiligten Personen umfassend aufzuzeigen, wie sie sich nach einem Verkehrsunfall zu verhalten haben. Ungeachtet teilweise geringfügiger Änderungen im Wortlaut ist der „Unfall"- und der „ Beteiligten " Begriff in beiden Vorschriften grundsätzlich identisch. 428

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b) Während sich der strafrechtliche Schutz des ξ 142 auf das private Feststellungsinteresse der Geschädigten oder sonstigen Feststellungsberechtigten beschränkt, will § 34 StVO das Verhalten der Unfallbeteiligten nach einem Verkehrsunfall „umfassend" 4 2 9 und somit auch unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit regeln. Demzufolge geht der Katalog der Pflichten des § 34 teilweise über die Verhaltenspflichten des § 142 hinaus. Soweit die Verhaltensbeschreibungen des § 34 StVO über den Normbefehl des § 142 hinausgehen, können sie folgerichtig nicht zur Konkretisierung des § 142 herangezogen werden. Völlig eigenständige Bedeutung haben vor allem die Pflichten der Nr. 2 (Pflicht, den Verkehr zu sichern und bei geringfügigem Schaden unverzüglich beiseite zu fahren), 430 der Nrn. 3 und 4 (Pflicht, sich über die Unfallfolgen zu vergewissern und dem Verletzten zu helfen) 431 sowie nicht zuletzt das in Abs. 3 vorgesehene Spurenbeseitigungsverbot, 432 das als solches in § 142 ebenfalls nicht enthalten ist (näher dazu nachfolgend Rdn. 160 ff). Als Ordnungswidrigkeit zu ahnden ist darüber hinaus auch die bloße Verletzung der Vorstellungspflicht (§ 34 Abs. 1 Nr. 5a StVO), weil deren Verletzung aus-

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Amtliche Begründung in VB1 1970 816. Zur Neufassung der Norm im Jahre 1975 s. die amtliche Begründung in VB1 1975 676; zur Entstehungsgeschichte auch BGHSt 31 55 ff sowie Maier J Z 1975 721 ff und Bürgel MDR 1976 353 ff. S. statt vieler nur BGHSt 31 59, OLG Karlsruhe VRS 5 4 (1978) 4 6 2 und OLG Celle VRS 69 (1985) 3 9 4 sowie HentschelKönig Rdn. 2 und Jagow/Burmann/Heß Rdn. 3 je zu § 34 StVO - und Engelstädter S. 44. Amtliche Begründung VB1 1975 676. Bußgeldbewehrt nach § 4 9 Abs. 1 Nr. 2 9 StVO. Ausweislich von § 4 9 Abs. 1 Nr. 2 9 StVO sind beide Pflichten nicht eigens bußgeld-

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bewehrt. Weil es sich bei der Vergewisserungspflicht der Nr. 3 nur um eine unselbstständige Hilfspflicht handelt, die in der Hauptpflicht der Nr. 4 mitenthalten ist und der ersichtlich nur deklaratorische Bedeutung beizumessen ist, kommt der Strafhaftung nach § 323c StGB (ausweislich von § 21 OWiG) gesetzeskonkurrierender Vorrang zu. Ebenso Janiszewski Rdn. 555 und Hentschel/König § 34 StVO Rdn. 3. Bußgeldbewehrt nach § 4 9 Abs. 1 Nr. 2 9 StVO. Es steht dem Gesetzgeber frei, solches Verhalten zwar kriminahtraiirz\ zu lassen, wohl aber als Ordnungswidrigkeit zu ahnden; daher unberechtigte Bedenken bei Jagotn/Burmann/Heß § 3 4 StVO Rdn. 5.

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weislich von § 142 Abs. 1 erst mit Verlassen des Unfallortes kriminalstrafbewehrt ist, 433 sowie die Verweigerung näherer Angaben (Nrn. 5b und 6 b), soweit diese Pflichten über das Normgebot des § 142 hinausgehen. 434 Inhaltsgleich mit den Pflichten des § 142 sind in § 34 Abs. 1 StVO die Verhaltensnormen der Nr. 5a (Angabe der Unfallbeteiligung), der Nrn. 6a und b (Wartepflicht am Unfallort mit Ausnahme der Pflicht, bei Fehlen von feststellungsbereiten Personen am Unfallort eine Nachricht mit Namen und Anschrift zu hinterlassen) sowie der Nr. 7 (nachträgliche Meldepflichten). Weil und soweit diese Pflichten schon durch § 142 strafbewehrt sind, fehlt in § 49 Abs. 1 Nr. 29 StVO allein schon deshalb eine zusätzliche Bußgeldbewehrung; im Übrigen hätte die ordnungsbehördliche Sanktion bei inhalts- oder jedenfalls schutzrichtungsgleichen Pflichtverletzungen nach § 21 OWiG zurückzutreten. 435 Gleiches gilt für das Anhaltegebot des § 34 Abs. 1 Nr. 1 StVO, ist dieses doch schon im weitergehenden Entfernungsverbot des § 142 Abs. 1 enthalten. 436 Im Gegensatz zu § 142, der nur vorsätzliches Verhalten unter Strafe stellt, können nach § 49 Abs. 1 StVO auch fahrlässig begangene Ordnungswidrigkeiten geahndet werden, so dass bei wortlautgetreuer Auslegung des Gesetzes an sich auch eine nur fahrlässige Verletzung des Anhaltegebotes (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 StVO) bußgeldbewehrt wäre. 437 Es wäre jedoch sinnwidrig, bei nur fahrlässigem Nichterkennen einer Unfallsituation den vom Gesetzgeber bewusst sanktionsfrei gelassenen Raum durch einen bußgeldbewehrten Fahrlässigkeitstatbestand zu erweitern; daher hat der BGH in BGHSt 31 55 ff zu Recht klargestellt, dass auch eine nur fahrlässige Verletzung des Anhaltegebotes nicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 29 StVO geahndet werden kann. 438 Wird von einer Kriminalstrafe nach Abs. 4 von § 142 abgesehen, bleibt eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit nach § 21 Abs. 2 OWiG möglich. 439

IV. Das tatbestandsmäßige Verhalten nach Abs. 1 1. Allgemeines 68

a) Verbotsinhalt. Den Tatbestand nach Abs. 1 erfüllt, wer sich als Unfallbeteiligter nach einem Unfall im Straßenverkehr vorsätzlich vom Unfallort entfernt, bevor er entweder durch seine Anwesenheit am Unfallort und durch die Angabe, am Unfall beteiligt zu sein, Feststellungen seiner Person, seines Fahrzeuges und der Art seiner Beteiligung ermöglicht (Nr. 1) oder eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die erforderlichen Feststellungen zu treffen (Nr. 2). Ausweislich des Gesetzeswortlautes ist somit danach zu differenzieren, ob im Augenblick der Tat-

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Zutreffend O L G H a m m N J W 1 9 7 9 4 3 8 .

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Wie hier Jagow/Burmann/Heß § 3 4 StVO Rdn. 5. Anderer Ansicht insbesondere für die Verletzung der Vorstellungspflicht Schild N K Rdn. 15 mit der Begründung, dass die Vorstellungspflicht nach § 3 4 StVO nur gegenüber anwesenden Unfallbeteiligten/Geschädigten bestehe und ein möglicher Pflichtenverstoß zudem auch bei Fahrlässigkeit geahndet werden könne. W i e hier aber Jagow/Burmann/Heß § 3 4 StVO Rdn. 5.

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LG Flensburg DAR 1 9 7 8 2 7 9 . So denn auch Schild N K Rdn. 15. Anders noch O L G Oldenburg VRS 5 7 ( 1 9 7 9 ) 6 2 . In Rechtsprechung und Schrifttum inzwischen jedoch weithin anerkannt: vgl. schon O L G Karlsruhe VRS 5 4 ( 1 9 7 8 ) 4 6 2 sowie dann auch BayObLG VRS 5 6 ( 1 9 7 9 ) 2 0 5 und VRS 61 ( 1 9 8 1 ) 154 sowie Hentschel/König Rdn. 2 und Jagow/Burmann/Heß Rdn. 5 - je zu § 3 4 StVO. Ebenso Bönke N Z V 1 9 9 8 131 und Böse StV 1 9 9 8 513.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

handlung (Sichentfernen vom Unfallort) feststellungsbereite Personen an der Unfallstelle anwesend sind (dann Nr. 1) oder solche Personen fehlen (dann Nr. 2). Der Unfallbeteiligte darf sich somit erst vom Unfallort entfernen, wenn er diesen alternierenden Pflichten nachgekommen ist. Die Verletzung der Vorstellungspflicht ist somit für sich allein ebensowenig vom Tatbestand erfasst wie wenn sich der Täter an der Unfallstelle unter anderen dort anwesenden Personen „versteckt" und seine Unfallbeteiligung z.B. den dort eintreffenden Polizeibeamten gegenüber wahrheitswidrig in Abrede stellt; vollendet wird das Delikt erst durch das nachfolgende Sichentfernen. 4 4 0 Entfernt sich der Täter vor Ablauf der Wartefrist von der Unfallstelle oder bevor er seine Pflicht, die Feststellungen zu ermöglichen, erfüllt hat, bleibt er auch dann nach Abs. 1 strafbar, wenn er die Feststellungen gemäß Abs. 2 und 3 nachträglich ermöglicht; 4 4 1 dies kann sich jedoch bei der Strafzumessung und neuerdings vor allem nach Abs. 4 (tätige Reue: dazu nachfolgend Rdn. 199 ff) zu Gunsten des Täters auswirken. b) Angesichts der ungewöhnlichen gesetzlichen Verhaltensbeschreibung ist die Deliktsnatur des § 142 Abs. 1 umstritten. 442 Der gesetzlichen Tatbeschreibung entsprechend („sich ... vom Unfallort entfernt, bevor") stellen die einen auch für die Neufassung des Gesetzes 4 4 3 auf das Entfernungsferboi ab und sehen von hier aus jedenfalls in Abs. 1 dieser Vorschrift ein Begehungsdelikt, das schwergewichtig weniger durch das Unterlassen der Angabe der eigenen Unfallbeteiligung als vielmehr durch das Verlassen der Unfallstelle und demzufolge durch eine positive Handlung zu charakterisieren sei. 4 4 4 Während die Absätze 2 und 3 anerkanntermaßen die Verletzung einer Gefooispflicht beinhalten (nämlich: durch nachträgliches eigenes Tun die erforderlichen Feststellungen zu treffen) und somit eindeutig ein echtes Unterlassungsdelikt darstellen, 445 sieht die inzwischen wohl h.M. auch in der Nichterfüllung der in Abs. 1 genannten beiden Pflichten den maßgeblichen Unrechtskern und von hier aus ungeachtet des Gesetzeswortlauts auch in Abs. 1 dieser Vorschrift phänotypisch ein „ e c h t e s " 4 4 6 oder wohl zu Recht jedenfalls ein „verkapptes" 4 4 7 bzw. „vertyptes" Unterlassungsdelikt; 448 denn das Entfer-

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Zutreffend OLG Hamm N J W 1 9 7 9 438. OLG Hamburg VRS 55 (1978) 347. Ausführlich dazu vor allem Engelstädter S. 31 ff, Blum von Ann S. 18 ff sowie Steenbock S. 98 ff. Zu $ 142 a.F. ging die damals weithin hM wohl überwiegend von einem Begehungsdelikt aus (s. vor allem Lange J Z 1954 329); zum früheren Streitstand Geppert GA 1970 10 und Bindokat NJW 1966 1906. So auch für die Neufassung des § 142 vor allem Küper GA 1994 71 ff, Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 1 4 9 / 5 (S. 618) und zuletzt eingehend auch Mikla Nachträgliche Feststellungspflicht, S. 38 ff. Auf dieser Linie auch BayObLG N J W 1984 1366 sowie Zopfs MK Rdn. 14 und Schild NK Rdn. 14. Inzwischen wohl unbestritten: vgl. BayObLG N J W 1990 1861 sowie Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 1 4 9 / 5 (S. 619), Zopfs MK Rdn. 11, Fischer Rdn. 5 und Steenbock S. 102.

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So etwa Arloth GA 1985 4 9 4 , Magdowski S. 55 und Fischer Rdn. 5; ebenso OLG Stuttgart NStZ 1 9 9 2 384. Auf dieser Linie für § 142 a.F. schon Schmidhäuser J Z 1955 433, Maihofer GA 1958 2 9 7 und Roxin NJW 1 9 6 9 2 0 4 0 . So im Anschluss an Welzel S. 4 6 4 (dort noch zu § 142 a.F.) vor allem Jamszewskt J R 1983 5 0 6 , Lackner/Kühl Rdn. 9, Paeffgen NStZ 1990 371, Schaffstein FS Dreher, S. 151, Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2, Rudolphi SK Rdn. 5 und Volk DAR 1982 83. Dornseifer J Z 1980 300. Andere sprechen in diesem Zusammenhang von „Unterlassen durch Begehen" {Bringewat JA 1977 2 3 3 ) oder von einem „Beinahe-Garanten-Delikt" (Seelmann JuS 1991 291). Auf dieser Linie neuerdings offenbar auch Steenbock S. 98 ff.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

nungsverbot entspricht letztlich inhaltsgleich dem Gebot zum Dableiben und ist seinem wesentlichen materiellen Gehalt nach demzufolge mit ihm weitestgehend identisch. Mit dem Verharren am Unfallort verlangt das Gesetz dem Unfallbeteiligten eine Sonderpflicht ab, deren Nichterbringung denselben Maßstäben wie generelles Unterlassen unterliegt; 4 4 9 ähnlich wie etwa bei § 323c ist damit Raum dafür gegeben, (jedenfalls in engen Grenzen) auch Zumutbarkeitserwägungen als regulatives Prinzip zur Anwendung gelangen zu lassen. 4 5 0 Vor dem Hintergrund des strafrechtlichen Selbstbelastungsverbotes kann dies vor allem für die Frage von Bedeutung sein, ob bzw. in welchem Umfang im Rahmen des § 142 auch Selbstbegünstigungsinteressen des Unfallbeteiligten zu berücksichtigen sind. 4 5 1 Zu diesen Aspekten bereits Rdn. 63 ff sowie nachfolgend Rdn. 195 ff. 70

c) Wie schon einleitend ausgeführt (Rdn. 1), handelt es sich bei dem Straftatbestand im Übrigen um ein abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt: abstrakt, weil der Tatbestand weder tatsächlich das Bestehen fremder Ersatzansprüche voraussetzt noch eine nachgewiesene Verschlechterung der Aufklärungs- und Feststellungsmöglichkeiten verlangt. 4 5 2

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2. Wie bei anderen abstrakten Gefährdungsdelikten folgt daraus auch hier eine in der Begründung im Einzelnen zwar noch umstrittene, in der Praxis jedoch weitgehend zu gleichen oder jedenfalls ähnlichen Ergebnissen führende teleologische Reduzierung des Tatbestandes. Danach entfallen schon die tatbestandlichen Pflichten aus § 142 Abs. 1 (nochmals: mit der Folge, dass auch der Ergänzungstatbestand des nachfolgenden Absatzes 2 nicht zum Tragen kommt), wenn nach Lage der Dinge Feststellungen zugunsten des Geschädigten oder anderer Unfallbeteiligter ersichtlich nicht erforderlich sind und somit Feststellungsinteressen der Berechtigten durch ein Sichentfernen des Unfallbeteiligten schlicht nicht beeinträchtigt werden (dazu auch schon Rdn. 30). Dies wird überall dort in Betracht kommen, wo nach den Umständen des Einzelfalles hinreichend sicher ist, dass fremde Ersatzansprüche überhaupt nicht entstanden sind oder fremde Beweissicherungsinteressen nicht oder nicht mehr bestehen. 4 5 3 Dazu im Einzelnen:

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a) Ein Feststellungsinteresse fehlt zunächst einmal bei einem Alleinschaden des Unfallbeteiligten und damit überall dort, wo der Verursacher des Unfalls ausschließlich sich selbst verletzt bzw. ausschließlich ihm selbst gehörende Sachen beschädigt hat und

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So zutreffend schon zu § 142 a.F. Roxin NJW 1969 2040; ebenso nunmehr auch Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 2. Ausführlich zur Deutung des § 142 als Sonderdelikt (dies im Ergebnis verneinend) Steenbock S. 119 ff. Dagegen zwar Maurach/Schroeder/Matwald BT 1 49/5 (S. 619) und 49/48 (S. 627); wie hier jedoch die heute wohl hM: vgl. Dornseifer J Z 1980 300, Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 2 sowie Rudolpht SK Rdn. 5; eingehend Römer MDR 1980 89 sowie Hartmann-Hilter, Warten am Unfallort, S. 33. Dazu vor allem Hartmann-Hilter aaO S. 19 ff.

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Ebenso Rudolpht SK Rdn. 2 und Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 1. Ausführlich zur (kritischen) Analyse der einzelnen Rechtsgutsbestimmungen des § 142 unter besonderer Berücksichtigung der Ausgestaltung als (abstraktes) Gefährdungsdelikt neuerdings Steenbock S. 41 ff. Hierzu und zum Folgenden vor allem Rudolphi SK Rdn. 18 ff, Fischer Rdn. 30 ff sowie Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 49/7 (S. 619): alle m.w.N.; s. dazu auch Freund GA 1987 536. Nachdrückliche Zustimmung zu teleologischer Reduzierung des Tatbestandes neuerdings auch von Duttge JR 2001 181 ff.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

andere Beteiligte nicht in den Unfall verwickelt sind und daher auch keine unberechtigten Ersatzansprüche befürchten müssen (unbestritten).454 Von einem Alleinschaden in diesem Sinn, bei dem keine fremden Feststellungsduldungspflichten entstehen, ist zudem auch dort auszugehen, wo der Schaden durch eine Kaskoversicherung abgedeckt ist; daher ist die Versicherungsgesellschaft in diesem Sinn nicht am Unfallgeschehen „beteiligt". Ihre nur mittelbar berührten Interessen liegen nicht im tatbestandlichen Schutzbereich des § 142; 4 5 5 denn es käme einem unzulässigen Zwang zur Selbstbezichtigung gleich, würde man von einem Versicherungsnehmer im Hinblick auf seine versicherungsrechtlichen Aufklärungs(obliegenheits)pflichten (§ 7 Abs. 1 AKB) 4 5 6 verlangen, an der Unfallstelle zu bleiben und dort Feststellungen dulden zu müssen. 457 Als Fremdschaden ist ferner nicht zu werten, wenn der allein in einen Unfall verwickelte Unfallbeteiligte das dabei beschädigte Fahrzeug zuvor gestohlen oder gegen den Willen des Berechtigten in Gebrauch genommen hat (§§ 242 oder 248b); 4 5 8 weil sich diese Schadensersatzansprüche bereits aus der unbefugten Wegnahme und nicht erst durch den späteren Verkehrsunfall ergeben haben, verdienen sie nicht den durch § 142 kriminalstrafrechtlich abgesicherten besonderen Schutz (dazu schon Rdn. 3). 4 5 9 Gleiches gilt, wenn das beschädigte Fahrzeug im Sicherungs- oder Vorbehaltseigentum eines Dritten steht; auch hier ist der Entschädigungsanspruch des Eigentümers nicht in den Besonderheiten des öffentlichen Straßenverkehrs begründet.460 Vor diesem Hintergrund ist somit auch der einem Leasingnehmer461 oder einem Mietwagenfahrer 462 an dem von ihm benutzten, doch einem anderen gehörenden Fahrzeug entstandene Schaden jedenfalls dann nicht als Fremdschaden anzusehen, wenn der Unfallfahrer vertraglich für jeden Schaden und insbesondere auch für Zufall zu haften hat. 463 Rechtlich anders liegen die Fälle, in denen das vom Täter benutzte und allein beschädigte Fahrzeug einem Dritten gehört (z.B. Firmenwagen 464 oder Wagen im Eigentum

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So schon BGHSt 8 263; ebenso OLG Koblenz DAR 1977 76. Dazu auch BTDrucks. 7/2434, S. 5. So obiter dictu schon BGHSt 8 266 sowie BGH VRS 11 (1956) 208; aA aber offenbar BGH (Z) NJW 1987 2374 sowie OLG Hamm (Z) VersR 1988 509. Zu versicherungsrechtlichen Aspekten (nicht zuletzt nach Einführung des neuen W G ) erst jüngst auch Fitz DAR 2008 668 ff. Aus versicherungsrechtlicher Sicht dazu neuerdings OLG Brandenburg VRS 107 (2004) 343 und OLG Karlsruhe NJW-RR 2002 753. Ebenso OLG Saarbrücken NZV 1999 131 ff. Anders aber BGH VRS 11 (1956) 207 (dort zu § 248b) sowie OLG Stuttgart VRS 16 (1959) 190: In solchen Fällen könne das Feststellungsinteresse des schon durch die frühere unbefugte Wegnahme verletzten Eigentümers u.a. auch darauf gerichtet sein, einem Einwand des Schädigers zu begegnen, der Wagen sei bereits vor der Wegnahme beschädigt gewesen.

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Wie hier Rudolphi SK Rdn. 19; anders aber Schild NK Rdn. 45. So auch OLG Nürnberg NJW 1977 1543 sowie Rudolphi SK Rdn. 19 und Fischer Rdn. 12; differenzierend Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 25. So auch OLG Hamm NJW 1990 1925 und NZV 1998 33. Anders OLG Celle JR 1979 79 (dagegen aber Rüth aaO S. 80: Lösung über mutmaßlichen Feststellungsverzieht) sowie LG Darmstadt MDR 1988 1072. Gegenteiliger Ansicht (doch mit der bedenklichen Begründung, beim Alleinunfall mit einem nur scheinbar dem Fahrer gehörenden Fahrzeug seien keine zur Feststellung bereiten Personen zu erwarten) OLG Bremen DAR 1956 250. Ebenso Rudolphi SK Rdn. 19, Schild NK Rdn. 53 sowie Fischer Rdn. 12 und letztlich wohl auch Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 25. BayObLG NZV 1992 413 und OLG Hamm VRS 15 (11958) 340: Lösung über einen mutmaßlichen Feststellungsverzicht.

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eines Angehörigen, Freundes oder Arbeitskollegen 465 ). Hier kann zwar nicht von einem Alleinschaden und damit an sich auch nicht vom völligen Fehlen eines fremden Feststellungsinteresse gesprochen werden; doch dürften die fremden Beweissicherungsinteressen hier in aller Regel keine sofortigen Feststellungen oder jedenfalls keine Feststellungen unmittelbar vor Ort verlangen. In Fällen dieser Art, zu denen z.B. auch der Fall eines verletzten Beifahrers zu zählen ist, der bei Bewusstlosigkeit nicht selbst an Ort und Stelle auf sofortige Feststellungen verzichten kann, wird dem Schutzinteresse des Geschädigten die Lösung über einen mutmaßlichen Feststellungsverzicht wohl besser gerecht; denn auf diesem Wege kann nach den Bedürfnissen des Einzelfalles jedenfalls auch die Erfüllung nachträglicher Feststellungen oder nachträglicher Information des Geschädigten in strafbewehrter Weise erzwungen und die Duldungspflicht des Absatzes 1 im Übrigen in angemessener Weise mit dem Selbstbegünstigungsinteresse des Unfallbeteiligten in Übereinstimmung gebracht werden kann (näher dazu nachfolgend Rdn. 92 ff). 74

b) Jedenfalls im Schrifttum besteht Übereinstimmung auch dahin, dass das Überfahren von herrenlosem Wild den tatbestandlichen Schutzbereich von § 142 nicht eröffnet. 4 6 6 Bei Überschreiten der Bagatellgrenze (derzeit tendenziell bereits bis ca. 50 Euro: s. Rdn. 34) liegt in einem solchen Fall zwar ein „Unfall im Straßenverkehr" vor (dazu schon Rdn. 30 ff); doch weil der Kraftfahrer dem Jagdberechtigten gegenüber aber weder aus Deliktsrecht noch nach § 7 StVG haftet und das durch § 823 BGB als „sonstiges Recht" geschützte zivilrechtliche Aneignungsrecht (§§ 958 ff BGB) nur durch das Überfahren des bis dahin noch herrenlosen Wildes letztlich nicht beeinträchtigt wird, sondern dadurch eigentlich erst entsteht, fehlt es auch hier an einem in den Besonderheiten des öffentlichen Straßenverkehrs begründeten und damit in den tatbestandlichen Anwendungsbereich des § 142 fallenden Schadensersatzanspruch. 467 Demgegenüber lässt jedoch die sonstige Verletzung/Tötung von in fremdem Eigentum stehenden Tieren die strafbewehrten Pflichten des § 142 entstehen, sofern dabei die für das Vorliegen eines „Unfalles" erforderliche Bagatellgrenze überschritten ist. 4 6 8 Der Schaden bemisst sich dabei nach dem materiellen (und nicht nach dem besonderen Affektions-(Wert desTieres; erfasst sind damit auch mögliche Tierarztkosten. 469 Vor allem bei Kleintieren (Hunden, Katzen) ist an die Einstellung des Verfahrens nach §§ 153 und 153a StPO zu denken.

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c) Des Weiteren entfällt die Tatbestandsmäßigkeit bei sofortiger Beseitigung des Schadens bzw. sofortiger (ausreichender) Befriedigung des Schadensersatzanspruchs. Die

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B a y O b L G N Z V 1 9 9 2 4 1 3 und KG VRS 15 ( 1 9 5 8 ) 116; auf dieser Linie (doch dogmatisch bedenklicherweise v o m „Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung" sprechend) auch O L G Köln DAR 2 0 0 2 2 7 7 = N Z V 2 0 0 2 2 7 8 : in einem Fall, in dem der alleingeschädigte Eigentümer das Fahrzeug dem Fahrer in Kenntnis überlassen hat, dass dieser keine Fahrerlaubnis besitzt.

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Anders aber AG Öhringen N J W 1 9 7 6 5 8 0 ;

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Überzeugend Jagusch

Schroeder/Maiwald B T 1 4 9 / 2 5 (S. 6 2 2 ) . Jäger H K Rdn. 18 weist zu Recht darauf hin, dass in einzelnen Bundesländern die Verletzung der Pflicht eines Kraftfahrzeugführers, das An- oder Überfahren von Wild im Interesse des Jagdberechtigten einer staatlichen Stelle anzuzeigen, bußgeldbewehrt sei. Danach verbietet es sich allein aus diesem Grund, eine solche Pflicht in den tatbestandlichen Schutzbereich eines Kritninaltatbestandes zu ziehen.

dagegen Jagusch NJW 1976 583. N J W 1 9 7 6 5 8 3 ; zu-

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O L G Braunschweig V R S 4 ( 1 9 5 2 ) 121 (mit Anm. Weigelt a a O ) .

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Jäger H K Rdn. 19.

stimmend Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-

Lieben Rdn. 7, Rudolphi SK Rdn. 19, Zopfs M K Rdn. 31, Fischer Rdn. 11 sowie Maurach/

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

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Konstruktion einer Verzichtsvereinbarung ist dabei nicht erforderlich; denn beseitigt ein Unfallbeteiligter den von ihm verursachten Schaden durch Reparatur der beschädigten Sache oder vermindert er den Schaden immerhin so weit, dass dieser als belanglos unter die für das Vorliegen eines „Unfalls im Straßenverkehr" erforderliche Bagatellgrenze (Rdn. 30) fällt, sind schutzwürdige Feststellungsinteressen des Geschädigten ebensowenig beeinträchtigt 470 wie wenn der Schädiger den Verletzten an Ort und Stelle durch einen (ausreichenden) Geldbetrag schadlos stellt. 471 In solchen Fällen kann der Unfallbeteiligte sich auch gegen den Widerspruch des Feststellungsberechtigten straflos vom Unfallort entfernen. Nicht als sofortige Befriedigung sind jedoch jene Fälle anzuerkennen, in denen ein Unfallbeteiligter den von ihm angerichteten Sachschaden lediglich später selber zu beseitigen verspricht 472 oder sich (gegen den Widerspruch des Geschädigten) nur zu einem pauschalen Schuldeingeständnis bereiterklärt; hier geht es um eine teleologische Reduzierung des Tatbestandes auf Grund (ausdrücklich oder konkludent) erklärten (also nicht nur mutmaßlichen) Feststellungsverzichts, der ausweislich der nachfolgenden Randnummern besonderen Regeln folgt. d) Eine Pflicht des Unfallbeteiligten, die Feststellungen nach Maßgabe von § 142 7 6 Abs. 1 zu ermöglichen, entfällt vor allem auch dann, wenn alle anderen Unfallbeteiligten und/oder die feststellungsbereiten Personen auf (weitere) Feststellungen verzichten (Feststellungsverzicht). Dogmatisch stellt ein solcher (ausdrücklich oder konkludent erklärter) Verzicht für die einen einen Anwendungsfall rechtfertigender Einwilligung dar, 4 7 3 während er von anderen als tatbestandsausschließendes Einverständnis gewertet wird: 4 7 4 letzteres zu Recht; denn entfällt das Feststellungsinteresse des Berechtigten, wird dem Tatbestand allein schon damit die unrechtskonstituierende Substanz genommen. Hat der Berechtigte in diesem Sinn umfassend und endgültig auf (weitere) Feststellungen verzichtet, ist die in Absatz 2 vorgesehene Ergänzungs- und Nachholpflicht gegenstandslos geworden; da den Unfallbeteiligten im Umfang eines wirksamen Verzichtes keine Pflicht mehr trifft, weitergehende Feststellungen dulden zu müssen, darf er sich vom Unfallort entfernen und bleibt endgültig straflos (dazu schon Rdn. 59). 475 Zu Berechtigung, Form

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Verfehlt OLG Düsseldorf NJW 1986 2001 in einem Fall, in dem der Alleinverursacher des Unfalls die an einer Autobahnbaustelleneinrichtung verursachten Schäden an Ort und Stelle selbst wieder beseitigt hat; das Gericht stellt hier irrigerweise die Frage nach einem Verbotsirrtum. Berechtigte Ablehnung im Schrifttum: Kuhlen StV 1987 437, Hentschel NJW 1987 999, Horn/Hoyer JZ 1987 973 sowie Freund GA 1987 536. Ebenso Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 49/7 (S. 619), Lackner/Kühl Rdn. 7 und Rudolphi SK Rdn. 9a. OLG Düsseldorf VRS 30 (1966) 446. So etwa für OLG Stuttgart NJW 1982 2266 und BayObLG VRS 68 (1985) 115 und VRS 71 (1986) 189 sowie für Berz DAR 1975 313, Horn/Hoyer JZ 1987 972, Küper JZ

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1981 212, Lackner/Kühl Rdn. 33, Sch/Schröder/Cramer26 Rdn. 71 und Rudolphi SK Rdn. 20; in dieser Richtung erst jüngst auch Krumm NZV 2008 498. So etwa von OLG Köln NJW 1981 2368 und BayObLG VRS 71 (1986) 191; auf dieser Linie auch Bernsmann NZV 1989 51 f, Beulke JuS 1982 816, Hartmann-Hilter NZV 1992 430, Schild NK Rdn. 93 ff, Fischer Rdn. 30 sowie in der 27. Aufl. nunmehr auch von Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 30a und 30b. Monographisch Hartmann-Hilter, „Warten am Unfallort - eine unabwendbare Pflicht? Die Pflicht des Unfallbeteiligten, auf Verlangen des feststellungsberechtigten das Eintreffen der Polizei am Unfallort abzuwarten" (1996).

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und Wirksamkeitsvoraussetzungen, Umfang und Gegenstand sowie den Rechtsfolgen eines solchen Feststellungsverzichts gilt im Einzelnen folgendes: 4 7 6 77

aa) Verzichtberechtigt sind im Umfang ihres Beweissicherungsinteresses neben dem Geschädigten (Rdn. 50) alle weiteren feststellungsberechtigten Personen (Rdn. 49), also insbesondere alle anderen Unfallbeteiligten. Zum Verzicht berechtigt sind darüber hinaus aber auch alle feststellungsbereiten Personen, 4 7 7 vor allem die (schon von Amts wegen zu solchen Feststellungen berufene) Polizei. Versteht man diesen Personenkreis mit der hier befürworteten und in Literatur und Rechtsprechung inzwischen wohl h.M. in einem engen Sinn (dazu schon Rdn. 52), ist keine Veranlassung gegeben, nur solchen feststellungsbereiten Personen auch die Befugnis zum Verzicht auf Feststellungen zuzusprechen, die als Beauftragte oder jedenfalls in Art eines Geschäftsführers ohne Auftrag (z.B. als Angehöriger oder Nachbar) in einer engeren Beziehung zu dem Geschädigten/Unfallbeteiligten stehen und folglich ihr besonderes Interesse an den Feststellungen (zu deren Gunsten!) erkennen lassen. 4 7 8 Soweit auch unbeteiligte Dritte als „feststellungsbereit" anzuerkennen sind, sind sie folgerichtig (und zwar unabhängig vom ggf. später geäußerten gegenteiligen Willen des nicht am Unfallort anwesenden Berechtigten) auch zum Verzicht auf weitere Feststellungen befugt. 4 7 9 Entsprechende Verzichts Vereinbarungen (die sich selbstverständlich nicht auf die möglichen späteren Schadensersatzansprüche beziehen) bleiben dem dadurch begünstigten Unfallbeteiligten gegenüber wirksam und lassen die strafbewehrten Pflichten des § 142 Abs. 1 selbst dann nicht wieder aufleben, wenn der Angeklagte später an die Unfallstelle zurückkehrt und der dort noch anwesende andere Unfallbeteiligte die frühere Entschädigungsvereinbarung nicht mehr gelten lassen will. 4 8 0

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bb) Der Verzicht kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen, 481 muss aber jedenfalls erklärt werden, 4 8 2 wenngleich nicht zwingend in schriftlicher Form. Dabei muss das äußere Verhalten des Geschädigten bzw. des für ihn handelnden Feststellungsberechtigten/-bereiten zweifelsfrei erkennen lassen, dass er (weitere) Feststellungen an der Unfallstelle (entweder durch ihn selbst oder durch andere) nicht oder jedenfalls nicht mehr für erforderlich hält. 4 8 3 Von einem Feststellungsverzicht kann somit auch ausgegangen werden, wenn der Unfallbeteiligte dem Geschädigten nach Angabe seiner Personalien mitteilt, sich nunmehr von der Unfallstelle entfernen zu wollen, und letzterer nicht wider-

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Zusammenfassend Rudolphi SK Rdn. 20, Zopfs MK Rdn. 5 5 ff, Fischer Rdn. 30 f sowie Hentschel/König Rdn. 2 2 und 45; besonders ausführlich und verdienstvoll Bernsmann N Z V 1 9 8 9 4 9 ff sowie Schild NK Rdn. 93 ff. Gegenteiliger Ansicht aber noch BayObLG (1 St 210/63): zitiert nach Rüth DAR 1964 240. So aber Bär DAR 1983 215 ff sowie Schild NK Rdn. 70 und Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 30a; so tendenziell wohl auch Bernsmann N Z V 1989 51. Wie hier Jäger HK Rdn. 100. BayObLG (1 St RR 24/92): zustimmend zitiert bei Janiszewski NStZ 1992 581.

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So die ganz h M und Rechtsprechung: s. für viele aus der Rechtsprechung BayObLG VRS 6 4 (1983) 122, VRS 68 (1985) 115 und N Z V 1992 2 4 5 sowie OLG Hamburg N J W 1960 1482 und für die Literatur vor allem Bernsmann NZV 1989 50, Jäger HK Rdn. 101 und Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 30 b. Anders OLG Hamm VRS 2 3 (1962) 105 (dort aber in Wahrheit zu einem Fall mutmaßlichen Feststellungsverzichts, in dem gerade kein Verzicht erklärt werden muss). OLG Bremen VRS 43 (1972) 2 7 und OLG Düsseldorf VRS 80 (1991) 277; so auch OLG Köln VRS 63 (1982) 350 und OLG Hamm VRS 2 3 (1962) 104.

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Unerlaubtes Entfernen v o m Unfallort

§ 142

spricht 484 oder wenn sich der (alleingeschädigte) andere Unfallbeteiligte in Kenntnis des Unfallgeschehens (endgültig) vom Unfallort entfernt: 485 nicht zuletzt wenn er sich zuvor das Fahrzeugkennzeichen des Schädigers notiert hat. 4 8 6 In allen diesen Fällen ist damit konkludent das Fehlen eines Feststellungsinteresses manifestiert. 487 Anders ist es, wenn sich der Verletzte wegen einer bei dem Unfall erlittenen Verletzung zum Arzt oder ins Krankenhaus begibt. In einem solchen Fall hat der Unfallbeteiligte ebenso zu warten, ob Dritte erscheinen, die zugunsten des Geschädigten die erforderlichen Feststellungen zu treffen bereit sind, 488 wie wenn sich der Alleingeschädigte in Unkenntnis des Unfallgeschehens vom Unfallort entfernt; es bleibt dann bei den Pflichten aus § 142. Geht der Schädiger jedoch irrtümlich davon aus, der andere habe sich in Kenntnis des Unfalls entfernt, fehlt es am Vorsatz (zu diesem und anderen Irrtümern nachfolgend Rdn. 165 ff). Umgekehrt muss auch die Ablehnung eines Verzichts nicht ausdrücklich erklärt werden; auch sie kann sich konkludent aus den Umständen des Falles ergeben. 489 Nehmen Polizeibeamte den Verkehrsunfall auf, ist im Regelfall davon auszugehen, dass die Unfallbeteiligten den Umfang der Feststellungen jenen überlassen; den Polizeibeamten steht es dann auch zu, einem Unfallbeteiligten zu erlauben, sich zu entfernen. 490 Entfernt sich ein Unfallbeteiligter ohne Kenntnis davon, dass der Geschädigte auf Feststellungen keinen Wert legt, handelt es sich um einen untauglichen Versuch, der im Rahmen von § 142 nicht unter Strafe gestellt ist. 491 Der Verzicht kann schließlich auch im Voraus erklärt werden, etwa wenn der nicht am Unfallort anwesende Fahrzeugeigner (z.B. ein Angehöriger oder der Arbeitgeber) durch ausdrücklich oder konkludent erklärtes Verhalten im Voraus zweifelsfrei auf Feststellungen zu seinen Gunsten verzichtet bzw. die Dispositionsbefugnis nach den Umständen des Falles ersichtlich auf den Fahrer übertragen hat. 4 9 2 Meist wird es sich in solchen Fällen aber nicht um einen (konkludent) erklärten, sondern um einen mutmaßlichen Verzicht handeln (nachfolgend Rdn. 92 ff).

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Wann und unter welchen Voraussetzungen die Abgabe eines Schuldanerkenntnis als Feststellungsverzicht zu werten ist, hängt maßgeblich davon ab, ob das Schuldeingeständnis die Unfallbeteiligung der verschiedenen Unfallbeteiligten so umfassend und sicher klärt, dass weitere Feststellungen nicht mehr erforderlich sind; dies wiederum ist davon abhängig, welche rechtlichen Folgen eine derartige Erklärung nach sich zieht. 493 Um den für ein rechtlich verbindliches Schuldanerkenntnis notwendigen Rechtbindungswillen hinreichend sicher nachweisen zu können, bedarf es in aller Regel einer schriftlichen Vereinbarung; 494 nach allerdings strengen Maßstäben ist jedoch eine Ausnahme

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BayObLG N Z V 1 9 9 2 2 4 5 ; so auch schon BayObLG N J W 1 9 5 8 511. Vgl. BayObLG in N J W 1 9 5 8 511, V R S 71 ( 1 9 8 6 ) 1 9 0 und VRS 7 9 ( 1 9 9 0 ) 4 2 5 sowie O L G Köln V R S 3 3 ( 1 9 6 7 ) 347. O L G Oldenburg N Z V 1 9 9 5 159. Ebenso Jäger H K Rdn. 101, Rudolphi SK Rdn. 2 2 und Hentschel/König Rdn. 4 5 . O L G Köln V R S 6 3 ( 1 9 8 2 ) 3 4 9 . So im Ansatz zutreffend auch B a y O b L G NZV 1992 245. B G H V M 1 9 6 4 9. BayObLG V R S 71 ( 1 9 8 6 ) 191. O L G Köln VRS 13 ( 1 9 5 7 ) 351 und BayO b L G VRS 6 4 ( 1 9 8 3 ) 121. Ausführlich hierzu und zum Folgenden und mit vielen Rechtsprechungsnachweisen vor

allem Hartmann-Hilter, Warten am Unfallort - eine unabwendbare Pflicht? ( 1 9 9 6 ) , insb. S. 91 ff; dazu früher schon Schwab M D R 1 9 8 4 5 3 8 ff. Z u r Bindungswirkung eines a m Unfallort abgegebenen (mündlichen) pauschalen Schuldanerkenntnisses erst jüngst O L G Düsseldorf N J W 2 0 0 8 3 3 6 6 (strenger M a ß s t a b : in aller Regel keine rechtsverbindliche Anerkenntnis, allenfalls Indizwirkung). 494

B a y O b L G V R S 6 0 ( 1 9 8 1 ) 1 1 1 ; ebenso Hentschel/König Rdn. 3 8 , Rudolphi SK Rdn. 3 0 und vor allem Hartmann-Hilter S. 1 0 0 . Eindeutig zu streng KG VRS 3 4 ( 1 9 6 8 ) 2 7 6 (wo ein Anerkenntnis der Alleinschuld sogar in notarieller F o r m verlangt wird).

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davon vorstellbar, wenn die mündliche Erklärung z.B. durch (neutrale) Zeugen auch für den späteren Streitfall hinreichend sicher bestätigt werden kann. 495 Im Übrigen besteht heute zu Recht weithin Einigkeit dahin, dass zwar kein abstraktes Schuldanerkenntnis im strengen Sinn des § 781 BGB, 4 9 6 doch mehr als nur ein pauschales Schuldbekenntnis zu verlangen ist; denn da ein bloßes Schuldeingeständnis allenfalls zu einer Beweislastumkehr führen 497 und insbesondere den späteren Einwand von Mitverschulden (ξ 254 BGB) oder die Anrechnung der Betriebsgefahr des eigenen Kraftfahrzeuges (§ 17 StVG) nicht ausschließen würde, wäre dem Geschädigten damit ohne zusätzliche weitere Feststellungen im späteren Streitfall keine hinreichend erfolgversprechende Beweissicherheit geboten. In Rechtsprechung und Schrifttum besteht daher heute jedenfalls im Grundsatz Einigkeit dahin, dass sich der Geschädigte (bzw. der für ihn zur Feststellung bereite und geeignete Dritte) selbst bei verhältnismäßig klarer Haftungslage und nur geringem Schaden (zu Ausnahmen unter dem Gesichtspunkt eines mutmaßlichen Feststellungsverzichts nachfolgend Rdn. 92 ff) auch mit einem schriftlichen Schuldanerkenntnis in aller Regel nur begnügen wird, wenn die Erklärung die vom Feststellungsberechtigten intendierte Ersatzpflicht dem Grunde und der Höhe nach vorbehaltlos anerkennt und damit spätere Einwendungen gegen den Umfang des angerichteten Schadens ebenso ausgeschlossen sind wie der Einwand des Mitverschuldens oder der haftungsmindernden Anrechnung der Betriebsgefahr des eigenen Kraftfahrzeuges.498 Da auch ein solches nur deklaratorisches Schuldanerkenntnis sämtliche Einwendungen tatsächlicher und rechtlicher Natur, die der Erklärende bei Abgabe kannte oder mit denen er zumindest rechnen musste, für die Zukunft ausschließt, ist es geeignet, weitergehende Feststellungsinteressen des Unfallgegners bzw. eines feststellungsberechtigten Dritten auszuschließen.499 Daraus folgt zugleich, dass nach Verkehrsauffassung nur die von einem Unfallbeteiligten (ausdrücklich oder konkludent) zugestandene Schadensregulierung als Feststellungsverzicht gewertet werden kann, die diesen (strengen) Anforderungen gerecht wird. Umgekehrt folgt daraus aber auch, dass bei Vorliegen dieser Voraussetzungen die Pflicht des Unfallbeteiligten entfällt, das Eintreffen der Polizei am Unfallort unbedingt abwarten zu müssen (dazu auch Rdn. 109).

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So tendeziell auch O L G Stuttgart N J W 1 9 7 8 900. Und zwar deshalb nicht, weil die Unfallbeteiligten in aller Regel keine selbstständige, d.h. von der Unfallverursachung völlig losgelöste Schadensverpflichtung begründen wollen: ausführlich dazu Bergmann, Schuldanerkenntnis und Schuldbekenntnis bei Verkehrsunfällen, M D R 1 9 7 4 9 8 9 ff und Strohe, Z u r Rechtsnatur von im Anschluss an Verkehrsunfälle am Unfallort abgegebenen Anerkenntnissen, VersR 1 9 7 4 9 5 9 ff; s. dazu auch Hartmann-Hilter S. 92 ff und Schwab M D R 1 9 8 4 5 3 8 ff. O L G Celle VersR 1 9 8 0 4 8 2 und O L G H a m m M D R 1 9 7 4 1 0 1 9 ; weitere Nachweise bei Schwab M D R 1 9 8 4 5 3 9 f und Hartmann-Hilter S. 91 ff.

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Deutlich strenger zwar noch O L G H a m m DAR 1 9 6 2 8 2 ; so aber jedenfalls dem Grundsatz nach heute wohl gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung: vgl. schon O L G Oldenburg N J W 1 9 6 8 2 0 1 9 (dazu Ulsenheimer JuS 1 9 7 2 2 4 ) sowie vor allem O L G H a m m N J W 1 9 7 2 1 3 8 3 , OLG Karlsruhe N J W 1 9 7 3 3 7 8 , O L G Stuttgart N J W 1 9 7 8 9 0 0 und BayObLG VRS 6 0 ( 1 9 8 1 ) 111. Auf der Mehrheitslinie der Judikatur wohl auch die h M im Schrifttum: vgl. statt vieler Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 27, Rudolphi SK Rdn. 3 0 und Fischer Rdn. 3 3 sowie vor allem Schwab M D R 1 9 8 4 5 3 8 ff und Hartmann-Hilter S. 1 0 0 f. B G H N J W 1 9 6 3 2317.

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Unerlaubtes Entfernen vorn Unfallort

§ 142

cc) Im Rahmen seiner Dispositionsbefugnis kann der Berechtigte auch den Umfang des Verzichts selbst bestimmen und diesen von bestimmten Bedingungen, z.B. einem schriftlichen Schuldanerkenntnis (Rdn. 79) oder einer Zahlung 5 0 0 abhängig machen. Der Verzicht kann endgültig und umfassend gewollt, aber auch nur vorläufig und partiell, d.h. auf bestimmte (z.B. die Hinzuziehung der Polizei) oder nur auf Maßnahmen unmittelbar am Unfallort gerichtet sein. 501 Keinesfalls kann der Berechtigte durch Vereinbarung mit dem Pflichtigen den strafrechtlichen Schutz über den Geltungsbereich des Absatzes 1 hinaus erweitern. 502 Haben sich die Beteiligten z.B. auf die Hinzuziehung der Polizei geeinigt, kann sich ein Unfallbeteiligter gleichwohl noch vor Eintreffen der Polizei in strafloser Weise entfernen, wenn er die erforderlichen Feststellungen inzwischen in anderer Weise (die aber beweisrechtlich hinreichend sicheren Erfolg versprechen muss!) ermöglicht hat.

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Zum Verzicht auf Feststellungen unmittelbar am Unfallort. Verzichtet der Feststellungsberechtigte lediglich auf Feststellungen unmittelbar am Unfallort oder dem dazugehörenden räumlichen Nahbereich (Rdn. 54) und entzieht sich der Pflichtige anschließend den Feststellungen an der vereinbarten Stelle, geht die Rechtsprechung von einer Strafhaftung nach § 142 Abs. 2 Nr. 2 aus; der Pflichtige habe sich in einem solchen Fall zwar „berechtigt" vom Unfallort entfernt, verstoße dann aber gegen Abs. 2 Nr. 2 und das dort normierte Unverzüglichkeitsgebot, wenn er den einvernehmlich vereinbarten Treffpunkt vor Ermöglichung der noch erforderlichen Feststellungen wieder verlässt oder diesen Ort überhaupt nicht aufsucht. 503 Diese Lösung wird im Schrifttum nicht nur von den Autoren gebilligt, die den Feststellungsverzicht strafrechtsdogmatisch als Rechtfertigungsgrund begreifen 5 0 4 und von hier aus verbrechenssystematisch durchaus von einem „berechtigten" Sichentfernen vom Unfallort sprechen dürfen, sondern auch von jenen, die dem Feststellungsverzicht schon tatbestandsausschließende Wirkung zusprechen, dann aber gleichwohl keine Bedenken haben, das einverständliche Aufsuchen eines anderen als des vereinbarten Ortes als „berechtigtes" Sichentfernen vom Unfallort zu bewerten. 505 Andere Stimmen im Schrifttum sehen hierin schon eine unzulässige Analogie 5 0 6 oder reduzieren den Tatbestand teleologisch mit der Überlegung, dass mit dem Verzicht auf Feststellungen unmittelbar am Unfallort die Sonderrolle des § 142 aufgehoben und der Unfall zu einem „normalen privatrechtlichen Schadensfall (gemacht sei), bezüglich dessen Aufklärung und Feststellung er keinen strafrechtlichen Rechtsschutz mehr genießen k a n n " . 5 0 7

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BayObLG VRS 6 0 (1981) 115. Kritisch zu der hier und im Folgenden befürworteten Unterscheidung zwischen endgültig-umfassendem und nur vorläufigpartiellem Feststellungsverzicht jedoch Schild NK Rdn. 94 (Begründung: Mit dem Verzicht eines Feststellungsberechtgten auf Feststellungen unmittelbar an der Unfallstelle sei der Straftatbestand des § 142 als einer Sonderbestimmung für den Straßenverkehr aufgehoben und der Unfall damit zu einem rein privatrechtlichen Schadensfall herabgestuft, der keine Sonderbehandlung mehr zulasse). So nachdrücklich auch Jäger HK Rdn. 103. OLG Köln NJW 1981 2367, OLG Stuttgart

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NJW 1 9 8 2 2 0 6 6 , BayObLG NJW 1984 67 und OLG Düsseldorf NJW 1985 2 7 2 5 ; zu § 142 a.F. auch schon OLG Oldenburg VRS 9 (1955) 36 und OLG Frankfurt a.M. N J W 1960 2 0 6 6 . So etwa Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 53, Lackner/Kühl Rdn. 23 und Rudolphi SK Rdn. 38. So schon Berz DAR 1975 313; ebenso Fischer Rdn. 31. So vor allem Bernsmann N Z V 1989 56 f und tendenziell wohl auch Beulke JuS 1982 816. Schild NK Rdn. 94; dagegen Küper J Z 1 9 9 0 515 („kühne", doch „nicht näher substantiierte" These).

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Eigener Standpunkt. Trotz ihrer beachtlichen Argumente ist diese Kritik jedenfalls für die vorliegende Fallgestaltung nicht berechtigt (zu der etwas anders gelagerten Frage, ob sich „berechtigt oder entschuldigt" vom Unfallort entfernt, wer diesen in Unkenntnis des Unfalls oder seiner eigenen Unfallbeteiligung verlässt: s. nachfolgend Rdn. 133 ff). Ungeachtet der verbrechenssystematischen Einordnung des Feststellungsverzichts als Tatbestandsausschluss und ungeachtet auch des Wortlautes des Gesetzes, das zugegebenermaßen wenig glücklich mit ansonsten enger verstandenen Rechtsbegriffen wie „berechtigt" oder „entschuldigt" arbeitet, fällt es wohl noch in den Bereich vom Gesetzeswortlaut gedeckter (und damit zulässiger) erweiternder Auslegung, von einem „berechtigten" Sichentfernen (§ 142 Abs. 2 Nr. 2) auch dann noch sprechen zu dürfen, wenn ein Unfallbeteiligter die Feststellungsinteressen eines anderen zwar erkannt hat, dieser aber ausnahmsweise damit einverstanden ist, dass die von beiden Seiten für erforderlich gehaltenen Feststellungen an einem anderen als dem Unfallort ermöglicht werden. 508 In einem solchen Fall hat der Berechtigte nicht völlig auf den strafbewehrten Schutz des § 142, sondern nur auf denjenigen des Absatzes 1 verzichtet und damit Raum für die subsidiäre Strafhaftung nach Maßgabe des nachfolgenden Absatzes 2 geschaffen. Damit sind auch die Besonderheiten des Verkehrsunialh nicht aufgehoben und damit ist dieser auch nicht zu einem ganz normalen privatrechtlichen Schadensfall geworden, der als solcher nicht den strafbewehrten Schutz des § 142 verdient hätte. Anders ist die Rechtslage jedoch, wenn ein Unfallbeteiligter im gegenseitigen Einvernehmen mit dem Geschädigten den Unfallort verlässt, um an anderer Stelle den Versuch einer gütlichen Einigung nur hinsichtlich der Schadenshöhe zu machen. Sind in einem solchen Fall die zu Person, Fahrzeug und Art der Beteiligung erforderlichen Feststellungen in ausreichendem Umfang getroffen, 509 ist der Unfallbeteiligte bei späterem Scheitern der Einigungsbemühungen auch dann nicht nach § 142 Abs. 2 Nr. 2 strafbar, wenn er das Erscheinen der Polizei nicht abwartet; denn die Schadenshöhe (diese nicht zu verwechseln mit dem Umfang des Schadens!) gehört nicht zu den Umständen, deren Feststellung notwendigerweise in den tatbestandlichen Schutzbereich des § 142 fällt. 510

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dd) Wissens- oder Willensmängel führen nur dann zur Unwirksamkeit der Verzichtserklärung, wenn sie sich unmittelbar auf den durch § 142 intendierten Schutz von Beweissicherungsinteressen beziehen.511 Hat der Dispositionsbefugte den Eintritt eines eine Ersatzpflicht auslösenden Schadens überhaupt nicht wahrgenommen, ist der Verzicht mangels Schadenskenntnis unwirksam.512 Da ein solcher (Beweissicherungs-)Feststellungsverzicht nicht den endgültigen Verzicht auf Schadensersatzforderungen, sondern zunächst nur die Aufgabe bloßer Beweispositionen beinhaltet und somit nicht rechtsgeschäftlicher Natur ist, 513 ist keine volle Geschäftsfähigkeit erforderlich; es genügt, wenn der Berechtigte nach seinem natürlichen Beurteilungsvermögen imstande ist, die

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So offenbar auch Berz DAR 1975 313 mit Fn. 52. Anders lag es im Fall von OLG Köln NJW 1981 2 3 6 7 (dazu Beulke JuS 1982 815). OLG Hamburg NJW 1979 4 3 9 ; zustimmend Beulke JuS 1982 815. Hierzu und zum Folgenden vor allem Bernsmann N Z V 1989 5 2 ff; vgl. auch Zopfs MK Rdn. 58, Schild NK Rdn. 95 und Fischer Rdn. 31. OLG Bremen VRS 43 (1972) 27 und OLG

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Düsseldorf VRS 8 0 (1991) 277; so auch OLG Hamm VRS 2 3 (1962) 104 und OLG Köln VRS 63 (1982) 350. Ebenso Bernsmann N Z V 1989 53. So tendenziell schon OLG Hamm VRS 23 (1962) 102 und so nunmehr vor allem Bernsmann N Z V 1989 53; für eine analoge Anwendung der §§ 106 ff BGB offenbar OLG Düsseldorf VM 1977 16 und VRS 80 (1991) 275.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

Tragweite und die Folgen seiner Verzichtserklärung richtig einzuschätzen. Nach den Umständen des Falles (z.B. leicht zu überblickende oder komplizierte Unfallsituation? hoher oder eher geringer Schaden?) und nicht zuletzt nach dem physischen und/oder psychischen Zustand des in den Unfall verwickelten Minderjährigen (z.B. allgemeine Reife/Intelligenz; Erfahrung des Minderjährigen speziell als Verkehrsteilnehmer; Unfallverletzungen/nicht zuletzt Unfallschock; Einschüchterung durch den Unfallgegner; Angst des bei dem Unfall zu Schaden gekommenen Minderjährigen vor seinen Eltern usw.?) sind an das natürliche Beurteilungsvermögen unterschiedliche Anforderungen zu stellen. Zu Recht scheint die Rechtsprechung dabei mehr auf den physischen oder psychischen Zustand des in den Unfall verwickelten Minderjährigen und die besondere Unfallsituation als auf feste Altersgrenzen abzustellen.514 Entsprechendes gilt für Erwachsene. Auch deren Verzichtserklärung ist unwirksam, wenn sie z.B. infolge der bei dem Unfall erlittenen Verletzungen oder wegen Unfallschocks, infolge von Trunkenheit, wegen altersbedingter Einschränkung des Beurteilungsvermögens, infolge allgemeiner Unerfahrenheit im Verhalten nach einem Unfall oder oder auch nur wegen des Zusammenwirkens solcher Defizite erkennbar nicht imstande waren zu erkennen, welche Feststellungsinteressen sie durch ihren Verzicht auf Feststellungen preisgegeben haben. 515 ee) Rechtstheoretisch und im Ergebnis heftig umstritten sind die Fälle, in denen der Pflichtige durch Täuschungshandlungen (z.B. falsche Namens- und Anschriftangabe,516 Täuschung über die Bereitschaft, den Schaden zu ersetzen,517 oder Lüge, die Polizei herbeirufen zu wollen oder herbeigerufen zu haben) 518 bewirkt, dass der Berechtigte nicht auf der durch § 142 geforderten (vollständigen) Feststellungsermöglichung beharrt. Die Wirksamkeit eines derart erschlichenen Feststellungsverzichts war bereits zu Zeiten der früheren Gesetzesfassung umstritten.519 Allerdings ist jene (unter dem Gesichtspunkt verbotener Analogie geführte) Kontroverse heute nur noch bedingt verwertbar, hat der damalige Streit sich doch im Wesentlichen an der Tatbestandsformulierung „der Feststellung seiner Person ... durch Flucht entzieht" entzündet; doch eben diese zu vielerlei Unklarheiten führende Formulierung hat der Gesetzgeber zum 1. Januar 1975 bewusst

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Kasuistik. Verneint wurde die Wirksamkeit eines Feststellungsverzichts durch OLG Neustadt VRS 14 (1958) 4 4 0 (14-jähriger Junge, durch Unfall noch verstört), OLG Hamm VRS 2 3 (1962) 102 (16-jähriges Mädchen, leichte Gehirnerschütterung mit Prellungen und Hautabschürfungen und eingeschüchtert durch den Unfallgegner), OLG Karlsruhe VRS 3 6 (1969) 3 5 0 (13-jähriger unerfahrener Junge: durch den Unfall und die Vorhaltungen des Unfallgegners zudem erkennbar eingeschüchtert) und GA 1970 311 (9-jähriges Kind, stark blutend) sowie OLG Düsseldorf VM 1 9 7 7 16 (8-jähriges Kind) und VRS 80 (1991) 275 (16-jähriger Junge). Bejaht wurde der Feststellungsverzicht durch das BayObLG ZfS 1991 320 (15-jähriger Jugendlicher); vgl. auch BayObLG bei Rüth DAR 1970 261 (keine

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näheren Angabe zum physischen und psychischen Zustand des Minderjährigen). OLG Köln VRS 6 6 (1984) 128 (schwerverletzte Frau) sowie OLG Bremen VRS 10 (1956) 281 (Unfallschock). OLG Stuttgart N J W 1982 2 2 6 6 und OLG Köln VRS 4 8 (1975) 89; zu § 142 a.F. auch KG VRS 10 (1956) 453. OLG Köln VRS 5 0 (1976) 3 4 4 . BayObLG VRS 61 (1981) 120. Für eine Strafbarkeit in Fällen dieser Art KG VRS 10 (1956) 453, BayObLG nach Rüth DAR 1968 225, OLG Köln VRS 4 8 (1975) 89 sowie obiter dictu BGH VRS 2 5 (1963) 2 6 2 ; gegen eine solche Strafbarkeit jedoch BGH MDR 1973 555. Zum damaligen Streitstand s. vor allem Koch N J W 1961 2195, Enskat N J W 1962 3 3 2 und Krüger N J W 1965 142.

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§ 142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

durch eine neue Gesetzesfassung ersetzt (BTDrucks. 7/2434, S. 7). Die Frage ist jedoch auch nach heutiger Gesetzeslage noch heftig umstritten: 520 85

(1) Zu einer Strafhaftung nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 kommt, wer (mit einer literarischen Minderansicht) von einer umfassenden Vorstellungspflicht ausgeht und in die vom Gesetz verlangte „Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist" auch die Pflicht des Unfallbeteiligten zu wahrheitsgemäßen Angaben hineinliest.521 Zwecks Beseitigung der genannten Auslegungsschwierigkeiten wäre eine solche Auslegung des Gesetzes de lege ferenda zwar durchaus zu empfehlen, ist mit der geltenden Gesetzeslage aber kaum zu vereinbaren, wie nachfolgend erläutert wird.

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(2) Rechtsprechung und die wohl noch immer h.M. im Schrifttum gehen zwar nicht von einer derart weiten Vorstellungspflicht aus, stellen das Sichentfernen vom Unfallort mit erschlichener Einwilligung im Ergebnis aber gleichwohl einem Sichentfernen gegen den Willen des Berechtigten gleich. Umstritten ist dabei nur, ob sich die Strafhaftung aus Abs. 1 Nr. 1 ergibt oder aus dem subsidiär eingreifenden Abs. 2 folgt. Zwei Fallgestaltungen sind dabei zu unterscheiden:

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Eine erste Konstellation meint Fälle, in denen ein an sich wartepflichtiger Unfallbeteiligter dem Geschädigten oder einem feststellungsberechtigten Dritten falsche Personalien angibt (oder ihn anderswie belügt) und so als erster, d.h. vor dem getäuschten Unfallgegner/Dritten den Unfallort verlassen kann. In solchen Fällen bejaht die Rechtsprechung eine Strafbarkeit nach Abs. 1 Nr. 1 5 2 2 und erfährt dafür im Schrifttum weithin Zustimmung: 523 Der vom Unfallgegner ausgesprochene Verzicht auf die weitere Anwesenheit sei erschlichen und damit rechtlich unwirksam; denn wer als wartepflichtiger Unfallbeteiligter die Abkürzung der an sich erforderlichen Anwesenheitspflicht durch Täuschung erschleiche, habe seine ihm gesetzlich aufgegebene Pflicht, die erforderlichen Feststellungen „durch seine Anwesenheit" zu ermöglichen, in Wahrheit nicht korrekt erfüllt.

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Eine zweite Konstellation ist dadurch gekennzeichnet, dass der seine Unfallbeteiligung einräumende Schädiger dem anwesenden (einzigen) Geschädigten/feststellungsbereiten Dritten gegenüber unrichtige Angaben macht und damit erreicht, dass dieser den Unfallort im Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Angaben als erster verlässt und der mögliche Täter somit als letzter vom Unfallort wegfahren kann. Auch hier ist die Lösung umstritten: Mit dem pragmatischen Hinweis, die Strafbarkeit dürfe nicht vom Zufall (oder dem juristischen Geschick der Beteiligten!) abhängen, wer denn nun als erster oder als letzter den Unfallort verlässt, wird die Anwendbarkeit von Abs. 1 Nr. 1 mehrheitlich auch in dieser Fallgestaltung mit der Unwirksamkeit eines erschlichenen Einverständnisses begründet. 524 Demgegenüber lehnen andere - voran das BayObLG 525 sowie ihm folgend 520

521

522

Ausführlich Küper JZ 1990 510 ff; zusammenfassend neuerdings auch Zopfs MK Rdn. 58 und Schild NK Rdn. 95. So vor allem Jagusch NJW 1975 1631 und NJW 1976 504. So vor allem OLG Stuttgart NJW 1982 2266. Auf dieser Linie auch OLG Köln VRS 50 (1976) 344 (Täuschung über die Bereitschaft, den Schaden zu bezahlen), OLG Hamm VRS 56 (1979) 340 (wahrheitswidriges Abstreiten einer Unfallbeteiligung), BayObLG VRS 61 (1981) 120 (Lüge, die Polizei verständigt zu haben) und NJW 1984 1365 (falsche Namensangabe).

790

523

524

525

Vgl. Hentschel/König Rdn. 34 und 39, Jamzewskt NStZ 1982 503, Lackner/Kühl Rdn. 17, Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 71 und Fischer Rdn. 31a: alle m.w.N. OLG Hamm NJW 1979 438, OLG Karlsruhe MDR 1980 160 und OLG Frankfurt am Main NJW 1977 1833; auf dieser Linie auch Janizewski JR 1983 506 und Hentschel NJW 1984 1514. NJW 1983 2039, NJW 1984 66 und NJW 1984 1365 = VRS 66 (1984) 277.

Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

das OLG Frankfurt a.M. 5 2 6 - jedenfalls bei dieser Fallgestaltung die Anwendbarkeit von Abs. 1 Nr. 1 ab. Mit der Begründung, dass jetzt keine feststellungsbereiten Personen mehr am Unfallort zugegen und der mögliche Täter die von ihm erwartete Feststellungsduldungspflicht schon aus diesem Grund faktisch nicht mehr erfüllen könne, befürworten sie stattdessen die subsidiäre Strafhaftung nach Abs. 2. (3) Der von der Rechtsprechung befürworteten Lösung nach Abs. 1 Nr. 1 (Rdn. 87) widersprechen kritische Stimmen im Schrifttum mit dem Hinweis, sie stehe in ersichtlichem Widerspruch zu dem auch von Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend geforderten restriktiven Verständnis der Vorstellungspflicht (dazu nachfolgend Rdn. 96 ff). Zudem laufe sie auf eine Pflicht zu wahrheitsgemäßer Namensangabe, deren Verletzung man ansonsten ausschließlich in den originären Anwendungsbereich der Bußgeldvorschriften (§§ 34 Abs. 1 Nr. 5 i.V. mit 49 Abs. 1 Nr. 29 StVO) verweist, und damit letztlich darauf hinaus, dem Pflichtigen auch die Verantwortung für Vollständigkeit und Richtigkeit der zu treffenden Feststellungen aufzuerlegen. Demzufolge verwirkliche ein Unfallbeteiligter, der sich nach Abschluss der Feststellungen vom Unfallort entfernt, auch dann nicht den Tatbestand des Abs. 1 Nr. 1, wenn die getroffenen Feststellungen infolge seiner falschen Angaben unrichtig sind. 527 Schließlich wird darauf hingewiesen, dass aktive Verschleierungsmaßnahmen (z.B. Nachtrunk, Beseitigung von Unfallspuren oder Wegfahrenlassen des Unfallfahrzeuges durch einen Nichtunfallbeteiligten) für sich genommen auch sonst nicht dem tatbestandlichen Schutzbereich des § 142 Abs. 1 unterfielen (umstritten: zum Streitstand nachfolgend Rdn. 160 ff). Demzufolge wäre es ungereimt, weniger gravierendes Fehlverhalten wie insbesondere falsche Namensangaben unter Strafe stellen zu wollen: dies auch deshalb, weil es nach der selbstbegünstigungsfreundlichen Konzeption des Gesetzes Aufgabe des Unfallgeschädigten selbst sei, durch ausreichende Kontrolle der vom Unfallgegner angegebenen Personalien etc. für hinreichenden Selbstschutz zu sorgen. Von solchen Überlegungen aus kommen diese Autoren

89

in beiden Konstellationen zur Straflosigkeit; 528 denn als Analogie in malam partem wird auch eine subsidiäre Strafhaftung nach Maßgabe von § 142 Abs. 2 nachdrücklich abgelehnt. 529 (4) Eigener Standpunkt. 530 Sieht man von der Pflicht zur „Angabe, am Unfall beteiligt zu sein", einmal ab, kann jedenfalls im Rahmen von Abs. 1 niemand verpflichtet sein, an seiner eigenen Überführung durch aktives Tun mitwirken und fremde Ermittlungen durch eigene Aktivitäten fördern zu müssen (dazu nachfolgend auch Rdn. 100 ff). Dem Recht zur Passivität entspricht hier wie auch sonst das negative Abwehrrecht des Einzelnen, sich vom Staat nicht zur Selbstbelastung durch aktives Tun zwingen lassen zu müssen. Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass dem strafverfolgenden Staat die Statu-

526

NJW 1 9 9 0 1198.

527

So schon Maier J Z 1 9 7 5 7 2 3 und dem folgend Rudolphi SK Rdn. 31, Loos J R 1 9 8 5 165 sowie Küper J Z 1 9 8 8 4 8 1 und J Z 1 9 9 0 518; auf dieser Linie nunmehr auch Zopfs M K Rdn. 5 8 und Schild N K Rdn. 95.

528

So vor allem Küper J Z 1 9 9 0 518, Rudolphs SK Rdn. 31 und Bauer N S t Z 1 9 8 5 3 0 2 sowie nunmehr auch Zopfs M K Rdn. 5 8 und Schild N K Rdn. 9 5 : letzterer allerdings mit der schwer zu verifizierenden Einschränkung, dass der erschlichene Verzicht „nicht

zu einer Verletzung der Ermöglichungspflicht führen (darf), was konkret bedeutet, dass der Getäuschte die Chance behalten muss, die falschen Angaben zu kontrollieren, was die Anwesenheit des Täuschenden voraussetzt". 529

So auch schon Hentschel N J W 1 9 8 4 1 5 1 5 und Janizewski N S t Z 1 9 8 3 4 0 3 .

530

Meinen in Blutalkohol 1 9 9 1 38 vertretenen gegenteiligen Standpunkt habe ich schon in der Vorauflage aufgegeben.

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§142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

ierung passiver Duldungspflichten nicht verwehrt sein kann und somit auch die gesetzgeberische Befugnis nicht ausgeschlossen ist, aktive Selbstbegünstigung zu pönalisieren, um damit Passivität des Beschuldigten zu erzwingen. 531 Somit ist auch im Rahmen von § 142 Abs. 1 Nr. 1 in dem dort normierten Recht des Unfallbeteiligten zur Passivität nicht zugleich auch seine Berechtigung enthalten, die Beweisinteressen des Geschädigten oder anderer Unfallbeteiligten durch aktive Gegenmaßnahmen vereiteln oder maßgeblich erschweren zu dürfen. Demzufolge ist in dem an den Unfallbeteiligten gerichteten Gebot, die von anderen zu treffenden Feststellungen „durch seine Anwesenheit" zu ermöglichen, zugleich das Verbot enthalten, diese Feststellungen nicht durch eigene Aktivitäten zu behindern oder gar unmöglich zu machen; denn wer gebotene Feststellungen vereitelt, „ermöglicht" sie nicht. 5 3 2 Eine solche Gesetzesauslegung hält sich durchaus noch im Bereich zulässiger (erweiternder) Auslegung. Ohne sich dem Vorwurf unzulässiger Analogie auszusetzen, darf man einem Verzicht auf (weitere) Feststellungen somit jedenfalls dort die Wirksamkeit absprechen, wo der Berechtigte infolge von Täuschung rechtsgutsbezogen irrt, weil er entweder überhaupt nicht weiß, dass er Feststellungsinteressen preisgibt, oder sich über Umfang und Folgen des durch seine Nachgiebigkeit eintretenden Beweisverlustes falsche Vorstellungen macht. 5 3 3 Ohne rechtliche Wirkung ist danach das Einverständnis des Feststellungsberechtigten nicht nur, wenn der Pflichtige seine Unfallbeteiligung wahrheitswidrig in Abrede gestellt 5 3 4 oder durch Beseitigung von Spuren am Fahrzeug oder an der Unfallstelle den Berechtigten zum Verzicht auf Feststellungen veranlasst hat, 5 3 5 sondern auch dann, wenn der Pflichtige dem Berechtigten einen falschen Namen angegeben oder ihm vorgespiegelt hat, die Polizei verständigt zu haben oder verständigen zu wollen. Wer infolge solcher Fehleinschätzungen auf (weitere) Feststellungen verzichtet, hat täuschungsbedingt eigene Interessen preisgegeben. 536 Unwirksam ist schließlich ein Verzicht auf (weitere) Feststellungen, wenn er nur dadurch zustandegekommen ist, dass der Pflichtige den Berechtigten durch ein nicht ernst gemeintes Schuldanerkenntnis oder durch Bezahlung mit Falschgeld besänftigt; denn auch hier hat der Berechtigte seine Beweissicherungsinteressen nur täuschungsbedingt aufgegeben. 5 3 7 91

ff) Unbeachtlich und somit ebenfalls ohne tatbestandsausschließende Wirkung ist schließlich ein Verzicht auf Feststellungen, wenn er dem Berechtigten durch Gewalt oder Drohung abgenötigt wurde. 5 3 8 Zum Tatbestandsauschluss führt jedoch ein Verzicht, wenn die Nötigung unterhalb der Grenze eines „empfindlichen Übels" bleibt oder nur deshalb nicht in den tatbestandlichen Normbereich des $ 2 4 0 fällt, weil mit einem an

531

Grundlegend und m.w.N. Geppert FS Spendel, S. 6 6 8 f, dort unter Hinweis auf J. }. Rousseau: „Auch hier heisst Freiheit einmal mehr, dass keiner tun muss, was er nicht will, nicht aber, dass jeder tun kann, was er will."

532

Wie hier und unter Hinweis auf die Rechtsfigur des Unterlassens durch Begehen vor allem Volk DAR 1 9 8 2 8 2 ; so auch Maurach/ Schroeder/Maiwald B T 1 4 9 / 3 8 (S. 6 2 5 f). Hierzu und zum Folgenden vor allem Bernsmann N Z V 1 9 8 9 5 3 f; tendenziell zustimmend wohl auch Lackner/Kühl Rdn. 17.

533

534 535

O L G H a m m VRS 5 6 ( 1 9 7 9 ) 3 4 0 . BayObLG DAR 1 9 7 4 177.

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So im Ergebnis auch O L G Stuttgart N J W 1 9 8 2 2 2 8 6 und O L G Köln VRS 5 0 ( 1 9 7 6 ) 3 4 4 - je zu falscher Namensangabe - sowie BayObLG VRS 61 ( 1 9 8 1 ) 1 2 0 (zur Lüge, die Polizei verständigt zu haben). 537 N ^ h t überzeugend in diesem Punkt Bernsmann N Z V 1 9 8 9 5 4 (insoweit wohl zu Unrecht auf O L G Stuttgart N J W 1 9 7 8 9 0 0 verweisend). 536

538

Dazu O L G Düsseldorf VRS 8 2 ( 1 9 9 2 ) 4 5 2 und O L G Stuttgart N J W 1 9 8 2 2 2 6 6 sowie Schild N K Rdn. 9 5 und Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 71; zweifelnd offenbar Bernsmann N Z V 1 9 8 9 5 4 .

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

sich erlaubten Verhalten gedroht wird: etwa wenn ein alkoholisierter Feststellungsberechtigter nur deshalb auf Feststellungen verzichtet, weil der Unfallgegner mit dem Herbeirufen der Polizei „droht". 539 e) Ist die geschädigte Person nicht am Unfallort anwesend, kann eine Feststellungsduldungspflicht am Unfallort schließlich auch unter dem Gesichtspunkt mangelnder Schutzinteressen des Geschädigten entfallen. Dies wird immer dann der Fall sein, wenn im Hinblick auf das Beweissicherungsinteresse des Geschädigten nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände hinreichender Anlass für die Vermutung besteht, dass der Geschädigte in Kenntnis des Sachverhalts auf Feststellungen der in Abs. 1 genannten Art entweder überhaupt oder jedenfalls an der Unfallstelle verzichtet hätte (mutmaßlicher Feststellungsverzicht).540 Bestehen zwischen den Beteiligten keine näheren Beziehungen, ist mit Hilfe objektiver, d.h. für alle Verkehrsteilnehmer gültiger „generalisierender"541 Kriterien vom Standpunkt eines unbeteiligten Beobachters aus eine Interessenabwägung erforderlich, die sich an den besonderen Umständen des Einzelfalles orientieren muss, wie sie sich im Zeitpunkt der Tat darstellen (z.B. Art der persönlichen Beziehungen, Umfang des Schadens, Haftungslage u.ä.). 542 Ein mutmaßlicher Verzicht kommt aber nur in Betracht, wenn weitere Geschädigte/Unfallbeteiligte nicht vorhanden oder jedenfalls nicht sofort (oder unschwer) zu erreichen sind 543 und ein erklärter Verzicht nach Lage der Dinge nicht eingeholt werden kann. Kann bei Anwendung dieser Kriterien von einem mutmaßlichen (endgültigen oder partiellen) Verzicht ausgegangen werden, kommt es nicht darauf an, ob der Verzicht durch den Berechtigten später bestätigt oder aber verweigert wird; derartige nachträgliche Entwicklungen können nicht dazu führen, dass ein zunächst als rechtmäßig angesehenes Verhalten nachträglich den Stempel der Strafbarkeit erhält. 544

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aa) Der Umfang des mutmaßlichen Feststellungsverzichts ist nach dem zu vermutenden Beweissicherungsinteresse des Berechtigten zu bestimmen. Danach kommt ein (mutmaßlicher) endgültiger Verzicht, der einen Unfallbeteiligten den strafbewehrten Pflichten des § 142 völlig entzieht, nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht: so etwa bei besonders engen persönlichen Beziehungen wie im Eltern-Kind-Verhältnis oder unter Ehegatten, werden hier üblicherweise doch überhaupt keine Ersatzansprüche gestellt. 545 In aller Regel wird nur von einem (mutmaßlichen) partiellen Verzicht und somit davon auszugehen sein, dass der Berechtigte sich (zunächst) mit bestimmten Feststellungen begnügt: 546 etwa damit, dass der an sich Wartepflichtige den ihm namentlich bekannten Verletzten erst später in Kenntnis setzt 547 oder die erforderlichen Feststellungen nicht am Unfallort

93

539 540

Dazu auch Bernsmann N Z V 1 9 8 9 5 4 . Hierzu und zum Folgenden auch Janiszewski Rdn. 4 9 9 , Rudolphi SK Rdn. 21, Schild N K Rdn. 9 6 und Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 7 4 f sowie vor allem Bernsmann N Z V 1 9 8 9 5 4 ff und Küper J Z 1 9 8 1 211 ff.

541

Ebenso Schild AK Rdn. 130 (dieses Stichwort fehlt aber später bei Schild N K Rdn. 9 6 ; dort nur: „nach objektiver Enschätzung"); skeptisch Küper J Z 1 9 8 1 2 1 2 .

542

BayObLG VRS 6 4 ( 1 0 8 3 ) 1 2 2 . O L G Koblenz VRS 5 7 ( 1 9 7 9 ) 14 sowie O L G Düsseldorf VRS 8 0 ( 1 9 9 1 ) 2 7 7 .

543

544

545 546 547

BayObLG VRS 6 4 ( 1 9 8 3 ) 1 2 2 sowie VRS 6 8 ( 1 9 8 5 ) 115. Ebenso Bernsmann N Z V 1 9 8 9 5 4 . Näher dazu Bernsmann N Z V 1 9 8 9 5 6 ff. BayObLG VRS 6 8 ( 1 9 8 5 ) 1 1 5 und GA 1 9 8 6 4 5 5 . Durfte der Pflichtige aber davon ausgehen, dass der Berechtigte sich auch mit späteren, d.h. im Sinn von Absatz 2 nicht mehr „unverzüglichen" nachträglichen Mitteilungen begnügt, liegt ein endgültiger Verzicht vor; die nachträgliche Nichterfüllung bleibt dann straflos (Bernsmann NZV 1989 57).

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

selbst, sondern an einer anderen Stelle ermöglicht werden 5 4 8 . In beiden Fällen entfernt sich der Unfallbeteiligte „berechtigt"ermaßen vom Unfallort, so dass er nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 verpflichtet bleibt, die erforderlichen Feststellungen unverzüglich wenigstens nachträglich zu ermöglichen; 5 4 9 was insoweit zu einem erklärten (partiellen) Feststellungsverzicht ausgeführt wurde (Rdn. 8 0 ff), gilt entsprechend auch hier. Allein das Zurücklassen eines Zettels mit Namen und Anschrift sowie der Bitte an den Geschädigten, sich zwecks Schadensregulierung mit dem Schädiger in Verbindung zu setzen, befreit jedoch nicht von den Pflichten der Absätze 2 und 3 . 5 5 0 Nach der Konzeption des Gesetzes (Einführung einer nachträglichen Meldepflicht) und nicht zuletzt seit Einführung des neuen Absatzes 4 (tätige Reue) geht es selbst bei geringem Schaden und weitgehend eindeutiger Haftungslage nicht an, mit Hilfe der Rechtsfigur eines „mutmaßlichen Feststellungsverzichts" einen an sich Pflichtigen bei Vornahme solcher Ersatzmaßnahmen von den Pflichten des § 142 gänzlich zu entbinden; 5 5 1 derartige Ersatzmaßnahmen führen allenfalls zu einer Verkürzung der Wartepflicht und von hier aus zu den subsidiären Pflichten der Absätze 2 und 3. Ist das Hinterlassen eines solchen Zettels nachgewiesen, kann jedoch (und sollte vermehrt) von den Einstellungsmöglichkeiten der §§ 153 und 153a StPO Gebrauch gemacht werden. 5 5 2 94

bb) Kasuistik. Von einem mutmaßlichen Feststellungsverzicht wird danach vor allem auszugehen sein, wenn der Geschädigte ein Angehöriger, 553 ein guter Bekannter 5 5 4 (Freund, Nachbar, Arbeitskollege o.ä.) oder der Arbeitgeber 5 5 5 ist und die wechselseitigen Beziehungen so beschaffen sind, dass von einer einvernehmlichen Klärung der Unfallfolgen ausgegangen werden kann und diese nicht unbedingt an der eigentlichen Unfallstelle vorgenommen werden muss. 5 5 6 Gleiches dürfte im Fall eines in einen Unfall verwickelten Leasing- 5 5 7 oder Mietfahrzeuges gelten, sofern man derartige Schäden nicht bereits als Alleinschäden wertet (dazu schon Rdn. 72). Nach heute wohl grundsätzlich gefestigter Rechtsprechung 5 5 8 kann eine Wartepflicht im Hinblick auf einen mutmaßlichen Feststellungsverzicht des Geschädigten ferner entfallen, wenn der Unfallbeteiligte

548 549

550 551

552 553

OLG Köln VRS 76 (1989) 359. BayObLG DAR 1983 25 und StV 1985 109; zustimmend Schild NK Rdn. 96. Ebenso nachdrücklich Janizewski 511. KG VRS 33 (1967) 275 zu § 142 a.F. und OLG Köln VRS 64 (1983) 115 zu § 142 n.F.: je mit zahlreichen Nachweisen; vgl. auch Janiszewski DAR 1975 174. Ebenso Janiszewski Rdn. 511. Auf eine besondere Nähe der Verwandtschaft kommt es dabei ebensowenig an (BayObLG VRS 68 (1985) 114) wie auf den Umfang des Schadens: OLG Hamm VRS 23 (1962) 105 und BayObLG VRS 64 (1983) 121; vgl. auch OLG Hamm VRS 37 (1969) 433 und NJW 1971 1470, OLG Hamburg NJW 1960 1482 sowie BayObLG nach Rüth DAR 1970 261 und DAR 1984 240. Überholt KG VRS 15 (1958) 122 (wo selbst bei einem Mutter-Sohn-Verhältnis eine im Voraus erklärte (konkludente) Verzichtvereinbarung verlangt wurde).

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OLG Hamburg NJW 1960 1486, OLG Hamm VRS 37 (1969) 433, BayObLG VRS 64 (1983) 121, VRS 68 (1985) 114, GA 1984 455 und NZV 1992 413. OLG Hamm VRS 15 (1958) 340 und VM 1964 63, OLG Zweibrücken DAR 1991 431 und BayObLG NZV 1992 413. BayObLG VRS 68 (1985) 116 sowie BayObLG (RReg 2 St 331/86): zitiert nach Janiszewski NStZ 1987 113. So jedenfalls OLG Hamm (Z) NZV 1992 240. Grundsätzlich ablehnend aber noch OLG Frankfurt a.M. NJW 1962 685 und NJW 1963 1215. Deutlich großzügiger (obgleich nicht wegen mutmaßlicher Einwilligung, sondern aus Zumutbarkeitsgründen) OLG Bremen NJW 1967 990 und KG JR 1967 469 (mit Anm. Schröder aaO).

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

am Unfallort seine Visitenkarte oder einen Zettel mit der Nachricht zurücklässt, den Unfall verursacht zu haben und zum Ersatz des angerichteten Schadens bereit zu sein: dies allerdings nur, wenn es sich um einen eher geringfügigen Schaden handelt und die Haftungslage eindeutig ist. 5 5 9 Wie schon ausgeführt (Rdn. 93), kann sich der Unfallbeteiligte mit einer solchen Ersatzmaßnahme den Pflichten des § 142 aber nicht völlig entziehen; es bleiben in aller Regel die (strafbewehrten) subsidiären Pflichten der Absätze 2 und 3. Von einem mutmaßlichen Verzicht kann schließlich ausgegangen werden, z.B. wenn sich der bei einem Verkehrsunfall Verletzte in ein nahegelegenes Krankenhaus begeben hat, ohne zuvor mit dem Wartepflichtigen über dessen Unfallbeteiligung und die daraus folgende Schadensregulierung gesprochen zu haben, 5 6 0 wenn der an sich wartepflichtige Unfallbeteiligte einem Berechtigten zwecks Benachrichtigung über den von ihm nicht bemerkten Unfall hinterherfährt 561 oder sich bei Fehlen von feststellungsbereiten Personen von der Unfallstelle entfernt, um die Polizei zu benachrichtigen. 562 3. Die Pflichten bei Anwesenheit feststellungsbereiter Personen (Abs. 1 Nr. 1). Wie bereits ausgeführt (Rdn. 57 f und 68 ff), verwirklicht den Tatbestand des Absatzes 1 durch (vorsätzliches) Sichentfernen vom Unfallort (dazu nachfolgend Rdn. 118 ff) nur, wer nicht zuvor die dort zusätzlich aufgeführten alternierenden Pflichten der Nrn. 1 oder 2 erfüllt hat. Sofern im Augenblick der Tathandlung (Sichentfernen) feststellungsbereite Personen am Unfallort anwesend sind (zu diesem Personenkreis bereits Rdn. 51 f) oder jedenfalls während der Wartezeit am Unfallort erscheinen, 563 hat der Unfallbeteiligte ausweislich der Nr. 1 „zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist," zu ermöglichen. Darin sind zwei sich summierende Pflichten enthalten:

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a) Zunächst einmal muss der Unfallbeteiligte angeben, „dass er an dem Unfall beteiligt ist" (Vorstellungspflicht). Diese Pflicht zur Aktivität (zu ihrer Vereinbarkeit mit dem strafrechtlichen Selbstbelastungsverbot bereits Rdn. 63 f) ist gewissermaßen der Ausgleich für die Wohltat, ansonsten allein „durch seine Anwesenheit", d.h. rein passiv die Feststellung der Unfallfolgen durch andere duldend ermöglichen zu müssen (dazu nachfolgend Rdn. 100 ff).

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aa) Umfang und Inhalt der Vorstellungspflicht sind umstritten: 5 6 4 (1) Nicht durchgesetzt hat sich eine (de lege ferenda vernünftige und trotz selbstbegünstigungsspezifischer Spannungslage durchaus tolerable) literarische Minderansicht, die aus teleologischen Gründen und nicht zuletzt unter Hinweis auf § 34 Abs. 1 Nr. 5b StVO („auf Verlangen seinen Namen und seine Anschrift anzugeben sowie ... Führerschein und Fahrzeugschein vorzuweisen und nach bestem Wissen Angaben über seine Haftpflichtversicherung zu machen") auch im Rahmen von § 142 Abs. 1 Nr. 1 für eine umfassende Vorstellung (Namen, Anschrift, Halter, Versicherung, „Rolle" bei der Unfallverursachung u.ä.) sowie

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559

Vgl. statt vieler BayObLG DAR 1970 163, OLG Hamm NJW 1971 1470 und OLG Köln VRS 6 4 (1983) 116: alle m.w.N.; auf dieser Linie auch Schild NK Rdn. 96, Rudolphi SK Rdn. 21 und Jäger HK Rdn. 108. Dazu auch Küper J Z 1981 212 (doch mit besonders strengem Maßstab) sowie Bernsmann N Z V 1989 56 ff.

560 561 562 563

564

OLG Köln VRS 63 (1982) 349. BayObLG VRS 61 (1981) 31. Ebenso Schild AK Rdn. 130. So den Anwendungsbereich des Abs. 1 Nr. 1 zu Recht über den reinen Wortlaut hinaus erweiternd Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 4 9 / 3 4 (S. 625). Ausführlich Küper J Z 1988 481 ff.

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§142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

insbesondere dafür plädiert, dabei unbedingt auch wahrheitsgemäße müssen. 565

Angaben machen zu

98

(2) Rechtsprechung 566 und weithin h.M. im Schrifttum 567 begnügen sich demgegenüber zu Recht mit der Pflicht lediglich zur Angabe, dass ein - vom Geschädigten eventuell noch gar nicht entdeckter 568 - Unfall geschehen und der Täter möglicherweise daran beteiligt ist; 5 6 9 der Pflichtige hat also auch einen ggf. erst nachträglich am Unfallort eintreffenden Geschädigten darüber in Kenntnis zu setzen, dass während seiner Abwesenheit an seinem Fahrzeug ein Schaden entstanden ist. Der Unfallbeteiligte muss sich dabei lediglich als solcher zu erkennen geben; dieser Vorstellungspflicht kommt aber nicht nach, wer am Unfallort seine Unfallbeteiligung ausdrücklich leugnet, sich z.B. als unbeteiligter Beifahrer ausgibt 570 oder wahrheitswidrig behauptet, seine Ehefrau habe das Fahrzeug geführt. 571 Demgegenüber beinhaltet die Vorstellungspflicht nicht, (zusätzlich zur Angabe der Unfallbeteiligung als solcher) sich selbst als unfallverursachenden Führer des unfallbeteiligten Fahrzeugs zu erkennen zu geben oder sonst Angaben zum Unfallgeschehen und insbesondere zur „Rolle" zu machen, die man als Unfallbeteiligter dabei gespielt hat: 5 7 2 alles dies und insbesondere die Personalien des Unfallbeteiligten sowie z.B. die Anschrift der Haftpflichtversicherung festzustellen bleibt Aufgabe des Geschädigten, anderer Unfallbeteiligter oder feststellungsbereiter Dritter. Dieser engen Auslegung des Gesetzes steht im Übrigen auch Abs. 3 nicht entgegen, wonach vom Pflichtigen (jedenfalls unter den Bedingungen des Absatzes 2!) zusätzlich zur Angabe der Unfallbeteiligung als solcher die (wahrheitsgemäße) Angabe der Anschrift, des Aufenthaltsortes und des Kennzeichens bzw. des Standortes des Fahrzeugs abverlangt wird (S. 1) und aktive Vereitelungshandlungen ausdrücklich untersagt werden (S. 2). Die Regelung des Abs. 3 stellt nur einen Ausgleich dafür dar, dass bei den durch Abs. 2 vorgesehenen nachträglichen Feststellungen die räumliche Bindung an das Unfallgeschehen nicht mehr vorhanden ist. Demgegenüber erklärt sich die Zurückhaltung des Gesetzes in Abs. 1 aus dem Bemühen, die Beschränkungen der Eigenbegünstigung möglichst klein zu halten. Verweigert der Unfallbeteiligte seine weitergehende Mitwirkung, muss er eben länger warten und ggf. sogar das Hinzuziehen der Polizei dulden. 573 Die Vorstellungspflicht entfällt, wenn die Unfallbeteiligung schon bekannt ist. 574

99

bb) Soweit die Vorstellungspflicht reicht, doch nur in diesem Umfang (also keineswegs z.B. hinsichtlich der „Rolle", die der mögliche Täter dabei gespielt hat!) müssen die Angaben der Wahrheit entsprechen. Jedoch macht sich ein Unfallbeteiligter allein durch Falschangaben zur Unfallbeteiligung noch nicht strafbar; verwirklicht wird der Tat565

566

567

568

So aber nach wie vor Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 1 4 9 / 3 6 (S. 625); so auch schon Jagusch NJW 1975 1631 und N J W 1 9 7 6 504. S. vor allem BGHSt 3 0 160 (164); so auch BayObLG N Z V 1993 35, OLG Karlsruhe VRS 58 (1980) 4 0 6 sowie OLG Frankfurt a.M. NJW 1977 1833. Ausführlich Küper J Z 1988 481 ff. Vgl. im Übrigen statt vieler auch Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 30, Rudolphi SK Rdn. 29, Lackner/Kühl Rdn. 18 sowie Maier J Z 1975 I I I und NJW 1976 1191: allem.w.N. So für die Neufassung des Gesetzes zu Recht Berz DAR 1975 311, Maier J Z 1975 7 2 4 und Müller-Emmert/Maier DRiZ 1975 177.

796

569 570

571 572 573

574

Dazu auch BTDrucks. 7 / 2 4 3 4 , S. 7. OLG Frankfurt a.M. NJW 1977 1833 und OLG Hamm VRS 68 (1985) 111. OLG Karlsruhe VRS 58 (1980) 4 0 6 BayObLG N Z V 1993 35. Wohl zu Unrecht plädiert Magdowski (S. 110) demgegenüber für eine verfassungskonforme Auslegung dahin, die Vorstellungspflicht auf Angaben gegenüber Privaten, nicht aber auch gegenüber der Polizei zu beschränken. BayObLG N Z V 1993 36 und OLG Celle NdsRpfl 1978 2 8 6 .

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

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bestand erst, wenn der Täter sich daraufhin vom Unfallort entfernt hat. 5 7 5 Wer also nur versucht, durch unwahre Angaben seine Unfallbeteiligung zu leugnen, macht sich nicht strafbar, wenn die danach erforderlichen Feststellungen noch rechtzeitig (d.h. noch bevor der an sich Wartepflichtige sich vom Unfallort entfernt) anderweitig in ausreichendem Umfang getroffen worden sind. 5 7 6 Nicht verletzt wird die Vorstellungspflicht im Übrigen durch Falschangaben außerhalb ihres normierten Gegenstandes, z.B. durch falsche Angaben zur Person oder durch die Lüge, auch ohne weitere genauere Feststellungen den Schaden ersetzen oder die Polizei zwecks genauerer Ermittlung des Unfallhergangs herbeirufen zu wollen. 5 7 7 Wie bereits in anderem Zusammenhang ausgeführt (Rdn. 90), ist davon jedoch die Frage zu trennen, ob der Unfallbeteiligte angesichts einer solchen Täuschung dem gesetzlichen Normgebot, Feststellungen zu seiner Person, seinem Fahrzeug und der Art seiner Unfallbeteiligung zu „ermöglichen", überhaupt nachgekommen ist. Wie dort erläutert, ist dies zu verneinen; denn wer Feststellungen aktiv vereitelt, „ermöglicht" sie nicht. b) Des Weiteren muss der Täter die genannten Feststellungen allein „durch seine Anwesenheit" ermöglichen; demzufolge ist ihm nicht mehr auferlegt als rein passiv zu dulden, dass andere vor Ort die nötigen Feststellungen erheben (passive Feststellungsduldungspflicht). Trifft den Beschuldigten somit keine (über die bloße Angabe, an der Verursachung des Unfalls möglicherweise beteiligt zu sein, hinausgehende) Pflicht, aktiv an seiner eigenen Überführung mitzuwirken, ist er an sich weder dazu zu zwingen, dem andern seinen Namen und seine Anschrift selbst mitzuteilen oder diesem die Erlangung solcher Informationen durch eigenes aktives Tun dadurch zu ermöglichen, dass er seinen Führerschein oder einen Personalausweis vorlegt, 5 7 8 noch dazu verpflichtet, auf Wunsch des Unfallgegners (oder einer feststellungsbereiten anderen Person) z.B. mit zu einer Polizeiwache zu fahren. 5 7 9 Verweigert der Unfallbeteiligte jedoch diese Angaben und ihre Überprüfung, muss er notfalls warten, bis die Polizei eintrifft und diese Feststellungen erhebt. 5 8 0

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Von hier aus ist es nur folgerichtig, dass auch aktive Verschleierungshandlungen (wie z.B. das Beseitigen von Spuren am Unfallfahrzeug oder an der Unfallstelle 5 8 1 , das Wegbringen- oder Wegfahrenlassen des Unfallfahrzeugs durch einen Nicht-Unfallbeteiligt e n 5 8 2 , das Nachtrinken von A l k o h o l 5 8 3 , das Vorzeigen eines gefälschten Führerscheins 5 8 4 oder die Flucht vor einer polizeilich angeordneten Blutentnahme), 5 8 5 die die

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So auch ausdrücklich BGHSt 30 160 (163 f); vgl. auch OLG Hamm NJW 1979 439. OLG Hamm VRS 68 (1985) 111. Gegenteiliger Ansicht die oben (Rdn. 97) erläuterte, doch abgelehnte Minderansicht, die von einer umfassenden (und wahrheitsgemäßen) Vorstellungspflicht ausgeht. Gegenteiliger Ansicht OLG Stuttgart NJW 1981 879 sowie OLG Hamm nach Janiszewski NStZ 1985 257; wie hier jedoch die heute wohl hM im Schrifttum: vgl. für viele Janiszewski Rdn. 504, Küper JZ 1988 473 ff, Sturm JZ 1975 722, Rudolphi SK Rdn. 24 und Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 30. OLG Köln DAR 1989 151.

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Janiszewski NStZ 1985 257 und Rudolphi SK Rdn. 24. So jeweils zu § 142 a.F. schon BGHSt 5 124 (130) sowie OLG Köln DAR 1959 271. BayObLG VRS 78 (1990) 443. OLG Frankfurt a.M. NJW 1967 2073 sowie OLG Oldenburg NJW 1955 192 und VM 1973 68. BGH bei Dallinger MDR 1973 555. OLG Zweibrücken NZV 1990 78 (dort ging es allerdings um eine polizeilich angeordnete Blutentnahme nach Erledigung aller zur Abwehr unberechtigter zivilrechtlicher Ansprüche erforderlicher sonstiger Feststellungen). Zustimmung bei Jagow/Burmann/Heß Rdn. 16, ablehnend Hentschel/König

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Aufklärung des Unfallgeschehens erschweren oder gar unmöglich machen, als solche an sich nicht unter den Tatbestand von Abs. 1 Nr. 1 fallen. 5 8 6 Wie bereits mehrfach ausgeführt, ist davon jedoch die Frage zu trennen, ob ein Unfallbeteiligter seiner Pflicht, am Unfallort Feststellungen seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Unfallbeteiligung zu „ermöglichen", auch nachkommt, wenn er die dafür nötigen Feststellungen durch aktive Verschleierungsmaßnahmen vereitelt; wie bereits erläutert (Rdn. 9 0 und 99), ist dies zu verneinen. Im Übrigen sind derartige Verschleierungsaktivitäten bußgeldbewehrt (§§ 3 4 Abs. 3 i.V. mit 4 9 Abs. 1 Nr. 2 9 StVO); sie können (sofern § 142 aus anderen Gründen zu bejahen ist) strafschärfend berücksichtigt werden. 5 8 7 102

aa) Gegenstand und Umfang der Feststellungen. Die Feststellungen erstrecken sich auf die Person des Unfallbeteiligten, sein Fahrzeug und die Art seiner Beteiligung am Unfall, und zwar in aller Regel am Unfallort selbst oder jedenfalls in dessen räumlichem Nahbereich. 5 8 8 Wie aus dem Schutzzweck der Norm folgt, erstreckt sich die Feststellungsduldungspflicht nur auf diejenigen Umstände, die zur Durchsetzung berechtigter bzw. zur Abwehr unberechtigter Schadensersatzansprüche erforderlich sind. Der Berechtigte muss sich danach zwar nicht mit der Feststellung nur des einen oder des anderen Punktes begnügen und muss sich auch nicht auf die Möglichkeit verweisen lassen, von sich aus mehr oder weniger umständliche Ermittlungen anzustellen; 5 8 9 der Unfallbeteiligte hat aber auch nicht alle Feststellungen zu dulden, die der Berechtigte verlangt. M a ß stab ist nicht die (gewissermaßen optimale) subjektive Wünschbarkeit einzelner Beteiligter, sondern die objektive, d.h. nach Lage des Falles hinreichend erfolgversprechende Erforderlichkeit. 5 9 0 Die Duldungspflicht entfällt somit erst dann, wenn dem Feststellungsinteresse des Berechtigten zwar nicht unbedingt restlos, 5 9 1 wohl aber nach Sachlage in erfolgversprechender Weise Genüge getan ist oder der Geschädigte bzw. feststellungsbereite Personen verbindlich auf (weitere) Feststellungen (erklärtermaßen oder mutmaßlich) verzichtet haben (dazu schon Rdn. 76 ff). Im Einzelnen:

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(1) Bei Feststellung der Person geht es um die Feststellung des Namens und des Vornamens sowie der Anschrift des als Täter in Betracht kommenden Unfallbeteiligten, bei Verwechslungsgefahr auch seines Geburtstages, 5 9 2 nicht jedoch um die Feststellung der Fahrerlaubnis bzw. des Besitzes eines Führerscheins oder des Namens der Haftpflichtver-

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Rdn. 36; immerhin zweifelnd Lackner/Kühl Rdn. 16. So auch die hM im Schrifttum: vgl. für viele Lackner/Kühl Rdn. 17, Rudolphi SK Rdn. 31, Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 23 und Fischer Rdn. 29 - alle m.w.N. Gegenteiliger Ansicht jedoch Jagusch NJW 1976 505 und Volk DAR 1982 82 f; ebenso Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 49/38 (S. 625 f). BGHSt 17 143. Gegen den (erklärten oder mutmaßlichen) Willen des Berechtigten ist eine Verlagerung der Feststellungen über die eigentliche Unfallstelle bzw. deren räumlichen Nahbereich hinaus nur nach den Kriterien des

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rechtfertigenden Notstandes oder entschuldigender Unzumutbarkeit erlaubt (so zu § 142 a.F. schon OLG Frankfurt a.M. NJW 1960 2067; zustimmend Lienen aaO); in diesem Fall erwachsen dem Unfallbeteiligten jedoch die nachträglichen Feststellungspflichten der Absätze 2 und 3 (dazu nachfolgend Rdn. 122 ff). BGHSt 16 139 (142). So die ganz hM: s. für viele Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 23, Lackner/ Kühl Rdn. 13 sowie Volk DAR 1982 82; auf dieser Linie letztlich auch Küper GA 1994 49 (57 ff). So aber Jäger HK Rdn. 74 (bedenklich). Ebenso Jäger HK Rdn. 75.

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Sicherung des Unfallverursachers (dazu nachfolgend aber auch Rdn. 105). Sofern vom Berechtigten gewünscht, erfolgt die Identitätsprüfung durch Vorlage von Ausweispapieren, 5 9 4 insbesondere des Führerscheins. 595 Verweigert der Unfallbeteiligte diese Angaben oder die gewünschte Vorlage von Identitätspapieren, muss er ggf. warten, bis die Polizei eintrifft und diese Feststellungen erhebt (dazu schon Rdn. 100). Die Person eines flüchtenden Unfallbeteiligten ist nicht schon dann in tatbestandsrelevanter Weise hinreichend sicher festgestellt, wenn feststellungsberechtigte/-bereite Personen eine namentlich bekannte Person als Unfallbeteiligten identifiziert haben; 5 9 6 denn nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes muss der Unfallbeteiligte dem Berechtigten gerade „durch seine Anwesenheit" die Chance vermitteln, möglichen späteren Beweisschwierigkeiten erfolgversprechend entgegenwirken zu können. Kasuistik. Ein Unfallbeteiligter ermöglicht die Feststellung seiner Person nicht schon dadurch, dass er den Berechtigten auffordert, das amtliche Kennzeichen des Unfallfahrzeuges oder bei einem Firmenwagen den aufgezeichneten Namen der Firma aufzuschreiben; 5 9 7 denn allein mit der Kenntnis des Halters ist nicht zwangsläufig auch der Name des das Fahrzeug (möglicherweise unberechtigt) benutzenden Fahrers hinreichend sicher ermittelt. 598 Demzufolge reicht es auch nicht aus, wenn ein Taxifahrer lediglich die TaxiNummer angibt. 5 9 9 Ob und unter welchen Voraussetzungen etwas anderes gilt, wenn es sich um ein öffentliches Verkehrsmittel handelt, bei dem mit dem Notieren des amtlichen Kennzeichens oder anderer äußerer Identifizierungsmerkmale (nicht zuletzt mit Hilfe des jeweiligen Einsatzplanes oder dank der Kenntnis der inneren Organisation des betreffenden Betriebes) mit hinreichender Sicherheit auch der Name des jeweiligen Fahrzeugführers ermittelt werden kann, ist eine Frage des Einzelfalles. Handelt es sich z.B. um einen Unfall, in den eine Straßenbahn verwickelt war, ermöglicht die Übergabe eines amtlichen Merkblattes, in dem neben Unfalldatum, Unfallzeit und genauer Angabe des Unfallortes nicht nur Liniennummer, Kurs und Wagennummer, sondern sogar die Dienstnummer des Triebwagenfahrers und seine Versicherung (nebst Versicherungsnummer) notiert sind, durchaus die sichere Feststellung des Unfallfahrers. 6 0 0 Die Feststellung seiner Person „durch seine Anwesenheit" hat aber nicht ermöglicht, wer den Unfallort gegen den Willen des Berechtigten lediglich unter Zurücklassung des Unfallfahrzeuges verlässt. 601

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(2) Zur Feststellung des Fahrzeuges gehört vor allem die Kenntnisnahme des amtliehen Kennzeichens, nach den Beweisbedürfnissen des Einzelfalles darüber hinaus aber auch Fahrzeugtyp, Baujahr, Farbe u.ä. und im Hinblick auf das Interesse des Unfallbetei-

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Gegenteiliger Ansicht jedoch Jagusch NJW 1976 504 und offenbar auch OLG Karlsruhe NJW 1973 379; wie hier aber Maurach/Schroeder/Maiwald BT I 49/27 (S. 623) und Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 23. OLG Stuttgart VRS 63 (1982) 203 und KG VRS 67(1984) 262. OLG Koblenz VRS 52 (1977) 275. So aber OLG Celle NdsRpfl 1978 286; zu Fällen dieser Art s. auch BayObLG DAR 1956 15. BGHSt 16 139 (144) sowie OLG Celle NdsRpfl 1960 280, OLG Stuttgart VRS 59 (1980) 419, BayObLG N J W 1984 67 und OLG Düsseldorf VRS 68 (1985) 449.

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Verfehlt LG Baden-Baden VRS 91 (1996) 474: Danach soll es ausreichen, wenn der Fahrer eines Lastwagens nach einem durch ihn verursachten Unfall die Feststellung seiner Person allein dadurch ermöglicht, dass er sich als Firmenchef bekennt und ansonsten auf den Firmenaufdruck an dem Lkw hinweist. OLG Nürnberg N Z V 2007 535 = DAR 2007 530. Zutreffend LG Leipzig N Z V 1994 373; zustimmend Rudolphi SK Rdn. 24. Auf dieser Linie schon OLG Neustadt N J W 1960 688 (zustimmend Härtung aaO). BGHSt 16 139 (144).

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ligten, nicht unberechtigten Schadensersatzansprüchen ausgesetzt zu werden, auch mögliche Vorbeschädigungen. Weil der Geschädigte seine Ansprüche nach § 3 PflVG unmittelbar gegenüber der Versicherung geltend machen kann, gehört zur Feststellung des Fahrzeuges schließlich auch die Angabe des Versicherers602 und im Zusammenhang damit die Anschrift des Halters. 106

(3) Schließlich muss jeder Unfallbeteiligte Feststellungen über die Art der Beteiligung am Unfall dulden. Beteiligung in diesem Sinn meint jedes tatsächliche Verhalten eines Unfallbeteiligten, das nach Lage der Dinge zur Entstehung des Unfalls geführt und für die erfolgversprechende Durchsetzung begründeter bzw. die Abwehr unbegründeter zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche Bedeutung haben kann. 603 Davon zu trennen ist die rechtliche Würdigung der festzustellenden Tatsachen. Da sich die Feststellungspflicht nur auf die Aufklärung des zu einem Unfall führenden tatsächlichen Verhaltens und nicht auf dessen rechtliche Bewertung erstreckt, begründen Unsicherheiten und Uneinigkeit der Beteiligten über die Schadenshöhe (eines tatsächlich festgestellten Schadens) keine Feststellungsduldungspflichten; rechtliche Zugeständnisse dieser Art können über § 142 Abs. 1 Nr. 1 also nicht durchgesetzt werden. Wird die Polizei lediglich gerufen, um die bereits erhobenen Feststellungen für einen Beteiligten verbindlicher zu machen oder die juristische Interpretation dieser Tatsachen in der einen oder anderen Weise zu verfestigen, besteht demzufolge keine strafbewehrte Pflicht, das Erscheinen der Polizei abzuwarten. 604

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Kasuistik. Zu den feststellungsbedürftigen (tatsächlichen) Umständen im Einzelnen gehören alle Umstände, die für die Haftungsbegründung bzw. für deren Ausschluss und für die Schadensverteilung nach Maßgabe wechselseitigen Verschuldens von Bedeutung sein können: so insbesondere Sicherung von Unfallspuren, Art und Umfang der durch den Unfall verursachten Beschädigung an den beteiligten Fahrzeugen ebenso wie mögliche Verletzungen von in den Unfall verwickelten Personen und nicht zuletzt die Betriebssicherheit des Fahrzeugs (Zustand der Reifen und der Bremsen u.ä.). Zur „Art der Beteiligung" gehört ferner die Rolle (z.B. als Fahrer, Beifahrer, Fußgänger usw.), durch die der Unfallbeteiligte in das Unfallgeschehen verwickelt ist. Zu den feststellungsbedürftigen Tatsachen gehört schließlich und vor allem der körperliche Zustand des Unfallbeteiligten, insbesondere seine mögliche alkoholische Beeinflussung oder andere seine Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden körperlichen Defizite: jedenfalls soweit dies für die zivilrechtliche Haftungsfrage von Bedeutung ist. 605 Insoweit (und nur insoweit, nicht aber zwingend auch zugunsten staatlicher Strafverfolgung von Trunkenheitstätern!) ist der Unfallbeteiligte auch verpflichtet, zwecks Feststellung seiner alkoholischen Beeinflussung ggf. eine ärztliche Blutentnahme hinnehmen zu müssen. 606 Zu den am Unfallort zu

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Anders offenbar OLG Zweibrücken VRS 83 (1993) 336. Zutreffend OLG Koblenz VRS 52 (1977) 274. OLG Frankfurt a.M. NJW 1983 2 9 3 und OLG Hamburg NJW 1979 4 3 9 ; zustimmend Rudolphi SK Rdn. 2 6 . Dazu auch Ternig VD 2 0 0 3 9 ff. So schon BGH VRS 4 (1952) 48 und VRS 3 9 (1970) 185; auf dieser Linie die gefestigte Rechtsprechung auch der Oberlandesgerichte: vgl. OLG Oldenburg NJW 1968

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2019, OLG Saarbrücken NJW 1968 459, OLG Hamm VRS 37 (1969), 433, VRS 41 (1971) 108 und VRS 6 8 (1985) 113, OLG Koblenz VRS 4 8 (1975) 26 und VRS 52 (1977) 275, BayObLG VRS 58 (1980) 411 und VRS 65 (1983) 136 sowie KG VRS 67 (1984) 2 6 2 . Ebenso die weithin hM im Schrifttum: vgl. für viele Schild NK Rdn. 67, Rudolphi SK Rdn. 26 und Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 23; gegenteiliger Ansicht jedoch Dvorak MDR 1982 804 ff.

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treffenden Feststellungen gehört somit jedenfalls dort, wo die Feststellung der Alkoholisierung des Unfallbeteiligten für die zivilrechtliche Haftungsfrage von Bedeutung ist, auch die polizeiliche Anordnung einer Blutprobe nach § 81a StPO. Bei Anordnung einer solchen Zwangsmaßnahme besteht die Feststellungspflicht solange fort, bis entschieden ist, ob die Anordnung zwangsweise durchgesetzt werden soll und die vorübergehende Festnahme des zur Mitwirkung nicht bereiten Unfallbeteiligten zwecks Verbringung zu einem Arzt erfolgt ist. 6 0 7 Ist die alkoholische Beeinflussung des Unfallbeteiligten für das zivilrechtliche Feststellungsinteresse des Geschädigten nach Lage des Falles ohne Bedeutung, wird sie vom Feststellungsinteresse des Geschädigten nicht mehr erfasst: dies insbesondere nicht, wenn nach Art des Unfalls (wie etwa beim Anfahren eines ordnungsgemäß abgestellten Kraftfahrzeugs) 6 0 8 der Einwand eines Mitverschuldens oder einer mitwirkenden Betriebsgefahr und damit auch eine Quotelung nach § 17 StVG von vornherein ausscheidet 6 0 9 oder wenn der Unfallbeteiligte sich als solcher am Unfallort zu erkennen gibt und die nach Abs. 1 Nr. 1 vorgesehenen (und zur Befriedigung des gegnerischen Beweisinteresses ausreichenden!) Feststellungen ermöglicht, sich der Entnahme einer Blutprobe, zu der er die anwesenden Polizeibeamten nach Abschluss der Unfallaufnahme begleiten sollte, dann aber durch Flucht entzieht. 610 Eine solche Ausnahme verbietet sich aber, wenn es um Schmerzensgeldansprüche (§§ 823 und 847 BGB) geht, die vom Verschuldensnachweis (und damit vom Nachweis auch verschuldeter Trunkenheit) abhängig sind. 611 bb) Die Feststellungsduldungspflicht endet, wenn die nach Lage des Falles erforderliehen Feststellungen getroffen sind und dem Beweissicherungsinteresse des Geschädigten damit in hinreichender Art genügt ist. Maßstab dafür ist ausschließlich das Interesse des Betroffenen an der (hinreichend) sicheren Erfolg versprechenden Durchsetzung begründeter eigener bzw. der Abwehr unbegründeter fremder Schadensersatzansprüche. 612 Wie bereits ausgeführt (Rdn. 79 und Rdn. 93 f), reicht dafür die Übergabe bzw. Anbringung einer Visiten- oder Geschäftskarte mit den erforderlichen Personalien im Rahmen von Abs. 1 Nr. 1 für sich allein nicht aus, wird dadurch doch nichts („durch Anwesenheit" des Unfallbeteiligten!) zur Feststellung der Art der Beteiligung beigetragen. 613 Zur Bedeutung solcher Ersatzmaßnahmen und zur Beendigung der passiven Feststellungsduldungspflicht durch (erklärten oder mutmaßlichen) Feststellungsverzicht nach Abgabe eines Schuldanerkenntnisses s. zusätzlich zu Rdn. 79 und 93 f nachfolgend vor allem Rdn. 115 ff.

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Zutreffend OLG Köln N Z V 1 9 9 9 173: dort gegen vereinzelte Stimmen im Schrifttum (.Dvorak J Z 1981 19 und Weigend N Z V 1990 79) und insoweit auch gegen OLG Zweibrücken NJW 1 9 8 9 2765. Anders BayObLG (2 St 416/87: zit. nach Bär DAR 1988 365) zu einem Fall, in dem ein alkoholisierter Kraftfahrer einen Pkw angefahren und beschädigt hat, der verbotswidrig in einem auch nachts geltenden eingeschränkten Halteverbot geparkt war. OLG Karlsruhe VRS 4 4 (1973) 426, BayObLG VRS 58 (1980) 411 und VRS 65 (1983) 136 sowie OLG Zweibrücken VRS 7 7 (1989) 439.

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OLG Zweibrücken VRS 7 7 (1989) 4 3 9 : zutreffend jedenfalls für den Fall, dass die zivilrechtliche Haftungsfrage auch ohne Feststellung des alkoholisierten Zustandes des Unfallbeteiligten schon hinreichend gesichert ist. OLG Köln VRS 6 6 (1984) 128 und KG VRS 67 (1984) 263. OLG Koblenz VRS 48 (1975) 112. So schon zu § 142 a.F. OLG Hamm DAR 1962 82 und OLG Celle DAR 1956 2 2 1 ; zur Neufassung von § 142 s. OLG Zweibrücken VRS 7 9 (1990) 299.

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cc) Nach alledem muss ein Unfallbeteiligter dem Begehren des Geschädigten oder anderer feststellungsbereiter Personen, die erforderlichen Feststellungen (ausschließlich oder zusätzlich) durch die Polizei treffen zu lassen und somit ggf. auch deren Erscheinen am Unfallort abzuwarten, nur dann nachkommen, wenn andere Feststellungen keinen hinreichend sicheren Erfolg versprechen und die herbeigerufene Polizei zu Grund und Höhe des Schadensersatzanspruchs noch bedeutsame Feststellungen treffen kann, die andernfalls vereitelt oder maßgeblich erschwert würden.614 Kein nach § 142 strafbewehrtes Feststellungsinteresse besteht (mehr), wenn die von der Polizei zu treffenden Feststellungen ausschließlich (nur noch) der staatlichen Strafverfolgung dienen. 615

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4. Die Pflichten bei Fehlen feststellungsbereiter Personen (Abs. 1 Nr. 2). Sofern keine feststellungsbereiten Personen (dazu bereits Rdn. 48 ff) am Unfallort anwesend sind, hat der Unfallbeteiligte an der Unfallstelle „eine nach den Umständen angemessene Zeit" zu warten, bis solche Personen an der Unfallstelle eintreffen und zur Erhebung der erforderlichen Feststellungen bereit sind. Zu verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich dieser an der Grenze der verfassungsmäßigen Bestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) liegenden Generalklausel s. bereits Rdn. 62. Im Einzelnen gilt dazu folgendes:

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a) Voraussetzungen. Da als feststellungsbereite Personen auch andere Personen als der Geschädigte in Betracht kommen, besteht die Wartepflicht auch dann, wenn der Geschädigte selbst wegen einer bei dem Unfall erlittenen Verletzung (Tod, Bewusstlosigkeit oder Abtransport ins Krankenhaus) 616 zur Durchführung der erforderlichen Feststellungen entweder nicht fähig oder jedenfalls dazu nicht bereit ist. Da die erforderlichen Feststellungen grundsätzlich zugunsten sämtlicher Berechtigter zu erfolgen haben, besteht die Wartepflicht gegenüber abwesenden Berechtigten auch dann fort, wenn der Unfallbeteiligte seine Feststellungsduldungspflicht gegenüber den am Unfallort anwesenden Berechtigten erfüllt hat. Anders ist die Rechtslage nur, wenn die feststellungsbereiten Personen nach Lage des Falles willens und imstande sind, die von ihnen getroffenen Feststellungen auch an die abwesenden Berechtigten weiterzugeben;617 geht der Wartepflichtige irrig davon aus, dass die von den feststellungsbereiten Personen getroffenen Feststellungen an die abwesenden Berechtigten weitergegeben werden, kommt ein Tatbestandsirrtum in Betracht. 618 Aus welchen Gründen der Unfallbeteiligte an der Unfallstelle wartet, ist unerheblich; daher erfüllt die Wartepflicht auch, wer an der Unfallstelle nur deshalb verharrt, um z.B. sein beim Unfall beschädigtes Fahrzeug wieder aus dem Straßengraben zu ziehen 619 oder es sonst fahrfähig zu machen oder auf einen Abschlepp-

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OLG Karlsruhe VRS 4 4 (1973) 4 2 6 , OLG Stuttgart NJW 1978 900, BayObLG VRS 60 (1981) 111 und OLG Zweibrücken NZV 1992 371; so tendenziell schon OLG Hamm DAR 1962 82, OLG Oldenburg NJW 1968 2019 und KG VRS 3 4 (1968) 276. Dazu ausdrücklich auch (und zwar tendenziell deutlich strenger als OLG Zweibrücken NJW 1 9 8 9 2 7 6 5 sowie DAR 1991 431) OLG Köln DAR 1994 2 0 4 sowie VRS 96 (1999) 369 = NStZ-RR 1 9 9 9 251 = N Z V 1999 173. OLG Koblenz VRS 43 (1972) 4 2 3 und BayObLG VRS 65 (1983) 136; zustimmend

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Janiszewski Rdn. 5 0 4 b und Rudolphi SK Rdn. 27. OLG Köln VRS 6 3 (1982) 3 4 9 ; zustimmend Janiszewski Rdn. 507. BayObLG VRS 5 9 (1980) 3 4 0 und OLG Zweibrücken DAR 1991 431; ebenso Janiszewski Rdn. 512, Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 2 7 und Fischer Rdn. 24. Berz DAR 1975 312. OLG Köln NJW 2 0 0 2 1359 = NZV 2 0 0 2 2 7 6 = StV 2 0 0 2 363; zustimmend Grohmann/Pompe VD 2 0 0 3 8.

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wagen zu warten. 6 2 0 In die Wartezeit ist schließlich auch der Zeitraum einzurechnen, während dessen der Unfallbeteiligte sich - unter Zurücklassung seines Fahrzeugs und eines zur Auskunft über seine Identität und seinen Verbleib bereiten Beifahrers - zur Besorgung eines Abschleppunternehmens vorübergehend vom Unfallort entfernt. 6 2 1 Bei der Wartepflicht bleibt es auch dann, wenn mit dem Erscheinen feststellungsbereiter Personen (z.B. der Polizei) jedenfalls innerhalb einer „angemessenen" Zeit (zu deren Dauer nachfolgend Rdn. 113 f) gerechnet werden kann. Ist mit dem Eintreffen der herbeigerufenen Polizei oder anderer feststellungsbereiter Personen erst nach Ablauf einer „angemessenen" Wartefrist zu rechnen, verlängert sich die Wartezeit dadurch jedoch nicht. 6 2 2 Umstritten ist indes, ob die Wartepflicht entfällt, wenn nach Lage der Dinge mit dem Eintreffen feststellungsbereiter Personen jedenfalls innerhalb „angemessener" Frist nicht zu rechnen ist. Während die einen dies mit Hinweis auf die dann fehlende Erforderlichkeit und Eignung des Wartens verneinen, 6 2 3 bejahen andere eine Wartepflicht jedenfalls dem Grunde nach und sind nur bereit, wenigstens von einer Verkürzung der Wartezeit auszugehen: 6 2 4 dies wohl zu Recht, weil bei Verneinung einer auch dem Grunde nach abgelehnten Wartepflicht ausweislich des Gesetzes (Abs. 2 Nr. 1: „nach Ablauf der Wartefrist") keine Möglichkeit mehr zu der vom Gesetz vorgesehenen Subsidiärhaftung des Absatzes 2 bestünde. Weil es sich bei § 142 um ein abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt handelt (Rdn. 1), hängt das Bestehen der Wartepflicht im Übrigen auch nicht davon ab, ob die Aufklärung des Unfallgeschehens durch vorzeitiges Verlassen der Unfallstelle erschwert oder gar vereitelt w i r d ; 6 2 5 daher bleibt es bei der Wartepflicht auch dann, wenn an sich auch andere Beweismittel (z.B. Zeugenaussagen) zur Verfügung stehen. 6 2 6 Zu früh und damit ebenfalls unter Verletzung der Wartepflicht entfernt sich ein Unfallbeteiligter schließlich auch dann, wenn er den Unfallort zu einem Zeitpunkt verlässt, in dem die angemessene Wartefrist an sich bereits abgelaufen ist, die bereits begonnenen Feststellungen aber noch andauern. 6 2 7 Zur Frage, ob die Wartepflicht entfällt oder jedenfalls abgekürzt werden kann, wenn der an sich wartepflichtige Unfallbeteiligte die erforderlichen Feststellungen in anderer Weise als durch Warten fördert oder sich jedenfalls darum bemüht, s. nachfolgend Rdn. 115 ff.

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b) Die Dauer der Wartepflicht hat der Gesetzgeber zeitlich bewusst nicht exakt bestimmt und zu Recht auch davon abgesehen, eine - wie parlamentarisch zeitweilig erwogen wurde - nach Stunden oder Minuten festgelegte Mindestwartezeit oder jeden-

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BayObLG VRS 72 (1987) 363 sowie OLG Hamm VRS 32 (1967) 203; zustimmend Janiszewski Rdn. 512. OLG Köln VRS 24 (1963) 285. AA allerdings OLG Stuttgart NJW 1982 1769 (unter Hinweis auf § 142 Abs. 2 Nr. 1); zustimmend Fischer Rdn. 35 und Loos DAR 1983 214. Wie hier jedoch Küper NJW 1981 854, Lackner/Kühl Rdn. 19, Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 27 und Rudolphi SK Rdn. 32 sowie Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 49/34 (S. 624 f). OLG Hamburg VRS 32 (1967) 359 und OLG Koblenz VRS 49 (1975) 180; zustimmend Dornseifer JZ 1980 300, Janiszewski

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Rdn. 507, Loos/Schwerdtfeger DAR 1983 212 sowie Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 35. So zur früheren Gesetzeslage BGHSt 4 144 und 5 127. Ebenso tendenziell wohl auch zur neuen Gesetzeslage OLG Koblenz VRS 53 (1977) 110; zustimmend Küper NJW 1981 853, Lackner/Kühl Rdn. 19, Rudolphi SK Rdn. 32 und Zopfs VersR 1994 273. OLG Hamm VRS 23 (1962) 102; ebenso Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 34, Rudolphi SK Rdn. 32 und Küper GA 1994 73. OLG Saarbrücken VRS 23 (1961) 424. Schild NK Rdn. 76; vgl. auch schon OLG Bremen NJW 1955 113.

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falls feste Zeiten als unverbindliche Richtzeiten gesetzlich festzuschreiben. Um vielfältigen Besonderheiten gerecht zu werden, hat sich das Gesetz mit der Formulierung „nach den Umständen angemessene Zeit" begnügt. Die Dauer der nach den Umständen (des Einzelfalles) „angemessenen" Wartezeit bestimmt sich dabei nach der Erforderlichkeit, d.h. dem Grad des Feststellungsbedürfnisses und (im Hinblick auf die Rechtsnatur als verkapptes Unterlassungsdelikt: Rdn. 69) nicht zuletzt nach dem Grad der Zumutbarkeit. 628 Je nach den Umständen des Einzelfalles sind dafür maßgebend: Art und Schwere des Unfalls, Höhe des Sachschadens bzw. Schwere der bei dem Unfall jeweils erlittenen Verletzungen, Lage des Unfallortes, Verkehrsdichte nach Jahres- oder Tageszeit, Witterungsverhältnisse, Eindeutigkeit oder Schwierigkeit der Haftungslage, Interessenlage der Beteiligten, Möglichkeit, den Geschädigten oder die Polizei zu verständigen, welche Maßnahmen zur Sicherung der Feststellungen sonst ergriffen werden können oder ob bzw. wann mit dem Eintreffen feststellungsbereiter Personen zu rechnen ist. 629 Je geringfügiger der Schaden und je eindeutiger die Haftungslage, umso kürzer ist die zumutbare Wartezeit. Die vom Gesetz geforderte „angemessene" Wartefrist wird daher bei kleineren Schäden, bei leicht rekonstruierbaren einfachen Unfällen, bei selten befahrenen Straßen oder besonders nach Unfällen zu tiefer Nachtzeit verständlicherweise deutlich kürzer sein als etwa bei komplizierten oder schweren Unfällen; ein Unfallbeteiligter dürfte demnach gut beraten sein, z.B. bei Tötung oder schweren Personenschäden selbst unter ungünstigsten äußeren Verhältnissen bis zu einer Stunde zu warten. 630 Zur Frage der Unzumutbarkeit bei Gefahr eigener strafgerichtlicher Verfolgung s. nachfolgend Rdn. 195 ff. 114

Kasuistik. Hinsichtlich bestimmter Zeitangaben früherer Rechtsprechung631 ist Vorsicht angebracht. Weil durch die zum 1.1.1975 eingeführte zusätzliche Verpflichtung des Absatzes 2 (nämlich: bei Verlassen der Unfallstelle nach Ablauf der angemessenen Wartefrist bestimmte Feststellungen jedenfalls nachträglich zu ermöglichen) den Belangen der Feststellungsberechtigten in höherem Maß als früher Rechnung getragen ist, ist es sowohl unter Erforderlichkeits- wie unter Zumutbarkeitsaspekten angebracht, an die Dauer der Wartepflicht nach neuem Recht insgesamt geringere Anforderungen als früher zu stellen. 632 Da es im letzten Jahrzehnt kaum mehr einschlägige obergerichtliche Entscheidungen zur Dauer der Wartepflicht gibt, 633 scheint auch die Praxis dies so zu sehen. So können ausweislich nach dem 1.1.1975 ergangener einschlägiger Rechtsprechung etwa 10 bis 15 Minuten durchaus genügen, wenn es um eher geringfügige Schäden geht, die Unfallverursachungs- und die Schuldfrage alles in allem klar ist und Anhaltspunkte für ein alsbaldiges Eintreffen feststellungsbereiter Personen nach Lage der Dinge fehlen. 634 Umgekehrt dürfte eine solche Wartefrist selbst bei Nachtzeit nicht ausreichen,

628

M . w . N . Jatiiszewski Rdn. 5 0 8 und Sehl Schröder/Cramer/Stemberg-Liebett Rdn. 3 6 .

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So schon die Amtl. Begründung zu § 1 4 2 n.F. (BTDrucks. 7 / 2 4 3 4 , S. 7).

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So auch der Rat von Harro Otto, Strafrecht: Die einzelnen Delikte, 8 0 / 6 0 (S. 4 5 1 ) . Mit zahlreichen Belegen insoweit vor allem Schild AK Rdn. 1 2 0 . So schon Berz DAR 1 9 7 5 3 1 2 ; auf dieser Linie auch Jatiiszewski Rdn. 5 1 0 und Schild AK Rdn. 1 2 0 . So nachdrücklich auch O L G Zweibrücken N Z V 1 9 9 1 4 7 9 .

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Ausgenommen zur Frage, wann ein Unfallbeteiligter trotz Feststellung der Personalien

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noch das vom Unfallgegner verlangte Eintreffen der Polizei abwarten muss: tendenziell strenger als O L G Zweibrücken N J W 1 9 8 9 2 7 6 5 sowie DAR 1 9 9 1 4 3 1 offenbar O L G Köln DAR 1 9 9 4 2 0 4 sowie N Z V 2 0 0 2 2 7 6 = VRS 9 6 ( 1 9 9 9 ) 3 6 9 = N S t Z - R R 1 9 9 9 251. 634

O L G Stuttgart N J W 1 9 8 1 1 1 0 7 (nächtlicher Unfall im Winter mit geschätztem Schaden von etwa 2 0 0 Euro, wenn der wartepflichtige Unfallbeteiligte zudem ohne ausreichende Winterkleidung ist), BayObLG VRS 6 0 ( 1 9 8 1 ) 112 (nächtliche Beschädigung eines Brückengeländers mit Sachscha-

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

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wenn es um höhere Sachschäden oder um die Verletzung von Personen oder aber um einen Unfall in bewohnter Gegend geht, wo mit alsbaldigem Eintreffen feststellungsbereiter Personen durchaus zu rechnen ist. 635 Rund 20 Minuten werden wohl als „angemessen" ausreichen, wenn bei einem nächtlichen Unfall ein auf einem öffentlichen Parkplatz stehendes Fahrzeug nur leicht beschädigt 636 oder außerhalb eines Wohngebietes nur die Leitplanke beschädigt und das Unfallfahrzeug an der Unfallstelle zurückgelassen wird, 637 hingegen wohl nicht genügen, wenn sich der Unfall mit einem Sachschaden von mehr als 300 Euro gegen 20 Uhr in einer Großstadtstraße ereignet hat. 6 3 8 Eine Wartezeit von 30 Minuten wurde für ausreichend gehalten bei einem abendlichen Unfall (22 Uhr) in großstädtischem Verkehr, bei dem Sträucher auf dem Mittelstreifen einer mehrspurigen Autostraße beschädigt wurden (ca. 150 Euro, 6 3 9 oder nach mittäglicher Beschädigung einer Autobahnbrücke (geschätzter Schaden um 300 Euro), wenn der alleinige Unfallbeteiligte im Anschluss daran alsbald für die Unterrichtung der zuständigen Straßenmeisterei sorgt. 640 Wartezeiten über 30 Minuten und bis zu einer Stunde sind allenfalls bei erheblichen Schäden oder dann angebracht, wenn nachträgliche Feststellungen dem Befriedigungsinteresse des Geschädigten ersichtlich weniger genügen als sofortige Ermittlungen der Unfallursachen direkt am Unfallort, etwa weil das Verlassen der Unfallstelle den Untergang von Beweismitteln zur Folge hat. 641 c) Ein Unfallbeteiligter kann auch durch eigenes Verhalten nach dem Unfall die Dauer der Wartefrist beeinflussen, und zwar verkürzend oder verlängernd: 642

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aa) Fördert oder sichert er bei Fehlen feststellungsbereiter Personen die notwendigen Feststellungen durch eigene Aktivitäten, kann dies im Rahmen der gebotenen Interessenund Zumutbarkeitsabwägung (ohne dass es hierfür eines mutmaßlichen Feststellungsverzichts bedarf: dazu bereits Rdn. 92 ff) jedenfalls zu einer Abkürzung der Wartefrist

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den von ca. 4 0 0 Euro bei ansonsten klarer Schuldfrage, wenn der alleinige Unfallbeteiligte zudem völlig durchnässt und durchgefroren ist), O L G Köln VRS 6 0 ( 1 9 8 1 ) 4 3 4 (vorabendlicher Unfall mit Sachschaden von ca. 1 0 0 Euro in belebter städtischer City) und O L G Düsseldorf VRS 8 7 ( 1 9 9 4 ) 2 9 0 (nachmittäglicher Unfall mit Beschädigung eines Gartenzaunes in H ö h e von ca. 1 5 0 Euro und nach vergeblichem Klingeln am Haustor); vgl. auch O L G Düsseldorf V M 1 9 7 6 Nr. 7 9 sowie aus jüngerer Zeit O L G Köln N J W 2 0 0 2 1 3 5 9 = N Z V 2 0 0 2 276. 635

O L G Koblenz VRS 4 9 ( 1 9 7 5 ) 1 8 0 (nächtlicher Unfall auf selten befahrener Wohnstraße mit geschätztem Sachschaden von ca. 7 5 0 Euro), O L G H a m m V R S 5 4 ( 1 9 7 8 ) 117 (vorabendlicher Unfall mit leichtem Sachschaden auf vielbefahrener Bundesstraße), O L G Köln VRS 6 3 ( 1 9 8 2 ) 3 4 9 (beim Unfall verletzter Radfahrer hat sich ins nahegelegene Krankenhaus begeben) und O L G Schleswig D A R 1 9 7 8 5 0 (Unfall in der

N a c h t von Sonnabend auf Sonntag: zwar geringer Sachschaden, doch Wohngegend). 636 637

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OLG OLG auch DAR

Zweibrücken DAR 1 9 9 1 3 3 . Saarbrücken V R S 4 6 ( 1 9 7 4 ) 1 8 7 ; dazu O L G Zweibrücken N Z V 1 9 9 1 4 7 9 = 1992 30.

BayObLG VRS 6 4 ( 1 9 8 3 ) 119; ähnlich O L G Stuttgart D A R 1 9 7 7 2 2 (Unfall gegen 18 Uhr auf Bundesstraße kurz hinter Ortsende in bebauter Gegend; Sachschaden von ca. 3 0 0 Euro). BayObLG VRS 6 0 ( 1 9 8 1 ) 112.

640

O L G H a m m V R S 5 9 ( 1 9 8 0 ) 2 5 8 . Vgl. auch O L G Düsseldorf V M 1 9 7 8 5 4 (eher geringfügiger Sachschaden - Beschädigung eines Baumes und eines Hydranten - zur N a c h t zeit auf verkehrsarmer Straße). Ähnlich O L G Stuttgart VRS 6 0 ( 1 9 8 1 ) 1 9 6 (nächtlicher Unfall zur Winterzeit mit Beschädigung eines Baumes und eines Brückengeländers in H ö h e von ca. 3 0 0 Euro).

641

Ebenso Magdowski S. 1 3 4 . M . w . N . dazu vor allem Grohmann/Pompe V D 2 0 0 3 7 ff.

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führen; im Einzelfall kann diese dabei sogar auf ein Minimum schrumpfen. 643 Dies kann etwa der Fall sein, wenn der an sich wartepflichtige Unfallbeteiligte die Polizei 644 oder den Geschädigten selbst benachrichtigt 645 oder sein Fahrzeug (ggf. samt Fahrzeug- und Ausweispapieren) oder einen Beifahrer mit der Bitte am Unfallort zurücklässt, den Geschädigten/die Polizei zu informieren. 646 In solchen Fällen ist der Unfallbeteiligte in Wahrheit bereits dabei, die ihm nach Abs. 2 auferlegte nachträgliche Meldepflicht zu erfüllen. Nach Bagatellfällen bei einfacher Sach- und Rechtslage wird Gleiches auch angenommen werden können, wenn der Unfallbeteiligte einen Zettel oder eine Visitenkarte mit (richtigem) Namen, Anschrift und Kennzeichen des Fahrzeugs am beschädigten Fremdfahrzeug als Hinweis dafür zurücklässt, als Schädiger für den Unfall einstehen zu wollen. 647 Ungeachtet dessen bleibt es aber auch nach der Neufassung des Gesetzes dabei, dass sich ein Unfallbeteiligter, der sich sofort, d.h. ohne jedes Abwarten allein unter Hinterlassen einer Visitenkarte von der Unfallstelle entfernt, auch dann nach Abs. 1 Nr. 2 strafbar gemacht hat, wenn er die Polizei oder den Versicherer zeitnah über seine Unfallbeteiligung informiert; in diesem Fall heilt selbst die alsbaldige nachträgliche Informierung nicht die bereits nach Abs. 1 Nr. 2 eingetretene Strafbarkeit. 648 Somit ersetzt das Zurücklassen einer derartigen Notiz (nochmals: nach immerhin kurzem Abwarten am Unfallort) nicht die am Unfallort erforderlichen Feststellungen, sondern ist in aller Regel lediglich der erste Schritt zur erforderlichen nachträglichen Benachrichtigung (Näheres dazu nachfolgend Rdn. 137 ff). 6 4 9 Im Hinblick auf das Risiko, dass der Zettel vom Winde verweht oder von Unberechtigten weggenommen wird, ist im Übrigen zu differenzieren: Wird die Nachricht des Schädigers gefunden und der Unfallverursacher vom Geschädigten daraufhin zur Klärung der Angelegenheit kontaktiert, hat der Unfallbeteiligte mit der Hinterlegung des Zettels nicht nur seine Wartepflicht (§ 142 Abs. 1 Nr. 2), sondern zugleich damit auch seine nachträgliche Meldepflicht erfüllt (Abs. 2). Geht der Zettel verloren oder meldet sich der Geschädigte nicht bei dem Unfallverursacher, muss der Unfallbeteiligte („unverzüglich") seiner weitergehenden Meldepflicht nachkommen, indem er sich entweder nach der Adresse des Geschädigten erkundigt oder sich bei der Polizei meldet. 650 Noch „unverzüglich" handelt er in einem solchen Fall jedenfalls dann, wenn er die Zeit abwartet, die nach Lage des Einzelfalles üblicherweise vergeht, bis der Unfall entdeckt wird und der Geschädigte sich meldet; diese Frist kann am Wochenende, an Feiertagen oder nachts größer sein als wochentags 651 (weiter dazu nachfolgend auch Rdn. 137 ff). Nur ausnahmsweise, d.h. nur unter den strengen Voraus-

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Hierzu vor allem Berz DAR 1975 312, Janiszewski Rdn. 511, Lackner/Kühl Rdn. 19, Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 4 9 / 5 0 (S. 628), Scb/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 4 0 , Rudolphi SK Rdn. 34 sowie Zopfs DRiZ 1994 87. So schon zur früheren Gesetzeslage OLG Hamm VRS 13 (1957) 137 und OLG Frankfurt a.M. NJW 1967 2 0 7 3 ; so für die heutige Gesetzeslage nachdrücklich auch Grohmann/Pompe VD 2 0 0 3 7. BayObLG VRS 71 (1986) 34. OLG Zweibrücken N Z V 1991 4 7 9 = DAR 1992 30. Mit ausführlichen Nachweisen dazu Hartmann-Hilter N Z V 1992 4 2 9 ff. Überholt

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sind damit wohl frühere Entscheidungen (OLG Frankfurt N J W 1963 1215 und OLG Hamburg MDR 1978 859), in denen eine Abkürzung der Wartefrist in diesen Fällen grundsätzlich abgelehnt wird. OLG Hamm (Z) N Z V 2 0 0 3 291 und OLG Karlsruhe VersR 2 0 0 2 1021. So zu Recht OLG Stuttgart VRS 60 (1981) 196 und OLG Zweibrücken DAR 1991 33. Auf dieser Linie schon Berz DAR 1975 312, Janiszewski DAR 1975 174, Magdowski S. 186 und Müller-Emmert/Mater DRiZ 1975 178. OLG Zweibrücken DAR 1991 33; zustimmend Hartmann-Hilter N Z V 1992 4 2 9 ff.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

Setzungen eines endgültigen mutmaßlichen Feststellungsverzichts darf sich der Wartepflichtige allein mit der Hinterlassung einer schriftlichen Mitteilung begnügen. Wie bereits ausgeführt (Rdn. 79 und Rdn. 93 f), wird dies nur bei ausgesprochenen Bagatellschäden und auch nur dann anzunehmen sein, wenn sich der Schädiger gleichzeitig uneingeschränkt zu seiner Ersatzpflicht bekennt. 652 bb) Umgekehrt kann sich die Wartezeit auch verlängern, wenn der Unfallbeteiligte durch Täuschungshandlungen von anderen eingeleitete Feststellungsbemühungen verhindert oder verzögert: etwa indem er nachträglich an der Unfallstelle erscheinende und z.B. zur Verständigung der Polizei bereite Dritte mit der Bemerkung davon abhält, er werde dies selbst tun; die bis dahin verstrichene Wartezeit kann ihm nicht zugute kommen. 653

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5. Tathandlung nach Absatz 1 ist das Sichentfernen vom Unfallort, jedoch nur vor Erfüllung der in Nr. 1 (Rdn. 95 ff) und Nr. 2 (Rdn. 110 ff) alternierend aufgeführten Pflichten:

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a) Wie bereits erläutert (Rdn. 53 ff), ist „Unfallort" nicht nur die eigentliche Unfallstelle, sondern auch deren räumlicher Nahbereich, bei dem noch ein örtlicher Bezug zur eigentlichen Unfallstelle dergestalt vorhanden ist, dass andere Unfallbeteiligte oder feststellungsbereite Personen den Täter nach den Umständen des Falles unschwer dort noch als wartepflichtigen Unfallbeteiligten erkennen können. Nach dem Schutzzweck der Norm ist der Begriff des „Sichentfernens" erfolgsbezogen und nicht lediglich als schlichte Tätigkeit zu verstehen.654 Danach ist der Tatbestand vollendet, wenn der Täter sich räumlich so weit „vom Unfallort entfernt" hat, dass er unter den Voraussetzungen der Nr. 1 die Pflicht, seine Unfallbeteiligung zu offenbaren und Feststellungen (durch andere) vor Ort zu ermöglichen, nicht mehr erfüllen kann oder im Fall der Nr. 2 den örtlichen Bereich verlassen hat, in dem andere Unfallbeteiligte oder feststellungsbereite Personen ihn unter den gegebenen Umständen noch unschwer als wartepflichtigen Unfallbeteiligten vermuten und ggf. durch Befragen ermitteln würden. 655 Ein derartiger räumlich-zeitlicher Zusammenhang besteht nicht mehr, wenn der Unfallbeteiligte nach dem Unfall z.B. innerorts fast zehn Minuten lang weitergefahren ist und in dieser Zeit etwa drei Kilometer zurückgelegt hat, ehe er von dem Unfallgeschehen Kenntnis erlangt hat. 656 Anders läge es allenfalls bei einem zu einem Unfall führenden längeren Überholvorgang, der sich in der Tat über eine längere Wegstrecke hinziehen kann. Fehlt es an diesem

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OLG Köln VRS 64 (1983) 115. So im Anschluss an BGH JR 1958 26 (mit Anm. Härtung aaO S. 27) auch BayObLG JR 1988 296 (ablehnend Hentschel aaO S. 297 f). Zustimmend Jäger HK Rdn. 86, Janiszewski Rdn. 512, Lackner/Kühl Rdn. 19, Rudolpbi SK Rdn. 34, Fischer Rdn. 36 und Grohmann/Pompe VD 2003 8; einschränkend Zopfs MK Rdn. 86. Dazu schon Sturm J Z 1975 406; ausführlich Küper J Z 1981 215 sowie ders. erst jüngst in NStZ 2008 602 (dort zu OLG Düsseldorf NZV 2008 107). So zu § 142 a.F. schon BGH NJW 1955 310. So auch für die Neufassung weithin ge-

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festigte obergerichtliche Judikatur: vgl. OLG Hamm DAR 1978 139, KG DAR 1979 22, BayObLG VRS 56 (1979) 437 sowie erst jüngst OLG Düsseldorf NZV 2008 107 = DAR 2008 154 (zustimmend Geppert, JK 8/08, StGB § 142/24 und Küper NStZ 2 0 0 8 602; eher skeptisch jedoch Blum NZV 2 0 0 8 496). OLG Düsseldorf NZV 2008 107 = DAR 2008 154; ablehnend Blum NZV 2008 496: die Grenzziehung des „räumlich-zeitlichen Zusammenhangs" mit der eigentlichen Unfallstelle sei zu eng, sondern sei bis zur Beendigung des Sichentfernens zu erstrecken.

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räumlich-zeitlichen Zusammenhang zum eigentlichen Unfallgeschehen, würde die in Abs. 1 statuierte Pflicht, sich nicht vom Unfallort zu entfernen, letztlich zu einer Rückkehrpflicht umfunktioniert, womit der Gesetzeswortlaut zum Nachteil des Täters umfunktioniert würde (unzulässige Analogie). Inwieweit ein Unfallbeteiligter sich beim Verlassen des Unfallortes beobachtet weiss, kann im Übrigen allenfalls für die (tatsächliche oder vermeintliche) Erlaubtheit seines Sichentfernens, nicht aber für dieses selbst von Bedeutung sein; die Vollendung des Delikts wird somit nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Unfallbeteiligte bei seiner Ortsveränderung beobachtet oder gar gegen seinen Willen verfolgt wird. 6 5 7 120

b) Ein tatbestandliches „Sichentfernen" ist ausgeschlossen, wenn die räumliche Entfernung vom Unfallort seitens des Täters nicht willensgetragen erfolgt (Erfordernis willensgetragener Ortsveränderung). Für die Tatbestandsmäßigkeit (nach Abs. 1) spielt dabei keine Rolle, ob es überhaupt an einer willensgetragenen Handlung fehlt (Beispiel: der Unfallfahrer wird bewusstlos ins Krankenhaus gebracht) 6 5 8 oder ob es sich um einen Fall von Nötigung (in der Form von vis absoluta) handelt (Beispiel: der Fahrer wird vorläufig festgenommen und unter Protest zur Blutprobe gebracht 6 5 9 oder der ebenfalls unfallbeteiligte Beifahrer wird entgegen seinem nachdrücklichen Verlangen, an der Unfallstelle warten zu wollen, vom unfallbeteiligten Fahrer von der Unfallstelle weggefahren). 660 In allen diesen Fällen hat der Täter „sich" nicht selbst in tatbestandsrelevanter Weise vom Unfallort „entfernt", sondern ist von dort entfernt worden. Ob in Fällen dieser Art (dann wenigstens) eine strafrechtliche Haftung nach Abs. 2 zu begründen ist; ist eine andere Frage; dazu nachfolgend Rdn. 125. Allerdings hat „sich (willensgetragen) entfernt, wer sich bewusst von einem anderen vom Unfallort wegfahren lässt. 661

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c) Weitere Kasuistik. 662 Der örtliche Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen ist gewahrt und die Tat mangels „Sichentfernens" somit nicht vollendet, wenn der Unfallbeteiligte sich räumlich nur eine gewisse Strecke von der eigentlichen Unfallstelle wegbewegt, um den Verkehr nicht zu stören oder sich bzw. sein Fahrzeug in Sicherheit zu bringen, indem er etwa statt einer möglicherweise gefährlichen Vollbremsung sein Fahrzeug lediglich auslaufen lässt oder in Sichtnähe eine verkehrsgünstige Haltestelle anfährt. 6 6 3 Kein vollendetes Sichentfernen liegt des Weiteren vor, wenn der Täter im Einvernehmen mit den anderen Unfallbeteiligten/feststellungsbereiten Personen im Nahbereich der Unfallstelle wartet und dort für weitere Feststellungen erreichbar ist. Anders liegt es jedoch, wenn sich der Täter unter auch nach außen erkennbarer Verletzung der Wartepflicht in seine eigene Wohnung absetzt oder gar z.B. in die Wohnung eines Freundes,

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BayObLG NJW 1 9 7 9 4 3 6 und OLG Stuttgart DAR 1980 248. OLG Köln VRS 5 7 (1979) 4 0 6 . BayObLG N Z V 1993 35 sowie OLG Hamm NJW 1979 438 = VRS 56 (1979) 340 und VRS 68 (1985) 111. BayObLG VRS 5 9 (1980) 2 7 sowie NJW 1982 1059. Hat es der unfallbeteiligte Mitfahrer jedoch versäumt, das ihm Mögliche und Zumutbare zu tun, um den Fahrer zum Anhalten zu bringen, ist auch der Mitfahrer nach den für unechtes Unterlassen geltenden

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Regeln verantwortlich: OLG Düsseldorf VRS 65 (1983) 364; ebenso Lackner/Kühl Rdn. 12. Ebenso Jagow/Burmann/Heß Rdn. 13 und Fischer Rdn. 22. Zu weiterer Kasuistik bereits Rdn. 53 ff sowie Römer v r D R 1980 89 ff. BayObLG Νj W 1979 4 3 6 und OLG Stuttgart DAR 1980 2 4 8 ; vgl. ferner OLG Hamm VRS 5 4 (1978) 433, OLG Bremen VRS 52 (1977) 4 2 3 sowie BayObLG bei Rüth DAR 1977 203.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

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ohne dass dafür irgendwelche Anhaltspunkte vorhanden sind. 664 Ungeachtet metermäßiger Entfernung im Einzelnen ist der räumliche Zusammenhang mit dem Unfallort aufgehoben und die Tat somit jedenfalls dann vollendet, wenn der Täter in nach außen zutage tretender Missachtung des Normbefehls, am Unfallort zu warten, sich von dort entfernt und von anderen Unfallbeteiligten oder feststellungsbereiten Personen verfolgt oder nach wenigen Metern am weiteren Wegfahren bzw. am Verschwinden in einem Haus gehindert wird. 665 Vollendet ist die Tat ferner, wenn der Täter, ohne dass dies aus Gründen des Verkehrs erforderlich oder auch nur zweckmäßig ist, sich von der eigentlichen Unfallstelle entfernt und aus sicherer Warte die Dinge beobachtet 666 oder sich dadurch außer Sichtweise bringt, dass er um die Hausecke verschwindet oder nach Kollision mit einem vor seiner Garageneinfahrt stehenden Pkw kurzerhand in seine Garage fährt oder zwischen parkenden Fahrzeugen unerkennbar „untertaucht". 667

V. Das tatbestandsmäßige Verhalten nach Abs. 2 und 3 1. Verbotsinhalt im Allgemeinen. Nach Abs. 2 verwirklicht den Tatbestand unerlaubten Sichentfernens vom Unfallort, wer sich entweder nach Ablauf der Wartefrist (Nr. 1) oder berechtigt oder entschuldigt (Nr. 2) vom Unfallort entfernt hat und die nach Abs. 1 erforderlichen Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht. Somit erweist sich die Straftat des unerlaubten Sichentfernens vom Unfallort in der Tatbestandsform des Abs. 2 als echtes Unterlassungsdelikt;668 da sich ihr Unrechtsgehalt in der Nichtvornahme der von der Gebotsnorm geforderten Handlung erschöpft, kommt es für die Tatbestandsmäßigkeit allein auf das Unterlassen der geforderten Handlung und nicht auf das Verhindern des Erfolges an. 6 6 9 Sinn und Zweck der Regelung ist es, die Feststellungsinteressen der Unfallbeteiligten und der Geschädigten unabhängig davon zu schützen, ob (mehr oder weniger zufällig) Umstände vorhanden waren, die es dem Unfallbeteiligten erlaubt haben, sich in strafloser Weise vom Unfallort zu entfernen, noch bevor dort die erforderlichen Feststellungen (vollständig) getroffen werden konnten. 670 Ein Wahlrecht, entweder die Pflichten des Abs. 1 oder diejenigen des Abs. 2 zu erfüllen, steht dem Unfallbeteiligten grundsätzlich nicht zu. 671 Damit geht die hier normierte Pflicht zu nachträglicher Ermöglichung der Feststellungen weit über die nach vormaliger Gesetzeslage von der Rechtsprechung befürwortete (doch schon damals umstrittene) Rückkehrpflicht (die es seit der Neufassung der Vorschrift jedoch nicht mehr gibt 672 ) hinaus. Da sich die Tatbestände der Absätze 1 und 2 gegenseitig ausschließen

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OLG Jena DAR 2004 599 = VRS 107 (2004) 176. OLG Celle NdsRpfl 1977 169, OLG Düsseldorf VM 1979 Nr. 41, KG VRS 35 (1968) 268 sowie BayObLG bei Rüth DAR 1977 203 und MDR 1976 330. KG DAR 1979 22 (Täter fährt ohne Halt weiter bis auf den überdachten Hausparkplatz seines schräg gegenüber der Anstoßstelle und von dieser etwa 20 m weit entfernt gelegenen Villengrundstücks). OLG Hamm DAR 1978 139 sowie OLG Stuttgart DAR 1980 248.

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So auch BayObLG NZV 1990 398; zustimmend Herzberg NZV 1990 375 und Seelmann JuS 1991 291. Differenzierend Küper J Z 1981 209 ff und GA 1994 49 ff (53). BayObLGSt 1981 86 ff und NZV 1990 398 = NJW 1990 1861 (teilweise kritisch Seelmann JuS 1991 290). Dazu auch BTDrucks. 7/2434, S. 8. OLG Hamburg VRS 55 (1978) 347; ebenso Jäger HK Rdn. 128. Dazu vor allem BGHSt 18 114 ff.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

(dazu bereits Rdn. 6 8 ) , 6 7 3 ist Abs. 2 tatbestandlich nur einschlägig, wenn der Unfallbeteiligte sich in strafloser Weise vom Unfallort entfernt hat und demzufolge eine Strafhaftung nach Abs. 1 verneint wurde. Sofern eine Strafhaftung schon nach Abs. 1 zu bejahen ist (weil der Unfallbeteiligte sich gleichsam „unerlaubtermaßen" von der Unfallstelle entfernt hat), kann die bereits nach Abs. 1 eingetretene Vollendung auch durch nachträgliche Aktivitäten der in Abs. 2 oder Abs. 3 beispielhaft beschriebenen Art nicht mehr rückgängig gemacht werden. 6 7 4 Erfüllt der Täter durch seine nachträglichen Aktivitäten nicht zugleich nach Abs. 4 die Voraussetzungen tätiger Reue (nachfolgend Rdn. 199 ff), bleibt nur die Möglichkeit der Strafmilderung oder der Einstellung nach §§ 153 oder 153a StPO. 6 7 5 Selbstverständlich entfällt die Pflicht zu („unverzüglicher") nachträglicher Ermöglichung der Feststellungen auch dann, wenn der Unfallbeteiligte seine Pflichten nach Abs. 1 restlos erfüllt 6 7 6 oder der Berechtigte endgültig auf weitere Feststellungen verzichtet hat. 6 7 7 2. Voraussetzungen 123

a) Die Verpflichtung, die Feststellungen wenigstens nachträglich zu ermöglichen, trifft zum einen den Unfallbeteiligten, der sich „nach Ablauf der Wartefrist" vom Unfallort entfernt hat (Abs. 2 Nr. 1). Zu den diesbezüglichen Voraussetzungen und zur Dauer der Wartefrist, insbesondere zu deren Beeinflussung durch eigenes Verhalten des Unfallbeteiligten nach dem Unfall s. bereits Rdn. 110 ff. War es den anderen Beteiligten möglich und zumutbar, alle erforderlichen Feststellungen selbst zu treffen oder haben sie es unterlassen, z.B. die Polizei zur Vornahme solcher Feststellungen an den Unfallort zu rufen, kann der Täter nicht verpflichtet sein, diese Versäumnisse der Gegenseite nachträglich durch eigene Aktivitäten abzugleichen; 6 7 8 jedenfalls wird der Täter sich in solchen Fällen darauf berufen können, (subjektiv) davon ausgegangen zu sein, der andere habe auf Feststellungen endgültig verzichtet 6 7 9 (zu Irrtumsfragen nachfolgend Rdn. 165 ff). Dem Grundgedanken nach gilt Abs. 2 Nr. 1 auch bei irrtümlicher Annahme des Ablaufs der Wartefrist, d.h. wenn er irrig Umstände angenommen hat, die ihn zum Sichentfernen berechtigt oder dies entschuldigt hätten; denn ist ein Unfallbeteiligter schon nachträglich meldepflichtig, wenn er eine angemessene Zeit gewartet hat, so gilt dies natürlich erst recht, wenn er dies nur irrig annimmt. 6 8 0

124

b) Nach Abs. 2 Nr. 2 entsteht die Pflicht zu (unverzüglicher) nachträglicher Ermöglichung der Feststellungen auch dann, wenn der Unfallbeteiligte sich zuvor „berechtigt oder entschuldigt" vom Unfallort entfernt hat. Dass der Gesetzgeber dabei auf die strafrechtsdogmatisch seit langem eingefahrenen rechtstechnischen Begriffe „Berechtigung"

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674 675 676 677 678 679

OLG Celle MDR 1978 2 4 6 , BayObLG VRS 5 9 (1980) 3 4 0 und OLG Köln VRS 6 3 (1982) 352. OLG Hamburg MDR 1978 859. Ebenso Janiszewski Rdn. 521. OLG Hamburg VRS 56 (1979) 344. Ebenso Janizewski 521. BayObLG N Z V 1993 35. Ebenso Sch/Scbröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 4 9 und 23.

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So auch schon BTDrucks 7 / 2 4 3 4 , S. 8. Ebenso Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 49/56 (S. 630) und Janiszewski Rdn. 527; in solchen Fällen jedenfalls ein „entschuldigtes" Sichentfernen vom Unfallort annehmend Franke JuS 1978 4 5 8 und Küper FS Heidelberg, S. 4 6 6 ; gegenteiliger Ansicht jedoch Mitsch NZV 2 0 0 5 3 5 0 f (Verstoß gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG).

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§

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und „Entschuldigung" abgestellt hat, hat zu vielen Auslegungsschwierigkeiten geführt 6 8 0 3 : aa) Wie schon ausgeführt (Rdn. 120), kommt eine Strafhaftung nach Abs. 1 nicht in Betracht, wenn der an sich wartepflichtige Unfallbeteiligte sich nicht durch eigenes willensgetragenes Verhalten vom Unfallort entfernt hat. Ist der Täter zwangsweise, d.h. mittels vis absoluta von dort entfernt worden, kommt mangels willensgetragenen eigenen Verhaltens auch eine Strafhaftung nach Abs. 2 Nr. 2 nicht in Betracht. 6 8 1 Wenn demgegenüber das BayObLG 6 8 2 unter Hinweis auf die (im Schrifttum allerdings schon damals heftig kritisierte und durch das BVerfG erst jüngst als überholt angesehene) Entscheidung BGHSt 2 8 129 f f 6 8 3 einen Unfallbeteiligten auch dann nach Abs. 2 haften lässt, 6 8 4 mag dies kriminalpolitisch verständlich sein, kann jedoch selbst bei besonderer Betonung der Beweissicherungsinteressen aller Beteiligten keineswegs mehr als teleologisch noch zulässige erweiternde Auslegung hingenommen werden. 685 Die hier befürwortete wortlautgetreue Auslegung des Gesetzes ist keineswegs eine „Überbewertung der vom Gesetzgeber gewählten Ausdrucksweise" 686 ; denn selbst wenn es Sinn des Gesetzes gewesen sein sollte, alle Fälle, in denen sich ein Unfallbeteiligter in strafloser Weise vom Unfallort entfernt hat, jedenfalls durch eine nachträgliche Meldepflicht in strafbewehrter Weise zu erfassen, widerspricht es eindeutig dem insoweit unmissverständlichen Wortlaut des Gesetzes, mit Hilfe teleologischer Auslegung auch im zwangsweisen Entiemtwerden ein „berechtigtes oder entschuldigtes Sichentfernen" sehen zu wollen. Daher darf man dem Merkmal „Sichentfernen" in Abs. 2 Nr. 2 auch keine andere Bedeutung beimessen als in Abs. I 6 8 7 oder ihm mit Volk (DAR 1982 83) eine tatbestandsrelevante Bedeutung schlechthin absprechen, um darin lediglich „eine sprachlich verdeckte Regelung der Aufeinanderfolge von Pflichten" sehen zu können. Alle diese Begründungsversuche stellen bereits verbotene Analogie dar. Dieser schon in der Vorauflage vertretene Rechtsstandpunkt hat sich nicht zuletzt dadurch als zutreffend bewährt, seit es das BVerfG (in Ablehnung der einschlägigen Grundsatzentscheidung BGHSt 28 129 ff) ausdrücklich abgelehnt

680a 2 u grundsätzlichen Aussagen zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Analogieverbotes und insbesondere zu den Grenzen fach- und alltagssprachlicher Begriffe bei der Auslegung von Strafgesetzen Küper N S t Z 2 0 0 8 5 9 7 ( 5 9 9 ff). OLG H a m m VRS 5 6 ( 1 9 7 9 ) 3 4 0 und O L G Köln V R S 5 7 ( 1 9 7 9 ) 4 0 6 . «82 n j w 1 9 8 2 1 0 5 9 ; diesen Standpunkt später bekräftigend ( N Z V 1 9 9 3 3 5 = VRS 8 4 (1993) 24).

Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 49/55 (S. 6 2 9 ) sowie jedenfalls im Ergebnis auch Joerden J R 1 9 8 4 51 (mit der eher bedenklichen Begründung, dass im konkreten Fall nicht von vis absoluta, sondern von vis compulsiva und damit von noch willensgetragenem Verhalten des Täters hätte ausgegangen werden müssen).

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Dort zur Anwendung von § 1 4 2 Abs. 2 Nr. 2 auch nach unvorsätzlichem Sichentfernen vom Unfallort: dazu nachfolgend Rdn. 1 3 3 ff.

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So tendenziell wohl auch BGHSt 3 0 1 6 0 ff (einen entsprechenden Vorlagebeschluss des BayObLG zurückweisend); die Frage ist offengelassen bei O L G Düsseldorf VRS 6 5 ( 1 9 8 3 ) 3 6 4 und O L G H a m m N J W 1 9 8 5 4 4 5 . Auf der Linie des B a y O b L G aber Bär J R 1 9 8 2 3 7 9 ff, Jacob M D R 1 9 8 3 4 6 1 ,

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So gegen BayObLG N J W 1 9 8 2 1 0 5 9 und für O L G H a m m V R S 5 6 ( 1 9 7 9 ) 3 4 0 sowie O L G Köln VRS 5 7 ( 1 9 7 9 ) 4 0 6 die zu Recht weithin h M im Schrifttum: vgl. für viele und jeweils m.w.N. Beulke N J W 1 9 7 9 4 0 4 , Klinkenberg M D R 1 9 8 3 8 0 8 , Lackner/Kühl Rdn. 2 5 , Rudolphi SK Rdn. 4 0 a , Schild N K Rdn. 8 4 , Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 4 6 , Schwab M D R 1 9 8 3 4 3 4 und Stein J Z 1 9 8 3 511.

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So aber BayObLG N J W 1 9 8 2 1 0 6 0 (dort gegen O L G H a m m V R S 5 6 ( 1 9 7 9 ) 3 4 0 ) . Dazu Klinkenberg MDR 1983 808.

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§ 142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

hat, die Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 Nr. 2 auch auf Fälle unvorsätzlichen Sichentfernens vom Unfallort zu erstrecken (dazu nachfolgend Rdn. 133 ff). 126

bb) „Berechtigt" hat sich der Unfallbeteiligte vom Unfallort entfernt, wenn ihm speziell dafür ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. Dafür kommen vor allem der rechtfertigende Notstand (§ 34) bzw. die rechtfertigende Pflichtenkollision (zur Kasuistik nachfolgend Rdn. 127 ff) oder die rechtfertigende (erklärte oder mutmaßliche) Einwilligung in Betracht: letztere jedoch nur, soweit sie sich speziell und nur auf das Sichentfernen bezieht. Hiervon zu unterscheiden und (neben Abs. 1 auch) von der nachträglichen Meldepflicht des Abs. 2 Nr. 2 nicht erfasst sind demzufolge jene Fälle, in denen (nicht nur das Sichentfernen vom Unfall, sondern) das endgültige Vereiteln der zur Beweissicherung erforderlichen Feststellungen gerechtfertigt (oder entschuldigt) ist. Nicht in Betracht kommt somit eine (erklärte oder mutmaßliche) Einwilligung in den endgültigen Feststellungsverzicht, sofern man diese (insofern anders als vorliegend: dazu schon Rdn. 76 ff) als Rechtfertigungsgrund begreift.688 Geht die (erklärte oder mutmaßliche) Einwilligung nur dahin, den Unfallort lediglich zu einem bestimmten Zweck verlassen zu dürfen (z.B. um an einem anderen Ort die erforderlichen Feststellungen zu treffen oder dort den Schaden zu regulieren),689 bleibt es bei den Pflichten des Abs. 2 Nr. 2, wenn der Unfallbeteiligte dort seiner Verpflichtung zur nachträglichen Ermöglichung der erforderlichen Feststellungen nicht nachkommt. 690 Wie bei allen Rechtfertigungsgründen ist im Übrigen auch hier ein subjektives Rechtfertigungserfordernis zu beachten. Handelt der an sich wartepflichtige Täter (auch) zur Wahrung des höherwertigen Interesses bzw. zur Erfüllung der höherwertigen Pflicht, wird die Rechtfertigung nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Täter sich zusätzlich z.B. auch den Feststellungen durch die Polizei entziehen will. 691 Wie bereits zu Abs. 2 Nr. 1 erwähnt (Rdn. 123), bleibt auch die Nr. 2 einschlägig, wenn der Täter nur irrig von Umständen ausgeht, die ihn gerechtfertigt (oder entschuldigt) hätten. 692

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Kasuistik. (1) Wie bereits erwähnt, kann ein Unfallbeteiligter vor allem unter den Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) bzw. rechtfertigender Pflichtenkollision gerechtfertigt sein; auf die allgemeinen Regeln zur Abwägung der dabei beteiligten Interessen bzw. Pflichten kann dabei verwiesen werden. So hat sich ein Unfallbeteiligter vor allem dann berechtigt von der Unfallstelle entfernt, wenn er sich zur Versorgung eigener Verletzungen in ärztliche Behandlung begeben 693 oder (sei es als Garant oder auf Grund allgemeiner Hilfspflicht) eine Unfallverletzte andere Person in die Obhut eines Arztes gebracht hat: 6 9 4 dies aber nur, wenn die Verletzung dringend ärztlicher

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S. nur Janiszewski Rdn. 524, Rudolphi SK Rdn. 38, Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 51 und Fischer Rdn. 44. OLG Düsseldorf NJW 1985 2725, OLG Köln NJW 1981 2367 und BayObLG VRS 60 (1981) 114. Ebenso Rudolphi SK Rdn. 38 und Sehl Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 53: je m.w.N. Bedenklich daher OLG Hamburg DAR 1956 16. Dazu schon BTDrucks. 7 / 2 4 3 4 , S. 8. Ebenso Berz DAR 1975 313, Janiszewski Rdn. 527

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und Rudolphi SK Rdn. 40; anders aber Mitsch NZV 2 0 0 5 350 (Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG). So schon OLG Hamm VRS 8 (1955) 208; vgl. auch OLG Frankfurt VRS 28 (1965) 262, OLG Köln VRS 63 (1982) 349 und BayObLG nach Rüth DAR 1985 241. So schon BGHSt 4 149; vgl. auch BGH VRS 5 (1953) 44, BGHSt 16 144 und BGH VRS 25 (1963) 196 sowie KG VRS 34 (1968) 110. Dazu und zu weiteren Beispielfällen „berechtigten" Sichentfernens erst jüngst auch Krumm NZV 2008 498.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§142

Behandlung bedarf, ausreichende Erste Hilfe am Unfallort selbst ausgeschlossen ist und nicht andere Personen den Transport des Verletzten übernehmen können. 6 9 5 Nur kleinere Verletzungen, die nicht sofortiger ärztlicher Hilfe bedürfen, rechtfertigen ein Verlassen der Unfallstelle ebenfalls nicht. 6 9 6 Umgekehrt kann ein vorzeitiges Sichentfernen von der Unfallstelle im Einzelfall aber auch durch die Gefahr künftiger gesundheitlicher Schäden gerechtfertigt sein (z.B. wenn der Unfallverursacher bei einem Unfall in strenger Winternacht nach Hause fährt, um die Kleidung zu wechseln). 6 9 7 J e nach Abwägung des Einzelfalles (strenger Maßstab) kann gerechtfertigt auch ein Arzt sein, der auf dem Weg zu einem Notfallpatienten in einen Unfall verwickelt wird. 6 9 8 Bei schweren Verletzungen eigener Angehöriger/eines Mitfahrers kann es gerechtfertigt sein, den Verletzten im Rettungsfahrzeug zu begleiten. 6 9 9 Wenn nur mäßiger Sachschaden entstanden ist, kann selbst die Beschaffung eines dringend benötigten Medikaments für einen plötzlich schwer erkrankten Angehörigen insbesondere dann ein vorzeitiges Sichentfernen rechtfertigen, wenn an der Unfallstelle selbst schon wesentliche Feststellungen getroffen worden sind und den abschließenden Feststellungen durch die Polizei kein erhebliches Gewicht mehr zukommt. 7 0 0 Gerechtfertigt (jedenfalls aber entschuldigt) kann das Verlassen des Unfallortes ferner sein, wenn der an sich wartepflichtige Unfallbeteiligte von anderen Beteiligten/Geschädigten oder durch Zuschauer bedroht wird oder bei Verbleiben an der Unfallstelle mit körperlichen Misshandlungen rechnen m u s s 7 0 1 : dies selbst dann, wenn der Täter die ihm drohenden Tätlichkeiten durch sein Verhalten selbst provoziert h a t . 7 0 2 Berechtigt kann ein vorzeitiges Verlassen der Unfallstelle schließlich sein, wenn der Wartepflichtige einen flüchtigen anderen Unfallbeteiligten verfolgt 7 0 3 oder einem in (möglicher) Unkenntnis des von ihm mitverursachten Unfalls weiterfahrenden anderen Unfallbeteiligten hinterherfährt. 7 0 4 Gleiches gilt, wenn der Täter die Unfallstelle zwecks Beseitigung einer Gefahrenquelle verlässt (z.B. um ein Abschleppunternehmen mit der Bergung des den Verkehr behindernden Unfallfahrzeugs zu beauftragen). 7 0 5 Nach Lage des Falles kann dies auch gelten (strenger Maßstab), wenn der Wartepflichtige das Unfallfahrzeug im Fall einer Ansammlung von mehreren Fahrzeugen hinter dem quergestellten Unfallfahrzeug von der Unfallstelle wegfährt, um den Verkehr nicht zu behindern. 7 0 6 Allein die Befürchtung eines weiteren Auffahrunfalls berechtigt jedenfalls nicht grundsätzlich zu sofortiger Weiterfahrt; es bleibt vorrangige Aufgabe des Unfallbeteiligten, die Unfallstelle abzusichern, um weiteren Unfällen vorzubeugen. 7 0 7 (2) Strenge Anforderungen sind auch angebracht, wo es um die Wahrnehmung sonstiger Pflichten geht. So darf ein Unfallbeteiligter die Unfallstelle zur Erledigung dringender geschäftlicher Angelegenheiten in aller Regel selbst dann nicht verlassen, wenn ein (feststellungsbereiter) Zeuge den Unfall beobachtet hat und der an sich wartepflichtige

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OLG Koblenz VRS 57 (1979) 13; so tendenziell auch OLG Koblenz (nach Janiszewski NStZ 1989 257). BayObLG: zitiert nach Rüth DAR 1981 244 (kleine Platzwunde an der Oberlippe). BayObLG VRS 60 (1981) 112. Ebenso Jäger HK Rdn. 133. OLG Köln VRS 66 (1984) 128 (allerdings nur „entschuldigtes" Sichentfernen). BayObLG: zitiert nach Rüth DAR 1967 290. So schon BGH VRS 5 (1953) 44; seither wohl gefestigte Rechtsprechung: BGH VRS

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25 (1963) 196, VRS 30 (1966) 282 und VRS 36(1969) 25. OLG Düsseldorf NJW 1989 2763; zustimmend Hentschel NJW 1990 1460. Jäger HK Rdn. 137. BayObLG nach Rüth DAR 1979 237 sowie BayObLG VRS 61 (1981) 32. BayObLG nach Rüth DAR 1968 226 sowie DAR 1982 249. Strenger jedoch BayObLG: zitiert nach Rüth DAR 1985 240. AG Duisburg NZV 2003 293.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Täter darüber hinaus noch seinen Beifahrer bittet, am Unfallort zu bleiben und die erforderlichen Auskünfte zu geben. 7 0 8 Eine Ausnahme ist allenfalls möglich, wenn es um unaufschiebbare Pflichten geht und diese nach gebotener Interessenabwägung und bei Berücksichtigung des eingetretenen Schadens und der Haftungslage erkennbar wichtiger sind als das sofortige (abschließende) Feststellungsinteresse der anderen Unfallbeteiligten/Geschädigten: 709 so etwa beim Unfall des Fahrers einer Straßenbahn oder eines Linienbusses, dem an der planmäßigen Weiterfahrt seines mit Fahrgästen besetzten Fahrzeugs gelegen ist, 7 1 0 beim Unfall eines Seelotsen auf dem Weg zum Dienst, sofern der Schiffsverkehr durch ein auch nur geringfügig verzögertes Fernbleiben des Täters ernstlich gefährdet würde, 7 1 1 oder nach Besonderheiten des Einzelfalles auch beim Unfall eines Einsatzfahrzeuges von Polizei oder Feuerwehr. Schließlich kann auch das Interesse eines Wartepflichtigen an der Wahrnehmung eines Prüfungstermins einem fremden zivilrechtlichen Feststellungsinteresse vorgehen. 712 Alle diese Ausnahmen kommen jedoch nur in Betracht, wenn der eilige Wartepflichtige dem anderen Unfallbeteiligten jedenfalls seinen Namen und seine Anschrift genannt und zur Uberprüfung dieser Angaben einen Ausweis vorgelegt hat; der Erfüllung eines solchen Verlangens stehen selbst wichtige und unaufschiebbare Geschäfte in aller Regel nicht im Wege. 7 1 3 129

cc) Entschuldigtermaßen vom Unfallort entfernt hat sich ein Unfallbeteiligter nicht nur bei Vorliegen von Entschuldigungsgründen im strafrechtsdogmatisch engen Sinn z.B. des entschuldigenden Notstandes (§ 35) oder einer entschuldigenden Pflichtenkollision, 7 1 4 sondern auch bei unvermeidbarem Verbotsirrtum 715 (so etwa bei der als Verbotsirrtum zu wertenden Fehleinschätzung der angemessenen Wartefrist: 7 1 6 nachfolgend Rdn. 174) sowie bei schuldausschließender Zurechnungsunfähigkeit (§ 20); zu der (umstrittenen) Frage, ob letzteres auch gilt, wenn der rauschbedingt schuldunfähige Täter den Abs. 1 nur als Rauschtat verwirklicht und dafür an sich nur nach §§ 323a (i.V. mit 142 Abs. 1) strafrechtlich verantwortlich gemacht werden kann, s. nachfolgend Rdn. 131. Auch hier muss der jeweilige Schuldausschließungs- oder Entschuldigungsgrund auf das vorzeitige Verlassen der Unfallstelle bezogen sein; wie bei den Rechtfertigungsgründen (Rdn. 126) scheiden somit auch hier diejenigen Schuldausschließungsoder Entschuldigungsgründe aus, die wie etwa die völlige und nicht nur rauschbedingt

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KG VRS 40 (1971) 109; auf dieser zu Recht strengen Linie schon BGHSt 16 145 sowie OLG Koblenz VRS 45 (1973) 33. Vgl. auch OLG Stuttgart MDR 1956 119 und 245, BayObLG DAR 1958 106 und OLG Hamm VRS 54 (1978) 433. In aller Regel jedoch wohl zu verneinen bei Erfüllung nur einer gerichtlichen Zeugenpflicht: anders aber Janiszewski Rdn. 523, Fischer Rdn. 46 und Zopfs MK Rdn. 98. OLG Frankfurt a.M. VRS 20 (1961) 120 und Härtung NJW 1960 688; vgl. OLG Karlsruhe DAR 1960 52 (nach Feierabend Beförderung von Arbeitern im Bus des Bauunternehmers zum Bahnhof). OLG Bremen VRS 43 (1972) 32. OLG Köln VRS 54 (1978) 350. BGHSt 16 145.

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So aber Werner NZV 1988 90 ff. Dagegen: Ausweislich des Gesetzes (s. insofern nur die einheitliche Formulierung „ohne Schuld" in SS 17 S. 1, 20 oder 35 Abs. 1 S. 1) macht dieses keinen Unterschied zwischen bloßen Entschuldigungs- und ausgesprochenen Schuldausschließungsgründen; ebenso Berz JURA 1979 127. Ebenso Berz DAR 1975 313, Schild NK Rdn. 130, Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 54 und Fischer Rdn. 49; anders Beulke NJW 1979 404 mit Fn. 40 (wegen insoweit fehlender Wahlmöglichkeit) und so wohl auch Paeffgen NStZ 1990 370 sowie erst jüngst Krumm NZV 2008 498. OLG Stuttgart VRS 51 (1976) 431; zustimmend Lackner/Kühl Rdn. 24.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

lediglich vorübergehende Schuldunfähigkeit (§ 2 0 ) oder wie die Gefahr eigener strafgerichtlicher Verfolgung in anderer Sache (dazu nachfolgend Rdn. 195 ff) möglicherweise die Vereitelung fremder Beweissicherungsinteressen als solche und damit das deliktische Unrecht des § 142 insgesamt betreffen. 7 1 7 Entschuldigt in diesem Sinne ist ein Täter schließlich auch dann, wenn er (unverschuldet) irrig Umstände angenommen hat, die ihn entschuldigt hätten. 7 1 8 Zur Kasuistik im Einzelnen: (1) Als Entschuldigungsgrund kommt in der Praxis vor allem entschuldigender Notstand ( § 3 5 ) sowie entschuldigende Pflichtenkollision in Betracht: nämlich überall dort, wo die Abwägung der beteiligten Interessen/Pflichten nach Lage des Falles zwar nicht zur Rechtfertigung, wohl aber zur Entschuldigung f ü h r t 7 1 9 und somit insbesondere bei Gefahr ernstlicher Bedrohung durch am Unfallort anwesende Personen 7 2 0 (sofern wegen der Gefahr besonders schwerer Verletzungen nicht schon § 3 4 eingreift). In solchen Fällen darf der Bedrohte sich aber nur aus der unmittelbaren Gefahrenzone bringen. 7 2 1

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(2) „Entschuldigt", d.h. ohne Schuld hat sich vom Unfallort auch entfernt, wer im Zustand (vorübergehender) völliger Zurechnungsunfähigkeit (§ 2 0 ) die Unfallstelle verlassen hat, insbesondere bei Vorliegen eines bewusstseinsstörenden Unfallschocks, sofern dieser ein willensgetragenes Verhalten (dazu bereits Rdn. 125) und den (das Vorliegen eines Unfalls erfassenden) natürlichen Vorsatz nicht völlig ausgeschlossen h a t . 7 2 2 Ein Unfallschock in diesem Sinn muss aber konkret-substantiiert feststellbar sein; gegen das Vorliegen eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden nennenswerten Schocks spricht z.B., wenn der Täter dem Unfallgegner noch heftige Vorwürfe zu machen imstande ist. 7 2 3

130a

(3) Nach wie vor umstritten ist die Frage der Verkehrsunfallflucht bei rauschbedingter Schuldunfähigkeit. 7 2 4 Dabei geht es um den Fall, dass der an sich wartepflichtige Unfallbeteiligte sich im Zustand (erwiesener oder jedenfalls nicht ausschließbarer) rauschbedingter Schuldunfähigkeit mit natürlichem Vorsatz vom Unfallort entfernt und somit wegen (erwiesener oder „in dubio pro r e o " nicht ausschließbarer) Schuldunfähigkeit (§ 20) nicht nach § 142 Abs. 1 bestraft werden kann (insoweit unbestritten). Weithin unbestritten ist ferner, dass es insoweit (jedenfalls zunächst) zu einer Strafhaftung wegen (vorsätzlicher oder fahrlässiger) Volltrunkenheit (§ 3 2 3 a Abs. 1) kommt, wobei als Rauschtat das (mit Ausnahme der rauschbedingten Schuldunfähigkeit) ansonsten volldeliktisch verwirklichte unerlaubte Sichentfernen (§ 142 Abs. 1) fungiert. Von hier aus

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Janiszewski Rdn. 525. So schon BTDrucks. 7/2434, S. 8; ebenso Lackner/Kühl Rdn. 24, Rudolphi SK Rdn. 40 und Fischer Rdn. 50. OLG Köln VRS 66 (1984) 128 (Täter begleitet seine beim Unfall schwerverletzte Ehefrau im Rettungsfahrzeug). Zu einer anderen nur entschuldigenden Notsituation (Durchfall und Inkontinenz) LG Zweibrücken VRS 96 (1999) 270. Dazu schon BTDrucks. 7/2434, S. 8. BayObLG DAR 1956 16. OLG Hamm VRS 42 (1972} 24, OLG Koblenz VRS 53 (1977) 339, OLG Köln

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VRS 57 (1979) 406 sowie LG Leipzig DAR 1997 79; vgl. auch BGH (Z) VersR 1967 29. Überwiegend Zustimmung auch im Schrifttum: vgl. Janiszewski Rdn. 525, Schild NK Rdn. 132 und Fischer Rdn. 48; anders aber Beulke NJW 1979 404. So AG Duisburg NZV 2003 293. Dazu besonders BayObLG NJW 1989 1685 = JR 1989 341 (ablehnend R.Keller aaO S. 343) mit den Besprechungsaufsätzen von Küper NJW 1990 209 ff und Paeffgen NStZ 1990 365 ff. Dazu ausführlich auch Misere JURA 1991 298 ff sowie zuvor schon Stefan Werner NZV 1988 88 ff.

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§ 142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

nicht einheitlich beantwortet wird jedoch die Frage, ob es bei dieser Strafhaftung nur nach §§ 323a (i.V. mit 142 Abs. 1) bleibt oder ob der zwischenzeitlich wieder nüchtern gewordene Täter nachträglich nunmehr nicht doch noch die Pflichten des § 142 Abs. 2 zu erfüllen hat; denn bei Nichterfüllung der nachträglichen Meldepflicht würde sich letzterenfalls der tatbestandliche Anwendungsbereich des ξ 142 Abs. 2 Nr. 1 eröffnen, weil das vorangegangene bloße Gefährdungsdelikt (§§ 323a i.V. mit 142 Abs. 1) durch das schutzrichtungsgleiche, doch unrechtsschwerere nachfolgende Verletzungsdelikt (§ 142 Abs. 2 Nr. 2) nach allgemeinen Regeln wohl gesetzeskonkurrierend verdrängt würde (Subsidiarität).725 132

Mit teilweise unterschiedlichen Begründungen werden diesbezüglich im Wesentlichen drei Lösungen vertreten: (a) Wer entgegen der hier befürworteten Ansicht (Rdn. 129) die in § 142 Abs. 2 Nr. 2 verwendete Gesetzesformulierung „entschuldigt" eng begreift und darunter nur Entschuldigungsgründe im strengen Sinn der § § 3 3 und 35, nicht aber auch Schuldausschließungsgründe wie vorliegend denjenigen des § 20 versteht, wird § 142 Abs. 2 Nr. 2 schon tatbestandlich verneinen müssen und den Täter schon aus diesem Grund lediglich nach §§ 323a i.V. mit 142 Abs. 1 Nr. 2 bestrafen können. 726

132a

(b) Zahlreiche Stimmen im Schrifttum hingegen kommen zu einer Strafhaftung allein nach § 142 Abs. 2 Nr. 2 : 7 2 7 Zum einen, weil nur so der Schutzzweck des Abs. 2 von § 142 (nämlich: einen Unfallbeteiligten wenigstens nachträglich zur Ermöglichung der gebotenen Feststellungen zu zwingen) erreicht werden könne; 728 erfülle der wieder nüchtern gewordene früher flüchtige Täter wenigstens nachträglich die Pflichten des § 142 Abs. 2, entfalle gewissermaßen im Wege tätiger Reue auch eine Strafhaftung nach §§ 323a i.V. mit 142 Abs. I . 7 2 9 Zum andern plädiert man für die Anwendbarkeit allein von § 142 Abs. 2, weil die dort vorgesehenen nachträglichen Meldepflichten als gleichsam gesetzliche Minimallösung zugunsten fremder Beweissicherungsinteressen gegenüber Abs. 1 als der primär vorgesehenen Ideallösung nur dann subsidiär zurücktreten, wenn und soweit die Pflichten des Abs. 1 in strafbarer Weise verletzt seien. 730 Dagegen meinerseits: Diese Ansicht führt gerade bei Alkoholtätern zu bedenklichen Strafbarkeitslücken; denn wenn der vormalige Grad der Trunkenheit nicht mehr eindeutig festzustellen ist, ist § 142 Abs. 1 „in dubio pro reo" mangels Schuld zu verneinen, bei § 142 Abs. 2 aber aus gleichem Grund beim Sichentfernen von der Unfallstelle zugunsten des Täters nur verminderte Schuldfähigkeit des Täters zu unterstellen. Daraus ist dann zwingend zu folgern, dass mangels „entschuldigten" Sichentfernens auch § 142 Abs. 2 Nr. 2 tatbestand-

725

726

727

Anders Schild NK Rdn. 132 (Vorrang der §§ 323a i.V. mit 142 Abs. 1 vor § 142 Abs. 2: konkurrenzrechtlich bedenklich). So Beulke NJW 1979 403 und Werner NZV 1988 88 ff. So vor allem Berz JURA 1979 127 Fn. 11, Dornseifer J Z 1980 303, Jäger HK Rdn. 140 ff, R. Keller JR 1989 344 (S 323a sei allein schon deshalb nicht anwendbar, weil § 142 Abs. 1 neben Abs. 2 im Wege teleologischer Reduktion schon tatbestandlich zu verneinen sei und damit als objektive Bedingung der Strafbarkeit für § 323a ausscheide), Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1

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729

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49/53 (S. 629), Misere JURA 1991 298 ff (im Wege harmonisierender Auslegung beider Absätze des § 142 als eines „einheitlichen Gebotstatbestandes"), Jagow/Burmann/Heß Rdn. 27a und bis zur 50. Aufl. auch Tröndle/Fischer Rdn. 40. In dieser Richtung offenbar auch OLG Celle MDR 1978 246. So vor allem Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 49/53 (S. 629). So etwa Dornseifer J Z 1980 304 mit Fn. 47 und Jäger HK Rdn. 143. Ebenso Jäger HK Rdn. 141 ff.

Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

lieh zu verneinen ist und mit Fehlen einer entsprechenden Rauschtat folgerichtig auch § 323a nicht zum Zug kommen kann. 7 3 1 (c) Zustimmung verdient demzufolge das BayObLG (NJW 1989 1685), wenn es sich vor diesem Hintergrund berechtigt fühlt, § 142 Abs. 2 jedenfalls bei alkoholbedingter Schuldunfähigkeit teleologisch auf die Fälle zu reduzieren, in denen sich der Täter in insgesamt strafloser Weise vom Unfallort entfernt hat. Auf diese Weise wird es möglich, den Täter auch dann (und nur!) nach §§ 323a (i.V. mit 142 Abs. 1) zu bestrafen, wenn ungeklärt bleibt, ob er infolge Alkoholgenusses völlig schuldunfähig oder nur vermindert schuldfähig war. 7 3 2 Darüber hinaus erweist sich diese Lösung auch aus anderer Sicht als verfassungskonform; sie hat nämlich den weiteren Vorteil, damit einen sanktionsbegründenden Zwang, sich hinsichtlich des früheren Verhaltens am Unfallort selbst belasten zu müssen, vermieden zu haben und damit einer möglichen Verletzung des verfassungsrechtlichen „Nemo tenetur-Satzes" (dazu bereits Rdn. 63 ff) ausweichen zu können. 7 3 3

132b

dd) Umstritten war lange Zeit, ob auch die vorsatzlose Entfernung vom Unfallort die nachträglichen Pflichten des Abs. 2 Nr. 2 auslöst. Dies ist auch kriminalpolitisch von großer Tragweite; 7 3 4 denn weil eine Verkehrsunfallflucht nach heutiger Gesetzeslage insofern anders als nach § 142 a.F. - nur vom Unfallort aus erfolgen kann (dazu bereits Rdn. 37), entfällt mangels Kenntnis vom Unfall zwangsläufig eine Strafhaftung jedenfalls aus § 142 Abs. 1. Fraglich ist danach, ob sich gemäß Abs. 2 Nr. 2 auch derjenige Unfallbeteiligte „berechtigt oder entschuldigt" vom Unfallort entfernt hat, der den Unfallort in Unkenntnis des Unfalls verlassen hat und erst später bemerkt, dass er einen Unfall verursacht hat. Auch wenn das BVerfG diesen Auslegungsstreit mit seiner Entscheidung vom 19. März 2 0 0 7 (dazu nachfolgend Rdn. 135a) nunmehr entschieden und die bisherige strafgerichtliche Rechtsprechung als mit Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar erklärt hat, zum bisherigen Streitstand immerhin so viel:

133

(1) Nach mehreren kontroversen obergerichtlichen Entscheidungen, 735 die durch das BayObLG 7 3 6 zur Vorlage an den BGH geführt haben, hat dieser in seiner Grundsatzentscheidung BGHSt 28 129 f f 7 3 7 eine Strafhaftung nach Abs. 2 Nr. 2 auch für denjenigen

134

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So zu Recht vor allem Rudolphi SK Rdn. 39. Dem im Ergebnis, wenngleich mit in Nuancen unterschiedlichen Begründungen zustimmend vor allem Küper NJW 1990 2 0 9 ff und Paeffgen NStZ 1990 365 ff; so im Ergebnis auch Rudolphi SK Rdn. 39, Lackner/ Kühl Rdn. 24, Hentschel/König Rdn. 52, Seh! Schröder/Cramer/Sternberg-Lteben Rdn. 54 und so neuerdings nun auch Fischer Rdn. 48. So zu BayObLG N J W 1 9 8 9 1685 schon Geppert, JK, § 142/15. Gerade im Bereich der Bagatellunfälle mit Sachschäden bis zu etwa 1.000 Euro, auf die rund 60 % aller Fluchtfälle entfallen, lassen sich viele Unfallbeteiligte (häufig unwiderlegbar) dahin ein, sie hätten den Unfall überhaupt nicht wahrgenommen; dazu auch Magdowski S. 160.

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736 737

Gegen eine Gleichsetzung von „berechtigtem oder entschuldigtem" mit unvorsätzlichem Sichentfernen und damit gegen eine Anwendung von § 142 Abs. 2 Nr. 2 BayObLG VRS 53 (1977) 4 2 8 , OLG Stuttgart VRS 53 (1977) 3 4 5 und OLG Koblenz VRS 53 (1977) 339, hingegen für eine solche Gleichsetzung und damit für die Anwendung von § 142 Abs. 2 Nr. 2 mehrfach das OLG Köln: vgl. VRS 53 (1977) 181 = N J W 1 9 7 7 2275, VRS 53 (1977) 4 3 0 sowie VRS 54 (1978) 276. VRS 54 (1978) 194. = NJW 1979 4 3 4 = VRS 55 (1978) 2 6 6 = JR 1 9 7 9 2 0 8 (ablehnend Rudolphi aaO S. 210 ff); ablehnend auch Geilen, JK StGB § 142/1.

Klaus Geppert

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§ 142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Unfallbeteiligten bejaht, der sich zwar in Unkenntnis des Unfalls vom Unfallort entfernt, aber noch innerhalb eines zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs, dessen Grenzen aus der Zumutbarkeit hergeleitet werden, 738 von dem Unfall Kenntnis erlangt hat. Der BGH hat gemeint, dieses Ergebnis als dem (angeblich) eindeutigen Willen des Gesetzgebers entsprechend nicht nur dem Wortlaut des Gesetzes und dessen gesetzgeberischer Gesamtkonzeption, d.h. dem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis der beiden ersten Absätze dieses Tatbestandes, sondern vor allem dem Zweck der Regelung und nicht zuletzt ihrer Entstehungsgeschichte739 entnehmen zu können: Da die Begriffe „berechtigt oder entschuldigt" keineswegs formaldogmatisch auf die allgemein anerkannten strafrechtlichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe beschränkt seien, stehe nichts entgegen, sie ihrem natürlichen Wortsinn entsprechend als „in strafloser Weise" auffassen und darunter auch jene Fälle ziehen zu dürfen, in denen sich der Unfallbeteiligte ohne Kenntnis des Unfallgeschehens vom Unfallort entfernt hat. Die obergerichtliche Judikatur folgte dieser Auslegung,740 lehnte es jedoch überwiegend ab, an das Erfordernis eines besonderen zeitlich-räumlichen Zusammenhangs mit dem Unfallgeschehen741 dieselben strengen Anforderungen zu stellen wie früher, als bei Verstoß gegen § 142 a.F. (damals: „sich nach einem Verkehrsunfall der Feststellung ... durch Flucht entzieht") jener enge Zusammenhang sinnvollerweise nur als gewahrt angesehen wurde, wenn nach dem regelmäßigen Ablauf der Dinge noch mit feststellungsbereiten Personen an der Unfallstelle zu rechnen gewesen wäre. 742 Vielmehr legten die Obergerichte an die Zumutbarkeit der dem Betroffenen nach vorsatzloser Entfernung vom Unfallort auferlegten nachträglichen Pflichten keine maßgeblich anderen und schon gar keine grundlegend strengeren Anforderungen an als in den übrigen Fällen „berechtigter oder entschuldigter" Entfernung vom Unfallort. 743 Nach den Besonderheiten des Falles wechselten diesbezüglich allenfalls die Anforderungen an die „Unverzüglichkeit" der vom Beschuldigten zu erfüllenden nachträglichen Pflichten (dazu nachfolgend Rdn. 153 ff). Vor diesem Hin-

738

Im Ausgangsfall jedoch nicht näher bestimmt werden mussten; denn der Angeklagte hatte im damaligen Fall erst ca. 3 0 0 m nach dem Unfall von diesem Kenntnis erlangt, was dem Senat zur Bejahung von § 1 4 2 Abs. 2 Nr. 2 eindeutig ausgereicht hat. N o c h deutlicher lag der Fall, den erst jüngst das O L G Düsseldorf zu entscheiden hatte ( N Z V 2 0 0 8 1 0 7 = D A R 2 0 0 8 154: dazu schon Geppert, J K 8/08, StGB § 1 4 2 / 2 4 ) : Ein solcher räumlich-zeitlicher Zusammenhang mit dem Unfallort bestehe selbstverständlich nicht mehr, wenn der Unfallbeteiligte nach dem Unfall innerorts fünf bis zehn Minuten weitergefahren ist und in dieser Zeit etwa drei Kilometer zurückgelegt hat, ehe er von dem Unfallgeschehen Kenntnis erlangt hat.

739

Z u r Entstehungsgeschichte vor allem Janiszewski JK 1 9 7 8 116.

740

Vgl. vor allem BayObLG VRS 5 6 ( 1 9 7 9 ) 4 3 7 , N J W 1 9 8 1 8 7 9 sowie N J W 1 9 8 2 1 0 5 9 ; auf dieser Linie dann auch O L G Karlsruhe N J W 1 9 8 1 8 8 1 , O L G Köln N J W 1981 2 3 6 7 ,

818

O L G H a m m VRS 6 4 ( 1 9 8 3 ) 16, O L G Frankfurt a . M . V R S 6 4 ( 1 9 8 3 ) 2 6 5 , O L G Düsseldorf N J W 1 9 8 5 2 7 3 5 sowie O L G Koblenz N Z V 1 9 8 9 2 4 2 . 741

Dieses Erfordernis war unverkennbar als Restriktion gedacht und sollte dazu dienen, die Verletzung der Rückkehrpflicht noch als mit dem damaligen Gesetzeswortlaut („sich durch Flucht entzieht") vereinbar ansehen zu dürfen.

742

Z u r früheren Gesetzeslage vor allem BGHSt 14 89, 18 114 und 2 0 2 5 8 .

743

Dazu vor allem B a y O b L G N J W 1981 8 7 9 sowie O L G Karlsruhe N J W 1981 881. N a c h dem Maßstab der Zumutbarkeit (besondere Skepsis dagegen jedoch bei Römer M D R 1 9 8 0 8 9 ff) schien als Regel zu gelten: Je schwerer der Unfall, desto geringere Anforderungen seien gegenüber dem restriktiven Merkmal des zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs angebracht (vgl. BayObLG N J W 1 9 8 1 881 sowie BayObLG bei Janiszewski N S t Z 1 9 8 8 2 6 4 ) .

Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

tergrund wurde der (angeblich erforderliche) besondere räumlich-zeitliche Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen nicht nur bejaht, wenn der Uufallbeteiligte von ihm nachfahrenden Personen nur kurze Zeit und nur wenige Meter oder auch Kilometer nach dem Unfall über seine Unfallbeteiligung informiert wurde, 744 sondern auch bei deutlich späterer Kenntniserlangung, z.B. am nächsten Morgen und in der eigenen Wohnung. 745 Trotz partieller Zustimmung dieser vom BGH vorgegebenen Generallinie auch im Schrifttum 7 4 6 (2) lehnte das Schrifttum den teleologisch sinnvollen Interpretationsversuch der Rechtsprechung mit großer Mehrheit schon vor dem erwähnten Beschluss des BVerfG vom 19. März 2 0 0 7 als unzulässige Analogie und mit der Begründung ab, die von Abs. 1 abgeleiteten Sekundärpflichten des nachfolgenden Abs. 2 dürften nicht weiter gehen als die strafbewehrte Primärpflicht des Abs. I : 7 4 7 Ein derart augenfälliger Redaktionsfehler könne nur durch den Gesetzgeber selbst korrigiert werden. Bei der von der Rechtsprechung befürworteten Auslegung würde zudem der für das Unrecht des gesamten Tatbestandes bedeutsame Unterschied zwischen bewusst-vorsätzlichem Sichentfernen vom Unfallort einerseits und unbewusst-vorsatzlosem Verlassen des räumlichen Unfallbereichs andererseits völlig verwischt; denn wer den Unfall überhaupt nicht bemerkt hat, habe überhaupt keine echte Wahl zwischen Sichentfernen oder Warten an der Unfallstelle gehabt, sei folglich vom primären Normbefehl des Abs. 1 schlicht nicht erfasst und unterfalle demzufolge auch nicht dem sekundären Auffangtatbestand des nachfolgenden Abs. 2. Im Übrigen habe der BGH mit jenem Erfordernis eines besonderen (doch auch besonders vagen) zeitlich-räumlichen Zusammenhangs zum Unfallgeschehen eine allenfalls für § 142 a.F. diskutable, doch schon damals umstrittene und in der heutigen Gesetzesfassung nicht mehr vorgesehene und nach neuer Gesetzeskonzeption auch nicht mehr sinnvolle Begrenzung postuliert, die als solche weder aus dem allgemeinen Erfordernis der Zumutbarkeit noch aus den tatbestandsspezifischen Besonderheiten der in den neuen Absätzen 2 und 3 vorgesehenen Pflichten zur Ermöglichung nachträglicher Feststellungen abgeleitet werden könne. 7 4 8

135

(3) Mit der schon bisher weithin h.M. im Schrifttum und gegen BGHSt 2 8 129 ff hat nunmehr auch das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass eine Gleichsetzung vorsätzlichen und unvorsätzlichen Sichentfernens vom Unfallort mit dem verfassungsrecht-

1353

744

745

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BayObLG VRS 56 (1979) 437, OLG Karlsruhe NJW 1981 881, OLG Hamm VRS 6 4 (1983) 16, OLG Düsseldorf J Z 1985 5 4 4 sowie OLG Koblenz N Z V 1989 2 4 2 . BayObLG NJW 1981 879 (Kenntniserlangung erst in der Wohnung nach vorsatzausschließendem posttraumatischem Dämmerungszustand) sowie OLG Frankfurt a.M. VRS 64 (1983) 2 6 5 (anfängliche Fehleinschätzung der Schadenshöhe erst in der Wohnung erkannt). So etwa Bürgel MDR 1976 354, Haubrich DAR 1981 213, Janiszewski Rdn. 5 2 6 und J R 1978 116, Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 4 9 / 5 4 (S. 629) sowie trotz erheblicher Bedenken schließlich auch Volk DAR 1982 85 f und Küper FS Heidelberg, S. 451 ff (auf

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748

S. 4 7 7 unter Aufgabe seiner in NJW 1981 854 vorgetragenen Bedenken). Auf dieser Linie in früheren Auflagen auch Jagusch/ Hentschel Rdn. 52 und Tröndle/Fischer Rdn. 43. So vor allem Bernsmann N Z V 1989 56, Berz DAR 1975 313 und JURA 1979 128, Beulke NJW 1 9 7 9 4 0 0 , Dornseifer J Z 1980 301, Eisenberg JURA 1983 268, Lackner/ Kühl Rdn. 25, Loos/Schwertfeger DAR 1983 213 f, Magdowski S. 160 ff, Römer MDR 1980 89 ff, Rudolphi J R 1979 210 und Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 55: alle m.w.N. So vor allem Lackner/Kühl Rdn. 2 5 : unter Hinweis auf Römer M D R 1980 89.

Klaus Geppert

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§ 142

135b

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

liehen Analogieverbot nicht zu vereinbaren ist. 7 4 9 Das BVerfG räumt durchaus ein, dass die von den Strafgerichten seit bald 30 Jahren praktizierte Auslegung des § 142 Abs. 2 Nr. 2 zwar den Bedürfnissen der gegnerischen Unfallbeteiligten bzw. der Geschädigten entgegenkommt, weist dann aber einmal mehr darauf hin, dass ausweislich von Art. 103 Abs. 2 GG der Wortlaut des Gesetzes die erste und äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation ist. Von hier aus stellt das Gericht mit unmissverständlicher Deutlichkeit fest, dass die Begriffe „berechtigt oder entschuldigt" in § 142 Abs. 2 Nr. 2 nicht nur formal-dogmatisch eindeutig geklärt und als solche auf die allseits anerkannten Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe beschränkt sind, sondern auch ihrem natürlichen Wortsinn nach selbst von Nicht-Juristen keineswegs als Synonym für „in strafloser Weise" verstanden werden. Im Übrigen und vor allem bestätigt das BVerfG auch die im Schrifttum schon bis dahin herrschende Auffassung, dass die von Abs. 1 abgeleiteten Sekundärpflichten des nachfolgenden Abs. 2 nicht weiter gehen dürfen als die strafbewehrte Primärpflicht des Abs. 1; denn wer sich „berechtigt oder entschuldigt" vom Unfallort entfernt, handele unter ganz anderen Voraussetzungen als derjenige, der sich mangels Kenntnis des Unfallgeschehens vom Unfallort entfernt hat. Somit laufe die als Auffangtatbestand zu begreifende Subsidiärhaftung des Abs. 2 ins Leere, wenn den Täter der Normbefehl des Abs. 1 überhaupt nicht erreicht und dieser damit auch nicht die Wahl zwischen Warten oder Wegfahren hatte. Diese dem Gesetz zugrunde liegende Konzeption ist ersichtlich auch dem Umstand geschuldet, dass der Gesetzgeber sich auf diese Weise dem Vorwurf entziehen wollte, einem möglichen Straftäter mit den im Jahre 1975 neu eingeführten nachträglichen Meldepflichten des Abs. 2 zu viele Α/>iz'fpfliehten aufgebürdet und damit das auch verfassungsrechtlich garantierte Selbstbelastungsverbot verletzt zu haben. Ein solcher Vorwurf wird abgemildert, wenn man die Aktivpflichten des Abs. 2 nicht zuletzt unter Berücksichtigung der selbstbegünstigungsfeindlichen Spannungslage teleologisch dahin reduziert, dass man sie auf den vorwiegend Passivität gebietenden Basisnormbefehl des Abs. 1 ausrichtet und allein von diesem abhängig macht. 7 5 0 Während dieser Teil der Entscheidung, an den die Strafgerichte bei künftiger Auslegung des § 142 Abs. 2 Nr. 2 wegen der Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden sind, 7 5 1 im Schrifttum als längst überfällig weithin begrüßt wurde, 7 5 2 hat das

749

rechtskräftigen Strafurteiles in Fällen vorliegender Art nur dann, wenn das Urteil „auf der Auslegung einer N o r m beruht, die vom BVerfG für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt w u r d e " . Wie das OLG Köln ( N S t Z - R R 2 0 0 8 2 1 3 ) zutreffend ausgeführt hat, gilt dies nicht für Urteile, die - wie vorliegend die auf BGHSt 2 8 1 2 9 ff zurückgehenden Strafentscheidungen - lediglich rechtsfehlerhaft sind. Ebenso Mitsch N Z V 2 0 0 8 219.

Beschl. v. 1 9 . 3 . 2 0 0 7 - 2 BvR 2 2 7 3 / 0 6 = N J W 2 0 0 7 1 6 6 6 (mit Anm. Simon a a O S. 1 6 6 8 ) = N Z V 2 0 0 7 3 6 8 = DAR 2 0 0 7 2 5 8 (mit Besprechungsaufsatz Geppert a a O S. 3 8 0 ) = StraFo 2 0 0 7 213. S. dazu auch die weiteren Besprechungsaufsätze von Mitsch N Z V 2 0 0 8 2 1 7 ff, Jahn JuS 2 0 0 7 6 8 9 ff und Brüning ZIS 2 0 0 7 3 1 7 ff; grundsätzlich zustimmend erst jüngst auch Küper N S t Z 2 0 0 8 5 9 7 ff.

750

Ausführlich dazu schon Geppert 3 8 0 ff.

751

Auch wer aus heutiger Sicht von Strafgerichten zu Unrecht nach § 1 4 2 Abs. 2 Nr. 2 verurteilt wurde, kann diese Verurteilung nicht unter den Voraussetzungen des § 7 9 Abs. 1 BVerfGG im Wege des Wiederaufnahmeverfahrens zur Aufhebung bringen; denn diese Vorschrift ermöglicht die Aufhebung eines

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DAR 2 0 0 7 752

So in den jeweiligen Neuauflagen Fischer Rdn. 5 2 und Jagow/Burmann/Heß Rdn. 2 7 sowie die Autoren der oben erwähnten Besprechungsaufsätze/Anmerkungen: vgl. Geppert DAR 2 0 0 7 3 8 0 ff, Jahn JuS 2 0 0 7 6 8 9 ff, Brüning ZIS 2 0 0 7 3 1 7 ff sowie Mitsch N Z V 2 0 0 8 2 1 7 ff und jüngst auch Küper N S t Z 2 0 0 8 5 9 7 ff.

Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

Gericht hinsichtlich eines für die Strafgerichte offen gelassenen „Hintertürchens", 753 um in Fällen dieser Art gleichwohl zu einer Strafhaftung wegen unerlaubten Sichentfernens vom Unfallort zu kommen, jedenfalls verhaltenen Widerspruch erfahren. 754 Im Bewusstsein einer möglichen Strafbarkeitslücke, die infolge seiner Entscheidung entstanden ist, hat das BVerfG nämlich abschließend eine Möglichkeit angedeutet, die im Rahmen von § 142 Abs. 2 Nr. 2 zu Tage getretene Lücke jedenfalls teilweise schon de lege lata durch eine verfassungskonforme Auslegung des Abs. 1 zu schließen: Denkbar sei jedenfalls, auch das weitere Wegfahren vom Unfallort selbst nach verspäteter Kenntniserlangung vom Unfall noch als vorsätzliches Sichentfernen vom Unfallort (§ 142 Abs. 1) zu begreifen, was jedenfalls dann zu bejahen sei, wenn der Ort, an dem der Täter Kenntnis von dem Unfallgeschehen erhält, noch zum Unfallort oder dessen räumlichen Nahbereich gehört. 755 Aus diesen vorsichtigen Andeutungen hat Laschewski gemeint, den Schluss ziehen zu dürfen, dass der Vorsatz zum tatbestandlichen Sichentfernen selbst unter den Voraussetzungen des Abs. 1 „grundsätzlich bis zur Beendigung der Tat" und damit „auch nach Vollendung des Sichentfernthabens vom Unfallort" gebildet werden könne. 756 Dazu: Dies ist nicht richtig. Zutreffend daran ist allerdings, dass als „Unfallort", von dem aus das tatbestandliche Sichentfernen rechtlich allein möglich ist, nicht nur die eigentliche Unfallstelle, sondern auch deren räumlicher Nahbereich zu verstehen ist, bei dem noch ein örtlicher Bezug zum unmittelbaren Unfallgeschehen dergestalt vorhanden ist, dass andere Unfallbeteiligte oder feststellungsbereite Personen den Täter nach den Umständen des Falles noch unschwer als wartepflichtigen Täter erkennen und näher befragen können (ausführlich dazu bereits Rdn. 53 ff). Der Ort der Kenntniserlangung kann folglich nur dann mit dem Unfallort gleichgestellt werden, wenn er in diesem niemals auf den Meter exakt festlegbaren Sinn wenigstens noch zum räumlichen Nahbereich zu zählen ist. Nach dem Schutzzweck der Norm ist auch der Begriff des „Sichentfernens" erfolgsbezogen und nicht als schlichte Tätigkeit zu verstehen. Folglich ist der Tatbestand des ξ 142 unter den Bedingungen des Abs. 1 erst, aber jedenfalls dann vollendet, wenn der Täter sich räumlich so weit eben „vom Unfallort entfernt" hat, dass er unter den Voraussetzungen der Nr. 1 die Pflicht, seine Unfallbeteiligung zu offenbaren und Feststellungen eben am Unfallort zu ermöglichen, nicht mehr erfüllen kann oder im Fall der Nr. 2 jenen örtlichen Bereich verlassen hat, in dem andere Unfallbeteiligte oder feststellungsbereite Personen ihn unter den gegebenen Umständen noch unschwer als wartepflichtigen Unfallbeteiligten vermuten und ggf. durch Befragen ermitteln können. Dass sich der Vorsatz zum tatbestandlichen „Sich Entfernen vom Unfallort" ggf. noch bis zur Beendigung der Tat bilden könne, ist rechtlich zudem auch nach allgemeinen Regeln ausgeschlossen. Der Vorsatz muss sich während der Tatbegehung gebildet haben und muss spätestens bei Vollendung der Tat vorliegen; es gibt keinen nachfolgenden Tatvorsatz (dolus subsequens). Die Kenntniserlangung des Vorsatzes ggf. bis zur Beendigung der Tat, d.h. bis zur endgültigen NichtVerwirklichung des privaten Beweissicherungsinteresses hinausziehen zu wollen, wäre teleologisch zwar wiederum begreiflich, doch

753 754

Jahn JuS 2007 691. Mit teilweise deutlichen rechtlichen Bedenken vor allem Mitsch NZV 2008 218 f und Brüning ZIS 2007 318 ff sowie erst jüngst auch Küper NStZ 2008 597 (599 ff); voll zustimmend jedoch Laschewski NZV 2007 444 ff und Blum NZV 2008 495 ff.

755

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Das BVerfG verdeutlicht dies mit dem Beispiel, dass sich ein Unfallort insbesondere bei Überholvorgängen durchaus über einen längere Wegstrecke erstrecken kann. NZV 2007 447. Zustimmend Blum NZV 2008 495 ff; nachdrückliche Ablehnung aber bei Küper NStZ 2008 597 (603 f).

Klaus Geppert

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§ 142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

erneut Analogie zu Ungunsten des Täters. 757 Wie bereits erläutert (Rdn. 55), verbietet es sich, die tatbestandlichen Begriffe des „Unfallortes" und des „Sichentfernens" von diesem nach wie vor durch „Flucht"momente, wie sie zur früheren Gesetzesfassung (damals: „sich durch Flucht entzieht") jedenfalls diskutabel gewesen sein mögen, über den heutigen Gesetzeswortlaut hinaus teleologisch zu erweitern. Fehlt es nach alledem an dem erforderlichen (engen) räumlich-zeitlichen Zusammenhang mit dem eigentlichen Unfallgeschehen, würde die in Abs. 1 statuierte Pflicht, sich nicht vom Unfallort zu entfernen, letztlich zu einer Rückkehrpflicht nach Maßgabe der früheren Gesetzesfassung umfunktioniert, womit der derzeitige Gesetzeswortlaut wiederum zum Nachteil des Täters überstrapaziert würde. Aus diesen Gründen hat das OLG Düsseldorf 758 zu Recht klargestellt, dass ein solcher räumlich-zeitlicher Zusammenhang nicht mehr besteht und damit die Anwendbarkeit auch von § 142 Abs. 1 ausgeschlossen ist, wenn der Unfallbeteiligte nach dem Unfall innerorts fast zehn Minuten lang weitergefahren ist und in dieser Zeit etwa drei Kilometer zurückgelegt hat, ehe er von dem Unfallgeschehen Kenntnis erlangt hat. 136

(4) Im Bestreben, gegen jene die Praxis beherrschende Grundsatzentscheidung BGHSt 28 129 ff anzugehen, habe ich mich in diesem heiklen Grenzbereich zwischen noch zulässiger erweiternder Auslegung und bereits unzulässiger Analogie in der Vorauflage für eine differenzierende Lösung entschieden: 759 Rechtlich schlechterdings nicht zu halten sei die vom BGH vertretene Linie jedenfalls in den Fällen, in denen der Täter das Unfallgeschehen überhaupt nicht wahrgenommen hat. Einen solchen Täter habe der Normbefehl des § 142 schlicht nicht (oder jedenfalls nicht in nachweisbarer Weise) erreicht. Daher sei es als unzulässige Analogie zu werten, wenn der Anwendungsbereich des Abs. 2 über denjenigen des Abs. 1 hinaus erweitert wird: und zwar folgerichtig auch in den in der Praxis gar nicht seltenen Fällen, dass der an sich Wartepflichtige von nachfahrenden Personen alsbald über seine Unfallbeteiligung in Kenntnis gesetzt wird. Wer jedoch das Geschehen nur falsch einschätzt (z.B. irrig annimmt, nur er selbst sei geschädigt, es sei nur unbedeutender Schaden entstanden oder alle nach Lage des Falles erforderlichen Feststellungen seien getroffen), habe sich - so mein damaliger Rechtsstandpunkt - nach allgemeiner Irrtumsdogmatik an sich zwar ebenfalls vorsatzlos vom Unfallort entfernt, könne aber für sich kaum in Anspruch nehmen, der Appell des Tatbestandes mit der daraus folgenden Pflichtenstellung des Abs. 1 habe ihn nicht erreicht, so dass er demzufolge überhaupt keine Wahlmöglichkeit zwischen Warten oder Wegfahren gehabt habe. Ein solcher Täter habe die Situation falsch eingeschätzt.760 Auch wenn eine derartige Differenzierung mit den hergebrachten Regeln der Irrtumsdogmatik zugegebenermaßen nur schwer in Einklang zu bringen ist, erschien es mir dogmatisch wohl gerade noch vertretbar, Fehleinschätzungen dieser Art dem „entschuldigten" Sichentfernen gleichsetzen und noch als Anwendungsfall zulässiger erweiternder Auslegung begreifen

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Ausführlich dazu Brüning ZIS 2 0 0 7 320 ff; zu Recht ebenso Mitscb N Z V 2 0 0 8 218 f und Küper NStZ 2 0 0 8 603 f. N Z V 2 0 0 8 107 = DAR 2 0 0 8 154 = NStZRR 2 0 0 8 88 = VRS 113 (2008) 429: dazu schon Geppert, JK 8/08, StGB ξ 142/24. Im Ansatz damit wie Volk DAR 1982 85 ff, der sich der von ihm entwickelten differen-

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zierenden Lösung aus allgemein-irrtumsrechtlichen Gründen dann aber doch verweigert und der von BGHSt 28 129 ff befürworteten „Einheitslösung" (§ 142 Abs. 2 Nr. 2) das Wort geredet hat. So etwa in den vom OLG Koblenz NZV 1 9 8 9 2 4 2 und OLG Frankfurt a.M. VRS 64 (1983) 265 zu entscheidenden Fällen.

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Unerlaubtes Entfernen v o m Unfallort

§ 142

zu dürfen, 761 zumal die Parallele zur irrtümlichen Annahme einer das vorzeitige Sichentfernen vom Unfallort rechtfertigenden oder entschuldigenden Situation auf der Hand liegt, bei der an der Anwendbarkeit von $ 142 Abs. 2 Nr. 2 nach weithin h.M. nicht gezweifelt wird (dazu bereits Rdn. 126 und 1 2 9 ) . 7 6 2 Das BVerfG hat sich auf diesen Kompromissvorschlag jedoch nicht eingelassen und im Rahmen des § 142 Abs. 2 Nr. 2 jede Konstellation unvorsätzlichen Sichentfernens vom Unfallort dem Verdikt des Art. 103 Abs. 2 GG unterworfen. Daher wird dieser Vorschlag meinerseits nicht aufrechterhalten. So bleibt nur die Frage, ob der Gesetzgeber diese Lücke schließen soll. 7 6 3 Wenn er sich dazu entschließt, wofür teleologisch einiges spricht, wird er nicht zuletzt im Hinblick auf die verfassungsrechtlich zu beachtende Spannungslage zum strafrechtlichen Selbstbelastungsverbot bedenken müssen, die zur Aktivität zwingenden Melde- und Nachholpflichten des Abs. 2 nicht zu überziehen. Sollte der Gesetzgeber den Normbefehl des Abs. 2 also auf die Fälle unvorsätzlichen Sichentfernens erweitern wollen, wird er über Differenzierungen jener Art oder über räumlich-zeitliche Einschränkungen nachdenken müssen; das Unverzüglichkeitsgebot für sich allein dürfte dafür kaum ausreichen. 7 6 4 3. Inhalt der nachträglichen Pflichten. Ausweislich von Abs. 2 ist ein Unfallbeteiligter, der sich unter den in den Rdn. 123 ff erläuterten Voraussetzungen in w/cfcistrafbarer Weise vom Unfallort entfernt hat, verpflichtet, die in Abs. 1 erwähnte Feststellungen, d.h. die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung „nachträglich (zu) ermöglichen". Was der Unfallbeteiligte im Einzelnen tun muss, um dieser Pflicht in ausreichendem Umfang (wenigstens) nachträglich nachzukommen, ist im Gesetz nicht näher ausgeführt. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich nur, dass der Täter jetzt zu bestimmten Aktivitäten (doch wiederum nicht zur Durchführung der Feststellungen selbst, sondern nur zu deren Ermöglichung durch andere!) verpflichtet ist und jedenfalls mehr tun muss, als er unter den Voraussetzungen des Abs. 1 hätte tun müssen:

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a) Auszugehen ist zweckmäßigerweise zunächst von Abs. 3 und hier von Satz 1, wo ausweislich der gesetzlichen Formulierung („der Verpflichtung ... genügt") nach ganz überwiegender (zutreffender) Ansicht zwar keine gesetzlichen Mindestanforderungen im strengen Sinn unabdingbarer Mindestpflichten 7 6 5 formuliert, wohl aber beispielhaft Fälle aufgeführt sind, in denen die nach Abs. 2 gebotenen Feststellungen seitens des Täters

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So letztlich wohl auch Schild AK Rdn. 1 5 0 und ders. N K Rdn. 1 2 9 ; so tendenziell wohl auch Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 5 5 : doch jeweils Äußerungen, die zeitlich noch vor der Entscheidung des BVerfG vom 1 9 . 3 . 2 0 0 7 datieren.

scheidung BGHSt 31 5 5 ff, die bei fahrlässiger Verkennung einer Unfallsituation eine Pönalisierung nach § 3 4 StVO unter Hinweis auf die vorrangige (und auf vorsätzliche Begehung beschränkte) Strafhaftung nach § 1 4 2 Abs. 2 Nr. 2 abgelehnt hat, sei obsolet geworden, seit es die Möglichkeit einer solchen fcranme/strafbewehrten vorsätzlichen Straftat nicht mehr gebe.

Gegenteiliger Ansicht neuerdings jedoch Mitsch N Z V 2 0 0 5 3 4 7 ff. Mitsch hält eine Erweiterung des § 1 4 2 Abs. 2 um eine neue Nr. 3 (Erweiterung auf die Fälle unvorsätzlichen Sichentfernens) de lege ferenda jedoch nicht für geboten ( N Z V 2 0 0 8 2 2 0 ) : Für die Sanktionierung fahrlässigen Sichentfernens vom Unfallort reiche die auch fahrlässig begehbare Ordnungswidrigkeit nach § § 3 4 Abs. 1 Nr. 6 a i.V. mit 4 9 Abs. 1 Nr. 2 9 StVO durchaus aus. Die Ent-

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Z u entsprechenden Bedenken schon Geppert D A R 2 0 0 7 3 8 0 ff. Z u m Formulierungsstreit um gesetzlich unverzichtbare „ M a x i m a l - oder Mindestanforderungen" vor allem Hartmann-Hilter N Z V 1 9 9 2 4 3 1 sowie Maurach/Schroeder/ Maiwald B T 1 4 9 / 5 8 (S. 6 3 0 ) .

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jedenfalls hinreichend 766 und ausweislich des nachfolgenden Satzes 2 nur dann ausnahmsweise nicht in ausreichender Form ermöglicht sind, wenn der Pflichtige „durch sein Verhalten die Feststellungen absichtlich vereitelt" (dazu nachfolgend Rdn. 160 ff). Ansonsten ist davon auszugehen, dass die Verpflichtung des Täters, die Feststellungen (wenigstens nachträglich) zu ermöglichen, auch auf andere Weise erfüllt werden kann (nachfolgend Rdn. 150 ff). Umgekehrt bestehen weitergehende Pflichten folgerichtig auch dann nicht, wenn die gesetzlich für „genügend" angesehenen Maßnahmen für die notwendigen Feststellungen im Einzelfall nicht ausreichen; auch dann ist der Täter nicht zur Rückkehr an den Unfallort verpflichtet 767 und auch dem Berechtigten gegenüber nicht verpflichtet, auf dessen Verlangen mit ihm die nächstgelegene Polizeidienststelle aufzusuchen. 768 Im Übrigen muss der Pflichtige die Feststellungen auch hier nicht selbst treffen, sondern sie nur für und durch andere ermöglichen; er hat somit auch hier keinen Bericht über den Unfallhergang als solchen zu erstatten. 769 Ausweislich des Gesetzes trifft den Unfallbeteiligten lediglich eine Mitteilungspüicht: und zwar entweder „den Berechtigten (Abs. 1 Nr. 1) oder einer nahe gelegenen Polizeidienststelle" gegenüber. Die dem Unfallbeteiligten abverlangten Mitteilungen gehen nunmehr aber weiter, als er sie unter den Voraussetzungen des Abs. 1 hätte machen müssen. So hat er nicht nur anzugeben, dass er an dem Unfall beteiligt war, sondern darüber hinaus zusätzlich auch „seine Anschrift, seinen Aufenthalt sowie das Kennzeichen und den Standort seines Fahrzeugs" mitzuteilen. Allerdings ist auch für das in Abs. 3 S. 1 umschriebene (ausreichende) Mindestverhalten und die danach gebotenen Angaben (einschränkend) auch deren Erforderlichkeit zu berücksichtigen; nach ihrem gesetzgeberischen Zweck verlangt die Vorschrift also nur diejenigen Angaben, die nach Anspruchsart und Beweislage im konkreten Fall für den Geschädigten/Berechtigten von Bedeutung sind. 7 7 0 Zusätzlich dazu trifft den Unfallbeteiligten dann auch noch die Pflicht, das Unfallfahrzeug „für eine ihm zumutbare Zeit zur Verfügung" zu halten. Im Einzelnen: 139

aa) Form der Mitteilung. Der Unfallbeteiligte muss die Mitteilungspflicht nicht persönlich erfüllen. Die Beauftragung eines vertrauenswürdigen (und hinreichend informierten) Dritten genügt ebenso wie eine telephonische, telegraphische 771 oder briefliche Mitteilung; 7 7 2 falls der Dritte seinen Botenauftrag nicht erfüllt, muss der Pflichtige die Mitteilung aber („unverzüglich") nachholen. 773 Im Einzelfall kann ein Unfallbeteiligter seiner nachträglichen Informationspflicht auch durch Zurücklassen einer schriftlichen Mitteilung (die dann allerdings alle in Abs. 3 geforderten Angaben und nicht nur wie etwa eine Visitenkarte lediglich die Adresse des Schädigers enthalten muss 7 7 4 ) am Fahr-

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So wohl auch BGHSt 2 9 138 (141); auf dieser Linie auch die weitaus h M im Schrifttum: Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 56, Rudolphi SK Rdn. 45, Fischer Rdn. 55, Zopfs MK Rdn. 112 und Janiszewski Rdn. 5 3 2 - alle m.w.N. Eher bedenklich OLG Köln N J W 1981 2368. OLG Stuttgart DAR 1 9 7 7 2 3 und N Z V 1992 327 sowie BayObLG NStZ 1988 119. OLG Köln N Z V 1 9 8 9 198 (mit Anm. Bernsmann). BayObLG: zitiert nach Rüth DAR 1982 249. Zutreffend OLG Oldenburg VRS 54 (1978) 279.

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OLG Zweibrücken N Z V 1991 479. OLG Stuttgart DAR 1 9 7 7 2 2 sowie BayObLG nach Janiszewski NStZ 1988 119. Magdowski S. 192. So zu Recht schon OLG Köln VRS 6 4 (1983) 119; ebenso ßerz DAR 1975 314, Rudolphi SK Rdn. 4 3 und Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 61. AA jedoch Hartmann-Hilter N Z V 1992 431 sowie Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 4 9 / 5 9 (S. 630).

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

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zeug des Geschädigten selbst nachkommen; angesichts vielfältiger Verlustmöglichkeiten muss sich der Unfallbeteiligte allerdings vergewissern, ob die Nachricht den Berechtigten tatsächlich erreicht hat, und notfalls die Polizei benachrichtigen.775 Zur Frage, wie lange der Schädiger vor dem Hintergrund des „Unverzüglichkeits"-Gebotes die Reaktion des Geschädigten abwarten darf, nachfolgend Rdn. 153 ff. Wer sich als Unfallbeteiligter berechtigt oder entschuldigt von der Unfallstelle entfernt hat, ermöglicht die nachträglichen Feststellungen auch dadurch, dass er eine zuverlässige und informierte andere Person veranlasst, am Unfallort zu bleiben und dort die erforderlichen Angaben zu machen: dies jedoch nur, wenn dies dann auch geschieht.776 bb) Adressaten der Mitteilung. Wahlweise kann die Benachrichtigung entweder den Feststellungs,,berechtigten" oder „einer nahe gelegenen Polizeidienststelle" gegenüber erfolgen. Wie bereits ausgeführt (Rdn. 138), sind beide Wege grundsätzlich gleichwertig (umstritten nur, ob jeweils durch das Erfordernis „unverzüglichen" Handelns einschränkbar: dazu nachfolgend Rdn. 153 ff) und keineswegs als unabdingbare Minimalforderungen, sondern nur beispielhaft und somit dahin zu verstehen, dass ihre (sofern nur „unverzüglich" erfolgte) Erfüllung in jedem Fall ausreicht. 777

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(1) Nach dem Wortlaut des Gesetzes muss die Benachrichtigung (wahlweise) gegen- 141 über „den (!) Berechtigten" (zu deren Kreis Rdn. 49) und damit nicht nur gegenüber den anderen Unfallbeteiligten, sondern erklärtermaßen an sich auch gegenüber allen Geschädigten erfolgen. Weil es sich dabei häufig um verschiedene Personen handelt (z.B. weil Fahrer, Halter und Eigentümer des beschädigten Fahrzeugs nicht identisch sind oder das getötete Unfallopfer mehrere unterhaltsberechtigte Angehörige hat) und die „unverzügliche" Benachrichtigung aller dieser Personen den Mitteilungspflichtigen meist überfordern würde, wird überwiegend auch hier eine teleologische Reduzierung des Tatbestandes für geboten gehalten; andernfalls wäre der Unfallbeteiligte in solchen Fällen in der Wahl der Benachrichtigungsmöglichkeiten letztlich nicht frei, sondern häufig zu alsbaldiger Information der Polizei gezwungen.778 Eine solche nicht zuletzt vor dem Hintergrund der selbstbegünstigungsspezifischen Spannungslage (Rdn. 63 ff) gebotene tatbestandliche Restriktion darf aber nicht damit begründet werden, dass die Benachrichtigung aller feststellungsberechtigter Personen letztlich deutlich weiter reichen würde als die sich ursprünglich aus Abs. 1 ergebende Pflicht; 779 denn ein Unfallbeteiligter muss nach der Konzeption des Gesetzes unter den Voraussetzungen des Abs. 2 ersichtlich und anerkanntermaßen mehr tun, als nach Abs. 1 genügt hätte. Somit reicht es jedenfalls nicht prinzipiell aus, entweder nur den Fahrer oder nur den Halter oder nur den Eigentümer des beschädigten Fahrzeugs zu informieren,780 und es genügt wohl auch nicht schlechthin, die Mitteilungspflicht allein auf die Benachrichtigung der zunächst erreichbaren Per-

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OLG Zweibrücken VRS 7 9 (1990) 2 9 9 sowie OLG Köln VRS 6 4 (1983) 118 und DAR 1 9 8 9 352; auf dieser Linie auch Berz DAR 1975 315, Janiszewski Rdn. 535, Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 4 9 / 5 9 (S. 630), Rudolphi SK Rdn. 4 3 und Sch/ Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 61. Deutlich strenger Hentschel N J W 1991 1273 und etwas strenger wohl auch MüllerEmmert/Maier DRiZ 1975 178. BayObLG DAR 1 9 7 9 238. Unter Hinweis auf BTDrucks. 7 / 2 4 3 4 II

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Nr. 4 so ausdrücklich auch BGHSt 2 9 138 (141). So im Ergebnis offenbar auch BGHSt 2 9 138 ff, wo mehrfach von der Benachrichtigung „des" (Singular!) Berechtigten gesprochen wird. Ausdrücklich gegenteiliger Ansicht aber OLG Stuttgart VRS 5 2 (1977) 183. So aber Rudolphi SK Rdn. 43. So aber Rudolphi SK Rdn. 4 3 und so tendenziell wohl auch Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 58.

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son zu beschränken. 7 8 1 Nach den Kriterien der Erforderlichkeit und der Zumutbarkeit wird dem Interessenkonflikt zwischen Feststellungsberechtigten einerseits und Mitteilungspflichtigem andererseits wohl dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass sich die Benachrichtigungspflicht jedenfalls dann auf die Person des nächst Erreichbaren beschränkt, wenn bei ex ante-Sicht angenommen werden kann, dass dieser die übrigen Berechtigten in ausreichender Weise informiert. 7 8 2 Da nach der Konzeption des Gesetzes schon das Minimalprogramm des Abs. 3 zur Entlastung des Pflichtigen genügt, muss sich dieser vom benachrichtigten Berechtigten im Übrigen nicht zusätzlich noch an die Polizei verweisen lassen. 7 8 3 142

(2) Nach grundsätzlich freier Wahl des Mitteilungspflichtigen kann Adressat einer Mitteilung nach Abs. 3 S. 1 auch „eine nahe gelegene Polizeidienststelle" sein. Diese Formulierung ersetzte das noch im Regierungsentwurf vorgesehene, doch als zu eng eingeschätzte Merkmal „nächste" Polizeidienststelle; der Mitteilungspflichtige hat also nicht zwingend die nächst gelegene Polizeidienststelle zu informieren (unbestritten). 7 8 4 Nicht abschließend geklärt ist jedoch, 7 8 5 ob sich das „nahe gelegen" auf den Unfallort, 7 8 6 den (auf den Zeitpunkt der Pflichtenentstehung nach Abs. 2 zu beziehenden) gegenwärtigen Standort des Mitteilungspflichtigen 7 8 7 oder den derzeitigen Standort des Fahrzeugs beziehen muss. 7 8 8 Sinnvollerweise ist die Frage sowohl nach dem Erfordernis „unverzüglicher" Pflichterfüllung 7 8 9 wie auch nach dem Schutzzweck der Norm und somit insgesamt danach zu beantworten, wo die gebotenen Feststellungen vordringlich zu ermöglichen sind. 7 9 0 Danach wird in aller Regel meist auf den derzeitigen Aufenthaltsort des Mitteilungspflichtigen und auf den Unfallort nur dann abzustellen sein, wenn nach Lage des Falles Feststellungen gerade dort geboten sind. Auf den gegenwärtigen Standort des Unfallfahrzeuges hingegen ist abzustellen, wenn es gerade auf die Untersuchung des Fahrzeugs ankommt. Wann in diesem Sinn eine (zwar nicht unbedingt zuständige, wohl aber zur Weiterleitung an zuständige Stellen verpflichtete und im Übrigen notwendigerweise inländische) 7 9 1 Polizeidienststelle noch „nahe gelegen" ist, ist ebenfalls nach dem Erfordernis der „Unverzüglichkeit" und nicht zuletzt nach Zumutbarkeitsaspekten zu beantworten; danach kann im Einzelfall auch die Mitteilung an eine Polizeistreife genügen, wenn diese bereit ist, die erforderlichen Feststellungen zu treffen oder die Meldung an eine zuständige Stelle weiterzugeben. 7 9 2 Insgesamt erscheint für die Beurteilung einer „nahegelegenen" Polizeidienststelle ein eher großzügiger Maßstab angebracht.

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So aber offenbar Hentschel/König Rdn. 5 3 . So auch Magdowski S. 1 8 9 und Lackner/ Kühl Rdn. 2 9 ; zu eng jedoch Schild N K Rdn. 136 (Einschränkung aus dem Vorsatzerfordernis: der Pflichtige müsse nur diejenigen Berechtigten informieren, die er kennt).

Beratungen der Großen Strafrechtskommission: zitiert nach Magdowski S. 190. 788 789

O L G Frankfurt VRS 51 ( 1 9 7 6 ) 2 8 3 . OLG Hamm NJW 1977 207. Näher zu dieser Frage und zur Entstehungsgeschichte dieser Formulierung vor allem Magdowski S. 1 8 9 ff. So schon der Sonderausschuss (Prot. VII/ 1 9 3 5 ) ; so tendenziell wohl auch Fischer Rdn. 4 8 und Janiszewski N S t Z 1 9 8 2 5 0 3 (weil auf diese Weise in aller Regel am raschesten Feststellungen getroffenen werden können).

Berz DAR 1 9 7 5 315. So im Anschluss an die BTDrucks. 7 / 2 4 3 4 , S. 8 tendenziell wohl auch die heute h M : vgl. Berz DAR 1 9 7 5 315, Magdowski S. 1 9 0 sowie Schild N K Rdn. 139, Lackner/Kühl Rdn. 29, Rudolphi SK Rdn. 4 4 , Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 59, Zopfs M K Rdn. 115 und Fischer Rdn. 57.

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In dieser Richtung vor allem Fischer Rdn. 57.

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Vgl. dazu schon die Niederschriften der Großen Strafrechtskommission (Band 13, S. 4 8 8 ) . So schon Jagusch N J W 1 9 7 5 1 6 3 3 und Berz DAR 1 9 7 5 315.

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So zunächst die Mehrheitsmeinung bei den

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§ 142

cc) Ausweislich des Gesetzes muss der Unfallbeteiligte unter den Voraussetzungen des Abs. 3 S. 1 nicht nur angeben, „dass er an dem Unfall beteiligt gewesen ist", sondern hat nunmehr auch „seine Anschrift, seinen Aufenthalt sowie das Kennzeichen und den Standort seines Fahrzeugs" mitzuteilen. Die Angaben müssen der Wahrheit entsprechen; im Unterschied zur Regelung des Abs. 1, wo sich ein Unfallbeteiligter allein durch Falschangaben als solche noch nicht strafbar macht (dazu bereits Rdn. 99), erfüllt der Mitteilungspflichtige durch wahrheitswidrige Angaben somit nicht den strafbewehrten Normbefehl des Abs. 3. Zum Inhalt der Mitteilungen im Einzelnen:

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(1) Die Pflicht des Unfallbeteiligten mitzuteilen, „dass er an dem Unfall beteiligt gewesen ist", entspricht im Wesentlichen der Vorstellungspflicht des Abs. 1; ebenso wie dort ist der Unfallbeteiligte somit grundsätzlich nicht verpflichtet, über die Angabe der Unfallbeteiligung als solcher hinaus nähere Angaben zum Unfallgeschehen und insbesondere zu seiner Rolle bei Entstehung des Unfalls zu machen (dazu bereits Rdn. 96 ff). Wegen seiner räumlichen Entfernung vom Unfallort ist der Pflichtige nunmehr jedoch gehalten, jedenfalls den Ort des Unfallgeschehens möglichst genau zu lokalisieren.

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(2) Darüber hinaus hat der Pflichtige (wahrheitsgemäß) nun auch seine Anschrift (Name, Vorname und Wohnsitz bzw. ständigen Aufenthaltsort unter Angabe von Ort, Straße und Hausnummer) sowie seinen gegenwärtigen Aufenthaltsort mitzuteilen; letzteres aber nur, wenn dieser mit dem ständigen Wohnsitz nicht identisch ist. 7 9 3 Sofern nachträgliche Feststellungen hinsichtlich der körperlichen Verfassung oder einer möglichen Alkoholisierung des Unfallbeteiligten zu ermöglichen sind, 7 9 4 reicht der auf den Zeitpunkt der Unfallmeldung bezogene Aufenthaltsort nur aus, wenn der Unfallbeteiligte für den Mitteilungsempfänger dort noch erreichbar ist; andernfalls muss der Unfallbeteiligte zusätzlich den Ort angeben, wo er von den Feststellungsberechtigten (oder dessen Beauftragten) erreicht werden kann. Sofern sich der Unfallbeteiligte während des Zeitraums zwischen Benachrichtigung und späteren Feststellungen an verschiedenen Orten aufhält, kann die Mitteilungspflicht im Einzelfall auch mehrere Aufenthaltsorte umfassen. 795

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(3) Sofern der mitteilungspflichtige Unfallbeteiligte im Zeitpunkt des Unfallgeschehens ein in diesen Unfall verwickeltes Fahrzeug benutzt hat, hat er auch „das Kennzeichen (eines kennzeichenpflichtigen Fahrzeugs) und den Standort seines Fahrzeugs" anzugeben. Dem Schutzzweck der Vorschrift entsprechend ist der Begriff des „Fahrzeugs" weit zu begreifen: doch nur, soweit sie in ein Unfallgeschehen verwickelt sind, das als „Unfall im Straßenverkehr" anzusehen ist (dazu bereits Rdn. 25). Erfasst sind danach zwar Transportmittel (z.B. Einkaufswagen eines Supermarkts 7 9 6 oder Mülltonnen auf Rädern), nicht hingegen die besonderen Fortbewegungsmittel des § 24 StVO (Rollstühle, Rodelschlitten, Kinderfahrräder, Skateboards u.a.). 7 9 7 Für das Merkmal „sein" Fahrzeug sind die Eigentumsverhältnisse unerheblich; weil es nach dem Schutzzweck der Vorschrift darum geht, Feststellungen (auch) hinsichtlich des in den Unfall verwickelten Fahrzeugs treffen zu können, sind Fahrzeugführer, die das verunfallte Fahrzeug nur geliehen oder gemietet haben, zur Angabe des Kennzeichens und des derzeitigen Fahrzeugstandortes grundsätzlich ebenso verpflichtet wie unfallbeteiligte Wageninsassen, selbst wenn diese das Unfallfahrzeug nicht selbst geführt haben. Verbunden mit der Verpflichtung, das

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Sch/Scbröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 62. BayObLG (1 St 58/84): zit. nach Rüth DAR 1985 241; zustimmend Janiszewski NStZ 1988 119.

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Ebenso Magdowski S. 193. Wie hier OLG Stuttgart VRS 4 7 (1974) 15; anders aber Berz DAR 1975 315 und Sehl Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 63. Wie hier Hentschel/König Rdn. 35.

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Fahrzeug für eine zumutbare Zeit zur Verfügung zu halten (nachfolgend Rdn. 147 ff), bezweckt auch die Pflicht zur Mitteilung des Standortes des Fahrzeugs, wenigstens nachträglich Feststellungen auch am Fahrzeug selbst treffen zu können (Besichtigung von Unfallspuren, Vorbeschädigungen des Fahrzeugs, Feststellung technischer Mängel u.ä.); daher kommt es nicht auf den regelmäßigen Standort des Fahrzeugs (i.S. von § 4 Abs. 4 Nr. 1 FZV) als vielmehr auf den Ort an, wo das Fahrzeug für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung gehalten wird. Ebenso wie bei der Auslegung des Merkmals „Aufenthalt" (des Unfallbeteiligten) bezieht sich somit auch die Standortangabe hinsichtlich des Fahrzeuges nicht auf den Zeitpunkt der Mitteilung, sondern auf den gesamten Zeitraum zwischen Mitteilung und Ablauf der Bereithaltungspflicht.798 147

dd) Sofern der Täter mit einem Fahrzeug am Unfall beteiligt war, hat er dieses „zu unverzüglichen Feststellungen für eine ihm zumutbare Zeit zur Verfügung zu halten", und zwar sinnvollerweise an dem Ort, der als Standort des Fahrzeugs angegeben wurde. 799 Die Bereithaltungspflicht erfasst folgerichtig nur Fahrzeuge, mit denen man im tatbestandlichen Sinn in einen „Unfall im Straßenverkehr" verwickelt werden kann (dazu bereits Rdn. 25 und 146). Sie trifft nur Unfallbeteiligte, nicht aber auch einen unbeteiligten Halter. 800 Sofern der Unfallbeteiligte das von ihm geführte Fahrzeug nur geliehen/ gemietet hat oder wenn er nur unfallbeteiligter Beifahrer in einem ihm nicht gehörenden Fahrzeug gewesen ist, ist er zwar verpflichtet, (den Standort des Fahrzeugs anzugeben und) auf den über das Fahrzeug Verfügungsberechtigten dahin einzuwirken, sein Fahrzeug für Feststellungen bereitzuhalten; bei Weigerung des Halters/Eigentümers entfällt für den Unfallbeteiligten jedoch eine weitere Bereitstellungspflicht.801 Somit ist der Mieter/Entleiher auch nicht verpflichtet, zur Erfüllung der Bereithaltungspflicht das ihm nicht gehörende Fahrzeug kurzfristig länger zu mieten. 802 Anders als nach § 34 Abs. 3 StVO (Verbot, Unfallspuren zu beseitigen) ist im Bereitstellungsgebot des § 142 Abs. 3 S. 1 nicht auch die weitere Pflicht enthalten, das Fahrzeug in unverändertem Zustand zu belassen; bei nachträglicher Spurenbeseitigung kann jedoch Abs. 3 S. 2 eingreifen (nachfolgend Rdn. 160 ff). Begrenzt wird die Dauer der Bereithaltungspflicht im Übrigen durch ihre Beschränkung auf unverzügliche Feststellungen einerseits und zumutbare Zeit andererseits. Dazu im Einzelnen:

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(1) Die Bereithaltungspflicht endet auf jeden Fall, wenn die feststellungsberechtigten/-bereiten Personen die nötigen Feststellungen nicht „unverzüglich", d.h. ohne schuldhaftes Verzögern selbst treffen oder jedenfalls durch einen Beauftragten, der dann seinerseits ohne schuldhaftes Verzögern das Fahrzeug zu untersuchen hat; im Einzelfall können

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Ebenso Magdowski S. 195 und so dann auch Berz DAR 1975 315 und Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 63. Berz DAR 1975 315 und Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 63. BayObLG DAR 1990 230; ebenso Lackneri Kühl Rdn. 23 und Tröndle/Fischer Rdn. 49; a.A. Jagusch (NJW 1975 1633), der eine Bereithaltepflicht des Halters aus dem Gesichtspunkt der Garantenhaftung bejaht (verfehlt, da unvereinbar mit der Natur des § 142 als eines nur für Unfallbeteiligte gültigen Sonderdelikts).

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Wie hier Lackner/Kühl Rdn. 28, Rudolphi SK Rdn. 44, Fischer Rdn. 58 und Magdowski S. 195. So aber mit dem Hinweis, dieser Pflicht könne der Pflichtige ja durch Vorfahren vor der Polizei entgehen, Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 1 49/58 (S. 630): bedenklich, weil damit die durch § 142 Abs. 3 grundsätzlich freie Wahl des Pflichtigen in Frage gestellt wäre.

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selbst zeitaufwendige Feststellungen durch einen Sachverständigen noch „unverzüglich" sein. 803 Davon zu trennen ist jedoch die Frage, ob eine solche zeitliche Verlängerung für den Pflichtigen noch „zumutbar" ist (dazu nachfolgend Rdn. 149). 8 0 4 Selbstverständlich können die feststellungsberechtigten/-bereiten Personen (auch) auf die Bereitstellung des Fahrzeugs verzichten (zu Feststellungsverzicht im Rahmen des Abs. 1 schon Rdn. 76 ff). 8 0 5 (2) Für die Frage der „Zumutbarkeit" sind die Umstände des Einzelfalles maßgeblieh, insbesondere die Schwere des Schadens, die Schwierigkeit der Feststellungen oder der Beweislage und nicht zuletzt persönliche Bedürfnisse oder Belange des Pflichtigen wie vor allem berufliche oder sonstige Interessen, soweit sie mit der Benutzung des Fahrzeugs verbunden sind. 806 Zumutbar ist in aller Regel auch die Einhaltung von Absprachen, die der Pflichtige mit den feststellungsberechtigten/-bereiten Personen oder mit der Polizei getroffen hat. 8 0 7 Der Zeitraum für „unverzügliche" Feststellungen und die „Zumutbarkeits"frist müssen nicht identisch sein; wenn beide Fristen differieren, endet die Pflicht zur Bereithaltung des Fahrzeugs mit Ablauf der kürzeren Zeitspanne. 808 Maßgeblich für die aus Abs. 3 S. 2 folgende Pflicht, am Fahrzeug nichts zu ändern, ist ebenfalls die kürzere Frist. 8 0 9

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b) Sofern der Unfallbeteiligte von dem im Gesetz jedenfalls als „genügend" beschriebenen Weg des Abs. 3 S. 1 abweicht, beurteilt sich die Pflichterfüllung nach Abs. 2, d.h. der Pflichtige muss die feststellungsberechtigten bzw. feststellungsbereiten Personen in die Lage versetzen, die erforderlichen Feststellungen selbst (oder durch Beauftragte) treffen zu lassen:

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aa) So kann der Unfallbeteiligte seiner Pflicht zur Ermöglichung nachträglicher FestStellungen insbesondere durch Rückkehr an den Unfallort gerecht werden. 810 Dabei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden: (1) Sind auch nach Rückkehr des Pflichtigen am Unfallort noch feststellungsberechtigte/-bereite Personen anwesend, herrscht Streit darüber, was der (mit seinem Fahrzeug!) an den Unfallort zurückgekehrte Unfallbeteiligte dort tun muss bzw. was zu tun er sich begnügen darf: Sofern die Beweissituation mit früher noch vergleichbar ist, wollen die einen die ursprünglichen (engeren) Pflichten des Abs. 1 wieder aufleben lassen, was zur Folge hätte, dass der an den Unfallort Zurückgekehrte lediglich seine Unfallbeteiligung anzugeben hat und ansonsten untätig bleiben darf. 811 Da durch den Zeitverlust und die Abwesenheit des Pflichtigen von der Unfall-

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Anders aber Mauracb/Schroeder/Maiwald BT 1 4 9 / 5 8 (S. 630) und Rudolpbi SK Rdn. 44a: Letzterer mit dem Hinweis, dass auch im Rahmen der Absätze 2 und 3 nur die nach Abs. 1 nötigen Feststellungen zu ermöglichen seien. Dazu: Dies ist richtig; doch kann selbst zu diesen Feststellungen die Hilfe eines Sachverständigen erforderlich sein. Wie hier Berz DAR 1975 315 und Magdowski S. 196; ebenso Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 64. Ebenso Lackner/Kühl Rdn. 28. Ebenso Berz DAR 1975 315, Magdowski

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S. 196 und Sch/Scbröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 64. Ebenso Lackner/Kübl Rdn. 28; teilweise einschränkend Bernsmann N Z V 1989 57. Berz DAR 1975 315 und Magdwoski S. 197; ebenso Scb/Scbröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 64. Scb/Scbröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 64. Dazu schon BTDrucks. 7 / 2 4 3 4 , S. 8. Auf dieser Linie Schild NK Rdn. 142, Rudolpbi SK Rdn. 4 5 und Scb/Scbröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 68.

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stelle die ursprünglich meist besseren Feststellungschancen zwischenzeitlich jedoch beeinträchtigt worden sein können, spricht sich die wohl h.M. demgegenüber zu Recht dafür aus, dass der an den Unfallort zurückgekehrte Täter nach wie vor die (über Abs. 1 hinausgehenden) Pflichten des Abs. 2 zu erfüllen hat; dies wiederum hat zur Folge, dass das in Abs. 3 S. 2 enthaltene Verbot der absichtlichen Vereitelung von Feststellungen (nachfolgend Rdn. 160 ff) nicht hinfällig geworden ist. 812 (2) Sind umgekehrt keine feststellungsberechtigten/-bereiten Personen mehr am Unfallort anwesend, versagt der Ausweg der Rückkehrpflicht (unbestritten) mit der zwangsläufigen Folge, dass der Pflichtige jetzt entweder doch die Mindestverpflichtung des Abs. 3 S. 1 erfüllen oder aber 152

bb) sich bemühen muss, seiner Pflicht zu nachträglicher Ermöglichung der gebotenen Feststellungen auf (geeignete) andere Weise nachzukommen; dabei muss nur sichergestellt sein, dass die geschützten Interessen der Berechtigten (mindestens) in gleicher Weise gewahrt werden wie durch die in Abs. 3 S. 1 beispielhaft aufgeführten Mindestpflichten: 813 so etwa durch Beauftragung eines (neutralen) Dritten, der dazu bereit ist, die erforderlichen Feststellungen zu treffen und sie dem Berechtigten zuzuleiten (dazu bereits Rdn. 138) 8 1 4 oder durch Abgabe eines (nach der Beweislage den gegnerischen Feststellungsinteressen hinreichend genügenden) Schuldanerkenntnisses. 815 Des Weiteren hat der Pflichtige die Möglichkeit, mit seinem Unfallfahrzeug den Berechtigten aufzusuchen und mit ihm zu verhandeln 8 1 6 oder die Polizei zu benachrichtigen und am Unfallort (mitsamt Unfallfahrzeug) auf deren Eintreffen zu warten; lehnt diese jedoch (z.B. weil es sich um eine Bagatellsache handelt) eine Unfallaufnahme ab, hat der Pflichtige unverzüglich geeignete weitere Maßnahmen zu ergreifen.

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4. „Unverzüglichkeits"-Erfordernis. Ausweislich von Abs. 2 muss der Pflichtige die nachträglichen Feststellungen „unverzüglich", d.h. ohne schuldhaftes Verzögern ermöglichen. Die Handlungsfrist beginnt mit Ablauf der Wartepflicht (Abs. 2 Nr. 1) bzw. mit dem Wegfall der rechtfertigenden oder entschuldigenden Situation (Abs. 2 Nr. 2). 8 1 7 Die Frist läuft ab (womit das Unterlassungsdelikt des § 142 Abs. 2 vollendet ist), wenn der Pflichtige die ihm zur Verfügung stehende Zeit zur Ermöglichung der Feststellungen untätig hat verstreichen lassen: es sei denn, die erforderlichen Feststellungen sind bis zu diesem Zeitpunkt - etwa durch Aktivitäten des Pflichtigen selbst (Visitenkarte, zurückgelassenes Fahrzeug, am Unfallort wartende Begleitperson u.ä.) oder ohne sein Zutun (z.B. durch die Polizei oder andere feststellungsbereite Personen) - in hinreichender Weise bereits getroffen worden; bei einer solchen Sachlage stellt der bereits feststehende Entschluss des Täters, seine nachträgliche Meldepflicht auch bis zum Ablauf der Frist nicht erfüllen zu wollen, nur einen (straflosen) Versuch nach Abs. 2 dar. 818 Anders ist die Rechtslage, wenn der Pflichtige dem ihn aufsuchenden und zur Rede stellenden Polizei-

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So auch schon Geppert JURA 1990 85; wie hier Berz DAR 1975 314, Janiszewski DAR 1975 175, Lackner/Kühl Rdn. 27, Maier DRiZ 1975 178 und Sturm J Z 1975 408. So ausdrücklich auch Rudolphi SK Rdn. 45. BayObLG J Z 1980 5 7 9 und OLG Stuttgart DAR 1 9 7 7 22; zustimmend Schild AK Rdn. 163 und Rudolphi SK Rdn. 45. Vgl. Schild NK Rdn. 142 und Fischer Rdn. 55; ebenso schon Magdowski S. 186.

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So auch Fischer Rdn. 55 (mit Hinweis auf RegE 8). KG VRS 67 (1984) 2 5 8 ; ebenso Zopfs MK Rdn. 108. BayObLG VRS 6 7 (1984) 221 ff und VRS 67 (1984) 4 2 9 ; zustimmend Janiszewski Rdn. 528.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

beamten gegenüber seine Unfallbeteiligung leugnet 819 oder von einer feststellungsbereiten Person noch auf der Weiterfahrt angehalten und zur Rede gestellt wird; 8 2 0 obwohl die dem Unfallbeteiligten zur Verfügung stehende Zeit in diesem Augenblick noch nicht verstrichen ist, erfordert das Unverzüglichkeitsgebot in dieser konkreten Situation die sofortige Aufdeckung der Unfallbeteiligung und bewirkt damit eine Abkürzung der ansonsten länger dauernden Handlungsfrist. Der Vorwurf, der Täter habe nicht unverzüglich nachträgliche Feststellungen ermöglicht, erfordert die tatrichterliche Feststellung, dass der Täter hierzu tatsächlich auch in der Lage war. 821 a) Wie inzwischen weithin anerkannt ist, geht es beim Unverzüglichkeitsgebot nicht um sofortiges Handeln 822 (obgleich solches erforderlich werden kann) 8 2 3 und prinzipiell auch nicht um den jedenfalls schnellstmöglichen Weg; 8 2 4 sonst hätte das Gesetz dem Pflichtigen (in Abs. 3 S. 1) keine grundsätzliche Wahlfreiheit eingeräumt. Ebenso wie zuvor schon das OLG Hamm 8 2 5 und das OLG Oldenburg 8 2 6 misst daher auch der BGH das Unverzüglichkeitsgebot in seiner Grundsatzentscheidung BGHSt 29 138 f f 8 2 7 zu Recht maßgeblich am Schutzzweck des § 142 und findet mit dieser funktionalen Auslegung des Unverzüglichkeitsgebotes auch im Schrifttum weithin nachdrückliche Zustimmung. 828 Über eine rein zeitliche Betrachtung hinaus ist die Unverzüglichkeitsmaxime danach funktionsgerecht zu verstehen, d.h. an der Pflicht zur Ermöglichung nachträglicher Feststellungen auszurichten. Wird diese Pflicht so rechtzeitig erfüllt, dass die zur Klärung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit erforderlichen Feststellungen vollständig und ohne zusätzlichen Ermittlungsaufwand getroffen werden können, geschieht dies (insoweit unabhängig vom reinen Zeitablauf) noch unverzüglich.829 Die grundsätzlich freie Wahlmöglichkeit zwischen der Information des Berechtigten, der Mitteilung der Unfallbeteiligung an die Polizei/Versicherung oder z.B. der nachträglichen Rückkehr an den Unfallort findet somit erst dann ihr Ende, wenn sich für den Berechtigten infolge Zeitablaufs auch die Beweislage deutlich verschlechtert hat. Zu Recht beurteilt somit auch der BGH die Frage, ob die Mitteilung „unverzüglich" erfolgt ist, an sich grundsätzlich unabhängig davon, auf welchem Weg sie ergeht; maßgebend sei „vielmehr allein, ob der eingeschlagene Weg dem Unverzüglichkeitsgebot gerecht wird" (BGHSt 29 142). Daher ist das Unverzüglichkeitsgebot selbst dann nicht verletzt, wenn eine an sich ver-

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OLG Zweibrücken DAR 1991 353 und VRS 58 (1980) 2 6 , KG VRS 67 (1984) 2 6 3 sowie BayObLG VRS 6 0 (1981) 113. BayObLG VRS 56 (1979) 4 3 7 ff und OLG Karlsruhe N J W 1981 881. OLG Düsseldorf VRS 65 (1983) 364. OLG Hamm VRS 52 (1977) 4 2 0 , OLG Oldenburg VRS 5 4 (1978) 2 8 0 , OLG Köln VRS 5 4 (1978) 351 und VRS 5 4 (1978) 2 8 0 sowie OLG Koblenz VRS 61 (1981) 432. So erklärtermaßen auch Zopfs MK Rdn. 108. Anders noch OLG Hamm VRS 52 (1977) 4 2 0 (unverzüglich handle nur, wer den offensichtlich kürzesten Weg wähle) und Janizewski DAR 1975 174. Wie hier aber OLG Stuttgart VRS 73 (1987) 193 und OLG Frankfurt VRS 65 (1983) 31; ebenso

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Berz DAR 1975 314 und Loos/Schwerdtfeger DAR 1983 213. N J W 1977 2 0 8 = VRS 52 (1977) 421. VRS 5 4 (1978) 279. = N J W 1980 896 (Anm. Reiss aaO S. 1806) = M D R 1980 328 = J Z 1980 325 (Anm. Dornseifer aaO S. 2 9 9 ) = J R 1 9 8 0 521 (Anm. Beulke aaO S. 523). Rudolphi SK Rdn. 47, Schild AK Rdn. 167 und ders. NK Rdn. 146, Lackner/Kühl Rdn. 2 6 , Fischer Rdn. 54, Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 66 und Zopfs MK Rdn. 109: alle mit weiteren Rechtsprechungs- und literarischen Nachweisen; dazu neuerdings auch Krumm N Z V 2 0 0 8 4 9 8 f. So schon OLG Hamm N J W 1 9 7 7 2 0 8 und OLG Karlsruhe VersR 1984 836: heute wohl unbestritten.

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schuldete zeitliche Verzögerung nach Lage des Falles keine Verschlechterung der Beweissituation bewirkt hat; denn wenn die Beweislage nicht verschlechtert wurde, ist die nachträgliche Mitteilung noch rechtzeitig erfolgt. 8 3 0 155

b) Umstritten ist aber nach wie vor, ob der Pflichtige den einmal (durchaus „unverzüglich"!) beschrittenen Weg auch dann fortsetzen darf, wenn sich diesem Weg Hindernisse entgegenstellen; dies wird in der Praxis vor allem bei nächtlichen oder bei Wochenendunfällen relevant werden, wird die Benachrichtigung z.B. des namentlich nicht bekannten Berechtigten auf dem Weg über eine Anfrage bei der Kfz-Zulassungsstelle in solchen Fällen in aller Regel doch deutlich langsamer sein als die auch nachts oder am Wochenende (schnellst)mögliche Benachrichtigung einer nahe gelegenen Polizeidienststelle. Diesbezüglich zum Streitstand:

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(1) Eine literarische Minderansicht will dem Unfallbeteiligten die freie Wahl auch dann belassen, wenn einer der beiden in Abs. 3 als prinzipiell gleichberechtigt aufgeführten Wege - so insbesondere die Benachrichtigung des Berechtigten auf dem langsameren Weg der Anfrage bei der Kraftfahrzeugzulassungsstelle - zu einer deutlichen zeitlichen Verzögerung führt. 8 3 1 Diese Rechtsansicht verdient nicht zuletzt deshalb Zustimmung, weil sie sich erkennbar um einen auch kriminalpolitisch ausgewogenen Kompromiss zwischen dem Ziel eines möglichst optimalen Schutzes für den Geschädigten einerseits und dem ebenfalls legitimen Interesse des Unfallbeteiligten andererseits bemüht, sich auch im Rahmen des § 142 nicht über Gebühr der Gefahr eigener strafgerichtlicher Verfolgung aussetzen zu müssen (zu dieser Spannungslage bereits Rdn. 63 f). 8 3 2 Für die Anhänger dieser Ansicht endet die grundsätzlich freie Wahl erst dort, wo die Benachrichtigung des Berechtigten sich von vornherein als aussichtslos erweist, wo infolge Zeitablaufs nachträgliche Feststellungen entweder überhaupt nicht oder nicht mehr in ausreichender Weise möglich sind oder wo sogar die Gefahr völligen Beweisverlustes droht; dies wird vor allem der Fall sein, wenn wie z.B. bei Alkoholunfällen auch aus haftungsrechtlicher Sicht (und nicht nur aus Perspektive der Strafverfolgung) schnellstmögliche Feststellungen zu einer möglichen Alkoholisierung des Unfallverursachers erforderlich sind. 8 3 3 Unter diesen Voraussetzungen hat das Interesse des Straftäters an einer straflosen Selbst-

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So zu Recht schon OLG H a m m NJW 1 9 7 7 207, OLG Oldenburg VRS 5 4 (1978) 2 7 9 und OLG Köln VRS 5 4 (1978) 279; zustimm e n d Bringewat JA 1977 2 3 6 und Rudolphi SK Rdn. 47. Anders aber Lackner/Kühl Rdn. 2 6 und Küper GA 1 9 9 4 53 mit Fn. 13. So (zeitlich vor der die andere Rechtsposition vertretenden Grundsatzentscheidung BGHSt 2 9 138 ff) OLG Düsseldorf VRS 5 4 (1978) 41 und OLG Frankfurt a.M. VRS 51 (1976) 283. Auf dieser Linie nach wie vor Berz DAR 1975 314, Beulke JR 1980 523, Domseifer JZ 1980 380, Geppert JURA 1 9 9 0 86 und Blutalkohol 1991 41, Hauser Blutalkohol 1989 239, Reiss NJW 1980 1806, Rudolphi SK Rdn. 4 7 b und 48 sowie ders. JR 1977 429, Sch/Schröder/Cramer Rdn. 65 f sowie Zopfs, Unfallflucht bei ein-

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deutiger Haftungslage? (1993), S. 115 ff sowie ders. MK 113; ebenso neuerdings auch Schild NK Rdn. 148 (anders ders. aber wohl noch AK Rdn. 166). Zur verfassungsrechtlich gebotenen restriktiven Auslegung des Unverzüglichkeitsgebotes s. auch H. Schneider, Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips (1991), S. 149 ff. Ebenso Berz DAR 1975 314, Rudolphi SK Rdn. 4 8 und Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 65; dazu auch OLG Stuttgart N J W 1978 1445 und OLG Karlsruhe M D R 1982 164 f. Zur Bestimmung der Unverzüglichkeit bei drohendem Beweisverlust s. auch Loos/Schwerdtfeger DAR 1983 213.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

begünstigung zurückzutreten. 834 Diese Ansicht, die sich tendenziell wohl sogar auf die Amtliche Begründung stützen kann, 8 3 5 (2) hat sich in der Rechtsprechung bislang jedoch nicht durchgesetzt und dafür in im Schrifttum durchaus auch Anhänger gefunden. 836 In Übereinstimmung mit einschlägigen obergerichtlichen Entscheidungen 8 3 7 stellt der BGH die in Abs. 3 zum Ausdruck kommende Wahlmöglichkeit ausweislich seiner Grundsatzentscheidung BGHSt 2 9 138 ff unter den Vorbehalt des in Abs. 2 formulierten Unverzüglichkeitsgebotes: Maßgeblich ist für ihn letztlich „allein, ob (auch) der eingeschlagene Weg dem Unverzüglichkeitsgebot gerecht wird" (S. 142), was für ihn im Übrigen nicht nur aus der Systematik des Gesetzes, welches das Unverzüglichkeitsgebot bereits im vorangestellten Abs. 2 und nicht erst bei den Meldemodalitäten des nachfolgenden Abs. 3 genannt habe, sondern auch aus der Zielsetzung der Vorschrift folgt, den Berechtigten auch unter den Bedingungen der Absätze 2 und 3 möglichst wirklichkeitsgetreue und daher folgerichtig möglichst schnelle Feststellungen zu ermöglichen. Auch danach soll der Täter an sich frei entscheiden können, ob er den Berechtigten oder aber eine nahe gelegene Polizeidienststelle informiert; da aber schon die freie Wahlmöglichkeit dem Unverzüglichkeitsgebot unterstellt ist, wird der Pflichtige in der Praxis sich letztlich wohl immer zur Information der Polizei gezwungen sehen, wenn er den Berechtigten nicht alsbald erreichen k a n n 8 3 8 oder wenn sein Bemühen, die Adresse des Berechtigten zu erlangen und ihn informieren zu können, nach Art des Schadens und der Beweislage die erforderlichen Feststellungen vereiteln oder jedenfalls ernstlich gefährden könnte. 8 3 9

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c) Kasuistik. 8 4 0 Was im Einzelfall „unverzüglich" ist, kann zeitlich nicht allgemeinverbindlich festgelegt, sondern nur nach den Umständen des Einzelfalles entschieden werden. Entscheidendes Kriterium ist dabei das durch $ 142 geschützte Interesse der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten an der Klärung des Unfallhergangs zwecks Sicherung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche, nicht aber eine mögliche Beeinträchtigung des staatlichen Interesses an der Strafverfolgung. 841 Daher kann die Handlungsfrist sehr kurz zu bemessen sein, wenn es z.B. (auch aus haftungsrechtlicher Sicht!) auf die Feststellung der Alkoholisierung ankommt, oder aber länger, wenn sich z.B. die Beschädigung von parkenden Fahrzeugen, Leitplanken, Verkehrszeichen oder Gartenzäunen als Folge eines nächtlichen Unfalls bei weitgehend eindeutiger Haftungs-

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Zur „Unverzüglichkeits"-Frist bei nächtlichen Unfällen auch Haubrich DAR 1981 211 ff sowie LG Zweibrücken N Z V 1 9 9 8 172. So soll sich nach BTDrucks. 7 / 2 4 3 4 , S. 8 ein Pflichtiger auch dann für eine Benachrichtigung des Berechtigten entscheiden dürfen, wenn er diesen erst ermitteln muss und dessen Benachrichtigung daher selbst bei pflichtgemäßer Beschleunigung längere Zeit beansprucht als z.B. die Benachrichtigung einer nahe gelegenen Polizeidienststelle. Vgl. Schild AK Rdn. 1 6 6 , Janiszewski Rdn. 5 3 3 , Hentschel/König Rdn. 5 3 , Lackner/Kühl Rdn. 2 6 , Loos/Schwerdtfeger DAR

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1983 213, Maurach/Schroeder/Maitvald B T 1 4 9 / 6 0 (S. 6 3 0 ) und Fischer Rdn. 5 6 . O L G H a m m N J W 1 9 7 7 2 0 7 , O L G Stuttgart VRS 5 2 ( 1 9 7 7 ) 181 und BayObLG V R S 5 2 (1977) 348.

BayObLG VRS 5 3 ( 1 9 7 7 ) 4 2 8 und O L G Stuttgart VRS 5 2 ( 1 9 7 7 ) 4 2 1 . 8 3 9 O L G Stuttgart V R S 5 4 ( 1 9 7 8 ) 3 5 2 . 840 Weitere Beispiele und Nachweise bei Himmelreich/Bücken Rdn. 2 2 3 ff, Schild N K Rdn. 1 4 7 und Fischer Rdn. 5 4 sowie neuerdings auch bei Krumm N Z V 2 0 0 8 4 9 8 .

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Unmissverständlich für viele: O L G Stuttgart VRS 6 0 ( 1 9 8 1 ) 3 0 3 .

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läge unschwer auch am nächsten Tag noch beweissicher feststellen lässt. 842 Ebenso wie hinsichtlich der Dauer der Wartefrist (Rdn. 113 ff) sind dafür insbesondere Art und Zeit des Unfalls, Höhe des verursachten Schadens und Aufklärungsbedürftigkeit je nach Haftungslage maßgeblich. 8 4 3 Den berechtigten Hinweisen im Schrifttum, diesbezüglich nicht zu strenge Anforderungen zu stellen, 844 scheint die Rechtsprechung zunehmend folgen zu wollen. So dürfte nunmehr anerkannt sein, dass ein Kraftfahrer bei nächtlichen Unfällen (selbst mit erheblichem Fremdsachschaden, doch nach § 7 StVG eindeutiger Haftungslage) in aller Regel noch „unverzüglich" handelt, wenn er erst am nächsten Morgen die Berechtigten oder die Polizei benachrichtigt. Nachdem in älteren Entscheidungen eine Meldung gegen 8 Uhr des nächsten Tages vereinzelt noch als verspätet angesehen wurde, 845 wird es inzwischen als ausreichend angesehen, wenn die Meldung am nächsten Tag bis 9 Uhr, 8 4 6 bis 9,30 U h r 8 4 7 oder vereinzelt jedenfalls bis spätestens ca. 10 Uhr 8 4 8 , kurz: in den ersten beiden Morgenstunden des nächsten Vormittags erfolgt. 849 Die Meldung eines nächtlichen Unfalls erst gegen 11,15 Uhr des nächsten Vormittags dürfte jedoch nach wie vor als verspätet angesehen werden. 850 Hat sich der Unfall nicht zur Nachtzeit, sondern z.B. an einem Freitagabend gegen 18,45 Uhr ereignet, wird eine Benachrichtigung der Polizei noch am selben Abend für erforderlich angesehen. 851 Wann bei Wochenendunfällen die Meldepflicht verspätet erfüllt wird, hängt davon ab, ob man das Unverzüglichkeitsgebot mit der hier vertretenen (und zunehmend wachsenden) Ansicht (Rdn. 156) nur auf den vom Unfallbeteiligten gewählten Weg der Pflichterfüllung oder aber mit der Rechtsprechung und ihren Anhängern im Schrifttum (Rdn. 157) allein auf die nachträgliche Ermöglichung der gebotenen Feststellungen bezieht. Wenn die zeitlich verzögerte Mitteilung zu keiner relevanten Verschlechterung der Beweislage führt, wird (folgt man der hier vertretenen Rechtsposition) die Benachrichtigung des Geschädigten erst am frühen Vormittag des nächsten Werktages in aller Regel noch als „unverzüglich" angesehen werden können. 8 5 2 Nach der höchstrichterlich befürworteten

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Vgl. OLG Hamm VRS 61 (1981) 263 und BayObLG VRS 58 (1980) 4 0 8 (je Leitplankenschaden), OLG Karlsruhe MDR 1982 2 4 0 (Beschädigung eines Gartenzaunes und der Begrenzungsmauer) sowie OLG Frankfurt a.M. VM 1983 79 (Schäden an einer Straßenbaustelle). Vgl. OLG Köln N Z V 1989 3 5 9 und VRS 5 4 (1978) 350, OLG Hamm VRS 61 (1981) 2 6 3 sowie BayObLG VRS 58 (1980) 408; s. aus jüngerer Zeit auch OLG Hamm N Z V 2003 424. So nachdrücklich vor allem, doch für viele Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 65; so nachdrücklich auch schon BayObLG VRS 52 (1977) 349. OLG Düsseldorf StVE Nr. 25. BayObLG VRS 6 0 (1981) 112 und bei Bär DAR 1988 365 sowie OLG Köln NZV 1989 359 und VRS 64 (1983) 115. OLG Stuttgart VRS 65 (1983) 2 0 2 und VRS 73 (1987) 194 sowie OLG Köln NZV 1989 359. OLG Frankfurt a.M. VRS 65 (1983) 30

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(9,45 Uhr) und OLG Hamm N Z V 2 0 0 3 4 2 4 (bis spätestens ca. 10 Uhr). Vgl. auch OLG Stuttgart VRS 73 (1987) 191 und LG Hanau ZfS 1985 3 8 0 („äußerste Grenze zwischen 10,30 und 10,45 Uhr"); auf dieser Linie wohl auch Lackner/Kühl Rdn. 2 6 (Unterrichtung der Berechtigten „bis etwa 9 oder 10 Uhr des folgenden Morgens"). Zu streng wohl Fischer Rdn. 54 („am nächsten Morgen zum frühestmöglichen Zeitpunkt"). OLG Köln N Z V 1989 357 = VRS 77 (1989) 215. Das BayObLG hielt allerdings sogar noch eine Benachrichtung erst um 11,30 Uhr nach Lage des Einzelfalles (Schadensfall unter Bekannten) für denkbar: VRS 68 (1985) 116. OLG Köln DAR 1992 152; zustimmend Janizewski 5 3 0 und Rudolphi SK Rdn. 47a. So vor der gegenteiligen Grundsatzentscheidung BGHSt 2 9 138 ff ausdrücklich noch OLG Düsseldorf DAR 1977 2 4 5 sowie BayObLG VRS 52 (1977) 348 und VRS 55 (1978) 123; auf dieser Linie im Schrifttum

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

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Rechtsansicht demgegenüber zwingt das Unverzüglichkeitsgebot in solchen Fällen letztlich wohl dazu, spätestens am frühen Vormittag des nächsten Tages eine nahe gelegene Polizeidienststelle zu informieren, sofern bis zu dieser Zeit Person und Adresse des Geschädigten nicht ermittelt werden konnten. 853 Bei Unfällen an einem Sonn- oder Feiertag scheint neuerdings auch die Rechtsprechung von etwas weniger strengen Anforderungen auszugehen.854 Anerkannt ist ferner, dass die Zeitspanne bei bloßen Sachschäden in aller Regel großzügiger zu bemessen ist als bei Personenschäden oder bei Schäden mit unklarer Haftungslage; 8 5 5 bei eindeutiger Haftungslage kommt aber auch der Erheblichkeit des Sachschadens keine maßgebliche Bedeutung zu. 856 Anders liegt es bei Personenschäden, zumal im Hinblick auf mögliche Schmerzensgeldansprüche angesichts der hier Platz greifenden Verschuldenshaftung der Beweissicherung besondere Bedeutung zukommt. 857 Ebenso wie sich die Dauer der Wartefrist durch tätereigenes Verhalten nach dem Unfall beeinflussen lässt (Rdn. 115 ff), kann sich im Übrigen auch die Unverzüglichkeitsfrist dadurch verlängern, dass der Pflichtige die gebotenen späteren Feststellungen durch vorläufige Maßnahmen zwar nicht abschließend ermöglicht, wohl aber einleitend fördert: so etwa, wenn er am Unfallort sein (beschädigtes) Fahrzeug (evt. nebst Fahrzeugpapieren) 8 5 8 , eine Visitenkarte mit Adresse und Anschrift 859 oder eine Begleitperson zur Klärung offener Fragen zurückgelassen hat 8 6 0 .

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5. Vereitelungsverbot (Abs. 3 S. 2). Seiner Pflicht, die Feststellungen nachträglich zu ermöglichen, genügt der Täter nach Abs. 3 S. 2 nicht (und macht sich demzufolge nach Abs. 2 strafbar), „wenn er durch sein Verhalten die Feststellungen absichtlich vereitelt". Damit soll verhindert werden, dass ein Täter, der sich in straffreier Weise vom Unfallort entfernt hat, sich nachträglich dadurch Straffreiheit sichert, dass er sich äußerlich scheinbar korrekt verhält, die nachträglichen Feststellungsmöglichkeiten in Wahrheit aber durch eigenes Tun konterkariert („venire contra factum proprium"). In Betracht kommen nur spätere (d.h. nach Verlassen der Unfallstelle erfolgende) Verschleierungshandlungen: es sei denn, der Unfallbeteiligte habe diese schon während seiner Anwesenheit

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nachdrücklich auch heute noch Rudolphi SK Rdn. 47b und 48 sowie Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 65 (dort die „an sich" auch in BGHSt 2 9 138 ff freigestellte Wahl, welchen Weg der Benachrichtigung der Pflichtige gehen dürfe, als „interpretatorisches Feigenblatt" bezeichnend). So nunmehr ausdrücklich BGHSt 2 9 138 ff; so früher schon OLG Schleswig DAR 1978 50. BayObLG (18.5.1984 - 1 St 56/84): zit. nach Rüth DAR 1985 241 (Unfall am Sonntagmorgen um 7,30 Uhr, Meldung beim Geschädigten nachmittags gegen 17 Uhr); zustimmend Jäger HK Rdn. 162. BayObLG nach Rüth DAR 1980 2 5 7 und OLG Köln VRS 64 (1983) 115; weitere Nachweise bei Janizewski 5 2 9 und Hartmann-Hilter N Z V 1992 431 f. OLG Frankfurt VRS 65 (1983) 31.

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Vgl. KG VRS 67 (1984) 2 6 3 ; zustimmend Hentschel/König Rdn. 53a. Zu einem nächtlichen Unfall mit erheblichem Personenschaden hinsichtlich des Unverzüglichkeitsgebotes recht streng LG Zweibrücken N Z V 1998 172. OLG Hamm VRS 61 (1981) 265, OLG Frankfurt VRS 65 (1983) 31, BayObLG VRS 6 0 (1981) 112 sowie BayObLG bei Janiszewski NStZ 1988 2 6 4 und OLG Köln N Z V 1989 359. Dazu vor allem OLG Köln VRS 6 4 (1983) 115 ff und N Z V 1 9 8 9 3 5 9 sowie OLG Zweibrücken VRS 7 9 (1990) 2 9 9 ff. Zur Bedeutung eines am Fahrzeug hinterlassenen Hinweiszettels für die Beurteilung des Unverzüglichkeitsgebotes auch HartmannHilter N Z V 1992 431 f. Dazu auch Jäger HK Rdn. 160 und 164 sowie Hentschel/König Rdn. 53a.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

am Unfallort eingeleitet, etwa wenn er den Wagen durch einen Bekannten hat wegfahren lassen, die Veränderungen am Fahrzeug aber erst später vorgenommen wurden. 861 161

a) Umstritten ist, ob das Vereitelungsverbot - so eine literarische Minderansicht 8 6 2 nur für das beispielhaft aufgeführte Minimalprogramm des Abs. 3 S. 2 gilt oder aber so jedenfalls die inzwischen deutlich h . M . 8 6 3 - für alle nachträglichen Feststellungsmaßnahmen und damit über den unmittelbaren Anwendungsbereich des Abs. 3 S. 1 hinaus auch für Handlungen nach Abs. 2 anwendbar ist: aa) Die erwähnte literarische Gegenposition will das Vereitelungsverbot des Abs. 3 S. 2 seiner systematischen Stellung im Gesetz entsprechend nur auf die Fälle des vorstehenden Satzes 1 beschränken; denn nur hier sei die Erfüllung bestimmter Verhaltensregeln vorgeschrieben, ohne dass zugleich auch ihre konkrete Eignung zur nachträglichen Feststellung der nach Lage des Falles gebotenen Tatsachen vorausgesetzt werde. Mit dem Erfordernis der konkreten Eignung, wie sie ausweislich Abs. 2 zur Erfüllung der dort vorgesehenen Pflicht zu unverzüglicher nachträglicher Ermöglichung von Feststellungen geboten sei, sei implizit ein (allerdings anders als in Abs. 3 S. 2 nicht auf „Absicht" verengtes) Vereitelungsverbot verbunden. 8 6 4 bb) Demgegenüber erstreckt die weitaus h.M. im Schrifttum das Verbot absichtlicher Vereitelung zu Recht auch auf den Bereich des Abs. 2. Dies entspricht nicht nur Sinn und Zweck der Regelung (Rdn. 160), sondern ist nicht zuletzt auch deshalb nur folgerichtig, weil in Abs. 3 S. 1 nur eine beispielhafte Aufzählung zur Tatbestandserfüllung ausreichender Handlungspflichten zu sehen ist (Rdn. 138). Da das Risiko der Beeinträchtigung von Beweismöglichkeiten auch unter den Bedingungen des Abs. 2 (und nicht nur unter denen des Abs. 3 S. 1!) im Allgemeinen erfahrungsgemäß größer ist als bei Feststellungen unmittelbar an der Unfallstelle, wäre nicht einzusehen, weshalb das Verbot nur für die beispielhaft aufgezählten Pflichten des Abs. 3 gelten und andere Handlungen davon ausgenommen sein sollen. 8 6 5

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b) Umfang des Vereitelungsverbotes. In der Sache erstreckt sich das Vereitelungsverbot (nur) auf den Feststellungsrahmen des Abs. 1 (dazu bereits Rdn. 102 ff) und somit nur auf Feststellungen hinsichtlich der Person des Unfallbeteiligten, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung. Die Vereitelung von Feststellungen, die ausschließlich für die Strafverfolgung relevant sind, die zivilrechtlichen Beweisinteressen jedoch gänzlich unberührt lassen, ist nach dem Schutzzweck des § 142 unbeachtlich. 8 6 6 Aus diesem Grund scheidet ein „Vereiteln" auch aus, wenn zum fraglichen Zeitpunkt ein fremdes Feststellungsinteresse nicht mehr vorhanden ist, z.B. weil die erforderlichen Feststellungen bereits vollständig getroffen wurden oder die Berechtigten auf (weitere) Feststellungen endgültig verzichtet haben. 8 6 7 Gleiches gilt für Vereitelungshandlungen, die der Täter

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Dazu schon Maier J Z 1975 725. So vor allem Magdowski S. 180 ff und dem folgend bis zur 50. Aufl. auch Tröndle/ Fischer Rdn. 50. So etwa Berz DAR 1975 315, Bürgel MDR 1976 355, Geppert JURA 1990 86, Volk DAR 1982 82, Janiszewski Rdn. 538 und Müller-Emmert DRiZ 1975 178 sowie Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben

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Rdn. 70, Zopfs MK Rdn. 117 und nunmehr auch Fischer Rdn. 59. So vor allem Magdowski S. 181 f. Auf dieser Linie ersichtlich auch BTDrucks. 7/2434, S. 8. So zu Recht auch schon Maier J Z 1975 7 2 5 und Magdowski S. 182. Ebenso Jäger HK Rdn. 171.

Klaus Geppert

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vornimmt, nachdem er seiner Pflicht zu „unverzüglicher" Ermöglichung nachträglicher Feststellungen schon in ausreichender Weise nachgekommen ist. Kasuistik. Die erforderlichen Feststellungen können vor allem bei der Beseitigung von Unfallspuren am Fahrzeug selbst (Beseitigung von Blechschäden, Anbringen eines künstlichen Schadens, Aufziehen neuer Bremsbeläge, Reparatur der defekten Beleuchtung u.ä.) oder an der Unfallstelle (Verwischen von Bremsspuren, Beseitigung möglicher Schäden am Unfallort, Verstecken von Verkehrszeichen u.ä.), aber auch durch Nachtrank von Alkohol zur Verschleierung des Blutalkoholgehalts zur Tatzeit (doch nur, sofern auch von haftungsrechtlichem Beweisinteresse) 868 , durch Beeinflussung von Zeugen (z.B. zugunsten des Unfallbeteiligten falsch auszusagen oder sich von vornherein gezielt einer Befragung zu entziehen) oder durch Manipulationen am Fahrtenschreiber vereitelt werden. Erforderlich sind jeweils aktive Vereitelungsmaßnahmen; denn weil der Unfallbeteiligte nicht als Garant für den Erhalt der Beweismittel verantwortlich ist, genügt es nicht, wenn Beweismittel ohne sein Zutun (z.B. durch Witterungseinflüsse oder Zeitablauf) verschlechtert werden oder gar völlig untergehen. Das bloße Nichtverhindern von Spurenverschlechterung ist also nicht tatbestandsmäßig. 869 Bei falschen Angaben ist zunächst zu beachten, ob diese (zeitlich und inhaltlich) überhaupt den Minimalanforderungen des Abs. 3 gerecht werden oder nicht: 8 7 0 Schiebt der Unfallbeteiligte z.B. wahrheitswidrig die (nüchterne) Ehefrau als angebliche Fahrerin vor 8 7 1 oder gibt er wahrheitswidrig an, das Unfallfahrzeug sei ihm bereits vor dem Unfall entwendet worden 8 7 2 , streitet er zwangsläufig auch die eigene Unfallbeteiligung ab und wird somit allein schon deshalb der wahrheitsgemäßen Mitteilungspflicht des Abs. 3 S. 1 nicht gerecht (und damit strafbar nach Abs. 2); des Rückgriffs auf das Vereitelungsverbot bedarf es dann nicht. 8 7 3 Falsche Angaben über den Unfallhergang im Einzelnen oder über einen etwaigen Alkoholgenuss, mit denen die eigene Unfallbeteiligung an sich nicht in Abrede gestellt wird, fallen jedoch nicht unter das Vereitelungsverbot; denn über die in Abs. 3 genannten Angaben hinaus besteht keine Pflicht zu weiteren (wahrheitsgemäßen) Aussagen. 874 Es geht nicht an, einem Unfallbeteiligten auf diese Weise - wenngleich unter den Voraussetzungen der Absätze 2 oder 3 - letztlich schon jede inhaltlich unzutreffende Einlassung zum Unfallhergang zum strafbegründenden Vorwurf machen zu wollen. 875

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c) Voraussetzungen. Das Vereiteln muss nicht nur „absichtlich" erfolgt, es muss auch erfolgreich gewesen sein („vereitelt"). Mit Absicht ist dolus directus I. Grades gemeint; im Sinne zielgerichteten Verhaltens muss es dem Täter also gerade auf den Vereitelungserfolg (wenn auch ggf. nur als Zwischenziel zur Erreichen des eigentlichen Fernzieles) angekommen sein. Bedingter Vorsatz (i.S. eines Sichabfindens) oder auch nur Wissentlichkeit (i.S. eines sicheren Wissens um den Vereitelungserfolg) reichen nicht aus. 876 Da

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Dazu auch Bürgel MDR 1976 355, Maier J Z 1975 725 und Sturm J Z 1975 408. Beulke JuS 1982 819, Magdowski S. 183 und Rudolphi SK Rdn. 48. Dazu vor allem Jäger HK Rdn. 169 f. OLG Zweibrücken DAR 1991 353 sowie früher schon in VRS 58 (1980) 2 6 ; zustimmend Jattiszewski Rdn. 538 und Maier J Z 1975 725. BayObLG VRS 6 0 (1981) 112. Zu einem solchen Fall auch KG VRS 67 (1984) 263.

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Wie hier auch Rudolphi SK Rdn. 4 8 ; anders offenbar Beulke JuS 1982 818 mit Fn. 33 und Lackner/Kühl Rdn. 30. Überzeugend Maier J Z 1975 725. Ebenso Berz DAR 1975 316, Janizewski 539, Lackner/Kühl Rdn. 30 und Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 70; anders aber Magdowski S. 198 (Ausschluss nur des bedingten Vorsatzes).

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die Feststellungen durch den Unfallbeteiligten absichtlich „vereitelt" worden sein müssen, muss das Vereitelungsverhalten zudem Erfolg gehabt haben. In den Beratungen der Großen Strafrechtskommission wurde zwar die Ansicht vertreten, dass damit nur der Fall ausgeschlossen sein sollte, dass der Unfallbeteiligte letztlich vergeblich die Feststellungen „zu vereiteln suchte",877 Nach zutreffender Ansicht müssen die Feststellungen aber nicht insgesamt und auch nicht endgültig vereitelt sein; für den erforderlichen Vereitelungserfolg reicht es bereits aus, wenn geschützte Aufklärungschancen maßgeblich beeinträchtigt werden und entweder alle oder nur einzelne Feststellungen nicht mehr in dem Umfang getroffen werden können, wie er vor dem vereitelnden Verhalten möglich gewesen wäre. 878 Somit ist das Vereitelungsverbot auch verletzt, wenn entweder nur einzelne Feststellungen (z.B. hinsichtlich eines am Unfall beteiligten Fahrzeugs) endgültig vereitelt oder die Feststellungen jedenfalls erheblich behindert oder erschwert wurden: und zwar unbeschadet davon, ob eine Aufklärung letztlich auf anderem Weg gelingt.879

VI. Die innere Tatseite 1. Grundlagen 165

a) Der innere Tatbestand des § 142 erfordert vorsätzliches Verhalten (Umkehrschluss aus § 15), wobei der Vorsatz in seinen beiden (voluntativen und intellektuellen) Vorsatzerfordernissen alle (objektiven) Tatbestandsmerkmale erfassen muss. 880 Die Absicht (i.S. von dolus directus I. Grades), die Aufklärung des Unfalls zu verhindern oder die nötigen Feststellungen zu vereiteln, ist nicht erforderlich.881 Bedingter Vorsatz genügt.882 Dass der Täter z.B. den Unfall nach allgemeiner Erfahrung jedenfalls hätte erkennen können, reicht dafür jedoch nicht aus; 8 8 3 wohl aber wird bedingter Vorsatz nicht ausgeschlossen, wenn Umstände vorliegen, die beim Täter die Vorstellung begründen, es sei zu einem Unfall gekommen.884 (Bedingt) vorsätzlich handelt im Übrigen auch derjenige, der sich in erster Linie der Strafverfolgung entziehen will, doch in Kauf nimmt, damit zugleich die haftungsrechtlich nötigen Feststellungen zu vereiteln oder jedenfalls zu erschweren. 885 Von einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum886, der nach § 16 Abs. 1 zum Freispruch führt, ist somit auszugehen, wenn der Unfallbeteiligte tatbestandsrelevante Tatsachen nicht erkannt oder maßgeblich verkannt hat. 887 Dazu gehört im Fall des

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Dazu auch Maier J Z 1975 725 und Magdowski S. 183. So auch Berz DAR 1975 315 und Jäger HK Rdn. 170. Ebenso Schild NK Rdn. 149, Maier J Z 1975 725, Magdowski S. 182 und Fischer Rdn. 59. Fahrlässiges Sichentfernen vom Unfallort kann jedoch nach § § 3 4 i.V. mit 49 Abs. 1 Nr. 29 StVO, 24 StVG als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Die Entscheidung BGHSt 31 55 ff, die bei fahrlässiger Verkennung einer Unfallsituation eine Pönalisierung nach § 34 StVO unter Hinweis auf die vorrangige (auf vorsätzliche Begehung beschränkte) Strafhaftung nach § 142 Abs. 2 Nr. 2 abgelehnt hat, ist obsolet

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geworden, seit es infolge der Entscheidung des BVerfG (NJW 2007 1666) die Möglichkeit einer solchen &m«ma/strafbewehrten vorsätzlichen Straftat nicht mehr gibt (so zutreffend Mitsch NZV 2008 220). BayObLG DAR 1956 15. So bereits BGH VRS 5 (1953) 41 und seither unbestritten: vgl. für viele auch BGHSt 7 115 und VRS 21 (1961) 118. So zu Recht OLG Jena VRS 110 (2006) 15 und OLG Köln DAR 2002 88. OLG Köln DAR 2002 88. BGH VRS 21 (1961) 118. Zur Kasuistik mit zahlreichen Rechtsprechungsbelegen erst jüngst Himmelreich DAR 2007 44 ff. BGHSt 15 1 (5).

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Abs. 1 Nr. 2 auch der Irrtum über die tatsächlich verstrichene Wartezeit, z.B. weil der Täter keine Uhr zur Hand hat und sich deshalb völlig in der Zeit verschätzt hat. 888 b) Von einem Verbotsirrtum (§ 17) ist auszugehen, wenn der Unfallbeteiligte bei ansonsten irrtumsfreier Einschätzung der Lage im Tatsächlichen sich über verbindliche Handlungspflichten und somit insbesondere über Bestehen und Umfang der Wartepflicht oder über den Pflichtenumfang nach Abs. 2 bzw. Abs. 3 S. 1 irrt 8 8 9 : so etwa, wenn der Unfallbeteiligte irrtümlich meint, ihn träfe überhaupt keine Wartepflicht bzw. er habe bereits eine ausreichende Zeit gewartet 890 oder allein schon durch Zurücklassung von Name und Adresse seinen Pflichten in ausreichendem Umfang genügt.891 Gleiches gilt, wenn der Täter fälschlicherweise nur Fahrer, nicht aber unfallbeteiligte Beifahrer 8 9 2 oder sich als unfallbeteiligten Fahrer nur deshalb für nicht (mehr) wartepflichtig hält, weil er den Unfallschaden bereits selbst beseitigt habe 8 9 3 oder über die Feststellung seiner Person und seiner Unfallbeteiligung hinaus nicht wartepflichtig sei. 894 Von einem Verbotsirrtum ist schließlich auszugehen, wenn der Unfallbeteiligte irrtümlich glaubt, wartepflichtig sei nur, wer den Unfall „verschuldet" hat, 895 wenn er zwar weiss, dass auch nach Abgabe eines Schuldanerkenntnisses noch weitere Feststellungen erforderlich sind, jedoch der irrigen Meinung ist, mit der Anerkennung seiner Schuld alles getan zu haben, wozu er verpflichtet ist, 896 oder wenn er sich trotz bleibender Zweifel an der Mitverursachung eines Unfalls für berechtigt hält, die Unfallstelle verlassen zu dürfen. 897 Da sich jeder Kraftfahrer mit seinen diesbezüglichen Pflichten vertraut machen muss, sind in allen diesen Fällen strenge Anforderungen an die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums zu stellen.898 Schließlich ist als Verbotsirrtum zu behandeln, wenn der Täter sein vorzeitiges Sichentfernen vom Unfallort rechtsfehlerhafterweise auf allgemeine Rechtfertigungsgründe (rechtfertigender Notstand, rechtfertigende Pflichtenkollision u.a.) stützt: so etwa bei irriger Annahme, sich zwecks dringender geschäftlicher Angelegenheiten899 oder nur deshalb vorzeitig entfernen zu dürfen, um den Verkehr nicht zu behindern. 900

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c) Durch die mit einem Unfall verbundenen seelischen Erschütterungen kann in Ausnahmefällen (zu deren tatrichterlicher Feststellung häufig die Zuziehung eines Sachverständigen angeraten erscheint) so hochgradige Verwirrung, Bestürzung oder Furcht ausgelöst werden, dass schon der Vorsatz des Unfallbeteiligten für die in diesem Zustand begangene Verkehrsunfallflucht entfällt oder jedenfalls die Schuldfähigkeit nach §§ 20 bzw. 21 ausgeschlossen bzw. vermindert ist (dazu nachfolgend Rdn. 194). Ärztlicher

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Ebenso Mitsch N Z V 2 0 0 5 3 4 8 und Zopfs MK Rdn. 92. Zur Kasuistik mit zahlreichen Beispielsfällen aus der Praxis erst jüngst wiederum Himmelreich DAR 2 0 0 7 46 f. So bereits BGHSt 15 1 (5); vgl. auch OLG Düsseldorf N Z V 1993 158. Dazu ausführlich auch Mitsch N Z V 2 0 0 5 3 4 7 ff. Dazu etwa OLG Celle NJW 1956 561, OLG Schleswig SchlHA 1969 149 und OLG Stuttgart NJW 1978 900. BGH VRS 24 (1963) 36 sowie BayObLG VRS 12 (1957) 115; Bedenken diesbezüglich gegen BayObLG N Z V 2 0 0 0 133 = DAR 2 0 0 0 79.

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OLG Düsseldorf StV 1986 159 (ablehnend Kuhlen StV 1987 437). OLG Koblenz VRS 52 (1977) 273. BGH VRS 2 4 (19163) 3 4 . OLG Stuttgart NJW 1978 901 sowie BayObLG (2 St 4 1 6 / 8 7 ) nach Bär DAR 1988 365. OLG Braunschweig VRS 17 (1959) 419. OLG Hamburg V M 1978 79 und OLG Stuttgart NJW 1978 901; zustimmend Janizewski 546. OLG Hamm VRS 8 (1955) 53. BayObLG: zit. nach Rüth DAR 1985 2 4 0 .

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Erfahrung nach 9 0 1 klingt ein solcher Uniallschock in aller Regel relativ schnell ab und kommt meist nur bei Vorliegen einer schon vor dem Unfall vorhandenen, durch andere Umstände als das Unfallgeschehen begründeten Bereitschaft zu Erregungszuständen vor (sog. Primitivreaktionen, die durch Alkoholgenuss erheblich gesteigert werden können). Eine Unfallflucht, die zielgerichtetes und planvolles Handeln erkennen lässt, ist mit einer Panik- oder Schreckreaktion dieser Intensität in aller Regel kaum zu vereinbaren. 9 0 2 168

2. Einzelheiten und weitere Kasuistik. 903 Sowohl im Rahmen des Abs. 1 wie nach Abs. 2 und 3 muss der Unfallbeteiligte vor allem wissen oder jedenfalls für möglich halten, a) dass sich ein Unfall im öffentlichen Straßenverkehr ereignet hat, b) er selbst an diesem Unfall als Mitverursacher beteiligt ist und c) im Interesse anderer Unfallbeteiligter oder möglicher Geschädigter bestimmte (weitere) Feststellungen erforderlich sind. Dazu im Einzelnen:

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a) Zur Kenntnis des Verkehrsunfalls gehört das sichere Wissen oder jedenfalls das Fürmöglichhalten, dass sich im Zusammenhang mit dem öffentlichen Straßenverkehr ein Unfall ereignet hat, der zur Tötung oder Verletzung von Menschen oder zumindest zu einem nicht völlig belanglosen Sachschaden (zu dessen Umfang bereits Rdn. 27 ff, speziell zu diesbezüglichen Bagatellgrenzen Rdn. 31 ff) geführt hat. 9 0 4 Die genaue Kenntnis des Schadensumfangs und der Art des Schadens ist nicht erforderlich. Ob der Täter speziell das Überfahren/Anfahren eines Menschen bemerkt hat, ist für den Vorsatz unerheblich; es genügt die Vorstellung des Unfallbeteiligten, er habe möglicherweise einen nach seinem Umfang nicht völlig belanglosen Sachschaden verursacht, weil auch dessen Verursachung der Aufklärung bedarf. 9 0 5 Ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum liegt insbesondere vor, wenn der Täter den entstandenen Schaden irrtümlich für völlig belang-

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Dazu vor allem Arbab-Zadeb NJW 1965 1049 ff, Hirschmann, Fahrerflucht: Schreck und Panikreaktion, in: Kriminalbiologische Gegenwartsfragen Heft 4 (1960), S. 44 ff und ders. Verkehrsunfallflucht im Zustand von Bewusstseinsstörung und krankhafter Störung der Geistestätigkeit, in: Aktuelle Probleme der Verkehrsmedizin Heft 2 (1965), S. 105 ff. Weiterführend zur Unfallflucht im Dämmer- oder Schockzustand s. auch die einleitend im Schrifttumsverzeichnis aufgeführte rechtsmedizinische Spezialliteratur: so vor allem Brede (1983), Gaisbauer (1964), Hein (1983), Hiob (1973), Kaiser (1973), Kast (1983), Laubichler (1977), Moser (1984), Pack (1983), Sachse (1963/64), Voltmer (1983) sowie Zabel (1983). So grundlegend schon BGH VRS 20 (1961) 47 ff; auf dieser Linie auch BGH VersR 1966 458, 579 und 915 sowie OLG Köln NJW 1967 1521 und OLG Hamm VRS 42 (1972) 24. Zum Vorsatzausschluss wegen posttraumatischen Dämmerzustandes

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s. auch BayObLG NJW 1981 879 sowie zu einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung infolge akuter Belastungssituation mit anschließender posttraumatischer Amnesie s. LG Leipzig DAR 1997 79. Mit umfangreichem Rechtsprechungsmaterial sowohl für das Vorliegen von Tatbestands· wie auch von Verbotsirrtümern neuerdings vor allem Himmelreich DAR 2007 44 ff. So grundlegend schon BGHSt 15 5; vgl. auch BGH VRS 37 (1969) 263 und OLG Koblenz VRS 48 (1975) 337, OLG Schleswig, OLGSt § 142 StGB Nr. 7, OLG Hamm NStZ-RR 1997 90 sowie aus neuerer Zeit OLG Nürnberg NZV 2007 535 und OLG Köln DAR 2002 88. So schon BGH VRS 6 (1954) 364; s. ferner BGH GA 1957 243, VRS 30 (1966) 48 und VRS 37 (1969) 263, OLG Hamm VRS 15 (1958) 264, OLG Nürnberg VersR 1968 339, OLG Zweibrücken VRS 45 (1973) 426 sowie OLG Hamm NStZ-RR 1997 90.

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l o s 9 0 6 oder den Unfall nur für vorgetäuscht ansieht. 9 0 7 In allen diesen Fällen reicht es zur Annahme des für eine Verurteilung erforderlichen Vorsatzes nicht aus, dass der Täter nach Sachlage einen unfallrelevanten Schaden hätte erkennen können oder gar müssen und es nur aus Nachlässigkeit unterlassen hat, sich genauer zu vergewissern. 908 Für die Annahme bedingten Vorsatzes reicht es jedoch aus, wenn dem Täter ausweislich tatrichterlicher Feststellungen bekannt gewesen ist, dass der durch die Kollision entstandene Fahrzeugschaden jedenfalls erhebliche Beseitigungskosten verursacht haben kann. 9 0 9 So gibt es auch keinen allgemeingültigen Erfahrungssatz, dass die Berührung zweier Fahrzeuge von den jeweiligen Fahrzeuginsassen immer „gefühlt" werden müsse. Eine solche Wahrnehmbarkeit insbesondere bei leichten Fahrzeugkollisionen, wie sie beim Einund Ausrangieren in bzw. aus einer Parklücke, beim Durchfahren enger Passagen, bei Wendemanövern oder beim Einordnen in den laufenden Verkehr immer wieder vorkommen, ist tatrichterlich nicht immer leicht festzustellen; 910 denn die häufige Einlassung des Beschuldigten, er habe nicht gehört und auch sonst nicht mitbekommen, was auf eine Berührung mit einem anderen Fahrzeug hätte schließen können, ist nicht immer eine haltlose Schutzbehauptung und bedarf zu ihrer Widerlegung bzw. Bekräftigung im Einzelfall der Einschätzungs- und Beurteilungshilfe durch einschlägig erfahrene (technische oder medizinisch-psychiatrische) Sachverständige. 911 Eine solche Wahrnehmbarkeit kann insbesondere durch Fremdgeräusche (Motor, Radio, Benutzung eines Autotelephons, 912 Verkehr, Kindergeschrei, rappelnde Ladung im Kofferraum), durch optische Ablenkungen (z.B. Sichtfeldeinschränkungen, 913 verdeckende Fahrzeugteile, Witterungseinflüsse wie Sonne, Schnee, Dunkelheit 914 ), durch mechanische Umstände (Erschütterungen des Fahrzeugs durch Fahrbahnunebenheiten oder bei Fahren über eine Bordsteinkante, durch die Wirkung der Bremse, durch Kupplungsruck oder andere antriebsbedingte Kräfte) und nicht zuletzt aus medizinischen Gründen (altersbedingte Sichtfeldbeschränkung oder Schwerhörigkeit, Ermüdung, 915 Alkohol usw.) oder schlicht durch Unaufmerksamkeit

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BayObLG VRS 2 4 ( 1 9 6 3 ) 1 2 3 , O L G Karlsruhe VRS 3 6 ( 1 9 6 9 ) 3 5 1 , O L G Frankfurt a . M . VRS 6 4 ( 1 9 8 3 ) 2 6 6 , O L G Düsseldorf VRS 9 3 ( 1 9 9 8 ) 1 6 5 und O L G H a m m N Z V 1 9 9 7 1 2 5 = DAR 1 9 9 7 7 8 . Insoweit überholt B G H VRS 3 ( 1 9 5 1 ) 2 6 2 und O L G Düsseldorf V R S 2 0 ( 1 9 6 1 ) 118.

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BayObLG: zit. nach Rüth DAR 1 9 7 9 2 3 7 . BayObLG (RReg. 2 St 2 9 / 8 8 ) : zit. nach Janizewski N S t Z 1 9 8 8 5 4 4 ; ebenso erst jüngst O L G Jena VRS 1 1 0 ( 2 0 0 6 ) 15.

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Ebenso O L G Nürnberg N Z V 2 0 0 7 5 3 5 und O L G Köln DAR 2 0 0 2 88. Monographisch dazu Welther, Z u r Wahrnehmbarkeit leichter Kollisionen ( 1 9 8 3 ) ; speziell zur „taktilen Bemerkbarkeit leichter Fahrzeugkollisionen" Baumert DAR 2 0 0 0 2 8 3 ff, zu „Möglichkeiten und Grenzen der Wahrnehmbarkeit leichter Pkw-Kollisionen" Hartmuth Wolff DAR 1 9 9 4 3 9 1 ff sowie zur „Zuordnung optischer und akustischer Wahrnehmungen zueinander für den Vorsatznachweis im Bereich des § 1 4 2 S t G B " schon Kuckuk/Reuter D A R 1 9 7 8 5 7 ff. Aus

sachverständig-technischer Sicht neuerdings Schmedding N Z V 2 0 0 3 2 4 ff („Unfallflucht aus der Sicht des technischen Sachverständig e n " ) sowie Löhle FS zum 25-jährigen Bestehen des Deutschen Anwaltvereins ( 2 0 0 4 ) , S. 3 9 9 ff. 911

Dazu vor allem Himmelreich DAR 2 0 0 6 2 sowie Himmelreich/Bücken Rdn. 8 9 ff: dort je auch mit einer verdienstvollen Übersicht über Einflüsse auf die Bemerkbarkeit solcher Unfälle und jeweils weiterführenden Hinweisen.

912

Dazu AG München ( 9 3 3 Cs 4 8 9 Js 1 3 0 3 7 5 / 9 7 ) : zit. nach Kärger D A R 1 9 9 8 2 6 7 mit Fn. 7.

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Z u r Bemerkbarkeit/Nichtbemerkbarkeit eines Unfalls bei Sichtverdeckung durch einen L k w AG Brühl D A R 1 9 9 8 7 8 . Speziell zu Dunkelheitsunfällen Eckert N Z V 1 9 9 2 9 5 ff. Dazu vor allem Wendler zfs 2 0 0 3 5 2 9 ( 5 3 5 ) sowie Böhning N Z V 1 9 9 7 1 4 2 ff („Das Schlafapnoe-Syndrom: ein wenig beachtetes Unfallrisiko").

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des Fahrers beeinträchtigt worden sein 916 . Etwas anderes mag gelten, wenn infolge eines psychophysischen Ausnahmezustandes (insbesondere bei erhöhter Blutalkoholkonzentration deutlich über 2 Promille) ernsthafte Zweifel an der Wahrnehmungsfähigkeit des Täters und damit auch an seinem entsprechenden Vorsatz bestehen.917 170 Da Fahrlässigkeit nicht ausreicht, genügt es für die tatrichterliche Überzeugungsbildung 918 an sich nicht, lediglich äußere Umstände festzustellen, die einem durchschnittlichen Kraftfahrer nach aller Lebenserfahrung die Vermutung aufdrängen, es sei unter seiner Mitverursachung zu einem Verkehrsunfall mit nicht völlig unbeachtlichem Sachschaden gekommen; zur sicheren Überzeugung des Tatrichters muss vielmehr feststehen (und revisionibel begründet sein), dass auch der Täter für seine Person diese Kenntnis erlangt hat. Doch können Umstände, die einem verantwortungsbewussten Fahrer nach allgemeiner Lebenserfahrung die Annahme aufdrängen, dass ein nach seinem Schadensumfang tatbestandsrelevanter Verkehrsunfall stattgefunden hat, nach den Umständen des Einzelfalles (z.B. Art des Schadens, Verkehrsverhältnisse, Licht- und Lärmverhältnisse) und der individuellen Glaubwürdigkeit des Täters bzw. der Glaubhaftigkeit seiner (ggf. nur Schutz-)Einlassung wichtiges Indiz dafür sein, dass der Täter nach sicherer Überzeugung des Tatrichters es nicht nur aus Nachlässigkeit, sondern schon bedingt vorsätzlich unterlassen hat, sich über einen möglichen Schaden näher zu informieren: so z.B. wenn der Täter nach eigener Einlassung bei Nacht auf einen Gegenstand aufgefahren ist 919 oder an der Erschütterung/Beschädigung seines Fahrzeugs 920 oder durch laute Anstoßgeräusche 921 einen Zusammenstoß erkannt und die Fahrt gleichwohl fortgesetzt hat, ohne sich über den Vorfall Gewissheit zu verschaffen; doch muss der Täter das Geräusch gerade als Folge eines Zusammenstoßes mit seinem Fahrzeug erkannt haben. 922 Indiziell für Vorsatz kann sprechen, wenn der Täter durch andere Personen (Beifahrer, Geschädigte, andere Unfallbeteiligte oder unbeteiligte Dritte) zwar auf einen durch ihn möglicherweise mitverursachten Verkehrsunfall aufmerksam gemacht wurde, die Fahrt aber dennoch fortgesetzt hat: 9 2 3 es sei denn, der Täter ist für seine Person überzeugt, dass diese Hinweise unrichtig sind. 924 Gleiches kann gelten, wenn der Täter nach einem lauten Anstoßgeräusch zwar angehalten und die mögliche Schadensstelle - nach eigener Einlassung: ohne Erfolg - näher angeschaut hat, ein unbeteiligter Dritter den Sachschaden jedoch

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Dazu auch OLG Köln NZV 1992 37 (Berührung zweier Fahrzeuge jeweils mit den Außenspiegeln). OLG Celle Blutalkohol 1974 62 und OLG Schleswig VRS 59 (1980) 112. Zur vorsatzrelevanten Wahrnehmungsproblematik in diesen Fällen auch Barbey Blutalkohol 1992 261 ff. Ausführliches Rechtsprechungsmaterial zur Frage, bei welchen Beweisanzeichen im Einzelnen die Rechtsprechung von hinreichender tatrichterlicher Feststellung mindestens bedingten Vorsatzes ausgeht, bei Jäger HK Rdn. 186 ff. BGH VRS 37 (1969) 263 und KG VRS 45 (1973) 179. BGH VRS 4 (1952) 48 und 6 (1954) 364:

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jeweils Beschädigung der Windschutzscheibe. BGH VRS 22 (1962) 124 (lautes Krachen, das von einem Zeugen in seiner 50 bis 60 m entfernten Wohnung trotz geschlossener Fenster als Unfallgeräusch wahrgenommen wurde). OLG Zweibrücken VRS 45 (1973) 426. Zu entsprechenden Hinweisen durch einen Beifahrer vor allem BGH VRS 3 (1951) 266 und 15 (1958) 264 und 338 sowie BayObLG VRS 4 (1952) 362; zum Vorhalt durch andere Personen OLG Braunschweig VRS 17 (1959) 418, OLG Karlsruhe DAR 1960 52 und OLG Köln VRS 45 (1973) 353. OLG Braunschweig VRS 17 (1959) 418.

Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

ohne große Mühe entdeckt hätte. 925 Schließlich kann auch das Verhalten des Täters nach der Tat (z.B. Weiterfahren mit abgeschaltetem Licht oder deutlich überhöhter Geschwindigkeit 926 oder nachträgliche Verschleierung der Halter- oder Fahrereigenschaft927) ungünstige Schlussfolgerungen des Tatrichters auf die Feststellung früheren Tätervorsatzes erlauben. b) Der Täter muss sich ferner bewusst sein oder immerhin für möglich halten, dass nach Lage der Dinge gerade auf ihm der nicht offensichtlich unbegründete Verdacht ruht, den Unfall durch sein Verhalten jedenfalls mitverursacht zu haben (Kenntnis der eigenen Unfallbeteiligung). Schon der Vorsatz (und nicht etwa nur das Unrechtsbewusstsein infolge Fehleinschätzung der Pflichtenlage) ist somit ausgeschlossen, wenn der Täter irrtümlich meint, an der Verursachung des Unfalls in keiner Weise mitbeteiligt zu sein, 928 oder eine solche Mitbeteiligung trotz anfänglicher Zweifel letztlich doch nicht für möglich hält. Das Wissenserfordernis darf auch hier nicht auf bloßes Wissen-„Müssen" reduziert werden; 929 doch ist die Kenntnis des Täters nicht auf die verschuldete oder auch nur auf die nachgewiesene Mitverursachung, sondern darauf zu beziehen, dass er nach Sachlage im nicht ganz unbegründeten Verdacht der Mitverursachung des Unfalls steht (zur Unfallbeteiligung in diesem weiten Sinn bereits Rdn. 35 ff). Auch das Bewusstsein, möglicherweise zu Unrecht der Mitverursachung verdächtigt zu werden, beseitigt den Vorsatz erst dann, wenn der Täter auf Grund der ihm bekannten Tatumstände zweifelsfrei überzeugt ist, er werde ohne jeden Grund für den Unfall mitverantwortlich gemacht; 930 dabei ist ein strenger Maßstab angebracht. Von einem Verbotsirrtum ist jedoch auszugehen, wenn der Unfallbeteiligte bei ansonsten irrtumsfreier Einschätzung der Lage in tatsächlicher Hinsicht irrtümlich angenommen hat, wartepflichtig sei nur, wer den Unfall „verschuldet" hat. 931

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Auch hinsichtlich der Kenntnis der eigenen Unfallbeteiligung reicht tatrichterlich die pauschale Formulierung in den Urteilsgründen, der Täter sei sich der Mitverursachung des Unfalls und der daraus folgenden Pflichten bewusst gewesen,932 ebensowenig aus wie der bloße Hinweis, nach Lage des Falles sei schon allgemeiner Lebenserfahrung nach mit der Möglichkeit einer solchen Mitverursachung zu rechnen; 933 eine solche Formulierung

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KG VRS 45 (1973) 179. Dazu auch OLG Düsseldorf N Z V 1998 383: Die tatrichterliche Feststellung, der Schaden sei „gut zu erkennen gewesen", rechtfertige für sich allein nicht den Schluss, dass auch der Angeklagte ihn tatsächlich gesehen habe, zumal wenn typische Unfallspuren (Scherben, Beulen) fehlen. BGH VRS 21 (1961) 118. BGH VRS 3 0 (1966) 283. So schon BGHSt 15 5; ebenso OLG Hamm VRS 15 (1958) 265, OLG Köln VRS 45 (1973) 352, OLG Stuttgart VRS 72 (1987) 186 sowie OLG Düsseldorf N Z V 1993 158. Zum Vorsatz eines möglicherweise unfallbeteiligten Beifahrers OLG Zweibrücken VRS 75 (1988) 2 9 4 . So in Bestätigung schon bislang gängiger Praxis erst jüngst wieder OLG Köln DAR

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2 0 0 2 88, OLG Jena VRS 110 (2006) 15 sowie OLG Nürnberg N Z V 2 0 0 7 535; ebenso bereits Engelstädter S. 116 und S. 281. OLG Köln VRS 4 5 (1973) 353. Zutreffend BGH VRS 2 4 (1963) 34 ff; bedenklich insoweit jedoch OLG Stuttgart DAR 2 0 0 3 4 7 5 (Freispruch wegen eines Tatbestandsirrtums); dagegen Geppert, JK 0 2 / 0 4 , StGB § 142/22. OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 1996 86 (zur Unfallbeteiligung eines Halters durch Überlassen des Fahrzeugs an eine andere Person: insoweit müssten auch die Umstände, aus der sich die unfallrelevante Gefahrerhöhung ergibt, vom Vorsatz erfasst sein). BayObLG VRS 2 4 (1963) 123.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

würde auch Fahrlässigkeit nicht ausschließen. Die Feststellung der für den Vorsatz erforderlichen Kenntnis und Willensrichtung setzt die Prüfung des Tatrichters voraus, wie sich der Unfall dem Täter (nach dessen Wahrnehmungen und Fähigkeiten) dargestellt hat. Dabei ist der Unfallhergang so in Rechnung zu stellen, wie er (ex ante) der Beweislage entspricht; Zweifel kommen auch hier dem Angeklagten zugute. 9 3 4 So wird Vorsatz in der Regel zu verneinen sein, wenn der Täter nach Anhörung verschiedener Personen am Unfallort zur Überzeugung kommt, er habe den Unfall nicht nur nicht verschuldet, sondern auch nicht mitverursacht und werde somit grundlos als Mitverursacher zur Verantwortung gezogen. 935 Zu den Anforderungen an die tatrichterliche Uberzeugungsbildung und deren nachvollziehbare Begründung im Urteil s. bereits Rdn. 170. 173

c) Der Vorsatz muss schließlich auch die Kenntnis eines fremden Feststellungsinteresses und den Willen des Täters (wenn auch ggf. nur in der abgeschwächten Form bedingten Vorsatzes) umfassen, die auf Grund fremder Beweissicherungsinteressen (ggf. weiteren) gebotenen Feststellungen durch sein Verhalten zu vereiteln oder jedenfalls maßgeblich zu erschweren. Geht der Täter irrtümlich davon aus, er sei nur allein an dem Unfall beteiligt oder nur er allein sei dabei geschädigt worden, 9 3 6 wird sein Vorsatz ebenso ausgeschlossen wie bei irriger Annahme, der Unfall sei bereits hinreichend aufgeklärt und die erforderlichen Feststellungen bereits in ausreichendem Umfang getroffen. 9 3 7 Schließlich und vor allem entfällt eine vorsätzliche Tatbegehung, wenn der Täter irrtümlich von tatsächlichen Umständen ausgeht, denenzufolge die feststellungsberechtigten Personen auf (weitere) Feststellungen verzichtet haben, 9 3 8 insbesondere nach Erhalt eines ausreichenden Schuldanerkenntnisses 939 : dies unabhängig davon, ob man einen solchen Feststellungsverzicht als rechtfertigende Einwilligung 940 oder aber mit der hier vertretenen Ansicht (Rdn. 76) als tatbestandsausschließendes Einverständnis begreift. 941 Somit ist der innere Tatbestand des unerlaubten Sichentfernens vom Unfallort auch dann zu verneinen, wenn der Täter irrigerweise einen Feststellungsverzicht daraus herleitet, dass der (allein geschädigte) andere Unfallbeteiligte in Kenntnis des Unfalls die Fahrt fortgesetzt hat. 9 4 2

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d) Besonderheiten, aa) Im Rahmen von Abs. 1 muss sich der Vorsatz des Täters auch darauf erstrecken, sich vom Unfallort entfernt zu haben, bevor er durch seine Anwesenheit und die Angabe seiner Unfallbeteiligung die gebotenen Feststellungen ermöglicht hat; daher muss es der Täter mindestens billigend in Kauf genommen haben, dass durch sein Sichentfernen gerade solche Feststellungen vereitelt oder beeinträchtigt werden, die

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OLG Karlsruhe VRS 53 (1977) 427. OLG Braunschweig VRS 17 (1959) 418. OLG Celle N J W 1956 1330. OLG Hamm VRS 4 0 (1971) 19, OLG Stuttgart NJW 1978 9 0 0 und BayObLG DAR 1971 2 4 6 . OLG Karlsruhe VRS 3 6 (1969) 350, BayObLG VRS 71 (1986) 190 und OLG Düsseldorf VRS 82 (1992) 4 5 2 ; bedenklich dagegen OLG Stuttgart MDR 1 9 5 9 5 0 8 (berechtigte Kritik bei Dahm aaO). OLG Saarbrücken VRS 19 (1960) 276, OLG Oldenburg NJW 1968 2019 und OLG Hamm VRS 4 0 (1971) 19.

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Zur irrtümlichen Annahme der tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes vor allem das BayObLG: N Z V 1992 245, N Z V 1 9 9 0 3 9 7 und VRS 71 (1986) 189. So etwa OLG Düsseldorf N Z V 1992 2 4 6 , OLG Karlsruhe VRS 3 6 (1969) 350 und OLG Köln VRS 3 3 (1967) 347: alle m.w.N. BayObLG N Z V 1990 397, VRS 71 (1986) 189 und bei Rüth DAR 1981 2 4 4 sowie OLG Köln VRS 3 3 (1967) 347.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

für den Ersatzanspruch des Geschädigten relevant sind. 9 4 3 Maßgeblich ist die Vorstellung im Augenblick der Tathandlung (Sichentfernen). Muss der Täter danach wissen, gerade durch sein Weggehen die erforderlichen Feststellungen zu vereiteln, ist Vorsatz zu verneinen, wenn sich der Täter im Fall der Nr. 2 vor Ablauf der angemessenen Wartefrist von der Unfallstelle entfernt, um den (vermeintlich) Geschädigten aufzusuchen. 9 4 4 Gleichermaßen ist Vorsatz ausgeschlossen, wenn der Unfallverursacher in der irrigen Annahme weiterfährt, der (allein geschädigte) andere Unfallbeteiligte habe in Kenntnis des Unfalls die Fahrt fortgesetzt. Erkennt der Unfallbeteiligte seinen Irrtum, ist dies im Rahmen von § 142 Abs. 1 nur beachtlich, wenn der Irrtum noch am Unfallort beseitigt wird. 9 4 5 Im Fall der Nr. 2 muss der Täter auch die Umstände kennen, die für die Wartepflicht überhaupt oder deren Dauer relevant sind; 9 4 6 deshalb ist auch ein Irrtum über die tatsächlich verstrichene Wartezeit ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum. 9 4 7 Wenn der Unfallbeteiligte bei ansonsten irrtumsfreier Einschätzung der Sachlage fälschlicherweise meint, es träfe ihn überhaupt keine oder jedenfalls eine kürzere Wartepflicht, ist von einem Verbotsirrtum (§ 17) auszugehen. 948 Angesichts der (subsidiären) Strafvorschrift des § 142 Abs. 2 sollten an die Wartepflicht des Abs. 1 keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden. Hat sich der Unfallbeteiligte nach Ablauf der Wartefrist (also an sich erlaubtermaßen) entfernt, meint aber irrtümlich, sich zu früh (und damit unerlaubtermaßen) entfernt zu haben, bleibt das ein nach Abs. 1 nicht strafbewehrter untauglicher Versuch und für Abs. 2 ohne strafrechtliche Relevanz, wenn der Täter jedenfalls seiner Pflicht nach Abs. 2 rechtzeitig nachkommt. 9 4 9 Bei einschlägigen Irrtümern hinsichtlich feststellungsbereiter Personen am Unfallort hält Mitscb950 zwei Irrtumskonstellationen auseinander: Wenn in einer ersten Konstellation am Unfallort tatsächlich eine feststellungsbereite Person anwesend ist, der unfallbeteiligte Täter dies jedoch nicht erkannt hat, liegt objektiv an sich die Nr. 1 vor, während der Vorsatz des Täters auf das Verhalten nach Nr. 2 gerichtet ist. Geht umgekehrt der Täter irrig von der Anwesenheit einer feststellungsbereiten Person aus, fehlt dieser Person jedoch die Bereitschaft zu den erforderlichen neutralen Feststellungen, liegt objektiv die Nr. 2 vor, während der Vorsatz auf die Verhaltensweise nach Nr. 1 gerichtet ist. Konstruktiv scheint damit jeweils ein untauglicher Versuch vorzuliegen (im ersten Fall im Hinblick auf das in Nr. 2 beschriebenen Verhalten, im zweiten Fall umgekehrt bezüglich der Nr. 1), der konstruktiv jeweils an sich zur Straflosigkeit führen müsste, was keinen rechten Sinn gibt. Geht man jedoch davon aus, dass die Nr. 1 von Abs. 1 letztlich eine Art lex specialis zur Nr. 2 ist, in welche die Pflichtenbeschreibung der Nr. 2 („angemessene Wartepflicht") der Sache nach bereits eingearbeitet ist, 951 und bedenkt man weiter, dass der materielle Unrechtsgehalt des tatbestandlichen Sichentfernens vom Unfallort in beiden Tatbestandsmodalitäten - gleichgültig, ob feststellungsbereite Personen am Unfall-

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OLG Karlsruhe NJW 1973 378. OLG Zweibrücken DAR 1982 332 und OLG Koblenz NZV 1996 324. BayObLG N Z V 1990 397. Jattiszewski Rdn. 541. Ebenso Mitsch NZV 2 0 0 5 348. So auch BGHSt 15 5 sowie BayObLG VRS 12 (1957) und OLG Düsseldorf NJW 1986 2001; verfehlt demzufolge wohl OLG Stuttgart DAR 2 0 0 3 475 (kritisch daher schon Geppert, JK 0 2 / 0 4 , StGB § 142/22).

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Ebenso Fischer Rdn. 60. Gedächtnisschrift für Rolf Keller (2003), S. 168 ff. Denn wenn feststellungsbereite Personen am Unfallort anwesend sind, muss der Unfallbeteiligte auch eine angemessene Zeit warten, bis die erforderklichen Feststellungen getroffen werden konnten. In diese Richtung denkend verdienstvollerweise schon Küper NJW 1981 854 und GA 1994 58.

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ort anwesend sind oder nicht - demzufolge letztlich gleich ist, 952 folgt daraus (wohl noch zulässige Auslegung), den Unfallbeteiligten, der in beiden Fallgestaltungen jeweils nicht die angemessene Zeit zur Durchführungen von Feststellungen gewartet hat, nach Maßgabe von Abs. 1 Nr. 2 zu bestrafen, ohne dass dem Verurteilten damit „eine Vorsätzlichkeit zur Last gelegt (wird), deren Gewicht den tatsächlichen Vorsatzunwert übersteigt". 953 175

bb) Der Vorsatz nach Abs. 2 muss sich zusätzlich auch auf die dort beschriebenen Umstände nach Nr. 1 oder Nr. 2 erstrecken, da erst diese die Pflicht zur nachträglichen Ermöglichung der Feststellungen begründen. Somit muss der Vorsatz auch darauf gerichtet sein, dass durch die Untätigkeit die unverzüglich gebotenen nachträglichen Feststellungen vereitelt oder zumindest erschwert werden; wer also eine ursprünglich beabsichtigte nachträgliche Meldung später lediglich vergisst (Tatfrage: selbstverständlich strengste Anforderungen), handelt nicht vorsätzlich.954 Ein Irrtum über die Pflicht also solche bleibt als Verbotsirrtum jedoch den Regeln des § 17 unterworfen (Rdn.166). Zur Kenntniserlangung vom Unfall erst nach Entfernung vom Unfallort s. bereits Rdn. 133 ff. Zu Vorsatzfragen nach Unfallflucht im Schock- und Dämmerzustand s. vor allem Brede, Hiob, Hirschmann, G. Kaiser, Laubichler und Zabel (Nachweise im vorstehenden kriminologischen, kriminalistischen und rechtsmedizinischen Schrifttumsverzeichnis).

176

cc) Geht der Unfallbeteiligte den Weg nach Abs. 3 S. 1, schließt es als Tatbestandsirrtum den Vorsatz aus, wenn der Täter z.B. verkennt, dass es außer dem Berechtigten, an den er sich wendet, einen weiteren Feststellungsinteressierten gibt. Gleiches gilt, wenn er sich sonstwie in den tatsächlichen Umständen irrt, die für seine diesbezüglichen Pflichten maßgeblich sind (z.B. Irrtum über den Standort des Fahrzeugs oder einer nahegelegenen Polizeidienststelle955 oder Unkenntnis, dass die geschädigte Behörde einen Bereitschaftsdienst auch am Sonntag eingerichtet hat). 956 Es bleibt jedoch auch hier beim Verbotsirrtum, wenn sich der Täter diesbezüglich in der Pflichtenlage täuscht.

VE. Weitere deliktische Besonderheiten 1. Vollendung, Beendigung und Versuch 177

a) Wie schon ausgeführt (Rdn. 118 ff), ist die Tat im Rahmen von Abs. 1 vollendet, wenn der Täter sich räumlich so weit „vom Unfallort entfernt" hat, dass er unter den Voraussetzungen der Nr. 1 die Pflicht, seine Unfallbeteiligung zu offenbaren und Feststellungen vor Ort zu ermöglichen, nicht mehr erfüllen kann oder wenn er im Fall der Nr. 2 den örtlichen Bereich verlassen hat, in dem ein anderer Unfallbeteiligter oder eine feststellungsbereite Person ihn unter den gegebenen Umständen noch als wartepflichtigen Unfallbeteiligten vermuten und ggf. durch Befragen ermitteln würde. Zur Entfernung vom Unfallort s. bereits Rdn. 53 ff sowie Rdn. 119 ff, zur Kasuistik im Einzelnen vor allem Rdn. 121.

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Für tatbestandliche Gleichwertigkeit beider Tatbestandsalternativen denn auch Maurach/Schroeder/Maiwald B T 1, 4 9 / 4 6

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Ebenso Janiszewski Rdn. 5 4 2 und Sek/ Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 77.

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(S. 6 2 7 ) . Mitsch, R . Keller-Gedächtnisschrift, S. 176. So auch bereits Maurach/Schroeder/Maiwald B T 1, 4 9 / 4 6 (S. 6 2 7 ) .

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Fischer Rdn. 6 0 . BayObLG (Beschl. vom 2 7 . 3 . 1 9 7 9 ) : zit. nach Schild AK Rdn. 173.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§142

Nach den Umständen des Einzelfalles kann die Entfernung vom Unfallort bereits mit den ersten Absetzbewegungen beginnen und alsbald vollendet sein. 9 5 7 Wird der Täter schon nach wenigen Metern oder jedenfalls noch im räumlichen Nahbereich der Unfallstelle angehalten, liegt nur Versuch vor, der seit der gesetzlichen Neufassung der Vorschrift im Jahre 1975 nicht mehr unter Strafe gestellt ist. 9 5 8 Nach Abs. 1 straflos bleibt somit auch, wer sich in der irrigen Annahme, einen anderen überfahren zu haben, vom Unfallort entfernt. 9 5 9 Zu einschlägigen Irrtümern hinsichtlich feststellungsbereiter Personen bereits Rdn. 174a. Bei Überdehnung des Normbereichs (doch ansonsten irrtumsfreier Einschätzung der Sachlage) ist von einem (straflosen) Wahndelikt auszugehen: so insbesondere, wenn der Täter irrig meint, auch bei einem Unfall ohne Fremdbeteiligung und Fremdschaden zum Warten verpflichtet zu sein. 9 6 0

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Auch für die heutige Gesetzesfassung ist zu Recht (überwiegend) anerkannt, dass die rechtliche Vollendung auch im Fall von § 142 Abs. 1 mit der tatsächlichen Beendigung nicht notwendig zusammenfallen muss. 9 6 1 Sieht man in § 142 ein abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt (Rdn. 70) und begreift man die Beendigungsphase inhaltlich als noch zum tatbestandlich vertypten Unrecht des betreffenden Gesetzestatbestand gehörend, 9 6 2 ist das mit dem Sichentfernen vom Unfallort vollendete Delikt tatsächlich erst beendigt, wenn der Täter sein Fahrtziel erreicht oder sich sonst in Sicherheit gebracht und damit die schadensersatzrechtlichen Beweissicherungsrechte endgültig vereitelt oder jedenfalls erschwert hat. 9 6 3 Davon zu trennen ist die Frage, ob ein (nach formeller Vollendung, doch) noch vor materieller Beendigung geleisteter Gehilfenbeitrag in beihilferelevanter Weise überhaupt kausal geworden ist; dazu nachfolgend Rdn. 191. Zur Frage, ob sich der Vorsatz zum tatbestandlichen Sichentfernen vom Unfallort (Abs. 1) grundsätzlich noch bis zur Beendigung der Tat gebildet werden kann, ablehnend im Übrigen bereits Rdn. 135b.

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b) Da sich der Unrechtsgehalt des § 142 Abs. 2 in der Nichtvornahme der von der Gebotsnorm geforderten Handlung erschöpft (Rdn. 122), kommt es für die Vollendung im Rahmen der Absätze 2 und 3 allein auf das Unterlassen der geforderten Handlung

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Nur als straflose Vorbereitung ist es zu werten, wenn der zum Verlassen des Unfallortes bereite Täter lediglich sein Fahrzeug fluchtbereit macht (OLG Köln VRS 6 (1954) 30) oder zunächst nur die amtlichen Kennzeichen des Unfallfahrzeugs entfernt und versteckt (BayObLG, Beschl. v. 28.2.1973 2 St 9/73: zit. nach Rüth DAR 1974 177). Zu vollendetem Sichentfernen nach langer Verfolgungsjagd BGH GA 1961 203. Im Einzelfall zu prüfen bleibt eine nach SS 34 i.V. mit 4 9 Abs. 1 Nr. 2 9 StVO und 2 4 StVG ahndbare Ordnungswidrigkeit: dazu auch OLG Celle VM 1976 2 2 . BGH bei Daliinger MDR 1957 2 6 6 und OLG Hamm VRS 35 (1968) 269. Zur irrigen Annahme eines Verkehrsunfalls schon BayObLG VRS 4 (1952) 362. BGHSt 8 2 6 3 (268) und KG VRS 15 (1958) 3 4 6 ; zustimmend Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 84.

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Unter Berufung auf Schröder NJW 1966 1002 (dieser jedoch noch zur alten Gesetzesfassung von S 142) anders Schild AK Rdn. 107 und ders. NK 87 mit der Begründung, der durch § 142 Abs. 1 strafbewehrte Erfolg sei mit dem Sichentfernen vom Unfallort endgültig vereitelt. Ausführlich dazu Kühl, Die Beendigung des vorsätzlichen Begehungsdelikts (1974), S. 5 7 ff; speziell zur Beendigung im Rahmen von S 142 Küper J Z 1981 2 5 3 ff. So ausdrücklich auch BGH VRS 25 (1963) 3 7 und BGH StV 1983 2 8 0 sowie BayObLG N J W 1980 412 sowie OLG Zweibrücken VRS 71 (1986) 4 3 6 (zustimmend Fischer Rdn. 61); auf dieser Linie wohl auch Küper J Z 1981 251 ff (doch nach der Kausalität des nachträglichen Gehilfenbeitrages differenzierend) sowie Brückner N Z V 1996 2 6 8 .

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und auch hier nicht auf das Verhindern des Erfolges an. Wie bereits ausgeführt (Rdn. 153), beginnt die Handlungsfrist an sich bereits bei Ablauf der Wartefrist bzw. mit dem Wegfall der rechtfertigenden oder entschuldigenden Situation; sie läuft jedoch erst ab, wenn der Pflichtige die ihm zur Verfügung stehende Zeit zur Ermöglichung der nachträglichen Feststellungen untätig hat verstreichen lassen. Somit ist die Tat im Rahmen von Abs. 2 vollendet, wenn der Pflichtige den für die Unverzüglichkeit maßgeblichen Zeitpunkt überschritten hat. 9 6 4 Zu diesem Zeitpunkt bereits Rdn. 153 ff; wie dort ausgeführt, stellt der bloße Entschluss des Täters, seine nachträgliche Meldepflicht auch bis zum Ablauf der Frist nicht erfüllen zu wollen, nur einen (straflosen) Versuch dar. 965 Dabei bleibt es auch, wenn die erforderlichen Feststellungen innerhalb des flexiblen Zeitraums der nachträglichen Mitteilungspflicht unabhängig von einer Aktivität des Pflichtigen - sei es durch Zufall, durch Selbsthilfe des Geschädigten oder durch Eingreifen Dritter, insbesondere der Polizei - bereits vor Ablauf der Unverzüglichkeitsfrist vollständig getroffen worden sind; 9 6 6 solche Entwicklungen können die dem Pflichtigen zur Verfügung stehende Handlungszeit nicht abkürzen. 181

c) Weil die in Abs. 2 vorgesehene Pflicht zur nachträglichen Ermöglichung von Feststellungen nach dem Wortlaut der Vorschrift „unverzüglich" zu erfüllen ist, bleibt für einen strafbefreienden Rücktritt in diesem Bereich kein Raum. 9 6 7 Seit es in Abs. 4 eine Spezialvorschrift „tätiger Reue" gibt (nachfolgend Rdn. 199 ff), verbietet sich jedenfalls für den Anwendungsbereich des Abs. 4 mangels gesetzlicher Lücke auch jene im Schrifttum (dort jedoch noch vor Einführung des neuen Abs. 4) vereinzelt empfohlene, 968 von der Judikatur 9 6 9 aber schon damals nachdrücklich abgelehnte analoge Anwendung von Rücktritts- oder von Vorschriften tätiger Reue. Nachdem der Gesetzgeber den Anwendungsbereich tätiger Reue nach langen parlamentarischen Beratungen nunmehr ganz bewusst auf Unfälle „außerhalb des fließenden Verkehrs" und mit „ausschließlich nicht bedeutendem Sachschaden" beschränkt hat, ist eine analoge Anwendung z.B. der §§ 83a, 306e, 314a oder 320 (tätige Reue) mangels gesetzlicher Lücke auch gegenüber einem Täter ausgeschlossen, der außerhalb des Anwendungsbereichs von Abs. 4 nach Vollendung freiwillig noch rechtzeitig an den Unfallort zurückkehrt, bevor dort maßgebliche Feststellungsverluste eingetreten sind. 9 7 0 Kriminalpolitische Bedenken gegen diese Lösung lassen sich nur auf dem Weg der Strafmilderung, bei der Entscheidung nach §§ 69 und 69a (Ausschluss der Regelvermutung des § 69 Abs. 2) oder über die §§ 153 oder 153a StPO abmildern. 971 2. Täterschaft und Teilnahme

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a) Allgemeines. Wie aus Abs. 5 folgt, kann das Delikt täterschaftlich nur von einem Unfallbeteiligten begangen werden. Der Normbefehl trifft jeden am Unfallort Anwesen964 965

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BayObLG zfs 1984 219. BayObLG VRS 67 (1984) 221 und VRS 6 7 (1984) 429. Anders OLG Stuttgart VRS 5 4 (1978) 355; wie hier BayObLG VRS 58 (1980) 4 0 6 . Dazu auch Schaffstein FS Dreher, S. 152 f. S. vor allem Schild AK Rdn. 108. BGH VRS 6 (1954) 3 3 und VRS 25 (1963) 117; auf dieser Linie auch OLG Hamm VRS 38 (1970) 2 7 0 und OLG Zweibrücken VRS 58 (1980) 2 6 .

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AA auch für § 142 in seiner allerneuesten Fassung nur Otto, Strafrecht Die einzelnen Delikte, § 80 Rdn. 70 (S. 452); wie hier jedoch Lackner/Kühl Rdn. 38 und Sehl Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 83. So schon Jagusch NJW 1975 1633 und Schaffstein, FS Dreher, S. 155; auf dieser Linie auch Lackner/Kühl Rdn. 38 und Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 83.

Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

den, gegen den nach dem äußeren Anschein der nicht ganz unbegründete Verdacht einer irgendwie gearteten, wenn auch nicht notwendig schuldhaften Mitverursachung des Unfalls erhoben werden kann (dazu bereits Rdn. 35 ff). Entgegen ganz h . M . 9 7 2 kann § 142 gleichwohl nicht als echtes Sonderdelikt bezeichnet werden. 9 7 3 Sieht man dessen Charakteristikum nämlich in der besonderen sozialen Pflichtenstellung des Normadressaten, wird deutlich, dass die auf den Täter abstellende Formulierung des Abs. 5 trotz gewisser Parallelen zu den Sonderpflichtpositionen z.B. eines Arztes oder eines Amtsträgers weniger eine eigenschaftsbezogene Sonderpflicht darstellt, wie sie bei den pflichtenbündelnden sozialen Rollen oder den handlungspflichtbegründenden Garantenstellungen augenfällig ist, als vielmehr nur die Beschreibung eines (objektiven) rechtsgutsbezogenen Zurechnungszusammenhangs. 974 Somit verkörpern die aus der Unfallbeteiligung resultierenden Warte- bzw. nachträglichen Meldepflichten folgerichtig auch kein fcj'ierbezogenes „persönliches Merkmal" i.S. von § 28 Abs. I , 9 7 5 sondern ein erkennbar rechtsguts- und daher tatbezogenes Merkmal, das als solches seinen Sinn letztlich allein aus der Relevanz für das Rechtsgut bezieht und demzufolge nicht zur Anwendung von § 28 führen kann. 9 7 6 Da sich der Normbefehl nur an die in Abs. 5 beschriebenen Personen richtet, sofern diese eine der in Abs. 1 bis 3 beschriebenen Tathandlungen vornehmen, stellt sich die Tat als eigenhändiges Delikt dar; Täter kann somit nur sein, wer die Nichterfüllung der dort genannten Pflichten in eigener Person wahrnimmt. 977 b) Mittäter kann demzufolge nur sein, wer als Unfallbeteiligter selbst verpflichtet ist, am Unfallort Feststellungen über seine Person und seine etwaige Beteiligung am Unfall zu dulden, 978 und zusätzlich dazu noch die allgemeinen Voraussetzungen des § 2 5 Abs. 2 (arbeitsteiliger Tatbeitrag auf der Basis eines gemeinsamen Tatentschlusses) erfüllt. 979 In der Praxis kommt dies selten vor; in aller Regel wird hier von Nebentäterschaft auszugehen sein. 9 8 0 Weil § 142 nach hier vertretener Ansicht (Rdn. 182) ein eigenhändiges Delikt ist, kann Mittäterschaft nicht in der Weise begangen werden, dass ein Wartepflichtiger am Unfallort zurückbleibt und durch Täuschung die Flucht einer ebenfalls wartepflichtigen anderen Person ermöglicht; 981 da jeder Täter das Sichentfernen in eigener Person zu verwirklichen hat, muss er sich nicht das Fluchtverhalten des anderen „arbeitsteilig" zurechnen lassen. 982 Somit kommt auch der mittelbaren Täterschaft (z.B. durch Vorspiegelung dem Fahrer gegenüber, es sei nicht zu einem Unfall gekommen) keine

972

S. für viele nur Arzt/Weber Strafrecht: BT 3 8 / 5 7 (S. 8 4 8 ) , Rudolphi SK Rdn. 4 , Fischer Rdn. 6 6 und Janiszewski Rdn. 5 4 7 : alle m.w.N.; einschränkend Lange J Z 1 9 5 9 5 6 2 („relatives" Sonderdelikt).

973

Monographisch dazu Marco Deichmann Grenzfälle der Sonderstraftat ( 1 9 9 4 ) , speziell zu § 1 4 2 a a O S. 151 ff.

974 975

976

977

Fischer Rdn. 6 6 , Herzberg GA 1 9 9 1 1 7 0 sowie ders. zuvor schon in Z S t W 8 8 ( 1 9 7 6 ) 8 3 und Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 4 9 / 6 5 (S. 6 3 2 ) . Ebenso Arloth GA 1 9 8 5 5 0 4 und Engelstädter S. 4 3 .

978

B G H VRS 2 4 ( 1 9 6 3 ) 3 4 : seit jeher unbestritten.

So auch Engelstädter S. 41 ff. So aber Arloth GA 1 9 8 5 5 0 4 , Rudolphi SK S 1 4 2 Rdn. 4 und Hoyer SK § 2 8 Rdn. 3 4 ; Zopfs M K Rdn. 1 2 4 sowie Arzt/Weber B T 3 8 / 5 7 (S. 8 4 8 : mit der Begründung, dass die „Zumutung der W a r t e p f l i c h t . . . letztlich auf einem ingerenz-ähnlichen Element" beruhe).

979

Wie hier Roxin L K 1 1 § 2 8 Rdn. 6 8 ; ebenso Schild N K Rdn. 114, Lackner/Kühl Rdn. 39,

982

Speziell zu den Voraussetzungen, unter denen ein Beifahrer Mittäter einer Verkehrsunfallflucht sein kann, B G H VRS 5 9 ( 1 9 8 0 ) 1 8 6 , KG VRS 1 0 ( 1 9 5 6 ) 4 5 5 und O L G Köln N Z V 1992 80. Dazu auch Arloth GA 1 9 8 5 5 0 3 . So aber offenbar KG VRS 1 0 ( 1 9 5 6 ) 4 5 3 ff. Wie hier auch Engelstädter S. 1 2 6 .

980 981

Klaus G e p p e r t

849

183

§ 142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

eigenständige Bedeutung zu: Ist der „Hintermann" nicht in eigener Person am Unfall beteiligt, kann er auch nicht (mittelbarer) Täter sein. Ist er jedoch selbst Unfallbeteiligter, macht er sich als solcher nach § 142 Abs. 1 strafbar, wenn er sich vom Unfallort entfernt: 9 8 3 angesichts der hier postulierten Eigenhändigkeit der Tat aber auch nur dann. 184

c) Teilnahme ist grundsätzlich in jeder Form denkbar: und zwar entweder durch aktives Tun oder durch Unterlassen (insoweit unbestritten). Personen, die nicht selbst wartepflichtig sind, können somit nur Anstifter oder Gehilfen sein. Nach allgemeinen Regeln können sich aber auch Unfallbeteiligte ggf. zusätzlich zur eigenen täterschaftlichen Verwirklichung wegen Teilnahme (Anstiftung oder Beihilfe) an fremdem unerlaubtem Sichentfernen vom Unfallort schuldig machen; in diesem Fall gebührt der täterschaftlichen Verwirklichung des § 142 als der schutzrichtungsgleichen, doch unrechtsschwereren Teilnahmeform nach allgemeinen Regeln der gesetzeskonkurrierende Vorrang (Subsidiarität). Zu weiteren Konkurrenzfragen nachfolgend Rdn. 212 ff.

185

aa) Anstiftung (nur durch aktives Tun) ist somit möglich, auch wenn der Anstifter nicht selbst am Unfall beteiligt ist. So liegt Anstiftung vor, wenn ein Beifahrer oder eine außenstehende Person (z.B. ein Freund oder der Anwalt, den der Unfallbeteiligte nach einem Unfall um Rat bittet) den wartepflichtigen Fahrer dazu überredet, den Unfallort vor Erfüllung der dort genannten Pflichten zu verlassen. 9 8 4 Da aber jede Form der Teilnahme eine vorsätzliche Haupttat voraussetzt, bleibt straflos, wer - ohne selbst unfallbeteiligt zu sein - bei dem wartepflichtigen Fahrer einen Tatbestandsirrtum hervorruft, indem er ihm z.B. vorspiegelt, es sei überhaupt nicht zu einem Unfall gekommen, es sei nur ein Bagatellschaden entstanden oder der Unfallgegner habe auf Feststellungen verzichtet. 9 8 5 Verfehlt ist das vereinzelte Bemühen der Rechtsprechung, dieses kriminalpolitisch als unerwünscht empfundene Ergebnis dadurch zu umgehen, dass man derartige Irrtümer in einen Verbotsirrtum umdeutet. 9 8 6

186

bb) Beihilfe kann sowohl durch aktives Tun wie durch Unterlassen begangen werden. Wie immer bei strafbarer Beihilfe muss die Begehung der (vorsätzlichen und rechtswidrigen) Haupttat auch im Fall des § 142 durch die Beihilfehandlung tatsächlich gefördert worden sein; die danach erforderliche (sog. Förderungs- oder Verstärker-)Kausalität muss sich dabei, wie häufig nicht beachtet wird, auf die jeweilige Tathandlung beziehen und deren Begehung jedenfalls nachweisbar erleichtern: im Fall des Abs. 1 also auf das Sichentfernen vor Erfüllung der dort genannten Pflichten 9 8 7 und im Fall des Absatzes 2 auf die Förderung des Entschlusses zum Unterlassen der danach gebotenen Ermöglichung nachträglicher Feststellungen. 9 8 8 Im Einzelnen:

187

(1) Von einer Beihilfe durch positives Tun ist danach auszugehen, wenn die mitfahrende Ehefrau sich als Fahrerin des Unfallwagens vorstellt und dem wartepflichtigen Täter damit die Möglichkeit verschafft, sich vom Unfallort entfernen zu können. 9 8 9 Glei-

983 984

985

986

Ebenso Arloth GA 1985 503. KG VRS 10 (1956) 455; ebenso Schild NK Rdn. 115. Ebenso Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 49/65 (S. 631), Arloth GA 1985 504 und Engelstädter S. 127. So etwa OLG Stuttgart J Z 1959 579; dagegen zu Recht Lange J Z 1959 560 ff und

850

987 988

989

Duhm MDR 1959 508. Verfehlt daher auch OLG Düsseldorf StV 1986 159 (ablehnend Kuhlen StV 1987 437). BGH VRS 16 (1959) 267. So im Anschluss an BGHSt 14 280 auch BayObLG NJW 1990 1861. OLG Frankfurt a.M. NJW 1977 1833.

Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

ches gilt, wenn ein (nicht unfallbeteiligter) Beifahrer auf Bitte des Fahrers das Steuer des Fahrzeugs übernimmt und mit dem wartepflichtigen Fahrer davonfährt, 9 9 0 einem wartepflichtigen Unfallbeteiligten ein Fahrzeug zur Verfügung stellt, mit dem sich dieser vom Unfallort entfernen kann, 9 9 1 oder nachträglich (doch noch vor dem Wegfahren von der Unfallstelle) Unfallspuren beseitigt. 992 Folgerichtig dazu ist „in dubio pro r e o " 9 9 3 eine Verurteilung nur wegen Beihilfe möglich, wenn zwar die Unfallbeteiligung und damit eine mögliche Täterschaft zweifelhaft bleibt (etwa weil offenbleibt, wer gefahren ist), wohl aber hinreichend sicher festgestellt werden kann, dass das Verhalten des Beifahrers in soeben beschriebener Weise oder durch nachdrückliche Bekräftigung des Tatentschlusses (zur psychischen Beihilfe nachfolgend Rdn. 188) das unerlaubte Sichentfernen einer wartepflichtigen Person nachweisbar erleichtert hat. 9 9 4 (2) Beihilfe durch aktives Tun ist insbesondere auch dadurch möglich, dass der Dritte die Haupttat durch Stärkung und Bekräftigung des beim Wartepflichtigen an sich bereits vorhandenen Tatentschlusses (vorsätzlich) fördert (psychische Beihilfe). 9 9 5 Doch nicht ausreichend ist es dafür, wenn der Beifahrer dem Verlassen der Unfallstelle durch den Täter lediglich nicht widerspricht oder sein Einverständnis mit dessen Flucht nur durch Einsteigen in den Wagen bekundet; denn andernfalls würde die Verbotsnorm des § 2 7 zu einem Fluchtvereitelungsgefcof umfunktioniert, was nur bei Vorliegen einer entsprechenden Garantenstellung zulässig wäre (zur Beihilfe durch Unterlassen nachfolgend Rdn. 189 f). 9 9 6 Der Gehilfe muss also nachweisbar zusätzliche Fluchtmotive gesetzt oder nachweisbar mögliche Bedenken des Täters ausgeräumt haben; das bloße Einverständnis mit dem Sichentfernen reicht nicht aus. 9 9 7

188

(3) Beihilfe durch Unterlassen kommt nur in Betracht, wenn den Unterlassenden eine Garantenpflicht zur Verhinderung der Verkehrsunfallflucht trifft. 9 9 8 O b eine Beteiligung durch Unterlassen in Form der Nichthinderung einer fremden Straftat dabei als Täterschaft oder nur als Beihilfe zu qualifizieren ist, 9 9 9 spielt angesichts der Eigenhändigkeit des § 142 und der in Abs. 5 geforderten besonderen Täterqualifikation keine Rolle; bei Fehlen besonderer tatbestandlicher Tätereigenschaften gelten die allgemeinen Beihilfe-

189

990

991

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994 995

So schon KG VRS 6 (1954) 291; vgl. auch OLG Stuttgart J Z 1 9 5 9 5 7 9 (bedenklich dabei aber die Beurteilung der Irrtumsfrage in der Person des Täters), BayObLG (1 St 200/74) nach Rüth DAR 1975 2 0 4 und DAR 1990 230, OLG Zweibrücken VRS 75 (1988) 2 9 2 sowie OLG Köln VRS 86 (1994) 2 8 2 . OLG Hamm Blutalkohol 1974 2 7 9 und BayObLG (1 St 305/83) nach Rüth DAR 1984 2 4 0 . BayObLG NZV 1990 398 (zu § 142 Abs. 2). Allerdings nur bei analoger Anwendung des Zweifelssatzes: zur Begründung hierfür BGHSt 2 3 2 0 3 ff. OLG Zweibrücken VRS 75 (1988) 2 9 4 . Dazu vor allem BGH VRS 5 (1953) 281 (Zuruf: „Fort, fort! Fahr weiter!"), VRS 2 3 (1962) 207, VRS 2 4 (1963) 3 7 sowie VRS 5 9 (1980) 185.

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999

Bedenklich „großzügig" insoweit wohl Zopfs MK Rdn. 128. So zutreffend schon BGH VRS 5 (1953) 281. Eher bedenklich dann aber BGH VRS 24 (1963) 3 7 und VRS 5 9 (1980) 185 und eindeutig zu weit KG VRS 10 (1956) 453. Zu Recht strenger die überwiegende Ansicht im Schrifttum; vgl. für viele Rudolphi SK Rdn. 53, Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 82 und Schild NK Rdn. 116; bedenklich weit aber Zopfs MK Rdn. 128. Zum Ganzen s. auch Rudolphi StV 1982 518 ff, Seelmann JuS 1991 2 9 2 und Engelstädter S. 130 f. Dazu vor allem Arloth GA 1985 5 0 4 ff und Engelstädter S. 131 ff. Zu diesem Streit grundlegend und mit zahlreichen Belegen vor allem Sowada JURA 1986 3 9 9 ff.

Klaus Geppert

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§ 142

190

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche O r d n u n g

regeln. Da pflichtwidriges Vorverhalten meist zu eigener Unfallbeteiligung (§ 142 Abs. 5) führt und nach der Konzeption des Gesetzes bereits eine eigene Wartepflicht begründet, spielt die Garantenpflicht aus Ingerenz kaum eine Rolle; 1 0 0 0 somit wird eine unterlassungsrelevante Fluchtverhinderungspflicht von der Rechtsprechung meist entweder aus der Eigenschaft eines Ehegatten oder eines nahen Angehörigen, 1001 aus Weisungsbefugnissen eines Arbeitgebers oder Dienstvorgesetzten 1002 sowie vor allem aus der Verfügungsbefugnis hergeleitet, die Halter/Eigentümer über das in den Unfall verwickelte oder zur Flucht verwendete Fahrzeug innehaben 1 0 0 3 . Dabei zieht die Rechtsprechung den Kreis der in Frage kommenden Garanten teilweise bedenklich weit; dies wird nicht zuletzt deutlich, wenn man im Zusammenhang damit auch danach fragt, unter welchen Voraussetzungen einem Dritten in strafbewehrter Weise die Pflicht zur Verhinderung fremder Straftaten auferlegt wird und ob der Inhaber einer Sache verpflichtet ist zu verhindern, dass diese Sache zur Begehung von Straftaten missbraucht wird. 1 0 0 4 Vor diesem Hintergrund ist eine Erfolgsabwendungspflicht für Ehegatten oder andere nahe Angehörige jedenfalls im Regelfall zu verneinen; weil nur Beschützer-, nicht aber auch Überwachergaranten sind sie grundsätzlich nicht für mögliche Straftaten ihrer Angehörigen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. 1005 Dies gilt grundsätzlich auch für die Begleitperson beim „Begleiteten Fahren ab 1 7 " (dazu bereits Rdn. 42). Etwas anderes gilt nur, sofern der Ehegatte oder ein anderer naher Angehörige ausnahmsweise auch als Überwachergarant für das Verhalten des ihm (auch zum Schutz anderer) anvertrauten Angehörigen verantwortlich ist: so etwa, wenn ein Vater seinen in einen Unfall verwickelten minderjährigen Sohn nicht daran hindert, den Unfallort zu verlassen. 1006 Bedenklich ist es ferner, eine Garantenpflicht allein aus dem Weisungsrecht als Dienstvorgesetzter oder Arbeitgeber herleiten zu wollen; 1 0 0 7 denn die rechtliche Verantwortung für sein Verhalten im Straßenverkehr trifft grundsätzlich nur den Fahrer, nicht aber bei-

1000

D a z u a u c h Arloth städter

G A 1 9 8 5 5 0 4 und

hol 1 9 7 4 2 7 9 , B a y O b L G (1 St 3 0 8 / 8 3 ) n a c h

Engel-

S. 1 3 2 .

Rüth D A R 1 9 8 4 2 4 0 , O L G Zweibrücken

Κ» 1 O L G K ö l n N Z V 1 9 9 2 8 0 ; zu solchen Fäl1002

1003

len a u c h Arloth

GA 1 9 8 5 5 0 4 .

V g l

6 9

s c h o n

R G S t

349

s o w i e

N J W 1 9 8 2 2 5 6 6 sowie V R S 7 5 ( 1 9 8 8 ) 2 9 5 (eine derart begründete Garantenpflicht

BGH VRS

d a n n a b e r offenlassend in V R S 8 2 ( 1 9 9 2 )

2 4 ( 1 9 6 3 ) 3 4 und O L G Düsseldorf V M

1 1 4 ) sowie O L G K ö l n N Z V 1 9 9 2 8 0 (da-

1966 42.

gegen Geppert,

D a z u v o r allem O L G Stuttgart N J W 1 9 8 1

1004

2 3 6 9 : D o r t wird z w a r eine „personenbezo-

Unterlassen zur Verkehrsunfallflucht richtig

gene Ü b e r w a c h u n g s - und Weisungsbefug-

gesehen schon durch Engelstädter

nis" des a m Unfallort anwesenden H a l t e r s

generell zur Garantenpflicht zur Verhinde-

zu R e c h t e b e n s o abgelehnt wie eine G a r a n -

rung v o n Straftaten Dritter Rudolphi

tenpflicht a u s der zivilrechtlichen Gefähr-

R d n . 3 2 ff und Jescheck

dungshaftung des § 7 StVG (insoweit gegen

zu § 13 und mit weiterführenden N a c h w e i -

O L G Düsseldorf V M 1 9 6 6 4 2 ) ; bejaht wird dann a b e r eine Einstandspflicht des Halters

S. 131 ff; SK

L K 1 1 R d n . 4 1 ff: je

sen. 1005 Weiterführend Jescheck

L K 1 1 R d n . 4 3 und

a u s dem „ s a c h b e z o g e n e n U m s t a n d der Ver-

Sch/Schröder/Stree

fügungsbefugnis über das F l u c h t f a h r z e u g "

tiefend Geilen

(dagegen s c h o n Geppert,

zu § 1 4 2 wie hier a u c h Arloth

J K StGB,

§ 1 4 2 / 5 ) . A u f der Linie von O L G Stuttgart

R d n . 5 3 : je zu § 1 3 ; ver-

F a m R Z 1 9 6 1 1 5 9 ff. Speziell GA 1 9 8 5

5 0 5 und Engelstädter

S. 1 3 2 . SK R d n . 5 3 .

s c h o n B G H S t 18 7 sowie eine umfangreiche

1006

Beispiel v o n Rudolphi

obergerichtliche J u d i k a t u r : O L G Düssel-

1007

So a b e r die in Fn. 1 0 0 2 genannten Ent-

d o r f V M 1 9 6 6 4 2 , O L G H a m m Blutalko-

852

J K StGB § 1 4 2 / 1 8 ) .

So speziell für den Fall der Beihilfe durch

scheidungen.

Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

fahrende (wenngleich arbeitsvertraglich weisungsberechtigte) Vorgesetzte. 1008 Etwas anderes gilt ausweislich von $ 357 StGB (Konnivenz) oder von § 41 WStG für Dienstvorgesetzte im Bereich der dort aufgeführten in das Amt einschlagenden Delikte. 1009 Zurückhaltung ist schließlich bei dem Bemühen geboten, eine Garantenpflicht allein aus der Haltereigenschaft oder der Eigentümerstellung als solcher herleiten zu wollen: Auch hier gibt es keine grundsätzliche Einstandspflicht des Halters für eigenverantwortliches Fluchtverhalten des Fahrers. Stellt der Halter/Eigentümer sein Fahrzeug dem fluchtgeneigten Täter allerdings erst nach der Unfallverursachung zur Verfügung, kommt Beihilfe durch aktives Tun in Betracht. 1010 Anders ist die Rechtslage aber bei vorheriger Übergabe des Fahrzeugs an den späteren Unfallfahrer; da dieser Akt ein wertneutrales und kein gefahrschaffendes pflichtwidriges Vorverhalten darstellt, geht es nicht an, daraus eine Garantenstellung herleiten zu wollen. 1011 Folglich ist der am Unfallort anwesende und nicht selbst mitunfallbeteiligte Halter (zum Streit, ob nur eine mögliche Mitverursachung der aktuellen Unfallsituation zur „Unfallbeteiligung" i.S. von Abs. 5 führt, bereits Rdn. 40 f) nicht verpflichtet, das unerlaubte Sichentfernen vom Unfallort durch den Fahrer überhaupt 1012 oder jedenfalls die Benutzung seines Fahrzeugs zur Flucht zu verhindern 1013 ; dies gilt selbst dann, wenn die Tatbegehung (das Sichentfernen vom Unfallort) nur mittels des Kraftfahrzeuges möglich ist: etwa wenn der Unfall sich auf einer Landstraße ereignet hat und sich bereits feststellungsbereite Personen dem Unfallort nähern. 1014 Denn stellt man bei der Begründung möglicher Garantenpflichten demzufolge weniger auf den Entstehungsgrund ab, sondern differenziert man zwischen Obhutspflichten zur Verteidigung bestimmter Personen/Rechtsgüter („Beschützergaranten") einerseits und Kontrollpflichten zur Überwachung bestimmter Gefahrenquellen („Überwachergaranten") andererseits,1015 ist für den Halter eines Fahrzeuges auch aus diesem Grund eine fluchtverhindernde Garantenpflicht zu verneinen. Als Fahrzeughalter ist er grundsätzlich weder zur „Obhut" für Interessen möglicher Unfallgeschädigter berufen noch als „Überwacher" des Fahrers dafür verantwortlich, dessen eigenverantwortliche Fluchtentscheidung zu verhindern. Das Risiko, dass das der Verfügungsgewalt des Halters/Eigentümers unterstehende Fahrzeug zum Mittel einer Straftat (hier: nach Maßgabe von § 142) missbraucht wird, folgt nicht aus der Gefährlichkeit des Fahrzeugs (für das allein der Halter allenfalls Verantwortung trägt) als vielmehr aus dem selbstverantwortlichen Verhalten des Fahrers. Somit verbietet es sich, die aus guten Gründen restriktive Auslegung der täterschaftsbegründenden „Unfallbeteiligung" (Rdn. 35 ff) mittels extensiver Handhabung der Unterlassungsbeihilfe wieder zu verwässern.

1008 W l e hier Jie inzwischen wohl weithin hM im Schrifttum: vgl. Schild NK Rdn. 126, Zopfs MK Rdn. 117, Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lteben Rdn. 82 und Rudolphi SK Rdn. 53 sowie Arloth GA 1985 505 und Engelstädter S. 132. Weniger streng offenbar ]agow/Burmann/Heß Rdn. 37 und neuerdings immerhin „zweifelnd" Hentschel/König Rdn. 54. 1009

1010

Zu § 357 s. auch Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 82 und Rudolphi SK Rdn. 53. Zu einem solchen Fall BayObLG (1 St 305/83): zit. nach Rüth DAR 1984 240.

1011

1012 1013

1014 1015

Wie hier auch Sch/Schröder/Stree § 13 Rdn. 43 sowie Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 82, Zopfs MK Rdn. 127 und Schild NK Rdn. 116 - alle je zu % 142 - sowie Herzberg NZV 1990 377. So auch Rudolphi SK Rdn. 53. So aber BayObLG (1 St 308/83): zit. nach Rüth DAR 1984 240; zustimmend Schild AK Rdn. 135 und Rudolphi SK Rdn. 53. Anders aber Arloth GA 1985 505. Näher Jescheck LK 11 Rdn. 19 ff, Rudolphi SK Rdn. 24 ff und Sch/Schröderöder/Stree 9 ff: alle je zu § 13 und mit weiterführenden Nachweisen.

Klaus Geppert

853

§ 142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

191

(4) Nach langjährig gefestigter Rechtsprechung ist Beihilfe auch nach vollendetem Sichentfernen vom Unfallort jedenfalls noch solange möglich, bis der Täter sein Fahrtziel erreicht oder sich sonst endgültig in Sicherheit gebracht und die Verkehrsunfallflucht damit materiell beendet hat. 1 0 1 6 Von hier aus hat das BayObLG einen (nicht unfallbeteiligten) Beifahrer, der eine vom Fahrer an der Windschutzscheibe befestigte Visitenkarte nachträglich weggenommen hat, als Gehilfen der zuvor schon vollendeten Verkehrsunfallflucht (§ 142 Abs. 1) verurteilt, weil der nachträgliche Helfer damit den Erfolg der noch nicht beendeten Haupttat kausal gefördert habe. 1 0 1 7 Dies ist nicht nur für die (stetig zunehmenden) Stimmen im Schrifttum fragwürdig, die - allerdings entgegen gefestigter Judikatur 1 0 1 8 und gegen wohl noch immer gewichtige Stimmen im Schrifttum 1 0 1 9 jedwede Form sukzessiver, d.h. nach vollendeter Haupttat geleisteter Beihilfe ausnahmslos ablehnen und nachträgliche Hilfen allein nach Maßgabe spezialgesetzlicher Tatbestände (z.B. §§ 257, 2 5 8 und 2 5 9 StGB) bestraft sehen wollen. 1 0 2 0 Rechtlich verfehlt ist die Verurteilung wegen nachträglicher Beihilfe zur Verkehrsunfallflucht zudem nicht zuletzt deshalb, weil allein durch die Wegnahme der Visitenkarte kein kausaler Tatbeitrag zur Ermöglichung, Förderung oder auch nur erleichterten Durchführung der betreffenden Tathandlung (Sichentfernen vom Unfallort) geleistet wird; bei anderer rechtlicher Beurteilung würde das für die Verurteilung wegen Beihilfe unverzichtbare Kausalitätserfordernis aufgegeben. 1021

192

(5) Auch für die Beihilfe speziell zu § 142 Abs. 2 und Abs. 3 S. 1 kommt es somit ausschließlich darauf an, ob die dem Täter zuteil gewordene Hilfe die Haupttat ermöglicht oder jedenfalls gefördert hat. Weil sich das tatbestandliche Unrecht der Absätze 2 und 3 in der Nichtvornahme der von der Gebotsnorm geforderten Aktivitäten erschöpft

So zu § 142 a.F. schon BGH VRS 16 (1959) 2 6 7 und VRS 2 5 (1963) 36. 1017 j Z 1 9 8 1 241 (nachdrücklich ablehnend Bottke JA 1980 3 7 9 und Küper J Z 1981 S. 2 0 9 ff und 251 ff); Zustimmung bei Bär/ Hauser/Lehmpuhl I 3/e, Hentschel/König Rdn. 54 sowie neuerdings auch bei Zopfs MK Rdn. 51 und 124. Berechtigte Ablehnung jedoch bei Rudolphi SK Rdn. 53, Schild NK Rdn. 117, Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 83 und Fischer Rdn. 61 - alle je zu § 142 - sowie bei Kühl J Z 2 0 0 5 837. Zu einem ähnlichen Fall (Beihilfe in Form nachträglicher Falschaussage durch den Bruder des Unfallfahrers) s. auch OLG Zweibrücken VRS 71 (1986) 4 3 7 ; zustimmend Janiszewski NStZ 1986 540. 1 0 1 8 So schon RGSt 71 194 sowie BGHSt 6 251, 19 325 und zuletzt NStZ 1996 564, 1999 6 0 9 und 2 0 0 0 31: allseits gefestigte Rechtsprechung. Den gegenteiligen Rechtsstandpunkt (also: strafbare Beihilfe nur bis zur formellen Deliktsvollendung) hat erst jüngst aber das AG Blomberg (Beschl. v. 2 9 . 5 . 2 0 0 8 - 1 Ds 35 Js 2417/07) vertreten. 1019 Ygi j e w e ü s m.w.N. Baumann/Weber/ 1016

854

1020

1021

Mitsch, Strafrecht AT, 31/25 (S. 745), Jescheck/Weigend, AT, S. 6 9 2 sowie bei Sch/Schröder/Cramer/Heine Rdn. 17 und Fischer Rdn. 4: alle zu § 27. Weiterführend Roxin LK 1 1 Rdn. 32 ff, Schünemann LK Rdn. 4 2 ff, Hoyer SK Rdn. 18, Schild NK Rdn. 17 und Lackner/ Kühl Rdn. 3: alle zu § 2 7 und m.w.N.; zusammenfassend Geppert JURA 1999 2 7 2 f. So speziell für § 142 auch Schild NK Rdn. 117. So nachdrücklich auch Küper J Z 1981 2 5 6 ; ebenso Engelstädter S. 129, Rudolphi SK Rdn. 53, Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 83, Fischer Rdn. 61 und Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 49/65 (S. 632). In seiner neuesten Äußerung zur Möglichkeit sukzessiver Beihilfe zu § 142 Abs. 1 lässt Küper eine strafbare Beihilfe nur dann zu, wenn „der Unfallbeteiligte durch die weitere Distanzierung vom Unfallort („sich entfernt") die vom Tatbestand geschützten Beweissicherungschancen intensiver und nachhaltiger beeinträchtigt" (NStZ 2 0 0 8 604); ähnlich wohl auch Zopfs MK Rdn. 51 und 124.

Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

(dazu bereits Rdn. 122), setzt die Verurteilung zu entsprechender Beihilfe ein Verhalten des Helfers voraus, das den Entschluss des zum Handeln Verpflichteten, einem gesetzlichen Gebot nachzukommen (hier: sich zu melden und die erforderlichen Feststellungen durch andere! - wenigstens nachträglich zu ermöglichen), nachweisbar gefördert oder gefestigt hat; dies wird bei einer Straftat nach § 142 Abs. 2 in aller Regel nur in Form psychischer Beihilfe möglich sein. Zu Recht hat daher das BayObLG in einem Fall, in dem eine Mutter (im konkreten Fall „in dubio pro reo" zugunsten der Beteiligten unterstellt: ohne Wissen ihres den Unfall verursachenden Sohnes) das Unfallfahrzeug nachträglich vom Unfallort weggefahren (und damit das Nichtentdecktwerden des Täters ersichtlich gefördert) hat, eine strafbare Beihilfe mangels kausalen Förderungsbeitrages verneint: ein solches Verhalten laufe zwar dem Schutzzweck der Norm zuwider, habe den Entschluss des Haupttäters jedoch nicht beeinflusst.1022 Nur wenn eine nachträgliche Vertuschungsmaßnahme mit Wissen des Unfallbeteiligten erfolgt, kann sie als Bestärkung des Tatentschlusses in Form psychischer Beihilfe strafbar sein. 1023 3. Besonderheiten a) zur Rechtswidrigkeit. Wie bereits ausgeführt, entfällt die Rechtswidrigkeit in den Fällen des Abs. 1 nach Maßgabe allgemeiner Rechtfertigungsgründe: gemäß § 34 also insbesondere bei drohenden Schäden für Leib oder Leben (des Unfallbeteiligten selbst oder anderer Beteiligter) infolge Verletzung durch den Unfall oder bei Bedrohung des Täters durch andere auf Grund des Unfalls; auf die Ausführungen in den Rdn. 126 ff kann verwiesen werden. Nach Wegfall der rechtfertigenden Situation trifft den Täter ausweislich von Abs. 2 jedoch die strafbewehrte Pflicht, die Feststellungen unverzüglich wenigstens nachträglich zu ermöglichen. Denkbare Rechtfertigungsgründe sind dabei nicht auf das Sichentfernen vom Unfallort, sondern auf das endgültige Vereiteln der Feststellungen zu beziehen; 1024 dabei ist ein strenger Maßstab angebracht. 1025 Zum dogmatischen Stellenwert einer (ausdrücklich oder jedenfalls konkludent) erklärten oder einer mutmaßlichen Einwilligung s. bereits Rdn. 76 ff (erklärte Einwilligung) und Rdn. 92 ff (mutmaßliche Einwilligung).

193

b) Wie bei den Rechtfertigungsgründen kommen auch auf der Schuldebene nur Ausschließungsgründe in Betracht, die den gesamten Unrechtstatbestand und nicht nur das Sichentfernen (Abs. 1) betreffen. 1026 Zu den Auswirkungen eines Unfallschocks, posttraumatischer Dämmerzustände und ganz allgemein von Kopflosigkeit, Bestürzung und Schrecken infolge der Verwicklung in einen Unfall auf den Vorsatz bereits Rdn. 167 ff und zur Frage, unter welchen Voraussetzungen in solchen Fällen eine Unfallflucht durch Sichentfernen vom Unfallort entschuldigt werden kann, bereits Rdn. 129 ff. 1027 Da die

194

1022 N

Z V

1990 398 = N

j

W

1990 1861 =

D A R

1990 2 3 0 ; umfassend dazu und im Ergebnis ebenfalls zustimmend Herzberg N Z V 1990 375 ff und Seelmann JuS 1991 2 9 0 ff. 1023 y\uf dieser Linie im Schrifttum auch Rudolphi SK Rdn. 53, Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 82 und HentscheU König Rdn. 54. 1 0 2 4 Zutreffend Janiszewski Rdn. 5 2 4 . 1025 N a c h Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 4 9 / 6 4 (S. 631) und Schild NK Rdn. 152

scheidet eine Rechtfertigung durch § 3 4 aus, da bereits auf der Tatbestandsebene ein „unverzügliches" Handeln erforderlich ist. 1026 Ebenso Janiszewski Rdn. 525. 1 0 2 7 Aus der Fülle einschlägiger Rechtsprechung s. vor allem BGH VRS 9 (1955) 352, VRS 2 0 (1961) 47, VersR 1966 458 und 1967 2 9 sowie OLG Köln NJW 1967 1521, OLG Hamm VRS 37 (1969) 431 und VRS 4 2 (1972) 2 4 sowie KG VRS 67 (1984) 258.

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§142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Wirkung derartiger unfallbedingter Ausnahmezustände und alkoholbedingte Beeinträchtigungen der Zurechnungsfähigkeit durch Zeitablauf abnehmen, wird ein Schuldausschluss im Fall von Abs. 2 somit noch seltener anzunehmen sein als unter den Voraussetzungen des Abs. I . 1 0 2 8 So ist von einem z.B. länger dauernden Unfallschock in einer die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Stärke wohl allenfalls erst auszugehen, wenn er in Verbindung mit einer Gehirnerschütterung oder einer sonstigen Gehirnverletzung steht und entweder Symptome für eine solche Verletzung (z.B. Kopfschmerzen, Übelkeit oder Erbrechen) vorhanden sind oder bei dem Täter eine psychische Vorbelastung (z.B. eine generelle Bereitschaft zu Erregungszuständen1029) vorgelegen haben könnte, wie sie im Allgemeinen Voraussetzung eines seelischen Ausnahmezustandes ist und nicht nur das Maß an innerer Erregung offenbart, das mit jedem schweren Unfallerlebnis verbunden ist. Fehlen äußere Indizien dieser Art, ist in aller Regel eine sachverständige Beratung des Tatrichters nicht geboten. 1030 195

Somit bleibt für einen die Tat nach § 142 insgesamt betreffenden Schuldausschluss neben einem fortdauernden möglichen Verbotsirrtum (dazu bereits Rdn. 166) oder einer (nicht notwendig unfallbedingten) generellen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit vor allem eine mögliche Entschuldigung auf Grund der Gefahr eigener Strafverfolgung.1031 Hierbei ist zu differenzieren: (1) Die Gefahr, bei Verweilen an der Unfallstelle wegen eines fahrlässig verursachten Unfalls (z.B. nach §§ 222, 229, 315c, 315b oder 316) bestraft zu werden, führt nach der Konzeption des Gesetzes nicht zu entschuldigender Unzumutbarkeit; andernfalls würde der Schutz des § 142 praktisch weitestgehend leer laufen. 1032 Handelt es sich bei § 142 um eine im Beweissicherungsinteresse der am Unfall beteiligten oder durch ihn geschädigten Verkehrsteilnehmer kodifizierte (grundsätzlich verfassungskonforme: dazu bereits Rdn. 63 f) Ausnahme vom Prinzip strafloser Selbstbegünstigung, lässt Sinn und Zweck dieser Strafvorschrift keinen Raum für die zusätzliche Berücksichtigung von Unzumutbarkeitsaspekten. Das war schon für § 142 a.F. anerkannt 1033 und gilt gleichermaßen auch heute. 1034

196

(2) Umstritten ist die Frage entschuldigender Unzumutbarkeit wegen der Gefahr eigener Strafverfolgung, wenn der Schaden von einem der Beteiligten vorsätzlich herbeigeführt wurde. Diese Frage stellt sich allerdings nicht für jene Stimmen im Schrifttum, die in einem solchen Fall (entgegen BGHSt 24 382 ff und der wohl h.M. im Schrifttum: dazu bereits Rdn. 26) schon das Vorliegen eines den Anwendungsbereich des § 142 überhaupt

1028 1029

1030

1031

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Ebenso Schild NK Rdn. 153. Äußere Anzeichen dafür: Kreislaufstörungen, starkes Zittern, extreme Hautblässe u.a. S. dazu auch KG VRS 6 7 (1984) 2 5 8 ff. So jedenfalls KG VRS 6 7 (1984) 258 ff. Zu schuldausschließenden Ausnahmezuständen infolge Unfallschock, posttraumatischer Dämmerzustände einerseits und alkoholbedingter Fehlreaktionen andererseits auch Ilse Barhey Blutalkohol 1992 2 5 2 ff und Zabel Blutalkohol 1983 328 ff. Ausführlich dazu Ulsenheimer GA 1972 1 ff und Magdowski S. 139 ff; speziell zu

entschuldigender Unzumutbarkeit bei vorsätzlich herbeigeführtem Unfall auch Hartmann-Hilter N Z V 1995 3 4 0 ff. 1 0 3 2 So schon RG DR 1940 154 sowie BGHSt 5 128 und BGH VRS 10 (1956) 2 2 0 : insoweit unbestritten. 1033 Offengelassen zwar bei LG Duisburg NJW 1969 1263; so aber eindeutig BVerfGE 16 191 ff und BGHSt 5 127 ff und 9 2 6 9 sowie Roxin NJW 1969 2 0 4 0 , Geppert GA 1970 12 und Ulsenheimer GA 1972 13 f: alle zur früheren Fassung von § 142. 1 0 3 4 Ebenso Magdowski S. 140 und Hecker GA 1997 401.

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§ 142

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

erst eröffnenden „Unfalls im Straßenverkehr" verneinen. 1035 Mit dem LG Duisburg (NJW 1969 1261) scheinen einige Autoren selbst bei Annahme eines „Verkehrsunfalles" dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit jedenfalls bei vorsätzlich herbeigeführtem Unfall Raum geben zu wollen: zum einen im Hinblick auf die Rechtsnatur des § 142 als eines echten oder jedenfalls verkappten Unterlassungsdelikts und zum andern mit Rücksicht auf die gegenüber einem nur fahrlässig verursachten Unfall veränderte besondere Motivationslage. 1036 Entgegen meiner früher geäußerten Zustimmung zu dieser Rechtsposition (GA 1970 1 ff), die ich nicht mehr aufrechterhalte, ist es demgegenüber nur folgerichtig, mit BGHSt 24 382 ff und zwischenzeitlich gefestigter obergerichtlicher Judikatur auch dem einen Unfall vorsätzlich verursachenden Täter ein Verweilen an der Unfallstelle zumuten zu müssen. Nach der Konzeption des Gesetzes ist es ausgeschlossen, einen Vorsatztätet gegenüber einem nur fahrlässig Handelnden in der Weise zu privilegieren, dass man zu seinen Gunsten besondere Zumutbarkeitsüberlegungen anstellt. 1037 (3) Umstritten ist die Frage entschuldigender Unzumutbarkeit schließlich auch dann, wenn der Täter durch die Befolgung des Normgebotes Gefahr läuft, Straftaten, die nicht im Zusammenhang mit dem Schadensereignis begangen worden sind, offenbaren zu müssen. 1038 Offenbar wie selbstverständlich mutet die Rechtsprechung einem Unfallbeteiligten in solchen Fällen eine Wartepflicht nicht nur zu, wenn er das Unfallfahrzeug zuvor durch Diebstahl, 1 0 3 9 Unterschlagung 1040 oder unter den Voraussetzungen des § 2 4 8 b 1 0 4 1 entwendet oder sich bei Benutzung des Unfallfahrzeuges nach § 21 StVG (Fahren ohne Fahrerlaubnis) 1042 oder nach § 2 3 9 S t G B 1 0 4 3 strafbar gemacht hat, sondern selbst dann, wenn die Straftat, deretwegen der Wartepflichtige strafrechtliche Konsequenzen befürchtet, mit dem Straßenverkehr überhaupt keinen Zusammenhang aufweist: so etwa, wenn es sich um einen entwichenen Strafgefangenen 1044 oder eine Person handelt, der bei Eintreffen der Polizei an der Unfallstelle wegen des Verdachts einer früher begangenen Straftat die Festnahme droht 1 0 4 5 . Auf das gleiche Ergebnis, d.h. auf die generelle Zumutbarkeit der Wartepflicht läuft es hinaus, wenn man diese Konstellation mit Ulsenheimer (GA 1972 22 ff) strukturell mit dem gesetzlich vertypten Entschuldigungsgrund des § 35 vergleicht und eine entschuldigende Unzumutbarkeit von hier aus

1035

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1037

Auf dieser Linie neben anderen etwa Magdowski S. 140 (i.V. mit S. 89 ff), Eich MDR 1973 814 ff sowie Hartmann-Hilter N Z V 1995 3 4 0 ff. So Roxin NJW 1 9 6 9 2 0 4 0 („veränderte Motivationslage") und so auch noch Ceppert GA 1970 14 („außergewöhnliche seelische Zwangslage"). Ebenso OLG Koblenz VRS 56 (1979) 3 4 2 und BayObLG DAR 1985 326 sowie JR 1987 2 4 6 (letzterenfalls wurde der Aspekt der Unzumutbarkeit überhaupt nicht angesprochen); auf dieser Linie (gegen LG Duisburg NJW 1969 1261) schon Oppe NJW 1969 1261 sowie die wohl hM auch im Schrifttum: vgl. Berz JuS 1973 561, Eich MDR 1973 816, Forster NJW 1972 2 3 2 0 , Hentschel J R 1987 248, Hentschel/König Rdn. 2 4 und Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 4 9 / 4 8 (S. 627).

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Zu dieser Konstellation vor allem Ulsenheimer GA 1972 16 ff und Magdowski S. 140 ff. Grundlegend BGHSt 2 4 382 ff; so zuvor schon BGH (4 StR 290/56): zit. nach Martin DAR 1 9 5 7 64. B G H

V R S

3 8

( 1 9 7 0 )

3 4 1

BGHSt 9 267. BGHSt 2 4 3 8 2 und BGH nach Martin DAR 1957 64. BGH (4 StR 420/55) VRS 10 (1956) 2 2 0 sowie BGH (2 StR 370/51): zit. nach VRS 10 (1956) 2 2 0 . BayObLG (1 St 48/73): zit. nach Rüth DAR 1974 177. BGH (4 StR 315/56): zit. nach Martin DAR 1957 64.

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§142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

nur dort anerkennt, wo der Täter im Rahmen seiner Notstandstat den Eintritt einer anderen Rechtsgutsverletzung verhindert und durch seinen Normverstoß damit jedenfalls einen anderen Erfolgswert schafft, woran es bei der Verletzung des § 142 durch den Unfallbeteiligten jedoch fehle. 1046 Demgegenüber gibt es aber auch vereinzelte Stimmen im Schrifttum, die eine Pflichterfüllung in dieser Sachverhaltsvariante im Hinblick auf das Selbstbegünstigungsinteresse des an sich Wartepflichtigen für generell unzumutbar erachten. 1047 198

Zustimmung verdient in diesem Streit eine vermittelnde Position: Wer auch in Abs. 1 von § 142 phänotypisch ein echtes oder jedenfalls ein verkapptes Unterlassungsdelikt sieht, das dem Unfallbeteiligten eine Sonderpflicht abverlangt, deren Nichterbringung denselben Maßstäben wie ein Unterlassen unterliegt (dazu bereits Rdn. 69), für den ist auch bei § 142 - insoweit ähnlich wie bei § 323c 1 0 4 8 - durchaus Raum, in engen Grenzen Zumutbarkeitserwägungen zur Anwendung gelangen zu lassen. 1049 Generell ausgeschlossen ist dies nur dort, wo schon der Gesetzgeber einen Ausnahmetatbestand geschaffen hat, mit dem das Selbstbegünstigungsstreben des Täters zugunsten anderer Güter/Interessen eingeschränkt werden sollte. Wie schon erläutert (Rdn. 195 f), hat der Gesetzgeber dem Täter das Selbstbelastungsrisiko in § 142 aber nur hinsichtlich der mit der Unfallverursachung verwirklichten Straftaten aufgebürdet. Anders ist es in der vorliegenden Variante, weil die anlässlich eines Unfalls bezüglich früher begangener Straftaten entstehende Selbstbelastungsgefahr erkennbar außerhalb des Normzwecks der Vorschrift liegt. Ebenso wie bei § 323c kommt es für die Zumutbarkeit der Gebotserfüllung somit auf die Umstände des Einzelfalles und demzufolge auf ein angemessenes Verhältnis zwischen Art/Höhe sowie Größe des Risikos der dem Unfallbeteiligten drohenden Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung einerseits und dem Beweissicherungsinteresse des Unfallgegners andererseits an. Nach Lage des Falles abzuwägen ist somit, ob die befürchtete Strafe im Vergleich zu dem den Feststellungsberechtigten drohenden Beweisverlust nicht unverhältnismäßig hoch ist. Besonders wichtiges Kriterium ist dabei die Nähe der Straftat zu der den tatbestandlichen Schutzbereich des § 142 eröffnenden Unfallbeteiligung. Extremfall einer unzumutbaren Pflichterfüllung ist so gesehen wohl die Gefahr für einen steckbrieflich gesuchten Kapitalverbrecher oder einen entwichenen Strafgefangenen, der nach einem von ihm verursachten Verkehrsunfall angesichts eines nur geringfügigen Blechschadens auf die Polizei zu warten verpflichtet wäre. 1050 Weist die Straftat, deretwegen dem Täter strafgerichtliche Konsequenzen drohen, jedoch einen Zusammenhang (zwar

1046

Zustimmend

1047

So vor allem Friemel, Verkehrsunfallflucht (Diss. jur. Saarbrücken 1 9 6 1 ) , S. 9 2 f und ebenso nunmehr auch Hartmann-Hilter, Warten am Unfallort - eine unabwendbare Pflicht? ( 1 9 9 6 ) , S. 51 ff: In solchen Fällen habe bereits tatbestandsregulierend eine Interessenabwägung zwischen dem Selbstbegünstigungsinteresse des Unfallbeteiligten und dem Beweissicherungsbedürfnis der Feststellungsberechtigten stattzufinden; bei Gefahr der Strafverfolgung wegen einer vor dem Unfall begangenen Straftat führe diese Abwägung schon zur Verneinung des Tat-

Rudolpbi SK vor § 13 Rdn. 3 3 und ders. SK § 3 5 Rdn. 2 ff; ebenso Berz JuS 1 9 7 3 5 6 1 .

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bestandes. Dagegen ausdrücklich Hecker GA 1 9 9 7 4 0 1 . 1 0 4 8 Dazu zusammenfassend Geppert JURA 2 0 0 5 3 9 ( 4 5 f). 1049 Hierzu und zum Folgenden vor allem Magdowski S. 141 ff; auf dieser Linie im Schrifttum auch Arzt/Weber B T 3 8 / 6 3 (S. 8 4 9 ) , Roxin N J W 1 9 6 9 2 0 4 0 und wohl auch Fischer Rdn. 6. Generell zu den Zumutbarkeitskriterien im Rahmen von § 1 4 2 auch Römer M D R 1 9 8 0 8 9 ff. 1050 G e g e n b g h n a c h Martin DAR 1 9 5 7 6 4 und BayObLG nach Rüth DAR 1 9 7 4 1 7 7 zu Recht Magdowski S. 1 4 3 ; ebenso Hartmann-Hilter, Warten am Unfallort ( 1 9 9 6 ) , S. 5 3 .

Klaus G e p p e r t

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

nicht unmittelbar mit dem „Verkehrsunfall", wohl aber) mit der Teilnahme am Straßenverkehr überhaupt und damit immerhin mittelbar auch mit dem Normzweck der Vorschrift auf, wird die Abwägung in aller Regel gegen das Selbstbelastungsrisiko ausfallen: so etwa, wenn das Unfallfahrzeug vom Täter zuvor in deliktischer Weise entwendet wurde (§§ 242, 246 oder 248b), der Täter bei Benutzung des Fahrzeugs eine Freiheitsberaubung begangen hat oder wenn es um § 21 StVG (Fahren ohne Fahrerlaubnis) geht. Dabei ist ein strenger Maßstab angebracht; 1051 der Maßstab des § 139 Abs. 3, wie ihn Rogall1052 als verallgemeinerungsfähige gesetzgeberische Leitlinie empfiehlt, ist wohl zu eng. Ist trotz vorhandener besonderer Zwangslage die Zuerkennung einer entschuldigenden Unzumutbarkeit nicht möglich, ist an eine Milderung im Wege der Strafzumessung 1053 oder sogar an eine Einstellung nach Maßgabe der §§ 153 und 153a StPO zu denken. 4. Tätige Reue (Abs. 4). Nach der durch das 6. StrRG mit Wirkung zum 1. April 1998 eingeführten neuen Regelung des Abs. 4 1 0 5 4 hat das Gericht die nach Abs. 1 oder Abs. 2 an sich gebotene Strafe entweder nach § 49 Abs. 1 (obligatorisch) zu mildern oder (fakultativ) gänzlich von einer Bestrafung abzusehen, wenn der zunächst flüchtende Täter innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach einem Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs, der ausschließlich nicht bedeutenden Sachschaden zur Folge hat, freiwillig die nach Abs. 3 erforderlichen Feststellungen ermöglicht. Dem Täter soll damit eine „goldene Brücke" gebaut werden, im Interesse des Unfallgegners auch nach Deliktsvollendung in angemessener Zeit die in Abs. 2 umschriebenen Feststellungen zu ermöglichen. 1055 Damit trägt die Regelung partiell auch den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die bisherige Fassung (dazu schon Rdn. 63 f) Rechnung. 1056 Dogmatisch stellt die Regelung einen persönlichen Strafmilderungs- bzw. Strafabsehensgrund dar, der nach § 28 Abs. 2 nur für den „reuigen" Täter gilt und die Strafhaftung von Teilnehmern unberührt lässt; da selbst bei nachträglicher Ermöglichung der erforderlichen Feststellungen durch den Täter eine teilnahmefähige (vollendete) Haupttat bestehen bleibt, profitiert ein Teilnehmer von der Regelung des Abs. 4 also nur bei eigenem Zutun. 1 0 5 7 Hat aber z.B. ein nichtunfallbeteiligter Ehemann seine unfallbeteiligte Ehefrau zur Unfallflucht angestiftet und dann später unter den Voraussetzungen des Abs. 4 die erforderlichen Feststellungen ermöglicht, ist die Regelung zugunsten selbst eines Nicht-Unfallbeteiligten analog anzuwenden. 1058

So auch Cramer 4 5 (Zumutbarkeit des Wartens sei allenfalls „ bei geringeren Schäden" zu verneinen). 1 0 5 2 Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst (1977), S. 160. 1053 Ulsenheimer (GA 1972 S. 26) befürwortet von seinem Ausgangspunkt aus sogar eine obligatorische Strafmilderung. 1054 Hier ist eine Regelung aufgegriffen, die in ähnlicher Form schon in § 2 2 Abs. 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahr1051

zeugen (RGBl. 1 9 0 9 / 4 3 7 ) vorhanden war. Zur Entstehungsgeschichte im Einzelnen s. zusätzlich zu den einleitenden Ausführungen auch Bönke N Z V 1998 129, Böse StV 1998 509, Schulz NJW 1998 1440 und Janker JBVerkR 1999 211 (214 f). 1055 ßTDrucks. 13/8587, S. 57. 1 0 5 6 Ebenso Wolters J Z 1998 398. 1 0 5 7 Ebenso Böse StV 1998 510. 1 0 5 8 Ebenso Grohmann DAR 1998 4 8 8 .

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200

a) Da gesetzgeberisches Leitbild der neuen Regelung erklärtermaßen Unfälle beim Parken sind, 1 0 5 9 wie sie einem Großteil aller Verkehrsunfallfluchten vorausgehen, 1 0 6 0 ist der Anwendungsbereich der Vorschrift vom Gesetz in doppelter Weise eingeschränkt: Straffreiheit bzw. Strafmilderung kann nur der Täter erlangen, der aa) lediglich einen „Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs" verursacht hat, sofern dieser bb) „ausschließlich nicht bedeutenden Sachschaden" zur Folge gehabt hat. Beide Einschränkungen haben ihren Grund darin, dass die Beweisinteressen des Geschädigten bei Unfällen im ruhenden Verkehr und nicht zuletzt solchen mit nur unbedeutendem Sachschaden auch bei nachträglicher Meldung der Unfallbeteiligung weitgehend gewahrt bleiben. 1 0 6 1 Zu den Voraussetzungen im Einzelnen:

201

aa) Mit der Einschränkung auf Unfälle „außerhalb des fließenden Verkehrs" hat der Gesetzgeber an Unfälle im ruhenden Verkehr gedacht und ganz bewusst nur diese dem Anwendungsbereich des Abs. 4 unterstellt. 1 0 6 2 Im Gegensatz zum ruhenden Verkehr, der sich ausweislich von § 12 StVO aus haltenden und parkenden Fahrzeugen zusammensetzt, 1 0 6 3 ist fließender Verkehr der Verkehr auf den Fahrbahnen, soweit es sich nicht um ruhenden Verkehr (z.B. Parken am Fahrbahnrand) handelt; als solcher hat er Vorrang vor dem ruhenden und vor dem Verkehr auf allen anderen Verkehrsflächen. 1 0 6 4 Somit sind jedenfalls Schäden aus gegenseitigem Begegnungsverkehr aus dem Anwendungsbereich des Abs. 4 ausgeschlossen. Umstritten ist jedoch, ob sich das Merkmal „außerhalb des fließenden Verkehrs" allein auf das geschädigte Fahrzeug bzw. die bei dem Unfall beschädigte Sache (z.B. Hauswände, Gartenzäune, Verkehrsschilder, Leitplanken, Straßenbäume usw.) bezieht und demzufolge alle parkenden Fahrzeuge erfasst 1 0 6 5 oder aber das Unfallereignis als solches keine Beziehung zum fließenden Verkehr haben darf und demzufolge Abs. 4 nicht anzuwenden ist, wenn der Unfallverursacher den Unfall aus dem fließenden Verkehr heraus verursacht h a t . 1 0 6 6 Damit aber wären z.B. Streifschäden beim Vorbeifahren an parkenden Fahrzeugen nicht erfasst; erfasst wären ausschließlich Schäden beim Ein- und Ausparken oder beim Rangieren und der Anwendungsbereich der neuen Vorschrift in der Praxis damit auf ein Minimum verkümmert. Dies entspricht weder zwingend dem Wortlaut des Gesetzes noch folgt dies aus der den Gesetzgeber leitenden kriminalpolitischen Intention; denn in aller Regel ist auch in diesen Fällen von

1059 BTDrucks. 13/8587 (Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates) S. 80 sowie BTDrucks. 13/9064 (Bericht des Rechtsausschusses) S. 10. 1060 Zu einschlägigen Schätzungen vor allem Janiszewski DAR 1994 4 und Zopfs DRiZ 1994 89; weiteres statistisches Material bei Böse StV 1998 510 mit Fn. 22. 1061 j ) j e s n i c Jjt zuletzt vor dem Hintergrund der § § 7 und 17 StVG, wonach im Rahmen der nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Abwägung in aller Regel von einer Alleinhaftung des auf ein ordnungsgemäß geparktes Fahrzeug auffahrenden Verkehrsteilnehmers auszugehen ist. Dazu auch Böse StV 1998 511, Bönke NZV 1998 130 und Zopfs DRiZ 1994 90.

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1062 BTDrucks. 13/8587, S. 57. 1063 1064 1065

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BVerwG VRS 46 (1974) 236. M.w.N. OLG Köln VRS 98 (2000) 122. So etwa Bönke NZV 1998 130, Böse StV 1998 512, Grobmann DAR 1998 487 sowie Rudolphi SK Rdn. 56, Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 88, Zopfs MK Rdn. 130 und Schild NK Rdn. 122; zweifelnd Wolters JZ 1998 398. So OLG Köln VRS 98 (2000) 122 (Fahrzeug stößt beim Abbiegen an zwei an ein Verkehrszeichen angekettete Fahrräder); zustimmend Himmelreich/Lessing NStZ 2000 299. Auf dieser Linie auch Hentschel NJW 1999 688, Hentschel/König Rdn. 69, Lackner/Kühl Rdn. 38, Fischer Rdn. 63, Himmelreich/Bücken Rdn. 227c und Jagow/Burmann/Heß Rdn. 33a.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

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einer Alleinhaftung des auffahrenden/streifenden Verkehrsteilnehmers auszugehen. Zudem lässt sich bezweifeln, ob nicht auch schon das Ein- oder Ausparken als solches bereits zum fließenden Verkehr gehört. 1 0 6 7 Das Auffahren auf ein verkehrsbedingt oder aus sonstigen Gründen (z.B. Ampel, Stau, Verkehrszeichen, Halt durch Polizei) im Bereich des fließenden Verkehrs haltendes Fahrzeug scheidet hingegen aus. 1 0 6 8 bb) Durch die Ausklammerung jeglicher Personenschäden und die Begrenzung der Vorschrift auf Unfälle mit „ausschließlich nicht bedeutendem Sachschaden" 1 0 6 9 ist bewusst ein Gleichklang mit § 69 Abs. 2 Nr. 3 erfolgt; damit sollen verkehrspolitisch unerwünschte Wertungswidersprüche mit der dort enthaltenen Vermutung, einen Täter bei bedeutenden Sachschäden in aller Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ansehen zu dürfen, ausgeschaltet sein. 1 0 7 0 Welche Schadenspositionen im Einzelnen dabei zu berücksichtigen sind und wann der Sachschaden in diesem Sinn „nicht bedeutend" ist, ist bewusst nicht gesetzlich festgelegt und bestimmt sich ebenso wie bei § 69 Abs. 2 Nr. 3 nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten unter Berücksichtigung der allgemeinen Einkommens- und Preisentwicklung sowie der für die Behebung des Schadens zur Tatzeit erforderlichen Kosten. 1 0 7 1 Ausweislich jüngerer Rechtsprechung liegt die Grenze derzeit (Herbst 2008) bei ca. 1300 E u r o 1 0 7 2 (tendenziell bereits bis zu 1500 Euro wachsend). 1 0 7 3 Angesichts inzwischen etwa gleicher Preissituationen ist ein Abschlag für die neuen Bundesländer nicht (mehr) angebracht. 1 0 7 4 In Zweifelsfällen sollte der Tatrichter von der höchsten noch vertretbaren Schadensobergrenze ausgehen. 1 0 7 5 Auf die Ausführungen zu § 69 wird insgesamt verwiesen (dort Rdn. 84 f). Anders als in § 6 9 Abs. 2 Nr. 3, wo hinsichtlich der Schadensfolge bloße Fahrlässigkeit („weiß oder wissen kann") ausreicht (Rdn. 82 zu § 69), kommt es für § 142 Abs. 4 nicht auf die irrtümliche Annahme des Unfallbeteiligten von einem nur „unbedeutendem Sachschaden" an; denn da es sich um eine prozessuale Privilegierung handelt, kommt es auch hier allein auf die

So tendenziell auch Wolters J Z 1998 398. Ebenso Fischer Rdn. 63 und Schild NK Rdn. 112. 1 0 6 9 Trotz des von § 69 Abs. 2 Nr. 3 (dort: „an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden") abweichenden Wortlauts bezieht sich die „Ausschließlichkeit des nicht bedeutenden Sachschadens nur auf den Fremdschaden; Personenschäden sind ausgeschlossen (Fischer Rdn. 64). 1070 BTDrucks. 13/8587 (Gegenäußerung der Bundesregierung zu der im Vorschlag des Bundesrates - BTDrucks. 13/8587 S. 5 7 noch nicht enthaltenen Begrenzung auf „nicht bedeutende" Sachschäden) S. 80 und BTDrucks. 13/9064 (Bericht des Rechtsausschusses) S. 10. Zum Spannungsverhältnis speziell zwischen § § 6 9 Abs. 2 Nr. 3 und 142 Abs. 4 s. im Übrigen Herbert Schäfer N Z V 1 9 9 9 190 f. 1067 1068

1071

Zu den „Wertgrenzen für den Sachschaden bei tätiger Reue i.S. von § 142 Abs. 4

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StGB" erst jüngst Florian Bach DAR 2 0 0 7 6 6 7 f. S. für viele nur OLG Dresden N Z V 2 0 0 6 104 und OLG Jena N Z V 2 0 0 5 4 3 4 sowie LG Berlin NStZ-RR 2 0 0 7 281, LG Wuppertal DAR 2 0 0 7 660, LG Gera N Z V 2 0 0 6 105, LG Dresden N Z V 2 0 0 6 104 sowie LG Braunschweig zfs 2 0 0 5 100; s. auch den Überblick bei Himmelreich/Halm NStZ 2 0 0 5 319 und bei Himmelreich DAR 2 0 0 6 289. S. etwa AG Saalfeld DAR 2 0 0 5 52; insoweit nachdrückliche Zustimmung bei Florian Bach DAR 2 0 0 7 6 6 8 sowie tendenzielle

Befürwortung bei Sch/Schröder/Stree § 69

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Rdn. 37 („zur Zeit etwa ab 1200 bis 1500 Euro"). So schon Grohmann DAR 1998 4 8 7 und so nunmehr ausdrücklich auch OLG Dresden N Z V 2 0 0 6 104. Grohmann DAR 1998 487.

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202

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

tatsächliche und nicht auf die vom Unfallbeteiligten angenommene Schadenshöhe a n . 1 0 7 6 Z u mittelbaren Rechtsfolgen in solchen Irrtumsfällen nachfolgend Rdn. 211. 203

b) Die mit der tätigen Reue geforderte „Riicktritts"handlung, die auch durch eine beauftragte Person erfolgen k a n n , 1 0 7 7 besteht für den Unfallbeteiligten darin, aa) innerhalb einer Frist von vierundzwanzig Stunden bb) die nach Abs. 2 erforderlichen Feststellungen nachträglich zu ermöglichen, und zwar cc) freiwillig. Bei Fehlen einer dieser gesetzlichen Voraussetzungen kommt allenfalls eine (fakultative) Strafmilderung oder eine Einstellung aus strafprozessualen Gründen (dazu nachfolgend Rdn. 2 1 1 ) in Betracht. Angesichts der parlamentarischen Entstehungsgeschichte und der vom Gesetzgeber ersichtlich als abschließend gedachten Regelung ist eine analoge Anwendung (etwa nach dem Vorbild von § 3 0 6 e 1 0 7 8 ) ausgeschlossen; 1 0 7 9 fehlt es an einer der gesetzlichen Voraussetzungen, kann dies in analoger Anwendung von § 142 Abs. 4 ggf. jedoch zugunsten des Täters zum Ausschluss der Regelvermutung des § 6 9 Abs. 2 Nr. 3 führen. 1 0 8 0 Zu den gesetzlichen Voraussetzungen im Einzelnen:

204

aa) Entgegen ursprünglicher Planung des Gesetzgebers 1 0 8 1 ist für die Rücktrittsfrist von vierundzwanzig Stunden ausweislich des Gesetzes nicht der Zeitpunkt der ggf. erst späteren Vollendung der Tat (zu diesem Zeitpunkt für Abs. 1 bereits Rdn. 118 ff und zum Zeitpunkt unverzüglicher Pflichterfüllung nach Abs. 2 Rdn. 153 ff) maßgeblich, sondern der Zeitpunkt des Unfalls. Entscheidend ist diesbezüglich im Übrigen die tatsächliche Unfallszeit, nicht die Kenntnis des Unfallbeteiligten vom Unfall oder seiner eigenen Unfallbeteiligung. 1 0 8 2 Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 spielt danach auch der Ablauf der fiktiven Wartefrist (Rdn. 123) keine R o l l e . 1 0 8 3 Ist die Unverzüglichkeitsfrist im Fall von Abs. 2 ausnahmsweise auch nach 2 4 Stunden noch nicht abgelaufen (Rdn. 153 ff), kommt eine Anwendung von Abs. 4 nicht mehr in Betracht; denn Abs. 4 schafft keine Sonderregelung der „Unverzüglichkeit" für die Beschädigung geparkter Fahrzeuge. Folgerichtig dazu muss die für die tätige Reue erforderliche nachträgliche Ermöglichung der Feststellungen ihrerseits innerhalb der 2 4 Stunden-Frist auch nicht „unverzüglich" erfolgen. 1 0 8 4 Wenn der Geschädigte als Unfallzeitpunkt nur einen längeren Zeitraum angeben kann (z.B. während einer dreistündigen Parkzeit), ist nach der Zweifelsregelung von der dem „reuigen" Täter günstigsten Zeit auszugehen. 1 0 8 5

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Wie hier Bönke N Z V 1 9 9 8 130, Böse StV 1 9 9 8 5 1 2 , Hentschel N J W 1 9 9 9 6 8 8 , Herbert Schäfer N Z V 1 9 9 9 1 9 0 , Fischer

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Rdn. 6 4 , Lackner/Kühl Rdn. 38, Zopfs M K Rdn. 131 und Janker JBVerkR 1 9 9 9 2 1 6 ; anders aber Grohmann DAR 1 9 9 8 4 8 7 . 1077

Ebenso Janker JBVerkR 1 9 9 9 2 1 2 und Grohmann VD 2 0 0 3 5.

1078

So aber andeutungsweise Otto Strafrecht: Die einzelnen Delikte, 8 0 / 7 0 (S. 4 5 2 ) . Ebenso Lackner/Kühl Rdn. 38. So mehrfach das LG Gera (erstmals StV 1 9 9 7 5 9 6 und dann auch in StV 2 0 0 1 3 5 7 und N Z V 2 0 0 6 1 0 5 : zustimmend Thomas Heinrich a a O S. 1 0 6 ) ; nachdrückliche Zustimmung auch bei Himmelreich DAR 2 0 0 1 4 8 6 und Lackner/Kühl Rdn. 3 8 .

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In der parlamentarischen Diskussion waren sowohl Meldefristen von zwei oder drei Tagen (Gesetzesantrag des Landes Hessen: BRDrucks. 4 0 0 / 9 3 ) als auch kürzere von nur wenigen Stunden vorgesehen. Angeschlossen hat sich der Gesetzgeber schließlich der Empfehlung des 2 4 . Dt. Verkehrsgerichtstages ( 1 9 8 6 ) : BTDrucks. 1 3 / 8 5 8 7

S. 57. Dazu auch Bönke N Z V 1 9 9 8 130. 1082 jsjicht überzeugend in diesem Punkt Grohmann DAR 1 9 9 8 4 8 7 f. 1083 1084

1085

Zutreffend Grohmann DAR 1 9 9 8 4 8 8 . Ebenso Fischer Rdn. 6 5 und Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 88. So im Ergebnis auch Grohmann 488.

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DAR 1 9 9 8

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

bb) Die Voraussetzungen des Abs. 4 sind jedenfalls erfüllt, wenn der Täter die gebotenen Feststellungen nachträglich so ermöglicht, wie sie in Abs. 3 S. 1 beispielhaft aufgeführt sind: also wenn der Unfallbeteiligte dem Berechtigten oder einer nahe gelegenen Polizeidienststelle die dort aufgeführten Mitteilungen macht und sein Fahrzeug für eine ihm zumutbare Zeit für die Feststellungen zur Verfügung hält (dazu bereits Rdn. 138 ff). Weil Abs. 3 S. 1 aber nur beispielhafte Möglichkeiten aufführt, wie der Unfallbeteiligte seiner Handlungspflicht nachträglich genügen kann, kann er auch andere Wege beschreiten, um seinen Mitteilungspflichten zu genügen: z.B. zum Unfallort zurückkehren (Rdn. 151) oder die Schadensabwicklung mit dem Geschädigten direkt regeln (Rdn. 152), soweit die nachträglichen Feststellungen dadurch in ausreichender Weise ermöglicht werden. 1 0 8 6 Die pauschale Verweisung auf Abs. 3 stellt zudem klar, dass eine Anwendung von Abs. 4 trotz formell korrekter Erfüllung seiner Voraussetzungen ausgeschlossen ist, wenn der Täter durch aktive Verhaltensmaßnahmen die gebotenen Feststellungen zwischenzeitlich absichtlich vereitelt hat (dazu bereits Rdn. 160 f f ) : 1 0 8 7 z.B. durch Beseitigung von Unfallspuren am Unfallort oder am Fahrzeug, durch Nachtrank oder durch Beeinflussung von Zeugen.

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cc) Die Handlung muss schließlich freiwillig erfolgen. 1 0 8 8 Wie bei den Rücktrittsregeln der § § 24 und 31 und wie zudem bei anderen spezialgesetzlichen Vorschriften tätiger Reue (z.B. §§ 83a, 2 6 4 Abs. 5, 265b Abs. 2, 306e, 314a oder 320) muss der Rücktritt danach aus autonomen, d.h. nicht unbedingt ethisch wertvollen Gründen, darf aber nicht auf Grund von außen gesetzten Zwangs erfolgt sein; auf die einschlägigen Kommentierungen kann verwiesen werden. Auch hier wird Reue, Scham oder Mitleid mit dem Opfer nicht erwartet; Angst vor Bestrafung steht der Anwendung von Abs. 4 also nicht entgegen (unbestritten). Daher schließt z.B. die Befürchtung, auf dem viel befahrenen Parkplatz eines Supermarkts als Täter erkannt und bei der Polizei angezeigt worden zu sein, die Freiwilligkeit solange nicht aus, wie dieser Befürchtung keine auf den Täter hinweisenden konkreten Tatsachen (z.B. am Unfallort verlorenes Kennzeichen oder Papiere, Verfolgung durch Feststellungsberechtigte o.ä.) zugrunde liegen. Selbst wenn der Täter dem Geschädigten oder der Polizei bereits als flüchtiger Unfallbeteiligter gemeldet ist, handelt dieser danach freiwillig, solange er von seiner Entdeckung noch nichts weiß. 1 0 8 9 Unfreiwillig handelt ein Täter, wenn er weiß oder jedenfalls annimmt, dass seine Unfallbeteiligung dem Geschädigten oder der Polizei bereits bekannt i s t ; 1 0 9 0 dies gilt auch dann, wenn er sich irrtümlich für entdeckt hält. 1 0 9 1 Umstritten ist, ob eine solche „Entdeckung" auch anzunehmen ist, wenn der Täter von der Polizei bereits informatorisch befragt oder sogar schon als Beschuldigter zum Vorwurf der Unfallflucht vernommen wird. Mit dem Hinweis, selbst bei plötzlicher Polizeipräsenz sei ein Verdächtiger nicht zur Einlassung gezwungen („nemo tenetur"), scheinen vereinzelte Stimmen im Schrifttum diese Frage bejahen und damit die Anwendbarkeit von Abs. 4 auch unter die-

206

Ausführlich Uwe Schulz N J W 1998 1440 ff. 1 0 8 7 Ebenso Bönke N Z V 1998 130 und Grobmann DAR 1998 488. 1088 Zur „Freiwilligkeit im Sinne des § 142 Abs. 4 StGB" ausführlich Grohmann VD 2 0 0 3 3 ff. 1 0 8 9 Ebenso Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 88, Zopfs MK Rdn. 132, Fischer Rdn. 65 sowie Bönke N Z V 1998 1086

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130 und Grohmann DAR 1998 4 8 8 sowie ders. in VD 2 0 0 3 4; anders aber offenbar jagow/Burmann/Heß Rdn. 33a und Lackner/Kühl Rdn. 38: jeweils unter Hinweis auf BRDrucks. 164/97. So ausdrücklich auch BTDrucks. 13/8587, S. 5 7 ; dem folgend Bönke N Z V 1998 130, Hentschel N J W 1 9 9 9 6 8 9 und Zopfs MK Rdn. 132. Ebenso Grohmann VD 2 0 0 3 5.

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sen Voraussetzungen nicht ausschließen zu wollen. 1 0 9 2 Doch wird man hier zu unterscheiden haben: Freiwillig handelt der Täter, wenn er bei der informatorischen Befragung noch mit keinerlei konkreten Verdachtsmomenten konfrontiert wird und angesichts (aus seiner Sicht) günstiger Beweislage nicht mit weiterer Entdeckung/Überführung rechnen muss. 1 0 9 3 Anders ist die Rechtslage jedoch, wenn der vor Ablauf der 24 Stunden-Frist als Unfallbeteiligter ermittelte Täter von der ihn aufsuchenden Polizei bereits als Beschuldigter vernommen wird und die Beweislage für ihn deutlich schlechter geworden ist; unter solchen Voraussetzungen kann er eine obligatorische Strafmilderung bzw. ein Absehen von Strafe nicht mehr mit der Behauptung erreichen, er habe sich noch vor Ablauf der Frist melden wollen. 1 0 9 4 Während für die Beurteilung der „Freiwilligkeit" erklärlicherweise immer auf die subjektive Sicht des reuigen Täters abzustellen ist, 207

c) kommt es im Rahmen des Abs. 4 ansonsten nur auf die objektive und nicht auf die vom Unfallbeteiligten subjektiv angenommene Sachlage an: dies allein schon nach der Gesetzeslage und zudem maßgeblich deshalb, weil es sich insofern nicht um eine Unrechts-, sondern um eine prozessuale Privilegierung handelt. Somit geht jeglicher Irrtum des Unfallbeteiligten über die objektiven Voraussetzungen der tätigen Reue voll zu Lasten des Unfallbeteiligten: 1095 und zwar der Fehlglaube, die 2 4 Stunden-Frist sei noch nicht abgelaufen, ebenso wie vor allem die in der Praxis nicht seltene Fehleinschätzung hinsichtlich eines nur unbedeutenden Sachschadens. In solchen Fällen ist allenfalls an eine (fakultative) Strafmilderung oder an die Einstellung des Verfahrens nach den §§ 153 und 153a StPO zu denken (dazu nachfolgend Rdn. 211). d) Rechtsfolgen

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aa) Sind die Voraussetzungen des Abs. 4 erfüllt, ist eine Strafmilderung zwingend vorgeschrieben; ausweislich von § § 4 9 Abs. 1 Nr. 2 i.V. mit 4 0 Abs. 1 S. 2 darf somit auf höchstens zwei Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe bzw. höchstens auf 2 7 0 Tagessätze erkannt werden. An dieser Verminderung des Strafrahmens hat sich dann auch die Strafzumessung zu orientieren.

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bb) Das Gericht kann aber auch von Strafe absehen. Nach pflichtgemäßem Ermessen wird es von dieser Möglichkeit vor allem Gebrauch machen, wenn entweder schon in der zu ahndenden Tat (z.B. Bagatellfälle) oder in der Person des Täters (z.B. keine einschlägigen Vorbelastungen oder eine Täterpersönlichkeit, die eine Wiederholungsgefahr eher unwahrscheinlich macht) besondere Unrechts- oder schuldmindernde Umstände vorhanden sind 1 0 9 6 oder ein Absehen von Strafe (statt nur obligatorischer Strafmilderung) wegen Besonderheiten bei Erfüllung der tätigen Reue naheliegt (z.B. Umfang oder Wichtigkeit

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So etwa Uwe Schulz N J W 1998 1441, Janker JBVerkR 1 9 9 9 217 und Feiertag ZAP 2 0 0 1 23. Auf dieser Linie auch Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 88 und so ersichtlich auch Zopfs MK Rdn. 132 (weitere Grenzfälle auch bei Zopfs DRiZ 1994 931 f). Hentschel/König Rdn. 6 9 und Grobmann VD 2 0 0 3 5 sowie Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 88 und Zopfs MK Rdn. 132; auf dieser Linie offenbar auch

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Himmelreich/Bücken Rdn. 227d (Freiwilligkeit zu verneinen, wenn der Täter seine Unfallbeteiligung „erst auf ausdrückliches Befragen einräumt"). Statt vieler: Bönke N Z V 1998 130, Böse StV 1998 512, Sander/Hohmann NStZ 1998 2 7 9 (mit Fn. 113) und Schäfer N Z V 1999 190 sowie Lackner/Kühl Rdn. 38, Fischer Rdn. 64, Schild NK Rdn. 112 und Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 88. Dazu vor allem Grohmann DAR 1998 488.

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des vom Täter nachträglich geleisteten Aufklärungsbeitrage oder im Hinblick auf die Schnelligkeit, mit der der reuige Täter diesen Beitrag erbracht hat). 1 0 9 7 Wenn die Voraussetzungen des Abs. 4 vorliegen, kann nach § 153b Abs. 1 StPO (mit Zustimmung des für die Hauptverhandlung zuständigen Gerichts) schon die Staatsanwaltschaft von der Erhebung der öffentlichen Anklage absehen; da ein Strafklageverbrauch damit nicht verbunden ist, können die Ermittlungen in diesem Fall aber jederzeit wieder aufgenommen werden. Ist die Klage bereits erhoben, kann (mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft) auch das Gericht das Verfahren einstellen (§ 153b Abs. 2 StPO); in diesem Fall ist die Wiederaufnahme der Ermittlungen nur zulässig, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel eine andere Würdigung der tätigen Reue ergeben. 1 0 9 8 Sieht das Gericht nach Abs. 4 von Strafe ab, ist sowohl ein Fahrverbot (§ 44) wie in aller Regel auch eine Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 69 und 69a) ausgeschlossen. Ein Fahrverbot (§ 44) ist schon deshalb ausgeschlossen, weil ein solches als Nebenstraie immer nur zusätzlich zu einer Freiheitsoder Geldstrafe ausgesprochen werden kann (Rdn. 8 zu § 44). Demgegenüber kann eine Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69) bzw. eine isolierte Sperrfrist (§ 69a) an sich auch bei abgesehener Strafe ausgesprochen werden, sofern nur ein entsprechender Schuldspruch erfolgt ist (Rdn. 17 zu § 69). Doch wird eine solche Maßregel in aller Regel schon deshalb ausscheiden, weil die Indizwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 im Anwendungsbereich der tätigen Reue („ausschließlich nicht bedeutender Sachschaden"!) in aller Regel zu verneinen ist; wie bereits ausgeführt (Rdn. 203), gilt dies „in analoger Anwendung" von Abs. 4 auch dann, wenn der Täter sich in der 2 4 Stunden-Frist oder bezüglich eines nur „unbedeutenden Sachschadens" verschätzt hat. Auch wenn das Gericht nach Abs. 4 von Strafe absieht, ist der Täter im Urteilstenor (unter Auferlegung der Verfahrenskosten) wegen unerlaubten Sichentfernens vom Unfallort schuldig zu sprechen. Als rechtskräftige Entscheidung eines Strafgerichts, die wegen einer im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangenen rechtswidrigen Tat (jedenfalls) einen Schuldspruch enthält, führt diese Entscheidung - anders als beim Verfahren nach §§ 153b, 153 oder 153a StPO - gemäß § 28 Abs. 3 Nr. 1 StVG zur Eintragung im Verkehrszentralregister und dort ausweislich der Nr. 3.1 der Anlage 13 zu § 4 0 der Fahrerlaubnis-VO (FeV) zu einer Belastung (wenn auch nur statt der für § 142 ansonsten üblichen sieben) mit fünf Punkten. Durch tätige Reue ausgeschlossen ist eine Bestrafung jedoch nur bezüglich § 142 StGB, nicht hinsichtlich anderer Straftaten (z.B. §§ 316 StGB oder 21 StVG). Folglich kann auch eine Ordnungswidrigkeit nach § 34 StVO selbst bei Anwendung von § 142 Abs. 4 mit einer Geldbuße belegt werden, wenn sie wie z.B. nach Abs. 1 Nr. 2 (unterlassene Sicherung der Unfallstelle) selbstständiger Natur und inhaltlich nicht mit § 142 StGB deckungsgleich ist. 1 0 9 9 Soweit § 34 StVO wie etwa in seinen Nrn. 1 oder 5 bis 7 an § 142 Abs. 1 oder Abs. 2 anknüpft und insoweit gemäß § 21 OWiG durch § 142 gesetzeskonkurrierend verdrängt wird, 1 1 0 0 entspricht es der kriminalpolitischen Zielrichtung des Gesetzes, den reuigen Täter auch von der Verhängung eines Bußgeldes auszunehmen 1 1 0 1 oder jedenfalls von der Einstellungsmöglichkeit nach § 4 7 OWiG Gebrauch zu machen 1 1 0 2 .

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Dazu vor allem Uwe Schulz NJW 1998 1441. Ebenso Grohmann DAR 1998 488. Zur Frage des Strafklageverbrauchs in Fällen des § 153b m.w.N. vor allem Plöd KMR § 153b StPO Rdn. 7 und 10. Konkurrenzrechtlich ist in diesem Fall von Tatmehrheit auszugehen: Hentschel/König § 34 StVO Rdn. 5 und Böse StV 1998 513.

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OLG Oldenburg VRS 5 4 (1978) 281, OLG Karlsruhe MDR 1982 164 und BayObLG nach Janizewski NStZ 1988 2 6 6 . So auch Grobmann DAR 1998 4 8 9 sowie Park DAR 1993 251 mit Fn. 98a. So auch Böse StV 1998 513.

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cc) Sind die aus kriminalpolitischer Sicht zu engen Voraussetzungen des Abs. 4 (zu Überlegungen de lege ferenda nachfolgend Rdn. 211a) nicht erfüllt (etwa weil die nachträgliche Meldung nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist erfolgt, entgegen der Annahme des Täters ein doch nicht ganz unbedeutender Sach- oder sogar ein Personenschaden vorliegt oder der Unfall im fließenden Verkehr stattgefunden hat), ist zwar eine unmittelbare und auch eine analoge Anwendung des Abs. 4 ausgeschlossen (dazu schon Rdn. 203), doch an eine fakultative Strafmilderung zu denken. 1103 Dies folgt schon aus allgemeinen Strafzumessungsregeln, wonach das Verhalten des Täters nach der Tat und sein Bemühen um Schadenswiedergutmachung ausweislich von § 46 Abs. 2 zu seinen Gunsten zu berücksichtigen ist, wenn darin eine Rückkehr zu rechtstreuem Verhalten gesehen werden kann. 1 1 0 4 Aus diesem Grund wird in aller Regel auch kein Anlass für ein Fahrverbot ( § 4 4 ) gegeben sein, weil der Täter durch sein freiwilliges nachträgliches Verhalten bewiesen haben dürfte, dass es der zusätzlichen Pflichtenmahnung durch ein Fahrverbot nicht bedarf (zur Ermessensausübung bei Verhängung eines Fahrverbotes Rdn. 22 ff zu § 44). In einem solchen Fall wird tatrichterlich auch zu klären sein, ob angesichts des freiwilligen Nachtatverhaltens die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 nicht widerlegt ist und damit auch eine Entziehung der Fahrerlaubnis ausscheidet (dazu bereits Rdn. 203). In Irrtumsfällen dieser Art kommt schließlich auch eine Einstellung nach §§ 153 oder 153a StPO in Betracht; dies hat zudem den Vorteil, dass eine solche Maßnahme nicht im Verkehrszentralregister eingetragen und auch nicht bepunktet wird. 1105 Zu versicherungsrechtlichen Konsequenzen bei Anwendung von § 142 Abs. 4 s. Himmelreich/ Bücken Rdn. 227k und 25a.

211a

De lege ferenda: Wie aus der Praxis zu hören ist, wird von der Möglichkeit tätiger Reue angesichts der nur vagen Chance, allenfalls eine obligatorische oder ggf. sogar nur eine fakultative Strafmilderung zu erhalten, nur selten Gebrauch gemacht. Dies wird dadurch nachdrücklich bestätigt, dass es zum neuen Abs. 4 von § 142 seit seinem Inkrafttreten vor rund zehn Jahren so gut wie keine tatrichterlichen Judikate und auch keine obergerichtlichen Äußerungen gibt. Der Belohnungsanreiz für reuige Täter ist sehr gering. Weil bei „Absehen" von Strafe eben nicht „auf Strafe erkannt" wird, wird der Schuldspruch zwar nicht im Bundeszentralregister eingetragen (Umkehrschluss aus §§ 4 und 5 Abs. 1 Nr. 7 BZRG), wohl aber bleibt es bei der Eintragung von (neuerdings fünf statt - wie zunächst - sieben) Punkten im Flensburger Verkehrszentralregister.1106 Die Vorschrift wurde daher schon vor ihrer Einführung im Schrifttum heftig kritisiert 1107 und sie erfährt denn auch nach ihrem Inkrafttreten nur tendenziell allervorsichtigste Zustimmung, 1108 wohl aber überwiegend nachdrückliche Ablehnung. 1109 So bleibt abzu-

Zutreffend für viele mehrfach LG Gera: StV 1 9 9 7 5 9 6 , StV 2 0 0 1 3 5 7 und N Z V 2 0 0 6 1 0 5 ; zustimmend ebenfalls für viele: Himmelreich DAR 2 0 0 1 4 8 6 , Uwe Schulz Z R P 2 0 0 6 1 4 9 ff und Grohmann DAR 1998 489. 1104 Hierzu und zum Folgenden vor allem Uwe Schulz N J W 1 9 9 8 1 4 4 2 ; zu fakultativer Strafmilderung in Irrtumsfällen auch Sander/Hohmann N S t Z 1 9 9 8 2 7 9 mit Fn. 113 und Friehoff N Z V 1 9 9 8 4 9 5 . 1103

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Dazu auch Grohmann DAR 1 9 9 8 4 8 9 und Himmelreich/Bücken Rdn. 2 2 7 h .

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Vgl. § 2 8 Abs. 3 Nr. 1 StVG i.V. mit der Nr. 3.1 der Anlage 13 zu § 4 0 Fe. Dazu vor allem Geppert Blutalkohol 1 9 8 6 1 5 7 ff, Cramer Z R P 1 9 8 7 158, Scholz Z R P 1 9 8 7 8, Wetgend FS Tröndle, S. 7 5 3 ( 7 6 7 ff), Park DAR 1 9 9 3 2 4 6 ff und Zopfs D R i Z 1 9 9 4 91.

1108

1109

So etwa bei Bönke N Z V 1 9 9 8 131, Böse StV 1 9 9 8 5 1 3 und Stächelin StV 1 9 9 8 1 0 0 . So spricht Uwe Schulz von einer „juristischen Fehlkonstruktion" ( N J W 1 9 9 8 1 4 4 3 ) und einer „täterfeindlichen" und damit auch geschädigten-nachteiligen Lösung

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

warten, ob sich eine Lösung - sei es als persönlicher Strafaufhebungsgrund1110 oder sogar als Tatbestandsausschluss1111 - durchsetzt, bei der die tätige Reue schlechthin nach jedem Unfall (eingeschlossen also auch Personenschäden)1112 oder nur nach Unfällen mit Sachschäden ungeachtet ihrer Höhe zwingend vorgesehen ist 1 1 1 3 und bei der die Meldefrist ggf. auf zwei oder gar drei Tage verlängert wird 1114 . Eine vermittelnde Position, auf die der Gesetzgeber bislang aber nicht reagiert hat, nimmt insoweit der 41. Deutsche Verkehrsgerichtstag 2003 ein. 1115 Er hat eine Erweiterung der tätigen Reue in Form freiwilliger Selbstanzeige dahin empfohlen, (1) alle Sachschäden zu erfassen, und zwar ungeachtet ihrer Höhe, (2) als Unfälle „außerhalb des fließenden Verkehrs" auch Unfälle anzusehen, die aus dem fließenden Verkehr an ruhenden Objekten verursacht werden, (3) die Vorschrift gesetzlich dahin zu ändern, dass die tätige Reue zwingend zum Strafausschluss führt und dass schließlich (4) bei tätiger Reue im Verkehrszentralregister keine Punkte mehr eingetragen werden. Nach Ansicht des Arbeitskreises soll die tätige Reue jedoch wie bisher bei Personenschäden ausgeschlossen bleiben, und auch an der 24-Stunden-Frist soll festgehalten werden.

VÜI. Konkurrenzen 1. Für den „Handlungs"-Begriff im konkurenzrechtlichen Sinn der §§ 52 ff ist auch im Rahmen von § 142 der „natürliche" Handlungsbegriff maßgeblich. Danach werden mehrere äußerlich an sich getrennte Verhaltensweisen zu einer Handlung zusammengefasst, wenn die einzelnen Willensbetätigungen (subjektiv) durch einen einheitlichen Willen miteinander verbunden sind und zwischen ihnen (objektiv) räumlich-zeitlich ein derart enger Zusammenhang besteht, dass das gesamte Geschehen auch für einen unbeteiligten Dritten als zusammengehörige Einheit erscheint; entscheidender Maßstab hierfür ist die natürliche „Aufffassung des Lebens". 1116

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(ZRP 2 0 0 6 150) und Schünemann sogar von einer „fast schon an Leichenstarre grenzenden kriminalpolitischen Unbeweglichkeit des Verkehrsstrafgesetzgebers" (DAR 1998 429). Andere sprechen immerhin von einer allzu „dürftigen Belohnung" des reuigen Täters (Duttge J R 2 0 0 1 185) oder jedenfalls von einer „allenfalls halbherzigen Lösung" (Sch/Schröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 88); deutlich skeptisch auch Rudolphi SK Rdn. 55, Zopfs MK Rdn. 129 und Schild NK Rdn. 111. So etwa Duttge JR 2 0 0 1 185 und Uwe Schulz ZRP 2 0 0 6 151. So etwa Bücken 41. Dt. Verkehrsgerichtstag 2003, S. 189 und Schild NK Rdn. 111: je mit dem Hinweis, dass damit automatisch die gefürchtete Leistungsfreiheit des Versicherers entfiele, die von vielen Tätern als zusätzliche Bestrafung empfunden wird. So schon die Empfehlung des 2 0 . Dt. Ver-

kehrsgerichtstages 1982: damals jedoch nur als Strafmilderungsgrund bzw. Absehen von Strafe; zustimmend Mollenkott zfs 1 9 9 9 366. 1 1 1 3 So etwa Duttge J R 2 0 0 1 185, Böse StV 1998 514 und Schünemann DAR 1998 429. 1 1 1 4 So etwa Peter-Alexis Albrecht KritV 1996 335 („24 Stunden bis zu drei Tagen"). Für eine Verlängerung auf 4 8 Stunden plädiert Uwe Schulz (ZRP 2 0 0 6 151). ins Vgl. dazu die Referate von Bücken S. 183 ff, Fieberg S. 190 ff und Karl S. 2 0 0 ff: veröffentlicht von der Dt. Akademie für Verkehrswissenschaft (Hamburg 2003). 1 1 1 6 So im Anschluss an RGSt 58 113 (115) schon BGHSt 4 2 2 0 . Monographisch Maiwald Die natürliche Handlungseinheit (1963); weiterführend Rissing van Saan LK vor § 52 Rdn. 10 ff und zusammenfassend Geppert JURA 2 0 0 0 6 0 0 .

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§142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

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a) Speziell für § 142 ist demzufolge von einer Handlung auszugehen, wenn die verschiedenen Verhaltensweisen (z.B. einzelne Teilabschnitte einer Unfallflucht) nach natürlicher Betrachtungsweise einen einheitlichen, sich innerhalb kurzer Zeit weitgehend gleichförmig abspielenden und von einem einheitlichen Willen getragenen Lebensvorgang bilden. 1 1 1 7 In diesem Sinn gehört tateinheitlich zur jeweiligen Verkehrsunfallflucht diese jedenfalls unter den Voraussetzungen des Abs. 1 (Sichentfernen vom Unfallort) verstanden als verkapptes Unterlassungsdelikt (Rdn. 69) - das Gesamtgeschehen bis zur Beendigung der Tat. Dies entspricht auch sonst der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der bei Konkurrenz zwischen Begehungs- und Unterlassungsdelikten von Tateinheit i.S. von § 5 2 ausgeht. 1 1 1 8 Nach natürlicher Betrachtungsweise muss zur Tathandlung des Abs. 1 („Sichentfernen") somit hinzugenommen werden, was bei einheitlichem, d.h. durch keine Zäsur unterbrochenem Handlungswillen geschieht, bis der Unfallbeteiligte nach Vollendung (Rdn. 118 ff und 177 f) entweder sein Fahrtziel erreicht oder sich sonst endgültig in Sicherheit gebracht hat (Rdn. 179). 1 1 1 9

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b) Besondere Konstellationen, aa) Wird der Unfallbeteiligte nacheinander in mehrere Unfälle verwickelt (Unfallserie) und entfernt er sich jeweils von den Unfallorten, ist maßgeblich, ob das Sichentfernen vom früheren Unfallort bereits abgeschlossen war oder nicht. 1 1 2 0 (Gleichartige) Tateinheit liegt danach vor, wenn der nachfolgende Unfall noch im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Verlassen des früheren Unfallortes steht und das Sichentfernen vom neuen Unfallort weiterhin auch Feststellungen zum früheren Unfall gefährdet. 1 1 2 1 Von nur einer Unfallflucht ist ferner auszugehen, wenn der Täter nach erster Entfernung vom Unfallort dorthin zurückkehrt und sich (ohne durch die Rückkehr straflos geworden zu sein) dann erneut entfernt. 1 1 2 2 Zur Tateinheit, wenn innerhalb einer einzigen, ununterbrochenen Fluchtfahrt mehrere Straßenverkehrsgefährdungen begangen werden, nachfolgend Rdn. 215 (Polizeifluchtfälle). Ist die erste Verkehrsunfallflucht nach natürlicher Betrachtung jedoch bereits vor dem zweiten Unfall beendet, ist von Tatmehrheit auszugehen. Dies wird insbesondere anzunehmen sein, wenn zwischen dem ersten und dem weiteren Unfall größere räumliche und zeitliche Abstände bestehen: 1 1 2 3 so etwa, wenn der Täter nach dem ersten Unfall durch Hakenfahren auf diversen Nebenstraßen mögliche Verfolger abgeschüttelt hat und nach Wiedereinschlagen der alten Fahrtrichtung später einen neuen Unfall verursacht, 1 1 2 4 mehrere

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BGH VRS 29 (1965) 187; so auch schon BGH VRS 13 (1957) 135. So zuletzt BGH NStZ 2001 101 (ablehnend aber Endrik Wilhelm aaO S. 404 ff). Skeptisch gegen Tateinheit bei Konkurrenz zwischen Begehungs- und Unterlassungsdelikten speziell für den weiten Bereich von Verkehrsordnungswidrigkeiten auch Albrecht NZV 2005 62 ff. Wie hier Schild NK Rdn. 156 mit dem zutreffenden Hinweis, dass die Rechtsprechung zu § 142 a.F. („durch Flucht entzieht" ) konkurrenzrechtlich somit weitgehend auch zur Neufassung von § 142 verwendet werden kann. Umfassend zum Thema auch Brückner NZV 1996 266 ff und Seier NZV 1990 129 ff.

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Dazu auch Schild NK Rdn. 157, Jäger HK Rdn. 233 sowie Rudolphi SK Rdn. 61. So grundlegend BGH VRS 4 (1952) 125; so dann auch BGH VRS 9 (1955) 350, VRS 29 (1965) 187, VRS 48 (1975) 192 sowie BayObLG VRS 69 (1985) 438 (Beschädigung von Fahrbegrenzungspfosten durch serienweises Anfahren auf Grund einheitlichen Willensentschlusses). BayObLG (4 StR 480/58 vom 6.2.1959): zit. nach Martin DAR 1960 67. So grundlegend BGH VRS 29 (1965) 187; s. auch OLG Celle VRS 33 (1967) 113. BGH VRS 9 (1955) 353.

Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

Kilometer vom ersten Unfallort entfernt auf einer anderen Bundesstraße einen weiteren Unfall herbeiführt 1125 oder nach einem unerkannt gebliebenen ersten Unfall erst nach mehreren Kilometern oder dem Durchfahren einer Ortschaft nochmals einen Unfall verursacht 1 1 2 6 . bb) Die Rechtsfigur der natürlichen Handlungseinheit wird von der Rechtsprechung (doch gegen erhebliche Kritik im Schrifttum: Rdn. 216) auch herangezogen, um völlig unterschiedliche Straftatbestände miteinander zu einer Handlung und damit zur Tateinheit zu verbinden, sofern die Verwirklichung der verschiedenen Straftatbestände von einer einheitlichen Motivation getragen wird und jedenfalls noch in einem gewissen räumlich-zeitlichen Zusammenhang steht; als Prototyp hierfür gelten die sog. Polizeifluchtfälle.1127 Weil das gesamte Verhalten eines Täters, der im Verlauf einer einzigen ununterbrochenen Flucht verschiedene (Verkehrs- oder sonstige) Delikte begangen hat, von einem einheitlichen Handlungswillen, nämlich vom Gedanken beherrscht gewesen sei, seinen Verfolgern unerkannt zu entkommen, hat der BGH seit seiner Grundsatzentscheidung vom 7. März 1 9 5 7 1 1 2 8 alle während einer solchen durchgehenden Verfolgungsfahrt begangenen Straftaten (neben §§ 315b, 315c und 316 kommen vor allem die §§ 223 ff, 2 4 0 oder 113 in Betracht) mit Hilfe der natürlichen Handlungseinheit zu einer einzigen Handlung verbunden. Das gilt nach gefestigter Rechtsprechung insbesondere auch für eine unter solchen Voraussetzungen begangene Verkehrsunfallflucht: 1129 und dies auch dann, wenn der Täter mit seinem Fahrzeug vor ihn verfolgenden Privatpersonen flieht1130 oder sich durch seine Weiterfahrt hinsichtlich mehrerer von ihm nacheinander verursachter Unfälle der Feststellung durch die Polizei entziehen will 1131 ; zu einschlägigen Fragen bei Unfallserien s. schon Rdn. 214. Weil der BGH in früheren Entscheidungen bei Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter eine natürliche Handlungseinheit ausgeschlossen hat, 1 1 3 2 tat er dies zunächst auch bei den Polizeifluchtfällen und nahm demzufolge Tatmehrheit an, wenn der Täter auf seiner Flucht nacheinander mehrfach höchstpersönliche Rechtsgüter verletzt hat. 1 1 3 3 Diese Rechtsprechung ist überholt, seit der BGH ausweislich neuerer Äußerungen auch bei Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter eine natürliche Handlungseinheit nicht mehr für grundsätzlich ausgeschlossen hält. 1134 Folgerichtig dazu bejaht er Tateinheit mit nachfolgendem unerlaubtem Sichentfernen auch in einem Polizeifluchtfall, in dem die Unfallflucht einer vorangegangenen versuchten Tötung (§§ 212, 22) nachfolgt. 1135 Angesichts grundlegend geänderter Fluchtsituation soll auch nach Ansicht des Bundesgerichtshofes Tateinheit jedoch ausgeschlossen sein, wenn der Täter die Flucht zu Fuß fortsetzt. 1136

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BGHVRS 25 (1963) 37. BGHSt 23 148. Ausführlich Warda FS Oehler, S. 285 ff; zusammenfassend und skeptisch Sowada JURA 1995 2 4 5 (251 ff) und Seier N Z V 1990 132: beide m.w.N. VRS 13 (1957) 135 ff. In zeitlicher Reihenfolge: BGH VRS 2 8 (1965) 361, BGH VRS 2 9 (1965) 187, BGHSt 2 2 67 ff, BGH VRS 3 9 (1970) 186, BGH VRS 4 9 (1975) 177 und 185, BGH VRS 56 (1979) 190, BGH VRS 57 (1979) 2 7 9 sowie BGH VRS 65 (1983) 4 2 8 ff. BGH NJW 1989 2 5 5 0 .

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So zuletzt auch BGH N Z V 2 0 0 1 2 6 5 = DAR 2 0 0 1 316 (dazu Geppert, JK 01, StGB § 142/19) und so schon BGH (4 StR 2 5 9 / 9 3 ) : zit. nach Nehm DAR 1994 180. Dazu BGHSt 2 2 4 7 und 16 398. So zuletzt noch BGH VRS 4 8 (1975) 192: unter Bezugnahme auf BGH (4 StR 5 3 6 / 7 2 ) nach Martin DAR 1973 145. BGH J Z 1985 2 5 0 (dazu Otto, JK, StGB § 5 2 / 5 ) sowie BGH StV 1994 5 3 7 (dazu Otto, JK, StGB § 5 2 / 7 ) . BGH NStZ-RR 1997 331. BGH VRS 4 5 (1973) 177; anders noch B G H V R S 2 9 ( 1 9 6 5 ) 187.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Trotz erheblicher Skepsis im Schrifttum, das zu Recht vermehrt eine Überstrapazierung der Rechtsfigur der natürlichen Handlungseinheit kritisiert, 1137 scheint der BGH seine zur Tateinheit führende Linie auch neuerdings und speziell im Hinblick auf § 142 nicht aufgeben zu wollen. 1138 Dies überrascht, weil der BGH sich ansonsten doch zu Recht dagegen ausspricht, selbstständig verwirklichte Ausführungshandlungen allein dadurch zur Tateinheit verknüpfen zu wollen, dass der Täter ein einheitliches Ziel verfolgt oder verschiedene selbstständige Handlungen ein und demselben Beweggrund entspringen. Wenn also allein das Zusammentreffen nur in subjektiven Tatbestandsteilen ansonsten auch nach Ansicht des Bundesgerichtshofes nicht zur Annahme von Tateinheit ausreicht, 1139 sollte grundsätzlich Gleiches auch in den Polizeifluchtfällen gelten. 2. Tateinheit a) Somit liegt Tateinheit mit § 142 Abs. 1 immer dann vor,

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aa) wenn die mit der Unfallflucht konkurrierenden anderen Straftaten der Durchführung der Verkehrsunfallflucht dienen, indem sie das Sichentfernen vom Unfallort entweder erst ermöglichen oder jedenfalls erleichtern sollen: so etwa mit §§ 113 (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte), 1140 2 40 (Nötigung), 1141 2 5 2 (räuberischer Diebstahl) 1 1 4 2 oder §§ 211 ff/223 ff (vorsätzliche Tötung/Körperverletzung), 1143 wenn die Gewaltanwendung bzw. die Tötungs- oder Körperverletzungshandlung gegen Personen gerichtet ist, die das unerlaubte Sichentfernen vom Unfallort verhindern wollen. Aus gleichem Grund ist von Tateinheit mit Betrug (§ 263) auszugehen, wenn die Täuschung zu einem erschlichenen Einverständnis mit dem Wegfahren geführt hat (Rdn. 84 ff). 1 1 4 4 Gleiches gilt schließlich für eine Falschverdächtigung (§ 164) oder für das Vortäuschen einer Straftat (§ 145d), wenn die Verkehrsunfallflucht nur deshalb gelingt, weil der Unfallbeteiligte fälschlicherweise eine andere Person beschuldigt. 1145 In allen diesen Fällen sind die anderen Straftaten nicht nur gelegentlich der Verkehrsunfallflucht begangen worden (dann nur Tatmehrheit), sondern haben ersichtlich ihrer Ermöglichung gedient oder jedenfalls ihre Durchführung erleichtert.

So vor allem Warda FS Oehler, S. 241 (248 ff), Maiwald NJW 1978 3 0 0 ff und Sowada JURA 1995 2 4 5 (253 ff) sowie ders. in N Z V 1995 465 ff; m.w.N. auch Rissing-van Saan LK Rdn. 16 ff und Sehl Schröder/Stree Rdn. 2 2 ff: jeweils vor § 52. 1 1 3 8 Vgl. BGH NJW 1989 2 2 5 0 , BGH bei Nehm DAR 1994 180, BGH NStZ-RR 1997 331 sowie BGH N Z V 2001 2 6 5 (kritisch Geppert JK 01, StGB § 142/19). 1 1 3 9 So erst in jüngerer Zeit noch BGHSt 4 4 2 5 8 (264 f) und BGH StV 1998 204. 1140 p ü r v i e i e . BGH VRS 13 (1957) 136, VRS 3 9 (1970) 184 und VRS 6 6 (1984) 20. 1141 BGH VRS 8 (1955) 2 7 6 und VRS 13 (1957) 136. 1 1 4 2 BGH VRS 21 (1961) 113. 1 1 4 3 BGH VRS 13 (1957) 136 sowie VRS 39 (1970) 184. 1144 pjj r gesetzeskonkurrierenden Vorrang des 1137

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§ 142 als eines verselbstständigten abstrakten Vermögensgefährdungsdelikts jedoch Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 4 9 / 6 9 (S. 632); offengelassen in OLG Köln VRS 5 0 (1976) 345. Wie hier jedoch (und zwar nicht zuletzt aus Gründen der Klarstellungsfunktion) Schild NK Rdn. 157, Lackner/Kühl Rdn. 4 2 , Zopfs MK Rdn. 137 und Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 90. Wegen angeblich fehlender Teilidentität der Ausführungshandlung für Tatmehrheit jedoch Jäger HK Rdn. 251. BayObLG JR 1981 4 3 6 (mit Anm. Stein aaO S. 4 3 7 ff); auf dieser Linie offenbar auch OLG Hamm NJW 1981 237. Zustimmend Schild NK Rdn. 157 und Rudolphi SK Rdn. 59; mangels „Teilidentität der Ausführungshandlung" ablehnend aber auch hier Jäger HK Rdn. 249.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

bb) Tateinheit ist ferner möglich mit Verkehrsdelikten, die im Verlauf einer einheitliehen Flucht begangen werden. Es muss sich dabei aber um eine nicht durch eine Zäsur unterteilte, also eine ununterbrochene Flucht handeln, die im Übrigen bis zum Zeitpunkt ihrer Beendigung reicht. Zu Sonderfragen im Zusammenhang mit ggf. verklammernden Dauerdelikten nachfolgend Rdn. 2 2 3 ff und zu den „Polizeifluchtfällen" schon Rdn. 215. Tateinheit von § 142 Abs. 1 kommt danach in Betracht mit §§ 316 (Trunkenheit im Verkehr) 1 1 4 6 oder 315c (Straßenverkehrsgefährdung) 1147 , § 315b (Eingriff in den Straßenverkehr) 1 1 4 8 oder § 2 4 8 b (unerlaubter Gebrauch eines Fahrzeugs) 1149 . Gleiches gilt für § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG (Fahren ohne Fahrerlaubnis oder trotz Fahrverbotes) 1150 bzw. für § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG (Zulassen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis) 1151 ebenso wie für §§ 3 0 3 und 304 (gemeinschädliche Sachbeschädigung) 1152 oder für eine im Zusammenhang mit der Unfallflucht verwirklichte fahrlässige Tötung/Körperverletzung (§§ 2 2 2 bzw. 229)1153.

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cc) Umstritten ist Tateinheit, soweit der Täter mit dem Verlassen der Unfallstelle zugleich ein Unterlassungsdelikt verwirklicht. Mit der Begründung, dass Tateinheit nur bei (auch: Teil-)Identität der Ausfübrungshandlung möglich und eine solche Identität zwischen (gleichgültig, ob echten oder unechten) Unterlassungsdelikten und Begehungsdelikten schlechterdings nicht möglich sei, lehnt insbesondere Cramer Tateinheit der Verkehrsunfallflucht (als einem echten oder jedenfalls verkappten Unterlassungsdelikt) mit unterlassener Hilfeleistung (§ 323c) grundsätzlich ebenso ab wie mit den verschiedenen Erscheinungsformen einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Tötung bzw. Körperverletzung durch Unterlassen; da die genannten Unterlassungsdelikte letztlich nur gelegentlich einer Verkehrsunfallflucht begangen würden, plädiert er stattdessen für Tatmehrheit. 1154 Deutlich weniger strenge Anforderungen an die (Teil-)Identität der Ausführungshandlung stellt mit Zustimmung der h.M. im Schrifttum 1 1 5 5 demgegenüber die Rechtsprechung. Sie geht sowohl für das Verhältnis zu unterlassener Hilfeleistung 1156 ebenso von Tateinheit aus wie gegenüber vorsätzlicher oder fahrlässiger Tötung/Körperverletzung durch Unterlassen. 1157 Gleiches gilt für die Judikatur folgerichtig für das Verhältnis von § 142

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Grundlegend BGHSt 21 2 0 3 ff sowie zuvor schon OLG Braunschweig NJW 1954 933; ausführlich dazu Brückner N Z V 1996 2 6 6 ff. So schon OLG Braunschweig NJW 1954 933 und OLG Hamm VRS 2 5 (1963) 193. So schon BGHSt 2 2 76; vgl. auch BGH VRS 6 6 (1984) 20, NJW 1989 2 5 5 0 und BGH (4 StR 6 5 0 / 9 8 ) nach Tolksdorf DAR 1999 198 sowie OLG Hamm VRS 25 (1963) 193. So schon RGSt 68 216. OLG Hamm VRS 4 2 (1972) 101. OLG Düsseldorf VRS 87 (1994) 2 9 2 . BayObLG VRS 6 9 (19185) 438. So schon BGH VRS 9 (1955) 353. So bis zur 26. Aufl. Cramer in Sch/Schröder Rdn. 91 (anders in der 27. Aufl. dann aber Sternberg-Lieben Rdn. 90). Wie Cramer jedoch Jescheck/Weigend AT (5. Aufl.)

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S. 7 2 3 und Endrik Wilhelm NStZ 2 0 0 1 4 0 4 ff (dort gegen BGH NStZ 2 0 0 1 101); auf dieser Linie und damit insgesamt für Tatmehrheit insbesondere für den weiten Bereich von Verkehrsordnungswidrigkeiten auch Albrecht N Z V 2 0 0 5 62 ff. Schild NK Rdn. 157, Zopfs MK Rdn. 137, Lackner/Kühl Rdn. 4 2 , Rudolphi SK Rdn. 59, Fischer Rdn. 68 sowie Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 1 4 9 / 6 9 (S. 632). So schon RGSt 75 359 und so in ständiger Rechtsprechung auch der BGH: vgl. BGH GA 1956 120, BGH (4 StR 313/59) nach Martin DAR 1960 67, BGH VRS 2 5 (1963) 42 sowie BGH VRS 32 (1967) 4 3 7 ; vgl. auch schon OLG Oldenburg VRS 11 (1956) 54. So schon BGHSt 7 2 8 8 ; ebenso BGH VRS 32 (1967) 4 3 7 und BGH NJW 1992 5 8 4 sowie BayObLG NJW 1967 1485.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Abs. 1 zu § 221 (Aussetzung) 1158 ebenso wie zu § 315b, soweit der gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr durch Unterlassen (z.B. durch Nichtbeseitigung eines durch den Unfall entstandenen Hindernisses) erfolgt. 1 1 5 9 Abschließend zu diesem Streit: Verstünde man die für Tateinheit erforderliche These von der Teilidentität der Ausführungshandlung nur als zeitliche Teilüberschneidung verschiedener menschlicher Verhaltensweisen (etwa nach dem Motto „Handeln am selben Ort und zur selben Zeit"), wäre der Rechtsprechung ohne weiteres beizupflichten. Bloße Gleichzeitigkeit der Geschehensabläufe führt aber ebensowenig zur Tateinheit wie eine bloße Mittel-Zweck-Beziehung; die beiden jedenfalls teilidentischen Delikte müssen einander jeweils taibestancfeerhebliche Tatbeiträge liefern. 1160 In diesem Sinn ist die unterlassene Hilfeleistung, die (vorsätzliche oder fahrlässige) Tötung bzw. Körperverletzung oder der gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr durch Unterlassen aber nicht nur gelegentlich des Sichentfernens von der Unfallstelle erfolgt, sondern hat sehr wohl die Verwirklichung dieser Tat ermöglicht oder jedenfalls erleichtert und damit den für Tateinheit erforderlichen taffoestaMcfcerheblichen Tatbeitrag zur Tathandlung des § 142 Abs. 1 geliefert. Mit der Rechtsprechung und der h.M. im Schrifttum ist in den genannten Fällen somit ebenfalls von Tateinheit auszugehen. b) Mit letztlich gleicher Begründung gehen Rechtsprechung und h.M. im Schrifttum 1 1 6 1 auch für § 142 Abs. 2 von Tateinheit z.B. mit §§ 145d, 1 1 6 2 1 6 4 1 1 6 3 oder 263 aus, wenn der Täter, statt die nachträglichen Feststellungen zu ermöglichen, zur Verschleierung seiner Unfallbeteiligung falsche Angaben macht. Auch in diesen Fällen handelt es sich nicht nur um die eher zufällige Gleichzeitigkeit von Geschehensabläufen, sondern um Teilidentität der Ausführungshandlung; denn die jeweiligen Falschbehauptungen dienen auch hier der Vollendung der Verkehrsunfallflucht, indem sie die unverzügliche nachträgliche Ermöglichung der erforderlichen Feststellungen unmöglich machen. 1 1 6 4 3. Tatmehrheit besteht

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a) jedenfalls im Regelfall zwischen unerlaubter Entfernung vom Unfallort (§ 142 Abs. 1) und den zuvor durch die Unfallverursachung verwirklichten Straftaten, soweit diese mit dem Unfall vollendet (und zugleich beendet) sind. Tatmehrheit liegt somit nicht nur mit fahrlässiger Tötung bzw. Körperverletzung, sondern auch mit Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c) oder einem Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b) vor; denn als konkrete Gefährdungsdelikte sind auch diese Taten mit Herbeiführung der konkreten Gefahr verwirklicht. Der Entschluss zum Verlassen der Unfallstelle ist danach der Entschluss zu einer rechtlich selbstständigen neuen Handlung: so jedenfalls zu Recht die langjährig gefestigte höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung 1165 und die weithin

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Ebenso Schild NK Rdn. 157 und Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 1 4 9 / 6 9 (S. 632). OLG Oldenburg VRS 11 (1956) 54 und OLG Hamm VRS 2 5 (1963) 193. Näher dazu Geppert JURA 2 0 0 0 651 f. Vgl. Zopfs MK Rdn. 137, Schild NK Rdn. 157, Rudolphi SK Rdn. 5 9 und Fischer Rdn. 68. BayObLG VRS 6 0 (1981) 112. BayObLG (2 St 306/85): zit. nach Bär DAR 1987 307.

Π64 Gegenteiliger Ansicht Jäger HK Rdn. 2 5 0 f. 1 1 6 5 So schon BGH VRS 5 (1953) 5 3 0 und BGHSt 2 4 185 ff; ebenso BGH VRS 2 2 (1962) 124, BGH VRS 2 6 (1964) 347, BGH VRS 3 6 (1969) 355 sowie OLG Oldenburg VRS 2 6 (1964) 346, OLG Celle VRS 36 (1969) 352, OLG Köln VRS 37 (1969) 36 und OLG Saarbrücken NJW 1974 375.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

h.M. im Schrifttum 1166 . Angesichts völlig unterschiedlicher Rechtsgüter hat es der Bundesgerichtshof (BGHSt 24 382 ff) zudem zu Recht abgelehnt, die nachfolgende Verkehrsunfallflucht als mitbestrafte Nachtat einer vorangegangenen vorsätzlichen Tat (insbesondere eines vorsätzlichen Straßenverkehrsdeliktes, doch auch einer vorsätzlichen Sachbeschädigung oder gar einer vorsätzlicher Tötung/Körperverletzung) straffrei zu lassen. 1167 Demgegenüber wird vereinzelt versucht, entweder über die Rechtsfigur der „natürliehen Handlungseinheit" oder dadurch zur Annahme von Tateinheit zu kommen, dass man den „Unfall" im Tatbestand des § 142 nicht nur als eingetretenes Ereignis begreift, sondern die ihn verursachende Handlung bei der Tatbestandsstruktur des § 142 mitberücksichtigt.1168 Dies verkennt aber nicht nur das in § 142 geschützte Rechtsgut, sondern bedeutet auch eine Überstrapazierung sowohl der „natürlichen Handlungseinheit" wie auch der für Tateinheit erforderlichen Teilidentität der Ausführungshandlungen; denn der nachfolgende Fluchtwille ist etwas völlig anderes als der ursprünglich vorhandene bloße Fortbewegungswille und die Verursachung eines Unfalls doch wohl kaum teilidentisch mit dem anschließenden Sichentfernen vom Unfallort. Von dem hier vertretenen Rechtsstandpunkt aus ist von Tatmehrheit schließlich auch auszugehen für das Verhältnis von § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG (Überlassen eines Kraftfahrzeugs an einen Fahrer ohne Fahrerlaubnis) und nachfolgender Unfallflucht des (sofern nach Lage des Falles selbst mitunfallbeteiligten) mitfahrenden Halters. 1169 Sofern für diesen neben § 142 Abs. 1 ein (durch den Unfall unterbrochenes) weiteres verbotenes Zulassen nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG in Betracht kommt, konkurriert diese Tat (folgerichtig zu der in Rdn. 215 f vertretenen Ansicht) wiederum idealiter mit § 142 Abs. I. 1 1 7 0

222

b) Umstritten ist, ob es bei Tatmehrheit zwischen den durch die Unfallverursachung verwirklichten Delikten und der nachfolgenden Unfallflucht bleibt oder ob stattdessen von Tateinheit (durch Klammerwirkung) auszugehen ist, wenn die an sich rechtlich selbstständigen Taten durch ein gemeinsames Verkehrsdauerdelikt zur Tateinheit verklammert werden. 1171 So ist schon seit RGSt 44 223 ff weithin anerkannt, dass zwei selbstständige und damit an sich realiter konkurrierende Straftaten dadurch in Idealkonkurrenz zueinander treten können, dass jede von ihnen mit einer gemeinsamen dritten Tat in Tateinheit steht; von Tateinheit sei danach auszugehen, wenn zwei Ausführungshandlungen zwar nicht miteinander, wohl aber jeweils mit einer dritten Ausführungshandlung zumindest teilidentisch sind: 1172

223

1166 Ygj für viele nur Scb/Scbröder/Cramer/ Sternberg-Lieben Rdn. 91, Lackner/Kübl Rdn. 42, Zopfs MK Rdn. 138, Schild NK Rdn. 158 und Rudolphi SK Rdn. 60. 1167

1168 1169

So aber LG Duisburg NJW 1969 1261 ff (zustimmend Roxin NJW 1969 2039); anders aber schon damals Geppert GA 1970 1 (15 ff) und Oppe NJW 1969 1262, So vor allem Werner DAR 1990 15. Ebenso OLG Karlsruhe NZV 1997 195, BayObLG (1 St 288/86) nach Bär DAR 1988 365 sowie OLG Stuttgart VRS 72 (1987) 186.

1170 für Tatmehrheit jedoch BayObLG VRS 5 9 (1980) 20; zustimmend Jäger HK Rdn. 246. 1171

1172

Zu den „Auswirkungen auf die materiellrechtliche und prozessuale Tat bei Straßenverkehrsdelikten gemäß §§ 315c, 316 StGB durch die Verwirklichung des § 142 Abs. 1 StGB nach höchstrichterlicher Rechtsprechung" s. vor allem den gleichlautenden Beitrag von Brückner NZV 1996 2 6 6 ff. Zum Ganzen Geppert JURA 1997 214 ff.

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§ 142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

224

aa) Diese These stimmt (allenfalls) dann, wenn das verklammernde Dauerdelikt eine einheitliche, d.h. nach ihrem äußerem Erscheinungsbild ebenso wie willensmäßig ununterbrochene Handlung darstellt; umgekehrt liegt keine Teilidentität der Ausführungshandlung vor, wo das Dauerdelikt - z.B. eine strafbare Trunkenheit im Verkehr, doch auch andere Dauerdelikte des Straßenverkehrs wie Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG) oder Zulassen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG), Verstöße gegen das Pflichtversicherungsgesetz (§ 6 PflVG) oder unbefugter Fahrzeuggebrauch (§ 248b) - durch den Unfall beendet und mit dem Entschluss zum Weiterfahren ein neuer Handlungsentschluss gefasst wurde; denn damit hätte ein neues Dauerdelikt begonnen. In diesem Fall lägen zwei selbstständige Dauerdelikte vor, wobei das erste Dauerdelikt (z.B. eine fahrlässige Trunkenheit im Verkehr: diese ggf. in Tateinheit mit §§ 222/229 oder gesetzeskonkurrierend verdrängt durch 315c Abs. 1 Nr. la) mit der nachfolgenden Trunkenheitsfahrt (diese dann tateinheitlich verwirklicht mit § 142) in Tatmehrheit stünde. 1173 Bezüglich solcher in der Praxis besonders häufiger Konstellationen besteht zwar weithin Einigkeit dahin, dass ausschließlich verkehrsbedingtes vorübergehendes Anhalten (Halten vor einer Ampel oder einer Bahnschranke, Aus- oder Einsteigenlassen von Mitfahrern, Fahrtunterbrechung durch eine Verkehrskontrolle u.ä.) den einheitlichen Handlungszusammenhang ebensowenig unterbricht wie kurzfristige Fahrtunterbrechungen (Anhalten zum Tanken, Rasten, Einkaufen u.ä.); erst das Ende der jeweiligen Fahrt markiert konkurrenzrechtlich auch das Ende des jeweiligen Dauerdelikts. 1174 Nach wie vor umstritten ist jedoch, ob das einheitliche Dauerdelikt ungeachtet möglicher Besonderheiten des Einzelfalles jedenfalls in aller Regel allein schon durch den Unfall als solchen unterbrochen wird und mit dem Weiterfahren zwangsläufig eine neue Dauerhandlung beginnt oder ob auch in diesem Fall von einer einheitlichen z.B. Trunkenheits- oder Fahrt ohne Fahrerlaubnis auszugehen ist. Zum Streitstand:

225

(1) Mehr zur Klarstellung als in Abweichung zu früherer (teilweise kontroverser) Judikatur sieht der BGH seit seiner grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 1967 (BGHSt 21 203 ff) offenbar allein schon in dem Unfall als solchem sowohl „im äußeren Geschehen" wie in der „geistig-seelischen Verfassung" des Täters eine so große Zäsur, dass die erste Dauerstraftat gewissermaßen mit dem Knall des Unfalls endet: Da der Täter infolge der Warnung durch den Zusammenstoß allen Anlass hätte, seinen Entschluss zum Weiterfahren zu überdenken, sei sogar bei äußerlich nahtlosem Weiterfahren vom Entschluss zu einem neuen Dauerdelikt auszugehen; dies selbst dann, wenn der Fahrer nicht einmal kurzfristig angehalten hat. 1175 Anders liegt es jedoch auch für die neuere Rechtsprechung, wenn bereits das zum Unfall führende Verhalten von einer einheitlichen Fluchtmotivation getragen ist. 1176 Aus diesem Grund ist das OLG Düsseldorf in einem Fall, in dem der Täter bei einer einheitlichen Fahrt in alkoholisiertem Zustand (nicht nur

1173

Zu einer solchen Konstellation OLG Düsseldorf NZV 1999 388 = VRS 97 (1999)

1174

Dazu schon BGHSt 6 231 sowie BayObLG nach Rüth DAR 1981 246. Bestätigt durch BGHSt 23 144 (doch mit der Einschränkung „endet eine Trunkenheitsfahrt regelmäßig (!), wenn sich der Täter nach einem von ihm verursachten Unfall zur Flucht entschließt") und BGHSt 25 75 (dort mit der gleichen vorsichtigen

111.

1175

874

1176

Einschränkung); s. nachfolgend auch OLG Köln VRS 44 (1973) 21, BayObLG VRS 59 (1980) 336 ff und OLG Celle VRS 61 (1981) 347. Auf dieser Linie im Schrifttum auch Hentschel/König Rdn. 72, Janiszewski Rdn. 557, Zopfs MK Rdn. 138 und Fischer Rdn. 68. BGH VRS 66 (1984) 20 sowie BGH (4 StR 259/93) BGHR § 142 Konkurrenzen 1; je zustimmend Rudolphi SK Rdn. 60 und Zopfs MK Rdn. 138.

Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

fahrlässig, sondern) vorsätzlich mehrere zeitlich hintereinander liegende (nach § 315c Abs. 1 tatbestandsrelevante) Gefahrsituationen verursacht hat, folgerichtig von einem nicht unterbrochenen einheitlichen Dauerdelikt ausgegangen. 1177 Dies entspricht im Übrigen der Rechtsprechung in den sog. Polizeifluchtfällen; abweichend von ihrer sonstigen Linie (Zäsur durch Unfall!) geht sie angesichts einheitlicher Fluchtmotivation auch hier von einer natürlichen Handlungseinheit zwischen den einzelnen Delikten aus (dazu schon Rdn. 215 f). (2) Im Anschluss an BGHSt 21 203 ff sieht mehrheitlich offenbar auch das Schrifttum in dem Entschluss eines Fahrers, nach einem von ihm verursachten Unfall weiterzufahren, zwar „meistens, aber nicht notwendig" einen neuen Tatentschluss. 1178 Insoweit in Übereinstimmung mit früheren höchstrichterlichen Äußerungen 1179 ist danach auf den Einzelfall und somit darauf abzustellen, ob der Fahrer seine Fahrt nach Lage der Dinge mehr oder weniger nahtlos fortgesetzt hat (dann einheitliche Dauerstraftat) oder aber seine Fahrt z.B. zu Verhandlungen mit dem Unfallopfer oder anderen feststellungsbereiten Personen unterbrochen oder den Entschluss zum Weiterfahren erst gefasst hat, als der Unfallgegner sich zum Herbeirufen der Polizei entschlossen hat (dann Unterbrechung der Dauerstraftat mit nachfiolgendem neuem Entschluss).

226

bb) Nur wenn man in diesen Fällen vom Vorliegen einer einheitlichen Dauerstraftat ausgeht, stellt sich die Frage, ob und ggf. unter welchen einschränkenden Voraussetzungen eine einheitliche Dauerstraftat die Verkehrsunfallflucht (und ggf. damit tateinheitlich verwirklichte andere Straftaten) zur Tateinheit zu verklammmern imstande ist. Zulässigkeit und Voraussetzungen einer solchen Klammerwirkung sind jedoch heftig umstritten:

227

(1) Im Schrifttum 1180 mehren sich mit guten Gründen die Stimmen, die es kriminalpolitisch für höchst fragwürdig halten, einen Täter nach § 52 strafzumessungsmäßig dafür zu belohnen, dass er zu zwei an sich realiter konkurrierenden Straftaten zusätzlich noch ein (an sich gleichgültig, ob unrechtsschwereres oder minderschweres) teilidentisches drittes Delikt verwirklicht hat. Die strafzumessungsrechtlichen Bedenken gegen jede Art von Tateinheit durch Klammerwirkung verstärken sich, wenn man sich vor Augen hält, dass tateinheitlich verwirklichte Delikte nach gefestigter Rechtsprechung und weithin h.M. im Schrifttum strafverfahrensrechtlich als eine Tat im prozessualen Sinn der §§ 155 und 2 6 4 StPO angesehen werden (zu prozessualen Aspekten nachfolgend Rdn. 242 ff). 1181

228

1177

N Z V 1 9 9 9 3 8 8 = VRS 9 7 ( 1 9 9 9 ) 111.

1178

So wörtlich Lackner/Kühl Rdn. 4 2 ; auf dieser Linie auch Sch/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben § 3 1 5 c Rdn. 5 7 und Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben vor § 5 2 Rdn. 85 m.w.N. So im Ergebnis wohl auch Schild N K Rdn. 1 5 8 zu § 142.

1179

S. etwa B G H VRS 13 ( 1 9 5 7 ) 1 2 2 und VRS 15 ( 1 9 5 8 ) 4 7 2 (nur kurzes Anhalten und Besehen der Unfallfolgen aus dem Wagenfenster).

1180

Linie neben Geppert J U R A 1 9 9 7 2 1 4 ff und J U R A 2 0 0 0 6 5 2 auch Jakobs AT (2. Aufl.) 3 3 / 1 1 f, Otto AT 2 3 / 2 2 ff (S. 3 4 9 ) , Puppe N K § 5 2 Rdn. 6 3 f und dies, in GA 1 9 8 2 1 4 3 ( 1 5 2 ) , Roxin AT II, 3 3 / 1 0 8 (S. 8 3 0 ) , Samson/Günther SK Rdn. 19 zu § 5 2 sowie Stratenwerth/Kuhlen: AT, 1 8 / 3 3 ff (S. 4 1 0 ) : alle m.w.N. 1181

S. für viele nur BGHSt 9 3 2 6 sowie Goßner § 2 6 4 StPO Rdn. 6.

Meyer-

So vor allem R. Schmitt Z S t W 7 5 ( 1 9 6 3 ) 4 8 und Wahle GA 1 9 6 8 9 7 ff; auf dieser

Klaus G e p p e r t

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§ 142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

229

(2) Im Gegensatz zur zunehmenden Skepsis im Schrifttum scheint in der Rechtsprechung die Neigung zu wachsen, die Rechtsfigur der „Handlungseinheit durch Klammerwirkung" eher noch auszudehnen.1182 Mit jedenfalls früher h.M. im Schrifttum hat der Bundesgerichtshof jene kriminalpolitischen Überlegungen, deretwegen im Schrifttum die Rechtsfigur der Klammerwirkung vereinzelt gänzlich abgelehnt wird (dazu bereits Rdn. 228), zunächst immerhin insoweit berücksichtigt, als eine zur Tateinheit führende Klammerwirkung nur dort anerkannt wurde, wo alle Delikte ihrem Unrechtswert nach annähernd gleichwertig sind. 1183 In einer Entscheidung aus dem Jahre 1982 (BGHSt 31 29 ff) ist der BGH von dieser Ansicht jedoch abgerückt; hier gab er der zur Tateinheit führenden Klammerwirkung nunmehr sogar dort Raum, wo auch nur eines der zu verbindenden Delikte im Unrechtsgehalt schwerer wog als das verklammernde Delikt. Dieser Ansicht scheint auch die derzeit noch h.M. im Schrifttum folgen zu wollen. 1184 Tateinheit durch Verklammerung wird danach nur dort verneint, wo beide zu verklammernden Taten unrechtsschwerer als das verklammernde Delikt sind. Umgekehrt bleibt es bei der Verklammerung, selbst wenn eines der zu verklammernden Delikte unrechtsschwerer als das verklammernde Delikt ist. 1185 Einen (noch bedenklicheren) Schritt noch weiter geht der Bundesgerichtshof, wenn er (entgegen früherer eigener Judikatur) seit BGHSt 33 4 ff nicht mehr auf die abstrakte Strafdrohung, wie sie sich aus dem gesetzlichen Strafrahmen ergibt und ausweislich von § 12 Abs. 1 auch für die Rechtsnatur eines Delikts als Verbrechen oder Vergehen maßgeblich ist (abstrakte Betrachtungsweise), sondern auf die konkrete Fallgestaltung abstellt (konkrete Betrachtungsweise). Damit ist letzutlich sogar die Verklammerung zweier Verbrechen durch ein Vergehen möglich, wenn die für das Vergehen (z.B. in einem „besonders schweren Fall") anzuwendende Strafe im konkreten Fall höher ist als die für das Verbrechen (z.B. als „minderschwerer" Fall) in Betracht kommende Strafe. 1186

230

cc) Geht man (entgegen hier vertretener Ansicht) mit der neueren Rechtsprechung von der konkreten Betrachtungsweise aus, ist gegenüber früheren ober- und höchstrichterlichen Entscheidungen Vorsicht angebracht. Insoweit entgegen früherer Rechtsprechung sind die §§ 316 (StGB) oder 21 StVG als verklammernde Dauerdelikte z.B. gegenüber einer fahrlässigen Tötung keineswegs minderschwere Delikte und danach sehr

Speziell für den Bereich von § 142 wird diese Neigung jedoch dadurch minimiert, dass die Rechtsprechung bei Vorliegen eines Unfalls in aller Regel von der Unterbrechung eines einheitlichen Dauerdelikts ausgeht (dazu vorgehend schon Rdn. 2 2 4 ff). 1183 D j e s bedeutete Verneinung der Verklammerung jedenfalls dort, w o auch nur eines der zu verklammernden Delikte in seinem Unrechtsgehalt erkennbar schwerer wog als das verbindende Delikt; maßgeblich sollte dafür der abstrakte Strafrahmenvergleich sein (BGHSt 3 165 ff). Weitere Nachweise für unveröffentlichte Entscheidungen in dieser Richtung bei BGHSt 31 2 9 (31).

§ 5 2 , Maurach/Gössel/ZipfSttihecht AT Bd. 2 5 5 / 7 4 ff (S. 4 4 7 ff), Rissing-van Saan LK Rdn. 2 9 , Lackner/Kühl Rdn. 6 sowie Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 18 - jeweils zu § 5 2 - und Welzel Deutsches Strafrecht (11. Aufl. 1 9 6 9 ) S. 2 3 2 : alle m.w.N.

1182

1184

876

Vgl. Baumann/Weber/Mitsch (S. 814), Jescheck/Weigend

AT 3 6 / 3 0 AT S. 721, zu

1185

Z u dieser Linie auch B G H StV 1 9 8 3 1 4 8 (Tateinheit von Totschlag und nachfolgender Nötigung infolge eines verklammernden Waffendelikts) sowie B G H bei Holtz M D R 1 9 8 3 6 2 0 (Tateinheit von gefährlicher Körperverletzung und nachfolgendem R a u b infolge verklammernder Zuhälterei).

1186

Vgl. auch BGHSt 3 6 1 5 4 , B G H N S t Z 1 9 8 9 2 0 sowie B G H N S t Z 1 9 9 3 133 f.

Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

wohl geeignet, ggf. Tateinheit auch zu § 142 herzustellen. 1187 Weil es nach neuerer Rechtsprechung bei der Verklammerung bleibt, auch wenn eines der beiden zu verklammernden Delikte unrechtsschwerer als das Klammerdelikt ist, ist es nach neuerer Judikatur rechtlich auch möglich, einen nach §§ 315b Abs. 3 i.V. mit 315 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 als Verbrechen strafbaren gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und das Vergehen einer nachfolgenden Verkehrsunfallflucht durch das bloße Vergehen einer einheitlichen Trunkenheitsfahrt zur Tateinheit zu verbinden. 4. Konkurrenz mit Ordnungswidrigkeiten. Soweit ein Täter auch die (über § 4 9 Abs. 1 Nr. 29) bußgeldbewehrte Verhaltensvorschriften des § 34 StVO verletzt hat, tritt die Ordnungswidrigkeit hinter § 142 zurück. 1 1 8 8 Ungeachtet von § 21 OWiG gilt dies im Hinblick auf den allgemeinen Subsidiaritätsgedanken jedenfalls für diejenigen Verhaltensnormen des § 34 StVO, die wie etwa die Pflicht nach Abs. 1 Nr. 5a (Angabe der Unfallbeteiligung), Nr. 6a und b (Wartepflicht: davon ausgenommen jedoch die Pflicht, bei Fehlen von feststellungsbereiten Personen am Unfallort Namen und Anschrift zu hinterlassen) oder Nr. 7 (nachträgliche Meldepflicht), aber auch der Nr. 1 (Anhaltegebot, das als solches im weitergehenden Entfernungsverbot mitenthalten) sich mit den Pflichten des § 142 im Wesentlichen inhaltsgleich decken; 1 1 8 9 zum tatbestandlichen Schutzbereich von § 34 StVO und seinem Verhältnis zu § 142 s. zudem bereits Rdn. 65 ff. Weil § 21 OWiG in seinem Abs. 1 S. 1 den Vorrang des Strafgesetzes für alle und nicht nur für Ordnungswidrigkeiten mit ähnlicher Schutzrichtung bestimmt, 1 1 9 0 bleibt es bei einer Verurteilung nur wegen § 142 jedoch auch dort, wo die verletzten Pflichten des § 34 wie etwa im Fall der Nr. 2 (Pflicht, den Verkehr zu sichern und bei geringfügigem Schaden unverzüglich beiseite zu fahren), der Nrn. 3 und 4 (Hilfspflichten für Unfallopfer), der Nr. 5a (Verletzung nur der Vorstellungspflicht, d.h. ohne sich dabei notwendigerweise vom Unfallort zu entfernen) oder nicht zuletzt im Fall von Abs. 3 (Spurenbeseitigungsverbot) eigenständige Bedeutung haben. 1 1 9 1 Somit werden auch die auf der Entfernungsfahrt begangenen (und mit § 142 rechtlich zusammentreffenden) Ordnungswidrigkeiten nach § 21 OWiG nicht gesondert verfolgt. Wird nach Abs. 4 von Strafe abgesehen, bleibt ausweislich von § 21 Abs. 2 OWiG die Ahndung als Ordnungswidrigkeit möglich. 1 1 9 2

1187

1188

Überholt insofern BGH VRS 8 (1955) 4 0 zu §§ 315c und 316 sowie BGH VRS 5 (1953) 5 3 0 zu § 21 Abs. 1 StVG; überholt danach auch BGH VRS 9 (1955) 353, BGH VRS 21 (1961) 3 4 3 und 423, BGH VRS 2 2 (1962) 124 und weitere bei Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 93 aufgeführte OLG-Entscheidungen: so etwa OLG Stuttgart NJW 1964 1913 und OLG Köln MDR 1964 525. Zur Subsidiarität des Ordnungswidrigkeitenrechts gegenüber dem Strafrecht bei

1189 1190

1191 1192

Verkehrsunfällen generell Werner DAR 1990 11 ff. Dazu auch LG Flensburg DAR 1978 279. OLG Köln N J W 1982 2 9 6 ; ebenso Göhler Rdn. 2, Bohnert KK Rdn. 1, Rebmann/ Roth/Herrmann Rdn. 1 - je zu § 21 OWiG - sowie Werner DAR 1 9 9 0 15. Ebenso Bürgel MDR 1976 354. Ebenso Bönke N Z V 2 0 0 0 131 und Böse StV 1998 513; zustimmend Hentschel/ König Rdn. 4 und Jagow/Burmann/Heß Rdn. 5: je zu § 34 StVO.

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231

§ 142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

IX. Rechtsfolgen 1. Für die Strafzumessung 1193 gelten 232

a) die allgemeinen Regeln des StGB (§§ 4 6 ff). Ist danach die Schuld des Täters, wie sie in der jeweiligen Straftat zum Ausdruck gekommen ist, maßgebliche Grundlage für die Strafzumessung, bestimmen sich Verschulden und Unrecht bei § 142 nicht nach der Schwere und dem Umfang des eingetretenen Sach- oder gar Personenschadens 1194 und auch nicht nach dem Grad der Schuld bei Entstehung des Unfalls, sondern im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm (Rdn. 1) maßgeblich danach, in welchem Ausmaß die geschützten Feststellungsinteressen beeinträchtigt worden sind. 1195 Demzufolge ist das unerlaubte Sichentfernen vom Unfallort gewiss nicht zur Schwerkriminalität zu zählen 1 1 9 6 und von hier aus eher zu bezweifeln, ob es erforderlich war, dass der Gesetzgeber des Jahres 1975 (zwar die Höchststrafe von 15 Jahren Freiheitsstrafe für schwere Fälle nach früherem Abs. 3 gestrichen, gleichwohl aber) den noch in § 347 StGB-Entwurf 1962 vorgesehenen Strafrahmen nur bis zu zwei Jahren auf drei Jahre erweitert hat. 1 1 9 7 Art und Umfang des bei dem Unfall verursachten Schadens sind für die Strafzumessung daher nur im Hinblick darauf von Bedeutung, ob und inwieweit durch das unerlaubte Sichentfernen aus der Sicht des sich vom Unfallort entfernenden Unfallbeteiligten erforderliche Feststellungen beeinträchtigt wurden. 1198 So kann sich insbesondere ein Nachtrank für § 142 nur dann strafschärfend auswirken, wenn er die Beweissituation für andere in den Unfall verwickelte Personen (z.B. hinsichtlich der Ermittlung der Blutalkoholkonzentration zur Unfallzeit) nachteilig verändert hat. 1 1 9 9 Unerheblich ist demzufolge, ob und welche dem Schadensausgleich dienenden Rechtsansprüche sich etwa erst nach Durchführung der Ermittlungen herausstellen. 1200 Zuzugeben bleibt jedoch, dass auch im Hinblick auf die sofortigen Feststellungsbedürfnisse der Unrechts- und Schuldgehalt einer Unfallflucht, die im Bewusstsein verübt wird, vorher einen Menschen angefahren zu haben, in aller Regel deutlich höher sein wird, als wenn der Täter nur den Eintritt eines Sachschadens angenommen hat. 1 2 0 1

233

Nicht strafschärfend zu berücksichtigen sind somit Umstände, die sich (wie etwa ein Antritt der Fahrt trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung) 1202 ausschließlich auf die Entstehung des Unfalls beziehen. Jedenfalls nicht zusätzlich zu berücksichtigen ist auch, ob die Unfallflucht als solche „in höchstem Maße verwerflich" ist, 1 2 0 3 eine „gemeine Gesin-

Zu allgemeinen Erwägungen vor allem Schild NK Rdn. 161 ff sowie Zopfs MK Rdn. 134 f; s. auch die Rechtsprechungsübersicht bei Weigelt DAR 1960 10 ff. 1194 v e r f e hlt daher die Einschätzung weiter Kreise der Bevölkerung, die die Verkehrsunfallflucht (offenbar im Hinblick auf die Verwerflichkeit des „Imstichlassens eines Opfers") zu den besonders schweren Delikten rechnen: berechtigter Widerspruch bei Schild NK Rdn. 161. 1 1 9 5 Zutreffend Janiszewski Rdn. 548 und Zopfs MK Rdn. 134. 1 1 9 6 So zu Recht auch BTDrucks. 7 / 2 4 3 4 , S. 9. 1 1 9 7 Mit deutlicher Kritik daher auch Schild NK Rdn. 161 und Steenbock S. 172 f. 1193

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1198 1199

1200 1201

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1203

So zutreffend auch BGHSt 17 143 ff. BGHSt 17 143 ff sowie OLG Oldenburg NJW 1968 1293 und OLG Bremen VRS 52 (1977) 4 2 2 . Kritisch zwar Baumann NJW 1962 1793; zu Recht zustimmend aber Janiszewski Rdn. 5 4 9 sowie Sch/Schröder/ Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 86, Hentschel/König Rdn. 65 und Zopfs MK Rdn. 134. BGHSt 12 2 5 3 ff. BGH VRS 18 (1960) 2 9 0 und BGH VRS 19 (1960) 427. BayObLG: zit. nach Janiszewski NStZ 1989 258. OLG Hamm VRS 9 (1955) 37.

Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

nung" des Geflohenen beweist, 1 2 0 4 dieser sich vom Unfallort entfernt hat, um polizeilichen Ermittlungen zu entgehen, 1 2 0 5 eine Unfallbeteiligung abgestritten oder zum Unfallhergang überhaupt keine Angaben oder nur Ausflüchte gemacht 1 2 0 6 oder jedenfalls keinerlei Reue gezeigt h a t 1 2 0 7 . Gleiches gilt für einen den Vorwurf der Unfallflucht ableugnenden Angeklagten, der sich nicht um eine Schadensregulierung bemüht h a t : 1 2 0 8 In allen diesen Fällen läge in einer derart begründeten Strafschärfung eine unzulässige Doppelverwertung von Umständen, die als solche bereits Merkmal des gesetzlichen Unrechtstatbestandes sind. 1 2 0 9 Folglich ist es auch rechtsfehlerhaft, bei der Verurteilung nach § 142 Abs. 1 strafschärfend berücksichtigen zu wollen, dass der Täter die erforderlichen Feststellungen auch nicht nachträglich ermöglicht hat. 1 2 1 0 Auch die Eigenschaft als Berufskraftfahrer berechtigt als solche nicht zur Strafschärfung. 1211 b) Durch die Neufassung der Vorschrift zum 1. Januar 1975 ist die in Abs. 3 enthaltene Strafschärfung für „besonders schwere Fälle" entfallen und der Regelstrafrahmen stattdessen (von damals zwei) auf höchstens drei Jahre erhöht worden. 1 2 1 2 Die frühere Judikatur zu den besonders schweren Fällen, die maßgeblich auf das Gewicht der Unfallfolgen abgestellt hat, 1 2 1 3 ist demzufolge nur noch zu verwerten, soweit Art und Umfang des Schadens auf besondere Feststellungsbedürfnisse hinweisen (dazu schon Rdn. 232). Strafschärfend ist jedoch zu verwerten, wenn der Täter (soweit nicht schon tatbestandlich erfasst: dazu Rdn. 160 ff) zusätzlich Spuren beseitigt oder die Aufklärung zielstrebig sonstwie verschleiert. 1214 Gleiches gilt bei tateinheitlich verwirklichter unterlassener Hilfeleistung (§ 3 2 3 c ) 1 2 1 5 sowie dann, wenn die Aufklärung des Unfalls durch das unerlaubte Sichentfernen nicht nur gefährdet (was für die Vollendung genügt), sondern tatsächlich vereitelt oder jedenfalls in (den „Normalfall" deutlich übersteigender) schwerwiegender Weise gefährdet wurde. 1 2 1 6 Strafschärfend kann schließlich berücksichtigt werden, wenn die Art der Flucht auf eine besonders rücksichtslose Gesinnung des Täters hinweist: etwa weil die Flucht ungewöhnlich hartnäckig, rücksichtslos oder in besonders verkehrsgefährdender Weise durchgeführt wird. 1 2 1 7 Im Rahmen der schon und noch schuldgerechten Vergeltungsstrafe hält die Rechtsprechung bei Zunahme der Fälle unerlaubten Sichentfernens auch eine generalpräventive Verschärfung der Strafe für zulässig: dies selbst dann, wenn die Zahl der Verkehrsunfallfluchten im Verhältnis zur zunehmenden Zahl zugelassener Kraftfahrzeuge ggf. sogar abgenommen hat. 1 2 1 8

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BGH VRS 4 (1952) 361; vgl. auch Krumme DAR 1968 2 3 4 ff. OLG Düsseldorf VRS 6 (1954) 365. BGH VRS 21 (1961) 2 6 9 und OLG Zweibrücken VRS 38 (1970) 42; so auch OLG Köln N J W 2 0 0 1 3 4 9 2 . OLG Köln NJW 2 0 0 1 3 4 9 2 . OLG Koblenz DAR 1983 64. Ebenso Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 86. BayObLG (1 St 10/85): zit. nach Rüth DAR 1986 2 4 4 . OLG Celle VRS 62 (1982) 38 und OLG Hamm DAR 1 9 5 9 48. Zur Kritik an dieser Erhöhung des Strafrahmens auch Schild NK Rdn. 161 und Steenbock S. 172 f (dazu bereits Rdn. 232).

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S. vor allem BGHSt 12 2 5 6 ; weitere Nachweise bei Janiszewski Rdn. 5 4 9 und Sch/ Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rdn. 87. BGH VM 1963 57; ebenso HentschelΊ König Rdn. 65. BGH VRS 32 (1967) 437. BGH VRS 4 (19152) 52 und VRS 9 (1955) 137 sowie OLG Karlsruhe VRS 4 8 (1975) 341; zustimmend Schild NK Rdn. 162. Nicht überzeugend insoweit OLG Saarbrücken N J W 1968 458. BGH VRS 4 (1952) 52 (Flucht ohne Licht) sowie BGHSt 18 9 ff (vorsätzliche Gefährdung eines den Täter verfolgenden Polizeibeamten). BGH VRS 18 (1960) 425.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

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c) Im Hinblick auf ein ggf. schwächeres Feststellungsbedürfnis des Unfallgegners können eher geringe Unfallfolgen als unrechtsmindernd zugunsten des Flüchtigen strafmildernd berücksichtigt werden. 1 2 1 9 Gleiches gilt, wenn der Flüchtige die ihm auferlegten Pflichten jedenfalls teilweise erfüllt, im Falle von Abs. 1 Nr. 2 etwa immerhin eine gewisse Zeit gewartet hat. Eine fakultative Strafmilderung kommt in Betracht, falls der Täter sich entfernt hat, um entweder (aus seiner Sicht) vorrangige andere Pflichten zu erfüllen oder anderweitige dringende Geschäfte zu besorgen, nach Besonderheiten des Einzelfalles diesbezüglich aber weder eine „Berechtigung" noch eine „Entschuldigung" bejaht werden kann (dazu bereits Rdn. 126 ff). Da die schuldhafte Verursachung des Unfalls nicht zum Tatbestand des § 142 gehört, wird der Unrechtsgehalt einer Verkehrsunfallflucht an sich auch nicht dadurch beeinflusst, dass sich später die Unschuld des Täters an der Entstehung des Unfalls herausstellt 1 2 2 0 oder der Verletzte den Unfall (ggf. sogar in selbstmörderischer Absicht) sogar selbst verursacht h a t 1 2 2 1 . Weil sich die unerlaubte Entfernung vom Unfallort aller Erfahrung nach jedoch häufiger an einen verschuldeten als einen nicht erweisbar verschuldeten Unfall anschließt, kann sich die Schuldlosigkeit des Täters an der Entstehung des Unfalls gleichwohl strafmildernd auswirken; denn in einem solchen Fall dürfte dem flüchtigen Fahrer die Tatsache, Unrecht zu tun, im Allgemeinen weniger klar vor Augen stehen und somit auch seine Schuld hinsichtlich der Unfallflucht mindern, als wenn er sich an dem Unfall schuldig oder jedenfalls mitschuldig fühlt und im Bewusstsein handelt, durch seine Flucht berechtigte Ersatzansprüche des Unfallgegners zu gefährden oder zu vereiteln. 1222 Hat sich der Täter unter Schockwirkung, auf Grund posttraumatischer Dämmerzustände oder ganz allgemein wegen Kopflosigkeit infolge seiner Verwicklung in den Unfall vom Unfallort entfernt, ohne dass dadurch Vorsatz oder Schuld völlig ausgeschlossen waren (dazu schon Rdn. 167 ff sowie Rdn. 129 ff), 1 2 2 3 kann dies strafmildernd ebenso berücksichtigt werden, wie wenn er (soweit damit nicht schon die Voraussetzungen tätiger Reue erfüllt sind: dazu bereits Rdn. 199 ff) freiwillig zur Unfallstelle zurückkehrt, 1 2 2 4 nachträglich Selbstanzeige erstatt e t 1 2 2 5 oder (etwa weil er dies einem Dritten, der den Unfallgegner kannte, mitgeteilt hat) von vornherein zur Schadensersatzleistung bereit 1 2 2 6 oder jedenfalls um einen Schadensausgleich bemüht w a r 1 2 2 7 .

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Soweit das Bestreben des Täters, durch sein tatbestandsmäßiges Verhalten der Gefahr eigener Strafverfolgung wegen mit dem Unfall nicht zusammenhängender Straftaten zu entgehen, nicht bereits zu schuldausschließender Unzumutbarkeit führt (dazu bereits Rdn. 197 f), ist jedenfalls eine fakultative Strafmilderung angebracht. 1 2 2 8 Eine Strafmilderung im Hinblick auf die mit dem Schadensereignis (vorsätzlich oder fahrlässig) verwirklichten Straftaten ist jedoch ausgeschlossen, da dieses Selbstbelastungsrisiko nach der Konzeption des Gesetzes ganz bewusst dem Täter aufgebürdet ist (Rdn. 195). Zu

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Ebenso Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 86. BGH VRS 18 (1960) 4 2 4 und VRS 19 (1960) 4 2 6 . BGHSt 12 258. So schon BGHSt 5 130; ebenso BGH VRS 2 4 (1963) 119 f. Zustimmend Schild NK Rdn. 162. BGH VRS 18 (1960) 201 ff, VRS 19 (1960) 120 und VRS 24 (1963) 189 (besonders bei Zusammenwirken mit Alkoholgenuss). BGH VRS 2 5 (1963) 115.

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LG Gera VRS 9 9 (2000) 2 5 6 . BayObLG ( l b St 112/67): zit. nach Rüth DAR 1968 2 2 5 ; ebenso Zopfs MK Rdn. 134 und Schild NK Rdn. 162. LG Gera VRS 9 9 (2000) 2 5 6 . Anders aber KG VRS 8 (1955) 268; wie hier jedoch Sch/Schröder/Cramer/SternbergLieben Rdn. 86 und Schild NK Rdn. 162. Von seinem dogmatisch anderen Ausgangspunkt aus befürwortet Ulsenheimer (GA 1972 26) sogar eine obligatorische Strafmilderung.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

Strafmilderungsmöglichkeiten für den an sich „reuigen" Täter, der die objektiven Voraussetzungen tätiger Reue verkannt hat, bereits Rdn. 211. Eine Strafmilderung für Teilnehmer nach § 28 Abs. 1 kommt nicht in Betracht, da die Unfallbeteiligung keine („täterbezogene") besondere Pflichtenstellung begründet, sondern nur die subjektiv gefasste Umschreibung einer („tatbezogenen") objektiven Tatsituation darstellt (dazu schon Rdn. 182). Nicht nur, doch insbesondere unter den Voraussetzungen des § 21 kann auch Alkoholgenuss strafmildernd in Betracht kommen, 1 2 2 9 vor allem wenn die Wirkungen reichlich genossenen Alkohols durch einen Unfallschock verstärkt werden. 1 2 3 0 Der gelegentlich erkennbaren Tendenz der Rechtsprechung, eine Verkehrsunfallflucht im Zusammenhang mit Alkoholdelikten härter zu bestrafen, ist zu widersprechen. Selbst wenn der Genuss von Alkohol hinsichtlich der Verursachung des Unfalls (selbstverständlich) straferschwerend ins Gewicht fällt, darf er jedenfalls bei der nachfolgenden Unfallflucht grundsätzlich nicht strafschärfend berücksichtigt werden. 1 2 3 1 Weil die Trunkenheit den in diesem Augenblick erforderlichen Willensentschluss, am Unfallort zu bleiben, aller Erfahrung nach eher beeinträchtigt, kann sogar eine Strafmilderung in Betracht kommen. 1 2 3 2 Soweit der Täter schon wegen des Alkoholdelikts bestraft wird, würde er im Übrigen doppelt bestraft, wenn man ihm den genossenenen Alkohol auch beim unerlaubten Sichentfernen erschwerend anlasten würde. 1 2 3 3 Einer Strafmilderung nach § 21 steht nicht entgegen, dass der Täter seine durch Alkoholgenuss verminderte Schuldfähigkeit selbst schuldhaft verursacht hat; 1 2 3 4 dies kann ihm nur nach den Regeln der actio libera in causa (dazu LK-Schöch Rdn. 194 ff zu § 20) oder nach den Grundsätzen über den selbstverschuldeten Affekt (dazu LK-Schöch Rdn. 137 ff zu § 20) zugerechnet werden. 1 2 3 5 Zu beachten ist jedoch, dass der BGH seine langjährige Rechtsprechung zur strafmildernden Berücksichtigung einer durch schuldhaft herbeigeführte Trunkenheit verminderten Zurechnungsfähigkeit (§21) deutlich verschärft hat. Neigte der BGH bislang nämlich dazu, eine den Trunkenheitstäter begünstigende Strafrahmenverschiebung nach § § 2 1 und 49 nur bei konkretem Vorwissen bzw. konkretem Wissenmüssen des Täters von seiner Neigung, im Alkoholrausch Straftaten „vergleichbaren Ausmaßes" zu begehen, abzulehnen, 1 2 3 6 hat er dies ausweislich einiger neuerer Entscheidungen zum strafzumessungsmäßigen Nachteil des Trunkenheitstäters aufgegeben und zunächst durch seinen 3. Strafsenat 1 2 3 7 jedenfalls eine generelle Strafmilderung mit der Begründung abgelehnt, dass die schuldhafte Herbeiführung des Rausches die Schuldminderung bei Begehung der Tat hinreichend ausgleiche. 1238 Der 5. Strafsenat hat diese für den Trun1229

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So schon BGH VRS 5 (1953) 281 und BGHSt 5 131; so dann auch BGHR StGB § 142 Strafrahmenverschiebung 1 (zustimmend Zopfs MK Rdn. 134). BGH VRS 24 (1963) 189. So zutreffend schon OLG Braunschweig VRS 4 (1952) 213. Gegenteiliger Ansicht in diesem Punkt aber Zopfs MK Rdn. 134 und wohl auch Hentschel/König Rdn. 67; wie hier jedoch Schild NK Rdn. 162. So der berechtigte Hinweis auch von Middendorff Blutalkohol 1982 362 f. OLG H a m m VRS 35 (1968) 269. Dazu schon OLG Koblenz VRS 54 (1978)

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So noch BGHSt 34 29 (33) und BGHSt 35 143 (145): je m.w.N. Urt. v. 27.3.2003 - 3 StR 435/02 = NJW 2003 2394 (mit ablehnendem Besprechungsaufsatz Streng a a O S. 2963 ff) = StV 2003 497 (ebenfalls ablehnend Ulfried Neumann a a O S. 527 ff): dazu auch Geppert, JK 12/03, StGB § 21/1. Auf gleicher Linie wie der 3. Strafsenat dann auch der 2. Strafsenat (BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 32). Dazu auch Foth D R i Z 1990 417 ff; de lege ferenda dazu auch Rautenberg D t Z 1997 45 ff.

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kenheitstäter strengere Linie dann gegen Kritik aus dem Schrifttum argumentativ weiter abgesichert: 1239 So folgert er aus der „Kann"-Formulierung in § 21 ein Ermessen des Tatrichters, mittels einer „Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände" im Einzelfall zu einer insgesamt gerechten Strafzumessungsentscheidung zu kommen; doch lässt auch der 5. Strafsenat kaum einen Zweifel daran, eine Strafmilderung wegen selbstzuverantwortender Trunkenheit in aller Regel eher versagen zu wollen, weil an die Überzeugungsbildung des Tatrichters wegen der hinlänglich bekannten „vielfältig verheerenden Wirkungen übermäßigen Alkoholgebrauchs... nicht übertrieben hohe Anforderungen gestellt werden" dürften (BGHSt 49 246). So bekräftigt auch er jenes Kompensationsmodell des 3. Strafsenates, wonach im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung eine (gemeint: trunkenheitsbedingte) verminderte Schuldfähigkeit durch schuld erhöhende Umstände ausgeglichen werden könne. 1240 Eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit kommt nach gefestigter Rechtsprechung auch im Fall von § 142 jedenfalls ab 2 Promille in Betracht; 1241 ab 2,7 Promille liegt sie nahe. 1242 238

2. Strafaussetzung zur Bewährung 1243 setzt auch bei unerlaubtem Sichentfernen vom Unfallort eine günstige Täterprognose voraus, wobei eine umfassende individuelle Würdigung von Tat und Persönlichkeit des Täters erforderlich ist (§ 56 Abs. 1 S. 1 und S. 2); auf die Erläuterungen zu § 56 kann verwiesen werden. Weil das Gesetz dabei für bestimmte Straftaten (oder bestimmte Gruppen von Straftaten) keine Ausnahme vorsieht, wäre es auch im Rahmen von § 142 unzulässig, auf eine solche individuelle Prüfung generell verzichten zu wollen. Bei günstiger Sozialprognose bildet die Bewilligung der Strafaussetzung also auch bei § 142 die Regel, ihre auf § 56 Abs. 3 gestützte Versagung die Ausnahme. Dabei kann die „Verteidigung der Rechtsordnung" nicht schlechthin mit dem Strafzweck der Generalprävention gleichgesetzt werden; sie umfasst zwar diesen Strafzweck, ist unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung der Rechtstreue der Bevölkerung diesbezüglich aber eingeschränkt.1244 Soll das Verhältnis von Regel und Ausnahme nicht in sein Gegenteil verkehrt werden, kann die Vollstreckung von Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten gemäß § 56 Abs. 3 somit nicht schon aus jedem allgemeinabschreckenden Interesse, sondern nur bei gesteigerter Dringlichkeit und somit nur damit begründet werden, dass andernfalls die Unverbrüchlichkeit der verletzten Norm im Bewusstsein der Allgemeinheit (und auch potentieller Täter) in Zweifel geraten und damit auch die Rechtstreue der Bevölkerung erschüttert werden könnte. 1245 Danach

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Urt. v. 17.8.2004 - 5 StR 9 3 / 0 4 = BGHSt 4 9 2 3 9 ff: dazu auch Geppert, JK 5/05, StGB § 2 1 / 2 a und 2b. Der Senat stellt dabei klar, dass nicht jede vorwerfbare Alkoholisierung ein solch schulderhöhender und damit strafverschärfender „Umstand" sein könne, sondern dem allseits anerkannten Schuldgrundsatz entsprechend - diesbezüglich zumindest Fahrlässigkeit zu fordern und die fahrlässigkeitsrelevante Voraussehbarkeit dabei auf die konkret begangene rechtswidrige Tat zu beziehen sei. Im Einzelnen werden in diesem Zusammenhang sowohl personetibezogene (z.B. schon im Vorfeld der Tat begangene Gewalttätigkeiten oder andere

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im Rausch begangene Taten) wie auch sttuationsbezogene Umstände (z.B. Trinken in Gruppen, emotional aufgeladene Krisensituaionen) beispielhaft aufgeführt. 1 2 4 1 OLG Koblenz VRS 54 (1978) 120. 1 2 4 2 OLG Schleswig VRS 5 9 (1980) 113 (mE wohl sogar schon ab 2,3 Promille). 1243 Mit weiterem Rechtsprechungsmaterial schon Weigelt DAR 1960 12. 1 2 4 4 Grundlegend BGHSt 2 4 4 0 ff. 1 2 4 5 So in Umsetzung und Verdeutlichung von BGHSt 2 4 4 0 ff und 2 4 64 ff speziell zu § 142 OLG Karlsruhe VRS 4 8 (1975) 341; dazu auch OLG Koblenz VRS 4 8 (1975) 182.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

kann es geboten sein, dem Trend, die Verkehrsunfallflucht als Kavaliersdelikt anzusehen, trotz individuell günstiger Täterprognose durch die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung entgegenzuwirken; dabei ist jedoch ein strenger Beurteilungsmaßstab angebracht und eine ausweislich der Zunahme von Unfallfluchtfällen gesunkene Verkehrsdisziplin darf dabei nicht nur behauptet, sondern sollte auch tatrichterlich in empirisch überzeugender und revisionsgerichtlich nachprüfbarer Weise festgestellt werden. 1 2 4 6 3. Entziehung der Fahrerlaubnis und Fahrverbot a) Als Indiztat, bei der die Ungeeignetheit des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen vermutet wird und die demzufolge im Regelfall zur Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. einer isolierten Sperrfrist führt, kommt § 142 ausweislich von § 69 Abs. 2 Nr. 3 nur in Betracht, wenn der unfallflüchtige Täter „weiss oder wissen kann, dass bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist"; im Gegensatz zu § 142, der für die innere Tatseite Vorsatz erfordert (wobei bedingter Vorsatz ausreicht), genügt im Rahmen von § 69 Abs. 2 Nr. 3 hinsichtlich der Schadensfolgen bloße Fahrlässigkeit („wissen kann"). Die Grenze, ab der ein bedeutender Sachschaden anzunehmen ist, liegt derzeit bei ca. 1.300 Euro (tendenziell wachsend: dazu schon Rdn. 202); auf die Erläuterungen zu § 69 (dort Rdn. 82 ff) kann ebenfalls verwiesen werden. Im Einzelfall kommt eine Entziehung der Fahrerlaubnis auch unterhalb dieser Grenze in Betracht; doch ist in diesem Fall eine umfassende Gesamtwürdigung nach § 69 Abs. 1 geboten 1 2 4 7 (dazu Rdn. 68 ff zu § 69). Sieht das Gericht nach § 142 Abs. 4 (tätige Reue) von Strafe ab, wird eine Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. eine isolierte Sperrfrist in aller Regel schon deshalb ausscheiden, weil damit zugleich die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 widerlegt sein dürfte (Rdn. 209). Gleichermaßen widerlegt dürfte die Regelvermutung sein, wenn der reuige Täter die objektiven Voraussetzungen tätiger Reue subjektiv verkannt hat (dazu schon Rdn. 211). 1 2 4 8 Sind die Voraussetzungen für eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht gegeben, bleibt zu prüfen,

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b) ob ein Fahrverbot (§ 44) in Betracht kommt. Im Hinblick auf seinen Strafcharakter muss das Fahrverbot dem Verschulden des Täters und dem Maß seiner Pflichtwidrigkeit entsprechen; es darf auch im Fall des § 142 nicht lediglich mit den Merkmalen der begangenen Tat begründet werden. 1 2 4 9 Der Tatrichter muss in jedem Einzelfall prüfen, ob der Täter zusätzlich zur Hauptstrafe noch des erzieherischen „Denkzettels" eines Fahrverbotes bedarf; 1 2 5 0 auf die einschlägigen Erläuterungen zu § 44 kann verwiesen werden. Sieht das Gericht bei tätiger Reue nach § 142 Abs. 4 von Strafe ab, scheidet ein Fahrverbot schon deshalb aus, weil ein solches als Nebenstrafe nur zusätzlich zu einer Hauptstrafe ausgesprochen werden kann (vgl. Rdn. 209). Anlass für die Anordnung eines Fahrverbotes ist in aller Regel auch dann nicht gegeben, wenn der an sich reuige

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Speziell zu § 142 OLG Karlsruhe VRS 48 (1975 ) 341 ff und OLG Koblenz VRS 48 (1975) 181 ff; auf gleicher Linie für Trunkenheitsdelikte schon OLG Frankfurt VRS 42 (1972) 182 ff und KG VRS 4 4 (1973) 94 ff. OLG Düsseldorf VRS 81 (1991) 184. Ebenso LG Gera VRS 9 9 (2000) 2 5 6 .

So speziell zu § 142 OLG Köln VRS 5 9 (1980) 104. 1250 Aus diesem Grund hat es das OLG Celle zu Recht als rechtsfehlerhaft angesehen, wenn das Fahrverbot allein im Hinblick darauf angeordnet wurde, dass der Täter Berufskraftfahrer war: VRS 62 (1982) 38. 1249

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Täter die Voraussetzungen tätiger Reue verkannt hat; in diesem Fall dürfte er durch sein freiwilliges Nachtatverhalten hinreichend bewiesen haben, dass er der zusätzlichen (spezialpräventiven) Pflichtenmahnung in Form eines Fahrverbotes nicht bedarf (dazu schon Rdn. 211). 241

4. Das Fahrzeug, mit dem sich der Täter unerlaubt vom Unfallort entfernt hat, kann unter den Voraussetzungen des § 74 eingezogen werden. 1251 Da die Einziehung als Rechtsfolge besonderer Art vom Ermessen des Tatrichters abhängt, muss dieser in jedem Fall prüfen (strenger Maßstab, nicht zuletzt im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz), ob sie nach den gesamten Umständen im Fall von § 74 Abs. 2 Nr. 1 als Ergänzung der Hauptstrafe zur schuldgerechten Vergeltung der Tat unter angemessener Berücksichtigung der übrigen Strafzwecke erforderlich oder im Fall der Nr. 2 aus präventiver Sicht geboten ist; letzteres wird man nur bejahen können, wenn das Verlassen der Unfallstelle gerade wegen der Verwendung des Fahrzeugs erfolgreich war, was in aller Regel nicht der Fall sein dürfte. 1 2 5 2

X . Verfahrensrechtliche Aspekte 242

1. Nach § 2 6 4 Abs. 1 StPO ist Verfahrensgegenstand die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. Damit ist zugleich der Umfang der gerichtlichen Aburteilungsbefugnis und die Spannbreite des Strafklageverbrauchs (Art. 103 Abs. 3 GG: „ne bis in idem") bestimmt. Nach gefestigter Rechtsprechung schon des Reichsgerichts und diesem folgend des Bundesgerichtshofes ist „Tat" im prozessualen Sinn der vom Eröffnungsbeschluss betroffene Vorgang einschließlich aller damit zusammenhängenden oder darauf bezüglichen Vorkommnisse und tatsächlichen Umstände, die geeignet sind, das in diesen Bereich fallende Tun des Angeklagten unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt als strafbar erscheinen zu lassen (RGSt 61 317). Danach muss das in der Anklage bezeichnete geschichtliche Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bilden, ohne Rücksicht darauf, ob sich bei der rechtlichen Beurteilung eine oder mehrere strafbare Handlungen (im konkurrenzrechtlichen Sinn der §§ 52 ff StGB) statt oder neben der im Eröffnungsbeschluss bezeichneten Straftat ergeben (BGHSt 23 145). Dazu genügt die bloße zeitliche oder örtliche Aufeinanderfolge der einzelnen Vorgänge ebensowenig wie der Umstand, dass der Angeklagte aus einer einheitlichen Grundhaltung heraus, etwa in Verfolgung eines Gesamtplanes, tätig geworden ist; die notwendige innere Verknüpfung der jeweiligen Vorwürfe muss sich vielmehr unmittelbar aus den ihnen zugrunde liegenden Handlungen und Ereignissen unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung ergeben: und zwar dergestalt, „dass keine der Beschuldigungen für sich allein verständlich abgehandelt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorganges empfunden würde" (BGHSt 13 26):

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BGHSt 1 0 337. So auch Zopfs M K Rdn. 135. Doch gegen eine prinzipielle Anwendung von § 7 4 Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 4 9 / 6 8 (S. 6 3 2 ) , Schild N K Rdn. 1 6 3 und Wimmer

DAR 1 9 5 3 1 4 7 : Das Wegfahren sei eine so typische Begehungsweise, dass das Fahrzeug nicht mehr als Mittel zur Begehung der Straftat angesehen werden dürfe.

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

a) Von verfahrensrechtlicher „Tat"-Identität i.S. von § 2 6 4 StPO ist somit zunächst einmal überall dort auszugehen, wo die Verkehrsunfallflucht tateinheitlich mit anderen Delikten verwirklicht ist (Rdn. 217 ff); denn von Ausnahmefällen, die vorliegend nicht einschlägig sind, einmal abgesehen, 1253 stellt eine tateinheitlich verwirklichte Tat nach Rechtsprechung und weithin h.M. im Schrifttum in aller Regel auch im verfahrensrechtlichen Sinn eine einzige Tat dar. 1 2 5 4 Trotz konkurrenzrechtlicher Annahme von Tatmehrheit ist davon auch für das Verhältnis von § 142 z.B. zu vorangegangener Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c) einschließlich ggf. des subsidiär verdrängten Dauerdeliktes strafbarer Trunkenheit im Verkehr (§ 316) sowie für das Verhältnis von § 142 zu gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b) oder sonst zu einer bei Verursachung des Unfalls begangenen Straftat auszugehen; denn der Unrechts- und Schuldgehalt einer Verkehrsunfallflucht kann grundsätzlich nicht ohne Berücksichtigung der Umstände beurteilt werden kann, unter denen es zum Unfall gekommen ist. 1 2 5 5 Dies gilt im Übrigen nicht nur für § 142 Abs. 1 (Sichentfernen vom Unfallort), der ungeachtet seiner materiellrechtlichen Selbstständigkeit schon äußerlich an das Vorverhalten anknüpft und mit diesem ausweislich seiner Tatbestandsbeschreibung („Verkehrsunfall", „Unfallbeteiligter", Anwesenheit einer Person, die „bereit war, die Feststellungen zu treffen, oder „Sichentfernen vom Unfallort"?) auch rechtlich einen einheitlichen Lebenssachverhalt darstellt. 1256 Trotz tatbestandlicher Verschiedenheit der in Abs. 1 und Abs. 2 normierten Fehlverhaltensweisen gilt grundsätzlich Gleiches auch für Abs. 2; denn ausweislich dessen auf Abs. 1 bezogenen Merkmale („nach Ablauf der Wartefrist", „berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt" oder Ermöglichung der erforderlichen „Feststellungen"?) ist auch die Nichtermöglichung der nachträglichen Feststellungen durch einen „Unfallbeteiligten" (!) tatsächlich und rechtlich mit der Entstehung des Unfalls verknüpft und stellt somit ebenfalls einen einheitlichen Lebensvorgang dar. 1 2 5 7 Verfahrensrechtlich von einer Tat ist schließlich auszugehen, wenn dem unfallbeteiligten mitfahrenden Halter zugleich ein Vorwurf nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG gemacht wird 1 2 5 8 oder zwei auf denselben Lebenssachverhalt bezogene Vorwürfe wie etwa Vortäuschung einer Straftat (§ 145d) und unerlaubte Entfernung vom Unfallort derart miteinander verknüpft sind, dass sie sich wechselseitig ausschließen. 1259

243

b) Keine „Tat"-Identität i.S. von § 264 StPO liegt vor für das Verhältnis von Verkehrsunfallflucht zu allen jenen Verkehrs- oder sonstigen Straftaten, die nach Beendigung der Unfallflucht (zu dieser Grenze s. bereits Rdn. 179 f) etwa in Form einer dabei verwirklichten weiteren Straßenverkehrsgefährdung oder einer ggf. nochmaligen Verkehrs-

244

Zu Organisationsdelikten s. etwa BGHSt 36 151 und 2 9 2 8 8 sowie zu Waffendelikten BGH NJW 1989 1810. 1254 jy[jt zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen speziell zu § 142 Brückner N Z V 1996 2 6 6 ff. 1 2 5 5 Grundlegend BGHSt 2 3 141 ff = NJW 1970 2 5 5 ; ausführlich dazu Brückner N Z V 1996 2 6 6 ff. Dies gilt auch dann, wenn dem Unfallbeteiligten hinsichtlich der Verursachung des Unfalls nur eine Ordnungswidrigkeit vorgeworfen werden kann (BGHSt 24 185 ff). 1 2 5 6 Seit BGHSt 2 3 141 ff allseits anerkannte 1253

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ständige Rechtsprechung: vgl. auch BGHSt 2 3 2 7 0 ff, 24 185 ff sowie 2 5 72 ff; zu Fällen dieser Art auch KG DAR 1968 2 4 4 , OLG Celle VRS 3 6 (1969) 3 5 2 und OLG Saarbrücken NJW 1974 375. Ebenso BGH VRS 6 3 (1982) 3 9 ff; so zuvor schon OLG Celle VRS 5 4 (1978) 4 0 . Zustimmend Schild NK Rdn. 165, Zopfs MK Rdn. 138 und Jäger HK Rdn. 263. OLG Karlsruhe N Z V 1 9 9 7 195; so schon OLG Düsseldorf VRS 87 (1994) 2 9 2 , OLG Stuttgart VRS 7 2 (1987) 186 und OLG Zweibrücken N J W 1 9 8 2 2 5 6 6 . OLG Hamm N J W 1981 2 3 7 ff.

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unfallflucht begangen worden sind. Dies gilt auch dann, wenn es sich zwar äußerlich um eine einheitliche Trunkenheitsfahrt handelt, der Fortsetzung dieser Fahrt nach konkurrenzrechtlichen Regeln (dazu bereits Rdn. 223 ff) jedoch ein neuer Tatentschluss zugrunde liegt. 1260 245

2. Da der Urteilsfindung alle zu einer Tat im prozessualen Sinn gehörenden Taten unterliegen, bedarf es in diesem Umfang keiner Nachtragsanklage (§ 266 StGB). Ausreichend, doch erforderlich ist ggf. ein Hinweis auf veränderte rechtliche Gesichtspunkte (§ 265 StPO). Ein solcher Hinweis ist vor allem notwendig, wenn der Unfallbeteiligte entgegen der Anklage nur als Teilnehmer und nicht als Täter (oder umgekehrt) 1261 oder nicht nach Abs. 1, sondern nach Abs. 2 von § 142 verurteilt wird 1 2 6 2 ; dies letzterenfalls im Berufungsverfahren auch dann, wenn sich der Erstrichter in seinem freisprechenden Urteil auch mit der Anwendbarkeit von § 142 Abs. 2 befasst und diese verneint hat. 1 2 6 3 Trotz ihrer Zusammenfassung in einer Vorschrift sind beide Begehungsweisen in ihren tatbestandlichen Voraussetzungen so verschieden, dass das Urteil auch auf dem Fehlen entsprechender Hinweise beruhen dürfte; denn in allen diesen Fällen ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte bei Wechsel des Vorwurfs sich anders verteidigt hätte. Eines rechtlichen Hinweises bedarf es ferner, wenn der Vorwurf von § 142 auf § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG (Überlassen eines Fahrzeugs an eine Person ohne Fahrerlaubnis) erweitert wird. 1264

246

3. Zur rechtlichen Bezeichnung der Tat in der Urteilsformel genügt bei Verurteilung nach § 2 6 0 Abs. 4 S. 2 StPO die gesetzliche Überschrift („unerlaubtes Entfernen vom Unfallort"); eine Differenzierung nach Abs. 1 oder Abs. 2 ist nicht erforderlich. Ist die Unschuld des Angeklagten erwiesen oder kann seine Schuld im Rahmen des Verfahrensgegenstandes unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zur sicheren Überzeugung des Gerichts festgestellt werden, hat Freispruch zu erfolgen. In diesem Fall hat die rechtliche Bezeichnung des Tatvorwurfs, von dem freigesprochen wird, im Interesse des Freigesprochenen zu unterbleiben. Auch Zusätze wie „mangels Beweises", „mangels begründeten Tatverdachts" oder „aus rechtlichen Gründen" sind unangebracht; sie verstoßen gegen die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 MRK). 1 2 6 5 Teilfreispruch ist geboten, wenn der Angeklagte nicht wegen aller in Tatmehrheit angeklagter, sondern nur wegen einer dieser tatmehrheitlich verwirklichten Straftaten verurteilt wird: so etwa, wenn er für die Verursachung des Unfalls strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann und eine Verurteilung nur wegen nachfolgender Unfallflucht möglich ist. Teilfreispruch ist ferner erforderlich, wenn die Annahme von Tateinheit (schon nach dem der Anklage zugrunde liegenden Sachverhalt oder jedenfalls nach dem Ergebnis der

1260

Grundlegend BGHSt 23 141 (147 ff); bestätigt durch BGHSt 23 2 7 0 (272 f) und

1262

Rdn. 261 und Hentscbel/König Rdn. 74; m.w.N. auch Brückner N Z V 1996 2 6 6 ff. Zur Notwendigkeit des Hinweises auf veränderten rechtlichen Gesichtspunkt bei Änderung der Teilnahmeform generell BGHSt 23 96; zum Wechsel von Beihilfe zur Täterschaft speziell im Rahmen von § 142 offengelassen durch OLG Düsseldorf VRS 87 (1994) 2 9 0 .

1263

BGH StV 1983 279. Zustimmend Jäger HK

1261

886

1264

1265

OLG Celle VRS 54 (1978) 4 0 sowie OLG Frankfurt a.M. N Z V 1989 4 0 und StV 1992 60. BayObLG VRS 61 (1981) 31. OLG Karlsruhe N Z V 1997 195; ebenso schon OLG Stuttgart VRS 72 (1987) 186. So zu Recht auch Meyer-Goßner Rdn. 17 und Schoreit KK StPO 5 Rdn. 25: je zu § 2 6 0 StPO.

Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

§ 142

Hauptverhandlung) verfehlt war und eine der in Betracht kommenden selbstständigen (und damit realiter konkurrierenden) Handlungen nicht nachzuweisen ist: 1 2 6 6 so insbesondere, wenn Tateinheit zwischen den durch die Unfallverursachung verwirklichten Delikten und nachfolgendem unerlaubtem Sichentfernen vom Unfallort nicht zuletzt deshalb zu verneinen ist, weil es an einer beide Tatkomplexe miteinander verklammernden einheitlichen Dauerstraftat fehlt (dazu schon Rdn. 223 ff). Da wegen ein und derselben Tat (im konkurrenzrechtlichen Sinn der § § 5 2 ff) ein und desselben Angeklagten das Urteil nur einheitlich auf Freispruch oder Verurteilung lauten kann, ist nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung Teilfreispruch nicht möglich, wenn sich der Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort nicht bestätigt und aus der Sicht des erkennenden Gerichts z.B. nur eine Verurteilung wegen alkoholbedingter Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c Abs. 1 Nr. la) möglich ist. Hier entfällt keiner der beiden in der Anklage bezeichneten Geschehensabläufe völlig; denn mangels eines neuen Willensentschlusses wachsen beide Geschehensabläufe durch den nach dem Unfall liegenden Teil der (weil durch keine Zäsur unterbrochenen!) einheitlichen Trunkenheitsfahrt (§ 316) 1 2 6 7 vielmehr zu einer Tat im konkurrenzrechtlichen Sinn zusammen. 1268 Aus gleichem Grund kommt Teilfreispruch ferner nicht in Betracht, wenn der angeklagte Unfallbeteiligte in Abweichung zum Eröffnungsbeschluss, in welchem ihm eine alkoholbedingte Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c Abs. 1 Nr. la) mit nachfolgender Verkehrsunfallflucht - diese wiederum in Tateinheit mit Trunkenheit im Straßenverkehr (§§ 142, 316 und 52) - zur Last gelegt war, infolge geänderter rechtlicher Beurteilung nur wegen fahrlässigen Vollrausches (§ 323a) bestraft wird; denn mit Wegfall des Tatbestandes des unerlaubten Sichentfernens vom Unfallort sind wiederum beide Abschnitte der Trunkenheitsfahrt zu einer Tat zusammengewachsen, so dass der Fortsetzung der Fahrt von diesem Ausgangspunkt aus kein auf eine Unfallflucht ausgerichteter neuer Willensentschluss zugrunde lag. 1 2 6 9

247

4. Urteilsanfechtung a) Berufung und Revision können auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden (§§ 318 S. 1 und 344 Abs. 1 StPO). Im Umfang zulässiger Rechtsmittelbeschränkung erwächst der nichtangefochtene Teil der Entscheidung in (Teil-)Rechtskraft. Eine Beschränkung des Rechtsmittels auf einzelne Teile der in der Urteilsformel enthaltenen Entscheidung ist aber nur zulässig, wenn sie dem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit lässt, den angefochtenen Entscheidungsteil tatsächlich und rechtlich selbstständig, d.h. losgelöst von dem nicht angegriffenen Teil zu prüfen und rechtlich zu beurteilen. Eine Beschränkung des Rechtsmittels ist unwirksam, soweit der angegriffene Teil die Beurteilung des an sich unangefochtenen Entscheidungsteils mitbeeinflusst oder eine gegenseitige Wechselbeziehung besteht; bei unwirksamer Beschränkung des Rechtsmittels ist der gesamte Urteilsspruch angefochten (dazu schon Rdn. 233 ff zu § 69).

1266 Meyer-Goßner Rdn. 12 und Schoreit KK Rdn. 20: je zu § 260 StPO. 1267 £)j e v o n jgj. vorangegangenen Straßenverkehrsgefährdung jedoch mitumfasst und gesetzeskonkurrierend verdrängt wird. 1268

OLG Zweibrücken VRS 85 (1994) 206; auf dieser Linie schon BayObLG VRS 45

1269

(1973) 275, OLG Hamm VRS 50 (1976) 419, KG VRS 60 (1981) 107 und OLG Stuttgart VRS 67 (1984) 356. Allseits Zustimmung im Schrifttum: vgl. für viele Jäger HK Rdn. 266 und Hentschel/König Rdn. 74. OLG Hamm VRS 53 (1977) 125.

Klaus Geppert

887

248

§ 142

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

249

aa) Danach bestehen keine rechtlichen Bedenken, trotz (ggf.) verfahrensrechtlicher Einheitlichkeit bei realkonkurrierenden Straftaten Teilanfechtung zuzulassen. Zu Recht hat der BGH somit eine Teilanfechtung nur der Verurteilung wegen § 142 für zulässig gehalten und folgerichtig dazu die nicht angefochtene Verurteilung wegen der vorangegangenen (in Tatmehrheit zur nachfolgenden Unfallflucht stehenden) Herbeiführung des Unfalls teilrechtskräftig werden lassen. 1270 Gleiches gilt, wenn das Amtsgericht einen Angeklagten vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen und ihn nur wegen unerlaubtem Sichentfernen vom Unfallort verurteilt hat; hat danach lediglich der Angeklagte das Urteil angefochten, darf das Berufungsgericht den Teilfreispruch auch dann nicht überprüfen, wenn die Feststellungen zu beiden Teilen an sich untrennbar sind. 1271

250

bb) Unzulässig ist eine Rechtsmittelbeschränkung bei Vorliegen nur einer Tat (im konkurrenzrechtlichen Sinn der § § 5 2 ff), ist nach allseits gefestigter Rechtsprechung bei idealiter konkurrierenden Taten doch keine beschränkte Nachprüfung des (insoweit untrennbaren) Schuldspruchs möglich. 1272 Ist der Angeklagte daher z.B. wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. la) und auf Grund neuen Willensentschlusses tatmehrheitlich dazu wegen nachfolgender Unfallflucht schuldig gesprochen worden, ist nach ebenfalls gefestigter Judikatur eine nur auf die Verurteilung wegen Unfallflucht - diese dann wiederum in Tateinheit mit Trunkenheit im Verkehr - beschränkte Teilanfechtung zu Recht ebenfalls ausgeschlossen; denn wenn das später entscheidende Gericht eine Verurteilung wegen unerlaubten Sichentfernens vom Unfallort ausschließt, könnte der Angeklagte auch nicht mehr wegen der nach dem Unfall liegenden Trunkenheitsfahrt verurteilt werden: und zwar deshalb nicht, weil das zum Unfall führende Tatgeschehen und die anschließende Weiterfahrt dann nur einheitlich beurteilt werden können; die nach dem Unfall liegende Trunkenheitsfahrt hätte mangels neuen Willensentschlusses des Täters nämlich ihre materiellrechtliche Selbstständigkeit verloren, so dass damit auch die Fortsetzung der Trunkenheitsfahrt in der vorangehenden Straßenverkehrsgefährdung subsidiär aufgeht und von ihr mitumfasst wird. 1 2 7 3 Ferner: Auch wenn ein Täter im selben Rauschzustand mehrere mit Strafe bedrohte Handlungen begangen hat, liegt nur ein Vergehen nach § 323a vor. 1274 Legt die Anklageschrift dem Täter somit eine alkoholbedingte Straßenverkehrsgefährdung mit nachfolgender Unfallflucht - diese wiederum tateinheitlich verwirklicht mit Trunkenheit im Straßenverkehr - zur Last, bedarf es keines Teilfreispruchs, wenn der Angeklagte nur wegen fahrlässiger Volltrunkenheit verurteilt wird; denn geändert hat sich in einem solchen Fall wiederum nur die rechtliche Beurteilung. 1275 Zu Fragen der Teilanfechtung bzw. Teilrechtskraft im Zusammenhang

1270

1271 1272

1273

888

BGHSt 24 185 ff = JR 1972 203 (mit Anm. Meyer aaO S. 204). OLG Köln VRS 62 (1982) 283. BGHSt 21 258; bestätigt durch BGHSt 24 189. BGHSt 25 72; auf dieser Linie zuvor schon OLG Hamm NJW 1970 1244, OLG Köln VRS 40 (1971) 110, BayObLG VRS 41 (1971) 26 und OLG Karlsruhe NJW 1971 157 sowie später dann wiederum BGH N Z V 1992 78 und N Z V 1993 197 und

1274 1275

OLG Koblenz VRS 48 (1975) 26, OLG Hamm VRS 48 (1975) 266 und VRS 50 (1976) 419, BayObLG VRS 59 (1980) 336 und NStZ 1988 267, KG VRS 60 (1981) 107, OLG Düsseldorf VRS 63 (1982) 462, OLG Stuttgart VRS 67 (1984) 356 und VRS 72 (1987) 186 sowie OLG Zweibrücken VRS 85 (1993) 206. Vgl. für viele BGHSt 13 225. OLG Hamm VRS 53 (1977) 125.

Klaus Geppert

Unerlaubtes Entfernen v o m Unfallort

§ 142

mit Verkehrsunfallflucht s. auch BayObLG J R 1981 4 3 6 : 1 2 7 6 In dem dort zu entscheidenden Fall lautete die Anklage zunächst nur auf fahrlässige Körperverletzung im Straßenverkehr in Tatmehrheit mit Vortäuschung einer Straftat (§ 145d Abs. 2 Nr. 1); in erster Instanz wurde der Angeklagte aber nur wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt, doch vom Vorwurf der Beteiligtentäuschung freigesprochen. Hat danach allein der Angeklagte (gegen die Verurteilung wegen Körperverletzung) Berufung eingelegt, ist dem Berufungsgericht auf Grund wirksamer beschränkter Teilanfechtung verwehrt, den Angeklagten auch wegen unerlaubten Sichentfernens vom Unfallort schuldig zu sprechen. b) Sonstiges. Der Angeklagte kann ein Urteil des Amtsgerichts, das ihn vom Vorwurf des unerlaubten Sichentfernens vom Unfallort freigesprochen und gegen ihn wegen einer Ordnungswidrigkeit bei Verursachung des Unfalls nur eine Geldbuße festgesetzt hat, nur mit den Rechtsmitteln der StPO und nicht mit der Rechtsbeschwerde anfechten. 1 2 7 7

251

5. Angesichts entsprechender Hinweise des Gesetzgebers 1 2 7 8 wird die Praxis im Schrifttum schon für die 1975 in Kraft getretene Neufassung des § 142 vielfach aufgefordert, von den Einstellungsmöglichkeiten nach §§ 153 oder 153a StPO „nicht zu engherzig" 1 2 7 9 oder nachgerade „großzügig" 1 2 8 0 Gebrauch zu machen. Eine solche Korrektur der materiellrechtlichen Gesetzeslage wird vor allem bei Bagatellschäden (dazu schon Rdn. 34) sowie besonders dann für opportun gehalten, wenn der Unfallbeteiligte den Schaden (wenn auch verspätet, so doch) nachträglich reguliert hat (dazu schon Rdn. 122) oder der Geschädigte aus sonstigen Gründen nicht an einer Strafverfolgung interessiert ist. 1 2 8 1 Eine solche strafprozessuale Gegensteuerung kann auch nach Einführung des neuen Abs. 4 - nunmehr jedoch in etwas geringerem M a ß e - angebracht sein; sie wird vor allem in Betracht kommen, wenn die (kriminalpolitisch zu engen) Voraussetzungen der tätigen Reue im Einzelfall trotz guten Willens des Täters verfehlt wurden. Zu weiteren Einstellungsmöglichkeiten nach §§ 153 oder 153a StPO s. bereits Rdn. 74 (Verletzung von Tieren) und Rdn. 9 3 (Zurücklassen von Hinweiszetteln u.ä.).

252

§ 143 (weggefallen) § 144 (weggefallen)

Mit Anm. von Ulrich Stein J R 1 9 8 1 4 3 7 ff. BGHSt 3 5 2 9 0 ff; auf dieser Linie zuvor schon BayObLG N J W 1 9 6 9 1313 und N J W 1971 1325, O L G H a m m VRS 4 9 ( 1 9 7 5 ) 4 9 sowie O L G Zweibrücken VRS 51 ( 1 9 7 6 ) 372. 1278 BTDrucks. 7 / 2 4 3 4 , S. 6 und 7 / 3 5 0 3 , S. 5. Z u den §§ 1 5 3 ff StPO als regulativem „Notausgang" s. vor allem auch Engelstädter, Begriff des Unfallbeteiligten, S. 1 7 5 ff. 1276

1279

1277

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1281

Janiszewski DAR 1 9 7 5 1 7 2 . Höße AnwBl 1 9 8 7 4 3 3 (dort teilweise sogar eine „obligatorische Anwendung" der Opportunitätsvorschriften anmahnend); ebenso Schild N K Rdn. 1 6 4 . Auf dieser Linie im Schrifttum auch Arloth GA 1 9 8 5 5 0 6 , Berz D A R 1 9 7 5 3 0 9 und Sturm J Z 1 9 7 5 4 0 .

Klaus Geppert

889

§ 145

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung § 145

Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungsund Nothilfemitteln (1) Wer absichtlich oder wissentlich 1. Notrufe oder Notzeichen missbraucht oder 2 . vortäuscht, dass wegen eines Unglücksfalles oder wegen gemeiner Gefahr oder Not die Hilfe anderer erforderlich sei, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer absichtlich oder wissentlich 1. die zur Verhütung von Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr dienenden Warn- oder Verbotszeichen beseitigt, unkenntlich macht oder in ihrem Sinn entstellt oder 2 . die zur Verhütung von Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr dienenden Schutzvorrichtungen oder die zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr bestimmten Rettungsgeräte oder anderen Sachen beseitigt, verändert oder unbrauchbar macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in den §§ 3 0 3 oder 3 0 4 mit Strafe bedroht ist.

Schrifttum Baier Referendarexamensklausur - Strafrecht: Urkundsdelikte, Sachbeschädigung und Betrug JuS 2004 56; Blei Zum Begriff „Notruf" und dem Verhältnis von § 145 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB, UrtAnm. zu OLG Braunschweig NJW 1977 209, JA 1977 139; Dedy Anm. zu OLG Köln NJW 1999, 1042 NZV 1999 136; Eger Hände weg von den Verkehrszeichen! - Die manipulierten Straßenschilder Jura 2001 112; Greiner Zum Mißbrauch des (Polizei-)Notrufs 110, MDR 1978 373; ders. Anm. zu LG Köln MDR 1978 860 MDR 1978 860; Händel Mißbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungseinrichtungen, DAR 1975 57; Heimann/Schuckmanti Notruf 110 - Missbrauch, Fehlgebrauch, Gegenmaßnahmen Kriminalistik 2006 382; Hoffmann Scheinbare Anschläge - Zur Strafbarkeit sog. Trittbrettfahrer GA 2002 385; Jahn Anm. zu OLG Köln NJW 1999, 1042 JA 1999 98; Scbeffler Zum Vortäuschen eines Unglücksfalls in verkehrserzieherischer Absicht, NZV 1994 261; Sieme Notrufmissbrauch (§ 145 Abs. 1 Nr. 1 StGB) und Beeinträchtigung von Nothilfemitteln (§ 145 Abs. 1 Nr. 2 StGB) durch Wählen der Notrufnummer 112 oder 110, NStZ 2007 671; Stree Zum Vorrang eines Antragsdelikts, UrtAnm. zu BayObLG JR 1979 252, JR 1979 254; Weidemann Die Strafbarkeit falscher Bombendrohungen und falscher „MilzbrandBriefe" JA 2002 43; Wrage Anm. zu OLG Köln NJW 1999,1042 NStZ 2000 32.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde in der jetzt geltenden Fassung durch Art. 19 Nr. 5 7 EGStGB (BGBl. 1974 I, S. 4 6 9 , 4 8 3 ) eingefügt. 1 Zugleich wurde § 3 6 0 Abs.l Nr. 11 a.F., dessen Anwendungsbereich die Rechtsprechung auch auf Fälle missbräuchlicher Notrufe erstreckt hatte, 2 zu dem Bußgeldtatbestand des § 118 OWiG herabgestuft. Der Missbrauchstatbestand ('Abs. 1) entspricht dem § 3 0 0 des Entwurfs 1962 (Begr. S. 4 7 1 ; Niederschriften 13 133, 2 4 4 ) und wurde bereits in das 2 . StrRG (BGBl. 1 9 6 9 I, S. 717;

1

2

Ausführlich zur Entstehungsgeschichte: Schild NK Rdn. 1. Rudolphi/Stein SK Rdn. 1 (dort: Fn. 1) u.

890

Schild NK Rdn. 1 mit Beispielen aus der insoweit überholten Rechtsprechung.

Christoph Krehl

Missbrauch ν. Notrufen u. Beeintr. v. Unfallverhütungs- u. Nothilfemitteln

§ 145

Entwurf BTDrucks. V/4095 S. 4 6 ) eingestellt. Der Funktionsbeeinträchtigungstatbestand (Abs. 2) geht auf die Stellungnahme des Bundesrats zum Regierungsentwurf eines EGStGB zurück (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 471) und soll insbesondere Strafbarkeitslücken schließen, die sich nach dem Wegfall des § 3 6 0 Abs. 1 Nr. 11 a.F. dann ergeben hätten, wenn Unfallverhütungs- und Nothilfemittel in ihrer Funktion durch Handlungsmodalitäten beeinträchtigt werden, die nicht unter die Tatbestände der §§ 3 0 3 , 3 0 4 fallen. Die heutige Gesetzesfassung des Abs. 2 beruht auf einem Kompromiss mit dem Formulierungsvorschlag der Bundesregierung (BTDrucks. 7/550 S. 4 9 4 ) , 3 zielt auf die Vermeidung von Spannungen zu den Sachbeschädigungsvorschriften und weicht von dem Bundesratsvorschlag hinsichtlich der Auswahl der Handlungsmodalitäten, durch die gegenüber Abs. 1 erhöhte Strafdrohung und durch die - zumindest missverständliche - Subsidiaritätsklausel ab (BTDrucks. 7/1261 S. 12). Diese umfassende strafrechtliche Schutzregelung für Notrufe und Notzeichen geht über die Verpflichtungen aus dem Internationalen Fernmeldevertrag (BGBl. 1985 II, S. 4 2 5 ) hinaus, der in Art. 36 und 3 7 zwar auf die Sicherstellung der Funktionstüchtigkeit von Notrufen abzielt, dabei in Art. 3 7 allerdings lediglich die „erforderlichen M a ß n a h m e n " zur Verhinderung der Aussendung oder Verbreitung falscher Notzeichen etc. und damit nicht unbedingt einen Schutz durch Strafrecht fordert. 4 Ungeachtet kritischer Stimmen im Schrifttum 5 hat der Gesetzgeber hinsichtlich der angesprochenen Themenbereiche (Reichweite des Strafschutzes, Subsidiaritätsklausel) weder im Rahmen der umfassenden Reformarbeiten zum Besonderen Teil im 6. StrRG noch zu einem späteren Zeitpunkt Anlass zu einem korrigierenden Eingreifen gesehen und geht daher ersichtlich von der Möglichkeit einer sinnvollen Auslegung durch die Rechtsprechung aus. Insbesondere die Kritik an Abs. 2 ist dessen ungeachtet nicht verstummt. 6

Gesetzesmaterialien EEGStGB BTDrucks. 7/550 S. 225, 471, 494; Schriftlicher Bericht BTDrucks. 7/1261 S. 12; 2. StrRG Schriftlicher Bericht BTDrucks. V/4095 S. 46; Entwurf 1962, Begründung zu § 300, S. 471; Niederschriften 13 133, 244. Übersicht Rdn. I. Zweck der Vorschrift Π. Missbrauchs- und Vortäuschungstatbestand (Abs. 1) 1. Missbrauchsregelung (Abs. 1 Nr. 1) . . a) Notrufe, Notzeichen b) Bewertung der Äußerungen und Signale durch den Notrufempfänger . c) Eindeutige und mehrdeutige Äußerungen d) Notrufspezifische telekommunikative Zugänge zu Notdiensteinrichtungen .

3 4

5

Rdn.

1

aa) Relevanz des Gesprächsinhalts . bb) Indizwirkung cc) Restriktiver Schutzzweck . . . . e) Missbrauch 2. Vortäuschungsregelung (Abs. 1 Nr. 2) . a) Anwendungsbereich b) Unglücksfall, gemeine Gefahr oder Not c) Vortäuschen d) Fälle einschlägiger Täuschungshandlungen

2 3 3 4 5 6

Schild NK Rdn. 1. Rudolphi/Stein SK Rdn. 1; Sterne NStZ 2007 671, 672. Herdegen LK 10 Entstehungsgeschichte und Rdn. 12, 13; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 57 VI Rdn. 36; Lackner/Kühl Rdn. 9.

6

7 8 9 10 11 11 12 13 14

Rudolphi/Stein SK Rdn. 1; Schild NK Rdn. 6; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 22; Lackner/Kühl Rdn. 9.

Christoph Krehl

891

§ 145

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung Rdn.

Rdn.

ΠΙ. Beeinträchtigung von Unfallverhütungsund Nothilfemitteln (Abs. 2) 1. Schutzzweck 2. Die Regelung des Abs. 2 Nr. 1 a) Tatobjekte b) Der Verhütung von Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr dienend . . . . c) Tathandlungen 3. Die Regelung des Abs. 2 Nr. 2 a) Schutzvorrichtungen b) Rettungsgeräte und andere Sachen . c) Tathandlungen 4. Täter

IV. Innerer Tatbestand 1. Absicht, Wissentlichkeit bei Abs. 1 . . . 2. Vorsatz im Falle von Abs. 2 3. Scherz V. Konkurrenzen 1. Tatmehrheit (§ 53 ) 2. Zusammentreffen mehrerer Tatbestandsvarianten 3. Tateinheit ( § 5 2 ) 4. Subsidiaritätsklausel des Absatzes 2 . .

15 16 16 17 18 19 20 21 22 23

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I. Z w e c k der Vorschrift 1

Die Vorschrift soll die Allgemeinheit vor einer Minderung des Nothilfepotentials durch missbräuchliche, nicht erforderliche Inanspruchnahme (Abs. 1) und vor einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln (Abs. 2) schützen. 7 Sie dient damit der Sicherung einer möglichst raschen und wirkungsvollen Hilfe bei Unglücks- und Gefahrenfällen, der Wirksamkeit getroffener Präventionsmaßnahmen sowie der Gewährleistung einer uneingeschränkten Hilfsbereitschaft zu Hilfe Gerufener als Spiegelbild der aus § 323c folgenden Hilfspflicht. 8 Insofern haben beide Absätze der Vorschrift den gemeinsamen Zweck, Unglücksfällen oder deren Ausweitung entgegenzuwirken. 9 Die Pönalisierung des Missbrauchs in Abs. 1 soll insbesondere verhindern, dass unnötig beanspruchte Hilfeleistungsressourcen wegen eines ungerechtfertigten Einsatzes für einen Ernstfall nicht zur Verfügung stehen. 10 Mittelbar dient die Vorschrift daher auch dem Schutz tatsächlich Verunglückter, denen alle Rettungsmöglichkeiten offen stehen sollen, sowie dem Schutz der Rettungskräfte, die durch überflüssige Hilfeleistungsversuche auch selbst unnötigen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sein können. 1 1 Abs. 2 gewährleistet dagegen die Funktionsfähigkeit von Warn- und Verbotszeichen sowie von sonstigen Schutzeinrichtungen und Rettungsgeräten, die der akuten Bewältigung einer Unfallsituation dienen. 12 Inwieweit dieser Schutzgedanke des Abs. 2 („Sicherung der Funktionstüchtigkeit" von „Schutzeinrichtungen") zur Erweiterung auch des Schutzzwecks des Abs. 1 dienen kann, ist umstritten. 13 Weder mit der Entstehungsgeschichte des § 145 (der Regelungsgehalt des Abs. 2 ist erst nach demjenigen des Abs. 1 eingefügt worden) noch mit dem Charakter der Notrufe bzw. Notzeichen im Sinne des

7

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Sieme NStZ 2 0 0 7 671, 6 7 3 ; Zopfs MK Rdn. 1; Sch/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Lackner/Kühl Rdn. 1. Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Schild NK Rdn. 3; Zopfs MK Rdn. 2; Sieme NStZ 2 0 0 7 671, 6 7 3 ; aA Fischer Rdn. 2: allgemeines Klima der Hilfsbereitschaft nicht geschützt. Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Sch/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 1. Vgl. BGHSt 34, 4, 7.

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Sch/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Schild NK Rdn. 3; Zopfs MK Rdn. 2; Sieme StZ 2 0 0 7 671, 6 7 3 ; vgl. auch Entwurf 1962, Begr. zu § 300, S. 471. Lackner/Kühl Rdn. 1; Sch/Schröder/Stree/ Sternberg-Lieben Rdn. 1; Schild NK Rdn. 3; Zopfs MK Rdn. 2. Im Zusammenhang mit „Notruf" 110 bzw. 112 dafür BGHSt 34, 4 (7); dagegen Sieme NStZ 2 0 0 7 671, 673 f; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2, 9.

Christoph Krehl

Missbrauch ν. Notrufen u. Beeintr. v. Unfallverhütungs- u. Nothilfemitteln

§ 145

Abs. 1 als Äußerungen mit Auslösefunktion14 ist es jedenfalls legitimierbar, den Schutzzweck des Abs. 1 unter Rückgriff auf das in Abs. 2 verankerte „Funktionssicherungsargument" insoweit zu erweitern. Praktisch wird diese Frage insbesondere bei der unberechtigten Nutzung von „Notrufnummern" wie 110 bzw. 112. Hier kommt die auf den Abs. 2 innewohnenden Schutzzweck abstellende weite Auslegung zu dem Ergebnis, bereits ein unberechtigter Anruf (ohne Berücksichtigung des Gesprächsinhalts) sei tatbestandsmäßig nach Abs. 1, weil für die Dauer des Anrufs die „Rettungsleitung" für berechtigte Anrufer blockiert und damit funktionsuntüchtig sei.15 Unter Berücksichtigung dieser unterschiedlichen tatbestandlichen Besonderheiten und Handlungsmodalitäten der Absätze 1 und 2 ist Rechtsgut der Vorschrift eine möglichst rasche und wirkungsvolle Hilfe bei Unglücks- und Gefahrenfällen, die Sicherung getroffener Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung von Unglücksfällen, das ungestörte und verlässliche Funktionieren der in Abs. 1 und 2 genannten Zeichen und Einrichtungen sowie die Hilfsbereitschaft anderer und deren Freihaltung für notwendige Hilfsdienste.16 In allen Tatvarianten stellt sich § 145 als abstraktes Gefährdungsdelikt dar. Ein konkreter Gefährdungserfolg der Tathandlungen wird ebenso wenig vorausgesetzt wie eine Gefahreneignung nach den konkreten Tatumständen.17 Π. Der Missbrauchs- und Vortäuschungstatbestand (Abs. 1) Die Tathandlungen des Absatzes 1 erfassen den Missbrauch von Notrufen und die 2 Vortäuschung von fremde Hilfe erfordernden Unglücksfällen und sonstigen Notfallereignissen. Es handelt sich um zwei gleichgerichtete Handlungsformen eines nach Rechtsgut und Angriffsrichtung einheitlichen Tatbestands. 1. Missbrauchsregelung (Abs. 1 Nr. 1) a) Notrufe, Notzeichen. Hierunter fallen alle wahrnehmbaren, an wen auch immer 3 gerichteten Signale/Bekundungen („Äußerungen"), die auf eine bestehende Notlage, einen Notfall oder auf eine erhebliche Gefahrenlage und eine damit zusammenhängende Notwendigkeit nach fremder Hilfe aufmerksam machen,18 mögen sie in ihren Voraussetzungen und in der Art der Ausführung durch Gesetz, behördliche Anordnung, (privatrechtliche) Vereinbarung oder Übung im Wesentlichen festgelegt sein 19 oder ihren Sinn aus den konkreten Umständen gewinnen.20 Die Kundgabe kann sich auf eine eigene oder

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Rudolpbi/Stein SK Rdn. 6; vgl. unten Rdn. 3, 4, sowie speziell für den Fall der „Notrufnummern" 110 bzw. 112 unten Rdn. 6. Rudolphi/Stein SK Rdn. 2, 9; Schild NK Rdn. 3; Sieme NStZ 2 0 0 7 671, 673 f; aA BGHSt 34, 4, 10; im Ergebnis ebenso, weil bereits das bloße Anwählen z.B. der Nummern „ 1 1 0 " bzw. „ 1 1 2 " unmissverständlich auf eine Notsituation hinweise: von Bubnoff LK 11 Rdn. 1; Lackner/Kühl Rdn. 1; Zopfs MK Rdn. 5. Vgl. dazu unten Rdn. 6 ff, insb. Rdn. 9. Vgl. Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; von Bubnoff LK 11 Rdn. 1; Sieme NStZ 2 0 0 7 671, 673 f; Weidemann JA 2 0 0 2 43.

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Fischer Rdn. 2; Lackner/K«M Rdn. 1. Rudolphi/Stein SK Rdn. 2; Schild NK Rdn. 4; von Bubnoff L K " Rdn. 1. Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Schild NK Rdn. 9; Zopfs MK Rdn. 3; BGHSt 34, 4 (7); auf das Erfordernis der vermittelten Notwendigkeit fremder Hilfe verzichten Fischer Rdn. 4 und wohl auch Lackner/K«/?/ Rdn. 3. Entwurf 1962, Begr. zu § 300, S. 471; Schild NK Rdn. 9; Zopfs MK Rdn. 3. von Bubnoff LK 1 1 Rdn. 4.

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fremde Notlage beziehen. Erfasst werden akustisch wie optisch wahrnehmbare, gesprochene oder mechanische Äußerungen, die auf eine entsprechende Notsituation hindeuten. Das Vorliegen einer Notsituation und das Bedürfnis nach fremder Hilfe kann sich auch konkludent aus der Äußerung ergeben; eines ausdrücklichen Hinweises auf die Notlage bedarf es nicht. Es genügt, dass das Signal aus sich heraus auf eine Gefahrenlage schließen lässt und der Täter das weiß („wissentlich") oder damit rechnet und die Nothilfeaktion erstrebt („absichtlich"). 2 1 Kennzeichnend für Notfallindikatoren sind Kurzäußerungen und Zeichengebungen, wobei für eine generelle Beschränkung des Notrufbegriffs auf Kurzäußerungen keine Notwendigkeit besteht. 2 2 In Betracht k o m m t natürlich in erster Linie die Nutzung gerade für diesen Zweck geschaffener Einrichtungen zur Hilfe in Unglücks- oder Notfällen wie etwa das Anwählen von N o t r u f n u m m e r n , die Nutzung von Notrufsäulen oder Notrufmeldern, die Betätigung von Feuermeldern oder das Losschlagen von Alarmanlagen und Notfallsirenen, die häufig zu einer verbalen Notfallanzeige führen. Von Bedeutung sind aber auch automatische Meldetechniken ohne Rücksprachemöglichkeiten (Auslösen von Brand- oder Rauchmeldern sowie sonstiger bei der Polizei aufgeschalteter Sicherungsanschlüsse) 2 3 und eigene Formen des Hilferufs wie das Läuten einer Feuerglocke, das Abgeben von SOS-Funk-, Blink- und Winksignalen auf Gewässern und im Gebirge, das Abschießen notanzeigender Leuchtkugeln oder auch nur das auffällige Schwenken eines Tuchs. Tatbestandlich irrelevant sind Rufsäulen ohne notsignalspezifische Wirkung, die wie etwa Autobahnrufsäulen der Übermittlung einer Vielzahl unterschiedlicher Hilfsanliegen, Beratungswünsche und verkehrsbezogener Hinweise (Unfallhilfe, Pannenhilfe, fahrzeugbezogene Fragen, Staumitteilungen etc.) zugänglich sind, 2 4 nicht dagegen Schaltungen zu privaten Wach- und Sicherheitsunternehmen. 2 5 Die Art der angezeigten Gefahrenlage ist f ü r die tatbestandliche Beurteilung unwesentlich, solange ein Notfall oder eine Gefahrenlage von einigem Gewicht in Rede steht („Notruf im engeren Sinne"). 2 6 Solche Notfälle sind einzelne oder die öffentliche Sicherheit konkret gefährdende Geschehnisse, die den Einsatz von Polizei, Feuerwehr, Rettungsoder sonstigen Hilfsdiensten erforderlich machen. Insoweit ist an ganz unterschiedliche gefahrenbegründende Situationen wie Feuergefahr, Unfallereignisse im Verkehr, in den Bergen, Seenot, Flugzeugabstürze, Überschwemmungen sowie an deliktische Überfälle zu denken. Auch sonstige angezeigte Gefahrenlagen müssen von einiger Erheblichkeit sein. Keinen Notruf stellen daher von vornherein bloße Hilferufe in Bezug auf geringfügige häusliche oder nachbarschaftliche Streitigkeiten verbaler Art dar; 2 7 anders aber, wenn sich der Notruf auf eine nachbarschaftliche Auseinandersetzung bezieht, die zu einer gefährlichen Schlägerei eskaliert ist.

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Vgl. Greiner MDR 1978 373, 374 sowie Sch/Schröder/Stree Rdn. 4; enger OLG Braunschweig NJW 1977 209. Rudolphi/Stein SK Rdn. 4. So ist z.B. nicht ersichtlich, warum der von einem „Entführungsopfer" aus der „Gefangenschaft" vermeintlich in die Außenwelt geschmuggelte, brieflich getarnte längere „Hilferuf" nicht tatbestandlich erfasst sein sollte. Vgl. dazu ausführlich von Bubnoff IX.11 Rdn. 8. Dazu: ausführlich von BubnoffLK11 Rdn. 9 mit weiterer Differenzierung zur Art der Rufsäule.

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Ebenso: Rudolpbi/Stein SK Rdn. 9, die zu Recht eine Beschränkung auf einen bestimmten Kreis von Notrufinstitutionen - etwa Private - ablehnen; aA von Bubnoff LK11 Rdn. 9. Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 4; von Bubnoff LK11 Rdn. 4; BGHSt 34, 4, 7. Vgl. Entwurf 1962, Begr. zu § 300, S. 471; Niederschriften 13 134, 135; Sch/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Schild NK Rdn. 9; BGHSt 31, 4 (7).

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b) Bewertung der Äußerungen und Signale durch den Notrufempfangen Zwar wird regelmäßig bereits die bloße Betätigung einer für den Zweck geschaffenen „Notrufeinrichtung" oder die Verwendung eines Notzeichens das Vorliegen eines Notrufs bzw. Notzeichens im Sinne von Abs. 1 Nr. 1 indizieren, doch können die Gesamtumstände der Nutzung gleichwohl gegen eine solche Einordnung sprechen. 28 Angesichts des hohen Anteils an versehentlichen oder auf grober Unkenntnis beruhenden Fehlanwahlen der Notrufnummern begründet der Rufeingang als solcher noch nicht die hinreichende Wahrscheinlichkeit, die berechtigt auf das Vorliegen einer Notlage schließen lässt. Dies gilt ähnlich auch für die Nutzung von „Notrufsäulen" mit Leitungen zu Notrufempfangsstellen, von Alarmknöpfen oder von für Notrufe reservierten und ggf. besonders ausgestatteten Telekommunikationsleitungen, 29 die allein - wenn sie eine Sprechverbindung herstellen - keinen zuverlässigen, auf eine Gefahrenlage hinweisenden Aussagewert besitzen. Weder die durch einen technischen Vorgang vermittelte Herstellung einer Verbindung zu einer „Notrufzentrale" noch die folgende Annahme des Rufs bieten allein die Gewähr dafür, dass der die Notrufeinrichtung benutzende „Anrufer" tatsächlich auf eine Notlage und die Notwendigkeit von Hilfe aufmerksam machen will. 3 0 Nicht die bloße Verwendung der technischen Vorrichtung 31 als solche noch die damit einhergehende Inanspruchnahme der dahinter stehenden Nothilfeorganisation, erst die das Anliegen zum Ausdruck bringende weitergehende Äußerung gegenüber der Notrufempfangsstelle versetzt diese in die Lage, einzuschätzen, ob überhaupt eine auf eine Notlage hinweisende Mitteilung vorliegt. Erforderlich ist daher für die Annahme eines Notrufs in jedem Fall eine Bewertung des Notrufhilfeempfängers, die sich auf die im Anschluss an die Nutzung der technischen Vorrichtung anschließende „Äußerung" des den Notruf Nutzenden beziehen muss. Entsprechend dem Schutzzweck der Vorschrift sowie dem geschützten Rechtsgut 32 besitzt eine wie auch immer getätigte oder übermittelte Äußerung daher in jedem Fall erst dann „Auslösefunktion", wenn unter den konkreten Umständen ihrer Absonderung diejenigen Personen, die die Äußerung tatsächlich wahrnehmen (oder dies könnten), aufgrund der Art sowie des Aussagegehalts der Äußerung eindeutig oder doch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu der Einschätzung kommen (bzw. kommen würden), dass eine Notlage samt Notwendigkeit fremder Hilfe vorliegt. 33

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c) „Eindeutige" und „mehrdeutige" Äußerungen. Auch bei eindeutig als solche erkennbaren Notrufen/Notzeichen führt erst die Bewertung des (potentiellen) Empfängers dazu, dass der Äußerung „Auslösefunktion" im Sinne von Abs. 1 Nr. 1 beizumessen ist. Dies gerät nur deshalb bisweilen aus dem Blick, weil der Interpretationsspielraum des Empfängers in diesen Fällen gleichsam „auf Null" reduziert ist. Ein gefunktes „SOS" auf stürmischer See, ein weiblicher Hilferuf im nächtlichen Stadtpark, eine abgeschossene Signalpatrone im Gebirge oder das Alarmschlagen der ab einer gewissen Hitzeentwicklung automatisch aktivierten Brandschutzeinrichtung gehören in diese Kategorie. In solchen Fällen besteht für den Empfänger kein Anlass, die „Qualität" der Äußerung zu hinterfragen, noch regelmäßig überhaupt die reale Möglichkeit dazu. Aufgrund ihres eindeutigen Aussagegehalts besitzen solche Äußerungen (nur) insofern per se „Auslösefunktion", als ihre Bewertung durch den (wirklichen oder potenziellen) Empfänger regelmäßig ebenso eindeutig ausfallen dürfte, da aus dessen Sicht mit hoher Wahrscheinlich-

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Vgl. Zopfs M K Rdn. 3. S. Rudolphi/Stein SK Rdn. 6 . Vgl. Rudolphi/Stein SK Rdn. 5. O b das - wie Rudolphi/Stein SK Rdn. 6

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meinen - eine Frage des Wortsinns ist, mag freilich bezweifelt werden. Oben Rdn. 1. Rudolphi/Stein SK Rdn. 4 .

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keit eine Notlage vorliegt. Daher reduziert auch der verbal-inhaltlich eindeutige telefonische Notruf - ungeachtet einer potentiellen Rückfragemöglichkeit - den Interpretationsspielraum „auf Null": er hat „Auslösefunktion" und unterfällt Abs. 1 Nr. 1, wenn auch insbesondere in den Fällen der „Notrufnummern" 110 bzw. 112 die Begründungen hierfür unterschiedlich ausfallen. 34 Bei aufgrund ihrer Art oder ihrer inhaltlichen Aussage mehrdeutigen Äußerungen kommt es nach den genannten Grundsätzen allein darauf an, ob aus Sicht des Empfängers und unter Berücksichtigung der konkreten Umstände jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Notlage vorliegt, wobei mit Blick auf das Gebot des § 323c insofern keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sein dürften. Dabei spielt es grundsätzlich auch keine Rolle, ob dem Empfänger aufgrund der Art der Übermittlung keine Rückfragemöglichkeit gegeben ist oder ob er mit dem Absender der Äußerung durch Telefon- oder Funkkontakt in direkter Sprechverbindung steht und bei einer mehrdeutigen Äußerung weitere Informationen einholen kann. In letzterem Fall erzielt der Empfänger nämlich lediglich einen Informationszugewinn, auf dessen breiterer Basis er der Äußerung sodann bewertend „Auslösefunktion" beimisst oder nicht. Besondere Bedeutung ist in solchen Konstellationen allerdings den konkreten Umständen beizumessen, unter denen die Äußerung getätigt wird. Das gilt insbesondere für Äußerungen, die mittels solcher Übertragungsformen und -wege getätigt werden, die ihrer Zweckbestimmung nach für „Notfälle" vorgehalten werden, wie beispielsweise die „Notrufnummern" 110 bzw. 112: denn aus der Zweckbestimmung folgt für die Bewertung der Äußerung durch den Empfänger eine Indizfunktion zugunsten des Vorliegens eines relevanten Notfalls. 35 6

d) „Notrufspezifische" telekommunikative Zugänge zu Notdiensteinrichtungen. Auch bei der Anwahl „notrufspezifischer" telekommunikativer Zugänge zu Notdiensteinrichtungen (wie z.B. zu Polizei, Feuerwehr oder sonstiger Rettungsorganisationen mit Notfall- und Katastrophenmeldeeinrichtungen) gilt, dass ausschließlich die Äußerung selbst den Gegenstand der Bewertung bildet, nicht die Nutzung der technisch-organisatorischen Institution, etwa des „Notrufs 110 bzw. 112". Uneinigkeit besteht allerdings im Anschluss an zwei konträre Urteile (einerseits des OLG Braunschweig, andererseits des B G H ) 3 6 bis heute darüber, ob bereits der bloße Anruf an sich die zu bewertende Äußerung darstellt oder ob auch der Gesprächsinhalt in die Bewertung der Äußerung einzubeziehen ist. 37 In seinem Urteil von 1986 kam der B G H zu dem Schluss, dass bereits dem Anwählen der Nummern 110 bzw. 112 eine ebenso eindeutige „Auslösefunktion" zukomme wie dem Erklingen einer Feuerglocke, einer Alarmsirene oder einem vergleichbaren Notsignal. 38 Daher könne es auf den Inhalt bzw. den Aussagewert des sich aus dem bloßen Anruf ggf. entwickelnden Gesprächs nicht mehr ankommen. 39 Ein Notruf läge demnach selbst dann vor, wenn der Anrufer ausdrücklich das Vorliegen einer Notlage verneint. 40 Der BGH stützt seine Argumentation zum einen auf die Begründung zu § 300 Ε 1962, S. 471, wonach Äußerungen die Eigenschaft als Notruf bzw. -zeichen dann zukomme, „wenn sie in ihren Voraussetzungen und in der Art der Ausführung

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Vgl. sogleich Rdn. 6 ff. Unten Rdn. 8. OLG Braunschweig NJW 1977, 209; BGHSt 34, 4 ff. Für ersteres Zopfs MK Rdn. 5, von Bubnoff LK 1 1 Rdn. 10, 11 sowie Lackner/Kühl Rdn. 3; für letzteres Rudolphi/Stein SK

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Rdn. 5, 9; hierzu ausführlich Sieme NStZ 2 0 0 7 671 ff. BGHSt 34, 4, 9. BGHSt 34, 4, 9. Vgl. dazu Sieme NStZ 2 0 0 7 , 671; Rudolphi/ Stein SK Rdn. 5.

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durch Gesetz, behördliche Anordnung, Vereinbarung oder Übung im Wesentlichen festgelegt sind" oder „ihren Sinn aus den konkreten Umständen gewinnen". 41 Eine solche (gesetzliche) „eindeutige Bestimmung" sah das Gericht offenbar durch den damaligen § 5 Abs. 8 Fernmeldeordnung als gegeben an, nach dem die „nur dem Anruf in Notfällen" dienenden Anschlüsse 110 bzw. 112 ausschließlich bestimmten Polizei- oder Feuerwehrdienststellen zugeordnet wurden, die über besondere technische Voraussetzungen wie Fangschaltungen zur Identifikation des anrufenden Anschlusses und weitere technische Vorrichtungen zur Sicherung der Funktionstüchtigkeit der Notrufleitungen verfügten („Notrufsystem 73"). 4 2 Dass bereits das Anwählen der „Notrufnummern" 110 bzw. 112 (unabhängig von dem nachfolgenden Gesprächsinhalt) den Tatbestand des Abs. 1 Nr. 1 erfülle, begründet der BGH des weiteren damit, dass in der Zeit bis zur (verbalen) Klärung, ob ein Notfall vorliegt oder nicht, die „Notrufnummer" einem berechtigten Hilferuf nicht zur Verfügung stehe. 43 aa) Relevanz des Gesprächsinhalts. Den Ausführungen des BGH ist zu Recht wider- 7 sprochen worden. 44 So kann jetzt unter Geltung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) 45 keineswegs davon ausgegangen werden, dass bereits dem bloßen Anwählen der besagten „Notrufnummern" eine gesetzlich zugewiesene „Auslösefunktion" im Sinne des Abs. 1 Nr. 1 mit ggf. strafrechtlichen Konsequenzen bei Missbrauch zukommen soll. So verpflichtet § 108 Abs. 1 S. 1 TKG zwar Telefondienstbetreiber, unentgeltlich Notrufmöglichkeiten unter der europaeinheitlichen Notrufnummer 112 4 6 und unter den in der Rechtsverordnung gemäß § 108 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TKG festgelegten zusätzlichen nationalen Notrufnummern 47 bereitzustellen sowie gemäß § 108 Abs. 1 S. 2 TKG sicherzustellen, dass die Rufnummer des Anrufers bzw. die zur Verfolgung von Missbrauch erforderlichen Daten sowie die zur Ermittlung des Standorts erforderlichen Daten unverzüglich an die örtlich zuständige Notrufabfragestelle übermittelt werden. Diese Pflichten betreffen aber im Kern lediglich die Einrichtung und Erhaltung derjenigen technischen Voraussetzungen und Informationsübermittlungssysteme, die für den effizienten Betrieb einer „schlagkräftigen Notrufdienststelle" erforderlich sind. Der Rückschluss von der technischen Ausstattung von „Notrufsystemen" auf ihre Eigenschaft als Notruf bzw. Notzeichen im Sinne des Abs. 1 Nr. 1 geht daher fehl. 48 Auch die Pflicht zur Übermittlung derjenigen Daten, die „zur Verfolgung von Missbrauch" erforderlich sind, verleiht dem bloßen Anruf einer „Notfallnummer" keine „Auslösefunktion": denn die Vorschrift des § 108 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TKG geht lediglich davon aus, dass Missbrauch existiert und ggf. verfolgt werden muss, definiert aber nicht, unter welchen Voraussetzungen von einem strafrechtlich relevanten Missbrauch auszugehen ist. Dass vielmehr im Gegenteil das bloße Anrufen der „Notrufnummern" gemäß TKG keine strafrechtlich relevante

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BGHSt 3 4 , 4, BGHSt 3 4 , 4, LK 1 1 Rdn. 5, BGHSt 3 4 , 4 ,

7 m.w.N. 8; vgl. hierzu von 10. 10.

(BGBl. I S. 3 1 9 8 ) . Mit § 1 0 8 T K G kam der Bundesgesetzgeber insbesondere seinen Verpflichtungen aus der „Universaldienstrichtlinie" v. 7 . 3 . 2 0 0 2 nach (Richtlinie 2 0 0 2 / 2 2 / E G des Europäischen Parlaments und des Rates).

Bubnoff

Rudolphi/Stein SK Rdn. 5, 9; Schild N K Rdn. 10 sowie offenbar auch Sch/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 4 . Ausführlich: Sieme N S t Z 2 0 0 7 6 7 1 ff; s. auch Blei JA 1 9 7 7 139. Telekommunikationsgesetz vom 2 2 . Juni 2 0 0 4 (BGBl. I S. 1 1 9 0 ) , zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes v. 2 1 . 1 2 . 2 0 0 7

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Vgl. insbesondere Art. 2 6 („Einheitliche europäische N o t r u f n u m m e r " ) der „Universaldienstrichtlinie" 2 0 0 2 / 2 2 / E G v. 7 . 3 . 2 0 0 2 . Bislang existiert lediglich ein Entwurf der T N o t r u f V vom 3 0 . 4 . 2 0 0 3 (Stand: Juli 2 0 0 8 ) . Vgl. Sieme N S t Z 2 0 0 7 6 7 1 , 6 7 3 .

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„Auslösefunktion" im Sinne des § 145 Abs. 1 Nr. 1 besitzen muss, wird aus § 149 Abs. 1 Nr. 19 und Nr. 20 TKG deutlich. Danach handelt lediglich ordnungswidrig, wer entgegen §§ 108 Abs. 1 S. 1, 108 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TKG eine Notrufmöglichkeit nicht oder nicht in der vorgeschriebenen Weise bereitstellt. 49 Der Gesetzgeber sieht also kein sozialethisches Unwerturteil darin, wenn bei einem tatsächlichen Notfall die Notrufnummern erst gar nicht erreicht werden können, weil der Telefondienstbetreiber seine Pflicht zur Einrichtung von Notrufnummern nicht erfüllt. Hiermit wäre es nur schwer zu vereinbaren, das bloße Anwählen von Notrufnummern als strafwürdig einzustufen, obwohl in dem Anruf eine Notlage gar nicht behauptet wird. Die Annahme des BGH, dem bloßen Anruf einer „Notrufnummer" komme „gesetzlich festgelegt" eine „Auslösefunktion" im Sinne des Abs. 1 Nr. 1 zu, ist folglich abzulehnen. 50 Daher muss zur Beantwortung der Ausgangsfrage, inwieweit nicht allein das bloße Anwählen der Nummern 110 bzw. 112, sondern zusätzlich der nachfolgende Gesprächsinhalt Objekt der Empfängerbewertung ist, von der praktischen Übung bei der Annahme von „Notrufen" unter den Nummern 110 bzw. 112 5 1 sowie von den konkreten Umständen des Einzelfalls ausgegangen werden. Danach könnte dem bloßen Anwählen besagter „Notrufnummern" lediglich dann eine „Auslösefunktion" beigemessen werden, wenn der den „Notruf" empfangende Diensthabende bereits bei jedem auflaufendem Anruf und unabhängig von einer ggf. übermittelten Nachricht sicher oder jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen eines Notfalls überzeugt wäre. Eine solche Auffassung aber dürfte weder der generellen Bewertung der die „Notrufe" entgegennehmenden Diensthabenden noch dem generellen Verständnis der potenziellen Nutzer von der Bedeutung und Funktionsweise der Anschlüsse 110 bzw. 112 entsprechen. 52 Sie widerspräche zudem dem Schutzzweck von Abs. 1 Nr. 1, der verhindern will, dass wegen des falschen Eindrucks, es sei Hilfe wegen eines Unglücksfalls oder einer gemeinen Gefahr erforderlich, Rettungsressourcen in die falsche Richtung gelenkt werden, so dass sie bei einem tatsächlichen Unfall nicht zur Verfügung stünden. 53 In vielen Fällen wird es gerade erst die vorhandene Bereitschaft des Diensthabenden, auch dem Gesprächsinhalt Bedeutung für die Bewertung der Äußerung beizumessen, ermöglichen, echte von vermeintlichen Notfällen zu unterscheiden. Eine solche Unterscheidung aber ist wesentlich für eine sachgerechte und optimale Steuerung des Einsatzes der jeweiligen Rettungskapazitäten. Der Gesprächsinhalt bildet daher dem Schutzzweck des Abs. 1 sowie der praktischen Übung entsprechend gemeinsam mit dem Anwählen der „Notrufnummern" 110 bzw. 112 die vom Empfänger zu bewertende Äußerung. 54 8

bb) Indizwirkung. Es gelten daher insbesondere auch für die Anrufe unter den „Notrufnummern" 110 bzw. 112 die oben entwickelten Bewertungsgrundsätze. 55 Im Rahmen

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Vgl. Sieme NStZ 2 0 0 7 671, 674. Untermauert wird dieses Ergebnis auch von der Entstehungsgeschichte des § 145 StGB [vgl. oben „Entstehungsgeschichte"], wonach gleichzeitig mit der Einführung des § 145 StGB der Fälle des Missbrauchs von Notrufen umfassende § 360 Abs. 1 Nr. 11 a.F. StGB gestrichen und zu § 118 OWiG herabgestuft wurde:. Der Gegenmeinung steht damit die Ausformung des § 149 Abs. 1 Nr. 19 und Nr. 2 0 TKG als Ordnungswidrigkeit klar entgegen.

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Vgl. Entwurf 1962, Begr. zu § 300, S. 471; vgl. Sieme NStZ 2 0 0 7 671, 673. Vgl. Rudolphi/Stein SK Rdn. 5. Vgl. Lackner/Kühl Rdn. 1; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2, 9; Sch/Schröder/Stree/SternbergLieben Rdn. 1; Sieme NStZ 2 0 0 7 671, 673; s. auch oben Rdn. 1. Rudolphi/Stein SK Rdn. 5, 9; Sieme NStZ 2 0 0 7 675; offenbar auch Schild NK Rdn. 9 sowie Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 4. Oben Rdn. 4 f.

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der konkreten Umstände, unter denen die Äußerung erfolgt, ist allerdings aufgrund der nicht zuletzt aus § 108 TKG folgenden „notrufspezifischen Zweckbestimmung" dieser Anschlüsse von einer „generellen Indizwirkung" zugunsten eines wirklichen Notfalls auszugehen, die zwar die Schwelle einer „hohen Wahrscheinlichkeit" nicht erreicht, jedenfalls aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Notlage spricht. 56 Unter Berücksichtigung dieser „Indizwirkung" wird im Einzelfall nach dem jeweiligen konkreten Aussagewert des Gesprächsinhalts zu unterscheiden sein. 57 Eindeutig sind diejenigen Fälle, in denen eine fremde Hilfe erfordernde Notlage verbal behauptet wird. 5 8 Aufgrund der „Indizwirkung" von Anrufen unter 110 bzw. 112 wird auch die bloße Übermittlung „einschlägiger Hintergrundgeräusche" wie Schreien oder Röcheln mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Vorliegen einer Notlage hinweisen. 59 „Auslösefunktion" kommt daher auch einem längeren Schweigen des Anrufers nach Zustandekommen der Sprechverbindung zu, denn auch dies entspricht dem potentiellen Verhalten eines hilfebedürftigen Opfers und bestätigt aus Sicht des Empfängers mit hinreichender Wahrscheinlich das Vorliegen einer echten Notlage. 6 0 Andererseits wird die „Indizfunktion" durch den unmittelbar nach Aufnahme der Sprechverbindung erfolgenden Gesprächsinhalt dann widerlegt, wenn der Anrufer verbal eindeutig klar macht, dass keine Notlage oder nur eine Bagatellsache vorliegt, wenn er unmittelbar nach dem Zustandekommen der Sprechverbindung auflegt, direkt nach dem Auflaufen des „Notrufs" weiterwählt oder wenn er lediglich das Erscheinen der Polizei oder anderer, nicht nur für Hilfe bei Notlagen zuständiger Institutionen verlangt und damit aus Sicht des Empfängers offen lässt, ob es sich um eine Notlage handelt. Von einer „hohen" Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Notsituation kann dann nicht ausgegangen werden. 61 Auch bei „sonstigen Notrufeinrichtungen" privater oder öffentlich-rechtlicher Trägerschaft, wie beispielsweise ärztlichen Notrufnummern, oder bei solchen, die der Übermittlung einer Vielzahl unterschiedlicher Hilfsanliegen, Beratungswünsche und verkehrsbezogener Hinweise dienen (Unfallhilfe, Pannenhilfe etc.) bildet die aus Anwählen und Gesprächsinhalt zusammengesetzte Äußerung den Bewertungsgegenstand, wobei schon den konkreten Übungen sowie den Umständen des Einzelfalls zu entnehmen ist, inwieweit dem Anwählen der Nummer überhaupt eine Indizwirkung zugunsten einer Notsituation im Sinne des Abs. 1 Nr. 1 zukommen kann. Dabei mag man aus der öffentlich-rechtlichen Organisation der Nothilfeeinrichtung zwar eine gewisse Indizwirkung ableiten können, 6 2 im Zweifel aber wird dem objektiven Aussagegehalt des Gesprächsinhalts die Hauptbedeutung beizumessen sein. 63 cc) Restriktiver Schutzzweck. Abzulehnen ist zuletzt auch die vom BGH in seiner 9 Entscheidung 6 4 genannte Begründung, das (unberechtigte) Anwählen der „Notrufnummer" 110 bzw. 112 erfülle auch deshalb den Tatbestand des Abs. 1 Nr. 1, weil für die Dauer des Anrufs der Anschluss für echte Notfälle blockiert sei. Denn zum einen stellt Abs. 1 Nr. 1 Äußerungen unter Strafe, die wenigstens mit hoher Wahrscheinlichkeit auf

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 5. Schild NK Rdn. 4, 10; Herdegen LK 10 Rdn. 1. Oben Rdn. 5; Rudolphi/Stein SK Rdn. 5. Rudolphi/Stein SK Rdn. 5; Blei JA 1977,139. Rudolphi/Stein SK Rdn. 5. Rudolphi/Stein SK Rdn. 5; OLG Braunschweig NJW 1977 139.

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Vgl. von Bubnoff LK 11 Rdn. 9 sowie Rudolphi/Stein SK Rdn. 9. In diesem Sinne auch Rudolphi/Stein SK Rdn. 9. BGHSt 34 4 , 1 0 ; vgl. oben Rdn. 6.

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das Vorliegen einer Notsituation hinweisen, nicht aber das mit einem Anruf unter der „Notrufnummer" 110 bzw. 112 zwangsläufig verbundene „Blockieren" der konkret in Benutzung befindlichen Verbindung, also einer technischen Einrichtung.65 Eine solche extensive Auslegung der Tatbestandsmerkmale „Notruf" bzw. „Notzeichen" in Abs. 1 Nr. 1 ist mit dem - vom BGH insoweit zu weit ausgedehnten - Schutzzweck der Vorschrift nicht in Einklang zu bringen.66 Zum anderen kann jedenfalls im Jahr 2008 aufgrund des Einsatzes modernster Digitaltechnik gerade im „Notrufwesen" auch nicht mehr 6 7 davon ausgegangen werden, die unberechtigte Inanspruchnahme einer „Notrufleitung" könne auch nur typischerweise die Gefahr begründen, dass hierdurch der berechtigte Notruf weiterer Personen verhindert werde. So halten Polizei- und Feuerwehrleitstellen jeweils eine ausreichende Anzahl von Notrufleitungen und Diensthabenden vor; sie sind zudem technisch in der Lage, auch bei Belegung sämtlicher Notrufleitungen zusätzlich eingehende Anrufe an andere Einsatzstellen und Anschlüsse weiterzuleiten.68 10

e) Missbrauch ist jeder nicht bestimmungsgemäße oder unbefugte Gebrauch von Notrufen oder Notzeichen. Maßgeblich ist das Fehlen der zweckbestimmten Voraussetzungen ihrer Verwendung. Erforderlich ist dabei, dass der Ruf oder das Zeichen auch wahrgenommen wird. Anwählen der Notrufnummer oder lautes Rufen allein stellen noch keine (vollendete) Tathandlung dar. 69 Ein bestimmungswidriger Fehlgebrauch liegt danach vor, wenn keine Not- oder Gefahrenlage (vgl. OLG Oldenburg NJW 1983 1573) oder kein Bedarf für fremde Hilfe besteht, wenn ein Feueralarm unberechtigt ausgelöst oder ein Notsignal entgegen den einschlägigen Bestimmungen zweckentfremdet wird, etwa beim manipulierenden Eingriff einer selbsttätig arbeitenden Anlage 70 oder beim Abschießen von SOS-Signalmunition im alpinen oder Schifffahrtsbereich als Feuerwerk anlässlich einer Geburtstagsfeier. Treibt der Täter mit dem Signalruf einen schlechten Scherz, so lässt das die Tatbestandserheblichkeit auch im subjektiven Bereich (Rdn. 26) unberührt. Dagegen führt die Weigerung des die Notlage Anzeigenden, den eigenen Namen oder die Quelle der Kenntnisse mitzuteilen, nicht zur Annahme eines Missbrauchs.71 Der Missbrauch telekommunikativer Notrufe beginnt noch nicht mit dem Eingang des Anrufs in der Notrufeinrichtung, sondern erst in dem Augenblick, in dem die ersten verbalen Äußerungen des Anrufenden eine Bewertung durch den Notrufempfänger möglich machen (vgl. aber auch Greiner MDR 1978 373, 374). Die Einleitung von Hilfsmaßnahmen als Folge des Notsignals wird tatbestandlich ebenso wenig vorausgesetzt wie eine irgendwie geartete positive Reaktion eines Empfängers darauf (Händel DAR 1975 57, 58). 7 2 Der Missbrauchstatbestand ist auch erfüllt, wenn die Notdiensteinrichtung vor Einleitung von Hilfsmaßnahmen die Mutwilligkeit der Alarmierung feststellt. Spätere, das NichtVorliegen der Nothilfegegebenheiten aufdeckende Erklärungen des Täters lassen die Tatbestandserheblichkeit der Notrufauslösung unberührt (vgl. OLG

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 2, 6, 9; vgl. oben Rdn. 1, 4. Vgl. Rudolphi/Stein SK Rdn. 2, 6, 9; Sieme NStZ 2 0 0 7 671, 673 f mit weiteren Hinweisen u.a. zur Entstehungsgeschichte des S 145 StGB. BGHSt 34, 4 ff datiert aus dem Jahr 1986 und basierte auf dem veralteten „Notrufsystem 7 3 " , welches noch auf analoger Verbindungstechnik beruhte. Vgl. hierzu auch Zopfs MK Rdn. 5 (Fn. 16).

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 9; Zopfs MK Rdn. 5 (Fn. 16); Sieme NStZ 2 0 0 7 671, 674. Schild NK Rdn. 10; aA Lackner/Kühl Rdn. 3; Rudolphi/Stein SK Rdn. 8; Zopfs MK Rdn. 4, die die Möglichkeit der Wahrnehmung genügen lassen. Rudolphi/Stein Rdn. 7. Schild NK Rdn. 10; s. auch LG Köln MDR 1978 860 m. Anm. Greiner. Schild NK Rdn. 10.

Christoph Krehl

Missbrauch ν. Notrufen u. Beeintr. v. Unfallverhütungs- u. Nothilfemitteln

§

145

Oldenburg NJW 1983 1573). Strafbar ist auch, wer einen gutgläubigen Dritten durch Vorspiegelung einer Hilfe erfordernden Notfallsituation zum Anwählen des Polizeinotrufs veranlasst (mittelbare Täterschaft).73 Wird eine bösgläubige Person zur Informationsvermittlung eingesetzt, liegt solange kein Notruf vor, bis diese den „Notruf" tatsächlich weitergeleitet hat. 74 2. Vortäuschungsregelung (Abs. 1 Nr. 2) a) Anwendungsbereich. Abs. 1 Nr. 2 ist gegenüber der Missbrauchsregelung Auf- 11 fangtatbestand75 und erfasst (vor allem) die Fälle, in denen anders als durch Notrufe oder Notzeichen etwa durch das Arrangieren oder Ausnutzen von Situationen, die wie Unglücksfälle aussehen, der Eindruck erweckt wird, es bestehe eine „ernste Gefahrenlage, die Hilfe verlangt" (BGHSt 6 147, 149; 11 135, 136); z.B. vorgespiegelte Unglücksfälle, Aufstellen einer Sprengsatzattrappe oder Versenden von Pseudo-Milzbrandbriefen (s. auch unten Rdn. 14). 76 Liegt eine als Notruf oder Notzeichen zu verstehende Äußerung (eines Dritten) vor, greift von vornherein nur der Missbrauchstatbestand.77 Davon abzugrenzen sind die von Nr. 2 erfassten Fälle, in denen (weniger aus Sicht des unbeteiligten Dritten als vielmehr aus der Perspektive eines vermeintlichen „Täters") wahrheitswidrige Mitteilungen oder Warnungen erfolgen, die wie etwa beim Hinweis auf in Warenhäusern oder Flugzeugen versteckte Sprengsätze auf eine tatsächlich nicht bestehende Notlage hinweisen (vgl. Fischer Rdn. 6; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 8). b) Unglücksfall, gemeine Gefahr oder Not. Die Täuschungshandlung muss sich auf 1 2 die Erforderlichkeit fremder Hilfe bei einem Unglücksfall, gemeiner Gefahr oder Not erstrecken. Unglücksfall ist ein plötzlich eintretendes, unabhängig von der Diskussion bei § 323c auch ein vom Gefährdeten selbst verursachtes Ereignis, das eine erhebliche Gefahr für ein Individualrechtsgut mit sich bringt. Nicht ausreichend ist insoweit die Vortäuschung einer bloßen Autopanne, die von der Straßenwacht behoben werden soll. 78 Ist ein gefahrenbegründendes Ereignis, das eine Unterstützung Dritter erforderlich macht, sei es mit oder ohne Willen des Betroffenen, tatsächlich eingetreten, so handelt es sich um keine Vortäuschung, so dass Abs. 1 Nr. 2 ausscheidet. Nach dem Regelungszusammenhang der Vorschrift sind auch durch einen Selbsttötungsversuch - selbst durch

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Schild N K Rdn. 10; Greiner M D R 1 9 7 8 , 3 7 4 ; s. dazu auch: Rudolphi/Stein SK Rdn. 8, die schon in der Bitte an den gutgläubigen Dritten und nicht erst in dessen Weiterleitung den eigentlichen Notruf sehen. Rudolphi/Stein SK Rdn. 8: straflose versuchte Anstiftung. Ähnlich: Rudolphi/Stein SK Rdn. 12; wohl auch Sch/SchröderStree/Sternberg-Lieben Rdn. 7, 8, die von Nr. 2 nur solche Verhaltensweisen erfasst sehen, die nicht schon unter Nr. 1 fallen, aber auch - wie hier - aus der Tätersphäre kommende Mitteilungen vom Vorliegen einer vermeintlichen Notlage genügen lassen. O L G Frankfurt N S t Z - R R 2 0 0 2 2 0 9 , 2 1 0 ;

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ferner Rudolphi/Stein SK Rdn. 12; Weidemann JA 2 0 0 2 4 3 , 4 7 ; Hoffmann GA 2 0 0 2 3 8 5 , 3 9 2 f. Vgl. Schild N K Rdn. 14: bloßer Gebrauch des Notrufs 110 kein Vortäuschen, wenn er nicht von einer täuschenden Geräuschkulisse begleitet ist. Z u r Abgrenzung weiter: Blei J A 1 9 7 7 1 3 9 ; S. auch Fall scheinbarer Freiheitsberaubung zwecks Aufnahme der Reaktion Gutgläubiger mit versteckter Kamera kein Fall des Vortäuschens nach Abs. 1 Nr. 2 , sondern des (mittelbaren) Missbrauchs nach Abs. 1 Nr. 1: AG Tiergarten Z U M - R D 2 0 0 6 82, 86. Vgl. Schild N K Rdn. 13; Händel 58.

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DAR 1 9 7 5

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§ 145

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einen frei verantworteten 79 - geschaffene Gefahrenlagen den mit dem Unglücksfall begrifflich verknüpften Gefahrensituationen zuzurechnen,80 zu deren Verhütung und Überwindung § 145 im Wege eines Wirksamkeitsschutzes für das Nothilfepotential beitragen soll. Andernfalls wäre entgegen der gesetzlichen Intention derjenige, der bei einem Suizidversuch Hilfe herbeiruft, grundsätzlich nach Abs. 1 strafbar. Wer im Falle eines aufgrund eigenverantwortlicher Entscheidung zur Selbsttötung Entschlossenen Schutzvorrichtungen oder Rettungsgeräte entfernt, macht sich folgerichtig nach Abs. 2 Nr. 2 strafbar, da dem zum Selbstmord Entschlossenen der Weg zurück nicht erschwert werden darf (vgl. BGHSt 32 367, 376; and. Herdegen LK 10 Rdn. 2). Gemeine Gefahr ist ein Zustand, bei dem sich die mögliche Realisierung eines erheblichen Schadens an bestimmten Rechtsgütern für unbestimmt viele Personen aufdrängt. Das Merkmal der gemeinen Not bezieht sich auf Notlagen der Allgemeinheit und Fälle schwerer Bedrängnis. 13

c) Vortäuschen. Das Vortäuschen zielt auf die wahrheitswidrige Erweckung des Anscheins der Erforderlichkeit von Hilfe in einer Notfallsituation. Erweckt ist der Anschein, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass diejenigen Personen, die nach den Umständen die Tätermitteilung wahrnehmen könnten, im Falle ihrer Wahrnehmung daraus auf das Erfordernis fremder Hilfe wegen einer Notfallsituation schließen würden.81 Dass die Täuschung auch zu einem Irrtum führt, wird in Abs. 1 Nr. 2 nicht vorausgesetzt; ein Erfolg der Täuschung, etwa durch Veranlassung von Hilfsmaßnahmen, muss nicht eingetreten sein. 82 Bloßes Vortäuschen eines Unglücksfalles, ohne dass gleichzeitig der Anschein erweckt wird, fremde Hilfe werde benötigt, genügt ebenso wenig wie das Anfordern von Hilfe ohne Angabe eines Grundes (vgl. Fischer Rdn. 6) oder durch Vorspiegeln einer Situation, die nicht den Merkmalen des Unglücksfalles, der gemeinen Gefahr oder Not entspricht.83 Dies gilt auch, soweit lediglich die Erforderlichkeit einer anderen Art von Hilfe als der tatsächlich benötigten vorgetäuscht wird.84 Ausreichend ist dagegen, wenn bei einem wirklichen Unglücksfall (absichtlich oder wissentlich) fremde Hilfe angefordert wird, die nicht oder nicht mehr erforderlich ist.85 Das ist etwa der Fall, wenn sich der Verunglückte selbst helfen kann oder zum Zeitpunkt der Hilfsanforderung bereits genügende Rettungsmaßnahmen am Notfallort eingeleitet sind (vgl. Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Zopfs MK Rdn. 6). Das angebliche Erfordernis auch nur mittelbarer Hilfe - so z.B. die täuschende Anforderung von Polizeigeleit für einen eilbedürftigen Blutkonserventransport zur Verwendung bei einer verkehrsunfallbedingten Notoperation - reicht ebenfalls aus (vgl. Scb/Scbröder/Stree/SternbergLieben Rdn. 7). Ein Vortäuschen ist zu verneinen, wenn die objektive Voraussetzung einer Dritthilfe erfordernden Not- oder Gefahrenlage zur Zeit des Hinweises tatsächlich besteht, der Täter dies aber nicht erkannt hat, sowie auch dann, wenn er auf eine aus seiner Sicht gegebene Not-/Gefahrenlage hinweist (vgl. LG Köln MDR 1978 860), mag auch der Hinweis voreilig und ohne Prüfung der möglichen Unzuverlässigkeit einer Informationsquelle erfolgt sein.

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Vgl. BGHSt 32 367, 375, 381; Bölling NJW 1986 1012, 1017. AA Rudolphi/Stein SK Rdn. 10: Vortäuschen der Unfallbedingtheit des lebensgefährlichen Zustands nach Suizidversuch strafbar nach Abs. 1 Nr. 2. So: Rudolphi/Stein SK Rdn. 11. Rudolphi/Stein SK Rdn. 11; Sch/Schröder!

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Stree/Sternberg-Lieben Rdn. Rdn. 6. Rudolphi/Stein SK Rdn. 11; Stree/Sternberg-Lieben Rdn. Rdn. 14. Rudolphi/Stein SK Rdn. 11. Vgl. Entwurf 1962, Begr. zu Niederschriften 13 245.

Christoph Krehl

8; Zopfs MK Sch/Schröder/ 8; Schild NK

§ 300, S. 471;

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d) Fälle einschlägiger Täuschungshandlungen. Die Art und Weise der Vortäuschung kann vielfältig sein. In Betracht kommen verbale Mitteilungen und Warnungen, etwa die wahrheitswidrige telefonische Nachricht, an einer bestimmten Stelle sei ein Sprengsatz mit Zeitzünder versteckt (s. schon oben Rdn. 11); ein unzutreffender Hinweis auf ein Ausströmen von Gas an einem bestimmten Ort oder auf einen angeblichen Blindgänger im Boden eines Grundstücks (Niederschriften 13 137) kann - je nach Fallgestaltung bereits ein unter Nr. 1 fallender Notruf sein. 86 Erfasst sind ferner Zeichen und konkludente Verhaltensweisen, etwa das missbräuchliche Ziehen einer Notbremse, 87 das Anbringen einer Sprengsatzattrappe an gut sichtbarer Stelle, 88 ebenso Arrangements zur Vorspiegelung einer Gefahren- und Nothilfelage, etwa eine realistisch nachgestellte Verkehrsunfallsituation auf einer Straße, 89 ein scheinbar umgestoßenes Motorrad am Straßenrand mit daneben liegendem Fahrer oder ein umgekipptes Autowrack mit dahinführenden Brems- und Glassplitterspuren, 90 wohl auch ein öffentliches „Streetwar"-Spiel Erwachsener mit Waffenattrappen.91 „Verkehrserzieherische" Gründe eines zu Verhaltenstestzwecken vorgetäuschten Unfalls lassen die Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens unberührt. 92 Der Eindruck der vermeintlichen Erforderlichkeit aktuell fremder Hilfe könnte sich auch aus einer allzu realistisch gestalteten Gefahrendarstellung in einer Fernsehproduktion, z.B. einer scheinbaren Life-Übertragung einer gefährlichen Notfallsituation, ergeben; bei derart fiktiven Darstellungen wäre ggf. die Grenze zur rechtfertigenden Kunstfreiheitsgewährleistung zu beachten. 93

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ΙΠ. Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln (Abs. 2 ) 1. Schutzzweck. Bei den tatbestandlichen Alternativen des Absatzes 2 geht es ausnahmslos um die Verhütung und Bewältigung möglicher ernster Gefahrenlagen. Die Art und Weise ihres Zustandekommens, sei es durch Fremdverschulden, durch mögliche (bewusste) Eigenverursachung des potentiell Betroffenen oder durch Naturereignisse, spielt angesichts dieser präventiven Orientierung keine Rolle (s. aber auch Herdegen LK 1 0 Rdn. 2). Abs. 2 schützt die der Gefahrenverhütung dienenden Warn- und Verbotszeichen (Rdn. 16) und Schutzvorrichtungen (Rdn. 20) sowie die zur Hilfe bestimmten Rettungsgeräte (Rdn. 21) vor Eingriffen in ihre Wirksamkeit (zu den einzelnen Tathandlungen vgl. Rdn. 18, 22). Auch insoweit handelt es sich um abstrakte Gefährdungen, die auf der (möglichen) funktionalen Beeinträchtigung von Gefahrverhütungs- und -bewälti-

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Dazu auch: Schild N K Rdn. 14. Schild N K Rdn. 14; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 9.

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Schild N K Rdn. 14. Z u Recht weist Schild N K Rdn. 14 darauf hin, dass es insoweit aber eines deutlichen Hinweises auf eine Hilfe erfordernde Situation bedürfe: bloßes Winken gegenüber einem vorbeifahrenden Verkehrsteilnehmer, ohne dass deutlich wird, warum angehalten werden soll, genügt nicht. Vgl. Blei J A 1 9 7 7 1 3 9 ; Schefflet

261.

NZV 1994

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Vgl. Dorf DVP 2 0 0 7 4 4 5 , 4 4 7 . Ausführlich dazu: Schild N K Rdn. 2 3 , der sich für eine Rechtfertigung, ggf. über § 3 4 oder eine allgemein verstandene Wahrnehmung berechtigter Interessen offen zeigt; für eine Rechtfertigung aus Art. 5 Abs. 3 G G Maurach/Schroeder/Maiwald BT/2 § 57 Rdn. 3 4 . Ablehnend: Lackner/Kühl Rdn. 4 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 3 . Sch/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Schefflet NZV 1994 262. S. dazu auch: AG Tiergarten Z U M - R D

2006 82.

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gungsmitteln beruhen. Vereinzelt wird im Schrifttum 94 angesichts des weit reichenden Tatbestands eine Begrenzung durch außergesetzliche Korrektive wie eine Beschränkung auf dem Schutz der Öffentlichkeit dienende Schutzobjekte oder eine weitergehende Eignung zur Schadensverhütung erwogen. Der Gesetzgeber hat bei der Überarbeitung des Besonderen Teils im Rahmen des 6. StrRG gleichwohl keinen Anlass zu einer tatbestandsbegrenzenden Neufassung gesehen. Nichtsdestotrotz ist bei einigen Sachverhaltskonstellationen zu erwägen, ob nicht etwa eine zu weit ausufernde Strafbarkeit mit Blick auf den Schutzzweck der Norm sinnvoller Weise begrenzt werden kann. 2. Die Regelung des Abs. 2 Nr. 1 16

a) Tatobjekte sind Warn- oder Verbotszeichen, die als Vorkehrung gegen Unglücksfälle oder gemeine Gefahr an Gefahrenstellen angebracht sind und auf mögliche drohende Gefahren hinweisen. Derartige Warnungen können ausdrücklich in schriftlicher Form, ggf. auch in abgekürzter Formulierung („Kein Zutritt" oder „Achtung Hochspannung") zum Ausdruck gebracht sein; sie können sich aber auch allein aus dem Vorhandensein bestimmter Gegenstände mit festgelegter Bedeutung an einem bestimmten Ort (Warnbojen, Warndreiecke auf der Fahrbahn) ergeben. In Betracht kommen auch bildliche oder symbolische Darstellungen (z.B. bei giftigen, radioaktiven oder entzündlichen Stoffen) sowie Licht- oder Farbzeichen, die auf Gefahrenstellen, Gefahrenquellen oder gefahrenträchtiges Verhalten hinweisen oder gefahrenspezifische Verhaltensweisen untersagen. Sie können durch einen Hoheitsträger (Verkehrszeichen, sonstige Hinweise auf öffentlich-rechtlich untersagtes Verhalten) oder eine Privatperson (Baustellenwarnschilder, Wachhundhinweis, Warndreieck, Hinweis auf Glatteisgefahr, Rauchverbotsschild, Badeverbotsschild, Verbotszeichen zum Betreten gefährlichen Geländes, Warnzeichen auf Giftstoffe enthaltenden Gefäßen) 9 5 angebracht sein. 96 Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die Warnung nicht nur an bestimmte einzelne Personen, sondern an einen nicht vollständig individuell bestimmten Personenkreis richtet. 97 Ein in privaten Räumen angebrachtes Schild zur Warnung vor einer beschädigten Treppe ist daher kein taugliches Schutzobjekt nach Abs. 2. Unerheblich ist dagegen, ob eine Rechtspflicht zur Anbringung besteht oder nicht. 9 8 Auch ein ohne Rechtspflicht angebrachtes Warn- oder Verbotszeichen fällt grundsätzlich unter den strafrechtlichen Schutz des § 145 Abs. 2.

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b) Der Verhütung von Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr dienend. Die Warn- und Verbotszeichen müssen in ihrer konkreten Anbringung den Zweck der Gefahrenverhütung verfolgen. Maßgeblich ist nicht die subjektive Vorstellung des Anbringenden, der ansonsten ohne Blick auf den Schutzzweck der Norm allein über die Reichweite des strafrechtlichen Schutzes entscheiden könnte. 99 Entscheidend ist die Sichtweise eines objektiven Betrachters, der mit Blick auf die rechtliche oder ansonsten vereinbarte bzw. anerkannte Bedeutung des Zeichens und unter Berücksichtigung seiner konkreten Gestaltung, der Art und des Orts der Anbringung sowie der an diesem Ort tatsächlich vorhandenen oder zu befürchtenden Gefahrenlage beurteilt, ob das Zeichen (auch) die Funktion hat (haben kann), vor Unglücksfällen oder dem Eintritt gemeiner Gefahren zu war-

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Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 57 VI Rdn. 36; Herdegen LK 1 0 Rdn. 1, 12. Dazu: Fischer Rdn. 6; Schild NK Rdn. 16; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 14. Zopfs MK Rdn. 7.

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So auch: Rudolphi/Stein SK Rdn. 13; Sehl Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 14. Rudolphi/Stein SK Rdn. 13. Vgl. Schild NK Rdn. 16: die subjektive Zweckbestimmung muss objektiviert sein.

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nen. 1 0 0 Danach scheiden nicht nur Zeichen als Tatobjekte aus, die gar nicht zur Gefahrenabwehr, sondern aus anderen Gründen angebracht sind, 101 wozu auch ein Teil der Verkehrszeichen zählt, die etwa lediglich dem Lärmschutz oder der Lenkung des Verkehrsaufkommens dienen. 102 Auch solche Schilder, die ersichtlich gar nicht der Gefahrenverhütung dienen können, weil auch bei einer typisierenden Betrachtung eine solche Gefahrenlage am Aufstellungsort nicht anzunehmen ist, fallen nicht in den Anwendungsbereich von Abs. 2. 1 0 3 c) Tathandlungen. Die tatbestandlichen Angriffsformen richten sich gegen die funktionale Wirksamkeit der Warn- und Verbotszeichen. Als Tathandlungen werden Verhaltensweisen erfasst, die die Kennzeichnungs-, Hinweis-, Warn- oder Verbotsfunktion solcher Zeichen vereiteln oder erschweren und dadurch die Erkennbarkeit der unfallträchtigen Gefahren/Gefahrenbereiche in Frage stellen. Das Beseitigen erfordert räumliches Entfernen derart, dass der ortsbezogene Funktionszusammenhang der Warnzeichen aufgehoben ist. Hierzu genügt das räumliche Versetzen eines solchen Schildes, das den ursprünglich gekennzeichneten Gefahrenbereich nach der Versetzung nicht mehr erfasst, in gleicher Weise wie ohne räumliche Entfernung das bloße Ablegen eines abgeschraubten Schildes an dem ursprünglichen Aufstellungsort. 104 Auch das Abkratzen der Farbe, mit dem ein Zeichen auf eine Wand gemalt ist, reicht aus, nicht jedoch bloßes Übermalen oder Überputzen, mag es auch irreversibel sein. 105 Als Unkenntlichmachen ist jede Einwirkung zu verstehen, die die mühelose Erkennbarkeit bzw. Wahrnehmungsmöglichkeit des gedanklichen Inhalts der Unfallverhütungszeichen einschränkt oder verhindert, z.B. durch Überkleben, Übermalen, Beschmieren, Abdecken, Verhängen, Zustellen. 106 In seinem Sinn entstellt wird ein solches Zeichen, wenn der gedankliche Aussagegehalt durch inhaltsverändernde Manipulationen, wie Einfügungen, teilweise Streichungen oder Überkleben (mit anderen Zeichen) 1 0 7 verfälscht wird, das Zeichen also keine oder nur noch eine in ihrem Inhalt wesentlich verfälschte Warnung (Verbot) enthält. 1 0 8 Dies ist auch bei einem richtungsändernden - und damit die ursprüngliche Anordnung

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Überzeugend: Rudolphi/Stein SK Rdn. 14. Vgl. Schild NK Rdn. 16 mit dem Beispiel eines „Badeverbotsschildes", das nicht wegen der besonderen Gefährlichkeit des Gewässers, sondern allein aus Gründen der öffentlichen Ordnung angebracht worden ist. Vgl. Rudolphi/Stein SK Rdn. 14, die alle in § 40 StVO definierten Gefahrzeichen sowie die Verkehrseinrichtungen gemäß Zeichen 600 bis 630 als Warnzeichen, die in § 41 StVO enthaltenen Vorschriftzeichen dagegen nur zum Teil als taugliche Tatobjekte ansehen. S. dazu auch Händel DAR 1975 57, 59. Ferner: OLG Köln NJW 1999 1043, 1044; Baier JuS 2004 56, 60. S. dazu Schild NK Rdn. 16 mit dem Kriterium der tatsächlichen Eignung: Enger demgegenüber: Rudolphi/Stein SK Rdn. 14, die wie hier auf eine typisierende Betrachtung abstellen, aber in ihrem Beispielsfall

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(Rauchverbotszeichen in Räumen eines der Herstellung von brennbaren Gasen dienenden Gebäudekomplexes, die gegen das Eindringen solcher Gase abgeschottet sind) den im konkreten Fall vorliegenden Ausschluss einer Gefahr zu Unrecht nicht berücksichtigen. Eindeutig dagegen: Zeichen „Steinschlag" auf ebenem Gelände. Rudolphi/Stein SK Rdn. 15; Sch/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Schild NK Rdn. 16; Zopfs M K Rdn. 8; aA Lackner/ Kühl R d n . 6. AA Rudolphi/Stein SK Rdn. 15. Vgl. Schild NK Rdn. 17. OLG Köln N J W 1999 1043, 1044: Änderung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch Überkleben eines Streckenverbotszeichens. Dazu auch: Baier JuS 2004 56, 60; Eger Jura 2001 112, 117. Rudolphi/Stein SK Rdn. 15; Schild NK Rdn. 17.

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verändernden - Drehen eines solchen Schildes der Fall. 109 Grundsätzlich ist der Fall mit der Vornahme der Tathandlung vollendet. Es kommt nicht auf die tatsächliche Kenntnisnahme des veränderten Zeichens durch die Allgemeinheit oder auf den Eintritt einer Gefahrensituation an; 1 1 0 Abs. 2 ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Ist allerdings ausnahmsweise - etwa bei kurzfristiger Veränderung eines sodann wieder hergestellten Zeichens - ihre Wahrnehmung durch Dritte ausgeschlossen, fehlt es an einer Tatvollendung. 111 19

3. Die Regelung des Abs. 2 Nr. 2. Angriffsgegenstand sind (amtliche oder private) Schutzvorrichtungen zur Verhütung von Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr sowie Rettungsgeräte zur Hilfeleistung bei derartigen Notfallereignissen. Die Merkmale „Schutzvorrichtung" und „Rettungsgerät" setzen begrifflich ihre bestimmungsgemäße Funktionsfähigkeit voraus. Wie die Zweckbestimmungsklauseln - „zur Verhütung ... dienenden" bzw. „zur Hilfeleistung ... bestimmten" - ergeben, ist maßgeblich, dass diese Gegenstände im Zeitpunkt der Tat jeweils - generell oder auf Grund individueller Entschließung 112 - dazu bestimmt sind, aus unfallträchtigen Gegebenheiten resultierende Gefahren abzuwehren bzw. bei einem Notfallereignis als Mittel zur Hilfeleistung eingesetzt zu werden. Auf eine Rechtspflicht für ihr Vorhandensein kommt es nicht an. Die Zweckbestimmung muss in einem tatzeitbezogen objektivierbaren, situativ funktionalen Zusammenhang sichtbar werden (z.B. Schwimmwesten auf einem Schiff; Schutzhelme; Notsignalpatronen bei alpiner Aktion/Bergwacht etc.). Daran wird es bei fernliegenden Zuordnungszusammenhängen (völlig sinnloses Gerät; am Flussufer zufällig abgelegter Schwimmring, 113 allein dekorativen Zwecken dienendes Gerät 1 1 4 ) regelmäßig fehlen. Völlig ungeeigneten, etwa weil defekten, Gegenständen fehlt die für die Annahme eines Tatobjekts erforderliche Funktionsfähigkeit. 115

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a) Schutzvorrichtungen sind gegenständliche (bewegliche oder unbewegliche 116 ) Absicherungen einer Gefahrenquelle, die nicht in erster Linie durch Warnung und Verbot, 117 sondern vor allem auch physisch Gefahren entgegenwirken sollen. 118 In Betracht kommen Absperrgitter, Eisenbahnschranken, Leitplanken oder Leitpfosten, 119 Blendschutzvorkehrungen, Dämme gegen Überschwemmungen, Absicherungen von Baugruben und Baustellen, Schutzgitter und Schutzgeländer an gefahrenträchtigen Stellen, Schutzverkleidungen an gefährlichen Geräten und Maschinen, Blitzableiter. Unerheblich ist, wer die Schutzvorrichtung angebracht hat. 1 2 0

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b) Rettungsgeräte (d.h. für Rettungszwecke ausgelegte Gegenstände) und diesen gleichgestellte andere Sachen müssen im Zeitpunkt der Tat dazu bestimmt sein, bei einem

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Lackner/Kübl Rdn. 6. Zopfs MK Rdn. 9; Händel DAR 1975 57, 59; aA Wrage NStZ 2 0 0 0 32, 33. Schild NK Rdn. 18 wendet in diesem Fall § 2 4 analog an. Vgl. Zopfs MK Rdn. 10. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 57 VI Rdn. 36. Zopfs MK Rdn. 10. Zopfs MK Rdn. 10; wohl enger: Rudolphi/ Stein SK Rdn. 16; s. auch Schild NK Rdn. 2 0 .

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 16; Schild NK Rdn. 2 0 : Anpflanzungen oder Dämme zum Schutz gegen Bergrutsche, Lawinen oder Überschwemmungen. Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 17. Vgl. Rudolphi/Stein SK Rdn. 16; Zopfs MK Rdn. 10. LG Marburg NStZ-RR 2 0 0 8 258, dort wohl fälschlich unter Abs. 2 Nr. 2 subsumiert. S. auch Fischer Rdn. 8.

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Unglücksfall oder gemeiner Gefahr als Mittel zur Hilfeleistung eingesetzt zu werden. Sie können diese Funktion lediglich aus konkretem Anlass erlangt haben, wie das zum Abtransport eines Schwerverletzten bereitgestellte Privatfahrzeug (vgl. Sch/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 18). In der Regel werden sie allerdings von vornherein und auf Dauer - durch Private oder öffentliche Widmung121 - diese Zweckbestimmung haben: so z.B. Rettungsboote, Rettungsringe, Schwimmwesten im Schiffsverkehr, Notfallausrüstung im Strandüberwachungsbereich, Fallschirme im militärischen Flug- oder Flugsportbereich, Leuchtpistolen und Notsignalpatronen in der alpinen oder Seenotausrüstung; ferner Krankenwagen,122 der bei/für einen Notfalleinsatz mitgeführte/bereitgestellte Arztnotfallkoffer; Feuerlöschgeräte,123 Feuermelder, Notrufanlagen (Notruf 110/ 112), 124 Einsatzwagen der Feuerwehr, Asbestanzüge und Schutzschilde zur Brandbekämpfung.125 Dies schließt nicht aus, dass im Einzelfall der Zweck entfallen sein kann: etwa wenn die Sache ersichtlich noch nicht in Betrieb genommen oder - z.B. wegen eines Defekts - außer Dienst gestellt worden ist. 126 Dem Gerät muss ein gewisses Gewicht für notfallspezifische Rettungsvorgänge zukommen, nicht jedes nützliche Werkzeug erfüllt diese Voraussetzung.127 Ein solches dürfte weder dem Rettungshammer zum Einschlagen der Scheiben in Unfallsituationen, etwa in einem Reisebus, zukommen noch etwa dem Löscheimer oder Verbands- und Erste-Hilfe-Kästen in Fahrzeugen (vgl. schon Herdegen LK 10 Rdn. 12). 128 Unerheblich ist, ob sich die Sachen in öffentlicher oder privater Umgebung befinden. c) Tathandlungen. Alle erfassten Handlungsformen richten sich gegen die bestimmungsgemäße Funktionsfähigkeit der Unfallverhütungs- und Nothilfemittel, indem diese beseitigt, verändert oder unbrauchbar gemacht werden. Bei dem Beseitigen wird die Schutzvorrichtung etc. der ortsgebunden bestimmungsgemäßen Gebrauchsmöglichkeit entzogen. Das kann durch die räumliche Entfernung von dem die funktionale Wirksamkeit gewährleistenden Platz, aber auch schon durch das Verbergen eines Nothilfegeräts nahe diesem zweckbestimmten Ort oder durch Unterbindung der Auffindbarkeit des Geräts mittels Überdecken des Hinweisschildes geschehen.129 Nicht ausreichend ist (für keine der Tatalternativen) das bloße Versperren des Zugangs zu einem Rettungsmittel. Mit dem Verändern wird die Funktionsfähigkeit nachteilig beeinträchtigt, die Wirksamkeit der Vorrichtung herabgesetzt oder der bestimmungsgemäße Einsatz erschwert,130 beispielsweise auch die funktionswidrige Anbringung von schwer lösbaren Befestigungen oder Verschlussmechanismen an Rettungsgeräten,131 die einem schnellen Zugriff in Notfällen entgegenstehen. Beim Unbrauchbarmachen wird die bestimmungsgemäße Funktionsfähigkeit oder Gebrauchsbereitschaft aufgehoben, eine schutzzweckgerechte Verwendung unmöglich gemacht, etwa durch technische Manipulationen an Nothilfegeräten, durch Ausschaltung ihrer Wirkungsweise, z.B. auch durch Entleeren eines Feuer-

Scb/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 18. AG Emmendingen NJW 2 0 0 8 3511, 3512. 1 2 3 BayObLG NJW 1988 837. 124 Schild NK Rdn. 20; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2, § 57 VI Rdn. 37; Greiner MDR 1978 375; Sieme NStZ 2 0 0 7 671, 675. 125 VgJ_ dazu: Fischer Rdn. 8; Sch/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 18; Schild NK Rdn. 20; Zopfs MK Rdn. 10. 1 2 6 So auch Rudolphi/Stein SK Rdn. 17. 121

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Schild NK Rdn. 20; Zopfs MK Rdn. 10. S. Schild NK Rdn. 2 0 ; auch Händel DAR 1975 60. aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 17. Zopfs MK Rdn. 11; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 18. Vgl. Zopfs MK Rdn. 11: unberechtigtes Vorgehen, das zum Erhalt der Funktionsfähigkeit oder seiner Verbesserung führt, fällt nicht darunter. Schild NK Rdn. 21; Sch/Schröder/Stree/ Sternberg-Lieben Rdn. 19.

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löschers (vgl. BayObLG V R S 73 45), ohne dass es zu einer Substanzverletzung zu kommen braucht 1 3 2 (Verstecken des Zündschlüssels des Krankenwagens). 1 3 3 Dies ist nicht der Fall beim bloßen Anruf der Notrufnummern 110/112. 134 23

4 . Täter. Der Eigentümer der Warnzeichen, Schutzvorrichtungen oder Rettungsgeräte, den keine Pflicht zu ihrer Aufstellung trifft, hat das aus seiner Eigentümerstellung fließende Recht zu ihrer Beseitigung; er handelt insoweit zumindest gerechtfertigt. 135 Dies gilt, auch wenn man berücksichtigt, dass die Entfernung eines ursprünglich auf eine Gefahr hinweisenden Warnzeichens als Wegfall der Gefahrenquelle missverstanden werden könnte. Das Vertrauen des Rechtsverkehrs wird insoweit nicht von § 145 Abs. 2 geschützt; es wird zudem überlagert von der Pflicht zu einem selbstverantwortlichen Umgang mit (bekannten) Gefahrenquellen. Gleiches gilt für eine dritte Person, soweit sie eine Gestattung des berechtigten Eigentümers hat. Straflos bleibt deshalb das Unbrauchbarmachen des Telefonanschlusses eines vollverantwortlich handelnden Suizidenten mit dessen ausdrücklicher oder konkludenter Zustimmung. 1 3 6 Der Eigentümer ist aber auch dann nicht nach § 145 Abs. 2 strafbar, wenn er zur Aufstellung des Zeichens verpflichtet ist. Entfernt er dieses oder lässt er es durch Dritte entfernen, nimmt er etwa das von ihm aufgestellte Warndreieck vorzeitig weg, verstößt er damit im Ergebnis lediglich gegen einen Ordnungswidrigkeitentatbestand nach der StVO und nicht gegen eine Strafvorschrift. Das Entfernen des Warndreiecks durch den Verpflichteten entspricht dem Verstoß gegen die Verpflichtung zu seiner Aufstellung; Abs. 2 will aber nicht die Verpflichtungen zur Errichtung von Schutzmaßnahmen neu und in weitergehendem Umfang als durch Bußgeldbewehrungen geschehen sanktionieren. 1 3 7 Entfernt ein Bauunternehmer die von ihm selbst aufgestellte Warntafel vor von dem Baugrundstück noch ausgehenden Gefahren, verletzt er allein baurechtliche Normen, nicht aber § 145 Abs. 2 . 1 3 8 Eine Unterlassensstrafbarkeit ( § 1 3 ) des zur Aufstellung eines Zeichens Verpflichteten beispielsweise durch Zulassen des Unbrauchbarmachens durch einen Dritten kommt im Übrigen aus den oben genannten Gründen ebenfalls nicht in Betracht. 1 3 9 Warum eine strafrechtliche Haftung eintreten sollte, wenn ein Dritter - geduldet vom zur Aufstellung Verpflichteten die gleiche Handlung vornimmt, die im Fall eigenen Tätigwerdens lediglich als Ordnungswidrigkeit zu ahnden wäre, ließe sich weder mit dem (begrenzten) Schutzzweck der Norm noch mit der Entsprechensklausel in § 13 rechtfertigen.

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133 134

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AA unter Hinweis auf die Wortlautgrenze Rudolphi/Stein SK Rdn. 18. AG Emmendingen NJW 2008 3511, 3512. Dazu schon oben Rdn. 8. Ferner: Rudolphi/ Stein SK Rdn. 18; Zopfs MK Rdn. 11; Sterne NStZ 2007 671, 675. Ähnlich: Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 57 VI Rdn. 37, wobei allerdings angemerkt wird, auf die Eigentumsverhältnisse käme es angesichts des Wortlauts bei § 145 nicht an. Ferner: Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 21. S. auch Schild NK Rdn. 17, der die Probleme bereits im Unrechtstatbestand ansiedelt.

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So: Rudolphi/Stein SK Rdn. 20. Schild NK Rdn. 17, 21; Sek/Schröder.IStreel Sternberg-Lieben Rdn. 21; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 57 VI Rdn. 37; aA Rudolphi/Stein SK Rdn. 20; Zopfs MK Rdn. 12; von BubnoffLKn Rdn. 23 unter Hinweis auf den sozialen Sinn des gleichermaßen abstrakt gefährlichen Handelns. Schild NK Rdn. 17. AA ohne Begründung: Fischer Rdn. 7; Schild NK Rdn. 17; Sch/Schröder/Stree/ Sternberg-Lieben Rdn. 21; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 57 VI Rdn. 38.

Christoph Krehl

Missbrauch ν. Notrufen u. Beeintr. v. Unfallverhütungs- u. Nothilfemitteln

§

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IV. Innerer Tatbestand 1. Absicht/Wissentlichkeit bei Abs. 1. Erforderlich ist bei allen Tatmodalitäten der 2 4 Absätze 1 und 2 absichtliches oder wissentliches Handeln (vgl. allgemein dazu: LK § 15 Rdn. 79, 91; Fischer Rdn. 6 f; Lackner/Kühl § 15 Rdn. 20 f). Bedingter Vorsatz genügt nicht (BayObLG NJW 1988 837, 838; LG Köln MDR 1978 860 m. Anm. Greiner). Dabei muss sich der qualifizierte Vorsatz auf den gesamten objektiven Tatbestand,140 nicht jedoch auf den Eintritt einer konkreten Gefahr beziehen.141 Wissentlich handelt der Täter im Falle des Abs. 1 Nr. 1 etwa, wenn er - ohne dass es ihm auf eine (überflüssige) Hilfsaktion ankäme 142 - sicher davon ausgeht, dass sein Verhalten den Aussagewert eines Notrufs 143 hat und tatsächlich keine den Notruf rechtfertigende Lage vorliegt.144 Vertraut er darauf, dass niemand das Notzeichen wahrnehmen kann, fehlt es am sicheren Wissen hinsichtlich des Vorliegens eines Notrufs, der notwendig die Kenntnisnahme durch einen Dritten voraussetzt.145 Den subjektiven Anforderungen entspricht ebenfalls nicht die - wenngleich objektiv nicht veranlasste - Inanspruchnahme einer Notrufeinrichtung aufgrund einer voreiligen, nicht zweifelsfreien Annahme des Benutzers, es handele sich um eine Dritthilfe erfordernde Notfallsituation.146 Der Täter missbraucht ein Notzeichen absichtlich, wenn er einen nicht gebotenen Hilfseinsatz erstrebt, mag er auch nur für möglich halten, dass sein Zeichen als Notzeichen aufgenommen genommen wird (vgl. Schild NK Rdn. 22). Wissentliches Handeln beim Vortäuschen erforderlicher Hilfe (Abs. 1 Nr. 2) kommt in Betracht, wenn der Täter bei seiner Ankündigung/seinem Verhalten entsprechend seinem Wissensstand von dem Fehlen jeglicher Anhaltspunkte für eine - von ihm behauptete - Notfall- oder Gefahrenlage ausgeht oder im Falle der Anforderung fremder Hilfe bei wirklicher Gefahrenlage Kenntnis von bereits geleisteten, ausreichenden Nothilfemaßnahmen (z.B. Notarzt, Krankenwagen am Unfallort) hat. 147 Deshalb ist beim Nachstellen einer Unfallsituation auf der Straße zu Testzwecken (Überprüfung des Reaktionsverhaltens der Verkehrsteilnehmer) ohne Weiteres auch wissentliches Handeln anzunehmen. Hier kann allenfalls ein Verbotsirrtum in Betracht kommen (vgl. Schefßer NZV 1994 261, 263). Bei der Prüfung dessen Vermeidbarkeit sind indes strenge Maßstäbe anzulegen. Wissentlichkeit ist auch zu bejahen bei der Weitergabe einer unzutreffenden (Hilfe bedingenden) Gefahreninformation in der Annahme ihrer Unrichtigkeit. Insoweit können Art und Form der Weitergabe des Gefahrenhinweises (anonym, ohne Quellenangabe) für die Beurteilung der subjektiven Tatseite indizielle Bedeutung erlangen. Absichtlich handelt der Täter, wenn es ihm nicht nur auf das Hervorrufen des Anscheins ankommt, fremde Hilfe sei erforderlich, sondern gerade auch auf dessen Wahrheitswidrigkeit.148

140

Dazu im Einzelnen: Rudolphi/Stein Rdn. 21.

SK

141

Vgl. nur Schild N K Rdn. 2 2 , der aber fordert, dass der Täter die Eignung der konkreten Tathandlung in ihrer Gefährlichkeit wenigstens in laienhafter Parallelwertung erfasst. Ebenso Fischer Rdn. 10.

oder praktischer Übung entsprechend als Notzeichen angesehen wird, fehlt es a m wissentlichen oder absichtlichem Handeln. 144

145

Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 2 ; Zopfs M K Rdn. 13 zum Anwählen der Notrufnummer 110 bei einem harmlosen Verkehrsunfall. AA Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 1 .

142

S. auch Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 1 : Vertrauen darauf, dass keine Hilfsmaßnahmen eingeleitet werden, lässt Wissentlichkeit nicht entfallen.

146

Vgl. auch Zopfs M K Rdn. 13; Händel D A R 1 9 7 5 57, 5 8 zum Fall des Hilfe Anfordernden, der Zweifel an der Erforderlichkeit weiterer Hilfe hegt.

143

Schild N K Rdn. 2 2 ; Händel DAR 1 9 7 5 57, 5 9 : weiß der Täter nicht, dass ein von ihm gegebenes Zeichen vereinbarungsgemäß

147

Dazu: Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 2 . Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 2 .

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

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2. Vorsatz im Falle von Abs. 2. Wissentliches Handeln bei Abs. 2 erfordert, dass der Täter sowohl die Warn-, Verbots-, bzw. Schutzfunktion des Gegenstands als auch deren Beeinträchtigung für sicher hält. Zweifelt etwa ein Verkehrsteilnehmer bei der Entfernung eines aufgestellten Warndreiecks daran, dass diesem zu diesem Zeitpunkt noch die maßgebliche Funktion als Warnzeichen zukommt, liegt wissentliches Tun nicht vor. 1 4 9 Demgegenüber liegt absichtliches Tun vor, wenn der Täter die Funktionsbeeinträchtigung erstrebt. 150 Irrelevant ist grundsätzlich die Vorstellung, es werde schon nicht zu der konkreten Gefahr eines Unfalls kommen, ebenso wie das Vertrauen darauf, im Falle eines Unglücksfalls wären trotz der Beseitigung von Rettungsgeräten Rettungschancen nicht vermindert. 151 Hält der Täter es allerdings auf Grund konkreter Umstände für ausgeschlossen, dass es während der Beseitigung von Warnzeichen dazu kommt, dass sich Personen mangels vorhandenem Zeichen einer Gefahrenquelle ohne Kenntnis von ihr nähern, fehlt es am subjektiven Tatbestand. 152

26

3. Scherz. Bei einer von vornherein nicht ernst gemeinten Vortäuschung einer erforderlichen Hilfe (Abs. 1 Nr. 2), etwa der Aufstellung einer Sprengkörperattrappe, kann es im Einzelfall an den Vorsatzerfordernissen fehlen, wenn der Handelnde davon ausgeht, dass der als harmlose Nachbildung leicht erkennbare Gegenstand auch von anderen nicht ernstgenommen werde und deshalb auch keinen Notfalleinsatz auslöst. 153

V. Konkurrenzen 27

1. Tatmehrheit (§ 53). Die Verwirklichung mehrerer Straftatbestände neben § 145 ist möglich, etwa wenn ein Notfall vorgetäuscht wird (Abs. 1 Nr. 2), um eine Situation herbeizuführen, die die Begehung einer anderen Straftat ermöglicht, etwa Diebstahl, Raub, Geiselnahme (Schild NK Rdn. 25; Händel DAR 1975 57, 58).

28

2. Zusammentreffen mehrerer Tatbestandsvarianten. Sofern für eine Annahme von Abs. 1 Nr. 2 neben dem Missbrauch von Notrufen oder Notzeichen überhaupt Raum ist (vgl. oben Rdn. 11), etwa bei mit Notrufen verbundenen näheren konkreten Täuschungsmaßnahmen, liegt nur ein Vergehen nach Abs. 1 vor (ebenso Lackner/Kühl Rdn. 8), da die Vorschrift gleichgerichtete Begehungsformen eines Delikts enthält, deren Unrechtsgehalt gleichwertig ist. 1 5 4 Beim Zusammentreffen von Abs. 2 Nr. 1 und 2 liegt ebenfalls eine einheitliche Tatbestandsverwirklichung vor. 1 5 5 Im Verhältnis von Abs. 1 und Abs. 2 liegt angesichts unterschiedlicher Angriffsformen die Annahme von Tateinheit nahe, sofern nicht etwa bei hintereinander begangenen Taten ohnehin ein Fall des § 53 StGB gegeben ist.

149 150 151 152 153

Zopfs MK Rdn. 13. Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 2 . Rudolphi/Stein SK Rdn. 21. Ähnlich: Schild NK Rdn. 2 2 . Schild NK Rdn. 2 2 ; auch Fischer Rdn. 10 im Fall eines telefonischen Notrufs im Vertrauen, dass der Ruf nicht ernst genommen werde; vgl. aber auch OLG Oldenburg NJW 1983 1573; BGHSt 34 4, 7.

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155

So auch Schild NK Rdn. 2 7 ; Rudolphi/Stein SK Rdn. 24, die allerdings dann, wenn sich das Vortäuschen im Missbrauch erschöpft, den Vorrang von Nr. 1 annehmen. AA Zopfs MK Rdn. 14: Vorrang von Nr. 2. Rudolphi/Stein SK Rdn. 24; aA Zopfs MK Rdn. 14: Zurücktreten von Nr. 1.

Christoph Krehl

Missbrauch ν. Notrufen u. Beeintr. v. Unfallverhütungs- u. Nothilfemitteln

§ 145

3. Tateinheit (§ 52). Bei Abs. 1 kommt Tateinheit in Betracht zwischen Nr. 1 und 2 9 §§ 303, 304 (z.B. Einschlagen des Sicherheitsglases eines öffentlichen Feuermelders) sowie § 315 Abs. 1 Nr. 3; ferner zwischen Nr. 2 und § 126 Abs. 2 (wahrheitswidrige telefonische Mitteilung, dass in einem Warenhaus oder einem Flugzeug ein Sprengsatz mit Zeitzünder versteckt sei), § 164 Abs. 1 sowie § 145d Abs. 1 (vgl. Blei JA 1977 139, 140; s. auch OLG Frankfurt NStZ-RR 2002 209, 210). 156 Bei Abs. 2 ist Tateinheit möglich mit SS 88, 222, 229, 1 5 7 242, 2 4 6 1 5 8 und 317, 159 unter Umständen auch mit § 267. 1 6 0 Materielle Subsidiarität besteht gegenüber Vorschriften ähnlicher Schutzrichtung mit weitergehendem, eine konkrete Gefährdung aufweisenden Unrechtsgehalt, z.B. gegenüber §§ 312, 313, 315 Abs. 1 Nr. 1, 315a, 161 315b Abs. 1 Nr. 1, 316, 316b, 162 31 8 (ebenso Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 22; weitergehend Fischer Rdn. 11, der auch S 88 und § 317 vorgehen lässt; anders Händel DAR 1975 57, 60 und Lackner/Kühl Rdn. 9, die mit §§ 315, 315b Tateinheit in Betracht ziehen). Dies gilt auch für Brandstiftungsdelikte (S 306b Abs. 2 Nr. 3), sofern sie die Allgemeinheit vor Brandgefahren schützen.163 4. Subsidiaritätsklausel des Absatzes 2. Kraft ausdrücklicher Regelung, die der Gesetzgeber „zur Vermeidung von Spannungen" zu den Sachbeschädigungsvorschriften - ungeachtet der unterschiedlichen tatbestandlichen Schutzrichtungen - eingefügt hat (Schriftl. Bericht EGStGB, BTDrucks. 7/1261 S. 12), ist Abs. 2 subsidiär gegenüber § 303 und S 304. 1 6 4 Die Regelung wird allgemein als missglückt angesehen, zum einen deshalb, weil S 145 Abs. 2 und jedenfalls S 303 einen unterschiedlichen Schutzzweck verfolgen, zum anderen, weil eine Verfolgung nach § 303 prinzipiell einen Strafantrag voraussetzt. Dies führt jedenfalls dann, wenn das Verhalten auch den Tatbestand des S 303 erfüllt, dazu, dass der nach S 303c Antragberechtigte über den Strafanspruch der Allgemeinheit auf Schutz vor Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln disponieren kann, es sei denn, die Strafverfolgungsbehörde bejaht von sich aus ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Die andernfalls und bei Verzicht auf einen Strafantrag sich ergebende Konsequenz, dass auch die Straftat nach S 145 Abs. 2 nicht verfolgt werden kann, nimmt ein Teil der Literatur zum Anlass, die Subsidiaritätsklausel „berichtigend" auszulegen und sie nur eingreifen zu lassen, wenn eine tatsächliche Möglichkeit der Bestrafung wegen Sachbeschädigung besteht. 165 Zu Recht weist die demgegenüber herrschende Meinung in der Literatur darauf hin, dass es nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut für die Sperrwirkung der Subsidiaritätsklausel nicht auf die „Verfolgbarkeit", sondern auf das „Bedrohtsein" des Verhaltens nach § 303

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Rudolphi/Stein SK Rdn. 25; Zopfs MK Rdn. 15. Schild NK Rdn. 26; Zopfs MK Rdn. 16; Händel DAR 1975 57, 60; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 57 VI Rdn. 39. Schild NK Rdn. 2 5 ; Sch/Schröder/Stree/ Sternberg-Lieben Rdn. 2 2 ; Zopfs MK Rdn. 16. Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 5 ; aA Schild NK Rdn. 2 6 ; Fischer Rdn. 11. Vgl. Dedy N Z V 1999 136, 138. Schild NK Rdn. 26; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2, § 57 VI Rdn. 39. Schild NK Rdn. 2 6 ; Fischer Rdn. 11; aA

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Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 2 2 . Rudolphi/Stein SK Rdn. 2 5 ; Schild NK Rdn. 26; Zopfs MK Rdn. 16; BGHR StGB § 145 Abs. 2 Konkurrenzen 1. Zu einem Anwendungsfall bei Überkleben eines Verkehrsschildes OLG Köln NJW 1999 1042, 1044. In diesem Fall schon den Tatbestand des § 3 0 4 ausschließend Jahn JA 1999 10; Wrage NStZ 2 0 0 0 32, 33. Fischer Rdn. 11; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 2 2 ; von Bubnoff hKn Rdn. 31; Stree J R 1 9 7 9 2 5 3 , 2 5 4 .

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ankommt und deshalb eine erweiternde Auslegung unzulässig ist. 1 6 6 Praktisch dürfte das Problem angesichts der Möglichkeit der Strafverfolgungsbehörden, mit der Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses eine Strafverfolgung wegen Sachbeschädigung nach § 3 0 3 in Gang zu bringen, keine Bedeutung haben.

§ 145a V e r s t o ß gegen Weisungen w ä h r e n d der Führungsaufsicht Wer während der Führungsaufsicht gegen eine bestimmte Weisung der in § 6 8 b Abs. 1 bezeichneten Art verstößt und dadurch den Zweck der Maßregel gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Tat wird nur auf Antrag der Aufsichtsstelle (§ 68a) verfolgt. Schrifttum Dertinger/Marks (Hrsg.) Führungsaufsicht. Versuch einer Zwischenbilanz zu einem umstrittenen Rechtsinstitut (1990; Schriftenreihe der Dt. Bewährungshilfe e.V.); Fernholz-Niemeier Die Pönalisierung von Weisungsverstößen im Rahmen der Führungsaufsicht, Diss. Münster 1992; Floerecke Die Entstehungsgeschichte der Gesetzesnormen zur Führungsaufsicht (1989; Schriftenreihe der Dt. Bewährungshilfe e.V.); Groth Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Pönalisierung während der Führungsaufsicht begangener Weisungsverstöße, NJW 1979 743; Grünwald Sicherungsverwahrung, Arbeitshaus, vorbeugende Verwahrung und Sicherungsaufsicht im Entwurf 1962, ZStW 76 [1964] 633; Hanack Das Konzept der sozialtherapeutischen Anstalt und der sonstigen Maßregeln im neuen Strafrecht der Bundesrepublik, Krim. Gegenwartsfragen Heft 10 1972, S. 68; Hassenpflug Polizeiaufsicht und Sicherungsaufsicht, Diss. München 1963; Jescheck Die kriminalpolitische Konzeption des Alternativ-Entwurfs eines Strafgesetzbuchs (Allg. Teil), ZStW 80 [1968] 54; Kwaschnik Die Führungsaufsicht im Wandel (2008); Lenckner Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit (Unterabschnitt: Die Führungsaufsicht), in Göppinger/Witter (Hrsg.) Handbuch der forensischen Psychiatrie Band 1 (1972); Maurach Die kriminalpolitischen Aufgaben der Strafrechtsreform, Gutachten für den 43. DJT 1960; Neubacher An den Grenzen des Strafrechts - Stalking, Graffiti, Weisungsverstöße, ZStW 118 [2006] 855; Pollähne Effektive Sicherheit der Bevölkerung und schärfere Kontrolle der Lebensführung, KritV 2008 386; Preiser Bewährungs- und Sicherungsaufsicht. Kritik und Vorschläge zur Strafrechtsreform, ZStW 81 [1969] 249; Raabe Die Führungsaufsicht im 2. Strafrechtsreformgesetz, Diss. Hamburg 1973; Schöch Empfehlen sich Änderungen und Ergänzungen bei den strafrechtlichen Sanktionen ohne Freiheitsentzug? Gutachten C zum 59. DJT (1992); Schöch Bewährungshilfe und Führungsaufsicht in der Strafrechtspflege, NStZ 1992 364; Schultz Kriminalpolitische Bemerkungen zum Entwurf eines Strafgesetzbuches, Ε 1962, JZ 1966 113; E. Schulz Die Führungsaufsicht (1982). Weitere Angaben s. bei den Vorbem. vor § 68. Entstehungsgeschichte Die Vorschrift ist durch Art. 19 Nr. 5 7 EGStGB, in wörtlicher Übereinstimmung mit Art. 1 Nr. 14 des 2 . StrRG, eingefügt worden. Sie war in ähnlicher Form schon im Ε 1962 vorgesehen (§ 4 2 9 ) und hat einen gewissen Vorläufer im Übertretungstatbestand

166

Lackner/Kühl Rdn. 9; Schild NK Rdn. 26; Rudolphi/Stein SK Rdn. 25; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2, § 57 VI Rdn. 39;

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Herdegen LK 10 Rdn. 13; scheinbar offen Zopfs MK Rdn. 16.

Christoph Krehl/Ellen Roggenbuck

Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht

§ 145a

des § 361 Nr. 1 a.F., der Zuwiderhandlungen gegen auferlegte Beschränkungen bei der Polizeiaufsicht des früheren Rechts (§§ 38, 39 a.F.) unter Strafe stellte (dazu Mösl LK9, § 361 Rdn. 1, 2). Durch das Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13.4.2007 (BGBl. I 513) wurde der Strafrahmen auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren angehoben. Zur kriminalpolitischen Diskussion und zu den Gesetzesmaterialien s. unten Rdn. 2, 3. Übersicht Rdn. I. Zweck der Vorschrift: allgemeine Problematik Π. Verfassungsrechtliche Fragen ΙΠ. Der objektive Tatbestand 1. Verstoß gegen eine bestimmte Weisung nach § 68b Abs. 1 a) „Bestimmte" Weisung nach § 68b Abs. 1 b) Unzulässige, unzumutbare und unzweckmäßige Weisungen . . . . c) „Verstoß" gegen eine Weisung . . . d) Verstoß „während der Führungsaufsicht"; Bestandskraft der Weisung . 2. Gefährdung des Maßregelzwecks . . . a) Allgemeines b) Einzelheiten; Wahrscheinlichkeitsurteil

1 4 7

Rdn.

IV. V. VI.

7 7

vn. 10 13 14 17 17

VIII.

c) Gefährdung noch im Zeitpunkt der Entscheidung? Vorsatz und Irrtum Täter und Teilnehmer Strafantrag 1. Formale Voraussetzungen 2. Besondere Bedeutung; Grundsätze der Handhabung Strafzumessung. Verhältnis des § 145a zum Widerruf einer Straf- oder Maßregelaussetzung 1. Strafzumessung 2. Verhältnis zum Widerruf einer Strafoder Maßregelaussetzung Konkurrenzen

25 26 28 29 29 30

34 34 38 39

18

I. Zweck der Vorschrift; allgemeine Problematik § 145a soll sicherstellen, dass die besonders bedeutsamen Weisungen des § 68b Abs. 1 1 vom Betroffenen befolgt werden, damit der Zweck der Maßregel erreichbar bleibt oder doch nicht gefährdet wird. Zweck der Führungsaufsicht ist, wie der Zweck aller Maßregeln, die Verhinderung weiterer Straftaten bzw. weiterer rechtswidriger Taten des Verurteilten. Erreicht werden soll dieser Zweck bei der Führungsaufsicht durch Überwachung und durch stützende Betreuung des Betroffenen. Beide Einwirkungsmöglichkeiten stehen dabei grundsätzlich nebeneinander, doch kann die Führungsaufsicht im Einzelfall auch vorrangig oder gar ausschließlich an der einen oder der anderen Möglichkeit orientiert werden (Pflicht zur elastischen Ausgestaltung). Da jedoch die Weisungen des § 68b Abs. 1 vornehmlich am Gedanken der Sicherung ausgerichtet sind, geht es auch bei § 145a praktisch vorwiegend um diesen Gesichtspunkt. Der Gesetzgeber meinte, dass das Institut der Führungsaufsicht ohne Strafsanktion 2 für die Weisungen des § 68b Abs. 1 weitgehend wertlos bleibe, weil es bei ihm, anders als bei einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe oder Maßregel, das Druckmittel des Widerrufs im Falle des Verstoßes gegen Weisungen (§§ 56f Abs. 1 Nr. 2, 57 Abs. 3, 57a Abs. 3, 67g Abs. 1 Nr. 2, 70b Abs. 1 Nr. 2) als solches nicht gibt. Er hielt an der Pönalisierung fest, obwohl gegen sie vielfältige Bedenken geltend gemacht wurden (s. Rdn. 3 ff), und obwohl der Gedanke vom fehlenden Druckmittel eines Widerrufs letztlich nur teilweise richtig ist, nämlich insbesondere für die Vollverbüßer des § 68f. Die Vorschrift war bei den Gesetzesberatungen lebhaft umstritten (näher Niederschriften Bd. 3, S. 235 ff, Bd. 12, S. 237 f; Prot. V, 2208 ff; Prot. VII, 684 f; vgl. auch Ε 1962, S. 613 f), wurde

Ellen Roggenbuck

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aber schließlich vom Sonderausschuß einstimmig befürwortet (Prot. V, 2211). 1 Sie wurde als so wichtig angesehen, dass sich im Sonderausschuß sogar Tendenzen zeigten, auf das Institut der Führungsaufsicht zu verzichten, falls sich die Strafdrohung nicht durchsetzen lasse (Müller-Emmert Prot.V, 2210). Der Sonderausschuß hat sich lediglich dazu verstanden, die Strafbarkeit, entgegen § 4 2 9 des Ε 1962, von einem Antrag der Aufsichtsstelle abhängig zu machen, um so „die gebotene Einschränkung auf bedeutsame Zuwiderhandlungen" zu erreichen (2. Bericht S. 4 6 ; dazu näher unten Rdn. 2 9 ff). In der Praxis wird die Vorschrift infolge ihrer Problematik selten angewendet. 2 Ihre ersatzlose Streichung hat im Anschluss an das Gutachten von Schöch 1992 der 59. Dt. Juristentag empfohlen. 3 Nach einer in den Bundesländern durchgeführten Erhebung (BR-Drs. 256/06 S. 16, 4 7 f), wonach die Strafandrohung von der Praxis für kaum geeignet gehalten wurde, Probanden zur Befolgung von Weisungen zu motivieren, hat sich der Gesetzgeber demgegenüber entschlossen, die Strafdrohung auf drei Jahre anzuheben. Die Verhängung einer gegebenenfalls auch längeren Freiheitsstrafe ermögliche es im Ernstfall, im Strafvollzug nachhaltiger auf die in aller Regel schon sehr hafterfahrenen und im Rahmen der Führungsaufsicht widerspenstigen Probanden einzuwirken (und auch die Allgemeinheit nachhaltiger zu sichern). Die höhere Strafobergrenze werte das Institut der Führungsaufsicht auch nach außen hin sichtbar auf. Die fachlich umstrittene (dazu Schneider NStZ 2 0 0 7 4 4 1 , 4 4 4 ) Änderung folgt im Trend einer Reihe von Gesetzen zur Wahrung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit wie etwa die Einführung der vorbehaltenen und der nachträglichen Sicherheitsverwahrung. 3

Im Schrifttum ist die Vorschrift auf erhebliche Skepsis gestoßen. 4 Zahlreiche Autoren, aber auch Mitglieder der Großen Strafrechtskommission sowie des Sonderausschusses (s. Rdn. 2) haben gegen sie eine Reihe unterschiedlicher und unterschiedlich gewichtiger Einwendungen erhoben. 5 Geltend gemacht wurde insbesondere: die hinreichend genaue Abgrenzung des Tatbestandes bleibe fragwürdig, schon weil trotz des § 6 8 b Abs.l S. 2 bei Erteilung bzw. Ausgestaltung der Weisungen ein erheblicher Spielraum bestehe; die Vorschrift pönalisiere weitgehend nur den Ungehorsam oder eine Art Verwaltungsunrecht, nicht aber einen wirklichen strafrechtlichen Unwert (dagegen Sch/Schröder/

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4

Eingehend und zusammenfassend Floerecke S. 136 ff. Näher dazu Schöch Gutachten C z. 59. DJT, S. 112 f; Schulz S. 125; Floerecke S. 142, 143 f; Kurze Soziale Arbeit und Strafjustiz, 1999 (Schriftenreihe d. KrimZ, Bd. 26) S. 478 f. Zahlen über Häufigkeit und Art der Verurteilungen auch bei Schild AK Rdn. 2 und 23; Fernholz-Niemeier S. 184 ff; Kerner in Dertinger/Marks S. 72 f, 115 ff; Schöch BewHi 2003 211, 224; Weigelt ZRP 2006 253, 254. Vgl. NJW 1992 3023 (und Gutachten Schöch aaO); Schöch BewHi 2003 224; Neubacher BewHi 2004 73, 83; Weigelt ZRP 2006 254. Vgl. dazu im Einzelnen - zum Teil noch bezogen auf den Vorschlag des § 429 Ε 1962 oder vorausgehende Entwürfe - namentlich: Blei BT § 105 I; Grünwald ZStW 76 664; Hanack Krim. Gegenwartsfragen H. 10,

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5

S. 89 f; Hassenpflug S. 133 ff; Horn Neuerungen der Kriminalpolitik im deutschen Strafgesetzbuch 1975, ZStW 89 (1977) 547, 556; Jescheck ZStW 80, 86; Jescheck/Weigend5 § 78 I 4; Lackner/Kühl26 Rdn. 1; Lenckner S. 223; Maurach Gutachten z. 43. DJT, S. 45 und Lehrbuch AT4 § 69 I C, B; Maurach/ Schroeder/Maiwald 2, § 104 Rdn. 1; Preiser ZStW 81 257 f; Raabe S. 162 ff, Schöch NStZ 1992 370 f und Gutachten C z. 59. DJT, S. 112 f; Schild NK passim; Stree Deliktsfolgen und Grundgesetz (1960) S. 210 ff; Streng Strafrechtliche Sanktionen2 (2002) Rdn. 329 ff; zum Teil auch Sch/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben17 Rdn. 2; Schröder Referat z. 43. DJT, S. 21; Schultz JZ 1966 123. Eingehend Raabe S. 116 ff; vgl. auch Groth NJW 1979 743; Floerecke S. 136 ff.

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Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht

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Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 2); sie treffe in ungereimter Weise ein Verhalten, das für andere Bürger nicht strafbar sei; es handele sich, wie schon bei § 361 Nr. 1 a.F., um ein untaugliches Mittel zur Einhaltung der Weisungen, da bei kritischem Verhalten des Verurteilten richtigerweise die Überwachung verstärkt werden müsse; bei Tätern ohne Resozialisierungsbereitschaft fruchte die Strafvorschrift überhaupt nichts; durch die Strafsanktion könne ein unerwünschter Erfolg erzielt werden, wenn sich der Beaufsichtigte zwar in der Erfüllung der Weisungen nachlässig, im Übrigen aber einwandfrei verhalte, weil er durch eine Bestrafung für den Weisungsverstoß dann geradezu zur weiteren Straffälligkeit getrieben werde; die Vorschrift besitze jedenfalls dann keine Überzeugungskraft, wenn der Täter seine Strafe verbüßt habe, weil ihn dann „kein Menetekel" (Maurach) daran hindern werde, sich nach Kräften der lästigen Fesseln der Weisungen und der Beaufsichtigung zu entziehen. Besonders schwerwiegend ist der Einwand, dass der Strafzweck fragwürdig bleibe (dazu näher Rdn. 34 ff) und die Vorschrift in durchaus ungeordnetem Verhältnis zu den Widerrufsmöglichkeiten bei bedingter Entlassung aus dem Straf- oder Maßregelvollzug stehe (dazu näher Rdn. 38).

Π. Verfassungsrechtliche Fragen Gegen § 145a oder ihm vorausgehende Entwürfe sind, meist im Zusammenhang mit der kriminalpolitischen Kritik (Rdn. 3), auch Bedenken erhoben worden, die mehr oder weniger deutlich verfassungsrechtliche Einwendungen betreffen. 6

4

Soweit dabei argumentiert worden ist, der Rechtsstaat sei nicht befugt, gegenüber dem endgültig aus dem Straf- oder Maßregelvollzug Entlassenen weiterhin einen strafsanktionierten Zugriff auszuüben, 7 handelt es sich ersichtlich mehr um den Ausdruck allgemeinen rechtsstaatlichen Unbehagens als um den exakten Vorwurf der Verfassungswidrigkeit. Ein solcher Vorwurf lässt sich in der Tat auch nicht erheben: Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht gehindert, nach einer endgültigen Entlassung des Täters der fortbestehenden Gefahr weiterer Straftaten durch Maßregeln zu steuern. Dass dabei auferlegte strafbewehrte Ge- oder Verbote allein deswegen verfassungswidrig (unverhältnismäßig) sein könnten, weil sie sich gegen einen endgültig aus dem Vollzug entlassenen Täter richten, lässt sich der Verfassung nicht entnehmen. Nicht überzeugend sind auch Einwendungen, die unter dem Gesichtspunkt des Art. 103 Abs. 2 G G gegen § 145a vorgebracht worden sind. 8 Zwar gewinnt die Vorschrift ihre Konturen erst durch die einzelne richterliche Weisung gemäß § 68b Abs. 1, ist insoweit also (s. unten Rdn. 7) ein Blankettgesetz. Versteht man jedoch mit der herrschenden Meinung (BVerfGE 14 245, 251; 32 346, 362f) unter Gesetz i.S. des Art. 103 Abs. 2 GG jeden geschriebenen Rechtssatz, also z.B. auch eine Rechtsverordnung oder eine autonome Satzung, sofern sie sich auf die genau umschriebene Ermächtigung durch

6

7

Näher dazu Fernholz-Niemeier S. 78 ff; Groth NJW 1979 743 ff; Kwaschnik S. 214 ff; Raabe S. 102 ff, je mit weit. Nachw., auch aus den Gesetzesberatungen; vgl. auch Schild NK Rdn. 8 f. BVerfGE 55 28, 32 hat die Frage offengelassen. So insbes. Schultz J Z 1966 123; früher auch

8

Jescheck (AT2 § 78 I 3 Fn. 7: „unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu rechtfertigen"). AA Preiser ZStW 81 2 5 7 f; wie hier die h.M.; näher insbes. Fernholz-Niemeier S. 87 ff; Groth NJW 1 9 7 9 4 7 3 ; Kwaschnik S. 2 2 7 ff; Raabe S. 130 ff.

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ein formelles Gesetz stützen kann, bestehen keine Bedenken, auch die geschriebene richterliche Weisung reichen zu lassen, sie also ebenso zu behandeln wie z.B. die Maßnahme einer Verwaltungsbehörde. Denn sie genügt mindestens in der gleichen Weise der Ratio des Art. 103 Abs. 2 GG, die darin liegt, dass der Bürger die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens kennt oder kennen kann, damit er sich entsprechend einzurichten vermag und vor Überraschungen geschützt ist. Folgt man dem, lässt sich entgegen den Tendenzen von Preiser ZStW 81 257 f und Schild NK Rdn. 8 aber auch nicht annehmen, durch die richterliche Weisung würde - selbst unter Berücksichtigung des § 68b Abs. 1 S. 2 - keine ausreichend zuverlässige Tatbestands-Grundlage für ein späteres Strafverfahren geschaffen, da sich die Weisungen durch Auslegung nicht so eindeutig ermitteln ließen wie Sinn und Umfang eines gesetzlichen Tatbestandes, so dass dem Strafrichter ein zu breiter, zu schwer kontrollierbarer Ermessensspielraum bei der Auslegung verbleibe: Die Interpretation einer konkreten Weisung mag sich zwar nach etwas anderen Regeln richten als die Interpretation eines gesetzlichen Tatbestandes. Entspricht die Weisung jedoch dem Präzisierungsgebot des § 68b Abs. 1 S. 2, ist sie grundsätzlich i.S. des Art. 103 Abs. 2 GG auch hinreichend bestimmt bzw. bestimmbar, und zwar vielfach sogar wohl genauer fixiert als mancher Gesetzestatbestand (vgl. auch unten Rdn. 8 zu den Anforderungen an die „Bestimmtheit" gemäß § 145a). 6

Fraglich ist weiter, ob die Strafbewehrung aller Weisungen des § 68b Abs. 1 verfassungsrechtlichen Anforderungen standhält. Dies ist im Hinblick darauf verneint worden, dass § 145a auch den Verstoß gegen Weisungen gemäß § 68b Abs.l erfasse, denen ihrer Art nach selbst im Hinblick auf den typischerweise labilen Probandenkreis ein Bezug zur Abwehr echter oder naheliegender Gefährdungen unter dem Aspekt des vorbeugenden Rechtsgüterschutzes praktisch fehle. Danach sei, wenn man den verfassungsrechtlichen Grundsatz ernst nehme, dass Straftatbestände gewissen Mindestanforderungen an die Strafbedürftigkeit des inkriminierten Verhaltens unterliegen, zweifelhaft, ob diese Mindestanforderungen bei der Pönalisierung der in § 68b Abs. 1 Nr. 1, 7, 8 und 9 genannten Weisungen gewahrt seien.9 Mit Hanack wird man annehmen können, dass die Weisungen des Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 7 angesichts ihres allgemeinen Zwecks, die planmäßige Überwachung des Verurteilten zu garantieren, verfassungsrechtlich noch ausreichend legitimiert sind (LK 11 § 68b Rdn. 18). Nichts anderes kann aber grundsätzlich für die Weisung nach § 68b Abs. 1 Nr. 8 gelten: die Weisung, jeden Wechsel der Wohnung oder des Arbeitsplatzes unverzüglich der Aufsichtsstelle zu melden, verhindert ein „Untertauchen" des Verurteilten als möglichen ersten Schritt in neue Kriminalität und ermöglicht es der Aufsichtsstelle, mögliche Gefährdungen durch die Wohn- oder Arbeitsumgebung zu erkennen. Gewisse Wohnungen oder Arbeitsstätten können für bestimmte Verurteilte durchaus ungeeignet sein, weil sie Gelegenheit oder Anreiz zu neuen Straftaten bieten könnten (vgl. die Weisung nach § 68b Abs. 1 Nr. 2, nach der dem Verurteilten zur Vorbeugung weiterer einschlägiger Straftaten der Aufenthalt an bestimmten Orten verboten werden kann; dazu BVerfG NJW 2008 2493; BGH NStZ-RR 2008 277). Ob sich die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durch den Weisungsverstoß tatsächlich vergrößert hat, ist eine Frage des Einzelfalls.10 Auch die Verfassungsmäßigkeit der Weisung nach § 68b Abs. 1 Nr. 9 ist letztlich nicht zu verneinen. Bei dem betroffenen typischer-

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Verneinend Raabe S. 113 ff, 138 ff und Schild NK Rdn. 5; so auch Hanack LK 1 1 Rdn. 6 und § 68b Rdn. 17 f für die Weisungen nach § 68b Abs. 1 Nr. 8 und 9; Sch/Scbröder/ Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 2; Kwaschnik

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S. 226. Erkennbar anders die h.M.; vgl. z.B. Wolters/Horn SK Rdn. 1; Lackner/Kühl26 Rdn. 1; Fischer Rdn. 3; ausdrücklich anders Fernholz-Niemeier S. 86. LG Bielefeld NStE § 145a StGB Nr. 1.

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Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht

§ 145a

weise labilen Personenkreis kann dadurch eine strafrechtlich relevante Gefahr eintreten, dass sich der erwerbslose Verurteilte entgegen § 68b Abs. 1 Nr. 9 nicht (regelmäßig) arbeitssuchend meldet, sondern sich treiben lässt und dann in Versuchung kommt, den Lebensunterhalt wie früher durch Straftaten aufzubessern. Verfassungsmäßig problematisch ist hingegen die Weisung nach § 68b Abs. 1 Nr. 10, keine alkoholischen Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen, jedenfalls in den Fällen, in denen die Führungsaufsicht nach § 67d Abs. 4 oder 5 nach Entlassung aus der Unterbringung gemäß § 64 eingetreten ist, ohne dass ein Behandlungserfolg erzielt werden konnte. 1 1 Da der Alkohol-, Drogen- oder sonstige Suchtmittelmissbrauch in vielen Fällen einen zentralen Risikofaktor darstellt, ist die Weisung als solche wohl nicht verfassungswidrig; allerdings wird in verfassungskonformer Auslegung die Anordnung bei Suchtkranken an der Zumutbarkeit scheitern. Einen strafbewehrten Zwang zur (Psycho-)Therapie hat der Gesetzgeber selbst schon wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht eingeführt, sondern lediglich in § 68b Abs. 1 Nr. 11 die Weisung, sich zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Abständen beim Therapeuten vorzustellen (BR-Drs. 2 5 6 / 0 6 S. 35 f), um Verurteilte so zu einer ersten Kontaktaufnahme und zur Herstellung einer Therapiemotivation zu veranlassen.

ΙΠ. Der objektive Tatbestand 1. Verstoß gegen eine bestimmte Weisung nach § 68b Abs. 1 a) „Bestimmte" Weisung nach § 68b Abs. 1. § 145a setzt voraus, dass der Täter gegen eine „bestimmte" Weisung nach § 68b Abs. 1 (also nicht: nach § 68b Abs. 2) verstoßen hat. Dass das Gesetz eine „bestimmte" Weisung verlangt (vgl. auch § 68b Abs. 1 S. 2: „genau zu bestimmen"), hat seine schon Rdn. 5 angedeuteten Gründe: Das strafbare Verhalten nach § 145a erhält seine genaueren Konturen überhaupt erst durch den Inhalt der konkreten Weisung, die das verbotene oder verlangte Verhalten umschreibt: es handelt sich also um eine Blankettvorschrift, 12 die im Einzelfall durch die Weisung des Gerichts ausgefüllt wird. Das Erfordernis der „bestimmten" Weisung soll dabei sicherstellen, dass der Tatbestand dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG entspricht. 13

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Bestimmt ist danach nur eine Weisung, die das verlangte oder verbotene Verhalten so genau umreißt, wie das von der Tatbestandsbeschreibung einer Strafnorm zu verlangen ist. 14 Weisungen, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, werden nicht erfasst, vermögen also Strafbarkeit nicht auszulösen; 15 ob der Verstoß dann einen untauglichen Ver-

8

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Vgl. Fischer Rdn. 3; Pollähne KritV 2 0 0 7 386, 4 0 9 ; allgemein zur Problematik bei Suchtkranken Schalast Recht und Psychiatrie 2 0 0 6 59, 60 f. OLG Dresden NStZ-RR 2 0 0 8 326, 327; Lackner/Kühl26 Rdn. 1; Schild NK Rdn. 8; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 3; Groß MK Rdn. 3; Fernholz-Niemeier S. 2 7 ff; Raabe S. 130; nach Fischer Rdn. 6 gleicht sie einer solchen. Prot. V, 2 2 0 9 ; Wolters/Horn SK Rdn. 8;

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Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 5; Fischer Rdn. 6; bedenklich Groth N J W 1 9 7 9 748 und J R 1988 2 5 8 ; vgl. auch OLG Hamm JMBINRW 1982 153. KG J R 1987 124 mit krit. Anm. Groth J R 1988 2 5 8 ; StV 2 0 0 8 147; Lackner/Kühl26 Rdn. 2; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 und Fischer aaO. Prot. V, 2 2 0 9 ; Wolters/Horn SK Rdn. 8; Seh! Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 und Fischer aaO.

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such oder ein Wahndelikt darstellt, kann offen bleiben, da der Versuch des § 145a nicht mit Strafe bedroht ist. Da sich die Bestimmtheit einer Weisung, entsprechend dem dargelegten Grundgedanken, nach den Notwendigkeiten einer verfassungskonformen Tatbestandsumschreibung richtet, ist es grundsätzlich nicht möglich, die Bestimmtheitsfrage mit Blick auf irgendwelche - angebliche oder wirkliche - praktische Bedürfnisse der Führungsaufsicht dergestalt zu interpretieren, dass diese Bedürfnisse zur Maxime der Bestimmtheitsanforderungen werden. Kein Anlass besteht auch, auf die ohnedies problematische Rechtsprechung des BVerfG zurückzugreifen, die von der Tendenz bestimmt wird, die Bestimmtheitserfordernisse des Art.103 Abs. 2 GG nicht zu überspannen (ebenso Stree NStZ 1995 448; aA Raabe S. 134). Denn die tragende Begründung dieser Auffassung, der Gesetzgeber müsse durch elastische Vorschriften dem „Wandel der Verhältnisse", der „Besonderheit des Einzelfalles" und der „Vielgestaltigkeit des Lebens" Rechnung tragen können, passt jedenfalls nicht für die hier bestehende Situation. 9

Zu den Anforderungen an eine „bestimmte" Weisung im Einzelnen vgl. LK, Erl. zu § 68b. Hervorzuheben ist hier insbesondere folgendes. Zur Bestimmtheit gehört an sich auch die Angabe der Zeit, für die die Weisung gelten soll. Doch wird die unterlassene Zeitangabe die Bestimmtheit dann nicht ausschließen, wenn erkennbar ist, dass sie für die gesamte Dauer der Führungsaufsicht gelten soll (weitergehend Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 5; Groß MK Rdn. 11). Die Angabe der „bestimmten Zeit", zu der sich der Verurteilte bei der Aufsichtsstelle, dem Bewährungshelfer oder einer sonstigen Dienststelle melden (§ 68b Abs. 1 Nr. 7) oder bei einem Arzt, Psychotherapeuten oder einer forensischen Ambulanz vorstellen (§ 68b Abs. 1 Nr. 11) soll, ist hingegen als solche unverzichtbar; sie braucht freilich nicht in einem nach Tag und Stunde fixierten Termin zu bestehen, sondern kann oder soll auch eine „Termin-Auswahl" enthalten.16 Die Angabe, dass es sich um eine strafbewehrte Weisung nach § 68b Abs. 1 - nicht also um eine sonstige Weisung nach § 68b Abs. 2 - handelt, erscheint ebenfalls unverzichtbar, 17 da in Anbetracht des Art. 103 Abs. 2 GG (s. Rdn. 7) für den Betroffenen nur dann in ausreichendem Maße Klarheit über den Charakter der Weisung besteht. Die Angabe kann auch nicht durch eine mündliche Belehrung gemäß § 268a Abs. 3 S. 2 bzw. gemäß §§ 463 Abs. 1, 453a StPO ersetzt werden, schon weil sich hier zu leicht Missverständnisse und Unklarheiten einschleichen können; so bindet auch Art. 103 Abs. 2 GG die gesetzliche Bestimmtheit aus gutem Grund an eine „schriftliche Fixierung" (BVerfGE 32 346, 362; vgl. auch oben Rdn. 5). Der Grund der Weisung ist hingegen nicht ihr Bestandteil, daher auch nicht Voraussetzung der Bestimmtheit i.S. des § 145a. 18

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BayObLGSt 1995 86 („monatlich einmal"); OLG Hamburg NJW 1985 1232; KG JR 1987 124f mit Anm. Groth J R 1988 258. Thüringer Oberlandesgericht StV 2 0 0 8 88; OLG Dresden NStZ-RR 2 0 0 8 27, 28; Sehl Schröder/Stree27 § 68b Rdn. 3; aA Wolters/

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Horn SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 5. OLG Hamburg NJW 1985 1233; Wolters/ Horn SK Rdn. 8; Fischer Rdn. 6; Groß MK Rdn. 9; vgl. auch Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 9.

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Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht

§ 145a

b) Unzulässige, unzumutbare und unzweckmäßige Weisungen. Eine unzulässige Weisung kann zwar durchaus „bestimmt" sein. Sie reicht nach wohl allgemeiner Ansicht 19 aber dennoch als Grundlage für eine Verurteilung nach § 145a nicht aus, weil das bei der Bedeutung der Weisung als Merkmal des Tatbestandes (oben Rdn. 7, 8) zu der widersinnigen Konsequenz führen müsste, dass sich die Strafbarkeit auf eine unzulässige Grundlage stützen dürfte; wenn nach ganz herrschender Meinung selbst bei der Strafoder Maßregelaussetzung ein Widerruf beim Verstoß gegen unzulässige Weisungen ausgeschlossen ist, so muss Gleiches erst recht hier gelten. Die Frage ist von praktischer Bedeutung bei Weisungen, die gegen Grundrechte verstoßen, vor allem aber bei Weisungen, die in der Sache eine Maßregelanordnung enthalten, die dem erkennenden Gericht vorbehalten ist (zum Berufsverbot OLG Dresden StV 2008 317, 318); vgl. dazu im Einzelnen LK § 68b sowie Fernholz-Niemeier S. 43 f.

10

Auch eine unzumutbare Weisung (vgl. § 68b Abs.3) schließt Strafbarkeit nach § 145a 11 stets aus. 20 Zwar fällt auf, dass § 145a, anders als § 68b, nur von „bestimmten", nicht aber auch von „zumutbaren" Weisungen spricht. Da unzumutbare Weisungen aber nicht verhängt werden „dürfen" (§ 68b Abs. 3), handelt es sich insoweit letztlich nur um einen Spezialfall der unzulässigen Weisungen. Hingegen stehen bloß unzweckmäßige Weisungen der Strafbarkeit nicht notwendig entgegen (Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben 27 Rdn. 5; unklar Schild NK Rdn. 13). Doch wird es hier vielfach schon am weiteren Merkmal der „Gefährdung des Maßregelzwecks" fehlen (etwas zurückhaltender Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben aaO), wenn nämlich die unzweckmäßige Weisung kein taugliches Mittel zur Erreichung dieses Zwecks ist (näher unten Rdn. 21). Im Übrigen wird die Aufsichtsstelle in Fällen dieser Art einen Antrag häufig nicht stellen dürfen, weil sich der Gefährdung des Maßregelzwecks dann noch durch andere Einwirkungen begegnen lässt (unten Rdn. 30 ff).

12

c) „Verstoß" gegen eine Weisung. Gegen eine Weisung ist verstoßen, wenn der Betroffene das ihm auferlegte Verhalten nicht oder nicht vollständig erfüllt.21 Dass es sich um einen „gröblichen" oder „beharrlichen" Verstoß handelt, wird, anders als beim Widerruf einer Straf- oder Maßregelaussetzung (§§ 56f Abs. 1 Nr. 2, 57 Abs. 3 und 57a Abs. 3, 67g Abs. 1 Nr. 2, 70b Abs. 1 Nr. 2) nicht verlangt. Die notwendige Korrektur bringt insoweit erst die weitere Voraussetzung des § 145a von der Gefährdung des Maßregelzwecks; dazu unten Rdn. 17 ff.

13

Die Strafbarkeit des Verstoßes ist nicht davon abhängig, dass der Täter darüber gemäß §§ 268a Abs. 3 bzw. 463 Abs. 1, 453a StPO belehrt worden ist. 22 Da jedoch die schriftlich zu fixierende Weisung des § 68b nach der hier vertretenen Auffassung ihrer Natur nach zwingend auch die Angabe verlangt, dass es sich um eine strafbewehrte Weisung handelt (Rdn. 9), kommt bei fehlender Belehrung gemäß den StPO-Vorschriften ein an sich möglicher Verbotsirrtum über die Strafbarkeit (Sch/Schröder/Stree/SternbergLieben aaO; Wolters/Horn SK Rdn. 10) praktisch wohl nicht in Betracht.

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Vgl. etwa Wolters/Horn SK Rdn. 8; Lackner/ Kühl26 Rdn. 2; Schild NK Rdn. 13; Sehl Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 5; Fischer Rdn. 6; Groß MK Rdn. 9 f. Wolters/Horn, Lackner/Kühl26, Schild, Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27, Fischer jeweils aaO; Fernholz-Niemeier S. 42.

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Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 6; Fischer Rdn. 7; eingehend FernholzNiemeier S. 48 ff. Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 8; Schild NK Rdn. 13; Fischer Rdn. 7; aA Groß MK Rdn. 12.

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Soweit der Verstoß in einem Unterlassen besteht (§ 68b Abs. 1 Nr. 7-9, 11), ist auf entsprechende Verstöße § 13 nicht anwendbar, wohl aber zu verlangen, dass der Täter überhaupt handeln konnte, also Handlungsfähigkeit bestand (Wolters/Horn SK Rdn. 9). 14

d) Verstoß „während der Führungsaufsicht"; Bestandskraft der Weisung. Der Verstoß muss „während der Führungsaufsicht" geschehen, d.h. nach ihrem Beginn und vor ihrem Ende. Zu Beginn und Ende der Führungsaufsicht bei den verschiedenen Fallgruppen s. näher LK § 68c (Beginn) und § 68e (Ende). Ist eine Weisung nicht für die ganze Dauer der Aufsicht, sondern nur „für eine kürzere Zeit" (vgl. § 68b Abs. 1) vorgesehen, kann der strafbare Verstoß, entgegen dem Gesetzeswortlaut, selbstverständlich nur während dieser „kürzeren Zeit" begangen werden.

15

Ein strafbarer Verstoß scheidet aus, wenn die Führungsaufsicht „ruht". Dies ist der Fall, wenn sich der Täter im Vollzug einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel befindet und die Voraussetzungen für eine Beendigung der Führungsaufsicht nach § 68e Abs. 1 Satz 1 nicht vorliegen (§ 68e Abs. 1 Satz 2) oder wenn beim Nebeneinander von Führungsaufsicht und Bewährungsaufsicht aufgrund derselben Tat gemäß § 68g Abs. 2 ausdrücklich angeordnet worden ist, dass die Führungsaufsicht bis zum Ablauf der Bewährungszeit ruht (ebenso Horn SK § 68b Rdn. 9; Schild NK Rdn. 15). Denn das Ruhen der Führungsaufsicht bedeutet, dass deren gesamtes Einwirkungssystem suspendiert ist. Weisungen nach § 68b Abs. 1 sind selbst dann nicht „in Kraft", wenn sie im Fall des § 68g Abs. 2 mit Weisungen nach § 56c inhaltsgleich sein sollten.

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Im Übrigen setzt der strafbare Verstoß gegen eine Weisung selbstverständlich voraus, dass die betreffende Weisung bereits rechtswirksam geworden ist. Insoweit ist zu beachten, dass Weisungen nach § 68b Abs. 1 vom erkennenden Gericht durch besonderen Beschluss zusammen mit dem Urteil, aber auch nachträglich durch das für nachträgliche Entscheidungen zuständige Gericht (§ 68d) angeordnet werden können. Dementsprechend werden Weisungen auch in unterschiedlicher Form, durch Verkündung gemäß § 268a StPO oder durch Bekanntmachung nach § 35 StPO, wirksam ( G r o ß MK Rdn. 11). 2. Gefährdung des Maßregelzwecks

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a) Allgemeines. Strafbarkeit nach § 145a tritt nur ein, wenn durch den Weisungsverstoß („dadurch") der „Zweck der Maßregel gefährdet" wird. Es handelt sich um ein echtes Tatbestandsmerkmal, das also vom Vorsatz des Täters umfasst sein muss (streitig; näher unten Rdn. 27). Die recht unglückliche Formulierung des Gesetzes geht auf § 429 des Ε 1962 zurück. Sie soll sicherstellen, dass nicht jeder Verstoß erfasst wird, den „der Verurteilte aus Nachlässigkeit oder menschlicher Schwäche begeht", sondern nur „Verstöße, die erhebliches Gewicht" haben (E 1962, S. 614). Zweck der Maßregel ist, wie bemerkt (Rdn. 1), die Verhinderung weiterer Straftaten, nicht also schon die Sicherung und die helfende Betreuung als solche (Wolters/Horn SK Rdn. 11). Sicherung und helfende Betreuung sind vielmehr nur die Mittel, mit denen der Zweck erreicht werden soll. Die Tathandlung des § 145a muss daher speziell die Gefahr weiterer Straftaten betreffen. Mit Wolters/Horn (SK Rdn. 12) ist ferner anzunehmen, dass allein die Gefahr weiterer strafbarer Weisungsverstöße für sich nicht ausreicht, und zwar weil § 145a sonst in sachwidriger Weise zum Selbstzweck und zum bloßen Mittel allgemeiner Disziplinierung würde.

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Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht

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b) Einzelheiten; Wahrscheinlichkeitsurteil. Eine Gefährdung des Maßregelzwecks in dem umschriebenen Sinne liegt vor, wenn die Gefahr weiterer Straftaten durch den Weisungsverstoß vergrößert wird oder, was wohl auf dasselbe hinausläuft, der Verstoß die Wahrscheinlichkeit straffreien Verhaltens verschlechtert. Im Schrifttum werden insoweit etwas verschiedene Formulierungen benutzt.23

18

An einer Gefährdung des Maßregelzwecks fehlt es regelmäßig, wenn der Täter die Weisung aus anerkennenswerten Gründen übertritt, insbesondere für sein Verhalten ein Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund eingreift, der Täter z.B. weisungswidrig einen Kinderspielplatz betritt, um sein dort in Gefahr geratenes Kind zu retten oder fortzubringen.24 Versteht man richtigerweise (s. Rdn. 27) die „Gefährdung des Maßregelzwecks" als Tatbestandsmerkmal, fehlt es insoweit also schon an der Tatbestandsmäßigkeit (so wohl auch Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 7; Fischer Rdn. 11), was für die Behandlung eines eventuellen Irrtums (Tatbestandsirrtum nach § 16 oder Verbotsirrtum nach §17) bedeutsam ist. Der möglicherweise anderen Ansicht von Dreher Prot. V, 2210 wäre zuzugeben, dass es ungewöhnlich ist, gerechtfertigte oder entschuldigte Verhaltensweisen hier bereits bei der Tatbestandsmäßigkeit zu berücksichtigen. Es ergibt sich dies jedoch aus der besonderen Natur des Merkmals von der Gefährdung des Maßregelzwecks. Im Übrigen sind achtenswerte Motive, die eine Gefährdung ausschließen, nicht notwendig auf Fälle der Rechtfertigung oder Schuldausschließung beschränkt. Andererseits bleibt zu beachten, dass Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe dann irrelevant sind, wenn der Täter gar nicht aus achtenswerten Motiven gehandelt hat, so z.B. wenn er den Spielplatz nicht betrat, um sein Kind zu retten, sondern dort nur zufällig dessen Gefährdung bemerkt.

19

Die Gefährdung des Maßregelzwecks setzt Wahrscheinlichkeit voraus, und zwar bezogen auf die Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten (Rdn. 17). Bei der prozessualen Feststellung des Wahrscheinlichkeitsurteils gilt der Grundsatz in dubio pro reo (Fischer vor § 61 Rdn. 3; Sch/Schroeder/Stree27 vor § 61 Rdn. 9 jeweils m.w.N.), der Richter muss von der Wahrscheinlichkeit überzeugt sein. Die Strafbarkeit entfällt nicht nur dann, wenn der Richter die erforderliche Wahrscheinlichkeit der Gefährdung des Maßregelzwecks nicht zu bejahen vermag. Sie entfällt vielmehr auch, wenn er sich nicht davon überzeugen kann, dass eine kritische Entwicklung des Verurteilten, also die vergrößerte Gefahr weiterer Straftaten (Rdn. 17), gerade auf dem Weisungsverstoß beruht.

20

Voraussetzung der Maßregelzweck-Gefährdung ist darum immer der Nachweis der 2 1 Wahrscheinlichkeit, dass die zur Verhinderung weiterer Straftaten erlassenen Weisungen überhaupt taugliche Mittel zur Erreichung dieses Zweckes waren {Wolters/Horn SK Rdn. 11). Daher entfällt Strafbarkeit trotz des Weisungsverstoßes, wenn feststeht, dass eine Gefährdung des Maßregelzwecks durch die Weisung nicht abzuwenden war, sie also zur Verringerung der Gefahr (s. Rdn. 18) nichts beizutragen vermochte (Wolters/Horn aaO; Schild NK Rdn. 5). Dabei ist abzustellen auf den Charakter der Weisung und die grundsätzliche Eignung; dass der Verurteilte ohnehin zur Begehung weiterer Straftaten entschlossen ist, ist dagegen ohne Bedeutung, denn einer solchen Einstellung soll durch die Führungsaufsicht und § 145a entgegengewirkt werden (aA Hanack LK 1 1 Rdn. 23).

23

Vgl. im Einzelnen Wolters/Horn SK Rdn. 11 ff; Lackner/Kühl26 Rdn. 3; Schild NK Rdn. 16; Sch/Schröder/Stree/SternbergLieben27 Rdn. 7; Fischer Rdn. 8; Groth NJW 1979 746; weitergehend Groß MK Rdn. 15.

24

Schild NK Rdn. 17; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 7; vgl. auch Dreher Prot. V, 2210.

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§ 145a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Will sich der Verurteilte allein der Führungsaufsicht nicht beugen und begeht deshalb Weisungsverstöße, mag es an einer Erhöhung der Gefahr weiterer Straftaten fehlen. 22

Beim Wahrscheinlichkeitsurteil ist auch das sonstige Verhalten des Betroffenen zu berücksichtigen, soweit es Schlüsse für oder gegen die Gefährdung des Maßregelzwecks zulässt. 25 Ohne eine Berücksichtigung des sonstigen Verhaltens wird man in vielen Fällen keine zutreffende Wahrscheinlichkeitsprognose treffen können. Diese Einbeziehung kann auch ergeben, dass dem Weisungsverstoß nicht die von § 145a geforderte Bedeutung zukommt. Bei der Gesamtwürdigung ist zu beachten, dass der Weisungsverstoß nicht entgegen der Gesetzesbeschränkung zum bloßen „Aufhänger" für eine Bestrafung der sonstigen resozialisierungsfeindlichen Lebensführung des Verurteilten wird, sondern die Gefährdung speziell durch den Weisungsverstoß verursacht bzw. vergrößert worden ist.

23

Ob - unter den sonstigen geschilderten Voraussetzungen - eine Gefährdung des Maßregelzwecks vorliegt, ist prinzipiell Sache des Einzelfalles. Nach dem Wortlaut des Gesetzes („gefährdet", s. Rdn. 18) ist die Strafbarkeit an sich schnell gegeben. Da dies aber kaum dem Zweck des Gesetzes entspricht (oben Rdn. 17), erscheint eine zurückhaltende Interpretation geboten. So wird bei kleineren Verstößen, insbesondere bloßen Nachlässigkeiten, die Gefährdung regelmäßig zu verneinen sein. 26 Ebenso dürfte es vielfach bei einem einmaligen Verstoß liegen. 27 Doch bleibt zu beachten, dass der einmalige Verstoß durchaus so massiv oder grundsätzlich sein kann, dass er eine Gefährdung enthält oder gar evident macht (z.B. wenn der Täter im Falle des § 68b Abs. 1 Nr. 3 eine frühere Komplizengruppe in der Absicht weiterer Verbrechensplanung bei sich aufnimmt). Auch die viel benutzte Formel vom Verstoß „aus menschlicher Schwäche" (so z.B. Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 7; vgl. auch oben Rdn. 17) ist im Einzelfall mit Vorsicht zu betrachten, da gerade „menschliche Schwäche" die spezifische Zweckgefährdung begründen kann; daher unterscheiden Sch/Schröder/Stree/SternbergLieben (aaO) zu Recht zwischen dem Verstoß aus „menschlicher Schwäche" und dem „gröblichen" oder „beharrlichen" Verstoß.

24

„Gröbliche" oder/und „beharrliche" Verstöße (vgl. auch §§ 56f Abs. 1 Nr. 2, 67g Abs. 1 Nr. 2, 70b Abs. 1 Nr. 2) sind in der Tat die eigentliche Domäne des § 145a. 28 Auf sie war in den ursprünglichen Entwürfen der Vorschrift (§ 429 Ε 1962) auch ausdrücklich abgestellt. Dass der Gesetzgeber die Klausel vom „gröblichen oder beharrlichen" Verstoß schließlich gestrichen hat, bringt keine abweichende Wertung zum Ausdruck; es beruht vielmehr nur darauf, dass er die Begriffe als strafbegründende Merkmale für zu unbestimmt hielt und darum die „gebotene Einschränkung auf bedeutsame Zuwiderhandlungen" durch das Erfordernis eines Strafantrags der Aufsichtsstelle „zu erreichen versucht" hat (2. Bericht S. 46).

25

Lackner/Küh!26 Rdn. 3 und Sch/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 7; aA Hanack L K 1 1 Rdn. 2 4 ; Schild N K Rdn. 16; Fischer Rdn. 9.

26

Lackner/Kühl26 Rdn. 3; Schild N K Rdn. 18; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 7 ; Fischer Rdn. 8.

27

LG Bielefeld N S t E 1; Fernholz-Niemeier S. 7 3 für den einmaligen Verstoß gegen § 6 8 b Abs. 1 Nr. 7 ; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-

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28

Lieben27 Rdn. 7; Fischer Rdn. 8 für einmaliges Fahren mit dem Auto entgegen § 6 8 b Abs. 1 Nr. 6. Ähnlich Lackner/Kühl26 Rdn. 3; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 7; Fischer Rdn. 7; Groß M K Rdn. 16 („Mindestintensität"); enger Fernholz-Niemeier S. 7 2 , die eine Indizwirkung des Weisungsverstoßes bejaht.

Ellen R o g g e n b u c k

Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht

§ 145a

c) Gefährdung noch im Zeitpunkt der Entscheidung? Wolters/Horn (SK Rdn. 14) 2 5 meinen, die Gefährdung des Maßregelzwecks müsse noch im Zeitpunkt der Entscheidung fortbestehen. So scheide eine Bestrafung z.B. aus, wenn sich der Täter des dem § 68b Abs. 1 Nr. 5 unterfallenden Gegenstandes inzwischen entäußert habe, weil damit die das Gefahrurteil begründenden Umstände weggefallen seien und „erreicht (ist), was § 145a will: die NichtVergrößerung der Gefahr, dass weitere Straftaten begangen werden". Dem ist zu widersprechen,29 weil das Delikt mit dem einmal begangenen Verstoß, falls er nur den Maßregelzweck gefährdet hat, vollendet ist. Wollte man im Sinne Horns entscheiden, müssten u.U. selbst massivste Gefährdungen des Maßregelzwecks straflos bleiben, wenn der Täter - und sei es unter dem Druck des Strafverfahrens - bis zum Zeitpunkt des Berufungsurteils plötzlich Wohlverhalten zeigt. In Betracht kommt in den Fällen einer später entfallenen Gefahr nur eine Rücknahme des schon gestellten Strafantrags (§ 77d) nach pflichtgemäßer Entscheidung der Aufsichtsstelle.

IV. Vorsatz und Irrtum Strafbarkeit nach § 145a setzt Vorsatz voraus (§ 15), wobei bedingter Vorsatz reicht. 26 Dass sich der Vorsatz auf den Verstoß gegen eine „bestimmte Weisung" beziehen muss, ist unbestritten; die einzelnen Merkmale der Weisung sind dabei, entsprechend dem Charakter des Delikts (oben Rdn. 7), „wie Tatbestandsmerkmale anzusehen" (Fischer Rdn. 10). Der Irrtum des Täters über die Bestimmtheit ist regelmäßig ein unbeachtlicher Subsumtionsirrtum. Hingegen kann Vorsatz ausgeschlossen sein, wenn der Täter die - objektiv bestimmte - Weisung falsch verstanden hat, mögen derartige Fälle auch schwer denkbar sein. Nicht erforderlich ist, dass sich der Täter im Augenblick der Tat unmittelbar bewusst ist, gegen eine ihn betreffende Weisung zu verstoßen (Wolters/Horn SK Rdn. 10), also „daran denkt"; vielmehr reicht nach allgemeinen Grundsätzen, dass die Kenntnis als „sachgedankliches Mitbewusstsein" das Vorstellungsbild des Täters irgendwie begleitet hat, und sei es auch nur im Sinne eines abgeschwächten, der gegenwärtigen Aufmerksamkeit entzogenen Bewusstseins von geringerem Deutlichkeitsgrad; ein Verbotsirrtum kommt in diesem Fall entgegen Wolters/Horn (aaO) aber regelmäßig nicht in Betracht. Im Übrigen braucht der Täter nur die Weisung zu kennen, nicht auch deren Hintergrund (oben Rdn. 9 a.E.). Streitig und zweifelhaft ist, ob auch die Gefährdung des Maßregelzwecks vom Vorsatz 2 7 umfasst sein muss. Eine Mindermeinung30 will die Gesetzesklausel als objektive Strafbarkeitsbedingung verstanden wissen. Ihr ist zuzugeben, dass es mit dem Sinn der Vorschrift schwer vereinbar, wenn auch nicht unbedingt „unvereinbar" ist (so aber 'Wolters/ Horn), ihre Anwendung davon abhängig zu machen, ob der Täter die Zweckgefährdung zumindest in Kauf nimmt, da es doch um die Funktionsfähigkeit der Führungsaufsicht geht; auch ist es eine befremdliche und ganz ungewöhnliche Vorstellung, dass das Gesetz den eigentlichen Schutzzweck der Norm zum Tatbestandsmerkmal erheben könnte. Doch bleibt nicht nur zu beachten, dass $ 145a ja auch für Teilnehmer Bedeutung hat (Rdn. 28), wo sich die Frage nach der Billigung der Zweckgefährdung vielfach anders darstellen dürfte als beim Täter. Zu bedenken ist vor allem, dass die Vorschrift bei einer

29

Dagegen auch KG StRR 2 0 0 8 231 und die h.M., so Lackner/Kühl26 Rdn. 3; Schild NK Rdn. 16; Sch/Scbröder/Stree/SternbergLieben27 Rdn. 7 ; Groß MK Rdn. 17; Fischer

30

Rdn. 8; Fernholz-Niemeier S. 7 7 ; Groth NJW 1 9 7 9 746; Kwaschnik S. 239. Wolters/Horn SK Rdn. 2, 3, 15; FernholzNiemeier S. 5 5 ff; Ostendorf J Z 1987 336.

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§ 145a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Interpretation im Sinne der Mindermeinung im subjektiven Bereich ganz auf den Ungehorsam gegen die Weisung beschränkt bliebe. Das aber entspricht nicht dem modernen Kriminalstrafrecht und erscheint rechtsstaatlich fragwürdig. M a n wird daher mit der herrschenden Meinung 3 1 trotz aller Bedenken von einem echten Tatbestandsmerkmal auszugehen haben, auf das sich also der Tätervorsatz erstrecken muss. Dieser Vorsatz ist freilich schon gegeben, wenn der Täter damit rechnet, dass er den an ihn herantretenden Versuchungen ohne Befolgung der Weisungen voraussichtlich wieder erliegen könnte, gleichwohl aber der Weisung nicht nachkommt. 3 2

V. Täter und Teilnehmer 28

§ 145a ist echtes Sonderdelikt, d.h. Täter kann nur sein, wer unter Führungsaufsicht steht und die an ihn selbst gerichtete Weisung missachtet. 3 3 Andere Personen kommen mithin nur als Teilnehmer in Betracht, also insbesondere niemals als mittelbare Täter. Das bedeutet, dass die Täterstellung ein (strafbegründendes) „besonderes persönliches M e r k m a l " mit der Folge ist, dass die Strafe für den Teilnehmer gemäß §§ 2 8 Abs. 1, 4 9 Abs. 1 zwingend einer Strafmilderung unterliegt. 3 4

VI. Strafantrag 29

1. Formale Voraussetzungen. Die Aufsichtsstelle (§ 68a) ist zwingend verpflichtet, vor der Antragstellung den Bewährungshelfer zu hören (§ 68a Abs. 6). Da dies geschieht, damit die Aufsichtsstelle sachgerecht entscheiden kann, insbesondere die Gesichtspunkte der helfenden Betreuung ausreichend zur Geltung kommen, wird man, entsprechend auch der allgemeinen Pflicht zur Zusammenarbeit von Aufsichtsstelle und Bewährungshelfer, annehmen müssen, dass die Anhörung Wirksamkeitsvoraussetzung des Antrags ist und z.B. eine spätere Anhörung des Bewährungshelfers durch den Staatsanwalt oder das Strafgericht nicht genügt. 3 5 Dass zwischen Aufsichtsstelle und Bewährungshelfer Einvernehmen über den Antrag nicht erreicht zu werden braucht (§ 68a Abs. 6 Halbs. 2), steht dem nicht entgegen. Zur Antragsfrist s. § 7 7 b , zu den sonstigen Bestimmungen des Antragsrechts die § § 7 7 ff. Wichtig ist die Befugnis zur Rücknahme des Strafantrags bis zur rechtskräftigen Verurteilung gemäß § 77d, die insbesondere in Fällen bedeutsam sein dürfte, in denen die Gefährdung des Maßregelzwecks später entfallen ist (oben Rdn. 2 5 ) oder in denen es während des Verfahrens zum Widerruf einer Straf- oder Maßregelaussetzung kommt (dazu näher unten Rdn. 41).

31

32

33

OLG Hamburg NJW 1985 1233; KG StRR 2008 231; Lackner/Kühl26 Rdn. 3; Schild NK Rdn. 4, 5, 19; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 9; Fischer Rdn. 10; Groß MK Rdn. 15; Groth NJW 1979 746; Kwaschnik S. 238. OLG Hamburg und Sch/Schröder/Stree/ Sternberg-Lieben27 aaO; kritisch zu OLG Hamburg Ostendorf JZ 1987 336. Wolters/Horn SK Rdn. 4; Schild NK Rdn. 21;

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34

35

Sch/SchröderIStreelSternberg-Lieben27 Rdn. 10; Fischer Rdn. 2, 4. Wolters/Horn SK Rdn. 4; Fischer Rdn. 4; aA Hanack LK 11 Rdn. 29; Lackner/Kühl26 Rdn. 1; Schild NK Rdn. 21; Sch/Schröder! Stree/Sternberg-Lieben27 Rdn. 10. Wolters/Horn SK Rdn. 18; Schild NK Rdn. 25; aA Sch/Schröder/Stree/SternbergLieben27 Rdn. 11; Fischer Rdn. 13; Groß MK Rdn. 19.

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Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht

§ 145 a

2. Besondere Bedeutung; Grundsätze der Handhabung. Der Gesetzgeber hat, wie schon dargelegt, die „gebotene Einschränkung auf bedeutsame Zuwiderhandlungen" dadurch „zu erreichen" „versucht", dass er die Strafverfolgung nach § 145a von einem Antrag der Aufsichtsstelle abhängig macht (2. Bericht S. 46, oben Rdn. 24 a.E.).

30

Der Gesetzgeber bürdet der Aufsichtsstelle damit eine besondere Verantwortung auf, weil sie - und zwar ohne gesetzlich näher bestimmte Maßstäbe - letztlich und fast anstelle des Gesetzgebers die entscheidende Verantwortung für die Anwendung der kritischen Strafvorschrift zu tragen hat. Die Regelung weicht insoweit durchaus von den regelmäßigen Gründen ab, derentwegen das Gesetz sonst das Antragserfordernis vorsieht. Sie enthält im übrigen noch dadurch ein problematisches Gewicht, dass das erkennende Gericht nach den allgemeinen Regeln des Strafantragsrechts nicht berechtigt ist zu prüfen, ob die Aufsichtsstelle bei der Antragstellung sachgemäß verfahren ist, also auch an einen sachwidrigen Antrag gebunden ist, falls es nicht aus sonstigen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gemäß § 204 StPO zur Ablehnung des Hauptverfahrens berechtigt ist. Man wird annehmen müssen, dass die Aufsichtsstelle grundsätzlich verpflichtet ist, 31 den Antrag nur als letztes Mittel zu benutzen, also nur dann einzusetzen, wenn alle anderen Möglichkeiten erschöpft sind, der Gefahr weiterer Straftaten zu begegnen. 36 Es folgt dies wiederum (s. schon Rdn. 19, 23) daraus, dass die Strafbarkeit des Verstoßes gegen Weisungen kein Selbstzweck ist, sondern Mittel zur Erreichung des Zwecks der Führungsaufsicht, weitere Straftaten zu verhindern. Dieser Zweck soll nach dem Gesetz in erster Linie durch die Mittel der Sicherung und der helfenden Betreuung erreicht werden; die Strafvorschrift des § 145a steht dabei als besonderes Druckmittel gewissermaßen nur im Hintergrund, bleibt im übrigen aber eingebettet in die grundsätzliche Struktur der Führungsaufsicht. Dafür, dass die Vorschrift auch tatsächlich so gehandhabt wird, spricht die geringe Anzahl von Verurteilungen nach § 145a (siehe Fußnote 2). Auch der Gesetzgeber hat bei der Anhebung der Strafrahmenobergrenze der Motivierungsfunktion wesentliche Bedeutung beigemessen (BR-Drs. 256/06 S. 47 f). Ob sich der Gefährdung des Maßregelzwecks nicht in anderer Weise begegnen lässt, hat die Aufsichtsstelle mit aller Sorgfalt zu prüfen. Der Antrag darf keinesfalls zum Mittel werden, Verwaltungsschwierigkeiten auszugleichen oder gar Nachlässigkeiten bei Durchführung der Aufsicht zu kompensieren. Zu prüfen hat die Aufsichtsstelle daher namentlich, ob auf den Betroffenen bisher ausreichend eingewirkt worden ist oder ob eine weitere Einwirkung, insbesondere mit Hilfe des Bewährungshelfers, noch Abhilfe schaffen könnte; ohne besondere Abmahnung wird sich ein Strafantrag jedenfalls dann in der Regel verbieten, wenn der Weisungsverstoß nicht zugleich eine strafbare Handlung anderer Art darstellt. Zu prüfen hat die Aufsichtsstelle namentlich auch, ob nicht eine Änderung oder Erweiterung bestehender Weisungen in Betracht kommt (§ 68d; Wolters/ Horn SK Rdn. 19); das wird insbesondere dann zu erwägen sein, wenn das Verhalten des Täters die Vermutung oder doch die begründete Möglichkeit enthält, dass die bisherigen Weisungen ihrer Art nach unzweckmäßig waren, seiner Gefährlichkeit zu begegnen. Dass die Aufsichtsstelle einen Antrag nicht stellen darf, wenn eine Verurteilung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht zu erwarten steht, ist selbstverständlich. Sorgfältig zu bedenken hat die Aufsichtsstelle ferner, ob ein Strafantrag im Hinblick auf die Problematik der Strafzumessung (dazu näher Rdn. 34 ff) wirklich angebracht ist. Wird der

36

Wolters/Horn SK Rdn. 19; Schild NK Rdn. 25; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-

Lieben27 Rdn. 11; vgl. auch Rdn. 6.

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Lackner/Kühl26

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32

§ 145a

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Maßregelzweck durch ein Strafverfahren mehr gefährdet als durch die Tat, kommt ein Strafantrag grundsätzlich nicht in Betracht (Fischer Rdn. 13). 33

Schwierigkeiten können für die Aufsichtsstelle bei der Frage entstehen, ob nicht der Widerruf einer bestehenden Strafaussetzung (§ 56f Abs. 1 Nr. 2, §§ 57 Abs. 3, 57a Abs. 3) oder einer entsprechenden Maßregelaussetzung (§67g Abs. 1 Nr. 2, §70b Abs. 1 Nr. 2) ausreicht bzw. in erster Linie anzustreben ist. Lackner/Kühl26 Rdn. 6 meinen, dass bei der Möglichkeit eines solchen Widerrufs ein Strafantrag „meist" nicht angebracht sei. Das entspricht ersichtlich auch dem Verhalten der Praxis (vgl. Floerecke S. 142). Aber es fragt sich im Einzelfall doch, ob der Widerruf tatsächlich eine bessere Einwirkung, z.B. im Hinblick auf die Dauer des Restvollzugs, garantiert. Zu bedenken ist auch, ob im Einzelfall die Verurteilung als eine Art „Schuss vor den Bug" nicht gerade das geeignetere Mittel ist, dem Verurteilten die Bedeutung einer - richtigen und notwendigen - Weisung nachdrücklich deutlich zu machen (Wolters/Horn SK Rdn.19). Dies wiederum hängt allerdings nicht unwesentlich von der vermutlichen Reaktion des Richters auf den Weisungsverstoß ab, die für die Aufsichtsstelle sowohl hinsichtlich des Widerrufs wie der Strafzumessung nach § 145a nicht ohne weiteres prognostizierbar ist. Eine vorherige Aussprache mit dem zuständigen Richter über dessen mutmaßliche Tendenz ist freilich nicht verboten und begründet, richtig gehandhabt, auch nicht dessen Befangenheit nach § 24 StPO. - S. im Übrigen Rdn. 38.

VII. Strafzumessung. Verhältnis des § 145 a zum Widerruf einer Straf- oder Maßregelaussetzung 34

1. Strafzumessung. Ein wesentliches Dilemma des § 145a entsteht, wie schon angedeutet, bei der Strafzumessung. Dies liegt daran, dass es dem Gesetz hier letztlich um die Androhungsprävention geht, die reale Durchsetzung dieser Androhung aber sowohl im Hinblick auf die „Schuld des Täters" (§ 46 Abs. 1 S. 1) als auch im Hinblick auf eine sinnvolle Bestimmung und Zumessung der Strafe bei der Eigenart des Delikts und des Täterkreises erhebliche Schwierigkeiten aufwirft, die schon im Sonderausschuß Unbehagen hervorgerufen haben (Prot. V, 2208 ff). Diese Schwierigkeiten machen eine kriminalpolitische Wirksamkeit der Vorschrift „höchst unwahrscheinlich", 37 wie auch die durchweg sehr geringen jährlichen Verurteilungszahlen (vgl. oben Rdn. 2 mit Fn. 2) zeigen dürften. Die Probleme ergeben sich im Einzelnen aus folgendem.

35

Der Unrechtsgehalt eines Weisungsverstoßes, auch wenn er den Maßregelzweck gefährdet, ist als solcher regelmäßig gering oder gar nur eine Art Ordnungsunrecht, zumal zugleich mit dem Verstoß begangene andere Straftaten zusätzlich strafbar bleiben (Rdn. 43). Die Masse der Verstöße wird daher nach ihrem Schuldgehalt die Sechsmonatsgrenze kaum erreichen {Wolters/Horn Rdn. 16; Horstkotte Prot. V, 2210), so dass an sich ihre Umwandlung in eine Geldstrafe nach § 47 in Betracht kommt. Aber die Geldstrafe wird zur Einwirkung auf den Täter i.S. des § 47 häufig nicht ausreichen (Lackner/Kühl26 Rdn.5; vgl. auch Corves Prot. V, 2208) oder sogar den Anreiz begründen, dass der ohnedies gefährdete Täter sich das Geld auf unlautere Weise verschafft (Wolters/Horn aaO).

37

So Lackner/Kühl26 Schild N K Rdn. 2 3 Sternberg-Lieben27 Weigend5 § 7 8 I 4 ;

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Rdn. 5. Kritisch auch f; Sch/Schröder/Stree/ Rdn. 2; Jescheck/ Schock N S t Z 1 9 9 2 3 7 0

und Gutachten C zum 5 9 . Dt. Juristentag S. 113; um Lösungen bemüht Wolters/Horn SK Rdn. 17.

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Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht

§ 145a

Die Anordnung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe (§ 56) wird zwar durch eine bestehende Führungsaufsicht nicht zwingend ausgeschlossen. Speziell bei den hier in Frage stehenden Taten und Tätern wird sie jedoch vielfach an der schlechten Prognose scheitern (Lackner/Kühl und Horstkotte aaO). Der an sich berechtigte Hinweis Wolters/Horns (SK Rdn. 17), dass bei der Aussetzungsprognose des § 56 auch die „voraussichtlich ,heilsame' Wirkung" der Verurteilung nach § 145a eine Rolle spielen kann, erscheint darum hier für viele Fälle vermutlich etwas akademisch. Das gilt auch für die zugrundeliegende Auffassung Wolters/Horns (aaO), es werde „häufig vorkommen", dass der Täter die ihm erteilte Weisung trotz Belehrung (§§ 268a Abs. 3, 463 Abs. 1 i.V. mit 453a StPO) nicht so ernst nimmt, solange sie nicht durch ein Strafverfahren mit Verurteilung zu Freiheitsstrafe „bekräftigt wird". - Kann das Gericht im Einzelfall die von Wolters/Horn umschriebene Situation bejahen, wird es für die ausgesetzte Freiheitsstrafe eine Bewährungszeit festsetzen (§ 56a), während der die Weisungen aus der Führungsaufsicht fortgelten (§ 68g Abs. 1 S. 1); für die Dauer der Aufsicht gilt dann § 68g Abs. 1 S. 2 (vgl. Wolters/Horn aaO).

36

Soweit weder Geldstrafe noch eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe in Betracht kommen, wird die allein verbleibende Möglichkeit der Verurteilung zu einer vollstreckbaren kurzfristigen Freiheitsstrafe bei der Eigenart der betreffenden Täter für ihre Resozialisierung regelmäßig wenig Erfolg versprechen ( L a c k n e r / K ü h l 2 6 Rdn. 5). Daran wird die Anhebung der Strafgrenze für den Normalfall nichts ändern.

37

2. Verhältnis zum Widerruf einer Straf- oder Maßregelaussetzung. Die geschilderten Konsequenzen können so fragwürdig sein, dass der Gedanke nahe liegt, eine Anwendung des § 145a zwingend als ausgeschlossen anzusehen, wenn der Weisungsverstoß zugleich zum Widerruf einer Straf- oder Maßregelaussetzung führt. Dies nehmen in der Tat Lenckner (in Göppinger-Witter, Handbuch der forensischen Psychiatrie, Bd. I 1972, S. 223) sowie, ihm folgend, Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 (Rdn. 12) an, während sich das übrige Schrifttum zu der Frage nicht oder nicht klar äußert (aA jedoch erkennbar Preisendanz Anm. 1; Groß MK Rdn. 20).

38

Die genannten Autoren meinen, dass § 145a nach Zweck und Entstehungsgeschichte nur Fälle treffen soll, in denen der Gesetzgeber wegen fehlender Widerrufsmöglichkeit ein besonderes Druckmittel zum strafrechtlichen Schutz der Führungsaufsicht für erforderlich hielt bzw. (so Lenckner aaO unter Hinweis auf die Begründung zum Ε 1962, S. 221) bei denen es nicht nötig ist, wegen des Weisungsverstoßes „sofort zu der schwerwiegenden Maßnahme des Widerrufs zu greifen". Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 (aaO) weisen im Übrigen noch darauf hin, dass eine andere Handhabung zu einer Doppelbelastung des Täters führen würde, „die sich schwerlich mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbaren" lasse. So kriminalpolitisch einleuchtend diese Überlegungen sind, es ergibt sich nicht nur das Bedenken dass § 145a dann, entgegen dem Gesetzeswortlaut, in seinem Anwendungsbereich von vornherein erheblich beschränkt würde, obwohl der Gesetzgeber eine solche Beschränkung nicht ausgesprochen hat. Zweifelhaft erscheint vielmehr auch, ob man generell sagen darf, dass die doppelte Reaktion stets unangemessen ist, schon weil jedenfalls aus der Sicht der Gesetzesregelung - derjenige Täter, dem auch der Aussetzungs-Widerruf droht, mit einem dennoch begangenen Weisungsverstoß ja in gewisser Weise den Maßregelzweck besonders krass gefährdet oder gefährden kann. Vor allem aber ist zu bedenken, dass der Widerruf durchaus nicht immer die schwerere Folge zu sein braucht, sondern selbst gegenüber einer Freiheitsstrafe nach § 145a u.U. geringeres Gewicht besitzt, wenn nämlich als Folge des Widerrufs nur noch eine kurze Restver-

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

büßung in Frage steht (wie auch Lenckner nicht verkennt, vgl. aaO Fn. 238). Auch könnte die erörterte Auffassung die bedenkliche Konsequenz begünstigen, dass der Widerruf stets als das „vorrangige Instrument" angesehen wird, während im Einzelfall durchaus denkbar erscheint, dass auf einen Widerruf gerade wegen der Möglichkeit eines Strafverfahrens nach § 145a noch einmal verzichtet werden kann; vgl. auch Rdn. 33. Man wird danach annehmen müssen, dass die besseren Gründe dafür sprechen, das behauptete Subsidiaritätsverhältnis als Frage der sachgemäßen Handhabung des Antragsrechts im Einzelfall zu verstehen. Härten, die sich dabei durch unsachgemäße Handhabung des Antragsrechts ergeben, müssen, falls ihnen nicht auf dem Weg über §§ 153 ff StPO begegnet werden kann, gegebenenfalls bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Bei einer solchen Betrachtung werden auch die verfahrensmäßigen Probleme etwas abgemildert (wenn auch nicht ausgeschlossen), die sich daraus ergeben können, dass für den Widerruf der Straf- oder Maßregelaussetzung regelmäßig ein anderes Gericht und ein anderer Instanzenzug gegeben ist als für das Verfahren nach § 145a.

VIE. Konkurrenzen 39

Nach Wortlaut und Struktur des § 145a ist die Konsequenz wohl unausweichlich, dass der mehrfache Verstoß gegen dieselbe Weisung ebenso wie Verstöße gegen verschiedene Weisungen in § 145a nicht von vornherein zu einer Tat zusammengefasst sind; es beurteilt sich daher nach allgemeinen Regeln, wann mehrere Verstöße als eine Tat anzusehen sind und wann mehrere Taten vorliegen.38 Es zeigt sich hier wiederum die Problematik der Strafvorschrift.

40

Mehrere Verstöße gegen dieselbe Weisung stehen nach dem Gesagten regelmäßig in Realkonkurrenz, sofern nicht die - im Einzelnen umstrittenen - Grundsätze über die natürliche und rechtliche (tatbestandliche) Handlungseinheit eingreifen. 39 Bei einzelnen Weisungsverstößen des Katalogs von § 68b Abs. 1 kommt auch der Gesichtspunkt der Dauerstraftat in Betracht, so z.B. beim Beherbergen oder Ausbilden bestimmter Personen (Nr. 3), nicht jedoch beim unbefugten Verlassen des Wohn- oder Aufenthaltsorts (Nr. 1), weil dieses Verhalten mit dem Verlassen abgeschlossen ist, und auch nicht beim Missachten der Meldepflicht (Nr. 7), weil es sich hier (so zu Recht Wolters/Horn SK Rdn. 20) um mehrere kumulativ realisierbare Akte handelt, deren Fehlen bei jedem Akt einen Weisungsverstoß bedeutet (aA Stmensee Die Konkurrenz bei Unterlassungsdelikten, 1971, S. 83 f, der hier mehr auf die Verhaltensidentität abstellt).

41

Verstöße gegen verschiedene Weisungen stehen entweder in Ideal- oder in Realkonkurrenz, und zwar gleichgültig, ob Gebote oder Verbote übertreten werden.

42

Die Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung (dazu Rissing-van Saan LK Rdn. 57 ff vor § 52) wird auch für § 145a seit der Entscheidung BGHGrS 40 138 in Rechtsprechung und Schrifttum ersichtlich nicht mehr befürwortet. Mit Corves (Prot. V, 2208) zu verneinen ist auch die Frage, ob sich die Grundsätze des BVerfG entsprechend anwenden lassen, nach denen Kriegsdienstverweigerer, die wegen einer ein für allemal getroffenen

38

Wolters/Horn SK Rdn. 2 0 ; Lackner/Kühl26 Rdn. 2; Schild N K Rdn. 2 2 ; Sch/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben17 Rdn. 13; Groß MK Rdn. 2 1 ; vgl. auch BayObLGSt 1 9 9 5 8 6 .

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Lackner/Kühl2·6 Rdn. 2 ; vgl. auch Wolters/ Horn SK Rdn. 2 0 . Z u den genannten Grundsätzen s. Rissing-van Saan L K Rdn. 9 ff und 2 0 ff vor § 5 2 .

Ellen R o g g e n b u c k

Verstoß gegen das Berufsverbot

§ 145c

und fortwirkenden Gewissensentscheidung ihrer Einberufung zum zivilen Ersatzdienst (Zivildienst) wiederholt nicht Folge leisten, nur einmal zu bestrafen sind (BVerfGE 23 191, 203 ff = NJW 1968 982). Verletzt der Weisungsverstoß zugleich den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift (z.B. Beherbergen nach § 68b Abs. 1 Nr. 3 als Strafvereitelung nach § 258), ist Idealkonkurrenz gegeben (Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben 27 Rdn. 13). Hingegen liegt Realkonkurrenz vor, wenn die andere Straftat nur gelegentlich eines Weisungsverstoßes begangen wurde (Schild NK Rdn. 22; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben27 aaO).

§ 145b (weggefallen)

§ 145c Verstoß gegen das Berufsverbot Wer einen Beruf, einen Berufszweig, ein Gewerbe oder einen Gewerbezweig für sich oder einen anderen ausübt oder durch einen anderen für sich ausüben lässt, obwohl dies ihm oder dem anderen strafgerichtlich untersagt ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift ist zusammen mit der Maßregel „Untersagung der Berufsausübung" (§ 42 1 a.F.) mit Wirkung vom 1. Januar 1934 durch das Gewohnheitsverbrechergesetz in das StGB eingefügt worden. In der damaligen Fassung lautete die Vorschrift: § 145c Wer einen Beruf oder ein Gewerbe ausübt oder ausüben lässt, solange ihm dies nach § 42 Abs. 1 untersagt ist, wird mit Geßngnis bis zu zwei Jahren und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft.

Die Vorschrift blieb, abgesehen von der Anpassung an das Strafensystem des 1. StrRG, bis zum Inkrafttreten des 2. StrRG unverändert. Die jetzige Fassung, seit dem 1. Januar 1975 in Kraft, beruht auf der Vorschrift des Art. 19 Nr. 58 EGStGB, die mit Art. 1 Nr. 15 des 2. StrRG übereinstimmt und hinsichtlich der Tatbestandsfassung auf § 430 Abs. 1 Ε 1962 zurückgeht. Die Erweiterung der Strafbarkeit auf Personen, die, ohne selbst von einem Berufsverbot betroffen zu sein, durch einen anderen eine für diesen verbotene Berufstätigkeit ausüben lassen oder als Strohmann für denjenigen handeln, gegen den sich das Berufsverbot richtet, beruht auf einem Vorschlag von Koffka (Niederschriften der Gr. Strafrechtskommission 4 565; Niedersehr, über die Sitzungen der Unterkommission der Gr. Strafrechtskommission II, 226 f, den das Bundesjustizministerium später übernahm (Niederschriften 5 280; 13 595, 603, 626). Dass sich die Vorschrift, anders als das vor 1975 geltende Recht, nicht nur auf die materiell-rechtliche Maßregel des § 70, sondern allgemein auf „strafgerichtliche" Untersagungen der Berufsausübung

Ellen Roggenbuck/Christoph Krehl

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§ 145c

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

bezieht, hängt mit der Einführung des vorläufigen Berufsverbots (§ 132a StPO, vgl. Art. 21 Nr. 3 9 EGStGB) zusammen. Gesetzesmaterialien: Ε 1962 § 430 Abs. 1, Begr. S. 614; Niederschriften der Gr. Strafrechtskommission 4 93, 446, 565; 5 280; 12 636; 13 595, 603, 626. Zweiter Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BTDrucks. V/4095 S. 46; Prot. V, 2876, 2882, 3118, 3151, 3153; EGStGB: Entwurf BTDrucks. 7/550, Art. 18 Nr. 52, Begründung S. 225. Übersicht Rdn. I. Allgemeines Π. Äußerer Tatbestand 1. Strafgerichtliche Untersagung der Berufsausübung 2. Täterkreis und Tathandlungen: Übersicht 3. Einzelne Merkmale des Tatbestandes ΠΙ. Innere Tatseite IV. Täter und Teilnehmer 1. Zur Täterschaft verselbständigte Teilnahme

Rdn.

1 5 V. 5 VI. VH. VQI.

12 13 22

2. Teilnahme; straflose notwendige Teilnahme Konkurrenzen 1. Tateinheit 2. Handlungseinheit Rechtsfolgen der Tat Zum Verfahren Übergangsregelung

24 27 28 29 31 33

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I. Allgemeines 1

1. Die Vorschrift sanktioniert das Berufsverbot nach § 7 0 StGB und das vorläufige Berufsverbot nach § 132a StPO. Anders als die aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen fragwürdige Bestimmung des § 145a dient § 145c einem einsichtigen Zweck: Der sichernde Charakter des Berufsverbots 1 lässt eine strafrechtliche Absicherung grundsätzlich akzeptabel erscheinen. 2 Zwar werden unzulässige gewerbliche und berufliche Tätigkeiten hauptsächlich mit Verwaltungsmaßnahmen bekämpft. Da diese jedoch von beschränkter Wirksamkeit sein können, wenn keine greifbaren Betriebsmittel und keine feste Betriebsstätte vorhanden sind, ist die Strafverfolgung als letztes Mittel nicht unangemessen. Bei der Anwendung des § 145c ist allerdings schon mit Blick auf das hierdurch berührte Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 G G Behutsamkeit geboten: Der Versuch des Betroffenen, sich eine neue berufliche Existenz zu verschaffen, sollte nach Möglichkeit nicht gestört werden; deswegen ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob die tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Verletzung des Berufsverbots wirklich zureichend (§ 152 Abs. 2 StPO) sind. Indem die Vorschrift der Durchsetzung des Berufsverbots dient, schützt sie mittelbar die Allgemeinheit vor den Gefahren, die zur Anordnung des Berufsverbots geführt haben. 3 Insoweit handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. 4 Außerdem verleiht sie nach der h . M . der Autorität der gerichtlichen Anordnung Nachdruck, indem sie den Ungehorsam mit Strafe bedroht. 5 Es ist allerdings fraglich, ob dies allein

1 2

3

Hanack LK § 70 Rdn. 1 m.w.N. Schild NK Rdn. 5 stellt dies in Frage. Er spricht sich für eine Ausgestaltung als Ordnungswidrigkeit aus, sofern man nicht als Sitz der Regelungsmaterie überhaupt nur das Verwaltungsrecht sieht. BGH wistra 1999 222; Sch/Schröder/Stree/ Sternberg-Lieben Rdn. 1.

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4 5

Fischer Rdn. 2; Zopfs MK Rdn. 1. BGH wistra 1999 222; BGH Beschluss vom 20.2.1979 - 1 StR 690/78; Horstkotte LK 11 Rdn. 1; Zopfs MK Rdn. 1; Wolters/Horn SK Rdn. 2.

Christoph Krehl

Verstoß gegen das Berufsverbot

§ 145c

zur Begründung einer Strafbarkeit nach dem StGB ausreicht.6 Aus diesem Grund ist bei bestimmten Fällen, die herkömmlicherweise zum Anwendungsbereich der Vorschrift gezählt werden zu fragen, ob eine Bestrafung noch mit dem verfassungsrechtlichen Prinzip verhältnismäßigen Strafens in Einklang steht. 2. Neben § 145c treten weitere Vorschriften, die den Verstoß gegen die verwaltungsrechtliche Untersagung der Berufs- oder Gewerbeausübung mit Strafe bedrohen. Beispiele sind § 13 der Bundes-Apothekerordnung, § 13 der Bundesärzteordnung, § 14 der Bundes-Tierärzteordnung und § 18 Nr. 2 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde. Ähnlich wirken Bestimmungen, welche die Berufsausübung ohne vorangegangene behördliche Erlaubnis unter Strafe stellen (vgl. § 5 des Heilpraktikergesetzes). Weiter gehören in diesen Zusammenhang Vorschriften, nach denen der Verstoß gegen ein behördliches Gewerbeausübungsverbot nur unter bestimmten Voraussetzungen (beharrliche Wiederholung, Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit Anderer oder fremder Sachen von bedeutendem Wert) mit Strafe bedroht ist (§ 148 Nr. 1 und Nr. 2 der Gewerbeordnung; vgl. auch § 58 Abs. 1 Nr. 27, Abs. 2 i.V.m. § 25 des Jugendarbeitsschutzgesetzes). Schließlich ist auf die Vorschriften hinzuweisen, die Verstöße gegen ein behördliches Verbot beruflicher oder gewerblicher Tätigkeit mit Bußgeld bedrohen (vgl. z.B. § 118 Abs. 1 Nr. 5 der Handwerksordnung; §§ 144-146 GewO; § 160 Abs. 1 des Steuerberatungsgesetzes; s. dazu auch Hanack LK § 70 Rdn. 85).

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3. Die praktische Bedeutung des § 145c ist seit jeher gering; im Jahre 2002 sind 3 lediglich vier Personen nach § 145c verurteilt worden (statistische Angaben für die Zeit von 1934 bis 1956 in Niederschriften 13 611). Hier macht sich der faktische Vorrang von Verwaltungsmaßnahmen, möglicherweise auch eine Konzentration der Verfolgung auf die vorstehend zu Rdn. 2 genannten Straf- und Bußgeldtatbestände außerhalb des StGB bemerkbar.7 4. Trotz ihrer seltenen Anwendung ist die Vorschrift des § 145c nicht unproblematisch. Es handelt sich um ein Blankettstrafgesetz, das erst durch das ausgesprochene richterliche Berufsverbot ausgefüllt wird. Daraus hat S. Cramer NStZ 1996 136 verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG hergeleitet:8 Die Strafbarkeit hänge nicht allein vom Gesetz, sondern auch von der Verhängung und Abgrenzung des Berufsverbots durch einen Richter ab, der angesichts der Komplexität der Prognose und der Fassung des § 70 („... kann ... verbieten") einen weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraum habe. Tatsächlich dürfte § 145c auf der Grundlage verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung zu Blankettstrafgesetzen9 mit dem GG in Einklang stehen (Zopfs MK Rdn. 2). Dem Strafrichter wird nicht allein die Entscheidung über die Strafbarkeit

6

Darauf weist zu Recht Schild NK Rdn. 5 hin; krit. auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3. Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot ($ 145c StGB) S. 103 hält mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG eine Pönalisierung allein des Ungehorsams gegenüber strafgerichtlichen Anordnungen ohne Vorliegen einer Gefahr für die Allgemeinheit für nicht verfassungsrechtlich tragbar.

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Zu den möglichen Gründen für die Bedeutungslosigkeit der Vorschrift Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 3 ff. So wohl auch Schild NK Rdn. 6 i.V.m. § 145a Rdn. 8. BVerfGE 14, 245, 2 5 2 ; 75, 329, 3 4 2 ; insbes. auch BVerfGE 78, 374, 3 8 9 ; 87, 399, 411; s. auch BVerfG N J W 2 0 0 , 1848, 1850.

Christoph Krehl

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

eines Verhaltens überlassen. Dieser schafft mit dem nicht seinem freien Ermessen10 überlassenen, sondern auch und vor allem vom Vorliegen gesetzlicher Voraussetzungen abhängigen Berufsverbot lediglich die notwendige konkrete Grundlage, die der Gesetzgeber allgemein zum Anknüpfungspunkt für eine Bestrafung nach § 145c StGB gemacht hat. 11 Davon zu trennen ist die Frage, ob ein strafgerichtliches Berufsverbot im Einzelfall zu unbestimmt gefasst ist und welche Rechtsfolgen damit verknüpft sind (Rdn. 10). Π. Der äußere Tatbestand 5

1. Strafgerichtliche Untersagung der Berufsausübung. § 145c betrifft nur den Verstoß gegen eine strafgerichtliche Untersagung der Berufsausübung. Gemeint sind das Berufsverbot nach § 70 StGB und das vorläufige Berufsverbot nach § 132a StPO (Fischer Rdn. 2; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 3). Verstöße gegen eine von der Verwaltungsbehörde angeordnete Beschränkung oder Untersagung der Berufsausübung (oben Rdn. 3), gegen Anordnungen im anwaltsgerichtlichen Verfahren nach § 114 Abs. 1 Nr. 4 und § 150 der Bundesrechtsanwaltsordnung und im Rahmen der Disziplinar-, Ehren- und Berufsgerichtsbarkeit anderer Berufe, desgleichen Verstöße gegen Anordnungen der Verwaltungsgerichte, fallen nicht unter § 145c, ebenso wenig das (gesetzliche) Verbot der Geschäftsführung nach § 6 Abs. 2 GmbHG. Unanwendbar ist die Vorschrift auch, wenn ein Arzt der Untersagung nach § 219 Abs. 2 StGB zuwiderhandelt (Laufhütte/Wilkitzki JZ 1976 336).

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a) Der Verstoß gegen das Berufsverbot nach § 70 ist nur tatbestandsmäßig, wenn die Maßregel rechtskräftig und damit wirksam (§ 70 Abs. 4 Satz 1) ist (Fischer Rdn. 3). Ist kein vorläufiges Berufsverbot angeordnet worden (unten Rdn. 7), so ist der Verstoß gegen das Berufsverbot von seiner erstinstanzlichen Anordnung bis zum Eintritt der Rechtskraft nicht strafbar; die Verletzung des noch nicht rechtskräftigen Berufsverbots darf dem Schuldumfang der mit der Rechtskraft beginnenden Tat nicht hinzugerechnet werden. Der Richter prüft nach h.M. bei der Anwendung des § 145c in der Regel nicht, ob die Anordnung des Berufsverbots dem § 70 entsprochen hat: Für den Schuldspruch soll es nicht darauf ankommen, ob zur Tatzeit die in § 70 vorausgesetzte Gefahr entfallen und damit ein Grund für die Aussetzung des Berufsverbots (§ 70a Abs. 1) gegeben war (s. aber im Zusammenhang mit der Prüfung der Bestimmtheit des Berufsverbots Rdn. 10). Der Umstand, dass der Verstoß gegen das Berufsverbot wegen des Wegfalls der Gefährlichkeit (vgl. § 70a Abs. 1) bloßer Ungehorsam gegen eine richterliche Anordnung war, soll lediglich strafmildernd zu berücksichtigen sein; ggf. soll eine Einstellung nach den §§ 153, 153a StPO erwogen werden.12 Warum einerseits der Wegfall der Gefährlichkeit bei der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit ohne Bedeutung sein, andererseits aber im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden soll, erschließt sich allerdings bei Betrachtung der h.M. nicht. Konsequenterweise sollte dieser Umstand deshalb bereits bei 10

Zu dem mit der Einräumung des Ermessens verfolgten Zweck, „unbillige Ergebnisse" zu vermeiden und der sich daraus ergebenden Mahnung an de Richter, von der Maßregel nur Gebrauch zu machen, wenn der dahinter stehende kriminalpolitische Zweck es unabdingbar erfordere Hanack LK § 70 Rdn. 75 ff.

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So im Ergebnis auch Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 23 ff, 47. Horstkotte LK 11. Aufl. Rdn. 6; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Zopfs MK Rdn. 6: entscheidend sei ein wirksames, nicht ein inhaltlich zutreffendes Berufsverbot.

Christoph Krehl

Verstoß gegen das Berufsverbot

§ 145c

der Tatbestandsmäßigkeit Berücksichtigung finden: ergibt sich - ohne dass der Strafrichter die frühere Entscheidung nach § 70 StGB neu zu treffen hätte - aus der Vorentscheidung, dass mit dem zur Aburteilung stehenden Verhalten eine Gefahr für die Allgemeinheit nicht verbunden war, entfällt schon die Strafbarkeit. 13 Dem entspricht es, das Schutzgut der h.M. - Schutz der richterlichen Entscheidung ohne Blick auf ihren Inhalt an dieser Stelle zurücktreten zu lassen. Die spätere Aufhebung des Berufsverbots im Wiederaufnahmeverfahren ändert nach h.M. nichts daran, dass ein vorher begangener Verstoß gegen das Berufsverbot nach § 145c strafbar ist: das rechtskräftige Urteil verlange während der Dauer seines Bestandes Beachtung. 14 In einem rechtlich vergleichbaren Fall hat freilich das BayObLG (NJW 1992 1120) ausgeführt: Wenn die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) im Wiederaufnahmeverfahren weggefallen sei (§ 370 Abs. 2 StPO), könne jemand, der während der Rechtskraft der Maßregel ein Kraftfahrzeug geführt habe, nicht mehr wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt werden; er müsse so behandelt werden, als sei ihm die Fahrerlaubnis nie entzogen worden. 15 Dies muss auch bei § 145c zur (nachträglichen) Straflosigkeit führen. Es widerspricht dem verfassungsrechtlichen Prinzip verhältnismäßigen Strafens, 16 den Verstoß gegen ein nachträglich in Wegfall geratenes Berufsverbot noch mit Strafe zu belegen. 17 Gegen eine rechtskräftige Verurteilung nach § 145c besteht die Möglichkeit der Wiederaufnahme. 18

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§ 145c ist nicht anwendbar, solange das Berufsverbot nach § 70a (vgl. auch § 70b) durch den Richter oder nach § 456c Abs. 2 StPO durch die Vollstreckungsbehörde ausgesetzt ist. Dasselbe gilt für den Zeitraum, für den das Wirksamwerden des Berufsverbots nach § 456c Abs. 1 StPO aufgeschoben worden ist. Der Umstand, dass sich der Verurteilte zur Tatzeit im Strafvollzug befunden hat oder sonst in einer Anstalt verwahrt worden ist, hindert die Anwendung des § 145c nicht (Fischer Rdn. 3; Horn SK Rdn. 9); die Berechnungsvorschrift des $ 70 Abs. 4 Satz 3 ist nicht etwa so zu verstehen, als sei das rechtskräftige Berufsverbot während dieser Zeit nicht wirksam. Die Strafbarkeit nach § 145c endet ohne Weiteres mit dem Ablauf der Verbotsfrist (§ 70 Abs. 4 Satz 2, 3), sofern das Berufsverbot nicht vorher ausgesetzt worden ist. Die gerichtliche Erledigungserklärung nach § 70b Abs. 5 ist hier bedeutungslos, weil sie auf die Bewährungszeit (§ 70 Abs. 3, § 56a) folgt, während deren § 145c unanwendbar ist (Wolters/Horn SK Rdn. 9; so jetzt auch Fischer Rdn. 3).

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b) Dass $ 145c den Verstoß gegen das vorläufige Berufsverbot (§ 132a StPO) einbezieht, ist nicht unproblematisch, weil die Anordnung dieser Maßnahme auf einer nur vorläufigen Prüfung, häufig auch auf einer vergleichsweise schmalen Tatsachengrundlage

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So auch Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 95 ff, 112 f. BGH Beschluss vom 2 0 . 2 . 1 9 7 9 - 1 StR 690/78; Zopfs MK Rdn. 6; Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 1. Ebenso OLG Frankfurt NStZ-RR 2 0 0 0 23 Asper NStZ 1994 171; Jagusch/Hentscbel § 21 StVG Rdn. 6; vgl. auch Meyer-Goßner § 3 7 0 Rdn. 11; Krehl HK StPO § 3 7 0 Rdn. 6; aA Groß NStZ 1993 221, 1994 173; Schmidt KK StPO § 3 7 0 Rdn. 18. Vgl. BVerfGE 19, 1, 4 4 , 4 7 ; 88, 203, 2 5 8 ; 90, 145, 170 ff; 96, 245, 249.

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So auch Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 85 ff. Wohl auch Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 3. Entgegen steht insoweit auch nicht BGHSt 22, 146 ff: der Bescheid über die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer wirkt - anders als die erfolgreiche Wiederaufnahme - lediglich ex nunc. Vgl. Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 93.

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§ 145c

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

beruht und im schriftlichen Verfahren ergeht (Schild NK Rdn. 5; Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 117 f). Das vorläufige Berufsverbot wird überdies mit verfassungsrechtlichen Argumenten in Frage gestellt (keine Bundeszuständigkeit für die Regelung präventiver „Verfolgungsvorsorge": Paeffgen SK StPO, vor § 112 Rdn. 12, 16, 19); auf die Dringlichkeit der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei dieser unter Umständen einschneidenden Maßnahme wird hingewiesen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats v. 15.12.2005 - 2 BvR 673/05; Gieß LR § 132a Rdn. 7; s. auch Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 64 f). Das vorläufige Berufsverbot wird mit seiner Bekanntmachung an den Beschuldigten, unabhängig von der Einlegung einer Beschwerde, wirksam (Gieß LR § 132a Rdn. 16). Von diesem Zeitpunkt an ist die Verletzung des vorläufigen Berufsverbotes, die Kenntnis des Täters von der Anordnung vorausgesetzt, nach § 145c strafbar. Eine besondere Form der Bekanntmachung ist nicht vorgeschrieben. Im Hinblick auf § 145c ist aber die förmliche Zustellung an den Beschuldigten notwendig (Meyer-Goßtier § 132a Rdn. 8; Gieß LR § 132a Rdn. 16), jedenfalls ratsam. 19 Der Verstoß gegen § 145c endet mit der Aufhebung des vorläufigen Berufsverbots (vgl. dazu auch § 132a Abs. 2). Der Verstoß ist nach h.M. auch dann strafbar, wenn das vorläufige Berufsverbot danach (durch den Richter, der es angeordnet hat, durch das Beschwerdegericht oder durch das erkennende Gericht) wegen eines Mangels aufgehoben wird, der schon zur Tatzeit bestanden hat, sei es, dass die Gefahr weiterer Straftaten nicht (mehr) vorliegt, sei es, dass es zum Freispruch oder zur Verfahrenseinstellung kommt (Horstkotte LK 11. Aufl. Rdn. 9). Dies kann dazu führen, dass der Betroffene einerseits wegen ungerechtfertigter Anordnung des vorläufigen Berufsverbots nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 StrEG entschädigt wird, andererseits aber strafbar sein soll, weil er eben dieses vorläufige Berufsverbot nicht beachtet hat. Aufkommenden Bedenken über die Strafwürdigkeit dieses Verstoßes wird - wie so häufig - mit einer möglichen Anwendung von § 153 StPO begegnet. Vorzugswürdig ist es demgegenüber, Strafverfahren, die Verstöße gegen ein vorläufiges Berufsverbot zum Gegenstand haben, auszusetzen, bis feststeht, ob die vorläufige Maßnahme im Urteil durch ein Berufsverbot nach § 70 bestätigt wird (Schild NK Rdn. 20; Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 119). Ist das nicht der Fall, ist nach den Gründen zu suchen, die zur Nichtanordnung eines Berufsverbots geführt haben. Stellt sich heraus, dass das (vorläufige) Berufsverbot erst nachträglich (aber nach Tatbegehung) seine Berechtigung verloren hat, steht einer Bestrafung nach § 145c nichts im Wege. Anders ist es zu beurteilen, wenn der Mangel der Maßnahme von vornherein bestanden und so zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung keine notwendig durch eine Strafnorm zu schützende Maßnahme bestanden hat. Ebenso wenig kommt eine Verurteilung nach § 145c in Betracht, wenn das Verfahren, in dem es zum vorläufigen Berufsverbot gekommen ist, eingestellt wird oder mit einem Freispruch endet.20 Es widerspräche auch insoweit dem Prinzip verhältnismäßigen Strafens, einen Verstoß gegen ein später in Wegfall geratenes vorläufiges Berufsverbot mit einer staatlichen Sanktion zu versehen. 10

c) „Das Berufsverbot muss den Beruf, den Berufszweig, das Gewerbe oder den Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, genau bezeichnen" (§ 260 Abs. 2 StPO). Fehlt es daran, so verstößt das Berufsverbot nach § 70 nicht nur gegen das Ver19

Ebenso Schultheis KK Rdn. 8; Krause AK Rdn. 7; Paeffgen SK Rdn. 8 (alle zu § 132a StPO).

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Zum Ganzen: Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 120-122.

Christoph Krehl

Verstoß gegen das Berufsverbot

§ 145c

fahrensrecht, sondern auch gegen das materielle Recht (Hanack LK § 70 Rdn. 58). Ohne eine genaue Umschreibung der verbotenen Tätigkeit greift das Verbot zu weit; es ist unverhältnismäßig im Sinne des § 62 StGB und kann nicht als hinreichend bestimmte Grundlage für die Strafbarkeit nach § 145c dienen 21 . Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen (Schild NK Rdn. 8: nicht der insoweit eher großzügige Maßstab nach Art. 103 Abs. 2 GG, weil Adressat eine Einzelperson ist, die wissen muss, was verboten bzw. erlaubt ist). Nicht ausreichend ist etwa das Verbot, jegliches selbständiges Gewerbe auszuüben (OLG Karlsruhe NStZ 1995 446). Der Bundesgerichtshof hat in vielen Fällen Berufsverbote wegen mangelnder Bestimmtheit aufgehoben. 22 Ob derart fehlerhafte Berufsverbote gänzlich unwirksam sind 23 (mit Wegfall der in § 35 Abs. 3 GewO vorgesehenen Bindung der Verwaltung), ist zweifelhaft. Jedenfalls muss aber § 145c mit Rücksicht auf den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG so ausgelegt werden, dass ein wegen seiner Unbestimmtheit fehlerhaftes Berufsverbot kein tauglicher Anknüpfungspunkt für den Straftatbestand sein kann (vgl. Hanack LK § 70 Rdn. 58). In diesem Sinne gehört die Bestimmtheit des Berufsverbots zum objektiven Tatbestand des § 145c. 2 4 Ihr Fehlen ist nicht bloß ein Anlass, dem Betroffenen einen Irrtum über die Tragweite des Berufsverbots zugute zu halten. Das vorläufige Berufsverbot (§ 132a StPO) muss in gleicher Weise wie das Berufsverbot nach § 70 bestimmt sein (Meyer-Goßner § 132a Rdn. 9) 2 5 Bei der Auslegung des Merkmals „Berufsverbot" in § 145c sind die rechtlichen 11 Schranken zu beachten, die dem Richter bei der Anordnung des Berufsverbots und des vorläufigen Berufsverbots gesetzt waren: Die Tat, die zur Anordnung des Verbots führte, musste gerade ein Ausfluss der Berufs- oder Gewerbetätigkeit sein oder wenigstens mit der regelmäßigen Gestaltung der Berufs- oder Gewerbeausübung zusammenhängen (RGSt 68 397, 398 f; BGHSt 22 144, 145 f). Bei der Anwendung des § 145c ist deshalb davon auszugehen, dass das Berufsverbot nicht über diese Schranken hinausgreifen darf, mithin seine Grenzen dort findet, wo die neue Berufs- oder Gewerbeausübung so beschaffen ist, dass die früher abgeurteilten Taten ihrer Art nach nicht Ausfluss der neuen Tätigkeit sein oder mit ihrer regelmäßigen Gestaltung zusammenhängen könnten (vgl. auch Lang-Hinrichsen LK 9. Aufl. § 145c, Rdn. 1; mit Beispielen Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 114-116) 2. Täterkreis und Tathandlungen: Ubersicht. Die komprimierte Tatbestandsfassung bezieht sich auf fünf Konstellationen (Wolters/Horn SK StGB Rdn. 3; Zopfs MK Rdn. 8): a) Täter kann zunächst derjenige sein, gegen den das Berufsverbot angeordnet worden ist (Schild NK Rdn. 9), gleichviel, ob er den Beruf (Berufszweig) oder das Gewerbe

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BGH bei Daliinger MDR 1952 530, OLG Karlsruhe NStZ 1995 4 4 6 (ausführlicher abgedruckt in: Die Justiz 1995 114) mit Anm. Stree NStZ 1995 4 4 7 und S. Cramer NStZ 1996 136. Ferner: Zopfs MK Rdn. 7; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 3. Nachweise bei Hanack LK § 70 Rdn. 53 ff, 5 7 ; Fischer § 70 Rdn. 10; Schoreit KK StPO § 2 6 0 Rdn. 42; Schlüchter SK StPO % 2 6 0 Rdn. 33; Meyer-Goßner § 132a Rdn. 9; vgl. auch Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (S 145c StGB) S. 7 0 - 7 3 , die zu

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Recht auf die Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung hinweist. So anscheinend Paeffgen SK StPO § 132a Rdn. 9 und Meyer-Goßner § 132a Rdn. 9. Zum Problem der partiellen Geltung von Berufsverboten im Hinblick auf eine TeilUnbestimmtheit der Anordnung: Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 81. Ebenso Gieß L R § 132a Rdn. 13; MeyerGoßner $ 132a Rdn. 9.

Christoph Krehl

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

(den Gewerbezweig) (1) für sich selbst oder (2) für einen anderen ausübt oder (3) durch einen anderen für sich ausüben lässt 26 . b) Abweichend vom früheren Recht bezieht § 145c seit dem 1.1.1975 weitere Personen in den Kreis der tauglichen Täter ein: Jemand, gegen den kein Berufsverbot angeordnet worden ist, kann Täter sein, wenn er den verbotenen Beruf (Berufszweig, Gewerbe, Gewerbezweig) (1) für einen anderen, gegen den sich das Berufsverbot richtet, nach dessen Weisungen ausübt oder (5) durch einen anderen, der unter einem Berufsverbot steht, für sich ausüben lässt (wegen der Einzelheiten s. Rdn. 16-18). 3. Einzelne Merkmale des Tatbestandes 13

a) Nur die Ausübung eines Berufs oder Gewerbes (Berufs- oder Gewerbezweiges) fällt unter den Straftatbestand, denn nach § 70 StGB und nach § 132a StPO kann nur die Ausübung beruflicher oder gewerblicher Tätigkeit untersagt werden. Gelegentliche Gefälligkeiten, die mit der jetzigen Berufs- oder Gewerbetätigkeit desjenigen, gegen den sich das Berufsverbot richtet, nichts zu tun haben, fallen auch dann nicht unter 145c, wenn sie im äußeren Bild dem verbotenen Beruf oder Gewerbe entsprechen (Schild NK Rdn. 9; vgl. für Rechtsanwälte Kretschmer NStZ 2002 578 f; missverständlich OLG Düsseldorf NJW 1966 410: Verstoß gegen § 145c auch, wenn jemand „nur bei einer einmaligen Gelegenheit in seinem Beruf tätig wird"; so jetzt auch: BGH Beschluss v. 2. Dezember 2008 - 3 StR 203/08. Vgl. ferner: Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 144-147).

14

aa) Bei berufsmäßiger Tätigkeit kommt es nicht darauf an, ob der Täter gegen Entgelt gehandelt hat (Schild NK Rdn. 9; Fischer Rdn. 5 scheint stets Entgeltlichkeit vorauszusetzen; so auch Wolters/Horn SK Rdn. 8; Kretschmer NStZ 2002 576, 577). Der Begriff der Gewerbeausübung ist hier gewerberechtlich zu verstehen, deckt sich aber im praktischen Ergebnis mit dem strafrechtlichen Begriff des gewerbsmäßigen Handelns. Dass § 145c kein gewerbsmäßiges Handeln fordert (Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 4), gilt daher nur in dem eingeschränkten Sinne, dass die verbotene Ausübung eines Berufs oder Berufszweiges nicht notwendig mit gewerbsmäßiger Tätigkeit zusammenfallen muss; ein Beispiel ist die unentgeltliche Ausübung eines Heilberufes. Umgekehrt ist berufsmäßiges Handeln notwendiges Tatbestandsmerkmal, wenn der Täter nicht gewerbsmäßig handelt (weitergehend Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 4: weder berufs- noch gewerbsmäßiges Handeln sei nötig; vgl. demgegenüber Schild NK Rdn. 9, der eine Absicht fordert, die Berufshandlung zu wiederholen und sie zu einer zumindest wiederkehrenden Beschäftigung zu machen bzw. sich durch Ausübung des Gewerbes eine dauernde Einnahmequelle zu verschaffen).

15

bb) Einen wiederholten Verstoß gegen das Berufsverbot setzt § 145c nicht voraus (OLG Düsseldorf NJW 1966 410, Fischer Rdn. 5; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Zopfs MK Rdn. 11; ebenso: Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 141 ). Die herrschende Meinung macht die Strafbarkeit nach § 145c auch nicht von einer Wiederholungsabsicht des Täters abhängig (vgl. Lackner/Kühl Rdn. 1; die soeben Zitierten sowie OLG Düsseldorf NJW 1966 410) 2 6 a . Dies überzeugt

26

Wegen der zu (2) und (3) bezeichneten Konstellationen vgl. § 70 Abs. 3.

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26a

Neuerdings auch BGH, Beschluss v. 2. Dezember 2 0 0 8 - 3 StR 203/08.

Christoph Krehl

Verstoß gegen das Berufsverbot

§ 145c

nicht (Wolters/Horn SK Rdn. 8; Kretschmer NStZ 2 0 0 2 576, 577). Da zwischen der Ausübung eines Berufs oder Gewerbes, auf die § 145c abstellt, und berufs- oder gewerbsmäßigem Handeln nach strafrechtlichem Sprachgebrauch hier nicht in sinnvoller Weise unterschieden werden kann, dürfen die zur Begriffsbestimmung der Berufs- und Gewerbsmäßigkeit entwickelten subjektiven Merkmale nicht unberücksichtigt bleiben (Schild NK Rdn. 9). Demnach ist für die Ausübung eines Berufs (oder Berufszweiges) zu verlangen, dass der Täter bei seiner Handlung beabsichtigt hat, sie in gleicher Weise zu wiederholen und sie dadurch, wenn auch nicht zu einer dauernden, so doch zu einer wiederkehrenden Beschäftigung zu machen (BGHSt 7 129, 130 zum Merkmal „berufsmäßig" in § 1 Abs. 2 HeilpraktikerG). Für die Ausübung eines Gewerbes (Gewerbezweiges) ist ebenso wie für gewerbsmäßiges Handeln (dazu BGHSt 1 383 sowie die Nachweise bei Fischer Rdn. 62 vor § 52) zu fordern, dass sich der Täter durch wiederholtes Handeln eine dauernde Einnahmequelle verschaffen will. cc) Lässt jemand im eigenen Interesse („für sich" im Sinne des § 145c) eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit durch einen anderen ausüben, so kommt es darauf an, ob die Tätigkeit des anderen, die ihm mit Rücksicht auf seine Tatherrschaft zugerechnet wird, die Merkmale der im Berufsverbot umschriebenen Berufs- oder Gewerbeausübung erfüllt. Das gilt unabhängig davon, ob die berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ihm oder dem anderen strafgerichtlich verboten worden ist.

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b) Da tauglicher Täter nicht nur der vom Berufsverbot Betroffene, sondern auch ein Anderer sein kann, ist im Übrigen zu differenzieren:

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aa) Derjenige, gegen den das strafgerichtliche Berufsverbot ergangen ist, handelt tatbestandsmäßig, wenn er den Beruf (Berufszweig) oder das Gewerbe (Gewerbezweig) für sich selbst oder für einen anderen ausübt oder durch einen anderen für sich ausüben lässt (s. oben Rdn. 8). „Für einen anderen" handelt, wer selbständig oder unselbständig, (Schild NK Rdn. 9; Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 124; Bruns GA 1982 S. 6) fremde Interessen wahrnimmt, nicht dagegen derjenige, der nur vorgibt, für einen anderen (seinen Strohmann) zu handeln (Handeln für sich selbst; vgl. auch Zopfs MK Rdn. 9). Wer den Beruf (Berufszweig) oder das Gewerbe (Gewerbezweig) „durch einen anderen für sich ausüben lässt", handelt trotz des scheinbar weiter reichenden Wortlauts des § 145c nur tatbestandsmäßig, wenn er die in § 70 Abs. 3 StGB, § 132a Abs. 2 StPO bezeichnete Grenze des Berufsverbots überschreitet, wenn also der andere, der den Beruf oder das Gewerbe für den Täter ausführt, von dessen Weisungen abhängig ist 2 7 . Demnach fällt nicht unter § 145c, wer seinen Beruf oder sein Gewerbe durch einen anderen ausüben lässt, der die Praxis oder die Firma ohne Weisungsabhängigkeit fortführt (Wolters/Horn SK Rdn. 6; weitergehend für Straflosigkeit: Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 126 f). Die Tatbestandsmäßigkeit des Ausübenlassens wird in solchen Fällen auch nicht dadurch begründet, dass derjenige, gegen den sich das Verbot richtet, aus der Tätigkeit des anderen Vorteile zieht, etwa durch Gewinnbeteiligung, oder dadurch, dass der andere den Betrieb für die Dauer des Berufsverbots aufrecht 27

Begr. zum Ε 1 9 6 2 , S. 6 1 4 ; Sch/Schröder/Stree/ Sternberg-Lieben Rdn. 4 ; Schild N K Rdn. 9; Zopfs M K Rdn. 10; das Merkmal der Weisungsabhängigkeit war in § 4 3 0 Ε 1 9 5 9 II ebenso wie in älteren Entwurfsfassungen,

vgl. Niederschriften 5 2 8 0 ; 12 6 3 6 , ausdrücklich vorgesehen; sein Wegfall in den Entwürfen 1 9 6 0 und 1 9 6 2 und in dem darauf beruhenden § 1 4 5 c sollte keine sachliche Änderung herbeiführen.

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erhält (ebenso Wolters/Horn SK Rdn. 6). Insofern besteht zwischen § 145c und den Vorschriften der Gewerbeordnung, nach denen die Verwaltungsbehörde im Zusammenhang mit einer Gewerbeuntersagung die Fortführung des Betriebes durch einen Stellvertreter gestatten kann (§ 35 Abs. 2, § 45 GewO), keine Spannung. Dabei ist vorausgesetzt, dass die Verwaltungsbehörde die Fortführung durch den Stellvertreter nicht gestattet, wenn zu vermuten ist, dass der für unzuverlässig erklärte Verbotsadressat über den Stellvertreter weiterhin nachhaltig Einfluss auf die Fortführung des Gewerbebetriebes nimmt oder nehmen kann (Mareks in: Landmann/Rohmer Gewerbeordnung § 35 Rdn. 126). 18

bb) Derjenige, gegen den kein Berufsverbot ergangen ist, erfüllt den Tatbestand des § 145c, wenn er (1) einen Beruf (Berufszweig) oder ein Gewerbe (Gewerbezweig) für einen anderen ausübt oder (2) durch einen anderen für sich ausüben lässt. In beiden Fällen wird vorausgesetzt, dass der andere im Hinblick auf diese Tätigkeit von einem Berufsverbot betroffen ist. Ebenso wie bei dem vom Berufsverbot betroffenen Hintermann, der sich nur als Weisungsgeber strafbar macht (Rdn. 17), muss das Gesetz auch bei dem für ihn Handelnden einschränkend ausgelegt werden: der für einen anderen, gegen den sich das Berufsverbot richtet, Handelnde verstößt nur dann gegen § 145c, wenn er bei der Ausübung des Berufs oder Gewerbes von den Weisungen des Hintermannes abhängig ist (ebenso Wolters/Horn SK Rdn. 6; Schild NK Rdn. 10; Zopfs M K Rdn. 10; vgl. auch Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 128: typische Gehilfenstrafbarkeit). Unter die Vorschrift fällt also nicht, wer selbständig, etwa als Generalbevollmächtigter, Stellvertreter im Sinne des § 35 Abs. 2 GewO oder als Pächter den Gewerbebetrieb des Verbotsadressaten für die Zeit des Verbotes weiterführt, und zwar selbst dann nicht, wenn dies für Rechnung des Verbotsadressaten geschieht. Für die Abgrenzung der Strafbarkeit des Hintermannes, gegen den kein Berufsverbot erlassen worden ist, kann § 70 Abs. 3 zwar nicht unmittelbar herangezogen werden, da diese Vorschrift nur den Verbotsadressaten meint. Der Zusammenhang mit den übrigen Fällen und der Wortsinn des Merkmals „ausüben lässt" gebieten jedoch auch hier eine einschränkende Auslegung: Täter ist danach nur, wer nach seinen eigenen Weisungen und in eigenem Interesse („für sich") einen anderen den Beruf oder das Gewerbe ausüben lässt, obwohl diesem die Berufs- oder Gewerbeausübung verboten ist. Entscheidend ist auch hier die Weisungsabhängigkeit (Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 4). Fehlt sie, so kommt für den Hintermann allenfalls Teilnahme in Betracht (s. unten Rdn. 2 3 - 2 5 ) .

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c) Die Strafbarkeit nach § 145c setzt nach h.M. nicht voraus, dass sich mit der Verletzung des Berufsverbots die Gefahr aktualisiert hat, wegen deren das Berufsverbot erlassen worden ist (Wolters/Horn SK Rdn. 2). Danach sind sogar Fälle denkbar, in denen jene Gefahr überhaupt nicht (mehr) vorliegt, 145c jedoch anwendbar sein soll (aA oben Rdn. 6). Die Tatbestandsmäßigkeit wird allerdings nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Täter denjenigen, zu dessen Schutz das Berufsverbot erlassen worden ist, etwa den Kunden, auf das Berufsverbot hinweist und damit warnt.

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d) Die Frage, ob der Tatbestand des § 145c durch Unterlassen erfüllt werden kann (bejahend Lang-Hinrichsen LK 9. Aufl Rdn. 1; Maurach BT 5 1969, § 55, 2; vgl. auch W. Schöne Unterlassene Erfolgsabwendungen, 1974, S. 275), ist heute im wesentlichen gegenstandslos {Wolters/Horn SK Rdn. 13; Schild NK Rdn. 9), weil man einen Beruf oder ein Gewerbe nicht selbst durch Untätigkeit ausüben kann und das Tatbestandsmerkmal „ausüben lässt" nur dann zur Haftung des Hintermannes nach § 145c führt, wenn der Vordermann von seinen Weisungen abhängig ist; diese Abhängigkeit wird in

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Verstoß gegen das Berufsverbot

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aller Regel durch aktives Tun begründet, häufig auch durch einzelne Weisungen, also gleichfalls durch aktives Tun, bekräftigt. Ein Überwachungsgarant (Ehefrau als Betreuerin ihres geisteskranken Mannes, gegen ein Berufsverbot besteht) kann allenfalls wegen Beihilfe durch Unterlassen bestraft werden (Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (S 145c StGB) S. 130 f). e) Vollendet ist die Tat, sobald der Beruf oder das Gewerbe erstmals während der 21 Geltungsdauer des (vorläufigen) Berufsverbots ausgeübt worden ist; eine einzige Betätigung dieser Art genügt. Der Versuch ist nicht strafbar. ΠΙ. Die innere Tatseite Vorsatz ist erforderlich; bedingter Vorsatz genügt (Fischer Rdn. 10, Lackner/Kühl 22 Rdn. 3, Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 5). Der Täter muss in seinen Vorsatz aufnehmen, dass seine Tätigkeit von dem Verbot erfasst und die Verbotsfrist noch nicht abgelaufen ist. Soweit eine unklare Fassung des strafgerichtlichen Verbots nicht schon den Tatbestand entfallen lässt (oben Rdn. 10), kann sie einen Irrtum über die Reichweite des Verbots begründen. Der Irrtum über Vorliegen, Reichweite und Geltungsdauer des strafgerichtlichen Verbots ist ein vorsatzausschließender Irrtum über Tatumstände, und zwar auch dann, wenn dieser Irrtum aus Rechtsunkenntnis herrührt (so zum Irrtum über die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde BGH NStZ 1989 475 mit abl. Anm. von Dölp; s. auch Zopfs MK Rdn. 12). Abweichend nehmen Wolters/Horn (SK Rdn. 11-12) und Dölp (aaO) für einen Teil der Fälle einen Verbotsirrtum an, insbesondere für die irrtümliche Vorstellung, die ausgeübte Tätigkeit falle nicht unter das strafrechtliche Verbot (ähnlich wohl auch Lackner/Kühl Rdn. 3, Schild NK Rdn. 12; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 5: die irrige Annahme materieller Unrichtigkeit schließe den Vorsatz nicht aus). Ein Verbotsirrtum ist gegeben, wenn jemand irrig annimmt, er dürfe die ihm strafgerichtlich verbotene Tätigkeit für einen anderen ausüben oder durch einen anderen für sich ausüben lassen, oder wenn der Täter verkennt, dass die in § 145c bezeichneten Handlungen des nicht von einem Berufsverbot Betroffenen verboten sind (ebenso Wolters/Horn SK Rdn. 12; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 5). IV. Täterschaft und Teilnahme 1. Derjenige, gegen den ein Berufsverbot verhängt ist, kann schon mangels tat- 2 3 bestandsmäßiger Haupttat eines anderen nicht Teilnehmer, sondern nur Täter sein; dies ist er auch, wenn er die ihm verbotene Tätigkeit für einen anderen ausübt. Wer nicht selbst zu einem Berufsverbot verurteilt ist, aber den einem anderen verbotenen Beruf (Berufszweig, Gewerbe, Gewerbezweig) in weisungsabhängiger Stellung für diesen ausübt oder von ihm für sich ausüben lässt, ist ebenfalls kraft Gesetzes Täter; schon aus diesem Grund scheidet eine Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 aus, ebenso entfällt die Strafmilderung nach § 27 Abs. 2 Satz 2. Das Gesetz hat hier Handlungen, die früher zum Teil als Teilnahme zu beurteilen waren, zur Täterschaft erhoben (Fischer Rdn. 8 f; Wolters/ Horn SK Rdn. 3). 2. Eine Bestrafung wegen Teilnahme kommt nur in Betracht, wenn das Berufsverbot 2 4 gegen einen anderen verhängt worden ist und der Teilnehmer die Verletzung dieses Berufsverbots auf eine Weise gefördert hat, die nicht die in § 145c bezeichneten Voraussetzungen der Täterschaft erfüllt. Christoph Krehl

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§ 145c

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

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a) So verhält es sich, wenn jemand einem anderen, ohne von seinen Weisungen abhängig zu sein oder ihn von eigenen Weisungen abhängig zu machen, vorsätzlich durch Gewährung von Betriebsmitteln dabei hilft, die verbotene Tätigkeit auszuüben; ferner ist hier an Fälle der Anstiftung zu denken. Die Frage, ob in solchen Fällen die Strafe nach § 28 Abs. 1 zu mildern ist, ist zweifelhaft. Sie dürfte mit Sch/Schröder/Stree/SternbergLiebeti Rdn. 6; Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 189 zu verneinen sein; denn mit der Ausdehnung des § 145c n.F. auf Täter, gegen die kein Berufsverbot angeordnet worden ist, ist der frühere Sonderdeliktscharakter der Vorschrift (Schäfer/Dohnanyi S. 117) derart durchbrochen worden, dass es sinnwidrig wäre, § 28 Abs. 1 bei einem Teil der Fälle (Berufsverbot des Täters) anzuwenden, bei einem anderen Teil (Berufsverbot eines Dritten) dagegen nicht (Schild NK Rdn. 15). Für die Strafmilderung nach § 27 Abs. 2 Satz 2 gilt nichts Besonderes.

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b) Wegen notwendiger Teilnahme (dazu Roxin LK vor § 26, Rdn. 32 ff) ist straflos, wer sich darauf beschränkt, die verbotswidrige Berufs- oder Gewerbeausübung eines anderen im Rahmen gewöhnlicher geschäftlicher Beziehungen durch den Empfang oder die Gewährung von Leistungen zu ergänzen (Lackner/Kühl Rdn. 2; Sch/Schröder/Stree/ Sternberg-Lieben Rdn. 6; Schild NK Rdn. 15; differenzierend: Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB S. 153 ff). Das gilt etwa für denjenigen, der als Käufer, Besteller oder sonst als Kunde, auch als Mandant oder Patient, mit der verbotenen Berufs- oder Gewerbetätigkeit in Berührung kommt (vgl. ausführlich zu sog. „neutralen" Handlungen im Rahmen des § 145c: Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 172 ff), im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs auch für den Lieferanten und Darlehensgeber, schließlich für die Arbeitnehmer des Täters (Zopfs MK Rdn. 13; s. dazu ausführlich: Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 161-168). Die Grenze zur strafbaren Teilnahme ist überschritten, wenn der Geldgeber, Verpächter oder Vermieter, ferner der Mitgesellschafter oder Partner (dazu: Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 168 f) des Täters, einen ausschlaggebenden Beitrag zur Aufnahme oder Fortführung der unerlaubten Tätigkeit eines anderen leistet (weitergehend Kohlrausch-Lange43 Anm. zu § 145c: Vertragspartner seien als notwendige Teilnehmer auch dann straflos, wenn sie die Veranlassung zur Ausübung des Berufs gegeben haben). Dasselbe gilt, wenn die Teilnahmehandlung dazu dienen soll, die verbotene Tätigkeit der Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden zu entziehen (Schäfer/Richter/Schafheutle Die Strafgesetznovellen von 1933 und 1934, 1934, S. 67). Im Ergebnis wird der hier vertretene Standpunkt nicht weit entfernt von der von Gropp (Deliktstypen mit Sonderbeteiligung, 1992, S. 231 f) erhobenen Forderung sein, bei § 145c müsse der straffreie Bereich über die Freistellung der notwendigen (Mindest-)Mitwirkung Dritter hinaus auf alle „peripheren Teilnahmehandlungen" erweitert werden, womit Beteiligte gemeint sind, die im Hinblick auf die Rechtsgutsverletzung nicht „zentral aktiv" werden, sondern nur Gelegenheiten wahrnehmen (S. 224).

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Verstoß gegen das Berufsverbot

§ 145c

V. Konkurrenzen 1. Tateinheit ist möglich mit Betrug 28 , Untreue 29 , Urkundenfälschung, Verstrickungsbruch nach § 136 Abs. I 3 0 und einigen Umweltdelikten (Wolters/Horn SK Rdn. 16; Schild NK Rdn. 16). Treffen mehrere Vergehen nach den §§ 263, 2 6 6 oder 2 6 7 mit einer Tat nach § 145 c zusammen, so vermag das mit minder schwerer Strafe bedrohte Delikt nach § 145c sie nicht zu einheitlicher Tat zusammenzufassen (BGH NStZ 1991 550 und Urteil vom 10.11.1959 - 1 StR 490/59, zitiert bei Pfeiffer-Maul-Schulte Anm. 2). Etwas anderes gilt für das mit gleich schwerer Strafe bedrohte Vergehen nach § 136 (ebenso BGH Urteil vom 10.11.1959 - 1 StR 490/59; so auch Schild NK Rdn. 16). Verletzt der Täter sowohl das strafrechtliche Berufsverbot als auch ein gleichartiges Verbot der Verwaltungsbehörde, so besteht zwischen § 145c und den Vergehen nach dem Nebenstrafrecht (vgl. oben Rdn. 2) Tateinheit (Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Zopfs M K Rdn. 16). Ist der Verstoß gegen das verwaltungsrechtliche Berufsverbot eine Ordnungswidrigkeit, so gilt § 21 Abs. 1 Satz 2 OWiG {Wolters/Horn SK Rdn. 16). Verletzt der Angeklagte durch gleichzeitig ausgeübte Tätigkeiten verschiedener Art mehrere (in einer oder in mehreren Entscheidungen enthaltene) strafgerichtliche Berufsverbote, so liegt gleichartige Tateinheit vor (Schild NK Rdn. 16). Tatmehrheit kommt hier nur in Betracht, wenn verschiedene Berufsverbote sich auf unterschiedliche Tätigkeiten beziehen, deren Ausübung nicht (auch nicht zum Teil) zusammenfällt.

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2. Handlungseinheit bezüglich der Handlungsabläufe, die für die Ausübung eines bestimmten verbotenen Berufs (Berufszweiges, Gewerbes, Gewerbezweiges) über längere Zeit hinweg erforderlich sind, wird allgemein angenommen. Das Nähere ist immer noch wenig geklärt. Bis zur Absage der Rechtsprechung an den Fortsetzungszusammenhang (BGHSt 40 138) wurde dieser, oft stillschweigend, angenommen. Es liegt nahe, die fortgesetzte Handlung hier durch die Annahme von tatbestandlicher (rechtlicher) Handlungseinheit (Bewertungseinheit) 3 1 zu ersetzen. Für eine natürliche Handlungseinheit fehlen jedenfalls bei komplexen und zeitlich gestreckten Abläufen die tatsächlichen Voraussetzungen; die in der Vorauflage vorgeschlagene Kategorie des Dauerdelikts (vgl. auch Schild NK Rdn. 16) wird der Vielgestaltigkeit und den natürlichen Unterbrechungen einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit nicht gerecht. Der BGH hat in zwei jüngeren Entscheidungen (BGHSt 43 1, 4 und N J W 1996 129, 130 ) im Zusammenhang mit dem Merkmal der „Ausübung" geheimdienstlicher Agententätigkeit (§ 99 Abs. 1

28

Nr. 1) auf das gleiche Merkmal in § 145c hingewiesen und bemerkt, „ausüben" sei ein „fortlaufendes Tätigwerden"; er hat ferner dem Adjektiv „geheimdienstlich" entnommen, dass es sich um eine auf Dauer angelegte Verbindung handele, die erst ende, wenn die Tätigkeit eingestellt werde. Diese Erwägungen erscheinen auch für die Anwendung des § 145c praktikabel; die auf eine Dauer hinweisende Funktion übernimmt hier, abgesehen von dem iterativen Element im Begriff des Ausübens, die Einbettung der Tätigkeit in einen Beruf oder ein Gewerbe. Die Ausübung eines Berufs oder eines Gewerbes ist

28

29

BGH bei Daliinger MDR 1973 370, BGH NStZ 1991 5 4 9 ; Fischer Rdn. 12; Lackner/ Kühl Rdn. 5; Sch/Schröder/Stree/SternbergLiebett Rdn. 7), Untreue (BGH Urteil vom 10.11.1959 - 1 StR 490/59, zitiert bei Pfeiffer-Maul-Schulte Anm. 2). BGH Urteil vom 10.11.1959 - 1 StR 490/59, zitiert bei Pfeiffer-Maul-Schulte Anm. 2.

30

31

BGH Urteil vom 10.11.1959 (wie vorhergehende Fußnote). Rissing-van Saan LK vor § § 5 2 ff, Rdn. 2 0 ff, 23; zur Kritik vgl. Geppert NStZ 1996 57, 59. S. auch Lehmann Der Verstoß gegen das Berufsverbot (§ 145c StGB) S. 132: Pauschaldelikt.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

demnach eine tatbestandliche Einheit (s. auch Walter JA 2004 S. 573), die erst dann ihr Ende findet, wenn die verbotene Berufsausübung aufgegeben oder für eine Zeitspanne unterbrochen wird, die sich von gewöhnlichen Unterbrechungen durch Reisen, Erholung und dergleichen wesentlich unterscheidet. Wird das vorläufige Berufsverbot durch die rechtskräftige Anordnung der Maßregel nach § 70 ersetzt, so wird dadurch nicht die tatbestandliche Handlungseinheit aufgespalten (Schild NK Rdn. 16). Die Zusammenfassung der Berufsausübung zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit schiebt den Beginn der Verjährungsfrist hinaus. Sie entbindet die Staatsanwaltschaft nicht von der Pflicht, die Einzelheiten der verbotenen Berufs- oder Gewerbeausübung in der Anklage so genau wie möglich zu beschreiben; dasselbe gilt bei einer Verurteilung nach § 145c für die Urteilsfeststellungen.

VI. Rechtsfolgen der Tat 29

Die Höchststrafe ist durch das 2. StrRG von zwei Jahren auf ein Jahr herabgesetzt worden (Angleichung an § 145a; vgl. Begründung zum Ε 1962, S. 614). Die Strafdrohung des § 145c entspricht jetzt den vergleichbaren Strafdrohungen des Nebenrechts (oben Rdn. 2). In der Praxis werden ganz überwiegend Geldstrafen verhängt. Das ist dem begangenen Unrecht vor allem auch deswegen angemessen, weil der Bestrafung nach § 145c ein Moment der Ungehorsamsstrafe innewohnt. Schwerer wiegt das Unrecht dann, wenn der Verstoß gegen § 145c im Einzelfall die Gefahr verstärkt, wegen deren das Berufsverbot angeordnet worden ist (Zopfs MK Rdn. 15), oder auch bei wiederholten Zuwiderhandlungen; der Vollzug einer Freiheitsstrafe ist aber auch hier in der Regel nicht angemessen (Wolters/Horn SK Rdn. 14). Wird das vorläufige Berufsverbot im Urteil nicht bestätigt, ist das Berufsverbot nach § 70a aussetzungsfähig oder wird das Berufsverbot im Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben, führt dies nach der h.M. zur Einstellung des Verfahrens nach §§ 153 ff StPO oder zur Strafmilderung (Zopfs MK Rdn. 15; Schild NK Rdn. 18, 21; s. dazu oben Rdn. 6).

30

Für die Ahndung des Verstoßes gegen das Berufsverbot und die Warnung des Täters reicht die Bestrafung nach § 145c aus (Schild NK Rdn. 17); es ist regelmäßig unangebracht, eine zugleich mit dem Berufsverbot angeordnete Strafaussetzung oder die Aussetzung eines Strafrestes (§ 57) wegen des Verstoßes gegen das Berufsverbot zu widerrufen (im Ergebnis ähnlich Wolters/Horn SK Rdn. 15 mit Hinweis auf § 56 f Abs. 2; Schild NK Rdn. 19). Ein (neues) strafgerichtliches Berufsverbot kommt als Sanktion für das Vergehen nach § 145c nicht in Betracht; denn § 70 setzt eine rechtswidrige Tat voraus, die über die bloße Ausübung des Berufs oder Gewerbes hinausgeht.

VII. Zum Verfahren 31

1. Wegen der Einstellung des Verfahrens in Fällen, in denen sich die Tat im Ungehorsam gegen eine gerichtliche Anordnung erschöpft vgl. oben 29. Eine Einstellung nach den §§ 153 oder 153a StPO wird auch dann nahe liegen, wenn es bei einem einmaligen Akt des Verstoßes gegen das Berufsverbot geblieben ist. Trifft mit § 145c eine Straftat von der Art zusammen, die dem Berufsverbot zugrunde lag, so kommt bezüglich des Verstoßes gegen das Berufsverbot § 154 StPO in Betracht (Schild NK Rdn. 21).

32

2. Bei einem Verstoß gegen ein vorläufiges Berufsverbot nach § 132a StPO sollte vor Anklageerhebung abgewartet werden, ob die vorläufige Maßnahme im Urteil mit einem Berufsverbot nach § 70 bestätigt wird (vgl. Rdn. 9).

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Vortäuschen einer Straftat

§ 145d

3. Zum Beginn der Verjährungsfrist und zur Fassung von Anklage und Urteilsfeststellungen s. oben Rdn. 28.

VIEL Übergangsregelung § 145c ist auch bei der Verletzung eines vor dem 1. Januar 1975 angeordneten BerufsVerbots anwendbar (Art. 314 Abs. 3 EGStGB).

§ 145d Vortäuschen einer Straftat (1) Wer wider besseres Wissen einer Behörde oder einer zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle vortäuscht, 1. daß eine rechtswidrige Tat begangen worden sei oder 2. daß die Verwirklichung einer der in § 1 2 6 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Taten bevorstehe, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 164, § 2 5 8 oder § 2 5 8 a mit Strafe bedroht ist. (2) Ebenso wird bestraft, wer wider besseres Wissen eine der in Absatz 1 bezeichneten Stellen über den Beteiligten 1. an einer rechtswidrigen Tat oder 2. an einer bevorstehenden, in § 1 2 6 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat zu täuschen sucht.

Schrifttum Becker Rechtsgutsbestimmung und Anwendungsbereich der Beteiligtentäuschung gem. $ 145d Abs. 2 Nr. 1 StGB, Diss. Gießen 1992; Bernhard Falsche Verdächtigung (§ § 164, 165 StGB) und Vortäuschen einer Straftat (5 145d StGB) (2003); Evers Sprengung an der Celler Gefängnismauer: Darf der Verfassungsschutz andere Behörden und die Öffentlichkeit täuschen? NJW 1987 153; Fahrenhorst Grenzen strafloser Selbstbegünstigung, JuS 1987 707; Fezer Hat der Beschuldigte ein „Recht auf Lüge"? Festschrift Stree/Wessels (1993) 663; Fuchs Zur Anwendung des § 145d bei Verkehrsstrafsachen, DAR 1957 147; Geerds Kriminelle Irreführung der Strafrechtspflege, Jura 1985 617; Geppert Zu einigen immer wiederkehrenden Streitfragen im Rahmen des Vortäuschens einer Straftat (§ 145d StGB), Jura 2000 383; Hirsch Gefahr und Gefährlichkeit, Festschrift Arthur Kaufmann II (1993) 545; Hoffmann Scheinbare Anschläge - Zur Strafbarkeit sog. Trittbrettfahrer, GA 2002 385; Janott Täuschungen mit Wahrheitskern im Rahmen des Vortäuschens einer Straftat (ξ 145d I Nr. 1 StGB), Diss. Mainz 2004; Krümpelmann Täuschungen mit Wahrheitskern bei § 145d Abs. 1 Ziff. 1 StGB, ZStW 96 (1984) 999; ders. Grenzen der Vortäuschung bei Entstellung einer begangenen Straftat - OLG Hamm, NJW 1982, 60, JuS 1985 763; Kühne Die sog. „Celler Aktion" und das deutsche Strafrecht, JuS 1987 188; Kuhlen Strafrecht: Der Platztausch, JuS 1990 396; Laufhütte Das Vierzehnte Strafrechtsänderungsgesetz, MDR 1976 441; Meissner Die Vortäuschung einer Straftat, Diss. Frankfurt a.M. 1970; Rietzsch Die vorgetäuschte Straftat und die falsche Aussage, DStR 1943 97; Rudolphi Strafvereitelung durch Verzögerung der Bestrafung und Selbstbegünstigung durch Vortäuschen einer Straftat - BayObLG, NJW 1978, 2563, JuS 1979 859; Saal Das Vortäuschen einer Straftat (§ 145d) als abstraktes Gefährdungsdelikt, StrafrAbh. Bd. 99 (1997); Hans-Jürgen Schneider Die Deliktsvortäuschung nach § 145d StGB, Diss. Göttingen 1966; Hartmut Schneider Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips auf der Basis eines

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§ 145d

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

generalpräventiv-funktionalen Schuldmodells, StrafrAbh. Bd. 72 (1991); Schänke Die Änderungen des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts durch die Novellen vom 29. Mai 1943, DR 1943 721; Schramm Zur Strafbarkeit des Versendens von Pseudo - Milzbrandbriefen, NJW 2002 419; Stree Strafrechtsschutz im Vorfeld von Gewalttaten, NJW 1976 1177; ders. Täuschung über einen Tatbeteiligten nach § 145d Abs. 2 Nr. 1 StGB, Festschrift Lackner (1987) 527; Sturm Zum Vierzehnten Strafrechtsänderungsgesetz, J Z 1976 347; Stübinger Die Vortäuschung einer Straftat (§ 145d StGB), Legitimationsprobleme einer Strafnorm, GA 2004 338; Ulsenbeimer Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens bei eigener Strafverfolgung, GA 1972 20; Velten Nicht nur ein Loch in der Mauer rechtliche Überlegungen zum Sprengstoffanschlag des Verfassungsschutzes in Celle, StV 1987 544; 'Weidemann Die Strafbarkeit falscher Bombendrohungen und falscher „Milzbrand - Briefe", JA 2002 43; Zieschang Die Gefährdungsdelikte (1998).

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde durch die StrafrechtsangleichungsVO vom 29.5.1943 (RGBl. I S. 339) in das StGB eingefügt. Sie hatte folgenden Wortlaut: Wer einer Dienststelle des Staates wider besseres Wissen die Begehung einer Straftat vortäuscht oder die Dienststelle über die Person eines an einer Straftat Beteiligten zu täuschen sucht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, soweit die Tat nicht nach anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. Veranlassung dazu war, dass das RG die Anwendung des § 164 auf Fälle der Vortäuschung einer Straftat ohne Benennung einer anderen Person als Täter abgelehnt hatte (RGSt. 70 367; 71 306). Der Gesetzgeber konnte dabei auf ähnliche Vorschriften in anderen Rechten und im früheren deutschen Partikularrecht zurückgreifen (Rietzsch DStR 1943 97; Hünemörder MDR 1949 309; Meissner S. 42ff). Durch das EGStGB (Art. 19 Nr. 58) vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469) wurde die Höchstgrenze der Freiheitsstrafe auf ein Jahr herabgesetzt und die vorher allgemein gefasste Subsidiaritätsklausel präzisiert (... wenn die Tat nicht in den §§ 164, 258 oder 258a mit Strafe bedroht ist). Das 14. StRÄndG (Art. 1 Nr. 7) vom 22. April 1976 (BGBl. I S. 1056), das gem. Art. 3 am 1. Mai 1976 in Kraft getreten und für Berlin durch Gesetz vom 17. Mai 1976 übernommen worden ist, gab der Vorschrift ihre heutige Fassung. Sie erhielt einen erweiterten Anwendungsbereich durch die Hinzufügung eines Tatbestandes über das Vortäuschen einer bevorstehenden Tat und das Täuschen über den Beteiligten an einer bevorstehenden Tat; außerdem wurde die Höchstgrenze der Freiheitsstrafe auf drei Jahre erhöht. Vgl. ferner zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift: Krümpelmann ZStW 96 (1984) 999, 1004; Meissner S. 33 ff; Bernhard S. 19 ff; Stübinger GA 2004 338, 339 ff; Schild NK Rdn. 2.

Übersicht Rdn. I. Zweck und Inhalt der Vorschrift 1. Geschütztes Rechtsgut 2 . Inhalt der Vorschrift Π. Adressat der Tatbegehung 1. Behörde oder zur Entgegennahme von Anzeigen zuständige Stelle 2. Keine konkrete Zuständigkeit HI. Vortäuschen einer rechtswidrigen Tat (Absatz 1)

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Rdn. 1. Erste Tatbestandsalternative (Absatz 1 Nr. 1) a) Rechtswidrige Tat b) Eignung c) Vortäuschen 2. Zweite Tatbestandsalternative (Absatz 1 Nr. 2) IV. Täuschen über einen Beteiligten (Absatz 2)

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Vortäuschen einer Straftat Rdn. 1. An einer rechtswidrigen Tat (Absatz 2 Nr. 1) 2. Täuschungshandlungen a) Bloßes Leugnen b) Ablenken des Tatverdachts von dem wirklichen Tatbeteiligten . . . c) Ablenken des Tatverdachts von einem Angehörigen

§ 145 d Rdn.

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V. VI. VII. VITT.

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3. Beteiligter an einer bevorstehenden rechtswidrigen Tat (Absatz 2 Nr. 2) . . Innere Tatseite Vollendung Konkurrenzen (Subsidiaritätsklausel) . . Recht des Einigungsvertrages

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I. Z w e c k und Inhalt der Vorschrift 1. Zweck der Vorschrift war von Anfang an Schutz der staatlichen Strafverfolgungsorgane gegen unberechtigte und unnütze Inanspruchnahme und damit Schutz der Rechtspflege überhaupt. 1 Die Neufassung durch das 14. StRÄndG hat den Schutzbereich durch die Nummern 2 der beiden Absätze auf die zugleich oder ausschließlich mit der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten befassten Staatsorgane - hier beschränkt auf einen gewissen Katalog von Delikten - erweitert. 2 Eine Auswirkung der Tat in dieser Richtung braucht nicht eingetreten zu sein, es ist also nicht erforderlich, dass die Behörde oder zuständige Stelle tatsächlich getäuscht wird ( L a u f h ü t t e M D R 1976 441, 444) oder auf Grund der Täuschung bestimmte Ermittlungen vornimmt. 3 Auch das Motiv oder die Zielrichtung, die dem Täterhandeln zu Grunde liegen, sind gleichgültig.4 Die Tat ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt.5 Von der Vorschrift erfasst werden alle die Fälle, in denen der Täter fälschlicherweise sich selbst, eine unbekannte oder erfundene Person verdächtigt. Sie greift auch ein, wenn eine bestimmte Person verdächtigt wird, ohne dass die übrigen Voraussetzungen des § 164 gegeben sind, und stellt damit eine Ergänzung zu dieser Vorschrift dar (Rudolphi/Rogall SK Rdn. 2; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 1). Sie bildet dagegen keinen Schutz gegen solche behördlichen Maßnahmen, die nicht vom Gesetz gedeckt sind (Rudolphi/Rogall SK Rdn. 4; Schild NK Rdn. 5; Fischer Rdn. 2; aA Lackner/Kühl Rdn. 4), auch nicht gegen behördeninterne Täuschungen, wes-

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Vgl. BGHSt 19 305, 3 0 7 f; 6 251, 2 5 5 ; BGH NStZ 1984 360; OLG Oldenburg MDR 1 9 4 9 308; OLG Düsseldorf JMB1NRW 1951 132; NJW 1982 1242, 1243 m. Anm. Bottke JR 1983 76; OLG Hamm 2 Ss 236/87 v. 8.5. 1987, NStZ 1987 558, 5 5 9 ; OLG Karlsruhe Die Justiz 1974 343; 3 Ss 70/92 v. 28.8.1992, MDR 1992 1166 f; OLG Frankfurt 2 Ss 71/02 v. 2 4 . 4 . 2 0 0 2 , NStZ-RR 2 0 0 2 209, 210; Schramm NJW 2 0 0 2 419, 4 2 0 . BTDrucks. 7 / 3 0 3 0 S. 9; Sturm J Z 1976 347, 351; Laufhütte MDR 1976 441, 4 4 4 ; Stree NJW 1976 1177, 1181; Sch/Schröder/Stree/ Sternberg-Lieben Rdn. 1; Lackner/Kühl Rdn. 2; Fischer Rdn. 2; Schild NK Rdn. 4; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 3; ferner Zopfs MK Rdn. 4 f; Krümpelmann ZStW 96 (1984) 999, 1009; Geerds Jura 1985 617, 621; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 3; vgl. ferner allgemein zum Schutzgut Stübinger GA 2 0 0 4 338.

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OLG Düsseldorf JMB1NRW 1951 132; OLG Hamburg StV 1995 588, 5 8 9 ; auch OLG Frankfurt 2 Ss 71/02 v. 2 4 . 4 . 2 0 0 2 , NStZ-RR 2 0 0 2 2 0 9 ; Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl Rdn. 4; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Schild NK Rdn. 11; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 5; Zopfs MK Rdn. 8. OLG Celle N J W 1964 2213, 2214; OLG Köln VRS 54 196; N J W 1953 1843; Lackner/Kühl Rdn. 4. Fischer Rdn. 2; Sch/Schröder/Stree/SternbergLieben Rdn. 1; Zopfs MK Rdn. 6; Geppert Jura 2 0 0 0 383; diff. Schild NK Rdn. 4 ff; Lackner/Kühl Rdn. 1, 4. Schlichtes Tätigkeitsdelikt und abstraktes Gefährdungsdelikt; Meissner S. 5 7 ; ferner Saal S. 45, 124; für Krümpelmann ZStW 96 (1984) 999, 1014 handelt es sich um eine Mischform von Unternehmensdelikt und abstraktem Gefährdungsdelikt; wie hier Schmidt/Priebe Strafrecht BT I Rdn. 1142.

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§ 145 d

7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

halb Täuschungshandlungen wie der Sprengstoffanschlag von Beamten eines Verfassungsschutzamtes auf eine Vollzugsanstalt (vgl. die sog. „Celler Aktion") nicht unter den Tatbestand fallen.6 Da das Motiv des Täterhandelns gleichgültig ist, kann der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 1 auch auf denjenigen zutreffen, der der Behörde gegenüber wahrheitswidrig behauptet, überfallen worden zu sein, um auf diese Weise in den Besitz eines Waffenscheins zu gelangen oder eine Entschädigung zu erhalten (OLG Celle NJW 1964 2214; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 22; Lackner/Kühl Rdn. 4, 9). 2

2. Nach der Neufassung enthält die Vorschrift vier verschiedene in zwei Gruppen zusammengefasste Tatbestände: Zum einen die Vortäuschung einer rechtswidrigen Tat i.S. des § 11 Abs. 1 Nr. 5, die angeblich bereits begangen wurde (Absatz 1 Nr. 1), und die Täuschung über das Bevorstehen einer rechtswidrigen Tat, mit der einer der Tatbestände des § 126 Abs. 1 der äußeren Tatseite nach verwirklicht würde (Absatz 1 Nr. 2); zum anderen in Absatz 2 die (versuchte oder gelungene) Täuschung über die Person eines Tatbeteiligten, wobei auch hier zwischen begangenen rechtswidrigen Taten schlechthin (Absatz 2 Nr. 1) und bevorstehenden Taten aus dem Katalog des § 126 Abs. 1 unterschieden wird (Absatz 2 Nr. 2).

3

Während es sich bei den erst geplanten oder als geplant hingestellten Straftaten, also in den Fällen der jeweiligen Nummern 2, um solche aus dem Katalog des § 126 Abs. 1 handeln muss, ist die Art der Straftat in den Fällen der Nummern 1 unerheblich. Nach früherem Recht reichte es aus, wenn ein Übertretungstatbestand vorgetäuscht wurde. Aus § 11 Abs. 1 Nr. 5 ergibt sich für den heutigen Rechtszustand, dass Ordnungswidrigkeiten vom Tatbestand der Vorschrift nicht erfasst werden;7 auch nicht Disziplinarverstöße, die nicht zugleich strafbare Handlungen sind (vgl. Rdn. 8).

Π. Adressat der Tatbegehung 4

Adressat aller Formen der Tatbegehung ist nach der jetzt geltenden, insoweit § 446 Ε 1962 folgenden Fassung, „eine Behörde oder eine zur Entgegennahme von Anzeigen zuständige Stelle". Hierbei muss es sich stets um eine deutsche Behörde oder Stelle handeln, da § 145d ausschließlich dem Schutz deutscher Behörden und Dienststellen vor unnützer Inanspruchnahme ihres Apparates und der damit verbundenen Schwächung der Verfolgungsintensität dient (BGH NStZ 1984 360). 8 Die Vorschrift ist auch nicht anwendbar, wenn eine ausländische Behörde, bei der ein Deutscher eine Straftat vorgetäuscht hat, Behörden der Bundesrepublik in die Ermittlungen einschaltet.9

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Evers NJW 1987 153; Kühne JuS 1987 188, 190; Fischer Rdn. 2; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 5 ff; Schild NK Rdn. 5; aA Velten StV 1987 544, 550. OLG Düsseldorf NJW 1969 1679, 1680; OLG Frankfurt NJW 1975 1895, 1896; OLG Zweibrücken VRS 77 441, 4 4 2 ; Fischer Rdn. 5; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 15; Zopfs MK Rdn. 16. Ebenso OLG Düsseldorf NJW 1982 1242, 1243 m. Anm. Bottke JR 1983 76; Seh!

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Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 10; Zopfs MK Rdn. 12; Schild NK Rdn. 9; vgl. auch Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 10. OLG Düsseldorf 2 Ss 4 0 9 / 8 1 v. 26.8.1981 NJW 1982 1242 m. Anm. Bottke JR 1983 76; 5 Ss 5 5 / 8 2 I v. 26.2. 1982, MDR 1982 515; Zopfs MK Rdn. 13; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 10; Geppert Jura 2 0 0 0 383; Schild NK Rdn. 9; aA Saal S. 130; diff. Sch/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 4.

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Vortäuschen einer Straftat

§ 145d

1. Zum Begriff der Behörde kann auf die Erläuterungen zu § 164 (Rdn. 23 f) sowie auf Hilgendorf LK § 11 Rdn. 92 ff verwiesen werden. Nach § 11 Abs. 1 Nr. 7 ist Behörde auch ein Gericht. In Betracht kommen ferner Dienststellen der Bundeswehr, auch der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Zollbehörden sowie Organe der Gemeinden und Gemeindeverbände; nicht gemeint sind dagegen kirchliche Behörden. Auch ausländische Stellen haben nach dem Zweck der Vorschrift auszuscheiden (BGH 1 StR 662/83 v. 20.3.1984, NStZ 1984 360; OLG Düsseldorf 2 Ss 409/81 v. 26.8.1981, NJW 1982 1242). Bei der zusätzlichen Umschreibung „zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle" ist vor allem an die in § 158 StPO genannten staatlichen Organe zu denken, für die, soweit man von der Erwähnung auch des einzelnen Beamten des Polizeidienstes absieht, durchweg schon die Bezeichnung Behörde zutrifft, also die Staatsanwaltschaften und die Polizeidienststellen. In der Rechtslehre werden von verschiedenen Autoren 10 auch die Untersuchungsausschüsse der Parlamente hierzu gerechnet. Die Differenz wird jedoch praktisch gegenstandslos, wenn die Anzeige an die Strafverfolgungsbehörde gelangt und der Täter sich diesen Erfolg vorgestellt hat (vgl. OLG Frankfurt 2 Ss 71/02 v. 24.4.2002, NStZ-RR 2002 209, 210; Zopfs MK Rdn. 13 ff).

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In keinem Fall kommt es darauf an, dass die Behörde oder Stelle als solche in allgemeiner Form angegangen wird. Es genügt das Anbringen des falschen Vorwurfs bei einem in seiner dienstlichen Eigenschaft tätigen Angehörigen der Behörde oder Stelle. Für die Tatbestandserfüllung ist es daher ausreichend, wenn das Vortäuschen gegenüber einem an Ort und Stelle ermittelnden Polizeibeamten (KG VRS 10 453, 457; 22 346, 347; OLG Celle NJW 1964 733; OLG Frankfurt NJW 1975 1895, 1896; 2 Ss 71/02 v. 24.4.2002, NStZ-RR 2002 209, 210) oder gegenüber einer zufällig vorbeikommenden Polizei- oder Zollstreife (KG J R 1989 26; OLG Köln NJW 1953 1843; ferner Schild NK Rdn. 9; Schramm NJW 2002 419, 421) geschieht.

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2. Nicht einheitlich beantwortet wird die Frage, ob die angegangene Behörde oder 7 Stelle selbst im konkreten Fall oder doch allgemein eine Kompetenz für Aufgaben der Strafverfolgung besitzen muss. Nach dem Gesetzeswortlaut ist es nicht erforderlich, dass nur solche Behörden in Betracht kommen, die selbst unmittelbar zur Verbrechensbekämpfung berufen sind. Der Gesetzgeber ist ersichtlich davon ausgegangen, dass jede staatliche Behörde und erst recht jede zur Entgegennahme von Anzeigen zuständige Stelle dazu disponiert ist, das zuständige Organ über ihr mitgeteilte strafrechtlich bedeutsame Sachverhalte zu verständigen. Der von der Gegenmeinung11 befürworteten Einschränkung, dass die angegangene Behörde in irgendeiner Weise berufen sein müsse, wegen der Tat etwas zu veranlassen oder geradezu verpflichtet sein müsse, die Verdächtigung an die zuständige Behörde weiterzuleiten, kann daher nicht zugestimmt werden (ebenso Saal S. 128). Sie würde zu überflüssigen Komplikationen führen. Sollte bei der Behörde, bei der eine falsche Anzeige eingegangen ist, nichts zu ihrer Weitergabe an die zuständige Stelle unternommen worden sein, so sollte eine Verfolgung des Täters nicht von dem mehr oder minder zufälligen Vorhandensein einer besonderen Weisung zur Weitergabe von Anzeigen an das zuständige Organ der Strafverfolgung abhängen. Andererseits sollte sich der Täter nicht damit herausreden können, dass er es nur auf die Behelligung einer ganz abseitigen Behörde abgesehen und eine Weitergabe an das zuständige Organ nicht

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Lackner/Kühl Rdn. 2; Sch/Schröder/Stree/ Sternberg-Lieben Rdn. 4; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 11; Schild NK Rdn. 9; aA Fischer Rdn. 3.

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Vgl. Scb/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 10; Schild NK Rdn. 9; vgl. auch Zopfs M K Rdn. 13.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

im Sinn gehabt habe. Zuständige Stelle im Sinne der Vorschrift kann daher auch die Vollstreckungs- oder Vollzugsbehörde sein, wenn ein Insasse eine in der Anstalt begangene Straftat vortäuscht. Dasselbe gilt, wenn jemand der Verwaltungsbehörde gegenüber einen Unfall vortäuscht, um einen Waffenschein oder eine Rente zu erhalten (aA Sch/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 10; Zopfs MK Rdn. 13). ΙΠ. Vortäuschen einer rechtswidrigen Tat (Absatz 1) 8

1. a) Die erste Tatbestandsalternative (Absatz 1 Nr. 1) erfasst jede rechtswidrige Tat, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht (§ 11 Abs. 1 Nr. 5) und die entweder schon begangen wurde oder gerade begangen wird. Ob sie erheblich war oder nicht, spielt keine Rolle (OLG Düsseldorf JMB1NRW 1951 132; Sturm J Z 1976 347, 351). Ordnungswidrigkeiten und bloße Disziplinarverstöße scheiden aus (OLG Frankfurt NJW 1975 1895, 1896; OLG Zweibrücken VRS 77 441, 442). Ebenso alles, was im straflos gebliebenen Vorfeld eines Straftatbestandes bleibt, wie der nicht ausdrücklich für strafbar erklärte Versuch eines Vergehens oder eine straflose Vorbereitungshandlung. Eine Tatbestandserfüllung kommt deshalb nicht in Betracht, wenn der Täter, um eine von einem anderen begangene Straftat zu verheimlichen, einen Sachverhalt vortäuscht, der nicht strafbar ist (OLG Zweibrücken VRS 71 434, 435; Fahrenhorst JuS 1987 707, 709; Geppert Jura 2000 383, 384; Lackner/Kühl Rdn. 4; Schmidt/Priebe Strafrecht BT I Rdn. 1147), auch nicht, wenn sich aus dem Vorbringen des Täters zugleich das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes ergibt. Bei einer erdichteten Notwehrtat kann jedoch eine Verwirklichung des Tatbestandes in der erlogenen Schilderung der Tat des angeblichen Angreifers zu finden sein. Eine Anwendung der Vorschrift auf eine angebliche Notwehrtat ist jedoch dann möglich, wenn der Täter bei seiner Darstellung nur Notwehr behauptet, ohne Umstände anzugeben, die geeignet sein könnten, den behaupteten Rechtfertigungsgrund zu begründen (zweifelh. daher OLG Oldenburg NJW 1952 1225). Für die Beurteilung des vorgetäuschten Geschehens als rechtswidrige Tat ist der Zeitpunkt der Anzeigeerstattung bzw. des Vortäuschens maßgebend. Entfällt im Laufe des Verfahrens durch eine Gesetzesänderung die Strafbarkeit der vorgetäuschten Tat, ändert dies an der Tatbestandsmäßigkeit nichts.12 Im Zeitpunkt der Tathandlung hat der Täter bereits alles getan, um eine unnütze Inanspruchnahme der Verfolgungsbehörden herbeizuführen und damit gegen den Schutzzweck der Norm verstoßen; einen Erfolg in dem Sinne, dass eine Tätigkeit der Strafverfolgungsorgane ausgelöst wird, braucht die Vortäuschung nicht zu haben (vgl. Rdn. 1, 22).

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b) Die von dem unwahren Begebnis gegebene Darstellung muss ferner geeignet sein, eine Untersuchung mindestens mit dem Ziel der Verhängung einer Maßregel (§ 61 ff) auszulösen. Die vorgetäuschte Tat muss also dergestalt beschaffen sein, dass sie Sanktionen zur Folge haben könnte (Zopfs MK Rdn. 18 f; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 16; Lackner/Kühl Rdn. 4; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 6 f; Fischer Rdn. 5; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 16). Eine Tatbestandserfüllung scheidet daher aus, wenn nach der Tatschilderung sicher Verjährung eingetreten oder ein sonstiges Verfolgungshindernis gegeben wäre; bei verstrichener Frist zur Stellung eines Strafantrages ist

12

Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 25; Fischer Rdn. 5; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 15; Schild NK Rdn. 10; K. Meyer JR 1975 70

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gegen BayObLG J R 1975 68; aA OLG Düsseldorf NJW 1 9 6 9 1679; Mazurek J Z 1976 233, 2 3 6 ff; Zopfs MK Rdn. 17.

Wolfgang Ruß

Vortäuschen einer Straftat

§ 145d

zu beachten, ob von Seiten der Staatsanwaltschaft auf Grund des besonderen öffentlichen Interesses noch eine Verfolgung der Straftat möglich ist. Die Anwendung der Vorschrift scheidet auch aus, wenn bloß Tatsachen wahrheitswidrig verschwiegen werden, denen ein Entschuldigungsgrund oder ein Verfahrenshindernis zu entnehmen wäre, obwohl auch in diesem Falle die Gefahr einer unnötigen Inanspruchnahme der Strafverfolgungsorgane begründet würde. Hier steht der eindeutige Wortlaut der Vorschrift im Wege, der die Vortäuschung des Tatgeschehens selbst voraussetzt. 13 Desgleichen fällt eine Selbstanzeige, die der Ausräumung eines falschen Verdachtes dienen soll, nicht unter den Tatbestand; 1 4 tatbestandsmäßig ist dagegen eine unrichtige Selbstbezichtigung, wenn die Tat erdichtet ist (vgl. Saal S. 165 f). Angesprochen und vom Tatbestand der Vorschrift erfasst ist im Übrigen eine rechtswidrige Tat unabhängig von der Schuld des Täters i.S. des § 20. Die Anwendung des § 145d kann nicht unter Berufung darauf ausgeschlossen werden, dass nach der Vorstellung des Täters nur ein Fahrlässigkeitstatbestand Gegenstand des Täuschungsmanövers gewesen sei. Wird fälschlich die Beschädigung einer Anlage i.S. des § 318 Abs. 1 angezeigt, so kann der Täter sich mit Rücksicht auf § 318 Abs. 6 nicht mit der Behauptung einer Bestrafung entziehen, dass ihm dabei nur eine fahrlässige Herbeiführung der Gefahrenlage vorgeschwebt habe. c) Das Vortäuschen der rechtswidrigen Tat kann durch falsche Angaben, insbesodere durch eine förmliche Strafanzeige mit erdichtetem Inhalt, erfolgen (OLG Düsseldorf JMBINRW 1951 132), der Anschein kann aber auch dadurch geschaffen werden, dass der Täter künstlich äußere Umstände im Sinne der Erzeugung eines bestimmten Verdachts gestaltet, 15 z.B. wenn er aus Schabernack in Schlangenlinien fährt, um bei Polizeibeamten den Eindruck zu erwecken, es liege ein Vergehen der Trunkenheit im Verkehr (S 316) vor (OLG Köln VRS 54 196; vgl auch OLG Köln NJW 1953 1843). In diesem Fall genügt es, wenn die vorgetäuschte Tat dem Plan des Täters entsprechend zur Kenntnis der Polizei gelangt (OLG Frankfurt 2 Ss 71/02 v. 24.4.2002, NStZ-RR 2002 209, 210; Schramm NJW 2002 419, 242). An der Anwendbarkeit des § 145d in der ersten Tatbestandsalternative wird nichts dadurch geändert, dass mit den zur Vortäuschung einer Straftat gemachten Vorkehrungen (wie in dem in BGHSt 6 251 entschiedenen Fall) schon für sich genommen eine (andere) rechtswidrige Tat verwirklicht worden ist; dies begründet nur zusätzlich die Möglichkeit, dass gleichzeitig eine Verwirklichung des Tatbestandes in der zweiten Alternative vorliegt. Die in der genannten Entscheidung mitgeteilte Aussage, es könne für den Tatbestand des § 145d nicht entscheidend sein, dass der Dienststelle ein strafbares Geschehen unter einer falschen rechtlichen Bezeichnung gemeldet werde, ist fehl am Platze, da es für § 145d erste Alternative allein darauf ankommt, welches Geschehen vorgetäuscht werden soll und wie dieses vorgetäuschte Geschehen strafrechtlich zu bewerten wäre, wenn es der Wahrheit entspräche. In dem BGHSt 6 251 zugrundeliegenden Fall wurde mit der Anzeige des Einbruchdiebstahls der Strafverfolgungsbehörde kein wahres Vorkommnis unter falscher rechtlicher Bezeichnung mitgeteilt, sondern ein unwahres Vorkommnis unter dafür an sich zutreffender rechtlicher

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Rudolphi/Rogall SK Rdn. 16; Schild NK Rdn. 10; Fischer Rdn. 5; Lackner/Kühl Rdn. 4; Zopfs MK Rdn. 16; aA Saal S. 146; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 7. Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 21; Lackner/Kühl Rdn. 5; Zopfs MK Rdn. 16; Fischer Rdn. 5. OLG Köln N J W 1953 1843 („Schmuggler-

kolonne", die in Wirklichkeit Säcke mit Gras transportierte); OLG Braunschweig NJW 1955 1935 (Vorspiegeln einer Entführung); Zopfs MK Rdn. 19; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 13; Fischer Rdn. 5; Sch/Schröder/Stree/ Sternberg-Lieben Rdn. 9; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 13.

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Bewertung. Dementsprechend ist daran festzuhalten, dass der Anschein von dem Täter auch zur Verschleierung einer wirklich von ihm begangenen (anderen) Straftat erweckt werden kann: Der ungetreue Kassenbote täuscht einen Raubüberfall vor. 11

Bereiten die Fälle, in denen der Täter, sei es durch Anzeigeerstattung, sei es durch vorgespieltes Verhalten, der Behörde gegenüber ein im Ganzen falsches, erdichtetes Geschehen vorbringt, keine Probleme in der rechtlichen Bewertung als tatbestandsmäßig, so ist eine differenzierte Betrachtung erforderlich (Rudolphi/Rogall SK Rdn. 18; Lackner/Kühl Rdn. 4; Krümpelmann ZStW 96 [1984] 999 ff), wenn das Tätervorbringen teilweise den Tatsachen entspricht, teilweise aber falsch ist. Dabei besteht weitgehende Einigkeit, dass es unschädlich ist, wenn der Täter das Tatgeschehen korrekt schildert, aber falsche Angaben zu ihrem Beweis macht (Rudolphi/Rogall SK Rdn. 17) und auch, wenn eine wirklich begangene Tat bloß übertrieben oder in einzelnen Modalitäten falsch dargestellt wird, 16 so wenn der Täter einen falschen Tatzeitpunkt oder Tatort angibt (OLG Celle NdsRpfl. 1957 16), bei einer Verkehrskontrolle wahrheitswidrig behauptet, der Führerschein sei ihm bei einem tatsächlich erfolgten Einbruchsdiebstahl ebenfalls entwendet worden (OLG Hamm NJW 1982 60) oder wenn der Umfang des Gestohlenen falsch (BayObLG NJW 1988 83) oder der Schaden beim Betrug überhöht angegeben wird. Eine verschiedene Beurteilung erfahren bereits Fälle, bei denen fälschlicherweise eine qualifizierte Form der Tatbegehung behauptet wird, z.B. wenn eine einfache Körperverletzung für eine gefährliche, ein einfacher Raub für einen schweren Raub, ein einfacher Diebstahl für einen räuberischen Diebstahl ausgegeben oder dem Raub oder Mordversuch eine Körperverletzung hinzugefügt wird, zu der es in Wahrheit nicht gekommen ist (OLG Karlsruhe MDR 1992 1166). In der Tat erscheint es, insbesondere bei den zuletzt genannten Fällen, zweifelhaft, hier stets von einer unschädlichen Übertreibung oder bloßen Aufbauschung zu sprechen. Mag es bei einem sog. „Handtaschenraub", bei dem sich der von hinten an sein Opfer heranfahrende Mofafahrer der Handtasche bemächtigt, noch einleuchtend und akzeptabel erscheinen, dass es sich bei einer Anzeige wegen Raubes, obwohl bei der Wegnahme keine Gewalt erforderlich und auch nicht angewandt worden war, um ein bloßes Übertreiben oder Aufbauschen handelt, so passt diese Charakterisierung der Anzeige in anderen Fällen häufig nicht mehr. Dasselbe gilt für die Fälle einer Anzeige wegen sexueller Nötigung, obwohl nur der Vergehenstatbestand des § 174 vorlag. Die Bedenken verstärken sich vollends in den Fällen, in denen das Opfer einer tatsächlich erfolgten Körperverletzung im Rahmen einer persönlichen Auseinandersetzung dahin „übertreibt", dass es Anzeige wegen Raubversuchs oder Vergewaltigungsversuchs erstattet (vgl. OLG Hamm NJW 1971 1324). Ob die Anzeige einer vollendeten Straftat anstelle eines tatsächlich begangenen strafbaren Versuchs nur eine den Tatbestand des § 145d nicht erfüllende Übertreibung oder Vergröberung der Umstände einer Straftat darstellt, mag im einzelnen Fall einmal richtig sein, doch ist es bedenklich, hier vom Regelfall auszugehen (OLG Hamm NStZ 1987 558 m. krit. Anm. Stree).

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Eine allgemeingültige Abgrenzung der den Tatbestand erfüllenden Fälle von denjenigen, bei denen es sich um bloße Übertreibungen oder Vergröberungen des Sachverhalts handelt, wird kaum zu finden sein (vgl. Stree NStZ 1987 559, 560). Die gelegentlich vertretene Auffassung, wonach darauf abzustellen sei, ob das den Gegenstand der Anzeige bildende Geschehen mit der tatsächlich begangenen Straftat eine Tat im prozessualen

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BGH 4 StR 4 0 6 / 7 3 v. 30.8.1973; OLG Celle NdsRpfl. 1957 16; OLG Karlsruhe MDR 1992 1166; Lackner/Kühl Rdn. 4; Fischer Rdn. 5a; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben

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Rdn. 9; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 18; Schild NK Rdn. 14; Zopfs MK Rdn. 21; einschr. Saal S.162.

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Sinne (§ 264 StPO) sei, würde zu einer zu weitgehenden Zurückdrängung des Strafschutzes führen und die Wirkung der Vorschrift zu stark reduzieren. 17 Dies gilt auch dann, wenn unterschiedslos alle Fälle aus dem Tatbestand herausgelöst werden sollen, in denen sich das Vortäuschen darauf beschränkt, dem tatsächlichen Geschehen durch Hinzufügen weiterer erschwerender Merkmale oder anderer Straftaten ein größeres Gewicht beizulegen, weil das angezeigte reale Geschehen trotz der Hinzufügungen eine rechtswidrige Tat enthalte und es damit an einer Fehlleitung staatlicher Verfolgungstätigkeit fehle, diese allenfalls einen Mehraufwand zu betreiben veranlasst werde (vgl. Rudolphi/Rogall SK Rdn. 19 f). Auch der Abgrenzungsvorschlag Krümpelmanns (ZStW 96 [1984] 999, 1023, 1038; JuS 1985 763, 765 ff), der auf eine Qualitätsänderung insoweit abstellen will, ob durch die Täuschung ein begangenes Vergehen als Verbrechen dargestellt wird, befriedigt nicht. Er ist zu formal und vermeidet sachwidrige Ergebnisse nicht ausreichend. Stree weist in seiner Anmerkung zu OLG H a m m NStZ 1987 557, 560 auch zu Recht darauf hin, dass diese Abgrenzung kein verlässliches Kriterium für erhebliche Mehrarbeit der angegangenen Behörde darstellt. Seinen Beispielen seien lediglich noch die Fälle einer angezeigten sexuellen Nötigung nach § 177 angefügt, obwohl es sich tatsächlich nur um Fälle des § 174 (Vergehen) handelt, das Opfer aber aus Gründen des eigenen Ansehens mit angeblichen Gewalthandlungen oder Drohungen des Täters übertrieben hat. Auch dem Hinweis Strees (NStZ 1987 560), dass es sich bei dem ungenauen Merkmal der erheblichen Mehrbelastung nur um einen - sachgemäßen - Ansatzpunkt handeln kann, ist zuzustimmen. Immerhin darf dieser Umstand nicht außer Betracht bleiben. Als weiteres Abgrenzungskriterium wird man die qualitative Vergleichbarkeit der angezeigten und der tatsächlich begangenen Tat beachten müssen und eine Erfüllung des Tatbestandes nur annehmen können, wenn die angezeigte Tat im Vergleich zur begangenen auf Grund der Falschdarstellung einen anderen Charakter, ein anderes Gepräge (abl., insoweit Rudolphi/Rogall SK Rdn. 20) erhält. 18 Dass es sich hierbei ebenfalls um ein wenig präzises Merkmal handelt, 19 ist einzuräumen, liegt aber in der Natur des Tatbestandes. Verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG ergeben sich daraus jedenfalls nicht. Von der Tatbestandsmäßigkeit ist daher in den Fällen auszugehen, in denen der vorgetäuschte Sachverhalt vom tatsächlich geschehenen so abweicht, dass ein völlig verändertes Tatbild vorliegt, es deshalb an einer Vergleichbarkeit der Taten fehlt. Dies wird regelmäßig der Fall sein, wenn die begangene Tat gegenüber der vorgetäuschten nicht ins Gewicht fällt, z.B. aus einer Körperverletzung ein Raubversuch oder aus einer Beleidigung ein Vergewaltigungsversuch gemacht wird. Entsprechendes gilt in den Fällen von Absatz 1 Nr. 2 und Absatz 2 Nr. 2, in denen eine tatsächlich bevorstehende rechtswidrige Tat durch fälschliches Hinzufügen erschwerender Umstände so aufgebauscht wird, dass sie als eine der in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Taten erscheint (Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 27). In den Fällen, in denen die Falschdarstellung der Tat ein anderes Gepräge verleiht, wird in der Regel auch die weitere Voraussetzung gegeben sein, dass die Ermittlungsbehörden wegen der vorgetäuschten Sachdarstellung zu unnötigen und aufwendigen (Mehr-)ermittlungen veranlasst wer-

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OLG H a m m NStZ 1987 558, 559 m. Anm. Stree; OLG Karlsruhe M D R 1992 1166, 1167; vgl. auch BGH 4 StR 406/73 v. 30.8. 1973. OLG Hamm NJW 1971 1324; BayObLG NJW 1988 83; vgl. auch BGH 4 StR 406/73 v. 30.8.1973; OLG Karlsruhe M D R 1992 1166, 1167; Maurach/Schroeder/Maiwald

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BT 2 § 99 Rdn. 15; vgl. ferner die diff. Lösungen bei Schild NK Rdn. 14, 23; Seh/ Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Zopfs MK Rdn. 22 ff; Fischer Rdn. 5b; Lackner/Kühl Rdn. 4. Gilt auch für das von Saal S. 163 ff als Lösung vorgeschlagene Geringfügigkeitsprinzip.

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den.20 Eine Nichtvergleichbarkeit der vorgetäuschten von der tatsächlich begangenen Tat wird häufig auch vorliegen, wenn aus einem Privatklagedelikt ein Offizialdelikt oder aus einem Vergehen ein Verbrechen gemacht wird (OLG Karlsruhe MDR 1992 1166). Dies muss aber nicht so sein. Bei der Schilderung eines Handtaschenraubes, der tatsächlich nur ein Diebstahl war, wird man keineswegs immer sagen können, es läge ein völlig verändertes Tatbild vor. 13

2. Die zweite Tatbestandsalternative (Absatz 1 Nr. 2) betrifft das Vortäuschen einer angeblich bevorstehenden rechtswidrigen Tat aus dem Katalog des § 126 Abs. 1. Mit dem Begriff des Bevorstehens wird auf zeitliche Nähe abgestellt, der Täter muss also vortäuschen, die Verwirklichung eines der genannten Delikte stehe kurz bevor. Nicht tatbestandsmäßig ist die Behauptung, die Tat sei bereits begangen (OLG Frankfurt 2 Ss 71/02 v. 24.4.2002, NStZ-RR 2002 209). Vom Begriff erfasst sind bedrohliche Vorbereitungshandlungen und im Versuchsstadium stehende Handlungen; eine noch nicht konkretisierte Planung reicht jedoch nicht aus (vgl. von Bubnoff LK11 § 126 Rdn. 13).21 Soll die vorgetäuschte Tat schon zu einer für sich strafbaren Vorbereitung gediehen sein, ist zugleich der Tatbestand von Nr. 1 verwirklich.22 Die Tatbestandsalternative der Nr. 2 bezieht sich nicht auf alle rechtswidrigen Straftaten, sie pönalisiert nur den Fall, dass vorgetäuscht wird, eine der im Katalog des § 126 Abs. 1 genannten Taten stehe bevor. Grund für diese Erweiterung der Vorschrift durch das 14. StRÄndG war, dass nach den gemachten Erfahrungen die Ankündigung gerade solcher Taten, wie sie im Katalog des § 126 Abs. 1 aufgezählt sind, z.B. Bombendrohungen, in besonderem Maße geeignet sind, umfassende Präventivmaßnahmen hervorzurufen, um drohende Schädigungen zu vermeiden (Sturm J Z 1976 347, 351; Laußütte MDR 1976 441, 444). Im Übrigen gilt für die an die Katalogtaten der Nr. 2 zu stellenden Anforderungen nichts anderes als bei den Taten der Nr. 1. Bei den als bevorstehend vorgetäuschten Taten des § 126 Abs. 1 kommt es nur darauf an, dass es sich um rechtswidrige Katalogtaten handelt; es ist nicht erforderlich, dass auch ein schuldhaftes Verhalten vorgetäuscht wird (ebenso Zopfs MK Rdn. 28).

IV. Täuschen über einen Beteiligten (Absatz 2) 14

1. Der äußere Tatbestand von Absatz 2 Nr. 1 erfordert, dass der Täter über die Person eines an der rechtswidrigen Tat Beteiligten zu täuschen sucht. Hier ist streitig, ob der Tatbestand eine wirklich begangene Straftat voraussetzt,23 oder ob es genügt, dass der Täter bei seiner Täuschungshandlung von einer wirklich begangenen Straftat ausgeht. Zu Unrecht reklamiert die erstgenannte Auffassung den Wortlaut der Vorschrift für sich (vgl. OLG Hamburg MDR 1949 309 m. Anm. Hünemörder in Übereinstimmung mit der bis dahin einhelligen Auffassung), da der Tatbestand ins Subjektive verlagert ist, der

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OLG Karlsruhe MDR 1992 1 1 6 6 , 1 1 6 7 ; Seh! Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 9. Laufhütte MDR 1976 441, 4 4 4 ; Sturm J Z 1976 347, 351; Stree NJW 1976 1177, 1182; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 16, 18. OLG Frankfurt 2 Ss 7 1 / 0 2 v. 2 4 . 4 . 2 0 0 2 NStZ-RR 2 0 0 2 209, 210; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 31; Laußütte MDR 1976 441, 444; Fischer Rdn. 6, 14; aA Sch/Schröder/Stree/

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Sternberg-Lieben Rdn. 26, die nur eine Tat annehmen; ebenso Schild NK Rdn. 29. OLG Hamburg MDR 1949 3 0 9 m. Anm. Hünemörder·, OLG Celle NJW 1961 1416, 1417; OLG Frankfurt NJW 1975 1896; KG JR 1989 26; BayObLG 5 StRR 3 1 / 2 0 0 3 v. 3.3.2003, NStZ 2 0 0 4 97; Fischer Rdn. 7; Laußütte MDR 1976 441, 4 4 4 ; Geppert Jura 1980 2 0 9 ; Kindhäuser LPK-StGB Rdn. 14 ff.

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Vortäuschen einer Straftat

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Täter lediglich einen Täuschungsversuch unternehmen, keinen Täuschungserfolg herbeiführen muss. 2 4 Der Wortlaut der Vorschrift ist daher auch mit der zweiten Auffassung zu vereinbaren ( R u d o l p h i / R o g a l l SK Rdn. 2 4 ; Zopfs M K Rdn. 32). Dieser kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, sie sei durch die Einfügung der neuen Tatbestandsvarianten überholt (Laufhütte M D R 1976 441, 4 4 4 Fn. 4 8 ) . Dass dem Absatz 2 durchaus noch eine Ergänzungsfunktion zukommt, wenn über einen Tatbeteiligten getäuscht wird, ohne dass eine begangene Straftat vorliegt, hat Stree (Festschrift Lackner (1987) S. 527, 5 3 7 ) überzeugend dargetan. Ausgehend vom kriminalpolitischen Zweck der Vorschrift, zu verhindern, dass die Strafverfolgungsorgane über die Person eines möglichen Täters getäuscht und die Ermittlungen dadurch in eine falsche Richtung gelenkt werden, muss es ausreichen, dass überhaupt der Verdacht einer bestimmten Straftat bestehen konnte und dass die diesem Verdacht nachgehenden Ermittlungsorgane in die Irre geleitet werden sollten ( R u d o l p h i / R o g a l l SK Rdn. 24). Die Anwendbarkeit des Tatbestandes kann sinnvollerweise nicht davon abhängen, ob hernach ein bestimmter Tatverdacht zur Gewissheit erhärtet wird, sondern es kann nur darauf ankommen, dass der Täter zu täuschen suchte, indem er einen bestehenden Verdacht auf eine mit Sicherheit unbeteiligte Person lenkte. 2 5 2 . Bei der Betrachtung und Bewertung der Täuschungshandlungen kann von zwei Fallgruppen ausgegangen werden: Zu der einen Gruppe gehören die Fälle, in denen der Täter die Straftat selbst begangen oder sich an ihr neben anderen beteiligt hat und nun versucht, den gegen sich allein oder doch zugleich gegen sich bestehenden Tatverdacht von sich abzulenken. Bei der zweiten Gruppe geht es um die Fälle, bei denen der Beschuldigte den Tatverdacht von dem, der die Tat begangen hat, abzulenken sucht.

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a) Geht man allein vom Wortlaut der Vorschrift aus, so könnte der Tatbestand in den Fällen, in denen der Täter die Tat selbst begangen hat oder an ihr beteiligt war, durch bloßes Leugnen erfüllt sein (vgl. Busch L M Nr. 4 zu § 145d). Indes bedarf es hier einer Einschränkung des Tatbestandes. Den Beschuldigten trifft im Strafverfahren keine Wahrheitspflicht und es ist allgemein anerkannt, dass ihm aus dem bloßen Leugnen der Tat kein Nachteil erwachsen darf (vgl. Theune LK § 4 6 Rdn. 2 0 5 ff); soweit er von seinem Verteidigungsrecht Gebrauch macht, das auch ein Leugnen der Tat einschließt, darf ihn kein Vorwurf aus § 145d treffen. 2 6 Dies muss auch dann gelten, wenn von vorneherein

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OLG Hamm NJW 1963 2138; Stree FS Lackner S. 527, 537; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lteben Rdn. 13. OLG Hamm NJW 1963 2138 m. Anm. Morner NJW 1964 310; Zopfs MK Rdn. 32; Schild NK Rdn. 23; Geerds Jura 1985 617, 621; vgl. auch Morner NJW 1964 310, der verlangt, daß wenigstens ein Teil der Umstände, die in der Vorstellung des Täters das mögliche Vorliegen einer Straftat begründeten, der Wirklichkeit entsprochen hat; ferner Lackner/Kühl Rdn. 7, die die irrige Annahme der für eine rechtswidrige Tat notwendigen Umstände für ausreichend halten, nicht dagegen die bloß rechtliche Fehlbeurteilung eines strafrechtlich irrelevanten Sachverhalts; weitergehend Sch/Schröder/Stree/Sternberg-

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Lieben Rdn. 13 und Stree FS Lackner (1987) S. 527, 539 f, die allein auf die subjektive Einstellung des Täters abstellen und diese als für die Tatbestandserfüllung ausreichend ansehen; im weitergehenden Sinne auch Saal S. 179; ferner Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 29. KG VRS 10 453, 457; OLG Hamm VRS 32 441; OLG Celle NJW 1964 733; Ulsenheimer GA 1972 1, 20; Fezer FS Stree/Wessels (1993) S. 663, 675, 677; Sch/Schröder/Stree/ Sternberg-Lieben Rdn. 15; Fischer Rdn. 9; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 27; Schild NK Rdn. 22; Stree FS Lackner (1987) S. 534 ff; aA H. Schneider S. 237, 245 ff; Saal S. 189; OLG Oldenburg MDR 1949 308 m. zust. Anm. Hünemörder.

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nur zwei Personen als mögliche Täter in Betracht kommen, so dass schon das bloße Leugnen eigener Täterschaft zwangsläufig die Verdächtigung der zweiten Person bedeuten kann. 27 Auch hier macht der Täter im Ergebnis von seinem Recht Gebrauch, nicht an der eigenen Überführung mitwirken zu müssen. Soweit eine Tatbestandserfüllung dann angenommen wird, wenn der beschuldigte Täter sich nicht mit bloßem Leugnen begnügt, sondern eine andere Person als Täter ausdrücklich benennt 28 , ist ebenfalls eine Einschränkung angebracht. Im ausdrücklichen Benennen einer anderen Person kann zwar gegenüber dem bloßen Leugnen durchaus ein „Mehr" liegen, das zur Tatbestandserfüllung ausreicht. Doch wird mit Recht darauf hingewiesen 29 , dass in Fällen, in denen nur zwei Personen als Täter in Betracht kommen (z.B. bei Kraftfahrzeugunfällen, bei denen neben dem Fahrer nur noch ein Beifahrer als Fahrzeuglenker in Betracht kommen kann), das bloße Leugnen eigener Täterschaft zwangsläufig die Verdächtigung der zweiten Person (Beifahrer) einschließt, so dass nicht recht einzusehen ist, warum in einem derartigen Fall die formale Beschränkung auf einfaches Leugnen Straflosigkeit sichern, hingegen die als Selbstverständlichkeit auf der Hand liegende ausdrückliche Benennung des anderen Strafbarkeit begründen soll. Der Hinweis darauf, dass auch in diesen Fällen das ausdrückliche Benennen des Nichttäters als logische Folge des Leugnens zu betrachten sei und deshalb Tatbestandsmäßigkeit ausscheide, erscheint durchaus berechtigt. Erst wenn der beschuldigte Täter angriffsweise die andere Person verdächtigt, indem er zusätzlich zum Leugnen und Benennen etwas zur Ablenkung des Verdachts unternimmt, liegt Tatbestandserfüllung vor (Fälle des sog. qualifizierten Leugnens). 30 17

b) Eine tatbestandsmäßige Täuschungshandlung, die auch hier durch falsche Angaben vor einer der in Absatz 1 bezeichneten Stellen oder durch Schaffung einer einen anderen belastenden Beweissituation begangen werden kann, liegt vor, wenn ein Unbeteiligter als Täter oder Teilnehmer einer rechtswidrigen Tat benannt wird (BGHSt 18 56, 58). Der Tatbestand wird deshalb nicht erfüllt, wenn der Täter die Tat einräumt, die Verfolgungsorgane aber dadurch irrezuführen versucht, dass er falsche Angaben zur Person macht (KG J R 1989 26; aA Saal S. 217 und NZV 1998 218 f). Zur Tatbestandserfüllung genügt auch nicht die alleinige Berufung auf den „großen Unbekannten" (Fischer Rdn. 9; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 27; Zopfs MK Rdn. 34; diff. Lackner/Kühl Rdn. 7; aA Saal S. 204; auch BGHSt 6 251, 255), sie ist dem bloßen Leugnen gleichzustellen. Es muss vielmehr hinzukommen, dass zugleich tatsächliche Angaben gemacht werden, durch welche die Organe der Strafverfolgung auf eine falsche Fährte gewiesen werden sollen (Stree Festschrift Lackner S. 527, 534). 3 1 Reichert der Täter auf diese Weise seine Benennung an, überschreitet er die Grenze zur Tatbestandsmäßigkeit. Entsprechendes gilt, wenn er

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BayObLG NJW 1986 441, 4 4 2 ; OLG Celle NJW 1964 7 3 3 f; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 2 7 ; Schild NK Rdn. 22; Rudolphi JuS 1979 859, 863; Fahrenhorst JuS 1987 707, 709. OLG Hamm NJW 1965 62; VRS 32 441, 4 4 2 ; OLG Köln JMB1NRW 1961 147. Schild NK Rdn. 22; Rudolphi JuS 1979 859, 863; ebenso OLG Celle NJW 1964 733, 734; ferner Fahrenhorst JuS 1987 707, 709. Vgl. hierzu ferner: OLG Frankfurt 2 Ss 4 0 / 9 8 v. 18.3.1998, DAR 1999 225; Rudolphi/ Rogall SK Rdn. 27; Fischer Rdn. 9; Zopfs

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MK Rdn. 3 4 f; Rogall Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst (1977) S. 39; Fezer FS Stree/Wessels 1993 S. 663, 675; Becker S. 193; zw. Geppert Jura 2 0 0 0 388; krit. hierzu ferner Sch/Schröder/Stree/Strenberg-Lieben Rdn. 15. KG J R 1989 26, 27; OLG Celle NJW 1961 1416, 1417; Krümpelmann ZStW 96 (1984) 999, 1028ff; Fahrenhorst JuS 1987 707, 709; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 22; anders aber BGHSt 6 251, 255; BGH LM Nr. 2 zu § 145d; vgl. auch Frankel LM Nr. 3 zu § 145d.

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Vortäuschen einer Straftat

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von sich aus mit einer Anzeige gegen Unbekannt die Initiative ergreift, noch ehe eine auf ihn gerichtete Untersuchungshandlung begonnen hat. 3 2 Keine tatbestandsmäßige Täuschungshandlung liegt vor, wenn der Täter den Verdacht von sich weg auf einen tatsächlich an der Tat Beteiligten schiebt, da es hier nicht um die Begründung eines falschen, sondern um die Erweiterung eines an sich begründeten Verdachts geht. Dasselbe kann gelten, wenn zwei Fahruntüchtige ein Kraftfahrzeug abwechselnd gelenkt haben, der eine aber von dem anderen behauptet, nur dieser habe am Steuer gesessen (OLG Oldenburg NdsRpfl. 1957 179). Der Tatbestand des Absatzes 2 Nr. 1 ist ferner nicht erfüllt, wenn die Benennung des anderen nur den Verdacht vom Täter ablenkt, ohne ihn nach Lage der Dinge zugleich gegen den benannten anderen begründen zu können, 33 weil in der Person des anderen keine rechtswidrige Tat vorliegt (OLG Zweibrücken VRS 71 434, 435; Fahrenhorst JuS 1987 707, 709). So beispielsweise, wenn der ohne Fahrerlaubnis gefahrene Kraftfahrzeuglenker gegenüber dem Vorwurf aus ξ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG behauptet, der eine Fahrerlaubnis besitzende Beifahrer sei gefahren oder, wenn der fahruntüchtige Autofahrer der Beschuldigung nach § 316 mit der Behauptung begegnet, sein nüchterner Beifahrer habe das Fahrzeug gelenkt (BGHSt 19 305). Hier handelt es sich nicht um ein Abschieben des Verdachtes einer rechtswidrigen Tat auf einen anderen, für den es gerade keine rechtswidrige Tat wäre. Damit wird auch nicht die Gefahr herbeigeführt, dass die staatlichen Verfolgungsorgane auf eine falsche, weitere Ermittlungen verursachende Spur gelenkt werden. Entsprechendes gilt für andere Fälle, in denen der Täter den auf einem Tatbeteiligten lastenden Verdacht von diesem ablenkt, ohne zugleich die Verfolgungsorgane auf eine bestimmte falsche Fährte hinzuweisen. 34 Das bloße Erschweren oder Verhindern der Ermittlungen reicht allein nicht aus (vgl. BGHSt 19 305, 307). Eine Tatbestandserfüllung scheidet daher aus, wenn der Täter einem an der Straftat Beteiligten ein falsches Alibi gibt, 35 wenn er die Tatbegehung einer inzwischen verstorbenen Person zuschiebt (zw. Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 28; Schild NK Rdn. 22; anders BayObLGSt. 1962 40) oder wenn der Täter ein von ihm beobachtetes Verbrechen als bloßen (etwa durch Herabfallen eines Ziegels verursachten) Unfall hinstellt. 36 Ferner ist es nicht ausreichend, wenn der Täter die Überführung des Schuldigen erschwert, indem er schweigt oder einen ihm bekannten Namen nicht nennt. In derartigen Fällen kann allenfalls eine Bestrafung nach § 258 in Betracht kommen. Tatbestandsmäßig ist es dagegen, wenn der Täter sich fälschlicherweise selbst bezichtigt (Rudolphi/

32

33

Vgl. BGHSt 6 251; BGH LM Nr. 2 zu § 145d; OLG Oldenburg MDR 1949 308; Ulsenheimer GA 1972 1, 20. BGHSt 19 305, 3 0 7 ; OLG Köln NJW 1953 596; OLG Hamm NJW 1964 734; OLG Celle NJW 1964 733; NStZ 1981 440; OLG Frankfurt NJW 1975 1895; OLG Zweibrücken NStZ 1991 530; auch OLG Karlsruhe 1 Ss 161/02 v. 17.4.2003, NStZ-RR 2 0 0 3 234; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 28; Lackner/Kühl Rdn. 7; Fischer Rdn. 9; Kuhlen JuS 1990 396, 3 9 7 ; Vlsenheimer GA 1972 1, 20; Fezer FS Stree/Wessels (1993) S. 663, 674 ff; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 28; aA OLG Koblenz NJW 1956 561; KG VRS 2 2 3 4 7 ; Saal S. 214.

34

35

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OLG Celle NJW 1961 1416; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 26; Rudolphi JuS 1979 859, 863; Schild NK Rdn. 22; Fezer FS Stree/Wessels (1993) S. 674; Kuhlen JuS 1990 3 9 6 , 3 9 7 ; bedenklich daher in der Begründung KG VRS 10 453, 457. BayObLG J R 1985 2 9 4 m. krit. Anm. Kühl; Schild NK Rdn. 22; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 2 6 ; Stree FS Lackner S. 527, 531 ff; aA Saal S. 201; Willms LK 1 0 Rdn. 16; Lackner/ Kühl Rdn. 7. Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Schild NK Rdn. 10, 22; aA für diese Fälle: Willms LK 1 0 Rdn. 16; auch Saal S. 210; H. Schneider S. 255, 260.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Rogall SK Rdn. 26) oder wenn ein Dieb, um nicht erwischt zu werden, die gestohlene Sache einem anderen in die Tasche steckt (Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 14; Zopfs MK Rdn. 34). 19

c) Ist der Dritte, von dem der Täter den Verdacht der Tatbeteiligung abzulenken versucht, ein Angehöriger von ihm (i.S. von § 11 Abs. 1 Nr. 1), stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang hier Begrenzungen der Angehörigenbegünstigung (§ 258 Abs. 6) eingreifen und dazu führen, dass eine Bestrafung aus § 145d entfällt. Die Frage wird entsprechend zu beantworten sein, wie bei den Fällen, in denen der Täter den Tatverdacht von sich selbst ablenken will (vgl. Rdn. 16 ff). Dies bedeutet, dass es nicht darum gehen kann, § 258 Abs. 6 ohne jede Einschränkung in den Bereich des § 145d zu übernehmen. Damit würde der Tatbestand für diese Fallbereiche überhaupt ausgeschaltet, wie es § 446 Abs. 2 Ε 1962 vorsah. Wie bei den Fällen der Selbstbegünstigung das bloße Leugnen, so darf auch hier nur das bloße Ablenken des Verdachts von einem Angehörigen den Vorwurf des § 145d entfallen lassen. Wo also die Anwendung des § 258 mit Rücksicht auf dessen Absatz 5 oder 6 ausscheidet, bleibt § 145d in dem oben abgesteckten, an die verfahrensrechtlich tolerierte Selbstbegünstigung gebundenen Rahmen anwendbar (vgl. Rdn. 23). 3 7

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3. Die Alternative des Absatz 2 Nr. 2 betrifft das Täuschen über den Beteiligten an einer bevorstehenden rechtswidrigen Tat aus dem Katalog des § 126 Abs. 1. Auch hier wird nicht vorausgesetzt, dass die Tat wirklich bevorsteht (vgl. Rdn. 14; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 39; Schild NK Rdn. 20; Zopfs MK Rdn. 38; aA Fischer Rdn. 10; einschr. Sch/ Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 20; Lackner/Kühl Rdn. 8). Entscheidend ist, dass bei der Strafverfolgungsbehörde oder dem Präventivorgan ein entsprechender Verdacht besteht, der zu Maßnahmen drängt. Im Übrigen gelten die vorstehend unter Rdn. 14 ff erörterten Grundsätze entsprechend. Hat der Täter mit seiner Täuschung Erfolg und führt dies dazu, dass die Tat nicht mehr verhindert werden kann, so kommt auch Bestrafung wegen Beteiligung an dieser Tat in Betracht (Rudolphi/Rogall SK Rdn. 41).

V. Innere Tatseite 21

Der innere Tatbestand erfordert Handeln wider besseres Wissen. Dazu gehört nicht notwendig das bestimmte Wissen, wie die Sachlage, die zum Gegenstand der Vortäuschung gemacht wird, in Wirklichkeit gestaltet war. Es genügt vielmehr die Überzeugung des Täters, dass die Sachlage auf jeden Fall nicht so war, wie sie von ihm hingestellt wird. Der Täter muss wissen (OLG Frankfurt NJW 1975 1895; OLG Karlsruhe 1 Ss 161/02 v. 17.4.2003, NStZ-RR 2003 234), dass die von ihm geschilderte Tat nicht vorliegt oder die Verwirklichung einer Katalogtat nach § 126 Abs. 1 nicht bevorsteht oder dass die

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Vgl. Rudolphi/Rogall SK Rdn. 31; Lackner/ Kühl Rdn. 11; Sch/Schröder/Stree/SternbergLieben Rdn. 2 6 ; Zopfs MK Rdn. 42; Kuhlen JuS 1990 396, 3 9 7 ; OLG Oldenburg MDR 1 9 4 9 308; BayObLG N J W 1978 2 5 6 3 m.

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Anm. Stree J R 1 9 7 9 2 5 3 ; Rudolphi JuS 1 9 7 9 859, 863; BayObLG J R 1985 2 9 5 m. Anm. Kühl-, OLG Celle J R 1981 3 4 m. Anm. Geerds·, Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 9 9 Rdn. 20.

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Vortäuschen einer Straftat

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von ihm über den Beteiligten gemachten Angaben nicht richtig sind. Im Übrigen genügt bedingter Vorsatz.38 Das gilt vor allem für die Vorstellung und den Willen des Täters, dass die Täuschung zur Kenntnis einer Behörde gelangen soll. Der Täter, der einen erdichteten Sachverhalt anbringt, muss es außerdem für möglich halten und billigen, dass er damit eine rechtswidrige Tat i.S. des § 11 Abs. 1 Nr. 5 vorspiegelt (OLG Zweibrücken VRS 77 441), wobei es natürlich keiner bestimmten rechtlichen Wertung bedarf. Das gilt ebenso hinsichtlich seiner Vorstellung von einer Katalogtat i.S. des § 126 Abs. 1. Wesentlich ist allein, dass er die Tatsachen im Auge hat, die das Vorliegen eines der dort genannten Tatbestände begründen. Ohne Bedeutung für die Tatbestandsverwirklichung sind die Beweggründe, die den Täter zur Tatbegehung veranlasst haben. 39 Er braucht nicht bezweckt zu haben, dass die Verfolgungsorgane Ermittlungen durchführen (Stree Festschrift Lackner (1987) S. 527, 533). Strafbarkeit nach § 145d besteht auch, wenn der Täter einen Überfall auf sich vortäuscht, um einen Waffenschein zu erlangen (vgl. Rdn. 7) oder um von ihm begangene Unterschlagungen zu verdecken (BayObLGSt. 1978 109 m. Anm. Rudolphi JuS 1979 859; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 22; einschr. Rudolphi/Rogall SK Rdn. 10).

VI. Tatvollendung Vollendet ist die Tat in allen Fällen, wenn die Behörde oder Stelle von der täuschen- 2 2 den Handlung oder Mitteilung Kenntnis genommen hat und damit in die Gefahr geraten ist, etwas Überflüssiges zu tun. Nicht notwendig ist, dass die Vortäuschung bei der Behörde einen Irrtum erregt hat (OLG Düsseldorf JMB1NRW 1951 132; Laufhütte MDR 1976 441, 444; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 23; Fischer Rdn. 2; Lackner/ Kühl Rdn. 10; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 22; Zopfs MK Rdn. 40). Einen Erfolg in dem Sinne, dass eine Tätigkeit der Strafverfolgungsorgane ausgelöst wird, braucht die Vortäuschung nicht zu haben (OLG Hamburg StV 1995 588). Ist die vorgetäuschte Tat begangen worden, ohne dass der Vortäuschende dies wusste, liegt nur ein strafloser Versuch vor. Geht spätestens gleichzeitig mit der vortäuschenden Anzeige ein Widerruf ein, so kommt es nicht zur Vollendung der Tat, wenn der Widerruf zu völliger Klarstellung geeignet ist und nicht nur eine neue Mystifikation schafft, welche die Gefahr unnötiger Ermittlungen eher noch vergrößern kann {Lackner/Kühl Rdn. 10; Zopfs MK Rdn. 40). Ist der Widerruf verspätet, so soll nach Auffassung verschiedener Autoren 40 die Regelung des § 158 analog Anwendung finden. Dem kann nicht zugestimmt werden. Der Gesetzgeber hat weder eine Regelung für eine „tätige Reue", noch eine solche nach § 158 oder § 258 Abs.5 und Abs. 6 für angebracht gehalten, obwohl in § 446 Abs. 2 Ε 1962 eine dem § 258 Abs. 6 entsprechende vorgesehen war, so dass von einer bewussten Entscheidung ausgegangen werden muss (zutr. Kuhlen JuS 1990 396, 398), gegen die eine Analogie im vorgeschlagenen Sinne verstoßen würde (vgl. auch Saal S. 237, 255ff). Der Fall des verspäteten Widerrufs ist dem vergleichbar, dass im Laufe des Verfahrens

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OLG Köln NJW 1953 1843; OLG Braunschweig NJW 1955 1935; OLG Frankfurt 2 Ss 7 1 / 0 2 v. 2 4 . 4 . 2 0 0 2 , NStZ-RR 2 0 0 2 209, 210; Sch/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 21; Zopfs MK Rdn. 39; Schild NK Rdn. 24; Fischer Rdn. 13; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 43.

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OLG Celle NJW 1964 2213, 2214; Lackner/Kühl Rdn. 4, 9; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 2 2 . Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 2 4 ; Schild NK Rdn. 12; Lackner/Kühl Rdn. 10; Willms LK 1 0 Rdn. 2 0 ; vgl. auch Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 21.

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7. Abschnitt. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

durch eine Gesetzesänderung die Strafbarkeit der vorgetäuschten Tat entfällt (vgl. Rdn. 8). In beiden Fällen kann bei Ahndung der vollendeten Tat im Rahmen der Strafzumessung den geänderten Verhältnissen hinreichend Rechnung getragen werden (so auch Rudolphi/ Rogall SK Rdn. 30; Zopfs MK Rdn. 40; vgl. ferner OLG Celle J R 1981 34, 35 m. zust. Anm. Geerds J R 1981 37).

VII. Konkurrenzen 23

Die bestimmt gefasste Subsidiaritätsklausel lässt den Tatbestand, soweit er zugleich verwirklicht werden kann, hinter Vergehen nach §§ 164, 258 und § 258a zurücktreten. Jedoch bleibt § 145d in den Fällen anwendbar, in denen eine Bestrafung nach § 258 wegen Selbstbegünstigung (§ 258 Abs. 5) oder Angehörigenbegünstigung (§ 258 Abs. 6) ausscheidet (Rdn. 19). 41 Die Subsidiaritätsklausel ist auch für die Fälle des Absatzes 2 maßgebend, 42 wie aus der Formulierung „ebenso wird bestraft . . . " zu entnehmen ist. Im Übrigen ist Idealkonkurrenz denkbar mit §§ 100a, 142 Abs. 2 (BayObLG VRS 60 112), 153 ff, 257, 263 und 267. Soweit über künftige Taten nach § 126 Abs. 1 oder die Beteiligung an solchen Taten getäuscht wird, kann auch Tateinheit mit § 126 und § 241 in Betracht kommen. Schließlich ist Tateinheit zwischen einzelnen Begehungsformen des Tatbestandes untereinander möglich. 43 Festzuhalten bleibt, dass Einheit im Ziel keine Handlungseinheit begründet (BGH wistra 1985 19; Schild NK Rdn. 28). Die falsche Anzeige nach § 145d und die darauf bezogene Geltendmachung von Ansprüchen gegen eine Versicherung (§ 263) stehen nur in Tateinheit, wenn beide Tatbestände durch eine Handlung verknüpft sind, die zugleich der Verwirklichung beider Tatbestände dient (BGH 2 StR 597/76 v. 9.2.1977), regelmäßig also dann, wenn Anzeige und Schadensmeldung gleichzeitig erfolgen, beispielsweise, wenn sie zusammen zur Post gegeben werden (BGH wistra 1985 19). Nach der Entscheidung BGHR StGB § 145d Abs. 2 Nr. 1 Täuschen 1 macht sich derjenige, der einen Diebstahl seines Kraftfahrzeugs vortäuscht, um dadurch dem Verdacht seiner Täterschaft anlässlich einer von ihm begangenen Straßenverkehrsgefährdung zu entgehen, nur wegen Vortäuschens einer Straftat nach § 145d Abs. 1 Nr. 1 strafbar, nicht auch noch wegen Täuschens über den Beteiligten (an der Verkehrsgefährdung) nach § 145d Abs. 2 Nr. 1. In einem Falle, in dem der Fahrer eines Geldtransporters das zu befördernde Geld an sich genommen und der Polizei vorgetäuscht hat, der Transporter sei von Unbekannten überfallen und ausgeraubt worden,

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Ferner OLG Oldenburg MDR 1949 3 0 8 m. Anm. Hünemörder; BayObLG NJW 1978 2 5 6 3 m. Anm. Stree J R 1 9 7 9 2 5 3 und Rudolphi JuS 1 9 7 9 859; BayObLG JR 1985 2 9 5 m. Anm. Kühl; OLG Celle NJW 1980 2 2 0 5 ; J R 1981 34 m. Anm. Geerds; OLG Köln VRS 5 9 32; OLG Hamm VRS 67 31, 32; Fischer Rdn. 14; Lackner/Kühl Rdn. 11; Rudotphi/Rogall SK Rdn. 31; Sch/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 26; Schild NK Rdn. 2 7 ; Zopfs MK Rdn. 4 2 ; Kindhäuser LPK-StGB Rdn. 22; Kuhlen JuS 1990 396,

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397; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 2 0 . BayObLG JR 1985 2 9 4 m. Anm. Kühl; OLG Celle JR 1981 34 m. zust. Anm. Geerds; Fischer Rdn. 14; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben Rdn. 26; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 31; Zopfs MK Rdn. 42. Fischer Rdn. 14; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 31; Zopfs MK Rdn. 44; anders BayObLG 5 StRR 31/2003 v. 3.3.2003 NStZ 2 0 0 4 97.

Wolfgang Ruf?

Vortäuschen einer Straftat

§ 145d

hat der B G H natürliche Handlungseinheit angenommen, denn die Strafanzeige habe, wie von vorneherein v o m Täter beabsichtigt, der Verdeckung des Diebstahl gedient. 4 4

Vm. Zum Recht des Einigungsvertrages Vgl. L K 1 1 Rdn. 2 4 .

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BGHR 4 StR 393/93 v. 17.8.1993, StGB vor § 1 natürliche Handlungseinheit, Entschluss einheitlicher 8; ebenso BGH 3 StR 296/02 v. 21.11.2002, NStZ 2 0 0 3 265 bei Vortäuschung eines fremdenfeindlichen Brand-

anschlags zur Verdeckung der kurz zuvor vom Täter selbst - begangenen Brandstiftung; vgl. ferner BGH 1 StR 553/82 v. 30.11.1982.

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Sachregister Die fetten Zahlen verweisen auf die Paragraphen, die mageren auf die Randnummern. Ablösen Siegelbruch 136 40 Abschleppunternehmen als feststellungsbereite Person 142 51 Abwiegler Schwerer Hausfriedensbruch 124 21 Abzeichen Missbrauch von siehe Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen Agent provocateur Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 63 Akademische Grade Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 23 ff Alkohol Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 11, 107, 163, 237 Amt, öffentliches Amtsanmaßung 132 9 ff Amtliche Bekanntmachungen siehe Bekanntmachungen, amtliche Amtsabzeichen Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 51 Amtsanmaßung allgemein 132 1 ff Amtshandlung 132 21 ff Befassen mit der Ausübung 132 14 ff Beleihung 132 9 Deliktsnatur 132 4 Einzelfälle 132 24 EU-Amt 132 13 Gefährdungsdelikt, abstraktes 132 4 Handlung, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf 132 29 ff Hinweis auf die Funktion als Amtsinhaber 132 15 ff Kirche 132 11 Konkurrenzen 132 43 kriminalpolitische Bedeutung 132 5 f öffentliches Amt 132 9 ff Pfandsiegel 132 35 Rechtfertigungsgründe 132 40 Rechtsgut, geschütztes 132 1 ff

Religionsgemeinschaften 132 11 Soldat 132 12 subjektiver Tatbestand 132 37 ff Tatbestandsirrtum 132 38 Täterschaft und Teilnahme 132 41 f Tätigkeitsdelikt, schlichtes 132 4 unbefugt 132 25 ff, 36 Urkundenfälschung 132 33 Verbotsirrtum 132 39 Verjährung 132 44 Amtsbesitz Abgrenzung zu dienstlicher Verwahrung 133 11 f Amtsbezeichnungen Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 8 ff Amtsdelikt, unechtes Verwahrungsbruch 133 41 Amtshandlung Amtsanmaßung 132 21 ff Amtskleidung Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 50 Amtsträger Eingriffsbefugnisse und Notwehr des, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 61 Gefangenenbefreiung 120 47 ff inländische 113 13 Rechts- und Tatsachenirrtümer des 113 51 f Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 11 ff Androhung von Straftaten siehe auch Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten allgemein 126 1 ff, 8 ff Anfechtung siehe Rechtsmittel Angehöriger Anzeigepflicht, Nichtanzeige geplanter Straftaten 139 14 ff Angriff, tätlicher Gefangenenmeuterei 121 28 ff Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 26

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Sachregister Anklageschrift Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125a 4 2 Anleitung zu Straftaten Absicht 130a 35 ff allgemein 130a 1 ff Anleitung 130a 10 ff, 30 f Bereitschaft anderer 130a 21 Bestimmtheitsprinzip 130a 6 Bestimmungsklausel 130a 16 ff Deliktscharakter 130a 3 f Eignung, als Anleitung zu dienen 130a 12, 2 6 Einziehung 130a 43 Konkurrenzen 130a 4 0 f kriminalpolitische Bedeutung 130a 5 Meinungsfreiheit 130a 6 f öffentliche Äußerung 130a 32 Presseinhaltsdelikt 130a 4 4 Rechtsgut, geschütztes 130a 1 f Schriften 130a 9 Strafe 130a 42 subjektiver Tatbestand 130a 34 ff Tatbestandsausschluss 130a 38 Tatbestandsgestaltung 130a 8 Tatgegenstand 130a 9 ff, 2 4 ff, 2 8 Tathandlungen 130a 23, 2 8 Verfassungsrecht 130a 6 f Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 130a 6 Verjährung 130a 4 4 Versammlung 130a 3 3 Versuch und Vollendung 130a 3 9 Vorsatz 130a 34 Wecken oder Fördern der Bereitschaft anderer 130a 21 f Zweckrichtung, objektiv erkennbare 130a 13, 27 Anliegerstraßen öffentlicher Straßenverkehr 142 16 Anordnung der dienstlichen Verwahrung 133 13 Anstalt, sozialtherapeutische Gefangenenmeuterei 121 11 Anstiftung Bildung krimineller Vereinigungen 129 158 ff Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 83 f Gefangenenbefreiung 120 4 0 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 9 ff, 46 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 185 Verwahrungsbruch 133 36 Antisemitismus Volksverhetzung 130 39, 57 Anvertraut Verwahrungsbruch 133 38 f

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Apotheker Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 39 Arbeitnehmerüberlassung, illegale Bildung krimineller Vereinigungen 129 95 f Arrestanten Gefangenenbefreiung 120 15 Arzt Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 35 Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten 139 2 8 Aufforderung zu Straftaten, öffentliche Befürworten 111 19 Begriff 111 17 f zu Beihilfe 111 54 Bildschirmtext, Internet 111 37 erfolglose 111 64 f Fallbeispiele 111 35 fremde Erklärungen 111 2 6 Handlungsformen 111 32 ff Konkretisierung und Ernstlichkeit 111 21 ff Medienberichterstattung 111 27 f Parolen 111 2 0 Rundfunk, Fernsehen, Presse 111 36 unbestimmter Personenkreis 111 2 9 ff Verbreiten von Schriften 111 41 ff in einer Versammlung 111 38 ff Aufkleber Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 35 Aufruhrdelikt Gefangenenmeuterei 121 5 Ausbrechen, gewaltsames Gefangenenmeuterei 121 4 0 ff Ausdrucksdelikt Gewaltdarstellung 131 36 ff Auslandsbezug Bildung krimineller Vereinigungen 129 66 ff Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 51 Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten 126 4 3 Auslandstaten Belohnung und Billigung von Straftaten 140 10 Landfriedensbruch 125 113 Auslieferungshaft Gefangenenbefreiung 120 16 Außenstehende Landfriedensbruch 125 6 4 ff Äußerung, öffentliche Anleitung zu Straftaten 130a 32 Äußerungstatbestand Volksverhetzung 130 2 6 ff

Sachregister Aussetzung zur Bewährung Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 238 Autobahnrufsäulen Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln 145 3 Bachelor Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 23 Bagatelldelikte Bildung krimineller Vereinigungen 129 58 Bahn Verwahrungsbruch 133 9 Bande Abgrenzung zu krimineller Vereinigung 129 42 Barrikaden Landfriedensbruch 125 36 Beamter auf Probe Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 13 Befehl, Handeln auf Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 53 Befriedetes Besitztum Hausfriedensbruch 123 16 ff Beifahrer als feststellungsbereite Person 142 52 Beihilfe Bildung krimineller Vereinigungen 129 158 ff Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 83 f Gefangenenbefreiung 120 45 Kettenbeihilfe siehe dort Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 54 psychische, Landfriedensbruch 125 74 ff Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 186 ff Volksverhetzung 130 97 Beisichführen einer Waffe, Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125a 8, 15 einer Waffe, Gefangenenmeuterei 121 59 f einer Waffe, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 79 Bekanntmachungen, amtliche amtlicher Inhalt 134 6 f dienstlich 134 5 öffentlich angeschlagen oder ausgelegt 134 8f Schriftstücke 134 4 Verletzung von siehe Verletzung amtlicher Bekanntmachungen Beleihung Amtsanmaßung 132 9

Belohnung und Billigung von Straftaten allgemein 140 1 ff Auslandstaten 140 10 Belohnen der Tat 140 11 ff Bestimmtheit 140 7 ff Billigen der Tat 140 14 ff erfasste Taten 140 3 ff friedensstörend 140 29 ff Internet 140 10 Konkurrenzen 140 40 Meinungs- und Pressefreiheit 140 38 f öffentliches Billigen 140 27 f Presseorgane 140 22 Prozessverhalten 140 38 f Schutzgut 140 1 Sozialadäquanz 140 38 f Täterschaft und Teilnahme 140 35 ff Tathandlungen 140 11 ff Vorsatz und Irrtum 140 34 Bereitschaft Anleitung zu Straftaten 130a 21 Berichterstatterprivileg Gewaltdarstellung 131 44 ff Berichterstattung Medienberichterstattung siehe dort Beruflicher Geheimnisträger siehe Geheimnisträger, beruflicher Berufsausübung strafgerichtliche Untersagung 145c 5 ff Berufsbezeichnung allgemein 132a 33 ff Apotheker 132a 39 Arzt 132a 35 Missbrauch von siehe Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen Patentanwalt 132a 41 Psychologe, Psychiater 132a 37 Rechtsanwalt 132a 40 Steuerberater, Steuerbevollmächtigter 132a 43 Tierarzt 132a 38 Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer 132a 42 Zahnarzt 132a 36 Berufsverbot vorläufiges, Verstoß gegen 145c 9 Berufsverbot, Verstoß gegen das siehe Verstoß gegen das Berufsverbot Beschädigen Siegelbruch 136 40 Verstrickungsbruch 136 24 Verwahrungsbruch 133 23 ff Beschimpfen Volksverhetzung 130 47 f, 82 Beschlagnahme, dienstliche Verstrickungsbruch 136 10 ff

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Sachregister Beseitigen Verletzung amtlicher Bekanntmachungen 134 10 Besitz ohne Nutzungsrecht, Hausrecht 123 35 Besonders schwere Fälle siehe Regelbeispiele Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs allgemein 125a 1 ff Anklageschrift und Urteil 125a 42 Anrichten eines bedeutenden Schadens 125a 26 Eigenhändigkeit 125a 9, 30 ff Gaspistole 125a 7 Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung 125a 19 f Haftrecht 125a 41 Konkurrenzen 125a 36 ff Luftdruckpistole 125a 7 Mitführen einer Schusswaffe 125a 5 ff, 11 ff Plündern 125a 22 ff Rechtsmittel 125a 43 Scheinwaffen 125a 13 Schreckschusspistole 125a 7 Strafzumessungsregel 125a 1 ff subjektiver Tatbestand 125a 28 f Täterschaft und Teilnahme 125a 30 ff unbenannt besonders schwere Fälle 125a 27 Verjährung 125a 4 0 Vollendung und Versuch 125a 33 ff Wahlfeststellung 125a 39 Bestimmtheitsprinzip Anleitung zu Straftaten 130a 6 Gewaltdarstellung 131 11 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 62 Volksverhetzung 130 20, 24 Bestimmungsklausel Anleitung zu Straftaten 130a 16 ff Bewaffnete Gruppe gefährliche Werkzeuge 127 16 Gruppe 127 6 ff Waffen 127 15 Bewährung, Aussetzung zur siehe Aussetzung zur Bewährung Bildschirmtext Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 37 Bildung bewaffneter Gruppen allgemein 127 1 ff Befehligen 127 21 Bewaffnete Gruppe siehe auch dort 127 5 ff Bilden 127 20 Deliktsnatur 127 3 Konkurrenzen 127 37 ff kriminalpolitische Bedeutung 127 4 Mindestzahl 127 10 Rechtfertigungsgründe 127 33 Rechtsfolgen 127 40 f

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Rechtsgut, geschütztes 127 1 f Sich-Anschließen 127 22 subjektiver Tatbestand 127 28 Täterschaft und Teilnahme 127 34 Tathandlungen 127 19 ff Unbefugtheit 127 29 ff Verfügen 127 17 f Verjährung 127 42 Versuch und Vollendung 127 35 f mit Waffen oder Geld versorgen oder sonst unterstützen 127 23 ff Bildung krimineller Vereinigungen Absehen von Strafe 129 177 f allgemein 129 1 ff Anstiftung 129 158 ff Arbeitnehmerüberlassung, illegale 129 95 f im Ausland 129b 1 ff Ausrichtung auf Straftatbegehung 129 70 ff Bagatelldelikte 129 58 Begehung eigener Straftaten 129 63 ff Beihilfe 129 158 ff besonders schwere Fälle 129 172 ff Beteiligen als Mitglied 129 104 ff Deliktsnatur 129 4 ff Diebstahl, organisierter 129 97 Einstellung des Verfahrens 129 188 erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit 129 57 ff Ermittlungsmaßnahmen 129 210; 129b 36 EU-Recht 129 11 ff, 44 ff; 129b 11 ff extremistische Vereinigungen 129 89 f Glücksspiel, organisiertes 129 94 Gründen 129 100 ff Hausbesetzung 129 31, 92 Hintermann 129 174 Konkurrenzen 129 189 ff kriminalpolitische Bedeutung 129 15 f Kronzeugenregelung 129 180, 211 Mindestpersonenzahl 129 27 ff organisierte Kriminalität 129 9 f Parteispendenwaschanlagen 129 98 PKK 129 91 politische Parteien 129 79 ff politisch-kriminelle Organisationen 129 7 Rädelsführer 129 173 Rauschgifthändlerringe 129 93 Rechtfertigungsgründe 129 155 ff Rechtsgut, geschütztes 129 1 ff Rücktritt 129 170 Sachbeschädigung 129 61 Schmuggel 129 95 f Schutzgelder 129 156 Steuerhinterziehung 129 95 f Strafklageverbrauch 129 200 ff Strafrahmen 129 171

Sachregister Straftaten beim Zusammenschluss 129 52 Straftaten im Ausland 129 66 ff Straftaten, mehrere 129 53 ff subjektiver Tatbestand 129 151 ff Täterschaft und Teilnahme 129 158 ff Tathandlungen 129 99 ff Tätige Reue 129 179 ff Unterstützen 129 132 ff Vereinigung siehe auch Vereinigung, kriminelle 129 18 ff Vereinigungszweck 129 50 ff Verfall und Einziehung 129b 34 Verfolgungsermächtigung 129b 26 ff Verjährung 129 2 0 7 Versuch 129 169 Verteidigerhandeln 129 145 ff Vollendung 129 166 ff Werben um Mitglieder oder Unterstützer siehe auch dort 129 116 ff Wirtschaftsstraftäter 129 30 Zuständigkeiten 129 208 f; 129b 35 Zweck der Straftatbegehung 129 71 ff Bildung terroristischer Vereinigungen allgemein 129a 1 ff im Ausland 129b 1 ff Beispiele aus der Rechtsprechung 129a 71 ff Beseitigung oder erhebliche Beeinträchtigung der Grundstrukturen des Staates 129a 59 ff Deliktsnatur 129a 2 ff DHKP-C 129a 73 Einschüchterung der Bevölkerung 129a 56 f Ermittlungsmaßnahmen 129a 109; 129b 36 EU-Recht 129a 6 ff, 20 ff; 129b 11 ff Euro just 129a 6 Finanzierungsdelikte 129a 48 Haftbefehl, europäischer 129a 7 Haftrecht 129a 110 Hintermann 129a 81 Konkurrenzen 129a 100 f kriminalpolitische Bedeutung 129a 11 ff Kronzeugenregelung 129a 115 Nötigung mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt 129a 58 objektive Schädigungsneigung 129a 62 ff Parteienprivileg 129a 28; 129b 32 PKK 129a 72 Presseinhaltsdelikt 129a 105 Rädelsführer 129a 81 RAF 129a 71 Rahmenbeschluss 129a 51 f Rechtsgut, geschütztes 129a 1 Selbstmordattentäter, islamistischer 129a 34 Sprengstoffe, Verwendung von 129a 46 Strafklageverbrauch 129a 107

Strafmilderung 129a 95 Strafrahmen 129a 91 ff Straftatenkatalog 129a 40 ff subjektiver Tatbestand 129a 82 Täterschaft und Teilnahme 129a 83 f Tathandlungen 129a 76 ff Tätige Reue 129a 96 Vereinigung, terroristische siehe auch dort 129a 18 ff Verfall und Einziehung 129b 34 Verfolgungsermächtigung 129b 26 ff Verjährung 129a 104 ff Versuch und Vollendung 129a 85 ff Werbungstatbestand, Privilegierung 129a 77 ff Zuständigkeiten 129a 108, 129b 35 Zweck der Straftatbegehung 129a 30 ff Billigen der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft 130 113 ff des NS-Völkermordes 130 105 Blutentnahme Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 49 Buchprüfer, vereidigter Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 42 Caching Volksverhetzung 130 99 Campingzelt Hausfriedensbruch 123 12 Darbietungen, Verbreiten von Volksverhetzung 130 73 ff, 84 f, 94 f Dauerdelikt Hausfriedensbruch 123 75 Demonstrationsstrafrecht allgemein Vor 110 3 Straftaten gegen die öffentliche Ordnung Vor 123 6 DHKP-C Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 73 Diebstahl Bildung krimineller Vereinigungen 129 97 Dienstbezeichnungen Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 11 f Diensthandlung, Rechtmäßigkeit der siehe auch Rechtmäßigkeitsbegriff allgemein 113 27 ff Anwendung unmittelbaren Zwangs 113 4 7 Blutentnahme 113 49 Eingriffsbefugnisse und Notwehr des Amtsträgers 113 61

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Sachregister Ermessensausübung, pflichtgemäße 113 50 Folgen bei Rechtmäßigkeit 113 64 Folgen fehlender Rechtmäßigkeit 113 62 Förmlichkeiten, wesentliche 113 45 ff Haftbefehl 113 46 Handeln auf Befehl 113 53 Identifizierungsmaßnahmen 113 47 Ordnungswidrigkeit 113 47 Rechts- und Tatsachenirrtümer des Amtsträgers 113 51 f Siegelbruch 136 43 ff Unterbringung 113 47 Versammlungsrecht 113 47 Verstrickungsbruch 136 22, 43 ff Vollziehung von Gesetzen und Rechtsverordnungen 113 49 Vollziehung von Staatsakten 113 48 Vorführungsbefehl 113 47 Wohnungsdurchsuchung 113 47 Zuständigkeit, örtliche 113 44 Zuständigkeit, sachliche 113 43 Diplomgrad Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 23, 53 Doktorgrad Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 24 Dokumentarfilm Volksverhetzung 130 132 Dritter Gefangenenbefreiung, Teilnahme des 120 61 Drohung mit Gewalt, Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 58 mit Gewalt, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 25 Vereinigung zum Zweck der 129a 68 ff Drucker öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 72 Druckschriften Werben um Mitglieder oder Unterstützer 129 136 Durchsuchung Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 47 Ehewohnung Hausrecht 123 33 Eigenhändigkeit Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125a 9, 30 ff Hausfriedensbruch 123 76 Eindringen Begriff 123 45 ff

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Betreten unter Zuwiderhandlung gegen ein Hausverbot 123 56 f Erlaubnis des Hausrechtsinhabers 123 49 ff Hausfriedensbruch, allgemein 123 45 ff Schwerer Hausfriedensbruch 124 6 f durch Unterlassen 123 58 f Widerrechtlichkeit des 123 68 f Einfamilienhaus Hausfriedensbruch 123 11 Einigungsvertrag, Recht des Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 99 Einkaufswagen Unfall im Straßenverkehr 142 25 Einstellung des Verfahrens Bildung krimineller Vereinigungen 129 188 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 252 Einziehung Anleitung zu Straftaten 130a 43 Gewaltdarstellung 131 61 kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland 129b 34 Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 73 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 241 Volksverhetzung 130 146 E-Mail Volksverhetzung 130 70, 89 Entfernen, unerlaubtes vom Unfallort siehe Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort Entziehung der Fahrerlaubnis siehe Fahrerlaubnis, Entziehung der Erledigungsvermerk Verwahrungsbruch 133 28 Ermessen Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 50 Ermittlungsmaßnahmen Bildung krimineller Vereinigungen 129 210; 129b 36 Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 109; 129b 36 Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen 114 5 Erzieherprivileg Gewaltdarstellung 131 47 ff EU-Amt Amtsanmaßung 132 13 Eurojust Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 6 Europäischer Haftbefehl siehe Haftbefehl, europäischer

Sachregister Europarecht Bildung krimineller Vereinigungen 129 11 ff, 44 ff; 129b 11 ff Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 6 ff, 20 ff; 129b 11 ff Volksverhetzung 130 25 Extremistische Vereinigungen Bildung krimineller Vereinigungen 129 89 f Fabrikgelände öffentlicher Straßenverkehr 142 15 Fachanwaltsbezeichnung Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 40 Fahnenflucht Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 69 Fahrerlaubnis, Entziehung der Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 239 Fahrtenschreiber Vereitelungsverbot, Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 163 Fahrverbot Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 240 Ferienhaus Hausfriedensbruch 123 13 Fernsehen Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 36 Fernsehinterview Volksverhetzung 130 132 Feststellungsduldungspflicht Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 100 ff Feststellungsverzicht Abgenötigter 142 91 erschlichener 142 84 ff Form der Verzichtserklärung 142 78 f Leasing- oder Mietfahrzeug 142 94 Minderjährige 142 83 mutmaßlicher 142 92 ff Schuldanerkenntnis 142 79 Umfang des 142 80 ff Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 76 ff Verzichtsberechtigung 142 77 Visitenkarte, Hinterlegung einer 142 94, 108 Wissens- und Willensmängel 142 83 Feuerwehr als feststellungsbereite Person 142 51 Film Volksverhetzung 130 88 Finanzierungsdelikte Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 48

Fischereihütte Hausfriedensbruch 123 13 Flugblätter Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 35 Flugplatzgelände als nichtöffentlicher Straßenverkehr 142 17 Flur Hausfriedensbruch 123 11 Förmlichkeiten, wesentliche Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 45 ff Freiheitsentziehung Gefangenenbefreiung, Wirksamkeit der 120 22 Frieden, öffentlicher Abgrenzung zu öffentlicher Sicherheit 126 2 Störung des 126 26 ff Volksverhetzung 130 62 ff, 112, 120 Führen Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 58 ff Führungsaufsicht Verstoß gegen Weisungen während der siehe auch Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht 145a 1 ff Garage Hausfriedensbruch 123 11 Garant Gefangenenbefreiung, Teilnahme des 120 62 Nichtanzeige geplanter Straftaten 138 47 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 42 Gaspistole Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125 a 7 Gaststätten Zugangsverweigerung, Volksverhetzung 130 61 Gefahr, gemeine Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln 145 12 Gefährliches Werkzeug Bildung bewaffneter Gruppen 127 16 Gefahrzusammenhang, verkehrstypischer Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 23 ff Gefangenenbefreiung allgemein 120 1 ff im Amt 120 47 ff Anstiftung 120 40 Arrestanten 120 15 Befreien 120 34 Beginn des Gewahrsamsverhältnisses 120 23 Beihilfe 120 45

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Sachregister Dritter, Teilnahme des 120 61 Förderung des Entweichens 120 41 ff Freiheitsbewusstsein 120 32 Garant, Teilnahme des 120 62 Gefangener, Begriff siehe auch Gefangener 120 10 ff Gefangener, Teilnahme des 120 58 ff Grundtatbestand 120 2 ff Haftbefehl, Aufhebung eines 120 50 Haftentlassung 120 36 internierte Zivilpersonen 120 15 Kettenbeihilfe 120 46 Konkurrenzen 120 71 Kriegsgefangene 120 15 mittelbare Förderungshandlungen 120 46 Pflichtenstellung 120 48 praktische Bedeutung 120 9 Qualifikation 120 5 Rechtfertigungsgründe 120 55 Rechtsgut, geschütztes 120 8 Rücktritt 120 70 Selbstbefreiung 120 2 Strafgefangene 120 15 subjektiver Tatbestand 120 51 Täterschaft 120 56 Tathandlungen 120 33 ff Teilnahme 120 44 f, 58 ff Unterlassung 120 52 ff Untersuchungsgefangene 120 15 Verleiten 120 40 Versuch 120 7, 65 ff Verwahrte 120 6, 16 ff Vollendung 120 63 f Vollstreckungshilfehaft 120 16 Vollzugslockerungen 120 25 ff, 39 Vorgeführte 120 15 vorläufig Festgenommene 120 15 Wirksamkeit der Freiheitsentziehung 120 22 Gefangenenmeuterei allgemein 121 1 ff Aufruhrdelikt 121 5 Ausbrechen, gewaltsames 121 40 ff Ausbruchshilfe 121 51 f Außenseiter 121 13 besonders schwere Fälle 121 58 ff Deliktsnatur 121 5 Gewalttätigkeit mit schwerer Folge 121 61 f Handlungssubjekte 121 8 ff Konkurrenzen 121 67 Kriegsgefangene 121 12 Meutereihandlungen 121 23 ff Mittäterschaft, Abgrenzung 121 19 Nötigung 121 28 ff praktische Bedeutung 121 7 Rechtsfolgen 121 58 ff

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Rechtsgut, geschütztes 121 4 Scheinbeteiligung 121 21 Schusswaffe, Beisichführen einer 121 59 Sonderdelikt 121 6 subjektiver Tatbestand 121 53 Täterschaft 121 54 Tathandlungen 121 14 ff tätlicher Angriff 121 28 ff Teilnahme 121 55 Überweisung in andere Maßregel 121 10 Untergebrachte, in der Sicherungsverwahrung 121 9 vereinte Kräfte 121 24 ff Vollendung und Versuch 121 56 f Vollzug in sozialtherapeutischer Anstalt 121 11 Waffe, Beisichführen in Verwendungsabsicht 121 60 zeitliche Koinzidenz 121 23 Zusammenrotten 121 15 ff Gefangener Abgrenzung zu Privatgefangenen 120 14 Auslieferungshaft 120 16 Begriff 120 11 ff Beispiele 120 15 Gefangenenbefreiung, Teilnahme des 120 58 ff Geheimnisträger, beruflicher Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten 139 24 ff Geistliche Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten 139 5 ff Gemeinschaftsfrieden Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 3 ff Gemeinschaftsrecht siehe Europarecht Geschäftsräume Hausfriedensbruch 123 14 f Gesetzeskonkurrenz Hausfriedensbruch 123 80 f Gewahrsam Beginn 120 23 Ende 120 24 Freiheitsbewusstsein 120 32 Vollzugslockerungen 120 25 ff, 39 Gewalt Gefangenenmeuterei 121 61 f Gewaltdarstellung siehe dort kollektive, Landfriedensbruch 125 14 ff Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 23 Gewaltdarstellung allgemein 131 1 ff Arten der Darstellung 131 27 ff

Sachregister Ausdrucksdelikt 131 36 ff Berichterstatterprivileg 131 44 ff Bestimmtheitsprinzip 131 11 Deliktsnatur 131 7 Einziehung 131 61 Erzieherprivileg 131 47 ff Gewalttätigkeit 131 15 ff grausam oder sonst unmenschlich 131 19 ff Grundrechte 131 53 ff Habitualisierungsthese 131 4 Herstellungs- und Verbreitungsverbot 131 39 Inhibitionstheorie 131 4 Katharsis-Theorie 131 4 Konkurrenzen 131 59 kriminalpolitische Bedeutung 131 8 Kunstfreiheit 131 53 ff Live-Sendungen 131 41 Offizialdelikt 131 63 Presseinhaltsdelikt 131 62 Rechtfertigungsgründe 131 53 ff Rechtsfolgen 131 60 f Rechtsgut, geschütztes 131 1 ff Rundfunk, Medien- oder Teledienste 131 40 f Schilderung grausamer oder sonst unmenschlicher Gewalttätigkeiten 131 14 ff, 23 ff, 32 ff Stimulations- und Lerntheorie 131 4 subjektiver Tatbestand 131 42 f Täterschaft und Teilnahme 131 57 Tathandlungen 131 39 Tatmittel 131 12 ff Urheber der Gewalttätigkeit 131 22 Verfassungsrecht 131 9 ff Verharmlosen 131 30 f Verherrlichen 131 28 f Verjährung 131 62 Versuch und Vollendung 131 58 Glücksspiel, organisiertes Bildung krimineller Vereinigungen 129 94 Grundrechte siehe auch bei den einzelnen Grundrechten Gewaltdarstellung 131 53 ff Habitualisierungsthese Gewaltdarstellung 131 4 Haft Vereinigung, kriminelle 129 113 ff Haftbefehl Gefangenenbefreiung im Amt 120 50 Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 46 Haftbefehl, europäischer Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 7 Haftentlassung Gefangenenbefreiung 120 36

Haftrecht Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125a 41 Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 110 Hausbesetzung Bildung krimineller Vereinigungen 129 31, 92 Hausfriedensbruch 123 19 Hausfriedensbruch allgemein 123 1 ff befriedetes Besitztum 123 16 ff Besitz ohne Nutzungsrecht 123 35 Campingzelt 123 12 Dauerdelikt 123 75 Ehewohnung 123 33 Eigenhändigkeit 123 76 Eindringen siehe auch dort 123 45 ff Einfamilienhaus 123 11 Erlaubnis des Hausrechtsinhabers 123 49 ff Fischerei- und Jagdhütten 123 13 Flur 123 11 Garage 123 11 Geschäftsräume 123 14 f Gesetzeskonkurrenz 123 80 f Hausbesetzung 123 19 Hausrecht siehe auch dort 121 1 ff Inhaber des Hausrechts siehe auch Hausrecht 123 27 ff Irrtümer 123 74 Keller 123 11 Konkurrenzen 123 77 ff Mitbesitz 123 34 Nebenräume 123 11, 15 öffentliche Versammlung 123 36 durch Polizeibeamten 123 72 Rechtfertigungsgründe 123 68 ff Rechtsgut, geschütztes 123 1 ff Schäferkarren 123 12 Schiff 123 12 Schlafkabine im Lkw 123 12 schwerer siehe auch Schwerer Hausfriedensbruch 124 1 ff Strafantrag 123 82 ff Strafzumessung 123 85 subjektiver Tatbestand 123 67 Tateinheit 123 78 Tatmehrheit 123 79 Teilnahme 123 76 Treppe 123 11 Verweilen trotz Aufforderung des Berechtigten siehe auch Verweilen 123 60 ff Verweilungsbefugnis 123 70 ff Vollendung 123 75 Widerrechtlichkeit des Eindringens 123 68 f Wochenendhaus 123 13

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Sachregister Wohnung 123 8 ff, 28 ff Wohnwagen und Wohnmobile 123 12 Zirkuswagen 123 12 zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmte abgeschlossene Räume 123 20 ff Hausrecht Besitz ohne Nutzungsrecht 123 35 Ehewohnung 123 33 Erlaubnis des Hausrechtsinhabers, Eindringen 123 49 ff Gebäude im Verwaltungsvermögen 123 41 Hausfriedensbruch, allgemein 123 1 ff Inhaber des 123 27 ff Mietvertrag, Ablauf des 123 32 Mitbesitz 123 34 öffentliche Versammlung 123 36 der öffentlichen Hand 123 39 ff privatrechtliche Natur des Hausverbots 123 40 Übertragung zur Ausübung 123 37 f Vermieter, Befugnisse des 123 29 ff Wohnungen 123 28 ff Hausverbot durch Verwaltungsakt 123 39 ff, 56 f Hintermann Bildung krimineller Vereinigungen 129 174 Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 81 Hochschulbereich Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 8, 13 ff Honorarprofessor Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 18 Hungerstreik Vereinigung, kriminelle 129 113 ff, 141, 150 Hyperlink Volksverhetzung 130 90 Hypothekenurkunde Verstrickungsbruch 136 6 Identifizierungsmaßnahmen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 47 Inhibitionstheorie Gewaltdarstellung 131 4 Inline-Skater Unfall im Straßenverkehr 142 25 Insolvenzverfahren Verstrickungsbruch 136 14 Internet Belohnung und Billigung von Straftaten 140 10 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 37 Volksverhetzung 130 70, 89 f, 97

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Internierte Gefangenenbefreiung 120 15 Irrtum des Amtsträgers, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 51 f Belohnung und Billigung von Straftaten 140 34 eines Dritten, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 73 Hausfriedensbruch 123 74 Landfriedensbruch 125 94 ff Nichtanzeige geplanter Straftaten 138 61 f Tatbestandsirrtum siehe dort Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 207 Verbotsirrtum siehe dort Verstoß gegen das Berufsverbot 145c 22 Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht 145a 26 f Verstrickungsbruch, Siegelbruch 136 47 ff Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 66 ff, 96 f Islamistischer Selbstmordattentäter siehe Selbstmordattentäter, islamistischer Jagdaufseher Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen 114 3 Jagdausübungsberechtigter Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen 114 4 Jagdhütte Hausfriedensbruch 123 13 Journalisten Schwerer Hausfriedensbruch 124 20 Juniorprofessor Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 17 Kasernengelände als nichtöffentlicher Straßenverkehr 142 17 Katharsis-Theorie Gewaltdarstellung 131 4 Keller Hausfriedensbruch 123 11 Kett.nbeihilfe Gefangenenbefreiung 120 46 Kettenverbreitung Volksverhetzung 130 87 Kirche Amtsanmaßung 132 11 Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 53 ff Verwahrungsbruch 133 21 Klageerzwingungsverfahren Volksverhetzung 130 148

Sachregister Klinikgelände öffentlicher Straßenverkehr 142 15 Konkurrenzen Amtsanmaßung 132 43 Anleitung zu Straftaten 130a 40 f Belohnung und Billigung von Straftaten 140 40 Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125a 36 ff Bildung bewaffneter Gruppen 127 37 ff Bildung krimineller Vereinigungen 129 189 ff Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 100 f Gefangenenbefreiung 120 71 Gefangenenmeuterei 121 67 Gewaltdarstellung 131 59 Hausfriedensbruch 123 77 ff Landfriedensbruch 125 105 ff Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln 145 27 ff Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 70 f Nichtanzeige geplanter Straftaten 138 73 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 74 ff Schwerer Hausfriedensbruch 124 23 Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten 126 41 f Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 212 ff Verletzung amtlicher Bekanntmachungen 134 13 Verstoß gegen das Berufsverbot 145c 27 f Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht 145a 39 ff Verstrickungsbruch, Siegelbruch 136 53 Verwahrungsbruch 133 42 Volksverhetzung 130 140 ff Vortäuschen einer Straftat 145d 23 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 89 ff Kosovo-Krieg Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 69 Kraftfahrer Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 55 Kriegsgefangene Gefangenenbefreiung 120 15 Gefangenenmeuterei 121 12 Kriminalität, organisierte Bildung krimineller Vereinigungen 129 9 f Kriminelle Vereinigung siehe Vereinigung, kriminelle

Kronzeugenregelung Bildung krimineller Vereinigungen 129 180, 211 Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 115 Kunstfreiheit Gewaltdarstellung 131 53 ff Landfriedensbruch Absicht 125 93 allgemein 125 1 ff aufwieglerischer 125 10, 83 ff Auslandstaten 125 113 Außenstehende 125 64 ff Barrikaden, Errichten von 125 36 bedrohender 125 80 ff besonders schwerer Fall des siehe auch Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125a 1 ff Deliktsnatur 125 4 ff Erscheinungsformen 125 20 ff Gefährdung der öffentlichen Sicherheit 125 54 ff gewalttätiger 125 28 ff Gewalttätigkeiten innerhalb der Menschenmenge 125 50 Irrtümer 125 94 ff Konkurrenzen 125 105 ff kriminalpolitische Bedeutung 125 7 ff Massenpsychologie und Ursachenforschung kollektiver Gewalt 125 14 ff Menschenmenge siehe auch dort 125 39 ff, 49 ff psychische Beihilfe 125 74 ff Rechtfertigungsgründe 125 97 ff Rechtsfolgen 125 111 Rechtsgut, geschütztes 125 1 ff Schubart-Urteil 125 66, 71 Sitzstreik 125 35 Streikrecht 125 98 subjektiver Tatbestand 125 92 ff Subsidiaritätsklausel 125 105 ff Täterschaft 125 68 ff, 102 Teilnahme 125 72 f, 102 Unfriedlichkeit der Menschenmenge 125 51, 53 Unternehmensdelikt, unechtes 125 86 vereinte Kräfte 125 52 f Verfassungsrecht 125 10 ff Verjährung 125 112 Vermummung und Passivbewaffnung 125 79 Versuch und Vollendung 125 103 f Lautsprecher Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 35

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Sachregister Leasingfahrzeug Feststellungsverzicht 142 94 Leichtfertigkeit Nichtanzeige geplanter Straftaten 138 63 Lerntheorie Gewaltdarstellung 131 4 Leserbrief Volksverhetzung 130 69 Leugnen des NS-Völkermordes 130 106 Liedtext Volksverhetzung 130 58 Live-Sendungen Gewaltdarstellung 131 41 Lkw Hausfriedensbruch, Schlafkabine 123 12 Luftdruckpistole Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125 a 7 Massenpsychologie Landfriedensbruch 125 14 ff Maßregel Gefangenenmeuterei 121 10 Medienberichterstattung Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 27 f Volksverhetzung, strafrechtliche Verantwortlichkeit von Mitarbeitern 130 95 ff Meinungsäußerungen fremde, Werben um Mitglieder für kriminelle Vereinigung 129 127 ff Meinungsfreiheit Anleitung zu Straftaten 130a 6 f Belohnung und Billigung von Straftaten 140 38 f Volksverhetzung 130 20 Mengenverbreitung Volksverhetzung 130 87 Menschenmenge Begriff 125 39, 49 Gewalttätigkeiten innerhalb der 125 50 Grund des Zusammenfindens 125 47 Landfriedensbruch, allgemein 125 39 ff, 49 ff Mindestzahl 125 40 ff Öffentlichkeit 125 48 räumlicher Bezug 125 46 Schwerer Hausfriedensbruch 124 2 Unfriedlichkeit der 125 51, 53 Menschenwürde Volksverhetzung, Angriff auf 130 46 ff, 82 Mietfahrzeug Feststellungsverzicht 142 94 Mietvertrag Ablauf, Hausrecht 123 32

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Minderjährige Feststellungsverzicht durch 142 83 Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln allgemein 145 1 ff Auslösefunktion 145 4 Autobahnrufsäulen 145 3 Bagatellsache 145 8 Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln 145 15 ff Beseitigen 145 22 Bewertung durch Notrufempfänger 145 4 Eigentümer, Täter 145 23 eindeutige und mehrdeutige Äußerungen 145 5 Funktionssicherung 145 1 Indizwirkung 145 8 Konkurrenzen 145 27 ff Missbrauchstatbestand 145 3 ff mittelbare Täterschaft 145 10 Notrufe, Notzeichen 145 3 notrufspezifische Zugänge 145 6 ff Ordnungswidrigkeit 145 7 Rettungsgeräte und andere Sachen 145 21 Scherz 145 26 Schutzvorrichtungen 145 20 Subsidiaritätsklausel 145 30 Tateinheit 145 29 Tatmehrheit 145 27 Tatobjekt 145 16 Täuschungshandlung 145 14 Unbrauchbarmachen 145 22 Unglücksfall, gemeine Gefahr oder Not 145 12 Unterlassen 145 2 3 Verändern 145 2 2 Vorsatz 145 24 f Vortäuschungstatbestand 145 11 ff Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen akademische Grade 132a 23 ff allgemein 132a 1 ff Amtsabzeichen 132a 51 Amtsbezeichnungen 132a 8 ff Amtskleidung 132a 50 Apotheker 132a 39 Arzt 132a 35 Bachelor 132a 2 3 Beamte auf Probe 132a 13 Berufsbezeichnungen siehe auch dort 132a 33 ff Bezeichnungen im Hochschulbereich 132a 8, 13 ff Deliktsnatur 132a 4 Dienstbezeichnungen 132a 11 f

Sachregister Diplomgrad 132a 23, 53 Doktorgrad 132a 24 Einziehung 132a 73 Fachanwaltsbezeichnung 132a 40 Führen 132a 58 ff Handlungsobjekte 132a 7 ff Kirchen und Religionsgemeinschaften, Erstreckung auf 132a 53 ff Konkurrenzen 132a 70 f kriminalpolitische Bedeutung 132a 5 f öffentliche Würden 132a 32 Patentanwalt 132a 41 Privatdozent 132a 20 Professor, Juniorprofessor, Honorarprofessor 132a 15,17 f Psychologe, Psychiater 132a 37 Rechtsanwalt 132a 40 Rechtsgut, geschütztes 132a 1 ff Ruhestand 132a 10 Sachverständige, öffentlich bestellte 132a 47 Soldat 132a 8 Steuerberater, Steuerbevollmächtigter 132a 43 subjektiver Tatbestand 132a 67 ff Tatbestandsirrtum 132a 68 Tathandlungen 132a 57 ff Tierarzt 132a 38 Titel 132a 31 Tragen 132a 62 f unbefugt 132a 64 ff Uniformen 132a 49 Verbotsirrtum 132a 69 Verjährung 132a 72 verwechslungsgeeignete Bezeichnungen 132a 52 Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer 132a 42 Zahnarzt 132a 36 Mitbesitz Hausrecht 123 34 Mittäterschaft Abgrenzung zu krimineller Vereinigung 129 41 Gefangenenmeuterei, Abgrenzung 121 19 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 183 Verwahrungsbruch 133 36 Mittelbare Täterschaft Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 183 Verwahrungsbruch 133 36 Mülldeponie öffentlicher Straßenverkehr 142 15 Mülltonne auf Rädern Unfall im Straßenverkehr 142 25 Nachtragsanklage Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 245

Nachtrank Vereitelungsverbot, Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 163, 232 Nebenräume Hausfriedensbruch 123 11, 15 Nebentäterschaft Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 183 Nemo tenetur-Prinzip Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 63 f Nichtanzeige geplanter Straftaten allgemein 138 1 ff Angehöriger, Anzeigepflicht des 139 14 ff Anzeigepflicht 138 4, 6 ff, 50 ff Anzeigepflicht im Bereich des § 129a 138 50 ff Ausführung 138 8 Bedrohter, Anzeige bei 138 28 ff Bedrohter, Anzeigepflicht des 138 40 f, 57 Behörde, Anzeige bei 138 28 ff beruflicher Geheimnisträger, Anzeigepflicht 139 24 ff Beteiligter, Anzeigepflicht des 138 42 ff Entschuldigungsgründe 138 66 Erforderlichkeit der Anzeige 138 22 Form und Inhalt der Anzeige 138 37 Garantenstellung 138 47 Jedermannspflicht 138 39 ff Kenntnis und Abwendungsmöglichkeit 138 13 ff Konkurrenzen 138 73 Leichtfertigkeit 138 63 Notstand 138 49 ohne Schuld, Rechtswidrigkeit 138 10 f Rechtfertigungsgründe 138 65 Rechtzeitigkeit der Anzeige 138 23 ff Rücktritt 138 38 Schutzzweck 138 2 f Straflosigkeit siehe auch Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten 139 1 ff Täterschaft und Teilnahme 138 67 ff untauglicher Versuch 138 12 unverzügliche Anzeige 138 54 Verdächtiger, Anzeigepflicht des 138 48 Vollendung 138 64 Vorhaben 138 6 f Vorsatz und Irrtum 138 61 f Wahlfeststellung und Stufenverhältnis 138 74 f Nötigung Gefangenenmeuterei 121 28 ff mit Gewalt, Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 58 und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 89 ff

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Sachregister Notruf Begriff 145 3 ff Missbrauch von siehe Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln Notstand Nichtanzeige geplanter Straftaten 138 49 Notwehr Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 61, 63 NS-Völkermord Volksverhetzung, Billigen, Leugnen und Verharmlosen 130 101 ff Öffentliche Aufforderung zu Straftaten Agent provocateur 111 63 allgemein 111 1 ff Anstiftung, Verhältnis zur 111 9 ff, 46 Art und Weise 111 25 Aufforderung, Begriff 111 16 ff Aufforderung, erfolglose 111 64 f Aufforderung, Handlungsformen 111 32 ff Aufkleber 111 35 Ausbleiben des Erfolgs 111 52 Auslandsbezug 111 51 Befürworten 111 19 zu Beihilfe 111 54 Bildschirmtext, Internet 111 37 Deliktsnatur 111 12 ff durch Drucker 111 72 Erfolg und Kausalität 111 60 ff Erklärungen, fremde 111 26 Fahnenflucht 111 69 Fallbeispiele 111 35 Flugblätter 111 35 Gemeinschaftsfrieden, Gefährdung des 111 3 ff Handlungsformen 111 32 ff Konkretisierung und Ernstlichkeit 111 21 ff Konkurrenzen 111 74 ff Kosovo-Krieg 111 69 Lautsprecher 111 35 Medienberichterstattung 111 27 f Mittäterschaft 111 72 Normzweck 111 1 f Onlineblockade 111 59 Ordnungswidrigkeit 111 50 Parolen 111 20 Piratensender 111 35 Plakatanschlag 111 35 praktische Bedeutung 111 15 Rap, Sprechgesang 111 35 Rechtfertigungsgründe 111 67 f Rechtsgut, geschütztes 111 3 ff rechtswidrige Tat 111 47

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Rücktritt 111 73 Rundfunk, Fernsehen, Presse 111 36 Schaufensteraushang 111 35 Schuld 111 69 f Sitzblockaden 111 54 Strafantrag 111 78 Strafrahmen, differenzierter 111 7 f subjektiver Tatbestand 111 66 Tatbestandserfolg 111 47 ff Täterschaft 111 71 f Teilnahme 111 53 f, 71 f unbestimmter Personenkreis 111 29 ff Unterlassung 111 53 f Verbotsirrtum 111 69 Verbreiten von Schriften 111 41 ff Verjährung 111 79 in einer Versammlung 111 38 ff Vorbereitungshandlungen 111 53 f Vorsatztat 111 48 f Öffentliche Hand Hausrecht der 123 39 ff Öffentliche Ordnung, Straftaten gegen die allgemein Vor 123 1 ff Demonstrationsstrafrecht Vor 123 6 Terrorismus Vor 123 8 Volksverhetzung Vor 123 10 Öffentliche Sicherheit Abgrenzung zu öffentlichem Frieden 126 2 Gefährdung, Landfriedensbruch 125 54 ff Öffentliche Versammlung Hausrecht 123 36 Öffentliche Würden Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 32 Öffentliches Amt Amtsanmaßung 132 9 ff Offizialdelikt Gewaltdarstellung 131 63 Onlineblockade Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 59 Opfer Verletzung der Würde, Volksverhetzung 130 119 Ordnungswidrigkeit Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 50 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, Konkurrenz mit 142 231 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 47 Parkhaus öffentlicher Straßenverkehr 142 15 Parkplätze öffentlicher Straßenverkehr 142 15

Sachregister Parolen Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111

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Parteien, politische Vereinigung, kriminelle 129 79 ff Parteienprivileg Bildung krimineller Vereinigungen 129 79, 129b 32 Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 28, 129b 32 Parteispendenwaschanlagen Bildung krimineller Vereinigungen 129 9 8 Passivbewaffnung Landfriedensbruch 125 79 Patentanwalt Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 41 Pfandsiegel Amtsanmaßung 132 35 Pfändung dienstliche Beschlagnahme 136 10 ff Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 136 2 2 , 4 3 ff Verstrickung 136 8 f Verstrickungsbruch 136 7 ff Wirksamkeit der Verstrickung 136 17 ff Piratensender Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 35 PKK Bildung krimineller Vereinigungen 129 91 Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 72 Plakatanschlag Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 35 Plündern Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125a 2 2 ff Polizei als feststellungsbereite Person 142 51 Polizeibeamter Hausfriedensbruch 123 72 Polizeiflucht Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 215 f Post Verwahrungsbruch 133 9 Presse Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 36 Pressefreiheit Belohnung und Billigung von Straftaten 140 38 f Presseinhaltsdelikt Anleitung zu Straftaten 130a 4 4

Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 105 Gewaltdarstellung 131 62 Volksverhetzung 130 147 Presseorgane Belohnung und Billigung von Straftaten 140

22 Privatdozent Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 2 0 Professor Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 15 Psychologe Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 37 Psychotherapeut Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten 139 2 8 a Rädelsführer Bildung krimineller Vereinigungen 129 173 Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 81 RAF Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 71 Rahmenbeschluss Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 51 f Rap, Sprechgesang Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 35 Rauschgifthändlerringe Bildung krimineller Vereinigungen 129 9 3 Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft 130 113 ff Nichtanzeige geplanter Straftaten 138 65 Rechtfertigungsgründe Amtsanmaßung 132 4 0 Bildung bewaffneter Gruppen 127 33 Bildung krimineller Vereinigungen 129 155 ff Gefangenenbefreiung 120 5 5 Gewaltdarstellung 131 5 3 ff Hausfriedensbruch 123 68 ff Landfriedensbruch 125 97 ff Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 67 f Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 193 Volksverhetzung 130 134 ff Rechtmäßigkeitsbegriff materiell-rechtlicher 136 4 5 als objektive Strafbarkeitsbedingung 113 31 als Rechtfertigungselement 113 32 f Siegelbruch 136 4 3 ff

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Sachregister strafrechtlicher 113 35, 136 44 ff als Tatbestandsmerkmal 113 30 Verstrickungsbruch 136 22, 43 ff verwaltungsrechtlicher 113 36 vollstreckungsrechtlicher 113 37 Rechtsanwalt Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 40 Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten 139 26 Rechtsbehelfsklausel Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 70 Rechtsmittel Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125 a 43 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 248 ff Regelbeispiele Bildung krimineller Vereinigungen 129 172 ff Gefangenenmeuterei 121 58 ff Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 75 ff Religionsgemeinschaften Amtsanmaßung 132 11 Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 53 ff Rotte Gefangenenmeuterei 121 15 ff Schwerer Hausfriedensbruch 124 3 f Rücktritt Bildung krimineller Vereinigungen 129 170 Gefangenenbefreiung 120 70 Nichtanzeige geplanter Straftaten 138 38 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 73 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 181 Ruhestand Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 10 Rundfunk Gewaltdarstellung 131 40 f Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 36 Volksverhetzung 130 73 ff Sachbeschädigung Bildung krimineller Vereinigungen 129 61 Sache, bewegliche Verstrickungsbruch 136 5 f Verwahrungsbruch 133 4 ff Sachverständiger, öffentlich bestellter Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 47

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Sanitätspersonal als feststellungsbereite Person 142 51 Schaden Unfallschaden 142 27 ff Schäferkarren Hausfriedensbruch 123 12 Schaufensteraushang Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 35 Scheinwaffen Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125a 13 Scherz Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln 145 26 Schiff Hausfriedensbruch 123 12 Schmuggel Bildung krimineller Vereinigungen 129 95 f Schock Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, Vorsatz 142 167 Schreckschusspistole Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125 a 7 Schriften, Verbreiten von Anleitung zu Straftaten 130a 9 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 41 ff Volksverhetzung 130 73 ff, 78 ff, 86 ff Schriftenverbreitungstatbestand Volksverhetzung 130 121 Schriftstücke Verletzung amtlicher Bekanntmachungen 134 4 Schubart-Urteil Landfriedensbruch 125 66, 71 Schuldanerkenn tnis als Feststellungsverzicht 142 79 Schusswaffe siehe Waffe Schutzgeld Bildung krimineller Vereinigungen 129 156 Schwerer Hausfriedensbruch Abwiegler 124 21 allgemein 124 1 ff Eindringen 124 6 f geschützte Räume 124 5 Gewalttätigkeit mit vereinten Kräften, Absicht 124 9 ff Journalisten 124 20 Konkurrenzen 124 23 Menschenmenge 124 2 Tathandlungen 124 15 ff Teilnahme 124 15 ff, 22

Sachregister Wesen des 124 1 Zusammenrotten 124 3 f Seelsorger Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten 139 5 ff Selbstanzeige Vortäuschen einer Straftat 145d 9 Selbstmordattentäter, islamistischer Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 34 Sichentfernen allgemein 142 118 ff, 124 ff Begriff 142 119 berechtigtes 142 126 ff entschuldigtes 142 129 ff vorsatzloses 142 133 ff willensgetragenes 142 120, 125 Sicherungsverwahrung Gefangenenmeuterei 121 9 Siegelbruch allgemein 136 1 ff Anlegen 136 36 Beschädigen, Ablösen, Unkenntlichmachen 136 40 Deliktsnatur 136 3 dienstlich 136 33 f Irrtümer 136 4 7 ff Konkurrenzen 136 53 kriminalpolitische Bedeutung 136 4 Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 136 43 ff Rechtsgut, geschütztes 136 1 f Siegel 136 32 zum Zweck der Siegelung 136 37 subjektiver Tatbestand 136 42 Täterschaft und Teilnahme 136 50 ff Tathandlungen 136 39 ff Tatobjekt 136 31 ff durch Unterlassen 136 52 Unwirksammachen des Verschlusses 136 41 Verjährung 136 54 Wirksamkeit der Siegelung 136 38 Sitzblockaden Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 59 Sitzstreik Landfriedensbruch 125 35 Skateboards Unfall im Straßenverkehr 142 25 Skipiste Unfall im Straßenverkehr 142 18 SMS Volksverhetzung 130 70 Soldat Amtsanmaßung 132 12

Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 8 Volksverhetzung gegenüber 130 60 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 11 f, 17 Sonderdelikt Gefangenenmeuterei 121 6 Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht 145a 28 Sprengstoff, Verwendung von Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 46 Staatsanwaltschaft Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen 114 5 Staatsgewalt, Widerstand gegen die siebe Widerstand gegen die Staatsgewalt Steuerberater Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 4 3 Steuerhinterziehung Bildung krimineller Vereinigungen 129 95 f Stimulationstheorie Gewaltdarstellung 131 4 Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten allgemein 126 1 ff Androhen einer Straftat 126 8 ff Auslandsbezug 126 4 3 Dauergefahr, Vortäuschen einer 126 18 Deliktsnatur 126 5 f Eignung zur Friedensstörung 126 26 ff Konkurrenzen 126 41 f kriminalpolitische Bedeutung 126 7 Rechtsgut, geschütztes 126 1 ff subjektiver Tatbestand 126 34 ff Verjährung 126 44 Vollendung 126 39 f Vortäuschen einer bevorstehenden Straftat 126 14 ff Strafantrag Hausfriedensbruch 123 82 ff Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 78 Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht 145a 29 ff Strafaussetzung zur Bewährung siebe Aussetzung zur Bewährung Strafgefangene Gefangenenbefreiung 120 15 Strafklageverbrauch Bildung krimineller Vereinigungen 129 200 ff Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 107 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 242 ff

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Sachregister Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten Absehen von Strafe 139 2 ff Abstiftung 139 21 Abwendung der Tat 139 32 ff allgemein 139 1 ff Angehöriger, Anzeigepflicht des 139 14 ff anvertraut 139 12 anzeigepflichtige Delikte 139 22 Ärzte 139 28 beruflicher Geheimnisträger, Anzeigepflicht 139 24 ff ernsthaftes Bemühen um Abwendung 139 32 ff ernsthaftes Bemühen um Tatverhinderung 139 18 ff Geistliche, Sonderregelung für 139 5 ff Psychotherapeuten 139 28a Rechtsanwalt 139 26 Seelsorger, Eigenschaft als 139 10 f Straffreiheit, Bedeutung der 139 23, 37 Verteidiger 139 27 Straftaten gegen die öffentliche Ordnung allgemein Vor 123 1 ff Demonstrationsstrafrecht Vor 123 6 Terrorismus Vor 123 8 Volksverhetzung Vor 123 10 Straftaten, Belohnung und Billigung von siebe Belohnung und Billigung von Straftaten Straftaten, Nichtanzeige geplanter siehe Nichtanzeige geplanter Straftaten Straßenverkehr, nichtöffentlicher Anliegerstraßen 142 16 Begriff 142 16 f Kasernen- oder Flugplatzgelände 142 17 Privatparkplätze 142 16 Straßenverkehr, öffentlicher Begriff 142 14 f, 21 f Fabrikgelände 142 15 Klinikgelände 142 15 Mülldeponie 142 15 Parkhäuser, Tief- oder Hochgaragen 142 15 Parkplätze 142 15 Tankstellen 142 15 Streikrecht Landfriedensbruch 125 98 Subsidiaritätsklausel Landfriedensbruch 125 105 ff Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln 145 30 Vortäuschen einer Straftat 145d 23 Tankstelle öffentlicher Straßenverkehr 142 15

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Tatbestandsirrtum Amtsanmaßung 132 38 Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 68 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 165 Tateinheit Hausfriedensbruch 123 78 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 217 ff Tätige Reue Bildung krimineller Vereinigungen 129 179 ff Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 96 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 199 ff Tätigkeitsdelikt, schlichtes Amtsanmaßung 132 4 Tatmehrheit Hausfriedensbruch 123 79 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 221 ff Teilnahme Anstiftung siehe dort Beihilfe siehe dort Belohnung und Billigung von Straftaten 140 35 ff Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125a 30 ff Bildung bewaffneter Gruppen 127 34 Bildung krimineller Vereinigungen 129 158 ff Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 82 f Gefangenenmeuterei 121 55 Gewaltdarstellung 131 57 Hausfriedensbruch 123 76 Landfriedensbruch 125 72 f Nichtanzeige geplanter Straftaten 138 67 ff Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 53 f, 71 f Schwerer Hausfriedensbruch 124 15 ff, 22 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 184 ff Verstoß gegen das Berufsverbot 145c 23 ff Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht 145a 28 Verstrickungsbruch, Siegelbruch 136 50 ff Volksverhetzung 130 137 Teledienste Gewaltdarstellung 131 40 f Volksverhetzung, strafrechtliche Verantwortlichkeit von Mitarbeitern 130 95 ff Terrorismus Bildung terroristischer Vereinigungen siehe dort

Sachregister Straftaten gegen die öffentliche Ordnung Vor 123 8 Tiefgarage öffentlicher Straßenverkehr 142 15 Tierarzt Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 38 Titel Begriff 132a 31 Missbrauch von siehe Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen Tonaufnahmen Volksverhetzung 130 88 Tragen Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 62 f Treppe Hausfriedensbruch 123 11 Tretroller Unfall im Straßenverkehr 142 25 Unbefugtheit Amtsanmaßung 132 25 ff, 36 Bildung bewaffneter Gruppen 127 29 ff Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 64 ff Unbrauchbarmachen Verstrickungsbruch 136 24 Verwahrungsbruch 133 23 ff Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort Ablauf der Wartefrist 142 123 Absehen von Strafe, fakultatives 142 209 abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt 142 70 als abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt 142 70 Adressaten der Mitteilung 142 140 ff Alkohol 142 11,107, 163, 2 3 7 Alleinschaden 142 72 f allgemein 142 1 ff Angabe der eigenen Unfallbeteiligung 142 144 Angaben zum Fahrzeug 142 146 Anwendungsbereich 142 13 ff Begehungs- oder Unterlassungsdelikt? 142 69 Bereithaltung des Fahrzeuges 142 147 ff Bestimmtheitsprinzip 142 62 Deliktsnatur 142 69 Einstellung des Verfahrens 142 252 Einziehung des Fahrzeuges 142 241 Ermöglichung nachträglicher Feststellungen 142 205 Fahrerlaubnis, Entziehung der 142 239 Fahrverbot 142 240 Falschangaben 142 99

feststellungsberechtigte Personen als Beteiligte 142 49 feststellungsbereite Personen als Beteiligte 142 51 f Feststellungsduldungspflicht, passive 142 100 ff Feststellungsverzicht siehe auch dort 142 76 ff Form der Mitteilung 142 139 Freiwilligkeit 142 206 Garantenpflicht 142 42 Geschädigte als Beteiligte 142 50 herrenloses Wild 142 74 Inhalt der Mitteilungen 142 143 ff Irrtümer 142 2 0 7 Kenntnis der Unfallbeteiligung 142 171 f Kenntnis des fremden Feststellungsinteresses 142 173 Konkurrenzen 142 212 ff kriminalpolitische Bedeutung 142 4 ff Mindestpflichten 142 138 ff Mitteilungspflichten 142 138 ff mittelbare Auswirkungen 142 211 Motivbündelung 142 12 nächtliche Unfälle oder Wochenendunfälle 142 155 ff nachträgliche Feststellungen, Ermöglichung der 142 152 Nachtragsanklage 142 245 N e m o tenetur-Prinzip 142 63 f nichtöffentlicher Straßenverkehr 142 16 f öffentlicher Straßenverkehr 142 14 f, 21 f Ordnungswidrigkeiten, Konkurrenz mit 142 231 Ortsveränderung, willensgetragene 142 120 Pflichten bei Anwesenheit feststellungsbereiter Personen 142 95 ff Pflichten, nachträgliche 142 137 ff Polizei, Feststellungen durch die 142 109 Polizeifluchtfälle 142 215 f Rechtfertigungsgründe 142 193 Rechtsgut, geschütztes 142 1 f Rechtsmittel 142 248 ff Rechtsmittelbeschränkung und Teilrechtskraft 142 248 ff Rückkehr an den Unfallort 142 151 Rücktritt 142 181 Rücktrittsfrist 142 204 Sachschaden, kein bedeutender 142 202 Schuld 142 194 ff Sichentfernen siehe auch Sichentfernen 142 118 ff, 124 ff Sichentfernen, berechtigtes 142 126 ff Sichentfernen, entschuldigtes 142 129 ff sofortige Befriedigung bzw. Beseitigung des Schadens 142 75

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Sachregister Strafaussetzung zur Bewährung 142 238 Strafgrund 142 3 Strafmilderung 142 235 Strafmilderung, obligatorische 142 208 Strafschärfung 142 234 Strafzumessung 142 232 ff subjektiver Tatbestand 142 165 ff Tatbestandsirrtum 142 165 Tateinheit 142 217 ff Täterschaft 142 182 f Tätige Reue 142 199 ff Tatmehrheit 142 221 ff Teilnahme 142 184 ff teleologische Reduzierung 142 71 ff Unfall im Straßenverkehr siehe Unfall im Straßenverkehr 142 20 ff Unfallbeteiligter siehe auch dort 142 35 ff Unfälle außerhalb des fließenden Straßenverkehrs 142 201 Unfallort 142 53 ff Unfallschock 142 167 Unfallserien 142 214 durch Unterlassen 142 42 als Unterlassungsdelikt 142 69 Unterlassungsdelikte, Konkurrenz mit 142 219 unverzügliche Feststellungen 142 148, 153 ff Urteilsanfechtung 142 248 ff Urteilsformel 142 246 f Verbotsinhalt 142 6 8 , 1 2 2 Verbotsirrtum 142 166 Vereitelungsverbot 142 160 ff Verfahrensgegenstand und Strafklageverbrauch 142 242 ff Verfassungsrecht 142 61 ff Verhältnis der Tatbestandsalternativen zueinander 142 58 f Verhältnis zu § 34 StVO 142 65 ff Verschleierungshandlungen, aktive 142 101 Visitenkarte, Hinterlegung einer 142 9 4 , 1 0 8 Vollendung, Beendigung und Versuch 142 177 ff Vorstellung der eigenen Person 142 145 Vorstellungspflicht 142 96 ff Wahlfeststellung 142 60 Wahndelikt 142 178 Wartepflicht siehe auch dort 142 110 ff zumutbare Zeit 142 149 Unfall im Straßenverkehr Bagatellgrenzen 142 31 ff Begriff 142 28 Bezug zum öffentlichen Straßenverkehr 142 21 f Einkaufswagen 142 25 Inline-Skater 142 25

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Mülltonne auf Rädern 142 25 nächtlicher oder Wochenendunfall 142 155 ff Schadensbegriff 142 29 f Schiffs-, Luft- und Bahnverkehr 142 18 Skateboards 142 25 Skipiste 142 18 Tretroller 142 25 Überfahren einer Leiche 142 27 Unfallschaden 142 27 ff Unfallserien 142 214 verkehrstypischer Gefahrzusammenhang 142 23 ff Vorbeschädigung 142 28, 3 0 , 1 0 5 Unfallbeteiligter Anwesenheit am Unfallort 142 37 f Einschränkungen 142 39 ff Kenntnis der eigenen Beteiligung 142 171 f konkrete Möglichkeit der Mitverursachung 142 45 ff Kreis möglicher 142 36 unmittelbare und mittelbare Unfallbeteiligung 142 43 f Verursachung der aktuellen Unfallsituation 142 40 ff Unfallflucht siehe Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort Unfallort Begriff 142 53 ff Unglücksfall Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln 145 12 Uniform Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 49 Unkenntlichmachen Siegelbruch 136 40 Verletzung amtlicher Bekanntmachungen 134 10 Unmittelbarer Zwang Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 47 Untauglicher Versuch Nichtanzeige geplanter Straftaten 138 12 Unterbringung Gefangenenmeuterei 121 9 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 47 Unterlassung Gefangenenbefreiung 120 52 ff Hausfriedensbruch 123 58 f Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln 145 23 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 53

Sachregister Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 42 Verstoß gegen das Berufsverbot 145c 20 Verstrickungsbruch, Siegelbruch 136 52 Verwahrungsbruch 133 30 Volksverhetzung 130 100 Unternehmensdelikt, unechtes Landfriedensbruch 125 86 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 6 Untersuchungsgefangene Gefangenenbefreiung 120 15 Unverzüglichkeit Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 148, 153 ff Urkundenfälschung Amtsanmaßung 132 33 Urteil Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125a 42 Urteilsformel Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 246 f Verächtlichmachen Volksverhetzung 130 49, 82 Verbotsirrtum Amtsanmaßung 132 39 Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 69 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 69 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 166 Verstoß gegen das Berufsverbot 145c 22 Volksverhetzung 130 124 ff Vereidigter Buchprüfer siehe Buchprüfer, vereidigter Vereinigung, kriminelle Abgrenzung zu anderen Formen des Zusammenwirkens 129 40 ff Arbeitnehmerüberlassung, illegale 129 95 f im Ausland 129b 1 ff Ausrichtung auf Straftatbegehung 129 70 ff Bande, Abgrenzung 129 42 Begehung eigener Straftaten 129 63 ff Beteiligen als Mitglied 129 104 ff Bildung von siehe Bildung krimineller Vereinigungen Dauer 129 35, 111 auf Dauer ausgerichtete Teilnahme am Verbandsleben 129 106 ff Diebstahl, organisierter 129 97 Eingliederung in die Organisation 129 104 erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit 129 57 ff

und EU-Recht 129 11 ff, 44 ff, 129b 11 ff europarechtskonforme Auslegung 129 44 ff extremistische Vereinigung 129 89 f festgefügte Organisation 129 19 ff Förderung von innen 129 110 Gemeinschaftswille, verbindlicher 129 2 7 ff Glücksspiel, organisiertes 129 94 Gründen einer 129 100 ff Hausbesetzung 129 31, 92 Inhaftierung von Mitgliedern 129 24 Mindestpersonenzahl 129 34 Mitgliedschaft trotz Haft/Hungerstreik 129 113 ff Mittäterschaft, Abgrenzung 129 41 organisatorischer Inlandsbezug 129 36 ff organisierte Kriminalität 129 9 f Parteienprivileg 129b 32 Parteispendenwaschanlagen 129 98 PKK 129 91 politische Parteien 129 79 ff politisch-kriminelle Organisationen 129 7 Prozesserklärungen 129 112 Rauschgifthändlerringe 129 93 Schmuggel 129 95 f Steuerhinterziehung 129 95 f Straftaten beim Zusammenschluss 129 52 Straftaten im Ausland 129 66 ff Straftaten, mehrere 129 53 ff Vereinigung, Begriff 129 18 ff Vereinigungszweck 129 50 ff Verfall und Einziehung 129b 34 Verfolgungsermächtigung 129b 26 ff Werben um Mitglieder oder Unterstützer 129 116 ff Willensübereinstimmung mit 129 105 Wirtschaftsstraftäter 129 30 Zweck der Straftatbegehung 129 71 ff Vereinigung, terroristische im Ausland 129b 1 ff Bildung siehe Bildung terroristischer Vereinigungen DHKP-C 129a 73 zum Zweck der Drohung 129a 68 ff Einschüchterung der Bevölkerung 129a 56 f EU-Recht 129a 6 ff, 20 ff, 129b 11 ff Nötigung mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt 129a 58 objektive Schädigungsneigung 129a 62 ff Parteienprivileg 129a 28, 129b 32 PKK 129a 72 RAF 129a 71 Rahmenbeschluss 129a 51 f schwerstkriminelle 129a 39 Straftatenkatalog 129a 40 ff Vereinigungsbegriff 129a 19 ff

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Sachregister Verfall und Einziehung 129b 34 Verfolgungsermächtigung 129b 26 ff Zweck der Straftatbegehung 129a 30 ff mit besonderer Zwecksetzung 129a 40 ff Vereitelungs verbot Nachtrunk 142 163, 232 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 160 ff Verfall kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland 129b 34 Volksverhetzung 130 146 Verfolgungsermächtigung kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland 129b 26 ff Verharmlosen Gewaltdarstellung 131 30 f des NS-Völkermordes 130 107 Verherrlichen Gewaltdarstellung 131 28 f der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft 130 113 ff Verjährung Amtsanmaßung 132 44 Anleitung zu Straftaten 130a 44 Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125a 40 Bildung bewaffneter Gruppen 127 42 Bildung krimineller Vereinigungen 129 207 Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 104 ff Gewaltdarstellung 131 62 Landfriedensbruch 125 112 Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 72 öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 79 Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten 126 44 Verletzung amtlicher Bekanntmachungen 134 14 Verstrickungsbruch, Siegelbruch 136 54 Verwahrungsbruch 133 43 Volksverhetzung 130 147 Verkehrstypischer Gefahrzusammenhang Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 23 ff Verkehrsunfall siehe Unfall Verkehrsunfallflucht siehe Unerlaubtes Entfernen im Straßenverkehr Verletzung amtlicher Bekanntmachungen allgemein 134 1 ff amtlicher Inhalt 134 6 f dienstlich 134 5 Konkurrenzen 134 13 kriminalpolitische Bedeutung 134 2

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öffentlich angeschlagen oder ausgelegt 134 8 f Rechtsgut, geschütztes 134 1 Schriftstücke 134 4 subjektiver Tatbestand 134 12 Tathandlungen 134 10 f Tatobjekt 134 3 ff Verjährung 134 14 Verunstalten 134 11 Wahlfeststellung 134 14 Zerstören, Beseitigen, Unkenntlichmachen und In-seinem-Sinn Entstellen 134 10 Verleumden Volksverhetzung 130 50, 82 Vermieter als Hausrechtsinhaber 123 29 ff Vermögensgefährdungsdelikt, abstraktes Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 70 Vermummung Landfriedensbruch 125 79 Versammlung Anleitung zu Straftaten 130a 33 Hausrecht 123 36 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 38 ff Volks Verhetzung 130 111 Versammlungsrecht Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 47 Verstoß gegen das Berufsverbot allgemein 145c 1 ff Ausübung eines Berufs oder Gewerbes 145c 13 ff Irrtümer 145c 22 Konkurrenzen 145c 27 f praktische Bedeutung 145c 3 Rechtsfolgen 145c 29 f strafgerichtliche Untersagung der Berufsausübung 145c 5 ff subjektiver Tatbestand 145c 22 Täterkreis und Tathandlungen 145c 12 Täterschaft und Teilnahme 145c 23 ff Übergangsregelung 145c 33 Unterlassen 145c 20 Verfahren 145c 31 f Vollendung 145c 21 vorläufiges Berufsverbot 145c 9 Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht allgemein 145 a 1 ff Gefährdung des Maßregelzwecks 145 a 17 ff Konkurrenzen 145a 39 ff Sonderdelikt 145a 28 Strafantrag 145a 29 ff Strafzumessung 145a 34 ff Täterschaft und Teilnahme 145a 28

Sachregister Verfassungsrecht 145a 4 ff Vorsatz und Irrtum 145a 26 f Widerruf einer Straf- oder Maßregelaussetzung 145 a 38 Verstrickung 136 8 f Verstrickungsbruch Allgemein 136 1 ff Deliktsnatur 136 3 der Verstrickung entziehen 136 25 ff dienstliche Beschlagnahme 136 10 ff Hypothekenurkunde 136 6 Insolvenzverfahren, Eröffnung des 136 14 Irrtümer 136 47 ff Konkurrenzen 136 53 kriminalpolitische Bedeutung 136 4 Pfändung und sonstige dienstliche Beschlagnahme siehe auch Pfändung 136 7 ff Rechtsgut, geschütztes 136 1 f Sachen 136 5 f subjektiver Tatbestand 136 29 f Täterschaft und Teilnahme 136 50 ff Tathandlungen 136 23 ff Tatobjekte 136 5 ff durch Unterlassen 136 52 Verjährung 136 54 Verstrickung 136 8 f Wechsel 136 6 Wirksamkeit der Verstrickung 136 17 ff Zerstören, Beschädigen, Unbrauchbarmachen 136 24 Versuch Anleitung zu Straftaten 130a 39 Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125a 33 ff Bildung bewaffneter Gruppen 127 35 f Bildung krimineller Vereinigungen 129 169 Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 85 ff Gefangenenbefreiung 120 7, 65 ff Gefangenenmeuterei 121 56 f Gewaltdarstellung 131 58 Landfriedensbruch 125 103 f Rücktritt vom siehe Rücktritt Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 177 ff untauglicher siehe Untauglicher Versuch Verteidiger Bildung krimineller Vereinigungen 129 145 ff Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten 139 27 Volksverhetzung 130 133 Verunstalten Verletzung amtlicher Bekanntmachungen 134 11

Verwahrung Begriff des Verwahrten 120 17 ff Gefangenenbefreiung, allgemein 120 6, 16 ff Verwahrung, dienstliche Abgrenzung zum allgemeinen Amtsbesitz 133 11 f allgemein 133 7 ff Aufbewahrungsort 133 17 Begriff 133 8 ff Beispiele 133 18 Dauer, Zweck und Zeitpunkt der 133 14 ff Wirksamkeit der Anordnung 133 13 Verwahrung, kirchenamtliche Verwahrungsbruch 133 21 Verwahrungsbruch Allgemein 133 1 ff Amtsdelikt, unechtes 133 41 Anstiftung 133 36 anvertraut 133 38 f bewegliche Sachen 133 4 ff Deliktsnatur 133 2 dienstlich zugänglich 133 40 dienstliche Verwahrung siehe auch Verwahrung, dienstliche 133 7 ff Einverständnis des Berechtigten 133 31 Entziehen 133 26 ff Erledigungsvermerk, Eintrag eines unrichtigen 133 28 Konkurrenzen 133 42 kriminalpolitische Bedeutung 133 3 Mittäterschaft 133 36 mittelbare Täterschaft 133 36 Post und Bahn 133 9 Qualifikationstatbestand 133 37 ff Rechtsgut, geschütztes 133 1 Schriftstücke 133 6 subjektiver Tatbestand 133 35 Täterschaft und Teilnahme 133 36 Tathandlungen 133 22 ff Tatobjekt 133 4 ff Unterlassen 133 30 Verjährung 133 43 Zerstören, Beschädigen, Unbrauchbarmachen 133 23 ff Verwaltungsakt Hausverbot 123 39 ff, 56 f Verweilen Aufforderung, Begriff 123 64 Aufforderungsberechtigte 123 61 ff Hausfriedensbruch, allgemein 123 60 ff Rechtsnatur 123 60 Verweilungsbefugnis 123 70 ff weiteres 123 65 f

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Sachregister Verwendungsabsicht Waffe, Gefangenenmeuterei 121 60 Waffe, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 80 Völkermord siehe NS-Völkermord Volksverhetzung allgemein Vor 123 1 0 , 1 3 0 1 ff Anbieten, Überlassen von Schriften 130 92 Angriff, qualifizierter 130 33 f Angriffsmittel 130 77 ff Angriffsobjekt 130 26 ff, 74 ff antisemitische Agitation 130 39, 57 Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen 130 43 ff, 81 Aufstacheln zum Hass 130 38 ff, 80 Äußerung, Auslegung der 130 35 Äußerungstatbestand 130 26 ff Beihilfe 130 97 Beschimpfen 130 4 7 f, 82 Bestimmtheitsprinzip 130 20, 24 Billigen, Leugnen und Verharmlosen des NSVölkermordes 130 101 ff Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Herrschaft 130 113 ff Caching 130 99 Darbietungen 130 94 Deliktsnatur 130 15 f Dokumentarfilm 130 132 Eignung zur Friedensstörung 130 62 ff, 112, 120 Einziehung und Verfall 130 146 E-Mail 130 70, 89 Europarecht 130 25 Fernsehinterviews 130 132 Form der Äußerung 130 36 Handlungsformen 130 109 ff, 118 Hyperlink 130 90 Internet 130 70, 89 f, 97 Kettenverbreitung 130 87 Klageerzwingungsverfahren 130 148 Konkurrenzen 130 140 ff kriminalpolitische Bedeutung 130 17 f Leserbrief 130 69 Liedtext 130 58 Meinungsfreiheit 130 20 Mengenverbreitung 130 87 Menschenwürde, Angriff auf 130 46 ff, 82 öffentlich 130 110 öffentliches Ausstellen, Anschlagen oder Vorführen von Schriften 130 91 Persönliches Äußerungsdelikt 130 37 Presseinhaltsdelikt 130 147 Rechtfertigungsgründe 130 134 ff Rechtsgeltungsrecht 130 138 f

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Rechtsgut, geschütztes 130 1 ff Rundfunk, Medien- oder Teledienste 130 73 ff Schriften 130 78 ff, 86 ff Schriftenverbreitungstatbestand 130 121 SMS 130 70 gegenüber Soldatenberuf 130 60 Strafrahmen 130 144 Strafzumessung 130 145 subjektiver Tatbestand 130 122 ff Tatbestandsausschlussklausel 130 131 ff Täterschaft und Teilnahme 130 137 Tathandlungen 130 33 ff, 86 ff, 104 ff, 114 ff Tele- oder Mediendiensteanbieter, strafrechtliche Verantwortlichkeit 130 95 ff Tonaufnahmen und Filme 130 88 durch Unterlassen 130 100 Verächtlichmachen 130 49, 82 Verbotsirrtum 130 124 ff Verbreitung von Schriften und Darbietungen 130 73 ff Verfassungsrecht 130 19 ff Verjährung 130 147 Verletzung der Würde der Opfer 130 119 Verleumden 130 50, 82 Versammlung 130 111 Verteidigung 130 133 Vorbereitungshandlungen 130 93 Wissenschaftsfreiheit 130 2 3 Zugänglichmachen von Schriften 130 90 Zugangsverweigerungen zu Gaststätten 130 61 Vollstreckungsbeamte, Widerstand gegen siebe Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte Vollstreckungsbeamter Begriff 113 15 Vollstreckungshandlung Beginn und Ende 113 20 Begriff 113 18 Rechtsprechungsbeispiele 113 19 Vollstreckungshelfer Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen 114 9 Vollstreckungshilfehaft Gefangenenbefreiung 120 16 Vollzugslockerungen Gefangenenbefreiung 120 2 5 ff, 39 Vorbereitungshandlungen Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 53 f Volksverhetzung 130 93 Vorführungsbefehl Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 47 Vorgeführte Gefangenenbefreiung 120 15

Sachregister Vorhaben Nichtanzeige geplanter Straftaten 138 6 ff Vorläufig Festgenommene Gefangenenbefreiung 120 15 Vorsatztat Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 111 48 f Vorstellungspflicht Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 96 ff Vortäuschen einer Straftat Ablenken des Tatverdachts 145 d 17 ff Adressat der Tatbegehung 145d 4 ff allgemein 145 d 1 ff Angehöriger einer Behörde 145d 6 Behörde oder zur Entgegennahme von Anzeigen zuständige Stelle 145d 5 f Beteiligter an einer bevorstehenden rechtswidrigen Tat 145d 20 Einigungsvertrag, Recht des 145d 24 Erschweren oder Verhindern der Ermittlungen 145d 18 Konkurrenzen 145d 23 Leugnen 145d 16 Rechtsgut, geschütztes 145d 1 rechtswidrige Tat 145d 8 ff Selbstanzeige 145d 9 Subsidiaritätsklausel 145d 23 Täuschungshandlungen 145d 15 ff Übertreibung 145d 11 Vollendung 145d 22 Vorsatz 145d 21 Zuständigkeit 145d 7 Waffe Bildung bewaffneter Gruppen siehe dort Gefangenenmeuterei 121 59 f Mitführen einer, Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125a 5 ff, 11 ff Scheinwaffen siehe dort Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 76 ff Wahlfeststellung Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs 125a 39 Nichtanzeige geplanter Straftaten 138 74 f Verletzung amtlicher Bekanntmachungen 134 14 Wahndelikt Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 178 Wartepflicht Ablauf der Wartefrist 142 123 Dauer 142 113 f Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 110 ff

Verkürzung der 142 116 Verlängerung der 142 117 Voraussetzungen 142 111 f Wechsel Verstrickungsbruch 136 6 Weisungen bestimmte 145b 7 unzulässige, unzumutbare und unzweckmäßige 145a 10 ff Verstoß gegen, während der Führungsaufsicht Siehe auch Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht 145a 1 ff, 13 ff Werben um Mitglieder oder Unterstützer Begriff 129 116 ff Druckschriften, Verbreiten von 129 136 Erfolg der Werbung 129 131 Existenz der Vereinigung 129 119 Form und Adressat 129 121 konkreter Organisationsbezug 129 130 Tätigkeit eines Nicht-Mitgliedes 129 120 Verbreitung und Wiedergabe fremder Meinungsäußerungen 129 127 ff Zielrichtung, werbende 129 122 ff Werkzeug, gefährliches siehe Gefährliches Werkzeug Widerstand gegen die Staatsgewalt allgemein Vor 110 1 ff Demonstrationsstrafrecht Vor 110 3 Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen allgemein 114 1 ff Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft 114 5 hinzugezogene Personen 114 7 ff Jagdaufseher 114 3 Jagdausübungsberechtigter 114 4 Nichtamtsträger 114 8 polizeiliche Pflichtenstellung 114 3 f Rechtsfolgen 114 12 subjektiver Tatbestand 114 10 f Vollstreckungshandlung 114 6 Vollstreckungshelfer 114 9 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte allgemein 113 1 ff Amtsträger 113 11 ff Anwendung unmittelbaren Zwangs 113 47 Beisichführen einer Waffe 113 79 besonders schwere Fälle 113 75 ff Blutentnahme 113 49 Deliktsnatur 113 6 Drohung mit Gewalt 113 25 Einigungsvertrag, Recht des 113 99 Gewalt 113 23 Gewalttätigkeit mit schwerer Folge 113 82 ff

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Sachregister Haftbefehl 113 46 Identifizierungsmaßnahmen 113 47 Irrtümer 113 66 ff, 96 f Konkurrenzen 113 89 ff Kraftfahrer 113 55 und Nötigung 113 89 ff Notwehr bei fehlender Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung 113 63 Ordnungswidrigkeit 113 47 Personen, geschützte 113 11 ff praktische Bedeutung 113 7 ff Rechtfertigung des Widerstandes 113 62 Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 27 ff Rechtsbehelfsklausel 113 70 Rechtsgut, geschütztes 113 3 f Soldat 113 11 f, 17 Strafrahmen 113 74 subjektiver Tatbestand 113 65 Tathandlungen 113 21 ff tätlicher Angriff 113 26 Unterbringung 113 47 Unternehmensdelikt, unechtes 113 6 Versammlungsrecht 113 47 Verwendungsabsicht, Waffe 113 80 Vollstreckungsbeamte, Begriff 113 15 ff Vollstreckungshandlung siehe auch dort 113 18 ff Vorführungsbefehl 113 47 Waffe 113 76 ff Widerstand 113 22 Wohnungsdurchsuchung 113 47 Wirtschaftsprüfer Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 42 Wirtschaftsstraftäter Bildung krimineller Vereinigungen 129 30 Wissenschaftsfreiheit Volksverhetzung 130 23 Wochenendhaus Hausfriedensbruch 123 13

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Wochenendunfälle Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 142 155 ff Wohnmobil Hausfriedensbruch 123 12 Wohnung Hausfriedensbruch 123 8 ff, 28 ff Wohnungsdurchsuchung Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 113 47 Wohnwagen Hausfriedensbruch 123 12 Zahnarzt Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen 132a 36 Zelt Hausfriedensbruch 123 12 Zerstören Verletzung amtlicher Bekanntmachungen 134 10 Verstrickungsbruch 136 24 Verwahrungsbruch 133 23 ff Zirkuswagen Hausfriedensbruch 123 12 Zusammenrotten Gefangenenmeuterei 121 15 ff Schwerer Hausfriedensbruch 124 3 f Zuständigkeit Bildung krimineller Vereinigungen 129 208 f, 129b 35 Bildung terroristischer Vereinigungen 129a 108,129b 35 örtliche, Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 44 sachliche, Rechtmäßigkeit der Diensthandlung 113 43 Zwang, unmittelbarer siehe Unmittelbarer Zwang