Östereich. Italien: Beiträge zur Geschichte einer europäischen Nachbarschaft im 19. und 20. Jahrhundert [1 ed.] 9783205210245, 9783205210221

140 40 6MB

German Pages [361] Year 2020

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Östereich. Italien: Beiträge zur Geschichte einer europäischen Nachbarschaft im 19. und 20. Jahrhundert [1 ed.]
 9783205210245, 9783205210221

Citation preview

Österreich Italien •

Beiträge zur Geschichte einer europäischen Nachbarschaft im 19. und 20. Jahrhundert

Stefan Malfèr

Schriftenreihe des Österreichischen Historischen Instituts in Rom Herausgegeben von Andreas Gottsmann Band 6 Wissenschaftlicher Beirat: Emilia Hrabovec (Bratislava), Jochen Johrendt (Wuppertal), Luca Lecis (Cagliari), Andreas Pülz (Wien), Sebastian Schütze (Wien), Antonio Trampus (Venedig)

Stefan Malfèr

Österreich · Italien Beiträge zur Geschichte einer europäischen Nachbarschaft im 19. und 20. Jahrhundert

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. © 2020 by Böhlau Verlag Gesellschaft m.b.H & Co. KG, Zeltgasse 1 / Top 6a, A-1080 Wien Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Korrektorat: Verena M. Schirl Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Coverabbildung: Zusammenkunft Kaiser Franz Josephs I. mit König Viktor Emanuel II. von Italien in Venedig. © ÖNB Bildarchiv und Grafiksammlung. Wissenschaftlicher Satz: satz&sonders GmbH, Dülmen

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-21024-5

Inhalt Vorwort

.............................................

7

ÖSTERREICHISCHES ITALIEN 1.

Rückkehr nach Italien. Metternich, der Wiener Kongress und Lombardo-Venetien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

2.

Die Republik Venedig 1848/49 aus österreichischer Sicht

......

23

3.

Gescheiterte Bemühungen um eine Verfassung für das lombardisch-venetianische Königreich 1848–1850 ...........

40

Das unterbliebene Angebot. Überlegungen anlässlich 150 Jahre Venetien zu Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

5.

Niccolò Tommaseo – ein Italiener in Österreich. Eine Spurensuche

73

6.

Italienische Studenten in Wien, Graz und Innsbruck 1848–1918

4.

.

96

ÖSTERREICH UND ITALIEN 7.

Das Bild vom Anderen – Österreicher und Italiener

...........

112

8.

Haus Savoyen und Haus Habsburg. Höflichkeitsschreiben aus Anlass von Familienereignissen regierender Häuser in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145

Keine versäumte Chance. Österreich und die Niederlage der päpstlichen Truppen bei Castelfidardo ....................

174

10. Die Errichtung des Königreichs Italien 1860/61 in den Leitartikeln des Wiener Blattes »Die Presse« . . . . . . . . . . . . . . . .

186

11. Einheit, Verfassung, Föderalismus. Politische Konzepte im Vergleich

206

12. Italien im Ersten Weltkrieg aus österreichischer Sicht

..........

223

...........

234

14. Die Beziehungen zwischen Österreich und Italien von Saint Germain bis zum Marsch auf Rom .......................

250

9.

13. Österreich und die Abtretung Südtirols. Vier Bilder

6

Inhalt

15. Ein österreichisch-italienischer Zwischenfall 1925 ausgelöst durch eine Rede Wilhelm Ellenbogens gegen Mussolini . . . . . . . .

264

16. Die Rede über den Anderen. Italien und Österreich im politischen Diskurs nach dem Ersten Weltkrieg ..............

279

17. Giuseppe Garibaldi aus österreichischer Sicht

..............

299

....................

312

................................

314

.........................................

328

ANHANG 18. Zur Erzählung »Ich geh’ nach London« 19. Ich geh’ nach London Bibliographie

Personenregister

......................................

354

Vorwort Ich war elf Jahre alt, als in der Nacht zum 12. Juni 1961, dem Herz-Jesu-Sonntag, zahlreiche Strommasten gesprengt wurden. Das Ereignis ist als Südtiroler »Feuernacht« in die Geschichte eingegangen. Für meinen Vater war Politik »ein schmutziges Geschäft«, eine Folge der vielen politischen Umbrüche, die er, Jahrgang 1897, erlebt hatte. Aber er kaufte und las täglich die Zeitung. Die aufregenden Jahre des Ringens um eine politische Lösung der Südtirolfrage, die regelmäßige Lektüre der Zeitung, der Geschichteunterricht am Bozner Franziskanergymnasium, die allgemeine Politisierung der 1968er-Generation – am Gymnasium in besonderer Weise durch den charismatischen Alexander Langer verstärkt –, all das hat mich bewogen, an der Universität Wien Geschichte und Germanistik zu inskribieren. Die Lehrveranstaltungen von Heinrich Lutz und Gerald Stourzh gaben den Ausschlag, mich auf die Geschichte zu konzentrieren und die Dissertation über die österreichisch-italienischen Beziehungen zu schreiben. Nach dem Studium wurde mir eine Stelle bei der Edition der Ministerratsprotokolle der Habsburgermonarchie angeboten. Die Kontakte zwischen italienischen und österreichischen Historikern waren damals rege, immer wieder wollte man auf Tagungen in Italien zu Themen des 19. und 20. Jahrhunderts auch österreichische Historiker hören, gewissermaßen die – historisch gesehen – andere Seite. Eines Tages lud mich Adam Wandruszka ein, auf einer Risorgimento-Tagung in Mantua einen Vortrag zu halten. Im Lauf der Jahre sind es viele Vorträge und Artikel geworden, und viele dieser Beiträge sind nur in italienischer Sprache publiziert. Ich danke Andreas Gottsmann, dass er meinen Vorschlag, mehrere dieser Texte in deutscher Sprache zu publizieren, aufgegriffen und angeboten hat, die Sammlung in die Reihe der Publikationen des Österreichischen Historischen Instituts in Rom aufzunehmen. Es handelt sich trotz der thematischen Zusammengehörigkeit um Einzelbeiträge. Dennoch bin ich mit Erlaubnis des Herausgebers, der Einfachheit halber und um unnütze Wiederholungen zu vermeiden, von der Praxis abgegangen, die Quellen in den Anmerkungen eines jeden Beitrags bei der ersten Nennung vollständig zu zitieren, sondern habe ausnahmsweise durchgängig nur Kurzzitate verwendet. Die vollständige Quellenangabe ist selbstverständlich in der Bibliographie angeführt. Alle Beiträge wurden überarbeitet. Manches, was beim Tagungsteilnehmer in Italien vorausgesetzt werden konnte, wurde hier ergänzt. Dafür sind Teile weggefallen, die dem italienischen Publikum galten oder die Wiederholungen gewesen wären. Mancher Gedanke wurde geschärft und weitergeführt. Wenn in den Arbeiten, die über einen längeren Zeitraum hin entstanden sind, ein roter Faden ist, dann dies: Der Verlauf der Geschichte ist nicht »alternativlos«. Immer gab es Ideen

8

Vorwort

und Ratschläge, deren Befolgung besser gewesen wäre. Für manche Vorschläge war die Zeit nicht reif, später wurden sie doch aufgegriffen. Es verändert den Blick auf die Geschichte, wenn wir diese Ideen und Vorschläge wahrnehmen und das zwar nicht Geschehene, aber Gedachte und somit Vorhandene hervorholen. Nachbarn kann man sich nicht aussuchen, Nachbarschaft aber kann man gestalten. Österreich und Italien sind benachbarte Länder, in deren Beziehungen in der Vergangenheit es viel Austausch, aber auch Gegnerschaft, Misstrauen und sogar Kriege gegeben hat. Heute darf man von einer vorbildlichen europäischen Nachbarschaft sprechen. Stefan Malfèr

ÖSTERREICHISCHES ITALIEN

1. Rückkehr nach Italien. Metternich, der Wiener Kongress und Lombardo-Venetien

1.1 Rückkehr nach Italien Weite Teile der italienischen Halbinsel gehörten vom 16. bis zum 18. Jahrhundert zum Einflussbereich der Habsburger. Zuerst waren es die spanischen Habsburger, die sich in Neapel, Sizilien, Sardinien und Mailand festsetzten. Die anderen größeren Staaten blieben zwar formal selbständig, doch waren sie angesichts der spanischen Macht von geringem politischen Gewicht, nämlich der Kirchenstaat, das Herzogtum Savoyen, das Großherzogtum Toskana und die Adelsrepubliken Venedig und Genua. Nach dem Aussterben der spanischen Habsburger mit Karl II. und dem dadurch ausgelösten Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1714) traten die österreichischen Habsburger an die Stelle der spanischen. Als 1706 der kaiserliche Feldherr Prinz Eugen von Savoyen gemeinsam mit seinem Vetter Viktor Amadeus II., Herzog von Savoyen, bei Turin gegen die französischen Truppen siegte, fiel das Herzogtum Mailand an das österreichische Haus Habsburg. In Prinz Eugens Winterpalais in der Wiener Himmelpfortgasse erinnert das riesige Gemälde von Ignace-Jacques Parrocel an diese Schlacht. 1 Auch das Königreich Neapel wurde in der Folge von den kaiserlichen Truppen besetzt. Es kam zwar nach nur drei Jahrzehnten, 1735, wieder an die Bourbonen, die nun in Spanien regierten, blieb aber doch durch die Heirat König Ferdinands IV. mit einer Tochter Maria Theresias weiterhin mit den österreichischen Habsburgern verbunden. Dasselbe galt für das Herzogtum Parma. Es wurde zwar nach einem kurzen habsburgischen Intermezzo 1748 wieder bourbonisch, doch heiratete Herzog Ferdinand ebenfalls eine Tochter Maria Theresias. Zum habsburgischen Bereich kam 1737 auch das Großherzogtum Toskana, wo Maria Theresias Gatte Franz Stephan im Tausch mit Lothringen Großherzog wurde. Unabhängig blieben der Kirchenstaat, die Republiken Genua und Venedig sowie Savoyen, das mittlerweile zum Königreich Sardinien-Piemont aufgestiegen war. Mit dem Vordringen der französischen Truppen unter General Napoleon Bonaparte 1796 brachen Herrschaft und Einfluss der österreichischen Habsburger Zug um Zug vollständig zusammen. Die italienische Halbinsel war 1 Vgl. Husslein-Arco, Winterpalais.

12

Rückkehr nach Italien

nirgendwo mehr habsburgisch. Unter Napoleon wurde sie revolutionär, republikanisch, dann wieder monarchisch, blieb aber jedenfalls für ein Viertel Jahrhundert unter französischem Einfluss. Dann aber brach das napoleonische System zusammen. Die Verhältnisse wurden teils wiederhergestellt, teils neu geordnet, und Habsburg kehrte nach Italien zurück. Verlust und Wiedererlangen von Herrschaft waren häufige Ereignisse in der langen napoleonischen Ära. Nicht nur auf der italienischen Halbinsel, sondern auch in vielen anderen Gebieten Europas kam es zu einem oder zu mehrfachem Herrschaftswechsel. Er wurde meistens durch kriegerische Ereignisse herbeigeführt und anschließend durch politisch-diplomatische Aktionen wie Friedensschlüsse bestätigt. Mehrmals kam ein Herrschaftswechsel nur durch politischdiplomatische Entscheidungen zustande, vor allem beim Wiener Kongress. Die Feststellung, wer in einem Gebiet herrscht, streift freilich nur an der Oberfläche der Dinge. Wichtiger ist, wie die Herrschaft ausgeübt wird und wie sie sich letztlich legitimiert. Wie ist das Verhältnis zwischen Herrschaft und Untertanen, wie verhalten sich die politischen Eliten, gibt es Ausbeutung oder Prosperität, gibt es Reformen? Entscheidend ist, ob politische Partizipation möglich ist. Dauerhaft ist Herrschaft nur dann, wenn sie als rechtens empfunden wird und wenn es eine wie immer geartete Mitbestimmung gibt. Kurzfristig siegt die Machtpolitik mit ihren Instrumenten Militär und Diplomatie samt den ökonomischen Implikationen. Langfristig wichtiger ist eine andere Ebene, nämlich wer die Köpfe und Herzen der Menschen beherrscht. Es geht also um Ideen und Gedanken, um gesellschaftliche Vorstellungen und Interessen, um Motivation und Propaganda. Das galt für die habsburgische Herrschaft im 18. Jahrhundert genauso wie für die zurückgewonnene Machstellung in Oberitalien durch die Habsburgermonarchie im 19. Jahrhundert. Im Folgenden wird zuerst ein kurzer Blick auf die Fakten geworfen, durch die sich die Rückkehr Habsburgs nach Italien vollzog. Das ist zum einen die militärisch-diplomatische Entwicklung bis zum Beginn des Wiener Kongresses. Zum andern ist es die während des Wiener Kongresses, aber unabhängig von ihm erfolgte Errichtung des lombardisch-venetianischen Königreichs. Bei der Lombardei und bei Venetien spielen – auf den ersten Blick überraschend – militärische und diplomatische Faktoren im Kontext des Wiener Kongresses eine geringe Rolle. Dies ist aber deshalb nicht erstaunlich, weil der Verbleib der beiden Gebiete bei Österreich schon zu Beginn des Kongresses außer Frage stand. Diese Fakten sind aber nur die Oberfläche der Dinge. Anschließend soll die andere Seite in den Blick genommen werden. Die Rückkehr enthob die Habsburger nicht der Aufgabe, die Bevölkerung zu gewinnen, und zwar nicht nur kurzfristig zur Überwindung revolutionären Gedankenguts, sondern auch lang-

Die Wiedereroberung Venetiens und der Lombardei

fristig im Kampf gegen die Idee des Nationalstaates. Damit kommt sozusagen die innenpolitische Seite ins Spiel. Dies soll anhand eines Dokuments geschehen, in dem der politisch-ideologische Aspekt sehr klar zum Ausdruck kommt, nämlich die Proklamation des Generalgouverneurs in Mailand, Heinrich Graf Bellegarde, an die Lombarden vom 4. April 1815.

1.2 Die Wiedereroberung Venetiens und der Lombardei Nach dem Sieg der Alliierten bei Leipzig im Oktober 1813 und dem darauffolgenden langsamen Rückzug Napoleons nach Frankreich begann die Rückeroberung der unter seiner Herrschaft stehenden Gebiete und die Reorganisation Europas, die schließlich im Wiener Kongress und in dessen Schlussakte vom 8. Juni 1815 ihren Abschluss fand. Noch im Oktober 1813 drängte ein österreichisches Heer die Armee des Königreichs Italien unter dem Vizekönig Eugène de Beauharnais bis Trient, im November bis Verona zurück. Dalmatien fiel im Dezember 1813 wieder unter österreichische Herrschaft. Am 11. Jänner 1814 wechselte der König von Neapel Joachim Murat die Seiten und schloss einen Vertrag mit Österreich. 2 Der österreichische Feldzug in der Poebene kam zwar im Februar 1814 zum Stillstand (8. Februar 1814 Schlacht am Mincio), doch verlor Beauharnais mit der Abdankung Napoleons am 6. April 1814 die Unterstützung Frankreichs. In Mailand kam es am 20. April 1814 zum antifranzösischen Aufstand. Am 23. April 1814 kapitulierte Beauharnais. 3 Am 8. Mai 1814 rückten die österreichischen Truppen unter Bellegarde in Mailand ein und nahmen die Stadt wieder in Besitz. 17 Jahre lang war sie napoleonisch gewesen, zuerst als Teil der Cisalpinischen Republik, dann als Teil des Königreichs Italien. Gleichzeitig, am 7. Mai 1814, wurde Venedig wieder von Österreich in Besitz genommen. Die altehrwürdige Republik Venedig war 1797 gefallen. Nach kurzer französischer Besetzung war ihr Gebiet im Tausch gegen die Lombardei zu Österreich gekommen (Vorfriede von Leoben 17. 4. 1797, Friede von Campo Formio 17. 10. 1797). Nach nur acht Jahren musste Österreich das Gebiet an das napoleonische Königreich Italien abtreten (Friede von Preßburg 26. 12. 1805). Nun, nach weiteren acht Jahren, wurde es wieder österreichisch. Der Erste Friede von Paris vom 30. Mai 1814 bestätigte im Artikel 2 die Grenzen Frankreichs von 1792. Zu Italien besagte Artikel 6, Absatz 4: »Italien, außerhalb der Grenzen der an Österreich zurückfallenden Länder, wird 2 Vesque von Püttlingen, Staatsverträge 397. De Francesco, L’Italia di Bonaparte 144 f. 3 Ebd. 144–149.

13

14

Rückkehr nach Italien

aus unabhängigen Staaten bestehen.« 4 Die an Österreich zurückfallenden Länder waren eben die Lombardei und Venetien. Dies wurde auch in den geheimen Zusatzabsprachen festgelegt: Po, Ticino und Lago Maggiore waren die Grenzen der österreichischen Besitzungen. 5 Der Ausdruck unabhängige Staaten meinte alle anderen, sofern sie nicht, wie Genua, irgendwohin angeschlossen werden sollten. 6 Die Gespräche von Vertretern des lombardischen Adels in Paris mit dem Ziel, irgendwie unabhängig zu bleiben, brachten kein Ergebnis. 7 Von Venedig aus gab es gar keine solchen Versuche. 8 Die wohl nur taktische Überlegung des österreichischen Staatskanzlers Klemens Wenzel Lothar Fürst v. Metternich, durch ein territoriales Zugeständnis eines Teils der Lombardei an König Viktor Emanuel I. das habsburgische Erbfolgerecht in Sardinien-Piemont zu erlangen, wurde von allen Seiten abgelehnt. 9 Österreich hatte also die Lombardei und Venetien rechtlich und tatsächlich im Besitz. Dazu passt die spätere Allerhöchste Entschließung des Kaisers Franz vom 1. April 1815 im Vorfeld der Errichtung des lombardisch-venetianischen Königreichs, »kein Besitzergreifungs-Patent mehr zu erlassen«. 10

1.3 Der Wiener Kongress und Lombardo-Venetien Der Kongress, der gemäß Artikel 32 des Pariser Friedens innerhalb zweier Monate in Wien beginnen sollte, um die Bestimmungen des Friedens zu vervollständigen, der Wiener Kongress also, hatte zu diesen an Österreich zurückfallenden Gebieten nichts zu sagen. Anders war es mit dem Veltlin. 11 Dieses Gebiet war unter Napoleon 1797 an die Cisalpinische Republik bzw. das spätere Königreich Italien angeschlossen worden. Die Frage, ob es an die Eidgenossenschaft zurückfallen sollte und wenn ja in welcher Form, oder ob es mit der Lombardei verbunden bleiben sollte, war offen und umstritten. Das Interesse der Eidgenossenschaft war nicht einhellig, die Vertreter des Gebietes selbst wünschten den Verbleib bei der Lombardei, Österreich zeigte sich sehr interessiert an diesem Tal. So kam es schließlich zum Anschluss an die Lombardei und damit an Österreich. Aber das alles geschah im 4 5 6 7 8 9 10 11

Politische Gesetze und Verordnungen Nr. 44/1814. Geheimartikel 2, Neumann, Recueil des traités 473. Ebd. Meriggi, Regno Lombardo-Veneto 9 f.; De Francesco, L’Italia di Bonaparte 148 und 151. Zorzi, Österreichs Venedig 37 f. Stauber, Wiener Kongress 154; Uhlirz, Handbuch 2/1, 528 f. Helfert, Stiftung des Lombardo-Venetianischen Königreichs 207. Stauber, Wiener Kongress 144 f.

Der Wiener Kongress und Lombardo-Venetien

Kontext der Regelung der Schweizer Eidgenossenschaft und in der betreffenden Kommission und berührte nicht den selbstverständlichen Besitz der Lombardei und Venetiens durch Österreich. Dasselbe gilt für die Ziele Metternichs in Italien, sein sogenanntes italienisches Programm, 12 also seine Vorschläge zu den im Ersten Pariser Frieden genannten unabhängigen Staaten bzw. zu den Fragen, wer in welchem Gebiet herrschen sollte und wie die politische Ordnung der Halbinsel zu gestalten war. Lombardo-Venetien stellte hierin keinen irgendwie offenen Punkt dar. Ebenso verhält es sich mit dem Memorandum Metternichs vom 18. Februar 1815. 13 In diesem wurde zwar die Garantie aller österreichischen Besitzungen in Italien durch England und Frankreich angesprochen, das geschah aber nicht in dem Sinn, dass der Besitz Lombardo-Venetiens fraglich gewesen wäre, vielmehr war es eine Vorsichtsmaßnahme gegenüber möglichen Gefahren seitens des Königs von Neapel, Joachim Murat. Das Memorandum richtete sich vor allem gegen Neapel. In der Schlussakte des Wiener Kongresses kommen die Lombardei und Venetien im Artikel 93 vor, der von den ehemaligen österreichischen Besitzungen handelt, während der folgende Artikel 94 von den Ländern spricht, die mit Österreich vereinigt werden. Dass die ehemaligen Besitzungen aufgezählt werden, entsprach der Systematik der Schlussakte, die Vollständigkeit und Klarheit verlangte. Aber es ist nicht so, dass die beiden Gebiete erst aufgrund der Schlussakte Österreich zufielen, sondern die Schlussakte stellte nur fest, dass sie bereits aufgrund von früheren Traktaten und völkerrechtlichen Titeln zu Österreich gehörten. 14

12 Ebd. 152; Siemann, Metternich 607–616; Siemann, Metternich und Italien. 13 Stauber, Wiener Kongress 159. 14 Haupt-Vertrag des zu Wien versammelten Congresses der europäischen Mächte, Fürsten und freien Städte 166–170: »Artikel 93. Infolge der durch den Pariser Tractat vom 30. Mai 1814 stipulirten Entsagungen, erkennen die unterzeichneten Mächte des gegenwärtigen Tractats Se. Maj. den Kaiser von Österreich, dessen Erben und Nachfolger als gesetzmäßigen Souverain der Provinzen und Territorien an, welche im ganzen oder theilweise durch die Tractaten von Campo Formio von 1797, von Luneville von 1801, von Preßburg von 1805, durch die additionnelle Convention von Fontainebleau vom Jahr 1807 und durch den Wiener Tractat von 1809 abgetreten worden, und in deren Besetz Se. kais. kön. apostolische Majestät in Folge des letzten Krieges wieder gekommen sind; namentlich: von Istrien, sowohl österreichischen, als ehemaligen venetianischen Antheils, von Dalmatien, den ehemaligen venetianischen Inseln im adriatischen Meere, den Mündungen des Cattaro, der Stadt Venedig, den Lagunen, so wie den übrigen Provinzen und Districten des festen Landes der ehemaligen venetianischen Staaten auf dem linken Ufer der Etsch, den Herzogthümern Mailand und Mantua, den Fürstenthümern Brixen und Trient, der Grafschaft Tyrol, Vorarlberg, Österreichisch Friaul, dem ehemaligen venetianischen Frial, dem Gebiete von Montefalcone, dem Gouvernement und der Stadt Triest,

15

16

Rückkehr nach Italien

1.4 Die Errichtung des lombardisch-venetianischen Königreichs Parallel zu den Ereignissen auf gesamteuropäischer Ebene, also den Vorbereitungen des Wiener Kongresses, seinem Beginn und seinen Verhandlungen, ging Österreich daran, die militärisch wieder eroberten Gebiete administrativ einzugliedern. Das geschah zunächst provisorisch, zugleich wurde eine definitive Ordnung vorbereitet. Die Notwendigkeit resultierte aus der Tatsache, dass sich die Gebiete unterschiedlich lange unter französisch-napoleonischer Herrschaft befunden hatten. Während dieser Zeit hatten weitgehende und tiefgreifende rechtliche und administrative Reformen Platz gegriffen. Nun war zu prüfen, was davon beibehalten werden konnte und was zu ändern war. Eine vollständige Rückkehr zu den vorrevolutionären Zuständen war nicht möglich und nicht wünschenswert. Es ging um die territoriale Aufteilung und die administrative Zuteilung einzelner Gebiete, um die Verwaltungsorgane, um die Frage von lokaler Vertretung und Verfassung, um die zur Geltung gelangenden Gesetze, um Vermögens-, Finanz- und Steuerfragen usw. Zur Bearbeitung aller dieser Fragen wurde am 31. Juli 1814 die k. k. Central-Organisierungs-Hof-Commission in Wien eingesetzt, und zwar nicht nur für die Lombardei und für Venetien, sondern für alle »durch die vorausgegangenen Staatsverträge zurückerhaltenen oder neu erworbenen oder in nächster Folge etwa noch zufallenden Länder und Landesteile« 15, also Dalmatien, Istrien, Görz, Illyrien, Salzburg, Tirol, Vorarlberg, die norditalienischen Gebiete. Die Arbeit dieser Kommission erstreckte sich über einige Monate. Die Gouverneure und die provisorischen lokalen Behörden wurden befragt. In Wien wurden Gespräche mit Vertrauensmännern aus den Gebieten geführt. Selbstverständlich gingen die Vorstellungen weit auseinander. Sie bewegten sich zwischen den Wünschen nach Selbständigkeit, Autonomie, oligarchischer Mitsprache, landständischen Verfassungen auf der einen Seite, und den vor allem von Vertretern der Bürokratie bevorzugten effizienten, modernen, zentralistischen

von Crain, Oberkärnthen, Croatien am rechten Ufer der Sau, Fiume, dem ungarischen Littorale, und dem District von Castua. – Artikel 94. Se. kaiserl. königl. apostolische Majestät vereinigen mit ihrer Monarchie, um von ihnen und ihren Nachfolgern, als völlige souveraines Eigenthum besessen zu werden: 1. Ausser den Theilen des festen Landes der venetianischen Staaten, deren im vorigen Artikel Erwähnung geschehen ist, auch die übrigen Theile der genannten Staaten, so wie jedes andere Gebiet zwischen dem Tessin, dem Po und dem adriatischen Meere. 2. Die Thäler von Veltlin, von Worms und von Cläven. 3. Das Gebiet der ehemaligen Republik Ragusa.« 15 Helfert, Stiftung des Lombardo-Venetianischen Königreichs 19 f.

Die Errichtung des lombardisch-venetianischen Königreichs

Verwaltungsstrukturen auf der anderen Seite. Marco Meriggi hat diese Vorgänge für die Lombardei und für Venetien eingehend analysiert. 16 Auch innerhalb der Kommission gab es unterschiedliche Meinungen. Die einen wollten die französischen Verwaltungsstrukturen beibehalten, andere lehnten das ab. Metternich selbst griff nicht direkt ein, es lag nicht in seiner Kompetenz, sondern in der der Hofkanzlei. Nach einem halben Jahr Arbeit, Mitte Jänner 1815, legte die Kommission einen ersten Vortrag vor, auf den am 22. Februar eine Allerhöchste Entschließung erfolgte. Darin fielen die grundlegenden Entscheidungen. Die norditalienischen Gebiete sollten ein Königreich mit zwei Verwaltungseinheiten bilden. Die napoleonische Einteilung in Departements blieb unter den neuen Namen Provinzen bzw. Delegationen weitgehend aufrecht. Die lokale Mitsprache war durch je eine Zentralkongregation und durch Provinzialkongregationen gestattet. Der Name des neuen Reiches blieb noch offen. Auf Basis dieser Festlegungen unterbreitete die Kommission bereits nach einem Monat, am 17. März 1815, die endgültigen Vorschläge. Am 1. April entschied sich Kaiser Franz für den Namen Regno Lombardo-Veneto und gab den formalen Auftrag, die entsprechenden Patente vorzulegen. Am 7. April 1815 unterzeichnete er das kaiserliche Patent über die Errichtung des neuen lombardisch-venetianischen Königreichs. Am 14. April wurde es in der »Wiener Zeitung« in deutscher und italienischer Sprache veröffentlicht. Die Kundmachung in Mailand und Venedig erfolgte umgehend. 17 Man hatte also nur acht Monate benötigt, um zu einer definitiven Regelung zu kommen, ein relativ kurzer Zeitraum. Die Regelung erwies sich als recht dauerhaft, auch wenn später Änderungen notwendig wurden, vor allem an der Spitze des Reiches. 18 Die Vorbereitung und die Errichtung des neuen Königreichs geschahen zeitlich parallel zu den Verhandlungen des Wiener Kongresses, inhaltlich aber unabhängig von ihnen. Der Kongress war zuständig für die territoriale Ordnung, nicht aber für die Einrichtung der inneren Verwaltung der Staaten.

16 Meriggi, Amministrazione 21–86; Meriggi, Regno Lombardo-Veneto 14–31. Die Kontinuität betont auch De Francesco, L’Italia di Bonaparte 172. Unentbehrlich für Details samt Aktenlauf und wegen des Dokumentenanhangs ist Helfert, Stiftung des Lombardo-Venetianischen Königreichs 19–208, doch urteilt er nur aus der österreichischen Sicht der erfolgreichen Wiedereingliederung. 17 Laut Helfert, Stiftung des Lombardo-Venetianischen Königreichs 225, wurde die Errichtung in Mailand am 16. April und in Venedig am 20. April verkündet. Tatsächlich geschah dies in Venedig schon am 15. April, vgl. Giornale di Venezia v. 15. 4. 1815, 1. 18 Dazu siehe Mazohl-Wallnig, Österreichischer Verwaltungsstaat 281–382. Zu den Kompetenzerweiterungen der Kongregationen siehe Gottsmann–Malfèr, Lombardo-Venetien.

17

18

Rückkehr nach Italien

Im März und April 1815 kam es auf europäischer und auf italienischer Ebene zu zwei dramatischen Ereignissen, die sowohl gegen die Arbeiten des Kongresses als auch gegen die Bildung des Königreichs Lombardo-Venetien gerichtet waren, nämlich zur Rückkehr Napoleons und zum Versuch des Königs von Neapel, Joachim Murat, in Italien das Ruder herumzureißen und einen italienischen Einheitsstaat unter seiner Herrschaft zu errichten. Beide Versuche hatten von Anfang an kaum Erfolgsaussichten, doch zwangen sie die europäischen Mächte zu raschem und entschiedenem Handeln.

1.5 Der Feldzug Murats in Italien, seine Proklamation von Rimini und die Gegenproklamation Bellegardes Joachim Murat, seit 1808 von Napoleons Gnaden König von Neapel, wollte seinen Thron erhalten und näherte sich deshalb den Alliierten nach deren Sieg über Napoleon Ende 1813. Seine lavierende Politik sicherte ihm tatsächlich für mehr als ein Jahr den Thron, langfristig war aber kein Platz für einen von Napoleon eingesetzten Herrscher. Als Napoleon am 26. Februar 1815 Elba verließ und nach Frankreich zurückkehrte, wechselte Murat erneut die Seite. Am 30. März 1815 rief er in einer Proklamation von Rimini aus zum Krieg für ein unabhängiges Italien von den Alpen bis zur Straße von Messina auf. Österreich erklärte sofort, der Vormarsch von Murats neapolitanischen Truppen auf fremdes Gebiet würde als Kriegsfall betrachtet. Innerhalb weniger Wochen wurde Murat besiegt, die Bourbonen kehrten nach Neapel zurück. Damit hatte sich das Problem Neapel aus der Sicht der Diplomaten und Redakteure des Wiener Kongresses von selbst erledigt. 19 Der Aufruf Murats wird als Proklamation von Rimini vom 30. März 1815 bezeichnet. 20 Der kurze Text, verfasst vom damals erst 27-jährigen Politiker und Juristen Pellegrino Rossi, ist selbstverständlich in der emphatischen Sprache gehalten, die ein solcher Anlass verlangt. Er enthielt fünf Aussagen: 1.

Den Aufruf zur Unabhängigkeit Italiens; die bisherige, zwanzig Jahrhunderte [sic!] dauernde Fremdherrschaft habe keine Begründung und Rechtfertigung.

19 Stauber, Wiener Kongress 156–161; Uhlirz, Handbuch 527; De Francesco, L’Italia di Bonaparte 165–167. 20 Der Text ist im Internet verfügbar, https://it.wikisource.org/wiki/Proclama_di_Rimini (zuletzt abgerufen 6. 2. 2020); https://it.wikipedia.org/wiki/Proclama_di_Rimini (zuletzt abgerufen 6. 2. 2020); in französischer Übersetzung in Weil, Joachim Murat 504–506.

Der Feldzug Murats in Italien

2. 3. 4. 5.

Die Alpen und das Meer bilden eine natürliche Barriere, die in keine Richtung überschritten werden soll, auch nicht vom zukünftigen Italien. Eine entschiedene national-patriotische Energie werde international Anerkennung finden. Ausdrücklich wird England genannt. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt, und Murat bietet sich an, das zu verwirklichen. Die Italiener sollen die Regierung, die Vertretung und die Verfassung selbst bestimmen.

So viel zum Inhalt der Proklamation. Eine kurze Anmerkung zum Datum. Obwohl lange nicht angezweifelt, ist vor einiger Zeit die Behauptung aufgetaucht, die Proklamation sei erst später verfasst und auf den 30. März vordatiert worden. 21 Für eine Vordatierung lässt sich aber kein Motiv finden, sie ergibt keinen Sinn, und sie entbehrt, wie die Recherche im Haus-, Hof- und Staatsarchiv ergab, jeder Grundlage. Denn bereits am 5. April 1815 sandte Bellegarde aus Mailand eine Abschrift an Metternich mitsamt seiner »Contre-Proclamation«, die er am selben Tag als Antwort auf die Proklamation Murats affichieren ließ. 22 Bellegardes Gegenproklamation ist ein bemerkenswertes Dokument. 23 Metternich ließ sie übersetzen und in die »Wiener Zeitung« einrücken. 24 Sie ist in der Ausgabe vom 18. April 1815 erschienen. Sie wurde auch in Venedig publiziert. 25 Sie richtete sich an die Lombarden. Sie war etwas länger als die Proklamation Murats, ihre Sprache war aber sachlicher und ruhiger. Auch das ergibt sich aus der Textsorte, wurde doch versucht, den Gegentext als übertrieben und haltlos darzustellen. 1.

Die Proklamation Bellegardes begann mit dem Thema Kriegsangst und Friedenssehnsucht: Europa hatte kaum begonnen, seine Wunden zu heilen, und die auf dem Kongresse zu Wien versammelten Monarchen beschäftigten sich mit seltener Eintracht, den Grund zu einem dauerhaften Frieden zu legen, als ein unvermutetes Ereignis [Napoleons Rückkehr] alle Völker [...] aufs Neue zu den Waffen rief.

21 Campolieti, Re Lazzarone 410; Stauber, Wiener Kongress 160, Anm. 37; https://it.wikipedia. org/wiki/Proclama_di_Rimini (zuletzt abgerufen 6. 2. 2020). 22 HHStA, Staatskanzlei, Provinzen, Lombardo-Venetien, Karton 2, fol. 133–135. 23 Aus den Akten des Haus-, Hof- und Staatsarchivs geht nicht hervor, wer die Proklamation verfasst hat. 24 Wiener Zeitung v. 18. 4. 1815, 1, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz&datum= 18150418&zoom=33 (zuletzt abgerufen 6. 2. 2020). 25 Giornale di Venezia v. 11. 4. 1815, 3 f.; https://books.google.at/books?id=tUJEAAAAcAAJ& printsec=frontcover&dq=giornale+di+venezia&hl=de&sa=X&redir_esc=y#v=onepage&q=giornale%20di%20venezia&f=false. (zuletzt abgerufen 6. 2. 2020)

19

20

Rückkehr nach Italien

Italien konnte hoffen, bei dieser augenblicklichen Umwälzung der Dinge ruhig zu bleiben [...]; allein der König von Neapel [...] bedroht von neuem [...] mit seiner Armee das schöne Italien, und nicht zufrieden, die Geißeln des Krieges mit sich zu bringen, versucht er auch noch allenthalben durch das Scheinbild der Italienischen Unabhängigkeit, das verheerende Feuer der Revolution zu verbreiten [...]. 26

2.

3.

4.

5. 6.

7.

Im zweiten Absatz wurde die nationale Frage angesprochen. Murat selbst sei gar kein Italiener, sondern ein fremder Emporkömmling und gehöre keiner der italienischen Dynastien an, während die kaiserliche Familie in der Toskana geboren sei. Das Argument der natürlichen Grenzen wurde als trügerisch abgelehnt. Vielmehr habe die Geografie verschiedene Teile vorgezeichnet. Es gebe keine natürliche Hauptstadt auf der Halbinsel. Damit wird der historisch gewachsene Regionalismus angesprochen. Nicht die natürlichen Grenzen machen die Völker glücklich, sondern gute Gesetze und weise Staatsverwaltungen. Es wurde auf die Lombardei unter Kaiserin Maria Theresia und auf die Toskana unter Großherzog Leopold hingewiesen. Der dritte Absatz ging auf die internationale Lage ein. Die von Murat vorgespiegelte internationale Zustimmung sei eine Irreführung. Im vierten Absatz wurden die Wohltaten aufgezählt, die Österreich bereits erwiesen habe, z. B. die Übernahme der Armee und der Beamten des Königreichs Italien, die Bemühungen um Überwindung der gesellschaftlichen Spaltung, die Milde gegenüber den Verirrten. Im etwas pathetischeren fünften und letzten Absatz wurde noch einmal die Geschichte bemüht und der Unterschied zwischen der guten Zeit unter den Habsburgern und den Übeln der nachfolgenden Französischen Demokratie herausgearbeitet. Das wichtigste Versprechen war natürlich nicht eine Verfassung, darauf ging die Proklamation verständlicherweise nicht ein, sondern Ruhe, Ordnung und eine väterliche Verwaltung. Longobarden! Die Österreichische Regierung, redlich in ihrem Wesen, und niemals prahlerisch, hat euch Ruhe, Ordnung und eine väterliche Verwaltung versprochen, und sie wird ihr Versprechen treulich erfüllen. Erinnert euch der glücklichen Zeiten vor dem Jahre 1796, und der Institutionen Maria Theresias, Josephs II. und Leopolds, und vergleicht dieses Regierungssystem mit dem, wel-

26 Wiener Zeitung v. 18. 4. 1815, 1, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz&datum= 18150418&zoom=33 (zuletzt abgerufen 6. 2. 2020). Die Schreibung bei Zitaten aus Zeitungen und gedruckten Quellen wurde der besseren Lesbarkeit halber an die moderne Rechtschreibung angeglichen.

Der Feldzug Murats in Italien

ches ihr seitdem ertragen musstet [...]. Eure zu große Leichtgläubigkeit gegen die Versprechungen der Französischen Demokratie hat euch schon einmal in das Verderben gestürzt; seid nun behutsamer [...]. 27

Die Proklamation war gewiss nicht mit Wien abgesprochen, dazu reichte die Zeit nicht. Sie geschah in rascher Reaktion und in direkter Verantwortung Bellegardes. Dennoch enthielt sie ein Programm für die Zukunft und Versprechungen über den Umgang der neuen Herrschaft mit den wiedergewonnenen Untertanen. Durch den Mund des Generalgouverneurs versprach Österreich Frieden, Ordnung und Sicherheit gegen die Übel Krieg und Revolution. In Anknüpfung an die historische Erfahrung des Settecento riformatore und die Gegenerfahrung Französische Demokratie wurde eine weise, gute und väterliche Verwaltung zugesagt. Dem italienischen Nationalstaat wurde mit dem Hinweis auf die historische Erfahrung des italienischen Regionalismus eine Absage erteilt. Was gar nicht oder höchstens indirekt im Begriff Institutionen Maria Theresias usw. angesprochen wurde, ist die Einbeziehung des Landes bei der Verwaltung. Doch wurde zwei Tage später, am 7. April 1815, das kaiserliche Patent über die Errichtung des Königreichs unterzeichnet und bald darauf publiziert, in dem gerade diese Mitsprache in Form der Zentral- und Provinzialkongregationen festgelegt war. Bellegardes Proklamation wurde vom Vertreter Österreichs in Turin, FML Graf Ferdinand von Bubna und Littitz, sehr gelobt, sie habe »den größten Effekt im Land gemacht und größten Applaus erhalten sowohl für die Redaktion als auch für den Inhalt«. 28 Auch Metternich dürfte zufrieden gewesen sein, weil er den Druck in der »Wiener Zeitung« veranlasste. Sie ist jedenfalls ein weiteres Beispiel für Bellegardes geschicktes Vorgehen. Die Frage war nun, ob ein solches Programm und die konkrete Organisation des neuen lombardisch-venetianischen Königreichs ausreichen würden, um über den rechtlichen und faktischen Besitz hinaus auch die Köpfe und Herzen der Menschen dauerhaft zu gewinnen. Weder der Sieg über Joachim Murat, noch der endgültige Sieg der europäischen Allianz über Napoleon, noch die erfolgreiche Verabschiedung der Wiener Schlussakte im Juni 1815 enthoben die österreichische Regierung von dieser Aufgabe. Sie blieb vielmehr bestehen und wurde in den folgenden Jahrzehnten drängender. Sie verschärfte sich nach 1848 noch einmal, und für Venetien ein weiteres Mal zwischen 1859 und 1866, nachdem die Lombardei 1859 an Sardinien-Piemont gefallen war und somit

27 Ebd. 28 HHStA, Staatskanzlei, Provinzen, Lombardo-Venetien, Karton 2, fol. 139.

21

22

Rückkehr nach Italien

Teil Italiens wurde. 29 Es gab durchaus differenzierte Stimmen. Das reichte von Metternichs Forderung in der Denkschrift aus dem Jahr 1817, »dem Nationalgeiste und der Eigenliebe der Nation dadurch entgegenzukommen, dass man diesen Provinzen eine Verwaltungsform gebe, welche den Italienern beweise, man wolle sie nicht mit den deutschen Provinzen der Monarchie ganz gleich behandeln und so zu sagen verschmelzen«, 30 über die Pläne einer Verfassung für Lombardo-Venetien nach 1848 31 bis zu den konstitutionellen Vorschlägen des Generalgouverneurs Erzherzog Ferdinand Maximilian im Jahr 1859. 32 Die Zurufe wurden in Wien nicht gehört, die Vorschläge abgelehnt. Im Rückblick betrachtet hat die Politik der österreichischen Regierung nicht ausgereicht. Stärker erwiesen sich der nationale Gedanke, der Verfassungsgedanke, die piemontesische Diplomatie, die piemontesisch-französischen Truppen 1859, die deutschen Truppen 1866. Aber da war der Wiener Kongress längst Vergangenheit, und Metternich war längst nicht mehr am Ruder und am Leben.

29 Zur österreichischen Herrschaft in Italien siehe Mazohl-Wallnig, Österreichischer Verwaltungsstaat; Tonetti, Governo austriaco; Gottsmann, Venetien. 30 Metternich, Nachgelassene Papiere 3, 90. 31 Vgl. Kap 3: »Gescheiterte Bemühungen um eine Verfassung für das lombardisch-venetianische Königreich 1848–1850«; Gottsmann–Malfèr, Lombardo-Venetien 1618–1623. 32 Malfèr, Einleitung ÖMR III / 7, XXIX–XXXI.

2. Die Republik Venedig 1848/49 aus österreichischer Sicht

2.1 Österreich gewinnt und verliert Venedig Die altehrwürdige Adelsrepublik Venedig, die Serenissima Repubblica di Venezia, fand 1797 ihr Ende. Am 13. Mai besetzten die Franzosen die Stadt. Es bildete sich eine schwache demokratische Regierung. Die Franzosen blieben nur wenige Monate. Im Frieden von Campo Formio vom 17. Oktober 1797 zwischen Napoleon Bonaparte und Kaiser Franz II. wurden Venedig mit einem Teil der Terraferma, Istrien und Dalmatien Österreich zugesprochen. Der andere Teil der Terraferma fiel an die Cisalpinische Republik mit dem Zentrum Mailand, die der Kaiser im Gegenzug anerkannte. Am 18. Jänner 1798 nahmen die Österreicher Venedig in Besitz, die demokratische Regierung wurde enthoben. Es begann die Zeit der ersten österreichischen Herrschaft, die prima dominazione austriaca. Nach nur acht Jahren musste Österreich das Gebiet im Frieden von Preßburg vom 26. Dezember 1805 an das im Mai desselben Jahres von Napoleon errichtete Königreich Italien abtreten. Doch nach wieder acht Jahren wurde Venedig infolge des Zusammenbruchs der napoleonischen Herrschaft in Europa erneut österreichisch. Am 7. Mai 1814 nahm Österreich die Stadt wieder in Besitz. Die Jahre 1805–1814 werden als parentesi napoleonica bezeichnet, als napoleonisches Intermezzo. 1814 begann die zweite Phase der österreichischen Herrschaft, die seconda dominazione. 1 Sie dauerte 34 Jahre. Im Frühjahr 1848 fegte ein revolutionärer Sturm über Europa. Palermo, Florenz, Turin, Paris, Rom, Budapest, Wien, Berlin, Venedig, Mailand: Überall kam es zu Aufständen, zu Abdankungen, zu Verfassungen. Die bürgerliche Revolution schüttelte das Joch der Restauration ab. In Venedig und in Mailand, den beiden Hauptstädten des lombardisch-venetianischen Königreichs, brach die Revolution zeitgleich aus. Am 17. März 1848 erzwangen die Massen in Venedig die Freilassung des Advokaten Daniele Manin und des Schriftstellers Niccolò Tommaseo, am 22. März verließen die Österreicher die Stadt. Venedig wurde zur freien und unabhängigen Republik ausgerufen, zur Repubblica di San Marco, deren herausragender Kopf Daniele 1 Vgl. Zorzi, Österreichs Venedig.

24

Die Republik Venedig 1848/49 aus österreichischer Sicht

Manin war. In Mailand brach der Aufstand am 18. März aus. Nach fünf Tagen, den Cinque giornate di Milano, zog sich Radetzky aus der Stadt zurück. Tags darauf erklärte Karl Albert, König von Sardinien-Piemont, Österreich den Krieg. Während sich aber Feldmarschall Radetzky schon nach fünf Monaten wieder Mailands bemächtigen konnte, blieb Venedig eineinhalb Jahre unabhängig. Erst nach der Kapitulation Ungarns im August 1849 konnte sich Venedig nicht mehr halten und kapitulierte selbst am 23. August. Es begann die dritte Phase der österreichischen Herrschaft, die terza dominazione. Sie dauerte 17 Jahre, also nur halb so lang wie die zweite. Nach dem verlorenen Krieg von 1866 gegen Preußen musste Österreich im Frieden von Wien vom 3. Oktober 1866 der Vereinigung Venetiens 2 samt Venedig mit dem Königreich Italien zustimmen.

2.2 Die öffentliche Meinung in Wien zur Republik Venedig 1848/1849 Was wusste, was dachte, wie urteilte man in Wien im Revolutionsjahr 1848 bzw. im ersten Halbjahr 1849 über die Republik Venedig, die Repubblica di San Marco des Daniele Manin? Das Bild Venedigs in diesem Biennium war ein zweifaches. Einerseits sah man Venedig als Stadt der Rebellion, andererseits als die vergangene und zukünftige natürliche Hauptstadt Venetiens. Die republikanische Gegenwart beurteilte man als Intermezzo: Man musste nur die Gutgesinnten davon überzeugen, dass Österreich auch in Zukunft die Großmacht im legitimen Besitz der Stadt sein würde und dass das auch die beste Lösung für die Untertanen sei, dachte man. Zur öffentlichen Meinung in Wien in diesen Monaten fließen reiche Quellen. Mit der Aufhebung der Zensur begannen viele Zeitungen zu erscheinen, und viele Flugschriften und Gedichte wurden publiziert. Verfolgen wir zuerst die Nachrichten aus und über Venedig in der wichtigen großformatigen Zeitung »Die Presse«, die ab dem 3. Juli 1848 erschien und eine gemäßigt liberale Richtung verfolgte. Ihr Wahlspruch lautete »Gleiches Recht für alle«. Sie war natürlich konstitutionell eingestellt, lehnte aber Gewalt und Unordnung ab. Sie war loyal zum Haus Habsburg und wünschte sich ein starkes Österreich in den Grenzen von 1848. Der 3. Juli war auch für Venedig von großer Bedeutung. An diesem Tag begann im Stadtparlament, der assemblea costituente, die Debatte über den Antrag des Abgeordneten Jacopo Castelli 2 Der offizielle Name lautete immer noch Königreich Lombardo-Venetien, das aber bereits 1859 um den größten Teil der Lombardei verkleinert worden war und nur mehr Venetien und Mantua umfasste.

Die öffentliche Meinung in Wien zur Republik Venedig 1848/1849

betreffend die Vereinigung der Stadt mit Italien. Der Antrag wurde am darauffolgenden Tag zum Beschluss erhoben. Schon in der ersten Nummer der »Presse« finden wir eine Notiz über die Ereignisse in Venedig Ende Juni. Ein anonymer Schreiber aus Treviso berichtete mit Datum 30. Juni, dass die Gondolieri und die Arbeiter die Stadtwache überwältigt und den Minister Tommaseo attackiert hätten und dass sich das Schicksal der Stadt bald entscheiden würde. Damit waren das Ende der Republik und die Rückkehr zu Österreich gemeint. Auch aus Triest höre man, dass in Venedig die Anarchie herrsche und dass man Stunde für Stunde die Kapitulation vor den österreichischen Truppen erwarte, eine aus der Sicht Triests erfreuliche Nachricht. Das war freilich Wunschdenken. Die nächste Nachricht über Venedig erschien in der »Presse« am 20. Juli 1848. Diesmal war es eine Korrespondenz direkt aus der Stadt, datiert mit 5. Juli, und war überschrieben mit »Venedig wirft sich in die Arme von Karl Albert« 3: Vorgestern wurde die erste Provinzialversammlung unter dem Vorsitze des Alterspräsidenten Monsignor Pianton im Dogenpalaste abgehalten. Mit Übergehung aller Reden und Diskussionen erwähnen wir bloß, dass in der gestrigen Sitzung folgender Antrag des Deputierten Castelli mit 127 Stimmen gegen 6 angenommen wurde.

Es folgt der Text des Beschlusses, der eben die Vereinigung mit Sardinien-Piemont beinhaltete: Der außerordentlichen Notwendigkeit gehorchend, ganz Italien vom fremden Joche zu befreien und hauptsächlich in der Absicht, den Unabhängigkeitskrieg mit möglichst großem Nachdruck fortzusetzen, stimmen wir als Venetianer im Namen und im Interesse der Provinz Venedig und als Italiener im Interesse der ganzen Nation für unmittelbare Verschmelzung der Stadt und Provinz Venedig mit den sardinischen Staaten und zwar unter gleichen Bedingungen wie die Lombardei, mit welcher im engsten Verbande zu bleiben und ihre Geschicke zu teilen wir für alle Zukunft beabsichtigen. 4

Aus diesen zwei Nachrichten sehen wir bereits die Haltung, die »Die Presse« auch in den folgenden Monaten in Bezug auf die Ereignisse in Venedig einnahm. Die ideologische Position ist eindeutig: Venedig ist die revolutionäre Stadt, deren Rückkehr zu Österreich die Zeitung wünscht. Sie nimmt an, dass 3 Die Presse v. 20. 7. 1848, 2. 4 Ebd.

25

26

Die Republik Venedig 1848/49 aus österreichischer Sicht

das Volk, die einfachen Leute, zu Österreich halten oder jedenfalls die Revolution ablehnen. Diese sei nur die Sache der Adeligen, der alten Oligarchie, jedenfalls von Wenigen, und sie sei nur von ausländischen Truppen unterstützt. Jede Nachricht, die ein baldiges Ende der Rebellion erhoffen lässt oder aus der hervorgeht, dass die Venezianer des Aufstandes müde seien, wurde von der »Presse« mit einer gewissen Genugtuung gebracht. Gleichzeitig herrschte doch ein leidenschaftsloser Ton. Das Blatt wollte vor allem objektive und genaue Informationen bieten. Verächtliche Ausdrücke fehlten, auch wenn Daniele Manin, der Präsident der Repubblica di San Marco, als Diktator bezeichnet wurde. Es fehlte jedweder Nationalismus. War die Zeitung in der Lage, einen Text im Original zu zitieren, dann tat sie es, wie den Entschluss vom 3. Juli oder später den Brief, den General Welden, der Befehlshaber der österreichischen Belagerungstruppen, nach dem Sieg Radetzkys bei Custoza an die Regierung in Venedig richtete, ebenso wie deren Antwort. Es handelte sich also durchaus um seriöse Journalistik. Die Nachrichten stammten meist aus Briefen, Korrespondenzen genannt, von Personen aus Triest, aus Verona oder Mailand. Oft handelte es sich um Berichte von Seeleuten oder Passagieren französischer oder englischer Schiffe, die aus Venedig kamen. Im Mai 1848 hatte die österreichische Marine versucht, die Stadt mit einer Blockade zu belegen, sie war aber zu schwach gewesen. Im Juni war ein Geschwader der piemontesischen Flotte in die Adria eingedrungen und hatte versucht, Triest abzusperren. Doch niemand wollte einen Seekrieg, und so war der Hafen Venedigs offen geblieben. Die Schiffe der Länder, die nicht mit Österreich im Krieg lagen, konnten ungehindert Venedig anlaufen. Sie brachten nicht nur Nachrichten aus der Stadt, sondern auch die offizielle »Gazzetta di Venezia«. Zwischen dem Datum der Korrespondenzen und dem Abdruck in der »Presse« lagen meist an die zehn Tage. Weniger lang brauchten die Expresspost, die Eisenbahn oder telegrafische Nachrichten. Einige Monate lang, bis in den März 1849, konnten die Abonnenten der »Presse« wöchentlich eine, höchsten zwei Nachrichten aus Venedig lesen, außer von Anfang Oktober bis Mitte November 1848, als die Wiener Oktoberrevolution den ganzen Platz der Zeitung in Anspruch nahm. Das erscheint nicht sehr viel, doch war Venedig nur ein zweitrangiger Kriegsschauplatz. Viel wichtiger sowohl in strategischer wie in politischer Hinsicht waren der Feldzug in der Lombardei, der Prager Aufstand, die Ereignisse in Ungarn, die Verfassungsdebatten in Wien und dann in Kremsier / Kromˇerˇ íž, die Entwicklungen in Deutschland, vor allem in Frankfurt. Dennoch blieb die Leserschaft durch die regelmäßigen Beiträge über den Stand der Dinge in Venedig informiert. Ab April 1849 nahm die Zahl der Notizen über Venedig zu, und von Mai bis zur Kapitulation im August konnte man jeden zweiten Tag etwas lesen über

Die öffentliche Meinung in Wien zur Republik Venedig 1848/1849

die Belagerung, über Erfolge und Misserfolge der Artillerie und über das Elend in der Stadt. Der Ton der Berichte blieb sachlich, beinahe eintönig, auch wenn der eine oder andere Kriegsbericht etwas lebhafter gehalten war. Über die Misserfolge des österreichischen Bombardements der Stadt wurde sogar mit einem gewissen Sarkasmus berichtet, sowohl über die herkömmlichen Kanonaden als auch über die Abwürfe von Bomben mittels Luftballons, einer traurigen kriegsgeschichtlichen Premiere. In einer Notiz aus Mestre vom 1. Juli 1849 heißt es: »Es sind schon viele Bomben schwersten Kalibers in die Stadt gelangt, allein da die meisten in die Kanäle fallen, so tun sie wenig Wirkung.« 5 Am 3. Juli folgte ein ausführlicher Bericht aus Mogliano vom 24. Juni, wo es u. a. heißt: Über frühere Versuche und deren Missglücken haben die Zeitungen seinerzeit berichtet; aber nun sollten gestern wieder die bombenschwangern Mongolfieren steigen und zwar zu Campalto. Die Windfahne wies auf Ost- oder Südostwind, von den Alpen wollte sich kein Lüftchen herunterziehen, und das brauchte man doch, sollten die steuerlosen Schifflein über Venedig gebracht werden. [...] Endlich kräuselte eine sanfte Nordbrise die Lagunen, und man benützte den heißersehnten Augenblick, um gleich mehrere Ballone steigen zu lassen. Anfänglich ging es auch recht gut. Die Mongolfieren schossen in die Höhe und näherten sich dem Zenit Venedigs. Aber in den obern Luftschichten herrschten Seewinde, die Luftschiffe schwankten ratlos hin und her, und endlich fielen die Bomben wirkungslos ins – Meer. 6

Insgesamt fehlte in der »Presse« eine Verherrlichung des Krieges. Einzig die Tapferkeit der österreichischen Truppen wurde gefühlvoll erwähnt, doch überwog das Unbehagen und das Mitleid mit der Bevölkerung. So ist es nicht verwunderlich, dass in den dreizehn Monaten von Juli 1848 bis August 1849 die »Presse« mehrmals das nahe Ende der Revolution voraussah. Ebenso oft wurde der Leser enttäuscht. So las man etwa am 8. Dezember, dass sich die Tragödie der alten Dogenstadt dem Ende zuneige, doch hieß es drei Wochen später, dass sich Venedig ausreichend mit Lebensmitteln versorgen konnte, sowohl von der Land- wie von der Seeseite. 7 Am 10. Jänner wurde aus Treviso berichtet, dass die Lagune zum ersten Mal seit vierzig Jahren wieder zugefroren sei, und zwar so dick, dass das Eis auch schwerste Artillerie tragen könne. »Alle Anstalten zum Sturme sind vorbereitet, und Venedig dürfte in Kürze in den Händen unserer Truppen sein.« 8 Dass das mehr Wunsch-

5 6 7 8

Die Presse v. 1. 7. 1849, 2. Die Presse v. 3. 7. 1849, 2. Die Presse v. 8. 12. 1848, 3. Die Presse v. 10. 1. 1849, 2.

27

28

Die Republik Venedig 1848/49 aus österreichischer Sicht

denken war, zeigte schon der folgende Satz: »Freilich müssen die vor Venedig stehenden Truppen bedeutend verstärkt werden, weil die Reihen unserer Krieger durch Krankheiten sehr gelichtet sind.« 9 Tatsächlich war bei den Truppen die Cholera ausgebrochen mit katastrophalen Folgen. Auch die Vorbereitung der Bombardements mittels Ballons wurde zuerst mit geradezu wissenschaftlicher Genauigkeit und als vielversprechend beschrieben, um dann zugeben zu müssen, dass das Experiment misslungen sei, weil die Stadt zu weit vom Festland entfernt war und die Seile zur Leitung der Ballons zu kurz waren. 10 Zweimal in diesen Monaten, in zwei Leitartikeln, erfuhr der Leser direkt die politische Meinung der Zeitung zur italienischen Frage. Am 19. August 1848, zehn Tage nach dem Waffenstillstand von Vigevano, ermahnte das Blatt die Regierung, die die Annahme der französischen Vermittlung befürwortete, ja nicht die Lombardei preiszugeben. Der Schreiber des Leitartikels zeigte zwar ein gewisses Verständnis für die Idee der Einheit Italiens, gab aber zu bedenken, dass die Unabhängigkeit eines einigen Italien eine Illusion sei. Es würde in die Abhängigkeit von Frankreich und England geraten, und Österreich würde dadurch zu einer Macht zweiten Ranges werden. Österreich müsse den Einfluss in Oberitalien behaupten. Im Übrigen sei durch die Abtretung der Lombardei für die Idee der Einheit Italiens nichts gewonnen, weil niemand, nicht einmal Frankreich, Venedig Österreich wegnehmen wolle. 11 Der nächste Leitartikel zu Italien, er erschien am 14. April 1849, war schlicht »Venedig« übertitelt. Es war eine eindringliche, in schmeichelhaftem Ton gehaltene Beschwörung der Stadt, sich zu ergeben, da es keine Alternative dazu gebe. Die Rückkehr zu Österreich sei das Beste für die Stadt. »Venedig wird sich an Österreich ergeben müssen, und der Löwe des heiligen Markus wird dem schützenden Doppeladler weichen.« 12 Das werde aber zu neuer Blüte führen, weil die Stadt vom Handel mit dem Hinterland lebe. Die Zeitung sah die Schuld an der verfahrenen Situation beim Adel Venedigs und nicht beim Volk, und Mitschuld trage auch Österreich durch das starre Festhalten am vormärzlichen System, das jede Konzession an den Geist der Zeit hartnäckig verweigerte. Am 12. August 1849 begann »Die Presse« mit dem Abdruck einer Serie von Feuilletons mit der Überschrift »Bilder aus Venedig und dem Venetianischen (Frühjahr 1848)«. 13 Der mit M. unterzeichnete Schreiber hatte sich in den Wochen der Revolution in Venedig und Padua aufgehalten und erzählte darüber.

9 10 11 12 13

Ebd. Die Presse v. 26. 1. 1849, 3, und v. 9. 2. 1849, 2. Die Presse v. 19. 8. 1848, 1, Artikel »Die italienische Frage«. Die Presse v. 14. 4. 1849, 1. Die Presse v. 12. 8. 1849, 1.

Die öffentliche Meinung in Wien zur Republik Venedig 1848/1849

Die Texte sind ein einziger Lobpreis der Schönheit dieser Stadt. So ergab sich ein schmerzlicher Kontrast. Während die österreichische Artillerie seit Wochen die Stadt bombardierte, und während Minister Karl Ludwig v. Bruck, Bevollmächtigter der Regierung in Wien für die Verhandlungen mit Sardinien und auch mit Venedig auf ein Zeichen Manins wartete, um die Gespräche fortsetzen zu können, konnte der Leser der großen Wiener Zeitung, der über beides informiert war, eine Hymnus auf Venedig lesen: Du stolze Königin des adriatischen Meeres! Stadt der Wunder, Märchen aus Tausend und eine Nacht! Wie ruhst du träumerisch auf dem feuchten Grund der Lagune, und siehst dem kecken Strahle des Mondes zu, wenn er Nachts auf der schaukelnden Welle des Canal grande tanzt [...]. [...] Welch ein Anblick. Da lag sie vor mir, die Stadt der Feen, wie auf den Fluten des Meeres schwimmend. Mit den weißen Marmorkuppeln der Kirchen und den schlanken Kampanilen von rötlicher Farbe wiegte sich die Stadt wie ein stolzes Schiff mit seinen Segeln und Masten auf dem Meere. 14

Eine wahrhaft bittere Gleichzeitigkeit! Zwei Wochen später, einen Tag nachdem die Nachricht von der Kapitulation eingetroffen war, konnte die Zeitung in einem Leitartikel zufrieden feststellen: »Die Übergabe Venedigs stellt endlich in den italienischen Provinzen die alten Territorialverhältnisse wieder her, wie sie die Verträge des Jahres 1815 festgesetzt haben.« 15 Der letzte Satz des Leitartikels enthielt aber eine ernste Mahnung an die Regierung: »Die Waffen haben uns in Italien den Sieg errungen, billigen Gesetzen, Einrichtungen der Freiheit bleibt es vorbehalten, das Werk des Friedens zu vollenden.« 16 »Die Presse« sprach sicher für einen großen Teil der öffentlichen Meinung. Doch gab es auch andere Stimmen. Die Zeitung der Linken und Demokraten »Der Radikale«, die von Mitte Juni bis zum 26. Oktober 1848 erschien, schrieb zwar wenig über die italienischen Angelegenheiten, doch vertrat sie einen ganz klaren Standpunkt. Die wenigen Notizen über Venedig standen z. B. nicht in den Rubriken Österreich oder Provinzen oder Kronländer, wie in der »Presse«, sondern in der Rubrik Italien. Da lesen wir etwa: »Italiens Unabhängigkeit – dies hat schon Palmerston ausgesprochen – ist für die Ruhe Europas notwendig.« 17 Die österreichische Armee müsse Italien verlassen. »Italien wird frei werden, denn ein selbst freies Volk knechtet kein anderes.« 18

14 15 16 17 18

Ebd. Die Presse v. 26. 8. 1849, 1. Ebd. Der Radikale v. 13. 8. 1848, 1. Der Radikale v. 27. 8. 1848, 1.

29

30

Die Republik Venedig 1848/49 aus österreichischer Sicht

Solche Stimmen verstummten nach der Einnahme Wiens durch die Truppen des Generals Windischgrätz Ende Oktober 1848 und während des Belagerungszustandes, in den die Stadt versetzt wurde.

2.3 Die Republik von San Marco im Ministerrat 1848/49 Was wurde im Ministerrat zur abtrünnigen Republik Venedig gesprochen oder beschlossen? Die Wiener Oktoberrevolution war auch für die Regierung eine einschneidende Zäsur, die Wende von der revolutionären zur nachrevolutionären Zeit, allerdings noch nicht zur Zeit der Reaktion, denn der Neoabsolutismus begann erst später, offiziell erst mit den Silvesterpatenten von 1851. Von März bis Oktober 1848 gab es fünf Regierungen, wobei viele Minister mehreren Kabinetten angehörten. Die wichtigsten Persönlichkeiten waren erst Franz Freiherr v. Pillersdorf, dann Anton Freiherr v. Doblhoff. Die Kabinette waren am Anfang gemäßigt liberal, dann liberaldemokratisch. 19 Nach der Oktoberrevolution wurde am 21. November Fürst Felix Schwarzenberg, ehemaliger k. k. Botschafter in Turin und Neapel, 1848 General in Radetzkys italienischer Armee, zum Ministerpräsidenten ernannt, und er blieb es bis zu seinem Tod am 5. April 1852. 20 Venedig kam schon am 3. April 1848 zur Sprache, zwei Wochen nach der Kapitulation und dem Abzug der österreichischen Truppen aus der Stadt unter dem Festungskommandanten FML Graf Ferdinand Zichy. Es war erst der zweite Ministerrat. Thema war eben das Verhalten Zichys. Der Ministerrat schlug vor, von Zichy strenge Rechenschaft zu fordern, das heißt ein militärgerichtliches Verfahren einzuleiten, dafür, dass er Venedig aufgegeben habe, »dessen Verlust für die Monarchie von den größten Nachteilen ist«. 21 Begründet wurde der Vorschlag damit, dass man auf die öffentliche Meinung über die Armee Rücksicht nehmen müsse, um Tumulten und Aufregungen zuvorzukommen. Tatsächlich wurde Zichy verurteilt, aber schon 1851 begnadigt. Am 26. April standen Berichte des Statthalters in Triest, Fürst Robert Salm, auf der Tagesordnung. 22 Er sprach davon, dass die Belagerung Venedigs begonnen habe, aber auch, dass die k. k. Marine sehr schwach sei. Zum Schutz der österreichischen Handelsmarine brachte er eine Garantieerklärung Großbritan-

19 20 21 22

Vgl. ÖMR I. Zu Schwarzenberg Lippert, Schwarzenberg. MR. v. 3. 4. 1848/IV, ÖMR I, Nr. 2. MR. v. 26. 4. 1848/IX, ÖMR I, Nr. 20; auch MR. v. 7. 5. 1848/XII, ebd. Nr. 30, MR. v. 9. 6. 1848/IV, ebd. Nr. 66 und MR. v. 23. 7. 1848/II, ebd. Nr. 98.

Die Republik von San Marco im Ministerrat 1848/49

niens in Vorschlag, was der Minister für Äußeres ablehnte. Mehrmals drang Salm in den folgenden Wochen auf den Schutz der Handelsmarine. Er schlug sogar vor, die Blockade Venedigs aufzugeben, um den Handel im Adriatischen Meer und in Triest nicht zu stören. Der Ministerrat folgte freilich der ablehnenden Ansicht des Kriegsministers Latour und wollte sich zu nichts verpflichten. 23 Am 22. Juni sprach Pillersdorf von der Wichtigkeit, Venedig wieder zu erobern. 24 Angesichts der bevorstehenden Gespräche über einen Waffenstillstand sah er darin eine Verbesserung der Verhandlungsposition Österreichs. Der Kriegsminister erwiderte, dass es für das österreichische Armeekorps unter FML Baron Welden, das weder von der Marine unterstützt werde noch selbst Lagunenboote habe, um die Truppen überzusetzen, ganz unmöglich sei, Venedig mit Gewalt zu besetzen. Allenfalls könnte ein siegreiches Armeekorps in Mestre einen proösterreichischen Aufstand in Venedig hervorrufen. Das war freilich reines Wunschdenken. Am 15. September stand der Vorschlag Frankreichs auf der Tagesordnung, Venedig definitiv zum Freihafen zu erklären. 25 Der Handelsminister lehnte einen solchen Schritt ab und schlug sogar vor, die geltende Ausdehnung des Freihafens wieder wie früher auf die Isola di San Giorgio zu beschränken. Die Erklärung zum Freihafen sei eine Verwaltungsmaßnahme, und man könne sich nicht durch internationale Verträge binden lassen. Angesichts der Tatsache, dass Venedig nicht in österreichischer Hand war, war das eine wirkungsloser Vorschlag. Nach der Einnahme Venedigs im August 1849 wurde der Freihafen ganz außer Kraft gesetzt und erst 1851 wieder eingeführt. Im Überblick bezeugen die Gespräche im Ministerrat im Jahr 1848 betreffend Venedig die Schwäche und Passivität der Regierung. Ihre Beschlüsse waren von geringen Auswirkungen. Angesichts der Gefahr eines Auseinanderbrechens der Monarchie schlug nicht die Stunde der zivilen Regierung, sondern die der Generäle. Für sie ging es um das Festungsviereck, um die Versorgungs- und Nachschublinien der Truppen in Lombardo-Venetien, um Mailand. Venedig war strategisch gesehen von geringerer Wichtigkeit. Dazu kam, dass die erfolgreiche Belagerung samt Rückeroberung der Seestadt in kurzer Zeit nicht zu bewerkstelligen war. So konnte Manins Experiment der Repubblica di San Marco fortgeführt werden. Das änderte sich im Frühjahr 1849. Nach dem endgültigen Sieg Radetzkys über die Truppen Sardinien-Piemonts bei Novara am 23. März und mit dem Erfolg der kaiserlichen und der zu Hilfe gerufenen russischen Truppen in Ungarn

23 MR. v. 7. 5. 1848/XII, ÖMR I, Nr. 30. 24 MR. v. 22. 6. 1848/II, ebd. Nr. 80. 25 MR. v. 15. 9. 1848/VII, ebd. Nr. 120.

31

32

Die Republik Venedig 1848/49 aus österreichischer Sicht

kehrte Venedig auf die Tagesordnung des Ministerrates zurück, der nunmehr unter der Leitung von Schwarzenberg stand. Das Kabinett arbeitete eng mit Radetzky zusammen. Der Umstand, dass ein Minister, nämlich der Handelsminister Karl Ludwig Ritter v. Bruck, für die Verhandlungen mit Sardinien nach Mailand geschickt wurde, 26 erhöhte das Gewicht der zivilen Regierung auch in der Frage Venedigs. Zwar hatte sich die politische und militärische Lage der Habsburgermonarchie aus Sicht der Regierung verbessert, doch in Venedig standen die Dinge unverändert wie 1848. Schon am 31. März 1849 begann die Regierung, die Zügel straffer anzuziehen. Nach den Bestimmungen des Waffenstillstands von Vignale vom 26. März hatte sich die sardische Flotte aus der Adria zurückzuziehen. Der Ministerrat beschloss, »die bereits vor mehreren Monaten begonnene, aber faktisch wieder unterbrochene Blockade Venedigs mit Energie fortsetzen zu lassen« und die entsprechenden Befehle zu erteilen. 27 Ausdrücklich heißt es, Venedig solle nicht nur blockiert, sondern auch von der Seeseite her angegriffen werden. Anfang Mai berichtete Bruck, er habe sich in Mestre mit Radetzky, Franz Graf Gyulai und dem Anfang März zum Marinekommandanten bestellten dänischen Vizeadmiral Hans Birch Dahlerup getroffen. 28 Laut Dahlerup sei die Blockade ausführbar. Radetzky habe eine Aufforderung an die Stadt erlassen, Manin wolle aber nur direkt mit der Regierung verhandeln. Bruck erbitte sich dazu die Verhandlungsvollmacht. Am 13. Mai beschloss der Ministerrat, sie ihm zu erteilen. Die Gespräche führten aber zu keinem Ergebnis. Vielmehr stellte sich heraus, dass sich Venedigs Widerstand noch lange hinziehen könne. Am 22. Mai wurde im Ministerrat ein Bericht des k. k. Generalkonsuls in Korfu über die Stimmung in Venedig verlesen. 29 Die Stadt sei noch auf lange gut mit Proviant versehen und halte sich mit Waffengewalt für uneinnehmbar. Erst ein Friede mit Piemont würde der Stadt die Hoffnungen nehmen. Ähnlicher Meinung war Bruck noch einen Monat später, obwohl da schon das Bombardement Venedigs begonnen hatte. 30 Bruck sprach sich für die Fortsetzung der Gespräche aus. Es erscheine nicht angemessen, »die Unterhandlungen mit Venedig ganz fallen und bloß auf die Entscheidung der Waffen es ankommen zu lassen, weil die Stadt vermöge ihrer Lage und Widerstandsmittel sich noch lange würde halten können«. 31

26 27 28 29 30 31

MR. v. 31. 3. 1849/II, ÖMR II / 1, Nr. 41. MR. v. 31. 3. 1849/I, ebd. MR. v. 13. 5. 1849/VII, ebd. Nr. 67. MR. v. 22. 5. 1849/V, ebd. Nr. 76. MR. v. 23. 6. 1849/I, ebd. Nr. 104. Ebd.

Die Republik von San Marco im Ministerrat 1848/49

Dann kam die Cholera der Stadt zu Hilfe. Am 31. Juli fiel im Ministerrat das Wort vom »ungeheuren Krankenstand der Zernierungstruppen«. 32 Am 9. August wurde in Anwesenheit des Kaisers eine Erklärung der Chefs der Belagerungstruppen, FML Georg Graf Thurn, verlesen, er könne Venedig von der Landseite her wegen der furchtbar um sich greifenden Krankheiten höchstens vierzehn Tage blockieren, und ein Angriff von der Seeseite her sei während der Septemberstürme unmöglich. 33 Selbst die Einnahme der Forts Malghera und San Giuliano war nicht einfach gewesen, 34 die Bombardements aus der Luft hatten sich als Flop erwiesen, 35 und nun noch die Cholera. Die Schwierigkeiten, Venedig einzunehmen, bedeuteten nicht, dass es eine realistische Aussicht darauf hatte, den Krieg als unabhängige und freie Stadt zu überstehen. Nach der Niederlage Sardiniens bei Novara, nach dem Ende der Repubblica Romana, nach dem Frieden von Mailand vom 6. August und vollends nach der Kapitulation der ungarischen Armee bei Világos am 13. August stellte sich nur mehr die Alternative, ob es eine bedingungslose Kapitulation geben werde oder nicht. Die angeführten Schwierigkeiten veranlassten die Monarchie, eine Verhandlungslösung zu suchen. Aus den Ministerratsprotokollen geht eindeutig hervor, dass die Regierung Schwarzenberg das möglichst rasche Ende des Krieges bzw. der Belagerung auch um den Preis eines weniger strengen Vorgehens befürwortete. Das hieß Amnestie für die Truppe und die Unteroffiziere, freier Abzug der Offiziere und der Spitzen der Republik, provisorische Weitergeltung des von der Republik ausgegebenen Papiergeldes, Unterstützung für die arbeitslosen Arsenalarbeiter und dergleichen. Insbesondere die Weiterverwendung des Papiergeldes war notwendig, um nicht den ärmsten und zahlreichsten Teil der Bevölkerung in größte Schwierigkeiten zu stürzen. 36 Die grundsätzliche Entscheidung fiel im Ministerrat am 9. August unter dem Vorsitz des Kaisers. Es wurde beschlossen, von Venedig nicht die bedingungslose Kapitulation zu verlangen, sondern die Übergabe durch eine Verhandlungslösung zu erreichen. Massiv hatte sich der Minister des Innern, Alexander Bach, ausgesprochen: Gnade scheine hier durch die Politik geraten, um eine Szission unter den Verteidigern Venedigs hervorzubringen, sie werde durch die Menschlichkeit empfohlen, da man

32 33 34 35 36

MR. v. 31. 7. 1849/IV, ÖMR II / 1, Nr. 132. MR. v. 9. 8. 1849/I, ebd., Nr. 140. Die Presse v. 16. 5. 1849, 2, v. 29. 5. 1849, 1, v. 1. 6. 1849, 2, und v. 3. 6. 1849, 2. MR. v. 22. 6. 1849/IX, ÖMR II / 1, Nr. 103. Vgl. das Kapitulationsprotokoll, gedruckt in Cavedalis, Commentari 2, 402; Die Presse v. 29. 8. 1849, Abendblatt.

33

34

Die Republik Venedig 1848/49 aus österreichischer Sicht

Tausende nicht kriegsrechtlich mit Pulver und Blei strafen oder in Kerker sperren könne, sie werde auch der kaiserlichen Armee heilbringend sein, welche die Reihen des Belagerungskorps auf furchtbare Weise durch die Seuche lichten sieht, sodass jeder Tag, um welchen die Blockade gekürzt wird, reichen Gewinn an Menschenleben gewährt. 37

Noch weiter ging man am 16. August, wo die Ausweitung der Amnestie auf die Offiziere und weitere Vollmachten für Radetzky zum Abschluss der Verhandlungen beantragt wurden. Wieder führte man an, dass die Belagerung von Venedig bereits so lange dauere und schon so viele Leute gekostet habe, dass sie, wenn man nicht die Möglichkeit eines Entgegenkommens bietet, noch lange dauern könne, indem die Schuldbewussten sich auf Leben und Tod verteidigen werden, dass die Jahreszeit vorrücke und bald jene eintreten werde, in welcher es nicht möglich sein werde, die Blockade fortzusetzen, dass die Darbietung der Möglichkeit einer Ausgleichung uns die Flotte Venedigs erhalten könne, welche sonst wahrscheinlich verloren ginge, dass auch der Umstand einige, wenn auch untergeordnete Rücksicht verdiene, dass die vielen in Venedig befindlichen Offiziere (es sollen ihrer über 500 sein) und andere Kompromittierte, würden sie in das Ausland gewiesen, dort eine österreichische Emigration bilden könnten, welche gefährlicher wäre als einzelne Individuen derselben im Lande usw. 38

Aber schon eine Woche danach, am 23. August, kam es zum Abschluss der Verhandlungen zwischen der Monarchie und der Republik und zur Übergabe der Stadt. General Giovanni Battista Cavedalis, einer der venetianischen Teilnehmer an den Verhandlungen, konnte in seinen Erinnerungen zum Übergabeprotokoll, der Konvention vom 22. August, schreiben: Mit dieser Konvention waren die Menschen gerettet, der wirtschaftliche Schaden gemildert. Wer später den Vorwurf erhob, man habe wenig erreicht, dem konnte man erwidern: Die Bedingungen waren ohne Zweifel weniger hart als anderswo; weniger als man es nach den unnützen Verhandlungen vom 18. erwarten konnte; es war jedenfalls das, was man von jenem erreichen konnte, der damals das Gesetz des Handelns diktierte. 39

37 MR. v. 9. 8. 1849/I, ÖMR II / 1, Nr. 140. 38 MR. v. 16. 8. 1849, ebd. Nr. 146. 39 Übersetzung S.M. Original: »Con tale convenzione salvate erano le persone, mitigato il danno economico. A chi più tardi rimproverava, come se poco si fosse ottenuto, ebbesi a rispondere: Le condizioni furono certo meno dure che altrove; meno forse di quanto aspettavasi dopo le inutili

Venedig, Venetien und die Verfassungsfrage

Das Gesetz des Handelns lag bei Österreich, das aber der Cholera und den zu erwartenden Herbststürmen Rechnung tragen musste. In den darauffolgenden Monaten war im Ministerrat nur mehr selten von Venedig die Rede. Man sprach über die Reorganisation der Gerichts- und Verwaltungsbehörden, über den Freihafen, über eine Eingabe einer Deputation zugunsten der armen Bevölkerung, über ein Angebot, die Casa Manfrin mit der berühmten Gemäldesammlung anzukaufen. Langsam kehrte der Alltag wieder.

2.4 Venedig, Venetien und die Verfassungsfrage Für die Haltung der Regierung Schwarzenberg zu Venedig im ersten Halbjahr 1849 ist ein Beschluss des Ministerrates vom 6. Juni 1849 aufschlussreich. 40 Bruck hatte in einem Bericht erzählt, er habe den venetianischen Abgesandten erklärt, dass jeder Gedanke an die Unabhängigkeit Venedigs zurückgewiesen würde und dass als Grundlage für die künftigen Verhältnisse ausschließlich die am 4. März 1849 erlassene Reichsverfassung in Frage komme. In deren Rahmen gebe es allerdings mehrere Möglichkeiten. 41 Am Ende der Debatte beschloss der Ministerrat, Bruck dahingehend zu instruieren, dass Venedig zwar kein eigenes Kronland sein könne, jedoch auch zu sagen »übrigens würden die Verirrungen der Venetianer vergessen und sie nicht nachteiliger wie die anderen Provinzen des Reiches behandelt werden. Man werde sie im Einklange mit den übrigen Kronländern an allen Wohltaten der Reichsverfassung teilnehmen lassen usw.« 42 Die abtrünnige Lagunenstadt, die vergangene und wohl auch zukünftige Hauptstadt Venetiens, sollte also nicht gedemütigt, sondern in die konstitutionelle Ordnung hereingeholt werden. Die Regierung Schwarzenberg wollte zwar mit eiserner Hand alle Revolutionsherde ausmerzen, die Ordnung im Innern wiederherstellen und nach außen die Großmachtstellung der Monarchie wiedererlangen. Sie hatte aber auch – eine Konzession an den Zeitgeist – selbst eine Verfassung ausgearbeitet, die am 4. März 1849, zeitgleich mit der Auflösung des Reichstages in Kremsier /

trattative del giorno 18; furono in ogni modo quali ottenere si potevano da chi in quel punto dettava la legge.« Cavedalis, Commentari 402. 40 MR. v. 6. 6. 1849/IV, ÖMR II / 1, Nr. 89. 41 Zu den Plänen für eine Verfassung für das lombardisch-venetianische Königreich siehe den nächsten Beitrag »Gescheiterte Bemühungen um eine Verfassung für das lombardisch-venetianische Königreich 1848–1850«. Im Folgenden geht es um die Rolle der Stadt Venedig. 42 MR. v. 6. 6. 1849/IV, ÖMR II / 1, Nr. 89.

35

36

Die Republik Venedig 1848/49 aus österreichischer Sicht

Kromˇerˇ íž, vom Kaiser oktroyiert wurde. Der IX. Abschnitt handelte von den Landesverfassungen und den Landtagen und sah für alle Kronländer, somit auch für das lombardisch-venetianische Königreich, Landtage vor. Diesem Kronland war sogar ein eigener Paragraph gewidmet: »§ 76. Ein besonderes Statut wird die Verfassung des lombardisch-venetianischen Königreiches und das Verhältnis dieses Kronlandes zum Reich feststellen.« 43 Von einer solchen Verfassung war schon viel früher die Rede gewesen. Am 17. August 1848 hatte Graf Albert Montecuccoli, der bevollmächtigte Kommissär im lombardisch-venetianischen Königreich, an den Ministerpräsidenten Wessenberg geschrieben: »Die Frage [...], welche Stellung Österreich selbst gegenüber seinen italienischen Provinzen zu nehmen gedenkt, [...] ist allerdings von höchster Wichtigkeit [...].« 44 Er schlug die Einberufung einer konstituierenden Nationalversammlung ein, der nur folgende drei Grundbedingungen zu stellen seien: Anerkennung der Souveränität Österreichs, ein Beitrag zur Steuerleistung und die Stellung von Rekruten. Im Übrigen seien die Wünsche nach größerer Selbständigkeit und Beachtung der Nationalität zu erfüllen. Ausdrücklich warnte Montecuccoli vor der Gleichschaltung: »Die italienischen Provinzen mit Österreich in einen solchen Verband ziehen zu wollen, wie sich die übrigen deutschen und slawischen Provinzen zu demselben befinden, [...] halte ich für unmöglich.« 45 Ministerpräsident Wessenberg antwortete zustimmend. Es sei notwendig, »der Bevölkerung ohne lange Zögerung jene Verfassung in Aussicht zu stellen, welche ihnen werden soll«, und es wäre am besten, die Versammlung von Vertretern des Landes in sehr kurzer Zeit zu bewerkstelligen. 46 Bis in das Frühjahr 1849 war aber nichts Entscheidendes geschehen und nicht über Details geredet worden. Innenminister Franz Graf Stadion wollte zwar frei gewählte Vertreter der Provinzialkongregationen in Wien versammeln, aber es kam nicht dazu. Angesichts der militärischen Lage waren solche Vorbereitungen nicht dringlich. Übrigens verwendete man gleichermaßen die Ausdrücke lombardisch-venetianisches Königreich und italienische Provinzen. Es war der Zivilkommissar Montecuccoli, der zum Anlass für eine eingehendere Debatte wurde. Er ging nach der Lektüre der oktroyierten Märzverfassung dem Wortlaut entsprechend davon aus, dass es sich um ein Kronland mit einem Landtag handeln würde. Das war aber noch nicht entschieden. Am 21. April 1849 schrieb Alexander Bach, der das Amt des erkrankten Innenminister Stadion übernommen hatte, an Bruck in Italien:

43 44 45 46

Rgbl. Nr. 150/1849; Bernatzik, Verfassungsgesetze Nr. 40 a. Filipuzzi, Relazioni diplomatiche 1, Nr. 89. Ebd. Wessenberg an Montecuccoli 25. 8. 1848, Filipuzzi, Relazioni diplomatiche 1, Nr. 93.

Venedig, Venetien und die Verfassungsfrage

In den Vorschlägen des Grafen Montecuccoli und des Grafen Hartig ist durchgehends von der Ansicht ausgegangen, dass die lombardisch-venetianischen Provinzen nur eine Landesvertretung erhalten sollen. Es dürfte sich aber wenigstens als einen Gegenstand ernster Erwägung darstellen, ob es zweckmäßiger ist, an dieser Ansicht festzuhalten oder für die Lombardei sowohl als für die venetianischen Provinzen zwei abgesonderte Landtage zu bilden. 47

Im Konzept dieses Schreibens folgt ein durchgestrichener, also in der Ausfertigung wohl unterbliebener Satz, aus dem jedoch die zu diesem Zeitpunkt noch herrschende Unentschiedenheit in Bezug auf die Stellung Venedigs hervorgeht. Im letzteren Falle ist noch insbesondere die Frage in Beratung zu ziehen, ob sich die Landesvertretung der venetianischen Provinzen über das ganze jetzige Gebiet des venetianischen Territoriums oder nur auf die Terra ferma mit Ausschluss der Stadt Venedig, welcher in diesem Falle gleich Triest lediglich munizipale Institutionen zu verleihen wären, zu erstrecken habe. 48

Auch Bruck erwähnte wenig später in einem Bericht über Gespräche mit Abgesandten Venedigs diese drei Möglichkeiten: Ein Reich, zwei getrennte Provinzen, Venedig als eigenes Kronland wie Triest, und bat den Ministerrat um eine entsprechende Weisung. Am 6. Juni befasste sich der Ministerrat damit. 49 Eine Sonderstellung Venedigs wurde nun ausgeschlossen, »weil man einen Ort wie Venedig nicht separieren und zum Sitze der Giovine Italia machen kann« 50. Über die beiden anderen Möglichkeiten wollte man nicht befinden, vor allem könnten sie nicht Gegenstand der Verhandlungen sein. Dann folgte der oben zitierte Satz vom »Vergessen der Verirrungen«. Jedenfalls gingen Bruck, Montecuccoli und einige Vertrauensmänner in diesen Wochen im Auftrag des Ministerrates daran, eine Verfassung für das lombardisch-venetianische Königreich auszuarbeiten, die schon Mitte Juni 1849 fertig war. 51 Sie gingen dabei von zwei Provinzen des Reiches aus. Der Name der Hauptstadt der Provinz Venetien, wo sich der Landtag zu versammeln hatte,

47 48 49 50 51

HHStA, Kabinettskanzlei, MRZ. 1210/1849. Ebd. MR. v. 6. 6. 1849/IV, ÖMR II / 1, Nr. 89; auch Filipuzzi, Pace di Milano 208 f.. Ebd. MR. v. 15. 6. 1849/X, ÖMR II / 1, Nr. 97.

37

38

Die Republik Venedig 1848/49 aus österreichischer Sicht

war zwar nicht genannt, es war aber ohne Zweifel Venedig. 52 Zwei Monate später kapitulierte Venedig. Die sukzessive Niederwerfung der Revolution durch die Armee erfolgte parallel zu den Arbeiten des Ministeriums Schwarzenberg an der Neuordnung des Reiches. Diese wurde durchaus noch in liberalem und konstitutionellem Sinn konzipiert. Unter anderem entwarf das Ministerium des Inneren die Verfassungen für die einzelnen Kronländer. Die meisten Landesverfassungen wurden am 30. Dezember 1849 publiziert, am 25. Jänner 1850 folgte jene für Görz, Gradisca und Istrien, am 12. April 1850 die Verfassung der reichunmittelbaren Stadt Triest, am 7. Mai das Grundgesetz für die Militärgrenze und am 29. September die Verfassungen für Galizien und für die Bukowina. Auch die Verfassung für Lombardo-Venetien wurde im Ministerium des Inneren ausgearbeitet. Am 27. April und am 8. Juni 1850 wurde sie im Ministerrat besprochen, um sie dann mit Vertretern aus dem Land, freilich nicht gewählten, sondern sogenannten Vertrauensmännern, zu beraten. 53 Über die Stellung der Lagunenstadt bestand kein Zweifel mehr. Artikel 4 des Entwurfs erklärte Venedig zur Hauptstadt Venetiens. Die Äußerungen Bachs in diesem Ministerrat zeigen auch, wie man in den höchsten Verwaltungskreisen über Venetien und Venedig dachte. Er sagte, man habe zuerst daran gedacht, nur einen Statthalter zu ernennen, der vorliegende Entwurf sehe aber zwei Statthalter und zwei getrennte Verwaltungen für die Lombardei und für Venetien vor. Ebenso waren zwei getrennte Landtage vorgesehen. Das Ministerratsprotokoll hält fest: Nach der Ansicht des Ministers Dr. Bach, welche auch der Ministerrat teilte, sprechen für diese Trennung nicht nur politische, sondern auch historische Gründe, indem diese Provinzen niemals ein integrierendes Ganzes waren, die Sitten und Kulturverhältnisse verschieden sind und beide Provinzen ihre eigenen Statthalter (Gouverneure) und ihre eigene Verwaltung hatten, welche sie auch gegenwärtig schon faktisch haben. Würden sie vereiniget, so würde schon die Ausmittlung des Sitzes des Statthalters bedeutende Schwierigkeiten bereiten. 54

Man wollte wohl einem potentiellen Streit zwischen Mailand und Venedig vorbeugen und auch eine Demütigung der revolutionären Stadt vermeiden. Gleichzeitig erleichterte die Teilung nach dem Prinzip divide et impera die Kontrolle in den beiden Ländern. Die Vertrauensmänner befürworteten die getrennten

52 Vgl. Kap. 3: »Gescheiterte Bemühungen um eine Verfassung für das lombardisch-venetianische Königreich 1848–1850«. 53 MR. v. 27. 4. 1850/V, ÖMR II / 2, Nr. 331, und MR. v. 8. 6. 1850/VII, ÖMR II / 3, Nr. 348. 54 MR. v. 27. 4. 1850/V, ÖMR II / 2, Nr. 331.

Venedig, Venetien und die Verfassungsfrage

Verwaltungen, wollten aber nur einen Landtag, um sich nicht gegenüber dem Reichszentrum auseinanderdividieren zu lassen. Der aus den Beratungen hervorgegangene Entwurf blieb aber im Ministerium liegen. Die vorbereitete Verfassung für das lombardisch-venetianische Königreich wurde nicht erlassen. Das war aber kein gegen Venedig gerichteter Einzelfall. Auch die schon publizierten Landesverfassungen für die anderen Kronländer traten nie in Wirksamkeit. Schließlich wurde sogar die Reichsverfassung vom 4. März 1849 am 31. Dezember 1851 aufgehoben. Der Konstitutionalismus musste dem Neoabsolutismus weichen. Venedig aber blieb die Hauptstadt Venetiens, nach dem Verlust der Lombardei 1859 sogar die Hauptstadt des gesamten verbliebenen lombardischvenetianischen Königreichs. 1851 besuchte Franz Joseph Triest und Venedig. Den Venezianern brachte er als Geschenk die Wiederherstellung des Freihafens mit. 55 Die Aufnahme des jungen Kaisers in Venedig war keineswegs feindselig. 56 Es scheint, dass nicht nur der Kaiser »die Verirrungen der Venezianer vergessen« wollte, sondern dass auch die Venezianer dem Kaiser die Belagerung und das Bombardement von 1849 verziehen hatten.

55 MR. v. 21. 3. 1851/II, ÖMR II / 4, Nr. 473. 56 Zorzi, Österreichs Venedig 163.

39

3. Gescheiterte Bemühungen um eine Verfassung für das lombardischvenetianische Königreich 1848–1850

3.1 Zauberwort Konstitution Die Revolutionen des Jahres 1848 lösten überall Erwartungen und Hoffnungen aus. Diese fanden sehr schnell ihr Schlüsselwort: Konstitution, Verfassung. Die wesentlichen Inhalte des konstitutionellen Gedankens waren 1. die Absicherung der Bürgerrechte einschließlich der Pressefreiheit gegen die Willkür des absolutistischen Polizeistaates, 2. die Zurückdrängung der absoluten Macht des Kaisers durch Beteiligung der Bevölkerung an der Gesetzgebung, und 3. Autonomie für die Länder anstelle eines reinen Zentralstaates. Schon am dritten Tag der Revolution in Wien versprach Kaiser Ferdinand I. eine Konstitution. Der dritte Absatz des kaiserlichen Patents vom 15. März 1848 lautete: Wegen Einberufung von Abgeordneten aller Provinzialstände und der Zentralkongregationen des lombardisch-venetianischen Königreiches in der möglichst kürzesten Frist mit verstärkter Vertretung des Bürgerstandes und unter Berücksichtigung der bestehenden Provinzialverfassungen zum Behuf der von Uns beschlossenen Konstitution des Vaterlandes ist das Nötigste verfügt. 1

Die verschwommene, grammatikalisch unvollständige Formulierung – Einberufung von Abgeordneten . . . zum Behuf der von Uns beschlossenen Konstitution – bezeugt die Aufregung dieser Tage. Der Inhalt besagte, dass der Kaiser beschlossen hatte, eine Verfassung zu erlassen, die von den Abgeordneten der bestehenden (in der Vergangenheit freilich ganz passiven) Landtage und weiterer Vertreter des Bürgerstandes auszuarbeiten war. Die bald darauf eingesetzte Regierung erarbeitete aber selbst eine Verfassung und bezog die Provinzialstände nur sehr ungenügend ein. 2 Diese Verfassung wurde am 25. April 1848 oktroyiert. Sie wird nach dem federführenden Minister des Inneren, Franz Freiherr v. Pillersdorf, Pillersdorfsche Verfassung genannt. Die Konstitutionalisierung Österreichs begann also mit einem Wortbruch. Die 1 Politische Gesetze und Verordnungen Nr. 29/1848. 2 Kletecˇ ka, Einleitung ÖMR I, XVIII–XX.

Zauberwort Konstitution

Folge war die Radikalisierung der Revolution. Im Mai sah sich die Regierung gezwungen, die oktroyierte Verfassung als vorläufig zu erklären und eine tatsächlich konstituierende Versammlung einzuberufen, die nun eine Verfassung ausarbeiten sollte. 3 Allerdings wurde auch die von dieser Versammlung ausgearbeitete Konstitution, der sogenannte Kremsierer Entwurf, zur Makulatur, zu einem weiteren Papier in einer langen Reihe von Entwürfen. 4 Ähnlich erging es dem Königreich Lombardo-Venetien. Die Geschichte seiner Konstitutionalisierung im Rahmen der Habsburgermonarchie begann mit einer Verlegenheit. Obwohl Kaiser Ferdinand I. am 15. März auch die Einberufung der Kongregationen der Lombardei und Venetiens angeordnet hatte, erwähnte die erste österreichische Verfassung, die Pillersdorfsche vom 25. April 1848, das Königreich überhaupt nicht, sie galt nicht für LombardoVenetien, ebenso wenig wie für Ungarn. 5 Freilich war Oberitalien Kriegsgebiet, und die Truppen marschierten schon, die den Anspruch der Monarchie auf ihre italienischen Territorien wahren sollten. Die österreichische Armee hatte Erfolg, das Königreich verblieb unter habsburgischer Herrschaft. Deshalb war in der Folge eine österreichische Diskussion über die Landesvertretung und Landesverfassung Lombardo-Venetiens unausweichlich. Am 17. August 1848 schrieb Albert Graf Montecuccoli, der bevollmächtigte Kommissär, also der höchste zivile Vertreter im lombardisch-venetianischen Königreich, an den Ministerpräsidenten, Johann Freiherr von Wessenberg: »Die Frage [...], welche Stellung Österreich selbst gegenüber seinen italienischen Provinzen zu nehmen gedenkt, [...] ist allerdings von höchster Wichtigkeit [...].« 6 Montecuccoli formulierte in seinem ausführlichen Lagebericht die drei Grundbedingungen, die einer einzuberufenden »Nationalversammlung« zu stellen seien. Das Land müsse die Souveränität Österreichs anerkennen, Steuern leisten und Rekruten stellen, mehr nicht. Im Übrigen seien die Wünsche nach größerer Selbständigkeit und Beachtung der Nationalität zu erfüllen. Ausdrücklich warnte Montecuccoli vor der Gleichschaltung: »Die italienischen Provinzen mit Österreich in einen solchen Verband ziehen zu wollen, wie sich die übrigen deutschen und slawischen Provinzen zu demselben befinden, [...] halte ich für unmöglich.« 7 3 Kaiserliche Proklamation v. 16. 5. 1848, Politische Gesetze und Verordnungen Nr. 65/1848, Bernatzik, Verfassungsgesetze Nr. 37 a. 4 Bernatzik, Verfassungsgesetze Nr. 39. 5 Bernatzik, Verfassungsgesetze Nr. 36. Auch der Kremsierer Verfassungsentwurf zählte diese Länder nicht auf, doch enthielt er im § 6 die Möglichkeit der »Aufnahme eines neuen Landes in den Reichsverband, für welchen die Konstitution gilt«, ebd. 116. 6 Filipuzzi, Relazioni diplomatiche 1, Nr. 89. 7 Ebd.

41

42

Gescheiterte Bemühungen um eine Verfassung

Ministerpräsident Wessenberg antwortete zustimmend auf die Vorschläge und die Expertise des bevollmächtigten Kommissärs. Es sei notwendig, »der Bevölkerung ohne lange Zögerung jene Verfassung in Aussicht zu stellen, welche ihnen werden soll«, und es sei am besten, die Versammlung von Vertretern des Landes in sehr kurzer Zeit zu bewerkstelligen. 8 Am 7. September erschien in der »Wiener Zeitung« eine Notiz des Inhalts, dass die Regierung nun mit der Konstituierung des Königreichs nicht mehr zögern und Deputierte nach Verona zur Beratung der künftigen Verfassung berufen werde: Noch haben die Unterhandlungen zur Herstellung des Friedens mit dem König von Sardinien wenig Fortgang gehabt. Indessen hat aber die kaiserliche Regierung den Entschluss gefasst, mit der neuen Konstituierung 9 des Lombardisch-Venetianischen Königreichs nicht mehr länger zu zögern und zu diesem Behuf in Bälde Deputierte aus den verschiedenen Provinzen desselben nach Verona zu berufen, welche die künftige Verfassung des Landes nach den Grundsätzen größter Freiheit und mit gehöriger Beachtung der Nationalität in Beratung zu nehmen haben werden. Diese Deputierten sollen, wie wir aus guter Quelle vernehmen, aus ganz freien Wahlen hervorgehen, und wird die Zahl der Deputierten nach dem Maßstabe der Bevölkerung bemessen werden. Die innere Administration wird rein Italienisch sein. 10

Mitte September sprach Wessenberg im Ministerrat von der Notwendigkeit, ein kaiserliches Manifest oder »Proklam« 11 zur Beruhigung der Bevölkerung zu erlassen. Es erschien am 20. September 1848; der dritte Absatz lautete: Ebenso ist es Unser Allerhöchster Wille, dass die Bewohner des Lombardisch-Venetianischen Königreiches eine ihrer Nationalität und den Bedürfnissen des Landes sowie ihrer Verbindung mit dem Österreichischen Kaiserstaate entsprechende Verfassung erhalten sollen. Zu diesem Ende werden Wir, sobald der Frieden und die Ruhe hinlänglich gesichert sein werden, an einem noch zu bestimmenden Orte die von allen Provinzen des Lombardisch-Venetianischen Königreiches frei zu wählenden Volksvertreter einberufen. 12

8 Wessenberg an Montecuccoli 25. 8. 1848, Filipuzzi, Relazioni diplomatiche 1, Nr. 93. 9 D. h. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die das kaiserliche Patent vom 7. April 1815 über die Errichtung des neuen lombardisch-venetianischen Königreichs abändern würde. 10 Wiener Zeitung v. 7. 9. 1848, 3. 11 MR. 15. 9. 1848/VIII, ÖMR I, Nr. 120. 12 Wiener Zeitung v. 4.10.1848, 1; italienisch: »Dal pari è Nostro sovrano volere, che gli abitanti del Regno lombardo-veneto abbiano una costituzione corrispondente non meno alla rispettiva

Erste konkrete Schritte

Montecuccoli wartete diesen Zeitpunkt nicht ab, sondern besprach in eigener Verantwortung das Projekt einer Verfassung mit Italienern seines Vertrauens. Mitte November – inzwischen war in Wien die Oktoberrevolution ausgebrochen und niedergeschlagen worden – regte er in einem Schreiben an Ministerpräsident Wessenberg sogar die Oktroyierung einer Verfassung für Lombardo-Venetien an. Die Oktroyierung stand im Widerspruch zum Manifest vom 20. September, das die Mitwirkung der Volksvertreter zusagte, doch versprach sich der bevollmächtigte Kommissär angesichts der neuen Situation, in der er die Abhaltung einer verfassunggebenden Versammlung oder die Absendung einer Delegation nach Wien für unmöglich hielt, davon einen besseren Eindruck und eine Beschleunigung der Konstitutionalisierung. 13 Die Niederlage der Revolution in Wien hatte das Ende der Regierung Wessenberg zur Folge. Am 21. November 1848 übernahm Fürst Felix Schwarzenberg das Ministerratspräsidium, und am 2. Dezember 1848 bestieg der junge Erzherzog Franz Joseph den Thron. Das Revolutionsjahr neigte sich nicht nur tatsächlich, sondern auch im übertragenen Sinn seinem Ende zu.

3.2 Erste konkrete Schritte Innenminister wurde der energische und weitsichtige Statthalter in Galizien Franz Graf Stadion. In Bezug auf Lombardo-Venetien setzte er die von Montecuccoli und Wessenberg eingeschlagene Politik fort. Mitte Dezember 1848 regte er im Ministerrat die Entsendung von Italienern nach Wien zur Beratung einer Verfassung an. Man überlegte auch, die Provinzialkongregationen zur Entsendung einer Person ihrer Wahl aufzufordern, doch zögerte der Ministerrat, gewählte Vertreter zuzulassen. Man einigte sich, »vorläufig nur ein paar vernünftige Leute« 14 einzuberufen. Ende Dezember begann Stadion dennoch unter Berufung auf einen Ministerratsbeschluss, den die Ministerratsprotokolle allerdings nicht verzeichnen,

loro nazionalità ed ai bisogni del paese che alla loro unione col Impero Austriaco. A tale effetto tosto che la pace e la tranquillità saranno sufficientemente assicurate, convocheremo in un luogo da stabilirsi, dei rappresentanti della nazione da eleggersi liberamente da tutte le provincie del Regno lombardo-veneto«, Raccolta degli Atti dei Governi di Milano e di Venezia Nr. 61/1848; vgl. auch MR. v. 17. 9. 1848/II, ÖMR I, Nr. 121, Anm. 4; HHStA, Staatskanzlei, Lombardo-Venetien, Karton 19 und 31; Mazohl-Wallnig, Österreichischer Verwaltungsstaat 248, Anm. 12. 13 Montecuccoli an Wessenberg 16. 11. 1848, HHStA, Staatskanzlei, Lombardo-Venetien, Karton 31. 14 MR. v. 16. 12. 1848/VII, ÖMR II / 1, Nr. 4; ähnlich in MR. v. 19. 12. 1848/IV, ebd. Nr. 5.

43

44

Gescheiterte Bemühungen um eine Verfassung

ganz konkret eine Aktion im Sinn des Manifests vom 20. September. Er beauftragte Montecuccoli, die Provinzialkongregationen anzuweisen, je einen Vertreter ihrer freien Wahl nach Wien zu entsenden. Das Schreiben Stadions an Montecuccoli enthält eine prägnante Zusammenfassung des Stadionschen Programms und Staatskonzepts: Der Ministerrat hat [im] 15 Programme vom 27. November 16 [...] Grundsätze niedergelegt, [mit wel]chen er – in den Rat der [Krone] berufen – die ihm übertr[agene] Gewalt auszuüben fest [ent]schlossen ist. Der erste und wichtigste dieser unabänderlichen Grundsätze ist die Einheit der österreichischen Monarchie gegründet auf die Gleichberechtigung aller Nationalitäten, der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze, getragen von der freien Gemeinde und der freien Gestaltung der Landesteile in allen inneren Angelegenheiten umschlungen von dem gemeinsamen Bande einer kräftigen Zentralgewalt. Um nun diesen Grundsatz ins Leben einzuführen und den lombardisch-venetianischen Provinzen jene Einrichtungen zu gewähren, wodurch ihnen die Selbständigkeit des nationalen Lebens innerhalb der von der Notwendigkeit einer kräftigen Zentralgewalt gezogenen Grenzen vollkommen gewährleistet wird, hat der Ministerrat [drei Zeilen fehlen] Kongregationen [...] dass jede für ihre P[rovinz ei]nen Abgeordneten [...] E. E. namhaft mache. [E. E.] aber wollen die G[üte ha]ben, mir die Namen der [Abge]ordneten sogleich bekanntzugeben, und ihnen zu empfehlen, dass sie ihre Abreise nach Wien schleunigst antreten und sich gleich nach ihrem Eintreffen bei mir melden. 17

Montecuccoli schrieb sofort an die Delegaten: Der Ministerrat hat beschlossen, in Wien eine Zusammenkunft von Vertretern der lombardisch-venetianischen Provinzen einzuberufen um zu beraten, wie auch in diesen Provinzen die Grundsätze des Programms vom 27. November umzusetzen seien mit dem hauptsächlichen Ziel, allen Völkern der Monarchie jene freien Institutionen zu sichern, die zugleich eine Garantie ihrer Nationalität und die Integrität der Monarchie gewährleisten.

15 Der Akt ist beschädigt; Ausdrücke in [] sind Ergänzungen des Verfassers. 16 Gemeint ist Schwarzenbergs Regierungserklärung vor dem von Wien nach Kremsier / Kromˇerˇíž verlegten Reichsrat, siehe Verhandlungen der österreichischen Reichstages nach der stenographischen Aufnahme 4, 54. Sitzung, 27. 11. 1848, 12–14 ; Die Presse v. 30. 11. 1848, 1. 17 Stadion an Montecuccoli 26. 12. 1848, AVA, Ministerium des Inneren, Präs. 253/1848.

Erste konkrete Schritte

Sie werden umgehend die Provinzialkongregationen benachrichtigen und einladen, sich innerhalb längstens acht Tagen in ordentlicher Sitzung zu versammeln, um die Person ihres Vertrauens zur Entsendung nach Wien zu wählen. Das Ministerium lässt den Provinzialkongregationen im Vertrauen auf die loyalen Gefühle und auf ihren Eifer, mit allen Kräften zum Wohl des Vaterlandes mitzuwirken, vollkommen die freie Wahl des Vertreters. [...]. 18

Die guten Absichten Stadions und Montecuccolis nützten aber nichts. Die Hoffnungen des Jahres 1848, die die italienischen Provinzialdelegierten hegten, waren auf etwas ganz Anderes gerichtet, als auf eine Konstitutionalisierung im Rahmen der Habsburgermonarchie. Dazu schrieb Montecuccoli: Nun ist aber eine dieser Ursachen, und zwar die hauptsä[chlich]ste, die noch immer genährte Hoffnung auf eine baldige Reaktion, 19 und diese Hoffnung wird so lange bestehen – täuschen wir uns hierüber nicht – bis nicht Venedig gefallen sein wird, bis nicht der Friede geschlossen, bis nicht die politischen Verhältnisse Italiens in ein ordentliches Geleise gebracht sein werden, wodurch dann den törichten Gerüchten und Wühlereien, welche sich wie eine Erderschütterung auch diesen Provinzen mitteilen und auf die Einwohner bald zweifel-, bald furchterregend einwirken, eine Schranke gesetzt sein wird. 20

Stadion ließ sich nicht beirren. Die Regierung müsse dann eben selbst Deputierte ernennen, und er beauftragte Montecuccoli, für alle Fälle Namen von vertrauenswürdigen Personen vorzubereiten. 21

18 Übersetzung S.M. Original: »Il consiglio dei ministri è venuto nella determinazione [di convocare] in Vienna un’adunanza di deputati di tutte le provincie lom[bardo-ve]nete onde valersi de’ suoi consigli per applicare anche a queste [provincie] i principi dichiarati nel suo programma 27. novembre p.p., e dir[etti] in sostanza ad accordare a tutti i popoli della Monarchia quell[e] ... libere istituzioni che valgano a garantire la loro nazionalità, conser[vando] ad un tempo l’integrità della Monarchia. Ella signor delegato / dirigente darà tosto avviso ai collegi provinciali coll’invito a raccogliersi entro otto giorni al più tardi in regolare seduta per eleggere l’individuo di piena sua fiducia da inviarsi all’adunanza di Vienna. Il ministero fidando nei leali sentimenti dei collegi provinciali e nel loro zelo di cooperare con tutte le loro forze al bene della loro patria lascia loro interamente libera la scelta del rispettivo rappresentante provinciale. [...].« Montecuccoli an die Delegaten und Leiter der Provinzen 3. 1. 1849, Abschrift AVA, Ministerium des Inneren, Präs.179/1849. 19 Hier im Sinn von Rückwärtsbewegung zurück zur kurzen Zeit zwischen Mai und August 1848, als Radetzky sich aus Mailand und aus der Lombardei ins Festungsviereck zurückgezogen hatte. 20 Montecuccoli an Stadion 16. 1. 1849, AVA, Ministerium des Inneren, Präs. 179/1849. 21 Stadion an Montecuccoli 23. 1. 1849, AVA, Ministerium des Inneren, Präs.179/1849.

45

46

Gescheiterte Bemühungen um eine Verfassung

Am 30. Jänner 1849 musste Montecuccoli seinem vorgesetzten Minister das vollständige Scheitern der Aktion melden. 22 Die Kongregationen weigerten sich mit allerlei Begründungen, Delegierte nach Wien zu senden, unter anderem, dass sie nicht berechtigt und kompetent seien, so wichtige Angelegenheiten zu verhandeln. Es waren aber auch keine Einzelpersonen – die vernünftigen Leute, von denen im Ministerrat Mitte Dezember die Rede gewesen war – bereit, nach Wien zu kommen. Das darauffolgende Schreiben Stadions an Montecuccoli vom 12. Februar 1849 zeugt von seiner Tatkraft, aber auch von seiner Vorgangsweise. Er ließ das Ziel nicht aus den Augen. Nun müsse eben die Regierung selbst tätig werden, war Stadions Schlussfolgerung, und er beauftragte Montecuccoli, die Grundsätze für eine Verfassung für Lombardo-Venetien zu skizzieren. 23

3.3 Formulierung der Grundsätze Während Montecuccoli an der Erfüllung dieses Auftrags arbeitete, überstürzten sich die Ereignisse in Kremsier / Kromˇerˇ íž, wohin sich die Regierung und der Reichstag wegen der Ereignisse in Wien zurückgezogen hatten. Die Regierung bereitete parallel seit Mitte Februar 1849 eine eigene Verfassung vor. Der Kaiser sanktionierte sie am 4. März. Am 7. März wurde der verfassunggebende Reichstag aufgelöst. Am 8. März wurde die oktroyierte Verfassung publiziert. 24 Der Paragraph 76 dieser Verfassung versprach, konsequent zur bisherigen Linie Stadions, eine Verfassung für Lombardo-Venetien: »Ein besonderes Statut wird die Verfassung des lombardisch-venetianischen Königreiches und das Verhältnis dieses Kronlandes zum Reiche feststellen.« 25 Montecuccoli beantwortete den Auftrag des Innenministers vom 12. Februar mit dem ausführlichen Schreiben vom 31. März 1849. 26 Es enthält nichts weniger als den Kern einer lombardisch-venetianischen Landesverfassung. Montecuccoli bezeichnete als die Hauptpunkte bei jeder Verfassung, daher auch bei der für das lombardisch-venetianische Königreich, die Fragen, ob die Volksvertretung aus einer oder zwei Kammern zu bestehen habe, ob die Wahlen direkt oder 22 Montecuccoli an Stadion 30. 3. 1849, AVA, Ministerium des Inneren, Präs. 735/1849. 23 Das Schreiben Stadions an Montecuccoli v. 12. 2. 1849 liegt den Akten nicht bei, kann aber aus der Antwort Montecuccolis v. 31. 3. 1849 erschlossen werden, Beilage zu AVA, Ministerium des Inneren, Präsidium, Karton 431, Zahl 6794/1849. 24 Dazu Kletecˇ ka, Einleitung ÖMR II / 1, XVII–XXIII. 25 Rgbl. Nr. 150/1849; Bernatzik, Verfassungsgesetze Nr. 40 a. 26 Montecuccolis an Stadion 31. 3. 1849, Beilage zu AVA, Ministerium des Inneren, Präsidium, Karton 431, Zahl 6794/1849.

Formulierung der Grundsätze

indirekt zu geschehen hätten und ob ein Zensus oder keiner vorzuschreiben sei. Ebenso wichtig sei natürlich die Frage der Kompetenzen, des Wirkungskreises. Montecuccoli plädierte für zwei Kammern. Die Mitglieder der ersten sollten vom Landesfürsten ernannt, die der zweiten direkt gewählt werden, allerdings unter Anwendung eines Zensus bzw. unter Beteiligung der Industrie und Intelligenz. Auf den Wirkungskreis ging er nicht sehr ausführlich ein, wollte ihn aber eher weit gezogen haben. Zusammenfassend schrieb er: Werden meine Ansichten genehmigt, so hätte die Grundlage der für das lombardisch-venetianische Königreich auszuarbeitenden Landesverfassung in folgendem zu bestehen: a. Das lombardisch-venetianische Königreich bildet einen integrierenden Teil des österreichischen Kaiserreiches, und es gelten auch für dasselbe die in den §§ 1–22 der Reichsverfassungsurkunde vom 4. v. M. 27 enthaltenen Bestimmungen. b. Das lombardisch-venetianische Königreich trägt zu den allgemeinen Lasten des Reiches verhältnismäßig bei und nimmt an den Verhandlungen des allgemeinen Reichstages den ihm gebührenden Anteil. Die Abgeordneten desselben werden sowohl in der höheren als in der zweiten Kammer eine abgesonderte Sektion bilden, solange die Sprachhindernisse nicht beseitigt sein werden, die dermal verhindern, sie ihren Sitz in der allgemeinen Versammlung einnehmen zu lassen. Sie werden mit dem allgemeinen Reichstage durch Botschaften und Mitteilungen sich in Verbindung erhalten. Die Abstimmung soll gleichzeitig mit dem übrigen Reichstage vorgenommen werden. c. In Bezug auf alle Landesangelegenheiten wird die gesetzgebende Gewalt von dem Kaiser im Vereine mit dem besonderen Parlamente dieses Königreiches ausgeübt. Zu den der Wirksamkeit dieses Parlamentes vorbehaltenen Angelegenheiten gehört auch die Gesetzgebung in bürgerlichen und peinlichen Rechtssachen, des Unterrichtswesens in seinem ganzen Umfange und alles andere, was ohne Nachteil des gemeinsamen Verbandes dem Landesparlament überlassen werden kann. d. Das Parlament dieses Königreiches hat aus zwei Kammern nach den bereits oben angedeuteten Grundsätzen zu bestehen. e. Die oberste Verwaltung wird einem im Lande residierenden königlichen Statthalter übertragen, welcher im Namen des Königs mit Ausnahme der vorbehaltenen Fälle die königlichen Rechte nach den erhaltenen Instruktionen auszuüben und den Beschlüssen des Parlamentes die Genehmigung zu erteilen oder zu versagen hätte. f. Soweit die Verfassungsurkunde des lombardisch-venetianischen Königreiches nicht

27 Inzwischen war die Reichsverfassung v. 4. 3. 1849 oktroyiert worden, Rgbl. Nr. 150/1849.

47

48

Gescheiterte Bemühungen um eine Verfassung

ausdrücklich andere Bestimmungen enthält, hätten auch für dasselbe die Bestimmungen der Reichsverfassungsurkunde vom 4. v. M. zu gelten. 28

Diese Zeilen schrieb der bevollmächtigte Kommissär am 31. März 1849, also vier Wochen nach der Erlassung der Reichsverfassung, acht Tage nach dem Sieg Radetzkys bei Novara, der die habsburgische Herrschaft in Oberitalien definitiv befestigte und die Flucht und Thronentsagung Karl Alberts zur Folge hatte, fünf Tage nach dem Waffenstillstand zwischen Sardinien-Piemont und Österreich, und am selben Tag, an dem der Ministerrat in Wien 29 seinen italienkundigen Handelsminister, Karl Ludwig Ritter v. Bruck, zu den Friedensverhandlungen nach Verona und Mailand entsandte. Eine Antwort auf Montecuccolis Schreiben hat Stadion nicht mehr verfasst. Eine schwere Geisteskrankheit machte ihn amtsunfähig. Er kehrte nicht mehr in die Politik zurück. 30 Mit seiner Vertretung wurde der Justizminister, Dr. Alexander Bach, beauftragt, der die Sache Lombardo-Venetiens energisch übernahm. Aus einem Schreiben Bachs im Auftrag des Ministerrates an Bruck in Italien, mit 21. April 1849 datiert, 31 entnehmen wir, dass der Ministerrat die Meinung Montecuccolis teilte, dass Lombardo-Venetien als integrierender Bestandteil des Kaiserstaates am Reichstag teilnehmen sollte, allerdings nicht als eigene Sektion. Die Sprachschwierigkeiten seien nicht unüberwindlich. Die Kompetenz der Landesvertretung in bürgerlichen und Strafrechtssachen lehnte der Ministerrat ab. Betreffend das Ein- oder Zweikammersystem behielt sich der Ministerrat die Entscheidung noch vor. Außerdem empfahl er – entgegen der stillschweigenden Annahme Montecuccolis – die Teilung des Landes in zwei Gebiete, Lombardei und Venetien, zu erwägen. Der Hauptgrund des Schreibens Bachs an Bruck war die Bitte, in Absprache mit Montecuccoli, Radetzky »und anderen Männern Ihres Vertrauens [...] Entwürfe der den lombardisch-venetianischen Provinzen zu gebenden Verfassung so bald als möglich« 32 auszuarbeiten und nach Wien zu schicken.

28 Montecuccolis an Stadion 31. 3. 1849, Beilage zu AVA, Ministerium des Inneren, Präsidium, Karton 431, Zahl 6794/1849. 29 MR. v. 31. 3. 1849/II ÖMR II / 1, Nr. 41. 30 Am 12. April nahm er zum letzten Mal am Ministerrat teil. Zu Stadion siehe Mattausch, Stadion. 31 HHStA, Kabinettskanzlei, MRZ.1210/1849. 32 Ebd.

Entwürfe

3.4 Entwürfe Die Herren machten sich an die Arbeit, parallel zu den Verhandlungen über den Friedensschluss. Zwei Monate später lag der Text schon vor, denn am 15. Juni 1849 konnte Innenminister Bach dem Ministerrat mitteilen, dass er von Montecuccoli aus Verona »das Statuto costituzionale del Regno lombardoveneto, wie es aus der Beratung in Mailand hervorgegangen«, erhalten habe. Er werde es nächstens dem Ministerrat zur Beratung vorlegen. 33 Das verzögerte sich aber. In der Folge wurden die Friedensverhandlungen zwischen Österreich und Piemont weitergeführt. Am 6. August wurde der Friedensvertrag unterzeichnet. Am 17. August 1849 schickte Bruck den Verfassungsentwurf samt den Entwürfen zu seiner Kundmachung und den Entwurf des revidierten Gemeindegesetzes an Bach und deponierte dabei, dass er nicht in allem die Meinung des Ministerrates teile, »da aus den Beratungen und Besprechungen mit vielen Personen die Notwendigkeit sich herausstellt, das aufgeregte nationale Selbstgefühl so viel als es unbeschadet der Gesamtheit geschehen kann, zu befriedigen«. 34 Er bat bis zu seiner Rückkehr nach Wien nichts zu entscheiden. Der Entwurf Bruck, wie ich ihn aus formalen Gründen nenne, obwohl man annehmen kann, dass Montecuccoli federführend bei der Erstellung des Textes war, besteht aus 92 Paragraphen in sieben Teilen und war so konzipiert, dass die Lombardei und Venetien zwei völlig getrennte Gebiete sein sollten: 1. 2. 3.

4.

Drei einleitende Paragraphen definierten das Verhältnis zwischen dem Regno und der Monarchie, ganz im Sinn der Märzverfassung. Drei Paragraphen definierten die Staatbürgerschaft für das Königreich. Zwölf Paragraphen beschrieben die Grundrechte (§§ 8–19; einen § 7 gibt es nicht). Sie waren weitgehend eine Übersetzung des kaiserlichen Patents vom 4. März 1849 über die durch die konstitutionelle Staatsform gewährleisteten politischen Rechte. 35 Ein wesentlicher Unterschied war die Erklärung der katholischen Religion zur Staatsreligion. 39 Paragraphen, also der größte Teil, waren der Gesetzgebungsgewalt gewidmet (§§ 20–74). Sie legten den Wirkungskreis des aus zwei Kammern bestehenden Landtages fest und enthielten die wesentlichen Bestimmungen über die Zusammensetzung des Landtages, die Wahlordnung und das Grundgerüst einer Geschäftsordnung, letzteres weitgehend identisch mit den einschlägigen Paragraphen der Märzverfassung.

33 MR. v. 15. 6. 1849/X ÖMR II / 1, Nr. 97. 34 AVA, Ministerium des Inneren, Präs. 6794/1849. 35 Rgbl. Nr. 151/1849; Bernatzik, Verfassungsgesetze Nr. 40 b.

49

50

Gescheiterte Bemühungen um eine Verfassung

5. 6. 7.

Es folgten Abschnitte über die Exekutivgewalt (§§ 75–84), über die Rechtsprechung (§§ 85–88) und vier abschließende Paragraphen mit Übergangsbestimmungen.

Die im § 20 festgesetzten Kompetenzen des Landtages waren ziemlich umfassend. Sie enthielten auch die Befugnis zur Gesetzgebung in zivil- und strafrechtlichen Angelegenheiten, die der Ministerrat nicht aufgenommen wissen wollte. 36 Innenminister Bach übergab diesen Entwurf mit allen einschlägigen Aktenstücken am 19. Oktober 1849 dem Altgrafen Robert Salm, gewesenem Vizepräsident des Guberniums in Mailand und Gouverneur von Triest, mit der Bitte, sie zu prüfen, zu kommentieren und allfällige Abänderungsanträge zu stellen. 37 Im Dezember 1849 wurde der Entwurf im Ministerium des Inneren kommissionell beraten. 38 Anwesend waren Innenminister Bach selbst, Altgraf Salm, Michael Graf Strassoldo, der seit Oktober Stellvertreter Montecuccolis als zweiter Chef der Zivilsektion des Generalgouvernements in Verona war, und die Beamten Joseph Öttl, rechte Hand Stadions, Joseph Lasser, der später Minister werden sollte, und Franz Lessner. Es wurden einige Abänderungen vorgenommen. Es ist wichtig, kurz einen Blick auf das politische Umfeld zu werfen, wie es sich zu dieser Zeit, im Dezember 1849, darstellte. Bereits Ende März 1849, kurz nach der Erlassung der Märzverfassung, hatte der Ministerrat die Ausarbeitung von Landesverfassungen für alle Kronländer gemäß dieser Verfassung

36 Er lautete: »§ 20. Il Re in unione alla Dieta del Regno esercita il potere legislativo sugli oggetti attinenti (a) al diritto civile e penale, alle relative procedure ed agli stabilimenti di pena; (b) al debito del Monte Lombardo-Veneto; (c) al Culto ed alla pubblica istruzione; (d) all’agricoltura, ai boschi, alla pesca, alle investiture d’acqua; (e) al censimento ed al ripartimento delle imposte; (f ) alle opere pubbliche del Regno, eccettuale le costruzioni per conto dell’Impero; (g) all’amministrazione Comunale e Provinciale; (h) alla pubblica beneficenza e sanità continentale; (i) alla procedura negli oggetti contenziosi di pubblica amministrazione; (l) al ripartimento delle prestazioni militari; (m) ai preventivi ed alle contabilità relative alle rendite e spese del Regno, che non dipendono dal Parlamento dell’Impero; (n) alle disposizioni intorno a quegli oggetti che da leggi dell’Impero verranno attribuiti alla Dieta del Regno.« 37 Bach an Salm, AVA, Ministerium des Inneren, Präs. 6794/49. 38 Dies geht aus einer Aktennotiz hervor, AVA, Ministerium des Inneren, Präs. 4334/1851, Beilage C.

Verhandlungen

beschlossen. Sie wurden im Ministerium des Inneren vorbereitet und alle nach demselben Schema erstellt. Mitte Dezember 1849 waren die meisten Entwürfe fertig. Sie wurden im Ministerrat beschlossen und mit kaiserlichen Patenten vom 30. Dezember 1849 erlassen. Am 25. Jänner 1850 folgte die Landesverfassung für Görz, Gradiska und Istrien, die zusammen ein Kronland bildeten, am 12. April die Verfassung der reichsunmittelbaren Stadt Triest, am 7. Mai das Grundgesetz für die Militärgrenze und am 29. September die Landesverfassungen für Galizien und für die Bukowina. 39 Die Besprechung des Statuts für Lombardo-Venetien war also weder ein Einzelfall, noch erfolgte sie verspätet, nur dauerte es etwas länger, weil man sich entschieden hatte, dieses Statut nicht nach dem Muster der anderen zu erlassen. Ein solcher gleichschaltender Entwurf war übrigens auch vorbereitet, aber verworfen worden. 40 Man wollte stattdessen den Besonderheiten des Landes Rechnung tragen.

3.5 Verhandlungen Wir kommen damit zum letzten Kapitel unserer Geschichte, zum Ministerialentwurf für eine lombardisch-venetianische Landesverfassung und zur Vertrauensmännerversammlung vom April 1850. Bach verließ nicht die politische Linie, zu der Montecuccoli schon 1848 geraten und der Wessenberg und Stadion zugestimmt hatten, nämlich das Statut für Lombardo-Venetien zuerst mit Einheimischen zu besprechen. Seit dem Scheitern des Versuchs von Stadion, eine Vertrauensmännerversammlung einzuberufen, war ein Jahr vergangen, und die politische Situation hatte sich grundlegend verändert. Die Revolution war besiegt, Venedig wieder in österreichischer Hand, die Ordnung wiederhergestellt. Die Hoffnung der Lombarden und Venetianer auf Lostrennung von der Monarchie entbehrte nun jeder realistischen Grundlage. Unter diesen Voraussetzungen versprach die Einberufung von Vertrauensleuten mehr Erfolg zu haben als Anfang 1849. Am 12. Februar erbat sich Bach die Genehmigung des Ministerrates dazu, und er erhielt sie. 41 Diesmal kamen sie. Montecuccoli wurde mit dem Vorsitz der Vertrauensmännerversammlung betraut. 42 Sie sollte das Statut und auch das wichtige Gemeindegesetz beraten. Eine genaue Chronologie ist nach der Aktenlage in

39 40 41 42

Bernatzik, Verfassungsgesetze 174. Kletecˇ ka, Einleitung ÖMR III / 3, IX–XII. AVA, Ministerium des Inneren, Präs. 4334/1851, Beilage D. MR. v. 12. 2. 1850/IV, ÖMR II / 2, Nr. 278; MR. v. 1. 4. 1850/VIII, ebd. Nr. 311. MR. v. 30. 3. 1850/I, ebd. Nr. 310.

51

52

Gescheiterte Bemühungen um eine Verfassung

den Wiener Archiven zwar nicht möglich, ein Protokoll nicht vorhanden, jedenfalls fand sie von April 43 bis Anfang Juli 1850 in Wien statt. Wir kennen die Teilnehmer. Es waren: aus der Lombardei 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Archinto, Conte, Mailand Villa, Pietro Carlo, Dr., Mailand Baroffio, Gaetano, Dr., Como Nazari, Giovanni Battista, Bergamo Saleri, Giuseppe, Dr., Brescia Noy, Cesare M., Sekretär, Brescia Racchetti, Alessandro, Prof., Crema Schizzi, Folchino, Conte, Cremona Zanelli, Agostino, Dr., Mantua

aus Venetien 1. Ambrosoli, Francesco, Venedig 2. Breganza, Giovanni Battista, Venedig 3. Giovanelli, Andrea, Principe, Venedig 4. Priuli, Nicolò, Conte, Venedig 5. Reali, Giuseppe, Venedig 6. Beretta, Francesco, Conte, Udine 7. Bricito, Zaccaria, Erzbischof von Udine 8. Cisotti, Francesco, Dr., Vicenza 9. Cittadella Vigodarzere, Andrea, Conte, Padova 10. Mori, Alfonso de, Dr., avvocato, Treviso 11. Orti Manara, Girolamo, Conte, Verona 12. Squarcina, Bernardo Antonino, Bischof von Adria Wir kennen sogar den Text der Begrüßungsansprache, die Bach in italienischer Sprache gehalten hat. 44 43 Vgl. Innsbrucker Zeitung v. 10. 4. 1850, 346; Salzburger Constitutionelle Zeitung v. 10. 4. 1850, 338. 44 »Signori! Nel momento in cui io mi trovo in mezzo a tante persone spettabili del Regno Lombardo-Veneto, provo un vero bisogno di manifestare innanzi tutto il vivo piacere che sento a vederli radunati in questa residenza imperiale. – Il Regno Lombardo-Veneto fu negli ultimi anni colpito da gravi calamità. – Sanare le piaghe sofferte, ristabilire nell’autorità quella forza salutare che assicuri il regolare andamento degli affari pubblici e fondare quelle istituzioni, che valgano a rendere partecipi le Provincie Lombarde e Venete de’ benefizii, di cui la costituzione del 4 marzo, largita dalla grazia del nostro Sovrano, è ricca per tutto l’Impero – ecco Signori l’oggetto primario delle cure del Governo. [...]«, AVA, Nachlass Bach, Karton 17, M.I. Präs. 4334/51.

Verhandlungen

Während der Einberufung und Anreise der Vertrauensmänner wurde der Entwurf im Ministerium noch einmal diskutiert. Anwesend waren Bach, Montecuccoli, Salm, Andrian, 45 Pederzani, 46 Lasser und Lessner. 47 Am 27. April brachte Bach das Statut in den Ministerrat, der dem Entwurf und seiner Mitteilung an die Vertrauensmänner zustimmte. Einen offiziellen Beschluss wollte Bach nicht herbeiführen, da es, wie er sagte, nicht anginge, dass die Vertrauensmänner über Ministerratsbeschlüsse beraten. 48 Am 8. Juni brachte Bach den Entwurf mit zahlreichen Abänderungen infolge der Gespräche mit den Vertrauensleuten wieder in den Ministerrat, »in der Absicht [...], um über die wesentlichen Punkte die Meinung des Ministerrates zu vernehmen und auf diesem Grunde dann das Statuto etc. mit den Vertrauensmännern weiter besprechen und die Beratungen darüber zum Abschluss und den Gegenstand selbst zur Vorlage bringen zu können«. Das Protokoll hält fest: »Über diese hier angeschlossenen Entwürfe ergaben sich nur wenige Bemerkungen.« 49 Man kann also sagen, dass der Ministerrat am 8. Juni 1850 die Verfassung samt Wahlgesetz für die Lombardei und für Venetien beschlossen hat. Die abschließenden Gespräche mit den Vertrauensmännern müssen bald darauf stattgefunden haben. Es folgte eine Schlussredaktion im Ministerium. Am 25. Juli legte Sektionsrat Lessner, der offenbar mit der Bearbeitung beauftragt war, das Ergebnis dem Minister vor: Hochwohlgeborener Herr Minister! Ich habe die Ehre, ein Exemplar des Statutes des lombardisch-venetianischen Königreiches vorzulegen (A), wie es aus den Beratungen der italienischen Vertrauensmänner und aus der hierauf gegründeten Redaktion des Komitees, welches Euere Hochwohlgeboren zu bestellen fanden, hervorgegangen ist. Ich habe dieses Exemplar so eingerichtet, dass auf der rechten Spalte der Entwurf kopiert ist, wie er den Vertrauensmännern zur Diskussion vorlag, und dabei die Artikel und Stellen durchstrichen sind, welche ausgelassen oder geändert werden sollen. Wo Änderungen nur Worte oder den Stil einzelner Sätze betreffen, sind sie über den Text geschrieben, wo aber ganze Artikel oder Perioden geändert oder zugesetzt wer-

45 Siehe die Tagebucheintragungen in Adlgasser, Andrian-Werburg 2, 346–355. 46 Luigi Pederzani, geboren im Roveretaner Kreis, Hofrat bei der Obersten Justizstelle und seit 21. 12. 1850 Senatspräsident bei Obersten Gerichts- und Kassationshof in Wien. 47 AVA, Ministerium des Inneren, Präs. 4334/1851, Beilage E. 48 MR. v. 27. 4. 1850/V, ÖMR II / 2, Nr. 331. 49 MR. v. 8. 6. 1850/VII, ÖMR II / 3, Nr. 348.

53

54

Gescheiterte Bemühungen um eine Verfassung

den sollen oder wo immer die Änderung von Bedeutung ist, ist sie auf die linke Spalte übertragen, wodurch die Übersichtlichkeit hergestellt wird [...]. 50

Mit diesem Akt bricht die Geschichte der geplanten Landesverfassung für Lombardo-Venetien ab.

3.6 Stillstand Was hat Bach mit diesem abschließenden Bericht und letztlich mit dem Verfassungsentwurf gemacht? Von der im Ministerrat angekündigten Antragstellung, also von einem Vortrag an den Kaiser, gibt es keine Spur. Allerdings sind die Akten des Innenministeriums nur teilweise erhalten. Die Vertrauensmänner hatten ziemlich viele Änderungswünsche vorgebracht. Hat sich Bach davon distanziert, die Sache deshalb liegengelassen? Stand die Reorganisierung der Zivilsektion des Generalgouvernements und damit die Enthebung Montecuccolis von der Stelle als Chef derselben im Juli 1850 damit in Zusammenhang? 51 Hat es eine Intervention Radetzkys gegeben? Eine eindeutige Antwort darauf ist nach den vorliegenden Akten nicht möglich. Eines scheint aber sicher zu sein: An der prinzipiellen Ernsthaftigkeit des Versuchs der Regierung, eine Verfassung auch für Lombardo-Venetien zu erlassen, kann nicht gezweifelt werden. Sie war in der Reichsverfassung vom 4. März versprochen worden. Alle Länder hatten Landesstatute erhalten, noch am 9. September 1850 folgten, wie erwähnt, Galizien und die Bukowina. Es war undenkbar, dass nicht auch Lombardo-Venetien und später die ungarischen Länder nachfolgen sollten. 52 Wenn man aber die Konstitutionalisierung Lombardo-Venetiens in diesen Zusammenhang stellt, dann erhalten wir doch in gewissem Sinn eine Antwort auf unsere Frage. Ein Aktenvermerk hilft uns weiter. Alle Entwürfe, von denen die Rede war, also der Entwurf Bruck von 1849, der Entwurf des Ministeriums des Inneren von 1850 und der aus den Gesprächen des Ministeriums mit der Vertrauensmännerversammlung vom Sommer 1850 hervorgegeangene abgeänderte Ministerialentwurf liegen, gemeinsam mit dem zitierten Schreiben des Sektionsrates Lessner an seinen Chef, den Minister des Inneren Bach, unter der Aktenzahl 4334 aus 1851 bei den Präsidialakten

50 AVA, Ministerium des Inneren, Präs. 4334/1851, Beilage L. 51 AVA, Ministerium des Inneren, Präs. 3957/1850. 52 Zu den Verfassungen für die Länder der Stephanskrone siehe die §§ 71–74 der Reichsverfassung, Rgbl. Nr. 150/1849.

Stillstand

des Ministeriums des Inneren. Sie tragen folgenden etwas beschädigten, aber eindeutig rekonstruierbaren Aktenvermerk: Ministerialrat v. Lasser überreicht die Akten über den Entwurf des Statuto und der Legge elettorale für das lombardisch-venetianische Königreich. Sämtliche in den Umschlagbögen A.B.C.D.E.F.G.H.I.K.L. näher bezeichneten Akten sind zu asservieren. [Paraphe] 21/VIII. 53

Daraus geht zweierlei hervor: 1. Die Akten befanden sich bis zum 21. August 1851 noch bei den unerledigten Stücken. 2. Ministerialrat Lasser hat sie am 21. August 1851 der Registratur des Ministeriums übergeben mit dem Auftrag, sie aufzubewahren. Das Datum ist bezeichnend. Einen Tag zuvor, am 20. August 1851, hatte der Kaiser jene Handschreiben unterzeichnet, die das monatelange Ringen des Ministerrates mit dem vom Kaiser zu seiner Beratung eingesetzten reaktionären Reichsrat mit dem Sieg des letzteren beendeten und die Aufhebung der Märzverfassung in Aussicht stellten. 54 Diese Wende zum sogenannten Neoabsolutismus hatte sich seit dem Winter 1850/51 abgezeichnet. Am 19. Oktober 1850 hatte der Kaiser Karl Friedrich Freiherrn von Kübeck empfangen, den kommenden starken Mann. Er erhielt den Auftrag, das Statut für den Reichsrat zu entwerfen, der in den §§ 96–98 der Märzverfassung vorgesehen war – ein rein beratendes, dem Kaiser direkt unterstelltes Organ, nicht zu verwechseln mit dem Parlament der Märzverfassung von 1849, dem nie einberufenen Reichstag, aber auch nicht mit dem späteren Parlament, dem Reichsrat der Februar- bzw. Dezemberverfassung. Mit diesem Auftrag begann der Kampf zwischen dem noch immer liberalen Ministerium Schwarzenberg und dem konservativen, neoabsolutistischen, letztlich auf die Aufhebung der Verfassung hinarbeitenden Kübeck und seinem Reichsrat. Innenminister Bach, zunächst schwankend, schlug sich in diesem Kampf im März 1851 – keineswegs ganz freiwillig – auf die Seite Kübecks. Am 13. April 1851 wurde der Reichsrat ins Leben gerufen. 55 Am 20. August folgten die oben genannten Handschreiben – der Anfang vom Ende der Reichsverfassung. Dass Lasser das Statut für Lombardo-Venetien am Tag nach dem Sieges des Reichsrates über den Ministerrat der Registratur übergeben, mithin ad acta ge-

53 AVA, Ministerium des Inneren, Präs. 4334/1851. 54 Bernatzik, Verfassungsgesetze Nr. 45–47. 55 Zu diesem Kampf und zum Durchbruch des Neoabsolutismus siehe Rumpler, Ministerrat 30–36.

55

56

Gescheiterte Bemühungen um eine Verfassung

legt hat, entsprach der Logik der Ereignisse. Die schon längst erlassenen und publizierten Landesverfassungen für die anderen Kronländer wurden nicht in Wirksamkeit gesetzt. Die Reichsverfassung selbst wurde am 31. Dezember 1851 ausdrücklich aufgehoben. Welchen Sinn hätte da die Weiterarbeit am Statut für die italienischen Provinzen gehabt? Immerhin sollten die Akten »asserviert« werden. Lasser hoffte also wohl auf eine spätere Wiederverwendung oder wenigsten auf eine Rechtfertigung vor der Geschichte. Tatsächlich wurden sie später einmal vom Reichsrat entlehnt und wieder zurückgestellt, 56 und nach dem verlorenen Krieg von 1859 kam es in den 1860er-Jahren zu einer Neuauflage der Diskussion. 57 Vorerst aber war das Statut für Lombardo-Venetien das erste Opfer der neuen antikonstitutionellen Politik. Es wurde, noch nicht ganz zu Ende verhandelt, erst gar nicht mehr erlassen. Darüber, wie das Tauziehen zwischen den Vertrauensmännern und der Regierung um die einzelnen Paragraphen und Details ausgegangen wäre, kann nichts gesagt werden, ebenso wenig über die Auswirkungen, welche die tatsächliche Erlassung auf die Beziehung des Regno zur Monarchie gehabt hätte. Es ist denkbar, dass die Vertreter der italienischen Einigungsbewegung Mittel und Wege zur Obstruktion der Landesverfassung gefunden hätten. Es ist aber auch denkbar, dass sich Vertreter der führenden Schichten des Königreiches von den Vorteilen einer liberalen und dezentralen Verfassung und Mitbestimmung hätten überzeugen lassen. Das Königreich Italien war damals ja noch nicht errichtet, und es war noch nicht ausgemacht, welche definitive politische Organisation die Halbinsel erhalten würde. Tatsache ist, dass der Versuch der Konstitutionalisierung Lombardo-Venetiens, der 1848 auf die politische Tagesordnung gesetzt worden war und bis zum Sommer 1850 betrieben wurde, unter dem Ansturm der Reaktion 1851 endgültig gescheitert ist.

56 Das beweist ein beim Akt AVA, Ministerium des Inneren, Präs. 4334/1851, befindliches, leider nicht datiertes Blatt mit folgendem, beschädigten aber rekonstruierbaren Text: »Pro actis. Konsignation ... Verzeichnis über die aus der Registratur des Kabinetts [des Ministers] des Inneren von dem Reichsrate aus[gehobenen] und wieder [zurückgestellten Akten] bezüglich der Landesverfassung und d[es Wahlgesetzes] des lombardisch-venetianischen Königr[eichs].« Der Entwurf war also nicht vergessen. 57 Vgl. Kap. 4: »Das unterbliebene Angebot«.

4. Das unterbliebene Angebot. Überlegungen anlässlich 150 Jahre Venetien zu Italien

4.1 Ein historischer Jahrtag Am 3. Oktober 2016 jährte sich zum 150. Mal der Tag der Unterzeichnung des Friedens von Wien zwischen der Habsburgermonarchie und dem Königreich Italien. Der Friedensschluss beendete den Krieg von 1866 gegen das Königreich Italien und bedeutete die offizielle Anerkennung dieses erst wenige Jahre zuvor – 1861 – neu gegründeten Staates durch Österreich. Vor allem aber besiegelte er die Abtretung Venetiens, genauer gesagt den nach dem Verlust der Lombardei verbliebenen Rest des lombardisch-venetianischen Königreichs, und seine Eingliederung in das Königreich Italien. Dem Kaisertum Österreich, wie der Staat damals noch hieß, bevor er 1867 zur österreichisch-ungarischen Monarchie mutierte, verblieben an italienischen Siedlungsgebieten nur das südliche Tirol und das Küstenland, Trento e Trieste, deren Erwerbung für Italien in der Folge das Ziel der italienischen irredentistischen Bewegung war. Man kann das Ereignis »1866: Il Veneto all’Italia«, wie der Titel einer wissenschaftlichen Tagung in Verona lautete, aus verschiedenen Blickwinkeln erzählen. Man kann es im Sinn der früheren Geschichtsschreibung über das Risorgimento als dritten Einigungskrieg nach 1848/49 und 1859 sehen, als terza guerra d’indipendenza o del Risorgimento, und somit als Erfolgsgeschichte der italienischen Einigungsbewegung. Man kann es in den Rahmen der europäischen Staatsbildungsprozesse des 19. Jahrhunderts einordnen oder in die Reihe der europäischen Kriege. Die Diplomatiegeschichte enthält jenes scheinbar skurrile Detail der Abtretung eines Gebietes auch im Fall eines Sieges. Tatsächlich sah der geheime Neutralitätsvertrag zwischen Österreich und Frankreich vom 12. Juni 1866 die Abtretung des Gebietes vor, eben als Preis für die Neutralität Frankreichs. Die österreichischen Diplomaten wurden deswegen von manchen Historikern heftig gescholten. In Wirklichkeit war es so, dass Österreich von Frankreich nicht nur die Zusicherung der Neutralität, sondern auch die Zustimmung zu Gebietskompensationen in Deutschland – zum Beispiel Schlesien – im Fall eines Sieges über Preußen erhielt. 1 Österreich verlor aber den Krieg und Venetien. 1 Siehe dazu Derndarsky, Klischee.

58

Das unterbliebene Angebot

Man kann die Abtretung Venetiens aber auch aus der Sicht der inneren Politik der Habsburgermonarchie analysieren. Das soll im Folgenden geschehen. Dieser Gesichtspunkt scheint mir wichtig zu sein, weil sich Kriege, Machtpolitik, auch Außenpolitik nicht im luftleeren Raum abspielen, sondern Ausdruck der inneren Verhältnisse eines Staates sind. Sie sind das nach außen gerichtete Gesamtinteresse einer Gesellschaft und ihrer führenden Schicht. Es gab in der Habsburgermonarchie zwei Denkweisen darüber, wie man mit den italienischen Teilen des Reiches umgehen sollte. Beide wollten einen starken, effizienten Staat, unterschieden sich aber in den Mitteln und Wegen, das Ziel zu erreichen. Die eine Linie befürwortete als politische Instrumente Kooperation und Partizipation. Sie versprach sich von der Zusammenarbeit mit den führenden Schichten des Landes eine bessere und sicherere Integration des Gebietes in den habsburgischen Herrschaftsbereich. Diese Denkweise kann durch viele Beispiele und Fakten belegt werden, doch konnte sie sich nicht durchsetzen. Wir können einige Personen, Äußerungen, Dokumente und Ereignisse einem solchen Politikverständnis zuordnen, aber die Absichten wurden nicht in die Tat umgesetzt, sie blieben Absichten. Ihre Protagonisten waren der Staatskanzler Klemens Wenzel Lothar Fürst v. Metternich, Erzherzog Ferdinand Maximilian, Albert Graf Montecuccoli, Karl Freiherr v. Bruck, um nur einige zu nennen. Unter wiederholter Berufung auf die Reformperiode 2 unter Kaiserin Maria Theresia und den Großherzog von Toskana Leopold (Pietro Leopoldo, den späteren Kaiser Leopold II.) wollten sie die italienischen Provinzen durch eine dem italienischen Nationalgedanken entgegenkommende Politik beim Haus Habsburg halten. Ich möchte sie die Politik eines guten Angebots nennen. Die Linie, die tatsächlich Realität geworden ist, herrschte nach dem autokratischen und zentralistischen Prinzip des reinen Obrigkeitsstaates. Sie lehnte politische Partizipation, Autonomie und nationales Denken ab, weil sie darin einen Machtverlust sah oder gar die Revolution befürchtete.

2 Adam Wandruszka sprach vom Zeitalter der Reformen und vom »Riformismo asburgico«, Furlani–Wandruszka, Österreich und Italien 239–81; Wandruszka, Österreich und Italien im 18. Jahrhundert.

». . . nicht mit den deutschen Provinzen verschmelzen«

4.2 ». . . nicht mit den deutschen Provinzen verschmelzen« Die erste Denkschule war zwar erfolglos, doch hat es sie gegeben. Die Historiographie muss auch das behandeln, was nur potentiell, als Gedanke vorhanden war und nicht Realität geworden ist. Die subversive und kontrafaktische Seite der Geschichte hat ihre eigene Realität und Würde. Der Name Metternich mag in diesem Zusammenhang erstaunen, galt er doch lange Zeit als Feind Italiens, in dem er nur einen geografischen Begriff sah. Man darf aber nicht vergessen, dass der Staatskanzler nicht für alles zuständig war. Er war für die Außenpolitik zuständig und in diesem Rahmen auch für die Abwehr revolutionärer Bewegungen, gemeinsam mit den anderen Mächten der Heiligen Allianz. Er war aber nicht zuständig für die Gestaltung der inneren Politik. Sie oblag dem Kanzler der vereinigten Hofkanzlei, deren jeweilige Leiter eifersüchtig über ihre Kompetenzen wachten. Bekannt ist die Gegnerschaft des Grafen Franz Anton von Kolowrat-Liebsteinsky gegen Metternich. Das muss man auch festhalten, wenn vom System Metternich die Rede ist. Schon die Organisierung des Königreichs Lombardo-Venetien im Jahr 1815 wurde nicht in Metternichs Staatskanzlei, sondern in der der Hofkanzlei zugeordneten k. k. Central-Organisierungs-Hof-Commission vorbereitet und von Kaiser Franz entschieden. Metternich war mit der eingeschlagenen Richtung nicht einverstanden, musste sich aber heraushalten. Er fand jedoch Wege, dem Kaiser seine Meinung deutlich zu sagen. 3 Zwei Jahre nach der Errichtung des lombardisch-venetianischen Königreichs unterbreitete er Kaiser Franz einen Vortrag und eine ausführliche Denkschrift, in denen er Beobachtungen und Gedanken über Italien darlegte, die er durch Berichte und durch eigene Reisen gewonnen hatte. 4 In beiden Schriftstücken warb er um Verständnis für Lombardo-Venetien. Er kritisierte die Langsamkeit und Engstirnigkeit der österreichischen Verwaltung und wies darauf hin, wie nachteilig es sei, diesen Provinzen einen »deutschen Zuschnitt geben zu wollen«. 5 Metternich sagte in der Denkschrift: [...] so erachte ich es für meine Pflicht, hier die gehorsamste Bemerkung zu wiederholen, wie wichtig es aus dem politischen Gesichtspunkte sein dürfte, in diesem so interessanten Teile der Monarchie die Gebrechen und Mängel der Administration ehemöglichst zu beheben, dem Geschäftsgang mehr Tätigkeit zu verleihen, dem Nationalgeiste und der Eigenliebe der Nation dadurch entgegenzukommen, dass man

3 Zum Thema Metternich und Italien siehe eingehend Siemann, Metternich 607–616, und Siemann, Metternich und Italien. 4 Vortrag und Denkschrift 3. 11. 1817, Metternich, Nachgelassene Papiere 3, 90. 5 Ebd. 89.

59

60

Das unterbliebene Angebot

diesen Provinzen eine Verwaltungsform gebe, welche den Italienern beweise, man wolle sie nicht mit den deutschen Provinzen der Monarchie ganz gleich behandeln und so zu sagen verschmelzen; 6

Man müsse vor allem bei den Gerichtsbehörden Leute aus dem Lande selbst anstellen. Man solle die Geistlichkeit und die Schriftsteller an sich binden, weil sie den meisten Einfluss auf die öffentliche Meinung haben. Bei einer entsprechenden Politik würde sich ohne Zweifel die öffentliche Meinung auf die vorteilhafteste Weise für Österreich aussprechen, die Unzufriedenheit mit den Ursachen verschwinden, und die Italiener zuletzt Österreich als die einzige Regierung ansehen, welche ihnen eine sichere Stütze der öffentlichen Ruhe darbieten könne. Ist dieser Tag einmal gekommen, dann wird der fremde Einfluss nicht mehr zu fürchten sein, und wir werden einen weit wesentlicheren bei unseren Nachbarn gewinnen: den Einfluss, welchen die Meinung gibt. 7

Metternichs Überzeugung war also, dass eine gute Verwaltung und die Berücksichtigung der lokalen Bedürfnisse Zufriedenheit und Sicherheit erzeuge. Dadurch werde die öffentliche Meinung positiv beeinflusst und der Herrscher bzw. der Staat nicht mehr als fremd empfunden. Der Staatskanzler ging aber noch weiter. Er schlug die Reform der Provinzialstände vor. Aus den reformierten Provinzialständen sollte dann eine »Zentralrepräsentation«, ein »Reichsrat« 8 hervorgehen, in dessen Kompetenz die Prüfung des Budgets und die allgemeine Gesetzgebung fallen sollte. Gewiss bewegten sich diese Vorschläge noch im Rahmen der alten ständischen Repräsentation, dennoch waren es Modelle der Teilhabe der Untertanen am politischen Geschehen. Metternich mahnte also ein, den Bewohnern des lombardisch-venetianischen Königreiches ein Angebot zu machen, auf Kooperation zu setzen, Zufriedenheit zu erzeugen. Kaiser Franz hat in diesem Punkt den klugen Rat Metternichs nicht befolgt. So konnte sich die Unzufriedenheit über die Verwaltung vermehren. Das war auch der Boden, auf dem die radikalen Ideen Giuseppe Mazzinis gedeihen konnten.

6 Ebd. 90. 7 Ebd. 8 Beide Ausdrücke ebd. 74 f.

». . . ohne lange Zögerung jene Verfassung in Aussicht stellen«

4.3 ». . . ohne lange Zögerung jene Verfassung in Aussicht stellen« Ein großer zeitlicher Sprung führt uns in das Jahr 1848. In vielen Städten war die Revolution ausgebrochen. Der Ruf nach Partizipation und nach einer Verfassung schallte von Land zu Land. Verfassunggebende Versammlungen wurden einberufen oder zugelassen. Doch bereiteten sich gleichzeitig die Armeen vor, die Macht der Fürsten zu retten. Im Königreich Lombardo-Venetien hatte sich die aufgestaute Unzufriedenheit in Aufständen Luft gemacht. In Venedig wurde die Republik ausgerufen, die sich bis in den Sommer 1849 halten konnte. Mailand blieb nur wenige Monate unabhängig, bis Feldmarschall Radetzky die Stadt wieder in Besitz nahm. Es war aber nicht genug, bloß die Gebiete wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Politik musste eine Antwort auf die Ursachen und die Fragen finden, derentwegen es zur Revolution gekommen war. Im Juli 1848 schrieb der von der Wiener Regierung ins lombardisch-venezianische Königreich entsandte bevollmächtigte Regierungskommissär Albert Graf Montecuccoli an den Ministerpräsidenten in Wien mit fast denselben Worten wie Metternich dreißig Jahre davor: »Die italienischen Provinzen mit Österreich in einen solchen Verband ziehen zu wollen, wie sich die übrigen deutschen und slawischen Provinzen zu demselben befinden, [...] halte ich für unmöglich.« 9 Ministerpräsident Johann Freiherr v. Wessenberg antwortete zustimmend. Es sei notwendig, »der Bevölkerung ohne lange Zögerung jene Verfassung in Aussicht zu stellen, welche ihnen werden soll« 10, und es wäre am besten, die Versammlung von Vertretern des Landes in sehr kurzer Zeit zu bewerkstelligen. Obwohl sich die Ereignisse immer wieder überstürzten, kam es tatsächlich in den Jahren 1848–1850 zur Ausarbeitung mehrerer Entwürfe einer Verfassung für Lombardo-Venetien. 11 Für eine solche Verfassung arbeiteten neben Montecuccoli auch die Innenminister Franz Graf Stadion und Alexander Bach, dann der zu den Friedensverhandlungen mit Sardinien nach Mailand entsandte Minister Karl Ludwig Ritter v. Bruck. Auch italienische Vertrauensmänner aus dem Land beteiligten sich nach längerem Zögern. Die Verfassung liegt ausgearbeitet in den Archiven. Sie wurde nie in Kraft gesetzt, übrigens ebenso wenig wie die Landesverfassungen für die anderen Kronländer, die 1850 publiziert wurden. Die Konstitutionalisierung der Habsburgermonarchie stockte nicht nur im

9 Filipuzzi, Relazioni diplomatiche 1, Nr. 89. 10 Ebd. Nr. 93. 11 Vgl. Kap 3: »Gescheiterte Bemühungen um eine Verfassung für das lombardisch-venetianische Königreich 1848–1850«; Gottsmann–Malfèr, Lombardo-Venetien 1618–1623.

61

62

Das unterbliebene Angebot

lombardisch-venetianischen Königreich und fiel schließlich der Reaktion zum Opfer. Wir können nicht spekulieren, was eine Verfassung für Lombardo-Venetien bewirkt und ob sich im Land eine proösterreichische Partei gebildet hätte. Dass es gar nicht versucht worden ist, war jedenfalls ein unterbliebenes Angebot des Zentralstaates an diese Provinz.

4.4 ». . . zeitgemäße Reform in der Repräsentanz der Bevölkerung« Wieder ein zeitlicher Sprung. Das Kaiserpaar Franz Joseph und Elisabeth unternahm von November 1856 bis März 1857 eine ausgedehnte Reise durch Lombardo-Venetien mit dem Ziel, das Verhältnis der Bevölkerung zur Dynastie durch verschiedene geeignete Maßnahmen und durch die Anwesenheit zu verbessern. Am Ende der Reise, am 28. Februar 1857, ernannte Franz Joseph seinen Bruder, den als liberal geltenden Erzherzog Ferdinand Maximilian zum Generalgouverneur an Stelle des 90-jährigen Feldmarschalls Radetzky. Das war ein klares Symbol des Entgegenkommens. Der 35-jährige Erzherzog stürzte sich mit Eifer in die Aufgabe und sammelte Informationen, um den Auftrag zu erfüllen, den er erhalten hatte, nämlich »in allem, was die geistige und materielle Entwicklung des Landes betrifft, rechtzeitig und kräftig die Initiative zu ergreifen«. 12 Er entwickelte daraus eine strategische Position für die Zukunft des Landes. 13 Bei einem Aufenthalt in Venedig im März 1858, gab er in einer Ansprache die Divise aus: »Venedig lebt; es wird leben.« 14 Er definierte die Rolle Österreichs als »Wärter und Wächter des Ruhmes Eurer Ahnen«. 15 In einem offenbar inspirierten Artikel in der »Oesterreichischen Zeitung« wurde diese Ansprache und die Politik Ferdinand Maximilians in höchsten Tönen gelobt. 16 Der Artikel arbeitete den Unterschied zur Politik der italienischen Nationalbewegung heraus, um diese zu desavouieren und die habsburgische Herrschaft als die bessere Alternative für die Interessen des Landes darzustellen. Die italienische Nationalbewegung würde sich nicht um die Kunstschätze kümmern, nicht um lokale Besonderheiten, nicht um die »edlen Geschlechter« 17.

12 13 14 15 16 17

MK. v. 12. 7. 1857, ÖMR III / 7, Nr. 460, Anm. 2. Malfèr, Einleitung ÖMR III / 7, XXIX–XXXI. Oesterreichische Zeitung v. 27. 3. 1858, 1, Artikel »Ein großes Wort zur rechten Zeit«. Ebd. Ebd. Ebd.

». . . zeitgemäße Reform in der Repräsentanz der Bevölkerung«

Österreich dagegen gewährleiste die Prosperität und das regionale Selbstbewusstsein. Von außen drohe bloß Revolte und gleichschaltender Zentralismus, der sich nicht um die »Besonderheiten der Städte« 18 kümmere. Die Politik Ferdinand Maximilians, so lockte die Zeitung, sei ein Angebot nicht nur an Venedig. »Nicht Venedig allein gilt das Wort des kaiserlichen Prinzen, es ist das Programm für die Absichten Österreichs im ganzen Umfange seiner italienischen Kronländer.« 19 Wenige Wochen später, im April 1858, fuhr Ferdinand Maximilian nach Wien und machte seinem kaiserlichen Bruder mehrere Vorschläge für Verbesserungen in der Verwaltung, im Steuerwesen, im Gesundheitswesen usw. Der Generalgouverneur konnte seine Anträge in der Ministerkonferenz erläutern und dafür werben. 20 Tatsächlich folgte die Regierung den Anträgen, allerdings mit einer gravierenden Ausnahme. Der Erzherzog hatte als letzten und wichtigsten Punkt des sorgfältig vorbereiteten Handschreibens des Kaisers an ihn, den Generalgouverneur, vorgeschlagen, der Kaiser solle »eine zeitgemäße Reform in der Repräsentanz der Bevölkerung des Königreiches« ankündigen und aussprechen, dass er eine solche »als im Prinzip den Interessen des Thrones und Landes angemessen erachte«. 21 Der Ministerrat erhob Bedenken gegen einen derartigen übrigens sehr vagen Ausspruch – wir befinden uns ja noch in der neoabsolutistischen Periode, vor der Niederlage von 1859, und kein anderes Kronland hatte einen Landtag oder sonst eine Repräsentanz. Der Kaiser selbst lehnte den Vorschlag in einem Schreiben an den Bruder brüsk ab. 22 Das Handschreiben erschien am 17. Juli 1858 ohne diesen letzten Punkt. 23 Insgesamt waren die Erfolgsaussichten des Versuchs von Erzherzog Ferdinand Maximilian als Generalgouverneur des lombardisch-venezianischen Königreichs, eine Politik der Partizipation und Kooperation einzuschlagen, nicht sehr hoch. Er hat aber diesen Versuch unternommen und bis in die Spitze der Monarchie getragen, zu seinem kaiserlichen Bruder und zur Regierung. Es hat also in der Habsburgermonarchie Politiker gegeben, die dem Land und seinen führenden Schichten ein politisches Angebot machen wollten. Wien ist ihnen nicht gefolgt, und es ist eben wieder kein Angebot gemacht worden.

18 19 20 21 22 23

Ebd. Ebd. MK. v. 12. 7. 1858, ÖMR III / 7, Nr. 460. Ebd., Beilage. Dazu ebd. Anm. 25. Ebd.

63

64

Das unterbliebene Angebot

4.5 ». . . mit dem Landesstatute kann nicht länger zurückgehalten werden« Ebenso ging es dem allerletzten Versuch, der unter beträchtlich veränderten Umständen vonstattenging. Österreich hatte den Krieg von 1859 gegen Sardinien-Piemont und Frankreich verloren und den größten Teil der Lombardei abtreten müssen. Venetien und ein kleiner Teil der Lombardei blieben unter dem unveränderten Namen lombardisch-venetianisches Königreich bei der Habsburgermonarchie. Die Niederlage zwang aber Kaiser Franz Joseph, seine Innenpolitik zu überdenken und den Neoabsolutismus aufzugeben. Dies geschah zunächst mit dem Oktoberdiplom, mit dem ein erster vorsichtiger Schritt in Richtung Konstitutionalisierung unternommen wurde. Lombardo-Venetien wurde im Oktoberdiplom zwar nicht erwähnt, doch kam es wieder auf die Tagesordnung. Am 19. Jänner 1861 wurde in der Ministerkonferenz über das Landesstatut diskutiert. 24 Es war unbestritten, dass auch Lombardo-Venetien einen Anspruch auf Landesvertretung hatte, doch fürchtete der erst kurz im Amt befindliche Staatsminister Anton Ritter v. Schmerling, jetzt dort Wahlen abzuhalten und schlug vor, stattdessen vorläufig die Kompetenz der Kongregationen zu erweitern. Polizeiminister Carl Freiherr Mecséry de Tsóor widersprach Schmerling und regte stattdessen an, für Lombardo-Venetien ein Landesstatut wie für die anderen Kronländer auszuarbeiten und es mit dem Beifügen zu publizieren, dass das Inkrafttreten einer ruhigeren Zeit vorbehalten bleibe. Dies wäre ein Signal dem Land und Europa gegenüber, dass die Monarchie dieses Land gleich behandeln wolle und dass nur die momentanen politischen Verhältnisse die sofortige Vollziehung verhinderten. Kriegsminister August Graf v. Degenfeld trat auch für die Erlassung eines Landesstatuts ein mit dem Argument, dadurch würden die Gerüchte über den Verkauf Venetiens niedergeschlagen. 25 Der Verwaltungsminister Joseph Ritter v. Lasser meinte dagegen, ein Statut zu publizieren und es nicht vollziehen, würde als eine absichtliche Täuschung angesehen und schlecht aufgenommen werden. Diese Diskussion wurde wenige Wochen später durch das Patent vom 26. Februar 1861 abgeschlossen, mit dem der Weg zur Konstitutionalisierung fortgesetzt wurde. Es brachte im Artikel V wiederum ein feierliches Verfassungsversprechen des Monarchen, das dritte nach dem Patent vom 20. September 1848 und dem § 76 der Verfassung vom 3. März 1849: »Indem wir in betreff Unseres lombardisch-venetianischen Königreiches Unserem Staatsminister zugleich den

24 MK. II v. 19. 1. 1861/IV, ÖMR IV / 3, Nr. 271. 25 Zu diesen Gerüchten siehe MK. v. 2. 12. 1860/II, ÖMR. IV / 3, Nr. 237.

». . . würde einer gänzlichen Lostrennung der italienischen Provinzen«

Auftrag erteilen, Uns eine auf gleichen Grundsätzen ruhende Landesverfassung im geeigneten Zeitpunkte vorzulegen [...].« 26 Dieses Versprechen wurde nie eingelöst. Zwar beauftragte Schmerling im Dezember 1861 den Statthalter, einen Verfassungsentwurf vorzulegen, und Anfang 1863 wurde wieder, so wie schon 1850, eine Vertrauensmännerversammlung aus Lombardo-Venetien zur Beratung des Landesstatuts nach Wien einberufen. Im Sommer 1863 lag der Entwurf ausgearbeitet vor. Es wurde sogar der entsprechende Vortrag vorbereitet, in dem es hieß, dass mit dem Landesstatut nicht länger zurückgehalten werden könne. 27 Die anderen Kronländer hatten zu diesem Zeitpunkt bereits längst ihre Landesordnungen. Schmerling wartete aber ab. Er legte den Vortrag und den Entwurf dem Kaiser nicht vor, und so trat er nie in Kraft. 28 Die Akten geben keine Auskunft, woran dieser Versuch gescheitert ist. Entscheidend war wohl die ungelöste ungarische Frage. Darauf komme ich noch zurück. Es bleibt auch hier die Tatsache, dass ein Angebot vorbereitet, aber nicht gemacht wurde.

4.6 ». . . würde einer gänzlichen Lostrennung der italienischen Provinzen von der Monarchie gleichkommen« Die zweite eingangs genannte Denkweise war die autokratische und absolutistische. Sie setzte auf zentralistische Verwaltung und auf Einheitlichkeit, auf Polizei, Justiz, Armee. Sie war der Meinung, dass die Macht nur durch diese Instrumente allein erhalten werden könne. Die alte ständische Mitbestimmung verkümmerte zur Form ohne Inhalt. Die Kongregationen im lombardisch-venetianischen Königreich waren wie die Landstände in den österreichischen Provinzen im Wesentlichen nur beratende Organe. Wenn es im Lauf der Zeit dennoch zu tatsächlicher politischer Mitbestimmung kam, dann nicht als freiwilliges Angebot der Regierung, sondern als abgetrotzter Kompromiss und als Ergebnis von Machtkämpfen. Es ist die Politik der Kaiser Franz I. und Franz Joseph I. Beide waren in ihren Ansichten durch bittere revolutionäre Erfahrungen geprägt, Kaiser Franz durch die Französische Revolution und durch die Napoleonischen Kriege, Kaiser Franz Joseph durch die revolutionären Ereignisse von 1848. Beide hatten die Denkfigur des Gottesgnadentums verinnerlicht. Machterhalt durch Teilhabe

26 Rgbl. Nr. 150/1849; Bernatzik, Verfassungsgesetze Nr. 40 a. 27 Gottsmann, Venetien 172. 28 Ebd. 189.

65

66

Das unterbliebene Angebot

von Ständen oder gar durch gewählte Vertreter war ihnen fremd, Mitbestimmung und Verfassung waren für sie revolutionärer Herkunft. Daher sträubten sie sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen derartige Tendenzen. Eine solche Politik kann sich halten, so lange keine besondere Gefahr auftaucht, so lange Polizei und Armee Herr der Lage sind, und so lange unter den Regierten eine gewisse Zufriedenheit (oder aber Hoffnungslosigkeit) vorherrschen. Wenn die Dinge in Fluss geraten, dann muss der autokratische Monarch entweder zum Despoten werden, oder er muss Kompromisse eingehen. Kaiser Franz musste, nachdem die napoleonische Phase überwunden war, keine Kompromisse mehr eingehen. Die Heilige Allianz, das Bündnis mit Preußen und Russland, garantierte die Erhaltung des Status quo in ausreichendem Maß. Daher konnte er ohne unmittelbar nachteilige Folgen die Vorschläge Metternichs liegen lassen. In einer späteren, undatierten Aufzeichnung schrieb Metternich, der Kaiser habe die Vorschläge zu einer Revision der ständischen Verhältnisse und zur Einrichtung eines Reichsrates prüfen wollen, sei aber letztlich durch Krankheit und Tod daran gehindert worden. 29 Dagegen musste Kaiser Franz Joseph zur Erhaltung seiner Macht und der seines Hauses Kompromisse eingehen. Er musste, drei Monate nach der Thronbesteigung, einer Verfassung zustimmen, obwohl er der Meinung war, dass eine Verfassung in seinem von vielen Völkern bewohnten Reich unmöglich sei. Nach drei Jahren gelang es ihm, diese Verfassung außer Kraft zu setzen. Der verlorene Krieg von 1859 zwang ihn, wieder langsam den Weg zum Konstitutionalismus zu betreten. Zuerst war es der ungarische und böhmische konservative Hochadel, der ihn überzeugte, einen Schritt in diese Richtung zu tun (Oktoberdiplom 1860). Dann drängten ihn die Deutschliberalen zum nächsten Schritt (Februarpatent 1861). Es wurde ein Parlament eingerichtet. Den Ungarn war das zu wenig, sie beharrten darauf, ihre Verfassung wiederzubekommen und damit die frühere Unabhängigkeit Ungarns von den übrigen Ländern der Habsburger. Nach dreieinhalb Jahren, Ende 1864, kam Franz Joseph schließlich zur Einsicht, dass das ungarische Problem nur aus der Welt geschafft werden könne, wenn er ein Abkommen mit den ungarischen Liberalen schloss, der stärksten politischen Kraft im Reich der Stephanskrone. Daher nahm er zunächst geheime Verhandlungen mit dem Anführer der ungarischen Liberalen Ferenc Deák auf. Dann wurde der ungarische Landtag einberufen. Die Verhandlungen mit dem Landtag waren weit gediehen, als der Krieg gegen Preußen 1866 ausbrach. Nach dem Krieg wurden sie unverändert fortgesetzt. Sie führten 1867 zum Ausgleich mit Ungarn. Diesmal waren die Deutschliberalen in Cisleitha29 Metternich, Nachgelassene Papiere 3, 75.

». . . würde einer gänzlichen Lostrennung der italienischen Provinzen«

nien unzufrieden. Sie wollten ihre Vormachtstellung in Cisleithanien, wie man den nichtungarischen Teil der Monarchie zu nennen begann, absichern, und sie verlangten eine bessere Verfassung als die noch unvollständige von 1861. Beides musste der Kaiser zugestehen. Im Dezember 1867 wurde die neue Verfassung für Cisleithanien verabschiedet, die sogenannte Dezemberverfassung. So wurde die Habsburgermonarchie nach 1859 langsam zu einem konstitutionellen Verfassungsstaat und dann zur österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie. Dies alles geschah nicht, weil Franz Joseph diese Entwicklung wollte und selbst herbeiführte, sondern weil er ihr Schritt für Schritt zustimmte, um seinem Haus den Thron und die Macht zu erhalten. Die Entwicklung beweist, dass Kaiser Franz Joseph zu Kompromissen fähig war, aber es zeigte sich auch, dass nur die Stärksten ihm solche Kompromisse abringen konnten, die Deutschen und die Ungarn. Einen bescheidenen Erfolg konnten noch die Polen in Galizien erzielen. Um den Preis des Stillhaltens und der Loyalität und ohne Verschriftlichung in besonderen Verfassungsdokumenten erhielten sie eine tatsächliche Autonomie in Galizien. Mit den Tschechen hätte Franz Joseph gern einen Kompromiss geschlossen, aber dies verhinderten die Deutschen in Cisleithanien und die Ungarn. Es ging stets nicht nur darum, was der Kaiser zu geben bereit war, sondern immer auch darum, welche Auswirkungen das auf das innere Gefüge der Monarchie haben würde. Es war wie eine Waage mit mehreren Schalen. Das Gewicht, das einer Schale entnommen oder hinzugefügt wird, hat Auswirkungen auf alle anderen Schalen. Eine politische Kraft, die stark genug war, den Kaiser zu einem Kompromiss zu veranlassen, hatte auch Einfluss darauf, welche Kompromisse er mit anderen Gruppen abschließen konnte. Alle diese Umstände sind zu berücksichtigen, will man den Weg zur Abtretung Venetiens richtig beurteilen. Warum kam es 1848–1850 nicht zur Verfassung für Lombardo-Venetien, obwohl mehrere Personen und Gruppen daran arbeiteten? Es lag nicht nur an der Ablehnung durch den Kaiser. Zuerst musste eine Verfassung für das ganze Reich erarbeitet werden. Der verfassunggebende Reichsrat in Wien und ab Oktober 1848 in Kremsier / Kromˇerˇ íž wurde kurz vor Beendigung seiner Arbeit aufgelöst, und der Kaiser oktroyierte die zentralistische Märzverfassung 1849. Eine besondere Verfassung für Lombardo-Venetien war nur mehr in deren Rahmen möglich, wurde aber immerhin noch vorbereitet. Gleichzeitig brach jedoch in Ungarn mit der Entthronung der Habsburger die zweite Phase der Revolution aus. Die kaiserlichen Heere setzten sich daraufhin in Bewegung. Mit russischer Hilfe wurde die Revolution – aus ungarischer Sicht der Freiheitskampf – niedergeschlagen. Das hatte Auswirkungen auf die anderen Kronlän-

67

68

Das unterbliebene Angebot

der. Eine besondere, weitgehende Verfassung für Lombardo-Venetien wurde im Hinblick auf Ungarn undenkbar. Mit welchem Grund hätte man das, was man den Italienern gab, den Ungarn verweigern können? Die Landesordnungen für alle Kronländer wurden zwar ausgearbeitet, aber sie traten nicht in Kraft. Die Verweigerung einer Verfassung für Lombardo-Venetien 1848–50 war also kein Sonderfall, sondern entsprach der generellen Linie. Schließlich wurde sogar die Märzverfassung selbst außer Kraft gesetzt. Damals setzte sich der junge absolutistische, konterrevolutionäre Monarch mit Hilfe der Armee durch. An dieser Konstellation hatte sich nichts geändert, als Erzherzog Ferdinand Maximilian Generalgouverneur wurde und seine Bemühungen zu einer Änderung der Politik unternahm. So richtig seine Ideen waren, so wenig hätte Kaiser Franz Joseph sie zu diesem Zeitpunkt umsetzen können, ohne das ganze Reich zu erschüttern. Wir haben ein Dokument aus seiner Hand, in dem das sehr klar zum Ausdruck kommt. Im Sommer 1858, wenige Wochen nach dem oben besprochenen Handschreiben vom 17. Juli, schrieb er seinem Bruder, warum eine Mitbestimmung in Lombardo-Venetien nicht möglich war. Der Kaiser führt zwei Argumente an. Das eine war subjektiv und historisch, das andere bezog sich auf die inneren Verhältnisse: Jedenfalls kann von einer Regierung der italienischen Provinzen, welche von den Centralstellen in Wien unabhängig ist und nur durch einen Minister für die italienischen Angelegenheiten mit dem Centrum in Verbindung steht, durchaus nicht und nie die Rede sein. Eine solche Einrichtung war vor 100 Jahren möglich, würde aber jetzt einer gänzlichen Lostrennung der italienischen Provinzen von der Monarchie gleich kommen und in einer Zeit, wo alles Schlechte so enge verbunden ist, die Widerstandsfähigkeit der Regierungsgewalt gegen die Revolution und ihre hohen Protektoren außerordentlich schwächen. Überhaupt ist bei Behandlung dieser Provinzen und unserer Interessen in Italien nicht bloß nur vorherrschend der italienische Standpunkt ins Auge zu fassen, sondern es ist die Lage und es sind die Verhältnisse der ganzen Monarchie zu beherzigen und nie zu vergessen, dass die Kraft unserer Stellung und unseres Einflusses in Italien nicht so sehr auf der Bedeutendheit und Entwicklung unserer italienischen Provinzen, als vielmehr auf dem Gewichte der ganzen Monarchie beruht. 30

Die Frage war also nicht, ob der Kaiser den Italienern etwas geben wollte oder nicht, sondern welche Auswirkungen es auf die anderen Teile der Monarchie hatte, wenn er ihnen etwas zugestand.

30 MK. v. 12. 7. 1857, ÖMR III / 7, Nr. 460, Anm. 25.

». . . würde einer gänzlichen Lostrennung der italienischen Provinzen«

Ein Jahr nach der Auseinandersetzung der kaiserlichen Brüder änderte sich die Situation dramatisch. Durch die Niederlage im Krieg gegen Sardinien-Piemont und Frankreich 1859 wurde Franz Joseph gezwungen, langsam den Weg zurück zum Konstitutionalismus zu gehen. 1861 gelang es dem Staatsminister Schmerling und den Deutschliberalen, dem Kaiser eine Verfassung abzuringen, das Februarpatent mit dem Grundgesetz über die Reichsvertretung und mit den Landesordnungen. Es wurde ein Parlament einberufen, der Reichsrat, und alle Kronländer erhielten einen Landtag. Auch für Lombardo-Venetien war einer vorgesehen. Damit sind wir beim nächsten Versuch eines Angebots, jenes des Staatsministers Schmerling 1863. Die Forderungen aus Venetien gingen aber über das hinaus, was die anderen Kronländer erhalten hatten. Die Venetianer verlangten mehr Eigenständigkeit. Dem stand aber wieder oder besser gesagt immer noch die ungarische Frage im Weg. Schmerling war nicht willens, von seiner Februarverfassung Abstriche machen zu lassen. Er bot den Ungarn zu wenig, daher konnte er auch den Italienern nicht allzu viel bieten, ohne inkonsequent zu sein und die Ungarn vollkommen gegen sich aufzubringen. Das war der innere Grund, warum es 1863 nicht zur Verabschiedung der fertig ausgearbeiteten Verfassung für Lombardo-Venetien gekommen ist. Angenommen, es wäre schon damals ein Ausgleich mit den Ungarn gefunden worden, dann hätte auch die Verfassung für Lombardo-Venetien erlassen werden können. So war es aber nicht. Inzwischen wurden die Abgeordneten von Schmerlings eigener Partei ungeduldig. Sie wollten, dass das ungarische Problem endlich gelöst werde. Es ist bekannt, dass eine Parlamentsrede des zwar auch deutschliberalen, aber zugleich föderalistischen Abgeordneten aus der Steiermark Moritz Kaiserfeld im Dezember 1864 das Ende der Regierung Schmerling einleitete. 31 Der Kaiser entließ Schmerling und ersetzte ihn durch einen mehr föderalistisch eingestellten Konservativen, den böhmischen Grafen Richard Belcredi. Er erhielt den ausdrücklichen Auftrag, mit den Ungarn zu verhandeln. Deshalb wurde auch die Schmerlingsche Verfassung sistiert. Belcredi bekannte sich ausdrücklich zu einer Verfassung für Lombardo-Venetien, aber zuerst müsse das viel größere und wichtigere ungarische Problem gelöst werden. 32 Ende 1865 begannen tatsächlich die Gespräche mit dem inzwischen einberufenen ungarischen Landtag. Der österreichisch-preußische Krieg von 1866 mit der Niederlage bei Königgrätz unterbrach nur, wie erwähnt, die Verhandlungen, sie wurden nachher wiederaufgenommen und Anfang 1867 abgeschlossen. Zu spät für Venetien, das zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Teil der Habsburgermonarchie war. 31 Vgl. Somogyi, Vom Zentralismus zum Dualismus 31. 32 Gottsmann, Venetien 193.

69

70

Das unterbliebene Angebot

Wäre es ohne Krieg zum ungarischen Ausgleich gekommen, dann hätte auch Lombardo-Venetien eine Landesverfassung und eine gewisse Selbständigkeit bekommen. Eine ganz andere Frage ist, was dieser Schritt bewirkt hätte. Es soll nämlich nicht die Bedeutung einer Verfassung überbewertet und die Kraft der italienischen Nationalbewegung geleugnet werden. Es muss offenbleiben, ob sich innerhalb der führenden Schicht im Lande zu diesem späten Zeitpunkt, als das Königreich Italien bereits bestand, noch eine proösterreichische Partei hätte bilden können. Der Irredentismus wäre wohl von Anfang an noch viel stärker geworden. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das Problema Veneto, die Vereinigung Venetiens mit Italien, und seine Lösung nicht nur mit dem vorhandenen oder fehlenden guten Willen zu tun hatte, sondern dass es in vielfacher Weise mit anderen innenpolitischen Problemen verwoben war. Die vordringlichen Probleme der Monarchie in diesem Jahrzehnt waren das Verhältnis zu Deutschland und die Regelung der ungarischen Frage. Alles andere trat in den Hintergrund. Auf diesen Aspekt hat Richard Blaas in seinen Arbeiten zum Problema Veneto hingewiesen. Er hat die Debatten im österreichischen Reichsrat zu Italien und die öffentliche Meinung in der Presse in den 1860er-Jahren untersucht. 33 Immer lauter vertraten die deutschliberalen Abgeordneten und die öffentliche Meinung den Standpunkt, dass sich die Monarchie mit dem neuen Staat Italien aussöhnen müsse. Dies sei notwendig, weil die Armee in Lombardo-Venetien sehr viel Geld koste. Zweitens sei der Handel mit Italien zum Stillstand gekommen, dies sei ein großer wirtschaftlicher Nachteil. Schließlich müsse die Außenpolitik sehen, dass die Kräfte, die in Italien gebunden waren, andernorts fehlten. Das hieß, die Stellung der Habsburgermonarchie in Deutschland war ihnen wichtiger als die in Italien. So sagte etwa der deutschliberale Abgeordnete aus Prag Ignaz Kuranda 1862: »Die italienische Frage ist eine große, schmerzensreiche Erbschaft der Verträge von 1815. Es ist nie einem Staate ein größeres Unglück durch Machtzuwachs passiert, als uns in Italien.« 34 Und: »[...] ich glaube, es ist kein Unglück, dass wir endlich die sogenannte Machtstellung in Italien verloren haben und aufgehört haben, eine italienische Macht zu sein.« 35 Ein anderes Mal brachte er es so auf den Punkt: »Die Aufgabe, die [...] dem Ministerium des Äußern zunächst vor-

33 Blaas, Die italienische Frage und das österreichische Parlament. 34 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses, I. Session, 115. Sitzung, 7. 5. 1862, 2638; vgl. Blaas, Die italienische Frage und das österreichische Parlament 190. 35 Ebd.

»Se. Majestät der Kaiser von Österreich gibt seine Zustimmung«

liegt, ist, die italienische Frage endlich zu einem Abschlusse zu bringen [...].« 36 Natürlich konnten die Abgeordneten nicht direkt die Abtretung Venetiens fordern. Aber insgesamt bewegte sich die Stimmung durchaus in diese Richtung. Ungarische Zeitungen schrieben offen, ein friedliches Arrangement mit Italien, eine Abtretung Venetiens unter ehrenhaften Bedingungen würde Österreich Preußen gegenüber den Rücken frei halten. 37 So gesehen war auch der österreichisch-französische Geheimvertrag vom 12. Juli 1866 38 nicht unverständlich, in dem Österreich die Neutralität Frankreichs erkaufte. Österreich bot Frankreich im Falle eines Sieges in Deutschland Venetien an, Frankreich versprach neutral zu bleiben und einem österreichischen Gebietszuwachs in Deutschland zuzustimmen, sofern er nicht das europäische Gleichgewicht stören würde. D. h. die Monarchie trennte sich von Venetien gegen Kompensationen in Deutschland, im Fall eines Sieges. Das war genau das, was die Liberalen in Österreich und in Ungarn schon länger ventiliert hatten.

4.7 »Se. Majestät der Kaiser von Österreich gibt seine Zustimmung zur Vereinigung des lombardisch-venetianischen Königreiches mit dem Königreiche Italien« Es erweist sich, dass jene Denkrichtung zu Italien, die in der Habsburgermonarchie an den Schalthebeln der Macht war, einerseits nicht in der Lage, andererseits aber auch gar nicht willens war, den Italienern im lombardisch-venetianischen Königreich bzw. in Venetien ein politisches Angebot zu machen, das die Visionen und Versprechungen der italienischen Einigungsbewegung überboten hätte. Ein solches Angebot hätte eine ganz andere Vision der Monarchie erfordert, nicht die eines von Wien aus straff geleiteten Zentralstaates, der noch dazu die damals modernen, liberalen Ideen als Gefahr wertete. Wenn überhaupt, dann hätte nur die Idee einer föderalen, den modernen Ideen aufgeschlossenen Staatlichkeit vermocht, der italienischen Einigungsbewegung Konkurrenz zu machen.

36 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses, I. Session, 191. Sitzung, 18. 6. 1862, 4750; vgl. Blaas, Die italienische Frage und das österreichische Parlament 199. 37 Ebd. 243. 38 Konferenzen und Verträge. Vertrags-Ploetz II / 3, 335–337.

71

72

Das unterbliebene Angebot

In den 1860er Jahren hatten die maßgebenden politischen Kräfte der beiden größten unter den 13 Völkern der Habsburgermonarchie, nämlich der Deutschen in Österreich und der Magyaren in Ungarn, kein Interesse mehr an einer Machtposition in Italien. Die Ungarn wollten die Selbständigkeit innerhalb des Reiches und die liberale Verfassung, die sie sich 1848 gegeben hatten, und sie erhielten beides. Die Deutschen in Cisleithanien wollten ihre Vormachtstellung in der westlichen Reichshälfte absichern, sie wollten eine liberalere Verfassung als die unvollständige von 1861, und sie wollten die Stellung der Monarchie im Deutschen Bund festigen. Letzteres gelang nicht, aber die Festigung ihrer politischen Stellung in Cisleithanien und den Ausbau des konstitutionellen Staates erreichten sie. Gegenüber diesen vorrangigen Zielen waren die Probleme mit dem lombardisch-venetianischen Königreich nachrangig. Kaiser Franz Joseph wollte das Land von sich aus nicht aufgeben, doch schließlich musste er einwilligen und im Wiener Frieden erklären: »Se. Majestät der Kaiser von Österreich gibt seine Zustimmung zur Vereinigung des lombardisch-venetianischen Königreiches mit dem Königreiche Italien«. 39 Er bekam etwas dafür, denn er festigte dadurch seine Position, die durch zwei militärische Niederlagen sehr geschwächt war, und konnte noch 50 Jahre regieren als Kaiser von Österreich und König von Ungarn, geraume Zeit davon sogar in einem Bündnis mit dem Staat, dem er sein lombardisch-venezianisches Königreich hatte überlassen müssen.

39 Artikel III des Friedens von Wien v. 3.10.1866, Rgbl. Nr. 116/1866.

5. Niccolò Tommaseo – ein Italiener in Österreich. Eine Spurensuche

5.1 Tommaseo, Bürger der Habsburgermonarchie Der bedeutende Schriftsteller und Dichter der italienischen Romantik Niccolò Tommaseo (1802–1874) ist in Österreich wenig bekannt. Viele aber werden in Venedig, von der Galleria dell’Accademia kommend über die gleichnamige Brücke Richtung Markusplatz unterwegs, auf dem Campo Santo Stefano an der großen Statue des bärtigen, vor einem Stoß Büchern stehenden Dichters vorbeigekommen sein. Der äußerst Vielseitige und Vielschreibende verfasste ein Synonymenwörterbuch und ein großes Wörterbuch der italienischen Sprache, sammelte italienische Volkslieder mehrerer Regionen, verfasste einen Dantekommentar, eine Biografie des Priesterphilosophen Antonio Rosmini, einen Roman, ein Schauspiel und zahlreiche andere Schriften. Er betätigte sich während der Revolutionszeit in Venedig als Politiker und musste ins Exil. Er war ein Patriot, aber kein Nationalist. Unter anderem sammelte und verfasste er auch Lieder und Texte in südslawischen Sprachen und wirkte anregend weit über Italien hinaus. Niccolò Tommaseo wurde am 9. Oktober 1802 in Sebenico/Šibenik in Dalmatien geboren. Seine Heimatstadt und Dalmatien gehörten damals erst seit fünf Jahren zur Habsburgermonarchie. Seine Eltern Girolamo Tommaseo und Caterina Chessevich waren noch als Untertanen der tausendjährigen Serenissima Repubblica di Venezia geboren. Während des italienischen Feldzugs des französischen Generals Napoleon Bonaparte im Jahr 1796/97 erklärte sich die Republik für neutral, ein Zeichen der Schwäche, und verlor prompt die Selbständigkeit im Vorfrieden von Leoben vom 18. April 1797 zwischen Napoleon und Erzherzog Karl. Napoleon nahm sich die Lombardei, Österreich begann eine dalmatinische Stadt nach der anderen zu besetzen. Der Friede von Campo Formio am 17. Oktober 1797 besiegelte das Schicksal der Republik Venedig. Der größte Teil wurde zum Reich der Habsburger geschlagen, darunter Dalmatien mit Sebenico/Šibenik. Die Eheschließung von Girolamo mit Caterina im Jahr 1800 und die Ankunft des Erstgeborenen 1802 fielen schon in die sogenannte prima dominazione austriaca. 1 1 Bauer, Österreich in Dalmatien 93–119; Ciampini, Tommaseo 21. Allgemein Gottardi, L’Austria a Venezia.

74

Niccolò Tommaseo – ein Italiener in Österreich

Tommaseo wurde als österreichischer Untertan geboren. Wir wissen, dass der Begriff Österreich im Lauf der Zeit sehr Unterschiedliches bedeutet hat. Unter den Babenbergern war es nur Österreich unter und ober der Enns. Durch die Belehnung an die Habsburger und die Ausweitung ihres Gebietes durch Eheschließungen und Kriege wurde daraus das dominium Austriae, domus Austriae, Haus Österreich, das Kaisertum Österreich 1806–1867, und schließlich die österreichisch-ungarische Monarchie. Aber auch Gebietsverluste hat es gegeben, und zum Schluss ist das große Reich der Habsburger auseinandergefallen. Ein kleiner Teil davon wurde zur Republik Österreich. 2 Zwischen Mailand ˇ und Czernowitz/Cernivci, Freiburg im Breisgau und Kronstadt / Bras, ov, Krakau / Kraków und Ragusa / Dubrovnik konnte jemand österreichischer Untertan werden oder die österreichische Staatsbürgerschaft verlieren, ohne sich von zu Hause fortzubewegen. Niccolòs Eltern wurden also Österreicher, und er wurde als Bürger der Habsburgermonarchie geboren. Vermutlich hat der Herrschaftswechsel von Venedig zu den Habsburgern das Leben von Girolamo und Caterina kaum verändert. Der Zugriff des Staates auf seine Bürger war damals noch viel weniger intensiv als wir es heute gewohnt sind. Die Familie Tommaseo gehörte auch nicht zu einer gesellschaftlichen Schicht, bei der ein Herrschaftswechsel das Ende oder den Anfang einer Karriere bedeuten konnte, und der Nationalstaat lag noch in weiter Ferne. Das allgemeine Bewusstsein war vorwiegend lokal geprägt. Die Zugehörigkeit zur Gemeinde und zur Region waren wichtiger als die Nationalität oder der Staat. Die Mitglieder der Familie Tommaseo werden sich als Bürger von Sebenico, als italienische Dalmatiner, vielleicht als Venezianer gefühlt haben. Die Mutter stammte aus einer kroatischen Familie. Der Herrschaftswechsel 1797 zu Österreich, dann mit dem Frieden von Preßburg vom 26. Dezember 1805 zu Frankreich und 1813 zurück zu Österreich wird Tommaseos Familie wenig berührt haben. Inzwischen hatte sich Kaiser Franz II. 1804 zum erblichen Kaiser (Franz I.) von Österreich erklärt. 3 Das Kaisertum Österreich umfasste alle Besitzungen des Hauses Österreich, also der Habsburger. Alle Teile behielten ihre Titel und Verfassungen, bildeten aber einen »vereinigten Österreichischen Staaten-Körper«. 4 1806 legte Franz die Krone des Heiligen Römischen Reiches nieder, das damit sein Ende fand. Nach der Niederlage Napoleons in der Völkerschlacht bei Leipzig am 19. Oktober 1813 begannen die österreichischen Truppen gemeinsam mit den Alliierten Engländern mit der Wiedereroberung

2 Vgl. Zöllner, Österreichbegriff. 3 Mraz Gottfried, Österreich und das Reich. 4 So das Patent v. 11. 8. 1804, Bernatzik, Verfassungsgesetze Nr. 13.

Tommaseo, Bürger der Habsburgermonarchie

Dalmatiens. 5 Niccolò war gerade elf Jahre alt geworden und besuchte seit zwei Jahren das erzbischöfliche Seminar in Spalato / Split. Am 2. November 1813 besetzten die Engländer Spalato, Anfang Dezember rückten die Österreicher wieder in Sebenico ein. Damit endete das napoleonische Intermezzo und es begann die zweite Phase der österreichischen Herrschaft, die seconda dominazione. Niccolò hat gewiss die neuen Uniformen und Fahnen beobachtet, den Abmarsch der Franzosen und die Ankunft der Kaiserlichen miterlebt. Wichtiger dürften für ihn die Familie, die Bücher, die lateinische Sprache, die Religion, sein Onkel Antonio und die Dichtung gewesen sein. 1817 schickte ihn der Vater zum Studium der Jurisprudenz nach Padua. 6 Die allermeisten Studenten aus Dalmatien gingen zum Studium nach Padua, nur ganz wenige besuchten andere Universitäten im Kaisertum Österreich wie Graz oder Wien, und wenige gingen zum Studium an eine andere italienische Universität. 7 Es folgten die Jahre des Studiums, der geistlichen und literarischen Bildung und schließlich 1822 der Studienabschluss in Jurisprudenz. Nach Aufenthalten in Venedig und in Rovereto, wo er bei Antonio Rosmini war, ging er nach Mailand und blieb dort bis 1827. Tommaseo wurde Schriftsteller in italienischer und lateinischer Sprache, Dichter, Lexikograf und Journalist. Abgesehen von den Reisen in die Heimat Dalmatien spielte sich sein Leben im lombardisch-venetianischen Königreich ab, das Kaiser Franz I. mit dem Patent vom 7. April 1815 errichtet hatte und das die schon seit einem Jahrhundert in österreichischem Besitz befindliche Lombardei mit der Neuerwerbung Venetien vereinte. Das Patent erklärte: »In Folge der Verträge mit den verbündeten Mächten werden die Provinzen Lombardei und Venetien in ihrer ganzen Ausdehnung für immer dem Kaisertum Österreich einverleibt.« 8 Erst als Tommaseo 1827 nach Florenz zog in der Hoffnung, »dass es einem armen Literaten dort möglich sei, vom Schreiben zu leben«, wie er an den Herausgeber der literarischen Zeitschrift Antologia, Gian Pietro Vieusseux, schrieb, 9 verließ er die Monarchie und begab sich ins Ausland, versehen mit einem Reisepass. Trotz der habsburgischen Sekundogenitur und engster Verbindung zu

5 6 7 8

Bauer, Österreich in Dalmatien 132. Ciampini, Tommaseo 51–53. Malfèr, Studenti dalmati 53–67. Collezione di Leggi e Regolamenti pubblicati dall’Imperiale Regio Governo delle Provincie Venete Nr. 32/1815; Raccolta degli Atti del Governo e delle Disposizioni generali emanate dalle diverse Autorità in oggetti sì amministrativi che giudiziarii della Lombardia Nr. 22/1815; Meriggi, Regno Lombardo-Veneto 33; Gottsmann–Malfèr, Lombardo-Venetien 1594. 9 Ciampini, Tommaseo 147.

75

76

Niccolò Tommaseo – ein Italiener in Österreich

Österreich war das Großherzogtum Toskana ein eigener, unabhängiger Staat und somit Ausland. Nun ist die Staatszugehörigkeit nur ein Umstand unter vielen anderen im Leben eines Menschen. Wichtiger sind die Beziehungen, der Bildungsweg, die Tätigkeiten. Der Student, dann Doktor Tommaseo wird die Vertreter der Staatsmacht vielleicht aus der Entfernung oder auch aus der Nähe gesehen haben, etwa in Padua den Provinzdelegaten Giovanni Battista Stratico, in Venedig den Staathalter Karl Graf Inzaghi, oder in Mailand den Vizekönig Erzherzog Rainer. 10 Aber der junge Tommaseo war nicht in der Armee, er war kein Beamter, er wollte auch nicht den Beruf des Rechtsanwalts ausüben, er wollte nicht einmal an einer öffentlichen Schule unterrichten. Er sprach übrigens auch nicht Deutsch. Er war und wollte nichts anderes sein als ein Schriftsteller, der lateinisch und italienisch schrieb, ein homme des lettres. Die Berührungspunkte mit der politischen Herrschaft waren somit gering. Es ist aber eine Tatsache, dass er bis zu seinem 25. Lebensjahr und dann zwischen 1839 und 1849 in Venedig für weitere zehn Jahre in der Habsburgermonarchie als deren Staatsbürger gelebt hat. Abzüglich der Zeit in Dalmatien als Kind und Schüler unter französischer Herrschaft verbrachte er 27 Jahre in Österreich, mehr als ein Drittel seines Lebens.

5.2 Tommaseo und die Polizei Es gab freilich einen nicht unwesentlichen Berührungspunkt zwischen dem Schriftsteller Tommaseo und dem Staat, nämlich die Zensurbehörde und die Polizei. Wir kommen damit zum sogenannten ersten Exil in Frankreich in den Jahren 1834–1838, zur Rückkehr im Jahr 1838 aufgrund einer Amnestie, und zum tatsächlichen Exil 1849. Anfang Februar 1834 verließ Tommaseo Florenz und ging nach Frankreich. Er lebte in Paris, in Nantes, in Korsika. Er selbst – und mit ihm die Literatur über ihn – hat die Zeit in Frankreich als Exil bezeichnet. Tatsächlich hatte die österreichische Zensur mit der Beobachtung seiner Tätigkeit begonnen, und auch die Antologia des Vieusseux stand unter Beobachtung. Ein von Tommaseo verfasster, aber anonym erschienener Artikel trug schließlich zum Verbot der Zeitschrift bei. Es war eine Rezension der von Sebastiano Ciampi herausgegebenen Beschreibung Griechenlands durch Pausanias (ca. 115–180). Tommaseo benützte den Reisebericht des antiken Schriftstellers für einen Vergleich Grie10 Über diese Zeit siehe Mazohl-Wallnig, Österreichischer Verwaltungsstaat; Tonetti, Governo austriaco.

Tommaseo und die Polizei

chenlands unter römischer Herrschaft mit dem zeitgenössischen Italien. Er kritisierte die Griechen und damit auch die Italiener, die Fremdherrschaft allzu bereitwillig ertragen zu haben. Der Artikel war eindeutig gegen das Kaisertum Österreich gerichtet. Der wachsende Druck Österreichs auf das Herzogtum Toskana führte zum Verbot der Zeitschrift und bestärkte Tommaseo, das Land zu verlassen. Ein weiterer Grund war das fertiggestellte Manuskript des Buches »Dell’Italia«, dessen Erscheinen in der Toskana unmöglich gewesen wäre. Die österreichische Polizei sah in ihm einen Befürworter revolutionärer Ideen, den man überwachen müsse. In einem Polizeibericht wird er als der berüchtigte Tommaseo bezeichnet (famigerato Tommaseo), 11 aber es lag nichts Konkretes gegen ihn vor. Die toskanischen Behörden sahen sich jedenfalls veranlasst, Tommaseos Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr zu verlängern. Nur mehr einen Aufschub gewährte man ihm. 12 Da er in Paris sein Buch herausbringen konnte, entschloss er sich, nach Frankreich zu gehen, ins freiwillige Exil, wie es sein Biograph Raffaele Ciampini formulierte. Dazu kam eine gewisse Unruhe und Getriebenheit, die Ciampini so beschrieb: Nicht nur deswegen [nämlich der Absicht, das Buch Dell’Italia herauszubringen] hatte er Italien verlassen. Seine Unruhe war es, die ihm in keiner Stadt und in keinem Land der Welt einen ruhigen Aufenthalt erlaubte, weil er an jener romantischen Krankheit litt, der Sehnsucht, stets Neues zu sehen in der Illusion, das Neue werde ihm unentdeckte Welten eröffnen [...]. Diese Unruhe war es [...], die Tommaseo ins freiwillige Exil drängte. Er wäre auch weitergezogen, wenn er nicht die zwei Manuskriptbände Dell’Italia druckfertig in der Tasche gehabt hätte. 13

Wir dürfen jedenfalls festhalten, dass der Einfluss der österreichischen Polizei auf die Übersiedlung nach Frankreich wenig dramatisch war. Tommaseos Biograph Ciampini schreibt weiter, der Schriftsteller sei zu einem bestimmten Zeitpunkt von der österreichischen Regierung aufgefordert worden, innerhalb einer gesetzten Frist in die Heimat zurückzukehren. 14 Angesichts des Vorausgegangenen lässt dieser Satz vermuten, die Polizei oder Zensurbehörde habe ihn wegen seiner schriftstellerischen Tätigkeit zur Rückkehr aufgefordert. In Wirklichkeit handelte es sich um einen häufig vorkommenden, gewöhnlichen Verwaltungsakt. Tommaseo war ohne polizeiliche Erlaubnis, also

11 12 13 14

Ciampini, Tommaseo 204 f.; siehe auch Zingarelli, Nicolò Tommaseo e l’I. R. Polizia. Ciampini, Tommaseo 207. Ebd. 217 f. Ebd. 242.

77

78

Niccolò Tommaseo – ein Italiener in Österreich

ohne Reisepass nach Frankreich gegangen. Er befand sich daher gemäß dem österreichischen Auswanderungsrecht unbefugt im Ausland. Die moderne Freizügigkeit gab es noch nicht. Der Staat wollte Auswanderung tunlichst verhindern. Am 10. August 1784 hatte Kaiser Joseph II. in Zusammenfassung aller älteren Vorschriften das berühmte Auswanderungspatent erlassen. 15 »Als Auswanderer ist zu betrachten«, so formulierte es der § 1, »wer aus den sämtlichen k. k. Erbländern in auswärtige eintritt, mit dem Vorsatz, nicht wieder zurückzukehren«. 16 Diese Auswanderung wurde den Untertanen auf das schärfste verboten, ebenso natürlich die Werbung zur Auswanderung und zum Eintritt in fremde Dienste und die »listigen Entführungen und gewaltsamen Wegnehmungen«. 17 Das Gesetz enthielt auch – für einzelne Fälle und besondere Umstände – die Ausnahme von dem allgemeinen Verbot, es musste aber jedenfalls um Erlaubnis angesucht werden. Die Strafe der Auswanderung war der Verlust aller bürgerlichen Rechte einschließlich des Rechtes, Besitz zu behalten oder zu erwerben. Der Besitz wurde eingezogen und vom Staat für die gesetzlichen Erben verwaltet. 18 Das josephinische Patent war von Franz I. 1832 entschärft worden. Am 24. März 1832 hatte sich Kaiser Franz I. veranlasst gesehen, ein neues Auswanderungspatent zu erlassen. 19 Es unterschied sich vom josephinischen mehr in der Sprache und in der juristischen Stringenz als im Inhalt. Immerhin wurde aber nun der Begriff der gesetzlichen Auswanderung eingeführt. Die Folgen der gesetzlichen Auswanderung bestanden nur mehr im Verlust der Staatsbürgerschaft, die Emigranten wurden wie Fremde behandelt, sie verloren aber nicht das bürgerliche Eigentumsrecht. Kein Unterschied bestand zwischen dem Patent von 1784 und dem neuen von 1832 in Bezug auf die, wie es hieß, unbefugt, also illegal Ausgewanderten, sie verloren auch jetzt noch das Eigentumsrecht. Das Patent von 1832 regelte auch klar und ausführlich das Verfahren gegen die unbefugt Ausgewanderten. Bevor gegen einen solchen Auswanderer das Strafurteil gefällt wurde, also Verlust der Staatsbürgerschaft und Vermögensverlust, musste er durch ein Einberufungsedikt zur Rückkehr aufgefordert werden. Dieses Edikt hatte dreimal in der amtlichen Provinzzeitung und dreimal im Amtsblatt der »Wiener Zeitung« zu erscheinen.

15 Handbuch aller unter der Regierung des Kaisers Joseph II. für die K. K. Erbländer ergangenen Verordnungen und Gesetze 6, 279–307. 16 Ebd. 17 Ebd. 18 Burger, Passwesen 137 f. 19 Gesetze und Verordnungen im Justizfach vom Jahre 1832 für die deutschen Staaten der Oesterreichischen Monarchie Nr. 2557.

Tommaseo und die Polizei

Damit sind wir beim Edikt vom 2. Dezember 1836, mit dem Tommaseo zurückgerufen wurde. 20 Solche Edikte waren alltäglich, in kaum einer Ausgabe der »Wiener Zeitung« fehlten sie. Es wurde übrigens in der italienischen Originalsprache veröffentlicht. Tommaseo befürchtete aber tatsächlich, dass bei der österreichischen Zensurbehörde und bei der Polizei etwas gegen ihn vorlag, was nicht der Fall war, und so beschloss er, nicht zurückzukehren. Erst zwei Jahre später, als anlässlich der Krönung Kaiser Ferdinands I. mit der Eisernen Krone des lombardisch-venetianischen Königreichs 1838 eine Amnestie ausgerufen wurde, entschloss er sich zur Rückkehr. Die Sehnsucht nach der Heimat und finanzielle Überlegungen gaben den Ausschlag. Er reichte bei der österreichischen Botschaft in Paris das Ansuchen um straffreie Rückkehr ein, wobei er selbst darauf hinwies, dass möglicherweise wegen einiger seiner Schriften eine Untersuchung stattgefunden haben könnte. 21 Das Gesuch wurde positiv beantwortet, der Schriftsteller musste lediglich folgende Ermahnung zur Kenntnis nehmen und unterschreiben: Der Kaiser erwarte sich von ihm in Zukunft, dass er sich wie ein treuer Untertan verhalte und keinen Anlass für weitere behördliche Bemerkungen geben werde. 22 Offensichtlich lag nichts Gravierendes gegen ihn vor. So wie die Ausreise, war also auch die Wiedereinreise kein dramatischer Vorgang aus Sicht der österreichischen Behörden. Tommaseo kehrte daraufhin in das österreichische Staatsgebiet zurück und lebte von 1839 bis 1849 in Venedig. Tatsächlich dramatisch war die Lage zehn Jahre später. Tommaseo blieb natürlich der kritische und auch politische Kopf, der er war. Als solcher geriet er in Konflikt mit dem Staat. 1847 wurde er zu drei Monaten Haft verurteilt, weil er, zusammen mit anderen, die Pressefreiheit gefordert hatte. 23 Aus dieser Haft wurde er am Beginn der Revolution in Venedig befreit, und er wurde Unterrichtsminister in der von Daniele Manin ausgerufenen revolutionären Republik von San Marco. Er gehörte somit zu den führenden Persönlichkeiten des revolutionären Venedig. Mit ihnen wurde er nach dem Fall der Republik von der angekündigten Amnestie ausgenommen und hatte das Land zu verlassen. 24 Auf Hochverrat stand die Todesstrafe, und das Regime des jungen Kaisers Franz Joseph I. war in den ersten Jahren nach dem Sieg über die Aufstände und Separationsbestrebungen in Wien, Ungarn und Italien gnadenlos. Am 27. August 1849 verließ Tommaseo mit den anderen nicht Amnestierten,

20 21 22 23 24

Wiener Zeitung v. 27. 12. 1836, 850, v. 28. 12. 1836, 860, und v. 31. 12. 1836, 870. Ciampini, Tommaseo 282 f. Praga, Il ritorno di Niccolò Tommaseo 402 und 407. Ciampini, Tommaseo 381–83. Ebd. 575 f.

79

80

Niccolò Tommaseo – ein Italiener in Österreich

darunter Daniele Manin selbst, die Stadt und flüchtete auf dem französischen Dampfer ›Pluton‹ nach Korfu. Nun war er wirklich im Exil. Er kehrte nie mehr ins Gebiet der Habsburgermonarchie zurück, obwohl es in den 1860er-Jahren möglich gewesen wäre. Vorerst hielt Österreich die Exilierten weiter unter Beobachtung. 25 Der österreichische Konsul in Korfu berichtete regelmäßig über die Emigranten, die Polizei sammelte Material über sie. Liest man die Berichte, fällt auf, dass es sich zum größten Teil um ganz unbedeutende Wahrnehmungen und um Vermutungen handelte. Ein Beamter im Wiener Ministerium des Äußern hat das gesehen und folgende Randnotiz auf einem der Berichte angebracht: »Die Bemerkungen wegen der Flüchtlinge sind zu unbedeutend um sich zu einer weiteren Kommunikation zu eignen.« 26 Die Härte der anfänglichen Politik in Österreich nach der Revolution wich im Verlauf der 1850er- und 1860er-Jahre einer ruhigeren und versöhnlichen Haltung. 1854 wurde der Belagerungszustand in Lombardo-Venetien aufgehoben. 1857 wurde Feldmarschall Radetzky, Generalgouverneur und Symbol der siegreichen Unterdrückung, durch den jungen und als liberal geltenden Erzherzog Maximilian abgelöst. Die Kongregationen im lombardisch-venetianischen Königreich wurden wieder aktiviert. Die Hochverratsprozesse in Mantua wurden teilweise eingestellt. Die Regierung suchte auch eine Befriedung mit Ungarn herbeizuführen. Die Niederlage gegen Sardinien und Frankreich im Krieg von 1859 schwächte das neoabsolutistische Regime und beschleunigte die Entwicklung zur politischen Normalisierung und zum Verfassungsstaat. Ende 1864 begann Franz Joseph zunächst geheime, dann öffentliche Verhandlungen mit der liberalen Partei in Ungarn, die schließlich zum Ausgleich von 1867 führten. 27 Es ist bekannt, dass der neue starke Mann in Ungarn, Graf Gyula Andrássy, 1867 Ministerpräsident und später Minister des Äußern, zu den 1849 aus Ungarn Geflüchteten gehört hatte und 1851 sogar in Abwesenheit zum Tod verurteilt worden war. Nichts zeigt besser die große politische Wandlung der Monarchie als die Tatsache, dass gerade Andrássy, der 1851 wegen Hochverrats zum Tod verurteile Husarengeneral, ausersehen war, dem in die Husarentracht gekleideten Franz Joseph bei der Krönung zum König von Ungarn 1867 die Stephanskrone aufs Haupt zu setzen. 28 Tommaseo war zwar nicht verurteilt worden, aber er hatte das Land verlassen müssen. Im Licht der Entwicklungen in Ungarn ist das Gesuch um Amnes-

25 26 27 28

Ebd. 602; Zingarelli, Tommaseo a Corfù. Bericht Mayersbach 20. 3. 1851, Nr. 9, HHStA, PA. XXXVIII 95. Malfèr, Einleitung ÖMR V / 9, XXIII–XXX. Hanák, Geschichte Ungarns 144 f.

Tommaseo und die Polizei

tie für die politischen Exilierten zu sehen, das der aufgrund des Februarpatents von 1861 29 einberufene Dalmatiner Landtag 1863 an den Kaiser richtete. Fünf Landtagsabgeordnete, unter ihnen Konstantin Vojnovi´c und Stefan Ljubisa, hatten am 7. März 1863 den Antrag gestellt, die Bitte um Amnestie an den Kaiser zu richten. Der Landtag stimmte dafür und wählte einen Redaktionsausschuss. 30 Die Adresse wurde am 19. März vom Landtag einstimmig angenommen. 31 Einleitend wurde in lobenden Worten der Dank für die gewährte Verfassung ausgesprochen. Es folgte der Ausdruck schmerzlichen Bedauerns, dass einige wenige Dalmatiner im Exil an der neuen Freiheit nicht teilnehmen konnten. Als einziger wurde Tommaseo namentlich genannt: Der Landtag kann nicht darüber hinweggehen, o Herr, dass der berühmteste der Söhne des Landes weit weg von der Heimat lebt, beinahe erblindet, getrennt von Verwandten und Freunden und, wenn auch geachtet, so doch in großer Armut. Unter Verachtung von Ehren und Reichtümern hat er es vorgezogen, durch ein unbescholtenes Leben und durch unsterbliche literarische Werke den Ruhm der Heimat zu mehren. Mit der Bitte, Eurer Majestät wolle es gefallen, das wohltuendste der Vorrechte des Herrschers auch für Niccolò Tommaseo walten zu lassen, will sich der Landtag nicht nur der Pflicht entledigen, die den Dalmatinern jenem gegenüber obliegt, der den Ruhm Dalmatiens fern der Heimat vermehrt hat, der Landtag will auch der Literatur die Ehre geben, deren Pflege den Ruhm der Völker ebenso verewigt wie sie das hellste Licht auf den Herrn der Kronen wirft. 32

Die Adresse endete mit der Bitte, der Kaiser möge gewähren 1. allen Flüchtlingen aus Dalmatien die unbedingte straffreie Heimkehr, 2. volle Amnestie für alle wegen eines Vergehens gegen die Pressgesetze Verurteilten und 3. die Niederschlagung der anhängigen Presseprozesse.

29 30 31 32

Rgbl. Nr. 20/1861. Atti della Dieta provinciale Dalmata, Sitzung v. 14. 3. 1863. Ebd., Sitzung v. 19. 3. 1863. Ebd.; Übersetzung S.M. Original: »Né la Dieta può sorpassare, o Sire, che vive lungi da questa terra, pressoché cieco, separato da’ congiunti e dagli amici, in una onorata povertà, il più illustre de’ suoi figli, che dispregiando onori e ricchezze ha preferito con una vita intemerata e con iscritti letterari immortali accrescer nome alla sua patria lontana. Col chiedere che la Maestà Vostra si compiaccia di esercitare la più benigna fra le sovrane prerogative anche a favore di Nicolò Tommaseo, la Dieta dalmata non solo volle sdebitarsi in parte dell’obbligo che corre a’ Dalmati verso chi ne accrebbe la fama fuori de’ modesti suoi confini, ma piacquele ancora porger omaggio alle lettere, il cui culto come rende perenne la gloria dei popoli, così sparge luce più viva sulla maestà delle corone.«

81

82

Niccolò Tommaseo – ein Italiener in Österreich

Der Statthalter in Dalmatien, Baron Mamula, der die Adresse weiterleitete, sprach sich gegen die Gewährung der Bitten zwei und drei aus, befürwortete aber die erste Bitte unter Hinweis, dass auch die ungarischen Flüchtlinge amnestiert worden waren. Staatsminister Anton Ritter von Schmerling und der Ministerrat sprachen sich ebenfalls für die Amnestie aus. 33 Der Kaiser unterzeichnete am 16. Mai 1863 die folgende Allerhöchste Entschließung:: Was [jedoch] die gleichzeitig erbetene Bewilligung der straffreien unbedingten Heimkehr der dalmatinischen politischen Flüchtlinge betrifft, so bin ich geneigt, volle Gnade in allen jenen Fällen eintreten zu lassen, wo dieselbe von den einer solchen Gnade für würdig erkannten Beteiligten selbst nachgesucht wird. 34

Diese Ah. Entschließung wurde dem Landtag mitgeteilt. 35 Die Begnadigung wurde in aller Regel nur grundsätzlich ausgesprochen, musste aber vom Betroffenen selbst mit einem Gesuch in Anspruch genommen werde, einen Automatismus gab es nicht. Das war in Bezug auf Tommaseo auch 1838 schon der Fall gewesen. Betrachtet man die Adresse des Landtags, die sehr kurze Debatte im Ministerrat, den Wortlaut der Ah. Entschließung und das gesamte politische Umfeld, dann besteht kein Zweifel, dass ein entsprechendes Gesuch Tommaseos um straffreie Rückkehr positiv beantwortet worden wäre. Tommaseo aber, der Korfu verlassen und sich eine Zeit lang in Turin aufgehalten hatte und seit 1859 in Florenz lebte, tatsächlich beinahe erblindet, reichte kein Gesuch ein. Er wollte nicht zurückkehren, er blieb und starb schließlich in Florenz. So fand die Geschichte zwischen dem Unterrichtsminister der revolutionären Repubblica di San Marco Niccolò Tommaseo und der Habsburgermonarchie – vorerst – keinen glücklichen Ausgang, sondern blieb in Schwebe.

5.3 Tommaseos Werk und die Habsburgermonarchie Die Staatsbürgerschaft und die Tätigkeit der Polizei und der Behörden in Bezug auf Tommaseo betreffen nur einen kleinen Teil seiner Existenz. Weniger oberflächlich und wichtiger ist die Frage, ob Tommaseo einfach ein italienischer Literat war, ganz und gar der italienischen Literatur und Literaturgeschichte

33 MR. II v. 11. 5. 1863/II, ÖMR V / 6, Nr. 352. 34 Ebd. Anm. 4. 35 Atti della Dieta provinciale Dalmata, Sitzung v. 2. 3. 1864.

Tommaseos Werk und die Habsburgermonarchie

zugehörig, oder ob in seinem Werk Beziehungen zur Habsburgermonarchie vorhanden sind. Solche Beziehungen gab es in der Tat. Da ist einmal die Politik. Er war nicht nur ein romantischer Poet, ein Lexikograf und Sprachforscher. In seinem weitausgreifenden Schreiben spiegeln sich die politischen Themen der Zeit und auch des Raumes, der Habsburgermonarchie, wider, auch wenn er kein Homo politicus war wie Mazzini, Manin, Kossuth usw. Wir finden alle Themen des 19. Jahrhunderts: das sogenannte Erwachen der Völker, die Nationalitätenfrage in der Habsburgermonarchie, das Verhältnis zwischen Zentralstaat und Provinz und die Bemühungen um wirtschaftliche und kulturelle Hebung der Grenzprovinzen wie Dalmatien. Direkt politisch sind der Kampf gegen Zensur und für Pressefreiheit, die politische Tätigkeit in Venedig 1848/49 und das Buch über diese beiden Jahre Venezia negli anni 1848 e 1849. Politisch sind die Schriften zur römischen Frage, zur Todesstrafe, zu 1859, zur Frage der Autonomie oder des Anschlusses Dalmatiens an Kroatien 1860/61 und überhaupt zu nationalen Fragen in Dalmatien. Die deutschsprachige Historiografie in Österreich hatte und hat, nicht zuletzt aus sprachlichen Gründen, Mühe damit, die politischen Beiträge von Vertretern der vielen Nationalitäten gebührend zu berücksichtigen. In diesen Beiträgen ist aber das ganze politische Spektrum vorhanden, von der konservativen Verteidigung Österreichs oder Österreich-Ungarns über kritische und reformorientierte Ansätze bis zum entschiedenen Kampf gegen die Monarchie. 36 Tommaseo hat als Republikaner, als Föderalist und Anhänger der Einigung Italiens unter Führung des Papstes (neoguelfische Richtung innerhalb des Risorgimento) selbstverständlich die Habsburgermonarchie kritisiert, wie er übrigens auch das monarchische Königreich Italien kritisiert und den ihm angebotenen Senatssitz abgelehnt hat. Andererseits war seine Position in manchen Fragen näher zur offiziellen österreichischen Regierungslinie, als man es von einem italienischen Schriftsteller erwartet. Dies war besonders in der dalmatinischen Frage der Fall, wo er gegen den Anschluss Dalmatiens an Kroatien und damit indirekt an Ungarn anschrieb. Damit unterstützte er die wenn auch nicht öffentlich gemachte Ansicht des Kaisers und der Wiener Regierung. 37 Auch die unbestrittenen Leistungen Tommaseos als Lexikograf sind nicht nur im Rahmen der italienischen Sprache und Literatur zu werten. Die Erarbeitung von Wörterbüchern war im 19. Jahrhundert geradezu modern. Sie war eine Folge der Romantik, deren Hinwendung zur Geschichte auf vielen Gebieten anregend wirkte, so auch in der Sprachwissenschaft. Sowohl die großen

36 Kann, Nationalitätenproblem; Malfèr, Konstitutionalismus 43–66. 37 Kratzik, Die nationalen Auseinandersetzungen in Dalmatien 29–64; Pierazzi, Tommaseo e gli Slavi 530 f.

83

84

Niccolò Tommaseo – ein Italiener in Österreich

Nationen als auch die vielen kleineren Völker und Nationalitäten entwickelten ein neues Interesse und Bewusstsein in Bezug auf die Sprache. Die Zugehörigkeit zu einer Sprache wurde schließlich mit fortschreitendem Nationalismus zum zentralen Identifikationsinstrument. Die deutsche Nationalbewegung wurde zum Beispiel von der Erarbeitung des berühmten Wörterbuches der deutschen Sprache der Brüder Grimm begleitet. Dieselbe Bewegung führte in Ungarn mit beträchtlicher Verzögerung 1843 zur Ablösung des Lateinischen als Amtssprache durch das Ungarische. Dem war die vom Dichter Ferenc Kazinczy und anderen propagierte Bewegung zur Erneuerung der ungarischen Sprache vorausgegangen. 38 Die Entwicklung zur Standardisierung der Schriftsprache für einige slawische Sprachen und überhaupt die Slawistik sind auch Früchte des nationalen und kulturellen Erwachens am Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Habsburgermonarchie war die Heimat bedeutender Slawisten, wie der Tscheche Josef Dobrovský, der Slowake L’udovít Štúr, die Slowenen Jernej Kopitar, Anton Janežiˇc und Franz Miklosich, die Kroaten Vatroslav Jagi´c und Ljudevit Gaj, der Serbe Vuk Stefanovi´c Karadži´c und andere. Sie veröffentlichten Grammatiken und Wörterbücher ihrer Sprachen. Tommaseo war mit einigen von ihnen in Kontakt. 39 Tommaseo, der Verfasser des Dizionario der sinonimi und des siebenbändigen Dizionario della lingua italiana befand sich also in guter Gesellschaft von Sprachwissenschaftlern und Literaten der Habsburgermonarchie, ja er war ein bedeutender und wichtiger Vertreter dieser Tätigkeit für die italienische Sprache, die ja bis zum Schluss zu den in der Monarchie gesprochenen Landessprachen gehörte und damit auch Amtssprache war. All das gilt genauso für Tommaseos Sammeln von Volksliedtexten. Sehr viele Sammlungen von Märchen, Sagen und Volksliedern entstanden in dieser Zeit. Daher fügen sich auch seine Canti popolari toscani corsi illirici greci, die er 1841/42 in Venedig herausbrachte, in den größeren Rahmen der europäischen Romantik. Seine einflussreiche Sammlung von Gedichten und Texten in serbokroatischer Sprache, italienisch Scintille, 1841, und nach mühsamem Kampf mit der Zensur südslawisch Iskrice, 1844, sind eine direkte und starke Verbindung zur komplexen Welt der Habsburgermonarchie. 40

38 Hanák, Geschichte Ungarns 117 f. 39 Siehe dazu mehrere Beiträge in Branca–Petrocchi, Tommaseo nel centenario; Turchi–Volpi, Tommaseo e Firenze; Bruni, Tommaseo: Popolo e nazioni. 40 So erschien z. B. 1850 in Leipzig die Sammlung slowenischer Volkslieder in deutscher Übersetzung unter dem Titel »Volkslieder aus Krain, aus dem Slowenischen übersetzt« von Anastasius Grün, d. i. Anton Alexander Graf von Auersperg, Großgrundbesitzer in Krain; vgl. dazu Ana-

Tommaseos Werk und die Habsburgermonarchie

Eine andere Verbindung stellte sein Katholizismus dar. 41 In der Habsburgermonarchie nahm die katholische Religion die erste Stelle ein. Man muss nicht bis zur katholischen Reform und zur Denkfigur der Pietas Austriaca zurückgehen. Die Toleranz gegenüber den anderen christlichen Konfessionen und den Juden war Ergebnis eines langwierigen Kampfes. Kaiser Franz Joseph I. war der Monarch des Konkordats von 1853, und dessen Außerkraftsetzung mussten ihm die liberalen Kräfte abringen. Bis zum Schluss blieb er der treue Sohn der Kirche und der allerchristlichste Monarch. Auch Tommaseo war und blieb der katholischen Religion treu, was auch in seiner literarischen Produktion Niederschlag fand. Er veröffentlichte mehrfach Gebete, theologische Texte und edierte die Briefe der Heiligen Caterina von Siena. Er meldete sich aber auch auf dem für die Habsburgermonarchie relevanten Gebiet zu Wort, wo sich Nation und Konfession überschnitten. 1847 hielt er sich in Rom auf und versuchte beim Papst zwischen den kirchlichen Behörden und den Franziskanern in Bosnien zu vermitteln. Er vertrat einen südslawischen, gegen den Panslawismus gerichteten Standpunkt. 42 Nach der Revolution veröffentlichte er die Schrift Roma e il mondo, 1851; die Einigung Italiens sollte nicht durch Sardinien, sondern unter Führung des Papstes herbeigeführt werden. Die Zugehörigkeit Tommaseos zum komplexen Spannungsfeld zwischen Nation und Konfession in der Habsburgermonarchie ist evident. 43 In noch einer Hinsicht darf Tommaseo als nicht nur italienischer, sondern ›kakanischer‹ Literat gesehen werden, nämlich wenn er die Verschiedenheit und Vielfalt seiner Heimat in den Blick nimmt. Im folgenden Text schildert er Dalmatien. Die Passage wirkt wie die Beschreibung der Habsburgermonarchie als solcher mit ihren unterschiedlichen Landschaften, Völkern, Sprachen und Religionen. 1839, kurz nach der Rückkehr aus dem freiwilligen Exil in Frankreich, fuhr er in seine Heimat, und so erlebte er sie: Mir schien vor allem bemerkenswert die große Vielfalt im Lande. Sie ist dort, wo sie gering geachtet oder missbraucht wird, ein schreckliches Unglück, wo sie aber von einem umsichtigen Willen beherrscht wird, ist sie ein taugliches Mittel zum Guten.

stasius Grüns sämtliche Werke in zehn Bänden, hg. von Anton Schlossar, Bd. 8, mit einem Vorwort des Herausgebers (Leipzig 1906). 41 Tamborra, Tommaseo, il mondo ortodosso 602–604; Ciampini, Tommaseo 354–356 und 588–591; Montanari, Spiritualità ed educazione del Tommaseo; Verucci, Il Cattolicesimo liberale e sociale di Niccolò Tommaseo. 42 Enciclopedia Italiana 33, 1009; Pierazzi, Tommaseo e gli Slavi 524 f. Zur Kirche in Bosnien siehe Vitezic´ , Die römisch-katholische Kirche bei den Kroaten 334–339; Gottsmann, Rom und die nationalen Katholizismen 77–87. 43 Zu diesem Spannungsfeld siehe Gottsmann, Rom und die nationalen Katholizismen.

85

86

Niccolò Tommaseo – ein Italiener in Österreich

Vielfältig ist das Gelände, nackte Berge, lachende Hügel, Ebenen, Täler, Strände, Inseln, Halbinseln, Sümpfe; benachbart Italien, Deutschland, Griechenland, die Türkei; Anteil hat es an vielen Völkern, am illyrischen, italienischen, griechischen, türkischen, ungarischen; und unter den Italienern gibt es Apulier, Toskaner, Veneter, Bergamasken; an mehr oder weniger gesprochenen Sprachen die slawische, italienische, deutsche, französische; an Riten griechisch und katholisch; das lateinische Alphabet, das glagolitische, das serbische [...]. 44

Diese Stelle gehört sicher mehr zur »italienischen Literatur in Österreich« 45 als zur nationalitalienischen Literatur.

5.4 Spuren der Rezeption Tommaseos in deutschsprachigen Publikationen in Österreich Die Suche nach Belegen für die Rezeption Tommaseos in deutschsprachigen Publikationen gestaltete sich nicht einfach, sie erforderte geradezu kriminalistische Geduld und auch Glück. Ich werde unten Gründe dafür nennen. Wahrscheinlich gibt es noch weitere Belege, die ich nicht gefunden habe, doch würden sie das Bild wohl nicht wesentlich ändern. Die erste Nennung ist ein vielversprechender Hinweis auf den »jungen Gelehrten« in der »Wiener Zeitschrift« aus dem Jahr 1832 und erwähnt seinen Dantekommentar und das Dizionario dei sinonimi: Das Studium Dante’s, womit alle italienische Sprach- und Literaturforschung so innig und unzertrennlich verknüpft ist, wird in Italien jetzt allgemeiner und ernster als jemals betrieben, und man sieht einem neuen Commentar zu demselben von der Hand eines jungen Gelehrten entgegen, namens Tommaseo, der eben mit der Herausgabe einer italienischen Synonymik beschäftigt ist, deren Mangel bisher so fühlbar war, und einen erfreulichen Beweis liefert, dass der Sinn nicht minder für die so

44 Übersetzung S.M. Original: »Mi parvero segnatamente notabili le varietà del paese tante, che, neglette o abusate, sono sventura tremenda, sono signoreggiate da provida volontà, sono valido strumento di bene. Variato il terreno di montagna ignuda, di poggio ridente, di pianura, di valle, di spiaggia, d’isola, di penisola, di paludi; vicina Italia, Germania, Grecia, Turchia; e delle razze illirica, italiana, greca, turca, ungherese, germogli; e dell’italiana pugliesi, toscani, veneti, bergamaschi: note più o meno le lingue, slava, italiana, latina, tedesca, francese: il rito greco e il cattolico; l’alfabeto latino, il glagolitico, il serbico [...]«, zit. nach Katušic´ , L’ottavo senso di Niccolò Tommaseo 65 f.; die Textpassage findet sich auch, anders übersetzt, bei Stieglitz, Istrien und Dalmatien 283. 45 Boaglio, Geschichte der italienischen Literatur in Österreich.

Spuren der Rezeption Tommaseos

überaus wichtige synonymische Seite und Durchforschung der Sprache, wie für die dialektologische in Italien erwacht ist. 46

Zwar nicht in deutscher Sprache, aber in Wien erschien zwischen 1838 und 1840 die »Rivista Viennese« des Grafen Giovanni Battista Bolza. Hier kam Tommaseo mehrfach vor, es wurden sogar zwei kurze Texte von ihm gedruckt. Die Italiener in Wien bzw. die an der italienischen Literatur Interessierten wussten also von ihm, doch handelte es sich um einen spezialisierten Kreis. 47 Schlagartig bekannt wurde Tommaseo durch einen Fauxpas, den er 1840 beging. In der »Gazzetta di Venezia« hatte er die Übersetzung mancher Gedichte Schillers zu mythologischen Themen als überflüssig kritisiert und dabei den Ausdruck barbaro Schiller verwendet. 48 Dagegen erhob sich ein Sturm der Entrüstung. In mehreren Zeitungen und Zeitschriften wurde Tommaseo ernsthaft, aber auch ironisch und sarkastisch gerügt. Er sei wohl selbst von barbarischer Unwissenheit, und solche Äußerungen würden ihn selbst entehren. 49 Schillers Dramen waren damals in Italien längst bekannt und geschätzt. 50 Die erbitterten Reaktionen waren wohl die Folge des zunehmenden Schillerkultes in Deutschland und Österreich, der zum hundertsten Geburtstag des Dichters 1859 in großartigen Feiern, Akademien, Fackelzügen und der Errichtung von Denkmälern einen Höhepunkt erreichen sollte. 51 Der Sturm legte sich, und es folgten positivere Erwähnungen. Als die niveauvollen »Österreichischen Blätter für Literatur und Kunst« 1844 einen längeren eher kritischen Aufsatz über die moderne italienische Literatur brachten, replizierte Pietro Mugna, Italienischlehrer an der Orientalischen Akademie in Wien, die zeitgenössische italienische Literatur sei viel besser, als es der Artikel darstelle. Mugna kritisierte das Fehlen der Namen Tommaseo, Leopardi und anderer. 52 Im selben Jahr brachte die Zeitschrift einen Hinweis auf einen Text Tommaseos betreffend die Sammlung von Liedern aus Dalmatien. Es handelte

46 Wiener Zeitschrift v. 13. 11. 1832, 46. Sie wurde 1816 als »Wiener-Moden-Zeitung« gegründet und nannte sich seit 1817 »Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode«. Sie erschien bis 1848. 47 Näheres in Malfèr, Tommaseo nelle pubblicazioni 607 f.; zu dieser Zeitschrift siehe Boaglio, Geschichte der italienischen Literatur in Österreich 172–180. 48 Gazzetta privilegiata di Venezia v. 1.10.1840, Nr. 224, 1. 49 Allgemeine Wiener Theaterzeitung v. 12. 10. 1840, 1128, und v. 5. 11. 1840, 1220; Wiener Zeitschrift v. 24. 10. 1840, 1359; Der Adler v. 5. 11. 1840, 2110. 50 Langehegermann, Schiller und der italienische Belcanto. 51 Malfèr, Einleitung ÖMR IV / 1, LXII–LXIII. 52 Julius Schätzer, Zur neueren italienischen Literatur, in Österreichische Blätter für Literatur und Kunst v. 2. 12. 1844, 74–80; Replik: ebd. v. 3. 4. 1844, 3–5.

87

88

Niccolò Tommaseo – ein Italiener in Österreich

sich um das Vorwort zu einem geplanten Buch, das aus Mangel an Subskriptionen nicht erschien. 53 1845 brachten die »Österreichischen Blätter für Literatur und Kunst« gleich zwei Artikel, in denen Tommaseo erwähnt wurde. Ein Beitrag mit dem Titel Die zwei Nationalitäten in Dalmatien, verfasst wahrscheinlich von Theodor Petranovi´c, Richter in Spalato, Historiker und später Abgeordneter für Dalmatien zum Reichstag von 1848, handelte von der Rivalität zwischen Italienern und Illyrern, von den jüngsten Fortschritten der illyrischen Literatur und von der positiven Rolle der österreichischen Verwaltung in Bezug auf die Slawen im Gegensatz zu früheren venetianischen. Dann präsentierte er einige italienische und serbokroatische Schriftsteller. Als ersten nannte er Tommaseo: Der anerkannt weitbedeutendeste Mann unter den Dalmatinern beider Zungen ist Nicolo Tommaseo, aus Sebenico gebürtig, dessen Charakter und schriftstellerische Leistungen im Stieglitz’schen Werkchen ›Über Dalmatien‹ eben so treffend als wahr geschildert sind. [...] Tommaseo verdient auch besonders hervorgehoben zu werden als Herausgeber einer Auswahl serbischer Volkslieder, die er ins Italienische übersetzt und mit philologischen Anmerkungen – das verdienstlichste neben der Worttreue in der ganzen Arbeit, da es den philosophischen Sprachforscher bekundet – begleitet hat. Diese Lieder, eigentlich Fragmente derselben – was zu bedauern ist – erschienen unter dem Titel Canti popolari Toscani, Corsi, Illirici, Greci, raccolti ed illustrati da N. Tommaseo. Con opuscolo originale del medesimo autore. Venezia 1842. Presso Girolamo Tasso. 54

Der zweite Artikel war die Zusammenfassung eines Beitrags in einer Zeitung aus Zara mit der Aussage, dass die Lieder in illyrischer Sprache zum ersten Mal von Tommaseo ins Italienische übersetzt und veröffentlicht wurden. 55 Man sieht also, dass Tommaseo eine beachtliche Karriere gemacht hatte: Vom berüchtigten Revolutionär im Polizeibericht, über den barbarisch Unwissenden war er doch auch in deutschsprachigen Publikationen zu einem bekannten Schriftsteller, und zum wichtigsten unter denen aus Dalmatien geworden.

53 Ebd. v. 24. 4. 1844, 51. Zitiert wurde eine neue Zeitschrift, Giornale Euganeo di Scienze, Lettere, Arti e Varietà, mit dem Artikel Tommaseos, siehe dazu Bonazza, Tommaseo in Croazia e in Serbia 191 f. 54 Österreichische Blätter für Literatur und Kunst v. 6. 12. 1845, 1137–1139. Siehe dazu auch Marinelli-König, Südslaven in den Wiener Zeitschriften 46 und 94. 55 Österreichische Blätter für Literatur und Kunst v. 23. 12. 1845, 1189. Es handelte sich um die Zeitung La Dalmazia. giornale letterario economico.

Spuren der Rezeption Tommaseos

Das im obigen Zitat genannte Buch von Stieglitz bringt uns zu einer weiteren Nennung in einer Wiener Zeitschrift, und zwar in den »Jahrbüchern der Literatur«. Der deutsche Schriftsteller und Lyriker Heinrich Stieglitz (1801–1849) lernte Tommaseo im Oktober 1839 auf einer Schiffsreise nach Dalmatien kennen. Zwar sprach Tommaseo nicht Deutsch, und Stieglitz noch nicht gut Italienisch, aber sie kamen ins Gespräch. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft. 56 Stieglitz besuchte Tommaseo mehrmals im Gefängnis in Venedig Anfang 1848. Die Freundschaft sollte im Sommer 1849 dramatisch enden. Stieglitz starb am 23. August an der Cholera, Tommaseo verließ die Stadt am 27. August als Flüchtling. Über die Dalmatienreise 1839 veröffentlichte Stieglitz 1845 ein 284 Seiten umfassendes Buch. 57 Es war einer der so beliebten Reiseberichte. Darin schilderte er auch auf nicht weniger als zwölf Seiten seine Begegnung mit Tommaseo auf dem Schiff. Er erzählte über Leben und Werk des Dalmatiners, referierte eine Diskussion über Goethe und kam auch auf das Schillerzitat zu sprechen. Dieses sei ein großes Missverständnis, Tommaseo sei ein Bewunderer Schillers. Später schilderte er einen kurzen aber herzlichen Aufenthalt im Haus des Dichters in Sebenico. Schließlich brachte er einen längeren Ausschnitt aus der oben erwähnten Passage Tommaseos über Dalmatien. Das Buch von Stieglitz war ohne Zweifel der längste Text, den man damals in deutscher Sprache über Tommaseo lesen konnte. Das Kapitel über den Dichter hatte Stieglitz in der Augsburger »Allgemeinen Zeitung« vorabgedruckt. 1847 erschien eine sehr freundliche Rezension des Buches in den Wiener »Jahrbüchern der Literatur«. 58 Hier lesen wir: Die meisten dieser Kapitel enthalten anschauliche Beschreibungen der vom Verfasser besuchten Gegenden und kurze Schilderungen seiner Erlebnisse. Dabei werden Nachrichten und Urteile über ausgezeichnete Individualitäten mitgeteilt, worunter die über den Literaten Tommaseo die bedeutendsten sind. 59

Auch wenn der Name des Dichters hier nur indirekt, beinahe versteckt vorkommt, ist diese Stelle wichtig, weil die Jahrbücher ein sehr prominentes, gehobenes und vor allem politisch untadeliges Organ waren. Es war von Metternich persönlich ins Leben gerufen worden. Wäre damals etwas Ernstliches aus polizeilicher Sicht gegen Tommaseo vorgelegen, dann hätte die Zensur oder besser

56 Ciampini, Tommaseo 321–327; Lunzer, Tod in Venedig 85–100. 57 Stieglitz Heinrich, Istrien und Dalmatien. Briefe und Erinnerungen (Stuttgart-Tübingen 1845). 58 Jahrbücher der Literatur 118 (1847) 73–84. 59 Ebd. 82.

89

90

Niccolò Tommaseo – ein Italiener in Österreich

die Eigenzensur des Herausgebers eine Erwähnung kaum zugelassen. So fand der Dichter Eingang in diesen literarischen Olymp, wenn auch gleichsam durch die Hintertür. Zwei Jahre später finden wir eine direkte Nennung in den »Blättern für Literatur und Kunst«, diesmal im Zusammenhang mit den Iskrice: Tomaseo [sic] hat seine literarische Apostasie abgelegt, und wieder den Namen seiner Väter Tomasic annehmend, in Agram die Herausgabe eines Almanachs, unter dem Titel: »Iskre« (Funken) mit Beiträgen anderer illyrischer Schriftsteller unternommen. 60

Die 1844 erschienenen Iskrice waren übrigens 1845 in den Leipziger »Jahrbücher[n] für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft« sehr positiv rezensiert worden, wobei sogar vier Texte in deutscher Übersetzung angefügt waren. 61 Diese Jahrbücher konnte man auch in der Wiener Hofbibliothek lesen. Wir kommen zum Jahr 1848. Der Wechsel des Dichters in die Politik und die bekannten Ereignisse in Venedig brachten es mit sich, dass er zwar mehrmals in den Zeitungen genannt wurde, aber eben nicht als Schriftsteller, sondern als Politiker. In Anton Zieglers »Vaterländischer Bilderchronik« wurden die Ereignisse in Venedig ausführlich erzählt. Hier finden wir auch ein längeres Zitat aus Tommaseos Buch Dell’Italia und sogar eine Abbildung, nämlich »Die Befreiung der Volksmänner Manin und Tommaseo aus dem Gefängniss zu Venedig«. 62 Nach 1849 verlieren sich die Spuren fast zur Gänze. In der Zeitung »Corriere Italiano«, die 1853–1857 in Wien von Alessandro Mauroner herausgegeben wurde, gibt es eine Zitierung und eine Erwähnung. 63 1856 erschien in Wien und Zara das Dizionario biograf ico degli uomini illustri della Dalmazia. Es enthielt ein kurzes nichtssagendes Portrait ohne Erwähnung seiner politischen Tätigkeit und des Exils. 64 Die nächste Nennung verdanken wir einem deutschen Schriftstellerpaar. Ida Düringsfeld und ihr Ehemann Otto Reinsberg brachten 1857 in Prag ein drei-

60 Österreichische Blätter für Literatur und Kunst v. 19. 2. 1847, 172; Marinelli-König, Südslaven in den Wiener Zeitschriften 16. 61 Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft 3/10, 359–361. 62 Ziegler, Vaterländische Bilder-Chronik, Die neueste Zeit. Zweite Abteilung 192–196 und 334–337; das Zitat 335 f., die Abbildung Nr. 54, die zeigt, wie Manin von einer Volksmenge auf einem Sessel über den Markusplatz getragen wird, nach 193. 63 Il Corriere Italiano v. 23. 3.1854, 1, und v. 20. 8. 1855, 2; zu dieser Zeitschrift siehe Gaeta, Il »Corriere Italiano« di Vienna 467–501; Boaglio, Geschichte der italienischen Literatur in Österreich 154–172. 64 Gliubich di Città vecchia, Dizionario biografico 299–300.

Spuren der Rezeption Tommaseos

bändiges Buch über Dalmatien heraus. 65 Ida Düringsfeld hatte in Dresden die Canti popolari toscani übersetzt. 66 Im Buch über Dalmatien schrieb sie zwei schöne Seiten über Tommaseo und zitierte aus den Scintille. 67 In den Fußnoten, die Otto Reinsberg zusammengestellt hatte, konnte man eine kurze Biographie lesen, worin auch Tommaseos politische Tätigkeit genannt wurde. Es folgte eine Bibliographie. 68 Weiter im Text wurde ein Buch Tommaseos referiert. 69 Die große Debatte über die Frage des Anschlusses Dalmatiens an Kroatien, zu der Tommaseo fünf Flugschriften beitrug, spielte sich vorwiegend in italienischer und kroatischer Sprache ab. 70 Ein Echo fand sie in der slawenfreundlichen Zeitung »Ost und West«, die über den »wahren Broschüren- und Zeitungskrieg« 71 berichtete. Zu Tommaseo lesen wir: Nicolo Tomaseo [sic], der gefeierteste italienische Schriftsteller der Gegenwart, der auch über die Vereinigung mit Kroatien das Wort ergriffen, und aus ungenügender Kenntnis der Rechtslage zu unrichtigen Schlüssen darüber gelangte, zeigte auch bei dieser Gelegenheit, dass er für sein Volk, das slawische, ein warmes Herz im Busen trägt. 72

Kritischer war eine andere Meldung, in der ihm vorgeworfen wurde, mit kindischen Argumenten für den dalmatinischen Pseudo-Italianismus gegen das Slawentum einzutreten. 73 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Tommaseo im deutschsprachigen Österreich zwar kein ganz Unbekannter war, dass sein Name aber meist nur in kurzen Erwähnungen und eher indirekt fiel. Zu Beginn mag die Zensur eine gewisse Rolle gespielt haben, doch konnten die Iskrice erscheinen, und insgesamt gibt es zu viele Nennungen und Spuren, als dass man von einem systematischen Verschweigen sprechen könnte. Auch der Konflikt zwischen der Zentrale und den italienischen Provinzen in der Habsburgermonarchie, der sich zu Kriegen und später zur sogenannten Erbfeindschaft entwickelte, ist kein ausreichender Grund, wurde er doch durch eine grundsätzliche Sympathie für italienische Sprache, Literatur und Kunst aufgewogen. Tommaseo selbst sprach 65 66 67 68 69 70 71 72 73

Düringsfeld, Aus Dalmatien. Düringsfeld, Lieder aus Toskana. Düringsfeld, Aus Dalmatien 1, 52–54. Ebd. 263–264. Ebd. 58–61; es handelte sich um Dell’animo e dell’ingegno die Antonio Marinovich, Venedig 1840. Pierazzi, Tommaseo e gli Slavi 530. Ost und West v. 21. 3. 1861, 1. Ebd. Ebd. v. 28. 3.1861, 1.

91

92

Niccolò Tommaseo – ein Italiener in Österreich

nicht Deutsch und las die deutschen Dichter in italienischer Übersetzung. Er hatte selbst kein besonderes Interesse, die Beziehungen zum deutschen Sprachraum zu vertiefen. Eine gewisse Rolle kann man der verspäteten Entwicklung der österreichischen Romanistik zuschreiben. Bis 1849 gab es nur Italienischlehrer. Während in Halle schon 1833 ein romanistischer Lehrstuhl errichtet wurde, kam es in Österreich erst durch die Thunsche Universitätsreform dazu. Die in den 1850er Jahren errichteten Lehrstühle in Innsbruck, Graz und Wien richteten ihr Interesse aber mehr auf die spanische und französische Literatur. 74 Eine Vorlesung über italienische Literatur hielt erst Adolfo Mussafia im Jahr 1870. Später entwickelte sich die Wiener Romanistik stark in Richtung Linguistik. Der wichtigste Grund für die geringe Rezeption Tommaseos lag aber wohl in den Themen und in der Art seines literarischen Schaffens selbst. Seine riesige Produktion war oft essayistisch, anlassbezogen, mäandrierend, journalistisch, und es fehlten große erfolgreiche Werke. Der thematische Reichtum und der Fleiß konnten das nicht kompensieren. Die Themen, über die er schrieb, Philosophie, Pädagogik, Ästhetik, fanden keinen Widerhall. Wörterbücher waren etwas für Spezialisten. Die Gebrüder Grimm wurden nicht wegen des Wörterbuchs, sondern wegen der Märchen berühmt. Nicht zufällig waren es gerade die von Tommaseo gesammelten Volkslieder, die die meiste Aufmerksamkeit fanden, vor allem auch die in slawischer Sprache. Erst nach seinem Tod kam es zu einer bemerkenswerten Rezeption, die in gewisser Weise zu einem guten Ende führte.

5.5 Tod in Florenz Als Niccolò Tommaseo am 1. Mai 1874 in Florenz starb, befand er sich schon seit 25 Jahren nicht nur fern seiner Heimat Dalmatien, sondern auch des Staates, zu dem Dalmatien gehörte. Er war dennoch nicht vergessen. Schon am 7. Mai brachte die »Neue Freie Presse« im Abendblatt auf der ersten Seite einen ausführlichen Bericht über das Begräbnis des Schriftstellers. Sie brachte auch das Beileidstelegramm des Bürgermeisters von Sebenico an den Bürgermeister von Florenz, in dem er den Wunsch aussprach, Sebenico werde »zu gelegener Zeit die kostbaren sterblichen Überreste in ihren Mauern aufnehmen«. 75 Wenige

74 Zur Geschichte der Romanistik in Österreich Weihs, Geschichte der Lehrkanzeln und des Seminars für romanische Philologie; Mair, Die romanische Philologie an der Universität Innsbruck bis 1918. 75 Neue Freie Presse v. 7. 5. 1874, Abendblatt, 1.

Tod in Florenz

Tage darauf, im Morgenblatt vom 12. Mai, publizierte das Blatt ein dreispaltiges Feuilleton, beginnend auf Seite 1, verfasst vom bekannten Feuilletonisten der Zeitung Johannes Nordmann. 76 Nordmann war offenbar gut bewandert im Werk des Dichters. Der kritische aber freundliche Essay enthielt viele Details. Die Hauptkritik bestand in der Diskrepanz zwischen den genialen Ideen in vielen Schriften und der ungenügenden Ausarbeitung. Schuld sei Tommaseos Unruhe gewesen: »In den Grundzügen und in der idealen Konzeption seiner Werke zeigte sich meistens ein bedeutsamer und genialer Wurf; die künstlerische Detailausführung war mit wenigen Ausnahmen ungenügend, dazu war er in seinem ganzen Wesen viel zu unruhig.« 77 Bleibend seien, so Nordmann, das Dizionario dei sinonimi und die Volksliedersammlung Canti popolari. Nordmann würdigte Tommaseo als unbeugsamen Republikaner, der auch kein Amt aus der Hand des konstitutionellen Königs von Italien annehmen wollte, und als lauteren und uneigennützigen Charakter, der ausschließlich vom Schreiben leben wollte. Nordmann achtete auch Tommaseos starke, bis zum Schluss durchgehaltene katholische Religiosität, eine bemerkenswerte Haltung in der liberalen, ja antiklerikalen »Neuen Freien Presse«. Bezugnehmend auf den Wunsch des Podestà von Sebenico, Tommaseo möge dereinst in seiner Heimatstadt ruhen, meinte Nordmann, dadurch »rettet er diese schriftstellerische Größe nicht für Österreich, und ein Leichentransport wird diesfalls ebensowenig förderlich sein, als wenn er von Wurzbach in seinem biographischen Lexikon eingesargt wird. Tommaseo gehört den Italienern«. 78 Ohne Zweifel gehört Tommaseos Werk primär zur italienischen Literatur. Dass er in verschiedener Hinsicht auch zur Literatur der Habsburgermonarchie gehört, wurde oben angedeutet. Was aber den Wurzbach anbelangt, so hat dieses berühmte biographische Lexikon der Habsburgermonarchie tatsächlich Tommaseo für Österreich gerettet. Der 46. Band, erschienen 1882, enthält seine Biographie. Wurzbach widmete dem Schriftsteller bemerkenswerte vier Seiten Text und ganze sieben Seiten Bibliographie, wohl geordnet in 13 Abschnitten. 79 Auch für Wurzbach gehörte Tommaseo zur italienischen Literatur, dennoch 76 77 78 79

Neue Freie Presse v. 12. 5. 1874, Morgenblatt, 1–3. Ebd. Ebd. Wurzbach, Biographisches Lexikon 46, 96–106. Die Überschriften der Bibliographie lauten: »I. Geschichtliches; II. Biographisches; III. Politisches, Staatsrechtliches, Flugschriften; IV. Theologisches, Religiöses; V. Philosophisches; VI. Alte und neue Philologie; VII. Unterricht und Erziehung; VIII. Kunst; IX. Schöne Literatur und Kritik; X. Poesien; XI. Übersetzungen; XII. Verschiedenes; XIII. Im Nachlasse«. Es folgte ein Absatz mit Literatur über Tommaseo und ein Abschnitt über Abbildungen.

93

94

Niccolò Tommaseo – ein Italiener in Österreich

hatte er nicht gezögert, ihn ins Wörterbuch aufzunehmen. Wurzbach wollte das biographische Lexikon der Habsburgermonarchie mit allen ihren 13 Nationalitäten sein, und er war es tatsächlich. Im Vorwort zu einem früheren Band hatte er geschrieben, man könne zu seinem biographischen Lexikon wie Grillparzer von Radetzky sagen: »In meinem Werke ist Österreich.« 80 Der Lexikoneintrag zu Tommaseo endet mit der stolzen Feststellung: »Jedoch dürfte das mitgeteilte Verzeichnis von Tommaseo’s Schriften das vollständigste sein und jenes von Tabarini im ›Archivio storico italiano‹ nicht nur ergänzen, sondern in vielen Fällen richtig stellen.« 81 Die »Neue Freie Presse« und der Wurzbach blieben nicht die einzigen posthumen Würdigungen Tommaseos. Seine philosophischen Beiträge fanden im fünfbändigen Werk des Wiener Moraltheologen und Philosophen Karl Werner über die italienische Gegenwartsphilosophie Berücksichtigung. 82 Werner, Professor und 1877/78 Rektor der Wiener Universität, war ein Bewunderer des italienischen Priesterphilosophen Antonio Rosmini (1797–1855), für ihn der größte Philosoph Italiens im 19. Jahrhundert. Mehrfach zitierte Werner Tommaseo, Freund und Schüler Rosminis, vor allem die Studii f ilosof ici und die Arbeiten zur Pädagogik und Ästhetik. Die letzte und bemerkenswerteste Beschäftigung mit Niccolò Tommaseo stellt schließlich das Kronprinzenwerk dar. 83 In dem 1892 erschienenen Band über Dalmatien schrieb der ebenfalls aus Dalmatien gebürtige bedeutende Wiener Romanist Adolfo Mussafia (1835–1905) 84 den Beitrag zur italienischen Literatur. 85 Er widmete seinem Landsmann zweieinhalb Seiten. 86 Tommaseo ist der wichtigste Vertreter der italienischen Literatur Dalmatiens. Das wichtigste Werk ist das Dizionario dei sinonimi. Mussafia nennt auch das Wörterbuch der italienischen Sprache und den Kommentar zur Göttlichen Komödie. Interessanterweise spricht er nicht von den Canti popolari. Die venetianische Episode fehlt, das Exil wird nur indirekt erwähnt (»Die politischen Verhältnisse drück-

80 Wurzbach, Biographisches Lexikon 13, 22. 81 Ebd. 46, 100. 82 Werner, Italienische Philosophie des 19. Jahrhunderts Bd. 1, S. 14, 24, 158, 226, 442–446; Bd. 3, S. 177; Bd. 4, S. 93, 98, 102; Bd. 5, S. 55–57, 177, 179, 217 f., 223 f. 83 Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild. Siehe dazu Wagner, Das Kronprinzenwerk; Bendix, Ethnology, Cultural Reification and the Dynamics of Difference in the Kronprinzenwerk, Telesko, Geschichtsraum 324–327. 84 Zu Mussafia siehe Boaglio, Geschichte der italienischen Literatur in Österreich 139–145, 209 f. und Register. 85 Mussafia, Italienische Literatur 213–231. 86 Ebd. 225–227.

Tod in Florenz

ten ihm wiederholt den Wanderstab in die Hand« 87). Insgesamt ist es aber ein dichter, nobler, fast hagiographischer, wenn auch nicht unkritischer Text. So hat der Schriftsteller und Literat Niccolò Tommaseo, Dalmatiner, Italiener, Bürger der Habsburgermonarchie, nicht nur auf dem Campo Santo Stefano in Venedig, 88 sondern auch im wichtigen Erinnerungsort »Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild« ein würdiges Denkmal erhalten.

87 Ebd. 88 Das am 31. 5. 1896 in Sebenico/Šibenik errichtetes Denkmal Tommaseos wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zerstört.

95

6. Italienische Studenten in Wien, Graz und Innsbruck 1848–1918

6.1 Ziele studentischer Migration Im Kaisertum Österreich lebten in der Mitte des 19. Jahrhunderts rund 5,5 Millionen Italiener, davon der überwiegende Teil in der Lombardei und in Venetien. 1 Im Jahre 1859 verlor Österreich die Lombardei im Krieg gegen das mit Napoleon III. verbündete Sardinien, sieben Jahre später, 1866, verzichtete es inmitten des militärischen Notstandes, in den es im Krieg gegen Preußen geraten war, auf Venetien. 2 Bei Österreich verblieben rund 530.000 Italiener – das waren fünf Prozent der Bevölkerung Cisleithaniens –, die hauptsächlich in den Kronländern Tirol, Küstenland und Dalmatien lebten, genauer in Süd- oder Welschtirol, in Görz und Gradiska, in Triest, in Istrien und in Dalmatien, wobei sich die italienische Bevölkerung des adriatischen Raumes wiederum auf die städtischen Siedlungen konzentrierte. Eine Folge der Ausgliederung der Lombardei und Venetiens aus dem österreichischen Staatsverband war, dass die zwei alten Universitäten in Padua und in Pavia ausländische Universitäten wurden. Den 530.000 weiterhin in Österreich lebenden Italienern stand damit keine muttersprachliche Universität auf österreichischem Staatsgebiet mehr zur Verfügung. Sie teilten von diesem Zeitpunkt an das Los der anderen Nationalitäten in Österreich ohne eigene Universität. Die jungen Italiener mussten ihre Studien außer Haus absolvieren, entweder im Ausland, in welchem Falle sie dann ihren akademischen Titel in Österreich nostrifizieren lassen mussten, oder im Inland an einer anderssprachigen Hochschule. Die Regierung versuchte, ihnen in Teilbereichen entgegenzukommen. Ab 1864 gab es italienische Parallelvorlesungen an der juridischen Fakultät in Innsbruck für das erste und zweite Studienjahr, ab 1869 auch für den dritten und vierten Jahrgang. Auch an der im selben Jahr neu gegründeten medizinischen Fakultät in Innsbruck gab es einige italienische Vorlesungen. Außerdem konnten die Italiener die juridischen Staatsprüfungen in italienischer Sprache ablegen, und zwar vor eigenen Kommissionen in Innsbruck, Wien, Graz und Zara. Dies alles war kein Ersatz für eine italienische Universität, und so entstand

1 Zur Nationalitätenstatistik siehe Wandruszka–Urbanitsch, Habsburgermonarchie 3, 38, Tabelle 1, und Corsini, Die Italiener, ebd. 848–855. 2 Dazu siehe Derndarsky, Klischee.

Ziele studentischer Migration

ab 1866 die sogenannte italienische Universitätsfrage, la questione dell’università italiana in Austria, d. h. die Forderung nach Errichtung einer italienischen Universität in Triest, der größten italienischen Stadt Österreichs. Allerdings waren für die Entstehung dieser Forderung weniger die praktische Notwendigkeit verantwortlich, weniger die Studentenzahlen, wie wir noch sehen werden, sondern die Dynamik der neuen Situation. Sie brachte es mit sich, dass eine alte, schon vom Triestiner Historiker Pietro Kandler im Jahre 1848 erhobene Forderung wieder aufgegriffen wurde. 3 Das Ausscheiden Paduas und Pavias war gleichsam der Katalysator bei der Entstehung der politischen Universitätsfrage. 1866 beginnt die lange Reihe der Resolutionen der Landtage von Triest, Görz und Parenzo sowie vieler Gemeinden mit der Forderung nach einer italienischen Universität oder wenigstens einer Rechtsfakultät in Triest. Übrigens verlangte der Landtag von Görz 1866 auch die Errichtung einer slawischen Fakultät. Die italienische Universitätsfrage wurde in der Folge zu einem festen Bestandteil der österreichischen Nationalitätenkämpfe und zeitweilig zu einem Politikum ersten Ranges. Die Forderung nach einer Universität in Triest wurde zum Hauptthema des italienischen Irredentismus, sie erfüllte geradezu eine integrative Funktion für die Italiener in Österreich. Hier soll nicht die lange und komplizierte Geschichte dieser Frage wiederholt werden. Nur so viel: Die österreichische Regierung fürchtete einerseits, dass eine Universität in Triest zu einer Brutstätte und Hochburg des italienischen Nationalismus werden könnte, dessen Gefährlichkeit für Österreich sich wiederholt in den Risorgimentokriegen gezeigt hatte. Andererseits fürchtete die Regierung die Folgen eines solchen Beispiels. Eine italienische Fakultät oder Universität würde zweifellos die Forderungen anderer Nationalitäten nach universitären Einrichtungen verstärken. Bis zur Jahrhundertwende gelang es den Regierungen, durch Ablehnung, Hinhalten und Ersatzangebote die Frage mehr oder weniger im administrativen Bereich zu halten. 1901 versprach die Regierung Koerber endlich die Errichtung einer selbständigen italienischen Rechtsfakultät, und zwar in Innsbruck. Im November 1904 sollte sie eröffnet werden, doch in dem erhitzten politischen Klima Innsbrucks – schon seit Jahren hatte es Unruhen zwischen deutschnationalen und italienischen Studenten gegeben – kam es am Abend des Eröffnungstages und an den folgenden Tagen zu so heftigen Auseinandersetzungen und Ausschreitungen, den sogenannten fatti di Innsbruck, dass die Regierung vom weiteren Verbleib der italienischen Rechtsfakultät in Innsbruck Abstand nehmen musste und den rein deutschen Charakter dieser Universität garantierte. Die Universitätsfrage war von da an bis zum Ersten Weltkrieg eine hochpolitische Angelegenheit, sogar mit außenpolitischen 3 Gatterer, Erbfeindschaft 77.

97

98

Italienische Studenten in Wien, Graz und Innsbruck 1848–1918

Implikationen. Als Standorte der italienischen Rechtsfakultät wurden im Lauf der Jahre Prag, Capo d’Istria, Rovereto, Trient, Wien und endlich 1913 Triest genannt, doch wurde die Verwirklichung des Plans stets verhindert, und zwar in wechselnder und wirrer Folge einmal von den Statthaltern in Triest, Leopold Graf Goëss und Konrad Prinz Hohenlohe-Schillingsfürst, vom Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand, von hohen Militärs, darunter Conrad v. Hötzendorf, zum andern durch die italienischen oder die südslawischen Abgeordneten, überhaupt durch die Arbeitsunfähigkeit des Reichsrates und die Schwäche der Regierung, bis schließlich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs den Plan endgültig vereitelte. Dass sich andererseits verschiedene Personen – darunter besonders Außenminister Alois Graf Aehrenthal aus außenpolitischen Rücksichten – intensiv um eine Lösung des Problems bemühten, konnte daran nichts ändern. Tatsache bleibt, dass die Frage bis zum Ende der Monarchie nicht gelöst wurde. Es ist nicht das Ziel dieser Studie, die österreichische Innenpolitik zu untersuchen, vielmehr stehen Universitäten und Studenten als Subjekte und Objekte der Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte im Mittelpunkt. Im Übrigen hat die italienische Universitätsfrage schon mehrfach die Aufmerksamkeit italienischer und österreichischer Historiker gefunden. 4 Dagegen fehlt bislang eine statistisch-sozialgeschichtliche Untersuchung über die italienischen Studenten, die durchaus schon vor Entstehen der Universitätsfrage und natürlich auch in den Jahrzehnten nachher die deutschen Universitäten Österreichs frequentiert haben. So wichtig aber die italienische Universitätsfrage im Rahmen des Nationalitätenproblems der Habsburgermonarchie war – und in diesem Rahmen wurde sie bisher stets behandelt –, so wichtig erscheint eine solche statistische Untersuchung aus dem Blickpunkt der Wissenschafts- und Bildungsgeschichte. Denn die Beschreibung des Netzes studentischer Migrationen an den mitteleuropäischen Hochschulen und das Bild einiger dieser Hochschulen wären unvollständig, würde man die beträchtliche Anzahl von Studenten italienischer Muttersprache nicht berücksichtigen, die an diesen Universitäten studierten. 5

4 Kostner, Geschichte der italienischen Universitätsfrage; Schusser, Zur Entwicklung der italienischen Universitätsfrage in Österreich; Ara, La questione dell’Università italiana in Austria; Weinzierl, Aehrenthal and the Italian university question; Ara, Un documento sulla »Universitätsfrage«; Calì, Per l’università italiana in Austria; Pallaver–Gehler, Universität und Nationalismus. Mitbehandelt wurde die Frage auch bei Pierazzi, Gli studenti dell’università di Vienna; Gatterer, Erbfeindschaft 77–90; Oberkofler, Rechtslehre in italienischer Sprache. 5 Zur Migration von Studenten und Lehrenden an Universitäten siehe Plaschka, Wegenetz europäischen Geistes.

Statistische Daten

6.2 Statistische Daten Ich möchte daher im Folgenden versuchen, eine Analyse der italienischen Studentengruppe vorzunehmen, und zwar anhand der Daten der k. k. statistischen Zentralkommission, 6 ergänzt durch Primärquellen aus dem Archiv der Universität Wien. 7 Diese Ergänzung erwies sich als notwendig, weil das statistische Material nicht immer zuverlässig ist. So wird z. B. in den Nationale der Universität Wien die Muttersprache erstmals 1866, noch ohne eigene Rubrik, und erst ab 1867 regelmäßig in einer eigenen, vom Studenten ausgefüllten Rubrik »Muttersprache«, erfasst. Dennoch weiß die Statistik schon seit 1851 die Muttersprache anzugeben. Eine Überprüfung aufgrund des Namens und der Herkunft der Studenten bestätigt im Wesentlichen die Zahlen. Dagegen sind die im Statistischen Jahrbuch für das Wintersemester 1867/68 angegebenen Hörerzahlen trotz der bereits eingeführten Rubrik nachweisbar falsch (vgl. Tab. 1). Es ist also Vorsicht bei der Auswertung der Zahlen geboten. Tabelle 1 Inskriptionen italienischer Studenten an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck 1851–1915a

Wintersemester

Wien

Graz

Innsbruck

Summe der italienischen Hörer

Gesamt- % Anteil zahl aller der Hörer Italiener

absolut

%

absolut

%

absolut

%

1850/51

67

2,7

61

13,3

65

29,8

193

3091

6,2

1853/54

69

2,6

10

2,8

66

27,9

145

3206

4,5

1856/57

120

4,1

11

3,6

43

20,3

174

3438

5,0

1858/59

81

3,3

23

7,3

43

14,9

147

3037

4,8

1861/62

75

3,0

21

5,8

71

21,7

167

3174

5,2

1862/63

108

5,0

28

6,9

54

14,4

190

2901

6,5

1863/64

91

3,2

49

10,2

68

17,9

208

3652

5,6

1864/65

69

2,5

57

10,0

55

14,1

181

3679

4,9

1865/66

93

3,1

67

11,0

45

11,4

205

3967

5,1

1866/67

94

3,0

120

16,2

59

13,0

273

4245

6,4

1867/68

28b

0,7

99

12,7

55

11,7

182c

4991c

3,6c

6 Tafeln zur Statistik der österreichischen Monarchie. Neue Folge (Wien 1849–1865); Statistisches Jahrbuch der österreichischen Monarchie (Wien 1863–1881); Österreichisches statistisches Handbuch für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder (Wien 1882–1915). 7 Nationale der philosophischen, der medizinischen und der juridischen Fakultät; an der theologischen Fakultät studierten nur vereinzelt Italiener.

99

100

Italienische Studenten in Wien, Graz und Innsbruck 1848–1918

Wintersemester

Wien

absolut

Graz

%

absolut

Innsbruck

%

absolut d

Summe der italienischen Hörer

Gesamt- % Anteil zahl aller der Hörer Italiener

%

1868/69

39

1,0

115

13,7

56

12,0

192

5172

3,7

1869/70

39

0,9

111

13,0

64

12,1

214

5658

3,7

1870/71

28

0,7

127

14,0

112

19,9

267

5132

5,2

1871/72

31

0,7

146

15,7

120

19,6

297

5590

5,3

1872/73

26

0,7

180

18,7

145

21,8

351

5384

6,5

1873/74

104

2,7

162

16,6

149

23,2

415

5429

7,6

1874/75

93

2,2

141

15,1

126

19,9

360

5686

6,3

1875/76

103

2,7

122

13,9

129

21,0

354

5302

6,6

1876/77

144

3,3

115

13,8

111

17,6

370

5738

6,5

1877/78

138

3,4

122

14,2

105

16,9

365

5495

6,6

1878/79

120

3,0

112

14,5

89

15,0

592

5278

6,0

1879/80

111

2,6

109

13,3

100

16,4

320

5610

5,7

1880/81

140

3,0

110

13,2

100

15,4

649

6051

5,7

1881/82

135

2,8

111

12,7

95

14,5

341

6351

5,3

1882/83

154

3,1

122

12,6

100

14,6

376

6651

5,6

1883/84

171

3,3

147

14,3

105

15,2

423

6938

6,1

1884/85

156

2,7

160

14,1

128

17,2

444

7599

5,8

1885/86

161

2,7

176

14,2

141

17,5

478

7968

6,0

1886/87

125

2,0

179

13,4

138

15,9

442

8365

5,2

1887/88

156

2,5

175

12,6

157

17,6

488

8646

5,6

1888/89

141

2,2

170

12,3

134

15,2

445

8608

5,1

1889/90

141

2,3

151

11,1

154

17,0

446

8325

5,3

1890/91

138

2,2

180

12,7

180

17,9

498

8639

5,7

1891/92

122

2,0

199

13,1

177

18,4

498

8501

5,8

1892/93

121

2,0

219

14,4

156

16,1

496

8486

5,8

1893/94

121

2,1

215

13,7

124

13,5

460

8152

5,6

1894/95

132

2,2

234

15,0

108

10,7

474

8428

5,6

1895/96

139

2,3

206

12,7

105

10,7

450

8616

5,2

1896/97

163

2,6

217

12,3

91

9,0

471

9067

5,2

1897/98

168

2,8

247

13,9

98

9,7

513

8828

5,8

1898/99

169

3,1

245

14,9

97

8,9

511

8774

5,8

1899/1900

177

2,8

247

14,7

95

9,2

519

9029

5,7

1900/01

173

2,7

244

14,8

97

9,6

514

9083

5,6

1901/02

165

2,4

235

13,3

94

9,8

494

9653

5,1

1902/03

161

2,3

222

12,7

110

10,9

493

9871

5,0

Statistische Daten

Wintersemester

Wien

Graz

absolut

%

absolut

1903/04

177

2,5

1904/05

178

2,3

1905/06

228

1906/07

Innsbruck

Summe der italienischen Hörer

Gesamt- % Anteil zahl aller der Hörer Italiener

%

absolut

%

167

9,5

172

16,0

516

9941

5,2

205

10,7

115

11,3

498

10509

4,7

3,0

275

14,0

38

3,5

541

10732

5,0

232

2,9

291

14,0

49

4,5

572

11256

5,0

1907/08

239

2,9

309

14,9

55

4,9

603

11522

5,2

1908/09

261

3,1

323

15,9

46

4,0

630

11694

5,3

1909/10

268

3,0

323

15,5

55

4,5

646

12398

5,2

1910/11

254

2,6

338

16,3

59

4,5

651

12898

5,0

1911/12

247

2,5

351

16,4

73

5,5

671

13317

5,0

1912/13

267

2,7

324

15,0

75

5,5

666

13417

4,9

1913/14

271

2,7

324

14,6

95

6,9

690

13811

5,0

1914/15

143

2,2

216

7,3

61

7,0

411

8669

4,7

93

1,8

128

16,3

45

6,9

266

6561

4,0

1915e

Anmerkungen zur Tabelle 1 a)

Diese Tabelle wurde aus den von der k. k. statistischen Zentralkommission publizierten Zahlen erarbeitet: Tafeln zur Statistik der österreichischen Monarchie. Neue Folge (Wien 1849–1865); Statistisches Jahrbuch der österreichischen Monarchie (Wien 1863–1881); Österreichisches statistisches Handbuch für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder (Wien 1882–1915); siehe auch die Tabellen im Anhang bei Kostner, Geschichte der italienischen Universitätsfrage. Die Zahlen der amtlichen Statistik sind nicht immer richtig, vgl. die Anm. b–d. Jährliche Zahlen liegen erst ab dem Wintersemester (WS) 1861/62 vor; für die Jahre 1852, 1853, 1855, 1856, 1858, 1860 und 1861 enthalten die Tafeln zur Statistik keine Angaben. Auch ab dem WS 1915/16 gibt es keine veröffentlichten statistischen Daten mehr. b) Diese Zahl ist nachweislich falsch: Es haben im WS 1867/68 laut den Nationale der Universität Wien 110 Italiener inskribiert, das waren 2,9 %. Auch die folgenden Zahlen aus dem Statistischen Jahrbuch bis zum WS 1872/73 dürften falsch sein. c) Zählt man statt der im Statistischen Jahrbuch angegebenen 28 Inskriptionen die tatsächlich erfolgten 110 Inskriptionen in Wien, dann ist die Summe der italienischen Studenten 264, die Gesamtzahl aller Hörer 5073 und der Prozentanteil der Italiener 5,2 %. Auch für die Jahre 1869 bis 1872 würde wahrscheinlich eine Überprüfung der statistischen Daten anhand der Inskriptionsbögen ähnliche Korrekturen ergeben. d) Diese Zahl stammt aus dem Sommersemester (SS) 1869; aus dem WS 1868/69 liegen keine Daten vor. e) Das SS 1915 ist das letzte, aus dem Zahlen publiziert wurden.

101

102

Italienische Studenten in Wien, Graz und Innsbruck 1848–1918

Zuerst sollen einige statistische Fragen untersucht werden, nämlich die Anzahl der italienischen Studenten, ihre Verteilung auf die verschiedenen Universitäten, ein Vergleich mit den anderen Nationalitäten, ein Vergleich der Universitäten untereinander. Dann soll einiges zur Wahl der Studienfächer, zur Herkunft der Studenten und zu ihrer sozialen Zugehörigkeit gesagt werden. Die erste Statistik, in der die Muttersprache der Hörer ausgewiesen ist, stammt, aus dem Jahr 1851. 8 Eine regelmäßige jährliche Statistik gibt es seit 1862, die letzte ist aus dem Sommersemester 1915. Aufgrund der räumlichen Nähe, die für die Wahl des Studienortes von größter Bedeutung ist, kamen für die Italiener aus Triest und Umgebung, aus Dalmatien und aus Südtirol vor allem die Universitäten Graz, Innsbruck und Wien in Betracht. Ein Blick auf das statistische Material bestätigt, dass diese Universitäten als Studienort gewählt wurden. An anderen Universitäten, z. B. in Prag, gab es keine oder nur ganz wenige Studenten italienischer Muttersprache, die wohl aus irgendwelchen besonderen, persönlichen Gründen dort studierten. Sie sind nicht typisch und von so geringer Anzahl, dass sie vernachlässigt werden können. Bereits 1851 gab es an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck 193 italienische Studenten. In den folgenden Jahren waren es laut Statistik etwas weniger, doch war die Tendenz steigend. 1864 waren es erstmals mehr als 200. Etwa alle zehn Jahre erhöht sich die absolute Zahl um 100, und in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg inskribierten jährlich weit über 600 Italiener an den genannten Universitäten. Insgesamt hat es, wenn man die Einschreibungen aller Wintersemester von 1862 bis 1915 (das ist die Zeit, aus der es jährliche Ziffern gibt) zusammenzählt, rund 23.000 Inskriptionen gegeben, und die Zahl der Italiener, die in Wien, Graz und Innsbruck ganz oder teilweise ihre Ausbildung erhalten haben, dürfte bei 4000 bis 5000 liegen. Dabei sind hier nur die Universitäten berücksichtigt, nicht aber die Hochschulen und die verschiedenen technischen, chirurgischen und theologischen Lehranstalten. Die technischen Hochschulen von Wien und Graz wurden ebenfalls von italienischen Studenten frequentiert, in den 1870er Jahren waren es regelmäßig etwa 70 Studenten. Zusammengenommen stellte dies ohne Zweifel ein großes intellektuelles Potential dar. Bis in die Mitte der 1870er Jahre unterliegen sowohl die absolute Zahl der italienischen Studenten als auch ihr relativer Anteil Schwankungen, ohne dass ein eindeutiger Trend festzustellen wäre (absolut: zwischen 145 und 415 Inskriptionen; relativ: zwischen 3,6 % und 7,6 %). Die Ungenauigkeit der Statistik dürfte zu diesem Ergebnis einiges beitragen. Im Gegensatz dazu ist der Pro8 Tafeln zur Statistik der österreichischen Monarchie für die Jahre 1849–1851. Neue Folge Bd. I, 2. Teil (Wien 1856).

Statistische Daten

zentanteil von 1875 bis zum Ende der Monarchie nahezu konstant, im Durchschnitt 5,5 %, gemessen an der Gesamthörerzahl der Universitäten Wien, Graz und Innsbruck. Nur zweimal sind es weniger als 5 %, nur fünfmal mehr als 6 %. Im Sommersemester 1915, dem letzten, aus dem Daten vorliegen, sinkt der Anteil auf 4 %, das waren 266 Studenten, so viele oder so wenige wie in den Jahren um 1870. Niedriger fällt der Prozentsatz aus, wenn man die Beteiligung der Italiener am Hochschulleben überhaupt betrachtet und sie mit der Gesamtzahl aller Studierenden vergleicht. So gesehen stellten sie z. B. im Wintersemester 1910/11 2,27 % aller Universitätsstudenten und Hochschüler in Cisleithanien und waren damit unter den Nationalitäten ohne eigene Universitäten an zweiter Stelle nach den Ruthenen. Einen niedrigeren Prozentsatz stellten die Slowenen, die Serbokroaten und die Rumänen. Interessanter sind aber die auf den Bevölkerungsanteil bezogenen Zahlen. 9 Sie ergeben bei den Italienern die höchste Hochschulfrequenz unter den hochschullosen Nationen. Auf 10.000 Einwohner italienischer Muttersprache entfielen elf Hochschüler. Ähnlich war die Frequenz bei den Rumänen. Bei den Slowenen betrug die Rate nur 5,51, bei den anderen noch weniger. Dagegen war sie bei den Nationalitäten mit eigenen Hochschulen viel höher: Bei den Deutschen und Polen studierten mehr als 16 Studenten auf je 10.000 Einwohner, bei den Tschechen mehr als 13. Die Gründe für diese relativ starke Teilnahme der Italiener am Hochschulleben sind vor allem in der ökonomischen Entwicklung der von Italienern bewohnten Gebiete, insbesondere des adriatischen Raumes, und in den soziologischen Strukturen der italienischen Bevölkerung zu suchen. Ich fasse zusammen: Die Italiener der Monarchie stellten ein – an ihrer Bevölkerungszahl gemessen – hohes Kontingent an Studenten, dessen Größe sich absolut im Lauf der Jahrzehnte verdreifachte, dessen relativer Anteil konstant blieb und das sich auf die Universitäten Wien, Graz und Innsbruck verteilte. Wie sah nun diese Verteilung aus? Absolut gesehen war in den ersten zwanzig Jahren unseres Zeitraums Wien am meisten von Italienern frequentiert. An zweiter Stelle folgte Innsbruck, dem allerdings in dieser Zeit die medizinische Fakultät fehlte. Graz beherbergte in den 1850er-Jahren relativ wenige Studenten, gewann aber in den 1860er Jahren zunehmend an Anziehungskraft und überrundete erstmals 1865 Innsbruck und 1867 auch Wien. In den folgenden zehn Jahren (1867–1876) beherbergte Graz, wenn man der Statistik glaubt, die meisten Italiener; allerdings lässt gerade in dieser Zeit das statistische Material, wie schon erwähnt, an Genauigkeit zu wünschen übrig. Von 1877 bis 1884 waren wieder mehr italienische Studen9 Haan, Statistische Streiflichter 203.

103

104

Italienische Studenten in Wien, Graz und Innsbruck 1848–1918

ten in Wien als in Graz, ab 1885 aber ist Graz eindeutig und unbestritten die Stadt, in der, im Vergleich mit Wien und Innsbruck, die meisten Italiener inskribiert waren, also während der ganzen zweiten Hälfte unseres Zeitraumes. 10 Den zweiten Platz nahmen dann einige Zeit lang abwechselnd Wien und Innsbruck ein. Auf Dauer erwies sich die Anziehungskraft Wiens als größer. Ab 1895 verlor Innsbruck zunehmend an Attraktivität für die italienischen Studenten. Graz und Wien waren also für die meisten italienischen Hörer die Ausbildungsstätte. Ein etwas anderes Bild ergibt sich, wenn man die italienischen Studenten einer Universität zur Gesamtzahl ihrer Hörer in Beziehung setzt. An welcher Universität war der Anteil der Italiener am höchsten? Wien kam dabei natürlich nicht in Betracht. Die Italiener waren unter der großen Zahl deutscher, slawischer, ungarischer und anderer Studenten dieser Universität stets nur eine kleine Minderheit, ihr Anteil bewegte sich zwischen 2 und 3 %. Dagegen erreichten die Italiener einen beträchtlichen Anteil an der Studentenschaft von Innsbruck und Graz. An erster Stelle lag bis 1893 Innsbruck. Der Anteil der Italiener in Innsbruck schwankte in den meisten Jahren um die 17 bis 20 %. Zwei Gründe dürften dafür maßgebend gewesen sein. 1. 2.

Die Universität Innsbruck war eine kleine Universität, sodass auch geringere absolute Zahlen einen höheren relativen Prozentsatz ergeben konnten. Innsbruck war als einzige der drei Städte Hauptstadt eines Kronlandes mit einem italienischen Bevölkerungsanteil. Für die Studenten aus dem Landesteil Südtirol war der Weg nach Innsbruck bei weitem näher als der nach Graz oder Wien.

Im Gegensatz zur räumlichen Nähe hatte die Einführung von juridischen Vorlesungen in italienischer Sprache ab 1864 keinen statistisch fassbaren Einfluss auf die Frequenz italienischer Studenten in Innsbruck. Die Hörerzahl nahm nicht zu. Auch die Herkunft der Studenten bestätigt, dass den Vorlesungen in italienischer Sprache keine allzu große Bedeutung zukam. Von den 678 Italienern, die zwischen 1864 und 1904 an der juridischen Fakultät in Innsbruck inskribiert waren, kamen nur 112 Studenten (17 %) aus Dalmatien und dem Küstenland, während 566 Studenten (83 %) Welschtiroler waren. 11 Das zunehmend antiitalienische, deutschnationale Klima in Innsbruck war vielmehr ein Grund dafür, dass langsam die Universität Graz vorgezogen wurde, an der die Italiener nur

10 Eine Ausnahme bildete das Jahr 1904, als viele Studenten dem Ruf »tutti a Innsbruck« folgten, um die italienische Rechtsfakultät, die im Herbst des Jahres eröffnet werden sollte, zu frequentieren; zu dieser spezifischen Migration vgl. die in Anm. 4 zit. Literatur zur italienischen Universitätsfrage. 11 Oberkofler, Rechtslehre in italienischer Sprache 17 f.

Statistische Daten

eine von mehreren nichtdeutschen Gruppen waren. Ab 1895 waren nicht mehr 17 bis 20 %, sondern nur mehr 9 bis 10 % der Innsbrucker Studenten Italiener. Nach den Ereignissen von 1904 verringerte sich der Anteil noch einmal um die Hälfte auf rund 5 %. Parallel dazu gewann Graz italienische Hörer. In Graz blieb der Anteil der italienischen Studenten bis zum Beginn der 1860er Jahre unter 10 % und erhöhte sich in den folgenden Jahren auf durchschnittlich 14 %. Obwohl dieser Prozentsatz bis zum Ende der Monarchie ziemlich konstant blieb, war Graz ab 1894, bedingt durch die Entwicklung in Innsbruck, die Universität mit dem höchsten Anteil an italienischen Studenten. Auf Graz entfielen also nicht nur die höchsten Inskriptionsziffern italienischer Studenten ab 1885, auch der relative Anteil an italienischen Hörern war in Graz ab 1895 höher als anderswo. Der Hauptgrund war zweifellos, dass das Küstenland und Dalmatien in seinem Einzugsbereich lagen. Doch auch die erwähnten Verhältnisse in Innsbruck trugen dazu bei. Nach diesen kurzen und unvollständigen Hinweisen auf Anzahl und Verteilung der italienischen Studenten möchte ich einige Daten zu ihrer Herkunft, zur Wahl der Studienfächer und zu ihrer sozialen Zugehörigkeit sagen. Eine umfassende Studie über die räumliche Herkunft der italienischen Studenten, etwa gar ein Vergleich Südtirols, des Küstenlandes und Dalmatiens, ist aufgrund des vorliegenden statistischen Materials nicht möglich. Man müsste zu diesem Zweck die Daten aus den Universitätsarchiven erheben. Ich habe dies für die Universität Wien in den 1850er und 1860er Jahren getan. Für Innsbruck erinnere ich an die genannten Zahlen, die von Oberkofler – nur für die juridische Fakultät – erarbeitet wurden: 83 % der Studenten kamen aus Welschtirol, 17 % aus dem Küstenland und aus Dalmatien. 12 Breiter gestreut ist die Herkunft bei der Wiener italienischen Studentengruppe (vgl. Tab. 2). Ihre Zusammensetzung unterlag zwischen 1851 und 1868 großen Veränderungen. Die Studenten aus der Lombardei und aus Venetien stellten zuerst jeweils etwa 14 %, doch blieben die lombardischen Studenten seit 1860 aus, und ab dem Wintersemester 1867 gibt es auch keine Studenten aus Venetien. Das Kontingent aus Tirol, im Durchschnitt 18 %, zeigte abnehmende Tendenz ohne dramatische Veränderungen. Die zweitgrößte und relativ konstante Gruppe mit durchschnittlich 21 % kam aus Dalmatien. Die größte Gruppe, die auch absolut und prozentuell in diesen Jahrzehnten stark zunahm, kam aus Görz, Istrien und Triest, also aus dem Küstenland. Von 14 Studenten im Jahre 1854 wuchs die Gruppe im Jahr 1868 auf 70 Studenten; das war anteilsmäßig eine Ver-

12 Ebd.

105

106

Italienische Studenten in Wien, Graz und Innsbruck 1848–1918

Tabelle 2 Herkunft der italienischen Studenten an der Universität Wien nach Kronländern 1854–1868.

Kronland Lombardei

WS

WS

WS

WS

WS

WS

WS

1853/54

1858/59

1859/60

1861/62

1865/66

1866/67

1867/68

10

13

1

1

2

2

1

Venetien

11

12

9

3

7



1

Dalmatien

16

11

16

18

21

28

18

Küstenland

14

36

29

19

50

63

70

davon Triest

4

15

12

11

25

27

27

20

12

16

15

16

12

15

Tirol andere Kronländer



3

2

11

1

1

4

Ausländer



3





1

1



71

90

73

67

98

107

109

Summe

Quelle: Archiv der Universität Wien, Nationale der philosophischen, medizinischen und juridischen Fakultät (an der theologischen Fakultät studierten nur vereinzelt Italiener).

dreifachung von 20 % auf 64 %. Das Überwiegen der küstenländischen vor den Dalmatiner Studenten ist aus der absoluten Bevölkerungszahl abzuleiten. Der geringe Anteil der Welschtiroler erklärt sich aus der größeren Entfernung des Landes bzw. aus der Konkurrenz der Universität Innsbruck. Was die starke Zunahme der küstenländischen Studenten betrifft, so liegt der Schluss nahe, dass dies eine Folge des Ausscheidens der italienischen Universitäten Pavia und vor allem Padua gewesen sei. Eine genauere Prüfung der Zahlen zeigt aber überraschenderweise, dass kein direkter Zusammenhang zwischen den beiden Fakten besteht. Es gibt schon vor den Kriegen von 1859 und 1866 eine starke Zunahme von Studenten aus dem Adriaraum in Wien, während nach den Kriegen bzw. nach dem Wegfall der beiden Universitäten, entgegen der Erwartung, solche Sprünge fehlen. Es zeigt sich überhaupt bei näherer Betrachtung, dass der Wegfall der norditalienischen Universitäten auf die Wahl des Studienortes einen geringeren Einfluss hatte, als man bisher annahm. Es ist jedenfalls nicht so, dass die Italiener bis 1859 bzw. 1866 allein an diesen Universitäten studiert hatten und dann veranlasst wurden, an den deutschen Universitäten Österreichs zu studieren, vielmehr hatte schon vorher eine bedeutende Zahl von Italienern in Wien, Graz und Innsbruck studiert. Zwar gibt es einen Zuwachs, besonders in Graz, doch handelt es sich allerhöchstens um ein Viertel der in Österreich studierenden Italiener, während drei Viertel schon früher die genannten Universitäten frequentiert hatten. Man muss den geographischen Einzugsbereich, praktische Erwägungen bei der Fächerwahl, die Attraktion Wiens als Hauptstadt des Reiches, den Ruf der Wiener medizinischen Fakultät usw. berücksich-

Sozialgeschichtliche Andeutungen

tigen. Die italienische Universitätsfrage ist nicht einfach wegen der notwendig gewordenen Umlenkung des Stromes der italienischen Studierenden entstanden. Zur Frage der Verteilung der Studenten auf die Studienrichtungen ist zu sagen, dass das bevorzugte Studium stets das Rechtsstudium war, allerdings nahm das Ausmaß der Bevorzugung langfristig gesehen ab. In den 50er Jahren des 19. Jh. studierten zwei Drittel und mehr der italienischen Universitätsstudenten diese Fachrichtung. Freilich ist zu bedenken, dass Innsbruck und Graz noch keine medizinische Fakultät besaßen. Aber auch nach deren Errichtung (1864 bzw. 1872) bleibt es beim Überwiegen des Jusstudiums. Der Anteil schwankt zwischen 40 und 60 %. Wenn man die Studenten der technischen und anderer Hochschulen mitberücksichtigt, ergibt sich z. B. für das Wintersemester 1910/11 folgendes Bild. (vgl. Tab. 3) Tabelle 3 Verteilung der Studenten auf die Studienrichtungen im Wintersemester 1910/11

Fakultät

absolut

%

Jus

326

36,6

Philosophie

204

22,9

Technik

181

20,3

Medizin

122

13,7

40

5,7

Bodenkultur, Tierarznei und Montanistik Theologie Summe

7

0,8

880

100,0

Quelle: Haan, Statistische Streiflichter 194.

Das ist aber keineswegs ein atypisches Bild, vielmehr entspricht es dem der Nationen mit eigenen Hochschulen und auch dem allgemeinen Durchschnitt. Nur im leichten Vorsprung des Philosophiestudiums vor technischen Studien besteht eine Abweichung.

6.3 Sozialgeschichtliche Andeutungen Interessant ist schließlich die Frage nach der sozialen Zugehörigkeit der Studenten, eine Frage, der bisher überhaupt wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde und die auch für die italienischen Studenten noch nicht bearbeitet worden ist. Ich habe für die ersten zwei Jahrzehnte unseres Zeitraumes die Rubrik »Name und Stand des Vaters« der Nationale der Universität Wien untersucht, aus der sich eine ungefähre Sozialstatistik ableiten lässt, nur ungefähr aus zwei

107

108

Italienische Studenten in Wien, Graz und Innsbruck 1848–1918

Gründen: 1. Die Zahl der Studenten, welche diese Rubrik nicht oder unvollständig ausgefüllt haben, ist sehr groß. Auch die häufigen Fälle, in denen der Vater gestorben und ein Vormund angegeben ist, können nur mit Vorbehalt in Betracht gezogen werden. Bei durchschnittlich einem Drittel aller Studenten kann der Beruf des Vaters bzw. die soziale Herkunft nicht angegeben werden. 2. Die Berufs- oder Standesbezeichnungen sind ungenau und nicht immer eindeutig einzuordnen. Wenn man trotz dieser Bedenken versucht, die Angaben auszuwerten, so ergibt sich folgendes Bild: Die größte Gruppe unter den Studenten stellten die Söhne von Beamten, nämlich 22 %, 13 allerdings Beamte im weiteren Sinne, d. h. Angestellte staatlicher und lokaler Behörden, Lehrer an öffentlichen Schulen, Universitätsprofessoren sowie Offiziere (nicht mitgezählt die Militärärzte). An zweiter Stelle sind die Angehörigen des Besitzbürgertums zu nennen. Sie scheinen auf unter den Bezeichnungen Besitzer, Guts- oder Grundbesitzer, Possidente, Realitätenbesitzer, Herrschaftsbesitzer, Eigentümer, Hausbesitzer, Rentier. 18 % der Studenten kam aus dieser sozialen Schicht. Die nächste Gruppe mit 12 % bilden jene, deren Väter freie Berufe ausübten. Fast zwei Drittel davon waren Ärzte, wobei die häufige Übereinstimmung zwischen diesem Beruf des Vaters und der Wahl des Medizinstudiums auffällt. Die anderen sind Söhne von Juristen, Apothekern, Architekten, Wirten, Kapitänen, Privatlehrern, weiters von einem Buchdrucker und -händler und von einem Oberrabbiner. 10 % der Studenten kamen aus der Handels- und Geschäftswelt. Als Beruf des Vaters gaben sie an: Geschäftsmann, Handelsmann, Handelsagent, Agent, Kaufmann, Großhändler, Negoziante, Mercante, Sensal, Seidenhändler, Bretterhändler. Die meisten von ihnen kamen aus Triest und aus den anderen Handelszentren des Küstenlandes und Dalmatiens wie Rovigno, Zara, Spalato und Ragusa. Bei einer ganz kleinen Gruppe von Studenten, 6,4 %, übten die Väter kleinbürgerliche Berufe aus, waren Bauern oder Angehörige der Unterschicht: Arbeiter, Handwerker, Schneider, Gerber, Goldarbeiter, Tischler, Maler, Samterzeuger, Landmann, Pächter, Diener, Kirchendiener, Taglöhner. Eine Entwicklung innerhalb der Berufsschichtung und, davon abgeleitet, der sozialen Zugehörigkeit ist in den ersten zwei Jahrzehnten kaum festzustellen, am ehesten eine leichte Zunahme bei den freien Berufen und eine etwas stärkere Zunahme bei den Unterschichten. Insgesamt überwiegen in diesem Zeitraum

13 Als Grundzahl (100 %) für diese und die folgenden Prozentzahlen wurden nur jene zwei Drittel der inskribierten Studenten genommen, bei denen der Beruf des Vaters in die Nationale eingetragen ist.

Sozialgeschichtliche Andeutungen

die Söhne von Beamten und Grundbesitzern, als Tendenz ist eine Vermehrung der Berufe aus Mittel- und Unterschichten, somit eine breitere soziale Streuung erkennbar. Es ist in mehrfacher Hinsicht problematisch, aus der Angabe des Standes des Vaters eine Sozialstatistik zu erstellen, doch haben wir kein anderes Material. Ich breche hier ab. Es wäre noch der ganze Bereich der kulturellen Auswirkung des Studiums der Italiener in Österreich zu bearbeiten, die Rolle der heimgekehrten Studenten in der lokalen und in der gesamtitalienischen Kultur. Hier seien nur – um die mögliche Breite dieser Thematik anzudeuten – zwei Dinge erwähnt. Zuerst zwei Namen für viele: Der bedeutendste italienische Politiker der Nachkriegszeit, der Mitbegründer der Democrazia Cristiana und langjährige Ministerpräsident Alcide Degasperi, hat in Wien studiert. 14 Cesare Battisti, der Trientiner Sozialist, Reichsratsabgeordnete und 1916 wegen Hochverrats von der österreichischen Militärjustiz gehängte Politiker, hat sein Studium zwar in Florenz 1897 abgeschlossen, doch hat er auch 1893–1895 in Graz und 1895/96 in Wien studiert. 15 Schließlich sei noch auf die reiche und spezifische Triestiner Kultur hingewiesen, ihrerseits ein bedeutender Beitrag zur gesamtitalienischen Kultur; sie hängt eng mit der jahrhundertelangen Zugehörigkeit der Stadt zu Österreich zusammen. Wenn die Triestiner sich heute selbst dieser Verbindungslinie stärker bewusst sind (was sogar zu einer gewissen Österreichnostalgie geführt hat), so ist dies wohl auch eine späte Folge der Tatsache, dass die Triestiner Intelligenz in den letzten Jahrzehnten der Habsburgermonarchie ihre akademische Ausbildung zu einem guten Teil in Wien und Graz erhalten hat. 16

14 Degasperi hat vom Wintersemester 1900/1901 bis zum Sommersemester 1904 an der Universität Wien germanistische, romanistische und philosophische Vorlesungen belegt. 1905 promovierte er mit einer Dissertation über die deutschen Bearbeitungen von Carlo Gozzis Märchenspiel »Die glücklichen Bettler«. 15 Gatterer, Unter seinem Galgen stand Österreich. 16 Zu Triest und seiner Kultur siehe Ara –Magris, Triest. Eine literarische Hauptstadt; Lunzer, Triest. Eine italienisch-österreichische Dialektik.

109

ÖSTERREICH UND ITALIEN

7. Das Bild vom Anderen – Österreicher und Italiener

7.1 Österreichisch-italienische Symbiose im 18. Jahrhundert Am 6. September 1791 wurde der frühere Großherzog von Toskana und nunmehrige Kaiser Leopold II. in Prag zum böhmischen König gekrönt. Dabei kam Mozarts Oper La clemenza di Tito zu Uraufführung. Das Textbuch hatte der in Wien lebende Hofdichter Pietro Metastasio 1734 verfasst, es war seither oft vertont worden. Die vielfältigen österreichisch-italienischen Bezüge dieses Ereignisses hat Adam Wandruszka, Biograph des in der Toskana Pietro Leopoldo genannten Habsburgers und Historiker des sogenannten Zeitalters der Reformen, in einer sehr schönen Darstellung als Abschiedslied bezeichnet: »Sucht man nach einem Ereignis, das auf hoher Ebene die politische und kulturelle Symbiose zwischen Österreich und Italien im 18. Jahrhundert symbolisiert, so bietet sich die Uraufführung [...] an. [...] Aus den Klängen der ›Titus-Ouvertüre‹ mag man so das Abschiedslied jener vornehmen Welt der österreichischitalienischen Kulturgemeinschaft des 18. Jahrhunderts heraushören, die von den nun hervorbrechenden Mächten in die Defensive gedrängt wurde.« 1 In der Tat sollte das 19. das Jahrhundert werden, in dem zwischen Österreich und Italien Feindschaft und Krieg herrschten, bis zum traurigen Höhepunkt in den Hassgesängen des Ersten Weltkriegs. 2 Diese Entwicklung brachte es mit sich, dass das Zeitalter der Reformen aus dem öffentlichen Gedächtnis verdrängt wurde. Österreich wurde nur mehr als Völkerkerker wahrgenommen, Italien nur mehr als Verräter, und gegenseitig bezeichnete man sich als Erbfeind. Es ist der Mühe wert darüber nachzudenken, wann und wie dieser bedauerliche Wechsel von der Symbiose zur Gegnerschaft erfolgte. Der Umschwung geschah nicht von heute auf morgen. Einen Abschiedsgesang hat es in Wirklichkeit nicht gegeben. Eine solche Deutung der Aufführung der Oper von Metastasio und Mozart kann als Symbol dienen. Zwar starb Metastasio 1782, und die beiden anderen Protagonisten, Kaiser Leopold und Mozart,

1 Wandruszka, Österreich und Italien im 18. Jahrhundert 102 f.; Furlani–Wandruszka, Österreich und Italien 80 f. Der vorliegende Text ist der überarbeitete Beitrag aus Alberto Mario Banti–Paul Ginsborg (Hgg.), Storia d’Italia, Annali 22, Il Risorgimento (Torino 2007) 825–856. 2 Gatterer, Erbfeindschaft 154 f.; Weigel–Lukan–Peyfuss, Jeder Schuss ein Ruß.

Österreichisch-italienische Symbiose im 18. Jahrhundert

starben nur ein Jahr nach der Uraufführung des »Titus«. Doch traten andere an ihre Stelle, und das dichte Netz des kulturellen Austausches zerriss nicht, trotz der neuen Verhältnisse, wie sie durch die Französische Revolution und durch das napoleonische Königreich Italien von 1805 bis 1814 (das im Übrigen nie die ganze Halbinsel umfasste) geschaffen wurden. Als Beispiele dafür seien der Maler Knoller und der Komponist Salieri angeführt. Der gebürtige Tiroler Martin Knoller (1725–1804) 3 lernte in Innsbruck, Wien und Rom und wurde, nachdem er eine Mailänderin geheiratet hatte, endgültig in der lombardischen Hauptstadt ansässig. Im italienischen Schriftverkehr unterzeichnete er als Martino Knoller. Er wurde einer der bedeutendsten Fresco-Maler des ausgehenden 18. Jahrhundert. Seine Malereien schmückten die Paläste der Firmian, Litta, Greppi, Belgiojoso bis hin zum Palazzo Reale (im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört). Die Aufträge in Mailand hinderten ihn nicht, Aufträge in Tirol und Bayern anzunehmen. 1792–1803 war er Professor für Malerei an der Akademie der schönen Künste in Mailand. 1801 schuf er einige Ölgemälde für den königlichen Palast in Monza. Wie ein Spiegelbild liest sich die Karriere von Antonio Salieri (1750–1825). 4 Geboren in Legnago noch zu Zeiten der Republik Venedig, wurde er Hofkomponist in Wien und heiratete eine Wienerin. Sein Erfolg in der Reichshaupt- und Residenzstadt hinderte ihn nicht, Aufträge in Mailand, Venedig, Rom und Neapel anzunehmen. Die Saison 1778 an der Mailänder Scala wurde mit seiner Oper L’Europa riconosciuta eröffnet, 1798 feierte man die Cisalpinische Republik mit seiner Oper Axur, re d’Ormus. Salieri starb hochgeehrt 1825 in Wien. Dort war gerade das Rossini-Fieber ausgebrochen. Auch Gaetano Donizetti und Vincenzo Bellini wurden vom Wiener Publikum begeistert aufgenommen. 5 1828 weilte Niccolò Paganini längere Zeit in Wien, gab mindestens zehn öffentliche Konzerte und erhielt den Ehrentitel »Kammervirtuose Sr. Majestät des Kaisers von Österreich Franz I.« Man könnte noch viele andere Beispiele für das Fortdauern des kulturellen Austausches zwischen Österreich und Italien nennen. 6 Das geeinte Italien lag noch in weiter Ferne. Zwar war die Idee geboren, sie hatte aber nur wenige Anhänger. Es ist die Zeit der Geheimbünde und der revolutionären Zellen. Auch die Idee eines geeinten Deutschland wurde nur

3 Zum 200. Todestag dieses bedeutenden Tiroler Malers erschien der schöne Band Baumgartl, Martin Knoller 1725–1804. 4 2004/2005 beherbergte der Palazzo Reale in Mailand eine schöne Ausstellung zu Salieri. Katalog: Lachmayer, Salieri sulle tracce di Mozart. 5 Reichenberger, Italienische Opernstagioni im Wiener Vormärz. 6 Ein anders Beispiel wäre Antonio Canova (1757–1822), dazu Schemper-Sparholz, Bemerkungen zu Antonio Canova.

113

114

Das Bild vom Anderen

von den Studenten und von wenigen Intellektuellen propagiert. In Ungarn und bei den slawischen Völkern war das Zeitalter des nationalen Erwachens gerade erst in seinen Anfängen. Andererseits waren die politischen Machthaber, die mit Müh’ und Not die Oberhand gegenüber den revolutionären Kräften wiedergewonnen hatten, sehr wachsam und erstickten jede revolutionäre Regung im Keim. Unter diesen Umständen findet man daher in Österreich nach dem Wiener Kongress keine Spur der Ideen und Hoffnungen der italienischen Carbonari, auch nicht nach der Gründung des Jungen Italien durch Giuseppe Mazzini 1831. Die Idee eines auf einer einheitlichen Bevölkerung beruhenden Nationalstaates Italien war in Österreich weitgehend unbekannt. Die Zensur verlängerte künstlich das vorherrschende Bild von Italien, wie es seit dem 18. Jahrhunderts gegolten hatte. Italien war ein geografisch eindeutiger Begriff, auch eine gewisse kulturelle und historische Gemeinsamkeit wurde gesehen, politisch aber bestand die Halbinsel aus verschiedenen Staaten und Territorien, von denen einige völlig zu Recht zu Österreich gehörten, andere mit Österreich eng verbunden waren. Es war ein Raum mit beträchtlichen nationalen, historischen und regionalen Unterschieden. Das war im Kaisertum Österreich und im Deutschen Bund nicht anders. Dieses Bild von Italien war nicht außergewöhnlich und in keiner Weise ein feindseliges. Das galt auch für den berühmten Ausspruch Metternichs, Italien sei nur ein geografischer Begriff. 7 Schaut man von Süden nach Norden und untersucht die Wahrnehmung Österreichs aus italienischer Sicht, dann ist zunächst zu sagen, dass die Symbiose des 18. Jahrhunderts natürlich keine Einbahnstraße war. In vielfacher Hinsicht waren die Monarchie und Wien ein Referenzpunkt für italienische Künstler aller Art, aber auch auf anderen Gebieten gab es einen Austausch. 8 Intensiver war er in den zu Habsburg gehörenden norditalienischen Gebieten, aber auch der Süden war in den Austausch einbezogen. Viele dynastische Heiraten verbanden Österreich und Italien. Ein Unterschied ist aber anzumerken. Gab es aus österreichischer Sicht keinen Grund für negative Gefühle zu Italien, so war in Italien doch auch ein altes, durch Jahrhunderte lange Erfahrung genährtes Grundgefühl gegen ausländische Beherrschung und gegen die von nördlich der Alpen kommenden tedeschi vorhanden. 9 Dieses Gefühl war nicht vergleichbar mit der späteren sogenannten Erbfeindschaft des Nationalismus. Die habsburgische Herrschaft im Italien des 18. Jahrhunderts bewegte sich ganz in den zu

7 Stauber, Wiener Kongress 152 f sowie Siemann, Metternich 607–615. 8 Di Simone, Österreichisches Recht und Patriotismus. 9 Vgl. Garms-Cornides, Tradizioni letterarie sowie Garms-Cornides, Das Bild Österreichs in Italien.

Italien als bevorzugtes Reiseziel

dieser Zeit gewohnten Formen, die es auch gegeben hätte, wenn Habsburg nicht vorherrschend gewesen wäre, nämlich dynastisch, katholisch, offen gegenüber Reformen, sich der italienischen Sprache bedienend. Die Erfahrungen der napoleonischen Zeit, vor allem das Königreich Italien, stellten aber eine Zäsur dar. Als das Haus Österreich nach dem Scheitern des Kaisers der Franzosen wieder in seine italienischen Gebiete zurückkehrte, war es immer noch dynastisch, katholisch und bediente sich des Italienischen. Es war aber nicht mehr offen für Reformen, machte vielmehr die revolutionären Reformen rückgängig, soweit es möglich war, und lehnte vor allem jede nationalpolitische Entwicklung ab. Für Österreich schloss sich mit dem Wiener Kongress nur eine Zeit der revolutionären Fehlentwicklung. Man konnte und wollte das Rad der Zeit nicht gänzlich zurückdrehen, aber wenigsten einhalten. Die italienische Wahrnehmung deckte sich damit nicht, zu sehr hatte die revolutionäre und napoleonische Zeit die italienische Gesellschaft verändert. Einen Beweis für das Auseinanderdriften der gegenseitigen Wahrnehmung bietet die Reiseliteratur. Zwar nahmen Reisen aus Österreich nach England und Frankreich als die wirtschaftlich und politisch führenden Länder zu, doch blieb Italien unbestritten das bevorzugte Reiseziel, und zahlreiche Reisebeschreibungen erzählten vom Land der Träume und fanden eine große Leserschar, war doch das Reisen nicht so leicht wie heute und die Reiseliteratur für viele das einzige Mittel, am Abenteuer teilzunehmen.

7.2 Italien als bevorzugtes Reiseziel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

7.2.1 Die Reiseliteratur Der Florentiner Bibliothekar und Altertumsforscher Domenico Sestini rechtfertigte einen Reisebricht mit der ironischen Formulierung, solche Berichte würden jedenfalls gelesen, egal ob sie gut oder schlecht geschrieben waren. 10 Er hatte recht, sonst wäre die große Zahl an gedruckter Reiseliteratur nicht zu erklären. 11 Wohl gehörte es zum guten Ton, den Leser einleitend um Wohl-

10 Sestini Domenico, Viaggio curioso-scientifico-antiquario per la Valachia, Transilvania e Ungheria fino a Vienna (Firenze 1815) VI. 11 Franz Carl Weidmann, Memorabilien aus meiner Reisetasche (Brünn 1822/1823); Anton Pannasch, Erinnerungen an Italien (Wien 1826); Therese v. Artner, Briefe über einen Teil von Croatien und Italien an Caroline Pichler (Pesth 1830); Josef v. Hammer-Purgstall, Italia in hundert und einem Ständchen. Von einem Morgenländer (Leipzig 1830); Josef Adalbert Kri-

115

116

Das Bild vom Anderen

wollen zu ersuchen, dass schon wieder ein Buch über eine Italienreise vorgelegt werde, doch wurde das Publikum solcher Berichte nicht überdrüssig. Auch in den Tagebüchern sahen sich die Italienreisenden genötigt, in Goethes Nachfolge etwas über das Land zu sagen, zugleich jammerten sie, man könne nichts mehr schreiben, weil schon alles gesagt sei. Es gab sehr detaillierte Reiseführer über Italien. Der »Lalande« hatte neun Bände, die deutsche Übersetzung fast tausend Seiten. 12 Graf Istvan Széchenyi, der zukünftige große ungarische Schriftsteller, Reformator und Politiker, begann das Tagebuch seiner Italienreise 1818 (es war nicht sein erster Aufenthalt dort) wie folgt: Gestern Abend ist’s mir eingefallen, dass ich doch mit meinem Tagbuch einmal anfangen sollte – welches ich noch nicht begonnen hatte, da Landschulz [Széchenyis Reisegefährte], von dem Tag meiner Abreise, doch auch jede Kleinigkeit, die uns begegnete, oder vorgefallen ist, anmerkte. 13

Dann folgte eine lange halb ironische Überlegung über das Tagebuchschreiben und über Reiseberichte, um schließlich wieder einmal bei einer unglücklichen Liebe zu enden. Einige Tage später schrieb er: Ich erwischte heute Enders Tagbuch [auch der Maler Johann Ender war ein Reisegefährte] – und fand, dass er jede Stadt – jeden Fluss, die kleinste Brücke, das kleinste Dorf adnotirt und zum Theil auch poetisch beschreibt – Allenthalben die Namen aber verwechselt –. Das wird ein sauberes Werk! – Mein Tagbuch hat zum wenigsten keine grosse pretention – kann auch bei Gelegenheit verbrannt oder in das Wasser

ckel, Fußreise durch den größten Theil der österreichischen Staaten (Wien 1831); Gottfried v. Dreger, Neue Skizzen einer Sommerreise durch Italien, Unter-Österreich usw. (Wien 1831); Johann Burger, Reise durch Oberitalien mit vorzüglicher Rücksicht auf den gegenwärtigen Zustand der Landwirtshaft (Wien 1831); Eduard Habel, Fragmente aus Briefen eines Reisenden (Wien 1836); Carl Czoernig, Italienische Skizzen (Mailand 1838); Adolf Strahl [= Carl Schodel], Erlebnisse eines Touristen in Italien und Sicilien (Wien 1839/1841); Adolf Ritter v. Tschabuschnigg, Buch der Reisen. Bilder und Studien aus Italien, der Schweiz und Deutschland (Wien 1842); Anna Gräfin Csáky-Vécsey, Tagebuch einer überzähligen Ausschußfrau auf einer Reise nach Italien (Pesth 1843); Anton Freiherr v. Prokesch-Osten, Triklinien. Briefe aus Italien, in Ders., Kleine Schriften 5 (Stuttgart 1844) 153–256; Ludwig Ritter v. Heufler, Italienische Briefe (Wien 1853); Erzherzog Ferdinand Maximilian, Reise-Skizzen, I, Italien (Wien 1854), italienisch: Pagine sull’Italia di Massimiliano d’Asburgo (Firenze 1868); Sebastian Brunner, Kennst Du das Land? Heitere Fahrten durch Italien (Wien 1857). 12 Tersch, Reisebericht über Italien 110 f. 13 Viszota, Gróf Széchenyi, Naplói, 20. 7. 1818.

Italien als bevorzugtes Reiseziel

geschmissen werden – : über Italien aber zu schreiben nachdem Eustace 14 4 Theile schon geschrieben hat – datzu bin ich nicht jung genug – ich werde erst nach meiner Einschiffung in Ancona zu kritzeln anfangen. 15

Das Italien des Bildungsbürgertums der Habsburgermonarchie war jedenfalls das römische, klassische, Renaissance-Italien, das Land der Malerei und Architektur, der Dichtung und Musik, ein wunderschöner Garten in einem milden Klima, vom Meer umspült. Wir können uns heute kaum mehr die unglaubliche Faszination vorstellen, die der Anblick des Meeres für die Reisenden des 18. und 19. Jahrhunderts ausgeübt hat. Der junge Joseph v. Hammer, später Freiherr v. Purgstall und berühmter Orientalist, reiste 1798 von Wien nach Venedig und Verona und kehrte über Tirol und Salzburg zurück. 1800 veröffentlichte er in Berlin einen Reisebericht in Briefform. Es war vermutlich die erste Erzählung eines Österreichers nach dem Erwerb Venedigs durch die Monarchie. Er besuchte die Adelsberger Grotte und kam am selben Tag nach Opicina / Opˇcine, von wo aus man zum ersten Mal das Meer sieht. Über sieben Seiten widmet er dem Meer und seinem Zauber, und im letzten Brief schreibt er noch einmal: »Ich habe das Meer gesehen!« 16 Széchenyi arrangiert 1818 für seine Reisegefährten die erste Begegnung mit dem Meer: Landschulz und Ender haben das Meer noch nie gesehen – Sie wollten durchaus beim Tage in Triest ankommen, wir arrangirten daher meine Reise dergestallt, dass wir recht zeitlicht früh morgens in Opcsina anlangten – um sodann mit dem Sonnen Aufgang das Adriatische Meer zu begrüssen – es regnete aber so häufig, dass wir recht ruhig im Wagen sitzen blieben und von da aus Triest und den Hafen betrachteten – Der Anblick ist wahrlich herrlich [...]. 17

Ein Jahr später kommt Franz Grillparzer nach Opicina. Er vermerkt im Tagebuch – das erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde – von der Sorge, er könnte enttäuscht werden und sein erhabenes inneres Bild gegen ein bloß realistisches eintauschen müssen. Aber dann sieht er das Meer: Es ist nicht gewaltig, aber unbeschreiblich schön: »ich hatte mir das Meer nämlich nicht so schön gedacht,

14 Das ist Eustace John Chetwode, A classical tour through Italy anno 1802 (London 1815). 15 Viszota, Gróf Széchenyi, Naplói, 26. 7. 1818. 16 Joseph v. Hammer-Purgstall, Zeichnungen auf einer Reise von Wien über Triest nach Venedig und von da zurück durch Tyrol und Salzburg (Berlin 1821) 105–112, 350. 17 Viszota, Gróf Széchenyi, Naplói, 20. 7. 1818.

117

118

Das Bild vom Anderen

nicht so unbeschreiblich schön« 18, und er versucht sich in einer langen Beschreibung des unbeschreiblichen Eindrucks. 19 Natürlich gibt es große Unterschiede bei den vielen österreichischen Reisebeschreibungen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es gibt konzise und schwatzhafte; wir finden Erzählungen, fingierte Briefe, Abhandlungen, Gedichte; sie erzählen von der Kunst oder von der Bevölkerung, von Pflanzen oder Raritäten, breiten positive oder negative Stereotypen aus, bleiben in Oberitalien oder erreichen auch Neapel und Sizilien. Turin und das Piemont fehlen in der Regel. Alles in allem aber bestätigen sie das seit langem vertraute Bild Italiens der sogenannten Kavalierstour. 20 Es ist Arkadien, das Sehnsuchtsland (»Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?«). Der Reisende sucht das, was er schon kennt, und wenn er es findet und seine Erwartungen erfüllt werden, dann erzählt er es freudig dem Leser. Da er aber vor allem schreibt, um gelesen zu werden, teilt er gegebenenfalls auch seine Enttäuschung mit. Daher finden wir widersprüchliche Stereotypen, aber sie haben einen gemeinsamen Nenner: Es lohnt sich, nach Italien zu reisen; es ist ein außerordentlich interessantes Land; man wird bereichert durch Empfindungen und Schönheit, die der Schreiber gern mit dem Leser und der Leserin teilt. Erweitert wird dieses etwas eintönige Bild, wenn Wissenschaftler oder Künstler berichten. Der Orientalist Hammer-Purgstall sieht die Spuren der arabisch-orientalischen Welt, die ein anderer übersehen würde. Das beginnt schon in Mariazell, wo ihn die Gnadenkapelle in der Basilika an die Kaaba in Mekka erinnert. 21 In Venedig erinnert ihn der Markusplatz an den großen Platz im persischen Isfahan. 22 Später machte er in Rom die Entdeckung, dass die Kathedra Petri arabischer Herkunft ist, und er zitiert die eingravierte Sure. 23 Der Botaniker Heufler besuchte die botanischen Gärten und berichtet entsprechende Details, ebenso der Agrarwissenschaftler Burger, während der Hofschauspieler Weidmann von Theateraufführungen erzählt. Der slowakische Schriftsteller Ján Kollár suchte und fand überall slawische Spuren. Seine fantastischen etymologische Thesen wurden nicht einmal von seinen slawischen Fachkollegen geteilt. 24

18 Grillparzer, Reise nach Italien 336, 28. 3. 1819. 19 Ähnlich Adalbert Stifter, Schmidt-Dengler–Reitani, Symmetrie der Entfremdung 157. 20 Vgl. Tersch, Reisebericht über Italien; De Seta, L’Italia nello specchio del »Grand Tour«; Saurer, Straße, Schmuggel, Lottospiel 478, Anm. 1; Marcenaro–Boragina, Viaggio in Italia; Göres, ... auf classischem Boden. 21 Hammer, Zeichnungen 22–23. 22 Ebd., 212–215. 23 Hammer, Italia 187. 24 Ján Kollár, Cestopis obsahujici cestu do horni Italie a odtud prez Tyrolsko a Bavorsko se zvlastnim ohle dem na slavjanske zivly (Pest 1843); Ders., Starvitalia slavjanska, Wien 1853.

Italien als bevorzugtes Reiseziel

Was in der österreichischen Reiseliteratur über Italien gänzlich fehlt, ist die Politik, abgesehen von ein paar wirtschaftlichen und statistischen Angaben bei Czoernig und dem einen oder anderen Lob für die gute österreichische Verwaltung. Einen direkten nationalpolitischen Diskurs im Sinn des Risorgimento hätte die Zensur verhindert, 25 doch war die Reiseliteratur ihrem Wesen nach unpolitisch und reproduzierte viel lieber die bekannten Bilder.

7.2.2 Das private Reisetagebuch Nicht nur die Reiseliteratur zeugt von der Beliebtheit des südlichen Nachbarlandes. Auch in privaten Tagebüchern, nicht zum Druck verfasst, wird das Italienerlebnis festgehalten. Obwohl das Reisen teuer 26 und noch kein Massenphänomen war, reisten doch recht viele Menschen aus der Habsburgermonarchie nach Italien. Der typische Italienreisende war jung, männlich, gebildet und Angehöriger des Adels oder des gehobenen Bürgertums einschließlich des Beamtenstandes. Dazu kamen die Künstler. Ein Maler musste in Italien gewesen sein, um die Originale der berühmten Italiener in Kirchen und Pinakotheken gesehen zu haben. 27 Im Dienstauftrag reisten Beamte, Offiziere, Diplomaten. Auch die Fürsten mit ihrer Entourage reisten gern. Alle diese Personen waren potentielle Tagebuchschreiber, verfassten Briefe nach Hause, erzählten von der Reise und trugen so zum Bild Italiens in Österreich bei. Auch Kaiser Franz I. gehörte zu den Tagebuchschreibern. 28 Einige dieser Tagebücher und Briefe wurden später ediert und ermöglichen den Vergleich mit dem für den Buchmarkt geschriebenen Reistagebuch. Széchenyi und Grillparzer wurden schon genannt. Metternich selbst reiste mehrmals nach Italien. 29 In den nachgelassenen Schriften, publiziert von seinem Sohn Richard, findet sich auch das Tagebuch der dritten Frau, Gräfin Melanie ZichyFerraris. Anton Prokesch von Osten machte eine steile Karriere in der Armee, als Diplomat und als Orientalist. Metternich sandte ihn 1831/32 in außerordentlicher Mission nach Bologna und Rom, um revolutionäre Unruhen zu unterdrücken und den Papst zu Reformen zu bewegen. Das Tagebuch aus dieser Zeit wurde von seinem Sohn veröffentlicht. Auch Joseph Alexander Freiherr

25 Lechner, Gelehrte Kritik und Restauration. 26 Grillparzer, Selbstbiographie 74. 27 Garms, Artisti austriaci a Roma; Garms, Das römische Milieu; Sinkó, Italienfahrer aus Ungarn; Krapf, Das Italienbild im Biedermeier. 28 Kuster, Das italienische Reisetagebuch Kaiser Franz’ I.; Kuster, Die Italienreise Kaiser Franz’ I. 29 Dazu Siemann, Metternich 616–623.

119

120

Das Bild vom Anderen

v. Hübner, österreichischer Botschafter in Paris und Rom und für kurze Zeit Minister, konnte schon als Zwanzigjähriger mehr als ein Jahr in Rom und Neapel leben und hielt sich später oft im Land auf. Sein Tagebuch ist erhalten. 30 Welches Bild von Italien und den Italienern finden wir in diesen Schriften? Enthalten sie auch politische Informationen, die in der Reiseliteratur fehlen? Im Allgemeinen finden wir auch in diesen privaten Texten alle die Stereotypen, Erwartungen und Enttäuschungen, von denen der Reisende gehört oder in der Reiseliteratur gelesen hatte. Der Grenzübertritt ist meist ein markantes Erlebnis, nicht immer angenehm. Hübner kritisiert das Essen in Trient: »Um fünf Uhr kamen wir nach Trient, einer alten, schmutzigen und dem Anschein nach äußerst armen Stadt, der ersten, wo die deutsche Sprache der italienischen gewichen ist. Nachdem wir hier ein äußerst schlechtes Mittagsmal verschlungen [...].« 31 Häufig sind Beobachtungen über das milde Wetter und die wärmere Luft. Széchenyi: »Die schnelle Änderung von Winter zum Frühjahr frappierte mich ganz ungemein in dem Übergang über die Carniolsche[n] Gebürge.« 32 Grillparzer spürt schon vor Triest die Veränderung des Klimas: »Allmählich wie wir uns Triest näherten merkten wir eine beträchtliche Veränderung des Klimas, die rauhe, kalte Luft war milder, und alles schien uns anzukündigen, daß wir am Eingang Hesperiens ständen.« 33 Metternich schreibt aus Florenz an die Tochter: »L’air est calme à cette heure, à quatorze ou quinze degrés, libre et léger. On conçoit que beau climat ait produit beaucoup de peintres et de poëtes.« 34 Regelmäßig fallen die guten Straßen auf. Széchenyi bemerkt ironisch, es falle niemandem ein, so gute Straßen auch einmal selbst besitzen zu wollen. 35 Als er vor dem Brigantentum zwischen Bologna und Neapel gewarnt wird, meint er sarkastisch, »ich kam ganz ohne aller Angst und Abentheuer bis nach Neapel, denn so Gegenden sind nur dan gefährlich wenn schon lang kein Mensch ausgeraubt worden ist«. 36 Grillparzer notiert nach Viterbo erschrocken »die zerrißenen Überreste von Räubern und Mördern, die von der Sonne getrocknet, rechts und links der Straße baumeln«. 37 Den meisten Eindruck hinterlässt die Schönheit, Lieblichkeit und Fruchtbarkeit der Landschaft. Viele Gegenden Italiens scheinen wie ein Garten zu 30 Alexander Freiherr v. Hübner, Tagebuch 1826–1892, 40 Bände (Bde. 15–18 fehlen), Università di Pavia, Dipartimento di Storia. 31 Hübner, Tagebuch (zit. Anm. 30), 1.10.1828. 32 Viszota, Gróf Széchenyi, Naplói, 11. 12. 1814. 33 Grillparzer, Reise nach Italien 335, 28. 3. 1819. 34 Metternich, Nachgelassene Papiere 3, 34, Brief an die Tochter v. 3. 7. 1817. 35 Viszota, Gróf Széchenyi, Naplói, 11. 12. 1814. 36 Ebd. 37 Grillparzer, Reise nach Italien 351, 7. 4. 1819.

Italien als bevorzugtes Reiseziel

sein. Grillparzer: »Die Schönheit der Gegend von Ferrara ist unbeschreiblich. Überall Wiesengrün und Blüthen-Rot und Weiß, dabei die herrliche, gepflasterte Landstrasse. Man fühlt sich sehr glücklich da.« 38 Ein anderes Mal schwärmt er: »Keine Sprache der Welt reicht hin, die Schönheit der Gegend zu beschreiben, in der Narni liegt«. 39 und er dichtet: Was bei uns schreitet schwebt hier im Tanz. 40

Prokesch nennt den Apennin bei Ravenna ein »paradiesisches Land«. 41 Metternich findet Lucca »le plus charmant endroit du monde«, 42 und seine sonst eher nüchterne Gattin Melanie beschreibt die Fahrt von Genua nach La Spezia ungewohnt farbig und beendet die Tagebucheintragung mit diesen Worten: »Alles wirkte zusammen, um meinen Enthusiasmus auf den höchsten Gipfel zu steigern. Zum erstenmal in meinem Leben fand ich die Gegend schöner als ich es mir gedacht.« 43 Ein Kapitel für sich sind die Vulkane. Széchenyi plagt sich sehr, erreicht aber mit eisernem Willen den Gipfel des Ätna. 44 Der Vesuv zieht seit jeher die Reisenden an. Grillparzer verfasst eine lange Beschreibung über den Ausflug zum »fürchterlich schönen« 45 Gipfel. Er ist höchst beeindruckt und verwendet sogar religiöse Begriffe. Metternich schreibt fast ein wenig ironisch an die Tochter: »Tous nos laquais ont passé la nuit dernière sur le Vésuve«, um aber dann doch auszurufen: »Ce Vésuve, ma bon amie, est un spectacle bien imposant et bien auguste.« 46 Immer wieder beeindrucken auch die Städte, die Plätze und Bauwerke die Reisenden und entlocken ihnen bewundernde Worte. Metternich fühlt sich in Venedig »comme dans une ville des Mille et une Nuits.« 47 Die kleineren Städte findet er viel schöner und reicher als in Österreich. Er vergleicht Perugia mit dem mährischen Iglau. In Perugia sieht er zehn Paläste, die größer sind als das

38 Ebd. 345, 4. 4. 1819. 39 Ebd. 382, 5. 7. 1819. 40 Im Gedicht »Zwischen Gaeta und Kapua, 27. April 1819«, Grillparzer, Sämtliche Werke 1/10, 38. 41 Prokesch-Osten, Aus den Tagebüchern 1830–34, 94, 9. 4. 1831. 42 Metternich, Nachgelassene Papiere 3, 40, Brief an die Gemahlin v. 28. 7. 1817. 43 Metternich, Nachgelassene Papiere 6, 242, Tagebuch Melanie Zichy 1838. 44 Viszota, Gróf Széchenyi, Naplói, 16. 5. 1819. 45 Grillparzer, Reise nach Italien 363–368, 14. 5. 1819. 46 Metternich, Nachgelassene Papiere 3, 199, 3. 5. 1819. 47 Ebd. 23, Brief an die Gemahlin v. 10. 6. 1817.

121

122

Das Bild vom Anderen

Palais Liechtenstein in Wien, zwei Theater größer als das Kärntnerthortheater in Wien, und drei wunderbare Kirchen mit Malereien von Perugino und Raffael. 48 Melanie Metternich besichtigt die Kartause von Parma und notiert im Tagebuch: »Nie sah ich etwas so Schönes, so vollendet Prächtiges, wie diese Kirche. Alles an ihr ist bewundernswert.« 49 Für Széchenyi war Neapel »das Ideal aller meiner Gegenden« und »der unvergleichlichste Ort in der Welt«. 50 Fixpunkte im Besichtigungsprogramm aller Reisenden waren die Malerei, die bildende Kunst und die antiken Stätten. Prokesch, Hübner und Grillparzer suchen Tag für Tag Plätze, Kirchen und Paläste in Rom auf, oft in Begleitung eines Freundes oder eines Mitgliedes der großen deutschsprachigen Künstlergemeinde in Rom. Grillparzer, dessen antiklerikale Haltung hervorsticht, 51 bewundert das Kolosseum. »Herrlicheres kann man nicht mehr sehen«, schreibt er und vertraut seinem Tagebuch einen Vergleich zwischen diesem und dem Petersdom an, der zugunsten des antiken Bauwerks ausfällt. 52 Der Orientalist Prokesch ist hingerissen von Sankt Peter, wenn er folgendes Kompliment macht: »diese[r] prachtvolle[] Riesenbau, der wert wäre in Theben zu stehen.« 53 Metternich schreibt aus Pompei nach Hause: »Rien n’est curieux comme cette relique, vieille de dix-sept siècles. Le sort semble l’avoir ensevelie pour donner aux générations futures une idée complète des habitudes romaines.« 54 Auch Széchenyi ist beeindruckt, aber als Praktiker überlegt er gleich, wie man die Ausgrabungen beschleunigen könnte. Das Königreich Neapel sollte seiner Meinung nach sein Heer halbieren und die Gehälter der Beamten kürzen, um die Ausgrabungen zu finanzieren. 55 Die Tagebücher sind voll von solchen Bemerkungen. Ein wiederkehrender Zugang der Tagebuchschreiber ist der Vergleich der eigenen Erwartungen mit der Realität. Immer wieder erleben sie eine Differenz zwischen den vorgefassten Ideen und den Gefühlen vor Ort. Sie in Übereinstimmung zu bringen ist ständige Gefühlsarbeit. Glücklich sind sie, wenn etwas ihre Erwartungen übertrifft, eine Enttäuschung macht sie traurig, ja sie fürchten sich davor. Nach so vielen Vorläufern erzeugt die Erwartungshaltung geradezu Stress. Der immer wieder ironische Széchenyi überbringt uns einen Ausspruch des Kaisers Franz I. aus Neapel samt Kommentar: »Der Kaiser gab dem einen Audienz in Neapel und sagte ihm ›No, seins mit dem Anschauen schon fertig – 48 49 50 51 52 53 54 55

Ebd. 212 f., Brief an die Gemahlin v. 19. 6. 1819. Metternich, Nachgelassene Papiere 6, 241, Tagebuch Melanie Zichy 1838. Viszota, Gróf Széchenyi, Naplói, 21. 5. 1819. z. B. das Gedicht »Campo vaccino«, Grillparzer, Sämtliche Werke, I / 10, 31–36. Grillparzer, Reise nach Italien 349, 14. 4. 1819. Prokesch-Osten, Aus den Tagebüchern 1830–34, 99, 1. 8. 1831. Metternich, Nachgelassene Papiere 3, 199, Brief an die Gemahlin v. 4. 5. 1819. Viszota, Gróf Széchenyi, Naplói, 8. 1. 1815.

Italien als bevorzugtes Reiseziel

hier ist’s leichter als in Rom‹ – welches erhabne Wort des treuen Unterthans Ohr entzückte – und ihm auf immer im Herz geschrieben blieb – um es denen andern Getreuen wieder geben zu können.« 56 Wir entnehmen daraus, in welchem Ausmaß eine Reise nach Italien sozusagen präfiguriert war. Grillparzer ist z. B. in einem ersten Augenblick von Venedig enttäuscht: »Der erste Eindruck, den Venedig auf mich machte, war befremdend, einengend, unangenehm. Diese morastigen Lagunen, diese stinkenden Kanäle, der Schmutz und das Geschrei [...].« 57 Bald darauf ändert sich seine Stimmung: »Wenn man sich aber erst ein wenig erholt hat [...], dann wird man ebenso ergriffen als man vorher verstimmt war.« 58 In Rom schreibt er: »Ich finde St. Peter auf allen bildlichen Darstellungen bei weitem erhabener als beim ersten Anblick in der Wirklichkeit.« 59 Dann überlegt er lange, warum er das so empfindet. Das Innere gefällt ihm, und so als wollte er sich insgesamt eine gewisse Enttäuschung nicht eingestehen, findet er nach einigem Räsonieren einen Ausweg für sich: »Wenn man auch der Peterskirche als Kirche etwas vorziehen könnte, so kann man es doch nicht als Gebäude.« 60 Nicht selten sind die aus Wien kommenden Reisenden von musikalischen Darbietungen enttäuscht. Grillparzer sieht in Rom eine Oper von Pacini. Die Aufführung gefällt ihm gar nicht und bestätigt ihm »den übeln Ruf [...], in dem das römische Theater in ganz Italien steht«, 61 und veranlasst ihn zu einem längeren Verriss. Auch Prokesch ist von einer Opernaufführung in Rom enttäuscht, 62 wogegen er festhält, dass die Sängerin Catalani »mit größter Liebenswürdigkeit [...], mit unerreichter Milde, Kraft und Genialität singt«. 63 Kritische Bemerkungen über Kunstwerke und Aufführungen zeigen, dass eine Italienreise auch eine Art Prüfung und Initiation darstellte. Es galt, sich des eigenen Geschmacks und Urteils zu versichern. Italien mit seiner Fülle an Schönheiten aller Art war für die Bildungsreisenden nicht ein beliebiges Ziel, es war eine Reifeprüfung, ein Meisterstück, die Reise aller Reisen. Einige der Reisenden interessierten sich auch für die italienische Literatur, und für sie waren gewisse Erinnerungsorte von Bedeutung, z. B. das Haus Petrarcas in Arquà oder in Ferrara das Haus des Ludovico Ariosto und die Zelle des Torquato Tasso im St. Anna Spital. Széchenyi besucht diese Orte und 56 57 58 59 60 61 62 63

Ebd., 16. 5. 1819. Grillparzer, Reise nach Italien 339 f., 29.–31. 3. 1819. Ebd. Ebd. 346, 7.–26. 4. 1819. Ebd. Ebd. 353 f. Prokesch-Osten, Aus den Tagebüchern 1830–34, 96, 4. 6. 1831. Ebd. 98, 23.–24. 7. 1831.

123

124

Das Bild vom Anderen

schreibt seitenweise über Tassos Werke und über Vittorio Alfieri. 64 Auch Prokesch besucht Arquà. 65 Er liest mit seiner Verlobten Gedichte von Petrarca. 66 Der junge Ludwig Freiherr von Biegeleben, ein gebürtiger Deutscher, aber Jahrzehnte lang in Habsburgs diplomatischen Diensten, übersetzt, nachdem eine Jugendliebe einer Krankheit erlegen ist, 150 Sonette von Petrarca. Er übersetzt weiters Dante und Manzoni. Seine Frau aus altem Tiroler Adel, Marie von Buol, liest Alfieri, und die beiden machen ihre Hochzeitsreise 1846 nach Venedig. 67 Es scheint einen Zusammenhang zu geben zwischen der Literatur, Italien und der Liebe, und für so manchen jungen Reisenden wird Italien zur Liebesprobe. Széchenyi schreibt im Tagebuch seiner italienischen Reise immer wieder über seinen Zustand als unglücklicher Liebhaber. Der junge Grillparzer erwähnt auffällig oft die Schönheit der italienischen Mädchen und Frauen. 68 Prokesch lässt seine Verlobte in Wien zurück, nachher wird er sie heiraten. In Rom verliebt er sich offensichtlich in eine der Töchter des französischen Botschafters. Für Hübner ist der Aufenthalt in Italien die Gelegenheit, um sich zu prüfen, ob er seine Verlobte in Wien wirklich liebt. 69 Nicht nur die Liebe, auch die Religion ist ein Thema in den Tagebüchern. Széchenyi findet während seines Aufenthaltes in Sizilien und Neapel zu einer wesentlichen Klärung seiner Gedanken zur Religion. 70 Grillparzer findet in Rom Bestätigung für seinen Antiklerikalismus, ohne jedoch den Glauben zu verlieren. Hübner macht in Rom die Exerzitien. Diese jungen Männer waren alle in einem Selbstfindungs- und Reifeprozess. Das war natürlich ihrer Jugend geschuldet, auch eine Reise anderswohin hätte ähnlich gewirkt. Dennoch: Wenn wir an die vielen jungen Maler und sonstigen Künstler denken, die geradezu nach Italien gepilgert sind, um klassische Schönheit zu erleben, zu lernen, sich zu messen, dann dürfen wir sagen, dass eine Italienreise eine wichtige und tiefgehende Erfahrung für die gebildete Jugend aus Österreich so wie auch aus anderen Ländern war. Und die Politik? Sie kommt in den Tagebüchern etwas häufiger vor als in der Reiseliteratur, aber nicht systematisch, sondern da und dort wir ein Farbtupfer. Dass Széchenyi, der zukünftige Reformer Ungarns, auf der Reise Alfieri liest, den überzeugen Republikaner, ist schon in gewisse Weise eine politische Aus64 65 66 67 68 69

Viszota, Gróf Széchenyi, Naplói, 22. 7. 1818, 23. 7. 1818, 27. 7. 1818. Csanády, Prokesch von Osten. Eine Reise in die Levante 78. Prokesch-Osten, Aus den Tagebüchern 1830–34, 161, 26. 8. 1832. Biegeleben, Ein Vorkämpfer des großdeutschen Gedankens. Lebensbild 89–99, 120, 142, 147. Grillparzer, Reise nach Italien, z. B. 385–387, 7. 7. 1819. Hübner, Tagebuch (zit. Anm. 30), Bd. 6, Aufenthalt in Rom 1831–1832, 1. Teil, wiederholte Eintragungen. 70 Viszota, Gróf Széchenyi, Naplói, 19. 4. 1819.

Italien als bevorzugtes Reiseziel

sage. Metternich erinnert in der Nähe von Pistoia an die Niederlage Catilinas, in dem er den Vorläufer aller Revolutionäre sieht, die sich gegen die gute Ordnung auflehnen. 71 Canovas Grabmal für Alfieri in der Basilika di Santa Croce in Florenz gefällt ihm nicht: »C’est une femme colossale, qui représente l’Italie et qui pleure sur la tombe. Le tout est plus grandiose que beau.« 72 1820 redet Metternich von der Absicht, seine Familie nach Italien zu schicken und warum das nicht möglich sei: Meine Frau wollte einige Jahre in Italien zubringen; meinen Sohn, der seine Studien vollenden muss, hätte ich gern an die Universität von Padua oder Siena geschickt. In meiner heutigen Lage, und bei den jetzigen Umständen, wird Italien für Beide unmöglich. Meinen Sohn möchte ich auch nicht nach Deutschland ziehen lassen, er könnte dort ermordet werden. [...] Ich sende daher im nächsten Jahr die ganze Familie nach Paris. [...] Ich bleibe allein in der Welt. [...] Der Hauptcharakter der Carbonari, jener Secte, welche Alles allein herbeigeführt hat, ist die Angst. 73

Es ist kaum ein größerer Kontrast dazu denkbar als die folgende Stelle aus Széchenyis Tagebuch, als er von der Verurteilung des Grafen Confalonieri erfährt: Gonfalonieri [sic!] verurteilt zum Strang! Ein Martyr der Völker! Welche Schande für die Heilige Allianz. Wie demütig waren wir nach den Schlachten von Austerlitz, Wagram, Eilau, Dresden etc. Nun, da uns Fortuna wieder günstig, hängen wir die Leute, die nicht geradezu unserer Meinung sind. 74

Im Sommer 1825 kehrt Széchenyi von einer Frankreichreise zurück. Bei der Einreise nach Piemont werden seine Bücher vom Zoll sequestriert. Er sieht darin »die mächtige und geheime Influenz von der Heiligen Alliance«. 75 In der Lombardei findet er, dass es den Menschen gut geht, doch folgt eine hochpolitische Überlegung. Wer in einer monarchischen Verfassung lebt, hat alles von der Gnade eines Protektors, wer eine konstitutionelle Verfassung hat, ist Herr im eigenen Haus. 76 Wenige Monate später wird er den Beschluss fassen, sich ganz der ungarischen Sache und den Reformen in diesem Land zu widmen. Prokesch

71 72 73 74 75 76

Metternich, Nachgelassene Papiere 3, 28, Brief an die Gemahlin v. 28. 6. 1817. Ebd. 29. Metternich, Nachgelassene Papiere 3, 342 f., 28. und 29. 7. 1820. Viszota, Gróf Széchenyi, Naplói, 27. 12. 1823. Ebd., 11. 8. 1825. Ebd., 21.–24. 8. 1825.

125

126

Das Bild vom Anderen

vermerkt auf seiner Mission 1831, dass die Revolution unausweichlich sei und ruft aus »So ein schönes Land [...] und das Volk so ein erbärmlicher Anblick! Überall Pfaffen [...].« 77 Er sieht, dass eine gewisse Familie Ercolani ganz zur Revolution neigt, und ein gewisser Sampieri eine Revolutionshymne komponiert hat und seine Frau im Theater die Trikolore schwenkt. 78 Den österreichischen Botschafter in Florenz, Graf Saurau, beurteilt er als einen durch und durch Liberalen. 79 1832 erzählt er von einem Plan der Carbonari, ihn selbst, den Papst und den Kardinal Bernetti zu vergiften. 80 1838 scheint sich die Situation beruhigt zu habe. Es war das Jahr der Krönung Kaiser Ferdinands I. mit der Eisernen Krone in Mailand. Melanie Metternich schreibt, der Ausflug ihres Gatten nach Lucca sei wie ein Triumphzug gewesen. 81 Hübner bestätigt in seinem Buch über 1848/49, dass die späten 1830er Jahre einen versöhnlichen Charakter vermittelt hätten. Leider sei zehn Jahre später alles anders gewesen. 82 Die politische Situation in Italien und die Anfänge des Risorgimento sind in den von Reisenden aus Österreich verfassten Tagebüchern nicht ganz abwesend, es ist sogar eine Entwicklung sichtbar, doch fehlt die politische Analyse. Italien bleibt vor allem das schöne Land, es wird nicht als politische Problemzone wahrgenommen.

7.3 Italiener in Österreich Ganz anders ist das Bild, das die Italiener von Österreich hatten. Für sie war die Habsburgermonarchie in erster Linie ein Arbeitsmarkt und kein Reiseziel für sich. Die Kavalierstour brachte halb Europa nach Italien. Die Italiener ihrerseits reisten nach Frankreich, nach England, nach Deutschland. Österreich gehörte nicht zu den italienischen Reisezielen. Daher gibt es auch kaum italienische Beschreibungen über eine Reise in die Habsburgermonarchie. Die Ziele des eingangs zitierten Sestini waren die Walachei, Siebenbürgen und Ungarn.

77 78 79 80 81 82

Prokesch-Osten, Aus den Tagebüchern 1830–34, 94, 12. 4. 1831. Ebd. 95, 27. 4. 1831. Ebd. 96, 24. 5. 1831. Ebd. 144, 30. 3. 1832, und 150, 10. 5. 1832. Metternich, Nachgelassene Papiere 6, 243, Tagebuch Melanie Zichy 1838. Hübner, Ein Jahr meines Lebens 25–32, 15. 5. 1848. Unter diesem Datum beschreibt Hübner ausführlich die Entwicklung der öffentlichen Meinung in Italien, wie er sie bei seinen Aufenthalten 1828, 1838 und 1848 wahrgenommen hat. Dieser Abschnitt ist im handschriftlichen Tagebuch (zit. Anm. 30) nicht enthalten, er ist also eine Interpolation und Zusammenfassung seiner diesbezüglichen Erinnerungen.

Italiener in Österreich

In Wien endet sein Bericht. Grund für diese geringe Beachtung war wohl nicht die wachsende Aversion der italienischen Intellektuellen gegen die Habsburger, sondern das Fehlen einer entsprechenden Tradition, vorhandener Interessen und positiver Anreize. Erst später, nach der Gründung Italiens, finden wir einige Reisebücher, angeregt etwa durch die Weltausstellung von 1873, oder das Buch von Giuseppe Marcotti. 83 Die einzige ›Reiseliteratur‹ des Risorgimento über Reise und Aufenthalt in Österreich dürfte Silvio Pellicos höchst einflussreicher Bericht über seine Festungshaft im Brünner Spielberg Le mie prigioni sein, auf den weiter unten eingegangen wird. Andererseits lebten im 19. Jahrhundert nicht wenige Italiener in Österreich, vor allem in Wien. 84 Wir wissen aber wenig über sie, was sie dachten, ob sie Tagebücher oder Briefe an Verwandte geschrieben haben. Solche Quellen müsste es geben, aber sie sind weitgehend unbekannt. Kann man Vittorio Alfieris Aussage verallgemeinern, dass es in Wien wenig Sehenswertes gebe? 85 Oder die Bemerkung aus 1817 im Tagebuch des Grafen Leopoldo Cicognara, Präsident der Akademie der schönen Künste in Venedig und Ehrenmitglied der Wiener Akademie, Wien sei ein Vorort (sobborgo), es fehle an gesellschaftlichem Leben, und nur die Sänger und Schauspieler seien gern gesehen? 86 Dass Österreich von Italien aus vor allem als politischer Faktor wahrgenommen wurde und sich die Aversion dagegen in den politischen Schriften der Vertreter der italienischen Einigungsbewegung, auf die weiter unten eingegangen wird, immer mehr verschärfte, lag wohl auch daran, dass es keinerlei alternative und positive literarische Tradition über Österreich gegeben hat. Es gab Italien als touristisches Reiseziel. Österreich als Reiseziel war noch nicht erfunden.

83 Giuseppe Marcotti, La Nuova Austria. Impressioni (Firenze 1885). In diesem Sinn auch Saurer, Straße, Schmuggel, Lottospiel 480; Schmidt-Dengler–Reitani, Symmetrie der Entfremdung 154 f., 158–160; Amat di San Filippo, Bibliografia dei viaggiatori italiani; wenige Editionen liegen vor: Morandini, Vienna nella metà del secolo XVIII nella descrizione del manoscritto 684 dell’Archivio di Stato di Firenze; Bentivoglio, Cenni del viaggio di Filippo Bentivoglio nel Lombardo Veneto. 84 Vgl. Ricaldone, Italienisches Wien; Oppl, Italiener in Wien; Ehmer–Ille Italienische Anteile am multikulturellen Wien; Boaglio, Geschichte der italienischen Literatur in Österreich 104. 85 Schmidt-Dengler–Reitani, Symmetrie der Entfremdung 155. 86 Romanelli, Arte di governo 144–146.

127

128

Das Bild vom Anderen

7.4 Die Wahrnehmung Italiens seitens der offiziellen österreichischen Politik im Vormärz Die politische Analyse, die wir in der Reiseliteratur vermissen, findet sich natürlich in den Akten der österreichischen Verwaltung und Regierung und in den diplomatischen Berichten und Weisungen. Es beginnt schon mit den Vorschlägen zur Einrichtung des lombardisch-venetianischen Königreichs der k. k. Central-Organisierungs-Hof-Commission 1814–1816 und endet mit den Berichten des Grafen Karl Ludwig v. Ficquelmont, den Metternich im Sommer 1847 als Sondergesandten zur Beobachtung der Lage dorthin entsandte. 87 Das Bild, das die Wiener Regierung von Italien hatte, ist besonders gut erforscht für Lombardo-Venetien, 88 es gibt aber auch Arbeiten über die anderen Staaten der Halbinsel. 89 Die Maxime der österreichischen Politik war die Aufrechterhaltung der vom Wiener Kongress geschaffenen Ordnung. Unterhalb dieser unbestrittenen Grundlage war Raum für divergierende Meinungen. Sogar der Name des künftigen Königreichs war zunächst offen, und es stand auch die Beibehaltung des Wortes Italien zur Diskussion, wurde aber von Kaiser Franz I. abgelehnt. 90 Metternich regte die Errichtung einer italienischen Hofkanzlei in Wien an, doch lehnte der Kaiser auch das ab. 91 Österreich schlug im Auftrag der Heiligen Allianz die Revolutionen im Königreich beider Sizilien und im Königreich Sardinien 1820 und 1821 nieder und unterdrückte mittels der Polizei alle revolutionären Bewegungen in den eigenen Gebieten. Nach den Revolutionen von 1831 stellte es in Modena, Parma und in den Legationen die Ordnung wieder her. Andererseits regte man in den anderen Staaten, auch im Kirchenstaat, gewisse Reformen an und wandte sich gegen eine allzu reaktionäre und repressive Politik, weil eine solche die Unzufriedenheit der Bevölkerung erhöhte und für die Aufrechterhaltung der bisherigen Ordnung kontraproduktiv war. Die österreichische Italienpolitik war teils Innenpolitik, nämlich in Lombardo-Venetien, und dafür war Kaiser Franz I. allein und nach 1835 der Staatsminister Franz Anton Kolowrat zuständig. In Bezug auf die anderen Staaten war sie Außenpolitik, 87 Ara, Ficquelmont e il problema lombardo-veneto. 88 Vgl. Zorzi, Österreichs Venedig; Meriggi, Amministrazione; Meriggi, Il Regno LombardoVeneto; Mazohl-Wallnig, Österreichischer Verwaltungsstaat; Tonetti, Governo austriaco; Gottsmann, Venetien. 89 Furlani–Wandruszka, Österreich und Italien 97–116; Altgeld, Das Risorgimento; Faber, Modena – Austria; Pesendorfer, Die Habsburger in der Toskana; Reinermann, Austria and the Papacy in the Age of Metternich; Siemann, Metternich. 90 Meriggi, Il Regno Lombardo-Veneto 17. 91 Furlani–Wandruszka, Österreich und Italien 103; Siemann, Metternich und Italien 141.

Die Wahrnehmung Italiens

dafür war Metternich zuständig. Angesichts der Meinungsdifferenzen zwischen diesen beiden Persönlichkeiten gestaltete sich die österreichische Italienpolitik nicht völlig einheitlich. Einige Zitate aus Metternichs nachgelassenen Schriften sollen die Grundlagen für die italienische Politik der Habsburgermonarchie zwischen dem Wiener Kongress und der Revolution von 1848 verdeutlichen. Er war der einzige in verantwortlicher Position, der während dieses ganzen Zeitraums im Amt war. Die bisherige Gesellschaft ist in ihrem Niedergang begriffen. Nichts steht still, weder in der moralischen noch in der physischen Welt, und die Gesellschaft hatte ihren Zenith erreicht. Unter diesen Umständen heißt vorwärtsschreiten, hinabschreiten. 92

Das sind nicht die Worte eines Unterdrückers, sondern eines Verzweifelten und Depressiven. Das war Metternichs Gemütslage im Oktober 1820, nach dem Ausbruch der Revolution in Neapel und in Spanien und der Abreise seiner Familie nach Paris, vor dem Kongress von Troppau. Einige Tage später schrieb er: »Ich bin entweder zu früh oder zu spät auf die Welt gekommen; [...] heute bringe ich mein Leben zu, die morschen Gebäude zu stützen.« 93 In Bezug auf Italien bestand dieses Gebäude aus einigen Staaten, und er empfand es als seine Aufgabe, sie zu stützen. Der Ausdruck von Italien als geografischem Begriff war keine Beleidigung der Italiener, sondern die Beschreibung eines tatsächlichen Zustandes. So war das bestehende Gebäude. Die Einigung Italiens war mit der bestehenden Ordnung unvereinbar, »eine Chimäre«. 94 Der Staatskanzler sah auch die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Regionen. Als der Hofkammerpräsident Carl Friedrich Freiherr von Kübeck 1841 eine Zollunion zwischen der Habsburgermonarchie und den italienischen Staaten vorschlug, meinte Metternich diplomatisch, eine solche Union könne sich als »das beste Gegengewicht gegen die Bestrebungen revolutionärer Secten und als die wirksamste Beschwichtigung jener flachen Träumereien von politischer Verschmelzung und Unabhängigkeit erweisen« 95, doch bezweifelte er ihre Durchführbarkeit. Der Süden sei in Bezug auf den Handel stark auf England ausgerichtet; es gebe keine durch Zölle zu schützende Industrieproduktion; es herrschten lokale und munizipale Tendenzen vor usw. 96

92 93 94 95 96

Metternich, Nachgelassene Papiere 3, 347, 1.10.1820. Ebd. 348, 6.10.1820. Ebd. 86, Denkschrift v. 3. 11. 1817. Ebd. 6, 540–545, Metternich an Kübeck v. 10. 12. 1841. Zu den Unterschieden in Produktion und Handel Banti, La Nazione del Risorgimento18–23.

129

130

Das Bild vom Anderen

Zur Erhaltung der bestehenden Ordnung und zur Unterdrückung der Revolution war nach Metternich nicht der Erwerb von Gebieten geeignet, nicht die Zollunion, auch nicht Polizei, Spitzelwesen, Überwachung der Post oder gar militärische und diplomatische Interventionen. Das waren nur notwendige Übel, Mittel zum Zweck. Das beste Instrument war eine gute Regierung, die von sich aus zufriedene und daher einem Umsturz abgeneigte Bürger erzeugte. Daher drängte er in einer Denkschrift 1817 den Kaiser, die Unzufriedenheit in Lombardo-Venetien zu bekämpfen. Nur wenn die Bürger zufrieden seien und in der Folge die öffentliche Meinung der österreichischen Herrschaft gewogen sei, müsse man nicht mehr den Einfluss aus dem Ausland, d. h. aus den anderen italienischen Gebieten fürchten. Er befürwortete eine funktionelle und rasche Verwaltung, eine kompetente und gerechte Justiz und gewisse Ausnahmeregelungen wie die Erlaubnis für die Jugend, in der Toskana Italienisch zu studieren. Metternich stellte dazu fest: [...] erachte ich es für meine Pflicht, hier die gehorsamste Bemerkung zu wiederholen, wie wichtig es aus dem politischen Gesichtspunkte sein dürfte, [...] dem Nationalgeiste und der Eigenliebe der Nation dadurch entgegenzukommen, dass man diesen Provinzen eine Verwaltungsform gebe, welche den Italienern beweise, man wolle sie nicht mit den deutschen Provinzen der Monarchie ganz gleich behandeln und so zu sagen verschmelzen. 97

Es mag paradox klingen, dass ein rheinländischer Diplomat solche Ratschläge an einen Kaiser richtete, der seine Jugend in Florenz verbracht hatte. Die gleiche Argumentation, ja z. T. dieselben Worte lesen wir drei Jahrzehnte später, am Vorabend der Revolution. In den Bemerkungen zu einem geheimen Bericht des Grafen Ficquelmont vom 3. Dezember 1847 über die Unzufriedenheit in Lombardo-Venetien schrieb Metternich Folgendes: Der Geist der Zeit sei voller Konfusion, die Weltordnung sei in Stücke zerschlagen. Die Regierung könne nichts anderes tun, als auf dem beharrenden Feld bleiben; würde sie auf jenes der Bewegung treten, käme das der Auflösung des Reiches gleich (1820 hatte er geschrieben: »vorwärtsschreiten heißt hinabschreiten!« 98). Auf der Halbinsel gebe es, abgesehen von der natürlichen Rivalität unter den großen europäischen Volksstämmen, auch die historische Erfahrung der Invasion fremder Mächte. Die italienischen Provinzen seien im Zentrum mangelhaft vertreten. Sein Rat, zur Praxis unter Maria Theresia zurückzukehren, sei nicht befolgt

97 Metternich, Nachgelassene Papiere 3, 90, Denkschrift v. 3. 11. 1817; dazu vgl. auch Furlani–Wandruszka, Österreich und Italien 108; Altgeld, Das Risorgimento 270. 98 Metternich, Nachgelassene Papiere 3, 347, 1.10.1820.

Die Politik der italienischen Staaten

worden. 99 Das war das bittere Resümee des alten Metternich über die italienische Politik der Habsburgermonarchie, die nicht seinen Ratschlägen gemäß gehandhabt worden war.

7.5 Die Politik der italienischen Staaten im Zeitalter der Restauration gegenüber dem Kaisertum Österreich Es gab keine einheitliche Politik der italienischen Staaten gegenüber der Großmacht Habsburgermonarchie. Es gab unterschiedliche Interessen der Territorien, ihrer herrschenden Schicht und der dort regierenden Fürsten, Könige und Päpste. Dementsprechend unterschiedlich konnte das Bild Österreichs ausfallen. Neben der gnadenlosen Reaktion Ferdinands I. in Neapel, Viktor Emanuels I. in Piemont und Franz’ IV. in Modena gab es den toleranten Ferdinand III. in Florenz oder die relativ milde Maria Louise in Parma. In Piemont schwankte Karl Albert zwischen einer liberalen und einer reaktionären Haltung, gewährte aber 1848 eine Verfassung. Im Kirchenstaat folgten auf den gemäßigten Pius VII. die reaktionären Päpste Leo XII. und Gregor XVI. Mit liberalen Reformen begann dessen Nachfolger Pius IX. sein Pontifikat und weckte damit die Hoffnungen der Liberalen. Überall gab es nicht nur die Carbonari und die Anhänger der Nationalbewegung, sondern auch Befürworter der alten Ordnung, die Höflinge, die Opportunisten, die Austriacanti aus Eigeninteresse und jene aus Überzeugung. 100 Selbst innerhalb der nationalen Bewegung gab es breite Unterschiede in den Überlegungen zur Zukunft der Halbinsel. Sie reichten vom Wunsch nach einer einzigen Republik bis zum Vorschlag eines Staatenbundes unter dem Vorsitz des Papstes. Die Teilnehmer am nationalen Diskurs trafen unterschiedliche persönliche Entscheidungen. Ugo Foscolo verweigerte jede Zusammenarbeit mit der von der österreichischen Regierung initiierten Zeitschrift »Biblioteca italiana«. Vincenzo Monti war zur Mitarbeit bereit, wollte aber nicht so weit gehen, die Direktion zu übernehmen. Giuseppe Acerbi war dazu bereit und übernahm die Direktion. 101 Antonio Salvotti fühlte sich als Italiener und stand gleichzeitig loyal zum Habsburgerreich. 102

99 Die Bemerkungen Metternichs sind gedruckt bei Ara, Ficquelmont e il problema lombardoveneto 41–45. 100 Tonetti, Governo austriaco 239–250; Gottsmann, Venetien. 101 Zur »Biblioteca italiana« Meriggi, Il Regno Lombardo-Veneto 251; allgmein siehe Kanduth, Zum Österreichbild in der italienischen Literatur des Risorgimento 56 f. 102 Ara, Due lettere quarantottesche; Ara, Dal nemico ereditario all’alleato133; eine ähnliche

131

132

Das Bild vom Anderen

7.6 Heiratspolitik Bevor wir zur großen Zäsur des Jahres 1848 kommen, ist noch auf ein Phänomen hinzuweisen, das für die offizielle Politik sowohl in Österreich als auch in den italienischen Staaten charakteristisch ist, das aber dann in den Jahrzehnten der Auseinandersetzungen vergessen worden ist, nämlich die Heiratspolitik zwischen dem Haus Habsburg und den anderen regierenden Familien auf der Halbinsel. 103 In den 35 Jahren zwischen 1807 und 1842 gab es fünf Eheschließungen zwischen dem Haus Habsburg und dem Haus Savoyen und zwei Ehen zwischen Savoyen und Söhnen des Hauses Bourbon in Neapel, deren Mütter habsburgische Erzherzoginnen waren. Aus diesen Verbindungen entsprossen 24 Kinder, von denen 19 das Erwachsenenalter erreichten. Hinzu kommen die Nachfahren aus den Eheschließungen im 17. Jahrhunderts zwischen Habsburgern und den Häusern Bourbon, Savoyen und Este. 104 Ein dichtes Netz von Verwandtschaft überzog die Halbinsel und brachte politische Kontakte und eine rege Besuchs- und Reisetätigkeit mit sich. Auch die Reise des Kaisers Franz I. 1819 war zum guten Teil eine Familienreise. 105 Diese Heiratspolitik war politische Absicht. Sie war Machtpolitik mit territorialen Hintergedanken, aber auch Damm zur Stärkung der bestehenden Ordnung gegen die Revolution. Sie bot Anlass zu ausgedehnter Regierungspropaganda, wie die Krönung Kaiser Ferdinands I. in Mailand 1838. 106 1817 heiratete der piemontesische Thronfolger Karl Albert eine Tochter aus der habsburgischen Sekundogenitur in der Toskana. 1820 ehelichte seine Schwester den Bruder des Kaisers, Erzherzog Rainer, den späteren Vizekönig des lombardisch-venetianischen Königreichs. 1831 kam es zur Verbindung einer Tochter des verstorbenen Königs und Nichte des regierenden Königs von Piemont-Sardinien mit dem österreichischen Thronfolger Ferdinand. 1842 heiratete der piemontesische Thronfolger Viktor Emanuel eine Erzherzogin, die zugleich seine Kusine war – so eng waren schon die Beziehungen. Das bedeutete: Eine savoyische Prinzessin wurde Kaiserin von Österreich, eine habsburgische Erzherzogin Königin von Sardinien-Piemont, und sie wäre die erste Königin des neuen Staates Italien geworden, wäre sie nicht jung verstorben. Diese engen

103 104 105 106

Haltung zeigte vor 1848 der Bibliothekar der Bibliothek Brera in Mailand Francesco Rossi, Wallnig, Die italienische Korrespondenz Hammer-Purgstall 143. Vgl. Kap. 8: »Haus Savoyen und Haus Habsburg. Höflichkeitsschreiben aus Anlass von Familienereignissen regierender Häuser in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts«. Wandruszka, Österreich und Italien im 18. Jahrhundert 40–46; auch in: Furlani–Wandruszka, Österreich und Italien 40–46. Kuster, Die Italienreise Kaiser Franz’ I. 308 f. Mraz Henrike, Das Königreich Lombardo-Venetien im Vormärz 67–79 und 406–424.

Italien in den Schriften der liberalen Opposition in Österreich

Verbindungen, auch mit den anderen Staaten der Halbinsel, konnten freilich die politische Entwicklung nicht aufhalten. Die Heiratspolitik kam dadurch auch zum Stillstand. Aber erst mit dem Tod der Exkaiserin Maria Anna 1884 starb die letzte Witwe einer Verbindung zwischen Habsburg und Savoyen. Alle diese Verbindungen stammten aus der Zeit, in der zwar die italienische Nationalbewegung die Entstehung Italiens vorzubereiten begonnen hatte, in der aber von einer Erbfeindschaft füglich nicht die Rede sein konnte. Aus dem Bild vom Anderen kann man die Heiratspolitik zwischen italienischen Fürstenhäusern und Habsburgern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert nicht ausblenden.

7.7 Italien in den Schriften der liberalen Opposition in Österreich Auch in anderer Hinsicht war die spätere Rede von der Erbfeindschaft etwas Konstruiertes und keineswegs immer Dagewesenes. Es gab in Österreich eine politische Debatte, in der die Analyse der italienischen Angelegenheiten ähnlich jener der Vertreter des italienischen Risorgimento war, und gegenläufig der offiziellen österreichischen Sichtweise. Es war die liberale Opposition im Vormärz. Von der Zensur unterdrückt, erschienen ihre Schriften in Deutschland, zirkulierten aber sehr wohl in Österreich. Die liberale Opposition entstand langsam ab den 1830er Jahren. Sie wurde getragen von jungen Intellektuellen aus dem gehobenen Bürgertum und dem niederen Adel, von Literaten, Künstlern, Wissenschaftlern. Manche von ihnen wurden anfangs zum Exil gezwungen, in den 1840er Jahren fanden sie Wege, sich auch im Land zu treffen, etwa in von der Polizei geduldeten Kreisen wie der Concordia oder dem juridisch-politischen Leseverein in Wien. »Junges Österreich« werden sie genannt, ohne organisatorischen Zusammenhang mit Mazzinis »Jungem Italien«. 107 Es war keine geschlossene Gruppe, und es gab ein breites Meinungsspektrum. Ein gemeinsamer Nenner war die Opposition zur restaurativen und repressiven Wiener Politik. In ihren Schriften finden wir zum ersten Mal ein Bild Italiens und der Italiener im Sinn der Vertreter des Nationalgedankens in Italien selbst. Es gab zwei Flügel, einen österreichisch-patriotischen und einen deutschnationalen. Gemeinsam war ihnen eine positive Sicht der Nation, die als politischer Faktor gesehen wurde, und nicht nur als Folklore oder Träger von Stereotypen wie in der Reiseliteratur.

107 Winter, Romantismus, Restauration und Frühliberalismus im österreichischen Vormärz 255–270; Rietra, Jung Österreich. Dokumente und Materialien zur liberalen Opposition 1835–1848.

133

134

Das Bild vom Anderen

Im Zentrum des Diskurses stand natürlich Österreich. In einer anonymen Schrift 1844 wurde die Frage gestellt: »Ist die nationale Einheit des österreichischen Staates möglich, und auf welchem Wege kann sie erreicht werden?« 108 Nach einem Lob des Nationalgefühls meint der Autor, kein Volk, weder die Slawen, noch die Ungarn oder die Italiener würden ihre Nationalität der deutschen opfern. Das einzige Mittel sah der Autor »in der freien Entwicklung der einzelnen, Österreich angehörenden Nationalitäten«. 109 Die Lösung des österreichischen Staatsproblems könne nur in einer zeitgemäßen Verfassung liegen. 110 Der deutschliberale Offizier und Schriftsteller Karl Moering schrieb 1847, wenn Österreich ein wirklich liberaler Staat wäre, dann würden die Ungarn, Böhmen und Italiener ausrufen: »Ich bin Österreicher.« 111 Da dies aber nicht der Fall sei, werde die Unabhängigkeit und Einheit Italiens kommen. Italiens Risorgimento habe bereits mit den Reformen in Rom, Florenz und Turin begonnen. Die Völker, die Massen, die Bürger und Bauern würden die Politik in ihre Hände nehmen an Stelle der Regierungskabinette. In der schönen Halbinsel, ›ch’il mar circonda e l’Alpi‹ 112, haben wir erst das Vorspiel des politischen Dramas durchgemacht. [...] Italien wird dadurch zur Selbständigkeit gelangen und Österreich sich selbst die größte Wunde schlagen, wenn es bei seinem Systeme verharrt [...]. 113

In den berühmten Sibyllinischen Büchern aus Österreich formulierte Moering, von allen österreichischen Ländern sei Norditalien »die unnatürlichste Angliederung«. 114 Die deutschnationale Variante des Liberalismus in Österreich vertrat Franz Schuselka. 115 Im Mittelpunkt seines Denkens stand Deutschland. Österreich sei ein Teil des deutschen Siedlungsgebietes, Deutschland das Herz Europas. Italien müsse ein Bundesstaat werden. Leider lasse sich das italienische Volk von Fremden beherrschen. Für die liberalen politischen Schriftsteller in Österreich war Italien ein politisches Subjekt, dem sie je nach ihrer Ausrichtung eine politische Rolle zuschrie108 109 110 111 112

Ebd. 224. Ebd. 229. Ebd. 232; so auch Andrian-Werburg, Österreich und dessen Zukunft 165. Moering, Politische Miszellen 114. Eigentlich: ch’Appennin parte e ’l mar circonda e l’Alpe, aus Petrarca, Canzoniere, CXLVI, Verse 13–14. 113 Ebd. 76. 114 Moering, Sibyllinische Bücher aus Österreich 5 f.; Wandruszka, Karl Moering 103. 115 Schuselka, Mittelmeer Ost- und Nordsee.

Das Bild Österreichs in der italienischen Nationalbewegung

ben. Es scheint paradox, dass wir in den Äußerungen der Liberalen im Rahmen dieser politischen Aufwertung und Anerkennung der italienischen Nation auch sehr kritische und abwertende Wendungen finden, wie sie in den anderen Quellen nicht vorkommen. »Die Italiener hassen die Österreicher« 116, schreibt Schuselka, Moering ist »angewidert« 117 vom Blut der finsteren Komplotte, und für Andrian ist das Königreich Neapel »untreu« und Sardinien »schaut nur auf sich«. 118 Solche Ausdrücke kommen zwar nur gelegentlich vor, doch zeigt sich, dass das großartige Bild von Italien als faszinierendem Land der Sehnsucht in dem Augenblick entzaubert wird, in dem es bloßer Gegenstand des politischen Denkens wird. Im nationalen Denken rückt das eigene Nationalbewusstsein, sei es österreichisch, deutsch, ungarisch, slawisch, italienisch oder welches auch immer, in den Mittelpunkt des Diskurses. Von da aus werden die anderen Nationen je nach Opportunität beurteilt und den eigenen Zielen untergeordnet. Während in der Reiseliteratur und in den Tagebüchern neben der Bewunderung allenfalls negative Stereotypen wiederholt werden (der Engländer ist ..., der Franzose ist ...), macht das nationalpolitische Denken, indem es zum nationalen Selbstbewusstsein wird und sich in Zentrum der Welt setzt, die andere Nation zum Gegner und zum Feind.

7.8 Das Bild Österreichs in der italienischen Nationalbewegung Über den Gegner der italienischen Nationalbewegung besteht kein Zweifel: Es ist Österreich. Es sind nicht die Österreicher an sich, auch nicht in der Tradition der Ausländer, der tedeschi. 119 Es ist das Habsburgerreich als eine ausländische Macht, die selbst unterdrückt und zugleich die anderen restaurativen und reaktionären Kräfte der italienischen Staatenwelt unterstützt. Aber auch hier gab es nicht nur eine Ansicht. Auch innerhalb der Nationalbewegung gab es unterschiedliche Ansätze und entsprechend unterschiedliche Bilder über Österreich. Angelo Ara hat die zwei wesentlichen Strömungen in Bezug auf die habsburgische Fremdherrschaft sehr klar zusammengefasst: Zwei grundlegende Anschauungen bestimmen über mehr als sieben Jahrzehnte hin Italiens politische Haltung und Meinung gegenüber der Habsburgermonarchie, und beide waren bereits vor 1848 fest umrissen. Die eine, ausgehend von Cesare Balbo, be-

116 117 118 119

Ebd. 233. Moering, Sibyllinische Bücher 7. Andrian-Werburg, Österreich und dessen Zukunft 140 f. Garms-Cornides, Das Bild Österreichs in Italien.

135

136

Das Bild vom Anderen

griff den italienisch-österreichischen Gegensatz als einen auf das nationale Problem Italiens beschränkten und sah in Österreich – nach der Lösung dieses Problems – einen positiven und notwendigen Faktor für die italienische und europäische Politik. Die andere – deren ›Prophet‹ Giuseppe Mazzini war [...] – ersehnte den Sieg des nationalen Gedankens nicht nur für Italien, sondern für den ganzen europäischen Kontinent und setzte sich deshalb die Zerstörung der habsburgischen Monarchie zum Ziel: An ihrer Stelle sollten Nationalstaaten entstehen. 120

Unterschiedliche Zugänge kann man aber auch feststellen, wenn man jenseits dieser politischen Anschauungen die Art und Weise in den Blick nimmt, in der über Österreich geredet wird, und die Wortwahl und die Gefühle betrachtet. Ein solcher Zugang ist bedeutsam, wenn man das Bild vom Anderen untersucht. Ganz offen kämpferisch ist die Sprache Giuseppe Mazzinis: »Die Landkarte Europas muss neu gestaltet werden. Das [...] System der alten monarchischen Nation ist verbraucht. [...] Italien und die südslawischen Völker aber werden Habsburg auflösen.« 121 Oder: »Ich möchte, dass kein Schriftsteller in Italien die Feder in die Hand nimmt ohne mit den Worten anzufangen und aufzuhören: Im Namen des Vaterlandes und unserer Märtyrer: Krieg gegen Österreich.« 122 Eine gegensätzliche Haltung nahm Vincenzo Gioberti ein. Er sprach nie direkt von Österreich, 123 aus taktischen Gründen, um nicht der Zensur und dem Verbot in einigen Staaten zum Opfer zu fallen, aber auch in Übereinstimmung mit seiner philosophischen Haltung, die positiv und gemäßigt war. Er sagte »die Ausländer« 124, oder »die Nationen, die unsere Zwistigkeiten nähren, um uns schwach zu halten« 125, er sagte »die Bevölkerung Dalmatiens, Illyriens«, und es folgten alle Provinzen der Habsburgermonarchie. 126 Österreich wurde ignoriert und kam im Text nicht vor. Cesare Balbo dagegen sprach ganz offen von der Habsburgermonarchie. Er wollte aber nicht Krieg gegen sie führen und sie zerstören wie Mazzini. Er

120 Ara, Die Haltung Italiens 190. 121 Zit. nach ebd. 193. Original: »Bisogna rifare la carta d’Europa. Il sistema delle vecchie nazionalità monarchiche [...] è consunto. [...] L’Italia e gli Slavi meridionali dissolveranno l’impero d’Austria.« 122 Übersetzung S.M. Original: »Vorrei che [...] nessun scrittore toccasse la penna in Italia se non cominciando e finendo colla formula: in nome della patria e de’ nostri martiri, sia guerra all’Austria«, zit. nach Banti, La nazione del Risorgimento 106. 123 Balsamo-Crivelli in der Einleitung zu Gioberti, Del primato morale e civile degli italiani I, XL und LXIII. 124 Ebd. 125 Ebd. 126 Ebd. 113 und 115; einmal kommt »Austria« vor, 115.

Das Bild Österreichs in der italienischen Nationalbewegung

wünschte vielmehr, dass sie ihren Schwerpunkt nach Osten verlagerte. Sie sollte Italien lassen und sich im Osten, im Donaubecken engagieren und dort für Stabilität sorgen. 127 Carlo Cattaneo wiederum dachte in ökonomischen Kategorien. Für ihn war die staatliche Zugehörigkeit nicht der wesentliche Aspekt. Die Lombardei konnte sich inner- und außerhalb des Habsburgerreichs wirtschaftlich und sozial entwickeln. Seine Überlegungen drehten sich um die Frage, welche Politik geeignet war, den Fortschritt zu ermöglichen. Entscheidend war ihm dabei eine größere regionale Autonomie. 128 Es gab noch eine gänzlich andere Art, von Österreich zu reden, jene von Silvio Pellico. Der in Piemont geborene, in Mailand lebende tief religiöse Schriftsteller wurde nur wegen der Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft zum Tod verurteilt, aber zu 15 Jahren Kerker begnadigt. Neun Jahre verbrachte er in Festungshaft auf dem Spielberg bei Brünn. Nach seiner vorzeitigen Freilassung verfasste er das Erinnerungsbuch Le mie prigioni, eines der einflussreichsten Bücher des Risorgimento. 129 Es ist von einer ruhigen, milden Religiosität, von Feindesliebe und Vergebung durchdrungen. Noch bemerkenswerter aber ist der Stil. Pellico wählt die Personalisierung und hält sie bis zum Schluss durch. Das Wort Österreich verwendet er kaum, aber eine Fülle von Personen tritt uns entgegen, viele sind beim Namen genannt, viele bleiben zwar namenlos, werden aber durch kleine, charakteristische Details für den Leser zu konkreten Menschen. Er verwendet Ausdrücke tiefer Empfindung (»Arme Herren«) und sehr viele Dialoge. Es ist wie ein Gruppenbild ohne ein Feindbild. Es gibt keinen Krieg, weder gegen Österreich wie bei Mazzini, noch gegen die Revolutionäre wie in der österreichischen Politik. Es gibt nicht den Gedanken vom Primat oder vom Vorrang einer Nation wie bei Gioberti oder Schuselka. Es gibt keinen politischen Gegner zu beseitigen und keinen Konkurrenten, der mit Diplomatie überwunden werden soll. Der Andere ist einfach nur ein Mensch. Le mie prigioni sind eine ›Reiseliteratur‹ der ganz anderen Art. Nach seiner Freilassung besichtigte er sogar für ein paar Tage Wien. Der Kommissar war verpflichtet uns zu begleiten und uns mit Niemandem sprechen zu lassen. Wir sahen die herrliche St. Stephanskirche, die köstlichen Spaziergänge der Stadt, das nahe Lustschloss Liechtenstein und zuletzt noch das kaiserliche Lustschloss von Schönbrunn. Als wir in den prachtvollen Baumgängen von Schönbrunn

127 Ara, Die Haltung Italiens 190–192. 128 Meriggi, Il Regno Lombardo-Veneto 107, 250–252, 329. 129 Pellico, Le mie prigioni. Memorie (Torino 1832); deutsch: Meine Gefängnisse. Denkwürdigkeiten (Stuttgart 1837).

137

138

Das Bild vom Anderen

gingen, kam der Kaiser, und der Kommissär hieß uns umkehren, dass der Anblick unserer abgezehrten Personen ihn nicht unangenehm berühre. 130

Beim Betreten Italiens lobt er die Schönheit der österreichischen Landschaft: »Der Eintritt in Italien von der Seite bietet dem Auge nichts Ergötzliches dar, man steigt vielmehr von den herrlichen Gebirgen des deutschen Bodens über eine ausgedehnte, unfruchtbare und unfreundliche Strecke Landes hinweg in die italienische Ebene herab [...].« 131 Silvio Pellico vermittelt ein Bild von Österreich und von den Österreichern, das überraschend anders ist, als man es von einem Anhänger der italienischen Einigungsbewegung erwartet. Aber auch dieses Buch und dieses Bild vom Anderen sind Teil des Risorgimento.

7.9 Die zwei Jahrzehnte der Entstehung des Königreichs Italien 1848–1866/1871

7.9.1 Aus österreichischer Sicht Es konnte nicht ausbleiben, dass die Ereignisse der beiden Jahrzehnte, in denen – u. a. auf Kosten Österreichs – die Halbinsel politisch geeint und das Königreich Italien errichtet und vervollständigt wurde, das Bild dieses Landes in Österreich kräftig verschoben. Die Revolution, drei Kriege gegen das Habsburgerreich, der Verlust einer schönen und reichen Provinz machten aus dem Land der Sehnsucht einen Feind im wörtlichen Sinn. Wenn man später von »Erbfeindschaft« sprach, rekurrierte man unausgesprochen auf die Erinnerung an diese Jahre. Hier war ein neuer Gegner auf dem Schlachtfeld und auf der politischen Bühne entstanden, der dem Reich Gebiete entriss und es eines großen Einflussbereichs beraubte. Eine 1861 in Wien gedruckte Flugschrift mit dem Titel »Kossuth, Mazzini, Garibaldi« 132 fasst diese Gefühle prägnant zusammen. Die drei Personen werden mit überaus verächtlichen Ausdrücken beschrieben. Sie sind Erzwühler ohne Glauben, Betrüger und Lügner, Empörer gegen geistliche und weltliche Obrigkeiten usw. Die Einnahme des Kirchenstaates durch das laizistische Italien 1871 schuf einen weiteren Grund heftiger Ablehnung bei den katholischen

130 Pellico, Meine Gefängnisse, Kapitel 92, 186. 131 Ebd. Kapitel 93, 187 f. 132 Kossuth, Mazzini, Garibaldi. Leben und Streben dieser freien Männer des Tages (Wien 1861).

Die zwei Jahrzehnte der Entstehung

Konservativen und bei allen, die den Nationalgedanken ablehnten. Die Ablehnung von Revolution und Nation war nicht neu, doch hatte es vor 1848 wenig Anlass gegeben, sie in der Öffentlichkeit auszubreiten. Jetzt konnte sie sich auf harte Ereignisse und Fakten berufen und füllten viel Platz in der veröffentlichten Meinung, z. B. in den Blättern »Vaterland« und »Österreichischer Volksfreund«. Allerdings war der Schwenk in der öffentlichen Wahrnehmung Italiens in Österreich kein vollständiger. Trotz der Ereignisse reiste man nach Italien, und weiterhin erschienen Reisebeschreibungen mit den bekannten Inhalten. 133 Die veränderten Verhältnisse und das Auseinanderdriften der beiden Italienbilder blitzen in einem Reisebericht aus Turin auf. Der Schreiber lobt die Umgebung Turins, die Stadt selbst findet er eher langweilig, vor allem aber überrascht ihn die Ruhe: »Von der politischen Bewegung im Straßenleben keine Spur [...]. Turin ist mit einem Worte nicht Turin, welches man sich vorstellt, wenn man durch ein Dezennium die Zeitungsberichte darüber gelesen hat und auf den ungerechten Verdacht gekommen ist – es herrsche hier öffentliches Geschrei und aufgeregtes Leben.« 134 Der Krieg musste auch nicht zwingend zu Hassgefühlen führen wie in der oben zitierten Flugschrift. Eine 1849 gedruckte und 1853 wiederaufgelegt Sammlung von Kurzgedichten (Schnaderhüpfeln) über die österreichische Armee in Italien bringt zwar einige etwas überhebliche Verse, aber in keinem Fall Gefühle des Hasses gegen die Italiener oder die gegnerischen Soldaten. 135 Neu ist in diesen Jahren, dass die im Vormärz nur heimlich veröffentlichten Gedanken der liberalen Opposition jetzt in aller Breite in den liberalen Zeitungen zu lesen waren und sogar offen im Reichsrat ausgesprochen wurden. Anlässlich der Budgetdebatten in den 1860er Jahren wurde die Italienpolitik der Regierung und die Weigerung, Italien anzuerkennen, offen kritisiert. Man verlangte eine Kurskorrektur, nicht zuletzt, um Einsparungen bei den hohen Militärausgaben in dem noch bei Österreich verbliebenen Venetien erzielen zu können. Der Abgeordnete Ignaz Kuranda führte z. B. aus: Die italienische Frage ist eine große, schmerzensreiche Erbschaft der Verträge von 1815. Es ist nie einem Staate ein größeres Unglück durch Machtzuwachs passiert, als uns in Italien. [...] Seit der Zeit [...] war unser Körper wund, [...] wir mussten

133 Heufler, Italienische Briefe; Erzherzog Ferdinand Maximilian, Reise-Skizzen; Brunner, Kennst Du das Land. 134 Brunner, Kennst Du das Land 75. 135 Baumann, Ehrenbuschn.

139

140

Das Bild vom Anderen

Verschanzungen aufführen, Militärbesatzungen, Interventionen [...] Alles um diese sogenannte Machtstellung in Italien zu erhalten. 136

Einige Abgeordnete propagierten eine Politik der Versöhnung und eine Annäherung an das Königreich Italien nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch aus nationalen Überlegungen heraus, teil aus Sympathie für die italienische Nationalbewegung, teils um freiere Hand gegenüber Preußen zu bekommen. Kaiser Franz Joseph I. und die Regierung lehnten diese Richtung zunächst ab. Erst nach der Niederlage von 1866 wurde Italien anerkannt. Von da an und vollends nach 1871 entwickelten sich relativ schnell korrekte Beziehungen, die 1882 sogar dazu führten, dass Italien zum Verbündeten Österreich-Ungarns im Dreibund wurde. 137

7.9.2 Aus italienischer Sicht Auch in Italien führte das Jahr 1848 zu einer Verhärtung in der Wahrnehmung der Habsburgermonarchie. 138 Francesco Rossi, der Bibliothekar der Mailänder Bibliothek Brera, österreichischer Beamter und guter Bekannter von HammerPurgstall schrieb dem Wiener Orientalisten am 24. Mai 1848: Hochgeschätzter und liebster Freund [...]. Unsere glorreiche Märzrevolution und die kannibalischen Grausamkeiten [...], die die Österreicher begangen haben, [...] entbinden mich vor Gotte und den Menschen von jeder Pflicht gegenüber Österreich. [...] Lieber Hammer, [...] die österreichische Herrschaft in Italien ist zu einer Unmöglichkeit geworden. Sagt es, sagt es den Euren, die noch verständig sind. 139

Der glorreichen Revolution folgte die Enttäuschung der Niederlage und die Rückkehr Österreichs. Sogar die erhoffte Konstitutionalisierung des Reichs und die Versprechungen einer Verfassung für das lombardisch-venetianische Königreich fielen dem vollständigen Sieg der revolutionären Kräfte zum Opfer. 140 Die Enttäuschung darüber formulierte Angelo Bianchi klar und hart in sei136 137 138 139

Blaas, Die italienische Frage und das österreichische Parlament 190. Ara, Die Haltung Italiens 198, 211–213. Schrattenecker, Brilla o spada; Schrattenecker, Il potere delle immagini. Übersetzung S.M. Original: »Amico onorevolissimo e carissimo [...] Ma la nostra gloriosa Rivoluzione di Marzo e le atrocità da cannibale [...] commesse dagli Austriaci [...] mi hanno sciolto al cospetto di Dio e degli uomini da ogni dovere verso l’Austria.«, Wallnig, Die italienische Korrespondenz Hammer-Purgstall 143, Brief v. 24. 5. 1848; auch 145, Brief v. 18. 6. 1848. 140 Vgl. Kap. 3: »Gescheiterte Bemühungen um eine Verfassung für das lombardisch-venetianische Königreich 1848–1850«.

Die zwei Jahrzehnte der Entstehung

nem 1853 in Turin erschienenen Buch L’Austria in Italia, eine der wenigen Publikationen, in deren Titel das Wort Österreich aufschien. 141 Bianchi war des Deutschen mächtig und zitierte oft den ersten österreichischen Ministerpräsidenten Karl Ludwig Graf Ficquelmont. Bemerkenswert ist, dass Bianchis scharfe Kritik nicht von der nationalen Frage ausgeht, sondern Österreich einen Mangel an gutem Regieren, buon governo, und besonders den Bruch aller Verfassungsversprechungen vorwirft. 142 Auch der zweite Einigungskrieg 1859 endete mit einer herben Enttäuschung, indem Napoleon III. Frieden schloss und Sardinien-Piemont nur die Lombardei, nicht aber Venetien bekam. Dann aber vollzog sich die so überraschende Einigung Italiens, und gleichzeitig wandelte sich das Kaisertum Österreich zu einer konstitutionellen Monarchie. Die Regierungen des neuen Königreichs Italien versuchten in den 1860er Jahren aktiv, die Beziehungen zu Österreich zu klären. Dem dienten die (gescheiterten) Bemühungen, das Problem Venetien friedlich durch freiwillige Abtretung im Weg eines Kaufes zu lösen, ebenso der (nicht angenommene) Vorschlag einer neuen dynastischen Eheverbindung zwischen den Häusern Savoyen und Habsburg. Andererseits brachte der Umstand, dass Italien nicht Republik geworden, sondern sich als Königreich geeint hatte, eine Radikalisierung Giuseppe Mazzinis mit sich, die bei ihm zu einer völligen und unnachgiebigen »Dämonisierung« 143 der Habsburgerreichs führte. Am Ende des Einigungsprozesses gehörten sowohl Venetien als auch Rom zum Königreich, und in Österreich akzeptierten schließlich auch die Machthaber den Verlust Venetiens und überhaupt der österreichischen Vormachtstellung auf der Halbinsel. Zugleich aber entstand das Problem des Irredentismus, der Forderung nach »Trento e Trieste«. 144

141 Aurelio Bianchi-Giovini [= Angelo Bianchi], L’Austria in Italia e le sue confische. Il conte di Ficquelmont e le sue confessioni (Torino 1853). 142 Ebd. 349–357, 445. 143 Ara, Die Haltung Italiens 199. 144 Ebd.; insgesamt zur Zeit nach 1848 Ara, Die Haltung Italiens; Ara, Dal nemico ereditario all’alleato; Ara, Austria e Italia dalla rivoluzione del 1848 alla Prima guerra mondiale; Furlani, L’immagine dell’Austria in Italia dal 1848 alla prima guerra mondiale.

141

142

Das Bild vom Anderen

7.10 Die gegenseitige Wahrnehmung in der Zeit des Dreibundes 1882–1915 Italien und Österreich waren seit 1882 Verbündete. 145 Der Dreibund zwischen dem Deutschen Reich, Österreich-Ungarn und Italien war ein Defensivvertrag mit dem erklärten Ziel, den allgemeinen Frieden zu vermehren, das monarchische Prinzip zu festigen und die Aufrechterhaltung der sozialen und politischen Ordnung zu sichern. Diese hehren Ziele wurden aber zunächst geheim gehalten, und als die Öffentlichkeit vom Bündnis erfuhr, waren sowohl in Italien als auch in Österreich-Ungarn Teile des politischen Spektrums entsetzt. In Italien waren es die Irredentisten und der Vatikan, in Österreich-Ungarn die klerikalen Kreise. Aber der Vertrag ermöglichte lange Jahre politischer Stabilität. Erst nach 1900 verlor er langsam an Bedeutung, blieb jedoch bis 1915 in Kraft. Der Dreibund hätte der Schlusspunkt einer langen Phase italienisch-österreichischer Beziehungen sein können. Auf drei Jahrzehnte der Inkubation vor 1848 folgten drei Jahrzehnte des offenen Konflikts und der langsamen Annäherung. Die Verhältnisse entwickelten sich aber trotz des Bestehens des Dreibundes nicht in Richtung dauernder Befriedung, vielmehr bewirkten die Kräfte der Zeit, der Nationalismus und der Imperialismus, das Fortdauern einer ambivalenten Beziehung. Dem italienischen Irredentismus und den italienischen Interessen am Balkan standen auf österreichischer Seite weitgehendes Desinteresse am neuen Staat, 146 Misstrauen und Präventivkriegspläne gegenüber. Zugleich versäumte die Habsburgermonarchie, berechtigte Wünsche der verbliebenen Italiener zu befriedigen. Sie erhielten weder eine Autonomie im Trentino noch eine Universität in Triest, was wiederum dem Irredentismus Auftrieb verlieh. Angelo Ara hat Francesco Crispis Ausdruck von der Vernunftehe zitiert. 147 Silvio Furlani beschrieb diese Jahrzehnte so: Einerseits äußerste formale Korrektheit und ununterbrochene gegenseitige Versicherungen der Vertragstreue, und im Widerspruch dazu das Bestehen einer zweiten unterirdischen Handlungslinie durch Irredentismus und Misstrauen. 148 Die österreichisch-ungarische Monarchie war für die italienischen Regierungen ein wichtiger politischer Faktor, für die Irredentisten blieb sie nach wie vor der Feind und Völkerkerker. 149 Umgekehrt schrieb die liberale »Neue Freie Presse« nach dem Tod Mazzinis und

145 146 147 148

Afflerbach, Der Dreibund; Ara, Die Haltung Italiens 211–243. Fellner, Das österreichische Italienbild. Ara, Die Haltung Italiens 219. Furlani–Wandruszka, Österreich und Italien 170 f.; Ara, Dal nemico ereditario all’alleato 135. 149 Siehe dazu die ausführliche Darstellung bei Ara, Die Haltung Italiens 211–243.

Die gegenseitige Wahrnehmung

Garibaldis objektive und verständnisvolle Nachrufe, für das »Vaterland« blieben sie Feinde Österreichs, Freimaurer und Feinde der Kirche. 150 Die politische Entwicklung mündete schließlich in den Ersten Weltkrieg, erneut gab es Krieg, die Erbfeindschaft schien bestätigt. Es wäre aber falsch, die Wahrnehmung des Anderen auf die politischen Ansichten zu reduzieren. In den Jahrzehnten des Dreibundes wuchsen die Handelsbeziehungen kräftig. 151 In Österreich bewunderte man die große italienische Umschuldungsaktion des Jahres 1906. 152 Es gab eine starke Arbeitsmigration von Italienern in die Habsburgermonarchie. 153 Umgekehrt begann die Zeit der Massenreisen aus Österreich nach Italien, ermöglicht durch die Eisenbahn. Vor allem die Pilgerreisen nach Rom spielten dabei eine große Rolle. Damals begann man mit der Organisation von Pilgerzügen in die Heilige Stadt, sodass viele Katholiken nach Rom fahren konnten. Besonders zahlreich waren die Rompilger 1888 zum goldenen Priesterjubiläum Papst Leos XIII., dann im Heiligen Jahr 1900. In einem einzigen Zug 1888 fuhren 2000 Pilger. Dass sie durchaus nicht nur beten, sondern auch Italien besichtigen wollten, verrät ein Satz in der Ausschreibung, wenn es mahnend hieß, der Hauptzweck sei die Gewinnung des Ablasses. »Wer bloß eine Kunst- oder Vergnügungsreise unternehmen will, ist zur Teilnahme an diesem Pilgerzug nicht eingeladen.« 154 Ungebrochen war das Interesse an der italienischen Oper. Die großen italienischen Meisterwerke dieser Jahrzehnte – Othello, Cavalleria Rusticana, Bajazzo, Falstaff, Tosca, La Bohème – wurden sehr schnell, oft schon ein Jahr nach der Uraufführung, auch in Wien aufgeführt und begeisterten das Publikum. Verdi und Puccini dirigierten in Wien, hier gastierte Caruso fünf Mal. 155 Ungebrochen war auch das Phänomen, von dem am Beginn dieses Beitrags die Rede war, die Reise nach Italien als dem Land der Kunst, des Lichts, der Schönheit, der Antike. Viele bedeutende österreichische Schriftsteller waren glühende Liebhaber Italiens. Sigmund Freud, Arthur Schnitzler, Hermann Bahr, Hugo v. Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke, Robert Musil, Stefan Zweig – sie alle waren begeisterte Kenner italienischer Dichtung, italienischer Landschaft, Kultur und Lebensweise und vermittelten diese auch im deutschen Sprach-

150 151 152 153

Vgl. Kap. 17: »Giuseppe Garibaldi aus österreichischer Sicht«. Cova, Österreich(-Ungarn) und Italien 672–675. Neue Freie Presse v. 1. 7. 1906, 1, Leitartikel. Cova, Österreich(-Ungarn) und Italien 675 f.; Steidl, Historische Entwicklung der italienischsprachigen Wanderungen nach Wien; https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Ringstra% C3%9Fe_(Arbeiterschaft) (zuletzt abgerufen am 18. 2. 2020). 154 Reichspost 29. 7. 1900, 11. 155 Hadamovsky–Witeschnik, 100 Jahre Wiener Oper am Ring 113.

143

144

Das Bild vom Anderen

raum. 156 Im Herbst 1901 kam Sigmund Freud zum ersten Mal nach Rom. An einen Freund schrieb er: »Nun sollte ich Dir über Rom schreiben: es ist schwer. Es war auch für mich überwältigend und die Erfüllung eines, wie Du weißt, lange gehegten Wunsches. [...] ein Höhepunkt des Lebens.« 157

156 Schmidt-Dengler–Reitani, Symmetrie der Entfremdung 160–166; Larcati–Renoldner, »Am liebsten wäre mir Rom!«. Stefan Zweig und Italien; Kogel, Im Land der Träume. Mit Sigmund Freud in Italien; Fliedl, Arthur Schnitzler und Italien. 157 Kogel, Im Land der Träume. Mit Sigmund Freud in Italien 120.

8. Haus Savoyen und Haus Habsburg. Höflichkeitsschreiben aus Anlass von Familienereignissen regierender Häuser in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

8.1 Die Familienkorrespondenz »Mein lieber Bruder und Vetter!« Mit dieser Anrede schrieben wiederholt die Kaiser von Österreich an die Könige von Sardinien bzw. von Italien Briefe, und diese antworteten mit ebensolchen Briefen. Es handelt sich um die fürstliche Familienkorrespondenz. Das Oberhaupt eines Hauses teilte Heirat, Geburt oder Todesfall in seinem Haus einem anderen Fürsten und seinem Haus in Form eines Notifikationsschreibens (Lettre de notification) mit. Dieser antwortete mit einem Gratulations- oder Beileidschreiben (Lettre de gratulation bzw. condoléance) 1. Die habsburgische Familienkorrespondenz ist im Haus-, Hof- und Staatsarchiv verwahrt. 2 Liest man einen solchen Brief, ohne um die Tradition dieser Korrespondenz zu wissen, dann fällt der persönliche Ton und der Ausdruck der Gefühle auf, und man fragt sich, wie solche Schreiben in unser Bild von den Beziehungen zwischen Österreich und Italien im 19. Jahrhundert passen. Dieses Bild ist doch – vor allem in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts – geprägt von Kriegen um große Territorien (1848/49, 1859, 1866) und später von gegenseitigem Misstrauen trotz des Umstandes, ab 1882 Verbündete im Dreibund gewesen zu sein. Die Leitbegriffe, die lange Zeit vorherrschten, waren doch Risorgimento, also Gründung des Staates Italien auf Kosten Österreichs, Irredentismus, also Streit um die noch unerlösten Gebiete, und im Allgemeinen die Nationalitätenfrage. 3

1 Vgl. dazu Meisner, Archivalienkunde 133; Hochedlinger, Aktenkunde 173 f. 2 HHStA, Administrative Registratur, F2 »Fremde Souveräne«, Kartons 12, 17, 21, 54, 55; in diesem Bestand ist die Familienkorrespondenz ab 1830 gesammelt. 3 Dazu (Auswahl): Kramer, Österreich und das Risorgimento; Wandruszka, Österreich und Italien im 18. Jahrhundert; Benedikt, Kaiseradler über dem Apennin; Gatterer, Erbfeindschaft; Furlani–Wandruszka, Österreich und Italien. Ein bilaterales Geschichtsbuch; Wandruszka–Jedlicka, Innsbruck – Venedig; Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg, Schlusskapitel; Valsecchi–Wandruszka, Austria e province italiane; Ara, Fra Aus-

146

Haus Savoyen und Haus Habsburg

Nun ist der spontane, unreflektierte Zugang zu diesen Briefen natürlich zu korrigieren, vielmehr muss man sie wie jede Quelle in den richtigen Zusammenhang stellen. Man muss die Tradition der fürstlichen Familienkorrespondenz und die diplomatischen Gepflogenheiten berücksichtigen. Derartige Anzeigen gehörten durchaus zur diplomatischen Tradition. Man machte sie, auch wenn man nicht unmittelbar miteinander verwandt war. Man machte sie auch nicht nur innerhalb Europas. Mit der Erweiterung des Radius der Diplomatie im 19. Jahrhundert in der Folge von Kolonialismus, Imperialismus und der sich mehr und mehr verflechtenden Weltwirtschaft kam es zu solchen Mitteilungen auch seitens außereuropäischer Reiche, z. B. China und Japan, in gewissen Fällen sogar – den Kreis der Fürstenfamilien verlassend – seitens Republiken, die sich in den diplomatischen Formen eng an die Tradition anlehnten. Auch in diesen Fällen gratulierte oder kondolierte der Empfänger, in unserem Fall der österreichische Kaiser, in der üblichen Form. Der Ursprung dieser Quellengattung lag aber bei der Familie, genauer gesagt bei den alteuropäischen Adelsfamilien, die zusammen die europäische Adelsgesellschaft bildeten. Die Mitteilung familiärer Ereignisse war Ausdruck eben dieser gesamteuropäischen Adelsfamilie, des Bewusstseins der sozialen Zusammengehörigkeit, des gemeinsamen Standes. Dieses Bewusstsein wurde durch Machtkämpfe, durch Rivalitäten und Kriege nicht zerstört. Die Familienereignisse hatten natürlich auch eine politische Konsequenz. Der Tod des Königs und die Thronbesteigung durch den Nachfolger waren politisch-staatsrechtliche Ereignisse, deren Mitteilung notwendig war, um die Anerkennung seitens der anderen Staaten zu bekommen. Umgekehrt war das Antwortschreiben auf die Anzeige der Thronbesteigung mehr als nur ein Glückwunsch, sondern eben die volle rechtliche und diplomatische Anerkennung. Auch die Geburt eines Thronfolgers oder eine Eheschließung mit dem oder jenem Herrscherhaus waren zugleich familiäre und politische Ereignisse. Die Heiratspolitik der europäischen Fürstenhäuser war ein anerkanntes politisches Instrument der Herrschaftssicherung, der Herrschaftsausweitung und der Friedenssicherung. 4 Bemerkenswert ist aber, dass diese Mitteilungen und die Antworten nicht als diplomatische Noten abgefasst waren, sondern dass die Form des persönlichen Briefes eines Souveräns an den anderen beibehalten wurde und dass sie trotz stereotyper Wendungen und einer erstarrten Form in einem warmen Ton ge-

tria e Italia; Zorzi, Venezia Austriaca; Mazohl-Wallnig–Meriggi, Österreichisches Italien – Italienisches Österreich. 4 Siehe dazu z. B. Bastl, Habsburgische Heiratspolitik; Duchhardt, Dynastizismus und dynastische Heiratspolitik.

Verwandtschaft zwischen dem Haus Savoyen und dem Haus Habsburg

halten sind. Man drückte sein Gefühl aus und bat um das Mitgefühl des »lieben Bruders und Vetters« für die Freude oder für den Schmerz, je nachdem welches Ereignis dem eigenen Haus widerfahren war. Es waren eben nicht nur politische, sondern in erster Linie familiäre Mitteilungen. So haben denn auch die Familien Savoyen und Habsburg wie dutzende andere europäische Adelsgeschlechter einander über die Familienereignisse informiert. Gemäß den Gepflogenheiten der Könige redeten sie einander mit Bruder und Vetter an, unabhängig vom tatsächlichen Vorliegen oder vom Grad der Verwandtschaft 5 und unabhängig von der Qualität der politischen Beziehungen, die gerade zwischen ihren Ländern oder Häusern herrschten. Ist damit alles gesagt? Ich glaube nicht. Lange Zeit galt das Hauptaugenmerk den Ereignissen der politischen Geschichte. Das hat uns die Tatsache vergessen lassen, dass die Häuser Savoyen und Habsburg-Lothringen tatsächlich miteinander verwandt waren. Nun waren alle europäischen Adelsfamilien, vor allem die regierenden Häuser, untereinander verwandt, es handelte sich um die recht geschlossene Schicht des europäischen Hochadels. 6 Die Notwendigkeit für den Adel, standesgemäß zu heiraten, und in der Folge die vielen Ehen innerhalb der europäischen Adelsschicht führten dazu, dass Adelige auch dann gemeinsame Vorfahren haben konnten und hatten, wenn zwei Häuser noch nicht in unmittelbare Beziehungen zueinander getreten waren. Hier interessiert aber nicht dieses allgemeine Phänomen, sondern konkret die Beziehung zwischen Habsburg und Savoyen. Seit wann und wie waren sie direkt miteinander verwandt? Die Antwort auf diese Frage wird der Untergrund sein, um die erwähnte Familienkorrespondenz einer neuerlichen Lektüre zu unterziehen.

8.2 Verwandtschaft zwischen dem Haus Savoyen und dem Haus Habsburg-Lothringen im 18. und 19. Jahrhundert Verwandtschaftsbeziehungen kommen durch Heiraten zustande. Zwischen 1789 und 1842 gab es sechs direkte Eheverbindungen zwischen dem Haus Savoyen und dem Haus Habsburg-Lothringen. 7 Dazu kamen zwei indirekte

5 Gerbore, Formen und Stile der Diplomatie 147 f.; Meisner, Archivalienkunde 224. 6 Zum europäischen Adel siehe z. B. den Sammelband Reden-Dohna–Melville, Adel an der Schwelle. 7 Vereinzelte Eheschließungen aus früheren Jahrhunderten zwischen Savoyen und Habsburg vor dem Aufstieg der Herzöge von Savoyen zu Königen im Jahr 1713 bleiben im Folgenden unberücksichtigt. Siehe dazu Spagnoletti, Dinastie italiane 159–223; Spagnoletti, Intrecci

147

148

Haus Savoyen und Haus Habsburg

Verbindungen, indem bei Ehen zwischen dem Haus Savoyen und dem Haus Bourbon die Mutter eines Ehepartners eine Habsburgerin war. 8 In chronologischer Reihe handelt es sich um folgende Eheschließungen. 9 1.

2.

Die erste Eheverbindung zwischen den beiden Häusern war 1789 die Heirat zwischen Prinz Viktor Emanuel von Savoyen (1759–1824) und der Prinzessin Maria Theresia aus dem Haus Österreich-Este, der habsburgischen Tertiogenitur im Herzogtum Modena (1773–1832). 10 Viktor Emanuel war der zweitgeborene Sohn des Königs von Sardinien Viktor Amadeus III. (1726–1796) und der jüngere Bruder des Königs Karl Emanuel IV. (1751–1819, Thronverzicht 1802). Maria Theresia war die erste Tochter des Erzherzogs Ferdinand Karl von Österreich-Este (1754–1806), ein Sohn des Kaiserpaares Franz Stephan von Lothringen und Maria Theresia. Im Jahr der Eheschließung 1789 war Viktor Emanuel von Savoyen der zweite Thronanwärter. Da sein Bruder keine Kinder hatte und 1802 auf den Thron verzichtete, wurde er König von Sardinien als Viktor Emanuel I., und seine Frau Maria Theresia wurde Königin. Der Ehe entsprossen sieben Kinder, von denen kein Sohn, aber vier Töchter das heiratsfähige Alter erreichten. Zwei davon wurden mit Habsburgern verheiratet (siehe 3. und 6.), eine mit einem Bourbonen, dessen Mutter Habsburgerin war (siehe 7.), und eine, Therese (1803–1879), mit dem Herzog von Parma Karl II. aus dem Haus Bourbon (1799–1883), der immerhin eine habsburgische Großmutter hatte, nämlich Maria Amalie, eine Tochter Franz Stephans und Maria Theresias. 1807 heiratete Prinz Karl Felix von Savoyen (1765–1831), ein weiterer Sohn des Königs Viktor Amadeus III. und jüngerer Bruder der Könige Karl Emanuel IV. und Viktor Emanuel I., eine Tochter des Königs Ferdinand I. beider Sizilien aus dem Haus Bourbon, Prinzessin Maria Christina (1779–1849). Ihre Mutter war Erzherzogin Maria Karolina, eine Tochter Franz Stephans

matrimoniali. Zum gescheiterten Heiratsprojekt zwischen einem Sohn Karl Emanuels III. und einer Tochter Maria Theresia siehe Merlotti, Savoia e Asburgo; Ricaldone, Italienisches Wien 31–34. 8 Weitere indirekte Verbindungen bleiben außer Betracht, obwohl sie natürlich auch den Verwandtschaftsgrad beeinflussen konnten. Siehe dazu Kramer, Österreich und das Risorgimento 140–142. 9 Für die folgende Zusammenstellung habe ich herangezogen: Wilhelm Karl Prinz von Isenburg, Stammtafeln zur Geschichte der europäischen Staaten (europäische Stammtafeln), Bd. l: Die deutschen Staaten (Tafeln 19, 20, 21, 55), und Bd. 2: Die außerdeutschen Staaten (Tafeln 50, 114, 115, 116, 119, 126, 128) (beide Marburg 1960), und Grande Enciclopedia De Agostini, Bd. 19, Stichwort »Savoia« (Novara 1995). 10 Zu Maria Theresia siehe Hamann, Die Habsburger 345 f.

Verwandtschaft zwischen dem Haus Savoyen und dem Haus Habsburg

3.

4.

5.

11 12 13 14

und Maria Theresias. 11 Im Jahr der Eheschließung war Karl Felix der erste Thronanwärter, und er blieb es, weil sein Bruder Viktor Emanuel I. (siehe 1.) keine Söhne hatte, außer dem schon als Kind verstorbenen Karl Emanuel. Als Viktor Emanuel 1821 auf den Thron verzichtete, folgte ihm Karl Felix nach. Seine Frau, Enkelin der Kaiserin Maria Theresia, wurde Königin von Sardinien. Die Ehe blieb kinderlos. Da es keine weiteren Thronfolger aus dem Haus Savoyen gab, ging die Krone Sardiniens nach dem Tod von Karl Felix 1831 auf die savoyische Seitenlinie der Herzöge von SavoyenCarignan über, und zwar auf Herzog Karl Albert, der seinerseits mit einer Habsburgerin aus der Sekundogenitur Toskana verheiratet war (siehe 4.). 1812 wurde die älteste Tochter König Viktor Emanuels I. und Maria Theresias (siehe 1.), Prinzessin Maria Beatrix (1792–1840) 12 mit ihrem um 13 Jahre älteren Onkel, dem präsumtiven Herzog Franz IV. von Modena (1779–1846) aus der habsburgischen Tertiogenitur, 13 einem Bruder ihrer Mutter, verheiratet. Fünf Jahre später, 1817, also bereits nach dem Wiener Kongress, heiratete Herzog Karl Albert von Savoyen-Carignan (1798–1849) eine Tochter des Großherzogs von Toskana Ferdinand III. aus der Sekundogenitur Habsburg-Toskana (und Urenkelin Franz Stephans und Maria Theresias), nämlich Maria Theresia (1801–1855). 14 Karl Albert war zu diesem Zeitpunkt bereits ziemlich aussichtsreicher Anwärter auf den sardischen Thron. Der regierende König Viktor Emanuel I. war 58 Jahre alt, sein jüngstes Kind, Christine, war fünf Jahre zuvor geboren, Söhne gab es keine. Der Bruder des Königs, Karl Felix, war seit sieben Jahren verheiratet und kinderlos. In der Tat wurde Karl Albert 1831 König von Sardinien, seine Frau Maria Theresia, die Tochter aus dem Haus Habsburg-Toskana, wurde Königin, ihr ältester Sohn, der elfjährige Viktor Emanuel, wurde Kronprinz. Auch er sollte später eine Habsburgerin heiraten (siehe 8.), davor sind aber noch drei Ehen zu verzeichnen. Kamen die habsburgischen Ehepartner in den bisher genannten Ehen noch aus Familien der habsburgischen Nebenländer Toskana und Modena, so heirateten die Savoyen mit der nächsten Ehe direkt in die kaiserliche Familie ein. 1820 ehelichte Maria Elisabeth von Savoyen-Carignan (1800–1856), die jüngere Schwester des Kronprätendenten Karl Albert, einen Bruder des Kaisers Franz I. von Österreich, nämlich den 37-jährigen

Zu Maria Karolina siehe Hamann, Die Habsburger 325 f. Zu Maria Beatrix siehe Hamann, Die Habsburger 311, linke Spalte. Zu Franz IV. siehe Hamann, Die Habsburger 135 f. Zu Maria Theresia v. Habsburg-Toskana siehe Hamann, Die Habsburger 346.

149

150

Haus Savoyen und Haus Habsburg

6.

7.

Erzherzog Rainer (1783–1853). 15 Er war damals seit drei Jahren Vizekönig des 1815 errichteten, zum Kaisertum Österreich gehörenden lombardischvenetianischen Königreichs. Mit der nächsten Eheschließung war der Höhepunkt der savoyischhabsburgischen Heiratspolitik erreicht. 1831 heiratete die Prinzessin Maria Anna von Savoyen (1803–1884) 16 den österreichischen Thronfolger Erzherzog Ferdinand, seit kurzem gekrönter König von Ungarn (1793–1875). 17 Maria Anna war eine Tochter des schon verstorbenen ehemaligen Königs von Sardinien Viktor Emanuel I. und Maria Theresias aus dem Haus Österreich-Este (siehe 1.) und die Nichte des regierenden Königs Karl Felix, der zwei Monate später starb. Die Brautleute Ferdinand und Maria Anna waren Cousin und Cousine zweiten Grades und Urenkel der Kaiserin Maria Theresia. Ferdinand folgte 1835 seinem Vater Franz auf den österreichischen Kaiserthron als Kaiser Ferdinand I. von Österreich, den er bis zum Ende des Revolutionsjahres 1848 innehatte, um ihn dann seinem Neffen Franz Joseph zu übergeben. Maria Anna von Savoyen wurde also Kaiserin von Österreich. 1836 erfolgte die Krönung Ferdinands und Maria Annas mit der Krone Böhmens. Nach dem Thronverzicht Ferdinands 1848 lebte das ehemalige Kaiserpaar auf dem Hradschin in Prag. Zwar war die Ehe insofern überschattet, als Ferdinand an Epilepsie litt und die Ehe kinderlos blieb, doch war es eine glückliche Ehe, und sowohl Ferdinand, der den Beinamen »der Gütige« erhielt, als auch Maria Anna waren beliebt und hochgeachtet. Ein Jahr nach dieser prominenten Hochzeit, 1832, heiratete die Prinzessin Maria Christine von Savoyen (1812–1836), 18 die jüngere Schwester der Maria Anna (siehe 6.) und jüngste Tochter Viktor Emanuels I. von Sardinien (siehe 1.), den König Ferdinand II. beider Sizilien aus dem Haus Bourbon (1810–1859). 19 Seine Mutter war die Erzherzogin Maria Klementina, eine Tochter des Kaisers Leopold II. Auch in dieser Ehe waren die Brautleute Ferdinand und Maria Christine Cousin und Cousine zweiten Grades und Urenkel der Kaiserin Maria Theresia. Königin Maria Christine starb bereits 1836 nur 24-jährig kurz nach der Geburt des Thronfolgers

15 Zu Maria Elisabeth von Savoyen-Carignan siehe Hamann, Die Habsburger 90 f.; zu Erzherzog Rainer d. Ä. siehe ebd. 398–400. 16 Siehe Hamann, Die Habsburger 302 f. 17 Siehe Hamann, Die Habsburger 121–124. 18 Siehe Enciclopedia italiana 22, 310. 19 Zu Ferdinand siehe Hamann, Die Habsburger 328, linke Spalte.

Verwandtschaft zwischen dem Haus Savoyen und dem Haus Habsburg

8.

Franz, der dann 1859–1861 der letzte König von Neapel und Sizilien sein sollte. Die letzte Eheschließung zwischen Savoyen und Habsburg fand 1842 statt. Der Kronprinz des Königreichs Sardinien, Viktor Emanuel (1820–1878), heiratete seine Cousine Erzherzogin Maria Adelheid (1822–1855), 20 Tochter des Vizekönigs von Lombardo-Venetien, Erzherzog Rainer, und Maria Elisabeths von Savoyen-Carignan (siehe 5.). Sieben Jahre später, 1849, folgte er seinem Vater Karl Albert auf den Thron von Sardinien als Viktor Emanuel II. Seine Frau, eine geborene habsburgische Erzherzogin, wurde Königin von Sardinien. Damals hatten Österreich und Sardinien gerade ihren ersten Krieg gegeneinander hinter sich gebracht. Auch Maria Adelheid starb jung. Mit nur 32 Jahren erlag sie 1855 dem Kindbettfieber. Allerdings hatte sie ihrem Gatten bereits acht Kinder geboren, darunter den Thronfolger Prinz Humbert (1844–1900), der seinem Vater und Gründer des Königreichs Italien Viktor Emanuel II. 1878 als König Umberto I. nachfolgen und im Jahr 1900 Opfer eines politischen Attentats werden sollte.

Die vielen Eheschließungen zwischen den beiden Häusern waren offensichtlich die Folge einer gezielten Heiratspolitik. Wenn wir an das politische Umfeld denken, sehen wir klar: Das 18. und die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts brachten den Höhepunkt des habsburgischen Einflusses und der Machtstellung in Italien. Der Einfluss betraf stärker die direkten habsburgischen Besitzungen, strahlte aber auch auf die nichthabsburgischen Gebiete aus. Es blieb, wie wir sehen, nicht bei Ehen in der Toskana, in Modena, in Neapel, sondern auch Turin wurde einbezogen. Die dynastischen Verbindungen hatten kulturelle Auswirkungen. Adam Wandruszka hat zu Recht von einer kulturellen Symbiose zwischen Österreich und Italien gesprochen. 21 Nach dem napoleonischen Intermezzo begann die Zeit der Restauration und der Heiligen Allianz. Die Fürstenhäuser schlossen sich zusammen gegen die neuen revolutionären Gedanken und gegen die Idee des Nationalstaates. Die Idee vom italienischen Einheitsstaat brauchte einige Jahrzehnte, um zu wachsen und die entscheidenden sozialen Schichten und politischen Kräfte in Italien zu gewinnen. Es handelte sich um eine erst im Entstehen begriffene, noch unterirdische, zweite Wirklichkeit. Die erste, sichtbare Wirklichkeit gehörte nach wie vor den alten Kräften, die mit den ihnen geläufigen Instrumenten, z. B. der Heiratspolitik, für ihre beharrenden Ziele arbeiteten.

20 Siehe Hamann, Die Habsburger 27 f. 21 Wandruszka, Österreich und Italien im 18. Jahrhundert 102.

151

152

Haus Savoyen und Haus Habsburg

In die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts fallen überaus prominente Ehen zwischen Savoyen und Habsburg. Aus der Sicht Sardinien-Piemonts heiratet der Thronprätendent Karl Albert eine Habsburgerin (siehe 4.), seine Schwester einen Bruder des österreichischen Kaisers, der noch dazu Vizekönig des benachbarten lombardisch-venetianischen Königreichs ist (siehe 5.), eine savoyische Prinzessin heiratet den österreichischen Thronfolger (siehe 6.), und der sardinische Thronfolger heiratet seinerseits eine habsburgische Erzherzogin, die noch dazu – so eng sind schon die Beziehungen zwischen den beiden Häusern – seine Kusine ist (siehe 8.). Man kann das Ganze natürlich auch umgekehrt, aus habsburgisch-österreichischer Sicht formulieren: Eine habsburgische Erzherzogin heiratet den sardinischen Thronprätendenten, der Bruder des Kaisers und der österreichische Thronfolger heiraten savoyische Prinzessinnen, eine Erzherzogin heiratet den sardinischen Thronfolger. Wenn wir im Ablauf der Geschichte um jeweils einige Jahre weitergehen, sehen wir, dass unsere Prinzen zu Königen und Kaisern, ihre Frauen zu Königinnen und Kaiserinnen wurden. Insgesamt hatten diese Eheverbindungen zur Folge, dass drei der vier Könige von Sardinien seit 1802 mit Habsburgerinnen, und einer mit der Tochter einer Habsburgerin verheiratet waren. Somit waren die Königinnen von Sardinien geborene Habsburgerinnen bzw. Tochter einer Habsburgerin. Hätte die 1855 jung verstorbene Königin von Sardinien Maria Adelheid (siehe 8.) noch einige Jahre leben dürfen, dann wäre die erste Königin des 1861 ausgerufenen Königreichs Italien eine Habsburgerin gewesen. Immerhin waren sowohl der erste als auch der zweite König von Italien Söhne einer geborenen Habsburgerin. Aus österreichischer Sicht sieht die Bilanz so aus: Von den drei österreichischen Kaisern des 19. Jahrhunderts war immerhin einer mit einer savoyischen Prinzessin verheiratet (siehe 6.). Von 1835 bis 1848 war Maria Anna österreichische Kaiserin, und noch weitere 36 Jahre lebte sie als ehemalige Kaiserin in Prag. Wir können auch eine weniger politische und mehr familienorientierte Betrachtungsweise wählen, indem wir zählen, wie viele Personen aus den beiden Häusern zu einem bestimmten Zeitpunkt miteinander verheiratet waren. Die Verknüpfung der beiden Familien durch die genannten Eheschließungen brachte es mit sich, dass zwischen 1820 und 1850 meist acht oder zehn Mitglieder beider Häuser miteinander verheiratet waren. Dazu kamen noch ein bis drei verwitwete Ehepartner. Davor und danach ist der Verlauf dieser Kurve ein an- bzw. absteigender. Erst 1884, mit dem Tod der Kaiserin Maria Anna, starb die letzte Witwe aus einer savoyisch-habsburgischen Ehe. Insgesamt entsprossen diesen Ehen nicht weniger als 31 Kinder, von denen acht als Kind starben und 23 das Erwachsenenalter erreichten.

Verwandtschaft zwischen dem Haus Savoyen und dem Haus Habsburg

Nun wissen wir, dass diese Heiratspolitik den Verlauf der politischen Geschichte nicht verändert und die Entstehung des Königreichs Italien auf Kosten des Kaisertums Österreich nicht verhindert hat. Der nationale Gedanke war stärker als die Restauration, nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa. Das Königreich Sardinien, aus dem alten Herzogtum Piemont hervorgegangen, wurde zum Hauptgegner Österreichs in Italien und zum Kristallisationspunkt des Einigungsprozesses. Zwar konnte Österreich die Revolution von 1848/49 niederschlagen und den ersten Risorgimentokrieg für sich entscheiden, aber der zweite Waffengang zehn Jahre später war der Anfang vom Ende der habsburgischen Machtstellung in Italien. Österreich verlor die Lombardei an Sardinien, und im darauffolgenden Jahr konnte Sardinien nicht nur die ebenfalls mit den Habsburgern eng verwandten Bourbonen aus dem Königreich beider Sizilien beerben, sondern es schlossen sich auch die habsburgische Sekundogenitur Toskana und die Tertiogenitur Modena an Sardinien an. Das 1861 ausgerufene Königreich Italien war also auf Kosten habsburgischer Territorien und Einflusssphären entstanden. Es ist nicht verwunderlich, dass Österreich den neuen Staat längere Zeit nicht anerkannte, es ist noch weniger verwunderlich, dass es unter den neuen Verhältnissen zu keinen Eheschließungen mehr zwischen den Häusern Habsburg und Savoyen gekommen ist. Bekanntlich hat es aber noch einen Versuch dazu gegeben. 1865 schlug König Viktor Emanuel II. dem österreichischen Kaiser Franz Joseph I. – die beiden waren Cousins zweiten Grades – vor, den Thronfolger Humbert mit der habsburgischen Erzherzogin Mathilde, einer Tochter Erzherzog Albrechts, zu verheiraten. In der Absicht, die Beziehungen zwischen Österreich und Italien auf eine neue, für beide Seiten vorteilhafte Grundlage zu stellen, schlug Viktor Emanuel den Verkauf Venetiens an Italien, ein Handelsabkommen und eine politische Allianz vor. Die eheliche Verbindung wäre der symbolträchtige Schlussstein dieser neuen Politik gewesen. Die von Graf Malaguzzi geführten Geheimverhandlungen scheiterten an der Ablehnung durch Kaiser Franz Joseph. 22 Damit war die Phase der Heiratspolitik zwischen Savoyen und Habsburg zu Ende. Die durch die Ehen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen verwandtschaftlichen Verbindungen blieben natürlich bestehen. Dieser Aspekt sei an zwei Beispielen demonstriert. Kaiser Franz Joseph I. und König Viktor Emanuel II., sein Widerpart in den Risorgimentokriegen, waren wie gesagt Cousins zweiten Grades, und dies gleich in doppelter Hinsicht. Kaiser Franz Josephs Großvater väterlicherseits, Kaiser Franz II. (I.), und der Großvater König Viktor Emanuels mütterlicher22 Zur Mission Malaguzzi siehe Blaas, Problema veneto 85 f., und Ders., Tentativi di approccio.

153

154

Haus Savoyen und Haus Habsburg

seits, Ferdinand III., Großherzog von Toskana, waren Brüder. Ihre Gattinnen, Großmütter unserer Rivalen, waren Schwestern, nämlich Maria Theresia und Luisa Maria, Töchter des Königs Ferdinand I. beider Sizilien. Mit der Gemahlin Viktor Emanuels II., der Erzherzogin Maria Adelheid (siehe 8.), war Kaiser Franz Joseph I. noch näher verwandt, denn sein Vater Erzherzog Franz Karl war ein Cousin ersten Grades zu ihr.

8.3 Beispiele von Notifikationsschreiben Wenden wir uns nun wieder den Notifikationsschreiben zu, nachdem wir den Hintergrund ausgeleuchtet und entdeckt haben, dass zur gesellschaftlichen Gepflogenheit und zur politisch-rechtlichen Notwendigkeit der Familienkorrespondenz auch tatsächliche Verwandtschaftsbeziehungen getreten sind. Ich habe fünf Beispiele von Notifikationsschreiben des Hauses Savoyen an das Haus Habsburg und die entsprechenden Antworten ausgewählt, die aus einem Zeitraum von einem halben Jahrhundert stammen und zu verschiedenartigen Anlässen geschrieben wurden, nämlich zwei Geburten, eine Hochzeit und zwei Todesfälle. Anschließend folgen einige Beobachtungen und Erläuterungen. Das erste Beispiel ist das Notifikationsschreiben vom 16. März 1844, mit dem König Karl Albert von Sardinien mitteilte, dass sein Sohn, der Thronfolger Viktor Emanuel, einen Sohn bekommen habe, Prinz Humbert. Der Vater des Knaben war damals 24 Jahre alt, der neugeborene Prinz, übrigens genau am gleichen Tag geboren wie sein Vater, am 14. März, war, nach Prinzessin Clotilde, das zweite Kind. Die Mutter kennen wir: Es war die Erzherzogin Maria Adelheid, Tochter des Vizekönigs Rainer (siehe 8.). Sie war 21 Jahre alt. Die Freude im Haus Savoyen über den künftigen Kronprinzen war gewiss groß. Das Schreiben ist, ebenso wie die Antwort des österreichischen Kaisers, in lateinischer Sprache abgefasst. Darauf komme ich noch zurück.

8.3.1 Notifikation König Karl Alberts von der Geburt Prinz Humberts, Turin, 16. März 1844 (beschädigte Reinschrift und Kopie HHStA, Admin. Reg., F2, Karton 12, Sardinien, Z.1105/1844) Serenissime et Potentissime Princeps Affinis, Frater et Consanguinee Carissime! Pergrati officii partes expleo dum Imperatoriae Majestati Vestrae renuntiare propero Serenissimam Ducem Mariam Adelaidem, Serenissimi Sabaudiae Ducis percari Filii Mei Primogeniti dilectissimam Conjugem, die 14a hujus mensis, bene constitutum Principem enixam esse, qui Humberti-

Beispiele von Notifikationsschreiben

Rainieri-Caroli-Emmanuelis-Joannis-Mariae-Ferdinandi-Eugenii nomina in Sacro baptismatis fonte recepit, et Principis Pedemontis titulo appellabitur. Pro compertis Majestatis Vestrae in Me Meosque amicissimi animi sensibus atque arctissimis necessitudinis vinculis quibus Domus Nostrae conjugantur minime dubito Ipsam justae quam ex auspicatissimo hoc tantique momenti pro Regia Mea Familia Meisque populis eventu, hausi laetitiae in consortium lubenter esse venturam. Quod superest amantissimam meam in Majestatem Vestram voluntatem hisce iterum atque iterum confirmans Eandem Supremi Numinis tutelae enixe commendo. Dat. Taurini die 16. mensis Martii anno 1844. [m.p.] Majestatis Vestrae Imperatoriae ac Regiae bonus Affinis, Frater et Consanguineus C. Albertus [m.p.] Solarus a Margeritu

Durchlauchtigster und Großmächtigster Fürst und Schwager, liebster Bruder und Blutsverwandter! Voll Dankbarkeit und pflichtschuldig beeile ich Mich Eurer Kaiserlichen Majestät mitzuteilen, dass die durchlauchtigste Frau Herzogin Maria Adelaide, die geliebteste Gattin des durchlauchtigsten Herzogs von Savoyen, meines geliebtesten erstgeborenen Sohnes, am 14. d. M. eines wohlgeratenen Prinzen glücklich entbunden wurde, der in der heiligen Taufe die Namen Humbert-Rainer-Karl-Emanuel-Johannes-Maria-Ferdinand-Eugen erhalten hat und mit dem Titel Prinz von Piemont benannt wird. Angesichts der zuverlässigen freundschaftlichsten Gefühle Eurer Majestät gegen Mich und Mein Haus und der sehr engen verwandtschaftlichen Bande, mit denen Unsere Häuser verknüpft sind, zweifle Ich nicht, dass Ihr der berechtigten, aus diesem so sehr erhofften und wichtigen Ereignis für Meine Königliche Familie und Meine Völker geschöpften Freude sehr gerne beistimmen werdet. Verbleibend in der freundlichsten und wieder und wieder bekräftigten Zuneigung zu Eurer Majestät empfehle ich Dieselbe innig dem Schutz des Höchsten. Gegeben Turin, 16. März 1844. 23

23 Diese und die folgenden Übersetzungen von Stefan Malfèr.

155

156

Haus Savoyen und Haus Habsburg

Antwortschreiben Kaiser Ferdinands I., [Wien] 10. April 1844 (Konzept, ebd.)

Serenissime [etc.] pp. Pergratum mihi ex litteris Regiae Vestrae Majestatis die 16a mensis Martii anni 1844 ad Me datis intellectu fuit, Serenissimam Dominam Archiducem Mariam Adelaidem Serenissimi Domini Sabaudiae Ducis dilectissimam Conjugem, die 14a mensis ejusdem Principem Filium feliciter enixam esse, cui in sacro [baptismatis] fonte nomina Humberti Rainieri imposita sunt, quive titulum Principis Pedemontis gerendum accepit. Justi quo faustus hic eventus Majestatem Vestram replet gaudii, pro ea qua invicem jungimur amicissima nescessitudine lubentissime particeps, quod superest, Eandem Regiamque Suam Domum summi divini Numinis tutela enixe commendo.

Durchlauchtigster ... Mit großem Dank habe ich aus dem Schreiben Eurer königlichen Hoheit an Mich vom 16. März 1844 entnommen, dass die durchlauchtigste Frau Erzherzogin Maria Adelaide, die geliebteste Gattin des durchlauchtigsten Herrn Herzogs von Savoyen, am 14. d. M. eines Kronprinzen glücklich entbunden wurde, dem in der heiligen Taufe die Namen Humbert Rainer gegeben wurden und der den Titel Prinz von Piemont erhalten hat. Mit berechtigter Freude erfüllt dieses hohe Ereignis Eure Majestät, und indem Wir auf das freundschaftlichste in Verwandtschaft miteinander verbunden sind nehmen wir sehr gern Anteil. Es bleibt uns nur, Euer königliches Haus dem allerhöchsten göttlichen Walten innig zu empfehlen.

Ein Vierteljahrhundert später, 1868, heiratete der inzwischen zum Thronfolger nachgerückte Prinz Humbert, nachdem die Ehe mit einer Habsburgerin nicht zustande gekommen war, wie wir gesehen haben, seine Cousine, die erst sechzehnjährige Prinzessin Margarete von Savoyen, Tochter des bereits verstorbenen Bruders von König Viktor Emanuel II., Ferdinand von Genua, und der Elisabeth von Sachsen. Der Vater des Bräutigams, König Viktor Emanuel II. von Italien, teilte das schöne Ereignis seinem Cousin Kaiser Franz Joseph I. mit. Übrigens ist es das erste Notifikationsschreiben des Hauses Savoyen an das Haus Habsburg in italienischer Sprache. Bis dahin hatte Viktor Emanuel, auch noch als König von Italien, lateinisch notifiziert. Franz Joseph blieb in seiner Antwort beim Latein, und so hielt er es bis zum Schluss.

Beispiele von Notifikationsschreiben

8.3.2 Notifikation König Viktor Emanuels II. von der Eheschließung Prinz Humberts mit Prinzessin Margarethe von Savoyen, Turin, 24. April 1868 (Reinschrift, HHStA, Admin. Reg., F2, Karton 21, Italien/1, Z.7644/1868) Altissimo e Potentissimo Principe, Nostro buon Fratello e Cugino Carissimo. Si è, colla benedizione divina, celebrato in Torino, addì 22 d’Aprile, il matrimonio dell’amato Nostro Figlio, Umberto di Savoja, Real Principe d’Italia, con la diletta Nostra Nipote la Principessa Margherita di Savoja, figlia del defunto Principe Ferdinando Duca di Genova, caro Nostro Fratello. Sicuri che la Maestà Vostra Imperiale e Reale, amichevolmente disposta verso di Noi, prenda cordialmente parte alle cose che concernono la Nostra persona e la Nostra Reale Famiglia, ci rechiamo a dovere d’annunziarLe un avvenimento sì lieto. E alla Maestà Vostra invochiamo ogni consolazione da Dio. Dato in Torino, addì 24 d’Aprile dell’anno 1868, vigesimo del Nostro regno. [m.p.] Di Vostra Maestà Imperiale e Reale Buon Fratello e Cugino Vittorio Emanuele A Sua Maestà L’Imperatore d’Austria [m.p.] L.F.Menabrea

Allerhöchster und Großmächtigster Fürst, liebster Bruder und Vetter! Es wurde mit Gottes Segen in Turin am 22. April die Hochzeit Unseres geliebten Sohnes, Umberto von Savoyen, Königlicher Prinz von Italien, mit Unserer geliebten Nichte, Prinzessin Margarete von Savoyen, Tochter des verstorbenen Prinzen Ferdinand, Herzogs von Genua, Unseres geliebten Bruders, gefeiert. In der Gewissheit, dass Eure Kaiserliche und Königliche Majestät, Uns freundschaftlich gewogen, herzlich Anteil nehmen an den Ereignissen betreffend Unsere Person und Unsere Familie, halten wir es für Unsere Pflicht, Euch ein so freudiges Ereignis mitzuteilen. Für Eure Majestät erbitten wir von Gott jeden Trost. Gegeben in Turin, am 24. April 1868, im zwanzigsten Jahr Unserer Herrschaft.

157

158

Haus Savoyen und Haus Habsburg

Antwortschreiben Kaiser Franz Josephs I., [Wien] 31. Mai 1868 (Konzept, ebd.)

Augustissimus ad Italiae Regem. Majestati Vestrae pro litteris amantissimis die vigesima quarta mensis elapsi exaratis, quibus certiorem Me reddere voluit de nuptiis inter Serenissimum Principem Humbertum, Regium Italiae Principem atque Serenissimam Sabaudiae Principem Margerittam celebratis, summas gratia agens, Serenissimis matrimonio nuperrime junctis omnia, quae fausta fortunataque sunt, voveo. De caetero hac etiam occasione Majestati Vestrae insignem existimationem Meam sincerrimaeque amicitiae sensus confirmo. Dabantur

Se. Majestät an den König von Italien. Indem ich Eurer Majestät für das liebenswürdige Schreiben vom 24. v. M. bestens danke, mit dem Sie Mich in Kenntnis setzen wollten über die Hochzeit, die zwischen dem Durchlauchtigsten Prinzen Humbert, Kronprinz des Königreichs Italien, und der Durchlauchtigsten Prinzessin von Savoyen, Margarete, gefeiert wurden, wünsche ich den jüngst in der Ehe verbundenen Durchlauchten alles Heil und Glück. Im Übrigen bekräftige ich bei dieser Gelegenheit Eurer Majestät Meine ausgezeichnete Wertschätzung und das Gefühl aufrichtiger Freundschaft. Gegeben.

Bereits eineinhalb Jahre später konnte sich das jungvermählte italienische Thronfolgerpaar über die Geburt eines Prinzen freuen, und mit ihm der Großvater, König Viktor Emanuel II., dessen Namen das neugeborene Kind erhielt.

8.3.3 Notifikation König Viktor Emanuels II. von der Geburt Prinz Viktor Emanuels. Florenz, 25. November 1869 (Reinschrift, HHStA, Admin. Reg., F2, Karton 21, Italien/4, Z.749/1870) Altissimo e Potentissimo Principe, Nostro buon Fratello e Cugino Carissimo. Con particolare soddisfazione mi fo premura di notificare alla Maestà Vostra Imperiale e Reale Apostolica che addì 11 del corrente Novembre in Napoli, la mia carissima Nuora Sua Altezza Reale la Principessa Margherita di Savoja, Principessa di Piemonte, Consorte dell’amatissimo mio

Beispiele von Notifikationsschreiben

Figlio Sua Altezza Reale Umberto di Savoja Principe Reale d’Italia, Principe di Piemonte, ha dato felicemente alla luce un Figlio al quale sono stati posti i nomi di Vittorio Emanuele Ferdinando Maria Gennaro, col titolo di Principe di Napoli. L’interessamento amichevole che la Maestà Vostra ha costantemente manifestato per tutto ciò che riguarda la mia Reale Famiglia, mi fa sperare che Ella si assocerà alla viva gioia che questo fausto avvenimento cagiona al mio cuore. Nell’assicurare la Maestà Vostra de’ miei voti sinceri per la Sua felicità e per la prosperità della Sua Imperiale e Reale Famiglia, Le rinnovo le proteste dei sentimenti di alta stima e d’inviolabile amicizia con cui prego Dio che abbia Vostra Maestà nella Sua Santa custodia. Date a Firenze il 25 Novembre 1869. [m.p.] Alla Maestà Vostra Imperiale Reale Apostolica Buon Fratello e Cugino Vittorio Emanuele A Sua Maestà L’Imperatore d’Austria [m.p.] L.F.Menabrea

Allerhöchster und Großmächtigster Fürst, liebster Bruder und Vetter! Mit besonderer Genugtuung beeile ich Mich, Eurer Kaiserlichen und Königlichen Apostolischen Majestät mitzuteilen, dass am 11. d. M. in Neapel Meine geliebteste Schwiegertochter, Ihre Königliche Hoheit und Prinzessin Margarete von Savoyen, Prinzessin von Piemont, Gemahlin Meines geliebtesten Sohnes, Seine Königliche Hoheit Umberto von Savoyen, Kronprinz Italiens, Prinz von Piemont, glücklich einen Sohn ans Licht gebracht hat, dem die Namen Viktor Emanuel Ferdinand Maria Januarius gegeben wurden, mit dem Titel Prinz von Neapel. Das freundliche Interesse, das Eure Majestät wiederholt in allem gezeigt haben, was Meine Königliche Familie betrifft, lässt mich hoffen, dass Sie sich der lebhaften Freude anschließen, welche dieses hohe Ereignis Meinem Herzen bereitet hat. Indem Ich Eure Majestät der aufrichtigen Wünsche für das Glück und für das Gedeihen Eurer Kaiserlichen und Königlichen Familie versichere, erneuere ich die Beteuerung der Gefühle der Hochachtung und der unverbrüchlichen Freundschaft, mit denen ich Gott bitte, er möge Eure Majestät in seinem heiligen Schutz halten. Gegeben in Florenz am 25. November 1869.

159

160

Haus Savoyen und Haus Habsburg

Antwortschreiben Kaiser Franz Josephs I., [Wien] 22. Jänner 1870 (Konzept, ebd.)

Augustissimus ad Italiae Regem. Summopere cum Regia Majestate Vestra gaudeo et gratulor de eventu illo faustissimo, cujus Me litteris amantissimis die septimo Calendarum Decembris anni elapsi certiorem reddere voluit, a Serenissima Conjuge Serenissimi Principis Humberti, Majestatis Vestrae filii, filiolum Pricipem feliciter in lucem editum fuisse, cui nomina Victor Emanuelis Ferdinandus Maria Jannuarius imposita fuere. Opto precorque, ut adolescens infans Serenissimis Parentibus Suis oblectamento sit et voluptati, Majestatem vero Vestram felicissime valere ex animo cupio. De caetero hac etiam occasione Majestati Vestrae amantissimos animi Mei sensus insignemque exisimationem Meam iterum iterumque contestor. Dabantur

Se. Majestät an den König von Italien. Wirklich sehr freue Ich Mich mit Eurer Königlichen Majestät und gratuliere zu dem hohen Ereignis, von dem Ihr Mich mit dem liebenswürdigen Schreiben vom 25. November v. J. 24 in Kenntnis zu setzten geruht habt, dass von der Durchlauchtigsten Gemahlin des Durchlauchtigsten Prinzen Humbert, Eurer Majestät Sohn, ein Prinz glücklich ans Licht gebracht wurde, dem die Namen Viktor Emanuel Ferdinand Maria Januarius gegeben wurde. Ich wünsche und bete, dass das heranwachsende Kind seinen Durchlauchtigsten Eltern Ergötzung und Vergnügen bereite, Eurer Majestät aber wünsche ich von Herzen glücklichstes Wohlbefinden. Im Übrigen bekräftige ich bei dieser Gelegenheit Eurer Majestät Meine freundlichsten Gefühle und bezeuge Meine wiederholte ausgezeichnete Wertschätzung. Gegeben.

Neun Jahre später, am 9. Jänner 1878, starb König Viktor Emanuel II. im 58. Lebensjahr, und Prinz Humbert wurde König von Italien und Oberhaupt der savoyischen Dynastie.

24 »dies VII Calendarum Decembris« ist eine andere Bezeichnung für den 25. November, zurückgezählt vom 1. Dezember (= Kalenden des Dezembers).

Beispiele von Notifikationsschreiben

Franz Joseph I. und Viktor Emanuel II., die Feinde in den drei Risorgimentokriegen, hatten sich längst ausgesöhnt. Die Cousins haben einander persönlich gekannt. Im September 1873 hat der italienische König anlässlich der Wiener Weltausstellung Kaiser Franz Joseph besucht. Im April 1875 hat Franz Joseph den Besuch erwidert, allerdings aus diplomatischen Gründen in Venedig und nicht im Rom. 25 Längst war übrigens das Telegraphenzeitalter gekommen, und die Notifikationsschreiben erfüllten nicht mehr ein Informationsbedürfnis. Kaiser Franz Joseph richtete sofort nach dem Ableben Viktor Emanuels ein Beileidschreiben an König Humbert. 26 Dieser bedankte sich mit einem eigenhändigen Schreiben in französischer Sprache. 27 Gleichzeitig aber sandte er in gewohnter Weise das offizielle Notifikationsschreiben über den Tod seines Vaters und über seine eigene Thronbesteigung an Kaiser Franz Joseph. Die Antwort darauf ist, wie gewohnt, in lateinischer Sprache abgefasst. Die Hoftrauer in Wien für den König von Italien und Cousin Kaiser Franz Josephs dauerte übrigens 16 Tage.

8.3.4 Notifikation König Humberts I. vom Ableben König Viktor Emanuels II. und von der Thronbesteigung, Rom, 18. Jänner 1878 (Reinschrift, HHStA, Admin. Reg., F2, Karton 55, Italien/10, Z.1638/1878) Altissimo e Potentissimo Principe, Mio buon Fratello e Cugino carissimo. Vostra Maestà Imperiale e Reale Apostolica ebbe notizia della morte improvvisa del Mio amato Genitore, e, associandosi al mio lutto, mi recava quel solo conforto cui l’animo mio potesse aprirsi in questi giorni di tristezza. Le qualità eminenti del Sovrano di cui l’Italia intera piange la perdita, gli avevano conciliato la benevolenza di Vostra Maestà. Anch’Io, chiamato a succedergli nel trono, volgerò ogni mio intento a ristringere e rassodare le relazioni di amicizia che fortunatamente esistono tra il Mio Governo e quello della Maestà Vostra. Ho incaricato il Generale Cavaliere Ettore Bertole Viale, il quale avrà l’onore di rimettere la presente lettera nelle mani di Vostra Maestà, di farLe palese questi miei sentimenti. Ond’è che Io prego la Maestà Vostra Imperiale Reale di volerlo accogliere benignamente e di

25 Furlani–Wandruszka, Österreich und Italien 218 f. 26 Dies geht aus der Antwort König Humberts hervor; ein Konzept des Schreibens Franz Josephs liegt nicht bei den Akten. Vermutlich war es ein eigenhändiges Schreiben des Kaisers in französischer Sprache. 27 Reinschrift HHStA, Administrative Registratur, F2, Karton 55, Italien/10, Z. 1638/1878.

161

162

Haus Savoyen und Haus Habsburg

prestare piena fede a ciò che egli sarà per dirLe in mio nome, soprattutto quando sarà per attestare alla Maestà Vostra l’inalterabile affetto e l’alta considerazione con cui prego Dio che abbia Vostra Maestà nella Sua Santa custodia. Date a Roma addì 18 Gennajo 1878. [m.p.] Alla Maestà Vostra Imperiale e Reale Apostolica Buon Fratello e Cugino Umberto A Sua Maestà Imperiale e Reale Apostolica [m.p.] Depretis

Allerhöchster und Großmächtigster Fürst, Mein lieber Bruder und Vetter! Eure Kaiserliche und Königliche Apostolische Majestät haben vom plötzlichen Ableben meines geliebten Vaters erfahren, und indem Sie meine Trauer teilten gaben Sie mir den einzigen Trost, der sich meinem Gemüt in diesen traurigen Tagen eröffnen konnte. Die außerordentlichen Fähigkeiten des Herrschers, dessen Verlust ganz Italien beweint, haben ihm das Wohlwollen Eurer Majestät erworben. Auch Ich, der ich berufen bin ihm auf dem Thron nachzufolgen, werde alle meine Absichten darauf richten, die freundschaftlichen Beziehungen, die glücklicherweise zwischen Meiner Regierung und jener Eurer Majestät bestehen, enger und fester zu knüpfen. Ich habe den General Ritter Ettore Bertolè Viale, 28 der die Ehre haben wird, diesen Brief Eurer Majestät zu übergeben, beauftragt, meine diesbezüglichen Gefühle mitzuteilen. Daher bitte Ich Eure Kaiserliche und Königliche Majestät, ihn gütig zu empfangen und dem, was er Ihnen in meinem Namen sagen wird, voll und ganz zu glauben, besonders wenn er Eurer Majestät die unwandelbare Zuneigung und hohe Wertschätzung bezeugen wird, mit der ich Gott bitte, er möge Eure Majestät in seinem heiligen Schutz halten. Gegeben in Rom am 18. Jänner 1878.

28 Gewesener Kriegsminister, zu diesem Zeitpunkt Generalstabschef und erster Flügeladjutant Viktor Emanuels II.

Beispiele von Notifikationsschreiben

Antwortschreiben Kaiser Franz Josephs I., [Wien l5. Februar 1878 (Konzept, ebd.)

Augustissimus ad Italiae Regem Humbertum. Amantissimas Majestatis Vestrae litteras die decima octava mensis elapsi exaratas, quibus luctuosissimam illam jacturam Mihi notificare voluit, quam Eadem atque universa Ipsius familia est experta morte praematura Serenissimi Majestatis Vestrae Patris, Regis Victoris Emanuelis, Generalis Eques Hector Bertole-Viale Mihi tradidit. Pro singulari illa, quae inter Domus Nostras intercedit conjunetione, nulla certe opus erit confirmatione sincerrimi Mei affectus, quo tristissimum hunc nuntium excepi. Haud minori quam Regia Majestas Vestra studio in eo intentus ero, ut amicitiae relationes intra Meum atque Majestatis Vestrae Gubernium feliciter existentes arctiori semper vinculo nectantur. De caeteris Majestati Vestrae fausta omnia fortunataque ad Regiminis accessum vovens hanc etiam intermittere occasionem non possum quin Eidem insignis Meae existimationis obtestationem iterum iterumque reiterem. Dabantur.

Se. Majestät an den König Humbert von Italien. Eurer Majestät freundlichstes Schreiben vom 18. Jänner v. M., mit dem Sie Mir jenes so traurige Ereignis mitteilen wollten, das Ihnen und Ihrer ganzen Familie durch den vorzeitigen Tod der Durchlauchtigsten Majestät, Ihres Vaters, widerfahren ist, hat mir General Ritter Hector Bertolé-Viale übergeben. Die einzigartige Verbindung, die zwischen Unseren Häusern besteht, macht eine Bekräftigung Meiner aufrichtigsten Gefühle, mit denen ich diese Nachricht empfangen habe, nicht notwendig. Nicht weniger als Eure Königliche Majestät werde ich danach trachten, dass die freundschaftlichen Beziehungen, die zwischen Meiner und der Regierung Eurer Majestät glücklicherweise bestehen, durch immer stärkere Bande verknüpft werden. Indem ich im Übrigen Eurer Majestät alles Heil und Glück zur Thronbesteigung wünsche kann ich auch diese Gelegenheit nicht versäumen, Ihnen Meine wiederholte Wertschätzung zu bezeugen. Gegeben.

Als letztes Beispiel sei das Notifikationsschreiben zitiert, das König Humbert anlässlich des Todes seines Bruders, Prinz Amadeus Ferdinand Maria, im Jänner 1890 an Kaiser Franz Joseph richtete. Prinz Amadeus mit dem Titel Herzog

163

164

Haus Savoyen und Haus Habsburg

von Aosta war der einzige Bruder König Humberts. Er war sehr beliebt. Als er starb, war er 44 Jahre alt und Vater von vier Kindern. Seine erste Frau war bereits 1876 gestorben. Im November 1888 hatte er wieder geheiratet. Das Kind aus dieser Ehe war noch nicht ein halbes Jahr alt, als der Vater nach kurzer, schwerer Krankheit starb. 29 Diesmal setzte das Obersthofmeisteramt in Wien eine Hoftrauer von zwölf Tagen an.

8.3.5 Notifikation König Humberts I. vom Ablebens seines Bruders Amadeus, Rom, 27. Jänner 1890 (Reinschrift, HHStA, Admin. Reg., F2, Karton 55, Italien/26, Z.4209/1890) Altissimo e Potentissimo Principe, Mio buon Fratello e Cugino carissimo. Col cuore affranto dal dolore annunzio a Vostra Maestà Imperiale e Reale Apostolica che il 18 del corrente mese, dopo brevissima e crudele malattia, spirava in Torino l’amatissimo mio unico Fratello, Sua Altezza Reale il Principe Amedeo Ferdinando Maria di Savoia, Duca d’Aosta. L’interesse da Vostra Maestà sempre dimostrato per tutto quello che concerne la mia Reale Famiglia, mi dà piena certezza che Ella vorrà partecipare al profondo dolore che la grande ed inattesa sciagura ha recato al mio cuore fraterno, alla mia Casa e all’intera Nazione. Facendo fervidi voti affinchè la Divina Provvidenza preservi lungamente la Maestà Vostra da simili dolorosi avvenimenti, rinnovo a Vostra Maestà le assicurazioni dell’alta stima e della inalterabile amicizia con cui sono, Roma 27 Gennaio 1890 [m.p.] Di Vostra Maestà Imperiale e Reale Apostolica Buon Fratello e Cugino Umberto A Sua Maestà Imperiale e Reale Apostolica [m.p.] Crispi

29 Enciclopedia italiana 2, 830 f.; Dizionario biografico degli italiani 2, 756 f.

Beispiele von Notifikationsschreiben

Allerhöchster und Großmächtigster Fürst, Mein lieber Bruder und Vetter! Mit vor Schmerz gebrochenen Herzen teile Ich Eurer Kaiserlichen und Königlichen Apostolischen Majestät mit, dass am 18. d. M. nach ganz kurzer und grausamer Krankheit in Turin mein vielgeliebter einziger Bruder, Seine Königliche Hoheit Prinz Amadeus Ferdinand Maria von Savoyen, Herzog von Aosta, verschieden ist. Das Interesse, das Eure Majestät für alles, was meine Königliche Familie betrifft, stets gezeigt hat, gibt mir die volle Sicherheit, dass Ihr am tiefen Schmerz Anteil nehmen werdet, den das große und unerwartete Unglück meinem brüderlichen Herzen, meinem Haus und der ganzen Nation bereitet hat. Mit der innigen Bitte, dass die Göttliche Vorsehung Eure Majestät lange Zeit hindurch vor ähnlichen schmerzlichen Ereignissen bewahren möge, erneuere ich Eurer Majestät die Versicherung der hohen Wertschätzung und der unwandelbaren Freundschaft, mit der ich verbleibe.

Antwortschreiben Kaiser Franz Josephs I., [Wien] 20. Februar 1890 (Konzept, ebd.)

Augustissimus ad Italiae Regem. Vivo sane dolore ex litteris Majestatis Vestrae Regiae die vigesimo septimo mensis elapsi ad Me datis luctuosissimum illum eventum cognovi, quem Majestas Vestra atque universa Ipsius familia est experta ex obitu Celsitudinis Suae Regiae Principis Amadei Ferdinandi Mariae a Savoia Ducis Aostae. Pro singulari animi mei in Majestatem Vestram affectu cum Eadem condolesco atque sincerrime voveo ut omnia quae lugendi occasionem adferre possint, quam longissime a Majesate Vestra Regia avertantur. De caeteris hanc etiam accipio occasionem ad immutabilem Meam in Majestatem Vestram Regiam amicitiam atque insignem Meam in Eadem existimationem obtestandum. Dabantur.

Se. Majestät an den König von Italien. Mit wirklich lebhaftem Schmerz habe Ich aus dem Brief Eurer Königlichen Majestät vom 27. v. M. an Mich jenes so traurige Ereignis erfahren, das Eurer Majestät und Ihrer ganzen Familie durch den Tod Seiner Durchlaucht des Königlichen Prinzen Amadeus Ferdinand Maria von Savoyen, Herzogs

165

166

Haus Savoyen und Haus Habsburg

von Aosta, widerfahren ist. In außerordentlicher Zuneigung für Eure Majestät kondoliere Ich und wünsche aufrichtigst, dass alles, was Grund zur Trauer bieten möge, so lang wie möglich von Eurer Majestät abgewendet werde. Im Übrigen ergreife ich auch diese Gelegenheit, Eurer Königlichen Majestät meine unwandelbare Freundschaft und Meine ausgezeichnete Wertschätzung zu bezeugen. Gegeben.

8.4 Überlegungen zu Form und Inhalt der Familienkorrespondenz Wenn wir diese und die vielen anderen Notifikationsschreiben gemeinsam betrachten, können wir Folgendes feststellen. Die Briefe gehen von Familienoberhaupt zu Familienoberhaupt. Der regierende König ist es, der die Eheschließung der Geschwister, der Kinder, Nichten und Neffen, die Geburten und Todesfälle in der Großfamilie mitteilt, und der Kaiser erhält sie als Familienoberhaupt der anderen Familie, in deren Namen er auch Anteil nimmt. Die Schreiben werden auf diplomatischem Weg übermittelt. Beim staatspolitisch bedeutsamen Fall des Thronwechsels wird ein Sonderbotschafter entsandt. 1878 ist es der General Ritter Ettore Bertolè Viale. Nach der Ermordung König Umbertos und der Thronbesteigung Viktor Emanuels III. im Jahr 1900 ist es der Generalleutnant Graf Luchino Del Mayno. Die Antwortschreiben wurden in der Staatskanzlei, ab 1848 dem Ministerium des Kaiserlichen Hauses und des Äußeren verfasst und auf diplomatischem Weg nach Turin bzw. nach Florenz und Rom geschickt. Die Schreiben sind im Quartformat und von Sekretärshand hervorragend kalligraphiert. Die Anrede ist durch kräftigere Strichführung wie im Fettdruck hervorgehoben. Der Text einschließlich der Orts- und Zeitangabe ist ganzzeilig ohne Absätze geschrieben. Anschließend folgt rechts die eigenhändige Courtoisie und Unterschrift des Königs, weiter unten links die Adresse, wieder durch kräftige Federstriche hervorgehoben, schließlich rechts unten eigenhändig die Kontrasignatur des Außenministers. Stets wird eine in einfacherer Form gehaltene Kopie mitgeschickt. Die äußere Form erinnert an eine mittelalterliche Urkunde oder an die feierliche Form des neuzeitlichen Kanzleischreibens. In der Form des Kanzleischreibens vollzog sich früher auch die Korrespondenz in Familienangelegenheiten. Im 19. Jahrhundert war an seine Stelle bereits das einfachere Hand- oder Kabi-

Überlegungen zu Form und Inhalt

nettschreiben im Briefstil getreten. 30 Das Schema des Briefes ist klar erkennbar. Unabhängig vom Anlass und von individuellen Wendungen sind folgende Teile stets vorhanden. 1.

2.

3.

4.

Die Anrede. Nach alter Tradition redeten sich christliche Könige mit Bruder und anderen Verwandtschaftsprädikaten an: Altissimo e Potentissimo Principe, Nostro buon Fratello – später – Mio buon Fratello e Cugino carissimo. Es folgt sofort ohne weitere Einleitung die Narratio, also die Erzählung des Ereignisses, das den Anlass zum Schreiben gab, wobei die Personen mit ihrem Rang und Namen, die Täuflinge unter Anführung des vollen mehrteiligen Namens angeführt werden. Sie ist in der Regel so stilisiert, dass alles Mitzuteilende in einem Satz untergebracht wird. Eine Ausnahme bildet das Notifikationsschreiben anlässlich des Ablebens Viktor Emanuels II. und der Thronbesteigung Humberts, in dem die Narratio vier Sätze umfasst. Der Satz, der der Narratio folgt, erscheint als bloße Höflichkeitsfloskel. Dem ist aber nicht so, es handelt sich vielmehr um die Petitio oder Dispositio, jenen Teil, in dem der Brief gipfelt, in dem er die »Willenserklärung des Ausstellers« enthält und seinen eigentlichen Zweck und »den Interessenstandpunkt des Verfassers« bezeichnet. 31 In unserem Fall ist es die Bitte um Anteilnahme und um weitere Gewogenheit für die eigene Familie: »[...] . minime dubito Ipsam [...] laetitiae in consortium lubenter esse venturam.« (a), »L’interessamento amichevole che la Maestà Vostra ha costantemente manifestato per tutto ciò che riguarda la mia Reale Famiglia, mi fa sperare che Ella si assocerà alla viva gioia [...]« (c). Dieser Satz bietet Gelegenheit, die guten Beziehungen unter den Familien anzusprechen. Darauf gründet auch die Erwartung der Anteilnahme. Es folgt als Bekräftigung die Conclusio oder Sanctio, in der man den Adressaten seinerseits der eigenen Wertschätzung versichert und ihm alles Gute und Gottes Segen wünscht: »[...] Majestatem Vestram [...] Supremi Numinis Tutelae enixe commendo.« (a), »[...] prego Dio che abbia Vostra Maestà nella Sua Santa custodia.« (c, d), »[...] invochiamo ogni consolazione da Dio.« (b), »[...] la Provvidenza preservi [...]« (e). Wir erkennen hier ein Element der Poenformel der mittelalterlichen Urkunde, in der einerseits die Durchsetzung des eigenen Willens und Interesses, die in der Petitio ausgesprochen war, unter Strafdrohung gestellt, andererseits zugleich für die

30 Siehe dazu Meisner, Archivalienkunde 130–134; Hochedlinger, Aktenkunde 138–165. 31 Meisner, Archivalienkunde 66 und 228; Hochedlinger, Aktenkunde 152.

167

168

Haus Savoyen und Haus Habsburg

5. 6. 7. 8.

Befolgung dieses Willens Belohnung verheißen wird. Der positive Teil der Poenformel hat sich im Lauf der Zeit verselbständigt. 32 Ein Relikt dieses Urkunden- bzw. Briefteiles ist die uns geläufige Floskel »mit besten Empfehlungen, hochachtungsvoll [...]«. Es folgen die Angabe des Ortes und des Datums des Briefes (nicht zu verwechseln mit dem Datum des mitgeteilten Ereignisses), die eigenhändige Courtoisie (»Di Vostra Maestà [...] Buon Fratello e Cugino«) und die Unterschrift, die Innenadresse und die Gegenzeichnung durch den Minister des Äußern, mit der dieser dem Monarchen gegenüber die Verantwortung für die Korrektheit der Ausfertigung des Schreibens übernahm und die vor der Unterschrift des Königs erfolgte. 33

Die Sprache, in der die Notifikationsschreiben und die Antworten abgefasst sind, weist darauf hin, dass es sich nicht um politische, sondern um familiäre, aber offizielle Briefe handelt. Es sind keine diplomatischen Aktenstücke. Im diplomatischen Verkehr zwischen Ländern mit verschiedenen Sprachen hatte sich längst die französische Sprache durchgesetzt. Das galt auch zwischen Österreich und Italien. Es sind keine privaten Briefe, bei denen auch andere Sprachen verwendet wurden. Die Sprache der Notifikationsschreiben war entweder Latein oder die Landessprache, die in den europäischen Ländern sukzessive das Latein ersetzt hat. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatten sich bei den Notifikationsschreiben die Landessprachen schon weitgehend durchgesetzt. Lateinisch schrieben z. B. noch die Könige aus dem Hause Wasa in Schweden und Norwegen, die Könige von Neapel-Sizilien, aber auch die Könige Sardiniens und am Anfang auch noch, wie wir gesehen haben, Viktor Emanuel II. als König von Italien. In der Landessprache schrieben z. B. die deutschen Fürsten, die Könige von Portugal, die Königin von Großbritannien, der Kaiser der Franzosen, der russische Zar, aber auch der Sultan und der japanische Tenno. Nur ausnahmsweise ist eine andere als die Landessprache zu finden, z. B. das Französische in Notifikationsschreiben aus Spanien. Die Kopie, die man mitschickte, war entweder ebenfalls in der Landessprache oder Französisch (Zar, Tenno). Die Übersetzung der türkischen Notifikationen des Sultans ins Deutsche verfertigte die Internuntiatur in Konstantinopel. Die Antworten erfolgten jedenfalls solange in Latein, solange auch die Notifikation selbst in dieser Sprache geschrieben war. Es war aber auch möglich,

32 Meisner, Archivalienkunde 229–231; Hochedlinger, Aktenkunde 152. 33 Meisner, Archivalienkunde 248–250; Hochedlinger, Aktenkunde 163–165.

Überlegungen zu Form und Inhalt

auf eine in der Landessprache ausgefertigte Notifikation weiterhin in Latein zu antworten. Kaiser Franz Joseph antwortete generell in dieser Sprache. Eine Ausnahme bildeten nur die Antwortschreiben an die deutschen Fürsten, die ebenfalls deutsch waren; dem Sultan antwortete der Kaiser auf Französisch. Doch an den Zaren, an den Tenno, an Königin Viktoria, an Kaiser Napoleon, an Königin Isabella II. von Spanien, an den König von Portugal, an den habsburgischen Großherzog von Toskana, der bereits vor dem König von Sardinien zum Italienischen übergegangen war, schrieb er in Latein. Wenn also das habsburgische Familienoberhaupt den Königen von Sardinien und dann von Italien in Latein antwortete, kann daraus keine antiitalienische Spitze oder Ablehnung gelesen werden. Das Beharrungsmoment in diesen Fragen der Tradition, der Höflichkeit, des Zeremoniells war eben groß. Dass die Ablehnung des Nationalstaatsgedankens Franz Joseph bestärkt hat, bei der traditionellen Sprache zu bleiben, ist aber naheliegend. 34 Ein kleines Detail zum Thema Beharrung und Wandel sei hier angeführt. Das letzte Notifikationsschreiben des Königs von Italien an den österreichischen Kaiser stammt vom 15. Jänner 1915. König Viktor Emanuel III. zeigt die Geburt einer Tochter, der Prinzessin Maria, an. Das Konzept der Antwort ist natürlich lateinisch, aber zum ersten Mal mit Schreibmaschine geschrieben. 35 Nicht nur die Teile und die Sprache, auch manche Formulierungen sind über die Jahrzehnte hinweg von beträchtlicher Gleichförmigkeit. Natürlich gibt es verschiedene Grundtexte, je nach dem Anlass, und innerhalb der Gleichförmigkeit bleibt Raum für Unterschiede in Wortschatz und Stil. Ebenso bleibt Raum für persönliche Gefühle. Offensichtlich gehörte es zum Stil dieser Familienkorrespondenz, dass man dem Anlass entsprechend seine Gefühle in verschiedenen, abgestuften, aber durchaus spontan wirkenden Wendungen ausdrückte. Die Geburt des ersten Knaben wird zum »auspicatissimo hoc tantique momenti pro Regia Mea Familia Meisque populis eventu«, noch dazu, wenn der Knabe »bene constitutum« ist (a), sie erzeugt »particolare soddisfazione« (c). Der Schreiber der Antwort wünscht den Eltern »ut adolescens infans [...] Parentibus suis oblectamento sit et voluptati« (c). Umgekehrt bewirkt »la morte improvvisa« des Vaters »giorni di tristezza«, der Tod des Bruders »dopo brevissima e crudele malattia« wird »col cuore affranto dal dolore« mitgeteilt, und der Schreiber wünscht dem Adressaten, er möge von solchen traurigen Ereignissen verschont bleiben, »la Divina Provvidenza preservi [...] da simili do-

34 Es ist interessant, dass die Korrespondenz zwischen Papst und Kaiser in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weitgehend in italienischer Sprache geführt wurde, vgl. Engel-Janosi, Die politische Korrespondenz der Päpste. 35 HHStA, Administrative Registratur, F2, Karton 54, Italien/104.

169

170

Haus Savoyen und Haus Habsburg

lorosi avvenimenti« (e). Als das Savoyische Königshaus in den ersten Monaten des Jahres 1855 von mehreren Schicksalsschlägen heimgesucht wurde – innerhalb weniger Monate starben die Mutter, die Gattin, der Bruder und ein nur wenige Monate altes Kind des Königs – heißt es: »Fatales eventus Regalem Domum Nostram rapida vice conturbant [...].« 36 Auch die Beziehungen zwischen den Häusern werden mit abwechselnden und abgestuften Ausdrücken beschrieben: »invicem jungimur amicissima necessitudine« (a), »L’interessamento amichevole [...] per tutto ciò che riguarda la mia Reale Famiglia« (c), »pro singulari illa, quae inter Domus Nostras intercedit conjunctione« (d). In der Antwort auf die Mitteilung der Thronbesteigung Viktor Emanuels II. 1849 wird sogar auf die Revolutionszeit und auf den soeben beendeten Krieg Bezug genommen: »Summa in universam Italiam, tant-opere jactatam et afflictam, pacis ac felicitati solatia derivanda fore et spero et unice exopto.« 37 Auf einen lexikalischen Unterschied sei noch hingewiesen. Während Karl Albert die Geburt des Prinzen Humbert als freudiges Ereignis für seine Familie und für seine Völker (Meisque populis) bezeichnet (a), ist das Ableben des Königsbruders 46 Jahre später ein Unglück für das Haus und für die gesamte Nation (intera nazione) (e). Dass die Notifikationsschreiben zunehmend nicht mehr der Information dienten, sondern der Dokumentation, habe ich schon gezeigt. Sie waren Erfordernisse der Höflichkeit, Ausdruck der Wertschätzung, Pflege der Verbindung zwischen den Häusern. Dasselbe galt für die Antwortschreiben. Verwandtschaft – Etikette – Politik: Wer vermag das in der höfischen Welt immer sauber zu trennen? Ich möchte hier noch ein bemerkenswertes Beispiel anführen, aus dem der Zweck der Familienkorrespondenz ersichtlich wird. Das oben unter (a) zitierte Notifikationsschreiben vom 16. März 1844 war pünktlich in Wien eingetroffen. Das Antwortschreiben wurde ebenso pünktlich konzipiert und am 10. April 1844 ausgefertigt. Dann passierte etwas Unangenehmes: Es wurde irrtümlicherweise nicht expediert, sondern blieb liegen. Eineinhalb Jahre später, im Oktober 1845, wurde es wiederentdeckt. Was tun? Staatskanzler Metternich entschied folgendermaßen. Er beauftragte den österreichischen Gesandten in Turin Graf Buol, das Schriftstück mit erklärender Entschuldigung für die Familienakten zu überreichen. Ich zitiere aus der Weisung Metternichs: Das Antwortschreiben sei »durch einen höchst unliebsamen

36 HHStA, Admin. Reg., F2, Karton 12, Sardinien, Z.3135/1855. 37 »Dass daraus in ganz Italien, das so sehr niedergeworfen und bedrängt ist, der Trost des Friedens und des Glückes entstehen wird, das hoffe ich und wünsche es allein«, HHStA, Administrative Registratur, F2, Karton 12, Sardinien, Z. 7662/1849.

Überlegungen zu Form und Inhalt

Zufall [...] in Verstoß geraten und erst jetzt wieder aufgefunden [worden]. Obwohl sehr verspätet glaube ich dennoch Eurer Exzellenz nachträglich das besagte Schreiben in üblicher Form übersenden zu sollen, damit Sie es bei dem dortigen Staatssekretariat mit entschuldigender Erläuterung abgeben lassen mögen, da ich nicht wünsche, dass früher oder später in den königlichen Familienakten eine Lücke wahrgenommen würde, welche der Vermutung eines Mangels an Rücksicht von Seite des hiesigen Ah. Hauses ausgelegt werden könnte.« 38 Zum Schluss möchte ich noch der Frage nachgehen, wie es um die Familienkorrespondenz in Kriegszeiten stand. Über Jahrzehnte hinweg hatten unsere beiden Dynastien ein fundamentales gemeinsames Interesse. Später folgten Jahrzehnte eines latenten Interessenkonfliktes, der aber durch formal korrekte Beziehungen, ja durch ein politisches Bündnis weitgehend überdeckt war. Dazwischen lagen die Jahre des offenen Interessengegensatzes. Wenn wir aber genauer hinsehen, finden wir nur relativ kurze Zeiten, in denen dieser Gegensatz zum offenen Konflikt führte. Fünfmal befand sich das Königreich Sardinien bzw. Italien und mit ihm das Haus Savoyen im Kriegszustand mit Österreich(-Ungarn): von März 1848 bis August 1849, von April bis November 1859, von Juni bis Oktober 1866, und schließlich von Mai 1915 bis November 1918. Das sind nur 28 Monate im 19. Jahrhundert und dreieinhalb Jahre im Ersten Weltkrieg. Dazu kommt noch die etwas längere Zeit von März 1857 bis Oktober 1866, in denen es keine diplomatischen Beziehungen gab (zwei Kriegszustände fallen in diese Jahre). 39 Ruhte in solchen Zeiten die Familienkorrespondenz? Wenn ja, wurde sie nachgeholt? Aufgrund der in Wien befindlichen Notifikationsschreiben aus dem Haus Savoyen kann dazu Folgendes gesagt werden: 1848 gab es kein zu notifizierendes Familienereignis im Haus Savoyen. In das Jahr 1849 fielen vier Ereignisse. Am 23. März erfolgte der Thronverzicht Karl Alberts und die Thronbesteigung durch Viktor Emanuel II. Das Notifikationsschreiben darüber wurde am 29. März 1849, also drei Tage nach dem Abschluss des Waffenstillstandes ausgestellt. Im April starb die Königinwitwe nach Karl Felix, Maria Christine (siehe 2.), im Juli starb der gewesene König Karl Albert, wenige Tage vor dem Abschluss des Friedens von Mailand. Beide Todesfälle notifizierte der neue König Viktor Emanuel II. auf die übliche Art, den Tod der Königinwitwe noch während des Kriegszustandes, den Tod

38 Weisung Metternichs an Buol vom 19. 10. 1845 bei HHStA, Administrative Registratur, F2, Italien, Z. 1105/1844. 39 Zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen im März 1857 siehe Bulle, Geschichte des zweiten Kaiserreiches und des Königreiches Italien 198; Wiener Zeitung v. 29. 3. 1857, 890.

171

172

Haus Savoyen und Haus Habsburg

des ehemaligen Königs nach Abschluss des Friedens. Alle drei Notifikationsschreiben lagen dem Ministerium des kaiserlichen Hauses in Wien erst Anfang Oktober vor. Sie wurden am 18. November beantwortet, die Todesanzeigen in der herkömmlichen Weise, die Thronbesteigung mit ausführlicheren freundlichen Worten und, wie bereits zitiert, mit dem Wunsch nach Frieden. 40 In die Zeit nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen im März 1857 fiel die Hochzeit der ältesten Tochter König Viktor Emanuels II., der Prinzessin Clotilde, mit dem Prinzen Napoleon Bonaparte, dem jüngsten Sohn Jérôme Bonapartes. Das Ereignis wurde in der herkömmlichen Art angezeigt und die Anzeige beantwortet. Das Antwortschreiben überbrachte der preußische Gesandte in Turin, da Preußen die Vertretung Österreichs übernommen hatte. In die Zeit des Feldzugs von 1859, der ja nur wenige Monate dauerte, fiel kein zu notifizierendes Familienereignis im Haus Savoyen. Am 10. November 1859 wurde der Friede von Villafranca geschlossen. Österreich und Sardinien befanden sich nicht mehr im Kriegszustand, die diplomatischen Beziehungen wurden aber nicht aufgenommen. Am 17. März 1861 nahm Viktor Emanuel II. den Titel König von Italien an, Österreich anerkannte Italien aber nicht. Am 6. Oktober 1862 heiratete die zweite Tochter des Königs, die erst fünfzehnjährige Prinzessin Maria Pia, den König Ludwig I. von Portugal. Am 22. Jänner 1866 starb ein Sohn Viktor Emanuels, der erst 19-jährige Prinz Otto. Von diesen beiden Ereignissen fehlen die Notifikationsschreiben und die Antworten. Bis zum Frieden von Wien am 3. Oktober 1866, in dem das Kaisertum Österreich Italien anerkannte und mit dem die diplomatischen Beziehungen wiederaufgenommen wurden, gab es keine zu notifizierenden Ereignisse im Haus Savoyen mehr. In die Zeit von der Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn am 23. Mai 1815 bis zum Oktober 1918 fielen keine zu notifizierenden Familienereignisse im Haus Savoyen. Das oben erwähnte Schreiben vom 15. Jänner 1915 ist nicht deshalb das letzte, weil bald darauf der Krieg erklärt wurde, sondern weil nachher kein familiärer Anlass im Haus Savoyen eingetreten ist. Wir wissen freilich nicht, was König Viktor Emanuel III. getan hätte, wenn es so einen Anlass gegeben hätte. Zusammenfassend bedeutet das, dass ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen und der Kriegszustand zwischen den beiden Staaten die Ausstellung von Notifikationsschreiben nicht automatisch verhindert haben. Immerhin existieren zwei Notifikationen, die bei aufrechtem Kriegszustand, wenn auch bereits 40 Alle Schreiben HHStA, Administrative Registratur, F2, Sardinien, Z. 7662/1849.

Überlegungen zu Form und Inhalt

nach Abschluss eines Waffenstillstandes, ausgestellt wurden, und eine aus der Zeit des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen. Für weitere Beispiele fehlten die Anlässe. Dagegen fehlen zwei Notifikationen aus der Zeit, da Österreich Italien noch nicht anerkannt hatte. Wir können daraus den vorsichtigen Schluss ziehen, dass diplomatische Verwicklungen und Kriege zwar die Familienkorrespondenz behindern, nicht aber völlig zum Stillstand bringen konnten. Diesen wenigen Fällen steht allerdings eine imponierende Anzahl von Notifikationsschreiben des Hauses Savoyen an das Haus Habsburg mit den entsprechenden Antworten gegenüber. Allein ab 1830 41 sind es rund fünfzig und ebenso viele Antworten. Vollständig werden alle Geburten, Hochzeiten und Todesfälle im Haus Savoyen in der althergebrachten halb feierlichen, halb persönlichen Art und Weise dem Haus Habsburg mitgeteilt mit der stets wiederholten Bitte um freudige oder trauernde Anteilnahme, und ebenso oft wird diese Anteilnahme in den Antwortschreiben ausgedrückt. Jenseits aller Politik wird hier ein rein auf die (Herrscher-)Familien bezogenes Verhalten sichtbar, von wahrhaft langer Dauer. 42 Wir stehen vor einem bemerkenswerten Zeugnis europäischer Kultur. Diese Kultur hat nicht Kriege, auch nicht den Großen Krieg verhindert. Die freundlichen, wunderschön kalligraphierten Anzeigen, Glückwunsch- und Beileidschreiben der Herrscherhäuser haben nicht die politischen Interessen ihrer Familien und ihrer Länder zu beeinflussen und zu verändern vermocht. Aber es gibt sie auch.

41 Vgl. Anm. 1. 42 Man könnte es ergänzen durch die gegenseitigen Ordensverleihungen, durch Geschenke und andere Gesten von Haus zu Haus. – Eine besondere Verbindung stellte auch der für die Geschichte Österreichs so bedeutende Feldherr und Staatsmann Prinz Eugen von Savoyen (1663–1736) dar. Am 18. Oktober 1865, im Jahr der erfolglosen Mission Malaguzzi, enthüllte Kaiser Franz Joseph das bekannte Reiterdenkmal Prinz Eugens auf dem Heldenplatz vor der Hofburg in Wien. Zur Entwicklung des Bildes Prinz Eugens von Savoyen in Österreich im 19. und 20. Jahrhundert siehe Heindl, Prinz Eugen von Savoyen.

173

9. Keine versäumte Chance. Österreich und die Niederlage der päpstlichen Truppen bei Castelfidardo

9.1 Castelfidardo Die Schlacht bei Castelfidardo gilt als Anfang vom Ende des Kirchenstaates und als ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Gründung des Königreichs Italien. Das Städtchen liegt eine halbe Autostunde südlich von Ancona in der Region Marche auf dem sanft vom Apennin zur Adria abfallenden Rücken. Es ist berühmt für die Erzeugung von Ziehharmonikas. Am 18. September 1860 trafen in den Feldern südlich der Stadt die päpstlichen Truppen unter der Führung des französischen Generals Louis de Lamoricière mit den sardinisch-piemontesischen Truppen unter General Enrico Cialdini zusammen. Die Marken gehörten zum Kirchenstaat. Die Piemontesen hatten unter einem Vorwand die Grenzen des Kirchenstaates überschritten, um den Truppen Giuseppe Garibaldis zuvorzukommen, der schon Neapel erobert hatte und nach Norden weiter drängte. Cavour befürchtete, der Republikaner Garibaldi werde die Republik ausrufen, Rom erobern – mit unabsehbaren internationalen Folgen – und die Einigung Italiens unter dem Königshaus Savoyen erschweren. Am 18. September 1860 siegten die königlich-sardinischen Truppen über die päpstlichen, die sich zurückziehen mussten. Im Oktober entschied sich Garibaldi, dem König Viktor Emanuel II. den Vortritt zu lassen und der Einigung Italiens als Monarchie nicht im Wege zu stehen. In Umbrien, in den Marken und in Neapel wurde durch Plebiszite der Anschluss an Sardinien vollzogen. Der Kirchenstaat wurde auf das Patrimonium Petri beschränkt. 1871 wurde auch dieses von Italien annektiert. Es brauchte einige Tage, bis eindeutige Nachrichten von der Schlacht bei Castelfidardo in Wien eintrafen. Das Telegrafennetz in den Marken und in Umbrien war eine Zeit lang unterbrochen gewesen. 1 Die erste Nachricht über ein Zusammentreffen zwischen den Truppen von Lamoricière und Cialdini konnte man in den Wiener Blättern am 20. September 1860 in einem Telegramm aus Turin lesen. Die Päpstlichen seien »vollständig in Unordnung gebracht« 2 worden. Am 21. September hieß es, der größte Teil der päpstlichen Truppen 1 Die Presse v. 18. September 1860, 1. 2 Die Presse v. 20. 9. 1860, 1.

Castelfidardo

habe kapituliert. 3 Die Folgen waren klar, noch bevor Details bekannt wurden: »Die Bedeutung und die Folgen der Niederlage Lamoricièrs [...] sind nicht zu verkennen.« 4 Piemont und Garibaldi seien auf dem Land- und auf dem Seeweg verbunden. Am 24. September konnte »Die Presse« über erste Details der Schlacht berichten. 5 Tags darauf schrieb Rechberg an den österreichischen Botschafter beim Heiligen Stuhl, Freiherr Alexander Bach, und rechtfertigte sich, warum Österreich auf den Vormarsch Sardiniens nach Süden nicht reagiert habe: Was wäre passiert, wenn der Kaiser einer ersten Regung seines Herzens folgend zur Verteidigung der Marken und Umbriens herbeigeeilt wäre? Der österreichische Einmarsch würde sofort England und Frankreich zusammengeführt haben. Ohne Zweifel hätte auch Preußen lauthals unsere Aggression verurteilt und die europäische Presse hätte ein Geschrei erhoben über die von Österreich unterstützte Reaktion und wir hätten sehr bald neuerlich gegen Frankreich und gegen die Revolution einen Waffengang wagen müssen und die feindliche Neutralität Russlands, Preußens und Englands zu spüren bekommen. 6

Vielleicht übertrieb Rechberg, aber es war eben das, was er dem Kardinalstaatssekretär Giacomo Antonelli und Papst Pius IX. sagen wollte. Es war eine Bestätigung der Politik der Nichtintervention. Kaiser Franz Joseph konnte und wollte im Sommer und Herbst 1860 nicht helfend eingreifen. Bekannt ist die abschlägige Antwort vom 26. August 1860 auf den Hilferuf des Papstes mit dem Argument, ohne die anderen konservativen Großmächte nichts ausrichten zu können. Deshalb scheint mir die enge Vereinigung jener Souveräne, die sich noch zu den gesunden Prinzipien bekennen, mehr denn je als das dringendste Bedürfnis der Zeit. Diesem Zweck dienen Meine unausgesetzten Bemühungen, von denen Ich hoffe, dass sie früher oder später von vollem Erfolg gekrönt sein werden. Erst dann wird der Augenblick gekommen sein, in dem Ich nicht mehr allein bin, so wie Ich es unglücklicherweise im vergangenen Jahr gewesen bin. 7

3 4 5 6 7

Die Presse v. 21. 9. 1860, 1. Die Presse v. 21. 9. 1860, Abendblatt, 3. Die Presse v. 24. 9. 1860, 1. Blaas, Österreich und die Einigung Italiens 308. Übersetzung S.M. Original: »Ed è perciò che la stretta unione de’ Sovrani che professano ancora sani principi mi sembra più che mai il più urgente bisogno dell’epoca. A questo scopo infatti tendono i miei sforzi continui e giova sperare che tosto o tardi saranno coronati di pieno suc-

175

176

Keine versäumte Chance

Der Einmarsch der piemontesischen Truppen in den Kirchenstaat war durchaus eine riskante Operation, weil die Truppen Sardiniens in die Länge gezogen und damit punktuell geschwächt wurden. Ein energischer Angriff Österreichs aus dem Festungsviereck gegen Mailand hätte genügt, den Vormarsch des piemontesischen Heeres nach Süden und den Einmarsch in den Kirchenstaat aufzuhalten, er hätte vielleicht sogar die Folgen des Krieges von 1859 rückgängig machen können. Deshalb fragten sich im Herbst 1860 die Diplomaten und die politischen Beobachter in ganz Europa: »Warum greift Österreich nicht ein?« 8 Österreich hätte die Hilferufe des Königs von Neapel, Franz II. (er war ein Cousin 2. Grades von Kaiser Franz Joseph) oder des Papstes Pius IX. (Franz Joseph empfand sich als treuer Sohn der Kirche) zum Vorwand nehmen können, um einzugreifen. Österreich griff aber nicht ein. Warum?

9.2 Die österreichische Italienpolitik nach Solferino Nach der Niederlage auf dem norditalienischen Schlachtfeld bei Solferino im Juli 1859 gegen die französischen und piemontesischen Truppen hatten sich Kaiser Franz Joseph I. und sein Minister des Äußern Johann Bernhard Graf v. Rechberg dazu entschlossen, den Feldzug zu beenden, indem sie unter Preisgabe der Lombardei zuerst den Waffenstillstand von Villafranca und in der Folge den Frieden von Zürich schlossen. Das hatte weitreichende Folgen. Der österreichische Einflussbereich in Italien war weit über das lombardisch-venetianische Königreich hinausgegangen. Nun wurde er in einem Dominoeffekt mitgerissen. Im Herzogtum Parma, im Herzogtum Modena und im Großherzogtum Toskana ging jeder österreichische Einfluss verloren. In das Vakuum stieß mit aller Kraft die italienische Einigungsbewegung vor. Ende April 1859 hatte Großherzog Leopold II. von Toskana aus dem Haus Habsburg-Lothringen sein Land verlassen, ebenso im Mai 1859 in Parma Marie Louise, die Witwe des Herzogs Karl III. von Bourbon und Regentin für den unmündigen Thronfolger. Sie hatte sich zwar um eine gewisse Unabhängigkeit von Österreich und um die Neutralität zwischen Piemont und Österreich bemüht, und 1857 hatten die dort stationierten österreichischen Truppen das Land verlassen, doch war Parma nach wie vor durch viele Verträge und vor allem durch eine Militärkonvention mit Österreich verbunden gewesen. Im Juni 1859 musste Herzog Franz V.

cesso. Allora soltanto giungerà il momento dove non sarò più solo, siccome lo fui per disgrazia nell’anno passato [...].«, Engel-Janosi Politische Korrespondenz der Päpste 257. 8 Engel-Janosi, Österreich und der Vatikan 107; Engel-Janosi, Österreich, der Kirchenstaat und die europäische Krise von 1860, 544.

Die österreichische Italienpolitik nach Solferino

aus dem Haus Habsburg-Este sein Herzogtum Modena verlassen. Ebenfalls im Juni 1859 hatten die österreichischen Truppen den Norden und Osten des Kirchenstaates, die sogenannten päpstlichen Legationen und die Marken, also Bologna, Ferrara und Ancona geräumt, wo sie seit der Niederwerfung der Römischen Republik 1849 stationiert gewesen waren, während französische Truppen das Kerngebiet des Kirchenstaates besetzt hielten. In allen diesen Staaten und Gebieten hatten sich unter kräftiger Mithilfe Sardiniens provisorische Regierungen gebildet, die mit der italienischen Einigungsbewegung sympathisierten. Kaiser Franz Joseph und Rechberg schlossen 1859 nicht nur Frieden mit Sardinien und Frankreich, sondern gingen einen Schritt weiter und erklärten, sich in die italienischen Angelegenheiten nicht weiter einzumischen, obwohl man die Vorgänge als Bruch des Völkerrechts wertete und dagegen protestierte. Rechberg betonte wiederholt, dass die innere Konsolidierung der Monarchie das erste Ziel sei, und dass die Habsburgermonarchie in Italien nichts mehr ohne Einvernehmen mit den europäischen Mächten unternehmen werde. Oberstes Gebot war es, einen weiteren Krieg zu vermeiden. Dazu wurde Österreich durch die politische Isolation, in die es der überstürzt begonnene Krieg geführt hatte, und durch den Mangel an Finanzmitteln für die Fortsetzung des Krieges gedrängt. Rechberg sprach zu allen Diplomaten ständig von der Politik der Nichtintervention. Er tat es konsequent, wie in der diplomatischen Korrespondenz nachzulesen ist, so dass kein Zweifel an der Aufrichtigkeit dieser Position möglich ist. Auch die großen Zeitungen schrieben wiederholt, dass Österreich nicht daran denke, in Italien Krieg zu führen. Die Politik des Nichteigreifens war in Österreich im Jahr 1860 zu einem Gemeinplatz im politischen Diskurs geworden. Das wird auch nicht durch gewisse gegenteilige Äußerungen widerlegt, etwa durch den Ausspruch Franz Josephs unmittelbar nach der Schlacht bei Solferino »Die Lombardei holen wir uns wieder«, 9 in denen der Wunsch nach Revanche zum Ausdruck kam. Auch Rechbergs Bekenntnis zur Legitimität ist dazu kein Widerspruch, mit dem er das Ende der Monarchien in Florenz, Parma, in Modena als unrechtmäßig und mit den Prinzipien des Völkerrechts und den Verträgen nicht vereinbar erklärte. 10 Ein gewisses Maß an Zorn, an Träumen und Illusionen und der Verweis auf völkerrechtliche Prinzipien kann man den österreichischen Politikern nach dem Verlust einer so schönen und reichen Provinz wie der Lombardei zubilligen. Die tatsächliche Politik vermied es aber entschieden und konsequent, in einen weiteren Krieg hineingezogen zu werden. Diese Haltung behielt die Monarchie in den folgenden dramati9 Bridge, Österreich(-Ungarn) unter den Großmächten 223. 10 Vgl. Engel-Janosi, Graf Rechberg.

177

178

Keine versäumte Chance

schen Jahren 1860/61 bei, in denen vor den Augen Europas ein neuer Staat entstand. Die Ereignisse überraschten ganz Europa und füllten die Zeitungen, nämlich die Volksabstimmungen in Mittelitalien, die Annexion von Nizza und Savoyen durch Frankreich gemäß dem Frieden von Zürich, der Zug der Tausend des Giuseppe Garibaldi mit der Landung in Sizilien, die militärischen Erfolge Garibaldis gegen die Truppen des Königreichs Neapel-Sizilien und dessen Zusammenbruch, schließlich das militärische Eingreifen des Königreichs Sardinien und dessen Überschreiten der Grenzen des Kirchenstaates, die verzweifelten Appelle des Königs von Neapel und des Papstes Pius IX., das Plebiszit in Süditalien und schließlich die Annahme des Titels König von Italien durch Viktor Emanuel II. am 17. März 1861. Diese österreichische Politik der Nichtintervention hätte natürlich sofort ein Ende gefunden, wenn Piemont-Sardinien das Kaisertum angegriffen hätte, um das verbliebene Venetien zu erobern. Das wussten aber alle. Cavour stimmte dem Zug der Tausend des Garibaldi zu, er befürwortete den Einmarsch in den Kirchenstaat, aber er dachte nicht daran, Österreich anzugreifen. 11 Wie äußerte sich Rechbergs Politik der Nichteinmischung konkret? Daraus wird man ihre Ernsthaftigkeit ablesen können. Vor allem aber ist nach den tatsächlichen Motiven für die neue Politik zu fragen. Waren der Mangel an Alliierten und an Geld die einzigen Motive? Nicht nur in Worten, sondern auch mit Taten bekräftigte Österreich nach dem Waffenstillstand von Villafranca die Politik der Nichtintervention. Man nahm keine Truppenverstärkung vor, reduzierte vielmehr die Zahl der Rekruten. Im Dezember 1859 wurde verfügt, dass es im darauffolgenden Jahr keine Rekrutierung geben werde. 12 Im September 1860 wurden die Truppen in Venedig und in Dalmatien in Alarmbereitschaft versetzt und ein wenig verstärkt, sie wurden aber nicht in Kriegsbereitschaft versetzt. Als der Armeeoberkommandant Erzherzog Wilhelm angesichts der Ereignisse in Italien eine Rekrutierung verlangte, wurde ihm nur die vorzeitige Aushebung des Jahres 1861 genehmigt. Die Regierung wiederholte die Notwendigkeit von Einsparungen bei der Armee. Sowohl Rechberg als auch der Kaiser unterstützten die Abrüstungspolitik. 13 Dieselbe Vorgangsweise mit derselben Begründung finden wir bei der Rekrutierung von Freiwilligen für Neapel und für den Papst. 14 Österreich wollte

11 12 13 14

Engel-Janosi, Österreich, der Kirchenstaat und die europäische Krise von 1860, 541 f. MK. v. 8. 12. 1859/III, ÖMR IV / 1, Nr. 73, Anm. 7. Malfèr, Einleitung ÖMR IV / 2, LI–LII. Ebd.; Blaas, L’Austria e le truppe straniere. Die Untersuchung von Blaas über die Freiwilligen aus der Habsburgermonarchie im Königreich Neapel gelten im Wesentlichen auch für die Freiwilligen im Kirchenstaat.

Die österreichische Italienpolitik nach Solferino

die Bitten des Königs und des Papstes nicht ganz abschlagen, in den habsburgischen Ländern Kriegsfreiwillige anwerben zu dürfen. Zugleich wollte man jeden Anschein einer direkten Zusammenarbeit vermeiden. Daher erlaubte man zwar die Anwerbung, verbot aber jedwede Werbung in Zeitungen und durch Maueranschläge, Manifeste und Proklamationen. Die Werbeoffiziere mussten in Zivil auftreten und durften nicht einmal militärische Abzeichen tragen. Alles sollte unauffällig vor sich gehen. Die Polizei und die lokalen Behörden wurden angewiesen, die Aktionen der Agenten und die Presse energisch zu überwachen, um jeden Kontakt der Angeworbenen mit dem Publikum und jede öffentliche Aufmerksamkeit zu unterbinden. 15 Die Regierung wollte dem Ausland nicht den mindesten Anlass geben, der kaiserlichen Politik Doppelzüngigkeit vorwerfen zu können. In außenpolitischer Hinsicht bemühte sich Rechberg, das Verhältnis zu Frankreich zu verbessern und aus der sogenannten Isolierung herauszukommen, indem man sich Preußen und Russland annäherte. Diesem Zweck dienten die verschiedenen Treffen Franz Josephs mit deutschen Fürsten in Baden-Baden, in München, in Teplitz und dann die Konferenz in Warschau vom 22. bis 26. Oktober zwischen dem Kaiser von Österreich, dem preußischen Prinzregenten Wilhelm und dem Zaren Alexander II., unmittelbar nach der Erlassung des Oktoberdiploms. Es wurde gesagt, diese Treffen und vor allem die Konferenz von Warschau seien ein Misserfolg für Österreich gewesen, weil sie nicht zu einer direkten Allianz mit den konservativen Mächten oder gar zur stillschweigenden Erlaubnis, in Italien einzugreifen, geführt hätten. 16 Ein solches Urteil geht von falschen Prämissen aus. Der Misserfolg von Warschau ist gerade ein Beweis dafür, dass die Politik des Nichteingreifens Österreichs in Italien die einzig mögliche und realistische war. Wenn die Zeitung »Die Presse« schrieb »nach Warschau ist vor Warschau« 17, es habe sich also nichts geändert, gab sie zu, dass die Mächte eben keine andere Politik betreiben wollten, als sie es taten, nämlich Italien sich selbst zu überlassen, nach dem Motto l’Italia farà da sé. In Bezug auf die Frage, was die wahren Gründe für Österreichs Politik der Nichtintervention im Biennium 1860/61 waren, bieten sowohl die zeitgenössischen Texte als auch die Historiographie verschiedene plausible Antworten an. In erster Linie werden einige Tatsachen angeführt, nämlich das Fehlen von Verbündeten unter den Großmächten, die fehlenden Finanzmittel, eine Folge der neoabsolutistischen Armeepolitik der 1850er Jahre, und schließlich die in-

15 Dazu MK. v. 21. 2. 1860/V, ÖMR IV / 1, Nr. 114; MK v. 15. 3. 1860/VIII, ÖMR IV / 2, Nr. 125; Malfèr, Einleitung ÖMR IV / 2, LI. 16 Blaas, Österreich und die Einigung Italiens 321–324. 17 Die Presse v. 28. 10. 1860, 1.

179

180

Keine versäumte Chance

nenpolitische Instabilität, vor allem wegen der ungelösten ungarischen Frage. Zwar war gerade das Oktoberdiplom der Versuch, einen Kompromiss zwischen den Forderungen der Ungarn nach Wiederherstellung ihrer Verfassung und den Vorstellungen des Kaisers zu finden, aber man war noch nicht sehr weit gekommen. Ein anderes Argument sind die stillschweigenden Sympathien der Deutschliberalen sowohl in Deutschland als auch in Österreich für die italienische Einigungsbewegung, auf die Adam Wandruszka hingewiesen hat. 18 Diese Sympathien seien ein wichtiges Hindernis für eine reaktionäre Politik gewesen, wie sie das Eingreifen Österreichs zugunsten des Papstes und der entthronten italienischen Fürsten bedeutet hätte. Alle diese Motive sind zutreffend. Problematisch erscheint es jedoch, von der Schwäche Österreichs zu sprechen. Eine mehr biographisch ausgerichtete Historiographie sprach nämlich auch von Schwäche, Zögern und fehlendem Mut der handelnden Personen. Sie stellt dem schwachen Rechberg den entschlossenen und energischen Cavour gegenüber, dem glücklosen General Benedek den berühmten Radetzky. Cavour und Radetzky hätten vollendete Tatsachen geschaffen, der Minister des Äußern Rechberg habe durch sein Zögern den geeigneten Augenblick verpasst. Man spricht vom Herbst der Versäumnisse für Österreich. Mit einer entschlosseneren Politik hätte die Habsburgermonarchie die Herrschaft in Italien wiederherstellen und die Einigung Italiens verhindern können. 19 Selbstverständlich gibt es mehr oder weniger erfolgreiche oder fähige Politiker. Doch ist eine biologistische Sichtweise abzulehnen, die einen Staat nicht als ein soziopolitisches Gebilde sieht, sondern gleichsam ein einheitliches und einförmiges Lebewesen, vertreten von den politisch handelnden Personen. Der Staat hat Probleme, etwa eine kranke Lunge (etwa Ungarn), er ist schwach, vielleicht anämisch (z. B. fehlende Finanzmittel), er hat ein bestimmtes Alter (man zitiert den französischen Außenminister Édouard Thouvenel: »tout ce qui est vieux, doit s’en aller« 20, alles, was alt ist, muss vergehen). Eine solche Sichtweise trägt nichts zur Klärung bei. Was heißt es, Österreich sei schwach gewesen und habe sich in einer inneren Krise befunden? Von welchem Österreich ist da die Rede?

18 Wandruszka, L’Austria dopo Villafranca. 19 Blaas, Österreich und die Einigung Italiens; Blaas, Perché l’Austria non è intervenuta; Furlani–Wandruszka, Österreich und Italien 143. 20 Blaas, Österreich und die Einigung Italiens 330.

Die politische Schwächung des neoabsolutistischen Regimes

9.3 Die politische Schwächung des neoabsolutistischen Regimes Wiederholt ist in der Historiografie gefragt worden, was die Niederlage von Solferino, der Waffenstillstand von Villafranca und der Verlust der Lombardei für Österreich bedeutet haben. Interessanter ist es zu fragen, was diese Ereignisse für das seit zehn Jahren an der Macht befindliche neoabsolutistische Regime Kaiser Franz Josephs I. bedeutet haben. Dieses Regime war in sich widersprüchlich. Einerseits verfolgte es eine durchaus liberale Wirtschaftspolitik, brachte richtige und langwirkende Verwaltungsreformen auf den Weg und beseitigte so manchen Reformstau aus dem Vormärz. Andererseits wurde alles, was im Entferntesten an Revolution erinnerte, energisch bekämpft, die Freiheit der Presse wurde unterdrückt, die Verfassung wurde aufgehoben. Leitlinien waren ein übertriebener Zentralismus und ein ungebremster Militarismus. Dieses Regime war zwar nach dem Geschmack des jungen Kaisers, doch wurde es von den wichtigsten und einflussreichsten politischen Gruppen und sozialen Schichten nicht unterstützt, nämlich vom deutschen und vom ungarischen Bürgertum. Die Quintessenz der Ereignisse von 1859 bestand darin, dass das neoabsolutistische Regime des jungen Kaisers in seinen Grundfesten erschüttert und dadurch politisch geschwächt wurde. 21 Diese Schwächung erwies sich als vielfältig : Geschwächt wurde allen voran der Kaiser selbst. Auch wenn der Minister des Äußern Buol-Schauenstein schon bald nach Ausbruch des Krieges Mitte Mai 1859 zurücktrat, der wahre Verantwortliche für die Außenpolitik, die den Krieg nicht zu verhindern gewusst hatte, blieb Franz Joseph selbst. Geschwächt wurde er, da er als geschlagener Feldherr heimkehrte. Seine Popularität erreichte einen Tiefpunkt. Geschwächt wurde seine Position gegenüber der Regierung, die, wieder geführt von einem »Ministerpräsidenten«, den neoabsolutistischen Kübeckschen Reichsrat auf den zweiten Platz verweisen konnte. Geschwächt wurde zweitens die Militärbürokratie. Sie war verantwortlich für die unglückliche Wahl des Feldherrn Gyulai, für die Mängel im Ausrüstungs- und Nachschubwesen und für die Korruptionsfälle, die nach dem Krieg zu Prozessen führten. Der Rücktritt des einflussreichen Ersten Generaladjutanten des Kaisers, Carl Graf Grünne, und die Enthebung von mehr als hundert Generälen zeigte in personeller Hinsicht das Ausmaß der Schwächung. Noch nachhaltiger wirkte die Verminderung der Finanzmittel, welche die bewaffnete Macht in den folgenden Jahren hinnehmen musste, angefangen von der Budgethoheit der Ministerkonferenz über die ad hoc eingerichtete Ersparungskommission bis hin zum Budgetbewilligungsrecht des Reichsrates von 1861. Ähnliches widerfuhr der Gendarmerie. Sie war unter Grünne und dem Chef der 21 Siehe dazu Malfèr, Einleitung ÖMR IV / 1, LXVIII–LXX.

181

182

Keine versäumte Chance

Obersten Polizeibehörde Johann Freiherr v. Kempen zu einer politischen Polizei geworden war. Nun musste Kempen gehen, die Gendarmerie wurde reformiert und in ihrer Tätigkeit den politischen Behörden unterstellt. Geschwächt wurde drittens das autokratisch-zentralistische Regierungssystem als solches. Symbol dafür war die Enthebung des mächtigen Ministers des Inneren Alexander Bachs und seine Ersetzung durch den föderalistisch eingestellten Grafen Agenor Gołuchowski. Hierher gehört auch die schon erwähnte Unterordnung des neoabsolutistischen Kübeckschen Reichsrates unter die Ministerkonferenz, also die teilweise Rücknahme der Entmachtung des Ministerrates am Ende der Regierung Schwarzenberg. Dass dieser Reichsrat außerdem noch um externe Mitglieder erweitert werden sollte, und ebenso die im geheimen Ministerprogramm vom Sommer 1859 vorgesehene Stärkung der Selbstverwaltung, des Selfgovernments, waren weitere Hinweise auf die Schwächung des Zentrums. Mit all dem ging auch eine entscheidende Schwächung der bisherigen intransigenten Politik gegenüber Ungarn einher. Zwar führte der erste Anlauf zu Gesprächen, den die Altkonservativen, jene ungarischen Führungsschicht, die dem Hof am nächsten stand, im Sommer und Herbst 1859 unternahmen, noch nicht zum Ziel, wohl aber der zweite, mit der Protestantenfrage verknüpfte, im Frühjahr 1860. Die Enthebung Erzherzog Albrechts, Symbol der harten Ungarnpolitik, am 19. April 1860 und seine Ersetzung durch den beliebten General ungarischer Abstammung Ludwig Ritter v. Benedek war das erste sichtbare Zeichen für die neue Linie. Sie wurde bestätigt durch die Wiederherstellung der ungarischen Verfassung im Oktober 1860. Geschwächt wurden ferner die klerikalen Kräfte. Auch hier gab es eine Symbolfigur, den Minister für Kultus und Unterricht, Leo Leopold Graf v. Thun. Er verblieb zwar zunächst im Kabinett, doch zeigen die Ministerratsprotokolle klar, dass er regierungsintern in die Oppositionsrolle verfiel. Obwohl er seine Position hartnäckig, scharfsinnig und beredt verteidigte, blieb er meist in der Minderheit. Im Oktober 1860 verließ er die Regierung. In den Jahren 1859 und 1860 verlor eine bedeutende Anzahl an Politikern ihr Amt. Es stellt sich die Frage, wer an ihre Stelle trat und wer von der politischen Schwäche des Regimes profitierte. Die Antwort ist, dass die vielfältige Schwächung des bisherigen Systems den gesellschaftlichen Kräften wieder einen größeren Spielraum im Wettstreit um den politischen Einfluss eröffnete, was bisher unterdrückt worden war. Zunächst – vom Sommer 1859 bis Herbst 1860 – konnten die gemäßigt Konservativen und die konservativen Föderalisten wichtige Positionen besetzen, ab 1861 traten schließlich die deutschen und, etwas verzögert, die ungarischen Liberalen an erste Stelle. Die Niederlage auf dem Schlachtfeld eröffnete den politischen Wettstreit um die Gestaltung des Staates.

Die politische Schwächung des neoabsolutistischen Regimes

Die Zensur wurde abgeschafft, die Pressefreiheit ermöglicht. Die Kontrolle der Staatsfinanzen wurde auf breitere Beine gestellt, mit dem wichtigen Ziel, die aus dem Ruder gelaufenen Ausgaben für die Armee zu reduzieren. Es wurde ein provisorisches und dann ein richtiges Parlament einberufen. Mit dem Oktoberdiplom von 1860 und dem Februarpatent von 1861 wurde eine wenn auch noch unvollkommene Verfassung gegeben. Die Kräfte, die sich an diesem Wettstreit beteiligten, waren die Wiener Zentralbürokratie, der böhmische und ungarische große Grundbesitz, die Deutschliberalen in Cisleithanien und die Liberalen in Ungarn. Der grundbesitzende Adel in Böhmen und in Ungarn kämpfte gegen den Zentralismus und für den Föderalismus in der Hoffnung, die schon seit dem 18. Jahrhundert verlorengegangene lokale Selbstbestimmung wiederzuerlangen. Die Deutschliberalen kämpften für Liberalismus und für eine Verfassung. Die ungarischen Liberalen für die Wiederherstellung der Verfassung von 1848. Der Wettstreit rückte die Innenpolitik an die vorderste Stelle. Die Außenpolitik, die Vorrangstellung der Monarchie in Mittel- und Süditalien interessierte die böhmischen Herren und die ungarischen Magnaten nicht. Die Deutschliberalen waren, abgesehen von der schon genannten stillschweigenden Sympathie für die Einigung Italiens, 22 viel mehr an der Reduktion des enormen Staatsdefizits, an Steuersenkungen und an der seit langem ausgesetzten freien Umwechslung der Banknoten in Silber interessiert. Die Wiener Zeitungen berichteten im Herbst 1860 sehr wohl über die Ereignisse in Italien, auch auf der ersten Seite, doch immer mit einer gewissen Distanz, so als ob sie von einer fremden Angelegenheit sprächen. Dagegen wurden ausführlich und mit großer Anteilnahme die Debatten des sogenannten verstärkten Reichsrates abgedruckt, der im Mai einberufen worden war und im Zuge dessen die Politik der Regierung der letzten Dekade einer schonungslosen Kritik unterzogen wurde. Als der Finanzminister den Staatsvoranschlag für 1861 vorlegte, der ein Defizit von 40 Millionen Gulden vorsah, kommentierte das »Die Presse« so: Man mache sich nach den krampfhaften Zuckungen der Börse während der letzten Woche eine Vorstellung davon, wohin unser Papierkurs erst fallen wird, wenn wir in nächster Zukunft ernstlich von einer neuen Kriegsgefahr bedroht werden sollten. Noch bevor der erste Kreuzer Kriegskosten entstanden ist, wird unser Defizit bloß durch die natürliche Entwertung unserer papiernen Wertzeichen sich verdreifachen,

22 Wandruszka, L’Austria dopo Villafranca; Blaas, Die italienische Frage und das österreichische Parlament; Vgl. Kap. 7: »Das Bild vom Anderen – Österreicher und Italiener«.

183

184

Keine versäumte Chance

und der Feind wird an der privilegierten österreichischen Zettelbank einen Bundesgenossen haben, gegen welchen keine Allianz ausreicht. 23

Diese Warnung vor einem Krieg und vor dem finanziellen Zusammenbruch erschien übrigens am 18. August, dem Geburtstag des Kaisers, und nur wenige Wochen vor der Schlacht bei Castelfidardo. Vielleicht übertrieb die Zeitung, aber es macht deutlich, was dem liberalen Bürgertum wirklich am Herzen lag.

9.4 Keine versäumte Chance Das war also Österreich im Sommer und Herbst 1860, als sich die Einigung Italiens in atemberaubendem Tempo vollzog. Es war kein destabilisierter Staat in Krise, sondern ein grundsätzlich gut funktionierender reicher und starker Staat, in dem ein heftiger Wettstreit verschiedener politischer und sozialer Kräfte stattfand. Sie stritten auch untereinander, waren aber geeint im Kampf gegen das absolutistische und politisch rückwärtsgewandte Regime. Die Neuverteilung der Macht und die Sicherung des Einflusses auf die Gestaltung des Staates waren für sie viel wichtiger als die Beibehaltung der Stellung in Italien, welche die Monarchie in den vergangenen Jahrzehnten eingenommen hatte. Dieses Österreich enthielt sich des Eingriffs in die italienischen Entwicklungen. Der wahre Grund für die Politik der Nichtintervention war nicht eine organische Schwäche des Staates, nicht die Unentschlossenheit und Schwäche der Politiker, sondern der Umstand, dass im Lande eine große und wichtige politische Diskussion und Neuorientierung stattfand. Diese neue Orientierung hatte schon vor 1848 begonnen, wie in ganz Europa, hatte in der Revolution einen Höhepunkt erlebt, war aber in den folgenden Jahren von den reaktionären Kräften gewaltsam unterbunden worden, auch das übrigens nicht nur in Österreich. Diese Diskussion wurde nun wiederaufgenommen. Sie führte im Lauf mehrerer Jahre zum Sieg des liberalen Bürgertums und zur vollen Konstitutionalisierung der Habsburgermonarchie. Darin liegt auch eine Parallele zu Italien. Das Königreich beider Sizilien und der Kirchenstaat waren politisch gesehen viel rückständiger als das Königreich Sardinien-Piemont. Die Ereignisse von September und Oktober 1860 – einschließlich der Nichtintervention Österreichs – führten zum Anschluss dieser Gebiete an Sardinien-Piemont. Sie wurden damit zwar nicht eine Republik, wie sie Garibaldi erträumte, nicht Teil einer italienischen Föderation, wie sie ein Flügel des Risorgimento erstrebte, aber immerhin fanden sie Anschluss an 23 Die Presse v. 18. 8. 1860, 1.

Keine versäumte Chance

eine konstitutionelle Monarchie, die damals in Europa modernste Staatsform. Diesen Aspekt hat die österreichische Historiographie übersehen, die sich nur mit der Großmachstellung Österreichs beschäftigt hat, ebenso die italienische Historiographie, die allein die Nationalgeschichte und die Einigung Italiens hervorgehoben hat. Castelfidardo war der Anfang vom Ende des Kirchenstaates. Es führte indirekt auch zum Anschluss Mittel- und Süditaliens an das im Entstehen begriffene Königreich Italien. Dass Österreich nicht eingriff und die Niederlage der päpstlichen Truppen nicht verhinderte, war keine versäumte Chance, sondern, abgesehen von den Sachzwängen, Ergebnis einer politischen Entwicklung im Lande, die langfristig gesehen zum Ausbau des Rechts- und Verfassungsstaates und zu breiterer politischer Mitbestimmung geführt hat, in Österreich und in Mittel- und Süditalien.

185

10. Die Errichtung des Königreichs Italien 1860/61 in den Leitartikeln des Wiener Blattes »Die Presse«

10.1 Die Einigung Italiens und die Habsburgermonarchie Die Einigung Italiens wurde nicht nur gegen die Habsburgermonarchie, sondern auch auf deren Kosten durchgesetzt. Man könnte daher erwarten, dass die öffentliche Meinung in Österreich vorwiegend vom Gefühl des Zorns und vom Verlangen nach Revanche für Solferino mit dem Ziel der Wiederherstellung des politischen Zustandes vor der Niederlage erfüllt gewesen sei. Blättert man jedoch in den Zeitungen zwischen Sommer 1859 und Frühjahr 1861, als König Viktor Emanuel II. von Sardinien am 17. März den Titel »König von Italien« annahm, findet man in der Regel einen recht distanzierten Ton. Die Blätter berichteten viel über die Ereignisse auf der Halbinsel, aber immer von einem außenpolitischen Standpunkt aus, so als ob es Österreich gar nicht betreffen würde. Nur wenn es um potentielle Gefahren für die Monarchie ging, also einen möglichen Angriff der Garibaldiner auf Venetien oder Dalmatien oder einen Angriff der Piemontesen auf das bei Österreich verbliebene Venetien, dann wurde der Ton entschieden und ließ Betroffenheit entstehen. Warum dieser distanzierte Ton in der Berichterstattung, weit entfernt von der Sprache der Erbfeindschaft zwischen Österreich und Italien, die erst viel später aufkam, rund um den Ersten Weltkrieg? Die Vorstellung der Erbfeindschaft war ein Konstrukt des Zeitalters des Nationalismus. 1 Eine gewisse Wirkmächtigkeit erlangte sie auf dessen Höhepunkt. Nahrung fand sie in der Neutralität Italiens bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, im Kriegseintritt gegen die Habsburgermonarchie, in den Folgen des Krieges, z. B. in der Brennergrenze. Ein Konzept von langer Dauer, von longue durée, war das nicht. Keinesfalls darf man es in die Vergangenheit zurückprojizieren. Auch setzen die Begriffe erben und Feind Individuen voraus. Staaten sind aber keine Lebewesen und sie sind nicht einförmig. Es gibt in ihnen soziale Gruppen mit unterschiedlichen Interessen. In der Habsburgermonarchie gab es den Kaiser, seine Regierung, die Zentralbürokratie, die Armee, die Kirche bzw. die Kirchen und Konfessionen, den Adel, den Großgrundbesitz, die Finanzmächte, die Industriellen, die Nationalitäten, 1 Zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Begriff siehe Gatterer, Erbfeindschaft; siehe auch Furlani–Wandruszka, Österreich und Italien.

Die Habsburgermonarchie im Jahr 1860

das Bürgertum, und dieses wiederum nicht gleichförmig in Österreich, in Böhmen, in Ungarn. Diese Teilhaber am Staat konnten unterschiedliche Interessen haben und hatten sie in der Tat, sie standen in einem politischen Wettbewerb. Sucht man nach einer Ursache für die distanzierte Berichterstattung in Österreich über den Prozess der Einigung Italiens, ist vor allem zu fragen, in welchem Zustand sich die Habsburgermonarchie im fraglichen Zeitraum befand.

10.2 Die Habsburgermonarchie im Jahr 1860 Österreich war in den späten 1850er Jahren nicht das paese ordinato, das wohlgeordnete Land mit einem beliebten jungen Kaiser und einer schönen Kaiserin, wie es in manchen nostalgischen Vorstellungen besteht. 2 Nach der völligen Niederschlagung der Revolution von 1848 und aller verbliebenen revolutionären Herde durch das Regime war es wieder ein autoritär und absolutistisch regiertes Land. Reformen gab es nur von oben, politische Mitbestimmung gab es keine. Der Reichsrat war aufgelöst, Landtage nur für die fernere Zukunft in Aussicht gestellt. Des Kaisers Macht stützte sich auf Armee und Polizei, die ungeheure Summen aus dem Staatshaushalt bekamen, und auf die katholische Kirche, die ihren Einfluss im Konkordat von 1855 ausbauen konnte. Verloren hatte der Kaiser das Vertrauen und die Zustimmung weiter gesellschaftlicher Gruppen. Weder das liberale Bürgertum in Österreich und in Ungarn noch Teile des adeligen großen Grundbesitzes waren auf seiner Seite. Die Regierung trieb ihr wichtigstes Projekt voran, die wirtschaftliche Modernisierung und die Neugestaltung Österreichs als zentralistischen Einheitsstaat mit dem Ziel, die Großmachtstellung zu behaupten. Doch trotz tatsächlicher Modernisierungsschritte und einzelner Erfolge scheiterte sie im Ganzen. Als der Kaiser 1859 einen überstürzten Krieg gegen Sardinien und Frankreich begann, im April selbst den Oberbefehl übernahm und im Juni nicht nur eine Schlacht, sondern eine ganze Provinz verlor, die reiche Lombardei, sank seine Beliebtheit tief herab. Jetzt aber begann er, seine bisherige Politik zu überdenken. In Bezug auf Italien entschied er sich unter dem Einfluss des neuen Ministers des Äußern, des Metternich-Schülers Johann Bernhard Graf v. Rechberg, zur strikten Neutralität und Nichtintervention. Der Mangel an Verbündeten und der Mangel an Geld waren triftige Gründe, um die Fortsetzung oder die Wiederaufnahme des Krieges tunlichst zu vermeiden. In Bezug auf 2 Vgl. Carpinteri u. a., L’Austria era un paese ordinato; deutsch: ... denn Österreich war ein ordentliches Land.

187

188

Die Errichtung des Königreichs Italien 1860/61

die Innenpolitik berief er einige Mitglieder der Regierung und einige Personen seines Vertrauens und beauftragte sie, ein neues Regierungsprogramm zu diskutieren, zu entwerfen und ihm vorzulegen. Am 21. August 1859 billigte er dieses sogenannte Ministerprogramm, das bemerkenswerte Reformschritte vorsah, und ernannte eine neue Regierung. 3 In der Öffentlichkeit weckten diese Ereignisse sofort die Hoffnung auf eine grundlegende Änderung der Politik und die Wiederaufnahme des 1849 verlassenen Weges. Franz Joseph dachte allerdings in diesen Wochen nicht daran, eine Verfassung zu gewähren. Er war der Meinung, dass sein Reich mit dem konstitutionellen System, von dem damals alle sprachen, unregierbar sei. War aber einmal der Reformweg beschritten, so verselbständigte sich die Debatte und es war schwer, den Prozess zu bremsen oder gar zu beenden. Das neoabsolutistische Regime war in vielfacher Hinsicht politisch geschwächt. 4 Es zeigte sich, dass die nach 1848 unterbrochene und unterdrückte Diskussion unaufhaltsam wieder einsetzte. Darin liegt auch der Schlüssel zum Verständnis der öffentlichen Meinung in Österreich im Zusammenhang mit dem Prozess der Einigung Italiens. Im Verlauf von zwei Jahren führte die neueröffnete Debatte zur Konstitutionalisierung der Habsburgermonarchie, auch wenn es noch nicht die endgültige Form war. Die Entwicklung schritt aber voran und führte, 1866 unterbrochen und beschleunigt durch einen weiteren Krieg, nicht nur zum Ausgleich mit Ungarn, sondern auch zur Dezemberverfassung für Cisleithanien und damit zur vollständigen Konstitutionalisierung. Die Habsburgermonarchie musste sich zwar in diesem Zeitraum zur Gänze aus Italien zurückziehen und verlor auch die Vormachtstellung in Deutschland, wo Preußen und bald darauf das 1871 neu gegründete Deutsche Reich die erste Position einnahm, doch gelang die Modernisierung, und auch die Stellung als eine der europäischen Großmächte blieb erhalten. Zwar war die österreichischungarische Monarchie ein sehr kompliziertes Staatswesen, aber sie war nicht rückständig und grundsätzlich durchaus auf gleichem Niveau mit den anderen großen Staaten Mittel- und Westeuropas, und das sollte für ein weiteres halbes Jahrhundert so bleiben. In die erste Zeit dieser Neuorientierung der Habsburgermonarchie nach dem Scheitern des Neoabsolutismus fiel die Einigung Italiens. Offensichtlich bestand ein Zusammenhang zwischen beiden Prozessen. Dieser Zusammenhang war jedoch nicht ein rein kausaler, vielmehr trafen für beide Prozesse bestimmte ähnliche Bedingungen zu. Die Schwächung des neoabsolutistischen Regimes

3 Malfèr, Einleitung ÖMR IV / 1. 4 Vgl. Kap 9: »Keine versäumte Chance. Österreich und die Niederlage der päpstlichen Truppen bei Castelfidardo«.

Die Leitartikel der Zeitung »Die Presse«

löste hier wie dort eine größere Unabhängigkeit und Freiheit der politischen Debatte und Aktion aus. In Italien führte sie nach einem kurzen Konflikt zwischen Monarchismus und Republikanismus zur Einigung der Halbinsel unter der Monarchie der Savoyen. In Österreich begann ein Ringen zwischen den wichtigsten politischen und gesellschaftlichen Kräften um die zukünftige Gestaltung. Beteiligt waren die Wiener Zentralbürokratie, der feudale Grundbesitz in Böhmen und in Ungarn und die Liberalen in Österreich und in Ungarn. Die einen kämpften gegen den Zentralismus und für die Autonomie in den Ländern, die anderen für eine Verfassung und ein Parlament. Diese politische Auseinandersetzung bewirkte den absoluten Vorrang der Innenpolitik vor der äußeren Politik. Diese und die verloren gegangene Stellung in Italien interessierte die böhmischen Feudalherren und die ungarischen Magnaten nicht, und das liberale Bürgertum war – abgesehen von der stillschweigenden Sympathie für den italienischen Einigungsprozess im Hinblick auf das ebenfalls in viele Staaten zerstückelte Deutschland 5 – viel mehr an der Sanierung des Staatshaushalts interessiert, um das Silberagio wegzubekommen und endlich die Umwechslung von Papiergeld in Silbergeld wieder zu erreichen.

10.3 Die Leitartikel der Zeitung »Die Presse« Das ist der Hintergrund für die Berichterstattung über die Vorgänge in Italien. Die Berichte stützten sich auf Briefe und Telegramme, meist von nicht namentlich genannten Personen, und auf andere in- und ausländische Zeitungen. Ganz neu war damals der Telegraf, er war die fortschrittlichste Technik. Über wichtige Ereignisse konnte man dank dieser Technik oft schon am Tag des Ereignisses in der Abendausgabe oder am nächsten Tag eine kurze Notiz lesen, gefolgt von längeren Berichten an den nachfolgenden Tagen. Leitartikel, in denen die Meinung des Blattes formuliert war, gab es selten, keineswegs täglich so wie heute, und wenn, dann meist nicht signiert. Urteile und Analysen waren des Öfteren in einem Bericht versteckt, z. B. ausgehend vom Zitat eines ausländischen Blattes. Ab 1861, als die Liberalen in die Regierung eintraten, begannen die Zeitungen offener zu schreiben und hielten sich auch nicht mit herber Kritik an der Regierung zurück. Deren Gegenmaßnahme war nicht mehr die Zensur, sondern die Gründung einer offiziösen Zeitung, die die Meinung des Kabinetts darlegte. 6

5 Wandruszka, L’Austria dopo Villafranca; Blaas, Die italienische Frage und das österreichische Parlament; Vgl. Kap. 7: »Das Bild vom Anderen – Österreicher und Italiener«. 6 Zur Pressepolitik dieser Zeit Malfèr, Einleitung ÖMR IV / 3, LXII–LXIV.

189

190

Die Errichtung des Königreichs Italien 1860/61

Die bedeutendste Zeitung in Wien 1860/61, während das geeinte Italien entstand, war das liberal eingestellte Weltblatt »Die Presse«, die übrigens noch heute besteht. Auch sie berichtete immer wieder über die Ereignisse in Italien. Viel mehr Raum nahmen allerdings die Berichte über die Sitzungen des Ende Mai einberufenen Verstärkten Reichsrates ein. In diesem vorparlamentarischen Gremium wurde das neoabsolutistische Regime heftiger Kritik unterzogen und es wurde nach neuen Wegen der Ordnung des Staates gesucht. Die Zeitung druckte sogar die vollständigen Protokolle ab. »Die Presse« war das Sprachrohr der deutschösterreichischen Liberalen. Sie deckte zwar nicht das gesamte Spektrum der öffentlichen Meinung ab, wohl aber den politisch wichtigsten Teil. Im Folgenden soll anhand von Auszügen aus sechs Leitartikeln das bisher Gesagte belegt werden. Ich folge dem Gang der Ereignisse.

10.3.1 Leitartikel vom 18. August 1860 Der erste einschlägige Leitartikel erschien am 18. August 1860 (Geburtstag des Kaisers!). Garibaldi war, nachdem er seit Mitte Juli ganz Sizilien in seiner Hand hatte, drauf und dran, aufs Festland überzusetzen und Neapel, das Herz des Königreichs beider Sizilien, anzugreifen. In der Nacht vom 19. auf den 20. August landete er in Kalabrien. »Die Presse« sah in der italienischen Entwicklung eine »Entzündung«, ja einen »Paroxysmus«. Doch sprach aus dem Artikel viel eher die Bewunderung für Garibaldi und ein beinahe schadenfroher Tadel für das Frankreich Napoleons III. Der Paroxysmus in Italien 7 Es gehört keine besondere politische Voraussicht dazu, um zu erkennen, dass die Lage, in welcher Italien sich jetzt befindet, unmöglich mehr von langer Dauer sein kann. So intensiv die Bewegung auch ist, welche die Geister in diesem Lande mit sich fortreißt, die Natur der Anstrengungen, welche gemacht werden, gestattet keine Verlängerung des Zustandes der Entzündung, welcher Italien ergriffen hat. Nachdem die Dinge einmal so weit gediehen sind, wie es tatsächlich der Fall ist, scheint eine Krise unvermeidlich zu sein. Die Frage ist nur, welcher Art diese Krise sein wird. Die Ereignisse seit Villafranca haben zur Genüge gezeigt, dass es ein Irrtum ist, zu glauben, der Einfluss Frankreichs in Italien, solange er nicht in Gestalt einer bewaffneten Intervention auftritt, sei ein ernsthaftes Hindernis für die dortige Entwicklung der Dinge. [...] So stellte sich denn die Tatsache heraus, dass das Tuilerien-Kabinett keine Macht mehr über Italien hat, und dass dieses seine Geschicke selbständig zu 7 Die Presse v. 18. 8. 1860, 1.

Die Leitartikel der Zeitung »Die Presse«

gestalten versucht. Es ist möglich, dass Viktor Emanuel und Cavour noch manchen Einlenkungsversuch machen, aber die nationale Bewegung liegt nicht mehr in ihrer Hand. Sie ist ihnen, wie dem Kaiser der Franzosen, über den Kopf gewachsen [...]. [...] Garibaldi urteilte richtiger als alle Diplomaten der Welt. Alle hatten sich in Neapel getäuscht, nur er nicht; alle hatten auf seinen sicheren Untergang gerechnet, nur er scheint sich des Erfolges bewusst gewesen zu sein. Was blieb aber den Kabinetten von Paris und Turin zu tun übrig, als Garibaldis Erfolg alle Erwartungen zu Schanden machte, Sizilien mit einem Schlage erobert, im Namen Viktor Emanuels erobert war, und dieser beispiellose Erfolg die Begeisterung für Garibaldi in Italien zum Paroxysmus steigerte? [...] Nun aber kam die eigentliche, längst gefürchtete Gefahr zum Vorschein. Der Name Garibaldis verdunkelte den Glanz des Namens Viktor Emanuels. Der Stern Piemonts erblich vor dem neu aufsteigenden Gestirn. Garibaldi, der einfache Mann, der nichts will als die Einheit Italiens, ist nicht bloß die Inkarnation der Volksbegeisterung, er ist etwas anderes als die konstitutionelle Monarchie, welche Nizza verschachert hat und vorläufig wenigstens mit einem Italien zufrieden war, dessen Grenze im Süden La Cattolica und im Osten der Mincio blieb. Das ganze Italien muss es sein, rief Garibaldi nach seinem Einzuge in Palermo, und kann es das nicht sein mit Viktor Emanuel, so wird es das trotz ihm sein. Eine neue militierende Partei trat mit diesem Rufe auf den Schauplatz: die republikanische Partei, welche, seit 1820 gerungen und erlegen, nun zum ersten Mal den Spielraum zur Entfaltung ihrer Kräfte fand. Diese Partei, deren Führer und Degen Garibaldi ist und bleibt, diese Partei, welche sich Viktor Emanuel nicht unterwarf, sondern mit ihm, als gleichberechtigter Faktor, einen Pakt schloss, der nur giltig ist, solange der König von Sardinien ihren Zwecken dienen will: diese Partei fühlte in Sizilien plötzlich sicheren Boden unter ihren Füßen. Sie hatte eine Stätte gewonnen, wo sie wohnen und herrschen konnte; sie hatte den Enthusiasmus Italiens für sich; sie hatte ein Heer, Waffen und Geld; sie konnte, was noch mehr ist, als Beweis ihrer Tapferkeit gewonnene Schlachten anführen, und sie hatte die Initiative und die Zukunft für sich. Wer kann sie fürder aufhalten in ihrem stürmischen Vordringen, und welche Hand ist stark genug, der fortwährend steigenden Bewegung in Italien Einhalt zu tun? [...] Die Anziehungskraft der Erfolge Garibaldis wirkt nicht mehr bloß auf Neapel auflösend, sondern auf die konstitutionelle Monarchie Viktor Emanuels selbst. Die Konkurrenz Garibaldis ist bereits vernichtend für die Popularität Viktor Emanuels geworden, und nicht nur die ganze italienische Jugend, sondern die ganze Armee des Königs von Piemont ist mit dem Herzen im Lager Garibaldis.

Das war natürlich ein vielsagendes Zitat, besser gesagt eine Paraphrase auf Grillparzers berühmtes Gedicht von 1848 für Radetzky:

191

192

Die Errichtung des Königreichs Italien 1860/61

Glück auf, mein Feldherr, führe den Streich! Nicht bloß um des Ruhmes Schimmer, In deinem Lager ist Österreich, Wir Andern sind einzelne Trümmer. 8

Es folgte eine Voraussage dessen, was bald darauf tatsächlich eintrat: Jeder neue Erfolg Garibaldis vermehrt die Ungeduld, steigert die Kampflust und macht es Piemont unmöglicher, in seiner passiven Stellung zu beharren. Man kann schon jetzt den Augenblick voraussehen, in welchem Viktor Emanuel von Soldatenaufständen bedroht wird, wenn er mit seinen Truppen nicht vorwärts geht und im Norden in Angriff nimmt, was Garibaldi im Süden zu vollenden im Begriffe steht. Das ist das Fatum, welchem die piemontesische Regierung sich nicht mehr zu entwinden vermag. 9

Nach dieser Analyse, in der es nur um den Konflikt zwischen Viktor Emanuel II. und Garibaldi und um die Rolle Frankreichs ging, aber nicht um Österreich, folgte die Hinwendung zu möglichen Gefahren für Österreich. Anknüpfend an einen Brief Napoleons III. an Viktor Emanuel II. mit der Mahnung, Venetien nicht anzugreifen, hieß es: Was unter solchen Verhältnissen der Brief bedeuten kann, den Napoleon III. neuerdings an Viktor Emanuel gerichtet hat, und worin letzterem der Rat erteilt wird, »Venedig nicht anzugreifen, indem Frankreich, an den Frieden von Villafranca gebunden, selbst im Falle die piemontesischen Waffen unglücklich sein sollten, nicht intervenieren könnte«, liegt auf der Hand. [...] so ziehe man sich eine Lehre aus den gemachten Erfahrungen und erblicke in dem neuesten Abmahnungsbrief Napoleons an Viktor Emanuel das Anzeichen eines nahe bevorstehenden Angriffs auf Venetien. [...] Mit dem Schreiben Napoleons an den König von Piemont, [...] ist die venezianische Frage auf die Tagesordnung gesetzt, und Piemont muss, bei Gefahr seines Unterganges, vorwärts, es mag wollen oder nicht. Der Angriff auf den Mincio ist im Prinzip entschieden; seine Ausführung ist nur mehr durch die langsamere oder raschere Entwicklung der Ereignisse in Süditalien bedingt. 10

8 Grillparzer, Sämtliche Werke, I / 10, 128 f. 9 Die Presse v. 18. 8. 1860, 1. 10 Ebd.

Die Leitartikel der Zeitung »Die Presse«

In einem anderen Artikel in derselben Nummer kam die prekäre finanzielle Situation Österreichs zur Sprache. Der Finanzminister hatte im verstärkten Reichsrat, der seit Ende Mai 1860 in Wien tagte, die Budgetrede gehalten und darin ein Defizit von 40 Millionen Gulden angekündigt. »Die Presse« kommentiertes das so: Man mache sich nach den krampfhaften Zuckungen der Börse während der letzten Woche eine Vorstellung davon, wohin unser Papierkurs erst fallen wird, wenn wir in nächster Zukunft ernstlich von einer neuen Kriegsgefahr bedroht werden sollten. Noch bevor der erste Kreuzer Kriegskosten entstanden ist, wird unser Defizit bloß durch die natürliche Entwertung unserer papiernen Wertzeichen sich verdreifachen, und der Feind wird an der privilegierten österreichischen Zettelbank einen Bundesgenossen haben, gegen welchen keine Allianz ausreicht. 11

10.3.2 Leitartikel vom 21. August 1860 Wenige Tage später, am 21. August 1860, als die ersten Nachrichten von der Landung Garibaldis auf dem Festland in Wien eintrafen, bekräftigte »Die Presse«, ausgehend von zwei Zitaten ausländischer Zeitungen, die österreichische Haltung der Nichtintervention in einem Kommentar im Abendblatt auf der ersten Seite ohne eigene Überschrift. Die Stellung, welche Österreich und Italien zueinander einnehmen, ist die große Frage, welche die europäische Presse unablässig beschäftigt. Der Constitutionnel hat gestern, wie gemeldet, das Geständnis abgelegt, dass Italien jetzt in die kritische Periode tritt, dass es sein Schicksal auf eine Karte zu setzen im Begriffe stehe [...]. Den Times erregt dieser Ausspruch [...] ein unheimliches Gefühl, und sie erblicken darin eine Art Bestätigung der seit einiger Zeit immer mehr an Boden gewinnenden Ansicht, dass die Garibaldische Bewegung leicht eine Gestalt annehmen dürfe, welche Österreich von neuem zum Losschlagen provozieren möchte. Das Cityblatt warnt die Italiener vor zu leichtfertigem Vorgehen und zu sanguinischen Erwartungen, und schließt mit den Worten: »Es würde ein seltsamer Schluss des Feldzuges von 1859 und eine eigentümliche Folge von Solferino sein, wenn Italien in der Tat wieder von Messina bis Turin österreichisch würde. Allein unmöglich kann man in die Zukunft blicken, wenn Kaiser das Schicksal im Solde haben, und wir möchten Italien empfehlen, nicht alles, was es besitzt, zu leichtsinnig aufs Spiel zu setzen oder sich zu vertrauensvoll entweder auf die Freundschaft Frankreichs oder die Langmut Österreichs zu verlassen. 11 Die Presse v. 18. 8. 1860, 1, Unsere Finanzlage.

193

194

Die Errichtung des Königreichs Italien 1860/61

Die hauptsächliche Befürchtung, der sich die deutsche und englische Presse hingibt, ist die, dass Österreich seine seit Jahr und Tag beobachtete Neutralität aufgibt, und sich in die italienischen Angelegenheiten einmischt, anstatt in der überaus vorteilhaften Stellung, die es jetzt einnimmt, und in der es jeden Angriff abweisen kann, zu beharren. Wir halten diese Befürchtung für unbegründet; es genügt, dass Frankreich und Piemont nichts mehr wünschen als ein Herausbrechen Österreich, um einen solchen Schritt zu vermeiden. Man wird von dieser Seite her das Äußerste aufbieten, um Österreich zu provozieren, denn man weiß, dass dies das einzige Mittel wäre, Österreich von seinen Bundesgenossen zu trennen. 12

10.3.3 Leitartikel vom 15. September 1860 Am 7. September 1860, nur zwei Wochen nach Betreten des Festlandes, konnte Garibaldi in Neapel einziehen. König Franz II. hatte sich mit seinen Truppen hinter den Fluss Volturno zurückgezogen. Kurz darauf, am 11. September, überschritten die piemontesischen Truppen die Grenzen des Kirchenstaates und marschierten Richtung Süden. Am 15. September brachte »Die Presse« wieder einen der seltenen Leitartikel. Die Entwicklung wird geradezu als »der natürliche Verlauf der Dinge« bezeichnet. Die Zeitung stellt die Übertretung des Völkerrechts fest, protestiert aber nicht dagegen. Die Invasion im Kirchenstaat 13 Nach allem, was seit Jahr und Tag in Italien vorgeht, heißt es sich zu immerwährender Enttäuschung und täglicher Überraschung verurteilen, wenn man auf die dortigen Ereignisse die Grundsätze des bisherigen Völkerrechts anwenden wollte. [...] die alte Ordnung hat aufgehört, eine neue tritt an deren Stelle; die Gewalt war von jeher die staatsbegründende Macht, und dass es der Drang ist, einen großen, alle Glieder der italienischen Volksfamilie umfassenden Staat zu bilden, der die Erscheinungen hervorruft, die wir vor uns sehen, kann füglich nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Die italienische Bewegung, seit 40 Jahren vorbereitet, ist auf dem Punkte, an ihr Ziel zu kommen; der tief ins Volk gedrungene Einheitsgedanke will sich verwirklichen, und die Haltung Europas begünstigt diesen Prozess. Nachdem die Lombardei Österreich entrissen und die mittelitalienischen Herzogtümer einverleibt worden, war die heutige Entwicklung vorauszusehen. Dass die

12 Die Presse, Abendblatt v. 21. 8. 1860, 1. 13 Die Presse v. 15. 09. 1860, 2 f.

Die Leitartikel der Zeitung »Die Presse«

Herzogtümer so wenig Widerstandskraft gezeigt, wie Neapel, ist doch nicht Piemonts Schuld. Der Geister in Italien hat sich eine ganz außerordentliche Aufregung bemächtigt, und dieses Land befindet sich eben in einem solchen Zustande, wie er bei Völkern in tausend Jahren nur einmal, und selbst das nicht immer vorzukommen pflegt. Waren einmal die Herzogtümer und das Königreich beider Sizilien erobert oder usurpiert, was konnte, was sollte Piemont aufhalten, das Werk zu vollenden und durch die gewaltsame Besitzergreifung von den päpstlichen Staaten die Scheidewand hinwegzuräumen, welche den Norden Italiens vom Süden trennt? Das ist der natürlich Verlauf der Dinge; Piemont wurde fortgerissen von Garibaldi und von der Begeisterung, welche seine Erfolge im ganzen Lande erregt haben. Rom konnte die Unfähigkeit Neapels, sich zu verteidigen, nicht voraussehen; ein Elend, eine Fäulnis, eine Korruption der Menschen und der Dinge, wie sie durch die neapolitanische Krise geoffenbart wurde, lag überhaupt außerhalb aller menschlichen Voraussicht. [...] Noch weniger aber konnte davon die Rede sein, dass Piemont es nicht wagen werde, gegen den Kirchenstaat vorzugehen. Das Turiner Kabinett konnte nicht mehr anders, es musste vorwärts, auf die Gefahr hin, zu abdizieren und sich die Leitung der Bewegung entrissen zu sehen. [...] Freilich gibt es eine große Partei in Europa, welche dieses Alles für unmöglich gehalten hat. Sie dachte, wenn Rom schon von den protestantischen Staaten im Stiche gelassen wird, die katholischen Staaten, auf welche Rom in dem abgelaufenen Dezennium so mächtig reagiert hatte, würden die Invasion des Kirchenstaates nicht zulassen. Aber diese Staaten haben geschwiegen [...] Für den Tag der Gefahr mag die römische Kurie auf den Beistand der katholischen Mächte gerechnet haben. Das war ein Irrtum; Italien ist autonom geworden, und das Prinzip der Nichtintervention, das seine Gönner aufgestellt haben, ohne sich selbst daran zu kehren, schützt es vor seinen Feinden. [...]

Das war eine kalte, nüchterne Analyse, ohne Gefühle der Nostalgie über die verlorene Machtstellung Österreichs und ohne moralische Entrüstung. Dass die Gewalt das Völkerrecht übertrumpft, wird einfach festgestellt. Wer etwas anderes erhofft, hängt einer Illusion nach, sei es der Papst, sei es die eigene Regierung. Gemeint war Rechberg, der immer an das Völkerrecht und an die Verträge appellierte. Zum Schluss wird vor der Gefahr gewarnt, Sardinien könne von Garibaldi weiter vor sich hergetrieben werden und sich genötigt sehen, Venetien anzugreifen. Abschließend heißt es: [...] darum ist es für Österreich notwendig, sich auf die schlimmste Eventualität gefasst zu machen. [...] Es ist möglich, dass es Piemont gelingt, den ihm über den Kopf wachsenden Ereignissen Halt zu gebieten [...]; aber ebenso möglich ist es, dass es von demselben Strome mit fortgerissen wird, und dass den bisherigen Verwicklun-

195

196

Die Errichtung des Königreichs Italien 1860/61

gen ein Ereignis folgt, welches dann wahrscheinlich ganz Europa in den Kreis der italienischen Bewegung hineinzieht. 14

10.3.4 Leitartikel vom 11. November 1860 Nur drei Tage später, am 18. September 1860, trafen tatsächlich die piemontesischen und die päpstlichen Truppen bei Castelfidardo aufeinander. 15 Die päpstlichen wurden besiegt. Am 29. September kapitulierte Ancona. Am 1. und 2. Oktober besiegte Garibaldi die neapolitanischen Truppen am Volturno. Am 21. und 22. Oktober wurde in Neapel ein Plebiszit abgehalten, das für den Anschluss an Sardinien votierte, am 4. und 5. November folgten Plebiszite in Umbrien und in den Marken. Inzwischen hatten sich Viktor Emanuel II. und Garibaldi in Teano getroffen und einander die Hand gegeben, wie es »Die Presse« vorausgesehen hatte. Garibaldi hatte auf die Ausrufung der Republik verzichtet und Viktor Emanuel II. den Vortritt gelassen. Am 11. November 1860 brachte »Die Presse« wieder ein Leitartikel auf der ersten Seite. Am Beginn stand ein Zitat aus der Turiner Zeitung »Opinione«. Schwerlich entzieht man sich dem Schwung, ja der Begeisterung, die aus dem ersten Absatz sprühen, bis Leser durch die Wendung »So mag der italienische Patriot [...] ausrufen«, wieder daran erinnert wird, dass es sich um ein Zitat handelt. »Die Presse« will kühlen Kopf bewahren. »[...] dem Fremden, der die Dinge kühler beurteilt, ist ein anderes Urteil gestattet«. Jedenfalls will sie die Vorgänge nicht aus der Sicht Österreichs, das die Vormachtstellung in Italien verloren hatte, beurteilen, sondern eben aus der Distanz des Fremden. Am Ende steht freilich eine gehörige Portion Skepsis. Das Königreich Italien 16 »Mit dem Einzuge Viktor Emanuels in Neapel ist Italien tatsächlich geeinigt, und von nun an wird es als Großmacht in die Reihe der europäischen Mächte eintreten.« – Mit diesen Worten fasst die Opinione die Ergebnisse der staunenswerten Ereignisse in Italien zusammen. Sie appelliert an die glänzende Geschichte der italienischen Bewegung und an Italiens gebieterische Interessen, um die Notwendigkeit der Anerkennung einer sechsten europäischen Großmacht zu proklamieren, die sich in der kurzen Zeit von einem Jahre, mit Hilfe Frankreichs und Englands, wunderbar schnell entfaltet hat. Was vor kurzem die Italiener selbst für unmöglich gehalten, ist

14 Die Presse v. 15. 9. 1860, 3. 15 Vgl.Kap. 9: »Keine versäumte Chance. Österreich und die Niederlage der päpstlichen Truppen bei Castelfidardo«. 16 Die Presse v. 11. 11. 1860, 1 f.

Die Leitartikel der Zeitung »Die Presse«

geschehen. Italien ist »gemacht«, wenn die Macht der vollbrachten Tatsachen genügt, um in den in Bresche gelegten Bau der europäischen Pentarchie eine neue Großmacht einzufügen. Italien wäre, von beispiellosem Glücke begünstigt, aus seinem tausendjährigen Grabe verjüngt wieder aufgestanden, und das alte Kulturvolk nimmt wieder seinen hervorragenden Platz unter den Völkern ein. Der Kreis der Bewegung, die Pius IX. vor dreizehn Jahren entfesselte, wäre nahe daran, sich zu schließen. Das kleine Piemont, das Haus Savoyen, herrscht von den Alpen bis zum Cap Sorello. Der König von Neapel flieht aus seinem Reiche, und Pius IX. ist nahe daran, die ewige Stadt zu verlassen, und vom Mincio an kennt Italien keinen anderen Gebieter als Viktor Emanuel, der sich jetzt, kraft der Logik der Tatsachen und des allgemeinen Stimmrechts, die Krone Italiens auf das Haupt setzt. Zum ersten Male seit dem Falle Roms ist das herrlichste Land Europas unter einem Zepter vereinigt. Der Traum Machiavellis wäre der Verwirklichung nahe, und die Prophezeiung Petrarcas auf dem Punkte, sich zu erfüllen. Die Barbarenflut ist zurückgetreten, nachdem sie fast zwei Jahrtausende lang sich über Italien ergossen. So mag der italienische Patriot von heute, über den erstaunlichen Wechsel in seinem Vaterlande triumphierend, ausrufen und freudig sich dem Gedanken hingeben, dass aus den Trümmern von Jahrtausenden ein neues Italien ersteht, berufen, mit ureigener Kraft Jahrtausende zu überdauern. Niemand kann, angesichts so großer Erfolge, dem Italiener verargen, dass er sich in solchem Wahne wiegt; aber dem Fremden, der die Dinge kühler beurteilt, ist ein anderes Urteil gestattet. Machiavelli schrieb sein Buch »Der Fürst«, um Lorenzo von Medicis die Mittel zu lehren, zu vollbringen, was Viktor Emanuel heute erreicht zu haben scheint. Die erste Mahnung, die er aber dem »Fürsten« erteilte, war die, zur Durchführung seiner Plane zur Einigung Italiens von vornherein die Hilfe des Auslandes zu verschmähen, und lieber alles zu unterlassen, als sich der Unterstützung fremder Fürsten zur Erreichung seines hohen Zieles zu bedienen. Diesen weisen Rat hat Piemont von Anfang an außer Acht gelassen. Es hat nicht, wie Machiavelli verlangt, alles auf die italienische Tapferkeit gesetzt. Die größte Arbeit hat nicht Italien selbst getan, sondern Frankreich. [...] französische Waffen haben den Kampf bei Magenta und Solferino entschieden [...]. Nicht italienische Tapferkeit war es, welche die Lombardei eroberte, sondern französische, und nicht aus den Händen Österreichs, sondern aus jenen Frankreichs nahm der König von Piemont die erste Vergrößerung seines Reiches entgegen. [...] Die Folgerungen, welche aus diesen Tatsachen gezogen werden können, sind in politischer wie in militärischer Beziehung wenig erbaulich. Sie beweisen, dass in Italien im Großen und Ganzen nur die mittlere Schichte der Gesellschaft sich an der Bewegung beteiligte; [...] und dass Italien trotz all seines Glückes und trotz allen Glanzes der Namen seiner Führer verurteilt sein wird, weniger sich selbst, als dem Auslande seinen Fortbestand zu verdanken. Solange aber ein Staat [...] nicht auf eigenen Füßen

197

198

Die Errichtung des Königreichs Italien 1860/61

zu wandeln, nicht durch eigene Kraft zu handeln vermag, fehlt ihm die Selbständigkeit, diese Vorbedingung jeder Großmacht. Der Thron des Königs von Italien ist errichtet; was fremde Hilfe und fremder Schutz vermögen, ist geschehen. Das Schicksal Italiens liegt jetzt ganz und gar in den Händen der Italiener. Nach ihren bisherigen Leistungen ist man aber trotz aller Einhelligkeit der Abstimmung und trotz alles Enthusiasmus kaum zu der Erwartung berechtigt, dass die Befürchtungen Machiavellis, ihres größten Politikers und Patrioten, an Italien zu Schanden werden.

10.3.5 Leitartikel vom 15. November 1860 Vier Tage später, am 15. November 1860, folgte ein Leitartikel, der gewissermaßen die andere, die österreichische Seite beleuchtete. Es ging um die venetianische Frage. »Die Presse« meinte, im Augenblick bestehe keine Kriegsgefahr für Venetien. Österreich werde in Italien nicht eingreifen, und der Widerstand des Königs von Neapel, der sich in der Festung Gaeta verschanzt hatte und dadurch das piemontesische Heer aufhielt, sei noch nicht gebrochen. Am Ende meinte »Die Presse« aber, auf die Dauer könne es nicht so bleiben, und wünschte sich eine Lösung, die den Frieden und zugleich die Würde Österreichs wahre. Die letzte Bemerkung war ein versteckter Hinweis auf die schon damals vorhandene Meinung, Österreich möge Venetien gegen eine gehörige territoriale Kompensation aufgeben. 17 Die venetianische Frage 18 [...] [Das vorläufige Schwinden der Kriegsgefahr] verdankt man zunächst dem Entschlusse Österreichs, aus seiner Defensive vorläufig nicht herauszutreten, hauptsächlich aber dem verlängerten Widerstande des Königs von Neapel. [...] So ist der Angriff auf Venetien für Italien in diesem Augenblicke eine bare Unmöglichkeit, und da Österreich seinerseits aus Rücksicht für die anderen Mächte in der Defensive bleiben muss, läuft der Friede keine unmittelbare Gefahr. Der Angriff des neuen Königreichs Italien bleibt daher vorläufig bis zum nächsten Frühling verschoben. Um die Mitte Jänners tritt das italienische Parlament zusammen; bis dahin werden auch in ganz Italien die nötigen Rekrutierungen vorgenommen sein, welche dem italienischen Heer jene numerische Stärke geben sollen, die die neue Großmacht auf gleichen Fall mit den übrigen Großmächten stellt, und wenn dann das Parlament des einigen Italiens den Krieg gegen Österreich beschließt, so wird der Angriff auf Venetien auch unvermeidlich erfolgen. Alle offiziösen Andeutungen stimmen darin

17 Dazu Senner, Donaufürstentümer als Tauschobjekt; Blaas, Tentativi di approccio. 18 Die Presse v. 15. 11. 1861, 1 f.

Die Leitartikel der Zeitung »Die Presse«

überein, dass österreichischerseits der Angriff abgewartet werden wird. [...] Die perennierende Kriegsgefahr lahmt aber alle Kräfte des Landes, vertagt die Lösung der Finanzfrage, und verurteilt Österreich zu innerem Siechtum. Mit dem Schwerte allein ist der Besitz Venetiens nicht verbürgt, und diese Frage überhaupt nicht zu lösen. Die Kabinette haben jetzt zwei oder drei Monate Zeit zu unterhandeln und zu kombinieren. Vielleicht gelingt es bis dahin, eine Lösung zu finden, welche den Frieden sicherstellt, ohne die Würde Österreichs bloßzustellen. So wie die Frage jetzt liegt, kann sie nicht bleiben [...]. 19

Fasst man die Nachrichten und Kommentare der »Presse« des zweiten Halbjahres 1860 zusammen, kann man dreierlei feststellen. Erstens bemerkt man einen Ton zwischen Staunen und Bewunderung, doch scheinen die Tatsachen selbst Österreich nicht zu betreffen. Es handelt sich um Angelegenheiten im Ausland. Es ist ein Blick von außen. »Die Presse« bedauert nicht und fordert nicht die Rücknahme der Entwicklung. Der Friede von Zürich, der noch von einer italienischen Konföderation und vom Weiterbestehen des Großherzogtums Toskana und der Herzogtümer Modena und Parma gesprochen hatte, wird nicht erwähnt. 20 Österreich hat sich aus Italien zurückgezogen, es bleibt neutral, es wird nicht eingreifen. Zweitens betrifft auch die römische Frage Österreich nicht. Der Verlust der Legationen, der Rückzug des Kirchenstaates auf das Patrimonium Petri, das mögliche gänzliche Ende des Kirchenstaates, falls Frankreich den Schutz des Papstes aufgibt, sind nicht Österreichs Angelegenheiten. Der Schutz des Papstes ist nicht Aufgabe der Habsburgermonarchie. Nur wo es um Venetien geht, ist – drittens – Österreichs Interesse vorhanden. »Die Presse« hält einen Krieg um Venetien für möglich. Die Monarchie werde sich zu wehren wissen. Für diesen Fall erwartet sich »Die Presse« die Solidarität der europäischen Mächte (mit Ausnahme Frankreichs), gleichsam als Gegenleistung dafür, dass Österreich im Sommer und Herbst 1860 nicht eingegriffen und die Einigung Italiens zugelassen hat. Am Ende ist aber auch in diesem Fall zu spüren, dass »Die Presse« für eine weitere Entwicklung offen ist. So könne es nicht bleiben, meint sie, und erhofft eine Lösung, »welche den Frieden sicherstellt, ohne die Würde Österreichs bloßzustellen« 21.

19 Ganz ähnlich argumentierte der Leitartikel ohne Überschrift am 25. 11. 1861, 1, und der Leitartikel am 27. 11. 1861, 1, mit der Überschrift »Napoleonische Reformpolitik«. 20 Art. 18 und 19 des Friedensvertrags zwischen Österreich und Frankreich, Rgbl. Nr. 213/1859. 21 Die Presse v. 15. 11. 1861, 2.

199

200

Die Errichtung des Königreichs Italien 1860/61

10.3.6 Leitartikel vom 15. Februar 1861 Am 13. Dezember 1860 sah sich Kaiser Franz Joseph genötigt, einen neuerlichen innenpolitischen Kurswechsel vorzunehmen. Er berief den prominenten Liberalen Anton Ritter v. Schmerling zum Staatsminister. Damit rückte die deutschösterreichische liberale Verfassungspartei in die erste Reihe. Eine Folge war, dass die Zeitungen begannen, freier und kritischer zu schreiben. Der Anlass für den ersten Leitartikel zu Italien für »Die Presse« war die Kapitulation König Franz II. von Neapel und der Fall Gaetas. Im Leitartikel vom 15. Februar 1861 brachte das Blatt nicht nur die Fakten und eine kühle Analyse, sondern kritisierte heftig Rechbergs italienische Außenpolitik der Monarchie im vergangenen Jahr. Stein des Anstoßes war vor allem der Umstand, dass Rechberg in der Konferenz von Warschau zwischen Österreich, Preußen und Russland im Oktober 1860 unbedingt auf dem Vertrag von Zürich als Grundlage für einen europäischen Kongress zu Italien beharrt hatte. Das hätte aber die inzwischen von Frankreich und England akzeptierte Gründung des Königreichs Italien rückgängig gemacht. »Die Presse« meinte, Rechberg hätte weniger auf das historische Recht und mehr auf die tatsächlichen Verhältnisse schauen müssen, dann hätten die Großmächte vielleicht eine Lösung gefunden, die für Österreich besser gewesen wäre als die fortdauernde Kriegsgefahr. Der Fall von Gaeta 22 Das Drama von Gaeta ist zu Ende; das letzte Bollwerk der Legalität in Italien hat kapituliert. [...] Seit der Schlacht am Volturno und dem durch diese Niederlage der Königlichen notwendig gewordenen Rückzuge nach Gaeta war die Sache Franz II., vom militärischen Gesichtspunkte betrachtet, rettungslos verloren. [...] hatte der König Franz II. seine ganze Hoffnung in diese Unterhandlungen [= der Großmächte] gesetzt. Österreich, Preußen und Russland hatten die Abhaltung eines Kongresses aller Mächte vorgeschlagen, welcher rasch zusammentreten und eine Lösung der italienischen Angelegenheiten beschließen sollte, die dann im Namen Europas Italien auferlegt würde. Aber Österreich verlangte als conditio sine qua non, dass der beantragte Kongress auf Grundlage des Züricher Vertrags eine Lösung sucht. Vom Standpunkt des »historischen Rechts« war diese Forderung vielleicht gerechtfertigt, vom Standpunkt der praktischen Politik war sie nicht zulässig. Weder England noch Frankreich konnten einen Kongress beschicken, dessen Aufgabe es sein sollte, über die Wiedereinsetzung die italienischen Herzöge und des Königs von Neapel Beschlüsse zu fassen. Ihre ganze bisherige Politik war eingestandener Blödsinn, wenn

22 Die Presse v. 15. 2. 1861, 1 f.

Die Leitartikel der Zeitung »Die Presse«

sie auf solcher Grundlage eine Lösung suchten. [...] Von da ab war aller Widerstand in Gaeta zwecklos. [...] Eine Kapitulation war der einzige vernünftige Ausweg [...]. Über die Bedingungen der zum Abschluss gelangten Kapitulation fehlen noch Nachrichten; Piemont dürfte in dieser Beziehung keine Schwierigkeiten machen. Wichtiger aber sind die politischen Konsequenzen dieser Kapitulation. Ganz Süditalien, welches Piemont bis jetzt so viel zu schaffen machte, ist von dem Augenblicke an pazifiziert, als Franz II. sich eingeschifft hat, um das Land seiner Väter zu verlassen. [...] Der Fall von Gaeta muss naturgemäß auf die Lösung der römischen Frage zurückwirken, und das von Turin und London aus gedrängte Frankreich wird schließlich nicht umhin können, Pius’ IX. Sache preiszugeben, wie es Gaeta preisgegeben hat. Mit dem Einzuge der italienischen Macht in Rom ist Italien »gemacht«, und es bleibt nur mehr die venezianische Frage übrig. Wird das durch seine jüngsten Erfolge in seinem Selbstvertrauen unendlich gehobene, durch das Prinzip der Nichtintervention geschützte Italien, wenn es schließlich auch Roms Herr geworden, länger zurückzuhalten sein? Wer kann es hindern, den nationalen Krieg an Österreich zu erklären, wenn derselbe von einem italienischen Parlamente vom Quirinal herab dekretiert wird? Und welcher Art sind die Bürgschaften, welche Österreich dafür besitzt, dass der Krieg nicht abermals lokalisiert bleibt? [...] Wenn man die jüngst publizierten Depeschen über die Verhandlungen der Mächte bezüglich des Kongressprojekts aufmerksam liest, so kann man nicht genug bedauern, dass die Negoziationen über einen italienischen Kongress, mit welchen die Kabinette sich beinahe vier Monate lang beschäftigten, zu keinem Resultate führten. Ließ Österreich eine andere Basis der Kongressverhandlungen zu, als den Züricher Vertrag; erklärte Graf Rechberg in seiner Warschauer Note vom 26. Oktober v. J. nicht ausdrücklich, dass Österreich jede Verhandlung auf anderer Grundlage verwerfen müsse, so gelang es den Mächten vielleicht doch, den gemeinschaftlichen Boden für eine Lösung der italienischen Angelegenheiten zu finden. Man brauchte sich eben nur nicht allzu sehr auf das historische Recht zu steifen und stattdessen den »gewordenen Verhältnissen« einige Rechnung zu tragen. Es wäre dies sicherlich besser gewesen für den König in Gaeta, entschieden ersprießlicher für Österreich. [...]

10.3.7 Leitartikel vom 19. Februar 1861 Nur wenige Tage nach dem Fall von Gaeta trat in Turin das erste gesamtitalienische Parlament zusammen. In der Ausgabe vom 19. Februar 1861 zitierte »Die Presse« ausführlich aus der Thronrede König Viktor Emanuels II. und analysierte die Vorgänge in einem Leitartikel ohne Überschrift. 23 Eine gewisse Begeisterung über die Vorgänge ist nicht zu verkennen. Der Hinweis, dass sich 23 Die Presse v. 19. 2. 1861, 1.

201

202

Die Errichtung des Königreichs Italien 1860/61

in Kürze das Parlament versammeln wird, in dem »alle Teile Italiens [...] durch vom Volk gewählte Vertreter repräsentiert sind« 24, ist eine Spitze gegen die eigene Regierung. Am 19. Februar 1861 wusste die Öffentlichkeit noch nicht, dass es Schmerling gelungen war, von Franz Joseph die Zustimmung zum Grundgesetz über die Reichsvertretung zu erlangen. Das Oktoberdiplom mit dem versprochenen Reichsrat war noch toter Buchstabe. Das Februarpatent wurde erst eine Woche später publiziert! Ausdrücklich weist »Die Presse« auf die Zurückhaltung Viktor Emanuels II. in Bezug auf Venetien hin. Der Artikel endet in einer heftigen Rüge für die eigene Regierung, deren mangelnde Tatkraft sich in »erfolglosen Experimenten« ergehe. Dem Nachfolger Karl Alberts [...] ist das Glück zu Teil geworden, das höchste Ziel seiner Bestrebungen als italienischer Fürst zu erreichen. Was die Welt lange, noch bis in die neueste Zeit, selbst nach dem Feldzug von 1859, für den wüsten Traum eines Ehrgeizigen gehalten, Viktor Emanuel hat es zustande gebracht. Die Einberufung eines Parlaments nach Turin, in welchem, Rom und dessen Umgebungen abgerechnet, alle Teile Italiens vom Mincio bis zur äußersten Südspitze Siziliens durch vom Volk gewählte Vertreter repräsentiert sind, ist eine erste Manifestation der italienischen Einheit, deren Bedeutung niemand verkennen kann. Was auch über die Schwierigkeiten gesagt wurde, die durch den Munizipalitätsgeist, die Verschiedenheiten des Volksgeistes und der Dialekte geschiedenen heterogenen Bestandteile der apenninischen Halbinsel zu einem staatlichen Ganzen zusammenzuschweißen, auf welche Hindernisse dieser Verschmelzungsprozess auch noch stoßen wird, alles das ist nur mehr eine Frage der Zeit, der inneren Organisation, der Verwaltung. Von jetzt an, und wenn keine tollkühne Politik die gewonnenen Resultate neuerdings bloßstellt, kann mit dem Zusammentreten des ersten italienischen Parlaments Italien als konstituiert betrachtet werden. [...] Der wichtigste Teil der Turiner Thronrede ist derjenige, welcher sich auf die Frage, ob Krieg oder Frieden, bezieht. Indem der König die innere Organisation Italiens und die Vervollständigung der Rüstungen als erste Notwendigkeit anerkennt, gesteht er, dass Italien nicht in der Lage ist, die Offensive zu ergreifen, und wenn er hinzufügt, »Italien werde im Bewusstsein seiner Kräfte den Ratschlägen der Klugheit Folge geben können«, so erklärt Piemont eben, dass es aus der Not eine Tugend macht, und auf den venezianischen Feldzug, den es allein zu unternehmen nicht stark genug ist, den Frankreich zu unterstützen nicht geneigt ist, und von welchem England im Interesse des allgemeinen Friedens abrät, vorläufig Verzicht leistet. Viktor Emanuel geht aber noch weiter, er erklärt eine Unternehmung gegen Venetien für ein Wagnis und spricht jedermann das Recht ab, »die Existenz und die Geschicke einer Nation aufs 24 Ebd.

Erbfeindschaft oder schmerzliche Erbschaft?

Spiel zu setzen«. Diese Stelle ist direkt gegen die Ultras gerichtet, deren Blicke auf Garibaldi gerichtet sind [...]. Über Rom beobachtet die Turiner Thronrede absolutes Stillschweigen [...] Die heute erfolgte Eröffnung des ersten italienischen Parlaments enthält eine große Lehre für Österreich. Vor wenigen Monaten noch regierte in Neapel ein König, der über ein zahlreiches Heer und eine mächtige Flotte gebot; der Kirchenstaat setzte der Turiner Annexionspolitik offenen Widerstand entgegen; Europa protestierte und ganz Italien befand sich in heftiger Gärung. Der Staatsmann aber, welcher in Italien das Steuerruder lenkt, lässt sich durch keine Hindernisse abschrecken, keinen Augenblick weicht er von der eingeschlagenen Bahn ab. Mitten in Sturm und Ungewissheit wird das Parlament gewählt, und kaum gewählt, tritt es auch zusammen, um der Regierung eine erdrückende Verantwortlichkeit abzunehmen und das Chaos zu ordnen. Österreich genießt seit Villafranca tatsächlich des äußeren und inneren Friedens; seit Jahr und Tag ist von der Organisation des Reiches die Rede, aber anstatt der Tatkraft und des klaren Bewusstseins des anzustrebenden Zieles, deren schlagende Wirkungen uns Italien zeigt, vergeht Monat um Monat in erfolglosen Experimenten, wachsen die Schwierigkeiten mit jedem Tage, schwinden die Macht, das Ansehen, das allgemeine Vertrauen. Die offiziöse Presse in Österreich mag eine patriotische Pflicht erfüllen, wenn sie Cavours auswärtige, territoriale Politik verurteilt, aber sie sollte sich hüten, das Talent eines Ministers herabzusetzen, dessen Ideenreichtum, Organisationsfähigkeit und Schlagfertigkeit für jeden Österreicher ein Gegenstand des Neides und der Bewunderung ist. 25

10.4 Erbfeindschaft oder schmerzliche Erbschaft? Die Zeitung »Die Presse« spiegelte die Meinung des deutschösterreichischen liberalen Bürgertums wider. Dieses war mit der Berufung Schmerlings bis ins Zentrum der Macht aufgerückt. Schmerling war es, der den Kaiser zur Erlassung des Februarpatents von 1861 mit dem Grundgesetz über die Reichsvertretung bewog und damit die Konstitutionalisierung kräftig vorantrieb. Im Gegensatz zu Österreich war Sardinien-Piemont schon längst ein konstitutioneller Staat, und Italien war es somit von Anfang an. In der äußeren Politik gab der Kaiser noch nicht nach, Rechberg blieb Minister des Äußern bis 1865. Die Kritik der deutschösterreichischen Liberalen an Rechbergs Politik war eine indirekte Kritik an der Außenpolitik des Kaisers. Direkt konnte man den Kaiser nicht kritisieren, er war ja unverantwortlich.

25 Ebd.

203

204

Die Errichtung des Königreichs Italien 1860/61

Wir sehen also, dass die öffentliche Meinung, wie sie in der »Presse« zum Ausdruck kam – und das war ein ganz wesentlicher Teil – sich in den Monaten der Einigung Italiens nicht über den Verlust der Machstellung der Habsburgermonarchie in Italien beklagte, vielmehr die Fähigkeiten des Staatsmannes bewunderte, ja Italien um ihn beneidete, der so maßgeblich dazu beigetragen hatte. Natürlich gab es auch andere Stimmen. Die Konservativen sahen in Viktor Emanuel II. einen Dieb, der mehr schlau und rücksichtslos als mutig agierte. 26 Franz Joseph selbst hatte wohl auch nicht endgültig auf eine Revanche verzichtet. 27 Die Liberalen aber, in Österreich wie in Ungarn, dachten anders. Für sie stand nicht der Erhalt der Machtstellung in Italien, sondern die Neuordnung des politischen Systems im Inneren auf der Tagesordnung. In der Außenpolitik lag ihr Schwerpunkt nicht in Italien, sondern in Deutschland. Sie wollten eine dauerhafte Lösung der italienischen Frage, natürlich unter Wahrung der Ehre der Monarchie. Das konnte letzten Endes nur der Verzicht auch auf Venetien gegen eine Kompensation sein. Dadurch würde sich die Monarchie die permanente Bereitstellung einer starken Armee in Venetien ersparen. So dachten die deutschösterreichischen Liberalen, auch wenn eine solche Lösung nie eine wirklich realistische Chance hatte. Die Differenz in dieser Frage zwischen dem Kaiser und seiner Außenpolitik einerseits und den wichtigsten sozialen und politischen Kräften andererseits blieb in den folgenden Jahren bestehen. Der Kaiser war nicht bereit, Italien anzuerkennen, und beharrte auf den Verträgen von Zürich. Die Abgeordneten dagegen sprachen immer deutlicher von der Notwendigkeit, diese Politik zu ändern, um das Armeebudget zu entlasten und die Staatsschulden in den Griff zu bekommen. Einer von ihnen, Ignaz Kuranda, hat die österreichische Herrschaft in Italien als Unglück und als »eine große, schmerzensreiche Erbschaft der Verträge von 1815« 28 bezeichnet. In der Debatte über das Budget des Ministeriums des Äußern am 7. Mai 1862 sagte er: Die italienische Frage ist eine große, schmerzensreiche Erbschaft der Verträge von 1815. Es ist nie einem Staate ein größeres Unglück durch Machtzuwachs passiert, als uns in Italien. [...] Ich glaube, es ist kein Unglück, dass wir endlich die sogenannte Machtstellung in Italien verloren haben und dass wir aufgehört haben, eine ›italienische‹ Macht zu sein. [...] Ich glaube, wir sollen die Velleitäten und Rückerinnerungen

26 Das Vaterland v. 19. 2. 1861, 2, Das italienische Parlament. 27 Mayr, Tagebuch Kempen 523, Eintragung v. 15. 7. 1859; Rumpler, Eine Chance für Mitteleuropa 372. 28 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses, I. Session, 115. Sitzung, 7. 5. 1862, 2638.

Erbfeindschaft oder schmerzliche Erbschaft?

eines italienischen Österreichs aufgeben. [...] Restaurationspolitik in Italien zu treiben, dazu ist die Zeit nicht angetan. [...] Und so, meine Herren, kann es auch ein Glück für uns werden [...] dass wir die frühere, nach vielen Richtungen hin gefährliche Machtstellung in Italien verloren haben. [...]. 29

Klarer konnte man es nicht formulieren, und der Abgeordnete erhielt für seine Rede »Lebhaftes Bravo links« 30. Erst nach der weiteren militärischen Niederlage des Jahres 1866 und dem Verlust Venetiens – ohne Kompensationen – war auch Franz Joseph so weit. Nolens volens verzichtete er auf jede Machtstellung auf der Apenninenhalbinsel und anerkannte das Königreich Italien. Damit tat die offizielle Politik das, was ein großer Teil der öffentlichen Meinung schon seit 1860 gedacht und gesagt hatte. Für die deutschösterreichischen Liberalen und die Verfassungspartei war Italien kein Erbfeind Österreichs, vielmehr empfanden sie die habsburgische Herrschaft in Italien als schmerzliche, teure und überflüssige Erbschaft einer vergangenen Zeit.

29 Ebd. 30 Ebd. Weitere Beispiele siehe Blaas, Die italienische Frage und das österreichische Parlament.

205

11. Einheit, Verfassung, Föderalismus. Politische Konzepte im Vergleich

11.1. Paradigmenwechsel in der Geschichtsschreibung Die italienische Geschichtsschreibung hat das Risorgimento, also die Ereignisse zwischen dem Wiener Kongress und der Errichtung und Vervollständigung des Königreichs Italien, lange Zeit unter dem Paradigma der Nationalgeschichte erzählt. Das von Napoleon geschaffene Königreich Italien war mit dem Sturz des Korsen untergegangen, die konservativen und reaktionären Kräfte waren wieder an der Macht. Die Erinnerung an die geeinte Vergangenheit unter Napoleon war aber sehr lebendig. Sogar die noch viel länger zurückliegende Vergangenheit des Römischen Reiches konnte unterstützend herangezogen werden. Cesare Balbo sagte 1846 in seinem Buch Sommario della Storia d’Italia: »Italien ist die einzige unter den europäischen Nationen, die eine große antike und eine große moderne Geschichte hat.« 1 Die in jahrzehntelangen politischen und militärischen Kämpfen schließlich erreichte Einigung Italiens wurde als Sieg der Nation über die politischen Gegner interpretiert und gefeiert. In Österreich wurden diese Ereignisse lange Zeit nur aus dem Blickwinkel der Großmachtpolitik erzählt. Die italienische Halbinsel gehörte nach dieser Erzählung zum legitimen, völkerrechtlich abgesicherten Einflussbereich der Habsburgermonarchie. Um diese Machtstellung zu verteidigen, musste Österreich Kriege führen, die es z. T. gewann, letzten Endes aber verlor. In der Folge musste es sich aus Italien zurückziehen und für immer auf die Vorherrschaft über die Apenninenhalbinsel verzichten. Im Lauf der Zeit hat die Historiographie andere Gesichtspunkte entdeckt und eingenommen. So hat z. B. die italienische Historiographie nach dem Zweiten Weltkrieg das sozialgeschichtliche Paradigma der versäumten Revolution entwickelt, der rivoluzione mancata. Es wurden die sozial- und demokratiepolitischen Defizite der vom Bürgertum und der Dynastie erwirkten Einigung herausgearbeitet und das Problem der Rückständigkeit des Südens damit in Verbindung gebracht.

1 »L’Italia è la sola tra le nazioni d’Europa, che abbia una grande storia antica, una grande moderna«, Balbo, Sommario della storia d’Italia 87.

Einheit

In Österreich widmete sich die Historiographie zunehmend der inneren Politik, der Verwaltungsgeschichte und der Nationalitätenfrage in der Habsburgermonarchie und weniger ihrer Stellung im Konzert der Mächte. Eine historiographische Weiterentwicklung stellten die Arbeiten dar, die die österreichisch-italienischen Beziehungen als solche thematisierten. Die Vorstellungen und Denkmuster vom Völkerkerker, vom Erbfeind und vom Verräter wurden hinterfragt und durch differenziertere und objektivere Fragen und Antworten abgelöst. Diese historiographische Wende ist mit großen Namen verbunden: Leo Valiani, Franco Valsecchi, Adam Wandruszka, Silvio Furlani, Claus Gatterer und Angelo Ara. 2 Der Zugang zur Geschichte Italiens und Österreichs, den ich im Folgenden wähle, ist nicht der nationale Staatsbildungsprozess, sind nicht die Macht- und Außenpolitik, Krieg und Frieden, auch nicht zwischenstaatliche Beziehungen und Nachbarschaft. Ich möchte vielmehr einige Ideen und Konzepte vergleichen, die der politischen Realität und der politischen Entwicklung in Italien und in Österreich zugrunde lagen. Der Blick soll auf einige ideologische Inhalte gerichtet werden und darauf, ob sie ähnlich oder verschieden waren. Wir werden sowohl Parallelitäten als auch Unterschiede entdecken.

11.2 Einheit Ich beginne mit dem Begriff der Einheit. Was für ein schönes Wort! Es weckt in uns vorwiegend positive Assoziationen: Ganzheit, Vollständigkeit, Vollendung, Eintracht, Abwesenheit von allem Fremden und Störenden. In der unvergleichlich suggestiven Sprache Giuseppe Mazzinis ist dieses Wort von Beginn des Risorgimento an gegenwärtig. In der »Generalinstruktion« (Istruzione generale per gli affratellati nella Giovine Italia) aus dem Jahr 1831 schreibt er: La Giovine Italia è Unitaria perché senza Unità non v’è veramente Nazione – perché, senza Unità non v’è forza, e l’Italia, circondata da nazioni unitarie, potenti, e gelose, ha bisogno anzi tutto d’essere forte [...] – perché la serie progressiva dei mutamenti europei guida inevitabilmente le società europee a costituirsi in vaste masse unitarie – perché tutto quanto il lavoro interno dell’incivilimento italiano tende da secoli, per chi sa studiarlo, alla

2 Siehe dazu Berghold, Italien – Austria; Garms-Cornides, Das Bild Österreichs in Italien; Guiotto, Una generazione postbellica; Heiss, Rücken an Rücken 119 f.; Malfèr, Angelo Ara; die Einleitungen von Mazohl-Wallnig und Meriggi in Mazohl-Wallnig – Meriggi, Österreichisches Italien – Italienisches Österreich; Pichler, Italiener in Österreich.

207

208

Einheit, Verfassung, Föderalismus

formazione dell’Unità – perché tutte le obbiezioni fatte al sistema unitario si riducono ad obiezioni contro un sistema di concentrazione e di dispotismo amministrativo che nulla ha di comune coll’Unità. – La Giovine Italia non intende che l’Unità nazionale implichi dispotismo, ma concordia e associazione di tutti. – La vita inerente alle località dev’esser libera e sacra. L’organizzazione amministrativa dev’esser fatta su larghe basi, e rispettare religiosamente le libertà di comune; ma l’organizzazione politica destinata a rappresentar la Nazione in Europa dev’essere una e centrale. Senza unità di credenza e di patto sociale, senza unità di legislazione politica, civile, e penale, senza unità d’educazione e di rappresentanza, non v’è Nazione. 3

Das Junge Italien ist für die Einheit, weil es ohne Einheit keine wahre Nation gibt – weil man ohne Einheit nicht stark ist, und Italien, umgeben von geeinten, mächtigen und eifersüchtigen Nationen, muss vor allem stark sein [...] – weil die ununterbrochen fortschreitenden Änderungen in Europa die europäische Gesellschaft unweigerlich dahin führen, sich in großen einheitlichen Massen zu konstituieren – weil alle seit Jahrhunderten unternommenen Anstrengungen der Zivilisierung innerhalb Italiens für den, der es sehen will, dazu tendieren, die Einigung herbeizuführen – weil alle Einwände gegen ein einheitliches System sich auf Einwände gegen ein System konzentrierter Verwaltungsdespotie reduzieren lassen, das nichts mit der Einheit selbst zu tun hat. – Das Junge Italien strebt nicht nach der nationalen Einheit als Despotie, sondern als Einmütigkeit und Zusammenhalt aller. – Das Leben, das sich innerhalb der Orte abspielt, muss frei und heilig sein. Die Verwaltung muss auf einer weitgesteckten Grundlage organisiert werden und die kommunalen Freiheiten eifersüchtig wahren; wo aber die politische Verwaltung die Nation in Europa zu vertreten hat, da muss sie eins und zentral sein. Ohne Einheit im Glauben und im Gesellschaftsvertrag, ohne Einheit in der politischen, bürgerlichen und Strafgesetzgebung, ohne Einheit in der Erziehung und in der Vertretung nach außen gibt es keine Nation.

Die Einheit bietet der Nation und Italien, so Mazzini, sowohl Stärke gegenüber dem äußeren Feind als auch Eintracht im Inneren. Sie ist für ihn aber zugleich mehr, nämlich eine teleologisch-philosophische Kategorie. Die italie-

3 Mazzini, Scritti editi e inediti I, 112 f. Die folgenden Übersetzungen sind von Stefan Malfèr.

Einheit

nische Gesellschaft, Kultur, Zivilisation (incivilimento) ziele seit Jahrhunderten auf die Einheit, sagt er, und weiter: Die Veränderungen in Europa bringen die europäischen Gesellschaften dazu, sich in großen und weiträumigen Massen zu konstituieren. Ein anderes Mal schreibt er: L’unità è prima legge dell’intelletto, 4 die Einheit ist also das erste, grundlegende Gesetz des Geistes, der Vernunft. Auch für Vincenzo Gioberti, den gemäßigt reformerischen Kontrahenten Mazzinis, war die Einheit eine ganz wichtige Sache, auch wenn sein Ziel ein Staatenbund war. Gioberti sagte in der Schrift Del Primato morale e civile degli italiani, erschienen 1843, im Kapitel mit der Überschrift Dell’unione italiana: E in prima dico che l’Italia dee ricuperare innanzi ad ogni altra cosa la sua vita come nazione; e che la vita nazionale non può aver luogo, senza unione politica fra le varie membra di essa. Questa unione può essere variamente intesa e congegnata; ma in un modo o in un altro è necessaria, e se manca, la nazione senza riparo è debole ed inferma. Ora, stando che l’Italia per essere felice debba esser una in qualche guisa, resta a vedere qual sia il principio accomodato a partorir l’unione, e la sua natura. Io credo che il principio dell’unità italiana debba essere reale, concreto, vivo e ben radicato; non astratto e in aria; perché gli stati non si governano colle chimere, né colle astrazioni. 5

Zuvörderst sage ich, dass Italien vor allem anderen sein Leben als Nation begreifen muss; und dass das Leben als Nation nicht stattfinden kann, ohne politische Einheit unter ihren verschiedenen Gliedern. Diese Einheit kann auf unterschiedliche Weise verstanden und gedacht werden, aber auf die eine oder andere Weise ist sie notwendig, und wenn sie fehlt ist die Nation ohne Schutz, schwach und krank. Wenn nun Italien auf irgendeine Weise einheitlich sein muss, will es glücklich sein, dann bleibt zu überlegen, welches und welcher Art das geeignete Prinzip ist, um diese Einheit zu erzeugen. Ich glaube, dass das Prinzip der italienischen Einheit real, konkret, lebendig und verwurzelt sein muss; nicht ein abstraktes Luftgebilde; denn die Staaten werden nicht mit Chimären regiert und nicht mit Abstraktionen.

4 Manifesto della Giovine Italia, ebd. 128. 5 Gioberti, Del primato morale e civile degli Italiani 2, 81–83.

209

210

Einheit, Verfassung, Föderalismus

Der letzte Satz war gegen Mazzini gerichtet. Im weiteren Nachdenken, wo die Grundlage für die Einheit gefunden werde könne, wies Gioberti die Vorstellung zurück, es gebe bereits ein italienisches Volk. Die Italiener waren für ihn ein potentielles Volk, und noch nicht ein real bestehendes. Das war wieder eine harsche Kritik an den Mazzinianern. Die Einheit des Volkes werde die Frucht der staatlichen Einheit sein, und nicht umgekehrt. Die Grundlage für die Einheit fand Gioberti, bekanntlich war er Priester, im weiteren Nachdenken nicht im Volk, sondern im Papsttum. Der Papst könne die Halbinsel vereinigen, und eine solche Einheit war der große Wunsch Giobertis. Während Mazzini und Gioberti das Risorgimento geistig-ideologisch vorbereiteten, wenn auch mit unterschiedlichen Methoden und Inhalten, gestaltete sich der tatsächliche Verlauf der Ereignisse gemäß den Überlegungen und Taten der gemäßigten Reformer des piemontesischen Flügels: Cesare Balbo, Massimo d’Azeglio, Camillo Benso Graf v. Cavour. Für sie war der Begriff der Einheit nicht in demselben Ausmaß ein Schlüsselbegriff, sie sprachen nicht in Kategorien aus der Sphäre der Gefühle, der Philosophie oder Religion. Ihnen ging es um machbare Realpolitik. Dennoch finden wir auch in ihren Texten die Faszination des Begriffs der Einheit. Im Buch Delle speranze d’Italia aus dem Jahr 1844 kritisierte Cesare Balbo die Zersplitterung der Meinungen. Ein Königreich Italien sei angesichts der vielen unterschiedlichen Meinungen, Entwürfen und Regionen undenkbar: »Il regno d’Italia è cosa impossibile in tanta varietà di opinioni, di disegni, di provincie.« 6 Seinen Überblick über die Geschichte Italiens Sommario della storia d’Italia aus 1846, schließt er mit einem kurzen Gebet zu Gott, »in dessen Hand es liegt, die Herzen der Italiener zu einigen, damit sie jene Ziele erreichen, die Er bereitet hat« 7. Für Massimo d’Azeglio wiederum war der Königsweg für den Fortschritt der nationalen Sache »die enge Einheit unter den Fürsten« und »die Einheit zwischen den Fürsten und den Völkern«. 8 Einheit, Vereinigung, Einigung, das sind die Konzepte, die wir bei allen Denkern und Schriftstellern des Risorgimento vorfinden, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung und mit unterschiedlichem Gewicht. Und in Österreich? Ist es vorstellbar, dass dieser amorphe und alte Staat mit seinem Gemisch aus Ländern, Nationalitäten und Religionen irgendetwas zu schaffen hatte mit dem hohen, reinen, jungen Konzept von nationaler Einheit im Sinne Mazzinis, oder überhaupt mit dem Begriff von Einheit?

6 Balbo, Delle speranze d’Italia 19. 7 »Dio che ha in mano gli animi Italiani di unirli ad acquistare i destini ch’Ei ci apparecchia«, Balbo, Sommario della storia d’Italia 420. 8 d’Azeglio, Proposta di un programma per l’opinione nazionale italiana.

Einheit

Tatsächlich finden wir auch in der Habsburgermonarchie, ungeachtet der so andersartigen politischen Realitäten als in Italien, ähnliche Anschauungen in Bezug auf den Gedanken der Einheit. Man konnte nicht wie in Italien die Erinnerung an eine größere Vergangenheit heranziehen, weil der Rekurs auf das Heilige Römische Reich nicht möglich war. Das Kaisertum Österreich war ja 1804 aus ihm hervorgegangen. Den Vereinigungspunkt bildete hier der Monarch selbst und sein Geschlecht, das Haus Habsburg oder Haus Österreich. Im Kaiser flossen nicht nur alle Staatsgewalten zusammen, er war auch, wie es im Patent vom 11. April 1804 hieß, »Regent des Hauses und der Monarchie von Österreich«, die »Unsere sämtlichen Königreiche, Fürstentümer und Provinzen [...] in sich fasst«. 9 Die Person des Herrschers war ein geeignetes Symbol der Einheit. Zugleich war er nur ein Glied einer langen Kette. Die Erbmonarchie gewährleistete Kontinuität. Die Annahme des Titels eines Kaisers von Österreich durch Franz II. ermöglichte ein ideologisches Konstrukt, das dem anderen Konstrukt, dem Nationalstaat, Paroli bieten konnte. Es ging nicht um die feudale Gefolgschaft, auch nicht die mittelalterliche Vorstellung, der König sei heilig, sondern eher um das Bild der Familie: Der Kaiser als guter Vater seiner Völker, die sich um ihn scharen. Dieser Habsburgpatriotismus mit gegenseitigen Gefühlen der Sympathie, des Wohlwollens, der Heimat sollte die leitende Idee des Staates sein. 10 Der Patriotismus wurde durch den Tiroler Historiker Joseph Freiherr v. Hormayr in die Vergangenheit rückprojiziert. Sein Österreichischer Plutarch versammelte die Biographien aller habsburgischen Herrscher. 11 Die historische Erinnerung wurde auf die Habsburger konzentriert. Nicht die Geschichte des Reiches, sondern das Haus Habsburg oder Haus Österreich standen im Mittelpunkt der Erzählungen in den Schulbüchern. König Rudolf von Habsburg, Maria Theresia, Kaiser Joseph II. waren die Helden. Die Einheit des Reiches bestand in der Treue zum angestammten Haus Habsburg. Alle Länder, Provinzen, Nationalitäten, Konfessionen und Stände konnten so zu einer Einheit werden. Der Einheit stiftende Habsburgpatriotismus war das Gegenkonzept sowohl gegen provinzielle Fliehkräfte als auch gegen den Nationalgedanken. Er wurde während des ganzen 19. Jahrhunderts gepflegt und weiterentwickelt und mündete schließlich in dem, was Claudio Magris den habsburgischen Mythos genannt hat. 12

9 Patent v. 11. 8. 1804, Annahme des Titels Kaiser von Österreich, Bernatzik, Verfassungsgesetze Nr. 13. 10 Zum Habsburgpatriotismus siehe Telesko, Geschichtsraum 50–52 und 153–155. 11 Ebd. 313–319. 12 Magris, Il mito absburgico nella letteratura austriaca moderna.

211

212

Einheit, Verfassung, Föderalismus

Die Einheit des Reiches wurde auch nicht von den oppositionellen Kräften im Vorfeld der Revolutionen angetastet. Eines der wichtigsten kritischen Bücher aus der Zeit des Vormärz war die 1842 erschienene Schrift des Viktor Freiherrn von Andrian-Werburg Österreich und dessen Zukunft. Andrian fordert eine Reform der Adelsgesellschaft, und in diesem Zusammenhang schreibt er: Auf diese Art wäre es vielleicht möglich, das zu erreichen, was allein Österreichs nächstes Ziel sein kann: Wahrung der provinziellen Unterschiede, unbeschadet der Einheit des Ganzen – Hervorrufen einer österreichischen Nationalität – Weckung des Gemein- und Bürgersinnes im Volke, durch die ihm gestattete Besorgung seiner lokalen und kommunellen Interessen. 13

Eine im Jahr 1844 erschienene anonyme Flugschrift aus dem Kreis der liberalen Opposition gegen das Metternich’sche Regime fragt: »Ist die nationale Einheit des österreichischen Staates möglich, und auf welchem Wege kann sie erreicht werden?« 14 Die Frage wird bejaht, der vorgeschlagene Weg ist der Konstitutionalismus und die freie Entwicklung der einzelnen, Österreich angehörenden Nationalitäten. »Darum legt Ihr«, ruft der Autor aus, »die Ihr es vermögt und denen Gott das Amt und den Beruf gegeben, unverzagt und frisch die Hand an das große Werk der Vereinigung.« 15 Die Revolutionen des Jahres 1848 eröffneten daneben auch gegenläufige Perspektiven. Außer der nationalen Einheit Österreichs oder besser der Einigung der Nationalitäten (sie war das Thema der Verhandlungen des Reichstages, der in Wien und Kremsier / Kromˇerˇ íž eine Verfassung ausarbeitete), gelangte das Auseinanderbrechen, der Zerfall der Habsburgermonarchie auf die Tagesordnung (Ungarn, Italien). Nur die bewaffnete Macht konnte diese Entwicklung aufhalten. Die Armee des Feldmarschalls Radetzky, in dessen Lager Österreich war, wie es der Dichter Franz Grillparzer im Gedicht an Radetzky formulierte, die Armee des Feldmarschalls Windischgrätz und die zu Hilfe gerufene russische Armee bezwangen in den Schlachten und Siegen bei Custoza, Novara, Venedig, Világos die Revolution und den Separatismus, verhinderten die Lostrennung Norditaliens und die Selbständigkeit Ungarns. Am 2. Dezember 1848 dankte Kaiser Ferdinand I. ab, der Thronfolger Erzherzog Franz Karl verzichtete, und der blutjunge Erzherzog Franz Joseph bestieg den Thron. Im Antrittsmanifest sprach er die Hoffnung aus, dass es ihm »mit Gottes Beistand und im Einverständnisse mit den Völkern gelinge werde,

13 Andrian-Werburg, Österreich und dessen Zukunft 165. 14 Anonym, Vier Fragen eines Österreichers 23–49. 15 Ebd.

Einheit

alle Lande und Stämme der Monarchie zu einem großen Staatskörper zu vereinigen«. 16 Einige Wochen später, am 12. Februar 1849, entschied er sich für den Wahlspruch Viribus unitis: Von der Überzeugung durchdrungen, dass nur wenn alle Völker Österreichs, auf der Grundlage gleicher Rechte und gleicher Pflichten, berufen sind, mit vereinten Kräften den Bau der Größe, Macht und Freiheit des gemeinsamen Vaterlandes zu fördern, Ich das hohe Ziel, das Mir vorschwebt, erreichen kann, habe ich den Wahlspruch: Viribus Unitis (mit vereinten Kräften) erwählt, in welchem der leitende Gedanke Meiner Regierung einen entsprechenden Ausdruck gefunden hat. 17

Das Manifest vom 4. März 1849, mit dem der Kaiser die so genannte Märzverfassung proklamierte bzw. oktroyierte, ist voll von Appellen an die Einheit und an den Patriotismus. 18 Gewiss ist der Aufruf eines Fürsten, der an der Macht bleiben will, nicht dasselbe wie der Aufruf zur nationalen Einheit, die es zu erkämpfen gilt, die von den Umständen verhindert wird, die vielleicht noch gar nicht existiert. Dennoch ist in beiden Fällen das zugrundeliegende ethisch-politische Konzept die Vorstellung, dass die Einheit eine wichtige, bessere, heilige Sache ist, in der die Bürgschaften für Stärke, Größe, Wohlstand, Entwicklung liegen und der die Zukunft gehört. Die Niederschlagung der Revolutionen verstärkte das Konzept der Einheit. 1851 kehrte in der Habsburgermonarchie der Absolutismus zurück. Jetzt standen Reformen von oben auf der Tagesordnung, und zwar die verwaltungsmäßige, gesetzgeberische und wirtschaftliche Vereinheitlichung. Die alten Reiche, Herzogtümer und Grafschaften, aus denen die Monarchie bestand, hatten ihre historischen Rechte schon durch die Märzverfassung verloren, die nur mehr Kronländer kannte, d. h. gleichrangige Verwaltungsbezirke ohne rechtliche Sonderstellung. Jetzt wurde die Zollgrenze zwischen Österreich und den Ländern der ungarischen Krone aufgehoben. Im Werk des bedeutenden Statistikers (und ausgezeichneten Kenners von Lombardo-Venetien) Karl Freiherrn v. Czoernig mit dem Titel Österreichs Neugestaltung fand die vereinheitlichende Politik des Neoabsolutismus eine geradezu wissenschaftliche Grundlegung und propagandistische Überhöhung. 19 Er führte aus, dass in der Monarchie durch Jahrhunderte das Provinzialprinzip vorherrschend war, also die Sammlung und Verei16 17 18 19

Rgbl. Nr. 1/1848. Wiener Zeitung v. 20. 2. 1849, 1. Bernatzik, Verfassungsgesetze Nr. 40. Czoernig, Österreich’s Neugestaltung; die Schrift war ursprünglich Teil des Werkes Ders.,

213

214

Einheit, Verfassung, Föderalismus

nigung verschiedener Territorien unter dem Zepter des Hauses Habsburg unter Beibehaltung ihrer Selbständigkeit. Diesem Grundprinzip habe sich im Laufe des 19. Jahrhunderts das ethnograf isch-nationale Prinzip hinzugesellt. Dieses habe den Nationalitätenkampf mit sich gebracht. Czoernig war überzeugt, dass die Monarchie nur auf Grund des Prinzips der Reichseinheit weiterbestehen könne. Die von oben verordnete Gleichschaltung sollte nach den Vorstellungen der maßgebenden Kreise des neoabsolutistischen Regimes den Nationalitätenstreit und zugleich alle revolutionären Bestrebungen im Keim ersticken. Auch die heftige Erschütterung des Regimes durch die Ereignisse von 1859–1861 konnte der Idee der Einheit nichts anhaben. Für die Regierung wurde es zur wichtigsten innenpolitischen Aufgabe, die territoriale Integrität und Einheit des Reiches durch einen Kompromiss mit den zentrifugalen Kräften zu bewahren. Der Konflikt ging mitten durch die Regierung. In einer Debatte in der Ministerkonferenz im Jahr 1860 über die Verhandlungssprache bei Gericht rief ein Minister – er war ungarischer Abstammung, aber ein überzeugter Zentralist – aus: Ich setze voraus, dass wir ein einiges, nicht aus zehn Nationen lose zusammengehaltenes Kaisertum Österreich anstreben, dass wir daher die separatistischen Bestrebungen dieser Nationalitäten nicht teilen; ich setze voraus, dass wir für die ganze Monarchie, sowohl formell als materiell, sowohl in bürgerlichen als in Strafsachen, ein Gesetz, eine einige Rechtspflege, einen höchsten Gerichtshof wünschen; und eine natürliche Folge dieses Wunsches muss sein, dass wir auch für die ganze Monarchie eine Gerichtssprache ermöglichen. 20

Ein anderer Minister konterte, es werde die schlimmsten Folgen haben, wenn man z. B. den italienischen Untertanen Österreichs die deutsche Sprache in Gerichtssachen aufdringe, dies könne keinem Staatsmann einfallen, dem am Wohl des Kaiserstaates gelegen sei. Man müsse den sich entwickelnden Nationalitäten Zugeständnisse machen. Dieser Minister vertrat also den Grundsatz der Einheit in Verschiedenheit. 21 Bekenntnisse zur Einheit finden wir nicht nur bei den der Vertretern der Idee eines zentralistischen Staates, sondern auch bei Exponenten der Nationalitäten. Die Repräsentanten der ungarischen Opposition, sowohl die hochadeligen

Ethnographie der Oesterreichischen Monarchie (Wien 1857), erschien aber auch als selbständiges Buch. 20 Justizminister Franz Graf Nádasdy in MK. v. 7.1., 21., 25. und 28. 2. 1860, ÖMR IV / 1, Nr. 116, S. 458. 21 Innenminister Agenor Graf Gołuchowski, ebd. 463.

Einheit

Konservativen (die so genannten Altkonservativen), als auch die Liberalen waren Politiker, die zwar Ziele und Visionen verfolgten, aber auch über politischen Realitätssinn verfügten. Sie wollten nicht den Zerfall der Monarchie, sondern ein autonomes Ungarn, das mit den anderen Ländern aus Gründen der äußeren und inneren Sicherheit verbunden blieb. Sie wollten den sicheren, von den anderen Nationalitäten Ungarns nicht gefährdeten Erhalt der politischen Vorherrschaft für die Magyaren. In diesem Sinn war auch für sie die Einheit ein großer Wert. Das zeigt z. B. das berühmte Buch des bedeutenden politischen Schriftstellers Josef v. Eötvös aus dem Jahr 1859 Die Garantien der Macht und Einheit Österreichs. 22 Eötvös wollte ein starkes und einiges Österreich. Es konnte nur erreicht werden, wenn es zwischen den folgenden drei Entitäten eine Vermittlung gab: ein starker einheitlicher Staat, das historisch-politische Recht der einzelnen Teile und die Bedürfnisse der verschiedenen Sprachnationalitäten. Der Staat muss stark und einheitlich sein, es braucht aber eine Vermittlung, also einen Interessenausgleich zwischen ihm und den historischen Interessen der Provinzen und den berechtigten Ansprüchen der Nationalitäten. 23 Mehr noch als die Ungarn mussten die Deutschen an einem einigen und stabilen Staat interessiert sein. Der Appell an die Einheit ist bei ihnen allgegenwärtig. Ein Beispiel sind die Schriften von Adolf Fischhof, Arzt, Teilnehmer an der Revolution von 1848, dann unabhängiger politischer Schriftsteller mit liberaler Ausrichtung. Im Sommer 1867 schrieb er: Keine der großen Nationalitäten Österreichs kann für sich alleine den Bestand der Monarchie sichern, aber jede derselben vermag durch ihren Widerstand das Reich zu gefährden; destruktiv eingreifen kann jede einzeln, konstruktiv vorgehen können nur alle vereint. Wenn Regierung, Volksvertretung und Publizistik sowohl dies- als auch jenseits der Leitha in ihrem Wirken und Schaffen sich diese Wahrheit stets vor Augen halten, wird Österreich sich konsolidieren, wo nicht – nicht. 24

In seinem berühmten Buch Oesterreich und die Bürgschaften seines Bestandes, das 1869, also kurz nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich und nach dem Zustandekommen der cisleithanischen Verfassung vom Dezember 1867 erschienen ist, suchte Fischhof, so wie zehn Jahre vor ihm Eötvös, den springenden Punkt ausfindig zu machen, wie man Stabilität und Zusammenhalt erreichen könne. Er fand sie im Begriff der Gerechtigkeit:

22 Eötvös, Die Garantien der Macht und Einheit Österreichs. 23 Kann, Nationalitätenproblem 2, 103. 24 Neue Freie Presse v. 18. 7. 1867, Ein Votum zur Ministerfrage, 1 f., hier 2; als Zitat auch am Beginn der Einleitung zu Fischhof, Oesterreich und die Bürgschaften seines Bestandes.

215

216

Einheit, Verfassung, Föderalismus

Österreich hingegen, wo kein Volksstamm mächtig genug ist, um die anderen zu unterwerfen und dem Staate sein nationales Gepräge aufzudrücken, wo vielmehr die Völker einander das Gleichgewicht halten, und jedes derselben ein wichtiger Faktor des öffentlichen Lebens ist, Österreich, sage ich, wird durch sein eigenstes Interesse darauf hingewiesen, allen Nationalitäten gleich gerecht zu sein. Somit ist dessen leitende Idee die der Gerechtigkeit [...]. 25

Die Umsetzung dieser Idee würde die heterogenen Bestandteile Österreichs zu einem organischen Ganzen führen und ein österreichisches Bewusstsein hervorbringen. Wir sehen also hier wie dort, in Italien wie in Österreich, ausgehend von ganz unterschiedlichen politischen Realitäten, die Idee der Einheit und Vereinigung am Werk, als Instrument zur Lösung der politischen Probleme und zur Erreichung der eigenen Ziele. Die konkreten Inhalte und die zu setzenden Schritte auf dem Weg dahin waren unterschiedlich, doch überall wirkte die im Grunde einfache und uralte, geradezu simple Idee und Erkenntnis, dass man vereint stärker ist und dass Zersplitterung, Streit und Egoismus ein Gemeinwesen schwächen und ihm somit schaden. Darauf beriefen sich sowohl die nationalen Bewegungen als auch die Staatsraison der bestehenden Staaten, nicht nur in Italien und in Österreich, sondern auch in Deutschland und andernorts.

11.3 Verfassung Eine Idee allein – auch nicht die schöne Idee der Einheit – erzeugt noch keinen Staat. Eine Idee allein bringt niemanden an die Macht. Ebenso wenig bietet sie Gewähr, an der Macht zu bleiben. Wer an die Macht kommen will und wer an der Macht bleiben will, muss einen Preis zahlen. Die Loyalität der Untertanen war nie dauerhaft zu erzwingen, sie musste vielmehr errungen und erkauft werden, um zu dauern. Der Preis für die Loyalität des aufstrebenden Bürgertums im 19. Jahrhundert war die Mitbestimmung. Die Währung, in der der Preis zu bezahlen war, hieß – Verfassung, Konstitution. So wie bei der Einheit gab es auch in Bezug auf Verfassung und Konstitutionalismus Parallelen zwischen Italien und Österreich. In den vielen Revolutionen in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde als eine der ersten Forderungen der Ruf nach einer Verfassung oder einem Statut laut. In einem solchen Dokument sahen alle das grundlegende Instrument, um die Modernisierung der 25 Fischhof, Oesterreich und die Bürgschaften seines Bestandes 6 f.

Verfassung

Gesellschaft und den politischen Fortschritt zu erreichen. In Bezug auf diese Forderung gab es keinen Unterscheid zwischen den italienischen Staaten, der Habsburgermonarchie oder den deutschen Staaten. Daher wurden Verfassungen verkündet oder gewährt – ich bringe Beispiele und keine vollständige Aufzählung – im Februar 1848 in Neapel und in Florenz, im März in Turin (Statuto Albertino, Albertinisches Statut vom 4. März 1848) und im Kirchenstaat, im April in Wien für Cisleithanien (die Pillersdorfsche Verfassung) und in Budapest für Ungarn (die Aprilgesetze), im Dezember in Berlin für Preußen. Im Lauf des Jahres 1848 begannen mehrere verfassunggebende Versammlungen mit den entsprechenden Arbeiten: in Wien, fortgesetzt in Kremsier / Kromˇerˇ íž, in Frankfurt am Main, in Rom, in Florenz, in Brandenburg. Am 4. März 1849 wurde die Reichsverfassung für das Kaisertum Österreich, die so genannte Märzverfassung, oktroyiert. Im Juni 1850 legte Innenminister Alexander Bach dem Ministerrat in Wien eine Verfassung für das lombardisch-venetianische Königreich vor. Diese Verfassungen wurden allerdings oft nach kurzer Zeit aufgehoben, oder sie traten nicht in Kraft, oder die Arbeiten wurden gar nicht zu Ende geführt und die verfassunggebenden Versammlungen aufgelöst. Fast überall siegte die Reaktion über diesen Anlauf des Konstitutionalismus. In Kraft blieben das Albertinische Statut in Piemont und die oktroyierte Verfassung in Preußen. König Karl Albert hatte den Preis bezahlt, sein Nachfolger Viktor Emanuel II. hielt an ihm fest und nahm die Verfassung nicht zurück. Dadurch kam es zum erfolgreichen Bündnis zwischen dem Bürgertum und dem Königshaus Savoyen. Seine Macht stand auf festen Füßen. Franz Joseph I., die Fürsten der anderen italienischen Staaten und Papst Pius IX. sahen sich als Sieger über die Revolution. Sie waren nicht bereit, den Preis zu zahlen. Ihre Macht war prekär, weil sie nur auf militärischen Erfolgen beruhte. Daher bewirkte die Niederlage auf dem Schlachtfeld von 1859 in Österreich die Wiederaufnahme der Entwicklung zum Konstitutionalismus. Der Kaiser sah sich veranlasst, eine Versammlung von Männern seines Vertrauens einzuberufen, den so genannten verstärkten Reichsrat. Es handelte sich nicht um gewählte Abgeordnete, sondern um Personen, die als loyal galten, doch gehörten sie nicht zum Kreis der Mitarbeiter des neoabsolutistischen Regimes. Die Versammlung forderte als Preis für die weitere Unterstützung der Regierung und des Kaisers die Mitbestimmung. Mit der Erlassung des Diploms vom 20. Oktober 1860, dem so genannten Oktoberdiplom, entrichtete Franz Joseph den geforderten Preis. Es bedeutete das Ende des Neoabsolutismus und den Verzicht des Monarchen auf die alleinige gesetzgebende Gewalt. Sie sollte in Zukunft mit dem Reichsrat und den Landtagen gemeinsam ausgeübt werden. Dieses Versprechen wurde mit dem Patent vom 26. Februar 1861 eingelöst, mit

217

218

Einheit, Verfassung, Föderalismus

dem das Grundgesetz über die Reichsvertretung sowie Landesverfassungen für alle Kronländer erlassen wurden. Alle diese Urkunden zusammen – das Diplom, das Patent, das Grundgesetz und die Landesordnungen – wurden ausdrücklich als die Verfassung Unseres Reiches bezeichnet. Die Schwächung der österreichischen Regierung hatte gravierende Auswirkungen auf die italienischen Staaten. Der Rückzug der Habsburgermonarchie aus Italien eröffnete der bürgerlichen Einigungsbewegung großen Spielraum, den sie geschickt nützte. Die Fürsten, die den Preis nicht hatten bezahlen wollen, wurden entmachtet. Das Königreich Sardinien, das den Preis bezahlt hatte, konnte sich an die Spitze der Entwicklung setzen. In atemberaubendem Tempo entstand ein neuer Staat. Am 18. Februar 1861 versammelte sich in Turin das erste italienische Parlament, beziehungsweise das Parlament des Königreichs Sardinien vermehrt um die Abgeordneten jener Staaten, die in den Plebisziten des Jahres 1860 für den Beitritt zum Königreich Sardinien gestimmt hatten. Durch diesen Beitritt übernahmen sie grundsätzlich die in Piemont-Sardinien geltenden Gesetze und natürlich auch die Verfassung, das Albertinische Statut. Sie wurde auf das ganze Gebiet des neuen Staates Italien ausgedehnt. Das erste Gesetz, das die Senatoren und Abgeordneten verabschiedeten, verlieh Viktor Emanuel II. den Titel König von Italien. Einen Monat später, am 17. März, sanktionierte der König dieses Gesetz und nahm den Titel an. Die Errichtung des Königreichs Italien hatte zur Folge, dass die bisherig absolutistisch regierten Länder Lombardei, Modena, Parma, Toskana, die päpstlichen Legationen und Neapel Teil eines Verfassungsstaates wurden. In allen diesen Gebieten waren die Verfassungen von 1848 außer Kraft gesetzt worden. Wechseln wir den Schauplatz von Turin nach Wien. Zwei Monate nach dem Zusammentritt des Parlaments in Turin trat am 29. April das österreichische Parlament, der Reichsrat, zur konstituierenden Sitzung zusammen. Am 1. Mai 1861 wurde er mit der Thronrede feierlich eröffnet. Auch die cisleithanischen Landtage traten zusammen, ebenso der ungarische Landtag. Der Reichsrat von 1861 war jenes österreichische Parlament, das bis zum Ende der Habsburgermonarchie bestanden hat. Die Entwicklung Österreichs zum konstitutionellen Staat war damit noch nicht abgeschlossen, doch ist an dieser Stelle auf die überraschende Parallele zwischen Österreich und Italien hinzuweisen. Innerhalb weniger Monate traten sowohl die Habsburgermonarchie als auch die italienischen Staaten durch den Anschluss an das bereits konstitutionelle Königreich Sardinien-Piemont in den Kreis der konstitutionellen Länder Europas ein. Das Frühjahr 1861 brachte also nicht nur die Geburt eines neuen Staates in Europa, sondern sowohl für Österreich als auch für einen großen Teil Italiens das Ende des Absolutismus und den Beginn der konstitutionellen Monarchie.

Föderalismus

Die gesetzgebende Gewalt lag fortan nicht mehr in der alleinigen, absoluten Vollmacht des Fürsten. Er musste sie mit einer aus Wahlen hervorgegangenen Versammlung teilen. Der Umstand, dass es hier wie dort ein Zensus- und ein reines Männerwahlrecht gab und dass nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung das Wahlrecht hatte, kann den Befund nicht schmälern. Eine weitere Parallele zwischen Italien und Österreich ist festzustellen. Sowohl das Albertinische Statut als auch die österreichische Verfassung von 1861 waren oktroyierte Verfassungen. Das Albertinische Statut war von lakonischer Kürze und verwies bei vielen Materien auf nachfolgende Gesetze. Die Februarverfassung war überhaupt keine vollständige Verfassungsurkunde im französischen Sinn. Sie enthielt keinen Grundrechtskatalog, war also unvollständig. Beide Verfassungen waren nicht von einer konstituierenden Versammlung ausgearbeitet worden. Sie entstanden in einem bestimmten historischen Kontext. Sie waren Instrumente von Kompromissen zwischen dem Fürsten, dem Adel und dem Bürgertum des Landes. Dennoch haben sie ihre Aufgabe erfüllt. Das Albertinische Statut stand bis 1948 in Geltung. Die österreichische Verfassung von 1861 wurde 1867 vom Reichsrat abgeändert und blieb in dieser Fassung als die sogenannte Dezemberverfassung von 1867 bis zum Ende der Monarchie 1918 in Kraft.

11.4 Föderalismus Anders als bei den Begriffen Einheit und Verfassung sehen wir bei dem Begriff Föderalismus eine starke Divergenz zwischen den Entwicklungen in Italien und in Österreich. Allerdings hat es hier wie dort eine Debatte darüber gegeben. Einheit und Föderalismus schließen einander nicht aus, doch herrscht eine gewisse Spannung zwischen den beiden Konzepten. Italien wurde unter dem Paradigma des Zentralismus geeint. Giuseppe Mazzini, der emphatische Verfechter der Einheit, hat den Föderalismus kategorisch ausgeschlossen. La Giovine Italia è Unitaria perché, senza Unità non v’è veramente Nazione [...] – perché il Federalismo, condannandola all’impotenza della Svizzera, la porrebbe sotto l’influenza necessaria d’una o d’altra delle nazioni vicine – perché il Federalismo ridando vita alle rivalità locali oggimai spente, spingerebbe l’Italia a retrocedere verso il medioevo – perché il Federalismo, smembrando in molte piccole sfere la grande sfera nazionale, cederebbe il campo alle piccole ambizioni e diverrebbe sorgente d’aristocrazia –

219

220

Einheit, Verfassung, Föderalismus

perché, distruggendo l’unità della grande famiglia italiana, il Federalismo distruggerebbe dalle radici la missione che l’Italia è destinata a compiere nell’Umanità [...]. 26

Das Junge Italien ist für die Einheit, weil es ohne Einheit keine wahre Nation gibt [...] – weil der Föderalismus Italien zur Machtlosigkeit nach Art der Schweiz verdammen und dadurch notwendigerweise unter den Einfluss einer der benachbarten Nationen bringen würde – weil der Föderalismus die mittlerweile erloschenen lokalen Rivalitäten wiederbeleben und dadurch Italien ins Mittelalter zurückführen würde – weil der Föderalismus den großen nationalen Bereich in viele kleine Bereiche aufgliedern und so das Feld deren Ambitionen überlassen und zu einer Quelle für Aristokratie werden würde – weil der Föderalismus, indem er die Einheit der großen italienischen Familie zerstört, die Mission im Keim ersticken würde, die Italien für die Menschheit zu erfüllen bestimmt ist.

Mazzini lehnte also den Föderalismus ab. Er würde zur Ohnmacht wie im Fall der Schweiz führen, zu Rivalitäten auf lokaler Ebene, er würde nur die Aristokratie stärken und Italien daran hindern, die ihm zufallende Aufgabe zu erfüllen. Ein wichtiger Flügel des Risorgimento befürwortete demgegenüber durchaus eine föderative Lösung. Seine Vertreter wollten zwar die Einigung, nicht aber die Unterwerfung der Halbinsel unter das Königreich Sardinien. Ein Kapitel in Giobertis Primato ist überschrieben: Il governo federativo è connaturale all’Italia, e il più naturale di tutti i governi, d. h.: Eine föderative Regierung ist ganz natürlich für Italien, es ist die natürlichste Regierung von allen. Andere Kapitel heißen: Vantaggi di una lega italiana, oder Danni della centralità eccessiva, d. h. : Vorteile einer italienischen Liga bzw. Gefahren einer übertriebenen Zentralisation. Im Buch Dell’Italia von Niccolò Tommaseo findet sich der folgende paradox anmutende, aber formvollendete Satz: Credo che i beni delle unità si potrebbero dalla federazione ottenere, e i mali della federazione potrebbero non essere dall’unità tolti via. 27, d. h.: »Ich glaube, dass die Vorteile der Einheit im Föderalismus beibehalten, die Nachteile des Föderalismus von der Einheit nicht beseitigt werden könnten.« Tommaseo plädierte also für den Föderalismus.

26 Istruzione generale per gli affratellati nella Giovine Italia in Mazzini, Scritti editi e inediti 1, 112. 27 Tommaseo, Dell’Italia libri cinque 2, 228.

Föderalismus

Eindeutig föderalistisch und republikanisch dachte Carlo Cattaneo. Wir sehen also, dass der Föderalismus im Risorgimento sehr wohl diskutiert wurde, allerdings wurden dann nicht die Föderationspläne verwirklicht, vielmehr fand die Einigung Italiens im Zeichen des Zentralismus statt. Die Albertinische Verfassung enthielt keine Rechte für die Provinzen und verwies bezüglich der Verwaltungsorganisation im § 74 nur auf zu erlassende Gesetze. Ganz anders verlief die Entwicklung in Österreich. Die Habsburgermonarchie war vor 1848 ein Reich, das aus vielen einzelnen Ländern bestand, eine Ansammlung verschiedenster Territorien unter dem Zepter des Hauses Habsburg. Trotz des Absolutismus des 18. und 19. Jahrhunderts hatten die einzelnen Länder und ihre herrschenden Oberschichten, der grundbesitzende Adel, es vermocht, lokale Unterschiede und gewisse föderative Elemente zu behalten. Das neoabsolutistische Regime des jungen Kaisers Franz Joseph I. hatte dagegen eine streng zentralistische Richtung eingeschlagen. Alle historischen Länder wurden zu Kronländern gleichgeschaltet. Die Niederlage von 1859 führte zu einer heftigen Erschütterung dieses Regimes, es wurde geschwächt, und sowohl das liberale Bürgertum wie auch der adelige Großgrundbesitz in den Kronländern bzw. Provinzen konnten sich in der nachfolgenden Phase der Reformdiskussion einen Anteil an der Macht zurückholen bzw. sichern. Mit dem Februarpatent von 1861 erhielt jedes Kronland einen Landtag und ausreichende gesetzgeberische und verwaltungsmäßige Kompetenzen, um einen beträchtlichen autonomen Landesbereich aufbauen zu können. Das alte Königreich Ungarn konnte sich überhaupt wieder die Eigenstaatlichkeit zurückholen, wenn auch eingebunden in die durch den Ausgleich geschaffene österreichisch-ungarische Monarchie. Allerdings waren nicht alle Probleme gelöst, nicht alle Nationalitäten zufriedengestellt. Die Nationalitätenfrage war auch eine Frage von lokalen Autonomien und Kompromissen. Immerhin haben die tatsächlichen Zugeständnisse an Autonomie, Föderalismus und teilweiser Eigenstaatlichkeit von 1867 dem Haus Habsburg ermöglicht, für ein weiteres halbes Jahrhundert an der Macht zu bleiben. Als nach der Auflösung der Habsburgermonarchie im Jahr 1918 die verbliebenen deutschösterreichischen Abgeordneten darangingen, den Reststaat Deutschösterreich zu gründen, griffen sie wie selbstverständlich auf die Struktur der Kronländer zurück und gründeten die Republik auf föderativer Grundlage. Die Verfassung von 1921 erklärte Österreich zur Bundesrepublik. Die Debatte über die Aufteilung und Neuordnung der Kompetenzen zwischen dem Bundesstaat und den Bundesländern ist seit langem Teil von Reformdiskussionen, das Prinzip des Bundesstaates ist aber im öffentlichen Bewusstsein fest verankert. Anders als für Österreich war das Jahr 1918 für Italien keine staatsrechtliche Zäsur. Es gab aber sehr wohl einen Diskussion über die Kompetenzen

221

222

Einheit, Verfassung, Föderalismus

der Regionen. 28 Sie setzte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Die republikanische Verfassung von 1948 regelte im fünften Kapitel die Kompetenzen der Regionen und errichtete fünf Regionen mit Spezialstatut, also mit besonderen Kompetenzen. 29 Die Diskussionen über die Stärkung der Regionalkompetenzen dauert an. Insgesamt aber handelt es sich dabei um eine Debatte über Verwaltungsautonomie, nicht über Föderalismus im Sinne einer wie immer gearteten Teilstaatlichkeit. Einheit, Verfassung, Zentralismus, Föderalismus: Das sind Vorstellungen und Elemente eines lang dauernden Diskurses, an dem sowohl Italien als auch Österreich im 19. und 20. Jahrhundert teilgenommen haben und an dem sie heute noch teilnehmen, inzwischen als Mitglieder der Europäischen Union. Dieser Diskurs führte manchmal zu überraschend gleichzeitigen und ähnlichen, manchmal auch zu unterschiedlichen Entwicklungen. Es lohnt sich jedenfalls, die Geschichte Italiens und Österreichs auch unter diesen Aspekten zu erforschen und zu erzählen.

28 Vgl. Gatterer, Im Kampf gegen Rom. 29 Sizilien, Sardinien, Trentino-Alto Adige, Friaul-Venezia Giulia und das Aostatal.

12. Italien im Ersten Weltkrieg aus österreichischer Sicht Mit der Kriegserklärung an die österreichisch-ungarische Monarchie vom 23. Mai 1915 war das Königreich Italien nicht mehr neutral. Es befand sich nicht mehr außerhalb, vor den Toren des großen Krieges, es war in ihn eingetreten. Der Kriegseintritt erfolgte nach zehn Monaten eines immer heftiger werdenden politischen Streits zwischen den Neutralisten und den Interventionisten und einer anwachsenden öffentlichen Kampagne der Befürworter des Kriegseintrittes. Die Habsburgermonarchie antwortete auf die Kriegserklärung mit dem längst vorbereiteten kaiserlichen Manifest vom selben 23. Mai 1915, das die bekannten Worte vom »Treubruch, dessengleichen die Geschichte nicht kennt« enthielt: Der König von Italien hat Mir den Krieg erklärt. Ein Treubruch, dessengleichen die Geschichte nicht kennt, ist von dem Königreiche Italien an seinen beiden Verbündeten begangen worden. Nach einem Bündnis von mehr als dreißigjähriger Dauer, während dessen es seinen Territorialbesitz mehren und sich zu ungeahnter Blüte entfalten konnte, hat Uns Italien in der Stunde der Gefahr verlassen und ist mit fliegenden Fahnen in das Lager Unserer Feinde übergegangen. Wir haben Italien nicht bedroht, sein Ansehen nicht geschmälert, seine Ehre und seine Interessen nicht angetastet; Wir haben Unseren Bündnispflichten stets getreu entsprochen und ihm Unseren Schirm gewährt, als es ins Feld zog. Wir haben mehr getan: Als Italien seine begehrlichen Blicke über Unsere Grenzen sandte, waren Wir, um das Bundesverhältnis und den Frieden zu erhalten, zu großen und schmerzlichen Opfern entschlossen, zu Opfern, die Unserem väterlichen Herzen besonders nahe gingen. [...] 1

Am Ende des Manifests werden die Kriege des 19. Jahrhunderts, die Risorgimentokriege, zitiert: Die großen Erinnerungen an Novara, Mortara, Custozza und Lissa, die den Stolz Meiner Jugend bilden, und der Geist Radetzkys, Erzherzog Albrechts und Tegetthoffs, der in Meiner Land- und Seemacht fortlebt, bürgen Mir dafür, daß Wir auch gegen Süden hin die Grenze der Monarchie erfolgreich verteidigen werden. 2

1 Wiener Zeitung v. 23. 5. 1915, Extra-Ausgabe. 2 Ebd.

224

Italien im Ersten Weltkrieg aus österreichischer Sicht

Mit der Erinnerung an die Kriege des Risorgimento reihte sich das Manifest in die Erzählung von der Erbfeindschaft ein. Diese Gedankenfigur wurde nicht nur für das Verhältnis Österreichs zu Italien, sondern auch Deutschlands zu Frankreich verwendet. In Wirklichkeit gibt es keine Erbfeindschaft zwischen Staaten außer als psychologischen Faktor zu gewissen Zeiten. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich um Vorurteile und um Interessenkonflikte bestimmter soziopolitischer Gruppen. Gewiss gaben die dem Kaiser in den Mund gelegten Worte die Gefühle breiter Schichten wieder – und verstärkten sie, das Manifest war auch Kriegspropaganda. Die Zeitungen der folgenden Tage waren voller Vorwürfe und beleidigenden Äußerungen. Eine Tiroler Zeitung hatte einen langen Artikel mit der Überschrift »Die ›Treue‹ Italiens« vorbereitet, wo eine Reihe derartiger Treuebrüche vom 17. Jahrhundert aufwärts aufgezählt waren. 3 Hier ist nicht darauf einzugehen, wer recht hatte, Italien oder Österreich. In der Logik der Zeit und in der Logik der Machthaber hatten beide recht, es war aber die Logik des Expansionismus, des Nationalismus, des Kriegs als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Die Politik und der größte Teil der öffentlichen Meinung in der Habsburgermonarchie blieben in den folgenden Monaten und Jahren auf dem Standpunkt, dass Italien der verräterische Erbfeind war. Die Kriegspropaganda bediente sich dieser Gefühle, so etwa die Kriegspostkarten 4 oder die anlaufende Filmproduktion wie der Streifen »Heldenkampf in Schnee und Eis« 5, der den weißen Krieg in den Dolomiten glorifizierte. Adam Wandruszka hat auf die Popularität des Kriegs gegen Italien hingewiesen: »Nach dem Kriegseintritt Italiens 1915 [wurde] der Krieg gegen den südlichen Nachbarn der einzig wahrhaft populäre Krieg.« 6 Den Höhepunkt der Verachtung und des Hasses stellte ohne Zweifel jene Fotografie dar, die den wegen Hochverrats von einem Militärgericht zum Tod verurteilten sozialistischen Reichsratsabgeordneten aus dem Trentino Cesare Battisti nach der Urteilsvollstreckung am Galgen zeigt, umringt von grinsenden Militärs und Zivilisten und überragt vom breit lachenden Henker. Karl Kraus hat diese Fotografie in Die letzten Tage der Menschheit sarkastisch kommentiert: »Zumal aber ist es das [Antlitz] des Henkers, [...], ein triumphierender Ölgötze der befriedigten Gemütlichkeit«, das Ganze sei ein »Gruppenbild des k. k. Menschentums«. 7

3 Der Tiroler v. 24. 5. 1915, 3. 4 Vgl. Weigel–Lukan–Peyfuss, Jeder Schuss ein Ruß, jeder Stoß ein Franzos; Lukan, Der große Krieg im Spiegel der Kriegspostkarte. 5 https://de.wikipedia.org/wiki/Heldenkampf_in_Schnee_und_Eis (abgerufen am 22. 1. 2020). 6 Furlani–Wandruszka, Österreich und Italien 2176. 7 Kraus, Die letzten Tage der Menschheit, IV. Akt, 29. Szene, 505. Siehe auch Gatterer, Unter seinem Galgen stand Österreich 26 und 26.

Italien im Ersten Weltkrieg aus österreichischer Sicht

Doch teilte nicht das ganze politische Spektrum in der Habsburgermonarchie dieses Bild von Italien. Es ist nicht nur an Karl Kraus zu denken, der gerade auch am Beispiel dieser Fotografie die Monstrosität des Krieges aufzeigte. Es ist ganz grundsätzlich falsch, von den Staaten als Subjekten zu sprechen, die einen Willen haben und so oder so handeln. Weder die Habsburgermonarchie noch Italien hatten einander den Krieg erklärt, sondern die Regierungen, die bestimmte soziale Schichten und Interessen repräsentierten. In beiden Ländern gab es oppositionelle Gruppen, die einen ganz anderen Blick auf die Ereignisse hatten als die Regierungen, ganz zu schweigen von der anonymen Masse der Bevölkerung. Hier wie dort gab es zwei unterschiedliche, ja konträre Sichtweisen und Interpretationen des großen Krieges. 8 Die bisher besprochene imperialistische, expansionistische, nationalistische Strömung dachte in Kategorien von Großmacht, Mittelmacht, Stärke, Recht der Nationen (das nicht mit dem Völkerecht verwechselt werden darf ). Diese interpretatorische Linie hatte sich im Verlauf des späten 19. Jahrhunderts das damals neue, moderne biologische Konzept des Darwinismus angeeignet. Der fromme Naturwissenschaftler Darwin wurde herangezogen und missbraucht, um die Politik der Stärke und letztlich den Krieg zu rechtfertigen. Die Völker wurden als Lebewesen betrachtet, die sich entwickeln. Der Stärkere überlebt. 9 Eine andere Linie sah den Krieg als Blutvergießen, als Kulturbruch, als Verrat am Frieden, als Schuld der führenden Klassen auf Kosten der bäuerlichen Bevölkerung, der Arbeiter und überhaupt der unteren Klassen. 10 Es macht einen großen Unterschied, welche österreichische Zeitung aus den Tagen nach der italienischen Kriegserklärung wir aufschlagen, ob die »Neue Freie Presse« oder ein konservatives und offiziöses Blatt, oder eine zur Arbeiterbewegung gehörende Zeitung. So lautete z. B. die Überschrift des Blattes »Arbeiterwille. Organ des arbeitenden Volkes für Steiermark und Kärnten« am 21. Mai 1915 »Die Kriegssitzung der italienischen Kammer. Nur die Sozialisten für den Frieden« 11. Das Blatt zitierte aus einer Meldung der Nachrichtenagentur Stefani vom 20. Mai über diese Sitzung: 8 Ganz abgesehen sei hier vom Nationalitätenproblem. Auch innerhalb der Nationalitäten gab es unterschiedliche Strömungen, bis am Ende die zentrifugale Politik überwog, die zur Auflösung der Monarchie führte, dazu Rumpler, Habsburgermonarchie XI, 1. Teilband, Teil 2. 9 Im Übrigen wurde Darwin nicht nur mißbraucht, sondern auch mißverstanden. Nicht der Stärkste, sondern wer sich den Umständen am besten anpassen kann, hat die größten Reproduktionschancen. Zur darwinistisch-biologistischen Redeweise, vgl. Kap. 16: »Die Rede über den Anderen. Italien und Österreich im politischen Diskurs nach dem Ersten Weltkrieg«. 10 Gatterer, Erbfeindschaft 151–164. 11 Arbeiterwille v. 21. 5. 1915, 1.

225

226

Italien im Ersten Weltkrieg aus österreichischer Sicht

Beim Erscheinen d’Annunzios in einer Loge wird ihm vom Saale und den Tribünen eine Ovation bereitet, an der sich nur die offiziellen Sozialisten nicht beteiligen. [...] Ministerpräsident Salandra gibt namens der Regierung eine Erklärung ab, die bei jedem Satze mit stürmischen Rufen: ›Es lebe Italien!‹ ›Hoch der Krieg!‹ aufgenommen wird. Nur die offiziellen Sozialisten verharren ruhig auf ihren Sitzen. [Fettdruck im Original]. 12

Die Zeitung beklagt, dass das Kriegsministerium und die Behörden die Kundgebungen der Sozialisten für den Frieden gewaltsam unterdrücken würden. 13 Die »Arbeiter-Zeitung« vom 23. Mai nahm die Nachricht von der Kriegserklärung mit »Trauer und Niedergeschlagenheit« 14 auf. »Italien war bis heute die einzige große Macht, die in den Strudel des Krieges nicht hineingerissen war, und so wäre in Wahrheit seine Mission in dem Weltkrieg die Vorbereitung und Bereitung des Friedens gewesen.« 15 Im Artikel »Den Sozialisten Italiens!« 16 sendet die Arbeiter-Zeitung einen bewegenden Abschiedsgruß. Man werde es nicht vergessen, was die Sozialisten vor dem Ausbruch des Krieges geleistet hätten. Der Artikel endet mit dem Satz: »Ehe die ersten Schüsse knattern, klingt noch einmal über die Alpen unser Abschiedsgruß: Es lebe der kommende große Völkerfrieden! Es lebe der internationale Sozialismus!« 17 Zwei Tage später analysiert die »Arbeiter-Zeitung« die italienische Kriegserklärung und weist auf die Widersprüchlichkeit hin. Sie spreche von gegenwärtigen und zukünftigen Bedrohungen, der Krieg scheine also ein Verteidigungskrieg zu sein. Im selben Satz spreche sie aber von den nationalen Aspirationen, also handle es sich doch um einen Eroberungskrieg. Der Artikel endet mit dem Satz: Ein Frevel ohnegleichen wird jetzt neues Blutvergießen fordern, für das die Verantwortung voll und ganz auf die italienischen Machthaber und Kriegshetzer fällt. Sie werden sie vor der Menschheit, aber auch vor ihrem Volke nicht leicht tragen können. 18

Der Vorwurf galt also nicht Italien, sondern denen, die den Krieg wollten. So wie die Meinung von Italien als Erbfeind blieb auch die Haltung der österrei-

12 13 14 15 16 17 18

Ebd., Artikel »Der Eintritt Italiens in den Krieg«. Arbeiterwille v. 21. 5. 1915, 1, Artikel »Kein Zweifel mehr: Krieg! ...« . Arbeiter-Zeitung v. 23. 5. 1915, 1, Artikel »Die einzige Hoffnung«. Ebd. Arbeiter-Zeitung v. 23. 5. 1915, 1. Ebd. Arbeiter-Zeitung v. 25. 5. 1915, 1, Artikel »Die Kriegserklärung«.

Italien im Ersten Weltkrieg aus österreichischer Sicht

chischen Sozialisten in den folgenden Jahren bestehen, wenngleich sie aufgrund der Kriegszensur unauffällig und weniger präsent blieb. Es handelte sich nicht um bloße Parteifreundschaft, sondern um eine auf solidem ideologischen Boden stehende langfristig wirkende Haltung. Es war kein Zufall, dass 1916 in München das Buch des österreichischen Historikers und Mitglieds des sozialdemokratischen Partei Ludo Moritz Hartmann 100 Jahre italienischer Geschichte (1815–1915). (Die Grundlagen des modernen Italien) erschien. Das Buch vereinigte eine Serie von Beiträgen der »Arbeiter-Zeitung«, die noch vor dem Kriegseintritt Italiens begonnen worden war. Hartmann bewertete die Elemente der Modernisierung und des Fortschrittes im Risorgimento positiv, sah aber auch die Defizite und Grenzen. Er nahm damit, wie Giovanni Schininà bemerkt, so manche spätere Interpretation des Risorgimento vorweg. 19 Auf den Kriegseintritt Italiens ging Hartmann im Vorwort ein. Er zeigte Verständnis für das italienische Risorgimento und sogar für die in der Kriegserklärung angesprochenen nationalen Aspirationen. Doch müsse das national Zusammengehörige auf Grundlage der Fakten zusammenkommen. Man könne nicht dekretieren, ein Land sei italienisch, dessen Bevölkerung deutsch oder slawisch sei. Daher war der Kriegseintritt für Hartmann ein Verbrechen. Ich habe die Politik der österreichischen Regierung gegen die Italiener niemals gebilligt und bin stets öffentlich für die Errichtung einer italienischen Universität in Triest eingetreten. [...] Wo der Krieg Notwehr ist, Verteidigung der nationalen Güter, da muss er ertragen werden; wo er es nicht ist, bleibt er ein Verbrechen. Das Verbrechen ist allerdings von der italienischen Regierung begangen worden [...]. 20

Dem italienischen Volk gehöre das Mitgefühl mit den Schmerzen des Krieges. 21 Der Zusammenbruch der Habsburgermonarchie am Ende dieses Krieges veränderte die Situation grundlegend. Zwar blieb die Ansicht über Italien als Schurkenstaat in weiten Teilen der österreichischen Bevölkerung bestehen, ja verstärkte sich noch durch die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Waffenstillstand von Villa Giusti, bei denen man Italien zu Unrecht Vertragsbruch vorwarf, 22 und durch die Abtretung des deutschsprachigen Südtirols bis zum Brenner. Dennoch war das nicht mehr die offizielle Haltung der neugegrün-

19 Schininà, Ludo Moritz Hartmann 96; Vgl. auch Wandruszka, Die neuere Geschichte Italiens 16–18. 20 Hartmann, 100 Jahre italienischer Geschichte 10. 21 Ebd. 18. 22 Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg 1043–1050, besonders 1049; Dotter – Wedrac, Der hohe Preis des Friedens 22.

227

228

Italien im Ersten Weltkrieg aus österreichischer Sicht

deten Republik. Im Oktober 1918 kam es zur Konzentrationsregierung zwischen den Sozialdemokraten, den Christlichsozialen und den Deutschnationalen, im März 1919 zur Koalitionsregierung zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen. In beiden Regierungen war der Sozialdemokrat Karl Renner Staatskanzler, auch das Außenamt war in sozialdemokratischen Händen. So wurde in gewisser Weise die zweite, bisher eher unterirdische Ansicht über Italien im großen Krieg zur offiziellen österreichischen Haltung. Als Renner im April 1920 zum Treffen mit dem italienischen Ministerpräsidenten Francesco Saverio Nitti nach Rom reiste und mit einem gediegenen Abkommen zurückkehrte, 23 schrieb die Arbeiter-Zeitung in völliger Übereinstimmung mit dieser zweiten Haltung Folgendes: Zwischen Italien und uns steht alte Schuld. Das Reich der Habsburger war jahrhundertelang der Feind, der Bedrücker Italiens. In einer ganzen Reihe von Revolutionen und Kriegen gegen Habsburg hat das italienische Volk seine Freiheit und seine Einheit blutig erstreiten müssen. Und als es sie errungen hatte, ja selbst als die Diplomatie die beiden Reiche schon durch Bündnisverträge einander verbunden hatte, lebte die alte Feindschaft weiter. Österreich war den Italienern noch immer der Erbfeind, der ja immer noch Triest und Trient in seinen Fesseln hielt. Italien war den Habsburgern und ihrem klerikalen Heerbann das »kirchenräuberische Königreich«, das die weltliche Herrschaft des Papstes zerstört hatte. [...] den Schwarzen ist jede Annäherung an Italien immer noch im Herzen zuwider. Wer aber nicht vatikanische, sondern deutschösterreichische Politik machen will, kann nicht verkennen, dass Deutschösterreich die Hilfe des mächtigsten unter seinen Nachbarn nicht entbehren kann; [...] dass schließlich auch das Schicksal des deutschen Gaues in Südtirol nicht durch Kühle oder Feindschaft gegen Italien gewendet werden kann, sondern erst dann wird gewendet werden können, wenn die beiden Völker einander näher rücken, einander Freunde werden und darum die einzige Streitfrage, die zwischen ihnen steht, werden billig schlichten wollen. Dass es zu diesen Zielen einen Weg, wenngleich vielleicht nur einen langen und mühseligen Weg gibt, das erlauben die Verhandlungen in Rom doch zu hoffen. Nur freilich, ein klerikales, ein schwarzgelbes, ein wenn nicht der Verfassungsform, so doch der Gesinnung nach noch immer habsburgisches Deutschösterreich wird den Weg nach Rom nicht finden; nur die Republik, die jede Verantwortung für die Jahrhunderte alte Schuld der Habsburger guten Glaubens ablehnen kann, die in Italiens Revolutionen und Kriegen gegen Habsburg ein großes, ruhmvolles Stück der Geschichte der europäischen Demokratie sieht, der sie selbst entstammt und der sie selbst sich zugehörig fühlt, deren Herzen Garibaldi und Mazzini näher, viel näher sind als Radetzky und der Habsburger Albrecht, die mit 23 Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 31–45.

Italien im Ersten Weltkrieg aus österreichischer Sicht

der traditionellen antiitalienischen Politik der Schwarzen und der Schwarz-Gelben entschlossen und für immer gebrochen hat, nur sie kann das Band weben, das das italienische und das deutsche Volk nach so altem, unseligem Zerwürfnis einander verbinden soll. 24

Die Erbfeindschaft wurde in diesem Artikel als Gefühlstatsache anerkannt, zugleich aber als Haltung bestimmter Kreise und einer bestimmten Regierungsform demaskiert, und nicht dem Volk oder dem Staat als solchen zugesprochen. Zugleich wird das Gemeinsame herausgearbeitet, nämlich die europäische Demokratie. Sie sollte in Zukunft die Völker verbinden, nur sie könne Streitfragen lösen. Dazu sollte es aber noch lange nicht kommen. Das war nicht dem Umstand geschuldet, dass die Sozialdemokraten wenige Monate nach Renners Rombesuch aus der Regierung ausschieden und während der ganzen Ersten Republik in Opposition blieben. Auch die bürgerlichen Parteien bemühten sich um ein gutes Verhältnis zu Italien. Es war die im Artikel der »Arbeiter-Zeitung« auch schon angesprochene Südtirolfrage, die eine nachhaltige Änderung der Sicht auf Italien und den Ersten Weltkrieg in Österreich verhinderte. Die Brennergrenze war eine direkte Folge des Sieges jener nationalistisch-imperialistischen Kräfte, die den Krieg und die Ausdehnung Italiens bis an den Brenner wollten. Sie erreichten ihr Ziel im Friedensvertrag von Saint Germain. Der Verlust des deutschsprachigen Teiles Tirols südlich des Brenners wurde in Tirol und in Österreich als sehr schmerzlich empfunden. Vollends war es die faschistische Minderheiten- bzw. Italianisierungspolitik, die eine Entkopplung des Bildes von Italien im Ersten Weltkrieg und dem Italien der Gegenwart für Jahrzehnte unmöglich machte. Doch auch diesbezüglich wäre es falsch, von Italien verallgemeinernd als Einheit zu sprechen. Zwar stimmte die Mehrheit des italienischen Parlaments am 9. August 1920 für die Annahme des Vertrages von Saint Germain und für die Annexion der neuen Gebiete Alto Adige und Venezia Giulia, eine Minderheit aber war dagegen. Die Sozialisten, die 1915 gegen den Kriegseintritt gestimmt hatten, lehnten das Annexionsgesetz ab. Claudio Treves formulierte in der Abgeordnetenkammer den Standpunkt der Sozialisten: 25 Das Geschenk, um dessentwillen wir für den Vertrag stimmen sollen, ist im Wesentlichen die Lösung der Trentinofrage und vor allem die Bildung einer strategischen

24 Arbeiter-Zeitung v. 14. 4. 1920, 1, Leitartikel »Deutschösterreich und Italien«. 25 Atti parlamentari. Camera dei Deputati, Legislatura XXV, 1a sessione, 2a tornata del 9 agosto 1920, 5294–5300 (Übersetzung S.M.).

229

230

Italien im Ersten Weltkrieg aus österreichischer Sicht

Linie im deutschen Tirol, die nach der Aussage der Regierung dazu dienen soll, uns mittels der Unterdrückung rein deutscher Elemente die militärische Sicherheit zu gewährleisten. Nun gut, wir lehnen das Geschenk nicht ab, denn wir können keinen Unterschied sehen zwischen den Rechten, die wir fordern, und den Pflichten, die daraus erwachsen. Wir verlangen das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das Recht der Nationen. Keine Überlegung strategischer Nützlichkeit kann uns von diesem Prinzip abbringen. 26

Treves warnte auch vor einem möglichen deutschen Irredentismus. Schließlich stellte er den Antrag, dass jeder Entscheidung der Kammer in Angelegenheiten der Annexionen eine freie Befragung der Bevölkerungen vorangehen müsse. 27 Er beantragte also Volksabstimmungen, Plebiszite, so wie sie am Beginn des Königreichs Italien in den noch nicht dazugehörigen Gebieten stattgefunden hatten. Filippo Turati, ein anderer sozialistischer Abgeordneter, sagte, die Okkupation eines fremden Gebietes sei mit den Prinzipien der Freiheit und der Nation nicht vereinbar. Wenn es aber bei der Annexion bleibe, dann müsse man die legitimen Vertreter dieser Gebiete zu Autonomiegesprächen einladen. 28 Es waren also sowohl die zukünftigen Probleme mit dem neuen Gebiet als auch die möglichen Lösungen der Südtirolfrage in den ausführlichen und weitsichtigen Reden der beiden sozialistischen Abgeordneten enthalten. Sie blieben in der Minderheit. Bei der Abstimmung votierten 170 Abgeordnete für die Annahme des Vertrags von Saint Germain und für das Annexionsgesetz, die 48 sozialistischen Abgeordneten stimmten dagegen. 29 Die Sozialdemokraten in Österreich haben die Haltung der italienischen Sozialisten bei der Abstimmung sehr wohl zur Kenntnis genommen. 30 Überspringen wir die Zeit der Diktaturen und der falschen Freundschaften. Dass die Brennergrenze nach dem Zweiten Weltkrieg bestätigt wurde, verlängerte die alte Sicht auf Italien und den Ersten Weltkrieg. Es war in Österreich fast unmöglich, an ihn zu denken, ohne nicht auch die Brennergrenze und das Südtirolproblem mit zu bedenken, trotz des Gruber-Degasperi-Abkommens

26 27 28 29

Ebd. 5296 (Übersetzung S.M.). Ebd. 5306. Ebd. 5310–5313. Ebd. 5319; Ritschel, Diplomatie um Südtirol 101–103; Corsini, Italien und das Ende des Habsburger Reichs 60 f. 30 Arbeiter-Zeitung, v. 14. 8. 1920, 4, Artikel »Der Vertrag von Saint-Germain in Italien genehmigt«.

Italien im Ersten Weltkrieg aus österreichischer Sicht

vom 5. September 1946, das, wie sich herausstellte, das Problem nicht ausreichend löste, weil der entsprechende Wille nicht vorhanden war. 31 Sehr langsam änderten sich die Dinge, bis es endlich in den späten 1960er und den 1970er Jahren doch zur Lösung der Südtirolfrage durch eine solide Autonomieregelung kam. 32 Die Autonomie und damit eine einvernehmliche Lösung der – um es mit der »Arbeiter-Zeitung« vom 20. April 1920 zu sagen – »einzigen Streitfrage« 33, die zwischen Österreichern und Italienern stand, waren die Voraussetzung dafür, dass sich auch der Blick auf Italien und den Ersten Weltkrieg differenzierte und wandelte. Die größte Öffentlichkeitswirksamkeit hatte der Südtiroler Historiker und Journalist Claus Gatterer mit seinem 1972 erschienenen Buch Erbfeindschaft Italien – Österreich, in dem er den Begriff der Erbfeindschaft problematisierte und einen kritischen Diskurs darüber anstieß. Seine Forderungen waren: differenzierte Betrachtung der Ereignisse unter Einbeziehung sozialer und anderer Aspekte, Verständnis für den Gegner, Anerkennung der eigenen Fehler, Ablehnung von Vorurteilen. 34 Andere Historiker auf beiden Seiten haben die politische Annäherung durch historiographische Revision vorbereitet und begleitet, oft in direktem Meinungsaustausch über die Grenzen hinweg. Die Zeit war reif für einen erneuerten Blick auf die Vergangenheit. Ich erinnere an Adam Wandruszka, Leo Valiani, Richard Blaas, Silvio Furlani, Angelo Ara, Brigitte Mazohl, Marco Meriggi, an die Tagungen in Innsbruck und Venedig 1971 und 1972, dann wieder in Innsbruck 1995. Maddalena Guiotto hat auf einer Tagung in Pavia 2002 zurecht von einer ganzen Nachkriegsgeneration von Historikern aus Österreich und Italien gesprochen, die einen Beitrag zur Überwindung der gegenseitigen Vorurteile geleistet haben. 35 Zu diesen historiographischen Bemühungen und auch persönlichen Beiträgen trat ein neuer und umfassender Blick auf den Ersten Weltkrieg insgesamt hinzu. In Italien wurde der Erste Weltkrieg nicht mehr nur als letzter und siegreicher Risorgimentokrieg behandelt, in Österreich nicht mehr nur als traumatische Ursache für den Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie. Die thematische Engführung auf Gewinn oder Verlust von Territorien, auf Sieg oder

31 Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert 434–447 und 473–484; Lill, Südtirol in der Zeit des Nationalismus 275–285. 32 Den Durchbruch brachten das Südtirolpaket und der Operationskalender von 1969, die zum neuen, gegenüber 1948 erweiterten Autonomiestatut von 1972 für die Region Trentino-Südtirol führten, siehe dazu Alcock, Geschichte der Südtirolfrage; Furlani–Wandruszka, Österreich und Italien 2197–200; Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert 501–509; Lill, Südtirol in der Zeit des Nationalismus 311–331; Stocker, Paketschlacht. 33 Arbeiter-Zeitung, v. 14. 4. 1920, 1, Leitartikel »Deutschösterreich und Italien«. 34 Zu Gatterer siehe Lunzer, Die »verlorenen Ideen«. 35 Guiotto, Una generazione postbellica.

231

232

Italien im Ersten Weltkrieg aus österreichischer Sicht

Niederlage wurde überwunden. Die Jahre 1914–1918 werden vor allem als tragischer Zusammenbruch der internationalen Friedensordnung und als indirekte Ursache des nachfolgenden Zweiten Weltkriegs gesehen. Neue Fragen wurden gestellt, neue Aspekte erforscht. Wer trug die Verantwortung? Welche Auswirkungen hatte der Krieg auf die Zivilbevölkerung? Auf die Frauen? Kriegspropaganda, innere Front, Kriegswirtschaft, Kriegsstaat und vieles andere wurde zum Forschungsthema. Die Gedächtnisjahre 2014–2018 haben diese historiographische Erweiterung stark befördert. 36 Dies gilt auch für die gegenseitige Wahrnehmung Österreichs und Italiens im Ersten Weltkrieg. 2015 fand in Rom eine diesbezügliche Tagung statt, veranstaltet vom Historischen Institut beim Österreichischen Kulturforum in Rom und vom Istituto per la Storia del Risorgimento. Die Tagungsakten liegen in einem umfangreichen, zweisprachigen Band vor. 37 Die historiographische Entwicklung wurde ergänzt durch sichtbare und erlebbare Zeichen, die früher unvorstellbar gewesen wären. Hier ist an die von Walter Schaumann seit den 1980er Jahren initiierten Friedenswege in der so heiß umkämpften Dolomitenfront zu denken. 38 Ebenso an die Neuaufstellung von Museen und Gedenkstätten. Das Heeresgeschichtliche Museum in Wien hat den Bereich zum Ersten Weltkrieg neu aufgestellt. 39 Im Museo Storico Italiano della Guerra in Rovereto spricht man nicht mehr über den dritten Krieg des Risorgimento, sondern zeigt die Ursachen auf, weshalb der Krieg 1914–1918 »Grande Guerra« genannt wird: die industrielle Seite der Kriegswirtschaft, die Mobilisierung von Millionen von Männern und Frauen, die Entwicklung des Luftfahrtwesens und der neuen Kommunikationstechniken, die Revolutionierung der Kriegspropaganda, die Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung, die Erfindung neuer schrecklicher Waffen. 40 Im Ersten Weltkrieg waren die Staaten Italien und Österreich-Ungarn Kriegsgegner. Davon war auch die Sicht aufeinander geprägt. Die führenden Politiker und jene sozialen Gruppen, die sie an die Macht gebracht hatten, glaubten ihre scheinbar legitimen politischen Ziele mit dem Mittel des Krieges erreichen zu können. Zugleich waren Italien und Österreich Nachbarn, europäische Nachbarn. Aus den verfeindeten Nachbarn wurden schließlich kooperierende Staaten. Die italienische Gesellschaft hat sich schon 1957 in den

36 Siehe z. B. Rumpler, Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg; Bachinger u. a., Gedenken und (k)ein Ende; 37 Gottsmann–Ugolini–Wedrac, Österreich-Ungarn und Italien im Ersten Weltkrieg. 38 https://de.wikipedia.org/wiki/Friedenswege (abgerufen am 22. 1. 2020). 39 https://www.hgm.at/ausstellungen/dauerausstellungen/erster-weltkrieg-1914-1918 (abgerufen am 22. 4. 2020). 40 http://www.museodellaguerra.it/visita/museo/ (abgerufen am 22. 1. 2020).

Italien im Ersten Weltkrieg aus österreichischer Sicht

Römischen Verträgen zur europäischen Zusammenarbeit entschieden. Die Entwicklung in Österreich brauchte mehr Zeit. Die Besetzung Österreichs durch die Alliierten, die formell bis zu dem 1955 erzielten Staatsvertrag dauerte, und die Entscheidung zur Neutralität verzögerten den Beitritt. Schließlich hat sich auch die Gesellschaft in Österreich 1995 zum Beitritt zur Europäischen Union entschieden. 41 Am 23. Mai 1914, am Tag der Kriegserklärung hatte die »Arbeiter-Zeitung« geschrieben: »Es lebe der kommende große Völkerfrieden.« 42 Frieden unter Nachbarn ist die Voraussetzung für den allgemeinen Völkerfrieden.

41 Dazu Gehler, From Saint Germain to Lisbon. 42 Arbeiter-Zeitung v. 23. 5. 1915, 1, Artikel »Den Sozialisten Italiens«.

233

13. Österreich und die Abtretung Südtirols. Vier Bilder Man könnte die Geschichte der Abtretung Südtirols an Italien 1 so erzählen: Dem italienischen Imperialismus ist es, gut vorbereitet durch den Nationalismus, 1915 gelungen, im Londoner Vertrag als Preis für den Kriegseintritt gegen Österreich-Ungarn die Brennergrenze zu erreichen. Der Ausgang des Ersten Weltkriegs hat dieses Ergebnis bestätigt. Tirol und Österreich konnten bei den Friedensverhandlungen in Paris 1919 keine Änderung erzielen. Südtirol wurde Teil Italiens. Diese Grenzänderung löste in Tirol und Österreich zuerst Trauer und Wut aus, dann eine Politik, die zwischen Resignation und Revisionismus, zwischen Hoffnung und Realismus schwankte. Eine der vielen bitteren Geschichten des 20. Jahrhunderts. Einige Ereignisse hundert Jahre später sind jedoch Grund genug, diese Geschichte anders und differenzierter zu erzählen. Man denke daran, dass die Landtage von Tirol, Südtirol und Trentino seit 1991 freiwillig gemeinsame Sitzungen über die Staatsgrenzen hinweg abhalten. 2 Man denke an die Landesausstellung im Jahr 2000, die zum ersten Mal als gemeinsame Landesausstellung Tirols, Südtirols und des Trentino organisiert wurde und an folgenden drei Orten stattfand: im Schloß Bruck in Lienz in Tirol, in der Hofburg in Brixen in Südtirol und auf Schloss Beseno in Besenello im Trentino. 3 Man denke daran, dass 2011 die Europaregion Tirol, Südtirol und Trentino im Rahmen der EU als eigene Rechtspersönlichkeit gegründet wurde. 4 Ich möchte vier Jahre herausgreifen und vier Bilder skizzieren. Sie werden einige Tatsachen und Ideen, Hoffnung und Scheitern aufzeigen. Es werden keine neuen Fakten sein, aber die Fakten werden in einen vielleicht neuen Zusammenhang gebracht.

1 Überarbeiteter Vortrag auf der Studientagung Rovereto in Italia dall’irredentismo agli anni del fascismo (1890–1939) in Rovereto im Jahr 2000 anlässlich 250 Jahre Accademia degli Agiati. 2 https://www.tirol.gv.at/tirol-europa/tirolereuropapolitik/tiroler-aussenpolitik/chronologie-euregion (abgerufen am 23. 1. 2020). 3 Abate, Circa 1500. 4 http://www.europaregion.info/de/evtz-europaregion.asp (abgerufen 17. 12. 2019). Aktionen: http://www.europaregion.info/de/marksteine-der-europaregion.asp (abgerufen 17. 12. 2019).

1890 – Die Mythisierung der Einheit Tirols

13.1 1890 – Die Mythisierung der Einheit Tirols. Der Aufstieg der nationalen Idee Um 1890 hätte der Ausdruck Abtretung Südtirols etwas ganz anderes bedeutet als heute. Südtirol war in erster Linie das südlichste, italienischsprachige Gebiet des Kronlandes Tirol, auch Wälschtirol oder Welschtirol genannt. Daneben gab es einen weiteren Begriff, der den Landesteil südlich des Brenners bis an die Landesgrenze bei Ala meinte, also das heutige Südtirol und das Trentino, diese Bedeutung war aber untergeordnet. 5 Der Ausdruck Trentino war damals relativ neu. Er wurde zum ersten Mal von Giuseppe Frapporti 1840 verwendet. 6 Südtirol abzutreten oder abzutrennen hätte also um 1890 für die deutschen Tiroler und auch für die Regierung in Wien die Teilung des Kronlandes Tirol aus nationalen Gründen bedeutet. Das Gebiet gehörte seit Jahrhunderten zur Monarchie. Die Separierung erinnerte an die Verluste der Lombardei und Venetiens. Das war gefährlich, unmöglich, hätte Folgen für die ganze Monarchie gehabt, die viele Nationalitäten beherbergte. Die seit 1848 erhobene Forderung nach einer Autonomie für diesen südlichen, italienischsprachigen Landesteil und das Zugeständnis eines eigenen Landtages erschienen aus dieser Sicht gewagt und nur eine Vorstufe zum gänzlichen Verlust. 7 Die Deutschtiroler begegneten den Autonomieforderungen mit dem Hinweis auf die Landeseinheit. Diese Einheit war natürlich in vielfacher Hinsicht eine bestehende Tatsache. Die Verfassung, das Kronland, die Gesetze, der Wille der Zentralregierung in Wien, der Mehrheitswille im Landtag, die gemeinsame Geschichte wiesen darauf hin. Das alles waren aber eher sachlich-administrativlegislative Faktoren. Es gab eben auch den Wunsch des italienischen Landesteils nach Autonomie und nach einem eigenen Landtag, und je entschiedener er formuliert wurde und je entschiedener die deutschsprachigen Tiroler ihn mit dem Argument der Landeseinheit ablehnten, desto brüchiger wurde diese Einheit. Wenn die Forderung nach Autonomie dann als Wunsch zum Anschluss an Italien und damit als Hochverrat gewertet wurde, war das ein Beweis dafür, dass der Gedanke der Einheit Tirols in eine schwere Krise geraten war. Die Mehrheit der deutschen Tiroler Abgeordneten und Politiker antwortete mit der Mythisierung der Landeseinheit. Sie wurde mit allen Mittel der öffentlichen Meinungsmache und Propaganda, mit Flugschriften und historischen

5 Siehe dazu ausführlich Heiss–Pfeifer, Man pflegt Südtirol zu sagen. 6 Frapporti, Della storia e della condizione del Trentino. 7 Zur Autonomiefrage siehe Bier, Autonomiebegriff der Welschtiroler; Benvenuti, L’autonomia trentina; Schober, Kampf um das Autonomieprojekt; Fontana, Geschichte des Landes Tirol 3, 156–160, 248–257; Pichler Rupert, Italiener in Österreich 140–149.

235

236

Österreich und die Abtretung Südtirols

Studien geradezu beschworen. 8 So sagte etwa der Abgeordnete Dr. Johann Rapp in der Debatte über den Antrag Dordi 9 im Innsbrucker Landtag am 16. November 1889: Die Unteilbarkeit der Grafschaft Tirol, eines der großen Ideale, der geistigen Güter des Volkes, hat aber in ihren [der konservativen Abgeordneten] Augen einen so unendlich höheren Wert, dass alle anderen Rücksichten daneben verschwinden. Die Wahrung der Einheit, die Integrität ihres Vaterlandes ist ihnen ein teures Vermächtnis früherer Zeiten. Sie sind fest entschlossen, dasselbe mit alter Tiroler Treue zu verteidigen [...]. Nie und nimmer aber dürfen die Wünsche offen oder verdeckt die Zerreißung des einheitlichen Verbandes anstreben. Das einige und ungeschmälerte, ungeteilte Tirol muss unserem Volke, muss dem Gesamtvaterlande erhalten bleiben. 10

»Amen!« 11, warf ein Abgeordneter ein. Bemerkenswerterweise finden wir in den langen Debatten um die Trentiner Autonomiefrage auf Seiten der konservativen Abgeordneten keine Argumente für die Landeseinheit. Sie war ein nicht hinterfragtes Dogma, ein Fetisch, ein Mythos. Eine zweite Antwort kam nicht aus der Geschichte, sondern aus dem nationalen Gedanken. Wurden die Autonomiewünsche mit dem Gedanken der Einheit ohne Begründung einfach nur zurückgewiesen und abgeschmettert, so wurde dem italienischen nationalen Gedanken der deutschnationale Gedanke gegenübergestellt, dem italienischen Irredentismus der Deutschnationalismus. Für diesen war das Trentino eigentlich ein deutsches Gebiet, Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, das nur wegen der subversiven Tätigkeit der italienischen Nationalisten, Irredentisten und Freimaurer immer mehr italianisiert werde. 12 Die deutschen Schutzvereine warfen der Politik in Innsbruck und Wien vor, die Gefahr nicht zu sehen und zu wenig entschieden gegen den italienischen Irredentismus vorzugehen. Der 1880 in Österreich, 1881 in Deutschland gegründete Deutsche Schulverein, der Alpenverein und andere

8 Mayr, Der italienische Irredentismus; zum sogenannten Broschürenstreit von 1886/87 siehe Fontana, Geschichte des Landes Tirol 3, 250. 9 Zum Antrag Dordi siehe Fontana, Geschichte des Landes Tirol 3, 248–257; Benvenuti, L’autonomia trentina 133–157. 10 Verhandlungen des Tirolischen Landtags 1889, 7. Periode, 1. Session, 14. Sitzung, 16. 11. 1889, 303. 11 Ebd. 304. 12 Achleitner–Ubl, Tirol und Vorarlberg 310 f.; Steinitzer, Geschichtliche Wanderungen durch Tirol und Vorarlberg 312; Merkh, Deutsche Wanderungen 8, 19, 22 (zu Merkh siehe Goebl, Konflikte 225); Mayr Der italienische Irredentismus.

1890 – Die Mythisierung der Einheit Tirols

propagierten dieses Gedankengut. 13 In einer der zahlreichen Landesbeschreibungen und Reisebücher konnte man lesen: Die ganze Herrlichkeit dieser beinahe subtropischen Region war einstens deutsches Gebiet, von Deutschen besiedelt und bebaut bis hinab zu den blauen Fluten des Gartensees, bis wohin sich damals das Gebiet des Ostgotenkönigs Theoderich von Verona (Dietrich von Bern der Nibelungensage) erstreckte [...]. Doch wie änderte sich dies alles; im Verlaufe der Jahrhunderte hatte sich unter priesterlicher Herrschaft romanischer Einfluss geltend gemacht; langsam aber kontinuierlich wurde deutsche Menschen, deutsche Sprache und deutsches Wesen zurückgedrängt [...] überall wurden die Spuren deutscher Art verwischt, das wälsche Idiom an die Stelle der deutschen Sprache gesetzt. [...]. 14

Es gab unter den Deutschtirolern auch noch eine dritte Antwort. Die Liberalen begannen, eine erhöhte Sensibilität für die Wünsche der Italiener aufzubringen. In der Sitzung, in der Johann Rapp den Standpunkt der Konservativen vertreten hatte, befürwortete Johann Blaas eine Verständigung und verteidigte sich zugleich: »Wenn ich als Deutscher eine Verständigung wünsche, so diene ich nicht fremden Interessen, ich diene meinem Heimatlande Tirol und glaube, dass auch wir Deutschen keineswegs zu Schaden kämen.« 15 Ganz ähnlich argumentierte Hermann Ignaz Bidermann, Rektor der Universität Innsbruck, dann Professor für Staatsrecht und Statistik in Graz, 1874 am Ende seines Buches Die Italiäner im tirolischen Provinzial-Verbande: So sind wir denn am Schlusse unserer Schrift zu warmen Fürsprechern für die Anliegen der tirolischen Separatisten geworden, was uns keiner aus ihnen beim Lesen der ersten Abschnitte zugetraut haben wird. Aber wir fühlen uns gleichwohl frei von dem Vorwurfe, uns selber damit zu widersprechen. Nicht den Italiänern in Tirol und [...] der Ausscheidung des echten Trentino-Gebiets aus Tirol gilt unser Vorschlag. Wir befürworten lediglich ein Zugeständnis an Südtirol. 16

13 Gatterer, Erbfeindschaft 93 f.; Steurer, Südtirol zwischen Rom und Berlin 78 f.; Zaffi, Die deutschen nationalen Schutzvereine. 14 Achleitner–Ubl, Tirol und Vorarlberg 310; oder: »Eine ganze Provinz, die einst dicht mit Germanen besetzt, ging so langsam aber sicher der Italianisierung entgegen«, Steinitzer, Geschichtliche Wanderungen durch Tirol und Vorarlberg 312. 15 Verhandlungen des Tirolischen Landtags 1889, VII Periode, 1. Session, 14. Sitzung, 16. 11. 1889, 293. 16 Bidermann, Die Italiäner im tirolischen Provinzial-Verbande 293.

237

238

Österreich und die Abtretung Südtirols

Als Zugeständnis an die italienischen Tiroler dachte sich Bidermann einen Kreistag, wie er 1849 im Gespräch gewesen war, aber mit den Kompetenzen, die die Italiener 1863 der Landtagskurie zugedacht hatten. Die Stimmen der Liberalen blieben in der Minderheit. Die Mehrheit der Deutschen hatte kein Verständnis für die Italiener. 17 Die Autonomiefrage blieb ungelöst. Die unterschiedlichen Antworten der Deutschtiroler auf die Autonomiewünsche der italienischen Tiroler sind übrigens in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Es gab in den letzten Jahrzehnten der Habsburgermonarchie eine intensive Diskussion über die nationale Frage oder Nationalitätenfrage. Eine Fülle von theoretischen und praktischen Lösungsvorschlägen kursierten in Flugschriften, politischen Programmen und wissenschaftlichen Abhandlungen. Man dachte an die Neuordnung der Kronländer der Monarchie, an Autonomien, an nationale Kreise, wie sie schon im Reichstag in Kremsier / Kromˇerˇ íž vorgeschlagen worden waren, schließlich an die Personalautonomie nach Karl Renner. 18 Im Rahmen dieser Debatten war die Autonomie für das Trentino keineswegs eine Gefahr für das Kronland Tirol oder für das Reich, sondern ein möglicher Lösungsansatz. Vereinzelt wurden auch Lösungen gefunden, so im mährischen Ausgleich von 1905 und im Bukowinaer Ausgleich von 1910. 19 Diese Entwicklung hätte noch viel mehr Zeit erfordert. Die Monarchie hatte aber keine Zeit mehr, sondern zerbrach nach vier Kriegsjahren.

13.2 1918 – Das deutsche Tirol von Kufstein bis Salurn. Der Sieg der nationalen Idee Die Fakten sind bekannt. Im Herbst 1918 waren die Mittelmächte mit ihren militärischen und politischen Kräften am Ende und zum Waffenstillstand mit den Ententemächten gezwungen. Die Völker der Habsburgermonarchie erklärten sich der Reihe nach als unabhängig und gründeten neue Staaten. Am 12. November riefen die deutschösterreichischen Abgeordneten die Republik Deutschösterreich aus. In Folge des Waffenstillstands von Villa Giusti zwischen Österreich-Ungarn und der Entente besetzten italienische Truppen nicht nur Tirol bis zum Brenner, sondern auch Nordtirol. Bei den Friedensverhandlun-

17 Mazohl, 99 Fragen 204 f.; Dotter – Wedrac, Der hohe Preis des Friedens 139 f. 18 Kann, Nationalitätenproblem 2: Ideen und Pläne zur Reichsreform; Malfèr, Konstitutionalismus 43–66. 19 Zu diesen Ausgleichen und allgemein zur Verfassungsentwicklung siehe Rumpler–Urbanitsch, Habsburgermonarchie 7: Verfassung und Parlamentarismus.

1918 – Das deutsche Tirol von Kufstein bis Salurn

gen in Paris setzte sich Italien durch und erhielt, wie ihm versprochen war, Südtirol bis zum Brenner. Weder die Bemühungen der Tiroler dies- und jenseits des Brenners noch die österreichische Friedensdelegation in Paris konnten das ändern. Der Friedensvertrag von Saint Germain vom 10. September 1919 besiegelte die Brennergrenze. Am 10. Oktober 1920 beschloss das italienische Parlament das Annexionsgesetz. Südtirol und die Südtiroler wurden, wie auch andere Gebiete, Beute der Politik der Großmächte, des Imperialismus und des Nationalismus. Groß waren selbstverständlich Wut, Schmerz und Trauer über die Zerreißung des Landes und über den Umstand, dass ein guter Teil nun zu Italien gehörte. Als Beispiel dafür möge ein Zitat genügen. In der Debatte über den Friedensvertrag in der konstituierenden Nationalversammlung in Wien am 6. September 1919 sagte der Tiroler Abgeordnete Eduard Reut-Nicolussi: Es ist jedes Pathos zwecklos und es ist auch unmöglich, jene Gefühle zu schildern, die einen Mann beseelen, der in den Reihen der Tiroler Jäger gegen Italien gekämpft, der beim Schutze seines Vaterlandes sein Blut vergossen hat und jetzt mit seinem Volke in Knechtschaft wandert. Nur eines kann ich sagen: gegenüber diesem Friedensvertrage haben wir mit jeder Fiber unseres Herzens, in Zorn und Schmerz nur ein Nein, ein ewiges und unwiderrufliches Nein! 20

So verständlich dieser Schmerzensruf war, dieser nun nicht von italienischer Seite gegenüber Österreich, sondern von deutschösterreichischer Seite gegenüber Italien vorgebrachte grido di dolore, so sehr muss ein Punkt verwundern. In den zeitgenössischen Debatten, Zeitungsartikeln und Büchern über die Abtrennung Südtirols findet sich kein Wort über das Trentino, das italienischsprachige Südtirol. Noch 1916 hatte Michael Mayr, Geschichtsprofessor an der Universität Innsbruck (und nachmaliger österreichischer Bundeskanzler), in seinem Buch gegen den italienischen Irredentismus das italienische Trentino eine Lüge genannt, weil es in Wahrheit ein deutsches Land sei. 21 Noch am 9. Mai 1918 hatte der Tiroler Volksbund auf dem Sterzinger Volkstag die »Einheit und Unteilbarkeit Tirols von Kufstein bis zur Berner Klause« 22 beschworen. Jetzt, 1919 und 1920, war vom Trentino nicht mehr die Rede. Der Schmerz bezog sich nur auf das deutschsprachige Gebiet zwischen Brenner und Salurn. Mit der Entstehung Südtirols vom Brenner bis Salurn entstand auch die Idee Deutschtirols

20 Stenographische Protokolle der Konstituierenden Nationalversammlung für Deutschösterreich, 29. Sitzung, 6. 9. 1919, 787. 21 Mayr Der italienische Irredentismus 336 f. 22 Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert 33.

239

240

Österreich und die Abtretung Südtirols

von Kufstein bis zur Sprachgrenze bei Salurn. 23 Die Abtrennung Südtirols bedeutete nun nicht mehr das Ende der legendären Landeseinheit der Grafschaft Tirol durch den Verlust des italienischen Landesteils, sondern die Zerreißung Deutschtirols in zwei Teile. Das war nichts anderes als der Sieg des nationalen Gedankens über den des historischen Staatsrechts. Die Deutschtiroler und die österreichischen Parteien überhaupt hatten Wilsons Konzept der Selbstbestimmung der Völker akzeptiert. Am 3. Oktober 1918 hatte sich die sozialdemokratische Partei dazu bekannt, am 9. Oktober die christlichsoziale Partei. 24 Sie forderten dieses Recht natürlich auch für sich selbst. Das war auch die Grundlage für die Anschlussbestrebungen an Deutschland. In der provisorischen Nationalversammlung am historischen 12. November 1918 erklärte Staatskanzler Karl Renner noch vor der Ausrufung der Republik Deutschösterreich: Es soll auch nicht eine Gemeinde geben, in der nicht das Volk selbst mitentscheidet, damit wir dem Vorurteile der Welt begegnen, als wollten wir fremdes Volksgut uns aneignen. In einem Staatswesen, in dem in jeder Gemeinde das ganze Volk sich selbst mitregiert, ist nationale Fremdherrschaft unmöglich und so bekunden wir damit gegenüber unseren engeren Nachbarvölkern, wie gegenüber den Mächten des Westens, dass wir nichts beherrschen wollen als uns selbst, dass uns jeder Imperialismus fremd ist. 25

Das Gesetz über Umfang und Grenzen und Beziehungen des Staatsgebietes von Deutschösterreich vom 22. November 1918 sagte: »§ 1. Die Republik Deutschösterreich [...] umfasst [...] die Grafschaft Tirol mit Ausschluss des geschlossenen italienischen Siedlungsgebietes [...].« 26 Das bedeutete aber auch die Absage an die historische Grafschaft Tirol, die nie eine rein deutsche gewesen war. Die Obmännerkonferenz der Tiroler Landtagsparteien beschloss am 20. Jänner 1919 einstimmig folgende Resolution:

23 Stillschweigend war sie schon früher da, aber nicht im Sinn einer politischen Idee. So kommen in Reimmichls Gedicht »Christnacht über den Bergen«, enthalten schon in der 1. Auflage 1911 von »Weihnacht in Tirol«, viele Orts- und Bergnamen vor, die aber alle im deutschen Teil Tirols liegen. Einzige Ausnahme ist der »Monte Kristall«. 24 Kleindel, Daten zur Geschichte 1315. 25 Provisorische Nationalversammlung für Deutschösterreich. Stenographisches Protokoll zur 3. Sitzung, 12. 11. 1918, 65 f.; ADÖ 1, 129 f. 26 Staatsgesetzblatt Nr. 40/1918, ADÖ 1, 170.

1918 – Das deutsche Tirol von Kufstein bis Salurn

Die Frage der ungeteilten Erhaltung des gesamten deutschen und ladinischen Gebietes von Tirol erfüllt die ganze Bevölkerung mit schwerer Besorgnis. Wir Tiroler erklären, dass wir unter gar keinen Umständen in eine Abtretung Deutschsüdtirols willigen und lieber alle, auch die schwersten Opfer bringen, bevor wir auf die Zusammengehörigkeit mit unseren Brüdern in Deutschsüdtirol verzichten. Die Landesregierung wird beauftragt, in entschiedener Weise diesem Standpunkt Geltung zu verschaffen. 27

Im Herbst 1918 setzte sich also in Deutschösterreich und in Tirol der nationale Gedanke unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker durch. Die historische Einheit der Grafschaft Tirol hatte keine Bedeutung mehr, nicht nur in Folge einer realistischen Einschätzung der geänderten politischen Lage, sondern auch wegen des Sieges des nationalen Gedankens über das historische Staatsrecht. Den Irredentisten hatte man vorgeworfen, um des nationalen Gedankens willen die Landeseinheit zu verraten. Jetzt verriet man selbst diese Idee unter dem neuen Pardigma des Selbstbestimmungsrechtes. Diese tiefgreifende und schlagartig erfolgte politische Wende veränderte auch das politische Bewusstsein, und plötzlich konnte man gar nicht mehr verstehen, wie jemand anders denken konnte. Wie konnte sich Italien nur ein nicht italienisches Gebiet aneignen? Wie konnten die Alliierten nur Österreich den Anschluss an Deutschland verbieten, da doch das Selbstbestimmungsrecht der Völker gelten sollte? So kam zum Gefühl der Unterlegenheit, ein Gebiet verloren zu haben, noch das Gefühl, dass das ein Unrecht war. Die Alliierten hatten das Selbstbestimmungsrecht zum Prinzip erhoben, wollten es aber für Österreich nicht gelten lassen. Das vermehrte die Wut und Trauer. In Tirol blieben diese Gefühle nicht die einzige Antwort auf die neue Lage. Vergebens versuchte man, den Anschluss Tirols an Deutschland anstatt an Österreich zu erreichen, sprach von der Neutralisierung Tirols, bot Italien militärische Rechte an. 28 Es blieb aber nichts anderes übrig als die Realpolitik, die Hoffnung auf den Völkerbund und die Hoffnung, Italien werde eine kluge und gemäßigte Politik gegenüber der deutschsprachigen Bevölkerung einschlagen. Diese Hoffnung war nicht unbegründet. Italienische Politiker auf verschiedenen Ebenen redeten in diesem Sinn und widersprachen den nationalistischen und chauvinistischen Stimmen im Sinn eines Ettore Tolomei. Dazu zählten die Erklärungen und die Politik der Militärregierung unter dem General Pecori Giraldi von November 1918 bis Juli 1919, die Erklärung des Ministerpräsidenten

27 Schober, Geschichte des Tiroler Landtages 386. 28 Schober Geschichte des Tiroler Landtages 384–404; Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert 31–36; Suppan, Imperialistische Friedensordnung 1286–1288.

241

242

Österreich und die Abtretung Südtirols

Nitti, eine liberale und großzügige Politik betreiben zu wollen, die Debatte über das Annexionsgesetz, bei der die oppositionellen Abgeordneten dagegen stimmten, und zum Teil auch die Politik von Francesco Salata und Luigi Credaro. 29 Sogar Benito Mussolini sprach in diesen Monaten ganz anders als nach der Machtergreifung. Im Kommentar über den Friedensvertrag von Saint Germain in seiner Zeitung »Popolo d’Italia« schrieb er: Von jetzt an müssen wir in den Zeitungen und im Parlament den Deutschen des Alto Adige, die jetzt politisch gesehen Italiener sind, sagen, dass Italien keine Absichten der Überwältigung und Entnationalisierung hegt; dass es die Sprache und die Sitten respektieren und die erforderliche Verwaltungsautonomie vereinbaren wird. 30

Österreich setzte große Hoffnungen auf den Völkerbund, freilich vergeblich. Als Staatskanzler Renner am 6. September 1919 von den Abgeordneten die Vollmacht erbat, den Friedensvertrag von Saint Germain unterzeichnen zu können, sagte er, sicher nicht nur an Südtirol, sondern auch an seine Heimat und an die Deutschen in Böhmen und Mähren denkend: Der Friedensvertrag legt uns die bittersten nationalen Opfer auf und jedes Herz ist darüber erfüllt von Trauer und Bitterkeit. Alle Herzen vereinigen sich heute in diesem Wunsche: Möge der Völkerbund, auf den wir hoffen, dessen Funktionieren, dessen gerechte Tätigkeit in unseren Augen eine wesentliche Voraussetzung für die Gültigkeit und den Bestand des Friedensvertrages von Saint-Germain ist, möge dieser Völkerbund das Unrecht, das Saint-Germain geschaffen hat, wieder aus der Welt schaffen! 31

Letzten Endes blieb Österreich nichts anderes übrig, als die Realpolitik. Die Abtretung Südtirols war im Übrigen nur ein Element unter vielen in einer sehr schwierigen Zeit. Alle österreichischen Kanzler suchten gute Beziehungen zu Italien, das als Siegermacht und Mitglied der Entente für Österreich von großer Bedeutung war. 32 Italien hatte Südtirol bekommen, zugleich aber 29 Dazu Lill, Südtirol 1918–1920; Lill, Südtirol in der Zeit des Nationalismus 52–65, Fontana, Unbehagen; Dotter – Wedrac, Der hohe Preis des Friedens 76, 86 f. 30 Übersetzung S.M. Original: »Sin da questo momento bisogna dai nostri giornali e dal Parlamento dire ai Tedeschi dell’Alto Adige, da oggi politicamente italiani, che l’Italia non ha intenzioni sopraffattrici o snazionalizzatrici; che rispetterà la lingua e i costumi, che accorderà le necessarie autonomie amministrative.«, zit. nach Curato, La conferenza della pace 2, 499. 31 Konstituierende Nationalversammlung für Deutschösterreich. Stenographisches Protokoll der 29. Sitzung, 6. 9. 1919, 766; ADÖ 2, 440. 32 Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg.

1918 – Das deutsche Tirol von Kufstein bis Salurn

hatte es sich auf der Friedenskonferenz entschieden für den Verbleib Kärntens bei Österreich ausgesprochen. Italien unterstützte Österreich bei der Volksabstimmung in Kärnten am 10. Oktober 1920 – es war derselbe Tag, an dem in Rom das Gesetz zur Annexion der neuen Gebiete verabschiedet wurde. 33 Im Konflikt Österreichs mit Ungarn über das Burgenland, das durch die Friedensverträge Österreich zugesprochen war, nahm Italien eine vermittelnde Haltung ein, die für Österreich nicht ungünstig war. 34 Italien war auch in wirtschaftlicher Hinsicht für Österreich sehr wichtig. Die ökonomische Lage der jungen Republik war sehr schlecht, zum Teil aufgrund der Kriegsschäden, vor allem aber auch aufgrund der von der Monarchie geerbten Produktionsstruktur. Einer relativ hohen Industrialisierung stand eine ungenügende Agrarproduktion gegenüber. Die Landwirtschaft war nicht imstande, die Bevölkerung zu ernähren, der Industrie und dem Handwerk standen durch die neuen Grenzen zu wenig Rohstoffe und ungenügende Absatzmärkte zur Verfügung. Die italienische und die österreichische Wirtschaft aber ergänzten einander. Österreich importierte Lebensmittel und lieferte Papier, Holz und Metalle, wobei es sogar einen Handelsbilanzüberschuss erzielte. Italien war nach Deutschland und den Nachfolgestaaten der fünftwichtigste Handelspartner Österreichs. Umgekehrt war Österreich aufgrund seiner geografischen Lage für Italien wichtig. Italien war am Donauraum stark interessiert. Es wollte die Restauration der Habsburger und überhaupt jede Form von Donaukonföderation verhindern und war an guten Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn interessiert. Diese Interessenlage führte zu wiederholten Kontakten zwischen den österreichischen und den italienischen Regierungen. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern rückten binnen kurzer Frist und entschieden vom Paradigma der Erbfeindschaft ab, trotz der Tatsache, dass Südtirol an Italien gekommen war. Diese neue Phase der Entspannung in den österreichisch-italienischen Beziehungen dauerte allerdings nicht lange.

33 Ebd. 49–54. 34 Ebd. 67–88; Malfèr, Venediger Protokoll; Malfèr, Der Weg zur Ödenburger Volksabstimmung.

243

244

Österreich und die Abtretung Südtirols

13.3 1922 – Die Entstehung der Südtirolfrage. Die Pervertierung der nationalen Idee Bis zum Marsch auf Rom blieben die Hoffnungen auf einen Minderheitenschutz für die deutschsprachige Bevölkerung in Südtirol aufrecht. Die Machtübernahme durch die Faschisten und damit das Überhandnehmen des Nationalismus mit der Unterdrückung der ethnischen Minderheiten – für Südtirol von Ettore Tolomei ausgedacht und vorangetrieben –, öffnete ein neues Kapitel. Der bloße Wechsel der Zugehörigkeit von einem Staat zu einem anderen, die bloße Änderung von Grenzen schaffen nicht notwendigerweise ein politisches Problem. Sie können allerdings die Voraussetzung dafür sein. Die Südtirolfrage entstand durch die Politik der Entnationalisierung, durch das Verbot der deutschen Sprache in Schule und Amt, durch die Italianisierung der Ortsnamen, durch die völlige Eingliederung der Provinz in einen reinen Zentralstaat, später durch die forcierte Politik der Zuwanderung von Italienern. Diese Politik rief in Tirol und in Österreich heftige Reaktionen hervor und ließ die Gefühle der Feindschaft gegen Italien wieder stärker werden. Den Kampf um die Einheit Deutschtirols von Kufstein bis Salurn hatte man 1919 verloren. Jetzt wurde er von der Südtiroler Emigration in Tirol und von den Tirolern wiederaufgenommen, unterstützt durch ein neues Argument, nämlich den nationalen Gedanken in der Form des Selbstbestimmungsrechts und des Minderheitenschutzes. Die fortschrittlichen und emanzipatorischen Züge des nationalen Gedankens wurden ja pervertiert durch die Unterdrückung einer anderen Nation oder einer sprachlichen Minderheit, indem dem Anderen das verweigert wurde, was man für sich selbst erkämpft hatte. Dass die deutschnationalen Tiroler zu Zeiten der Monarchie ihren italienischsprachigen Landsleuten zu wenig Zugeständnisse gemacht hatten, war vergessen und verdrängt. 35 Jetzt sprach man nur davon, dass Italien den Minderheitenschutz missachtete. Den Tirolern und der Republik Österreich blieb nichts anderes übrig als dieses Argument zu wiederholen. Dem Schmerz und der Enttäuschung über die Italianisierungspolitik verlieh Eduard Reut-Nicolussi beredten Ausdruck. Er stammte aus dem Trentino und war Abgeordneter für Südtirol in der konstituierenden Nationalversammlung in Wien, dann im Parlament in Rom. Nach dem Verbot seiner Partei, des Deutschen Verbandes, flüchtete er 1927 nach Innsbruck, wo er 1928 das Aufsehen erregende Buch Tirol unterm Beil veröffentlichte. Darin schrieb er: Ich saß einst [...] im Garten der Villa d’Este in Tivoli. Himmel und Erde verschmolzen zu einer Traumwelt. [...] Was für ein Wunder ist doch dieses Land. Freude ohne 35 Vgl. Anm. 17.

1922 – Die Entstehung der Südtirolfrage

Grenze, Licht ohne Maß. Die Menschen hier müssen anders sein als sonst in der Welt. Gott hat sie an die reichste Tafel seines Festmahles geladen. Gewiss kennen sie weder Hass noch Streit, weder Zwang noch Neid. [...] Es war ein Traum. [...] Ich schätze alles, was die Italiener Großes geschaffen haben. Aber als sie mein Volk in die finsterste Seelenknechtschaft warfen, da erkannte ich, wie wenig der Zauber der Landschaft und selbst große Vermächtnisse der eigenen Vergangenheit ein Volk vor Entartung und Versündigung an den hohen Gütern der Menschheit zu schützen vermögen. 36

Die österreichischen Regierungen sahen sich angesichts solcher Stimmen in einem Dilemma. Einerseits mussten sie weiterhin Realpolitik betreiben und gute Beziehungen zu Italien pflegen, andererseits konnten sie die Stimmung und öffentliche Meinung nicht ignorieren. Als Ausweg blieb nur die Forderung nach dem Minderheitenschutz, bei der man an die Satzung des Völkerbundes anknüpfen konnte. 37 Die faschistische Machtergreifung löste in Österreich noch eine andere Reaktion aus, nämlich den antifaschistischen Kampf, der von Vertretern der Sozialdemokratie geführt wurde. In ihren Zeitungsartikeln, Flugschriften und politischen Reden unterschieden sie stets zwischen Italien bzw. den Italienern und dem Faschismus. Besonders engagiert war der sozialdemokratische Abgeordnete Wilhelm Ellenbogen, der schon früher gute Kontakte zu den italienischen Sozialisten gehabt hatte. Schon 1923 veröffentlichte er eine Flugschrift mit dem Titel Faschismus! Das faschistische Italien. In der Einleitung schrieb er: Der Verfasser dieser Schrift ist ein glühender Freund Italiens und des italienischen Volkes. Keines der mannigfaltigen politischen Ereignisse der letzten Jahrzehnte, auch das Urgewaltige des Weltkrieges nicht, hat diese Liebe, die jedem im deutschen Kulturkreis Aufgewachsenen ins Herz gelegt ist, daraus reißen können [...]. Umso erschütternder war für ihn eines Tages der Eindruck der Mitteilung, dass in die Wohnung eines seiner Freunde in Modena ein Haufe eingedrungen war, der nicht nur den Mann und seine Familie am Leben bedrohte, sondern sein Hab und Gut, vor allem seine wertvolle Bibliothek mit bestialischer Wut in tausend Trümmer zerschlug und zerfetzte. Solche politische Methoden war man bisher nur bei [...] gewohnt; dass sie aber auch im Lande [...] Dantes, [...] Leonardos, [...] Edmondo d’Amicis [...] möglich waren, ließ auf eine schwere Erkrankung der Seele dieses so natürlich-liebenswürdigen [...] Volkes schließen. 38

36 Reut-Nicolussi, Tirol unterm Beil 136–138. 37 Weber, Minderheitenschutz des Völkerbundes 3–22. 38 Zit. nach Leser–Rundel, Ellenbogen. Ausgewählte Schriften 275.

245

246

Österreich und die Abtretung Südtirols

Ellenbogen vereinte in seinen Schriften die Verteidigung der Rechte der Arbeiterklasse mit der Verteidigung der Rechte der deutschsprachigen Minderheit in Südtirol. Die Schärfe seiner Rhetorik hat sogar zu einem diplomatischen Zwischenfall zwischen Österreich und Italien geführt. 39 Die großen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme, die Österreich und ganz Europa in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu schaffen machten, schwächten die Demokratien und begünstigten die Entstehung autoritärer politischer Systeme und von Diktaturen. Sie bedienten sich unter anderem des nationalen Gedankens, um an die Macht zu kommen, gingen aber weit darüber hinaus. Auch Österreich und Südtirol waren davon betroffen, und so folgte dem 1922 eröffneten Kapitel ein weiteres.

13.4 1939 – Der Versuch, Südtirol auszulöschen. Von der nationalen Idee zur rassistischen Volkstumsideologie Am 23. Juni 1939 – Österreich existierte als Staat nicht mehr – fand im Gestapo-Hauptquartier in Berlin eine Sitzung der deutsch-italienischen Expertenkommission unter dem Vorsitz von Heinrich Himmler statt, in der der Plan, die Südtirolfrage durch die Umsiedlung der Bevölkerung endgültig zu lösen, definitiv gebilligt wurde. Am 21. Oktober 1939 wurde der entsprechende Vertrag unterzeichnet. Die Südtiroler sollten bis zum Jahresende optieren, ob sie ins Deutsche Reich umgesiedelt werden oder, unter Preisgabe jedweden nationalen Rechtes, in Italien bleiben wollten. Bald kam das Gerücht auf, jene, die nicht für Deutschland optierten, würden südlich des Po oder gar in Sizilien angesiedelt werden. 40 Die Umsiedlung sollte innerhalb von drei Jahren bis Ende 1942 abgewickelt werden. Heimat und Sprache sind zwei den Menschen zutiefst prägende Erfahrungen. Die Option versetzte die Südtiroler in ein fast auswegloses Dilemma. Sie wurden nicht vertrieben, sondern hatten selbst zu entscheiden, ob sie die Heimat oder die Sprache aufgeben wollten. Hitler hatte schon früh die Alpen als Südgrenze des Deutschen Reiches festgelegt, unter Preisgabe Südtirols. Aber auch anderswo trat er für klare Grenzen ein und für die Umsiedlung deutscher Volksangehöriger ins Reich. Die nationale

39 Vgl. Kap. 15: »Ein österreichisch-italienischer Zwischenfall 1925 ausgelöst durch eine Rede Wilhelm Ellenbogens gegen Mussolini«. 40 Zur Option siehe u. a. Steurer, Südtirol zwischen Rom und Berlin 315–401; Stuhlpfarrer, Umsiedlung Südtirol 1, 1–236; Messner, Option; Eisterer, Option; Steininger Südtirol im 20. Jahrhundert 153–186; Wedekind–Rodogno Umsiedlung und Vertreibung; Pallaver–Steurer, Deutsche! Hitler verkauft euch!

1939 – Der Versuch, Südtirol auszulöschen

Idee, entstanden in napoleonischer Zeit, groß geworden im Verlauf des 19. Jahrhunderts, übertrieben und pervertiert im 20. Jahrhundert, hatte sich zur Idee vom reinen und reinrassigen Nationalstaat gewandelt. Die Südtiroler sollten, so die Propaganda, in einem noch zu erobernden Gebiet in Osteuropa geschlossen angesiedelt werden. Nicht gesagt wurde, was mit den dort lebenden Slawen geschehen sollte. Sie mussten weichen – vertrieben oder umgebracht. Wäre das umgesetzt worden, gäbe es Südtirol nicht mehr. Die Südtiroler waren bei weitem nicht die einzige Bevölkerungsgruppe, die ihr Siedlungsgebiet und ihre Heimat preisgeben sollten. Der Nationalsozialismus zwang Hunderttausende von Deutschen heim ins Reich, von den baltischen Staaten über die Bukowina, Bessarabien, die südslawischen Gebiete bis Südtirol. 41 Die Degeneration und Pervertierung der nationalen Idee hatte schon viel früher eingesetzt. Schon im 19. Jahrhundert war es zur Umsiedlung von Minderheiten als Instrument zur Lösung von Problemen gekommen. 1923 fand ein Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei statt, von dem mehr als eineinhalb Millionen Menschen betroffen waren. Die Idee lag also in der Luft. 42 Der menschenverachtende Nationalsozialismus hatte die Macht, sie umzusetzen. Aber auch nach 1945 war die Geschichte der Vertreibungen, Umsiedlungen und ethnischen Säuberungen noch lange nicht zu Ende. Waren die Südtiroler nur Opfer? Nein, es gab auch Stimmen, denen die antidemokratischen, antisozialistischen und autoritären Ideen wichtiger waren als die Einheit des deutschen Tirols oder der Minderheitenschutz. Wie anders wäre es zu erklären, dass Richard Steidle, der in Untermais bei Meran geborene Mitgründer und Landesführer der Tiroler Heimatwehr und später erster Bundesführer der österreichischen Heimwehr, 1928 seine Unterschrift unter folgende an die italienische Regierung gerichtete Verpflichtungserklärung setzte: Für den Fall der Übernahme der österreichischen Regierung durch die Heimwehren mit Unterstützung des faschistischen Italien versprach er, die Südtirolfrage nicht aufzuwerfen noch eine diesbezügliche Propaganda zu dulden. 43 Die Hoffnung auf Erleichterungen für Südtirol hatte er, doch stellte er sie hintan. Auch die österreichische Politik der 1930er Jahre hat den Schutz der deutschsprachigen Minderheit in Südtirol anderen poltischen Zielen nachge-

41 Siehe z. B. Hehn, Die Umsiedlung der baltischen Deutschen; Stossun Die Umsiedlung der Deutschen aus Litauen; Jachomowski, Die Umsiedlung der Bessarabien-, Bukowina- und Dobrudschadeutschen; Frensing, Die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen; Stuhlpfarrer, Umsiedlung Südtirol; Loeber, Diktierte Option. 42 Siehe dazu Wedekind–Rodogno, Umsiedlung und Vertreibung. 43 Weiss, Das Südtirol-Problem in der Ersten Republik 222.

247

248

Österreich und die Abtretung Südtirols

ordnet. Die Annäherung an Italien seitens der austrofaschistische Politik von Engelbert Dollfuß bis hin zu den Römischen Protokollen von 1934 war nicht mehr die Realpolitik der 1920er Jahre, sondern eine freiwillige und ideologisch begründete Entscheidung. Dollfuß hoffte zwar, durch ein Bündnis mit Mussolini Österreich zu retten, doch bedeutete das allemal einen Verzicht auf die Forderung nach Minderheitenschutz. Viele Südtiroler wurden durch die faschistische Italianisierungspolitik anfällig für den Nationalsozialismus, von dem sie sich die Rückkehr Südtirols in einen deutschen Staat erhofften. Es hat aber auch Südtiroler gegeben, die so sehr dem Nationalsozialismus verfallen waren, dass sie sogar die Heimat preiszugeben bereit waren. Der nationalsozialistische VKS (Völkischer Kampfring Südtirol) hat 1939 auf die Heimat verzichtet und die Propagandadevise Volk gegen Land ausgegeben: »Das deutsche Volk von Südtirol verlässt die alte Heimat und schlägt zur Rettung und zur Erhaltung seines Volkstums im Großdeutschen Reich eine neue Heimat auf.« 44 Es war ein weiter Weg vom Mythos der Einheit Tirols über den Deutschnationalismus, die Forderung nach Minderheitenschutz bis zur Aufgabe Südtirols zugunsten des Volkstumsgedankens. Die verhängnisvolle Ideologie des reinen Volkstums hat den ursprünglich emanzipatorischen nationalen Gedanken, der die Idee von Freiheit, Völkerfrühling und fratellanza dei popoli beinhaltete, von innen her zerstört. 45

13.5 2019 – Gemeinsam Zeichen setzen Kehren wir zum Ausgangspunkt zurück. Die Volkstumsideologie hat nicht gesiegt, sie ist unterlegen. Die Idee des Nationalstaates erwies sich zwar als langlebig, doch sind inzwischen Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenschutz, Autonomie und Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg zu selbstverständlichen Rechtsgütern und Gepflogenheiten in vielen Nationalstaaten geworden. Ein mühsamer, aber erfolgreicher Weg hat nach dem Zweiten Weltkrieg zur Südtirolautonomie und in weiterer Folge zur Europaregion Tirol, Südtirol und Trentino geführt. Sowohl Österreich als auch Italien sind sich bewusst, ethnische Minderheiten zu beherbergen, und sie verfahren mit ihnen nach allgemein anerkannten Standards. Südtirol gilt als weltweit beachtetes gelungenes Beispiel einer Problemlösung durch Autonomie und Kooperation. 46

44 Steurer, Option und Umsiedlung 76. 45 Zum Begriff der inneren Zerstörung siehe Lutz, Zwischen Habsburg und Preußen 9 und 485. 46 Siehe dazu Di Michele u. a. (Hgg.), Die schwierige Versöhnung.

2019 – Gemeinsam Zeichen setzen

Ein besonders ermutigendes Zeichen war die Gedenkfeier auf Schloss Tirol am 23. November 2019. Anlaß waren 100 Jahre Teilung Tirols und 50 Jahre Genehmigung des Südtirol-Pakets durch die Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei. Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella und der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen nahmen daran teil und betonten, so wie auch Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher, den Vorbildcharakter der Südtirol-Autonomie. Sie gedachten der Opfer von Faschismus und Nationalsozialismus, sprachen aber auch aus, dass es auf allen Seiten Mitläufer, Kollaborateure und Täter gegeben hat. 47 100 Jahre nach der Teilung der Grafschaft Tirol wurde ein bemerkenswertes Zeichen gesetzt gegen die Irrwege der Vergangenheit für eine bessere Zukunft.

47 Heimat & Welt, Jänner 2020.

249

14. Die Beziehungen zwischen Österreich und Italien von Saint Germain bis zum Marsch auf Rom

14.1 Untergang und Neuorientierung Der Zusammenbruch Österreich-Ungarns 1918 wurde von der italienischen Öffentlichkeit mit Recht als epochales Ereignis betrachtet. Die Jahrhunderte alte europäische Großmacht Habsburgermonarchie, die im 17. und 18. Jahrhundert weite Teile der italienischen Halbinsel direkt und indirekt beherrscht hatte, existierte nicht mehr. Italien dagegen, erst fünf Jahrzehnte davor im Kampf gegen Österreich als geschlossener Staat entstanden, zählte zu den Siegermächten. Der Sieg über den alten Gegner war vollkommen. Dies konnte nicht einmal Frankreich für sich behaupten, denn Deutschland war zwar besiegt und schwach und hatte einzelne Gebiete verloren, blieb aber in seiner Substanz bestehen. So schrieb z. B. der »Corriere della Sera« anlässlich des Abschlusses des Friedensvertrages von Saint-Germain-en-Laye am 10. September 1919: [...] Der Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie ist wirklich ein umstürzendes Ergebnis des Krieges. Dieser Organismus hat bis 1914 nicht eine Scheinexistenz geführt wie das Osmanische Reich, sondern er war eine konkrete und mächtige Realität. Davon bleibt jetzt nichts mehr als die Erinnerung [...]. Keine der Neuerungen in den übergebenen Protokollen der Friedenskonferenz kann sich damit in Ausdehnung und Tragweite vergleichen, und der Kriegseintritt Italiens war die entscheidende und bestimmende Ursache. So weitläufig und befriedigend auch die Ausdehnung des Territoriums unseres Vaterlandes hin zu den Alpen und zum Adriatischen Meer sein mögen, so ist die Bedeutung dieses positiven Ergebnisses beinahe episodisch gegenüber dem negativen Ergebnis das wir, wie es keiner anderen Kriegspartei gelungen ist, durch die Vernichtung des Erbfeindes unserer Nation erzielt haben. 1

1 Übersetzung S.M. Original: »[...] la scomparsa dell’impero austro ungarico e veramente una sintesi rivoluzionaria della guerra. Quell’organismo viveva fino al 1914, non già di una vita apparente come l’Impero ottomano, ma di una realtà concreta e potente. Di esso non rimane ormai che il ricordo [...]. Nessuna fra le novità consegnate nei protocolli di pace può paragonarsi, per estensione e per portata, a questa di cui l’intervento italiano fu la causa decisiva e determinante. Per

Untergang und Neuorientierung

Andererseits war die Auflösung Österreich-Ungarns gar nicht das Kriegsziel gewesen, und trotz der öffentlichen Begeisterung war man in Italien auf die Frage, was mit den von Österreich-Ungarns übernommenen Gebieten geschehen solle, gar nicht vorbereitet. 2 Es galt also, gegenüber den neuen Staaten und überhaupt zum ganzen Donauraum eine politische Linie zu finden, die den Interessen Italiens am besten entsprach. Es herrschte aber nur ein partielles Einverständnis darüber, worin diese Interessen lagen. Zwei Linien lassen sich feststellen, eine nationalistische und eine mehr demokratische. Die nationalistische Richtung forderte, dass Italien als nächstliegende Großmacht im Donau-Balkan-Raum eine Vormachtstellung aufbauen, das Machtvakuum selbst ausfüllen müsse. Da diese Stoßrichtung durch den neugegründeten Staat der Serben, Kroaten und Slowenen besonders behindert wurde, der noch dazu Gebiete umfasste, in denen Italiener lebten, wurde der Antislawismus zu einem wichtigen Element dieser außenpolitischen Richtung. Sie wandte sich nicht nur gegen den südslawischen Staat, dessen Einkreisung sie betrieb, sondern auch gegen die Tschechoslowakei. Dagegen war Ungarn aufgrund seiner Geschichte und der großen Gebietsverluste an diese beiden slawischen Staaten ein natürlicher Verbündeter Italiens. Österreich war für die Nationalisten in doppelter Hinsicht von Bedeutung. Einerseits war es ein Teil des Ringes um Jugoslawien und insbesondere die einzige Verbindung zu Ungarn. Andererseits trennte Österreich die Tschechoslowakei von Jugoslawien. Dazu kam noch die strategische Bedeutung Kärntens als Aufmarschbasis im Falle eines kriegerischen Zusammenstoßes zwischen Italien und Jugoslawien. Ziel der nationalistischen außenpolitischen Richtung war es daher, in Österreich Einfluss zu gewinnen und es an Italien zu binden. Das größte Hindernis dabei war die wirtschaftliche Schwäche Italiens, die eine massive finanzielle Unterstützung Österreichs nicht ermöglichte, während Österreich gerade finanzielle Hilfe benötigt hätte. Gegen diese Konfrontationspolitik stellten Demokraten und Sozialisten die Forderung nach einer Verständigungspolitik, vor allem auch gegenüber Deutschland. Sie wurde von den Nationalisten als Verzichtpolitik (politica di rinuncia) denunziert. In der Frage der Grenzziehung zu Jugoslawien wünschten die Demokraten und Sozialisten einen Kompromiss. In einer dauernden,

quanto vaste materialmente e sentimentalmente splendide siano le nostre conquiste di territorio patrio verso l’Alpi e l’Adriatico, il significato di questo risultato positivo diviene quasi episodico in paragone al risultato negativo che conseguimmo annichilando, come a nessun altro belligerante riuscì, il nemico ereditario della nostra nazione.«, zit. nach Curato, La conferenza della pace 2, 496. 2 Vgl. Corsini, Italien und das Ende des Habsburger Reichs.

251

252

Die Beziehungen zwischen Österreich und Italien

soliden Freundschaft zwischen Italien und Jugoslawien sahen sie nicht nur die Voraussetzung für den Frieden und für die Verhinderung einer Restauration der Habsburger, sondern auch die einzige Möglichkeit einer italienischen Wirtschaftsexpansion im Balkan. Für diese u. a. von Francesco Saverio Nitti, Giovanni Giolitti und von Außenminister Carlo Sforza vertretene Richtung, die vom Sommer 1919 bis zum Sommer 1921 die offizielle Außenpolitik bestimmte, war Österreich von geringerer Bedeutung. Ihr Ziel war es nicht, in Österreich einen Einfluss in imperialistischem Sinne zu gewinnen. Sie war an guten Beziehungen zu Wien nicht mehr und nicht weniger interessiert als an solchen zu Belgrad und Prag. Die Republik Österreich, wie der offizielle Name seit dem Friedensvertrag lautete, war aus dem Zusammenbruch der Monarchie als einer der Nachfolgestaaten hervorgegangen. Es war die Aufgabe seiner Außenpolitik, die Beziehungen vor allem zu den anderen Nachfolgestaaten wie zu allen Nachbarstaaten aufzunehmen, um die schweren Probleme lösen zu können, die auf ihm lasteten. Zu den vielen Nachkriegsschwierigkeiten und den Verpflichtungen aus dem Friedensvertrag trat als gravierendstes Problem die strukturelle Schwäche Österreichs, die durch die Zerreißung der alten Wirtschaftseinheit und durch die wirtschaftliche Absperrung der Nachfolgestaaten entstanden war. Österreich war volkswirtschaftlich ein Torso und zunächst nicht ohne auswärtige Hilfe lebensfähig. Die Landwirtschaft konnte die Einwohner nicht ernähren, Gewerbe und Industrie konnten wegen Mangel an Rohstoffen und strukturellen Schwächen die Einwohner nicht versorgen. Die Erfordernisse der Stunde waren Lebensmittel- und Rohstofflieferungen, Kredite, Öffnung der Grenzen. Gebot der Stunde war aber auch die Festigung der Republik, der von vielen Seiten Gefahren drohten: Restauration der Habsburger, Bolschewismus, Länderpartikularismus. Schließlich war die definitive Abgrenzung des Staatsgebietes in Kärnten und gegen Ungarn zu vollziehen. Die meisten Österreicher sahen im Anschluss an die Republik von Weimar eine Lösung aller dieser Fragen. Der Anschluss war aber von den Siegern verboten worden, und Österreich musste seine Politik nach Saint Germain ausrichten, wie es der Staatskanzler Karl Renner formulierte. 3 Der Friedensvertrag und die ökonomischen Abhängigkeiten waren der unüberschreitbare Rahmen für das außenpolitische Aktionsfeld Österreichs. Italien war dabei aus verschiedenen Gründen wichtig. Als Siegermacht und Mitglied der Entente hatte es in deren Gremien Sitz und Stimme. Italien war die benachbarte Großmacht, die am Donauraum interessiert war. Italien war 3 Renner, Österreich von der ersten zur zweiten Republik 31. Zur Lage der jungen Republik vgl. z. B. Konrad – Maderthaner, Der Werden der Ersten Republik.

Beginn der Zusammenarbeit

und wurde schließlich einer der wichtigsten Handelspartner Österreichs. Dies vor allem aus zwei Gründen. Erstens war Österreich stark von Importen abhängig, sowohl von Lebensmitteln als auch von Rohstoffen und Kohle, und musste daher alles tun, um seinen Export zu fördern. Zweitens ergänzten sich die Volkswirtschaften auf natürliche Weise. Österreich hatte vor allem Holzund Papierwaren anzubieten, ferner Eisenwaren, während Italien Lebensmittel (Kartoffeln, Mehl, Reis, Obst, Gemüse) exportierte. Österreich erzielte im Handel mit Italien sogar einen Exportüberschuss. 4 1922 exportierte Österreich nach Italien Waren in Wert von 113 Millionen Goldkronen oder 10,2 % des Ausfuhrvolumens, während es nur um 88 Millionen Goldkronen aus Italien importierte, das waren 5,1 % des Importvolumens. Dieses Verhältnis blieb auch in den folgenden Jahren im Wesentlichen unverändert. Italien nahm unter den Handelspartnern Österreichs, nach Deutschland und den eigentlichen Nachfolgestaaten, den fünften Platz ein. Aus allen diesen Gründen war es für die österreichischen Regierungen selbstverständlich, gute Kontakte zu Italien zu pflegen, und wenn es auch Meinungsunterschiede darüber gab, ob man in Paris, Prag oder Rom mehr Hilfe finden würde, so haben doch alle österreichischen Regierungen in allen Fragen, welche die Außenpolitik berührten, die Unterstützung Italiens gesucht. Ausgehend von diesen Prämissen soll die Entwicklung der Beziehungen anhand der wichtigsten Ereignisse besprochen werden, die in der kurzen Zeit vom Friedensvertrag bis zur Machtergreifung des Faschismus zwischen Italien und Österreich zu verzeichnen sind. 5

14.2 Beginn der Zusammenarbeit Das gegenseitige Interesse wird am besten dokumentiert durch die Tatsache, dass bereits ein halbes Jahr nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Saint Germain der österreichische Regierungschef Karl Renner auf Einladung des italienischen Ministerpräsidenten Francesco Saverio Nitti zu einem offiziellen Besuch nach Rom fuhr. Zuerst war Pfingsten 1920 als Termin für den 4 Die folgenden Daten sind aus Der Aussenhandel Österreichs in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, bearbeitet vom österreichischen Statistischen Zentralamt (Wien 1946). 5 Dem Folgenden liegt zugrunde Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg. Siehe dazu auch Lindeck-Pozza, Vom Vertrag von Saint Germain bis zur Machtergreifung des Faschismus; Mosca, Österreich und die italienische Außenpolitik; neuerdings Monzali, Cancellare secolari fraintendimenti. Siehe weiters die Beiträge in Guiotto–Wohnout, Italien und Österreich im Mitteleuropa der Zwischenkriegszeit. Zum Friedensvertrag selbst neuerdings Gehler u. a., Der Vertrag von Saint Germain.

253

254

Die Beziehungen zwischen Österreich und Italien

Besuch vorgesehen, aber auf Drängen Nittis war die Reise auf Ostern vorgezogen worden. Kurz nach Ostern sollte nämlich in San Remo eine Konferenz der Entente stattfinden, und Nitti wollte für seine Politik der Versöhnung, die er im Gegensatz zu Frankreich betrieb, ein Beispiel setzen. 6 Durch diesen Besuch wurde das Gespräch zwischen Österreich und Italien auf breiter Ebene aufgenommen. Die italienische Regierung erklärte sich zu verschiedenen finanziellen Hilfsmaßnahmen bereit. Zur Erleichterung des Handels wurde beschlossen, den Handelsvertrag zwischen Österreich-Ungarn und Italien von 1906 teilweise wieder in Kraft zu setzen. Das bedeutete eine Revision des Friedensvertrages zugunsten Österreichs, weil dadurch die Rechte, die der Friedensvertrag einseitig den italienischen Staatsbürgern und dem italienischen Handel einräumte, auch dem österreichischen Handel gewährt wurden. Schließlich wurde ein Geheimabkommen geschlossen, das sogenannte RennerNitti-Abkommen vom 12. April 1920. 7 Es war kein formvollendeter Vertrag, eher ein Protokoll der Gespräche, und bestand aus 15 kurzen Absätzen. Italien erklärte, die Integrität der österreichischen Grenzen schützen zu wollen, während Österreich die Verpflichtung aussprach, sich an keiner politischen Formation zu beteiligen, die der untergegangenen Monarchie gleich oder ähnlich war. Außerdem verpflichtete sich die österreichische Regierung, die italienische Regierung über alle politischen und wirtschaftlichen Verhandlungen mit dritten Staaten am Laufenden zu halten. Diese politischen Punkte waren nicht unproblematisch. Wenn man sie in ihrem reinen Wortlaut betrachtet, könnte man eine massive Beeinflussung Österreichs durch Italien im Sinne der nationalistischen Richtung der italienischen Außenpolitik herauslesen. Man würde damit dem Abkommen nicht gerecht, vielmehr sind die Umstände der Reise, vor allem ihr positiver Gesamtcharakter, und die Absichten der handelnden Personen zu berücksichtigen. Der Verzicht Österreichs auf die Habsburgerrestauration, aber auch auf ähnliche Gebilde, wie z. B. eine Donaukonföderation, war für Karl Renner kein schwerwiegendes Zugeständnis, war doch der Anschluss das Ziel, dessen Verwirklichung er im Rahmen des Völkerbundes anstrebte. Renner sondierte diesbezüglich bei Nitti, der aus Rücksicht auf die Entente nicht darauf eingehen wollte und den guten Rat erteilte, nichts zu überstürzen, da gerade dies der Sache des Anschlusses am meisten schaden würde. 8 Der Verzicht auf eine Donaukonföderation ist auch nicht so zu verstehen, dass Italien die Zu-

6 Nitti hat seine Vorstellungen wiederholt publiziert, z. B. Nitti, Das friedlose Europa; Nitti, Der Friede; Nitti, der Niedergang Europas. 7 Gedruckt in Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 37 f. und 171–173; ADÖ 3, Nr. 438 A. 8 Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 40; HHStA, Neues Politisches Archiv,

Unterstützung in der Burgenlandfrage

sammenarbeit Österreichs mit den anderen Nachfolgestaaten verhindern wollte (die Kleine Entente gab es noch gar nicht). Gerade Carlo Sforza, der als Staatssekretär im italienischen Außenministerium maßgeblich am Abkommen vom 12. April 1920 beteiligt war, ist immer für diese Zusammenarbeit eingetreten. Man hatte vielmehr tatsächlich die Restauration des alten Regimes im Auge, nicht ohne Grund, wie die Expeditionen des Exkaisers Karl im folgenden Jahr bewiesen. Die andere Verpflichtung Österreichs, laufende Verhandlungen der italienischen Regierung mitzuteilen, ist am meisten geeignet, das Abkommen als Ausdruck einer imperialistischen Haltung zu interpretieren. Renner scheint nicht befürchtet zu haben, dass Italien diese Klausel missbrauchen könnte. Wie immer man diese Absätze des Renner-Nitti-Abkommens interpretiert, das Abkommen selbst kann nicht aus seinem Kontext, dem Rombesuch Renners, gelöst werden. Dieser verlief bewusst in einem Klima der Versöhnung und positiven Zusammenarbeit. Wenn man an das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland zur selben Zeit denkt, wird der tiefgreifende Unterschied deutlich. Südtirol wurde übrigens im Abkommen nicht erwähnt, doch erklärte Nitti im Gespräch von sich aus, dass er die Absicht habe, in Südtirol eine autonome Verwaltung einzurichten, eine Erklärung, die zweifellos ernst gemeint war und die Renner natürlich nicht für sich behielt. 9 Seinem ganzen Charakter nach ist das Abkommen der demokratischen Richtung der italienischen Außenpolitik zuzuordnen. 10

14.3 Unterstützung in der Burgenlandfrage Das nächste außergewöhnliche Ereignis war die Burgenlandkrise im Herbst 1921, die schließlich durch italienische Vermittlung gelöst wurde (Protokoll von Venedig vom 13. Oktober 1921). 11 Im Friedensvertrag von Saint Germain waren die überwiegend von Deutschen besiedelten Teile Westungarns Österreich

Karton 476 geheim, »Zusammenfassung des Gesprächs vom 8. und 10. April 1920 zwischen Ministerpräsident Nitti und Staatskanzler Renner«; ADÖ 3, Nr. 438. 9 Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 40 f. 10 Zur Romreise Renners und zum Abkommen Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 31–45; Monzali, Cancellare secolari fraintendimenti 333–339. 11 Siehe dazu Lindeck-Pozza, Zur Vorgeschichte des Venediger Protokolls; Lindeck-Pozza, Die Burgenlandfrage in der italienischen Außenpolitik; Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 67–88; Malfèr, Venediger Protokoll; Malfèr, Der Weg zur Ödenburger Volksabstimmung; Monzali, Cancellare secolari fraintendimenti 347–351; Text des Venediger Protokolls: BGBL. Nr. 34/1922; Hochenbichler, Republik im Schatten der Monarchie 22–24; ADÖ 4, Nr. 585.

255

256

Die Beziehungen zwischen Österreich und Italien

zugesprochen worden. Ungarn stellte sich mit allen Mitteln diesem weiteren Gebietsverlust entgegen. Ende August 1921 trat die westungarische Frage in ein akutes Stadium. Nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Trianon am 16. Juli 1921 setzte die Entente den 27. August 1921 als Übergabetermin fest. Da aber Verhandlungen bis dahin zu keiner Einigung zwischen Österreich und Ungarn führten, widersetzte sich Ungarn gewaltsam der Übergabe des Burgenlandes an Österreich. Im September und Oktober 1921 beherrschten ungarische Freischärlerbanden unter kriegsähnlichen Zuständen das Land. Es stellte sich bald heraus, dass diese kriegsähnliche Situation für Österreich und für Ungarn unhaltbar wurde. Es erwies sich auch, dass die Entente nicht bereit war, Ungarn zur vertragsmäßigen Übergabe des Landes zu zwingen und Österreich zu seinem Recht zu verhelfen, sondern eine Verständigung befürwortete. Unter der Vermittlung des inzwischen zum italienischen Außenminister avancierten Wiener Gesandten Torretta wurde am 13. Oktober 1921 das sogenannte Venediger Protokoll unterzeichnet. Österreich ließ in Ödenburg, der Hauptstadt des Gebietes, und seiner Umgebung eine Volksabstimmung zu, während sich Ungarn bereit erklärte, für die Beseitigung der Banden und für die tatsächliche Übergabe des restlichen Landes zu sorgen. Bei der Volksabstimmung, die am 12.–14. Dezember 1921 stattfand, kam es zu Unregelmäßigkeiten, sodass sich eine Mehrheit für den Verbleib Ödenburgs bei Ungarn ergab. In Österreich war man lange der Meinung, man habe nur auf italienischen Druck hin auf die natürliche Hauptstadt des Gebietes verzichten müssen. Eingehende Studien und neue Quellen haben gezeigt, dass dies nicht zutrifft. 12 Entscheidend war erstens die machtpolitische Situation. Da Österreich selbst nicht über die militärische Stärke zur Besetzung des Burgenlandes verfügte, die Entente nicht bereit war, militärisch einzugreifen, und eine Intervention der Tschechoslowakei auch in Österreich nicht erwünscht war, blieb nur ein Kompromiss übrig. Zweitens steht fest, dass die maßgebenden Politiker in Österreich diese Situation erfasst und ihre Zustimmung zu dem Kompromiss gegeben haben. Dies geht eindeutig aus den Protokollen des Ausschusses für Äußeres des österreichischen Nationalrates und aus den Sitzungsprotokollen der Parteigremien hervor. 13 Hätten sie einen anderen Weg gesehen, so hätten sie den Bundeskanzler Johann Schober, der über keine parlamentarische Mehrheit verfügte, jederzeit stürzen können.

12 Vgl. Lindeck-Pozza, Zur Vorgeschichte des Venediger Protokolls; Lindeck-Pozza, Die Burgenlandfrage in der italienischen Außenpolitik; Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 67–88; Malfèr, Venediger Protokoll; Malfèr, Der Weg zur Ödenburger Volksabstimmung. 13 Ebd.

Unterstützung in der Burgenlandfrage

Der italienische Außenminister Torretta lud die streitenden Parteien erst dann nach Venedig ein, als er ihrer Kompromissbereitschaft sicher war. Dass das Verhalten Italiens korrekt war, sagt noch nichts über Torrettas politische Motive aus. Er war von 1919 bis zu seiner Berufung zum Außenminister im Juli 1921 italienischer Botschafter in Wien gewesen und hatte die österreichischen Probleme und auch den österreichischen Rechtsstandpunkt in der Burgenlandfrage gut kennengelernt. Obwohl er von der liberalen Richtung kam, 14 neigte er der antislawischen, nationalistischen Richtung der italienischen Außenpolitik zu. Er war überzeugt, dass eine Verständigung zwischen den Parteien notwendig war. Wollte Italien eine aktive Donauraumpolitik betreiben, eine Ordnungsmacht sein und nicht das Feld der slawisch-französischen Kleinen Entente überlassen, so musste zwischen Österreich und Ungarn ein Kompromiss gefunden werden. Die Vermittlungsaktion, die einen nicht ungefährlichen Spannungsherd beseitigte, nützte also seinen Zielen. Umso enttäuschter musste er sein, als der österreichische Bundeskanzler Schober unmittelbar nachher einen Staatsbesuch in Prag absolvierte und mit der Tschechoslowakei ein Freundschaftsbündnis schloss. 15 Der Vertrag, dessen Bestimmungen übrigens harmloser waren als die des Renner-Nitti-Abkommens, war die Gegenleistung Österreichs für einen Kredit von 500 Millionen tschechische Kronen. Dieser Kredit war für Österreich, dessen wirtschaftliche Lage immer noch besorgniserregend war, eine große Hilfe. Es zeigte sich wieder die grundsätzliche Schwäche der italienischen Österreichpolitik, dass sie nämlich auf politische Unterstützung beschränkt blieb, während Österreich gerade finanzielle Hilfe benötigte. Die Folge dieser österreichisch-tschechischen Aktion war eine mehrmonatige diplomatische Verstimmung Italiens und eine deutliche Abkühlung in den bilateralen Beziehungen. 16 Die italienische Vermittlung in der Burgenlandfrage diente also der guten Sache, ihre Motive gehören aber eindeutig der nationalistischen Politik an, die sich langfristig als verhängnisvoll erwies.

14 Monzali, Cancellare secolari fraintendimenti 334. 15 Vertrag vom 16. 12. 1921, BGBL. Nr. 173/1922; Hochenbichler, Republik im Schatten der Monarchie 93–96; ADÖ 4, Nr. 621. 16 Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 91–101; Monzali, Cancellare secolari fraintendimenti 351–354; ADÖ 4.

257

258

Die Beziehungen zwischen Österreich und Italien

14.4 Zollunion mit Italien oder Völkerbundanleihe? Ein drittes und vielleicht das aufsehenerregendste Ereignis war der Plan einer österreichisch-italienischen Zollunion, der im Sommer 1922 für kurze Zeit erwogen wurde. Ende Mai 1922 wurde Johann Schober durch den Prälaten Ignaz Seipel, den Führer der christlichsozialen Partei, als Bundeskanzler abgelöst. Ebenso wie Schober, aber am Ende erfolgreicher als dieser, setzte Seipel alles daran, die fortschreitende Inflation zu stoppen und die wirtschaftlich-finanzielle Lage Österreichs durch eine entscheidende Maßnahme zu sanieren. Es gab theoretisch mehrere Möglichkeiten, z. B. Hilfe durch die Entente oder den Völkerbund mittels eines großen Kredites als Voraussetzung für die Durchführung des Sanierungsplanes; Anschluss an Deutschland; massive Anlehnung an die Tschechoslowakei oder an Italien. Von diesen Möglichkeiten war aus politischen Gründen bisher keine verwirklicht worden. Es fehlte überall die Einsicht oder der politische Wille zu tatsächlicher Hilfe. Seipels Leistung bestand darin, dass er die verschiedenen einander ausschließenden Wege als wirklich gangbar darstellte und so die Großmächte veranlasste, endlich gemeinsam zu helfen, damit nicht ein ihren Interessen widersprechender Weg beschritten werde. Der sogenannte italienische Weg bestand in einem konkreten Offert einer Zollunion zwischen Österreich und Italien. Schon vier Wochen nach ihrem Amtsantritt unterbreitete die neue Österreichische Bundesregierung dem italienischen Gesandten in Wien zwei Vorschläge zu einer wirtschaftlichen Annäherung. Der erste Vorschlag sah eine Zoll- und Währungsunion vor, der zweite einen weitgehenden Handelsvertrag. In Rom war man erstaunt über das Angebot, vor allem über die Zollunion, gegen die man wirtschaftliche und politische Bedenken hegte. Der Generalsekretär im italienischen Außenministerium, Salvatore Contarini, nannte sie sogar eine »machine de guerre«. 17 Man einigte sich also vorerst darauf, einen Handelsvertrag vorzubereiten. Wenige Wochen später stand das österreichische Problem wieder einmal auf der Tagesordnung einer Ententekonferenz, und wieder endete die Konferenz ergebnislos, d. h. die Mächte erklärten sich nicht bereit, selbst den für die Sanierung erforderlichen Kredit zu gewähren oder wenigstens eine politische Garantie dafür zu übernehmen. Das Problem wurde dem Völkerbund zugewiesen. Davon versprach sich niemand einen Erfolg. Bundeskanzler Seipel beschritt nun den zweiten Weg, indem er die massive Anlehnung an einen der Nachbarstaaten durch seine berühmte Reise nach Prag, Berlin und Verona vorzubereiten begann. Dies bedeutete nichts weniger, als dass die bestehende politische Ordnung Zentraleuropas, wie sie in den Pariser Friedensverträgen 17 Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 107.

Zollunion mit Italien oder Völkerbundanleihe?

festgelegt war, in Frage gestellt wurde. In Verona, wo Seipel am 25. August 1922 mit dem italienischen Außenminister Carlo Schanzer zusammentraf, brachte er zum zweiten Mal die Idee der Zollunion ins Spiel. In Italien war mittlerweile ein Umschwung eingetreten. Hatte man im Juli noch den üblichen Handelsvertrag der problematischen Zollunion vorgezogen, so hatten nun die Befürworter einer Zollunion gegen die Skeptiker Oberhand gewonnen. Vor allem im Außenministerium hatte man den günstigen Augenblick erkannt. Die Furcht vor einer Zollunion war dem Verlangen nach ihren politischen Vorteilen gewichen. Durch Seipels Reise nach Prag stand die tschechoslowakische Lösung im Raum, die es abzuwenden galt. Contarini, der sich am meisten für die Zollunion einsetzte, schien der Moment auch insofern günstig, als England und Frankreich gerade selbst die Hilfeleistung abgelehnt hatten. Dies würde den Widerstand gegen eine Zollunion mit Italien schwächen. Vor allem aber bedeutete die Zollunion eine einmalige Chance, den dauernden Einfluss in Österreich zu sichern. Außenminister Schanzer selbst lehnte aber die Zollunion ab. Er befürwortete die Lösung der Frage durch den Völkerbund. Seipel gelang es in Verona im Verein mit den italienischen Befürwortern der Zollunion, zu folgendem Abschluss zu kommen: Der Plan einer Zollunion sollte im Detail von den Experten ausgearbeitet werden, und wenn der Völkerbund auf seiner Herbsttagung nicht die entscheidende Hilfe gewähren würde, sollte der Plan in die Tat umgesetzt werden. Die folgenden Wochen, in denen das Projekt unter starker Beachtung seitens der italienischen Öffentlichkeit ausgearbeitet wurde, bilden sicher einen Höhepunkt in der Intensitätskurve der österreichisch-italienischen Beziehungen. Aber gerade durch die Konkretheit des Planes wurde die Rivalität der anderen Mächte so sehr entfacht, dass es, entgegen allen Erwartungen, doch noch im Schoße des Völkerbundes zu einer Lösung kam, nämlich mit den sogenannten Genfer Protokollen vom 4. Oktober 1922. Dabei wurde der erforderliche Sanierungskredit in der Höhe von 650 Millionen Goldkronen gewährt, die sogenannte Genfer Anleihe. 18 Er war verbunden mit einer neuerlichen Bekräftigung der territorialen und politischen Unabhängigkeit Österreichs durch die Mächte und durch Österreich selbst. Die italienischen Befürworter der Zollunion waren enttäuscht, als sich im Lauf des Monats September 1922 diese Völkerbundlösung abzeichnete. Konsequent setzten sie nun alles daran, wenigstens innerhalb dieser Lösung eine privilegierte Stellung für Italien zu erringen. Die Geschichte dieser Verhandlungen ist dramatisch. Die italienischen Politi-

18 Ladner, Seipel als Überwinder des Staatskrise 134–160; Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 115–118; Monzali, Cancellare secolari fraintendimenti 354–361; Iber, »Rettungsschirm« für Österreich; ADÖ 4.

259

260

Die Beziehungen zwischen Österreich und Italien

ker spannten den Bogen so sehr, dass die Genfer Protokolle beinahe ganz ohne Mitwirkung Italiens abgeschlossen worden wären. Die Haltung Italiens in der Frage der Zollunion und bei den Genfer Verhandlungen ist gekennzeichnet durch ein deutliches Übergewicht jener Kräfte, die den italienischen Einfluss im Donauraum und in Österreich verstärken wollten. Zwar war das Angebot der Zollunion von Österreich gekommen. Aber die Motive derer, die dem Plan zustimmten, und vor allem die italienische Haltung in den Verhandlungen um die Genfer Protokolle sind der nationalimperialistischen Richtung zuzuordnen. Diese Richtung erhielt wenige Wochen später mit der Machtübernahme durch den Faschismus, dessen außenpolitische Konzeption stark von den nationalistischen Theoretikern beeinflusst war, eindeutig das Übergewicht.

14.5 Ergebnis und Ausblick Die drei Ereignisse, die hier kurz behandelt wurden, zählen zu den wichtigsten in den bilateralen Beziehungen dieser Jahre. Wenn man sie in eine Linie setzt, so ergibt sich für die italienische Österreichpolitik eine klare Entwicklung: Die liberal-demokratische Richtung in der italienischen Außenpolitik wurde durch die nationalimperialistische Richtung verdrängt. Dies verhinderte auf lange Sicht den Aufbau von bilateralen Beziehungen, die nicht nur korrekt, sondern positiv im Sinne von Partnerschaft waren. Vielmehr wurde Österreich in zunehmendem Maße zu einem Objekt der italienischen Außenpolitik, die nicht fragte, ob ihre Ziele den Interessen Österreichs entsprachen oder nicht. Von Nitti und Sforza über Torretta zu Mussolini: Die Nachkriegsentwicklung Italiens spiegelt sich auch in ihrer Außen- und Österreichpolitik wider. 19 In der österreichischen Politik ist auf den ersten Blick keine Entwicklung festzustellen. Immer wieder wurde die Unterstützung Italiens gesucht. So verschiedene Politiker wie Otto Bauer, Karl Renner, Johann Schober und Ignaz Seipel haben in gleichem Maße ihre Ziele zu verwirklichen gesucht, indem sie Rom in ihre Überlegungen einbezogen. Bei genauer Beobachtung ist dennoch eine Entwicklung zu sehen, und zwar zu größerer Distanz. Dies war eine Folge der Konsolidierung Österreichs, aber auch die Folge von Enttäuschungen. Konsolidierung: Die Bereinigung der Grenzprobleme Kärnten, Steiermark und Burgenland, die erfolgreiche Umstellung der Volkswirtschaft, schließlich die auf den Völkerbundkredit gestützte Sanierung führten dazu, dass die Be19 Vgl. Mosca, Österreich und die italienische Außenpolitik; Di Nolfo, Österreichisch-italienische Beziehungen; Monzali, Cancellare secolari fraintendimenti.

Ergebnis und Ausblick

deutung Italiens für Österreich abnahm. Enttäuschung: Gerade die zwiespältige Rolle Italiens beim Zustandekommen der Genfer Protokolle hatte befremdet. Die 1923 einsetzende faschistische Südtirolpolitik brachte eine deutliche Abkühlung des Verhältnisses mit sich. Der Hauptgrund für die distanziertere österreichische Haltung zu Italien in den 1920er Jahren war aber nicht Italien selbst, sondern der weitverbreitete Wunsch nach dem Anschluss an Deutschland. Die Überzeugung von der Lebensunfähigkeit Österreichs war ein starkes Hindernis für die Entfaltung partnerschaftlicher Beziehungen zu den anderen Nachbarstaaten. Dies sollte sich erst in den 1930er Jahren ändern, als in Österreich eine rechte Politik eingeschlagen wurde. Es begann mit dem Freundschaftsvertrag von 1930, den Bundeskanzler Schober mit Mussolini schloss, 20 und setzte sich fort in der Freundschaft zwischen Dollfuß und Mussolini und in den Römischen Protokollen vom 17. März 1934, dann im Bemühen Schuschniggs um Unterstützung durch Mussolini. 21 Diese »Freundschaften« waren freilich »auf Sand gebaut«. 22 Sie konnten den Anschluss 1938 nicht verhindern. 23 Der Faschismus untergrub das österreichisch-italienisch Verhältnis nicht nur durch die Südtirolpolitik, sondern überhaupt durch seinen totalitären Charakter. 24 Von allem Anfang lehnten die österreichischen Sozialdemokraten dieses antidemokratische und antisozialistische Regime ab. Sie misstrauten daher auch der durch Sachzwänge herbeigeführten offiziellen österreichischen Politik der Zusammenarbeit mit Italien. Mit Recht, denn Mussolini gab sich mit wirtschaftlichem Einfluss und außenpolitischen Absprachen nicht zufrieden, sondern mischte sich auch in die österreichische Innenpolitik ein, indem er die autoritären Heimwehren förderte und auf Dollfuß Druck ausübte, die Sozialisten zu verbieten, die demokratische Verfassung aufzuheben und die Diktatur zu errichten. Die Folgen des Abessinienkrieges und Mussolinis Einschwenken auf die Bündnispolitik mit Hitler (Achse Berlin-Rom 1936, Stahlpakt 1939) führten zwangsläufig dazu, dass er die lange verteidigte Unabhängigkeit Österreichs aus seiner Prioritätenliste strich und 1938 dem Anschluss nicht mehr entgegentrat. 25 Eine weitere fatale Folge war das Optionsabkommen vom 21. Oktober 1939 zwischen

20 21 22 23

Zu Schober in dieser Zeit Hubert, Johannes Schober; ADÖ 6 und 7. ADÖ 10. Neck, Der Vertrag von Saint Germain 156. Zu den Beziehungen zwischen Italien und Österreich in der 1930er Jahren siehe die Beiträge in Guiotto–Wohnout, Italien und Österreich im Mitteleuropa der Zwischenkriegszeit; Baier, Italiens Österreichpolitik. 24 So auch Monzali, Cancellare secolari fraintendimenti 362. 25 Ara, Die italienische Österreichpolitik 1936–1938; ADÖ 8 bis 12.

261

262

Die Beziehungen zwischen Österreich und Italien

Italien und Deutschland, das die Umsiedlung der deutschsprachigen Südtiroler ins Deutsche Reich, also eine ethnische Säuberung des Gebietes vorsah. 26 Wenn man den Blick weitet und die Jahre vom Friedensvertrag bis zur Machtergreifung durch den Faschismus in Beziehung setzt zur gesamten Geschichte des österreichisch-italienischen Verhältnisses im 19. und 20. Jahrhundert, so kann man sagen, dass es nach dem Ersten Weltkrieg trotz eines guten Anfangs und trotz vollkommen veränderter Umstände nicht gelungen ist, die österreichisch-italienischen Beziehungen aus jener Ambivalenz herauszuführen, die ihr Kennzeichen im 19. Jahrhundert gewesen war – zuerst Kriege, dann jahrzehntelanges Bündnis im Dreibund, aber dennoch Irredentismus, Präventivkriegspläne, latente Erbfeindschaft. Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden neue Elemente möglicher und tatsächlicher Spannungen, verursacht durch den italienischen Imperialismus, die österreichischen Anschlussbestrebungen, die italienische Angst um die Brennergrenze, die faschistische Entnationalisierungspolitik in Südtirol, aber auch durch den in Österreich nie aufgegebenen Wunsch nach der Rückführung Südtirols. Vor allem das Südtirolproblem hat – trotz des Pariser Vertrags von 1946 und der Autonomie von 1948 – die österreichisch-italienischen Beziehungen am nachhaltigsten belastet. Vergleicht man die politische Lage Italiens und Österreichs zwischen den beiden Weltkriegen, so kann man, geometrische Bilder heranziehend, einander überkreuzende, hyperbelartige und parallele Linien und Kurven erkennen. Überkreuzende Linien ergeben sich aus dem Gesichtspunkt der außenpolitischen Stellung und Macht des Staates. Italien befand sich in einer aufsteigenden Linie. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ins Konzert der europäischen Staaten eingetreten, zählte es nun zu den Siegermächten, erzielte Territorialgewinne und unter dem imperialen Anspruch des Faschismus sogar Kolonien, und konnte in der Münchner Konferenz von 1939 gar die Rolle eines europäischen Friedensstifters spielen. Österreich musste sich dagegen nicht nur von der Großmachtstellung verabschieden und schrumpfte zu einem Kleinstaat, sondern wurde nach zwei Jahrzehnten sogar noch das Opfer der Schwäche im Innern und der Begehrlichkeit von außen und hörte auf zu existieren. Eine Hyperbel ergeben die Beziehungen zwischen Italien und Österreich. Ausgehend von den entferntesten Punkten der kriegerischen Auseinandersetzung bewegten sie sich aufeinander zu und gelangten zu einer demokratischen Annäherung in den frühen Zwanzigerjahren, der eine ideologisch begründete Annäherung unter autoritärem Vorzeichen in den Dreißigerjahren folgte. Auf dem Scheitelpunkt ereignete sich die Umkehr: Die Selbstaufgabe Österreichs

26 Vgl. Kap. 13: »Österreich und die Abtretung Südtirols. Vier Bilder«, vierter Abschnitt.

Ergebnis und Ausblick

unter dem nationalsozialistischen Druck und das Fallenlassen Österreichs durch Mussolini brachten Österreich und Italien wieder denkbar weit auseinander. Parallelen sehen wir dagegen im Innern der Staaten und in ihren Gesellschaften. Schwere ökonomische und politische Krisen erschütterten beide Länder und erzeugten Massenaufmärsche, Militarisierung, Gewaltbereitschaft, Terroraktionen. Nahtlos ging es von Krieg zu Krieg. Der Ruf nach dem starken Mann und nach einfachen, eindeutigen Lösungen erscholl da wie dort. Unter diesem Ansturm brach die Demokratie zusammen, zuerst in Italien, zehn Jahre später auch in Österreich. Sie begrub unter sich die Menschenrechte und die Freiheit. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg war eine gewisse Chance vorhanden, zu spannungsfreien Beziehungen zwischen Österreich und Italien zu kommen. Offensichtlich war aber die Zeit noch nicht reif, um jenseits aller Nationalismen und Imperialismen zu jener Form der Nachbarschaft in Europa zu finden, wie sie heute selbstverständlich geworden ist. Nach den bitteren Jahren des Zweiten Weltkriegs waren übrigens zwei Politiker in Italien und in Österreich maßgeblich an der Wiedererrichtung der Demokratie beteiligt, die beide Abgeordnete zum Reichsrat der alten Habsburgermonarchie gewesen waren: der Sozialdemokrat Karl Renner in Österreich, Staatskanzler von 1918 bis 1920 und von April bis Dezember 1945, dann fünf Jahre lang Bundespräsident, und der Christdemokrat Alcide De Gasperi in Italien, Ministerpräsident von Dezember 1945 bis 1953. Karl Renner war Mitglied des cisleithanischen Abgeordnetenhauses von 1907 bis 1918, Alcide De Gasperi von 1911 bis 1918 gewesen. 27 Dass beide die Anfänge ihrer politischen Karriere in Wien gemacht und beide in der 12. und letzten Legislaturperiode Abgeordnete im Haus am Ring waren, ist wie ein ferner Widerschein der 1918 untergegangenen Habsburgermonarchie.

27 Vgl. https://www.parlament.gv.at/WWER/PARL/J1848/Renner.shtml und https://www.parlament.gv.at/WWER/PARL/J1848/Degasperi.shtml (zuletzt abgerufen 5. 2. 2020). Zu De Gasperi Guiotto, La formazione politico-culturale di Alcide De Gasperi.

263

15. Ein österreichisch-italienischer Zwischenfall 1925 ausgelöst durch eine Rede Wilhelm Ellenbogens gegen Mussolini

15.1 Österreichische Reaktionen auf die Machtergreifung durch den Faschismus in Italien Während die bürgerlichen Parteien in Österreich in der Beurteilung Mussolinis und des Faschismus nach dem Marsch auf Rom eine abwartende Haltung einnahmen, die sich später in Zustimmung und Ablehnung verschiedenen Grades auffächerte, bezog die österreichische Sozialdemokratie von allem Anfang an eine entschieden antifaschistische Position. 1 In der »Arbeiter-Zeitung« berichtete in diesem Sinn die Italienkorrespondentin Oda Olberg-Lerda. In der sozialistischen Zeitschrift »Der Kampf« erschien im Novemberheft 1922 ein Artikel von Julius Braunthal, worin der Faschismus, »die militärisch-gewalttätige Form der Konterrevolution« 2, als internationale Gefahr beurteilt wurde. Auf dem Gründungskongress der Sozialistischen Arbeiter-Internationale im Mai 1923 in Hamburg sprach Otto Bauer von einer Bedrohung des Proletariats in der ganzen Welt durch den Faschismus. 3 Ebenfalls 1923 kamen im sozialistischen Verlag der Wiener Volksbuchhandlung zwei antifaschistische Broschüren heraus. 4 Eine von ihnen hatte Dr. Wilhelm Ellenbogen verfasst. 5 Ellenbogen

1 Eine ausführliche Zusammenstellung der Beurteilungen des Faschismus seitens der österreichischen Sozialdemokratie bietet die Arbeit von Wunderer, Der italienische Faschismus in der Analyse der österreichischen sozialdemokratischen Partei. 2 Braunthal, Der Putsch der Faschisten. 3 Wunderer, Der italienische Faschismus 241. 4 Deutsch, Die Faschistengefahr; Ellenbogen, Faschismus! Das faschistische Italien. 5 Wilhelm Ellenbogen, geboren 1863 in Lundenburg (Bˇreclav), studierte an der Universität Wien, wo er zum Doktor der Medizin promoviert wurde. 1888 stieß er zur Arbeiterbewegung und wurde Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs. Bereits 1892 wurde er in die Parteileitung gewählt, der er bis zum Verbot der Partei 1934 angehörte. Von 1901 bis 1934 war er Abgeordneter im österreichischen Reichsrat bzw. im österreichischen Nationalrat. Ellenbogen war einer der verdienstvollsten Führer der alten österreichischen Sozialdemokratie an der Seite Viktor Adlers. Er gehörte auch in der Ersten Republik Österreich zu den außerordentlichen Persönlichkeiten der Partei, die ihn mehrmals in Staatsämter entsandte. Sein Einfluss war allerdings aufgrund seiner innerparteilichen Position auf dem rechten Parteiflügel geringer. Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland durch Hitler 1938 emigrierte Ellenbogen nach Amerika, wo er in New York 1951 starb. Zu Ellenbogen siehe Leser, Werk und Widerhall.

Der Sozialdemokrat Wilhelm Ellenbogen contra Mussolini

blieb in den folgenden Jahren der erbittertste Ankläger Mussolinis und seines Regimes, wobei er immer auch die Gefahr des Übergreifens des Faschismus auf andere Länder betonte. 6 Die ideologischen Voraussetzungen für diese Haltung der Sozialdemokraten sind nicht das Thema dieses Beitrages. Bei Ellenbogen kommen aber noch Motive biographischer Natur hinzu, da er seit langem gute Beziehungen zu italienischen Sozialisten unterhielt. Ein äußerer Höhepunkt seiner Kampagne gegen Mussolini war eine Rede im österreichischen Nationalrat am 1. Oktober 1925, die zu einem diplomatischen Zwischenfall zwischen Österreich und Italien führte. Wirtschaftliche Zwänge und politische Rücksichten spielten bei diesem Fall ebenso eine Rolle wie Großmachtwillkür, persönliche Ambitionen und innenpolitische Kämpfe. Zwar wurde der Fall selbst schnell bereinigt und blieb ohne Folgen, doch sind die Umstände symptomatisch für das österreichisch-italienische Verhältnis der Zwanzigerjahre. Im Folgenden sollen Entstehung, Verlauf und Lösung des Falles skizziert werden.

15.2 Der Sozialdemokrat Wilhelm Ellenbogen contra Mussolini Ellenbogen, der Italienisch sprach, war in der Partei der Kontaktmann zu den italienischen Sozialisten. Ab dem dritten Kongress der Zweiten Internationale in Zürich 1893 unterhielt er einen regen Briefwechsel mit italienischen sozialistischen Politikern, von dem ein Teil erhalten ist. Ernesto Ragionieri hat die Briefe an Ellenbogen im Internationalen Institut für Soziale Geschichte in Amsterdam entdeckt und mehrfach verwertet. 7 Es handelt sich um 31 Briefe und Postkarten Antonio Labriolas zwischen 1893 und 1899, vier Briefe Filippo Turatis aus 1895, zwei Briefe Bissolatis aus 1897 und 1898 und einzelne Briefe von Andrea Costa, Enrico Ferri, Andrea Schiavi und Luigi Mondini. 8 Der Briefwechsel wurde auch in den folgend Jahren fortgesetzt, doch dürfte davon nichts erhalten sein. 9 Dasselbe gilt für die Briefe Ellenbogens an die

6 7 8 9

Große Gestalten 130–145; Riesinger, Leben und Werk. Ein kurzer Auszug aus Ellenbogens im Archiv des Vereins für die Geschichte der Arbeiterbewegung in Wien liegenden Erinnerungen »Menschen und Prinzipien« ist gedruckt in Archiv. Mitteilungsblatt des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung 5 (1965) 83–93 (dabei auch biographische Skizze); der vollständige Text in Ellenbogen, Menschen und Prinzipien, hg. Friedrich Weissensteiner. Wunderer, Der italienische Faschismus 212–240. Ragionieri–Valiani, Socialdemocrazia austriaca e socialisti italiani; Ragionieri, Socialdemocrazia tedesca e socialisti italiani 339–344; Ragionieri, Italiani all’estero ed emigrazione. Ragionieri–Valiani, Socialdemocrazia austriaca e socialisti italiani 103, Anmerkungen 5–8. Nach Ellenbogen, Menschen und Prinzipien 144 ist der restliche Briefwechsel in den Umsturztagen des Februar 1934 verlorengegangen.

265

266

Ein österreichisch-italienischer Zwischenfall 1925

italienischen Kollegen. Aus den vorhandenen Briefen lassen sich aber Rückschlüsse auf Ellenbogen ziehen. Ton, Länge und Intensität der von Ragionieri zitierten Stellen werfen ein helles Licht auch auf den Empfänger. Eine Zeit lang war Ellenbogen Korrespondent des »Avanti«. 10 Es war ein äußeres Zeichen dieser engen Beziehungen, als Ellenbogen die Ehrenmitgliedschaft bei der Sozialistischen Partei Italiens verliehen wurde. 11 Er selbst schreibt in seinen Erinnerungen: Sehr herzliche freundschaftliche Beziehungen verbanden mich frühzeitig mit den italienischen Sozialisten [...]. Meine Freundschaft mit jenen hervorragenden Männern und meine Tätigkeit im Sinne eines friedlichen Verhältnisses zu Italien, [...] mein Kampf gegen die rückständigen Verwaltungszustände in den italienischen Provinzen Österreichs [...] bewirkte, dass ich als Zugehöriger zur italienischen sozialistischen Partei betrachtet wurde [...]. 12

Ein anderes Mal: »Auch im Kreise der reichsitalienischen Parteigenossen erfreute ich mich einer großen persönlichen Zuneigung. Nannte man die besten Namen des italienischen Sozialismus, konnte ich mit Stolz sagen, dass sie meine persönlichen Freunde waren.« 13 Dass Ellenbogen auch mit den italienischen Sozialisten in Österreich beste Kontakte pflog, ist selbstverständlich. Im Jahr 1902, nach den schweren Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Streik der Lloyd-Heizer und dem darauffolgenden Generalstreik in Triest – die Ordnungskräfte hatten Schießbefehl, es gab 14 Tote und 50 Verletzte – schrieb das Triestiner Blatt »Il Lavoratore« in Polemik gegen den italienischen Abgeordneten Attilio Hortis über Ellenbogen, der zur Vermittlung nach Triest gerufen worden war: »II nostro deputato è oggi il dott. Ellenbogen.« 14 An den beiden auf Initiative des Triestiner Sozialisten Valentino Pittoni zustande gekommenen Kongressen der österreichischen, ungarischen und italienischen Sozialisten 1905 und 1911 in Triest nahm Ellenbogen ebenfalls teil zusammen mit Viktor Adler, Engelbert Pernerstorfer (1905) bzw. mit Adler und Otto Bauer (1911). 15

10 11 12 13

Ragionieri–Valiani, Socialdemocrazia austriaca e socialisti italiani 103, Anm. 8. Ellenbogen, Menschen und Prinzipien 144. Ebd. Im Manuskript »Meine letzte Begegnung mit Mussolini«, Ragionieri–Valiani, Socialdemocrazia austriaca e socialisti italiani 105–110, hier 106. 14 Piemontese, Il movimento operaio a Trieste 128. 15 Ebd. 289–293; Ragionieri–Valiani, Socialdemocrazia austriaca e socialisti italiani 103 f.

Der Sozialdemokrat Wilhelm Ellenbogen contra Mussolini

Ellenbogen war also nicht nur ideologisch, sondern auch persönlich motiviert, seine italienischen Freunde im Kampf gegen den Faschismus zu unterstützen, und seine Leidenschaft in diesem Kampf wird verständlich. Dazu kam ein biographisches Argument. Die geschilderten Umstände hatten zu einem zwar nicht tiefen, aber doch direkten Kontakt mit Mussolini geführt, als dieser noch Sozialist war. Als ihm während seines Aufenthaltes in Trient 1909 die Ausweisung durch die österreichischen Behörden drohte, gelang es einer Intervention Pittonis und Ellenbogens, diese einmal aufzuschieben. 16 Zu einer ersten persönlichen Begegnung kam es auf dem italienischen Sozialistenkongress in Ancona im April 1914. 17 Die zweite und letzte persönliche Begegnung fand Ende August 1914 statt. Ellenbogen war auf die Bitte Viktor Adlers nach Mailand gefahren, um zu sondieren, was von der Einheit der Internationale noch zu retten sei, die infolge der österreichischen und deutschen Kriegserklärungen zerbrochen war. Diese Begegnung mit italienischen Sozialisten, darunter mit Mussolini, damals Chefredakteur des »Avanti«, hat Ellenbogen in einem Aufsatz unter dem Titel »Meine letzte Begegnung mit Mussolini« beschrieben. Ein Exemplar dieses Textes haben Ernesto Ragionieri und Leo Valiani im Archiv der Arbeiterbewegung in Stockholm gefunden und mit ausführlicher Einleitung 1961 publiziert. 18 Ellenbogen schreibt in seinen Erinnerungen: »Persönlich kenne ich Mussolini nur aus zwei Begegnungen. Aber aus einem eingehenden Studium seiner Reden, der zeitgenössischen politischen Literatur und u. a. aus einer Reihe von Briefen der hervorragendsten italienischen Sozialisten hat sich mir ein Bild von seiner Person geformt.« 19

16 Vgl. Ellenbogen Menschen und Prinzipien 102. Zum Aufenthalt Mussolinis in Trient siehe Kramer, Benito Mussolini in Trient; De Felice, Mussolini il rivoluzionario 62–78; in diesen Arbeiten ist nur von einer erfolglosen Intervention Adlers und Pittonis kurz vor der tatsächlichen Ausweisung die Rede; die betreffenden Akten des Innenministeriums in Wien im Allgemeinen Verwaltungsarchiv, die vielleicht einen Hinweis enthielten, wurden 1926 an Italien abgetreten; doch gibt es keinen Grund, an der Aussage Ellenbogens zu zweifeln. 17 Ellenbogen, Menschen und Prinzipien 113. 18 Ragionieri–Valiani, Socialdemocrazia austriaca e socialisti italiani 100–113. In Archiv. Mitteilungsblatt des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung 13 (1973) 74–77 ist dieser Text ebenfalls gedruckt. 19 Ellenbogen, Menschen und Prinzipien 113.

267

268

Ein österreichisch-italienischer Zwischenfall 1925

15.3 Der Zwischenfall Ellenbogen hat von 1923 an seine Kampagne gegen Mussolini und den Faschismus in Broschüren, Artikeln, Reden und bei jeder sich bietenden Gelegenheit geführt. Die eingangs erwähnte Rede am 1. Oktober 1925 war, so gesehen, nicht außergewöhnlich. Der Angriff, den er im Rahmen dieser Rede vortrug, ist um nichts härter oder leidenschaftlicher als andere vorher und nachher. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Thema der Wortmeldung und Mussolini bestand nicht. Es ging um die Beendigung der Finanzkontrolle Österreichs durch den Völkerbund. Um das Verhalten der österreichischen Regierung beim folgenden Zwischenfall zu verstehen, aber auch um die nicht alltägliche Bedeutung dieser Parlamentsdebatte vom 1. Oktober 1925 zu erfassen, muss kurz auf ihre Vorgeschichte eingegangen werden. Im zweiten der drei Genfer Protokolle vom 4. Oktober 1922 hatten die alliierten Siegermächte die Garantie für eine österreichische Anleihe von 650 Millionen Goldkronen übernommen. Diese Anleihe war die Voraussetzung, dass Österreich mittels eines Reform- und Sanierungsprogrammes seine durch die Inflation erschütterte Währung und den Staatskredit wiederherstellen konnte. Als Gegenleistung hatte sich Österreich verpflichten müssen, für zwanzig Jahre auf den Anschluss an die Weimarer Republik zu verzichten und die Verwendung der Anleihegelder der Kontrolle eines vom Völkerbund bestellten Generalkommissärs zu unterziehen. Die Sozialdemokratische Partei bekämpfte von allem Anfang an die Genfer Sanierung. Der damit verbundene Verzicht auf den Anschluss, die wirtschaftlichen Maßnahmen und die Tatsache der Kontrolle Österreichs durch ausländische Mächte und die »schrankenlose Herrschaft des Kapitals« 20 boten den Sozialdemokraten genügend Angriffspunkte, um die »Genferei« 21 mit harten Worten, allerdings nicht im selben Ausmaß auch mit Taten abzulehnen. Die Durchführung des Sanierungsplanes war im Sommer des Jahres 1925 weit fortgeschritten, die meisten Forderungen des zuständigen Völkerbundkomitees und damit der Garantiemächte waren erfüllt, und die österreichische Regierung – das seit Dezember 1924 im Amt befindliche Kabinett unter Bundeskanzler Rudolf Ramek – betrieb die rasche Aufhebung der Völkerbundkontrolle, gleichsam dem Symbol der Abhängigkeit Österreichs. Regierung und Öffentlichkeit sahen mit großen Erwartungen der Septembertagung des Völkerbundes in Genf entgegen. Umso bitterer war die Enttäuschung, als das Finanzkomitee des Völkerbundes die Aufhebung der Kontrolle an weitere Be20 Arbeiter-Zeitung v. 6. 12. 1922, 1, Artikel »Khakiwahlen der Genfer Sieger«. 21 Ebd.

Der Zwischenfall

dingungen knüpfte. Zwar sollte sie bei Vorliegen des Budgets für 1926 und des Jahresabschlusses für 1925 aufhören, doch wurde gleichzeitig die Empfehlung ausgesprochen, Österreich möge den Berater des Völkerbundes bei der österreichischen Nationalbank noch für drei Jahre im Amt belassen und zehn Jahre lang einer Wiederbelebung der Kontrolle zustimmen, falls das Budgetgleichgewicht ernstlich gefährdet sei. Es war allen klar, dass diese Empfehlungen Bedingungen darstellten. Die wirtschaftliche Lage Österreichs war den Experten und Bankleuten nicht vertrauenerweckend genug erschienen. 22 Nachdem Bundeskanzler Ramek und der Vorsitzende der Christlichsozialen Partei, Exbundeskanzler Ignaz Seipel, die Enttäuschung in den eigenen Reihen überwunden hatten und der Zustimmung der Großdeutschen Volkspartei sicher waren, legte die Regierung am 1. Oktober 1925 dem Nationalrat einen Antrag vor, wonach die Bedingungen angenommen werden sollten. Die Sozialdemokraten lehnten eine Mitwirkung entschieden ab. Hatten sie schon die Protokolle selbst verurteilt, so waren sie jetzt, genau drei Jahre später, nachdem Österreich durch die erfolgte Sanierung der Währung und das erzielte Gleichgewicht des Staatshaushaltes seine Vertrauenswürdigkeit unter Beweis gestellt hatte, noch weniger bereit, zehn Jahre lang das Damoklesschwert einer neuen Kontrolle hinzunehmen. Als erster Oppositionsredner in der spannungsgeladenen Sitzung vom 1. Oktober ergriff Wilhelm Ellenbogen das Wort. 23 Er wies auf die widersprüchliche Haltung des Völkerbundes hin. Obwohl Österreich alle Bedingungen erfüllt habe, wolle er dennoch nicht die Kontrolle aufheben und erfinde neue Auflagen. Dies sei ein unerhörter Rechtsbruch. Daraufhin versuchte der Redner, die Ursachen für das Vorgehen des Völkerbundes aufzuzeigen. Politische Interessen steckten dahinter. Der Völkerbund sei ein gefügiges Werkzeug für die Machtpolitik gewisser starker, militärisch außerordentlich gerüsteter Staaten. Damit waren, wie die Beispiele zeigten, Frankreich und Italien gemeint. Ellenbogen wandte sich nun besonders an die Großdeutsche Volkspartei und streifte die Haltung des Völkerbundes in der Frage des Saarreviers, bei der Abstimmung in Schlesien, in der Mossulangelegenheit. Bei dem nächsten Beispiel, fielen die Sätze, die der Anlass für eine diplomatische Demarche Italiens wurden. Er erinnerte an die von Mussolini ausgelöste Korfukrise und führte, darauf Bezug nehmend, wörtlich aus:

22 Zu dieser Phase der Sanierung Österreichs siehe Bosmans, Zimmerman als CommissarisGeneraal 247–260; Bosmans Innen- und außenpolitische Probleme; Bosmans Ausländische Präsenz in Österreich; siehe auch Piétri, La Société des Nations et la reconstruction financière de l’Autriche 145–193. 23 Stenographische Protokolle des Nationalrates der Republik Österreich, 2. Gesetzgebungsperiode, 114. Sitzung v. 1.10.1925, 2699–2702; ADÖ 5, Nr. 806.

269

270

Ein österreichisch-italienischer Zwischenfall 1925

Vor dem armseligen Mussolini hat sich der Völkerbund gefürchtet. Dieser Mann mordet nicht nur die Freiheit seines eigenen Volkes (Präsident [Wilhelm Miklas] gibt lebhaft das Glockenzeichen), der Mann raubt nicht nur den Deutschen in Südtirol ihr Recht auf Autonomie (Lebhafte Zustimmung – Präsident gibt neuerlich das Glockenzeichen), das ihnen im Vertrag von Versailles garantiert worden ist, der Mann wagt es auch, die Freiheit eines fremden Volkes anzutasten und Raub an seinem Gute zu begehen, und der Völkerbund wagt es nicht, diesem Räuber in den Arm zu fallen (Lebhafte Zustimmung und Händeklatschen). 24

Ellenbogen wurde vom Präsidenten unterbrochen: Herr Abgeordneter, ich bitte doch zu bedenken, dass wir über internationale Dinge verhandeln und bitte, gütigst solche auswärtige Angelegenheiten mit jener Reserve zu behandeln, die der Würde des österreichischen Parlaments und den internationalen Gepflogenheiten entspricht (Lebhafter Beifall und Händeklatschen – Zwischenrufe – Ruf Massenmörder !). 25

Ellenbogen beendete seine Rede, ohne auf Mussolini zurückzukommen. 26

15.4 Mussolinis Reaktion und Österreichs Antwort Bereits am nächsten Tag, dem 2. Oktober 1925, erschien der italienische Gesandte in Wien, Antonio Chiaramonte Bordonaro, beim Minister für auswärtige Angelegenheiten, Heinrich Mataja, und legte Verwahrung dagegen ein, dass die Angriffe Ellenbogens gegen den Chef der königlich italienischen Regierung nicht hinlänglich zurückgewiesen worden seien. Es geht weder aus den in den Documenti Diplomatici Italiani publizierten Aktenstücken zu dem Zwischenfall, 27 noch aus den Akten des österreichischen Außenministeriums 28 hervor, ob bereits diese erste Vorsprache auf Weisung Roms erfolgte oder eine Initiative des Gesandten Bordonaro war. Außenminister Mataja bedauerte den Zwischenfall, meinte aber, seinem persönlichen Eindruck nach sei die Zurückweisung durch 24 Ebd. 2701. 25 Ebd. 26 Im Verlauf der Sitzung kam es noch zu erregten Szenen, der Antrag der Regierung wurde aber am 14. 10. 1925 angenommen. Die Kontrolle des Völkerbundes endete am 1. 7. 1926. 27 DDI 7/4, Nr. 136, Nr. 140 und Nr. 143. 28 HHStA, Neues Politisches Archiv (weiterhin zit. als NPA.), Karton 660, Liasse Italien 1/49. Die im Folgenden unter NPA. zitierten Akten befinden sich, wenn keine andere Angabe steht, in dieser Liasse.

Mussolinis Reaktion und Österreichs Antwort

den Präsidenten des Nationalrates hinreichend gewesen, er selbst habe es nicht für zweckdienlich gehalten einzugreifen, weil sonst erst recht eine Italiendebatte eröffnet worden wäre. Um aber eine weitere Missstimmung der italienischen Regierung zu vermeiden, schickte er den Generalsekretär des Außenamtes, Sektionschef Franz Peter, in die italienische Gesandtschaft, um in offizieller Weise das Bedauern der österreichischen Regierung auszudrücken. 29 Damit war die Angelegenheit jedoch keineswegs beendet. Mussolini genügte diese zwar offizielle, aber wenig öffentlichkeitswirksame Geste Österreichs nicht. Er beauftragte den Gesandten, eine öffentliche und feierliche Genugtuung in der Form zu verlangen, dass in einer schriftlichen Note Matajas namens der österreichischen Regierung um Entschuldigung gebeten werde. Andernfalls werde der Zwischenfall ernsteste Folgen haben, den Abbruch der diplomatischen Beziehungen nicht ausgeschlossen. 30 Er begründete diese Forderung damit, dass er zwar als Bürger Mussolini darauf verzichten könne, sich mit den Beleidigungen des Herrn Ellenbogen zu befassen, nicht aber als Chef der italienischen Regierung. Das Telegramm an Bordonaro schließt mit dem Satz: »Geben Sie sehr scharf zu verstehen, dass die Zeiten, in denen es ungestraft erlaubt war, Italien, das italienische Volk und die italienische Regierung zu beleidigen, für immer vorbei sind.« 31 Dieses Telegramm trägt unzweideutig die Handschrift Mussolinis. Der österreichische Gesandte in Rom, Lothar Egger, wusste später zu berichten, dass alle den Zwischenfall betreffenden Stücke von Mussolini selbst erledigt und die Weisungen dem zuständigen Referat im Außenministerium nur zur Information übersandt worden waren. 32 Die Beamten im Palazzo Chigi waren mit der Vorgangsweise sicher nur teilweise einverstanden. Sie versuchten ohne Erfolg, mäßigend zu wirken, und mussten sich begnügen, dem österreichischen Gesandten gegenüber die Sache etwas herunterzuspielen. 33 Es ist nicht leicht, schlüssige Motive für die Überreaktion Mussolinis zu finden. Ein mögliches Motiv könnte die Absicht gewesen sein, angesichts der bevorstehenden wichtigen Konferenz von Locarno – sie wurde am 5. Oktober 1925 eröffnet und endete mit dem Abschluss des Locarno-Paktes am 16. Oktober 1925 – aus Prestigegründen keinerlei Angriffe auf seine Person hinzunehmen. Mehrere ähnliche

29 NPA. 15697/13 ex 1925. 30 DDI 7/IV, Nr. 136; NPA. 15697/13 und 15725/13 ex 1925. 31 Übersetzung S.M. Original: »Faccia nettissimamente intendere che epoca in cui era permesso impunemente insultare Italia, popolo e governo Italiano è tramontata per sempre.«, DDI 7/IV, Nr. 136. 32 Bericht Eggers aus Rom v. 16. 10. 1925, Nr. 98/Pol., NPA., Karton 79. 33 Dies geht aus vielen bei NPA., Liasse Italien 1/49, liegenden Stücken hervor.

271

272

Ein österreichisch-italienischer Zwischenfall 1925

Fälle zu dieser Zeit könnten auf solche Überlegungen zurückzuführen sein, z. B. das Gerücht eines Protestes bei der britischen Regierung, ein Protest bei der französischen Regierung, ein Protest, allerdings erst nach Beendigung der Konferenz, bei der belgischen Regierung. 34 Andererseits waren derartige Proteste stets Teil der Prestigepolitik Mussolinis. Den Beamten des italienischen Außenministeriums war das Vorgehen Mussolinis jedenfalls nicht ganz erklärlich, meldete Egger. 35 Als Begründung für die starke Gereiztheit wurde angegeben, dass er durch extrem italienfeindliche Reden und Kundgebungen in Tirol gegen die Entnationalisierungspolitik in Südtirol und durch einen Bericht italienischer Experten aus Wien über die Frage der Elektrifizierung der Bahnen bereits verärgert gewesen sei. Diesen flüchtig auftauchenden Motiven dürfte angesichts der raschen und vollständigen Bereinigung des Zwischenfalles kaum eine Bedeutung zukommen. Wichtiger erscheint das, was Mussolini dem österreichischen Gesandten gegenüber bei einer Audienz als einziges Motiv nannte: Die Sozialisten an den Pranger stellen. Es ist denkbar, dass Mussolini tatsächlich den ehemaligen Genossen treffen wollte, von dem er wusste, dass er mit italienischen Sozialisten Kontakt hatte und in Österreich am schärfsten gegen seine Person und sein Regime auftrat. Auf diese Audienz kommen wir noch zurück. Wie beantwortete Österreich die italienische Demarche? Mataja erklärte dem italienischen Geschäftsträger, Legationsrat Giacinto Auriti, der die Demarche vortrug, dass die österreichische Regierung bei der gegebenen internationalen Situation jeder Forderung Italiens nachkommen müsse. 36 An den Gesandten Egger schrieb er in einem Privatbrief: Bei dem gegenwärtigen diplomatischen Zwischenfall mit Italien ist mir natürlich nicht die Art der Lösung das wichtigste, sondern wir müssen unter allen Umständen erreichen, dass keine Verstimmung zurückbleibt. [...] Ich bin selbstverständlich bereit, jede Erklärung zu geben, die die italienische Regierung schließlich verlangt. 37

Diese völlige Kapitulation wird einigermaßen verständlich, wenn man die Situation in der Frage der Beendigung der Finanzkontrolle in Rechnung stellt. Die Regierung wollte nicht die Aufhebung der Kontrolle, die bei Annahme der vom Völkerbund gestellten Bedingungen doch sicher schien, wieder gefährden, indem man eine wie immer geartete Bitte Italiens ablehnte. Dasselbe

34 Bericht Eggers aus Rom v. 20. 10. 1925, Nr. 100/Pol., NPA., Karton 79; Neue Freie Presse v. 12. 10. 1925 (Abendblatt). 35 Bericht v. 16. 10. 1925, zit. Anm. 32. 36 NPA. 15697/13 ex 1925. 37 Brief Matajas an Egger v. 6.10.1925, NPA. ad 15760/13 ex 1925.

Mussolinis Reaktion und Österreichs Antwort

galt für wichtige wirtschaftspolitische Erleichterungen, die gleichzeitig mit der Kontrollfrage bei der Dezembertagung des Völkerbundes zur Sprache kommen sollten. Darüber hinaus betrieb Mataja eine betont italienfreundliche Politik, deren Trübung durch einen von der Opposition provozierten Zwischenfall eine persönliche Niederlage gewesen wäre. Das Verhältnis Matajas zur sozialdemokratischen Opposition war ohnehin schlecht genug. Er gehörte in seiner Partei seit jeher zu den entschiedensten Gegnern der Sozialdemokraten, die ihrerseits von tiefem Misstrauen gegen ihn erfüllt waren. 38 Einer der Gründe war seine zweideutige Haltung in der Anschlussfrage. In der Tat entwickelte sich Mataja von einem Befürworter des Anschlusses zu einem Verfechter der Selbständigkeit Österreichs. Die Ernennung Matajas zum Außenminister im Kabinett Ramek war eben wegen seines schlechten Verhältnisses zur Opposition auch in der Christlichsozialen Partei umstritten gewesen und letztlich von Seipel selbst durchgesetzt worden. Die Opposition arbeitete offen auf seinen Sturz hin. 39 Aus diesem Grund unternahm der Minister nach der grundsätzlichen Erklärung, jede Genugtuung leisten zu wollen, den Versuch, Mussolini von seiner Forderung abzubringen, indem er eindringlich darauf hinwies, dass die Sozialisten nur der Regierung Schwierigkeiten bereiten wollten. Die Annahme der italienischen Forderung werde die Regierung schwächen, das hieß, das Spiel der Sozialisten spielen. 40 Mussolini ließ lakonisch erwidern, die innenpolitischen Schwierigkeiten Matajas könne er nicht höher stellen als die verletzte Würde seines Landes. Als scheinbaren Kompromiss bot er an, auf die schriftliche Entschuldigung zu verzichten, wenn die Regierung innerhalb einer Woche in feierlicher und öffentlicher Weise vor dem Nationalrat oder dem Land eine Erklärung abgeben würde, die den bisherigen völligen Mangel einer Reaktion ihrerseits aufheben würde. 41 Mataja ging darauf nicht ein mit der Begründung, dass der Nationalrat innerhalb der Woche keine Plenarsitzungen abhalte, in Wirklichkeit aber wohl deshalb, weil eine solche Erklärung noch peinlicher gewesen wäre und im Nationalrat erst recht heftige Debatten ausgelöst hätte. Mataja zog es vor, gleich den Entwurf einer Entschuldigungsnote 38 Jelinek, Der politische Lebensweg Dr. Heinrich Matajas 11 f., 14, 44–46. 39 Ebd. 65 f. Kurz nachdem eine Äußerung Matajas über einen sozialdemokratischen Abgeordneten am 14. 10. 1925 im Nationalrat einen Tumult verursacht hatte, wie er in der Republik noch nicht vorgekommen war, wurde Mataja mit einem Bankskandal in Verbindung gebracht, und obwohl ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss keine strafrechtlich verfolgbaren Tatbestände fand, trat der Minister im Jänner 1926 von seinem Amt zurück, Jelinek, Der politische Lebensweg Dr. Heinrich Matajas 140–153; Ausch, Als die Banken fielen 192–196. 40 Unterredung Mataja – Auriti, DDI 7/4, Nr. 140; NPA. 15687/13 ex 1925. 41 DDI 7/IV, Nr. 133; NPA. 15760/13 und 15766/13 ex 1925.

273

274

Ein österreichisch-italienischer Zwischenfall 1925

vorzulegen. 42 Darin hieß es nach einer kurzen Darstellung des Sachverhaltes, dass die österreichische Regierung nicht anstehe, ihr Bedauern schriftlich zu wiederholen. Der letzte Satz lautete: »Obwohl diese Äußerung [gegen Mussolini] nicht von verantwortlicher Seite vorgetragen wurde, entschuldigt sich die Bundesregierung auf Verlangen der königlich italienischen Regierung.« 43 Sei es, dass Mussolini durch das rasche Eingehen auf seine Forderung besänftigt war, sei es, dass er oder seine Ratgeber die im letzten Satz enthaltene Spitze merkten, er ging plötzlich von seiner Forderung nach Entschuldigung ab. Die Note werde gebilligt, ließ Mussolini durch Auriti melden, mit Ausnahme des letzten Satzes. Dessen Formulierung sei eine solche, dass der Eindruck einer Pression von Seiten Italiens und der Schwäche der österreichischen Regierung hervorgerufen werde. Stattdessen schlug er vor zu schreiben: »Sie [die österreichische Bundesregierung] bedauert ganz besonders, dass die Umstände es ihr nicht erlaubt haben, die Angriffe des Herrn Ellenbogen allsogleich durch die Kundgebungen der Sympathie zurückzuweisen, welche die zwischen beiden Staaten bestehende Freundschaft erfordert hätte.« 44 Mit dieser Formulierung war Mataja einverstanden. Die Note wurde offiziell übermittelt, gleichzeitig wurde sie mit einem kurzen Begleittext in der »Politischen Korrespondenz« veröffentlicht. 45 Das Kommuniqué wurde von den Tageszeitungen am 13. Oktober 1925 übernommen. 46

15.5 Der Zwischenfall und die Öffentlichkeit Der Vorfall rief in der Presse zuerst einiges Aufsehen hervor. Die ersten Meldungen erschienen am 6. Oktober 1925. Die »Neue Freie Presse« brachte den Vorfall gemeinsam mit der Nachricht über die am 3. Oktober in Florenz geschehenen Morde an Freimaurern als Spitzenmeldung: »Bluttaten in Florenz. Zusammenstoß zwischen Faschisten und Freimaurern – Ein diplomatischer Schritt Italiens in Österreich.« 47 Der Bericht geriet zu einem Leitartikel über die Lage in Italien. Der österreichisch-italienische Zwischenfall wurde als ein Zeichen für die internationale Isolierung Österreichs bewertet: »Es ist eine be-

42 43 44 45 46

NPA. 15760/13 ex 1925; der Entwurf liegt bei 15796/13 ex 1925. Ebd. NPA. 15796/13 ex 1925. Vgl. NPA. 15804/13 und 15823/13 ex 1925. z. B. Neue Freie Presse, Arbeiter-Zeitung, Die Reichspost, Neues Wiener Tagblatt, Volks-Zeitung. 47 Neue Freue Presse v. 6.10.1925, Morgenblatt, 1 f..

Der Zwischenfall und die Öffentlichkeit

sondere Freude zu sehen, wie liebenswürdig Österreich jetzt von allen Seiten behandelt wird und wieviele moralische Rippenstöße man uns spendet.« 48 Zum andern wurde der Bezug zu Südtirol hergestellt: »Freilich, die beste Parade gegen solche Angriffe [Ellenbogens] wäre, ihnen jeden sachlichen Hintergrund zu nehmen und besonders die Gefühle der so friedlichen und ungefährlichen Bevölkerung von Südtirol zu achten.« 49 Ebenfalls auf Seite 1 brachte die bedeutende liberaldemokratische Zeitung »Neues Wiener Tagblatt« als große Überschrift: »Ein österreichisch-italienischer Zwischenfall wegen der Äußerungen Dr. Ellenbogens über Mussolini.« 50 Die liberale »Volks-Zeitung« sprach die Befürchtung aus, dass die Beilegung des Zwischenfalls bei der »krankhaften Empfindlichkeit der Italiener« 51 schwierig sein dürfte. Die »ArbeiterZeitung« meldete am folgenden Tag im Blattinnern ironisch: »Mussolini ist aufgeregt« 52, und richtete dann einen scharfen Angriff gegen Mataja, weil er dem italienischen Gesandten das tiefe Bedauern über die unüberlegten Worte des sozialistischen Abgeordneten ausgesprochen habe. Er sei für die Reden der Abgeordneten nicht verantwortlich, noch unterstünden sie seiner Zensur. Später brachte die »Arbeiter-Zeitung« eine Karikatur, in der Mussolini über den ihm zu Füßen liegenden Mataja sagt: »Dio mio, das bisschen Stiefellecken ist der ja schon vom Papst her gewohnt. Wenn ich es verlange, macht der Mataja noch ganz andere Sachen.« 53 Nur eine Zeitung schwieg, »Die Reichspost«, das Blatt der Christlichsozialen Partei. Nach diesen ersten einigermaßen erregten Meldungen nahm das Interesse jedoch stark ab, und das Kommuniqué über die österreichische Note wurde meist kommentarlos im Innern des Blattes abgedruckt, auch von der »Reichspost«. Abgesehen von einem Kurzkommentar in der »Neuen Freien Presse«, die von einer peinlichen und demütigenden Erklärung sprach, 54 brachte nur die »Arbeiter-Zeitung« eine längere Besprechung mit neuen Angriffen gegen Mussolini und vor allem gegen Mataja, der als der am meisten Blamierte bezeichnet wurde. 55 Es gibt keinen Hinweis, ist aber denkbar, dass die kommentarlose Wiedergabe der österreichischen Note auf eine gewisse Beeinflussung durch die 48 49 50 51 52 53

Ebd. 2 Ebd. Neues Wiener Tagblatt v. 6.10.1925, 1. Volks-Zeitung v. 6.10.1925, 2. Arbeiter-Zeitung v. 7.10.1925, 4. Arbeiter-Zeitung v. 9.10.1925, 4; am 11. 10. 1925, 10, erschien eine Persiflage einer Ministerratssitzung zum selben Thema. 54 Neue Freie Presse v. 13. 10. 1925, 5. 55 Arbeiter-Zeitung v. 14. 10. 1925, 1 f., Artikel »Ein unmöglicher Minister«.

275

276

Ein österreichisch-italienischer Zwischenfall 1925

Regierung zurückgeht. Wahrscheinlicher ist, dass einige andere Ereignisse das Interesse von diesem in der Tat unbedeutenden Zwischenfall ablenkten: Ein großer Streik bei der Alpinen Montangesellschaft, die bevorstehenden Soldatenratswahlen und besonders die Konferenz von Locarno, das alles beherrschende Thema dieser Tage. Die italienischen Zeitungen hatten, wie der Gesandte schrieb, ebenfalls in großer Aufmachung von dem Zwischenfall berichtet, um dann die österreichische Entschuldigungsnote kommentarlos zu veröffentlichen und zu melden, dass der Zwischenfall damit beigelegt sei. »Nachdem der Zwischenfall bereinigt ist, sind die Beziehungen wieder so gut, wie sie vor diesem bedauerlichen Zwischenfall waren«, schrieb »Il Corriere d’Italia«, um fortzufahren: »Es bleibt also beim Interesse Italiens zu Gunsten Österreichs.« 56

15.6 Die Audienz Matajas Wunsch, es möge auf keinen Fall eine Verstimmung Zurückbleiben, ging in Erfüllung. Der Gesandte Egger konnte berichten, dass der Zwischenfall als beendet betrachtet werde, und über die italienische Österreichpolitik schrieb er in Beantwortung einer Anfrage Matajas: »Ohne dem Eindrucke einer persönlichen Aussprache mit Mussolini irgendwie vorgreifen zu wollen [dieser hielt sich gerade in Locarno auf ], glaube ich, dass derzeit keine Wendung in der italienischen Politik Österreich gegenüber bevorsteht.« 57 In einer Audienz bei Mussolini am 19. Oktober erhielt Egger darüber Gewissheit. Er schrieb in seinem Bericht: »Bei meinem Eintritte in sein Arbeitszimmer kam mir der Herr Ministerpräsident, entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, bereits entgegen und begrüßte mich in der herzlichsten Weise.« 58 Egger überbrachte den Wunsch Matajas, dass die bedauerlichen Ausfälle des Nationalrates Ellenbogen keine Verstimmung zurücklassen würden. Herr Mussolini antwortete sehr lebhaft, man möge ihn ja nicht missverstehen. Er habe nie die Absicht gehabt, den ganzen Vorgang dem Herrn Bundesminister oder

56 Dieser und andere Zeitungsausschnitte NPA. 15738/13 ex 1925. Übersetzung S.M. Original: »Chiuso l’incidente, i rapporti sono tornati cosi buoni come erano prima di questa deplorevole parentesi. Resta dunque l’interessamento dell’Italia a favore dell’Austria.«, Il Corriere d’Italia v. 16. 10. 1925; weitere Zeitungsausschnitte beim Bericht Eggers aus Rom v. 16. 10. 1925, zit. Anm. 32. 57 Brief Eggers an Mataja v. 15. 10. 1925, NPA. 15940/13 ex 1925; siehe auch Bericht Eggers aus Rom v. 16. 10. 1925, zit. Anm. 32. 58 Bericht Eggers aus Rom v. 20. 10. 1925, Nr. 100/Pol., NPA., Karton 79.

Die Audienz

der Bundesregierung irgendwie übelzunehmen. Sein Vorgehen habe nur den Zweck gehabt, die Sozialisten an den Pranger zu stellen, die sich immer als Friedensfreunde gerierten und in Wirklichkeit nichts anderes täten, als die Beziehungen jener Staaten zu stören, die auf freundschaftlichem Fuße miteinander stehen. Speziell Herrn Ellenbogen, den er, als er selbst noch Sozialist gewesen sei, auf einem Kongresse im Jahre 1914 kennengelernt habe, habe er als das hinstellen wollen, was er sei, als einen ›gewissenlosen Agitator‹ [...]. Was Herr Ellenbogen in Parteiversammlungen sage, sei ihm ganz gleichgültig, aber derartige Äußerungen in der gesetzgebenden Körperschaft müsse er aufgreifen. Ich betonte dem gegenüber, dass es für jede Regierung beinahe unmöglich sei, Reden der Opposition absolut zu verhindern. Herr Bundesminister würden zwar das möglichste tun, um Ausfälle hintanzuhalten, hofften aber gleichzeitig, dass, falls solche doch vorfielen, die Konversationen zwischen Österreich und Italien in Hinkunft dadurch nicht gestört werden würden. Herr Mussolini erklärte, er sähe dies vollkommen ein, und von so etwas könne keine Rede sein. Er ersuche mich, zu melden, dass nicht die geringste Verstimmung wegen des Zwischenfalles Ellenbogens zurückgeblieben sei und dass er die Beziehungen zwischen Italien und Osterreich als ebenso gute betrachte wie vor dem Zwischenfall. 59

Diese Äußerung überrascht nicht. Mussolini reagierte auf Angriffe und Kritik aus dem Ausland immer wieder in ähnlicher Weise wie bei diesem Zwischenfall. Solche Vorkommnisse waren für ihn, dessen Außenpolitik wesentlich auch Prestigepolitik war, Anlässe, sein und Italiens Ansehen zu verteidigen und dadurch vermeintlich zu vermehren. Dies bedeutete aber nicht die Änderung der Politik einem Land gegenüber, welche durch ökonomische, geographische und politische Überlegungen begründet wurde. Zwischenfälle und Proteste wie in unserem Fall waren Mittel zum Zweck der Prestigepolitik, wozu natürlich auch die propagandistische Verwertung im Inland gerechnet werden muss. Der Zwischenfall war auch keineswegs der einzige dieser Art zwischen Österreich und Italien, im Gegenteil, sie wiederholten sich immer wieder. Bereits 1926 kam es durch heftige Wortwechsel zwischen Mussolini, dem bayerischen Ministerpräsidenten Held und Stresemann über Südtirol und den Brenner zu einer deutschitalienischen Krise, in die auch Österreich hineingezogen wurde. Auch 1928 kam es zu einer schweren Krise in den Beziehungen zwischen Österreich und Italien. 60 Dies sind nur die bekanntesten Beispiele. 61 Die Ziele, welche mit

59 Ebd. 60 Weiss, Das Südtirol-Problem. 61 Ebd.; Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 126–128.

277

278

Ein österreichisch-italienischer Zwischenfall 1925

der Politik Österreich gegenüber verfolgt wurden, nämlich Österreich im italienischen Einflussbereich zu halten, eine Konföderation der Donauländer zu verhindern und die Brennergrenze zu sichern, blieben dadurch unverändert. 62 Der Zwischenfall von 1925 ist interessant, weil er die österreichisch-italienischen Beziehungen der 1920er Jahre und die Motive der beteiligten Politiker beleuchtet. Folgen hatte er keine. Zwar tauchte zu dieser Zeit das Gerücht auf, dass 60.000 Mann des italienischen Heeres an der österreichischen Grenze mobilisiert werden sollten. Egger wusste sogar in einem Privatbrief zu erzählen, er habe aus militärischen Kreisen gehört, dass die Mobilisierung beschlossen und nur wegen des Widerspruches des Finanzministers unterblieben sei, der auf das Missverhältnis zwischen Kosten und Effekt hingewiesen habe. 63 Solche Gerüchte hat es aber mehrmals in den 1920er Jahren gegeben, eine besondere Bedeutung im konkreten Fall kommt ihnen sicher nicht zu. 64 Auch die baldige Ablösung des österreichischen Außenministers Mataja hatte wesentlich andere Gründe. 65 Ellenbogen selbst setzte seine Kampagne gegen Mussolini und den Faschismus unbeirrt fort. So brachte er z. B. bald darauf auf dem sozialdemokratischen Parteitag eine das faschistische System mit schärfsten Worten verurteilende Resolution ein, die unter starkem Beifall angenommen wurde. 66 In seinen Erinnerungen Menschen und Prinzipien erzählt er eine Anekdote, die sich etwa 1929 ereignet hat: Mussolini hat dem Kanzler Schober 67 Grüße an mich aufgetragen und mir sagen lassen, ich möge ruhig nach Italien kommen, er garantiere, dass ich das ungefährdet tun könne, und ich würde mich überzeugen, dass alles, was ich gegen ihn gesagt und geschrieben hätte, nicht wahr sei. Als mir Schober dies erzählte, sagte ich dem Kanzler: Der Mann kann die ganze Welt betrügen, vielleicht sogar Sie, mich nicht. 68

62 Zur faschistischen Österreichpolitik siehe besonders Di Nolfo, Österreichisch-italienische Beziehungen; Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 15–18 und 120–134. 63 Brief Eggers an Mataja v. 9.10.1925, NPA. 15965/13 ex 1925. 64 Dazu NPA. 15759/13, 16582/13, 16847/13, 16858/13 und 17105/13 ex 1925; Jedlicka, Aufteilungs- und Einmarschpläne um Österreich; Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 108–110. 65 Vgl. Anm. 39. 66 Protokoll des sozialdemokratischen Parteitages 1925, abgehalten in Wien vom 13. bis 16. November (Wien 1925) 175–177. 67 Johann Schober, 1921/22 und 1929/30 österreichischer Bundeskanzler. 68 Ellenbogen, Menschen und Prinzipien 113.

16. Die Rede über den Anderen. Italien und Österreich im politischen Diskurs nach dem Ersten Weltkrieg

16.1 Einleitung Der Erste Weltkrieg war der Höhepunkt der sogenannten Erbfeindschaft zwischen Österreich und Italien. 1 Dem Kriegseintritt Italiens auf Seite der Entente, diesem angeblichen Verrat am Dreibund-Partner Österreich-Ungarn folgte ein dreieinhalbjähriger erbitterter Krieg an der Dolomiten- und Isonzofront, die Deportation Zehntausender Italiener aus den Kriegsgebieten ins Hinterland (von österreichischer und italienischer Seite), die Hinrichtung Cesare Battistis und anderer Irredentisten als Hochverräter. Am Ende stand wieder ein Ereignis, das mit dem Vorwurf der Doppelzüngigkeit belegt wurde, nämlich die Gefangennahme von 360.000 Soldaten der k. u. k. Armee durch das italienische Heer trotz bereits erfolgter Einstellung der Feindseligkeiten. Aber nicht nur die Ereignisse, deren Beurteilung mittlerweile von der Historiographie längst geklärt ist, nämlich kein Verrat am Beginn des Krieges, und am Ende keine Doppelzüngigkeit, sondern Missverständnisse und Versagen an der Spitze der Habsburgermonarchie, markieren den Höhepunkt. Vor allem waren es die Kriegspropaganda und die Kriegshysterie in beiden Ländern und damit das Bewusstsein zwar nicht aller aber doch breiter Bevölkerungskreise, die diesen Krieg zum einzigen wahrhaft populären Krieg machten 2 und so den Kulminationspunkt der Erbfeindschaft erreichten. Erbfeindschaften beruhen auf tatsächlichen oder vermeintlichen Interessenkonflikten, die von bestimmten sozialen Gruppen auf Kosten anderer ausgetragen werden. Sie sind Konstrukte der Gesellschaft, der Machthaber und ihrer Politik, freilich durchaus wirksame Konstrukte. Die Italiener und die Österreicher, sofern eine solche Verallgemeinerung überhaupt zulässig ist, waren und sind zwar so wie alle Völker und Menschen in der gegenseitigen Anschauung geprägt von Stereotypen, also Vorurteilen, aber das ist noch nicht Feindschaft. Staaten wiederum sind keine Lebewesen, können also keine Feinde haben. Auch sie sind soziale Konstruktionen. Der italienische liberale Politiker Francesco 1 Gatterer, Erbfeindschaft. 2 Wandruszka in Furlani–Wandruszka, Österreich und Italien 176.

280

Die Rede über den Anderen

Saverio Nitti hat in seinem bemerkenswerten Brief vom 15. September 1939 an Benito Mussolini, in welchem er ihn beschwor, im Interesse Italiens nicht auf Seiten Nazi-Deutschlands in den Krieg einzutreten, sondern, weil das Land nicht neutral bleiben konnte, dies auf Seite der Alliierten zu tun, folgendes geschrieben: Nichts ist lächerlicher als von Jahrhunderte dauernden Freundschaften und Feindschaften zu reden: Alles ändert sich, und es ändern sich die Interessen und die Gefühle. Der lächerliche Ausdruck ›ewiger Feind‹ ist genauso eine Absurdität. Der ewige Feind ist wiederholt ein anderer, und ich habe diesen Ausdruck in Italien je nach Gelegenheit auf verschiedene Länder anwenden gehört, die ich bald darauf als Freunde und Verbündete angetroffen habe. 3

Wenn dem nicht so wäre, wie könnte man es erklären, dass sich das Klima zwischen Österreich und Italien nach dem Krieg rasch und ganz grundlegend geändert hat? Nicht die Mentalität der Menschen hatte sich geändert, sondern die Interessenlage, die politische Situation, die Politik, der politische Diskurs hatten sich völlig verändert. Freilich blieb dies nicht allzu lange so. Ein politisches Problem, ein Interessenkonflikt hat diese Entspannung innerhalb weniger Jahre zunichtegemacht und eine neue Phase der Erbfeindschaft eingeleitet, nämlich die Südtirolfrage. Ich möchte dies anhand zeitgenössischer Texte aufzeigen, und ich möchte vor allem diese Texte daraufhin untersuchen, welche Sprache, welche Sprachbilder, welche Argumente und Argumentationsebenen verwendet wurden. Die zugrundeliegenden Fakten werden nur soweit erläutert, wie es für das Verständnis der Stellen notwendig ist. Ich stütze mich dabei auf eine Auswahl von rund 50 Texten. Diese Auswahl ist subjektiv, auch ein wenig zufällig, und könnte leicht erweitert werden. Es sind sicher nicht alle denkbaren Richtungen vertreten, doch ist es auf Grundlage der gedruckten und ungedruckten Quellen der ersten Nachkriegszeit, aus denen die analysierten Texte stammen, möglich, die wesentlichen Arten der Rede über den Anderen zu erkennen und den politischen Diskurs nachzuzeichnen. Es handelt sich um Texte, die sich nicht an den Anderen, sondern ausschließlich an Per-

3 Nitti, Scritti politici 6, 602, Übersetzung S.M. Original: »Niente è più ridicolo che parlare di amicizie e inimicizie secolari: tutto muta e mutano interessi e sentimenti. L’espressione ridicola dell’ ›eterno nemico‹ è anche un’assurdità, l’eterno nemico cambia assai spesso e io ho sentito applicar in Italia, secondo le occasioni, questo attributo a paesi differenti che poi ho trovato poco dopo amici e alleati.«

Einleitung

sonen oder Gruppen des eigenen Landes richten; sie sprechen also über den Anderen. Sie lassen sich drei Gruppen zuordnen: 1. 2. 3.

politisch-diplomatische Texte, teils rein amtsinterne, teils auch für die Öffentlichkeit im eigenen Land bestimmte; die öffentliche politische Rede, sei es im Parlament, sei es in politischen Versammlungen, erst im Nachhinein im Druck erschienen; und von vornherein für den Druck bestimmte Texte, sei es für den Tag, also Zeitungen und Zeitschriften, sei es auf längerfristige Wirkung berechnet, also das politische Buch.

Außer Betracht bleiben literarische Texte und privates Schrifttum, etwa Tagebücher oder Briefe, die nicht ohne weiters dem politischen Diskurs zuzurechnen sind. Einige besonders markante Beispiele sollen der Analyse vorangestellt werden.

16.1.2 Textbeispiele 1. Aus Österreich Beispiel 1 Staatssekretär für Äußeres Otto Bauer an den diplomatischen Vertreter Österreichs in Bern Stephan Haupt am 9. Jänner 1919 (ADÖ 1, 123). Es wäre mir willkommen, wenn es Ihnen möglich wäre, eine Beziehung zu italienischen Diplomaten herzustellen. Der Konflikt zwischen Italien und Frankreich hat sich bedeutend verschärft. [...] Diese Sachlage müssen wir auszunützen versuchen. Es wäre anzustreben, mit italienischen Diplomaten in folgendem Sinne zu sprechen: [...] alle alten Ursachen der Feindschaft zwischen Österreich und Italien sind mit dem Zerfall der Monarchie beseitigt. Jetzt besteht die volle Möglichkeit und auf unserer Seite auch die volle Bereitwilligkeit, eine dauernde Freundschaft zu sichern. Dem kann nichts entgegenstehen als die Frage Deutschsüdtirols. [...] Das freundliche Verhalten Italiens uns gegenüber in der Lebensmittelfrage gebe uns Hoffnung, dass Italien den Abbau des alten Hasses wünsche. Uns wäre es sehr wünschenswert, jetzt schon mit der italienischen Regierung verhandeln zu können. Vielleicht könnte Italien nach dem Beispiel Amerikas eine Studienkommission nach Wien schicken [.....].

281

282

Die Rede über den Anderen

Beispiel 2 Wilhelm Ellenbogen, Einleitung zur Broschüre »Faschismus! Das faschistische Italien« (Wien 1923) (zit. nach Leser – Rundel, Ellenbogen. Ausgewählte Schriften 275–311). Der Verfasser dieser Schrift ist ein glühender Freund Italiens und des italienischen Volkes. [...] Kein politisches Ereignis, [...] auch das Urgewaltige des Weltkrieges nicht, hat diese Liebe, die jedem im deutschen Kulturkreis Aufgewachsenen ins Herz gelegt ist, daraus reißen können [...]. Umso erschütternder war für ihn eines Tages der Eindruck der Mitteilung, dass in die Wohnung eines seiner Freunde in Modena ein Haufe eingedrungen war, der nicht nur den Mann und seine Familie am Leben bedrohte, sondern sein Hab und Gut, vor allem seine wertvolle Bibliothek mit bestialischer Wut in tausend Trümmer zerschlug. [...] [Dass solche politische Methoden] auch im Lande [...] Dantes, [...] Leonardos, [...] Edmondo d’Amicis [...] möglich waren, ließ auf eine schwere Erkrankung der Seele dieses so natürlich-liebenswürdigen [...] Volkes schließen. Und der Schmerz über diese Entartung war es in erster Linie, die den Gedanken dieser Schrift entzündete.

Beispiel 3 Eduard Reut-Nicolussi, 1928, Tirol unterm Beil 136–138. Ich saß einst [...] im Garten der Villa d’Este in Tivoli. Himmel und Erde verschmolzen zu einer Traumwelt. [...] Was für ein Wunder ist doch dieses Land. Freude ohne Grenze, Licht ohne Maß. Die Menschen hier müssen anders sein als sonst in der Welt. Gott hat sie an die reichste Tafel seines Festmahles geladen. Gewiss kennen sie weder Hass noch Streit, weder Zwang noch Neid. [...] Es war ein Traum. [...] Ich schätze alles, was die Italiener Großes geschaffen haben. Aber als sie mein Volk in die finsterste Seelenknechtschaft warfen, da erkannte ich, wie wenig der Zauber der Landschaft und selbst große Vermächtnisse der eigenen Vergangenheit ein Volk vor Entartung und Versündigung an den hohen Gütern der Menschheit zu schützen vermögen.

2. Aus Italien Beispiel 4 Corriere della Sera, 10. September 1919 (zit. nach Curato, La conferenza della pace 2, 496). Italien hat in einem furchtbaren Kampf, begonnen 1848 am Ticino und beendet am Isonzo, die Aufgabe gelöst, Europa und die Welt von dieser leeren und ungeheuerlichen Anmaßung zu befreien, deren Kunst des Regierens in der Anstiftung und in der Lüge bestand, deren Machtmittel der Stock und der Galgen waren. Sich selbst rettend hat es alle anderen gerettet, einschließlich der Deutschösterreicher. Das Elend

Einleitung

der Niederlage geht vorüber; bestehen bleibt die wenn auch in der Niederlage errungene Würde eines Volkes, das nun gezwungen ist frei zu sein durch den Verzicht auf den ihm auferlegten Dienst als Sklaven und als Peiniger von Sklaven. 4

Beispiel 5 Attilio Tamaro, L’Europa centrale dopo la caduta della Monarchia asburgica, in: Politica 13 (1922) 185 f. Es war allgemeine Ansicht in unserem Land, dass die österreichisch-ungarische Monarchie ein künstlicher Staat sei, beherrscht und zusammengehalten gegen den Willen der Völker von einer tyrannischen Dynastie [...]. Der Fall der Monarchie [...] erlaubt jetzt ein analytisches Verständnis [...]. Die Kämpfe, die früher den Staat erschütterten, wurden nicht zwischen beherrschten Völkern und einer herrschenden Regierung ausgefochten, sondern zwischen Völkern und Völkern, von denen jedes den Anspruch erhob, über seinen Gegner zu herrschen [...]. Uns liegt jede infantile Absicht fern, die Wiener und habsburgische Politik zu rechtfertigen [...]. Wir möchten nur verstehen [...]. 5

Beispiel 6 Attilio Tamaro, L’Alleanza con gli Slavi, in: Politica 7 (1920) 154. [...] man muss die österreichische Frage endgültig lösen, um jenen Krebs zu beseitigen, der ganz Mitteleuropa anstecken kann. Österreich, das auch unter dem Wasserkopf Wien leidet, hat keine Ressourcen, um unabhängig zu leben: es muss mit einem viel größeren territorialen und wirtschaftlichen Organismus vereinigt werden. 6

4 Übersetzung S.M. Original: »L’Italia, in una lotta tremenda iniziata nel 1848 al Ticino e conclusa settant’anni dopo all’Isonzo, ha assolto il compito di liberare l’Europa e il mondo da questa usurpazione vuota ed iniqua, la cui arte di governo consisteva nella sobillazione e nella menzogna, i cui strumenti di potenza consistevano nel bastone e nella forca. Salvando se stessa, essa ha salvato tutti gli altri, non esclusi gli austro-tedeschi. Le miserie della sconfitta passano; rimane la dignità, se pur conquistata nella sconfitta, di un popolo ormai costretto ad esser libero rinunciando all’ufficio che gli fu imposto di schiavo e aguzzino di schiavi.« 5 Übersetzung S.M. Original: »Fu opinione generale nel nostro Paese che la Monarchia austroungarica fosse uno Stato artificiale, dominato e tenuto assieme contro la volontà dei popoli da una dinastia tirannica [...] La caduta della Monarchia [...] permette ora di comprendere analiticamente [...] Le lotte squassanti prima lo Stato non erano tra popoli dominati e governo dominatore, ma tra popoli e popoli, ciascuno aspirando a essere dominatore del suo avversario [...]. E’ lontana da noi ogni puerile intenzione di giustificare la politica viennese e asburgica [...]. Desideriamo soltanto di capire [...].« 6 Übersetzung S.M. Original: »[...] (bisogna) risolvere la quistione austriaca in modo definitivo, per togliere quella cancrena che può infettare tutta l’Europa centrale. L’Austria, che soffre anche di macrocefalia causa la grandezza di Vienna, non ha risorse per vivere indipendente: dev’essere unita a un organismo territoriale ed economico molto più vasto.«

283

284

Die Rede über den Anderen

Beispiel 7 Benito Mussolini, in: Il Popolo d’Italia, 24. August 1922 (zit. nach Mussolini, Opera Omnia 18, 369). Italien muss Österreich ernsthaft und rasch helfen; Italien [...] muss das Möglichste tun, um die österreichische Katastrophe zu verhindern. Das sagen wir aufgrund von ausdrücklich politischen Motiven und nicht aus sentimentalen Gründen [...]. Wir sagen, dass Italien seine eigenen Interessen schützt indem es Österreich hilft. Wir sagen nicht, dass Österreich ein nützlicher Bauer in unserem Spiel sein kann. 7

16.2 Analyse – erster Teil: Der Inhalt Es ist erstaunlich, welche Breite der Argumentation und Sprache in diesen Texten vorkommt. Zuerst soll der Inhalt, im nächsten Abschnitt die Sprache analysiert werden. Zunächst ist festzustellen, dass im politischen Diskurs ganz klar zwischen dem alten und dem neuen Österreich unterschieden wurde, und zwar auf beiden Seiten. Die Feindschaft wurde nur auf das alte, vergangene Reich bezogen. Dies entsprach nicht nur der neuen Situation, es war auch politische Absicht. Italien feierte ja das Ende des alten Feindes, also musste das Neue etwas ganz Anderes sein. Österreich wollte sich aus guten pragmatischen Gründen in keiner Weise in die Kontinuität der Monarchie stellen. Dennoch ist dieser Befund vom Ende der »alten Feindschaft« 8 aus der Sicht der späteren Jahrzehnte befremdlich, in denen diese Feindschaft nicht als wieder vorhanden, sondern als immer gewesen, eben als Erbfeindschaft erlebt wurde, egal ob es sich um die Monarchie oder um die Republik handelte. Claus Gatterer hat diesen Ausdruck im Titel seines Buches von 1972 Erbfeindschaft Italien – Österreich nicht geprägt, sondern etwas damals ganz Reales und Präsentes aufgegriffen und hinterfragt. Es hat aber dieses Tauwetter nach dem Ersten Weltkrieg gegeben, und der Grund für die Rückkehr des Winters ist evident, es war die Südtirolfrage. 9

7 Übersetzung S.M. Original: »L’Italia deve aiutare seriamente e sollecitamente l’Austria; l’Italia [...] deve fare il possibile per evitare la catastrofe austriaca. Ciò diciamo in base a motivi di ordine squisitamente politico e non a motivi d’ordine sentimentale. [...] Noi diciamo che l’Italia tutela i suoi interessi aiutando l’Austria. Noi diciamo che l’Austria può costituire una buona pedina nel nostro gioco.« 8 Arbeiter-Zeitung v. 14. 4. 1920, 1, Leitartikel »Deutschösterreich und Italien«. Vgl. auch Beispiel 1. 9 Dazu Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg.

Analyse – erster Teil: Der Inhalt

16.2.1 Italienische Autoren Die Textbeispiele zeigen, dass es auf italienischer Seite recht unterschiedliche Aussagen zur österreichisch-ungarischen Monarchie gegeben hat. Natürlich war es in der Risorgimento-Historiographie, jedenfalls in der popularisierten Fassung, noch bis weit in die zweite Nachkriegszeit hinein unbestritten, dass die Habsburgermonarchie der Diabolus, der Widerpart in der italienischen Geschichte gewesen sei, der große lupus in der herrlichen italienischen fabula. Dieses Element finden wir im Beispiel 4. Wir finden es übrigens auch auf österreichisch-republikanischer Seite, angedeutet im Beispiel 1, ausführlich in der »Arbeiter-Zeitung« vom 14. April 1920: Zwischen Italien und uns steht alte Schuld. Das Reich der Habsburger war jahrhundertelang der Feind, der Bedrücker Italiens. In einer ganzen Reihe von Revolutionen und Kriegen gegen Habsburg hat das italienische Volk seine Freiheit und Einheit blutig erstreiten müssen. 10

Das war also ein Gemeinplatz im italienischen politischen Diskurs. Umso erstaunlicher ist aber, dass in italienischen Äußerungen der ersten Nachkriegszeit gar nicht so wenige andere Stimmen zu hören sind. Dazu zählen die Ausführungen Attilio Tamaros im Beispiel 5, aber auch die Passagen über die Monarchie in den Büchern Nittis: An der Grenze Deutschlands vereinigte die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie elf verschiedene Völker, und trotz mannigfacher Schwierigkeiten bewegte sich die Einigung in der Richtung einer Aufwärtsentwicklung aller. Dank rücksichtsloser Gewalttätigkeit, dank kluger Verwaltungspolitik stellte die ungeheure Monarchie, in langsamer Angliederung entstanden, wohl den fesselndsten Versuch der Geschichte dar, Menschen verschiedener Rasse auf ein und demselben Boden unter gemeinsamer Disziplin zu vereinen. [...] lebte es in dem Bemühen, Deutsche, Magyaren, Slawen und Italiener zusammenzuhalten, ohne dass das Zusammenleben in blutige innere Kämpfe entartete. Die Zukunft wird leicht erweisen, dass die Anstrengungen der österreichisch-ungarischen Monarchie für die Kultur nicht vergebens gewesen sind. 11

10 Arbeiter-Zeitung v. 14. 4. 1920, 1, Leitartikel »Deutschösterreich und Italien«. Vgl. auch Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 164. 11 Nitti, Das friedlose Europa 24; in der italienischen Ausgabe: »[...] l’Impero di Austria-Ungheria univa undici popoli differenti e, a traverso molte difficoltà, l’unione procedeva verso una elevazione di tutti. L’enorme monarchia, frutto di lenta aggregazione, frutto di violenza e di sapienza amministrativa, rappresentava forse il tentativo storico più interessante di una comune

285

286

Die Rede über den Anderen

An anderer Stelle schrieb Nitti: »Nachdem man Österreich-Ungarn aufgelöst hatte (erst die Geschichte wird lehren, ob man damit nicht einen gewaltigen Irrtum beging) [...].« 12 Sogar von Seiten eines faschistischen Autors erfolgte eine – unfreiwillige – Anerkennung der Monarchie: Adriano Colocci-Vespucci, ein Mitarbeiter Ettore Tolomeis, kritisierte in einem Bericht im Februar 1919 die italienische Militärregierung in Südtirol, weil sie gewisse öffentliche Texte nur in deutscher und nicht schon in italienischer Sprache verlautbarte: [...] wir haben die Mitteilungen über Postdienste und Fahrpläne alle nur ausschließlich in deutscher Sprache gemacht, [...], während die frühere österreichische Regierung sie immerhin zweisprachig redigiert hat; wir haben für das Trentino Briefmarken mit Viktor Emanuel III. mit dem Wert in Heller gedruckt, während Österreich selbst nie dem Trentino die Währung in Heller auferlegt hat, sondern immer in Centesimi. 13

Mussolini schrieb in seiner Instruktion zur Südtirolpolitik vom 1. November 1925, die liberalen Regierungen zwischen 1919 und 1922 kritisierend: »Aber auch für diese Gebiete überwog das Konzept der größtmöglichen Autonomien; Autonomien, an die im Übrigen alle neu annektierten Gebiete dank der österreichischen Vorschriften gewöhnt waren.« 14 Auch wenn also in Italien die Rede von Österreich als dem Völkerkerker weit verbreitet war, so war auch das Wissen von den Bemühungen um ein friedliches Zusammenleben und um Autonomie der Volksgruppen vorhanden. Was nun die Republik Deutschösterreich bzw. Österreich und ihr Staatsvolk betrifft, so finden wir in den italienischen politischen Texten keinerlei Ablehnung oder negatives Vorurteil, während sehr wohl in manchen Texten, die der disciplina di genti diverse sopra uno stesso territorio. [...] viveva nello sforzo di tenere insieme genti tedesche, magiare, slave e italiche, senza che la convivenza degenerasse in lotta interna sanguinosa. Il tempo dimostrerà facilmente come lo sforzo dell’Austria-Ungheria non sia stato vano per la civiltà.«, Nitti, L’Europa senza pace 19. 12 Nitti, Der Friede 52; in der italienischen Ausgabe: »Sfasciata L’Austria-Ungheria (e la storia sola dirà se non sia stato un grandissimo errore) [...]«, Nitti, La pace 44. 13 Übersetzung S.M. Original: »[...] abbiamo fatto gli avvisi di servizi postali e ferroviari tutti in lingua esclusivamente tedesca, [...] mentre il cessato Governo austriaco almeno li regideva sotto forma bilingue; stampigliammo pel Trentino noi francobolli di Vittorio Emanuele III col prezzo in heller, mentre stessa Austria mai aveva inflitta al Trentino la valuta in heller ma sempre in centesimi [...]«, Freiberg, Südtirol und der italienische Nationalismus 44. 14 Übersetzung S.M. Original: »Ma anche per quei territori prevalse il concetto delle maggiori autonomie possibili; autonomie alle quali, del resto, tutti i territori nuovamente annessi erano abituati in virtú degli ordinamenti austriaci.«, Freiberg, Südtirol und der italienische Nationalismus 324.

Analyse – erster Teil: Der Inhalt

nationalistischen außenpolitischen Richtung nahestanden, antislawische Töne vorhanden sind. Wir finden vielmehr Bedauern, ja Mitleid mit der notleidenden Bevölkerung in Österreich. Ganz stark ist das in den Schriften Nittis zu sehen: »Die Bevölkerung ist, vor allem in den Städten, den härtesten Entbehrungen unterworfen; das Anwachsen der Tuberkulose schreitet unaufhörlich und bedrohlich fort.« 15 Oder: [...] so ist das Leben der meisten von den 12.000 Studenten, die sich jetzt in Wien befinden, unerträglich. Viele von ihnen sind, ohne genügende Nahrungsmittel, gezwungen, zusammengedrängt in Häusern zu wohnen, die vollständig der Heizung ermangeln und ungenügend beleuchtet sind. 16

Nitti geißelte die Reparationszahlungen und das gleichzeitige »Schlaraffenleben der Kontrollkommissionen« 17: »Österreich vermag nichts zu zahlen, es muss unterstützt werden; trotzdem muss es das Schlaraffenleben der Kontrollkommissionen dulden.« 18 Gefühle sind freilich im politischen Diskurs nicht das Wesentliche. Entscheidend sind die Interessen. Wo die tatsächlichen oder vermeintlichen Interessen der italienischen Außenpolitik lagen, das richtete sich bei den verschiedenen Autoren natürlich nach ihrem Parteistandpunkt, und davon hing es auch ab, wie sie über die Republik Österreich dachten und welche Politik sie ihr gegenüber praktizierten oder forderten. Auch hier ist eine große Bandbreite zu finden. Das geht von der Kritik am Anschlussverbot 19 über die Bereitschaft zur Kooperation ohne Vorbedingungen 20 bis hin zur Instrumentalisierung für die eigenen Großmachtziele – Österreich als »Bauer im Spiel«, »pedina nel gioco« (Beispiel 7). In diesem Rahmen hat paradoxerweise sogar die Forderung nach 15 Nitti, Das friedlose Europa 181; in der italienischen Ausgabe: »La popolazione è sottomessa, sopra tutto nelle città, a privazioni durissime e l’aumento della tubercolosi è continuo e minaccioso.«, Nitti, L’Europa senza pace 134. 16 Nitti, Der Niedergang Europas 243; in der italienischen Ausgabe: »[...] la vita del maggior numero dei 12 mila studenti che sono ora a Vienna è insopportabile. Molti di essi, senza nutrimento sufficiente, sono obbligati a vivere ammassati in case ove manca completamente il riscaldamento e la luce è insufficiente.«, Nitti, La decadenza dell’Europa 410. 17 Gemeint waren die von den Alliierten entsandten Militär- und Kontrollkommissionen in Wien, Nitti, Der Niedergang Europas 244; in der italienischen Ausgabe: »L’Austria non può pagar nulla; deve essere aiutata; nondimeno la cuccagna delle commissioni di controllo infierisce anche contro di essa.«, Nitti, La decadenza dell’Europa 410; ähnlich scharf in Nitti, Das friedlose Europa 148 f. 18 Ebd. 19 Politica 3 (1919) 180; 4 (1920) 33. 20 Sforza, Un anno di politica estera 83–85.

287

288

Die Rede über den Anderen

Restauration der Habsburger in den Territorien Österreich und Ungarn ihren Platz. 21 In diesem Diskurs gab es natürlich auch eine Entwicklung, parallel zum Verlauf der politischen Ereignisse. Die Rede über Österreich enthielt andere Akzente jeweils vor und nach dem Abschluss des Friedens von Saint Germain, den Anschlussabstimmungen in den österreichischen Ländern im Frühjahr 1921, der Machtergreifung des Faschismus, dann des Nationalsozialismus, des Abessinienkrieges usw. Als neues, negatives Element trat nach 1922 die Rede von der Kleinheit und geringen Bedeutung Österreichs hinzu, gepaart mit der Kritik an der österreichischen Südtirolpolitik. Noch im Dezember 1920 warb der italienische Zivilkommissär für die Venezia Tridentina, Luigi Credaro, in einem Vorwort um Verständnis für Haltung der Tiroler. Der angesehene Tiroler Politiker Karl Grabmayr 22 hatte im Frühjahr 1919 das Buch Süd-Tirol. Land und Leute vom Brenner bis zur Salurner Klause herausgegeben, in dem prominente Autoren für den Verbleib des Landes bei Österreich eintraten. Das Buch wurde bemerkenswerterweise ins Italienische übersetzt und erschien in Mailand unter dem Titel La passione del Tirolo innanzi all’annessione. Credaro schrieb das Vorwort: [...] diese Schrift wird ihren politischen Wert nicht verlieren und wird immer ein Dokument des tirolischen Patriotismus bleiben. [...] Er ist gegen uns, aber wir können, wir dürfen ihn nicht ignorieren. Er zeigt uns, was die Intellektuellen und die Führungskräfte in Tirol von sich selbst, von uns und von der Angliederung Südtirols an Italien denken. 23

Dieses Verständnis musste bald der Kritik weichen. Mussolini ärgerte sich über die »irredentistischen Vereinigungen [...] die mehr oder weniger direkt von den Regierungen Österreichs und Deutschlands unterstützt werden«, 24 kritisierte

21 Politica 8 (1921) 91. 22 Der gebürtige Bozner Karl Grabmayr von Angerheim war 1913–1918 Präsident der Reichgerichts und 1919–1921 als Karl Grabmayr Präsident des Verwaltungsgerichtshofes in Wien. 23 Übersetzung S.M. Original: »[...] questi studî non perderanno il loro valore politico e saranno sempre un documento di patriottismo tirolese. [...] E’ contro di noi, ma non possiamo, non dobbiamo ignorarlo. Esso ci insegna quello che gli intellettuali e i dirigenti del Tirolo pensano di sè, di noi e dell’annessione dell’Alto Adige all’Italia.«, Grabmayr, La passione 3 f. 24 Übersetzung S.M. Original:»associazioni irredentistische [...] più o meno direttamente sussidiate dai Governi dell’Austria e della Germania [...]«, Instruktion zur Südtirolpolitik v. 1. 11. 1925, Freiberg, Südtirol und der italienische Nationalismus 325.

Analyse – erster Teil: Der Inhalt

die »giftigen Zeitungen in Innsbruck und Wien«, 25 und warf Österreich Undankbarkeit vor: Wenn ich an die vielen Beweise der Freundschaft denke, die Italien Österreich seit dem Waffenstillstand bis heute geliefert hat, tue ich es nicht, um Österreich Undankbarkeit vorzuwerfen [...]. Ich tue es, damit es vor der Welt ein für alle Mal dokumentiert ist. 26

Bekanntlich hat der Faschismus das von Ettore Tolomei entworfene Programm der Italianisierung Südtirols übernommen und ab 1923 durchgeführt. Der dadurch erzeugte österreichisch-italienische Interessenkonflikt hat mehrmals zu diplomatischen Krisen geführt, so 1923, 27 1925/26 28 und 1927/1928. 29 Vor allem bei solchen Auseinandersetzungen ist in italienischen Texten von Österreich die Rede wie von einem unbedeutenden, undankbaren Land, das sich unzulässigerweise in die italienische Innenpolitik einmischt. Höhepunkt war die bekannte Drohung Mussolinis, Italien werde gegebenenfalls »seine Trikolore darüber hinaus tragen« 30, gemeint war der Brenner. Ein rhetorischer Höhepunkt dieser Art des politischen Diskurses war ein Passus in der Parlamentsrede Mussolinis vom 3. März 1928. In drei Sätzen beschrieb er Italien und Österreich. In zweifacher, sich steigernder Periode erfolgte die Glorifizierung Italiens: »Italien ist heute ein großer Staat, politisch einheitlich, ethnisch homogen, moralisch kompakt, sozial geordnet wie kein anderer in Europa (Applaus); Italien ist heute ein großes Volk mit über fünfzig Millionen Menschen, von denen fast 42 auf der Halbinsel leben. Diese Menschen, gehärtet durch den Faschismus, haben starke

25 Übersetzung S.M. Original: »gironali velenosi di Innsbruck e Vienna« Instruktion zur Südtirolpolitik v. 15. 1. 1927, Freiberg, Südtirol und der italienische Nationalismus 331. 26 Übersetzung S.M. Original: »Se io oggi ricordo le molte prove di amicizia fornite dall’Italia all’Austria dall’armistizio ad oggi, non lo faccio per rimproverare all’Austria la sua ingratitudine [...] Lo faccio perchè il mondo sia documentato una volta per sempre.«, Rede im Parlament 1928, Freiberg, Südtirol und der italienische Nationalismus 461. 27 Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 148–162, 28 Vgl. Kap. 15: »Ein österreichisch-italienischer Zwischenfall 1925 ausgelöst durch eine Rede Wilhelm Ellenbogens gegen Mussolini«. 29 Weiss, Das Südtirol-Problem. 30 Im Original: »L’Italia fascista può, se sarà necessario, portare oltre il suo tricolore, abbassarlo mai!«, Mussolini im Parlament am 6. 2. 1926, Freiberg, Südtirol und der italienische Nationalismus 349.

289

290

Die Rede über den Anderen

Nerven, fassen sich kurz und sind zäh.« 31 Dann folgte der dritte Satz, der Absturz aus der schwindelnden Höhe: »Österreich ist, was es ist« 32. Nichts weiter.

16.2.2 österreichische Autoren Während italienische Autoren gerne den besiegten, untergegangenen Koloss Habsburgermonarchie beredeten, manchmal sich ereifernd, manchmal analysierend, haben die österreichischen Teilnehmer am politischen Diskurs die alten Geschichten ruhen lassen. Nur indirekt wurde die Ablehnung der Geschichte und Politik Italiens vor dem Krieg angesprochen. Anlässlich der historischen Reise des Staatskanzlers Karl Renner nach Rom im April 1920 schrieb die »Arbeiter-Zeitung«, Italien sei von den Habsburger und von den Klerikalen als kirchenräuberisches Königreich gesehen worden, und den Schwarzen sei jede Annäherung an Italien immer noch im Herzen zuwider. Der Sozialdemokratie dagegen seien Garibaldi und Mazzini viel näher als Radetzky und der Habsburger Albrecht. 33 Die österreichische Politik war mit sich und mit dem Überleben beschäftigt und hatte keine Zeit und kein Interesse, sich noch über die früheren Feinde zu ereifern. Vor allem war der frühere Feind jetzt Großmacht, saß am Tisch der alliierten Sieger, war in den Fragen der Grenzziehung, der politischen Neuordnung und in wirtschaftlichen Fragen ein wichtiger Faktor. Der politische Diskurs der Republik Österreich Italien gegenüber, wie wir ihn im Beispiel 1 sehen, aber auch anlässlich der Italienreisen der Staats- und Bundeskanzler Renner, Schober und Seipel, war ein völlig neuer Diskurs, der Italiens Hilfe, Unterstützung und Zusammenarbeit suchte, unabhängig von der politischen Parteizugehörigkeit. Eines wurde aber von Anfang an ausgesprochen: Italien möge doch auf Deutschsüdtirol verzichten oder wenigsten eine Autonomie gewähren und sich so die dauernde Freundschaft Österreichs sichern. Wir finden bei den österreichischen Politikern wenig Verständnis für die politische Stimmung in Italien und die politische Unmöglichkeit für die Regierungen, auf das neu gewonnene Territorium zu verzichten. 31 Übersetzung S.M. Original: »L’Italia è, oggi, un grande Stato politicamente unitario, etnicamente omogeneo, moralmente compatto, socialmente ordinato come nessun altro in Europa (Applausi); l’Italia è, oggi, un grande popolo di oltre cinquanta milioni di uomini dei quali quasi 42 vivono nella penisola. Questi uomini temprati dal Fascismo hanno i nervi saldi, la parola breve e sanno tener duro.« Freiberg, Südtirol und der italienische Nationalismus 461. 32 Ebd. 33 Arbeiter-Zeitung vom 14. 4. 1920, 1, Leitartikel »Deutschösterreich und Italien«; dazu auch Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 164 f.

Analyse – erster Teil: Der Inhalt

Ab 1923 kam es zu einer einschneidenden Änderung in der politischen Rede über Italien, eine direkte Folge der Machtergreifung des Faschismus. Sie bewirkte eine Dreiteilung des Diskurses. Neben die offizielle, diplomatische, von der Interessenlage geprägte Staatspolitik und Rede trat einerseits der Kampf der Sozialdemokratie gegen die faschistische Diktatur, andererseits die Empörung über die faschistische Südtirolpolitik. Bannerträger des Antifaschismus in der österreichischen Sozialdemokratie war der Abgeordnete Wilhelm Ellenbogen. Er sprach Italienisch und hatte noch zu Zeiten der Monarchie ausgezeichnete Kontakte nicht nur zu den italienischen Sozialisten der Monarchie, sondern auch zu den Sozialisten im Königreich Italien. Aus seiner Broschüre »Faschismus« stammt das Beispiel 2. Es war auch eine Rede Ellenbogens im Nationalrat, die den diplomatischen Konflikt des Jahres 1925 auslöste. Anlässlich der Korfukrise fielen folgende Worte Ellenbogens: Vor dem armseligen Mussolini hat sich der Völkerbund gefürchtet. Dieser Mann mordet nicht nur die Freiheit seines eigenen Volkes, der Mann raubt nicht nur den Deutschen in Südtirol ihr Recht auf Autonomie, [...], der Mann wagt es auch, die Freiheit eines fremden Volkes anzutasten und Raub an seinem Gute zu begehen, und der Völkerbund wagt es nicht, diesem Räuber in der Arm zu fallen. 34

Ellenbogen war keineswegs Einzelkämpfer, aber doch der engagierteste Gegner Mussolinis in Österreich. In der Südtirolfrage war dies der Abgeordnete Dr. Eduard Reut-Nicolussi, dessen Buch Tirol unterm Beil das Beispiel 3 entnommen ist. 35 Gemeinsam war beiden die gleichzeitige Wertschätzung der Italiener und der italienischen Kultur und die heftige Ablehnung des Faschismus. Das faschistische Italien wurde für die Österreicher im Lauf der Zwanzigerjahre genau das, was vor dem Krieg für die Italiener die Habsburgermonarchie gewesen war, und die offizielle Politik der Republik Österreich erhielt eine gegnerische Unterströmung, genauso wie die offizielle Dreibundpolitik des Königreichs Italien im antiösterreichischen Irredentismus ihren Kontrapunkt gehabt hatte.

34 Stenographische Protokolle des Nationalrates der Republik Österreich, 2. Gesetzgebungsperiode, 114. Sitzung v. 1.10.1925, 2701; ADÖ 5, Nr. 806. Vgl. Kap. 15 »Ein österreichisch-italienischer Zwischenfall 1925 ausgelöst durch eine Rede Wilhelm Ellenbogens gegen Mussolini«. 35 Zu Reut-Nicolussi siehe Gehler, Eduard Reut-Nicolussi.

291

292

Die Rede über den Anderen

Diese sich spiegelnde Entwicklung zeigt, dass hier nicht eine geerbte, einem phantomhaften Volks- oder Landescharakter entspringende Feindschaft bestand, sondern dass die Konflikte aus einer bestimmten Ideologie und aus bestimmten Interessen erwuchsen, die auf beiden Seiten Vertreter finden konnten und fanden. Dies war z. B. evident in der jeweiligen Kriegspropaganda, kann aber auch für die Haltung zur Politik gegenüber Minderheiten gezeigt werden. So gab es auf österreichischer Seite Äußerungen, die mutatis mutandis von Ettore Tolomei stammen könnten, ebenso wie auf italienischer Seite der Schutz der deutschen Südtiroler verlangt und versprochen wurde. Zwei prominente Zeugen seien zitiert. Es ist entlarvend, ja grotesk zu lesen, was Michael Mayr, in Innsbruck lebender Historiker und 1920/21 österreichischer Bundeskanzler, in seinem Buch gegen den italienischen Irredentismus 1917 geschrieben hat: Von irgendeiner bevorzugten Sonderstellung oder Autonomie des italienischen Volksstammes oder von Teilen desselben aus bloß nationalen Gründen darf in Zukunft keine Rede mehr sein. [...] Kirche, Schule, Presse, Staats- und Landesverwaltung müssen sich energisch in den Dienst der Sache stellen [...]. 36

Dagegen hat Mussolini nach dem Abschluss der Friedensvertrags im September 1919, noch am Anfang seines politischen Weges und noch nicht als Vollstrecker Tolomeis, die Südtiroler in der Zeitung »Popolo d’Italia« mit folgenden vielversprechenden Worten freundlich begrüßt: Von jetzt an müssen wir in den Zeitungen und im Parlament den Deutschen des Alto Adige, die jetzt politisch gesehen Italiener sind, sagen, dass Italien keine Absichten der Überwältigung und Entnationalisierung hegt; dass es die Sprache und die Sitten respektieren und die erforderliche Verwaltungsautonomie wird. 37

36 Mayr, Der italienische Irredentismus 340; vgl. auch Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 55–57; zu Mayr siehe Kuprian, Zwischen Wissenschaft und Politik. 37 Übersetzung S.M. Original: »Sin da questo momento bisogna dai nostri giornali e dal Parlamento dire ai Tedeschi dell’Alto Adige, da oggi politicamente italiani, che l’Italia non ha intenzioni sopraffattrici o snazionalizzatrici; che rispetterà la lingua e i costumi, che accorderà le necessarie autonomie amministrative.«, zit. nach Curato, La conferenza della pace 2, 499.

Analyse – zweiter Teil: Die Sprache

16.3 Analyse – zweiter Teil: Die Sprache Hätte es des Beweises bedurft, dass die Erbfeindschaft ein reines Konstrukt und Produkt fehlgeleiteter Politik gewesen ist, dann wäre dieser Beweis mit den Äußerungen Mayrs und Mussolinis wohl erbracht. Doch hier geht es nicht um Urteile, sondern um die Analyse von Texten. In diesem Sinn soll noch eine andere Ebene angesprochen werden. Der politische Diskurs soll nicht nur von der politisch-historischen Seite her, sondern auch von der Sprache her untersucht werden, von den verwendeten Sprachbildern und von der Art und Weise der Argumentation. Die eingangs zitierten Beispiele wurden auch unter diesem Gesichtspunkt ausgewählt. Es ist selbstverständlich, dass auch aus diesem Blickwinkel eine große Bandbreite vorhanden ist. Jeder Text hat einen Verfasser mit seinen Sprachmöglichkeiten, mit seinem Stil. Er hat einen Adressaten und einen Zweck, die eine bestimmte Redeweise verlangen. Er hat schließlich auch eine bestimmte Entstehungszeit, in der gewisse Sprachformeln, Bilder, Moden, Paradigmen vorhanden sind. Es können auch mehrere Sprachebenen in einem Text vorkommen, etwa wenn ein Redner, wie man sagt, alle Register zieht.

16.3.1 Österreichische Autoren Die Texte der österreichischen Autoren kann man drei Gruppen zuordnen. Es gibt die sachliche Redeweise, es gibt eine sehr stark von darwinistisch-biologistischen Vorstellungen geprägte Sprache, und schließlich gibt es eine Art zu reden, die mit Vorliebe religiöse Begriffe und Floskeln verwendet. Die sachliche Redeweise finden wir immer in den diplomatischen Texten, aber sie kommt auch in den beiden anderen eingangs genannten Textgruppen – gesprochene Rede und Drucktext – vor. Sachliche Redeweise heißt nicht, dass der Inhalt sachlich richtig sein muss, aber die Sprache ist nüchtern, wenig gefühlsbetont, und die Argumente beziehen sich auf konkrete Sachverhalte. Es überwiegen Begriffe aus der juristischen, historischen, wirtschaftlichen oder soziologischen Sphäre. Beispiel 1 ist ein Beleg für die sachliche Redeweise. Gelegentlich finden sich anthropomorphisierende Ausdrücke wie Freundschaft / Feindschaft, Dank / Undank, verschmerzen, gekränkt, doch handelt es sich dabei um Floskeln der diplomatischen Sprache, die eher die Funktion von Kürzeln haben als die der Mitteilung wirklicher Gefühle. Ein Beispiel aus einem Memoire eines Beamten am Ballhausplatz: »Die unmittelbare Folge hievon war, dass Italien, obwohl es sich über den Vertrag von Lana schwer gekränkt zeigte, doch durch seinen Gesandten fragen ließ, ob wir nicht daran dächten, in ein öf-

293

294

Die Rede über den Anderen

fentliches Vertragsverhältnis mit ihm zu treten.« 38 Das Wort »gekränkt« drückt hier offensichtlich nicht Gefühle aus, sondern enthält die konkrete politische Aussage der behaupteten Interessenverletzung. Es kommt auch vor, dass sich Sachlichkeit mit Emotionalität mischt. So ist die Passage aus der zitierten antifaschistischen Brandrede Ellenbogens zwar hochemotionell, doch sind die Ausdrücke der Rechtssprache entnommen, bezeichnen klar definierte, ideologiefreie Sachverhalte wie Raub, Mord, Freiheitsentzug, Recht, Vertrag, Völkerbund, und nur ihre Verbindung mit dem politischen Gegner und ihre Verwendung nicht im Gerichtssaal, sondern im Parlament haben die explosive Emotionalität erzeugt, die prompt und gewiss auch beabsichtigt zum politischen Eklat geführt hat. Beispiel 2 ist ein Beleg für die darwinistisch-biologistische Redeweise. Diese Art zu sprechen kommt in Texten des späten 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts häufig vor. Die ganz neuen Ideen Charles Darwins von der Evolution, von der natürlichen Selektion und dem Kampf ums Überleben übten eine außerordentliche Faszination auf die gebildete Welt aus und prägten die Sprache. Heute sind solche Metaphern weitgehend verschwunden, und es überwiegen Bilder aus neueren Wissenschaftsbereichen, der Psychologie, der Technik und vor allem der Welt des Computers und des Digitalen. Im Beispiel 2 finden wir die Ausdrücke: urgewaltig, Herz, bestialisch, Erkrankung, Entartung. Beispiele aus anderen Texten: Klagerufe der Blutsverwandten, 39 Selbsterhaltung, das wuchernde Dorngestrüpp ausrotten, Luft und Licht zum Leben verschaffen, 40 ein Land zerreißen und verstümmeln, 41 der Sturm einer neuen Zeit, Rückständigkeit und Entfaltung 42 usw. Die Wahl einer solchen Sprache steht immer im Dienst einer Propaganda. Der Redner oder Schreiber vertraut nicht mehr dem guten sachlichen Grund, sondern er will Gefühle wecken, aufwühlen, motivieren. Daher finden wir diese Sprache nicht in der diplomatischen, sondern nur in der politischen Rede und im politischen Druckwerk propagandistischer Art. Wir finden sie kaum in der Sprache der offiziellen Politik, wohl aber in der antifaschistischen und noch mehr in der auf Südtirol bezogenen antiitalienischen Rede. Dasselbe gilt im Wesentlichen auch für die dritte Art, nämlich die religiös inspirierte Rede. Im Beispiel 3 etwa finden wir die Ausdrücke »Himmel und

38 ADÖ 4, 293 39 Rede Seipels im Nationalrat am 21. 11. 1923, Wiener Zeitung v. 22. 11. 1923, 1–4; vgl. Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg 158. 40 Mayr, Der italienische Irredentismus 339. 41 Grabmayr, Süd-Tirol 10. 42 Ebd. 104 f.

Analyse – zweiter Teil: Die Sprache

Erde, Wunder, Freude ohne Grenze, Licht ohne Maß, Gott lädt an die Tafel seines Festmahls, Seelenknechtschaft, Versündigung« 43. Dazu kommen in anderen Texten noch die Ausdrücke Martyrium, 44 Erlösung, 45 opferfreudig, gerechter und heiliger Kampf 46 usw. Waren diese drei Sprachebenen typisch österreichisch? Sicher nicht. Die sachliche Rede gibt es überall, und die bioligistische war ein Signum der Zeit. Am ehesten war die religiös gefärbte Sprache in unserem Zusammenhang ein österreichisches, mehr noch Tiroler Spezifikum. Wir finden sie aber auch bei Sozialdemokraten. Dass der österreichische politische Diskurs gegenüber Italien in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg oft die sachliche Sprachebene verließ, ist wohl mit der Erfolglosigkeit der Politik zu erklären. Angesichts der Unmöglichkeit, den Faschismus und seine Südtirolpolitik beeinflussen zu können, blieb nichts anderes übrig, als die Wut über den politischen Gegner zur Sprache zu bringen und in ihm den neuen Feind zu benennen. Umgekehrt wurde dort die sachliche Sprache beibehalten, wo der antifaschistische Kampf bzw. der Kampf gegen die Italianisierung in Südtirol nicht geführt werden konnte, also auf der Ebene der offiziellen Regierungspolitik mit ihren Sachzwängen. Es kam auch vor, dass der Diskurs zur sachlichen Ebene zurückgekehrt ist, wo der antifaschistische Kampf aus ideologischen Gründen kein Anliegen war. So hat z. B. der Tiroler Heimwehrführer Richard Steidle 1928 eine für die italienische Regierung bestimmte Erklärung unterschrieben, dass sich die Heimwehr im Falle einer von Italien unterstützten Machtergreifung einer weiteren antiitalienischen Südtirolpropaganda enthalten würde. 47 Der politische Diskurs spiegelt eben das politische Handeln wider, das sich aus der jeweiligen Interessenlage ergibt.

16.3.2 Italienische Autoren Auf welchen Sprachebenen bewegte sich der italienische politische Diskurs gegenüber Österreich? Auch die italienischen Textbeispiele kann man den genannten Redeweisen zuordnen, allerdings mit bemerkenswerten Unterschieden. Was auf italienischer Seite weitgehend fehlt, ist der Diskurs, der sich religiöser Begriffe bedient. Zwar gibt es Ausdrücke wie Erbsünde (peccato riginale) oder

43 44 45 46 47

Reut-Nicolussi, Tirol unterm Beil 136–138. Protokoll des sozialdemokratischer Parteitag 1925, 175. Leser–Rundel, Wilhelm Ellenbogen 276. Grabmayr, Süd-Tirol 104 f. Vgl. Weiss, Das Südtirol-Problem 222.

295

296

Die Rede über den Anderen

Almosen (elemosina), 48 aber etwas der Sprache des Reut-Nicolussi Vergleichbares (Beispiel 3) ist in italienischen Texte in Bezug auf Österreich nicht zu finden. Dafür gibt es Beispiele für eine Sprache der Verachtung, des Fanatismus und des Hasses, wie sie in dieser Zeit auf österreichischer Seite nicht aufscheint, etwa in der Rede Tolomeis 1923 in Bozen: Und wer verbreitet noch immer aus Bozen wider besseres Wissen das Märchen, ich sei ein Hasser der Deutschen? Und haben diese Gefäße voll Hass noch nicht verstanden, dass die Italiener von Natur aus nicht imstande sind zu hassen? Haben sie das nicht verstanden, diese Überbleibsel Österreichs, jenes Österreichs, das aufgehängt hat, das die Sterbenden mit genagelten Prügeln getötet hat, das die Gefangenen mit Schwerarbeit und Schwindsucht niedergehalten hat, während unsere Soldaten in den Bergen stundenlang unter feindlichen Kugeln marschiert sind, um einen verwundeten österreichischen Soldaten zu transportieren [...]. 49

Oder eine Presseaussendung des faschistischen Präfekten in Bozen Alfredo Giarratana 1928. Die Haltung der Geistlichkeit der Diözese Brixen im Zusammenhang mit dem Religionsunterricht in italienischer Sprache kommentierte Giarratana so: Italien wird sich nicht mit dem Galgen rächen, wie es das hyperkatholische Österreich getan hat, [...] aber es wird gewiss nicht die antireligiöse und antichristliche Rebellion einiger fanatischer und arroganter Pfaffen dulden. 50

Es handelt sich hier um lokale, nationalistisch-chauvinistische Stimmen. Dieser Tonfall der Verachtung war Ausfluss eines Überlegenheitsgefühls, während das österreichische Gegenstück dazu die Hiob’sche Klage war. Beide Sprachen sind extrem unsachlich und appellieren an das Irrationale im jeweiligen Adressaten. Die Texte waren ja nicht an den Anderen adressiert, sondern sprachen über den Anderen zu den eigenen Leuten.

48 Politica 7 (1921) 154; vgl. aber auch den bekannten Ausdruck »sacro egoismo«. 49 Übersetzung S.M. Original: »E chi ancora la divulga da Bolzano in malafede la favola che io sia un odiatore dei tedeschi? E non l’hanno capito ancora questi vasi d’odio che gli italiani per natura loro non sono capaci di odiare? non l’hanno capito questi avanzi dell’Austria, dell’Austria che impiccava, che spegneva i moribondi col randello chiodato, che sopprimeva i prigionieri con le sevizie e la tisi, mentre i soldati nostri facevano nei monti le ore di cammino sotto le palle per trasportare un austriaco ferito [...]«, Framke, Im Kampf um Südtirol 182. 50 Übersetzung S.M. Original: »L’Italia non si vendicherà con la forca come la catolicissima Austria ha fatto [...] ma non sopporterà certamente la ribellione antireligiosa ed anticristiana di quattro preti fanatici e petulanti.«, Freiberg, Südtirol und der italienische Nationalismus 241.

Analyse – zweiter Teil: Die Sprache

Was wir in den italienischen Textbeispielen durchaus finden, ist die biologistische Redeweise. Im Beispiel 6 etwa folgen einander auf engstem Raum die Ausdrücke Krebs, Makrozephalie, leben, Organismus (cancrena, macrocefalia, vivere, organismo). Oder wenn es von der Republik Österreich heißt: »Jenes Überbleibsel von Österreich [...] ist nicht in der Lage zu leben und zu atmen [...]«, 51 oder »der perfekte Organismus der deutschen Wirtschaft [...] jener passive und kranke Österreichs«. 52 Die Mehrzahl der italienischen Texte aber, und das ist der auffallendste Unterschied, ist in einer sachlichen Sprache gehalten. Es geht, wie gesagt, nicht um die Richtigkeit einer Aussage, sondern um die Wahl der Wörter und Sprachbilder. Es überwiegt die Verwendung von Ausdrücken aus der historischen, soziologischen, politischen und juristischen Sphäre. Innerhalb dieses Diskurses ist durchaus Platz für verschiedene Grade der Intensität, des Nachdrucks, der Emotionalität, wie die Beispiele 4, 5 und 7 zeigen, doch bleibt das Sprachmaterial im weitesten Sinn auf Politik und Gesellschaft bezogen und rekurriert nicht auf die biologische oder religiöse Sphäre. Liegt der Grund dafür in einem anderen Sprachverhalten der italienischen bürgerlich-intellektuellen Klasse? In tiefreichenden, kaum unterbrochenen Traditionen der Rechtspflege, der Allgegenwart des römischen Rechts? Es gibt eine viel näherliegende Antwort als solche Spekulationen, eine Antwort, die sich aus der konkreten politischen Situation nach dem Ersten Weltkrieg ergibt. Für die italienischen Politiker und Journalisten, die in diesen Jahren Veranlassung fanden, sich mit Österreich zu befassen, war dieses Thema keinesfalls so brisant, so wichtig, so entscheidend wie es umgekehrt die Themen Südtirol und Kampf gegen den Faschismus für die österreichischen Autoren gewesen sind. Reut-Nicolussi war ein Betroffener, ein Freiheitskämpfer für seine Heimat. Ellenbogen sah in voller Schärfe die antisozialistische Stoßrichtung des Faschismus, auch er kämpfte also für seine Genossen und für seine Weltanschauung. Dies musste auch in der Wahl der Sprache zum Ausdruck kommen. Dagegen war Österreich für die Italiener ein relativ marginales Thema, bei dem es nicht notwendig war, die sachliche Sprachebene zu verlassen. Wo dies aber dennoch geschah, finden wir wieder die größere persönliche Betroffenheit. Dies konnte die vergangene Habsburgermonarchie sein, die als Großmacht das eigene Volk und Land un-

51 Übersetzung S.M. Original: »Quel rimasuglio d’Austria [...] [non è] in grado di vivere e di respirare [...]« La Stampa, zit. nach Curato, La conferenza della pace 2, 494. 52 Übersetzung S.M. Original: »l’organismo perfetto dell’economia germanica [...] quello passivo e ammalato dell’Austria«, in Politica 12 (1922) 279.

297

298

Die Rede über den Anderen

terdrückt hatte. Dies war ganz eindeutig bei Ettore Tolomei der Fall, für den die Italianisierung Südtirols das Lebensthema schlechthin war. 53

16.4 Schluss Der italienisch-österreichische politische Diskurs erfuhr durch den Ausgang des Ersten Weltkriegs umfassende Änderungen. Manche Elemente wurden obsolet, andere verkehrten sich ins Gegenteil, neue kamen hinzu. Die Entwicklung verlief jedoch so, dass der Diskurs nach einer Phase der Entspannung auf eine neue Phase der Spannungen zurückgeworfen wurde. Die Verhältnisse gestatteten es noch nicht, dass es dauerhaft zu einem normalen, unauffälligen, unspektakulären Diskurs einer europäischen Nachbarschaft kam. Heute sind wir zum Glück längst soweit.

53 Zu Tolomei Framke, Im Kampf um Südtirol; Malfèr Maria, Ettore Tolomei.

17. Giuseppe Garibaldi aus österreichischer Sicht

17.1 Volksheld Giuseppe Garibaldi 1807–1882 Niemand wird sich darüber wundern, dass Giuseppe Garibaldi in Österreich keine besonders große Aufmerksamkeit gefunden hat. 1 In den Zeiten der Habsburgermonarchie zählte er mit Cavour, Mazzini und Napoleon III. zu jenen Personen, die an vorderster Stelle für den Verlust der Lombardei und Venetiens und für das Hinausdrängen Österreichs aus Italien verantwortlich gemacht wurden. Nur aus national-liberaler Sicht war eine gewisse Sympathie für das italienische Risorgimento und damit auch für Garibaldi möglich. 2 Das neue Königreich Italien ist von der Monarchie nach einigem Zögern anerkannt worden, und es ist sogar ihr Bündnispartner geworden. Dennoch blieb das Verhältnis der beiden Staaten zueinander ambivalent. Der Irredentismus hat diese Ambivalenz verstärkt. Weitgehend unberührt davon blieben die Bewunderung und die Liebe der Gebildeten für italienische Kunst und Landschaft. Politik und Kultur blieben getrennte Bereiche. Auch die Republik Österreich nach 1918 hatte mit Verlustgefühlen gegenüber Italien zu kämpfen. Triest und die Adria waren verloren, Südtirol war zu Italien gekommen. Viele sahen Österreich als lebensunfähigen Rest der Monarchie und wollten sich mit Deutschland vereinigen. Daraus hätte sich theoretisch, im historischen Rückblick, eine Sympathie für die italienische Einigungsbewegung ergeben können. Der Verlust Südtirols, die faschistische Politik und das Südtirolproblem verhinderten weitgehend und auf lange Sicht solche Überlegungen. 3 Das österreichische Nationalbewusstsein, das sich schließlich in den 1930er Jahren und erneut nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte, hat andere Wurzeln als die große europäische Nationalbewegung, die im Lauf des 19. und des 20. Jahrhunderts zur Gründung vieler Nationalstaaten geführt hat. Nicht die

1 Überarbeiteter Vortrag auf der Studientagung »Garibaldi en Europe« 2007 in Rouen anlässlich des 200. Geburtstags. 2 Vgl. Kap. 10: »Die Errichtung des Königreichs Italien 1860/61 in den Leitartikeln des Wiener Blattes ›Die Presse‹ « und »Das Bild vom Anderen – Österreicher und Italiener«. 3 Vgl. Kap. 14: »Die Beziehungen zwischen Italien und Österreich 1919–1922« und Malfèr, Wien und Rom.

300

Giuseppe Garibaldi aus österreichischer Sicht

Französische Revolution, nicht Kossuth, Mazzini und Garibaldi waren die Bezugspunkte des österreichischen Nationalbewusstseins, sondern kulturelle, historische und regionale Aspekte. Es ging nicht um die Befreiung oder Einigung eines Volkes, sondern um den Beweis, dass Österreich trotz der gemeinsamen Sprache auch ohne Deutschland eine Nation sei. 4 Schließlich war Giuseppe Garibaldi wegen seiner republikanischen und antiklerikalen Züge für große Teile der stark katholisch und ständisch geprägten österreichischen Gesellschaft keine interessante Figur. Nur in einem der drei sogenannten politischen Lager in Österreich, dem sozialdemokratischen, war eine gewisse Sympathie denkbar. Aber auch in diesem Lager überwogen bald die antiitalienischen Ressentiments. Aus allen diesen Gründen folgte ein weitgehendes Desinteresse an dieser Figur. Dennoch musste sie wahrgenommen werden, musste sie irgendwie ins österreichische Bewusstsein Eingang finden. Im Folgenden soll gezeigt werden, in welcher Weise dies geschehen ist.

17.2 Garibaldi in österreichischen historischen Quellen Sehr schnell fand Garibaldi Eingang in die österreichischen Akten. In Polizeiberichten taucht der Name schon vor 1848 auf. In den Akten des Kriegsarchivs ist er selbstverständlich präsent, ebenso in der Korrespondenz des Außenministeriums. Aber auch in einer so prominenten, auf hoher politischer Ebene angesiedelten Quelle wie den Ministerratsprotokollen wird er genannt. Hier ist im Juli 1849 zuerst anonym von »großen Räuberbanden« 5 die Rede, die die Toskana und den Kirchenstaat durchziehen, gemeint waren aber die Freischaren Garibaldis. Kurze Zeit später verzeichnet ein Tagesordnungspunkt eines Protokolls: »Eingelangten Nachrichten zufolge soll Garibaldi sich rechts geworfen haben und auf Rimini losgehen, um das Adriatische Meer zu erreichen.« 6 Etwas später berichtet der Kriegsminister von Gefangenen der »Garibaldinischen Legion« 7. Der Ministerrat beschloss, jene Mitglieder, die nicht k. k. Untertanen waren, an die römische Regierung auszuliefern. Der Justizminister meinte dazu, Österreich sei ja für diese Regierung gegen die »Banden Garibaldis« 8 eingeschritten. Dann wird es naturgemäß still um den Nationalhelden.

4 5 6 7 8

Bruckmüller, Nation Österreich. MR. v. 6. 7. 1849/II, ÖMR II / 1, Nr. 111. MR. v. 1. 8. 1849/III, ÖMR II / 1, Nr. 133. MR. v. 11. 8. 1849/III, ÖMR II / 1, Nr. 142. Ebd.

Garibaldi in österreichischen historischen Quellen

Zehn Jahre später ist er wieder da, und gleich mit einer Armee von 40.000 Mann. Am 1. September 1859, also bereits nach dem Waffenstillstand von Villafranca zwischen Österreich und Frankreich, beantragten der Außen- und der Innenminister in der Ministerkonferenz die Aufhebung des Belagerungszustandes in Venetien. Der Armeechef lehnte dies entschieden ab »in einem Augenblick, wo man sich noch gewissermaßen im Kriege befindet, Garibaldi mit 40.000 Mann in den Herzogtümern und Legationen uns bedroht, und die feindlichen Vorposten bis an die unsrigen reichen!« 9 Der Zug der Tausend im darauffolgenden Jahr 1860 und der zweite Akt der italienischen Einigung führten zu einer wiederholten Nennung. Zwar verhielt sich Österreich strikt neutral und dachte nicht daran, militärisch einzugreifen. Man befürchtete aber eine Aktion garibaldinischer Freischaren an der österreichischen Adriaküste. Der Minister des Äußeren hielt einen Landungsversuch von Seite Garibaldis an einer österreichischen Küste noch im Laufe des Jahres für wahrscheinlich. 10 Solche Äußerungen finden sich mehrfach in den Ministerratsprotokollen auch noch in den folgenden Jahren. 11 Das heißt, die Erfolge und Misserfolge Garibaldis wurden genau registriert, die Gefahr abgewogen, Gegenmaßnahmen überlegt und ergriffen. Garibaldi ist also in den Ministerratsprotokollen ein allen bekannter militärischer Faktor, auf den die Regierung entsprechend reagierte. In anderen Quellen ist er aber bereits mehr als eine bloße militärische Größe, er ist ein politischideologisches Symbol. So begann die liberale Wiener Tageszeitung »Die Presse« kurz nach der Landung auf Sizilien die Memoiren Garibaldis nach Alexandre Dumas abzudrucken. 12 Die Regierung, die sehr genau die Zeitungen beobachtete, empfand den Abdruck der Memoiren offenbar als liberale Provokation. Nach fünf Artikeln beendete die Zeitung den Abdruck mit folgendem Hinweis: »Schwierigkeiten, deren Beseitigung nicht in unserer Macht liegt, hindern uns, unseren Lesern die weiteren Fortsetzungen der Memoiren Garibaldi’s von Dumas zu bringen. Die Redaktion.« 13 Offensichtlich hatte es eine polizeiliche Intervention gegeben. Die Redaktion rächte sich, indem sie an der freien Stelle einen Artikel über die letzten Hofnarren des Königs von Preußen brachte und damit wohl den

9 MK. v. 1. 9. 1859/II, ÖMR IV / 1, Nr. 28. 10 MK. I v. 9. 8. 1860/III, ÖMR IV / 2, Nr. 200. 11 ÖMR IV / 2, 368, 380, 398; ÖMR IV / 3, 291; ÖMR V / 1, 277; ÖMR V / 2, 100, 192, 471; ÖMR V / 3, 402; ÖMR V / 4, 110. 12 Die Presse v. 5. 6. 1860, Abendblatt, 1 f.; v. 6. 6. 1860, Abendblatt, 1 f.; v. 9. 6. 1860, 1; v. 10. 6. 1860, 3, und v. 12. 6. 1860, 4. 13 Die Presse v. 15. 6. 1860, 1.

301

302

Giuseppe Garibaldi aus österreichischer Sicht

Polizeiminister als Narren bezeichnete. 14 Die Zeitung referierte immer wieder ausführlich über die Ereignisse in Süditalien. Am 18. August 1860 benützte sie einen Bericht über die neapolitanische Armee, um indirekt die Bewunderung für die Erfolge des Generals auszudrücken: Nicht oft zeigt die Kriegsgeschichte Erfolge wie die, welche die Waffen Garibaldis begleiten. In Feldzügen zivilisierter Heere ist eine solche Wiederholung des alten ›veni, vidi, vici‹ geradezu unerhört, und wir müssen in die ferne Vergangenheit zurückgreifen, [...] um ein passendes Seitenstück zu diesem Zuge zu finden. Es ist nun die Rede davon, dass Garibaldi bereits zu einem Angriff auf die festländischen Staaten des Königs Franz II. geschritten sei [...]. Indes scheint es für die Bewegung, deren Vorfechter Garibaldi ist, wenigstens innerhalb Italiens, keine Unmöglichkeiten zu geben. 15

Viel offener als in Wien konnte in Deutschland geschrieben werden. Im folgenden Zitat dürfen wir durchaus die Meinung deutschliberaler Österreicher erkennen, auch wenn der Artikel in Deutschland erschienen ist, und zwar in der Zeitung »Die Grenzboten«, die der Prager Journalist Ignaz Kuranda als Exilzeitung der deutschösterreichischen Liberalen gegründet hatte. Im Herbst 1860 war da zu lesen: »Die politische Partei in Italien, welche in der nächsten Zukunft das relativ größte Recht hat, sich durchzusetzen, ist die Partei Garibaldis.« 16 Dies sei »weitverbreitete Überzeugung.« 17 Als symbolischer Name für das nationale Prinzip und für den Nationalstaat ist der Name Garibaldi auch in die Debatten des österreichischen verstärkten Reichsrates eingegangen. Der verstärkte Reichsrat war eine vom Kaiser einberufene Versammlung von Honoratioren, die von Mai bis September 1860 in Wien tagte und für die Verfassungsentwicklung der Habsburgermonarchie von außerordentlicher Bedeutung wurde. Am 24. September 1860 kam es zu einem Schlagabtausch zwischen dem ungarischen Magnaten Georg v. Mailáth und dem rumänischen Abgeordneten Andreas v. Mocsonyi. Mocsonyi hatte die Gleichberechtigung der Nationalitäten gefordert, eine Forderung, die sich in Ungarn gegen die herrschenden Magyaren richtete. Der ultramagyarische Mailáth warf daraufhin dem Rumänen vor, dass er das Prinzip der Nationalität anstelle des Prinzips des historischen Rechts vertrete, und stellte die rhetorische Frage: »Befindet sich der Herr Vorredner vielleicht unbewusst auf dem Ter-

14 15 16 17

Ebd. Die Presse vom 18. 8. 1860, 1. Altgeld, Quellen zu den deutsch-italienischen Beziehungen Nr. 3, 22–25. Ebd.

Garibaldi in österreichischen historischen Quellen

rain Garibaldis? Er ist auch für das Nationalitätenprinzip gegen das historische Recht.« 18 Mocsonyi replizierte, er habe nicht den Boden Garibaldis betreten, sondern er habe mit der Gleichberechtigung der Nationalitäten nur das wiederholt, was der Kaiser selbst gesagt habe. 19 Im Mai 1861 wurde ein wirkliches Parlament einberufen, der Reichsrat, der im Wesentlichen bis zum Ende der Monarchie bestanden hat. Die italienische Frage war mit der 1861 erfolgten Ausrufung des Königreichs Italien noch nicht gelöst. Österreich anerkannte den neuen Staat nicht, Venetien war noch Teil Österreichs und Rom war noch nicht die italienische Hauptstadt. Obwohl die Außenpolitik als Prärogative des Kaisers galt, benützten die Abgeordneten des österreichischen Parlaments mehrmals die Budgetdebatte, um außenpolitische Fragen, darunter die italienische zu besprechen. Einige liberale Abgeordnete bekämpften vor allem die hohen Rüstungsausgaben und verlangten deshalb eine andere Italienpolitik. Dies lief auf die Forderung nach Anerkennung des neuen Staates hinaus. Kein österreichischer Abgeordneter traute sich natürlich, die freiwillige Abtretung Venetiens zu befürworten, die von französischer und englischer Seite ventiliert wurde. Aber einen Ausgleich mit dem neuen Staat wünschten sie. Dieser Wunsch verstärkte sich nach den Ereignissen von Aspromonte 1862, wo der Volksheld Garibaldi, der an der Entstehung Italiens maßgeblich beteiligt gewesen war, bei einem versuchten Feldzug zur Befreiung Roms von den offiziellen italienischen Truppen aufgehalten, verwundet und in der Folge vorläufig kaltgestellt wurde. Auch in den Debatten im Abgeordnetenhaus zur Außenpolitik wurde gelegentlich, direkt oder indirekt, Garibaldi zitiert. Der mährische Abgeordnete Ryger meinte, Österreichs größter Feind seien die zerrütteten Finanzen, und nicht »die Konspirationen eines Mannes, der vielleicht in Marsala [...] Erfolge erringen konnte«. 20 Das war eine Anspielung auf den berühmten Zug der Tausend des Jahres 1860. Der steirische Abgeordnete Rechbauer meinte, Italien leide an den Wunden von Aspromonte und sei innerlich zerrissen, daher könne Österreich abrüsten. 21 Kriegsminister Franck betonte demgegenüber die Gefährlichkeit Garibaldis und die Notwendigkeit einer vorsorglichen Rüstung. Italien werde zwar keinen Krieg anfangen, »aber, meine Herren, Putsche kön18 Verhandlungen des österreichischen verstärkten Reichsrates 1860, 2, 115. 19 Ebd. 122. 20 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses, I. Session, 132. Sitzung, 18. 6. 1862, 3120; vgl. Blaas, Die italienische Frage und das österreichische Parlament 196. 21 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses, I. Session, 191. Sitzung, 25. 11. 1862, 4744; vgl. Blaas, Die italienische Frage und das österreichische Parlament 197.

303

304

Giuseppe Garibaldi aus österreichischer Sicht

nen eintreten und zwar nicht bloß herbeigeführt durch junge Leute, sondern von Mazzini, Garibaldi und Konsorten«. 22 Garibaldi blieb also für Österreich der militärisch potentiell gefährliche Revolutionär, oder er konnte zum Symbol einer Nationalitätenpolitik werden, die, je nachdem, erwünscht oder gefürchtet wurde. Die Furcht konnte auch aggressive, hasserfüllte Töne hervorbringen. Der Hass auf den politischen Gegner kommt in einer Flugschrift zum Ausdruck, die 1861 in Wien erschienen ist, mit dem Titel Kossuth, Mazzini, Garibaldi. 23 Kossuth wird als unmoralischer, niederträchtiger Mensch vorgestellt. Mazzini ist der rastlose Wühler, der überall Brandfackeln auswirft. Garibaldi ist der Räuberhauptmann, der überall den Frieden stört, dessen Soldaten nur Flüchtlinge und Vagabunden sind. Das Pamphlet war Ausdruck jener konservativ-reaktionären Kräfte, für die jede Revolution bloße Ruhestörung und Ausdruck des Bösen schlechthin war. Die italienische Frage wurde schließlich gelöst. 1866 trat Österreich Venetien ab und anerkannte das Königreich Italien. 1871 wurde Rom Italiens Hauptstadt. Die großen Gestalten des Risorgimento wurden allmählich zu historischen Figuren. Gleichzeitig hatte sich Österreich zur Doppelmonarchie und zu einem konstitutionellen Staat mit voller Pressefreiheit gewandelt. Damit waren die Voraussetzungen für eine offene Diskussion gegeben. Als 1872 Mazzini starb, schrieben die Zeitungen einschließlich der offiziellen »Wiener Zeitung« ausführlich über die Begräbnisfeierlichkeiten und über den Verstorbenen. In diesen Artikeln wurde versucht, den italienischen Einigungsprozess zu analysieren. Garibaldi fiel dabei die Rolle zu, ein wirklicher Mann der Tat gewesen zu sein, während Mazzini eigentlich gescheitert sei. 24 Zehn Jahre später, am 2. Juni 1882, starb Garibaldi. (Zwei Wochen davor, am 20. Mai 1882, war in Wien der Dreibund unterzeichnet worden. Italien und Österreich waren nun Bundesgenossen. Der Vertrag war geheim, erst 1883 wurde er bekannt.) Auch anlässlich des Ablebens Garibaldis erschienen, so wie bei Mazzini, Zeitungsartikel. Wir sehen eine Dreiteilung in der öffentlichen Meinung. Die klerikal-konservative Zeitung »Das Vaterland«, am rechten Rand des politischen Spektrums angesiedelt, berichtete voll Verachtung über

22 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses, III. Session, 55. Sitzung, 4. 5. 1865, 1510; vgl. Blaas, Die italienische Frage und das österreichische Parlament 237. 23 Der volle Titel lautet: Kossuth, Mazzini, Garibaldi. Leben und Streben dieser freien Männer des Tages, offen und frei dargestellt von den Tagen ihrer Jugend bis auf die jüngste Gegenwart nebst einer vertraulichen geheimen Rücksprache mit dem Leser zum Schlusse (Wien 1861). 24 Die Presse v. 12. 3. 1872, 1.

Garibaldi in österreichischen historischen Quellen

den »sogenannten« General, der bis zuletzt giftige Episteln verfasst habe und seit Mentana lächerlich gewesen sei. 25 Bei Mentana hatte Garibaldi 1867 einen weiteren Versuch unternommen, Rom zu befreien, war aber der Übermacht der päpstlichen und der französischen Truppen gewichen. Die »Wiener Zeitung« beschränkte sich auf sachliche Meldungen und enthielt sich eines Urteils. 26 Ganz anders war die Berichterstattung in der liberalen Presse. Die Artikel der liberalen Zeitungen anlässlich seines Ablebens bilden ohne Zweifel den Höhepunkt der Beachtung und Würdigung, die Garibaldi in Österreich erfahren hat. In der »Neuen Freien Presse« begann die Mitteilung mit folgenden pathetischen Worten: Der elektrische Draht meldet das Ableben eines Patrioten, dessen Name von Italien aus mit dem Zauber des Idealen und des Romantischen auf Millionen wirkte und den keine andere Nation in solcher Selbstlosigkeit und Charakterreinheit aufzuweisen hat. 27

Eine weitere lange Würdigung erschien am nächsten Tag. Hier wurde er als Volksheld und als für die moderne Geschichte einzigartige Erscheinung bezeichnet: »Unsterblich lebt er in der Geschichte fort, in welcher er ganze Blätter allein beschrieben [hat], ein erfreuliches Bild edler Selbstverleugnung und glühender Vaterlandsliebe.« 28 Tagelang berichtete diese Zeitung über die Ereignisse in Italien. Am 8. Juni 1882 erschien ein weiterer Nachruf, in dem er als Genie und Wegweiser der Geschichte gefeiert wurde. 29 Der Artikel war zugleich eine heftige Kritik an den Klerikalen und Ultramontanen. Am 11. Juni schrieb der Journalist Karl von Thaler im Feuilleton über Garibaldi. 30 Die zwei Wochen dauernde Berichterstattung wurde beendet mit einer persönlichen Erinnerung an den triumphalen Aufenthalt Garibaldis in London 1864 aus der Feder des dort lebenden deutschen Liberalen Karl Blind. 31 Giuseppe Garibaldi wurde also von den Zeitgenossen in Österreich einerseits gehasst, anderseits als militärischer Faktor nüchtern eingeschätzt, von liberal-nationaler Seite aber durchaus mit Sympathie wahrgenommen.

25 26 27 28 29 30 31

Das Vaterland v. 4. 6. 1882, 5. Wiener Zeitung v. 4. 6. 1882, 3. Neue Freie Presse v. 3. 6. 1882, Abendblatt, 2. Neue Freie Presse v. 4. 6. 1882, 2 f. Neue Freie Presse v. 8. 6. 1882, 1, Artikel »Wien, 7. Juni«. Neue Freie Presse v. 11. 6. 1882, 1–3, Feuilleton »Garibaldi«. Neue Freie Presse v. 15. 6. 1882, 1 f., und v. 16. 6. 1882, 1 f., Feuilleton »Erinnerungen an Garibaldi«.

305

306

Giuseppe Garibaldi aus österreichischer Sicht

17.3 Garibaldi in der österreichischen Geschichtsschreibung Das erste österreichische Geschichtswerk über die großen Umwälzungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts, das auch auf Garibaldi zu sprechen kam, war Heinrich Friedjungs Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859–1866. 1896 erschienen, erlebte das Werk nicht weniger als zehn Auflagen. Das Bild, das der deutschliberale Historiker von Garibaldi zeichnete, war – bei aller Kürze – von jener Sympathie getragen, die die nationalliberale Seite für das Risorgimento aufbringen konnte. Garibaldi kann sich 1849, aus Rom vertrieben, unter fast wunderbaren Abenteuern bis ans Adriatische Meer durchschlagen. Es wird ihm große Findigkeit bescheinigt. Er hat himmelstürmende Ideen zur allgemeinen Volksbefreiung, er ist voll Feuereifer, hat eine rege Einbildungskraft, er ist volkstümlich, seine Rothemden kämpfen tapfer. 32 Hier finden wir also ansatzweise das Bild des romantischen Helden, den man anerkennt, auch wenn er auf der anderen Seite gekämpft hat. Mit viel Verständnis für den von Cavour vertretenen piemontesischen Weg zur Einigung Italiens, aber durchaus sachlich wurde der Beitrag Garibaldis von Ludo Moriz Hartmann in seiner kenntnisreichen Arbeit 100 Jahre italienischer Geschichte erzählt. Das Buch erschien 1916 in München, war aber vorher in einzelnen Artikeln in der »Arbeiter-Zeitung« publiziert worden. Für Hartmann war Mazzini wichtiger, er war der »Prophet des neuen Italien«, 33 dem er ein eigenes Kapitel widmete. 34 Garibaldi tauchte eher unvermittelt auf, und zwar anlässlich der Gründung der Società nazionale italiana 1857, die ein wichtiges Instrument für Cavours Weg zur Einigung Italiens wurde: »Es war für die Bewegung ein großer Gewinn, dass sich ihr auch Garibaldi, vielleicht der populärste Mann Italiens, obwohl im Herzen ein Republikaner, aus Hass gegen Österreich anschloss.« 35 Warum er so populär war, schrieb Hartmann nicht. Er setzte dieses Wissen bei seinen Lesern offenbar voraus, ebenso wenn er schrieb: »In dem Zuge Garibaldis und seiner Tausend erreicht der italienische Einheitskampf seinen epischen Höhepunkt.« 36 In der 1929 erschienenen Franz-Joseph-Biographie des liberalen Historikers Joseph Redlich wird zwar Garibaldis Zug der Tausend nach Sizilien nur erwähnt, im Namensverzeichnis aber ist Garibaldi als einziger als Nationalheld

32 33 34 35 36

Friedjung, Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1, 400 und 442; 2, 440–442. Hartmann, 100 Jahre italienischer Geschichte 106. Ebd. 106–115. Ebd. 153. Ebd. 166.

Garibaldi in der österreichischen Geschichtsschreibung

tituliert, während Mazzini als Agitator und Kossuth als Revolutionsführer bezeichnet werden. 37 Spuren eines positiven Bildes des Risorgimento und Garibaldis finden wir auch in den Anfängen der Republik Österreich auf Seiten der Sozialdemokratie. So schreibt etwa die »Arbeiter-Zeitung« vom 14. April 1920 im Leitartikel anlässlich der Reise des Staatskanzlers Karl Renner nach Rom folgenden Satz: Nur die Republik, die jede Verantwortung für die Jahrhunderte alte Schuld der Habsburger guten Glaubens ablehnen kann, die in Italiens Revolutionen und Kriegen gegen die Habsburger ein großes, ruhmvolles Stück der Geschichte der europäischen Demokratie sieht [...], deren Herzen Garibaldi und Mazzini näher, viel näher sind als Radetzky und der Habsburger Albrecht, [...], nur sie kann das Band weben, das das italienische und das deutsche [sic!] Volk [...] einander verbinden soll. 38

Otto Bauer sprach im Zusammenhang mit der Nationalitätenfrage nicht von Mazzini, sondern vom »Garibaldinischen Nationalitätendogma«. 39 Eine weitere Aufmerksamkeit oder Sympathie hat Garibaldi in der österreichischen Historiographie nicht mehr erfahren. Alle Überblickswerke beschränken sich auf kürzeste sachliche Nennungen. Wenn überhaupt Platz ist für einige Namen, dann taucht Garibaldi gleichsam aus dem Nichts auf und verschwindet wieder, nachdem sein militärischer Beitrag erwähnt ist. Dies ist so in den älteren Handbüchern von Uhlirz und Hantsch, auch in Srbiks großer, auf Quellen gestützter Arbeit Deutsche Einheit, wie auch in den Handbüchern von Zöllner und Rumpler. 40 Eine Ausnahme ist Hellmut Andics, der in der populärwissenschaftlichen »Neuen Geschichte Österreichs« Garibaldi einen strahlenden Volkshelden nennt, der erfolgreicher gekämpft habe als die italienische Armee. Hier finden wir auch, wenn auch nur in einer ausführlichen Fußnote, Angaben zu Garibaldi als Freimaurer. 41 Als sich nach dem Zweiten Weltkrieg die österreichische Historiographie wieder Italien zuwandte, angeführt von den Historikern Heinrich Benedikt und Adam Wandruszka, war ihr Hauptinteresse nicht das Risorgimento, sondern 37 Redlich, Kaiser Franz Joseph 253 und Register. 38 Arbeiter-Zeitung v. 14. 4. 1920, 1, Leitartikel »Deutschösterreich und Italien«. 39 Bauer, Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie 338. Auch im kleinen Handbuch zur österreichischen Geschichte zitiert Bauer nicht Mazzini, sondern Garibaldi, Bauer, Geschichte Österreichs 917. 40 Uhlirz, Handbuch 2/1, 679; 2/2, 788,749, 831, 881; Hantsch, Die Geschichte Österreichs 2, 372; Srbik, Deutsche Einheit 2, 349, 375, 389; Zöllner, Geschichte Österreichs 5403; Rumpler, Eine Chance für Mitteleuropa 168 und 371. 41 Andics, Neue Österreichische Geschichte (Taschenbuch) 1, 153, 159, 186, 290.

307

308

Giuseppe Garibaldi aus österreichischer Sicht

die Art und Weise der habsburgischen Herrschaft auf der Halbinsel, zuerst im 18., dann auch im 19. Jahrhundert. 42 Die Arbeiten von Blaas zum »Problema veneto« gehören weitgehend zur Diplomatiegeschichte. 43 Auch die historische Literatur, die im Gefolge einer gewissen Habsburg-Nostalgie und des Mitteleuropagedankens entstanden ist, suchte nach den Spuren der Dynastie und nicht nach ihren Gegenspielern. 44 Wichtig waren die Arbeiten des Journalisten und Historikers Claus Gatterer, der die radikaldemokratische kritische Sicht auf das Risorgimento nach Österreich vermittelt hat. 45 Garibaldi war gewiss ein Volksheld, aber sein Ideal eines republikanischen Italien wurde von den adeligen und bürgerlichen Eliten des werdenden und dann tatsächlich als Monarchie gegründeten neuen Staates mit allen Mitteln verhindert. 46 Die neueren Beiträge zum 19. Jahrhundert schließlich behandeln die Verwaltungs- und Sozialgeschichte Lombardo-Venetiens. 47 Garibaldi ist in diesen Arbeiten weder Akteur noch Untersuchungsgegenstand, er kommt bestenfalls indirekt vor, wenn sein Name in einem Aktenstück der österreichischen Behörden genannt ist. Angesichts der Tatsache, dass die Werke zur österreichischen Geschichte den italienischen Volkshelden meistens gerade nur erwähnen und dass die Beiträge aus Österreich zur Geschichte Italiens sich mit anderen Themen beschäftigen, ist es erfreulich festzustellen, dass die österreichischen Schulbücher eine ausreichende Darstellung des Themas bieten. 48 Die Lehrbehelfe widmen der Einigung Italiens meistens zwei bis drei Seiten, gefolgt von einer ähnlichen Darstellung über die Einigung Deutschlands. Beim Bildmaterial ist neben einer Landkarte der Halbinsel stets auch eine Abbildung Garibaldis vorhanden.

42 Benedikt, Kaiseradler über dem Apennin; Wandruszka, Leopold II.; Wandruszka, Österreich und Italien im 18. Jahrhundert. 43 Blaas, Il Problema Veneto e l’Europa; siehe auch Höslinger, Bibliographie Richard Blaas. 44 z. B. Reden, Hoffnung aus der Vergangenheit; Pesendorfer, Eiserne Krone und Doppeladler. 45 Gatterer, Erbfeindschaft. 46 Ebd. 27–41. 47 Mazohl-Wallnig, Österreichischer Verwaltungsstaat; Saurer, Straße, Schmuggel, Lottospiel; Gottsmann, Venetien. 48 Folgende Lehrbücher wurden untersucht: Franz Heilsberg u. a., Allgemeine Geschichte der Neuzeit von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart (Wien 1961); Hermann Lein u. a., Geschichte und Sozialkunde. Vom Höfischen Absolutismus bis zum Ersten Weltkrieg (Wien-Heidelberg 1972); Josef Achleitner u. a., Zeiten, Völker und Kulturen. Vom Zeitalter des Absolutismus bis zum Ersten Weltkrieg (Wien 1973); Herbert Hasenmayer u. a., Neuzeit. Vom Westfälischen Frieden bis zum Ersten Weltkrieg (Wien 1974); Hermann Lein – Fritz Weissensteiner, Zeitbilder 7. Vom höfischen Absolutismus bis zum Ersten Weltkrieg (Wien 1984); Alois Scheucher u. a., Zeitbilder 7. Vom Beginn des Industriezeitalters bis zum Zweiten Weltkrieg (Wien 1991); Alois Scheucher u. a., Zeitbilder 5 & 6. Von den Anfängen der Geschichte der Menschen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (Wien 2006).

Garibaldi in der österreichischen Geschichtsschreibung

Die Darstellung selbst ist objektiv. Garibaldi wird nicht nur erwähnt, sondern in seiner Bedeutung für die italienische Geschichte vorgestellt. So heißt es etwa bereits 1961: »Vor allem durch diese Unternehmung [den Zug der Tausend] wurde Garibaldi zu einer fast mythischen Persönlichkeit, zum Heros und Repräsentanten des italienischen Volkes.« 49 1973 wird in einem Schulbuch ein Zitat Garibaldis eingefügt. 50 In einem Buch aus 1991 wird sogar in einem längeren Absatz die kritische italienische Geschichtsschreibung rezipiert. Es wird die Frage gestellt, wem die nationale Einigung genützt habe, und es wird festgestellt, dass die von Garibaldi versprochene Landreform ausgeblieben sei. 51 In einer neueren Auflage dieses Buches ist dieser Absatz so wie auch ein Bild Garibaldis allerdings entfallen. Man musste wohl Platz einsparen, weil das Buch nicht mehr nur Geschichte und Sozialkunde, sondern auch politische Bildung enthält und weil Themen des 20. Jahrhunderts und außereuropäische Themen mehr Platz beanspruchen. Dafür wird zur italienischen und zur deutschen Einigung in dieser Auflage auch das erfolgreiche Beispiel Griechenlands und das gescheiterte Beispiel Polens hinzugefügt. 52 So viel zu den Schulbüchern. Was ist zu Garibaldi und Österreich heute sonst noch zu sagen? Eine romanistische Magisterarbeit widmete sich dem Schriftsteller Garibaldi. 53 2001 erschien ein historischer Roman über Anita Garibaldi in einem Innsbrucker Verlag aus der Feder einer Grazer Schriftstellerin. 54 Mehrere Restaurants tragen seinen Namen. Der 200. Geburtstag Garibaldis 2007 war in der österreichischen Presse kein Thema. Dennoch ist Garibaldi in der »Wiener Zeitung« gewesen, sogar im Amtsblatt, sogar mit einem Bild. Dort wurde nämlich ordnungsgemäß die Ausgabe der 2 e Münze der Republik San Marino mit dem Porträt Garibaldis kundgemacht. 55 Dank der Europäischen Union und des Euro wird Giuseppe Garibaldi also doch, sei es als Sammelobjekt, sei es durch Touristen, nach Österreich kommen und dort zirkulieren.

49 50 51 52 53 54 55

Heilsberg, Allgemeine Geschichte der Neuzeit 57. Achleitner, Zeiten, Völker und Kulturen 183. Scheucher, Zeitbilder 7, 38. Scheucher, Zeitbilder 5 & 6, 209. Panesch, Garibaldi als Schriftsteller. Gloria Kaiser, Anita Garibaldi. Roman (Innsbruck 2001). Wiener Zeitung v. 18. 10. 2007, 32.

309

ANHANG

18. Zur Erzählung »Ich geh’ nach London« Auf einer Tagung anlässlich des 200. Geburtstages von Giuseppe Garibaldi in Rouen 2007 warf der römische Risorgimento-Historiker Giuseppe Monsagrati beim Abendessen die Frage in die Runde, wer von den Teilnehmenden Lust hätte, sich einmal auf die andere Seite zu begeben und eine historische Erzählung zu verfassen, zwar erfunden, aber doch historisch korrekt. Ich hatte kurz davor im Tagebuch István Széchenyis, des »größten Ungarn« 1, von seiner Italienreise gelesen. Den großen italienischen Dichter der Romantik Ugo Foscolo kannte ich vom Italienisch-Unterricht im Gymnasium. Ich meldete mich zur Teilnahme. Aus Monsagratis Idee ist ein sehr hübscher Erzählband entstanden, der 2009 im römischen Verlag La Lepre erschienen ist. 2 Die Erzählung handelt von einer fiktiven Begegnung zwischen István Széchenyi und Ugo Foscolo im Haus des großen italienischen Renaissancedichters Francesco Petrarca in Arquà, einem Örtchen bei Padua, das sich seit 1870 Arquà Petrarca nennt. Die Begegnung hat nicht stattgefunden, doch hätte sie ohne weiteres stattfinden können. Über István Graf Széchenyi muss hier nicht viel gesagt werden. Die exemplarische Biographie von Andreas Oplatka trägt den Titel: Graf Stephan Széchenyi. Der Mann, der Ungarn schuf. 3 Széchenyi wurde 1791 als Spross einer alten Adelsfamilie geboren und absolvierte eine kurze militärische Laufbahn. Er unternahm viele Reisen und wurde dadurch zu einem überzeugten Liberalen. Er sah den großen Bedarf an sozialen und wirtschaftlichen Reformen in seiner Heimat Ungarn und vor allem bei seinen Standesgenossen. In einer rastlosen über zwanzigjährigen Tätigkeit als Schriftsteller, Mäzen, Anreger und Reformer gelang es ihm tatsächlich, die ungarische Aristokratie für die neuen Ideen zu gewinnen. Wie ein Wirbelwind fuhr er durch die ungarische Gesellschaft und riss sie mit auf den Weg der liberalen Erneuerung. Allerdings erkannte er auch in aller Schärfe das ungarische Nationalitätenproblem. Darüber geriet er zunehmend in Konflikt mit den radikaleren Nationalliberalen unter Lajos Kossuth. In der Revolution von 1848 wurde Széchenyi Verkehrs- und Arbeitsminister. Als aber Kossuth die Überhand gewann, erlitt Széchenyi, aus berechtigter Angst vor allzu radikalen Reformen, einen Nervenzusammenbruch und zog sich völlig zurück, ohne je vollständig zu genesen. Széchenyi hat im Lauf seines Lebens mehrmals depressive Phasen und Selbstmordgedanken überwunden. 1860 aber nahm er

1 Ein Ehrentitel, den Széchenyis späterer Gegenspieler Lajos Kossuths 1840 geprägt hat, siehe Oplatka, Graf Stephan Széchenyi 235. 2 I racconti del Calvados, a cura di Giuseppe Monsagrati (Roma: La Lepre Edizioni 2009). 3 Andreas Oplatka, Graf Stephan Széchenyi. Der Mann, der Ungarn schuf (Wien 2004).

Zur Erzählung »Ich geh’ nach London«

sich nach einer provokanten Hausdurchsuchung durch die österreichische Polizei in einer Kurzschlusshandlung tatsächlich das Leben. Ugo Foscolo (1778–1827) war ein bedeutender frühromantischer Dichter Italiens. Sein berühmtestes Werk ist der in Nachfolge von Goethes Werther verfasste, mit autobiographischen Elementen versetzte Briefroman Ultime lettere di Jacopo Ortis. Die Handlung spielt in den Colli Euganei südwestlich von Padua. Der romantische Held Jacopo zieht sich nach der Abtretung Venetiens an Österreich 1797 und damit dem Scheitern seines republikanischen Traumes dorthin zurück, um der politischen Verfolgung zu entgehen. Hier spielt die unglückliche Liebesgeschichte zu Teresa, der Braut eines anderen, hier nimmt er sich das Leben. Foscolos republikanische und patriotische Gesinnung, seine militärische und literarische Laufbahn, die überstürzte Flucht in die Schweiz am 30. März 1815 und das freiwillige Exil in London sind Tatsachen. 4 Die Idee zur Erzählung beruht auf einer Passage in Széchenyis Tagebuch. 5 Tatsächlich hat es die in der Erzählung geschilderte Reise, die Liebesaffäre und den Besuch in Petrarcas Haus in Arquà gegeben. Wahr ist aber vor allem, dass Széchenyi, der die italienische Literatur im Original las, von der romantisch-nationalen Bewegung in Italien ebenso wie von der europäischen Aufklärung und vom Liberalismus beeinflusst worden ist. Aber nicht nur er. Die neuen Ideen breiteten sich in Europa durch Literatur und durch persönliche Begegnungen aus. Die Ideen zirkulierten. England und Frankreich waren die Vorreiter, Italiener und später viele andere europäische Völker folgten nach. Liberalismus und nationales Erwachen waren Emanzipationsbewegungen. Doch im Verlauf des 19. und im 20. Jahrhundert degenerierte der Nationalismus. Széchenyi hat das Meer von Blut geahnt, sein Scheitern hat tragische Züge. Die Begegnung zwischen Széchenyi und Foscolo am Beginn dieser emanzipatorischen Phase hat nicht stattgefunden, aber sie hätte so oder ähnlich durchaus stattfinden können.

4 Hilfreich war die ausgezeichnete Biografie Ugo Foscolos von Giuseppe Nicoletti, Foscolo (Roma 2006). 5 Gyula Viszota (Hg.), Gróf Széchenyi István összes munkái. Naplói, Bd. 1, Tagebuch der Reise nach Italien Juli-August 1818.

313

19. Ich geh’ nach London

Begegnung zwischen István Széchenyi und Ugo Foscolo. Eine Erzählung I Es war ein schöner Frühlingsmorgen Ende März des Jahres 1815. Graf N. – er befand sich mit seiner frisch angetrauten Gemahlin nahe bei Padua auf dem Weg nach Mailand zur Dienstleistung im Stab des Feldmarschalls Bellegarde, der die nach der Niederlage Napoleons in die Lombardei zurückgekehrte österreichische Verwaltung leitete – Graf N. kehrte von einem kurzen Morgenritt zum Gasthof zurück. Seine Frau, die er noch schlafend verlassen hatte, saß schon beim Frühstück. »Es gibt gutes Brot hier«, begrüßte sie ihn, »und kalten Braten. Die Wirtin wird noch warme Milch bringen und Kaffee.« »Die Gegend hier ist etwas langweilig«, berichtete der Graf. »Unsere böhmischen Hügel gefallen mir besser. Aber wir müssen uns auf ein paar Monate in der Ebene einstellen. Dafür haben wir in Mailand bestimmt ein angenehmes Leben und anregende Leute.« »Ich habe nicht mehr schlafen können und ein wenig im Eustace gelesen«, sagte die Gräfin. »Es gibt hier in der Nähe ein Hügelgebiet, das lieblich sein soll. Das Haus und das Grab eines berühmten italienischen Dichters sollen dort sehenswert sein, den Namen habe ich vergessen.« Die Gräfin griff nach dem Führer und suchte ein wenig. »Ah, Petrarca war es, Arquato heißt der Ort. Hören Sie! Arquato is prettily situated on the northern side of a high hill, with a valley below it, winding trough the Euganean ridge. It is not a very large, but a neat village. . . . Behind the house is a garden, . . . A narrow walk leads through it, and continues along the side of the hill, under the shade of olive trees; . . . The hill ascends steep from the garden, . . . Its broken sides are well cultivated, interspersed with olives and cottages. Wollen wir nicht einen Abstecher machen? Dann können Sie Hügel sehen, und Ihr Dienst beginnt ja erst in drei Tagen. Die Straßen hier sind so gut, dass wir rasch weiterkommen.« »Wenn Sie meinen«, sagte der Graf. »Und vor allem, könnte ich Ihnen, meine Liebe, einen Wunsch abschlagen?« Die Gräfin warf ihm einen zärtlichen Blick zu. Sie mochte seine ruhige, freundliche Art. Der stürmische Graf Széchenyi, der ihr in Wien den Hof ge-

Begegnung zwischen István Széchenyi und Ugo Foscolo

macht hatte, und dem sie, was für ein Zufall, gestern in Padua wieder begegnet waren, gefiel ihr zwar auch, aber die ruhige Art des Grafen N. passte besser zu ihr. »Kennen Sie den ungarischen Grafen, den wir gestern getroffen haben?«, fragte sie den Gemahl. »Den jungen Széchenyi? Nein«, antwortete Graf N. etwas gedehnt. »Seinen Vater kenne ich, er ist ein angesehener Magnat. Er war früher einmal im kaiserlichen Dienst, jetzt lebt er ganz zurückgezogen und ist sehr fromm geworden. Der junge Graf gleicht ihm wenig.« »Mir scheint«, setzte er nach einer kurzen Pause hinzu, »Sie haben ihm sehr gefallen!« Die Gräfin errötete ein wenig. Tatsächlich hatte sie die heißen Blicke nur zu deutlich bemerkt, und es hatte ihr schon gefallen, dass sie so umworben war. »Er ist viel zu jung«, sagte sie, »und zu anstrengend, er hat so viel geredet.« Die Wirtin hatte inzwischen die Getränke gebracht. »In einer Stunde wollen wir aufbrechen«, sagte der Graf zu ihr. »Weiß Sie, wie lange man bis Arquato fährt?« »Wenn Ew. Gnaden in einer Stunde aufbrechen«, antwortete sie, »sind Ew. Gnaden gewiss zu Mittag schon dort. Ew. Gnaden haben ja gute Pferde.« »Nun denn, so schick’ Sie mir den Wirt, ich möchte bezahlen. Man soll anspannen.«

II Die Kutsche fuhr eine sanfte Steigung hinauf. Links und rechts erhoben sich die Hänge der Colli Euganei, in einiger Ferne überragte ein kegelförmiger Berg die Hügel. Wiesen, zartgrüne Weingärten, Olivenwäldchen, Maulbeerbäume säumten die Straße, dazwischen einige Felder mit Winterweizen, einige noch brachliegende Felder, weiter entfernt Buschwald die Hänge hinauf. Immer wieder leuchtete ein blühender Mandelbaum her. Johann Nepomuk Ender, heiter wie immer, konnte sich nicht satt sehen. In Wien, wo sie vor zwei Wochen losgefahren waren, war noch später Winter gewesen. Das Angebot des Grafen István Széchenyi, ihn auf der Reise als Maler zu begleiten, war sehr überstürzt gekommen, doch hatte er freudig und hastig sein Ränzel geschnürt. Was konnte einem jungen Maler Besseres geschehen, als von einem vermögenden Mann zu einer Italienreise eingeladen zu werden? In den steirischen und krainerischen Alpen war der Schnee noch tief herabgehangen. Nur Schneeglöckchen und hin und wieder ein paar arme Primeln hatte es gegeben. Zwar war sein Malerauge von der gewaltigen Alpenlandschaft hoch entzückt gewesen, Graf Széchenyi hatte ihm aber keine Zeit gelassen, und nur ein paar flüchtige Skizzen konnte er machen, zu ungestüm wollte der Graf nur hinunter, nach Italien. Überwältigt war

315

316

Ich geh’ nach London

Ender vom ersten Anblick des Meeres in seinem Leben gewesen, als sie bei Optschina die Anhöhe des Karsts erreicht hatten, überwältigt und unfähig, zum Stift zu greifen. Und hier war nun wirklich schon Frühling, und der Himmel war so mildblau, dass er, der sonst Stille, immer wieder freudige Ausrufe von sich gab. Er tat es auch ein wenig, um den Grafen aufzuheitern, der nichts zu sehen schien, ein düsteres Gesicht aufgesetzt hatte, in seinem Buch las und manchmal tief seufzte. Gestern in Padua, in Gesellschaft von Graf und Gräfin N., war er dagegen hoch erregt, aufgeräumt und gesprächig gewesen, so als wollte er zugleich auf sich aufmerksam machen und von sich ablenken. »Sind Herr Graf unpässlich, oder lesen Sie etwas so Trauriges?«, fragte er nach einer Weile. Széchenyi schwieg noch einige Zeit, dann sagte er: »Ach, Ender, Er hat es gut, Er ist nicht verliebt, und Er hat seine Malerei, die Ihm so gut von der Hand geht und von der Er leben kann. Ich aber kann nichts und hab’ nichts. Ich kann und will nicht ein Leben lang Soldat sein. Es ist zu langweilig. Ich werde meinen Dienst quittieren. Gewiss, ich werde die Familiengüter erben. Aber es gibt gute Verwalter. Soll ich immer nur auf die Jagd gehen, in den unendlichen Ebenen Ungarns, mit den rohen und ungebildeten Junkern, die nichts im Kopf haben, als den Mägden nachzujagen und Schnaps zu trinken? Sonst aber kann ich nichts, nicht zeichnen, nicht dichten.« »Im Übrigen«, fuhr er nach einer kurzen Pause fort, »hat Er schon einen dichtenden Grafen gesehen? Lächerlich! ... Vor allem aber ...« Er schwieg abrupt. Ender, nach einiger Zeit, und im Vertrauen auf ihrer beider Jugend, traute sich zu sagen: »Vor allem aber sind Herr Graf unglücklich verliebt.« Széchenyi sagte nichts. Der biedere Ender hatte es also bemerkt. Was heißt, unglücklich verliebt! Der Gedanke an die Gräfin N. machte ihn rasend und verzweifelt. Da war diese engelgleiche Person, die er in Wien auf einem Ball im vergangenen Winter kennengelernt und um die er geworben hatte, plötzlich verheiratet mit dem langweiligen Grafen N., der ihr Vater hätte sein können. Dieses Gesicht! Diese Augen! Diese Stimme! Ein ganz klein wenig hatte er sie vergessen, unterwegs, obwohl er dem Paar ja eigentlich nachgereist war, überstürzt, als er hörte, Graf N. sei nach Mailand geschickt worden. Gestern aber, als er sie bei Padua eingeholt und das Quartier ausfindig gemacht hatte, was für ihn als kaiserlichen Offizier nicht schwierig gewesen war, und er ihr wieder gegenübergesessen war beim Abendessen, das er eingefädelt hatte, da hatte es ihn wieder gepackt. Und jetzt? Tot müsste man sein. Auf dem Schlachtfeld hatte er schon wiederholt dem Tod ins Antlitz gesehen, aber da war er nicht betroffen, da war es wie ein Spiel, und er wollte unbedingt gewinnen. Die Gedanken an den Tod kamen ihm in den Stunden der Einsamkeit, der Enttäuschung, da be-

Begegnung zwischen István Széchenyi und Ugo Foscolo

gann er sich vorzustellen ... Niemand würde um ihn weinen. Auch jetzt fühlte er sich elend, verzweifelt, leer wie Jacopo Ortis, dessen Geschichte er gerade las. Er versank in der unendlichen Traurigkeit und Verzweiflung, die dieser unglücklich Liebende in seinen Briefen in so treffliche, dunkle Worte zu fassen gewusst hatte. »Ich bewundere den Herrn Grafen, dass er so gut Italienisch liest«, riss ihn Ender aus seinen düsteren Gedanken. »Darf ich fragen, was es ist?« »Ach, es sind Briefe. Ein junger Mann liebt unglücklich und wünscht sich den Tod. Ein Freund hat den Abschiedsbrief gefunden und mit anderen Briefen herausgegeben. Ugo Foscolo heißt der Autor.« Mir geht es so wie Ortis, dachte er wieder, aber ich habe nicht einmal einen Freund, nur mein Tagebuch, das mir auch nicht hilft. »Dass Er mir ja nicht mein Tagebuch veruntreut, wenn mir etwas zustößt«, sagte er zu Ender, »Er soll es nur der Gräfin N. schicken. Nein, Er soll es ins Meer werfen!« Ender wusste nicht, was er sagen sollte. Graf Széchenyi war eben sprunghaft, das hatte er auf der Reise schon gelernt. Sie bogen um eine Kurve. Eine Ortschaft kam ins Blickfeld, eng aneinandergebaute Steinhäuser, die die Anhöhe hinaufkletterten, in der Mitte ein Kirchturm, oben auf dem Berg noch ein kleinerer. »Da drüben tauchen Häuser auf«, versuchte Ender abzulenken. »Vielleicht ist das schon Arquà, wohin der Herr Graf pilgern wollte«, rief er aus, »dem Vater zuliebe!« Er traute sich das zu sagen, weil ihm der Graf leicht amüsiert erzählt hatte, wie ihm der Vater in Erinnerung an eine Jugendreise den Alterssitz des Poeta laureatus recht empfohlen hatte. »Ich werde Petrarcas Haus und Grabstein zeichnen«, fügte er aufgeregt hinzu. »Haben wir so viel Zeit?«

III Der Reiter flog dahin. »Ich geh’ nach London, ich geh’ nach London«, hämmerte sein Gehirn im Takt der Hufe. Erst als die Hügel kamen, verlangsamte er den Galopp und gönnte seinem Pferd einen gemächlicheren Schritt, und auch er selbst wurde ein bisschen ruhiger. Einmal noch die Colli Euganei sehen, einmal noch den Anblick dieser Landschaft trinken, in der er die hochfliegenden Gedanken seiner Jugend und zugleich seine schmerzlichste Erfahrung vergeblicher Liebe geborgen wusste. Einmal noch den großen Dichter sehnsuchtsvoller, nicht erfüllter Liebe besuchen, im stillen Garten Abschied nehmen. Abschied von seinem bisherigen Leben, Abschied von Italien. Gestern hatte er die Schwester und einige Freunde umarmt. Unter einem Vorwand hatte er sie nach Padua bestellt, ohne zu sagen, dass es vielleicht ein Abschied für immer sein würde. Heute hatte er in einem raschen, fast nur halb bewussten Entschluss den Umweg über die Hügel eingeschlagen.

317

318

Ich geh’ nach London

Aber vielleicht war das alles gar nicht nötig und nur eine Phantasie seines durch die Ereignisse der letzten Wochen und Monate übererregten Gehirns, so wie er damals durch die übergroße Jugendliebe beinahe aus dem Gleichgewicht geraten wäre. Was sollte ihm, Ugo Foscolo, Offizier der kaiserlich französischen Truppen im Königreich Italien und hochberühmtem Dichter schon passieren? Er hatte sich nichts vorzuwerfen, er hatte sich aus allen Komplotten herausgehalten und nur auf seine Art versucht, dem bedrohten Vaterland, dem unvollendeten Italien zu dienen. Gewiss, unvorsichtige Freunde waren im Gefängnis der wieder zurückgekehrten österreichischen Besatzungsmacht gelandet. Gewiss, er und alle seine Kollegen der italienischen Armee würden sich entscheiden müssen, ob sie sich der neuen Realität beugten oder nicht, den neuen Machthabern Loyalität schworen oder den Dienst quittierten. Aber er hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Italien weiterbestehen würde. Die großen Köpfe, die in Wien um die Zukunft Europas verhandelten, konnten doch unmöglich das Rad der Zeit vollkommen zurückdrehen! Die Revolution hatte Fakten geschaffen, hatte tief ins soziale Gefüge eingegriffen. Ein Vierteljahrhundert ließ sich nicht ungeschehen machen. Auch wenn der große Napoleon endgültig abtreten musste, nicht zuletzt, weil er auch große Fehler gemacht hatte, so hatte er doch zu lange in die Geschicke Europas eingegriffen, als dass man den Status quo ante wiederherstellen konnte. Und vielleicht waren die Österreicher klug genug, an die Zeiten Maria Theresias und Pietro Leopoldos anzuknüpfen. Feldmarschall Bellegarde, der Chef der österreichischen Besatzungsmacht in Mailand, war ein vernünftiger Mann, mit dem man reden konnte. Italien, Italien, das musste ohnehin erst in den Köpfen der Menschen entstehen und sich festigen, vielleicht auch eine Zeit lang unter Österreich, das die Ordnung gewährleistete, so wie eine Zeit lang unter Napoleons Frankreich. Die Erfolge des Schwertes und der Verwundungen, an denen er, Foscolo, auch seinen Anteil hatte, waren trügerisch. Nachhaltiger waren die Wirkungen des Geistes, der Feder, davon war er überzeugt, und dafür hatte er gearbeitet und studiert, und dafür wollte er auch in Zukunft schreiben. Dahin waren seine Gedanken gegangen, als er das Angebot der Österreicher erwog, einen Plan für eine literarische Zeitschrift zu entwerfen. Keinen Augenblick hatte er an Seitenwechsel, an literarische Prostitution gedacht. Die Frage, die er sich stellte, war, wie man den Gedanken an einen moralischen Aufschwung, an die gemeinsame Nation, an das Vaterland fördern und vorantreiben, ja retten konnte. Groß war die Gefahr, dass sich die Intellektuellen, die Bürger, die Senatoren entweder anpassten oder radikalisierten und darüber in Streit und Parteiungen gerieten. Das eine war ehrlos, das andere nutzlos. Ihm schwebte ein Mittelweg vor. Die Beförderung des Fortschritts, der Moral, der Vaterlandsliebe musste auch unter den neuen alten Machthabern möglich sein und bleiben.

Begegnung zwischen István Széchenyi und Ugo Foscolo

Aber das ist Illusion! Illusion und Verrat, hörte er seinen geschätzten Freund Graf Federico Confalonieri sagen. Nächtelang hatten sie diskutiert, ohne Ergebnis. Man muss ein Zeichen setzen, jede Kooperation verweigern, hatte Confalonieri verlangt. Nur so kann man die Jungen, die Unentschlossenen aufrütteln und die Alten, die Trägen und Kompromissler beschämen. Natürlich würden die Österreicher versuchen, die Zeit zurückzudrehen. Nicht nur die Österreicher, auch die Savoyen und Bourbonen und alle, die unter den neuen Zeiten ihre Machtposition verloren hatten, würden das versuchen, auch die Patrizierfamilien in Genua und Mailand. Für sie alle war »Italien« ein Verlust, egal, ob es nun Königreich oder Republik hieß. Sie hatten kein Gespür für das Große und Heilige, das sich in der Nation verbarg. Die Nation war die Keimzelle der zukünftigen freien Völkerfamilie. Die Machthaber, die neuen und die alten, wollten keine freien Völker. Eine literarische Zeitschrift, wie sie Bellegarde Foscolo vorgeschlagen hatte, war nichts anderes als der Versuch, die Intellektuellen zu vereinnahmen und zu zähmen. Daher war es Illusion. Und wer sehenden Auges einer Illusion anhängt, ist auch ein Verräter. So die Worte des Freundes. Aber welches Zeichen kann man setzen, hatte Foscolo dagegen gefragt. Gewalt war nutzlos und gemein. Passive Resistenz? Das mochte für einen Grundbesitzer gelten, der sich einfach ins Private zurückzog, vielleicht dem Staat und den Mächtigen bei sich bietender Gelegenheit die kalte Schulter zeigte. Aber er war ein Schriftsteller. Ohne Schreiben zu können, ohne publizieren zu können, war er tot, wirkungslos. Mit dem Tod habe ich schon abgerechnet, hatte Foscolo dem Freund gesagt. Der eigene Tod nütze gar niemandem, er war nicht Jacopo Ortis, nicht mehr. Und als Soldat hatte er nicht den Tod gesucht, sondern den Sieg. Die Male seiner Verwundungen waren nicht Vorboten des Todes, sondern Siegeszeichen. Wenn er als Offizier dem österreichischen Kaiser die Treue schwören musste, für wen sollte er da kämpfen? Als Schriftsteller aber konnte er schreibend kämpfen, konnte er mit den Wörtern, mit spitzer Feder, ja zwischen den Zeilen die Ideen der moralischen Erneuerung, die Idee der italienischen Nation hochhalten. Du kannst und sollst weiterschreiben, Foscolo, hatte Confalonieri gesagt, aber nicht von Österreichs Gnaden, nicht im Auftrag Bellegardes! Dann hatte er nach einem Buch gegriffen, darin geblättert und, nachdem er die gesuchte Stelle gefunden, gesagt: »Du bist nicht mehr Ortis? Aber dann höre, was Dein Ortis sagt«, und er hatte gelesen: »Scrivete. . . . Perseguitate con la verità i vostri persecutori. E poi che non potete opprimerli, mentre vivono, co’ pugnali, opprimeteli almeno con l’obbrobrio per tutti i secoli futuri.« 1 Und jedes dieser ihm nur zu bekannten Worte hatte ihn wie ein Schlag getroffen. 1 Foscolo, Ultime lettere di Jacopo Ortis 113, »Milano, 4 Dicembre«. Nach der Übersetzung von

319

320

Ich geh’ nach London

»Was Du da aussprichst, Graf, ist furchtbar«, hatte er tonlos erwidert. »Du schickst mich ins Exil, dort kann ich schreiben. Aber niemand wird mich lesen.« Es fiel ihm ein Vers ein: »Né più mai toccherò le sacre sponde«, 2 und der eines anderen großen Exilanten: »Io non morì e non rimasi vivo.« 3 Lange Zeit hatte Confalonieri daraufhin geschwiegen, und dann, ohne Foscolo anzusehen, gesagt: »Du wärst nicht der erste und nicht der letzte, der vom Exil aus für die Wahrheit gekämpft und den Sieg errungen hätte.« Tags darauf war in Mailand durch Maueranschlag die Nachricht verbreitet worden, dass die Angehörigen der Truppen des Königreichs Italien bis allerletztens am 31. März den Treueid auf Österreich ableisten mussten, wollten sie Rang und Sold behalten. Die Entscheidung rückte also unerbittlich näher. Ohne sich entschieden zu haben, hatte er wenige Tage Urlaub erbeten und erhalten. Er umarmte einen Freund in Verona, eine Freundin in Treviso, traf sich unter einem Vorwand mit der Schwester in Padua, übergab ihr einige persönliche Gegenstände und machte sich auf den Rückweg nach Mailand. Sein Inneres war eine Wunde. Einen Meineid konnte er nicht schwören. Für einen ehrlichen Eid fand er wenige Argumente. Die Verweigerung des Eids würde wohl auch gleichzeitig den Plan der literarischen Zeitschrift unmöglich machen, die Österreicher würden zu misstrauisch werden. Aber Confalonieri saß ihm im Nacken. Seine Ehre stand auf dem Spiel. Und die Sache Italiens. Ein Zeichen setzen, hatte der Freund gefordert. Ins Exil? Für wie lange? Wohin? Wenn, dann nach London. Dort war noch freier Boden. Dort gab es Sympathien für die Sache Italiens. Es war der einzige Ort außerhalb Italiens, wo er für längere Zeit zu leben sich vorstellen konnte. »Ich geh’ nach London, ich geh’ nach London«, hatten die Hufe der Pferde gehämmert. Da waren in der Ferne die Hügel aufgetaucht, und nach einem fast nur halb bewussten Druck der Schenkel hatte das Pferd die Richtung auf die Hügel zu eingeschlagen.

IV Das Gefährt hatte die Siedlung erreicht, der Kutscher lenkte es durch eine ansteigende Gasse und blieb auf dem Platz vor der Kirche stehen. »Ecco Arquà. Siamo arrivati«, sagte er. Dort oben sei das Haus Petrarcas, zu dem man besser zu Fuß hingehe. »Quando vuole il Signor Conte ritornare?« fragte er. Er wolle

Heinrich Luden, Göttingen 1807, 231 f.: »Schreibt. ... Verfolgt mit der Wahrheit eure Verfolger. Und da ihr sie nicht, während sie leben, mit dem Schwert unterdrücken könnt, so unterdrückt sie wenigstens mit der Schande für alle künftigen Jahrhunderte.« 2 Foscolo, Sonett »A Zacinto«. 3 Dante, Inferno XXXIV 25.

Begegnung zwischen István Széchenyi und Ugo Foscolo

die Pferde versorgen und dann im Gasthaus warten. Graf Széchenyi sagte: »In drei Stunden«, verbesserte sich aber, als er die Enttäuschung in Enders Gesicht sah, »nein, in vier Stunden, frühestens. Es genügt, wenn wir am Abend zurück sind.« Ender betrachtete den Palast linker Hand, den schmalen, abwärts führenden Torbogen, den Kirchplatz mit dem Sarkophag des Dichters. »Ich werde gleich hier Skizzen machen«, erklärte er, »und dann zum Haus nachkommen.« Dann setzte er sich auf ein Mäuerchen, das die Märzsonne nicht nur zu trocknen, sondern zu wärmen vermocht hatte, und zog sein Skizzenbuch. Széchenyi stieg weiter aufwärts, bis ans Ende des Dorfes. Das Tor zum Anwesen war offen, er ging durch den schmalen, sich nur wenig verbreiternden Vorgarten auf das Haus zu, sprach kurz mit dem Wärter, der ihm im grünen Vorhof entgegenkam, und drückte ihm gleich ein gutes Geld in die Hand. Der Wärter führte ihn die Stiege hinauf in den ersten Stock, zeigte ihm das Empfangszimmer Petrarcas, das Schlafzimmer, die Studierstube, und wollte mit seinen Erklärungen fortfahren. Der Graf unterbrach ihn, sich bedankend, er wisse schon genug, er wolle ein wenig hier bleiben. Ein kleiner Balkon eröffnete eine weite Aussicht nach Süden. Die milden, fruchtbaren Hügel wurden von zwei kegelförmigen Bergen begrenzt. Durch das Fenster nach Westen blickte man in einen verwilderten, wunderbaren Garten mit Rosen, Buchsbaum und Lorbeerbüschen und mit einem runden Steinbrunnen nahe beim Haus. Hier also hat der Dichter seine letzten Lebensjahre verbracht, dachte der Graf. Ein wahrhaft paradiesischer Ort! Doch die irdischen Paradiese waren trügerische Orte, sie waren paradiesisch nur für den Glücklichen. Wessen Seele betrübt war, für den gab es nur Höllen, bestenfalls Vorhöllen, aber nirgends ein Paradies. Széchenyi setzte sich in den geschnitzten Stuhl im Studierzimmer, den der Wärter als des Dichters Stuhl bezeichnet hatte. Er versuchte sich vorzustellen, hier zu leben. Nach einer Weile ging er hinunter in den hinteren Garten, am Steinbrunnen vorbei. Ein schmaler Weg führte weiter. Er ging ein Stück in die Tiefe des Gartens hinein. Versteckt hinter einem Ginsterstrauch, der schon einige gelbe Blütchen hatte, fand er eine Steinbank und setzte sich. War es das Gespräch, das er unterwegs mit Ender gehabt hatte, oder war es der Geist des verblichenen Dichters, der an diesem Ort fortwirkte? Széchenyi kamen einige Wörter in den Sinn, die seinen Zustand klarer fassten und die sich, während er sie wiederholte und leicht veränderte, zu einem gewissen Rhythmus und Wohlklang formten. Széchenyi war alles andere als ein pedantischer Tagebuchschreiber, doch hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, seine Gedanken und vor allem seine Beobachtungen aufzuschreiben. Wann immer er etwas Neues, Nützliches, Praktisches sah, wollte er es festhalten, zur allfälligen Nachahmung. Daher hatte er immer Papier und Bleistift bei sich. Jetzt griff er danach und notierte die Verse, die sich in ihm gebildet hatten. Sie sprachen von der schönen Frau, von der Sehnsucht nach ihr

321

322

Ich geh’ nach London

und der Sehnsucht nach einem Lebenssinn. Ohne Ziel keine Liebe, ohne Liebe kein Ziel, ohne beides nur Traurigkeit. Lange war er so gesessen, hatte eine halbe oder dreiviertel Seite mit Versen gefüllt, als er Stimmen hörte. Er schaute hinüber nach dem Haus, und eine heiße Welle kam in ihm hoch, als er die Gräfin N. in den Garten heraustreten sah, ganz allein. Sie blieb stehen, ein wenig geblendet vom hellen Mittagslicht, ging am Rosenstrauch vorbei, strich mit der Hand über eine Rose und setzte sich auf den Rand des kleinen runden Steinbrunnens. Széchenyi war keiner Regung fähig. Etwas in ihm wollte aufspringen, zu ihr laufen und sie umarmen, nein, ihr zu Füßen fallen und sich an sie lehnen; aber etwas in ihm hinderte ihn daran und veranlasste ihn nur zu schauen, zu beobachten, den Augenblick zu genießen, sie aus der Ferne zu segnen. »Kommen Sie, mein Lieber«, rief sie, sich leicht zur Tür zurückwendend, »hier ist es schön, friedlich.« Graf N. trat soeben in den Garten heraus. Sein Gesicht zeigte gerade nur so viel Neugier, wie man sie beim Betreten eines jeden neuen Ortes hat, um sich zu orientieren. Aber man sah, dass ihm der Ort nichts bedeutete, weil er sich nichts erwartete. »Hier gefällt es mir«, sagte die Gräfin, »das Studierzimmer oben ist ein wenig düster. Er soll vor allem Liebesgedichte geschrieben haben, unerfüllte Liebe.« Der Graf war zu ihr getreten und bot ihr unauffällig höflich den Arm, den sie annahm. Diese Bewegung der beiden schnitt Széchenyi ins Herz. Die Gräfin versuchte sich vorzustellen, was das sei, unglückliche Liebe. Dabei fiel ihr der ungarische Graf ein, aber außer einer gewissen Genugtuung darüber, dass sie offenbar hübsch und begehrenswert war, empfand sie bei dem Gedanken an ihn nichts. Machte ihr Mann sie glücklich? Sie konnte in seiner Anwesenheit so sein, wie sie war. Sie fand ihn angenehm. Er umsorgte sie. Und sie freute sich auf die Kinder, die sie hoffentlich bekommen würden. »Gewiss gibt es eine gute Übersetzung von Gedichten dieses Petrarca«, hörte sie ihren Mann sagen. »In Mailand werde ich sie Ihnen besorgen, meine Liebe. Aber ich hoffe, er hat auch Gedichte über glückliche Liebe gemacht, und sie sollen Ihnen besser gefallen.« Da war es wieder, dieses Gefühl der Geborgenheit, mit der der Graf sie immer wieder überraschte. Sie war dankbar, dass er sie aus dem Anflug von Nachdenklichkeit herausgeholt hatte. Sie wandte ihm den vollen Blick zu und sagte im Aufstehen, »Das wird mich freuen, mein Gemahl.« Und in einer plötzlichen Regung, die ihr in Gesellschaft nie eingefallen wäre, die ihr aber in diesem Garten passend und richtig schien, küsste sie ihn leichthin auf die Wange. »Kehren wir um, es ist fast schon zu heiß hier«, sagte sie dann, und die beiden kehrten Arm in Arm zum Haus zurück, ohne sich weiter im Garten umzusehen. Széchenyi blickte, nachdem die beiden verschwunden waren, verwirrt auf das Blatt auf seinen Knien. Langsam wurde ihm bewusst, was die Zeilen bedeute-

Begegnung zwischen István Széchenyi und Ugo Foscolo

ten. Als er sie zu lesen begann, kamen sie ihm so unsäglich trivial und unpassend vor, dass er kurzerhand das Blatt zerriss. Er hatte kein Recht auf diese Frau. Sie liebte ganz offensichtlich ihren Mann wirklich, und jede weitere Nachstellung, jeder weitere Versuch, ihre Aufmerksamkeit zu erringen, war lächerlich, ja gemein und unehrenhaft. Die Idee, ihr nachzureisen, war schon dumm gewesen. Diese Frau war, bei aller Schönheit und allem Liebreiz, nicht ihm bestimmt. Sie würde ihm auch nie und nimmer das geben können, was er sich von einer Frau erhoffte, sonst würde sie nicht diesen ältlichen und papierenen Grafen N. lieben. Wo aber war sie, die Frau seiner Träume? Seine Muse! Die Frau, für die er eigentlich tätig sein wollte, um derentwillen er nicht bloß Soldat und nicht bloß Gutsherr sein wollte, sondern etwas Besonderes, er wusste nur noch nicht, was. Er wollte durchaus berühmt werden, er wollte etwas Besonderes leisten in seinem Leben, aber nicht aus Ehrgeiz, sondern für Eine, deren Liebe viele Anstrengungen wert war. Er träumte davon, dass man einmal sagen konnte, Graf István Széchenyi war ein Großer, und er ist es geworden wegen der Liebe zu seiner Frau. Aber wo war sie, und welche Aufgabe wartete auf ihn? Die Sonne hatte im Weitergehen den Platz erreicht, und Széchenyi wurde es zu heiß. Er stand auf und ging weiter in den Garten auf der Suche nach etwas Schatten. Er fand eine Bank und setzte sich nieder.

V Der Wärter erkannte Foscolo wieder. »Wir haben uns ganz gut gehalten, mein Herr«, begrüßte er ihn erfreut. Damals, vor fünfzehn Jahren, oder waren es mehr?, hatte sich Foscolo als junger Student oft hier aufgehalten, und der Wärter hatte den ernsten Jüngling mit den wirren gelockten Haaren irgendwie ins Herz geschlossen gehabt. Gern war er bereit, das Pferd für eine Stunde zu versorgen. Foscolo bedankte sich beim Pferd für den scharfen Vormittagsritt mit einem Stück Brot, beim Wärter für die Obsorge mit einem guten Trinkgeld, und sagte, er habe nicht viel Zeit, wolle sich nur wieder einmal kurz umsehen und selbst ein wenig rasten, dann müsse er weiter, morgen werde er in Mailand erwartet. Dann ging er in den Vorhof, stieg die Stufen zur kleinen Loggia hinauf und ließ seinen Blick über die weite Landschaft schweifen. Durch die Loggia betrat er die Wohnung des Dichters. Begierig sog er den Geruch von altem Holz und Büchern ein, der die Räume immer noch erfüllte, und es beruhigte ihn. Er setzte sich so wie damals in den Holzstuhl im Studierzimmer. Der Geruch war derselbe wie vor fünfzehn Jahren, oder waren es mehr? Die Zeit schien stehen geblieben, und Foscolo dachte, der Geist und das geschriebene Wort überdauern doch alles. Die vergangenen hektischen Jahre zogen an ihm vorüber, das unendliche Hin und Her im Auftrag seiner militärischen Vorgesetzten, der häufige Orts-

323

324

Ich geh’ nach London

wechsel, die Schlachten und Verwundungen, dazwischen das Lesen, Studieren, Schreiben, der Kampf mit den Verlegern, die vielen Freunde, tausende Briefe, und dazwischen immer wieder die Frauen, die Freundinnen, die er brauchte und die ihn nicht losließen. Auch Petrarcas Leben war nicht ruhig und stetig verlaufen, bis er dann hier Ruhe gefunden hatte. Wäre das Exil, an das zu denken ihn, Foscolo, so erschreckt hatte, vielleicht auch ein Ort der Ruhe, des ruhigen Arbeitens, um Dauerhaftes zu schaffen? Konnte man dort vielleicht Großes vollbringen, z. B. die Übersetzung der Ilias ins Italienische, eine Herkulesaufgabe, oder von Werken Shakespeares? Gewiss konnte er Italien mit dem Schreiben mehr dienen als mit dem Schwert, und mit einem eigenen großen Werk mehr als mit bloßen Beiträgen in Zeitungen oder mit der Herausgabe eines literarischen Journals. Vielleicht war ein großes Werk das Zeichen, wie Confalonieri gemeint hatte, das er zu setzen berufen war, und sei es um den Preis des Exils. Foscolo stand auf, ging hinunter in den hinteren Garten, an den Rosen vorbei, berührte den von der Mittagssonne warmen Stein des Brunnens. Auch diese Berührung beruhigte ihn, auch von diesem Stein ging das Gefühl der Dauerhaftigkeit aus, und eine warme Kraft. Foscolo schritt weiter in den Garten hinein, um den Ort aufzusuchen, an dem er so oft und lange gesessen war. Als er die Stelle erreichte, war er ein wenig enttäuscht, dort einen jungen Mann zu sehen und nicht allein zu sein. Der junge Mann stand, als er ihn kommen sah, auf und nannte seinen Namen: »Széchenyi, Graf Széchenyi, Husarenoffizier, beurlaubt«, stellte er sich vor. Foscolo war von der militärisch knappen Vorstellung zu überrascht, um nicht selbst, der Höflichkeit gehorchend, korrekt zu antworten: »Foscolo, Offizier der italienischen Armee.« »Ah«, sagte Széchenyi, »ich lese gerade die Briefe des Jacopo Ortis von einem Ugo Foscolo. Ein häufiger Name?« »Nein«, sagte Foscolo, »ich bin der Autor.« »Aber Jacopo Ortis«, begann Széchenyi einen Satz, aber Foscolo fiel ihm ins Wort: »Ich bin nicht Jacopo Ortis, nicht mehr. Ich habe gelitten. Wem passiert das nicht? Aber es ist dumm, das einzige wegzuwerfen, was man hat, sicher hat, das Leben.« »Das sagt sich so leicht«, erwiderte Széchenyi und dachte daran, dass er vor kurzem am liebsten wirklich tot gewesen wäre. »Sie werden gegen Napoleon gekämpft haben«, wechselte Foscolo das Thema, »und eigentlich sind wir Feinde. Das Königreich Italien verdankt Napoleon seine Existenz. Und nun sitzen die kaiserlich-österreichischen Truppen als Besatzungsmacht in Mailand.« »Österreich war und ist kein Feind Italiens«, sagte Széchenyi. »Napoleon hat Europa mit Krieg überzogen. Die alte Ordnung war zwar in vielem schlecht, aber sie war zu reformieren, wie es Kaiser Joseph, der freilich übers Ziel schoss, und sein Bruder Kaiser Leopold gezeigt haben. Auch Napoleon hat viele Übel

Begegnung zwischen István Széchenyi und Ugo Foscolo

der alten Ordnung beseitigt, aber dann wollte er Europa beherrschen und hat es mit Krieg überzogen.« Foscolo war erstaunt. Dieser junge Husarenoffizier hatte sich offenbar Gedanken gemacht. »Und was wird man in Wien auf dem Kongress beschließen?«, fragte er, und er gab sich selbst die Antwort. »Man wird das Rad der Zeit zurückdrehen, und das Königreich Italien wird von den Herrschern und von den Patriziern zerfleischt und ausgeraubt werden. Also ist Österreich doch unser Feind.« »Ich weiß nicht, was man in Wien beschließen wird. Gewiss hasst Fürst Metternich die Revolution, aber er hasst nicht Italien, er liebt es, ich weiß es, ich kenne ihn.« »Er liebt vielleicht Italien, aber wohl nicht das Königreich Italien!« »Ist das ein so großer Unterschied?«, fragte Széchenyi erstaunt. »Italien ist nur ein Stück Land, Äcker so wie unten in der Ebene, Berge, Städte, Küsten. Das Königreich Italien aber, das Napoleon errichtet hat, ist der Anfang der Zukunft!« Foscolo, der bisher eher müde gewirkt hatte, sagte diesen Satz mit einer Zuversicht in der Stimme, die Széchenyi aufhorchen ließ. »Nicht mehr Adelsfamilien, Königshäuser oder der Papst, sondern alle Bürger sind Italien, sollen es werden, um sich in Freiheit moralisch zu erneuern und zu einer Nation zu werden, die in Frieden mit den anderen Nationen fortschreitet. Das können die Adelsfamilien und die Königshäuser nicht zulassen, deshalb hassen sie die Nation. Aber der Nation gehört die Zukunft.« Foscolo spürte, während er sprach, eine große Kraft in sich, und zugleich verlor der Gedanke ans Exil den Schrecken, der ihn tagelang verfolgt hatte. Dieser wunderbare Ort hier, aber auch Florenz, Mailand, alles war ja unzerstörbar in seinem Herzen. »Ja«, wiederholte er, »der Nation gehört die Zukunft!« Széchenyi begriff, dass sein Gegenüber mit dem hageren Gesicht, den starken Lippen und krausen Haaren, den er zuerst als italienischen Offizier, dann als Dichter einer verzweifelten jungen Seele kennengelernt hatte, mehr war, als diese beiden, dass er eine Vision hatte, die ihm Energie und Kraft gab. Solche strahlte er jedenfalls aus, auch wenn seine Augen anfangs etwas überschattet gewesen waren. »Freiheit«, sagte Széchenyi, »moralische Erneuerung, das ist gut. Mein Kaiser will nur Ruhe und Ordnung. Aber die Menschen wollen ja auch nichts anderes. Die Bauern auf den Gütern meines Vaters sind stumpf, meine Adelsgenossen faul und roh. Beide sind sie wie die Rinder auf der Weide. Es ist alles sinnlos.« Es ist erstaunlich viel Menschenkenntnis und Realismus in den Worten dieses jungen Mannes, dachte Foscolo, und er spürte die Bitterkeit und Verzweiflung. Es war wichtig, den Jungen voranzugehen, sie mitzunehmen. Dieser junge Mann hier erinnerte ihn an Niccolini in Florenz, den er aus einem freund-

325

326

Ich geh’ nach London

schaftlichen, väterlichen Impuls heraus ins Herz geschlossen hatte. »Sie sind Ungar«, sagte er zu Széchenyi. »Seltsam, mir fällt kein ungarischer Dichter ein. Sie kennen bestimmt einen.« Er fragte das, um seinem Gegenüber die Gelegenheit zu geben, etwas Positives sagen zu können. Széchenyi war verblüfft von der Frage. »Ich kenne auch keinen. Es gibt keinen. Die Sprache der Gebildeten bei uns ist Französisch, Deutsch, Latein. Ungarisch sprechen nur die Ungebildeten. Ich selbst habe Ungarisch nur von der Amme gelernt und kann es mehr schlecht als recht.« Foscolo erheiterte diese Antwort geradezu. »Aber es ist nie zu spät«, sagte er. »Ich bin in Zante geboren, meine Mutter ist Griechin, ich habe als Kind mehr Griechisch und venezianischen Dialekt geredet als Italienisch, aber ich habe es ganz gut gelernt, was meinen Sie?« Széchenyi musste auch lächeln, zum ersten Mal seit Tagen. »Aber ich finde es schön«, setzte Foscolo hinzu, »dass Sie Italienisch lesen, Offizier. Die Österreicher haben also nicht ganz vergessen, was dieses Land und diese Kultur hervorgebracht haben, in dem sie hundert Jahre geherrscht haben und wo sie nun politisch wieder Fuß fassen. Hoffentlich nicht wieder für hundert Jahre.« Széchenyi überhörte die kleine Spitze des letzten Satzes und meinte: »Ja, ich liebe fremde Sprachen, Französisch, Englisch, Italienisch. Ich habe nicht nur Ortis gelesen auf der Reise, sondern auch Alfieri. Wunderbar! Und ich lerne Griechisch. Ich will Griechenland bereisen.« »Das ist gut«, sagte Foscolo. »Am besten ist Englisch. Shakespeare, Sterne ... Ich habe Sterne ins Italienische übersetzt. Reisen Sie, Offizier! Lernen Sie Europa kennen, London. Dort liegt die Zukunft! Aber ich muss jetzt gehen. Ich muss morgen in Mailand sein.« Und übermorgen werde ich über die Grenze gehen, dachte er, aber er sagte es nicht. Er sagte: »Leben Sie wohl, Offizier!« Er wollte sagen, leben Sie wohl, mein junger Freund, aber er sagte doch nur, leben Sie wohl, Offizier. »Leben auch Sie wohl, Herr Offizier, Herr Foscolo«, sagte Széchenyi, »vielleicht sehen wir uns wieder, vielleicht in Mailand.« Oder in London, wollte er sagen, aber er sagte es doch nicht. Warum sollten sie einander gerade in London begegnen?

VI Széchenyi stand noch lange da und schaute Foscolo nach, auch wenn er ihn längst nicht mehr sah. Er hatte, welch ein Zufall, den Dichter des Jacopo Ortis kennengelernt, und das kurz nach dem Zusammentreffen, oder eigentlich Nicht-Treffen mit der Gräfin N. hier an diesem Ort. Und dieser Foscolo hatte

Begegnung zwischen István Széchenyi und Ugo Foscolo

bemerkenswerte Dinge gesagt. Nichts über die Liebe und die Verzweiflung, sondern über die Zukunft, über die Freiheit der Völker, über die Nationen. Und er hatte ihn aufgefordert, zu reisen, Europa kennenzulernen. Warum gab es keine ungarischen Dichter? Die ungarische Sprache war zwar nicht so elegant wie das Französische, nicht so geschmeidig wie das Italienische, aber sie war kräftig und melodiös. Es gab in Ungarn auch vieles andere nicht, was er auf seinen Reisen schon gesehen und auch fallweise notiert hatte. Hier in Italien z. B. gab es ausgezeichnete Straßen. An ihren Rändern spendeten stets lange Baumreihen, an denen man sich zugleich auch orientieren konnte, Schatten. In Ungarn waren Bäume wenig geachtet, Alleen gab es keine, und die Straßen waren meist schlecht. In der venezianischen Terraferma waren ihm die vielen Kanäle aufgefallen, auf denen Waren transportiert wurden. In den weiten Ebenen Ungarns gab es nichts dergleichen, obwohl es große Flüsse gab, die Theiß, die Donau. Oder warum wurde in Ungarn keine Seide produziert? Gewiss würden auch in Ungarn Maulbeerbäume gedeihen, wie er sie hier unterwegs so oft gesehen hatte. All das brauchte wohl vor allem tätige Menschen, Initiative, vielleicht auch Geld um anzufangen. In Ungarn war es kaum möglich, für irgendetwas einen Kredit zu bekommen. Selbst in anderen Gebieten der Monarchie gab es mehr Disziplin und Energie. Woran lag das? Vielleicht sollte er dieser Frage nachgehen. Ja, er wollte reisen, beobachten, lernen. Ungarn war ein Teil der Monarchie, und wenn Ungarn, woher seine Familie kam, wo ihre Ländereien lagen, sich besser entwickelte, sich überhaupt entwickelte, würde das auch der Monarchie selbst nützen. Diese Gedanken beflügelten ihn so, dass er nicht mehr stehen bleiben konnte, sondern anfing zu gehen. Er ging aus dem Garten wieder auf das Haus zu. Als er zum Brunnen kam, sah er Ender dort sitzen. »Ich habe schon mehrere Skizzen gezeichnet«, begrüßte er Széchenyi fröhlich, »vom Sarkophag bei der Kirche und hier vom Haus. Ich bin gleich fertig. Ich wollte dann den Herrn Grafen suchen, der Kutscher meint, wir sollten uns auf den Rückweg machen.« Széchenyi sagte: »Ich bin schon da, Ender«, und er fügte hinzu, was Ender nicht verstand, aber er wusste, der Graf war etwas sprunghaft, und es freute ihn, dass es nicht mehr traurig klang wie am Vormittag, Széchenyi sagte: »Gut, fahren wir, Ender. Ich geh’ nach London!« *

327

Bibliographie Abate Marco (Hg.), Circa 1500. Leonhard und Paola – »Ein ungleiches Paar«. De ludo globi – »Vom Spiel der Welt«. An der Grenze des Reiches. Landesausstellung 2000. Lienz, Schloß Bruck; Brixen, Hofburg Brixen; Besenello, Castel Beseno (Mailand 2000). Achleitner Arthur–Ubl Emil, Tirol und Vorarlberg. Neue Schilderung von Land und Leuten (Leipzig 1895). Achleitner Josef u. a., Zeiten, Völker und Kulturen. Vom Zeitalter des Absolutismus bis zum Ersten Weltkrieg (Wien 1973). Adlgasser Franz (Hg.), Viktor Franz Freiherr v. Andrian-Werburg. Tagebücher 1839–1858 (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 98, Wien-Köln-Weimar 2011). ADÖ siehe Aussenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938. Afflerbach Holger, Der Dreibund. Europäische Großmacht- und Allianzpolitik vor dem Ersten Weltkrieg (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 92, Wien-Köln-Weimar 2002). Alcock Antony Evelyn, Geschichte der Südtirolfrage. Südtirol seit dem Paket 1970–1980 (= Ethnos 24, Wien 1982). Altgeld Wolfgang (Hg.), Quellen zu den deutsch-italienischen Beziehungen 1861–1863 (Darmstadt 2004). Altgeld Wolfgang, Das Risorgimento, in: Wolfgang Altgeld–Rudolf Lill, Kleine italienische Geschichte (Stuttgart 2004) 256–281. Amat di San Filippo Pietro, Bibliografia dei viaggiatori italiani (Roma 1874). Andics Hellmut, Neue Österreichische Geschichte in vier Bänden. Erster Band: Das österreichische Jahrhundert. Die Donaumonarchie 1804–1900 (Wien-München-Zürich 1974, Taschenbuch 1980). Andrian-Werburg Viktor Freiherr v., Österreich und dessen Zukunft (Hamburg 1843). Anonym, Vier Fragen eines Österreichers (Leipzig 1844). Ara Angelo–Magris Claudio, Triest. Eine literarische Hauptstadt in Mitteleuropa (München-Wien 1987); ital.: Trieste. Un’identità di frontiera (Torino 1982). Ara Angelo, Austria e Italia dalla rivoluzione del 1848 alla Prima guerra mondiale, in: Chiarini–Zemann, Österreich-Italien 305–320. Ara Angelo, Dal nemico ereditario all’alleato. L’immagine italiana dell’impero asburgico, in: Esch–Petersen, Deutsches Ottocento 125–136. Ara Angelo, Die Haltung Italiens gegenüber der Habsburgermonarchie, in: Adam Wandruszka–Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, 6: Die Habsburgermonarchie im System der internationalen Beziehungen, 2. Teilband (Wien 1993) 190–246.

Bibliographie

Ara Angelo, Die italienische Österreichpolitik 1936–1938, in: Gerald Stourzh–Brigitta Zaar (Hgg.), Österreich, Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des »Anschlusses« vom März 1838 (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs 16, Wien 1990) 111–129. Ara Angelo, Due lettere quarantottesche di Antonio Salvotti, in: Studi Trentini di Scienze Storiche 59 (1980) 197–205. Ara Angelo, Fra Austria e Italia. Dalle Cinque Giornate alla questione alto-atesina (Udine 1987). Ara Angelo, Karl Ludwig von Ficquelmont e il problema lombardo-veneto alla vigilia della rivoluzione del 1848, in: Ara, Fra Austria e Italia 9–52. Ara Angelo, La questione dell’Università italiana in Austria, in: Rassegna storica del Risorgimento 6 (1973) 52–88 und 252–280, und in: Ara, Ricerche 9–141. Ara Angelo, Ricerche sugli austro-italiani e l’ultima Austria (Roma 1974). Ara Angelo, Un documento sulla »Universitätsfrage«, in: Studi Trentini di Scienze Storiche 55 (1976) 34–42. Archiv. Mitteilungsblatt des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung 5 (1965). Artner Therese v., Briefe über einen Teil von Croatien und Italien an Caroline Pichler (Pesth 1830). Atti della Dieta provinciale Dalmata (Zara 1863). Ausch Karl, Als die Banken fielen. Zur Soziologie der politischen Korruption (WienFrankfurt-Zürich 1968). Aussenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 [zit. als ADÖ], hgg. von Klaus Koch–Walter Rauscher–Arnold Suppan–Elisabeth Vyslonzil, 1: Selbstbestimmung der Republik. 21. Oktober 1918 bis 14. März 1919 (Wien-München 1993); 2: Im Schatten von Saint-Germain. 15. März 1919 bis 10. September 1919 (Wien-München 1994); 3: Österreich im System der Nachfolgestaaten.11. September 1919 bis 10. Juni 1921 (Wien 1996); 4: Zwischen Staatsbankrott und Genfer Sanierung. 11. Juni 1921 bis 6. November 1922 (Wien-München 1998); 5: Unter der Finanzkontrolle des Völkerbundes. 7. November 1922 bis 15. Juni 1926 (Wien-München 2002); 6: Jahre der Souveränität. 16. Juni 1926 bis 11. Februar 1930 (Wien-München 2004); 7: Das österreichisch-deutsche Zollunionsprojekt. 12. Februar 1930 bis 11. September 1931 (Wien-München 2006); 8: Österreich im Zentrum der Mitteleuropapläne. 12. September 1931 bis 23. Februar 1933 (Wien 2009); 9: Österreich im Banne des Faschismus. 24. Februar 1933 bis 6. August 1934 (Wien 2014); 10: Zwischen Mussolini und Hitler. 10. August 1934 bis 24. Juli 1936 (Wien 2014); 11: Im Schatten des Nationalsozialismus. 27. Juli 1936 bis 27. September 1937 (Wien 2016); 12: Österreich zwischen Isolation und Anschluss. 28. September 1937 bis 15. März 1938 (Wien 2016).

329

330

Bibliographie

Bachinger Bernhard u. a. (Hgg.), Gedenken und (k)ein Ende. Das Weltkriegs-Gedenken 1914/2014. Debatten, Zugänge, Ausblicke (= Studien zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie 37, Wien 2017). Baier Thilo, Italiens Österreichpolitik 1934–1938 (= Studien zur Zeitgeschichte 91, Hamburg 2014). Balbo Cesare, Delle speranze d’Italia (Capolago 1844). Balbo Cesare, Sommario della storia d’Italia. Prima edizione annotata (Milano 1940). Banti Alberto M., La nazione del Risorgimento. Parentela, sanità e onore alle origini dell’Italia unita (= Biblioteca di cultura storica 225, Torino 2000). Bastl Beatrix, Habsburgische Heiratspolitik – 1000 Jahre Hochzeit?, in: L’Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 7 (1996) 75–89. Bauer Ernest, Drei Leopardenköpfe in Gold. Österreich in Dalmatien (Wien 1973). Bauer Otto, Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie (Wien 11907, unverändert 21924), zit. nach Werkausgabe, Bd. 1 (Wien 1975). Bauer Otto, Geschichte Österreichs. Eine Anleitung zum Studium der österreichischen Geschichte und Politik (Wien 1913), zit. nach Werkausgabe, Bd. 1 (Wien 1975). Baumann Alexander, Ehrenbuschn für d’Österreicher Armee in Italien (Wien 1849, 1853). Baumgartl Edgar, Martin Knoller 1725–1804. Malerei zwischen Spätbarock und Klassizismus in Österreich, Italien und Süddeutschland (München 2004). Bellabarba Marco–Niederkorn Jan Paul (Hgg.), Le corti come luogo di comunicazione. Gli Asburgo e l’Italia (secoli XVI–XIX)/Höfe als Orte der Kommunikation. Die Habsburger und Italien (16. bis 19. Jahrhundert) (= Annali dell’Istituto Storico ItaloGermanico in Trento 24/Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient 24, Bologna-Berlin 2010). Bendix Regina, Ethnology, Cultural Reification and the Dynamics of Difference in the Kronprinzenwerk, in: Nancy M. Wingfield (Hg.) Creating the other. Ethnic conflict and nationalism in Habsburg Central Europe (New York 2003) 149–168. Benedikt Heinrich, Kaiseradler über dem Apennin. Die Österreicher in Italien 1700–1866 (Wien-München 1964). Bentivoglio Filippo, Cenni del viaggio di Filippo Bentivoglio nel Lombardo Veneto, Illiria, Stiria ... ([Modena] 1984). Benvenuti Sergio, L’autonomia trentina al »Landtag« di Innsbruck e al »Reichsrat« di Vienna. Proposte e progetti 1848–1914 (= Collana di monografie edita dalla Società di Studi Trentini di Scienze Storiche 32, Trento 1978). Berghold Joe, Italien – Austria. Von der Erbfeindschaft zur europäischen Öffnung (Wien 1997). Bernatzik Edmund (Hg.), Die österreichischen Verfassungsgesetze (Wien 21911). BGBL. = Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich.

Bibliographie

Bianchi-Giovini Aurelio [= Angelo Bianchi], L’Austria in Italia e le sue confische. Il conte di Ficquelmont e le sue confessioni (Torino 1853). Bidermann Hermann Ignaz, Die Italiäner im tirolischen Provinzial-Verbande (Innsbruck 1874). Biegeleben Ludwig Freiherr v., Ein Vorkämpfer des großdeutschen Gedankens. Lebensbild, dargestellt von seinem Sohne (Zürich-Leipzig-Wien 1930). Bier Karl, Der Autonomiebegriff der Welschtiroler und die Stellung der deutschen Parteien und Regierungen (= Veröffentlichungen des Museums Ferdinandeum 16, Innsbruck 1936) 417–525. Blaas Richard, Die italienische Frage und das österreichische Parlament 1859–1866, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 22 (1969) 151–245. Blaas Richard, Il Problema Veneto e l’Europa 1859–1866, Bd. 1: Documenti diplomatici. Austria (Venezia 1966). Blaas Richard, Il problema veneto nella politica estera austriaca del periodo 1859–1866 (= Biblioteca dell’»Archivio Veneto« 2, Venezia 1967). Blaas Richard, L’Austria e le truppe straniere del Re delle Due Sicilie, in: Atti del XXXVI Congresso di Storia del Risorgimento italiano, Salerno 1957 (= Istituto per la Storia del Risorgimento italiano, Atti dei Congressi 4, Roma 1960) 68–91. Blaas Richard, Österreich und die Einigung Italiens zwischen den Konferenzen von Teplitz und Warschau (25. Juli–25. Oktober 1860), in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 21 (1968) 251–330. Blaas Richard, Perché l’Austria non è intervenuta? Analisi della situazione politica europea nel periodo dell’invasione piemontese negli Abruzzi, in: Abruzzo. Rivista dell’Istituto di Studi Abruzzesi 6 (1968) 149–164. Blaas Richard, Tentativi di approccio per la cessione del Veneto, in: Fascicolo speciale per il Centenario dell’Unione del Veneto all’Italia 1866–1966 (Venezia 1966) 6–52. Boaglio Gualtiero, Geschichte der italienischen Literatur in Österreich, Teil 2: Von Campoformido bis Saint-Germain 1797–1918 (Wien–Köln-Weimar 2012). Bonazza Sergio, La ricezione di Niccolò Tommaseo in Croazia e in Serbia, in: Convegno Niccolò Tommaseo (1802–1874): dal »primo esilio« al »secondo esilio«, 9-10-11 ottobre 2002 (= Atti della Accademia Roveretana degli Agiati, ser. VIII, vol. IV, A, fasc. II, Rovereto 2004) 187–205. Bosmans Jacques Louis Joseph, Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34 (1981) 286–332. Bosmans Jacques Louis Joseph, De Nederlander Mr. A. R. Zimmermann als Commissaris-Generaal van de Volkenbond in Oostenrijk 1922–1926 (Nijmegen 1973). Bosmans, Jacques Louis Joseph, Innen– und außenpolitische Probleme bei der Aufhebung der Völkerbundkontrolle in Österreich 1924–1926, in: Zeitgeschichte 9 (1982) 189–210.

331

332

Bibliographie

Branca Vittore–Petrocchi Giorgio (Hgg.), Niccolò Tommaseo nel centenario della morte (= Civiltà Veneziana, Saggi 22, Firenze 1977). Braunthal Julius, Der Putsch der Faschisten, in: Der Kampf 15 (1922) 320–323. Bridge Francis Roy, Österreich (-Ungarn) unter den Großmächten, in: Adam Wandruszka–Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, 6: Die Habsburgermonarchie im System der internationalen Beziehungen, 1. Teilband (Wien 1989) 196–373. Bruckmüller Ernst, Nation Österreich. Kulturelles Bewußtsein und gesellschaftlichpolitische Prozesse (Wien-Köln-Graz 21996). Bruni Francesco (Hg.), Niccolò Tommaseo: Popolo e nazioni. Italiani, Corsi, Greci, Illirici. Atti del Convegno internazionale di Studi nel bicentenario della nascita di Niccolò Tommaseo, Venezia 2003, 2 Bde. (= Biblioteca veneta 21 und 22, Roma-Padova 2004). Brunner Sebastian, Kennst Du das Land? Heitere Fahrten durch Italien (Wien 1857). Bulle Constantin, Geschichte des zweiten Kaiserreiches und des Königreiches Italien (Berlin 1890). Burger Hanna, Passwesen und Staatsbürgerschaft, in: Waltraud Heindl–Edith Saurer (Hgg.), Grenze und Staat. Paßwesen, Staatsbürgerschaft, Heimatrecht und Fremdengesetzgebung in der österreichischen Monarchie 1750–1867 (Wien-Köln-Weimar 2000) 1–172. Burger Johann, Reise durch Oberitalien mit vorzüglicher Rücksicht auf den gegenwärtigen Zustand der Landwirtshaft (Wien 1831). Calì Vincenzo (Hg.), Per l’università italiana in Austria. Carteggio trentino 1898–1920 (= Fonti Archivio Battisti 3, Trento 1990). Campolieti Giuseppe, Il »re Lazzarone«. Ferdinando IV di Borbone, amato dal popolo e condannato dalla storia (Milano 1999). Carpinteri Lino–Faraguna Mariano–Bordon Furio, L’Austria era un paese ordinato (Milano 1982); deutsch: ... denn Österreich war ein ordentliches Land (Wien-Hamburg 1984). Cavedalis Giovanni Battista, I commentari. Con introduzione e note di Vincenzo Marchesi, 2 Bde. (Udine 1928/1929). Chiarini Paolo–Zeman Herbert (Hgg.), Österreich-Italien. Auf der Suche nach der gemeinsamen Vergangenheit / Italia-Austria. Alla ricerca del passato comune, Bd. 2 (1796–1914) (= Atti dell’Istituto Italiano di Studi Germanici 5, Roma 2002). Ciampini Raffaele, Vita di Niccolò Tommaseo (Firenze 1945). Collezione di Leggi e Regolamenti pubblicati dall’Imperiale Regio Governo delle Provincie Venete (Venezia 1815). Corsini Umberto–Lill Rudolf, Südtirol 1918–1946 (Bozen 1988).

Bibliographie

Corsini Umberto, Die Italiener, in: Adam Wandruszka–Peter Urbanitsch (Hgg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, 3: Die Völker des Reiches (Wien 1980) 848–855. Corsini Umberto, Italien und das Ende des Habsburger Reichs. Innere und internationale Fragen, in: Casimira Grandi (Hg.), Tirolo – Alto Adige – Trentino 1918–1920. Atti del convegno di studio Innsbruck 1988 (= Società di Studi Trentini di Scienze Storiche, Collana di monografie 53, Atti di congressi e convegni 8, Trento 1996) 58–67. Cova Ugo, [Die außenwirtschaftlichen Beziehungen der Monarchie] Österreich(-Ungarn) und Italien, in: Adam Wandruszka–Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, 6: Die Habsburgermonarchie im System der internationalen Beziehungen, 1. Teilband (Wien 1989) 630–686. Csáky-Vécsey Anna Gräfin, Tagebuch einer überzähligen Ausschußfrau auf einer Reise nach Italien (Pesth 1843). Csanády Thomas László (Hg.), Prokesch von Osten. Eine Reise in die Levante. Briefe an seine Freunde (Graz 1998). Curato Federico, La conferenza della pace 1919–1920, Bd. 2 (Milano 1942). Czoernig Carl, Italienische Skizzen (Mailand 1838). Czoernig Karl Freiherr v., Österreich’s Neugestaltung. 1848–1857 (Wien 1857). D’Azeglio Massimo, Proposta di un programma per l’opinione nazionale italiana, in: Raccolta degli scritti politici (Torino 1850) 209–256. DDI siehe I Documenti diplomatici italiani. De Felice Renzo, Mussolini il rivoluzionario 1883–1920 (Torino 1965). De Francesco Antonio, L’Italia di Bonaparte. Politica, statualità e nazione nella penisola tra due rivoluzioni, 1796–1821 (Torino 2011). De Seta Cesare, L’Italia nello specchio del »Grand Tour«, in: Ders., Storia d’Italia. Annali 5, Il paesaggio (Torino 1982) 127–264. Der Aussenhandel Österreichs in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, bearbeitet vom österreichischen Statistischen Zentralamt (Wien 1946). Derndarsky, Michael, Das Klischee von »Ces Messieurs de Vienne ...«. Der österreichisch-französische Geheimvertrag vom 12. Juni 1866 – Symptom für die Unfähigkeit der österreichischen Außenpolitik?, in: Historische Zeitschrift 235 (1982) 289–353. Deutsch Julius, Die Fascistengefahr (Wien 1922). Di Michele Andrea–Gottsmann Andreas–Monzali Luciano–Ruzicic-Kessler Karlo (Hgg.), Die schwierige Versöhnung. Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert (Bozen 2020). Di Nolfo Ennio, Österreichisch-italienische Beziehungen von 1922–1938, in: Wandruszka– Jedlicka, Innsbruck–Venedig 221–271.

333

334

Bibliographie

Di Simone Maria Rosa, Österreichisches Recht und Patriotismus im Risorgimento, in: Florika Griessner–Adriana Vignazia (Hgg.), 150 Jahre Italien. Themen, Wege, offene Fragen (Wien 2014) 283–296. Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848–1867 [zit. als Ömr], Einleitungsband: Ministerrat und Ministerratsprotokolle 1848–1867. Behördengeschichtliche und aktenkundliche Analyse von Helmut Rumpler (Wien 1970); I: Die Ministerien des Revolutionsjahres 1848, 20. März 1848–21. November 1848, bearbeitet und eingeleitet von Thomas Kletecˇ ka (Wien 1996); II / 1: Das Ministerium Schwarzenberg, 5. Dezember 1848–7. Jänner 1850, bearbeitet und eingeleitet von Thomas Kletecˇ ka (Wien 2002); II / 2: Das Ministerium Schwarzenberg, 8. Jänner 1850–30. April 1850, bearbeitet und eingeleitet von Thomas Kletecˇ ka und Anatol Schmied-Kowarzik unter Mitarbeit von Andreas Gottsmann (Wien 2005); II / 3: Das Ministerium Schwarzenberg, 1. Mai 1850–30. September 1850, bearbeitet und eingeleitet von Thomas Kletecˇ ka und Anatol SchmiedKowarzik unter Mitarbeit von Andreas Gottsmann (Wien 2006); II / 4: Das Ministerium Schwarzenberg, 14. Oktober 1850–30. Mai 1851, bearbeitet und eingeleitet von Thomas Kletecˇ ka unter Mitarbeit von Anatol Schmied-Kowarzik (Wien 2011); III / 7: Das Ministerium Buol-Schauenstein, 4. Mai 1858–12. Mai 1859, bearbeitet und eingeleitet von Stefan Malfèr (Wien 2014); IV / 1: Das Ministerium Rechberg, 19. Mai 1859–2./3. März 1860, bearbeitet und eingeleitet von Stefan Malfèr (Wien 2003); IV / 2: Das Ministerium Rechberg, 6. März 1860–16. Oktober 1860, bearbeitet und eingeleitet von Stefan Malfèr (Wien 2007); IV / 3: Das Ministerium Rechberg, 21. Oktober 1860–2. Februar 1861, bearbeitet und eingeleitet von Stefan Malfèr (Wien 2009); V / 1: Die Ministerien Erzherzog Rainer und Mensdorff, 7. Februar 1861–30. April 1861, bearbeitet von Horst Brettner-Messler, mit einer Einleitung von Friedrich Engel-Janosi (Wien 1977); V / 2: Die Ministerien Erzherzog Rainer und Mensdorff, 1. Mai 1861–2. November 1861, bearbeitet von Stefan Malfèr (Wien 1981); V / 3: Die Ministerien Erzherzog Rainer und Mensdorff, 5. November 1861–6. Mai 1862, bearbeitet von Stefan Malfèr (Wien 1985); V / 6: Die Ministerien Erzherzog Rainer und Mensdorff, 4. Mai 1863–12. Oktober 1863, bearbeitet von Thomas Kletecˇ ka und Klaus Koch (Wien 1989); V / 9: Die Ministerien Erzherzog Rainer und Mensdorff, 9. Dezember 1864–11. Juli 1865, bearbeitet und eingeleitet von Stefan Malfèr (Wien 1997). Dizionario biografico degli italiani, Bd. 2 (Roma 1960). Dotter Marion–Wedrac Stefan, Der hohe Preis des Friedens. Die Geschichte der Teilung Tirols 1918–1922 (Innsbruck-Wien 2019). Dreger Gottfried v., Neue Skizzen einer Sommerreise durch Italien, Unter-Österreich usw. (Wien 1831). Duchhardt Heinz (Hg.), Dynastizismus und dynastische Heiratspolitik als Fakto-

Bibliographie

ren europäischer Verflechtung (= Jahrbuch für Europäische Geschichte 8, München 2007). Düringsfeld Ida v. (Hg.), Lieder aus Toskana (Dresden 1855). Düringsfeld Ida v., Aus Dalmatien. Mit Anmerkungen von Otto Freiherr von Reinsberg-Düringsfeld. 3 Bde. (Prag 1857). Ehmer Josef–Ille Karl (Hgg.), Italienische Anteile am multikulturellen Wien (= Querschnitte 27, Innsbruck-Wien-Bozen 2009). Eisterer Klaus–Steininger Rolf (Hgg.), Die Option. Südtirol zwischen Faschismus und Nationalsozialismus (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 5, Innsbruck 1989). Ellenbogen Wilhelm, Faschismus! Das faschistische Italien (Wien 1923). Ellenbogen, Wilhelm, Menschen und Prinzipien. Erinnerungen, Urteile und Reflexionen eines kritischen Sozialdemokraten, bearbeitet und eingeleitet von Friedrich Weissensteiner (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 71, Wien-Köln-Graz 1981). Enciclopedia italiana, Bd. 2 (Roma 1929), Bd. 22 (Roma 1934), Bd. 33 (Roma 1937). Engel-Janosi Friedrich, Die politische Korrespondenz der Päpste mit den österreichischen Kaisern 1804–1918. In Zusammenarbeit mit Richard Blaas und Erika Weinzierl (Wien-München 1964). Engel-Janosi Friedrich, Graf Rechberg. Vier Kapitel zu seiner und Österreichs Geschichte (München 1927). Engel-Janosi Friedrich, Österreich und der Vatikan 1846–1918. 2 Bde. (Graz-WienKöln 1985). Engel-Janosi, Österreich, der Kirchenstaat und die europäische Krise von 1860, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 63 (1955) 522–548. Eötvös Josef, Die Garantien der Macht und Einheit Österreichs (Leipzig 1859). Erzherzog Ferdinand Maximilian, Reise-Skizzen, I, Italien (Wien 1854), italienisch: Pagine sull’Italia di Massimiliano d’Asburgo (Firenze 1868). Esch Arnold–Petersen Jens (Hgg.), Deutsches Ottocento. Die Wahrnehmung Italiens im Risorgimento (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 94, Tübingen 2000). Eustace John Chetwode, A classical tour through Italy an 1802 (London 1815). Faber Hanns A., Modena – Austria. Das Herzogtum und das Kaiserreich von 1814 bis 1867 (Frankfurt a. Mai 1996). Fellner Fritz, Das österreichische Italienbild. Wandel der Erfahrungen und Perspektiven: die Schlüsseljahre 1859/60 und 1866, in: Esch–Petersen, Deutsches Ottocento 111–124.

335

336

Bibliographie

Filipuzzi Angelo (Hg.), Le relazioni diplomatiche fra l’Austria e il Regno di Sardegna e la grande guerra del 1848–49 (= Fonti per la storia d’Italia III: 1848–1860, Bd. 1 und 2, Roma 1861). Filipuzzi Angelo, La pace di Milano (Roma 1955). Fischhof Adolph, Oesterreich und die Bürgschaften seines Bestandes. Politische Studie (Wien 1869). Fliedl Konstanze, Arthur Schnitzler und Italien, in: Eduard Beutner–Karlheinz Rossbacher (Hgg.), Ferne Heimat – nahe Fremde. Bei Dichtern und Nachdenkern (Würzburg 2008) 132–147. Fontana Josef, Geschichte des Landes Tirol 3. Vom Neubau bis zum Untergang der Habsburgermonarchie (1848–1918) (Bozen-Innsbruck-Wien 1987). Fontana Josef, Unbehagen. Südtirol unter der Zivilverwaltung 1. August 1919–28. Oktober 1922, 2 Bde. (Innsbruck 2010). Foscolo Ugo, Ultime lettere di Jacopo Ortis. A cura di Paolo Mattei (= Biblioteca economica Newton 114, Roma 1998). Framke, Gisela, Im Kampf um Südtirol. Ettore Tolomei (1865–1952) und das »Archivio per l’Alto Adige« (Tübingen 1987). Frapporti Giuseppe, Della storia e della condizione del Trentino nell’antico e nel medio evo (Trento 1840). Freiberg Walter, Südtirol und der italienische Nationalismus. Entstehung und Entwicklung einer europäischen Minderheitenfrage. Quellenmäßig dargestellt, Teil 2: Dokumente, hg. Josef Fontana (= Schlern-Schriften 282/2, Innsbruck 1990). Frensing Hans Hermann, Die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen (München 1970). Friedjung Heinrich, Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859–1866, 2 Bde. (Stuttgart und Berlin 91912/13). Furlani Silvio–Wandruszka Adam, Österreich und Italien. Ein bilaterales Geschichtsbuch. 1. Auflage (Wien-München 1973); 2. überarbeitete Auflage 2002, Maddalena Guiotto– Stefan Malfèr (Hgg.) (Wien 2002). Italienisch: Austria e Italia. Storia a due voci (Bologna 1975), 2. Auflage (Bologna 2002). Furlani Silvio, L’immagine dell’Austria in Italia dal 1848 alla prima guerra mondiale, in: Chiarini–Zemann, Österreich-Italien 339–363. Gaeta Giovanni, Il »Corriere Italiano« di Vienna (1850–57) ed il suo redattore, in: Atti del XXXIV Congresso di Storia del Risorgimento italiano, Venezia 20–23 ottobre 1955 (Roma, 1958) 467–501. Garms Jörg (Hg.), Artisti austriaci a Roma. Dal Barocco alla Secessione. Catalogo di mostra (Roma 1972). Garms Jörg, Das römische Milieu der europäischen Künstler im frühen 19. Jahrhundert, in: Grabner–Wöhrer, Italienische Reisen 24–28. Garms-Cornides Elisabeth, Das Bild Österreichs in Italien. Von der Erbfeindschaft zur Nostalgiewelle, in: Österreich in Geschichte und Literatur 50 (2006) 296–318.

Bibliographie

Garms-Cornides Elisabeth, Tradizioni letterarie e attualità politica nella polemica antiaustriaca in Italia tra Sette- e Ottocento, in: Römische Historische Mitteilungen 37 (1995) 353–375. Gatterer Claus, Erbfeindschaft Italien–Österreich (Wien-München-Zürich 1972); ital.: »Italiani maledetti, maledetti austriaci«. L’inimicizia ereditaria (Bolzano 1986). Gatterer Claus, Im Kampf gegen Rom. Bürger, Minderheiten und Autonomien in Italien (Wien-Frankfurt-Zürich 1968). Gatterer Claus, Unter seinem Galgen stand Österreich. Cesare Battisti. Porträt eines »Hochverräters« (Wien 1967, erweiterte Neuausgabe Wien-Bozen 1997). Gehler Michael–Olechowski Thomas–Wedrac Stefan–Ziegerhofer Anita (Hgg.), Der Vertrag von Saint Germain im Kontext der europäischen Nachkriegsordnung (= Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs 9, 2019, Heft 2). Gehler Michael (Hg.), Eduard Reut-Nicolussi und die Südtirolfrage 1918–1958. Streiter für die Freiheit und die Einheit Tirols, 2 Bde (= Schlern-Schriften 333/1 und 2, Innsbruck 2007). Gehler Michael, From Saint Germain to Lisbon. Austria’s Long Road from Disintegrated to United Europe 1919–2009 (=Internationale Geschichte / International History 5, Wien 2020). Gerbore Pietro, Formen und Stile der Diplomatie (Reinbek bei Hamburg 1964). Gesetze und Verordnungen im Justizfach für die deutschen Staaten der Oesterreichischen Monarchie vom Jahre 1832 (Wien 1832). Gioberti Vincenzo, Del primato morale e civile degli Italiani. Tomo secondo (Napoli 1864); Neudruck, hg. und eingeleitet von Gustavo Balsamo-Crivelli (Torino 1920–1925). Gliubich di Città vecchia Simone A., Dizionario biografico degli uomini illustri della Dalmazia (Vienna e Zara 1856). Goebl Hans, Konflikte in pluriethnischen Staatswesen. Ausgewählte Fallstudien aus Österreich-Ungarn (1848–1918), in: Friedemann Vogel–Janine Luth–Stefaniya Ptashnyk (Hgg.) Linguistische Zugänge zu Konflikten in europäischen Sprachräumen. Korpus – Pragmatik – kontrovers (Heidelberg 2016) 203–231. Göres Jörn (Hg.), ... auf classischem Boden begeistert. Goethe in Italien. Ausstellungskatalog (Mainz 1986). Gottardi Michele, L’Austria a Venezia. Società e istituzioni nella prima dominazione austriaca 1798–1806 (Milano 1993). Gottsmann Andreas–Malfèr Stefan, Die Verwaltungskörperschaften und die Verwaltung in Lombardo-Venetien, in: Helmut Rumpler–Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, 7: Verfassung und Parlamentarismus. 2. Teilband: Die regionalen Repräsentativkörperschaften (Wien 2000) 1593–1632. Gottsmann Andreas–Ugolini Romano–Wedrac Stefan (Hgg.), Österreich-Ungarn und Italien im Ersten Weltkrieg / Austria-Ungheria e Italia nella Grande Guerra

337

338

Bibliographie

(= Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturforum im Rom 1/18, Wien 2019). Gottsmann Andreas, Rom und die nationalen Katholizismen in der Donaumonarchie. Römischer Universalismus, habsburgische Reichspolitik und nationale Identitäten 1878–1914 (= Publikationen des Historischen Instituts beim österreichischen Kulturforum in Rom 1/16, Wien 2010). Gottsmann Andreas, Venetien 1859–1866. Österreichische Verwaltung und nationale Opposition (= Zentraleuropa-Studien 8, Wien 2005). Grabmayr Karl von, Süd-Tirol. Land und Leute vom Brenner bis zur Salurner Klause. Eingeleitet und herausgegeben unter Mitwirkung hervorragender tirolischer Gelehrter und Schriftsteller (Berlin 1919); italienisch: La passione del Tirolo innanzi all’annessione. Con prefazione di Luigi Credaro (Milano 1920). Grabner Sabine–Wöhrer Claudia (Hgg.), Italienische Reisen. Landschaftsbilder österreichischer und ungarischer Maler. 1770–1850. Ausstellungskatalog, Österreichische Galerie Belvedere ([Wien] 2001). Grande Enciclopedia De Agostini, Bd. 19 (Novara 1995). Grillparzer Franz, Reise nach Italien (1819), in: Ders., Selbstbiographie und Reisetagebücher (Wien 1946) 333–388. Grillparzer Franz, Sämtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. I / 10, Gedichte Teil 1 (Wien 1932). Grillparzer Franz, Selbstbiographie, in: Ders., Selbstbiographie und Reisetagebücher (Wien 1946) 9–153. Guiotto Maddalena–Wohnout Helmut (Hgg.), Italien und Österreich im Mitteleuropa der Zwischenkriegszeit / Italia e Austria nella Mitteleuropa tra le due guerre mondiali (= Schriftenreihe des Österreichischen Historischen Instituts in Rom 2, Wien-Köln-Weimar 2018). Guiotto Maddalena, La formazione politico-culturale di Alcide De Gasperi tra Trento e Vienna (1900–1918), in: Römische Historische Mitteilungen 46 (2004) 393–410. Guiotto Maddalena, Una generazione postbellica di storici tra Austria e Italia: il loro contributo al superamento dei pregiudizi reciproci, in: Nicoletta Dacrema (Hg.), Felix Austria Italia infelix? Tre secoli di relazioni culturali italo-austriache, postfazione di Angelo Ara (Roma 2004) 149–161. Haan Hugo Freiherr v., Statistische Streiflichter zur österreichischen Hochschulfrequenz, in: Statistische Monatsschrift. Neue Folge 22 (1917) 155–208. Habel Eduard, Fragmente aus Briefen eines Reisenden (Wien 1836). Hadamovsky Franz–Witeschnik Alexander (Hgg.), 100 Jahre Wiener Oper am Ring. Katalog der Jubiläumsausstellung 1969 (Wien 1969). Hamann Brigitte (Hg.), Die Habsburger. Ein biographisches Lexikon (Wien 1988). Hammer-Purgstall Joseph v., Italia in hundert und einem Ständchen. Von einem Morgenländer (Leipzig 1830).

Bibliographie

Hammer-Purgstall Joseph v., Zeichnungen auf einer Reise von Wien über Triest nach Venedig und von da zurück durch Tyrol und Salzburg (Berlin 1821) Hanák Peter (Hg.), Die Geschichte Ungarns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart (Budapest-Essen 1988). Handbuch aller unter der Regierung des Kaisers Joseph II. für die K. K. Erbländer ergangenen Verordnungen und Gesetze, Bd. 6 (Wien 1786). Hantsch Hugo, Die Geschichte Österreichs, Bd. 2 (Graz-Wien-Köln 41994). Hartmann Ludo Moritz, 100 Jahre italienischer Geschichte (1815–1915). (Die Grundlagen des modernen Italien) (München 1916). Hasenmayer Herbert u. a., Neuzeit. Vom Westfälischen Frieden bis zum Ersten Weltkrieg (Wien 1974). Haupt-Vertrag des zu Wien versammelten Congresses der europäischen Mächte, Fürsten und freien Städte (Hildburghausen 1815). Hehn Jürgen v., Die Umsiedlung der baltischen Deutschen – das letzte Kapitel baltischdeutscher Geschichte =Marburger Ostforschungen 40, Marburg / Lahn 1982). Heilsberg Franz u. a., Allgemeine Geschichte der Neuzeit von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart (Wien 1961). Heimat & Welt. Zeitschrift für Südtiroler in der Welt. Jänner 2020. Heindl Waltraud, Prinz Eugen von Savoyen. Heros et Philosophus. Gedanken zu einem männlichen Schulbuchhelden, in: L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 7 (1996) Heft 1, 56–74. Heiss Hans, in Zusammenarbeit mit Gustav Pfeifer, »Man pflegt Südtirol zu sagen und meint, damit wäre alles gesagt.« Beiträge zur Geschichte des Begriffes »Südtirol«, in: Tirol – Trentino. Eine Begriffsgeschichte. Semantica di un concetto, in: Geschichte und Region / Storia e regione 9 (2000) 85–109. Heiss Hans, Rücken an Rücken. Zum Stand der österreichischen zeitgeschichtlichen Italienforschung und der italienischen Österreichforschung, in: Michael Gehler–Maddalena Guiotto (Hgg.), Italien, Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in Europa. Ein Dreiecksverhältnis in seinen wechselseitigen Beziehungen und Wahrnehmungen von 1945/49 bis zur Gegenwart (Wien-KölnWeimar 2012) 101–128. Helfert Joseph Alexander Freiherr von, Kaiser Franz I. von Österreich und die Stiftung des Lombardo-Venetianischen Königreichs. Im Zusammenhang mit den gleichzeitigen allgemeinen Ereignissen und Zuständen Italiens. Mit einem urkundlichen Anhang (Innsbruck 1901). Heufler Ludwig Ritter v., Italienische Briefe (Wien 1853). Hochedlinger Michael, Aktenkunde. Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit (= Historische Hilfswissenschaften, Wien-Köln-Weimar 2009). Hochenbichler Eduard, Republik im Schatten der Monarchie. Das Burgenland, ein europäisches Problem (Wien 1971).

339

340

Bibliographie

Höslinger Clemens, Bibliographie Richard Blaas, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 31 (1978) 5–8. Hubert Rainer, Johannes Schober und seine Bedeutung für die österreichische Politik in den Jahren 1929 und 1930. Eine Untersuchung der politischen Basis des parteiunabhängigen Bundeskanzlers und deren Bezug zur innenpolitischen Krisensituation (Diss. Wien 1974). Hübner Joseph Alexander Freiherr v., Ein Jahr meines Lebens. 1848–1849 (Leipzig 1891). Husslein-Arco Agnes (Hg.), Das Winterpalais des Prinzen Eugen (Wien 2013). I Documenti diplomatici italiani (zit. als DDI), 7. Serie, Band 4 (Roma 1962). Iber Walter M., »Rettungsschirm« für Österreich: Die Völkerbundanleihen, in: Michael Gehler u. a. (Hgg.), Der Vertrag von Saint Germain im Kontext der europäischen Nachkriegsordnung (= Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs 9, 2019, Heft 2). Isenburg Wilhelm Karl Prinz von, Stammtafeln zur Geschichte der europäischen Staaten (europäische Stammtafeln), Bd. l: Die deutschen Staaten; Bd. 2: Die außerdeutschen Staaten (beide Marburg 1960). Jachomowski Dirk, Die Umsiedlung der Bessarabien-, Bukowina- und Dobrudschadeutschen (= Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommission 32, München 1984). Jahrbücher der Literatur (Wien 1847). Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft (Leipzig 1845). Jedlicka Ludwig, Aufteilungs- und Einmarschpläne um Österreich 1918–1934, in: Ders., Vom alten zum neuen Österreich. Fallstudien zur österreichischen Zeitgeschichte 1900–1975 (St. Pölten 1975) 141–165. Jelinek Elisabeth, Der politische Lebensweg Dr. Heinrich Matajas. Ein Beitrag zur Geschichte der christlichsozialen Partei in der Ersten Republik (Diss. Wien 1970). Kaiser Gloria, Anita Garibaldi. Roman (Innsbruck 2001). Kanduth Erika, Zum Österreichbild in der italienischen Literatur des Risorgimento, in: Herbert Zeman (Hg.), Die österreichische Literatur. Ihr Profil im 19. Jahrhundert (1830–1880) (Graz 1982) 47–66. Kann Robert. A., Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie. Geschichte und Ideengehalt der nationalen Bestrebungen vom Vormärz bis zur Auflösung des Reiches im Jahre 1918, 2 Bde. (= Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft Ost 4 und 5, Graz-Köln 1964). Katušic´ Ivan, L’ottavo senso di Niccolò Tommaseo, in: Branca–Petrocchi, Niccolò Tommaseo nel centenario della morte 63–122. Kogel Jörg-Dieter, Im Land der Träume. Mit Sigmund Freud in Italien (Berlin 2019). Konferenzen und Verträge. Vertrags-Ploetz. Ein Handbuch geschichtlich bedeutsamer Zusammenkünfte und Vereinbarungen. Teil II. 3. Band: Neuere Zeit. 1492–1914.

Bibliographie

Zweite erweiterte und veränderte Auflage. Bearbeitet von Helmuth K. G. Rönnefahrt (Würzburg 1985). Konrad Helmut–Maderthaner Wolfgang (Hgg.), Der Werden der Ersten Republik. ... der Rest ist Österreich. 2 Bde. (Wien 2008). Kostner Maria, Die Geschichte der italienischen Universitätsfrage in der österreichisch-ungarischen Monarchie von 1864–1914 (Diss. Innsbruck 1970). Kramer Hans, Benito Mussolini in Trient und die österreichischen Behörden im Jahre 1909. Nach neu gefundenen Akten [Statthaltereiarchiv Innsbruck], in: Südost-Forschungen 14 (1955) 186–204. Kramer Hans, Österreich und das Risorgimento (Wien 1963). Krapf Michael, Das Italienbild im Biedermeier. Zum Werk von Ferdinand Georg Waldmüller, in: Chiarini–Zeman, Österreich-Italien 225–244. Kratzik Johann, Die nationalen Auseinandersetzungen in Dalmatien während der Zeit der italienischen Landtagsmehrheit 1860–1870 (Diplomarbeit Wien 1989). Kraus Karl, Die letzten Tage der Menschheit. Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und Epilog (Wien-Leipzig 1920/21). Krickel Josef Adalbert, Fußreise durch den größten Theil der österreichischen Staaten (Wien 1831). Kuprian, Hermann J.W., Zwischen Wissenschaft und Politik. Die politische Entwicklung Michael Mayrs von 1907 bis 1922 (Diss. Innsbruck 1985). Kuster Thomas, Das italienische Reisetagebuch Kaiser Franz’ I. von Österreich aus dem Jahr 1819. Eine kommentierte Edition (Diss. Innsbruck 2004). Kuster Thomas, Die Italienreise Kaiser Franz’ I. von Österreich 1819, in: Römische Historische Mitteilungen 46 (2004) 305–334. Lachmayer Herbert–Haigermoser Theresa–Eisendle Reinhard (Hgg.), Salieri sulle tracce di Mozart (= Katalogbruch zur Ausstellung, Kassel u. a. 2004). Ladner Gottlieb, Seipel als Überwinder der Staatskrise vom Sommer 1922. Zur Geschichte der Entstehung der Genfer Protokolle (Wien-Graz 1964). Langehegermann Sylvie, Schiller und der italienische Belcanto: Die Dramen Friedrich Schillers als Grundlage für die italienischen Opernlibretti der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Hamburg 2015). Larcati Arturo–Renoldner Klemens (Hgg.), »Am liebsten wäre mir Rom!«. Stefan Zweig und Italien (= Schriftenreihe des Stefan Zweig Zentrums Salzburg 9, Würzburg 2019). Lechner Silvester, Gelehrte Kritik und Restauration. Metternichs Wissenschaftsund Pressepolitik und die Wiener »Jahrbücher der Literatur« (1819–1849) (Tübingen 1977). Lein Hermann–Weissensteiner Fritz, Zeitbilder 7. Vom höfischen Absolutismus bis zum Ersten Weltkrieg (Wien 1984).

341

342

Bibliographie

Lein Hermann u. a., Geschichte und Sozialkunde. Vom Höfischen Absolutismus bis zum Ersten Weltkrieg (Wien-Heidelberg 1972). Leser Norbert–Rundel Georg G. (Hgg.), Wilhelm Ellenbogen. Ausgewählte Schriften (= Quellen und Studien zur österreichischen Geistesgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert 4, Wien 1983). Leser Norbert, Werk und Widerhall. Große Gestalten des österreichischen Sozialismus (Wien 1964) 130–145. Lill Rudolf, Südtirol 1918–1920. Zur Politik des Militärgouverneurs Pecori-Giraldi und des zivilen Generalkommissärs Credaro, in: Casimira Grandi (Hg.), Tirolo – Alto Adige – Trentino 1918–1920. Atti del convegno di studio Innsbruck 1988 (= Società di Studi Trentini di Scienze Storiche, Collana di monografie 53, Atti di congressi e convegni 8, Trento 1996) 69–82. Lill Rudolf, Südtirol in der Zeit des Nationalismus (Konstanz 2002). Lindeck-Pozza Irmtraud, Die Burgenlandfrage in der italienischen Außenpolitik. Ein Vermittlungsversuch Italiens zu Ende 1920, in: Römische Historische Mitteilungen 14 (1972) 123–253. Lindeck-Pozza Irmtraud, Vom Vertrag von Saint Germain bis zur Machtergreifung des Faschismus, in: Wandruszka – Jedlicka, Innsbruck–Venedig 167–182. Lindeck-Pozza Irmtraud, Zur Vorgeschichte des Venediger Protokolls, in: 50 Jahre Burgenland (= Burgenländische Forschungen, Sonderheft 3, Eisenstadt 1971) 15–44. Lippert Stefan, Felix Fürst zu Schwarzenberg. Eine politische Biographie (= Historische Mitteilungen der Ranke Gesellschaft, Beiheft 21, Stuttgart 1998) Loeber Dietrich A., Diktierte Option. Die Umsiedlung der Deutsch-Balten aus Estland und Lettland 1939–1941 (Neumünster 1972). Lukan Walter, Der große Krieg im Spiegel der Kriegspostkarte. Österreich-Ungarn und Italien 1914–1918, in: Gottsmann–Ugolini–Wedrac, Österreich-Ungarn und Italien im Ersten Weltkrieg 283–328. Lunzer Renate, Die »verlorenen Ideen« des italienischen Risorgimento. Zum Werk des Historikers Claus Gatterer, in: Florika Griessner–Adriana Vignazia (Hgg.), 150 Jahre Italien. Themen, Wege, offene Fragen (Wien 2014) 297–313. Lunzer Renate, Tod in Venedig. Von Zwischenexistenzen, in: Verena Berger–Friedrich Frosch–Eva Vetter (Hgg.) Zwischen Aneignung und Bruch. Studien zum Konfliktpotential von Kulturkontakten in der Romania (Wien 2005) 85–100. Lunzer Renate, Triest. Eine italienisch-österreichische Dialektik (Klagenfurt 2002); it.: Irredenti redenti. Intellettuali giuliani del ’900 (Trieste 2009). Lutz Heinrich, Zwischen Habsburg und Preußen. Deutschland 1815–1866 (= Sieder, Deutsche Geschichte 8, Berlin 1985). Magris Claudio, Il mito absburgico nella letteratura austriaca moderna (Torino 1963); deutsch: Der habsburgische Mythos in der modernen österreichischen Literatur (Salzburg 1966).

Bibliographie

Mair Walter N., Die romanische Philologie an der Universität Innsbruck bis 1918, in: Tiroler Heimat. Jahrbuch für Geschichte und Volkskunde 46/47 (1982/83) 111–136. Malfèr Stefan, Das Venediger Protokoll vom 13. Oktober 1921 und die Haltung der politischen Parteien in Österreich, in: Österreichische Osthefte 23 (1981) 179–195. Malfèr Stefan, Der Konstitutionalismus in der Habsburgermonarchie – Siebzig Jahre Verfassungsdiskussion in »Cisleithanien«, in: Helmut Rumpler–Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, 7: Verfassung und Parlamentarismus, Teilband 1: Verfassungsrecht, Verfassungswirklichkeit, zentrale Repräsentativkörperschaften (Wien 2000) 11–67. Malfèr Stefan, Der Weg zur Ödenburger Volksabstimmung als innenpolitischer Kompromiss in Österreich, in: Jahrbuch für Mitteleuropäische Studien 2014/2015 (Wien 2016) 233–242. Malfèr Stefan, Studenti dalmati all’università di Vienna nella prima metà del secolo XIX, in: Giorgio Padoan (Hg.) Istria e Dalmazia nel periodo asburgico dal 1815 al 1848 (= Atti ed Inchieste di »Quaderni Veneti« 2, Ravenna 1993). Malfèr Stefan, Tommaseo nelle pubblicazioni (riviste e libri) austriache di lingua tedesca: lacune e tracce, in: Mario Allegri (Hg.), Alle origini del giornalismo moderno: Niccolò Tommaseo tra professione e missione. Atti del convegno internazionale di studi Rovereto, 3–4 dicembre 2007 (= Memorie della Accademia Roveretana degli Agiati, ser. II, vol. XII, Rovereto 2010) 605–619. Malfèr Stefan, Una costituzione per il Regno Lombardo-Veneto. Speranze e fallimenti 1848–1850, in: La »primavera liberale« nella terraferma veneta 1848–1849. A cura di Alba Lazzaretto Zanolo (Istituto per le Ricerche di Storia Sociale e Religiosa [Vicenza]). Venezia 2000, 113–127. Malfèr Stefan, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg. Österreichisch-italienische Beziehungen 1919–1923 (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 66, Wien-Köln-Graz 1978). Malfèr Stefan. Angelo Ara und die österreichisch-italienischen Beziehungen, in: Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento / Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient XXXII, 2006 (Bologna 2007) 403–414. Malfèr, Maria von, Ettore Tolomei und die Südtirolfrage (Diss. Wien 1988). Marcenaro Giuseppe–Boragina Piero (Hgg.), Viaggio in Italia. Un corteo magico dal Cinquecento al Novecento, catalogo di mostra (Milano 2001). Marcotti Giuseppe, La Nuova Austria. Impressioni (Firenze 1885). Marinelli-König Gertraud, Die Südslaven in den Wiener Zeitschriften des Vormärz (1805–1848). Versuch einer kritischen Bestandsaufnahme der Beiträge über Bosnien, Bulgarien, Dalmatien, die Herzegowina, Istrien, Krain (Kärnten, Steiermark), Kroatien, das Küstenland, die Militärgrenze, Montenegro, Serbien und Slawonien (= Österreichische Akademie der Wissenschaften, Veröffentlichungen der Kommission für Literaturwissenschaften 14, Wien 1994).

343

344

Bibliographie

Mattausch Rudolf, Franz Graf Stadion, in: Große Österreicher. Neue Österreichische Biographie ab 1815, Bd. 14 (Wien 1960) 62–73. Mayr Josef Karl (Hg.), Das Tagebuch des Polizeiministers Kempen von 1848 bis 1859 (Wien-Leipzig 1931). Mayr Michael, Der italienische Irredentismus. Sein Entstehen und seine Entwicklung vornehmlich in Tirol (Innsbruck 1916). Mazohl Brigitte–Parschalk Norbert–Riedmann Josef, in Zusammenarbeit mit Günther Kaufmann und Franz Mathis, 99 Fragen an die Geschichte Tirols (Bozen 2015). Mazohl-Wallnig Brigitte – Meriggi Marco (Hgg.), Österreichisches Italien – Italienisches Österreich? Interkulturelle Gemeinsamkeiten und nationale Differenzen vom 18. Jahrhundert bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (= Zentraleuropastudien 5, Wien 1999). Mazohl-Wallnig Brigitte, Österreichischer Verwaltungsstaat und administrative Eliten im Königreich Lombardo-Venetien 1815–1859 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte 146, Mainz 1993). Mazzini Giuseppe, Scritti editi e inediti. Edizione diretta dall’autore. Volume I (Milano 1861). Meisner Heinrich Otto, Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918 (Göttingen 1969). Meriggi Marco, Amministrazione e classi sociali nel Lombardo-Veneto (1814–1848) (= Storia e amministrazione 3, Bologna 1983). Meriggi Marco, Il Regno Lombardo-Veneto (Torino 1987). Merkh R[udolf ], »Es war einmal«. Deutsche Wanderungen in Südtirol und Oberitalien (Innsbruck1913). Merlotti Andrea, Savoia e Asburgo nel XVIII secolo: due progetti per un secondo Stato sabaudo nell’Italia imperiale (1732, 1765), in: Bellabarba– Niederkorn, Le corti 215–234. Messner Reinhold (Hg.), Die Option (München 1989). Metternich-Winneburg Richard (Hg.), Aus Metternich’s nachgelassenen Papieren, Bd. 3. (Wien 1881), Bd. 6 Band (Wien 1883). Moering Carl, Politische Miszellen (Wien 1848). Moering Carl, Sibyllinische Bücher aus Österreich (Hamburg 1848). Monsagrati Giuseppe (Hg.), I racconti del Calvados (Roma 2009). Montanari Fausto, Spiritualità ed educazione del Tommaseo, in: Branca–Petrocchi, Niccolò Tommaseo nel centenario della morte 47–56. Monzali Luciano, Cancellare secolari fraintendimenti. Appunti sulle relazioni fra l’Italia liberale e la Prima Repubblica Austriaca, in: Römische Historische Mitteilungen 60 (2018) 329–366.

Bibliographie

Morandini Francesca, Vienna nella metà del secolo XVIII nella descrizione del manoscritto 684 dell’Archivio di Stato di Firenze, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 31 (1978) 121–135. Morass Michael–Pallaver Günther (Hgg.), Österreich – Italien. Was Nachbarn voneinander wissen sollten (Wien 1992). Mosca Rodolfo, Österreich und die italienische Außenpolitik vom Vertrag von Saint Germain bis zur faschistischen Machtergreifung, in: Wandruszka – Jedlicka, Innsbruck–Venedig 183–195. Mraz Gottfried, Österreich und das Reich 1804–1806. Ende und Vollendung (Wien 1993). Mraz Henrike, Das Königreich Lombardo-Venetien im Vormärz, in: Kaisertum Österreich 1804–1848, Ausstellung Schallaburg 1996 (Bad Vöslau 1996) 67–79 und 406–424. Mussafia Adolfo, Italienische Literatur, in: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild. Dalmatien (Wien 1892) 213–231. Mussolini, Benito, Opera Omnia di Benito Mussolini, edd. Edoardo e Duilio Susmel, 35 Bände (Firenze 1951–1963). Neck Rudolf, Der Vertrag von Saint Germain, in: Wandruszka– Jedlicka, Innsbruck–Venedig 149–157. Neumann Léopold Freiherr v., Recueil des traités et conventions conclus par l’Autriche avec les puissances étrangères, depuis 1763 jusqu’à nos jours. Bd. II (Leipzig 1856). Nicoletti Giuseppe, Foscolo (Roma 2006). Nitti Francesco, Das friedlose Europa. Zweite und durchgesehene Ausgabe (Frankfurt am Main 1921). Nitti Francesco, Der Friede. Übertragen von Berthold Fenigstein (Frankfurt am Main 1925). Nitti Francesco, Der Niedergang Europas. Die Wege zum Wiederaufbau (Frankfurt am Main 1922). Nitti, Francesco, L’Europa senza pace (Firenze 1922), zit. nach Nitti, Scritti politici 1. Nitti, Francesco, La decadenza dell’Europa (Firenze 1922), zit. nach Nitti, Scritti politici 1. Nitti, Francesco, La pace (Torino 1925), zit. nach Nitti, Scritti politici 2. Nitti, Francesco, Scritti politici, 6 Bände (Bari 1959–1963). Oberkofler Gerhard, Die Rechtslehre in italienischer Sprache an der Universität Innsbruck (1864–1904) (= Veröffentlichungen der Universität Innsbruck 97, Innsbruck 1975). ÖMR siehe Die Protokolle des österreichischen Ministerrates. Oplatka Andreas, Graf Stephan Széchenyi. Der Mann, der Ungarn schuf (Wien 2004). Oppl Ferdinand, Italiener in Wien. Katalog zur Kleinausstellung (= Wiener Geschichtsblätter, Beiheft 3, Wien 1987).

345

346

Bibliographie

Österreichische Blätter für Literatur und Kunst (Wien 1847). Österreichisches statistisches Handbuch für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder (Wien 1882–1915). Pallaver Günther–Gehler Michael (Hgg.), Universität und Nationalismus. Innsbruck 1904 und der Sturm auf die italienische Rechtsfakultät (= Grenzen 16, Trento 2013); ital.: Università e nazionalismi. Innsbruck 1904 e l’assalto alla Facoltà di giurisprudenza italiana (= Quaderni di Archivio trentino 25, Trento 2010). Pallaver Günther–Steurer Leopold (Hgg.), Deutsche! Hitler verkauft euch! Das Erbe von Option und Weltkrieg in Südtirol (Bozen 2011). Panesch Othmar, Garibaldi als Schriftsteller (Diplomarbeit, Wien 1978). Pannasch Anton, Erinnerungen an Italien (Wien 1826). Pellico Silvio, Le mie prigioni. Memorie (Torino 1832); deutsch: Meine Gefängnisse. Denkwürdigkeiten (Stuttgart 1837). Pesendorfer Franz, Die Habsburger in der Toskana (Wien 1988). Pesendorfer Franz, Eiserne Krone und Doppeladler. Lombardo-Venetien 1814–1866 (Wien [1992]). Petrarca Francesco, Il Canzoniere, a cura di Gianfranco Contini (Torino 1964). Pichler Rupert, Italiener in Österreich. Österreicher in Italien (Wien 2000). Piemontese Giuseppe, Il movimento operaio a Trieste. Dalle origini alla fine della prima guerra mondiale (Udine 1961). Pierazzi Giuseppe, Gli studenti dell’università di Vienna. Orientamenti ideologici e nazionali (1900–1914) (Diss. Trieste 1965–66). Pierazzi Giuseppe, Tommaseo e gli Slavi, in: Branca–Petrocchi, Niccolò Tommaseo nel centenario della morte 519–532. Piétri Nicole, La Société des Nations et la reconstruction financière de l’Autriche 1921–1926 (Genève 1970). Plaschka Richard Georg–Mack Karlheinz (Hgg.), Wegenetz europäischen Geistes, 2 Bde. (= Schriftenreihe des Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts 8, Wien 1983, und 12, Wien 1987). Politica, diretta da Francesco Coppola e Alfredo Rocco, Bde. 1–15 (Roma 1918–1923). Politische Gesetze und Verordnungen für die österreichischen, böhmischen und galizischen Erbländer Sr. k. k. Majestät Franz des Zweiten, Bd. 42 (Wien 1814). Politische Gesetze und Verordnungen für sämmtliche Provinzen des oesterreichischen Kaiserstaates, mit Ausnahme von Ungarn und Siebenürgen Sr. k. k. Majestät Ferdinand des Ersten, Bd. 76 (Wien 1851). Praga Giuseppe, Il ritorno di Niccolò Tommaseo dal primo esilio, in: Archivio storico per la Dalmazia 12 (1937/38) 402–433.

Bibliographie

Prokesch-Osten Anton Freiherr v., Aus den Tagebüchern 1830–34 (Wien 1909). Prokesch-Osten Anton Freiherr v., Triklinien. Briefe aus Italien, in Ders., Kleine Schriften 5 (Stuttgart 1844) 153–256. Protokoll Des Sozialdemokratischen Parteitages 1925, abgehalten in Wien vom 13. bis 16. November (Wien 1925). Raccolta degli Atti dei Governi di Milano e di Venezia (Milano 1848). Raccolta degli Atti del Governo e delle Disposizioni generali emanate dalle diverse Autoritàin oggetti sì amministrativi che giudiziarii della Lombardia (Milano 1815). Ragionieri Ernesto–Valiani Leo, Socialdemocrazia austriaca e socialisti italiani nell’agosto del 1914. Un colloquio di Wilhelm Ellenbogen con Benito Mussolini e Claudio Treves, in: Studi Storici 2 (1961) 100–113. Ragionieri Ernesto, Italiani all’estero ed emigrazione di lavoratori italiani. Un tema di storia del movimento operaio, in: Belfagor 17 (1962) 640–669. Ragionieri Ernesto, Socialdemocrazia tedesca e socialisti italiani 1875–1895. L’influenza della socialdemocrazia tedesca sulla formazione del Partito socialista italiano (Milano 1961). Rauchensteiner Manfried, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918 (Wien 2013). Rauscher Walter, Österreich und Italien 1918–1955, in: Klaus Koch–Walter Rauscher–Arnold Suppan–Elisabeth Vyslonzil (Hgg.), Von Saint-Germain zum Belvedere. Österreich und Europa 1919–1955 (Wien 2007) 186–209. Reden Alexander Sixtus von, Hoffnung aus der Vergangenheit. Die Wiederherstellung Österreichs in Norditalien (Graz-Köln-Wien 1982). Reden-Dohna Armgard von–Melville Ralph (Hgg.), Der Adel an der Schwelle des bürgerlichen Zeitalters, 1780–1860 (= Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte 10, Stuttgart 1988). Redlich Joseph, Kaiser Franz Joseph von Österreich (Berlin 1929). Reichenberger, Italienische Opernstagioni im Wiener Vormärz, in: Chiarini–Zeman, Österreich-Italien 213–224. Reinermann Alan J., Austria and the Papacy in the Age of Metternich. Between Conflict and Cooperation, 2 Bde. (Washington 1979/1989). Renner Karl, Österreich von der ersten zur zweiten Republik (Wien 1953). Reut-Nicolussi Eduard, Tirol unterm Beil (München1928). RGBL. = Reichsgesetz- und Regierungsblatt. Ricaldone Luisa, Italienisches Wien (Wien-München 1986). Riesinger Helga, Leben und Werk des österreichischen Politikers Wilhelm Ellenbogen (Diss. Wien 1969). Rietra Madeleine, Jung Österreich. Dokumente und Materialien zur liberalen Opposition 1835–1848 (Amsterdam 1980).

347

348

Bibliographie

Ritschel Karl Heinz, Diplomatie um Südtirol. Politische Hintergründe eines europäischen Versagens (Stuttgart 1966). Romanelli Giandomenico, Arte di governo e governo dell’arte: Vienna e Venezia nell’Ottocento, in: Ders. (Hg.), Venezia Vienna. Il mito della cultura veneziana nell’Europa asburgica (Milano 1983) 141–186. Rumpler Helmut (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, 11: Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg, 1. Teilband, Teil 2, Vom Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn zum neuen Europa der Nationalstaaten (Wien 2016). Rumpler Helmut, Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie (= Österreichische Geschichte, 1804–1914, hg. von Herwig Wolfram, Wien 1997). Rumpler Helmut, Ministerrat und Ministerratsprotokolle 1848–1867. Behördengeschichtliche und aktenkundliche Analyse (= Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848–1867. Einleitungsband, Wien 1970). Saurer Edith, Straße, Schmuggel, Lottospiel. Materielle Kultur und Staat in Niederösterreich, Böhmen und Lombardo-Venetien im frühen 19. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 90, Göttingen 1989). Schemper-Sparholz Inge, Bemerkungen zu Antonio Canova und Österreich, in: Chiarini–Zeman, Österreich-Italien 151–211. Scheucher Alois u. a., Zeitbilder 5 & 6. Von den Anfängen der Geschichte der Menschen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (Wien 2006). Scheucher Alois u. a., Zeitbilder 7. Vom Beginn des Industriezeitalters bis zum Zweiten Weltkrieg (Wien 1991). Schininà Giovanni, Ludo Moritz Hartmann e l’immagine del Risorgimento nella storiografia austriaca, in: Ders., L’Austria contemporanea tra crisi e trasformazione. Quattro saggi di storia e storiografia (Roma 2013) 81–105. Schlossar Anton (Hg.), Anastasius Grüns sämtliche Werke in zehn Bänden. Bd. 8. Volkslieder aus Krain (Leipzig 1906). Schmidt-Dengler Wendelin–Reitani Luigi, Symmetrie der Entfremdung. Italien und Österreich im wechselseitigen Blick ihrer Literaturen, in: Morass–Pallaver, Österreich – Italien 151–180. Schober Richard, Der Kampf um das Autonomieprojekt von 1900–1902 für das Trentino, aus der Sicht österreichischer Quellen (= Collana di monografie edita dalla Società di Studi Trentini di Scienze Storiche 31, Trento 1978). Schober Richard, Die Tiroler Frage auf der Friedenskonferenz von Saint Germain (= Schlern-Schriften 270, Innsbruck 1982). Schober Richard, Geschichte des Tiroler Landtages im 19. und 20. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 4, Innsbruck 1984).

Bibliographie

Schrattenecker Irene, »Brilla o spada ... il tedesco qui cada«. Die Bilder von den Österreichern in der oberitalienischen Literatur um 1848, in: Mazohl-Wallnig–Meriggi, Österreichisches Italien – Italienisches Österreich 613–625. Schrattenecker Irene, Il potere delle immagini. Gli inni patriottici, i canti popolari e le stampe della rivoluzione del 1848, in: Gino Benzoni–Gaetano Cozzi, Venezia e l’Austria (Venezia 1999) 451–474. Schuselka Franz, Mittelmeer Ost- und Nordsee (Leipzig 1845). Schusser Adalbert, Zur Entwicklung der italienischen Universitätsfrage in Österreich (1861–1918). Untersuchungen über das Verhalten von Regierung und Parlament zur Schaffung einer italienischen Rechtsfakultät (Diss. Wien 1972). Senner Martin, Die Donaufürstentümer als Tauschobjekt für die österreichischen Besitzungen in Italien (1853–1866) (= Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 27, Stuttgart 1988). Sforza Carlo, Un anno di politica estera. Discorsi, hg. Amedeo Giannini (Roma 1921). Siemann Wolfram, Metternich, der Wiener Kongress und Italien, in: Römische Historische Mitteilungen 58 (2016) 135–144. Siemann Wolfram, Metternich. Stratege und Visionär. Eine Biografie (München 2016). Sinkó Katalin, Italienfahrer aus Ungarn, in: Grabner–Wöhrer, Italienische Reisen 68–79. Somogyi Eva, Vom Zentralismus zum Dualismus. Der Weg der deutschösterreichischen Liberalen zum Ausgleich von 1867 (Budapest 1983). Spagnoletti Angelantonio, Intrecci matrimoniali tra Asburgo e casate principesche italiane tra XVI e XVIII secolo, in: Bellabarba– Niederkorn, Le corti 17–37. Spagnoletti Angelantonio, Le dinastie italiane nella prima età moderna (Bologna 2003). Srbik Heinrich Ritter v., Deutsche Einheit. Idee und Wirklichkeit vom Heiligen Reich bis Königgrätz, 4 Bde. (München 1935–1942). Statistisches Jahrbuch der österreichischen Monarchie (Wien 1863–1881) Stauber Reinhard, Der Wiener Kongress (UTB 4095, Wien / Köln / Weimar 2014). Steidl Annemarie, Historische Entwicklung der italienischsprachigen Wanderungen nach Wien, in: Ehmer–Ille, Italienische Anteile 16–35. Steininger Rolf, Südtirol im 20. Jahrhundert. Vom Leben und Überleben einer Minderheit (Innsbruck-Wien 1997). Steinitzer Alfred, Geschichtliche Wanderungen durch Tirol und Vorarlberg (Innsbruck 1905). Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses in der Reichsrath-Session vom 29. April 1861 bis 18. December 1862 (Wien 1862). Steurer Leopold, Option und Umsiedlung in Südtirol: Hintergründe – Akteure – Verlauf, in: Reinhold Messner (Hg.), Die Option (München 1989) 15–114.

349

350

Bibliographie

Steurer Leopold, Südtirol zwischen Rom und Berlin 1919–1939 (Wien-München-Zürich1980). Stieglitz Heinrich, Istrien und Dalmatien. Briefe und Erinnerungen (Stuttgart-Tübingen 1845). Stocker Martha, Die Paketschlacht. Ringen um die richtige Entscheidung in der Südtirolfrage (Bozen 2019). Stossun Harry Die Umsiedlung der Deutschen aus Litauen während des Zweiten Weltkrieges. Untersuchungen zum Schicksal einer deutschen Volksgruppe im Osten (Marburg an der Lahn 1993). Strahl Adolf [= Carl Schodel], Erlebnisse eines Touristen in Italien und Sicilien (Wien 1839/1841). Stuhlpfarrer Karl, Umsiedlung Südtirol 1939–1940, 2 Bde. (Wien-München 1985). Suppan Arnold–Olechowski Thomas–Frevert Ute (Hgg.), 100 Jahre Vertrag von Saint-Germain. Vorträge im Rahmen der Gesamtsitzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am 25. Oktober 2019 (= Akademie im Dialog 16, Wien 2019). Suppan Arnold, Die imperialistische Friedensordnung Mitteleuropas, in: Helmut Rumpler (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, 11: Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg, 1. Teilband, Teil 2, Vom Vielvölkerstaat ÖsterreichUngarn zum neuen Europa der Nationalstaaten (Wien 2016) 1257–1341. Tafeln zur Statistik der österreichischen Monarchie. Neue Folge (Wien 1849–1865) Tamaro Attilio, L’Alleanza con gli Slavi, in: Politica 7 (1920) 151–165. Tamaro Attilio, L’Europa centrale dopo la caduta della Monarchia asburgica, in: Politica 13 (1922) 185–200. Tamborra Angelo, Niccolò Tommaseo, il mondo ortodosso e il problema dell’unione delle Chiese, in: Branca–Petrocchi, Niccolò Tommaseo nel centenario della morte 583–628. Telesko Werner, Geschichtsraum Österreich. Die Habsburger und ihre Geschichte in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts (Wien-Köln-Weimar 2006). Telesko Werner, Kulturraum Österreich. Die Identität der Regionen in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts (Wien-Köln-Weimar 2008). Tersch Harald, Im »Eldorado meiner Phantasie«. Der Reisebericht über Italien um 1900, in: Grabner–Wöhrer, Italienische Reisen 109–120. Tommaseo Niccolò, Dell’Italia libri cinque. Ristampa anastatica dell’edizione 1920–1921. Postfazione di Francesco Bruni (Alessandria 2003). Tonetti Eurigio, Governo austriaco e notabili sudditi. Congregazioni e municipi nel Veneto della restaurazione (1816–1848) (= Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti. Memorie. Classe di Scienze morali, Lettere ed Arti 69, Venezia 1997).

Bibliographie

Tschabuschnigg Adolf Ritter v., Buch der Reisen. Bilder und Studien aus Italien, der Schweiz und Deutschland (Wien 1842). Turchi Roberta–Volpi Alessandro (Hgg.), Niccolò Tommaseo e Firenze. Atti del Convegno di studi Firenze 1999 (= Gabinetto scientifico letterario G. P. Vieusseux, Studi 9, Firenze 2000). Uhlirz Karl und Mathilde, Handbuch der Geschichte Österreichs und seiner Nachbarländer Böhmen und Ungarn, 4 Bde. (Graz-Wien-Leipzig 1927–1944). Valsecchi Franco–Wandruszka Adam (Hgg.), Austria e province italiane 1815–1918. Potere centrale e amministrazioni locali (= Annali dell’Istituto storico italo-germanico 6, Bologna 1981). Verhandlungen des Österreichischen Rechstages nach der Stenographischen Aufnahme (Wien 1848–1849). Verhandlungen des Tiroler Landtages 1889, VII Periode (Innsbruck 1889). Verucci Guido, Il Cattolicesimo liberale e sociale di Niccolò Tommaseo, in: Roberta Turchi–Alessandro Volpi (Hgg.), Niccolò Tommaseo e Firenze. Atti del Convegno di studi Firenze 1999 (= Gabinetto scientifico letterario G. P. Vieusseux, Studi 9, Firenze 2000) 19–35. Vesque von Püttlingen Johann Freiherr, Uebersicht der österreichischen Staatsverträge seit Maria Theresia bis auf die neueste Zeit, mit historischen Erläuterungen (Wien 1868). Viszota Gyula (Hg.), Gróf Széchenyi István összes munkái. Naplói, 6 Bde. (Budapest 1925–1939). Vitezic´ Ivan, Die römisch-katholische Kirche bei den Kroaten, in: Adam Wandruszka–Peter Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, 4: Die Konfessionen (Wien 1995) 332–398. Wagner Robert, Das Kronprinzenwerk, in: Rudolf. Ein Leben im Schatten von Mayerling, 119. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien (Wien 1989) 59–70. Wallnig Thomas, Die italienische Korrespondenz des Freiherrn Josef von HammerPurgstall. Briefe in Text und Kommentar. Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte Italiens während der Restaurationszeit (Diplomarbeit, Graz 1999). Wandruszka Adam–Jedlicka Ludwig (Hgg.), Innsbruck–Venedig. Österreichisch-italienische Historikertreffen 1971 und 1972 (= Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte Österreichs 6, Wien 1975). Italienisch: Storia e Politica 12 (1973) 3 und 13 (1974) 1–2. Wandruszka Adam–Urbanitsch Peter (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918. 3: Die Völker des Reiches (Wien 1980). Wandruszka Adam, Die neuere Geschichte Italiens in der österreichischen Historiographie, in: Wandruszka– Jedlicka, Innsbruck–Venedig 15–32.

351

352

Bibliographie

Wandruszka Adam, Karl Moering. Ein deutscher Soldat und Politiker aus dem alten Österreich, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 53 (1939) 79–185. Wandruszka Adam, L’Austria dopo Villafranca. Atti del XLII Congresso di Storia del Risorgimento italiano, Ravenna 1965. (= Istituto per la Storia del Risorgimento italiano, Atti dei Congressi 10, Roma 1966) 51–66. Wandruszka Adam, Leopold II., 2 Bde. (Wien-München 1963/64). Wandruszka Adam, Österreich und Italien im 18. Jahrhundert (= Österreich Archiv, Wien 1963). Weber Hermann, Der Minderheitenschutz des Völkerbundes, in: Manfred Mohr (Hg.), Friedenssichernde Aspekte des Minderheitenschutzes in der Ära des Völkerbundes und der Vereinten Nationen in Europa (Berlin u. a. 1996). Wedekind Michael–Rodogno Davide (Hgg.), Umsiedlung und Vertreibung in Europa / Spostamenti forzati di popolazioni in Europa 1939–1955, in: Geschichte und Region / Storia e regione 18 (2009) 2, 5–196. Weidmann Franz Carl, Memorabilien aus meiner Reisetasche (Brünn 1822/1823). Weigel Hans–Lukan Walter–Peyfuss Max. D., Jeder Schuss ein Ruß, jeder Stoß ein Franzos. Literarische und graphische Kriegspropaganda in Deutschland und Österreich 1914–1918 (Wien 1983). Weihs Kurt, Geschichte der Lehrkanzeln und des Seminars für romanische Philologie an der Universität Wien (Diss. Wien 1950). Weil Maurice-Henri, Joachim Murat. Roi de Naples. La Dernière Année de Règne (Mai 1814 – Mai 1815) Bd. III (Paris 1909). Weinzierl Erika, Aehrenthal and the Italian university question. In: Stanley B. Winters–Joseph Held (Hgg.), Intellectual and social developments in the Habsburg Empire from Maria Theresia to World War I. Essays dedicated to Robert A. Kann (= East European Monographs 11, New York-London 1975) 241–269. Weiss, Klaus, Das Südtirol-Problem in der Ersten Republik. Dargestellt an Österreichs Innen- und Außenpolitik im Jahre 1928 (= Österreich Archiv, Wien-München 1989). Werner Karl, Die italienische Philosophie des 19. Jahrhunderts, 5 Bde. (Wien 1884–1886). Winter Eduard, Romantismus, Restauration und Frühliberalismus im österreichischen Vormärz (Wien 1968). Wunderer Otto, Der italienische Faschismus in der Analyse der österreichischen sozialdemokratischen Partei 1922–33 (Diss. Wien 1974). Wurzbach Constant v., Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich enthaltend die Lebensskizzen der denkwürdigen Personen, welche 1750–1850 im Kaiserstaate und in seinen Kronländern gelebt haben. Bd. 13 (Wien 1865) und Bd. 46 (Wien 1882). Zaffi Davide, Die deutschen nationalen Schutzvereine in Tirol und im Küstenland, in: Angelo Ara, Eberhard Kolb (Hgg.), Grenzregionen im Zeitalter der Nationalismen:

Bibliographie

Elsaß-Lothringen / Trient-Triest. 1870–1914 (Berlin 1998) 257–284; ital.: Regioni di frontiera nell’epoca dei nazionalismi. Alsazia e Lorena / Trento d Trieste. 1870–1914 (Bologna 1995) 157–193. Ziegler Anton, Vaterländische Bilder-Chronik aus der Geschichte des österreichischen Kaiserstaates. Von seinen ältesten Bewohnern bis auf die gegenwärtige Zeit. Nach den besten Hilfsquellen bearbeitet und mit Original-Handzeichnungen ausgestattet. Oesterreich unter den Habsburgern. Die neueste Zeit. Zweite Abteilung (Wien 1850). Zingarelli Italo, Nicolò Tommaseo e l’I. R. Polizia (Nuove ricerche negli archivi viennesi), in: Rivista d’Italia 31 (1928) 55–74. Zingarelli Italo, Tommaseo a Corfù. Lettere e documenti dagli archivi viennesi, in: Nuova Antologia. Rivista di Scienze, Lettere, ed Arti. Settima serie, gennaio-febbraio (1930) 359–373. Zöllner Erich, Der Österreichbegriff. Formen und Wandlungen in der Geschichte (= Österreich-Archiv, Wien 1988). Zöllner Erich, Geschichte Österreichs. Von den Anfängen bis zur Gegenwart (Wien 5 1974). Zorzi Alvise, Österreichs Venedig. Das letzte Kapitel der Fremdherrschaft 1798–1866 (Düsseldorf 1990). Italienisch: Venezia austriaca. 1798–1866 (Bari 1985).

353

Personenregister Acerbi, Giuseppe 131 Adler, Viktor (Victor) 264, 266, 267 Aehrenthal, Graf Aloys Lexa von 98 Albrecht, Erzherzog 153, 182, 223, 228, 290, 307 Alexander II., Zar von Russland 179 Alfieri, Vittorio 124, 127, 326 Amadeus Ferdinand Maria von Savoyen, König von Spanien 163–166 Ambrosoli, Francesco 52 Andics, Hellmut 307 Andrássy, Gyula Graf 80 Andrian-Werburg, Viktor Freiherrn von 53, 135, 212 Antonelli, Giacomo 175 Ara, Angelo 135, 142, 207, 231 Archinto, Conte 52 Ariosto, Ludovico 123 Auersperg, Anton Alexander Graf von (Anastasius Grün) 84 Auriti, Giacinto 272 Bach, Alexander 33, 36, 38, 48–55, 61, 175, 182, 217 Bahr, Hermann 143 Balbo, Cesare 135–137, 206,210 Baroffio, Gaetano 52 Battisti, Cesare 109, 224, 279 Bauer, Otto 260, 264, 266, 281, 307 Beauharnais Eugène de, Vizekönig von Italien 13, Belcredi, Richard Graf 69 Belgiojoso 113 Bellegarde, Heinrich Graf 13, 19, 21, 314, 318, 319 Bellini, Vincenzo 113 Benedek, Ludwig Ritter von 180, 182 Benedikt, Heinrich 307 Beretta, Francesco Conte 52 Bernetti, Tommaso 126 Bertolè Viale, Ettore 161–163, 166 Bianchi, Angelo 140 Bidermann, Hermann Ignaz 237, 238 Biegeleben, Ludwig Freiherr von 124

Bissolati, Leonida 265 Blaas, Johann 237 Blaas, Richard 70, 231, 308 Blind, Karl 305 Bolza, Giovanni Battista 87 Braunthal, Julius 264 Breganza, Giovanni Battista 52 Bricito, Zaccaria 52 Bruck, Karl Ludwig Freiherr von 29, 31, 32, 35–37, 48, 49, 58, 61 Bubna und Littitz, Ferdinand Graf von 21 Buol, Marie von 124 Buol-Schauenstein, Karl Ferdinand Graf 170, 181 Burger, Johann 118 Canova, Antonio 125 Caruso, Enrico 143 Castelli, Jacopo 24, 25 Catalani, Angelica 123 Caterina von Siena 85 Catilina, Lucius Sergius 125 Cattaneo, Carlo 137, 221 Cavedalis, Giovanni Battista 34 Cavour, Camillo Benso Conte 174, 178, 180, 191, 203, 210, 299, 306 Chessevich, Caterina 73, 74 Chiaramonte Bordonaro, Antonio 270, 271 Cialdini, Enrico 174 Ciampi, Sebastiano 76 Ciampini, Raffaele 77 Cicognara, Leopoldo 127 Cisotti, Francesco 52 Cittadella Vigodarzere, Andrea 52 Clotilde von Savoyen 154, 172 Colocci-Vespucci, Adriano 286 Confalonieri, Federico 125, 319, 320 Conrad von Hötzendorf, Franz Freiherr 98 Contarini, Salvatore 258, 259 Costa, Andrea 265 Credaro, Luigi 242, 288 Crispi, Francesco 142, 164 Czoernig, Karl Freiherr von 119, 213

Personenregister

D’Annunzio, Gabriele 226 D’Azeglio, Massimo 210 Dahlerup, Hans Birch Freiherr von 32 Dante Alighieri 73, 86, 94, 124, 245, 282, 320 Darwin, Charles 225, 293, 294 De Amicis, Edmondo 245, 282 Deák, Ferenc 66 De Gasperi, Alcide 109, 230,263 Degenfeld-Schonburg, August Graf von 64 Del Mayno, Luchino Graf 166 Depretis, Agostino 162 Doblhoff-Dier, Anton Freiherr von 30 Dobrovský, Josef 84 Dollfuß, Engelbert 248, 261 Donizetti, Gaetano 113 Dordi, Carlo 236 Dumas, Alexandre 301 Düringsfeld, Ida 90, 91 Egger, Lothar 271, 272, 276, 278 Elisabeth, Kaiserin von Österreich 62 Elisabeth von Sachsen 156 Ellenbogen, Wilhelm 245, 264–278, 282, 291, 297 Ender, Johann 116, 217, 315–317, 321, 327 Eötvös, Josef Freiherr von 215 Ercolani 126 Eugen Franz, Prinz von Savoyen-Carignan (Prinz Eugen) 173 Eustace, John Chetwode 117 Ferdinand I., Kaiser von Österreich 40, 41, 79, 126, 132, 150, 156, 212 Ferdinand II., König beider Sizilien 150 Ferdinand III., Großherzog von Toskana 131, 149, 154 Ferdinand IV. (I.), König von Neapel und Sizilien, König beider Sizilien 11, 131, 148, 154 Ferdinand Karl Anton von Österreich-Este 148 Ferdinand Maximilian, Kaiser von Mexiko 22, 58, 62, 63, 68, 80

Ferdinand von Bourbon, Herzog von Parma 11 Ferdinand von Savoyen-Carignan, Herzog von Genua 156, 167 Ferri, Enrico 265 Ficquelmont, Karl Ludwig Graf 128, 130, 141 Firmian 113 Fischhof, Adolf 215, 216 Foscolo, Ugo 131, 312–327 Franck, Carl Ritter von 303 Franz II. (I.), römisch-deutscher Kaiser, Kaiser von Österreich 17, 23, 59, 60, 65, 66, 74, 75, 78, 113, 119, 122, 128–130, 132, 149, 150, 153 Franz II., König beider Sizilien 151, 176, 178, 179, 194, 197, 198, 200, 201, 211, 302 Franz IV. von Österreich-Este, Herzog von Modena 131, 149 Franz V. von Österreich-Este, Herzog von Modena 176, 177 Franz Ferdinand, Erzherzog Thronfolger 98 Franz Joseph I., Kaiser von Österreich 33, 39, 43, 55, 62–69, 72, 79, 80, 83, 85, 140, 150, 153, 154, 156, 158, 160–162, 165, 169, 173, 175–179, 181, 184, 187, 188, 190, 200, 202–205, 212, 213, 217, 221, 223, 224, 303, 306 Franz Karl, Erzherzog 154, 212 Franz I. Stephan von Lothringen, römischdeutscher Kaiser 11, 148, 149 Frapporti, Giuseppe 235 Freud, Sigmund 143, 144 Friedjung, Heinrich 306 Furlani, Silvio 142, 206, 231 Gaj, Ljudevit 84 Garibaldi, Anita 309 Garibaldi, Giuseppe 138, 143, 174, 175, 178, 184, 186, 190–193, 195, 196, 203, 228, 290, 299–309, 312 Gatterer, Claus 207, 231, 284, 308 Giarratana, Alfredo 296 Gioberti, Vincenzo 136, 137, 209, 210, 220 Giolitti, Giovanni 252

355

356

Personenregister

Giovanelli, Andrea 52 Goess, Leopold Graf 98 Goethe, Johann Wolfgang von 89, 116, 313 Gołuchowski, Agenor Graf 182, 214 Gozzi, Carlo 109 Grabmayr von Angerheim, Karl 288 Gregor XVI. 131 Greppi 113 Grillparzer, Franz 94, 117–124,191, 212 Grimm, Jacob und Wilhelm 84, 92 Gruber, Karl 230 Grün, Anastasius siehe Auersperg Grünne, Carl Graf 181 Guiotto, Maddalena 231 Gyulai, Franz Graf 32, 181 Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von 117, 118, 140 Hantsch, Hugo 307 Hartig, Franz Graf 37 Hartmann, Ludo Moritz 227, 306 Haupt, Stephan 281 Held, Heinrich 277 Heufler, Ludwig Ritter von 118 Himmler, Heinrich 246 Hitler, Adolf 246, 261, 264 Hofmannsthal, Hugo von 143 Hohenlohe-Schillingsfürst, Konrad Prinz 98 Hormayr, Joseph Freiherr von 211 Hortis, Attilio 266 Hübner, Joseph Alexander Freiherr von 119, 120, 122, 124, 126 Humbert I., König von Italien 151, 153, 154, 156, 160, 166, 170 Inzaghi, Karl Graf

76

Jagi´c, Vatroslav 84 Janežiˇc, Anton 84 Jérôme Bonaparte 172 Joseph II., römisch-deutscher Kaiser 78, 211, 324

20,

Kaiserfeld, Moritz 69 Kandler, Pietro 97 Karadži´c, Vuk Stefanovi´c 84 Karl, Erzherzog 73 Karl I., Kaiser von Österreich 255 Karl II., König von Spanien 11 Karl II. von Bourbon, Herzog von Parma 148 Karl III. von Bourbon, Herzog von Parma 176 Karl Albert von Savoyen, König von Sardinien-Piemont 24, 25, 48, 131, 132, 149, 151, 152, 154, 170, 171, 202, 217–219, 221 Karl Emanuel von Savoyen 149 Karl Emanuel IV. von Savoyen, König von Sardinien-Piemont 148–150 Karl Felix von Savoyen, König von Sardinien-Piemont 148, 149, 171 Kazinczy, Ferenc 84 Kempen von Fichtenstamm, Johann Franz Freiherr 182 Knoller, Martin 113 Koerber, Ernest von 97 Kollár, Ján 118 Kolowrat-Liebsteinsky, Franz Anton Graf von 59, 128 Kompatscher, Arno 249 Kopitar, Jernej 84 Kossuth, Lajos 83, 138, 300, 304, 307, 312 Kraus, Karl 224, 225 Kübeck von Kübau, Karl Friedrich Freiherr 55, 129, 181, 182 Kuranda, Ignaz 70, 139, 204, 302 Labriola, Antonio 265 Lalande, Joseph Jérôme 116 Lamoricière, Louis de 174, 175 Landschulz, Julius 116, 117 Langer, Alexander 7 Lasser Freiherr von Zollheim, Joseph 53, 55, 64 Latour, Theodor Graf Baillet de 31 Leo XII. 131 Leo XIII. 143 Leonardo da Vinci 245, 282

50,

Personenregister

Leopardi, Giacomo 87 Leopold II., römisch-deutscher Kaiser 20, 58, 112, 113, 150, 318, 324 Leopold II., Großherzog von Toskana 176 Lessner, Franz 50, 53, 54 Liechtenstein 122, 137 Ljubisa, Stefan 81 Ludwig I., König von Portugal 172 Luisa Maria von Neapel-Sizilien 154 Lutz, Heinrich 7 Machiavelli, Niccolò 197, 198 Magris, Claudio 211 Mailáth von Szekhely, Georg 302 Malaguzzi, Alessandro Graf 153, 173 Mamula, Lazarus Freiherr von 82 Manin, Daniele 23, 24, 26, 29, 31, 32, 79, 80, 83, 90 Manzoni, Alessandro 124 Marcotti, Giuseppe 127 Margarethe von Savoyen, Königin von Italien 156, 157 Maria von Savoyen 169 Maria Adelheid, Königin von SardinienPiemont 151, 152, 154 Maria Amalia, Herzogin von Parma 11, 148 Maria Anna von Savoyen, Kaiserin von Österreich 133, 150, 152 Maria Beatrix von Savoyen 149 Maria Christina von Bourbon, Königin von Sardinien-Piemont 148, 171 Maria Christine von Savoyen, Königin beider Sizilien 149, 150 Maria Elisabeth von Savoyen-Carignan 149–151 Maria Karolina, Königin von Neapel-Sizilien 11, 148 Maria Klementina, Erzherzogin 150 Maria Pia von Savoyen 172 Maria Theresia, Königin von Böhmen und Ungarn, Kaiserin 11, 20, 21, 58, 130, 148–150, 211, 318 Maria Theresia von Österreich-Este, Königin von Sardinien-Piemont 148, 150

Maria Theresia von Neapel-Sizilien 154 Maria Theresia von Toskana, Königin von Sardinien-Piemont, 154 Maria Theresia von Savoyen, Herzogin von Parma 148 Marie-Louise von Österreich, Kaiserin der Franzosen, Herzogin von Parma 131, 176 Mataja, Heinrich 270–276, 278 Mathilde, Erzherzogin 153 Mattarella, Sergio 249 Mauroner, Alessandro 90 Mayr, Michael 239, 292, 293 Mazohl, Brigitte 231 Mazzini, Giuseppe 60, 83, 114, 133, 136–138, 141, 142, 207–210, 219, 220, 228, 290, 299, 300, 304, 306, 307 Mecséry de Tsóor, Carl Freiherr 64 Medici Conte di Urbino, Lorenzo de’ 197 Menabrea, Federico Luigi Conte di 157, 159 Meriggi, Marco 17, 231 Metastasio, Pietro 112 Metternich, Melanie siehe Zichy-Ferraris Metternich-Winneburg, Clemens Wenzel Lothar Fürst 14, 15, 17, 21, 22, 58–61, 66, 89, 114, 119–122, 125, 128–131, 170, 187, 212, 325 Metternich-Winneburg, Richard Fürst 119 Miklas, Wilhelm 270 Miklosich, Franz 84 Mocsonyi, Andreas von 302 Moering, Karl 134, 135 Mondini, Luigi 265 Monsagrati, Giuseppe 312 Montecuccoli, Albert Graf 36, 37, 41, 43–46, 48–51, 53, 54, 58, 61, Monti, Vincenzo 131 Mori, Alfonso de 52 Mozart, Wolfgang Amadeus 112, 113 Mugna, Pietro 87 Murat, Joachim, König von Neapel 13, 15, 18–21 Musil, Robert 143 Mussafia, Adolfo 92, 94

357

358

Personenregister

Mussolini, Benito 242, 248, 260, 261, 263, 264–278, 280, 284, 286, 288, 289, 291–292 Nádasdy, Franz Graf 214 Napoleon Bonaparte, Kaiser der Franzosen 11–14, 18, 19, 21, 23, 65, 66, 73, 74, 113, 115, 151, 172, 260, 247, 318, 324, 325 Napoleon Bonaparte, genannt Prinz Napoléon 172 Napoleon III., Kaiser der Franzosen 96, 141, 190–193, 299 Nazari, Giovanni Battista 52 Niccolini, Giovanni Battista 325 Nitti, Francesco Saverio 228, 242, 252–255, 257, 260, 280, 285–287 Nordmann, Johannes 93 Noy, Cesare M. 52 Oberkofler, Gerhard 105 Olberg-Lerda, Oda 264 Oplatka, Andreas 312 Orti Manara, Girolamo Conte Öttl, Joseph 50 Otto von Savoyen 172

52

Pacini, Giovanni 123 Paganini, Niccolò 113 Palmerston, Henry John Temple, Viscount 29 Parrocel, Ignace-Jacques 11 Pausanias 76 Pecori Giraldi, Guglielmo 241 Pederzani, Luigi 53 Pellico, Silvio 127, 137, 138 Pernerstorfer, Engelbert 266 Perugino, Pietro 122 Peter, Franz 271 Petranovi´c, Theodor 88 Petrarca, Francesco 123, 124, 197, 312–314, 317, 320–322, 324 Pianton, Pietro 25 Pillersdorf, Franz Freiherr von 30, 31, 40, 217 Pittoni, Valentino 266, 267 Pius VII. 131

Pius IX. 131, 175, 176, 178–180, 197, 201, 217 Plutarch 211 Priuli, Nicolò Conte 52 Prokesch von Osten, Anton Freiherr 119, 121–126 Puccini, Giacomo 143 Racchetti, Alessandro 52 Radetzky von Radetz, Johann Joseph Graf 24, 26, 39–41, 34, 45, 48, 54, 61, 62, 80, 94, 180, 191, 212, 223, 228, 290, 307 Raffael Sanzio, 122 Ragionieri, Ernesto 265–267 Rainer, Vizekönig von Lombardo-Venetien 76, 150, 151, 154 Ramek, Rudolf 268–270, 273 Rapp, Johann 236, 237 Reali, Giuseppe 52 Rechbauer, Karl 303 Rechberg und Rothenlöwen, Johann Bernhard Graf von 175–178, 180, 187, 195, 200, 201, 203 Redlich, Joseph 306, Reimmichl (Sebastian Rieger) 240 Reinsberg, Otto 90, 91 Renner, Karl 228, 229, 238, 240, 242, 252–255, 257, 260, 263, 290, 307 Reut-Nicolussi, Eduard 239, 244, 282, 291, 296, 297 Rilke, Rainer Maria 143 Rosmini, Antonio 73, 75, 94 Rossi, Francesco 132, 140 Rossi, Pellegrino 18 Rossini, Giacomo 113 Rudolf I. von Habsburg, römisch-deutscher König 211 Rumpler, Helmut 307 Ryger, Anton 303 Salandra, Antonio 226 Salata, Francesco 242 Saleri, Giuseppe 52 Salieri, Antonio 113 Salm-Reifferscheidt, Robert Anton Altgraf 30, 31, 50, 53

Personenregister

Salvotti, Antonio 131 Sampieri 126 Saurau, Franz Josef Graf von 126 Schanzer, Carlo 259 Schaumann, Walter 232 Schiavi, Andrea 265 Schiller, Friedrich von 87, 89 Schininà, Giovanni 227 Schizzi, Folchino Conte 52 Schmerling, Anton Ritter von 64, 65, 69, 82, 200, 202, 203 Schnitzler, Arthur 143 Schober, Johann 256–258, 260, 261, 278, 290 Schuschnigg, Kurt 261 Schusekla, Franz 134, 135, 137 Schwarzenberg, Felix Fürst zu 30, 32, 33, 35, 38, 43, 44, 48, 51, 55, 182 Seipel, Ignaz 258, 260, 269, 273, 290, 294 Sestini, Domenico 115, 126 Sforza, Carlo 252, 255, 260 Shakespeare, William 324, 326 Solaro della Margarita, Clemente 155 Squarcina, Bernardo Antonino 52 Srbik, Heinrich Ritter von 307 Stadion, Franz Graf 36, 43–46, 50, 61 Steidle, Richard 247, 295 Sterne, Laurence 326 Stieglitz, Heinrich 88, 89 Stourzh, Gerald 7 Strassoldo, Michael Graf 50 Stratico, Giovanni Battista 76 Stresemann, Gustav 277 Štúr, L’udovít 84 Széchenyi, István Graf 116, 119–125, 312, 313–327 Tabarrini, Marco 94 Tamaro, Attilio 283, 285 Tasso, Torquato 123, 124 Tegetthoff, Wilhelm von 223 Thaler, Karl von 305 Theoderich der Große, König der Ostgoten 237 Thouvenel, Édouard 180

Thun und Hohenstein, Leo Leopold Graf von 92, 182 Thurn, Georg Graf 33 Tolomei, Ettore 241, 244, 286, 289, 292, 296, 298 Tommaseo, Antonio 75 Tommaseo, Girolamo 73, 74 Tommaseo, Niccolò 23, 25, 73–95, 220 Torretta, Pietro Tomasi della 256, 257, 260 Treves, Claudio 229, 230 Turati, Filippo 230, 265 Uhlirz, Karl 307 Uhlirz, Mathilde 307 Valiani, Leo 207, 231, 267 Valsecchi, Franco 207 Van der Bellen, Alexander 249 Verdi, Giuseppe 143 Vieusseux, Gian Pietro 75, 76 Viktor Amadeus II., König von SardinienPiemont 11 Viktor Amadeus III., König von SardinienPiemont 148 Viktor Emanuel I., König von SardinienPiemont 14, 131, 148–150 Viktor Emanuel II., König von Italien 132, 149, 151, 153–161, 166, 170–172, 174, 178, 186, 191, 192, 196, 197, 201, 202, 204, 217, 218 Viktor Emanuel III., König von Italien 158, 166, 169, 172, 223, 286 Villa, Pietro Carlo 52 Vojnovi´c, Konstantin 81 Wandruszka, Adam 7, 58, 112, 151, 180, 207, 224, 231, 279, 307 Weidmann, Franz Carl 118 Welden, Ludwig Freiherr von 26, 31 Werner, Karl 94 Wessenberg-Ampringen, Johann Philipp Freiherr von 36, 41–43, 51, 61 Wilhelm I., Deutscher Kaiser 179 Wilhelm, Erzherzog 178 Wilson, Woodrow 240

359

360

Personenregister

Windischgrätz, Alfred Fürst von Wurzbach, Constant von 93 Zanelli, Agostino 52 Zichy, Ferdinand Graf

30

30, 212

Zichy-Ferraris, Melanie Gräfin 122, 126 Ziegler, Anton 90 Zöllner, Erich 307 Zweig, Stefan 143

119, 121,