Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle [Reprint 2014 ed.] 3111272877, 9783111272870

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Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle [Reprint 2014 ed.]
 3111272877, 9783111272870

Table of contents :
VORWORT
I. KAPITEL: STIL
1. Personenbeschreibungen
a) Die rühmende Einführung der Hauptpersonen (laus)
b) Die Frauenschelte (vituperatio)
c) Beschreibungen weiblicher Schönheit
2. Kürze als Stilideal und die amplificatio
3. Sentenzen
EXKURS
4. Die Vorausdeutung
5. Objektivierungen von Handlungs- und Willensimpulsen
6. Die Wiederholung
II. KAPITEL: DIE BAUTEILE DES MÄRE (KOMPOSITION)
1. Der Prolog
2. Die Märenexposition
3. Der zentrale Handlungsteil
a) Die Dreiteiligkeit
b) Personenrollen und -funktionen
c) Mittel szenischer Gliederung des Hauptteils
d) Die innere Einheit
e) Die dem Drama ähnlichen Aufbauelemente
4. Der Epilog
Schlußbetrachtung zu den Kapiteln über Stil und Komposition
a) Das Verhältnis zu Poetik und Rhetorik
b) Die Aufgliederung der Märentypen
III. KAPITEL: LIEBE UND EHE
Die ,Dreieckssituation‘
ERSTER TEIL: Höfisch-galante Mären (Interpretationen)
1. Sentimentale Mären mit Dreieckskonflikt
DAS HERZMÄRE
PETER VON STAUFENBERG
DIE FRAUENTREUE
2. Sentimentale Mären um zwei Liebende
Die Liebesauffassung der sentimentalen Mären in historischer Sicht
3. Brautwerbungsgeschichten
DER JUNGHERR UND DER TREUE HEINRICH und DIE RITTERTREUE
DIE HEIDIN IV
Zweiter teil: Die übrigen Haupttypen der Gattung
1. ,Reine‘ Schwänke
a) Höfische Minnemotive in den Schwänken
b) Grundzüge ihrer Liebes- und Eheauffassung
2. Moralisierte Schwänke
3. Moralisch-exemplarische Mären
IV. Kapitel: DIE PARODIE IN DEN SCHWÄNKEN
1. Parodische Zitate und Anspielungen
2. Parodische Formen der Minnekasuistik und des Streitgesprächs
DER WEISSE ROSENDORN
3. Imitation des Höfischen durch unhöfische Personen
4. Parodischer Umgang mit Legendenelementen
DIE BÖSE FRAU
5. Parodischer Umgang mit Sakralem
Schlußbetrachtung zu Kapitel IV
V. Kapitel: SCHWANKDICHTUNG UND MITTELLATEINISCHE TRADITION
Die Beliebtheit des Streitgesprächs
Die Beliebtheit der Parodie
Die Zeichnung des Priesters
des weltlichen Klerikers
des „Studenten“
des Bauern
Die Auffassung der Liebe
Das Bild von der Frau
Die negative Eheauffassung
Die mittellateinische Comedia
besonders die Dialogpartien
Motivliche Parallelen
Zeugnisse für die Verfasserschaft von „Studenten“
Das Problem anonymer Überlieferung
VERZEICHNIS DER BENUTZTEN MÄRENAUSGABEN
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
REGISTER
1. Titelregister
2. Sachregister

Citation preview

HERMAEA GERMANISTISCHE NEUE

FORSCHUNGEN

FOLGE

HERAUSGEGEBEN VON HELMUT DE BOOR UND HERMANN KUNISCH B A N D 26

KARL-HEINZ SCHIRMER

Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle

MAX N I E M E Y E R V E R L A G T Ü B I N G E N 1969

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1969 Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany Satz und Druck: Erich Spandel Nürnberg Einband von Heinrich Koch Tübingen

INHALT

VORWORT

VII

ι. KAPITEL: S T I L

ι

1. Personenbeschreibungen a) Die rühmende Einführung der Hauptpersonen (laus) b) Die Frauenschelte (vituperatio) c) Beschreibungen weiblicher Schönheit

4 14 16

2. Kürze als Stilideal und die amplificatio

23

3. Sentenzen

29

BXKURS

42

4. Die Vorausdeutung 5. Objektivierungen von Handlungs- und Willensimpulsen

45 44

6. Die Wiederholung

48

11. KAPITEL: D I E B A U T E I L E D E S M Ä R E (KOMPOSITION)

57

1. Der Prolog

59

2. Die Märenexposition

73

3. Der zentrale Handlungsteil a) Die Dreiteiligkeit b) Personenrollen und -funktionen c) Mittel szenischer Gliederung des Hauptteils d) Die innere Einheit e) Die dem Drama ähnlichen Auf bauelemente

88 95 98 102 104

4. Der Epilog

107

Schlußbetrachtung zu den Kapiteln über Stil und Komposition a) Das Verhältnis zu Poetik und Rhetorik b) Die Aufgliederung der Märentypen

122 127

i n . KAPITEL: L I E B E U N D E H E

134

Die .Dreieckssituation'

141

ERSTER TEIL: Höfisch-galante Mären (Interpretationen)

1. Sentimentale Mären mit Dreieckskonflikt D A S HERZMÄRE

144

PETER V O N STAUFENBERG

148

D I E FRAUENTREUE

2. Sentimentale Mären um zwei Liebende Die Liebesauffassung der sentimentalen Mären in historischer Sicht

157

. . .

175 178 V

3· Brautwerbungsgeschichten D E R J U N G H E R R UND DER TREUE H E I N R I C H u n d DIE R I T T E R T R E U E D I E HEIDIN I V ZWEITER T E I L :

iv.

187 . . . .

188 195

Die übrigen Haupttypen der Gattung

1. .Reine' Schwanke a) Höfische Minnemotive in den Schwänken b) Grundzüge ihrer Liebes- und Eheauffassung

203 204 214

2. Moralisierte Schwanke

222

3. Moralisch-exemplarische Mären

252

KAPITEL:

DIE PARODIE IN D E N SCHWÄNKEN

237

1. Parodische Zitate und Anspielungen

238

2. Parodische Formen der Minnekasuistik und des Streitgesprächs

246

D E R WEISSE ROSENDORN

250

3. Imitation des Höfischen durch unhöfische Personen

271

4. Parodischer Umgang mit Legendenelementen

278

D I E BÖSE F R A U

5. Parodischer Umgang mit Sakralem Schlußbetrachtung zu Kapitel IV v. K A P I T E L : SCHWANKDICHTUNG UND MITTELLATEINISCHE TRADITION Die Beliebtheit des Streitgesprächs Die Beliebtheit der Parodie Die Zeichnung des Priesters des weltlichen Klerikers des „Studenten" des Bauern Die Auffassung der Liebe Das Bild von der Frau Die negative Eheauffassung Die mittellateinische Comedia besonders die Dialogpartien Motivliche Parallelen Zeugnisse für die Verfasserschaft von „Studenten" Das Problem anonymer Überlieferung

280

291 295 299 300 307 307 310 311 312 312 314 317 318 320 324 326 329

VERZEICHNIS D E R B E N U T Z T E N MÄRENAUSGABEN

330

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

334

REGISTER 1. Titelregister 2. Sachregister

VI

338 340

VORWORT

Als ich mich vor mehreren Jahren entschied, eine Untersuchung über die mittelhochdeutsche Versnovelle zu schreiben, hatte ich an eine umfassende Monographie über die Gattung gedacht. Doch bald mußte ich einsehen, daß es angesichts der vielen bisher ungeklärten oder unzureichend behandelten Probleme notwendig sei, sich mit der Auswahl einiger Themenkreise zu begnügen, die geeignet wären, einige neue Interpretationsmöglichkeiten aufzuzeigen und einen Teilbeitrag zur Frage nach der literarhistorischen Stellung der Gattung im 13. und in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu liefern. Die Arbeit wurde im Sommersemester 1966 von der Philosophischen Fakultät der Universität Hamburg als Habilitationsschrift angenommen. Sie ist für den Druck um einige Abschnitte ergänzt worden. Mit Hanns F i s c h e r habe ich nach Abschluß meiner Materialsammlung und vor Beginn der Niederschrift ein Orientierungsgespräch in Tübingen geführt. Er hat mir damals in freundlichem Entgegenkommen seine maschinenschriftliche Habilitationsarbeit zur Lektüre überlassen. Auf sie beziehen sich meine mit „Fischer" gekennzeichneten Verweise. Ich habe ihnen im Interesse des Lesers die entsprechenden Seitenzahlen der Buchfassung hinzugefügt, die Hinweise auf die maschinenschriftliche Erstfassung aber stehen lassen, weil ich bei der Ausarbeitung meines Manuskriptes nur von ihr Kenntnis hatte: als mir Hanns Fischer auf meine Bitte im Frühsommer dieses Jahres ein Umbruchsexemplar zur Verfügung stellte, war mein Typoskript dem Verlag bereits zur Drucklegung übersandt. Daher konnte ich nur noch bei der ersten Korrektur zu einigen Punkten, wo es unbedingt nötig war, Stellung nehmen. Im Hinblick auf den von Hanns Fischer, Buchfassung S. 28 Anm. 65, erwähnten Sachverhalt habe ich mit seinem brieflichen Einverständnis die Anteile unseres gegenseitigen Meinungsaustausches klarer zu scheiden gesucht, indem ich bei den betreffenden Stellen kurze Hinweise (ζ. B. „jetzt auch bei Fischer, Buchfassung S. X " ) einbaute, so wie ich meinerseits auf seine Arbeit verweise, wenn vir

ich mich auf sie stütze oder von ihr etwas übernommen habe. Unser Kontakt hat dann durch Hanns Fischers jähen Tod ein unerwartetes und schmerzliches Ende gefunden. Wenige Wochen danach ist - vor etwa einem Monat - sein Buch erschienen. Diese bedeutsamen „Studien zur deutschen Märendichtung" haben, wie er es selbst empfand, für alle weiteren Märenforschungen ein solides Fundament gelegt. Schon seine Habilitationsschrift konnte meine Arbeit in mehreren Punkten, mit denen ich mich während meiner Vorarbeiten zum Teil beschäftigt hatte, in willkommener Weise entlasten: so von dem Uberblick über die Forschungsgeschichte, der Beschreibung und Abgrenzung der Gattung, dem Märenverzeichnis und der systematischen Bibliographie. Im ganzen verfolgen meine Untersuchungen begrenztere Ziele als Fischers Studien, die zum ersten Male die Gattung darzustellen und zu definieren suchen und, indem sie die gesamte Märenüberlieferung ermitteln und berücksichtigen, auf allgemeiner Grundlage Vollständigkeit erstreben. Demgegenüber haben mich einige speziellere Fragen interessiert. Sie gehen der stärkeren Verwurzelung der Versnovelle in den Traditionen der Literatur besonders des hohen Mittelalters sowie ihrer Umformung und Weiterbildung nach. Die erste Anregung zu diesem Vorgehen kam mir durch Per N y k r o g s Buch über die Fabliaux, in dem er gegen Bedier mit Entschiedenheit die These vom höfischen Charakter der altfranzösischen Schwänke verficht. Es ist sein Verdienst, die höfischen Komponenten dieser Gattung erkennen gelehrt zu haben. Doch bleibt sein soziologischer Aspekt etwas zu einseitig auf das Höfische im engeren Sinne gerichtet. Es erschien demgegenüber notwendig, den Anteil der klerikalen Bildungswelt - wenigstens in begrenzter Form - in die Untersuchung mit einzubeziehen. Von der Thematik her empfahl sich ferner die zeitliche Begrenzung auf das 15. und die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts. Denn die genannten Traditionen treten in der zweiten Phase der Gattungsgeschichte in den Hintergrund und werden von andern verdrängt. Wenn ich die Auffassung vertrete, daß die Mären in der genannten Zeit als v o r n e h m l i c h höfische Gattung anzusehen seien, so schließt der Begriff ,höfisch' (wie übrigens auch in der klassischen Zeit) die von der ,clergy' ausstrahlende Bildungsmacht ebenso ein wie den Anteil der überwiegend bürgerlichen Märendichter, die sich aber meist dem Geschmack der höfischen Kreise, zu denen zum Teil auch das gehobene Bürgertum gehörte, anzupassen pflegten. Ferner ist damit nicht in Abrede gestellt, daß sich neben mehr oder minder VIII

anspruchsvollen höfischen Mären und Schwänken auch zu dieser Zeit Stücke mit einer überständischen oder gelegentlich mehr bürgerlichen Geisteshaltung und schließlich »abgesunkene' volkstümliche Fassungen finden. Ich habe auf diesen Sachverhalt in der Darstellung des öfteren hingewiesen, so ζ. B. auf den Seiten 53 ff., 64, 124L, 226, 229fr. und 295 f. (vgl. auch das Stichwort „volkstümliche Elemente" im Sachregister). Aufs Ganze gesehen aber treten diese Bereiche, mit denen sich ältere Forschung - mehrfach unzureichend und einseitig schon beschäftigt hat, von der Zielsetzung dieser Arbeit her zurück. Eben dies scheint bei Hanns Fischer zu dem Eindruck geführt zu haben, daß ich die Mären des 13. und 14. Jahrhunderts pauschal als eine von „hohen künstlerischen und gesellschaftlichen Ansprüchen geprägte höfische Gattung" betrachte. So weit freilich meine ich in meiner Darstellung, die das Prädikat „hoch" bewußt meidet, nicht gegangen zu sein. Ich ordne allerdings die Mären dieser Zeit mit den oben gemachten Einschränkungen und dem weiten Verständnis des Begriffs ,höfisch' vornehmlich der (spät)höfischen Literatur zu und sehe in ihren zahlreichen besseren Exemplaren eine von literarischen Ansprüchen getragene Gattung. Insofern stehen sie, oft Vertreter der leichteren Muse, neben den andern, ernsten höfischen Gattungen. Daß sie sich dabei im Niveau nicht auf eine Ebene mit dem Roman oder der Lyrik der Blütezeit stellen lassen, versteht sich von selbst. Im wesentlichen glaube ich, mit den Auffassungen H. Fischers, zumal wie er sie in seiner revidierten Buchfassung vertritt, übereinzustimmen. Auf zwei kleinere äußerliche Abweichungen sei hier kurz eingegangen. Eine ist die Frage der Gattungsbenennung. H. Fischer hat sich aus wohlüberlegten Gründen (vor allem um sich gegen eine ungerechtfertigte Vermengung mit dem modernen Novellenbegriff und gegen die anachronistische Methode abzusetzen, die Kriterien aus den Novellentheorien des 19. Jahrhunderts auf die mittelalterlichen Verserzählungen anzuwenden versucht) konsequent für die Bezeichnung „Märe" entschieden, die freilich, wie er einmal (Buchfassung S. 83) selbst andeutet, vom mittelalterlichen Sprachgebrauch her ebenfalls problematisch ist. Vielleicht wird sich dieser Terminus in der Germanistik eines Tages durchsetzen. Um mich von den Bestrebungen in dieser Richtung nicht auszuschließen, habe ich ihn in meiner Arbeit häufiger als „Versnovelle" gebraucht. Sofern man sich der Problematik beider Begriffe bewußt ist, kann man beide mit gleichem Recht verwenden. Denn auch „Mittelhochdeutsche Versnovelle" entrx

hält bereits eine genügende Abgrenzung von der Novelle des 19. Jahrhunderts; zum andern lag die Leistung dieser mittelalterlichen Erzähler vorwiegend im ,Novellieren' überkommenen Erzählgutes (H. Fischer spricht selbst gelegentlich von Novellatoren-Tätigkeit, von ,Novellist' oder novellistischen Stoffen; vgl. Buchfassung S. 210 und 214, S. 208, S. 249). Von der Etymologie scheint der Begriff für die mittelalterlichen Kurzerzählungen sogar mehr Berechtigung zu haben als für die ,eigentlichen' Novellen der neueren Zeit, die sich von dieser Vorstellung meist ganz gelöst haben. Daß man bei einer Arbeit über die mittelalterliche Versnovelle oder das Märe alle wirklichen oder vermeintlichen Gattungskriterien der Novelle des 19. Jahrhunderts fernhalte, darin stimme ich mit H. Fischer völlig überein. Die Frage allerdings, ob die Mären mit all ihren besonderen Eigenheiten, die sie von den späteren Novellen unterscheiden, dennoch das mittelalterliche Analogon (nicht die ,Urform') zu dem darstellen, was man in der Dichtung der Neuzeit als Novelle bezeichnet, würde ich nicht von vornherein kategorisch verneinen. Sie wird sich kaum eindeutig beantworten lassen, solange die Geschichte der ,Gattung' vor allem in der Übergangszeit zwischen Mittelalter und Neuzeit nicht auf breiterer übernationaler Grundlage, besonders mit Einschluß der kontinuierlicheren romanischen Überlieferung, in all ihren Zusammenhängen untersucht ist. Aber mehr aus einem äußeren Grunde habe ich für den Titel dieses Buches den herkömmlichen Begriff „Mittelhochdeutsche Versnovelle" gewählt. Die Entscheidung beruht auf der immer wieder gemachten Erfahrung, daß sich selbst Germanisten unter Märendichtung oft nichts Rechtes oder nur Verschwommenes vorstellen können: da spielen Assoziationen zur Märe oder Mär' und zum Märchen hinein und geben zu Verwechslungen Anlaß, zumal wenn von „Märenbuch" oder „Märendichtung" die Rede ist: 1 selbst Fachleute sagen gelegentlich „die Märe". Daher wird die Ankündigung des Buches unter dem Begriff,Versnovelle' bei den meisten Lesern fester umrissene Vorstellungen wecken. Ich bitte also, in der Verwendung beider ebenso möglicher wie problematischer Begriffe keine gedankenlose Inkonsequenz zu sehen. Ein zweiter Punkt betrifft die Märentitel. H. Fischer hat konsequent moderne Formulierungen gewählt und dabei einen nicht geringen 1

Kurz nach Abschluß des Vorworts finde ich in einer germanistischen Bibliothek folgende provisorische Titelaufnahme von H. Fischers Buch: „Studien zur deutschen Märt/fcndichtung". X

Teil althergebrachter oder eingebürgter Titel, die sachlich nicht mehr zu passen schienen, umgeändert. Ich konnte mich ebenfalls aus einem praktischen Grunde dazu nicht entschließen. Die Erfahrung lehrt nämlich, daß die Suche nach besseren Titeln verschiedentlich zu einer Kette dauernder Umbenennungen führt, die den Studenten, der eine bestimmte Erzählung in der Literaturgeschichte oder im Verfasserlexikon sucht, in Verwirrung führen muß. H. Fischer hat dem allerdings durch die beigefügte Konkordanz vorzubeugen gesucht. Aber werden sich seine Vorschläge endgültig durchsetzen? Man vergleiche nur einmal, wie oft dem echten mittelalterlichen Titel von Sibotes FRAUENZUCHT Umtaufen widerfahren sind; selbst Niewöhner hat für die Neuauflage seines „Neuen Gesamtabenteuers" eine zweite Änderung vorgenommen, die Fischer wiederum nicht befriedigte. Um eine gewisse Einheitlichkeit ohne weitere neue Eingriffe zu erreichen, habe ich die Mären fast ausnahmslos - eine solche ist FRAUENZUCHT unter dem Titel zitiert, den ihnen der letzte Herausgeber gegeben hat. Daß mit der modernen Übersetzung selbst schlechter alter Titel bisweilen bestimmte Eigenheiten mittelalterlicher Titelgebung verschüttet werden, sei nur am Rande vermerkt; die Frage wäre einer neuen kleinen Untersuchung wert. Ohne einer Stellungnahme an anderer Stelle vorzugreifen, sei noch erwähnt, daß ich auf die nach Abschluß meiner Arbeit erschienene Dissertation von Klaus Hufeland hier nicht mehr eingehen konnte. Die Fertigstellung wäre angesichts der vorausgegangenen Belastung durch die Assistententätigkeit kaum möglich gewesen, wenn mir nicht ein Habilitandenstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Muße zu ein paar Jahren ungestörter wissenschaftlicher Arbeit geschenkt hätte. Ich verdanke es der Vermittlung Ulrich Pretzels und der Befürwortung meines Lehrers aus der Greifswalder Zeit, Fritz Tschirchs. Beide haben mit regem Interesse die Entstehung des Manuskriptes in seiner ,Urfassung' verfolgt und mancherlei Besserungen angeregt. Durch U. Pretzel lernte ich das damals noch wenig erforschte Gebiet der mittelhochdeutschen Versnovelle näher kennen. Seine Großzügigkeit, mit der er alle seine Habilitanden wissenschaftlich eigene Wege gehen ließ, habe auch ich dankbar erfahren. Welche für mich persönlich bedeutsame Wendung er meinem Lebensweg gegeben hat, als er mich einlud, eine Assistentenstelle am Hamburger Germanischen Seminar zu übernehmen, wissen nur meine Frau und ich. XI

Herr Professor de B o o r war so liebenswürdig, diese Arbeit in die Reihe „Hermaea" aufzunehmen. Karl S t a c k m a n n gab mir in zwei Gesprächen wertvolle Hinweise. Karl Heinz B o r c k veranlaßte mich durch fruchtbare Kritik zu einzelnen Stellen, diese zu überprüfen und stärker abzusichern oder weiter auszubauen. Franz Josef W o r s t b r o c k hat ein Problem der Poetik mit mir durchgesprochen und mir sachkundige Hinweise dazu gegeben. Um das Korrekturlesen sowie die Überprüfung der vielen Belegstellen und Verweise auf Sekundärliteratur hat sich mein Kieler Helfer Uwe T r a u t s c h verdient gemacht. Er hat auch die beiden Register zusammengestellt. Allen gilt mein herzlicher Dank. Hamburg und Kiel, den 5. Oktober 1968

XII

K.-H. Schirmer

I. KAPITEL

STIL

Die Forschung kennt mehrere Wege, mittelalterliche Dichtung durch Stilinterpretation zu erschließen.1 Es wird daher zunächst überraschen, wenn diese Untersuchung die mittelalterliche Poetik und daneben die antike Rhetorik als wesentliche Grundlage für die Stilinterpretation mittelhochdeutscher Mären heranzieht, einer Gattung, die gewiß nicht zu den künstlerisch bedeutendsten dieser Zeit gehört und die in älteren Forschergenerationen eher als volkstümlich-anspruchslos denn als literarisch qualifiziert galt:2 ist sie doch lange Zeit Gegenstand der Erforschung mehr durch die Volkskunde als durch die Literaturwissenschaft gewesen. So haben auch ältere Stiluntersuchungen jenes ,volkstümliche' Element oft überbetont oder aber überhaupt zur Ausgangsbasis ihrer Bemühung gemacht.3 Ohne einen Einfluß volkstümlichen Stils vor allem in den abgesunkenen Fassungen mancher Stücke und in begrenztem Maße auch in qualifizierteren Mären zu leugnen, sollen die ersten beiden Kapitel erweisen, wie dieser Gattung, insbesondere auch in ihrer einen Ausprägungsform: dem Schwank, in der Zeit ihres Auf keimens und ihrer Blüte bestimmte literarische Ansprüche eigen waren, die nur aus der Tradition der höfischen (und späthöfischen) Dichtung und mit Hilfe der literarischen Theorie erklärt werden können. So läßt sich besonders die Funktion verschiedener Stileigentümlichkeiten der Gattung überhaupt nur erkennen und entsprechend für die Interpretation nutzbar machen, wenn man die mittelalterliche Schulpoetik und die an ihrer 1

2

8

Vgl. ζ. B. Hugo Kuhn, Stil als Epochen-, Gattungs- und Wertproblem in der deutschen Literatur des Mittelalters, jetzt in: Hugo Kuhn, Dichtung und Welt im Mittelalter, Stuttgart 1959, dort S. 62. Vgl. jedoch den knappen Hinweis Hennig Brinkmanns auf •weibliche Schönheitsbeschreibungen in der mittelhochdeutschen Versnovelle (Zu Wesen und Form mittelalterlicher Dichtung, Halle 1928, S. 140). Wie etwa Hans Mast, Stilistische Untersuchungen zu den kleinen Gedichten des Strickers mit besonderer Berücksichtigung des volkstümlichen und formelhaften Elements, Diss. Basel 1929. I

Wirksamkeit erkennbare Tradition der antiken Rhetorik berücksichtigt. Mit diesem methodischen Vorgehen soll indes nicht grundsätzlich eine unmittelbare Abhängigkeit der Märenautoren von der Theorie postuliert werden (vgl. dazu S. 124fr.). Es gilt der Frage nachzugehen, inwieweit hinter der Dichtung objektiv die Theorie steht. Manche stilistischen ,Kunstgriffe' und Topoi dürften auf mittelbarem Wege unter den Zunftgenossen weitergegeben, auch aus andern Dichtungsgattungen übernommen worden sein. So haben sich bald feste Elemente eines Gattungsstils herausgebildet, die auch ungebildete Laien- und Gelegenheitsdichter leicht verwenden konnten. Aber selbst manche dieser .abgesunkenen' Stilformen werden in ihren Funktionen erst vollends verständlich, wenn man die Theorie befragt. Da die Stiluntersuchungen nur den kleineren Teil dieser Arbeit ausmachen, ist von vornherein eine bestimmte Beschränkung unvermeidbar. Sie ergibt sich einmal durch die begrenzte Auswahl von stilistischen Beobachtungen, die sich in der Gattung besonders häufen oder eine bestimmte Ausprägung in ihr erfahren haben. Zum anderen bedingt der stark auf die poetische und rhetorische Tradition gerichtete Aspekt eine gewisse Einseitigkeit der Auswahl, die sich wohl deshalb hinnehmen läßt, weil dieser Gesichtspunkt für die Gattung bisher sehr vernachlässigt worden ist und andere Aspekte der Stilforschung, die aus dieser Tradition herausführen wie beispielsweise die (freilich nur äußerst begrenzte) sogenannte Realistische' Darstellungsweise4 oder die erwähnten volkstümlichen Stilelemente, schon des öfteren Gegenstand von Untersuchungen gewesen sind. Schließlich macht es die Berücksichtigung einer größeren Zahl von Mären aus dem behandelten Zeitraum nötig, mehr das ihnen Gemeinsame und Typische bei der Verwendung bestimmter Stilformen als vielerlei durchaus vorhandene individuelle Ausprägungen herauszustellen: dies muß vornehmlich Einzelinterpretationen vorbehalten bleiben. Das schließt nicht aus, interessante Sonderfälle schon hier mit heranzuziehen. 1

Wolfdietrich Rasch, Realismus in der Erzählweise deutscher Versnovellen des 13. und 14. Jahrhunderts, in: Altdeutsches Wort und Wortkunstwerk, Georg Baesecke zum 65. Geburtstage, Halle 1941, S. 1 9 5 - 2 1 1 . - Hans Lang, Zur Entwicklung der mittelhochdeutschen Versnovelle, Diss. München 1951, S. 69IT. - Zuletzt hat H. Fischer S. 1 0 2 - 1 1 3 über das Realismusproblem in den Mären das Entscheidende gesagt und überzeugend begründet, so daß ich mir einen eigenen Abschnitt über diese sehr wichtige Frage ersparen kann. In seiner Buchfassung hat er das Vorkommen des ,Detailrealismus' zu Recht weiter eingeschränkt und erkennt ζ. B. auch Traditionen rhetorischer Art, wie sie unten aufgewiesen sind, an (Buchfassung S. 1 3 2 ; zum Realismusproblem ebd. S. 128-137).

2

Man ist aus den angeführten Gründen also gezwungen, analytisch vorzugehen, und muß in Kauf nehmen, daß auch kleinere stilistische Interpretationsbeiträge zu einzelnen Mären - von der Einheit des Gedichts aus gesehen - auseinandergerissen werden, weil sie nach dem übergeordneten Gesichtspunkt eines verbreiteten stilistischen Topos, der ein vielen Mären gemeinsames stilistisches Traditionselement ist, zusammengefaßt werden sollen. Nun setzt sich ,Toposforschung'6 seit Curtius zumal in der Germanistik leicht dem Vorwurf aus, über das Stadium einer nur registrierenden Vorarbeit nur selten hinauszugelangen und den durch geschichtliche Entwicklung wie durch individuelle Gestaltung bedingten „aktuellen Stellenwert"6 des Topos im poetischen Einzelwerk außer Acht zu lassen. Aber einmal ist diese Gefahr bei einer so stark auf das Typische hin stilisierten Gattung von vornherein geringer; zudem hofft der Verfasser, das Bild einer Stilform dadurch differenzierter zu zeichnen, daß er zwar den poetisch-rhetorischen Topos zum Ausgangspunkt der Untersuchung macht, dazu aber weitere Aspekte behandelt - wie die geschichtliche Entwicklung (etwa bei der Schönheitsbeschreibung und Sentenz) oder die Frage nach dem soziologischen Geltungsbereich (bei der laus) - und vor allem den Aussagegehalt und die künstlerische Funktion untersucht, die in den einzelnen Märentypen oft recht verschieden sind. Auf diese Weise möchte das Stilkapitel zugleich einen Beitrag zur Aufgliederung der Märengattung in die drei Hauptzweige des höfisch-galanten Märe, des reinen Schwanke, des moralisch-exemplarischen Märe wie in einen Seitentrieb des moralisierten Schwanks liefern.7 Dieser Gesichtspunkt wird, da sich nicht alle Stilformen in gleicher Weise dafür auswerten lassen, in den einzelnen Abschnitten 6

Einen kritischen Überblick gibt Walter Veit, Toposforschung. Ein Forschungsbericht, in: DVjs. 37, 1963, S. 120-163. • Vgl. Werner Ross, Rose und Nachtigall, in: Romanische Forschungen 67, 1965, S. 55. ' Die Bezeichnung ,höfisch-galantes Märe' ist von Fischer (S. 83) übernommen; die Begründung der anderen Bezeichnungen wird sich aus der Darstellung ergeben. Die Unterscheidung von .moralisiert' und .moralisch' empfiehlt sich deshalb, weil den .moralisch-exemplarischen Mären' schon durch die Stoffwahl ein moralischer Sinn innewohnt; bei den .moralisierten Schwänken' wird er dagegen erst durch die Auslegung oder die Umgestaltung eines ursprünglich .reinen' (nur komischen) Schwankstoffs und die .verharmlosende' Umbesetzung seiner Personenrollen (vgl. dazu S. 37) gewonnen. In seiner Buchfassung S. 1 1 zl. hat jetzt auch Fischer das „reine SchwankMäre" von anderen Mischformen unterschieden und die Bezeichnung „moralischexemplarisches Märe" für den dritten Haupttyp gewählt. [.Höfisch-galantes Märe' bei Fischer, Buchfassung S. 109].

3

unterschiedlich stark hervortreten; im Kapitel über die Komposition, das sich vor allem im Abschnitt über den „Hauptteil" auf die Herausarbeitung eines verbreiteten Bautyps beschränkt, bleibt er mehr im Hintergrund. i. Personenbeschreibungen Die Untersuchung beschränkt sich auf die einführenden Personenbeschreibungen, wie sie die Expositionen bieten, weil sie am besten das Typisierende, die rhetorische Tradition und schließlich Ansatzpunkte für eine Differenzierung in den Gattungstypen des Märe erkennen lassen. a) Die rühmende Einführung der Hauptpersonen (laus)6 In P E T E R V O N S T A U F E N B E R G widmet der Dichter dem Titelhelden einführend eine Beschreibung, die wegen ihrer in der Märengattung seltenen Ausführlichkeit am geeignetsten ist, die Elemente einer solchen descriptio vorzuführen. Er nennt zuerst Namen, Geschlecht und Heimat (50-53) und geht dann auf seine ,charakterlichen' Eigenschaften ein, unter denen er die milte gegenüber den Fahrenden besonders hervorhebt.9 Mit dem Hinweis auf den frommen Dienst des Ritters für Gott und auf dessen tägliches Gebet zur Gottesmutter beginnt der Erzähler, von der Lebensführung Peters zu berichten,10 was sich in der Erwähnung des Frauendienstes und der daraus folgenden Anerkennung durch die höfische Gesellschaft fortsetzt (80-92). Dazu tragen besonders zahlreiche Turniertaten bei, die Peter Ruhm und Frauengunst in den verschiedenen Ländern eingebracht haben (95-121). Seine physische Leistungsfähigkeit läßt der Dichter dann ein wenig drastisch im Kampf gegen die Heiden zu voller Geltung 8

Die mhd. Entsprechung für laus (laudare) ist lop (loben); vgl. MEIERIN MIT DER GEISS 2 9 , Z W E I K A U F L E U T E 3 9 0 , S C H Ü L E R VON P A R I S ( M ) 1 8 4 , W I R T 5 8 . V g l . a u c h S . 2 6 3

9

10

Anm. 73. Das Lob der Freigebigkeit gehört zwar zum Preis eines vornehmen Herrn. Es dürfte zugleich auf die religiöse Tugend der misericordia anspielen; vgl. Alf. Weber, Studien zur Abwandlung der höfischen Ethik in der Spruchdichtung des 13. Jahrhunderts. Diss. Bonn 1936, S. 54ff. K . Stackmann, Der Spruchdichter Heinrich von Mügeln, Heidelberg 1958, S. 57. Nur insofern verdient dieser religiöse Zug Erwähnung. E r ist sonst, wie überhaupt die christlich-religiöse Verbrämung dieses heidnischen Stoffs in der ihrem Geiste nach höfisierten Erzählung ein ungenügend eingeschmolzener Fremdkörper (s. S. 157).

4

kommen (122-127), lenkt dann aber sogleich wieder zu den moralischen Vorzügen des Helden zurück, die ihm auch die Heiden, besonders wieder die Damen, zuerkennen (128-141). Traditionsgemäß entsprechen seinen inneren Qualitäten äußere Schönheit und stattliche Kleidung (142-159), und am Ende der rühmenden Beschreibung stehen höfisch-gesellschaftliche Liebhabereien (wie Brett- und Saitenspiel), die mit zur Erziehung des jungen Ritters gehören (165), sowie Fähigkeiten in den verschiedenen Formen der ritterlichen Jagd (166 bis 168). Mit diesen Elementen, die auch bei Personenbeschreibungen anderer Mären zumindest in Auswahl wiederkehren, sind zugleich die meisten loci inventionis erfaßt, mit denen die Dichter die descriptiones nach dem Muster mittelalterlicher Poetiken ausstatten.11 So steht nach ihren Empfehlungen12 an erster Stelle die Nennung des Namens ; 13 als zweiter locus fungiert natura: im P E T E R VON S T A U F E N B E R G gehören dazu die Erwähnung des Geschlechts (genus), der Heimat (patria) sowie der qualitates animae (etwa der milte) et corporis (Schönheit und Kleidung). Der dritte Gemeinplatz (convictus) umfaßt unter anderm Lebensführung (frommer Dienst und Frauendienst), Erziehung (hier zu den höfischen Fertigkeiten) und officium oder professio (Turnierleistungen). Zur affectio, einer weiteren Kategorie, gehören neben Äußerungen seelischer Affekte, deren Darstellung dem Handlungsteil

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Die Personenbeschreibung ist eines der wichtigsten, daher oft ausführlich behandelten Kapitel der mittelalterlichen Poetik (vgl. die Nachweise bei Faral S. 75f.). Matthieu de Vendöme widmet der descriptio etwa ein Viertel seines Werks; Galfredus de Vinosalvo setzt sie als bekannt voraus (res quasi trita-, Poetr. nov. 622), bietet aber ausführliche Beispiele und behandelt sie als Teil der für die Dichtung überhaupt stark ausgebauten amplificatio. Vgl. Matthieu de Vendöme I, 4iff. und 77ff. (bei Faral S. 119 und S. 136) und Faral S. 77f., Arbusow S. 71, Curtius S. 166. Im höfischen Roman wird die Nennung des Namens aus Gründen der Spannungssteigerung bisweilen bis zu einer für Handlungsverlauf oder Entwicklung des Helden markanten Stelle hinausgezögert (Ζ. B. im .Parzival'), aber auch in der HEIDIN die Nennung des Grafen Alpharius von Lebenberc. Die lakonische Bemerkung des Dichters bei der Beschreibung des Burgherrn im SCHÜLER VON PARIS (M): Were mir sin name bekant, Ich Wolde in gerne nennen (140t.) soll offenbar nur seine Vertrautheit mit den poetischen Vorschriften erweisen. Vgl. auch Marie de France, ,Chaitivel' 3 3ff.: En Bretaigfie ot quatre baruns, mes jeo ne sai numer lur nuns. Ähnlich behauptet Herrand von Wildonie im BETROGENEN GATTEN ( Verkerter wir/), Uolricb von Liehtenstein, sein Gewährsmann, habe den Namen des Ritters vergessen. Da der Stoff dieses Schwanke international verbreitet ist, kann man in dieser Wendung nicht etwa einen Versuch sehen, den Namen des gehörnten Ehemanns taktvoll zu verschweigen.

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vorbehalten bleibt, die körperlichen Leistungen (der robuste Kampf gegen die Heiden) und Liebhabereien (Spiel und Jagd). Spuren einer alten poetischen Technik, bei dem panegyrischen Lob einer Person drei Zeitstufen zu berücksichtigen („rühmende Hervorhebung der Vorfahren, der Jugendtaten und des Mannesalters")14 verrät V. 165 „daz lert er in sin jungen tagen". Deutlicher ist diese Jugendstufe15 in der Münchner Fassung des S C H Ü L E R S V O N P A R I S erkennbar, in der Schulzeit und ,Bildungsjahre' (58-82; 83fr.) - mit sechzehn Jahren nimmt der Schüler Abschied von seinen Eltern einigen Raum in der Beschreibung einnehmen.16 Der S C H Ü L E R V O N P A R I S (M) kennt auch die „rühmende Hervorhebung der Vorfahren": die Beschreibung des Schülers setzt mit der knappen laus eines Freiherrn, seines Vaters, ein und erwähnt in knappster Form genus und qualitates corporis et animae.17 Dies genealogische Prinzip bei der Personeneinführung hat die in mittelalterlicher Dichtung weit verbreitete Praxis zur Folge, daß der Vater (bisweilen mit der Mutter) des Helden v o r diesem in der Reihenfolge die erste Stelle einnimmt, obgleich er in der Erzählung selbst für gewöhnlich nur eine untergeordnete Rolle spielt oder ganz zurücktritt. Dabei kommt es in einigen Mären18 zu einer gegenüber dem ,novellistischen' Vorgang ausführlicheren Darstellung der Jugendgeschichte des Helden, die für die 14 u

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Dazu Curtius S. 166 und Lausberg § 245. Vgl. auch DER JUNGHERR UND DER TREUE HEINRICH 19FR.: der junge Ritter im Dienste einer Frau, die ihm durch den Tod genommen wurde. Auch andere loci wie die Schönheit des Jünglings (53), seine Erziehung (56), edle Abkunft (cognatio, genus, V . 212) und höfisch-gesellschaftliche Fähigkeiten (215 fr.) finden sich in den Beschreibungen des Schülers und des Burgherrn, des Vaters des jungen Mädchens. Die Schönheit eines Mannes zu beschreiben, empfindet auch die Poetik als nicht angemessen: infemineo sexu approbatio formae debet ampliari, in masculino vero parcius. Unde Ovidius: Forma viros neghcta decet (Matthieu de Vendöme I, 67; bei Faral S. 134). Aber es gibt Ausnahmen, so wenn der Dichter die formae puerilis elegantiam describit, nämlich zu dem Zweck, ut audita formae venustate auditor! facilius possit puero morienti suos condoluisse adversarios. Aus dieser Funktion des movere, auch des flectere, wird leicht verständlich, weshalb auch in den sentimentalen Novellen die Schönheit eines dem Tode bestimmten Jünglings schon in der Einleitung erwähnt w i r d : v g l . H E R O UND L E A N D E R 3 o f . , S C H Ü L E R VON PARIS, G A - F a s s u n g ,

17

le

37-39.

In

PYRAMUS UND THISBE bezieht sich das so gar wunntclich daz in nieman tvaere gelich (3 3f.) auch auf Pyramus. - Vgl. die Schönheitsbeschreibung des zu Tode verwundeten Riwalin im .Tristan' 11 jiff.; dazu Sawicki S. 77. wie ein frigir here were Uf einir bürge ho gesezzen; Der was rieh und vormezzen Libis unde gutis Und ritterlichis mutis Mit tugentlichem gesinde (}8ff.). Besonders in dem Typ, in dem Liebesabenteuer von Studenten erzählt werden. Vgl. W. Stehmann, Die mittelhochdeutsche Novelle vom Studentenabenteuer, in: Palaestra 67, 1909, S. 148 und ergänzend H.-F. Rosenfeld, S. 189 Anm. 2.

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Motivierung der Haupthandlung entbehrlich wäre. 19 Ihre erste Anregung scheint diese Praxis, wie die Beispiele aus dem SCHÜLER VON P A R I S (M) zeigen, wiederum aus der rhetorisch-poetischen Tradition empfangen zu haben. Sie hat sich dann, ohne daß dem Erzähler der Zusammenhang bewußt gewesen zu sein braucht, selbständig weitergebildet; dabei sind als neue Elemente die Ansätze zu einem .realistischen' Erzählstil bemerkenswert,20 unter dessen Einfluß sich das ursprünglich rhetorische Schema mehr und mehr verflüchtigt. P E T E R VON STAUFENBERG und der SCHÜLER VON P A R I S (M) sind Beispiele dafür, wie die Anweisungen der Poetik auch in der Märengattung mitunter recht detailliert realisiert wurden. Wohl nicht zufällig steht die M-Fassung des SCHÜLERS VON PARIS dem Original am nächsten.21 Die späteren Bearbeitungen lassen erkennen, wie diese literarische Tradition allmählich zerfällt oder, positiv ausgedrückt: sich dem ,novellistischen' Stilideal der Kürze anpaßt.22 Daher werden die einzelnen loci inventionis meist episch nicht weiter ausgeführt, wohl aber oft in einer Auswahl von Epitheta und Attributen entweder bewußt angedeutet oder als stereotypes Formelgut unbewußt übernommen. Beispiel für eine solche Kurzform der laus mit nomen, patria, convictus (mit physischen und moralischen Qualitäten, bisherigen Taten), educatio und den unentbehrlichen Hinweis auf die Anerkennung in der Gesellschaft ist die laus Mauricii im M O R I Z VON C R A U N (263-288). Auf weitere, über das Typische nicht hinausweisende Beispiele sei hier verzichtet, eine seltenere, um eine Nuance individuellere Form aber verzeichnet: die descriptio, die neben uneingeschränktem Lob auch einen Fehler des Beschriebenen erwähnt, so in H E I N R I C H VON K E M P T E N die mit seinem roten Haar23 in Verbindung gebrachte Neigung Kaiser Ottos zu aufbrausender Zornesleidenschaft (8ff.) und seine mangelnde milte (Gnade, 18) oder die Schilderung der stofflich-thematisch bedingten Häßlichkeit des Ritters in der

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V g l . R o s e n f e l d S . 1 8 9 z u m S C H Ü L E R VON P A R I S ( M ) .

Wolfdietrich Rasch wertet (a. S. 2 Anm. 4 a. O. S. 211) die breitere Jugendgeschichte in den ZWEI KAUFLEUTEN und im STUDENTENABENTEUER gewiß zu Recht als Ansätze zu einem erzählerischen Realismus. Für den SCHÜLER VON PARIS (M) jedoch muß dieses Urteil erheblich eingeschränkt werden: überall schimmert noch das rhetorische Schema durch. » Vgl. V L IV Sp. 114. " So in der Wiener Fassung und in beiden Redaktionen der GA-Fassung. ** Eine ähnliche Verknüpfung in der ersten Weisheitslehre im ,Ruodlieb' (Langosch) 20

V 45 iff·

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GA-Fassung des A U G E . 2 4 In der H E I D I N ist in den Redaktionen I—III die laus eingeschränkt, da das Königspaar nicht in christlicher Ehe miteinander lebt25. Diese „defauts" sind zwar auch von der Poetik26 vorgesehen, bilden aber in der Mären-Praxis Ausnahmen, weil sie der typisierenden Tendenz widersprächen. Bemerkenswert ist, wie sehr die Vorschriften der Poetik, die bekanntlich aus der Tradition der antiken Dichtungstheorie und Rhetorik entwickelt wurden, dem typisierenden Gattungsstil der Märendichtung entgegenkamen - weitaus mehr als beispielsweise dem Gestaltungswillen der Romanciers, die diese »technischen Handhaben' ungleich individueller zu verwenden wußten. Auch im zweiten Haupttyp der Gattung, im Schwank, ist die laus eine beliebte Figur der descriptio, wie diese Gruppe im Stil der ernsteren höfischen Novelle überhaupt sehr nahesteht. Die Schwankerzählung ARISTOTELES UND P H Y L L I S setzt unmittelbar mit dem Preis König Philipps und seiner Gemahlin ein. Die feststehende Formel an libe (und) an muote (8) scheint die andeutende Kurzfassung (vielleicht abbreviatio) der qualitates corporis et animae in den Mären geworden zu sein.27 Erst nach der Erwähnung der Eltern wendet sich der Dichter der descriptio Alexanders mit den bekannten Topoi zu: Name, vornehme Herkunft, Vorausnahme seiner Taten im Mannesalter, Kindheit, Jugend und besonders Erziehung, mit der der Vater den meister Aristotiles betraut. Aber es unterbleibt, zunächst überraschend, die übliche Lobrede auf den berühmten Gelehrten, obwohl er neben Phyllis die Hauptfigur des Schwanke ist. Außer der kaum ,lobenden' Bemerkung: der was wise und gar von alter grise (41 f.) ist von ihm nur in seiner Beziehung zu Alexander die Rede. Erst Phyllis wird, wenn auch an letzter Stelle, mit der traditionellen Stilform gewürdigt. Dies Beispiel erscheint besonders aufschlußreich für eine Tendenz, um nicht zu sagen ,Regel', die die Märendichter bis etwa zur Mitte des 14. Jahrhunderts sehr beachtet haben und die als erstes Indiz für den 21

25

26 27

Herrand von Wildonie hat in seiner stärker höfischen Fassung (DIE TREUE GATTIN) die häßlichen Züge des Ritters, soweit das vom Stoff nur irgend möglich, weithin gemildert: daz er was niht sä ml getan (42). Vgl. ferner Gottfrieds von Straßburg Kritik an Riwalins Eigensinn (264), seinem .überholten' Haudegenidealismus alten heldenepischen Schlages und seiner kindlichen Unbesonnenheit (287fr.). Dazu Faral S. 78. Ζ . B . M O R I Z V O N C R A U N zi^S., F R A U E N T R E U E 24, S C H Ü L E R V O N PARIS ( M ) 41, F R A U E N Z U C H T 4 1 t . u n d 2 2 5 t . , SPERBER 58.

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soziologischen Gebrauchs- und Geltungsraum des mittelhochdeutschen Schwanke in dieser Zeit festgehalten sei: die laus wird in der Personeneinführung der Vorgeschichte nur bei ,Standespersonen', meist bei Vertretern des Adels in seinen verschiedenen Stufungen, angewandt, weil sie als eine wertende Stilkategorie den mit ihr bedachten Personen bestimmte, meist vorgeformte Qualitäten zuerkennt. Wohl daher ist Aristoteles als nichtadliger ,bloßer' meister von der Skala der laudes ausgenommen, zumal ihm in diesem Schwank eine wenig rühmliche Rolle zukommt (vgl. S. 205). Aus diesem Grunde bleibt in D E R W I E N E R M E E R F A H R T des Dichters Gewährsmann, der Burggraf Herman von Dewin, obschon er an der Handlung nicht beteiligt ist, die einzige Person, der eine knappe laus zufällt. Diese ,Regel' will freilich nicht besagen, daß alle Personen von Stand stets mit einer Lobrede gewürdigt werden: oft fehlt sie ganz (was u. a. mit dem Stilideal der Kürze in der Gattung zusammenhängt). Aber wo sie im Schwank erscheint, ist immer diese soziologische Eingrenzung zu beobachten.28 Zu den in der Schwankgruppe von Dichter wie Publikum offensichtlich voll anerkannten und geschätzten Personen gehört der Student, der schuolaere oder auch schribaere (vgl. dazu S. 311). Daher zeichnen die Dichter ihn mit der preisenden laus aus,29 selbst wenn er nicht, wie der schuolaere in der F R A U E N L I S T , von vornehmer Geburt ist. In welchem Maße die ehemals rhetorische Stilfigur ins Ständische umgedeutet ist, zeigen am eindringlichsten jene Beispiele, die in ihrer Aussage im Widerspruch zum Verhalten der Personen im Hauptteil der Erzählung stehen.30 Am krassesten wirkt diese Diskrepanz zwischen dem in der laus prätendierten Edelmut und seiner völligen Umkehrung in der Handlung bei den beiden Adligen im W I R T . Die platte und unverhüllte Obszönität steht selbst in der Reihe der frivolen Geschichten ziemlich vereinzelt da, aber der höfisierende Stil kommt, zumindest in der Exposition, den formal besten Vertretern dieses genus iocosum nahe. Die Einleitung spricht von einem Vornehmen (Freigeborenen unter den drei Freunden), der ist der vriund ein hober vri; zuht und er im mnent 28

Innerhalb des Seitenzweigs der moralisierten Schwankdichtung gelten nicht grundsätzlich dieselben Gestaltungsprinzipien.

29

T R E U E M A G D I i f f . , E r w ä h n u n g des V a t e r s 3 2 ; I R R E G A N G UND G I R R E G A R 1 4 - 4 0 .

80

Die ständische Umdeutung ist so vorherrschend geworden, daß demgegenüber die Frage, ob eine laus künstlerisch motiviert ist, ganz zurücktritt. Vgl. Arbusow S. 27.

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bi, keusch und elliu werdiheit (3ff.)· Ihm wie seinem rekken, einem edel jungelincb, wird mit akzentuierten Überbietungstopoi (6-7; 24fr.) das höchste Lob zuteil. Bewährung im Frauendienst, Belohnung durch vrouwen gruoz, Jugendtaten (31), pathetische Apostrophierung Gottes mit der fiktiven Vorstellung eines in der Handlung nicht realisierten frühen Todes dieses von König Artus auserwählten degen hochgeborn man glaubt, einen Jugendhelden des höfischen Romans vor sich zu haben. Aber - der Inhalt des Schwanke erschöpft sich darin, daß beide »Herren' in Gemeinschaft mit einem in der schwarzen Kunst bewanderten niederen Knecht (schalk) hintereinander die überlistete Frau eines Schenkwirts mit plumpesten Tricks verführen und schließlich diesen Vorgang mit ihrem Einverständnis in noch derberer Weise vor den Augen des genasführten Wirts wiederholen.31 Die ständisch begrenzte Anwendung der laus-Topik findet ihre Bestätigung darin, daß der Knecht nicht gerühmt, sondern schon bei seiner Vorstellung mit negativen Zügen ausgestattet wird. E s bleibt indessen fraglich, ob das Publikum mit seinem von der ordenunge bestimmten Gesellschaftsbild jene Unangemessenheit zwischen dem topischen Bild der Exposition und der Handlung empfunden hat.32 Dem modernen Beobachter drängt sich dieses Gefühl auch beim R I T T E R MIT DER HALBEN B I R N E a u f . 3 3 U n a n g e m e s s e n e r s c h e i n t die >l

In diesem Zusammenhang will besonders beachtet sein, wie seht der Dichter bemüht ist, das niedere Verhalten der beiden Adligen apologetisch abzuschwächen und alle Schuld dem schlechten Einfluß des Knechts und der Dummheit des Wirts zuzuschreiben. Man kann darin ebenso wie in der höfischen Stilisierung nur eine Rücksichtnahme des Erzählers auf adliges Publikum sehen. Solche Stellen (vgl. noch S. 15 Anm. 48, S. 21 und Anm. 71) machen es sehr wahrscheinlich, daß selbst Schwanke von der Art des WIRTS vor einem zumindest ständisch .gehobenen' Auditorium Gehör gefunden haben. In diesem Sinne äußern sich zu dieser Stelle auch Niewöhner in: Z f d A 60,1923, S. 204, und Fischer S. 179 Anm. 2. - Einen ganz ähnlichen, offenbar als reizvoll empfundenen ,Bruch' zwischen sublimem, höfischem Stil und unverhüllt derber erotischer Drastik weist das Fabliau ,Le Chevalier, sa dame, et un clerc' (MR II, S. 215-254) auf; dazu Nykrog S. 66ff. [Die Äußerung Fischers steht in seiner Buchfassung S. 225 Anm. 19].

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Wenn die Dichter ganz schematisch nach dem ständischen Prinzip verfahren und die Frage der Motivierung außer Acht lassen, so verstoßen sie dabei noch keineswegs gegen die poetischen Vorschriften. V o n den Theoretikern fordert nur Matthieu de Vendöme (I, 38), daß die descriptio zur Erzählung passen müsse; die anderen kennen diesen Gesichtspunkt nicht. Vgl. dazu Faral S. 77. Der Dichter dieses moralisierten Schwanke meint es offenbar anders. Der einleitend gerühmte Ritter Arnold wird wegen eines Verstoßes gegen die höfische Tischzucht von der Königstochter verspottet und rächt sich an ihr nicht nur in der Kleidung eines Narren, sondern - in sehr drastischer Weise - auch in der Art eines solchen. Die moralisatio am Schluß stellt dies Verhalten als das beispielhaft richtige hin (494-499).

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IO

preisende Einführung des kuneges bruoder von Engellant in S C H A M P I F L O R , der sich bei seiner Werbung um die schöne Dame in Paris nicht nur einer Kupplerin bedient, sondern nach gelungener Vereinbarung des Stelldicheins die Umworbene sitzen läßt (dazu S. 206). Eine noch weiter fortgeschrittene Veräußerlichung der Personenbeschreibung, die man aber nicht mehr als rhetorische laus bezeichnen kann, führt schließlich zur Aufgabe der soziologischen Zuordnung. Sie kennzeichnet ihren Gebrauch in den Schwänken des späten 14. und des 15. Jahrhunderts. Kaufringer spricht im G L Ü C K L I C H E N E H E P A A R (bei Euling Nr. 8) von einem Bürger als von einem Mann edlen Geschlechts ( 2 0 ) und widmet im Z E H N T E N V O N D E R M I N N E (Nr. 12) einer besonders einfältigen Bäuerin eine Lobrede, worin er ihr das Prädikat kluog (25) zuerkennt. Es mag zunächst auffallen, daß die beiden angesehenen Kaufleute in der Novelle Ruprechts von Würzburg - sie sind die tiursten von dem lande (30)34 - keineswegs mit einer laus im Sinne der Poetik eingeführt werden. Vielmehr stellt Ruprecht, in geschickter künstlerischer Motivierung, schon die Personeneinführung unter das Motiv der Freundschaft zwischen den Vätern, die die Voraussetzung für die treue Liebe der Kinder zueinander schafft. Ebenso gehört Bertrams rühmender Preis der Gattin nicht zur laus-Topik der Exposition, sondern hat, künstlerisch wiederum sinnvoller, als notwendiges Korrelat zu den herabsetzenden Frauenschelten im Munde der anderen Kaufleute die Funktion, Widerspruch und Wette zu provozieren. Durch seine Stellung im Zentrum der Erzählung ist er auch kompositorisch hervorgehoben. Man kann das Fehlen der laudes einmal mit der ständischen Eingrenzung der Stilfigur erklären: die Kaufleute sind Bürger. Belangvoller aber ist wohl, daß dies Märe, das wie kein zweites das Lob der unerschütterlichen Gattinnentreue singt, wegen seiner erbaulichen Intention wie den Rollentypen nach (vgl. S. 223f.) den moralisierten Schwänken zugehört, die den moralisch-exemplarischen Mären nahestehen.35 Es hängt offensichtlich mit der Tendenz zur Gruppenbildung in der Märengattung zusammen, wenn die im höfisch-galanten und im schwankhaften Haupttyp beliebte laus-Figur im morau

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Eine solche vereinzelte Idealisierung oder Überbietung ist nicht etwa locus inventionis einer descriptio. Gelegentliche schwankhafte Einschübe wie die Täuschung Hogiers durch die .untergeschobene' Amalie und die Schilderung des Liebesaktes dürfen nicht über das ernst gemeinte erbauliche Anliegen des Dichters hinwegtäuschen. II

lisch-exemplarischen Märe entweder ganz fehlt: so etwa in den Mären des Strickers (Ein man sprach ze sinem wibe ...), oder im moralisierten Schwank - bei Standespersonen - nur äußerst knapp in wenigen Versen angedeutet ist.38 Das moralisch-exemplarische Märe setzt sich also - und das wird sich noch an weiteren Beobachtungen zum Stil bestätigen - schon in diesem Punkte von den beiden andern Typen ab. Das mag mittelbar mit der ständischen Ausrichtung der laus-Figur37 zu erklären sein, denn dieser Märentyp arbeitet, wie übrigens meist auch der moralisierte Schwank, gern mit einem Personal niederen oder nicht weiter definierten Standes (man - wip). Zum andern ist diese Gruppe nicht wie der ,reine Schwank' auf bloße Unterhaltung, sondern auch auf moralische Belehrung und Erbauung gerichtet und empfindet eine Ausschmückung nach Art der descriptiones, zumal in seinem Streben nach Konzentration auf den Vorgang, als entbehrlich, wenn nicht als unangemessen.38 So ist ζ. B. für die FRAU ALS REIT-

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S o in den moralisierten

S c h w ä n k e n H E R R MIT D E N V I E R F R A U E N I - 6 ;

BESTRAFTES

MISSTRAUEN 9 - 1 4 . Die Lobrede des Gatten auf seine Frau im EHESCHEIDUNGSGESPRÄCH, einem moralisch-exemplarischen Märe, gehört nicht zur Personeneinführung, sondern ist in ihrer Funktion dem Geschehen untergeordnet: der Mann gesteht dadurch ein, daß er im Rededuell von seiner Frau besiegt ist. Ganz ähnlich wie die laus wird auch die superlativische idealisierende Charakteristik eines Helden, die ihn als den jeweils Besten, Tapfersten und Erfolgreichsten - wie die Heldin entsprechend als die Schönste und Edelste - aller Länder und Zeiten rühmt, vornehmlich für Standespersonen, meist wiederum für Adlige, aber auch für höher stehende B ü r g e r , v e r w e n d e t : RITTERTREUE 3off. u n d 6 2 ; AUGE ( G A 1 2 ) 5 ; HERO UND LEANDER 3 o f . , 5 2 - 5 5 ; SCHÜLER VON PARIS ( G A ) 3 7 - 3 9 ; Z W E I KAUFLEUTE 2 2 5 - 2 2 7 .

Das gleiche gilt für die .Überbietung' (Curtius S. 171), die behauptet, die beschriebene Person übertreffe alle andern ihrer Art (HEIDIN I V 5fr.; BESTRAFTES MISSTRAUEN 13, 2off.), niemand komme ihr gleich (PYRAMUS UND THISBE 318fr.) und nirgends auf der Welt fände sich Vergleichbares (RÄDLEIN 15fr.). Auch bei dieser Formel kam es offensichtlich weder darauf an, daß die idealisierende Charakteristik immer mit der Handlung zusammenstimmte (WIRT 23fr.), noch war es von Bedeutung, ob die Personen Protagonisten waren oder als .Statisten' im Hintergrund blieben (TREUE MAGD 32fr. vom ritterlichen Vater des Studenten). Die ständisch bestimmte Grenze des Anwendungsbereichs markiert sich wiederum sehr deutlich in ARISTOTELES UND PHYLLIS: nur König Philipp, seine Gemahlin und Alexander sind mit dem Überbietungstopos ausgezeichnet (10, 15, 3off.). Festgehalten sei auch für diese Stilform, daß sie im höfischernsten und schwankhaften Haupttyp gleichermaßen begegnet, während das moralischexemplarische Märe sie i. a. meidet. Kommt sie dort gelegentlich vor, so hat sie eine besondere u n d sinnvolle F u n k t i o n w i e in der DEMÜTIGEN FRAU u f f . u n d in den ZWEI

KAUFLEUTEN, in denen sie den Widerspruch der Gegenspieler weckt und die Wette provoziert (Preis der eigenen Gattin ebd. 412fr.). Parodistischen Sinn hat die Formel im ZAHN; hier fordert der Liebhaber von der Frau als Liebesbeweis, ihm den allerbesten kinnezan zu bringen, den ieman ibtes vinden kan in dines mannes munde (43ff.). 88

Darüber im Abschnitt über .Kürze als Stilideal'.

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PFERD im Gegensatz

zu Sibotes FRAUENZUCHT exemplarische Kürze mit Verzicht auf Beschreibungen wie laus oder vituperatio und die Umsetzung in unhöfisches, ständisch niederes Personal charakteristisch.39 Natürlich haben die Haupttypen des Märe in der Zeit, in der sie geschichtlich faßbar werden, die Tendenz, sich einander anzugleichen und in ihren charakteristischen Gestaltungsprinzipien zu vermischen. Aber die Grenzen bleiben dennoch bis etwa zum Anfang des 14. Jahrhunderts deutlich erkennbar. Scheinen demnach laus-Topik wie andere Formen der descriptio (S. 14 u. i6ff.) dem moralisch-exemplarischen Typ, wie er am reinsten und frühesten beim Stricker ausgeprägt ist, von Haus aus fremd gewesen zu sein, so öffnet er sich im Verlaufe der geschichtlichen Entwicklung dem Einfluß der beiden andern stilistisch reicher gestalteten,,novellistischer' erzählten, jedenfalls im Umfang weniger begrenzten Gruppen des höfisch-galanten und schwankhaften Märe und übernimmt gelegentlich Stilformen, die - wie es scheint - ursprünglich diesen vorbehalten waren. Diese Entwicklungstendenz läßt sich an den Fassungen der HALBEN D E K KE 4 0 recht anschaulich ablesen. Die Liedersaal-Version mit bürgerlichem Personal, die knappste und in ihrer Konzentration des Handlungsverlaufs stark beispielhafte Darstellung (150 Vv.), verzichtet auf die Personeneinführung und damit auf die laus-Figur überhaupt;41 die schwäbische Fassung III mit ritterlichem Milieu (7 der saz üf siner veste) ist ebenfalls um Kürze bemüht (204 Vv.) und preist den riehen man mit 16 Zeilen, während sich die künstlerisch gelungenste GA-Fassung (II) - um 1300 - trotz gewachsenen Umfangs (304 Vv.) auf ein kaum 8zeiüges Lob des Bürgers42 beschränkt. Erst die erweiternde, künstlerisch schwächere Darstellung des Hufferers aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, die stofflich II und III kombiniert, und die aus III und IV kompilierte Fassung V - beide mit ritterlichen Personen - finden nach dem Muster des umfäng" 40 41

4a

Das gleiche gilt für die thematisch verwandte, sonst aber selbständige BÖSE ADELHEIT. Zu den verschiedenen Fassungen vgl. H.-F. Rosenfeld, in: V L II Sp. 935-935. Ebenso das knappe altfranzösische essanple von 18 Versen ,C'est de la Houce' (MR II S. 1 - 7 ) im Unterschied zur umfänglicheren ,La Houce partie' (MR I S. 82-96) mit 416 Versen. Diese moralisch-exemplarische Erzählung hat dem bekannten Stoff das Motiv der ungleichen Heirat (mesalliance) einverwoben. Sie bekommt dadurch, im Gegensatz zu den Fabliaux mit ihrem höfisch-burlesken Geist, einen gewissen sozialkritischen, zumindest bürgerlichen Anstrich: die Schuld für die schlechte Behandlung des bürgerlichen Vaters, dem der Dichter die laus widmet, trägt die adlige Schwiegertochter. Vgl. auch SCHLEGEL 24-32.

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licheren höfisch-galanten und schwankhaften Märentyps Raum für eine einführende Personenbeschreibung, wenn auch in recht volkstümlichem Stil. Kaufringer reduziert den Stoff wieder auf die exemplarische Kurzfassung (bei Euling Nr. 21). b) Die Frauenschelte (vituperatio) Außer der laus, einer der verbreitetsten Formen der descriptio, kennt die Poetik auch die negative Beschreibung: die vituperatio, die wie ihr positives Korrelat aus der Rhetorik stammt, wo sie - vor allem in der Gerichts- und Staatsrede - die Funktion hatte, den Gegner herabzusetzen.43 In der Märendichtung begegnet die vituperatio meist als Frauenschelte, aber sie ist nicht nach den einzelnen loci des rhetorischen Musters angelegt und kommt im behandelten Zeitraum selbst im Schwank oder im moralisch-exemplarischen Erzähltyp nur gelegentlich vor. Dieser zunächst auffallende Befund mag sich daraus erklären, daß einmal der ,reine' Schwank die herabsetzende Beschreibung der Frau, zumindest der höher gestellten, nicht liebt44 und zum andern die moralisch-exemplarischen Mären, die die Frau durchaus auch negativ darstellen, auf einführende Personenbeschreibungen gern verzichten.48 Kommt die Frauenschelte dennoch in dieser Gruppe vor, so hat sie eine bestimmtere, meist ,moralische' Funktion, die "

44

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Vgl. Arbusow S. 1 1 7 : „Aus der klassischen rhetorischen Vorschrift für die Gerichtsrede aber, ζ. B. in Cassiodors Instit. div. lit. II (nach Cicero und Quintilian): Initium narrationis α persona ... fiet, et ea, si nostra est, ometur, si aliena, infametur, besonders jedoch aus der epideiktischen Beredsamkeit, entsprang die in der ganzen Folgezeit für die Schilderung von Personen und Sachen maßgebliche einzige Alternative: laudare . . . oder vituperare." Ein Beispiel für die Schelte auf die Frau eines Ritters bietet FRAUENZUCHT 45-86; aber Sibote stellt in der Vorrede ausdrücklich fest: hie enmein ich keine vrouiven mite (17) und möchte seinen Schwank nur als vorsichtige Mahnung verstanden wissen (vgl. V. 19). Sogar der Stricker nimmt in seinem Lehrgedicht ,Von übelen wlben' (bei F. Brietzmann, Die böse Frau in der deutschen Litteratur des Mittelalters, in: Palaestra 4 2 , 1 9 1 2 , S. 15 fr.) die kennzeichnende Trennung der vrouwen von den übelen wlben vor (vgl. 2 - 1 2 und besonders 19fr.: die vrouwen suln ir rebtes pflegen / und läzen des niht underwegen / daz liebet ir leben und ir lip). Der Typ des Übeln wibes ist bei Sibote auch insofern gemildert, als hier die vrouwe schließlich zum Gehorsam gegen ihren Gatten geführt wird - wie auch die EINGEMAUERTE (Ritters-) FRAU in Strickers moralisch-exemplarischem Märe. Auf viel niederer Stufe steht - auch im .sozialen' Sinne! - die u n b e z w u n g e n e böse Frau in dem rein schwankhaften buoch von dem übelen mibe, die ebenfalls mit einer ziemlich ausführlichen vituperatio (15-46) eingeführt wird. Auf diese feineren .gesellschaftlichen' Abstufungen der beiden Typen des Übelnrnbesmacht bereits Brietzmann S. 141 aufmerksam. V g l . Strickers EINGEMAUERTE FRAU, die unmittelbar mit der Handlungsdarstellung

einsetzt und sich auf sie beschränkt.

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über die bloße Personeneinführung hinausgeht. So stellt sich in DER G E V A T T E R I N R A T (daz bloch) durch den Gang der Handlung heraus, daß die Schelte - die charakteristischerweise nur als Reflexion des Bauern eingekleidet ist46 - unbegründet war (ebenso die des Gatten auf seine Frau im EHESCHEIDUNGSGESPRÄCH). E S ist also nicht ihre Aufgabe, die Frau herabzusetzen, sondern nach Art der in diesem Märentyp beliebten Kontrastzeichnung eine negative Ausgangssituation im Sinne der ,gestörten Ordnung' zu schaffen, die im weiteren Geschehen durch Wiederherstellung des Rechts überwunden wird. Dieser Vorgang drückt sich stilistisch darin aus, daß beide Frauen schließlich mit einer laus bedacht werden.47 Ganz verfehlt wäre es, vom Vorkommen der Frauenschelte in der Märengattung auf ein sozial niederes Auditorium zu schließen. Für die Frage nach der sozialen Einstufung des Publikums sind die S. 14 Anm. 44 erwähnten apologetischen Einschübe der Dichter aufschlußreich. Auch Gottfrieds ,Tristan' kennt ja die Frauenschelte (9866fr.).48 Sie dient aber nicht dazu, die Königstochter Isolde zu schmähen, sondern soll vielmehr den Truchseß, der die Schimpfrede im Munde führt, als unhöfische Person und unwürdigen Bewerber um die Hand Isoldes erweisen. Laus und vituperatio gehören, obgleich sie inhaltlich Gegensätzliches aussagen, wie ihrer Herkunft so ihrem Wesen nach eng zusammen. Beiden ist, wie schon in der antiken Rede, die stilisierte Übertreibung gemein, das eine Mal nach oben, das andere nach unten. Daher kennen auch beide die υπεροχή.*" Ihre enge Verwandtschaft wird auch daran deutlich, daß beide Figuren in ein und derselben Geschichte in enger Verbindung miteinander vorkommen können.60 4

' Vgl. die reflektierenden, die Realität gleichsam aufhebenden Einschübe wie den duhte, ern trüwete, im wände, daz dühie (2, 4, 12, 15). 47 DER GEVATTERIN RAT 525fr.; EHESCHEIDUNGSGESPRÄCH 120-39. 48 Dazu Heinz Rupp, Schwank und Schwankdichtung in der deutschen Literatur des Mittelalters, in: D U 14/2, 1962, S. 38. Rupp betont mit vollem Recht ebenfalls die Beziehungen der Schwankdichtung zur höfischen Literatur. " Vgl. FRAUENZUCHT 45; in enger Verbindung, jedoch außerhalb einer Beschreibung in der EINGEMAUERTEN FRAU 360fr. . . . daz diu vrourn gewesen ware daz aller wirseste wlp, diu ie gewan wibes lip, und ware nu diu beste, die man lebende weste ... " Vgl. neben dem eben genannten EHESCHEIDUNGSGESPRÄCH und DER GEVATTERIN RAT auch Sibotes FRAUENZUCHT, WO die vituperatio auf die Frau die vorausgehende laus auf den Mann (32-43) unmittelbar ablöst. Im (unechten) Epilog zu HERO UND LEANDER folgen Frauenschelte, Böse-Frau-Thematik und huldigende Minnesängertöne unvermittelt aufeinander.

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c) Beschreibungen weiblicher Schönheit Vergleicht man die bei Bruno Barth 61 in synoptischem Paralleldruck nebeneinander gestellten Schönheitsbeschreibungen der Frauen aus dem B O R T E N und dem altfranzösischen ,Guillaume au Faucon' und stellt die aus der tragischen Liebesnovelle FRAUENTREUE dazu, so ist mit einem Blick zu übersehen, wie diese in Charakter und Handlungsweise so ganz verschiedenen Frauen (die kühl-überlegene, allen Verwicklungen gewachsene Schöne im BORTEN; die schüchterne, verhalten-weibliche, doch tiefer Empfindung und letzter Aufopferung fähige Geliebte des Ritters in der FRAUENTREUE; die stolze, selbstbewußte Dame in der französischen Novelle, die die Liebe ihres Anbeters bis zum Äußersten auf die Probe stellt, bevor sie ihn erhört) in typenhafter, gleichsam genormter Uniformität vorgestellt werden.62 Der Unterschied zwischen den beiden deutschen Beispielen besteht lediglich im äußeren, auf die Gesamtlänge beider Mären abgestimmten Umfang. Die Schönheit fließt nicht aus dem inneren Wesen der Frau, und die schönen Details wirken nicht in einem von ihrem Träger gelenkten Zusammenspiel. Es ist eine starre, unbewegliche Schönheit, die etwas Statuenhaftes an sich hat. Die Schablonenhaftigkeit der Zeichnung äußert sich vor allem darin, daß die einzelnen Partien des Gesichts und des Körpers, dazu die Gliedmaßen, in bestimmter Reihenfolge aufgezählt, mit den gleichen Epitheta und nur wenig variierten Metaphern belegt werden. Mögen die Märendichter die Schönheitsbeschreibung nun aus den Vorbildern anderer Dichtungsgattungen oder aus der Kunsttheorie gelernt haben - in jedem Falle geht das Verfahren auf die in den Poetiken vorgezeichneten Muster zurück.63 Die Gepflogenheit, die descriptio entsprechend der Geistnatur des Menschen mit dem Kopf, und zwar beim Haar, zu beginnen, 64 erklärt sich - wohl übereinstimmend mit der Ansicht, daß der Künstler mit seinem Werk ein Abbild der göttlichen creatio schaffe - aus einem entsprechenden Vorgehen der unter Gottes Autorität wirkenden Natur. 66 Der Topos ,Natur als 61

62 68 54 65

S. 45f. Barth hat zu diesem Punkt reiches Material zusammengestellt, jedoch meist in Form bloßer Inhaltsangaben und ohne stets urteilssichere Auswertung. Vor allem ist die Beziehung zur Kunsttheorie nicht gesehen. Im Prinzip sehr ähnlich, aber aufgeschwellter, auch SCHÜLER VON PARIS (M) 225-271. Vgl. dazu Faral S. 80 und H. Brinkmann, Zu Wesen und Form, S. 140. Für die Fabliaux s. Nykrog S. 103. Physis ... hominem format et a capite incipietts membratim operando opus srnrn in pedibus consummat. So Bernhard von Silvestris, zitiert bei Faral S. 81; s. auch Arbusow S. 71.

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Bildnerin des schönen Menschen'88 klingt auch in der mittelalterlichen Novellistik nach; der panegyrischen Funktion gemäß drückt er hyperbolisch aus, daß die Natur bei der Schaffung dieses beschriebenen Wesens ihr Äußerstes, nicht mehr zu Überbietendes geleistet habe: Je ne cuit qu'ainz feist Nature Nule plus bele creature. (MR I, S. 13)" Die deutschen Novellendichter haben, wie Hartmann und Wolfram in der Epik,68 die ursprünglich heidnische natura durch Gott ersetzt. Sie flechten in den Preis weiblicher Schönheit die Bemerkung ein, Gott habe alle seine Kunst aufgeboten, er habe nichts vergessen, als er diese Gestalt gebildet.89 Wenn in den Beispielen des BORTEN und der FRAUENTREUE beide Dichter die körperlichen Reize der Dame ausführlicher darstellen und am Schluß ihrer Beschreibung noch kurz die inneren Vorzüge wie tugent, kiusche oder giiete erwähnen ( B O R T E 89f., FRAUENTREUE 99), so folgen sie auch darin den Vorstellungen der Poetik, wonach ein vollständiges Portrait zwei Teile umfaßt, den physischen und moralischen'.60, Dabei haben aber tugent oder kiusche in den noch von höfischem Geist geprägten Erzählungen nicht den verengt moralischen Sinn, sondern meinen ein Vortrefflichsein, ein Ausgezeichnetsein, das meist mit adliger Geburt verbunden ist.61 Schon Barth hat festgestellt, daß der Frau in den Schwanknovellen „eine viel reichhaltigere Charakteristik zuteil wird als dem Manne" *· Z u diesem rhetorischen Topos s. Curtius S. 189^ und kritisch dazu J. Schwietering, in: Z f d A 91, 1961, S. io8ff. " Offensichtlich parodiert ist diese Wendung in ,Du Fevre de creeil' (MR I, S. 231, V . 15fr.; bei Nykrog S. 198, aber dort nicht als Parodie erklärt). Hier bezieht sich die vollendete .Schöpfung' nicht auf einen Menschen, sondern auf einen obszönen Körperteil. 68 J. Schwietering, a. a. O. S. noff. 69

el

V g l . R Ä D L E I N 6 6 ; PYRAMUS UND T H I S B E 2 4 0 f r . ; I R R E G A N G UND G I R R E G A R 6 4 f r . ; H E R O

UND LEANDER 68; WIRT 186; im HÄSLEIN kündigt sich der für die spätmittelalterliche Zeit charakteristische Aspekt beim Bilden der Schönheit an: sin (Gottes) meisierschaft schein an ir wol (126). Ein später (säkularisierter) Nachklang in DER MYNNEN KLEFFERER, K E 124, 7: Wer si nu möge gemachen baß, der tuewe ez gar an meinen haß. Nach Faral S. 80. Die Aufteilung der laus animae et corporis auf einzelne qualitates nennt sich in der Rhetorik divisio; vgl. Lausberg § 1129. Diese Wortbedeutung gilt auch für einen Teil der Schwanke, tugent und kiusche einer verheirateten Frau sind also keineswegs grundsätzlich unvereinbar mit ihrer Hingabe an einen Liebhaber; vgl. FRAUENLIST 79, 81, 145. Darüber ist im Kapitel über die Liebesauffassung zu sprechen.

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(35), und er hat dies, gewiß zu Recht, als „ganz natürlich" empfunden (34), da die Frau die eigentlich handlungtreibende Mittelpunktsfigur ist. Aber auch die Poetiken empfehlen, die Schönheitsbeschreibung einer Frau ausführlicher als die eines Mannes zu gestalten (vgl. S. 6, Anm. 16). Im Dienste rhetorischer Schönheitsbeschreibung steht auch der von Curtius (S. 168) so genannte Unsagbarkeitstopos. Wolfram verwendet ihn im Tagelied (I, 3, 7 nach K L D ) sehr individuell und bricht mit ihm seine Schilderung der zart angedeuteten Liebesszene höchst sinnvoll ab.62 Anders die Märendichter: sie versichern oft am Ende einer detaillierten Beschreibung, in der wirklich alles gesagt ist, niemand vermöge die Schönheit angemessen und vollständig zu beschreiben:63 der Topos steht nach rhetorischem Vorbild im Dienste der Epideixis. Die Beschreibungen weiblicher Schönheit in den Mären sind zugleich Ausdruck eines zeitgeschichtlich bedingten Schönheitsideals, das im Laufe der literarhistorischen Entwicklung beträchtliche Wandlungen erfahren hat.64 Das Schönheitsideal in der Novelle ist ohne die höfisch klassische Tradition nicht denkbar. Aber die komplexe Einheit von äußerer Schönheit und innerem Ausgezeichnetsein entwickelt sich in der Weise ,auseinander', daß diese in der Klassik ineinander wirkenden Bestandteile sich verselbständigen: so wird man die starke Betonung •2 Das Bild vom Malet auch in H E R O U N D L E A N D E R 6 7 . Vgl. S C H Ü L E R V O N P A R I S (M) 184FR und 2 6 3 f r . In der GA-Fassung von der Hagens 2zif. (vgl. bei Rosenfeld S. 3 9 5 ) . Individueller und geschickter verwendet den Unsagbarkeitstopos Johannes von Freiberg in den lyrischen Partien des R Ä D L E I N , in denen er das Mädchen ihre Liebesfreuden schildern läßt ( 4 3 2 t . , 4 4 3 , 4 5 3 , 4 7 9 ) und, eigene Naivität vortäuschend, bei der Beschreibung ihres nackten Körpers ( 1 2 5 f r . ) ; H E R Z M Ä R E mit Bezug auf die Liebe des Paares ( 4 8 f r . ) ; H E R O U N D L E A N D E R zur tugent Heros C 7 5 - 7 8 ) ; im Dienste der Klage: P Y R A M U S U N D T H I S B E ( 4 6 1 f r . ) . - An die urtümlichste Form, Namen von (berühmten) Autoren anzuführen, „die der Aufgabe nicht gewachsen wären" (Curtius S. 1 6 8 ) , erinnert H E L L E R W E R T W I T Z 6 3 6 f r . (Berufung auf Ovid und alle andern meister seit Adam) und Z W E I K A U F L E U T E , 2 3 4 f r . : nie kein meister wart so wis, der . . . , Lob der Gattin ebd. 394t.; bei der vituperatio: R I C H T E R U N D T E U F E L 1 - 3 . - Der rhetorisch äußerst gewandte Andreas Cappellanus stellt in seinem Liebestraktat den Topos in den Dienst der Liebes Werbung (6. Kap., Gespräch des nobilior mit der nobiliori): Et ego nunc aperta veritaie cognosco, quod mc lingua nee animus hominis pestram speciem atqueprudentiam esset narrare vel cogitare sufficiens (S. 1 4 6 ) . Vgl. dazu die Arbeit von Anna Köhn. Das weibliche Schönheitsideal in der ritterlichen Dichtung, in: Form und Geist, Bd. 1 4 , Leipzig 1 9 3 0 . Sie hat die Methode des Vergleichs mit Darstellungen der zeitgenössischen Plastik sinnvoll und .erhellend' angewandt. -Anna Steinberg, Studien zum Problem des Schönheitsideals in der Dichtung des Mittelalters, in: Archivum Neophilologicum I, Krakau 1 9 2 9 - 3 0 .

ω

18

der von der Frau ausgehenden sinnlichen Reize im Schwank als Weiterentwicklung eines im klassischen Schönheitsideal bereits angelegten, aber mit den inneren Werten zusammenwirkenden Zuges begreifen, ohne sie als radikalen Geschmacksumbruch zu beurteilen.66 Stärker gewandelt sind dagegen im moralisch-exemplarischen Märe (und entsprechend im moralisierten Schwank) die inneren seelischen Qualitäten, die der höfischen Dame in der Klassik mit ihrer Schönheit als selbstverständliche Attribute zuerkannt waren: sie werden, dem Gattungstyp gemäß, nach der moralischen Seite hin verengt, verlieren ihre Bindung an die Adelgebürtige und bewähren sich in bestimmten moralisch richtigen - oder als richtig verstandenen - Verhaltensweisen (darüber S. 22f.). Die erregende Wirkung, die von der Schönheit der Frau auf den Mann ausgeht, weiß noch der Dichter der F R A U E N T R E U E eindrucksvoll wiederzugeben. Die asyndeüsche frequentatio von Einzelzügen bei der Schilderung des Kopfes 66 wirkt gerade in ihrer andeutenden Knappheit, die zum verhaltenen Charakter der Frau paßt, anschaulich, ebenso der Versuch, mit dem vrouwelichen ganc eine Bewegung einzufangen. Die klassische Simultanwirkung von körperlicher Schönheit und Gewand ist angedeutet (97f.), die Beziehung zur zeitgenössischen Plastik wenigstens gesehen (94f.), wenn auch nicht gestaltet. Der hohen Einschätzung der Kleider entspricht die Scheu vor der Darstellung körperlicher Nacktheit in klassischer Zeit: sie ist meist Symbol des Außerhöfischen (Wahnsinnsszene im ,Iwein': er erhält mit den Kleidern die ritterliche Würde zurück; vgl. B U S A N T 610; D E R N A C K T E B O T E , DER N A C K T E K Ö N I G , wohl auch der von Kaiser Otto geächtete und (deshalb?) nackt für ihn kämpfende H E I N R I C H VON K E M P T E N . Schwankhafte Verwendung des Motivs der Nacktheit in M A R T I N S N A C H T ; DER W I E N E R M E E R F A H R T 59; D R E I L I S T I G E F R A U E N I I , 391fr.; P F A F F E IN DER R E U S E 160; H E R R G O T T S C H N I T Z E R ) . Das neue Bild vom Durchschimmern der bloßen Haut durch das zerschlissene Gewand bei Enite und Jeschüte hat bereits

"

Wie B. Barth S. 215 zum BORTEN 872. Man vgl. die zahllosen Nachweise zum physischen Schönheitsideal aus höfischen Dichtungen bei Alwin Schultz, Höfisches Leben zur Zeit der Minnesänger I, 2 i889, 2 i i f f . Die Zerlegung des komplexen Gesamteindrucks in die aufgezählten Einzelheiten ist, historisch gesehen, ein spätzeitlicher Z u g , dem Novelle und Roman, natürlich im Verhältnis zum gattungsbedingten Umfang, in gleicher Weise huldigen. Belege für die Versnovelle:

DER

SCHWANGERE MÖNCH

121-129;

S C H Ü L E R VON P A R I S

(M),

bes.

240-262; PETER VON STAUFENBERG, Gewand- und Schmuckbeschreibung 226-269; HERO UND LEANDER 56-69; BORTE 37-78. Diese Entwicklung scheint wieder von der Poetik, die dies vorzeichnet, gefördert zu sein: ihr Einfluß ist in der Epigonenzeit i. a. höher zu veranschlagen als in der Klassik.

J

9

ästhetischen Eigenwert, ist aber gleichwohl nicht frei vom Ausdruck der Armut und Erniedrigung. Die ästhetische Reinheit dieser Bilder läßt etwas von der nun einsetzenden Entdeckung des Körpers unter der Hülle des Gewandes spüren. Die formal anspruchsvolle Novelle vom R Ä D L E I N schließlich kann den Körper eines Mädchens in seiner nackten Schönheit beschreiben. Wirkt diese Stelle durch ihre Formkunst und in ihrer sinnenfrohen Unbekümmertheit ebenso wie die Schilderung der Liebesfreuden des Mädchens trotz eindeutiger Metaphern weder lüstern noch anstößig, so läßt sich das von einer nur im Stofflichen vergleichbaren Beschreibung aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts (DER M Y N N E N K L E F F E R E R K E 123, 5-124, 8) nicht mehr sagen. Hier geht es dem lüsternen Verfasser letzten Endes nur um Ünterhalben der gürtel daz / Au ff baß vnd nyeder baß, Waz ist daz? Waz ist daz? Sehr deutlich wird am Vergleich dieses Stücks mit dem R Ä D L E I N , daß es für den künstlerischen Rang eines Schwanke nichts bedeuten will, ob Pikantes ausgesprochen, angedeutet oder verschwiegen wird: statt des poetisch schönen Bildes vom rdsengertelim RÄDL E I N , das auch anspruchsvollere Dichtungen zumal um seines mitschwingenden Symbolgehalts nicht scheuen67, gestellte Geziertheit und scheinbare Prüderie im M Y N N E N K L E F F E R E R : Nicht fürbaß ich ez nennen sol, / Doch versteen wir ez alle wol. So wird hier beispielhaft der große Abstand in Niveau und künstlerischer Qualität, der den höfischen Schwank des 13. Jahrhunderts und des beginnenden 14. oft von jenen kleinbürgerlich-volkstümlichen Ablegern 68 der Folgezeit trennt, auch an der Schönheitsbeschreibung und besonders an der Haltung dem Frivolen gegenüber deutlich. Im Unterschied zur laus ist die Schönheitsbeschreibung nicht eigentlich auf Damen adligen Standes begrenzt. Zwar scheint besonders dieser Personentyp Anspruch auf eine preisende descriptio zu haben,69 aber es liegt am erotischen Charakter der meisten Erzählungen, wenn sich hier keine klare Grenze ziehen läßt: auch die einfache Frau wird der Dichter in einem Liebesverhältnis gern mit begehrenswerten Zügen ausstatten. Vielleicht aber ist es mehr als Zufall, wenn er dies besonders bei solchen Frauen nicht-adligen Standes tut, die von einem

" V g l . S. 2 1 7 und S. 254fr. *E DER MYNNEN KLEFFERER zeigt auch sonst Elemente eines anspruchslosen, volkstümlichen Stils wie formelhafte Wiederholungen (darüber S. 53ff.), Drastik und Verwendung derber Wörter. 69

S o die w e i b l i c h e n H a u p t g e s t a l t e n in H E R O

UND L E A N D E R , F R A U E N T R E U E ,

SCHÜLER

VON P A R I S ( M ) , P E T E R VON S T A U F E N B E R G ; i m S c h w a n k A R I S T O T E L E S UND P H Y L L I S , BORTE, HALBE BIRNE.

20

Ritter umworben werden, wie bei der M E I E R I N M I T D E R G E I S S . 7 0 Diese Beschreibung ist insofern interessant, als sie der Dichter mit folgenden Worten abbricht: 29 Ir lop daz wolt ich meren baz nu vürbt ich hoher vrouwen haz. des ml ich von ir gedagen ... Dies ist kein Unsagbarkeitstopos im Dienste der Epideixis. Der Dichter scheint vielmehr überzeugt zu sein, daß eine ausführliche Schönheitsbeschreibung (lob = laus!) an sich nur einer Dame von Rang zusteht. Darüber hinaus läßt seine Bemerkung wiederum gut erkennen, welcher sozialen Schicht das Publikum der Schwankdichtung angehört. 71 In vielen Mären sind detaillierte Beschreibungen der Schönheit durch eine ganz knappe Erwähnung dieses Vorzugs ersetzt. In der Mehrzahl handelt es sich dann um Frauen von nicht-adligem Stande.72 Ob aber in diesem Verfahren ständische Denkweise nachwirkt, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden: einmal kommt die knappe Schönheitserwähnung auch bei vrouwen von Stand vor, 73 ist hier allerdings meist nur ein Bestandteil einer etwas ausführlicheren, auch die inneren Qualitäten erwähnenden Beschreibung; zum andern hängt dieses ,Kurzverfahren' und zum Teil gewiß auch das Fehlen jeder Beschreibung in vielen Mären (ζ. B. beim Stricker) mit der Tendenz zur Kürze überhaupt zusammen (vgl. dazu S. 28f.). In anderen, zumal in anspruchsloseren oder abgesunkenen Bearbeitungen ist es Zeichen da70

N e b e n d e r M E I E R I N MIT D E R G E I S S g i l t d i e s f ü r S C H A M P I F L O R , D E R W I R T , I R R E G A N G

UND GIRREGAR (die Studenten sind vornehmer Herkunft) und für die .Kurzfassungen' der Schönheitsschilderungen, die nicht mehr als descriptiones zu werten sind, im HÄSLEIN und SPERBER. Die ausführliche Stelle im RÄDLEIN bildet insofern keine Ausnahme, als der schribxre (wie der schuolacre) in der Rolle als Liebhaber dasselbe Ansehen wie ein Vornehmer genießt (vgl. S. 9 u. S. }iif.). 71

V g l . a u c h R E I H E R 6 u n d 2 5 , F R A U E N Z U C H T τη&.

(dazu S . 7 2 ) ; WEISSER ROSENDORN 5 6 ;

vgl. auch Fischer S. 173fr. [Buchfassung S. 223 fr.] 72

P F A F F E MIT D E R

SCHNUR

ioff.; LIEBHABER

IM B A D E

10;

HERRGOTTSCHNITZER

8;

PFAFFE IN DER REUSE I8FF.; DER ZAHN 6. In folgenden Mären sind neben der Schönheit auch moralische Qualitäten erwähnt: BLINDER HAUSFREUND 3iff.; DREI MÖNCHE zu KOLMAR I8FF.; ZWEI KAUFLEUTE 367FR.; all diese Stücke gehören außer den ersten beiden den moralisierten Schwänken zu. 78

Herrands BETROGENER GATTE 26; RITTERTREUE 57fr. Meist ist die Schönheit hier jedoch eine unter andern Vorzügen. HEIDIN I u f f . , HEIDIN II und III 15FR.; Herrands T R E U E G A T T I N 2 3 f r . ; DAS A U G E ( G A ) 2 o f f . ; B E S T R A F T E S M I S S T R A U E N I6FF.; K Ö N I G I N VON F R A N K R E I C H 7FR.

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für, daß die Verfasser mit dieser poetischen Tradition nicht mehr vertraut sind. Aus den angeführten Beispielen dürfte bereits deutlich geworden sein, daß die Schönheitsbeschreibung im engeren Sinne auf einige höfische, besonders sentimentale Novellen und auf den Schwank beschränkt ist. In der ersten Gruppe begegnet sie nicht eben häufig, denn auch hier tritt die descriptio, die ja ein Mittel der amplificatio ist, oft vor der Darstellung des Vorgangs oder des Problems, um das es dem Dichter geht, zurück.74 Die übrigen Beispiele gehören den Schwänken an: wieder zeigt sich (wie bei der laus) vom Stilistischen her die engere Zusammengehörigkeit dieser beiden Gattungstypen. Hatten sich, wie bereits gezeigt, aus der ursprünglichen in der Klassik verwirklichten komplexen Einheit von äußerer Schönheit und inneren Qualitäten in der Schwankgruppe vor allem die körperlichen Reize der Dame als darstellenswert erwiesen, so bevorzugen es die Erzähler der moralisierten Schwänke, die ,Tugenden' ihrer Heldinnen auszumalen, und meist schon in modernerem, verengtem Wortsinn; äußere Vorzüge werden nur unter anderen knapp erwähnt. Für die Darstellung nur der äußeren Schönheit ist in dieser Gruppe, die nicht nur unterhalten, sondern am Schwankexempel auch belehren will, kein Raum. So weiß der Dichter an der Bürgersfrau in den D R E I M Ö N C H E N zu K O L M A R nicht nur ihre Schönheit, sondern ihren Gehorsam in der Erfüllung der göttlichen Gebote und ihre Liebe zu Gott - wiederum in charakteristischer Verengung des Tugendbegriffs - zu preisen. Der Schwank gehört der Typengruppe des abgewiesenen und bestraften Bewerbers zu: die Frau bewahrt ihre eheliche Treue.76 Gleichen Typs ist DER BLINDE HAUSFREUND; auch hier ist die schoene der Frau nur ein Prädikat unter anderen,moralischen'76 wie hövesch, guot, bochgemuot und

74

76

78

So fehlt im MORIZ VON CRAUN eine einführende Beschreibung der Gräfin, deren Charakter im Handlungsverlauf und durch die Gespräche gezeichnet wird; der Dichter möchte sie, im Gegensatz zu seinem Helden, auch nicht als Vorbild verstanden wissen. Darin wie in der Bestrafung der Bewerber zeigt sich das .moralische' Anliegen dieser Erzählung. Daß sich die Frau mit ihrem Mann dabei des mehrfachen Mordes an den drei Mönchen schuldig macht, ist, wie die Schluß-moralisatio erweist, ohne Belang: diese uns befremdliche Beigabe erklärt sich aus der Neigung zu drastischer Darstellung wie aus der Kontamination dieser Geschichte mit dem Schwanktyp von der heimlichen Fortschaffung der Leichen. Vgl. dazu die für den habituellen Charakter dieses verengten /»^««/-Begriffs charakteristische F o r m e l si bot ez...

rvol (34); ähnlich H e r r a n d s TREUE GATTIN 39 f . ; BEGRABE-

NER EHEMANN 134, 169, 200; H e r r a n d s BETROGENER GATTE 199, 240.

22

ganzer fugende vol. Auch die ins Moralische transponierten Schwanke vom Strukturtyp der erprobten Gattinnentreue betonen vor allem die inneren Qualitäten der treuen Frau." Den seiner zentralen Funktion gemäß ausführlichsten und ganz auf die moralische Ebene projizierten Preis erhält die treue Gattin Bertrams in den ZWEI KAUFL E U T E N (3 6 6 - 8 8 ) . 7 8

Dem klassischen Ideal der engen Zusammengehörigkeit von physischer Schönheit und innerem Wert am nächsten kommen die knappen Beschreibungen in den erbaulichen Novellen mit ritterlichem Milieu, die beide Züge erwähnen, die inneren Qualitäten jedoch mehr zu praktischer Bewährung und rechtem Verhalten in bestimmten Konfliktsituationen abwandeln.79 Sie stehen dem moralisch-exemplarischen Märentyp nahe,80 bewahren aber ritterliches Kolorit. Für sich stehen wiederum die knappen moralisch-exemplarischen Mären, deren Hauptvertreter der Stricker ist: sie verzichten auf das Stilmittel der descriptio überhaupt wie i. a. auch auf eine Beschreibung der Tugenden einer Frau. 2. Kürze als Stilideal und die amplificatio Schon an dem unterschiedlichen Verhalten der Märentypen zum Stilphänomen der descriptio, die ihrem Wesen nach ein Mittel der amplificatio ist und insofern eher dem Roman als der Versnovelle ange"

H E R R MIT D E N V I E R F R A U E N 1 0 2 - 1 0 6 ;

,e

Seht charakteristisch für die Wandlung des Schönheitsbegriffs nach der moralischen, in diesem Märe auch nach der verinnerlichten Seite hin ist die bekannte Stelle bei Thomasin von Zirclaria im .Welschen Gast', hsg. von H. Rückert 1852; hier ist die komplexe Einheit des klassischen Schönheitsbegriffs ganz bewußt aufgelöst: (947fr.) Gar ist niht schoen diu in ir muot hat debeiner slabte guot. wan sme schoene ein ivip si, ist untrim und unzuht derbi so ist ir üzer schoen enwiht, si ist schoene innerthalben niht. Vgl. auch die folgenden Verse bis 1022.

232-246.

' * K Ö N I G I N VON F R A N K R E I C H 7FF.; H e r r a n d v o n W i l d o n i e r ü h m t a n d e r T R E U E N G A T T I N

dem erbaulichen Gehalt des Märe entsprechend nach knapper Erwähnung ihrer Schönheit die güete, nennt sie reine und erbaere, und stellt - Zeichen der Wandlung des Existentiellen ins Habituelle (vgl. H. Kunisch, Spätes Mittelalter, in: Deutsche Wortgeschichte I, 2 I959, dort S. 215 und 224) - ihr freundliches Verhalten den friunden und gesten gegenüber heraus (vgl. auch Anm. 76 auf S. 22). Die GA-Fassung dieses Stoffs: DAS AUGE hat diese Ansätze in der für diese Gruppe kennzeichnenden Weise nach der moralischen Seite hin stark erweitert (24-49 und 64-66); die Schönheit ist nur in einer zweizeiligen Idealisierungsformel erwähnt. 80

Uber die Zuordnung dieser Mären zu den Haupttypen und Typengruppen vgl. später S. 132t.

messen erscheint, wird deutlich, daß man das Wesen dieser Gattung verkennen würde, wollte man in dem Gebrauch der .Beschreibungen' und in dem Streben nach relativer Kürze der Darstellung einen Widerspruch sehen. Hermann Tiemann hat in seinem Vortrag über „Die Entstehung der mittelalterlichen Novelle in Frankreich"81 auf die „Spannweite der Form, die ein stetes Experimentieren erlaubt; die Berührung und Mischung der Typen; die Integration anderer Gattungselemente" hingewiesen, zu denen auch diese vorzugsweise dem Roman eigene Stilform gehört. „Auch die Kurzerzählung (ist) seit alters her ein,literarisches Versuchsfeld', auf dem alle Stilarten erprobt werden", und man dürfe sie „nicht durch eine (zu enge) Theorie belasten" (S. 24). In den Poetiken finden sich neben Anweisungen zur amplificatio solche zu abbreviatio;82 und Galfredus gibt den Schwank vom Schneekind, der auch als kurzes mittelhochdeutsches moralischexemplarisches Märe überliefert ist, als Beispiel des kürzenden Verfahrens einmal in fünf und zweimal in zwei Hexametern wieder.83 Bekanntlich versichern die Märendichter häufig, ihre Darstellung kurz halten zu wollen84 und bringen immer wieder die brevitasFormel85 der Poetiken an. Für ihre rechte Beurteilung will beachtet sein, daß sie keineswegs auf die Mären beschränkt ist, sondern ebenso in andern epischen Gattungen,86 selbst im umfänglichen höfischen Roman,87 vorkommt. Man darf daher in ihrer häufigen Verwendung im Märe nicht ohne weiteres ein Element des Gattungsstils sehen. Wichtiger als der Gebrauch der Formel ist es, ob die Kürze als Stilideal realisiert wurde. Man kann dies im allgemeinen bejahen. Der äußere Umfang der Mären ist durch die Verszahlen 150 und 2000 el 82

83 84

Sonderdruck des Europa-Kollegs Hamburg, 1961. Vgl. Faral S. 61 und 85; Matthieu de Vendöme Ars. Vers. IV, besonders § 4-5 (bei Faral S. 181) und die Nachweise bei Curtius S. 48if. Matthieu kennt die Alternative zwischen amplificatio und abbreviatio, die erst Galfredus und Johannes de Garlandia in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts herausarbeiten, noch nicht. Poetr. nov. 7 1 3 - 1 7 und 733-36. P E T E R VON S T A U P E N B E R G 9 5 2 ; D R E I L I S T I G E F R A U E N I I 2 0 ; B E S T R A F T E S M I S S T R A U E N 4 6 7 ; P F A F F E MIT D E R S C H N U R 3 3 6 ; W E I S S E R R O S E N D O R N 2 4 4 ; H E L M B R E C H T 2 6 , 3 8 9

85 86

87

u. a. Curtius S. 479-485. Beliebt ist sie in Heiligenviten (Curtius S. 479). So findet sie sich auch in mittelhochdeutschen Legenden, ζ. B. in Konrads von Heimesfurth ,Mariae Himmelfahrt', in: ZfdA 8, 1851, S. 182, Vv. 581-84 oder im .Arnsteiner Marienlied' nof., wo sie sinnvoll im Dienste des Lobpreises steht. Selbst der redefreudige Konrad von Würzburg flicht öfters die Formel ein Waz touc hie langiu rede me (Part. 8090, 8748, 11263, 17736).

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eingegrenzt;88 eine ähnliche Umfangsbeschränkung gilt für die Fabliaux89. Man wird auch der Vermutung Fischers zustimmen können, nach der sich Unter- oder Überschreitung jenes durchschnittlichen Umfangs, die zuweilen zu einem ,Ineinanderfließen' der Gattungen führe, aus entstehungsgeschichtlichen Zusammenhängen erklären90. Fischer sieht in dem höfisch-galanten Märentypus einen „Seitensproß des Romans" (S. δγ90") und stellt seinen „exemplarischen" Märentypus genetisch in die Nähe der Bispeldichtung. Interessant ist sein Hinweis auf eine märenartige Kurzfassung von W I L H E L M UND A M A L I A , 9 1 die zeige, wie aus einem höfischen Roman durch Wiedergabe des ,reinen Handlungsextractums' ein Märe entstanden sei.®2 Fischers Ansicht ließe sich durch ein weiteres Beispiel stützen. Vieles deutet darauf hin, daß die Geschichte vom J U N G H E R R N UND DEM TREUEN H E I N RICH 9 3 aus der kürzenden, zugleich auch neuernden und ergänzenden Bearbeitung einer verlorenen altfranzösischen Fassung der Herpin-Romans hervorgegangen sei, jener Geschichte über Lion de Bourges, den Sohn des Herzogs Herpin, die in zwei stark voneinander abweichenden Handschriften der Pariser Nationalbibliothek erhalten ist und von Elisabeth von Nassau-Saarbrücken übersetzt wurde.94 In die vermutlich nie ganz zu klärende Quellenfrage wenigstens ein erhellendes Licht zu werfen, müßte Gegenstand einer Einzeluntersuchung sein, die vor allem mit den erhaltenen altfranzösischen Romanfassungen98 Vergleiche anzustellen hätte. Auf die genetische Nähe zum Roman deutet auch die Komposition, der Episodenreichtum wie das Motiv der Werbung; die ungewöhnliche Umfangsüberschreitung (2189 88

Vgl. H. Fischer, zuletzt in: Mittelhochdeutsche Novellistik, in: R L I I 2 , Sp. 702. [Vgl. auch Buchfassung S. 58]. n Vgl. Nykrog S. 17. Die Fabliaux sind im Ganzen knapper gehalten als die deutschen Vertreter. Ihr Umfang liegt zwischen den Extremen von 18 und 1164 Versen; die meisten zählen weniger als 350 Verse. ,0 Vgl. Fischer, a.a.O. Sp. 702. [ e0a Buchfassung S. 1 1 5 . ] M Wilhelm und Amalia. Text bei V . Zeidler, 1 3 1 . Jahresbericht des niederösterreichischen Landes-Realgymnasiums Waidhofen an der Thaya für das Schuljahr 1896, Waidhofen 1896-1900, S. 3-42. • 2 Diese bereits der Spätzeit zugehörige Erzählung steht allerdings künstlerisch auf niederem Niveau; sie ist in recht anspruchslosem, volkstümlichen Stil gehalten. • 8 Von Fischer (Buchfassung S. 76) zu den „Grenzfällen" zwischen Märe und Roman gestellt. " Vgl. die Hinweise v. d. Hagens im G A I S. X C V I I und III S. L X X I sowie Wolfgang Liepe, Elisabeth von Nassau-Saarbrücken. Entstehung und Anfänge des Prosaromans in Deutschland, Halle 1920, S. io4ff. und die dortigen Literaturhinweise. Diese selbst sind in mehreren Greifswalder Dissertationen untersucht; s. die Nachweise bei Liepe a.a.O.

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V. in Η, 2416 in D) ließe sich leicht aus dieser Entstehungsweise erklären. Bei diesen beiden Erzählungen läge demnach eine knappere Herrichtung des Stoffs vor, selbst wenn sie infolge dieser Nähe zum Roman amplifizierende Stilmittel verwenden und innerhalb der Märengattung zu den umfänglicheren gehören. Auch die R I T T E R T R E U E gehört stofflich in den Kreis der Herpin-Romane.99 Sie bewahrt im Großen das Brautwerbungsschema (vgl. S. 187fr.), das gewöhnlich Thema einer größeren epischen Darstellung ist, beschränkt sich aber der Märengattung gemäßer auf einen „episodischen Ausschnitt" (Fischer S. 87; [Buchfassung S. 115]) und ist in der Form wie in der Konzentration auf ein Problem ganz novellistisch' gestaltet. Dennoch bleibt die Zahl der Versnovellen, die durch kürzende Bearbeitung eines Romans oder umfänglicheren Romanstoffs entstanden sind, im Gesamt der Gattung klein, auch wenn nicht wenige zu breiterer erzählerischer Fülle neigen. Denn die meisten Kurzerzählungen auch des höfisch-galanten Typs greifen einen Stoff auf, dem die Kürze und - durch die einfädige Handlung und Konzentration auf ein Mittelpunktsereignis - die Anlage zur dichterischen Behandlung in der Art eines Märe von vornherein eigen sind. So beruht etwa der P E T E R V O N S T A U F E N B E R G bei aller eigenständigen Umformung (S. i48ff.) im wesentlichen auf einem Sagenstoff, der vorher bereits in der Kurzform altfranzösischer Lais die ihm gemäße Darstellung erfahren hat; aber weder die ursprüngliche Knappheit des Stoffs noch die Zugehörigkeit zur Märengattung schließen es aus, daß der Dichter sich bestimmter amplifizierender Stilmittel bedient - mag er die Anregung dazu, wie es scheint, aus der Rhetorik oder aus der Tradition der höfischen Romane empfangen haben. Eben an dieser manchmal übersehenen Eigentümlichkeit besonders des höfisch-galanten Märentyps, offen gegenüber dem Einfluß aus andern Gattungselementen zu sein, hat sich die alte Streitfrage entzündet, ob der ebenfalls ziemlich umfängliche M O R I Z V O N C R A U N in der Zielsetzung des Dichters Roman oder ,Novelle' (Märe) sei. Die ältere Bearbeitung des Stoffes im ,Revenant'97 (MR VI, 13 8 ff.) mit seinen ganzen 2 5 4 Versen und in dem schon umfänglicheren, von Borck erschlossenen Spottgedicht erweisen diese Dichtung ohne Zweifel als Versnovelle, die von der

•· V g l . darüber von der Hagen G A I, S. XCVUff. und E . Stutz S. 77. 87 Das Fabliau hat bei M R die Überschrift ,Du Chevalier qui recovra l'amour de sa dame'.

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Freiheit der Gattung Gebrauch macht, amplifizierende Stilmittel zu verwenden und sich in der Darstellungstechnik bisweilen in die Nähe des Romans zu begeben. Selbst die an die Stelle des Prologs gesetzte ausführliche historische Einleitung und die von Stackmann (S. 28-42) aufgewiesene zweischichtige Komposition bleiben doch stets auf das zentrale Problem des Minnedienstes und der Lohngewährung hingeordnet. Den Weg, der von der knapperen, märenartigen Gestaltung eines für diese Gattung vorzüglich geeigneten minnekasuistischen Problems durch allmähliche Aufschwellung zum romannäheren Gebilde führt, beschreiten die verschiedenen Redaktionen der HEIDIN, besonders die Redaktion III (nach Pfannmüllers Kennzeichnung),98 während demgegenüber die vierte wieder zu einer kürzeren, märenhaften Form zurückfindet, die freilich detaillierte descriptiones durchaus nicht meidet. Aufs Ganze gesehen schöpft die Märengattung aus knapperen Stoffen, an denen sich das dominierende Stilideal der Kürze am leichtesten verwirklichen läßt. Wenn sich das Märe als kleinepische Gattung in der späten Stauferzeit herausgebildet hat - in Frankreich hat sich derselbe Vorgang mit dem Fabliau und mit dem Lai rund ein halbes Jahrhundert früher vollzogen so hängt dies gewiß mit einem Wandel des Zeitgeschmacks zusammen, der sich vielleicht als Reaktion zu dem jetzt immer stärkeren An- und Auswachsen des höfischen Romans zu übermäßiger Breite erklärt. Curtius (S. 484) verweist auf die ,.auffallend vielen Kurzbearbeitungen antiker Stoffe". Aus dem Märenbereich wären hier H E R O U N D L E A N D E R und P Y R A M U S U N D T H I S B E ZU nennen, aber auch dies sind a priori kurze Stoffe, die die deutschen Dichter nur aufzugreifen brauchten.9® Jener denkbaren Epenmüdigkeit ist es vielleicht auch zuzuschreiben, wenn sich der für Publikumsinteressen aufgeschlossene Stricker,100 der von der groß98

Man vergleiche auch das Quellenverhältnis von Heinrich Wittenweilers didaktischburleskem Roman ,Der Ring' zur Fassung (D) des Bauernhochzeitsschwanks METZEN HOCHZIT, die ihrerseits länger ist als die ältere Fassung (HS) MEIER BETZ. Vgl. Edm. Wiessner, in: Z f d A 50, 1908, S. 279. Darauf und auf dieHEIDIN-Redaktionen weist neuerdings auch Fischer, Buchfassung S. 58 Anm. 129 hin.

· · Die HERO-UND-LEANDER-Erzählung geht von Ovids Heroiden aus (vgl. dazu Werner Fechter, Lateinische Dichtkunst und deutsches Mittelalter, in: Philologische Studien und Quellen, Heft 25,1964, S. 186-198); zu PYRAMUS UND THISBE ist der antikisierende Lai ,Piramus et Tisbd' zu nennen, den jetzt H. Genaust, Die Struktur des altfranzösischen antikisierenden Lais, Diss. Hamburg 1965, S. 29-91 eingehender untersucht hat. 100 v g l . seinen Prolog zur .Frauenehre', gedruckt in der Dissertation von Maria Maurer, ,Die Frauenehre' von dem Stricker, Karlsruhe 1927, S. i j f .

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epischen Gattung herkommt, mit offensichtlichem Erfolg der Kleinerzählung zugewandt hat101. Gegenüber dem Typus des höfisch-galanten Märe mit seiner Neigung zu darstellerischer Fülle, die auch für einen guten Teil der Schwänke gilt, zeigt die Gruppe der moralisch-exemplarischen Erzählungen ein anderes Bild. Ihre Mehrzahl hält sich an den knappen Umfang von 200-300 Versen - ζ. B. die meisten Strickerschen Mären dieses Typs - , ein Teil ist sogar noch kürzer, und nur wenige erreichen mehr als 400-700 Verse.102 Das Ideal der Kürze scheint demnach am konsequentesten in dieser Gruppe verwirklicht. Das liegt einmal vielleicht an dem von Fischer vermuteten genetischen Zusammenhang mit der Bispeldichtung; zum andern dürfte die knappe Form der konzentriert erzählten mittellateinischen Exempla die geraffte Darstellungsweise der meisten moralisch-exemplarischen Mären mitbestimmt haben. Ihnen allen ist die primär belehrende, moralisch unterweisende Funktion gemein, zu der die Schlichtheit des Ausdrucks, also Verzicht auf rhetorische Ausschmückung und entsprechend Knappheit der Darstellung, als die angemessene Stilebene erscheint. Die Bedeutung einfachen Stils für belehrende Darstellung hat gerade die antike und frühchristliche Poetik, die die drei Stilarten noch nicht ins Ständische umdeutete, sondern auf rein stilistischen Erwägungen gründete, gesehen.103 Die oft zu beobachtende Be101

Dazu A . Leitzmann, Das chronologische Verhältnis von Strickers Daniel und Karl, in: ZfdPh 28, 1896, dort S. 46; Fischer Diss. S. 1 1 4 E u. ö.; de Boor III, 1 S. 252.

102 Y G J 103

SCHLEGEL u n d HELMBRECHT.

Nach Arbusow S. 15 sind den drei Arten der Rede: der oratio ternior, mediocris und plenior die drei Funktionen des docere, delectare und movere (flectere) zugewiesen. Vgl. auch Cicero, Or. 21, 69 subtile in probando\ Horaz, Ars 344 lectorem... monendo\ Isidor, Origines 2, 17, 1 cum parva dicimus,subti!iter (proferenda sunt); nach Lausberg § 1078L Nach Arbusow fordere Augustin vom Redegewandten, ut doceat poterit parva submisse, ut delectet et modica temperate, utflectat- magna granditer dicere. Danach erinnert die erste Stilart an die moralisch-exemplarischen Mären, die zweite an den Schwank (die moralisierten Schwänke stehen je nachdem zwischen der ersten und zweiten). Demgegenüber verwenden die höfisch-galanten, besonders ihre Gruppe der erbaulich-sentimentalen Mären, die sich im allgemeinen freilich ebenfalls auf der (mittelalterlichen) Stilebene des ornatus facilis bewegen, doch vereinzelt Stilfiguren, die nach Art des großen, schweren Stils das movere oder flectere anstreben. Vgl. die apostrophe und exclamatio im SCHÜLER VON PARIS (GA-Fassung) in der Totenklage 683-814 oder in den Worten des sterbenden Leander (382). Nach der Rhet. Her. (IV 15) ist die exclamatio „als unmittelbare A n r e d e . . . nur zugelassen zur Verstärkung des Ausdrucks des Schmerzes und der Empörung" (Arbusow S. 24). Vgl. auch Faral S. 72. Hartmann von Aue verwendet beide Figuren ähnlich gehäuft in Enites Klagemonolog, Wolfram in der Klage um Vivianz im .Willehalm'. Schon in den Totenklagen der ,Eneide' Heinrichs von Veldeke kommen sie vor.

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schränkung auf den bloßen Vorgang, der „Ton eines sachlichen Berichts", 104 der oben erwähnte weitgehende Verzicht auf alle Arten der descriptiones und meist auch des Prologs (S. 59) wie schließlich die besondere Schlichtheit der Komposition finden auf diese Weise eine einfache Erklärung. Auch am Verhalten der Haupttypen zum Stilideal der Kürze läßt sich demnach zumindest eine Tendenz zur Bildung von wenigstens drei Gruppen innerhalb der Märengattung beobachten: die höfischgalanten Erzählungen in der Nähe des Romans, die mehr auf schmükkende Fülle und nicht zu knappen Umfang tendieren; die moralischexemplarischen Mären in der Nähe der Bispeldichtung und in der Exempla-Tradition, die am konsequentesten stilistische Schlichtheit und ,Kürze' verwirklichen; schließlich die Schwanke als die zentrale Gruppe, die sich ohne erkennbare Vorliebe für die eine oder andere Tendenz neutral verhält. Eine ganz entsprechende Tendenz zur Gruppenbildung zeigt auch die Verwendung eines Prologs. Auf der andern Seite dürfen diese Beobachtungen, die sich nur aus der Mehrheit der Befunde ergeben, selbstverständlich niemals als verbindliche gruppenscheidende Kriterien angesehen werden. Die einzelnen Typen stehen ja, wie die Überlieferungsgemeinschaften der großen Sammelcodices beweisen: auch im Bewußtsein der Zeit, in ständiger Berührung, und man wird in dem wechselseitigen Austausch von wesensmäßig (oder urtümlich) mehr dem einen als dem anderen Märentypus zugehörigen Bestandteilen oder Stilerscheinungen106 geradezu einen charakteristischen Zug der Gattung zu sehen haben.10* Dennoch ist die Tendenz zur Bildung dieser Gruppen auch in ihren stilistischen Konsequenzen unverkennbar. 3. Sentenzen Die Märendichter haben von der Sentenz so augenfällig Gebrauch gemacht, daß man sie als ein wichtiges Element des Gattungsstils be101

de Boor III, 1 S. 235. So gehören der SCHLEGEL und der HELMBRECHT ihrem Gehalt nach den moralischexemplarischen Mären zu; in Form und Darstellungstechnik stehen sie jedoch dem höfisch-galanten Typ mit seiner Neigung zu mehr erzählerischer Fülle nahe. 10 * In ähnlichem Sinne äußert sich H. Tiemann über die Fabliaux; vgl. Die Entstehung der mittelalterlichen Novelle in Frankreich. Sonderdruck eines Vortrags im EuropaKolleg, Hamburg 1961, dort S. 6.

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zeichnen möchte. Die Forschung hat sich gelegentlich bereits um ihre Deutung bemüht und dabei besonders gefragt, wie moralisierende (und dann oft in einer Sentenz zusammengefaßte) Ausdeutungen von mitunter recht frivolen Schwankhandlungen zu beurteilen und ob sie überhaupt ernst gemeint seien.107 Bei der Diskussion dieses Problems kommt es vor allem darauf an, den Aussagegehalt der Sentenzen nach den verschiedenen Märentypen und ihren ζ. T. verschiedenen Intentionen differenzierter zu fassen; zuvor aber sei den Gründen für die außerordentliche Beliebtheit dieser Wortfigur nachgegangen. Sucht man zunächst nach äußeren Motiven, so scheint die einfachste Erklärung, daß die Dichter sich auch in diesem Punkte von den Anweisungen der Poetiken haben leiten lassen. Matthieu de Vendöme ζ. B. spricht I, 16 (bei Faral S. 113) von Sentenz und Proverb als . . . generale proverbium, id est communis sententia, cut consuetudo fidem attribuit, opinio communis assensum accommodat, incorruptae veritatis integritas adquiescit. Sentenz (,Wahrgenommenes'108) oder Sprichwort drücken also eine allgemeine Erfahrungsweisheit aus, die vor allem deshalb als unverbrüchlich wahr erachtet wird, weil sie mit der opinio communis übereinstimmt.109 Den Anspruch universeller Wahrheitsgeltung teilt die Sentenz als Beweismittel in der Gerichtsrede - in der sie „als einem Richterspruch oder einem Gesetzestext ähnliche autoritätshaltige und auf viele konkrete... Fälle anwendbare Weisheit gilt" (Lausberg § 872) - mit der Sentenz in der poetischen Erzählung, deren Wahrheitsanspruch sie untermauern soll (vgl. S. 3 2). Nach der Poetik kommen der Sentenz sehr verschiedene Funktionen zu; 110 in der Märengattung ist ihre Verwendung als Wortfigur vor allem am Anfang einer Dichtung, aber auch an ihrem Ende von Bedeutung darüber ist in den Abschnitten über Prologe und Epiloge noch zu sprechen. Hier sei zunächst nur festgehalten, daß die Poetiken die Verwendung von Sentenzen gerade für diese beiden Stellen besonders empfehlen.111 107

Zuletzt Fischer S. 8 1 ; für die Fabliaux Nykrog S. iooff. und S. 248-252. Dazu F. Ohly Z f d A 91, 1961, S. 20. 109 Sie stellt daher - bei Verwendung im Prolog - sogleich eine Gemeinsamkeit der Auffassung zwischen Autor und Publikum her und fördert die Überzeugungsarbeit. Vgl. dazu die Rhet. Her. I V 17, 25. 110 Vgl. die Nachweise im Register bei Arbusow. 111 Vgl. etwa Galfredus Poetr. Nov. II, I26ff. Faral zusammenfassend S. 5 8f. und für die Epiloge Galfredus Doc. III, 2 und 5 wie Matthieu de Vendöme I V , 50 (bei Faral S. 319, 320 und S. 191) sowie S. 74 dieser Arbeit. 108

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Die bei einzelnen Autoren dem Regelzwang der Poetik folgende, mehr mechanische als sinnvolle Anwendung mag es wenigstens zum Teil erklären, weshalb sie bisweilen in unangemessenem Verhältnis zum Gehalt der Erzählung stehen und - mit Nykrog S. 102 - einen Eindruck des Unbehagens und Zwangs hinterlassen. Berücksichtigt man freilich die nach den Märentypen verschiedenen Funktionen der Sentenzen, so bleiben diese Fälle äußerst selten. Mit dem Hinweis auf die Rolle der Poetik ist aber nur eine äußere Verbindungslinie gezogen. Innere Gründe für die Beliebtheit der Sentenz kommen hinzu. Ist sie doch für den behandelten Zeitraum das geeignetste Stilmittel, den Bezug zwischen erzähltem Vorgang und allgemeiner Gültigkeit zu schaffen, um den es dem Mittelalter immer geht. Seinen tiefsten und echtesten Ausdruck hat diese Denkweise im mittelalterlichen, christlich begründeten Symbolismus gefunden, der zumal in den geistlichen Dichtungen der vorausgehenden Jahrhunderte alle irdischen Dinge nur in ihrem Sinnzusammenhang zum Ewigen sieht. So ist bereits in frühmittelalterlicher Dichtung die spirituelle Auslegung erzählter Vorgänge, die Freilegung der bezeicbenunge oder der meine (significatio) unablösbarer Teil eines dichterischen Werks.112 Und es liegt im Wesen jener ausdeutenden und zum Theoretischen neigenden Partien, daß ihnen schon in früher Zeit Züge des Lehrhaften, auch der moralischen Unterweisung im Sinne des christlichen Heilsgedankens, eigen sind. Wenn aber im 13. Jahrhundert die alten Symbole verblassen und die ,signifikante' Funktion der Dinge und Vorgänge erlischt, so bleibt doch als äußeres Gerüst jenes Denkens das schematisierende Verfahren, das den Einzelvorgang auf etwas über ihn hinausweisendes Allgemeines bezieht, ihn zu exemplarischer Bedeutsamkeit erhebt. In vergleichbarer Weise erkennt auch der mittelalterliche philosophische Realismus den allgemeinen Gattungsbegriffen vor den Dingen die Priorität des Seins zu. Schon bei Johannes Scotus Eriugena ist das Einzelding der Sinnenwelt von dem Allgemeinen geschaffen; ihm kommt daher nur „die abgeschwächteste und durchweg abhängige Art der Realität" 113 zu. Das Allgemeinere ist immer das Wirklichere. Vom Vorrang des Allgemeinen vor dem Einzelfall ist auch der topische, oft mit einer Sentenz gestützte Wahrheitsanspruch - vor 112

N ä h e r e A u s f ü h r u n g e n dazu ζ. B. bei P. Böckmann, Formgeschichte der deutschen D i c h t u n g , 1. Bd., "1965, S. 88. 113 w . Windelband, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, '1907, S. 245.

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allem der Schwanke - zu deuten. Das Merkwürdige daran ist für modernes Empfinden, daß er von einem offensichtlich unwirklichen, rein konstruierten Geschehen - wie ζ. B. dem im W E I S S E N R O S E N DORN; vgl. S. 250ff. - behauptet: Daz ist war und niht erlogen ( 5 ) . Wie eine solche Beteuerung zu verstehen ist, lehren Beispiele gerade ganz ,unwahrscheinlicher' Geschichten, ζ. B . T U R A N D O T 1 - 1 4 . Die Wahrheitsbeteuerung in V . i£. bezieht sich hier eindeutig nur auf die Wahrheit der im Prolog, V v . 3-11, entwickelten Sentenz, nicht auf den Hergang der Geschichte. Die Sentenz sagt: wer sich über andere durch Reden überhebt und über sie spottet, zieht den Kürzeren; wer tapfer ist und angesehene Taten vollbringt, dem werden Glück und Ehre zuteil. Daran schließt der Dichter an: der (demonstrativ!) wär-

heit ich bewisen wil ein bispel, daz ich sagen sol dazir diewärheit merket wol (12). Der Dichter möchte mit einer beispielhaften Erzählung die Gültigkeit einer allgemeinen, in der Sentenz ausgedrückten Erfahrungswahrheit beweisen; er behauptet nicht, die Geschichte habe sich wirklich so zugetragen. Die Beobachtung läßt sich an M I N N E D U R S T , V V . 1 - 3 und 9-10, wiederholen. Man kommt damit nicht nur dem Wahrheitsbegriff, sondern auch dem Verhältnis des Schwanks zur Wirklichkeit näher: wahr an ihm, der Wirklichkeit analog, ist die aus der Erfahrung, durch Beobachtung gewonnene Idee, die der Dichter nach Vorschrift der Poetiken in Form einer Sentenz an den Beginn seiner Erzählung stellt; die Handlung selbst - die fabella - ist auf diese Quintessenz hin konstruiert und stilisiert und insofern im übertragenen, zeichenhaften Sinne wahr, nicht im realistischen. So faßt auch die Rhetorik den Komödienstoff nicht als wahr auf, sondern als „lebensnah-wahrscheinlich" (Lausberg § 4 1 4 ) . 1 1 4 Die tiefe Verwurzelung der Sentenz in mittelalterlicher Denkweise wird auch daran deutlich, daß die Poetiken, die sonst stark von der antiken Rhetorik und Dichtungstheorie abhängen, die Lehre über die Sentenzen und ihre Funktion als Eingangsformel (s. S. 74) selbständig entwickelt und den Dichtenden Sentenzensammlungen115 114

,Jt

Vgl. Rhet. Her. 1, 8, 13 ficta res quae tarnen fieri potuil, velut argumentum comoediarum (a.a.O. § 291, 3ay). „Als exemplum ergibt er (der Komödienstoff)das exemplum verisimile: Fortun. 2, 23 p. 115, 27 exemplum verisimile, td est quod de comoedia sumitur." (a.a.O. § 414). Sentenzensammlungen wurden auch in den Klosterschulen zu Unterrichtszwecken gelesen; Arbusow S. 60. Auch die Poetiken bieten den Dichtern gelegentlich eine Auswahl von proverbia an, die nach bestimmten Lebenssituationen geordnet sind; vgl. Johannes de Garlandia S. 889-892 (Romanische Forschungen 13, 1902) und Matthieu de Vendöme (bei Faral S. 114-116).

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bereitgestellt haben. D i e ältere Forschung hat bei der Beurteilung der Sentenzen und ,Moralisationen' darauf verzichtet, in den Märentypen Aussagegehalt und Funktion der Sentenz zu unterscheiden. Darin liegt w o h l der Hauptgrund für die verbreitete Ansicht (vgl. S. 40, A n m . 133), Sentenz oder ,Moral' stehe häufig in Widerspruch z u der pikanten und libertinen Handlung eines Schwanks, eine Ansicht, die wenigstens in der hier behandelten Zeit der Märendichtung - nur v o n vereinzelten Beispielen gestützt wird.

Typ 1 K o n r a d v o n W ü r z b u r g faßt im HEINRICH VON KEMPTEN, einer v o n späthöfisch-ritterlichem Geist durchdrungenen ernsten Erzählung, 1 1 9 die Verdienste des Helden i m E p i l o g zusammen, stellt sie in lehrhafter Ermahnung als vorbildlich für alle Ritter hin und motiviert diese mit der verallgemeinernden Sentenz: 748

wan manheit unde ritterschaft diu zwei diu tiurent sere; si bringent lop und ere noch einem iegelichen man der si wol gehalten kan und in beiden mag geieben.

Hier bezieht sich die Sentenz in enger A n l e h n u n g an die v o n Heinrich bewährten Eigenschaften auf den Wert, den ritterliche T u g e n d e n w i e manheit unde ritterschaft für den E r w e r b v o n R u h m und Ansehen in der Gesellschaft haben. Z u v o r hatte K o n r a d in didaktischen W e n d u n g e n auch die Betätigung der körperlichen Fähigkeiten (vgl. S. 6 über die laus) als vorbildlich hingestellt. D i e Sentenz drückt also die Gültigkeit v o n Idealen aus, die noch in der Tradition der klassischen höfischen Z e i t stehen; ihr Sinn ist ernst gemeint, ihre F u n k t i o n ist exemplarischerzieherisch, aber nicht moralisierend. Dies gilt auch, w e n n die Sentenzen und Ermahnungen - etwa i m P r o l o g der RITTERTREUE - nur einen schmalen Ausschnitt aus dem komplexen Bereich höfischer

116

Diese Geschichte wurde früher einiger vereinzelter drastischer Stilmittel wegen - es kommen nicht einmal Schwankmotive vorl - fälschlich als ein Beitrag Konrads zur Schwankgattung aufgefaßt.

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Ethik ansprechen wie die trium in dem hier verstandenen Wortsinn 117 oder die Mahnung im HERZMÄRE, die Minne rein zu bewahren (V. 5 86f.). Typ 2 Ganz anders die allgemeine Reflexion, mit der die MEIERIN MIT DER GEISS einsetzt und schließt: ι

Swer tougen wirbet umb diu wip dem erlachet dicke der lip so er ze weideliuten kumet. diu mime den vrouwen also vrumet, swenn ein vrouwe vor ir man ir willen niht gevüegen kan noch vor ze grozer huote, si vindet in ir muote also mangen spähen list, des doch guot ze lachenne ist.

D e n Gedanken v o n der Erfolglosigkeit der huote nimmt der Dichter in der Schlußsentenz wieder auf (conclusio ... fit per epilogum, id est per recapitulationem sententiae·, Matthieu de Vendome I V , 49 beiFaral S. 191): 177

swer überic huot an sin wip leit, der verliuset michel arebeit.

Die Aussage über die Freuden heimlichen Liebeswerbens und die Sinnlosigkeit der huote steht zwar noch in losem Zusammenhang mit der höfischen Liebesauffassung (vgl. Gottfrieds Exkurs über dies letzte Thema im ,Tristan' V v . 178 5 8-18114), aber es ist hier nur der unproblematische, heitere Aspekt angesprochen und die äußere K o n stellation eines ,Dreiecks'-Verhältnisses in den Blick gerückt. Sie ist, trotz der traditionellen formalen Einkleidung in eine verallgemeinernde Reflexion, keineswegs mehr ernst gemeint; die Sentenz will viel117

Charakteristisch ist, wie jener Begriff, der in der klassischen Zeit so komplexe Bedeutung hatte, „ja geradezu das höfische Standesideal im ganzen umschreibt" (U. Pretzel, Artikel .Treue' in: Grimms D W I i , i . Abt. II. Teil, Sp. 286), hier auf ein sehr spezielles Treueverhalten eingeengt ist: es führt den Ritter aufgrund eines unbedacht gegebenen Versprechens, dessen volle Bedeutung er nicht erkannte, zu der Bereitschaft, seine Frau mit einem andern zu teilen. Die klassische Synthese, als christlicher Ritter Gottes Gnade und das Gefallen vor der Welt zu erwerben, ist in der Sentenz 857ff. auf das äußere Treueverhalten eingeengt, und davon hängt kausal die Gnade Gottes ab.

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mehr in die schwankhafte Situation einstimmen und Lachen erzeugen (V. 10), nicht aber erzieherisch wirken oder gar moralisch bessern. So gibt sich auch die Schlußsentenz mit ihrem Anflug von ironischem Fatalismus118 und scheinbarer Didaxe keineswegs moralisierend.119 Sie ist ganz auf den schwankhaften Gehalt, auf die rein unterhaltende Funktion der Erzählung abgestimmt und wird selbst zu einem Element des Komischen.

Typ 3 Aus der Geschichte vom BLINDEN HAUSFREUND, der sich um die Liebe der Ehefrau bewirbt und dafür schändlich bestraft wird, zieht der Dichter die allgemeine Lehre: 3 5 7 groz unmuoz und übermuot machet seltenz ende guot. den übermuot ie valte der übermaze walte, er viel ie den hachsten val der steic uz der maze zal. E r flicht noch weitere Sentenzen ähnlichen Inhalts ein, so 377fr. und 387fr.; die Schlußsentenz lautet: vil bas ist afterriuwe (412). Die Sentenzen aus dem BLINDEN HAUSFREUND sind Muster für den 118

So auch im HÄSLEIN, dem Schwank vom Minnetausch und Minnerückkauf, zu dessen Geschehen - Verführung des naiven Mädchens und ihre spätere Erhebung zur Gemahlin - der Dichter lakonisch bemerkt: Saaz geschehen sol, daz geschibt... Daz wart an disen dingen schin: ez ergieng, als ez solte sin (33 9fr.; vgl. auch 305 f.; ebenso am Schluß 504fr.). - Über die zweimal von drei Männern verführte Frau des WIRTS resümiert der Dichter: waz sold si martren iren lipf man gschehen schad von keinem man wirt lvider braht halt saaz er kan (234fr.). Vgl. auch die 145fr. eingelagerte ,Idee' der Geschichte; darüber S. 2 1 1 .

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Zwei weitere Schwänke mit dem Thema der erotischen Naivität, SPERBER (359fr.) und G Ä N S E L E I N (261fr.), enthalten sich jeder moralischen Wertung; selbst die scherzhafte .Lehre* bezieht sich nicht etwa auf die Person, die den .Fehltritt' getan, sondern auf die andere, die ihr deshalb eine Rüge erteilt und das Malheur ihrer besseren Einsicht wegen hätte verhindern können. Der Schluß steht wegen seiner .lehrhaften' Einkleidung keineswegs in unangemessenem Verhältnis zum Inhalt der Handlung, sondern ist der reinen Schwanksituation angemessen. Sehr charakteristisch für den Schwanktypus ist das Proverbium im RÄDLEIN 285t. (auch im REIHER iof.): Die vrournn haben langez här unt kurz gemuete, daz ist war, das gleichsam die allgemeine ,Idee' des Schwanks darstellt und kompositorisch den .Wendepunkt' markiert; noch charakteristischer ist, wie Heinrich von Freiberg sie 501fr. als ErfahrungsWeisheit mit ironisch didaktischem Unterton und völlig frei von jeder moralischen Auslegung interpretiert. V g l . a u c h RITTER UNTERM ZUBER 3 9 3 .

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dritten Märentyp, den moralisierten Schwank. Er stellt schwankhaftes, mitunter derb und drastisch ausgemaltes Geschehen als warnendes Beispiel hin, verurteilt es moralisch oder zieht eine moralisierende Lehre daraus. Die Frage, ob in dieser Gruppe mit den am wenigsten festen Grenzen der Hauptwert auf das schwankhafte Geschehen oder auf die moralische Belehrung gelegt wird, ist wohl vom Dichter nie so gestellt worden. Vielmehr dürften beide Tendenzen des prodesse und delectare dem Zeitgeschmack entsprechend vereint sein wie etwa in Wittenweilers ,Ring', und keineswegs ist die Belehrungsfunktion wichtiger als die Unterhaltungsfunktion, der die Handlungsdarstellung dient. Es läßt sich aber kaum sagen, daß die ,moralisatio' in Widerspruch zu der dargestellten Handlung stehe; diese ist nur in sehr drastischer Weise ausgeführt, das Facit durch den Exempelfall nur sehr drastisch demonstriert. Dabei kann das derb-schwankhafte Geschehen erzählerisch voll ausgemalt sein wie im B L I N D E N H A U S 120 FREUND, in der H A L B E N B I R N E und im P F A F F E N IN DER REUSE oder bei aller erzählerischen Ausgestaltung Anstößiges gemieden oder verharmlosend umgestaltet sein wie im B E S T R A F T E N MISSTRAUEN und dem daraus weiterentwickelten Stück, dem H E R R N MIT DEN VIER FRAUEN.121

Die moralisierende Absicht in dieser Gruppe nicht ernst zu nehmen, erscheint auch deshalb nicht angebracht,122 weil in ihr - gewiß nicht 120

121

122

Die moralischen Lehren bei diesen Stücken finden sich im N G A 32 über den moralisierenden Epilog verstreut, in G A 10, 504fr. und N G A 3 1 , 384. Die andere Auffassung der im BESTRAFTEN MISSTRAUEN moralisierten Schwankhandlung zeigt sich vom Sentenzgehalt ζ. B. darin, daß jenes sonst für reines Schwankgeschehen charakteristische S. 35 Anm. 1 1 9 zitierte Sprichwort vom langen Haar und kurzen Sinn der Frauen (so noch HEIDIN I V 992f.): Die vrouwen sint ir muotes kranc, ah uns saget der Vridanc (299L) in diesem moralisierten Schwank durch das Verhalten der staeten vrouiven widerlegt wird. Ebenso erweist die vierte Frau des HERRN MIT DEN VIER FRAUEN die sinngemäß gleiche Sentenz ez enwart nie 1vip so guot daz si hate staten muot (401t.) als unrichtig. Auch Η. Tiemann ist geneigt, Moralisationen ernster zu nehmen und warnt davor, „(wozu moderne Interpreten neigen) in dem Belehrenden den schädigenden Widerpart des Erzählerischen (zu) sehen"; vgl. Bemerkungen zur Entstehungsgeschichte der Fabliaux, in: Roman. Forschungen 72, i960, S. 421. Ebenso nimmt H. Fischer Diss. S. 105 einen behutsamen Standpunkt ein und hält „die moralisierenden Nutzanwendungen, die der Stricker an einem größeren Teil seiner ,mjere' anhängt, vom Standpunkt einer moralischen Zielsetzung für ganz folgerichtig". E r hat diese Auffassung allerdings in seiner Habil.-Schrift S. 81, Anm. 3 widerrufen. - Wie ich sehe, hat Fischer in seiner Buchfassung die .Moralisationen' jetzt ebenfalls nach seinen drei Hauptgruppen gesondert untersucht und ist so zu Ergebnissen gekommen, die den hier entwickelten nicht mehr grundsätzlich entgegenstehen. So erkennt er bei den

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zufällig - die Rollenfunktionen der Personen .entschärft* sind: statt des erfolgreichen Liebhabers im reinen Schwank herrscht hier die Rolle des erfolglosen, ertappten und bestraften Bewerbers oder des zwar zunächst erfolgreichen, dann aber ertappten und bestraften Liebhabers vor; die Rolle des betrogenen, überlisteten Ehemanns hat sich gewandelt in die des erfolgreichen Ehemanns, der über Liebhaber oder Bewerber - teils im Verein mit seiner Frau - triumphiert. Zu dieser Umschichtung der Rollen gehört, daß die ehebrecherische, ihren Gatten erfolgreich überlistende Frau des Schwanks hier des Ehebruchs überführt und dafür bestraft wird oder als treue Gattin erscheint, die den vermeintlichen Bewerber überlistet und bestraft oder mit ihrem Manne gemeinsam gegen ihn vorgeht.123 Bei aller Komik, die gewiß in diesen Rollen liegt, sollte nicht übersehen werden, daß die Handlung immer in die Wiederherstellung eines ursprünglich verletzten Rechtszustandes einmündet. Auch deshalb sollten die darauf anspielenden Sentenzen nicht ohne weiteres als bloße Schminke abgetan werden, auch nicht, wenn sich die den Rechtszustand wiederherstellenden Personen dabei selbst, wie es uns scheint, Unrechter Mittel bedienen wie das Bürgerehepaar, das die drei liebeslüsternen M Ö N C H E ZU K O L M A R ohne Skrupel tötet, oder das andere Ehepaar, das den uns eher als bedauernswert erscheinenden B L I N D E N H A U S F R E U N D in schändlichster Weise bloßstellt und bestraft: die Art der Bestrafung ist für den Erzähler nur eine Frage des Stils, der Drastik liebt und in grellen Farben malt, und erscheint ihm keineswegs moralisch anstößig. Wer wie die Mönche von Kolmar sein geistliches Amt mißbraucht, indem er sich als Geistlicher in Liebeshändel einzulassen versucht, der tritt aus seinem ordo heraus (wie auf andere Weise Helmbrecht) und verdient diese harte Bestrafung.124 Das spricht die Schlußsentenz deutlich aus: 398

wan ez im niht wol der versuochet

und da von niht lazen

128 124

ergat

ungewonlich

spil

ml,

Schwänken den ironischen oder scherzhaften Charakter der .Facits' an und sagt, daß nur „ein gewisser Teil dessen, was man landläufig ,Moralisationen' nennt, diesen Namen wirklich zu Recht trägt" (Buchfassung S. 107). Er nimmt den .moralisierten Schwank' jedoch nicht als eigene Gruppe. Darüber handelt der Abschnitt über die moralisierten Schwänke S. Z22ff. Die ungewöhnliche Härte der Mönch- und Priesterbestrafung bei Liebeshändeln, die als poetisches Motiv im altfranzösischen Fabliau noch stärker verbreitet ist, dürfte sich aus diesem ordo-Denken erklären.

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als dise mänche hant getan, des sol man in den schaden lan, sit si verkerten die biht. daz riebet got..

.128

Die moralisierten Schwanke als eigene oder als Mischgruppe zwischen den reinen Schwänken und den moralisch-exemplarischen Mären anzusetzen, rechtfertigen unter anderem auch Sinn und Funktion der Sentenz. Anders als im reinen Schwank ist sie hier weder komisch gemeint noch dient sie dazu, (wie die Schwankhandlung) Lachen zu erzeugen. Sie zieht aus der komischen Erzählung eine moralische Lehre, die meist eine enger umgrenzte menschliche Verhaltensweise124 - sei es als Mahnving oder als Warnung - ausspricht: dies hat sie mit der Sentenz des vierten, des moralisch-exemplarischen Typs gemein.

Typ 4 Das Märe vom N A C K T E N R I T T E R erzählt, wie ein Wirt im überheizten Zimmer seinem Gast in gut gemeinter Absicht gegen dessen Willen seinen Rock ausziehen läßt, ohne zu ahnen, daß dieser kein Hemd darunter trägt. Die unbeabsichtigte Entblößung ist für den Gast eine schwere Beleidigung, die er dem Wirt nicht verzeiht. Er reitet in äußerster Erregung davon. Das allgemeine Facit: 97

Swaz dienest nibt ze danke kumt, der schadet mere, denne er vrumt.

Die Sentenz steht in engem und ernst gemeintem Zusammenhang mit dem erzählten Ereignis wie bei den ernsteren höfischen Schwänken 125

128

Daß die Einteilung der Sentenzen nach den vier Märentypen keine für jede einzelne Erzählung verbindliche Gültigkeit beanspruchen, sondern nur eine Tendenz zur Gruppenbildung erweisen will, sei erneut betont. Die Mischung von Typenbestandteilen gilt auch hier. Zeigt die oben zitierte Schlußsentenz der DREI MÖNCHE ZU KOLMAR deutlich die moralisierende Tendenz, so verrät die ebenfalls im Epilog stehende andere Sentenz: daz der unschuldic muoz engelten des schuldigen missetat (j92f.) mit ihrem ,ironischen Fatalismus' (vgl. S. 3 5 und Anm. 118), dem jede didaktische oder moralische Tendenz fehlt, ihren allein auf die Schwankszene mit der Beseitigung der vermeintlich wiederauferstandenen Leiche abgestimmten komischen Charakter. Die erweiterte Geschichte von der treuen (vierten) Gattin (HERR MIT DEN VIER FRAUEN) endet mit einer Sentenz, die die Nutzanwendung als ganz spezielle Verhaltensweise formuliert: wem eine tugentriche (im moralischen Sinne) Gattin gegeben, der möge sich nicht darum kümmern, 1vavon ez sil (544). Vgl. noch HELLERWERT•WITZ 4}6FF.: rechte Freundschaft erweist sich erst in der Not.

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des dritten Typs. Sie erhält aber größeres Gewicht. Denn die Handlung ist durch die geraffte Darstellungsweise bereits schärfer auf die Moral zugeschnitten. Daher tritt selbst bei schwankartigen Stoffen das Moment des delectare mehr zurück. Ist die Thematik ernster Art, so bekommt es selbst bei reicher ausgeführten Geschichten wie dem S C H L E G E L oder H E L M B R E C H T kein Übergewicht gegen die moralischbelehrende Tendenz. Die inhaltliche Aussage der Sentenz will nicht wie in der klassischen Dichtung127 und in einigen in ihrer Tradition stehenden Mären in umfassendem ethischen Sinne erzieherisch wirken, sondern in verengt moralischem Sinne bessern; sie zielt nicht auf die Entfaltung der im Ritterbürtigen angelegten Eigenschaften (fügende) in ihrer Ganzheit, zielt auch nicht auf eine einzige spezifisch ritterliche Tugend wie die triwve in der R I T T E R T R E U E , sondern liefert das Rezept einer einzigen, für (im ständisch indifferenten Sinne) jedermann nützlichen und von jedermann erlernbaren bestimmten menschlichen Verhaltensweise.128 Zusammenfassend läßt sich sagen: der Zug zum Lehr- und Beispielhaften, der in besonderem Maße die spätmittelhochdeutsche Dichtung kennzeichnet,129 ist eine Grundtendenz der weltlichen und geistlichen Dichtung des Mittelalters überhaupt. Sie hat sich entwickelt aus der geistlichen Unterrichtspraxis und aus den vielerlei Bestrebungen, Menschen und Welt nach einem im Laufe der Jahrhunderte sich wandelnden Ideal zu erziehen und zu bessern,130 und sie tritt zuerst und sehr intensiv in der frühen geistlichen Dichtung und 127 128

Vgl. die Schlußsentenz des .Parzival'. Beispiele: a) Schwankexempla. MARTINSNACHT 2ioff. (niemandem nur nach seinen Worten trauen); TURANDOT 3FR. und 214fr. (Überheblichkeit und Spottsucht werden eines Tages mit gleicher Münze heimgezahlt); DIE ZWEI BEICHTEN 90fr. - b) Moralisch-exemplarische Mären mit ernsterem Thema: DIE HALBE DECKE II, 269fr. und ähnlich in den anderen Fassungen (Befolgung des vierten Gebots); entsprechend im episch reicher ausgeführten SCHLEGEL 9S.; DER JUNGE RATGEBER 276t. und 293fr. (rechtes Verhältnis von Sparsamkeit und Freigiebigkeit, Warnung vor falschen Ratgebern); SCHNEEKIND 85L (Wiedergutmachung erlittenen Schadens durch Gegenlist). Dem negativen Exempel entsprechend oft als Warnung, ζ. B. NACKTER BOTE 212fr. (nicht auf bloße Vermutung verlassen); B E G R A B E N E R E H E M A N N 246fr. (sich nicht von der Frau beherrschen lassen); Warnung vor dem ,Lohn der Welt' in der Erzählung Konrads von Würzburg 264fr.; vor dem Umgang mit dem Teufel in RICHTER UND TEUFEL 219fr.; vor Hoffahrt und Überheblichkeit im NACKTEN KÖNIG iff.

ia> Vgl. d e n Aufsatz von W. Rehm, Kulturverfall und spätmittelhochdeutsche Didaktik 1,0

in: ZfdPh 52, 1927, S. 289-330. Vgl. dazu Leonardo Olschki, Die romanischen Literaturen des Mittelalters, in: Hand-, buch der Literaturwissenschaft, 1928, S. 1 7 1 .

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ihren spirituellen Auslegungen in Erscheinung. Auch die ,weltliche' Dichtung vermag ihre Rechtfertigung zunächst nur in dem Maße zu erlangen, in dem sich ihr Gehalt in den Kosmos der christlichen Weltordnung eingliedern läßt oder, wie im höfischen Roman auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung, eine Synthese von höfischem Rittertum und Christentum erstrebt. Aber das Didaktische äußert sich hier weniger in theoretischer Formulierung als in der dichterischen Gestaltung vorbildhaften höfischen Menschentums, dessen Helden durch ihre im Handlungsverlauf erlangte Idealität implicite exemplarische Bedeutung zukommt. Von der ursprünglichen Weite des höfischen Erziehungsideals, das den ganzen Menschen in seiner inneren und äußeren Existenz umfaßt, ist in der ernsten oder höfischgalanten Märengruppe nur noch ein wenig zu spüren.131 Im Unterschied zu der oft auf die ganze vita des Helden passenden Sentenz im vielschichtigen höfischen Roman bietet die Sentenz des Märe eine Wahrheit, die auf seine einsträngige, auf ein Ereignis zugeschnittene Handlung bezogen ist. Sie ist mehr auf den Musterfall mit einem bestimmten Problem ausgerichtet, und gerade dafür bietet die kleine Verserzählung in ihrer relativen Kürze die geeignete Form. Das Vorbildliche liegt im besonderen Ereignis, und an ihm läßt die Sentenz das Allgemeingültige erkennen. Erst der Schwank hat den entscheidenden Schritt getan, sich vom Grundsatz des prodesse oder des docere weithin zu befreien und allein der leichten Unterhaltung, dem delectare, zu dienen: er spricht dies im Prolog häufig unmittelbar aus.132 In etwa der Hälfte der reinen Schwänke fehlt die Sentenz daher überhaupt, in der andern Hälfte ist sie jeder moralischen Tendenz entkleidet133 und fügt sich, auch mit

131

A m ehesten im HEINRICH VON KEMPTEN (oben S. 33) und in der Minneproblematik d e s M O R I Z VON C R A U N .

ua Vgl. aus dem G A die Stücke (Nummer und Verszahl) 5, 3; 24, 2; 25, 3; 53, 1; 55, 1 und das dem N G A 1, 3; 17, 3 und 9; 25, 3. 183 Es gehört offenbar zu den Vorurteilen mancher Forscher, daß der Schwank, der immer eine gewisse .liberale' Einstellung bei seinem Publikum voraussetzt, im 13. Jahrhundert weder als selbständiges Gebilde noch - natürlich aus Gewissensgründen I - ohne „langen moralischen Beschluß" existiert haben könne. Vgl. dazu einen neueren Aufsatz in: Deutschunterricht 13/1, 1961, S. 21. Der Verfasser, der keine der Sammlungen selbständiger mittelhochdeutscher Schwänke anführt, vertritt die Auffassung: „Erst in der Literatur des 16. Jahrhunderts löst sich der Schwank aus den Bindungen, die ihn vorher an andere Formen schlossen - die Gattung Schwank wird jetzt eigentlich erst entbunden. Wenn noch etwas auf die alten Bindungen zurückweist, so ist es

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ihrer exemplarisch-verallgemeinernden Aussage (ζ. B. über die Fähigkeit der Frauen zu listiger Verstellung), der komischen und rein unterhaltenden Funktion des Schwanke. In der Gruppe der moralisierten Schwanke steht das unterhaltende Moment, wie die reiche Ausgestaltung des Stoffs zeigt, noch stark im Vordergrund; aber das Erzählte wird nach dem Vorbild des Exemplums zum Anlaß für moralische Belehrung134 genommen, die auf uns heute mehr oder weniger überzeugend wirken mag, die man aber, zumal in den Schwänken mit den moralisierend verharmlosten Rollenfunktionen (vgl. dazu S. 37), nicht als bloßen Versuch abtun sollte, das Bedenkliche hinter moralischer Verkleidung - vielleicht sogar noch vor den Augen geistlicher Zensoren! - zu verbergen oder das eigene Gewissen zu beschwichtigen. Das Mittelalter war nicht prüde! Dienten doch Sammlungen zotiger Geschichten selbst der Predigerpraxis als Stoffquelle, und waren doch die Schwänke mit ihrer natürlichen Sinnenfreude eine beliebte Zerstreuung selbst (und vornehmlich) für Vertreter der oberen Schichten. Für die Frage der Herkunft besonders der moralisierenden Sentenz ist es gewiß von einigem Belang, wenn sie im vierten Typ, dem moralisch-exemplarischen Märe, stark vertreten ist. Selbst wo in dieser Gruppe eine ausdrückliche Sentenz oder moralisatio fehlt, steht die im moralischen Sinne belehrende Absicht schon der bloßen Fabel, in der meist eine verletzte Ordnung oder ein verletztes Recht wieder-

der lange moralische Beschluß, der - beispielsweise bei Hans Sachs - allen Schwänken angehängt wird; er ist das Gängelband, an dem die junge Gattung in die Freiheit geführt wird. Die oft recht umständlichen moralischen Schlußfolgerungen bezeugen das schlechte Gewissen, mit dem man das Komische um der bloßen Komik willen . . . zu genießen b e g a n n . . . " L a n g e moralische Beschlüsse - zumal mit „erstaunlicher Beziehungslosigkeit zur Fabel" (ebd.) - sind eher ein Kriterium der Spätzeit, in der die Gattung in kleinbürgerlich-handwerkliche Kreise,absinkt* und fast in gleichem Maße, in dem Derb-Zotiges zum Selbstzweck auswächst, von moralischer Prüderie überlagert wird. In die Spätzeit vor allem scheint auch der Zusatz ursprünglich nicht vorhandener Moralisationen wie in der Liedersaal-Sammlung zu gehören, worauf Fischer S. 86, Anm. 1 hingewiesen hat; vgl. auchH. Niewöhner Beitr. 66,1942, S. 181. Auch Hufeland, Die deutsche Schwankdichtung des Spätmittelalters, in: Baseler Studien zur deutschen Sprache und Literatur Heft 32, 1966, betont S. 27 die „Kluft zwischen diesen (lehrhaften) Elementen mit einem Teil der Stoffe", ohne aber für diese „offensichtliche Diskrepanz" Beispiele anzuführen. 184

E s bleibe dahingestellt, ob es auf bloßem Zufall beruht, wenn Hinweise auf die Funktion des delectare (S. 40 Anm. 132) bei den moralisierten Schwänken (und natürlich in den moralisch-exemplarischen Stücken) fehlen.

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hergestellt wird, außer Zweifel.13® Im Gegensatz zur Vorbildlichkeit zahlreicher höfisch-ernster Märenstoffe bietet die Geschichte selbst oft ein negatives Exempel. Der Aussagegehalt der Sentenz spiegelt deutlich wider, wie die ursprüngliche Weite der ritterlich-höfischen Ethik besonders in dieser Gruppe zu bloßem ,moralischen' Verhalten in bestimmten Einzelsituationen eingeengt wurde. Ist aber der Lebensbereich dort mit der höfischen Welt ständisch eingegrenzt, so wird er hier in Richtung auf etwas Allgemein-Menschliches geöffnet und erweitert: die ständische Bindung ist weithin gelockert; das moralischexemplarische Märe demonstriert an Personen aller Stände - auch am höchsten, wenn es gilt, eine Lehre besonders eindringlich zu machen wie im NACKTEN KÖNIG - , besonders gern aber an ständisch indifferenten Typen (ein man ... ein wip), und bezieht die Welt des Alltäglichen, die niedere Wirklichkeit in die Darstellung ein. Hier korrespondiert die moralische Verengung mit neuer Ausweitung im Stofflichen und Thematischen. Ist also die Sentenz im vierten Märentyp besonders häufig verwendet und spezifisch ,moralisch' im Sinne einer Verhaltensweise ausgeprägt, so zeigt sich auch darin, daß er der Bispeldichtung genetisch wie seiner belehrenden Funktion nach nahesteht (vgl. S. 28). Wie in der Schlichtheit des Stils und der Einfachheit der Form hat das Bispel diese Gruppe auch in der Verwendung der Sentenz mitgeprägt. Das Exemplarische, sei es nun in ritterlich-erzieherischer, in schwankhaft-komischer oder in moralisch-belehrender Funktion, ist also das den Sentenzen aller Typen gemeinsame Element. Wie oben auf die Schultradition der Poetiken hingewiesen wurde, so führt dies wiederum in den Einflußbereich klerikaler Bildung.134 EXKURS Eine in den Märentypen unterschiedliche Verwendung oder Funktion zeigt sich auch bei der Untersuchung der zwei folgenden Stilerscheinungen, die - weil sie nicht aus der Rhetorik oder Poetik stammen - in einem Exkurs behandelt werden. 1,5

Ζ . B . D E R G E V A T T E R I N R A T , D R E I W Ü N S C H E , EHESCHEIDUNGSGESPRÄCH, HEISSES EISEN,

Z W E I K A U F L E U T E , EINGEMAUERTE F R A U . Aufschlußreich ist das (schon seiner knappen Form wegen) exemplarische Märe vom W A R M E N A L M O S E N : es geht ernsthaft darum, vor dem Laster des Geizes zu warnen, also eine falsche Verhaltensweise zu rügen (insofern .moralisch': immer in diesem engen Sinne 1); Mittel dazu ist der unterhaltsame Schwankstoff einer Ehebruchsgeschichte. Dazu Näheres im V. Kapitel.

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4· Die Vorausdeutung Die Vorausdeutung kommt in echter Form137 nur in ernster gestimmten138, am meisten in .tragisch'139 ausgehenden Erzählungen, aber gelegentlich auch im moralisierten Schwank und im moralisch-exemplarischen Märe vor, während sie dem ,reinen' Schwank fremd ist. Man wird kaum sagen dürfen, daß die Vorausdeutung mit der vorwegnehmenden Andeutung des Ausgangs die Spannung 2erstöre oder auch nur herabmindere: dazu ist sie zu allgemein gehalten. Sie will den Hörer in die Atmosphäre der Geschichte einstimmen. Auch die .tragische' - oder für die Märengattung: sentimentale - Liebesgeschichte läßt zunächst Szenen aufleuchten, die das Paar im vollen Glück des Zusammenseins zeigen. In diesen Partien übernimmt die Vorausdeutung die Funktion, hinter dem Glanz des Augenblicks den .sentimentalen' Grund spüren zu lassen, auf dem sich das Geschehen vollzieht. So bleiben dem Hörer beide Aspekte auch in der ersten Handlungsphase gegenwärtig. Die Vorausdeutung findet daher ihre sinnfälligste Anwendung in der ernsteren und tragischen Gattung, und es ist gewiß kein Zufall, wenn sie in der mittelhochdeutschen Dichtung am häufigsten und ergreifendsten im .Nibelungenliede' 140 erscheint. In dem komischen Märe hat sie dagegen keinen Raum. Denn für den Schwank ist die Überraschung ein entscheidendes Lebenselement: er stellt die Hauptperson vor komplizierte und unberechenbare Situationen, in denen sie in einer von den Zuhörern nicht geahnten Weise reagieren muß. Die v o m unvermutet heimkehrenden Ehemann mit dem Liebhaber überraschte Frau rettet sich und ihn durch einen blitzschnellen Einfall, den niemand vorhersieht, aus der prekären Lage: hier hätte die Vorausdeutung keinen Sinn und würde für den Handlungsablauf destruktiv wirken. Wie aber erklären sich demgegenüber bestimmte Vorausnahmen des späteren Handlungsverlaufs in einigen Mären, die, zumindest stofflich gesehen, Schwanke sind? In den D R E I M Ö N C H E N ZU K O L M A R macht die Frau, um Zeit zu gewinnen, dem um ihre Liebe werbenden (ersten) Mönch Aussicht auf Erhörung: doch was ez lätzel ir sin daz si wolte volgen im (67t.). Der Herr hat den Pfaffen (in der Reuse) beobachtet, wie er heimlich fischt, aber er beschilt ihn vorerst nicht: unz er ze jungest im vergalt (40). Und als der 1,7

V o n solchen Fällen, w o bestimmte wiederkehlende und verknüpfende Motive oder Symbole auf den späteren G a n g der Handlung vorausweisen, ist hier abgesehen. V g l . etwa den Stock des Alten im SCHLEGEL, der gewissermaßen den sieget schon .präfiguriert', auf den auch Vers 846 mit den siegen vorausweist. Ebenso bleiben Beispiele, in denen erzählerisches Ungeschick die Pointe vorwegnimmt, unberücksichtigt; v g l . etwa HALBE DECKE I V 214-20, dazu S. 55.

188

W i e i n d e r RITTERTREUE 4 1 6 - 1 8 u n d 4 6 7 .

SCHÜLER VON PARIS (GA-Fassung) Red. Α 89FR., 105ff.; Red. Β 62ft, 540FR. (Zählung nach Rosenfelds Ausgabe); HERZMÄRE 78, 86f., 210, 223 u. Ö.; FRAUENTREUE 1 6 - 2 0 , 4 i f . , 4 6 , 7 4 ; H E R O UND LEANDER I i f f . , 2 9 5 , 3 I 4 - 3 I 9 ; P Y R A M U S U N D THISBE i j f . 140

Darüber jetzt B. Wachinger, Studien zum Nibelungenlied. Vorausdeutungen, A u f b a u , Motive, T ü b i n g e n i960.

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Durstige Einsiedel sich entschlossen, dem Trunk zu entsagen und in der Einsamkeit des Waldes das Leben eines Büßers zu führen, gilt zumindest für den ersten Morgen nach diesem Entschluß: noch was da unverborgen sin trügenlichiu riuwe (52L). Wenn der Dichter mit diesen Vorausdeutungen das schwankeigene Überraschungsmoment offenbar bewußt dämpft, so deshalb, weil er eine über das Ziel der amüsanten Unterhaltung (delectare) hinausgehende Wirkung anstrebt: die der moralisch-belehrenden Unterweisung (docere) und der Warnung. Des Dichters Anliegen erschöpft sich nicht darin, einen spannenden Oberlistungsvorgang zu erzählen, sondern es begreift eine moralische Zielsetzung ein, die begangenes Unrecht gesühnt und verletzte Ordnung wiederhergestellt werden läßt; dies erweiterte Ziel bestimmt die stilistische Gestaltung der schwankhaften Stoffe mit. Wenn die moralisierten Schwänke und Schwankexempel - im Gegensatz zu den ,reinen' Schwänken - also die Vorausdeutung verwenden und ihr hierbei die besondere Funktion, warnend zu belehren, zukommt, so erscheint es auch von daher gerechtfertigt, sie gegenüber dem reinen Schwank als besondere Gruppe herauszustellen. Auch in den wenigen Beispielen des ernsten moralisch-exemplarischen Märe, in denen die Vorausdeutung vorkommt, übernimmt sie die Funktion, im Augenblick scheinbaren Erfolgs des Übeltäters warnend zu beteuern, daß ,das letzte Wort noch nicht gesprochen'. Als Helmbrecht in seiner neuen Eigenschaft als Raubritter den Bauern Vieh und Kleidung entwendet, warnt der Dichter: daz galt er mit der hiute sider (676); als er den Frauen die Kleider vom Leibe reißt, flicht Wernher ein: des het er gerne wandel, do in der scherge machet zam (68of.). Verwendung und Funktion auch der Vorausdeutung lassen sich also in den einzelnen Märentypen differenzierter fassen und stützen die vorgenommene Aufgliederung. 5. Objektivierungen von Handlungs- und Willensimpulsen Es ist eine Eigentümlichkeit der ernsten höfischen Dichtung, den Antrieb für fast alle Entscheidungen, Handlungen und Gefühle, die für modernes Empfinden im Menschen entspringen und zum Ausdruck seiner Persönlichkeit werden, auf außerhalb seiner selbst wirkende, objektive Kräfte zurückzuführen, die in sehr vielfältiger Form als Gott, als des tiuvels rat, als Personifikationen höfischer Wertbegriffe, besonders als ,Zwang' der Frau Minne, erscheinen oder sich auch als eine von andern Menschen oder seinen Vorzügen ausstrahlende Einwirkung äußern kann. Sogar anscheinend eigene Impulse unterstehen der Macht des herzen, sinnes, libes (vgl. die Umschreibungen des Personalpronomens) oder der eigenen artla. Diese ,Ob141

Als der junge Parzival die Vogelstimmen hört, erwacht die Sehnsucht in ihm: des iinang in art und sin gelust (118, 28); so wie bestimmte Charakterzüge auf Gabmuretes art zurückgeführt werden (174, 24 und 179, 24). Charakteristisch ist, wie einmal durchgesetzter eigener Wille im Exkurs der Riwalinepisode im .Tristan' nur als unreife Jugendtorheit erscheinen kann; Riwalin wolle ... niwan nach sinem willen leben (264).

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jektivierung' v o n Handlungs- und Willensimpulsen 142 ist mehr als eine nur sprachlich-stilistische Erscheinung: Ausdruck einer bestimmten Weltsicht und Denkform, 1 4 3 auch einer Glaubenshaltung, die echte Freiheit des Willens nicht kennt und auch dem Menschenbild in der Dichtung - wenigstens für unser Empfinden - eine gewisse Passivität verleiht: die D i n g e kommen v o n außen auf ihn zu. 144 Diese .Objektivierung' findet sich auch in der Märengattung. A m eindrucksvollsten sind die Beispiele aus HERO UND LEANDER, weil sie hier ganz zum Ausdruck eines Geschehens werden, das sich ohne jede E i n schaltung des menschlichen Willens vollzieht. Die Liebe des Paares selbst ist ein gleichsam objektives Geschehen: 144

min herze ist al ein verpflibt mit lieblichen gedenken; diu min wil mir versenken Min herz', wan ich niht anders kan.

A u c h in ihrem Brief an den Geliebten bedient sich Hero, als sie ihrer beider Vermögen, die Schmerzen der Liebe zu tragen, vergleicht, jener objektivierten Ausdrucksweise: 125

Din vester lip treit vesten muot, des min blades herz' niht tuot;

D e m Fehlen der eigenen Willensimpulse 146 entspricht die in dieser Erzählung stark ausgeprägte Passivität der Weltsicht, die sich in einer Fülle v o n

142

143

144

146

Die Stilform ist so bekannt, daß es sich erübrigt, Beispiele dafür anzuführen; man vergleiche nur etwa Hartmanns .Gregorius' 323-331. K . Stackmann hat über dies Problem in einem Exkurs seiner Dissertation eingehender gehandelt und reiches Material dazu bereitgestellt (S. 155-167). Zu der Verwendung im .Gregorius' vgl. W. Dittmann, Hartmanns „Gregorius". Untersuchungen zur Uberlieferung, zum Aufbau und Gehalt, in: Philologische Studien und Quellen, Heft 32, 1966, S. 2i8ff. Fritz Tschirch, Weltbild, Denkform und Sprachgestalt, Berlin 1954, hat S. 4iff. in einem besonderen Abschnitt über die ganz allmähliche „Entbindung des menschlichen Willens" im Spiegel der sprachlichen Entwicklung des Deutschen gehandelt; vgl. besonders S. 43. Ähnlich wie die st at, an der sich Hero aufhält, auf den schwimmenden (sich ihr also nähernden) Leander zukommt: Ie mir ich swam, ie naher wart mir dln stat zuo der selben vart\ (251t.). Vgl. das in ähnlicher Weltsicht gründende Bild aus dem Sonett ,Der Abend' des Andreas Gryphius: Der port naht mehr und mehr sich zu der glieder kahn, in: Andreas Gryphius, Lyrische Gedichte, hsg. von H. Palm, B L V 1 7 1 , 1884, S. 1 3 1 . Ironisch für Parzivals kindliche Sichtweise im .Parzival' 161, 23-28. Es ändert nichts am Aussagewert dieser Stilerscheinung, wenn einige Nomina, in denen sich ein persönlicher Vorgang ,objektiviert', in der Quelle: der 18. und 19. Heroide Ovids, vorgebildet sind (vesten muot = fortius ingenium, mens infirma = bfadez herze). Bei Ovid sind es Sentenzen, beim deutschen Dichter eine persönliche Aussage. Vgl. dazu W. Fechter, Lateinische Dichtkunst und deutsches Mittelalter, in: Philologische Studien und Quellen, Heft 23, 1964, S. 188. 45

passivischen Konstruktionen146 oder in einer Syntax ausdrückt, in der als sprachliches Subjekt eine Kraft steht147, die auf den Menschen (als Objekt) einwirkt.148 Für den Versuch, eine Differenzierung der Mären in verschiedene Haupttypen zunächst vom Stil her zu begründen, ist wiederum von Interesse, daß die allgemein sparsam verwendete Stilform am ehesten in ernsten, tragisch ausgehenden Geschichten begegnet;149 dies gewiß nicht zufällig, da die Ausdruckskraft der ,Objektivierung' zu dem zwanghaft sich vollziehenden Geschehen gut paßt. Anders im Schwank: er verlangt von seinen ,Helden* schnelle Reaktion aus eigenen Entschlüssen, die spielend über prekäre Situationen hinwegführen müssen, er verlangt eine aus eigenen Impulsen gespeiste Willensaktivität. Die Stilform erscheint daher, wird sie im Schwank überhaupt angewendet, nur in ironisch-komischer Funktion. So vermag die buhlerische Frau ihren Gefährtinnen gegenüber ihre außereheliche Liebschaft zu .rechtfertigen,160 indem sie auf die Göttin Venus (89) als die eigentlich .verantwortliche' Instanz verweist ( D R E I LISTIGE F R A U E N I, 91 ff.): diu wil rebte daz man tuo, ez si spate oder vruo, swaz so si gebiete, ich wane, si mir riete daz ich minnete verholne. Und beim Anblick des Geliebten: 124

also enpfiel mir gar der sin, wan ez was im geraten.

Im Gegensatz zur listigen Frau ist der einfältige, überlistete Ehemann natürlich das geeignete ,Objekt', von außerpersönlichen ,Kräften' verwirrt zu werden; auch hier ist die Funktionsverschiebung ins Komische charakteristisch.161 So hat die in flagranti ertappte Frau im R I T T E R UNTERM Z U B E R inzwischen ihrem Manne und seinen drei Brüdern, die sie gemein1 « Vg]. 2 . B. die V v . 206, 249, 254, 282t., 3J4ff. 147 148

247f., 288f., 542. Der Mensch als Objekt kann auch im Dativ stehen: doch bet diu muede im diu bein Und hend' sä gar gevangen ... Vgl. auch die Ausdrucksweise mit einem unbestimmten Subjekt: mir was... 28of., 352f., und das eigentümlich statische hend' und vuez' im dS gelak (366).

149

H E R Z M Ä R E 8 3 - 5 ; S C H Ü L E R VON P A R I S G A - F a s s u n g ( R e d . B ) 4 6 7 f r . u n d 6 9 2 .

150

Ähnlich in der FRAUENLIST: die Frau wendet sich um Rat an ihr Herz (vgl. dazu die Tradition des Streitgesprächs S. zögt.) zumal für den Fall, daß der Ehemann etwas von der Liebschaft merke. Darauf antwortet das Herz: . . gib die schulde mir! sprich: „min herze mich des twanc, ez wil dar ane minen danc. ich muoz im minen willen län, sint ich im niht erweren kan" (496ff.).

151

Vgl. noch WIRT: der planeten art macht daz ich wan des nie niht wart...

46

(425fr.).

sam überführen wollten, ihre Unschuld eingeredet, und er zeigt sich überzeugt: 253

der tiuvel mit uns umbegat, der dicke mort geschaffen hat. der wolte liht daz ich min wip ermorte, daz min selbes lip davon würde ze spotte, ich dankes iemer gotte, daz des tiuvels Überkraft hie niht ist worden sigehaft.

307

. . . min ist gespottet harte genuoc, daz tet des tiuvels ungevuoc152.

Und

In scheinbarer Selbsteinkehr entlastet sich DER DURSTIGE EINSIEDEL v o n subjektiver Schuld: 18

mir ist bezzer, daz ich ufgebe die werlt, diu mich verleitet hat...

Wieder ernst gemeint ist die Objektivierung im moralisierten Schwank BESTRAFTES MISSTRAUEN.153 Die moralisch-exemplarischen Erzählungen kennen die Stilform kaum und erweisen sich wiederum als die eigenständigere Gruppe, die auch im Stil weniger fest in der höfischen Tradition verwurzelt ist. Einen Hinweis verdienen die zahlreichen Äußerungen Helmbrechts, in denen die traditionelle, objektivierte min-lip-Fotmü durch ich »//vertreten ist (262, 328, dem Sinne nach } 6 i f . , 379, 4 2 1 , 571). Hier wird ich wil zum sprachlichen Ausdruck für das ich-bezogene, gemeinschaftsentbundene subjektive Wollen, das sich nicht mehr in den großen Organismus des gottgeschaffenen Ständesystems eingebettet fühlt. Besonders charakteristisch ist hierfür die Wendung ich geläze nimmer minen muot (588). 154 152

Die ironische Verwendung der Stilfigur im Schwank zeigt zugleich, wie sich ihr Sinn bereits veräußerlicht hatte. Umgangssprachlich mag sie vielfach der bequemen Apologie eigener Verfehlungen gedient haben; dagegen wendet sich Berthold von Regensburg in der 42. Predigt von den drien huoten·. Uns ratet der tiuvel eteliche Sünde, so tuon wir eteliche selbe, und sprechent eteliche in der bihte. Mir riet ez der tiuvel und bihtent für den tiuvel. Warumbe las tu den tiuvel niht selben bihten, ob er bib ten ivolte? (in der: Ausgabe seiner deutschen Predigten von F. Pfeiffer, 2. Bd. 1880, S. 54). ι«« Vgl. (Jie Vv. z6i., 35f., 424f., 430: mich hat betrogen min valscher man. Dieselben Formeln, sonst vom einfältigen, von seiner buhlerischen Frau überlisteten Ehemann gebraucht, beziehen sich jetzt auf den Ehemann, der unbegründet an der Treue seiner Frau zweifelte und sie deshalb in Versuchung führte. Auch daran zeigt sich der Charakter der moralisierenden Bearbeitung eines ursprünglich reinen Schwanke; dazu S. 222fr. 151 Überhaupt ist in Helmbrechts Reden das Personalpronomen der 1. Person Singularis außergewöhnlich häufig; vgl. auch F. Tschirchs Hinweis auf die anaphorische Häufung des Possesivpronomens der 1. Person im Abschnitt 271-6, mit der Wernher die Eitelkeit des jungen Helmbrecht charakterisiert (Beitr. 80, Tübingen, S. 299f.).

47

Die unangemessene Betätigung des eigenen Willens wird zum negativen Exempel. Auch die Betrachtung zweier nicht rhetorischer Stileigentümlichkeiten wie der Vorausdeutung und, Objektivierung' hat gezeigt, wie sich ihre Verwendung und Funktion in den einzelnen Märentypen differenzierter fassen lassen und die vorgenommene Aufgliederung stützen. Insbesondere hat sich erneut die Sonderstellung des moralisierten Schwanks gegenüber dem reinen Schwank bestätigt. 6. Die Wiederholung Mit diesem Abschnitt wendet sich die Untersuchung wieder einer vornehmlich rhetorischen Figur zu, beschränkt sich aber nicht darauf, weil die,Wiederholung' - im weiteren Sinne gefaßt - in verschiedener Art und Form vorkommt. 1) Als Wortfigur nimmt sie unter den colores in Poetik und Rhetorik die bedeutendste Stelle ein und kann bereits hier in sehr vielfältiger Form auftreten. Im Märe sind vor allem polyptoton und conduplicatio156 häufig verwendet. 2) Eine der rhetorischen Wortfigur nicht unmittelbar zugehörige Form, die sich aber aus ihr entwickelt zu haben scheint, ist die schlagwortartige Wiederholung bestimmter Leitbegriffe über einen größeren Abschnitt hin, dessen besondere Thematik sie unterstreichen. Sie begegnet demzufolge nicht immer in der Ballung auf engem Raum wie meist die Wortfigur. 3) Schließlich gibt es - mitunter recht hilflose - Wiederholungen von Wörtern, Formeln und Redewendungen, die mit der rhetorischen Figur oder der bewußten Wiederholung tragender Begriffe nichts gemein haben, sondern Kriterium eines unbeholfenen oder volkstümlichen Stils sind. Auf diese Weise kann die Art, wie die Wiederholung angewendet ist, zum Maßstab für die künstlerische Qualität werden und Auskunft

155

Das polyptoton wiederholt ein Wort unter gewisser Veränderung der Form, insbesondere indem sie es in anderen Beugungsformen abwandelt (vgl. 2. B. WEINSCHWELG 245-253). In diesen Zusammenhang gehören auch die beliebten Abwandlungen eines Wortstamms mit verschiedenen Bildungssuffixen (state - statelichen). Demgegenüber stellt die conduplicatio die einfache Art der Wiederholung ohne Formveränderung und Bedeutungsvariation dar (s. dazu Lausberg § 640 und 612).

48

darüber geben, ob das Märe eine literarische Produktion oder eine .abgesunkene' volkstümliche Fassung darstellt. Eine schärfere Funktionstrennung nach den einzelnen Märentypen läßt sich wegen des im Ganzen stärker formalen Charakters der Wiederholung nicht mit gleicher Ergiebigkeit wie bisher durchführen. Dennoch zeichnen sich gewisse Differenzierungen ab. Relativ einfach ist die rhetorische Wortwiederholung, mehr der conduplicatio als des polyptoton, im Prolog der R I T T E R T R E U E gehandhabt: die siebenmalige Verwendung des Kernbegriffs - der ritterlichen triuwe - übernimmt die Funktion der Themaankündigung und weist zugleich auf den Gehalt des Märe.166 Durch die didaktischen lind teils sentenzartigen Formulierungen bekommen die meist gleichförmigen Wiederholungen etwas Einhämmernd-Eindringliches.167 Darin drückt sich der Zug zum Exemplarischen aus, der als Folge der lebendigen Wechselbeziehungen der Typen untereinander auch den meisten höfischen Mären ernster Thematik eigen ist. Eine besondere Vorliebe, in den lehrhaften und ebenfalls exemplarisch gemeinten Partien thematische ,Schlagwörter' zu wiederholen, hat der Dichter des M O R I Z VON C R A U N . Er begrenzt ihre Anwendung meist auf einen bestimmten Abschnitt und häuft sie darin mehr oder minder.158 Dabei kündigt sich schon hier ein Prinzip an, das in den folgenden Abschnitten, von der laus Mauricii bis zum ersten Monolog, feiner ausgearbeitet ist, nämlich das für den vorhergehenden Abschnitt gültige Schlagwort im darauf folgenden noch einmal aufzunehmen: Kriechen 1x4 im folgenden Abschnitt über Rome - ähnlich später Troie 199 - und Rome 232 zu Beginn des Kerlingen-Kapitels. Markieren diese Leitwörter demnach drei Stationen, die die ,Geschichte der ritterschaft1 durchlaufen hat, so verbürgt die Verknüpfung durch Wiederaufnahme jener Wörter die historische Kontinuität der ritterschaft von ihren Anfängen bei den Griechen bis zur ,modernen', mittelalterlichen Erscheinungsform, eine Kontinuität, in der die als

lte

157

168

Ähnlich wiederholt der Prolog zum BUSANT die Kernbegriffe dieser Erzählung: triuwe und liebe schlagwortartig-einprägsam. Es ist die Funktion des affirmare, der affektivisch-pathetischen Vereindringlichung (vgl. Lausberg § 612). In der .historischen Einleitung' ζ. B. in 4-102 Kriechen und Troie (9, 13, 17, 27, 30, 78, 82, 95, 114 und 34, 42 - Troiarewiz 67 - , 55, 7 1 , 1 9 9 , 220), dann in 103-230 Rome (106, 107,108 - Romare - , 1 1 3 , 133, 197, 202, 221, 230, 232) und schließlich, weniger häufig, in 231-262 Kerlingen (238, 253, 240 - Karle).

49

list (ars) verstandene Idee der ritterschaff den Wechsel von Blüte und Verfall überdauert.169 Am Ende der historischen Einleitung klingen 259-61 präludierend zum ersten Male die Begriffe Dienst und Lohn an, um die das Kernproblem dieser Erzählung kreist. Sie verknüpfen erste und zweite Einleitung miteinander. Diese beginnt nach Art der Märenexpositionen (vgl. dazu S. 8of.) mit der laus des Ritters Moriz und nimmt gleich zu Anfang beide Begriffe respondierend wieder auf (267 und 273; 277). Innerhalb dieser Exposition bilden sie, zusammen mit den Begriffen minne (265) und statekeit (274), wiederum nur ein Vorspiel, das diese Kernbegriffe der höfischen Minnedoktrin ziemlich zu Beginn des Minneexkurses (289-397) in einem kräftigen Akkord vereint: 295 der stateclichen minnet; vil dicke der gewinnet beide schaden und arbeit! hilft aber im sin statekeit, daz er lones wirt gewert, obe ers mit trouwen hat gegert. Im folgenden steigt nun jeweils einer dieser Begriffe durch geballte Wiederholung zum beherrschenden Klang und Thema eines Abschnitts auf: in 307-340 Minne (314, 319, 321, 332, 333, 335), in 341 -386 state (dreimal 344, 356, 358 und dreimal in der Negation als unstete 343, 348, 355), in 398-472 als dienen (405, 406 zweimal, 407, 416 zweimal, 418, 431, 436, 465) oder vertreten durch den Korrelativbegriff Ion (403, 408, 409, 414, 420, 430, 439, 440, 462, 471) dienen und Ion sind mit jeweils zehn Belegen, meist in der Form der polyptotons, vertreten. Diese Abschnitte sind ihrerseits durch Wortwiederholung in der Weise miteinander verknüpft, daß einer das Leitwort des· folgenden an einer Stelle, meist am Ende, präludierend vorwegnimmt - so wie bereits die Einleitung über die ritterschaft mit der Exposition verknüpft war. Ebenso weist nun minnet 295 auf den Minne-Abschnitt (307-340), state 338 auf den folgenden Exkurs über state und unstate (341-386) und an seinem Ende wiederum dienste und lones (395

" · Zum Translatio-Gedanken vgl. Stackmann S. 69-75; Erich Köhler S. 62; F. J . Worstbrock, Translatio artium. Uber die Herkunft und Entwicklung einer kulturhistorischen Theorie, in: Archiv für Kulturgeschichte 47, 1965, S. 1 - 2 2 , besonders S. 20-22.



und 396) auf die nächste, von diesem Begriffspaar getragene Partie

(398-472).1β0 Konrad von Würzburg bedient sich des polyptoton im H E R Z M Ä R E Prolog. Zentraler Begriff ist minne (2, 10, 17, 19, 20, 26), während herze zunächst nur einmal in einer Ableitung (berzeclichen 14) anklingt. Von V. 41 ab aber (und hier gleich in Form eines Chiasmus: machte ir herze smerzen. groz smerze wart ir herzen) zieht es sich wie ein Leitmotiv durch das ganze Gedicht; oft ist es dem sentimentalen Grundzug des Märe entsprechend mit Begriffen aus dem Wortfeld des Leides gekoppelt.161 Im Epilog klingt das ^/««i-Leitwort des Prologs mehrere Male nach (538, 546, 552, 571), im letzten Reimpaar sind beide Begriffe vereint: . . . gelerne die minne läterlichen tragen, kein edel herze sol verzagen. Ähnlich vereint Konrad in D E R W E L T L O H N die beiden Leitwörter, die sich in Prolog und Exposition öfters wiederholen: werlt {4, 9, 20, 48) und minne (35,51, 57, 66,70,76, 90). Der letzte Satz der Einleitung nennt präludierend den Begriff frouwe, der sich dann zu Beginn des Hauptteils zusammen mit dienest - wie eine vorwegnehmende Warnung vor der Institution höfischen ,Frauendienstes' unablässig wiederholt. Der Epilog nimmt den Begriff werlt dreimal wieder auf: wie im H E R Z M Ä R E klammert die Wortwiederholung Prolog und Epilog als die beiden rahmenden Teile der Erzählung zusammen. Mit D E R W E L T L O H N liegt bereits ein Beispiel der moralischexemplarischen Mären vor, zu der diese Erzählung wenigstens ihrem Gehalt und ihrer Intention nach gehört, wiewohl sie sich stofflich und formal vom höfisch-ernsten Märe erbaulichen Typus wenig - am ehesten durch die geraffte Erzählweise - abhebt. 1.0

Eine ähnliche Abschnittsverknüpfung hat der Dialog zwischen schuolare und vrourve in der FRAUENLIST. Diese Verknüpfungstechnik ist bedingt auch einem Prinzip der Strophenbindung bei den Troubadours: der „coblacapfinida" (Anfang-Ende-Strophe) vergleichbar, auf die mich Herbert Kolb hinwies. Den letzten Vers der vorhergehenden Strophe nimmt der erste der nachfolgenden wieder auf; vgl. dazu Alfred Jeanroy, La po6sie lyrique des Troubadours, 1934, S. 80. In .Minnesangs Frühling' kommt sie bei Rudolf von Fenis im Liede 80, 25 vor. Im Liederbuch der Hätzlerin dienen nach Horst Dieter Schlosser (Untersuchungen zum sog. lyrischen Teil des Liederbuchs der Klara Hätzlerin, Diss. Hamburg 1965, S. 236fr.) ähnliche responsive Bindungen dazu, inhaltlich verwandte und aufeinanderfolgende Stücke zu kennzeichnen. Vgl. auch die „Kapitelverzahnung und Kapitelrahmung durch das Wort im ,Ackermann aus Böhmen'", die F. Tschirch in der D V j s . 33, 1959, S. 283-308, aufgewiesen hat.

1.1

herzeleide 215, herzen und smerzen 41t., 269^, 321t., ir beider herze tot 223, tot und berzendt }}}(•

51

Z u einem künstlerischen Höhepunkt in der Märengattung hat Wernher das Stilmittel der Wiederholung im HELMBRECHT geführt. Seiner vielgestaltigen Anwendung entsprechen die verschiedenartigen Funktionen, die sich u. a. auch auf die kompositorische Verknüpfung bestimmter Abschnitte, selbst in der architektonischen Feingliederung, beziehen. Fritz Tschirch hat darüber eindrucksvoll in einer minutiösen Einzeluntersuchung gehandelt, so daß hier ein Verweis auf sie162 genügen kann. Er hat besonders bei der Frage nach der Ausdruckskraft derartiger Wortballungen auf den Charakter der Mahnung und Warnung hingewiesen. A u c h der Stricker warnt durch Wortwiederholungen in dem moralisierenden Epilog des NACKTEN BOTEN davor, sich dem wan (212, 213, 216, 217, 221) zu überlassen, und preist in dem des KLUGEN KNECHTS163 mahnend das praktisch-kluge Verhalten in bestimmten Lebenslagen durch mehrfache Wiederholung und Interpretation des Begriffs kündikeit (308, 311, 317, 336, 337)·184 Die Funktion warnender Belehrung kommt der Figur auch im Typus des moralisierten Schwanks zu, wie etwa der variierenden Wiederholung der Worte bzw. Wortstämme mp und vriunt im HERR MIT DEN VIER F R A U E N ( E p i l o g ) u n d - i m B L I N D E N H A U S F R E U N D

-

dem rhetorisch anspruchsvollen Wortspiel mit ethischen Begriffen wie maze, muot, ere, triuwe, ζ. T . mit antithetischer Vertauschung der Präfixe (übermaze - undermaze - unmaze), Veränderung des Wortstamms mit Beibehaltung der Bildungssuffixe (tobeheit - torheit), Überwechseln in eine andere Wortart mit gleichbleibendem Stamm (genuoc - genüeget) .16S Man sieht: Funktion und Ausdruckskraft der Wiederholung unterscheiden sich in den beiden Typen des höfisch-ernsten und moralischexemplarischen Märe (und damit des moralisierten Schwanks) nicht wesentlich, wie denn gerade der exemplarische Charakter das eigent-

1,2

Wernhers „ H e l m b r e c h t " in der N a c h f o l g e v o n Gottfrieds „ T r i s t a n " . Z u Stil u n d K o m p o s i t i o n der N o v e l l e , i n : Beitr. 80, T ü b i n g e n 1958, S. 2 9 2 - 3 1 4 .

168

D o r t auch ein schönes Beispiel f ü r das p o l y p t o t o n :

die W i e d e r h o l u n g

des W o r t e s

ezzen in grammatisch meist leicht veränderter F o r m (179, 1 8 3 , 1 8 4 , 1 9 0 , 1 9 1 , 203, 212). D i e F u n k t i o n der W i e d e r h o l u n g ist es hier, durch längeres V e r w e i l e n bei einem B e griff die S p a n n u n g zu steigern. 1M 165

D a z u II. Kapitel S. m f . K u n s t v o l l ist die W i e d e r h o l u n g auch i m E p i l o g der DREI WÜNSCHE angewandt, u m die Eindringlichkeit der Belehrung zu verstärken; v g l . die W ö r t e r klagen, tor, und besonders vriunt.

52

mzzen

lieh verbindende Element unter den Typen darstellt. Im Schwank dagegen haben die Dichter die Wiederholung dem komischen Effekt besonders nutzbar gemacht, indem sie ein Mädchen ein bestimmtes Wort öfters wiederholen lassen, das nach gemeinem Sprachgebrauch zwar eine alltägliche Beschäftigung, im besonderen Zusammenhang des Schwanks aber den Liebesakt verhüllend umschreibt. Die Komik des Schwanks lebt vom Doppelsinn eines Wortes: so die Bekundung des M I N N E D U R S T E S , das leschen und trinken in einer dreifachen Szenenfolge, deren Witz sich in der stereotypen Wiederholung dieser im obszönen Sinne gebrauchten Wörter erschöpft. Oder: die wiederholten Aufforderungen des jungen (naiven) Mädchens an den Ritter, die Minne bei ihr nur recht zu suchen, damit der eingetauschte S P E R B E R angemessen ,vergolten' werde (181, 189-91, 196, 199). Im Munde eines unerfahrenen Mädchens erhöht sich die schwankhafte Wirkung jener doppeldeutigen Ausdrücke natürlich noch, wie die des ehtens in der T E U F E L S A C H T . Von all diesen Beispielen, in denen die Wiederholung als Kunstmittel bewußt verwendet ist, sind solche fernzuhalten, in denen sich durch Wiederholung bestimmter Redewendungen und Formeln, teils in volkstümlichem Stil, nichts als stilistisches Unvermögen der Erzähler oder Nacherzähler verrät. In diesem Verdacht stehen bereits eine Reihe von Wendungen im S P E R B E R . 1 6 6 Das beredtste Zeugnis für diese Wiederholungen aus stilistischer Armut bietet die ,Bearbeitung' der H A L B E N D E C K E (IV) durch den Hufferer aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.167 Das entscheidende Gespräch, in dem der Großvater den Enkel um die Decke bittet, beginnt so: 179 Alz ez der änlin da ersach Zehand er zä dem kind sprach Gang her mein sünlein Ez sprach was wiltu änlein das sag ich dir vil wol Daz kind tett alz ain fründ sol Ez gieng zü seine bett dan Ez speh wz wiltu lieber an Wilt du mein ernd pott sein Durch meine willn sünlein 1M

Er suochte die minne, unz er si vant 169; Undsuochte die minne aber dö 173; Suocbte a mitme 193. Der Dichtet vermag auch nicht, die drei einander folgenden Szenen indi-

vidueller auszugestalten; statt dessen wiederholt er die Formeln oft wörtlich (vgl. H. Niewöhner, Der Sperber und verwandte mhd. Novellen, in: Palaestra 1 1 9 , 1 9 1 3 , S. 63). »» V L II Sp. 934.

53

Sprach der ritter schon Daz dir got vö himel Ion Da sprach das kind vm was Dez soltu mich beweisn bas So wirb ich dir wz ich gücz kan Durch deine willn lieber an Da bitt du dein vätterlein Sv genüsz ich villeicht dein Das er villeicht mir Seinen koczen halbn bej dir Durch deine willen send Dz sprach der ritter wainend Der ob seine saumer leit Ich waiss nit ob er dir in geit... Die Neigung des Erzählers zu redseliger Breite führt ihn dazu, der Bitte des Großvaters - mit sechs vorausgehenden, nicht zitierten Zeilen - etwa zwanzig inhaltlich belanglose Verse (177-94) voranzuschicken. Da ihm die Fähigkeit zu variierender Szenengestaltung fehlt, muß er sich in seinen Formulierungen häufig wiederholen: das Kind geht nicht einfach zum Großvater, wie in den andern Fassungen, sondern es wird von diesem erst dazu aufgefordert, es fragt, was es soll, geht zu ihm und fragt wieder, was es soll. So kommt es zu der stilistisch unerträglichen, für volkstümlichen Stil aber charakteristischen Häufung der inquit-Formel (180, 182, 186, 189, 191, 200), des gleichbleibenden waz wiltu im Munde des Kindes (182, 186), das der Großvater in der folgenden Zeile gleich noch einmal aufnimmt (Wilt du...), und zwar hier nicht, um die Gesprächspartien miteinander zu verknüpfen, sondern weil dem Dichter eine andere Formulierung nicht zu Gebote steht. Ähnlich ist das durch meinen willen im Munde des Alten zu beurteilen, das der Knabe dann in 194 und 199 noch einmal verwendet. Das villeicht (196) wiederholt sich gleich in der nächsten Zeile. Zweimal allein in diesem kurzen Abschnitt beginnen zwei aufeinanderfolgende Verse mit gleichbleibendem Personalpronomen (185 und 186; 202 und 203), haben aber keineswegs den Ausdruckswert einer Anapher, sondern sind nur Symptome einer sprachlich-stilistischen Kurzatmigkeit, die oft nur für die Formulierung einer Zeile ausreicht; so erklären sich die kurzen, nicht selten nur einen Vers langen Hauptsätze. Bisweilen vermag der Erzähler nicht einmal einen Hauptsatz durchzuhalten, ohne durch die für den Vulgärstil ebenfalls typische Wiederaufnahme des bestimmten Artikels erneut anzusetzen (Die Hechten äugen sin wel Die wurden... 15 5f.; Das ander teil wölt ich mir han Das wölt ich auch behaltn zi8t), oder er wiederholt in der nächsten Zeile das ganze Subjekt (das chind 212 und 213). Das Stück ist überhaupt reich an weiteren Kriterien volkstümlichen Stils.168 In dem Bestreben, die 1,8

Vgl. die Wiederaufnahme gleichlautender, inhaltlich blasset Verse: Die red ist ort laugen 299 und 521; Da dein vatter jinne leit 77 und 116; Vnmli in deekh vber mich 2 1 1 , entsprechend 301. Ferner die auch im Volkslied beliebte Verwendung des gefühlsbetonten Diminutivsuffixes -lein in änlein, siinlein und vätterlein. 54

urtümlich sehr knappe, exempelhafte Erzählung 169 in seinem Sinne ,neuernd' und erweiternd aufzuschwellen, läßt der Erzähler nicht nur den Alten drei verschiedene Stationen der Erniedrigung durchlaufen, sondern ist von dem entscheidenden Einfall des Enkels, die v o m Vater erbetene Decke zu halbieren und das ander teil für diesen als den dereinst gealterten aufzubewahren, so angetan, daß er ihn mehrmals wortwörtlich wiederholt. Schon der Großvater bittet bereits um den koczen halbti und nimmt dadurch den klugen Einfall des Kindes, der zur Wende führt, sinnlos vorweg; der Monolog des Kindes, in dem es seinen Gedanken v o r dem Gespräch mit dem Vater voreilig verrät, verdirbt die Pointe ganz und gar. Als der Knabe ihm schließlich seine Idee vorgetragen, indem er den Monolog wortwörtlich wiederholt, da ,hört' man den Vater vil lang sweign Daz er uor zorn nichz da sprach Er richcz sich auff vndsprach Sun was sprachestu ee Kind nü sag mirs aber me Da sprach das kind vätterlein... (276fr.) - und plappert seine Verse ein drittes Mal daher. Sind dem Märe zwar begrenzte, aber doch deutlich erkennbare künstlerische Prätentionen eigen, die bei den besseren Vertretern dieser G a t t u n g zu mitunter höherer literarischer Qualität geführt haben, so stehen neben oder unter ihnen Stücke v o n bescheidenem R a n g . In der HALBEN DECKE I V w i r d dies daran deutlich, daß die Wiederholung den Charakter einer poetischen Stilfigur eingebüßt hat; sie ist für den Erzähler z u einem bloßen Notbehelf g e w o r d e n , z u dem ihn stilistische Armut 1 7 0 u n d dazu vielleicht die Schwäche seines Gedächtnisses zwangen. D i e Beobachtungen über eine Stilerscheinung in einer Erzählung m ö g e n beispielhaft zeigen, w i e jede dichterisch gelungene literarische Gestaltung eines Märenstoffes - dazu gehört auch die G A - F a s s u n g (II) der HALBEN DECKE - unter der Feder oder i m M u n d e eines tinbefähigten Bearbeiters z u einer mehr v o l k s tümlichen Redaktion ohne literarische Ansprüche .absinken' konnte. 1 7 1

ι«» V g l , 1,0

v o f

allem die Fassung I, die nur 150 Verse zählt.

H . - F . Rosenfeld hat für den HELLERWERTWITZ eine ganze Reihe solcher W i e d e r h o lungen, „ i n aller V o l k s d i c h t u n g ja geradezu Stilprinzip" (S. 22), zusammengestellt (S. 23 A n m . 1) und auf stilistische A r m u t zurückgeführt. Lehrreich für die Erkenntnis volkstümlicher Stilelemente ist der A u f s a t z v o n Walter Morris Hart, T h e Fabliau and Popular Literature, in: P M L A 23, 1908, S. 329-374. Z u r Wiederholung v g l . ζ. B. S. 332E. und 349. V g l . ferner die S. 1 A n m . 3 genannte A r b e i t v o n H . Mast, die aber den Anteil volkstümlicher Stilelemente überschätzt.

171

Überhaupt ist die Wiederkehr gleicher A u s d r ü c k e u n d Formeln bei gleicher oder ähnlicher Situation in unserer G a t t u n g meist auch S y m p t o m für eine bearbeitete, nicht originale Redaktion. Z u diesem Problem v g l . das methodisch anregende B u c h v o n Jean Rychner, Contribution ä

l'etude

des fabliaux. Variantes, remaniements,

degradations, i960. 1. B d . S. 58 u. ö. A u ß e r der gattungstypologischen Einteilung des

55

Diese Entwicklung gilt im besonderen Maße in der zweiten Hälfte des 14. und im 15. Jahrhundert, wo die ritterlich-höfischen Stoffe ganz zurücktreten und die Schwanke und moralisch-exemplarischen Mären, die sich immer stärker vermischen, vornehmlich von kleinbürgerlichen handwerklichen Kreisen weitergepflegt werden. Dieser soziologische Umschichtungsprozeß, den die ursprünglich höfische Gattung erfährt, wirkt sich auch in einer weiteren Zunahme der einfachen, volkstümlichen Wiederholung in den Mären dieser Zeit aus.172

Märe in die vier Gruppen wären daher außerdem als besondere Schichten die Ablagerungen aus den originalen oder originalnahen Fassungen zu berücksichtigen, die die verschiedensten Grade der Bearbeitung und Entstellung aufweisen. E s kann dies aber nur Gegenstand einer besonderen Untersuchung sein, i's VGL, aus DER MYNNEN KLEFFERER (KE) die Verse 123, 30-124, 6. Für Heinrich Kaufringer hat Karl Euling, Germanistische Abhandlungen, 18. Heft, 1900, S. 33^, viele derartige stereotype Wiederholungen zusammengestellt.

56

II. K A P I T E L

DIE BAUTEILE DES MÄRE (KOMPOSITION)

Wer in den mittelalterlichen Poetiken detailliertere Aufschlüsse über die Komposition einer Dichtung, insbesondere über den Aufbau ihres .Hauptteils', zu gewinnen sucht, sieht sich sehr bald an eine Grenze geführt. 1 Stil ist in erster Linie und vor allem immer wieder Sprachstil.2 Die Poetiken kennen den Begriff ,Komposition' überhaupt nicht, jedenfalls nicht in der Bedeutung, die er heute in der Literaturwissenschaft erlangt hat.3 W o immer die Kunsttheorie über die .Disposition' handelt, da gilt ihr stärkeres Interesse lediglich dem Eingang der Dichtung; über ihn hat sie mit der Lehre vom ordo naturalis bzw. artificialis ein festes, freilich sehr formal ausgerichtetes System entwickelt. Für die Art, wie der Hauptteil eines Werks in der Theorie behandelt wird, sind die wenigen, insgesamt zwölf Paragraphen bei Galfredus de Vinosalvo (Doc. II) aufschlußreich (Galfredus ist ohnehin der einzige, der sich „eingehender" 4 mit dem Hauptteil beschäftigt): er nennt diesen Abschnitt selbst de prosecutione und bringt in der Tat nichts weiter als einige je nach Art des gewählten Eingangs (principium) anzuwendende Anschlußformeln oder gar nur -Wörter.6 Diese offensichtliche Armut an Auskünften über die Komposition hängt ohne Zweifel mit der sehr begrenzten Ubertragbarkeit rhetorischer Aufbauprinzipien auf die Dichtung zusammen.* Dennoch wird die Untersuchung zeigen, daß mancherlei, was für die 1 a

Vgl. auch Sawicki S. 44, Faral S. 59, Curtius S. 491 und Arbusow S. 35. Vgl. dazu die Feststellung von Charles Seras Baldwin, Medieval Rhetoric an Poetic (to 1400), Gloucester 1959, S. 193: „Terms traditional in ancient rhetoric for the process of composition are deviated at once to poetic and to style because the consideration never extends beyond figures, feet, or clauses".

3

Compositio (wie übrigens auch structura) bezieht sich auf die verba; sie bedeutet in der Theorie die syntaktische Gestaltung des Satzganzen (Satzbestandteile und Wortfolge); vgl. Lausberg § 911.

4

Arbusow S. 34. Bei Faral S. 268-271.

5

• Ahnliches gilt für die dürftigen Anweisungen der mittelalterlichen Poetik zum Epilog; darüber S. 108.

57

Gestaltung der einzelnen Bauteile' typisch ist, zur Theorie, vor allem zur Rhetorik, stimmt. Es sei wiederum mit Nachdruck betont, daß es sich hier nicht um unmittelbaren Einfluß zu handeln braucht. Die häufig angeführten Zitate aus klassischen Autoren sollen nicht unterstellen, daß der Märenautor sie immer gekannt oder seine Erzählung gar mit Hilfe eines rhetorischen Regelbuches verfaßt hat.7 Sie sollen einmal bestimmte, heute nicht mehr geläufige Begriffe klären. Von da aus ist es dann möglich, theoretische Einsichten mit praktischen Beobachtungen aus der Märendichtung zu verbinden und den Versuch zu machen, verschiedene für die Gattung typische Züge mit Hilfe der Theorie zu interpretieren und dabei besonders die Funktion stilistischer und kompositorischer Eigentümlichkeiten zu erkennen. Der Problematik des Versuchs, der vielleicht mancherlei Kritik herausfordern wird, bin ich mir bewußt. Die Betonung des Sprachstilistischen und das nur begrenzte Interesse am Kompositorischen in der mittelalterlichen Dichtungstheorie verrät sich bereits deutlich genug, wenn man die Prologe untersucht. Sie bilden zwar (soweit sie vorhanden sind) den ersten Teil des Märe, sind aber noch nicht in die ,Handlung' einbezogen. Wesen und Aufgabe des Prologs erschließen sich am ehesten aus einer Untersuchung seiner charakteristischen Topoi und ihrer Funktionen: aus sprachstilistischen Kriterien also. Eine eigentlich kompositorische Funktion kommt den Prologen kaum zu, es sei denn, man werte die Ankündigung des Themas, die auf die Erzählung vorbereitet, als solche (S. 62). Für den Aufbau der Erzählung ist es im Grunde bedeutungslos, ob ihr ein Prolog vorangeht oder nicht; er kann daher oft fehlen, ohne den künstlerischen Wert (oder Unwert) eines Märe entscheidend zu beeinflussen. Ahnliches gilt für den Epilog. Sie verhalten sich zur Erzählung wie der Rahmen zum Bild. Da viele Mären durch einen Prolog eröffnet und durch einen Epilog beschlossen werden, ohne daß diese beiden Abschnitte eine wirklich kompositorische Funktion erfüllen, erschien es angebracht, als Titel für dieses Kapitel „Die Bauteile des Märe" zu wählen, sich in der Reihenfolge der Untersuchung von der Anordnung, in der sie im Märe erscheinen, leiten zu lassen und den Begriff .Komposition', der erst für die .Exposition' und den ,zentralen Handlungsteil' bedeutsam 7

Auf die Stellung der Märendichter zur Theorie wird der zusammenfassende Abschnitt zu den ersten beiden Kapiteln noch eingehen.

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wird, in Klammern zu setzen - obgleich er dem modernen Betrachter als der wesentlichere, die Bezeichnung ,Bauteile' dagegen als eine recht äußerliche erscheinen mag. Ihr neutraler Charakter ist aber dem Sachverhalt angemessener. i. Der Prolog In den vorausgehenden Abschnitten war nebenher gezeigt worden, wie die der Personeneinführung dienenden descriptiones in den Haupttypen der Märengattung nicht gleichmäßig verwendet werden. Ähnliches gilt für die Prologe. Auch hier ist es wiederum die Gruppe der höfisch-galanten Mären, die sehr oft mit einer vorrede - dieser Terminus in der F R A U E N T R E U E V. 2 1 - eingeleitet werden; auch hier sind es auf der andern Seite die moralisch-exemplarischen Mären, die in der überwiegenden Zahl darauf verzichten. Auch darin steht demnach die erste Gruppe der Romanpraxis, die zweite der Bispelpraxis näher (vgl. S. 29). Schließlich nimmt wiederum der Schwank (auch der moralisierte) eine Mittelstellung insofern ein, als er einmal wie der höfisch-galante Typ den Prolog sehr gern verwendet, zum andern sich nicht selten mit ein oder zwei einleitenden Sätzen, einem ganz knapp gehaltenem Vorwort also, begnügt 8 oder nach Art des moralisch-exemplarischen Formtyps ohne Vorrede unmittelbar mit der Erzählung einsetzt. In diesem Abschnitt soll über die Anlage eines solchen Prologs wie einige seiner charakteristischen Topoi und deren Funktion gehandelt werden. Eine selbst abrißartige Theorie der Prologtechnik voranzustellen erscheint umso eher entbehrlich, als Hennig Brinkmann kürzlich seiner instruktiven Untersuchung von Prologen mittelhochdeutscher Epen 9 eine Zusammenfassung dessen, was die Poetik bietet, vorausgeschickt hat. Derart kunstvoll nach den Gesetzen der Poetik gebaute Prologe, wie sie die großen Epiker gestaltet haben,10 wird man freilich 8

Als Beispiele für derartige .Schrumpfformen' eines Prologs vergleiche die Einleitungssätze d e r A L T E N MUTTER ( I - I O ) , des SCHWANGEREN M Ö N C H S ( I - 8 ) u n d des BESTRAFTEN MISSTRAUENS ( I - 8 ) .

• Der Prolog im Mittelalter als literarische Erscheinung, in: W W 14, 1964, S. 1 - 2 1 . 10 Vgl. auch G. Ehrismanns Studien über Rudolf von Ems. SB d. Heidelberger Akad. Phil.-hist. Kl. 8, 1919, dort S. 1 - 5 7 . Ferner: Th. Frings - G. Schieb in den Beitr. 70, 1948, S. 45ff. R. Ritter, Die Einleitungen der altdeutschen Epen, Diss. Bonn 1908. A . Schöne, Zu Gottfrieds „Tristan"-Prolog. In: Dt. Vjs. 29, 1955, S. 447-474.

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in der hier untersuchten Gattung vergeblich suchen. Es finden sich aber in verschiedenen, zumal in den etwas ausführlicher gehaltenen Märenvorreden so deutlich Spuren der Exordialtechnik und besonders ihrer topischen Formeln - selbst in den beliebten ,Schrumpfformen' knapper Vorworte von ein bis drei Sätzen sind sie vorhanden - , daß es methodisch angebracht erscheint, auch diese ,Prooemia' von der kunsttheoretischen Tradition her zu interpretieren. Denn bei solchem Verfahren tritt am besten das für die typisierende Darstellungsweise charakteristische Allgemeingut heraus, und es wird die Gefahr einer subjektiven und isolierten ,werkimmanenten' oder gar biographischen Auslegung vermieden. Für den Prologaufbau der großen Epen ist i. a. jene in der Theorie bei Johannes von Garlandia und Conrad von Hirsau erwähnte Zweiteilung in prooemium und prologus 11 charakteristisch. Das prooemium (hier also im engeren Sinne) ist prinzipieller angelegt und stellt, vor allem im Sinne der captatio benevolentiae, die ,Gesprächssituation' (Brinkmann) zwischen Dichter und Publikum her. In ihm spricht der Dichter über sich selbst und ist bemüht, das Publikum zu gewinnen: er,argumentiert' a persona scribentis und auditoris; er geht aber noch nicht auf das Werk oder seinen Inhalt ein: der Prolog bleibt praeter rem. Diese Aufgabe fällt vielmehr dem zweiten Teil zu: er macht mit dem Thema bekannt, indem er „summam totius operis sequentis enuntiat".12 Die summa facti, auch das argumentum (Lausberg § 1188), wirft gelegentlich einen kurzen Blick auf den Inhalt der Dichtung und ihren Sinn (fructus finalis), und sie deutet an, wie das Werk in der Auffassung des Dichters verstanden sein will. Dieser zweite werkbezogene Teil, der eigentliche prologus, steht unmittelbar vor der Erzählung (ante rem) und bezieht sich thematisch und empfehlend auf sie. Diese deutliche Zweigliedrigkeit des Prologaufbaus mit der Aktualisierung aller in diesen beiden Teilen möglichen Topoi ist natur11

12

So nach der Terminologie des Johannes von Garlandia, die Brinkmann für seine Erörterungen übernimmt und der ich mich wegen ihres Vorzugs terminologischer Klarheit ebenfalls anschließe. Die Theoretiker unterscheiden beide Prologteile nicht immer durch eigene Termini, oder sie wählen andere Umschreibungen wie Conrad von Hirsau mit dem prologus ante rem (der dem zweiten Teil) und dem praeter rem (der dem ersten Teil entspräche). Auch die durch Ehrismann untersuchten Prologe Rudolfs von Ems zeichnen sich für gewöhnlich durch diesen zweiteiligen, publikums- und werkbezogenen Aufbau aus (Brinkmann S. i6ff.). Conrad von Hirsau, nach Brinkmann S. 8.

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gemäß in unserer die Kürze der Darstellung anstrebenden Gattung nicht zu erwarten. Einige Märentypen sind in ihrer Grundanlage dennoch von diesem Gestaltungsprinzip geprägt. Offensichtlich appelliert der Dichter des PETER VON STAUFENBERG, uns bereits durch die nach den Regeln einer kunstgerechten laudativen Personenbeschreibung des Titelhelden bekannt,13 mit der Zitierung der bescheidenheit (i, 5, 15) seiner Zuhörer zunächst an ihre Aufgeschlossenheit für die aventiure, die docilitas {gerne merken und verstan 3), die es ebenso wie die benevolentia und die attentio im Prolog zu wecken gilt. Sodann versteht er es - wie die Ependichter durch eine Reihe .moralischer' Qualitäten, die er an diese Aufgeschlossenheit knüpft, den Kreis seiner Zuhörer im Sinne einer Auswahl zugleich enger einzugrenzen und damit erkennen zu lassen, wie er sich sein Publikum wünscht.14 E r argumentiert a persona auditoris; die Beziehung zwischen ihm und dem Publikum stellt er durch gelegentliche Selbsterwähnung (ich rede ez gar an argen wan 12) oder persönlichen Ratschlag wie im SCHÜLER VON PARIS (M) (dem wil ich "

14

Vgl. S. 4 E Man hat es also eher mit einem gebildeten Berufsdichter zu tun, der anders als die meisten seiner Dichterkollegen in der Märengattung - in rhetorica über präzisere Kenntnisse verfügte. Ebenso wendet sich der Dichter des SCHÜLER VON PARIS (M), dessen Prolog ganz entsprechend gebaut ist wie der des PETER VON STAUFENBERG, an einen ausgewählten Hörerkreis (Swer nach herzenliebe ringet... sich nach liebe senet, dem wil ich rate in mime geticht iff.J. Es ist das gleiche Verfahren, nach dem Gottfried im .Tristan* sein Auditorium auf jenen Kreis der Menschen mit edelen herzen eingrenzt und auch andere Dichter ein Bild vom Publikum nach ihren Wünschen zeichnen (Wolfram im ,Parzival'-Prolog Brinkmann S. iof. - ; Jüngerer Titurel' und Rudolf von Ems im .Guten Gerhard', dort ins Religiöse gewendet; vgl. dazu Brinkmann a.a.O.). Dieses ,Auswahlprinzip', mit dem Ziel, eine Gemeinsamkeit mit dem Hörer herzustellen oder doch kokettierend zu unterstellen - Schmeichelei macht ihn benevolum - , verrät sich noch im BORTEN iff.: Ich bin der borte genant, hovischen liuten sol ich sin bekant, Den argen sol ich vremde sin, si sullen immer ltden pin Durch ir missewende unz an ir bitter ende. Man sol mich hovischen liuten lesen, die suln mit mir vrdlich wesen Durch ir tugent manikvalt. Vgl. noch DER WIENER MEERFAHRT 19-27. Anspielungen auf die hohe soziale Stellung des Publikums im Sinne einer ständischen Auswahl, von der Forschung mit Recht als Indizien für den soziologischen Rezeptionsraum gewertet (vgl. Fischer S. ιγόί.), sind auch von dieser prooemialen Funktion des facere benevolum her zu verstehen; vgl. REIHER 6 und 25; HÄSLEIN 17 u. a. Herrand von Wildonie zieht im BETROGENEN GATTEN eine aufschlußreiche Konsequenz: er setzt .Skeptiker', die die Wahrheit der Geschichte anzweifeln, mit den .Unhöfischen' gleich. Es ist das Verfahren, ganz bestimmte Ansprüche und Erwartungen an das Publikum zu stellen und es zur Identifizierung mit diesem .ausgewählten Kreis' zu provozieren, der die Dichtung gut aufnehmen muß: andernfalls droht Diskreditierung! So fordert Fressant seine Zuhörer auf, die Geschichte durch iutver kurtoisi (HELLERWERTWITZ 21) freundlich aufzunehmen. [Zur Apostrophe des Publikums s. Fischer, Buchfassung S. zz}ß.]

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rate 5; swer volget miner lere P E T E R V O N S T A U F E N B E R G 24) her. Die folgenden allgemein gehaltenen moralischen Erörterungen, die nach Art des ersten Prologteils noch keinen Bezug zur Erzählung haben, dienen der captatio benevolentiae insofern, als sie an Allgemeines, dem Hörer Bekanntes anknüpfen und damit eine Gesinnungsgemeinschaft schaffen, in die dann die Erzählung als exemplarisch gültiger Einzelfall gestellt wird.16 Es ist ein ähnliches Prinzip, wenn im prooemium eine Sentenz verwendet16 oder dieses überhaupt mit ihr eröffnet wird.17 Von derartiger allgemein gehaltener Aussage ist dann leicht der Übergang zur Erzählung selbst gefunden; entsprechende Anknüpfungsformeln, wie sie die Poetik anbietet - huius sententiae babemus argumentum (Galf redus, Doc. II, 6) - benutzt auch das Märe: Als ich tu hie beware mit einem vremden mare ( H E R O U N D L E A N D E R ijf.). Im P E T E R V O N S T A U F E N B E R G erfolgt der Übergang von der letzten Sentenz (26-29) durch direkte Apostrophierung des Publikums (attentum parare) und durch die Ankündigung der Geschichte eines Ritters (summa facti), die abermals die docilitas weckt. Gleichzeitig aber hat sich damit die Argumentation von der persona auditoris zur causa verlagert und infolgedessen der Übergang vom eigentlichen prooemium zum prologus vollzogen, der dem Beginn der Erzählung unmittelbar voransteht (ante rem). Im S C H Ü L E R V O N P A R I S (M) geschieht dies durch die spezifizierende Formulierung Als zweien lieben geschach (24). Nach der Ankündigung des Themas ( P E T E R V O N S T A U F E N B E R G 3 jf.: wie ez dem ze jüngst gelang, der alle zit nach eren rang), der sich im S C H Ü L E R V O N P A R I S (M) ein knapper Hinweis auf den Inhalt der Geschichte anschließt (25-28: Tod durch das Ubermaß an Liebe und Leid), läßt der Dichter ganz im Sinne der Prologtechnik 18 durch15



Charakteristisch dafür der Eingang des RITTERS UNTERM ZUBER: EZ ist uns dicke rvol geseit waz liste und groze kündikeit künnen sumelichiu wip... Hiebi nemet einer mare war, wie ein aventiure beschach einem ritter den ich sach . . . Ζ. B. im SCHÜLER VON PARIS (M) über die Nützlichkeit der maze. Vgl. Lausberg § 279 und 876; Faral S. 58 und diese Arbeit S. 74.

"

W i e in H E R O UND LEANDER, SCHÜLER VON PARIS ( G A ) , MEIERIN MIT DER GEISS, PFAFFE MIT DER SCHNUR, TURANDOT u . a. D i e stets a l l g e m e i n g e h a l t e n e

18

(infinite)

Sentenz, meist eine bekannte Lebensweisheit, gestattet es, eine ausdrückliche Forderung der Poetik zu erfüllen (Galfredus, T'oetr. Nov. II, 126S.), nach der eine einleitende Sentenz Supra thema datum sistat, sed spectet ad illud Recta fronte-, nihil dicat, sed cogitet inde (132fr.) und Ad speciale nihil declinit (128), oder in der Formulierung Brinkmanns: „ . . . den eigentlichen Gegenstand nicht nennt, wohl aber im Auge hat" (Brinkmann S. 13). Vgl. etwa HERO UND LEANDER: Ach, min, din suezer anvank gtt mangen bittern tizgank. Vgl. Brinkmann S. 8.

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blicken, wie er die Geschichte verstanden wissen möchte oder - der fructus finalis (der aventiure meine19) auf das Publikum bezogen - was man aus ihr lernen könne (daz si üch jungen vorgeseit 38J: Jeder, der ere ervehten will, muß bereit sein, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Die allgemeine Lebensführung des Helden gilt dem Dichter als ein für junge Leute nachahmenswertes Vorbild. 20 Mit der Formel alsus die rede vahet an scheint die Forderung der Rhetorik erfüllt, daß der Abschluß des exordiums deutlich werden müsse und der transitus zur narratio non abrupte ... non obscure erfolgen solle.21 Die anderen Mären haben diesen klassischen zweigliedrigen Bau des Prologs nicht mehr. Einmal können beide Teile untereinander verbunden sein, und es lassen sich noch bestimmte, dem prooemium oder dem prologus zugehörige Elemente in entsprechender Reihenfolge erkennen wie in der R I T T E R T R E U E ( I - I O und 1 1 - 2 4 ) , im R E I H E R ( 1 - 2 2 und 23-28) und im N U S S B E R G , der mit einer captatio benevolentiae a persona scribentis ( 1 - 1 1 ) beginnt und anschließend die summa facti ( 1 1 - 1 9 ) bietet. Zum andern kann der Prolog fast ganz auf den werkbezogenen Einleitungsteil beschränkt bleiben wie in P Y R A M U S UND T H I S B E ; hier erinnert an den ursprünglich prooeminalen Teil nur die Bescheidenheitsformel, die a persona scribentis ausgeht. Beliebter sind schließlich Prologe, die lediglich aus dem ersten, der Sympathiegewinnung a persona scribentis et auditoris gewidmeten Einleitungsteil schöpfen und die Hörer in das ,Gespräch' einbeziehen, so Z W E I 22 K A U F L E U T E 1-24 , H E L L E R W E R T W I T Z 1 - 3 I und H Ä S L E I N 1-20. Vor allem in den Vorreden hat sich ein Gattungsstil herausgebildet, 19 20

21 22

Vgl. Brinkmann S. 9 und 16. Anders sieht der Autor des SCHÜLERS VON PARIS (M) den fructus finalis in der Warnung vor dem Ubermaß an Liebe, mit dem der T o d des Paares in Kausalbeziehung gesetzt wird (2iff.). Vgl. Lausberg § 288. 1 Ich tuon reht als die toreη, ich vürht ez müge niht vollekomen, sit ich michs han an genomen, die da bringent z'oren 15 man ich bin guoter witze hol swaz in kumet in den muot: und aller tumpheite vol. ez si übel oder guot, darumb bit ich iuch alle, 5 si lantz heruze snallen swem ez missevalle und uz dem munde vollen der hare lesen ditz büechelin, als man sis gebeten habe, 20 daz si mir gnadec wellen sin sus tuon ich torehter knabe, und min getiht niht schelten, wan ich mit krankem sinne wan ich tuon ez selten, 10 einer rede beginne got mir sin helfe sende, diu mir ist ze swcere. daz ich ditz mare volendel ich wil sagen ein mare.

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der durch die Wiederkehr bestimmter, schnell erlernbarer und (auch vom Dilettanten) leicht zu übernehmender Formeln gekennzeichnet ist. Sie sind, wenn auch mehr in singulärer Verwendung, schließlich in der großen Masse der kunstlosen, knappen Vorworte mit ihren ein bis drei Sätzen wiederzuerkennen und gehen, ohne daß dies jedem Märenautor bewußt zu sein braucht, jedenfalls in ihren Ursprüngen auf die Rhetorik zurück. Der Sympathiegewinnung dienen die zahlreichen Bescheidenheitsformeln, die freilich nur selten auf echte Bescheidenheit des Autors schließen lassen.23 In der Regel verbirgt sich hinter diesen Floskeln eine recht selbstbewußte, oft fordernde Haltung, die in äußerlich bescheidener Formulierung bestimmte Ansprüche an das Publikum stellt, oder doch der im Sinne der captatio benevolentiae gezielte Versuch, einer befürchteten kritischen oder ablehnenden Aufnahme des Werkchens von vornherein die Grundlage zu entziehen. Der Dichter des H Ä S L E I N , der sich V. Ι off.24 timide addicendum^ anstellt, führt sich im ersten Satz selbstbewußt als von Gottes Gnaden bestimmt251 ein, weshalb er die Zeit nicht ungenützt hinbringen dürfe,26 und gibt damit zu erkennen, daß er seine Aufgabe, die Geschichte zu erzählen, aus edlen Motiven übernommen habe. Daß er dies durch kurze wile tut, damit ist ebenso wie mit V. 17 (Bemühung um der edeln gunsf) nur wieder der Anspruch, vor höfischem Publikum zu sprechen, ausgedrückt. Die ,Neiderabwehr£i!7 (6 und 13) macht deutlich, welcher Kategorie von

A m ehesten noch bei Hertand von Wildonie in seinem BETROGENEN GATTEN dutch den Zusammenhang mit der Widmungs- bzw. Auftragsoptik. Zum Problem vgl. die bekannten Arbeiten von J. Schwietering, Die Demutsformel in mittelhochdeutscher Dichtung. A b h . der königl. Ges. d. Wiss. zu Göttingen. Phil.-hist. Klasse, N F 17, 3 1921; E. R. Curtius, Devotionsformel und Demut, in: Europ. Lit. und lat. Mittelalter, •1961, S. 410-15; F. Ohly, Wolframs Gebet an den Heiligen Geist im Eingang des Willehalm, in: Z f d A 91, 1961, S. 1-57. 24 und war ich so bebende ... Daz ich mir niht envorhte Der lösen nidare schimpf, die dö zehant ungelimpf Uf ander liute hint getan ... 26 Ebenfalls ein Exordialtopos im Dienste der Sympathiegewinnung; vgl. Arbusow S. 98. 262 Anders de Boor, Beitr. 87, Tüb. 1965, S. 200-203; dazu jetzt Fischer, Buchfassung S. I94f. 2e Dieser bekannte Topos .Trägheit meiden' (Arbusow S. 99) und der verwandte .Wissen 22

verpflichtet zur Mitteilung' (vgl. Z.B.NACHTIGALL iff. undHELMBRECHT097ff.)nennen

die causa scribendi und (a. a. O. S. 102) sind moralisch wertvolle Motive - auch für den Redner, der im Gerichtsprozeß eine Partei vertritt (vgl. Lausberg § 275). 2 ' Ähnlich steht die Neiderabwehr in der Tradition des genus iudiciale: im Prooemium der Gerichtsrede nahm der Redner bereits Gelegenheit, die gegnerische Partei herabzusetzen (Lausberg § 276).

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Menschen der Dichter jene Leute zuzurechnen gewillt ist, die sein Verdienst nicht zu schätzen wissen. In gleicher Weise fürchtet der Autor des H E L L E R W E R T W I T Z E S nur der valschen haz, wan von in niht gebezzert wirt (26fr.) - d. h. sie können für sich keine moralisch wertvollen Motive in Anspruch nehmen - , obgleich es sein erstes Gedicht ist und ihm der sin ... krank28 ist. Den Bau des Prologs hat sein Verfasser, Hermann Fressant (der als Ulmer Stadtschreiber bezeugt ist und dessen Amt „ein größeres Maß an gelehrter und wohl auch literarischer Bildung" - Fischer S. i4628a - erforderte), ganz deutlich im Sinne des prooemialen, noch nicht auf die Dichtung bezogenen Teils (prologus praeter rem) angelegt: mit eindringlich mahnender Sentenz, die das Verhältnis des Publikums zum Autor in einem Bilde umschreibt, und mit ihrer Auslegung sucht er den Hörer attentum zu machen (1-18) und spricht dann über sich als den Autor (19-31). Nur die Reihenfolge ist hier also umgekehrt. Auf diesen Abschnitt (a persona scribentis) beschränkt sich mit ähnlichen Topoi der in seiner Haltung bescheidenere Dichter der Z W E I K A U F L E U T E , got mir sin helfe sende (23) ist die christliche Umprägung des in mittelhochdeutscher Dichtung seltenen, weil als heidnisch verdächtigten Musenanrufs.29 Gelegentlich spielt der Dichter auch darauf an, daß er auf dem Felde der literarischen Betätigung kein Neuling mehr ist.30 Wenn also die Dichter häufig ihre Bescheidenheit und ihre geringen dichterischen Fähigkeiten beteuern und anderseits den Wunsch nach guter Aufnahme ihres Gedichts beim Publikum ausdrücken, so erfüllen sie im Ganzen damit die beiden Funktionen des Prologs, wie sie Conrad von Hirsau beschreibt: est autem omnisprologus aut apollogeticus aut commendacius; vel enim se excusat aut commendat (S. 17). Läßt sich demnach das typische Formelgut der Märenprologe und seiner Funktionen durch vergleichende Blicke in die Poetik erläutern, so ist für das enge Verhältnis von Poetik und Rhetorik und die mittelbare Anregung, die die Rhetorik auch auf die Dichtenden ausüben 28

Übet diese ursprünglich ebenfalls recht anspruchsvolle Behauptung vgl. S. 243fr. In seiner Buchfassung S. 187 hat Fischer den Bildungsfaktor noch stärker betont. " Dazu Arbusow S. 119. In der Märengattung noch im HÄSLEIN (18): undgit vrou Verna mir vernunst. Voraus ging aber die Berufung von Gottes Gnaden (2L). So Johannes von Freiburg im RÄDLEIN (iff.): Jobannes von Vrtberk, der mangez wunderliche werk Uf der erden wirken kan, der wil aber heben anUnd uns ein buechel tihten von seitsanen geschihten. Ebenso faßt Fischer (S. 155 Anm. 1 [Buchfassung S. 181 Anm. 171]) die Stelle auf. H.-F. Rosenfeld ( V L II Sp. 592) denkt dagegen an einen Zauberkünstler. Über die Bedeutung von seltsanen geschihten - und dasselbe meint offenbar wunderliche werk (vgl. BESTRAFTES MISSTRAUEN 1 - 3 ) - wird im folgenden S. 68f. gehandelt. 283

65

konnte, recht aufschlußreich, daß die Rhetorik ebenfalls entsprechende loci kennt, die in der Gerichtsrede das Publikum wohlwollend stimmen sollen: in der Rhet. Her. i , 4, 8 heißt es: benivolos auditores facere quattuor modis possumus: ab nostra, ab adversariorum nostrorum, ab auditorum persona, et ab rebus ipsis (bei Cicero: a causa). D e m ersten locus entspricht in der Dichtung, wenn der Autor etwas über sich selbst sagt; dem zweiten ist die Neiderabwehr zu vergleichen; dem dritten die Einbeziehung des Publikums; dem vierten die Nennung des Themas, des Inhalts und seiner Bedeutung (meine) im Sinne des fructus finalis. Sehr beliebt ist in der Märengattung das im Mittelalter entwickelte 31 Verfahren, die Dichtung oder auch das Prooemium mit einer Sentenz (oder einem proverbium) zu eröffnen. Hier sei dieser Eröffnungstechnik deswegen gedacht, weil sie die Poetik immer wieder empfiehlt und speziell Galfredus de Vinosalvo sie in seiner bekannten Theorie v o m ordo naturalis und ordo artificialis unter den acht Arten des ordo artificialis nennt, dem der V o r z u g vor dem ordo naturalis zu geben sei.32 Ihrer Funktion nach ist die Sentenz nicht nur ein Sympathie-, sondern auch ein Aufmerksamkeitserreger. 33 Eine der häufigsten Eingangssentenzen ist die ,Entrüstung über den SittenverfalT, 34 die zugleich die Gelegenheit schafft, das Werkchen als einen Beitrag zur Besserung hinzustellen und die edlen Motive des Dichters glaubhaft erscheinen zu lassen.35 Das Publikum aufgeschlossen zu machen, sein Interesse zu wecken, dient vor allem die verbreitete Versicherung, eine w a h r e Geschichte zu erzählen (vgl. dazu schon S. 32). Man kann einen Wahrheitsbeweis' auch erbringen, indem man sich auf einen andern beruft, der die Geschichte erzählt hat36 - wobei vielleicht hinzugedacht werden muß: in Reim- und Versform erzählt, denn auch die Form kann Wahrheit 81

V g l . Brinkmann S. 7 ; Faral S. 57fr.; S. 62 u n d S. 74 dieser A r b e i t .

82

V g l . Faral S. 58; Galfredus Poetr. n o v . II, i o i f . : Ordinis est primus sterilis, ramusque secmdus fertilis

...

I n D o c . I , 2 (bei Faral S. 265) nennt er das principium naturale

agreste vel vulgare. 83

Lausberg § 271.

84

A r b u s o w S. 99f. Hierher gehören die P r o l o g m o t i v e .Zeitklage' u n d z. T . die laudatio temporis acti (BUSANT u f f . ; TEUFELSACHT 4E.; TREUE MAGD 8f.; SCHLEGEL i 6 f f . u. a.).

86

PFAFFE IN DER REUSE. D e r D i c h t e r behauptet, seinen moralisierten S c h w a n k v o n der E n t d e c k u n g u n d Bestrafung des E h e b r u c h s aller merit ze stiure (7) zu erzählen u n d nennt damit den fructus finalis w i e G o t t f r i e d i m T r i s t a n p r o l o g : der merit ze liebe (46) oder Wirnt i m . W i g a l o i s ' der mrlte ze minnen (142).

86

V g l . RÄDLEIN 7 - 9 ; DREI MÖNCHE ZU KOLMAR 1 - 6 .

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verbürgen.37 Mittelhochdeutsch „sagen" heißt ja o f t , Sprechdichtung vortragen'. Herrand von Wildonie nennt im B E T R O G E N E N G A T T E N seinen Schwiegervater Ulrich von Lichtenstein als Gewährsmann für die erzählte Geschichte, die sich in Frlül zugetragen habe; dieser habe aber den Namen des Schwankhelden nicht genannt (vgl. dazu S. 5). Der fiktive Charakter solcher Wahrheitsbeteuerung wird daran deutlich, daß der Schwankstoff zum literarischen Traditionsgut gehört. Man muß wohl auch die Bedeutungsgeschichte von ,wahr' berücksichtigen: die Gleichsetzung von wahr = wirklich vollzieht sich erst später; im Mittelhochdeutschen heißt „war" vielfach nur glaubwürdig'.38 So variiert der Erzähler in D E R W I E N E R M E E R F A H R T die übliche Wahrheitsversicherung, die Geschichte erzählen gehört zu haben, durch Hinweis auf die Glaubwürdigkeit seines Gewährsmannes, des Burggrafen Herman von Dewin: Mir hat ein warhafter munt eine rede gemachet kunt (28). Klaus von See wies mich darauf hin, daß es bei Vernehmungen in gerichtlichen Prozessen nicht auf die Augenzeugenschaft ankam, sondern allein auf den Nachweis der Glaubwürdigkeit des Zeugen.382 Auch durch Hinweis auf eine angeblich an der Geschichte selbst beteiligte Person39 oder gelegentlich durch Bekundung der Autopsie40 soll der Eindruck erweckt werden, die erzählte Geschichte habe sich tatsächlich so zugetragen. Die attentio zu wecken dienen natürlich die bloßen Aufforderungen zum Zuhören (audite !) a und zum Schweigen (tacete !).42 Besonders starke Verbreitung aber haben in den ganz kurzen Vorworten die Beteuerungen der Autoren gefunden, etwas Interessantes, nicht Alltägliches, Merkwürdiges oder auch Staunenswertes erzählen zu wollen - mittelhochdeutsch ausgedrückt durch seltsanez oder vremdez mcere, ein rede... Dui mag wol heizen wunderlich ( D E R W I E N E R

37

Vgl. K . von See, Skop und Skald. Zur Auffassung des Dichters bei den Germanen, in G R M 45 ( N F 14), 1964, dort S. 12 Anm. 23. »8 Vgl. Grimm, D W , Bd. 13, Sp. 68 9 ff. "»Dies ist nun auch bei Fischer, Buchfassung S. 250 zu lesen. ,E

R I T T E R U N T E R M Z U B E R i o f . ; D E R W I R T 6 8 ; B E T R O G E N E R G A T T E i m E p i l o g 557FR.

40

Ζ . Β . W E I S S E R R O S E N D O R N 4 , B E S T R A F T E S M I S S T R A U E N 4 . S o h a t d i e ältere F o r s c h u n g

41 42

die Bemerkung Wernhers im HELMBRECHT (JL) bisweilen wörtlich genommen und gemeint, er erzähle einen selbst erlebten Vorgang; demgegenüber haben H. Fischer, Beitr. 79, i957,Tüb.,S. 8 7 t und F. Tschirch, Beitr. 80, i958,Tüb.,S. 295, Anm. 1 den topischen Charakter richtig erkannt. Vgl. auch Schwietering, Demutsformel, S. 14, Anm. 1. Arbusow S. 102, Lausberg § 271 a. Vgl. FRAUENZUCHT 30. D E R J U N K E R UND D E R T R E U E H E I N R I C H I .

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Man hat das Außergewöhnliche und Phantastische, das die Mären erzählen wollen, mit Recht als eines der Indizien für die im Grunde nicht realistische Darstellungsweise der Gattung angeführt,44 und es liegt in der Tat nahe, sich angesichts der so bestimmten Stofflichkeit - ohne an einen historischen Entwicklungsprozeß zu denken - an Goethes spätere Definition der modernen Novelle als eine „sich ereignete unerhörte Begebenheit" zu erinnern.46 (Das „sich ereignete" - wie Eckermann wenig schön und wohl nicht ganz getreu Goethes Worte wiedergibt4® - ist schließlich eine abgewandelte Form der Wahrheitsbeteuerung). Es bietet sich aber noch eine andere Erklärungsmöglichkeit an, die - ohne daß sie letztlich beweisbar wäre - wenigstens zur Diskussion gestellt sei. Sie führt wieder in die Tradition der Rhetorik zurück. In der Gerichtsrede, dem genus iudicale, unterschied man (fünf) verschiedene „rechtliche Rangstufen der Parteien im Hinblick auf die rechtliche V e r t r e t b a r k e i t . . . ihres Standpunktes":47 das genus honestum, dubium, admirabile (turpe), humile und obscurum. Je nach dem ,Vertretbarkeitsgrad' bedarf es für den Redner schon im prooemium bestimmter, mitunter mehr (bei der causa turpis) oder minder (bei der causa honesta) kunstvoller rhetorischer Mittel, die Sympathie des Publikums zu gewinnen. In unserem Zusammenhang interessiert zunächst nur das humile genus, der Vertretbarkeitsgrad einer causa, die für „das Rechtsempfinden (oder über den juristischen Bereich hinaus verallgemeinert: für das allgemeine Wert- und Wahrheitsempfinden) des Publikums eine belanglose und uninteressante B a g a t e l l s a c h e ist".48 Der Bagatellcharakter eines Gegenstandes hat oft zur Folge, daß das Publikum uninteressiert und nicht ansprechbar ist (§ 269), der Redner bzw. Dichter daher zur Beseitigung dieses taedium die Zuhörer in besonderem Maße aufmerksam stimmen muß: MEERFAHRT ^F.).43

48 44 45 46

47

48

BESTRAFTES MISSTRAUEN 1 - 3 : Seltsaner dinge ... vremeden wunder. Fischer S. 105. [Buchfassung S. 130.] Fischer S. 105. In der Buchfassung getilgt. Gespräche mit Eckermann, 29. Januar 1827. Vgl. dazu die Bemerkung O. Walzeis in seinem Wortkunstwerk, Leipzig 1926, Kap. V . Die Kunstform der Novelle, dort S. 239. Lausberg § 64 (S. 56). Auch Brinkmann geht in seinem Aufsatz auf diese Lehre ein und erwähnt ihre Bedeutung für die mittelalterliche Prologtechnik. Lausberg § 64, 4. Er weist ausdrücklich darauf hin, daß das humile genus auch literarisch realisiert worden ist. Der soziologischen Orientierung dieses genus entspricht es, wenn in der Dichtung den Personen niederen Standes ein Interesse abgewonnen wird, so in der Komödie (Lausberg ebd.).

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dies geschieht durch die Behauptung, einen Gegenstand (Thema) „von unerhörter Wichtigkeit" (ebd.) zu behandeln, die darzustellende Sache sei nova, magna, atrox, pertinens ad exemplum (Quint. 4, 1, 33, bei Lausberg § 270) oder durch die „Beteuerung ,ich bringe noch nie Gesagtes'" (ebd.). Hatten sich bei der Märengattung zahlreiche stilistische Erscheinungen mit Tradition der Rhetorik erklären lassen, so dürfte es nicht ganz abwegig sein, bei den prooemialen Beteuerungen, seltsmiu, vremdiu mcere und wunderlicher dinge... eines zu erzählen, ebenfalls an diesen kunsttheoretischen Bereich - wenigstens als den U r s p r u n g s herd dieser Wendungen zu denken. Daß sich diese Formeln dann von selbst zu einfachen Elementen des Gattungsstils entwickeln und auf diese Weise auch unbewußt von Erzählern und Rezitatoren übernommen werden, die rhetorisch nicht geschult sind, liegt auf der Hand und kann nicht als Gegenargument in Anspruch genommen werden.482 Die Beziehung zu demVertretbarkeitsgrad des humile genus ist dadurch gegeben, daß die genannten Wendungen im prooemium (oder knappen Vorwort) die attentio der Zuhörer besonders wecken sollen, eben weil die vornehmlich auf leichte Unterhaltung gestimmten komischen Märenstoffe in der Tat Bagatellcharakter haben (im Gegensatz zu den schweren Stoffen anspruchsvollerer Dichtung). Es verdient daher besondere Beachtung, daß die Bezeichnungen seltsam, vremde, wunderlich19 in der Regel meist Schwankerzählungen vorbehalten sind49a und in den Mären des Aventiure-Minne-Kreises mit ihrer zum Teil ernsten Problematik äußerst selten angewendet werden.60 Auch in der Gruppe der moralisch-exemplarischen Mären mit ern48a

4e

"a 60

Fischer sieht „darin mehr als nur die rhetorische Tradition des attentum facere" (Buchfassung S. 130), und er spielt damit offenbar auf meine Deutung an. Auch ich meine aber nur, daß diese Wendungen in der Rhetorik ihren U r s p r u n g genommen haben. Wenn sie, was Fischer sehr richtig besonders hervorhebt, auf das Außergewöhnliche und Überraschende der Geschichte zielen, so stimmt dies ja genau zu der ursprünglich rhetorischen Funktion solcher Empfehlung. Alle drei Bezeichnungen weichen in der Bedeutung (.merkwürdig, bemerkenswert, höchst beachtlich, besonders') kaum voneinander ab. Daher ist bei wunderlich im Schwank nicht an neuhochdeutsch ,wunderbar' im Sinne des Wunders zu denken. Ehti liegt seine Bedeutung näher am lateinischen admirabile: etwas, worüber man sich wundert, staunt, womöglich sich entrüstet wie beim admirabile genus. In der FRAUENZUCHT heißt wunderlich in anderm Zusammenhang - vom Wesen der iihelen Tochter und Mutter - .launisch, zänkisch' (116 und 142). Diese Feststellung jetzt auch bei Fischer, Buchfassung S. 209, Anm. 303. HERO UND LEANDER 14. In Konrads von Würzburg SCHWANENRITTER 1632 diz fremde wunder hat das Substantiv die Bedeutung .Wunder'.

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stem Thema findet sich innerhalb des behandelten Zeitraums nur ein Beleg im S C H L E G E L (V. 2), der in seiner Isoliertheit und auch angesichts der leichten Übertragbarkeit solcher Topoi nicht viel besagen will.61 Ein anderer ,Vertretbarkeitsgrad' liegt vor, wenn die causa „dem Rechtsempfinden (oder . . . verallgemeinert: dem allgemeinen Wertund Wahrheitsempfinden) des Publikums voll und ganz entspricht" :62 es ist das honestum genus. Die Spannung zwischen dem Vertretbarkeitsgrad und der Notwendigkeit einer captatio benevolentiae ist bei dieser Stufe naturgemäß am geringsten, weil sich das Publikum in seinem Empfinden in Übereinstimmung mit dem die causa Vertretenden oder den Stoff Darstellenden befindet. Daher bedarf es dabei nur der geringsten rhetorischen Bemühung, das Publikum für sich zu gewinnen.63 Es ist nun interessant, wie die meisten der in den moralischexemplarischen Erzählungen vorgetragenen Stoffe und mit ihnen die meisten der .moralisierten Schwänke' von der Verletzung einer natürlichen Ordnung durch eine der Hauptpersonen ausgehen, im weiteren Handlungsverlauf aber - dem allgemeinen Rechtsempfinden entsprechend - in die Wiederherstellung des verletzten Rechts einmünden, sei es durch Bestrafung oder Beschämung des Schuldigen', 64 sei es, daß der ,Übeltäter' zur Einsicht und Wiedergutmachung geführt66 oder der zunächst Geschädigte am Ende Sieger bleibt.56 Der Dichter steht als Erzähler auf der Seite des Rechts: er ,verteidigt' den Geschädigten, indem er ihn aus dem .Konflikt' als Sieger hervorgehen läßt; er führt die grundlos verdächtigte Gattin zur Wiederanerkennung durch den Gatten,67 läßt den Schuldigen eine Strafe erlei51

52 68

In den ζ. T. märenartigen Erzählungen, die J. J. Enikel in seine Weltchronik eingelagert hat und die durch das besondere Gefallen ihres Erzählers am Skurrilen, Absonderlichen und nicht selten Grotesken mitgeprägt sind, kommen sie häufig vor. Aber diese unselbständigen Erzählungen sind keine Mären im Sinne der Gattung, und die Wendungen stehen im allgemeinen inmitten der Geschichte; sie beziehen sich meist auf ein singuläres Geschehen innerhalb des Handlungsablaufs und haben nicht die spezifische Funktion wie im Prolog der echten Mären (wie ihnen überhaupt ein Prolog oder Vorwort fehlt). Lausberg § 64, ι ; dort ζ. T. gesperrt. Vgl. die Isidorstelle (1. c.) bei Lausberg S. 57: honestum causae genus est cui statim sine

oratiom nostra favet animus auditoris. "

D E R BLINDE HAUSFREUND.

66

D E R GEVATTERIN R A T .

"

Strickers KLUGER KNECHT. Man spürt diesen Stoffen die Nähe zum juristischen Fall an. Überhaupt schöpfen viele Märenstoffe (wie später zahlreiche Novellenstoffe) aus Rechtsfällen, und die Dichter haben diese immer wieder gern aufgegriffen - aber das hat mit unserer speziellen Fragestellung nichts zu tun.

47

BESTRAFTES MISSTRAUEN.



den58 oder - im Fall des negativen Exempels wie im B E G R A B E N E N E H E 69 MANN - stellt das Vergehen als verabscheuungswürdig, in harm40 loseren Fällen ein unbedachtes Verhalten als falsch heraus; er gibt dem beschuldigten N A C K T E N BOTEN in Gegenwart dessen, den man daz laster hörte klagen (171), Gelegenheit, durch got und durch reht(ze) sagen, waz diu rede si (i68f.), seine Handlungsweise zu begründen (173) und sich erfolgreich zu verteidigen (i8off.). Die ,Vertretbarkeitsstufe' (genus) ist sozusagen immer honestum. Die Rhet. Her. definiert sie so: honestum causae genus putatur cum aut id defendimus quod ab omnibus defendendum videtur, aut oppugnabimus quod ab omnibus defendendum videtur oppugnari debere . . . β1 Eine rhetorisch-stilistische Konsequenz, die sich aus dem geringen Spannungsgrad zwischen der Vertretbarkeit einer causa honesta und der Sympathiebereitschaft des Publikums ergibt, ist, daß bei diesem genus das exordium fehlen kann62. Es erscheint nicht ausgeschlossen, hierin eine der m ö g l i c h e n Erklärungen für das überwiegende Fehlen eines Prologs im moralisch-exemplarischen Haupttyp®3 (wie auch in einigen der moralisierten Schwanke)64 zu sehen - neben den andern wie die genetische Nähe zum Bispel, das in diesem Typ am konsequentesten realisierte Stilideal der Kürze und die hier besonders ausgeprägte Belehrungstendenz, zu der Knappheit \ind Schlichtheit des Stils, auch nach Auffassung der Rhetorik (vgl. oben S. 28), als das angemessene Gewand erscheinen. Zuletzt sei noch ein Blick auf den Prolog zur FRAUENZUCHT von Sibote geworfen, der als „videlare" am Hofe König Manfreds in Sizilien bezeugt ist (gestorben 1266) und in dem man mit einiger Wahrscheinlichkeit einen Berufsdichter sehen kann.65 Er bietet seinen Hörern, um sie „attentos" zu machen, eine lustige Geschichte anee 58

KLUGER KNECHT.

" Man sieht: die Themen der ,reinen* Schwänke mit ihren geglückten Überlistungsvorgängen und erfolgreichen Liebesabenteuern außerhalb der Legalität fügen sich nicht in diesen Kreis .moralischer' Erzählungen oder ,moralisierter' Schwänke ein. NACKTER RITTER.

41

Nach Lausberg § 64, 1 .

•2 Lausberg § 265. Vgl. Quintilian 4, 1, 41: nam honestum quidem ai conciliationem satis perse valet (Lausberg § 264) und Martiani Capellae, De rhetorica (ed. C. Halm, Rhetores Latin! minores. Lipsiae 1863, Nachdruck Frankfurt 1964), c. 45: Si (materia) honesta est, .. .principio non sit utendum... Vgl. auch Brinkmann S. 6. " So in den Mären des Strickers. M Vom NGA ζ. B. die Nummern 29, 30, 32 und 33 mit den Rollen der treuen Gattin und des bestraften Bewerbers (vgl. S. 37). " Fischer S. 142. [Buchfassung S. 181.] ·· Von gemelichen dingen (3). Ebenfalls ein Aufmerksamkeitserreger. Weitere Nachweise S. 40, Anm. 132.

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und flicht sogleich eine Bescheidenheitsformel ein (4). Er nennt den Titel (6),67 also das argumentum oder die summa seines mare, und weist, wieder im Sinne der Rhetorik, darauf hin, daß sie nützlich anzuhören®8 ist für alle, die ein übel wip haben. Um die ,Betroffenen' unter den Hörern jedoch nicht abzustoßen, bezieht er sich selbstironisch in den Kreis tyrannisierter Ehemänner ein. Poetisch hat diese gerade beim Thema des Übeln wibes angewandte ironische Selbsteinbeziehung89 die wichtige Funktion, der bei einem - zumal in Anwesenheit der Damen (vgl. V . 20) - so prekären Thema drohenden Entfremdung zwischen Autor und Publikum vorzubeugen. In der Gerichtsrede ist der schwierigste Vertretbarkeitsgrad das admirabile (turpe) genus, weil es das Rechts- bzw. Wertempfinden des Publikums „ s c h o c k i e r t " ; 7 0 dennoch die benevolentia zu gewinnen dient das kunstvolle Stilmittel der insinuatio,71 mit der sich der Redner (Dichter) bei den Zuhörern geschickt einschmeichelt. Es möge offenbleiben, ob im FRAUENZUCHT-Prolog eine Beziehung zur Vertretbarkeitslehre gegeben ist.72 Jedenfalls ist sich Sibote der Gefahr bewußt, mit dem Thema des Übeln wibes, zumal die Geschichte in ritterlichem Milieu spielt und vor höfischem Auditorium vorgetragen wird, den Unwillen der Damen zu erregen. Er beugt daher vor: hie enmein ich keine vrouwen mite (17), und bedient sich einer insinuatio: mich dunketguot ir aller site (18). Die behutsame Beschwichtigung: ir enheiniu zücke sich daz ane (20), verbindet er geschickt mit der vorsichtigen ,Drohung',

· ' Ein .echter' Titel! Vgl. Edw. Schröders Unterscheidung „echte - rechte - schlechte Titel", Aus den Anfängen des deutschen Buchtitels, in: N G G , Phil.-hist. Kl. N F II, Nr. 1, 1937, S. 1. ββ Der Gegenstand wird als wichtig für die Interessen des Publikums hingestellt: si pollicebimur nos... verba facturos... de iii quae... pertinent ad eos ipsos qui andient". Rhet. Her. 1, 4, 7; vgl. Lausberg § 271 γ. ββ Noch einen Schritt weiter geht der Verfasser der BÖSEN FRAU, der sich und seine Frau selbstironisch zu den Hauptdarstellern der Redeszene macht. Ehrismann veranlaßte dies zu der .biographischen' Notiz: „Der Dichter schildert seine Ehe mit einem,Übeln wibe'" 1 Schlußbd. S. 115. Lausberg § 64, 3. n Lausberg § 280. Brinkmann (S. i j f . ) zählt den Tristanstoff zum admirabile genus und weist auf die Möglichkeit hin, den Prolog Gottfrieds als insinuatio zu interpretieren. 72 Man beachte jedoch, daß sich gerade von diesem scheinbar weit abliegenden juristischen Bereich eine ziemlich unmittelbare Beziehung zur Dichtung und besonders zur .Kleindichtung' ergibt: da die causa admirabilis mit ihrem ungünstigen Vertretbarkeitsgrad besondere Anforderungen an den Redner stellte, war gerade sie für seine Ausbildung vorzüglich geeignet und „ist deshalb in den Schulübungen der Rhetorik (und von hier aus in der Dichtung) stark vertreten" (Lausberg § 64, 3).

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sich durch melden nicht selbst zu verraten.73 Es ist die bekannte Technik, einem präsumptiven Mißfallen auf der Seite des Publikums schon im voraus, also im Prolog, jeden Ansatzpunkt zu entziehen, nu beeret vor ditz mare! markiert wiederum deutlich den Abschluß des Prologs und den Beginn der Erzählung. Die hier erörterten Formeln und Elemente des Märenprologs brauchen natürlich nicht immer unmittelbar auf die Kunsttheorie oder Rhetorik zurückzugehen, sondern können verschiedentlich durch die klassische oder spätklassische Dichtung vermittelt sein. Angesichts der starken Verbreitung solchen Formelguts besagen entsprechende Nachweise etwa in der großen epischen Dichtung allerdings auch noch nicht viel für einen direkten Einfluß auf die Versnovelle. Die Rhetorik war bekanntlich Schulfach. Sinn und Funktion der meisten Formeln sowie der Prologanlage erschließen sich jedenfalls erst, wenn man die Theorie heranzieht.

2. Die Märenexposition Mit diesem Abschnitt wendet sich die Untersuchung Fragen der Komposition zu. Dabei erscheint es angebracht, zunächst jenen kompositorischen Teil genauer anzusehen, den auch die Theorie etwas eingehender behandelt: den Anfang der Erzählung. Der Prolog kann aus den oben dargelegten Gründen hier außer Betracht bleiben. Denn - so gern gerade die anspruchsvolleren Dichter beim höfisch-galanten Märe und auch beim Schwank einen Prolog voranstellen - mit dem initium der Erzählung (im Sinne der Theorie) hat er nichts zu tun. Es sei aber festgehalten, daß der Prolog in seinen Funktionen und Topoi zu einem erheblichen Teil dem Prooemium einer Rede entspricht. Unberücksichtigt bleiben darf ferner der in der Poetik besonders herausgestellte ordo artificialis. Für die antike Theorie war es in der Tat eine eminent kompositorische Frage: ob der Dichter die Ereignisse in ihrer natürlichen' Geschehensfolge, im ordo naturalis, darstellt oder in der Mitte bzw. am Ende beginnt und davor Liegendes später im Rückgriff

' 3 Rhetorisch gesehen, handelt es sich um die antieipatio, „die von vornherein abwehrende Vorwegnahme der gegnerischen Argumente" (in futurum autem antieipatio eorum quae dicturus est adversarius Isidor, Origines 2, 21, 34); Lausberg § 855.

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nachholt, also more Homerico74 und nach dem in der mittelalterlichen Poetik als Muster angeführten Verfahren Virgils in der ,Aeneis'75 vorgeht. In der mittelhochdeutschen Dichtung ist diese Kunst des Eingangs selbständig kaum geübt.76 Für die oben erwähnte, zum Teil mißverstehende Umwandlung antiker kompositorischer Aspekte in Elemente des reinen Wort- und Figurenstils77 ist es charakteristisch, daß die mittelalterlichen Poetiker auch den Beginn mit einem Proverbium oder einer Sentenz - also Wortfiguren zum ordo artificialis rechnen, auch wenn dabei die natürliche Reihenfolge des Geschehnisablaufs nicht geändert wird. Gerade diese Eingangstechnik haben dann die mittelalterlichen Dichter - auch in der Märengattung (vgl. S. 62) häufig praktiziert. Der Eingang der H E R O UND LEANDER-Erzählung stellt - nach dem initium a proverbio - beide Helden mit der laudativen Personenbeschreibung vor (16-54 Leander; 45-80 Hero). Dazwischen ist eine kurze Beschreibung der für die Handlung so wichtigen Örtlichkeit eingeflochten (35-44). Nach den Personenbeschreibungen, die beide mit der Namensnennung der Helden enden, führt der Dichter in die Situation ein: beide verbindet heimliche Liebe zueinander. Das Besondere der Situation besteht darin, daß das Paar nur zueinander kommen kann, wenn Leander nachts das trennende Meer durchschwimmt. Damit ist in aller Kürze die Problematik im Liebesverhältnis angedeutet, aus der sich der ,Knoten' der eigentlichen Handlung schürzen wird. Diese beginnt mit V. ιογίΕ: Daz triben si vil mangen tak, unz eines mäls des meres pflak Ein wint mit starkem gewille... Damit ist sehr deutlich die Geschehnissituation, in der sich das Paar bisher befand, von dem jetzt einbrechenden Ereignis, dem Meeressturm, abgesetzt: hier Hegt ein kompositorischer Einschnitt, und mit ihm erst beginnt die eigentliche Haupthandlung. Die

RITTERTREUE

stellt nach dem Prolog V. 2 5 ff. (von patria78 aus-

'* Nach einer Quintilianstelle (7, 1 o, 1 1 ; zit. bei Lausberg §517): . . . übt more Homerico e mediis vel ultimis... expomndum. " In einer von Faral S. 56L zitierten Stelle aus der „Scholia vindobonensia ad Horatii artem poeticam", hsg. von Zechmeister, Wien 1877. Sie stammt aus der Zeit Alcuins. Vgl. femer ,Commentum Bernardi Silvestris super sex libros Eneidos Virgilii' (ed. Guil. Riedel, Greifswald 1924), S. 1-2. Conrad von Hirsau, S. 18. Hugo von St. Victor, .Eruditio didascalia' III 9 (MPL 176) Sp. 771. " Heinrich von Veldeke hat sie in seiner ,Eneide' übernommen. 77 C. S. Baldwin spricht a.a.O. von „the general misconception of the ancient dispositio". Auch für Johannes de Garlandia ist die Art des Beginnens mehr ein stilistisches Problem, s. Poetria, S. 905t. 78 Patria hat in der Poetik auch die engere Bedeutung des Geburtsortes: patria vero secundum locum originalem (Matthieu de Vendöme, Ars vers. § 82, bei Faral S. 137).

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gehend) aus Muntaburc in Vrankrtche Graf Willekin vor, der auf Ritterschaften sein Gut vertan hat (das ist seine allgemeine Lage), und aus dem vünften lande (5 5ff.)79die schöne und reiche Jungfrau, der bisher kein Freier würdig genug war und die beschließt, ein Turnier ausrufen zu lassen, in dem sie sich und ihr Land zum Preis setzt (das ist ihre allgemeine Situation). In einem weiteren, die Haupthandlung vorbereitenden Abschnitt (99-224) verkündet ein Knappe die Turnierbotschaft auf dem väterlichen Hof des Grafen, und dieser entschließt sich, dem Ruf zu folgen, und läßt sich durch die Eltern ausstatten. Wieder ist für diesen einleitenden Teil ein längerer Zeitraum verstrichen (Mer danne sehs wochen 224), bis der Herr vor der stat eintrifft (226), in der die vroum wohnt (Ortsangabel) und wo sich die Handlung dann in dem sehr raschen Vollzuge von drei Tagen abspielt. Ganz entsprechend sind Schwankeingänge angelegt. Herrand stellt im B E T R O G E N E N G A T T E N (Prolog bis V. 1 6 ) nach Nennung des Gewährsmannes einen alten Ritter aus Fri&l und seine schöne junge Frau kurz vor. An ihr hat ein anderer in der Nachbarschaft lebender Ritter (knappe Ortsangaben I) Gefallen gefunden: die Dreieckssituation ist angedeutet. Ihre epische Ausführung beginnt V. mit dem temporalen Nebensatz Nu er gedienet het so vil... - Im R I T T E R UNTERM Z U B E R , in dem ganz knapper Prolog und Personeneinführung ineinander übergehen,80 sind das Liebesverhältnis des Ritters mit einer rnrtin kurz angedeutet und, was für die beiden die besondere,Problematik' ausmacht, die Verdächtigving dieser Ehefrau bei ihrem Manne durch dessen drei Brüder. Der .Konflikt' wird durch den auf Anraten der Brüder gefaßten Entschluß vorbereitet, die Frau in flagranti heimlich zu überraschen. Die Haupthandlung beginnt, als der mrt am morne vruo do es wart tac (64) ausreiten zu müssen vorgibt. Im Hauptteil bestellt die Frau ihren Liebhaber, der Mann kehrt unerwartet zurück; aber es gelingt ihr, ihn zu überlisten und ihren Geliebten heimlich zu entfernen: alles spielt sich im Laufe weniger Stunden ab, während der einführende Teil eine schon länger bestehende Situation beschrieb. Als Beispiel für die moralisierten Schwänke diene D E R B L I N D E H A U S FREUND, der ohne Prolog beginnt. Hintereinander werden die drei Hauptpersonen dieser .moralisierten' Dreiecksgeschichte - das Ehepaar macht gemeinsame Sache gegen den zudringlichen Bewerber - eingeführt: der Blinde (1-13), der burger (14-30), seine Frau (31-35). Dann folgt die allgemeine Situation: der Blinde bemüht sich Vergeblich um die Liebe der Hausherrin. Ausdrücklich ist wiederum auf den länger andauernden Zustand dieser Werbungssituation81 hingewiesen, bevor er eins tages zuo ir gie (5 8) und die Haupthandlung beginnt. An diesem einen Tage vollzieht sich das ganze .Schicksal' des Blinden: seine zudringliche Werbung, das scheinbare

' · Das bedeutet nicht in irgendeinem weit entfernten Lande, sondern - worauf merkwürdigerweise noch nie hingewiesen worden ist - das Felsen- und Weinland an der ligurischen Küste, das sich noch heute Cinque Terre nennt. 80 Hiebt nemet einer mare war, wie ein aventiwe geschach einem ritter... (8ff.). 81 So niuwert er ie alle tage sine bet und sine clage (5 if.).

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Versprechen der Frau ihn zu erhören, seine Überführung durch gemeinsame List der Eheleute und die grausame Bestrafung. In der moralisch-exemplarischen Gruppe begnügen sich die meisten knapper erzählten Mären (Stricker) gewöhnlich mit einer medias-inres-Technik, stehen also wie in ihrem Verzicht auf Prolog und Beschreibungen dem Bispel nahe. Nur die erzählerisch reicher ausgeführten Stücke haben eine spezifische Einführung. Im S C H L E G E L beginnt der einleitende Erzählteil (24S.) mit dem knappen Preis des rieben kauf man·, seine fünf Kinder werden kurz erwähnt als Empfänger einer vorzeitigen Erbschaft. Dann präzisiert Rüdiger von Hünchhoven das Verhältnis des Alten zu seinen Kindern: infolge des plötzlichen Todes seiner Frau entschließt dieser sich, seinen ganzen Besitz schon jetzt den Kindern zu vermachen und in der Hoffnung auf deren Dankbarkeit fortan bei ihnen zu leben. Der Hauptteil beginnt mit der Verteilung des Erbes: Zehant er des niht enliez... (5 9FF.). - In der GA-Fassung der H A L B E N D E C K E (II) umschließt die Einführung die Vorstellung des Vaters, den Tod seiner Frau, die schlechte Behandlung durch den Sohn und das gute Verhältnis des Alten zu seinem Enkel, das die Situation besonders kennzeichnet und die spätere Wende vorbereitet. Nach den ziten kom ein winder (89) - der Geschehnisverlauf vollzieht sich mit all seinen Stationen (wie Bitte um die Decke, ihre Teilung durch den Enkel, Sinneswandel des Sohnes und Rehabilitierung des Vaters) an einem einzigen Tage. Die gebotene Auswahl von Märeneingängen hat sich bewußt nicht auf ein oder zwei Beispiele beschränkt, um das Prinzipielle ihres Aufbaus eindringlich zu machen. E r wird durch die Vorstellung der Handlungsträger und die Einführung in die allgemeine und oft schon in eine bestimmtere Richtung zugespitzte Situation charakterisiert, von der später die Handlung ihren Ausgang nimmt. Die Aufgabe dieses ersten Erzählteils ist es, das Publikum mit der Sachlage vertraut zu machen, soweit diese Voraussetzung für die Handlung ist. E r bietet also die Vorgeschichte, die bereits einen gewissen Spannungszustand enthält, aus dem sich mit dem Einsatz der zentralen Handlung der Konflikt entwickeln wird. Bei den meisten Mären ist der Übergang von der Exposition zum Hauptteil durch einen deutlichen, kompositorisch gliedernden Einschnitt gekennzeichnet. E r liegt dort, wo der Erzähler mit seiner Schilderung die allgemeine oder schon auf den .Konflikt' hinführende Situation verläßt und sich dem aktuellen Ereignis als dem eigentlichen Vorwurf der Erzählung zuwendet. Während der expositorische Erzählabschnitt, obwohl er die Sachlage oft nur andeutet und in ge-

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drängter Kürze berichtet, einen längeren Zeitraum umschließt, vollzieht sich das Geschehen des Hauptteils, obwohl episch reicher ausgeführt, in kürzester, häufig auf einen Tag begrenzter Frist. Von daher bieten sich dem Dichter jene .Zeitangaben' an, mit denen er die Exposition oft abschließt und die Zentralhandlung eröffnet. Sie haben zugleich gliedernde Funktion. Im knappen Schwankexempel von der BÖSEN A D E L H E I D heißt es: si tet im jarlanc herzeleit. - Eins tages sazens ob dem viure ... (iof.). Die erste temporale Angabe bezieht sich auf den .durativen' Charakter der einleitenden Situation, die zweite erfüllt - so unbestimmt sie selbst gehalten sein mag - eine zeitlich spezifizierende Funktion und leitet somit gut auf das .punktuelle' Ereignis der Erzählmitte und damit auf die eigentliche Haupthandlung über. Die beiden temporalen Bestimmungen, die zunächst recht belanglos erscheinen, sind der angemessene sprachliche Ausdruck für den .statischen' Charakter, den Spannungszustand der expositionellen Situation, in der die Handlung noch r u h t , - zum andern für den .punktuellen' Charakter des Ereignisses in der Erzählmitte, in der die Handlung dynamisch in B e w e g u n g gesetzt wird und sich schließlich, meist in kürzester Frist, vollendet. Oft sind diese beiden zeitlichen Aspekte erwähnt.82 Aber es genügt auch, wenn einer von ihnen ausgesprochen ist.83 Die temporale Bestimmung ist freilich in ihrer Verwendung nicht immer auf die Nahtstelle zwischen Exposition und Hauptteil begrenzt;84 diese zu erkennen kommt als entscheidendes Merkmal hinzu, wo der ,durative' Aspekt vom »punktuellen' abgelöst wird und die zentrale Handlung beginnt. Sie wird für gewöhnlich auf den knapp

82

Im S C H R E I B E R füllt die Liebeskrankheit des Helden die Exposition aus; sie werte wolein ganzez jar (30); bis Eines Zages diu vrouive sprach. Vgl. noch P F A F F E M I T D E R S C H N U R 1 9 K und 2zi.; H E R R M I T D E N V I E R F R A U E N 59 und 63. Untreue und Bestrafung der ersten drei Frauen gehören der vorbereitenden Exposition einer Handlung an, in der Erprobung und Bewährung der Gattinnentreue das Thema darstellen. B E S T R A F T E S M I S S -

8a

Im P F A F F E N I N D E R R E U S E am Ende der Exposition 48: doch wert ez ml ein halbez jar. Beginn des Hauptteils mit temporaler Bestimmung, ohne daß der durative Charakter der Einleitungssituation explicite genannt ist, haben ζ. B. Z A H N 23L; L I E B H A B E R I M

TRAUEN 1 1 3 u n d

114.

BADE 19; RICHTERUND TEUFEL 13; NACKTER KÖNIG 22. M

So ist im M I N N E D U R S T die Exposition durch temporales Nü zweigeteilt: der erste Abschnitt stellt das Liebespaar vor, der zweite (Nü wart der meiger innen... 42fr.) spitzt die Situation zu, indem der Vater des Mädchens das Verhältnis entdeckt und es gegen seinen Willen mit einem andern verheiraten will. Die Haupthandlung (6jfF.) spielt sich an einem Tage und in der darauffolgenden Nacht ab.

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begrenzten Ausschnitt von nur einem Tage, in episodenreicheren Erzählungen auf eine Dauer von kaum mehr als ein paar Tagen fixiert (vgl. S. i02ff.). Dieses sehr deutliche Bestreben der Dichter, das eigentliche Geschehen zeitlich auf das Knappste zusammenzudrängen, ermöglicht es, den Einschnitt zwischen Exposition und Hauptteil auch dort festzulegen, wo dies wegen der schon breiter angelegten Einleitung zunächst fraglich erscheinen könnte. So umfaßt sie in der T R E U E N M A G D das Gespräch des jungen scriveres mit den knehten seines Vaters, Abschied von den Eltern und erste Reiseetappe (31-162); die Handlung spielt sich dann während der ersten Übernachtung auf dem Gutshof und des folgenden Morgens ab. Ebenso sind in der R I T T E R T R E U E Ankunft des Boten, Turnierausruf, Ausstattung Graf Willekins und Abschied von den Eltern, die alles in allem einen Zeitraum von Mer danne sehs wochen (224) einschließen, Bestandteile des vorbereitenden Erzählabschnitts; der Hauptteil beginnt, als die Szene mit der Ankunft vor der fremden stat (226) auf einen neuen Schauplatz überwechselt.86 Wie die Beispiele gezeigt haben, sind Inhalt und Funktion der Märeneingänge in wesentlichen Zügen dem Anfangsteil des Dramas vergleichbar (άρκή, prologus,86 später protasis und Exposition). Es erscheint daher angemessen, auch den Märeneingang als Exposition zu bezeichnen. In beiden Gattungen macht die Exposition mit den Hauptpersonen (wo erforderlich, auch mit dem Ort der Handlung) bekannt; sie führt in die allgemeine Situation ein, umreißt die besondere Problematik - den „Spannungszustand des Knotens" - und bereitet somit auf den zentralen Handlungsteil vor. Die dennoch bestehenden Unterschiede sind gattungsbedingt und daher mehr formaler Art: das Märe bedient sich vornehmlich epischer Darstellungsmittel; das Drama bietet die Vorgeschichte meist in M

Aus gleichen Gründen -würde ich alle vorbereitenden Episoden der HEIDIN I V , die den Helden und seine Begleiter wol einlifjär (382) beschäftigen, zur Exposition zählen, bis Zeit- und Ortswechsel in V . 384 Do quämens zuo dem lande, da sie die vrouwen misten den Beginn der Zentralhandlung markieren. Die Exposition der FRAUENLIST ist erst zu Ende, als der Student die Geliebte eines morgens vruo (173) zum ersten Male sieht. Der Konfliktmonolog des schuolar ist also noch in die Einleitung hineingenommen (vgl. auch S. 8z). *· Prologus hier im Sinne des bereits die Funktion der Exposition erfüllenden, „in die beginnende Handlungskontinuität eingebauten, meist dialogischen... Prologs" (Lausberg S. 787, unter,prologus'), nicht des noch außerhalb der Handlung stehenden, nur das Thema ankündigenden Prologs wie in der Märendichtung und in der mittelhochdeutschen Epik.

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„dramatisiertem Dialog zwischen einer Hauptperson und deren Confident" (Lausberg § 1194, 1), nutzt aber auch den Monolog. Doch ist diese Grenze zwischen den Gattungen durchaus fließend: auch in der Märenexposition finden sich nicht selten Dialoge oder eine kürzere Gesprächsszene, gelegentlich auch ein längerer Monolog, in dem der Held über seinen Spannungszustand reflektiert - so im M O R I Z VON C R A U N , in der H E I D I N und FRAUENLIST. Gattungsbedingt ist ferner die relative Kürze des Märeneingangs gegenüber der Exposition des Dramas, die den ganzen ersten Akt füllt. Doch steht in den einzelnen Mären der schwankende Umfang der Einleitung gewöhnlich immer in entsprechender Relation zum Gesamtumfang der Erzählung, der ja größeren Spielraum offen läßt. Schließlich verwendet das Märe statt der Einteilung in Akte die erwähnten epischen Mittel wie temporale oder lokale Bestimmungen, die den Wechsel der Zeit und des Schauplatzes anzeigen. Natürlich wollen die aufgewiesenen Analogien das Märe nicht aus der im Mittelalter noch zu wenig ausgebildeten Gattung des Dramas herleiten. Sie sind aber gleichwohl geeignet, einige der Versnovelle innewohnende dem Drama verwandte Elemente aufzuweisen, zu denen sich im folgenden Abschnitt weitere gesellen werden. Sucht man nach einer Erklärung für das entwickelte kompositorische Prinzip der Exposition, so versagen auch hier die mittelalterlichen Poetiken jeden unmittelbaren Anhalt. Zwar wissen sie, daß eine poetische Erzählung aus drei Teilen besteht, aber die Ausführungen über den ,Anfang' haben nichts mit dieser Exposition zu tun und beschränken sich auf die verschiedene Art des ,Beginnens', also im Grunde auf das Stilistische.87 Für eine Erklärung etwa an die epischen Großgattungen zu denken, die das Märe gewiß stilistisch und motivlich beeinflussen konnten, verbietet sich angesichts des kaum noch vergleichbaren Umfangs und damit der vielschichtigen Kompositionsweise des Romans oder Epos: umfaßt doch die ,Vorgeschichte', ζ. B. des ,Parzival' oder des ,Tristan' mit Schicksal der Eltern und Kindheit des Helden, mehrere Bücher oder Kapitel. Es bleibt ein letzter Bereich, aus dem die Dichter kompositorische Anregungen empfangen haben könnten: die Rhetorik. Sie nämlich gab - im Unterschied zur mittelalterlichen Poetik - detailliertere An"

Z . B . Johannes de Garlandia (S. 905): principium, medium etfinis,vel principium, processus ei operis conclusio. In processus verrät sich erneut der stilistische Gesichtspunkt des .Fortfahrens' und richtigen Anschließens.

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Weisungen zur Komposition (wenn auch der Rede), von denen sich ein Teil bedingt auf die Dichtung übertragen ließ. Es sei in diesem Zusammenhang noch auf eine bestimmte Epilogtechnik vorausgewiesen (s. S. Ii off.). Bekanntlich folgt auf das prooemium wie beim Märe so auch im Aufbau der Rede die narratio.88 Während hier für die einleitende narratio im Interesse des docere weithin Kürze der Darlegung empfohlen wird, läßt erst die darauf folgende argumentatio (probatio), die den Hauptteil bildet, dem Redner ziemlich uneingeschränkt Raum, seine Argumente vorzubringen. - In der Dichtung aber geht es - wenn man von Prolog und Epilog absieht - fast allein um die selbständige narratio, in der Exposition und Hauptteil integriert sind. Nur die Schlußpartie, die die Fabel oder das Exempel auswertet, bedient sich vor allem bei den moralisch-exemplarischen Mären gelegentlich einer kurzen argumentatio (s. unter Epilog). Die Schwerpunkte sind also grundsätzlich anders verteilt. Wenn im folgenden für die Märenexposition bestimmte analoge Bezüge zur rhetorischen narratio beschrieben werden sollen, so ist zunächst ein weiterer wesentlicher Unterschied festzuhalten: die narratio der Rede bringt eine zwar kurze, aber den ganzen Sachverhalt (Tatbestand) umfassende Darlegung des Geschehenen; die Märenexposition bietet demgegenüber lediglich die Vorgeschichte der poetischen Gesamt-narratio. Dennoch gibt es einen Analogiebezug im Inhalt und mehrere in der Funktion. a) Inhaltlich ist diesen Partien in beiden Gattungen der Anfang gemeinsam: Die Märenexpositionen beginnen mit der Einführung der Hauptpersonen: entweder stellt der Dichter sie nur kurz vor, oder er widmet ihnen eine descriptio in Form einer laus oder vituperatio. Die Rhetorik fordert eben dies für den A n f a n g der narratio: Initium narrationis quidam utique faciendum α persona putant, eamque si nostra sit ornandam, si aliena infamandam statim.89 Dabei ist zu beachten, daß die für die narratio als oberste Tugend geforderte Kürze80 durch Einschaltung von Exkursen und epideiktischen descriptiones nicht verletzt wird: „Exkurse widersprechen nicht der brevitas", bei lauda-

89 8β

Vgl. die Übersicht bei Lausberg § 262 (S. I48f.) oder Curtius S. 79. Quintilian 4, 2, 1 2 9 - 1 3 1 nach Lausberg § 301. Vgl. ferner das S. 14, Anm. 43 angeführte Cassiodorzitat, in dem dasselbe ausgesagt ist. Die narratio soll außerdem klar und wahrscheinlich sein (vgl. Lausberg § 294).

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tiver Beschreibung nicht einmal längere. 91 A u c h einige Märenexpositionen erreichen auf diese Weise eine für diese Gattung beachtliche Länge. So erstreckt sich die Einleitung des SCHÜLER VON PARIS (M), dessen Verfasser sich schon durch den Prolog und die laudes als rhetorisch besonders geschult erwiesen hatte, auf den breiten Raum v o n 322 Versen (37-358): nach den Beschreibungen widmet der Dichter noch weit über 80 Verse (272-3 5 8) den Liebesempfindungen zwischen dem Jüngling und dem Mädchen, wobei er auf die Erregung v o n Affekten zielt. Schon die Rhetorik, die für die narratio den Affektgebrauch im allgemeinen ablehnt, läßt ihn aus besonderen Gründen zu (ζ. B. movere), und zumal der Dichtung sind darin natürlich größere Freiheiten gestattet (vgl. dazu Lausberg § 319). Die Exposition ist V . 358 zu Ende; der Hauptteil beginnt wiederum mit einer temporalen Bestimmung (359). - Im MORIZ VON CRAÜN wird die laus Mauricii (zöjfF.) durch einen längeren Minneexkurs (289 bis 397)82 unterbrochen. Nach den rhetorischen Vorschriften für die narratio ist die digressio ( = Exkurs) „Fakultativer Bestandteil aller Teile der Rede . . . besonders der narratio"; sie dient ad utilitatem causae pertinentis (Quintiüan 4, 3, 14; nach Lausberg § 340). Nach dem Exkurs wendet sich der Dichter wieder der persona Mauricii zu und setzt die laus fort (398fr.). Wie aber schon der didaktische Exkurs in V v . 3 ιγίΓ. durch den Hinweis auf die Gültigkeit der vorangehenden Sentenz (3 i4ff.) für den Helden (alse twanc ouch diesen man...) ,unterbrochen' wurde, so wird in der Fortsetzung der laus die Moriz nachgerühmte Eigenschaft, sich stets an edle Frauen zu halten, wiederum durch eine nachfolgende Sentenz mit Interpretation abgeschlossen (406-416): Dieses mehrfache Ineinandergreifen v o n persönlichem Preis des Helden und mit Sentenzen angereicherten minne- didaktischen Einschüben sollen das Verhalten des Moriz als exemplarisch vorbildlich erweisen; 93 kompositorisch und ihrer Funktion nach sind

Lausberg §§ 340 und 342. Nach § 314 sollen Exkurse in der narratio selbst zwar kurz und „kontextmäßig motiviert sein", aber: „Im übrigen ist der Gebrauch des Exkurses in der Praxis (erst recht in der Literatur) freier als die Vorschriften wahrhaben wollen." M Nach Stackmann S. 85. " So schreibt auch Κ . H. Borck, in: DVjs. 35, 1961, S. 513: „Das Lob . . . steht in innerem Zusammenhang mit der Minnelehre", und er weist ebd. Anm. 58 auf die Verschachtelung der laudativen und didaktischen Partien hin. Ich würde diese letzteren allerdings nicht als Teile eines auf diese Weise auseinandergespaltenen (also mit der laus „verschachtelten") Prologs, der dann den laus-Partien jeweils nachfolgen würde, 91

8l

also diese digressiven amplificationes der laudativen Personenbeschreibung untergeordnet. - Nachdem die allgemeine Situation Moriz dient der Gräfin - schon innerhalb der laus (262-269 u n d 4°4 -405) angedeutet war, führen die V v . 4i7ff. 94 mit äußerster Kürze in die besondere Problematik der ganzen Erzählung (vorenthaltener Minnelohn) ein. Die Hinweise auf den länger andauernden Zustand der Werbungssituation (267 zaller stmt·, 405 vil manegen tac\ 419 zallen ziteri) sind charakteristisch für die .Vorgeschichte'. Zu ihrem stationär-verweilenden Charakter paßt auch, daß sich im M O R I Z VON C R A U N ähnlich wie in der F R A U E N L I S T oder H E I D I N an die Personen- und Situationseinführung ein reflektierender Monolog des Helden anschließt, in dem er den Entschluß zu einer Unterredung mit der Geliebten (in der H E I D I N : zur Werbung überhaupt) faßt. Erst dann beginnt der Hauptteil, der den Helden mit seiner Gegenspielerin konfrontiert (vgl. dazu S. 95). Der kompositorische Einschnitt ist durch Ortswechsel (Üf disen zwivel kam er dar 5 24) markiert.95 Das initium narrationis kann im übrigen auch a re statt a persona ausgehen oder beide Eingangsarten kombinieren. Diese Praxis wird in der Märengattung häufiger geübt. Zu res im weiteren Sinne gehören unter anderen locus und tempus, denen in der Literatur Orts-, Landschafts- und Jahreszeitenbeschreibungen entsprechen, die allerdings in unserer Gattung seltener bleiben. Ihnen wären die einleitende Beschreibung eines locus amoenus in D R E I L I S T I G E F R A U E N I und beurteilen. Denn die laus steht niemals im Prolog, sondern bildet den Anfang der E x position; wo also die laus einsetzt, ist der Prolog zu Ende. Aus der Interpretation der Prologe, ihrer Topoi und Funktionen (Abschn. ι dieses Kapitels) ergibt sich, daß dem MORIZ VON CRAÜN eine vergleichbare Vorrede überhaupt fehlt. Ihre kompositorische Stelle wird von der historischen Einleitung eingenommen. Wohl aus derselben Überlegung hat es Stackmann mit Recht vermieden, bei diesem Denkmal von Prolog zu sprechen; er nennt historische Einleitung und Exposition vorsichtig i. und 2. Einleitung. Auch das Thema der käuflichen Liebe, das in dem zweiten Teil der digressio angeschlagen ist und den kontrastschaffenden Hintergrund zum vorbildlichen Verhalten des Moriz bildet, ist im Exkurs beliebt, so im .Tristan' 12300fr. oder in der Märengattung ζ. B. im HELLERWERTWITZ 580-628 und 656-662 am Ende des Exkurses. ** Her Mauritius der state, swaz der gedienet hate siner vrouwen zallen ziten, doch muose er lönes biten von ir unz an die stunde, daz er zrvivels begunde. des wart sin vröude kleine M

(417-423)· So auch in der HEIDIN I V : Dö quämens zuo dem lande (583). Die spezifizierende temporale Bestimmung in V . 424 des MORIZ VON CRAÜN leitet also noch nicht - wie in anderen Mären, ζ. B. in der FRAUENLIST 173 - zum Hauptteil über, sondern hat nur eine innerhalb der Exposition gliedernde Funktion (vgl. S. 77, Anm. 84), hier die der Überleitung zum Monolog.

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die Beschreibung des meien im W I R T ( 8 9 - 1 1 6 ) , der das initium a personis vorausgeht, zuzuordnen. b) Die weiteren Bezüge betreffen mehr die Analogie der Funktion. Nach dem beiden Gattungen gemeinsamen prooemium (Prolog), das jeweils die Sympathien des Publikums gewinnen und den Kontakt mit ihm herstellen soll, bildet die rhetorische narratio den ersten auf die Sache bezogenen, darlegenden Teil der Rede. Quintilian drückt dies sehr präzise aus, indem er der narratio die Funktion des docere expositione96 zuspricht. In analoger Weise stellt die Märenexposition den ersten in die Handlungskontinuität eingespannten Teil der poetischen Gesamterzählung dar, und man könnte ihre Funktion entsprechend mit dem Quintilianzitat bestimmen. Beiden Teilen ist ferner das Streben nach Kürze gemeinsam. Die Märenexpositionen stellen, wie oben gezeigt, die Situation oder Vorgeschichte dar, soweit diese Voraussetzung für die Handlung ist. Sie bringen gewöhnlich nicht eine Vorgeschichte in extenso, sondern deuten das Besondere, aus dem sich später der Konflikt des Hauptteils entwickeln wird, meist nur insoweit an, als es für das Verständnis des folgenden Ereignisses erforderlich ist. Eine analoge Beschränkung auf den für den weiteren Prozeßverlauf wichtigen Sachverhalt (Tatbestand) erlegt sich auch die rhetorische narratio auf: narratio est rei

factae aut ut factae utilis ad persuadendum expositio, vel...

oratio docens

auditorem quid in controversia sit*1 Ebenso beschränkt sie sich auf das unbedingt Nötige.98 Auf den einen wesentlichen (inhaltlichen) Unterschied, daß die rhetorische narratio den ganzen Sachverhalt kurz darstellt, während die Märenexposition nur die dem zentralen Handlungsteil vorausgehende Situation oder Vorgeschichte knapp umreißt, sei hier noch einmal verwiesen. Die Analogie besteht in der Kürze. Das Streben nach Kürze ist nun in der besonderen kompositori·* A.a.O. 9, 4, 4, bei Lausberg § 262. Bei Quintilian kann expositio geradezu für narratio stehen; man vergleiche die Quintilianstellen 4, 2, 50; 4, 2, 82; 4, 2, 104; 4, 3, 5, die bei Lausberg §§ 3 1 1 , 2 b ; 324, 3; 3 1 4 ; 345 zitiert sind. " Quintilian 4, 2, 31 (bei Lausberg § 289). Ähnlich formuliert es Cicero Inv. I, 19, 27 narratio est rerum gestarum aut ut gestarum expositio. Vgl. Lausberg ebd. Eine französische Rhetorik des 17. Jahrhunderts (Bary; s. Lausberg ebd.) hält diese Funktion noch präzise fest - La narration consiste en I'exposition du fait - und erweist damit die historische Kontinuität dieser Lehre. 98 Vgl. Rhet. Her. 1, 9, 14: Rem breviter narrare poterimus, si inde incipiemus narrare unde necesse erit·, et si non ab ultimo initio repetere volemus·, et si summatim, non particulatim narrabimus; et si non ad extremum, sed usque quo opus erit persequimur...

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sehen Funktion begründet, die die betreffenden Abschnitte in beiden Gattungen als Einleitungen im Hinblick auf das Ganze erfüllen. Denn nicht nur äußerlich nimmt die narratio einer Rede die entsprechende Stelle ein wie die Exposition eines Märe. Die narratio bildet „die Grundlage der entscheidend prozeßwichtigen argumentation und hat vor allem die Funktion, auf diesen „zentralen, ausschlaggebenden Teil der Rede" vorzubereiten (Lausberg §§ 295 und 348; vgl. auch § 3 24). In entsprechender Weise dient die literarische Exposition der geschickten Vorbereitung auf die zentrale Handlung. Dies wird besonders daran deutlich, daß jenes zentrale Ereignis in genetischem Zusammenhang mit der in der Exposition beleuchteten Situation erscheint, sich in logischer Konsequenz aus ihr entwickelt und dadurch wahrscheinlich wirkt." So motiviert auch der Monolog des Moriz von Craün mit seiner Reflexion über die Dienst-Lohn-Problematik und dem Schwanken zwischen Zweifel und Hoffnung die eigentliche Handlung. In PYRAMUS UND T H I S B E erfährt die allgemeine Situation heimliche Liebe des Paares - mit der Trennung durch die Mauer ihre Zuspitzung; und diese gewaltsame Trennung (dargestellt noch in der Exposition bis V. 108) macht den Entschluß zu dem heimlichen, verhängnisvollen Stelldichein wahrscheinlich. Wahren die bisherigen Beispiele eine im Ganzen angemessene Proportion von Exposition und Hauptteil - grob gerechnet macht jene im Durchschnitt ein gutes Viertel des ganzen Märe aus so hat Sibote den einleitenden Teil der FRAUENZUCHT durch detaillierte Darstellung der ,Vorgeschichte', die die Hauptpersonen bereits im Gespräch miteinander vorstellt, über das übliche Maß ausgeweitet (31 bis 318). Aber selbst diese breite Einleitung hält sich in Inhalt und Funktion an das allgemein Vertretbare. Nach dem initium a personis durch laus und vituperatio (der freiende Ritter erscheint erst 223) wird das Verhältnis der Eltern des jungen Mädchens anschaulich dargestellt, bleibt aber in den Grenzen der allgemeinen, infiniten Situationsschilderung (vgl. die anaphorisch gehäuften swen(n) 67-79). Die Angabe, der Ehestreit währe nun schon dreißig Jahre (88), berücksichtigt den ,durativen' Aspekt (vgl. S. 77). Den Hauptteil der Zähmung bereitet auch der längere Dialog zwischen Vater und Tochter vor; er erhellt die widerspenstige Sinnesart der Tochter und deutet mit den Warnungen des Vaters auf die schließlich glückende Zähn

Die narratio soll ihrerseits probabilis sein; vgl. Lausberg § 312. 84

mung voraus. 100 Ihr gehen ferner als notwendige Teile der ,Vorgeschichte' die Werbung des fremden Ritters und seine Absprache mit dem künftigen Schwiegervater voraus; und ihr schließt sich, in symmetrischer Folge um dieses Verlöbnis, ein neuerlicher Dialog zwischen Mutter und Tochter an, in dem diese im Verhalten eines übelen wibes noch einmal bestärkt wird. Erst 3 i9flF.: Darna über siben naht, setzt der Hauptteil ein. Vorbereitung des Ritters auf die Brautfahrt, Übergabe der Braut, Heimfahrt und Zähmung spielen sich an einem Tage ab, bis nach längerem Intervall - Über sehs wochen zit (498) - der zweite Erzählteil folgt, in dem auch die Schwiegermutter, ebenfalls an einem Tage, gezähmt wird. Ungewöhnlich im Vergleich zu den meisten andern Märenexpositionen bleibt allerdings der Umfang. Dazu könnte man zunächst sagen, daß - w o immer Anregungen v o n der Rhetorik ausgegangen sind - diese in der Dichtung selbstverständlich freier und ohne engen ,Regelzwang' genutzt werden konnten: darauf weist auch Lausberg des öfteren hin (vgl. ζ. B. oben S. 81, Anm. 91). Aber wir brauchen für die Erklärung des beträchtlichen Umfangs der FRAUENZUCHT-Exposition nicht auf dieses sehr allgemeine Argument auszuweichen. Er erscheint einmal schon durch die Schwierigkeit gerechtfertigt, einen - ,realistisch' gesehen - unwahrscheinlichen, konstruierten Schwankstoff, der noch dazu die Damen desavouieren konnte (vgl. S. 72), möglichst glaubwürdig, d. h. als exemplum verisimile zu gestalten, als eine ficta res quae tarnenfieripotuit (vgl. S. 32, Anm. 114). Sofern dieser die Herrschsucht der Frauen bloßstellende Schwank dem turpe genus zugehören sollte (vgl. S. 72), bedurfte es zu seiner Formung ohnehin intensiverer Bemühungen durch den Dichter. Schließlich aber muß besonders erwähnt werden, daß - so wie die Exposition der FRAUENZUCHT die gewöhnliche Länge überschreitet - es spezifische Vorschriften gibt, die die Forderung der brevitas auch für die rhetorische narratio einschränken. Sie seien hier wenigstens angeführt; ihre Relevanz für die FRAUENZUCHT-EXPOSItion bleibe dahingestellt. Man erinnere sich aber, daß der wahrscheinlich gebildete Berufsdichter Sibote schon seinen Prolog zu diesem Schwank recht ,kunstvoll' angelegt hatte (vgl. S. 7iff.). Der Forderung nach brevitas der narratio sind v o n vornherein Grenzen gesetzt durch die gleichzeitige Forderung nach Wahrscheinlichkeit und Klarheit (Lausberg § 296). Es muß daher die Mitte ge100 Ygi_ (ji e Vorhersage des Vaters 195-200.

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halten werden, indem man sagt, quantum opus est et quantum satis est (§ 297). Ein ,Zuwenig' würde (§ 310) gegen die narratio aperta verstoßen und außerdem das Hauptziel, die persuasio, beeinträchtigen (§312) und insofern auch die Wahrscheinlichkeit (narratio probabilis) verletzen. Zu ihr gehört die psychologische Begründung.101 Zumal wenn es sich um eine res ficta (wie den Schwankstoff) handelt, bedarf es besonderer Kunstmittel,102 um der Darstellung „überzeugungskräftige Wahrscheinlichkeit" zu verleihen (§§ 322 und 323). Dies gilt um so mehr bei einem schwierigen ,Vertretbarkeitsgrad' des Gegenstandes, den ja die Untersuchung des Prologs für diese Geschichte vermuten ließ (vgl. S. 72). Um die rhetorische narratio probabilis zu machen, können die Beziehungen der narratio zur probatio u. a. dadurch intensiviert werden, daß man „Ansatzpunkte für die spätere probatio über die narratio hin verstreut" (§ 324). So hat Sibote ganz analog zahlreiche „Ansatzpunkte" für die Haupthandlung in die Exposition eingestreut (semina spargere) (vgl. die Vv. 124-129; 145-150, die die Einstellung der Tochter wiedergeben; 154-159 und 195-200 mit den den späteren Vorgang der Zähmung vorausdeutenden Worten des Vaters; 254-256; 270-274). Um bei ungewöhnlicher, durch die Natur des Erzählgegenstandes bedingter Länge die Klarheit (narratio aperta) nicht zu gefährden, empfiehlt die Rhetorik, den längeren Inhalt zu unterteilen und so gewonnene „mehrere kurze narrationes... durch eine brevis interfatio kenntlich" zu machen (§ 31 χ, 2 b). Man könnte erwägen, inwieweit verschiedene inhaltlich nichtssagende Wendungen, die meist an markantem Abschnittsbeginn innerhalb der Exposition stehen,103 die Funktion So wird in der FRAUENZUCHT die bosheit der Tochter (iooff.) nicht einfach als Tatsache (wie in andern Mären mit der Thematik des Übeln vibes) beschrieben, sondern als Anlage von der Mutter her, die sie darin noch bekräftigt (Dialog), .psychologisch' wahrscheinlich gemacht (Vgl. auch V. I2if.). Auch dahinter kann durchaus eine rhetorische Empfehlung stehen. Zu den argumenta α persona gehört ζ. B. das genus: nam similes parentibus ac maioribus suis filii plerumque creduntur, et nonnumquam ad honeste turpiterque vivendum inde causaefiunt(Quintilian nach Lausberg § 376). 102 Zu besonderen Kunstmitteln könnte man neben den descriptiones, Sentenzen und Anaphern auch die in diesem Märenteil sonst ungewöhnlichen Dialogpartien der FRAUENZUCHT zählen, die mit dem animus der Personen bekannt machen und somit wiederum die Zentralhandlung vorbereiten. io> Ygl_ di e audite-Formel zu Beginn der Exposition (31), das beim Übergang von der descriptio des Vaters auf die vituperatio der Mutter eingestreute als ich iunusagensol (44); daz ist aar bei der Überleitung auf die Tochter (87) und vor Beginn des Dialogs Vater-Tochter (117) oder zweimaliges adverbielles m bei der Einführung des künftigen Freiers (223) und zu Beginn des Abschnitts mit dem Dialog Mutter-Tochter (275).

101

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der interfatio erfüllen, die das taedium des Publikums zerstreuen soll. Unbezweifelt bleibt der durch gedankliche Klarheit (vgl. narratio aperta·, bei Galfredus Doc. I, 5 dilucida) ausgezeichnete, wohl proportionierte Aufbau der FRAUENZUCHT-Exposition. Damit ist die dritte Tugend der rhetorischen narratio erfüllt (Lausberg §§315 und 316). Sie verlangt auch die „richtige Verkettung der Geschehenselemente" (ebd. § 317). Überblickt man das Ergebnis dieses Abschnitts, so läßt sich feststellen, daß die Märenexposition der ,dramatischen' Exposition104 verwandt ist, zum andern aber in beschränktem Umfang im Inhalt, weithin jedoch in der kompositorischen Funktion Analogien mit der rhetorischen narratio bestehen. Es erscheint daher denkbar, daß anspruchsvollere Märendichter für die Kunst der Exposition aus der Rhetorik gelernt und dies - unter Berücksichtigung der für ihre Gattung geltenden Eigengesetzlichkeit - im Bereich der Dichtung genutzt haben. Es sei in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Anmerkung 72 von S. 72 verwiesen. Daß übrigens im Mittelalter Funktionen der ursprünglich rhetorischen narratio ohne weiteres auf die E i n l e i t u n g der D i c h t u n g übertragen werden können, dafür liefert eine Stelle in Galfreds ,Documentum de arte versificandi' (also einer Poetik, nicht einer Rhetorik!) den Beweis. Er äußert sich hier über die narratio und stellt ausdrücklich für die erzählende (nicht rhetorische!) Gattung fest: iste — nämlich längeres Verweilen bei der laus - sei modus tractantis, nott narrantis, und er begründet dies: Narratio namque juxta doctrinam Tulli in Rhetoricis (Vorbild ist also Rhet. Her. x, 9) debet esse brevis et dilucida, quia talem esse brevitatem narrationis, quae non sit obscura, sed manifesta (Doc. I, 4 und 5). Es handelt sich dabei im Kontext um eine dichterische laudative Personenbeschreibung, die nach dem principium naturale einsetzt, also an der Stelle steht, mit der die poetische Exposition beginnt.106 104 105

Über den dem Drama ähnlichen Aufbau des Hauptteils handelt der folgende Abschnitt. Auf der andern Seite wohnt auch bei Galfredus der narratio - im Gegensatz zum Eingangs-proverbium und der im Umfang begrenzten Schluß-iow/af/o - die Ausdehnbarkeit in infinitum inne und damit die Fähigkeit, umfangreicher Hauptteil des dictamm (hier der .Dichtung') zu sein. So nennt der Abschnitt über die amplificatio drei Teile eines dictamen (Doc. II, z, 61): prima continens proverbium, secunda narrationem, tertia conclusionem. Sed cum haec quantitas est exigua, possumus protrahere mediam clausulam, scilicet clausulam narrationis et corroborare earn tum orationibus, tum rationum confirmationibus et sie extendere dictamen in infinitum.

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}. Der zentrale Handlungsteil Nach der vorbereitenden Exposition, dem ersten darlegenden und in die Handlung verwobenen Teil der Erzählung, beginnt die eigentliche Haupthandlung mit dem zentralen Ereignis. Diese Haupt- oder Zentralhandlung weist - stofflich-thematisch bedingt - im einzelnen eine zum Teil recht verschiedene Struktur auf, die man unter Berücksichtigung der auf bestimmte Themenkreise begrenzten Märenthematik10® auch in bestimmte Strukturtypen einteilen könnte. Aber selbst dieses Verfahren würde zu sehr in Details führen; es soll hier vielmehr versucht werden, e i n e Bauweise herauszuarbeiten, die für eine große Anzahl von Mären konstitutiv geworden ist. Sonderformen vor allem verschiedener kurzer, bisweilen bispelartiger Mären oder knapper Schwankexempla, zumal solcher, die nur aus einer Szene107 bestehen oder sich nur zwischen zwei Personen abspielen, müssen außer Betracht bleiben. a) Die Dreiteiligkeit Sucht man für die Mehrzahl zumal der etwas anspruchsvolleren Erzählungen nach einer gemeinsamen Anlage, so fällt die Dreiteiligkeit der Haupthandlung ins Auge. Sie läßt sich - ohne die Exposition - in Anfang, Mitte und Ende gliedern. Das Ende bringt die Handlung zum Abschluß; es ist also von einem oft noch folgenden Epilog oder einer didaktischen Auslegung zu trennen, die wie der Prolog außerhalb der Handlung stehen und diese nur umrahmen. Zunächst sollen einige ganz knappe Aufbauskizzen die drei Teile der Zentralhandlung deutlich werden lassen. RITTERTREUE

1. Nachdem Graf Willekin durch die Einlösung eines unwürdig bestatteten Ritters am Tumierort Aufnahme gefunden hat, vermag er das einzige ihm als Turnierpfand zusagende ors von einem fremden Ritter nur unter der Bedingung zu erhalten, im Falle seines Sieges vroum und lant, die als Preis gesetzt sind, mit jenem zu teilen (229-516). 2. Beide fallen ihm am nächsten Tage durch seinen Sieg zu. Nach der Vermählungsfeier vereint er sich mit der vroum (517-680).

ιοβ V g l . d i e Einteilung in 12 (13) Themenkreise bei Fischer (S. 63-76), die aber die Struktur nicht mit berücksichtigen. [Buchfassung S. 94-100.] 107

E t w a D A S ERZWUNGENE G E L Ü B D E .

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3· Am folgenden Abend fordert der fremde Ritter die junge Gemahlin für sich. An sein gegebenes Wort erinnert, muß Willekin schließlich dieser Forderung nachkommen. Da gibt sich der fremde Ritter als der dankbare Wiedergänger jenes unwürdig Bestatteten zu erkennen, der ihn in Gottes Auftrage nur auf seine Treue versucht habe, und verzichtet auf seinen Anspruch (681-854). K Ö N I G I N VON F R A N K R E I C H

1. Falsche Verdächtigung der Königin durch den von ihr abgewiesenen Marschall und ihre Verbannung durch ihren Gemahl (5 5-204). 2. Ihr Leben in der Einsamkeit des Waldes; Erweis ihrer Unschuld am Hofe und Bestrafung des Marschalls (205-482). 3. Die Suche nach ihr und die Wiedervereinigung der Gatten (483-678). HERZMÄRE 1 . Im H E R Z M Ä R E beabsichtigt ein Ritter, seine Frau von ihrem Geliebten dadurch zu trennen, daß er mit ihr ins Heilige Land ziehen will; doch der Geliebte kommt dem zuvor, indem er sich seinerseits zu dieser Reise entschließt (113-212).

2. Der Geliebte nimmt das Kreuz, stirbt in der Fremde aus Schmerz über die Trennung von seiner vrouwe und läßt ihr durch einen Boten sein Herz übersenden (213-348). 3. Der Gatte fängt diesen ab und läßt das Herz für seine Frau als Speise zubereiten. Die Ahnungslose verzehrt es und stirbt aus Leid, nachdem sie erfahren, was sie gegessen hat (349-529). H E I N R I C H VON K E M P T E N

Selbst die äußerlich scheinbar zweiteilige Geschichte von H E I N R I C H und Otto mit dem Barte ist durch dieses Gesetz der Dreigliedrigkeit innerlich zusammengehalten. VON K E M P T E N

1. Der Zwist zwischen beiden Hauptpersonen, der mit Heinrichs Verbannung endet (71-382). 2. Heinrich lebt zurückgezogen auf seinen Gütern, bis er vom Abt zur Teilnahme an einem Kriegszuge Ottos veranlaßt wird (383-528). 3. Rettung des Kaisers durch Heinrich und Wiederversöhnung (529743)· FRAUENLIST u n d

HEIDIN

Der Aufbau der thematisch demgegenüber ganz anderen F R A U E N L I S T oder der H E I D I N ist ebenfalls von dieser Dreigliederung bestimmt. Nach der Exposition erfolgt 1. Die Werbung des Studenten bzw. Grafen, die zunächst ihre Liebe gestehen, woran sich ein längerer Werbungsdialog anschließt. Der Student 89

wird hingehalten, der Graf zunächst abgewiesen und zieht nach aventiure in vremdiu lant (1099). 2. Im Zentrum steht der große Konfliktmonolog der beiden Heldinnen, die schließlich ihre abweisende Haltung aufgeben. 3. Beide bestellen ihre Liebhaber zu sich und schenken ihnen Erhörung — in der H E I D I N freilich erst nach retardierenden Momenten (minnekasuistische Frage; Streit mit dem Gatten). Der Überlistung des Gatten in der F R A U E N L I S T entspricht kompositorisch in der H E I D I N die Ausschaltung des Heidenkönigs und die Heirat des Liebespaares. Bei isolierter Betrachtung der Komposition könnte man vereinzelt vielleicht etwas anders gliedern; was aber die vorgenommene Unterteilung in die drei entscheidenden Kompositionsglieder rechtfertigt und bestätigt, das ist die Gemeinsamkeit ihrer Funktionen. Aus den angeführten Strukturskizzen ergibt sich: 1. Der erste Teil führt durch aktiven Handlungseinsatz aus der ,durativen' Situation der Exposition heraus; die Handlung entfaltet sich dabei in einer diesem Zustand zuwiderlaufenden Richtung und führt in einen neuen über, der die Hauptperson in einen Konflikt stellt. Dieser ,inchoative' Handlungsabschnitt dient also der Schürzung des Knotens, in der komischen Erzählung der Herstellung des komischen ,Konflikts'. Im Schwank von A R I S T O T E L E S U N D P H Y L L I S ζ. Β. geht das andauernde Liebesglück des Paares (also dicke daz geschach, so si des state mohten han i44f.) mit der Exposition zu Ende, als Aristoteles über die Leistungen seines Zöglings Alexander enttäuscht ist und sich deshalb bei dessen Vater beschwert. Der Konflikt entsteht, als Phyllis infolge der angeordneten huote künftig daran gehindert ist, ihren Herzenswunsch zu erfüllen, und nunmehr auf Rache an dem meister sinnt. 2. Der dynamische Handlungsverlauf ist jetzt im zweiten Teil zur Ruhe gekommen: die Hauptperson befindet sich im Konfliktzustand. Daher hat dieser Handlungsabschnitt wieder stärker verweilenden Charakter; so bereitet sich Phyllis darauf vor, Aristoteles mit den Waffen einer Frau zu Fall zu bringen. Der Handlungsfortschritt besteht darin, daß er - ähnlich wie die Exposition den ersten Teil der Haupthandlung - den dritten wiederum dynamisch verlaufenden Teil vorbereitet, indem er - oft in Form eines Entschlusses oder Ratschlags, den eine hilfreiche Nebenperson erteilt - den Grund 90

für die Wende legt ist ein Exkurs108).

( A R I S T O T E L E S UND P H Y L L I S

227-332;

300-332

3. Der dritte Teil bringt die Handlung zum Abschluß: er führt, jetzt wiederum in dynamischem Handlungsverlauf, durch die im zweiten Teil vorbereitete Wende aus der Konfliktsituation heraus und läßt die Handlung in die Ruhelage einmünden (Phyllis siegt über Aristoteles). Auch für manche einfacheren Schwänke gilt dieser Aufbau. DER S P E R B E R , die Geschichte vom Minnetausch und -rückkauf, hat diese dreigliedrige Struktur; der Mittelteil, in dem die junge Nonne dem müemelin ihr Erlebnis erzählt, zeigt sie in der ,Konfliktsituation' und bereitet ihren Entschluß vor, durch aktives Handeln den erlittenen Verlust wieder rückgängig zu machen; dies geschieht durch den Rückkauf der Minne im dritten Teil, der - Ironie des Schwanks zu einem, wie sie meint, für sie glücklichen Ende führt. Nicht selten lassen Schwänke, die in ihrer Komposition über die charakteristische Dreiteilung hinausgehen, erkennen, daß eine ursprüngliche dreiteilige Fabel erweitert oder mit einer andern kontaminiert ist. Hierher gehören etwa D A S H Ä S L E I N (Geschichte vom Minnetausch und -rückkauf und späterer Heirat des Mädchens), DER R E I H E R (Schwank vom heimlich verzehrten Braten - wie er in urtümlicher, dreiteiliger Struktur im H A S E N B R A T E N vorliegt - und parodierte Ehebruchsgeschichte mit Überlistung des Gatten durch Unterschiebung einer Stellvertreterin; vgl. als Muster Herrands B E T R O G E N E R G A T T E ) und D I E D R E I M Ö N C H E ZU K O L M A R . Hier ist die Erzählung von bewahrter Gattinnentreue und der Bestrafung der Bewerber mit dem Schwank von der Fortschaffung der Leichen schon frühzeitig verschmolzen. An sich findet sie, wie ein Vergleich mit anderen moralisierten Schwänken dieses Typs zeigt, mit der Bestrafung der Bewerber, also dem dritten Erzählteil, ihren organischen Abschluß (Strukturtyp ,Bewahrte Treue der Gattin und Bestrafung der Bewerber'); vgl. jetzt die Übersicht auf den Seiten 92 und 931 Die Strukturskizzen von Schwänken um zwei ausgewählte Themengruppen zeigen eine Gemeinsamkeit des Aufbaus in den entscheidenden Teilen und erweisen diejenigen Partien, die in der dreiteiligen 108

Nach diesem wie nach dem zweiten Exkuis (422-464) kehrt der Erzähler, wie es die Rhetorik empfiehlt (vgl. Lausberg § 340), mit einer entsprechenden Formel zur Materie zurück (353f. und 46jf.).

91

D R E I M Ö N C H E ZU

BLINDER HAUSFREUND

HERRGOTTSCHNITZER

(H-56)

(1-32) und

KOLMAR

Exposition (7-28) 1 , 1 . Werbung der drei Mönche in drei Szenen (29ff.)

Werbung des Blinden (57f·)

1

Werbung des Pfaffen (33ff·)109

2. Aussprache der Frau mit ihrem Ehemann; Entschluß, die Bewerber zu berauben und zu töten (129fr.)

Aussprache der Frau mit ihrem Ehemann; Entschluß, den Blinden zu bestrafen und zu beschämen (7off.)

2. Aussprache usw. (5 5 ff.)

3. Gemeinsame Überlistung der Mönche durch das Ehepaar; der Mann tötet sie (193-287)

Gemeinsame Überlistung usw.; Bestrafung und Beschämung des Blinden (144-345)

3. Gemeinsame Überlistung usw.; Bloßstellung des Pfaffen (98-232)

II, 1. Fortschaffung der Leichen in drei Szenen (288ff.) 2. Tötung und Beseitigung des vermeintlichen Doppelgängers (338fr.) 3. Belohnung des Leichenträgers durch den Ehemann (374-388)

Grundanlage keine Entsprechung finden, als episodischen, d. h. für den Ablauf der Zentralhandlung nicht unbedingt erforderlichen »Überhang'. Dieser kann verschiedener Art sein: etwa im REIHER und in den D R E I M Ö N C H E N ist er durch kontaminierende Anfügung einer zweiten Schwankhandlung gewonnen. Im H E R R N MIT DEN VIER FRAUEN entstand er durch die Häufung der Eingangssituation: dreimal folgen entdeckter Ehebruch und Bestrafung der Schuldigen aufeinander. Kürze der Darstellung wie die gleichförmige Wiederholung dieser Szenen dienen hier im moralisierten Schwank eindringlicher Belehrung (docere). Zum andern hat der Erzähler Gefallen daran gefunden, die Werbung des Ritters um seine vierte Frau und 109

Die Werbung ist mit in die Exposition hineingenommen, denn erst ab 5 5 ff. (Eines nabtes do si lac) beginnt mit der näheren zeitlichen Bestimmung der Hauptteil, und erst von da ab ist die Einheit der Zeit gewahrt.

92

Eine im Grundsätzlichen entsprechende Struktur haben die Geschichten mit dem Thema ,Treueerprobung der Gattin': BESTRAFTES

H E R R MIT DEN

MISSTRAUEN

VIER F R A U E N

Z W E I KAUFLEUTE

Exposition:

Exposition:

Exposition:

Der Ehemann beauftragt den Versucher (9-108)

Dreimalige Eheschließung, Untreue und Bestrafung der Frauen; vierte Eheschließung (1-246); der Ehemann beauftragt den Versucher (247fr.)

Vorgeschichte bis zur Heirat (25-240); Vorbereitung der Reise und Abschied (241E); Ankunft in Profis und Abschluß der Wette (292fr.)

1. Der Versucher (1.) Die sehr knapp bewirbt sich vergehaltene Versuchung geblich um die (507fr.)110 Liebe der Frau (109fr.)

1. Der Versucher bewirbt sich vergeblich um die Liebe der Frau 450fr.)

2. Die Frau erwägt, bei Verwandten Rat zu holen, bittet aber Gott um Hilfe (239fr.);

2. Die Frau sucht vergeblich Hilfe bei Verwandten und bittet Gott um Hilfe (595*·);

Gott gibt ihr eine List ein (265fr.); sie verspricht scheinbar Erhörung (274fr.);

2. Die Frau erhält Rat und Hilfe von ihren Knappen (323 fr.); sie verspricht scheinbar Erhörung (367fr.);

Ausweg durch Einverständnis ihrer Zofe Amelin zur Stellvertretung (693fr.); die Frau verspricht scheinbar Erhörung (704fr.);

der Versucher erstattet der Versucher erstattet dem Ehemann Bericht dem Ehemann Bericht (386fr.); (*93ff·); Vorbereitung der Wende durch Absprache mit den Jungfrauen (305fr.); (der Ehemann dankt dem Beauftragten 355fr.) Stelldichein mit dem 3. Stelldichein mit dem 3 Stelldichein der Stellvermeintlichen Bewerber vermeintlichen Bewerber vertreterin mit dem Bewerber (Versucher) (713 fr.); Rückkehr des Ehemannes und und (803fr.); Bestrafung des Ehemannes (359-465)

Bestrafung des Ehemannes (411-538)

Sühne des Versuchers (887-931).

die Eheschließung episch reicher und breiter zu gestalten. Für den Handlungsverlauf des zentralen Ereignisses aber bleibt dies alles 110

Die Versuchung ist hier wieder mit in die Exposition hineingenommen. 93

Episode. Das gleiche gilt für die erzählfreudige Ausschmückung der Vorgeschichte wie auch des Schlußteils der Z W E I K A U F L E U T E . Die eigentliche Exposition zur dreiteiligen Zentralhandlung bildet der Abschluß der Wette (292-449). Auch nach Wolfdietrich Rasch beginnt „die eigentliche Novellenhandlung . . . erst mit Vers 292" (a. S. 2 Anm. 4 a. O. S. 211). Die dieser Szene vorausgehende Vorgeschichte hat folgende Abschnitte: a) Personeneinführung, und (Situation) gutes Einvernehmen der Väter untereinander, b) Konfliktsituation Gillots: seine Frau möchte die Tochter ,vornehm' verheiraten, c) Gillot führt die Heirat seiner Tochter mit dem Sohn seines Freundes herbei. D i e Vorgeschichte ist also ihrerseits in drei Teile (Exposition, Konfliktsituation, Lösung) gegliedert.111 Statt durch Wiederholung gleicher Szenen (wie im H E R R N M I T D E N V I E R F R A U E N ) hat Ruprecht von Würzburg den »Überhang' durch eine Episodenfülle geschaffen, die seinem Märe eine gewisse Nähe zum Roman verleiht. Die epische Realisierung der dreigliedrigen Grundstruktur läßt dem Dichter ferner die Freiheit, die Gewichte auf die drei Teile nach seinem Ermessen verschieden zu verteilen. So ergibt sich der mitunter beträchtlich voneinander abweichende Umfang der einzelnen Partien; man vergleiche die Ausgewogenheit der Teile in den D R E I M Ö N C H E N mit der starken Akzentuierung des dritten Teils gegenüber den ganz kurz abgetanen ersten beiden im H E R R G O T T S C H N I T Z E R (der 1. Teil ist hier mit in die Exposition hineingenommen). Oft überwiegt diese ,Endgipfelkomposition', denn sie enthält die eigentliche Wende oder Pointe, die reicher auszugestalten lohnend ist. Der Endteil ist meist auch im Handlungsverlauf am dynamischsten, weil er die Lösung herbeiführt. Natürlich gibt es dazu mehrere Variationen,112 die nicht im einzelnen aufgeführt werden können. Es sei nur an die F R A U E N L I S T erinnert, in der die Hauptakzente auf den Monolog- und Dialogpartien liegen, die demzufolge auch dem sonst dynamischeren 111

118

Man vgl. auch die temporalen Angaben zu Beginn einer neuen Szene (darüber S. 98fr.): Eines nahtes 84, Zehant kam des tages liht 136 und zu Beginn des neuen Handlungsteils (241fr.) den Hinweis auf den durativen Charakter der ganzen Einleitungssituation der herre me den zehen jar ... 242. Auch die Rhetorik erlaubt eine unterschiedliche Akzentuierung der drei Teile; es sei vor allem diejenige „mit quantitativ wachsenden Gliedern" (Lausberg § 443, 2 a) erwähnt, eine Bauweise, die der oben gegebenen beliebtesten Strukturformel der Mären entspricht (.Endgipfelkomposition' also). Dreigliedrigkeit ist im übrigen Ausdruck der Vollständigkeit des Ganzen (ebd. § 443 und Abs. 2).

94

ersten Teil, hier der Werbung des Schülers um die Frau, einen mehr verweilenden Charakter geben; dennoch ist am Ende des Dialogs die Konfliktsituation für die Frau hergestellt. Das Handlungsmäßige tritt in der FRAUENLIST überhaupt stark zurück. Schon daran wird deutlich, daß es sich nicht um einen Ehebruchsschwank der üblichen Art handelt. b) Personenrollen und -junktionen Die Aufgliederung des Hauptteils in drei kompositorisch miteinander verzahnte Glieder läßt sich durch ein weiteres Analogon stützen: die Verteilung der Personenrollen auf eben diese Kompositionsglieder und ihre Funktionen darin. Um aus der thematischen Vielfalt und der variablen Einzelgestaltung der Mären wenigstens die e i n e dominierende Grundkonstellation herauszuarbeiten, empfiehlt es sich, den Personenbestand auf die entscheidenden Rollen zu beschränken und somit zu vereinfachen; Variationen dieses Grundtyps wie daneben vorhandene andere Rollenverteilungen sollen hier außer Betracht bleiben. Die Interpretation begnügt sich der Übersichtlichkeit halber im allgemeinen mit den schon angeführten Beispielen. (1) Im ersten Teil treten für gewöhnlich die Hauptperson und ihr Gegenspieler auf. Der aktivere Handlungsträger ist dabei meist der Gegenspieler. Die Funktion der Rollen besteht darin, daß der Protagonist durch den Antagonisten (oder dessen Beauftragten) in einen Konflikt gebracht wird; er wird durch den .Konfliktbereiter' zum ,Konfliktträger'. (2) Der mehr zuständlich verweilende Charakter der Konfliktsituation des zweiten Teils bringt es mit sich, daß hier der Gegenspieler von der Bühne des Geschehens meist abtritt. Die Hauptperson ist also in der Konfliktsituation (seltener) mit sich allein (FRAUENLisT-Monolog; HEiDiN-Monolog) und gelangt durch Selbsteinkehr zu einer Entscheidung, oder es treten (häufiger) eine oder mehrere Nebenfiguren auf, denen sie sich anvertraut und von denen sie Rat oder Hilfeversprechen erhält (vgl. die Rolle des Abtes in H E I N R I C H VON K E M P T E N ) . Eigene Entscheidung oder Rat bzw. Hilfe der Nebenfigur legen den Grund zur Wende, als deren Vorbereiter die Nebenfigur fungiert. Sie befähigt so den ,Konfliktträger' dazu, (3) im dritten Teil zum ,Konfliktloser' zu werden. Der dynamische Handlungsverlauf erfordert die Anwesenheit des Gegenspielers und 95

gestattet in vielen Fällen die Abwesenheit der Nebenperson.

Der

Protagonist w i r d erneut mit dem Antagonisten konfrontiert und führt durch sein Handeln - allein oder durch die hilfreiche N e b e n figur unterstützt - die W e n d e herbei. D i e W e n d u n g der H a n d l u n g zur Ruhelage kann dabei, je nachdem, o b der Protagonist über den Antagonisten siegt oder ihm unterliegt, z u m G l ü c k oder U n g l ü c k für die Hauptperson ausschlagen oder zu einem versöhnlichen A u s g a n g für beide 113 führen. Z u r Erläuterung m ö g e n die Strukturskizzen des T y p s .Bewahrte Treue der Gattin und Bestrafung des Bewerbers' (S. yzi.) und .Erprobte Treue der Gattin' (Treueerprobung der Gattin) dienen. B e i m ersten T h e m a ist Protagonistin die Frau, die durch ihren G e g e n spieler, der sich u m ihre Liebe bewirbt, in einen K o n f l i k t gebracht w i r d (i). In dieser Situation vertraut sie sich ihrem Gatten an, der die Rolle der hilfreichen Nebenfigur spielt und einen Entschluß herbeiführt, der die Voraussetzung für die W e n d e schafft (2). I m Schlußteil siegt die Protagonistin mit Unterstützung der Nebenfigur, ihres Gatten (der hier aktiv in die Handlung eingreift), über den (die) A n t a gonisten, die getötet, bestraft oder bloßgestellt werden. Beim zweiten T h e m a ist eine nur leichte Variation in den Rollen insofern eingetreten, als der Gegenspieler i m 1. Handlungsteil zwar die Handlung initiiert, aber seinem Beauftragten die A u s f ü h r u n g überläßt. Dieser vertritt sozusagen den Antagonisten. Im 2. Teil spielt sich das verweilende Geschehen zwischen der Protagonistin und Nebenfiguren ab, die ihrer eigentlichen Funktion nach der Protagonistin zu einem A u s w e g verhelfen. In dem episodisch erweiterten Stück v o n den ZWEI KAUFLEUTEN treten z u v o r weitere Nebenfiguren, die V e r w a n d t e n Frau Irmgarts, auf, bei denen sie - rollengemäß - zwar Hilfe sucht, diese aber - dies die episodische Erweiterung - nicht findet. Diese G r u p p e der Nebenfiguren agiert vielmehr in einer Linie mit dem Antagonisten und fungiert somit als ,Konfliktverschärf er'. D a z u gehört zunächst auch Amelin, die aber schließlich durch ihre Bereitschaft, in der Liebesszene die Stelle ihrer Herrin zu vertreten, zur rollengemäßen hilfreichen Nebenfigur wird. I m 3. T e i l siegt die Protagonistin über ihren Gegenspieler, und zwar im BESTRAFTEN MISSTRAUEN u n d i m 118

Ein solcher Ausgang liegt scheinbar in der FRAUENLIST und in der HEIDIN v o r ; im Grunde hat aber hier der Mann über die Frau gesiegt, also der Antagonist über die Protagonistin; der Ehemann in der HEIDIN ist unbedeutende Randfigur ohne entscheidende Funktion.

96

über ihren Ehemann als den Initiator der Versuchung (während der von ihm beauftragte Versucher abgetreten ist) oder in den Z W E I K A U F L E U T E N über den Versucher selbst als den eigentlichen Gegenspieler (der Ehemann Bertram hatte diesen nicht beauftragt, sondern bei der Wette nur in die Erprobung eingewilligt; er steht also - von der Treue seiner Frau überzeugt - innerlich auf ihrer Seite). Man sieht: die Abweichungen sind lediglich Variationen desselben Grundtyps. Ähnlich handelt der H E L L E R W E R T WITZ, eine Spielform des Themas der bewährten Gattinnentreue, in Teil ι zwischen dem Kaufmann und den drei Frauen. Von diesen ist die Ehefrau eigentliche Gegenspielerin, die ihn durch den Auftrag in die Konfliktsituation bringt. Diese dauert (2) an während der Reise nach Frankreich, die den Protagonisten mit Nebenfiguren zusammenführt; eine von ihnen hilft die Wende vorbereiten, indem sie den Hellerwertwitz verrät. Im 3. Teil vollzieht sich nach Rückkehr des Kaufmanns die Lösung durch eine neuerliche Begegnung mit den drei Frauen. H E R R N MIT DEN VIER F R A U E N

Für einige weitere Beispiele möge die Angabe der Personen in den drei .Akten' genügen: Grundschema I.

HEINRICH VON KEMPTEN

Antagonist

Königin-Marschall -Gatte

Heinrich-Otto

Willekin-Wiedergänger

Nebenfigur

Königin-Köhler (Marschall beseitigt)

Heinrich-Abt

Willekin-ITO»»'«

ProtaAntagonist gonist ( + Nebenfigur)

Königin-Gatte

Heinrich-Otto

Willekin-Wiedergänger

HERZMÄRE

SCHÜLER VON PARIS

MORIZ VON CRAUN

SCHLEGEL

vrouwe - Ehemann

Liebespaar - Vater

Moriz - Gräfin

Vater - Kinder

Protagonist

2. Protagonist }·

I.

RITTERTREUE

KÖNIGIN VON FRANKREICH

+ Geliebter 2. Geliebter - Freund

Moriz (Turnier) Geliebte - Mönch als - Zofe Liebesbote (Liebespaar vereint)

Vater - Freund

?· vrouwe - Ehemann

Geliebte - Vater

Vater - Kinder

Moriz - Gräfin (Ehemann nur Randfigur)

RITTER UNTERM ZUBER

1. Frau - Ehemann und Brüder 2. Frau - Gevatterin 3. Frau - Ehemann (Geliebter nur Randfigur)

97

HALBE BIRNE

Ι . Arnold - Königstochter (Turnier und Herausforderung Arnolds) 2. Arnold - Knappe Heinrich (Rat des Freundes und Vorbereitung der Rache) 3. Arnold - Königstochter (Rache Arnolds an der Königstochter; Heirat nur episodisches Akzidenz)

Die aufgewiesene Dreigliedrigkeit des Hauptteils und die Typenkonstanz der Rollenfunktionen gilt für einen großen Teil der Mären, besonders für die etwas reicher ausgeführten und anspruchsvolleren. Manche Schwänke, vor allem auch die moralischen Schwankexempla, sind einfacher oder anders angelegt;114 auf ihre Darstellung muß aber verzichtet werden. Es galt, ein verbreitetes Gesetz der Märenkomposition aufzuweisen. c) Mittel szenischer Gliederung des Hauptteils Die Gliederung ergibt sich im allgemeinen also entscheidend aus der Stufenfolge des inneren Handlungsablaufs. Sie kann daneben auch durch äußere stilistische Mittel gekennzeichnet werden. So geschieht es vor allem, wie oben S. 74fr. gezeigt, an der Nahtstelle zwischen Exposition und Zentralhandlung durch eine allgemein gehaltene, temporale Bestimmung. Auch der Hauptteil wird nicht selten durch solche äußeren Mittel in verschiedene Szenen gegliedert. Am beliebtesten sind Angaben eines Zeit- oder Ortswechsels. Die F R A U E N T R E U E unterstreicht mit temporalen Bestimmungen die Dreigliederung des Hauptteils. Er beginnt mit der Ausrufung des Turniers (Daz enstuont dar nach niht lanc 143). Der mittlere Teil setzt mit der Mahnung des Gatten ein, seine Frau möge den verwundeten Ritter besuchen {Da tete der selben vrouwen wirt 175), und umschließt den Besuch am Krankenbett, den nächtlichen Besuch des Ritters bei seiner Geliebten und seinen plötzlichen Tod: also die ganze Geschichte dieser Liebe, 114

Natürlich finden sich auch in dieser Gruppe Stücke mit dreiteiliger Grundstruktur w i e D A S ERZWUNGENE GELÜBDE, D E R BEGRABENE E H E M A N N o d e r D E R G E V A T T E R I N

RAT, DIE EINGEMAUERTE FRAU. Die Rollenverteilung ist ζ. T . etwas anders. Die moralisch-exemplarische Gestaltung des Böse-Frau-Themas in dem letztgenannten Märe bedingt es (im Gegensatz zu schwankhafter Ausführung, vgl. S. 14, Anm. 44), daß die Frau eine innere Wandlung durchmacht, also von ihrem Gatten besiegt wird. Hier vertritt demnach der Antagonist das moralische Prinzip. Daher unterstützen die Nebenfiguren (die Verwandten) im 2. Teil nicht die Protagonistin, sondern versagen ihr die Hilfe und wirken dadurch konfliktverschärfend für sie, jedoch helfend für den Antagonisten. Die zweite Nebenrolle des Beichtvaters öffnet den Ausweg aus der Konfliktsituation.

98

die für die Frau eine einzige, andauernde Konfliktsituation darstellt. Auch der letzte Handlungsabschnitt mit der tragischen Konfliktlösung ist mit einer temporalen Angabe eingeleitet: Des ritters knechte des morgens vruo (319). In dem kleinen Schwank D I E N A C H T I G A L L ist die Dreiteiligkeit durch Zeit- und Ortsangaben äußerlich markiert: 1. Eines tages (83), 2. Als balde do der tag entweich (165), 3. (letzte Zeile von Teil 2) biz si diu sunne über schein (188).116 Dieses äußere Mittel szenischer Gliederung durch eine Zeitangabe116 (bisweilen beschränkt auf einfaches nä oder do) ist so weit verbreitet, daß auf Einzelnachweise verzichtet werden kann. Es will allerdings beachtet sein, daß sich diese äußere Verwendung einer temporalen Angabe keineswegs immer an den erwarteten Stellen findet, vor allem nicht auf diese beschränkt ist. Das liegt zunächst an dem unterschiedlichen Charakter der Gliederungsabschnitte: die Dreigliederung nach dem inneren Handlungsablauf bedeutet eine Großgliederung - wenn man so will in ,Akte'; die temporalen oder lokalen Angaben sind aber vor allem ein Mittel, S z e n e n äußerlich zu markieren, deren ein ,Akt' mehrere enthalten kann. A m deutlichsten tritt dies Verfahren einer szenischen Feingliederung in den D R E I M Ö N C H E N Z U K O L M A R zutage: A . Geschrumpfter ,Prolog' 1-6 7-28 Exposition (Situationszuspitzung 24 vor einer osterzit) Β.

I , i . Teil Ortsangaben: die Frau sucht nacheinander drei verschiedene Klöster auf, zunächst a) das Prediger-Kloster (31) b) das Barfüßer-Kloster (ySt.) c) das Augustiner-Kloster (109fr.) 2. Teil Rückkehr in ihr Haus (129); Aussprache mit dem Ehemann (Konfliktsituation). 3. Teil Empfang und Tötung der Mönche in drei aufeinanderfolgenden Szenen, die durch Zeitangaben voneinander abgesetzt sind: a) Do der abent ane gie (193) b) Darnach vil unlange wart (259) c) Und do daz was geschehen da, (27 5 f.) metti lute man schiere sa:

11s V g l , noch B L I N D E R HAUSFREUND 57fr.; 5 5 ff.; 9 8ff. 116

7off.; (143) 144fr.; HERRGOTTSCHNITZER 33fr.;

Besonders eignen sie sich in den Schwänken v o m Minnetausch und -rückkauf, da sich hier im 3. Teil nach einer kurzen Frist an dem dritten tage ein paralleles Geschehen w i e d e r h o l t (HÄSLEIN 220, SPERBER 252).

99

Zusatzteile: II, ι. Teil Fortschaffung der Leichen; Markierung der einzelnen Szenen durch einfache Temporalnebensätze a) Do daz allez was getan (288) b) Do der wirtgetete daz (305) c) Do der wirt daz het vernomen (314) 2. Teil Tötung und Beseitigung des vermeintlichen Wiedergängers (Ortsangabe): an einem wege sach er gan (3 3 8) 3. Teil Belohnung des Trägers durch den Wirt (Zeit- und Ortsangabe): Do gie er da (374) C. Epilog 389-404. Eine derart strenge Konsequenz in der Anwendung dieser Stilmittel bleibt freilich selten. Im B E S T R A F T E N M I S S T R A U E N sind 1 . und 3. Teil durch Zeitangaben eingeleitet ( 1 1 4 und 306), während der 2. Teil sie vermissen läßt. Der Beginn dieses ,Aktes' ist aber gleichwohl durch eine Anspielung auf die Konfliktsituation der Frau deutlich zu erkennen (diu vrouwe doch des niht enlie, si entrahte hin und her 24of.). Äußerst kunstvoll hat Rüdiger die szenische Feingliederung innerhalb der drei Handlungspartien des S C H L E G E L gestaltet und dabei verschiedene Mittel miteinander kombiniert. Der erste Teil, der wiederum der Schürzung des Knotens dient, umfaßt gleichsam zwei Akte: die beiden fünfteiligen Besuchszyklen bei seinen Kindern. Schon der Stoff des Märe bringt es mit sich, daß die jeweils fünf kurzen Szenen an ihrem Beginn durch Ortswechsel voneinander abgesetzt sind. Aber auch ihr Ende ist markiert. Im ersten Besuchszyklus fordert Sohn oder Tochter den Alten auf, zum nächsten ihrer Geschwister zu gehen, und er erklärt sich in einer kurzen Erwiderung damit einverstanden. Dieser knappe Dialog kennzeichnet daher jeweils das Ende einer Besuchsszene. Die Gleichförmigkeit dieser Anlage verleiht der Erzählung eine gewisse Starrheit, die aber gut zum Exempelcharakter paßt. Lediglich das Ende des ersten Besuchszyklus bringt eine leise, aber sinnvolle Variation: nach relativ guter Aufnahme und längerem Aufenthalt bei den anderen Kindern schickt ihn die zweite Tochter bereits nach einer Woche fort. Jetzt spürt der Vater zum ersten Male den Kindesundank; bei ihrer Aufforderung, wieder zum ältesten Sohn zu gehen, schweigt er und macht sich seine Gedanken. Der kurze, das Szenenende markierende Dialog schlägt hier am Ende 100

der ersten Besuchsreihe in einen kurzen reflektierenden Monolog um und nimmt dadurch jene ,Gesprächsform' vorweg, die die Szenenabschlüsse des zweiten Besuchszyklus bestimmt: diese enttäuschenden Besuche bei seinen Kindern enden mit einem kurzen Selbstgespräch, das keinen Partner mehr hat und die innerlich angemessene Form der Vereinsamung ist. - Der zweite Teil, der den Alten in der Konfliktsituation zeigt, in der ihm der Rat eines Freundes zuteil wird, beginnt mit temporalem Adverb Nu (429). Der Schlußteil ist in seiner Szenenfolge durch Ortswechsel und Zeitangaben (lila 540; Illb 706; IIIc 876; Illd 1018; die Begegnung mit den beiden Töchtern ist in ioi8ff. zusammengerafft) gekennzeichnet, das Szenenende durch Beweise einer nunmehr guten Behandlung des Vaters. Die letzte Szene setzt höchst sinnvoll wiederum mit einer Zeitangabe ein: unz doch ze jungest daz geschach, daz er sterben bekunde (1079). Der Epilog beginnt mit einer Formel: Die rede ich iu enden wil. Auch solche formelhaften Wendungen vermögen, in einem Stücke häufiger angewandt, eine gliedernde Funktion auszuüben. Die Poetik empfiehlt ζ. B. eine bestimmte Formel, wenn der Erzähler nach einer digressio zur Materie zurückkehrt;117 in den exkursarmen Mären sind sie entsprechend selten.118 Der Dichter des P E T E R VON S T A U F E N B E R G beginnt eine neue Szene gern mit der temporalen Formel nu fuogt ez sich (uf einen tac).11" In den D R E I L I S T I G E N F R A U E N I werden die drei einzelnen Erzählungen der Frauen über das Thema heimlicher außerehelicher Liebe durch eine entsprechende anaphorische Formel zu ihrem Beginn auch äußerlich zusammengebunden: 1. do sprach diu tumbest under in (76); 2. Da wider sprach diu ander (175); 3. Da wider sprach diu dritte (293) (der Schluß beginnt: Do si alle gesagten 389). In ähnlicher Weise markiert der Dichter das Ende einer Binnenerzählung durch anaphorische Wendungen, die den Kern des berichteten Überlistungsvorgangs noch einmal kurz zusammenfassen: 1. sus kan ich vische braten (174); 2. sus var ich mit der nahtvrouwen (292); 3. sus kan ich varn ze

117

Vgl. S. 9 1 , Anm. 1 0 8 . LIE VGL, möglicherweise MORIZ VON CRAUN 397 (nach Stackmann S. 80). Deutlich in ARISTOTELES UND PHYLLIS 3 3 3 u n d 4 6 5 , HEIDIN 1 4 7 1 . M e i s t setzt die F o r m e l eine g e -

119

wisse romanhafte epische Mehrschichtigkeit voraus; ,Gregorius' 923. Sehr häufig in den märenartigen Erzählungen in Johan Jansens Enikel .Weltchronik* und im Prosa,Lancelot' (DTM 42). Vgl. 1 6 9 , 6 1 8 , 6 9 6 , 7 5 1 . ΙΟΙ

loche (388). Sie werden bei der ,Urteilsfindung' wie zum Schein sorgfältiger Abwägung noch einmal aufgenommen (vgl. S. 301). Die Möglichkeit, das Ende einer Szene mit reimakustischen Mitteln eindringlich zu machen, bieten die in der Gattung freilich selten konsequent durchgeführte Aufhebung der Reimbrechung und der Dreierreim (so in den Z W E I K A U F L E U T E N 1 2 0 und im W E I N S C H W E L G ) . d) Die innere Einheit Galt die Aufmerksamkeit der Untersuchung bisher den inneren und äußeren Kriterien, nach denen eine bestimmte Aufgliederung des Märe in seine kompositorischen Teile vorgenommen werden kann, so sei abschließend die Frage nach seiner inneren Einheit gestellt. Sieht man von den bereits erwähnten Kontaminationstypen und solchen Erzählungen mit (anorganischen) episodischen Erweiterungen ab, so ist für die übrigen Mären die Einheit der Fabel offensichtlich. Trotzdem aber sind die Dichter, wie die Beispiele im Abschnitt über die Exposition wiederholt gezeigt haben, darum bemüht, die Einheit vor allem im Zeitablauf zu gewährleisten. Sie raffen das Geschehen wenn irgend möglich auf einen Tag zusammen; es vollzieht sich, darin der Dramengattung verwandt, sozusagen innerhalb eines Sonnenumlaufs: ετι δε τω μήκει - ή μεν δτι μάλιστα πειράται νπό μίαν περίοδον ηλίου είναι ή μικρόν έζαλλάττειν (Aristoteles, Poetik 5, ι if.), und hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zum Epos und zum Roman, deren mehrsträngige Handlung kompositorische Vielschichtigkeit oder - im Mittelalter oft - Episodenreihung bedingt und keine zeitliche Begrenzung kennt (αόριστος τω χρόνω). Die Beispiele des Abschnitts über die Exposition dürften diese ,Einheit der Zeit' für den Hauptteil bereits hinreichend erwiesen haben. Als besonderer Extremfall sei I R R E G A N G UND G I R R E G A R erwähnt. Hier werden zwei Dreiecksverhältnisse in einer Fülle von Verwicklungen mit Ehebetrug und Überlistungen kaleidoskopartig miteinander verschachtelt, aber sie alle sind auf den Zeitraum einer Nacht zusammengedrängt. Wenn in der F R A U E N L I S T die Annäherungsversuche des Studenten immerhin auf drei Tage auseinandergerückt werden, so drückt sich hierin kaum mehr als eine äußerliche Aufzählung und womöglich eine Anlehnung an das vorsichtige ,stufenweise' Vorgehen des Studenten aus, wie es der Liebeskodex i«o Vgl. Günter Hahn, Ruprecht von Würzburg, in: Form und Geist Bd. 2 3 , 1 9 3 1 , S. 45.

102

empfiehlt. Kompositorisch aber fällt diese Zerdehnung nicht ins Gewicht, da die weitere Szenenreihe (das Rededuell zwischen Studenten und vrouwe, ihr Entscheidungsmonolog als der kompositorische Mittelteil und schließlich die Erfüllung des Liebesglücks mit Überlistung des Ehemanns) sich an einem Tage vollzieht. Ebenso leicht wiegt am Schluß die zweimalige Wiederholung dieses letzten Geschehens an verschiedenen Tagen, was mit der beliebten Aggregationstechnik zusammenhängt. Diese erkennt man beispielsweise im H E R R N M I T D E N V I E R F R A U E N , wo der Treueerprobung der Gattin - in einfacher Form liegt sie im B E S T R A F T E N M I S S T R A U E N vor - das Erlebnis dreimaliger Untreue bei den ersten Frauen des Herrn vorausgeht. In den D R E I M Ö N C H E N Z U K O L M A R bewerben sich in ähnlich additiver Weise drei Mönche hintereinander um die Gunst der Bürgersfrau; das scheinbare Versprechen auf Erhörung, Einweihung des Ehemannes, Empfang der Bewerber, ihre Tötung und die Beseitigung der Leichen wie versehentlich eines vierten Ordensbruders .erledigen' sich an einem Tage und in der darauffolgenden Nacht. Die Einheit der Zeit durch derlei Zusammendrängung des Handlungsgeschehens zu verwirklichen, dazu bietet anderseits die Exposition die Voraussetzung. Sie ist elastisch genug, alles was sich als vorbereitendes Element in sie verlegen läßt, in sich aufzunehmen. 121

Mären, die die ,Einheit der Zeit' nicht im Ganzen verwirklichen, lassen gleichwohl eine zeitliche Detailgliederung erkennen, oder die Abweichung läßt sich anders erklären. Zu den ersten gehört der S C H L E G E L , dessen Haupthandlung sich in drei Folgen von je fünf Besuchen abspielt. Diese erstrecken sich - stoffbedingt - jeweils über einige Wochen oder Tage und sind ihrerseits um ein Mittelstück Rat des heimgekehrten Freundes für den alten Vater - herum gruppiert. Anders liegt es bei umfänglicheren Mären, deren meist ebenfalls dreiteiliger Aufbau in der szenischen Feingliederung durch reichere Episodengestaltung differenzierter werden kann und deren Handlung sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. Er ist aber meist wiederum in einzelne Zeitabschnitte gegliedert. Hier wären der M O R I Z VON C R A Ü N ZU nennen, Geschichten wie D E R B U S A N T , D I E K Ö N I G I N VON F R A N K R E I C H oder P E T E R V O N S T A U F E N B E R G , D I E 121

Verdoppelung oder Verdreifachung desselben Geschehens ist übrigens oft das Zeichen aufschwellender Bearbeitung einer ursprünglichen Fassung. Das hat Rychner I (S. 25) am Beispiel des Fabliau ,La male Honte', Version Η gegenüber G , überzeugend gezeigt. 103

zumal in ihren späteren Redaktionen, und, kompositorisch wohl am vielgliedrigsten und unübersichtlichsten: D E R J U N G H E R R U N D D E R T R E U E H E I N R I C H . Sie alle berücksichtigen jene ,Einheit der Zeit' nicht; eine Erklärung dafür bietet sich in der allen gemeinsamen Thematik vom Aventiure-Minne-Typus an, einem episch reicheren und romannäheren Erzähltyp (vgl. S. 2 5 ) . Wenn in der R I T T E R T R E U E die zeitliche Raffung durch Beschränkung auf wenige Tage innerhalb dieser Gruppe am konsequentesten gelungen ist (1. Tag: Ankunft und Herberge, 2. Tag: Beschaffung des Pferdes, 3. Tag: Turnier sieg und Hochzeit mit der vrouwe, 4. Tag: der Konflikt mit dem Widergänger und der glückliche Ausgang), so gewiß deshalb, weil diese Erzählung mehr einen episodischen Ausschnitt aus dem Romanstoffkreis bietet (vgl. S. 26). In einer von so viel Erzählfreude getragenen und mit Episodenreichtum ausgestatteten Erzählung wie dem H E L M B R E C H T ist, auch wenn sich das Geschehen über längere Zeit erstreckt, das Bestreben unverkennbar, die Ereignisse durch Hereinnahme früheren Geschehens in Form erzählter Erlebnisse122 zusammenzuraffen wie möglichst auf den einen Schauplatz des Vaterhauses zu konzentrieren.123 Gleich ob nun der Handlungsablauf speziell auf einen Tag beschränkt ist oder in mehreren zeitlichen Abschnitten erfolgt, immer bleibt er durch Einteilung in bestimmte zeitliche Einheiten überschaubar (vgl. ζ. B . D E R S C H W A N G E R E M Ö N C H ) . HEIDIN,

e) Die dem Drama ähnlichen

Auflauelemente

Abschließend wird man feststellen dürfen, daß jener bereits bei der Exposition angedeutete, an das Drama erinnernde Aufbau sich durch eine Reihe weiterer Analogien bestätigt. Sie seien noch einmal kurz zusammengestellt, ohne daraus weitere Schlüsse zu ziehen.124 Es sei nochmals betont, daß auch diese Ubersicht die analogen Aufbau122

Vgl. den Bericht Helmbrechts über sein Räuberleben, den des Vaters über die alte Zeit und die Darstellung des Strafvollzugs: „Was drängt er (Wernher) nicht alles auf einen Tag zusammen . . . " A . Wallner, V L I V Sp. 924. " » Vgl. dazu E . Stutz S. 67. 124 Ob sich ζ. B. aus den .dramatischen' Elementen, die man ja auch der modernen Novelle zuerkennt, Folgerungen für die Frage der historischen Kontinuität von mittelalterlichem Märe und moderner Novelle ziehen lassen - ist eine Frage, die nur Gegenstand einer umfassenden Untersuchung sein kann. Sie wurde jüngst von der modernen Literaturwissenschaft wieder aufgeworfen; vgl. Karl Konrad Polheim, Novellentheorie und Novellenforschung (1945-1963), in: Sonderheft der DVjs. 38, 1964, S. 208-316, zum Problem S. 244-48.

104

elemente nicht etwa auf eine Dramentheorie oder das seinem Wesen nach ,undramatische' geistliche Spiel zurückführen oder die Märengattung aus der epischen Tradition herauslösen will. (i) Nach der Exposition ist es vor allem die Dreigliedrigkeit der zentralen Handlung, die sich aus dem inneren Geschehensverlauf bei einer Vielzahl von Mären ergab. Wie im Märe teilt im Drama der A n f a n g die „Vorgeschichte des Spannungszustandes" mit,186 dient hier die M i t t e der Herstellung des ,Knotens', indem die Handlung „aus einem Zustand heraus einem andern Zustand entgegenstrebt" (bei Unterteilung der Mitte in Anfang, Mitte und Ende gehören Anfang und Mitte der Mitte oft als 2. und 3. A k t diesem Stadium zu), bringt das Ende der Mitte das Ergebnis: den ,stationären Intriguenzustand', und führt das E n d e die Wendung der Handlung zur Ruhelage (Konfliktlösung) herbei. Mit Einschluß der vorbereitenden Exposition ergeben sich also vier Stadien des Geschehensablaufs, die die Dramentheorie später mit protasis, epitasis, catastasis und catastrophe bezeichnet,126 und diesem vierstufigen Ablauf entsprechen die Handlungsstadien des Märe: ANFANG

MITTE

ENDE

άρχή

μέσον

τελευτή

Termini: Aristoteles

Anfang Mitte (vgl. später Scaliger)

Ende

(protasis)

(epitasis)

Einteilung des Dramas:

I.Akt

(oft:

Funktionen:

Vorbereitung durch Vorgeschichte

Schürzung des Knotens

Konfliktsituation

Lösung durch Umschlag

Aspekte des Handlungsverlaufs :

statischdurativ

dynamischbewegt

statischverweilend

dynamisch, doch zur Ruhelage zurückführend

Einteilung des Märe:

Exposition

zentrale 1. Teil

3.

2. u. Akt)

(catastasis)

(catastrophe)

4.

j.Akt

Akt

Η a u ρ t h aη d1 u η g 2. Teil 3. Teil

125 Vgl. dazu die knappe Zusammenfassung der Dramentheorie über die Ausdehnung der Handlung und ihre Aufgliederung bei Lausberg § 1 1 9 2 - 9 7 . 126

Lausberg § 1197. Den historischen Anachronismus, der durch den Vergleich mit den Termini Scaligers entsteht, möge man entschuldigen. Seine Bezeichnungen sind die einzigen, die die Vierteiligkeit des dramatischen Aufbaus berücksichtigen, mit der sich der Märenaufbau vorzüglich vergleichen läßt. 105

Eine Untersuchung der altfranzösischen Versnovellen auf entsprechende Kompositionsweise kann hier nicht geleistet werden, da sie über den vom Thema gesetzten Rahmen hinausginge und der Verfasser zudem kein Romanist ist. Eine Durchsicht der Dissertation von Helmut Genaust, Die Struktur des altfranzösischen antikisierenden Lais, Hamburg 1965, macht es jedoch wahrscheinlich, daß in ihnen die Komposition ähnlich angelegt ist. Die Unterschiede zu den Ergebnissen von Genaust, der eine dreiteilige Struktur der Gesamterzählung feststellt, beruhen, wenn ich richtig sehe, nur darauf, daß er im ersten Teil jeweils das zusammenfaßt, was hier in ,Exposition' und ,erster Teil der Haupthandlung' (mit Schürzung des Knotens) gesondert ist.

(2) Den vier dramatischen Geschehnisstadien entsprechen ferner die unterschiedlichen Aspekte, unter denen die Handlung abläuft (vgl. oben S. 9of.): der statisch-durative der Exposition, der dynamisch-bewegte im 1. Teil, der mehr statisch-verweilende im 2. Teil (mit dem Intriguen2ustand, aus dessen Betrachtung sich die Möglichkeit einer Wende ergibt), der wiederum dynamische, durch aktives Handeln charakterisierte Verlauf des 3. Teils, der den Umschwung bringt. Wie die ,statische' Exposition den ,dynamischen' ersten Teil vorbereitet, so der statische 2. Teil den handlungsbewegten 3. Teil. (3) Die Einteilung in Szenen kann sich, zumal in knapperen Mären, durchaus auf die Dreiteilung des zentralen Geschehens beschränken und ist dann geeignet, diese zu unterstreichen. Sie vermag aber auch, vor allem in den episch reicher gestalteten Erzählungen, die einzelnen Teile in sich weiter aufzugliedern, ähnlich wie beim Drama die Akte in Auftritte unterteilt sind. (4) Die innere Einheit wird durch die Fabel wie durch die zeitliche Begrenzung des Handlungsverlaufs auf eine meist kürzere Frist, oft auf einen Tag, gewahrt; episodenreichere, also stärker epische Stücke lassen die Handlung in bestimmten, überschaubaren und zeitlich nicht zu weit auseinanderliegenden zeitlichen Einheiten ablaufen. (5) Was denMären weiterhin einen „dramenähnlichen" (O. Werner) Zug verleiht, ist die außerordentliche Beliebtheit von Dialogen, von Szenen, die sich in direkter Rede abspielen.127 Ich denke hier weniger an die längeren, den Handlungsablauf nur langsam f örderndenDialoge und 187

Das V . Kapitel wird (S. 321fr.) darauf näher eingehen. Hier genüge der Hinweis auf die statistische Aufstellung bei Rosenfeld S. j 2 j f . Weitere Literatur ist bei O. Werner, Entwicklungstendenzen in der mittelhochdeutschen Verserzählung zur dramatischen Form, in: ZfdPh 85, 1966, (S. $69-406) dort S. 372, Anm. 9 genannt.

106

Monologe, die eine Werbungssituation nach dem Vorbild der höfischen Minnedoktrin oder (minnekasuistische) Konfliktsituationen beschreiben128 - sie sind ohne Zweifel am Vorbild der höfischen Epik, zumal an Gottfrieds ,Tristan' geschult - als vielmehr an jene vielen kleinen Redepartien, die den Handlungsverlauf schnell vorantreiben; zum Teil sind sie aus der Situationskomik geboren und geben dem Rezitator Gelegenheit, seinen Vortrag mimisch zu verlebendigen. Nimmt man diese Indizien zusammen, so gewinnt man den Eindruck, als stelle das Märe - und zwar mehr das komisch-schwankhafte als das mit höfischer Aventiure-Minne-Problematik - eine Art Ersatzgattung für das zu dieser Zeit fehlende komische Drama dar. Gewiß: Das Märe ist umfänglich auf Kürze zugeschnitten, im Umfang, nicht im Aufbau, mehr ein ,Einakter'. Aber diese Differenz im Äußeren fällt weniger ins Gewicht als die Kongruenz im Aufbau und in der Funktion seiner Glieder. Es ist gerade daher gewiß nicht zufällig, wenn die Schwanke, die die Anlage zur Dramatisierung schon in sich tragen, vom bald darauf entstehenden Fastnachtspiel so gern aufgegriffen werden.129 4. Der Epilog Da der Gehalt des Epilogs meist in der Sentenz ausgedrückt ist, die oben untersucht wurde, kann sich die folgende Betrachtung auf das Formale beschränken. Gegenüber der nicht selten kunstvollen Prologgestaltung nimmt sich das dem Hauptteil der Erzählung oft angefügte Schlußwort, der epilogus, in den meisten Mären anspruchsloser aus. Dies gilt übrigens auch für „Die Schlüsse der mittelhochdeutschen Epen", 130 die in der Regel viel kürzer, weniger kunstvoll und weniger prinzipiell angelegt sind als die Prologe, denen im allgemeinen die besondere Sorgfalt der Dichter galt. Denn die rhetorische Theorie für den Schluß der Rede, die peroratio, die speziell auf den Zweck eines erfolgreichen Prozeßverlaufs zugeschnitten war, ließ sich im Grunde nicht - wie 128 W I E I M M O R I Z VON C R A U N , i n d e r H E I D I N u n d F R A U E N L I S T . 128

S. auch O. Werners Vergleich des HEISSEN EISENS mit der dramatischen Bearbeitung desselben Stoffs durch Hans Sachs, a. a. O., S. 401fr. i»o Vgl. die materialreiche, im Ertrag bescheidene Arbeit von Käthe Iwand (German. Studien Heft 1 6 , 1 9 2 2 ) .

107

die meisten Vorschriften über das prooemium - auf literarische Verhältnisse übertragen.131 Die mittelalterlichen Poetiken behandeln dies Kapitel daher mit offensichtlicher Verlegenheit 132 oder geben nur knappe Hinweise. So nennt Galfredus (Doc. III, 2) drei Arten zu schließen: vel α corpore materiae, vel a proverbio, vel ab exemplo,133 Man zieht also aus der Geschichte selbst das Facit 134 oder entwickelt aus ihrem Gegenstand eine allgemeine Sentenz. Wenn Konrad von Würzburg seinen HERZMÄRE-Epilog einleitet, indem er die Treue der Frau zum Vorbild setzt und ,zeitklagend' den Mangel an aufopfernder Liebe in der Gegenwart herausstellt, so verfährt er α corpore materiae. SCHÜLER VON PARIS (M) zieht aus dem Märe die Folgerung: waz gemalt Der Minne kraft gestalt Und stellet alle tage (63 iff.). Diese Art des Epilogs kann die Form einer Mahnung, 136 eines Rates138 und recht oft einer Warnung 137 annehmen. Vornehmlich die Gruppe der moralischexemplarischen Mären liebt es, die exemplarische Allgemeingültigkeit des behandelten ,Falles' mit einer entsprechenden Formel her1,1

Vgl. dazu Curtius S. 99ft, Lausbetg S. 240, Anm. 1 und Arbusow S. 106. So Matthieu de Vendöme IV, 50 (bei Faral S. 191): Conclusio autem multifarie apud auctores rariatur. Die dann gebotenen Beispiele sind aus der Literatur zusammengelesen und meist nicht grundsätzlicher Art wie der Schluß/>er recapitulaiionem senlentiae, den er epilogus nennt. Eine solche Wiederaufnahme der Eingangssentenz hat ζ. B. TURANDOT ; vgl. die Vv. 3fr. und 2 1 3 f r . 133 Der Schluß „ab exemplo" meint in der Theorie zunächst nicht: vom Beispielfall der Geschichte aus, sondern nach Galfreds Erklärung (Doc. III, 6) eine Art Gleichnis (wie ζ. B. im ,Gregorius'-Prolog). Seine Verwendung wäre für die Märengattung, deren Fabel ja ohnehin meist schon ein Exempel bietet, ungeeignet und zu weitschweifig. Der eigenmächtige, bittere Zusatz zum Epilog des SCHLEGEL in der Dresdener Handschrift bietet ein solches exemplum; er lehrt im Gleichnis vom Raben die .richtige Verhaltensweise' gegenüber den undankbaren Kindern. Der Rabe verberge seine Nahrung vor den Jungen, und wenn er sie fliegen lehre, so führe er sie vom Neste fort in andriu land (Terminus der Falknersprache). Dennoch darf man den gelegentlichen Rückgriff auf den Beispielfall der Geschichte - sei es nur in der Form einer kurzen Anspielung, der commemoratio - wohl auch als Schluß ab exemplo auffassen (vgl. S. u j f . ) . 184 VGL. BEGRABENER EHEMANN 246FR.: Ze schaden muose er des haben, daz er satzte ein tumbez wip ze meister über sinen lip.

182

185

H E I N R I C H VON K E M P T E N 7 4 4 f r . ; N A C K T E R R I T T E R 9 i f f .

13β

Dieser Rat ist in den Schwänken natürlich meist konisch gemeint und unterstreicht insofern die komische Funktion des Stückes. ARISTOTELES UND PHYLLIS 549-554;

187

Im moralisch-exemplarischen Märe: HELMBRECHT 1913fr.; und im Schwankexempel:

FRAUENZUCHT 8 2 i f f . ; SPERBER 359fr.; WEISSER ROSENDORN 2 7 1 f r . ; BERCHTA 66ff. D I E FRAU ALS REITPFERD 207f.; D I E GEVATTERINNEN 200fT. I m S c h w a n k : IRREGANG

UND GIRREGAR 1422fr.; DER SCHREIBER 292-301 (aber durchaus nicht moralisierend). Im moralisierten Schwank: DREI MÖNCHE ZU KOLMAR 395fr. (vgl. dazu S. 37f.); BLINDER

I08

HAUSFREUND 409fr.

auszustellen;138 gelegentlich ist dieses Verfahren auch in den Schwänken angewandt.139 Noch beliebter sind die Schlüsse, die eine Sentenz benutzen; sie sind in allen Märentypen gleichermaßen verbreitet. Man konnte den Schluß auch bei Anwendung einer Sentenz im Einzelnen variabler gestalten, also neben dem unmittelbaren Abschluß nur durch ein proverbium etwa das finem ex corpore materiae und ex proverbia (sententia) miteinander verbinden wie im P F A F F E N I N D E R R E U S E , W O auch die .Warnung' nicht fehlt (380-388). Kommt der einfachen Sentenz an sich schon der Charakter eines ,Beweises' zu (vgl. S. 30 und Lausberg § 872), so begnügen sich mehrere Epiloge dennoch nicht, mit einer einfachen Sentenz zu schließen, sondern sind bemüht, ihre Gültigkeit zu beweisen. In einfachster Form geschieht dies durch einen der Sentenz angefügten Rückverweis auf die erzählte Geschichte, also auf das corpus materiae oder das ,Exempel'.140 Schon etwas kunstvoller - nämlich in einer knapp gebotenen, klaren Gedankenfolge - ist der Epilog zu Strickers R I C H T E R UND T E U F E L aufgebaut: 216

Also

was der

rihttzre

mit sige worden sigelds; er wände vinden und verlos. ez ist ein unwiser

rät,

der mit dem tivel

umbegät.

swer gerne mit im

umbevert,

dem wirt ein boeser Ion beschert. er kan so manigen grimmen daz er vil guot ze vürhten

list, ist.

Die ersten drei Verse geben - nach Abschluß der poetischen narratio und zugleich als Anfang des Epilogs - in Form einer propositio den 188

HELMBRECHT: Sota noch selpherrschiu kint hi voter uncle muoter sint (1913t.) und rvaz ob Helmbrecht noch hat etewä junge knehtel (1926!:.). SCHLEGEL 1169 Als noch vil manic geselle tuot\ und 1173 Als wir noch hiute vinden. DER GEVATTERIN RAT 648fr.; JUNGER RATGEBER 2 9 3 ; Z A H N 8 7 ; H E I N R I C H V O N K E M P T E N 7 5 o f .

189

140

KERBELKRAUT 2 7 2 f r . ; FRAUENLIST 6 1 5 L ; im Schwank gewinnt die typische «ocA-Formel bisweilen ironische Färbung wie im GÄNSLEIN 2 6 7 f r . Daz noch ze Drahov sl zwene münche oder dri Die ouch n>ib erkennent baz. Wohl schon parodisch im WARMEN ALMOSEN 123-126. So RÄDLEIN 501-508 und HELLERWERTWITZ 774-782. 109

„gedanklichen Kernbestand des Inhalts der narratio" (vgl. Lausberg § 346). Daran schließt sich eine zweizeilige Sentenz an (219!:.), die nun in infinit-verallgemeinerter Form den Hauptgedanken formuliert. Ihm wird durch Hinweis auf die Wirkung dieser unklugen Handlungsweise die Begründung angefügt (22if.; vgl. unten S. 113). Den Abschluß bildet, entsprechend dem lehrhaften Zweck des moralischexemplarischen Märe, die Ermahnung, entsprechend das r i c h t i g e Verhalten zu beherzigen (daz er vil guo t ze vürbten ist). Überhaupt zeichnen sich bei den moralisch-exemplarischen Mären des Stricker einige Epiloge - im Unterschied zu den bisher erwähnten - durch eine recht kunstvolle Anlage aus, die auf rhetorische Vorschriften zurückgeht. Eine exemplarische Auswahl soll hier näher untersucht werden. Dazu ist eine kurze Vorbemerkung angebracht. Denn in all diesen Epilogen geht es dem Dichter darum, die Leitsentenz des Epilogs in einer meist längeren Ausführung zu b e w e i s e n (wie das in kurzer Form schon bei den eben genannten Epilogen der Fall war). Wie bereits S. 80 angedeutet, verwendet die Schlußpartie eines Märe gelegentlich eine kurze argumentatio. Nun folgt bekanntlich auch im Aufbau einer Rede auf die narratio die argumentatio, die „das Konzentrat des Stoffes der Gesamtrede" darstellt (Lausberg § 348). Sie besteht für gewöhnlich aus zwei Teilen: aus der probatio (confirmatio) und refutatio (confutatio, auch reprehensio), also aus Beweis und Widerlegung der gegnerischen Behauptungen oder Meinung.141 Sofern das Märe am Schluß einen Beweisgang enthält, folgt auch er auf die narratio. Ist aber in der Rede die narratio kurz und sind der argumentatio als dem zentralen und gewichtigsten Teil dort keine bestimmten Grenzen gesetzt, so sind die Proportionen im Märe unter den Bedingungen einer ganz andern Gattung selbstverständlich anders verteilt: hier kommt der Erzählung, der narratio, inhaltlich und ihrem Umfang nach die zentrale Geltung zu, und die ,argumentatio' in einem Epilog kann nur die Aufgabe haben, den .ideellen' Gehalt der Geschichte in konzentrierter, ,beweisender' Form zusammenzufassen. Die folgende Detailuntersuchung beschränkt sich darauf, zwei Typen vorzustellen. Der erste besteht in der breiteren gedanklichen Entfaltung der Sentenz nach einem vorgegebenen Schema; ihr kommt aber dennoch aufgrund einer in Gegensätzen angelegten Gedanken141

Vgl. ζ. B. Cuitius S. 79 und Lausbeig § 262, S. i48f., § 430 sowie §§ 1122t. IIO

führung beweisende Funktion zu. D i e zweite bildet eine logisch strenger angelegte argumentatio (S. ιιγίΤ.). D i e Rhetorik schreibt zunächst v o r , an den Schluß der narratio eine propositio (wie schon im RICHTER UND TEUFEL; v g l . S. 109) zu stellen, die somit „die Einleitung der argumentatio" bilden kann (Lausberg § 346). Mit einer solchen propositio schließt der Stricker den darstellenden Teil seines Märe v o m KLUGEN KNECHT ab: 303

der kneht was dem meister liep, daz er im zeigte sinen diep so gevuoge äne basiu mcere. ez ware ein michel sware, hate er imz anders geseit.

D i e propositio stellt hier den „ f ü r die argumentatio ausschlaggebenden rechtlichen Inhalt der narratio" fest (vgl. Lausberg § 346): der K n e c h t nämlich habe seinem Herrn den Übeltäter gevuoge äne basiu mmre überführt; diesem richtigen Verhalten ist sodann das falsche als denkbare Möglichkeit gegenübergestellt, die michel sware bedeutet hätte. Schon damit sind die Leitgedanken der folgenden ,Beweisführung' festgelegt. B e z o g sich aber die propositio noch ausdrücklich auf die materia der Geschichte, so hebt die folgende Sentenz mit ihrem infiniten Charakter den Fall ins Allgemeingültige. Mit dem respondierenden vuoge ist auch eine formale Verknüpfung zur propositio hergestellt: 308

Der vriuntliche kändikeit mit rehter vuoge kan began, der bat dar an niht missetän.

(1)

Diese Sentenz stellt die B a s i s für die folgende A b w a n d l u n g und Ausmalung des Gedankens sowie weiterer, mit ihm verwandter oder aus ihm entwickelter Nebengedanken dar. So folgt zunächst eine B e g r ü n d u n g des Basissatzes: 311

kändikeit hat grozen sin.

Die nächste größere Sinneseinheit 312

bilden die Vv.

er erwirbet valschen gewin, der si mit valsche zeiget: der hat sin lop geveiget. der dä vriuntliche wirbet mite, daz ist ein hovelicher site: man mac mit kändikeit began daz vil hoveliche ist getan.

(2) 312-318: (3 a)

(3 b)

III

Diese Partie läßt sich zunächst in die jeweils ersten beiden Zeilen von 3 a und 3 b gliedern. Sie bilden in ihrer Aussage einen inneren Kontrast: (3 a) „er erlangt unehrenhaften Lohn, der (seine List) in unredlicher Absicht zeigt: denn er hat damit sein Ansehen vernichtet." (3 b) „wenn er aber damit (mit der List) in der Art eines Freundes handelt, so ist dies ein vorbildliches (höfisches) Verhalten: denn mit der List vermag man etwas ins Werk zu setzen, das voll und ganz als vorbildlich (höfisch) bezeichnet werden darf." Der erste Teil (3 a) bietet demnach die negative Formulierung des sla Motto vorangestellten Basissatzes (mit valscbe - statt mit rehter vuoge); zugleich aber steht sie damit im Gegensatz zu Teil 3 b, der nämlich den Gedanken der Anfangssentenz 308fr. in nur sprachlich variierter Form wieder aufnimmt, ihm also ähnlich ist. Negative und positive Formulierung sind jedoch in der Satzgestaltung durch Symmetrie aufeinander bezogen (3 a Haupt- und Nebensatz; 3 b Nebenund Hauptsatz) und darüber hinaus durch die disiunctio miteinander verbunden: die Prädikate der beiden ersten Zeilen von 3a und 3b sind synonym (erwirbet - wirbet)·, andere einander syntaktisch entsprechende Satzteile kontrastieren semantisch, so die Adjektiva in den Hauptsätzen (3 a valscben - 3 b hovelicher) und die adverbiellen Bestimmungen in den Nebensätzen (3 a mit valsche - 3 b vriuntltche). Ein zusätzlicher Bezug ergibt sich zur propositio, in der bereits ein erstes Mal richtiges und falsches Verhalten gegenübergestellt war (vgl. auch die Wortwiederholung 304 zeigte - 313 zeiget). Ferner lassen sich die beiden Teilstücke 3 a und 3 b in sich untergliedern: der negativen wie der positiven Formulierung ist jeweils eine Begründung angefügt, die oben im Zitat und in der Übersetzung durch Voranstellung eines Doppelpunktes kenntlich gemacht ist. Mit der folgenden Wendung daz merket bi dem knebte (319) lenkt der Stricker nach den infiniten, weil sentenzartigen Erörterungen noch einmal zum finiten Bereich der Erzählung zurück: 3 20 hate er gesprochen rehte: „der p f a f f e minnet iuwer wip, als tuot si sere sinen lip", daz hate der meister niht verswigen und hate sis zehant gezigen 325 und hate si ouch lihte gestagen. so begunde ouch siz dem p f a f f e n sagen; so schliefen lihte ir sinne, daz der wirt ir zweier minne 112

(4)

330

niemer rehte erväere und ze jungest mlgeswiiere, der kneht hate in betrogen und hate die vrouwen anegelogen durch sinen basen haz, und würde im vient umbe daz.

A b e r : in diesem vierten Abschnitt ist ingleichsam hypothetischer D a r l e g u n g , der sprachlich-syntaktisch die Sätze i m Eventualis entsprechen, das in der n e g a t i v e n Formulierung (3 a) umrissene falsche Verhalten in seinen praktischen A u s w i r k u n g e n am Beispiel des K n e c h tes ausführlicher dargestellt. D i e Argumentation zieht demnach zur Stütze ein außerhalb der eigentlichen causa stehendes E x e m p l u m heran (Induktionsbeweis; v g l . Lausberg § 419^), das mit dem „ G e samtinhalt seiner E i g e n b e d e u t u n g " i m G e g e n s a t z zur causa (der poetischen Erzählung w i e der Basissentenz 3o8ff.) steht: es ist das exemplum contrarium (Lausberg § 420, 3). Eine sachliche und eine auf das Publikum bezogene F u n k t i o n greifen ineinander: einmal hat es ein der Behauptung des Basissatzes (und der positiven Formulierung 3 b) widersprechendes Verhalten als falsch zu erweisen; z u m andern soll es dadurch besonders diejenigen i m Kreise der Hörerschaft - w i e in einem Gerichtsprozeß die V e r treter der Gegenpartei - überzeugen, die an der Wahrheit der Behauptung zweifeln oder gar das Gegenteil für richtig halten mögen. D e r Gegenbeweis erfolgt durch das argumentum ab effectis (de eventu argumentum), 1 4 2 indem W i r k u n g und F o l g e n aus der Handlungsweise des exemplum contrarium aufgewiesen w e r d e n : der Ehemann wäre dem K n e c h t z u m Feind g e w o r d e n (334). D i e eine Verhaltensweise stimmt also mit dem hovelichen site überein, die andere widerspricht ihr: nec ulla confirmatio nisi aut ex consequentibus aut ex repugnantibus sagt Quintilian (Institutio oratoria 5, 8, 5; v g l . Lausberg § 357, 2). E s läßt sich also zwischen dem exemplum contrarium des Märenepilogs u n d der rhetorischen refutatio (innerhalb der argumentatio) eine F u n k tionsanalogie feststellen, die in der Widerlegung gegnerischer A r g u mente (oder Ansichten in der D i c h t u n g ) besteht. M i t den anschließenden Versen 3 3 5 daz was allez hingeleit mit einer gevüegen kiindikeit

(6)

ua V g l . Lausberg § 381 und die dort zitierte Quintilianstelle (5, 10, 80): argumentatio qua colligi solent ex its quae faciunt ea quae efficiuntur, aut contra.

113

ist dann die Beziehung zum exemplum richtigen Verhaltens, wie es das Märe bot, wiederhergestellt. Der Epilog endet mit der logischen Schlußfolgerung 337

des enhazze ich kündikeit niht dä si mit vuoge noch geschiht.

(7)

Diese conclusio kehrt sowohl gedanklich wie in der sprachlichen Formulierung (vgl. 3o8f. kündikeit mit rehter vuoge) zum Basissatz zurück. Die Beziehung zur Rhetorik wird vollends dadurch erwiesen, daß der Stricker mit dieser komplizierten Gedankenentwicklung, deren einzelne Abschnitte auch durch sprachliche Mittel wie besonders der Wortwiederholung nach Art des polyptoton miteinander verbunden sind, einem vorgegebenen rhetorischen Schema folgt, das die Rhet. Her. unter der Figur der expolitio mit einem praktischen Beispiel eingehender beschrieben hat.143 Es handelt sich um die gedankliche expolitio in der Art des: de eadem re dicendo. 144 Sie hat folgende Stufen, die hier mit den entsprechenden Abschnitten des StrickerEpilogs in Beziehung gesetzt werden: 1. rem simpliciter pronuntiare·. einfache, sentenzartige Formulierung des Gedankens (,Basis-Satzes'; Lausberg § 842), der weiter ausgearbeitet werden soll, in den V v . 308-310. 2. rationem subicere: Anschluß einer allgemein gehaltenen Begründung, ohne Erwähnung des mit vuoge (wie des sapiens im Beispiel der Rhet. Her.; s. Lausberg a.a.O.); vgl. V . 311. 3. dupliciter pronuntiare, vel sine rationibus vel cum rationibus·. Diese duplex pronuntiatio formuliert denselben Gedanken einmal negativ (3 a), das andere Mal positiv (3 b): (3i2f. und 315f-)> u n d ganz nach der Vorschrift ist diesen beiden Aussagen jeweils die Begründung hinzugefügt (314 und 3 ιγί.). 4. adferre contrarium·. nach Lausberg die „ausführlichere Darstellung der schon in 3a gegebenen negativen Formulierung"; vgl. 319 bis 334. Die folgende (5.) Stufe eines Vergleichs (simile) fehlt beim Stricker, jedoch ist die nächste des Vgl. Curtius S. 75: „Die Herenniusrhetorik galt im Mittelalter wie in der Renaissance als Autorität." Galfredus führt Poetr. nov. 1325fr. (bei Faral S. 238) das Beispiel einer expolitio an. Sie gehört zum ornatus facilis. IM Vgl. zum Folgenden Rhet. Her. IV, 43, 56 und dazu Lausberg § 83of. und besonders §842. 148

114

6. exemplum mit der Rückkehr zum exemplum der erzählten Geschichte in Form einer kurzen commemoratio mit den V v . 33 jf. realisiert (vgl. Lausberg § 4x5). Die commemoratio als kurze Anspielung genügt hier, da dem Zuhörer die Geschichte bekannt ist. 7. deinde conclusionem. Sie nimmt den Gedanken aus dem Basissatz wieder auf; vgl. 337!. Ulrich Gaier hat die Figur der expolitio in Sebastian Brants,Narrenschiff' nachgewiesen.146 Für die oben geäußerte Vermutung, daß dem exemplum contrarium im argumentierenden Epilog des Märe eine analoge Funktion wie der refutatio in der Rede zukomme, gewinnt eine Formulierung Gaiers über das contrarium der expolitio Bedeutung, dies umso mehr, als Gaier an einen Bezug zur rhetorischen refutatio nicht gedacht hat. Er sagt, „daß im contrarium die Unrichtigkeit der gegnerischen Meinung bewiesen werden soll" (DVjs. a.a.O., S. 542). Eben dies aber ist die Aufgabe auch der refutatio in einer Gerichtsrede. Das rhetorische Schema der expolitio war besonders geeignet, den Zuhörern die Moral der Geschichte einzuschärfen, weil es wie kein anderes die Gedanken in Schritt und Gegenschritt entfaltet und so die zu widerlegende Gegenposition in seine Argumentation einbezieht. So entwickeln sich die Gedanken von der res der Eingangssentenz (1) bis hin zum exemplum simile - statt dessen im K L U G E N K N E C K T bis zum exemplum (6) - in einer kontinuierlichen Folge von Kontrastverhältnissen: richtiges Verhalten

falsches Verhalten

res mit ratio (1-2)

duplex pronuntiatio (3 b)

duplex pronuntiatio (3 a)

exemplum (5 bzw. 6)

contrarium (4)

Sie bestehen also zwischen der res mit der ratio (1-2) und dem 3 aTeil der duplex pronuntiatio, zwischen ihm und dem 3b-Teil, zwischen dieser positiven Formulierung und dem contrarium (4), zwischen contrarium und exemplum (5 bzw. 6). Auf diese Weise sind auf der einen Seite res mit ratio, 3 b der duplex pronuntiatio und exemp145

Zuerst in D V j s . 40, 1966, S. 538-547, dann mehrfach in seinem Buche: Studien zu Sebastian Brants Narrenschiff, Tübingen 1966. Zu Erklärung der expolitio vgl. besonders S. 20ff. und S. 37fr. IX

5

lum durch Ähnlichkeitsbezüge miteinander verbunden - wie auf der andern Seite der 3 a-Teil der duplex pronuntiatio und contrarium. Der Stricker hat die expolitio mit nahezu allen Teilen - es fehlte allein das simile - nur im K L U G E N K N E C H T angewendet. Die gedankliche Auslegung des Basis-Satzes in sein Gegenteil (3 a) und seine variierende Wiederholung (3 b), also die duplex pronuntiatio, kann aber auch fehlen,146 so daß auf die einfache Formulierung der res unmittelbar das contrarium folgt. Der Epilog des JUNGEN RATGEBER hat diese Struktur; als Abschluß der narratio geht eine propositio voraus: 289

Sus wurden si geuneret, die im wolden hän verkeret sin triuwe und sin vrümikeit die wurden unmare unde leit.

propositio

293

Taten noch die herren daz, ir lop erhülle deste baz.

295

swelch herre solche untugent hat, daz er durch der los are rät die biderben verliuset und guot durch valsch verkiuset, der ist got noch rehten liuten guot.

contrarium

er hat ouch niht des kMniges muot, der beide losen unde liegen niht hate wan vür triegen; der truoc den biderben vriundes muot und nam ie vrümikeit vür guot. den basen was er trage unwillic und unwage.

exemplum

300

307

swelch herre noch daz täte, des lop ware iemer state.

res

conclusio

Die einfache Formulierung der res knüpft inhaltlich an die propositio am Ende der Erzählung an, erhebt aber durch die Sentenzform die Verhaltensweise des kMniges der Erzählung in infinit-allgemeingültigen Bereich ( T a t e n noch die herren daz). Das folgende contrarium demonstriert die der res entgegengesetzte Haltung durch Aufweis ihrer negativen Folgen147 als falsch; sie steht außerdem im Widerspruch zu des " " Nach U. Gaier, Studien a.a.O., S. 27, lassen von den Theoretikern ζ. B. Hermogenes, Priscian und Aphthonius diesen Teil aus. 147 Argumentum ab effectis; vgl. oben S. 113. Il6

küttiges muot, der nun in der Art eines argumentum ab exemplo (hier: der Fabel des Märe) nochmals zusammenfassend als Vorbild richtigen Verhaltens dargestellt wird. Die conclusio nimmt den Gedanken des Basis-Satzes wieder auf, indem sie zur Hälfte dieselben verba verwendet, ihnen aber per transmutationem innerhalb des Satzganzen einen andern Platz zuweist; die übrigen verba werden per immutationem durch andere ersetzt (vgl. Lausberg § 462, 3 und 4). Beide Änderungskategorien dienen der elocutio. Man sieht, wie auch diese Kurzform einer expolitio die Funktion erfüllt, die Richtigkeit der in der Sentenz vertretenen Auffassung durch Widerlegung einer zu ihr im Gegensatz stehenden Verhaltensweise eindringlich zu machen, deren negative Wirkung (effectus) aufgewiesen wird; sie dient gleichsam einem pädagogischen Zweck. 148 Zum andern ist wiederum die Analogie zur Funktion der rhetorischen refutatio deutlich, die die Argumente des Gegners zu entkräften hat. Während die expolitio ein Schema bietet, nach dem ein Gedanke in mehreren Stufen antithetisch entfaltet werden kann, stellt die fünfteilige Form der ratiocinatio oder der argumentatio, wie sie der Auetor ad Herrennium nennt, einen rhetorischen Beweisgang dar. Der Stricker hat für den Epilog des E D E L M A N N U N D P F E R D E H Ä N D L E R offenbar das in der Rhet. Her. II. 18, 28 gebotene Modell zugrundegelegt. 149 Der Auetor ad Herennium teilt die argumentatio in 5 partes mit entsprechenden Funktionen; ihnen seien im Folgenden sogleich die verschiedenen Partien aus dem Stricker-Epilog zugeordnet: A m Anfang des Epilogs steht als Überleitung zur argumentatio ein Erfahrungssatz, der den im Märe behandelten Fall ins Allgemeingültige erhebt: 341 Als der herre was gemuot, als mrbet noch unde tuot ein übelungetriuwe man™ dem nieman liep werden kan. «β Vgl. Quintilian 5, 10, 83 (bei Lausberg § 381): haec ad hortativum maxime genus pertinent. Wie U. Gaier, Studien a.a.O., S. 45-49 in einem Vergleich zeigt, weicht es in der Stufenfolge der logischen Schritte von der entsprechenden ratiocinatio Ciceros ab (De inventione I. 34, 57ff.). Eine knappe Zusammenfassung des Argumentationsschemas der Rhet. Her. findet sich bei Lausberg § 1244, S. 794 unter dem Stichwort .ratiocinatio'. 150

Ein hat hier verallgemeinernden Sinn: ,ein jeder'. JI

7

Dann folgt die propositio: 1) propositio est per quam 345 srver dem dient, der ist verlorn. ostendimus summatim quid sit quod probari volumus. (Zusammenfassende Formulierung des zu Beweisenden.) 2) Ratio est quae causam demonstrat 346 er hebet im iemer einen zorn, verum esse id quod intendimus, swenne er dem manne Ionen sol. brevi subiectione (kurze, nachgeschaltete Begründung der Wahrheit des in der propositio gegebenen Satzes), 3) Rationis confirmatio est ea quae pluribus argumentis corroborat breviter expositam rationem (die kurze Begründung wird durch mehrere Argumente gestützt).

Diese Argumente lauten: 348 a) man diene im iibel ode wol, daz ist zejungest allez enwibt; b) ern ahtet üf den vriunt niht, des er iht sol engelden; c) den vindet er als seiden, swie vil im liute wirt bekant, als der rostüschare ein ros vant, daz der herre ungescholden lieze.

Das letzte Argument, der ungetriuwe man (343) finde keinen Freund, wird gestärkt durch das exemplum simile vom Pferdehändler, das aus dem Märe genommen ist. Um dieses zunächst außerhalb der causa des Argumentes stehende exemplum mit ihr in Beziehung zu bringen, ist die inductio erforderlich (als der rostusch cere...) 4) Exornatio est qua utimur rei 356 honestandae et conlocupletandae 357 causa, confirmata argumentatione (Diese Ausschmückung, die der reicheren Ausgestaltung der res dient, erfolgt also, nachdem die Beweisführung schon gefestigt ist).151 362 Sie kann erfolgen als sententiarum exornatio . . . quae non in verbis, sed in ipsis rebus (Ge151

er hare, so ez in bedrieze: der dem argen milde rate, er volget sin als späte, sam der herre sinen vriunden tete: si verlurn ir rät und ir bete; daz was iemer ir rimve. swer üf ere gernde triuwe von dem herzen und von dem geiste und von der tugende volleiste niht ist genatäret,

Die exornatio ist - wie die complexio, die ja den Gedanken der propositio wiederaufnimmt - ein amplifizierendes Mittel und kann daher bei einer res tenuis aut humilis ausgelassen werden (II, 19, 30). - Der bei einer amplificatio gegebenen Gefahr des taedium scheint die diesen Teil einleitende Zeile 356 vorbeugen zu wollen. Il8

danken) quandam habet dignitatem (IV. 12, 18).

dem bittert unde süret beide ir rät und ir lere, die im da rätent ere. 3 6 9 ir dienen und ir raten daz ist niht wan ein täten.

Die exornatio ist somit als schmückende Figur für den Argumentationsgang nicht unbedingt erforderlich. Das zeigt das obige Beispiel. Seine erste Sentenz ( 3 5 7 - 3 6 1 ) bildet nämlich nur die propositio in variierter Form weiter. War dort der einem (übel ungetriuwen man) Dienende als verlorn bezeichnet, so ist es hier der dem argen milde rate·, wie ζ. B. die Verwandten, die verlurn ir rat und ir bete. Auch die zweite Sentenz schöpft aus Gedanken, die schon in dem der propositio vorausgehenden Satz und ihrer für den Beweisgang notwendigen Begründung anklangen, ungetriuwe (343) wird in 362fr. swer üf... triuwe... niht ist genatüret abgewandelt aufgenommen; der ,Anlagefaktor' eines solchen Menschen bewirkt, daß ihm bittert unde süret ir rät und ir lere - so wie er in der ratio ( 2 ) dem Dienenden iemer einen zorn entgegenbrachte. Wie schließlich in der propositio das verlorn, in der ersten Sentenz der exornatio das verlurn — dort auf das dient, hier auf den rät bezogen - erweisen die zusammenfassenden Vv. 3 6 9 t . beide Bestrebungen noch einmal als nutzlos: ir dienen und ir räten daz ist niht wan ein täten. 5 ) Complexio est quae concludit breviter, colligens partes argumentationis (die Zusammenfassung bringt einen kurzen Abschluß, indem sie Teile der Argumentation sammelt).

3 7 1 swer diene oder räte der merke daz vil dräte, ob man ez von im gerouche, e er sin ze vil versuoche. 3 7 5 swer dienet ode rätet vil d6 man ez vär guot niht haben wil, den hät man vür einen gouch. dar näch lonet man im ouch.

An der complexio ist dreierlei bemerkenswert: 1. Die Wiederaufnahme sinnstarker Begriffe aus den Argumentationsteilen: 371 swer diene oder räte knüpft nicht nur an den Schluß der exornatio 3 6 9 , sondern auch an die propositio ( 3 4 5 dient) und die rationis confirmatio ( 3 4 8 ) sowie mit räte ferner an die exornatio an (V. 357, 3 6 0 , 3 6 7 ^ ) . Der Begriff lonet (Schlußzeile) stammt aus der ratio ( 3 4 7 ) . 1x9

2. Das colligens partes argumentations kann trotz der Forderung der Kürze (concludit breviter) naturgemäß nicht in einem einfachen kurzen Satze erfolgen. So hält die Rhet. Her. (IV, 19,27 continuatio; vgl. Lausberg § 945) wie für die Sentenz so auch für die conclusio (complexio) den Gebrauch der Periode für erforderlich. Entsprechend vereinigt die complexio des Stricker mehrere Gedanken in einem Satz (vgl. die Definition der Periode bei Lausberg § 923). 3. Die anaphorische Wiederholung der Eingangskola (371) in V. 375 läßt erkennen, daß die Gesamt-complexio aus zwei Teilen besteht: es ist die sententia duplex (Rhet. Her. IV, 17, 24). Ihr Wesen liegt in dem inhaltlichen Gegensatz beider Teile. Isidor (Origines 2, 21, 26) definiert sie genauer: sententiae amphidoxae, quarum pars honesta est, pars inhonesta,162 Diese Sentenzart kommt dem didaktischen Anliegen des Stricker sehr entgegen: nachdem er im Märe ein negatives Exempel erzählt und auch in der argumentatio stets die Sinnlosigkeit des Unterfangens, einem übel ungetriuwen man zu dienen oder zu raten, erwiesen hatte, bietet ihm die sententia amphidoxa mit ihrer kontrastierenden Struktur Gelegenheit, im ersten Glied als logische Schlußfolgerung aus dem falschen Verhalten mahnend die richtige Handlungsweise aufzuzeigen (Er sagt: bevor jemand allzu bereitwillig einem andern dient oder einen Rat erteilt, möge er vorher in Erfahrung bringen, ob jener überhaupt daran interessiert ist). Im zweiten Glied der Sentenz ist dann - analog der argumentatio - noch einmal die falsche Verhaltensweise im Hinblick auf ihre Wirkung (effectus, eventus) formuliert (Wer dient oder zu viel Ratschläge erteilt, wo man es nicht gut aufnehmen will, den hält man für einen Toren, und dementsprechend lohnt man ihm, d. h. - überhaupt nicht).183 Damit ist der Argumentationsgang zum Anfang, der propositio, zurückgekehrt und hat seinen Abschluß gefunden (complexio concludit). Wie schon S. χ 18, Anm. 151 erwähnt, kann die exornatio bei dem 182 158

Zitat nach Lausberg § 1244, S. 805. Die Gegenüberstellung richtigen und falschen Verhaltens ist im moralisch-exemplarischen Märe beliebt. Entweder erfolgt sie in der Form der sententia duplex wie noch in der conclusio der DREI WÜNSCHE 225-228 oder durch Hinzufügung des contrarium

wie

in

KLUGER

KNECHT

(S. O.),

JUNGER

RATGEBER

295-299;

NACKTER

R I T T E R 9 3 - 9 6 ; B L I N D E R H A U S F R E U N D 3 8 7 - 3 9 6 ; H E R R MIT D E N V I E R F R A U E N

552-55

und - innerhalb eines exemplum simile vom Freund - 563-567. Im Epilog der HALBEN BIRNE sind am Exempel der Königin falsches und am Beispiel Ritter Arnolds (offenbar so verstandenes) richtiges Verhalten kontrastiert.

120

Beweisgang ausgespart werden. So erklärt sich der Epilog der MARTINSNACHT, der mit einer Mahnung einsetzt: 199

Da mane ich mine vriunde bi:

propositio:

200 swie guot des diebes rede si und sin geheize dar zuo, daz man im doch sin reht tuo und in vür einen diep habe.

ratio:

204 er muoz die liute rihten abe mit sinen witzen, swä er mac.

rationis confirmatio:

complexio:

206 er werte niht einen halben tac, jahe er selbe, er ware ein diep. des ist im not und liep, swä mit er sich gevristen kan. 210

man sol in vür einen getriuwen man durch siniu wort niht hän, ern läze diu were dar nach gän.

213

ern triuget nie man so vil so den, der im getrüwen wil.

Die complexio nimmt einmal den Grundgedanken der propositio in neuer Formulierung auf.164 Zum andern begründet der zweite Teil 213L das eben beschriebene Verhalten durch Hinweis auf seine nützlichen Folgen und geht insofern über die Schlußfolgerung noch einen Schritt hinaus (was Cicero, De inventione 1, 40, 73 für die complexio zuläßt155). Wie bei dem Vergleich der Funktionen von Märenepilog und rhetorischer narratio hat auch die Untersuchung einer Auswahl kunstvoll gebauter Epiloge auf die Verwendung eines mehrgliedrigen Argumentationsschemas oder der für einen Beweis ebenfalls geeigneten Gedankenentfaltung nach Art der expolitio gezeigt, daß sich zur Interpretation der Bauglieder des Märe die Heranziehung der Rhetorik als nützlich erweist. Wenn im Eingang zu diesem Kapitel (S. 57) darauf hingewiesen wurde, daß man in der mittelalterlichen Kunsttheorie vergeblich nach Hinweisen für eine Aufbautechnik im Sinne unserer Komposition sucht, so dürfte anderseits deutlich geworden sein, daß entscheidende Anregungen für eine kompositorische' An164

166

Statt vür einen diep habe 203 - vür einen getriuwen man ... niht hän 210; statt des diebes rede ... und sin geheize 2oof. - durch siniu wort 211. Vgl. auch U. Gaier, Studien a.a.O., S. 47.

121

Ordnung der Bauteile und ihre Ausgestaltung aus der alten Rhetorik stammen. Curtius geht sogar soweit, zu sagen: „Was wir an Kompositionselementen in der spätantiken und mittelalterlichen Dichtung wahrnehmen, ist nun großenteils der traditionellen Aufeinanderfolge der fünf Redeteile entnommen" (S. 80). Man wird dem, nach der Untersuchung der Märengattung, bedingt zustimmen können. Bedingt insofern, als sich für den Inhalt der rhetorischen peroratio, des Schlußteils der Rede, keine eigentliche Entsprechung findet. Das ist verständlich, wenn man berücksichtigt, daß sich die andersartigen Funktionen der rhetorischen peroratio, die vor allem in der recapitulatio und in der Erregung von Affekten bestand, auf die Märendichtung schlecht übertragen ließen.184 Wenn sich auch die meisten Märendichter mit einem einfachen Schluß in der Art, wie ihn die mittelalterlichen Poetiken empfehlen und wie sie zu Anfang des Epilogabschnitts beschrieben wurden, begnügen, so hat sich doch vor allem der Stricker167 von Gesichtspunkten der rhetorischen argumentatio leiten lassen. Sie war denn auch viel besser als eine peroratio geeignet, die Eindringlichkeit der exemplarischen Lehre zu erhöhen und ihre Überzeugungskraft insbesondere dadurch zu verstärken, daß der Erzähler mit der doppelten Sentenz oder dem exemplum contrarium die Gegenposition mit einbezog und als falsch erwies. Es ist von daher gewiß kein Zufall, wenn sich solche Beweisgänge fast nur in Epilogen des moralisch-exemplarischen Märe und dem ihm gerade in diesem Teil besonders nahestehenden moralisierten Schwank finden.

Schlußbetrachtung zu den Kapiteln über Stil und Komposition a) Das Verhältnis zu Poetik und Rhetorik Die Untersuchung einiger wichtiger Stilerscheinungen und einer bestimmten Kompositionsweise dürfte gezeigt haben, wie eine größere 156

"7

Die recapitulatio, die vor allem der Gedächtnisauffrischung diente (Lausberg § 434), wäre in kurzen Mären mit einem Ereignis geradezu sinnlos. Eine Wirkung auf Affekte ist im Märenepilog nicht grundsätzlich ausgeschlossen (der expolitio sprach man diese Wirkung zu); die sonst darauf zugeschnittenen Stilmittel wie indignatio und conquestio sind aber nicht verwendet. Weitere, ebenfalls kunstvoll angelegte Epiloge wie die des B U N D E N H A U S F R E U N D , des H E R R N M I T D E N V I E R F R A U E N und der D R E I W Ü N S C H E können hier aus Raummangel nicht mehr untersucht werden. 122

Zahl von Mären etwa in der ersten Hälfte einer rund dreihundert Jahre währenden Geschichte der Gattung sich durch Qualitäten auszeichnet, die über dem Niveau einer ,volkstümlichen' Erzählweise liegen, literarische Qualitäten, die sich jedenfalls bei den anspruchsvolleren Vertretern der Gattung nicht ohne die Tradition jener in der Theorie dargelegten Empfehlungen befriedigend erklären lassen. Dies gilt vor allem für Stilformen, deren Verwendung beim Autor mehr voraussetzt als die bloße Übernahme eines knappen Topos: die detaillierteren Personenbeschreibungen, der kunstvolle Umgang mit Sentenzen zumal mit differenzierterem Aussagegehalt in den verschiedenen Märentypen, die anspruchsvollere stilistische Formung der Wortwiederholung, aber auch die Anlage des Prologs und mancher Epiloge sowie wahrscheinlich die ausgebildete Technik der Exposition. Wenn die angeführten Stilformen sich meist unter denen wiederfinden, die dem ornatus facilis angehören, so kann dies angesichts der res leves, die eine vorwiegend auf Unterhaltung eingestellte Gattung darstellt, nicht überraschen. Aber selbst wo ζ. B. Prologe und descriptiones fehlen oder nur spärlich vertreten sind wie in der vor allem durch den Stricker repräsentierten Gruppe der moralischexemplarischen Mären oder bei verschiedenen knapp erzählten,reinen' Schwänken, braucht die schlichte Darstellung nicht künstelos zu sein, wenn sie sonst klar, in der Anlage übersichtlich und dem Ideal der Kürze gemäß konzentriert gehalten ist. Nicht nur die Belehrungstendenz kann diese Beschränkungen auferlegen (vgl. S. 28, Anm. 103), sondern die Poetik, die nur selten auf die iocosa materia zu sprechen kommt, fordert sie gerade für den komischen Stoff;1 insbesondere soll auch die sprachliche Diktion einfach wie in einem in der Umgangssprache geführten Gespräch sein.2 Der Stricker, der in seinen Mären beispielsweise die Personenbeschreibung meidet, verwendet sie in seinem Artusroman ,Daniel von dem Blühenden Tal' bei der Einführung des Königs Artus im Anschluß an den Prolog (der ja ebenfalls in seinen Mären fehlt). Hinzu kommt, daß der vorwiegend nie1

2

V g l . Galfredus, Poetr. nov. V . 1885 (bei Faral S. 255): Res comica namque recusat Arte laboratos sermoms: sola requirit Plana und V . 1916: Si levis est animus, et res levis, et leve verbum. Galfredus, Poetr. nov. V . 1885fr.: Attamen est quandoque color vitare colores, Exceptis quos sermo capit vulgaris et usus offert communis. V g l . ferner Galfredus Doc. II, 5, 164: Simateriam ergo jocosam habemus prae manibus, per totum corpus materiae verbis utamur levibus et communibus et ad ipsas res et personas pertinentibus de quibus loquimur. Τ alia namque poscit talis materia, qualia sunt inter colloquentes et non alia nec magis difficilia.

123

dere Rang der Personen in diesem Märentyp die Anwendung einer preisenden Personenbeschreibung ohnehin ausschließt, da diese Stilform ständisch gebunden ist. Wie sich gerade der Stricker in der Theorie auskennt, haben seine Epiloge erkennen lassen. Es soll indes nicht geleugnet werden, daß dennoch eine größere Zahl von Mären frei von ,poetischen' Ansprüchen bleibt (besonders gilt dies für die späteren des 14. und 15. Jahrhunderts). Es fragt sich daher, wie man sich das Verhältnis der Märendichter zu Rhetorik und Kunsttheorie vorzustellen hat. Bei vielen braucht man nicht so weit zu gehen, ein regelrechtes ,Studium' der Rhetorik anzunehmen: einen derart vollendeten und raffinierten Umgang mit diffizilen rhetorischen Kunstmitteln, wie ihn Gottfried 3 oder Rudolf von Ems beherrschen, lassen die meisten Märendichter vermissen. Aber es ist doch unverkennbar, daß die bedeutenderen von ihnen mit verschiedenen Grundbegriffen der Theorie vertraut sind, wie sie ein gewöhnlicher Schulbesuch dem Laien mit der Lehre der artes vermittelte.4 Dies darf man wohl bei all den Autoren voraussetzen, die überhaupt mit irgendeiner Quelle geistlicher oder weltlicher Bildung in Berührung gekommen sind. Von da aus dürfte sich dann durch die wiederkehrende Anwendung bestimmter Topoi (wie der des Prologs ζ. B.) und technischer Kunstgriffe leicht ein Gattungsstil herausgebildet haben, der in seiner einfachen Art auch von solchen Verfassern, wennschon lückenhaft, übernommen werden konnte, die selbst keinerlei Bildung genossen hatten. Schließlich vermochte auch einige Kenntnis der zeitgenössischen oder klassischen Literatur diese Fähigkeit zu vermitteln. Überhaupt sind die Vorschriften der Poetik geeignet, den typisierenden Gattungsstil zu fördern, und zwar bei Durchschnittspoeten weit eher als bei den klassischen Dichtern, die die poetische Anregung ungleich individueller zu nutzen und zu verarbeiten verstanden. Man wird sich demnach zweierlei Gruppen von Dichtern vorzustellen haben: Berufspoeten oder solche Laiendichter, bei denen man einige Kenntnisse der ' Rainer Gruenter bezweifelt dies (sichet unnötig) sogar für Gottfried von Straßburg, der gewiß wie kein zweiter Klassiker seine Dichtung durchverwet d. h. colores verwendet und (was er von Hartmann sagt) mit rede (rhetorical) figieret der aventiure meine! (V. 462 5 ff.). „ E s genügt, daß er die Dichtungen kannte, deren Verfasser nach den Modellen der rhetorischen Lehrbücher arbeiteten oder der rhetorischen Tradition eng verhaftet waren" (Euph. 55, S. 595). 4 Uber die Rolle der Rhetoriken im mittelalterlichen Schulbetrieb vgl. auch Κ . H. Borck, Juristisches und Rhetorisches im ,ackerman', in: Zs. f. Ostforschung 12, 1963 Heft 3, S. 4o6f. 124

Theorie als wahrscheinlich voraussetzen darf (anspruchslose Verseschmiede aus den Kreisen des niederen vulgus - von dem sich die Berufsdichter immer wieder energisch distanzieren - gehören nicht hierher). Ihnen wird man nach ihrer Bildung gewiß auch einige der Berufsschreiber zuordnen dürfen, die sich als Laien in der Märengattung betätigten. Die zweite Gruppe umfaßt diejenigen Laiendichter, die sich ohne jede theoretische Schulung, mitunter nur einmalig, als Märendichter versuchten und gewisse Formeln und Kunstgriffe den eigentlichen Zunftgenossen leicht abschauen konnten. E s bleibt, vor allem in der Spätzeit, eine größere Zahl künsteloser Laiendichter volkstümlicher Prägung. Hanns Fischer hat in einer Dichterrevue (S. i 2 o - i 6 i ) 4 a alle namentlich bekannten Märendichter wie alles, w a s über sie bekannt ist, zusammengefaßt. 5 Seine Feststellung, daß unter den Märendichtern der drei Jahrhunderte nicht viele Berufsdichter zu finden seien, würde sogleich anders ausfallen, wenn man die Zeit des 13. und die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts für sich nähme6*: viele der aus dieser Zeit bekannten Märenautoren waren entweder nachweislich Berufsdichter, oder es lassen sich zumindest einzelne Anhaltspunkte gewinnen, die auf diesen Stand hindeuten. Daß nach Fischer insgesamt so viele Laiendichter 6b an der Gattung beteiligt waren, ist auf ihren überwiegen-

*a Buchfassung S. 1 5 8 - 2 1 9 . Eine neuerliche Darstellung erübrigt sich daher. Vgl. für das Folgende die Nachweise bei Fischer und die Artikel im V L . 5a Nach Fischers jetzt modifizierter Formulierung darf (für die Gesamtheit der Märendichtung) „der Anteil der Berufsdichter zwar sicher nicht als unbedeutend gelten" (Buchfassung S. 218). - Mit der Feststellung (ebd. S. 244), daß das „Märenpublikum zunächst wohl ausschließlich derNobilität... angehört, . . . später . . . sich der Kreis . . . auf das arrivierte Bürgertum ausgedehnt habe" und daß „seit dem späteren 14. Jahrhundert . . . dann auch mittelständische städtische Literaturliebhaber . . . zum Teil aus . . . der Handwerkerschicht . . . in steigendem Maße Interesse an dieser Gattung . . . gewinnen", scheint auch Fischer einen gewissen Wendepunkt in der Geschichte der Gattung bedingt anzuerkennen. Auch nach de Boor (III, 1 S. 222) „versiegt . . . seit der Mitte des 14. Jahrhunderts das dichterische Gestaltungsvermögen." Diese Entwicklung vollzieht sich in breiterer Strömung seit in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Entstehung und Entfaltung des Märe dürfen insofern, wie Fischer richtig betont, nicht mit einem soziologischen Wandel gegenüber der höfischen Zeit (also dem Aufkommen des Bürgertums) in Verbindung gebracht werden (ebd. S. 245). Die Entwicklung etwa seit der Mitte des 14. Jahrhunderts aber kann wohl nicht isoliert von dem zunehmenden Anteil des mittelständischen Bürgertums gesehen werden. sb Es waren auch dann in der Mehrzahl wohl „gebildete Dilettanten" (Fischer, Buchfassung S. 219) - neben mancherlei künstelosm Versemachern, die im Ganzen mehr in der zweiten Phase der Geschichte des Märe in Erscheinung treten. 8

125

den Anteil in der zweiten Entwicklungsphase der Gattung zurückzuführen, in der sie den Händen geschulter Dichter zunehmend entgleitet und von Laien aus den Kreisen städtischer, kleinbürgerlicher Handwerker übernommen wird (Rosenplüt, Folz, Raminger usw.). Zu den Berufsdichtern oder - wegen nur knapper, nicht voll beweisender Anhaltspunkte - mutmaßlichen Berufsdichtern aus jenem ersten Abschnitt wären zu zählen: der Stricker, Konrad von Würzburg, Sibote, Wernher der Gartenasre und - wegen ihrer erwiesenen rhetorischen Fähigkeiten - wahrscheinlich auch die Verfasser des P E T E R V O N S T A U F E N B E R G ® und des S C H Ü L E R V O N P A R I S (M); ferner jene, deren Fahrendenpseudonym auf diesen Stand hindeutet: der Freudenleere, der arme Konrad, Nieman; unter diesen dreien dürfte zumindest Nieman7 den Stand der fahrenden Scholaren repräsentieren, die an der Gattung als Autoren maßgeblich beteiligt sind.8 Zu ihnen gehört vielleicht auch Rüdiger von Munre mit seinem I R R E G A N G U N D G I R R E GAR (vgl. auch die Lohnheische V. i2f.). Überhaupt läßt die durchweg sympathische Zeichnung des schuoleere oder auch des schribare eine Autorenschaft in diesen Kreisen vermuten (vgl. F R A U E N L I S T , Johannes von Freiberg, der im R Ä D L E I N V V . 2-4 vermutlich auf frühere literarische Produktion anspielt; vgl. S. 65, Anm. 30).® Man wird kaum fehlgehen, auch bei den Autoren, die als Berufsschreiber bezeugt sind oder bei denen sich Zugehörigkeit zu diesem Stand vermuten läßt (Hermann Fressant, Ruprecht von Würzburg, Rüdiger von Hinkhofen), in gewissem Umfang eine schulische oder literarische Bildung vorauszusetzen. Dies gilt auch für Dietrich von Glezze, mag er nach Fischers Vermutung (S. 15 if.) belehnter Hofbeamter oder ' Es sei nochmals darauf hingewiesen, daß die im Kreise der Märendichter ganz besonders ausgeprägte rhetorische Schulung dieses Verfassers (vgl. S. 61 Anm. 13) auf einen Berufsdichter weist und die Autorenschaft hern Egenolfs (von Staufenberg) auch von daher ungewiß bleibt. Nach dem V L I Sp. 508 „gilt seit E . Schröders Ausgabe Egenolfs Verfasserschaft als gesichert"; Schröder hat aber in der 4. Aufl. (1929) S. Xlf. erwogen, ob Egenolf „(was der Wortlaut immerhin zuläßt) einen Berufsdichter beauftragt, der ungenannt blieb?". Auch Fischer (S. I44f.) schließt diese Möglichkeit nicht aus. Vgl. aber Buchfassung S. 1 8 4 ! 7 Vgl. die Erklärung dieses Pseudonyms S. 328. 8 Unter den anonymen Autoren wäre hier besonders auch der Verfasser des WEINSCHWELG zu nennen; vgl. seine Anspielungen auf mehrere Universitäten und auf antike Literatur (s. V L I V Sp. 89of.). Das Gedicht ist zwar kein Schwank im eigentlichen Sinne, da es eine Handlungsabfolge vermissen läßt, gehört aber doch in das gleiche geistige Klima wie die schwankhaften Mären. " Fischer S. 154L [Buchfassung S. 182.] Mit dem Anteil von .Studenten' an der Verfasserschaft der Mären beschäftigt sich das V . Kapitel.

126

nach Meinung anderer Forscher Fahrender gewesen sein.9a Auch Schondoch war „wahrscheinlich ein Fahrender" ( V L I V Sp. 9 5). Zu den literarisch Gebildeten gehört natürlich auch Herrand von Wildonie, jener adlige Laie, der sich nicht nur in der Märengattung erfolgreich versucht, sondern auch durch seine Verbindung zu Ulrich von Lichtenstein literarischen Kreisen nahegestanden hat. Zu den Dichterlaien mit ,märentechnischen' Kenntnissen würde ich auch Heinrich Rafolt, den Autor des NussBERG-Fragments zählen.10 Es bleiben in dieser Zeit gegenüber der großen Zahl von Dichtern nur verschwindend wenige namentlich bekannte, über deren Zuordnung sich nichts vermuten läßt (etwa der Vriolsheimer, der Zwingäuer, von den in Hinblick auf die Autorenschaft ganz zweifelhaften Fällen wie Jakob Appet abgesehen). Daß sich neben den befähigten Dichtern auch anspruchslose und unfähige Versemacher an der Gattung beteiligten, soll - das sei nochmals betont - keineswegs geleugnet werden. Ein Beispiel davon lieferte D I E HALBE D E C K E IV (S. 5 3ff.). Der vorwiegend literarische Charakter der Gattung in dem untersuchten Zeitraum wird aber davon nicht berührt. b) Die Λujgliederung der Märentypen Als zweites Ergebnis der beiden ersten Kapitel sei festgehalten, daß sich einige Ansätze zur Aufgliederung der Erzählungen in verschiedenen Märentypen ergeben haben. Da sich diese Ansätze immer nur verstreut als Teilaspekt in den einzelnen Abschnitten behandeln ließen, seien sie hier kurz zusammengefaßt. Es liegt im Wesen der Gattung, daß sich infolge des lebendigen Austausche der Typen untereinander11 hier keineswegs scharf voneinander trennbare Gruppen herausschälen, wohl aber deutliche Tendenzen zur Gruppenbildung erkennen lassen. Es lassen sich vier Märentypen unterscheiden: I. II. III. IV. ,a 10

11

Das Der Der Das

höfisch-galante bzw. höfisch-ernste Märe, reine Schwank, moralisierte Schwank, moralisch-exemplarische Märe.

Vgl. Fischers Buchfassung S. 192. Dafür sprechen die zweiteilige Anlage des Prologs und die Anspielung auf eine Wolframstelle darin (vgl. dazu S. 244), die Personeneinführung in der Reihenfolge ihres Standes und die Minne-Ehe-Problematik. Zu derartigen Vermischungstendenzen unter den Märentypen vgl. auch Fischer S. 86ff. [Buchfassung S. ii2ff.]

127

Ihre Gemeinsamkeit zeigt sich schon darin, daß fast alle behandelten Stilformen in den vier Gruppen vorkommen. Die Unterschiede ergeben sich einmal aus dem Aussagegehalt und der verschiedenen Gewichtverteilung auf den Funktionen des prodesse und delectare, zum anderen aus der Tendenz zu verschiedenen Formtypen. Die erste Gruppe (I) verwendet gern descriptiones, für männliche Standespersonen in der Form der laus, für höfische Damen in der Form der Schönheitsbeschreibungen, die besonders die physische Schönheit detaillierter ausmalen, innere Qualitäten aber auch miterwähnen. Vor allem jene erbaulichen, zur exemplarischen Gruppe hinüberneigenden ernsten Mären bewahren dabei noch etwas von der Komplexität des alten klassischen Ideals, aber innere Werte sind mehr durch rechte Verhaltensweisen ersetzt. Beziehungen zum klassischen ,Erziehungsideal£ lassen auch die Sentenzen erkennen. Meist freilich beschränken sie sich nur auf einen Ausschnitt aus dem komplexen Bereich höfischer Ethik. Der Sinn der Sentenzen ist ernst gemeint; es kommt ihnen wie in den anderen Gruppen exemplarische Bedeutsamkeit zu: aber sie sollen im höfischen Sinne erzieherisch, nicht im engen Sinne moralisch ,bessernd' wirken. Die Vorausdeutung begegnet als eine der ernsten Gattung zugehörige Stilform vor allem in den sentimentalen Liebesgeschichten und stimmt hier in die ,tragische' Situation ein. Diesen Geltungsbereich teilt sie mit der Objektivierung von Handlungs- und Willensimpulsen, die zumal in den tragischen Mären den Geschehensvollzug als etwas von außen auf die Handlungsträger Zukommendes erscheinen lassen, das sich dem eigenen Willen entzieht. Die Wiederholung ist meist dem didaktischen Anliegen untergeordnet; sie dient speziell der schlagwortartigen Themaankündigung und Abschnittsverknüpfung und sucht bestimmte Leitbegriffe dem Hörer eindringlich zu machen. Der äußeren Form nach stellt die erste Gruppe infolge ihrer Nähe zum Roman die verhältnismäßig umfänglichste, episch reichste dar.12 In ihr ist das Stilideal der Kürze am freiesten aufgefaßt; daher liebt sie detailliertere Beschreibungen und schickt oft auch einen Prolog voraus; in der Komposition mancher Stücke ist die gültige Drei12

Z u der Untergliederung vgl. die Übersicht auf S. 1 5 3 . Die in den folgenden A n m e r kungen genannten Beispiele sollen die Gliederung veranschaulichen, erheben aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Z u I a vgl. MORIZ VON CRAÜN, HERZMÄRE, PETER VON STAUFENBERG, FRAUENTREUE, HERO UND LEANDER, PYRAMUS UND THISBE, SCHÜLER VON PARIS.

128

teilung durch Einfügung von Episoden aufgelockert. Aber auch diese Gruppe kennt Geschichten, die episch sparsamer ausgeführt und konsequenter auf Konzentration in der Darstellung angelegt sind. Der in den Typen weniger differenzierte Epilog läßt auch hier die Neigung zum Exemplarischen erkennen; er spricht wohl einen Rat, auch eine Mahnung, aber keine Warnung aus. Eine Öffnung zum moralisch-exemplarischen Märentyp weisen die ernsten erbaulichen Erzählungen auf (Ic);13 Ansätze zum schwankhaften Märe zeigen die heiteren Mären mit der Aventiure-Minne-Thematik (Ib). u Auch der ,reine' Schwank (II) verwendet gern descriptiones; die laus unterscheidet sich von der in Typ I nicht, bei der Beschreibung der Frau jedoch beschränkt sich der Schwank im allgemeinen auf die Darstellung ihrer äußeren Schönheit und körperlichen Reize. Als Indiz für den soziologischen Geltungsraum des Schwanks in dieser Zeit sei festgehalten, daß laus und meist auch Schönheitsbeschreibung nur für Personen von adligem Stand angewendet werden. Die Sentenzen, die sich ihrer Aussage nach nur auf die heitere Seite erotischer Verwicklungen (etwa die Dreieckssituation) beziehen, sind im Unterschied zu denen in den anderen Märentypen niemals ernst gemeint, sondern stehen im Dienste der Komik. Sie wollen weder erzieherisch wirken noch moralisch bessern; wo sie sich diesen Anschein geben, haben sie ironischen, teils wohl schon parodischen Sinn (etwa in BERCHTA).16 Die Sentenz ist also auf die rein unterhaltende Funktion (delectare) dieses Typs abgestimmt, wie denn die eigentliche Intention dieses Märentyps in der Erzeugung von Gelächter (contes ä rire1β) besteht. Schwanke sind stofflich meist Überüstungsvorgänge, die des Uberraschungseffekts bedürfen; daher fehlt die Vorausdeutung. Die Objektivierung von Handlungs- und Willensimpulsen kommt zwar vor, ist aber ganz ins Komische gewendet. Die Wiederholung dient nicht der Belehrung oder Warnung, sondern der Steigerung des komischen Effekts. Der Epilog gibt oft einen ironischen Rat (dies die mildeste Form der Exemplarität!) oder spricht eine meist nicht ernst gemeinte Warnung aus. 18

Vgl. dazu

H E I N R I C H VON KEMPTEN, RITTERTREUE,

Herrands

TREUE G A T T I N

und

N A C K T E R K A I S E R , K Ö N I G I N VON F R A N K R E I C H , BUSANT. 11

J U N G H E R R UND DER TREUE H E I N R I C H , BORTE, H E I D I N .

15

So in BERCHTA MIT DER L A N G E N N A S E Welhiu vrou des siten pflege, daz si p f a f f e n zuo ir lege, Daz si denn' ez kinden verhel·, si sint mit rede gerne snel... (6~]R.). Nach der bekannten Definition J. Bediers S. 6.

16

129

In der äußeren Form erkennt man zwei Haupttypen. Der eine (IIa)17 unterscheidet sich nicht wesentlich von Gruppe I: er hat descriptiones und Prologe, ist episch reicher ausgeführt. Der andere (IIb)18 hält sich strenger an das Ideal der Kürze und steht den knappen moralisch-exemplarischen Schwankexempla der vierten Gruppe sehr nahe (in denen aber das moralische Anliegen ernster zu nehmen ist); er mag in einzelnen Fällen eine Parodie dieses Typs darstellen ( B E R C H T A ) . Dieser Einfluß aber beschränkt sich auf die Form; ernste .moralisierende' Sentenzen sind auch dem knappen reinen Schwank fremd; die hier häufiger anzutreffenden Belehrungen am Schluß haben selbst komischen Charakter. Die moralisierten Schwänke (III) zeigen am ausgeprägtesten das Kennzeichen der Typenmischung, das in begrenztem Maße allen Gruppen eigen ist. Sie stehen stofflich den reinen Schwänken nahe, haben aber ihre moralisierend-belehrende Nebenabsicht, die sich besonders in dem Gehalt der Sentenzen ausdrückt, vom vierten Typ übernommen. Auch sie kennen noch descriptiones; die Schilderung einer Frau beschränkt sich aber meist auf die Darstellung ihrer f u genden', und zwar in verengt moralischem Sinne. Im Unterschied zu den reinen Schwänken siegt nicht der listenreiche,Rechtsbrecher', sondern der ,Schuldige' wird bestraft. Dementsprechend verurteilen die Sentenzen dessen Verhalten. Ihre Funktion ist nicht komisch wie in II, ihr Inhalt bezieht sich auf eine menschliche Verhaltensweise und birgt zumindest eine Nebenabsicht, moralisch zu bessern in sich (Funktion des prodesse). Die Sentenz ist im Epilog bisweilen rhetorisch kunstvoll weiter ausgeführt; sie nimmt (auch im Prolog) oft die Form einer Mahnung und Warnung an. Die moralisierende Absicht dieser Gruppe ernster zu nehmen, dafür spricht auch die Tatsache, daß in ihr wieder die Stilfigur der Vorausdeutung erscheint, die der ernsten Gattung gemäß ist. Sie soll den schwankeigenen Überraschungseffekt dämpfen und steht im Dienste der Warnung. Auch die ,Objektivierung', die im reinen Schwank komische Funktion angenommen hatte, ist hier wieder ernst gemeint. In der Form gehört "

H e r r a n d s BETROGENER G A T T E , RITTER UNTERM ZUBER, TREUE M A G D , I R R E G A N G UND G I R R E G A R , MINNEDURST, R E I H E R , H Ä S L E I N , SPERBER, S C H W A N G E R E R M Ö N C H , LEIN, N A C H T I G A L L , TEUFELSACHT, SCHAMPIFLOR, F R A U M E T Z E , W I R T ,

RÄD-

SCHREIBER,

BÖSE F R A U , FRAUENZUCHT. 18

B E R C H T A MIT DER L A N G E N N A S E , BÖSE A D E L H E I D , P F A F F E UND EHEBRECHERIN, DER ENTLAUFENE HASENBRATEN, RITTER UND DIE NÜSSE, DIE ZWEI BEICHTEN s u n g ) , W A H R S A G E N D E R B A U M , BETROGENER BLINDER I I .

130

(NGA-Fas-

diese Gruppe19 durchweg zu den episch reicher ausgeführten Typen wie Gruppe I oder zu dem ersten Formtyp des reinen Schwanks (IIa); sie kennt also neben Beschreibungen auch Prologe, und allgemein hat der Erzähler Freude an der reichen drastischen Ausmalung des schwankhaften Geschehens (Funktion des delectare). Die knappen Schwankexempla mit explicite oder implicite moralisierendem Gehalt (IVa)20 stehen den moralisierten Schwänken in Stoff wie in der moralischen Funktion sehr nahe. Nur in der Form besteht insofern ein Unterschied, als der Schwankstoff im allgemeinen knapper, bisweilen auch ,freudlos' (Fischer S. 8 620a) und oft unter Verzicht auf breitere Ausmalung von erotischen Pikanterien dargestellt ist. Daher fehlen Beschreibungen ebenso wie Prologe, selbst auf die Exposition kann der Autor verzichten und medias in res beginnen. Hier ist das Stilideal der Kürze am konsequentesten durchgeführt. Wie die erste Gruppe dem Roman, so steht die vierte dem Bispel nahe. Die didaktische Funktion der Sentenzen ist hier gegenüber den moralisierten Schwänken insofern höher zu veranschlagen, als die Lehre durch die nur knappe Wiedergabe des komischen Ereignisses überzeugender wirkt. Die Funktion des prodesse hat gegenüber der des delectare weiter an Geltung gewonnen (ohne sie freilich zu überbieten). Statt aber in umfassenderem und ethischem Sinne zu erziehen (wie in I), will die Sentenz durch Demonstration einer menschlichen Verhaltensweise in einem verengten moralischen Sinne bessern (vgl. S. 39 Anm. 128). Daher wählt die vierte Gruppe auch ernste Stoffe. Diese können wiederum nach Art des knappen Exempels und Bispelvorbilds kürzer dargeboten (IVb) 21 oder nach dem Vorbild des ersten Märentyps (der dem Roman nahestand) episch reicher ausgeführt sein (IVc); 22 diese Darbietungsform berücksichtigt 18

Hier wären folgende Mären zu nennen: BESTRAFTES MISSTRAUEN (vrouwen statikeit), H E R R MIT DEN V I E R F R A U E N , D R E I M Ö N C H E VON K O L M A R , B L I N D E R

HAUSFREUND,

HERRGOTTSCHNITZER, Z W E I KAUFLEUTE, KLUGER K N E C H T , HELLERWERTWITZ,

DER

GEVATTERIN R A T , H A L B E BIRNE, DURSTIGER EINSIEDEL. 20

TURANDOT (KONNI), DIE GEVATTERINNEN, BEGRABENER E H E M A N N , HEISSES EHESCHEIDUNGSGESPRÄCH, ERZWUNGENES

EISEN,

G E L Ü B D E , DREI W Ü N S C H E , W A R M E S

AL-

MOSEN, Z A H N , M A R T I N S F E S T . 20a 21

Buchfassung S. 115. HALBE DECKE

(in d e n e r s t e n d r e i F a s s u n g e n ) , N A C K T E R B O T E , N A C K T E R

RITTER,

R I C H T E R UND T E U F E L , E D E L M A N N UND P F E R D E H Ä N D L E R , J U N G E R R A T G E B E R , E I N G E MAUERTE F R A U , N A C K T E R K Ö N I G ( G A 7 1 ) , A R M E R UND R E I C H E R K Ö N I G , DER W E L T LOHN. 22

HELMBRECHT, SCHLEGEL, H A L B E D E C K E I V .

131

wiederum mehr die Funktion der Unterhaltung. Wie die anderen Gruppen zeigt also auch die vierte eine Öffnung zu ihren Nachbartypen: zum reinen Schwank durch die Stofflichkeit des Schwankexempels, zum moralisierten Schwank durch die mit ihm gemeinsame Mittelstellung zwischen der Unterhaltungsfunktion des Stoffes wie der Belehrungsfunktion der ,Moral· und durch gelegentlich kunstvolle Epiloggestaltung, zum höfisch-ernsten Märe durch die erzählerisch reichere Ausgestaltung einiger dieser moralisch-exemplarischen Mären mit ernsten Stoffen. Damit hat sich der Kreis geschlossen, und es erscheint sachgerechter, die Märentypen statt in einer systematischen,Tabelle'23, die immer schärfere Grenzen impliziert, in einem Kreise zueinander zu gruppieren, der das Fließende der Übergänge und die steten Austauschbewegungen der Gruppen untereinander weit besser zu symbolisieren vermag.

88

Fischer hat jetzt (Buchfassung S. 1 1 3 ) seiner Aufgliederung der Märentypen eine graphische Übersicht hinzugefügt, die - bei bestimmten Unterschieden im einzelnen, die sich v o r allem aus der strengeren Systematisierung und dem Fehlen des „moralisierten Schwanks" als eigener Gruppe ergeben - doch in verwandter Weise das Wesen der Typenmischung erkennen lassen.

132

I. Höfisch-galantes bzw. höfisch-ernstes Märe

b) Höfisch-galant (heiter)

a) Höfisch-ernstes Märe (sentimental) meist episch reichere Ausführung

II.,Reiner* Schwank (rein komisch; delectare) a) episch reichere Ausführung b) knappe ,exempelartige' Gestaltung

c) Höfisch-ernst (erbaulich)

c) ernster Stoff in episch reicherer Ausführung b) ernster Stoff in knapper Ausführung IV. Moral.-exempl. Märe (moraüsierendbelehrende Tendenz; prodesse) a) Schwankexempla mit knapper Darstellung des Stoffs

III. Moralisierter Schwank (komisch, teils derb) episch reichere Ausführung des Schwankstoffs (delectare) mit moralisierender Nebenabsicht (prodesse) Die Kennzeichnung „episch reichere Ausführung" ist natürlich immer nur in Relation zur Gattung zu sehen, die im Ganzen auf Kürze der Darstellung zielt, und versteht sich vor allem als Unterscheidungskriterium zur „knappen" Darstellung des Stoffes.

133

III. K A P I T E L

LIEBE UND

EHE

,Liebe und Ehe' ist in der Märengattung das beliebteste und zugleich am vielfältigsten gestaltete Thema. Dabei lassen sich wiederum bestimmte Gemeinsamkeiten in jedem der vier Hauptmärentypen erkennen, die sich bei der Stil- und Formuntersuchung ergeben hatten. Anders als bei den beiden ersten Kapiteln soll nun mit der Untersuchung des Gehalts bei einigen ausgewählten Beispielen aus der wichtigsten Gruppe der höfisch-galanten Mären die Einheit des einzelnen Gedichts stärker berücksichtigt und die individuelle Gestaltung des Themas - zugleich als Stufe seiner geschichtlichen Entwicklung - interpretiert werden. Die Liebesauffassung der Schwänke dagegen soll in diesem Kapitel nur in den Grundzügen aufgezeigt, ihre Bindung an die höfische Tradition vorher durch Betrachtung einiger ursprünglich ernster ,erotischer' höfischer Motive beleuchtet werden; individuellere parodistische Gestaltungen der höfischen Liebesproblematik sind dem 2. Abschnitt des Parodie-Kapitels vorbehalten. Im übrigen ist dem Schwank als dem seinem Anteil nach stärksten und von der Forschung bisher am meisten vernachlässigten Märentyp mit zwei eigenen Kapiteln (IV und V) größerer Raum gewidmet. Uber die Liebes- und Eheauffassung der moralisierten Schwänke und der moralisch-exemplarischen Mären, die sich gegenüber den ,reinen' Schwänken beträchtlich gewandelt hat, berichtet jeweils ein zusammenfassender Ausblick. Wenn die Untersuchlang bei der Interpretation von Mären, die der nachklassischen Zeit angehören, bewußt mit dem Begriff der »höfischen Liebe' oder ,höfischen Minne' arbeitet, so verlangt dies eine Begründung. Denn die germanistische Forschung verwendet zum Teil bis heute den Begriff in einem viel engeren Sinne. So entwickeln die neueren Darstellungen von H. Furstner (.Studien zur Wesensbestimmung der höfischen Minne'1) und H. Kolb (,Der Begriff der Minne und das 1

Gloninger Proefschiift, Groningen und Djakarta 1956.

134

Entstehen der höfischen Lyrik' 2 ) ihre Konzeption im wesentlichen aus der höfischen Lyrik als der einzigen Quelle.3 Diese begrenzte Anwendung des Begriffs geht in der Forschung auf eine Rezension von Gaston Paris (Romania 12, 1883, S. 519) zurück, in der er den ,amour courtois' allein auf die außereheliche, aber auf Erfüllung verzichtende Liebessituation der Troubadourlyrik und des ,Karrenromans' anwandte, in den Chrestien die an sich unepische Liebesauffassung dieser Lyrik wohl auf Veranlassung der Gräfin Marie de Champagne übertragen hatte.4 In der Germanistik war es vor allem der epochemachende Aufsatz von Friedrich Neumann über die ,Hohe Minne',6 der der weiteren Forschung mit einer vom Verfasser selbst 2

Hermaea N. F. 4, Tübingen 1958. Dies Werk scheint mir in germanistischen Rezensionen zu einseitig negativ beurteilt worden zu sein. Sind auch manche Thesen Kolbs zu Recht auf Kritik gestoßen, so sollte man darüber nicht hinwegsehen, daß sein Buch durch den Reichtum an Gesichtspunkten und die Belesenheit des Verfassers auch in der romanischen Literatur mancherlei kluge und wertvolle Beiträge zur Erforschung des Minnesangs enthält. Es will mir beachtenswert erscheinen, daß Kolbs Buch von der Romanistik (die uns Germanisten in mancher Hinsicht nun einmal ein gutes Stück voraus ist) ernster genommen wird (vgl. ζ. B. Rupprecht Rohr in: Romanist. Jahrbuch 13, 1962, dort. S. 67t.) oder ein Kenner der deutschen und romanischen Lyrik des Mittelalters wie Hennig Brinkmann des öfteren auf Kolb verweist und sich dabei jeder Polemik gegen ihn enthält (so in seinem Artikel ,Der deutsche Minnesang' in: Der deutsche Minnesang. Wege der Forschung Band 15, Darmstadt 1963, S. 85-166).

• Furstner betont S. 22, er wolle versuchen, „dem Wesen der höfischen Liebe etwas näher zu kommen. Ausgangspunkt und Ziel ist dabei nur die mime, wie die Minnesänger diese in ihren Dichtungen dargestellt haben." Die methodische Schwäche des Buches, die sich in seinen Ergebnissen auswirkt, liegt darin, daß Furstner Erkenntnisse moderner Psychologie und Philosophie zum Ausgangspunkt seiner Untersuchungen macht und mit der historischen Betrachtungsweise, auf die er sich besser beschränkt hätte, verbindet. Daher bleibt die Arbeit, vor allem auch durch die moderne Terminologie, leider „ein verworrenes Buch" (Schlösser S. 381, Anm. 789). Es finden sich aber viele brauchbare Beobachtungen und aufschlußreiche Beiträge darin, die das gewiß sehr anfechtbare Werk davor bewahren sollten, im G a n z e n abgelehnt zu werden wie in den Rezensionen P. Wapnewskis (Euph. 51, 1957, S. 452-461) und Hugo Kuhns (Beitr. 80, Tübingen 1958, S. 323-327). Beachtenswert ist die geschichtliche Darstellung der Minne im V I . Kapitel, die sich allerdings auf die Lyrik und den .Tristan' beschränkt. Für die oben angedeutete enge Verwendung des Minne-Begriffs in der Germanistik ist die Bemerkung Wapnewskis (a.a.O., S. 456) aufschlußreich, nach der sich „das ganze Minnewesen... auf dem Boden einer ebenso selbstverständlichen wie schweigenden Übereinkunft (konstituiert), die jegliche Gewährung ausschließt." E r verurteilt Furstners Auffassung daher als einen „Rückfall in die realistisch-biographische Auslegung" (die sie gewiß nicht ist) und führt zum Beweis - eine Reinmar-Strophe an (vgl. oben zur Auffassung Neumanns). 4

4

Vgl. Köhler S. 163 und ders. in: Romanist. Jb. 10, 1959, S. 230. Schlösser S. 172fr. und die dort genannte Literatur. Zs. für Deutschkunde 39, 1925, S. 81-91. Mit einem Nachtrag wiederabgedruckt in: Wege der Forschung 15, Darmstadt 1963, S. 180-196.

135

wohl kaum erwarteten Suggestivkraft für Jahrzehnte jenen Weg wies, der sich so einseitig an der Lyrik orientierte. Die Definition Neumanns hat für seine Zeit außerordentlich klärend gewirkt. Aber seine Methode ist ebenfalls unhistorisch. Neumann setzt moderne Auffassungen von der Liebe wie „echte Liebe" und „Triebminne" zum Vergleich (und hat damit Furstner in seinem Vorgehen bestärkt; vgl. dort S. 22). Vor allem begründet er die Bestimmung der ,Hohen Minne' einseitig auf der schmalen Basis einiger Reinmar-Strophen, ohne den aus Walther (L 47, 8) übernommenen Begriff in seiner in den mittelhochdeutschen Texten viel umfassenderen Bedeutung zu berücksichtigen. , H o h e Minne' ist dort viel mehr ein ständischer als ein ethischer Begriff. Sie schließt nicht grundsätzlich Erfüllung der Liebe aus,® während die ,H°he Minne' Neumanns nur nach der „Idee der Frau" strebt. Nähme man aber,höfische Minne',,höfische Liebe' oder ,Hohe Minne' allein für eine freilich sehr ausgeprägte Richtung in der Lyrik in Anspruch, so würde das bedeuten, daß die Minne eines Parzival, Gawan, Erec oder Iwein und ihrer Gemahlinnen oder Partnerinnen und all der andern Gestalten höfischer Dichtung nicht höfisch sein könne. Jene Minne, die auf eine verheiratete Frau gerichtet ist, sich in immerwährendem Werben zu stets höheren Graden ungestillten Sehnens entwickelt und sich dabei zu einer Gefühlsintensität steigert, wie sie in der Erfüllung oft nicht erlangt wird, ist ein Thema, das sich seinem Wesen nach besonders für die lyrische Behandlung eignet. Die in dieser Kunstform gepflegte, höchst stilisierte Liebesauffassung ist aber nur ein Ausschnitt aus dem gesamten, auf den ersten Blick uneinheitlichen Komplex. Sie darf daher auch nicht in der Terminologie stellvertretend für die ,höfische Minne' stehen, die schon in andern lyrischen Gedichten oder gar im Tagelied und in den epischen Gattungen ganz andere Ausprägungen erfahren hat. Höfische Liebe ist die Kultform einer ganzen Epoche und Gesellschaftsschicht. Sie hat sich als eine ursprünglich einheitliche Idee im Laufe ihrer historischen Entwicklung sehr verschieden entfaltet. Dennoch scheinen in diesem Prozeß stets bestimmte Grundelemente erkennbar, die natürlich selbst der Entwicklung und Umgestaltung unterliegen. Sie kann in der Spätzeit zu völliger Umwertung oder • Vgl. ,Parzival' 458, η&. und S. 145 und S. 209f., Anm. 191. Vgl. auch Κ . H. Borck, Walthers Lied „Aller werdekeit ein füegerinne", in der Festschrift für J . Trier zum 70. Geb., 1964, dort S. 325, Anm. 14.

136

Auflösung führen. Dies Kapitel ist bemüht, einen kürzeren, auf die Gattung beschränkten Abschnitt dieser Entwicklung aufzuzeigen und sie an die Tradition anzuknüpfen. Diese Grundauffassving der höfischen Liebe verdankt einmal Erich Köhler, der im V . Kapitel seines Buches die geschichtliche Entwicklung der höfischen Liebe im altfranzösischen Roman der Klassik sehr profiliert dargestellt hat, und zum andern Karl Heinz Borck verschiedene Anregungen, der in einer Vorlesung des W . S. 1963/64 über die „Idee und Geschichte der höfischen Liebe" die Entwicklung für die mittelhochdeutsche Lyrik und den klassischen Roman bis hin zu Wolframs ,Parzival' dargestellt hat.7 Es war der französische Kaplan Andreas, der in seinem Buch ,De amore libri tres' 8 als erster die höfische Liebe, wie sie sich in bestimmten Formen zunächst in der Troubadourlyrik auszuprägen begonnen hatte, als umfassende Idee mit aller scholastischen Präzision theoretisch dargestellt hat. 9 Sie ist schon wegen ihrer Klarheit vorzüglich geeignet, bei Interpretationen höfischer Dichtung, besonders der Mären, vergleichend herangezogen zu werden. Andreas stellt der traditionellen, bis auf die Antike zurückgehenden Auffassung der Liebe als einer Leidenschaft 10 (passio innata vgl. S. i6of.) sein Ideal des sapienter amare gegenüber, das zwar die sinnlich-elementare Grundlage der Liebe nicht leugnet, sich aber durch Einschaltung rationaler Kräfte (sapienter) über das rein Triebhafte erhebt. Entsprechend der Geistnatur des Menschen soll die Vernunft die Herrschaft über den zügellosen Drang der Leidenschaft gewinnen, indem sie das Triebhafte zwar als Gegebenheit anerkennt, aber ihrer Kontrolle zu unterwerfen sucht, sie mäßigt, verfeinert. Diese Läuterung, die im Zusammenhang mit dem umfassenden Erziehungsprozeß des Menschen zu höfischer Vervollkommnung zu sehen ist, vermag sich in sehr vielfältigen Formen auszuprägen. Die große ' Κ. H. Borck hat mich auch davon überzeugt, daß die vielgestaltigen Abwandlungen nicht in erster Linie, wie ich ursprünglich meinte, durch den Zwang der verschiedenen Gattungen (der zum Teil mitwirken mag) als vielmehr eben durch die geschichtliche Entfaltung überhaupt zu erklären seien. ' Ich habe die erschwingliche Ausgabe von S. Battaglia (s. Abk.-verz.) benutzt, die den Text der klassischen Ausgabe Trojels ebenso gut wiederabdruckt wie deren teurer Neudruck im Eidos-Verlag. • Vgl. dazu die ausgezeichnete Monographie von F. Schlösser (Abk.-verz.), die der folgenden kurzen Zusammenfassung zugrunde liegt. 10 Die Bezüge dieser ersten Kapitel haben Andreas früher den Ruf eines Ovidianers eingetragen.

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Bedeutungsbreite des Begriffs sapienter schließt schlaue, listige Vorsicht mit Geheimhaltung der Liebe vor der Gesellschaft, Geschicklichkeit und Rücksichtnahme bei der Werbung, Einfühlung in den Willen des Partners bis hin zur Entsagung ein. Auch die überpersönlichen, auf die Gemeinschaft bezogenen Ansprüche, die das höfische Liebesideal an den Einzelnen stellt, sind in dies von der Vernunft geleitete Streben einbezogen. Wenn die Lohngewährung von bestimmten Verdiensten oder inneren Vorzügen wie Beständigkeit und Aufrichtigkeit abhängig gemacht wird oder die Frau dem Manne in verschiedenen Stufen (gradatim) langsam entgegenkommt, so sind dies Formen eines ,klugen Verhaltens'. Diese verschiedenen Grade der Affektbeherrschung zu üben, ist nicht eine Frage der Moral (es ist ausschließlich von Liebe außerhalb der Ehe die Rede), sondern der Sitte, des Anstandes und Taktes, der intellektuellen Verfeinerung (vgl. Schlösser S. 114). Der Begriff sapienter amare hat antithetischen Charakter wie die höfische Liebe selbst: in ihm drücken sich der Anspruch auf den Primat des Geistigen und Seelischen vor dem Triebhaften, die erstrebte Herrschaft der Vernunft über das affektgeleitete Wollen aus und damit zugleich der höfische Anspruch auf den Vorrang des Gesellschaftlichen vor dem Persönlichen, der höfischen ,Norm' vor dem individuellen Gefühl. Wie dem Manne durch die Forderung des sapienter amare, des höfischen Liebens, bestimmte Bedingungen auferlegt sind, unter denen er sich die l i e b e der Frau erwerben kann, so steht auch sie als das zum Ideal erhobene Mittel höfischer Vervollkommnung unter dem Gesetz der Liebe. Zwar ist der Frau grundsätzlich die Freiwilligkeit ihrer Entscheidung zuerkannt; doch sind ihr nicht weniger bestimmte normative Verhaltensweisen vorgeschrieben. Sie schließen die Verpflichtung ein, einem Manne, dem sie Hoffnungen geweckt und der sich in ihrem Minnedienst durch besondere Taten auszeichnet und als beständiger Liebhaber bewährt hat, den ersehnten Minnelohn nicht ohne Grund zu lange vorzuenthalten. 11 Dabei gilt die eigene Ehe der Dame bei Andreas nicht als anerkannter Hinderungsgrund für ihre Hingabe an den Geliebten. 12 So ist auch der bedeutsame Läuterungs-

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Non enim probam decet feminam sua quaecunque sine causa retardare promissa . . . Turpissimum etenim in femina iudicatur, si de ipsa non curet exspectare promissa (Battaglia S. 310). Causa coniugiab amore non est excusatio recta lautet die erste regula amoris (Battaglia S. 356). 138

prozcß des Mannes keineswegs grundsätzlich an den Verzicht auf die letzte Erfüllung seiner Wünsche gebunden. Die Entsagung aber galt der Forschung allzu oft als einer der entscheidenden Wesenszüge höfischer Minne. Schon bei Andreas, der den amorpurus für bestimmte Situationen empfiehlt, wie in höfischer Dichtung überhaupt ist sie nur eine der möglichen Formen, in denen sich das sapienter amare oder die ,höfische Liebe' verwirklichen kann, aber keineswegs ihre unabdingbare Voraussetzung. Bei Andreas tritt die Polarität zwischen Liebe und Ehe13 zum ersten Male mit einer in der höfischen Dichtung seltenen Kraßheit hervor: beide Bereiche sind für ihn schlechthin unvereinbar.14 Die Gründe dafür liegen einmal in dem besonderen Wesen dieser Liebe selbst, das durch vielerlei einzelne Züge bestimmt ist, die hier nicht nachgezeichnet werden können. Besonders die erzieherische Funktion, die der Liebe als umfassender gesellschaftlicher Ordnungsmacht in der höfischen Kultur zukommt, bedingt es, daß daran vor allem die verheiratete Frau entscheidenden Anteil hat, weil zunächst nur sie auf Grund ihrer Reife und sozialen Stellung dem Manne Ansporn und Ziel seiner Selbstvervollkommnung zu sein vermag. Auf der anderen Seite blieb der Erziehungsgedanke in der Ehe selbst zunächst gänzlich ausgeschlossen, weil sich in ihr die Liebe als der ausschlaggebende Impuls für diesen Läuterungsprozeß nicht entfalten konnte.16 Denn die Ehe war nicht nur für die feudale Gesellschaft ein vielfach aus dynastisch-gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Erwägungen geschlossener ,Zweckverband'; auch nach der damaligen kirchlichen Auffassung kamen ihr nur recht pragmatische weltliche und geistliche Ziele zu.16 Ihr Sinn, vor allem der copula, erschöpft sich in der Zeugung von Nachkommen und in der Leistung des ,debitum', deren eindeutiger ,Zweck' es ist, die concupiscentia zu mindern, wenn es den Eheleuten schon nicht möglich ist, sich ganz zu enthalten.17 Die 18

Vgl. jetzt auch das nach Abschluß dieser Arbeit erschienene Buch von Marlis Schumacher, Die Auffassung der Ehe in den Dichtungen Wolframs von Eschenbach, in: Germanische Bibliothek, Dritte Reihe. 1967. 14 Die Interpretation der Mären wird des öfteren darauf zurückkommen. 15 Vgl. besonders die epistola der Gräfin von Champagne vom 17. Mai 1174 (bei Battaglia S. 178L). 18 Vgl. zum Folgenden die eingehende Behandlung dieses Themas durch Schlösser S. 261 bis 290 und speziell zu Andreas S. 121-127. " Ähnliche Gedanken äußert Berthold von Regensburg in seiner Predigt Von der $ (ed. Pfeiffer, Band I, dort S. 328f.). Vgl. auch die .Warnung' (eine Reimpredigt des 1$. J

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Ehe gilt demnach als das geringere Übel gegenüber außerehelicher Unzucht (propter fornicationem autem unusquisque suam uxorem habeat ... si non se continent, nubant·, melius est enirn nubere, quam uri\ vgl. i. Cor. 7, 1-9). Sie stellt insofern einen Kompromiß zwischen dem erstrebenswerten Ideal absoluter Keuschheit und der durch die Erbsünde bedingten (und als solche einkalkulierten) Verfallenheit des Menschen an die fleischliche Begierde dar. Auch daß der eine Partner ein verbürgtes Recht auf den Besitz des andern hat, der sich ihm nicht entziehen darf (1. Cor. 7, 5), steht in schärfstem Gegensatz zu der von Andreas immer wieder betonten Freiwilligkeit des Gewährens in der Liebe. So ließ auch die kirchliche Auffassung der Zeit der Entfaltung weder des Natürlich-Erotischen noch seiner Verfeinerung durch das Geistig-Seelische Raum,18 und sie mußte von daher die höfische Liebe in einer „im Grunde positiven Reaktion" 19 in Bezirke außerhalb der Ehe drängen. Sie selbst war aus all diesen Gründen wenig geeignet, den Ritter zu höfischen Taten anzureizen und ihn arebeit und ungemach der Selbsterziehung entsagungsvoll auf sich nehmen zu lassen. Die folgerichtige Konsequenz, die Andreas daraus zieht, ist, daß er Liebe und Ehe als zwei gänzlich verschiedene und daher auseinanderzuhaltende Bereiche darstellt, die sich weder berühren noch überschneiden: daher sucht er in seinen programmatischen Mustergesprächen jede Spannung zu überdecken und jedem Konflikt auszuweichen oder ihn durch Gegenargumente zu neutralisieren. Es wird sich zeigen, daß die höfische Dichtung diese ,Lösung' im allgemeinen nicht nachvollziehen konnte. Die ,höfische Liebe' ist der gelungene Versuch, die Liebe im Dienste des höfischen Erziehungsideals aus dem Zwang des dunklen Triebes zu befreien. Dies geschieht, indem man die geistig-seelischen und rationalen Kräfte des Menschen20 aktiviert und dem Elementaren entgegen wirken läßt. Dabei wird das spontane Gefühl so gelenkt, daß es zugleich auf die von der höfischen Gemeinschaft repräsentierten

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18 ao

Jahrhunderts, hsg. yon L. Weber, München 1912): Behaltet ir gantzer chivsche streit, des lobet got alle ceit; Mag aber des nicht wesen, so svlt ir mit der e genesen. Fvr das hur nemt ein wip, die minnet als ivren lip·. Die svlt ir haben eine vnt ander dehaeine (1049(1.). Aufschlußreich ist das Beispiel bei Andreas, bei dem ein impetuose begehrender Ehegatte zum .Ehebrecher' an seiner eigenen Frau -wird: Vehemens amator... in propria uxore iudicatur adulter (Battaglia S. 172); vgl. dazu Schlösser S. 277 und 279. Schlösser S. 281. Über die rationalen Seelenkräfte und ihren Anteil am Wesen der höfischen Minne hat H. Kolb (s. Anm. 2) S. 62fr. aufschlußreich gehandelt.

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Ideale abgestimmt wird und von daher einen Sinn empfängt, der über das Persönliche, Individuelle hinausweist. Dieser Vorgang konnte sich zunächst nur außerhalb der Ehe vollziehen, ohne freilich damit seiner Absicht nach ehefeindlich zu sein.21 Bei der Gestaltung dieser Grundidee in der höfischen Dichtung sind die beiden polaren Kräfte des Spontan-Triebhaften und des Gelenkt-Rationalen wie Leitfäden der Gesamtentwicklung in dieser oder jener Form immer wieder anzutreffen - auch in den Mären. Den Entwicklungsverlauf in dieser Gattung soll das folgende Kapitel darstellen und ihn an die historische Tradition anknüpfen, deren entscheidende Stufe für die Mären vor allem Gottfrieds ,Tristan' ist. Wenn bei der Interpretation des öfteren Parallelen aus Andreas Capellanus und aus Gottfrieds ,Tristan' zum Vergleich herangezogen werden, so will ich damit nicht behaupten, daß die Märendichter stets unmittelbar von ihnen beeinflußt sind; die Probleme lagen damals ,in der Luft'. 22 Aber gerade die komplexe Darstellung der Liebe durch den Kaplan erweist sich selbst für die spätere Zeit als sehr nützlich, in der sich die ursprünglich einheitliche Idee der höfischen Liebe auflöst und in ihre verschiedenen Elemente ,auseinanderentwickelt'. Auf der anderen Seite bildet der ,Tristan' die entscheidende Entwicklungsstufe zwischen der Liebesauffassung der Klassik und der Märendichtung (dazu S. i8iff.). Die ,Dreieckssituation' Die skizzierte Grundspannung zwischen Liebe und Ehe durchzieht große Teile der höfischen Dichtung - mag sie nun offen hervortreten, latent bleiben oder durch harmonisierende Lösungsversuche überdeckt werden. Sofern in den Mären die Minne-Ehe-Spannung nicht dadurch aufgehoben wird, daß die umworbene Dame ein junges Mädchen ist (wie zunächst im ersten Teil höfischer Romane), sind 21 n

Vgl. Schlösset S. 260. Die Frage, ob der Kaplan unmittelbar auf die deutsche Literatur gewirkt hat, ist in dieser Form noch nicht untersucht. Z u seinem Einfluß auf Minnereden und -allegorien vgl. H. Niewöhner V L III Sp. 4izff. Eberhard von Cersne brachte im Jahre 1404 ,Der Minne Regel' heraus, die eine freie Bearbeitung, zum Teil eine Ubersetzung des lateinischen Traktats ist. Demnach erscheint es nicht ausgeschlossen, daß das Werk schon in den Jahrzehnten davor bekannt war, und diese Zeit war bis über die Jahrhundertwende hinaus die Blütezeit der Märengattung (hsg. von F. X . Wöber, Wien 1861). Vgl. auch S. 20if. Anm. 172.

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meist drei Personen (ohne die Nebenfiguren) an der Handlung beteiligt: die verheiratete Dame, ihr Liebhaber, der Ehemann. Der handlungsschaffende Konfliktstoff eines solchen Dreiecksverhältnisses'23 beruht darauf, daß die Wünsche des liebenden Paares den Interessen des Ehemannes zuwiderlaufen. Die in der Einleitung angedeutete Eheauffassung und das Wesen der höfischen Liebe - in der die verheiratete Dame erziehen, zu höchster Leistung anspornen, sie aber auch lohnen soll - haben zur Folge, daß sich in höfischer Dichtung zahlreiche Dreieckssituationen ergeben.24 Diese Personenkonstellation ist im Grunde der adäquate Ausdruck der höfischen Minne-Ehe-Spannung, wenigstens in ihrer frühen und dann in der späteren Entwicklung, als der in der Klassik erlangte Ausgleich wieder gestört wird. Sieht man zunächst von der Einbeziehung der höfischen Minne in die Ehe ab, wie sie nach dem Vorbild Chrestiens auch im deutschen höfischen Roman der Klassik gestaltet ist, so wäre die frühe ,klassische' Lösung des ,novellistischen' Dreieckskonflikts im Sinne der Minnedoktrin (Andreas), daß der Ehemann die Aufgabe seiner Gemahlin als höfischer Minnedame respektiert. Sofern der um sie werbende Ritter sich in seinem Dienst bewährt und Anspruch auf Lohn erworben hat, soll sich der Ehemann dem Minneverhältnis mit all seinen Konsequenzen nicht entgegenstellen, nicht zum unhöfischen Eifersüchtigen werden. Diese Lösung erstrebt ζ. B. das Fabliau ,Des trois Chevaliers et del chainse'.25 Es ist ein in novellistische Handlung umgesetzter Minnekasus, ein konstruierter Fall, dem deutlich der theoretische M 24

V o n Marke wird es als diu gemeinde under uns drin bezeichnet; .Tristan' 1 6 6 0 7 . Man würde in diese Dichtung einen ganz falschen moralischen Akzent (der ihr selbst fremd ist) setzen, wenn man sie als .Ehebruchspoesie' bezeichnete. Gewiß nicht zufällig sucht man daher in den höfischen Mären, selbst in den .reinen' Schwänken, vergeblich nach einer derartigen Benennung. Mir sind nur zwei Stellen aufgefallen, an denen von Ehebruch die Rede ist: in PFAFFE UND EHEBRECHERIN (3 und 32 ir hat iur e zebrochen) ist das Delikt ganz offensichtlich nur deshalb genannt, um ein dialektisches Wortspiel daran anzuknüpfen, mit dem sich die Beschuldigte e r f o l g r e i c h zu verteidigen weiß (vgl. S. 305^). Die zweite Stelle stammt aus einem m o r a l i s i e r t e n Schwank (Strickers KLUGER KNECHT 3T.). Eine ähnliche, von moralischen Erwägungen gelöste Beurteilung der außerehelichen Liebe läßt wohl ihre altfranzösische Bezeichnung als amur leial erkennen (sie bedeutet zwar meist,treue Liebe', aber die Etymologie verrät hier mehr als die deutsche Übersetzung!). V g l . ,Des trois Chevaliers' V . 134 {ami loiaul — der Geliebte der verheirateten Dame) oder aus dem Tristan-Lai ,Chievrefueil' der Marie de France V . 22, w o es von .Tristrams' Liebe zur reine heißt: . . . eil

ki eime »

M R

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leialment.

III S.

123-176.

Zug der Minnedoktrin anhaftet. Wie wirklichkeitsfremd solche Lösung in Deutschland erscheinen mußte, zeigt sich daran, daß man unter den Mären vergeblich nach ähnlichen ,mustergerechten' Lösungen sucht. So sind in unseren Mären überall Dissonanzen hörbar als Ausdruck der Spannung zwischen Minne und Ehe, die einem echten Ausgleich meist widerstrebt. Oder die Mißklänge lassen den Abstand erkennen, der sich zwischen der Minnetheorie und dem Versuch auftut, ihre kompromißlose Maxime (Liebe und Ehe berühren einander nicht) zu verwirklichen 26 oder doch die poetische Wirklichkeit danach zu formen. So endet der M O R I Z VON C R A U N mit seiner Gestaltung eines minnekasuistischen Problems (darf eine Dame dem Ritter verdienten Minnelohn verweigern) in unüberhörbarer Dissonanz. Zwar ist hier nicht die Ehe das konfliktschaffende Hindernis für die Hingabe der Gräfin; aber es ist doch bezeichnend, daß sie die Rolle der" höfischen Minnedame nicht zu „leben" vermag, sei es äußerlich aus einer Laune heraus. Ganz anders hatte sich die dame in ,Des trois Chevaliers et del chainse' über ihre Ehe und die Beeinträchtigung ihres Ansehens (dishonour) hinweggesetzt (vgl. dazu S. 169 Anm. 84). Der Dichter des M O R I Z VON C R A U N vermag die Gültigkeit einer Minnedoktrin nur vom Negativen am falschen Verhalten der Gräfin und ihrer Bestrafung zu demonstrieren und zeichnet statt des Vorbilds am Einzelfall ein exemplarisches Warnbild, das richtiges Verhalten lehren soll.27 Das Minneverhältnis einer Dreieckssituation vermag gegenüber der Außenwelt als konfliktloser Spannungszustand nur in der Entsagung lebendig zu bleiben. Es ist in dieser Art mehr Thema der Lyrik, schon der Troubadours, und des von dieser Liebesauffassung 26

V g l . dazu eine Formulierung Wolfgang Möhrs in: Euph. 51, 1957, S. 463 „Ihm (Wolfram) und seiner deutschen Umwelt muß das hohe Spiel höfischer Minne, mag man es auch in der Provence und in Frankreich mancherorts zu .leben' versucht haben, mit Recht äußerst künstlich vorgekommen sein."

27

Die Minneproblematik des MORIZ VON CRAÜN ist kürzlich in zwei gleichermaßen förderlichen Arbeiten behandelt worden; daher kann hier auf eine Darstellung verzichtet werden. V g l . das Buch von Ruth Harvey, Moriz von Craün and the Chivalric World, Oxford 1961 und den Aufsatz von Karl Heinz Borck, Zur Deutung und V o r geschichte des ,Moriz von Craün', in: D V j s . 55, 1961, S. 494-520. Beide Arbeiten lassen die große Bedeutung der höfischen Tradition für diese Dichtung erkennen, zeigen aber zugleich, w o Handlungsführung und Verhalten der Hauptpersonen den durch die höfische Ideologie, vor allem die Minnedoktrin, gesetzten Rahmen sprengen. Dem methodischen Vorgehen Borcks, den Minnetraktat des Andreas Capellanus heranzuziehen, kommt für die Novelleninterpretation exemplarische Bedeutung zu.

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inspirierten ,Karrenromans' Chrestiens; in der mittelhochdeutschen Lyrik tritt der Ehemann selbst gar nicht in Erscheinung. Wird die Dreieckssituation dagegen wie in den Mären in Handlung umgesetzt, führt sie notwendig in ernsten Konflikt, der - konsequent gestaltet tragisch enden muß (HERZMÄRE, FRAUENTREUE, mutatis mutandis PETER VON STAUFENBERG), sofern er nicht wie in den Schwänken ins Komische gewendet wird. Die andern versöhnlich endenden Mären bieten kompromißhafte Scheinlösungen, indem sie Unvereinbares (wie den Lohngedanken und eheliche Treue) von einer neuen Eheauffassung her miteinander zu verbinden suchen (FRIEDRICH VON A U C H E N F U R T ) , also die Ehe retten (so auch im schwankhaften BORTE) oder gar in eine neue Ehe einmünden ( H E I D I N I I - I V ) . Daneben bietet sich als unerschöpfliche Möglichkeit natürlich die schwankhafte Behandlung eines Dreieckskonflikts an: hier ist der Ehemann der Betrogene, stets Uberlistete. Dagegen nehmen die moralisierten Schwanke die Unverletzlichkeit der Ehe ernster: die Frau bewahrt ihre eheliche Treue, und statt des Ehemanns wird der Liebhaber oder Bewerber überlistet und bestraft. Die moralischexemplarischen Mären verwenden kaum noch einen Dreieckskonflikt; der ,Konflikt' entsteht meist aus einem Ehezwist. So ergeben sich das sei schon hier angedeutet - auch vom Gehalt her Möglichkeiten, die Mären nach den S. 127 genannten vier Haupttypen zu differenzieren. Erster Teil

Höfisch-galante Mären (Interpretationen)

ι. Sentimentale Mären mit Dreieckskonflikt D A S HERZMÄRE

In Konrads von Würzburg HERZMÄRE, dem Prototyp aller sentimentalen Mären, die mit dem Liebestod des Paares enden, ist die Spannung zwischen Minne und Ehe konsequent unlösbar gestaltet. 29

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Ein ritter unde ein froum guot die haten leben unde muot in einander so verweben,

daz beide ir muot und ir leben ein dine was worden also gar... 56 doch kunden si mit fuogen zuo einander komen niht also daz si zer minne pfliht ir gernden willen mähten hän. daz siieze wip vil wolgetan het einen werden man zer e, des wart ir herzen dicke we: wände ir schcene was behuot so vaste daz der herre guot nie mohte an ir gestillen sins wunden herzen willen, daz nach ir minne lac versniten. des wart diu not von in geliten diu strenge was und engestlich, nach ir libe minneclich begunde er also vaste queln daz er sinen pin verheln niht mohte vor ir manne ... 78 da von ze jungest im geschach ein leit daz in beswärte. Diese Vorgeschichte, die in die Situation einführt, nennt alle entscheidenden Punkte, aus der sich die Problematik dieses Märe entwickelt: das Minneverhältnis eines Ritters zu einer verheirateten Dame, die von ihrem Ehemann so bewacht wird, daß sich ihnen keine Gelegenheit zur Erfüllung ihrer Liebe bietet. Die Ehe der Frau ist demnach - entsprechend der Auffassung in den ,Trois Chevaliers' und im MORIZ VON CRAUN - kein moralisches, sondern ein äußerliches Hindernis; die Frau steht nicht im inneren, sondern im äußeren Konflikt zwischen ihrer Liebe und Ehe. Das Problem ergibt sich daher aus der Aktivität des Ehemannes, der dieses Verhältnis der hohen minne ( i n ) 2 8 um jeden Preis zerstören möchte. Seine Reaktion ist menschlich - sie ist aber auch unhöfisch. Daher fällt ihm im Gegensatz zum Ehemann in den ,Trois Chevaliers', der dem Minneritter den von seiner Frau gewährten Lohn nicht verweigert,29 oder zum Grafen Beamont im MORIZ VON CRAUN, dem Moriz ein ähnlich

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· Vgl. dazu S. 136 und S. 209f., Anm. 191. E r macht lediglich gute Miene zum bösen Spiel.

Sl

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hochherziges Verhalten zutraut30 - die Rolle des Eifersüchtigen zu, die dem höfischen Ehemann nicht ziemt. 31 E r neidet den Liebenden ihr Glück, und es gelingt ihm, sie äußerlich zu trennen; er entwendet dem Boten des Ritters, der in der Fremde aus Liebesschmerz gestorben ist und sein einbalsamiertes Herz der Geliebten übersenden läßt, mit gewalte (390) das Liebesunterpfand und setzt es seiner Frau als Speise vor. Der Dichter überläßt allein dem Ehemann diesen unhöfisch-barbarischen Zug, der der ersten Vorstufe der Geschichte v o m gegessenen Herzen, einem vorliterarischen keltischen Lai,32 anhaftet, und er allein ist der Schuldige am T o d des Paares. Konrad schaltet ihn nach dieser Szene aus der Handlung aus, ohne ihn am Ende in versöhnlicherer Haltung und menschlich wärmerem Licht erscheinen zu lassen.33 Die Frau aber v e r g i l t die Liebe des Ritters durch ihren T o d : mit ganzer state und ouch mit hohen triuwen (528f.). Das Minneverhältnis steht über der Ehe: die Treue der Frau bezieht sich in den höfischen Mären immer auf das Verhältnis zum Geliebten, nicht auf ihre eheliche Treue. 34 Der Einfluß von Gottfrieds ,Tristan' auf die Liebesauffassung wie auch auf den Stil - des HERZMÄRE ist seit langem bekannt. Es sind nicht allein die enge Verbindung von Liebe und Leid (der sende marterare HERZMÄRE 260), der tragische Liebestod des Paares, der Vorrang der Minne vor der Ehe, die Auserwähltheit der edelen herzen, die typische Personenkonstellation, sondern auch der bei PYRAMUS UND THISBE (S. ιγόί.) eingehender zu behandelnde Gedanke, daß die huote, die die Liebenden an der Erfüllung ihrer Wünsche hindert, das 80

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32

"

MORIZ VON CRAÜN I2I8FF. der virt ist ein hövesch man... der im gesagete rehte, waz ich durch sin wip hän getan, er hieze sie her zuo mir gän, miste er, daz ich hie waere, swie er ir dort enbaere. Die Stelle ist kaum parodisch gemeint, auch wenn der Ehemann später unter wenig rühmlichen Umständen ähnlich wie im Schwank von der Bühne des Geschehens abtreten muß. Vgl. dazu H. Naumann, Höfische Standeskultur um 1200, in: D V j s . Buchreihe Bd. 17, 1929, S. 13 und Borck S. 519. zelotypia inter eos scilicet coniugatos per omnia reprobatur et ab eis tanquam pestis debet semper nociva fugari·, amantes vero illam oportet semper tanquam matrem et amoris amplexari nutricem (Battaglia S. 168). Vgl. auch Schlösser S. 126fr. und zur Eifersucht Köhler S. 158 sowie Köhler in seiner S. 268, Anm. 87 genannten Aufsatzsammlung S. 97t. und S. 259t. Vgl. dazu E. Stutz S. 70. Es ist dort „eine Geschichte von ehebrecherischer Liebe und blutiger Rache des Ehemanns", in der er Verfolger oder Mörder des Liebhabers ist und ihm selbst das Herz herausschneidet. Vgl. auch Gaston Paris, Le Roman du Chitelain de Couci, in: Romania 8, 1879, S. 361fr. Vgl. dagegen den Ehemann in der FRAUENTREUE oder - statt seiner - den Vater des M ä d c h e n s i m SCHÜLER VON PARIS.

M

V g l . auch S. 155L und S. 198.

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Liebesverlangen zu unermeßlicher Pein steigert {diu not ... diu strenge was und engestlicb, vgl. das Zitat auf S. 145, V v . 68-73). So gelingt die Selbstbeherrschung nicht in dem Maße, wie es nötig wäre, die Liebe vor dem Ehemann und der Außenwelt zu verbergen - wie ähnlich in der Baumgartenszene im .Tristan'. Die Reaktion der Frau auf die Überwachung durch ihren Mann hat den Sinn, seinen und der Leute (Gesellschaft) Verdacht zu zerstreuen (i64f.). Sie hofft, durch die vorübergehende Abwesenheit des Geliebten werde sich das Gerede der Leute (rumor bei Andreas; vgl. S. 176 A. 104) verlieren, so daß sie später umso weniger angefochten und beobachtet wären (168-175). Auch diese, aller moralischen Motivierung ledige, schlaue Vorsicht und Berechnung erinnern an ähnliche Situationen im ,Tristan'. Wie dort stürzt der Abschied mit marter (ebenso ,Tristan' 18366) die Liebenden in tiefes, nicht mehr zu bewältigendes Leid, das wie alle äußeren Hemmnisse ihrer Liebe nur mit der Vereinigung im Tode überwunden werden kann.35 Ohne die Unterschiede zur ,Tristan'-Minne zu übersehen, die die Leidenschaft zu mystischer Inbrunst steigert und die in Analogie zu der religiösen Strömung geschaffene Kontrafraktur einer weltlichen Liebesreligion darstellt, seien zusammenfassend für das H E R Z M Ä R E die Kriterien festgehalten, die sich für die Entwicklung der Liebesauffassung aus der ,Tristan'-Tradition ergeben und sich mit einigen unwesentlichen Abwandlungen bei den folgenden sentimentalen Mären mit tragischem Ausgang wiederfinden. Die Entwicklung vollzieht sich - sehr vereinfacht gesagt - so, daß die der höfischen Liebe verbliebenen elementaren, irrationalen Kräfte anwachsen und sich in gleichem Maße der Lenkung durch die Vernunft und durch überpersönlich-gesellschaftliche Ideale entziehen. So erfüllt die Minne weder im ,Tristan' noch im H E R Z M Ä R E (oder in den meisten anderen Mären dieser Gruppe) eine erzieherische Aufgabe. Daher fehlt der Dienst-Lohn-Gedanke, der nur daraus seinen Sinn empfangen und lebendig bleiben konnte. Der Ritter wächst nicht zu höfischer Vollkommenheit und Reife, er w i r d nicht zur hövescheit erzogen, sondern er ist hövesch, als die Minnehandlung einsetzt.38 Sie zeigt daher das Paar von Anfang an als höfische, im 8t

Zur Liebesvereinigung im Tode und der Beziehung zu ,Tristan' vgl. de Boor III, ι S. 41. *· Die Erziehung Tristans fällt in den der Liebeshandlung vorausgehenden Teil, sie erfolgt nicht im Minnedienst.

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Einklang ihres Gefühls vereinte Liebende (vgl. H E R Z M Ä R E 29-33). Da die Liebeshandlung nicht mehr von gesellschaftlichen Idealen bestimmt wird, bleibt die Gesellschaft in der Handlung ohne Bedeutung oder übernimmt, wo sie ihren Einfluß übt, eine den Liebenden feindliche Rolle wie im Tristan. Im H E R Z M Ä R E ist dies nur schwach in dem ,Gerede' (wort) der Leute angedeutet (i68f.). Je mehr sich das Gefühl zur Leidenschaft steigert, um so tiefer muß sich auch die Kluft zwischen Minne und Ehe auftun. Sie ist im H E R Z M Ä R E schroffer als in den andern sentimentalen Mären ausgeprägt, selbst wenn Konrad von Würzburg - stets aufs „Reputierüche"37 bedacht wie die meisten Autoren der folgenden Erzählungen - den faktischen Ehebruch meidet: die Vereinigung wird wie in der F R A U E N T R E U E erst im Liebestod möglich. An der grundsätzlichen Bewertung von Minne und Ehe ändert das freilich nichts: die Liebenden entscheiden sich nicht aus ethischen Gründen freiwillig zu einem Verzicht, sondern sind dazu gezwungen, weil sich ihnen die Gelegenheit nicht bietet (56-59). Dennoch spürt man überall den Versuch der Mäßigung gegenüber dem ,Tristan'. Die Liebe ist im H E R Z M Ä R E nicht zur hemmungslosen Leidenschaft gesteigert, sondern sie bleibt trotz ihrer Intensität noch verhalten und kommt - darin wirkt die klassische höfische Selbstbeherrschung nach - nicht äußerlich zum Ausbruch. Man sucht zwar wie im .Tristan' durch bedachtes Verhalten, durch vorübergehende Trennung, die Katastrophe zu meiden. Aber die innere Gewalt der Liebe entzieht sich zuletzt der versuchten Lenkung durch geistig-seelische Kräfte: das Paar stirbt an gebrochenem Herzen. Die Art dieses Todes ist symbolhaftes Zeichen für eine der Dichtung und dem Leben dieser Zeit neu hinzugewonnene, allerdings meist auch ins Sentimentale umschlagende Verinnerlichung. P E T E R VON S T A U F E N B E R G

Im H E R Z M Ä R E gehen beide Liebenden an den äußeren Widerständen, die ihnen aus der Ehe der Frau erwachsen, innerlich zugrunde und geben damit ein Beispiel ganzer triuwe (52). Damit kommt der Minne in der Werteinstufung uneingeschränkt der Vorrang vor der Ehe zu, der als einer den Liebenden feindlichen Institution im Gegensatz zur Vorbildlichkeit der Minne keinerlei Werte zuerkannt sind. Unter die"

Vgl. de Boor III, 1 S. 39 zu Konrads .Trojanerkrieg'.

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sem Gesichtspunkt läßt sich die nach Stoff, Gehalt und Personenkonstellation ganz andere Novelle P E T E R V O N S T A U F E N B E R G in der Behandlung hier anschließen. Es ist die Geschichte eines Ritters, dem sich eine überirdische Frau durch ein Liebesverhältnis unter der Bedingung verbindet, daß er niemals eine Frau zur Ehe nähme: sonst müsse er innerhalb von drei Tagen sterben. Das Paar lebt eine zeitlang glücklich miteinander, bis Peter schließlich den eindringlichen Vorhaltungen seiner Verwandten und den Einflüsterungen der Geistlichkeit (953), seine Geliebte sei der Teufel, erliegt und in die Ehe mit der Nichte eines Königs einwilligt. Nach der Hochzeit erfüllt sich die Prophezeiung seiner Geliebten mit dämonischem Zwang. Seit Panzers motivgeschichtlicher Untersuchung38 zählt man den Stoff des P E T E R VON S T A U F E N B E R G ZU den Sagen und Märchen von der gestörten Mahrtenehe.39 Das mittelhochdeutsche Märe weicht von den Erzählungen dieses Motivkreises allerdings so beträchtlich ab, daß die Zuordnung nur noch im Blick auf das übernatürliche Wesen und die Verbotsübertretung gerechtfertigt erscheint.40 Der entscheidende Unterschied liegt vor allem darin, daß Peter mit der überirdischen „Fee" keine Ehe eingeht. Aus den bei Panzer zusammenfassend dargestellten verwandten Stoffen ergibt sich ein mehr oder weniger variiertes Handlungsschema, zu dem folgende Geschehenselemente gehören, die P E T E R VON S T A U F E N B E R G nicht mehr kennt: 1. Der Held muß die verzauberte Fee erlösen und verlobt oder vermählt sich mit ihr unmittelbar danach. 2. Sie verbietet ihm, je über sie, vor allem über ihre Schönheit, zu sprechen. 3. Der Gatte verletzt dieses Gebot nach seiner Rückkehr zu den Menschen. "

F. Panzer, Merlin und Seifrid de Ardemont von Albrecht von Scharfenberg in der Bearbeitung Ulrich Füetrers, in: B L V 227, S. L X X I I f f . s » Panzer a.a.O., S. L X X I I I und C. Wesle im V L I Sp. 509. E . Stutz S. 80-83. E i n e n Überblick über die Spielarten dieses Motivs in Sage und Märchen gibt E . Tegethoff, Studien zum Märchentypus von Amor und Psyche, in: Rheinische Beiträge und Hülfsbücher zur germanischen Philologie und Volkskunde, Band 4. Bonn und Leipzig 1922, S. 28-44. 40 Wesle spricht dann auch von einer „Sonderform, die sonst nirgends nachgewiesen ist" wie „überhaupt das Motiv - Tod des Helden wegen Vermählung mit einer irdischen Frau - selten" sei; vgl. die Nachweise bei Bolte-Polivka II S. 328, die ebenfalls wenig Berührung mit PETER VON STAUFENBERG zeigen.

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4. Zur Strafe erfolgt die Trennung der Partner (nicht aber der Tod). Am Ende des Märchens - nicht der Sage - steht nach einer Kette von Bewährungen wie Bewältigung schwer lösbarer Aufgaben oft in drei Stationen - die Erlösung und glückliche Wiedervereinigung. Es ist interessant zu sehen, wie offensichtlich unter dem Einfluß der höheren Geltung, die die Liebe gegenüber der Ehe in der höfischen Zeit erlangt hat, die höfischen Erzähler das alte Märchenschema umgestalten. Schon in zwei altfranzösischen Lais, dem ,Lanval' der Marie de France und dem verwandten, früher ebenfalls ihr zugeschriebenen .Graelant'41 und dessen bretonischer Vorstufe 42 wird die Fee nicht die Gattin des Helden, sondern bleibt seine Geliebte; bewahrt sind das Schweigegebot und seine Verletzung. Sie wird im ,Lanval' ausgelöst, als König Artus' Gemahlin Lanval ihre Liebe gesteht und ihm ihre druerie anbietet (269): wegen seiner Zurückhaltung rächt sie sich an ihm mit einer Schmährede und fordert damit das Geständnis seiner Liebe zu der Jungfrau heraus. Nebenbei wirft auch diese Szene, in der Artus' Gemahlin aus eigener Initiative ein ,Dreiecksverhältnis' anstrebt, wiederum ein Licht auf die Auffassung der Ehe, die gegenüber der Liebe einen eigenen, von ihr unberührten Bereich bildet.43 Unter höfischem Einfluß hat auch das Schweigegebot die magische Kraft und Bedeutung und damit die Unabwendbarkeit des dämonischen Zwangs eingebüßt: es wird im Sinn der höfischen Liebe zur Forderung versachlicht, das Liebesgeheimnis vor der Gesellschaft zu hüten. So entsteht der Konflikt, weil die Gesellschaft die Verletzung des Verbots durch den Helden provoziert - die Geliebte nennt es vantance (,Prahlerei'; vgl. mhd. rüemen). Auf dieser Ebene ist am Ende der versöhnliche Ausgang wie im Märchen möglich: die Fee zeigt sich als ein höfisches Wesen, das huldvoll zu verzeihen weiß. Dies gilt auch von Konrads von Würzburg Heldin in seinem Ro41

42 48

Vgl. dazu K . Warnke in der Einleitung zu seiner Ausgabe der Lais der Marie de France S. C X X X I V f f . Der Dichter des WEINSCHWELG (vgl. V . 334), erinnert sich noch an .Gralant', verwechselt ihn aber mit .Ignaures', dem altfranzösischen Lai vom gegessenen Herzen; vgl. dazu schon von der Hagen G A I, S. C X X . Darüber bei Warnke a.a.O., S. C X X X V I , Anm. 2. Tute m'amurpoez aveir: kar me dites vostre voletr! Ma druerie vus otrei; mult devez estre liez de mei! (267fr.). Bei ihrem Gemahl beschuldigt sie Lanval nach seiner Weigerung dessen, was sie selbst von ihm erstrebte. Als durch das Eingreifen der Geliebten Lanvals die Wahrheit an den Tag kommt, ist von einem Konflikt zwischen Artus und seiner Gemahlin keine Rede.

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man ,Partonopier und Meliur', der mancherlei Berührungen mit den Lais und PETER VON STAUFENBERG zeigt, stofflich aber dem Märchen von ,Amor und Psyche' nähersteht. Mit einer Fee hat Meliur allerdings nichts mehr gemein. Sie versteht sich auf die Zauberkunst, die sie dazu befähigt, ihr Liebesverhältnis mit Partonopier vor ihren Leuten, also vor der Gesellschaft, geheimzuhalten und so ihre ere zu bewahren. Als Partonopier ihr Verbot, sie anzusehen, unter dem Druck von Verwandten und Geistlichen, die auf eine rechtmäßige Ehe drängen und in Meliur einen teuflischen Unhold vermuten, verletzt und seine Geliebte mit einer Zauberlaterne betrachtet, ist ihre nigromanzie dahin und das Liebesverhältnis entdeckt. D o c h nach langer Trennung mit einer endlosen Folge v o n Aventiuren, in denen sich Partonopier bewährt und in seiner Liebe zu ihr treu erweist, kommt es zur Versöhnung und erneuten Vereinigung. A u c h für diesen höfischen Roman und ebenso seine französische Vorlage 44 ist charakteristisch, daß Meliur - wiederum im Gegensatz zum Märchen v o n ,Amor und Psyche' - die Geliebte Partonopiers bleibt; die Ehe ist erst nach einer längeren Frist vorgesehen (Konrads Roman bricht vorher ab). In allen Erzählungen dieses Typs geht die Liebeswerbung v o n der Frau aus, und die Vereinigung folgt unmittelbar nach. In die Reihe dieser Erzählungen, die die Feengeschichte höfisierend umformen, gehört auch PETER VON STAUFENBERG. Er hat mit,Partonopier und Meliur' diese Motive gemein: die ,Fee' ist Geliebte, nicht Gattin des Helden; er verletzt das ihm auferlegte Verbot, weil die Verwandten auf eine rechtmäßige Ehe drängen; dabei werden von der Geistlichkeit vertretene christlich-religiöse Bedenken mitentscheidend, die die ,Fee' als Teufel verdächtigen; die auch im ,Partonopier' zunächst unheilvolle Wendung im Liebesverhältnis tritt ein, weil der Held dem Drängen und den Einflüsterungen nachgibt. In PETER VON STAUFENBERG ist die weibliche Hauptgestalt durch den „betont christlichen Standpunkt" (Stutz S. 81) des Dichters noch uneinheitlicher als in Konrads Roman geworden. Das überirdische "

.Partonopeis des Blois', hsg. von S. A . Crapelet, ζ vol., Paris 1834. Uber die verschiedenen Gestaltungen der Partonopeus-Sage s. E. Kolbing in: K . Bartschs Germanistische Studien z, 1875, S. 55-114.

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Wesen erscheint zugleich als die reizende, höfische Geliebte, die Peter nicht nur ihre Liebe, sondern auch unbegrenzt Gut und Vermögen46 schenkt. Ihr sind aber doch Züge des Dämons insofern belassen, als sich ihre Prophezeiung am Ende mit unerbittlicher Konsequenz erfüllt. In diesem Sinne bleibt sie - wohl gegen die Absicht des Dichters - die Unholdin, die die Geistlichen in ihr sehen. Auf der andern Seite erscheint sie selbst als vorbildliche Christin, die ihren Geliebten vor der ersten Liebesszene in die Messe schickt, ihn mahnt, die christlichen Gebote einzuhalten und ihn vor seinem Tode eindringlich daran erinnert, einen Priester kommen zu lassen, ihm zu beichten und das heilige Öl zu empfangen (994fr.). In ähnlich unbefangener Weise ruft Peter, innerlich schon ganz auf die von der Geliebten versprochene Gewährung eingestellt, während der Messe die heilige Jungfrau an und begibt sich in die Kemenate, um die Geliebte ,herbeizuzitieren'. Sie erscheint unmittelbar darauf bei ihm: die Fähigkeit, überall gegenwärtig zu sein, wohin sie sich der Geliebte magisch wünscht, ist ihr wie sie versichert - von Gott selbst verliehen (499). So erscheinen die heterogensten Elemente in einer fürs spätere Mittelalter typischen Weise ungestört nebeneinander: das MythischMagische, ja das Dämonische aus dem Sagenstoff, das Höfische (Schönheit und Liebe) aus der literarischen Tradition, das Christliche und in einem recht engen Sinne Religiöse, das in der Glaubenshaltung und geistlichen Bildung des Verfassers wurzelt und das ihm in einer Weise zum Anliegen wird, wie man es am ehesten bei einem Seelenhirten vermutet.48 Für die Kernfrage dieses Kapitels, wie sich das in der höfischen Dichtung angelegte Spannungsverhältnis zwischen Minne und Ehe in der Märengattung ausprägt, ist der P E T E R VON S T A U F E N B E R G ein instruktives Beispiel. Daß die ,Fee' - im Unterschied zu Sage und Märchen - die Geliebte, nicht die Gattin des Helden wird, hat das Märe mit den andern erwähnten höfischen Bearbeitungen des Stoffes gemein. Aber im Unterschied zu ihnen bezieht sich das ,Verbot' nicht darauf, das Liebesverhältnis als Geheimnis zu hüten,47 oder auf den 46 46

47

Ein Nachklang des Märchenmotivs. Man vgl. in diesem Zusammenhang nochmals das für einen Märendichter hohe Maß an rhetorischer Bildung (oben S. 4 ff.). Die steten Ermahnungen zu christlichem Verhalten und zur Gebotserfüllung, die er der Fee in den Mund legt, scheinen im Grunde seine eigenen: die heidnische Fee dient ihm zugleich als ,Sprachrohr'. So betont sie: ,. . . sag es stille und uberlut, wie ich mit dir gelebet han, daz erloube ich dir, min lieber man' (738fr.). 152

Anblick der Geliebten zu verzichten48 (,Partonopier', ,Amor und Psyche'), sondern allein und ausdrücklich darauf, eine Ehefrau zu nehmen - selbst andere Frauen wären ihm erlaubt. Die ,Fee' macht zur Bedingung: 383

und wiltu träten minen lip, so muostu ane elich wip iemer sin unz an din tot und lebest gar an alle not biz an den jungestlichen tag, daz dich nüt gekrenken mag und daz du niemer swecher wirst, ist daz du elich wip verbirst, nim swelch du wilt, wan nüt zer e. darzuo hastu iemer me guotes swes din herz begert, des bistu, frünt, von mir gewert, aber nimst ein elich wip, so stirbet din vil stolzer lip darnach am dritten tage: fürwar ich dir daz sage, wan ez nieman erwenden kan.

(Für die Wahrheit dieser Bedingung und Prophezeiung dient der Fee wiederum Gott als Bürge!) Peter von Staufenberg willigt ohne Zögern in diese Bedingung ein: war er doch schon in der Exposition als Musterritter eingeführt, der sich besonders im Frauendienst in allen Ländern Ruhm und Ehre erworben hatte (vgl. S. 4f.); die Ehe reizt ihn nicht. Als seine Verwandten ihn drängen, entgegnet er daher etwas herablassend, doch sehr entschieden in der Art des Minneritters, daß er sich in seiner freien Lebensführung als junger Ritter noch nicht einengen lassen könne, ja sich vor einer „allerlei Freuden zerstörenden Ehe" hüten wolle: 658

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,min lieben frünf, sprach er, ,in mac' mir selben nüt gestemen noch, mir ist ze manger hande gach daz zuo der e nüt hmret. die e gar vil zerstaret manger hande fröiden vil. davor ich mich noch hüeten wil: ich wil ein friez leben han die wile ich heize ein junger man.1

Ein Relikt dieses Sagenmotivs sind die V v . 928-931: auf den Wunsch des Bischofs, Peters Geliebte zu sehen, antwortet er: ,sie lat sich nieman sehen an man mich alters eine' 93of.).

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Gewiß: diese Argumente dienen ihm dazu, den wahren persönlichen Grund für seine Ablehnung zu verschleiern, doch er darf mit dieser allgemeinen Motivierung am ehesten hoffen, Verständnis für seine Zurückhaltung zu finden. E r vermag aber seine friint nur für kurze Zeit hinzuhalten. Ihren zweiten Versuch, ihn umzustimmen, wehrt er ohne weitere Begründung schroff ab: 681

, . . . ich wil kein elicb wip. solt man darumbe minen lip ze riemen gar zersniden, die e die ml ich miden...'

Der Hinweis, statt der Ehe lieber das Schicksal eir sich zu nehmen, gewinnt im Zusammenhang mit unglücklich verheirateten Mannes mit einem i. feindlichen' Schwankdichtung klerikaler Traditi. d e u t u n g ( v g l . BÖSE FRAU I75FF.; dazu S. 287 u n d S. _

Überhaupt entspricht das Bild, das der Leser von α 0 ebotenen Ehe bekommt, ganz der konventionellen Art ein^ aus nüchternen Überlegungen geschlossenen mittelalterlichen Standesehe, die dem Emotionalen keinen Raum läßt und wenig dazu angetan ist, dem Ritter verlockend zu erscheinen oder ihn gar zu außergewöhnlichen Taten und zur Selbstvervollkommnung anzuspornen. So geht der Vorschlag der Heirat von der Sippschaft Peters aus {sin brüeder und die mage 625); sie motiviert ihre Bitte mit dem Argument, das nach kirchlicher Auffassung vor allen andern den Sinn der Ehe begründet und sie erst rechtfertigt: die Erzeugung der Nachkommenschaft (vgl. S. 139). 628

sü sprachent ,sol sin stolzer lip an libes erben sterben? sol er alsus verderben daz er ouch lat kein kindelin V

Sie bekräftigen ihre Forderung mit dem Hinweis auf seine Ehre und den großen Besitz. Dann folgen dynastische Erwägungen: sogar Fürsten wären bereit, Peter die Tochter zur Frau zu geben (648f.), und von solcher Verbindung hätten all seine fründe (Verwandten) Ehre und wirt erhebet din gesieht (653). Was den Verwandten durch Überreden nicht gelingt, darin wird Peter, ohne es zu wollen, schließlich durch seine Teilnahme an einem Turnier anläßlich einer Königswahl in Frankfurt verwickelt: als Turniersieger erregt er die Aufmerksamkeit des Königs, und dieser ist fest entschlossen, Peter seine achtzehnjährige muomen ... zuo der e (855-861) zu geben - selbstver-

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ständlich ohne daß der künftige Bräutigam seine ihm Anverlobte vorher gesehen hätte. Liebe bleibt als ein der Ehe fremder Bereich fern. Alles Weitere vollzieht sich für Peter mit unausweichlichem Zwang: Sein Versuch, die Verbindung mit einer jungen Dame von so hoher Geburt zurückzuweisen, gilt der Gesellschaft als unversunnen (901). Als er sich daher gezwungen sieht, den wahren Grund für seine Zurückhaltung zu bekennen, übernehmen es Bischof und Kaplan, ihm die Strafe ewiger Verdammnis auszumalen. So kommt es zu der entscheidenden Wende: die pfafheit hat in Überret (953). Peter willigt in die Ehe ein; sein Schicksal erfüllt sich drei Tage nach der Hochzeit. Berücksichtigt man bei der Liebeshandlung des P E T E R V O N S T A U F E N B E R G gerade die Umgestaltungen des alten Sagenmotivs, so zeigt sie verschiedene späthöfische Symptome. Die im klassischen höfischen Roman angestrebte und vorübergehend verwirklichte Einbeziehung von Minne in die Ehe ist wieder verloren gegangen. Beide erscheinen, wie ursprünglich bei Andreas Capellanus, wieder als zwei Bereiche, aber jetzt überschneiden sie sich in verhängnisvoller Weise. Minne ist auch nicht mehr Bildungsmacht, durch die dem Werbenden nach längerer Prüfung durch entsagungsvollen Dienst endlich der erstrebte Lohn zuteil wird. Sie fällt ihm wie ein Geschenk zu, ist aber an eine Bedingung geknüpft, die zum fatalen Ende führt - ein Ausgang, der für die folgenden Mären ebenfalls bestimmend ist. Doch anders als in ihnen49 entwickelt sich die Minne nicht zur verzehrenden Leidenschaft, sondern ihr bleibt - bei allem »Wunderbaren' - der konventionelle Zug eines höfischen Minneverhältnisses. Das Entscheidende dabei ist, daß der Liebe der höhere Rang vor der Ehe zukommt und die Liebe durch die Ehe gefährdet wird: ein Gedanke, der den vergleichbaren Gestaltungen dieser Feengeschichte noch fremd war. Da sich triuwe in höfischen Mären mit einem ,Dreiecksverhältnis' immer auf das Verhältnis der Liebenden zueinander bezieht, meist das der Frau zu ihrem Geliebten und nicht die eheliche Treue meint,60 könnte man mit dieser höfischen Vokabel sagen: Peters Schicksal wendet sich zum Tragischen, weil er seiner Geliebten, entgegen seinem Versprechen, durch die Verbindung mit einer Ehefrau untreu wird61 - im *· FRAUENTREUE, und die Geschichten um zwei Liebende, wie PYRAMUS UND THISBE, H E R O UND L E A N D E R u n d DER S C H Ü L E R VON P A R I S . 60

S o i m H E R Z M Ä R E ( v g l . S . 1 4 6 ) , in d e r F R A U E N T R E U E ( S . 1 7 2 ) u n d H E I D I N ( S . 1 9 8 ) .

51

Auch L . Röhrich, Erzählungen des späten Mittelalters I, Bern 1962, kommt - unbelastet von dem Problem der höfischen Minne-Ehe-Spannung - bei der Erörterung des PETER

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Gegensatz zu der ,Fee', von der es in der Szene des letzten Zusammentreffens mit Peter heißt: die sin ie mit triuwenpflag (975). Sie bekennt: ,da tuot mir we ein wip du nimest zuo der e, daz mich wol iemer rrnen mag' (981fr.). Denn immer gilt der höfischen Liebe die Treue zum geliebten Partner als oberstes Gebot. 52 So wird in Gottfrieds ,Tristan' die letzte Phase der tragischen Entwicklung eingeleitet, als der Held durch seine Verbindung mit Isolde Weißhand, noch bevor diese in die Ehe einmündet, seiner Geliebten untreu und damit zum ersten Mal wirklich schuldig wird.83 Im vorletzten Monolog Tristans ist seine Untreue, der er sich in bitterer Selbsterkenntnis bewußt wird, mit der Treue Isoldes, die er sich zwischen ungerechtfertigtem Zweifel selbst eingesteht, wirkungsvoll konfrontiert,64 bis er in fortschreitendem Zustand der beworrenheit (18988, Gegensatz zu sapienter amare!)88 der Selbsttäuschung verfällt. Der letzte Impuls zu Tristans physischer Vernichtung geht von seiner Ehefrau aus, die dem zu Tode Verwundeten die Ankunft seiner Geliebten verschweigt! Wie im »Tristan' steht das Liebesverhältnis Peters von Staufenberg gegen die Interessen der Gesellschaft. Setzt aber dort die Wendung zur Katastrophe ein, als die Liebenden in der Szene im Baumgarten die letzte äußerliche Rücksicht auf die höfische Gesellschaft fallen lassen, so geht Peter zugrunde, weil er sich ihren Forderungen beugt. Insofern hat sich die Idee der Minne noch mehr als im ,Tristan' auch aus ihrer letzten äußerlichen Bindung an eine gesellschaftliche Instanz gelöst. Peter wird schuldig, weil er dieser Instanz nachgibt. VON STAUFENBERG ZU einem entsprechenden Urteil: „ A u c h deutet nichts darauf hin, daß der Ritter in seinem T o d eine Strafe für seinen teuflischen Umgang sieht; seine Reue bezieht sich lediglich auf den Treuebruch an der f r o u w e " (S. 245). M Bei Andreas scheidet allerdings die Ehe als konfliktschaffendes Hindernis für ein Liebesverhältnis aus, weil Liebe in der Ehe nicht möglich sei. V g l . auch S. 275 Anm. 105. ** Gottfried, der es sonst meidet, das Paar wegen seiner ehebrecherischen Liebe ausdrücklich als schuldig zu bezeichnen, spricht Tristan wegen des Doppelspiels gegenüber Isolde Weißhand zum ersten Mal explicite schuldig (i9j95ff.) und wirft ihm Betrug und Lüge vor. 64 ,ich ungetriuwer, waz tuon ich?' - ,ich triuweloser Tristan! ich minne zwo Isolde und han die beide holde und ist min ander leben, Isolt, niaan einem Tristan bolt, diu eine wil dekeinen Tristanden wan mich einen und wirbe ich ie genote nach anderer Isote' (1914z und 19154fr.). V g l . auch 19468(1. Frau state erinnert ihn an die Treue seiner Isolde: ,sich dine triun/e an Isot an, gedenke genote der getriuwen Isote, diu nie vuoz von dir getrat' (19258fr.). 45 In diese beworrenheit stürzt ihn Isolde Weißhand. Durch die versuchte Identifizierung der zweiten Isolde mit der blonden Isolde ist er verirret abe (19016); hie verwar sich Tristan inne, sagt Gottfried 19375. we dir, sinneloser man, verirreter Tristan! la disen blinden unsin ... (19163(1.). 156

Die für die übrigen behandelten höfischen Novellen charakteristische ,Dreieckssituation' erscheint hier insofern abgewandelt, als der Liebhaber in den Konflikt einer Wahl zwischen der Geliebten und der zukünftigen Gattin gestellt ist. Dies neue, ,umgekehrte' Dreiecksverhältnis löst im .Tristan' (der nun zwischen der blonden Isolde und Isolde Weißhand steht) das alte ab (Isolde zwischen Tristan und Marke) und führt den tragischen Ausgang herbei. Immer aber kommt der Verbindung zwischen den Liebenden der höhere Rang gegenüber der Bindung in der Ehe zu, und in beiden Gedichten führt die mit einer andern Frau eingegangene Ehe zum Untergang des Helden. Die Ehe, die den Konflikt schafft, entspricht im P E T E R V O N S T A U F E N B E R G der konventionellen Eheauffassung. Aber viel absoluter und kompromißloser als im H E R Z M Ä R E , im M O R I Z V O N C R A U N oder gar in der F R A U E N T R E U E erscheint sie hier als eine dem Liebenden feindliche und ihn vernichtende Macht. Gegen die Darstellung der Minne und der Ehe nimmt sich die überall spürbare starke christliche Tendenz wie ein Fremdkörper aus. Sie trägt auch nicht dazu bei, der alten konventionellen kirchlichen Eheauffassung (vgl. S. i39f.) neue, positivere Akzente zu verleihen, wie es in andern Quellen dieser Zeit durchaus vernehmbar ist. Die Argumente der Geistlichkeit beschränken sich darauf, die Geliebte Peters als Teufel zu verdächtigen - ein Vorwurf, der auch in der Auffassung des Dichters um so unbegründeter ist, als er sie selbst fast aufdringlich mit allen Zügen eifernder Frömmigkeit ausgestattet hat. Um so bemerkenswerter ist, daß gerade Bischof und Kaplan nichts von der sündenerlösenden, vor der Hölle bewahrenden Kraft wissen, die von der rechten e ausgehen kann.56 Eine höhere Bewertung der Ehe läßt dagegen die F R A U E N T R E U E erkennen. DIE

FRAUENTREUE

Auch in dieser Erzählung ist Heterogenes zusammengeflossen; das zeigt sich besonders in dem Versuch des Dichters, den alten Gedanken "

Trevrizent zu Parzival: wert ir erfundn an rehter e, iu mac zer helle werden we, diu not sol schiere ein ende hän, und wert von bandn aldä Verlan mit der gotes helfe al sunder twäl (468, 5ff.). Z u r positiven Auffassung der Ehe durch die Kirche vgl. ζ. B. Gottfried Weber, Gottfrieds von Straßburg Tristan und die Krise des hochmittelalterlichen Weltbildes um 1200, Stuttgart 1953, 2. Bd. S. 159, und besonders das V I I . Kapitel des S. 159 Anm. 13 genannten Buches von Marlis Schumacher.

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des Minnedienstes und -lohnes mit einet neuen Auffassung von der Ehe zu verbinden. Hinzu kommt, daß weder in der älteren GA-Fassung noch in der verkürzenden niederdeutschen Übertragung und der später aufschwellenden, aber nicht alle Lücken schließenden Liedersaal-Fassung das Original vorliegt.67 Aber trotz aller ihrer Mängel gehört die F R A U E N T R E U E zu den eindrucksstärksten Denkmälern der ernsten Mären mit Minnethematik. Die Interpretation läßt die Frage, wie das Original ausgesehen haben könnte, absichtlich beiseite (vgl. dazu die in Anm. 5 7 genannten Arbeiten). Sie nimmt das Denkmal so, wie es in der ältesten Fassung überliefert ist, und fragt danach, was der Dichter (bzw. Bearbeiter) mit dieser Redaktion58 beabsichtigt hat. Ob der Dichter nur einen ihm überlieferten Vorgang ohne bestimmte ideelle Konzeption nacherzählen oder das Geschehen unter eine einheitliche Leitidee fassen wollte, darüber gibt schon der Prolog mit der Ankündigung des Themas (des argumentum; vgl. S. 60) Auskunft: wie state an allen orten der werden vrouwen herze was... also daz si im mit triuwen galt, der ir ze dienste hate gezalt lip, herze, sin unde muot... destönteim diu guote, diu reine wolgemuote ... (8-18), ,Minnedienst und Lohn' ist für den Dichter das zentrale Thema. Auch im Schlußteil betont er ausdrücklich: Merket, wie diu vrouwe nuo Im siner triuwen lone (3 36ff.), und die letzten Verse nehmen den Grundgedanken des Gedichts noch einmal auf: sust hate si im vergolden und tete im ganze triuwe59 schin (3 88f.). Schließlich läßt der in den Handschriften Η und C folgende Zusatz des Rezitators (der evch daz bvchel hat gelesen·, Schlußvers des Zusatzes) erkennen, daß er in seiner Auffassung des Märe von der des "

58 49

Vgl. H.-F. Rosenfeld im V L I Sp. 65 8f. Über das Verhältnis der Fassungen untereinander und ihre mutmaßliche Stellung zum Original hat mit unterschiedlichen Ergebnissen K. Burchardt gehandelt: Das mittelhochdeutsche Gedicht von der Frauentreue, Diss. Berlin 1910. In verschiedenen Einzelheiten wird man Burchardt nicht immer zustimmen können; besonders bleiben die von den überlieferten Fassungen auf das Original gezogenen Rückschlüsse mehr oder weniger hypotethisch. Burchardt kommt aber das Verdienst zu, durch seine vergleichenden motivgeschichtlichen Untersuchungen erhellendes Licht auf den ursprünglichen Sinn verschiedener Motive geworfen zu haben, dessen Kenntnis für die Interpretation unentbehrlich ist. Diese Beiträge sind von H. Lang sinnvoll ergänzt und geistesgeschichtlich durchleuchtet worden. Lang hat besonders die höfischen und bürgerlichen Elemente behutsam dargestellt, die sich in der FRAUENTREUE - gerade auch in der Minne- und Eheauffassung - stark überlagern. Beiden Arbeiten ist die vorliegende Interpretation dankbar verpflichtet. Als Textgrundlage dient die kritische Herstellung Burchardts, a.a.O. S. 1 - 2 5 . riutve (389) statt trium (so auch in der LS-Fassung) beruht Wohl auf einem Versehen Burchardts. 158

Ρ"

..re - η : hier . j e zu stellen, . d e r FRAUENTREUE

.α ihm umworbene Frau -neinbar verheilt, bei der U m . j r i c h t und ihn verbluten läßt. A n . die Frau ihre eigene eheliche B i n d u n g Geliebte des Ritters. Sie stirbt über seinem ..iem Herzen. Ihre Treue bezieht sich nach A r t der ...ren auf den Geliebten, nicht auf den Gatten (vgl. S. 146 _. 155). D i e Schlußgestaltung mit dem G e d a n k e n des - freilich auf anderer E b e n e - gewährten Minnelohns stimmt also z u dem i m P r o l o g angekündigten T h e m a und dem im Schluß genannten Titel. I m Hauptteil dagegen sucht der Dichter das Bild einer „ d e m ü t i g keuschen H a u s f r a u " (de B o o r III, 1 S. 252) aufrechtzuerhalten. D i e V e r b i n d u n g dieser beiden widersprechenden Vorstellungen - eine neue

Variation

der

charakteristischen

Minne-Ehe-Spannung!

-

macht das eigentliche Problem dieser Versnovelle aus. D i e traditionell mit dem Preis des Helden einsetzende Exposition (23 fr.) schildert ihn als einen i m Frauendienst berühmt gewordenen Ritter, der o f t L o h n empfangen habe (genozzen 40): auch die laus ist demnach auf das i m P r o l o g angekündigte Dienst-Lohn-Thema abgestimmt. N o c h erscheint die Minne als höfische Ordnungsmacht, die der Selbstvervollkommnung des Einzelnen und den sozialen Belangen der Gesellschaft gleichermaßen dient. A b e r diese ideale Minnevorstellung gehört der Vorgeschichte an, sie bezieht sich auf die bisherige Lebensführung des Ritters (convictus). D i e V o r a u s d e u t u n g am E n d e der laus kündigt nach A r t , t r a g i s c h e r ' Mären an, daß diese A u f f a s s u n g der Minne nicht mehr gilt: 41

Ze jungest er sin doch engalt, wanz in verleitete unde valt.

D o c h zunächst verläuft die Suche des Ritters nach einem neuen A v e n tiure-Minne-Abenteuer, mit der nun in die allgemeine Situation der Vorgeschichte eingeführt wird, in den in der laus vorgezeichneten *59

Bahnen. Der Ritter kommt nicht in die Jtat, weil ihn die Liebe zu einer bestimmten Frau dazu treibt, sondern üf aventiure, nach sinen siten, durch ritterschaft (44!:.), und aus diesem allgemeinen Anliegen, dem deutlich der für die höfische Liebesauffassung mitbestimmende Zug des ehrgeizigen, persönlichen und gesellschaftlichen Ruhmerwerbs anhaftet, stellt er dem ihm bekannten Bürger die Frage, wo er die schönste Frau fände. In diesem ersten Ansatz bleibt demnach die Auffassung der Liebe in der Tradition verwandter Darstellungen in Märe und Roman: es ist eine auf den eigenen und des Partners Wert und Geltung bezogene Liebe, die durch Verdienst erworben wird und nach Verdienst ihren Lohn empfängt.80 Dieser Gedanke hat ebenso wie die Wahl der Dame nach dem höchsten Grad ihrer Schönheit und ihres Ansehens einen rationalen, auf die Konvention ausgerichteten Zug; indem die Gewährung des Lohns von bestimmten ,moralischen' Bedingungen abhängig gemacht wird, ist das Streben, die letzte Gunst der Geliebten zu erwerben, zugleich über die Stufe des elementaren Begehrens emporgehoben. Als aber der Ritter beim Kirchgang eine bestimmte Frau erblickt, da erscheint sie ihm nicht nur im konventionellen Sinne als die schönste; da ist es nicht die in ihrem sozialen Rang hochstehende Minnedame, in deren Dienst er seinen eigenen Ruhm (wie Moriz von Craün) am förderlichsten mehren kann; sondern die Frau, Gattin eines Bürgers, dringt im selben Augenblick ins Innerste seines Herzens ein (72f.) und läßt in ihm das Feuer der Leidenschaft erwachen: sie hate in gar der sinne beroubet (75). Wie diese ,Liebe als Leidenschaft' entsteht, hat Andreas Capellanus zu Beginn seines Traktats eingehend beschrieben. Er eröffnet das erste Kapitel mit der Definition: Amor est passio quaedam innata procedens ex visione et immoderata cogitatione formae alterius 60

Sehr charakteristisch dafür sind Liebeswerbung und Lohngewährung in dem der FRAUENTREUE verwandten Fabliau ,Des trois Chevaliers et del chainse' (MR III, No. 71 S. 123-136). Die von drei Rittern umworbene Dame wendet ihr vornehmliches Interesse zunächst α Ii plus riche des trois zu und erwartet, daß dieser auf ihre Bedingung, ohne Rüstung in ihrem Hemd zu kämpfen, eingehen werde. Daher läßt sie ihm als erstem das Hemd anbieten. Als er und der zweite, ebenfalls .reiche' Ritter es zurückweisen, in der Tapferkeitsprobe also versagen, der dritte arme dagegen sie besteht, schenkt sie diesem nach seinem Verdienst ohne Zögern ihre Liebe und bekennt sich öffentlich als seine Geliebte. - Ähnlich läßt sich Moriz von Craün von wohlbedachten Überlegungen (266) bestimmen, der Gräfin von Beamont seinen Dienst zu widmen; sie gilt ihm als die Würdigste (269). Ebenso selbstverständlich kündigt er ihr seinen Dienst auf, als er sich in dieser Erwartung getäuscht sieht, und erwirbt sit dicker undc me woanders lop und ere (1639 und 1643).

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pexus (Battaglia S. 4), und er fährt unmißverständlich fort, daß diese sassio den Wunsch nach völliger Hingabe wecke. Nach der folgenden Erläuterung dieses Satzes und seiner Kernbegriffe stellt die passio die Fähigkeit zum .Erleiden' dar.61 Sie ist dem Menschen zunächst als passive Anlage angeboren. Übereinstimmend mit der erwähnten mittelalterlichen Auffassung des menschlichen Willens (vgl. S. 45) entsteht die passio nicht durch eine .Anstrengung' oder Willensaktivität {ex nulla oritur actione·, S. 6), sondern durch Eindrücke, die der animus beim Anblick einer zur Liebe .geeigneten' (aptam amori) Frau empfängt, die seiner Vorstellung entspricht (suo formatam arbitrio). Sofort beginnt er, sie in seinem Innersten zu begehren, und je mehr er an sie denkt, umso mehr flammt die Liebe in ihm auf, bis seine Gedanken ganz von ihr erfüllt sind. Bald weiß sich der amor nicht mehr zu zähmen, und der Liebhaber schreitet zur Tat. incipit enim cogitare, qualiter eius gratiam valeat invenire (S. 8). Er sucht und forscht nach Ort und Zeit, die günstig wären, die Geliebte zu sprechen. Zusammenfassend betont Andreas noch einmal, daß visio und cogitatio die entscheidenden auslösenden Faktoren bei der Entstehung der Liebe sind.82 Genauso ist dieser Vorgang in der FRAUENTREUE dargestellt. Die sprachliche Formulierung si quam im... mitten in sines herzen grünt (7if.) läßt deutlich die passive Aufnahme des v o m Partner ausgehenden Eindrucks spüren. Die Liebe wird durch die visio... formae alterius sexus geweckt; daher erscheint es logisch, wenn der Dichter jetzt eine detaillierte Schönheitsbeschreibung der Frau einflicht (dazu schon S. i6ff.). Der visio folgt die cogitatio immoderata,63 und wie bei Andreas der Liebhaber darüber sinnt, wie er der Geliebten gratiam valeat invenire, so ist der Ritter um den Gruß der Dame bemüht. Ebenso sucht er ihr räumlich nahe zu sein, indem er sich in einer Herberge in unmittelbarer Nähe der Frau einquartiert (ΐ29#.). Schließlich schreitet er zur Tat (statim procedit ad actum) : er läßt ein Turnier ausrufen. Solche Liebe ist eine passio, die auf den Besitz des andern und die Befriedigung des elementaren Triebs zielt. Der Mensch erfährt sie als 61 62

Vgl. dazu Schlösser S. 97fr. Mit entwaffnender Logik weist er später bei der Frage Quae personae sint aptae ad amarem (Kap. V ) nach, daß bei einem Blinden Liebe nicht entstehen könne quia videre non potest (Battaglia S. 16). Wohl auch deshalb kennt die Schwankdichtung Blinde als Liebhaber nur in einer wenig glücklichen Rolle; vgl. DER BETROGENE BUNDE II und D E R BLINDE HAUSFREUND.

*8 sin herze daz was gar verselt an die vroumn tac und naht, er trünke, er aze, er sliefe, er waht, er stüende, er gienge, er lüge, er saz, der vrouwen niemer er vergaz (114fr.).

l6l

.gslose Verstrickung",®4 als unausweichlichen Zwang; 65 Verund Überlegung: die sinne (75) sind weithin ausgeschaltet. Andreas aber hat mit der Schilderung dieser Liebe nur eine Ausgangsposition geschaffen, von der aus er seine Auffassung einer durch den Geist gelenkten, das Seelische einbeziehenden Liebe umso entschiedener abhebt. Der herkömmlichen Vorstellung stellt er das höfische Ideal des sapienter amare gegenüber (vgl. dazu S. 137fr.). Die Frage, ob die Liebesauffassung in den Mären noch von höfischen Vorstellungen mitbestimmt ist, wird sich also nur in dem Maße bejahen lassen, in dem bei der Gestaltung der Liebe ein rationaler Zug als Widerpart des rein Affektiven erkennbar ist. Auf die F R A U E N T R E U E angewendet, ist das Entscheidende daher nicht, daß der Ritter von einer Leidenschaft getroffen ist,68 sondern wie er auf sie reagiert, ob er ihrer Herr wird. Bevor sich darüber urteilen läßt, muß der weitere Gang der Handlung verfolgt werden. Sosehr den Ritter die Leidenschaft übermannt und seine Vernunft lähmt {der sinneberoubet [V. 7 5 ] kündigt den krassen Gegensatz zu sapienter und damit schon eine stärkere Geltung des Irrationalen an), geht sein Streben doch dahin, sich die Liebe der Frau nach Art eines Minneritters durch Verdienst und Bewährung zu erobern. Er schlägt die höfliche Einladung des Bürger-Gatten, sein Gast zu sein, aus und gibt damit zu erkennen, daß er nicht gewillt ist, sich von seinem Entschluß durch Rücksichtnahme auf seinen Wirt abbringen zu lassen: Minne stellt sich gegen die Ehe. Damit deutet sich auch hier ein Dreieckskonflikt an. Das Turnier schließlich ist für den Ritter zugleich eine Form der persönlichen Huldigung für die Dame wie eine Art öffentlicher Legitimation seiner Werbung und - seines Anspruchs auf Lohngewährung. Die billigende Anteilnahme der Gesellschaft am Turniergeschehen drückt sich darin aus, daß manc werdiu vrouwe quam gegän al dar zu tröste dem wunden man (169^). ,4

Schlösser S. 100 und Anm. 160. • 6 Vgl. die aus der Ovid-Tradition stammende Herleitung von amor aus hamus (Angelhaken; vgl. dazu Schlösser S. 102 und den Anfang der mittellateinischen comedia MILO, Cohen I S . 168: Hamus amoris edax et rete capacius orbe Omnia cum capiant insacianter hiant) und entsprechende Formeln von twane der Minne. Gottfried gebraucht das Bild des mit Leimruten gefangenen Vogels (.Tristan* 843fr.), das wörtlich in ARISTOTELES UND PHYLLIS übernommen wurde (510-319; Rosenfeld V L I Sp. 124). Vgl. sinng e m ä ß FRAUENLIST 213T. u n d N A C H T I G A L L 1 3 9 ^ u n d 2 2 2 . ,e

Insofern wäre diese Liebe, wenigstens äußerlich, der frühhöfischen Minne verwandt, die die .Betroffenen' wie eine Krankheit überkommt.

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Doch in anderen Einzelheiten weicht schon die Turnier, vom Herkömmlichen ab, wie es die verwandten Novellen L Es fehlt die ihnen gemeinsame ,vertragliche' Absprache mit der bei der sie in die Unternehmung einwilligt und Minnelohn verspr. Daher stellt nicht sie die erschwerte Turnierbedingung (wie in c ,Trois Chevaliers' und im F R I E D R I C H V O N A U C H E N F U R T ) , sondern de Ritter verzichtet von sich aus auf die Rüstung. Er kämpft nur mit seinem Hemd bekleidet, nicht in dem der Frau (wie in den ,Trois Chevaliers'). Er geht nicht, wie Moriz von Craün oder der ebenfalls schwerverwundete Chevalier des Fabliau, als Sieger aus dem Kampf hervor, sondern wird von seinem Gegner niedergestochen und dabei schwer verwundet. Damit ist der ursprüngliche Sinn der Auslese verlorengegangen, nach der der schönsten Frau der tüchtigste Ritter gebührt. Auch die Frau verhält sich anders als die höfische Minnedame des Fabliau und die Gräfinnen im M O R I Z und im A U C H E N F U R T in diesem Stadium der Minnehandlung. Zwar „grüßt" sie den Ritter, doch wie der Dichter bemerkt - äne ärcwan: ihr bedeutet der Gruß nicht die erste Stufe eines zarten Entgegenkommens. Als ihr die Zuneigung des fremden Ritters bewußt wird, bekümmert es sie im Innersten, und sie zieht sich ganz zurück.88 Denn, so versichert der Dichter ausdrücklich: 140

. . . si ze nieman liebe truoc wan ze ir elichen man. der ritter in der tninne bran.

In der Gegenüberstellung von liebe und minne sind höfische Tradition und ihre Umgestaltung zugleich erkennbar. Am krassesten hatte Andreas Capellanus mit dem Gedanken völliger Unvereinbarkeit von Liebe und Ehe den amor von der Empfindung getrennt, die Eheleute miteinander verbindet.69 Liebe gebe es nur außerhalb der Ehe; heirate "

M O R I Z VON C R A Ü N , , D e s t r o i s C h e v a l i e r s ' , F R I E D R I C H V O N A U C H E N F U R T .

diu vrouwe began sich hüeten (138). Hier ist mit dem in Minneexkursen gern ausgesprochenen Gedanken ernst gemacht, eine guote vrouwe bedürfe der huote nicht, sondern wisse sich selbst zu hüeten (vgl. .Tristan' I7875f.). Damit bleibt dem Ehemann, der sonst meist die huote veranlaßt oder selbst übernimmt, die Rolle des Eifersüchtigen erspart. Die E h e des Paares ist von jedem Makel freigehalten. " Vehementer tarnen admiror, quod maritalem affectionem quidem, quam quilibet inter se coniugati adinvicem post matrimonii copulam tenentur habere, vos vultis amoris sibi vocabulam usurpare, quum liquide constet inter virum et uxorem amorem sibi locum vindicare non posse. (Battaglia S. 166). . . . quamvis omnimoda coniugati dilectionis ajfectione iugantur, eorum tarnen affectum amoris non posse vice perjungi (ebd.).

m

163

ein Paar aus Liebe, so gehe die Liebe bald zu Ende.70 Die F R A U E N TREUE setzt für die auf herzlicher, treuer Zuneigung ruhende maritalis affectio den Begriff liebe, der für den Dichter seinem Bedeutungsgehalt nach die Verinnerlichung des Gefühls angemessen ausdrückt; die Leidenschaft, die des Ritters Gefühl für die vrouwe bestimmt, nennt er minne.71 Eine begriffliche Unterscheidung zeigt deutlich, daß die Trennung der beiden Bereiche auch hier nicht aufgegeben, die Spannung zwischen ihnen nicht überwunden ist. Daher ist der Dichter von Anfang an bemüht, die Ehe selbst als unantastbar erscheinen zu lassen72 und ein von jedem Verdacht freies Bild der keuschen, auf eheliche Treue bedachten Frau zu zeichnen. Wohl nicht ohne Zusammenhang mit dieser Intention hat er die Frau aus dem Bürgerstand gewählt.73 Zu der die Novelle bestimmenden Grundidee vom Minnelohn freilich scheint diese Konzeption der Frauengestalt zunächst kaum zu passen: man spürt wiederum das Nebeneinander des - für die höfische Klassik - Unvereinbaren (vgl. S. 152). Es fragt sich aber, ob die Gestaltung der Schlußszene, die auf ihre Art den Gedanken des Minnelohns durchführt, nur durch einen Bruch im Charakter der Frau zu erkaufen war. Darüber kann eine nähere Betrachtung des zweiten ,Aktes' Aufschluß geben, der nach Art der oben dargestellten Kompositionstechnik die Heldin im Konfliktzustand zeigt: der verwundete Ritter, ihr Gegenspieler also (vgl. über die Rollenfunktionen S. 95f.), hatte seinen Willen bekundet, sich durch niemanden heilen zu lassen - es sei denn durch sie, um deretwillen er die Verwundung erlitten (165ff.). 70

71

72 78

In II, 4, das dem Thema Qualiter finiatur amor gewidmet ist, vergißt Andreas nicht zu bemerken, et superveniens foederatio mptiarum violenter fugat amorem ( Battaglia S. 288). V g l . dazu auch Schlösser S. 121 ff. So ist es auch ir süeze minne (,die Leidenschaft für sie'), die ihn twanc (144), das Turnier auszurufen. V g l . dazu auch H. Lang S. 50. Deswegen ergibt sich jedoch die Problematik des Märe nicht unmittelbar aus der sozialen Stellung der Frau, etwa weil sie die Gesetze des ritterlichen Minnedienstes als Bürgerin nicht kenne. So meint Burchardt, das Fehlen des Vertrages habe den Dichter wohl veranlassen können, die Frau aus dem Bürgerstande zu nehmen (Burchardt a. a. O . S. 96). Das gehobene Bürgertum gehört mit zur Gesellschaft. Schon Andreas Capellanus bezieht auch Bürger (plebeius = der Nichtadlige) in seine Mustergespräche ein und betont, daß bei der Wahl der Geliebten innere Vorzüge, nicht adlige Herkunft entscheidend sein müßten (morum probitas, quae primitus nobilitate distinxit homines ac generis induxit differentiam Battaglia S. 22). Dem entspricht die Betonung des inneren Adels in den höfischen Tugendlehren etwa bei Thomasin, später bei Johannes Rothe und anderen Moralschriftstellern. In diesem Gedanken wirkt sich der zunehmende Anteil des Bürgers und Klerikers an der Literatur aus.

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Die Szene des inneren Konflikts verdient deshalb besonders beachtet zu werden, weil sie der deutsche Dichter neu geschaffen hat.74 E r läßt den Konflikt der Frau aus ihren inneren Hemmungen entstehen. Trotz der Aufforderung durch ihren Gatten vermag sie sich zunächst nicht zum Besuch des Kranken zu entschließen, gerade weil ihr die Leidenschaft des Ritters bewußt geworden ist (13 5ff. und 1 8 3 ^ ) und sie ihre Ehe nicht belasten möchte (i4off.). Umso mehr legt sie sich Zurückhaltung auf. Aber als demütige Ehefrau fügt sie sich schließlich der wiederholten Bitte ihres Gatten und läßt sich zu dem Besuch bewegen. 76 A m Bett des Kranken bekundet sie wohl ihr Mitgefühl, sucht aber seiner Bitte auszuweichen, sie möge mit ihrer Hand das Eisen aus der Wunde ziehen. Denn ihr scheint bewußt, daß der ' 4 Die Dame in den ,Trois Chevaliers" besucht unvermittelt den verwundeten Chevalier und heilt ihn, indem sie ihm ihre Liebe schenkt (MR III, S. 3 2 0 , Vv. }2iff.). In F R I E D R I C H VON A U C H E N F U R T ist die Besuchsszene getilgt - wohl um die Gräfin nicht zweimal wortbrüchig werden zu lassen. Ihr Konflikt ist anders gelagert: es geht ihr darum, sich aus dem gegebenen Lohnversprechen durch eine Ersatzleistung zu lösen. 76 Auch der Rolle des Gatten sind die beiden verschiedenartigen, die ganze Novelle bestimmenden Grundaspekte anzumerken: einige traditionelle höfische Elemente vor allem im Handlungsablauf und in der Funktion der Personenrollen sind übernommen, zugleich aber im Sinne einer Entrationalisierung und Vermenschlichung umgestaltet. So ist hier auf den Ehemann die sonst der Nebenrolle zukommende Funktion übertragen, die Frau an das pflichtgemäße Verhalten zu erinnern. Er übernimmt damit eigentlich die Rolle der Zofe (vgl. in M O R I Z VON C R A Ü N , mit schwankhaften Zügen in ,Le Chevalier et sa dame et un clers', die Zofen in Ulrichs von Lichtenstein .Frauendienst', die vor ihrer Herrin für den Bewerber Partei nehmen - 3 5 9 , 1 9 T . , 3 7 4 , 1 9 T . ; im .Wilhelm von Orleans' Rudolfs von Ems bewegt die Mutter ihre Tochter Amalia zu einem Entgegenkommen; in den ,Trois Chevaliers' ist die weibliche Rolle durch einen escuiers ersetzt; vgl. auch Lunete in Hartmanns ,Iwein'). Daneben erscheint auch in der Besuchsszene noch kurz eine maget in derselben Funktion: ,ναζ schat iu daz?'. Das zunächst Paradoxe dieser Rollenübertragung liegt darin, daß der Ehemann nunmehr eine Funktion ausübt, die seinen eigenen Interessen zuwiderläuft - eine Tatsache, die dem Dichter nicht entgangen ist (vgl. I75f. und I99f.). Anderseits ist ihm dadurch die Rolle des Eifersüchtigen gilos oder zelotypus (bei Andreas), der unhöfischen, den Liebenden feindlichen Gegenfigur, erspart. Er erinnert insofern eher an den höfischen Ehemann, der dem durch Bewährung ausgezeichneten Bewerber um seine Frau den Minnelohn nicht streitig macht wie der Ehegatte in den ,Trois Chevaliers' (vgl. auch die S. 146 Anm. 30 angeführte, sinngemäß entsprechende Bemerkung des Moriz von Craün). Dazu paßt sein tolerantes Verhalten in der Schlußszene, in der er rühmende Worte für das Verhalten seiner toten Gattin findet (380FR.). Diese Züge mögen sich aus dem Nachwirken der höfischen Tradition erklären. Auf der andern Seite bleibt er ohne jeden Verdacht über die wahren Absichten des Ritters und ahnt nicht, wie er dessen Vorhaben fördert und somit das tragische Geschick seiner Frau mit herbeiführt: die Aufforderung an sie entspringt also nicht höfischer Konvention, sondern menschlichem Mitgefühl. Das ist der neue Aspekt. Vgl. die ähnliche Beobachtung H. Langs S. 5 0 . 165

Ausübung des Heilaktes tiefe symbolische Bedeutung zukommt, die dem Gewicht nach einem Versprechen, wie es vor dem Turnier unterblieben war, zumindest einer Hoffnung für den Ritter gleichkommt. Auch hier bedarf es - wie zu dem Besuch - einer von außen kommenden Ermunterung, jetzt durch die maget. Ihre starke persönliche Anteilnahme" dabei läßt erkennen, daß die Frau schon in dieser Szene nicht mehr die unbefangene, ihrer selbst noch sichere Ehefrau ist, sondern Liebende, die die Anlage zur Leidenschaft (passio innata) betroffen in sich spürt und weiß, daß jeder weitere Schritt sie zum Ausbruch bringen könne. Daher bewahrt sie während der ganzen Besuchsszene nach außen hin jene Verhaltenheit, die Burchardt unzutreffend als „Kälte" bezeichnet.77 Sie vollzieht die Entfernung des Speers nicht aus gesellschaftlicher Pflicht,78 sondern - und das ist das Neue an der FRAUENTREUE - aus tiefem Mitgefühl und aus der ersten Regung ihrer Liebe, die nach außen noch verborgen bleibt. Dieser neue Zug im Wesen der Frau bereitet ihre .Wandlung' oder ihre volle Entwicklung in der Schlußszene vor. Schon in der Besuchsszene tritt die eheliche Bindung zurück. Aber noch gelingt es der Frau, die erwachende Leidenschaft niederzuhalten. Insofern wirkt hier die für die höfische Liebe charakteristische Grundspannung zwischen dem Affektiven und Rationalen, zwischen spontanem Gefühl und seiner Beherrschung nach. Aber die Beherrschung ist nicht ein Akt wachsender Selbstvervollkommnung, sondern mühsamer, nur vorläufig gelingender Verdrängung;79 sie ist nicht Uberwindung, sondern Unterlassung. Die Art des Dichters, die Vorgänge und Motive zu verinnerlichen, tritt auch deutlich hervor, wenn man die Besuchsszene vom Verhalten des Ritters aus untersucht. Wie der Dichter Verwundung und Heilung gestaltet, hängt im weiteren Sinne mit der Liebesauffassung zusammen. ' · V g l . 208ff. und 237fr. "

Burchardt a . a . O . S. 115.

So verlasse sie den Ritter, „ohne eine tiefere R e g u n g im

Herzen zu spüren". ™ D i e Lohngewährung in den ,Trois Chevaliers' hat etwas v o n diesem Charakter einer Pflichterfüllung, die der Frau in ihrer erzieherischen A u f g a b e zukommt. ' · So fehlt auch die Stufe bewußter .Selbstidentifizierung' mit dem Gefühl, die - wie in den bekannten paradigmatischen höfischen Liebesmonologen -

die Voraussetzimg

für den Liebenden schafft, sich mit ihm auseinanderzusetzen und seiner Herr werden.

166

zu

W e n n der Ritter darauf beharrt, sich die Speerspitze n u r v o n der H a n d der geliebten F r a u aus der W u n d e entfernen zu lassen, so sind hier z w e i M o t i v e zusammengeflossen. 8 0 Vielleicht nach dem V o r b i l d des

ähnlichen

Vorgangs

in

der R i w a l i n - B l a n c h e f l u r - E p i s o d e

des

,Tristan' hat der D i c h t e r in der FRAUENTREUE die der Liebeskrankheit entstammende V o r s t e l l u n g , daß nur die Geliebte heilen kann, mit dem M o t i v einer nur durch eine bestimmte F r a u heilbaren V e r w u n d u n g miteinander v e r w o b e n . D a s gemeinsame G l i e d dieser M o t i v kreuzung ist die K r a n k h e i t , die nur eine bestimmte Person heilen kann. E s erscheint fraglich, o b diese K o n t a m i n a t i o n auf mangelndem Verständnis des ursprünglichen Sinns beider F o r m e n beruht, w i e B u r c h a r d t meint (a.a.O. S. 92). I n d e m die tiefere Ursache der V e r w u n d u n g in die L i e b e verlegt ist, die den Ritter z u diesem T u r n i e r trieb

(dies i m Unterschied z u der kriegsbedingten

Verwundung

R i w a l i n s ! ) , w i r d die W u n d e z u m symbolhaften Z e i c h e n seelischen Leidens. W i e d e r ist Inneres durch Ä u ß e r e s z u m A u s d r u c k gebracht. S o w i r d klar, weshalb nur die Geliebte die seelische V o r a u s s e t z u n g f ü r die G e s u n d u n g schaffen kann u n d der Ritter konsequent auf die H e i l u n g durch andere verzichtet: 8 1 sie bedeutet das schweigende E i n -

80

Einmal hat ein Ritter eine schwere Verwundung empfangen, die nur eine bestimmte Person heilen kann (vgl. Amfortas - Parzival), die oft eine Frau ist (Tristans Heilung durch Isolde = Mutter), jedoch nicht immer die Geliebte (Wilhelm von Orleans Duzabel) zu sein braucht. Daß nur die Geliebte die physische Verwundung heilen kann (vgl. Riwalin - Blancheflur), geht auf eine Verschmelzung dieses Motivs mit einer anderen Vorstellung zurück, die dem alten Motiv von der Liebeskrankheit eigen ist: nur die Geliebte vermag hier den Liebeskranken zu heilen, indem sie ihm ihre Liebe schenkt. Da sich Liebeskrankheit in dieser noch in der frühhöfischen Dichtung beliebten ursprünglichen Form - der ,Kranke' verfällt unausweichlich der Leidenschaft - nicht mit der höfischen Auffassung verträgt, ist das Motiv höfischem Denken angepaßt worden. An die Stelle der Krankheit tritt die Verwundung des Ritters (ζ. B. Riwalins im .Tristan', F R A U E N T R E U E , ,Des trois Chevaliers', F R I E D R I C H VON A U C H E N F U R T ) , die nun entsprechend nur durch die Geliebte geheilt werden kann (vgl. auch Wilhelm von Orleans - Amalia bei Rudolf von Ems). Eine andere Form, die Liebeskrankheit als Motiv für höfische Vorstellungen annehmbar zu machen, findet sich im Fabliau ,Guillaume au faucon' (MR II, S. 92-113). Hier zögert die Dame die Heilung äußerst lange hinaus, um Aufrichtigkeit und Tiefe der Liebe des Bewerbers auf die Probe zu stellen. - Über diese motivlichen Zusammenhänge hat bereits Burchardi (a. a. O. bes. S. 87fr.) ausführlich und klärend gehandelt, ohne über die Feststellung der Motivwandlungen und -beeinflussungen hinaus die besondere Gestaltung in der F R A U E N T R E U E für seine Interpretation auszuschöpfen. Die hier herangezogenen Stellen aus der höfischen Dichtung verdanke ich seiner Arbeit. Die Darstellung der Vorgänge in Rudolfs von Ems .Wilhelm von Orleans' (DTM 2) ist allerdings sachlich zum Teil falsch und in ihrer Reihenfolge durcheinandergebracht.

81

Der Arzt, der noch hinzugezogen wird, vollendet nur, was die Frau vorbereitet hat. 167

geständnis ihrer Neigung, wenn nicht sogar ihre Bereitwilligkeit, ihn nach seiner völligen Genesung ganz zu erhören.82 Mit dem symbolischen Akt der Speerentfernung, so wie ihn der Ritter auffaßt, ist zumindest eine Brücke zum Verständnis der nächsten Szene geschlagen: der Ritter dringt, wiederum ohne vorherige Verabredung mit der Frau,83 ins Schlafgemach der Eheleute ein. Er fühlt sich zu diesem Vorgehen offenbar berechtigt, weil er die durch die Frau gewährte Heilung als Versprechen auffaßt. Das Ungewöhnliche und Unritterliche seines Verhaltens läßt sich wohl durch den Hinweis auf den aus anderen Motiven erfolgten nächtlichen Besuch des Moriz von Craün bei der Gräfin mildern; auch rechnet der Dichter der F R A U E N T R E U E seinem Helden diese Handlungsweise keineswegs als Schuld an. Vielmehr scheint er immer wieder bemüht, jede aktive Beteiligung der Frau an der Minnehandlung auszuschalten, um seine Konzeption von der reinen, verhaltenen, in ihrer Ehe unantastbaren Frauengestalt bis zuletzt durchzuhalten. So könnte er die von der Handlung geforderte Verabredung, die die Liedersaal-Fassung nachträglich ergänzt hat, aus diesem Streben nach Einheitlichkeit im Charakter der Frau absichtlich gemieden und dabei die Störung der konsequent motivierten Handlungsfolge in Kauf genommen haben. Man wird ein solches Verfahren nicht als gelungen bezeichnen, aber es scheint zu der Art dieses Dichters oder Bearbeiters zu passen, die sich nicht von strenger Logik leiten läßt. Überhaupt hatte er zum

82

ω

Dafür ist eine Szene aus dem .Wilhelm von Orleans' erhellend: der Vater Amaliens hatte nach der Verwundung Wilhelms über ihn verhängt, er müsse den Speer für alle Zeit in der Wunde behalten, es sei denn, eine Königin zöge ihn heraus. In Kurnewal gestattet Wilhelm der schönen Duzabel, Tochter des Königs von Norwegen, die n i c h t seine Geliebte ist, ihm das Eisen aus der Wunde zu ziehen. Aus diesem symbolischen Akt, der Wilhelm Gesunthait, lip und das leben (13472) wiederschenkt, erhebt Duzabel später Ansprüche auf den von ihr Geheilten, obwohl sich Amalie als Verlobte Wilhelms zu erkennen gibt. Die Liedersaal-Fassung der FRAUENTREUE hat das Brüchige des Handlungsablaufs auszubessern versucht, indem sie eine Aussprache zwischen Ritter und vrourve einschiebt, bei der diese in den nächtlichen Besuch des Ritters einwilligt, freilich in der biederen Absicht, ihm Gelegenheit zum sprechen zu geben (LS I S. 124, Vv. 284fr.). Es fragt sich, ob mit diesem verharmlosten Zugeständnis der Frau angesichts des gleichfalls tragischen Ausgangs die Logik des Handlungsablaufs wesentlich gewonnen hat, ob die eingeschobene Verabredung, die sich von einem schwankhaften Arrangement des Ehebetrugs durch nichts unterscheidet, zu ihrem Wesen paßt, wie es der Dichter angelegt hat.

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Rationalen kein Verhältnis. So ist auch die ursprüngliche Anlage der Erzählung als Minnekasus84 völlig beseitigt. Von dieser Grundauffassung der Frauengestalt her ließen sich alle vorhergehenden und folgenden Auslassungen oder Umgestaltungen von Motiven erklären, die in den verwandten Erzählungen in ursprünglicher Form bewahrt sind. So ist in der Schlafzimmerszene jede Anspielung auf eine Hingabe der Frau vermieden,8® die nach dem traditionellen Handlungsverlauf jetzt erfolgen müßte.86 Schließlich könnte der Dichter aus ähnlicher Erwägung schon zu Anfang die vertragliche Absprache zwischen Ritter und vrouwe vor dem Turnier ausgelassen haben, denn sie hätte ihre Einwilligung in das Minneunternehmen bedeutet. Man kann sich angesichts der Verbreitung dieses Motivs in der Dichtung87 nicht recht vorstellen, daß er es nicht gekannt oder versehentlich fortgelassen haben sollte, wie Burchardt (a.a.O. S. 81) und Lang (S. 48) annehmen. Die Tilgung der vertraglichen Absprache zeigt das gleiche, nicht eben geschickte Verfahren des Dichters (Bearbeiters): er läßt fort, was nicht in seine Konzeption paßt, gleicht aber dann nicht genügend aus. Folgerichtig hat er demgegenüber das Hemdmotiv nicht mehr in seinem Symbolsinn verwendet. Dies ergibt sich aus der Streichung der vertraglichen Absprache. Über die geschichtliche Entwicklung des Hemdmotivs haben Burchardt und Lang aufschlußreich gehandelt.88 Gegenüber seiner alten schützenden und wunderkräftigen 84

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Vgl. ,Des trois Chevaliers'. Dort fragt der Dichter am Schluß, wer von beiden Größeres getan habe: der sich für seine Dame in Lebensgefahr begab oder die seinetwegen öffentliche Schmach nicht scheute (408-413). Es ist nur gesagt, daß die Wunde des Ritters aufbricht, als er die Frau leidenschaftlich umarmt. Nach der allgemeinen Minneterminologie ist der amplexus die Vorstufe der Vereinigung, die hier offensichtlich unterbleibt. Vgl. dazu ,Des trois Chevaliers'. Hier stattet die Dame nach kurzer Aufforderung durch ihren Knappen dem verwundeten Ritter unverzüglich den Besuch ab und schenkt ihm ihre Liebe, wodurch er gesund wird. Vgl. auch die Szene im MORIZ VON CRAÜN. MORIZ VON CRAÜN, ,Des trois Chevaliers', AUCHENFURT, die Belacane-Isenhart-Episode

im ,Parzival'. Mutatis mutandis: Sigune - Schionatulander. Burchardt a. a. O. S. 100-106 und Lang S. 44-49. Deshalb kann hier auf Darstellung vieler erhellender Einzelzüge verzichtet werden. Vgl. auch Huizinga S. 106 und besonders .Parzival' 101,11 und 17, 375,i6f.; Ulrich von Lichtenstein, .Venusfahrt' 181, iff. (dazu Burchardt a.a.O. S. 100); das Hemd als Symbol der Treue zwischen den Liebenden im Lai ,Guigemar' der Marie de France (bei Warnke S. 5-40); rein bleibendes Hemd - vgl. die volkstümliche Redensart ,ein reines Hemd anhaben' - als Symbol der Treue der Frau in ,Gesta Romanorum' Nr. 69. Interessant ist in diesem Zusammenhang das von Brangäne erfundene Gleichnis vom Tausch ihres reinen Hemdes gegen das unreine Isoldes (.Tristan' 1281 iff.).

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Macht89 hat das Hemd durch den höfischen Minnedienst eine neue Funktion erhalten: der Turnierkampf im Hemd - ohne eine schützende Rüstung - wird zu einem Mittel der Tapferkeits- und Liebesprobe. In ,Des trois Chevaliers et del Chainse',90 der klassischen höfischen Gestaltung dieses Novellenstoffs, ist es die Dame, die nacheinander drei um ihre Liebe werbende Ritter auffordern läßt, in i h r e m Hemd ungeharnischt den Turnierkampf zu bestehen; nur einer nimmt die Bedingung an. Die Hemdübergabe kommt also ihrer Symbolbedeutung nach einem Versprechen des Minnelohns unter der Bedingung der Liebesprobe gleich, an das die Frau gebunden ist. Sie ist damit von Anfang an in aktiver Rolle an der Minnehandlung beteiligt. Vergleicht man mit dieser Darstellung die F R A U E N T R E U E , SO dürfte verständlich werden, weshalb der deutsche Dichter, so wie er die Gestalt der Frau angelegt hat, das symbolträchtige Motiv in der hergebrachten Form nicht übernehmen konnte. Wenn er seinen Ritter aus eigenem Entschluß in einem hemde, nicht also in dem der Frau, kämpfen läßt, so braucht dies nicht auf dem Mißverständnis des alten Motivs, sondern es kann sogar auf sehr genauer Kenntnis seiner symbolischen Bedeutung beruhen. Sie vertrug sich aber nicht mit seiner Vorstellung von der Frau. Wollte er sie in ihrer Zurückhaltung und mitfühlenden warmen Menschlichkeit zeichnen, so durfte er sie weder ein symbolisches Lohnversprechen geben noch diese verschärfte Turnierbedingung stellen lassen. Er mußte dem Hemdmotiv seinen Symbolgehalt nehmen. Es durfte nur noch die Funktion einer Tapferkeitsprobe behalten, die - ohne daß die Frau sie gefordert hätte - die Aufrichtigkeit seiner Liebe beweist. Dazu bedurfte es nicht des Hemds der Geliebten. Schon Isenhart hatte, um seine Liebe zu Belacane zu erweisen, nicht in i h r e m Hemd, sondern einfach ohne Rüstung 91 gekämpft. Wolfram hat wiederholt seine Abneigung gegen derartige überspannte Formen des Minnedienstes erkennen lassen.92 Dem menschlich empfindenden späteren Dichter der F R A U E N T R E U E widerstrebte es offenbar, daß seine Heldin dem Ritter eine solche Liebesprobe auferlegte. · · Hinweise bei von der Hagen G A I, S. CXXVIf. Das Hemd wird hier, wie es der Titel sinnvoll ausdrückt, ein alle Szenen miteinander verbindender Symbolgegenstand. * l Belacane erzählt Gahmuret voller Reue diese tragisch verlaufene Liebesprobe: do vermocht i'n, ober künde sin einfriunt. daz wart vil balde ichtn. er gap durb mich sin harnas enaec... mange äventiure suohter blöz (,Parzival' 27, 13fr.). " Seine Stellung erhellt aus ,Parzival* 458, 6ff.; 478, 17fr.; 495, ijff. und auch aus der Sigune-Schionatulander-Episode.

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Da das Hemd in der FRAUENTREUE kein Symbol für versprochene Lohngewährung mehr ist, fehlt es folgerichtig in der Szene vor dem Besuch des Verwundeten; in den ,Trois Chevaliers' erinnerte es an dieser Stelle die Dame an ihre Verpflichtung. Erst in der Szene im Schlafgemach ist das Motiv, nun allerdings gänzlich umgestaltet, wieder aufgenommen: als der Ritter unvermittelt eindringt, schlüpft die Frau in ihr Hemd und bemüht sich, den Ritter von sich fernzuhalten. So gewinnt das ursprüngliche Symbol einer durch schweres Opfer verdienten und erlangten Liebe unter den Händen des Dichters eine neue Funktion: es läßt ihr weibliches Schamgefühl erkennen, das zu ihrem Wesen gehört und auf das der Dichter in kritischen Situationen immer wieder hinweist.93 Er bereitet damit außerdem die hierzu in schärfstem Kontrast stehende Schlußszene in der Kirche vor. Das Motiv hat seinen alten Symbolgehalt verloren, ist aber ins FraulichMenschliche gewendet. Gewiß stehen das Schamgefühl und die inneren Konflikte der Frau an Wirklichkeitsnähe der unproblematischen Selbstverständlichkeit nicht nach, mit der sich die Dame in den ,Trois Chevaliers' zu Hingabe und öffentlichem Auftritt bereit findet, so wie es die Minnedoktrin fordert. Während die Frau auch in dieser nächtlichen Szene alle Zurückhaltung übt und das Äußerste zu vermeiden sucht, umfängt der Ritter sie in leidenschaftlicher Umarmung. Doch die Gewalt der Erregung {diu strenge minne tete im so beiz 291) läßt seine Wunde erneut aufbrechen. Wieder ist ein innerer Vorgang durch äußeres Geschehen ausgedrückt: die physische Verletzung wird noch einmal zur Liebeswunde, die nun nicht mehr heilbar ist. Der Ritter verblutet in den Armen der Frau. Er ist Opfer seiner Leidenschaft geworden.84 Anders als er vermag die Frau auch hier trotz tiefsten Schmerzes über seinen Tod Besonnenheit zu bewahren: sie schafft die Leiche heimlich fort und legt sich mit sinne, daz er sin nie wart inne (313f.) wieder an die Seite ihres Mannes. Dieses Handeln mit sinne, das schon bei Andreas (sapienter) äußerste Selbstbeherrschung wie äußerlich " So dreimal in der Szene des Krankenbesuches (208, 237 und 239), in dieser Szene V. 269 ausdrücklich und im Kontrast der Opferszene am Schluß: si vergaz vor leide gar der icbam (366). '* Der ganze Schlußteil vom Aufbrechen der Wunde ist in hohem Maße dem S C H Ü L E R VON P A R I S verpflichtet (vgl. dazu Burchardt a . a . O . S. 109fr., Rosenfeld S. 203fr., Lang S. 52fr.); da der Dichter aber nur übernimmt, was ihm passend erschien, ist es gerechtfertigt, eine Interpretation auch dieser Szene vom Ganzen der Novelle aus zu versuchen und die Einflußfrage beiseite zu lassen.

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kluges, bedachtes Verhalten bedeuten kann, läßt die schwer errungene Beherrschtheit der Frau und zugleich die Bewußtheit erkennen, mit der sie das nächtliche Geschehen vor ihrem Mann verbirgt. 95 Insofern klingt hier noch einmal das rationale Element an. Aber im selben Augenblick wird der Frau die tiefe Liebe, die der Ritter zu ihr empfunden hat, voll bewußt, so sehr - das darf man aus der Bemerkung do was ez leider ze spate (318) folgern - , daß sie sie zum ersten Male innerlich ganz erwidert. Hier setzt sich fort, was der Dichter in der Szene am Krankenbett mit behutsamen Andeutungen vorbereitet hatte. Von nun an bestimmt die Liebe zum Ritter ihr Handeln, das damit notwendigerweise in Gegensatz zu ihrer Ehe gerät. Jetzt wendet die treue Ehefrau ihre Treue dem Geliebten zu (vgl. S. 155 £.): 336

Merket, wie diu vrouwe nuo im stner triuwen lone: die himelische krone got durch ir triuwe ir muoste geben und eweclichen mit ir leben.9e

Sie übt ein letztes Mal Beherrschung und verschweigt ihrem Mann den Sinn ihres Vorhabens, 97 als sie ihn bittet, zum Totenopfer in die Kirche gehen zu dürfen. In der Schlußszene fällt der Gedanke an ihre eheliche Bindung ganz von ihr ab, sie ist nur noch Liebende. A n der Bahre des Ritters opfert sie mantel und sukkenie, in einer zweiten Opferhandlung ir gewant und 365

zen dritten male tets alsam, sie vergaz vor leide gar der schäm.

Im Schmerz über den Tod des Geliebten wächst die Frau über sich selbst hinaus: sie überwindet die Scham, die ein Grundzug ihres Wesens war, und zeigt sich - in der Kirche als dem Schauplatz der Öffentlichkeit - nun in dem Kleidungsstück, das sie bei dem nächtlichen Besuch des Ritters aus Scham angelegt hatte und das mit dem " M

si entorste dem manne niht gesogen 306. Daß Gott auf der Seite der Liebenden steht, auch wenn diese Liebe außerehelich ist, ist ein aus der ,Tristan'-Tradition stammender, in den Mären weit verbreiteter Gedanke; vgl. die Beispiele bei B. Barth S. 230-233 und gotes höfscheit im .Tristan' 15552, auch

I4044ff.

"

der wir/ noch nieman weite waz da mit meinte diu reine äne ir magt aleine (die Zofe als Vertraute!).

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Blut des Geliebten getränkt war.98 Sie bekennt sich damit - wie die Dame in den ,Trois Chevaliers' - offen als seine Geliebte und schenkt so dem toten Ritter den Minnelohn, den sie ihm, als er lebte, bis zuletzt versagt hatte. Darin liegt der entscheidende Unterschied zum Opfergang der römischen Gräfin in FRIEDRICH VON AUCHENFURT, 8 9 daß sie es freiwillig tut wie die höfische Minnedame in den ,Trois Chevaliers'. triuwe im engeren Sinne bedeutet Einhaltung eines Versprechens auf Lohngewährung, im weiteren: Treue und Liebe zum Geliebten. Die Frau vollendet damit in der Opferszene, was sie mit dem symbolischen Heilakt am Bett des Verwundeten begonnen. Auch das ist das Eigene der deutschen FRAUENTREUE, daß diese symbolische Form der Lohngewährung die Integrität der Ehe nicht antastet, die Treue zum Gemahl nicht eigentlich verletzt. Insofern ist eine gewisse Einheit in der Gestalt der Frau bis in die letzte Szene gewahrt. Im Unterschied zu der physischen Hingabe der höfischen Minnedame in den ,Trois Chevaliers' wächst die symbolische Opferhandlung der Frau in der FRAUENTREUE aus tieferem Empfinden, denn sie stirbt unmittelbar danach an gebrochenem Herzen.100 Gewiß: der Liebestod aus innerem Schmerz kommt in den späthöfischen Erzählungen öfter vor, aber er paßt doch ganz zum Bild dieser Frau, wie es der Dichter im Verlauf der Novelle gezeichnet hat.101 Vom historischen Standpunkt aus betrachtet, haften auch der FRAUENTREUE Züge an, die sie als nicht einheitlich erscheinen lassen. M

Daran wird deutlich, weshalb der Dichter in der Szene im Schlafgemach das Hemdmotiv, das von seiner Gestaltung der Turnierhandlung aus gesehen entbehrlich gewesen wäre, wieder aufgenommen hat. Es verknüpft beide Szenen miteinander. ·· Wie Lang (S. 42) richtig bemerkt, trägt hier die Gräfin nur noch den adligen Namen, verhält sich aber sonst ganz als bürgerliche treue Ehefrau (vgl. auch H.-F. Rosenfeld V L I Sp. 659). Indem sie dem verwundeten Ritter den vertraglich vereinbarten Minnelohn nach dem Turnier vorenthält, weil sie sich über die Ehe nicht hinwegzusetzen vermag, bricht sie ihr gegebenes Wort. Ähnlich hatte sie nach seiner Verwundung in ganz unhöfischer Weise erklärt, der Ritter hätte lieber eine andere Dame wählen sollen, die ihm Lohn gewährt hätte. Der höfische Ritter findet sich zu einem Vergleich bereit: er verzichtet auf ihre Hingabe, wenn sie sich öffentlich in dem blutbenetzten Hemd zeige. Sie geht darauf ein, weil ihr diese Ersatzleistung des symbolischen Bekennens als das kleinere Übel erscheint. Die Erzählung ist eher aus der bürgerlichen Auffassung von der absoluten Treue der Gattin als „ganz aus dem Denken des hohen Minnedienstes geboren" (de Boor III, 1 S. 252). 100 ir herze sich in ir libe spielt (372); vgl. H E R Z M Ä R E 520. Auch hier scheint es nebensächlich, daß der Liebestod wie die ganze Schlußszene von den ScHÜLER-Novellen stark beeinflußt ist: die Entlehnungen haben den Vorstellungen des Dichters entsprochen. 101 Anders Burchardt a. a. O. S. 106.

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Doch anders als im P E T E R VON STAUFENBERG mit seinem unverbundenen Nebeneinander heterogener Elemente hat sich der Dichter hier bemüht, das Neue mit dem Alten zu verschmelzen. Mit dem Dreieckskonflikt, dem Dienst-Lohn-Gedanken und der losen Einbeziehung der Gesellschaft in die Minnehandlung steht die FRAUENTREUE in der höfischen Tradition. War aber in der höfischen Liebe spontaner Affekt durch vernunftgeleitetes Handeln in der Zauberformel des sapienter amare gebannt, so bemühen sich die Liebenden hier vergeblich, der Leidenschaft Herr zu werden. So gesehen, kommen sich beide in ihrem Wesen so verschiedene Helden überraschend nahe. Sie unterscheiden sich nur in der Art, wie sie auf die passio reagieren. Der Ritter - der Mann! - ist dem ihn unversehens überkommenden Affekt von Anfang an unmittelbarer ausgeliefert. Er versucht zwar zunächst, nach der für einen Minneritter geltenden Sitte durch außerordentliche Tat und höchste Opferbereitschaft sich die Liebe der Frau zu erwerben; doch seine ritterliche Leistung ist wie seine Minne im tieferen Grunde nicht mehr wie in der Klassik fest auf eine überpersönlich-gesellschaftliche Instanz bezogen. Er handelt zunehmend nur noch um seiner Leidenschaft willen; die Vernunft hat keine Macht mehr über ihn: das Ideal des sapienter amare gilt nicht mehr. Anders als der Mann ist die Frau ganz auf innere Abwehr dessen eingestellt, was von außen auf sie zukommt. Sie zieht sich zunächst hinter der Liebe zu ihrem Gatten zurück. Aber die Fähigkeit zur Leidenschaft ist in der herben, verhaltenen Frau nicht weniger angelegt als im Ritter. Ihre Liebe keimt erst allmählich, aber nicht minder stark in ihr auf. Sie ist bis zur letzten Szene mit aller Kraft bemüht, ihre passio zurückzuhalten. Aber dann bricht auch sie an der inneren Gewalt der unbewältigten Leidenschaft zusammen. Mit diesen Zügen steht die FRAUENTREUE in der Tradition des HERZMÄRE und der dort dargestellten Entwicklung, die von Gottfrieds .Tristan' her ihren Ausgang genommen hatte. Wie Konrad im HERZMÄRE strebt auch hier der Dichter danach, die Vorgänge und das Empfinden stärker zu verinnerlichen. Neu unter den Mären dieser Gruppe ist die positivere Auffassung der Ehe, insbesondere der Gedanke ihrer faktischen' (nicht innerlichen) Unantastbarkeit durch ein - auf seine Weise - erfülltes Minneverhältnis. Die Paradoxie dieses Versuchs, die beiden einander widerstrebenden Ideen in Einklang zu bringen, findet in dem tragischen Ausgang unbeabsichtigt ihre Bestätigung. 174

2. Sentimentale Mären um zwei Liebende Der Liebestod eines jungen Paares ist auch das Thema einiger weiterer senemare, in denen die Liebenden noch unmittelbarer als in der F R A U E N T R E U E der Leidenschaft verfallen sind. Auch hier spielt die Liebe außerhalb der Ehe, denn nur dort vermag sie sich zu entfalten. Aber es geht um den Liebesbund eines jungen Mannes zu einem unverheirateten Mädchen; daher bleibt die Ehe in diesem Abschnitt außer Betracht. Anders als im H E R Z M Ä R E oder in der F R A U E N T R E U E ist den Liebenden die Erfüllung zunächst nicht versagt. Der Konflikt entzündet sich vielmehr, weil sie durch die Widrigkeit äußerer Umstände wieder getrennt werden oder eine ihrer Liebe feindlich gesinnte Außenwelt sie überwachen läßt: durch das Meer in H E R O U N D L E A N D E R , durch die Mauer in P Y R A M U S U N D T H I S B E , durch die Einsperrung des Mädchens in Turm oder Kammer in den ScHÜLER-Novellen. Dazu wirken weitere fatale Zufälle (wie der Meeressturm, die Verwechslung am Brunnen und das plötzliche Aufbrechen der Ader), die die Liebenden einem unentrinnbaren Schicksal ausliefern und zugrunde gehen lassen. Stand die Minnehandlung in der F R A U E N T R E U E noch unter dem Dienst-Lohn-Gedanken, nahm die Gesellschaft am Rande des Geschehens teil, so ist die Liebe hier ihrer ursprünglichen gesellschaftlichen Funktion ganz entfremdet. Minnedienst wird zum sinnlosen Unterfangen, das gerade den, der die ehemals unabdingbaren Tugenden der staete und triuwe (vgl. M O R I Z V O N C R A U N ) beherzigt, ins Verderben führt. 102 Der noch in der F R A U E N T R E U E gepriesene wagemutige Einsatz von Leib und Leben um der Liebe zu einer Frau willen erscheint in H E R O U N D L E A N D E R als Ausgeburt der lust, die den Mann um seinen Verstand bringt: 103 Liebe ist jetzt die alle Vernunft überwuchernde Triebminne. Wo die »Gesellschaft' überhaupt noch erwähnt wird, wie in P Y R A M U S U N D T H I S B E (der hof), übernimmt sie wie ähnlich schon im H E R Z M Ä R E - eine den Liebenden feindliche Rolle; es gelingt dem Paar nicht, seine Liebe auf die Dauer geheimzuhalten : des komn diu kint in ungemach (49). M

" HERO UND LEANDER $048.: ach, Minne, ist dir damit wol, Daz in dim' dienst so manig man verdirbet, der nie nibt gewan, Wan statiu triuv' in herzenl 1» yg]. 3 ioff. din lust vil dikke blendet Dem man sin rehte sinne, daz er nach vibes minne Wäget, beidiu, lib und leben.

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Andreas Capellanus bezeichnet bei der Schilderung der passio die solcher, wesentlich vom Triebhaften bestimmten Liebe Verfallenen im deutlichen Gegensatz zu den höfisch (sapienter) Liebenden - als incautos vel minus sapientes amantes. Unter ihnen amor diu latere non potest (Battagüa S. 18), denn die Liebe sei dem unheilvollen Klatsch ausgesetzt, und der führe zum Verdacht. Das Mädchen werde stärker überwacht, und für die Liebenden finde sich keine Gelegenheit, einander zu sprechen; diese unbefriedigte Liebe aber wachse ins Maßlose und führe in bittere Liebespein.104 Ähnliche Gedanken hat Gottfried von Straßburg an der climax der .Tristan'-Handlung, in der Baumgartenszene, und vorher in dem eingeschalteten Exkurs über die huote und die Bedeutung der maze in vielen Variationen ausgeführt: die leidige Überwachung (huote custodia), die Marke und die Gesellschaft anstellen, nimmt den Liebenden die Gelegenheit (state - opportunitas), ihre Liebe zu erfüllen.106 Dadurch wird ihre Leidenschaft gesteigert und die Begierde (gelüste und gelange - cupirejloe wächst ins Maßlose (immoderata suscipit incrementa), so daß schließlich alle vernünftige Überlegung von ihnen abfällt. Sie lassen die letzte äußere Vorsicht außer Acht und sinnen nur auf ein Zusammensein,107 dessen Verwirklichung unabwendbar in bitteres Leid führt.108 im Y g j dazu bei Battaglia S. 18: Divulgatus enim amor ... amantis ... famam sinistris solet cauteriare rumoribus et poenitentem prorsus saepe reddit amantem. Raro inter ipsos amor perdurat amantes, sed, si inter tales amor forte quandoque remaneat, sua non potest pristina solatia capere, quia rumoris percepta suspicio custodiam facit cautiorem exbibere puellae et omnem loquendi opportunitatem excludit ... In talibus amor, quumnon possit sua solatia capere, immoderata suscipit incrementa et in immanium lamenta poenarum deducit amantes, quia: ,Nitimur in vetitum, cupimus semperque negatum' (Ovidzitat). Das Verbot (huote) bewirkt eine Steigerung der Leidenschaft, die die Liebenden dazu führt, sich über das Verbotene hinwegzusetzen (s. S. 177). 106 y g j j y y 0 j f mchn gemunnen nie zir vröuden sit so guote state so vor der zit. ιοβ vgi. iy8j4ff. daz in ir Wunne und ir gemach so mit der huote vor bespart so mit verböte benomen wart, do was in ande und ange: der gespenstige gelange der tet in allererst we, we und maneges wirs dan e. Vgl. auch die Reflexion Brangaenes über ihre Herrin (i8i76f.) daz vorhte noch huote an ir vrouwen niht vervie. 107 y g j ( T r istan' 17848fr. diu huote daz vertane antwerc, diu vindin der mime, diu nam in alle ir sinne-, und aber benamen Isote ... so irir herre ie me verbot die heinlicbe wider in, so irgedanke und ir sin ie harter an in was begraben. Der fehlenden Gelegenheit kommt dabei besondere Bedeutung zu; vgl. die Vv. 17706 (guote state), 1 8 1 2 1 , 18141 und 18140 (gelegenheite). ιοβ y g j jgu-jff. Isolde und Tristande den was diu huote als ande, verbot (,vetitum') daz tet in alse we, dazs also vlizeclicben e zir state nie gedahten, biz siz oucb vollebrahten nach allem ir leide: sie gewunnen es beide leit unde totliche clage (Schmerz).

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Grundelemente gerade dieser Liebesvorstellung sind auch in den Mären um den Liebestod des Paares vorhanden - natürlich ohne daß die Dichter sie psychologisch tiefer erfaßt oder sie gar in analoge Beziehung zu geistlichen Ideen gesetzt hätten wie Gottfried. So wirkt in P Y R A M U S U N D T H I S B E die Gesellschaft den Liebenden entgegen, indem sie sie streng überwachen läßt. Die huote wird ausgelöst, nachdem durch den rumor - si (die Hute) begmden ez ze hove sagen 45 - die suspicio geweckt und dem Paar so jede Gelegenheit genommen ist, sich zu treffen.109 In den im wesentlichen bürgerlichen S C H Ü L E R Novellen ist die feindliche Rolle der ,Gesellschaft' auf den Vater des Mädchens übertragen. Er hindert sie daran, sich weiterhin mit dem Geliebten zu treffen,110 und auf ihn fällt daher alle Schuld wie auf Marke im ,Tristan'. 111 In H E R O UND L E A N D E R wirkt allein die Macht des unabwendbaren Ereignisses (des Meeressturms), vor dessen Gefahr die Liebenden ihre Leidenschaft nicht zu mäßigen vermögen. Sobald huote oder widrige Umstände sie trennen, steigert sich ihr Verlangen112 und führt zu dem Versuch, die huote zu betriegen ( P Y R A 113 MUS U N D T H I S B E 132) und die Trennung zu überwinden, denn: diu minne kan niht maze hart ( P Y R A M U S UND T H I S B E 5 7 4 ) . So trägt auch diese Liebe alle Züge der Leidenschaft.114 Das für die höfische Liebe mitbestimmende rationale Element ist völlig ausgeschaltet. In diesem Zustand werden die Liebenden durch widriges Geschick oder fatalen Zufall getroffen, der im S C H Ü L E R VON P A R I S (Aufbrechen der geschlagenen Ader) selbst Folge der Leidenschaft 109

si wären s6 sere behuot. . daz si niht mohtn ein ander zuo (81 ff.). Die Bedeutung mangelnder state für Konflikt und tragisches Ende des Liebespaares erhellt in der GA-Fassung des S C H Ü L E R S VON P A R I S aus dem Gegenbild, das der Erzähler dort in der Exposition - also vor Entstehung des Konflikts - zeichnet. (Zitat nach Rosenfelds Redaktion B, wie es auch von der Hagen bietet): Daz diu werde minne guotSi beide nach ir herzen muot Vereinde gar natürlich. Nach mmsches güet gar minneclich(Des) wart von in gesparet niht Der vil suzen minne Pflicht, (jetzt nach der Heidelberger Hs. wie bei von der Hagen) So sie des st at mohten hän (8yff.). 111 v g i . GA-Fassung, Red. Α (Rosenfeld) 767: Nu sint die schulde alle min, Daz si beide irstorben sin. 110

LLS

113 114

S C H Ü L E R VON P A R I S GA-Fassung, Red. A I4jff. Do die schone wart alsus Behuf in iris vater hus, Do gewan si pin und smerzen, si kränkele in irm herzen, Und merte sich ir ungemach. Vgl. auch PYRAMUS UND T H I S B E 168 si heten manegen grdzen pin und 98FF. ... ir sendez leit gemiret, swerm si dannen muosten gän und si einander muosten lau... si warn vil nähe verdorben und in der minne erstorben. wir milezen zuo ein ander komen (PYRAMUS UND T H I S B E 1 1 9 ) . ir herze wart von minne kalt, und wolt vor hitze verbrinnen von ir stceten minnen (PYRAMUS UND THISBE

4off.).

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ist. Das leidvolle Ende kommt unabwendbar über sie, ohne daß sie - wie Tristan - in den Handlungsverlauf schuldhaft verwickelt wären: das objektive Geschehen ist jedem mitgestaltenden Zugriff der Handelnden entzogen. Der einzige Gedanke, der den Tod des Paares über alle Sinnlosigkeit des äußeren Geschehens erhebt, ist die Treue des Mädchens, die den Tod des Geliebten überdauert.115 Sie erweist mit ihrem Tod, daß ihre Liebe der des Freundes nicht nachstand. ue Die Liebesauffassung der sentimentalen Mären in historischer Sicht Gewiß brauchen die einzelnen Züge der Liebesauffassung für sich nicht immer auf unmittelbaren ,Tristan'-Einfluß zu weisen; auch die späthöfischen Romane, die in der .Tristan'-Nachfolge stehen, können auf die Mären eingewirkt haben, und der Gedanke von der Aufpeitschung der Lust durch Verbot findet sich ζ. B. auch in der theologischen Literatur.117 Aber - im Ganzen betrachtet - sind diese Vorstellungen auch in ihren vereinfachten Formen nur auf der Grundlage möglich, die der ,Tristan'-Roman Gottfrieds von Straßburg geschaffen hat. Die folgende Zusammenfassung soll daher mit einigen Strichen andeuten, wie die Liebesauffassung dieser Mären, zum Teil auch ihre Auffassung der Ehe, in der Folge einer geschichtlichen Entwicklung steht, die sich mit der entscheidenden Umgestaltung der klassischen höfischen Liebeskonzeption im ,Tristan' vollzogen hat. Den tragischen Liebestod aus unbewältigter Leidenschaft kennt schon das frühhöfische Epos. In der ,Eneide' Heinrichs von Veldeke ist die Dido-Handlung, die den Kontrast zur späteren Eneas-LaviniaHandlung bildet, dafür aufschlußreich. Dort wird der Mensch zum ersten Mal mit der durch die Minnegötter repräsentierten dämonischen Macht der Minne konfrontiert, die für ihn etwas völlig Neues, letztlich Unbegreifliches und Feindliches darstellt: er vinternimmt daher nicht einmal den Versuch, der concupiscentia durch geistig114

119 117

Der Gedanke von der völligen Gleichwertigkeit der Liebe bei beiden Partnern erinnert ein wenig an den Minnekasus in ,Des trois Chevaliers' (vgl. S. 169, Anm. 84). daz schuof diu triuwe der sipflak ( H E R O UND LEANDER 408); Also racb si sinen tot Mit irme tode (SCHÜLER VON P A R I S W 5 3 1 ) ; einez durch daz ander starp (PYRAMUS UND T H I S B E I 2). Vgl. Gottfried Weber, Gottfrieds von Straßburg Tristan und die Krise des hochmittelalterlichen Weltbildes um 1200, Bd. 2, Stuttgart 1955, S. 172. 178

seelische Kräfte Herr zu werden. Dido verfällt zu unmazen (2073 und 2365) der Sinnesleidenschaft; als Eneas sie, seinem von den Göttern bestimmten Weg folgend, verlassen muß, leugnet sie das ihr bestimmte Fatum und weiß nur den Ausweg des Selbstmordes. Eneas und Lavinia dagegen nehmen die von den Göttern geschickte Bestimmung118 kraft eigener Willensentscheidung und Verantwortung auf sich und vermögen es, ihre Minne gegen „die die Seele gefährdenden Einwirkungen" (Dittrich a. a. O.) zu einer im Geistig-Seelischen gründenden Beziehung zu läutern. Sie werden damit zugleich Repräsentanten einer neuen höfischen Liebe, die von zuht und maze gelenkt und über das nur Sinnenhafte erhoben ist. Mit dem Ehebund erfüllen sie einen (heils-)geschichtlichen genealogischen Auftrag der Götter. Insofern weist die Liebe über das Persönliche hinaus, und die höfische Funktion der Minne als gesellschaftlicher Ordnungsmacht kündigt sich an. Für die frühhöfische Gestaltung der Minne als unbewältigter Leidenschaft ist ferner eine Episode aus dem in der Veldeke-Tradition stehenden ,Eraclius' Ottes charakteristisch. Hier verstricken sich die Königs-Gattin Athanais und der junge Parides in eine maßlose Leidenschaft - ohne irgendeinen Versuch, ihr zu widerstehen. Sie werden nach der Rückkehr des Gemahls zum Tode verurteilt. Die plötzliche Gnade, zu der sich der König-Gemahl in einem Akt christlicher Vergebung und Entsagung bereit findet - er willigt sogar in eine neue Ehe des Paares ein ist nur ein Legendenelement, das hier wie ein deus ex machina wirkt. Die Leidenschaft bleibt unbezähmbar, die Ereignisse unabwendbar, die Ehe unrettbar. Aber trotz äußerlicher Anklänge an Situationen des frühhöfischen Romans läßt sich die Liebesauffassung der Mären nicht unmittelbar - also ohne die durch den höfischen Roman und den .Tristan' geschaffenen Voraussetzungen - daran anknüpfen. Der Dichtung der höfischen Klassik ist es gelungen, den im frühhöfischen Roman angelegten Gegensatz zwischen dem Triebhaften der Minne und seiner Lenkung durch Geist und Vernunft (animus bei Andreas) in musterhaften Idealbildern auszugleichen, auch wenn die 118

Nach M.-L. Dittrich (ZfdA 90, 1960/61, S. 212) setzt Veldeke fatum in summum ens im christlichen Sinne um. Die religiöse Problematik mag hier unberücksichtigt bleiben, weil sie für die Entwicklung der Liebesauffassung in den Mären bedeutungslos bleibt. Vgl. jetzt auch M.-L. Dittrich, Die .Eneide' Heinrichs von Veldeke. 1. Quellenkritischer Vergleich mit dem Roman d'Eneas und Vergils Aeneis, Wiesbaden 1966. J

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Spannung fast überall spürbar bleibt.119 Der große Leitgedanke ist, die Liebe durch Aktivierung der im Menschen angelegten geistigen und seelischen Kräfte über das Triebhafte zu erheben - wie es Andreas formulierte: sapienter amare - oder wie Hartmann sagt: du muost mit sinnen kaufen heil (.Büchlein' 1231). Dies Streben entfaltet sich nach verschiedenen Richtungen und umfaßt verschiedene Bereiche. Es stimmt die Wünsche des einzelnen und die Ansprüche der Gesellschaft aufeinander ab, vor allem indem es die Minne in den Dienst der Erziehung zum höfischen Menschenideal stellt und sie dadurch zur wesentlichen Bildungsmacht erhebt. Dieser Funktion ist auch die Erhöhung der Frau zum Inbegriff und Ziel allen Strebens untergeordnet. Der höfische Roman hat ferner die Spannung zwischen Minne und Ehe auszugleichen gesucht, indem nun (im ,Erec' und ,Iwein' vor allem) der eigenen Ehefrau die Bildungsfunktion der Minnedame übertragen wird - ein Vorgang, aus dem sich allerdings schwerwiegende Probleme entwickeln. So bricht schon in Hartmanns ,Iwein' wie in seinem Vorbild, dem ,Yvain' Chrestiens - eine doppelte Problematik wieder auf, ob nämlich die hohen Ansprüche der Minne, die jetzt die Ehefrau in der Rolle der .launischen'Minnedame an ihren Gemahl stellt, erfüllt werden können - von ihm als einen in der Ehe gebundenen Ritter, der zugleich seinen Pflichten gegen die höfische Gemeinschaft in tätigem Einsatz nachzukommen gewillt ist. Der versöhnliche Schluß war nur durch eine von der Zofe listig arrangierte Täuschung der Gattin möglich. Die Minne Parzivals zu Conduiramurs, die von Anfang an über das nur Sinnenhafte erhoben ist, gründet in der Einheit des Seelischen und Körperlichen, und sie ist als höfische Bildungsmacht in die von neuem christlichen Ethos getragene Ehe eingegliedert. Mit dieser Entwicklung ist im ,Parzival' die höchste Stufe klassischen Ausgleichsstrebens erreicht, das nun alle weltlichen Funk-

u

* Man vergleiche ζ. B. die Problematik des ungeordneten Neben- und Ineinander von Minneverhältnis und Ehe bei der Schilderung des Lebensweges von Gahmuret im .Parzival'. Sie bildet den noch ,vorklassischen' Hintergrund der Vorgeschichte, vor dem sich der klassische Ausgleich der Parzival-Conduiramurs-Handlung umso eindrucksvoller abhebt. Gahmuret verläßt seine schwangere Frau Belacane unter fadenscheinigem Vorwand (vgl. 55, 4 - 1 2 ; 55, 25!:. und 56, 25t.), weil es ihn zu neuer ritterschefte drängt und die Ehe ihm darin Hindernis ist. Ich erwähne die bekannte Episode, weil die parodistische Bemerkung des Schwanke von der BÖSEN FRAU genau den Kern dieser höfischen Eheproblematik trifft: het er (Gahmuret) durch sinen frechen muot (.Abenteuerlust', .Drang zur ritterschefte') die dannenvart niht genomen, er ware nimmer von ir komen (586fr.).

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tionen des höfischen Rittertums auf die christlich-transzendente Instanz Gottes unmittelbar bezieht (vgl. die Schlußsentenz des .Parzival'). Gottfrieds »Tristan' durchbricht diese mühsam errungenen Positionen in all den erwähnten Bereichen; das höfische Idealbild einer klassischen ,Lebenseinheit' erweist sich in seiner Darstellung als Scheinbild. Der entscheidende Grundzug dieser Entwicklung ist, daß die in der höfischen Liebe gebundenen irrationalen, spontanen Kräfte sich mehr und mehr ihrer Lenkung durch die Vernunft entziehen, sich verselbständigen und alle ihr entgegenwirkenden rationalen Bestrebungen überwuchern. Der Durchbruch des Irrationalen steigert die Liebe zur Leidenschaft: sie wird zur passio, die Andreas Capellanus gerade zu überwinden getrachtet hatte. Doch ist sie bei Gottfried keineswegs nur Sinnesleidenschaft, sondern umfaßt den Menschen auch in seinem seelischen und geistigen Sein: ihr allumfassender Charakter führt insofern zunächst einen Bestand der klassischen Tradition weiter. Aber die zunehmende Lösung des spontan-emotionalen Bereichs aus den rationalen Bindungen bedeutet zugleich, daß der einzelne den Anspruch auf das Recht einer Liebe durchsetzt, die nicht mehr in dem Maße einem von der Gesellschaft geforderten ,normativen* Verhalten untergeordnet ist. Überhaupt war ja der große Erziehungsprozeß zu höfischem Menschentum, wie es der Artusritter repräsentiert, Aufgabe einer (literarhistorisch gesehen) andern .Generation', wie sie Hartmanns Romane und die Entwicklung Parzivals bis zur Aufnahme in den Artuskreis erfüllen. Tristan und Isolde dagegen beherrschen die höfischen Tugenden bereits mit beängstigender Perfektion und all den ihr anhaftenden bedenklichen Zügen der Veräußerlichung. Sie haben die Stufe höfischer Vollkommenheit, die in Hartmanns Romanen Zielpunkt einer längeren Entwicklung ist, längst erreicht, als die Minnehandlung beginnt. Gottfrieds .Tristan' setzt auf der Stufe des vollendeten Artusrittertums an - es ist die Welt, die niwan in vröiden welle sweben (5 3) - und führt, freilich in ganz anderer Weise als Wolframs ,Parzival', über sie hinaus. Damit war der Erziehungsauftrag der höfischen Minne .überflüssig',120 sie selbst als 120

Die Erziehung Tristans, bei der die Minne schon keine Rolle mehr spielt, fällt in die Vorgeschichte, ebenso wie die Erziehung Isoldes zur moraliteit. Aber Tristan bewährt sich auch in allen Episoden der Haupthandlung als vollendeter höfischer Ritter - mit einer Selbstverständlichkeit, die für Gottfried nicht vieler Worte bedarf. Er ist seinem Gegenspieler Marke wie auch den Nebenfiguren gegenüber stets der überlegene 181

gesellschaftliche Bildungsmacht funktionslos geworden und damit eine wesentliche, das Elementare zügelnde Kraft zum Verfall bestimmt. Wo aber die Minne ihren erzieherischen Sinn eingebüßt hatte, da mußte auch der Dienst-Lohn-Gedanke fallen. Diese für den .Tristan' aufgewiesene Entwicklung gilt ζ. B. auch für Konrads HERZMÄRE.

Sie bedeutet freilich nicht, daß die ,Tristan'-Liebe unabhängig von jeder Hinordnung auf die höfische Gesellschaft gelebt werden konnte. Die Gesellschaft bleibt auch für Tristan und Isolde die unumgängliche und maßgebliche Instanz, von der ihre ere und damit ihre gesellschaftliche Existenz abhängen. Die ganze Handlung ist von dieser Polarität der Minne zur Gesellschaft durchzogen, das Verhalten des Paares von dem Streben bestimmt, trotz ihrer verbotenen Liebe das äußere Ansehen am Hofe zu bewahren. Aber die Verwirklichung dieses Bemühens bedarf mit dem weiteren Fortschreiten der Handlung zunehmend äußerer und unlauterer Mittel, es bedarf der fortwährenden Täuschung, der List, Verstellung, des Betrugs. In dieser ,Rücksicht' auf die Gesellschaft durch bedachtes, klug-listiges Verhalten, das von keinem moralischen Impuls mehr bestimmt wird als dem der Liebe, wirkt - nun schon ganz veräußerlicht - das verbliebene rationale Element des sapient er amare nach. In dem Maße, wie die Liebenden durch die wachsenden Widerstände und die zunehmend feindliche Haltung der Gesellschaft an der Erfüllung ihrer Liebe gehindert werden, entzieht sich ihre Leidenschaft der Kontrolle und Mäßigung durch äußere Vorsicht und wächst schließlich zur enthemmten Sinnesleidenschaft aus. Damit setzt die Wendung zur Katastrophe ein. (Mit diesen Zügen stehen die sentimentalen Mären um zwei Liebende in der ,Tristan'-Tradition.) Aber die Folgerungen, die Tristan aus der Entdeckung im Baumgarten zieht, sind ebenfalls noch von dem Gedanken getragen, die ere zu bewahren: nicht Furcht vor dem Tode, sondern vor dem unehrenhaften Tode bestimmt ihn zur Flucht.121 Erst als er triuwelos gegenüber seiner Geliebten wird, ist das tragische Ende unvermeidbar - wie im Märenbereich bei PETER VON STAUFENBERG. Wahre und echte Liebe ist nun unlösbar mit der

m

Rittet (u. z. auf allen Gebieten einschließlich des Kampfes, vor allem aber im Geistigen), der sich bei jeder neuen Konfrontation mit .feindlichen' Ereignissen der Liebe Isoldes als würdig erweist und so auch von hinterher zeigt, daß er ihre Liebe .verdient' hat. Vgl. H. Furstner S. 216 (s. S. 134, Anm. 1).

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Bereitschaft verbunden, Leid auf sich zu nehmen; der alte Topos von Liebe und Leid erhält eine neue Prägung durch die Einheit von Liebe und Tod. Damit ist auch die Grundlage für die sentimentalen Mären geschaffen. Indem sich die Leidenschaft über die Vernunft erhob, mußte sie sich aus den durch Gesetz und Norm geschaffenen Bindungen lösen. Damit brach auch der Gegensatz zwischen Minne und Ehe wieder auf. Im .Tristan' ist er in seiner ganzen tragischen Konsequenz gezeichnet. Wie kaum in einer andern höfischen Dichtung setzt sich im ,Tristan' das Liebesverhältnis rückhaltlos über die Ehe hinweg; es ist aber in seiner Bewertung auch eindeutig über sie gestellt: die Schuld trifft in der Darstellung Gottfrieds eher Marke als das liebende Paar. In Anbetracht der schon in der Einleitung zu diesem Kapitel skizzierten besonderen Eheauffassung, die auch in verschiedenen Mären in meist etwas gemilderter Form anzutreffen war, sind zumindest Zweifel berechtigt, ob man mit einer bestimmten Richtung der GottfriedForschung die Tristan-Isolde-Minne als „verbrecherisch" bezeichnen und ob sie nach Auffassung des Dichters wirklich gegen die ethischen Lebensgesetze verstößt, wie wir es heute empfinden. Daß Gottfrieds Erhebung der Minne zu einer weltlichen Liebesreligion in unüberbrückbaren Gegensatz zur Ethik des Christentums und ebenso zu der von Wolfram vollzogenen Gründung des höfischen Rittertums in einer überweltlich christlichen Ordnung gerät, steht außer Frage. Für die Liebesauffassung der Mären bleibt dies aber ohne Bedeutung. Nach der Lösung der Minne aus der höfischen Lebenseinheit durch Gottfried übernehmen die Mären einzelne Elemente des zerbrochenen Ideals, suchen diese zu bewahren oder bilden sie selbständig weiter. Mit Ausnahme des P E T E R VON STAUFENBERG sind alle Helden in den sentimentalen Mären einer unheilvollen Leidenschaft verfallen. Auch bei ihnen ist die sinnvolle Beziehung zwischen Minne und einer übergeordneten gesellschaftlichen Instanz zerstört, die Bildungsfunktion aufgegeben. Meist steht die Gesellschaft daher den Liebenden feindlich entgegen. Während im frühhöfischen Roman (Dido, Athanais) die von der Leidenschaft Getroffenen dieser Macht wehrlos verfallen, geht das Streben der Liebenden im H E R Z M Ä R E und in der FRAUENTREUE zunächst dahin, die Leidenschaft zu bewältigen: darin wirkt das klassische Erbe. In den sentimentalen Mären um zwei Liebende trachtet 183

das Paar danach, äußere Widerstände und Ereignisse, die sich ihrer Liebe in den Weg stellen, zu überwinden. Aber sie alle bleiben darin erfolglos. Das Streben, des Elementaren durch vernunftgelenkte Kräfte Herr zu werden, ist seit Gottfrieds .Tristan' zum Scheitern verurteilt. Ebenso ließ sich die Kluft, die sich im ,Tristan' zwischen Minne und Ehe neu aufgetan hatte, in den Mären um einen Dreieckskonflikt nicht mehr überbrücken. Im HERZMÄRE und im PETER VON STAUFENBERG verkörpert die Ehe eine der Liebe feindliche Institution. Der Versuch der FRAUENTREUE, den höfischen Dienst-Lohn-Gedanken mit einer neuen Auffassung von der Unantastbarkeit der Ehe zu verbinden, konnte nur zu einem tragischen Ausgang der ihrem Stoff nach untragischen Geschichte führen. Daß überhaupt der Liebestod des Paares, besonders der Tod der Frau an der Bahre des Geliebten und die gemeinsame Bestattung, im ,Tristan'-Stoff sein Vorbild hat, braucht kaum erwähnt zu werden. Aber der Liebestod ist noch Kennzeichen einer anderen Entwicklung. Die allgemeine, von der Gesellschaft bestimmte rationale Ordnungsgesetzlichkeit, in die auch die Minne einbezogen war, bestimmte im klassischen höfischen Roman nicht nur Handeln und Verhalten des Einzelnen, sondern auch die Ereignisse des Aventiure-Geschehens, die ihn betrafen und an denen er sich zu bewähren hatte. Selbst wenn diese Ereignisse in einem feindlichen Sinne auf ihn einwirkten, erwiesen sie sich (zunächst vielleicht unbegriffen) als Zeichen eines sinnvollen Geschehens. Folgerichtig mündete die Handlung nach einem immanenten Gesetz ,prästabiüerter Harmonie' in einen Zustand, der den Helden über sein bisheriges Sein erhob, der die artushafte vröude oder den Einklang von gottes Gnade und der werlde hulde wiederherstellte. Der ,Tristan' erschüttert mit fortschreitender Handlung auch diese sinnvolle Zuordnung des äußeren Geschehens. Sie bleibt zunächst zwar insofern erhalten, als die Ereignisse die Liebenden für lange Zeit begünstigen: äußere Widerstände, die es zu überwinden gilt, sind zunächst Bewährungsproben ihrer unauflösbaren Liebe. Aber je mehr sich der Roman dem Ende nähert, umso deutlicher erweist sich die bis dahin geglückte Überwindung der feindlichen Außenwelt als trügerischer Schein: das eigene, nicht mehr freie Handeln verstrickt sich mehr und mehr in das objektiv unabwendbare Geschehen. Die Ereignisse werden für die Helden zu Stationen auf dem Wege zum 184

tragischen Untergang. I n s o f e r n bleiben sie sinnerfüllt. Aber das Gesetz der ,prästabilierten Harmonie' gilt nicht mehr. In den sentimentalen Mären um zwei Liebende vor allem stellen die äußeren Ereignisse, weniger ein Gegenspieler oder die ,Gesellschaft', die eigentliche feindliche Macht für die Helden dar. Die Geschehnisse bleiben für sie nicht nur - wie im höfischen Roman zunächst unbegreiflich, sondern sie erweisen sich in der Tat als willkürliche Zufälle. Der Mensch ist ihnen unentrinnbar ausgeliefert, weil ihm seine hilflose Verfallenheit an die Leidenschaft keinen Spielraum mehr läßt, aus eigener Entscheidung frei zu handeln. Daher können die Ereignisse den Menschen auch nicht mehr in tragisches Handeln verstricken; sie sind seinem Zugriff und seinem Einfluß völlig entzogen. Ihre einzige Funktion ist es, ihn zu vernichten. Wohl nicht zufällig greift man nun wie in der frühhöfischen Zeit auf antike Liebesgeschichten zurück. Aber ein Sinnbezug auf Schicksalsmächte und Götter wie in der ,Eneide' ist nicht mehr zu finden. Noch an anderen Erscheinungen zeigt sich, daß die sentimentalen Mären nicht nur an die ,Tristan'-Tradition anknüpfen, sondern sich zugleich von ihr entfernen. Neue Töne werden vernehmbar. Das Anwachsen des Irrationalen hat nicht nur die Entfaltung der Leidenschaft, sondern auch eine Verinnerlichung des Gefühls ausgelöst. Sie wirkte sich im H E R Z M Ä R E und in der FRAUENTREUE dahin aus, daß die Leidenschaft verhaltener bleibt als im .Tristan' und (in der F R A U E N TREUE), äußere Gebärden und Handlungen zum Ausdruck innerer Vorgänge werden. Auch die bewußte Pflege des Sentimentalen läßt den Abstand dieser Dichter von Gottfried erkennen. Im,Sentimentalischen' drückt sich (im Sinne Schillers) die Sehnsucht nach einem Ideal aus, das mit seiner klassischen Sinnbezogenheit die Gültigkeit für die Gegenwart verloren hat. Hierin liegt der tiefere Sinn der topischen ,Zeitklage und laudatio temporis acti':122 man mißt die Gegenwart am Ideal der Vergangenheit. Auch deshalb greift man auf alte (antike) Liebesgeschichten aus ,längst vergangenen Zeiten' zurück; das Geschehen des H E R Z M Ä R E ist durch die Zeitklage ebenfalls in

lss

So gleich zu Anfang des HERZMÄRE: Ich priieve in mime sinne daz lüterlichiu minne der Werlte ist worden wilde. Dar umb sS sulen bilde ritter unde frouwen an disem mare schouwen, wand es von ganzer liebe seit (iff.); vgl. besonders den Epilog 534-579.

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die Vergangenheit gerückt. Aber sehnt man sich wirklich nach ihr zurück? Darstellung und kommentierende Bemerkungen der Dichter verraten bereits wieder einen starken Anteil des Rationalen, das jetzt eine Distanz zum Dargestellten schafft. Die Leidenschaft ist nicht mehr unmittelbar gestaltet, sondern die Gefühle sind bisweilen bemerkenswert rationalistisch b e s c h r i e b e n . Die herzergreifende Totenklage des Mädchens im SCHÜLER VON PARIS (GA-Fassung) ist mit gelehrtem Beiwerk aus dem ,Physiologus' durchsetzt. Klagemonologe, Totenklagen und Beschreibung des Liebesempfindens in Briefen123 nehmen bisweilen beträchtlichen Raum gegenüber dem epischen Bericht ein und bieten dem Autor eine willkommene Gelegenheit, seine rhetorischen Fähigkeiten zu erweisen. Mußte bei Gottfried leidenschaftliche Liebe bereit sein, alle Leiden und selbst den Tod auf sich zu nehmen, so stellen die Märendichter mit resignierendem Bedauern fest, daß solche Liebe oft zu einem bitteren Ende führe.124 In die Verherrlichung der Liebe mischen sich rechtschaffene Mahnungen und Warnungen vor ihren Gefahren. Wie im ,Tristan' Prolog und Exkurse Gottfried Gelegenheit gegeben hatten, eigene Ansichten zu der nach mittelalterlicher Tradition stoffgebundenen Darstellung einzuflechten, so vernimmt man auch in den Mären diese Töne außerhalb der eigentlichen Darstellung: in lehrhaften Einschüben, 125 in Prolog 126 und Epilog. Die Leidenschaft wird recht nüchtern und äußerlich als ein ,Zuviel' an Liebe, als ein Uberschreiten der mäze gedeutet.127 Der Autor des SCHÜLER VON PARIS (M) betrachtet die Geschichte als Warnexempel und weiß gleich im Prolog ein Heilmittel gegen solche Verstrickung: es gilt nicht, das Triebhafte durch Geisteskräfte zu beherrschen, sondern sich in einem biederen Sinne

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In H E R O UND L E A N D E R , natürlich nach dem Vorbild Ovids; aber es entspricht dem Zeitgeschmack. Nu ist es leider, als man gihet, Daz man die liebe seiden sihet, Da insi auch herzeleide bi (SCHÜL E R VON P A R I S , GA-Fassung Α 89FR., Β 129fr.). H E R O UND L E A N D E R : Ach, min, din suezer anvank git mangen bittern üzgank ... (if.). So in HERO UND LEANDER: . . . und rat' tu iemir daz, daz ir iuch huetet dester baz, Und niht volget tumbem muot, der tu vil dikke schaden tuot (395fr.). Im HERO UND LEANDER-Prolog: er mak von schulden sorgen, Wer sich der minne hat ergeben, wie er sin minnegerndez leben Rihte üf ein ende guot; daz doch diu minne selten tuot·. Siprueft vil dik die aernden not ir diener, und etwan den tot (6ff.). PYRAMUS UND T H I S B E : minne kan niht mäze han (374); S C H Ü L E R VON PARIS (GA-Fassung A 72 = Β 1 1 4 nach Rosenfeld). 186

zu beschränken, Maß zu halten und den goldenen Mittelweg einzuschlagen, damit „kein Schaden daraus erwachse".128 Andere Auswege weist der Epilog des SCHÜLERS VON PARIS ( W ) : hier wird die Leidenschaft ausdrücklich entdämonisiert und ,entsündigt', indem man sie als von der Natur und damit von Gott im Menschen Angelegtes mit der „lex naturalis" in Einklang bringt.129 Der Epilog der Redaktion Μ preist unter hemmungsloser, auf das movere zielender Verwendung der Anapher (si macht oder si hart), was die Minne alles vermag, und gerät dabei in einen platten bramarbasierenden Ton.130 All dies sind Symptome einer neuen, auf anderer - im Ganzen mehr bürgerlichen Ebene einsetzenden nüchternen Versachlichung des Liebesempfindens. 3. Brautwerbungsgeschichten Die Brautwerbung ist in mittelhochdeutscher Dichtung meist Thema einer größeren epischen Darstellung. Die Minnehandlung bildet darin nur einen Handlungsstrang, der mit dem übrigen, episch reicher ausgeführten Aventiure-Geschehen verflochten ist. Ein Vergleich mit der komplexen Gestaltung des Minnethemas in Romanen, deren Handlungsverlauf sich mit einer längeren Kette von Aventiuren dem Werbungsschema anlehnt, macht deutlich, daß sich dies im Grunde e p i s c h e Thema in den Mären nicht so fruchtbar entfalten konnte. Sie beschränken sich gattungsbedingt auf eine einsträngige Handlung mit enger begrenztem Problem und streben danach, die Darstellung konzentriert und den Umfang in bestimmten Grenzen zu halten. Es iae Vgl. d e n Prolog des S C H Ü L E R S V O N P A R I S (M), in dem der Dichter rät: Ob im van liebe Itep geschieht, Daz er sich freuden maze Und mrnaze liebe laze, Daz im daran kein schade beste, Davan sin freude zuge (6ff.). Von den Helden seiner Geschichte dagegen gilt, daß sie Sulcher liebe und sulcher leide so gar ubermaze phlagen, Davan si beide tot gelogen (26ff.). 128 Im S C H Ü L E R V O N P A R I S (W) ist dies ausdrücklich bemerkt: Ob sie dan sunde hantgetan, Die solt du, here vater, lan Mit dem tode gebuzet wesen, Wan ich han dicke gehöret lesen, Srvelch sunde wider natur nicht si, Da si so groze schult nicht bi, Als die wider natur ist. Swaz sie begingen in der vrist, Daz was al naturlich. Nu bist du doch genadenrich, Nu bist du doch die majestat, Di al natur geschaffen hat... Du gebe menschen creatur Menlich und wiplich natur... Daz genus ist zwispilde, Swa natur gert, ist die menschheit kranc... (663fr.). Zu diesem neuen optimistischen Naturbegriff, der sich im 13. Jahrhundert auch philosophisch in der thomistischen „lex naturalis" ausprägt, vgl. Köhler S. ij8f. und die dort genannte Literatur. Auch der Kaplan Andreas kennt schon dies Argument: Credo tarnen, in amore Deum graviter offendi non posse·, nam quod natura cogente perficitur, facili potest expiatione mundari (Battaglia S. 188). 180 Vgl. die Vv. 638-692. 187

ist daher kein Zufall, wenn Brautwerbungsgeschichten gerade unter den Mären zu finden sind, die genetisch dem Roman nahestehen. Für den hier behandelten Zeitraum kommen nur der J U N G H E R R U N D D E R T R E U E H E I N R I C H , die R I T T E R T R E U E und der B U S A N T in Betracht. Auch Beispiele der späteren Zeit, wie W I L H E L M U N D A M A L I A (vgl. S. 2 5 Anm. 9 1 ) oder der H E R Z O G VON B R A U N S C H W E I G und R I T T E R S O C I A B I L I S , lassen die Nähe zum Roman erkennen. Diese Nähe zur Romangattung bringt es mit sich, daß in den Brautwerbungsgeschichten auch der Minne eine andere Geltung als in den bisher behandelten Mären zukommt, in denen sie immer im Zentrum der Darstellung gestanden hat. Hier dagegen ist das Minnemotiv dem zentralen Thema der Werbung untergeordnet. Auch das Wesen dieser Liebe unterscheidet sich in manchem von dem der übrigen Mären. Es geht nicht um Dienst und Umwerbung einer verheirateten Frau, die Minnelohn schenkt oder ihn verweigert; nicht um die verhängnisvolle Leidenschaft zwischen Jüngling und Mädchen. D E R J U N G H E R R UND DER TREUE H E I N R I C H

und DIE

RITTERTREUE

Die Liebe im J U N G H E R R N U N D D E M T R E U E N H E I N R I C H ist kein spontanes Gefühl, das durch geistige oder überpersönlich-gesellschaftliche Kräfte gelenkt oder verfeinert wird. So ist der,Minnedienst' üblicher Art im J U N G H E R R N U N D D E M T R E U E N H E I N R I C H nur als zurückliegende Jugendstufe' (vgl. S. 6) innerhalb der laus des Helden erwähnt. Aber diese löbliche Betätigung hat den Helden - wie ähnlich den Grafen Willekin in der R I T T E R T R E U E - an den Rand des wirtschaftlichen Ruins geführt. Als jetzt ein Turnier in einem fremden Land ausgerufen wird, das dem Sieger Hand und Land der Königstochter verspricht, gibt es den Rittern in beiden Erzählungen die Möglichkeit, ihrer bevorzugten Tätigkeit wieder nachzugehen und sich zugleich wirtschaftlich zu »sanieren'.131 Diese Situation löst das Handlungs1,1

Zum soziologischen Hintergrund des umherziehenden, verarmten Ritters und die auch in den beiden Mären erkennbare Bedeutung der Geldwirtschaft für diese Entwicklung vgl. Köhler S. 68 und 71. Damit sind die Erzählungen dieses Typs in der Darstellung nicht realistisch geworden: sie weichen, mehr als der Roman, ins Märchenhafte aus (vgl. dazu E. Auerbach, Mimesis S. 134). So erweisen sich im JUNG188

schema der Brautwerbung mit seinen herkömmlichen Stufen aus.132 Dabei stellt sich die Liebe, ein der Hand-Land-Werbung beigeordnetes Attribut, von selbst ein: zunächst wecken die Kunde und der Preis der fernen Jungfrau beim Mann das Interesse (.Liebe vom Hörensagen' 133); als sich beide Partner dann zum ersten Mal sehen, erwacht die gegenseitige Liebe fast .automatisch'. Der Rang der Umworbenen, meist einer Königstochter, verbürgt zugleich ihr hohes Ansehen, das für Liebe und Werbung des Ritters Voraussetzung ist - dies ein traditioneller höfischer Zug. Die Liebe hat nicht mehr eigentlich erzieherische Funktion, aber sie verlangt vom werbenden Manne außerordentliche Leistung im Turnier und bleibt zugleich an eine gesellschaftliche Instanz gebunden, die den Turniersieger auswählt. Vor allem zielt sie auf die Ehe und ist insofern - auch in Hinblick auf den erwarteten Landerwerb - zweckgerichtet wie die Ehe selbst. Daher steht das Gefühl, das das Paar miteinander verbindet, trotz seiner ,romantischen' Verklärung in diesen Mären, der maritalis affectio wohl näher als dem amor. Dennoch sind die Minnehandlungen im J U N G H E R R N U N D DEM T R E U E N H E I N R I C H und in der R I T T E R T R E U E recht verschieden gestaltet, und dieser Unterschied macht unter anderem den höheren künstlerischen Wert der R I T T E R T R E U E als Märe aus. Der J U N G H E R R U N D D E R TREUE H E I N R I C H ist durch seine Nähe zum Roman belastet: die Reiseerlebnisse, die ausführlichen Turnierschilderungen und die entbehrliche ,Nebenhandlung' um den fremden, unverschämten Ritter nehmen für eine Märe zu breiten Raum ein. Der Minnehandlung kommt - so hübsch sie mit märchenhaften Zügen durchwirkt ist134 - keine zentrale Bedeutung zu. Sie bleibt trotz HERRN U N D DEM T R E U E N H E I N R I C H alle .realistischen' Bedenken des Schildknappen Heinrich gegen das unbekümmerte Verschwenden des Guts durch seinen Herrn am Ende als völlig unbegründet, weil dieser mit der Braut zugleich neuen Reichtum erwirbt. 188 Dazu gehören: Liebe (meist) vom Hörensagen, Auszug des Ritters in das Land der Braut, erfolgreiche Werbung und schnelle Vereinigung (oder Eheschließung) nach einer vorausgehenden Leistung des Ritters wie dem Turniersieg; plötzlich eintretende, widerwärtige Ereignisse führen das Paar zu vorübergehender, oft längerer Trennung und stellen es vor eine Bewährung (im Roman vor eine Kette von Bewährungen); danach erfolgt die Eheschließung oder die Wiedervereinigung der Gatten. 188 Die Mären nehmen dies alte Motiv wieder auf, das der klassische Roman mit seinem psychologischen Interesse verwerfen mußte. IM VGL. 2. B. den wiederholten Gestaltwechsel des Geliebten mit einem Vogel: Symbol und Bedeutung gehen ineinander über. Zum Motiv vgl. Bolte-Polivka II S. z6iff.

189

der Episodenwiederholung innerhalb der Grenzen eines reduzierten Werbungsschemas. Das ursprünglich kausale Verhältnis von ritterlicher Leistung im Turnier und nachfolgendem Lohn ist hier insofern aufgelöst, als die Liebeserfüllung den (drei) Turniersiegen vorausgeht, die Liebe also dabei durch eine ,nachgeholte' Bewährungsleistung erst von hinterher ,verdient' wird.13® Hält man die R I T T E R T R E U E vergleichend daneben, so wird deutlich, daß nicht nur in den Turniersiegen selbst, sondern auch in den etwas wirren, zum Teil in Märchenatmosphäre gehobenen Vorgängen vor und nach den Turnieren diese eigentliche ,Bewährungsstufe' des Paares realisiert ist. Die Geliebte macht dem Jungherm für die bevorstehenden Turniere bestimmte Geschenke: i. einen kränz, ζ. eint golden krone, 3. eine kogel (,Kapuze'). Sie sollen - als Symbole der Geliebten - ihn nicht nur im Kampf begünstigen und schützen, sondern als Wappen- und Erkennungszeichen dienen. 1 '· Dem scheint zunächst zu widersprechen, daß der Jungherr die beiden ersten Symbole jeweils vor dem Turnier anscheinend leichtfertig an den fremden Ritter verschenkt, der ihn schon auf der Reise maßlos ausgenutzt hatte. Er erfüllt damit aber ein gegebenes Gelöbnis, keine im Namen seiner früheren, toten Geliebten an ihn gerichtete Bitte abzuschlagen. Dahinter steht also der gleiche Gedanke wie bei der Versuchung Graf Willekins in der RITTERTREUE : ein Ritter hat unbedingt zu seinem gegebenen Wort zu stehen. Ähnlich erklärt sich das zunächst wiederum merkwürdige Verhalten der Geliebten. Der Jungherr tritt nämlich jeweils unter anderem, schnell angenommenen Ersatzwappenzeichen den Kampf an und besiegt den fremden Ritter, der unter den Zeichen kämpft, die die Geliebte dem Jungherrn geschenkt hatte. Für sie muß daher der Eindruck entstehen, i h r Ritter sei im Turnier besiegt worden. Sie hält aber dennoch an ihrer Liebe zum Jungherrn fest und ersetzt nach jedem Kampf das von ihm fortgegebene Geschenk durch ein neues: darin liegt ihre Bewährung. Erst als sie bei der Übergabe des dritten Wappenzeichens ihren Geliebten bittet, es nicht mehr zu verschenken, hält er sich - in neuer Bewährung 137 an ihren Wunsch.

Der J U N G H E R R 135

ise 187

UND DER TREUE H E I N R I C H

stellt in seiner Wiedergabe

Auch dies ist ein spätzeitlicher Zug, der im Prinzip auch die Liebeshandlung in Konrads .Partonopier und Meliur' bestimmt. Vgl. auch R I T T E R T R E U E 5 37if. (wäpenroc). Im BUSANT besteht die Bewährung der vorerst nur durch Verlöbnis verbundenen Liebenden in der Treue, die sie sich in der Trennung halten; die Isolierung im Walde als der Symbollandschaft selbstverschuldeten gesellschaftlichen Ausgestoßenseins, der .Wahnsinn' des Helden, sein Herabsinken auf die Stufe eines wilden Tieres auch in der äußeren Lebensführung, sind ebenfalls Motive, die deutlich aus dem höfischen Roman stammen (vgl. vor allem ,Iwein', ,Partonopier und Meliur').

190

einer Brautwerbungsgeschichte eine Zwitterform zwischen Roman und Märe dar.138 Man vermißt eine schwerpunktmäßige Auswahl des Stoffes und die straffe Konzentration der Handlungsführung. V o r allem aber fehlt der Erzählung in Form und Gehalt der novellistische' oder märenartige Zuschnitt. 139 Um auch die Minnehandlung in ihrem Gehalt der Form eines Märe anzupassen, hätte es der Zuspitzung auf ein besonderes, enger begrenztes Problem bedurft, wie es etwa in einem Minnekasus vorliegt, der sich für die Behandlung in einem Märe vorzüglich eignet. Diese Ansprüche erfüllt die RITTERTREUE in geradezu vorbildlicher Weise. Der Handlungsverlauf folgt zwar auch hier den typischen Stufen der Brautwerbungsfabel, aber sie ist in einer dem Märe angemessenen Form straff durchgeführt. So wird die Reise in das Land der Braut mit einem Satz abgetan (zz 5 f.), während sie im JUNGHERRN übermäßig breit dargestellt ist und eine Nebenhandlung um die K o n trastfigur des wortbrüchigen Ritters enthält, die der Hauptteil später weiterführt. Alle Ereignisse bei der Ankunft des Grafen in der stat, die Verhandlungen mit dem wirt, die Einlösung des toten Ritters und die Vorbereitungen auf das Turnier sind bereits auf das Kernproblem der Treueerprobung zugeschnitten. Das Minnemotiv ist zwar nach A r t dieser Werbungsgeschichten zunächst dem allgemeinen Thema untergeordnet, wird dann aber in der Versuchungsszene zu einem Minnekasus zugespitzt. 140 Graf Willekin hatte sich vor dem Turnier von einem ihm fremden Ritter ein besonders wertvolles Pferd unter der Bedingung eingehandelt, alles mit ihm zu teilen, was ihm durch seinen Turniersieg zufallen würde. A m zweiten Abend nach der Brautnacht erscheint der fremde Ritter und macht seinen Anspruch auf die Frau geltend: 71 j

188

,Ist iumr triuwe iht base, So endurft ir sie niht lessen. Ist iuwer triuwe aber guot, Nemt ez rehte in tuwern muot,

D i e F l a g e der größeren Originalnähe der Heidelberger oder Dillinger Fassung ist n o c h nicht e n d g ü l t i g geklärt. V g l . S. E n g l e r t , Heinrichs B u c h oder der Junker und der treue Heinrich. E i n Rittermärchen, W ü r z b u r g 1892; G . R o s e n h a g e n Z f d P h 26, 1894, S. I27ff. u n d K . K i n z e l A f d A 19, 1893, S. 192fr.

1Ji

I m BUSANT ist dies etwa durch die leitmotivische F u n k t i o n des V o g e l s (Busant) er-

140

V g l . dazu auch die Dissertation v o n E . Stutz S. 76.

reicht (zur HEIDIN v g l . S. 193fr.).

I9I

Ich mil iuch läzen kiesen: Ir müezt ie einz Verliesen, Die vrouwen oder die triuwe: Nu kiest dazz iucb iht rimve.' D i e Forderung des Ritters stellt Graf Willekin v o r das für einen Minnekasus typische Dilemma, die Wahl zwischen zwei für ihn fatalen Möglichkeiten treffen zu müssen: 141 sein gegebenes Ritterwort (triuwe) einzuhalten und seine Frau dem andern zu überlassen oder sie für sich zu behalten und damit wortbrüchig zu werden. D i e Werbungsfabel und die ihr eingegliederte sehr knapp gehaltene Minnehandlung stellt also nur das epische Gerüst dar, in das das eigentliche ,novellistische', minnekasuistische Problem eingebaut ist. Für den Grafen als vorbildlichen Ritter kann die Entscheidung nur in der Einlösung des gegebenen Versprechens liegen (778-780). A b e r die Lösung des Problems erweist sich als ebenso theoretisch wie der Minnekasus selbst: der Fremde gibt sich als der dankbare Wiedergänger des toten, v o n Willekin eingelösten Ritters zu erkennen, der seine triuwe im Auftrage Gottes auf die Probe gestellt habe. So bleibt dem Grafen zwar die verhängnisvolle Folge seines unbedachten V e r sprechens erspart, aber der Vorrang, den die Einhaltung des Worts v o r der Entehrung der Gattin bekommt, wirft wiederum ein Licht auf die Bewertung der E h e : die Teilung der Frau mit einem andern ist denkbar, wenn es die Ritterehre erfordert (vgl. auch S. 2iof.). A u c h der ,moralisierte Schwank' DIE HALBE BIRNE (vgl. dazu schon S. 10 A n m . 33) lehnt sich in der Struktur dem Brautwerbungsschema an: 141 * er umfaßtTurnierausschreibung,Hand-Land-Werbung um eine Königstochter, Turniersieg. D i e hier ins Schwankhafte gewendete .Krise' mit vorübergehender Trennung wird dadurch ausgelöst, daß Ritter Arnold gegen die Tischzuchtsitte verstößt und deshalb v o n der Königstochter verspottet wird. E r rächt sich an ihr, indem er sie in gröbster F o r m zu niederer Liebe verführt. Es entspricht nicht nur dem schwankhaften Charakter des Märe, sondern a u c h der Struktur einer Brautwerbungsgeschichte, wenn nach dem v o n Fischer so bezeichneten Thematypus „Verspottung v o n Liebhabern und Rache des Verspotteten" (hier mit den beiden Teilen 111

Über weitere minnekasuistische Situationen ist S. 20if. zur HEIDIN und im ParodieKapitel S. 246fr. ausführlicher gehandelt.

141a Deshalb sei er hier mit erwähnt.

192

„Herausforderung und Replik") dem Ritter am Ende trotzdem Hand und Land der Königstochter zufallen. Das derbe, schwankhafte Liebesmotiv ist hier in den Dienst einer moralischen Belehrung gestellt (dazu S. 229 und Anm. 240) und wahrt insofern den märenartigen Zuschnitt. D i e HEIDIN I V

Auch die H E I D I N wird im Handlungsverlauf wesentlich vom Schema der Brautwerbung (Orientabenteuer) bestimmt. Aber trotz der (in den Fassungen II und III schon romanähnlichen) reicheren Ausgestaltung der Aventiurepartien bleibt die Grundstruktur des Märe gewahrt: die Handlung ist - wie in der R I T T E R T R E U E - auf einen Minnekasus, die Wahl zwischen oberer und unterer Leibeshälfte der Frau, zugeschnitten. Überhaupt rückt damit die Minnehandlung wieder in das Zentrum der Darstellung. Im Unterschied zu den andern Erzählungen dieses Typs ist die Umworbene jedoch eine verheiratete Frau, die Personenkonstellation daher wiederum die einer Dreieckssituation, so daß auch die Ehe erneut als Spannungsfaktor in der Minnehandlung erscheint. Es liegt auf diese Weise etwas eigentümlich Widersprüchliches in der Handlungsführung der H E I D I N : die Brautwerbungsgeschichte verlangt die Heimführung eines unverheirateten Mädchens; ihr Zielpunkt ist die Ehe - der Minnedienst dagegen richtet sich auf eine verheiratete Frau; er erstrebt zwar Lohngewährung, aber nicht den Ehebund. Indem die Fassungen II-IV das Minneverhältnis des Grafen mit der Heidenkönigin in eine neue Ehe einmünden lassen, ist in der epischen Struktur eine Kontaminationsform zwischen Brautwerbungs- und ,Dreiecksgeschichte' entstanden. Diese sekundäre Umgestaltung ist daran zu erkennen, daß die älteste Fassung (I) und sicher auch die verlorene französische Vorlage mit dem Abschied des Grafen von der Heidenkönigin endet, nachdem sie ihm ihre volle Gunst geschenkt hat. Ohne Zweifel liegt in dieser Form die urtümliche höfische Gestaltung des Kasus-Stoffs vor. 142 Denn die verheiratete Dame ist zwar nach dem höfischen Liebeskodex gehalten, dem aufrecht Werbenden seinen Minnedienst zu lohnen. Das weiß auch der Graf: 142

Auch bei Andreas wird das Problem der Wahl zwischen der pars superior und inferior zwischen den Liebenden eines Minneverhältnisses akut; von einer späteren Heirat ist keine Rede.

193

86γ

,ΐώ horte etewenne sagen, daz nieman sule gar verzagen, swer vrouwen gerne dienen wil mit ztibten, unde tuot er des vil (unt rüemet sich niht da bi, wie liep im sin vrouwe si), daz er sie des brahte inne, daz ers von herzen minne unde dar zuo ware undertan: si mähte ez niemer Verlan, si enmüeste im genadec wesen ...'

Ähnliche Gedanken finden sich bei Andreas Capeüanus oder in Hartmanns ,Büchlein'. 143 Aber weder erwächst daraus der Frau das Recht, ihren Ehemann zu verlassen, noch darf der Liebhaber nach empfangenen Minnelohn ihre Ehe im rechtlichen Sinne sprengen. Das widerspräche zudem der ursprünglichen Auffassung der Minnelehre, nach der sich Liebe und Ehe als zwei eigene Bereiche nicht überschneiden: der Minnedienst war nicht eigentlich ehefeindlich (vgl. Schlösser S. 262). Wenn die Heidin (in den Fassungen II-IV) dennoch ihren Gemahl verläßt und eine neue (christliche) Ehe mit dem Grafen eingeht, so erklärt sich dies einmal daraus, daß dem Mittelalter eine heidnische Ehe nicht als rechtmäßige, e-hafte Verbindung gelten konnte. 144 Z u m andern ist auch diese Lösung wiederum ein Versuch, Minneverhältnis und Ehe in Einklang zu bringen - sei es durch die Zerstörung einer andern, heidnischen Eheverbindung. Ihrem Kern nach stellt die HEIDIN die ,novellistische' Gestaltung eines bekannten Minnekasus dar. Es ist ihr entschiedener V o r z u g (wir beschränken uns im folgenden auf die beste, die I V . Redaktion), daß sie die Kasussituation mit den auf sie zuführenden Vorstufen geschickt mit epischer Handlung umkleidet hat, allerdings nicht ohne gelegentlich in leicht schwankhafte Darstellungsweise zu geraten. Das lag bei dem Thema der Wahl zwischen oberer und unterer Leibeshälfte der Frau nahe. Aber Werbung, Konflikt der Heidin und Minnekasus sind doch ganz nach den durch die höfische Minnedoktrin vorgezeichneten Linien gestaltet. Debet ergo mulier diligenti animo investigare, an sit dignus amari, qui petit amari, et, si ipsum dictum omnino invenerit, nullatenus eum suo debet amore frustrare (Battaglia S. 58). .Büchlein' 1613-1631 mit ausdrücklichem Hinweis auf die .Doktrin' (lire 1614). 1« Vgl. mutatis mutandis den Vorgang in Wolframs .Willehalm' (Gyburg) oder im .Parzival' (Gahmuret - Belacane).

14S

194

Das zeigt sich an mancherlei Einzelzügen, zunächst an Werbung des Grafen. Nach einigen einleitenden höfischen Wendungen erbittet er - vor seinem Liebesgeständnis - von der Heidin ausdrücklich die Erlaubnis, frei reden zu dürfen. Sie gesteht ihm dies zu, erteilt ihm aber auf seine unverhohlene Bitte um Gewährung eine entschiedene Absage. Ebenso hatte sich der nobilior bei Andreas Capellanus aus demselben Grunde eine Zurechtweisung von seiner Gesprächspartnerin gefallen lassen müssen, weil er sie so schnell um ihre Liebe gebeten habe (quod tarn festinanter postulatis amorem; Battaglia S. 15 8). Denn ein sapiens ... et instructus amator werde nicht gleich eine ihm bis dahin unbekannte Dame um die Erfüllung der Liebe bitten,146 sondern sich ihr mit propria industria zuwenden und zunächst ihr Gefallen zu erlangen suchen. Die Zurückhaltung der Dame gründet hier sehr deutlich in ihrer Aufgabe, den spontanen Willen des Mannes zu läutern und ihn zur Bewährung anzuspornen. - Folgerichtig läßt sich der Graf in der H E I D I N weder in dem längeren Gespräch von seinen Werbungen noch von weiterem Minnedienst in zahlreichen Aventiuren abhalten. Die Bewährung seiner Liebe liegt auch darin, daß er als ein zühtec man (1062) darauf verzichtet, sich um die Gunst andere mbe zu bemühen, und sich dadurch seine Beständigkeit und Treue gegenüber der Geliebten erweist.14® Er erfüllt damit, was Andreas Capellanus im zweiten praeceptum amoris als castitas11" bezeichnet: sie bedeutet „das Festhalten an einer Geliebten" (Schlösser S. 118) und schließt jede Anfälligkeit gegenüber einer andern Frau aus.148 Ähnliches versichert der lip in seinem Streitgespräch mit dem herzen in Hartmanns ,Büchlein',149 und aus dieser Stelle geht auch hervor, daß sich der Liebhaber solchen Verhaltens zu befleißigen hat ohne Rücksicht darauf, was für ein Lohn ihm von der Dame später zuteil werde. Als 1 « Vgl, di e in bestimmten Zügen ähnliche Szene zwischen Gawan und Antikonie im 8. Buch des ,Parzival'. Gawan fühlt sich durch den Begrüßungskuß Antikonies zu dem Versuch ermuntert, zu weiteren gradus der Liebe vorzudringen (oucb bat er sigenäden vil 405, 29), aber sie appelliert an ihn, kluoc (sapiens) zu sein, und wundert sich, daß er an sd kurzer zit ihre Liebe haben wolle (406, 1-11). ... daz er keiner vrouwen pflac·, swte ho im ze minnen lac, do abte er andere mibe niht unde duhten in wider sie enwiht, der er mit ganzen triuwen neide unt sieb mit dienste erzeicte an vil manegem strite (1063fr.). 147 Castitatem servare debes amanti (Battaglia S. 124). 148 V g l . die 12. regula amoris bei Andreas Verus amans alterius nisisui eoamantis ex affectu non cupit amplexus (Battaglia S. 356). 14' ich habe mich, herze, des begeben, ich ml deheiner freude leben durch man üf ander minne. swelch lön ich des gewinne, ich wil ir immer sin bereit (mjff.). 146

!95

höfischer Liebhaber hält der Graf femer den Namen seiner Geliebten geheim (1078fr.). Ebenso stimmt das Verhalten der Heidin - von ihrer anfangs schroffen Ablehnung bis hin zu den verschiedenen Graden des Entgegenkommens - mit dem überein, was man nach den Mustern der höfischen Liebeslehre von einer edlen Dame erwartet. Sie sieht zunächst durch den Antrag des Grafen ihre Ehre gefährdet (864 und 886), ein Bedenken, das später in ihrem Konfliktmonolog erneut anklingt. V o r allem darf eine Dame unter keinen Umständen dem Verlangen ihres Verehrers sogleich nachgeben. Sie hat daher zunächst den Bewerber auf verschiedene Weise auf seine Lauterkeit zu prüfen 160 und ihm durch Hinauszögern des Minnelohns Gelegenheit zu geben, in arbeit und ungemach des Minnedienstes zu reifen und sich in der Liebe durch die Tugend der Selbstbeherrschung über die Stufe des bloßen Begehrens zu erheben. Dies Ziel wird in den Liebesgesprächen bei Andreas Capellanus immer wieder deutlich hervorgehoben; einzelne Stellen lassen sich wie eine kommentierende Erläuterung zum Verhalten der Heidin heranziehen: So hat sich die Frau vor der (an sich geschätzten) Redegewandtheit des Verehrers zu hüten und zu prüfen, ob sich hinter den schönen Worten nicht nur das Streben verbirgt, die Lust zu befriedigen. 161 Daher zeigt sich die Heidin gegenüber der Beredsamkeit des Grafen skeptisch: 892 itmer rede habe nie so groze kraft, rvati ir trieget mit listen. A u c h ihre Unterstellung, dem Grafen sei es wohl früher gelungen, 160

161

Ν on enim alicuius debet femina probitatis nimis velociter amantis acquiescere voluntati; amoris enim cita et festina largitio contemptum parit amantis et optatum diu vilescere facit amorem, et eiusdem per tempora multa perceptione dilata etiam simulatus purificatur amor, et omnis in eo removetur aerugo. Multis ergo femina debet prius argumentis viri percipere probitatem et eius liquido cognoscerefidem(Battaglia S. 234). - V g l . auch die 14. regula amoris: Facilispereeptio contemptibilem reddit amorem, difficilis eum carum facit haberi (Battaglia S. 358). Das Ringen um die Liebe der Frau gilt stets höher als die Erfüllung selbst. Daher mahnt der Kaplan die Frau: antequam ... postulantis mores et fidem agnoscere und warnt: Caveat itaque mulier fallacis amatoris insidiis supplantari, quia quam plwimi non amari sed solam quaerunt exercere libidinem ... Qui etiam, antequam a muliere sui valeant laboris percipere fructum, omnia videntur in suavitate sermonis recta fide proponere et pura corde narrare·, post fructum vero laboris assumptum tergiversantur amanti. Ihre Doppelzüngigkeit komme dann an den Tag. Die leichtgläubige Frau aber sieht sich durch den betrügerischen Liebhaber überlistet (se reperit fallacis amatoris ingenio circumventam; Battaglia S. 298). Vgl. auch Hartmanns .Büchlein' V v . 217-247.

196

andere Frauen - Sie wären lihte unwise (915): also nicht sapientes, nicht prudentes! - hinters Licht zu führen, hat bereits den Charakter einer ,Prüfung' auf die probitas und fides des Mannes: sie sucht herauszubekommen, ob sie für ihn nicht eine unter vielen sei.152 Daß selbst mit der völligen Abweisung des Grafen nach dem ersten Minnegespräch, aus dem sie ihn ohne jede Hoffnung entläßt, nicht das letzte Wort gesprochen zu sein braucht, sondern ein solches Verhalten ebenfalls als strenge Prüfung des Liebhabers auf eiusfideipuritatem aufgefaßt werden kann, geht wiederum aus einer Empfehlung des Kaplans hervor. Er erlaubt einer Frau sogar, (zum Schein) von früher gegebenen Versprechungen abzustehen: aus der Reaktion des Mannes werde sich erweisen, ob er aus solcher Prüfung als probus hervorgehe oder ob seine Verschlagenheit an den Tag komme. Wenn er deswegen etwa von seiner Werbung ablasse, muß sie annehmen, daß er kein treuer Liebhaber sei.153 Wenn der Graf dagegen, wol me denne zehen jär (1132) im Ritterkampf um der Heidin willen seinen lip ... quelt (1073), 154 so kann er die Bewährung nicht überzeugender bestehen. Die Kunde von seinen Taten führt die Heidin in einen Verhaltenskonflikt. Auch die Darstellung dieses zweiten, verweilenden Handlungsabschnitts gründet in seinen Gedanken ganz auf der höfischen Minnedoktrin. Das wird bereits an der Art des Konflikts deutlich: er entsteht nicht unmittelbar durch erneute Konfrontation der Heidin mit ihrem Gegenspieler oder durch den Zwang der Ereignisse, sondern der Impuls geht davon aus, daß sie sich unter dem Eindruck des wagemutigen Minnedienstes, den der Graf unbeirrbar weiterleistet, auf die Pflicht zur Lohngewährung besinnt, die der ordo der höfischen Liebe der Frau auferlegt. Nicht zufällig ist die Heidin zu Beginn dieser neuen Situation vorausweisend als diu guote (1140) bezeichnet. Nach der Minneterminologie kann dies nur bedeuten, daß sie sich in ihrer Pflicht als Minnedame auskennt und danach die ethisch r i c h t i g e Entscheidung zu treffen vermag. In Hartmanns ,Büchlein', der in 152 158

154

ir trieget mich niht s6 Ilse alse ir manege getrogen hat (c)i6f.). Ν on ergo debet statim mulier petentis annuere voluntatis sed infinitis eum primo caute ditare promissis et cum competenti moderatione bona dijferre promissa, et, ut eius fidei puritatem agnoscat, debet quandoque a promissis prioribus se prorsus annuere alteratam et nolle, quod promiserat, adimplere ... Nam si propter variationes eum viderit ab incepto desistere ... praesumere debet, quod non sit fidus amator (Battaglia S. 208). Vgl. Hartmanns .Büchlein' 613 und 1215 (da gehceret arbeit zuo). J

97

Streitgesprächsform gebotenen Minnelehre, sagt das Herz, das stets die ,offizielle' Meinung vertritt: 1631

ist si denne ein guo t wip, sich, so lönet si dir, lip.Ui

In dem K o n f l i k t m o n o l o g schwankt die Heidin zwischen zwei V e r haltensweisen. D i e eine fordert v o n ihr,164 sich dem bewährten der mime

mit

ziihten

werben

sie wäre sonst ein ungetriuwez

kan

man

(115 5f.) nicht länger zu versagen 157

wip

(115 3). (Wie sich triuwe

-

in den höfi-

schen Mären u m einen Dreieckskonflikt stets auf die Treue zum G e liebten bezog, so meint ungetriuwez

wip hier das Verhalten einer Frau,

die dem Liebhaber den L o h n verweigert und damit der Minnelehre zuwiderhandelt.) D i e andere Verhaltensweise, die der Hingabe entgegenstünde, ist durch die Rücksicht auf die Ehe 1 5 8 und ere (1209) be-

i " Vgl. auch 1218. Man erinnere sich der alten Grundbedeutung von ,gut' (passend, richtig); guot wip ist die vornehme, höfische Dame, die sich richtig verhält. Vgl .Büchlein' 1226 ,a>az ob sis deheiti war liiot?'- d. h. keinen Lohn schenkt - ,sö war si nihi ein guot wipi. Oder 1550 des vergütet dir diu guote. Vgl. auch 1897fr. Weil die Gräfin im MORIZ VON CRAÜN den Minnelohn verweigert hat, sagt sie in reuemütiger Einsicht zu ihrer Zofe: hate ich dimrn rate gevolget, daz ware guot (1756):.). Der HERZOG VON BRAUNSCHWEIG bietet am Ende des Konfliktmonologs (ob er die Liebe gestehen soll oder nicht) die , Selbstermunterung': ich wilyr clage - sy ist guot - Dye wile ich sus bin gemoit (207, iof.). Da guot in diesem Sinnzusammenhang ein Verhalten meint, kann es auch durch tugentlich ersetzt werden, das dann die gleiche Bedeutung hat. Die .Selbstermunterung' vor dem Geständnis des Schülers in der FRAUENLIST {torste ich reden den willen min 72) gründet auf der Überzeugung, daß die Frau wohl wisse, was sich für eine höfische Dame gehört: ich weiz, si ist sd tugentlich, daz st niht versmabet mich (79t.). Sinngemäß ähnlich Meinloh von Sevelingen MF 11, 20. Vgl. noch SCHÜLER VON PARIS GA-Fassung bei von der Hagen (V. 988) und Andreas Capellanus (bei Battaglia S. 98): Credo namque etplenariamgerofiduciam,quodtarn nobilis tantaequefemina probitatis (edle Herkunft und richtiges Verhalten!) non diu permittet, me poenis subiacere tarn gravibus, sed a cunctis me relevabit angustiis. Damit spricht der Mann die Hoffnung aus, von der Dame erhört zu werden. Auch diu reine (HEIDIN 1140) sagt übrigens das Gleiche aus und hat noch keinen moralischen Nebensinn; vgl. FRAUENLIST 485: ist er dir holt, so wis im saml reinen vrouwen daz ie zam. »« Die Imperativischen Selbstanreden (Düsoldest 1166, 1168, 1180, 1181, 1228) sind hier der stilistische Ausdruck eines überpersönlichen, normativen Denkens, wie es die Minnedoktrin vorschreibt; vgl. die Rolle des Herzens, das im .Büchlein' Hartmanns in ähnlicher Form Verhaltensweisen im Sinne der Minnelehre rät (vgl. ζ. B. 1231, 1233, 1255, 1269 u. ö.). Nicht ohne parodischen Nebensinn in FRAUENLIST 467, 469, 476, 481, oder variiert durch muoz ich in 499, 522. Vgl. zu diesem Punkte I. NoltingHauff S. 62. Vgl. 1154-56 und 1179fr.: Er ist ein wol gezogen man, des soltü in geniezen län und soll dich Uber in erbarmen. Läz in an dinen armen erwarmen newan eine nacht 1 »e y g ] γ ν _ χ 195—1212.

167

198

stimmt. Damit gründet die Konfliktsituation wiederum auf der Spannung zwischen Minne und Ehe. Das Dilemma ist jedoch nicht als „persönlicher" Konflikt etwa zwischen individuellem Gefühl und allgemeinem ethischen Verhalten dargestellt. Denn es bleibt durchaus offen, in welche der beiden Richtungen sich die Heidin ihrer eigenen Neigung nach bewegen möchte - kaum wird von einer spontanen Regung ihres Inneren gesprochen.159 Das Problem ist vielmehr rationaler, im Grunde schon hier .kasuistischer' Art. Sie sieht sich vor die Entscheidung zwischen zwei .objektiven' Möglichkeiten gestellt. Entweder muß sie das .Gesetz'180 der höfischen Minnedoktrin als verbindlich anerkennen und dem bewährten Minnediener ihre Liebe schenken oder auf der konservativen Haltung beharren {pflegen des ich pflac 1214) und ihrem Gatten die Treue halten. Zwischen diesen beiden Verhaltensweisen bewegt sich der Monolog der Heidin. Nach dem Muster höfischer Konfliktmonologe {ein schoener strit 1265)161 wägt sie beide Positionen in ihren Überlegungen gegeneinander ab, wobei es des öfteren zu einem radikalen Meinungsumschwung (.Positionswechsel': Ein wil spracbs ,jä', ein wil ,nein' 1267) kommt, nach dem der eben vertretene Standpunkt widerrufen wird.162 Nach einer längeren Periode des Schwankens bewegt sich der Monolog auf die Entscheidung zu. Schon mit der ,Willenskundgabe' Du solt tuon den willen sin (1228), die ebenfalls noch einige Male widerrufen, am Ende aber befolgt wird, unterwirft sich die Heidin den Forderungen (Du solt) der Minnelehre. Der Dichter unterstreicht dies, indem er ihren Entschluß einen reinen muot (1283) nennt.163 Die Bedenken gegen die Verletzung der ehelichen Treue und den Verlust der ere haben nur die Funktion, die Kontrastposition zu höfischem Verhalten anzuzeigen, die es zu überwinden gilt. Denn ein Verharren in der Eheliebe würde die Frau von ihrem gesellschaftlichen Bildungs16» Nur einmal (1172t.) - vor der Wiederbegegnung mit dem Grafen - meint sie mehr beiläufig, den Grafen lieb gewonnen zu haben. Daß sie ihren Mann liebt, ist an keiner Stelle gesagt; nur von seiner Liebe zu ihr ist des öfteren die Rede. Aber diese Liebe ist unhöfisch, weil er seine Gemahlin eifersüchtig von jedem .gesellschaftlichen' Kontakt zur Umwelt fernhält, wo Y g i . e t w a (ü e T . regula amoris oder das 8. judicium amoris bei Andreas Capellanus, die S. 275 Anm. 105 zitiert sind. Vgl. dazu das Buch von I. Nolting-Hauff. Mi Vgl. ζ. B. auch den Konfliktmonolog des Moriz von Craün (426-525) lea Das bedeutet: einen klaren Entschluß im Sinne der Minnedoktrin. Zur Bedeutung von jrein' vgl. das Ende der Anm. 155 auf S. 198. 1,1

199

auftrag fernhalten. Ähnlich ist es in einem Minnegespräch bei Andreas Capellanus, in dem beide Standpunkte im Dialog erörtert werden: dabei plädiert der Mann im Sinne der Doktrin für die Hingabe der verheirateten Frau, während sie mit Rücksicht auf ihre Ehe Bedenken gegen die Gewährung äußert.1®4 Die Argumente kommen denen der Heidin überraschend nahe,168 und es bleibt kein Zweifel, welcher der beiden Standpunkte der gültige ist: man holt die Meinung der Gräfin von Champagne ein, die die Ansicht des Mannes mit dem berühmten iudicium vom 7. Mai 1174 bestätigt.168 Die minnetheoretische Grundlage, auf der der Monolog aufgebaut ist, läßt sehr gut die ,dienende' Stellung der Frau im System der höfischen Liebe erkennen. Die Heidin spricht in ihrem Monolog gleichsam zwei von der Minnelehre vorgezeichnete Rollen, aber sie äußert kaum eine persönliche, spontane Empfindung. Sie unterliegt den „Regeln" der Doktrin. Zwar muß sie - wie auch der Fortgang der Handlung zeigt - dem Manne den Zugang zu sich erschweren, aber sie darf das Band zu ihm nicht zerschneiden.167 Zwar ist ihr die Freiwilligkeit im Liebesgewähren zugestanden, aber unter bestimmten Bedingungen darf sie dem verdienten Manne ihre Liebe nicht versagen - sonst drohen ihr (wenigstens in der Theorie!) schwere Stra-

191

Einen im Prinzip ähnlichen Aufbau haben der Monolog des Grafen in der HEIDIN (1388fr.), der Dialog der vrouwe mit ihrem Herzen in der FRAUENLIST; einen höfischen .Verhaltenskonflikt' zeigen der Monolog des Moriz von Craün und des Schülers in FRAUENLIST. A u c h hier geht dem Entschluß, mit der Geliebten zu reden, eine längere Periode des Schwankens voraus, in der die eigene Situation nach den beiden Positionen des spontanen und normativen Verhaltens - ebenfalls mit häufigem Umschwung der Meinung - abgewogen wird.

165

Die Dame sagt dort: . . . quod me contradicit amare. Habeo namque virum omni nobilitate urbanitateque ac probitate praeclarum, cuius nefas esset violare torum vel cuiusquam me copulari amplexibus. Scio namque, ipsum me toto cordis effectu diltgere (Battaglia S. 164); vgl. HEIDIN 1201. Ihr Gesprächspartner erkennt die Würde ihres Ehegatten durchaus an, kann sich aber „nur über deren Begriffsverwirrung wundern, da doch jedermann zur Genüge wisse, daß in der Ehe für Liebe kein Platz ist" (Schlösser S. 121). Ähnlich meint die Heidin zu sich: . . . ouch din here liep ... hat dich vär ein werdez rvip unt hat einen also reinen lip ... unt minnet dich vür elliu wtp ... so dich jener umbevienge unt sin mile ergienge, so würdest du im ungenaeme ... du solt ... mmnen dinen n/erden man! (1195 bis 1211).

1ββ

Bei Battaglia S. 178fr. Nach einer Formulierung von E . Köhler, Trobadorlyrik und höfischer Roman. A u f sätze zur französischen Literatur des Mittelalters, Berlin 1962, S. 105. Daher wirft sich die Heidin vor, dem Grafen nicht wenigstens Hoffnung (lieben wan 1163) gemacht zu haben, die die erste Stufe des Entgegenkommens ist (datio spei). V g l . auch .Büchlein' 1077.

167

200

fen. 168 W e n n es gilt, dem Ritter Anreiz zu höfischen Taten und zur V e r v o l l k o m m n u n g zu sein, m u ß sie ihre weibliche ere, gegebenenfalls ihre persönlichen Gefühle, zurückstellen. 169

Du

sin (1228) 170 oder - wie es Andreas formuliert personam

alieno

disponat

arbitrio

solt

tuon

den

. . . mulier...

willen suam

(Battaglia S. 40): kaum eine andere

sprachliche Formulierung könnte deutlicher ausdrücken, daß der zum Ideal erhöhten und anscheinend unnahbaren Frau eine Funktion zugewiesenist, die doch sehr über ihre eigenenlnteressen und Empfindungen hinausgeht. Sie ist immer zugleich ein wenig ,Mittel zum Z w e c k ' . Anders ist es, wie sich zeigen wird, in der Konfliktsituation des Grafen. D i e Heidin kommt seinen Wünschen zunächst nur schrittweise' (gradatim)

entgegen und legt ihm eine neue Bewährungsprobe auf,

indem sie ihn v o r die minnekasuistische Entscheidung stellt, zwischen ihrer oberen und unteren Leibeshälfte 1 7 1 zu wählen. N a c h der Interpretation, die Andreas diesem Kasus durch den M u n d des gibt, 1 7 2 wird ein würdiger Liebhaber sich für die pars

superior

nobilior

entschei-

So rechnet sich die Heidin ihr bisher abweisendes Verhalten als Schuld an, die zu .strafen' (rechen) sei; vgl. n68f. Bei Andreas in der Allegorie des 6. Kapitels (Buch I, Abschnitt E) müssen die Frauen Höllenstrafen erleiden, die sich in ihrem Leben geweigert haben zu lieben. W» YGI J EN a u s ip nennt. Mehr und mehr ähnelt sie einer Legendenheiligen. Nach Art des Exempels, das den Einzelfall ins Allgemein-Gültige erhebt, wird die Frau zum Vorbild für alle andern. Gott selbst verleiht ihr die Gewalt, andern Frauen die übele zu nehmen. Das erinnert an die der Legendenheiligen von Gott verliehene Macht, den Sündern zu vergeben und die ihnen von Gott zu Strafe geschickte Krankheit zu heilen (Crescentia). So nennt man sie am Schluß die heiligen vrouwen und suochten si als ein heilictuom (392^). D i e EINGEMAUERTE FRAU ist das p o s i t i v e

Gegenbeispiel

zum

BE-

GRABENEN EHEMANN. Mit der Drastik der Darstellung haben beide 256

D i e hier einsetzende Entwicklung, aus einem Schwank eine moralische Lehre im christlichen Sinne zu ziehen, führt bei Kaufringer dazu, daß der Ehemann selbst den Ehebruch seiner Frau vergibt (DER ZEHNTE VON DER MINNE, Nr. 12 bei Euling; auch Nr. 4 und 5). V g l . dazu Berthold v o n Regensburg, Predigten II, S. 31, i6ff.: Hat er dir dinen vater erslagen oder dinen bruoder oder bi diner smster gelegen oder din nijtelin enteret oder dtn bäsvrouwen ... daz soltü im allez durch got vergeben.

235

Mären den geistlichen' Gehalt gemein: der Mann ist unter allen Umständen gehalten, die Frau seinem ,Regiment' unterzuordnen, will er nicht selbstgotes hulde verlieren. 257 Daher erscheint er in diesem Märentyp wie im moralisierten Schwank oft als der überlegene Sieger, der sich als Herr im Hause zu behaupten weiß, oder er wird grausam bestraft, wenn er sich der Frau unterordnet (BEGRABENER EHEMANN). E s stimmt zur kanonischen Auffassung v o n der Schlechtigkeit der Frau, wenn Gewaltanwendung ihr gegenüber als das allein erfolgreiche Mittel der Erziehung gilt: , V o n übelen wiben' (vgl. S. 14, A n m . 44): 483

smlchem mbe man vorbte nibt entuot, wirt diu iemer biderbe unde guot, da ist ein zeichen geschehen, daz doch vil selten wirt gesehen.

Bei aller skeptischen Grundhaltung nicht nur dem weiblichen G e schlecht gegenüber sind die Mären mit dem Thema des Ehezwistes v o n dem Gedanken getragen, die Ehepartner zu bessern und zu richtigem Verhalten zu erziehen, das die Grundlage für eine harmonische Ehe bildet. In d i e s e m Sinne läßt sich v o n einer positiveren Eheauffassung in den moralisch-exemplarischen Mären und den ihnen nahestehenden moralisierten Schwänken sprechen. Sie wurzelt geistesgeschichtlich in christlichen Anschauungen dieser Zeit, die, wie es scheint, besonders auch v o m Bürgertum aufgegriffen wurden. 268

257

Vgl. Berthold von Regensburg in seiner S. 159, Anm. 17 genannten Predigt: Do unser herre des aller ersten die $ satzte in dem paradise mit Adame unde mit £ven, dö salzte er, daz diu frouwe dem manne undertanic ware unde der man der froumn hirscher ware. Nü sint die jrouwen als kiiene für die man worden, sam sie mit dem tiuvel beheftet sin, unde stritent, als in der tiuvel daz swert gesegent habe... (S. 325, uff.). Vgl. auch Epheser 5, 22 und 33.

,M

Fischer Diss. S. 161 sieht in den „Ehelehren des Strickers das früheste Beispiel einer Verbürgerlichung der Minnedidaktik". Ich würde allerdings lieber von dem Ersatz der höfischen Minnedidaktik durch eine bürgerliche Ehedidaktik sprechen.

236

IV. KAPITEL

D I E P A R O D I E IN D E N

SCHWÄNKEN

Während die vorangehenden Kapitel alle vier Märentypen in die Untersuchung einbezogen haben, wird sich das folgende zwangsläufig auf die Schwänke in ihren verschiedenen Erscheinungsformen beschränken, denn parodische Elemente finden sich nur in der komischen Gattung. Die Schwänke hier wie im V. Kapitel stärker zu berücksichtigen als die anderen Märengruppen, ist auch deswegen angebracht, weil sie von der Forschung meist am stiefmütterlichsten behandelt worden sind und über sie lange eine falsche, meist ungerechtfertigt negative Meinung bestanden hat. Zahlreiche Schwänke halten nicht nur in der Formkunst für längere Zeit eine beachtliche Höhe. Sie schöpfen, wie die Untersuchung im III. Kapitel gezeigt hatte, auch aus Motiven der höfischen Tradition und suchen ihnen die heitere Seite abzugewinnen. Die Komik vieler einzelner Szenen erschließt sich oft erst vor dem literarischen Hintergrund. Von größerem Gewicht als die motivlichen Parallelen sind für den literarischen Charakter der Schwänke gewiß die zahlreichen Anspielungen auf Personen aus höfischem Roman oder Heldenepik. Hanns Fischer hat in seiner Untersuchung all diese Stellen gesammelt (S. 176fr.).* Aufschlußreich für die Gruppenbildung der Mären ist dabei (worauf Fischer nicht hingewiesen hat), daß sich diese Apostrophierungen poetischer Roman- oder Eposhelden fast durchweg nur in Schwänken finden oder doch (wie im H E L M B R E C H T ) auf die burlesken Szenen in einem moralischen Stück beschränkt sind. Ähnliches gilt für die zahlreichen, bisher noch nicht untersuchten parodischen Stellen. Sie lassen noch deutlicher als bereits die Beobachtungen in den vergangenen Kapiteln oder die direkten Namensnennungen erkennen, wie sehr der mittelhochdeutsche Schwank in der hier behandelten Epoche der klassischen höfischen Dichtung verpflichtet ist: man wird sich viele Schwänke dieser Zeit vornehmlich * Buchfassung S. 229L

237

im höfischen oder späthöfischen Lebensraum vorstellen müssen, der selbstverständlich von klerikaler Bildung entscheidend mitgeprägt ist. 1 i. Parodische Zitate und Anspielungen Von besonderem Reiz dürfte für ein literaturbewandertes Publikum jene nicht kleine Zahl mehr oder minder versteckter Anspielungen auf die höfische Dichtung (auch die Lyrik) gewesen sein, die die Schwankdichter in der Form parodischer Zitate in ihre Erzählung eingestreut haben: stellen sie doch in der Regel höhere Anforderungen an die literarische Bildung des Zuhörers als die direkten Namensnennungen. In der Entschlüsselung dieser parodischen Zitate und Anspielungen dürfte für ihn eines der besonderen Vergnügen an dieser Gattung gelegen haben, so wie der Literarhistoriker gerade diese Seite als reizvoll empfindet. Sie paßt im übrigen recht gut zu der treffenden Feststellung Fischers (S. 84), daß im Schwanktypus im wesentlichen eine intellektualistische Grundhaltung wirke [vgl. dazu Buchfassung S. 102]. Wenn ich im Folgenden einige mehr zufällig gefundene als durch systematische Untersuchung erschlossene Stellen anführe, so bin ich mir der Schwierigkeit bewußt, ihren parodischen ,Zitatcharakter' im einzelnen zu beweisen: nie ist bei wörtlichen Übereinstimmungen oder allgemeiner gehaltenen Anspielungen die Möglichkeit des Zufalls von der Hand zu weisen.13 Im Ganzen aber scheint dies angesichts der Häufigkeit derartiger Stellen und ihrer Beschränkung auf den Schwank oder auf einige burleske Szenen im moralisch-exemplarischen Typ - im höfisch-galanten und ernsten kommen sie überhaupt nicht vor - weniger wahrscheinlich zu sein. Bei nicht wörtlichen Anspielungen ist vor allem zu beachten, was Friedrich Panzer über die 1

Das zeigt besonders der parodische Umgang mit Legendenelementen und mit Sakralem (Abschnitte 4 und 5 dieses Kapitels); vgl. ferner Kapitel V . la Insofern gebe ich Fischer Recht, wenn er (Buchfassung S. 228, Anm. 25) meint, ich hätte in meinem Parodiekapitel „teilweise, wie mir scheint, auf unsicheren Boden gebaut". E s geht mir zunächst mehr darum, einen Umkreis von M ö g l i c h k e i t e n vor einem literarischen Hintergrund abzustecken als den Zitatcharakter unbezweifelbar nachzuweisen, was schon methodisch oft nicht möglich ist. So kann man ζ. B. bei dem von Fischer, ebd., (wohl im Anschluß an de Boor, Beitr. 87, 1965 Tübingen, S. 200) in diesem Zusammenhang angeführten Eingangsvers des HÄSLEIN: Tribe ich die ztt vergebene hin, nicht mit letzter Sicherheit sagen, daß er ein Zitat aus Gottfrieds ,Tristan'Prolog (V. 41) sei, denn es handelt sich hier um den weit verbreiteten Topos .Trägheit meiden' (vgl. Arbusow S. 99 und Curtius S. 98fr.). Ein so bekannter Topos kann Zitat sein, braucht es aber nicht. Daher ist der Boden auch hier keineswegs sicher.

238

freie Art des ,mittelalterlichen Zitierens' ausgeführt hat,2 und ferner, daß eine literarische Anspielung um so reizvoller wirkt, je geschickter sie eingekleidet ist. Im übrigen haben die hier gebotenen Beispiele einen weit höheren Grad von Originalnähe als die Beispiele Panzers, für die er - sicher zu recht - Zitatcharakter beansprucht. Der komische Effekt der Parodie beruht darauf, daß sie formale Elemente aus einer ernsten Vorlage für die Darstellung eines komischen oder ins Komische abgewandelten Stoffs verwendet. Auch aus dem Zusammenhang gelöste und in eine Schwankhandlung eingeflochtene Zitate gehören dazu. In einem reizvollen und in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerten,3 drei selbständige, thematisch gleiche Schwankerzählungen umfassenden Stück kommen D R E I LISTIGE F R A U E N (I) an einem locus amoenus4 zusammen und finden einen Fingerring aus Gold. Nach gemeinsamem 2

3

1

Friedrich Panzer, Vom mittelalterlichen Zitieren. SB. der Heidelberger Akademie der Wiss. Phil.-hist. Kl. 2. Abh., 1950. Danach ist oft nur der Sinn einer .zitierten' Stelle wiedergegeben (S. 8); das Zitat „übersteigert... den zitierten Text, ja es überführt ihn ins völlig Burleske" (S. 1 1 ) ; oder es wird „mit dem zitierten Texte geistreich und witzig gespielt", wodurch „das Zitat sich inhaltlich weitgehend von dem zitierten Texte entfernt" (S. 13). Es „stimmen zwar die Elemente überein, aber ihre Relationen sind völlig verändert... Das Zitat gibt also . . . das Zitierte mit willkürlicher Freiheit in starker Abwandlung wieder" (S. 14). „ . . . das mittelalterliche Zitieren kann sich in einem für uns ungewöhnlichen Ausmaße vom Original entfernen" (S. 23). D R E I L I S T I G E F R A U E N I enthält mehrere Elemente höfischer Stilisierung und ist in der Form dem Streitgespräch verhaftet (vgl. dazu S. 3ooff.). Zu dieser ersten wie zu der schwächeren zweiten Fassung (dazu S. 301, Anm. 12) gibt es zwei qualitativ ebenfalls unterschiedliche Entsprechungen unter den Fabliaux: ,Les trois Dames qui troverent l'anel' (A) in MR I, S. i68ff. und Β in MR VI, S. iff.; der Ringfund scheint parodiert in ,L'Anel qui faisot les viz grans et roides' in MR III, S. 51 ff (dazu Nykrog S. 81). Hein rieh Kaufringer und Hans Folz haben schließlich drei Episoden dieses Schwanke in kompositorisch vollendeter Weise wiedererzählt: die Enden der Handlungsfäden aller drei Erzählungen sind am Schluß in einer Szene in der Kirche geschickt miteinander verknüpft. Die Texte bei Euling Nr. 1 1 und H.Fischer: Hans Folz, Die Reimpaarsprüche, in: Münchner Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, Bd. 1, München 1961, S. 74-87 (in zwei Fassungen). D E R G E F U N D E N E R I N G aus dem 15. oder 16. Jahrhundert (bei Hanns Fischer, Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, in: Münchener Texte und Untersuchungen zu Literaturgeschichte des Mittelalters, Band 12, München 1964, S. 425t.; vgl. auch S. 553) stellt demgegenüber eine sehr derbe, abgesunkene Bearbeitung des Stoffs dar. Zur Motiv- und Stoffgeschichte vgl. B6dier S. 228-234. Diese Schwankgruppe wäre vorzüglich für eine Einzeldarstellung geeignet, die durch vergleichende Betrachtung interessante, für die Gattung typische Wesenszüge aufzeigen könnte. Die Beschreibung des Lustorts enthält noch folgende, diesem Topos zugehörige Elemente: Wiese mit einer Quelle (die - eine Variation des Windhauchs - luter unde kikh ist), die obligate Linde, die vor der Sonne schützt, und den Vogelsang; vgl. 18-31. 239

Beschluß soll der Ring derjenigen gehören, welche am besten von heimlicher Minne zu erzählen weiß, die sie ohne ihren Ehemann erlebt habe. Der Dichter läßt die zweite Frau die Formulierung angestrengten Nachdenkens übernehmen, die Walther von der Vogelweide in seinem Reichston Ich saz üf eime steine geprägt hat (8, 9), aber ihr Sinnen ist allein auf das Arrangement heimlichen Stelldicheins gerichtet: 188

do gedacht ich mir vil ange, wie ich ez ane vienge daz min wille ouch ergienge, (Umschreibung für wan er ('ihr alder man) mir unnütze ist.

den Liebesakt)

Die beschwerte Hebung entbehrt nicht eigener Komik, 5 und nachdem ,ihr Wille ergangen' ist, bekennt sie mit einem parodischen Zitat aus dem anonymen Liebeslied in den ,Carmina Burana' (MF 3, 7): 261

ware diu weit alliu min, mir enkunde niemer baz gesin.

Die Situation - dort im Sinne der Lyrik die Intensität des unerfüllten Wunsches, hier schwankhaft die Freude über seine Erfüllung - ist nach Art der oben angeführten Motiventsprechungen unter ernstem und heiterem Aspekt durchaus vergleichbar. Dieselbe Frau ist mit ihrem Geliebten in der Nähe des Hauses in einem Garten (242) zusammengetroffen, der hier, wie schon in der Exposition der Ort des Zusammentreffens, mit typischen Elementen der Lustortbeschreibung ausgestattet ist. Dazu gehört zwar auch „das Witterungswunder, die Abwesenheit von Frost und Hitze, Kälte und Regen", 8 aber: mußte sich der Zuhörer bei der folgenden Stelle nicht an den Bericht Kalogreants über den Zauberbrunnen oder an das gleiche Erlebnis Iweins an diesem Ort erinnern, der sich plötzlich aus einem locus amoenus in einen feindlichen, unparadiesischen verwandelt? D R E I L I S T I G E F R A U EN I :

242

bi dem huse was ein garte mit bluomen wol gevazzet, der vil selten nazzet von keinem argen weter. inrethalp dem eter

Zu beschwerten Hebungen, die den komischen Sinn verstärken, vgl. S. 280, Anm. 122. ' R. Gruenter, in: Euph. 55, S. }6}f.

5

240

stuont ein schaniu linde, diu schirmt ms vor dem winde und bar schaten vor der sunnen. ich sag iu von einem brunnen, der also rehte küele was... Auch für den Zauberbrunnen gilt zunächst: ,Iwein' 5 68 kalt und vil reine ist der selbe brunne: in rüeret regen noch sunne, nochn trüebent in die winde, des schirmet im ein linde... Als aber später Kalogreant den stein der dä ste mit dem Quellwasser aus der goldenen Schale begossen hat, 653

sich huop ein hagel und ein regen, wan daz mich der gotes segen vriste von des weteres not, ich war der wile dicke tot. daz wart also ungemach...

und Iwein selbst löst dann erneut aus: 994 und

. . . ein siusen unde ein doζ und ein selch weter dar nach 999 dö daz weter ende nam...

Es ist also nicht nur die Abwesenheit des Regens, 7 die eine bewußte Anspielung wahrscheinlich macht, sondern die Zitierung des (argen) weter, das im ,Iwein' so oft erwähnt wird und nicht unbedingt ein ,Versatzstück' 8 aus der Topik des locus amoenus zu sein braucht. Natürlich läßt sich solche Vermutung nicht beweisen; sie gewinnt aber im Zusammenhang mit den beiden andern Zitaten aus der Lyrik einige Wahrscheinlichkeit. Schließlich war das bretonisch-keltische Sagenmotiv vom Zauberbrunnen so bekannt, daß es ein Fabliaudichter in ,Pucele qui abevra' (MR I V , S. 204ff.)9 ebenso geistvoll wie, durch die Umbiegung ins Obszöne, gewagt parodieren konnte. Für 7

Linden, die vor Regen (und Sonne) schützen, im .Tristan' 16741fr. Mit diesem ebenso häßlichen wie sachlich treffenden Ausdruck bezeichnet Arbusow (S. 1 1 2 ) die Elemente, die zur Beschreibung des Lustortes gehören. • V g l . Nykrog S. 78; ferner ,De la Demoiselle qui ne pouvait ouir parier de foutre'. Text bei Rychner II S. 1 2 0 - 1 3 5 , Fassung A V v . 88ff. (bei Rychner S. 132). 8

241

die allgemeine Verbreitung dieses Iwein-Motivs spricht auch seine Darstellung auf dem Maltererteppich des Augustinermuseums zu Freiburg i. B., 1 0 der aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammt. Wir hatten gesehen, wie die Formel war diu weit alliu min nicht nur das lyrische Bild einer unerfüllten Sehnsucht heraufbeschwören, sondern auch schwankhaft die unvergleichliche Freude erfüllter Liebe ausdrücken konnte. Die nächste - und letzte! - Stufe schwankhafter Verzerrung ist erreicht, wenn (natürlich!) der E h e m a n n mit der gleichen, aber noch ein wenig in Richtung auf das Handfeste abgewandelten Formel sich seine Ehehälfte wieder ,vom Halse wünscht' oder, wie er es ausdrückt: EHESCHEIDUNGSGESPRÄCH

47

ware ich von den ougen din, ware allez ertriche min, daz wolde ich allez dar umbe geben.. .u

Und wenn sich in einer Frauenstrophe des frühen namenlosen Minnesangs die Liebende, der sich ihr Geliebter lange ferngehalten hat, sorgt: nu engilte ich des ich nie genoz (MF 4, 4), so entzieht sich die in flagranti von ihrem Mann ertappte Ehefrau im R I T T E R U N T E R M Z U B E R dadurch seiner Rache, daß sie das von ihm und seinen Brüdern belauschte Gespräch mit dem Geliebten als ein Sprechen im Traume ausgibt. Ihr sei gewesen, als habe er, der eigene Mann, bei ihr gelegen. Dafür könne sie nicht belangt werden: 224 kumet mir daz z''ungemache ... so engilt ich des ich nie genoz ... Eine Stelle aus der Trunkenheitsliteratur: D E R W I E N E R M E E R F A H R T 122 Do huob sich trinken aber als e läßt an Morungen M F 128, 14 ich wil singen aber als e oder an Walther denken, der seinerseits schon zu einer Parodie der zweiten und dritten Morungen-Strophe (MF 128, 5 und 10

11

Dazu F. Maurer, Der Topos von den „Minnesklaven", in: DVjs. 27, 1953, S. 182-206, dort mit Abbildung; Wiederabdruck des Aufsatzes in F. Maurer, Dichtung und Sprache des Mittelalters, Gesammelte Aufsätze, in: Bibliotheca Germanica 1 0 , 1 9 6 } , S. 224-248. Vgl. M F }, jR. War diu werlt alliu min... des wolt ih mich darben ... Die freie, aber sinngemäß genau entsprechende Wiedergabe dieser Stelle in Strickers EHESCHEIDUNGSGESPRÄCH bewahrt durchaus den Charakter eines mittelalterlichen literarischen Zitats, was bei sonstiger freierer Verwendung der topischen Wendung nicht der Fall ist; vgl. etwa Herbort von Fitzlar ,Troj'. 11225fr., ,Eneide' 10346!. und no82f. Weitere Nachweise bei von Kraus M F Untersuchungen (1939), S. 7, Anm. 1.

242

128, 15) angeregt wurde 12 (Walther 72,31fr.) und diese Stelle wörtlich aufnahm 72, 32 nü wil ich singen aber als e. Daß Morungen mit dieser Wendung eine ebenso markante wie einprägsame Aussage geschaffen hat, die wohl sehr schnell und nachhaltig als charakteristisches Attribut des Minnesangs empfunden wurde, zeigen nicht nur das unmittelbare Echo Walthers und die Anspielung in D E R W I E N E R M E E R F A H R T , sondern ihre erneute Parodie im M E I E R B E T Z , WO es bei der Hochzeitsfeier heißt: Der spilmanpfaiff aber als e (281). Höfisches Singen ist dieser Bauernsatire entsprechend in eine niedere Stilform (pfaiff) umgesetzt, ein Verfahren, das für nicht wenige parodische Entstellungen eines Originals überhaupt charakteristisch ist (vgl. S. 283). Schließlich hat die spätere Volksballade vom Edlen Möringer, die sonst Morungen und Walther Zugehöriges miteinander vermengt, diese Formulierungen noch als Morungen-Zitat in Erinnerung. 13 In einer bestimmten literarischen Tradition steht der erste, auf die persona scribentis bezogene (nicht parodische) Teil des Prologs von Heinrich Rafolts NussBERG-Fragment: 1

Heinrich Rafolt getihtet hat, dem die sinne keinen rät Ze siner lere nie gegap, er engeierte nie buochstap, Wan im ist unbekant, waz zer schrift ist gewant, Er enkan si niht bewisen: uz stale und üz isen Gewinnet er sin nerunge.

Die Versicherung der Dichter, keinen bouchstap zu können, gehört, wie Friedrich Ohly als erster in seinem bedeutsamen Aufsatz 14 nachgewiesen hat, als Demutsbekenntnis zur Topik der Legendeneingänge. Sie bedeutet hier im Anschluß an Ps. 70, 15 und an eine in der mittelalterlichen Theologie weit verzweigte und im Einzelnen differenziert interpretierte Tradition die Bekundung des Autors, frei von jeder negativ beurteilten Buchgelehrsamkeit (litteratura) zu sein, unter 18 18

14

Vgl. C. v. Kraus, Des Minnesangs Frühling, Untersuchungen, 1939, S. 29}f. Text bei John Meier, Balladen I, Leipzig 1935, Nr. 8, S. 6 2 - 7 1 ; das Zitat in Str. 30, 2: So tviil ich aber singen als e. Vgl. den Hinweis F. Tschirchs, Das Selbstverständnis des mittelalterlichen deutschen Dichters, in: Miszellanea mediaevalia 3, Berlin 1964, S. 245, Anm. 15. Wolframs Gebet an den heiligen Geist im Eingang des ,Willehalm', in: ZfdA 91, 1961, S. 1 - 3 7 . Vgl. auch H. Eggers, Non cognovi litteraturam (zu Parzival 115, 27), in: Pretzel-Festgabe, S. 162-172.

243

der etwa seit der Mitte des n . Jahrhunderts die scientia saecularis und eloquentia vana zu verstehen ist, jenes Weltwissen und die rhetorische Kunst, die die litterati zu Toren vor Gott macht (Ohly, S. 7) und ihnen den Weg zu ihm verschließt. Nur die „docta ignorantia" (ebd. S. 10) (auf stilistischem Gebiet gehört dazu der sermo humilis, die niedere Stilart, die auf diese Weise im Mittelalter eine ganz neue, geistlich begründete Aufwertung erfährt), die Einfalt, schafft die zumal in der Legendendichtung wichtige Voraussetzung dafür, daß der sin des Dichters frei ist, der Inspiration durch den Heiligen Geist teilhaftig zu werden: sin ist - vgl. ,Willehalm' 2, 22 - nach Ohlys überzeugendem Nachweis das „menschliche Organ der Wahrnehmung des Heiligen Geistes" (S. 5). Drückt die Versicherung, deheinen buochstap zu können, in der Legende, zumal im Zusammenhang eines Gebets, christliche Demut aus, so ist dieser Formel, wenn sie aus dem Gebetszusammenhang gelöst ist, anderseits der recht selbstbewußte Anspruch eigen, der Dichter sei vom Heiligen Geist inspiriert, von Gott unmittelbar begnadet. Dies dürfte auch für jene bekannte ,Parzival'Stelle gelten (115, 27), wo Wolfram der buoche st iure (115, 30) mit einer Handbewegung abtut und zu gleicher Zeit mit Stolz auf sein scbildes ambet (115, 11) hinweist. Ich möchte in der oben zitierten Äußerung Heinrich Rafolts eine selbstbewußte (nicht parodische) Anspielung auf Wolfram sehen.142 Dabei braucht der Traditionshintergrund der Legendeneingänge nicht einmal nachempfunden zu sein. Rafolt hat nur die Versicherung, von weltlicher Bildung unbeeinträchtigt zu sein, übernommen: dem die sinne keinen rat zu stner lere nie gegap zeigt schon den Bedeutungswandel von sin ,Wahrnehmungsorgan' zu .Wissenschaft' (scientia), wie sinne auch die Übersetzung der „septem artes" liefern kann.16 Rafolt bewegt sich also im Sinnbereich jener ,Parzival'-Stelle, die im Gegensatz zum Eingangsgebet des ,Willehalm' den ursprünglich geistlichen Hintergrund - sin als ,Organ' - unerwähnt läßt (,Parzival' gehört nicht der Legendengattung zu!), und wie Wolfram führt Rafolt nicht

14a

15

Diese Auffassung hat Fischer, der in seiner Habilitationsschrift bei Rafolt zunächst an einen im Lesen und Schreiben unbewanderten Schmied gedacht, jetzt in seine Buchfassung S. 200 übernommen. Auch in der .Alexius'-Legende Konrads v o n Würzburg bedeuten die sinne (V. 5) bereits die eigene Fähigkeit, aber diese fließt nach der Legendentradition aus der gnädigen Hilfe Gottes, v o n dem alle 1vlsbeit ausgeht (1-5). - Der Dichter des Schwanke vom PFAFFEN MIT DER SCHNUR sagt selbstbewußt Min sin hat ez verrihtet (8).

244

ohne Stolz gegen die Buchgelehrsamkeit seinen ,Beruf' ins Feld: üz stale und uz tsen gewinnet er sin nerunge. Diese Formulierung dürfte kaum eine handwerkliche Betätigung als Schmied meinen, sondern - nach dem Vorbild der Wolfram-Stelle: schildes amt ist min art - ein in Metaphern eingekleideter Hinweis darauf sein, daß der bürgerliche Rafolt sich mit Rüstung und Schwert16 im Waffenhandwerk betätige. Wie schon S. 127 erwähnt, erweist das Fragment den Dichter als einen mit der Märentechnik vertrauten Mann, der vermutlich auch literarisch etwas bewandert ist (darauf deuten die stofflichen Anklänge an das Spielmannsepos ,Salman und Morolf'). Das Gedicht stammt aus einer Zeit, 17 in der die Märengattung noch nicht wie in der zweiten Phase ihrer Entwicklung von den kleinbürgerlich-handwerklichen Kreisen übernommen wurde. Eine vollendete Parodie jener non cognovi litteraturam-¥otme\ hat nun der Stricker in seinem Schwankroman vom,Pfaffen Amis' 18 geschaffen, der wegen seines zyklischen Charakters zwar nicht im strengen Sinne zur Gattung der selbständigen Mären gehört, aber doch im gleichen geistigen Klima wie diese gewachsen ist. Im 10. Kapitel kommt der listige Pfaffe, als Bauer verkleidet, zu dem Propst eines Klosters; er hat diese Verkleidung als rusticus offensichtlich gewählt, um bei dem geistlichen Herrn den Eindruck der Einfalt zu erwecken - einer simplicitas, die in der geistlichen literarischen Tradition die Voraussetzung der Inspiration durch den Heiligen Geist ist. Sie läßt auch erwarten, daß sich der rusticus in seinem sprachlichen Ausdruck auf eben jener Stilebene der rusticitas, des stylus humilis, bewegt. Statt dessen aber apostrophiert er den Propst in wohlgesetzter Rede nach Art eines gelehrten clericus, so daß jener ihn überrascht fragt: ι j 5 2 „swaz ich leien ie gesach, so vernam ich nie so when niht. kunnet ir der buoche ibt?" „nein ich, herre", sprach er... le Hierbei ist zu beachten, daß stäl (stahel) und Isen nicht selten als Metaphern für Rüstung und Schwert (Isen für beides) stehen, z. B. man hörte klingen diu swert üf hertem stale (,Crone' 92 b); zminzic tüsent beide... mit stale umbeslozzen (.Rolandslied' 2601); vgl. ferner N L (A) 4 3 0 , 4 und 1943, $.-ir suit in wlsendaz scarje brünisen Lamprecht .Alexander' 4560, vgl. auch 4500; oder desspers Isen .Parzival' 479, 26; 480, 6. tsen im Sinne von Rüstung: ,Iwein' 5379, 6728, 7128, 7223, .Tristan' 6657, 6688, 9503. 17

18

E s gehört zumindest vor die Mitte des 14. Jahrhunderts; die Königsberger Handschrift, in der es überliefert ist, wurde um 1350 geschrieben. Text bei H. Lambel, Erzählungen und Schwänke, in: Deutsche Classiker des Mittelalters 12, 1883, S. 22-102. Vgl. H. Fischer, Zur Gattungsform des „Pfaffen Amis", in: Z f d A 88, 1957/58, S. 291-299.

245

A l s der P r o p s t i h n erneut b e w u n d e r t : „ir habet so wiser sinne zol" (13 70), versichert Ä m i s w i e d e r u m scheinheilig:,, ich bin leider niht so wis als von rehte ein klosterman".

E r n i m m t die E i n l a d u n g des Propstes, i m

K l o s t e r z u bleiben, an, e r w i r b t sich allerseits A c h t u n g u n d V e r t r a u e n , so d a ß er d e m P r o p s t eines T a g e s f o l g e n d e s wunder g l a u b h a f t z u m a c h e n v e r s t e h t : dreimal sei i h m des N a c h t s ein E n g e l erschienen u n d habe i h n a u f g e f o r d e r t , eine M e s s e z u halten: er w ü r d e , sobald er das M e ß g e w a n d a n g e l e g t habe, zehant der buoche ein wiser meister (i42of.) sein. D e r P r o p s t w i l l i g t s o f o r t ein, denn er w e i ß aus E r f a h r u n g : 1442

„wir lesen an den buochen wie mangem der ze schuole nie weder halben tac noch ganzen gie, wan daz in got erkande und im ze meister sande sinen geist der im in kurzer stunt alle wisheit machte kunt..."

A m nächsten M o r g e n hält Ä m i s i m besten M e ß g e w a n d eine so g u t e u n d lange Messe, daß der P r o p s t d a v o n ü b e r z e u g t ist: 1467

„swaz er (Ämis) läse od sunge daz ez mit alle erklmge üz des heiigen geistes munde".

E r hält i h n f ü r einen Heiligen. D i e Parodie v e r w e n d e t alle E l e m e n t e der ernsten geistlichen D e m u t s t o p i k : das Bekenntnis geistiger Einfalt n a c h d e m M u s t e r des rusticus, die A u s s c h a l t u n g aller Schulgelehrsamkeit, w i e sie von den buochen (1492) vermittelt w i r d , u n d die unmittelbare Inspiration d u r c h den Heiligen G e i s t , der sich des menschlichen M u n d e s w i e eines Sprachrohres bedient. D e r besondere R e i z liegt v o r allem darin, daß D e m u t s b e k e n n t n i s u n d B e g n a d u n g d u r c h d e n H e i l i g e n G e i s t in diesem , P f a f f e n s c h w a n k ' auf die t h e o l o g i s c h geistliche E b e n e zurückprojiziert sind, v o n der sie ihren A u s g a n g g e n o m m e n hatten.

2. Parodische F o r m e n der Minnekasuistik u n d des Streitgesprächs D i e TEUFELSACHT n i m m t einen S c h w a n k s t o f f n e u auf, der - w i e n o c h die urtümlichere B e a r b e i t u n g B o c c a c c i o s (III, 9) z e i g t - in die Z e i t der f r ü h e n C h r i s t e n b e k e h r u n g e n z u r ü c k g e h t : 1 9 dort w ü n s c h t 11

eine

An die ursprüngliche Fassung einer .Bekehrungsgeschichte' erinnert noch der An-

fang: Hie vor dä daz gescbach, daz man die alten e zebrach Und uns gab die niumn (iff.). 246

Heidin zu erfahren, wie die Christen ihrem Gott dienen, und begibt sich zu heiligen Einsiedlern in die Wüste. Unter ihnen findet sie einen, der sie auf seine Weise den Dienst lehrt, indem er den ,Teufel in die Hölle zurückschickt'. Der mittelhochdeutsche Schwank kleidet den Stoff in den ihm weniger anstößig erscheinenden Rahmen der Ehe (wie D E R W A H R S A G E N D E B A U M ; vgl. S. 2 9 4 ) und verlegt das Geschehen in die Brautnacht. Der Schwank ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert : einmal wegen der parodistischen Verwendung kirchlicher Termini im erotischen Sinn (darüber S. 2 9 4 L ) , zum andern durch seine Bindung an eine bestimmte höfische Tradition. Nachdem die junge Braut das echten des Teufels gelernt hat, küßt sie ihr Mann. Die Naive f r a g t i h n : ,waz ist ez oder waz mag ez sinY - er a n t w o r t e t : ,ez

istgemin-

net\ Darauf stellt er ihr eine merkwürdige Frage: 107

Da von balde sage mir, wederz baz gevalle dir, Diu mime oder diu ahte?

Noch eigenartiger ist, wie sie diese Frage auffaßt und sich auslegt 110

diu reine ml bedahte: „Des einen sule wir uns bewegen, (,verzichten') und des andern sule wir pflegen,"

Die Frage, in der es um den Vorzug der einen Sache vor der andern geht, eröffnet für gewöhnlich die Situation des Streitgesprächs. Hier wird aber kein Redewettstreit ausgefochten, sondern diu reine glaubt sich vor eine Entscheidung zwischen zwei (zunächst scheinbar gleich angenehmen) Möglichkeiten, vor ein ,Dilemma' in der Weise gestellt, daß sie das eine wählen und das andere verwerfen solle - eine Alternative, die ihr der Mann überhaupt nicht abverlangt hatte: seine Frage wird für sie zu einem minnekasuistischen Problem! Es sei an die kasuistischen Erörterungen von Liebesfragen (questions d'amour) in Form von Streitgesprächen bei Andreas Capellanus und in der Gattung der altfranzösischen jeux-partis erinnert. Hier geht es um die Entscheidung zwischen zwei in gleicher Weise unangenehmen Möglichkeiten in Liebesdingen,20 die in ihrem Für und Wider von 20

Jede der beiden möglichen Entscheidungen ist immer mit einer besonderen Härte verbunden; man muß, indem man eines gewinnt, auf das andere verzichten. Vgl. ζ. B. die Situation in der RITTERTREUE, WO dem Ritter die Entscheidung zwischen seiner Treue und seiner Frau auferlegt wird; dazu S. 192. Auch die beiden S. 249L A n m . 23 angeführten Hartmannstellen (MF 216, 8ff. u n d ,Iwein' 4877f.) lassen ein solches Dilemma erkennen.

247

zwei Personen erörtert werden. Am Ende fällt eine meist autoritative dritte Person das ,Urteil'. Es kann in den Streitgesprächen üblicher Art auch durch den Gang der Diskussion ersetzt werden, etwa wenn der eine Partner des andern Ansicht als unrichtig erweist und ihn überzeugt, oder auch in der Weise, daß der zuletzt Sprechende als der Sieger im Gespräch zu betrachten ist. Im vorigen Kapitel war bei der Betrachtung der H E I D I N auf die minnekasuistische Vorlage hingewiesen worden, die das Motiv der Teilung der Frau in eine obere und untere Hälfte im Traktat des Andreas Capellanus hatte. Bei Andreas tritt der männliche Gesprächspartner für den Vorrang einer vergeistigten Form der Liebe ein, wie sie die pars superior symbolisiert, während die Frau der Ansicht ist, daß alle Freuden der Liebe ex eo, quod in parte latitat inferiori (Battaglia S. 242) ihren Ausgang nehmen. Sie läßt sich freilich im Laufe des Gesprächs von des Mannes Ansicht überzeugen, der damit gleichsam die Gültigkeit eines Urteils zukommt. Wenn Andreas der Frau jene Auffassung von der primären Bedeutung des Geschlechtlichen in den Mund legt, so dürfte dies im Hinblick auf die Meinung, die man in Klerikerkreisen vom Frauengeschlecht hatte, kein Zufall sein (vgl. dazu S. 315f-)Während bei Andreas beide Standpunkte in einem längeren Gespräch erörtert werden, fällt es der jungen Frau in der T E U F E L S A C H T nicht schwer, ihre Entscheidung sofort auszusprechen, und diese deckt sich - wie sollte es im Schwank anders sein? - im Prinzip mit der Auffassung, die die Frau bei Andreas vertritt: 114

»muge wir ir beider niht gebärt, So ist ez vil ungeteilet, da mit man die sele heilet Unde den tiuvel verjaget. (Es folgt die Begründung) mir hat min muoter vil gesaget Und oucb min pfarrare viljcemerlichiu mare, Diu helle st ein übel hol; dä von gevellet mir vil wol, Daz wir die minne läzen (vgl. ez ist geminnet = küssen) und ehten den verwäzen."

Die Stelle parodiert die minnekasuistische Entscheidung zwischen einer mehr geistigen Liebe und der körperlichen. Die Symbole der oberen und unteren Hälfte sind durch das küssen und ehten parodisch 248

ersetzt.21 Auch die Fiktion eines,Urteilsspruchs' ist insofern gewahrt, als dieser mit Berufung auf eine Autorität, hier durch Mutter 22 und Pfarrer verkörpert, begründet wird. Ein direkter Fingerzeig speziell

auf die Gattung der jeux-partis steckt in V. 1 1 5 : So ist ez vilungeteilet·, denn die mittelhochdeutsche Übersetzung istgeteiltiuspilWettkampf-

Das motivlich verwandte, bald nach der Mitte des 14. Jahrhunderts entstandene Stück ,Vom Ehren und Höhnen' (LS I, S. 597fr.) verwendet diese beiden Begriffe für das, was in der TEUFELSACHT minnen und echten umschreiben. Es ist zeitlich wohl etwas später als die TEUFELSACHT entstanden und nicht wie diese minnekasuistisch angelegt, hat aber mit ihr die schwankhafte Bevorzugung der geschlechtlichen Liebe durch die Frau und die motivliche Koppelung der erotischen Unerfahrenheit mit der Unersättlichkeit gemein. Gleiches gilt für das Fragment .Rache für die Heichensöhne' (s. Herbert Thoma, Bruchstücke einer Novellenhandschrift, in: ZfdA 74, 1937, S. 73-80), in der küssen und rechen die beiden Arten der Liebe umschreiben. 24 Die Mutter als Autorität bei der erotisch Naiven; vgl. H Ä S L E I N 228 und SPERBER (die muome) 250. Die Urteile in Liebesstreitigkeiten werden bei Andreas Capellanus von Damen des höchsten Adels (also besonderer Autorität) gefällt (Fiktion der Liebeshöfe: cours d'amour), und zwar von der Königin Eleonore von Aquitanien, der Gräfin von Champagne, der Gräfin von Flandern, Irmengart, Vicomtesse von Narbonne; vgl. dazu Jacques Lafitte-Houssat, Troubadours et cours d'amour, Paris 1950, S. 32. Auch in der mittellateinischen .Altercatio Phyllidis et Florae' (CB 92) ziehen die beiden Streitenden an den thalamus amoris (Str. 64), wo auf Amors Veranlassung der Urteilsspruch gesprochen wird (Str. 77f.). Vgl. auch unten S. 273 Anm. 101). 28 Die Gattung der jeux-partis im engeren Sinne scheint es auf deutschem Boden nicht gegeben zu haben, wenn man von den üblichen Streitgesprächen nicht-minnekasuistischer Thematik (etwa ,Die beiden Knechte*, in: DTM 17, Nr. 178, S. 173-183) ab. sieht, ein Stück, das Kraus, Mittelhochdeutsches Übungsbuch, 2 i926, S. 285 als „geteiltes Spiel" bezeichnet, oder von Frauenlobs Streitgespräch über den Vorzug des namen atip oder vrouwe, das W. Wackernagel, Geschichte der deutschen Literatur I, Basel2 1879, S. 329, dieser Gattung zurechnet. In den eigentlichen jeux-partis diskutieren zwei Gesprächspartner über eine minnekasuistische Frage, und zwar in der strophischen Form der Tenzone, und das ,Urteil' wird einer dritten Person in den Mund gelegt. Alle Partner solcher fiktiver Gespräche sind mit Namen genannt und historisch verifizierbare Personen (vgl. dazu die Edition von Arthur Längfors, Recueil g6n6ral des jeux-partis frangais avec le concurs de A. Jeanroy et L. Brandin. Teil 1 und 2 = Soci6t6 des anciens textes frangais 72). Gleichwohl dürfte die Gattung, wie mehrere Belege von geteiltiu spil im Mittelhochdeutschen beweisen, einigen Dichtern und auch einem bestimmten Publikum bekannt gewesen sein - zumindest in der allgemeineren Bedeutung als Streitgespräch schlechthin. Hartmann von Aue kennt den Begriff in seinem Liede 216, 1 noch in seiner echt minnekasuistischen Bedeutung. Dort sagt die Dame 216, 8ff.: Die frirnt die hahent mir ein spil geteilet vor, dest beidenthalp niht wan verlern: ob ich ir eines nemen ml, äne guote mal so wcere ez baz verhorn, si jehent, welle ich minne pflegen, so müeze ich mich ir bewegen (vgl. TEUFELSACHT 1 1 if.). Sie ist also vor eine Alternative zwischen zwei gleichermaßen unangenehmen Möglichkeiten in einem Liebesproblem gestellt: die Gesellschaft verlangt von ihr Verzicht auf den geliebten Mann, sonst würde sie sich von ihr zurückziehen; anderseits ist sie gehalten, ihn - sit erz wol gedienet hat (216, 17) - mit ihrer Minne zu belohnen. Walther von der Vogelweide sieht sich angesichts der Frühlingspracht des meien und der Schönheit seiner jroutven -

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spiele, bei denen die Bedingungen gleich ,verteilt' sind, oder Streitgespräche, bei denen sich die Dinge, zwischen denen zu wählen oder zu entscheiden ist, in ihren Vorzügen und Nachteilen etwa gleichkommen. Daher ist die Entscheidung für den einen oder andern Standpunkt gleichermaßen schwierig und löst eine verwickelte Diskussion aus. Diese Problematik - darin liegt wieder parodische Absicht sieht die junge Braut nicht; die beiden zur Wahl stehenden Möglichkeiten sind so ungleich, daß die Entscheidung ohne langes Überlegen getroffen werden kann: für sie ist das Spiel ungeteilet.™ Indem sie meint, sich für die ,moralische' unter den beiden Möglichkeiten: für das Seelenheil und gegen die Minne zu entscheiden, entscheidet sich die Naive in Wahrheit wie die „nobiüor" bei Andreas für die niedere Liebe! Eine Parodie auf dieses minnekasuistische Problem liegt auch im zweiten Teil des W E I S S E N R O S E N D O R N vor. Da dieses Stück jedoch als Ganzes für die Beurteilung der Schwankgattung höchst aufschlußreich ist, soll es in einer Einzelinterpretation behandelt und an dieser Stelle eingeschoben werden. D E R WEISSE R O S E N D O R N

Dieses „kitzliche Abenteuer" - wie es von der Hagen in der Einleitung zum 3. Bande seines „Gesammtabenteuers" (S. V) nennt - stellt im Umkreis mittelhochdeutscher Schwänke eines der problematischsten' Stücke dar. Geht man von der Gattungsdefinition der Mären (und Schwänke) aus,26 so ist seine Zugehörigkeit insofern umstritten, als sein inhaltlich gewichtigster Teil aus einer noch dazu allegorisieren-

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wederz da daz ander überstrite - vor ein Dilemma gestellt: daz bezzer spil, ob ich daz hän genomen. owe der mich dä welen hieze, deich daz eine dur daz ander lieze ... (46, 2jff.). Die ursprüngliche Bedeutung von geteiltiu spil ist .Wettkämpfe' (vgl. N L , A , 402t., 406, 411); von da aus scheint der Begriff auf den minnekasuistischen Redewettstreit übertragen, aber auch für alle anderen Arten des Gesellschaftsspiels weiter gebraucht worden zu sein. Aus dem Verblassen des Sinns und der Lösung des Begriffs aus einer ursprünglichen Bindung an Wettkampf oder Gesellschaftsspiel ergibt sich die verallgemeinerte Bedeutung von ein spil teilen·. ,vor die alternative Wahl zwischen zwei gleich unangenehmen Möglichkeiten stellen'. Iwein sagt in einer Situation des geteilten spils: ich wetz wol, swederz ich kiuse, daz ich an dem verliuse (4877^). Vgl. auch .Parzival' 215, 13, B M Z II, 2 S. 501 und III S. 2jf., sowie DW 10, 1. Abt. Sp. 2308. In den Mären finden sich folgende Relikte an das „geteilte spil": H E I D I N IV 1350, 1354 (1363); ,Dulciflorie' 431-432 als Umschreibung für das Liebesspiel; H A S E N B R A T E N 104. Vgl. ζ. B. Berthold von Regensburg, Predigten 1. Bd., S. 138, 39: es ist ein ungeteiltez spil daz ewige leben und der ewige tot. S. dazu H. Fischer im R L II 2 Sp. 702. 250

den28" Redeszene besteht, die es in die Nähe eines Streitgesprächs rückt. H. Fischer rechnet es daher zu den,Grenzfällen der Redeszenen'.2® Zwar macht die Redeszene mit knapp 100 Versen nur ein gutes Drittel der ganzen Erzählung aus; das Übrige, knapp 200 Verse, entfällt auf den Handlungsvorgang, mit dem das Gespräch umkleidet ist. Insofern unterscheidet sich der WEISSE ROSENDORN also nicht grundsätzlich von Mären wie etwa der FRAUENLIST oder der H E I D I N , deren inhaltlich und kompositorisch zentrale Teile ebenfalls aus Redepartien, Dialogen und Monologen (wenn auch keinem ausgeführten Streitgespräch) bestehen. Aber das Gespräch ist nicht in so konsequenter Weise wie in der FRAUENLIST oder der H E I D I N in den epischen Verlauf einbezogen, nicht so fest mit ihm verknüpft: die Rahmenhandlung' ist mehr äußerlich und künstlich mit dem Streitgespräch verbunden; der Dichter wirkt als handelnde Person nur in den umrahmenden Teilen mit; die Antagonistin des Hauptteils, des Gesprächs, tritt im Schlußteil nicht mehr auf und wird vom Dichter abgelöst. Aus einer anderen Überlegung hatte H . Niewöhner den ROSENDORN von einer Aufnahme in sein „Neues Gesamtabenteuer" ausgeschlossen.27 Es empfiehlt sich aber, in eine literarhistorische Untersuchung von Schwänken solche Grenzfälle mit einzubeziehen, die in ihrem Gehalt und ihrer dichterischen Intention von den eigentlichen Schwänken nicht zu trennen sind (vom Mittelalter übrigens auch nicht getrennt worden sind).28 Dies gilt besonders, wenn sich an ihnen Einsichten gewinnen lassen, die für die Schwankgattung - im weiteren Sinn exemplarisch sind. So hofft die Interpretation zeigen zu können, daß sich der ROSENDORN in keiner Weise mit der Darstellung platter An,Allegorisierend' hier als Veranschaulichung (Personifikation) einer ,Idee' verstanden, nicht als Aufdeckung des geistlichen Wortsinns, wie er parodistisch in der BÖSEN FRAU erfolgt (dazu S. 284). 26 H. Fischer S. 36, dort die Anm. 2 von S. 35. In der Buchfassung S. 75 Anm. 172 stellt er statt dessen jetzt ebenfalls den Einfluß des Streitgesprächs heraus. " Er Schloß „Personifikations- und Allegoriegedichte" aus, gab jedoch zu, daß sie „in einer unerfreulichen Hinsicht enge Beziehung zu gewissen Niederungen der Schwankdichtung aufweisen" ( N G A I, S. VI). 28 A . Mihm Weist mit Recht darauf hin, daß die „kleinen weltlichen Reimpaarerzählungen . . . damals noch nicht in der Weise als eigene Gattung betrachtet wurden, wie es in der literaturgeschichtlichen Forschung üblich ist" (Mihm S. 41), und er betont an anderer Stelle zum Londoner Codex Addit. 24946: es „deutet nichts in der Anordnung darauf hin, daß die Mären von den Reden unterschieden worden sind" (ebd. S. 110). Z u den Dialogpartien im Märe vgl. auch unten Kapitel V S. 321fr., besonders zu den ,Tribus puellis'.

25a

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züglichkeiten erschöpft, daß folglich eine Betrachtungsweise, die die Schwanke nach dem Vorkommen gelegentlicher Obszönitäten verurteilt, oberflächlich bleibt. Der erste Teil des WEISSEN ROSENDORN übernimmt zwar höfische Motive, ist jedoch im Ganzen noch nicht parodisch wie der zweite Teil. Damit aber die Interpretation der auch in ihrem einleitenden Teil interessanten Erzählung nicht auseinandergerissen wird, ist dieser hier im Kapitel über die Parodie mitbehandelt. Es ist freilich auch möglich, daß die einleitende Gartenbeschreibung als ernster Gegensatz zum folgenden parodistischen Schwankgeschehen gedacht ist. Dann könnte er insofern parodistische Funktion haben.29 Zunächst ist es der formale Aufbau des WEISSENTROSENDORN, der ihn trotz der ausgedehnten Redeszene mehr in die Nähe der Schwänke mit ausgeführtem Handlungsvorgang (wie FRAUENLIST und HEIDIN) rückt. Nach einem knappen Vorwort setzt der Dichter in der Art der Märenexposition sogleich mit der Schilderung der allgemeinen Situation ein: er beschreibt den Garten mit dem weißen Rosenbusch und erwähnt, wie sich dessen Besitzerin, eine schöne Jungfrau, jeden Morgen unter diesem Busch mit Rosenwasser begießt. Sodann macht sich der Erzähler zum Beobachter eines merkwürdigen Vorgangs (dazwischen sind noch einige, sonst gewöhnlich dem Prolog zugehörige Wendungen eingeflochten, die der captatio benevolentiae und der versteckten Apologie des prekären Stoffs dienen; vgl. 49—60): Durch eine zauberkräftige würz30 aus diesem Garten, die „sie im Munde hat" (vgl. dazu S. 262, Anm. 65), erhält die vut der Jungfrau die Fähigkeit zum Sprechen. Sie beklagt sich bei ihrer Herrin über schlechte und unangemessen ehrlose Behandlung, denn sie sei es schließlich, um deretwillen man das hübsche junge Mädchen allenthalben liebhabe. Die vrouwe ist über diesen Vorwurf derart entrüstet, daß sie ihre personifizierte Gesprächspartnerin von sich fortschickt, um zu sehen, wer von den beiden ohne den andern von den Leuten höher geachtet werde. Der erste Handlungsteil, das Gespräch und die daraus getroffene Entscheidung, hat also nach Art der Märenkomposition eine Konfliktsituation' geschaffen, die nun im zweiten Teil beschrieben wird: die Dame ist allein ohne ihre ,Antagonistin'. Ein Student (Nebenfigur), der sich um ihre Liebe bewirbt, stellt bald fest, daß der junkvroum fehlt, was nun einmal für die Liebe unentbehrlich ist. Daher trennt er sich wieder von ihr. Doch ihr ,Schicksal' spricht sich herum, und sie wird deswegen bald überall vers

' Vgl. die Beispiele S. 297, die einen ähnlichen Bruch zwischen ernstem Einsatz und nachfolgender Schwankhandlung aufweisen. 30 Der Text ist nach dem G A zitiert, da die Neuausgabe bei Fischer, Die deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, S. 444ff., bei Abfassung des Manuskriptes noch nicht vorlag.

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spottet. Die Begegnung mit dem Studenten hat also den Konflikt weiter verschärft.31 - Ihrer personifizierten Gegenspielerin ergeht es in der Trennung noch schlechter; sie würde sich, wie aus ihrem knappen ,inneren' Monolog (2i8ff.) hervorgeht, gern wieder um die Gunst ihrer Herrin bemühen. Inzwischen ist auch bei dieser der Wunsch mächtig geworden, sich mit der Verlorenen wieder zu vereinigen. Damit ist am Ende des zweiten Handlungsabschnitts die Wende vorbereitet. Im dritten Teil treffen sich die beiden an einer Wegscheide. Nachdem sie sich ihr Leid, das ihnen in der Trennung entstanden ist, geklagt haben, nimmt die Jungfrau die Verstoßene wieder zu sich. Damit ist der Streit, der mit dem Gespräch begonnen hatte, geschlichtet; die Geschichte könnte zu Ende sein. Doch die Jungfrau wendet sich an den Dichter und bittet ihn um Rat, wie sie die Männer wissen lassen könnte, daß sie nun wiederhabe, was man an ihr vermißte, und wie es anzustellen sei, daß sie es für immer bei sich behalte. Der Dichter weiß dafür Rat und praktische Hilfe, und er schließt mit einem ironischen Rat an die Männer. Literarhistorisch ist der W E I S S E ROSENDORN einmal durch die (noch nicht parodische) Gartenbeschreibung und die dahinter wirkende Symbolik, zum andern durch den Inhalt und die Form des parodischen Gesprächs von Interesse. 6 Ez het ein junkvrouw'' erzogen Ein{eri) scbanen wurzgarten, den het si lieb unt zarten, Den het si schon und wol besniden, daz weder obene, noch niden, Dar in niht komen künde, des vleiz si sich ze {aller) stunde. Guote würz' und guotez krüt, diu wären ir lieb unde tritt. Ouch het die junkvrouw' erkorn einen wizen rosendorn, Der was breit unde dik, daz er vür der sunnen blik Zwelf rittern hete schaten geben, er was umb und umbe eben In einen reif gebogen, joch haher dann' ein man gezogen. Der Garten als Ort einer Liebeshandlung ist auch in der Märendichtung ein weit verbreitetes Motiv, 32 das, freilich nur noch in Relikten, 81

Über die Rolle von Nebenfiguren als ,Konfliktverschärfer' im zweiten Handlungsabschnitt vgl. S. 96f.

* 2 SPERBER, BORTE, ARISTOTELES UND PHYLLIS, SCHÜLER VON P A R I S ( M ) 3 6 8 - 7 6 , z w e i t e L i e b e s e p i s o d e in D R E I LISTIGE F R A U E N I .

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Elemente des locus amoenus erkennen läßt. In unserer Erzählung sind aber in der Vorstellung ein besonderer Garten, ein wurzgarten, in dem nach Märchenart Kräuter mit besonderen Kräften 3 3 wachsen, und ein anderer Garten v o n bestimmter T o p o g r a p h i e v e r w o b e n , der z. B. in der NACHTIGALL ähnlich beschrieben ist: 61

Vor dem hüse ein boumgarie lak dar umb gieng ein vestez hak, Da mit er bevridet was;

Z u den Requisiten dieses Gartens gehört die Abgeschlossenheit g e g e n die A u ß e n w e l t : es ist ein hortus conclusus, entweder w i e in der NACHTIGALL und im ROSENDORN v o n einer H e c k e umgrenzt (vgl. 9 - 1 1 ) , die jedem Eindringling den Z u g a n g verwehrt; oder seine U m grenzung ist auf eine andere Weise mehr symbolisch angedeutet, die dann ebenso unpassierbar und unverletzlich ist w i e eine reale Mauer. I m .Rosengarten zu W o r m s ' (,Rosengarten' A) 3 4 hat Kriemhilt 5

. . . einen anger mit rosen wol gekleit, der was einer milen lanc und einer halben breit. darumbe gienc ein müre von eim vaden sidin. si sprach: ,trutz si allen Pürsten, daz keiner kome darin1.

I m .Rosengarten' (D) ist der Seidenfaden durch einen mit G o l d und Edelsteinen durchwirkten Borten ersetzt (Str. 9).®® D e r Borte deutet als Symbol schon genauer an, was mit dieser abgrenzenden Umschließ u n g gemeint ist. D i e Bilder stehen in der Tradition des berühmten ,Rosenromans' Guillaumes de Lorris und seiner A b l e g e r . Hier ist der G a r t e n der Liebe v o n einer hohen burgartigen Mauer umgeben, die ihn w i e eine Hecke einschließt: ihn hatte „niemals ein Hirte betreten". 3 6 D i e A b g r e n z u n g hat die Funktion, die Rose, die der Garten birgt, v o r jedem unerwünschten Zugriff zu schützen; sie verbildlicht ihre Unantastbarkeit. Z u r Verteidigung des Gartens stehen K r i e m hilt im ,Rosengarten zu W o r m s ' (A) zwölf Ritter zur V e r f ü g u n g . Eine 38

So auch in ,Li lais de 1'Oiselet' in Barbazan-Μέοπ,

Fabliaux et contes des poetes

f r a n ^ i s des X I e , X I I e , X I V C et X V e siecles III, Paris 1808, S.

114fr.

Deutsche Uber-

setzung, ,Des Vögleins Lehren', v o n E . Lommatzsch, Geschichten aus dem alten Frankreich I, S. 27fr.; Literatur dort S. 222. 81

Nach der Ausgabe v o n G e o r g Holz, Halle 1893, S. 3.

86

Bei Holz S. 72.

"

,Le Roman de la rose' par Guillaume de Lorris et Jean de Meun, publie par Ε . Lang-

Hauzfu Ii murs e toz carrez; Si en estoit clos e barrez, En leu de bates, uns vergiers, Ou one n'avoit entre bergiers. Die deutschen Zitate nach der Übersetzung lois, t. 2, 1920, V . 467fr.:

v o n G . Ineichen, Guillaume de Lorris, Der Rosenroman, Philologische Studien und Quellen, Berlin 1956, rezensiert v o n H . K o l b , in: Euph. 51, 1957, S. 466-75.

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ähnliche Funktion haben im,Rosenroman' jene allegorischen Figuren, die die Rose hüten und die die äußeren Hindernisse für den Eindringenden darstellen: es sind ebenfalls zwölf an der Zahl.37 Im ,Rosenroman' sinnt der Dichter (der mit dem Liebhaber identisch ist) darüber nach, wie er in diesen Garten gelangen könne. Aber er findet zunächst keine Stelle, wo er hätte eintreten können. Er weiß nicht, ,,ob es irgendwo eine Öffnung oder einen Weg gäbe",38 doch es fällt ihm ein, „daß ein so schöner Garten niemals ohne Türe . . . oder irgend eine Öffnung sein könne",39 und schließlich findet er „ein kleines, schmales, wohlverschlossenes Türchen".40 Auf die hinter dieser Gartenmetaphorik verborgene Geschlechtssymbolik wird dann gelegentlich in Schwänken recht unumwunden angespielt.41 Interessanter daran ist, daß sie auch die geistliche Dichtung in durchaus sakralem Zusammenhang kennt. Bei Reinbot von Durne42 heißt es ζ. B.: 2575

ein maget ouch ein kintgebar, daz wonet in der engel schar... 2580 es kom durch ir (der maget) heslozzen tor in ir wingarten her. Zu den Personifikationen Haine, Felonie (Untreue), Vilanie, Convoitise, Avarice, Ernie, Tristece, Vieillece, Papelardie (Heuchelei) und Povrete, die der Dichter zunächst erblickt (139-462), kommen später noch Male Bouche (5 511) und Jalosie (3528) hinzu. Die drei •weiteren allegorischen Figuren, die sich der Hingabe der Geliebten entgegenstellen (Danglers, Honte und Peor), umschreiben die inneren Hemmnisse, gehören also nicht den .äußeren Verteidigern' zu. " Mais je ne poi one encontrer Leu par ou j'i peüsse entrer; ... je ne savoie S'ili avoit pertuis ne vote Ne leu par oul'en i entrast (5oiff.). " ... Qu'en si bei vergier n'eilst uis, Ou escbiele ou quelque pertuis (51 if.). 40 ... que un uisset bien serre Trovai, petitet e estroit (5 i6f.). 41 ,La Damoisele qui sonjoit' (MR V, S. 2o8ff.) wird im Schlaf von ihrem Liebhaber überwältigt und wacht erst auf, als dieser sich davon machen will. Sie fragt ihn: . . . Qui vous fist mon pare depecier Sanz congie, quant je me dormoie? (26f.). In entsprechender Bedeutung die Wiese (prez) im Fabliau ,De la Demoisele qui ne pouvait ouir parier de foutre' (B) (vgl. MR V, S. 24fr.; jetzt bei Rychner II S. 120-135, V. 141). Die sehr eindeutige erotische Symbolik, die sich hinter dieser Bildersprache verrät, kennt noch Kaufringer. Im .Zurückgegebenen Minnelohn' (Nr. 5 bei Euling) begibt sich der abenteuersuchende Ritter in den boumgarten, der umzäunt ist: 153 er ging aber baz hin umb Ainen weg scharpf und krum (der schwer beschreitbare rechte Weg - wie bei Gottfried I), bis er zelest ain türlin vand, Das stuond o f f e n sa zehand (die Frau hatte das Stelldichein vorher gewährt). Da gierig er ze dem türlin ein und findet die Frau. Vgl. auch schon Ottes .Eraclius' 2019-2027. 42 Der heilige Georg Reinbots von Durne, hrsg. von C. von Kraus, in: Germanische Bibliothek III. Abt., 1. Bd., Heidelberg 1907, S. 98. Zum hortus conclusus als Symbol der heiligen Maria vgl. ζ. B. D. Scheludko am S. 201 Anm. 170 a. O., S. 318, mit Verweis auf Salzer, Sinnbilder S. li^S.. 87

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Η. Kaufringer spricht in demselben Sinne von Weingarts wie so oft im Mittelalter liegen das Sakrale und seine burleske Profanierung eng beieinander. Ferner ist schon bei flüchtigem Hinsehen unverkennbar, daß die Gartenbeschreibungen vor allem der Minneallegorien, aber auch der höfischen Romane, einige wesentliche Bestandteile jenen Lustortbeschreibungen entlehnt haben, die ihrerseits Beschreibungen des irdischen Paradieses nachgebildet sind, also gleichsam weltliche Kontrafakturen zu ihnen darstellen. Dies gilt für die ausführliche und im Detail phantasievoll weiter ausschmückende etwa des ,Rosenromans' wie für die sehr knappe, lediglich einige Elemente übernehmende des R O S E N D O R N S . Die meisten dieser Beschreibungen haben vor allem drei Motivelemente gemein: die Verborgenheit und schwere Zugänglichkeit des Paradies- oder Lustortes, der nur auf einem beschwerlichen Weg zu erreichen ist; die rotunditas als die Symbolform seiner Unverletzlichkeit; den verborgenen, nur dem Auserwählten auffindbaren und zugänglichen Eingang44. So wie die Beschreibungen des irdischen Paradieses und die allegorischen Lustortbeschreibungen in ihrem innersten Bezirk meist etwas ,Allerheiligstes' - den Paradiesesort selbst oder einen das Ziel allen Strebens verkörpernden Symbolgegenstand - bergen, das für den gewöhnlichen Menschen unantastbar und unerreichbar (inaccessus) und nur dem von aller Sünde Gereinigten, dem Auserwählten oder dem wahrhaft Liebenden zugänglich ist, so birgt der allegorische Garten die Rose. Die allegorische Rose ist identisch mit der Geliebten. Schon in einer provenzalischen Minneallegorie ,Lo Vergiers d' Amor' des Guillem de Saint-Didier, nach Herbert Kolbs Untersuchung46 das „wohl älteste überlieferte allegorische Minnegedicht in einer Volkssprache" (2. Hälfte des 12. Jahrhunderts), das schon entscheidende Motive und die allegorische Interpretation des späteren Rosenromans ausgebildet hat, werden der Garten als Sinnbild der Minne (signifianza es d'Amor), die Blüten als Damen von hoher Ab4,1 44

45

,Der Zehnte von der Minne' (Nr. 10 bei K. Euling), 276. Ich verzichte hier auf die Anführung von Belegen, weil diese aus den Darstellungen R. Gruenters (besonders Euph. 55, 1961, S. 370-383) und H. Kolbs, Munsalvaesche, Studien zum Kyotrpoblem, München 1963, Kap. I V , S. 98-141, leicht entnommen werden können. Kolb hat hier überzeugend nachgewiesen, daß auch die Darstellung der Gralsburg im ,Parzival' in wesentlichen Zügen den Beschreibungen des irdischen Paradieses oder des himmlischen Jerusalems verpflichtet ist. H. Kolb, L o Vergiers d' Amor,' in: G R M 43, N F 12, 1962, S. 360-66.

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kunft (domnas d'aut paratgeausgelegt. Unter diesen Blüten oder Damen, die mit ihrem Verhalten verschiedene Typen der höfischen Minnedamen (in ähnlicher Weise wie die die verschiedenen Tore des Minnepalastes bewohnenden Frauen bei Andreas Capellanus47) darstellen, gibt es eine weiße Blüte, der niemand etwas anzuhaben vermag; den Zweig, an dem sie blüht, vermag niemand zu biegen oder gar zu brechen. Diese Dame ist „in ihrer Unerreichbarkeit... Zielpunkt und fortwährende Antriebskraft höfischen Minnens" (Kolb a.a.O., S. 263). Wie im Rosenroman ist auch hier der Erzähler, der die Allegorie in die Form eines eigenen Traumerlebens kleidet, in die Handlung einbezogen. Er ist der Liebende, die Blume die Geliebte. Nachdem im ersten ,Rosenroman' des Jean Renart die Rose ein Muttermal am Schenkel der Heldin darstellt, dessen Kenntnis dem angeblichen Verführer als Beweis für seine Tat dient,48 ist die Rose im Rosenroman Guillaumes de Lorris Symbol der Unberührtheit und Unzugänglichkeit, aber zugleich auch Sinnbild einer unbewußten Begehrlichkeit; sie wartet im hortus conclusus auf den Eroberer (Ross a.a.O., S. 77). Für die Ausbildung und Auslegung dieser Gartenmetaphorik scheint auch das Hohelied Salomons von Bedeutung gewesen zu sein.49 Hier ist die weiße Lilie noch das Symbol der Unschuld;60 es war Ambrosius, der die Lilie durch die rosa pudoris ersetzte, die im hortus conclusus blüht.51 Auch wenn es sich im W E I S S E N R O S E N D O R N nicht um eine ausgeführte Minneallegorie handelt - die Garten- und Rosensymbolik wird nicht weiter ausgelegt - , so vermögen die literarischen Parallelen im Umkreis des Rosenromans, die man bei einem gebildeten Publikum 46

Nach Kolb a. a. O. S. 3 6 2 .

" D e A m o r e , ' I, 6 . Kap. E : De palatio Amoris (bei Battaglia S. 1 0 4 f r . ) . 48

Nach Werner Ross, ,Rose und Nachtigall' in: Romanische Forschungen 6 7 , 1 9 5 6 , S. 76.

4'

Canticum cantiorum 4 , 1 2 Hortus conclusus soror mea, sponsa, hortus conclusus, Jons signatus. Oder 6, 1 Dilectus meus descendit in hortum suum ad aureolam aromatum, ut pascatur in hortis, et lilia colligat. 2 Ego dilecto meo, et dilectus meus mihi, qui pascitur inter lilias.

60

Vgl. das in dieser Tradition stehende ,Certamen rosae liliique' des Sedelius Scotus, hrsg. v. L. Traube in Poetae lat. m. a. III, 2 3 0 . Hier wird die Farbe der Rose von der Lilie noch als Schamröte des schlechten Gewissens gedeutet. Der Frühling, der hier die Funktion des Richters übernimmt, versöhnt die Streitenden, indem er die Lilie den Jungfrauen, die Rose den Märtyrern zuerkennt. Vgl. dazu H. Walther S. 5 4 . W. Ross, a. a. O. S. 66 und Anm. 2 8 ; dort Verweis auf De originibus I, 8 Migne P. L. 2 0 2 und De inst. virg. 9, a. a. O. 3 2 1 .

51

257

wohl als bekannt voraussetzen darf, doch erst recht zu erhellen, was hier gemeint ist. Der wurzgarte, den diejuncfrouwe so angelegt hat, daß niemand hineingelangen kann, ist der Garten der Minne, der auf die Unantastbarkeit seiner spröden Besitzerin vorausweist. Guote würz' undguotez krüt (13) erinnern an die einstmals paradiesische Flora, die die Gartenmetaphorik übernimmt.62 Der weiße Rosenbusch, der umbe und umbe eben in einen reif gebogen - damit ist das Motiv des hortus conclusus ein zweites Mal aufgenommen - ist die junge Dame (und spätere Geliebte) selbst. Wie der Kreis als Symbol der Unverletzbarkeit allegorisch einen Bezirk umgrenzt, den nur der Auserwählte zu durchschreiten vermag,63 so symbolisiert der weiße Rosendorn die Keuschheit der Geliebten, wobei der Dorn noch einmal auf ihre Unnahbarkeit weist.64 Die weiße Rose dürfte eine Kontamination zwischen der weißen Farbe der Lilie, die als Symbol der Unschuld65 im Hohenlied begegnet, und der (ursprünglich roten) Rose als dem Bild der Geliebten sein, die die Begehrlichkeit des Liebenden weckt, ihn zur Liebe antreibt und letztes Ziel seiner Sehnsucht darstellt. Daß die weiße, dornige Rose daher nicht nur Symbol der jungfräulichen Keuschheit und Unantastbarkeit ist, sondern zugleich den weiblichen Wunsch, umworben und geliebt zu werden, ausdrückt, diesen Gedanken hat der Dichter in einem zweiten Bild weiter ausgeführt: aus den edlen Kräutern des wurzgarten, besonders aus den Rosen, brante das junge Mädchen ein Wasser, mit dem sie sich allmorgendlich vor 52 63

64

"

Vgl. ζ. Β. ,Altercatio Phyllidis et Florae* (CB 92), Str. 60. Zur rotunditas als der „Idealform der Liebesparadiese und -paläste" vgl. Gruenter, in: Euph. 55, 1961, S. 377 und oben S. 256 Anm. 44. Vgl. ferner diesinewelle in Gottfrieds .Tristan' 16931. Sie wird hier als einvalte gedeutet, die ane winkel sein solle. Weitere Nachweise bei Gruenter a. a. O. S. 378 Anm. 242. Das Symbol der Unverletzbarheit eines durch den Kreis umschlossenen Bezirks liegt wohl auch in jenem redel vor, das der Schreiber im RÄDLEIN der von ihm Umworbenen obwendic dem rosen büschelin (137)ebenfalls eine nahe Beziehung von rotunditas und Rosen wie im WEISSEN ROSENDORN ! heimlich auf den Leib malt: es ist der Kreis, den er durchschreiten möchte. Vgl. ζ. B. FRAUENLIST 343: der dorn vil schoener rosea birt, des stechen doch vilsere srvirt . . . Wolfram kennt die weiße Farbe als Symbol der Reinheit und Unschuld. A l s Condwiramurs Parzival um Hilfe bei der Verteidigung bitten will, erscheint sie nachts in einem hemde wlz sidin (192, 15) und legt sich unter der Bedingung zu ihm, daß er sie nicht anrühre (vgl. 194, 1). Wolfram hat also nicht nur den Namen der Heldin, der für ihn durch die Tristan-Mutter .belastet* war, sondern auch die Szene geändert: bei Chrestien ist Blancheflor mit einem scharlachroten, seidenen Mantel bekleidet, und sie verhält sich ihrem Gast gegenüber entsprechend unbefangener (,Li contes del Graal' V . 1945-2074). So besteht auch H. Kolbs Vermutung, daß der Mantel der „reinen und keuschen Gralsträgerin" Repanses de Schoye, weiß gewesen sei (Munsalvaesche S. 121), sicher zu recht. 258

Sonnenaufgang im Garten übergießt. Durch ir hüpschheit st daz tet (28), verrät der Dichter. Mit diesem Märchenmotiv der bewußten Schönheitspflege (badende Feen am Morgen) ist angedeutet, daß - um im Bild zu bleiben - die Rose, trotz ihrer Unnahbarkeit, ihrer Unantastbarkeit für den ,Durchschnittsbewerber', unbewußt darauf wartet, von einem Würdigen gepflückt zu werden. Wie im ,Rosenroman' der Dichter - dort in der beliebten Traumfiktion56 - an der Handlung beteiligt ist, indem er selbst den Liebhaber darstellt, der sich um die Gunst der Rose bemüht, so wird jetzt auch im W E I S S E N R O S E N D O R N die bis dahin verschleierte, zumindest nicht erwähnte Identität von Erzähler und Liebhaber - oder zunächst: Bewerber - hergestellt: 4}

Nü was ich komen gar verholn und wolt' der rosen hän gestoln: Daz mohte leider niht geschehen...

Das Motiv des Rosenpflückens ist besonders in der Fortsetzung des Rosenromans von Jean de Meung als metaphorische Umschreibung für den Raub der Unschuld „mit lüsterner Deutlichkeit" durchgeführt.67 Immer ist in den Minneallegorien die Rose zunächst unerreichbar, der verborgene Zugang zu ihr für längere Zeit versperrt. Daher geht (,Rosenroman') das Streben des Liebenden zunächst dahin, den verborgenen Eingang in den verschlossenen Garten zu finden, und er entdeckt schließlich das „kleine, schmale, wohlverschlossene Türchen". Dies Motiv ist im Hintergrund zu halten, wenn im W E I S S E N R O S E N D O R N der heimlich an den Garten gelangte Dichter durch ein löchlin (46) jene Vorgänge beobachten kann, die er im Folgenden berichtet68 und die ihn - so darf man in Analogie zu den Minneallegorien δβ

Nach Art mancher Mären gibt der Dichter des ROSENDORN seine Erzählung im Prolog durch Bekundung der Autopsie als eigenes Erlebnis aus (vgl. oben S. 67). " Z u dem weitverbreiteten Motiv des Rosenpflückens vgl. Ross a. a. O. S. 74 und Anm. 46. Vgl. die Symbolbedeutung von Phyllis und Flora in dem bekannten mittellateinischen Streitgedicht. Phyllis ist der Liebesgenuß schlechthin, sie wird für den Ritter als gut genug erachtet; Flora dagegen mehr: sie ist dem Kleriker vorbehalten. 58 In dem mittelhochdeutschen Streitgedicht .Minne und Gesellschaft' ( D T M 24 Nr. 6) macht sich der Dichter in vergleichbarer Weise zum Zeugen eines von ihm wiedergegebenen Streitgesprächs zwischen zwei Damen, indem er mit seinem Messer eine nat - also auch ein löchlin! - in das Zelt schneidet, in dem diese sitzen. Dies ist eine entsprechende Abwandlung oder Entstellung des conclusus- und Türsymbols; vgl. auch die pavelüne im ,Erec' (8902), die Stätte einer gesellschaftsfeindlichen Minne, die - hier im negativen Sinne - einen nur Mabonagrin und seiner Geliebten vorbehaltenen Bezirk im boumgarten zu Brandigan darstellt.

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interpretieren - fürs erste daran hindern, sich der Dame zu nähern. Er ist zunächst nur der Zuschauer, dem der Eingang in den Garten verschlossen bleibt. Diese vorgetragene Interpretation der einleitenden Szene war nur durch die Heranziehung von Minneallegorien im Umkreis des ,Rosenromans' zu gewinnen, die die Vorgänge ausführlich darstellen und auslegen. Der R O S E N D O R N , der die Allegorie nicht ausführt, hat davon lediglich Motivrelikte, deren Sinn sich durch diese vergleichende Betrachtungsweise erschließt. Einmal hat der Dichter allerdings auch unverstanden ,gesunkenes' Motivgut übernommen.58 Der äußere Handlungsverlauf, aber nur der äußere, findet am Ende einen Abschluß, der - trotz seiner derben Entstellung - dem der Minneallegorien zumindest vergleichbar ist. In der folgenden Szene, deren Inhalt oben bereits kurz skizziert wurde, bezieht sich der Dichter zunächst als Beobachter in das Geschehen ein: der Anspruch, ein eigenes Erlebnis zu schildern, soll dem Märe den Wahrheitsgehalt sichern und die Zuhörer wohlwollend stimmen. Dazu ist auch Grund. Denn jetzt setzt, wie oft in den Schwänken,60 nach einer in sublimem Stil gehaltenen Einleitung der Umbruch ins Derb-Burleske ein. Der Dichter bezeichnet das Geschehen selbst mit vremdiu mcere (48; vgl. auch wunder 52), also mit jenem wahrscheinlich im Anschluß an die Rhetorik gebildeten Terminus für Mären vornehmlich schwankhaften Inhalts (vgl. S. 6ηί. und S. 209). In V. 60 (gemellichiu ding man sagen sol) - eine humorvolle Abwandlung des Topos ,Wissen verpflichtet zur Mitteilung' - ordnet er ' · Zur Tradition der Minneallegorie gehört ein allegorisches oder menschliches Personal, das sich dem Eroberer des Gartens verteidigend in den Weg stellt. Im .Rosenroman' sind es, wie oben gezeigt, z w ö l f allegorische Figuren (Haß, Untreue, Habsucht usw.), die die äußeren Hindernisse verkörpern; im .Rosengarten zu Worms' (A) verfügt Krimhilt über zwölf Ritter, die den Schutz ihres Gartens übernommen haben. Es scheint ein unverstandenes Relikt aus dem ,Rosenroman' und dem deutschen .Rosengarten' zu sein, wenn es vom weißen Rosendorn heißt: Zwelf rtttern bete er scbaten geben (19). Wie die Gartenbeschreibung der Paradiesbeschreibung, so ist wohl die Zwölfzahl in der höfischen Epik der Zahl der Apostel nachgebildet; vgl. die zwölf Taten des Herakles (Gustave Cohen, Le Roman courtois au XII e siecle, Paris 1952, S. 104), die zwölf Artusritter der Tafelrunde und die zwölf Friedensjahre (Wace). Vgl. auch zwelj ritter im BUSANT 964, zwölf Pairs der Karlsgeste (s. auch Köhler S. 5 und S. 19, Anm. 1). Im ,Lai d'Ignaure', einer Parodie auf das Thema des gegessenen Herzens, ist ein Ritter (Sohn eines Bauern) der Geliebte von zwölf edlen Damen (dazu L . Foulet, in: Zs. für roman. Philologie 29, 1905, S. 54; Nykrog S. 97; H. Tiemann, in: Romanische Forschungen 72, i960, S. 414). ω Vgl. S. 297 und S. 325 Anm. 86.

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dann auch explicite den Stoff dem genus iocosum zu. Zuvor aber ist ein kleiner, dem Publikum zugewandter Abschnitt (53-60) eingeschoben, der ganz den Eindruck eines nachgeholten Prologteils macht :β1 er dient mit seinen rhetorischen Figuren besonders dazu, die benevolentia zu gewinnen und vorsichtig auf den prekären Stoff vorzubereiten, der dem Zuhörer leicht als eine causa turpis (vgl. S. 68 und 72) erscheinen und ihn daher schockieren könnte. Daher sichert sich der Dichter vorher ab : 53

IVeit ir nü, daz ich sage? oder sprecht ir, daz ich gedage, So ist billich, daz ich swige: vrouwen gebot man genige.

Das Wesen der Frage liegt in dem vorgetäuschten (ironischen) Bedenken (dubitatio; Lausberg § 776), das den Erzähler veranlaßt, in dieser Form das Publikum um Rat zu bitten, welche Handlungsweise er künftig einhalten soll: es handelt sich um die der dubitatio verwandte Figur der communicatio. Sie hat mit der ebenfalls verwandten permissio den „letzlich immer ironisch(en)" Gebrauch gemein.62 Auch wenn sich der Vortragende im folgenden V. 55 dem Willen seiner Zuhörer scheinbar unterwirft, so erinnert dies an die permissio.63 V. 5 6 ist zugleich eine schmeichelnde Huldigung an die Damen eine insinuatio, die „durch listige Verwendung psychologischer Mitt e l . . . das Unterbewußtsein des Publikums in e i n e m . . . günstigen Sinne beeinflußt... und so langsam de(n) Boden für eine Sympathiegewinnung vorbereitet" (ebd. § 281). Deshalb wird diese Figur von der Rhetorik für das genus turpe empfohlen. - Einer ähnlichen Technik hatte sich Sibote im Prolog seiner F R A U E N Z U C H T bedient (S. 72f.). Die vorbereitende Einstimmung der Hörer auf den Stoff wird in dem oben zitierten V. 60 mit einer Sentenz abgeschlossen, der die Funktion eines argumentum im Sinne einer communis opinio zukommt (vgl. S. 30 und Lausberg § 367/8). 61

Die sonst ungewöhnliche Nachholung eines Prologteils erscheint künstlerisch gerechtfertigt: die Frage, ob er weiter erzählen solle, erfolgt »«, n a c h d e m die Zuhörer im vorausgehenden Abschnitt mit der ,gewagten' Situation ( i j B . ) wenigstens andeutungsweise bekannt gemacht worden sind. * 2 V g l . dazu die Definitionen Lausbergs §§ 776, 779 und 857. ** V g l . die ähnlichen Wendungen im Prolog zu MINNEDURST 1 6 - 1 9 . M Deren Geschmack und Empfinden wurde, wie die Anrede an sie zeigt, durch Schwankthemata offensichtlich nicht verletzt. V g l . BORTE, Epilog; TEUFELSACHT ZJIß·', MEIERIN MIT DER GEISS 30; FRAUENZUCHT 17FR.

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Geschickt eröffnet der Verfasser auch den Hauptteil seiner Geschichte mit einer Erfahrungsweisheit (62-66). Sie ist den liuten wol erkant (6 z) und stellt daher die für die Wirkung wichtige Brücke zwischen dem Publikum und der,Fremdheit' (also der besonderen Eigenart) des Stoffes her. Damit dient auch sie dem benevolum. Das Ungewöhnliche und für uns zunächst Schockierende der folgenden Gesprächsszene wird sogleich gemildert, wenn man bei der Interpretation von der schwankhaften Drastik vorerst absieht und den literarischen Hintergrund zu erhellen sucht, der durch sie nach A r t der Parodie verstellt wird. Für die Verleihung der Redegabe ist einmal die dem Märchen zugehörige Vorstellung von wunderkräftigen Kräutern oder Wurzeln, 66 zum andern die tropische Stilfigur der Prosopopeia oder Personificatio (auch Conformatio) formbildend gewesen, die in den Poetiken empfohlen wird. Sie ist eine Abart der Metapher, die Leben und Bewußtsein auf leblose Dinge überträgt68 und stummen Dingen Rede und Bewegung verleiht.67 V o n dieser stilistischen Möglichkeit hat die allegorische Dichtung weithin Gebrauch gemacht; sie ist im Streitgespräch sowohl unter den ernsthaften Repräsentanten68 wie seinen komisch-schwankhaften Ablegern 69 besonders beliebt. Zumal v o n dem Streit des Magens mit den Gliedern, in dem Körperteile die Fähigkeit zu reden haben und Gesprächspartner sind, ist der W e g zu einem Stück wie dem ROSENDORN nicht mehr weit. In den Fabliaux schließlich kommt es mehr als einmal vor, daß /es cons über Redebe-

*5 V g l . ζ. B. ,Das Zauberkraut' in Minnereden II ( D T M 41, Nr. 16). Im .Parzival' legt Königin Arnive Gawan eine wurz ... in sinen munt (!), damit der Verwundete sich durch einen Tagesschlaf erquicke (580, 27; vgl. auch 581, 2ofT.). Der schwankhafte, ins Obszöne weisende Nebensinn dieses Motivs im ROSENDORN wird deutlich, wenn man Wittenweilers ,Ring' 2141fr. vergleicht. " V g l . Arbusow S. 83 und Lausberg § 8 2 6 f r . " V g l . Arbusow S. 25 und Galfredus Doc. II, 2, 22 (bei Faral S. 275): Prosopopeia est conformatio novae personae, quando scilicet res non loquens introducitur tanquam loquens. V g l . auch Poetr. nov. 4 6 1 f r . 68 Man denke an das Streitgespräch, das lip und herze in Hartmanns .Büchlein' führen, an die .Altercatio camis et spiritus' und ihre verschiedenen Verwandten in der mittelalterlichen Dichtung (vgl. bei Manitius S. 951 f. und H. Walther, S. 63-80). Hier ist besonders die ,Visio Philiberti' unter den zahlreichen Bearbeitungen dieses Stoffes zu erwähnen (vgl. Walther S. 6jff.); eine deutsche Bearbeitung gibt es durch Heinrich von Neustadt ,Visio Philiberti' ( D T M 7, Berlin 1906, S. 453-464). 69 V o n den spätmittelalterlichen Beispielen in deutscher Sprache vgl. nur den Streit zwischen Magen und Gliedern: ,Von der Buchfull' ( K E S. 586f.) und die ,Disputatio membrorum'; s. Walther S. 59 und Anm. 4.

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gabung verfügen. In ,Le Chevalier qui fist parier les cons' wird dem Ritter diese Fähigkeit übrigens von badenden Feen verliehen,70 weil er sich ihnen gegenüber nobel verhalten hat. Hier wie dort mildert die Märchenatmosphäre, in die das Geschehen gestellt ist, das Anstößige des Themas. Wie schon die allgemeine Thematik auf das Streitgespräch hinweist, so ist auch dessen Form in dieser Redeszene durchaus gewahrt. Die vut beginnt mit einer accusatio71 gegen ihre Herrin (76-80), die sie nach einer Zwischenfrage der Beklagten näher begründet; sie stellt die Behauptung auf 93

Daz man iuch an aller stat lieb durch minen willen hat: ob ir min enbaret, ir deste unwerder wäret.

Die Angeschuldigte verteidigt sich mit einer rhetorischen Frage (97) und zweifelt das vorgebrachte Argument an. Zur Begründung ihres Zweifels folgt eine herabsetzende descriptio ihrer Gesprächspartnerin nach Art einer vituperatio; die derart verletzte und in Zorn geratene Kontrahentin nimmt daraufhin ihrerseits die descriptio noch einmal auf, versteht es aber, ihr den Sinn einer laudatio zu unterlegen, indem sie darauf hinweist, daß Ein ietlich ding man loben sol nach siner varrn ... (i2if.) - es folgt die Beschreibung72 - und: daz sol min gestalt wesen also\ So sült ir haben, vrouwe min, raselohten liebten schin, Minneklich und wolgestalt. des lobes73 wirt iu zuo gezalt... (126ff.). Für den Zuhörer, der sich in den mittelalterlichen Vorschriften der 70

Fassung I in M R VI, S. 68ff.; eine kürzende und entstellende anglonormannische Fassung II in M R V I , S. 198fr. Beide Versionen - die erste mit zwei weiteren Varianten - und eine dritte Umarbeitung sind jetzt bei J . Rychner II S. 38-79 in synoptischem Paralleldruck zugänglich. Rychner hat mit diesem Editionsverfahren ein Muster geschaffen, von dem man sich wünscht, daß es sich auch die künftigen Herausgeber mittelhochdeutscher Mären zu eigen machten. Es ist angesichts der gattungsbedingten Überlieferungsverhältnisse im Grunde das einzig legale Verfahren, das zugleich rein optisch jene Übersichtlichkeit bietet, die die Voraussetzung für die vergleichende Lektüre und Interpretation verschiedener Fassungen, Bearbeitungen und Varianten ist. Zur Interpretation dieser Fabliauxgruppe s. Rychner I S. 46-58 und Nykrog S. 81.

71

Wie der llp im .Büchlein' Hartmanns (36 klagete). Zu brün (12) vgl. die S. 217 angeführten Stellen. Man beachte diese zweifache Erwähnung des rhetorischen Fachausdrucks für laus bzw. laudare in V. 1 1 9 und 1 2 1 . In der vituperatio der Frau ist dieser Begriff entsprechend negiert: daz man dir doch niht lobes jach (106). Mittelhochdeutsch loben in diesem engeren Sinn vgl. ,Parzival' 404, 30, Walther 53, 34 lob ich hie, so lob er dort und m , 32, ,Erec' 1591, in den Mären: WIRT 182, 190; vgl. auch S. 4 Anm. 8.

72 73

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Rhetorik auskennt, ist deutlich, daß sich hinter diesen Formulierungen, die jedem Ding sein Recht zuerkennt, eine Anspielung auf das rhetorisch-poetische Schema für Personenbeschreibungen verbirgt, nach dem jedem Personentypus ganz bestimmte, vor allem nach ständischem Gesichtspunkt ausgewählte Attribute zuerkannt werden.74 Nach Art eines Streitgesprächs geht es um den Vorzug einer Person oder eines Dinges (personifizierten Gegenstandes) vor dem andern; der Gesprächspartner hat „den eigenen Vorzug darzutun und die Eigenschaften des Gegners herabzusetzen" (H. Walther S. 3). So bestreitet die Gesprächspartnerin der vrouwe entschieden, daß man ihr allein um ihrer Schönheit willen lop zuerkenne,ihr diene und um sie werbe; und ihre Anklage gipfelt in einer pointierten Formulierung,76 die zur Folge hat, daß die Frau sie nach einer erneuten vituperatio von sich fortschickt:76 Sie wolle sehen 168

„ . . . obe mich die Hute baz haben oder... dich."

™ Vgl. die Abschnitte bei Matthieu de Vendöme, Ars. Vers. § 41 ff.: . . . in descriptions debet (sol!) observari etproprietaspersonarum et diversitasproprietatum (41) und . . . cuiuslibetpersonaeproprietas constat in attributispersonae ... (75); bei Faral S. 1 1 9 und 135. 75 V v . 138-140. Auf diese Stelle muß besonders hingewiesen werden, weil der unbefangene Leser zu dem Fehlschluß kommen könnte, ein derartiges Motiv sei in dieser Zuspitzung in einer im höfischen Kreis vorgetragenen Schwankdichtung undenkbar. Wir finden aber den gleichen Gedanken im parodistischen ,Lai du Lecheor' aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts, der ganz in der höfischen Welt spielt (vgl. dazu Nykrog S. i82f. und H. Tiemann, Romanische Forschungen 72, i960, S. 4i4f.). Eine adlige Dame erklärt dort, alle höfischen Tugenden des Ritters hätten ihren Ursprung par Γ entente du con non (Romania VIII, 1879, S. 66, V. 92) - dies eine burleske Umsetzung jener höfischen Auffassung, wie sie ζ. B. Andreas Capellanus ernsthaft folgendermaßen formuliert: . . . quod homines nil esse possunt nilque de bonitatis valent fonte praelibare, nisi dominarum hoc fecerint suadela commoti ... Nam quidquid boni faciunt dicuntque viventes, totum mulierum solent laudibis indulgere et eis obsequendo ea perficere, ut earum possint gloriari muneribus, sine quibus nemo posset in hac vita proficere nec aliqua laude dignus haberi (Battaglia S. 182). Denn - so fährt die Dame im ,Lai du Lecheor' fort - Nule fame η'a si bei vis Por qu'ele eust le con perdu, Ja mes eust ami ne dru! (Romania VIII, S. 66, V. 94-96). Einen grundsätzlich gleichen, nur nicht in dieser burlesken Form ausgedrückten Gedanken äußert die nobilior im Gespräch bei Andreas Capellanus, vgl. S. 267 Anm. 86. Vgl. noch ,Adam und Eva' ( K E S. 26fr.), wo dieses Motiv unter parodistischer Benutzung und Auslegung von Bibelzitaten vorkommt. ™ Das Motiv der personalen Verselbständigung des (männlichen) Genitale kennt auch das .Nonnenturnier' ( K E 443-459). Aber sie erfolgt hier nicht wie im R O S E N D O R N allegorisch, sondern wird von einem Ritter physisch an sich selbst vollzogen. Auf diesen derben Schwank aus dem 15. Jahrhundert weise ich deshalb hin, weil daran wiederum der große Abstand deutlich wird, der den R O S E N D O R N und einen späteren Vertreter aus der Gruppe der ,Priapeia' (Fischer) trennt. Dieser ist nicht nur in Handlung und Stil gröber, sondern weist auch Mängel in der Komposition und Inkonse-

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Im zweiten Teil bemüht sich ein Student um die Liebe der Dame, und sie erfüllt seine Bitte, um zu erfahren, 18}

ob (er) ir diente durch ir jugent, oder durch ir schanoder durch ir tugent, Oder ob er ware durch die vut ir dien are;

Sah die Stelle oben (V. τ 3 8f.) zunächst nur wie eine einfache Entscheidungsfrage aus, so wird spätestens jetzt an dieser Zuspitzung auf eine „question dilemmatique"77 deutlich, daß der Dichter die Streitfrage in den Rang eines minnekasuistischen Problems erhoben wissen will. Es ist jene besondere Art des Streitgesprächs, in dem Liebesfragen78 (questions oder demandes d'amour) abgehandelt werden. Die question dilemmatique, wie sie ähnlich bereits in der T E U F E L S A C H T vorkam, erinnert an die jeux-partis, auch wenn die äußere Form dieser Gattung hier nicht vorliegt. Den meisten, auch den ernsteren minnekasuistischen Fragen und der Art darüber zu diskutieren, ist sosehr sich in ihnen ernsthaft die höfische Liebe in ihrer Paradoxie widerspiegelt - ein theoretischer Grundzug eigen; man merkt den Fragen an, daß sie .gestellt', daß sie mehr oder weniger konstruiert sind, und entsprechend gilt dies für den Gang des Gesprächs und die in ihm vorgebrachten Argumente. Sie werden beispielsweise für die jeux-partis von Jeanroy und Brandin als „parfois absurdes et d'une mauvaise foi evidente" (a.a.O., S. X ) bezeichnet. Es macht den eigentümlichen Reiz dieser minnekasuistischen Gespräche aus, daß sie sich gern auf der schmalen Grenzlinie zwischen unterhaltendem Gesellschaftsspiel und dem dahinter liegenden Ernst einer so umfassenden Idee wie der der höfischen Minne bewegen. Diese Idee strahlt schließlich noch in den Bereich der komischen Gattungen aus. So scheint es,

"

quenzen in der Handlungsführung auf, so den Widerspruch zwischen der Unersättlichkeit der Frau und der Art ihrer ,Rache' an dem Ritter. Das Problem der .Trennung': welchen vnder ms baz geschehe (448, 25) - nur diese Formulierung läßt noch die ursprüngliche minnekasuistische Ausgangsbasis erkennen - ist ohne Sinn auf den Mann übertragen und wird nicht konsequent durch- oder gar zu Ende geführt: Beide .Personen', Ritter und zers, kommen um; der Kampf der Nonnen endet ergebnislos, und die Form des Streitgesprächs ist aufgelöst. Das .Nonnenturnier' ist das Beispiel einer volkstümlichen Entstellung, der der alte Sinnzusammenhang der benutzten Formeln und M o tive entfallen ist. Ähnlich ist ,Gold und Zagel' ( K E 437) zu beurteilen. A . Jeanroy und L . Brandin in der Einleitung zu A . Langfors, Recueil general des

jeux-partis fran^ais, Paris 1928, dort S. V I I I . ™ Streitfragen aus dem Liebesleben' sind auch im mittellateinischen Streitgespräch stark vertreten; vgl. dies Kapitel bei H . Walther, S. 1 3 5 - 1 5 3 .

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als sei es gerade der fiktiv-künstliche Charakter, die ,Konstruiertheit' des kasuistischen Problems, die der W E I S S E R O S E N D O R N parodiert, indem er den ganzen ,Kasus' in eine bewußt niedere und derbe Stilebene, die des Burlesken, transponiert. Man erinnere sich, wie in der H E I D I N oder vorher in dem einen Mustergespräch (Kap. I , 6 H ) bei Andreas Capellanus das entscheidende Problem der höfischen Minne: das Triebhafte einer letztlich auf den Besitz der Geliebten zielenden Liebe durch eine starke rationale Komponente zu lenken, zu beherrschen oder auch im Sinne einer Entsagung ganz zu subümieren, in das metaphorische Bild der Teilung in die obere und untere Hälfte gekleidet ist - ein Bild, dem selbst schon der Zug zum Komischen innewohnt. Wenn der W E I S S E R O S E N D O R N das ,Dilemma' demgegenüber als eine zunächst alternative Entscheidung für die jugent, schane und tugent oder den bloßen Sexus formuliert, so geht es im Grunde um das gleiche Problem, nur daß hier die Geistkomponente im Sinne der Parodie eine Stufe tiefer: als die körperliche Schönheit (die tugent klingt zumindest einmal mit an), erscheint und der elementare Trieb durch etwas, was die Leute für ein niederes Tier halten (210), allegorisch umschrieben ist. In dieser klingt sinngemäß die pars inferior, in jener die pars superior nach.79 In der letzten Entscheidung freilich weicht der W E I S S E R O S E N DORN von seinen ernsthafteren Entsprechungen ab. Fällt sie bei Andreas zugunsten der pars superior (ohne daß die geschlechtliche Liebe, die aber durch das Geistige erhöht werden muß,80 verdammt würde), wählt der Graf in der H E I D I N ebenso daz ober teil, um aber dann stufenweise auch zum Genuß des nider teils vorzudringen (gradatim ... procedat*1), so scheitern im R O S E N D O R N beide Kontrahenten in ihrer selbstgewählten Isolierung: der Student verschmäht die Liebe nur des schönen Körpers und der bloßen tugent der junkvrouwe, und ihre Gesprächspartnerin wird, nachdem sie wilde geworden (,sich selbständig gemacht hat'), als das behandelt, was sie im Grunde symbolisiert: als ein niederes Tier (man het sie vür ein kroten 210). Der Zusammenhang dieses parodistischen grotesken Vorgangs mit der höfischen Minnekasuistik läßt sich eindeutig erweisen. In dem bereits mehrfach herangezogenen Gespräch Loquitur nobilior nobiliori des 79 80 81

Vgl. ähnlich das minnen und das echten in der TEUFELSACHT. Vgl. Schlösser S. 1 1 2 . Andreas Capellanus, S. 246.

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Andreas Capellanus macht die Dame82 geltend, daß alle Tröstungen der Liebe aus dem niederen Teil ihren Anfang nehmen, in ihm ihren Ursprung haben.83 Sie beweist ihre Auffassung mit einem Beispiel, das genau dem .Problem' des W E I S S E N R O S E N D O R N S und ähnlicher höfisch-burlesker Darstellungen84 entspricht: Möge eine Frau von noch so einzigartiger Schönheit sein - wenn sie sich für die Werke der Venus als untauglich erweise, so werde niemand sie um Erhörung ersuchen, d. h. sie wird keinen Liebhaber finden. (Nicht nur die vrouwe im R O S E N D O R N erleidet dieses Schicksal, sondern auch ihre Kontrahentin wartet vergeblich auf irs gruezen 213, also auf eine mit dem Gruß verbundene Anrede: die allocutio als erste Stufe der Werbung; vgl. S. 313). Vielmehr werde eine solche Frau als eine immunda von allen getadelt werden88 (sie gerät also wie die vrouwe im R O S E N D O R N öffentlich in Verruf; das ist in den Versen 193-205 drastisch geschildert). Kurz darauf spricht die nobilior noch einmal von der efficiens amoris causa ... quae in parte procul dubio regnat inferior!. Und wo man die Ursache entferne, da werde notwendigerweise auch deren Wirkung ausbleiben. Dabei besage es im Gegensatz zu der von ihrem Partner vorgetragenen Ansicht nichts, wenn wir diese Anlage mit den T i e r e n gemeinsam hätten (da man immer in Übereinstimmung mit der Natur leben solle).88 Der hier bei Andreas einer Frau zugewiesene Gedankengang stimmt also recht genau mit dem ,Problem' des W E I S S E N R O S E N D O R N überein. Der Unterschied liegt nur in der Darstellungsweise: dort die theoretisch-erörternde Gedankenentwicklung eines Traktats, hier die burleske, halb allegorische und mit Handlung umgebene ,Anschaulichkeit' des parodierenden Schwanke. Der beiden gemeinsame Gedanke von dem Vorrang des Geschlechtlichen (dignior) drückt jedoch nicht die Idee der höfischen Liebe aus, sondern - wie seine unmittel82

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Es ist kein Zufall, daß der Frau die Rolle zugewiesen ist, die Ansicht über die vorrangige Bedeutung der triebhaften gegenüber der geistbetonten Liebe zu vertreten. Dazu S. 315. Quaecunque enim homines interponunt solatia curis, ex eo, qnod in parte latitat inferiori, sua semper initio sumunt, et eorum omnium inde procedit origo (Battaglia S. 242). Vgl. die Nachweise auf S. 264 Anm. 75. Si enim sit aliqua mulier, cuius forma cunctis vigeat in orbe praeclara. Veneris autem operibus omnino reperiatur inutilis, eius nullus vellet solatia capere, sed tanquam immunda reprobaretur α cunctis (Battaglia S. 242). Causa enim efficiente remota eius merito cessabit effectus. Nec obstat, sicut dicitis, nobis cum bestiis communicata natura, quia illud est in rebus omnibus principale ac naturale censendum, in quo aliquid rebus suigeneris ministerio naturae concordet et reperitur unitum (Battaglia S. 244).

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bar folgende Widerlegung durch den männlichen Gesprächspartner bei Andreas zeigt - das Gegenteil davon. So weiß der Graf in der HEIDIN I V genau: würde er die untere Hälfte wählen, er ware von rehte ein dorpare (1415f.). Aber so wie das triebhafte Element bei Andreas der spannungerzeugende Gegenpol im Kraftfeld der dialektischen Auseinandersetzung ist, gehört es in der Konzeption der höfischen Minne zu einer nie geleugneten Voraussetzung; sie ist eine elementare Tatsache, um deren Erhöhung und Lenkung die höfische Liebe sich bemüht. Erst in der Auseinandersetzung damit konnte sie überhaupt geboren werden und wachsen. 87 So gesehen ist es kaum verwunderlich, wenn die komische Gattung gern an diesem »anderen Ende' der geistgelenkten und geistbeherrschten Minne anknüpft und auf ihre Weise drastisch ausmalt, aber doch keineswegs, wie der weitere Handlungsverlauf des ROSENDORN zeigt, jenen Trieb verherrlicht, der nobis cum bestiis communicata est. Denn nach der schlechten Erfahrung, die die beiden Streitenden in ihrer Trennung gemacht haben, beschließen sie, sich wieder zu vereinigen: die Entscheidung führt zu einer Synthese.88 Dies ist allerdings nicht die übliche alternative Art, ein minnekasuistisches Problem zu lösen. Wohl aber ist ein versöhnlicher Ausgang dem Streitgespräch nicht fremd, zumal wenn Körperteile (die gegenseitig aufeinander angewiesen sind) miteinander streiten wie in den Bearbeitungen des Streits zwischen den Gliedern und dem Magen. Dieser Kompromiß, auf eine (erwogene) Trennung zu verzichten und zusammenzubleiben, ist auch maßgeblich für die Schlichtung des Streits zwischen Up und herze in Hartmanns ,Büchlein'; die folgende Stelle - man möge diesen Vergleich verzeihen - könnte auch am Schluß des ROSENDORN stehen: 1020

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von diu läzen wirz durch got unde gedenken dar an

Vgl. die treffende Formulierung E. Köhlers, Der Frauendienst der Trobadors, dargestellt an ihren Streitgedichten, in: G R M 41, i960, S. 2oiff.; wiederabgedruckt in: Trobadorlyrik und höfischer Roman. Aufsätze zur französischen und provenzalischen Literatur des Mittelalters, Berlin 1962, S. 89fr., dort S. 93: „ D i e niederen Stufen der Geschlechterbeziehung zählen dabei nicht weniger zu den Gegenständen der Betrachtung als die Vorstellungen von der hohen Liebe, ja die sinnliche Wirklichkeit bietet immer wieder einen festen Punkt, an dem sich die höher treibende Vernunft orientiert." In Heinrich Wittenweilers ,Ring' findet sich 1572-1604 eine knappe Szene, die mit .Anklage', Gesinnungsumschwung (hier im Monolog des Mätzli: ein aus dem höfischen Monolog überkommenes Formelement I) und versöhnlicher Entscheidung (Doch wart ein frid gemachet) an den Vorgang im ROSENDORN erinnert.

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daz wir beide sin ein man. nü zwiu solt ich äne dich od waz möhtst dü äne mich? Ist daz däz fürdermale last, swaz dü mich missehandelt hast daz wil ich varn läzen. ouch maht dü dichsgemäzen: hist dü mir guot, sam bin ich dir, wan an ein ander mugen wir deheine wile genesen: wir müezen immer sament wesen. wir mügen uns niht gescheiden. Das Motiv der schlechten Behandlung des Klägers durch den Angeschuldigten scheint fester Bestandteil des Streitgesprächs dieser Art zu sein ( R O S E N D O R N 76-80 und 141-150). Mit der Versöhnung der beiden Antagonisten könnte die Erzählung zu Ende sein - gehörte nicht zu den meisten Streitgesprächen und minnekasuistischen Erörterungen (so immer in den jeux-partis) ein weiteres Formelement: das abschließende Urteil,89 das in dieser oder in abgewandelter Form vorkommt. So kann statt des Urteils ein Rat eingeholt werden, entweder - wie meist das Urteil - von einer dritten, am Gespräch nicht beteiligten Person oder von einem der Gesprächspartner selbst: auf diese Weise übernimmt dieser zugleich die Funktion des ,Richters'. So ist es bei Andreas Capellanus im Gespräch Loquitur nobilior nobiliori über den Vorrang der pars superior oder der pars inferior (vgl. S. 248). In Hartmanns ,Büchlein' ist es der gegen das herze Klage führende lip, der gleichzeitig Rat vom Herzen erbittet und auch erhält (vgl. ζ. B. 147, 180, 999, 1266; ab 1269 berät das Herz den Leib 90 ); im abschließenden Urteil stellt das Herz Lohngewährung durch die Dame in Aussicht, vorausgesetzt, daß diese ein guot wip ist (1631). In der F R A U E N L I S T besteht der Monolog der vrourn in einem dialogisierten Selbstgespräch mit ihrem Herzen, das ihr einen listigen Rat gibt (vgl. auch 502). Gerade bei Streitfragen in Liebesdingen liebt man es, dem Urteil oder dem Rat dadurch schein· · Über den Urteilsspruch bei den mittellateinischen Streitgesprächen vgl. H. Walther S. 186 u. ö. ,0 Über die Befähigung des Herzens zu dieser Funktion in Hartmanns .Büchlein' vor dem Hintergrund seiner Bedeutung in der theologischen Literatur s. R. Wisniewski (s. u. S. 207 Anm. 184), besonders S. 360. Man vgl. auch den Urteilsspruch Gottes im 33. Kapitel des ,Ackermann aus Böhmen'.

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bar besonderes Gewicht zu geben, daß man Personen von hohem Rang und Ansehen zu ,Richtern'91 macht oder ihnen den Rat in den Mund legt: es ist wieder das Streben, dem Spielcharakter scheinbar Ernst zu verleihen - besonders wenn es darum geht, an die ,Pflicht' der Frau zur Lohngewährung durch ein Urteil, das , Gesetzeskraft' hat, zu erinnern.92 Auch in den jeux-partis sind es durchweg Personen von Ansehen, die als Richter auftreten oder auf deren Urteil man sich beruft,93 ebenso in den mittellateinischen Streitgedichten dieser Thematik.94 Man wird es daher gewiß als eine Anlehnung an die Tradition des Streitgesprächs erklären müssen, wenn sich die vrouwe zum Schluß mit der Bitte um einen Rat an den Dichter wendet (247-2 5 8)9B und ihn damit gleichsam in den Rang erhebt, den er sich selbst zuerkannt wissen will. Es geht aber nicht mehr um die Schlichtung des Streitgesprächs, das die Frau geführt und das längst zu einem versöhnlichen Abschluß gekommen ist, sondern um die Frage ihres künftigen Verhaltens: wie könnten die Männer es erfahren, daß sie nun - wie es Andreas ausdrücken würde - zu den Veneris operibus nicht mehr inutilis sei, und weiter: wie könnte eine Wiederholung des erlebten Geschicks verhindert werden. Der Dichter weiß dafür Rat und praktische Hilfe, und damit wechselt er, wie die einleitende Garten-, Rosen- und Verborgene-Tür-Metaphorik schon erwarten ließ, am Ende aus der Rolle des Erzählers in die des Liebhabers über, dem - mit dem R O S E N D O R N ZU sprechen - seine Rose schließlich zuteil wird. Aber er versäumt es, dies in dem angemessenen Bilde zu sagen (vgl. 26off.) - auch darin liegt wohl Parodie, die es liebt, ihr Muster in eine niedere Ebene zu transponieren. 91

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Vgl. in diesem Zusammenhang auch die parodische Autoritätsberufung beim .Urteil' in der TEUFELSACHT, dazu S. 249. Bei Andreas Capellanus hat man oft den Eindruck, daß diese Urteile - Damen von höchstem Rang in den Mund gelegt - vom Mann aus gesehen Mittel der Verführung darstellen. So kann sich auch die vrouwe in der F R A U E N L I S T erst nach diesem Rat ( = Urteil) ihres Herzens zur Hingabe entschließen. Jeanroy und Brandin a. a. O. S. V I I : „II n'est pas certain que les ,juges' nomm6s dans les envois aient prononce un jugement reel. C'etait plutöt une maniere d'hommage rendu ä des personnages de marque." Vgl. etwa die .Altercatio Phyllidis et Florae' (CB Nr. 92); vgl. Anm. 101. Im .Liebeskonzil zu Remiremont' ist es die .Kardinälin'. Zur Rolle des Dichters als .Richter' vgl. zu den DREI LISTIGEN FRAUEN I und II S. 301fr. Ähnlich in .Minne und Gesellschaft' (s.o. S. 302 Anm. 13): der Dichter gibt die Aufgabe der Urteilsfindung an das Publikum oder die Gesellschaft weiter. In einem Streitgedicht um den Vorzug von .Frauen und Jungfrauen' (LS II, S. 341fr.) fällt ebenfalls der Dichter das Urteil.

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3· Imitation des Höfischen durch unhöfische Personen Die Parodie übernimmt bekanntlich Formen (oder Formulierungen) aus ernsten Vorbildern und verwendet sie für die Darstellung komischer Stoffe. Der Effekt beruht vor allem auf dem bewußt angestrebten , Stilbruch', der entsteht, wenn die übernommene Form ihrem ursprünglichen Sinn entfremdet wird und in neuem, burleskem Zusammenhang erscheint. So imitiert die Schwankfigur öfters eine äußere Form; ihr Sinn aber, den sie für den .Eingeweihten' hat, bleibt ihr verschlossen. Dabei wirkt die Komik in den ,höfischen' Schwänken natürlich am überzeugendsten, wenn der Rollenträger selbst ein ,Außenstehender': wenn er eine unhöfische Person ist. Auch deshalb sind diese Rollen gewöhnlich mit Vertretern niedriger Stände, meist mit Bauern, besetzt. Sie sind bemüht, sich in Verhalten und Ausdrucksweise als höfische Personen zu geben, und sie treten damit aus ihrem ordo heraus.96 Die Kluft zwischen äußerer Form und dem Sinn, den sie ausdrückt, ist also zugleich eine ständische: darin liegt das spezifisch Mittelalterliche der komischen Wirkung.97 So parodiert der Schwank vom R E I H E R in formal vollendeter Weise die Beizjagd, indem ein Bauer nach dem Vorbild des ritterlichen Jägers mit einem .abgerichteten' Hahn einen Reiher fängt, seinen Herrn zu diesem höfischen Mahl einlädt und schließlich in dem Versuch, den vornehmen Gastgeber zu spielen, scheitert.98 Einen ähnlich parodistischen Sinn haben einige - trotz des sehr ernsten Gehalts99 - schwankähnliche Szenen aus dem H E L M B R E C H T mit der komischen Märengattung gemein. Wenn etwa Lemberslint . . . neic gegen dem winde der da wate von Gotelinde (i46if.), so ahmt der bäurische Räuber damit eine vornehme Geste des höfischen Ritters nach (vgl. ζ. B. ,Iwein' 58373".). Dies gilt vor allem für die Begrüßungsszene zwischen dem Brautpaar: die gegenseitige Anrede mit frou und her, den Austausch freundlicher Blicke untereinander (1493ff.; vgl. dazu etwa N L (A) 292 und ,Erec' i49of.) und das Bemühen um eine vor"

Hierher gehören auch die Priester oder Mönche in der Rolle der gescheiterten Bewerber oder Liebhaber. 97 Der Stricker nennt einmal unter den drei Dingen, die got mm are sind, des armen höhvart, diu daz birt, daz er davon ze spotte wirt (in der Ausgabe von Karl August Hahn, 1839, S. 41, X , 1-4). " Vgl. meine Interpretation in der Pretzel-Festgabe, S. 223-238. 98 Der HELMBRECHT gehört dem moralisch-exemplarischen Typ zu.

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nehme Audrucksweise Lemberslints {er schdz sinen bolz mit gevüegen Worten stolz gegen Gotelinde; V. 1497fr.) und Helmbrechts bei seiner ersten Heimkehr. Parodisch zu verstehen ist auch, wie Wernher die Beschenkung des Brautpaars durch zahlreiche Wiederholungen (adnominationes) von abgewandelten Formen des Wortes geben beschreibt. Der Vorgang des reichlichen Beschenkens bezieht sich als ein Akt ritterlicher milte ursprünglich auf die Fahrenden als die Empfänger dieser Gaben, auf das varende volc, auf die swache diet (vgl. ,Erec£ 2i66ff.): also auf eine sozial niedere Schicht, nicht auf die Brautleute selbst, die hier im H E L M B R E C H T erhalten, was sonst die armen Leute bekommen (Ζ. B. getragene Kleidung). Doch weder im H E L M B R E C H T noch in den reinen Schwänken bedeutet dies eine Verspottung des Bauernstandes überhaupt. Man knüpft an die Rolle des Bauern als der traditionell komischen Figur an,100 wie denn die Schwänke an seinem Beispiel mehr humoristisch allgemein menschliche Schwächen zeichnen, ohne gleich in satirischer Schärfe die Überschreitung der ordo-Grenze anzuprangern wie in dem moralisch-exemplarischen Märe vom H E L M B R E C H T . Der schwangere Mönch, im gleichnamigen Schwank mit dem Thema (männlicher) erotischer Naivität, wächst in der Abgeschiedenheit eines Klosters auf und wünscht eines Tages, angeregt durch die Lektüre der Worte der Minne bant, zu erfahren, was die Minne sei. Er reist daher mit einem Knecht in die nächste Stadt, wo dieser eine Seemannsfrau kennt, die bereit wäre, den jungen Mönch gegen Bezahlung in der Liebeskunst zu unterweisen. Das Unternehmen scheitert an der allzu großen Einfalt des Mönchs. Daß auch diese vor allem in ihrem zweiten Teil äußerst drastisch ausgeführte Geschichte auf ein Publikum zugeschnitten ist, das noch in der ritterlich-höfischen Bildungstradition steht, zeigt vor allem eine Stelle, in der der Mönch aus der gastlichen Aufnahme und guten Bewirtung im Hause der Frau folgert: 92

... hie mag wol sin der Minne hof und ir gewalt...

Dieser Begriff setzt die Bekanntschaft mit jener Institution' der Minnehöfe voraus, bei denen höchste adlige Kreise in geselligen Zirkeln zusammenkamen, um über pikante amouröse Themen amüsante 100

Vgl. F. Martini, Das Bauerntum im deutschen Schrifttum von den Anfängen bis zum 16. Jahrhundert, in: D V j S . Buchreihe, Bd. 27, 1944.

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Diskussionen zu führen. Der besondere Witz dieser Anspielung im SCHWANGEREN MÖNCH liegt vor allem darin, daß der junge Ordensbruder in seiner Naivität für Wirklichkeit hält, was nicht mehr als ein anspruchsvolles gesellschaftliches Spiel war. 101 Im Anschluß an das Chrestiensche recreantise hatte sich der Begriff des verligen102 gebildet, der in einem einzigen Terminus die höfische Minne-Ehe-Problematik vor ihrem gesellschaftlichen Hintergrund umfaßt. Das verligen bedeutet Ehrverlust, weil sich der Ritter dadurch den Pflichten, die ihm seine Berufung auferlegt, entzieht. Im Schwank erscheint dieser Begriff in die sozial niedere Schicht verlegt, und er wird dadurch parodisch verzerrt. Worin besteht die Pflicht des Bauern? Unter anderem darin, die Tiere zu hüten - das zeigt in der KalogreantEpisode des ,Iwein' die Rolle des Wildhüters, eines Prototyps des außerhöfischen rusticus. In diesem Zusammenhang will eine Stelle aus der MEIERIN MIT DER GEISS gesehen werden: die Frau gibt, um ihrem Rittergeliebten unbemerkt Eintritt ins Haus zu verschaffen und dazu ihren Ehemann zu entfernen, seinem Boten den Rat, der schuolcere des Ritters möge sich mit einer Geiß des Bauern, nach der des Nachts die Wölfe graben, zu schaffen machen: 107

,so diu geiz dann ersehnt, so weiz ich daz er (der Meier!) niht verlit, er loufet alles binden nach und ist im vil sere gach. er schrit: ,heia, wol uz!' so springe der ritter in daz hus.'

A u c h Helmbrecht spricht in der Manier des Ritters, wenn er versichert: ich wil mich niht durch wip verligen (328). Während der Meier, der auf das Tier acht gibt, in seinem Stande seiner Pflicht nachkommt und nicht verlit (vgl. ,Iwein' 279off.), wird der mit seiner Frau wieder zusammengeführte Bauer in DER GEVATTERIN RAT sozusagen ein Opfer übermäßiger Minne (vgl. ,Erec'): 568

Sus lac er bi dem mibe vil lange naht unde tac.

101 Y g ] ρ Schlösser S. 582 und die dort genannte Literatur. Huizinga S. I04f. Die Fiktion des Minnehofes kennt auch die ,Altercatio Phyllidis et Florae'. Vgl. zu den S. 249 Anm. 22 genannten Stellen noch Str. 77 (aus CB 92): Amor habet indices, amor habet iura·, sunt amoris indices Usus et Natura; istis tota data est curie censura, quoniam preterita sciunt et futura. 102

,Erec' 2971.

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swie vil er bi ir gelac, des endübte in allez niht genuoc. er lie den wagen und den pfluoc so lange dar umbe stille stän, daz ze im begunden gan sine vriunde alle unde jähen, dd si in ligen sahen, er wolde gar verderben, und hiezen in werben als einen andern sinen gendz. Hier spielt sich in bäuerlicher Sphäre ein analoges Geschehen wie im ,Erec' ab: Ungezügelter Liebesgenuß (übrigens ebenfalls in der Ehe!) führt den Bauern zur Vernachlässigung seiner ,beruflichen' Pflichten, die ihm sein Stand auferlegt - nichts anderes bedeutet er lie den wagen und den pfluoc, denn der Pflug ist das ständische Attribut des Bauern, das Symbol seines ordo. Und wie im ,Erec' stößt sich schließlich die ,Gesellschaft' (sine vriunde alle) an der Vernachlässigung der Pflicht und fordert den Säumigen auf, ihr wieder nachzukommen wie jeder andere seines Standes. Doch anders als im ,Erec' findet diese Mahnung bei ihm kein Gehör, und so scheitert er auch darin, der lantliute spot (624) in allen sinen jaren (638) zu überwinden: seine Ehre wiederherzustellen. Erfolgreicher als diese beiden Bauern ist ein junger Bursche im M I N N E D U R S T , denn er spielt die Rolle des Liebhabers und nicht die des Ehemanns. Obgleich das ständische Milieu (in einem dorfe) hinreichend bestimmt ist, weist das Verhalten des jungen Mannes Züge höfischer Stilisierung auf: er ist ein vrecher stolzerjungelinc, ist bewandert in der Kunst des sagen unde singen und treibt mit seiner Geliebten, der Meierstochter, vil kalle die zuo der minne horten·, also ,Minnekonversation' auf bäurischer Ebene. Als er die Geliebte, die auf Geheiß ihres Vaters einem andern, reicheren Manne zur Frau gegeben wird, um ein Stelldichein bittet, weiß er seinen Wunsch mit vuoge (25) in feinen Umschreibungen vorzubringen (76-86). Die junge Braut bittet ihn, als Erkennungszeichen in der Nacht das Lied zu singen, daz du mir sit dick hast gesungen, sit der vart, daz ich von erst din triutel wart (98ff.). Der jungelinc versteht sich also auch auf die Kunst des Minnesangs - bis hierher geht die höfische Stilisierung der Liebenden. Das Burleske setzt vollends ein, als der Ehemann infolge zu starken Essens und Trinkens, wie es nach Auffassung der Schwanke für die Bauern

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charakteristisch ist,103 am Abend zur Liebe unfähig ist (vgl. 154-159) und es für den Liebhaber um so leichter wird, das ius primae noctis für sich wahrzunehmen {den ersten nutz nam er do in 194), und zwar - nach Bauernart - dreimal hintereinander. Darauf mahnt ihn die junge Frau, innezuhalten: 250 e es min man werd innen, daz unser liebe blibe rein, wager ist, mit lieb ein klein dan micbel vröud mit ungemach. Und sie begründete ihre Bitte mit der Beweiskraft einer Sentenz: 259

. . . trutgeselle vruot, maz ist zallen dingen guot, als ich ez vernomen han.10i

Dies also ist die maze der Bauern! Es bleibe dahingestellt, ob dieser burleske Vorgang jene „Regel" der Minnelehre parodiert, nach der eine Frau auch nach ihrer Eheschließung ,verpflichtet' ist, ihrem bisherigen Liebhaber (der nicht mit dem Ehemann identisch ist!) weiterhin die Treue zu halten.106 Die junge Frau beabsichtigt dies jedenfalls, daz unser liebe blibe rein heißt zunächst,damit unsere Liebe auch weiterhin unentdeckt bleibe', rein ist nach der Terminologie der Minnedoktrin frei von moralischem Nebensinn. 106 Neben diesen mehr motivlichen parodischen Anspielungen kann eine bestimmte topische Redeweise aus der ernsten höfischen Dichtung in komischem Zusammenhang der sozial niederen Person in den Mund gelegt werden. So ist die emphatische Formel owe daz ich ie wart 10s v g i_ Pretzel-Festgabe S. 235t. 104

Nachweise zu dieser Formel in ernster Dichtung bei Rosenfeld S. 2jof. 105 Yg] dig j regula amoris bei Andreas Capellanus (Battaglia S. 356): Causa coniugii ab amore non est excusatio recta und das 8. judicium amoris (a. a. O. S. 320 und 322): Quum domina quaedam satis idoneo copularetur amori, bonorabili postmodum coniugio sociatur et suum coamantem subterfugit amare solita sibi solatia negat. Sed huius mulieris improbitas Narbonensis Mengardae dominae taliter dictis arguitur·. Nova superveniens foederatio maritalis non recte priorem excludit amorem, nisi forte mulier omnino penitus desinat amori vacare et ulterius nullatenus amare disponat. Vgl. dazu Schlösser S. 121. Vgl. auch das 17. iudicium amoris (bei Battaglia S. 332). Die Knappen Ot und Claris und die Zofen Alis und Margarida im altfranzösischen ,Flamenca'-Roman tauschen als „neugebackene Liebhaber Schwüre aus, daß sie einander auch als Ritter und domnas (das heißt Wenn sie anderweitig verheiratet sind) treu bleiben wollen" (nach Ilse Nolting-Hauff S. 169). 106 Vgl. .Tristan' 18306 und 18272 (luterlich) sowie die Begriffe amor pttrus und castitas bei Andreas Capellanus; dazu Schlösser S. ii7ff.

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geborn charakteristisch für den höfischen Helden in einer Konfliktsituation.107 Der Schwank überträgt ihn parodisch auf den bedauernswerten Pantoffelhelden, dem eine böse Frau angetraut ist ( B Ö S E A D E L H E I T 8). Mit der gleichen Formel klagt der geizige Bauer, weil seine Frau einem Bettler statt Trank und Speise, die ihr Mann verschlossen hält, ihre Minne: ein W A R M E S A L M O S E N , geschenkt hat (V. 1 0 3 ) . Der W E I N S C H W E L G , der sich allein dem Wein verschrieben hat und dabei immer auf Gegenliebe stößt (vgl. 2 1 9 - 2 2 6 ) , kennt infolgedessen nicht die Nöte und Konflikte des höfischen Liebhabers oder Minnesängers; ihm bedeutet auch der ständige Besitz seiner Geliebten: des Weines, keine Beeinträchtigung seiner Trinklust. Daher kann er die Formel bewußt umkehren: 252 ich kom noch nie an die stat, da ich getrünke mir genuoc. wol der muoter, diu mich truoc.xm Der Dichter der B Ö S E N F R A U , deren Handlung man sich ebenfalls „im Bauernhause"109 vorstellen muß, versteht es, diese Wendung in ebenso geistreicher wie besonders kunstvoller Weise abzuwandeln. Voraus geht die Versicherung des Ehemanns, daß er bei dem Angriff, den seine Frau mit dem Holzscheit (hloch) gegen ihn führt, unweigerlich verloren gewesen wäre, wan der stuol... Es folgt ein hymnischer, mit anaphorischer Häufung auf die Wirkung des movere zielender Preis auf den stuol,110 und er gipfelt in dem Überbietungstopos: 649 bezzer stuol wart nie gebort. Die Parodie ist hier mit dem Stilmittel der Antanaklasis oder Paronomasie erreicht: geborn,111 von dem man auszugehen hat, nimmt durch die fast unmerkliche lautliche Veränderung eine ganz andere Bedeutung an; der Reiz beruht auf dem „(pseudo-)etymoligischen 107 Vgl. ζ. B. ,Iwein' 1469, ,Partonopier und Meliur' 7962fr., HEIDIN I V I 2 8 i f . , 1436, MORIZ VON CRAUN 426t. Die Wendung stammt vermutlich aus der Bibel; vgl. Mt. 26, 24 Bottum erat ei si natus non fuisset homo ille. χοβ Ygi_ dazu .Partonopier und Meliur' 1 2 8 4 ! ez was eilt übel stunde daz mich diu muoter min gebar; ähnlich 7962fr. Diese oder eine ähnliche Formulierung (etwa ,Salman und Morolf' 2, 4f.) hat wiederum das Muster für das parodistische Bekenntnis am Eingang der BÖSEN F R A U geboten: Ez was ein süeziu stunde, do got der e begunde. 109 110

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Ehrismann, Schlußband S. 1 1 5 . Der Dichter bedient sich hier also der dem ornatus difficilis zugehörigen rhetorischen Figur, die im Schwank naturgemäß nur parodische Wirkung haben kann. Als Frauenschelte in der FRAUENZUCHT 60: daz erger wip nie wart geborn.

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Spiel". 112 Der Stuhl hat für den in der Verteidigung kämpfenden Ehemann dieselbe Funktion wie der Schild für den Helden aus der heroischen Dichtung (vgl. 515-518 und 527-529). Überhaupt werden heldenepische Stilmittel im Schwank stets von der sozial niederen Schicht verwendet. So sind die „Gegenstände des bäuerlichen Haushalts" (de Boor III, 1 S. 284), mit denen der Kampf gegen die böse Frau ausgefochten wird, zugleich Attribute des Bauern (vgl. den übersticke·, B Ö S E F R A U 5x5). Neben der bekannten Einteilung in Aventiuren oder Klagen mit den charakteristischen Schlußformeln (294, 310, 328), die sich einmal auch der Autor des S C H W A N G E R E N M Ö N C H S in freilich weniger kunstvoller Form zu eigen macht,113 und neben den direkten Anspielungen sind es vor allem Apostrophierungen des Publikums durch Fragen oder andere Aufmerksamkeitserreger, die aus der Heldenepik stammen:114 Welt ir nu merken hie zehant 351; Hceret aber alsam e 415 (vgl. 495);gesahet ir solch vehten ie? 591 (oder 660). Im H E L M B R E C H T ist der Gebrauch ähnlicher Wendungen, die zugleich gliedernde Funktion ausüben,115 charakteristischerweise auf die Schilderung der hübe beschränkt, die Themen aus der Heldenepik bildlich darstellt.116 Aus der Heldenepik stammt auch die bekannte Umschreibung des Liebesaktes nach Art eines Kampfes 117 und die ,burleske Genealogie'. Zur M E T Z E N H O C H Z I T werden auch alle Verwandten der Braut eingeladen: 73 Dar kamen Mätzen frünt vil: Peter Durst und Besmanstil, Koupp und och Kiliantz, Sifrit und sin bruder Mantz... 112 Vgl. Lausbetg § 637. us Vgl. 2ziff. Dar nach ein wenik vor dem tag(e) huop sich der vrouwen dritte klag(e), Daz si von im versumet was; eine lezzen si im dä las Mit siegen, daz was diu dritte not. 114 Vgl e t w a Gudrun' 563, 951, 1335, 1339. 115 weit ir nü hoeren waz dästät 20. Diese Wendungen (44, 57,72, 82,104) stehen jeweils an solcher Stelle, wo die Schilderung einer neuen Partie der hübe beginnt: 42ff. gegen dem zeswen oren, 57t. anderthalp (also links), 72-75 binden; 86 vor ... von dem zeswen ören hin unz an daz lenke; 104 leitet den Abschnitt über die Herkunft der hübe ein. Von der Funktion dieser Formeln her wird wahrscheinlich, daß V . 20 am Beginn der detaillierten Haubenschilderung stehen muß, folglich die V v . 21-24, die ohnehin nicht an diese Stelle passen, umgestellt werden müssen (wohl zwischen V. 8 und 9). V v . 25 und 26 sind entbehrliche Flickverse. 116 117

Vgl. HELMBRECHT 28-81. Vgl. 2. B. HELLERWERTWITZ 8gfT., die Nachweise bei Rosenfeld S. 75 und besonders M E T Z E N HOCHZIT 2 7 3 f f .

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und es folgt eine ganze Reihe sprechender Namen wie Albrecht der Rintscbuoch, Meier Hug und Eseltrib oder Burckhart bi der wisz, schließlich Albrecht der resse, Ortlieb der hiin Und siner brüder nun: Disz was fro Mätzen geslächt. Ähnlich ist es zu beurteilen, wenn der betrogene Ehemann im P F A F F E N MIT DER S C H N U R seine Frau vor ihrer ganzen Verwandschaft des Ehebruchs anklagt: er sprach vor dem gesiebte (383). Im Ganzen werden heldenepische Stilmittel im Schwank nicht allzu häufig benutzt.118 Sie sind seit der höfischen Dichtung unmodern, unhöfisch geworden. Gerade deshalb aber erscheinen sie dem Schwankdichter geeignet für die parodistische Karikatur des Bauernstandes. Gewiß - das Heldenepos erlebt in der Spätzeit eine neue ,Blüte'. Aber auch in ihm sind zahlreiche parodische Elemente enthalten, die nun auch die heroischen Gestalten selbst mit einbeziehen wie die Gestalt Kriemhilds im ältesten ,Rosengarten', eine „vollends parodistische Kritik an der Gestalt der artushaften Minnedame".119

4. Parodischer Umgang mit Legendenelementen Die Parodie in den Schwänken oder in den komischen Redeszenen schöpft aus allen Hauptgattungen der höfischen Dichtung. 120 Wie die weltliche höfische Dichtung hat auch die Legende mit einzelnen Motiven oder ihr zugehörigen Topoi wie dem des illitteratus (S. 243fr.) formale Muster für burleske Parodien geliefert. Bei den zuletzt besprochenen Beispielen war die parodistische Sinnentfremdung der übernommenen Formelemente dadurch entstanden, daß eine unhöfische Person sie nachahmt. Der gleiche Effekt wird erreicht, wenn eine durchaus ,unheilige' Person wie ein Trunkenbold nach scheinbarer Selbsteinkehr beschließt, frommer Einsiedel zu werden, und so zu Anfang des Schwanks vom D U R S T I G E N E I N S I E D E L des Strickers - bestimmte äußere Verhaltensweisen, Reden oder Gebaren echter Legendenheiliger annimmt, ohne den inneren Sinneswandel mitzuvollziehen. 118

Ü b e r Stilmittel der chansons de geste i m Fabliau P. N y k r o g S. 85fr. und J. R y c h n e r I S. 8 1 ; v g l . auch Rychner, L a Chanson de geste, essai Sur l'art i p i q u e des jongleurs (Societe de publications romanes et frangaises L I I I ) , G e n e v e u n d Lille 1955 S. 129.

119

de B o o r III, 1 S.

120

A u s der thematischen G r u p p e der mittelhochdeutschen Trunkenheitsliteratur paro-

14o.

diert der WEINSCHWELG in verschiedenen A b s c h n i t t e n geistvoll T h e m e n der höfischen L y r i k , besonders des Minnesangs. D i e A n s p i e l u n g e n sind so zahlreich, daß sie hier nicht dargestellt werden können.

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Die Komik dieses Stücks wird in mancherlei Einzelzügen erst vollends deutlich, wenn man sie vor dem Hintergrunde einer Legende sieht. Der Trinker gebärdet sich wie ein zu innerer Selbsteinkehr gelangter reuiger Sünder. Schon wenn seine Sünden genannt werden: 3 er begie solche unmäze mit trinken und mit vräze und mit unstater minne, daz er alle die gewinne ze jungest gar verzerte so sind damit jene drei Bereiche menschlicher Begierden angesprochen (der Nahrungs-, Liebes- und Besitztrieb), die der Sünder im Akt der Buße oder der Mönch mit dem Gelübde des Fastens, der Keuschheit und der Armut überwinden muß.121 Während Gregorius sich jeder Nahrungsaufnahme enthält und dennoch in wundersamer Weise durch jene spärliche Quelle auf dem Felsen am Leben erhalten wird, trägt der ,Weltheilige' (Einsiedel) seinen vrimden schon beim Abschied auf: ir suit mir senden iuwer brot (84) - zwar vorerst einmal die Woche, aber seine Festigkeit hält nur an, die wile daz vleisch werte (108). do aber des vleisches ende wart (112; vgl. dazu .Gregorius' 3 444L) kommt der zwivel über ihn, und er verschafft sich in betrügerischer Weise größere Mengen Wein. Vielleicht liegt hier eine schwache, freilich ganz äußerliche Anspielung auf die ^/^/-Problematik des ,Gregorius' vor, wie ja der Trinker auch in den Zustand der contritio verfällt (do begunden in riuwen sere 11), die freilich, wie der Stricker in einer Prolepsis zu erkennen gibt, nicht lange anhalten wird (52). Aber während Gregorius und der arme Heinrich auf dem Höhepunkt weltlichen Glücks und Ansehens zur Einkehr geführt werden, ist es beim durstigen Einsiedel gerade der Verlust des guotes durch verzern (14 und 7). Gregorius begibt sich sogleich, nachdem er seiner Mutter den Weg der Buße gewiesen, ohne Abschied allein in die Einöde; der Schwankheld schwört einen eit vor sinen vriunden allen (25), es wird noch eine Messe für ihn gelesen und die vriunde ziehen mit ihm in den Wald 121

Daher beschwört Gregorius seine Mutter: des lit engelten den llp mit tägelicher arbeit sö daz im sl widerseit des er da allermeiste ger (2722fr.), und er erlegt ihr im besonderen auf: an sptse und an gewande suit ir dem libe entziehen ... (2708t.); ferner: den gelt von iuwerm lande den teilet mit den armen (2728^), und schließlich (ich engesihe iuch niemer me 2743) die Trennung von ihm - als ihren Gemahl (Keuschheit). Als er selbst das Haus des Fischers erreicht, kann Hartmann von ihm sagen, er war ungäz unz an den dritten tae ( 2 77 0 )·

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hinaus: die Entsagung wird zu einer ,Schau'. Die Hohlheit seiner Phrasen versteht der Stricker durch ,ironische' beschwerte Hebungen amüsant zu unterstreichen.128 Humorvoll ist auf das Legendenwunder angespielt: als die Verwandten von dem Entschluß hören, meinen sie hie wil got wunder schaffen (63). Der Eifer, mit dem der Trunkenbold seinen Entschluß in die Tat umsetzen will,123 erinnert an die Ungeduld der Meierstochter im .Armen Heinrich' auf ihrem Wege nach Salerno.124 Während Hartmanns guoter sündare in der Bußleistung oder echte Legendenheilige im Martyrium unangefochten ausharren, gibt der falsche Einsiedel mehr und mehr den stärker werdenden Gelüsten, vor allem der Trinklust, nach und kehrt schließlich wieder in die Gemeinschaft der Menschen, genauer: ins Wirtshaus, zurück, an jenen Ort, dem er mit seinem „Evangelium" 126 und dem Wein Ehre macht. Dem moralisierten Schwank gemäß endet das Stück des Strickers nicht wie der W E I N S C H W E L G mit der Unbesiegbarkeit des Trinkers oder einem Preis auf den Wein, sondern der Einsiedel ist am Ende wieder, was er immer gewesen: ein tor ohne Ansehen und Würde. D I E BÖSE F R A U

Schon de Boor (III, 1 S. 283) hat darauf hingewiesen, daß der Dichter der B Ö S E N F R A U den unglücklichen Ehemann im ersten Teil mit einem Legendenheiligen vergleicht.126 Das Stück ist aber der Legendengattung, und wohl einer ganz bestimmten Legende, darüber hinaus viel stärker verhaftet, als es auf den ersten Blick scheint. Zunächst ist schon, wie oben gezeigt, die Versicherung, ein illiteratus zu sein (sivie ich der buoche niene kan 92), ursprünglich in der Legende beheimatet. Ebenso lehnt sich der scheinbar ernsthafte Einsatz 1 - 1 4 122

128

124 126

128

mir ist bezzer, daz ich üfgebe die werlt, diu mich verleitet hat (i 8f.); und mich enmac hie niht vertriben wan der gewaltige tot (82):.); sit ich ein lerare bin (321) und 324. Vgl. auch U. Pretzel, Vers und Sinn. Uber die Bedeutung der „beschwerten Hebung" im mittelhochdeutschen Vers, in: W W 3, 1952/53, S. 321fr. Seine vriunde vermögen ihn nur mit Mühe dazu zu bewegen, seinen Entschluß noch einmal zu .überschlafen' - er aber schwört, ezn mohte im lenger niht erwern der tlvel noch dehein sin bote, ern wolde keren hin ze gote. diu naht dühte in vil lanc (44fr.). man daz der tvec so verre was daz si so lange genas (105 3f.). Die Leute, vor denen er .predigt' (366), bekennen: disiu edele taberne hat iuwer süezen lere und desguoten wines ere (374fr.). Hier wie bei späteren Vergleichen mit Heroen aus der Heldenepik bedient er sich gern des Überbietungstopos (192, 260, 413, 438).

280

mit seiner geistlichen Thematik (,Es war eine heilige 127 Stunde der Schöpfung als . . . ' ) offensichtlich an die geistliche Dichtung an, und schließlich erinnert das (ironische) .Bekenntnis' des Dichters, er werde mit seiner Frau nicht in die Hölle kommen,128 an den in der Legende beliebten confessio-Einsatz.129 Am Morgen nach der Hochzeit erhält das junge Paar ein merkwürdiges Gericht: 28 do wart ein phännel dar getragen mit eiern in dem smalze; daz was mit einem salze gesalzen, heizet riuwe; daz smalz was untriuwe, diu eier angest unde not. Auch die Methode der allegorischen Auslegung, wie sie hier - und im folgenden am bröt und rnoräz - geübt wird, stammt aus der geistlichen Praxis. Eines ähnlichen Auslegungsverfahrens hatte sich Hartmann von Aue in dem Exemplum bedient, das er im zweiten Teil des ,Gregorius'-Prologs nach dem Vorbild dreier biblischer Gleichnisse130 und im Anschluß an die mittelalterliche Exegese gestaltete und seiner Erzählung voranstellte. Ohne hier die verwickelten Beziehungen zu den Gleichnissen und zur Exegese im einzelnen nachzuzeichnen,131 sei daran erinnert, daß Gott dem in die Gewalt der Mörder geratenen Mann - für den Verlust seiner leiblichen Kleider - zwei ,allegorische' schickt: gedinge und vorbte (spes veniae und terror poenae); dazu stärken ihn diu geistliche triuwe gemischet mit der riuwe·. sie sind Begriffe der Bußleistung (poenitentia) und bilden den Anteil des Menschen, den er dazu tun muß, um vor Gott Vergebung seiner Sünden zu erlangen, si (diu geistliche triuwe und 127

Zur Bedeutung von süeze (vgl. auch das Zitatin Anm. 125): U. Pretzel, Das mittelhochdeutsche Wörterbuch, in: Das Institut für Deutsche Sprache und Literatur. Vorträge gehalten auf der Eröffnungstagung. Dt. Akad. der Wiss. zu Berlin, Veröffentlichungen des Inst. f. Dt. Sprache und Lit. 1, Berlin 1954, dort S. ii4f. 128 Auch die Begründung dafür ist geistlich: ez mac wol wesen ein lip beide ich und min αήρ (ijf.); vgl. Gen. 2, 24 und Eph. 5, 31. Ähnlich im ,Erec' j826f. ΐ2β Y g i dazu jjjg g. 59, Anm. 9 genannte Arbeit H. Brinkmanns S. 20 und die confessio zu Beginn des .Gregorius'-Prologs. 130 Nach Anke Bennholdt-Thomsen, Die allegorischen kleit im .Gregorius'-Prolog, in: Euph. 56, 1962, S. 174-184, hat Hartmann neben dem Samariter-Gleichnis und den Gleichnissen vom verlorenen Schaf und Groschen auch das Gleichnis vom verlorenen Sohn (vgl. Lk. 15, 20 und 22) verwendet. 131 y g i . dazu die klare Darstellung von A . Bennholdt-Thomsen a.a.O. sowie die bekannten älteren Untersuchungen zu diesem Problem, die dort genannt sind.

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riuwe und - nach A. Bennholdt-Thomsen - auch gedinge und vorbte, auf das sich das si ebenfalls bezieht) gießen dem halbtoten Mann, dem Sünder also, öl unde win in seine Wunden (Lk. 10, 34).132 Der ,Buchstabensinn' von Öl und Wein wird im Anschluß an die Exegese als gnade und e ausgelegt;133 anderseits sind geistliche triuwe und riuwe ebenfalls Deutungen von öl und win.13i All diesen Begriffspaaren ist also eine gewisse Antithetik gemein, die in dem Gedanken: Sündenvergebung nach geleisteter Buße, wurzelt. Sie äußert sich auch darin, daß der sündige Mensch die Wirkung jener .Heilmittel' (salbe) der gedinge, der geistlichen triuwe, des öls, der gnade als angenehm, als unmittelbar wohltuend und heilend - die Wirkung aber der vorhte, der riuwe, des wines in den Wunden, der e zunächst als schmerzhaft empfindet, wiewohl auch sie - auf mittelbarem Wege - heilend: sündenerlösend wirken. Hartmann beschreibt die Wirkung dieses Heilmittels mit seinen gegensätzlichen Elementen so: diu salbe ist linde und tuot doch we, daz öl diu gnäde, der win diu e (13 if.). Angenehm, lindernd wirkt das Öl, die göttliche Gnade; aber der Wein, die Verbildlichung des göttlichen Gesetzes vor allem in seiner strafenden Gerechtigkeit, wirkt (zunächst) scharf und ätzend in der Wunde: er tuot doch we - wie die Bußleistung, die den Menschen wieder in die Gnade Gottes zurückführt.138 Erinnert nun in der B Ö S E N F R A U zunächst die Auslegungsmethode, die hier ebenfalls zwei Wörter geistlich ausdeutet, an den ,Gregorius'Prolog, so kommt hinzu, daß die Begriffe selbst: riuwe und - in der 132

Vgl. .Gregorius'

129 si guzzen im in die munden sin beidiu öl unde min·, diu salbe ist linde und tuot doch ml, daz öl diu gnäde, der min diu e. die der sündare haben muoz\ so mirt im siechtuomes buoz. 183 Und zwar als suavitas veniae durch Haimo (778-85 3) in M P L 118, 6 7 4 B und als morsum districtionis durch Gregor den Großen in M P L 76, 143. Dies nach A . BennholdtThomsen, a.a.O., S. 182. im Vgl A . Bennholdt-Thomsen, a.a.O., S. 183 und Zwierzina, in: Z f d A 37, 1893, S. 406. las Vgl. dazu auch Α . E . Schönbach, Uber Hartmann von Aue, 1 8 9 4 , S. I 2 i f f . Es ist das asperitatis aliquid bei Hieronymus, die asperitas poenitentiae bei Haimo. Noch ein später, von Klaus Lange, in: Z f d A 95, 1966, S. 98, Anm. 6, zitierter Beleg aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts spricht von der tröstlichen Salben-Büchsen des mähren Samariters / der nach beissendem scharffen Wein des Gesetzes / das Schmertzen lindernde Oel des Evangelii / auf die tiefen Sünden = Wunden des Hertzens und Gemissens geusset. Zum Öl vgl. auch Friedrich Ohly, Vom geistigen Sinn des Worts im Mittelalter, in: Z f d A 89, 1958/59, S. 1 - 2 3 , dort S. 8, und ferner Walter Ohly, Die heilsgeschichtliche Struktur der Epen Hartmanns von Aue, Diss. Berlin 1958, besonders S. 2of. und S. 35.

282

Negation - untriuwe (BÖSE F R A U 3 if.), an die von Hartmann verwendeten Kernbegriffe der poenitentia anklingen. Wie dort, so stehen sie auch hier, und vorher schon einmal in 15f., im Reim zusammen. Sind bei Hartmann triuwe und riuwe Deutungen von öl und win, so werden salz und smalz in der BÖSEN F R A U als riuwe und untriuwe ,geistlich ausgelegt'. Es bleibt kaum zweifelhaft, daß das smalz eine parodische Anspielung auf das Öl der Gnade und das salz, das da heizet riuwe, den parodischen Bildersatz für den Wein der strafenden Gerechtigkeit Gottes darstellen. Die ,edleren' Wörter öl und win wären hier also in eine niedere Stilebene (wohl die des Bäurischen138) umgesetzt - ein,methodisches' Verfahren der Parodie, das des öfteren zu beobachten ist.137 Das tertium comparationis wäre: die analoge Wirkung und die Entsprechung des geistlichen Sinns der Wortbedeutungen. Denn dem Wein wie dem Salz ist eine ätzende Schärfe138 gemein, die tuot doch we, und beide Bilder, win und salz, werden in beiden Gedichten allegorisch mit der riuwe verbunden. Wie der Wein kann auch das Salz neben seinen vielfältigen Bedeutungen in der geistlichen Bildersprache eine Form der Bußleistung umschreibend ausdrücken, so wenn es im ,Trudperter Hohen Lied' (Ausg. von Menhardt 114, 29ff.) heißt: also vilsodazflaisk machunstinchente sin äne den rouch undäne salz, also uil mach der gaistliche menniske sin äne daz salz der rafsunge unde äne den rouch der bechorunge. Wieder ist die rafsunge, die castigatio, etwas, was dem Menschen wehtut wie das Salz (oder der Wein in der Wunde), ihm aber zur Tugend verhilft.139 In der ,Deutung der Meßgebräuche' 186

In einem Neithart zugeschriebenen Gedicht in MSH III, 311a heißt es: mir vrezzen dannen hundert eter in einem smalz gebachen. Vgl. auch Hätzlerin i, 91, 176 vierhundert air in ainem schmaltzgepachen. Menge und Art der Speise charakterisieren hier den Bauern; vgl. dazu Pretzel-Festgabe S. 254fr. In SCHRÄTEL UND WASSERBÄR (GA 65) bewirtet der Bauer seinen Gast u. a. mit eijer unde smalz (156); vgl. auch HELMBRECHT 172. is7 Ygi den burlesken Bildersatz für die geistgelenkte und geschlechtliche Liebe (daz ober und daz nider teil in der HEIDIN) durch scharte und vut im WEISSEN ROSENDORN; den Ersatz ritterlicher Waffen durch Gegenstände aus dem bäuerlichen Haushalt oder Gewerbe etwa in Wittenweilers ,Ring', in METZENHOCHZEIT oder auch in der BÖSEN FRAU (Stuhl statt Schild, Stock statt Schwert usw.); ein Hahn ersetzt im REIHER bei der .Beizjagd' den Falken oder Habicht. Im PFAFFEN MIT DER SCHNUR wird der Ehemann in einen teictroc gelegt - wie sonst ein Toter in einen Sarg (wie denn diese Szene an den B E G R A B E N E N E H E M A N N erinnert). 138

Wie im übertragenen Sinne auch der Reue: Parzival fragt Trevrizent, ob sein Herz mag... davor rnsen ganz, daz diu riuwe ir scharpfen kränz mir setzet uf werdekeit (461, i6ff.). u» Vgl. noch .Trudperter Hohes Lied' 62,12ff.: also uil sä dazfleischmach unstinchinte sin äne salz, also uile mach der menniske sine tugent gehaben äne bechorunge. 283

kann der sündige Mensch im Salze der Erde wieder zum Seelenheil zurückfinden.140 Bedeutet also das salz - in Analogie zum win - riuwe, so wird anderseits das smalz als die Karikatur des Öls (also der triuwe, die zur Gnade führt) in parodischer Umkehr als untriuwe (die entsprechend nicht zur Gnade führen kann) ausgelegt. Die folgende Ubersicht möge die Korrespondenz der Begriffe bzw. ihre absichtliche Entstellung veranschaulichen: B E G R I F F E in der Exegese: spes - terror (timor) poenae

im .Gregorius': gedingt - vorhte

in der Bösen F r a u : gedinge - es bleiben: gibt es nicht angest unde not

geistliche - riuwe triuwe

mtriuwe

BUCHSTABENSINN: oleum - v'tnum

öl

- am

smalz

(BEGRIFFE)

(gnäde

- e)

(fehlt: es gibt hier ebensowenig gnäde wie gedinge!)

WIRKUNG:

linde

- tuot doch me (Schärfe)

(die Wirkung von smalz und salz ist ähnlich zu denken - zu salz s. o. nur daß die linde Wirkung des Schmalzes hier ebenso wie die andern Begriffe der .Gnade' entfällt).

B E G R I F F E der poenitentia: propositum141 - attritio

- salz (eier)

Daß man in der BÖSEN F R A U den Begriff der riuwe, der zunächst vordergründig das ,Leid' (auch den Schmerz) des Pantoffelhelden meint, und den der untriuwe auch unter dem Aspekt des Seelenheils und der ewigen Verdammnis sehen muß, darauf weisen mehrere Stellen hin, so gleich eine zu Anfang des Prologs, die - scheinbar noch ernsthaft - die eheliche Eintracht zwischen Mann und Frau als Voraussetzung für die himmlische Seligkeit nennt (γίϊ.). Sodann verwünscht der Dichter (88fF.) die Pfaffen, den Papst und die Kardinäle, die dem Manne die Scheidung von einer bösen Frau nicht erlauben; 140

141

ZfdA i, 1841, S. 270-283; Neuausgabe jetzt von G. Melbourn, in: Studia neophil. 18, 1945/46, dort S. 80 (Vv. 148fr.): ich hin uil dicche geuallen, unde sint mir ivol chunde mine uerchwnden, iedoch moht ich geheilegot werden in dem salze der erde. Nach Hildegard Nobel, Schuld und Sühne in Hartmanns .Gregorius', in: ZfdPh 76, 1957, S. 42-79, dort S. 51.

284

denn dieser

wandet 95

würde es ihm weit eher ermöglichen, zu

behalten sele unde Up, danne ob er ein übel wip sol haben unz an sinen tot. daz ist zweier hande not, der sele und ouch des libes.142

Leid und Schmerz auf dieser Welt, Verdammnis der Seele in jener das ist das Schicksal des unglücklichen Ehemanns. Denn er fährt, vielleicht wiederum in Anlehnung an den ,Gregorius'-Prolog,143 fort: ioo

des sinen übelen wibes gefreut er sich niht halben tac und dar zuo der sele slac: der vergizzet er vor zorne; des ist si diu verlerne.

Ein übel wip behandelt ihren Mann so schlecht, daß er v o r Zorn 1 4 4 nicht mehr an die Rettung seiner Seele denkt. Den Zorn und alle andern Elemente der Feindschaft wie haz, gewerre, nit, heizmuot, strit haben er und die Frau mit dem ,Unminnetrank',148 dem moraz,14e in sich aufgenommen; seine Wirkung ist, wie die des Minnetranks im ,Tristan' unaufhebbar.147 All diese Eigenschaften sind Sünden, die den Weg zur ewigen Seligkeit versperren; deshalb werden sie in der 142

Ähnliche Argumente kommen in einem Vagantenliede vor: vere conjugium est summa servitus; duplex angustia carnis et spiritus (Walter Mape, Nr. 17, Str. 32 auf S. 8ζ der S. 304, Anm. 19 genannten Ausgabe von Th. Wright). Darüber wie über die Verwurzelung der BöSE-FRAu-Thematik in der geistlichen Literatur des Mittelalters vgl. Kapitel V, dort S. 315L und S. 316, Anm. 64. 143 Y g j 2 8ff.: und solde im sin sele weren äne Sünden slac unz an den jungisten tac... Die Fortsetzung dieser Stelle: so hate er niht ze vilgegeben umbe daz ewige leben... erscheint in der BÖSEN FRAU beim Vergleich der Leiden des Pantoffelhelden mit denen des Märtyrers: (i88ff.) nach der buoche meister sage habent si diz kurze leben umb daz ewige gegeben. Ähnlich im .Armen Heinrich' 1146fr.: mich endunke daz der eine tac genuoc tiure si gegeben um daz emge leben. Der Topos ist also wiederum in der Legende zu Hause. 144 zorn ist die Vorstufe des Hasses (gegen Gott). Auch im .Gregorius' kommt er vor (sinen zorn huop er hin zegote 2608), hat aber hier die Bedeutung .innere Zerrissenheit'; vgl. P. Wapnewski, Wolframs Parzival, Studien zur Religiosität und Form, Heidelberg 1955, S. 18 und Anm. 14. 145 Wie ihn de Boor III, 1 S. 284 treffend nennt. 146 moraz (Obstwein) ist wiederum als Umsetzung des Weins in eine niedere Stilebene zu erklären; vgl. auch oben S. 283 und Anm. 137. 147 BÖSE FRAU 44fr.: von dem trinken bin ich ir noch hiute vint und si mir sam und immer mer einander gram.

28}

Beichte aufgeführt.148 Der Zorn ist eine besonders schwere Sünde.149 Wie es diese Stellen wahrscheinlich machen, will der Dichter mit der Allegorese, die das Salz als riuwe und das Schmalz als untriuwe auslegt, etwa sagen: mir ist zwar der Schmerz der riuwe (im weltlichen und im geistlichen Sinne) auferlegt, aber das Öl der Gnade bleibt mir ewig vorenthalten - und damit die Hoffnung auf das Heil meiner Seele. Statt der Hartmannschen vorhte und gedinge bleibt hier nur der terror (timor) poenae, symbolisiert in den eiern, die angest unde not bedeuten.160 Der parodistische ,geistliche' Gehalt der B Ö S E N F R A U liegt also in der prätendierten Überzeugung, daß die Ehe mit einem Übeln wibe unweigerlich in die ewige Verdammnis führe181 - trotz aller riuwe, weil der unüberwindbare Zorn eine Vergebung der Sünden ausschließt; er steht damit in diametralem Gegensatz zur Glaubensgewißheit im ,Gregorius', daß jeder Zweifel an Gottes Begnadigungswillen unbegründet sei, sofern das Vergehen den Sünder von herzen riuwet.1B2 Der erste Teil der B Ö S E N F R A U wäre dann der parodische Gegentypus zum .Gregorius'; der Ehemann kommt sozusagen um den wuocher der riuwe (vgl. ,Gregorius' V.75). Die Allegorie geht noch weiter: das Brautpaar erhält am Morgen außerdem ein bröt... daz was grinen unde zannen, und dazu ein möräz; mit ihm was getempert in ein vaz beide zorn unde haz . . . und die anderen schon erwähnten feindseligen Eigenschaften. Nun sind einmal Brot und Wein als Mahlzeit für das junge Brautpaar (und seine Gäste) aus der T E U F E L S A C H T (224) bekannt, und gewiß stellt der schlechte Obstwein das parodistische Gegenbild zum Minnetrank im .Tristan' dar - das Vgl. 2. B. Benediktbeurer Gl. u. B. (Steinmeyer) II, 15: Ichgie dem almehtigengote, daz ich gesuntet han mit mir selbemo unde mit anderen mennisken, mit zorno, mit nide, mit uientscefie, mit urhmne mit hazze... 149 Deshalb fragt Trevrizent seinen Neffen, der des hazzes vil gein gote bekannt hat, zu allererst (462, 4ff.): sagt mir mit kiuschen witzen, wie der zorn sich an gevienc, da von got iwern haz enphienc. Entsprechend wird im weltlichen Bereich der höfischen Liebe der Zorn zwischen wahrhaft Liebenden immer wieder überwunden: vgl. Andreas Capelanus S. 294 (bei Battaglia), Hartmanns ,Iwein' 8057 und 8093. Die Gräfin im MORIZ VON CRAUN vermag ihren zorn nicht zu überwinden (145 5, I486, 1506) und muß es auf ihre Weise büßen; vgl. dazu K.H.Borck(s. S. 143 Anm.27),S. 500, S. 503 und Anm. 29. 160 Zur Bedeutung von not vgl. die Vv. 98fr. (s. S. 285 und Anm. 142) und ihre Entsprechung zu angustia in dem Yagantenvers. 161 Der ernste geistliche Hintergrund erhellt ζ. B. aus dem S. 157 Anm. 56 wiedergegebenen ,Parzival'-Zitat, in dem der Gedanke von der sündenerlösenden Kraft der rechtmäßigen Ehe ausgesprochen ist. 162 Nur der zwivel selbst, dieser mortgalle zem ewigen valle (ιόγί.), schließt hier die Vergebung der Sünden aus.

148

286

z e i g t sich a u c h an der stilistischen F o r m u l i e r u n g , die das P o l y p t o t o n verwendet. 1 6 3 G l e i c h z e i t i g aber spielt w o h l die V e r b i n d u n g brot u n d mdräz parodisch auf das heilige A b e n d m a h l an, in d e m brot unde win16* gereicht w e r d e n . W i e bereits d u r c h das smalz der mtriuwe alle H o f f n u n g auf G n a d e v e r s a g t blieb, so v e r f e h l t a u c h hier daz lebindige brot, daz hat irstirbet unsern tot185 seine erlösende W i r k u n g . D a s Schicksal der beiden bleibt: angest unde not - das heißt a u c h : Seelennot, d e n n es wart ...

der menniske geladet ze gotes tische, ze dem lebentigen brote daz di

sele nimet uzer note.18β D a s B r o t ist hier nicht das B r o t des L e b e n s , sondern - daz wasgrinen unde zannen - w o h l derpanis doloris (Ps. 126,2). Selbst w o das B r o t nicht unmittelbaren B e z u g z u m A b e n d m a h l hat, ist es S y m b o l der V e r s ö h n u n g , 1 6 7 die diesem Paar vorenthalten bleibt, e b e n s o w i e die V e r g e b u n g der Sünden, f ü r die B r o t u n d W e i n des heiligen A b e n d m a h l s der symbolische A u s d r u c k sind. E i n e D o p p e l b e z i e h u n g z u m ,Tristan' u n d z u r geistlichen D i c h t u n g , w i e sie sich i m mdräz zeigt, liegt auch an der Stelle v o r , w o die U n m i n n e des Übeln wibes g e g e n das v o r b i l d l i c h e V e r h a l t e n Isoldes abgesetzt w i r d , die ihren T r i s t a n nie g e s c h l a g e n habe. D a h e r : 492

swer marterare gedenket, der läze ouch sich erbarmen über mich vil armen.

D a diese Stelle unmittelbar auf die N e n n u n g Tristans (in V . 486) f o l g t , k a n n nicht z w e i f e l h a f t sein, daß hier nicht m e h r (wie in V . 176) allgemein der L e g e n d e n h e i l i g e als T y p u s z u m V e r g l e i c h b e m ü h t w i r d , sondern speziell auf Tristan als den ,Minnemärtyrer' angespielt ist. Bekanntlich bezeichnet G o t t f r i e d L i e b e n d e , die den P f a d der rechten M i n n e gehen, als marterare,168 u n d es ist in diesem Z u s a m m e n h a n g lss 154

daz selbe trinken trunken wir (43); vgl. .Tristan' 11709 den tranc getrunken beide. Die Boten aus Rom im ,Gregorius' führen auf dem Weg in die Einöde win und brot mit sich (3258). Es besteht hier allerdings kein Zusammenhang mit dem brot und möräz d e r BÖSEN F R A U .

156

Hartmanns .Glaube' 897f. Wernhers .Maria' (D) iozjff. 15» Vg], ;Wiener Genesis' 295 5ff.: Des brotes si sament prachen, einen urido under in sprachen, daz si ein andere holt wären, alles ubeles ein andere uerbaren. - König Fores Schwester bietet dem König Salman win unde brät an, daz dich da von nieman scheide, es tu den unser eines tot (Salman und Morolf,' 401, 3f.). Formelhaft wiederkehrend in 206, 3fr. 168 Gottfrieds .Tristan' 17085. Tristan selbst wird - wohl mehr vorausweisend - als verwundeter spilman Tantris zweimal so genannt (7541 und 7648). Konrad von Würzburg hat im H E R Z M Ä R E den Begriff aufgenommen: der sende marterare (260). Vgl. auch Huizinga S. 134.

1M

287

nicht uninteressant, daß de Boor den ,Tristan' Gottfrieds als eine ,Minnelegende' und seinen Helden als ,Minne-Heiligen' gedeutet hat. 159 D o c h zurück zum ,Gregorius'! Nach der confessio stellt Hartmann im zweiten Prologteil das ,imitabile'180 seines Legendenheiligen heraus und spricht dann im Gleichnis von den zwei Wegen, die der Mensch beschreiten kann: der eine, der gemeinliche, ist äußerlich angenehm und bequem; wer ihn beschreitet, dem werden in diesem Leben keine Opfer und Entbehrungen abverlangt: man vert in änes libes not, aber der Weg leitet üf den ewigen tot (8 5 f.). Der andere W e g ist unbequem, eng und beschwerlich zu gehen, aber es ist der scelden sträze, die schließlich breiter wird und zu einem seligen Ende führt: 87 93

So ist der scelden sträze in eteslicher mäze beide räch und enge... unz daz si hin leitet dä si sich wol breitet üz disem eilende an ein vil süezeζ ende (ins ewige Leben).

Das Motiv der beiden Wege, das aus der Bibel stammt (Mt. 7, i j f . ) , ist in mittelalterlicher Literatur weit verbreitet. 181 Der Dichter d e r BÖSEN FRAU h a t es ä h n l i c h , w i e es i m , G r e g o r i u s ' o d e r i m , H i m m -

lischen Jerusalem' vorkommt, in seine parodische Darstellung aufgenommen. Er will das Bild im ,geistlichen' Sinne verstanden wissen: Schicksal des Pantoffelhelden ist der Verlust der Seligkeit. Natürlich kann er das Motiv aus der Bibel oder aus einer anderen geistlichen 169

1,0

161

Die Grundauffassung in Gottfrieds Tristan, DVjs. 18, 1940, S. 262 - 306; wiederabgedr. in de Boors Kleine Schriften I, Berlin 1964, S. 1 3 6 - 1 7 2 , dort S. 147. Zu diesem Begriff vgl. Andreas Jolles, Einfache Formen, 2. Aufl. durchges. von A. Schossig, Halle 1956, S. 29; zur Gliederung des Prologs Brinkmann, in: W W 14, 1964, S. 20. Einige Nachweise: .Himmlisches Jerusalem' in: Die kleinen Denkmäler der Vorauer Handschrift, hsg. von E. Henschel und U. Pretzel, mit einem Beitrag von W. Bachofer, Tübingen 1963, S. 94-123, V v . 457fr. Auch bei den weltlichen Nachbildungen des Motivs ist die ursprüngliche Paradieses Vorstellung noch deutlich: .Tristan' 37®. (Weg der Tugend) und 17087fr. (Weg der rechten Liebe); vgl. jetzt auch Ingrid Hahn, Raum und Landschaft in Gottfrieds Tristan, in: Medium Aevum 3, München 1963, S. 1 2 1 - 1 2 4 . Ähnlich Andreas Capellanus, bei Battaglia S. 20 und 1 1 8 ; vgl. dazu R. Gruenter, in: Euph. 55, 1961, S. 380. Im höfischen Roman: .Iwein' 265f£. (dagegen 599); ,Erec' 78i6f. und 7899-7910, 8521; ,Parzival' 225, 26, 226, 12. Im Schwank: FRAUENZUCHT 348f.

288

Dichtung oder Paradiesbeschreibung genommen haben; doch die Anklänge an die oben zitierte ,Gregoriusc-Stelle sind zumindest wieder auffallend: 166

mir wart dazphat nie enger, daz mich gen freuden leitet; die sträze si mir breitet, diu mich gen riuwen wisen sol.

Die Motiventsprechungen und parodischen Abwandlungen sind deutlich: dort im ,Gregorius' der scelden sträze, die enge, unwegsam, aber mit Mühe und Anstrengung doch gangbar ist; 182 hier daz phat... gen freuden (der weltliche Begriffsersatz für salde !),163 von seiner Frau ihm so eng gemacht, daß er unpassierbar wird, breitet sich die sträze im ,Gregorius' schließlich an ein vil süezez ende, so breitet das übele wip ihrem Mann die sträze, die ihn gen riuwen führt. Man spürt hier die gleiche parodistische Absicht und Methode am Werk wie oben bei der Auslegung von smalz als untriuwe·. der Musterbegriff süezez ende (salde) ist parodisch zu einem Gegenbegriff umgebildet, und riuwe bedeutet hier nicht mehr attritio, sondern sowohl das irdische Leid, mit der bösen Frau verheiratet zu sein, wie das zu erwartende Leid der Verdammnis (perditio). Die sträze ... genriuwen- auch sie symbolisiert, wie der Dichter früher gesagt hatte, zweier hande not, der sele und ouch des libes 98f. Der Mann lebt mit ungemache (198) - wie im ,Himmlischen Jerusalem' der Wanderer des engen Weges ungemach auf sich nahm (468) - aber dennoch (um mit Walther zu sprechen): ihm ist verspart der Salden tor. 162

1,8

Noch einmal kommt im .Gregorius' ein stic (der was smal) na bi einem se ze tal vor (2771t.) - gleichsam in figurativer Erfüllung zur engen Salden sträze des zweiten Prologteils. Denn dieser stic führt Gregorius (über das Haus des Fischers) in die Buße und wird damit für ihn - mittelbar - der Weg des Heils. Das zeigt sich ζ. B. im ,Erec' in der Bezeichnung von Schoydelacurt als Weltlicher Nachbildung eines von der Hölle umschlossenen Paradiesortes; so hatte die Freundin Mabonagrins - wie Erec berichtet - zu ihm gesagt: wir haben hie besezzen daz ander paradise (9541^). Kalogreant glaubte, mit dem locus amoenus daz anderpardise und damit vreude an ungemach (Iwein 687 und 690) zu besitzen. Vgl. auch die Benennung der gefangenen Witwen als vreudenlöse vrouwen, die nach dem Muster der Verdammten, die Christus erlöst, von Erec befreit werden. Hinter alledem wirkt das heilsgeschichtliche Vorbild. Eine an sich interessante Arbeit von Η. H. Braches über , Jenseitsmotive und ihre Verritterlichung in der deutschen Dichtung des Hochmittelalters' (Utrechter Proefschrift 1961; zum ,Erec' vgl. besonders S. 159) führt diese Motive zwar auf archaische mythische Vorstellungen zurück, läßt aber ihre Umgestaltung durch das Christentum außer acht und kommt daher nur zu bedingt gültigen Ergebnissen.

289

Zum fechten Verständnis dieser Parodie (i66ff.), hinter der Methode steht, sei noch auf Folgendes hingewiesen. Man muß bei dem rechten Weg, der ins Paradies führt, zweierlei unterscheiden: einmal die Enge, die ihn in seinem Verlauf kennzeichnet; zum andern, daß er sich zum paradiesischen Ziele hin verbreitert. Wer also das Paradies (wie ζ. B. der Wanderer oder die Seele in mittelalterlichen Jenseitsvisionen) nach einem vorübergehenden Besuch wieder verläßt und in die irdische Welt zurückkehrt, wird folglich einen Weg gehen, der sich mehr und mehr verengt.1®4 Auch von dieser Beobachtung her wird deutlich, wie die Parodie in der BÖSEN F R A U das Gegenbild der Vorstellung zeichnet, die sie zum Muster nimmt: der ins ,Paradies' (genfreuden) führende Weg verengt sich für den armen Ehemann, die sträze, die ihn (vom Paradies fort) in die Hölle (gen riuwen) führt, wird zunehmend breiter! Man könnte es schließlich als Übernahme eines Legendenelements interpretieren, wenn der Dichter im Anschluß an sein Exemplum mit dem Legendenmärtyrer1®5 einen längeren Absatz über den Segen einer glücklichen Ehe einflicht (199-23 8)1®6 und durch die Verallgemeinerung der Aussage (2i8ff. smlch wtp ir mannesgebot . . . ) die gute Ehe als nachahmenswertes V o r b i l d hinstellt: man denke an das ,imitabile' der Legende. Im ,Gregorius* setzt es mit Vers 43 ein,1®7 mit jenem Teil des Prologs, in dem Hartmann darlegt, wie er sein Werk vom Publikum verstanden wissen will. Vielleicht soll dieser einzige Abschnitt der BÖSEN F R A U , in der sich der Dichter positiv über die (gute) Ehe äußert, nach Art einer moralisatio ein versteckter Hinweis

1,4

165 1.6

1.7

So finden sich bei H. Kolb, Munsalvaesche, Studien zum Kyotproblem, München 1965, S. 122, folgende in diesem Zusammenhang interessante Hinweise: Im Buch von ,Espurgatoire S. Patrice' der Marie de France (hsg. v. K. Warnke in der Bibliotheca Normannica 9, Halle 1938) gelangt der Ritter Owein nach Durchschreitung der Hölle an eine anfangs „schmale, nachher immer breiter werdende Brücke (die) zum Paradies hineinführte". Der .umgekehrte' Weg ist angedeutet, als Parzival Munsalvaesche, das dem Paradies nachgebildet ist, verläßt: ihn führt „eine zunächst breite, danach immer schmaler werdende und sich zuletzt ganz verlierende Hufspur der Munsalvaescheritter" aus dieser Stätte heraus. Vgl. ,Parzival' 249, 5 - 8 ; do begunde crenken sich ir spor: sich schieden die da riten vor. ir slä wart smal, diu e was breit: er verlos si gar: daz was im Seit. Vgl. 175fr. ich geliche ir eines sware für eines marterare ... 199fr.: Wol in wart (die Formel der Seligpreisung wie im .Tristan' 40) der so gevert, daz im ein wip ist beschert, dar nach als im sin muot gert... der mac die slle wol bewarn... Uber den Gedanken der „imitatio" im .Tristan'-Prolog und ihren Anschluß an die Legende vgl. de Boor. Die Grundauffassung von Gottfrieds Tristan, jetzt in: Kleine Schriften I, dort S. 146.

290

für die Hörer sein, das Zerrbild, das hier von der Ehe gezeichnet ist, als Warnbild zu nehmen. 5. Parodischer Umgang mit Sakralem Hatte der Dichter der B Ö S E N F R A U verschiedene Elemente aus der Legende, also einem literarischen Text, parodisch verwendet, ohne jedoch damit die Gattung als solche zu parodieren, so beziehen andere Autoren ebenso bedenkenlos sakrale Vorgänge in ihre Schwankhandlung ein, ohne dabei eine Parodie dieser Vorgänge selbst zu beabsichtigen: die Verspottung beschränkt sich immer auf die Schwankfigur. Aufschlußreich ist in dieser Hinsicht D E R P F A F F E M I T D E R S C H N U R , ein auch sonst an parodischen Elementen reicher168 Ehebruchsschwank. Die Frau, die ihre Liebe einem Pfaffen geschenkt hat, kann dennoch vor dem gesiebte ihre Unschuld erfolgreich gegen ihren Mann verteidigen, so daß dieser, weil er auf seiner Uberzeugung beharrt, nun von allen als nicht sinnec betrachtet wird. Um erneuten Verdächtigungen für alle Zukunft vorzubeugen, unterzieht die listige Frau ihn mit Hilfe aller jetzt auf ihrer Seite stehenden Verwandten einer Spezialbehandlung, die ihn für alle Zeit wieder zu Sinnen bringt: 427

,väere mrz unsalge as bin ze sante Cjrias! daz bin ich geleret. sin sin sich danne meret.'

Sie binden den Unglücklichen in einem teictroc fest, legen ihn auf einen Karren, der ein Sinnbild äußerst entehrender Behandlung auch in der höfischen Dichtung (Lanzelot) ist, und ziehen mit ihm zur Kirche: iren leisen sungens do vil lute: ,Kyrieleiso' (43 3f.). Die Heilungsprozedur beginnt, indem zunächst ein Opfer dargebracht wird: 168

Z u den Anspielungen auf die Tageliedsituation (2Ö2f.) und die .burleske Genealogie* (368-583), auf die schon hingewiesen wurde, kommt noch die parodische Verwendung des Essen-Motivs in ähnlicher Weise, wie dies für die Schwanke schon in der Pretzel-Festgabe (S. gezeigt wurde. Der Wirt setzt der Verwandtschaft vor allem marnc buon (310), im Mittelalter also ein ziemlich einfaches Gericht, vor. Die Handlung spielt im Dorfe! Der bäurische Ehemann verspricht sich eren... vor den liuten von dieser Wirtschaft (302-306). Alle benehmen sich .höfisch' und namens rvazzer vor der Mahlzeit; und: der rnrt der nam ouch wazzer, aber: vor zorne lützel az er (337f.). Als er die Schnur entdeckt, fürchtet er, seine Frau mil liht einen vrien knappen oder ein idelman (i32f.).

291

44°

die vrouwe opfert sinen roc. daz har si ime abe schar und truoc ez mit dem Opfer dar.

Das ernste Vorbild dieser parodischen Opferszene ist vielleicht das Totenopfer, wie es ζ. B. in den sentimentalen Liebesnovellen vorkam.169 Dann greift der buhlerische Pfaffe selbst in die Handlung ein und liest auf die Bitte aller Angehörigen eine Messe für den wirf; als dieser noch immer versichert, bei Sinnen zu sein, gießt ihm der Geistliche vom wichbrunnen so reichlich Wasser in den Mund, daß der Mann zu ertrinken fürchtet. Aber der volle Heilerfolg tritt erst ein, nachdem die Frau 473

. . . nam zunder und wirouch. damit brante si dem gouch niun löcher in den köpf binden und vornen in den schöpf.

Darauf beteuert der wirf, wieder zu Sinnen gekommen zu sein. Die Frau bindet ihn los und führt ihn zum Altar, nimmt Kreuz und Psalter und umfängt ihn damit. Er aber gelobt, seiner Frau künftig immer zu vertrauen und schweigt, wenn er sider ihtes sach (503). Noch einen Schritt weiter geht der deutsche Bearbeiter des Fabliau ,Du prestre crucifie' (MR I , S. 194-197). Der H E R R G O T T S C H N I T Z E R ist eine im Ganzen mildere und das Derb-Groteske der Priesterbestrafung in geistvoller Weise meidende Bearbeitung des Fabliau. Anders als im ,Prestre crucifie', einem Ehebruchsschwank, macht die hier ihre Treue bewahrende Frau - nach Art der Schwanke vom Typ des ertappten und bestraften Bewerbers - mit ihrem Manne gemeinsame Sache gegen den Zudringlichen. Bei dem nur zum Schein arrangierten Stelldichein tut sie so, als wolle sie den Priester vor ihrem scheinbar unversehens dazu kommenden Ehemann verbergen und fordert ihn auf, sich zu entkleiden170 und sich im Atelier neben anderen Bildwerken in der Pose des Gekreuzigten an ein noch leeres Kreuz zu lehnen. Der deutschen Bearbeitung ist eine kleine Erweiterung eigen, die der Dichter selbst einen hübschen list (,Einfall' 120) nennt: die Frau nimmt rote Farbe und malt dem Priester, um ihn auf diese ie» V g l . zur FRAUENTREUE (S. 172), w o die Frau i h r e Kleider dem toten Geliebten zum Opfer gebracht, und die ähnliche Situation in FRIEDRICH VON AUCHENFURT 291fr. 170 Dies ist nach dem genannten Fabliau V . 35 (Despoillez-vous) und 40 sinngemäß für den HERRGOTTSCHNITZER ZU ergänzen.

292

Weise in scheinbar größere Sicherheit zu wiegen, die Wundmale Christi auf den Körper. Der hinzutretende Gatte gibt sich beeindruckt von der Kunst seiner Gehilfen, die dieses Bildwerk sehr naturgetreu zu gestalten gewußt hätten, meint jedoch, an einer bestimmten Stelle noch eine Korrektur vornehmen zu müssen: als er dazu das Messer zu wetzen beginnt, entflieht der Priester, und der Bildhauer hebt eine Klage darüber an, daß im daz bilde war entlaufen (227). Mag mit derartig fragwürdigen Profanierungen des Sakralen für moderne Ohren die Grenze zum Blasphemischen überschritten sein das Mittelalter dachte darüber anders. Auch die Vagantendichtung in den Händen der geistlich gebildeten Kleriker lebt zu einem nicht geringen Anteil von der Parodie geistlicher Texte oder sakraler Vorgänge. 171 Die mannigfache mittelalterliche , Stilisierung der Liebe' (Huizinga) bedient sich unbefangen christlicher Glaubensvorstellungen, biblischer Argumentationen oder christlicher Begriffe und kirchlicher Termini, und zwar sowohl jene Stilisierung nach oben, wie sie die höfische Liebeskonzeption darstellt, 172 als auch die nach unten mit ihrer drastischen Ausmalung oder obszönen Andeutung geschlechtlicher Vorgänge. Sie kommt daher nicht nur in den Schwänken vor, sondern gehört überhaupt zum janusköpfigen Kulturbild des Mittelalters. So werden kirchliche Termini zur Umschreibung des Geschlechtlichen im Mittelalter „mit außergewöhnlichem Freimut angewandt" (Huizinga S. 15 3). D a ist die Frau des geizigen Bauern, die, um ein ALMOSEN gebeten, nichts zu geben hat als ihre Minne: der gib ich iu durch den riehen got (3 3). Hier wiederholt sich auf Schwankebene, was der Theoretiker und nach ihm auch die Sänger der höfischen Liebe zumindest mit dem Ernst vollzogen haben, der dazu gehört, eine höfische Dame von der Notwendigkeit der Liebe oder gar Liebesgewährung zu überzeugen: der Ersatz von Caritas durch amor. Der Bettler dankt ihr beim heiligen Michael und wünscht: daz vergeld irz heilige grap! (68). Ihrem Manne gegenüber begründet sie die Art ihres Almosens so: 90 swer ze himele komen sol, der muoz sin almuosen geben, ich han die sei und wil niht leben als ein ander heideninne. 1,1 172

V g l . dazu die Darstellung von Paul Lehmann. Besonders aufschlußreich ist wiederum der Traktat des K a p l a n s Andreas, der wohl im

ganzen als eine analoge Nachbildung des christlichen Liebesbegriffs, als eine

.Analogie' oder ein ,contrafactum' dazu, aufzufassen ist (vgl. F . Schlösser, bes. S. 319).

293

ich gap im mine minne ze selegermte (,zur Rettung meiner Seele') wan ich anders niht enhate vür iuwer sänd und vür die min. Die zahlreichen verhüllenden Umschreibungen des Liebesaktes durch buoze oder büezen173 gewinnen dadurch ihre eigentümliche Tönung, daß neben dem fortbestehenden weltlichen Sinn,Besserung' der geistliche (poenitentia) immer mitschwingt. Um diese buoze geht es einmal im W A H R S A G E N D E N B A U M . Ein einfältiger, jung verheirateter Mann liebt seine Frau so sehr, daß er eine keusche Ehe führt. Die Frau ist darüber sehr unglücklich und versteht es, ihn durch eine List an seine Pflicht zu erinnern: sie stellt sich krank und fragt ihn, ob er keine buoze wisse, und schlägt dann selber vor, sich den Rat von Heiligen, die in einem hohlen Baume wohnen, zu holen. Sie schlüpft vorher unerkannt in den Baum und rät ihrem Manne selbst, was sie sich wünscht. So kommt er endlich dazu, sie vaste zu minnen·, die Frau fordert ihn auf, diese buoze fest einzuhalten, und wird wieder gesund. Das kleine Stück ist eine Parodie auf die Keuschheitsehe.174 Ebenfalls als Bußübung faßt die junge Frau in der T E U F E L S A C H T das echten auf, das ihr Mann sie in der Brautnacht lehrt (vgl. S. 246ff.). Zwar sucht der mittelhochdeutsche Dichter, wie dort erwähnt, das Anstößige des Stoffs durch seine Einkleidung in die Legalität der Ehe zu mildern; von der Möglichkeit jedoch, das Spiel mit kirchlichen Ausdrücken im erotischen Sinne in mehreren Variationen weiterzutreiben, macht er ebenso unbefangen wie reichlich Gebrauch. Da auch hier nach Art des Schwanks erotische Naivität und Unersättlichkeit zusammengehören - der komische Reiz ergibt sich aus der Zuordnung des scheinbar Unvereinbaren - , ist die Frau mit parodiertem religiösem Eifer nur noch darauf bedacht, daß sie an der sele makgenesen (i 31). Ihr ist das ehten lieber als das salter lesen (132), sie will minnen vasten (134): ,sich der Liebe (minnen= küssen) ganz enthalten', und jetzt erst si begunde ir sünde riuwen (153), zu bichten und gebuezen (156, 165). In ihrem langen abschließenden Preis auf das ehten (284 bis 314) ist noch einmal ein ganzes Wortfeld dieser kirchlichen Ter1,3

Zu den in der Pretzel-Festgabe (S. 238, Anm. 63) angeführten Belegen vgl. noch 576 und .Tristan': der erste Kuß des Liebespaares ist der minnen buoze

FRAUENLIST

174

saleclicber anevanc (i2040f.).

Sie wird in der theologischen Literatur viel diskutiert; vgl. besonders zu Hugo von St. Victor: Schlösser S. 267fr.

294

ein

mini für diese Metaphorik bemüht; eine Stelle verdient besondere Beachtung: 284 daz ehten tuot von erste we, Und beginnet dar nach suezen; welle iuwer heiniu buezen Sünde oder missetät, In manger wise man die sele genert... Man würde das mittelalterlich »Hintergründige' auch des Schwanks gewiß verkennen, wollte man die Stelle lediglich als obszöne Umschreibung jenes Vorgangs in der Brautnacht registrieren, dem besonders das späte Mittelalter große Bedeutung beigemessen hat.176 Die Umschreibung gewinnt erst dadurch ihren Reiz, daß sie unmittelbar auf das , Schmerzhafte' der Bußübung und das ,Süße' (angenehm Lindernde) der Sündenvergebung als einer Wirkung der göttlichen Gnade anspielt: man erinnere sich, wie Hartmann im ,Gregorius'-Prolog die Verbildlichungen dieser beiden Vorgänge, Öl und Wein, interpretiert hatte: diu salbe ist linde und tuot doch we ( 1 3 1 ; vgl. S. 282f.). Auchgesüezen hat die übertragene Bedeutung der Sündenvergebung: der zwivel ... ist ein mortgalle ... den nieman mac gesüezen (,Gregorius' i66ff.). Die T E U F E L S A C H T , die schon ein minnekasuistisches Problem parodistisch behandelt hatte, ist ein weiteres Beispiel dafür, daß sich der mittelhochdeutsche Schwank dieser Zeit nicht in der rohen Darstellung platter Obszönitäten, die ihm seinen schlechten Ruf eingetragen haben, erschöpft - im Gegensatz zu seinen späteren Ablegern im 15. Jahrhundert, die sich in der Mehrzahl in den Niederungen des Geschmacks bewegen. Schlußbetrachtungen zu Kapitel I V Wenn sich das Parodie-Kapitel vom Thema her in seiner Untersuchung auf die komischen Vertreter der Märengattung beschränken mußte, so vermochte es wohl auch eindringlicher als die vorhergehenden die literarische Bedeutung der Schwänke zu erhellen, die die ältere Forschung im Ganzen etwas unterschätzt hat. Gewiß sind der Geltung des Schwanks schon vom Stofflichen wie von der vorherrschenden Unterhaltungsfunktion natürliche Grenzen gesetzt, und 1,6

Vgl. dazu J. Huizinga S. i5of. 295

sie bleibt bescheiden, mißt man sie an den bedeutenden ernsten Gattungen der mittelhochdeutschen Dichtung. Man wird aber nicht in das andere Extrem einer Überwertung verfallen, wenn man sagt: eine größere Zahl unter den Schwänken der behandelten Zeit erfüllt nicht nur in Stil und Form, sondern auch durch die parodische Gestaltung bestimmter, den ernsten Gattungen entlehnter Motive künstlerische Ansprüche, die man als literarisch bezeichnen muß. Dies gilt auch im Hinblick auf das Publikum, für das der Schwank bestimmt ist:178 deutlich sind die besseren Beispiele dieser komischen Gattung durch ihre versteckten literarischen Bezüge zur klassischen mittelhochdeutschen Dichtung auf ein Publikum angelegt, das sich in ihr auskannte. Der Hauptreiz dürfte für den interessierten Zuhörer darin gelegen haben, den Zusammenhang der Parodie mit einem Vorbild zu erkennen.177 Parodie setzt immer eine engere Vertrautheit, aber auch eine gewisse Distanzhaltung gegenüber dem parodierten Gegenstand, ein ,Uber-den-Dingen-Stehen' voraus. Daher liegt die Blüte der Parodie in Epochen, die kulturgeschichtlich gesehen ,Spätzeiten' sind. Wenn man die mittelhochdeutsche Dichtung der klassischen und nachklassischen Zeit als ,höfisch' bezeichnet und damit nicht eine enge soziologische Abgrenzung als vielmehr den wesentlichen kulturgeschichtlichen Untergrund meint, der sie trägt,178 so wird es nicht abwegig sein, auch den Schwank bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts, und zum Teil darüber hinaus, als eine noch wesentlich ,höfisch' bestimmte Gattung zu verstehen. Eine Parodie, die frei ist von gesellschaftskritischer Satire gegen den herrschenden Stand, kommt für gewöhnlich aus den eigenen Reihen179 oder, anders gesagt: wurzelt geistig in demselben Nährboden wie die Originale, auf die sie sich bezieht. Die Märendichter waren zum größten Teil bürgerliche', und gewiß sind auch Elemente, die die spätmittelalterliche Literatur™

177

178 179

Soweit sich die Besitzer von Märenhandschriften noch feststellen oder erschließen lassen, gehörten sie in der überwiegenden Mehrzahl adligen Kreisen an; vgl. dazu Fischer S. 195. [Buchfassung S. 2j2ff.] E s gilt, was Karl Vossler einmal über ,Die Dichtung der Trobadors', in: Romanische Forschungen 51, 1937 (S. 253-278), dort S. 266, gesagt hat: „Wir können uns die Aufmerksamkeit des damaligen Publikums und seinen geschulten Sinn für verborgene Zusammenhänge der sekundären mit den primären Kunstgebilden kaum wachsam genug vorstellen." Über den Anteil der Kleriker an der Gattung handelt Kapitel V . So stammen bekanntlich fast alle Minnesangsparodien von Dichtern, die dem Adel angehörten oder ihm nahestanden; vgl. den Hinweis H. Fischers Diss. S. 73.

296

geschichtsforschung als ,bürgerlich' zu bezeichnen pflegte, in die Mären eingeflossen. Entscheidender aber bleibt: die bürgerlichen' Dichter haben es verstanden, sich dem Geschmack und den Interessen ihres Publikums, der höfisch-humanistischen Bildungswelt, anzupassen und sich deren Sichtweise zu eigen zu machen. Daß es daneben auch schon zu der Berichtszeit anspruchslosere volkstümliche Gebilde unter den Mären gab, soll damit keineswegs bestritten werden. Im Ganzen aber ist die Gattung keineswegs die Dichtung der kleinen Leute, wie Bedier meinte. Das zeigt sich besonders deutlich an jenen Stellen, wo Vertreter niederer Stände versuchen, sich Ausdrucks- oder Handlungsweise höfischer Personen oder literarischer Gestalten aus höfischer Dichtung zu eigen zu machen, oder wo Vorgänge aus der höfischen Literatur in ein sozial niederes Milieu: des Bauern oder des niederen Geistlichen, ,umgeschichtet' werden. Diese gestörte Zuordnung von Form und Gehalt ist eine Hauptquelle des Komischen in den Schwänken. Aber das eigentliche Wesen der Parodie in den mittelhochdeutschen Schwänken liegt nicht in der Kritik wie in einigen satirischen Szenen des HELMBRECHT oder in ausgesprochenen Bauernsatiren nach Art der Neithardiana wie METZEN HOCHZIT oder Wittenweilers ,Ring'. Der Parodie fehlt die polemische Schärfe, dafür hat sie Humor. Wo man aber Kritik heraushören könnte wie vielleicht bei einigen Imitationen des Höfischen (3. Abschnitt) oder beim falschen Heiligen (DURSTIGER EINSIEDEL), da richtet sie sich nicht gegen Vertreter des Rittertums, des Adels, des schuolaere oder gegen die ernste literarische Gattung, sondern gegen burleske Überschreitungen der ordo-Grenzen durch niedere Personen. In mehreren Schwänken wird der komische Effekt offenbar bewußt dadurch angestrebt, daß eine zunächst ganz in sublimem, höfisierendem Stil gezeichnete Eingangssituation in der weiterführenden Handlung unvermittelt ins Burleske und dann um so Derbere umbricht; auch dies ist - gleich, ob dabei eine ständische Umschichtung eines edleren Motivs hineinspielt oder nicht - ein Mittel des Parodischen. Es bestimmt wesentlich die innere Struktur ζ. B. des W I R T S , d e r HALBEN BIRNE, d e s WEISSEN ROSENDORNS, d e s MINNEDURSTS u n d

die Einleitung der BÖSEN FRAU. Mag die Beweiskraft der angeführten Stellen unterschiedlich sein vieles spricht dafür, daß sie beabsichtigt sind, weniges dagegen. Wenn die meisten Stellen nicht wörtliche Zitate im modernen Sinne dar297

stellen, so wird dies niemanden befremden, der sich (man erlaube den wiederholten Hinweis darauf) der Art mittelalterlicher Zitierweise erinnert, wie sie F. Panzer aufgezeigt hat. Die Bewußtheit parodischer Absicht wird natürlich bei solchen Stücken am überzeugendsten, in denen sich die Anspielungen häufen oder an ein originales Schema, wie eine minnekasuistische Streitfrage, halten (vgl. W E I S S E R R O S E N D O R N und T E U F E L S A C H T oder anders die B Ö S E F R A U ) . Aber selbst wo neben Vollparodien sonst eingestreute parodische Anspielungen isoliert stehen, bleiben sie innerhalb der Möglichkeiten, die die Parodie des Mittelalters in sich birgt. Auch die mittellateinische Literatur, die die Parodie sehr gepflegt hat4 kennt das parodistische Verfahren vereinzelter Anspielungen.180 Auch hat schon Grellmann die Definition der Parodie als der auf komische Wirkung bedachten Nachdichtung einer konkreten Vorlage erweitert und auch solche Stellen dazu gezählt, in denen „das Vorbild . . . in der rein gedanklich erfaßten typischen Ausprägung von zeitlichen Anschauungen, Sitten und Gebräuchen . . . " besteht (RL 1 II Sp. 631). Was den modernen Leser an der mittelalterlichen Parodie immer von neuem überrascht, ist die Unbekümmertheit, mit der besonders das spätere Mittelalter das Derbe, das Zotige, das niederste Profane unmittelbar neben das Sakrale stellt. Auf der breiteren Grundlage der europäischen Literatur des Mittelalters oder seiner Kulturgeschichte verlieren derartige Erscheinungen jedoch ihre Merkwürdigkeit, vor allem, wenn man die darin oft viel weitergehenden Parodien der Vagantendichtung daneben hält. Zwischen ihr wie der mittelallateinischen klerikalen Literatur im weiteren Sinne und der mittelhochdeutschen Schwankdichtung ergeben sich überhaupt eine Reihe interessanter Parallelen, mit denen sich das folgende Kapitel beschäftigt.

180

Dies hat P. Lehmann eindrucksvoll nachgewiesen; K. Strecker hat ihm darin ausdrücklich zugestimmt und selber eine Reihe solcher vereinzelter parodischer Stellen dazu gesammelt (ZfdA 62, 1925, S. 76-80). Im gleichen Sinne äußerte sich kürzlich auch K. Langosch (EC) S. 280: Parodie „weisen in verschiedenem Umfang viele Vagantenlieder auf, meistens nur insoweit, als einzelnes in ihnen parodistisch ist."

298

V. KAPITEL

SCHWANKDICHTUNG UND MITTELLATEINISCHE TRADITION

Dies letzte Kapitel bildet keine abgeschlossene Untersuchung, die nur Aufgabe einer besonderen Arbeit sein könnte. Es möchte jedoch einige Ausblicke auf ein Gebiet eröffnen, das von der germanistischen Märenforschung bisher nicht beachtet wurde1, öbwohl mancherlei Gemeinsamkeiten zwischen volkssprachiger Schwankdichtung und mittellateinischer Literatur - besonders der Vagantendichtung und den Comedien, aber auch dem klerikalen Schrifttum - geeignet erscheinen, das Verständnis der Schwänke zu fördern. Hatten sich in der bisherigen Untersuchung schon mehrfach Ansatzpunkte ergeben, die eine Auswirkung klerikaler Bildung auf die Märendichter erkennen ließen, so scheinen die folgenden Beobachtungen geeignet, eine schon ältere Vermutung zu stützen, für die es wenig unmittelbare Zeugnisse in den Texten gibt:2 daß nämlich weltliche clerici, schuolcere (auch scbribare3), Studenten, als Autoren an der Gattung beteiligt waren. Es brauchen nicht immer clerici vagi gewesen zu sein - manches spricht freilich dafür, daß einige Verfasser gerade diesem Stande angehörten4 - , sondern Leute, die in irgendeiner Weise mit den Quellen klerikaler Bildung, auch mit der mittellateinischen Vagantendichtung selbst, in Berührung gekommen waren. 1

Dagegen hat H. Tiemann, Bemerkungen zur Entstehungsgeschichte der Fabliaux, in: Romanische Forschungen 72, i960, S. 408 auf die „stärkere Rolle der ,Clercs lettris'" als Verfasser der Fabliaux hingewiesen und diese Auffassung durch eine gesichtspunktreiche Untersuchung überzeugend begründet. E r tritt allgemein für „die stärkere Betonung des klerikalen Moments im Rahmen des Höfischen" ein. 2 Fischer verweist S. 166 auf .Spiegel und Igel' I 107fr. ( = ,Von dem Knecht Herolt'in: K E 474, 6-9). Vgl. ferner die unten S. 3 26t. behandelten Stellen. Fischer Buchfassung S. 2o8ff. ' Z u schribacre als Bezeichnung des .Studenten' vgl. Fischer S. 95. Jetzt in der Buchfassung S. 1 2 1 , Anm. 56. 4 Vgl. die Artikel im V L und dazu die zusammenfassende und ergänzende Übersicht bei Fischer S. i2off.

299

Der Einfluß dieses Bildungsbereichs ist vor allem bei der Untersuchung des Stils und der Komposition spürbar geworden. Gerade die Tatsache, daß die rhetorischen Kenntnisse der Märendichter oft einen nicht gerade wissenschaftlich fundierten Eindruck machen, sondern den der Halbbildung, die bei der Aneignung von etwas mehr als Elementarkenntnissen stehengebüeben ist, ließe sich mit Studenten in Zusammenhang bringen, die ihr Studium noch nicht oder niemals abgeschlossen haben - wie viele Vaganten.6 Rhetorische Schulung steht für die Autoren der Vagantendichtung außer Zweifel,6 und es liegt nahe, daß sie ihre Fertigkeiten auch auf dem Gebiete der volkssprachlichen Unterhaltungsdichtung versuchten, zumal wenn es galt, auf der Reise durch Vortragskunst vor einem nicht-lateinkundigen Publikum den Lebensunterhalt zu verdienen. Rhetorischer Schulung ist gewiß die Beliebtheit des S t r e i t g e sprächs 7 zuzuschreiben, das mit seiner Form, der dialektisch-dialogischen Entwicklung eines Gedankens oder einer Entscheidung, besondere Anforderungen an die Redegewandtheit des Autors stellt. Es ist in der mittelhochdeutschen wie in der mittellateinischen Dichtung vertreten. Auf der anderen Seite hat bekanntlich gerade die höfische Gesellschaft an solchen Debatten 8 , an der Diskussion eines Problems von zwei entgegengesetzten Standpunkten aus, besonderes Gefallen gefunden: man denke an die Minnekasuistik, die jeux-partis, die Mustergespräche bei Andreas Capellanus und die in Epik und Lyrik beliebte Auseinandersetzung im Dialog, die Redeszenen in der kleinepischen Gattung, die zahlreichen Minnereden u. a. Selbst Monologe haben oft dialektische Anlage ( M O R I Z V O N C R A Ü N , FRAUENLIST,

HEIDIN).

Das Streitgespräch ist vor allem in der spätmittelhochdeutschen Zeit beliebt geworden, da allerdings auch in seinem Niveau gesunken.® Neben dem W E I S S E N R O S E N D O R N verdankt auch die Anlage der D R E I L I S T I G E N F R A U E N I einige Züge dem Streitgespräch. Das Stück bietet 6

β

V g l . z . B . C B 129, Str. 2 Litterarum studiis Vellern insudare, Nisi quod inopia Cogit me cessare. V g l . auch Langosch (EC) S. 283. Langosch (EC) S. 290. Für die Verfasser von Streitgedichten s. bei Walther S. 1 7 L und S. ziff.

' Für das Mittellateinische vgl. die Arbeit von H . Walther, für das Deutsche die ältere Darstellung von H . Jantzen, Geschichte des deutschen Streitgedichtes im Mittelalter, Breslau 1896, und F. Ranke in: D V j s . 18, 1940, S. 3 1 5 - 2 0 . 8 Dazu auch Nykrog S. 94. 8

V g l . die .Priapeia' (Fischer) in Streitgesprächsform, die in K E abgedruckt sind. 300

drei an sich selbständige Erzählungen über dasselbe Thema, nämlich die außereheliche Liebe mit geschickter Überlistung des Gatten. Es sieht zunächst - vor allem im Hinblick auf spätere Novellentechnik (Boccaccio) - so aus, als sei hier ein kleiner, dreiteiliger Novellenzyklus in einer Rahmenhandlung zusammengefaßt. Denn der Anlaß dieser Erzählungen ist das gesellige Zusammentreffen dreier Frauen und der Fund des Ringes, der nach gemeinsamem Beschluß derjenigen als Preis gehören soll, die über das genannte Thema aller gemelichest sage (65). Damit erhält dieses Stück zugleich einen anderen Akzent: der Schwerpunkt ist von Anfang an vom Stoffinteresse auf die Erzählkunst verlagert; dies unterstreicht der Dichter noch einmal, indem er schon einen Streit um die Reihenfolge des Vortrags entstehen läßt: welhiu seite aller baz, diu sprechen unde reden künde, daz si von erste begunde (72fr.). Es geht also um die Kunst der Rede, und man erinnert sich, wie diese Fähigkeit von der höfischen Gesellschaft, besonders auch im Minnegespräch, hoch eingeschätzt wurde und einem Liebhaber, der sich auf sie versteht, von vornherein gute Chancen auf Erhörung sicherte.10 So wird der Vortrag der drei Schwänke (ähnlich wie im ,Heptamerone' der Margarete von Navarra) zu einem Wettstreit in der Kunst des Erzählens. Die zweite und dritte Erzählung beginnen, wie schon S. 101 erwähnt, mit der Formel: da wider sprach . . . (175 und 293), die ebenfalls zum Streitgespräch gehört. Am Ende wenden sich die Frauen an den Dichter, der das Urteil sprechen, also die Rolle des Richters übernehmen soll (vgl. oben S. 270 zum W E I S S E N R O S E N D O R N ) . Der Dichter aber beteuert, er sei unfähig, die Entscheidung zu fällen {bescheiden 410 und 411); er faßt jedoch die drei Erzählungen noch einmal zusammen, wägt sie - in symmetrischer Folge - scheinbar behutsam gegeneinander ab 11 und gibt die Aufforderung, das Urteil zu sprechen, an das Publikum weiter: 438

der mir daz beste riete dem wolde ich iemer wesen holt.12

10

11 18

Wie dem Studenten in der F R A U E N L I S T und T R E U E N M A G D (S. zi(>i.). Andreas Capellanus nennt quinque modos... quibis amor acquiritur, und zu ihnen gehört die copiosa sermonis facundia (Battaglia S. 18). In den V v . 412-430. Die zweite Fassung dieses Stücks ( N G A 18) überläßt das Urteil von vornherein den Zuhörern (405-408), führt aber diesen Gedanken nicht weiter und geht zu einem moralischen Schluß über. Im Ganzen fällt sie gegen die Fassung I merklich ab. Es sind andere, derber gehaltene Erzählungen, in denen es nicht eigentlich mehr um Liebeser301

Wenn der Erzähler eigene Unfähigkeit simuliert (4o8ff.) und die Zuhörerschaft um Rat bittet, so verrät sich dahinter die schon aus dem WEISSEN ROSENDORN (vgl. S. 261) bekannte rhetorische Figur der communicatio, die der dubitatio sehr nahesteht. So sagt der Dichter ausdrücklich: 436

daz mir zwivelt der muot wem ich den vunt biete.

Bezieht sich bei der dubitatio die „gespielte rednerische Hilflosigkeit" mit der Bitte ans Publikum um Beratung auf die „sach- und situationsgerechte gedankliche Ausführung der Rede", so in der hier vorliegenden communicatio auf die „einzuhaltende Handlungsweise" (Lausber §§ 776 und 779): wem ich den vunt biete. In einer unterhaltsamen V o r t r a g s d i c h t u n g , w i e sie D I E DREI LISTIGEN F R A U E N I darstellen,

hat diese ursprünglich rein rhetorische Wendung aber noch eine andere Aufgabe, nämlich die Zuhörer zu lebhafter Diskussion anzuregen.13 Diese Technik hat das Stück mit seinen S. 239 Anm. 3 genannten altfranzösischen Vorbildern gemein. J . Rychner, der (I, S. 16) auf diese Funktion hinweist und mehrere Belege aus anderen

18

lebnisse, sondern um einfache, plumpe Überlistungsmanöver geht: darauf zielt der Wettstreit, nicht aufs Erzählen. So ist die Handlung auch in bäurisches Milieu umgesetzt. Der Fund des Ringes, eines Attributs für Standespersonen, ist getilgt. Moralisierende Bemerkungen sind eingeflochten. Diese Fassung I I scheint auf ein einfacheres Publikum zugeschnitten zu sein. Dieser Zweck ist wohl der naheliegende. Insofern ist diese Weitergabe der Urteilsfindung ans Publikum nicht gleichzusetzen mit jenen nach F. Rankes Meinung ergebnislosen Streitgesprächen, die seit dem 14. Jahrhundert „als etwas grundsätzlich Neues" erscheinen und „bei (denen) es dem Verfasser nicht mehr darauf ankommt, die aufgeworfene Frage zu beantworten, sondern allein darauf, die entgegengesetzten Behauptungen aufzustellen und zu begründen, so daß die Spannung der Gegensätze am Schluß noch so tingelöst dasteht wie am A n f a n g " (DVjs. 18, 1940, S. 316). E s geht in den DREI LISTIGEN FRAUEN I auch nicht um entgegengesetzte Behauptungen, sondern um eine graduelle Bewertung der drei vorgetragenen Erzählungen. Man sieht erneut, wie dieser Schwank zwar dem Streitgespräch Formelemente entlehnt, aber nicht mit ihm identisch ist. Z u Streitgesprächen, bei denen die Dichter um die Entscheidung der vorgetragenen Ansichten verlegen sind, gehört ζ. Β. ,Minne und Gesellschaft' ( D T M 24, 1 9 1 3 , Nr. 6). Der Dichter hört sich an ainem hoffe groz bei vielen mit Namen angeführten Herren hohen Geschlechts (also besonderer Autorität; vgl. S. 249) um, ohne zu einer Entscheidung zu kommen. E r will daraufhin noch andere Leute im Lande um ihr Urteil befragen und bittet auch seine Zuhörer um ihren Rat (Vgl. dazu H. Niewöhner, in: V L I I I Sp. 392). In einem Streitgedicht um den Vorzug ,Von Frauen und Jungfrauen' (LS II, 341-46) fällt ebenfalls der Dichter das Urteil. Ein mittellateinisches Gedicht, das H. Walther S. I44f. aus einer Hs. Avignon 302 (63 r - v ) nachweist, käme als Parallele in Betracht. Dort siegt die Unverheiratete; im Deutschen gibt es ein versöhnliches Unentschieden. Weitere Beispiele bei Ranke, a.a.O.

302

Fabliaux zusammengetragen hat, stellt sie mit Recht in Zusammenhang mit den jeux-partis (questions dilemmatiques, jugements d'amour). Die D R E I LISTIGEN F R A U E N I sind besonders in ihrer Schlußtechnik ein instruktives Beispiel dafür, wie bestimmte Formelemente des Streitgesprächs von einer Schwankerzählung übernommen werden und, indem sie eine neue Funktion erhalten, sich gleichzeitig dem Geschmack der höfischen Gesellschaft anpassen. Daß man kaum fehlgeht, von diesen Formelementen aus auf einen ,geschulten' Verfasser als ihren Urheber zu schließen,14 dafür findet sich in der einen altfranzösischen Bearbeitung ein direkter Hinweis. Es heißt dort: Uns clers le fist (,Des trois Dames . . . ' MR I, S. 168, V. 2).143 In entsprechendes Metier weist die mittellateinische Comedia ,De tribus puellis', deren Verfasser sich nicht nur in den colores rhetorici, sondern auch in der scholastischen Logik (vgl. V v . 175ff.) gut auskennt.15 Dieses Gedicht ist zwar gegenüber den D R E I LISTIGEN F R A U E N I in Fabel und Form selbständig, zeigt aber - wie zum Teil auch das Fabliau ,Du Chevalier qui fist parier les cons'18 - mancherlei motivliche Parallelen zu dem deutschen Märe. Der Dichter trifft (wie der Chevalier im Fabliau) auf drei schöne Mädchen, die ihm wie Nymphen scheinen (im Fabliau sind es badende Feen). Unter diesen puellis war ein Streit ausgebrochen, welche unter ihnen sich auf die Kunst des Gesangs besser verstünde17 (dies gilt nicht mehr für das Fabliau mit seinem andern Stoff). Der Dichter erbietet sich, den Streit mit einem Judicio (64) zu schlichten, und man erkennt ihn als arbiter (70) an. Alle setzen sich an einem locus amoenus zusammen, von dem einige typische Requisiten (Wiese mit Blumen, in deren Mitte eine schattenspendende Eiche steht) kurz angeführt sind (71 f.), während die Beschreibung im mittelhochdeutschen Beispiel ausführlicher gehalten ist (vgl. S. 239 Anm. 4). Der Sängerwettstreit wird jedoch nicht wie der Redewettstreit der drei listigen Frauen vorgetragen, sondern der Autor berichtet nur kurz, worüber jede puella singt (77-94). Er erkennt der dritten, der Schönsten, den Sieg zu (wofür sie zu jeder Belohnung bereit ist: wie das Fabliau endet die Comedia Der deutsche Dichter könnte sie, falls er das französische Vorbild gekannt hat, daraus übernommen haben. Seine Formkunst läßt allerdings vermuten, daß er sich darin ebenfalls auskannte. 14a Diese Stelle führt jetzt auch Fischer, Buchfassung S. 208, Anm. 300 an. 16 Vgl. die Vorbemerkungen Cohens (II S. 229) zum Abdruck des Textes ebd. S. 232fr. 19 Die Edition ist S. 263, Anm. 70 genannt. 17 Lis erat inter eas, que doctior esset earum Cantu (25t.). 14

303

m i t detailliert b e s c h r i e b e n e m

amourösen Abenteuer). Anders

hatte

i n d e n D R E I LISTIGEN FRAUEN I der D i c h t e r m i t der c o m m u n i c a t i o das U r t e i l d e m P u b l i k u m überlassen. D a r a n e r k e n n t m a n d e n a n d e r n soziologischen

Hintergrund:

im

mittelhochdeutschen

höfischen

S c h w a n k w i e in d e n g e n a n n t e n a l t f r a n z ö s i s c h e n V o r b i l d e r n w i r d das z u h ö r e n d e P u b l i k u m an der U r t e i l s f i n d u n g b e t e i l i g t , i n der C o m e d i a n i c h t ; sie ist n i c h t f ü r h ö f i s c h e K r e i s e g e d i c h t e t ( v g l . S. 320), d i e n t vielleicht

nur

als

Lesestück.18

Die

motivlichen

Gemeinsamkeiten

b e r u h e n auf d e m A n t e i l des S t r e i t g e s p r ä c h s a n d e n inhaltlich schiedenen

ver-

Schwänken.

S o teilen die m i t t e l h o c h d e u t s c h e n

Streitgespräche

o d e r die

ihm

v e r p f l i c h t e t e n S c h w ä n k e a u c h d e n l o c u s a m o e n u s der e p i s c h e n E i n l e i t u n g , 1 9 d e n H . W a l t h e r auf die a n t i k e E k l o g e z u r ü c k f ü h r t . 2 0 D i e s h ä n g t aber g e w i ß

a u c h m i t d e m S c h a u p l a t z eines Rechtsstreits

zu-

sammen (vgl. die Gerichtslinde). F ü r d e n WEISSEN ROSENDORN sei darauf h i n g e w i e s e n , d a ß P e r s o n i fikationen

von

Gegenständen

oder Körperteilen ebenso i m

mittel-

lateinischen S t r e i t g e d i c h t v o r k o m m e n ( W a l t h e r S. 3 u n d 14), ζ . B . i m , D i a l o g u s M e m b r o r u m ' , w o z u es eine d e u t s c h e E n t s p r e c h u n g

gibt

( , V o n der B u c h f u l l ' K E 5 8 6 - 8 7 ) . 2 1 A u c h der Streit z w i s c h e n L e i b u n d H e r z i n H a r t m a n n s , B ü c h l e i n ' u n d i n der FRAUENLIST hat i m Streit 18

19

20 21

Der prologus der ,Alda' ζ. B. rechtfertigt den delikaten Stoff vor einem pudicus lector (bei Cohen I S. 131, V . 2jf.). Einige deutsche Streitgedichte aus späterer Zeit: ,Gold und Igel' K E 457-42 (vnter ain linden); .Streitgespräche zweier Frauen über die Minne' in: D T M 41, S. 14-19; ,Das Zauberkraut' ebd. S. 87-97. Typisch für die Spätzeit: nur ein Element des locus amoenus ist noch erhalten {eyn bach in ,Von der Hennen und dem Fische' K E 571-75). Mittellateinische Beispiele: .Altercatio Phyllidis et Florae' (CB 92); ,Conflictus hyemis et estatis' (gedruckt bei H. Walther S. 209-211; dazu Manitius S. 95of.) und ,Altercatio yemis et estatis' (gedruckt bei H. Walther S. 191-203; dazu Manitius S. 940f.); Werner v o n Basel .Synodius' (Streit zwischen Vertretern des Alten und Neuen Testaments), gedruckt in: Romanische Forschungen 3, 1887, S. 315fr. (dazu H. Walther S. 97); Walter Mapes ,De convocatione sacerdotum' in: Thomas Wright, T h e Latin Poems commonly attributed to Walter Mapes, London 1841, Nr. 36, S. 180-82 (dazu Manitius S. 272); ,De clarevallensibus et cluniacensibus' bei T h . Wright, Nr. 48, S. 237-42 (dazu Manitius S. 273); das bekannte .Concilium Romarici moncium', Text bei W . Meyer, Nachrichten v o n der K g l . Ges. der Wiss. zu Göttingen. Phil.-Hist. K l . 1914, S. 10-16; auch bei H. Kusch, Einführung in das lateinische Mittelalter Bd. I: Dichtung, Berlin 1957, S. 354-367 (mit Ubersetzung); .Conflictus rosae et violae' (Archiv f. d. St. n. Sprachen 90, 1883, S. 152fr., durch Adolf Tobler) und andere. H. Walther S. 42. V g l . H. Gombel, Die Fabel „ V o m Magen und den Gliedern" in der Weltliteratur (mit besonderer Berücksichtigung der romanischen Fabelliteratur), Halle 1934 ( = Beihefte der Zeitschrift für romanische Philologie 80). 304

zwischen Leib und Seele im mittellateinischen Streitgedicht Entsprechungen.22 Das Vorbild des W E I N S C H W E L G S , der W E I N S C H L U N D , ist als Streitgespräch angelegt; überhaupt ist die „Trunkenheitsliteratur" in der Vagantenlyrik weit verbreitet. Der Gattung des Streitgesprächs sind auch schwankartige Stücke verpflichtet, in denen ein komischer Rechtsstreit in Form eines Prozesses ausgetragen wird. Mittellateinische Beispiele hat H. Walther (S. i j j f . und S. 187) behandelt. Der äußerlich vornehmlich als Redeszene mit Exempelschluß angelegte mittelhochdeutsche Schwank P F A F F E U N D E H E B R E C H E R I N stellt, wenn auch in aller Kürze und mit nur einigen Elementen, einen komischen Gerichtsprozeß dar. Die Szene spielt in der Kirche; der Pfaffe fungiert in der Rolle des Anklägers (Ein pfaff ein vrouwen ane sprach), die des Ehebruchs (vgl. dazu S. 142 Anm. 24) angeklagte Frau übernimmt, da sie keinen vürsprechen findet, die Verteidigung selbst. Dreimal hintereinander versucht der Pfaffe die Anklage zu formulieren, doch jedesmal weiß die Frau sich ihr geschickt zu entziehen. Der äußerst knappe, pointierte Disput ist mit so bemerkenswertem Geschick gestaltet, daß man dem Dichter, der sich am Schluß als truchsmze bezeichnet, mit ziemlicher Sicherheit Kenntnisse in der Kunst der rhetorischen Dialektik zutrauen darf. So nimmt die Frau die Anklage des Pfaffen: ir hat iur e zebrochen (32) wörtlich auf (38) und entkräftet sie, indem sie auf die Unversehrtheit ihres E h e m a n n s hinweist: den han ich zebrochen nie (42). Die Angeschuldigte bestreitet also, daß für ihre Tat die gesetzliche Bezeichnung (e zebrochen) zutrifft. Die rhetorische Spitzfindigkeit, mit der sie das tut, besteht in der Verwischung des Bedeutungsunterschiedes der semantisch benachbarten Wörter e und eman, die etwas an die Methode der onomasiologischen conciliatio erinnert.23 Ferner hat sie dabei das von der Anklage in übertragener Bedeutung verwendete Verbum zebrochen (auf die Ehe bezogen) in veränderter, nämlich konkreter Bedeutung (auf den Ehemann bezogen) aufgenommen.24 Auf diese Weise vermag sie zwischen der Unversehrtheit ihres Ehemanns und der Behauptung des Anklägers einen scheinbaren Widerspruch herzustellen und somit die Anklage als unbegründet zu erweisen. Der Pfaffe hätte sich gegen die semantisch weite Aus22 23 24

Dazu H. Walther S. 6}ff. und R. Wisniewski (s. o. S. 207, Anm. 184). Zur conciliatio vgl. Lausberg § 783. Vgl. die reflexio bei Lausberg § 663 und § 660. 305

legung des Begriffs e wehren können, indem er den Unterschied zwischen der normalen Bedeutung des Begriffs ,Ehe' und der ihm von der Frau unterlegten Bedeutung ,Ehemann' herausstellte.25 Aber er vermag nur zu sagen: ich meinz so niht (45), und formuliert die Anklage nun mit anderen Worten (ein drittes Mal dann 5 7ff.): ir lat iuch minnen vremde man (47). Dies Argument widerlegt die Frau, indem sie einmal die Doppeldeutigkeit, die ambiguitas,26 des Wortes man (Plural) nutzt: es hätte sie immer jeweils nur einer (nie deheiner wan ie besunder einer 49) geliebt; außerdem - so fährt sie fort - hätte sie nie einen Mann gehabt, den sie nicht gut gekannt hätte. Dabei nutzt sie die semantische Vielschichtigkeit von vremde: der Pfarrer verstand darunter ,nicht ehelich verbunden' - die vrouwe legt es im Sinne von »unbekannt' aus. Den dritten Anklagepunkt, sie hätte übriger minne gepflegt, weist sie analog mit dem Argument ihrer ,Unersättlichkeit' zurück (daz ich ir min notdurft nie gewan. wie möht ich ir dann übric han? 6if.). Jedesmal gewinnt sie dem entscheidenden Begriff des Anklagepunktes einen überraschenden komischen Doppelsinn ab, der den Unterschied zur gemeinten Ernstbedeutung des Wortes negiert. So vermag sie das durch ihre Disputationskunst belustigte Pfarrvolk, das die Funktion des ,Schöffen' ausübt, für sich zu gewinnen: es fordert den Pfaffen auf, sie frei zu lassen und die Anklage zurückzuziehen (sich der anesprache mazen 70). Man sieht: dies dialektische Verfahren27 habetmagnam vim ... ex vitio laudem exprimendi (Lausberg § 78 j)27". - Die am Schluß gebotene ,Lehre'28 ist eher die Parodie eines moralisch-lehrhaften Exempelschlusses und unterstreicht den komischen Effekt. Sie bezieht sich in ihrem Inhalt auf den Sieg der Listigen, der geistig Überlegenen, ohne deren rechtlich und moralisch zweifelhafte Position zu berücksichtigen, und dient daher allein dem delectare. Ähnlich wie in dem derberen Redewettstreit T U R A N D O T ( K O N N I ) siegt die geistige Fähigkeit der Redegewandtheit: dort über den Hochmut, hier über den Vorwurf eines moralischen Vergehens. So weist nicht nur die Form

26

Vgl. die onomasiologische distinctio bei Lausberg § 805. Vgl. Lausberg § 222. 27 Vgl. H. Walther (S. 21), zur Kunst der Dialektik: „Gesiegt hatte in diesen Disputationen, wer den Gegner zum Schweigen brachte." 2,a P. Rutiii Lupi Schemata Lexeos, 2, 9 (ed. C. Halm, Rhetores Latini minores, 186}, S. 17). 28 . . . daz man merke dabi, wer noch ml geredet si, daz der dicke mac beliben, so man in tvil vertriben ("jjS.). 26

306

unseres Gedichts, sondern auch seine ,amoralistische' intellektuelle Grundhaltung mit ihrer unverhüllten Parteinahme für die in der Redekunst überlegene Person und womöglich die Rollenbesetzung des Verlierers mit einem Pfaffen in den literaturhistorischen Zusammenhang, der in diesem Kapitel berührt wird. Die am meisten ins Auge fallende Gemeinsamkeit zwischen den Schwänken und der Vagantendichtung besteht in der Beliebtheit der P a r o d i e und einzelner in einen Text eingestreuter parodischer Stellen (vgl. IV. Kapitel). Für das Mittellateinische genügt es, an dieser Stelle noch einmal auf das jetzt in zweiter Auflage vorliegende Buch von P. Lehmann zu verweisen. Er hat, wie andere vor ihm, die Entfaltung der mittelalterlichen Parodie mit den Vaganten oder Goliarden in Zusammenhang gebracht (S. 19Q, und man darf annehmen, daß auch die mittelhochdeutschen Parodien in diesen Kreisen oder wenigstens unter ihrem Einfluß entstanden sind. Der dem modernen Betrachter befremdliche parodische Umgang mit dem Traditionsgut der geistlichen Dichtung oder sakralen Handlungen und Vorgängen29 (vgl. Kap. IV, 4-5) setzt eine gewisse Vertrautheit mit diesem Bereich voraus, wie sie gerade unter den schuolasre, schribasre, clerici vagi vorhanden war. Die Vagantendichtung geht in der parodistischen Verwendung vor allem geistlicher Vorlagen noch weit über das hinaus, was das Mittelhochdeutsche bietet, aber nie ist der Charakter des Spielerischen aufgegeben.30 Der Spott richtet sich das gilt auch für die mittelhochdeutschen Beispiele - nie gegen die Muster, deren Form übernommen wird, sondern gegen den Menschen, der sie in unangemessener Weise verwendet oder auf den sie der Dichter mit dem Ziel einer komisch wirkenden ,Brechung'anwendet. Unter diesem Blickwinkel ist auch die überwiegend negative Zeichnung des Priesters in beiden Literaturen zu beurteilen. Wo immer der pfaffe in den Schwänken (ähnlich der prestre in den Fabliaux) als komische Figur erscheint oder seine Laster in Vagantenlyrik oder mittellateinischen Streitgedichten (besonders solchen

"

E s liegt nahe, hier auch auf die bekannte Mischung von Sakralem und Profanem im geistlichen, aus der Liturgie entwickelten Spiel seit Beginn des 14. Jahrhunderts hinzuweisen. Aber diese in die geistliche Handlung eingestreuten Szenen wirken in sich selbst burlesk und bedienen sich in ihrer Form nicht eines geistlichen Vorbildes wie die Parodie. Gleichwohl sind sie charakteristisch für das enge Nebeneinander der beiden Bereiche. Vgl. auch F. Ranke, S. 508 (s. o. S. 300, Anm. 7).

,0

Vgl. dazu auch H. Bausinger, in: D U 13/1, 1961, S. 37.

307

zwischen den einzelnen Ständen; vgl. H. Walther S. 153fr.) hervorgehoben werden, richtet sich der Spott selten gegen diesen Stand allgemein, sondern zielt auf diejenigen Vertreter, die sich durch ihre Lebensführung als dieses Amtes unwürdig erweisen.31 Erscheinen die Priester in den Schwänken fast durchweg (wie es Nykrog S. 133 ausgedrückt hat) als „die schwarzen Schafe", so darf man aus diesem Bild, das eine komische Gattung bietet, nicht auf eine allgemein verachtete Stellung dieses Standes in der höfischen Gesellschaft schließen. Ein Gegensatz Ritter - Priester ist schon wegen der verschiedenen Lebensinteressen beider Stände gewiß vorhanden gewesen, und es ist auch zuzugeben, daß die Schwankdichter von den einzelnen Ständen nur ein Bild zeichnen konnten, das den Vorstellungen ihres Publikums nicht völlig zuwiderlief.32 Das Priesterbild in den Schwänken hat aber noch eine andere, psychologische oder - von der Intention der Gattung aus gesehen - künstlerische Seite. Der Schwank ist darauf angelegt, den größtmöglichen komischen Effekt zu erzielen. Welcher andere Stand als der des Priesters, dem Amt und Gesetz Keuschheit auferlegen, der dem Gebot des Zölibats untersteht,323 wäre also geeigneter, in der Rolle eines (meist scheiternden) Liebhabers Lachen zu erregen?33 Sie scheitern oder werden bestraft, weil sie ein ungewonlich spil treiben ( D R E I M Ö N C H E ZU K O L M A R 399), weil sie abtrünnic worden ( H E R R G O T T S C H N I T Z E R 19), also aus ihrem ordo herausgetreten sind. Auch in der mittellateinischen Klerikerdichtung wird dem Priesterstand immer wieder die Verletzung derartiger, ihm auferlegter Gebote wie Keuschheit, Armut, Mäßigkeit im Genuß von Speisen und Getränken vorgeworfen. Besonders das Motiv zu reichlichen Essens, das der Schwank in ständischer Umdeutung fast zu einem Attribut des unhöfischen rusticus gemacht hat und gern paro-

V g l . auch Manitius S. 272. Diese Überlegung N y k r o g s zur positiven Zeichnung des Standes der clers seculiers (S. 152) gilt auch hier. 82a Ähnliche Gedanken wie auch der Hinweis auf das mittellateinische Streitgedicht jetzt in Fischers Buchfassung S. i2of. 83 Das Scheitern v o n Priestern ist nicht einmal auf die Rolle des Liebhabers beschränkt. In PFAFFE UND EHEBRECHERIN scheitert er, obgleich er den Rechtsstandpunkt vertritt, in der Rolle des Anklägers, weil er im Redewettstreit unterliegt. In der ,Causa pauperis scolaris cum presbytero', die auch den Titel ,De presbytero et logico' hat (gedruckt bei Thomas Wright, a.a.O., Nr. 50, S. 251-257), versteht es dagegen der Priester, den Philosophen durch einen gerissenen Trick zu besiegen: das Recht aber ist nicht auf seiner Seite.

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disch verwendet,34 ist in der Vagantendichtung vertreten,36 scheint seit alters in der Tradition geistlicher Dichtung oder geistlicher Gebrauchsliteratur3« verwurzelt und wird dort als Sünde angeprangert, der gerade der Priesterstand leicht verfällt. Auch hier kommt Parodie oder Kritik 37 vor allem aus den eigenen Reihen. Ständisch gesehen liegt diesen mittellateinischen Satiren oder Angriffen und Verspottungen des Priester- und Mönchsstandes der bekannte Gegensatz zwischen den weltlichen und den geistlichen Klerikern zugrunde, der sich in vielen Gedichten ausspricht.38 Es ist daher wahrscheinlich, 84 36

86

37 88

Darüber ist in der Pretzel-Festgabe S. 234 gehandelt. So im Gedicht des Primas Hugo von Orleans an die Kleriker von Sens .Iniuriis contumeliisque concitatus', Oxforder Gedichte Nr. 16, wieder abgedruckt bei K . Langosch, Hymnen und Vagantenlieder, 21958, S. 160-169, V. 48E Der Vorwurf der Völlerei ist hier einer unter vielen anderen, der gegen die Geistlichkeit erhoben wird. In der ,Altercatio Phyllidis et Florae' dient dieses Motiv der Phyllis als Argument gegen den Kleriker-Geliebten (Str. 16-19, CB 92), während Flora demgegenüber seine Kraft und Stärke rühmt, die daher rühre, weil er ex abundanti zu leben vermöge (vgl. dazu S. 310, Anm. 43 über Andreas Cappellanus). In Walter Mapes ,De visitatione abbatis' (bei Thomas Wright, a.a.O. Nr. 38, S. 184-187) stellt sich heraus, daß in dem besuchten Kloster Essen und Trinken die Hauptrolle spielen; vgl. besonders Str. 2 (S. 185); dazu Manitius S. 272. Humorvoll preisen die Vagantenlieder ,Alte clamat Epicurus' (CB 2 1 1 = Schindler (1847) C L X X X V I ) und ,OHm lacus colueram' (CB 130) die lukullischen Genüsse. Vgl. Konrads von Würzburg .Sylvester' (Gereke A T B 19) V. 3881; der Teufel versuchte Christus ouch mit der vrazheit. Schon in althochdeutschen Beichtformeln wird diese Sünde eigens erwähnt. Vgl. schon Heinrichs von Melk ,Priesterleben' (hrsg. von R. Heinzel, Berlin 1876). Vgl. Manitius S. 964 sowie S. 966 über die Lieder des Harleianus 978 oder S. 961 über die ,Causa pauperis scolaris et divitis* und die schon genannte ,Causa pauperis scolaris cum presbytero'. Die ,Apocalipsis Golie' (Ausg. K . Strecker, Rom - Leipzig 1928, S. 104-109; auszugsweise mit Ubersetzung bei H. Kusch, Einführung in das lateinische Mittelalter I, S. 604-609) wendet sich in den Strophen 65-72 gegen verschiedene Laster der Priester. Walther von Chatillon, Moral.-satirische Gedichte II, Nr. 6 (bei Langosch E C Nr. 41, S. 228 bis 235) Str. 8. Die, Metamorphosis Goliae' (gedruckt bei Thomas Wright, a.a.O. Nr. 2, S. 21-30), über die H. Brinkmann in: ZfdA 62, 1925, S. 27-36, gehandelt hat, möchte in der Schlußstrophe die Kapuziner von den Philosophenschulen verbannen. Der Gegensatz des Gelehrten zum Mönch kommt auch bei dem Poetiker Matthieu de Vendöme zum Ausdruck, der, um das Stilmittel der Paronomasia zu erklären, für die Übereinstimmung etymologisch verschiedener Wörter in ihren Anfangssilben dem folgenden derb-burlesken Beispiel diese Erläuterung voranstellt (Ars. vers. III, 9; beiFaral S. 169): Vel sie de monaebis sumptuosis, quorum fuscata malignitas falsae religionis sepelitur indumento, qui in ventris ergastulo multifariis dapibus incarceratis pigmentatas gratias eruetant Altissimo. De quibus quidam sie: Non alleluia ruetare, sed allia normt; Plus in salmone quam Salomone legunt. Der Primas von Orleans richtet in dem Anm. 35 genannten Gedicht seine Kritik gegen einen unwürdigen Bischof.

309

daß die abwertende Zeichnung des Priesterstandes auch in der volkssprachlichen mittelalterlichen Schwankdichtung durch den Anteil, den in Frankreich die clers, bei uns die schuokere und schribaere an der Verfasserschaft gehabt haben, neu belebt wurde. Der in der Vagantendichtung verbreitete Gegensatz zwischen K l e r i k e r und Ritter,39 der sich in mehreren Streitgedichten um den Vorzug eines Kleriker-Geliebten oder eines Ritter-Geliebten ausdrückt und dort immer zugunsten des Klerikers entschieden wird, mußte natürlich in einer auf höfisches Publikum abgestimmten Gattung wie der Schwankdichtung fallen;40 die starken Sympathien für den Kleriker als Liebhaber treten deutlich in einem Mustergespräch bei Andreas Capellanus hervor.41 Er versteht es in seiner Liebeslehre (Buch I und II) aufs geschickteste, den Standpunkt des Klerikers mit den Anschauungen des höfischen Rittertums nicht in Konflikt geraten zu lassen,42 bis er in der revocatio des dritten Buches allein den geistlichen Standpunkt vertritt. Unter der Fragestellung dieses Abschnittes ist es besonders interessant, wie dieser klerikale Anwalt der höfischen Minne in seinem Traktat Ansichten vorträgt und Motive aufnimmt, die ebenso in der mittellateinischen (besonders wiederum in der Vaganten-)Dichtung wie in der altfranzösischen und mittelhochdeutschen Schwankdichtung stehen könnten und tatsächlich zu finden sind.43 Siegt in den Streitgesprächen der Kleriker über den Ritter, vertritt der weltliche Kleriker in seinen Satiren auf den geistlichen Stand immer den Standpunkt des Rechts, geht er aus Auseinandersetzungen meist als der Sieger hervor oder doch, wenn er besiegt wird, als der · ' Vgl. noch den von H. Walther S. 156—58 behandelten Dialog aus der Handschrift Le Mans 164 (f. 42 r -57 T ). 40 Vgl. aber den SCHREIBER ( N G A 27), der Liebhaber einer Rittersfrau wird, und in gleicher Rolle den Studenten in der TREUEN MAGD. Hier ist der Student allerdings selbst vornehmer Herkunft. 41 Im Gespräch loquitur nobilior nobiliori (Battaglia S. 2i6f.). Der Stand des Geistlichen gilt Andreas als der vornehmste: Clericus ergo nobilissimus (a.a.O. S. 254). 42 A . a. O., S. 216 und 218. 4S Vgl. vor allem den Katalog weiblicher Laster des dritten Buches (dort auch das Motiv der Völlerei, die negative Zeichnung der Frau, ihre Unersättlichkeit, Habsucht, Unkeuschheit usw.). Im ersten Buch (7. Kap.) ist bei der positiven Darstellung des Klerikers als Liebhaber dem Motiv reichlichen Essens, das auch Andreas für den Kleriker als einigermaßen charakteristisch anerkennt, äußerst geschickt ein neuer Sinn unterlegt: er entschuldigt damit und mit der Muße (tnopia) das fleischliche Begehren, dem gerade der Kleriker leicht verfalle; bei Battaglia S. 256. JIO

Vertreter des Rechts, werden dem Kleriker auch bei Andreas Capellanus als Liebhaber besondere Fähigkeiten und allgemein besondere Würde zuerkannt : u so überrascht es nicht, daß auch in den volkssprachigen Schwänken der „ S t u d e n t " besonders sympathisch gezeichnet ist. Neben dem Ritter als erfolgreichem Liebhaber ist er überhaupt die am schmeichelhaftesten gezeichnete Figur in den Schwänken.45 Zumal in der Rolle des Liebhabers, in der er meist erscheint, vermag er durchaus mit dem Ritter zu konkurrieren, wenn nicht sogar ihn zu übertreffen. Denn seine intellektuellen Fähigkeiten, besonders seine Redegewandtheit, machen ihn nicht nur zu einem von den Damen geschätzten geistvollen Unterhalter und Charmeur,46 sondern auch zu einem geschickten und rücksichtsvollen Liebhaber, der mit vuoge um die Gunst der Dame zu werben und sich auf sie einzustellen weiß, einfallsreich beim Verteilen von Komplimenten ist und nicht geradewegs und plump auf sein Ziel lossteuert. Er ist der Vertreter einer Liebe, die - soweit dies in den Grenzen der komischen Gattung überhaupt möglich ist - trotz aller Eindeutigkeit des angestrebten Ziels noch immer Züge einer geistigen Verfeinerung, zumindest eines intellektuellen Raffinements und eines bedachten Vorgehens erkennen läßt, das das Grobschlächtige späterer derber erotischer Schwänke meidet. In der Rolle des Liebhabers ist er dem Ritter sogar in einem Punkte überlegen: er kann, da er selbst nicht verheiratet ist, niemals (wie gelegentlich der Ritterehemann) in die Rolle des „cocu" geraten. Er ist der einzige Standesvertreter, der nur erfolgreich sein kann. Dies ist umso bedeutsamer, als seine oft standesbedingte Armut - die sonst nach Andreas Capellanus und schon nach Ovid einen Hinderungsgrund für den Erfolg in der Liebe darstellt47 - oder seine unter44

46

In Kap. VI, Η sagt der nobilior zur nobiliori (Battaglia S. 218): quod magis in amore clericus quam laicus est eligendus. Clericus enim in cunctis cautior et prudentior quam lakus invenitur et maiori moderamine se suaque disponit et competentiori mensura solitus est omnia moderari, et quia clericus omnium rerum scientiae habet scriptura referente peritiam. Vgl. auch F. Schlösser, S. 3 2 2 . Vgl. dazu auch Fischer S. 166 [Buchfassung S. I2if.]. Ebenso ist es in der Vagantendichtung. In dem Gedicht über den Vagantenorden Cum ,In orbem universum' decantatur ,ite'... (CB 219) wird gegen die pravos clericos (Pfaffen) Strenge gefordert; man nimmt zwar alle die auf, die devoti monachi mittunt extra fores, auch den presbyter cum sua matrona, Mönch und Magister, aber am liebsten den Studenten (scolarem libentius). V g l . F R A U E N L I S T , I R R E G A N G UND G I R R E G A R , T R E U E M A G D , S C H R E I B E R .

47

Vgl. die Klage Walthers von Chatillon darüber: Non habet unde suum paupertas pascat amorem (moral.-satir. Gedichte II, Nr. 6, abgedruckt mit Übersetzung bei Langosch E C S. 228ff, Str. 17). Andreas Capellanus verwendet am Ende des 2. Kap. von Buch I dasselbe Zitat (Battaglia S. 10).

311

geordnete Position48 den Erfolg seiner Unternehmung beeinträchtigen könnte: die niedere soziale Stellung wird durch seine sonstigen Vorzüge voll kompensiert.49 Eine weitere Ubereinstimmung in der Personendarstellung beider Literaturen ergibt sich durch geringschätzige Beurteilung des dritten Standes.60 Gewiß bestehen hier bei näherem Zusehen feinere Unterschiede: eine ausgeprägte Feindschaft zwischen Bauer und Kleriker, die in der mittellateinischen Dichtung satirische Züge annimmt,61 ist in den mittelhochdeutschen Schwänken in dieser Form nicht anzutreffen. Der Bauer ist in ihnen mehr der Typus der komischen Figur, ein Objekt herablassenden Spottes, und er erscheint meist in der Rolle des Einfältigen und Überlisteten, ohne daß man Feindschaft gegen ihn empfände. Wenn er in der höfischen Dichtung und in der Vagantendichtung nur gering geachtet ist, so mag das insofern nicht die gleichen Ursachen haben, als dort das Bewußtsein vom gesellschaftlichen Rang des Adelsstandes, hier das Gefühl intellektueller Überlegenheit jene herablassende Haltung gegenüber dem sozial oder geistig Unterlegenen hervorruft. So ist rusticus im Mittellateinischen nicht immer als bloße Standesbezeichnung im engeren Sinne (agricola) zu verstehen, sondern schließt in seiner Bedeutung den ungebildeten Laien ein,62 während im Mittelhochdeutschen alle unhöfischen Personen niederen Standes oder auch niederen Verhaltens als gebüre bezeichnet werden. Die abschätzige Grundeinstellung gegen diesen Stand aber ist die gleiche. Sie wird besonders spürbar in der A u f f a s s u n g der Liebe. Wenn es um die Verführung eines einfachen Mädchens oder einer Frau aus niederem Stande geht83 - wie bei pastorellenartigen Situationen - , braucht der Liebhaber (wie schon bei Ovid) in der Anwen48

49 60 61

62 68

E r steht ζ. B . im Dienste des Herrn, dessen Gattin ihm ihre Liebe schenkt (DER SCHREIBER; ,Le Chevalier, sa dame et un clerc'). Vgl. FRAUENLIST 6η5., 88ff., 97-104. Vgl. auch Köhler, S. 48, Anm. 1. So in der , Altercatio rusticorum et clericorum...' hrsg. von Wattenbach in: Anzeiger f. d. K . d. dt. Vorzeit 24, 1877, 369fr.; dazu H. Walther S. 154E. Vgl. H. Walther S. 154. Eine interessante, bei H. Walther S. 155 zitierte Stelle aus einer Meßparodie läßt neben der despektierlichen Einstellung gegenüber der Bauersfrau zugleich die Absicht erkennen, dem lüsternen Priester einen Hieb zu versetzen: Deus, qui multitudinem rusticorum congregasti et magnam discordiam inter eos et nos seminasti, da, quesumus, ut Iaboribus eorum fruamur et ab uxoribus eorum diligamur per omnia poculapoculorum. Amen. H. Walther verweist hierfür auf „Jak. Werner, Beitr. zur Kunde der lat. Literatur des M A . s p. 2 1 1 und sonst". 312

dung der Mittel nicht eben wählerisch zu sein. Er bedient sich der plumpesten Tricks,64 geht ohne Umschweife auf sein Ziel zu und braucht - ganz so wie es Andreas Capellanus seinem ,Freund Walter' rät (falls jener einmal in diese an sich nicht empfohlene Situation komme) - hier auch vor der Anwendung von Gewalt nicht zurückzuschrecken: nur so könne man ihre „Starrheit auflockern", ihre Bereitschaft zur Umarmung erlangen und ihnen über ihre Scham hinweghelfen.66 In dieser Weise verfährt der Vagant mit der jungfräulichen Schäferin. Sie sucht vor ihm zu fliehen, aber er bezwingt sie mit Gewalt;66 sie findet sich jedoch mit ihrem Schicksal, das ihr Leid, ihm aber Freude brachte, schnell ab und bittet ihn nur, verschwiegen zu bleiben, damit Eltern und Bruder nichts davon erfahren.67 Gewiß ist Gewaltanwendung in den mittelhochdeutschen Schwänken gemieden; aber mancherlei Tricks und Derbheiten in Liebesdingen sind auch hier nur möglich, weil sie auf diese ,Tiefstufe' der gesellschaftlichen Ordnung verlegt sind (vgl. dazu III. Kapitel, S. 219). Daß die Liebeswerbung bis zur Erfüllung des letzten Wunsches in mehreren Stufen (lineae, gradus) verläuft, so wie es Andreas Capellanus beschreibt und es sich auch in einigen Mären (und in höfischer Dichtung überhaupt) wiederfindet, hat ebenfalls in der Vagantenlyrik Parallelen68 und beruht auf einer alten Tradition,69 die auch in der mittellateinischen Comedia anzutreffen ist.60 Im ganzen herrscht in 54

66

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60

Aus den Schwänken vgl. besonders die Verführungsszene im W I R T (dazu S. 1 0 ) oder die Verführung des naiven Landmädchens durch einen Ritter im H Ä S L E I N (dazu S. 212). I, 9 (bei Battaglia S. 272): . . . si locum inveneris opportmum non differas assumere, quod petebas et violento potiri amplexu. Vtx enim ipsarum in tantum exterius poteris mitigare rigorem, quod quietos fateantur se tibi concessuras amplexus vel optata patiantur te habere solatia, nisi modicae saltern coactionis medela praecedat ipsarum opportuna pudoris. CB Nr. 158 ( Vere dulce mediante). St. 4: Et se sie defendit colo (der Stock als Attribut der bäurischen Schäferin I). Comprehensam ieci solo, Clarior non est sub polo Vilibus induta (,die mit Wertlosem Gekleidete'). Auch in ,Coronis' (Arundel-Sammlung Nr. 10, CB Nr. 72; bei Langosch EC Nr. 16: Grates ago Veneri) erfolgt nach schnellem Überschreiten der ersten linea amoris (Str. 2 a) der Sieg über das Mädchen in Form eines Angriffs und Kampfes, bei dem der Vagant zuletzt Gewalt anwendet (4a und 4b); das Mädchen ist ihm nicht böse. Vgl. neben der Anm. 57 genannten Stelle noch Langosch EC Nr. 8, Str. 8. Langosch EC S. 265 verweist auf Aelius Donatus (um 350) im Terenzkommentar zu Eun. 4, 2, 10: visus, allocutio, tactus, osculum sive suavium, coitus. Eine ähnliche .Einteilung' kennt schon Ovid. ,Baucis et Traso' (Cohen II S. 70), V. 13: Virginis alloquium, contactus, oscula, factum. Gespräch über das factum in ,De nuncio sagaci' (Cohen II S. 149), Vv. 117fr. Wenn Cohen bei der Stelle ,De tribus puellis' I42ff. (Band II, S. 237, Anm. 1) aufgefallen ist, daß „Nos poetes, en paroles du moins, sont toujours prets ä renoncer au ,dernier 313

den Liebesliedern der Vaganten - neben solchen Lyrica mit ernster Grundstimmung und echter Gefühlstiefe, die auch in dieser Dichtung durchaus vorhanden sind - eine stark dem Diesseits zugewandte, unbekümmerte Lebens- und Genußfreude vor 61 , die sich um das Schicksal des geliebten und verlassenen Mädchens keine Gedanken macht. Wie gegenüber dem dritten Stand ist auch die Haltung zum einfachen Mädchen, zur pastorella, zwar durch Respektlosigkeit, nicht aber durch Verachtung bestimmt. Sie bleibt der verheirateten Frau vorbehalten. Wie die Untersuchung der Liebes- und Eheauffassung nebenher gezeigt hat, ist das B i l d , das die verschiedenen Gattungstypen des Märe von der F r a u zeichnen, so wenig einheitlich, daß man es durch einen bestimmten geistesgeschichtlichen oder soziologischen Begriff kaum hinreichend zu beschreiben oder zu erklären vermag. Gewiß ist die Darstellung der Frau in vielen Mären, auch in Schwänken, noch von der Idee der höfischen Minne mitbestimmt, die im Laufe ihrer geschichtlichen Entwicklung selbst zu recht differenzierten Ausprägungen geführt hat; unter diesem Gesichtspunkt war nicht nur die in einen ernsthaften Konflikt zwischen ihrem Geliebten und ihrem Ehemann gestellte Minnedame zu betrachten, sondern bei einer ins Komische gewendeten Dreieckssituation auch die listige vrouwe in manchen Schwänken, die ihren Mann erfolgreich hinters Licht führt. In einer anderen Gruppe, dem moralisierten Schwank, ist die Treue zum Geliebten durch die eheliche Treue zum Gatten abgelöst, die allen Versuchungen widersteht. Ist auch dieses Thema der unerschütterlichen Gattentreue höfischer Dichtung nicht fremd, so kommt es hier jedoch nicht in dem verengt-moralischen Sinne vor wie bei den Mären, die die Erprobung der e h e l i c h e n Treue der Gattin zum Thema haben. Daher bliebe zu erwägen, inwieweit hier neben traditionellen oder bereits gewandelten späthöfischen Anschauungen Überzeugun-

61

point'" - er verweist auch auf ,Carmina Burana 61, Strophe 2 nach Schmellers Ausgabe so liegt hier die von Andreas Capellanus beschriebene Erscheinungsform des amor purus vor. Vgl. ζ. B. die erste Strophe eines bei Brinkmann, Geschichte der lateinischen Liebesdichtung im Mittelalter, Halle, 1925, S. 3 jf., und bei Kusch S. 612 abgedruckten Gedichtes: Primo quasdam eligo Et electas diligo Et dilectas subigo Sum levis plus quam ventus; Nihil in me corrigo Sic exigit iuventus.

314

gen mitbestimmend werden, die sich eher aus dem nun stärker werdenden Anteil des Bürgertums und dem in dieser Zeit ebenfalls zunehmenden Einfluß christlicher ethischer Auffassungen (vor allem einer positiveren Einschätzung der Ehe) erklären. So verschieden die Frau bereits in diesen Gruppen dargestellt ist - ihnen allen ist doch ein gewisser positiver Grundzug gemein, der selbst in den Schwänken von der listenreichen, buhlerischen Frau ihr Bild eher mit heimlicher, unterdrückter oder gar offener Bewunderung zeichnet als ihre Schwächen verurteilt. Auch insofern scheint dieses schwankhafte, humorvolle Bild der Frau mit Interesse und Geschmacksrichtung eines Publikums vereinbar, das vorwiegend (wenn auch nicht ausschließlich) in dieser Zeit aus höfischen oder gehobenen bürgerlichen Kreisen zu bestehen scheint. Man wird bei einem Publikum, das an den komischen Mären Unterhaltung und Gefallen fand, eine so weitgehende liberale Einstellung voraussetzen dürfen, die auch an der n e g a t i v e n Darstellung der Frau nicht ernsthaft Anstoß nahm. So dürfte selbst das dritte Buch des Traktats von Andreas Capellanus mit seinen verallgemeinernden Herabsetzungen des g a n z e n Frauengeschlechts ebenso wie die Schwänke über die Lasterhaftigkeit der Frauen in höfischen Kreisen Gehör gefunden und sogar bei den Damen Amüsement hervorgerufen haben.62 Die Vorstellung von der grundsätzlichen Untugend der Frau läßt sich jedoch nicht aus höfischen Anschauungen literarischer oder kulturgeschichtlicher Art erklären. Die Invektiven gegen das weibliche Geschlecht - mögen sie in die Form des Schwanke (mit der Thematik des Übeln ivibes), in die mehr oder weniger ernst zu nehmende Form des Traktats (wie bei Andreas) oder in die ernst gemeinten, moralisch-satirischen Abhandlungen oder Dichtungen (wie in der mittellateinischen Literatur) gekleidet sein - haben im Mittelalter ihre Tradition in der frauenfeindlichen Literatur geistlich-klerikaler Herkunft, deren Schärfe, Einseitigkeit und Unerbittlichkeit sich aus der besonderen Funktion, der Erziehung zur Askese, erklären: das hat F. Schlösser bei seiner behutsamen Analyse des dritten Buches von Andreas Capellanus deutlich gezeigt.63 „Die für unsere Ohren ungeheuerlich klingenden Verunglimpfungen des Frauengeschlechts stehen im Dienste des jungfräulichen Lebensideals. Wer an Mönche 62

"

Schlösser hält es S. 3 3 2 für möglich, daß das dritte Buch parodischen Charakter hat. Statt weiterer Einzelnachweise zu diesem Thema vergleiche man seine ausführliche und sachkundige Darstellung S. 329fr. und die dort genannte Literatur.

31$

ü b e r die J u n g f r ä u l i c h k e i t schreibt, w i r d k a u m die F r a u als G e s c h l e c h t s partner v e r h e r r l i c h e n . " W e n n bei A n d r e a s „ z u b l o ß e r

Rhetorik...

v e r b l a ß t " , w a s in der geistlichen asketischen L i t e r a t u r „ a u s

einem

religiösen A n l i e g e n heraus g e s c h r i e b e n w u r d e " ( S c h l ö s s e r S. 3 3 2), so h a b e n die S c h w ä n k e das T h e m a w e i b l i c h e r L a s t e r h a f t i g k e i t

unter

d e m A s p e k t des B u r l e s k e n a u f g e n o m m e n u n d selbst die R h e t o r i k o d e r , in den w e n i g e r a n s p r u c h s v o l l e n S t ü c k e n , a u c h die einfachere D a r s t e l l u n g s w e i s e in den D i e n s t der k o m i s c h e n U n t e r h a l t u n g gestellt - so w i e es die V a g a n t e n , die den g a n z e n K a t a l o g w e i b l i c h e r U n t u g e n den aus d e m S t u d i u m der geistlichen S c h r i f t e n kannten, in ihren L i e d e r n g e t a n haben. 6 4 I n der , D i s c i p l i n a Clericalis' des Petrus A l f o n s i b r i n g t ein A b s c h n i t t v e r s c h i e d e n e E x e m p e l de mala femina,68

Sie w e r -

d e n v o m magister i m , L e h r g e s p r ä c h ' m i t seinem S c h ü l e r g e k e n n z e i c h n e t als carmina que de mulierum artibus ad earum correpcionem ( , T a d e l ' ) et tuam et aliorum instruccionem scribimus.

E r b e f ü r c h t e t allerdings, daß,

w e r sie simplici animo lese, sie a u c h anders v e r s t e h e n k ö n n e . D a s b u r leske Z e r r b i l d v o n der b ö s e n F r a u in der v o l k s s p r a c h i g e n mittelalterlichen S c h w a n k d i c h t u n g ist also aus der w e l t l i c h e n o d e r - mittelbar aus der geistlichen klerikalen L i t e r a t u r herzuleiten. 6 6 D a b e i ist es 64

66

ββ

Recht aufschlußreich ist das Lied ,Golias de conjuge non ducenda' (Sit deo gloria, laus, benedictio'; gedruckt bei Thomas Wright, Nr. IJ, S. 77-85 (s. o. S. 304, Anm. 19). Es ist vor allem die äußere Einkleidung, die hier deutlicher als in anderen Darstellungen dieser Thematik die geistliche Herkunft der frauenfeindlichen Tendenz erkennen läßt: der Heilige Geist offenbart sich dem heiratswilligen Golias in Gestalt dreier Engel (Trinität!), die ihn durch eine Aufzählung aller weiblichen Laster im letzten Augenblick von seiner Absicht abbringen, den .Unheilspfad' f viam ... miseram) der Ehe einzuschlagen. Neben der thematischen Berührung ist es also der freie, parodische Umgang mit Sakralem, der das Lied seinem Gehalt nach in die Nähe der BÖSEN FRAU rückt und verschiedene motivische Beziehungen erklärt: das Bild des schlechten Weges, den die Ehe bedeute (vgl. S. 288ff.), die Inspiration durch den Heiligen Geist (vgl. S. 244fr. und BÖSE FRAU 92 smie ich der buoche niene kan), den mehrfachen Vergleich der Ehe mit den Qualen der Hölle (vgl. S. 284fr.). Die Ehe ist bitterer als der Tod, heißer als das Fegefeuer, und wie in der BÖSEN FRAU bedeutet für den Mann schon der Hochzeitstag Eingang in die Hölle (ingressus tartari Str. 51). Die Schlechtigkeit der Frauen wird wie im dritten Buch bei Andreas Capellanus durch eine Fülle von Lastern demonstriert, die in den Schwänken meist einzeln dargestellt werden: ihre eheliche Untreue, Herrschsucht und Streitsucht, Habsucht, Unersättlichkeit und Ungenügsamkeit. Die Frau ist listiger als die Schlange, unterhält Buhlen und schenkt Kindern das Leben, die nicht von ihrem Manne stammen (Schneekindmotiv!), oder sie wünscht den Tod ihres Mannes herbei (vgl. BEGRABENER EHEMANN). Sie bewirtet ihren Buhlen reichlich, gönnt ihrem Mann nichts (Str. 29; vgl. KLUGER KNECHT). Weitere Stücke mit ehefeindlicher Tendenz sind in Anm. 68 genannt. Ausgabe von Alfons Hilka und Werner Söderhjelm in der Sammlung mittellateinischer Texte Bd. i , Heidelberg 1 9 1 1 , S. 14fr. Vgl. auch H. Tiemann, in: Romanische Forschungen 72, i960, S. 422. 316

w i e d e r u m d e n k b a r , d a ß clerici selbst a u c h in der V o l k s s p r a c h e

ge-

s c h r i e b e n o d e r u n g e s c h u l t e L a i e n d i c h t e r auf m i t t e l b a r e m W e g e d u r c h Kontakt

m i t d e n clerici v a g i

Schwankthema

erhalten

die . A n r e g u n g '

haben. A u c h

einigen

s c h e n M ä r e n ist das M o t i v des Übeln wibes

zu

diesem

beliebten

moralisch-exemplari-

n i c h t f r e m d ( v g l . S. 234fr.).

I m U n t e r s c h i e d z u d e n »reinen' S c h w ä n k e n aber ist hier die i l l u s i o n s lose, s k e p t i s c h e S c h i l d e r u n g der F r a u in ihrer L a s t e r h a f t i g k e i t z u m A u s g a n g s p u n k t f ü r eine spätere, o f t g e w a l t s a m e r f o l g e n d e , U m e r z i e h u n g ' g e m a c h t . S o w u r d e i n der EINGEMAUERTEN FRAU die einst s o Herrschsüchtige

zu -

hier

zur

spezifisch:

so verstandener bedingungslosen

christlicher D e m u t

Unterordnung

unter

(d. h . ihren

M a n n ) b e k e h r t . D a m i t ist das u r s p r ü n g l i c h der a s k e t i s c h e n L i t e r a t u r a n g e h ö r e n d e T h e m a , das s o n s t v e r b a l l h o r n t u n d s c h w a n k h a f t u m g e formt

erscheint,

unter

Beibehaltung

gewisser

burlesker

Züge

auf

anderer E b e n e d e m g e i s t l i c h e n U r s p r u n g s b e r e i c h w i e d e r angenähert. 8 7 M i t der s k e p t i s c h e n E i n s t e l l u n g g e g e n ü b e r der F r a u h ä n g t a u c h die negative

E h e a u f f a s s u n g z u s a m m e n . I m I I I . K a p i t e l ist d a r ü b e r

e i n g e h e n d g e h a n d e l t ; hier m a g ein b l o ß e r H i n w e i s auf die a b l e h n e n d e H a l t u n g der V a g a n t e n g e g e n ü b e r d e m E h e s t a n d e 6 8 g e n ü g e n .

Aller-

67

Dies gilt in der Spätzeit letztlich auch für Kaufringers schon groteske Behandlung derartiger Themen, die in der Absicht ihres Autors gewiß ernsthaft das Vorbild für eine moralische und als christlich verstandene Besserung liefern sollte, so etwa in dem überaus grotesken Stück: ,Das glückliche Ehepaar' (Euling Nr. 8). D e m in der eigenen Ehe Unglücklichen werden andere Ehepaare als exemplarische Musterfälle vorgeführt, bei denen die Ehefrau geradezu v o n ungeheuerlicher Verworfenheit ist. Das Stück verfolgt deutlich eine pädagogische' Absicht. Der Mann soll sich mit einer Ehe abfinden, die ihm infolge der wirklichen oder vermeintlichen Unzulänglichkeit seiner Frau unglücklich oder unerträglich erscheint. E r soll es lernen, sich gerade im Hinblick auf andere, noch viel schlechtere Ehen duldsam zu bescheiden.

68

N u r einige Beispiele: Die ,Altercatio inter virum et mulierem' in einer englischen Handschrift des 14. Jahrhunderts belegt durch Bibelstellen die Schlechtigkeit der Frau. Die Invektiven gelten der verheirateten Frau, denn der geistliche Verfasser bemerkt ausdrücklich, daß er nicht etwa die Jungfrauen treffen wolle, denen er im Gegenteil besonderes L o b widmet. E s folgt dann freilich eine äußerst geschickte Verteidigungsrede der mulier. (Vgl. H. Walther S. I37f.) Durch dieses dialektische Verfahren wird den Vorwürfen wiederum etwas v o n ihrer Schärfe genommen, ähnlich wie durch ihren stark rhetorischen und dadurch - wie in den Schwänken - künstlichen Charakter bei Andreas Capellanus und in Walter Mapes Brief ,Dissuasio Valerii ad Ruffinum philosophum ne uxorem ducat'(in: . D e n u g i s curialium', ed. M. R. James, Oxon. 1914). Hier versucht der Verfasser, ebenfalls mit einem Sammelsurium aller überhaupt gegen die Frau gerichteten Argumente, die er ζ. T . aus der Bibel entnimmt, seinen liebeskranken Freund Johannes v o n der Absicht, zu heiraten, abzubringen; vgl. dazu Manitius S. 20;f. und F. Schlösser S. 3 ; i f . und A n m . 658. V g l . ferner ,De Conjuge non ducenda', dessen Ziel es ist, den Goliarden vor dem Ehestand zu bewahren.

317

dings bekommt die ursprünglich in geistlich-asketischen Vorstellungen wurzelnde ehefeindliche Gesinnung durch die libertine und jede Bindung meidende Lebensauffassung der vagierenden Scholaren noch einen andern Akzent. Daß die Kupplerin eine gebildetes' Thema ist, „das in den Kreisen der Lettres nach antiken Mustern umlief", darauf hat H. Tiemann69 hingewiesen und dabei ausdrücklich den „schöpferischen Anteil der Kleriker" an der Gattung betont. Von den mittelhochdeutschen Schwänken wären hier S C H A M P I F L O R und F R A U M E T Z E D I E K Ä U F L E R I N zu nennen, aus dem Bereich der mittellateinischen Comedia ,Baucis et Traso', ,Pamphilius de Amore' und ,Lidia',70 in der sich die Bemühung der Kupplerin Lusca ebenfalls auf eine verheiratete Frau richtet. Wenn hier der Ehemann zum Zeugen seiner Schmach wird, so hat dies im deutschen W I R T ein Gegenstück, und wie in der F R A U E N L I S T versteht es die Gattin, ihrem Manne glauben zu machen, daß alles, was er gesehen habe, nur auf Täuschung beruhe. Auf Parallelen zu mittellateinischen Comedien ist gelegentlich bereits hingewiesen worden. Sie stellen eine Gattung dar, die innerhalb der europäischen Literatur des Mittelalters verwandte Züge mit den mittelhochdeutschen Schwänken aufweist. Sie gehört der zweiten Hälfte des 12. und dem 13. Jahrhundert an, steht also den deutschen Mären mit dem üblichen Vorsprung, den auch die altfranzösischen Fabliaux vor ihren deutschen Gegenstücken einnehmen, zeitlich nahe. Es ist auch anzunehmen, daß die meist von französischen Autoren stammenden Comedien wenigstens zum Teil in Deutschland bekannt gewesen sind; darauf deuten Erwähnungen ζ. B. bei Gerhoh von Reichersberg, Eberhardus Alemannicus und Hugo von Trimberg sowie Bibliothekskataloge und alte Aufschriften.71 Daß es zwischen der mittellateinischen und der mittelhochdeutschen Gattung motivliche Parallelen gibt, bedarf kaum der Erwähnung; sie finden sich unter den Schwänken aller Zeiten und Sprachen und besagen nichts Wesentliches. Und mit den sujets amoureux sind natürlich auch die Rollen des betrogenen Ehemanns, der buhlerischen Frau, des Liebhabers, der Kupplerin, aber im außererotischen Bereich auch die des listigen oder einfältigen Bauern gegeben (,De clericis et ·* Romanische Forschungen 72, i960, S. 416. 70 Alle Stücke nach Ausgabe von Cohen. Vgl. auch den Abschnitt über die elegische Komödie bei Manitius S. 1015-1040. 71 Die Stellen sind bei Manitius S. 1018 und S. 1034 angeführt. 318

rustico', ,De Lumaca et Lombardo'). Den lüsternen Priester trifft man in ,Babio' an. Viel aufschlußreicher sind dagegen die stilistischen Beziehungen. Auch die Comedia kennt die Einführung der Personen in einer Art Exposition; sie werden oft nach dem Muster der rhetorischen descriptio beschrieben und können in der Art einer laus oder vituperatio dargeboten werden.72 Überhaupt sind rhetorische Stilmittel - in allerdings weit größerem Ausmaß als bei den deutschen Schwänken - auf einen stets trivialen Stoff angewendet. Eine genauere Untersuchving der Expositionstechnik würde vermutlich ebenfalls verwandte Züge zu den Mären erkennen lassen. Die Einführung der Personen erfolgt bei einigen Stücken allerdings in Gesprächsform (ζ. B. ,Geta' und .Baucis'). In ,Babio' führt der auctor die fünf Hauptpersonen (principales personas) in Prosaform ein und schildert das Verhältnis, in dem sie zueinander stehen. Die Situationsschilderung ist in bestimmter Weise zugespitzt: Babio... diligebat magis filiam (es ist die Stieftochter) quam matrem ... nec tarnen babuit rem cum ea (bei Cohen II S. 29). Daraus entwickelt sich dann der komische Konflikt. Die Comedien ,Geta' (.Amphitryon'), ,Aulularia' und ,Alda' stellen ein argumentum und einen prologus voran. Das argumentum besteht hier aus einer knappen, aber vollständigen Inhaltsangabe von etwa 10 Versen, während es im Märe meist nur das Thema ankündigt (vgl. S. 60). In dieser Form aber begegnet auch das argumentum zur ,Lidia': es nennt die Titelfigur und das Thema (List der Frauen) sowie den fructus finalis (nämlich den Leser durch Belehrung wohlbedachter zu machen), enthält sich aber der Inhaltsangabe. Der prologus verwendet die üblichen Exordialtopoi und steht darin manchen Märenprologen nahe. Die von Brinkmann aufgewiesene Zweiteiligkeit des Prologs in mittelhochdeutschen Epen, die in einigen Mären nachwirkte (S. 6iff.), findet also hier eine gewisse Entsprechung, nur ist die Reihenfolge umgekehrt: der Comedia-prologus, der an zweiter Stelle steht, spricht de persona scribentis und über das Verhältnis 72

Vgl. die Schönheitsbeschleibung Afras, der Frau Milos, und die descriptio seiner Qualitäten in ,Milo'. Ähnlich wie in der MEIERIN MIT DER GEISS gleicht die laudative Beschreibung den niederen Stand der Afra aus (Pauperiem species redtmit tenuisque facultas Forme pensatur uberiore bono ijf.). Der Autor ist der bekannte Poetiker Matthieu de Vendöme. Er benutzt für die Beschreibung das in seiner Poetik gelieferte Muster der descriptio der Helena (Ars. vers. § 56, bei Faral S. 129; Hinweis Cohens I S. 168, Anm. 1). Vgl. ferner die descriptio der Glyceres in .Baucis'. Mit einer vituperatio wird Lidia eingeführt (,Lidia' }2ff. bei Cohen I S. 227).

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zur Quelle, ist daher im wesentlichen ein prologus praeter rem (prooemium), während das ihm vorangestellte argumentum mit der Inhaltsangabe dem prologus ante rem entspricht, der sich auf das Werk bezieht. Diese Prologe reden übrigens kein Publikum an (vgl. S. 304). Die andere Reihenfolge beruht auf der Nachwirkung der antiken römischen Komödie. Die übrigen Stücke verzichten - wie ja auch zahlreiche Mären - auf argumentum und prologus. Weit aufschlußreicher als die bisher angeführten Parallelen aber ist für die Verwandtschaft beider Gattungen eine andere stilistische Erscheinung. Der germanistischen Forschung ist - von älteren Arbeiten bis zu solchen der jüngsten Zeit - immer wieder der starke Anteil der D i a l o g p a r t i e n in der mittelhochdeutschen Versnovelle aufgefallen und hat zu mancherlei Vermutungen Anlaß gegeben. So setzt H. Kolb 73 für den HELMBRECHT ein Spiel vom verlorenen Sohn als Vorbild Wernhers an, „dessen Aufführung er einmal gesehen hatte" (S. 16), und sieht im HELMBRECHT „einen Typus des dramatischen Monologs" . . . (mit „einer einzigen vortragenden Person, in welcher die vielfältigen Rollen eines Bühnenstücks zusammenfallen" S. 17). Im ersten Punkt vermag ich Herbert Kolb nicht zu folgen, auch nicht, wenn er den HELMBRECHT als dramatischen Monolog bezeichnet. Bei allem Reichtum an „dramenähnlichen" (O. Werner) Zügen, mit denen der HELMBRECHT nicht allein steht (vgl. oben S. ioif.), wird man den grundsätzlich epischen Charakter der Versnovelle nicht in Frage stellen: das lehren, wie gleich zu zeigen sein wird, auch die Comedien. Doch kann man H. Kolbs Vermutung über die Vortragsart, die „schauspielerischer Verdeutlichung und Untermalung durch Stimme und Gebärde des Vortragenden bedarf" (a. a. O. S. 17), beipflichten. Denn die Poetik Galfreds (Doc. § i7of.; bei Faral S. 318) liefert dafür einen mittelbaren Anhaltspunkt: Est pronuntiatio quasi totius orationis (,des Vortrage') condimentum, ut sine qua totum est insipidum et inconditum. Die Definition der pronuntiatio entnimmt Galfred der Reth. Her. I, 2, 3 : Pronuntiatio est vocis, vultus, gestus moderatio cum venustate. Die moderatio von Stimme, Miene und Gebärde erfolgt bei Galfred allerdings secundum varietatem materiae74, doch darf man für den Vortrag von Comedien und Versnovellen wohl vermuten: auch gemäß den 78 74

H. Kolb, Der,Meier Helmbrecht' zwischen Epos und Drama, in: ZfdPh 81,1962, S. 1-23. Die materia kann sein de dolore, de gaudio, de ira vel indignatione (a. a. O. § 171). Von der Möglichkeit, daß eine comedia vorgetragen werden kann (recitatur), spricht auch Johannes de Garlandia S. 918.

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wechselnden Rollen, zumal sie zum Teil verschiedene Gemütsstimmungen ausdrücken. Mit Dialogpartien in der „besonders, dramenähnlichen' Versnovelle" des H E I S S E N E I S E N S vom Stricker hat sich O . Werner76 sehr eingehend und auf breiterer Grundlage beschäftigt. Man wird seinen Ergebnissen im Allgemeinen zustimmen können. Wenn er jedoch damit „eine grundsätzliche Möglichkeit altdeutschen Erzählens" (S. 393) zu fassen meint und sie in einen „epischen Traditionsstrom" einreiht, der vom ,Hildebrandslied' übers Heldenepos verläuft - die Tendenz zu direkter Rede und Redeszenenbau habe „den Übergang zur bürgerlichen Kleindichtung offensichtlich schadlos überstanden" so ist dieser Traditionsbereich einmal zu eng, zum andern doch wohl zu konstruiert, weil das ,Hildebrandslied' nicht nur zeitlich, sondern auch von der Gattung her etwas zu weit abliegt.76 So ist die dialogisierte Erzählweise nicht auf die deutschsprachige Dichtung beschränkt, sondern ebenso im altfranzösischen Fabliau und in der mittellateinischen Comedia - hier in noch viel ausgeprägterer Form nicht weniger häufig verwendet.77 Es handelt sich also um eine Möglichkeit des Erzählens in der e u r o p ä i s c h e n Literatur seit dem 12. /13. Jahrhundert, von der auch der höfische Roman Gebrauch macht, die aber in der kleinepischen Gattung besonders aktualisiert ist. Zu ihr gehört auch die mittellateinische Comedia, die sich wegen ihrer geschichtlichen Herkunft aus der antiken römischen Komödie in ihren älteren Vertretern78 etwa zu vier Fünfteln des Dialogs bedient; ,Babio' und ,De clericis et rustico' stellen allein Dialoge dar - ohne jede Einflechtung kürzerer epischer Partien. Diese Comedien stehen also besonders Mären von der Art des Strickerschen H E I S S E N E I S E N S wie überhaupt den von Fischer so bezeichneten mittelhochdeutschen kurzen ,Redeszenen' sehr nahe. Von besonderem formalen Interesse ist ,De tribus puellis' auf das schon S. 303 hingewiesen wurde. Ähnlich wie im mittelhochdeutschen W E I S S E N R O S E N D O R N ist es als Ich-Erzählung gefaßt, an deren Handlung der Dichter selbst unmittelbar beteiligt ist. Der Dialog tritt bereits sehr stark zurück, und 76

" 77 78

S. 106, Anm. 127. Daß die dramatischen Dialogpartien nicht aus dem geistlichen Drama hergeleitet werden können, betont auch Werner und führt dafür überzeugende Argumente an. Zu den Dialogen in den Fabliaux vgl. Nykrog S. 152fr. So die Stücke ,Geta' (.Amphitryon'), in dem nur gut hundert Verse von 532 Versen episch sind; .Querulus' mit nur 150 erzählenden Versen von insgesamt 790; vgl. Edmond Faral, Le Fabliau latin au moyen age, in: Romania 50, 1924, S. 321-385.

321

Cohen (II S. 227) fragt ähnlich wie Kolb zum HELMBRECHT: „est-ce Tin monologue dramatique avec dedoublement facultatif du recitant?" Der Ansatz eines ,dramatischen Monologs' geht auch hier gewiß zu weit. Da germanistische Arbeiten zur mittelhochdeutschen Versnovelle, soweit ich sehe, von der mittellateinischen Comedia bisher keine Notiz genommen haben, seien noch einige Worte über diese Gattung eingeflochten. Über ihr Wesen war sich auch die Romanistik lange Zeit im unklaren, weil neben der stark dialogisierten Form vor allem die (mittelalterliche) Bezeichnung Comedia den Gedanken an ein aufführbares Theaterstück nahelegte.78 Schon zu Ende des vergangenen Jahrhunderts aber hatte der deutsche Romanist Wilhelm Cloetta das eigentümliche Wesen der Comedia richtig beschrieben80 und auch darauf hingewiesen, daß sich - wie bei der Tragoedia - der mittelalterliche Begriff nicht mit unserm oder dem antiken deckt, weil jener allein vom Inhalt, nicht von der Form ausgeht (ebd. S. 5 3). Die entscheidenden Konsequenzen aber hat erst die Anm. 78 genannte Arbeit Farals gezogen. Die Definition der mittelalterlichen Comedia (wie die der Tragoedia) gründe allein „sur la quaüte des personages representee et sur la nature des evenements". Er kann dies durch Verweise auf mittelalterliche Theoretiker (ebd. S. 327) stützen. Bei Johannes de Garlandia ist die comedia die tertia species narrationis.81 Die comedia habe das Theater verlassen und sei eine Erzählung geworden, doch „les comedies medievales aient regu des artifices mimi79

N o c h Manitius wunderte sich über die Form des Stücks , D e tribus puellis': „ E s fällt eigentlich wegen des öfteren Zurücktretens des Dialogs aus dem Begriff der Komödie etwas heraus, aber dieser Mangel (!) haftet auch andern Stücken a n " (S. IOJO). E r behandelt die Gattung unter .Drama'.

80

W . Cloetta, Beiträge zur Literaturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, i . B d . : Komödie und Tragödie des Mittelalters, Halle 1890, S. 8 5 : „ D i e eben besprochenen Komödien der zweiten Hälfte des 1 2 . Jahrhunderts haben . . . auch das mit einander gemein, daß die Erzählung bei ihnen stark an Bedeutung und Umfang gewonnen hat und der dramatische Charakter, im Vergleich zu den Komödien des 10. und 1 1 . Jahrhunderts, bei ihnen viel weniger ausgeprägt i s t . . . schon beim Thraso (,Baucis et Traso') hat sich das etwas verwischt und vollends bei den erwähnten Komödien . . . hat die Erzählung so sehr an Bedeutung gewonnen, daß sie . . . den Dialog meist beträchtlich ü b e r w i e g t . . . (ihm) auch an Wichtigkeit für die Entwicklung der Handlung mindestens gleichkommt, so daß ihr ursprünglicher Charakter eines verbindenden und erläuternden Textes zur direkten R e d e . . . theilweise ganz verschwindet und wir weiter nichts vor uns haben als ein E p o s in welchem stellenweise, wie in jedem E p o s , Reden der darin handelnden Personen wörtlich angeführt sind."

81

,Poetria' S. 927.

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ques employes par les lecteurs ou recitans un certain air dramatique" (ebd. S. 328). Und fast hätte es nicht einmal der Verweise Farals auf die Poetiker bedurft, denn in der ,Lidia' ist nach argumentum und prologus dem Handlungsbeginn der ,Comedia' ein NARRATIO INCIPIT vorangestellt, jedenfalls in einer der beiden aus dem 14. Jahrhundert stammenden Handschriften (s. bei Cohen I S. 227 zwischen den Vv. 30 und 31). Zusammenfassend läßt sich also sagen: das Mittelalter kannte keine Comedien als aufgeführte Theaterstücke, sondern nur als narrationes, die gelesen oder von Rezitatoren mit stimmlicher, mimischer und gestischer Verlebendigung vorgetragen werden konnten. So erfolgt eine allmähliche epische Anverwandlung antiker Komödienstoffe, wobei die früheren Stücke ζ. T. in der Verwendung des argumentum und prologus, besonders aber mit den weithin vorherrschenden Dialogpartien der Komödie antiker Art noch näherstehen. Die zunächst kürzeren eingestreuten epischen Partien sind nicht als eine Art von Regieanweisungen, sondern vielmehr als Zeichen der Episierung aufzufassen. Im Zuge der weiteren Entwicklung aber verschwinden argumentum und prologus ;82 die Episierung schreitet weiter fort, so daß verschiedentlich die epischen Verse überhand gegenüber den Dialogen gewinnen. Im ,Milo' ζ. B. kommt die direkte Rede überhaupt nur im Gespräch der Brüder mit dem Helden (Vv. i73ff. bei Cohen I S. 174) und gegen Ende beim Verzicht des Königs auf Milos Frau (Vv. 237ff.) vor. Mit ihrem im ganzen sehr schwankenden Anteil an Dialogen und epischer Erzählung stellt somit die Comedia ihrer Form nach das mittellateinische Analogon zum mittelhochdeutschen Schwank und altfranzösischen Fabliau dar. Es zeigt sich erneut, wie unzureichend unsere Gattungsbegriffe sind, wenn man sie auf das Mittelalter anwendet.83 Der Hinweis auf die Comedia scheint mir daher besonders im Hinblick auf die Beliebtheit der Dialoge wesentlicher zu sein als eine Anknüpfung an die altdeutsche Erzähltradition, zumal sich gerade für den Stricker bei der Untersuchung seiner Epiloge eine besondere Kenntnis der lateinischen Rhetorik erwiesen hatte. Überall trifft man auf die Tradition der gelehrten Schulen, die sich in der ganzen europäischen Literatur des Mittelalters auswirkt und in der auch die Dialogkunst der höfischen Romane wurzeln dürfte, die 82 88

Vgl. Faral, Le abliau latin . . . S. 381. Vgl. dazu auch O. Werner, a.a.O., S. 370.

323

ihrerseits durchaus wiederum auf die Märengattung gewirkt haben mag, und gewiß wird von befähigteren Märendichtern wie dem Strikker auch eine unmittelbare Wirkung auf andere Erzähler ausgegangen sein.83" Indes sollte man auch für die mittelhochdeutschen Schwänke nicht so weit gehen wie Faral, der die Comedia mit dem Fabliau gleichsetzt und die altfranzösische Gattung aus der lateinischen herleitet. Wir haben es mit verwandten, analogen Gattungen zu tun, die sich auch voneinander unterscheiden. Dabei sind die Unterschiede auf formalem Gebiet eher gradueller Art und daher nicht von erheblichem Gewicht. So ist die Kunst des Rhetorischen in der Comedia feiner ausgebildet als in den durchschnittlichen altfranzösischen und mittelhochdeutschen Schwänken. Dies mag damit zusammenhängen, daß die Autoren der lateinischen Comediae ζ. T. namhafte Leute waren, nicht nur Studenten, sondern auch hochgestellte Persönlichkeiten wie der Abt Wilhelm von Blois oder die Lehrer der Poetik Matthieu de Vendome und Galfredus de Vinosalvo. Die meisten Comedien entstanden in den gelehrten Zentren Frankreichs. Sicher dürfte den Scholaren die kunstvolle rhetorische Formulierung in lateinischer Sprache auch leichter gefallen sein als in der Volkssprache. Die andere Anwendung von argumentum und prologus ist bereits oben erklärt. Der wesentlichste Unterschied zwischen Comedia auf der einen sowie Fabliau und mittelhochdeutschem Schwank auf der andern Seite aber besteht darin, daß höfische Züge, die viele vulgärsprachliche Schwänke auszeichnen, in der mittellateinischen Gattung fehlen. Sie lebt allein aus dem Geist der Schulen; entsprechend bezieht sich die Parodie bei ihnen auf dieses Metier84 und nicht auf das Höfische. Nykrog, der die von Faral für die Entstehung der Fabliaux gezogenen Schlußfolgerungen ebenfalls anficht,85 weist auf das Fehlen des Dienertypus hin, der in der Comedia sehr beliebt ist. Dieses Kapitel hat gezeigt, wie sich Parallelen zur Vaganten- und übrigen mittellateinischen Dichtung weniger aus konkreten Beziehungen stofflicher oder m o t i v l i c h e r Art ergeben, wennschon ein8aa

84 86

S o ist es denkbar, daß nach H . Fischers Vermutung (Beitr. 79, Tübingen 1 9 5 7 , S. 93) Wernher in dieser Hinsicht v o m Stricker angeregt ist. A l s „Initiator dieses (fast vollständig dialogisierten) T y p s " kann der Stricker freilich, wie die älteren Comedien und Fabliaux zeigen, nicht gelten. W o h l aber hat er, soweit bekannt, diese Erzählweise als erster in der deutschsprachigen Kleinepik verwendet. S o in ,Geta' auf die scholastische Dialektik; vgl. Faral, L e Fabliau latin . . . S. 329. N y k r o g S. L£f.

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gehende Untersuchung auch hier Verschiedenes zutage fördern würde.86 Sie gründen vielmehr neben der Korrespondenz der Gattungen von Comedia und volkssprachigem Schwank in einer verwandten geistigen, vornehmlich intellektuellen Grundhaltung bestimmten Phänomenen gegenüber, in einer leicht distanzierten, überlegenen Einstellung und liberalen Haltung zur Tradition,87 auch wenn man an sie gebunden bleibt. M

Es sei hier nut darauf hingewiesen, daß der Schwank vom SCHNEEKIND (als Fabliau ,De l'Enfant, qui fu remis au soleil', M R I, S. 162-67) nicht nur im Modus Liebinc, sondern in drei Kurzfassungen auch bei Galfredus de Vinosalvo, Poetr. nov. 713fr. und 733fr., sowie als Comedia (,De mercatore'; Cohen II S. 270fr.) begegnet. Auch das schon Anm. 64 genannte Vagantenlied ,De conjuge non ducenda' spielt in Strophe 27 (S. 81) darauf an (nutrit filium quem alter genuit). - Die bekannte Metapher von der Unbeständigkeit des Glücks: Steide diu ist sinewel und walzet umbe als ein rat (BÖSE FRAU 24of.) findet sich, ebenfalls als Sprichwort, in der Poetik des Matthieu de Vendome unter seiner Sammlung von Proverbia (I, 1 7 ; bei Faral S. 114). Man vgl. dazu ferner die ,Altercatio Fortunae et Philosophiae', gedruckt bei H. Walther im Anhang, S. 232 bis 234 als Nr. 18 (dazu Manitius S. 955), wo die Philosophie dem Glück vorwirft, es sei unsicher wie ein Rad (V. 7f.), oder das bei Kusch S. 570 abgedruckte Gedicht über Fortunas Rad .Fortune plango vulnera'. Anspielungen auf den besprochenen Topos des „illiteratus", der durch den Heiligen Geist inspiriert sei, finden sich in einem Dialog des Canonicus Petrus in der Handschrift Le Mans 164 (vgl. dazuH. Waither S. 156-58). Darin überzeugt der einfältige Abt den gelehrten Prior mit einer schulmäßigen Erklärung, die ihm der Heilige Geist eingegeben (vgl. zum .Pfaffen Amis' oben S. 246 und ,De conjuge non ducenda' Str. 8 und 31, bei Thomas Wright, a.a.O., S. 78 und 82). Ich messe derartigen motivlichen Ubereinstimmungen jedoch keine besondere Bedeutung bei, schon gar nicht einen Zeugniswert für Einfluß oder Abhängigkeit. Entscheidender für Beziehungen oder, vorsichtiger ausgedrückt: Parallelen zur klerikalen Literatur und speziell zur Vagantendichtung bleibt das verwandte geistige Klima. Die wenigen motivlichen Parallelen sind nur angeführt, um zu zeigen, daß auch sie nicht fehlen. - Ein weiteres: jenen plötzlichen Umbruch einer zu Anfang oder im ersten Teil scheinbar ernsten, in sublimem Stil gehaltenen Darstellung ins Burleske, der bei mittelhochdeutschen Schwänken des öfteren als Gestaltungsprinzip begegnet war (vgl. S. 297), hat ζ. B. auch CB Nr. 55 (bei Schmeller) .Frigus hinc est horridum', das entweder eine Parodie auf die , Altercatio Phyllidis et Florae' oder auf die Liebeswettstreite überhaupt darstellt; vgl. Lehmann S. i2of.

87

Sie gilt auch verschiedentlich gegenüber der ritterlichen Tradition. Hierher gehört die höhere Einschätzung geistiger Fähigkeiten wie der Bildung und der Redegewandtheit gegenüber der meist eingeschränkten Bedeutung der Tapferkeit, ζ. B. bei Liebeswerbungen wie in der FRAUENLIST, in den Gesprächen bei Andreas Capellanus über die Liebe des Klerikers (Schlösser S. 93f.) oder in der .Altercatio Phyllidis et Florae' und im .Concilium Romarici moncium'. Diese Haltung zeigt sich auch immer wieder bei dem klerikal gebildeten Gottfried von Straßburg: an der Darstellung kriegerischer Ereignisse (an dirre veigen lantrver .Tristan' 1676), an Turnierschilderungen und ähnlichem ist er nur wenig interessiert. Tristans Tapferkeit ist etwas Selbstverständliches, über das nicht allzu viel gesprochen wird; um so mehr werden seine geistigen, vor allem auch künstlerischen Fähigkeiten (einschließlich der in der arte rhetorica und arte venandi) herausgestellt; und: In amoris namque gubernatione prudentia grandis exigitur, et 325

D i e Bedeutung dieser Parallelen für die E n t w i c k l u n g der mittelhochdeutschen Märendichtung soll gegenüber dem E i n f l u ß , den die a l t f r a n z ö s i s c h e n F a b l i a u x auf ihre deutschen Vertreter gehabt haben, hier keineswegs überschätzt werden. D i e letzte Frage w u r d e in älteren Arbeiten, auch in den knappen Artikeln i m Verfasserlexikon, schon o f t behandelt und oben S. 228ff. gestreift. E s ist jedoch k a u m zu erwarten, daß künftige Arbeiten z u Erkenntnissen führen, die i m Grundsätzlichen v o n dem abweichen, was man darüber w e i ß oder mangels direkter Beweise - vermutet. Im ganzen neige ich dazu, den Einfluß der Fabliaux auf die deutsche Märendichtung eher noch etwas höher zu veranschlagen als die ältere Forschung, weil die in der G a t tung offensichtliche Tendenz zu neuernden und b e w u ß t verändernden Bearbeitungen o f t zwangsläufig Versionen hervorbringen mußte, die deswegen den Eindruck relativer Unabhängigkeit oder Selbständigkeit hervorrufen: ihre Bearbeiter waren in der Absicht, zu ,nouvellieren', g e w i ß o f t bemüht, die Spuren z u verwischen. Sicher aber sind an den Fabliaux in gleichem M a ß e wie bei den deutschen Schwänken „ S t u d e n t e n " (clers lettres) beteiligt gewesen. 8 8 F ü r diese läßt sich das abschließend noch durch zwei u n m i t t e l bare

Zeugnisse

z u KOLMAR

aus der TREUEN M A G D u n d d e n D R E I

MÖNCHEN

stützen. 89

In der TREUEN MAGD wird sehr hübsch dargestellt, w i e der Charme der

vrauwe

den Studenten (der sich für die N a c h t in ihrem Hause ein-

quartiert hat) dazu veranlaßt, unterhaltsame, lustige Geschichten z u erzählen, und wie sie v o n dieser seiner

hovescbeit

sogleich derart ange-

tan ist, daß sie sich in ihn verliebt: 310

88 8>

so minnichlik de vrauwe was, dat se den skriver dar to band, dat he selsene rede vand, dat se alle mosten lachen, de vrauwe van den sulven Sachen

omnium in ea requiritur industria artium, wie es Andreas ausdrückt (Battaglia S. 76). V g l . auch Jost Trier, Gotfried von Straßburg, in: Welt als Geschichte, Bd. 7,1941, S. 72-83 (besonders S. 77). Wolfgang Mohr, .Tristan und Isolt' als Künstlerroman, in: Euph. 53, 1959. s · 155-74· Vgl. dazu H. Tiemann, in: Romanische Forschungen 72, 1960, besonders S. 408. V g l . auch die Hinweise Fischers S. i 6 j f . , S. I54F. zum RÄDLEIN 432fr., S. 147 und S. 95 (.Schreiber' als Bezeichnung für den Studenten). Ein Licht auf den Bildungsstand der .Schreiber' werfen ζ. B. auch .Die Klage' 2i5of. und .Titurel* 49,4, w o schrtber im Sinne von Dichter gebraucht ist. [Die Hinweise Fischers stehen in der Buchfassung S. 2o8ff., S. i8if., S. 169 und S. 121.] 326

van ome wart so gar un(t)sund,ao de spise de se in den mund gestehen hadde, de vorstarf; sin hovescheit de vorwarf, dat der vrauwen ward so we ... selsene rede: das ist der Terminus, mit dem die Autoren die Schwänke90® oft in den Prologen bezeichnen (vgl. dazu oben S. 67t. und S. 209); die folgende Zeile unterstreicht ausdrücklich die Funktion des delectare, und vand (vgl. altfranzösisch trover und lateinisch inventio) soll wahrscheinlich darauf hindeuten, daß der skriver die Geschichten selbst .erfindet', ihnen zumindest die sprachliche Form gibt. - Die Exposition dieses Schwanke enthält übrigens eine Diskussion des Studenten mit den knechten seines Vaters über die Frage, was (oder welcher Stand) in der Welt am meisten Freude und Ehre einbringe (Fürsten und edle Herren, die Geistlichen oder die werden vrauwen)·, dies kurze Gespräch ist wiederum dem Typ des Streitgesprächs stark verpflichtet. 91 Auch dies Element führt also in den geistesgeschichtlichen Zusammenhang, um den es in diesem Abschnitt geht. Das zweite Zeugnis liefert der moralisierte Schwank von den D R E I M Ö N C H E N Z U K O L M A R . E r macht zwar in seiner sprachlichstilistischen Gestaltung einen bescheidenen Eindruck, ist aber in seiner Komposition, wie die Analyse S. 99L gezeigt hat, von bemerkenswerter Klarheit. Seinem Gehalt nach steht das Gedicht mit deutlicher Tendenz gegen den Mönchsstand, dessen Amtsmißbrauch gleich an Vertretern dreier verschiedener Klöster in Kolmar exemplarisch vorgeführt wird, jenen mittellateinischen Denkmälern nahe, für die der Gegensatz zwischen weltlichem und geistlichem Klerus charakteristisch ist.92 Gewiß erscheint gegen Ende des Schwanks ein varnder schuoler (292) in der wenig sympathischen Rolle des Leichenträgers ; bemerkenswerter aber ist, daß er dennoch keineswegs negativ, sondern eher mit einem gewissen Mitgefühl gezeichnet ist. Der schuoler ist (wie in der F R A U E N L I S T und in manchen mittellateinischen Hier ist wohl entzunt zu lesen. Die hochdeutsche Fassung des Märe ( K E 278, 36-279, 1) hat hier eine etwas andere Version, die für die Textkritik nichts hergibt. Ma Fischer beurteilt selsene rede ähnlich als „novellistische Geschichten"; vgl. jetzt Buchfassung S. 272. 91 Vgl. die wiederholte inquit-Formel ( 5 8 , 7 4 , 8 4 , 9 3 ) und die Entscheidung, die der skriver für sich aus der Diskussion trifft; sie entspricht dem .Urteil'. 92 In der ,Causa pauperis scolaris cum presbytero' wirft der Logiker dem Priester vor, er „verschone mit seiner Begierde überhaupt kein weibliches Wesen" (Manitius S. 962).

327

Gedichten; vgl. S. 311), v o n geringem Stand und arm. Er ist aufs Geldverdienen angewiesen und übernimmt daher mehr notgedrungen die fatale Rolle. Der Wirt nutzt seine Bereitschaft schamlos aus. Spricht also die apologetische Zeichnung des Studenten nicht gegen eine Verfasserschaft in weltlichen klerikalen Kreisen,· 3 so deutet das Pseudonym nieman (404) darauf hin, daß der Verfasser ihnen angehörte oder nahestand. Man hat dies nieman bisher als Decknamen interpretiert, den der Verfasser gewählt habe, weil sein Schwank eine deutliche Spitze gegen die Kolmarer Klöster enthalte, die in dem Gedicht genannt werden. 94 In der Märengattung kommt es, bisher unbemerkt, ein zweites Mal in SCHAMPIFLOR vor, w o es, wiederum im Schlußvers, heißt: nie man geschah sulh aventure (also eine fiktive oder parodistische Bekundung der Autopsie). D e m »/^««-Pseudonym liegt ein Theologenwitz zugrunde. Er beruht darauf, daß man die Negation nemo, die in der Bibel wie in exegetischen Schriften häufig vorkommt, in parodischer Absicht personifizierte: Nemo wurde als existente Person behandelt, und als solcher wurden ihm ganz besondere Fähigkeiten und Eigenschaften zugeschrieben, mit denen er alle anderen, selbst Gott übertrifft. 96 Er lebt frei von Sünde, darf aber Bigamie treiben; er wird ewig leben, denn: Nemo sine crimine vivit... Nemini permittitur binas habere uxores... Nemo est, qui semper vivat. Er ist gottähnlich, übertrifft diesen noch in seinen Fähigkeiten, d e n n A f e w poterit se similemDeo fingere; Nemo vincit Deum; ipse solus factus est Deus et Nemo eum corrigere potest (nach Lehmann S. 178). Dieser Nemo-Kult, der sogar zur Bildung einer ,Secta Neminiana' geführt hat, geht auf einen gewissen Radulfus zurück, der einen ,sermo' oder eine ,Historia de Nemine' schrieb.94 "

A u c h de B o o r (III, ι S. 267), der das G e d i c h t als Geistlichensatire deutet, denkt an einen Weltgeistlichen als Verfasser.

84

V g l . y . d. H a g e n , in: G A I I I S. X L V I und H . - F . Rosenfeld, i n : V L I I I Sp. 565. Ä h n lich E . Stutz S. 139. G e w i ß kann diese D e u t u n g richtig sein; es ist aber anderseits fraglich, o b man den Inhalt dieses Stücks so ernst nehmen soll. D i e V e r l e g u n g nach K o l m a r dient w o h l nur dazu, d e m Geschehen, das z u m größeren T e i l aus der internationalen

Schwankliteratur

stammt, etwas

mehr

scheinbare Wirklichkeitsnähe z u

verleihen (wie ähnlich i m HELMBRECHT die charakteristischerweise in

den

beiden

Handschriften voneinander abweichenden Ortsangaben). E b e n s o ist w o h l auch der Hinweis auf den fiktiven G e w ä h r s m a n n ein man (5) z u verstehen. ,6

"

V g l . dazu P. L e h m a n n S. 176fr., d e m auch die Beispiele entnommen sind. N a c h L e h m a n n S. 176. W i t z i g w i e der Nemo-Kn\t

selbst ist seine Geschichte. Stephanus

de St. G e o r g i o n a h m die A n g e l e g e n h e i t so ernst, daß er eine Gegenschrift verfaßte, in der er sich ernsthaft bemühte, „ d i e einzelnen Nemostellen Radulfs durch Glossierung zu widerlegen u n d zweitens durch andere Stellen z u beweisen, daß der N e m o ein v e r -

328

Wie das Pseudonym Nieman der parodistischen mittellateinischen Dichtung entstammt, so weist schließlich die euphemistisch verhüllende Umschreibung des Liebesaktes in manchen schwankartigen Mären97 durch die Formel schriben einen brief (schon bei Ovid) auf Kleriker-, zumindest Schreibermilieu; man bedient sich bei diesen Euphemismen gern solcher Verben, die die Tätigkeit in einem Berufe beschreiben, den man selbst ausübt.98 Demselben Bereich gehört an S C H W A N G E R E R M Ö N C H zz4£., eine lezzen si im do las Mit siegen... (,lectionem'). Erwähnt sei noch das Problem der in der Vagantenlyrik größtenteils anonymen U b e r l i e f e r u n g 9 9 und die gleichfalls für viele Mären - zumal aus dem 13. und der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts - bestehende Anonymität ihrer Verfasser. Ob für die Mären ähnliche Ursachen vorliegen, ist ungewiß und könnte nur in einer Detailuntersuchung geklärt werden. Die Anonymität zahlreicher Märendichter100 erklärt sich m. E. nicht aus einem immanenten Gattungszwang in dem Sinne, daß der Autor seinen Namen verschweigt, 101 sondern eher aus sekundärem Verlust der Autorennamen infolge des ,Wanderns', der Bearbeitungen und der damit zunehmenden Entfernung einer Fassung vom Original.

worfenes Subjekt wäre" (Lehmann S. 176). Die Geschichte war gegenüber dem NemoKult gnädiger: das Radulf-Original ging zwar verloren, aber gerade die Gegenschrift, durch die man es kennt, und die späteren Bearbeitungen sicherten dem Kult eine starke Verbreitung. " So mehrmals in der FRAUENLIST mit Bezug auf den schuolare (557), im PFAFFEN MIT DER SCHNUR (264 und 268) mit Bezug auf den Pfaffen, im SCHWANGEREN MÖNCH spielt brief auf diese übertragene Bedeutung an (V. 214). M Vgl. dazu auch Huizinga S. 152. " Vgl. dazu Manitius S. 964t. 100 v g l . dazu auch Fischer S. ii5ff. 101 Wie etwa in der Heldenepik. Vgl. dazu Otto Höfler, Die Anonymität des Nibelungenliedes, in: DVjs. 29, 1955, S. 1 6 7 - 2 1 3 , wieder abgedruckt in: Zur germanisch-deutschen Heldensage ( = Wege der Forschung Bd. 14), Darmstadt 1961, S. 330-92.

329

VERZEICHNIS DER BENUTZTEN MÄRENAUSGABEN 1 D I E BÖSE A D E L H E I T

N G A , S. 44-46.

D A S ALMOSEN

NGA, S. 53-57.

ARISTOTELES UND PHYLLIS

N G A , S. 234-243.

D A S AUGE

N G A , S. 244-250.

D E R WAHRSAGENDE B A U M

G A II, S. 1 3 7 - 1 4 4 .

D I E BEICHTE

G A I I , S. 349-355-

D I E ZWEI BEICHTEN

N G A , S. 58-62.

GA ΙΠ, S. 29-35.

BERCHTA

G A I, S. 207-224.

D I E HALBE B I R N E D E R BETROGENE BLINDE D E R BORTE

Π

N G A , S. 50-52. G A I, S. 449-478.

=

D E R GÜRTEL

(Dietrich von Glezze) D E R NACKTE BOTE

F S I, S.

no-124.

(Stricker) D E R BUSANT

G A I, S. 3 3 1 - 3 6 6 .

D I E HALBE D E C K E I

L S I, 585-589.

D I E HALBE D E C K E I I

G A II, S. 387-399.

D I E HALBE D E C K E I I I

ZfdA 54, 1913, S. 244-247.

D I E HALBE D E C K E I V

G A ΠΙ, S. 729-736.

D I E HALBE D E C K E V

B e i t r . 54, 1 9 3 0 , S . 3 7 8 - 3 9 0 .

DULCIFLORIE

Heinrich Niewöhner, Der Sperber und verwandte mhd. Novellen, in: Palaestra 119, Berlin 1913, S. 95 -

EDELMANN UND PFERDEHÄNDLER

(Stricker) D E R BEGRABENE E H E M A N N

(Stricker) EHESCHEIDUNGSGESPRÄCH

(Stricker) D E R DURSTIGE EINSIEDEL

(Stricker) D A S HEISSE E I S E N

(Stricker) F R A U M E T Z E DIE K Ä U F L E R I N

(Der arme Konrad) D I E BÖSE F R A U

=

V O N DEM ÜBELN W I B E

105.

FS II, S. 1-12. F S I, S. 2 8 - 3 6 . F S I, S. 2 2 - 2 7 .

FS I, S. 143-155· F S I, 37-50. N G A , S. 7 0 - 8 3 .

Hrsg. von Karl Helm, ATB 46, Tübingen 1955.

In dies Verzeichnis sind nur solche Mären aufgenommen, die dem behandelten Zeitraum angehören.

1

330

NGA, S. 251-254. FS I , S . 55-65.

D I E DEMÜTIGE F R A U D I E EINGEMAUERTE FRAU

(Stricker) D I E F R A U ALS R E I T P F E R D

=

NGA, S. 36-39.

ZELTENDE FRAU D R E I LISTIGE F R A U E N I D R E I LISTIGE F R A U E N I I FRAUENLIST

FRAUENTREUE

D A S FRAUENTURNIER FRAUENZUCHT I)II

NGA, S. 111-117. NGA, S. 118-124. Hrsg. von Erich Henschel, Altdeutsche Quellen, Heft 2, Leipzig z i95i. Kurt Burchardt, Das mhd. Gedicht von der „Frauentreue", Diss. Berlin 1910, S. 1-25. GA I, S. 367-382. NGA, S. 1-35.

ZÄHMUNG

DER WIDERSPENSTIGEN

(Sibote) F R I E D R I C H VON A U C H E N F U R T D A S GÄNSLEIN D E R BETROGENE G A T T E

GA III, S. 357-349· GA II, S. 37-48. F H S. 10-21.

(Herrand von Wildonie) D I E TREUE G A T T I N

FH S. 1-9.

(Herrand von Wildonie) D A S ERZWUNGENE GELÜBDE

FS I, S. 11-21.

(Stricker) DIE

GEVATTERINNEN

D E R GEVATTERIN R A T

NGA, S. 40-43. FS I, S. 66-91.

(Stricker) D A S HÄSLEIN D E R ENTLAUFENE HASENBRATEN

GA II, S. 1-18. NGA, S. 108-110.

(Der Vriolsheimer) D E R BLINDE HAUSFREUND D I E HEIDIN

(IV)

D I E HEIDIN I - I I I

H E I N R I C H VON K E M P T E N

NGA, S. 223-228. Unter Mitwirkung von Richard Kienast hrsg. von Erich Henschel und Ulrich Pretzel, Altdeutsche Quellen, Heft 4, Leipzig 1957. Ludwig Pfannmüller, Die vier Redaktionen der Heidin, in: Palaestra 108, Berlin 1911, S. 229fr. und S. 2 77 ff. SK I, S. 41-68.

(Konrad von Würzburg) DER

HELLERWERTWITZ

Rosenfeld S. 44-70.

(Hermann Fressant) HELMBRECHT

(Wernher der Gartenaere) H E R O UND LEANDER D E R H E R R MIT D E N V I E R F R A U E N DER

HERRGOTTSCHNITZER

HERZMÄRE

Hrsg. von Friedrich Panzer, 7. Auflage besorgt von Kurt Ruh, in: ATB 11, Tübingen 1965. GA I, S. 313-330. NGA, S. 192-201. NGA, S. 229-233. SK I, S. 12-40.

(Konrad von Würzburg) D E R H E R Z O G VON B R A U N S C H W E I G

(Augustijn) IRREGANG UND GIRREGAR

R. Priebsch, Deutsche Handschriften in England I, 1896, S. 197-219. GA III, S. 37-82.

(Rüdeger von Munre)

331

D E R J U N G H E R R UND DER TREUE

G A ΙΠ, S 187-255.

Vgl. auch die Ausgabe von Karl Kinzel, Berlin 1880. Die längere Fassung (D) bei Sebastian Englert, Heinrichs Buch oder der Junker und der treue Heinrich. Ein Rittermärchen, Würzburg 1892.

HEINRICH

D E R NACKTE KAISER

F H S. 22-43.

(Herrand von Wildonie) D I E ZWEI KAUFLEUTE D A S KERBELKRAUT D E R KLUGE K N E C H T

N G A , 255-268. N G A , S. 96-99. F S I, S. 92-109.

(Stricker) D E R ARME U N D D E R R E I C H E K Ö N I G D E R NACKTE

KÖNIG

D I E K Ö N I G I N VON F R A N K R E I C H

FS II, S. 24-30. G A III, S. 409-423. G A I, S. 1 6 5 - 1 8 8 .

(Schondoch) D E R L I E B H A B E R IM B A D E D I E TREUE M A G D MARTINSNACHT

N G A , S. 1 7 0 - 1 7 1 . G A II, S. 309-331. F S I, 131-142.

(Stricker) MEIER BETZ

D I E M E I E R I N MIT DER GEISS METZEN HOCHZIT

MINNEDURST BESTRAFTES MISSTRAUEN D I E D R E I M Ö N C H E ZU K O L M A R

Der Hochzeitsschwank Meier Betz und Metzenhochzit. Hrsg. von Edmund Wießner, in: ATB 48, Tübingen 1956, S. 1 - 1 3 . N G A , S. 1 5 2 - 1 5 7 .

Der Hochzeitsschwank Meier Betz und Metzen hochzit. Hrsg. von Edmund Wießner, in: ATB 48, Tübingen 1956, S. 27-47. N G A , S. 1 3 6 - 1 3 9 . N G A , S. 1 8 5 - 1 9 1 . N G A , S. 202-207.

(Nieman) D E R SCHWANGERE M Ö N C H

G A II, S. 49-69.

(Der Zwingäuer) M O R I Z VON CRAUN

Hrsg. von Ulrich Pretzel, in: ATB 45, Tübingen "1962 (»1966.)

D I E NACHTIGALL

G A I, S. 85-100. G A II, S. 7 1 - 8 2 .

D E R NUSSBERG

GA I, S. 441-447·

D I E ALTE M U T T E R

(Heinrich Rafolt) PETER VON STAUFENBERG

Zwei altdeutsche Rittermären. Neu hrsg. von Edward Schröder, Berlin 2 i 9 i J , S. 107-150 ( 4 i929).

D E R P F A F F E MIT D E R S C H N U R

N G A , S. 47-48. N G A , I, S. 208-222. N G A , S. 1 4 0 - 1 5 1 .

PYRAMUS U N D T H I S B E

ZfdA 6, 1848, S. 504-517.

DAS RÄDLEIN

G A III, S. 1 0 5 - 1 2 4 .

PFAFFE UND E H E B R E C H E R I N D E R P F A F F E IN DER REUSE

(Johannes von Freiberg) D E R JUNGE RATGEBER D E R REIHER D E R RICHTER UND DER TEUFEL

F S Π , S. 1 2 - 2 3 . N G A , S. 1 0 0 - 1 0 7 . F S II, S. 3 1 - 4 2 .

(Stricker) D E R R I T T E R MIT DEN NÜSSEN

332

N G A , S. 1 7 2 - 1 7 9 .

FS I, S. 126-131.

D E R NACKTE RITTER

(Stricker) R I T T E R SOCIABILIS

K E , S. 132-149.

RITTERTREUE

Mittelhochdeutsche Novellen Π. Hrsg. von Ludwig Pfannmüller, Bonn 1912, S. 5-26. N G A , S. 158-169.

D E R R I T T E R UNTERM Z U B E R

(Jakob Appet)

G A III, S. 17-28. Vgl. auch S. 252 Anm. 30. N G A , S. 63-69. Mittelhochdeutsche Novellen Π. Hrsg. von Ludwig Pfannmüller, Bonn 1912, S. 27-63. G A II, S. 379-385. N G A , S. 180-184. In den Fassungen M, W und G A . Bei Rosenfeld S. 207®., 270fr. und 394fr. SK II, S. 1-41.

D E R WEISSE R O S E N D O R N SCHAMPIFLOR

DER

SCHLEGEL

(Rüdiger von Hinchhofen) D A S SCHNEEKIND D E R SCHREIBER D E R SCHÜLER VON PARIS D E R SCHWANRITTER

(Konrad von Würzburg) Heinrich Niewöhner, Der Sperber und verwandte mhd. Novellen, in: Palaestra 119, Berlin 1913, S. 15-44. Wilhelm Stehmann, Die mittelhochdeutsche Versnovelle vom Studentenabenteuer, in: Palaesta 67, Berlin 1909, S. 198-216. G A n , S. 123-135. G A III, S. 175-185.

D E R SPERBER

STUDENTENABENTEUER

D I E TEUFELSACHT TURANDOT

(Heinz der Kellner) N G A , S. 84-86.

D E S W E I N G Ä R T N E R S F R A U UND DER P F A F F E D E R WEINSCHLUND

FS I, S. 155-160.

=

D E R UNBELEHRBARE Z E C H E R

(Stricker) D E R WEINSCHWELG

FS Π, S. 42-58.

D E R WELT LOHN

S K I, S. 1—11.

(Konrad von Würzburg) D I E GEZÄHMTE W I D E R S P E N S T I G E D E R WIENER MEERFAHRT

(Der Freudenleere)

DER WIRT D I E DREI W Ü N S C H E

Π

s. D I E F R A U ALS R E I T P F E R D

G A II, S. 463-485. Vgl. auch die Ausgabe von Richard Newald, in: Germanische Bibliothek. 2. Abt., 33. Bd., Heidelberg 1930. N G A , S. 125-133. F S I, S . 1 — I I .

(Stricker) DER ZAHN

N G A , S. 134-135.

D I E ZÄHMUNG

s. FRAUENZUCHT

DER WIDERSPENSTIGEN

333

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

AfdA Andreas Capellanus (Battaglia)

Arbusow ATB Auerbach, Mimesis Barth Battaglia Bedier Beitr. BMZ

Bolte-Polivka

de Boor II de Boor ΠΙ, ι

Brinkmann

.Büchlein'

CB Cohen (I-II)

334

Anzeiger für deutsches Altertum. Andrea Capellano Trattato d'amore. Andreae Capellani regii Francorum „De Amore" libri tres. Testo Latino del sec. XII con due traduzioni Toscane inedite del sec. X I V a cura di Salvatore Battaglia. Roma (o. J.). Leonid Arbusow, Galores Rhetorici. 2. Aufl. hrsg. von Helmut Peter, Göttingen 196}. Altdeutsche Textbibliothek. Erich Auerbach, Mimesis, in: Sammlung Dalp, Band 90. 2. Aufl., Bern 1959. Bruno Barth, Liebe und Ehe im altfranzösischen Fablel und in der mittelhochdeutschen Versnovelle, in: Palaestra 97. Berlin 1910. s. Andreas Capellanus. Joseph Bedier, Les Fabliaux, Paris 1893. Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. Georg Friedrich Benecke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet von Wilhelm Müller (und ab Bd. 2 Friedrich Zarncke), 3 Bände, Leipzig 1854-1861. Johannes Bolte und Georg Polivka, Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, 5 Bände 1913-1932. Helmut de Boor, Die höfische Literatur (Geschichte der deutschen Literatur, II. Band), München 1953. Helmut de Boor, Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. Erster Teil (Geschichte der deutschen Literatur, III. Band/Erster Teil), München 1962. Hennig Brinkmann, Der Prolog im Mittelalter als literarische Erscheinung, in: Wirkendes Wort 14, 1964, S. 1-21. Der Arme Heinrich und die Büchlein von Hartmann von Aue. Hrsg. von Moriz Haupt, 2. Auflage besorgt von E. Martin, Leipzig 1881, darin S. 63-123. Carmina Burana. Hrsg. von Alfons Hilka und Otto Schumann, 2 Bände, Heidelberg 1930 (1941). Gustave Cohen, La „Comedie" latine en France au XII e siecle, t. I-II, Paris 1931.

Conrad von Hirsau

Curtius DTM DVjs. DU DW Ehrismann, Schlußband

Euling Euph. Faral FH Fischer Fischer, Buchfassung

Conrad von Hirsau, Dialogue super auctores. Hrsg. von R. B. C. Huygens. Collection Latomus vi. XVII, Berchem. Bruxelles 1955. Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern und München, '1961. Deutsche Texte des Mittelalters. Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Der Deutschunterricht. Deutsches Wörterbuch. Hrsg. von Jakob und Wilhelm Grimm, 16 Bände, Leipzig 1854-196}. Gustav Ehrismann, Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters. Zweiter Teil, Die mittelhochdeutsche Literatur, Schlußband, München 1935, Unveränderter Nachdruck 1959. Heinrich Kaufringers Gedichte. Hrsg. von Karl Euling, in: Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart, Band 182, Tübingen 1888. Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte. Edmond Faral, Les Arts poetiques du XII e et du XIII e siecle, Paris 1958 (Neudruck). Herrand von Wildonie, Vier Erzählungen. Hrsg. von Hanns Fischer, in: A T B 51, Tübingen 1959. Hanns Fischer, Studien zur deutschen Märendichtung, Habil.- Sehr. München i960. Hanns Fischer, Studien zur deutschen Märendichtung, Tübingen 1968.

Fischer Diss.

Hanns Fischer, Strickerstudien. Ein Beitrag zur Literatiurgeschichte des 13. Jahrhunderts, Diss, (masch.) München 1953. FS (I-II) Der Stricker, Verserzählungen I-II mit einem Anhang: Der Weinschwelg. Hrsg. von Hanns Fischer, in: A T B 53 und 68 (I in 2. Auflage), Tübingen 1967. Gesammtabenteuer. Hrsg. von Friedrich Heinrich G A (Ι-ΙΠ) von der Hagen, 3 Bände, Stuttgart und Tübingen 1850. Neudruck durch die Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1961. Galfredus de Vinosalvo, Documentum de modo et Galfredus (de Vinosalvo), Doc. arte dictandi et versificandi. Bai Faral S. 261-320. Galfredus (de Vinosalvo), Peotr. nov. Galfredus de Vinosalvo, Poetria nova. Bei Faral S. 197-262. GRM Germanisch-Romanische Monatsschrift. Huizinga Johan Huizinga, Herbst des Mittelalters, Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden. Hrsg. von Kurt Köster, Kröners Taschenausgabe, Band 204, Stuttgart, 8. Auflage, 1961. Poetria magistri Johannis anglici de arte prosayea Johannes de Garlandia metrica et rithmica. Hrsg. von Giovanni Mari in: Romanische Forschungen 13, 1902, S. 883-965. Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts. Hrsgi KDL von Carl von Kraus, Band I, Tübingen 1952.

335

KE

Kohlet

Kusch Lang Langosch EC Lausberg Lehmann

LS (I-IV) Manitius

Marie de France

Matthieu (de Vendöme), Ars. vers. Mihm MPL MR (I-Vlj

MSH NGA

NGG

336

Erzählungen aus altdeutschen Handschriften. Ges. durch Adalbert von Keller, in: Bibliothek des literarischen Vereins Stuttgart, Band 35. Stuttgart 1855. Erich Köhler, Ideal und Wirklichkeit in der höfischen Epik, Studien zur Form der frühen Artus- und Graldichtung, in: Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie 97, Tübingen 1956. Horst Kusch, Einführung in das lateinische Mittelalter. Band I: Dichtung. Berlin 1957. Hans Lang, Die Entwicklung der mittelhochdeutschen Versnovelle, Diss, (masch.) München 1951. Vagantendichtung. Lateinisch/Deutsch. Hrsg. und übersetzt von Karl Langosch, in: Exempla Classica 78, Fischer Bücherei 1963. Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 2 Bände, München i960. Paul Lehmann, Die Parodie im Mittelalter. Mit 24 ausgewählten parodistischen Texten. 12. neubearbeitete und ergänzte Auflage, Stuttgart 1963. Lieder Saal, d. i.: Sammlung altteutscher Gedichte. Hrsg. vom Reichsfreiherrn von Laßberg, 4 Bände, St. Gallen und Konstanz 1846. Max Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, 3. Band, München 1931 (Neudruck 1964). Die Lais der Marie de France. Hrsg. von Karl Warnke, in: Bibliotheca Normannica ΙΠ. 3. Auflage, Halle 1925. Matthieu de Vendöme, Ars versificatoria. Bei Faral S. 109-193. Arend Mihm, Uberlieferung und Verbreitung der Märendichtung im Spätmittelalter, in: Germanische Bibliothek, Dritte Reihe, Heidelberg 1967. J.-P. Migne, Patrologiae Latinae. Anatole de Montaiglon et Gaston Raynaud, Recueil gdn6ral et complet des fabliaux des XIII e et XIV e siecles, I-IV, Paris 1872-1890. Friedrich Heinrich von der Hagen, Minnesänger. Deutsche Liederdichter des zwölften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts. 4 Theile, Leipzig 1838. Neues Gesamtabenteuer. D. i. Fr. H. von der Hagens Gesamtabenteuer in neuer Auswahl. Die Sammlung der mittelhochdeutschen Mären und Schwänke des 13. und 14. Jahrhunderts. Erster Band, hrsg. von Heinrich Niewöhner f . 2. Auflage hrsg. von Werner Simon, mit den Lesarten besorgt von Max Boeters und Kurt Schacks. Dublin/ Zürich 1967. Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen.

NL I. Nolting-Hauff

Nykiog PMLA Pretzel-Festgabe Rhet. Her.

RL

Rosenfeld Rychner (Ι-Π) Sawicki Schlösset

SK (l-II) Stackmann Stutz V L (I-V)

H. Walther

Wamke WW ZfdPh ZfdA

Der Nibelunge Noth und die Klage. Hrsg. von Karl Lachmann, 6. Ausgabe, Berlin i960. Ilse Nolting-Hauff, Die Stellung der Liebeskasuistik im höfischen Roman, in: Heidelberger Forschungen, 6. Heft, Heidelberg 1959. Per Nykrog, Les Fabliaux, fitude d'histoire litteraire et de stylistique n^diivale. Copenhague 1957. Publications of Modern Language Association of America. Festgabe für Ulrich Pretzel, zum 65. Geburtstag dargebracht. Hrsg. von Werner Simon, Wolfgang Bachofer, Wolfgang Dittmann, Berlin 1963. (Cicero) Ad C. Herennium libri IV de ratione dicendi (Rhetorica ad Herennium), with an English translation by Harry Caplan, in: The Loeb Classical Library, London 1964. Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Begründet von Paul Merker und Wolfgang Stammler, hrsg. von Werner Kohlschmidt und Wolfgang Mohr, 2. Auflage, (bisher 2 Bände) Berlin 1958fr. Hans-Friedrich Rosenfeld, Mittelhochdeutsche Novellenstudien, in: Palaestra 153, Leipzig 1927. Jean Rychner, Contribution ä l'etude des fabliaux, Variants, remaniements, degradations, Ι-Π, Geneve i960. Stanislaw Sawicki, Gottfried von Straßburg und die Poetik des Mittelalters, in: Germanistische Studien, Heft 124, Berlin 1932. Felix Schlösser, Andreas Capellanus. Seine Minnelehre und das christliche Weltbild um 1200, in: Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft, Band 15. Bonn i960. Konrad von Würzburg. Kleinere Dichtungen (I und II). Hrsg. von Edward Schröder, 3. Auflage, Berlin 1959· Karl Stackmann, Die mittelhochdeutsche Versnovelle „Moriz von Craun", Diss, (masch.) Hamburg 1947. Elfriede Stutz, Frühe deutsche Novellenkunst, Diss, (masch.) Heidelberg 1950. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Hrsg. von Wolfgang Stammler, fortgeführt von Karl Langosch (ab Band III), 5 Bände, Berlin I933-I955· Hans Waither, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, in: Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters, V. Band, 2. Heft, München 1920. s. Marie de France. Wirkendes Wort. Deutsches Sprachschaffen in Lehre und Leben. Zeitschrift für deutsche Philologie. Zeitschrift für deutsches Altertum. 337

REGISTER Bearbeitet von Uwe Trautsch Titel, die in den Anmerkungen stehen, sind grundsätzlich nicht erfaßt. Auch die Verweise auf die Anmerkungen im Sachregister erstreben keine Vollständigkeit, sondern beschränken sich auf solche Aussagen, die den Haupttext ergänzen. Auf diese Weise soll dem Benutzer ein unergiebiges Nachschlagen erspart werden. Durch das Titelregister ist ein selbständiges Autorenverzeichnis entbehrlich. Mit Rücksicht auf die Thematik des Buches aber sind Andreas Capellanus sowie die Poetiker bzw. Rhetoriker in das Sachregister aufgenommen.

i. Titelregister D I E BÖSE A D E L H E I T

,De clericis et rustico' 318 f., 321 .Cliges' 210 ,Diu Cröne' 208

77, 276

,Aeneis' 74 .Alda' 519 D A S ALMOSEN 2 7 6 , 293

,De amore libri tres' 137 s. Andreas Capellanus (Sachregister) ,Amor und Psyche' 1 5 1 .Amphitryon* s. ,Geta' ARISTOTELES UND P H Y L L I S 8, 9 0 f .

.Ars versificatoria' register) .Aulularia' 319

s.

Matthieu

(Sach-

.Daniel von dem Blühenden Tal' 123 D I E HALBE D E C K E

(I-V)

1 3 f . , 53 fr.,

76,

127 .Die Deutung der Meßgebräuche' 283 .Dialogus Membrorum' 304 .Discipline Clericalis' 316 .Documentum de modo et arte dictandi et versificandi' s. Galfredus (Sachregister)

,Babio' 319 ff. .Baucis et Traso' 3 i 8 f .

D E R BEGRABENE EHEMANN 7 1 , 2 3 2 , 235

D E R WAHRSAGENDE BAUM 2 4 7 , 2 9 4

D A S GLÜCKLICHE EHEPAAR

BERCHTA

EHESCHEIDUNGSGESPRÄCH

130

E D E L M A N N UND P F E R D E H Ä N D L E R

117-120

Ι I 15, 235,

242

D I E HALBE B I R N E 3 6 , 98, 1 9 2 , 2 2 9 , 2 9 7

D E R DURSTIGE E I N S I E D E L 4 4 , 4 7 , 2 7 8 fr.

,Les trois Bogus' 227 ,Boivin de Provins' 218

D A S HEISSE E I S E N

D E R BORTE 16F., 144, 204 D E R NACKTE BOTE 1 9 , 52, 7 1

,De la Bourgoise d'Orleans' 224 ,Das Büchlein' 180, I94f., 197, 268f.

.Flamenca' 210

D E R BUSANT

D I E BÖSE F R A U

19, 103,

188

321

,Eneide' 178, 185, 2 1 2 .Eraclius' 179 .Erec' 180, 2 7 1 , 273f.

154, 2 3 4 ^ , 276F., 2 8 0 - 2 9 1 ,

297 ,Carmina Burana' 240 ,Des trois Chevaliers et del chainse' 142 f., 145, 160, 163, i7of., 173 , U n Chevalier et sa dame et un clerc' 225 , L e Chevalier qui fist parier les cons' 263, 303 ,Du Chevalier qui recovra l'amour de sa dame' s. ,Le Revenant'

338

D I E EINGEMAUERTE F R A U 2 3 5 ,

317

F R A U M E T Z E UND DIE K Ä U F L E R I N D I E F R A U ALS R E I T P F E R D DREI

LISTIGE

FRAUEN

318

i2f. I 46,

82,

ioif.,

239t., 300-303 D R E I LISTIGE F R A U E N I I

19,

218f.

FRAUENLIST 9, 7 9 , 82, 89F., 94F., 1 0 2 ,

207, 2 i 5 f . , 251, 318

126,

FRAUENTREUE i 6 f . ,

19,

59, 98, 1 4 4 ,

148,

FRAUENZUCHT FRIEDRICH

1 3 , 7 i f . , 84f., 87, 235,

VON

,Der Mantel' 208, 2 1 7 D I E MARTINSNACHT

1 5 7 - 1 7 4 , ι Μ · , 207, 209 AUCHENFURT

144,

121

261 163,

D I E M E I E R I N MIT D E R G E I S S 2 1 , 3 4 , 2 7 3

173

,Milo' 323 MINNEDURST

D E R BETROGENE G A T T E 6 7 , 7 5 , 9 1 D A S ERZWUNGENE G E L Ü B D E

19,

METZEN HOCHZIT 2 7 7 , 297

BESTRAFTES

32, 53, 216, 297 MISSTRAUEN 36,

47,

93,

96,

100, 103, 159, 223-226, 231

234

,Geta' 319

D E R SCHWANGERE M Ö N C H 2 7 2 f . , 2 7 7 , 3 2 9

D E R GEVATTERIN RAT

15,

214

D I E D R E I M Ö N C H E ZU K O L M A R 2 2 , 3 7 , 4 3 ,

91 f., 94, 99f., 103, 226-229, 3°8> 3 2 7 f ·

.Graelant' 150 ,Gregorius' 279 f., 281-290 ,Guillaume au Faucon' 16 D A S HÄSLEIN 63 f., 9 1 , D E R HASENBRATEN

M O R I Z VON C R A Ü N 7 , 2 6 f . , 49 200ff., 205f., 221, 247f., 266ff., 311 anonyme Überlieferung 3 28 f. Antagonist s. Rollenfunktionen antike Stoffe 27f., 175, 177, 206, 321, 323 apostrophe 2 8 A . 103, 62 argumentatio 80, n o f . , 113, 116-122 argumentum 60, 113, 118, 158, 261, 3 i 9 f . , 323 Aristoteles 102, 105 Aspekte des Handlungsverlaufs s. Dreiteiligkeit attentio s. Aufmerksamkeitserreger audite-Formel 67, 86 Aufmerksamkeitserreger 61 f., 65®., 71, 2Öof., 277

340

Bauer 219, 245!., 2 7 1 - 2 7 8 , 3 0 8 , 3 1 2 f r . Bernhard v o n Silvestris 16 A . 55 Bescheidenheitsformel 63 fr., 72 Berufsdichter 7 1 , 85, 124fr. Bewerber, abgewiesener und bestrafter 2 2 , 35, 37, 7 5 f · , 9 l f -> 9 6 , 144, 226-229, 292 Bispeldichtung 25, 28, 42, 59, 76, 1 3 1 , 2 3 5 Blinder 3 5 f r . , 75t., 161 A . 62, 227 Brautwerbungsgeschichten 26, 1 8 7 - 2 0 2 brevitas-Formel s. K ü r z e Buchgelehrsamkeit 243-246 bürgerliche Z ü g e 1 3 A . 41, 164, 1 7 3 A . 9 9 , 1 8 7 , 2i6ff., 226, 23of., 3 1 5 captatio benevolentiae 60-64, 70, 72, 260ff. Cassiodor 14 A . 43 catastasis 105 catastrophe 105 Cicero 28 A . 103, 66, 117 A . 149, 121 ,cocu battu et content' s. Ehemann, geschlagener colores 48, 124 A . 3 Comedia, mittellateinische 299, 303 f., 313, 318-325 commemoratio 108 A . 133, 115 communicatio 261, 302, 304 complexio 118 A . 151, 119fr.

tonclusio 108 A . 132, 114, 116, 120 concupiscentia 139, 178 conduplicatio 48 t. confirmatio n o , 118, 121 confutatio n o

Ehebruch 142 A . 24, 148, 207fr., 215 f., 224, 228 Ehemann

Conrad v o n Hirsau 6o, 65, 74 A . 75 contrarium i i 4 f f . , 1 2 0 A . 153, 122 continuatio 120 convictus 4f., ηί., 159

- eifersüchtiger s. unhöfischer - einfältiger 46, 215, 232f.

- betrogener 37, 47 A . 153, 75, 144, 205, 208-211, 216, 222, 224, 318

,defauts' 7 f. delectare 35-41, 44, 129(1., 214, 228 descriptio s. Frauenschelte, laus, locus amoenus, Schönheitsbeschreibung D i a l o g 79, 200, 207 A . 187, 251, 269, 300, 3 20 if. Dienst- und Lohngedanke 10, 138, 140, I42f., 145fr., 158 f., 162 ff., 170-175, 182, 188, 190, 193-198 Α . 155, 2 1 0 digressio 8of., 82 A . 93, 91, i o o f . disiunctio 112 .Disposition' 57 divisio s. qualitates docere s. moralisatio docilitas 61 f. Doppelsinn 217, 306 dramenähnliche Z ü g e 78 f., 99 f., 102, 104 bis 107 Dramentheorie 105 fr. Dreieckssituation 75, 141-144, 193, 198, 208f., 2I5f., 226 -

i n : FRAUENTREUE

-

i n : HERZMÄRE 1 4 4 - 1 4 8

157-174

-

i n : PETER VON STAUFENBERG

148-157

Dreiteiligkeit der Haupthandlung 88-95, 103, I05f., 128 - Aspekte des Handlungsverlaufs 84, 9of., 105 f.

ηηί.,

- s. Erweiterung - Strukturskizzen 88 ff., 92 f. dubitatio 261, 302 duplex pronuntiatio 114 ff.

- erfolgreicher 37, 93, 226fr., 232, 236 - geschlagener und zufriedener 93, 224L - unhöfischer I42f., 145f., 163 A . 68, 1 6 5 A . 75, 215, 222 Einheit - innere 102 ff., 106 - der Fabel 102, 134 - der Zeit 102 ff. elocutio 117 E p i l o g 58, 80, 107-122, 129L - a corpore materiae 108 f., m - a proverbio 108 f. - ab exemplo 108 ff. - s. expolitio - s. argumentatio Episode s. Erweiterung epitasis 105 Erweiterung, episodische 91 ff., 1 0 2 f r . , 106, 128 Erziehungsideal, höfisches 40, 128, 1 3 7 f r . , 159, 180, 196 exclamatio 28 A . 103 Exempla, mittellateinische 28 f. exemplum io8ff., 1 1 3 - 1 1 7 , 120 A . 153 Exkurs s. digressio exordium s. Prolog exornatio i i 8 f f . expolitio 114fr., i 2 o f . Exposition 73-88, 102 ff., 131 - A b g r e n z u n g z. Hauptteil 76fr., 81 - A n a l o g i e z. .dramatischen* Exposition 78f.,87 - Analogie z. rhetorischen narratio 80, 83 bis 87

- Funktionen 76fr., 81, 83f., 87 - Inhalt 7 4 f r . , 78, 80-85, 87> r 5 9

educatio 5 f., 8, 44 A . 141 Eheauffassung - kirchliche I39f., 149, 1 5 1 , 1 5 4 , 1 5 7 , 1 9 4 , 232fr. - klerikale 236, 3 1 7 ^ - bürgerliche E h e 164, 229fr. - heidnische E h e 194 - unantastbare E h e 1 4 4 , 1 5 8 , 1 6 4 , 1 6 8 , 184 - Standesehe 139, I54f., 157, 189

Fabliau - s. Titelregister - Beziehung z. Comedia und z. Schwank 324fr. Fassungen, verschiedene 13, 27, 55, 104, 158, 168, 1 9 1 A . 138, 193 f. Fastnachtspiel 107 Fee 149-156

341

Freu - böse 1 4 Α . 44, ηι, 98 Α . 1 1 4 , 2 3 j f f - , 2j6i., 285-290, 3 1 5 f r . - bürgerliche 164, 173 A . 99 - buhlerische 46, 47 A . 154, 2 1 5 , 221 - listige 46, 75 f., 224, 226, 2 3 3 f . , 305 f. - treue a) s. Gattinnentreue b) s. „ t r i u w e " frauenfeindliche Haltung 3 1 4 - 3 1 7 Frauenschelte 1 1 , 1 4 L , 263 t. frequentatio 19 fructus finalis 60, 63, 66, 319 Galfredus de Vinosalvo 5 A . 1 1 , 24, 30 A . i n , 57, 62, 66, 87, 108, 1 1 4 A . 143, 123 A . i f . , 320, 325 A . 86 Gartenmetaphorik 253-258, 260 u. A . 59 Gattinnentreue, erprobte u. bewahrte 22 f., 37, 7°f-> 77 A . 82, 93, 96f., 1 4 4 , 1 5 9 , 208, 223-228, 2 3 1 , 292 Gattungsmischung s. Bispeldichtung, Comedia, Exempla, Roman, Streitgespräch Gattungsstil 23t., 26, 2 8 - 3 1 , 78f., 102, 124, 2 1 6 Gattungstypen s. Märentypen Gegenspieler s. Rollenfunktionen geistliche Einflüsse 3 1 , I 5 i f . , 1 5 4 t . , 1 5 7 , 2 3 5 f . , 281-290 genus (laus) 4-8 genus (Vertretbarkeitsgrad) 229 - admirabile 69 A . 49, 72 - dubium 68 - honestum 68, 70t. - humile 68 - obscurum 68 - turpe 85, 261 genus iudicale 14, 30, 39, 66ff., 72, 107fr., 113, 115 - Analogien z. 80-87, I I O > J I 3 > I I 5 > " i f · Gerichtsrede s. genus iudicale Geschehnissituation, Einführung in die 74-77, 78, 80-85, 159*· Häufung s. Wiederholung Hauptperson s. Rollenfunktionen Hauptteil s. zentraler Handlungsteil Hemdmotiv 163, 169fr., 173 A . 98 H o h e Minne s. Liebesauffassung hortus conclusus s. Gartenmetaphorik „ h u o t e " 34, 90, i 4 6 f . , 163 A . 68, i 7 6 f . , 204 f.

342

idealisierende Charakteristik 1 0 , 1 2 A . 3 7 · i 7 f . , 23 A . 79, 280 A . 126 illiteratus 278, 280, 325 A . 86, s. auch Buchgelehrsamkeit initium narrationis - a persona 80-83 - a re 82 inquit-Formel 54 insinuatio 72, 261 interfatio 86 Isidor 28 A . 103, 70, 73 A . 73, 120 jeux-partis 247, 249 f., 265, 269 f., 301 Johannes de Garlandia 24 A . 82, 32 A . 1 1 5 , 60, 74 A . 77, 79 A . 87, 322 klerikale Tradition 278-295, 299-329 (V. Kapitel) K o m i k 35, 37, 46, 47 A . 1 5 2 , 53, 90, 107, 108 A . 1 3 6 , 129fr., 204, 207, 209, 2 1 5 , 219, 266, 271 f., 297f., 3 1 2 komische Gattung s. Schwank Komödienstoff 32, 123 Komposition 5 7 - 1 3 3 (II. Kapitel) Konfliktsituation 90-93, 95fr., 99ff-, I42f., 164t., 1 9 6 - 1 9 9 , 201, 2 1 5 t., 222 Kürze als Stilideal 6ff., 1 2 t . , 2 1 , 23-29, 7 1 , 7 9 f r . , 83-86, 92, 1 2 3 , 128, 1 3 0 - 1 3 3 Kupplerin 1 1 , 318 Laiendichter 1 2 4 - 1 2 7 Lais, altfranzösische 1 4 9 f r . , 2 1 0 laus 4 - 2 5 , 2 1 , 80, 82 A . 93, 87, I 2 8 f . - laus-Topik 4 - 1 1 , 13 Lebensführung s. convictus Legendenelemente 243 f., 278-291 Leibeshälften, obere und untere 194, 2 0 1 , 248 Leidenschaft s. passio innata Leitwörter 48-52, 128 „liebe" als maritalis affectio 1 6 3 f. Liebe - heimliche 84, 158, 147, 1 5 1 f. - käufliche 82 A . 93, 205 f. - zum unverheirateten Mädchen 1 4 1 , 175 bis 178, 215 Liebe und E h e 1 3 4 - 2 3 6 (III. Kapitel) Liebesauffassung, höfische - im allgemeinen 1 3 4 - 1 4 4 , 1 7 8 - 1 8 7 - im einzelnen a) höfisch-galantes Märe 134, 144-202 b) moralisch-exemplarisches Märe 232 bis 236

c) moralisiertet Schwank 2 2 2 - 2 3 1 d) reiner Schwank 134, 154, 205-222 -Forschung 134-136 - gesellschaftliche Aspekte 1 3 6 , 1 3 9 , i 4 7 f . , i 5 o f . , 155 t., 1 7 5 , 1 7 7 , 180 ff., 199 - Liebe als verinnerlichtes G e f ü h l 164, 185, 230 - Liebe als Läuterung s. sapienter amare - Liebe als Leidenschaft s. passio - Pastourelle 3 i 2 f f . - ,Tristan' 146fr., 156, 167, 1 7 8 - 1 8 6 , 2 2 1 - Wandel 1 4 7 L , 1 5 1 , 154fr., 1 7 8 - 1 8 7 , 189 Liebeskodex s. Minnedoktrin Liebeskrankheit 167fr., 1 7 1 , 2o6ff. Liebestod 146, 148, 1 7 1 - 1 7 5 , 178, 183 f. locus amoenus 82, 239fr., 253t., 3 0 3 f . Lyrik, höfische 1 3 5 t . , 1 4 3 f . , 204, 209 A . 1 9 1 , 242 f. Märchenstoff 26, 1 4 9 - 1 5 5 , 262 f. Märe - Begriff I X f. - höfisch-galantes 3 A . 7, 2 2 L , 25 f., 28f.,

Minnekasuistik, parodische Formen 220, 247-250, 265-269, 298 Minnelohn s. Dienst- u. Lohngedanke Minnesang s. Lyrik Minnetausch, -rückkauf 5 3 , 9 i , 9 9 A . n 6 , 2 i 2 mittellateinische Tradition 299-329 ( V . Kapitel) Mönch 43, 92, 227, 271 A . 96, 272 f., 327 Monolog 79, 166 A . 79, 186, 198fr., 2 5 1 , 268 A . 88, 269, 300, 320, 322 moralisatio 14, 28, 30-33, 3 6 - 4 1 , 44, 52, 7 1 , 80, 92, 1 2 8 - 1 3 3 Musenanruf 65 Nacktheit 18 A . 63, 1 9 L Naivität, erotische 18 A . 63,35 A . 1 1 9 , 5 3 , 2 1 2 f f . , 219, 247, 249 A . 21 f., 250, 272f., 294 narratio - aperta 86 - poetische 63, 109 f. - probabilis 86 - rhetorische 80, 83-87, m , 1 2 1 ,Natur als Bildnerin des schönen Menschen' i6f. natura 5 Nebenfigur s. Rollenfunktionen „noch"-Formel 109 A . I 3 8 f . nomen 4, 5 A . 1 3 , 7 f . , 74 .novellistisch' X , 6f., 1 3 , 26, 6 7 L , 77, 142, 1 9 1 , 194

33 f -> 43» 59. I 2 7 f - > 1 3 2 , ^ 4 , 144-202 - moralisch-exemplarisches 3 A . 7, 1 1 f . , 19, 23, 28f., 3 8 - 4 2 , 4 3 f . , 4 7 , 5 9 , 69fr., 76, 80, io8ff., 1 2 0 A . 1 5 3 , 1 2 2 f t , i 3 i f . , 144, 232—236 Märendichter, soziale Einstufung 203, 245, 296L, 299L Märenforschung i f f . , s. V o r w o r t Märentypen 3 f . , 1 1 - 1 4 , 22, 28f., 38, 4 3 f . , 46fr., 56, 59, 69, 71 A . 5 9 , 1 2 3 L , 1 2 7 - 1 3 4 , 222, 238 - s. höfisch-galantes Märe - s. moralisch-exemplarisches Märe - s. moralisierter Schwank - s. reiner Schwank Märenumfang 2 4 f r . , 28, 79, 81, 84f., 1 0 3 , 128-133 Martenehe 149 Matthieu de Vendöme 5 A . 1 1 , 6 A . 16, 10 A . 32, 24 A . 82, 30, 32 A . 1 1 5 , 34, 74 A . 78, 108 A . 1 3 2 , 309 A . 38, 3 1 9 A . 72, 325 A . 86 medias-in-res-Technik 76, 1 3 1 Minne, höfische s. Liebesauffassung Minnedoktrin, höfische 102, 1 3 7 - 1 4 3 , 1 7 1 , 193-202, 2 1 1 , s. auch Andreas Capellanus

Parodie i 2 9 f . , 180 A . 1 1 9 , 2 1 3 , 220, 237 bis 298 (IV. Kapitel), 307 passio innata 1 3 7 , iöoff., 166, 1 7 1 - 1 7 7 , 179, 1 8 1 , 186 Pastourelle 2 1 2 , 3 1 2 fr. patria 4 f . , ηΐ., 75 f. permissio 261 peroratio 107, 1 2 2

Minnekasuistik 1 4 2 f . , 169, 178 A , 1 1 5 , 1 9 1 - 1 9 4 , 199, 201 f., 300; t. nächste Sp.

a persona scribentis et auditoris 60-63, 65 Personenbeschreibung s. descriptio

Objektivierung von Handlungs- u. Willensimpulsen 44-48, 128 fr. Obszönität 1 7 A . 57, 20, 53, 2 1 6 - 2 2 0 , 228, 251 f., 293fr. ordo naturalis bzw. artificalis 57, 66, 73 f. ornatus difficilis 28 A . 103 ornatus facilis 28 A . 103, 1 1 4 A . 144, 123 Ortsangaben 74, 78f., 82, 9 8 - 1 0 1 Ovid 176 A . 104, 3 1 1

343

Personenrollen s. Bauer, Bewerber, Blinder, Ehemann, Kupplerin, Mönch, Priester, Richter, „schuolaere" personificatio s. Allegorisches Poetik 1-56 (I. Kapitel) 57-135 (II. Kapitel) - Autoren u. Poetik bzw. Rhetorik 2, 58, 69. 73» 8 7> 1 2 4 - 1 2 7 » ! J 2

A

· 46» 3 2 5 f ·

- Beziehung: Poetik u. Rhetorik 8 , 3 2 , 6 5 , 79 f·

- Mären u. Poetik bzw. Rhetorik 5-9, 16 bis 20, 24, 26, 28 A . 103, 30fr., 57-64, _

1

66, 6 8 - 7 3 , 79 87> 9 A . 108, 94 A . 1 1 2 , ΙΟΙ, I O 7 - I 2 2 , I 2 2 f f . , 2 6 3 L

polyptoton 48-52 u. A . 163, 1 1 4 Priester 37 A . 124, 205, 219, 227f., 232, 245 f., 292 f., 3 0 7 - 3 1 0

probatio 80, 86, 1 1 0 prodesse s. moralisatio professio 4f., 8 Prolog 58-73, 81 A . 9 3 , 8 3 , 1 0 7 , 1 2 8 , i 3 o f . , 186

- Topoi 59-66 prologus - der Comedia 3 i 9 f . , 323 - ante rem 60, 62, 320 - praeter rem 60, 65, 320 prooemium s. Prolog Protagonist s. Rollenfunktionen propositio 109, i n f . , 1 1 8 - 1 2 1 protasis 105 Pro verb s. Sentenz Publikum - Märenautoren u. Publikum 60-73, 76, 87, 1 1 5 , 2 2 1 , 261

- soziale Stellung 1 5 , 21, 41, 61 A . 14, 72, 125 A . 5a, 129, 136, 203, 2 1 8 f . , 230, 257, 296

qualitates animae et corporis 4 L , 8, 17 A . 60, 2 1 ff., 128

Quintilian 74 A . 74, 80 A , 89, 81, 83, 86 A . 1 0 1 , 1 1 3 , 1 1 7 A . 148

ratio i i 4 f . , I i 8 f . , 1 2 1 ratiocinatio s. argumentatio .Realismus' 2, 7, 68, 69 A . 48a, 85, 188 A. 131

recapitulatio 122 Rechtsordnung, gestörte 15, 37, 4 1 , 44, 7 o f . , 1 3 0 , 234, 274

refutatio 1 1 0 , 1 1 3 , 1 1 5 f. 344

reprehensio 1 1 0 Rezitator 107, 1 1 5 , 128, 158, 320 ,Rhetorica ad Herennium' 28 A . 103, 30 A . 109, 32 A . 1 1 4 , 66, 7 1 , 72 A . 68, 83 A . 98, 1 1 4 , n 6 f . , 1 2 0

Rhetorik s. Poetik Richter 269):., 273 A . 1 0 1 , 301 ff. Rollenfunktionen 37, 4 1 , 95-98, I 4 2 f . , 164, 165 A . 75, 166, 1 9 7 , 204ft, 2 1 5 t . , 2 2 2 - 2 2 5 , 228, 2 34> 2 4 7 f · . 2 5 1 , 269

Roman, höfischer 10, 23-27, 29,40, 79, 94, 1 0 2 , 104, 1 2 8 , I 4 i f . , 1 5 1 , 1 5 5 , 180, 1 8 5 , 1 8 7 f r . , 2o6f., 2 1 2

Rosensymbolik 254-259 Sagenstoff s. Märchenstoff sapienter amare 1 3 7 - 1 4 0 , 162, 166, 1 7 1 f., 1 7 4 , 1 7 6 f . , 1 8 0 , 1 8 2 , 1 8 6 , 1 9 5 , 201 A . 169, 204, 2 2 1 , 266 Schönheitsbeschreibung 1 6 - 2 3 , 128-131, 161

- des Mannes 6 A . 16 „schuolaere" 9, 21 A . 70, 126, 252f., 265 t., 273> 299» 3 I l f - > 3 2 6 f f .

Schwank - moralisierter 3 A . 7, I 2 f . , 19, 22, 35-38, 4 3 f · . 47f·» 7 ° , 75f·» 9 i f · , 98, 1 2 2 , 1 2 7 , i 3 o f . , 1 3 3 f . , 1 4 4 , 206 A . 1 8 2 , 2 2 2 - 2 3 1 - reiner 3 A . 7, 8 - 1 2 , 1 9 - 2 2 , 28ff., 33, 3 4 f . , 4 o f . , 4 3 , 46, 53, 59, 69, 91 ff, 98, 1 2 3 , 1 2 9 - 1 3 2 , 134, 203-222, 237-298 (IV.

Kapitel) Sentenz 29-44, 62, 66, 74, 81 - Funktionen im einzelnen a) ritterlich-erziehend 33t., 39t., 4 2 , 1 2 8 b) schwankhaft-komisch 34t., 38, 4of., 129 c) moralisch 3 5 - 4 2 , 65, i o 8 f . , 1 3 0 t .

- verschiedene Funktionen 29-33 - rhetorische Schlußsentenz 1 1 0 - 1 2 2 sententia duplex 120 sentimentale Liebesgeschichten 128, 144 bis 1 8 7 , 204 significatio 31 Spannungszustand der Exposition 76-79, 105

„spil, geteiltez" 249 f. Standespersonen, Darstellung

der 8 - 1 3 ,

17, igff.

ständische Denkweise 9 - 1 2 , 42, 45 fr., 56, I 2 3 f . , 1 3 6 , 1 3 9 , 1 5 4 f - , 188, 229 A . 240, 2 3 2 , 264, 2 7 1 - 2 7 8

Stil 1-56 (I. Kapitel) 57, 79, 122-135 Stilisierung, höfische 9, 10 A . 31, 15 f., 44 bis 47, 2 1 1 , 2i8f., 220, 234, 293 Streitgespräch 300-308, 3ioff. - parodische Formen 247-251, 263 fr., 269 f* Student s. „schuolaere" summa facti 60, 62 f., 72 Symbolismus s. significatio szenische Gliederung 98-102 taedium 87, 1 1 8 A . 151 Tagelied 18, 136, 210, 212t. Teilung der Frau mit einem andern 191 f., 2iof. temporale Angaben 76-79, 82, 84f. ( 98 bis 104 tempus (Jahreszeitenbeschreibung) 82f., 212 timide ad dicendum 64 .Trägheit meiden' 64 A . 26 Translatio-Gedanke 50 A. 159 Triebminne 175, 202f., 218, 22of., 266f. „triuwe" - Frau z. Geliebten 148, 156, 172t., 175, 198 - ritterliche Tugend 34, 39, i9off. - geistliche 281-284, 286-289 Troubadourlyrik 135, 137, 143 Trunkenheitsliteratur 242 Tugendbegriff 22 t. - ritterliche Tugenden 33t., 39, i9off. - s. Erziehungsideal Turnierhandlung, Wandel der 162 f. Typenmischung 13, 24f., 38, 43f., 5iff., 56, 130-133, 226

Überbietungstopos s. idealisierende Charakteristik .Überhang' 91-94 Unantastbarkeit, Symbol der 254ff., 258f. Unersättlichkeit der Frau 219, 265 A. 76, 294, 306, 310 A. 43, 316 A. 64 Unsagbarkeitstopos 18, 21, 216 Vagantendichtung 293, 299t., 307, 309^, 3i2ff., 325 A . 86 Verknüpfungstechnik 5off., 54,- 62, 77ff., 87, 128 „verligen" 273 f. Vertretbarkeitsgrad s. genus Vierteiligkeit 105 A . 126 vituperatio s. Frauenschelte Völlerei 274f., 308, 310 A . 43 volkstümliche Elemente 1 , 14, 20, 48 f., 55 f ·. 55 A · i7°> 56, 123. I2 5> Vorausdeutung 43f., 128L, 159 .Vorgeschichte' s. Exposition Vorrede s. Prolog

218

Wahrheitsbegriff 32, 67 Wahrheitsbeteuerung 3ο ff., 66 ff., 85, 260 Wahrscheinlichkeit 85f. Wege, Motiv der zwei 288 ff. Wiederholung 48-56, 92, 1 1 2 , 1 1 4 , 120, 123,128f. Willensfreiheit s. Objektivierung .Wissen verpflichtet zur Mitteilung' 64 A . 26, 260 Zeitgerüst s. Aspekte des Handlungsverlaufs, temporale Angaben zentraler Handlungsteil 57f., 76ff., 84, 88 bis 107

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