Städte im lateinischen Westen und im griechischen Osten zwischen Spätantike und Früher Neuzeit: Topographie – Recht – Religion 9783205203704, 9783205202882

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Städte im lateinischen Westen und im griechischen Osten zwischen Spätantike und Früher Neuzeit: Topographie – Recht – Religion
 9783205203704, 9783205202882

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Städte im lateinischen Westen und im griechischen Osten zwischen Spätantike und Früher Neuzeit Topographie – Recht – Religion Herausgegeben von Elisabeth Gruber, Mihailo Popović, Martin Scheutz, Herwig Weigl

2016 Böhlau Verlag Wien

Gedruckt mit Unterstützung durch

das Amt der Burgenländischen Landesregierung das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung die Kulturabteilung der Stadt Wien – MA 7 die Abteilung Byzanzforschung am Institut für Mittelalterforschung der ÖAW den Österreichischen Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung

Die Ausstattung mit Farbabbildungen wurde durch eine private Spende ermöglicht.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Ansicht von Konstantinopel, aus: Hartmann Schedel, Liber chronicarum (Nürnberg, Anton Koberger, 1493) fol. CCLXXIIIIr (Exemplar der Universitätsbibliothek Wien, Signatur II 35.315). Mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibliothek Wien.

© 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz: Bettina Waringer, Wien Druck und Bindung: General, Szeged Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-20288-2



Inhalt Siglenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Vorbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Kontinuitäten und Brüche Michel Pauly und Martina Stercken Die westeuropäische Stadt. Kontinuitäten und Brüche eines Phänomens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Paul Magdalino Sixty Years of Research on the Byzantine City. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Philipp Niewöhner The End of the Byzantine City in Anatolia. The Case of Miletus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Topographie und städtischer Raum Mihailo St. Popović Raumordnung und Stadtgestalt in den Städten auf der Balkanhalbinsel in der spätbyzantinischen Zeit.. . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Katalin Szende Stadtgestalt und Raumordnung in den Städten im lateinischen Westen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Rechtliche Begrifflichkeiten Martin Scheutz Bürger und Bürgerrecht. Rechte, Pflichten und soziale Felder der mittelalterlichen und neuzeitlichen Bürger im Heiligen Römischen Reich. . . . . . . . . . . . . 123 Jean-Claude Cheynet Les droits concédés par les empereurs aux populations urbaines (Xe–XIVe siècle). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

6 Inhaltsverzeichnis

Träger und Eliten Albrecht Berger Städtische Eliten im byzantinischen Raum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Pierre Monnet Zwischen Reproduktion und Repräsentation Formierungsprozesse von Eliten in westeuropäischen Städten des Spätmittelalters: Terminologie, Typologie, Dynamik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Geoinformatik und Archäologie Alfred Joham Der Einsatz von GIS und CAD in der Stadtgeschichts­forschung am Beispiel der steirischen Stadt Leoben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Andrzej Gołembnik and Jacek Gzowski The Use of Innovative Techniques in the Process of Rescue Excavations The Case of the Wałowa Site in Gdańsk. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Vujadin Ivanišević The Late Antique City in Northern Illyricum and Regional Connectivity. . . . 229 Die Stadt in Theologie und Metapher Claudia Rapp Die antike Polis als Modell für städtische Gemeinschaft in der Gedankenwelt der Byzantiner. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Elisabeth Gruber Bilder, Ansichten und Einschätzungen von Stadt im lateinischen Westen Europas.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Die Stadt als sakraler Raum – sakrale Räume in der Stadt Gerrit Jasper Schenk Religion und Politik. Die westeuropäische Stadt als „sakraler Handlungsraum“ in Spätmittelalter und Früher Neuzeit – eine Skizze. . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Grigor Boykov Politics of Religion: Spatial Modification and Transformation of Religious Infrastructures of the Southeastern European Cities in the Late Middle Ages and Early Modern Period.. . . . . . . . . . . . 299 Zoë Opačić City as Sacred Space – Sacred Spaces in the City: a Response. . . . . . . . . . . 313

Inhaltsverzeichnis 7

Zusammenfassung und Ausblick Peter Schreiner Städte im griechischen Osten Eine kritische Zusammenfassung der Problematik des Colloquiums. . . . . . . 325 Andreas Bihrer Urbane Dynamik. Die Städte des lateinischen Westens. Eine Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Autorinnen und Autoren.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Namenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346



Siglenverzeichnis AA AASS Abh. ACO AHY AfD AfK AHC AHP AJA AnBoll Annales

Archäologischer Anzeiger Acta Sanctorum Abhandlung(en) (allgemein) Acta Conciliorum Oecumenicorum Austrian History Yearbook Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde Archiv für Kulturgeschichte Annuarium Historiae Conciliorum Archivum Historiae Pontificiae American Journal of Archaeology Analecta Bollandiana Annales. Économies, Sociétés, Civilisations (ab 1994 : ... . Histoire, Sciences Sociales) ASRSP Archivio della Società Romana di Storia Patria AUF Archiv für Urkundenforschung BAR British Archaeological Reports BEC Bibliothèque de l’École des chartes BHG Bibliotheca Hagiographica Graeca BHL Bibliotheca Hagiographica Latina Bibl. Sanct. Bibliotheca Sanctorum BISI(M) Bullettino dell’Istituto Storico Italiano per il Medio Evo (e Archivio Muratoriano) BL British Library BlldtLG Blätter für deutsche Landesgeschichte BMGS Byzantine and Modern Greek Studies BNF Bibliothèque Nationale de France BSl Byzantinoslavica Byz Byzantion BZ Byzantinische Zeitschrift CCCM Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis CCSL Corpus Christianorum. Series Latina CFHB Corpus Fontium Historiae Byzantinae CIL Corpus Inscriptionum Latinarum COD Conciliorum Oecumenicorum Decreta CPG Clavis Patrum Graecorum CPL Clavis Patrum Latinorum CRAI  Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres CSEL Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum DA Deutsches Archiv für Erforschung (bis 1944: Geschichte) des Mittelalters

10 Siglenverzeichnis

DACL DBF DBI DDC DHEE DHGE DOP DThC EC EDG EdN EI EHR EJ EME FMSt FRA FSI GG HHStA HJb HRG HVjS HZ IstMitt JAC JE JK JL JmedHist JÖB JÖBG

Dictionnaire d’Archéologie Chrétienne et de Liturgie Dictionnaire de Biographie Française Dizionario Biografico degli Italiani Dictionnaire de Droit Canonique Diccionario de Historia Eclesiastica de España Dictionnaire d’Histoire et de Géographie Ecclésiastiques Dumbarton Oaks Papers Dictionnaire de Théologie Catholique Enciclopedia Cattolica Enzyklopädie deutscher Geschichte Enzyklopädie der Neuzeit Enciclopedia Italiana English Historical Review Encyclopaedia Judaica Early Medieval Europe Frühmittelalterliche Studien Fontes Rerum Austriacarum Fonti per la Storia d’Italia Geschichte und Gesellschaft Haus-, Hof- und Staatsarchiv Historisches Jahrbuch Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Historische Vierteljahrschrift Historische Zeitschrift Istanbuler Mitteilungen Jahrbuch für Antike und Christentum Jaffé–Ewald, Regesta Pontificum Romanorum Jaffé–Kaltenbrunner, Regesta Pontificum Romanorum Jaffé–Löwenfeld, Regesta Pontificum Romanorum Journal of Medieval History Jahrbuch der Österreichischen Byzantinistik (ab 1969; s. JÖBG) Jahrbuch der Österreichischen Byzantinischen Gesellschaft (bis 1968; s. JÖB) JRA Journal of Roman Archaeology JWCI Journal of the Warburg und Courtauld Institutes LCI Lexikon der Christlichen Ikonographie LMA Lexikon des Mittelalters LSSV Leksikon srpskog srednjeg veka [Lexikon des serbischen Mittelalters] (Beograd 1999) LThK Lexikon für Theologie und Kirche MEFRM Mélanges de l’École Française de Rome. Moyen Age MGH Monumenta Germaniae Historica AA Auctores antiquissimi D, DD Diploma, Diplomata LL Leges SS Scriptores MGSL Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde

Siglenverzeichnis 11

MIÖG (MÖIG) MM NA NDB OCA ÖAW ÖStA PG PL Potthast QFIAB QIÖG RAC RBS RE REB Reg. Imp. Rep. Font. RGA RGG RH RHE RHF RHM RömQua RSI RStCh SB SBS SC Settimane SOF StM StT TIB TM TRE Variorum CSS VIÖG VL2 VMPIG

Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (1923– 1942: des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung; 1944: des Instituts für Geschichtsforschung und Archivwissenschaft in Wien) Acta et diplomata graeca medii aevi sacra et profana, ed. Franz Miklosich–Joseph Müller (Wien 1887) Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde Neue Deutsche Biographie Orientalia Christiana Analecta Österreichische Akademie der Wissenschaften Österreichisches Staatsarchiv Migne, Patrologia Graeca Migne, Patrologia Latina Potthast, Regesta Pontificum Romanorum Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Reallexikon für Antike und Christentum Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft Revue des Études Byzantines Regesta Imperii Repertorium fontium Medii Aevi Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Religion in Geschichte und Gegenwart Revue Historique Revue d’Histoire Ecclésiastique Recueil des Historiens des Gaules et de la France Römische Historische Mitteilungen Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und (für) Kirchengeschichte Rivista Storica Italiana Rivista di Storia della Chiesa in Italia Sitzungsberichte (allgemein) Studies in Byzantine Sigillography Sources Chrétiennes Settimane di Studio del Centro Italiano sull’Alto Medioevo Südost-Forschungen Studi Medievali Studi e Testi Tabula Imperii Byzantini Travaux et Mémoires Theologische Realenzyklopädie Variorum reprints Collected studies series Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon (2. Auflage) Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte

12 Siglenverzeichnis

VSWG Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte VuF Vorträge und Forschungen ZBLG Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte ZfG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft ZGORh Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins ZHF Zeitschrift für historische Forschung ZKG Zeitschrift für Kirchengeschichte ZNR Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte ZRG Germ. Abt. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Kan. Abt. Kanonistische Rom. Abt. Romanistische Abteilung ZRVI Zbornik Radova Vizantološkog Instituta



Vorbemerkung Die Herausgabe dieses Bandes, der die Jahrestagung 2014 des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung dokumentiert, hat einen gewichtigen Grund und einen zufälligen Anlass: In der Pause einer nicht unbedingt freiwillig aufgesuchten Veranstaltung stellten zwei der Organisatoren und nunmehr Herausgeber fest, dass sie vom Städtewesen und vom Funktionieren der Städte im Fachbereich des jeweils Anderen, den im Titel ebenso anspruchsvoll wie vereinfachend angesprochenen Großregionen des „griechischen Ostens“ und des „lateinischen Westens“, nur sehr nebulose Vorstellungen hatten. Um diesen Missstand zu mildern, nutzten sie die nicht lange zuvor ins Leben gerufenen Jahres­ tagungen des Instituts, zu dessen deklarierten und praktizierten Forschungsschwerpunkten die Stadtgeschichte zählt, vor allem aber eine Reihe kompetenter Referentinnen und Referenten. Da mit dieser Publikation die Hoffnung verbunden ist, dass die enthaltenen Beiträge gelesen werden, soll hier auf eine Sammlung kurzer Inhaltsangaben oder gar Titelparaphrasen mit verbindenden Worten verzichtet werden. Die beiden strukturierten und nicht unkritischen Resümees am Ende des Bandes, die aus teilnehmender Beobachtung und Einsicht in die Manuskripte erwachsen sind, ersetzen eine solche Einleitung und sind entschieden interessanter, als diese hätte ausfallen können. Warum sie nebeneinander stehen, wird sich bei der Lektüre rasch erschließen und geht aus dem Inhaltsverzeichnis hervor, in dem die Sektionen der Tagung angeführt sind. Der Grundriss des Tagungskonzepts, der im Band erhalten geblieben ist, erlaubt vielleicht, das Verhältnis von Theorie und Praxis einzuschätzen. Das Konzept war, jeweils einem Beitrag zu einem angemessen weit gefassten Thema aus dem byzantinischen Bereich einen entsprechenden aus West- und Mitteleuropa gegenüber zu stellen und sie manchmal auch durch eine Respondentin oder einen Respondenten kommentieren zu lassen. Die Beiträge der Tagung und dann des Bandes sollten im Austausch und in Abstimmung mit dem jeweiligen Gegenüber erarbeitet werden, dieselben Probleme ansprechen und aufeinander antworten. Daher wurden den Referentinnen und Referenten Fragenkataloge vorgeschlagen, die vom Organisationsteam aus beiden Bereichen eingebracht wurden, um Antworten von beiden Seiten und ihren Vergleich zu ermöglichen und Fehlstellen sichtbar werden zu lassen. Was daran umsetzbar war, ist in den Beiträgen zu finden. Aber obwohl sich die Beitragenden mit dankenswerter Bereitwilligkeit darauf einließen und miteinander in Kontakt traten, erlaubten letztlich die akademische Alltagspraxis, die ­einem mehrstufigen Erarbeitungsprozess im Weg steht, einerseits und die von den Quellen und ihrer Überlieferung gesetzten Grenzen, die immerhin deutlich werden, andererseits nicht, die gewünschte Geschlossenheit zu erreichen. Darüber hinaus erwies es sich, ebenfalls nicht überraschend, als schwierig, die Balance zwischen einer erwünschten Themenvielfalt und einem allen Beteiligten zumutbaren Tagungsformat zu wahren. Die Erstreckung des zeitlichen Rahmens über 1453 hinaus lief der inhaltlichen Konzentration zuwider, was wir bewusst in Kauf nahmen, um wenigstens

14 Vorbemerkung

zu signalisieren, dass Kontinuitäten, Transformationen und Brüche in der Stadtgeschichte sich nicht an akademischen Venien orientieren und dass sie untersucht statt postuliert werden müssen. Die offene und kooperative Atmosphäre während der Veranstaltung ließ den Gedanken, freigelassene Themen durch Beiträge von nicht Teilnehmenden ergänzen zu lassen, gar nicht aufkommen. Wir denken, dass die qualitätvollen Beiträge auch in Vergleich und Kontrast instruktiv genug sind, um den Versuch zu rechtfertigen. Noch kurze Bemerkungen zu den Themenfeldern, in denen sich die Beitragenden nicht verirren durften. Die Suche nach Vergleichbarem zwang zur Abstraktion, die wir auf drei Ebenen ansiedelten: die physische Basis, die jede Stadt braucht; die Menschen, die sie zur Stadt machen; die Ideen und Vorstellungen, mit denen sie das tun. Fundamente sind ergrabbar, Raum ist vermessbar und Punkte in ihm können in Beziehung zueinander gesetzt werden. Die Menschen – jenseits ihrer allenfalls ausgegrabenen Skelette – finden wir in ihrer schriftlichen und dinglichen Hinterlassenschaft, was jene privilegiert sichtbar macht, die derlei zu hinterlassen hatten. Wir fragten also nach Eliten, wie immer man sie definiert. Zu den Ideen, die eine Stadt machen, gehören die Vorstellungen über das Zusammenleben und deren Durchsetzung, also das Recht, das zugleich auch bei der Definition von Eliten – diesen und uns – helfen kann. Gemeinschaftsbildend, doch auch trennend, ist auch das, was man gemeinsam verehrt. Daher wurde die Religion, wohl anders als es im sehr langen 19. Jahrhundert der Stadtgeschichtsforschung geschehen wäre, als konstituierendes Element einbezogen. Fällig ist hier die Frage, was wir uns unter einer Stadt vorstellen, wenn wir uns schon herausnehmen, vorrangige Fragen an die Stadtgeschichte zu stellen. „Hauptthemen“ zu benennen impliziert eine Vorstellung, eine Definition oder, um den schon lange gewählten Fluchtweg vor dem Definitionszwang zu beschwören, ein „Kriterienbündel“ dafür, was eine Stadt eigentlich ist. Wir haben mit der Auswahl unserer Themenbereiche und Fragen zwar tatsächlich eine gewisse Stadtvorstellung vorausgesetzt und die Referentinnen und Referenten damit präjudiziert, aber keine Definition von „Stadt“ vorgegeben. Es sollte getestet werden, ob die Gegenüberstellung der Phänomene in Ost und West eigene Kriterien erfordert, um da wie dort von Städten sprechen zu können und ihnen gerecht zu werden. Nicht die erschöpfende Behandlung der Themenbereiche, sondern die Positionierung der Beiträge im durch sie abgesteckten Feld war das Ziel. Überblicke und exemplarische Einzelstudien stehen dabei als legitime Versuche der Bewältigung nebeneinander. Über die daraus resultierende Heterogenität und Lückenhaftigkeit des Tagungsbandes kann hinwegtrösten, dass man die einzelnen, gezielt fokussierten Beiträge im aktuellen universitären Jargon als Schwerpunktsetzung verstehen kann und dass sie – jargonfrei – doch eine beeindruckende Fülle an Fragen aufgreifen, Antworten skizzieren oder zur Synthese bündeln und, nicht minder produktiv, die Sinnhaftigkeit der Fragen in Frage stellen. Dieselbe Lückenhaftigkeit im Gesamten und Konzentriertheit im Einzelnen kann, so hofft man, das Bedürfnis nach Fortsetzung des Dialogs zweier Fächer, die immer noch dazu neigen, sich beiderseits einer Sprachgrenze zu verstecken und zu wenig zu kooperieren, wach zu halten. Nachdem somit ein wenig Material für sehr eilige Rezensentinnen und Rezensenten bereitgestellt ist, können wir unsere Schuldigkeit denen gegenüber erfüllen, ohne die unsere Vorstellungen und Konzepte Schall und Rauch geblieben wären. Wir tun das sehr gerne: Unser Dank gilt allen Institutionen und Personen, die mit Rat, Tat und Ressourcen halfen, die Tagung durchzuführen und den Band zu publizieren: Das Wiener Stadt- und

Vorbemerkung 15

Landesarchiv, das die Tagung beherbergte, und seine hilfreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; die Stadt Leoben, die diese Rolle für einen Tag übernahm und nicht nur für die Erhaltung der Kräfte der Teilnehmenden, sondern auch für schönes Wetter sorgte; die Stadtarchäologie Wien, die auch Ansässigen einen neuen Blick auf die Stadt eröffnete; die Kulturförderung der Länder Wien, Niederösterreich und Burgenland wie auch der Österreichische Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung, die finanzielle Beiträge leisteten; die Abteilung Byzanzforschung am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, die gemeinsam mit dem Institut für Byzantinistik und Neogräzistik der Universität Wien die Tagung unterstützte; das Institut für Geschichte der Universität Wien, das die zweite Identität der am Institut für Österreichische Geschichtsforschung Tätigen bereitstellt. Da das letztgenannte Institut, dem drei der vier für Tagung und Publikation Verantwortlichen als Mitglieder angehören, die Veranstaltung als seine Jahrestagung 2014 deklarierte, sie großzügig finanzierte und nun den Tagungsband in einer seiner Reihen erscheinen lässt, soll hier an die Stelle des institutionellen Eigendanks doch noch die Nennung zweier Namen treten: Johanna Schiele und Stefanie Gruber, deren administrative Umsicht und geduldige Leidensfähigkeit das Institut durch den Alltag steuern, bewältigten ein weiteres Mal die Ausnahmesituation „Jahrestagung“ bravourös. Schließlich danken wir allen zu Autorinnen und Autoren gewordenen Referentinnen und Referenten, die sich auf unsere Tagung eingelassen haben. Das schriftliche Ergebnis füllt die folgenden Seiten. Die Herausgeberin und die Herausgeber



Die westeuropäische Stadt. Kontinuitäten und Brüche eines Phänomens Michel Pauly und Martina Stercken

Am 9. November 2014 wurde in Berlin das 25-Jahr-Jubiläum des Mauerfalls gefeiert. Ein wichtiges Element der Aktivitäten in diesem Rahmen war die Lichtgrenze, die mit tausenden illuminierten Ballons den Verlauf der Mauer markierte, die Berlin zwischen 1961 und 1989 in einen West- und einen Ostteil separierte. Stand diese viele Jahrzehnte für den Kalten Krieg und für einen tiefen Bruch in der deutschen sowie in der städtischen Geschichte, so wurde mit der Beseitigung der Grenze infolge der politischen Wende in der DDR wieder an die gemeinsame Geschichte angeschlossen. Ein Vierteljahrhundert später haben großflächige Planungen die politische, soziale und bauliche Zäsur zum Verschwinden gebracht; ihrer wird nunmehr an verschiedenen Stellen in der Stadt auf je unterschiedliche Weise gedacht: mit einer zentralen Gedenkstätte und anderen Erinnerungsorten, mit Überresten der alten Anlage und einem markierten Weg. Ein Bauwerk, das in den Diskursen im Osten als „antifaschistischer Schutzwall“1 und in denjenigen im Westen als „Schandmauer“2 bezeichnet wurde, ist zum Symbol für die Möglichkeit geworden, Brüche zu überwinden und Kontinuität wiederherzustellen. Die Berliner Mauer bietet ein markantes Beispiel für die Frage nach kontinuierlichen und diskontinuierlichen Prozessen in der Stadtgeschichte. Sie steht nicht nur paradigmatisch dafür, dass Zäsuren eine Halbwertszeit haben und dass Zuschreibungen von geschichtlicher Bedeutung obsolet sowie durch neue Meistererzählungen ersetzt werden können. Sie verweist auch darauf, dass einschneidende Ereignisse in ein und derselben Stadt zu unterschiedlichen Bedingungen der Entwicklung führen können und dass die verschiedenen Bereiche des städtischen Lebens sich nicht zeitgleich und nach denselben Logiken entfalten. Die besondere Situation Berlins in der Nachkriegszeit erlaubt es insofern, Vorgänge konzentriert und aus zeitlich nahem Blickwinkel zu beschreiben, die partiell auch an anderen Städten und in ihrer je eigenen Geschichte beobachtet werden können. Die folgende Auseinandersetzung mit der Genese der westeuropäischen Stadt greift diese Beobachtungen zur Vielgestaltigkeit von Kontinuitäten und Brüchen in der städtischen Entwicklung sowie zu den Blickwinkeln ihrer Beobachtung auf. Sie unternimmt den Versuch, Befunde und Bewertungen langlebiger Verhältnisse und deutlicher Ein1  SED-Chef Walter Ulbricht, Parteitags-Ansprache vom 3. Januar 1962, http://www.chronik-der mauer. de/index.php/de/Chronical/Detail/month/Oktober/year/1961 [Zugriff November 2014]. 2  Regierungs-Bulletin vom 8. September 1961, http://www.chronik-der-mauer.de/index.php/de/Start/ Detail/id/612206/page/18 [Zugriff November 2014].

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Michel Pauly und Martina Stercken

schnitte in der Stadtgeschichte in einer weiten zeitlichen Perspektive zu skizzieren, die von der Zeit der Verfestigung der neuen Lebensform im 12. Jahrhundert bis in das 19. Jahrhundert reicht, als Flächenwachstum und Strukturveränderung neue Stadtvorstellungen prägten. Zusammengeführt werden sollen Periodisierungen städtischer Entwicklung, die die stadtgeschichtliche Forschung in den vergangenen Jahrzehnten beobachtet hat. Im Bewusstsein darüber, dass die Fülle an Beobachtungen zum vielfältigen Phänomen Stadt nicht annähernd erfasst werden kann, werden diachrone Prozesse in den Blick genommen und dabei die regionale Unterschiedlichkeit der Verhältnisse im Westen Europas zumindest gestreift. Ausgehend von einzelnen wesentlichen Bereichen – dem Raum, der Wirtschaft, der Gesellschaft, der Politik und der Kultur – wird städtische Geschichte zwar segmentiert betrachtet und werden die vielfältigen Interdependenzen zwischen den einzelnen Aspekten des städtischen Lebens hintangestellt. Ermöglicht wird dadurch aber, Zäsuren in Entwicklungen und Konstanz von Verhältnissen etwas differenzierter zu beschreiben. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die städtischen Verhältnisse, sondern auch auf ihre Bewertung.

Raum Als räumliche Entität hat die westeuropäische Stadt eine hohe Permanenz und wohl deshalb ist dieser Aspekt von jeher ein zentrales Thema der stadtgeschichtlichen Forschung gewesen. Es waren insbesondere die Entwicklung von Städtetypen und die Entfaltung des Siedlungsnetzes sowie die spezifische Genese von städtischer Topographie und Baustruktur, die dabei im Vordergrund gestanden sind, während sich in der jüngeren Vergangenheit das Interesse vermehrt auf Fragen nach Situationen und Modi der gesellschaftlichen Konstitution und der kulturellen Konzeption von Raum verlagert hat. Einige Beobachtungen zu diesen drei wesentlichen Feldern der Auseinandersetzung: I. Im 12. Jahrhundert als besondere Lebensform ausgebildet, prägen Städte bis in die Gegenwart das Siedlungsnetz und haben ihre Funktionen als zentrale Orte – ungeachtet gegenteiliger Vermutungen – bis in die digitale Gegenwart behalten. Es sind vor allem die sogenannten Mutterstädte des Städtewesens, auf römische Ansiedlungen zurückgehende Bischofsstädte und frühe Marktorte, die ihren Charakter als regionale und überregionale Zentren behaupten konnten. Wie insbesondere die deutsche Städteforschung gezeigt hat, besaßen diese frühen Städte ein besonderes Entwicklungspotential und konnten sich zu Fernhandelsstädten, partiell zu Reichsstädten entwickeln oder gar – so zum Beispiel in Norditalien oder im Südwesten des Reiches – als Stadtstaaten Herrschaft über ihr Hinterland entfalten3. Aber auch die nach ihrem Vorbild geplanten Städte, die zahlreichen 3  Vgl. Hektor Ammann, Das schweizerische Städtewesen des Mittelalters in seiner wirtschaftlichen und sozialen Ausprägung, in: La Ville 2: Institutions économiques et sociales (Recueils de la Société Jean Bodin pour l’histoire comparative des institutions 7, Bruxelles 1955) 483–529; Carl Haase, Stadtbegriff und Stadtentstehungsschichten in Westfalen, in: Die Stadt des Mittelalters 1, hg. von dems. (Wege der Forschung 243, Darmstadt 1978) 60–94 [erstmals 1958]; Heinz Stoob, Kartographische Möglichkeiten der Darstellung der Stadtentstehung in Mitteleuropa, besonders zwischen 1450 und 1800, in: Historische Raumforschung 1, hg. von Kurt Brüning (Forschungs- und Sitzungsberichte der Akademie für Raumforschung und Landesplanung 6, Bremen 1956) 21–76; Histoire de la France urbaine 2: La ville médiévale des Carolingiens à la Renaissance, hg. von André Chédeville–Jacques Le Goff–Jacques Rossiaud (Paris 1980); A Comparative Study of Thirty City-State Cultures, hg. von Mogens H. Hansen (Historisk-filosofiske skrifter 21, Copenhagen 2000); The Cambridge Urban History of Britain 1: 600–1540, hg. von David M. Palliser (Cambridge 2000); Francesca



Die westeuropäische Stadt. Kontinuitäten und Brüche eines Phänomens 19

Neugründungen zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert durch den Adel (und z. B. in England und Frankreich auch durch den König) sowie die vergleichsweise wenigen frühneuzeitlichen Gründungen von Städten als Residenzen, Bergbaustädte und militärische Anlagen haben als Mittelstädte, vor allem aber als städtische Kleinformen ihre Rolle im System zentraler Orte bewahren können. Mit der Entfaltung des Städtewesens entstanden und verdichteten sich urbane Räume besonders in Lagen, die Anschluss an den überregionalen Handelsverkehr versprachen. Engmaschigere Städtenetze entwickelten sich vor allem am Lauf bedeutender Flüsse, an Flussmündungen und in Küstenregionen. Dies lässt sich zum Beispiel für das Rheinland und für den englischen, flandrisch-niederländischen und oberitalienischen Raum beobachten. Während solche Regionen durch Städte geprägt waren, blieb die Verstädterung der Randzonen Westeuropas begrenzt. Im hohen Norden etwa blieb der Grad an Urbanisierung im Mittelalter gering und verdichtete sich das Städtewesen erst im Verlauf der Neuzeit, vor allem im 19. Jahrhundert. Gleichzeitig erscheint auffällig, dass der im Zuge adeliger Raumerfassung und -sicherung ausgeprägte Typus der geplanten Stadt nicht nur die spätmittelalterlichen Städtelandschaften im deutschen Südwesten, im östlichen ­Europa und in Südwestfrankreich charakterisiert; er wird mit frühneuzeitlichen Idealstadtentwürfen etwa in Frankreich oder Italien wieder aufgegriffen und spielt auch in der nationalstaatlichen Stadt- und Landesplanung seit dem 19. Jahrhundert eine Rolle4. Diese sehr allgemeinen Befunde zur Kontinuität von Städtelandschaften und Stadttypen in Westeuropa sind allerdings im Detail zu modifizieren. Zwar erweisen sich die im Mittelalter entstandenen Städte als resistent und werden auch nach einschneidenden Zerstörungen etwa durch Erdbeben, Brandkatastrophen und Kriege an gleicher Stelle wieder aufgebaut5. Zugleich aber wurde das kontinuierliche Werden der mittelalterlichen Städtelandschaft immer wieder unterbrochen und neu justiert. Die urbane Landschaft wurde etwa ausgedünnt, wenn zu viele Gründungen auf engem Raum erfolgten, wie etwa im schweizerischen Mittelland und vor allem entlang der Saane zwischen Fribourg und Gruyère6. Aufgrund des fehlenden Marktgebiets fiel hier ein Teil der Neugründungen wüst oder überlebte allenfalls als dörfliche Siedlung. In anderen Fällen waren Kriegszüge Grund für die Wüstung von jungen Städten. Dies trifft etwa für Blankenrode in Westfalen und Weesen am Walensee zu, die beide im 13. Jahrhundert entstanden, jedoch im ausgehenden 14. Jahrhundert im Rahmen von Fehdehandlungen völlig zerstört wurden und als offene Siedlung nahe dem alten Stadtgebiet weiter bestanden7. Das Verschwinden von Städten konnte aber auch spezifische wirtschaftlich-konjunkturelle Hintergründe haben, wie sich etwa bei der Untersuchung von Bergbaustädten gezeigt hat8. Bocchi–Manuela Ghizzoni–Rosa Smurra, Storia delle città italiane. Dal Tardoantico al primo Rinascimento (Torino 2002); Tom Scott, The City-State in Europe 1000–1300. Hinterland, Territory, Region (Oxford 2012). 4  Ruth Eaton, Die ideale Stadt. Von der Antike bis zur Gegenwart (Berlin 2003). 5  Stadtzerstörung und Wiederaufbau. Destruction and Reconstruction of Towns. Destruction et recon­ struction des villes 1–3, hg. von Martin Körner (Bern–Stuttgart–Wien 1999–2000). 6  Roland Flückiger, Mittelalterliche Gründungsstädte der Basse-Gruyère (Freiburger Geschichtsblätter 63, Fribourg 1984). 7  Heinz Stoob, Blankenrode, in: Paderborner Hochfläche, Paderborn, Büren, Salzkotten, hg. von Helmut Arnold et al. (Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern 20, Mainz 1971) 261–266; Martina Stercken, Stadtstatus und zentralörtliche Funktion. Weesen als habsburgische Kleinstadt und Flecken unter schwyzerisch-glarnerischer Herrschaft. Siedlungsforschung 11 (1993) 219–236. 8  Stadt und Bergbau, hg. von Karl Heinrich Kaufhold–Wilfried Reininghaus (Städteforschung A/64, Köln–Weimar–Wien 2004).

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Michel Pauly und Martina Stercken

Wie die Folgen der politischen Neuordnung, der neuen Verkehrsmittel, der Wanderbewegungen und der wachsenden Kommunikationsnetze seit dem 19. Jahrhundert einzuschätzen sind, ist nicht unumstritten9. Lässt sich einerseits mit einer gewissen Berechtigung festhalten, dass das überkommene Städtenetz Westeuropas auch weiterhin erstaunlich intakt blieb, so kann man andererseits eine Erosion des alten Stadt-LandVerhältnisses und eine vor allem gegen Ende des Jahrhunderts massive Urbanisierung des Siedlungswesens beobachten, die zu einer Verstädterung des Landes und eben auch einer Verländlichung der Städte führte: Neuartige Städte haben sich unter anderem mit Eisenbahnknotenpunkten an bis dahin wenig zentralen Orten gebildet wie etwa Crewe in der Grafschaft Cheshire, Hannover in Niedersachsen oder Olten im schweizerischen Mittelland10. Konzentrationsbewegungen in den nunmehr entstehenden Nationalstaaten führten zur Bildung von Metropolen, die nicht nur im Hinblick auf die Bevölkerungszahlen, sondern auch auf politische, wirtschaftliche, kulturelle und verkehrstechnische Funktionen Knotenpunkte mit großer Ausstrahlung darstellen11. Zugleich zeichnet sich im Verlaufe des 19. Jahrhunderts eine fast gleichzeitige Entwicklung von benachbarten Standorten der Schwerindustrie ab, die unter anderem im deutschen Ruhrgebiet und Saarland, im (heute französischen) Lothringen oder im belgischen Kohlerevier zu Städteagglomerationen führte und eine bis dahin nicht gekannte, mit den Kategorien der Zentralitätstheorie kaum messbare Urbanisierung einleitete12. Ein drittes Phänomen dieser Zeit sind teilweise auch realisierte Entwürfe von ökonomisch und sozial funktionsfähigen städtischen Siedlungen, die als räumliche Entität erkennbar, jedoch gleichzeitig entgrenzt waren13. II. Die Raumfunktion korrespondiert mit der Ausprägung der Stadt als Raum, als baulich differenzierte und vielfältige Siedlung. Dies zeigt sich in besonderem Maße in der Entwicklung der ältesten und wirtschaftlich gut gelegenen Städte, die ein kontinuierliches, aber in verschiedenen Schüben verlaufendes Wachstum aufweisen, das variantenreich und teils spontan, teils geplant ist. Aber auch geplante Städte, denen von vorneherein eine bestimmte Rolle im Siedlungsnetz zugedacht war, lassen eine vergleichbare Genese erkennen. Anders als bei neuzeitlichen Entwürfen von Städten ist mittelalterliches Planen indes nicht durchkomponiert, sondern eher als sukzessiver 9   Dazu zusammenfassend: Heinz Schilling, Die Stadt in der Frühen Neuzeit (EDG 24, München 1993) 56–71; Klaus Tenfelde, Arbeiter, Bürger, Städte. Zur Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 203, Göttingen 2012) 364–390. 10  Jack Simmons, The Railway in England and Wales 1830–1914 (Leicester 1978) 164, 175; Ralf Roth, Das Jahrhundert der Eisenbahn. Die Herrschaft über Raum und Zeit 1800–1914 (Ostfildern 2005). 11  Jürgen Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland (Edition Suhrkamp 1249 = N. F. 249, Frankfurt a. M. 1985) 12; Clemens Zimmermann, Die Zeit der Metropolen. Urbanisierung und Großstadtentwicklung (Frankfurt a. M. 22000). 12   Passé et avenir des bassins industriels en Europe, hg. von René Leboutte–Jean-Paul Lehners (Publications du Centre Universitaire Luxembourg. Cahiers d’Histoire 1, Luxembourg 1995); Formation et mutation des bassins industriels en Europe. Impacts sociaux & environnementaux, hg. von dens. (Publications du Centre Universitaire Luxembourg. Cahiers d’Histoire 3, Luxembourg 1997); René Leboutte, Vie et mort des bassins industriels en Europe, 1750–2000 (Paris 2000); Heinz Reif, Städte und Städteagglomerationen der Montan­ industrie in Deutschland 1850–1914. Informationen zur modernen Stadtgeschichte 2012/1 (2012) 15–28, hier 25. 13  Stadterweiterungen 1800–1875. Von den Anfängen des modernen Städtebaues in Deutschland, hg. von Gerhard Fehl–Juan Rodrigues-Lores (Stadt – Planung – Geschichte 2, Hamburg 1983); Städtebaureform 1865–1900. Von Licht, Luft und Ordnung in der Stadt der Gründerzeit, hg. von Juan RodriguesLores–Gerhard Fehl (Stadt – Planung – Geschichte 5, Hamburg 1985).



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Prozess der Formgebung zu verstehen14. Zwar lassen sich „gewachsene“ und „geplante“ Städte in ihrer Anlage durchaus unterscheiden, doch haben neuere stadtarchäologische Untersuchungen gezeigt, dass in beiden Fällen eigendynamische Entwicklungen den Städtebau bestimmen, die durch unkontrollierte Eingriffe der Stadtbewohner charakterisiert sind. Städte, seien sie gewachsen oder planmäßig entstanden, entfalten sich an bereits besiedelten Orten: Auf römische Siedlungen zurückgehende Bischofssitze, Klöster, Burgen, Straßenkreuzungen und Flussübergänge bilden in der Regel den Ausgangspunkt der Entwicklung, die sich vom ökonomischen Mittelpunkt aus entlang der Ausfallstraßen vollzieht. Ist der Marktraum zunächst durch den Dualismus der Herrschaftsträger vor Ort und der frühen Bewohnerschaft geprägt, so wird er mit der Zeit immer mehr durch die Bürger und öffentliche Bauten markiert, allen voran das Rathaus, das zum Symbol für die bürgerliche Selbstverwaltung und den städtischen Rechtsraum wird15. Die Form des Marktes zeigt sich abhängig vom jeweiligen Entstehungskontext. Während die Areale in den alten Städten formal variieren, kennzeichnen Gassenmärkte die seit dem Ende des 12. Jahrhunderts gegründeten Städte und viereckige Marktplätze die seit dem 13. Jahr­ hundert geplanten „Bastides“ im Südwesten Frankreichs wie auch die Gründungen im Rahmen der deutschen Ostsiedlung16. Allerdings ist auch festzuhalten, dass Wachstum nicht immer konzentrisch um das ökonomische und administrative Zentrum verlief, sondern Städte sich aus verschiedenen Siedlungsteilen zusammensetzen konnten. Dies ist etwa der Fall in Braunschweig, dessen mittelalterliche Teile (Altstadt, Neustadt, Hagen, Altewik, Sack) erst mit der Zeit zu einer Einheit verschmolzen17. Ein anderes Beispiel 14   Zusammenfassend: Martina Stercken, Gebaute Ordnung. Stadtvorstellungen und Planung im Mittelalter, in: Stadtplanung – Planstädte, hg. von Bruno Fritzsche–Hans-Jörg Gilomen–Martina Stercken (Zürich 2006) 15–23; Stadtgründung und Stadtwerdung. Beiträge von Archäologie und Stadtgeschichtsforschung, hg. von Ferdinand Opll–Susanne Claudine Pils–Christoph Sonnlechner (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 22, Linz 2011). Lords and Towns in Medieval Europe. The European Historic Towns Atlas Project, hg. von Anngret Simms–Howard B. Clarke (Farnham 2015). 15   Dietrich Denecke, Sozialtopographie und sozialräumliche Gliederung der spätmittelalterlichen Stadt. Problemstellungen, Methoden und Betrachtungsweisen der historischen Wirtschafts- und Sozialtopographie, in: Über Bürger, Stadt und städtische Literatur im Spätmittelalter. Bericht über Kolloquien der Kultur des Spätmittelalters 1975–1977, hg. von Josef Fleckenstein–Karl Stackmann (Abh. der Akademie der Wissenschaften in Göttingen III/121, Göttingen 1980) 161–202; Martina Stercken, Begrenzungen des Marktgebietes in der mittelalterlichen Stadt, in: Stadt- und Landmauern 3: Abgrenzungen – Ausgrenzungen in der Stadt und um die Stadt (Veröffentlichungen des Instituts für Denkmalpflege an der ETH-Zürich 15/3, Zürich 1999) 71–84; Karsten Igel, Der Raum als soziale Kategorie. Methoden sozialräumlicher Forschung am Beispiel des spätmittelalterlichen Greifswalds, in: Städtesystem und Urbanisierung im Ostseeraum in der Frühen Neuzeit. Urbane Lebensräume und Historische Informationssysteme. Beiträge des wissenschaftlichen Kolloquiums in Rostock vom 15. und 16. November 2004, hg. von Stefan Kroll–Kersten Krüger (Geschichte: Forschung und Wissenschaft 12, Berlin 2006) 265–300; Werner Freitag, Städtische Märkte in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt. Topographie, Funktionalität und symbolische Kommunikation, in: Orte der Stadt im Wandel vom Mittelalter zur Gegenwart. Treffpunkte, Verkehr und Fürsorge, hg. von Lukas Morscher–Martin Scheutz–Walter Schuster (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 24, Innsbruck u. a. 2013) 39–58; Rathäuser als multifunktionale Räume der Repräsentation, der Parteiungen und des Geheimnisses, hg. von Susanne Claudine Pils–Martin Scheutz–Christoph Sonnlechner–Stefan Spevak (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 55, Innsbruck–Wien–Bozen 2012). 16  Michel Coste–Antoine de Roux, Bastides. Villes neuves médiévales (Paris 2007); Charles Higounet, Die deutsche Ostsiedlung im Mittelalter (München 1990); The Comparative History of Urban Origins in Non-Roman Europe: Ireland, Wales, Denmark, Germany, Poland and Russia from the Ninth to the Thirteenth Century, hg. von Howard B. Clarke et al. (BAR International series 225, Oxford 1985). 17  Wolfgang Meibeyer–Henning Steinführer–Daniel Stracke, Braunschweig (Deutscher Historischer

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stellt Clermont-Ferrand dar, das aus einer von Ludwig XIII. initiierten Zusammenlegung von Clairmont und Montferrand im Jahr 1630 hervorging, sich topographisch aber erst im späten 20. Jahrhundert zu einer Stadt verdichtete – wesentlich beeinflusst durch die Expansion der Michelin-Werke zwischen den beiden Siedlungsteilen18. Mit jeder Zuwanderungswelle wuchs das Stadtgebiet schubweise und wurde die Bebauung immer differenzierter. Zunächst durch Bauten der Herrschaftsträger vor Ort und das Marktgebiet bestimmt, bildeten vor allem kirchliche Zentren neue Siedlungskerne – zum Beispiel die Klöster der Bettelorden, die sich im 13. Jahrhundert auch in kleinen Städten niederließen. Offensichtlich wurde mit dem städtischen Wachstum eine sozialtopographische Gliederung ausgeprägt, die aufs Ganze besehen zum einen durch eine Konzentration von reichen Bürgern im ökonomischen Zentrum der Stadt und von armen Stadtbewohnern in den Außenbezirken sowie zum anderen durch eine Auslagerung immissionsreicher und feuergefährlicher Handwerke an die Ränder der Städte und in die Nähe von Wasserläufen geprägt war19. Allzu schematische Vorstellungen von Verteilungsstrukturen einzelner Bevölkerungsgruppen im Stadtgebiet sind indes überholt; vielmehr wird eine größere Durchmischung der städtischen Gesellschaft angenommen20. So hat sich zum Beispiel gezeigt, dass Gassennamen, die auf Handwerkergemeinschaften verweisen, nicht notwendig auch bedeuten, dass an der besagten Straße Vertreter gleichen Gewerbes eine Siedlungsgemeinschaft bildeten21. Ein differenzierteres Bild ist auch für die Siedlung von Juden in den Städten entwickelt worden. Dabei wurde deutlich, dass jüdisches Leben nicht notwendig durch eine obrigkeitlich verordnete Ghetto-Situation, sondern durch verschiedene Formen der Abgrenzung geprägt war und auch kultische Gründe für eine Siedlungskonzentration im Umfeld der Synagoge in Betracht gezogen werden müssen22. Die Befestigung hat über einen langen Zeitraum eine wesentliche und kostenintensive Aufgabe der Bürgerschaft dargestellt. Die Mauer, ein Bauprojekt, das in den alten, sich schnell entwickelnden Städten bereits im 12. Jahrhundert unternommen wurde und in den späten Gründungsstädten ein Jahrhundert später fassbar wird, trennt den Stadtkern von den Vorstädten und dem Umland; sie ist physischer Schutz und zugleich Symbol für einen Raum eigenen Rechts23. In Zürich etwa wurden seit dem 13. Jahrhundert unterschiedliche Typen der Befestigung durch eine Stadtmauer ersetzt, die diese bis zum Städteatlas 4, Münster 2013); vgl. den Tagungsbericht: Die „fragmentierte“ Stadt: Die Dynamik urbaner Siedlungsgefüge in der Vormoderne, 02. 10. 2014–03. 10. 2014 Bamberg. H-Soz-Kult, 17. 12. 2014, [Zugriff Jänner 2015]. 18  Clermont-Ferrand, hg. von Franck Chignier-Riboulon (Clermont-Ferrand 2009) bes. 95–132. 19  Duncan Timms, The Urban Mosaic. Towards a Theory of Residential Differentiation (Cambridge geographical studies 2, London 1971); Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150–1550. Stadtgestalt, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft (Wien–Köln–Weimar 2012) 125–127. 20   Z. B. Willi Schoch, Die Bevölkerung der Stadt St. Gallen im Jahre 1411. Eine sozialgeschichtliche und sozialtopographische Untersuchung (St. Galler Kultur und Geschichte 28, St. Gallen 1997). 21   Johannes Cramer, Zur Frage der Gewerbegassen in der Stadt am Ausgang des Mittelalters. Die alte Stadt 11 (1984) 81–111. 22  Hans-Jörg Gilomen, Spätmittelalterliche Siedlungssegregation und Ghettoisierung, insbesondere im Gebiet der heutigen Schweiz, in: Stadt- und Landmauern 3 (wie Anm. 15) 85–106. 23   Vgl. Stadt und Landmauern 1–3 (Veröffentlichungen des Instituts für Denkmalpflege an der ETHZürich 15/1–3, Zürich 1995, 1996, 1999); Die Befestigung der mittelalterlichen Stadt, hg. von Gabriele Isenberg–Barbara Scholkmann (Städteforschung A/45, Köln–Wien 1997); Monika Porsche, Stadtmauer und Stadtentstehung. Untersuchungen zur frühen Stadtbefestigung im mittelalterlichen deutschen Reich (Hertingen 2000).



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Ende des Ancien Regime als besonderen Rechts- und Wirtschaftsbezirk definierte24. Neue Arten der Kriegsführung bedingten den Ausbau der Befestigungen mit einem kolossalen Flächenbedarf. In Italien und in den Niederlanden begann dieser schon im 15. und 16. Jahrhundert25. In wohl den meisten westeuropäischen Städten indes veranlasste die Bedrohungslage des Dreißigjährigen Kriegs die Anlage von Schanzen und Bollwerken26. Während einige Städte nicht expandieren konnten und innerhalb eng bemessener Befestigungsanlagen eine starke Verdichtung erfuhren (z. B. in Genf ), bestand in anderen Städten ein großer Freiraum zwischen Bering und städtischer Bebauung, der erst im 19. Jahrhundert vollständig verbaut wurde (z. B. in Köln). Die Entfestigung von Städten, vor allem zwischen dem ausgehenden 18. und der Mitte des 19. Jahrhunderts, markiert die wohl einschneidendste Zäsur in der räumlichen Entwicklung der westeuropäischen Stadt27. Der Abbruch der Stadtbefestigung steht für einen massiven gesellschaftlichen Wandel im Gefolge der Französischen Revolution und eine Situation politischen Drucks, die aus der politischen Gleichstellung von Stadt- und Landbewohnern resultierte. Waren Städte bis dahin eher im Ausnahmefall unbefestigte Siedlungen, wurde die Stadt nun definitiv zu einem offenen Raum. Mit den Stadtmauern wurde aber nicht nur ein Sinnbild traditioneller Gesellschaftsverhältnisse abgebrochen, sondern gleichzeitig neuen Bedürfnissen Rechnung getragen, die mit einer zunehmenden Industrialisierung, mit Zuwanderung, einem steigenden Bedarf an günstigem Wohnraum und der Ausbildung neuer Quartiere entstanden. Für die neue Stadtgesellschaft im werdenden Nationalstaat brachte die Entfestigung auch die Möglichkeit, städtische Räume mit neuen Dimensionen zu schaffen und Modernität zur Schau zu stellen. Ein Vorbild für viele Städte bei der Frage nach Nutzung und Gestaltung der nun außerhalb der Altstädte entstandenen Freiflächen ist die Stadt Wien gewesen, wo – mit kaiserlicher Entscheidung von 1857 lanciert – eine Ringstraße mit Palais, öffentlichen Gebäuden und Anlagen entstand, die zugleich den Übergang zwischen der alten Stadt und nun aus den Vorstädten entstehenden neuen Quartieren markierte28. Im Fokus des Städtebaus um die Mitte des 19. Jahrhunderts waren aber nicht allein die mit der Entfestigung möglich gewordenen städtischen Ausbauzonen, sondern auch die vor allem in 24  Dölf Wild, Stadtmauern. Ein neues Bild der Stadtbefestigungen Zürichs (Stadtgeschichte und Städtebau in Zürich 5, Zürich 2004). 25  Festungsbau. Geometrie – Technologie – Sublimierung, hg. von Bettina Marten–Ulrich Reinisch– Michael Korey (Berlin 2012); Charles van den Heuvel, „Papiere Bolwercken“. De introductie van de Itali­ aanse stede- en vestingbouw in de Nederlanden (1540–1609) en het gebruik van tekeningen (Alphen aan den Rijn 1991); Paul Margue, Wallmauern, Plattformen und Bollwerke. Wie die Stadt Luxemburg zur Festung wurde. Hémecht 45 (1993) 31–53. 26  Christine Barraud Wiener–Peter Jezler, Die Stadt Zürich Teil 1. Stadt vor der Mauer, mittelalterliche Befestigung und Limmatraum (Die Kunstdenkmäler der Schweiz 94. Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich 1, Basel 1999); Karl Grunder, Die Schanzen und die barocken Vorstädte (Die Kunstdenkmäler der Schweiz 105. Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich 4, Basel 2005). 27   Jean-Luc Pinol–François Walter, La ville contemporaine jusqu’à la Seconde Guerre mondiale, in: Histoire de l’Europe urbaine 2. De l’Ancien Régime à nos jours. Expansion et limite d’un modèle, hg. von JeanLuc Pinol (Paris 2003) 9–275, hier 14f.; Yair Mintzker, The Defortification of the German City, 1689–1866 (New York 2012). 28  Elisabeth Lichtenberger, Wirtschaftsfunktion und Sozialstruktur der Wiener Ringstraße (Die Wiener Ringstraße – Bild einer Epoche 6, Wien–Köln–Graz 1970); Hans Bobek–Elisabeth Lichtenberger, Wien: Bauliche Gestalt und Entwicklung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts (Schriften der Kommission für Raumforschung der ÖAW 1, Graz–Wien–Köln 1966); Pinol–Walter, La ville contemporaine (wie Anm. 27) 144– 146 (Vergleich Wien–Paris).

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den größeren Städten des Alten Reiches vielfach hoch verdichteten Altstädte. Ebenso richtungweisend wie das Wiener Modell der Ringstraße an der Stelle der Befestigungsanlagen war die massive Umgestaltung der Altstadt von Paris durch Georges-Eugène Haussmann nach 1853, zur Zeit Napoleons III.29. Diese durchschnitt weite Partien des mittelalterlich geprägten Stadtzentrums mit einem neuen System von breit angelegten Straßen, entwickelte eine neue Kanalisation und etablierte mit städtebaulich markanten, klassizistischen Bauten, mit den zentralen Markthallen, mit Bahnhöfen und Theatern etc. neue Zentren städtischen Lebens. Zwar wurden die baulich und sozial durchgreifenden Pariser Maßnahmen in der Regel anderenorts nicht mit derselben Rigorosität durchgeführt, doch setzten sie Standards im Hinblick auf das Bedürfnis nach einer zeitgerechten, repräsentativen Metropole, in der sich die Industrie entfalten, der Verkehr fließen, Wohnen und Arbeiten mit hygienischen Standards gewährleistet und ordnungspolitische Vorstellungen umgesetzt werden konnten. Im ausgehenden 19. Jahrhundert mehren sich städtebauliche Konzepte, die Lösungen für die Probleme der nunmehr rasant anwachsenden und industrialisierten Großstädte anboten, in denen die in den alten Städten gegebene Einheit von Wohnen und Arbeiten nicht mehr gewährleistet war und angemessener Wohnraum für Massen zuwandernder Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden musste30. Leitbilder, die sich teils an den Idealen der alten, vielgestaltigen Städte orientierten, teils sozialutopische Entwürfe funktionaler, die Vorteile von Stadt und Land vereinender Siedlungen waren, wurden zwar selten in voller Gänze umgesetzt, beeinflussten aber durchaus die Entwicklung der Städte. Vielerorts war es vor allem der pragmatische, auf Straßenrastern beruhende Städtebau der Ingenieure, der die Verhältnisse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägte. Dieser wurde vor allem mit der Anlage von Bahnhöfen in oder bei der Stadt und bei der Planung von hoch verdichteten Quartieren, von Industriearealen und Arbeitervierteln verwirklicht. Neben diesen markanten Zäsuren in die Stadtstruktur und dem vielfach enormen Flächenwachstum charakterisieren aber auch Eingriffe kleinerer Dimension eine neue Ära in der Planung des Stadtraums. Damit sind etwa Quai-Anlagen, Hotels und Freizeitanlagen gemeint, die vor allem in landschaftlich bevorzugt gelegenen Städten im Gefolge der romantischen Hinwendung zur Natur und einem mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes wachsenden Tourismus angelegt wurden. Dazu zählt aber auch die Gestaltung von Geschäftsvierteln mit Warenhäusern und Einkaufspassagen sowie von Villenvierteln. III. Stand lange die Genese physischer Räume im Fokus der Städteforschung, so hat er sich mit dem allgemeinen wachsenden Interesse der Geschichtswissenschaften an Prozessen der Strukturbildung auf die vielfältigen Arten und Weisen verlagert, in denen Raum etabliert, angeeignet und mit Bedeutung aufgeladen wurde. Ausgehend von sozialwissenschaftlichen Überlegungen zur Konstitution von Raum31 sind vor allem ephemere 29   David Jordan, Die Neuerschaffung von Paris. Baron Haussmann und seine Stadt (Frankfurt a. M. 1996); Françoise Choay–Vincent Sainte Marie Gauthier, Haussmann conservateur de Paris (Arles 2013). 30   Leonardo Benevolo, Geschichte der Stadt (Frankfurt a. M. 82000); ders., Geschichte der Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts (München 51990); ders., Die sozialen Ursprünge des modernen Städtebaus. Lehren von gestern – Forderungen für morgen (Bauweltfundamente 29, Gütersloh 1971); Stadterweiterungen 1800–1875 (wie Anm. 13); Städtebaureform 1865–1900 (wie Anm. 13); Zimmermann, Die Zeit der Metropolen (wie Anm. 11) 11, 27f.; Julius Posener, Vorlesungen zur Geschichte der Neuen Architektur (Aachen 2013) 124–231. 31  Henri Lefebvre, La production de l’espace (Paris 1974) [engl. Ausgabe: The Production of Space (Oxford 1991)]; Pierre Bourdieu, Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum, in: Stadt-Räume, hg. von



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Formen der Aneignung von Stadtraum durch die westeuropäischen Stadtgesellschaften zum Thema gemacht worden. Ins Blickfeld gelangt sind damit eine Vielfalt an kommunikativen Situationen im Stadtgebiet, in denen Öffentlichkeit hergestellt und im Dienste der Interessen von Stadtregierung oder bürgerlichen Gruppierungen instrumentalisiert wurde32: Die Rede ist einerseits von der Markierung des städtischen Raums durch öffentliche Bauten und Privathäuser der Oberschicht, aber auch durch Artefakte, etwa Bilder, Inschriften und Denkmäler, die in je anderer Weise auf das Selbstverständnis von Stadtregierung, Bürgertum oder einzelnen Gruppierungen in der Stadt aufmerksam machen. Andererseits geht es um die temporäre Inbesitznahme des Stadtraums durch gesellschaftliche Gruppen und damit Handlungen unterschiedlicher Art, die mit Bewegung im Raum, mit akustischen Signalen, visuellen Zeichen oder auch olfaktorischen Merkmalen verbunden waren33. Damit zeichnet sich ab, dass der bauliche Rahmen des öffentlichen Handelns zwischen dem 16. und beginnenden 19. Jahrhundert in vielen Städten weitgehend intakt blieb, während sich die Formen der Aneignung von Stadtgebiet im Verlauf der Stadtgeschichte ebenso verändert haben wie ihre Trägerschaft, die Orte, denen Bedeutung zugewiesen wurde, und die Öffentlichkeit, die damit erreicht werden sollte. Waren es bis in die Neuzeit unter anderem Märkte, Hinrichtungen, Herrscherbesuche, Prozessionen, Feste und Theater, die das Stadtgebiet im Rahmen bürgerlicher Interessen immer wieder neu definierten, so etablierten im Verlaufe der Zeit und vor allem seit dem 19. Jahrhundert militärische Paraden, Kundgebungen und Aufmärsche Bezugsfelder von gesamtgesellschaftlicher Dimension. Diese neue Qualität der Aneignung von Stadtraum lässt sich Martin Wentz (Die Zukunft des Städtischen 2, Frankfurt a. M. 1991); Martina Löw, Raumsoziologie (Frankfurt a. M. 72012). Susanne Rau, Räume der Stadt. Eine Geschichte Lyons 1300–1800 (Frankfurt a. M. 2014). 32  Ernst Schubert, Erscheinungsformen der öffentlichen Meinung im Mittelalter. Das Mittelalter 6 (2001) 109–127; Alfred Haverkamp, „... an die große Glocke hängen“. Über Öffentlichkeit im Mittelalter, in: ders., Gemeinden, Gemeinschaften und Kommunikationsformen im hohen und späten Mittelalter. Festgabe zur Vollendung des 65. Lebensjahres, hg. von Michael Matheus–Friedhelm Burgard–Lukas Clemens (Trier 2002) 277–313 [erstmals 1996]; Sonja Dünnebeil, Öffentliche Selbstdarstellung sozialer Gruppen in der Stadt, in: Memoria, Communitas, Civitas. Mémoire et conscience urbaines en occident à la fin du Moyen Âge, hg. von Hanno Brand–Pierre Monnet–Martial Staub (Beih. der Francia 55, Ostfildern 2003) 73–86; Rudolf Schlögl, Politik beobachten. Öffentlichkeit und Medien in der Frühen Neuzeit. ZHF 25 (2008) 581–616; Urban Space in the Middle Ages and the Early Modern Age, hg. von Albrecht Classen (Fundamentals of Medieval and Early Modern Culture 4, Berlin–New York 2009); Mark Mersiowsky, Wege zur Öffentlichkeit. Kommunikation und Medieneinsatz in der spätmittelalterlichen Stadt, in: Stadtgestalt und Öffentlichkeit. Die Entstehung politischer Räume in der Stadt der Vormoderne, hg. von Stephan Albrecht (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München 24, Köln–Wien–Weimar 2010) 13–57; Stadt und Öffentlichkeit in der Frühen Neuzeit, hg. von Gerd Schwerhoff (Städteforschung A/83, Köln–Wien–Weimar 2011). 33  Vgl. etwa Gerrit Jasper Schenk, Zeremoniell und Politik. Herrschereinzüge im spätmittelalterlichen Reich (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 21, Köln–Weimar–Wien 2003); Heidy Greco-Kaufmann, Zuo Ere Gottes, vfferbuwung dess mentschen vnd der statt Lucern lob. Theater und szenische Vorgänge in der Stadt Luzern im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit (Theatrum Helveticum 11, Zürich 2009); Regula Schmid, Geschichte im Dienst der Stadt. Amtliche Historie und Politik im Spätmittelalter (Zürich 2009); Adventus. Studien zum herrscherlichen Einzug in die Stadt, hg. von Peter Johanek–Angelika Lampen (Städteforschung A/75, Köln–Weimar–Wien 2009); Martina Stercken, Die Stadt als Bühne. Formen und Mittel öffentlicher Inszenierungen im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Zürich, in: Stadtkultur – Kultur(haupt)stadt, hg. von Ferdinand Opll–Walter Schuster (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 23, Wien 2012) 1–29; dies., Spaces for Urban Drama, in: Cities and their Spaces 2, hg. von Michel Pauly–Martin Scheutz (Städteforschung, Köln–Weimar–Wien 2016, im Druck).

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in besonderer Weise an den sowohl für das Mittelalter als auch für das 19. Jahrhundert untersuchten Prozessionen beobachten, die religiöse Praxis und Zurschaustellung des Gemeinwesens als Sakralgemeinschaft miteinander verbanden. Während diese im Mittelalter in erster Linie dazu dienten, die Ordnung der städtischen Gesellschaft öffentlich vor Augen zu führen, waren sie im 19. Jahrhundert immer mehr auch Statement in konfessionellen und politischen Auseinandersetzungen von übergeordneter Bedeutung34. Die Straße, die schon seit dem späten Mittelalter als Bühne für Rebellionen, Aufläufe und Umzüge diente35, wurde mit den Arbeiteraufständen des 19. Jahrhunderts – und vor allem mit den Demonstrationen im 20. Jahrhundert – besonders in Industrie- und Hauptstädten vermehrt zum Raum politischer Meinungsäußerung36. Mit einem neuen kulturgeschichtlichen Interesse an der Stadt sind auch Bilder und Texte als Aneignungen von städtischem Raum ins Blickfeld gelangt. Damit hat sich nicht nur gezeigt, dass die Produktion von Tradition zur Stadt mit dem jeweiligen Grad der Urbanisierung korrespondiert und die Aufzeichnungsformen eine je zeitspezifische Sicht auf die Verhältnisse eröffnen37. Es werden auch die Logiken fassbar, mit denen ein komplexes Phänomen erfasst wird und seine Qualitäten vermarktet werden. Diese Formen der Aneignung von Stadtraum entfalten sich mit den Beschreibungen und bildlichen Abbreviaturen der Stadt als Großburg in der geistlichen und historiographischen Literatur des Hochmittelalters, in den Chroniken, Stadtbeschreibungen und Reiseberichten, die seit dem ausgehenden Mittelalter immer mehr die individuellen Eigenarten der Städte herausstellen, sowie mit den Städtebildern, die seit dem 16. und 17. Jahrhundert aus dem historiographischen Kontext herausgelöst und nicht nur in übergreifenden topographischen 34   Dieter Scheler, Inszenierte Wirklichkeit. Spätmittelalterliche Prozessionen zwischen Obrigkeit und „Volk“, in: Von Aufbruch und Utopie. Perspektiven einer neuen Gesellschaftsgeschichte des Mittelalters. Für und mit Ferdinand Seibt als Anlaß seines 65. Geburtstages, hg. von Bea Lundt–Helma Reimöller (Köln– Weimar–Wien 1992) 119–129; Andrea Löther, Prozessionen in spätmittelalterlichen Städten. Politische Partizipation, obrigkeitliche Inszenierung, städtische Einheit (Norm und Struktur 12, Köln 1999); Marc Boone, Urban Space and Political Conflict in Late Medieval Flanders. Journal of Interdisciplinary History 32 (2002) 621–640. 35   Victor Rutenburg, Popolo e movimenti popolari nell’Italia del ’300 e ’400 (Bologna 1971); Jan Dumolyn–Jelle Haemers, Patterns of Urban Rebellion in Medieval Flanders. JmedHist 31 (2005) 369–393; Raymond Cazelles, Etienne Marcel. La révolte de Paris (Paris 2006); Bernd-Ulrich Hergemöller, Uplop – Seditio. Innerstädtische Unruhen des 14. und 15. Jahrhunderts im engeren Reichsgebiet. Schematisierte vergleichende Konfliktanalyse (Studien zur Geschichtsforschung des Mittelalters 28, Hamburg 2012). 36   Friedrich Lenger, Metropolen der Moderne. Eine europäische Stadtgeschichte seit 1850 (München 2014) Kap. VII; Bruno Fritzsche, Grenzen und Grenzverletzungen in sozialen Räumen, in: Stadt- und Landmauern 3 (wie Anm. 15) 39–48. 37   Vgl. Das Städteatlasprojekt der Internationalen Kommission für Stadtgeschichte: http://www.ria.ie/ Research/IHTA/European-Project.aspx [Zugriff Dezember 2014]; Das Bild der Stadt in der Neuzeit 1400– 1800, hg. von Wolfgang Behringer–Bernd Roeck (München 1999); Imago urbis. L’immagine della città nella storia d’Italia, hg. von Francesca Bocchi–Rosa Smurra (Roma 2003); Bild und Wahrnehmung der Stadt, hg. von Ferdinand Opll (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 19, Linz 2004); Das Bild und die Wahrnehmung der Stadt und der städtischen Gesellschaft im Hanseraum im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. von Roman Czaja (Toruń 2004); Stadtbilder der Neuzeit, hg. von Bernd Roeck (Stadt in der Geschichte 32, Sigmaringen 2006); Tanja Michalsky, Gewachsene Ordnung. Zur Chorographie Neapels in der Frühen Neuzeit, in: Räume der Stadt von der Antike bis heute, hg. von Cornelia Jöchner (Berlin 2008) 267–288; Schweizer Städtebilder (15.–20. Jahrhundert). Portraits de villes suisses. Iconographie urbaine (XVe– XXe siècle). Vedute delle città svizzere. Iconografia urbana (XV–XX secolo), hg. von Bernd Roeck–Martina Stercken–François Walter–Marco Jorio–Thomas Manetsch (Zürich 2013); Carla Meyer, „City-Branding“ im Mittelalter. Städtische Medien der Imagepflege um 1500, in: Stadt und Medien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. von Clemens Zimmermann (Städteforschung A/85, Köln–Weimar–Wien 2012) 19–48.



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und kosmographischen Druckwerken verbreitet, sondern auch zum Gegenstand künstlerischer Anschauung werden. Als funktionale Darstellungsform im Dienste der städtischen Verwaltung wurden seit dem 16. Jahrhundert, vor allem aber seit dem 18. Jahrhundert zugleich Stadtpläne entwickelt, die sich mit der grundsätzlichen Neuordnung von Recht und Administration in napoleonischer Zeit zunächst offenbar in den von Napoleon beherrschten und eroberten Gebieten durchgesetzt und im Verlaufe des 19. Jahrhunderts die Sicht auf die Stadt geprägt haben.

Wirtschaft Gleich zu Beginn seiner Überlegungen zu „Begriff und Kategorien der Stadt“ versucht Max Weber die Stadt rein ökonomisch zu definieren, und umschreibt sie als „eine Ansiedlung, deren Insassen zum überwiegenden Teil von dem Ertrag nicht landwirtschaftlichen, sondern gewerblichen oder kommerziellen Erwerbs leben“38. Im Hinblick auf das Mittelalter geht Georges Despy davon aus, dass Kleinstädte sogar nur Aktivitäten im Tertiärbereich (Jahr- und Wochenmarkt) aufzuweisen hätten, während mittelgroße Städte darüber hinaus mit ihrer Gewerbeproduktion die ländlichen Rohstoffe weiterverarbeiteten39. Wurde seit der Antike der Konsumcharakter der Stadt betont40, so ist es heute eher die wirtschaftliche Zentralfunktion41. Die Stadt kann nicht ohne Austausch mit ihrem Umland leben. Dabei darf man städtische Zentralität nicht als einseitige Dienstleistungen der Stadt für das Umland missverstehen: Die Beziehungen zwischen Zentralort und Umland sind gegenseitig42. Insofern unterscheidet sich die Stadt auch von nicht-agrarischen Einzwecksiedlungen, wie Franz Irsigler in seiner Stadtdefinition festhält43. Er denkt dabei anschließend an die Überlegungen von Edith Ennen an Küstenorte, Handelsemporien des frühen Mittelalters wie Haithabu, Quentovic usw., die wohl Marktplätze waren, die 38  Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Nachlaß, Teilband 5: Die Stadt, hg. von Wilfried Nippel (Studienausgabe der Max-Weber-Gesamtausgabe I/22-5, Tübingen 2000) 1. 39   Georges Despy, Repères pour une définition de la Ville Médiévale, in: Les petites villes en Lotharingie. Die kleinen Städte in Lotharingien. Actes des 6es Journées lotharingiennes du 25 au 26 octobre 1990 au Centre Universitaire de Luxembourg, hg. von Michel Pauly (Publications de la Section historique de l’Institut grandducal 108 = Publications du CLUDEM 4, Luxembourg 1992) 5–19, hier 15. 40   Xavier Lafon–Jean-Yves Marc–Maurice Sartre, La ville antique, in: Histoire de l’Europe urbaine 1: De l’Antiquité au XVIIIe siècle. Genèse des villes européennes, hg. von Jean-Luc Pinol (Paris 2003) 17–284, hier 205f. 41  Franz Irsigler, Was machte eine mittelalterliche Siedlung zur Stadt?, in: Miscellanea Franz Irsigler. Festgabe zum 65. Geburtstag, hg. von Volker Henn et al. (Trier 2006) 469–486 [erstmals 2003], hier 85; Michel Pauly, Die luxemburgischen Städte in zentralörtlicher Perspektive, in: Les petites villes en Lotharingie (wie Anm. 39) 117–162. 42   Vgl. Franz Irsigler, Stadt und Umland im Spätmittelalter. Zur zentralitätsfördernden Kraft von Fernhandel und Exportgewerbe, in: Zentralität als Problem der mittelalterlichen Stadtgeschichtsforschung, hg. von Emil Meynen (Städteforschung A/8, Köln–Wien 1979) 1–14; Pauly, Zentralörtliche Perspektive (wie Anm. 41) 126f. 43   Irsigler, Was machte eine mittelalterliche Siedlung zur Stadt? (wie Anm. 41) 486: Die Stadt des Mittelalters ist „eine vom Dorf und nichtagrarischen Einzwecksiedlungen unterschiedene Siedlung relativer Größe mit verdichteter, gegliederter Bebauung, beruflich spezialisierter und sozial geschichteter Bevölkerung, Selbstverwaltungsorganen, einer auf Gemeindestrukturen aufbauenden, freie Lebens- und Arbeitsformen sichernden Rechtsordnung sowie zentralen Funktionen politisch-herrschaftlich-militärischer, wirtschaftlicher und kultischkultureller Art für eine bestimmte Region oder regionale Bevölkerung.“

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aber nur während einer begrenzten Jahreszeit zentrale Funktionen für ihr Umland aus­ übten44. Sie entwickelten sich daher nie zu Städten. Antike wie mittelalterliche Städte waren hingegen Produktions- und Handelszentren, und zwar polyvalente, mit einer breiten Produktions- und Handelspalette45. Handwerk gab es wohl auch in den Dörfern, auf Burgen oder in Klöstern, allerdings stellten die Gewerbetreibenden das Gros der Bevölkerung in den hochmittelalterlichen Städten46. Das städtische Handwerk, oft in Zünften organisiert, war auf Rohstoffe aus dem Umland angewiesen, wie etwa Wolle, Flachs, Hanf, Leder oder auch Holz, Sand und Steine. Andere Rohstoffe wie Pelze, Baumwolle, Seide, Gewürze stammten in vielen Gegenden aus dem Fernhandel. Die für die Städte charakteristische spezialisierte Produktion war abhängig vom Vorhandensein bestimmter naturräumlicher Vorteile, die die Entstehung besonderer Gewerbelandschaften begünstigten. So waren der flandrisch-brabantische Raum für die Tuchproduktion, Oberdeutschland für die Barchentweberei, das Maasgebiet für die Messingherstellung und Thüringen für das Silbergewerbe bekannt47. Handwerkervereinigungen kontrollierten vielerorts die gewerbliche Produktion in und zum Teil auch außerhalb der Stadt, um Qualität und Exportfähigkeit der Produktion sicher zu stellen. Allerdings distanziert sich die heutige Zunftforschung von älteren Thesen zu einem Zunftmonopol und von der Vorstellung, die Zünfte garantierten „Nahrung“, d. h. die Versorgung aller Mitglieder48. Zwar vermitteln die normativen Quellen zum Zunftwesen vielfach den Eindruck von Zunftzwang, kartellartigen Verhältnissen und starren Regeln bei der Ausübung der Gewerbe, doch haben praxisnahe Untersuchungen erkennen lassen, dass Gewinnstreben, Innovationsfreudigkeit und gewerbliche Freiheit durchaus schon die Frühzeit gewerblicher Zusammenschlüsse prägten 49. Bei der Einschätzung der Rolle von Zünften in der städtischen Wirtschaft ist zudem wesentlich, dass diesen nicht überall in Europa dieselbe Bedeutung zukam und sie auch nicht überall im gleichen Ausmaß an der Stadtregierung partizipierten, die ihrerseits das fiskalisch lukrative Monopol auf eine Kontrolle von Handel und Gewerbe beanspruchte. Überall aber in   Edith Ennen, Die europäische Stadt des Mittelalters (Göttingen 41987) 51–58.   Forschungsüberblick bei: Franz Irsigler, Storia economica e medievistica tedesca, in: Stato della ricerca e prospettive della medievistica tedesca, hg, von Michael Matheus–Massimo Miglio (Nuovi Studi Storici 71, Roma 2007) 169–219; deutsche Fassung online unter https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb3/prof/GES/ LG1/Wirtschaftsgeschichte_und_deutsche_Mediaevistik_2007.pdf (Universität Trier, Franz Irsigler, Veröffentlichungen) [Zugriff Jänner 2015]. 46  Knut Schulz, Handwerk, Zünfte und Gewerbe. Mittelalter und Renaissance (Darmstadt 2010); Städtische Wirtschaft im Mittelalter. Festschrift für Franz Irsigler zum 70. Geburtstag, hg. von Rudolf Holbach– Michel Pauly (Köln–Weimar–Wien 2011); Isenmann, Deutsche Stadt (wie Anm. 19) 851–1003. 47  Gewerbe- und Industrielandschaften vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert, hg. von Hans Pohl (VSWG Beih. 78, Stuttgart 1986). 48  Wilfried Reininghaus, Gewerbe in der frühen Neuzeit (EDG 3, München 1990); Josef Ehmer, Traditionelles Denken und neue Fragestellungen zur Geschichte von Handwerk und Zunft, in: Handwerk, Hausindustrie und die Historische Schule der Nationalökonomie. Wissenschafts- und gewerbegeschichtliche Perspektiven, hg. von Friedrich Lenger (Bielefeld 1998) 19–77; Nahrung, Markt oder Gemeinnutz. Werner Sombart und das vorindustrielle Handwerk, hg. von Robert Brandt–Robert Buchner (Bielefeld 2004); Bert De munck–Piet Lourens–Jan Lucassen, The Establishment and Distribution of Craft Guilds in the Low Countries 1000–1800, in: Craft Guilds in the Early Modern Low Countries. Work, Power, and Representation, hg. von Maarten Roy Prak–Catharina Lis–Jan Lucassen–Hugo Soly (Aldershot 2006) 32–73. 49  Regulierte Märkte: Zünfte und Kartelle – Marchés régulés: Corporations et cartels, hg. von Margrit Müller–Heinrich R. Schmidt–Laurent Tissot (Schweizerisches Jahrbuch für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 26, Zürich 2011). 44 45



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den durch Stadtrat, bürgerliche Eliten und zünftische Strukturen bestimmten städtischen Ökonomien markierte die Gewerbefreiheit eine Zäsur, die sich von England ausgehend seit dem 18. Jahrhundert und insbesondere seit der Französischen Revolution durchsetzte. Mit der Spezialisierung entstanden besondere Formen des städtischen Wirtschaftens. Dies führen in besonderer Weise die in Mittelalter und früher Neuzeit angelegten Bergbaustädte, die frühneuzeitlichen Festungs- und Residenzstädte, die mit der Kolonisierung entstehenden überseeischen Handelsplätze, zur Stadt werdende Wallfahrtsorte50 und Thermalstätten wie auch die Industriestädte und Finanzzentren der Moderne vor Augen51. Solche Stadttypen, deren Ökonomie vor allem durch eine Funktion bestimmt war, sind immer verwundbar gewesen: Residenzstädte haben jeweils mit der Verlegung einer Residenz ihren Lebensnerv verloren; Industriestädte müssen bis in die Gegenwart industriellen Rückgang und Massenarbeitslosigkeit zu kompensieren versuchen. Heinz Schilling weist zu Recht darauf hin, dass „der rasante Aufstieg der Residenzund Hauptstädte“ in der Frühen Neuzeit einen bedeutsamen Wandel derjenigen Kräfte zeitigte, die die Stadt prägen. In solchen Städten dominierte an der Stelle von Handel und Gewerbe das Politische52. Zwar profitierten Kaufleute und Gewerbe hier von den Aufträgen des Hofes und der Behörden bzw. der Beamtenfamilien, doch war die städtische Autonomie eher gering53. Andere Städte verloren mit Prozessen der Protoindustrialisierung seit dem Spätmittelalter und vor allem dem 18. Jahrhundert ihre gewerbliche Produktion an ländliche Standorte54. Die Beobachtung, dass der Jahrmarkt mit seinen Fernhändlern keinen stadtbildenden, konstitutiven Charakter hatte, da er nicht zu dauernden Institutionen und Infrastrukturen führte55, dürfte von der Antike bis in die Neuzeit gelten. Allerdings können sich derartige Befunde für Spätantike und Merowingerzeit – abgesehen von der Messe von St. Denis und den genannten Fernhandelsplätzen an der Nordseeküste56 – lediglich auf wenige Quellen stützen. Fernhandel und die gewerbliche Produktion für den Export werden als grundsätzliches Unterscheidungsmerkmal zwischen großen und mittelgroßen Städten begriffen57, während für die Neuzeit Jahrmärkte als reguläres Element der Ausstattung einer Stadt betrachtet werden58. Als Handelszentren waren die Städte auch Ent50  Edith Ennen, Stadt und Wallfahrt vornehmlich in Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Deutschland, in: dies., Gesammelte Abhandlungen zum europäischen Städtewesen und zur rheinischen Geschichte, hg. von Georg Droege et al. (Bonn 1977) 239–258 [erstmals 1972]. 51   Schilling, Stadt in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 9) 21, 66. 52   Ebd. 37. 53   Claire Billen, La construction d’une centralité: Bruxelles dans le duché de Brabant au bas moyen âge, in: The Power of Space in Late Medieval and Early Modern Europe. The Cities of Italy, Northern France and the Low Countries, hg. von Marc Boone–Martha C. Howell (Studies in European Urban History 30, Turnhout 2013) 183–195. 54  Schilling, Stadt in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 9) 60. 55  Franz Irsigler, Messen, Jahrmärkte und Stadtentwicklung in Europa. Mittelalter und frühe Neuzeit, in: Messen, Jahrmärkte und Stadtentwicklung in Europa, hg. von Franz Irsigler–Michel Pauly (Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte 5 = Publications du CLUDEM 17, Trier 2007) 1–24, hier 23f. 56  Ebd. 3. 57  Despy, Repères (wie Anm. 39) 15f.; vgl. Hektor Ammann, Die wirtschaftliche Stellung der Reichsstadt Nürnberg im Spätmittelalter (Nürnberger Forschungen 13, Nürnberg 1970); Franz Irsigler, Die wirtschaftliche Stellung der Stadt Köln im 14. und 15. Jahrhundert. Strukturanalyse einer spätmittelalterlichen Exportgewerbe- und Fernhandelsstadt (VSWG Beih. 65, Wiesbaden 1979). 58  Irsigler, Messen (wie Anm. 55) 24; Europäische Messen und Märktesysteme in Mittelalter und Neuzeit, hg. von Peter Johanek–Heinz Stoob (Städteforschung A/39, Köln–Weimar–Wien 1996).

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stehungsorte des Bank- und Kreditwesens, zuerst in Oberitalien und von dort ausgreifend in ganz Westeuropa59. Mit dem Fernhandel werden Städte – über die Beziehungen mit ihrem Umland hinaus – in ein Netz von Städten eingefügt, sie bilden urbane Netzwerke. Dazu gehört etwa das europäische Netz von Messestädten, das regionale Netze von Messeorten im 15.–16. Jahrhundert ablöste: Die Messen von Antwerpen standen im Austausch mit denen von Nürnberg und Leipzig wie mit denen von Lyon und Medina del Campo60. Ein vergleichbares Phänomen beobachtet Saskia Sassen in den Beziehungen zwischen den „global cities“, die seit Ende des 20. Jahrhunderts den Welthandel beherrschen61. Diese Vernetzung ist also zweifellos eine die Jahrhunderte überdauernde Konstante und gehört zu den fundamentalen Merkmalen des europäischen Städtewesens: Die Stadt als Nahmarkt und Fernmarkt ist ein „gateway“ für die regionale, auch rurale Produktion – in Flandern etwa die Tuchproduktion aus den Dörfern und Kleinstädten –, die über sie den Weg auf den überregionalen Markt findet62. Industriebetriebe, die wegen ihres Energie- und Rohstoffbedarfs auf dem Land etabliert wurden, leiteten dort zum Teil die Entstehung neuer Städte bzw. die Urbanisierung von Dörfern in die Wege. Der Eisenbahnbau und die damit verbundene Verbilligung von Rohstofftransporten bedingten auch in den alten Städten die Ansiedlung industrieller Produktionsanlagen63. Bei diesem doppelten Industrialisierungs- und Urbanisierungsprozess64, der im späten 18. Jahrhundert in England einsetzte, spielte zweifellos die Knotenfunktion der Stadt im überregionalen Handelsnetz eine bedeutendere Rolle als ihre regionalen Zentralfunktionen. In der zweiten Industrialisierungswelle, im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, nahm die Bedeutung der Stadt als Handelsplatz und Informationszentrum derart zu, dass kaum noch Industrien außerhalb von Städten angelagert wurden; diese siedelten sich vielmehr am Stadtrand bzw. in der Vorstadt an. Erst seit dem späten 20. Jahrhundert entwickelte sich der Dienstleistungssektor in den Stadtzentren65 und verdrängte zum Teil die Wohnbevölkerung. Günstige Immobilienpreise haben zudem nicht nur Unternehmer in die kleinen Städte oder Dörfer im städtischen Umland gezogen, sondern auch eine Fluchtbewegung ehemaliger Städter verursacht. Vor allem seit den 1970er Jahren stellt man den Rückgang der urbanen Bevölkerung und ein Schrumpfen der Städte fest66. 59  Giacomo Todeschini, Credit and Debt. Patterns of Exchange in Western Christian Society, in: Europas Aufstieg. Eine Spurensuche im späten Mittelalter, hg. von Thomas Ertl (Expansion – Interaktion – Akkulturation. Globalhistorische Skizzen 23, Wien 2013) 139–160; Wolfgang von Stromer, Oberdeutsche Hochfinanz: 1350–1450 (VSWG Beih. 55–57, Stuttgart 1970). 60   Michel Pauly, Vom regionalen Messesystem zum internationalen Netz von Messestädten, in: Netzwerke im europäischen Handel des Mittelalters, hg. von Gerhard Fouquet–Hans-Jörg Gilomen (VuF 72, Ostfildern 2010) 49–100. 61   Saskia Sassen, Metropolen des Weltmarkts. Die neue Rolle der Global City (Frankfurt a. M.–New York 21997) 68–72. 62   Paul M. Hohenberg–Lynn Hollen Lees, The Making of Urban Europe: 1000–1994 (Cambridge, MA 1995) 4f., 47–73. 63  Zimmermann, Die Zeit der Metropolen (wie Anm. 11) 23. 64   Pinol–Walter, La ville contemporaine (wie Anm. 27) 58, 61. 65  Ebd. 71; Robert J. Morris, Die Industriestadt, in: Luxemburg, eine Stadt in Europa. Schlaglichter auf mehr als 1000 Jahre europäische Stadtgeschichte, hg. von Marie-Paule Jungblut–Michel Pauly–Heinz Reif (Luxemburg 2014) 86–111, hier 88f., 91f. 66   Vgl. Schrumpfende Städte in historischer Perspektive, hg. von Angelika Lampen–Armin Owzar (Städteforschung A/76, Köln–Weimar–Wien 2008); Peter Clark, European Cities and Towns 400–2000 (Oxford 2009) 354; Hartmut Kaelble, Die Besonderheiten der europäischen Stadt im 20. Jahrhundert, in: Weltge-



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Im 21. Jahrhundert ist das Netzwerk der Städte global geworden. Wirtschaftsunternehmen können ihre Zentralen auch in suburbane oder gar ländliche Siedlungen verlegen, ohne sich vom Weltmarkt abzuschneiden67. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit mit dem Internet Standorte nicht beliebig geworden sind und die Städte an Zentralität verlieren.

Gesellschaft Um 1500 beschreibt Johann von Soest die Stadt als „eine Gemeinschaft in gegenseitiger Achtung und Freundschaft, fest und beständig“. Darin, so fährt er fort, „lebt man mit Ehre und Nutzen, in Frieden, Tugend und Sicherheit, mit Lebensnotwendigkeiten versehen und durch Gassen und Häuser eingerichtet. Das Wort ‚Stadt‘ deutet vor allem darauf hin, dass Einigkeit in ihr herrscht. Wo diese nicht gegeben ist, dort trügt der Schein einer Stadt. Das Wort ‚Stadt‘ heißt civitas, zu deutsch ‚Vereinigung von Bürgern‘.“68 Diese spätmittelalterliche Wahrnehmung von Stadt harmonisiert die städtischen Verhältnisse und macht den Stadtfrieden, die Lebensqualität, die bürgerliche Einheit und die Gestalt zu ausschlaggebenden Faktoren der Stadt. Die neuere Städteforschung hingegen akzentuiert vor allem eine „beruflich spezialisierte und sozial geschichtete Bevölkerung“, wenn es darum geht, die Stadt als Phänomen zu definieren69, und benennt damit eine logische Konsequenz der eben angesprochenen wirtschaftlichen Differenzierung der Stadt. Handwerker und Händler, aber auch Soldaten und Priester haben bereits sowohl die Städte der Antike als auch die keltischen Oppida charakterisiert70. Auch hier ist offensichtlich eine ordnende Hand für den regelmäßigen, häufig oktogonalen Stadtplan wie auch für die Anlage der zum Teil sehr mächtigen Wehranlagen zuständig gewesen. Die wirtschaftliche und soziale Gliederung als strukturelle Konstante komplexerer Gesellschaften entwickelt sich mit der Genese der mittelalterlichen Städte in besonderer Weise: Während in den italienischen Städten des Hochmittelalters der Adel neben dem bischöflichen Stadtherrn tonangebend war71, gilt in den Städten nördlich der Alpen

schichte, hg. von Jürgen Osterhammel (Basistexte Geschichte 4, Stuttgart 2008) 185–201, hier 194; Lenger, Metropolen der Moderne (wie Anm. 36) 454–462, stellt den seit den 1980er Jahren diskutierten Schrumpfungsprozess in Frage. 67  Lenger, ebd. 453, behauptet, die Standorte der meisten multinationalen Konzerne seien ähnlich träge wie Verkehrsknotenpunkte und insofern stärke „die Globalisierung das seit langem bestehende europäische Städtenetz“. Doch ob es den Stadtkern stärkt oder eher die Peripherie, bleibt zu untersuchen. Für Luxemburg wurde auf die Entstehung suburbaner Enklaven hingewiesen, in denen sich z. T. außerhalb des Stadtgebiets auf dem globalen Markt agierende Unternehmen der Dienstleistungsbranche ansiedeln, vgl. Michel Pauly, Luxembourg et Kirchberg. Ville médiévale et capitale européenne, in: Cities and their Spaces 2 (wie Anm. 33) (im Druck). 68   Zitiert nach Peter Johanek, Die Mauer und die Heiligen. Stadtvorstellungen im Mittelalter, in: Bild der Stadt in der Neuzeit (wie Anm. 37) 26–38, hier 37. 69   Siehe oben Anm. 43. 70  Lafon–Marc–Sartre, La ville antique (wie Anm. 40) 78f.; Jeannot Metzler, Das treverische Oppidum auf dem Titelberg (G.-H. Luxemburg). Zur Kontinuität zwischen der spätkeltischen und der frührömischen Zeit in Nord-Gallien (Dossiers d’archéologie du Musée national d’histoire et d’art 3, Luxemburg 1995); ders., Religion et politique. L’oppidum trévire du Titelberg, in: Religion et société en Gaule, hg. von Christian Goudineau (Paris 2006) 191–202. 71   Bocchi–Ghizzoni–Smurra, Storia delle città italiane (wie Anm. 3) 84f., 90.

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die Kaufmannsschicht als federführend72, die zumindest partiell lange Zeit grundherrlich abhängig war73. Allerdings ist diese These mittlerweile ausgehend von den Beobachtungen von Knut Schulz relativiert worden, der darauf hingewiesen hat, dass die städtische Führungsschicht häufig einen „ritterlich-aristokratischen Charakter“ aufwies und sich ihre Führungsrolle daraus begründete, „dass sie von vornherein in Verbindung zu der Politik (Verwaltung, Gerichtsbarkeit) der Stadt und der Finanzwelt, dem Geld- und Kreditwesen stand“74. Wesentlich war in der Frühzeit der Städte offenbar zudem das Eigentum an Grund und Boden im Stadtgebiet; deshalb war wohl auch die freie Erbleihe eines der ersten eingeforderten und dann auch gewährten Bürgerrechte (siehe Speyer 1111)75. Die soziale Zusammensetzung der städtischen Führungsschicht war schon im Mittelalter Wandel ausgesetzt. Sie umfasste nicht nur dem Stadtherrn nahe Ministeriale und Kaufleute, sondern im späteren Mittelalter auch Vertreter der Handwerkervereinigungen, die im 14. Jahrhundert in verschiedenen Städten eine Reform der bestehenden politischen Verhältnisse bewirkten76. Zwar kann man sicher nicht in allen Teilen Europas die Ausbildung eines geburtsständisch abgeschlossenen Patriziats annehmen, doch zeigt sich vielerorts zwischen 1600 und dem beginnenden 19. Jahrhundert eine erstaunliche Stabilität der ratstragenden Eliten, die sich nicht nur mit Stand und Vermögen, sondern im reformatorischen Zeitalter auch mit der religiösen Einstellung verbindet. Obschon sich diese öffneten und mit der Industrialisierung auch Industrielle dazu Zutritt fanden, konnte sich die städtische zusammen mit der nationalen Führungsschicht auch nach der ersten Demokratisierungswelle im 19. Jahrhundert aufgrund des Zensuswahlrechts absondern. Neben den umfangreichen Mittelschichten aus Handwerkern und Lohnempfängern in Handels- und Gewerbeunternehmen, denen seit dem 19. Jahrhundert eine immer stärker wachsende Beamtenschaft zuzuzählen ist, gehören auch Randgruppen zur städtischen Gesellschaft77, darunter Arme, die in der Stadt nicht von den auf dem Dorf üblichen sozialen Strukturen aufgefangen werden konnten. Zur sozialen Schichtung in den Städten zählen aber auch Sondergruppen wie die jüdische Gemeinde oder klerikale Gemeinschaften, denen weit übers Mittelalter hinaus ein

72   Zuletzt Karlheinz Blaschke–Uwe Ulrich Jäschke, Nikolaikirchen und Stadtentstehung in Europa. Von der Kaufmannssiedlung zur Stadt (Berlin 2013), die sich explizit auf Henri Pirenne berufen. 73   Siehe z. B. Uwe Neddermeyer, Aufstand gegen den Erzbischof 1074. Lampert von Hersfeld berichtet, in: Quellen zur Geschichte der Stadt Köln 1. Antike und Mittelalter. Von den Anfängen bis 1396/97, hg. von Wolfgang Rosen–Lars Wirtler (Köln 1999) 109–132. 74  Knut Schulz, „Denn sie lieben die Freiheit so sehr ...“. Kommunale Aufstände und Entstehung des europäischen Bürgertums im Hochmittelalter (Darmstadt 1992) 16; vgl. Michel Pauly, Stadtentstehung im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Nordwesteuropa. Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 60 (2009) 406–420, hier 420; Peter Johanek, Adel und Stadt im Mittelalter, in: ders., Europäische Stadtgeschichte. Ausgewählte Beiträge, hg. von Werner Freitag–Mechthild Siekmann (Städteforschung A/86, Wien–Köln– Weimar 2012) 216–236 [erstmals 1998]. 75  Kurt Andermann, Bürgerrecht. Die Speyrer Privilegien von 1111 und die Anfänge persönlicher Freiheitsrechte in deutschen Städten des hohen Mittelalters. HZ 295 (2012) 593–624. 76  Schulz, Handwerk (wie Anm. 46). 77   Zuletzt: Jürgen Michael Schmidt, Randgruppen in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen sozialen Ordnung. Forschungsfelder auch für die Landesgeschichte, in: Netzwerk Landesgeschichte. Gedenkschrift für Sönke Lorenz, hg. von Dieter R. Bauer–Dieter Mertens–Wilfried Setzler (Tübinger Bausteine zur Landesgeschichte 21, Ostfildern 2013) 355–382; Franz Irsigler, Die „Kleinen Leute“. Soziale Randgruppen im 15. Jahrhundert, in: Europa im 15. Jahrhundert. Herbst des Mittelalters – Frühling der Neuzeit?, hg. von Klaus Herbers–Florian Schuller (Regensburg 2012) 105–121.



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besonderer Status zukam78. Neben der horizontalen Schichtung gab es durchaus auch eine vertikale, die Personengruppen einen je anderen Rechtsstatus zuwies und diese in unterschiedlicher Weise an den Freiheiten der Stadt partizipieren ließ. Derartige rechtliche Unterschiede verschwanden erst mit der Französischen Revolution und der im 19. Jahrhundert allmählich durchgesetzten Forderung nach rechtlicher Gleichheit aller Stadtbewohner, die nunmehr als Staatsbürger betrachtet wurden. Während im römischen Reich seit Caracalla (212) alle Einwohner, abgesehen von den Sklaven, dieselben Bürgerrechte genossen, entwickelte sich der Gedanke von individuellen Freiheiten in Städten seit dem 11. Jahrhundert: Im spanischen León79, im maasländischen Huy80, im rheinischen Speyer81, im französischen Lorris82 sind erste Hinweise auf ein städtisches Bürgerrecht zu finden, das die Einwohner der Stadt rechtlich gegenüber den Dorfbewohnern auszeichnete. Diese Stadtbürger, die leib- und grundherrliche Bindungen abstreifen sowie freies Erb- und Eherecht besitzen konnten, erreichten in der Regel auch (in Italien und in Reichsstädten) mehr oder (in Frankreich) weniger weit­ gehende Selbstverwaltungsrechte für ihre Siedlung. Seit dem späten 12. Jahrhundert sind allerdings auch Dörfer wie Beaumont in den Argonnen mit freiheitlichem Status nachweisbar, während im Spätmittelalter in landesherrlichen und kleineren Reichsstädten die „restriktiven Elemente beim Zuzug Unfreier“ schon wieder zunahmen83. Es fällt auf, dass diese Freiheitsrechte in erster Linie unfreien Zugezogenen gewährt wurden. Die häufig zitierte, von Historikern des 19. Jahrhunderts geprägte Formel „Stadtluft macht frei“ betrifft ja Zugewanderte bzw. Zuwanderungswillige. In etlichen Teilen Europas, z. B. in den Neusiedlungsgebieten der Ukraine oder Ungarns, erreichten diese Migranten im Vergleich mit den alteingesessenen Einwohnern freiheitlichere Rechte, so dass ihr Status modellbildend für den Status der Gesamtstadt wirken konnte84. Eine Erklärung für die besonderen Berechtigungen der Neubürger liegt nicht nur in der herrschaftlichen Absicht begründet, den Landesausbau mit Städten voranzutreiben, sondern hat auch mit dem ständigen Bedarf der Städte an Zuwanderung zu tun. Dieser ist auch auf 78   Vgl. Sondergemeinden und Sonderbezirke in der Stadt der Vormoderne, hg. von Peter Johanek (Städteforschung A/59, Köln–Weimar–Wien 2004); Patrick Boucheron–Denis Menjot–Marc Boone, La ville médiévale, in: Histoire de l’Europe urbaine 1 (wie Anm. 40) 285–592, hier 478–483. 79   Franz Irsigler, Luft macht frei – Wie frei macht Stadtluft?, in: Christliches und jüdisches Europa im Mittelalter. Kolloquium zu Ehren von Alfred Haverkamp, hg. von Lukas Clemens–Sigrid Hirbodian (Trier 2011) 9–26. 80   André Joris, La ville de Huy au moyen âge. Des origines à la fin du XIVe siècle (Bibliothèque de la Faculté de Philosophie et Lettres de l’Université de Liège 152, Paris 1959); ders., Les franchises urbaines en pays mosan et la charte de Huy de 1066, in: Les libertés urbaines et rurales du XIe au XIVe siècle. Actes du colloque international de Spa (Spa 5–8 IX 1966) (Collection Histoire 19, Bruxelles 1968) 319–333, Nachdr. in: ders., Villes. Affaires – Mentalités. Autour du pays mosan (Bibliothèque du Moyen Age 2, Bruxelles 1993) 101–115. 81   Andermann, Bürgerrecht (wie Anm. 75). 82  Franz Irsigler, Dorfbefreiungen des hohen Mittelalters in Frankreich und im Westen Deutschlands, in: Bünde – Städte – Gemeinden. Bilanz und Perspektiven der vergleichenden Landes- und Stadtgeschichte, hg. von Werner Freitag–Peter Johanek (Städteforschung A/77, Köln–Weimar–Wien 2009) 107–124. 83   Irsigler, Luft macht frei (wie Anm. 79) 25. 84  Katalin Szende, Power and Identity. Royal Privileges to the Towns of Medieval Hungary in the Thirteenth Century, in: Urban Liberties and Citizenship from the Middle Ages up to now. Libertés et citoyenneté urbaines du moyen âge à nos jours. Städtische Freiheiten und bürgerliche Partizipation vom Mittelalter bis heute. Actes du colloque 2009 de la Commission internationale pour l’Histoire des Villes, hg. von Michel Pauly–Alexander Lee (Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte 9 = Publications du CLUDEM 41, Trier 2015) 27–67; Olga Kozubska-Andrusiv, Becoming a Citizen. The Formation of Communities and Urban Liberties in the Principalities of Kievan Rus’, in: ebd. 69–99.

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die höhere städtische Sterblichkeitsrate zurückzuführen, die in der Mitte des 14. Jahrhunderts mit den Pestwellen zu einem regelrechten Bruch in der demographischen Entwicklung und damit zu einer Krise des Städtewesens führte. Auch als die verbesserte Hygiene in den Städten diesen Zustand veränderte85, war die städtische Bevölkerung durch einen im Vergleich zur Dorfbevölkerung überdurchschnittlich hohen Anteil an Zuwanderern geprägt. Waren es bis in die frühe Neuzeit hinein vor allem Geldwechsler und qualifizierte Handwerker, die zuwanderten86, so ließ im Zeitalter der Industrialisierung der erhöhte Bedarf an Arbeitskräften die Zuwanderung stark anschwellen. Dadurch kam es aber zu einer „Zäsur in der Stadt- und Verstädterungsgeschichte“, insofern die Verteilung der Bevölkerung auf Stadt und Land sich definitiv und rasant zu Ungunsten des letzteren entwickelte87. Andererseits bewirkte der hohe Anteil an Zuwanderern, sei es durch Binnenwanderung oder durch Migration über herrschaftliche und nationalstaatliche Grenzen hinweg, dass die Städte stets eine größere ethnische und kulturelle Vielfalt kannten, die angesichts der mitgebrachten Fachkenntnisse dieser Migranten häufig auch der städtischen Wirtschaft zugute kam88.

Politik Seit den Zeiten der griechischen Polis genossen Städte eine relative Autonomie bei ihrer inneren Verwaltung. In der Spätantike entzogen die Kaiser den meisten Städten die fiskalische Selbstverwaltung, um das Steueraufkommen besser kontrollieren zu können89. Die civitates der Römerzeit büßten ihre alte Autonomie ein, blieben aber über den Untergang des römischen Reichs hinaus bestehen und überlebten als Bischofssitze90. Obschon auch in Italien etliche antike Städte untergingen und andere verlegt wurden, blieb die Stadt dort nach Ennen „eine rechtlich herausgehobene und abgegrenzte Siedlung“, die Sitz der politischen, juristischen, administrativen Instanzen blieb und das Umland beherrschte91. Bis spätestens 700 hatte in fast allen antiken Städten Italiens und Galliens ein Bischof die Stadtherrschaft übernommen92. In Spanien spielten die Bischofssitze 85  Jörg Vögele, Sozialgeschichte städtischer Gesundheitsverhältnisse während der Urbanisierung (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 69, Berlin 2001), zit. nach Dieter Schott, Stadt in der Geschichtswissenschaft, in: Stadt. Ein interdisziplinäres Handbuch, hg. von Harald A. Mieg–Christoph Heyl (Stuttgart– Weimar 2013) 120–147, hier 136. 86   Neubürger im späten Mittelalter. Migration und Austausch in der Städtelandschaft des Alten Reiches (1250–1550), hg. von Rainer Christoph Schwinges–Roland Gerber–Barbara Studer (ZHF Beih. 30, Berlin 2002). 87  Zimmermann, Die Zeit der Metropolen (wie Anm. 11) 12. 88   Neubürger im späten Mittelalter (wie Anm. 86); Les étrangers dans la ville. Minorités et espace urbain du bas Moyen Âge à l’époque moderne, hg. von Jacques Bottin–Donatella Calabi (Paris 1999); Vieler Völker Städte. Polyethnizität und Migration in Städten des Mittelalters – Chancen und Gefahren. Vorträge des gleichnamigen Symposiums vom 7. bis 10. April 2011 in Heilbronn, hg. von Kurt-Ulrich Jäschke–Christhard Schrenk (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Heilbronn 21, Heilbronn 2012); Denis Menjot, Les gens venus d’ailleurs dans les villes médiévales: quelques acquis de la recherche, in: „Arriver“ en ville. Les migrants en milieu urbain au Moyen Âge, hg. von Cédric Quertier–Roxane Chilà–Nicolas Pluchot (Publications de la Sorbonne. Histoire ancienne et médiévale 119, Paris 2013) 15–29. 89   Lafon–Marc–Sartre, La ville antique (wie Anm. 40) 247. 90   Ennen, Die europäische Stadt des Mittelalters (wie Anm. 44) 31–50. 91   Ebd. 36; Lafon–Marc–Sartre, La ville antique (wie Anm. 40) 248; Clark, European Cities and Towns (wie Anm. 66) 29. 92   Ennen, Die europäische Stadt des Mittelalters (wie Anm. 44) 37.



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dieselbe Rolle bei der Siedlungskontinuität; die Eroberung durch die Mauren hatte dort keinen Einfluss auf die allgemeine Entfaltung der Städte, wohl aber auf ihre Gestalt93. Von Selbstverwaltung war in den Bischofsstädten des frühen Mittelalters keine Rede. Umso überraschender und furchterregender war in den Augen der zeitgenössischen, klerikalen Chronisten der Ausbruch von Revolten, die ab 1070 in Form von Schwurgemeinschaften in Norditalien, Nordfrankreich, am Rhein, in Flandern die bischöfliche Stadtherrschaft in Frage stellten und Selbstverwaltungsrechte für die Kommune reklamierten und vielerorts auch durchsetzten94. In anderen Städten wie Huy, Speyer oder Luxemburg wurde dies den Bürgern auf dem Weg von Verhandlungen mit dem Stadtherrn zugestanden. In Italien sind die ersten Belege von Konsuln und kommunaler Selbstverwaltung ebenfalls ins späte 11. Jahrhundert zu datieren95. Max Weber zog daraus den Schluss, dass Autonomie und Autokephalie zu den fünf Grundkriterien der okzidentalen Stadt gehören96. Nimmt man jedoch Europa in seiner Vielfalt in den Blick, muss man feststellen, dass sich diese Entwicklung keineswegs in allen Ländern und Regionen vollzog97. Individuelle Freiheiten und politische Partizipation bzw. Verwaltungsautonomie waren in den Städten jeweils unterschiedlich ausgeprägt, und auch bedeutende Städte – wie Paris oder London – konnten politisch nicht autonom, sondern in die herrschaftlichen, hier königlichen Verwaltungsstrukturen eingebaut sein. Zwar spielten Privilegien, die eine Ratsverfassung und bürgerliche Freiheiten garantierten, jeweils eine wichtige Rolle im Stadtleben, doch waren sie n ­ icht Bedingung für die Entwicklung der Städte. Dass Stadtrechtsprivilegien nicht zum harten Kriterium der Definition mittelalterlicher Städte herangezogen werden können, zeigt sich dann, wenn nicht nur die deutschen Reichsstädte und italienischen Stadtstaaten, sondern die breite Palette an Phänomenen in Betracht gezogen wird, die unter dem Begriff „Stadt“ subsumiert wird. Dann wird deutlich, dass Privilegien eine „Grundlage der Stadtqualität und der bürgerlichen Lebensform“98 und für die große Anzahl an kleinen Städten in Europa eine Versicherung bei Herrschaftswechseln darstellen konnten99. Die regionalen Unterschiede bei der Privilegierung waren indes nicht unbeträchtlich: Dies zeigt sich allein mit Blick auf das heutige Italien. Hier war der Norden früh kommunal emanzipiert – die Bürgerschaft von Genua erhielt 958 ein erstes Stadtprivileg100 –, während der Süden und das Patrimonium sancti Petri durch zentralisierte Verhältnisse charakterisiert waren101. Auch in diachroner Hinsicht war die Entwicklung nicht linear. Selbst in Ländern, in denen im Mittelalter die städtischen Selbstverwaltungsrechte sehr weit gingen, konnte   Clark, European Cities and Towns (wie Anm. 66) 25f.   Schulz, Freiheit (wie Anm. 74); Isenmann, Deutsche Stadt (wie Anm. 19) 289–291. 95  Francesca Bocchi, Urban Liberties in Italy: Communes of the North and Towns of the South (12th– 14th centuries), in: Urban Liberties and Citizenship (wie Anm. 84) 13–26, hier 16. 96  Weber, Stadt (wie Anm. 38) 11. 97  Michel Pauly, Libertés et citoyenneté urbaines du Moyen Âge à nos jours. Introduction, in: Urban Liberties and Citizenship (wie Anm. 84) 1–6; Clark, European Cities and Towns (wie Anm. 66) 91–100. 98   Franz Irsigler, Annäherungen an den Stadtbegriff, in: Europäische Städte im Mittelalter, hg. von Ferdinand Opll–Christoph Sonnlechner (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 52, Innsbruck–Wien–Bozen 2010) 15–30, hier 29. 99  Martina Stercken, Städte der Herrschaft. Kleinstadtgenese im habsburgischen Herrschaftsraum des 13. und 14. Jahrhunderts (Städteforschung A/68, Köln–Weimar–Wien 2006) 96–161. 100  Bocchi–Ghizzoni–Smurra, Storia delle città italiane (wie Anm. 3) 118–120. 101  Bocchi, Urban Liberties in Italy (wie Anm. 95). 93 94

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es in der frühen Neuzeit zur Restauration stadtherrlicher Rechte und zu einer Entprivilegierung kommen. Diese Entwicklung, die erst noch genauer zu untersuchen wäre, lässt sich für die Städte Flanderns und des Artois beobachten, die im 16. und 17. Jahrhundert dem französischen Königreich einverleibt wurden und deren Ämter durch einen königlichen Intendanten besetzt wurden. In anderen Städten Frankreichs war es der bischöfliche Stadtherr oder der König bzw. sein Vertreter, der aus einer Vorschlagsliste seinen Kandidaten zum Schultheißen oder Konsul ernannte102. Vor allem die kriegsbedingten Steuerforderungen des Staats und sein Bedürfnis, das gesamte Territorium zu überwachen, führten in vielen Ländern zu einer engeren Kontrolle des Stadtregiments, das sich in weiten Teilen Europas ohnehin in der Hand einer Oligarchie befand103. Die Städte des Mittelalters waren auch Schrittmacher in Sachen Leistungsverwaltung104: Verteidigung, öffentliche Ordnung, Brandschutz, soziale Fürsorge, Hygiene, Verund Entsorgung, Schulwesen wurden in vielen Städten als Gemeindeaufgaben erkannt und durch den Rat umgesetzt105. Vom ausgehenden 16. Jahrhundert an übernahmen staatliche Behörden wenn nicht die Aufgaben selbst, so doch die Initiative, die Stadtverwaltungen dazu zu bewegen, diese Dienstleistungen auszubauen106. Deutlich wird das etwa in Sachen Festungsbau, der kaum noch von städtischen Behörden initiiert, sondern vom Herrscher verfügt wurde. Ganz aufgegeben wurde die städtische Selbstverwaltung aber nie; sie war auch für den absolutistischen Staat viel zu vorteilhaft. Daher wird vom „Wandel von der freien (oder eigenrechtlichen) zur beauftragten Selbstverwaltung“ gesprochen107. Im 19. Jahrhundert wurden diese und viele zusätzliche Aufgaben staatlicherseits auch für ländliche Gemeindeverwaltungen durchgesetzt108. Doch selbst im 19. und 20. Jahrhundert waren es die Städte, die in vielen Bereichen, von der Wasser-, Gas- und Elektrizitätsversorgung, der Abwasserkanalisation über die Einrichtung von Schlachthöfen und den sozialen Wohnungsbau bis hin zu Armenpflege, Straßenbau, öffentlichem Transport, Hygienevorschriften, Kultur- und Gesundheitspolitik planend und lenkend in die urbane Entwicklung und Raumgestaltung sowie in das soziale Zusammenleben eingriffen, um die „soziale Daseinsvorsorge“ und die Lebensqualität der Bürger sicher zu stellen, bevor der Staat sich zum Sozialstaat entwickelte und über seine Haushaltspolitik die Finanzautonomie und die Handlungsspielräume der Kommunen einschränkte109. Wie auch immer die Selbstverwaltung geartet war, wie weitgehend die Rechte und Freiheiten der Verwaltungsträger auch waren, sie setzte in der Regel eine politische Öf102   Laurent Coste, Entre autonomie et tutelle: le renouvellement des édiles dans la France d’Ancien Régime (du milieu du XVIe siècle au déclenchement de la Révolution). Les bourgeoisies urbaines choisissent-elles librement leurs magistrats?, in: Urban Liberties and Citizenship (wie Anm. 84) 185–199. 103  Clark, European Cities and Towns (wie Anm. 66) 202, 208–212. 104   Die Stadt als Dienstleistungszentrum. Beiträge zur Geschichte der „Sozialstadt“ in Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert, hg. von Jürgen Reulecke (St. Katharinen 1995); Kommunale Leistungsverwaltung und Stadtentwicklung vom Vormärz bis zur Weimarer Republik, hg. von Hans Heinrich Blotevogel (Städteforschung A/30, Köln–Weimar–Wien 1991). 105  Schott, Stadt in der Geschichtswissenschaft (wie Anm. 85) 139; Clark, European Cities and Towns (wie Anm. 66) 203–205, 212–214. 106   Schilling, Stadt in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 9) 38f. 107  Luise Wiese-Schütte zit. nach Schilling, ebd. 78. 108  Siehe z. B. Norbert Franz, Durchstaatlichung und Ausweitung der Kommunalaufgaben im 19. Jahrhundert. Tätigkeitsfelder und Handlungsspielräume ausgewählter französischer und luxemburgischer Landgemeinden im mikrohistorischen Vergleich (1805–1890) (Trierer Historische Forschungen 60, Trier 2006). 109  Jürgen Reulecke, Einleitung, in: Die Stadt als Dienstleistungszentrum (wie Anm. 104) 1–17, hier 6–10.



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fentlichkeit voraus. Schon Lampert von Hersfeld konstatierte vorwurfsvoll in Bezug auf den Aufstand der Kölner Bürger von 1074110: „Und sie pflegten nach dem Verkauf ihrer Waren bei Wein und Schmaus über Militärisches zu disputieren.“ Allerdings darf man von der mittelalterlichen Stadtgemeinde keine direkte Linie zu den bürgerlich-demokratischen Emanzipationsprozessen des späten 18. und 19. Jahrhunderts ziehen111, denn sie blieb bei aller Konfliktbereitschaft mit dem Stadtherrn und den immer wieder aufbrechenden sozialen Auseinandersetzungen innerhalb der Stadtgesellschaft dem ständischen Denken verhaftet, nicht zuletzt wegen „immer neuer Normierungen und Disziplinierung von Seiten der Obrigkeit und der Kirche“112. Doch die Städte der Vormoderne bildeten den Erfahrungshorizont, in dem sich eine partizipative Kultur entwickeln und die Übernahme von politischer Verantwortung eingeübt werden konnte. Dies waren wichtige Voraussetzungen für die spätere Geburt des Staatsbürgers. Ja, die Bildung der Zivilgesellschaft ist als ein städtisches Phänomen zu betrachten. Politisch gesehen stellte die Französische Revolution wohl einen wichtigen Bruch dar, der aber nicht nur die Entwicklung von Städten betraf. Die Bewohner aller Siedlungsformen wurden nunmehr Staatsbürger mit gleichen Rechten. Die Stadtfreiheit bzw. der Status des freien Bürgers, der zum Teil im Mittelalter schon auf die Dörfer ausgestrahlt hatte, war nach dem Ende des Ancien Régime kein Alleinstellungsmerkmal der Stadt mehr. Wenn man von Sonderfällen wie London oder Paris absieht – Letzteres wurde bis 1975 vom Präfekten des Seine-Departements verwaltet –, wurden in allen europäischen Staaten im frühen 19. Jahrhundert Gemeindegesetzgebungen beschlossen, die den Städten (und den ländlichen Gemeinden) mehr oder weniger weitgehende Selbstverwaltungsrechte zugestanden113. Unterschiedlich war nicht nur der kommunale Spielraum zur Übernahme öffentlicher Aufgaben in Eigenregie und der Grad der staatlichen Aufsicht: In England war jeder kommunale Verwaltungsakt an eine staatliche Ermächtigung gebunden; in Dänemark und Norwegen, Frankreich, Belgien und Luxemburg hatten die lokal gewählten Körperschaften auch die Aufgabe, staatliche Verordnungen zu vollziehen, während in Preußen seit den Reformen (1808) des Reichsfreiherrn vom und zum Stein, die auf die altständische Verfassung zurückgriffen, die Selbstverwaltung groß geschrieben wurde. Auch die mehr oder weniger starke Stellung des Bürgermeisters gegenüber dem Gemeinderat variierte von Staat zu Staat114. Nichtsdestoweniger ist die Entfaltung städtischer Selbstverwaltungsmöglichkeiten in Europa, die das 12. und 13. Jahrhundert kennzeichnete, aber im Zeitalter des Absolutis  Neddermeyer, Aufstand gegen den Erzbischof 1074 (wie Anm. 73).   Die Aussage von Karl Bosl: „Städte [waren] Träger der Selbstverwaltung … ja Wiege des modernen Staatsgedanken und der freien Demokratie“ – Karl Bosl, Staat, Gesellschaft, Wirtschaft im deutschen Mittelalter (Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte [dtv-Ausgabe] 7, München 1973) 193 – entspricht der Sichtweise des 19. Jhs. Vgl. Ulrike Spree, Die Rückbesinnung auf die mittelalterliche Stadt. Die Bedeutung der Stadt als Mittel der Identitätsfindung „mittlerer Schichten“ in der deutschen, britischen und französischen Lexikographie des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Bürgerschaft, Rezeption und Innovation der Begrifflichkeit vom hohen Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert, hg. von Reinhart Koselleck–Klaus Schreiner (Sprache und Geschichte 22, Stuttgart 1994) 309–374; Schulz, Freiheit (wie Anm. 74) 5; Pauly, Libertés et citoyenneté urbaines (wie Anm. 97). 112  Schilling, Stadt in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 9) 17. 113  Lars Nilsson, Local Self-Government in Northern Europe in the Nineteenth and Twentieth Centuries, in: Urban Liberties and Citizenship (wie Anm. 84) 225–236; Clark, European Cities and Towns (wie Anm. 66) 332f. 114  Lenger, Metropolen der Moderne (wie Anm. 36) 149–162. 110 111

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mus zurückgedrängt worden war, ein Faktor städtischer Kontinuität. Sie spiegelt sich noch in der steigenden Zahl kommunaler Aufgaben wider (z. B. sozialer Wohnungsbau, öffentlicher Personennahverkehr, Freizeitangebote), bis es in den 1980er Jahren des 20. Jahrhunderts, ausgehend von der Politik Margaret Thatchers in Großbritannien, zum neoliberalen Bruch kam, der zu einer Privatisierungswelle kommunaler Aufgaben in Europa führte115.

Kultur Alle bisher angeführten Beobachtungen deuten bereits die immense kulturelle Bedeutung der Stadt an, die menschliches Leben in allen Bereichen gestaltet116. Brigitte Reimann hat sie in ihrem Roman „Franziska Linkerhand“ durch ihre Protagonistin als „kostbarste Erfindung der Zivilisation“ bezeichnen lassen, „die als Vermittlerin von Kultur nur hinter der Sprache zurücksteht“117. Wenn in einem letzten Abschnitt die Kultur als Merkmal von Städten angesprochen wird, dann hier allerdings in einem engeren Sinne, der sich auf die Qualität der Stadt als Ort von Kultur, als Mittelpunkt von Wissenschaft und Künsten bezieht. Dieser Aspekt ist in den zusammenfassenden, vielfach rechtlich-administrativ beziehungsweise ökonomisch akzentuierten Auseinandersetzungen mit der westeuropäischen Stadt von eher untergeordneter Bedeutung gewesen118. Schulen, Bibliotheken, Theater, Musikleben, Festkultur, Museen, Universitäten und Literatur in der Stadt spielen indes eine Rolle, wenn es darum geht, die Zentralität, Attraktivität, Lebensqualität und Identität von Städten zu beschreiben119. Dass gerade im Hinblick auf diese Aspekte von Urbanität in den vergangenen Jahren neue Zugänge entwickelt werden, deutet unter anderem die Auseinandersetzung mit dem Soundscape an, die sich auch mit der sozialen und kulturellen Bedeutung von Klängen und Geräuschen im städtischen Raum wie auch mit den Dispositiven ihrer Wahrnehmung befasst 120. Kontinuitäten in der Entwicklung des kulturellen Lebens im städtischen Kontext können indes bisher vor allem an den Bildung vermittelnden Institutionen und ihrer Genese beschrieben werden. Dies lässt sich am Beispiel der Schule zeigen, die in den Bischofsstädten, an der Kathedrale, an Klöstern und Stiften, entstand und in erster Linie für die Ausbildung gesellschaftlicher Eliten zu geistlichem Nachwuchs besorgt war121. Mit der Entfaltung der Städtewesens und des Pfarreisystems sowie mit der Ansiedlung von Bettelorden wurde dann die Versorgung mit Bildung seit dem 13. Jahrhundert – und damit   Clark, European Cities and Towns (wie Anm. 66) 349f.   Zum weiten Kulturbegriff vgl. Achim Landwehr, Kulturgeschichte (Stuttgart 2009). 117   Brigitte Reimann, Franziska Linkerhand (München 61974) 331. 118   Vgl. z. B. die einschlägigen Überblickswerke: Isenmann, Deutsche Stadt (wie Anm. 19); Schilling, Stadt in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 9); Klaus Gerteis, Die deutschen Städte in der Frühen Neuzeit. Zur Vorgeschichte der „bürgerlichen Welt“ (Darmstadt 1986). 119  Städtische Kultur in der Barockzeit, hg. von Wilhelm Rausch (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 6, Linz 1982); Stadt und Kultur, hg. von Hans Eugen Specker (Stadt in der Geschichte 11, Sigmaringen 1983); Stadt und Repräsentation, hg. von Bernhard Kirchgässner–Hans-Peter Becht (Stadt in der Geschichte 21, Sigmaringen 1995); Schilling, Stadt in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 9) 62–64, 135–137; Stadtkultur – Kultur(haupt)stadt (wie Anm. 33). 120  Jan-Frieder Missfelder, Period Ear. Perspektiven einer Klanggeschichte der Neuzeit. GG 38 (2012) 21–47; Peter Johanek, Musikkultur und städtische Gesellschaft, in: Stadtkultur – Kultur(haupt)stadt (wie Anm. 33) 51–75. 121  Isenmann, Deutsche Stadt (wie Anm. 19) 560–574. 115 116



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schon lange vor der Reformation – auf die urbanisierten Regionen Europas und auch auf kleine Städte ausgedehnt. Ein Auseinanderdriften von klerikalen und bürgerlichen Interessen lässt sich besonders in spätmittelalterlichen Fernhandelsstädten Norddeutschlands oder auch Italiens feststellen, wo Lehrinhalte an der städtischen Ökonomie ausgerichtet und in der Volkssprache vermittelt wurden. Durchgreifende Bildungsreformen sind aber neuzeitlich und vor allem im Kontext aufgeklärter staatlicher Konzepte zu sehen; sie gingen allenfalls partiell von der städtischen Elite aus und sind in den einzelnen Ländern zeitverschoben durchgeführt worden. In Österreich etwa waren die obrigkeitsstaatlichen Maßnahmen unter der Regierung Maria Theresias und dem Josephinismus des ausgehenden 18. Jahrhunderts dazu angelegt, dem geistigen und sozialen Wandel der Zeit und staatspolitischen Erwägungen Rechnung zu tragen122. In Preußen strebten die Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein staatlich durchgesetztes, straff organisiertes, egalitäres und leistungsorientiertes Bildungssystem an123. Für das englische Königreich hingegen ist der Einfluss der Church of England bei der Neuorganisation des öffentlichen Schulwesens hervorzuheben, der bis ins 20. Jahrhundert geltend gemacht wurde124. Hier, im Übrigen, sind die Wurzeln für den Sport zu lokalisieren, der zunächst ein Oberschichtenphänomen darstellte, auch in den Städten Verbreitung fand und als Mittel der Sozialdisziplinierung sowie Gemeinschaftsbildung eingesetzt, dann aber auch immer mehr zur Steigerung der Volksgesundheit gefördert wurde125. Die Entfaltung einer aufgeklärten und säkularisierten Bildungsschicht seit dem 18. Jahrhundert spiegelt aber auch die Geschichte des Universitätswesens wider: In den westeuropäischen Städten des Mittelalters ist die Gründung von Universitäten, die in der Regel aus den Schulen vor Ort hervorgingen, zunächst päpstlich legitimiert und kaiserlich bzw. königlich sowie seit dem ausgehenden Mittelalter landesherrlich und – z. B. in Köln (1388) und Basel (1460) – auch kommunal initiiert gewesen. Diese entstehen, nicht immer konfliktfrei, in verschiedenen Schüben vor allem in dicht urbanisierten Räumen, nicht notwendig indes in Hauptstädten126. Während Bologna, Paris, Salamanca, Oxford und Cambridge im 12. und beginnenden 13. Jahrhundert zu den frühen Universitäts122   Barbara Gant, „National-Erziehung“: Überwachung als Prinzip. Österreichische Bildungspolitik im Zeichen von Absolutismus und Aufklärung, in: Josephinismus als Aufgeklärter Absolutismus, hg. von Helmut Reinalter (Wien–Köln–Weimar 2008) 97–124. 123  Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat (München 1983) bes. 56–69, 451–483. 124   W. B. Stephens, Education in Britain 1750–1914 (Social History in Perspective, Basingstoke–London 1998). 125  Julius Bohus, Sportgeschichte. Gesellschaft und Sport von Mykene bis heute (München 1986); Christian Koller, Von den englischen Eliteschulen zum globalen Volkssport: Entstehung und Verbreitung des Fussballs bis zum Ersten Weltkrieg, in: Zur Sozial- und Kulturgeschichte des Fussballs, hg. von Beatrix Bouvier (Gesprächskreis Politik und Geschichte im Karl-Marx-Haus 8, Trier 2006) 14–36. 126  Vgl. Stadt und Hochschule im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Erich Maschke–Jürgen Sydow (Stadt in der Geschichte 5, Sigmaringen 1979); Peter Moraw, Gesammelte Beiträge zur deutschen und europäischen Universitätsgeschichte. Strukturen – Personen – Entwicklungen (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 31, Leiden–Boston 2008); Peter Wörster, Universitäten im östlichen Mitteleuropa. Zwischen Kirche, Staat und Nation. Sozialgeschichte und politische Entwicklungen (Völker, Staaten und Kulturen in Ostmitteleuropa 3, München 2008); Jürgen Miethke, Stadt und Universität im Spätmittelalter, in: Orientierung für das Leben. Kirchliche Bildung und Politik in Spätmittelalter, Reformation und Neuzeit. Festschrift für Manfred Schulze zum 65. Geburtstag, hg. von Patrik Mähling (Arbeiten zur historischen und systematischen Theologie 13, Münster 2010) 13–37; Frank Rexroth, Die Universität, in: Die Welt des Mittelalters. Erinnerungsorte eines Jahrtausends, hg. von Johannes Fried–Olaf B. Rader (München 2011) 460–472.

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gründungen gehören, werden in Prag, Krakau (Kraków), Wien, Erfurt, Heidelberg, Köln und Budapest Universitäten erst seit der Mitte des 14. Jahrhundert gegründet, und erst zwischen dem ausgehenden 16. und 18. Jahrhundert sind Universitäten in Städten an den Rändern Europas entstanden, wie etwa in Wilna (Vilnius)/Litauen, Dublin, Dorpat (Tartu)/Estland, Helsinki, Lemberg (Lviv), Lund, Breslau (Wrocław), St. Petersburg und Moskau. Unter je unterschiedlichen politischen Bedingungen aber steigerte sich überall die Frequenz der Neugründungen mit der Entwicklung neuer bürgerlicher Bildungsideale im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert127. Eine etwas andere Entwicklung vollzieht sich im Hinblick auf das Theater: Szenische Vorgänge im Kirchen- oder offenen Stadtraum, die sich mit Beginn der Stadtwerdung vor allem im Zusammenhang ritualisierter Kult- und Glaubenspraktiken, insbesondere zu den kirchlichen Hochfesten entwickelt haben, begannen sich gegen Ende des 15. Jahrhunderts fast überall zu verstetigen128. Die wachsende Bedeutung des städtischen Theaters in dieser Zeit spiegelt sich in einer immer enger werdenden personalen Verknüpfung von Spielpraxis, Stadtbevölkerung und bürgerlicher Führungsschicht wider sowie ferner in der politischen und im Zuge der Reformation immer mehr religionspolitischen Instrumentalisierung der Spiele durch die Elite und in der Erweiterung des Repertoires, das neben geistlich-erbaulichen zunehmend auch volkstümlich-moralische Stücke aufnahm. Vor a­ llem in den Großstädten wird um diese Zeit professionalisiertes Theater fassbar, und neben den älteren Tanz- und Festhäusern entstehen nun jeweils privat getragene Theaterbauten, die Aufführungen vom öffentlichen in den geschlossenen Raum verlagerten129. London ist Beispiel für die frühe Einrichtung von Playhouses (seit 1576), das Globe ­Theatre (1599) unter ihnen. Während das Theaterspiel in einzelnen Städten im Gefolge der Reformation eingeschränkt oder verboten wurde, gilt das sich vor allem an den adeligen Höfen und in den Residenzstädten entwickelnde barocke Theater als Plattform der Gegenreformation und zugleich Wegbereiter neuer baulicher Lösungen für Bühnen und Theaterraum. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird mit der Gründung einer großen Anzahl an Theatern im Gefolge wirtschaftlicher Liberalisierung, die teils auf Initiative der öffentlichen Hand, teils privatwirtschaftlich entstehen, eine bürgerliche Theaterkultur in Gang gesetzt, die bis in die Gegenwart die Verhältnisse bestimmt130. Die Veränderungen im kulturellen Leben der Städte seit dem 18. Jahrhundert werden mit einem bürgerlich-kritischen Begriff von Öffentlichkeit verbunden, der den zuvor bestimmenden, herrschaftlich-repräsentativen abgelöst habe131. Dass ein solcher Ansatz für die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Verhältnisse modifiziert werden muss, haben neuere Untersuchungen zu vormodernen Orten und Formen der Kommunikation in der Stadt und insbesondere Überlegungen zur vormodernen Anwesenheitsgesellschaft mit ih127  Geschichte der Universität in Europa 3: Vom 19. Jahrhundert zum Zweiten Weltkrieg, hg. von Walter Rüegg (München 2004). 128  Vgl. Greco-Kaufmann, Zuo Ere Gottes (wie Anm. 33) 603f.; Staging Festivity: Theater und Fest in Europa, hg. von Erika Fischer-Lichte–Matthias Warstatt (Tübingen 2009); Stercken, Spaces for Urban Drama (wie Anm. 33). 129  Olivier Zeller, La ville moderne, in: Histoire de l’Europe urbaine 1 (wie Anm. 40) 593–858, hier 775–788; Andreas Kotte, Theatergeschichte. Eine Einführung (Köln–Weimar–Wien 2013) 141–262. 130  Vgl. z. B. Stefan Koslowski, Stadttheater contra Schaubuden. Zur Basler Theatergeschichte des 19. Jahrhunderts (Theatrum Helveticum 3, Zürich 1998). 131  Jürgen Habermas, Strukturwandel und Öffentlichkeit (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 891, Frankfurt a. M. 1990 [erstmals München 1962]) bes. 90–106.



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rer „integrierten Öffentlichkeit“ deutlich werden lassen132. Gleichwohl stehen die städtischen Kaffeehäuser, Klubs und Salons im Westeuropa des 18. Jahrhunderts für eine neue Qualität der Information und des Austauschs im Kontext aufklärerischer Strömungen sowie das vor allem im 18. Jahrhundert aufblühende Zeitungswesen für eine wachsende Einbettung des städtischen Kommunikationsraums in größere Kontexte133. Vor allem in den Metropolen des 19. und 20. Jahrhunderts hat sich „eine neue, maßstabgebende Kultur“ entwickelt, die ihre Impulse aus den anderen Weltstädten erhielt und auf die umgebenden Gesellschaften wiederum zurückwirkte134. Die Metropole wurde zum Inbegriff des Urbanen und durch eine Vielfalt an Verbreitungsmedien, vor allem durch Literatur, Architektur, Presse und den frühen Film inszeniert. Der vermeintlich dokumentarische, indes durchkomponierte Film „Die Sinfonie der Großstadt“ von Walter Ruttmann aus dem Jahre 1927 steht geradezu paradigmatisch für die Imaginationen der nervösen Attraktivität und produktiven Kraft des Lebens in der Metropole135. Vermittelt wird das Bild einer durch massive Zuwanderung, Industrialisierung, neue Verkehrsmittel, Elektrifizierung, Motorisierung, kulturelle Vielfalt und neue Konsumangebote charakterisierten Stadt. Ruttmanns Film ist Teil eines verstärkten Diskurses über Urbanität und den urbanen Lebensstil, der seit dem ausgehenden 19. und vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts geführt wird. Mit einer Vielfalt an Formen und einer wachsenden Reichweite der Dispositive übersteigt dieser den Radius der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Auseinandersetzungen mit der Stadt und dem städtischen Leben. Eine Reflexion über das Urbane erhält eine neue Qualität, die im Mittelalter mit der Bezeichnung und der Darstellung von Orten als Stadt beginnt, mit Verwaltungsschriftgut zum privilegierten bürgerlichen Leben und zur Steigerung der Attraktivität der Stadt fassbar wird und mit den Städtebildern und Stadtbeschreibungen, dem Städtelob und den architekturtheoretischen Debatten des beginnenden Druckzeitalters eine humanistische Ausprägung erfährt136. Dabei spiegeln die Stadtentwürfe des Industriezeitalters sowohl Auseinandersetzungen mit den Idealen der vormodernen Stadtgesellschaft wie auch mit den Herausforderungen der modernen Gesellschaft, mit Innovation und Modernität wider. Zugleich erweisen sich – ungeachtet aller Thesen zu Verstädterung von Landschaften und zur Verländlichung von Städten – Dichotomien in der Wahrnehmung der Stadt als langlebig. So oszilliert die Bewertung der Stadt bis heute zwischen Anklängen an das „Himmlische Jerusalem“ 132   Vgl. dazu: Schlögl, Politik beobachten (wie Anm. 32); ders., Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden. Formen des Sozialen und ihre Transformation in der Frühen Neuzeit. GG 24 (2008) 155–224; Gerd Schwerhoff, Stadt und Öffentlichkeit in der Frühen Neuzeit – Perspektiven der Forschung, in: Stadt und Öffentlichkeit (wie Anm. 32) 1–28, hier 9, 18–25; Mersiowsky, Wege zur Öffentlichkeit (wie Anm. 32); Die Stadt als Kommunikationsraum, hg. von Irmgard Ch. Becker (Stadt in der Geschichte 36, Ostfildern 2011). 133  Andreas Würgler, Medien in der frühen Neuzeit (EDG 85, München 2009). 134   Zimmermann, Die Zeit der Metropolen (wie Anm. 11) 173; Reulecke, Geschichte der Urbanisierung (wie Anm. 11) 11; Clark, European Cities and Towns (wie Anm. 66) 305–314. 135   Jörg Schweinitz, Maschinen, Rhythmen und Texturen. Die filmische Imagination einer Metropole: „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ von Walter Ruttmann, in: Urbanität. Formen der Inszenierung in Texten, Karten, Bildern, hg. von Martina Stercken–Ute Schneider (Städteforschung A/90, Köln–Weimar–Wien 2015, im Druck); vgl. auch Thomas Elsaesser, Metropolis. Der Filmklassiker von Fritz Lang (Hamburg 2000). 136   Urbanität (wie Anm. 135); Gerhard Fouquet, Urbanität. Stadtbilder vom Spätmittelalter bis in die Frühe Neuzeit, in: ebd. 15–44; Meyer, „City Branding“ (wie Anm. 37) 19–48; La bellezza della città. Stadtrecht und Stadtgestaltung im Italien des Mittelalters und der Renaissance, hg. von Michael Stolleis–Ruth Wolff (Reihe der Villa Vigoni 16, Berlin 2004); vgl. Literatur unter Anm. 37.

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Michel Pauly und Martina Stercken

und die „Hure Babylon“137. Aber auch die spätestens seit dem 15. Jahrhundert populäre Aesopsche Fabel ‚Die Stadtmaus und die Landmaus“, die aus tierischer Perspektive eine Sicht der Stadt als Ort glänzenden gesellschaftlichen Lebens, zugleich jedoch der großen Gefahren lanciert, konstituiert ein nachhaltiges Stadtstereotyp, das in der Zeit der Industrialisierung neu beschworen und etwa bis in den aktuellen Schulunterricht präsent geblieben ist.

Fazit Ein Fazit kann – in Anbetracht des großen, die Zeit vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert umfassenden Zeitrahmens wie auch der räumlichen Spannweite – nur holzschnittartig ausfallen und führt zu sehr allgemeinen Beobachtungen, die im Detail dem vielschichtigen und sich ständig verändernden Phänomen „Stadt“ in seiner westeuropäischen Prägung nicht gerecht werden können. Hier und da konnte auf regionale Unterschiede aufmerksam gemacht werden, jedoch sind breit angelegte und zeitübergreifende Untersuchungen, die sich vergleichend mit den Entwicklungen des Städtewesens in Westeuropa befassen, noch rar138. Unser Streifzug durch räumliche, wirtschaftliche, gesellschaftliche, politische und kulturelle Aspekte von Stadt im Westen Europas hat indes eine grundsätzlich erstaunliche Kontinuität des im Mittelalter ausgeprägten Phänomens der westeuropäischen Stadt erkennen lassen, die sich bis in das Zeitalter des world-wide-webs hat behaupten können. Mit Heinz Reif darf man durchaus nicht nur von einem „Europa der Städte“, sondern auch von einem Idealtypus „Europäische Stadt“ reden, der sich deutlich von der amerikanischen wie von der arabischen, afrikanischen oder asiatischen Stadt unterscheidet139. Ungeachtet dieses prägnanten Befundes zur Permanenz einer europäischen Lebensform hat unser Gang durch die Stadtgeschichte eine Vielfalt an Brüchen und Diskontinuitäten von unterschiedlicher Tragweite und mit verschiedener Halbwertszeit sichtbar gemacht. Erste tiefere Einschnitte in der städtischen Entwicklung seit dem Mittelalter sind mit neuen funktionalen Stadttypen der frühen Neuzeit zu verzeichnen. Diese entsprachen nur noch partiell dem mittelalterlichen Stadtbild und waren grundsätzlich in ihrer 137  Erich Zenger, Die Stadt als Utopie. Das Beispiel Jerusalems, in: Lebensraum Stadt. Eine Vortragsreihe an der Westfälischen Wilhelms-Universität, hg. von Ernst Helmstädter–Ruth Elisabeth Mohrmann (Worte – Werke – Utopien 10, Münster 1999) 189–204; Helmut Arntzen, Die literarische Stadt im 20. Jahrhundert, in: ebd. 205–215; Stadtkritik (Archithese. Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur und Kunst 6/1988, Niederteufen 1988); Die Stadt als Moloch? Das Land als Kraftquell? Wahrnehmungen und Wirkungen der Großstädte um 1900, hg. von Clemens Zimmermann–Jürgen Reulecke (Stadtforschung aktuell 76, Basel 1999); Andrew Lees, Perceptions of Cities in Britain and Germany 1820–1914, in: The Pursuit of Urban History, hg. von Derek Fraser–Anthony Sutcliffe (London 1983) 151–172; Eaton, Die ideale Stadt (wie Anm. 4); Stadt & Text. Zur Ideengeschichte des Städtebaus im Spiegel theoretischer Schriften seit dem 18. Jahrhundert, hg. von Vittorio Magnango Lampugnani–Katia Frey–Eliana Perotti (Berlin 2011). 138   Vgl. dazu z. B. den städtebaulichen Überblick bei Leonardo Benevolo, Die Stadt in der europäischen Geschichte (München 1993), die von aktuellen sozialwissenschaftlichen Überlegungen ausgehenden Aufsätze in: Die europäische Stadt, hg. von Walter Siebel (Edition Suhrkamp 2323, Frankfurt a. M. 2004), die in historischer Perspektive bearbeitete Histoire de l’Europe urbaine 2 (wie Anm. 27), den Essay von Konrad Paul Liessmann, Urbanität oder die Stadt als kulturelles Phänomen, in: Stadtkultur – Kultur(haupt)stadt (wie Anm. 33) 93–104, und die von einem Beispiel ausgehenden Beiträge in: Luxemburg, eine Stadt in Europa (wie Anm. 65). 139  Heinz Reif, „Europäische Stadt“: Idealtypus, kulturelles Konstrukt, historisches Erbe und städte­ bauliches Leitbild, in: ebd. 10–21.



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Selbstverwaltung durch den absolutistischen Staat eingeschränkt, der bislang städtische Aufgaben nunmehr übergreifend in die Hand nahm. Als massivster Bruch aber haben sich – erwartungsgemäß – die tief greifenden Veränderungen mit der Gleichstellung von Stadt und Land im Gefolge der französischen Revolution, mit der Gewerbefreiheit, der Industrialisierung und mit neuen Verkehrsmitteln erwiesen. Diese manifestieren sich in der Neuordnung rechtlicher, administrativer und ökonomischer Verhältnisse. Die privilegierte Situation der Städte als im Idealfall selbstbestimmte Kommunen wird nun abgelöst durch eine Ordnung, die staatsbürgerliche Gleichheit für alle garantiert und durch Liberalismus geprägt ist. Dabei bringt die Stadt, die anders als das Dorf gewisse Selbstverwaltungsrechte behaupten kann, eine lange Tradition an partizipativer Kultur und politischer Verantwortung in das neu etablierte Staatsbürgertum ein. Mit den Umwälzungen des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts wird gleichermaßen das Städtenetz neu akzentuiert. Zwar ist dieses im Wesentlichen durch die bis um 1500 ausgeprägten Strukturen charakterisiert, doch lassen sich deutliche Verschiebungen im Stadt-Land-Verhältnis beobachten: einerseits durch die vor allem im ausgehenden 18. Jahrhundert einsetzende Landflucht und durch die funktionale Aufwertung alter städtischer Zentren als Hauptstädte im neuen nationalstaatlichen System, andererseits durch das Entstehen neuer verkehrstechnisch positionierter Städte. Zugleich ist mit der Entprivilegierung der Städte im 19. Jahrhundert eine endgültige Öffnung des Stadtraums verbunden gewesen, die nicht nur zu einer Verlagerung von Funktionen, zum Entstehen neuer Stadtteile und zur Umstrukturierung der Sozial- und Wirtschaftstopographie geführt, sondern auch eine Vielzahl an Diskussionen und Modellbildungen gezeitigt hat, die den richtigen Umgang mit Planungsproblemen in den Blick nehmen und vermarkten. Zwar sind viele Ausdrucksformen politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzung in den mittelalterlichen Städten ausgeprägt worden. Gerade die im ausgehenden 19. Jahrhundert profilierten Metropolen aber stehen für den massiv erweiterten Radius von Kommunikation und einer Öffentlichkeit, die nicht nur durch bürgerliche, sondern auch übergeordnete Diskurse bestimmt ist. Die Metropole dominiert nun auch den Diskurs über die Stadt. Die seit der Antike geführte Diskussion um den Stadt-LandGegensatz erhält mit diesen Städten eine neue Dimension, die als Orte wirtschaftlicher und technologischer Innovation, sozialer und kultureller Diversität und kommunikativer Vernetzung eine hohe Attraktivität in einem weiten Einzugsbereich entfalten und die zugleich als Moloch, als Ort des Milieus und einer nervösen Gesellschaft im Fokus der Kritik stehen.



Sixty Years of Research on the Byzantine City Paul Magdalino

The Byzantine city became identified as a discrete historical entity, worthy of dedicated research, in the 1950s. Since then it has generated a large and growing volume of scholarship. My task in this paper is to give a brief review of the material, pointing out its main landmarks and directions. The period under review will not correspond exactly to the chronological limits of this volume. It ends in the fifteenth century, with the fall of Constantinople, since I consider the Ottoman town to be a different phenomenon from its Byzantine predecessor, and there are virtually no studies seriously linking the two. On the other hand, I begin in the fourth century, with the foundation of Constantinople. Despite the deep discontinuities between Late Antiquity and the Middle Ages, and the problems of periodizing Byzantium, few Byzantinists would wish to exclude the age of Justinian from their domain, and between the empire of Justinian and the empire of Constantine no clean division can be drawn. Two of the most important monographs in the field are titled „The Byzantine City in the Sixth Century“1. The geographical limits of my survey are similarly defined by the existence of the Roman Empire of Constantinople: I consider mainly those towns and cities that came within the political orbit of the Byzantine imperial court and its splinter states. Research on the Byzantine city has sought to answer basically the same questions that have driven the study of urbanism in the medieval West: Was it a continuation of the ancient city? What was its relationship to political and religious authority? Did the town and is inhabitants have a distinct status with regard to the rest of society, and particularly the population of its surrounding countryside? How was urban society divided, both vertically and horizontally, and what was the relationship between private, public and sacred space? What administrative, social, cultural and economic functions did it fulfil, and which of all these was its raison d’être? In particular, was the economic function paramount, and within the urban economy, did consumption take precedence over production and exchange? How did towns relate to each other, both spatially and in terms of size and importance, and what differentiated towns, within the hierarchy of settlements, from other settlement units? In short, what defined a city, what characterised the quality of urban life, and what made some towns more urban than others? The range of answers to these questions is necessarily limited and predictable for any pre-industrial society. In a comparison between Byzantium and the West, however, the 1   Dietrich Claude, Die byzantinische Stadt im 6. Jahrhundert (Byzantinisches Archiv 13, München 1969); Helen G. Saradi, The Byzantine City in the Sixth Century. Literary Images and Historical Reality (Athens 2006).

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questions and answers are conditioned by three structural features of Byzantine society that made it distinctive, if not unique. One was the sheer continuity of the Roman state as the supreme and ever-present authority that determined the social roles of soldiers and civilians, and the economic relationship between town and countryside. A second was the complete identification of state authority with one city, Constantinople, that towered over all the others, and for most of the Middle Ages constituted the only megalopolis in the Christian and Greek-speaking world. The third, which followed from the other two, was the lack of any legal distinction between townsmen and countrymen, and the existence of a social and cultural gulf separating Constantinople and the provinces, which made the differences between metropolitans and provincials more significant than those between provincial town-dwellers and country-dwellers2. Of course, these features of Byzantium were not immutable or unequivocal: in Late Antiquity, Constantinople did not enjoy an absolute monopoly while Antioch, Alexandria and Rome remained within the Empire, and in the Later Middle Ages, the monopoly was broken for good by the political fragmentation that followed the Fourth Crusade (1204). Even so, Constantinople was the polis par excellence for the Greek world in a way that neither Rome, nor any other city, was ever quite the ultimate urbs for the Latin West. Besides these structural differences, there is a difference in the quality of the written evidence. We have no municipal archives or cathedral archives in the East, only isolated charters of privileges and inventory descriptions of urban property. As for literary evidence, it emanates overwhelmingly from Constantinople, with the significant exceptions of Antioch in Late Antiquity, Thessaloniki and Trebizond in the Later Middle Ages, and hagiography of all periods. Archaeological evidence is equally important in both East and West, whether it consists of the planned excavation and survey of undeveloped sites, or rescue excavations in modern city centres. The latter has produced some spectacular finds in very recent years: witness the uncovering of the Theodosian harbour of Constantinople, complete with 37 shipwrecks3, or the discovery of the central crossroads of Late Roman Thessaloniki4, or the significant finds from Roman Londinium exposed deep beneath the City of London5. But I would venture to suggest that the significance and the potential of planned archaeology has always been greater in the East, where the medieval written evidence is slim by comparison, the destruction of the medieval habitat has been more complete, and the surface area of ancient urban sites not occupied by modern habitation is relatively large. 2  Cf. Paul Magdalino, Constantinople and the Outside World, in: Strangers to Themselves. The Byzantine Outsider. Papers from the Thirty-second Spring Symposium of Byzantine Studies, University of Sussex, Brighton, March 1998, ed. Dion C. Smythe (Society for the Promotion of Byzantine Studies. Publications 8, Aldershot 2000) 149–162; idem, Constantinople and the „exo chorai“ in the Time of Balsamon, in: Byzantium in the 12th Century. Canon Law, State and Society, ed. Nicholas Oikonomides (Society of Byzantine and PostByzantine Studies. Diptycha – Paraphylla 3, Athens 1991) 179–197. Both articles are reprinted in idem, Studies on the History and Topography of Byzantine Constantinople (Variorum CSS 855, Aldershot 2007) X–XI. 3  Unpublished, cf. http://www.bsr.ac.uk/theodosius-harbour-and-yenikapi-byzantine-shipwrecks-excavation-istanbul-turkey; http://www.newyorker.com/magazine/2015/08/31/the-big-dig [accessed September 2015]. 4  Unpublished, cf. http://www.bbc.com/news/world-europe-21743758 [accessed September 2015]; see also Anastasia Tourta, Thessalonike, in: Heaven and Earth 2. Cities and Countryside in Byzantine Greece, ed. Jenny Albani–Eugenia Chalkia (Athens 2013) 75–93, at 77. 5   Unpublished, cf. http://www.theguardian.com/uk/2013/apr/09/archaeologist-objects-roman-londonfind [accessed September 2015].



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With these parameters in mind, I shall go over the literature on Byzantine cities from the 1950s roughly decade by decade, highlighting (1) general studies of Byzantine towns, (2) studies of individual Byzantine towns, (3) general books on Byzantium that devote significant sections to urban life. Insofar as there is room to go beyond a mere catalogue of publications, I shall pay attention to two main issues. One is the debate about urban transformation versus decline in the Late Antique and early Byzantine period. The other is the question of the relationship between town and country at all periods: to what extent did Byzantine urbanism involve a ruralisation of the urban habitat or, conversely, a dispersion of urban functions to other types of habitat, the monastery, the pilgrimage site, the aristocratic villa or castle, the coastal trading post (emporion). Unfortunately, I have to leave out of consideration the immense body of literature that deals only indirectly with the phenomenon of the Byzantine town, either because it studies the historical geography of larger regional units, or because it is concerned with individual aspects of urban activity. Thus I can only mention in passing the admirable Tabula Imperiii Byzantini 6, and I can do no more than to refer, anonymously and collectively, to the great advances that have been made in the study of saints’ cults, the liturgy, trade and markets, silk production, book production, ceramic and glass production, medicine, law, education and other such aspects of Byzantine civilization that were mainly, if not exclusively urban. In order to keep my narrative simple and manageable, I must also refrain from complicating it with details of the spadework that lies behind the synthesis: the excavation projects and surveys that span decades and many of which are still on-going. I mention only a few names of sites where significant Late Antique and Byzantine remains have been excavated (For those sites where useful information on the finds can be accessed online, see the appendix): Gre e c e a n d t h e Ba l k a n s : Amphipolis, Athens, Boeotia, Butrint, Caričin Grad (Justiniana Prima), Corinth, Gortyn, Lakonia (Sparta), Maroneia, Nikopolis, Nea Anchialos (Thessalian Thebes), Philippi, Stobi, Thebes. A s i a Mi n o r, Sy r i a a n d Pa l e s t i n e : Amorion, Anemurium, Androna, Caesarea Maritima, Ephesos, Hierapolis, Laodicea, Miletus, Myra, Nicomedia, Patara, Pergamon, Priene, Sagalassos, Sardis, Scythopolis, Xanthos. In this connection, it is salutary to note that in most sites, including some of those with the longest-running excavations, only a fraction of the Late Antique urban area has been uncovered. The excavation of these ancient urban sites prompts one final remark: insofar as Byzan­tine cities were continuations of ancient cities, the study of Byzantine urbanism is as old as classical scholarship, and some of the foundational works on Byzantine urban institutions were written by ancient historians who had no intention of being read by Byzantinists. Thus there is a whole category of studies which, though they will not be mentioned here, have been important as starting points: such are A. H. M. Jones on the ancient Greek city7, Glanville Downey and Wolf Liebeschuetz on Antioch8, C. H. 6  See the project website: http://www.oeaw.ac.at/byzanz/tibpr.htm; see also Johannes Koder, Perspektiven der Tabula Imperii Byzantini. Zu Planung, Inhalt und Methode. Geographia antiqua 5 (1996) 75–86; Mihailo Popović, Historische Geographie und Digital Humanities. Eine Fallstudie zum spätbyzantinischen und osmanischen Makedonien (Peleus. Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns 61, Mainz–Ruhpolding 2014) 10–17. 7  Arnold H. M. Jones, The Greek City from Alexander to Justinian (Oxford 1940). 8  Glanville Downey, A History of Antioch in Syria from Seleucus to the Arab Conquest (Princeton

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Kraeling on Jerash9. The first medieval Byzantine city to receive scholarly attention was Thessaloniki, to which the Romanian historian O. Tafrali devoted two monographs just after the city had been liberated from Ottoman rule10. More generally, the phenomenon of the Byzantine city came into scholarly focus in 1917, the year of the Russian Revolution, with the publication of A. P. Rudakov’s „Researches on Byzantine culture based on the evidence of Greek saints’ lives“11. Rudakov was the first to assert that „the late antique cities continued an uninterrupted existence into medieval times“, and he „advanced most emphatically“ the view that „the Byzantine Empire, in the seventh century as in older times, was an aggregate of cities (poleis)“12. The theme of urban continuity from the ancient world was taken up again in the 1930s by another Romanian historian, G. Brătianu, in a study growing out of his pioneering work on the Byzantine economy13. While remaining essentially within the tradition of francophone scholarship (Henri Pirenne, Ferdinand Lot, Charles Diehl), and not citing Max Weber, Brătianu effectively made a Weberian distinction between the Byzantine city, which was a „Konsumentenstadt“ on the ancient Greek and Roman model, and the western „Produzentenstadt“, which was the result of a commercial revolution, „vraiment une creation de la renaissance économique du XIe siècle“14. The contrast he draws is worth quoting at length, because it is a clear statement of the assumptions that drove or provoked all subsequent scholarship on the Byzantine city. On the one hand, in the west, „c’est toute une révolution qui s’accomplit, par laquelle s’effectue l’avènement d’une nouvelle classe sociale et qui sépare définitivement la ville libre, privilégiée, de la campagne soumise au régime domanial des seigneurs, au cens et au servage. Mais enfin et surtout, cette révolution politique, qui ne laisse pas d’être violente dans bien des cas, est à son tour le résultat d’une révolution économique. Les institutions communales sont nées sous le signe du progrès et de l’expansion d’une population enrichie par les métiers et le négoce“15. On the other hand, in Byzantium, „A cette époque, les villes n’ont pas perdu le carac­ tère qu’elles avaient déjà aux derniers siècles de l’Antiquité. C’étaient, ce sont toujours des centres administratifs, des forteresses ou encore des résidences pour les propriétaires de la région voisine16 ... Il ne faut pas que le décor de la capitale et de quelques grandes villes … fasse illusion: la vie byzantine, depuis que le pouvoir impérial est en déclin, c’est dans les campagnes féodales qu’il faut la chercher plus que dans les villes. En tout cas, c’est la vie rurale, ce sont les produits de l’agriculture et de l’élevage qui représentent les principaux

1961); John H. W. G. Liebeschuetz, Antioch. City and Imperial Administration in the Later Roman Empire (Oxford 1972). 9   Carl Herman Kraeling, Gerasa. City of the Decapolis (New Haven, Conn. 1938). 10   Oreste Tafrali, Topographie de Thessalonique (Paris 1913); idem, Thessalonique au quatorzième siècle (Paris 1913). 11  Aleksandr P. Rudakov, Očerki vizantijskoj kultury po dannymj grečeskoj agiografij [Contributions to Byzantine Culture Drawn from Greek Hagiography] (Moskva 1917, reprinted with introduction by G. L. Kurbatov–G. E. Lebedeva, Sankt-Peterburg 1997). 12  Ibid. 71s., as cited by George Ostrogorsky, Byzantine Cities in the Early Middle Ages. DOP 13 (1959) 45–66, cit. 48. 13  Gheorghe Brătianu, Privilèges et franchises municipales dans l’Empire byzantin (Paris 1936). 14  Ibid. 17. 15  Ibid. 103s. 16  Ibid. 104.



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éléments de l’économie de l’empire grec, dès l’époque des premières croisades“17. In the West, „les institutions communales et les privileges de la bourgeoisie sont le résultat des échanges plus frequents, du movement commercial plus intense qui groupe les marchands dans les faubourgs et absorbe peu à peu les anciennes cités épiscopales“18. Thus when western merchants settled in Byzantine towns, „les colonies étrangères représentent l’activité commerciale des centres urbains de l’Occident, tandis que la ville grecque se rapproche du type antique et conserve le rôle administratif et religieux de la πόλις. Les concessions italiennes représentent non seulement une technique commerciale plus avancée, mais aussi un sens plus évolué de la vie urbaine, aussi différent de celui du monde byzantin, que le navire hauturier des mers du Ponant l’était de la galère méditerranéenne“19. Even without his use of the words „bourgeois“ and „féodal“, it is clear that Brătianu belonged to a school of thought, indeed to an era of historical scholarship, which saw medieval urbanism as the binary opposite, but also the binary accompaniment, of feudalism. This explains why it was in the Soviet bloc, after the death of Stalin in 1953 (the same year that Brătianu died in a communist prison camp), that the problem of the Byzan­ tine city entered the regular agenda of Byzantine studies. Byzantium was safe for good Marxist-Leninists to study if it could be forced into the straitjacket of the feudal mode of production. Most Russian Byzantinists as well as the Czech Byzantinist E. Frances20 looked for feudalism in the social and economic structures that Byzantium had inherited from the Later Roman Empire, and they followed Rudakov and Brătianu in assuming the continuous existence of the Byzantine city as a traditional Greco-Roman social unit, dominated by a landowning elite who owned and exploited the resources of the surrounding countryside. There was, however, a famously dissident voice: Alexandr Petrovič Každan, who in an article published in 1954, and then more extensively in a monograph of 1960, presented Byzantine feudalism in terms of a profound discontinuity with the ancient world21. He posited the complete ruralisation of the Byzantine provincial society in the seventh and eighth centuries, together with the almost complete disappearance of provincial cities, whose reappearance in the eighth and ninth centuries and subsequent revival and growth was thus an entirely medieval phenomenon. Každan’s thesis offered the possibility of seeing the Byzantine town, indeed Byzantine civilization as a whole, as being on a similar trajectory of expansion to that which had long been accepted for the medieval West. The model proved immensely fruitful, and has ultimately come to prevail in histories of the middle Byzantine period. At the time, however, it was not accepted by Každan’s Soviet colleagues, or by the great émigré Russian Byzantinist, George Ostrogorsky, who in a paper delivered at Dumbarton Oaks in 1957, and published in Dumbarton Oaks Papers two years later, argued strongly that Byzantine cities remained alive and flourishing during the crisis period of the seventh century22. His arguments – the abundant gold coinage   Ibid. 105s.   Ibid. 17s. 19   Ibid. 18s. 20  E. Francès, La féodalité et les villes byzantines au XIIIe et au XIVe siècles. BSl 16 (1955) 76–96. 21  Alexandr Petrovič Každan, Vizantijskie goroda v VII–XI vekach [Byzantine Towns from the 7th to the 11th Century]. Sovetskaja Archeologija 21 (1954) 164–183; idem, Derevnja i gorod v Vizantii IX–X vv. Očerki po istorii vizantijskogo feodalizma [Village and Town in Byzantium, 9.–10. Centuries. Contributions to the History of Greek Feudalism] (Moskva 1960). 22  Ostrogorsky, Byzantine Cities (cit. n. 12). 17 18

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from the period, and the long lists of bishops in attendance at church councils of the seventh and eighth centuries – overlooked the question of everyday commercial exchange, and the quality of urban life in the numerous episcopal sees. However, Ostrogorsky’s artic­le helped to prolong the life of the continuity thesis. It was also symptomatic of the extent to which interest in the problem of the Byzantine town had spread to the wider international community of Byzantinists. The organisers of the 11th International Congress of Byzantine Studies, held at Munich in 1958, decided to include a main report on the Byzantine city. The result, Ernst Kirsten’s forty-eight page paper, „Die byzantinische Stadt“ was a landmark in the scholarship of the subject, and it still remains the only global treatment of the phenomenon that reviews the whole Byzantine period23. Kirsten established a periodization – early, middle and late – that makes perfect sense, and a method of analysis according to four aspects of urban history that remain perfectly valid, although one might be tempted to add to them or rearrange their order of priority. These aspects are: administrative (verwaltungsgeschichtlich), social (sozialgeschichtlich), settlement type (siedlungstypologisch oder geographisch), architectural and topographical (architektur­geschichtlich, archäologisch-topographisch). It is surprising that the economy does not feature as a distinct category of urban existence, and not altogether satisfactory that Kirsten subsumes it under the social aspect, as a function of occupational specialisation. One is also struck by the fact that the appearance and topography of the built environment are at the bottom of the list, and by the way the author almost apologises for bringing this into a historical discussion – something unimaginable in our interdisciplinary age, but very academically correct at the time, as one can see in the work of A. H. M. Jones whom Kirsten cites as the leading authority on the ancient Greek city24. Nevertheless, Kirsten’s essay is still worth reading, in the twenty-first century, because he was himself an interdisciplinary scholar, whose specialisation in the historical geography of Ancient Greece, together with his work on early medieval Italy for the „Reallexicon für Antike und Christentum“, allowed him to view the Byzantine evidence in a broad comparative perspective. He was, if I am not mistaken, the first to formulate the evolution of the early medieval Byzantine town as a transition from polis to kastron, and he came up with some valuable insights, e. g. the idea that the foundation of Constantinople was a boost to the manufacturing economies of other cities in the region, and the hypothesis of „die Beschränkung der Stadtbewohner auf die Besitzer kleinerer Güter auf dem Stadt-­ Territorium, damit eine Reduzierung der bewohnten Stadtfläche wie der Stadtfunktion. In ihr konnte die Polis wahrhaft zur ‚Stadt‘ im mittelalterlichen westeuropäisch Sinne werden, in der die Handwerker für die Bedürfnisse der umwohnenden Grundherren und ihrer Bauern produzieren“25. Kirsten also perceptively linked Cherson, on the Black Sea coast, with Venice, Naples and Amalfi as Byzantine frontier cities whose special adminis­ trative status was linked to their strategic frontier situation. In terms of the history of scholarship, Kirsten provided a link between the classicist perspective of A. H. M. Jones and the medievalist perspective of the Soviet-school Byzantinists.

23  Ernst Kirsten, Die byzantinische Stadt (Berichte zum XI. Internationalen Byzantinistenkongress, Heft V/3, München 1958). 24  Jones, The Greek City (cit. n. 7); see also idem, The Later Roman Empire 1 (Oxford 1964, reprint Baltimore 1986) 712–766. 25  Kirsten, Die byzantinische Stadt (cit. n. 23) 14.



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The 1950s ended with the third Settimane di studio at Spoleto being devoted to the subject of „La città nell’alto medioevo“. Byzantium was represented by Franz Dölger26. The 1960s began and ended with the first two monographs on the Byzantine city, already mentioned: Každan’s „Derevnja i gorod“ (1960), and Claude’s „Die byzantinische Stadt im 6. Jahrhundert“ (1969)27. Like Kirsten, Claude had interests that ranged beyond Byzantium – his thesis was on the cities of Bourges and Poitiers in the eleventh century, and his Habilitation on the first two centuries of the archbishopric of Magdeburg. After an introduction on „Der Forschungsstand“, Claude’s book had five chapters, devoted to „Die Topographie“, „Die Verfassung der frühbyzantinischen Stadt“, „Bevölkerung, Handel und Wirtschaft“, „Der Stadtbegriff des 6. Jahrhunderts“, and „Frühbyzantinische und fränkische Städte im 6. Jahrhundert“. We should note that he gave pride of place to the built environment, since his chapter on topography is not only the first chapter but also the longest, comprising substantial subsections on the walls, streets and squares, and monuments. Claude made thorough use of such archaeology as was available at the time, reproducing plans of sixteen sites. By focussing on the sixth century, Claude prudently avoided the controversy over urban continuity and rupture in the seventh century. Yet the controversy continued. The Greek Byzantinist Dionysios Zakythinos accepted the case for a rupture in urban life in mainland Greece during the ,Dark Ages‘, thus launching an intensified search for the symptoms and causes of settlement change throughout the whole of the Balkan peninsula during the whole of Late Antiquity28. Meanwhile, the Greek-American Byzantinist Speros Vryonis, who was strongly influenced by Ostrogorsky, was preparing to restate the case for urban continuity in Asia Minor. The 1970s opened with the publication of his massive book, which was dedicated to demonstrating that the disruption to Graeco-Roman civilization in Asia Minor did not really begin until the late eleventh century, when the Byzan­ tine state, weakened by feudalism and economic decline, failed to prevent the irruption of the Islamic, nomadic hordes29. „Obviously what had happened to the Byzantine urban settlements in the Balkans did not occur in Anatolia“30. This was the first major study of Byzantine Asia Minor, indeed of any medieval Byzantine region apart from the Peloponnese31, and it appeared to tip the balance decisively by the weight of its scholarship. Yet the Ostrogorskyan assumptions on which Vryonis based his assessment of early medieval Byzantium and the eleventh-century situation would be seriously challenged over the next twenty years, and his picture of a seamless transition from the ancient to the Middle Byzantine Anatolian town was soon to be shattered by a series of detailed case studies. In a series of publications, notably his three „urban biographies“ devoted to Sardis, Ankara, and Ephesus, Clive Foss argued from archaeological evidence, that in town after town the area of urban habitation dramatically contracted or shifted, usually to a fortified cita­

26   Franz Dölger, Die frühbyzantinische und byzantinisch beeinflusste Stadt (V.–VIII. Jahrhundert), in: Atti del 3o Congresso internazionale di studi sull’alto medioevo (Spoleto 1959) 65–100. 27   Cit. n. 1 and 21. 28  Dionysios A. Zakythinos, La grande brèche dans la tradition historique de l’Hellénisme du septième au neuvième siècle, in: Χαριστήριον εις Α. Κ. Ορλανδον, ΙΙΙ (Athens 1966) 320-327. 29  Speros Vryonis Jr, The Decline of Medieval Hellenism in Asia Minor and the Process of Islamization from the Eleventh through the Fifteenth Century (Berkeley–Los Angeles–London 1971). 30  Ibid. 7. 31  Antoine Bon, Le Péloponnèse byzantin jusqu’en 1204 (Paris 1951).

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del, and the quality of life within the inhabited area drastically declined32. Foss would subsequently be criticised for tying the beginnings of this process to a single, catastrophic event, the Persian invasions of the second decade of the seventh century33. Moreover, his conclusions did not entirely put an end to the continuity debate; rather, they shifted its focus to the question whether the dislocation he described was the end or the beginning of long-term changes, and the related question as to whether the process of change should be seen in terms of transformation or of decline. Foss’s reading of some evidence would be challenged, and new evidence would turn up. However, there is no denying that he was the first to read the archaeological evidence for the end of Antiquity in Asia Minor, and this evidence confirmed Každan’s reading of the numismatic data that pointed to the seventh century as the most critical phase of the crisis. Foss continued his work in the 1980s, with publications on Kotyaion (Kütahya)34 and on Byzantine fortifications35. By the end of the decade, Wolfram Brandes was able to publish a detailed monograph on the cities of Asia Minor in the seventh and eighth centuries that took Foss’s results into account36. It remains the most thorough and convincing overview of the disappearance or contraction of urban settlements – the polis to kastron transition – in „Dark Age“ Anatolia, although its clear picture has been nuanced by more recent archaeological work, especially the excavations at Amorion that began in 198737. The same decade saw the publication of major works on the Balkans: J.-M. Spieser’s mono­­graph on the early churches of Thessaloniki (1984)38, and, in the same year, a collective volume, edited by G. Dagron, on the cities and population of Late Antique Illyricum39. This was not quite the first collective volume on Late Antique urbanism, that honour belonging to a small collection edited by Robert Hohlfelder (1982)40. Both the international Byzantine congresses of the 1980s had papers on Byzantine urban life41. The Washington Congress of 1986 deserves special mention because it featured two methodologically innovative main papers: by Johannes Koder on the „network theory“ of ur32   Clive Foss, Byzantine and Turkish Sardis (Cambridge, Mass. 1976); idem, Late Antique and Byzantine Ankara. DOP 31 (1977) 27–87; idem, Ephesus after Antiquity. A Late Antique, Byzantine and Turkish City (Cambridge 1979). See also: idem, Archaeology and the „Twenty Cities“ of Byzantine Asia. AJA 81 (1977) 469–486. Most of Foss’s important articles on Byzantine Anatolia were reprinted in: idem, History and Archae­ ology of Byzantine Asia Minor (Variorum CSS 315, Aldershot 1990). 33   Clive Foss, The Persians in Asia Minor and the End of Antiquity. EHR 90 (1975) 721–747 [reprinted in idem, History and Archaeology of Byzantine Asia Minor (Variorum CSS 315, Aldershot 1990) XII]. 34  Clive Foss, Survey of Medieval Castles of Anatolia 1. Kütahya (BAR International Series 261, Oxford 1985). 35  Clive Foss–David Winfield, Byzantine Fortifications. An Introduction (Pretoria 1986). 36  Wolfram Brandes, Die Städte Kleinasiens im 7. und 8. Jahrhundert (Amsterdam 1989 bzw. Berliner byzantinistische Arbeiten 56, Berlin 1989). 37  For full documentation, see the project website listed in the Appendix. 38  Jean-Michel Spieser, Thessalonique et ses monuments du IVe au VIe siècle. Contribution à l’étude d’une ville paléochrétienne (Paris 1984). 39  Villes et peuplement dans l’Illyricum protobyzantin. Actes du colloque organisé par l’École française de Rome (Rome, 12–14 mai 1982), ed. Gilbert Dagron (Collection de l’École française de Rome 77, Rome 1984). 40   City, Town and Countryside in the Early Byzantine Era, ed. Robert L. Hohlfelder (Boulder, Colorado 1982). 41  They were held in Vienna (1981) and Washington, D. C. (1986) respectively. The papers from the ­Vienna Congress were published in JÖB 32/1–7 (1982); fascicles 2 and 3 contain papers on aspects of Byzantine urban life. For papers from the Washington Congress, see the following notes.



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ban distribution in early Byzantine Greece42, and by James Russell on the limitations of archaeological evidence, based on his experience in excavating the site of Anemurium in Cilicia43. There was also a paper by Cyril Mango on the urban development of ­Constantinople44, which largely reproduced the results of a small book published in Paris the previous year45. Despite everything that had been written on the political and social history and the topography of Constantinople in the past, this was the first attempt to put it together in a focused examination of the built environment. Mango had previously paid attention to cities in his general book on Byzantium, which broke new ground in devoting a whole chapter to „The disappearance and revival of cities“46. Two other publications of the 1980s deserve to be recorded. Hugh Kennedy’s „From Polis to Madina“ discussed the cities of sixth-century Syria, and concluded that the local transition from the Late Roman to the Islamic city, with its narrow, winding souks and its lack of secular monumental architecture, was under way well before the Islamic conquests47. Michael Angold, in „The Shaping of the Middle Byzantine ‚City‘“, portrays the medieval Byzantine provincial town or city as a kastron that failed to fulfil its urban potential because it was „evolving into a centre of noble privilege and military organization“, where the dominance of archontes and dynastai, the parasitic pull of Constantinople, and the intrusion of Italian businessmen from the eleventh century onwards constricted the nascent market economy48. That Angold put the word „City“ in quotation marks is telling. His picture was more nuanced but not so different from that of Brătianu, and while incorporating Každan’s discontinuity model, it reproduced the then still prevailing notion of the Byzantine city following the ancient city as a consumer city serving the needs of non-productive, landowning rentiers. The same notion was reinforced in the two important studies of the Byzantine economy by Michael Hendy and Alan Harvey49. Neither work has much to say about towns, presenting them as redistribution centres in an essentially fiscal and agricultural system, whose owners aimed at autarky rather than pre-capitalist accumulation of wealth. Nor 42   Johannes Koder, The Urban Character of the Early Byzantine Empire. Some Reflections on a Settlement Geographical Approach to the Topic, in: The 17th International Byzantine Congress, Dumbarton Oaks/ Georgetown University, Washington, D. C., August 3–8, 1986. Major Papers (New Rochelle, N. Y. 1986) 155– 187. Koder has developed this approach in later publications, notably: idem, Land Use and Settlement: Theoretical Approaches, in: General Issues in the Study of Medieval Logistics. Sources, Problems and Methodologies, ed. John F. Haldon (History of Warfare 36, Leiden 2006) 159–183; idem, Regional Networks in Asia Minor during the Middle Byzantine Period, Seventh–Eleventh Centuries, in: Trade and Markets in Byzantium, ed. Cécile Morrisson (Dumbarton Oaks Byzantine Symposia and Colloquia, Washington, D. C. 2012) 147–175. 43  James Russell, Transformations in Early Byzantine Urban Life: The Contributions and Limitations of Archaeological Evidence, in: 17th International Byzantine Congress (cit. n. 42) 137–154. 44  Cyril Mango, The Development of Constantinople as an Urban Center, in: 17th International Byzantine Congress (cit. n. 42) 117–136; reprinted in: idem, Studies on Constantinople (Variorum CSS 394, Aldershot 1993) I. 45  Cyril Mango, Le développement urbain de Constantinople (IVe–VIIe siècles) (Travaux et Mémoires du Centre d’histoire et civilisation de Byzance. Monographies 2, Paris 1985, reprinted with addenda 1990, 2004). 46  Cyril Mango, Byzantium, the Empire of New Rome (London 1980). 47   Hugh Kennedy, From Polis to Madina. Urban Change in Late Antique and Early Islamic Syria. Past and Present 106 (1985) 3–27. See also idem, The Last Century of Byzantine Syria: A Reinterpretation. Byzantinische Forschungen 10 (1985) 141–183. 48  Michael Angold, The Shaping of the Middle Byzantine „City“. Byzantinische Forschungen 10 (1985) 1–37. 49  Michael F. Hendy, Studies in the Byzantine Monetary Economy, c. 350–1450 (Cambridge 1985); Alan Harvey, Economic Expansion in the Byzantine Empire, 900–1200 (Cambridge 1989).

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did J.-M. Spieser discuss the economic function of the town in the chapter that he contri­ buted to a collaborative volume on the early Byzantine economy50. I may add that I myself made two complementary (and superficially contradictory) contributions to the picture in a pair of articles where I presented, in one case, a profile of Byzantine social snobbery as an essentially urban and nouveau-riche phenomenon, and in the other case, an argument for the primacy of the oikos as the basic social and settlement unit of the Byzantine elite51. The 1990s were notable for major advances in the study of the urban history of Constantinople: a re-edition of the tenth-century trade regulations, the Book of the Eparch52, a monograph on the city’s development in the medieval period (1996)53, and three conferences held at Oxford (1993), Dumbarton Oaks (1998), and Istanbul (1999); the proceedings were published respectively in 199554, 200055, and 200156. The monumental planning of Constantinople was compared with that of Rome and Ephesos in a monograph by F. A. Bauer (1996)57. 1996 also saw the appearance of studies by Clive Foss on Nicaea and Nicomedia58, as well as the first monograph on Byzantine Thessaloniki since Tafrali59, and the comparative study of early Byzantine urban space in Thessaloniki and neighbouring cities60. Meanwhile, Alexandr Každan, now established at Dumbarton Oaks, returned to the question of Byzantine towns in two of his last publications. In a comparison of Byzantine and Italian cities in the Later Middle Ages (1995), he concluded that they were more similar, and the activity of Byzantine traders and craftsmen was greater, than generally believed61. He also returned to the question of Byzantine urban identity, and the terminology of polis and kastron as used by the main historical sources for the transition from antiquity to the Middle Ages62. 50   Jean-Michel Spieser, L’évolution de la ville byzantine de l’époque paléochrétienne à l’iconoclasme, in: Hommes et richesses dans l’Empire byzantin, I: IVe–VIIe siècle (Réalités byzantines 1, Paris 1989) 97–106. 51  Paul Magdalino, Byzantine Snobbery and The Byzantine Aristocratic Oikos, in: The Byzantine Aristocracy, IX to XIII Centuries, ed. Michael Angold (BAR International Series 221, Oxford 1984) 58–78 and 92–111, both reprinted in Paul Magdalino. Tradition and Transformation in Medieval Byzantium (Variorum CSS 343, Aldershot 1991) I–II. 52  Das Eparchenbuch Leons des Weisen, ed. Johannes Koder (CFHB 33, Wien 1991). 53   Paul Magdalino, Constantinople médiévale. Études sur l’évolution des structures urbaines (Travaux et Mémoires du Centre de recherche d’histoire et civilisation de Byzance. Monographies 9, Paris 1996). 54  Constantinople and its Hinterland. Papers from the Twenty-seventh Spring Symposium of Byzantine Studies, Oxford, April 1993, ed. Cyril Mango–Gilbert Dagron (Society for the Promotion of Byzantine Studies: Publications 3, Aldershot 1995). 55   Eight papers from the symposium, plus two other articles on Constantinople, were published in DOP 54 (2000). 56   Byzantine Constantinople. Monuments, Topography and Everyday Life, ed. Nevra Necipoğlu (The Medieval Mediterranean 33, Leiden 2001). 57  Franz Alto Bauer, Stadt, Platz und Denkmal in der Spätantike. Untersuchungen zur Ausstattung des öffentlichen Raums in den spätantiken Städten Rom, Konstantinopel und Ephesos (Mainz 1996). 58  Clive Foss, A Byzantine Capital and Its Praises (The Archbishop Jakovos Library of Ecclesiastical and Historical Sources 21, Brookline, Mass. 1996); idem, Survey of Medieval Castles of Anatolia 2. Nicomedia (BAR International Series 261, Oxford 1996). 59  Angeliki Konstantakopoulou (Κωνσταντακοπουλου), Βυζαντινή Θεσσαλονίκη. Χώρος και ιδεο­ λογία [Byzantine Thessaloniki. Space and Ideology] (Ioannina 1996). 60   Kara M. Hattersley-Smith, Byzantine Public Architecture between the Fourth and Early Eleventh Centuries AD with Special Reference to the Towns of Byzantine Macedonia (Makedonikē bibliothēkē 83, Thessaloniki 1996). 61  Alexander Kazhdan, The Italian and Late Byzantine City. DOP 49 (1995) 1–22. 62  Alexander Kazhdan, Polis and kastron in Theophanes and in Some Other Historical Texts, in: ΕΥΨΥΧΙΑ. Mélanges offerts à Hélène Ahrweiler 2 (Publications de la Sorbonne. Série Byzantina Sorbonensia 16, Paris 1998) 345–360.



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The nature of this transition continued, indeed, to be the main problem that drove research on the Byzantine city. Catherine Saliou referred to it in the preface to her new critical edition, with translation and commentary, of the sixth-century Palestinian book of urban planning regulations by Julian of Ascalon: „dans ce petit traité du droit de voisinage, les maisons se construisent et les ateliers fonctionnent, les rues s’animent, l’eau coule dans les canalisations, le droit n’est pas une discipline universitaire mais un ensemble de pratiques, et la ville médiévale commence à percer sous la ville antique“63. Three important articles of the 1990s proposed different approaches to the process by which the medieval city began to show through. Most provocatively, Mark Whittow took a fresh look at the changes that preceded the seventh-century break, and came up with a challenging new interpretation: the cities were not in a state of economic decline in the second half of the sixth century, and the replacement of the city councils by more informal associations of local notables with the bishop at their head, did not diminish the vitality of urban life64. Archie Dunn dissected the complexity of settlement typology and transition in the Balkans65, while Clive Foss, moving his methodology from Asia Minor to Syria, found overall a longue durée of urban prosperity into the seventh century, though with local variations that showed a balance in favour of the countryside66. The decade also saw some attempt at synthesis. Averil Cameron’s chapter on „Urban change and the end of antiquity“ offered a balanced overview of the new data from the full extent of the Roman Mediterranean67, while the trickle of collaborative publications continued68, and gathered pace with the European Science Foundation’s multinational project on the „Transformation of the Roman World (TRW)“, which produced two volumes on towns and urbanism69. Underlying all these ventures was the more or less stated conviction that the changes undergone by the cities of the Roman and post-Roman world in the fourth to sixth centuries could not simply be characterised in terms of decline. Indeed, part of the agenda of the TRW was to find an alternative narrative to the „Decline and Fall of the Roman Empire“ as the beginning of European history. Not all historians of the period were happy with this, and the editors of one of the volumes on towns, Gian Pietro Brogiolo and Bryan Ward-Perkins registered their unease in their introduction. „From the perspective of any research into urbanism that starts with the Roman period, it is very difficult to view developments in the sixth and seventh centuries, except for the late antique Christianization of the city, as part of some neutral (or even positive) ‚transformation‘ “70. 63   Catherine Saliou, Le traité d’urbanisme de Julien d’Ascalon (Travaux et Mémoires du Centre de recherche d’histoire et civilisation de Byzance. Monographies 8, Paris 1996) 7. 64  Mark Whittow, Ruling the Late Roman and Early Byzantine City: A Continuous History. Past and Present 129 (1990) 3–29, reprint in: Late Antiquity on the Eve of Islam, ed. Averil Cameron (Formation of the Classical Islamic World 1, Farnham 2013) Nr. 6. 65  Archibald Dunn, The Transition from polis to kastron in the Balkans (III–VII cc.): General and Regional Perspectives. BMGS 18 (1994) 60–80. 66  Clive Foss, Syria in Transition, A.D. 550–750: An Archaeological Approach. DOP 51 (1997) 189–269. 67  Averil Cameron, The Mediterranean World in Late Antiquity, AD 395–600 (London 1993, reprint 2012) 152–175. 68  The City in Late Antiqiuity, ed. John Rich (London–New York 1992). 69  The Idea and Ideal of the Town between Late Antiquity and the Early Middle Ages, ed. Gian Pietro Brogiolo–Bryan Ward-Perkins (The Transformation of the Roman World 4, Leiden–Boston–Köln 1999); Towns and their Territories between Late Antiquity and the Early Middle Ages, ed. Gian Pietro Brogiolo– Nancy Gauthier–Neil Christie (The Transformation of the Roman World 9, Leiden–Boston–Köln 2000). 70  Idea and Ideal (cit. n. 69) XV.

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Ward-Perkins would go on to write a book in which he fully rehabilitated the idea that Rome declined and fell, and that this was a bad thing71. His focus was on the West, and he recognised that the big disruption in the East did not occur until the seventh century, a proposition with which most Byzantinists would now agree72. And yet the first ever monograph devoted to the city in Late Antiquity, and based largely on the evidence from the eastern provinces in the fifth and sixth centuries, would be published in 2001 under the title „The Decline and Fall of the Ancient City“73. Another major monograph that appeared in 2006 would also construct a narrative of decline from an enormous wealth of sixth-century evidence74, and a recent detailed survey of monumental space in the cities of western Asia Minor in the fifth and sixth centuries does not conclude on a happier note75. Since 2000, research on the Late Antique and Byzantine city has mushroomed enormously, and to do justice to it would require a long review article in its own right. Here I can only draw attention to the main publications and trends. There have been significant studies of individual cities (Aizanoi76, Amorion77, Antioch78, Athens79, Cherson80, Constantinople81,

  Bryan Ward-Perkins, The Fall of Rome and the End of Civilization (Oxford 2005).   The author had dealt more specifically with the East, in an article where he nuanced the arguments of Foss and Kennedy: Bryan Ward-Perkins, Urban Survival and Urban Transformation in the Eastern Mediterranean, in: Early Medieval towns in the Western Mediterranean. Ravello, 22–24 September 1994, ed. Gian Pietro Brogiolo (Documenti di archeologia 10, Mantova 1996) 143–153. 73  John H. W. G. Liebeschuetz, The Decline and Fall of the Roman City (Oxford 2001). 74  Saradi, Byzantine City (cit. n. 1). 75   Ine Jacobs, Aesthetic Maintenance of Sacred Space. The „Classical“ City from the 4th to the 7th c. AD (Orientalia Lovaniensia Analecta 193, Leuven 2013). 76  Philipp Niewöhner, Aizanoi, Dokimion und Anatolien. Stadt und Land, Siedlungs- und Steinmetzwesen vom späteren 4. bis ins 6. Jahrhundert n. Chr. (Archäologische Forschungen 23 = Aizanoi 1, Wiesbaden 2007); see also: idem, Aizanoi and Anatolia. Town and Countryside in Late Antiquity. Millennium 3 (2006) 239–253. 77  Among several publications (listed in the excavation project’s website: http://www.amoriumexcavations. org/ [accessed May 2015]), see: Amorium Reports 3: Final Reports and Technical Studies, ed. Christopher S. Lightfoot–Eric A. Ivison (Istanbul 2012). 78   Les sources de l’histoire du paysage urbain d’Antioche sur l’Oronte. Actes des journées d’études des 20 et 21 septembre 2010 (Digital publication, Paris 2012). 79   Charalambos Bouras, Βυζαντινή Ἀθήνα, 10ος–12ος αἰ [Byzantine Athens, 10th–12th Centuries] (Athens 2010). 80   Alla I. Romančuk, Studien zur Geschichte und Archäologie des byzantinischen Cherson (Colloquia Pontica 11, Leiden–Boston 2005). 81  Sarah Bassett, The Urban Image of Late Antique Constantinople (Cambridge 2004); Paul Magdalino, Studies on the History and Topography of Byzantine Constantinople (Variorum CSS 855, Aldershot 2007); Peter Hatlie, The Monks and Monasteries of Constantinople ca. 350–850 (Cambridge 2007); James Crow, The Infrastructure of a Great City: Earth, Walls and Water in Late Antique Constantinople, in: Technology in Transition, A. D. 300–650, ed. Luke Lavan–Enrico Zanini–Alexander Sarantis (Late Antique Archaeology 4, Leiden 2007) 261–286; Çiğdem Kafesçoğlu, Constantinopolis/Istanbul. Cultural Encounter, Imperial Vision, and the Construction of the Ottoman Capital (University Park, PA 2009); Hippodrome/ Atmeydanı. A Stage for Istanbul’s History 1, ed. Brigitte Pitarakis. 2, ed. Ekrem Işın (Istanbul 2010); Two Romes. Rome and Constantinople in Late Antiquity, ed. Lucy Grig–Gavin Kelly (Oxford 2012); Alessandra Ricci, Architettura costantiniana a Costantinopoli, in: Costantino I. Enciclopedia costantiniana. Sulla figura e l’immagine dell’imperatore del cosidetto editto di Milano, 313–2013, vol. 2 (Roma 2013) 759–775. 71 72



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Ephesos82, Germia83, Miletos84, Thessaloniki85), major monographs on the city in general, or groups of cities, at the end of antiquity86, some memorable general articles87 and a profusion of collaborative volumes88. Discussion of the urban context features in recent volumes on the Byzantine economy89, and in three major works of synthesis90. On the other hand, chapters on cities are not as ubiquitous as one might expect in the general literature on Byzantium that has proliferated over the past fifteen years, neither in the introductions, textbooks, handbooks

  Ephesos in byzantinischer Zeit, ed. Falko Daim–Sabine Ladstätter (Mainz 2011).   Philipp Niewöhner et al., Bronze Age höyüks, Iron Age hilltop forts, Roman poleis and Byzantine pilgrimage in Germia and its vicinity. „Connectivity“ and a Lack of „Definite Places“ on the Central Anatolian High Plateau. Anatolian Studies 63 (2013) 97–136. 84  Philipp Niewöhner, Neue spät- und nachantike Monumente von Milet und der mittelbyzantinische Zerfall des anatoloischen Städtewesens. AA 2013/2 165–234. 85   Symposium on Late Byzantine Thessalonike, ed. Alice-Mary Talbot (DOP 57, Washington, D. C. 2003). 86  In addition to the already cited monographs of Liebeschuetz, Saradi and Jacobs (cit. n. 1, 71–73), see Luca Zavagno, Cities in Transition: Urbanism in Byzantium between Late Antiquity and the Early Middle Ages (BAR International Series 2030, Oxford 2009). 87   Jean-Michel Spieser, The City in Late Antiquity: A Re-Evaluation, in: Urban and Religious Spaces in Late Antiquity and Early Byzantium (Variorum CSS 706, Aldershot 2001) I; Hans Buchwald, Byzantine Town Planning – Does it Exist?, in: Material Culture and Well-Being in Byzantium (400–1453). Proceedings of the International Conference (Cambridge, 8–10 September 2001), ed. Michael Grünbart–Ewald Kislinger–Anna Muthesius–Dionysios Ch. Stathakopoulos (Veröffentlichungen zur Byzanzforschung 11 = ÖAW, phil.-hist. Kl., Denkschriften 356, Wien 2007) 57–73; Marlia Mundell Mango, Monumentality versus Economic Vitality: A Balance struck in the Late Antique City?, in: Proceedings of the 22nd International Congress of Byzantine Studies, Sofia 22–27 August 2011, vol. 1 (Sofia 2011) 239–262. 88   Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung. Symposion vom 14. bis 16. Februar 2000 in HalleSaale, ed. Gunnar Brands–Hans-Georg Severin (Spätantike, frühes Christentum, Byzanz. Reihe B: Studien und Perspektiven 11, Wiesbaden 2003); Urban Centers and Rural Contexts in Late Antiquity, ed. Thomas S. Burns–John W. Eadie (East Lansing, MI 2001); Post-Roman Towns, Trade and Settlement in Europe and Byzantium 1. The Heirs of the Roman West. 2. Byzantium, Pliska, and the Balkans, ed. Joachim Henning (Millennium Studies 5, Berlin–New York 2007); Die Stadt in der Spätantike – Niedergang oder Wandel? Akten des internationalen Kolloquiums in München am 30. und 31. Mai 2003, ed. Jens-Uwe Kraus–Christian Witsche (Historia Einzelschriften 190, Stuttgart 2006); Recent Research in Late-Antique Urbanism, ed. Luke Lavan (JRA Supplementary Series 42, Portsmouth, RI 2001); Urbanism in Western Asia Minor. New Studies on Aphrodisias, Ephesos, Hierapolis, Pergamon, Perge and Xanthos, ed. David Parrish (JRA Supplementary Series 45, Portsmouth, RI 2001); The Transition to Late Antiquity on the Danube and Beyond, ed. Andrew G. Poulter (Proceedings of the British Academy 141, Oxford 2007); The City in the Classical and Post-Classical World. Changing Contexts of Power and Identity, ed. Claudia Rapp–Harold A. Drake (Cambridge 2014); New Cities in Late Antiquity (Late 3rd to 7th Centuries AD): Documents and Archaeology, ed. Efthymios Rizos–Alessandra Ricci (Bibliothèque de l’Antiquité Tardive, Turnhout 2016, forthcoming); Byzantine Greece: Microcosm of Empire?, ed. Archibald W. Dunn (Society for the Promotion of Byzantine Studies Publications, Farnham forthcoming). 89   Especially in: Economic History of Byzantium 1–3, ed. Angeliki E. Laiou (Washington, D. C. 2002); Trade and Markets in Byzantium, ed. Cécile Morrisson (Dumbarton Oaks Byzantine Symposia and Colloquia, Washington, D. C. 2012); less so in: Byzantine Trade, 4th–12th Centuries. The Archaeology of Local, Regional and International Exchange. Papers of the Thirty-eighth Spring Symposium of Byzantine Studies, St John’s College, University of Oxford, March 2004, ed. Marlia Mundell Mango (Society for the Promotion of Byzantine Studies Publications 14, Farnham 2009). 90  Chris Wickham, Framing the Early Middle Ages. Europe and the Mediterranean 400–800 (Oxford 2005) 591–692; Leslie Brubaker–John Haldon, Byzantium in the Iconoclast Era c. 650–850. A History (Cambridge 2011) 531–572; Florin Curta, The Edinburgh History of the Greeks, c. 500 to 1050. The Early Middle Ages (Edinburgh 2011) passim but especially 48–65. 82 83

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and companions91, nor in the catalogues from the blockbuster exhibitions of Byzantine art92. The absence is curious given the increasing emphasis on everyday material culture. At the risk of gross over-simplification and omission, I would point to the following results that point to the directions for future research: 1. The major monographs have broadly reinforced the idea of a decline of urban monumental space that went along with a decline in civic institutions, in the fifth and sixth centuries. However, the chronology of decline, the role of imperial government in promoting or preventing it, and the function of church buildings in the planning (or lack of it) of public urban space do not present a clear and consistent picture. Moreover, as the archaeological evidence for commercial and artisanal vitality throughout the period and well into the seventh century continues to accumulate, the relationship between this activity and the decline of the traditional urban fabric becomes ever harder to rationalise93. 2. Archaeological investigation at various sites, notably the excavations at Amorion, Ephesos and Miletos, has shown that the transition from polis to kastron was a less abrupt and more complex process than previously imagined. 3. The archaeology of the countryside in Greece, Syria and Asia Minor suggests that in areas where the urban habitat was stagnant or declining, rural society prospered and expanded. The distinctions between the towns and other types of settlement – above all the village and the rural fortress, but also the monastery, the extra-urban pilgrim sanctuary, and the trading post (emporion) – were becoming less clear. The typology, and relative topography, of settlements from the sixth to ninth centuries should be high on the agenda for future research. It is clearly becoming less and less appropriate to describe the situation purely in terms of urban decline or even ruralisation; what we are seeing, it seems to me, is the fragmentation and dispersal, followed in some cases by the regrouping and enclosure, for defence reasons, of the constituent elements of ancient urbanism. The work of Myrto Veikou in Epiros94, Archie Dunn in southern Boiotia95, and of Philipp Niewöhner for Asia Minor has been most instructive in this regard. Particularly challenging is Niewöhner’s thesis of the ruralisation of the provincial elite in Asia Minor, which takes up and develops the theme of the „flight of the 91  Exceptions are: The Oxford History of Byzantium, ed. Cyril Mango (Oxford 2002); The Cambridge Companion to the Age of Justinian, ed. Michael Maas (Cambridge 2005); The Oxford Handbook of Byzantine Studies, ed. Elizabeth Jeffreys–John Haldon–Robin Cormack (Oxford 2008). One should also mention: The Cambridge Ancient History XIV. Late Antiquity: Empire and Successors, A. D. 425–600, ed. Averil Cameron–Bryan Ward-Perkins–Michael Whitby (Cambridge 2000); this actually contains a wealth of discussion on cities, but divided between the sections on administration, economy, provinces and architecture. 92   The outstanding exception is the exhibition Heaven and Earth: Art of Byzantium from Greek Collections. National Gallery of Art, Washington D. C., and J. Paul Getty Museum, Los Angeles, 2013–2014 (Athens 2013); the second volume of the catalogue was devoted entirely to studies of urbanism in Byzantine Greece, with articles on 14 cities: Heaven and Earth 2 (cit. n. 4). To some extent, this was anticipated in an earlier exhibition: articles by Georgios P. Lavvas and Eutychia Kourkoutidou-Nikolaidou, in: Everyday Life in Byzantium, ed. Demetra Papanikola-Bakirtzi (Athens 2002). 93   The best discussion to date is Luke Lavan, From polis to emporion? Retail and Regulation in the Late Antique City, in: Trade and Markets (cit. n. 89) 333–377. 94  Myrto Veikou, Byzantine Epirus. A Topography of Transformation. Settlements of the Seventh–Twelfth Centuries in Southern Epirus and Aetoloacarnania, Greece (The Medieval Mediterranean 95, Leiden 2012). 95   Archibald Dunn, The Rise and Fall of Towns, Loci of Maritime Traffic, and Silk Production: the Problem of Thisvi-Kastorion, in: Byzantine Style, Religion and Civilization. In Honour of Sir Steven Runciman, ed. Elizabeth Jeffreys (Cambridge 2006) 38–71.



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curiales“ that A. H. M. Jones and J. H. W. G. Liebeschuetz had seen as the main factor in the decline of the ancient city96. Niewöhner considers the rural prosperity of Late Antique Anatolia to be an indication that the urban elites had transferred their residence and their investment to the countryside. They only returned to the cities in the seventh-century conditions of foreign invasion, and it is this, he believes, along with the local stationing of troops, that explains the new, reduced fortification circuits built in that period, e. g. at Miletos, Ephesos, Patara, and Sagalassos. But even before the Arab invasion threat had passed, the elites resided by preference out of town, and they were completely countrified in the peaceful and prosperous conditions of the eleventh century, before the Seljuks arrived. It is an attractive explanation, and the idea of foreign invasions boosting urban concentration by a security threat is one that could be, and has been, usefully applied elsewhere97. 4. In the context of considering the breakdown of cities into their constituent elements, it is important to note that much pioneering work has been done on individual components of the urban fabric (other than churches, which have always been privileged); I would particularly draw attention to recent publications on Late Antique housing98, governors’ residences99, shops and markets100, water supply101, and fortifications102. 5. Although it is the late antique sites that have received most investigation and yielded the richest results, significant advances have been made in the study of the medieval, and particularly the late medieval period. The 2003 volume of Dumbarton Oaks Papers published the papers from a symposium on late Byzantine Thessaloniki. The doctoral thesis of Niels Gaul, published in 2011, pioneered the study of the „literary“ ideo­ logy of the medieval Byzantine city by an exhaustive analysis of the rhetorical oeuvre of Thomas Magistros within the civic and urban framework of his native Thessalo­-

96   See his publications on Aizanoi and Miletos (cit. n. 76, 84) and idem, What Went Wrong? Decline and Ruralisation in Eleventh-Century Anatolia. The Archaeological Record, in: Eleventh-Century Byzantium. Social Change in Town and Country, ed. James Howard-Johnston (Oxford, forthcoming). 97   By Mark Whittow, Nikopolis ad Istrum: Backward and Balkan? in: The Transition to Late Antiquity (cit. n. 88) 375–390. On the reduction of fortified areas, see also Chavdar Krilov, The Reduction of the Fortified City Area in Late Antiquity: Some Reflections on the End of the „Antique City“ in the Lands of the Eastern Roman Empire, in: Post-Roman Towns (cit. n. 88) 2 3–24. 98   Housing in Late Antiquity. From Palaces to Shops, ed. Luke Lavan–Lale Özgenel–Alexander Sarantis, with Simon Ellis–Yuri Marano (Late Antique Archaeology 3/2, Leiden 2005). 99   Luke Lavan, The Praetoria of Civil Governors in Late Antiquity, in: Recent Research (cit. n. 88) 39–56. 100  Efthymios Rizos, The Late Antique Walls of Thessalonica and their Place in the Development of Eastern Military Architecture. JRA 24 (2011) 451–468; Luke Lavan, Fora and Agorai in Mediterranean Cities during the 4th and 5th c. A. D., in: Social and Political Life in Late Antiquity, ed. William Bowden–Adam Gutteridge–Carlos Machado (Late Antique Archaeology 3/1, Leiden 2005) 195–249; idem, From polis to emporion? (cit. n. 93) 333–377 (as the title shows, this a fundamental discussion of the transformation of urban space). 101 James Crow–Jonathan Bardill–Richard Bayliss, The Water Supply of Byzantine Constantinople (Journal of Roman Studies Monograph 11, London 2008); Jim Crow, Ruling the Waters: Managing the Water Supply of Constantinople, AD 330–1204. Water History 4 (2012) 35–55; Elisabetta Giorgi, Water Technology at Gortyn in the 4th–7th c. A. D.: Transport, Storage and Distribution, in: Technology in Transition (cit. n. 81) 287–320. 102 James Crow, Fortifications and the Late Roman East: From Urban Walls to Long Walls, in: War and Warfare in Late Antiquity: Current Perspectives, ed. Alexander Sarantis–Neil Christie (Late Antique Archaeology 8/1–2, Leiden 2013) 397–432; idem, Sinop, the Citadel Walls, Description and Commentary, in: Legends of Authority. The 1215 Seljuk Inscriptions of Sinop Citadel, Turkey (Istanbul 2014) 21–60.

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niki103. Teresa Shawcross has pursued the question of the constitutional reality and the political thought that were forming in Thessaloniki at precisely this time, and related it to the phenomenon of Byzantium’s developing links, at both the dynastic and the commercial level, with the civic world of northern Italy104. 6. Greek scholars working on Greek sites have been particularly active during the last few years in publishing the urban history of the medieval period: monographs on Athens105, Byzantine settlements in Macedonia106 and Epiros107, and the Late Byzan­ tine city108, a volume on Byzantine towns edited by Tonia Kiousopoulou109, and a catalogue of an exhibition on Byzantine Greece with a separate volume devoted entirely to towns110. I would single out Kiousopoulou’s edited volume as an exemplary reflection of current scholarship in the field: interdisciplinary; combining synthetic, original and revisionist approaches; posing basic conceptual and methodological questions. The collection is particularly rich on the Later Middle Ages, with contributions that deal with the aristocracy, the demography, the urban identity, and the popular revolts of late Byzantine towns. It is interesting that these articles are not concerned to compare the Byzantine town with its western counterpart, and insofar as they imply a comparison, they reinforce the notion, going back to Brătianu, that the late Byzantine town was primarily the militarised residence of a local landowning aristocracy. But Kiousopoulou takes a different line in her more recent monograph on the „invisible Byzantine towns“, where she emphasises the indirect evidence for trade and industry, and identifies the demos as the main defining element in the larger towns, which she distinguishes qualitatively from the smaller or purely administrative settlements. Thus Každan’s 1995 comparison between the Italian and the Byzantine town of the Later Middle Ages may yet prove to point the way forward for the study of this period111, just as his work of the 1950s and 1960s provided our model for the early medieval discontinuity of Byzantine urban life. 7. Our picture of this discontinuity is currently being enriched by the investigation of a site that adds a new twist to the relationship between polis and kastron. Since 2010 the Norwegian Institute in Athens has been conducting surveys of the abandoned mountaintop site at Kastro Apalirou on the island of Naxos112. By 2013 the team had established that this heavily fortified settlement had a recognisable street plan, with 112 103   Niels Gaul, Thomas Magistros und die spätbyzantinische Sophistik. Studien zum Humanismus urbaner Eliten in der frühen Palaiologenzeit (Mainzer Veröffentlichungen zur Byzantinistik 10, Wiesbaden 2011). 104  Teresa Shawcross, Mediterranean Encounters before the Renaissance: Byzantine and Italian Political Thought Concerning the Rise of Cities, in: Renaissance Encounters: Greek East and Latin West, ed. Marina S. Brownlee–Dimitri Gondicas (Medieval and Renaissance Authors and Texts 8, Leiden 2013) 57–93. 105  Bouras, Βυζαντινή Ἀθήνα (cit. n. 79). 106  Phlora G. Karagianne, Οι Βυζαντινοί οικισμοί στη Μακεδονία μέσα από τα αρχαιολογικά δεδομένα (4ος-15ος αιώνας) [Byzantine Settlements in Macedonia Based on Archaeological Evidence (4th– 15th Centuries)] (Thessaloniki 2010). 107   Veikou, Byzantine Epirus (cit. n. 94). 108  Tonia Kiousopoulou, Οι „αόρατες“ βυζαντινές πόλεις στον ελλαδικό χώρο (13ος–15ος αιώνας) [The „Invisible“ Byzantine Towns in the Greek Area (13th–15th Centuries)] (Athen 2013). 109   Οι βυζαντινες πόλεις (8ος–15ος αιώνας). Προοπτικρευνας lές της έρευνας και νέες ερμηνευτικές προσεγγίσεις [Byzantine Towns (8th–15th Centuries). Perspectives of Research and New Explaining Approachees], ed. Tonia Kiousopoulou (Rethymno 2012). 110  Heaven and Earth, ed. Albani–Chalkia (cit. n. 4). 111  Kazhdan, The Italian and Late Byzantine City (cit. n. 61). 112  http://www.hf.uio.no/iakh/english/research/projects/naxos/survey/ [accessed May 2015].



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differentiated buildings, including at least two churches, more than one type of house, and forty-eight cisterns fed with run-off rainwater by an elaborate system of channels. An olive press and vestiges of agricultural terracing on the hillside confirmed that the settlement was designed for permanent occupation. The site was clearly abandoned after the Latin conquest in 1207; the terminus post quem for its development was provided by finds of seventh-century coins and pottery. This was evidently a kastron that was more than a simple fortress, created by the imperial government as a secure alternative to the ancient coastal settlements in the face of the Arab naval threat to the Aegean113. 8. The Byzantine city is now acquiring a profile as a source and inspiration of literature, and not merely as an object that has to be documented by literary sources for want of hard documentary evidence. Scholars are increasingly sensitive to the urban context of reading and writing in Byzantium114, and to the civic overtones of Byzantine imitation of the rhetoric of the Second Sophistic. Twenty years ago, Helen Saradi showed how the praises and descriptions of cities were an important part of the urban culture and the urban image of Late Antiquity115, and her analysis of the disjunction between the rhetorical celebration of civic beauty (kallos) and the degradation of civic space in the sixth century remains an original and irrefutable component of her thesis of urban decline116. The theme of the encomiastic description (ekphrasis) of the city has been taken up for later periods and by other scholars, most notably in a colloquium dedicated to the subject (Prague, November 2011)117. Here and elsewhere, the sources for the literary image of Constantinople received renewed attention118, both the Laudes Constantinopolitanae that Erwin Fenster had studied in the 1960s119, and the patriographic literature of urban legends that had been put on the map by three important publications of the 1980s120. Finally, it is worth noting that the special relationship be113  David Hill–Håkon Roland–Knut Ødegård, Kastro Apalirou, Naxos, a 7th-Century Urban Foundation, in: New Cities in Late Antiquity (cit. n. 88). 114  See e. g. Claudia Rapp, Literary Culture under Justinian, in: The Cambridge Companion (cit. n. 91) 376–395, and the recent studies of 11th-c. poetry by Paul Magdalino, Cultural Change? The Context of Byzan­tine Poetry from Geometres to Prodromos, in: Poetry and its Contexts in Eleventh-Century Byzantium, ed. Floris Bernard–Kristoffel Demoen (Farnham 2012) 19–36; Floris Bernard, Writing and Reading Byzantine Secular Poetry, 1025–1081 (Oxford Studies in Byzantium, Oxford 2014). 115  Helen Saradi, The Kallos of the Byzantine City: The Development of a Rhetorical Topos and Historical Reality. Gesta 34 (1995) 37–56. 116   Further developed in Saradi, The Byzantine City (cit. n. 1). 117   Villes de toute beauté. L’ekphrasis des cités dans les littératures byzantine et byzantino-slave. Actes du colloque international, Prague, 25–26 novembre 2011, ed. Paolo Odorico–Charalambos Messis (Dossiers byzantins 12, Paris 2012); see also Aslıhan Akişık, Praising a City: Nicaea, Trebizond, and Thesalonike, in: In Memoriam Angeliki E. Laiou, ed. Cemal Kafadar–Nevra Necipoğlu (Journal of Turkish Studies 36, Cambridge, MA 2011) 1–25. 118   Articles by Paul Magdalino, Andreas Rhoby, Helen Saradi, Ruth Webb, in: Villes de toute beauté (cit. n. 117); Paul Magdalino, Generic Subversion? The Political Ideology of Urban Myth and Apocalyptic Prophecy, in: Power and Subversion in Byzantium, ed. Dimiter Angelov–Michael Saxby (Society for the Promotion of Byzantine Studies Publications 17, Farnham 2013) 207–219; English translation of the 10th-c. Patria by Albrecht Berger, Accounts of Medieval Constantinople. The Patria (Dumbarton Oaks Medieval Library 24, Cambridge, MA 2013). 119   Erwin Fenster, Laudes Constantinopolitanae (Miscellanea Byzantina Monacensia 9, München 1968). 120   Averil Cameron–Judith Herrin et al., Constantinople in the Early Eighth Century. The Parastaseis Syntomoi Chronikai (Columbia studies in the classical tradition 10, Leiden 1984); Gilbert Dagron, Con­ stantinople imaginaire. Études sur le recueil des Patria (Bibliothèque byzantine. Études 8, Paris 1984); Albrecht Berger, Untersuchungen zu den Patria Konstantinupoleos (Poikila byzantina 8, Bonn 1988).

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tween saints and the city in Byzantine hagiography, which has exercised Byzantinists for almost a century121, has recently received the dedicated treatment it deserves122.

Appendix: Some useful websites of excavated urban sites Amorion: http://www.amoriumexcavations.org/ Aphrodisias: http://www.nyu.edu/gsas/dept/fineart/academics/aphrodisias/aphrodisias. htm Butrint: http://www.butrint.org/ Caesarea Maritima: http://www.caesarea.landscape.cornell.edu/ Caričin Grad : http://archimede.unistra.fr/chantiers-et-missions-archeologiques/caricingrad-serbie/ Corinth: http://www.ascsa.edu.gr/index.php/excavationcorinth/about-the-corinth-excavations Ephesos: http://www.oeai.at/index.php/excavation-history.html Gortyn: http://www.gortinabizantina.it/ Hierapolis: www.hierapolis.unisalento.it/84 Miletus: http://www.arch.ox.ac.uk/LABM.html Patara: http://www.lycianturkey.com/lycian_sites/patara.htm Sagalassos: http://www.sagalassos.be/ Sardis: http://www.harvardartmuseums.org/study-research/research-centers/sardis Stobi: http://www.stobi.mk/Default.aspx?page=1 Thisvi: http://www.doaks.org/research/byzantine/project-grants/2012-13/dunn Multiple sites: http://sitemaker.umich.edu/late-antiquity/archaeological_sites

121   Saints’ lives and miracle stories are relatively rich in details of urban life, and thus, given the dearth of other documentation, they have held a privileged place in the source material for Byzantine urban history. As we have seen, this began with A. P. Rudakov and his study of Byzantine culture based on hagiographical texts (above n. 11). In the 1960s, a student of Paul Alexander wrote a doctoral thesis – never published, but much cited at the time – on exactly this subject: Dorothy de F. Abrahamse, Hagiographic Sources for Byzantine Cities, 500–900 A.D. (University of Michigan, Ann Arbor, 1967). Ten years later, Julia Seiber, a student of Peter Brown, published her Master’s thesis on: The Urban Saint in Early Byzantine Social History (BAR Supplementary Series, Oxford 1977). Lennart Rydén, a leading 20th-c. authority on Byzantine hagiography, devoted one of his last articles to the urban realia in three 6th–7th-c. texts: idem, Gaza, Emesa and Constantinople: Late Antique Cities in the Light of Hagiography, in: Aspects of Late Antiquity and Early Byzantium, ed. Lennart Rydén–Jan Olof Rosenqvist (Swedish Research Institute in Istanbul. Transactions 4, Stockholm 1993) 133–144. 122  Helen Saradi, The City in Byzantine Hagiography, in: The Ashgate Research Companion to Byzantine Hagiography 2, ed. Stephanos Efthymiadis (Farnham 2013) 419–452.

The End of the Byzantine City in Anatolia. The Case of Miletus Philipp Niewöhner

The history of research that Paul Magdalino has so beautifully laid out in this volume keeps silent about the end of Byzantine urbanism in Anatolia and what the Seljuk Turks did with the Byzantine cities when they conquered the region from the late eleventh century onwards. Would this be a profitable new avenue of research, possibly revealing the otherwise enigmatic middle Byzantine city through its Seljuk continuation? Following the example of Syria and Palestine, where Islamic urbanism continued and preserved essential features of its Byzantine forerunner1, in a case like Damascus up to the present day? Like the Umayyads, the Seljuks too were essentially townspeople who would surely have known to appreciate and use a pre-existing urban infrastructure like streets and sewers, aqueducts and baths, houses and palaces, walls and citadels, all of which they built themselves2. However, apart from spoliated, re-used parts Seljuk cities do not appear to owe much to their Byzantine predecessors3. This may have had the simple reason that the Byzantine cities did not preserve many urban features by the time of the Seljuk conquest. The Byzan­tine Emperor Theodore II Lascaris himself observed as much, when in the 1250’s he came to the city of Pergamum in western Asia Minor: He was impressed by the brick walls of a Roman temple and by its substructure, the so-called Red Basilica and the Hadrianic bridge4, and dismayed by the contemporary late Byzantine settlement5: „There are walls reared up, their construction as variegated as that of the brazen heavens. In between flows a river bridged by tall arches which (by the Maker of Heaven!) you 1  Eugen Wirth, Die orientalische Stadt im islamischen Vorderasien und Nordafrika (Mainz 32000); Clive Foss, Syria in Transition, AD 55–750. An Archaeological Approach. DOP 51 (1997) 189–269; Reprint in: Late Antiquity on the Eve of Islam, ed. Averil Cameron (Formation of the Classical Islamic World 1, Farnham 2013) chapter 7. 2  Ethel Sara Wolper, Cities and Saints. Sufism and the Transformation of Urban Space in Medieval Anatolia (University Park 2003) 42–59; Scott Redford, City Building in Seljuq Rum, in: The Seljuqs. Politics, Society and Culture, ed. Christian Lange–Songül Mecit (Edinburgh 2011) 256–276. 3  Scott Redford, The Seljuqs of Rum and the Antique. Muqarnas 10 (1993) 148–156. 4  Ulrich Mania, Die Rote Halle in Pergamon (Pergamenische Forschungen 15, Mainz 2011). 5  Cf. Klaus Rheidt, Die byzantinische Wohnstadt (Altertümer von Pergamon 15. Die Stadtgrabung. Teil 2, Berlin 1991); ders., City or Village? Housing and Settlement in Middle and Late Byzantine Anatolia, in: Housing and Settlement in Anatolia. A Historical Perspective, ed. Yıldız Sey (Istanbul 1996) 221–233; ders., In the Shadow of Antiquity. Pergamon and the Byzantine Millennium, in: Pergamon. Citadel of the Gods, ed. Helmut Koester (Harvard Theological Studies 46, Harrisburg 1998) 395–423.

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Philipp Niewöhner

would not think to be composite, but rather to have grown up naturally as a single block of stone. If a sculptor like Phidias were to see them, he would admire their exact evenness and lack of inclination. Between the buildings are low hovels, which appear, as it were, to be the remnants of the houses of the departed, and the sight of them causes much pain. For, as mouse holes are compared to the houses of today, so one might say are the latter compared to those that are being destroyed“6. Archaeologically, decline and the lack of urbanism are harder to trace than the imposing remnants of the Roman period. Arguments from silence are often challenged and have led to much discussion, for example in the case of the Late Antique/Early Byzantine „decline and fall“ of the Roman city7. The methodological problems may explain why the end of the Byzantine city has received little scholarly attention. However, at Miletus, an ancient city site on the west coast of Asia Minor, recent archaeological discoveries are now providing definite evidence for the end of the Byzantine city and why the Seljuks had to build anew.

Seljuk Balat

Fig. 1. Seljuk Balat as seen from Humeitepe, looking southwest across the Lion Harbour of Miletus, to the right the Theatre Hill (late Byzantine Palatia).

Balat, as the Seljuk city on the site of ancient Miletus was called, served as the main harbour and trading port for the Seljuk Emirate of Menteşe that was otherwise centred on the capital city of Milas further inland and behind a mountain range8. Balat survives in the form of public buildings that are made of lasting lime mortar masonry. They form a loose and irregular cluster around the so-called Lion Harbour (Fig. 1), including several monumental hans or inns, three major hamams or hot baths with hypocaust heating and 6  Theodore Ducas Lascaris, Epist. XXXII ad G. Acropolitam, in: The Art of the Byzantine Empire, 312– 1453. Sources and Documents, ed. Cyril Mango (Medieval Academy Reprints for Teaching 16, Toronto 1986 [New York 1972]) 245. 7  Compare for example the following two diametrically opposed interpretations of the same archaeological evidence: Mark Whittow, Ruling the Late Roman and Early Byzantine City. A Continuous History. Past and Present 129 (1990) 3–29, reprint in: Late Antiquity on the Eve of Islam (cit. n. 1) no. 6; John H. W. G. Liebeschuetz, The Decline and Fall of the Roman City (Oxford 2001) 29–74. 8  Paul Wittek, Das Fürstentum Mentesche. Studie zur Geschichte Westkleinasiens im 13.–15. Jh. (Istanbuler Mitteilungen 2, Istanbul 1934).



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Fig. 2. Seljuk Balat [Friedrich Sarre–Paul Wittek–Karl Wulzinger, Das islamische Milet (Milet III/4, Berlin 1935) pl. 48].

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Philipp Niewöhner

Fig. 3. Seljuk Balat, Ilyas Bey Mosque (early 15th century), from southwest.

sumptuous stucco decoration, a palatial pavilion with large panoramic windows and stuccoed vaulting, as well as numerous mosques (Fig. 2)9. In addition, a Venetian trading colony had its own church dedicated to San Nicola10, and a chapel of St Paraskevi is also in evidence11. The largest mosque was built by Ilyas Bey (1402–1421), when he was ruling the Emirate of Menteşe (Fig. 3)12. The Ilyas Bey Camii has an imposing dome and is surrounded by a külliye, a religious foundation including a school, a kitchen, and a bath. All is built of marble that was salvaged from the ruins of ancient Miletus, for example the southern baths immediately behind the great mosque13. The marble was re-employed in a manner that hid any ancient forms, and the architectural decoration of the Ilyas Bey 9  Friedrich Sarre–Paul Wittek–Karl Wulzinger, Das islamische Milet (Milet III/4, Berlin 1935); Balat İlyas Bey Complex, ed. M. Baha Tanman–Leyla K. Elbirlik (Istanbul 2011). 10   Sarre–Wittek–Wulzinger, Das islamische Milet (cit. n. 9) 5. 11   Philipp Niewöhner, Neue spät- und nachantike Monumente von Milet und der mittelbyzantinische Zerfall des anatolischen Städtwesens. AA 2013/2 165–233, at 215–224. 12  Sarre–Wittek–Wulzinger, Das islamische Milet (cit. n. 9) 12–40; Balat İlyas Bey Complex (cit. n. 9). 13  Philipp Niewöhner, Die Südstadtthermen von Milet. Vom kaiserzetitlichen Baderundgang zum byzantinischen Doppelbad. AA 2015/1 173–235.



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Camii was newly carved in Turkish style. Apart from the building material, the continued use of the Roman aqueduct appears to have been the most important feature that Balat inherited from ancient Miletus14. The last Byzantine settlement at the site seems to have passed down no more than its name, Palatia. In every other respect Seljuk Balat was distinct from and unrelated to late Byzantine Palatia. This holds true also for the pottery that the Seljuks produced on site in a newly established kiln and with a formal repertoire of their own that was different from the ceramics of late Byzantine Palatia15.

Late Byzantine Palatia Late Byzantine Palatia occupied a hilltop above the Lion Harbour, next to and outside Seljuk Balat (Fig. 1). The hilltop was fortified by a wall along its perimeter, and the site seems to have been chosen and established due to defensive reasons, when the Turks started to invade the region from the late eleventh century onwards16. After the Turkish conquest, when fortification stopped to be an issue, the late Byzantine hilltop settlement was abandoned in favour of the low area next to the Lion Harbour and in reach of the aque­duct. Recent survey and excavation on the hilltop has yielded no Turkish finds, the only exception being a small Turkish prayer house with a surrounding graveyard17. A separately fortified castle at the southern tip of the hill, above the ancient theatre, appears to have been maintained for some time during the Turkish period18, and a mosque outside the castle half way down the east flank of the hill may have served the garrison (Fig. 1 and 4)19. Geophysical survey has revealed the ground plan of the late Byzantine settlement (Fig. 4). It contains a variety of smaller and larger rooms and building complexes, some of which are laid out in accordance with the winding perimeter wall, others following the orientation of the bed rock that often serves as foundation. Walls, including the defensive perimeter wall, were built of relatively small stones that could conveniently be carried up the hill. Larger marble spoils from ancient Miletus were employed sparingly, mostly for door frames. Otherwise, late Byzantine Palatia was not related to ancient Miletus. This becomes most obvious by comparison with a rectangular Hippodamian street grid and insula system that used to subdivide and structure the hill in Antiquity, as has been shown by a different method of geophysical survey (Fig. 4)20. Late Byzantine Palatia did not de14  Gerhard Tuttahs, Milet und das Wasser. Ein Leben in Wohlstand und Not in Antike, Mittelalter und Gegenwart (Schriften der Deutschen Wasserhistorischen Gesellschaft 5, Siegburg 2007) 394–413. 15   For some of the pottery see: Beate Böhlendorf-Arslan, Keramikproduktion im byzantinischen und türkischen Milet. IstMitt 58 (2008) 371–407. More recent research has established that the production dates from the Seljuk period and does not continue, but is different from the ceramics of late Byzantine Palatia: Philipp Niewöhner, Der Bischofspalast von Milet. Spätrömisches Peristylhaus und frühbyzantinische Residenz. AA 2015/2 (in press). 16   Wolfgang Müller-Wiener, Mittelalterliche Befestigungen im südlichen Jonien. IstMitt 11 (1961) 5–122, at 24–37; idem, Untersuchungen auf dem Theater-Hügel. IstMitt 32 (1981) 15–17; Niewöhner, Neue spät- und nachantike Monumente von Milet (cit. n. 11) 206–214. 17   Ibid. 210; Jesko Fildhuth, Die letzte byzantinische Siedlung auf dem Theaterhügel von Milet. EForschungsbericht des DAI 2015/3 163–165. 18   Müller-Wiener, Mittelalterliche Befestigungen (cit. n. 16) 24–37; idem, Das Theaterkastell von Milet. IstMitt 17 (1967) 279–290. 19  Sarre–Wittek–Wulzinger, Das islamische Milet (cit. n. 9) 38. 20  Ercan Erkul–Harald Stümpel, Geophysikalische Prospektion in Milet 2003–2005. AA 2008/2 25–32, at 26 fig. 1.

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Fig. 4. Late Byzantine Palatia on the so-called Theatre Hill of Miletus (geo-radar images), the ancient Hippodamian street grid (green), the Byzantine castle on top of the theatre, and two Seljuk mosques (©Ercan Erkul, Stefan Giese, Harald Stümpel).

velop out of the ancient tradition but was obviously built from scratch and after a hiatus, during which the Hippodamian system had disappeared from the hilltop. The hiatus must have occurred before the late eleventh century, when Palatia was built, and may have started as early as the seventh century, when the hill was excluded from the new Byzantine fortifications against the Persians and/or the Arabs (Fig. 5)21. The ancient buildings on the hill may have been razed in order to clear the killing field in front of the Byzantine walls and for re-use as building material. However, the new foundation of late Byzantine Palatia on a hilltop outside the earlier Byzantine city of Miletus as well as the new name suggest that the hiatus was a more general one and affected all of Miletus, the Byzantine city as well as the ancient hilltop. 21   Philipp Niewöhner, Sind die Mauern die Stadt? Vorbericht über die siedlungsgeschichtlichen Ergebnisse neuer Grabungen im spätantiken und byzantinischen Milet. AA 2008/1 181–201, at 187s.



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Fig. 5. Early Byzantine Miletus, including the new city walls from the seventh century (red).

Early Byzantine Miletus In the seventh century, when the new city walls were built, early Byzantine Miletus still looked like an ancient city22. It occupied what had always been the city centre (Fig. 5). The ancient layout with orthogonal streets and insulae was maintained and even improved, as some streets were paved with marble for the first time during the early Byzantine period23. Numerous ancient facades were also preserved, including their decoration with mythological statues. Only the genitals were carefully worked off with a fine chisel,

22 23

  Niewöhner, Neue spät- und nachantike Monumente von Milet (cit. n. 11) 224–226.   Idem, Der Bischofspalast von Milet (cit. n. 15).

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Fig. 6. Early Byzantine Miletus, the Serapeion Gate of the seventh century-city walls as seen from the exterior (south) (© Stefan Giese).

and in some cases small unobtrusive crosses were also added24. New church buildings did not invade the old centre before the middle of the sixth century25. Moreover, one of the new sixth-century churches was hidden behind a Roman propylon and the other narrowly fitted into a pre-existing insula and decorated with the same old-fashioned type of architrave as a neighbouring heroon. The preservation of the ancient heritage was a major concern throughout the early Byzantine period and informed all building projects in the centre of Miletus. Even when the new and much reduced circuit of city walls was built in the seventh century, various ancient facades were left standing and now decorated either the inner or the outer face of the wall, with a former temple porch forming the main city gate (Fig. 6)26. The south-facing temple porch remained standing and now served as the central entrance of a three-partied gate, whilst the south wall of the temple was incorporated into the new city walls. Early Byzantine Miletus was superior to late Byzantine Palatia in every regard, starting with the infra-structure and including the quality of the buildings, in particular the fortifications. The early Byzantine city walls were thicker and higher and built with larger blocks and stronger masonry. They also had a strategic advantage, as they secured an inaccessible peninsula within the marshy Maeander flood plain; only the southern section of 24  Renate Bol, Marmorskulpturen der römischen Kaiserzeit aus Milet. Aufstellungskontext und programmatische Aussage (Milet V/2, Berlin 2011) 11s.; Ortwin Dally, Bild – Raum – Handlung. Die Faustina­ thermen in Milet, in: Bild – Raum – Handlung. Perspektiven der Archäologie, ed. Ortwin Dally et al. (Topoi. Berlin Studies of the Ancient World 11, Berlin 2012) 215–239. 25   Philipp Niewöhner, Die byzantinischen Basiliken von Milet (Milet I/11, Berlin 2016, in press). 26   Idem, Neue spät- und nachantike Monumente von Milet (cit. n. 11) 181–186.



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the perimeter could be besieged on dry land. Late Byzantine Palatia was disadvantaged in every respect and only starts making sense once the early Byzantine city had disappeared during the hiatus, when the ancient name was also lost.

The end of Byzantine Miletus Archaeologically, the disappearance of Byzantine Miletus is attested through earthquake-destruction. Most importantly, the southern section of the Byzantine city walls with the two only landward gates was destroyed by earthquake27. Afterwards the debris was not cleared away, although it blocked all landward access to the city. The excavators found the gates as they had fallen (Fig. 7)28 and were able to reconstruct their facades – originally from the Roman period, the Market Gate has been re-erected at Berlin29 – because no part was missing. The lack of even the most basic clearing work suggests that the city was abandoned already when the earthquake occurred, sometime before the foundation of Palatia in the later eleventh century. A pre-eleventh century hiatus appears to be confirmed by a conspicuous lack of middle Byzantine finds from Miletus. Although a large part of the city centre has been excavated from Ottoman down to ancient levels, including the two early Byzantine churches, there is no evidence for any middle Byzantine occupation. In contrast, the rural hin-

Fig. 7. The end of Byzantine Miletus, earthquake debris above the partly excavated Serapeion Gate (compare Fig. 6), from south [Hubert Knackfuss, Der Südmarkt und die benachbarten Bauten (Milet I/7, Berlin 1924) 187 fig. 197].   Ibid.   Hubert Knackfuss, Der Südmarkt und die benachbarten Bauten (Milet I/7, Berlin 1924) 69–73 (Market Gate), 185–187 (Serapeion Gate). 29  Volker Michael Strocka, Das Markttor von Milet (Winckelmannsprogramm der Archäologischen Gesellschaft zu Berlin 128, Berlin 1981). 27 28

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terland of Miletus has yielded an ample amount of middle Byzantine stray finds and contained numerous middle Byzantine settlements and churches30. The countryside was clearly prosperous, whilst the city seems to have been deserted. This situation will not have come about during the later seventh to earlier ninth centuries, when the Arabs were raiding Anatolia on a regular basis31. The Arab raids should have led to the opposite and induced the population to desert the countryside and seek shelter behind urban defences32. Rural surveys typically come to the conclusion that settlements declined during the Arab incursions33. A population decrease is also indicated by palynological evidence for less intensive land use and an increase in wild species throughout Anatolia34. Ruralisation will only have set in again in the course of the ninth century, once the Arabs had been beaten back, the countryside had become safe again, and urban defences were dispensable. The middle Byzantine ruralisation was not a new phenomenon, but appears to have resumed and concluded an early Byzantine development that had been held up for two centuries during the invasion period.

The Early Byzantine Ruralisation of Anatolia Although early Byzantine Miletus maintained such splendid facades, we cannot be sure what went on behind them and in outlying districts of the extensive ancient city (Fig. 5). Elsewhere in Anatolia urbanism was clearly in decline during the early Byzantine period. Baths were closed down, elite houses were downgraded and subdivided, public streets and squares left to decay, whole quarters given up and deserted, fortifications neglected35. Churches appear to have been the only major exception to the general urban decline, but churches were not a particularly urban feature. Indeed they were even more

30  Armin von Gerkan, Kalabaktepe, Athenatempel und Umgebung (Milet I/8, Berlin 1925) 44–46; Philipp Niewöhner, Byzantinische Steinmetzarbeiten aus dem Umland von Milet. Anadolu ve Çevresinde Ortaçağ 1 (2007) 1–28; Peter Thonemann, The Maeander Valley. A Historical Geography from Antiquity to Byzantium (Cambridge 2011) 259–270; Mark Whittow, Rural Fortifications in Western Europe and Byzantium, 10th–12th Century, in: Bosphorus. Essays in Honour of Cyril Mango, ed. Stefanos Efthymiadis–Claudia Rapp–Dimitris Tsougarakis (Byzantinische Forschungen 21, Amsterdam 1995) 57–74, 62–65; Niewöhner, Neue spät- und nachantike Monumente von Milet (cit. n. 11) 190–205. 31   Ralph-Johannes Lilie, Die byzantinische Reaktion auf die Ausbreitung der Araber. Studien zur Strukturwandlung des byzantinischen Staates im 7. und 8. Jahrhundert (Miscellanea Byzantina Monacensia 22, München 1976). 32  Marek Jankowiak, Notitia 1 and the Impact of the Arab Invasions on Asia Minor. Millennium 10 (2013) 435–462. 33  Jeroen Poblome et al., What Happened After the 7th Century AD? A Different Perspective on PostRoman Rural Anatolia, in: Archaeology of the Countryside in Medieval Anatolia, ed. Jacob Roodenberg–Tasha Vorderstrasse (Uitgaven van het Nederlands Instituut voor het Nabije Oosten te Leiden 113, Leiden 2009) 177–190; Mark Jackson, Medieval Rural Settlement at Kilise Tepe in the Göksu Valley, in: ibid. 71–83; John J. Coulton, The Balboura Survey and Settlement in Highland Southwest Anatolia (British Institute of Archaeology at Ankara Monograph 43/1, London 2012) 175–181. 34  Adam Izdebski, A Rural Economy in Transition. Asia Minor from Late Antiquity into the Early Middle Ages (The Journal of Juristic Papyrology Suppl. 18, Warsaw 2013). 35  Bryan Rose, Troy and the Granicus River Valley in Late Antiquity, in: Archaeology and the Cities of Asia Minor in Late Antiquity, ed. Ortwin Dally–Chris Ratté (Kelsey Museum Publication 6, Ann Arbor 2011) 151–171, at 161s.; Philipp Niewöhner, The Riddle of the Market Gate. Miletus and the Character and Date of the Earlier Byzantine Fortifications of Anatolia, in: ibid. 103–122, at 119s. (bibliography).



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Fig. 8. The early Byzantine ruralisation of Aezani in Phrygia, plan of the territory: settlements in the plain go back to the Roman period (black), those in the mountains were only established during the early Byzantine period (white). Each cross stands for one early Byzantine church.

numerous in the Anatolian countryside36. The rural churches outnumbered the urban ones (Fig. 8), and the inhabitants of the early Byzantine countryside generally seem to have employed more marble and stonemasonry than their urban counterparts (Fig. 9), for example in the territory of Aezani in Phrygia on the central Anatolian high plateau (Fig. 10)37. 36   Philipp Niewöhner, Aizanoi, Dokimion und Anatolien. Stand und Land, Siedlungs- und Steinmetzwesen vom späteren 4. bis ins 6. Jahrhundert n. Chr. (Archäologische Forschungen 23 = Aizanoi 1, Wiesbaden 2007) 81s.; Günder Varınlıoğlu, Living in a Marginal Environment. Rural Habitat and Landscape in South­ eastern Isauria. DOP 61 (2007) 287–317; Frank Kolb, Burg – Polis – Bischofssitz. Geschichte der Siedlungskammer von Kyaneai in der Südwesttürkei (Mainz 2008); Ina Eichner, Frühbyzantinische Wohnhäuser in Kilikien. Baugeschichtliche Untersuchung zu den Wohnformen in der Region um Seleukeia am Kalykadnos (Istanbuler Forschungen 52, Tübingen 2011) 25s. 37  Niewöhner, Aizanoi, Dokimion und Anatolien (cit. n. 36) 81s.; idem, Phrygian Marble and Stonemasonry as Markers of Regional Distinctiveness in Late Antiquity, in: Roman Phrygia, ed. Peter Thonemann (Cambridge 2013) 215–248. The baptismal font (Fig. 10) has not previously been published, and I am indebted to Fabian Stroth (Heidelberg) for sharing this new discovery with me. The font has been re-used at a Turkish fountain 6 km south of Hacimahmut Köyü. The cruciform marble is 2 m long, 1,5 m wide and 80 cm deep. Two opposite sides are each decorated with a cross in a medaillon. On the same two sides the tetraconch interior

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Fig. 9. The early Byzantine ruralisation of Aezani in Phrygia, statistics of marble artefacts: Roman marbles (black) are concentrated in the city, early Byzantine marbles (white) are equally common in the plain and even in the mountains.

Fig. 10. The early Byzantine ruralisation of Aezani in Phrygia, a baptismal font from a rural church in the territory, reused at a Turkish fountain (© Fabian Stroth). contains steps that enabled the catechumen to climb in and the baptised to climb out. On the outside steps were unnecessary, because the font would have been sunk into the ground of the baptistery not unlike its re-use today, and the outer rim would always have appeared low.



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The extensive use of marble for rural churches was a new development of the fifth and sixth centuries. Earlier on architectural sculpture had been employed almost exclusively for the monumental embellishment of the cities. The new ascendance of the countryside was enhanced by an increase in rural settlements and apparently also in rural population. The number of rural settlements doubled during the fifth and sixth centuries. Many of the new sites were located in hilly and mountainous regions that had scarcely been settled during the Roman Imperial period (Fig. 8). Such an expansion onto marginal lands in conjunction with an enlargement of the pre-existing Roman settlements can be observed in various parts of Anatolia and points to a general increase of rural population during the early Byzantine period38. The chronology suggests that the rural boom and the urban decline were linked. Interest and spending seems to have shifted from the monumental embellishment of the cities to the building of rural churches. Moreover, the new settlements on marginal lands could not have yielded a great agricultural surplus and may only have become possible because a lesser percentage of their produce was being siphoned off and consumed in the cities39. This major structural shift in the relationship between city and countryside may have been brought about by changes in the administration of the empire, depriving the cities of their former key positions40 and resulting in a more direct administration of the provinces by the state41. This worked to the disadvantage of the cities and their traditional elites, whilst other parties may have profited from the process. One beneficiary was the state that seems to have realized an ever-increasing income. Another group that could well have benefited were the inhabitants of the countryside, who had previously fallen prey to the short-term interests of the urban elite. The state was more concerned with the long term, and hence may have positively encouraged the cultivation of marginal land42. The decline of the traditional urban elite seems also to have made room for newcomers, who typically held positions in the bureaucracy and who re-invested their monetary earnings in the land43. 38  Douglas Baird, Settlement Expansion on the Konya Plain, Anatolia: 5th–7th Centuries AD, in: Recent Research on the Late Antique Countryside, ed. Luke Lavan et al. (Late Antique Archaeology 2, Leiden 2004) 219–246; Niewöhner, Aizanoi, Dokimion und Anatolien (cit. n. 36) 80s.; Rose, Troy and the Granicus River Valley (cit. n. 35) 164; Coulton, The Balboura Survey (cit. n. 33) 175–181. However, Chris Ratté–Peter DeStaebler, The Aphrodisias Regional Survey (Aphrodisias 5, Mainz 2012) esp. 21–38, observe a Late Antique reduction in settlement and population in the region of Aphrodisias in Caria. 39   Philipp Niewöhner, Who is Afraid of the Fall of Rome? Prosperity and the End of Antiquity in Central Western Anatolia, in: Archaeological Research in Western Central Anatolia, ed. A. Nejat Bilgen–Ralph von den Hoff (Kütahya 2011) 164–183. 40  John H. W. Liebeschuetz, Decline and Fall of the Roman City (Oxford 2001) 104–109; Avshalom Laniado, Recherches sur les notables municipaux dans l’empire protobyzantin (Travaux et mémoires du Centre de Recherche d’Histoire et Civilisation de Byzance. Monographies 13, Paris 2002) 1–129. 41  Wolfram Brandes, Finanzverwaltung in Krisenzeiten. Untersuchungen zur byzantinischen Administration im 6.–8. Jahrhundert (Forschungen zur byzantinischen Rechtsgeschichte 25, Frankfurt a. M. 2002); Wolfram Brandes–John Haldon, Towns, Tax and Transformation. State, Cities and their Hinterlands in the East Roman World, c. 500–800, in: Towns and Their Territories Between Late Antiquity and the Early Middle Ages, ed. Gian Pietro Brogiolo–Nancy Gauthier–Neil Christie (The Transformation of the Roman World 9, Leiden–Boston–Köln 2000) 141–172. 42  Cam Grey, Revisiting the „Problem“ of Agri Deserti in the Late Roman Empire. JRA 20 (2007) 362–376. 43   Liebeschuetz, Decline and Fall (cit. n. 40) 110–120; Laniado, Recherches (cit. n. 40) 131–252; Wolf Liebeschuetz, Oligarchies in the Cities of the Byzantine East, in: Integration und Herrschaft. Ethnische Identität und soziale Organisation im Frühmittelalter, ed. Maximilian Diesenberger–Walter Pohl (Forschungen

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Middle Byzantine Ruralisation of Anatolia During the middle Byzantine period landed magnates greatly increased their power44 and apparently preferred to build small churches and monasteries on their estates rather than contribute to larger urban building projects. Anatolian churches and monasteries datable to the tenth and eleventh centuries are typically small and have obscure rural locations45. In contrast, most churches built during the invasion period from the seventh to the ninth centuries were large urban and/or episcopal foundations46. Positive evidence for urban abandonment is not (yet) available outside Miletus, but the middle Byzantine period often forms a conspicuous gap in the archaeological record, which may be accepted as an argument from silence. Instead of the cities, rural houses now set the tone47. The architectural development mirrors the social change from the city based elites of old to the landed aristocracy of the later Byzantine period. Palynological evidence points to a general recovery and intensification of agriculture, confirming that the countryside flourished in the tenth and eleventh centuries and prosperity was only reversed again by the Turkish conquest48. This means that middle Byzantine Anatolia was not short of human or agricultural resources and confirms that the downscaling of urbanism does not reflect general decline, but ruralisation. It is also not surprising that, with the shift from city to country, material culture tended to become simpler and more utilitarian49. zur Geschichte des Mittelalters 3, Wien 2002) 17–24; Jairus Banaji, Agrarian Change in Late Antiquity. Gold, Labour, and Aristocratic Dominance (Oxford 2007). 44   Speros Vryonis, Jr., The Decline of Medieval Hellenism in Asia Minor and the Process of Islamization from the Eleventh Through the Fifteenth Century (Publications of the Center for Medieval and Renaissance Studies 4, Berkeley 1986) 70–80; John Haldon, Social Élites, Wealth, and Power, in: A Social History of Byzantium, ed. John Haldon (Oxford 2009) 168–211, at 182–192. With caution Whittow, Rural Fortifications (cit. n. 30) 57–74; Jean-Claude Cheynet, L’aristocratie byzantine (8e–13e siècle). Journal des Savants, juilletdécembre (2000) 281–322. Translated as: The Byzantine Aristocracy (8th–13th Centuries), in: Jean-Claude Cheynet, The Byzantine Aristocracy and Its Military Function (Variorum CSS 859, Aldershot 2006) 19–38; Mark Whittow, The Middle Byzantine Economy (600–1204), in: The Cambridge History of the Byzantine Empire c. 500–1492, ed. Jonathan Shepard (Cambridge 2008) 465–492, at 487–491. 45   Philipp Niewöhner, What Went Wrong? Decline and Ruralisation in Eleventh Century Anatolia. The Archaeological Record, in: Eleventh-Century Byzantium. Social Change in Town and Country, ed. James Howard-Johnston (Oxford, in press). 46  Hans Buchwald, Western Asia Minor as a Generator of Architectural Forms in the Byzantine Period. Provincial Back-Wash or Dynamic Center of Production? JÖB 34 (1984) 199–234, at 227s.; idem, Criteria for the Evaluation of Transitional Byzantine Architecture. JÖB 44 (1994) 21–31; Vincenzo Ruggieri, Byzantine Religious Architecture (582–867) (OCA 237, Rome 1991); idem, L’architettura religiosa nell’Impero Bizantino (fine VI–IX secolo) (Saggi, studi, testi 2, Soveria Mannelli 1995); Robert Ousterhout, The Architecture of Iconoclasm. Buildings, in: Byzantium in the Iconoclast Era (ca. 680–859). The Sources. An Annotated Survey, ed. Leslie Brubaker–John Haldon (Aldershot 2001) 3–20. 47  Philipp Niewöhner, The late Late Antique Origins of Byzantine Palace Architecture, in: The Emperor’s House. Palaces from Augustus to the Age of Absolutism, ed. Ulrike Wulf-Rheidt et al. (Urban Spaces 4, Berlin 2015) 31–52. 48   Warren Eastwood et al., Integrating Palaeoecological and Archaeo-Historical Records. Land Use and Landscape Change in Cappadocia (Central Turkey) Since Late Antiquity, in: Archaeology of the Countryside in Medieval Anatolia (cit. n. 33) 45–69; Adam Izdebski, The Changing Landscapes of Byzantine Northern Anatolia. Archaeologia Bulgarica 16 (2012) 47–66. 49  Marica Cassis‚ Cadır Höyük. A Rural Settlement in Byzantine Anatolia, in: Archaeology of the Countryside in Medieval Anatolia (cit. n. 33) 1–24; Jeroen Poblome et al., What Happened After the 7th Century AD? A Different Perspective on Post-Roman Rural Anatolia, in: ibid. 177–190.



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Finally, at the end of the middle Byzantine period, when the arrival of the Turks led to the building of many new fortifications, a great number of them were put up in rural locations, whilst the cities fared poorly, also in comparison with the walls that had been built there earlier against the Persians and/or Arabs50. Overall, the late building activity seems to confirm that Anatolia had been largely deurbanised during the middle Byzantine period. Middle Byzantine Anatolia should probably be conceptualised as a predominantly rural society. This would also explain why the Turkish conquest does not seem to have met with the same kind of resistance that the Anatolian cities had once mustered against the Arab incursions.

50   Philipp Niewöhner, Archäologie und die „Dunklen Jahrhunderte“ im byzantinischen Anatolien, in: Post-Roman Towns, Trade and Settlement in Europe and Byzantium 2. Byzantium, Pliska, and the Balkans, ed. Joachim Henning (Millennium Studies 5/2, Berlin–New York 2007) 119–158.



Raumordnung und Stadtgestalt in den Städten auf der Balkanhalbinsel in der spätbyzantinischen Zeit Mihailo St. Popović

Die nunmehr folgenden Ausführungen fußen auf den bisherigen wissenschaftlichen Vorarbeiten des Verfassers an dem historisch-geographischen Projekt „Tabula Imperii Byzantini“ (TIB) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1 und im konkreten an der historischen Landschaft Makedonien (TIB 16: „Makedonien, nördlicher Teil“) (Abb. 1), sodass im Folgenden auf ausgewählte Aspekte der Raumordnung und der Stadtgestalt auf der byzantinischen Balkanhalbinsel anhand von Beispielen aus dem betreffenden Bearbeitungsgebiet eingegangen wird. Einen Schwerpunkt bilden hierbei städtische Siedlungen der spätbyzantinischen und frühosmanischen Zeit.

Raumordnung Die räumliche Erfassung des Byzantinischen Reiches fußt im Wesentlichen auf jenen wissenschaftlichen Resultaten, welche im Rahmen der historischen Geographie in der Byzantinistik erarbeitet werden. Hierbei ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass aufgrund der langen zeitlichen – das heißt vom 4. bis zum 15. Jahrhundert – sowie räumlichen Erstreckung des Byzantinischen Reiches im östlichen Mittelmeerraum ein einheitliches Raumgliederungsmodell nur in bedingtem Maße zur Anwendung kommen kann. Regionale versus überregionale Siedlungsentwicklungen erschweren die Gesamtschau und haben in jüngster Vergangenheit verstärkt zu zeitlich bzw. räumlich begrenzten Lokalstudien unter starker Einbeziehung der Archäologie und von Surveys geführt2. 1  Dieser Beitrag fußt auf den Forschungsergebnissen des Autors im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit an „Makedonien, nördlicher Teil“ (Tabula Imperii Byzantini 16) und an seinem Projekt „Digitising Patterns of Power (DPP): Peripherical Mountains in the Medieval World“ (DH 2014/10) an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Zum Projekt „Tabula Imperii Byzantini“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften s. Johannes Koder, Überlegungen zu Konzept und Methode der „Tabula Imperii Byzantini“. Österreichische Osthefte 20 (1978) 254–262; ders., Perspektiven der Tabula Imperii Byzantini. Zu Planung, Inhalt und Methode. Geographia antiqua 5 (1996) 75–86; Mihailo Popović, Mapping Byzantium – The Project „Macedonia, Northern Part“ in the Series Tabula Imperii Byzantini (TIB) of the Austrian Academy of Sciences, in: Mapping Different Geographies, hg. von Karel Kriz (Lecture Notes in Geoinformation and Cartography, Berlin–Heidelberg 2010) 219–234; ders., Historische Geographie und Digital Humanities. Eine Fallstudie zum spätbyzantinischen und osmanischen Makedonien (Peleus. Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns 61, Mainz–Ruhpolding 2014) 10–17. 2  Vgl. dazu zum Beispiel die Überblicksdarstellungen von Alfred Philippson, Das Byzantinische Reich als geographische Erscheinung (Leiden 1939); Johannes Koder, Der Lebensraum der Byzantiner. Historisch-

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Abb. 1. Überblickskarte des Projektes Tabula Imperii Byzantini (TIB).

Breit aufgestellte, siedlungsspezifische Datengrundlagen zum Byzantinischen Reich werden im Wesentlichen von zwei historisch-geographischen Großprojekten geschaffen. Bei dem ersten handelt es sich um die „Tabula Imperii Romani“ (TIR), das seit 1928 einen Atlas des Römischen Reiches im Maßstab 1:1.000.000 mit Begleitbänden erstellt und teilweise die frühbyzantinische Zeit erfasst3. Das zweite – für Byzanz relevantere – Projekt ist seit 1966 die an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien basierte „Tabula Imperii Byzantini“ (TIB), die Aspekte der Quellenforschung, Geschichte, Archäologie, Bibliographie und der Feldforschung/Surveys gleichermaßen vereint und Bände für einzelne byzantinische Provinzen mit Begleitkarten 1:800.000 veröffentlicht4. Beiden Projekten ist eine Zusammenschau der quellenbasierten und/oder archäologischen Daten gemein, wobei für die „Tabula Imperii Byzantini“ als Kerngebiete der Forschung von Anbeginn die Balkanhalbinsel und Kleinasien definiert wurden5. Bereits seit dem Ende der 1970er Jahre wurden Überlegungen angestellt, ob und wie gegenwartsbezogene Raumgliederungsmodelle regressiv für die Analyse historisch-geogrageographischer Abriß ihres mittelalterlichen Staates im östlichen Mittelmeerraum. Nachdruck mit bibliographischen Nachträgen (Byzantinische Geschichtsschreiber Ergbd. 1, Wien 2001). Als anschauliche Lokalstudie sei genannt: Myrto Veikou, Byzantine Epirus: a Topography of Transformation. Settlements of the Seventh–Twelfth Centuries in Southern Epirus and Aetoloacarnania, Greece (The Medieval Mediterranean 95, Leiden 2012). 3  Siehe dazu: Union Académique Internationale, Projects / Tabula Imperii Romani (TIR), unter http:// www.uai-iua.org/cgi?usr=w7qyasztm8&lg=en&pag=1145&tab=195&rec=6&frm=0&par=secorig1114&id=5 328&flux=54768438 [Zugriff November 2014]. 4  Vgl. oben Anm. 1. 5  Johannes Koder–Friedrich Hild, Hellas und Thessalia (TIB 1 = ÖAW, phil.-hist. Kl., Denkschriften 125, Wien 1976, Nachdr. Wien 2004) 8–10.



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phischer Datensätze – und hier im Besonderen zur Siedlungsstruktur des Byzantinischen Reiches – zur Anwendung kommen könnten6.

Siedlungstheoretische Modelle Eine Möglichkeit besteht in der Anwendung der sogenannten „Central Place Theory“ (der „Theorie der zentralen Orte“) nach Walter Christaller7. Ursprünglich ging die „Central Place Theory“ auf der Basis der Betrachtung der mitteleuropäischen Verhältnisse im 20. Jahrhundert von drei Siedlungsebenen aus, die in ein hexagonales Raster eingebettet wurden. Als höchste Stufe fungiert die sogenannte „Central Market Town“ (abgekürzt CMT), gefolgt von der sogenannten „Intermediate Market Town“ (abgekürzt IMT) und auf der untersten Stufe von der sogenannten „Standard Market Town“ (abgekürzt SMT)8. Anhand von Fallbeispielen, die für die historische Geographie des byzantinischen Raumes erarbeitet wurden, wurde ersichtlich, dass für das Byzantinische Reich von zwei Siedlungsebenen (nämlich CMT+IMT bzw. SMT), das heißt von einer modifizierten „Central Place Theory“, auszugehen ist9. Basierend auf den bisher publizierten Modellen geht hervor, dass in der mittel- und spätbyzantinischen Zeit Provinzhauptstädte bzw. administrative Zentren (CMT+IMT) zwischen 39 und 46 km voneinander entfernt sein konnten, während die Distanz einer „Standard Market Town (SMT)“ zur Provinzhauptstadt bzw. zum administrativen Zen-

6   Koder, Überlegungen (wie Anm. 1) 260. Siehe dazu auch ders., The Urban Character of the Early Byzantine Empire: Some Reflections on a Settlement Geographical Approach to the Topic, in: The 17th International Byzantine Congress. Major Papers, Dumbarton Oaks/Georgetown University, Washington, D.C., August 3–8, 1986 (New Rochelle, NY 1986) 155–187. 7   Walter Christaller, Die zentralen Orte in Süddeutschland. Eine ökonomisch-geographische Untersuchung über die Gesetzmäßigkeit der Verbreitung und Entwicklung der Siedlungen mit städtischen Funktionen (Jena 1933, Nachdr. Darmstadt 1968); ders., Das Grundgerüst der räumlichen Ordnung in Europa. Die Systeme der europäischen zentralen Orte (Frankfurter Geographische Hefte 24/1, Frankfurt a. M. 1950); ders., How I Discovered the Theory of Central Places: A Report About the Origin of Central Places, in: Man, Space and Environment, hg. von Paul Ward English–Robert C. Mayfield (New York 1972) 601–610. 8  Johannes Koder, Land Use and Settlement: Theoretical Approaches, in: General Issues in the Study of Medieval Logistics: Sources, Problems and Methodologies, hg. von John F. Haldon (History of Warfare 36, Leiden–Boston 2006) 159–183, hier 175f. 9  Koder, Land Use. Auf den Erkenntnissen von Johannes Koder aufbauend: Ekaterini Mitsiou, Versorgungsmodelle im Nikäischen Kaiserreich, in: Handelsgüter und Verkehrswege. Aspekte der Warenversorgung im östlichen Mittelmeerraum (4. bis 15. Jahrhundert). Akten des gleichnamigen internationalen Symposiums Wien. 19. bis 22. Oktober 2005, hg. von Ewald Kislinger–Johannes Koder–Andreas Külzer (Veröffentlichungen zur Byzanzforschung 18 = ÖAW, phil.-hist. Kl., Denkschriften 431, Wien 2010) 223–240; Mihailo St. Popović, Siedlungsstrukturen im Wandel: Das Tal der Strumica bzw. Strumešnica in spätbyzantinischer und osmanischer Zeit (1259–1600). Südost-Forschungen 68 (2009) 1–62; ders., Die Siedlungsstruktur der Region Melnik in spätbyzantinischer und osmanischer Zeit. ZRVI 47 (2010) 247–276; ders., Das Flußtal der Kriva Lakavica in spätbyzantinischer und osmanischer Zeit (1259–1600): Das Verhältnis des Ortes Konče zum Siedlungsnetz der Städte Štip und Strumica. REB 69 (2011) 159–184; ders., Historische Geographie und Digital Humanities (wie Anm. 1) 85–96. Vgl. dazu auch András Kubinyi, Einige Fragen zur Entwicklung des Städtenetzes Ungarns im 14.–15. Jahrhundert, in: Die mittelalterliche Städtebildung im südöstlichen Europa, hg. von Heinz Stoob (Städteforschung A/4, Köln–Wien 1977) 164–183; Myrto Veikou, „Rural Towns“ and „In-Between“ or „Third“ Spaces Settlement Patterns in Byzantine Epirus (7th–11th Centuries) from an Interdisciplinary Approach. Archeologia Medievale 36 (2009) 43–54; dies., Urban or Rural? Theoretical Remarks on the Settlement Patterns in Byzantine Epirus (7th–11th Centuries). BZ 103 (2010) 171–193.

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trum zwischen 13 und 15 km betragen konnte10. Diese Makroebene eines Raumgliederungsmodells verlassend, lassen sich auch Aussagen zu der räumlichen Ausdehnung von Siedlungen auf der Mikroebene treffen.

Dörfliche und städtische Gemarkungen Siedlungen mit vorwiegend ländlichem Charakter verfügten über klar definierte „Grenzen“ und „Rechte“, welche in ihrer Gesamtheit als Dorfgemarkung anzusprechen sind. In den südslawischen Sprachen wird die besagte Gemarkung noch heute im Wortschatz verwendet und als atar bezeichnet11. Berechnungen von Vassiliki Kravari haben anhand von Fallbeispielen gezeigt, dass die durchschnittliche räumliche Ausdehnung von dörflichen Gemarkungen in der historischen Landschaft Makedonien rund 15 km2 betragen haben dürfte, was wiederum einen Radius von etwa 2 km ergibt12. Entsprechend der topographischen Realität waren Dorfgrenzen keineswegs ideal, vielmehr haben sie sich, wie auch jetzt, den jeweiligen geographischen und geologischen Bedingungen (zum Beispiel der Bodenqualität) bzw. den Verkehrswegen zu Lande und zu Wasser, aber auch anthropogenen Faktoren, angepasst. Hinweise auf „städtische Gemarkungen“ lassen sich ebenfalls in den schriftlichen Quellen des 14. Jahrhunderts zu der Balkanhalbinsel finden. So wird zum Beispiel in einer altslawischen Urkunde des serbischen Lokalherrschers Jovan Dragaš für das Kloster Chilandar auf dem Heiligen Berg Athos aus dem Jahre 1377 das „Dorf Vardišta auf dem städtischen Metochion“ (селѡ вардища на градьскомь метохоу) der Stadt Štip erwähnt13. Offensichtlich war das „städtische Metochion“ jenes Territorium rings um die Stadt, welches den Stadtbehörden unterstand, der Versorgung der Stadt diente und im vorliegenden Fall einen Radius von rund 7 km umfasst haben dürfte. Besagter Radius leitet sich aus der Tatsache ab, dass zwar das Dorf Vardišta jetzt nicht mehr existiert, jedoch eine gleichnamige Flur rund 7 km onö. der Stadt Štip14. Das Toponym Vardišta ist hierbei von griechisch βάρδια (bardia) für „Wache“ bzw. baris für „Turm, Wachtturm“ abzuleiten15. Laut Jelena Mrgić bestand die Umgebung (d. h. der „surrounding district“) von Städten im Allgemeinen aus „land parcels (orchards, vineyards, pastures) of its citizens positioned in the immediate vicinity of the urban settlement and of the villages pertaining to the town. The size of a town district, its economic structure and the pattern of the nestled   Koder, Land Use (wie Anm. 8) 174, 176.   Rade Mihaljčić, Art. Selo. SSV 665f.; Ljubomir Maksimović–Marko Popović, Le village en Serbie médiévale, in: Les Villages dans l’Empire byzantin (IVe–XVe siècle), hg. von Jacques Lefort–Cécile Morrisson–Jean-Pierre Sodini (Réalités byzantines 11, Paris 2005) 329–349. 12   Vassiliki Kravari, L’habitat rural en Macédoine occidentale (XIIIe–XIVe siècles), in: Byzanz als Raum. Zu Methoden und Inhalten der historischen Geographie des östlichen Mittelmeerraumes, hg. von Klaus Belke–Friedrich Hild–Johannes Koder–Peter Soustal (Veröffentlichungen der Kommission für die Tabula Imperii Byzantini 7 = ÖAW, phil.-hist. Kl., Denkschriften 283, Wien 2000) 83–94, hier 88f. 13   Actes de Chilandar. Deuxième partie. Actes slaves, ed. Louis Petit–Basile Korablev (Actes de l’Athos. Vizantijskij vremennik 17/1, St. Petersbourg 1915, Nachdr. Amsterdam 1975) 534 Nr. 60. 14  Vgl. dazu die Karte 1:100.000, Beograd 1962, Blatt Štip. Siehe zu weiteren Beispielen „städtischer Meto­chia“: Miloš Blagojević, Sporovi oko srednjovekovnih medja [Die Auseinandersetzungen um mittelalterliche Grenzen]. Zbornik Matice srpske za istoriju 71–72 (2005) 7–28, hier 9f. 15  Olga Ivanova, Rečnik na toponimite vo oblasta po slivot na Bregalnica [Wörterbuch der Toponyme im Gebiet des Flusslaufes der Bregalnica] (Skopje 1996) 85 (Vardišče bzw. Vardište). 10 11



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villages, varied greatly through space and time, but no town could exist without a district and therefore its borders were known, visibly marked, respected and defended.“16 Etwaige „freie“ Flächen zwischen den städtischen bzw. dörflichen Siedlungseinheiten sind nicht selbstredend als „Lücken“ in der Raumgliederung aufzufassen. Vielmehr konnten sie das Resultat politisch-militärisch-demographisch-wirtschaftlich bedingter Wüstungsprozesse sein17 oder für die Weidewirtschaft in den jeweiligen Regionen genutzt worden sein18.

Quellen Für die Analyse der Struktur von Städten auf der Mikroebene eignen sich verschiedenartige schriftliche Quellen sowohl aus byzantinischer als auch aus osmanischer Zeit. Zu diesen zählen zum Beispiel Praktika, das heißt byzantinische Steuerverzeichnisse, byzantinische und altslawische mittelalterliche Urkunden sowie osmanische Steuerregister, sogenannte Defter. Gerade die mittelalterlichen byzantinischen sowie altslawischen Urkunden zu der historischen Landschaft Makedonien beinhalten reiche Hinweise auf die Raumordnung und Stadtgestalt auf der Balkanhalbinsel, zumal sie teilweise dieselben Regionen betreffen, dieselben Besitzverhältnisse schildern und mitunter parallel abgefasst wurden, wodurch sie wertvolle Informationen zu den jeweiligen stadtspezifischen Termini technici in beiden Sprachen (griechisch und slawisch) enthalten19. In seinem überaus reich dokumentierten Buch zu den Binnengewässern im mittelalterlichen serbischen Reich erläutert Siniša Mišić, dass ebendieses administrativ wie auch territorial in kleinere Einheiten – die sogenannten Župe – gegliedert war20. Im Vergleich zu den Städten stellen die Župe die Makroebene des mittelalterlichen Siedlungsnetzes dar. So erwähnt der serbische König Stefan Uroš II. Milutin in seiner Urkunde für das jetzt nicht mehr existente und nicht lokalisierte Kloster des Heiligen Georg-Gorg bei Skopje aus dem Jahre 1300 die Župa Polog (жѹпа Положка)21. In zwei weiteren Formulierun16   Jelena Mrgić, Transition from Late Medieval to Early Ottoman Settlement Pattern. A Case Study on Northern Bosnia. Südost-Forschungen 65/66 (2006/2007) 50–86, hier 62f. 17  Rade Mihaljčić, Selišta. Prilog istoriji naselja u srednjovekovnoj srpskoj državi [Selišta. Ein Beitrag zur Geschichte der Siedlungen im mittelalterlichen serbischen Reich]. Zbornik Filozofskog Fakulteta 9/1 (1967) 173–224. 18   Mihailo St. Popović, Spätbyzantinische Siedlungen und wlachische Transhumanz in den Flusstälern der Strumica und Kriva Lakavica, in: Südosteuropäische Romania: Siedlungs-/Migrationsgeschichte und Sprachtypologie. Romanistisches Kolloquium XXV, hg. von Wolfgang Dahmen et al. (Tübinger Beiträge zur Linguistik 532, Tübingen 2012) 227–240. 19   Popović, Historische Geographie und Digital Humanities (wie Anm. 1) 28f. 20   Siniša Mišić, Korišćenje unutrašnjih voda u srpskim zemljama srednjeg veka [Die Nutzung der Binnengewässer in den serbischen Ländern des Mittelalters] (Beograd 2007) 195‒197. 21   Die folgenden altslawischen Zitate aus den serbischen mittelalterlichen Urkunden fußen auf den wissenschaftlichen Resultaten eines Research Fellowship, das der Verfasser an der Hilandar Research Library im Rahmen des Resource Center for Medieval Slavic Studies (RCMSS) der Ohio State University vom 13. Juli bis 10. August 2013 wahrnehmen durfte. Mein inniger Dank gilt der Mönchsgemeinschaft des Klosters Chilandar auf dem Heiligen Berg Athos, die die wertvollen Bestände des Klosterarchivs auf Mikrofilmen an der Ohio State University (OSU; Columbus, OH, USA) zur Verfügung gestellt hat. Für die Möglichkeit, an besagter Institution forschen zu dürfen, danke ich aufrichtig dem Resource Center for Medieval Slavic Studies und der Hilandar Research Library, und hier im besonderen Curator Dr. Predrag Matejić und Associate Curator M. A. Pasha Johnson. Der Verfasser greift im Folgenden auf seine überprüfte Lesung der zitierten altslawischen Ur-

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gen derselben Urkunde tritt allgemein die Dichotomie „Stadt“ – „Župa“ deutlich hervor (ѹ коѥи любо жѹпѣ или ѹ градѹ Скопи22 [in welcher Župa auch immer oder in der Stadt Skopje] bzw. по жѹпахь и по градѣхь кралѥвьства ми23 [in den Župe und den Städten meines Königtums]). In Hinblick auf diese Dichotomie ist auch eine ältere Urkunde des bulgarischen Zaren Konstantin Tich Asen für dasselbe Kloster aus dem Zeitraum 1257 bis 1277 überaus aufschlussreich24. Darin wird sogar eine Dreiteilung in „Župa“ – „Stadt“ – „Dorf“ vorgenommen, wie folgender Formulierung zu entnehmen ist: ни вь жѹпѣ, или ѹ коєемь либо градѹ или ѹ чиемь либѡ селѣ [weder in der Župa oder in welcher Stadt auch immer oder in wessen Dorf auch immer]25. Die „Stadt Skopje“ begegnet in der Urkunde des bulgarischen Zaren in den Formulierungen прѣмо Скопии градѹ26 [zur Stadt Skopje hin] und вь градѣ Скопьскомъ27 [in der Stadt Skopje]. In der Urkunde des Königs Milutin aus dem Jahre 1300 wird der „Stadt Skopje“ an mehreren Stellen der „Herrschaftsbereich (oblastь) von Skopje“ gegenübergestellt (ѡбласти Скопьскои28, вь Скопьскои ѡбласти29). In Abgrenzung des „Herrschaftsbereiches von Skopje“ spricht dieselbe Urkunde außerdem vom „Herrschaftsbereich von Polog“ (вь ѡбласти Положькои30) sowie vom „Herrschaftsbereich von Poreč“ (вь ѡбласти Порѣчкои31) (Abb. 2). Die Bezeichnung „область“ (oblastь) ist in erster Linie mit dem lateinischen Wort potestas zu übersetzen. Damit ist zunächst die politische oder geistliche Herrschaft über jemanden oder etwas gemeint. Im übertragenen Sinne wird dieser Terminus auch auf die Herrschaft einer Stadt über bestimmte andere Siedlungen angewandt. Ihm wohnt somit je nach Kontext der Quelle auch eine administrative/geographische Konnotation inne32. Laut einer Urkunde des Königs Milutin in altslawischer Sprache, die er um das Jahr 1300 aus Anlass der Schenkung des kellion der Heiligen Petka im Dorf Tmorane, rund 14 km sö. von Skopje, an das Kloster Chilandar ausgestellt hat, wird ausgeführt, dass der städtische Gouverneur ebendort keine Herrschaft haben solle (и кефалиꙗ градьскыи да не има ѡбласти тамо)33. Dieselbe Urkunde weist außerdem die Formulierung „im Gebiet (strana) von Skopje“ auf (ѹ Скопьской странѣ34; Скопьскѹ страню35; Скопьскѹ странѹ36).

kunden zurück. Das obige Urkundenzitat stammt aus folgendem Mikrofilm der betreffenden Urkunde: SPEC. HM.SDS.132 [Edicts (Serbian)], Zeile 130. 22  HM SDS 132, Zeile 196. 23  HM SDS 132, Zeile 288. 24  Ediert in: Gramoti na manastirot Sv. Georgi-Gorg Skopski [Die Urkunden des Klosters Hl. GeorgGorg bei Skopje], ed. Krasimira Ilievska‒Vladimir Mošin‒Lidija Slaveva (Spomenici za srednovekovnata i ponovata istorija na Makedonija 1, Skopje 1975) 183‒204. 25   Ebd. 195. 26  Ebd. 183. 27   Ebd. 185. 28  HM SDS 132, Zeile 102. 29   Ebd., Zeile 234. 30  Ebd., Zeile 125. 31  Ebd., Zeile 162f. 32  Siniša Mišić, Art. Oblast. SSV 457f. 33  SPEC.HM.SDS.6 [Edicts (Serbian)], Zeile 49f. 34  HM SDS 6, Zeile 2f. 35  Ebd., Zeile 6f., Zeile 10. 36  Ebd., Zeile 56.



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Abb. 2. Die im Beitrag genannten Orte in der historischen Landschaft Makedonien.

Das altslawische Wort „страна“ (strana) ist mit lateinisch latus, pars bzw. regio zu übersetzen. Die griechischen Entsprechungen lauten χώρα, περίχωρος und τὰ μέρη37. In seiner Urkunde des Jahres 1376/77, mit welcher er dem Athos-Kloster Chilandar auf Bitten seines Bruders Gerasim das Kloster des Heiligen Georg-Gorg bei Skopje schenkte, betont der serbische Lokalherrscher Vuk Branković ausdrücklich, dass das Kloster Chilandar von ihm ein kellion in Skopje erbeten hat (и просише ми келию ѹ Скопию38), weil es weder eine Unterkunft noch ein kellion in Skopje habe (не имахѹ прибѣжища, ни келиѥ ѹ Скопию39). Dass das Kloster des Heiligen Georg-Gorg sowohl in der Stadt Skopje selbst als auch außerhalb von Skopje Besitz hatte, ersehen wir aus der Formulierung метохь Светаго Геѡргиꙗ, или ѹ градѹ или на дворѹ що ѥсть Светаго Геѡргиꙗ40 [das Metochion des Heiligen Georg, entweder in der Stadt oder außerhalb, was dem Heiligen Georg gehört] in derselben Urkunde.

37   Zur Übersetzung s. Djuro Daničić, Rječnik iz književnih starina srpskih [Wörterbuch der alten serbischen Literatur] I‒III (Biograd 1863‒1864) III 181‒182; Franz von Miklosich, Lexicon PalaeoslovenicoGraeco-Latinum emendatum auctum (Wien 1862‒1865, Nachdr. Aalen 1977) 887. 38  SPEC.HM.SDS.61 [Edicts (Serbian)] Zeile 3. 39  HM SDS 61, Zeile 3. 40  HM SDS 61, Zeile 5.

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Der Begriff der „Stadt“ Unter dem Begriff „Stadt“ (altslawisch градь, griechisch κάστρον) ist in dieser (d. h. der spätbyzantinischen) Zeit die „Oberstadt“ einer Siedlung zu verstehen. Die „Oberstadt“ hatte Festungscharakter, verfügte über eine Garnison, diente der Verteidigung der Siedlung in ihrer Gesamtheit und konnte – musste aber nicht zwangsläufig – zivile Siedlungsstrukturen aufweisen41. Reiches schriftliches Quellenmaterial zu der inneren Struktur von Städten auf der südlichen Balkanhalbinsel besitzen wir in den Urkunden der Klöster des Heiligen Berges Athos. Ein überaus anschauliches Beispiel ist in diesem Zusammenhang die byzantinische Stadt Melenikos (jetzt bulgarisch Melnik) im Südwesten Bulgariens (Abb. 3)42. In spätbyzantinischer Zeit – zwischen 1309 und 1365 – bezeugen zahlreiche Belege in den besagten Urkunden das kastron von Melnik in unterschiedlichem Kontext wie zum Beispiel: Ἐπεὶ δὲ εὑρίσκεται καὶ ἐντὸς τοῦ κάστρου Μελενίκου ὁ Ἅγιος Παντελεήμων μετὰ καὶ τῶν ὁσπητίων, ὃν ἔκτισα, (1309) oder τῆς ἐν τῷ θεοσώστω κάστρῳ τοῦ Μελενίκου διακειμένης σεβασμίας μονῆς τῆς ὑπεράγνου δεσποίνης καὶ Θεομητορος καὶ ἐπικεκλημένης τοῦ Σπηλαίου (1301–1361) oder Μανουὴλ τοῦ Λεβούνι γραφέντος, τοῦ ἐντὸς τοῦ κάστρου τὸ νομικάτον ἔχοντος (1344)43. Das obenerwähnte kastron erstreckte sich im 14. Jahrhundert über die gesamte Erhebung Sveti Nikola auf einer Fläche von rund 12 ha, die unmittelbar südlich an Melnik mit einer Höhe zwischen 150 und 200 m über Normalnull anschließt. Sie bildete die Oberstadt des mittelalterlichen Melnik, während die Unterstadt im Bereich des jetzigen Siedlungsgebietes von Melnik situiert war. Obwohl das kastron die gesamte Erhebung umfasste, war diese nicht von einem durchgehenden Mauerring umgeben, da die Zugänglichkeit bereits aufgrund der natürlichen Landschaftsmerkmale in Form von steilen Abhängen erschwert wurde bzw. wird (Abb. 4). Archäologisch wurden insgesamt drei Schwerpunkte an Befestigungen festgestellt: An dem südwestlichen Rand der Erhebung Sveti Nikola befinden sich zunächst die Reste der Festung des Despoten Aleksij Slav, der 41   Sima Ćirković, Štip u XIV veku [Štip im 14. Jahrhundert], in: Zbornik na trudovi posveteni na akademikot Mihailo Apostolski po povod 75-godišninata od životot [Sammelband zu Ehren des Mitglieds der Akademie der Wissenschaften Mihailo Apostolski aus Anlass seines 75. Geburtstages] (Skopje 1986) 25‒37, hier 31f.; Johannes Koder, Überlegungen zur ländlichen Siedlungsterminologie der Byzantiner, insbesondere zu chorion, kome und verwandten Termini. Bulgaria Mediaevalis 2 (2011) 3‒14; Ljubomir Maksimović, Charakter der sozial-wirtschaftlichen Struktur der spätbyzantinischen Stadt (13.‒15. Jh.), in: XVI. Internationaler Byzantinistenkongreß, Wien, 4.‒9. Oktober 1981, Akten. I. Teil: Hauptreferate, 1. Halbband: Themengruppen 1‒6 (Wien 1981) 149‒188; Klaus-Peter Matschke, Grundzüge des byzantinischen Städtewesens vom 11. bis 15. Jahrhundert, in: Die byzantinische Stadt im Rahmen der allgemeinen Stadtentwicklung, hg. von dems. (Leipzig 1995) 27–74; ders., Selbstverständnis, Außenansicht und Erscheinungsbilder mittelalterlicher Städte im Byzantinischen Reich, in: Was machte im Mittelalter zur Stadt? Selbstverständnis, Außensicht und Erscheinungsbilder mittelalterlicher Städte. Vorträge des gleichnamigen Symposiums vom 30. März bis 2. April 2006 in Heilbronn, hg. von Kurt-Ulrich Jäschke–Christhard Schrenk (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Heilbronn 18, Heilbronn 2007) 157–201; Popović, Historische Geographie und Digital Humanities (wie Anm. 1) 36f.; Mirjana Živojinović, Settlements with Marketplace Status. ZRVI 24–25 (1986) 407–412. 42   Eine Zusammenfassung der bisherigen Forschungen zu dem spätbyzantinischen Melnik in: Elena Kostova, Medieval Melnik. From the End of the 12th to the End of the 14th Century. The Historical Vicissitudes of a Small Balkan Town (American Research Center in Sofia, Monograph Series 1, Sofia 2013); Mihailo Popović, Zur Topographie des spätbyzantinischen Melnik. JÖB 58 (2008) 107–119. 43  Umfassend zitiert ebd. 108f.



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Abb. 3. Plan der Stadt Melnik in spätbyzantinischer Zeit.

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Abb. 4. Die Erhebung Sveti Nikola bei Melnik mit ihren Befestigungen (in der Bildmitte) von Westen.

höchstwahrscheinlich zwischen 1205 und 1228/29 über Melnik herrschte. Sie wird in der Sekundärliteratur Malkoto ukreplenie („kleine Befestigung“) genannt. Der Zugang zur Festung ist nur von Nordosten möglich, da alle anderen Seiten steil abfallen, und war zusätzlich durch einen Graben gesichert. Der Mauerring der Festung folgte den Gegebenheiten des Terrains. Nordöstlich an die Festung des Aleksij Slav anschließend entwickelte sich der zweite Schwerpunkt an Befestigungen, der sich in der westlichen Hälfte der Erhebung Sveti Nikola auf einer Fläche von 7 ha befand. Schließlich bildete das Kloster Theotokos Spelaiotissa, das sich an dem östlichen Ende der Erhebung befand, den dritten Schwerpunkt an Befestigungen. Obwohl es fortifikatorisch nicht in Verbindung mit dem westlichen Teil der Befestigungsanlage stand, sondern eine eigene Verteidigungseinheit darstellte, gehörte es dennoch zum kastron von Melnik44. Der soeben geschilderte archäologische Kontext legt nahe, dass die Festung des Despoten Aleksij Slav auch mit dem Altslawischen коула (kula) angesprochen werden könnte. Dieser Ausdruck ist jedoch nicht in der jetzigen Wortbedeutung als „Turm“ zu übersetzen, sondern als eine Bezeichnung für eine befestigte Oberstadt (munimentum) zu verstehen, wie Jovanka Kalić ausführt: „Offenbar nannte man im Mittelalter ganze Befestigungsanlagen, arx, castellum – ‚Kula‘, während wir heute dabei an ein einzelnes Gebäude denken, ganz gleich ob es Teil von Wällen ist oder allein steht.“45 Zu Füßen der „Oberstadt“ lag in der Regel die „Unterstadt“ und umfasste die zivile Siedlung samt Marktplatz. In diesem Zusammenhang sind zwei Termini ins Treffen zu führen. Dem griechischen Terminus ἐμπόριον (emporion) entspricht der altslawische   Siehe dazu im Detail ebd. 109–111.   Jovanka Kalić, Was verstand man in den mittelalterlichen serbischen Städten unter „Kula“? Balcano­ slavica 7 (1978) 15‒24, hier 22. 44 45



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Abb. 5a. Die Erhebung Isar in Štip von Osten.

трьгь (trьgь). Das griechische προάστειον (proasteion) ist hingegen dem altslawischen подьградиѥ (podьgradije) gleichzusetzen46. Allerdings lässt der Begriff προάστειον je nach Kontext der schriftlichen Quelle auch die Deutung „Vorstadt“ zu. So herrschte der serbische Adelige Stefan Hrelja Dragovol im Frühling 1342 über die „Vorstadt“ von Melnik – en tō Meleniku proasteiō – und machte die Eroberung von Melnik seitens Johannes’ VI. Kantakuzenos zu einer Vorbedingung für seine Unterstützung. In diesem Falle handelt es sich bei der „Vorstadt“ um eine dörfliche (zeitweilige?) Siedlung von Stadtbewohnern von Melnik außerhalb des städtisch befestigten Bereiches. Möglicherweise ist sie mit dem jetzigen Stadtviertel Sveti Joan Predteča (Hagios Ioannes Prodromos) zu identifizieren, das nordwestlich des Zentrums von Melnik an dem westlichen (rechten) Ufer der Melniška reka liegt (Abb. 3)47. Als weiteres Beispiel sei die Stadt Štip in der historischen Landschaft Makedonien genannt. Am West-Rand der jetzigen Stadt Štip befindet sich die Erhebung Isar (von türk. hisar in der Bedeutung „Burg“, „Festung“) (Abb. 5a), die im Westen von dem Fluss Bregalnica und im Süden von dem Fluss Otinja begrenzt wird. Auf dieser Erhebung sind mit46  Ćirković, Štip u XIV veku (wie Anm. 41) 31f.; Henry George Liddell–Robert Scott–Henry Stuart Jones, A Greek-English Lexicon (Oxford 1996) 1469; Ljubomir Maksimović, Art. Grad. LSSV 122–124; Miklosich, Lexicon (wie Anm. 37) 598, 1006; Lexikon zur byzantinischen Gräzität besonders des 9.–12. Jahrhunderts, 6. Faszikel, hg. von Erich Trapp (Veröffentlichungen der Kommission für Byzantinistik VI/6, Wien 2007) 1377; Desanka Kovačević-Kojić, Art. Podgradje. LSSV 534f. 47  Popović, Topographie (wie Anm. 42) 111f., 119; ders., Die Siedlungsstruktur der Region Melnik in spätbyzantinischer und osmanischer Zeit. ZRVI 47 (2010) 247–276, hier 257.

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Abb. 5b. Die Ober- und Unterstadt von Štip.

telalterliche Befestigungsreste erhalten, jedoch keine zivilen mittelalterlichen Siedlungsspuren gefunden worden (Abb. 5b)48. An dem nordwestlichen, östlichen und südöstlichen Fuß der Erhebung Isar wurden hingegen mittelalterliche Siedlungsreste des 12. bis 14. Jahrhunderts entdeckt49. Des Weiteren begegnet in den Quellen des 14. Jahrhunderts der Marktplatz von Štip (трьгь штипьски)50. Dies wiederum erlaubt eine deutliche Gliederung in Ober- und Unterstadt, wie sie oben definiert wurde. Zahlreiche weitere Beispiele für mittelalterliche Städte auf der Balkanhalbinsel, die dieses Schema der Siedlungsstruktur aufweisen, lassen sich dem historisch-geographischen Lexikon von Siniša Mišić entnehmen51.

48   Arheološka karta na Republika Makedonija 2 [Archäologische Karte der Republik Makedonien 2], hg. von Dimče Koco et al. (Skopje 1996) 447–449; Ivan Mikulčić, Spätantike und frühbyzantinische Befestigungen in Nordmakedonien. Städte – Vici – Refugien – Kastelle (Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 54, München 2002) 402–404 Nr. 341; Marko Popović, Les forteresses dans les régions des conflits byzantinoserbes au XIVe siècle, in: Byzantium and Serbia in the 14th Century (International Symposium 3, Athens 1996) 67–87, hier 73f. 49  Zvonko Beldedovski, Isar, Štip – srednovekovna naselba [Isar, Štip – mittelalterliche Siedlung]. Macedoniae Acta Archaeologica 3 (1977) 195–214; ders., Istoriski i materijalni fragmenti od srednovekoven Štip [Historische und materielle Fragmente des mittelalterlichen Štip]. Macedoniae Acta Archaeologica 15 (1996– 1997) 357–372, hier 365; ders., Srednovekoven Štip niz istoriskite podatoci i materijalnite ostatoci [Das mittelalterliche Štip in den historischen Quellen und materiellen Überresten]. Zavod za zaštita na spomenicite na kulturata i Naroden Muzej – Štip, Zbornik 8 (1998) 7–19, hier 13. 50  Monumenta Serbica spectantia historiam Serbiae Bosnae Ragusii, ed. Franz Miklosich (Wien 1858, Nachdr. Graz 1964) 62f. 51   Leksikon gradova i trgova srednjovekovnih srpskih zemalja prema pisanim izvorima [Lexikon der Städte und Märkte der serbischen mittelalterlichen Länder basierend auf schriftlichen Quellen], hg. von Siniša Mišić (Beograd 2010).



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Neuzeitliche Kartographie Abschließend ist auf die neuzeitliche Kartographie und deren potentiell wichtigen Beitrag in der Erforschung der Städte auf der Balkanhalbinsel in spätbyzantinischer Zeit hinzuweisen. Als pars pro toto sei an dieser Stelle auf zwei Fallbeispiele eingegangen: In der obenerwähnten mittelalterlichen Stadt Skopje gab es laut altslawischer Urkunde des Königs Milutin aus dem Jahre 1300 eine Höhlenkirche des Heiligen Georg (црьквь подь градомь светы геѡргиѥ вь пещерѣ церебѹльскои52) (Abb. 6)53.

Abb. 6. Die Lokalisierung der Höhlenkirche des Heiligen Georg in Skopje.

Aufgrund der Anlage der Befestigung der Oberstadt von Skopje, der Beschaffenheit des sie umgebenden Geländes und des Kontextes der Quelle ist zu vermuten, dass sich die Höhlenkirche des Heiligen Georg beim Abgang von der Oberstadt zur Unterstadt am   HM SDS 132, Zeile 89.   Aufgelistet im Verzeichnis von Miodrag A. Purković, Popis crkava u staroj srpskoj državi [Register der Kirchen im alten serbischen Reich] (Biblioteka hrišćanskog dela 8, Skoplje 1938) 24. 52 53

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westlichen Abhang der Oberstadt befand54. Unmittelbar nach der Nennung der Höhlenkirche des Heiligen Georg folgt eine Passage in der Urkunde des Königs Milutin, in welcher der Besitz der besagten Kirche in Form von Weingärten (сь виногради), Feldern (сь нивиѥмь) und Mühlen (сь млини) aufgelistet wird und die Grenzen desselben beschrieben werden (а мегꙗ ѥ е ѡть пирге коꙗ ѥ подь кѹлѹмь на рѣцѣ та долѹ до пирге водѣне такои и с рѣкомь, и горѣ до пирге поредь водѣнихь врать та низь зьдь градии кѹлѣ)55 [Die Grenze läuft vom Turm, der unterhalb der Kula (Oberstadt) liegt, zum Fluss (Vardar), hinunter zum Turm am Wasser und entlang des Flusses, und ­hinauf zum Turm neben dem Wassertor (Flusstor) und entlang der Mauer der Kula (Oberstadt)]. Der Kontext der soeben zitierten Passage lässt den Schluss zu, dass sich der Besitz der Höhlenkirche westlich der Oberstadt – das heißt zu Füßen derselben – am linken (ö.) Ufer des Flusses Vardar befunden haben muss. Wertvolle Hinweise bietet diesbezüglich eine Reliefkarte – ein 3D-Modell – der Stadt Skopje, die auf der Basis eines Lageplans der Stadt aus dem Jahre 1913 in Zemun im Jahre 1925 hergestellt wurde. Die genaue Entstehungsgeschichte dieses 3D-Modells liegt bisher im Dunkeln und bedarf in naher Zukunft eingehender Erforschung. Derzeit kursieren nur drei Digitalphotographien des Modells auf einer Homepage im Internet, welche von einer Privatperson online gestellt wurden, die behauptet, dass das Modell jetzt öffentlich in einem Museum in Skopje in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien zugänglich sei, jedoch nicht anführen möchte, in welcher Sammlung sich das Objekt exakt befindet56. Laut einer Digitalaufnahme der Legende des Modells auf einer Messingplatte trägt dieses die Bezeichnung: Рељефни план г. Скопља 1912г. Хоризонтални размер 1:5000 вертикални размер 1:1000. Састављен и израђен по Генералном ситуационом плану г. Скопља од 1913 г. 10 маја 1925 г. у Земуну [Reliefplan der Stadt Skoplje aus dem Jahre 1912. Horizontaler Maßstab 1:5000, vertikaler Maßstab 1:1000. Zusammengesetzt und ausgearbeitet gemäß dem Generalsituationsplan der Stadt Skoplje aus dem Jahre 1913 am 10. Mai 1925 in Zemun]57. Die Digitalaufnahmen des 3D-Modells im Internet verdeutlichen, dass sich westlich am Fuße der Oberstadt im Jahre 1913 keine Siedlungsstrukturen befanden (Abb. 7). Vielmehr sind Seitenarme des Flusses Vardar und Schwemmland zu erkennen. Meines Erachtens ist zu vermuten, dass die Situation vor rund 600 Jahre mit großer Wahrscheinlichkeit ähnlich gewesen sein muss. Dies würde die landwirtschaftliche Nutzung des beschriebenen Geländes durch Weingärten und Felder im Wege des Besitzes der Höhlenkirche des Heiligen Georg anschaulich erklären. Gleichzeitig dürften die genannten Mühlen im Jahre 1300 in der Tat Flussmühlen gewesen sein58. In diesem Bereich lagen also unbe54   Siehe zur Lokalisierung der Kirche im Detail: Konstantin Petrov, Kon prašanjeto za mestonaogjanjeto i traenjeto na srednovekovnite Skopski crkvi [Zur Frage der Lokalisierung und Existenz mittelalterlicher Kirchen in Skopje]. Godišen Zbornik na Filozofskiot Fakultet na Univerzitetot – Skopje 21 (1969) 153‒185, hier 160, 170; Mihailo St. Popović, Die Topographie der mittelalterlichen Stadt Skopje zwischen Byzantinischem und Serbischem Reich (13.–14. Jh.). Initial. A Review of Medieval Studies 3 (2015) 35–55. 55  HM SDS 132, Zeile 90‒91. 56  Siehe dazu folgende Links: http://www.build.mk/forum/forum_posts.asp?TID=658 bzw. http://volanskopje.blogspot.co.at/2009/06/1912.html [Zugriff Dezember 2014]. 57  http://www.build.mk/forum/forum_posts.asp?TID=658 [Zugriff Dezember 2014]. Ein wissenschaftlicher Beitrag über die Entstehung dieses Modells und dessen weiteres Schicksal ist seitens des Autors in Vorbereitung und für eine Publikation in der Zeitschrift Initial. A Review of Medieval Studies (Belgrad) geplant. 58  Laut Konstantin Petrov befanden sich in diesem Bereich noch bis zum Zweiten Weltkrieg die Mühle Šaban paša und Gärten bzw. Obstgärten. Siehe dazu Petrov, Kon prašanjeto (wie Anm. 54) 170 Anm. 31.



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Abb. 7. Die Reliefkarte der Stadt Skopje aus dem Jahre 1925.

baute Flächen, über welche die Höhlenkirche verfügte, die sich wiederum in deren unmittelbarer Nähe befanden. Tatsächlich ist die Unterstadt um 1300 südlich und südöstlich der Oberstadt zu situieren, was in der bisherigen Stadtforschung zu Skopje nicht in dieser Form erörtert worden ist. Neuzeitliche Stadtpläne vermögen weiters den Brückenschlag zu der osmanischen Stadt auf der Balkanhalbinsel herzustellen, weil auf ihnen mitunter sowohl byzantinische als auch osmanische Siedlungsebenen und Denkmalsschichten zu erkennen sind. Als zweites Fallbeispiel sei an dieser Stelle einer der vier Stadtpläne des k. k. Konsuls Wilhelm von Chabert aus dem Jahre 1832 genannt, welche die Städte Serres, Sidirokas­ tron, Kavala und Melnik in der historischen Landschaft Makedonien zeigen59. Hervorgehoben sei der Stadtplan von Kavala (Abb. 8), der folgende Beischrift aufweist: Plan von Kavalla in Macedonien, aufgenommen im Jahre 1832 von Wilh. v. Chabert. Auf eiförmig-convexem Vorgebirge, dessen Gipfel der Pulverthurm (:ehmals Citadelle:) bildet. Steinerne Ringmauer – wie in Salonik; eine ähnliche scheidet Stadt und Vorstadt. – Wasserleitung, Schule, Moschee, und andere öffentliche Anstalten von Mehmed Ali Pascha, der in Kavalla gebürtig. – 1400 Häuser, 8000 Einwohner (:6000 Türken, 2000 Griechen oder Bulgaren:)60. Der archäologische Befund des 20. und 21. Jahrhunderts bestätigt sowohl die Beischrift als auch den bildlichen Quellenwert des Stadtplanes des 19. Jahrhunderts. Auf 59  Vgl. zu dem historischen Kontext und den Stadtplänen im Detail: Mihailo St. Popović, Die fünf vorzüglichsten Städte Macedoniens auf Plänen des k. k. Konsuls Wilhelm von Chabert aus dem Jahre 1832. Thetis. Mannheimer Beiträge zur Klassischen Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns 18 (2011) 187–196. 60  ÖStA, HHStA Ke 3-7/7, Festungen 1832, Mazedonien, bzw. ÖStA, Kriegsarchiv KPS KS G I b, 133 (Kavala).

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Abb. 8. Der Stadtplan von Kavala des Wilhelm von Chabert aus dem Jahre 1832 (ÖStA, HHStA Ke 3-7/7, Festungen 1832, Mazedonien).

einer nach Süden vorspringenden Halbinsel namens Panagia liegt der mit Mauern bewehrte dreieckige Kern der Stadt, der von einer Landmauer im Norden und Seemauern im OSO und WSW umschlossen ist. Eine innere Mauer schließt im höchsten Teil der Halbinsel innen südlich an die Nordmauer an, wodurch eine Zitadelle (Akropolis) entstanden ist. Von den Mauern des antiken Neapolis aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. sind nur sehr geringe Reste erhalten. Im 3. Jahrhundert n. Chr. erfuhr die Befestigung eine erste Erweiterung über die Halbinsel hinaus vom Westteil der Nordmauer in nw. Richtung. Aus dem Jahre 926 ist inschriftlich eine Restaurierung der Mauern durch Basileios Kladon, den Strategos von Strymon, belegt. In mittel- oder spätbyzantinischer Zeit erfolgte eine Teilung der Akropolis in einen nördlichen und einen südlichen Teil. Zwischen dem 12. und dem 14. Jahrhundert wurde ein fünfseitiger Turm in der Akropolis errichtet.



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Im Zuge der osmanischen Expansion kam es 1391 zu Zerstörungen, die kurz vor 1425 repariert wurden, als die neuen Stadtherren den inneren Festungsbereich wiederaufgebaut haben. Zwischen 1520 und 1530 erhielten die Wehranlagen im Wesentlichen das jetzige Aussehen, wobei die befestigte Stadt abermals in nordwestlicher Richtung erweitert wurde61. Die ursprünglich byzantinische Stadtgliederung wurde offensichtlich von den Osmanen beibehalten, die einerseits in der Zitadelle einen Pulverturm errichteten und andererseits die innere Mauer als Trennung zwischen Vorstadt und Oberstadt in situ beließen, was durch den k. k. Konsul im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts dokumentiert wurde und für unsere Thematik rund 200 Jahre später von unschätzbarem Wert ist.

61  Phlora Karagianne, Οι βυζαντινοί οικισμοί στη Μακεδονία μέσα από τα αρχαιολογικά δεδομένα (4ος–15ος αιώνας) [Die byzantinischen Siedlungen in Makedonien basierend auf archäologischen Belegen (4.–15. Jahrhundert)] (AIMOS-EMMABP. Aphieromata 2, Thessalonike 2010) 83; Georgios Mpakalakes, Τὸ παρὰ τὴν Χριστούπολιν τείχισμα [Das bei Christupolis gelegene teichisma]. Ἑλληνικά 10 (1937–1938) 307–318; Το παράλιο τείχος της Καβάλας [Die Seemauer von Kavala]. Υπουργείο Πολιτισμού. 12η Εφορεία Βυζαντινών Αρχαιοτήτων (Kabala 2008) 16f.; Peter Soustal, Makedonien, südlicher Teil (TIB 11, Wien [in Vorbereitung]) Lemma Christupolis; Konstantinos Tsures, Νεάπολις – Χριστούπολις – Καβάλα. Διορθώσεις, προσθήκες, παρατηρήσεις στην οχύρωση και στην ύδρευση [Neapolis – Christupolis – Kavala. Berichtigungen, Zusätze, Bemerkungen zur Befestigung und zur Wasserversorgung]. Αρχαιολογικόν Δελτίον 53 (1998, ersch. 2002) B 387–454, hier 387–418, 432f.



Stadtgestalt und Raumordnung in den Städten im lateinischen Westen Katalin Szende

Ein um 1200 lebender anonymer Chronist hat die Eroberung von Buda (später Óbuda/Altofen), einer Siedlung nahe dem Bereich des römischen Legionslagers Aquincum im Nordosten des heutigen Budapest, durch den Hunnenkönig Attila in folgender Weise dargestellt: rex Athila … in terram Pannonie venit et fugatis Romanis regnum obtinuit et regalem sibi locum constituit iux[ta] Danubium super calidas aquas et omnia antiqua opera, que ibi invenit, renovari precepit et in circuitu muro fortissimo edificavit, que per linguam Hungaricam dicitur nunc Buduuar et a Teothonicis Ecilburgu vocatur1. Dieser Text ist eine der wenigen Quellen, welche die Ereignisse der ungarischen Stadtentwicklung direkt mit dem Einfluss der zeitgenössischen deutschen Dichtung, und zwar dem berühmten Nibelungenlied, verknüpft, woraus die (sonst irrtümliche) Verbindung zwischen König Attila und Óbuda (und auch mit dem Legionslager Aquincum) stammt2. Für uns sind jetzt jedoch andere Aspekte dieses Textes noch wichtiger, die auf den allgemeinen Kontext der Fragen über Stadtgestalt und Raumordnung für ganz Mitteleuropa übertragbar sind: nämlich erstens die Fragen nach der Standortwahl und der Rolle von Kontinuitäten und Brüchen mit Vorgängersiedlungen in der Stadtentwicklung und zweitens nach der Rolle der Herrschaftsträger bei diesem Vorgang – Attila, die zeitgenössischen Herrscher des Anonymus um 1200 oder die Fürsten und Könige im Allgemeinen. Dies sind zwei Themen, die in diesem Band im Ost-West-Vergleich betrachtet werden sollen, neben anderen Aspekten der Strukturierung des Stadtraums und Elementen der baulichen Gestalt, die eine Siedlung zur Stadt machten. Meine Darlegungen beziehen sich vor allem auf den östlichen Teil Mitteleuropas, der zwar zum „lateinischen Westen“ gehörte, jedoch enge Kontakte mit dem „griechischen Osten“ pflegte, wobei die Ränder dieser Region sogar eine Art von Übergangszone zwischen den beiden „Welten“ bildeten. Bevor ich aber zu diesen Aspekten übergehe, soll zuerst kurz die Frage der Quellen zum und der Annäherungen an den mittelalterlichen städtischen Raum und dessen geordnete Form, die städtische Topographie, betrachtet werden3. 1  P. magistri, qui Anonymus dicitur, Gesta Hungarorum, ed. Aemilius Jakubovich–Desiderius Pais, in: Scriptores Rerum Hungaricarum tempore ducum regumque stirpis Arpadianae gestarum 1, ed. Imre Szentpétery (Budapest 1937, Nachdr. Budapest 1999) 13–117, hier 35; Elenchus fontium historiae urbanae. Acta collegii historiae urbanae societatis historicorum internationalis III/2, ed. András Kubinyi (Budapest 1997) 20 Nr. 16. 2  Vgl. Enikő Spekner, Buda before Buda: Óbuda and Pest as Early Centres, in: Medieval Buda in Context, hg. von Balázs Nagy–Martyn C. Rady–Katalin Szende–András Vadas (Leiden 2016, im Druck). 3  Über die Forschungsgeschichte des städtischen Raumes, die ich nicht näher betrachte, sondern mich auf

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Quellen und Annäherungen Es gilt als selbstverständlich, dass topographische Forschung nur mit einem interdisziplinären Zugang erfolgreich durchgeführt werden kann, und dass dabei solche Quellen besonders aussagekräftig sind, die eine direkte Lokalisierung von verschiedenen Bauten oder Einrichtungen erlauben, nämlich die physischen Überreste von noch erhaltenen oder bei archäologischen Ausgrabungen freigelegten Gebäuden oder Räumen, die als solche räumlich gut zu bestimmen sind4. Eine Einschränkung liegt aber in dem Umstand, dass es wegen der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Städte praktisch unmöglich ist, die ganze Oberfläche einer Siedlung mit solchen Methoden zu erforschen. Die Ausgrabungsflächen sind noch dazu oft nicht von wissenschaftlichen, sondern von modernen wirtschaftlichen Interessen (d. h. Baustellen) bestimmt – obwohl die Zerstörungen im 2. Weltkrieg in dieser Region besonders viele Arbeiten auslösten. Die genaue zeitliche Einordnung der Überreste, die Bestimmung der chronologischen Horizonte, kann auch problematisch sein, da die Befunde oft nur mittels verschiedener indirekter Methoden (Stratigraphie, Münzen, Typologie, Dendro-Daten) mit jeweils unterschiedlicher Genauigkeit datierbar sind5. Als die andere Hauptgruppe von zeitgenössischen Quellen zur städtischen Topographie muss man die Schriftquellen in Betracht ziehen. Von diesen sind charakteristischer Weise nicht die am Anfang zitierten narrativen, sondern die zumeist von städtischen oder herrschaftlichen Amtsträgern verfassten administrativen Quellen von höchster Relevanz, obwohl räumliche Beziehungen selbst in solchen Quellen oft nicht genau, sondern nur relativ angeführt sind. Die Lage eines Gebäudes oder Objekts ist in Bezug auf seine Nachbarn oder auf ein lokales, oft nicht mehr existierendes Merkmal angegeben, oder – wie bei den Steuerlisten und Grundbüchern – nur aus der Reihenfolge der Einträge zu erschließen. Die Flächenerfassung solcher Quellen ist aber viel größer, sie beziehen sich oft auf das gesamte Stadtgebiet oder wesentliche Teile der Stadt und sie sind auch chronologisch gut einzuordnen, oft auf den Tag genau datiert. In den westeuropäischen Städten sind Register über Hauseigentümer oder Hausverkauf schon seit dem Hochmittelalter überliefert die Forschung der letzten paar Jahrzehnte konzentriere, s. Michel Pauly–Martin Scheutz, Der Raum und die Geschichte am Beispiel der Stadtgeschichtsforschung, in: Cities and their Spaces. Concepts and their Use in Europe, hg. von dens. (Städteforschung A/88, Köln–Weimar–Wien 2014) 1–14. 4   Das Problem der Verknüpfung der Schriftquellen und Archäologie wird anhand verschiedener Fallbeispiele ausführlich diskutiert im Sammelband: Die mittelalterliche Stadt erforschen – Archäologie und Geschichte im Dialog, hg. von Armand Baeriswyl–Georges Descœudres–Martina Stercken–Dölf Wild (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 36, Basel 2009), bes. in den Beiträgen: Armand Baeriswyl–Roland Gerber, Unterschiedliche Quellen, ein Ziel. Das Projekt einer interdisziplinären Häuserdatenbank der Stadt Bern als Beispiel für eine engere Zusammenarbeit zwischen Archäologie und Geschichte (S. 11–20); Georges Descœudres, Archäologie und Geschichte. Unterschiedliche Überlieferung – unterschiedliche Wirklichkeit? (S. 53–59); Darja Mihelič, Das Zusammentreffen von Geschichte und Archäologie. Methodologische Überlegungen zum Verhältnis Geschichte – Archäologie (S. 165–172); Katalin Szende, Geschichte und Archäologie bei der Erforschung der mittelalterlichen Stadtentwicklung in Ungarn. Die Ebenen der Zusammenarbeit am Beispiel von Budapest (S. 193–202). 5  S. die Beiträge von Matthias Untermann, Archäologie in der Stadt: Zum Dialog der Mittelalterarchäologie mit der südwestdeutschen Stadtgeschichtsforschung, in: Stadt und Archäologie, hg. von Bernhard Kirchgässner–Hans-Peter Becht (Stadt in der Geschichte 26, Stuttgart 2000) 9–44; Mechthild Neyses, Einsatz und Bedeutung der Dendrochronologie in der Stadtgeschichtsforschung, in: ebd. 45–59; Katalin Szende, Medieval Archaeology and Urban History in some European Countries, in: Urban History. The Norwegian Tradition in a European Context, hg. von Steinar Supphellen (Trondheim Studies in History 25, Trondheim 1998) 111–132.



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und für einige Ortschaften (wie etwa Winchester, London, Lübeck) exemplarisch ausgewertet6. Im Mittel- und Ostmitteleuropa betreffen sie aber meist erst das Spätmittelalter oder die Frühe Neuzeit und fehlen weitgehend für die früheren Perioden, in denen die Grundlagen des Stadtgrundrisses ausgebildet wurden7. Dasselbe gilt auch für die meisten bildlichen Stadtdarstellungen und Veduten, die zuerst eher allegorisch, im Hintergrund von religiösen Szenen, und erst später, seit dem 16. Jahrhundert, als selbständige „porträtartige“ Motive in den Erzeugnissen der bildenden Künste zu finden sind. Selbst dann muss man aber auf die Entstehungskontexte und Sinnstiftungen Bedacht nehmen. Stadtbilder und Veduten sind zwar Quellen zur Stadtgestalt, nicht aber unbedingt eine allgemein zuverlässige Darstellung der Bausubstanz8. Etwas anders ist die Lage bei den kartographischen Quellen, besonders bei den genau vermessenen, parzellengetreuen Karten (Katasterkarten, ordnance survey maps), die in der Regel nicht von den jeweiligen Stadtbehörden, sondern erst im Zug der Verwaltungsmaßnahmen des frühmodernen Staates des späten 18. oder 19. Jahrhunderts hergestellt worden sind. Die Frage bezüglich dieser attraktiven und detailreichen Quellengattung ist, wie weit sie für die Rekonstruktion früherer Perioden herangezogen werden kann. Die frühere Forschung, in den 1960er und 1970er Jahren, war in dieser Hinsicht eher optimistisch und leitete die vermuteten „Gründungsgrundrisse“ der Städte direkt von den Katasterkarten ab. Dieselben „Urkataster“ wurden – und werden bis jetzt – als Grundlagen für die Stadtkarten der historischen Städtealtanten, eine systematische Reihe von kartographischen Quellenpublikationen, verwendet. Die Reaktion der Archäologen auf diese Methode war besonders negativ, da die Befunde der Ausgrabungen den Katasterkarten oft widersprachen. Man muss aber nicht das Kind mit dem Badewasser ausgießen und den Quellenwert der Katasterkarten oder ähnlicher früher Vermessungen völlig abstreiten9. Ein sehr nützliches Konzept ist dabei die von angelsächsischen Geographen entwickelte Vorstellung der „Stadt als Palimpsest“, d. h. eine Stadtkarte (oder selbst ein Stadtgrundriss) trägt gleichzeitig Spuren von zahlreichen nacheinander folgenden Perioden in sich, die mittels sorgfältiger Forschung voneinander unterschieden werden können10. Deshalb 6   Derek Keene, Survey of Medieval Winchester (Winchester Studies 2, Oxford 1985); Rolf HammelKiesow, Hauseigentum im spätmittelalterlichen Lübeck. Methoden zur sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Auswertung der Lübecker Oberstadtbuchregesten, in: Archäologische und schriftliche Quellen zur spätmittelalterlichen Geschichte der Hansestadt Lübeck. Materialien und Methoden einer archäologisch-historischen Auswertung, hg. von Alfred Falk–Rolf Hammel-Kiesow (Lübecker Schriften zur Archäologie und Kulturgeschichte 10, Bonn 1987) 85–300. 7  András Kubinyi, Die Rolle der Archäologie und der Urkunden bei der Erforschung des Alltagslebens im Spätmittelalter, in: Études historiques hongroises publiées à l’occasion du XVIe Congrès International des ­Sciences Historiques 1, hg. von Ferenc Glatz–Ervin Pamlényi (Budapest 1985) 615–644, am Beispiel von Prag: Martin Musílek, Stadtbevölkerung und Raum. Die soziale und räumliche Veränderung der Prager Altstadt im 14. Jahrhundert, in: Cities and their Spaces (wie Anm. 3) 273–287. 8   Bernd Roeck, Das historische Auge. Kunstwerke als Zeugen ihrer Zeit. Von der Renaissance zur Revolution (Göttingen 2004); Martina Stercken–Lotti Frascoli, Hülle als Konzept. Konstruktion und Rekonstruktion von Stadtbildern, in: Die mittelalterliche Stadt erforschen (wie Anm. 4) 181–192. 9  S. die Einleitung des Bandes Städteatlanten. Vier Jahrzehnte Atlasarbeit in Europa, hg. von Wilfried Ehbrecht (Städteforschung A/80, Köln–Weimar–Wien 2013); zur hier angeführten Problematik besonders: Katalin Szende, How Far Back? Challenges and Limitations of Cadastral Maps for the Study of Urban Form in Hungarian Towns, in: ebd. 153–190. 10   M. R. G. Conzen, Urban Morphology: A Geographical Approach, in; ders., Thinking about Urban Form. Papers on Urban Morphology 1932–1998, hg. von Michael P. Conzen (Oxford–Bern–Berlin 2004) 47–59, hier 51.

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werde ich auch in meinem Beitrag manche Beispiele mit Hilfe der Städteatlanten als Werkzeuge der vergleichenden Stadtgeschichtsforschung präsentieren. Ähnlich ist meiner Meinung nach die Toponymik zu behandeln, die ebenso ein komplexes Amalgam aus verschiedenen Perioden ohne eindeutige zeitliche Fixierbarkeit darstellt11. An diesem Überblick sieht man zweifelsfrei, dass keine Quellengruppe allein alle erforderlichen Angaben für eine zuverlässige topographische Rekonstruktion der vorindustriellen Stadt bietet, daher muss man unbedingt von einer Verknüpfung aller Quellengattungen ausgehen. Dazu liefern die neuen, mit EDV unterstützten Methoden, wie historische GIS, ausgezeichnete Werkzeuge, mit denen man diese Verknüpfung wesentlich wirksamer ausführen kann. Dieses Verfahren sollte aber nicht das Ziel, sondern nur das Mittel sein, das zu neuen Fragestellungen der Geographie, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und der historischen Raumsoziologie über die Benutzung und die Besonderheiten des städtischen Raumes führt. Seit der Arbeit von Henri Lefebvre denkt man an den Raum als ein aktives Agens, das selbst Beziehungen zwischen Menschen gestaltet, womit eine Wechselwirkung zwischen Raum und Gesellschaft entsteht12. Diesen Gedanken folgend, möchte ich dahingehend argumentieren, dass man nicht nur Quellen und Methoden braucht, um die Topographie der vorindustriellen Stadt „nachzubilden“, sondern die Topographie selbst einen eigenen Quellenwert hat. Die Gestalt und Ordnung des städtischen Raumes kann sogar in solchen Fällen gewisse geschichtliche Prozesse, wie z. B. Kulturtransfer, Kolonisation oder Herrschaftsausübung beleuchten und erklären, wenn keine anderen Quellen darüber zur Verfügung stehen.

Landschaft und Standortwahl Es ist keine Besonderheit des lateinischen Westen, dass die Städte an den günstigst gelegenen Standorten entstanden sind und dass die Anpassung an die natürliche Topographie sehr viel von der Stadtentwicklung und dem Stadtgrundriss erklären kann. Von Seiten der Naturwissenschaften hat die Entwicklung der historischen Geographie und Klimaforschung zur genaueren Beschreibung und zum Verständnis der räumlichen Bedingungen in der Vergangenheit geführt13. Berücksichtigt man die Lage der im Hochmittelalter im Mitteleuropa neu gegründeten Herrscher- und Bischofssitze, fällt auf dem ersten Blick auf, wie stark sie von Flüssen und Strömen beeinflusst wird. Um das Beispiel von Ungarn zu nennen, spielte die Donau als der wichtigste Wasserlauf des Karpatenbeckens praktisch seit der Zeit der Staatsgründung an der Wende des 10. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Machtzentren14. Die frühen Regierungs- und Handelszentren Esztergom (Gran), (Ó)buda und Pest, die 11  Ferdinand Opll, Topographische Benennungen in der mittelalterlichen Stadt als Spiegel von Raumvorstellungen, in: Cities and their Spaces (wie Anm. 3) 43–63, mit weiterführender Literatur. 12  Łukasz Stanek, Henri Lefebvre on Space. Architecture, Urban Research, and the Production of Theory (Minneapolis–London 2011). 13  Im allgemeinen: Heinz Heineberg, Stadtgeographie (Paderborn 32006) bes. 74f.; zahlreiche Beispiele in der Spezialnummer von Siedlungsforschung. Archäologie, Geschichte, Geographie 14 (1996) mit dem Schwerpunktthema: Kulturlandschaftsmuster und Siedlungssysteme. 14  Vgl. den Sammelband Die Stadt am Fluß, hg. von Erich Maschke–Jürgen Sydow (Stadt in der Geschichte 4, Sigmaringen 1978); für die Donau: Katalin Szende, Stadt und Naturlandschaft im ungarischen Donauraum des Mittelalters, in: Europäische Städte im Mittelalter, hg. von Ferdinand Opll–Christoph Sonnlechner (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 52, Innsbruck–Wien–Bozen 2009) 365–397.



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Abb. 1. Standorte der Bischofssitze im Karpatenbecken im 11. Jahrhundert. Zeichenerklärung: Vorgängersiedlung aus der Römerzeit, ----- Komitatssitz (Entwurf: Katalin Szende, Zeichnung: András Vadas).

beiden Erzbischofssitze Esztergom und Kalocsa sowie zwei weitere Bischofssitze, Győr (Raab) und Vác (Waitzen), wurden gleichermaßen am Donauufer gegründet. Andere Diözesansitze lagen an Nebenflüssen der Donau oder der Theiss: Zagreb an der Save, (Nagy-)Várad (Großwardein, Oradea) am Körös (Criş), Csanád (Cenad) und Gyulafehérvár (Alba Iulia) am Fluss Maros (Mureş). Besonders günstig waren die Flussmündungen, wie etwa die der Raab bei Győr oder der Garam (Hron) gegenüber Esztergom – die Stadt wurde aber in beiden Fällen am rechten Ufer, mit einem leichterem Zugang zur Landesmitte, gegründet (Abb. 1). Diese maßgebliche Bedeutung der Flüsse ist keine Besonderheit des Karpatenbeckens: Im mittelalterlichen Europa konnte sich kein Ort ohne Verbindung zu mindestens einem Fluss zur Großstadt entwickeln, wie die Beispiele von Wien an der Donau, Prag an der Moldau, Breslau (Wrocław) an der Oder oder Krakau (Kraków) an der Weichsel und zahlreiche andere zeigen. Die jeweils günstigste Lage besaßen solche Orte, wo die wichtigsten Landstraßen die größten Flüsse überquerten, d. h. die für den Verkehr sowohl entlang der als auch über die Wasserwege geeignet waren, was auch die Nutzung dieser Orte als Umschlagplätze ermöglichte. Die Kreuzungen von Landstraßen und Wasserwegen waren immer wichtige Stellen, die eine Verstädterung förderten15. So gilt dies etwa für die Lage von Preßburg (Pozsony, Bratislava) genau dort, wo die Donau ohne Insel und Nebenarme überquert werden kann16. 15  Peter Csendes, Die Stadt im Straßennetz, in: Stadt. Strom – Straße – Schiene. Die Bedeutung des Verkehrs für die Genese der mitteleuropäischen Städtelandschaft, hg. von Alois Niederstätter (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 16, Linz 2001) 55–66. 16  Brezalauspurc – na križovatke kultúr, hg. von Juraj Šedivý–Tatiana Štefanovičová (Dejiny Bratislavy

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Fernhandelsstraßen galten ebenso als stadtgestaltende Elemente und wurden, wie etwa bei dem nach Krakau führenden Weg in Košice (Kaschau) und Prešov (Preschau), bisweilen als Hauptstraßen in den Stadtgrundriss integriert17. Das Gegenteil konnte ebenfalls vorkommen: Mit der Einbeziehung des Semmering-Passes in den regulären Verkehr im späten 12. Jahrhundert (die u. a. zur Gründung der Stadt Wiener Neustadt führte) verloren die an der ehemaligen Bernsteinstraße liegenden westungarischen Städte, z. B. Körmend und Szombathely (Steinamanger), ihre frühere Bedeutung18. Neben diesen Aspekten können auch das Aufeinandertreffen von hügeligen und flachen Landschaften, die Anwesenheit von eventuellen Vorgängersiedlungen, Mineralressourcen und andere Bedingungen für die Entwicklung von Städten von maßgeblicher Bedeutung sein. Einseitige, auf einer einzigen Ressource beruhende Stadtgründungen – wie etwa die Bergbaustädte Kutná Hora (Kuttenberg), Freiberg, Banská Štiavnica (Schemnitz) und viele andere – unterlagen jedoch den Gefahren der Erschöpfung der Lagerstätten, von Versorgungskrisen und späterer Schrumpfung19. Wie es auch diese Beispiele zeigen, waren es nicht immer die gleichen Stellen, die als günstig galten. Kirchenadministration, Machtrepräsentation, Verteidigung, Warenaustausch oder gewerbliche Produktion benötigten Siedlungen mit unterschiedlichen geographischen Gegebenheiten und Raumnutzungen, die zur Entwicklung von Sondertypen wie Bischofs-, Residenz-, Festungs-, Handels- oder Industriestädten führten. In verschiedenen Perioden gab es unterschiedliche Prioritäten, welche die Standortwahl bestimmten, und die Veränderung der Prioritäten konnte zur Schrumpfung oder Verlegung und Transformation der ursprünglichen Siedlung führen. Als Beispiel aus einer großen Fülle von Städten im westslawischen Raum kann man den sehr gründlich erforschten Fürsten- und Bischofssitz Breslau anführen (Abb. 2), der zuerst auf zwei Inseln des Flusses Oder entstanden ist, die in unruhigen Zeiten gut verteidigt werden konnten und von den übrigen Teilen der Bevölkerung abgesondert waren. Seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts hat dann aber die Wichtigkeit der sich außerhalb des früheren Siedlungskerns kreuzenden Handelswege zugenommen, und der Stadtkern wurde demzufolge auf das linke Ufer der Oder verlegt. Die neue Lage war so günstig, dass gleich drei Markplätze angelegt worden sind und bald nach der ersten Ummauerung eine Erweiterung des bebauten Areals zustande kam20. Ein anderes Muster zeigt die Entwicklung der Hauptstadt Ungarns, des heutigen Budapest, wo im Mittelalter die drei selbständigen Städte Buda, Pest und Óbuda lagen. Der 1. Od pociatkov do prelomu 12. a 13. storočia, Bratislava 2012) [Brezalauspurc – Am Kreuzweg der Kulturen (Die Geschichte von Pressburg 1. Vom Beginn bis zur Wende des 12.–13. Jahrhunderts)] bes. 29–57 (über die Naturlandschaft), 361–439 (über die Besiedlung im 11.–13. Jh.). 17   Katalin Szende, Towns Along the Way. Changing Patterns of Long-Distance Trade and the Urban Network of Medieval Hungary. In: Towns and Communication 2. Communication between Towns, hg. von Hubert Houben–Kristjan Toomaspoeg (Lecce 2011) 161–225, hier 207–209 und Abb. 6. 18  Magdolna Szilágyi, On the Road: The History and Archaeology of Medieval Communication Networks in East-Central Europe (Archaeolingua. Series minor, Budapest 2014) 66–76. 19  Herwig Ebner, Österreichische Bergbaustädte und Bergmärkte im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Jahrbuch für Regionalgeschichte 16 (1989) 57–72; Bergbaureviere als Verbrauchszentren im vorindustriellen Europa. Fallstudien zu Beschaffung und Verbrauch von Lebensmitteln sowie Roh- und Hilfsstoffen (13.–18. Jahrhundert), hg. von Ekkehard Westermann (VSWG Beih. 130, Stuttgart 1997). 20  Exemplarisch: Mateusz Goliński, Zu den räumlichen Veränderungen Breslaus nach der Lokation, in: Rechtsstadtgründungen im mittelalterlichen Polen, hg. von Eduard Mühle (Städteforschung A/81, Köln–Weimar–Wien 2011) 157–168.



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Abb. 2. Wrocław, schematischer Grundriss der Altstadt und der Dominsel (umgezeichnet von András Vadas aufgrund von Goliński, Veränderungen [wie Anm. 20] 160 Abb. 1).

Übergang über die Donau mit einer Fähre war in diesem Bereich (und sonst nirgends zwischen Visegrád und Dunaföldvár auf einer Länge von 170 km) an mindestens drei Stellen innerhalb einer etwa 4 km langen Strecke des Flusses möglich, was zur Entstehung von mehreren Siedlungen führte, die mit Wegen in unterschiedliche Richtungen verbunden wurden; am wichtigsten war jedoch die Fähre an der nördlichen Seite von Pest. Der Mongolensturm von 1241/42 zeigte jedoch klar, dass diese Orte kaum zu verteidigen waren, und deshalb wurde eine neue Siedlung mit Namen Buda oder Novus mons Pestiensis (d. h. der neue Berg von Pest) von den zwei früheren Ansiedlungen auf den sonst gar nicht verkehrsgünstigen Burgberg verlegt bzw. neu gegründet21. Es war auch nicht egal, wie breit sich der „stadtgestaltende“ Fluss erstreckte, und ob es möglich war, eine ständige Verbindung zwischen den zwei Ufern zu schaffen. Was die Donau betrifft, gab es östlich von Regensburg keine feste steinerne Brücke: Der Fluss war zu breit und oft in zu viele instabile Seitenarme zerteilt, wie z. B. bei Wien, so dass sich 21  András Kubinyi, Die Anfänge Ofens (Osteuropastudien der Hochschulen des Landes Hessen. Reihe I. Gießener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens 60, Berlin 1972); András Végh, Urban Development and Royal Initiative in the Central Part of the Kingdom of Hungary in the 13th–14th centuries. Comparative Analysis of the Development of the Towns of Buda and Visegrád, in: Stadtgründung und Stadtwerdung. Beiträge von Archäologie und Stadtgeschichtsforschung, hg. von Ferdinand Opll–Susanne Claudine Pils–Christoph Sonnlechner (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 22, Linz 2011) 431–446.

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ein Brückenbau überhaupt nicht lohnte. Die Pontonbrücke bei Preßburg, deren Bau im 15. Jahrhundert von verschiedenen Herrschern besonders für militärische Zwecke versucht wurde, musste letztlich aufgegeben werden22. Welchen Unterschied eine ständige Brücke für das Verkehrsnetz bedeutete, kann aufgrund solcher Beispiele beurteilt werden, wo diese Aufgabe schon im Mittelalter gelöst wurde. Brücken wie z. B. die Judithund Karlsbrücke in Prag ermöglichten die ununterbrochene Benutzung der Landstraßen und verstärkten die Kontakte zwischen Stadtteilen an beiden Ufern. Solche Unternehmen wurden in der Regel von Herrschern finanziert – in Prag die erste von Wladislaw II. (1158–1172), der die Brücke nach seiner Frau nannte, die zweite von Kaiser Karl IV. (1346–1378), der stolz seinen eigenen Namen auf die neue Brücke übertrug. Ebenso diente der steinerne pons regalis von Krakau für König Kazimir III. (1333–1370) als Prestigeprojekt, besonders da er in die nach dem König benannte Neugründung Kazimierz führte23. Ströme vor der Regulierung bildeten zahlreiche Inseln, die den Übergang wesentlich verkomplizierten. Im Gebiet der mittelalterlichen ungarischen Hauptstadt gab es nur eine Insel, die Margaretheninsel (insula leporum im Mittelalter), die die Fährenverbindung nicht störte und einen idealen Standort für Klöster und Pilger zum Grab der seligen Prinzessin Margarethe sowie eventuell für diplomatische Verhandlungen anbot24. Die Oder bei Breslau bildete im Wesentlichen zwei Inseln, wovon die Dominsel auch ein „heiliger Ort“ mit Kathedrale, Bischofspalast und Kloster war. Die Stadt Kazimierz wurde ebenso auf einer großen Insel erbaut – und weitere Beispiele könnten in großer Zahl zitiert werden25.

Urbanität und Zentralität An den hier dargestellten günstigen Standorten entwickelten sich jedoch nicht ausschließlich Siedlungen von städtischem Charakter. Die Aufgaben der Stadtgeschichtsforschung wurden von Anfang an von Definitionsversuchen bestimmt, um das Phänomen Stadt von einer Fülle anderer Siedlungsformen abzusondern. Um die Komplexität der Städte besser erfassen zu können, haben Geographen, Historiker und Archäologen verschiedene Kriterienbündel entwickelt: Je mehr von diesen in einer Siedlung zu einem bestimmten Zeitpunkt zu finden sind, desto stärkeren städtischen Charakter hatte sie. Tafel 1 umfasst und vergleicht (etwas vereinfachend) zwei solche Versuche: links das vom britischen Archäologen Richard Hodges eigentlich für das Früh- und Hochmittelalter erarbeitete System26; rechts die vom ungarischen Stadthistoriker András Kubinyi (1929– 22   Peter Schmid, „Regensburg liegt gar schön. Die Gegend musste eine Stadt herlocken“, in: Europäische Städte (wie Anm. 14) 327–349; Peter Csendes, Urban Development and Decline on the Central Danube 100–1600, in: Towns in Decline, AD 100–1600, hg. von Terry R. Slater (Aldershot 2000) 137–153. 23  Zoë Opačić, Architecture and Ceremony in Cracow and Prague, 1335–1455, in: Medieval Art, Architecture and Archaeology in Cracow and Lesser Poland, hg. von Agnieszka Rożnowska-Sadraei–Tomasz Węcławowicz (British Archaeological Association, Conference Transactions 37, Leeds 2014) 95–117, hier 96. 24   András Vadas, Long-term Perspectives on River Floods. The Dominican Nunnery on Margaret Island (Budapest) and the Danube River. Interdisciplinaria Archaeologica. Natural Sciences in Archaeology 4/1 (2013) 73–82. 25  Jerzy Piekalski, Von Köln nach Krakau. Der topographische Wandel früher Städte (Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters. Beih. 13, Bonn 2001) 141–158. 26  Richard Hodges, Dark Age Economics. The Origins of Towns and Trade, AD 600–1000 (London– New York 1982) 21–25, mit weiterer Literatur. Vgl. auch Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelal-



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2007) zusammengestellte Liste, der eine quantitative Methode zur objektiveren Erfassung von städtischem Charakter und Zentralität der Siedlungen im spätmittelalterlichen Ungarn entwickelte27. Er wählte nur Kategorien aus, die aufgrund der zur Verfügung stehenden Quellen quantitativ zu erfassen sind, die dann zu einer entsprechenden Zahl von „Zentralitätspunkten“ umgerechnet und addiert wurden28. Hodges Verteidigungsfähigkeit

Kubinyi Residenz (königliche, adelige)

Geplantes / reguläres Straßennetz Markt/ Märkte Münze Rechtliche Sonderstellung, Autonomie Rolle als Zentralort Relativ hohe Bevölkerungszahl und -dichte Ausdifferenzierung der Wirtschaftsgrundlage Grundstücke und Häuser städtischen Typs Komplexe Sozialstruktur Komplexe Kirchenorganisation Zentraler Gerichtsort

Marktabhaltungsrecht (Wochen-, Jahrmarkt) Finanzverwaltung Rechtliche Sonderstellung Lage im Straßennetz des Landes Zahl der Handwerker- und Handelszünfte Zahl der in einer ausländischen Universität immatrikulierten Studenten Kirchenzentren, Kirchenverwaltung Zahl der Bettelordensklöster und Spitäler Gerichtsort, glaubwürdige Stelle

Tafel 1: Kriterien zentralörtlicher Stellung nach Hodges, Dark Age Economics (wie Anm. 26) und Kubinyi, Városhálózat (wie Anm. 27).

Kubinyis Absicht war eigentlich, die Grenzen der Urbanität – oder die Übergangzonen zwischen Städten und Märkten (oppida) sowie Märkten und Dörfern – klarer zu definieren. Deshalb waren in seiner numerischen Auswertung (s. Tafel 2) die niedrigeren Stufen stärker ausdifferenziert. Mit Hilfe dieser „zentralörtlichen Indizes“ gelang es ihm auch darüber hinaus, das hierarchisch strukturierte Netzwerk von Siedlungen mit zentralen Funktionen in einer quantitativen Form darzustellen und die durchschnittlichen Entfernungen zwischen zwei Zentren von ähnlicher Zentralität zu bestimmen, die besonders in der flachen Landschaft der ungarischen Tiefebene einen hohen Grad von Regelmäßigkeit aufwiesen und ein System bildeten (Tafel 2; Abb. 3)29: Die Entfernung zwischen Ofen und Preßburg war z. B. ter 1150–1550. Stadtgestalt, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft (Wien–Köln– Weimar 2012) 48f. (1.2.2.5 Definitionen und Kriterienbündel). 27   Die letzte neu bearbeitete Beschreibung dieses Systems erschien als András Kubinyi, Városhálózat a késő középkori Kárpát-medencében [Das Städtenetz im Karpatenbecken im Mittelalter]. Történelmi Szemle 46 (2004) 1–30 (http://www.tti.hu/images/kiadvanyok/folyoiratok/tsz/tsz2004-1-2/001-030_Kubinyi.pdf [Zugriff April 2015]); in deutscher Sprache ist die Methode nur in einer früheren Fassung dargestellt: ders., Mezővárosok egy városmentes tájon. A középkori Délnyugat-Magyarország (Marktflecken in einer Region ohne Städte. Südwestungarn). Tapolcai Városi Múzeum Közleményei 1 (1989) 319–335, deutsch 331–335. 28   Darum sind Kriterien wie etwa Bevölkerungszahl und Stadtplan/Straßensystem bei ihm nicht aufgenommen. 29   Die Tabelle wurde aufgrund verschiedenen Beschreibungen, Beispielen und Karten in den diesbezügli-

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Abb. 3. Netzwerk der zentralen Orte auf der ungarischen Tiefebene (Kubinyi, Városfejlődés [wie Anm. 29], Faltkarte zwischen S. 102/103).

dreimal so groß wie diejenige zwischen Ofen und Székesfehérvár (Stuhlweißenburg). Diese Abstände, die von den Zeitgenossen mit der Grundeinheit Rast30 beschrieben wurden, bestimmten auch die Durchmesser der Einzugsbereiche („Marktkreise“) für die Wochenbzw. Jahrmärkte um die Zentren in den unterschiedlichen Kategorien. Dieses Raumgliederungsmodell kann praktisch mit dem für die spätbyzantinische Zeit kalkulierten System chen Arbeiten von András Kubinyi zusammengestellt, besonders András Kubinyi, Városfejlődés és vásárhálózat a középkori Alföldön és az Alföld szélén [Stadtentwicklung und Marktnetzwerk in der ungarischen Tiefebene und an deren Rand im Mittelalter] (Szeged 2000) 33–36 und Faltkarte vor S. 103. 30  Der Abstand zwischen zwei Ortschaften, innerhalb dessen es verboten war, am selben Tag einen Wochenmarkt abzuhalten. S. Das Ofner Stadtrecht. Eine deutschsprachige Rechtssammlung des 15. Jahrhunderts aus Ungarn, ed. Karl Mollay (Monumenta historica Budapestinensia 1, Budapest–Weimar 1959) 131 Kap. 208: eÿn rast aber czwo meylenn.



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verglichen werden. Besonders der Abstand einer „Standard Market Town (SMT)“ zur Provinzhauptstadt weist eine auffällige Ähnlichkeit mit der unteren Kategorie der in Tafel 2 stehenden Angaben auf31. Es wäre die Aufgabe der zukünftigen Forschung, den Kreis der in den Vergleich einzubeziehenden Daten zu erweitern. Zentralitätspunkte 41–60 (Stadt 1) 31–40 (Stadt 2) 21–30 (Markt 1) 16–20 (Markt 2) 11–15 (Markt 3)

Abstand / Marktkreis (km, ca.) 160–180

Abstand (Meilen)

Abstand (Rast)

Beispiel für den Abstand

24

12

60–64

8

4

30–32 14–16

4 2

2 1

Ofen – Preßburg Pest – Szeged Ofen – Székesfehérvár Debrecen – Várad Cegléd – Kecskemét Németi – Csenger

Tafel 2: Zusammenhänge von Zentralitätspunkten und Abständen zwischen urbanen Zentren in Ungarn (nach Kubinyi, Városfejlődés és vásárhálózat, wie Anm. 29).

Urbanität und Baugestalt Viele von den in der Tafel 1 aufgelisteten Kriterien beziehen sich direkt oder indirekt auf bauliche Elemente oder die Stadtgestalt der jeweiligen Siedlung. Das Rückgrat der Stadt bildeten nach wie vor die Straßen und Plätze, welche die Grundstücke der Bürger als Grundelemente der städtischen Topographie sowie die unterschiedlichen öffentlichen Gebäude umfassten und den Verkehr und Austausch zwischen diesen ermöglichten. Obwohl dieselben Einrichtungen sich auch in Dörfern befanden, waren ihr Ausmaß und ihre Komplexität (zusammen mit den anderen Kriterien) für die Städte ausschlaggebend32. Die Wichtigkeit des Marktplatzes (oder einer Reihe von nach Warentypen ausdifferenzierten Marktplätzen) als wesentlichster Bestandteil der städtischen Topographie, ohne den keine mittelalterliche Stadt ihre Funktionen ausüben konnte, kann nicht überbetont werden. Daneben oder manchmal damit gleich verbunden ist auch die Frage des kommunalen Platzes, der vor allen politische Funktionen hatte, als eine topographische und konzeptionelle Entwicklung spätmittelalterlicher Städte hervorzuheben. Bei dieser Umgestaltung des städtischen Raumes muss man die Rolle des Stadtrats im Unterschied zu stadtherrlichen oder kirchlichen Maßnahmen betonen. Die feinen Details der Veränderungen können mit den Methoden der Archäologie sowie aufgrund städtischer Rechnungsbücher untersucht werden33.   S. den Beitrag von Mihailo St. Popović in diesem Band.   Anngret Simms, Urban Corporate Governance and the Shaping of Medieval Towns, in: Shapers of Urban Form. Explorations in Morphological Agency, hg. von Peter J. Larkham–Michael P. Conzen (London 2014) 63– 80; dies., Interlocking Spaces: The Relative Location of Medieval Parish Churches, Churchyards, Marketplaces and Town Halls, in: Ireland, England and the Continent in the Middle Ages and Beyond: Essays in Memory of a Turbulent Friar, F. X. Martin, hg. von Howard B. Clarke–J. R. S. Phillips (Dublin 2006) 222–232. 33  Karsten Igel, Die Entdeckung des Platzes. Die Entstehung und Gestaltung kommunaler Plätze – Methoden ihrer Erforschung, in: Die mittelalterliche Stadt erforschen (wie Anm. 4) 79–88. 31 32

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Abb. 4. Wien, die Lage des Herzogshofs und der Hofburg (umgezeichnet von András Vadas aufgrund von Mitchell, Erweiterung [wie Anm. 34] 383 Abb. 1).

Auf das Thema des regulären oder geregelten Straßennetzes werde ich im nächsten Abschnitt im Rahmen der Frage der Stadtplanung und Planstädte zurückkommen. Zuvor möchte ich aber zwei Aspekte betrachten, die auch in den Städten des griechischen Ostens vorhanden waren und die Gestalt dieser Siedlungen wesentlich beeinflussten: Befestigungen oder befestigte Anlagen bzw. Kirchen, Klöster und andere kirchliche Einrichtungen. Im Folgenden werden diese Aspekte besonders im Hinblick auf den mittel- und ostmitteleuropäischen Raum für das Hoch- und Spätmittelalter in den Blick genommen. Bezüglich der Stadtbefestigungen, Stadtmauern, Tore, Türme, anderer Wehrbauten, und damit verbunden (oder davon räumlich etwas abgesondert) der Anwesenheit von herrschaftlichen Residenzen, sind mehrere Fragen zu beantworten: ob sie gemeinsam oder nacheinander entstanden sind, ob sie als ein einheitliches Verteidigungssystem funktionierten, und wie lange sie ihre Rolle erfüllt haben. Dieselben Fragen können für die Städte sowohl im griechischen Osten als auch im lateinischen Westen gestellt werden. Als Beispiel möchte ich hier, vom genius loci des Tagungsortes bestimmt, die Situation in Wien ansprechen (Abb. 4). Die erste, von Heinrich Jasomirgott (der ja mit der Byzantinerin Theodora Komnena verheiratet war) um die Mitte des 12. Jahrhunderts errichtete Residenz befand sich innerhalb der Stadt in der westlichen Ecke des ehemaligen römischen Legionslagers, am heutigen Platz Am Hof. (Die Überreste des Gebäudes konnten



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Abb. 5. Thorn / Toruń, Wachstumsphasenkarte, Atlas Historyczny Miast Polskich 2 (wie Anm. 35), mit freundlicher Genehmigung von R. Czaja.

wegen der späteren Bebauungen nicht vollständig freigelegt werden.) In den folgenden Jahrzehnten wurde das Areal des ehemaligen Legionslagers parzelliert und die Besiedlung wesentlich verdichtet. Am Anfang des 13. Jahrhunderts initiierte Herzog Leopold VI. (1198–1230) als Landesherr den Bau einer neuen Stadtmauer (annähernd im Verlauf der heutigen Ringstraße bzw. entlang der Donau und des Wienflusses, an natürliche Geländekanten angepasst), was ein fünfmal so großes Areal wie zuvor umfasste. Gleichzeitig wurde der alte Herzogshof von einer größeren und stärkeren, am südwestlichen Rande der damaligen Stadt erbauten Burg an der Stelle der heutigen Hofburg abgelöst. Die neue Lokalisierung zeigt gleichzeitig die Verschiebung des Verhältnisses zwischen Stadt und Herrschaft: Nun standen die Burg und der Hof deutlich abgerückt neben der Stadt an deren Mauer, kontrollierend, jedoch separat. Insgesamt wurde die Siedlung an die Bedürfnisse einer damaligen „Residenzstadt“ angepasst, wobei das Zusammenspiel, aber auch die Hierarchie zwischen dem Landesherrn und der Bürgerschaft durch die Topographie deutlich gemacht wurde34. Die Stadt Toruń (Thorn) im Kulmerland (Polen) ist gleichfalls ein gutes Beispiel für die Gestaltung und Wechselwirkung von Herrschaftsresidenz und Stadtmauer (Abb. 5). Die vom Deutschen Orden 1231 gegründete (Alt-)Stadt wurde zunächst 1236 an die heutige Stelle verlegt und nach einer zweiten Erweiterung um einen Hauptplatz und die dazugehörigen regelmäßigen Baublöcke ummauert. Die einige Jahrzehnte später gegründete und 34  Ferdinand Opll, Planung oder Genese? Zur städtischen Entwicklung Wiens bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, in: Europäische Städte (wie Anm. 14) 217–252; Paul Mitchell, Die Erweiterung von Wien unter Herzog Leopold VI., in: Wandel der Stadt um 1200. Die bauliche und gesellschaftliche Transformation der Stadt im Hochmittelalter, hg. von Karsten Igel–Michaela Jansen–Ralph Röber–Jonathan Scheschkewitz (Materialhefte zur Archäologie in Baden-Württemberg 96, Stuttgart 2013) 383–394.

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mit anderen, nicht so großzügigen Privilegien ausgestattete Neustadt erhielt ihre Mauer schon völlig separat. Die Mauer trennte nicht nur zwei Stadtgemeinden, sondern auch zwei Rechtsbereiche. Die Burg des Stadtgründers, des Deutschen Ordens, liegt mächtig zwischen den beiden Stadtteilen an der Weichsel. Wenn eine Burg in der Mitte der Stadt oder eng damit verbunden angelegt wurde, konnte es die Bürgerschaft nicht vermeiden, mit dem Besitzer der Burg (sei er ein weltlicher Landesherr oder ein kirchlicher Orden) zu kooperieren35. Die Stadtmauern waren oft auch physisch mit kirchlichen Einrichtungen verbunden, wobei die Mauern der Kirchen(apsiden) oder der Kirchhöfe in die Stadtmauer einbezogen und die geistlichen Kommunitäten als ein Teil der Schutzgemeinschaft von Stadt und Kirche konzipiert wurden. Fast jede der schon erwähnten Städte könnte hier als Beispiel angeführt werden. Es waren vor allen Bettelordensklöster, die eng an den Stadtmauern angesiedelt wurden; in Buda war sogar die älteste Pfarrkirche (die heutige Matthias-Kirche) in den ersten Mauerring einbezogen. Die Frühe Neuzeit brachte eine noch stärkere Umgestaltung der Wehrbauten mit sich, und manchmal der ganzen Stadt. Die Bischofstadt Győr (Raab) sei hier als Beispiel angeführt. Ursprünglich war nur die auf einem Hügel erbaute Bischofsburg (bei der Mündung des Flusses Raab, an der Stelle einer römischen Festung) ummauert, während die darunter liegenden Stadtteile höchstens mit einer Palisade umgegeben waren. Wegen der Bedrohung durch die Osmanen musste man aber die Bischofsburg und das ehemalige suburbium zu einer damals als sehr modern geltenden Festungsstadt umgestalten – nicht zum Wenigsten, weil die Stadt als eine „Vorburg“ für Wien zur Verteidigung der Kaiserstadt diente. Die Mauer von Győr wurde erst nach den Napoleonischen Kriegen, nach 1809, abgerissen36. Die zeitgenössischen Militärkarten zeigen, dass im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts die meisten mitteleuropäischen Städte, entweder wegen der Kriege gegen das Osmanische Reich oder des Dreißigjährigen Kriegs, mit modernen Wehranlagen versehen wurden. Die Festungsstadt, die militärtechnisch schon eine neue Entwicklung darstellt, kann gleichzeitig als die extremste Form des alten Konzepts der Stadt als Militäranlage (castrum) betrachtet werden, bei der alle anderen (wirtschaftlichen und administrativen) Funktionen der Verteidigung untergeordnet sind. Die Stadtmauern wurden oft rechtlich sowie symbolisch (wie etwa auf Stadtwappen und -siegeln) als Gestaltungselement der Stadt gesehen37. Jedoch waren nicht notwendig alle mittelalterlichen Städte in dieser Region (oder in anderen Regionen des lateinischen Westen) ummauert. Bei den Marktflecken oder Kleinstädten kann man sich leicht vor35  Historischer Atlas Toruń/Thorn, hg. von Antoni Czacharowski (Atlas Historyczny Miast Polskich 2, Toruń 1995); Sławomir Gawlas, Die Lokationswende in der Geschichte mitteleuropäischer Städte, in: Rechtsstadtgründungen (wie Anm. 20) 77–105, bes. 95–97. 36  Lajos Gecsényi, Ungarische Städte im Vorfeld der Türkenabwehr Österreichs. Zur Problematik der ungarischen Städteentwicklung, in: Archiv und Forschung. Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv in seiner Bedeutung für die Geschichte Österreichs und Europas, hg. von Elisabeth Springer–Leopold Kammerhofer (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 20, Wien–München 1993) 59–77. Über die Transformationen der Topographie von Győr s. auch Szende, How Far Back? (wie Anm. 9) 157–159, 168–171, Abb. 8. 37  S. die Beiträge im Band: Bild und Wahrnehmung der Stadt, hg. von Ferdinand Opll (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 18, Linz 2004): Darja Mihelič, Siegel erzählen – Fallbeispiel: Mittelalterliche Städte auf slowenischem Gebiet (S. 97–117); Alois Niederstätter, Das Stadtsiegel: Medium kommunaler Selbstdarstellung. Eine Annäherung anhand von Beispielen aus dem habsburgisch-österreichischen Alpen- und Donauraum (S. 143–156); Ferdinand Opll, Wiener Stadtansichten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit (15.–17. Jahrhundert) (S. 157–187); Josef Žemlička, Die böhmisch-mährische Stadt in den Bild- und Quellenzeugnissen des Mittelalters und der frühen Neuzeit (S. 285–299).



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stellen, dass sie sich wegen ihrer geringeren Bedeutung oder ärmeren Stadtherren den Mauerbau nicht leisteten oder vielleicht mit nur einem Erdwall oder Palisaden ihr Auslangen fanden. Es gab aber auch reiche Städte, meistens Bischofsstädte, wo nur die Kathedrale und ihre unmittelbare Umgebung mit Mauern versehen waren. So wurde etwa die reiche Bischofs- und Handelsstadt (Nagy-)Várad (Großwardein, Oradea) 1550 sogar als civitas amplissima et nullis moeniis circumdata, in planitie existens beschrieben38. Vordringlich ist auch die Frage der komplexen kirchlichen Organisation näher zu betrachten, ein Faktor, der bei mittelalterlichen Städten eine außerordentlich wichtige Rolle spielte. Jede Stadtansicht aus der Frühen Neuzeit macht den Betrachtern durch die große Zahl von Kirchentürmen klar, wie große Auswirkungen die Kirchenorganisation auch auf das Baugefüge der Stadt hatte. An der Spitze der Kirchenorganisation standen die Kathedralen der Bistümer und Erzbistümer – Kirchen, die praktisch ausschließlich mit Städten verbunden sind. Kathedralstädte stellen ja eine besondere Form von Residenzstädten dar, die eine Schlüsselrolle bei der Kontinuität der Stadt als Siedlungsform, administrative Einheit und Lebensraum von der Spätantike ins Mittelalter spielten. Diese kirchlichen Zentren waren die Kerne – oder Überreste –, wo auch nach dem Niedergang der westlichen Hälfte der Römischen Reiches die Kontinuität der christlichen Glaubens- und Rechtspraxis sowie der schriftlichen Administration weiter bewahrt wurde. Die Verknüpfung des Bischofssitzes mit einer Stadt – civitas – ist ein eminent wichtiger Bestandteil dieser Kontinuität. In den meisten Bischofsstädten römischen Ursprungs auch nördlich der Alpen (wie z. B. in Köln), ist mit einem Weiterleben der Befestigungslinien sowie einiger Steinbauten, besonders der Kathedrale, zu rechnen. Die bischöfliche Residenz lag in der Nähe der Kathedrale, im Fall von Köln im Areal einer alten fränkischen Königspfalz, wo ihre Gebäude (aedes episcopales) im 11. Jahrhundert in curia regia lokalisiert wurden39. Diese Verknüpfung von Herrschermacht und Kirchenmacht ist im Falle von späteren Diözesangründungen außerhalb des ehemaligen römischen Reichs noch stärker zu finden. Die Missionsbistümer, wie z. B. Münster in Westfalen oder Magdeburg, Meißen, Halberstadt und andere weiter im Osten gegründete, sind auch Zentren der Stadtentwicklung geworden, wobei der ursprüngliche, mit Wällen befestigte Siedlungskern, die Domburg, eine bauliche sowie rechtliche Sonderstellung genoss. Die Bischofssitze waren von einer reichen kirchlichen Landschaft mit unterschiedlichen geistlichen Institutionen (Stiften, Klöstern, Frauengemeinschaften) umgeben, die den städtischen Raum strukturierten und eventuell zur Weiterentwicklung des bebauten Areals beitrugen. Die vom Bischof gegründeten und erhaltenen Institutionen, wie die Kathedralschule und die Spitäler, sind auch Knotenpunkte der städtischen Topographie geworden. Die Bischöfe haben auch mit anderen Bauprojekten wie Wegen, Brücken, Mühlgängen oder Wehrbauten, zur planmäßigen Weiterentwicklung ihrer Städte beigetragen; es ist aber fraglich, ob zeitgenössische Planungskonzepte auch übergreifende Leitmotive wie Kirchenkreuze verwendeten40.   Georgius de Reychersdorff, Chorographia Transylvaniae et Moldaviae (Coloniae Agrippinae 1595).   Edith Ennen, Bischof und mittelalterliche Stadt. Die Entwicklung in Oberitalien, Frankreich und Deutschland, in: Stadt und Bischof, hg. von Bernhard Kirchgässner–Wolfram Baer (Stadt in der Geschichte 14, Sigmaringen 1988) 29–42; das Zitat in der Vita Annonis archiepiscopi Coloniensis, ed. Rudolf Köpke, in: MGH SS XI (Hannover 1854) 462–518, hier 503 Z. 55f. 40   Maßgebend für alle Aspekte einschließlich der Stadtgestalt: Frank G. Hirschmann, Die Anfänge des Städtewesens in Mitteleuropa. Die Bischofssitze des Reiches bis ins 12. Jahrhundert 1–3 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 59/1–3, Stuttgart 2011–2012), bes. Bd. 3. 38 39

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Im Gegensatz zu den westlichen Teilen Europas wurde in Ostmitteleuropa die Möglichkeit zur Kontinuität der Bischofsstädte mit römischen Vorgängern selbst in den ehemaligen Römerprovinzen nicht wahrgenommen. In Ungarn hat z. B. Szombathely (Steinamanger), das römische Savaria, der im ganzen Mittelalter bekannte Geburtsort des hl. Martin, keine Prominenz in der Kirchenorganisation erhalten, obwohl die Stadt als Sabaria sancti Martini sogar auf einer so weit entfernten Quelle wie der mappa mundi von Hereford dargestellt ist. Im Allgemeinen machten das römische Erbe oder der Mangel dessen in dieser Region keinen Unterschied für die spätere Stadtentwicklung: Prag, Breslau oder Krakau sind ebenso wichtige Zentren geworden wie Wien oder Belgrad. Es waren ohne Ausnahme politischstrategische Ansätze der Machtausübung und Herrschaftsausdehnung, die die Standortwahl der neuen Bistümer und ihrer Kathedralen bestimmten. Die Verbundenheit von Königs­ palast und Kathedrale sieht man ebenso deutlich in Esztergom, Prag oder Krakau41. Die geistliche Seite des kommunalen Lebens wurde jedoch nicht von den Kathe­ dralen, sondern von den Pfarrkirchen und den oft mit den Pfarrkirchen konkurrierenden städtischen Klöstern, besonders den seit dem frühen 13. Jahrhundert existierenden Niederlassungen der Bettelorden, bestimmt. Diese Klöster sind binnen einiger weniger Jahrzehnte zu gängigen, fast unverzichtbaren Bestandteilen der städtischen Topographie geworden, deren Standort bei planmäßigen Stadtgründungen schon in der ersten Bauphase festgelegt wurde. In der oben erwähnten Stadt Toruń z. B. wurden in den beiden Stadtteilen, der Altstadt und der Neustadt, neben ihren eigenen Pfarrkirchen in dieser ein Dominikaner- und in jener ein Franziskanerkloster gegründet. Bei der Verlegung von Plzeň (Pilsen) (von der älteren Siedlung Starý Plzenec) wurde ebenso von Anfang an mit zwei Bettelordensklöstern gerechnet, die in einander diagonal gegenüber liegenden Ecken der Stadtbefestigung situiert waren (Abb. 6). In anderen Städten war die Verdichtung der Klöster größer: Im 1194 gegründeten Wiener Neustadt erbaute man auf dem Areal der ziemlich begrenzten Innenstadt nicht weniger als fünf Männer- und Frauenklöster an strategisch determinierten Stellen42. In anderen Neugründungen oder umgestalteten Siedlungen des 13. Jahrhunderts sind Bettelordensklöster – im Gegensatz zu den wesentlich älteren westeuropäischen Städten – an zentral gelegenen Standorten zu finden. Gute Beispiele dafür liefern die Dominikaner- bzw. Franziskanerklöster von Buda, Preßburg und Sopron (Ödenburg), deren Lage markant zeigt, dass die Prozesse der Stadtgestaltung und Klostergründung parallel und gleichzeitig verliefen. Daraus kann man auch ohne eine Gründungsurkunde auf die Unterstützung des Stadtherrn, in den erwähnten Fällen von ungarischen königlichen Freistädten des ungarischen Herrschers, schließen43. 41  Béla Zsolt Szakács, Town and cathedral in medieval Hungary. Hortus Artium Mediaevalium 12 (2006) 207–220; Petr Sommer–Dušan Třeštík–Josef Žemlička–Zoë Opačić, Bohemia and Moravia, in: Christianization and the Rise of Christian Monarchy. Scandinavia, Central Europe and Rus’, c. 900–1200, hg. von Nora Berend (Cambridge 2010) 214–262, hier 241–248; Przemysław Urbańczyk–Stanisław Rosik, Poland, in: ebd. 263–318, hier 296f.; Nora Berend–József Laszlovszky–Béla Zsolt Szakács, The kingdom of Hungary, in: ebd. 319–368, hier 335f. 42   S. die entsprechenden Städteatlanten Toruń/Thorn (wie Anm. 35); Plzeň/Pilsen, bearb. von Jan Anderle et al. (Historicky atlas mest Ceské republiky 21, Praha 2009); Wiener Neustadt, bearb. von Gertrud Gerhartl (Österreichischer Städteatlas, Lieferung 1, Wien 1982). 43  Historical Atlas of Buda, bearb.von András Végh (Historical Atlas of Hungarian Towns 4, Budapest 2015); József Laszlovszky, Crown, Gown and Town. Zones of Royal, Ecclesiastical and Civic Interaction in Medieval Buda and Visegrád, in: Segregation – Integration – Assimilation. Religious and Ethnic Groups in the Medieval Towns of Central and Eastern Europe. hg. von Derek Keene–Balázs Nagy–Katalin Szende (Farnham 2009) 179–203.



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Abb. 6. Matthäus Merian, Pilsen / Plzeň, Gesamtansicht aus der Vogelschau aus der Zeit der Belagerung von 1618. Kupferstich / Radierung, 1633. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/1618#/media/File:Siege_of_Pilsen.jpg.

Kirchliche und weltliche Räume waren auch durch die Wohnbereiche der Kleriker miteinander verflochten. In Sopron findet man z. B. die interessante Entwicklung eines „Pfründnerviertels“, das sich zwischen dem Stadtkern und der ungewöhnlich weit entfernt liegenden Pfarrkirche erstreckte (Abb. 7). Dieses Viertel entsprach mutatis mutandis den zahlreichen Kapitelstraßen in anderen Städten, wo die Mitglieder der Dom- oder Kollegiatkapitel in bestimmten städtischen Häusern wohnten; in Sopron waren es die Benefiziaten der lokalen Kirchen, die die Liegenschaften benutzten 44. In diesem Viertel lag auch das Spital, recht nah einer Brücke, wo sich die Straßen aus Wien und Preßburg trafen. Dieser Standort zeigt sehr deutlich, dass das Spital – wie auch anderswo im Mittel- und Westeuropa – Herberge für Pilger und andere bedürftige Reisende bot45. Die Tatsache, dass die Spitäler seit dem hohen Mittelalter eine typische städtische Einrichtung darstellten, weist auf ihre Rolle als kommunale Versorgungsanstalten hin. Die Feststellung: „je höher der Urbanisierungsgrad einer Region …, desto früher finden sich Hospitalstiftungen und desto zahlreicher sind sie“, scheint besonders für Mittel- und Ostmitteleuropa gültig zu sein. Hier waren Spitäler in einem noch hö44  Beitrag von Ferenc Dávid zum Historical Atlas of Sopron, bearb. von Ferenc Jankó–József Kücsán– Katalin Szende (Historic Atlas of Hungarian Towns 1, Sopron 2010) Karte B.1.1 und Gazetteer S. 75f. 45  Michel Pauly, Peregrinorum, pauperum ac aliorum transeuntium receptaculum. Hospitäler zwischen Maas und Rhein im Mittelalter (VSWG Beih. 190, Stuttgart 2007).

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Abb. 7. Sopron, Pfründner-Viertel, Historical Atlas of Sopron (wie Anm. 44), Karte B.1.1 (Entwurf: Ferenc Dávid, Zeichnung: József Kücsán), mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber.

heren Ausmaß feste Bestandteile einer Gründungs- bzw. Lokationsstadt als die Bettelordensklöster46. 46  Frank Hatje, Institutionen der Armen-, Kranken- und Daseinsfürsorge im nördlichen Deutschland (1500–1800), in: Europäisches Spitalwesen. Institutionelle Fürsorge in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Martin Scheutz–Andrea Sommerlechner–Herwig Weigl–Alfred Stefan Weiss (MIÖG Ergbd. 51, Wien– München 2008) 307–350, das Zitat auf 310f. Die Beiträge von Petr Svobodný, Die Spitäler in Böhmen und Mähren im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: ebd. 351–380; Judit Majorossy–Katalin Szende, Hospitals in Medieval and Early Modern Hungary, in: ebd. 409–454; und Marek Słoń, Spitäler in der Kirchenprovinz Gnesen im Mittelalter. MIÖG 115 (2007) 209–233, bes. 213–219, bekräftigen denselben Zusammenhang.



Stadtgestalt und Raumordnung in den Städten im lateinischen Westen 115

Die Insassen der Spitäler können in gewisser Hinsicht – wegen ihrer Herkunft, ihres Alter oder ihrer finanziellen Lage – als marginal betrachtet werden. Im verstärkten Maße galt dies aus religiösen Gründen für die nichtchristlichen Einwohner (d. h. Juden) in den hier angesprochenen Städten. Wenn man jedoch die Lage der Synagogen und Judenviertel betrachtet, fällt eher eine betonte Zentralität oder mindestens eine gute und kurze Verbindung dieser Einrichtungen zum Marktplatz bzw. zur Stadtmitte auf. Es gibt sehr wenige Beispiele dafür, dass Juden sich in Suburbien und nicht in der ummauerten Innenstadt niederließen. Bei den spätmittelalterlichen Vertreibungen wurde es sogar als Anklage formuliert, dass die Juden die am günstigsten gelegenen Straßen der jeweiligen Städte bewohnten. Diese Situation ist teilweise mit den Ansprüchen der Juden, aber noch besser mit den Interessen der Landes- bzw. Stadtherren zu erklären, die die Juden als „Kammerknechte“ betrachteten und ihnen den nötigen Platz und Schutz zusicherten. Ähnlich wie bei den Bettelorden ist die Topographie der Judenniederlassungen auch als Quelle für die Rolle der Stadtherren bei ihrer Ansiedlung heranzuziehen, da explizite schriftliche Dokumente fehlen. Es kann dabei aber im Laufe der Zeit zu Änderungen gekommen sein: Üblicherweise verschlechterte sich die Stellung der Juden in den Städten des späten Mittel­alters im Vergleich zu ihrer früheren Position. Dieser Vorgang hing mit der Veränderung der geschäftlichen und finanziellen Tätigkeit der Juden zusammen, in deren Zug sie von der Hochfinanz zu Pfandleihgeschäften übergehen mussten, was oft (z. B. in Buda, Preßburg oder Graz) mit einem Standortwechsel der Synagoge, des Judenviertels oder der Judengasse verbunden war47.

Raumordnung und Herrschaftsausübung, Stadtgründung und Stadtplanung Stadtherren und Bürgergemeinden wurden in diesem Beitrag schon mehrmals hinsichtlich unterschiedlicher städtischer Einrichtungen angesprochen. Nirgendwo sollte ihre Rolle so ausschlaggebend gewesen sein wie bei der Stadtgründung und Stadtplanung – oder doch nicht? Die Frage, ob städtische Siedlungen planmäßig gegründet wurden oder einfach gewachsen sind, beschäftigt die Forschung in den letzten Jahrzehnten sehr intensiv, nicht zuletzt dank der Debatte um die Städteatlanten, nämlich ob und inwieweit ein scheinbar regelmäßiger Stadtgrundriss aufgrund von späteren Karten in eine frühere Zeit zurückprojiziert werden darf. Man sieht eine gewisse Pendelbewegung zwischen den oft antithetisch konzipierten Vorstellungen, nicht nur bezüglich der Prozesse selbst, sondern auch im Hinblick auf ihre Träger: Waren sie Herrscher oder Kaufleute, Einheimische oder Fremde48? Hier spielt die Stadtarchäologie durch die Freilegung und Interpretation der frühesten Phasen der Besiedlung eine entscheidende Rolle. Jüngst ist es z. B. dank der sorgfältigen Auswertung zerstreut liegender Fundorte gelungen, eine wesentliche Umge47   Martha Keil, Orte der jüdischen Öffentlichkeit: Judenviertel, Synagoge, Friedhof, in: Ein Thema – zwei Perspektiven. Juden und Christen in Mittelalter und Frühneuzeit, hg. von Evelyne Brugger–Birgit Wiedl (Innsbruck–Wien–Bozen 2007) 170–186; Markus J. Wenninger, Von der Integration zur Segregation. Die Entwicklung deutscher Judenviertel im Mittelalter, in: ebd. 195–217. Über die Situation in Ungarn: Katalin Szende, Traders, Court Jews, Town Jews. Changing Roles of Hungary’s Jewish Population in the Light of Royal Policy between the Eleventh and the Fourteenth Centuries, in: Intricate Interfaith Networks, hg. von Ephraim Shoham-Steiner–Gerhard Jaritz (Turnhout 2016, im Druck). 48   Die Frage wurde besonders scharf von Peter Johanek angesprochen: Peter Johanek, Stadtgründung und Stadtwerdung im Blick der Stadtgeschichtsforschung, in: Stadtgründung und Stadtwerdung (wie Anm. 21) 127–160.

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staltung der Städte Esslingen, Breisach und Zürich nachzuweisen49. Ein wichtiges Ergebnis dieser Untersuchungen ist, dass die Begriffe „gewachsen“ und „gegründet“ nicht unbedingt als diametral entgegengesetzt, sondern dynamisch verstanden werden sollen. Es kann freilich nicht geplante Gründungsstädte und nicht im traditionellen Sinne des Wortes gegründete Planstädte gegeben haben. Die Beispiele von Chemnitz und Heidelberg zeigen ebenso, dass Planung nicht unbedingt mit einem Gründungsakt verknüpft sein musste, wie dass ein regelmäßiger, sogar schachbrettartiger Grundriss nicht der einzige Gradmesser einer bewussten Förderung der Stadtentwicklung ist50. Die Frage der Beziehung der frühstädtischen Entwicklung zu den späteren „Rechtsstadtgründungen“ tritt in Ostmitteleuropa etwas verschärft auf  51. Die Forschungen in praktisch allen Ländern dieser Region sind bemüht, explizit oder implizit zu beweisen, dass die Urbanisierung hier schon vor der Ostsiedlung wallonischer und deutscher Siedler begonnen hat und sich zumindest teilweise auf lokale Wurzeln stützte. Diese Ergebnisse wurden dadurch bestätigt (und glücklicherweise von ihren politischen Untertönen befreit), dass in den letzten Jahrzehnten auch in den deutschsprachigen Gebieten vergleichbare Formen frühstädtischer Entwicklung entdeckt wurden52. Die Spuren einer frühstädtischen, sich auf mehrere, voneinander getrennte kleinere Siedlungskerne stützenden Entwicklung wurden sowohl in Königs- und Bischofssitzen des 11. und 12. Jahrhunderts, wie Krakau, als auch in anderen Zentren lokaler oder regionaler Bedeutung, wie etwa Litoměřice (Leitmeritz) und in praktisch allen ungarischen Bischofsstädten nachgewiesen53. Die Umgestaltung der frühen Zentren ging meistens als eine Verdichtung vor sich, die auch eine geordnete Gestaltung des Stadtkerns umfasste. In der deutschen Forschung betont man jüngst besonders die Veränderungen der städtischen Bau- und Raumstruktur um 1200, die zur Entwicklung eines „städtebaulichen Kanons“ führte. Es gab Modelle und Prinzipien, wie z. B. die Ausmessung von Bauparzellen von identischem Ausmaß entlang systematisch angelegter Straßenlinien, die sich fast sprunghaft verbreiteten und zur Gründung oder Umgestaltung von zahlreichen Städten im Mitteleuropa führten. „Während zuvor die Gestalt einer Stadt noch nicht fest definiert zu sein scheint, entwickelt sich im 12. Jahrhundert eine feste Vorstellung davon, wie eine Stadt auszusehen habe. Sie wird im 13. Jahrhundert zu einem ‚must have‘, zu einem Kriterium für Stadt, das man haben will oder haben muss, um sich als Stadt zu fühlen und von aussen als solche anerkannt zu werden.“54 Sławomir Możdzioch hat diesen Verdichtungsprozess erhellend graphisch 49  Michaela Jansen, Stadtumgestaltung im Hochmittelalter. Die Städte Esslingen, Breisach und Zürich im Vergleich (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 35, Darmstadt 2014) bes. 169–190. 50  Dies., Gegründet & geplant. Hochmittelalterliche Stadtgründungen – die vielseitigen Facetten eines Begriffspaares, in: Die mittelalterliche Stadt erforschen (wie Anm. 4) 89–98. 51   Gawlas, Lokationswende (wie Anm. 35) 83–90; Jan Klápště, Zu den Anfängen des böhmischen Städtewesens aus der Sicht archäologischer Erkenntnisse, in: Stadtgründung und Stadtwerdung (wie Anm. 21) 187–204; Sławomir Moździoch, Zu den Anfängen des polnischen Städtewesens aus der Sicht archäologischer Erkenntnisse, in: ebd. 245–267. 52  Peter Johanek, Frühe Zentren, werdende Städte, in: Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung, hg. von Jörg Jarnut–Matthias Wemhoff–Nicola Karthaus (MittelalterStudien 13, München 2006) 511–538. 53  Atlas historyczny miast polskich 5, Małopolska 1: Kraków / Historic Atlas of Polish Towns 5, Lesser Poland 1: Kraków, hg. von Zdzisław Noga (Kraków 2007); Historicky atlas mest Ceské republiky 1: Litoměřice – Leitmeritz, bearb. von Jaroslav Macek et al. (Praha 1996); Prag und Olomouc (Olmütz) werden von Hirschmann, Anfänge (wie Anm. 40), behandelt. 54  Jansen, Gegründet & geplant (wie Anm. 50) 96.



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Abb. 8. Verschiedene Modelle der Raumorganisation der Plätze mit zentralörtlichen Funktionen, aus Moździoch, Zu den Anfängen (wie Anm. 51) 264 Abb. 8.

dargestellt (Abb. 8). Er rechnet dessen Verlauf dem 13. und 14. Jahrhundert zu, derselben Zeit, als in der Region zahlreiche königliche Stadtprivilegien erteilt wurden55. Obwohl die Umgestaltung in den Quellen meist nicht explizit beschrieben ist, dokumentieren die Privilegien Maßnahmen, die implizit unweigerlich topographische Folgen hatten. Die Erteilung eines Marktprivilegs rechnet z. B. mit der Existenz eines regulierten und überschaubaren Marktplatzes oder sogar einer Vielfalt von unterschiedlich gestalteten Marktplätzen, je nachdem, wie oft und regelmäßig die Markttätigkeit stattfand56. Die Freiheiten der Gerichtsbarkeit führten mit der Zeit zur Notwendigkeit eines Gerichtsortes und eines Gebäudes, wo diese Tätigkeit administriert und die Sitzungen der Geschwore55  Możdzioch, Zu den Anfängen (wie Anm. 51) 264; früher veröffentlicht in ders., Zur Genese der Lokationsstädte in Polen in stadtgeschichtlicher Sicht, in: Burg – Burgstadt – Stadt. Zur Genese mittelalterlicher nichtagrarischer Zentren im Ostmitteleuropa, hg. von Hansjürgen Brachmann (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa [1], Berlin 1995) 149–160. 56  Ein europaweiter Überblick: Messen, Jahrmärkte und Stadtentwicklung in Europa, hg. von Franz Irsigler–Michel Pauly (Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte 5 = Publications du CLUDEM 17, Trier 2007). Ein Fallbeispiel: Maria Emilia Crîngaci Ţiplic, The Role of Trade Privileges in the Evolution of the Urban Space of the Saxon Towns in Transylvania (14th–15th centuries), in: Cities and their Spaces (wie Anm. 3) 89–103.

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Abb. 9. Buda, Rekonstruktion der Parzellenvermessung auf dem Burgberg, auf den modernen Stadtgrundriss projiziert. Entwurf und Zeichnung von András Végh, mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.

nen (d. h. des Rates) gehalten werden konnten. Die damit entstandenen Rathäuser boten im Laufe der Zeit Räume für eine Reihe von anderen von der Stadtgemeinde kontrollierten Tätigkeiten57. Noch wichtigere Auswirkungen hatten die in den Privilegien genannten, schon kurz erwähnten Grundstücke oder Bauparzellen (in den verschiedenen Quel57  Martin Scheutz, Die Multifunktionalität der Rathäuser in langer Perspektive – Versuch eines Überblicks, in: Rathäuser als multifunktionale Räume der Repräsentation, der Parteiungen und des Geheimnisses, hg. von Susanne Claudine Pils–Martin Scheutz–Christoph Sonnlechner–Stefan Spevak (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 55, Innsbruck–Wien–Bozen 2012) 19–64, bes. 32–40.



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len als loca, areae, oder Haus genannt), die den Bewohnern oder Siedlern zugeteilt worden sind. Sie bildeten die Grundlage für die Steuerleistung, die militärischen Pflichten und die Beteiligung an der kommunalen Verwaltung und wurden deshalb in regelmäßigen Größen – obwohl nicht unbedingt auf einem regelmäßigen Straßenraster – ausgemessen58. Es ist sogar möglich, hinter dem scheinbar unregelmäßigen Grundriss von Buda Spuren einer sorgfältig ausgeführten Parzellenvermessung zu rekonstruieren (Abb. 9)59. Am leichtesten sind aber die Städte mit einem regelmäßigen Straßenraster als Planstädte zu identifizieren. Solche Städte hatten auch oft andere, unregelmäßige Vorgängersiedlungen, wie z. B. Sandomierz in Kleinpolen. Hier hat die Forschung besonders klar demonstriert, dass die innere Vermessung der Stadt mit der Parzellierung des zur Stadt gehörenden Agrar- und Waldgebietes zusammenhing (Abb. 10)60. Dasselbe Modell mit einem zentral gelegenen Hauptplatz mit Straßen, die sich im rechten Winkel an den ­Ecken des Platzes treffen, mit einer Pfarrkirche oder einem Rathaus in der Mitte, war überall in Böhmen (z. B. im schon erwähnten Pilsen), Mähren, Schlesien, Kleinpolen und sogar in Ruthenien verbreitet61. Wie in manchen anderen Orten gab es auch in Lemberg (Lviv) frühere Vorgängersiedlungen, die dem im 13. Jahrhundert gängigen Gebrauch folgend verlegt bzw. ersetzt oder erweitert wurden62. Das Beispiel von Lemberg mahnt uns auch, dass der schachbrettartige, regelmäßige Grundriss nicht ausschließlich mit dem „lateinischen Westen“ zu verknüpfen ist. Hier bestand die Innenstadt aus den vier Vierteln der Katholiken, O ­ rthodoxen, Armenier und Juden, die ihre Wohnhäuser und Sakralbauten in diesen augenscheinlich als einheitlich anmutenden Grundriss einpassten63. Ebenso findet man Elemente der oft als „westlich“ bezeichneten Stadtplanung in den Städten der moldauischen und walachischen Fürsten, wie etwa Baia, Siret, Suceava, Roman, Iaşi, und Târgovişte. Diese Innovationen in der städtischen Raumgestaltung waren laut den Ergebnissen von Laurenţiu Rădvan mit der planmäßigen Ansiedlung ausländischer Einwanderer verbunden: Das den Siedlern zugewiesene Land wurde entlang parallel laufender Straßen ausparzelliert, ein zentraler Marktplatz angelegt und Kirchen der verschiedenen Gemeinden (Deutsche, Armenier, Ruthenen) erbaut. Die meisten solchen Städte enthielten auch eine Fürstenresidenz. Stadtmauern waren nur ausnahmsweise vorhanden64. Diese Einrichtungen zeigen ausgezeichnet die Grundelemente, die auch in dieser Grenzzone der europäischen Städtelandschaft dieselben waren wie anderswo auf dem   Simms, Urban Corporate Governance (wie Anm. 32) 64–70.   András Végh, Plot and System of Plots in a 13th Century founded Hungarian Royal Town – the Example of Buda, in: Trnava a počiatky stredovekých miest [Tirnau und der Ursprung mittelalterlicher Städte], hg. von Jaroslava Žuffová (Pamiatky Trnavy a Trnavského kraja 12, Trnava 2009) 79–86; Historical Atlas of Buda (wie Anm. 43) 14–16. 60   Atlas historyczny miast polskich 5, Małopolska 2: Sandomierz / Historic Atlas of Polish Towns 5, Lesser Poland 2: Sandomierz, hg. von Zdzisław Noga (Kraków 2014). 61  Bogusław Krasnowolski, Muster urbanistischer Anlagen von Lokationsstädten in Kleinpolen. Forschungsstand, Methoden und Versuch einer Synthese, in: Rechtsstadtgründungen (wie Anm. 20) 275–321. 62  Ukrainian Historic Towns Atlas 1. Lviv, bearb. von Myron Kapraľ (Lviv 2014), bes. die Beiträge von Iurii Dyba, Maryana Dolins’ka und Myron Kapraľ. 63  Olha Kozubska-Andrusiv, „… propter disparitatem linguae et religionis pares ipsis non esse…“. „Minority“ Communities in Medieval and Early Modern Lviv, in: Segregation – Integration – Assimilation (wie Anm. 43) 51–66. 64  Laurenţiu Rădvan, Urban Space in the Romanian Principalities of the Middle Ages. Organized or Random Development? in: Cities and their Spaces (wie Anm. 3) 77–87; ders., At Europe’s Borders: Medieval Towns in the Romanian Principalities (East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, Bd. 7, Leiden–Boston 2010) 296, 536. 58 59

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Abb. 10. Sandomierz, die Prinzipien der Verteilung des zur Stadt gehörigen Gebietes, Entwurf von Bogusław Krasnowolski, Atlas historyczny miast polskich 5, Małopolska 2 (wie Anm. 60) Karte 3.5, mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.

Kontinent. Als Gegenbeispiel oder Kontrast kann man die Entwicklung dieser Städte im 16. und 17. Jahrhundert anführen: Als die Einwanderer nicht mehr aus dem Westen, sondern von der Balkanhalbinsel und aus dem levantinischen Gebiet kamen, wurde die Regelmäßigkeit der Straßen und des Marktplatzes von der „organischen“ Entwicklung eines Bazars und eines vom Gelände bestimmten Straßennetzes überschrieben. Gleichzeitig stiegen die Zahl und der Einfluss der orthodoxen Klöster in diesen Städten, die letztend-



Stadtgestalt und Raumordnung in den Städten im lateinischen Westen 121

lich, gemeinsam mit den Bestrebungen der Fürsten, die Autonomie der Städte wesentlich beschnitten65.

Fazit Die mittelalterliche Stadt in ihrer räumlichen Erscheinung war vom Zusammenspiel sehr unterschiedlicher Kräfte bestimmt. Die natürlichen Gegebenheiten, die Bestrebungen der Landes- und Stadtherren (Könige, Fürsten, und Bischöfe) sowie der Einwohner, die Vorgänge in Politik und Wirtschaft und viele andere Einflüsse haben kontinuierlich auf die Stadtgestalt und die Raumordnung eingewirkt. Dieser Beitrag stellt diese Kräfte und die von ihnen generierten Prozesse anhand einiger ausgewählter Beispiele dar, um die charakteristischen Merkmale der Städte des lateinischen Westen hervorzuheben. Es konnte auf die Bauparzelle von regelmäßigem Ausmaß als grundlegende Einheit des städtischen Liegenschaftsbesitzes hingewiesen werden. Als wichtige Räume der Öffentlichkeit waren etwa Kirchen, Märkte und Rathäuser zu identifizieren. Es war auch möglich, die Existenz eines hierarchisch strukturierten Städtenetzwerks zu beobachten, wobei die Hierarchie auf dem Vorhandensein von verschiedenen zentralörtlichen Funktionen und weniger auf einer administrativen Gliederung beruhte. Andere Gestaltungsprinzipien, wie etwa die soziale oder gewerbliche Topographie oder die administrative Gliederung der Städte (Vorstädte, Viertel), wurden diesmal nicht angesprochen. Ich hoffe es jedoch gezeigt zu haben, dass sowohl die zeitliche und regionale Vielfalt als auch die gemeinsamen Erscheinungen unentbehrliche Wesenszüge der Städte im lateinischen Westen in dieser Periode waren und die Anpassungsfähigkeit dieses Modells zeigen. Eine bewusste Akzentuierung der Stadtentwicklung Ostmitteleuropas, die in den allgemeinen Diskursen erst in den letzten Jahrzehnten stärker vertreten ist, zeigt deutlich die übertragbaren Elemente der westlichen Städtebautradition, aber auch die Art und Weise, wie sie sich bei diesem Vorgang veränderten. Diese Beobachtungen führen zu weiteren, jenseits des Phänomens der Stadtgestalt reichenden Fragen über Machtpositionen und Machtpolitik bei der Stadtplanung. Wer war in der Lage, wer hatte die Autorität, grundlegende Umgestaltungen des Stadtraumes zu initiieren und fortzuführen? In welchem Verhältnis standen Herrschermacht und bürgerliche Autonomie zueinander? Wie es praktisch unmöglich ist, eine allgemein gültige Definition der Stadt zu formulieren, wäre es auch sehr schwierig, diese Fragen vollständig zu beantworten. Die vergleichende Untersuchung zwischen Ost und West kann uns sowohl auf gemeinsame Züge als auch auf identitätsstiftende Elemente aufmerksam machen, hebt aber vor allem die Wichtigkeit von deren Kontextualisierung hervor.

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  Rădvan, Urban Space (wie Anm. 64) 85f.

Bürger und Bürgerrecht. Rechte, Pflichten und soziale Felder der mittelalterlichen und neuzeitlichen Bürger im Heiligen Römischen Reich Martin Scheutz

Das Zedlersche Lexikon geht, auf unsicherem Terrain sorgsam tappend, umsichtig vor und differenziert „Bürger“ formalrechtlich, auch unter Rückgriff auf die Antike, allgemein: „Überhaupt werden die Bürger vor diejenigen genommen, welche die völlige GemeinRechte in einer Stadt oder Flecken erworben haben“1. Erst die „Teilnehmung an denen so genannten Bürgerlichen Ehren und Würden wie auch Beschwerden“ begründet den Status des städtischen Bürgers, „wozu aber jemand eher und anders nicht gelangen kann, als bis er zuvor das Bürger-Recht [oder das Mit-Bürger-Recht] gewonnen“2 hat. Etymologisch leitet sich das Wort „Bürger“ von mittelhochdeutschen Begriffen wie burgaere als „Bewohner einer Burg“ bzw. burgari als „Bürger, Einwohner eines Ortes, einer Stadt, Angehörige einer Bürgerschaft“ ab. Resümierend könnte man den Bürger als Bewohner einer burc im Verständnis von befestigter Siedlung deuten3. Die Quellen verbinden mit dem Begriff des civis, urbanus oder oppidanus aber lange Zeit – bis zum 11. Jahrhundert – keinen spezifisch rechtlichen Inhalt, sondern vielfach meint der Begriff den Bewohner eines umschriebenen Gebiets. Nach einer vielbegangenen Herleitung des Rechtsbegriffes „Bürger“4 findet sich erstmals unter Heinrich IV. ein an cives gerichtetes Herrscherprivileg für Worms 1074, mit dem den civitatis habitatores der Zoll an den königlichen Zollstätten erlassen wird. Der Begriff des Bürgers versucht ab dem Hochmittelalter eine örtliche Rechtslage in seiner besonderen Geschlossenheit rechtlich zu erfassen und vom umliegenden Rechtsbereich abzugrenzen5. Nur wenige Jahre danach, 1101, wird beispielsweise für Speyer von einem spezifischen ius civium bzw. einem ius civile gesprochen. Eine Unterscheidung zwischen Burg und Stadt setzte sich seit dem 12. Jahrhundert vermehrt durch, aber es gibt beträcht1   N. N., Art. Bürger, in: Johann Heinrich Zedler, Großes vollständiges Universal-Lexicon 4 (Leipzig 1733) 1877. Der vorliegende Beitrag versucht die meist an großen Reichsstädten entwickelte Problematik des Bürgerrechts verstärkt auf der Quellengrundlage von österreichischen Kleinstädten zu untersuchen, um die Befunde der Bürgerrechtsforschung mit dem österreichischen Forschungsstand zu korrelieren. 2  N. N., Art. Stadtrecht, in: ebd. 39 (Leipzig 1744) 828. Zur Gleichsetzung von Stadtrecht und Bürgerrecht im „Zedler“ Naoko Morita, Wie wurde man Stadtbürger? Geschichte des Stadtbürgerrechts in Preußen im 19. Jahrhundert (Europäische Hochschulschriften III/1055, Frankfurt a. M. u. a. 2008) 40f. 3   Gina Fasoli, Art. Bürger. LMA 2 (1999) 1008–1019. 4  Konzise Zusammenstellung bei Bernd Moeller, Art. Bürgertum I. TRE 7 (1981) 338–346. 5   D. H.IV. 267, ed. Dietrich von Gladiss–Alfred Gawlik (Hannover 1941–1978); Karl Kroeschell– Albrecht Cordes, Art. Bürger. HRG 1 (22008) 738–747, hier 739; Edith Ennen, Die europäische Stadt des Mittelalters (Göttingen 41987) 123–131.

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liche regionale Unterschiede im Wortgebrauch. Während im Süden Deutschlands und im mitteleuropäischen Raum burger, civis und burgensis6 nahezu deckungsgleiche Begriffe waren, benannte civis im Norden Deutschlands den Gemeindegenossen (und damit nicht die lateinische Entsprechung von burger). Im Süden entwickelte sich im Hochmittelalter allmählich ein „vorkommunaler Bürgerbegriff“ im Kontext des Burgrechts, der seine endgültige Ausformung mit der auf einem Bürgereid gründenden, geschworenen Bürgergemeinde fand7. Regional mit Abweichungen kann man ab dem 12. bzw. 13. Jahrhundert, auch durch Stadtsiegel belegt8, von einer einigermaßen festen Vorstellung von „Bürgern“ und Bürgergemeinden im mitteleuropäischen Raum ausgehen9, wenn auch der Bürgerbegriff von Stadt zu Stadt beträchtliche Unterschiede in Detailbereichen aufweist. Inhaltlich schließt der mittelalterliche Begriff teilweise an antike Vorbilder an, wobei hier das dritte Buch von Aristoteles mit seinem inkohärenten Bürgerbegriff ab dem 13. Jahrhundert beispielgebend wirkte10, dem zufolge vor allem die Teilhabe an Herrschaft als Kernbestand des Bürgerbegriffs galt (und nicht so sehr die Vergemeinschaftung vor Ort). Knechte und Beisassen waren ebenso wie Händler und Tagelöhner von der Bürgerschaft ausgeschlossen11. In der Antike gelangte man, abhängig von den auch bei Aristoteles beschriebenen Regierungsformen, meist durch Geburt (von bürgerlichen Eltern) an das Bürgerrecht, durch Verleihung über den Beschluss der Gemeinde oder von dazu befugten Personen. Während das Bürgerrecht in Griechenland äußerst zurückhaltend vergeben wurde, weitete man es im römischen Herrschaftsbereich sukzessive aus und erteilte es schließlich 212 n. Chr. mit der Constitutio Antoniniana allen Bewohnern des Reiches. Ein voller Nutzen des Bürgerrechts war nur den Männern möglich. Der Bürgerstatus verlieh allgemeinen Rechtsschutz, bot aber nicht gleiche politische Rechte für alle Bürger12. Im 6   Zur Etymologie und Anwendung des Wortes Ruth Schmidt-Wiegand, Burgensis/Bürger. Zur Geschichte von Wort und Begriff nach Quellen des ostmitteldeutschen Raums, in: Über Bürger, Stadt und städtische Literatur im Spätmittelalter. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1975–1977, hg. von Josef Fleckenstein–Karl Stackmann (Abh. der Akademie der Wissenschaften in Göttingen III/121, Göttingen 1980) 106–126; Alfred Ogris, Die Bürgerschaft in den mittelalterlichen Städten Kärntens bis zum Jahre 1335 (Das Kärntner Landesarchiv 4, Klagenfurt 1974) 63. 7   Karl Kroeschell, Art. Bürger. HRG 1 (1971) 544–553, hier 545. 8   Frank G. Hirschmann, Die Stadt im Mittelalter (EDG 84, München 2009) 21f. 9   Als Beleg etwa Norbert Weiss, Das Städtewesen der ehemaligen Untersteiermark im Mittelalter. Vergleichende Analyse von Quellen zur Rechts-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte (Forschungen zur Landeskunde der Steiermark 46, Graz 2002) 93–129; Herwig Ebner, Das Städtewesen in der Steiermark am Ausgang des Mittelalters, in: Die Stadt am Ausgang des Mittelalters, hg. von Wilhelm Rausch (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 3, Linz 1974) 313–359, hier 325. 10  Zur Aristoteles-Rezeption siehe Bürgerschaft. Rezeption und Innovation der Begrifflichkeit vom Hohen Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert, hg. von Reinhard Koselleck–Klaus Schreiner (Sprache und Geschichte 22, Stuttgart 1994). 11   Jacob Bernay, Aristoteles’ Politik. Erstes, zweites und drittes Buch (Berlin 1871) 131: „Der Begriff des Bürgers schlechthin wird nun aber durch nichts anderes wesentlicher bestimmt als dadurch, dass er mitentscheidende Stimme und amtliche Gewalt hat“; 132: „Für Bürger demnach gelten uns diejenigen, welche […] an der Amtsgewalt Theil haben“. Neuere Übersetzung bei Eckart Schütrumpf, Aristoteles, Politik Buch II: Über Verfassungen, die in einigen Staaten in Kraft sind, und andere Verfassungen, die von gewissen Männern entworfen wurden und als vorbildlich gelten; Buch III: Über die Verfassung (Aristoteles Werke in deutscher Übersetzung 9/2, hg. von Hellmut Flashar, Berlin 1991) 49–51. 12  Walter Eder, Who Rules? Power and Participation in Athens and Rom, in: City States in Classical Antiquity and Medieval Italy. Athens and Rome, Florence and Venice, hg. Anthony Molho–Kurt Raaflaub–Julia Emlen (Stuttgart 1991) 169–196; kurz gefasst in ders., Art. Bürgerrecht. Der Neue Pauly 2 (Stuttgart–Weimar 1997) 821.



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Prinzip wurde das Bürgerrecht in der Antike an Grundbesitzer erteilt, die von der Arbeit der Nichtbürger (etwa Sklaven) lebten. Das kleine Gewerbe und der Kleinhandel waren in der Antike vom Bürgerrecht ausgeschlossen. Als mitprägend für das mittelalterliche Verständnis von Bürgerlichkeit erwies sich das von Augustinus grundgelegte Verständnis, das von einer Bürgerschaft aller Menschen ausging (die Christen als Bewohner der Erde, die zu Mitbürgern der Heiligen im Himmel werden)13. Diese christliche Vorstellung stand aber im Gegensatz zum elitären Bürgerkonzept der mittelalterlichen Städte, auch die gelehrten Reaktionen auf Aristoteles konnten in der Bürgerrechtspraxis der Städte nur begrenzt Wirksamkeit entfalten. Bis ins 12. Jahrhundert wurden die Bürger von anderen Standesgruppen durch erteilte Privilegien (etwa siedlungsrechtliche und marktrechtliche Freiheiten) geschieden, doch etablierte sich im Zug der ab dem 12. Jahrhundert einsetzenden Stadtgründungswelle „eine rechtlich grundsätzlich homogene Bürgerschaft“14, die sich mit den bürgerlichen, anfänglich nur für wenige Jahre beschworenen und später regelmäßig wiederholten Schwureinungen (mit periodischen Schwörtagen) neue rechtliche Grundlagen schuf. Durch diese sich ständig wiederholenden eidlichen Selbstbindungen der Bürger setzte die Bürgergemeinde eine formale Grundlage der Verwillkürung. Die durch unterschiedliche Rechtsstellung geprägte Bewohnerschaft der hoch- und spätmittelalterlichen Städte lässt sich dabei einerseits als eine Rechts- und Privilegsgenossenschaft, zum anderen als eine in Form der coniuratio gebildete Eidgenossenschaft verstehen15. Das Selbstverständnis der Stadt als Eidgenossenschaft findet seinen zeremoniellen Niederschlag zunächst in dem als „Beitrittseid“ zu interpretierenden Bürgereid16. Neben dem Erreichen eines gewissen Alters stellte sich der Grundbesitz mit einer Wohnstatt – ob als eigenständiges Wohnhaus (mit Feuer und Rauch, „eigener Rauch“), als Stockwerkseigentum oder als Haushalt (Haussässigkeit) – als entscheidend für das Bürgerrecht dar. Die ursprünglich als „Grundbesitzergemeinden“17 angelegten Städte verlangten zudem eine von anderen Grundherren unangefochtene Sesshaftigkeit innerhalb der Stadt für eine bestimmte Mindestzeit. Essentiell für das Bürgerrecht war die reguläre Schaffung einer Existenz durch Arbeits- und/oder Handelstätigkeit. Abhängig von der jeweiligen Stadt, der Stadtverfassung und den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen verlangte die Stadtobrigkeit den Erlag eines Bürgergeldes. Der Haus- bzw. der Grundbesitz gliederte den Besitzer in die Gerichtsgemeinde, den Nachbarschaftsverband, das Stadtviertel und in die städtische Kirchengemeinde ein, begründete Steuerpflicht und bot die Grundlage für Haftungen des Besitzers. Der Grundbesitz 13  Grundlegend zur Entwicklung des Bürgerbegriffes Manfred Riedel, Bürger, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland 1, hg. von Otto Brunner–Werner Conze–Reinhart Koselleck (Stuttgart 1972) 672–725, hier 675. 14   Kroeschell–Cordes, Bürger (wie Anm. 5) 740. 15   Karl S. Bader–Gerhard Dilcher, Deutsche Rechtsgeschichte. Land und Stadt – Bürger und Bauer im Alten Europa (Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft, Berlin u. a. 1999) 447. 16   Siehe diese klassisch gewordene Formulierung bei Wilhelm Ebel, Der Bürgereid als Geltungsgrund und Gestaltungsprinzip des deutschen mittelalterlichen Stadtrechts (Weimar 1958) 46–70, hier 61. 17  Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150–1550. Stadtgestalt, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft (Wien–Köln–Weimar 2012) 135; siehe die gebündelten Bedingungen des Bürgerrechts für Radstadt bei Peter Michael Lipburger–Albert Müller, „Es soll auch kainer fremder auff genomen werden, sunder man wiss, wer er seÿ …“. Untersuchungen zu Neubürgeraufnahme und städtischer Immigration in Radstadt um 1500, in: Die alte Stadt im Gebirge. 700 Jahre Stadt Radstadt, hg. von Friederike Zaisberger–Fritz Koller (Radstadt 1989) 88–135, hier 89.

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und die diesen bedingende Finanzkraft regulierten den Zugang zum Bürgerrecht und gestatteten diesen nur den Finanzkräftigen. Zusätzlich zur essentiellen, für einen bestimmten Zeitraum ohne Anfechtung (etwa „Jahr und Tag“) nachzuweisenden Haushäblichkeit mussten der unbescholtene Lebenswandel und die „Freiheit“ von grundherrschaftlicher Belastung (mitunter förmliche „Losbriefe“) nachgewiesen werden. Die Häuser innerhalb der Stadt wurden zu Burgrecht, also in freier Erbleihe, vergeben. Die Hausbesitzer mussten neben dem Kaufpreis auch eine Gabe als Gegenleistung für die Überlassung des mit Burgrecht behafteten Objekts und einen Anerkennungszins für das Eigentum des Leihgebers entrichten18. Vermehrt ab dem Spätmittelalter rückte beim Handwerk, das nicht in allen Städten das Bürgerrecht besaß, neben dem Nachweis der handwerklichen Fertigkeit (etwa Meisterbrief ) die eheliche Geburt (später über förmliche Geburtsbriefe19) als zusätzliches Bürgerrechtskriterium vor, womit sich die prinzipiell immer gefährdete Handwerksehre sozial nach oben und unten abgrenzte20. Die ausschließliche Bindung des Bürgerrechts an den Hausbesitz trat in seiner Bedeutung zumindest etwas in den Hintergrund, vielmehr wurde die Erlegung der Bürgerrechtsgebühr (unter Stellung von Bürgen) entscheidend21. In vielen Städten mit Zunftverfassung musste jeder Bürger Zunftmitglied als Voraussetzung einer „bürgerlichen Hantierung“22 werden, Zunftmitgliedschaft ohne Bürgerrecht war in der Regel nicht möglich23. Zudem hatten die Bürgerrechtswerber verheiratet zu sein bzw. mussten die Ehe innerhalb von drei Monaten nach Erteilung des Bürgerrechts geschlossen haben24. Der Nachweis der Handwerksfertigkeit (etwa Meisterbrief ) führte zur Vorlage von Maisterstuckh vor den Rath, um dort handwerkliches Kapital 18  Wilhelm Brauneder, Art. Burgrecht. HRG 1 (22006) 769f.; Karl Kroeschell, Art. Burgrecht. HRG 1 (1971) 564f. 19   Für das Spätmittelalter für Graz belegt (auch in den Bürgerbüchern mit einer Fristerstreckung zur Nachreichung des Geburtsbriefes versehen) Fritz Popelka, Die Bürgerschaft der Stadt Graz von 1720 bis 1819. Ihre blutmäßige und berufliche Gliederung nach den Bürgerbüchern, nebst einer alphabetischen Liste der Bürgeraufnahmen (Veröffentlichungen des Wiener Hofkammerarchivs 5, Wien 1941) 9; für Innsbruck Hubert Felderer, Die Geschichte der Verwaltung der Stadt Innsbruck von 1700 bis 1784 (Veröffentlichungen des Innsbrucker Stadtarchivs N. F. 23, Innsbruck 1996) 66. 20   Am Beispiel des Handwerkes am Rhein und der Hanse Knut Schulz, Die Norm der Ehelichkeit im Zunft- und Bürgerrecht spätmittelalterlicher Städte, in: Illegitimität im Spätmittelalter, hg. von Ludwig Schmugge–Béatrice Wiggenhauser (Schriften des Historischen Kollegs 29, München 1994) 67–83. 21  Karl Otto Müller, Das Bürgerrecht in den oberschwäbischen Reichsstädten. Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte N. F. 25 (1916) 163–192, hier 172; Beispiele österreichischer Städte/Märkte: Stadt – Macht – Rat 1607. Die Ratsprotokolle von Perchtoldsdorf, Retz, Waidhofen an der Ybbs und Zwettl im Kontext, hg. von Andrea Griesebner–Martin Scheutz–Herwig Weigl (Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich 33, St. Pölten 2008) 81, 103f., 109, 130f., 134f., 138, 140, 201. 22  Für den Begriff der „bürgerlichen Hantierung“ in der Frühen Neuzeit scheint es bislang keine Aufarbeitung der Rezeptions- und Begriffsgeschichte zu geben (Belege unter „Hantierung“ im Grimmschen Wörterbuch). Der Begriff wird in der Forschungsliteratur breiter verwendet, siehe etwa Matthias Meinhardt, Dresden im Wandel. Raum und Bevölkerung der Stadt im Residenzbildungsprozess des 15. und 16. Jahrhunderts (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 4, Berlin 2009) 151; Erich Landsteiner, Weinbau und bürgerliche Hantierung. Weinproduktion und Weinhandel in den landesfürstlichen Städten und Märkten Niederösterreichs in der frühen Neuzeit, in: Stadt und Wein, hg. von Ferdinand Opll (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 14, Linz 1996) 17–50; Gerhard Winner, „Adeliger Stand und bürgerliche Hantierung“. Die sieben landesfürstlichen Städte und die ständischen Gegensätze in Oberösterreich während des 16. Jahrhunderts. Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 1959 (1959) 57–92. 23  Am Beispiel oberschwäbischer Städte Müller, Bürgerrecht (wie Anm. 21) 175f. 24  Als Beispiel Hans Hochenegg, Die Bürgeraufnahmen in Hall von 1657 bis 1796. Tiroler Heimatblätter 60 (1985) 29–32, hier 30.



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bzw. Vermögen zu demonstrieren25. Jeder Hausbesitzer innerhalb der Städte hatte sich aufgrund des bürgerlichen Rechtsstatus direkt an den bürgerlichen Lasten zu beteiligen. Mit der Aufnahme einer zunehmend größeren Zahl von Handwerkern und Gewerbetreibenden ab dem Spätmittelalter wurde das Hauseigentum als Grundvoraussetzung des Bürgerrechtserwerbes zunehmend in Frage gestellt26. Mit dem konfessionellen Zeitalter, nach dem Eindringen der Reformation in die Städte, drängten andere Voraussetzungen vor: Der Beichtzettel oder andere konfessionelle Vorschriften als Voraussetzung zur Bürgeraufnahme avancierte zum Entréebillet in die Städte, umgekehrt galt die „falsche“ Religion als Ausschließungsgrund. Die Stadt Regensburg nahm beispielsweise ab 1651 keine Katholiken mehr zu Neubürgern an27. Der Westfälische Friede regelte unter anderem auch Fragen der Bürgerrechtsberechtigung, indem auf der Grundlage des Normaljahres 162428 die Konfessionsfrage auch in gemischt-konfessionellen Reichsstädten normiert wurde29, wenn auch einiger Interpretationsspielraum blieb. Auch außerhalb der Reichsstädte erweist sich ein Bündel an Voraussetzungen als kons­ titutiv für das Bürgerrecht. Im 18. Jahrhundert war beispielsweise die Verleihung des Wiener Bürgerrechts von einem gesicherten Vermögen in Form des Hausbesitzes oder der Gewerbeausübung, vom katholischen Glauben, von der innerhalb der Stadt erfolgten Geburt – Zuwanderer erhielten nach einer bestimmten Anzahl von Aufenthaltsjahren das Recht um Verleihung des Bürgerrechts anzusuchen – und vom guten Leumund abhängig. Während die Gewerbetreibenden in Wien vom Innungsmeister vorgeschlagen wurden, hatten sich Hausbesitzer selbst zu bewerben30. Viele Neubürger mussten eine bestehende Ehe oder die angestrebte Verehelichung nachweisen31. Resümierend betrachtet konnte man das Bürgerrecht auf verschiedenste Weise erworben haben, wie ein reichsstädtisches Beispiel zeigt: entweder ererbet, erheurathet oder erkauft, auch bey besonders vorwaltenden Umständen unentgeltlich ertheilet32. 25  Otto Kurzbauer, Das älteste Linzer Bürgerbuch (1658–1707). Jahrbuch der Stadt Linz 1937 (1938) 146–154, hier 148f. 26   Ebner, Städtewesen (wie Anm. 9) 326; für Graz ab 1550 belegt, wo unbehauste Bürger einen Betrag in die Stadtkasse erlegen mussten, der dem Preis eines Hauses entsprach. Die Neubürger mussten das nächste freiwerdende Haus kaufen, Popelka, Bürgerschaft (wie Anm. 19) 9f. 27   Am katholischen Beispiel Gertraud K. Eichhorn, Beichtzettel und Bürgerrecht in Passau 1570–1630. Die administrativen Praktiken der Passauer Gegenreformation unter den Fürstbischöfen Urban von Trenbach und Leopold I., Erzherzog von Österreich (Neue Veröffentlichungen des Instituts für Ostbairische Heimatforschung der Universität Passau 48, Passau 1997) 16–48 (mit Beispielen). 28  Instrumentum Pacis Osnabrugensis V 29: Arno Buschmann, Kaiser und Reich: Klassische Texte zur Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806, Bd. 2: Vom Westfälischen Frieden 1648 bis zum Ende des Reiches im Jahre 1806 (BadenBaden 21994) 47f. 29   An zwei Beispielen, wo katholische Bürger das Bürgerrecht bzw. ein Haus in Regensburg kaufen wollten, Jürgen Nemitz, Bürgerrecht und Konfession. Zur Interpretation des Westfälischen Friedens in der Reichsstadt Regensburg im 18. Jahrhundert. ZBLG 55/3 (1992) 511–542. 30  Brigitte Rigele, Wiener Bürgerrechtsverleihungen in der Neuzeit. Wiener Geschichtsblätter 45 (1990) 185f.; für Wien als Überblick Karl Fajkmajer, Verfassung und Verwaltung der Stadt Wien (1526–1740), in: Geschichte der Stadt Wien Bd. 5, hg. von Anton Mayer (Wien 1914) 100–159, hier 141–146; Die Rechtsquellen der Stadt Leoben, ed. Christa Schillinger-Prassl (FRA III/14, Wien–Köln–Weimar 1997) 52. 31  Popelka, Bürgerschaft (wie Anm. 19) 11. 32   Am Beispiel von Augsburg im 18. Jh. Ingrid Bátori, Die Reichsstadt Augsburg im 18. Jahrhundert. Verfassung, Finanzen und Reformversuche (VMPIG 22, Göttingen 1969) 15; Gerhard Dilcher, Zum Bürgerbegriff im späten Mittelalter – Versuch einer Typologie am Beispiel von Frankfurt am Main, in: ders., Bürgerrecht und Stadtverfassung im europäischen Mittelalter (Köln–Weimar–Wien 1996) 115–182, hier 142–144.

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Bürger und Mitbürger – Abstufungen des Bürgerrechts Verschiedene Formen des Bürgerrechts lassen sich im Spätmittelalter in den Städten nach unterschiedlichen Kriterien nachweisen: In Nürnberg kam es aufgrund der Unterscheidung der Innenstädte St. Sebald und St. Lorenz einer- und der Vorstädte andererseits zu einer starken Differenzierung des Bürgerrechts33. Neben den in pergamentenen Bürgerbüchern eingetragenen Vollbürgern (burger der reht stat), denen man gegen zehn Gulden Gebühr den Zuzug in die Innenstädte gewährte, standen die der handwerklichen Mittelschicht entstammenden Minderbürger der Vorstädte (sleht burger), die in die Bürgerliste auf Papier eingetragen waren. Daneben führte man auch eine Handwerkerliste, die als Steuergrundlage diente. Erst 1467 kam es zu einer Angleichung des Nürnberger Bürgerrechts. Daneben gab es Judenbürger (bis zur Ausweisung 1498) und Schutzbürger; die Tagwerker verfügten zwar über kein Bürgerrecht, mussten aber seit 1386 Eide bezüglich ihrer Pflichten innerhalb der Stadt schwören. Die Stadt Köln unterschied (nach dem Ende der Patrizierherrschaft 1396) bürgerrechtlich zwischen den zum Weinausschank berechtigten Bürgern und den Eingesessenen; beide Bürgergruppen wurden gemeinsam auf den Verbundbrief (Vertrag der Gaffeln 1396) vereidigt. Die Rechtsausstattung dieser beiden Gruppen blieb unterschiedlich. Nach der Reformation setzte sich ein vom inner- oder vorstädtischen Wohnsitz unabhängiges Bürgerrecht durch, das neben den Juden auch die Katholiken (zeitweilig „Schutzverwandte“) ausschloss. Während nur Kölner Bürger in den Rat gewählt werden konnten, waren alle Einwohner in Gaffeln organisiert und besaßen das aktive Wahlrecht34. Auch in der Frühen Neuzeit gab es innerhalb des Kölner Bürgerstandes rechtliche Differenzierungen: Die von bürgerlichen Eltern stammenden „geborenen Bürger“ durften ab dem Bürgerrecht den auf dem bürgerlichen Besitz wachsenden Wein in ihrem Wohn- und Arbeitshaus („Leutgeben“) ausschenken, während die „gegoldenen“ (zugewanderten) Bürger erst nach zehn Jahren das lukrative Recht zum Weinausschank erhielten. Die „geschworenen“, ihren Bürgereid auf der Gaffel leistenden Bürger besaßen dagegen weder das passive Wahlrecht zum Rat noch die Erlaubnis zum Weinzapf  35. In Frankfurt am Main lässt sich beispielsweise eine Entwicklung des Bürgerrechts von seiner vom Grundbesitz abhängigen Verleihung hin zu einer geldwirtschaft­ lichen Grundlage erkennen36. Während am Beginn des 14. Jahrhunderts der Grundbesitz für die Bürgerrechtsverleihung entscheidend war, vergab der Stadtrat das Bürgerrecht ab 1330 auch an Besitzer einer Rente an einem städtischen Grundstück im Wert von 10 Mark. Nach 1373, nach dem Erwerb des Reichsschultheißenamtes durch die Stadt, war schließlich ein erhöhtes bürgerliches Aufnahmegeld zu zahlen, das aber den weniger vermögenden Neubürgern/Zuwanderern erlassen bzw. gestundet wurde. Unterhalb dieser Grenze erlangten die ärmeren Zuwanderer das Beisassenrecht. Viele Städte differenzierten 33  Bester Überblick bei Werner Schultheiss, Das Bürgerrecht der Königs- und Reichsstadt Nürnberg, in: Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag 2I (VMPIG 36/II, Göttingen 1972) 159–194, hier 162f., 180f.; Bader–Dilcher, Deutsche Rechtsgeschichte (wie Anm. 15) 451. 34  Siehe die Längsschnittuntersuchung von Joachim Deeters, Das Bürgerrecht der Reichsstadt Köln seit 1396. ZRG Germ. Abt. 104 (1987) 1–83; Bader–Dilcher, Deutsche Rechtsgeschichte (wie Anm. 15) 452f. 35  Zur Situation im 16. Jahrhundert Deeters, Bürgerrecht (wie Anm. 34) 49f.; ähnlich auch für Bozen Franz Huter, Beiträge zur Bevölkerungsgeschichte Bozens im 16.–18. Jahrhundert. Bozner Jahrbuch für Geschichte, Kultur und Kunst 1948 (1948) 1–108, hier 14. 36  Dilcher, Bürgerbegriff (wie Anm. 32) 140, 147–150. Dilcher sieht im Erwerb dees Reichsschultheißenamtes durch die Stadt 1373 das Ende der „grundherrschaftlichen Konzeption“ (ebd. 148) gekommen.



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das Bürgerrecht noch zusätzlich, wobei den Minderbürgern Einschränkungen ihrer gewerblichen Tätigkeiten37 (Verbot der Ausübung bestimmter Handwerkssparten etc.) über das Verbot des Weinhandels hinaus auferlegt wurden: In Augsburg gab es neben Beisitzern und Schutzverwandten auch „Bürger vom Rat“ als alte Inhaber des Bürgerrechts38, in Regensburg unterschied man im Spätmittelalter Vollbürger mit dem großen und Beisitzer mit dem kleinen Bürgerrecht39. „Schultheißenbürger“ hießen in Straßburg Bürger mit gemindertem Bürgerrecht40. Die oberösterreichische Donaustadt Linz unterschied im Spätmittelalter Bürger nicht ganz trennscharf von Mitbürgern (meist Handwerkern, ab dem 16. Jahrhundert fixer Begriff für Handwerker ohne volles Bürgerrecht) und deutlich von Insassen41. Die Stadt Leoben trennt in Spätmittelalter/Früher Neuzeit vollwertige Bürger von den sogenannten Haidstallern mit beschränkten bürgerlichen Pflichten und von den Inwohnern, Gästen, Adeligen, Klerikern und Juden42. In vielen Städten gibt es abhängig von der jeweiligen städtischen Rechts- und Wirtschaftslage verschiedene Differenzierungen wie etwa burger ein zyt oder den Begriff der werntlichen burger (weltliche Bürger), judenburger, aber auch concivis, middeburger, palburger (Pfahlbürger) und uszburger (Ausbürger)43. Das Beispiel Wien zeigt, dass man im 13. Jahrhundert zwischen ritterlichen und einfachen Bürgern unterschied (universitas militum et civium), daneben gab es Insassen44. In der Folge erübrigte sich in Wien die Unterscheidung zwischen den Ritterbürgern und den einfachen Bürgern, auch der Hausbesitz war für das Bürgerrecht nicht mehr essentiell. Die Wiener Stadtordnung von 1526 sah nur mehr eine Trennung in Bürger (Aufnahmegebühr zwei Gulden rheinisch), Inwohner und Tagwerker vor45. 37   Wilfried Beimrohr, Die Geschichte der Verwaltung der Stadt Innsbruck im 17. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Innsbrucker Stadtarchivs N. F. 22, Innsbruck 1995) 117. 38   Claudia Kalesse, Bürger in Augsburg: Studien über Bürgerrecht, Neubürger und Bürgen anhand des Augsburger Bürgerbuchs 1 (1288–1497) (Abh. zur Geschichte der Stadt Augsburg 37, Augsburg 2001); Bátori, Die Reichsstadt Augsburg (wie Anm. 32) 15f. 39   Alois Schmid, Verfassung und Verwaltung der Reichsstadt (1245–1500), in: Geschichte der Stadt Regensburg 1, hg. von Peter Schmid (Regensburg 2000) 235–247, hier 239. 40  Eberhard Isenmann, Bürgerrecht und Bürgeraufnahme in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt, in: Neubürger im späten Mittelalter. Migration und Austausch in der Städtelandschaft des alten Reichs (1250–1550), hg. von Rainer Christoph Schwinges–Roland Gerber–Barbara Studer (ZHF Beih. 30, Berlin 2002) 203–250, hier 209; Felicitas Schmieder, Die mittelalterliche Stadt (Geschichte kompakt, Darmstadt 2005) 98. 41   Albert J. A. Müller, Die Bürger von Linz bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Prosopographie und soziale Strukturierungen (Diss. Graz 1987) 109–120. Zum Problem der spätmittelalterlichen „Ritterbürger“ siehe Herbert Knittler, Die österreichische Stadt im Spätmittelalter. Verfassung und Sozialstruktur. Unter besonderer Berücksichtigung des Problemkreises „Stadtadel und Bürgertum“, in: Stadtadel und Bürgertum in den italienischen und deutschen Städten des Spätmittelalters, hg. von Reinhard Elze–Gina Fasoli (Schriften des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient 2, Berlin 1991) 183–205. 42   Rechtsquellen Leoben, ed. Schillinger-Prassl (wie Anm. 30) 50f. 43  Schmieder, Die mittelalterliche Stadt (wie Anm. 40) 98. 44   Richard Perger, Der organisatorische und wirtschaftliche Raum, in: Wien. Geschichte eine Stadt 1: Von den Anfängen bis zur Ersten Wiener Türkenbelagerung (1529), hg. von Peter Csendes–Ferdinand Opll (Wien 2001) 199–246, hier 209. 45  Die Rechtsquellen der Stadt Wien, ed. Peter Csendes (FRA III/9, Wien 1986) 296f.: Aufnemung der burger. Ain yeder, der sich zu Wienn niderlassen wil, er hab derselben zeit in Wienn ain aigen behausung oder nicht, sol sich zu ainem burgermaister und rat fuegen, von in der burgerschafft begeren, alsdann so sollen sy ainem yeden, der mit erberkait beruembt und kain offen uneerlich sachen oder misstat wider in nicht ausgefurt oder mit glewblichem schein vor augen ist, zu ainem burger gutlichen annemen, in in solichem mit einkhauffen desselben burgerrechts in kainen weg nicht beswaren, er sey reich oder arm, so solle von ainem yeden nit mer als zwen gulden Reinisch genomen werden.

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Pflichten und Rechte der Bürger Nach einem Grundprinzip der europäischen Verfassungsgeschichte ergaben Pflichten Rechte. Die Aufnahme in den Bürgerstand als ein an Personen vergebenes Recht war in allen Städten mit Rechten und Pflichten – teilweise schon explizit genannt im ritualisierten Aufnahmeprocedere, teilweise aber nur indirekt erschließbar – verbunden. Generell lässt sich sagen, dass sowohl die Bürger als auch die mit geringeren Rechten ausgestatteten Inwohner/Beisassen in der Rechtspraxis der Städte (und damit auch in den Quellen) häufiger präsent waren als andere Schichten46. Interpretiert man die Bürgerschaft als „Verband wirtschaftender und vorsorgender“ Menschen bzw. als „Friedens- und Freundschafts-, Schutz- und Gerichtsverband“47, ergibt sich daraus ein umfassender Pflichten-, aber auch Rechtekatalog, der einer intensiven Einbindung der Bürger in die städtische Verwaltungs- und Gerichtspraxis bedurfte. Die Bürger mussten die gemainer stat pilliche anforderung48 zwingend erfüllen, wollten sie des Bürgerrechts nicht verlustig gehen. Als essentielle Bürgerpflichten hatten die Gehorsamsleistung und die Treue gegenüber der Stadt zu gelten, weiters die direkte (und indirekte) Steuerleistung, die persönlichen Arbeits-, Wacht-49, Feuerbekämpfungs- und Kriegsdienste50, die gemeinnützigen Frondienste für die Befestigung (Grabendienst)51, die Arbeiten für Wasserverbauung und Straßenerhaltung bzw. den Straßenbau. Die Herbergspflicht (Quartierpflicht) erstreckte sich auf das Gefolge des durchreisenden Landesfürsten, den allfällig in der Stadt residierenden Stadtherrn und ab der Neuzeit in Form von Militäreinquartierung vermehrt auf Soldaten52. In vielen Städten hatten die Bürger auch Botengänge (gegen Bezahlung bzw. Ersatz der Reisespesen) zu verrichten. Neben der Beachtung des Stadtrechts wie des Stadtgerichts war auch aktive Mitarbeit (etwa als Gerichtsbeisitzer) gefordert, zudem durften in den meisten Städten Bürger nicht vor auswärtigen Gerichten verklagt werden53. Das Burgrecht als freie Erbleihe war zudem ein besonderes bürgerliches Recht. Die anfänglich beim Umgang von Haus zu Haus eingehobenen, als grundlegend für das Bürgerrecht verstandenen direkten (auf den Grundbesitz und das Vermögen erhobenen) Steuern sollten neben den für den Territorialherrn abzuführenden Abgaben das städtische Gemeinwesen im Sinne 46  Erika Kustatscher, Die Städte des Hochstiftes Brixen im Spätmittelalter. Verfassungs- und Sozialgeschichte von Brixen, Bruneck und Klausen im Spiegel der Personengeschichte (1200–1550). Teilband 1 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 25/1, Innsbruck 2007) 68. 47  So entsprechende Kapitel bei Dilcher, Bürgerbegriff (wie Anm. 32); Zusammenstellung bei Isenmann, Stadt (wie Anm. 17) 145–147. 48   Johannes Ramharter, Profile einer landesfürstlichen Stadt. Aus den Ratsprotokollen der Stadt Tulln 1517–1679 (FRA III/23, Wien–Köln–Weimar 2013) 128 (Aufforderung an einen Bewohner der Stadt Tulln, 1565 November 11). 49   Zu den Wachdiensten auf den Mauern, an Toren, Türmen, Wehrgängen Müller, Bürgerrecht (wie Anm. 21) 58f. 50  Zur Wehrpflicht (Verteidigung der Stadt) ebd. 53–58. 51  Otto Brunner, Die Finanzen der Stadt Wien von den Anfängen bis ins 16. Jahrhundert (Studien aus dem Archiv der Stadt Wien 1/2, Wien 1929) 375–378. 52  Etwa am Beispiel von Graz Walter Brunner, Lebensraum, Verfassung und Verwaltung von den Anfängen bis 1784/1848, in: Geschichte der Stadt Graz 1: Lebensraum – Stadt – Verwaltung, hg. von dems. (Graz 2003) 61–174, hier 116. 53  Am Beispiel von Nürnberg dargelegt bei Schultheiss, Bürgerrecht (wie Anm. 33) 193; für westfälische Städte August Schröder, Westfälische Bürgerrechtsquellen. Bedeutung und Nachweis veröffentlichter und unveröffentlichter Bürgerbücher und Bürgeraufnahmelisten. Beiträge zur westfälischen Familienforschung 17 (1959) 1–56, hier 6.



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des gemeinen Besten und des „Mitleidens“ finanzieren54. Steuerliste und Bürgerbuch fügten sich deshalb in manchen Städten in einer Textgattung zusammen. Verschiedene Steuermodelle und verschiedene Steuergrundlagen (Vermögen, Kopf, Grundbesitz) finden sich meist nebeneinander, alle Bürger müssen den gleichen Steuersatz für bewegliche (fahrende Habe) und unbewegliche Güter innerhalb des Stadtbezirkes zahlen (meist gab es steuerliche Mindestbeträge), während Gäste erhöhte Steuersätze zu entrichten hatten. Manche Städte forderten vor der Aufnahme der Neubürger einen Vermögensnachweis, so verlangte Nördlingen 1416 zumindest 30 Gulden; der Augsburger Rat forderte 50 Gulden Mindestvermögen55. Während die Neubürger eine Aufnahmegebühr zahlen mussten, erhielten die Bürgersöhne meist den taxfreien und stark „verbilligten“ Zugang zum Bürgerrecht. Neben dem städtischen Satzungsrecht verankerte man in den Bürgereiden auch den von Stadt zu Stadt differierenden Pflichtenkatalog der Bürger56: die Pflicht des Bürgers mit Person und Besitz für die Handlungen, aber auch für Schulden der Stadt zu haften, eine gewisse Zeit Bürger zu bleiben und verpflichtend an den jährlichen Bürgerversammlungen teilzunehmen. Gebote wie die Hilfe bei Feuerausbruch, bestimmte Verhaltensweisen (Streitschlichtung, Verbot der Gotteslästerung), die Pflicht arbeits- und belastungsintensive Ämter (darunter die geldintensiven Vormundschaften) und Ratssitze zwingend zu übernehmen, folgten häufig. Die Wahlpflicht und das Gebot, der Bürgerglocke zu folgen, schlossen sich an. Auf alle Bürger fielen zudem Pflichten wie Wacht- und Kriegsdienst, die Beteiligung an Bürgerwehr und Geschworenengerichten (Beisitzer, Geschworene). Das Recht der männlichen Bürger Waffen zu tragen gilt als wichtiges rechtliches Merkmal des europäischen Bürgerstandes57. Die Stadt „verantwortete“, „schirmte“ und verteidigte die städtischen Bürger und leistete „Fürsprache“ (Schutz des Bürgers mit der Waffe und Vertretung vor fremden Gerichten/Obrigkeiten, Auslösung bei Gefangennahme) für sie, weshalb der Bürger beim Eintritt aus den alten grundherrschaftlichen Verpflichtungen gelöst wurde58. Aus dem Bürgerrecht flossen dem Inhaber neben dem passiven Wahlrecht viele weitere Rechte im Sinne einer „nutzbare[n] Gerechtigkeit“59 zu. Das Bürgerrecht ermöglichte vor allem die Ausübung von Gewerbe und Handwerk. Die städtische Wirtschaftspolitik war grundsätzlich an einer Unterbindung des außerstädtischen Handels und Gewerbes interessiert, deshalb betonte das Bürgerrecht die städtischen Vorrechte und suchte den Bürger vor der Konkurrenz fremder Handwerker, aber auch fremder Händler zu schützen. In vielen Städten war mit dem Bürgerrecht das Vorrecht auf Gastgebschaft, auf Weinausschank 54   Adalbert Erler, Bürgerrecht und Steuerpflicht im mittelalterlichen Städtewesen (Frankfurt a. M. 1963) 18–50; Müller, Bürgerrecht (wie Anm. 21) 48–53; Dilcher, Bürgerbegriff (wie Anm. 32) 150–152; Beimrohr, Geschichte der Verwaltung (wie Anm. 37) 141f. 55   Isenmann, Stadt (wie Anm. 17) 138. 56   Ebel, Bürgereid (wie Anm. 16) 67f.; Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien 2 (Wien 22004) 511. 57   Joachim Eibach, Institutionalisierte Gewalt im urbanen Raum. „Stadtfrieden“ in Deutschland und der Schweiz zwischen bürgerlicher und obrigkeitlicher Regelung (15.–18. Jahrhundert), in: Gewalt in der Frühen Neuzeit. Beiträge zur 5. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit im VHD, hg. von Claudia ­Ulbrich–Claudia Jarzebowski–Michaela Hohkamp (Historische Forschungen 81, Berlin 2005) 189–205, hier 192–195. 58  Konrad Bund, Frankfurt am Main im Spätmittelalter 1311–1519, in: Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Stadt Frankfurt am Main 17, Sigmaringen 1991) 53–149, hier 73. 59  Isenmann, Stadt (wie Anm. 17) 147; Hans Planitz, Die deutsche Stadt im Mittelalter. Von der Römerzeit bis zu den Zunftkämpfen (Graz–Köln 1954, Nachdr. 1980) 251–253. 2

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oder auf Bierbrauen verbunden60. Zudem gewährten manche Städte ihren Bürgern Zollfreiheit61. Die Bürger besaßen Allmende- und Holznutzungsrechte (mitunter Fischrechte, Jagdrechte) im stadteigenen Wald bzw. auf den stadteigenen Weideflächen. Der städtische Rat schützte die Bürger vor Zugriffen nichtstädtischer Obrigkeiten (Rechtsschutz), allein das städtische Gericht sollte der persönliche Gerichtsstand von Bürgern sein62. Ein wichtiges Recht der Bürger stellte die Versorgung im stadteigenen Spital dar, wobei sich diese Versorgung mehrstufig gestaltete63. Die erarmte[n], keinen unterstand mehr habende[n] burgerliche[n] partheüen in diese Häuser aufzunehmen, kann als Kernaufgabe bürgerlicher Versorgungsinstitutionen gelten64. Vielfach scheinen die Lazarette für die unterbürgerlichen und die „Bürgerspitäler“ für die bürgerlichen Schichten gewidmet gewesen zu sein, wenn auch die Zuteilungspraxis nicht strikt erscheint.

Rechtlicher Rahmen der Bürgerlichkeit: Der Bürgereid als Stadtverfassung in actu Neben dem Erwerb eines Grundstückes/Hauses/einer Rente, der personenrechtlichen Freiheit, der Freiheit von Rechtsstreitigkeiten und Fehden, der Zahlung einer festgelegten Summe an die Stadt, der Stellung von Bürgen galt vor allem die Ablegung des Bürgereides als formale, persönliche Aufnahmebedingung, ja als lang mit besonderem Zeremoniell ausgestatteter „Kern des Aufnahmeverfahrens ins Bürgerrecht“65. Der ursprünglich einmalige Schwörtag der gesamten Bürgergemeinde wurde durch regelmäßige Schwörtage anlässlich des meist jährlichen Ratswechsels ersetzt, wobei die Bürgerpflichten, das geltende Stadtrecht und die Amtsgewalt des Rates beschworen wurden66. Der häufig um einen Beisasseneid erweiterte jährliche Schwörtag aller Bürger (mitunter auch um die Verlesung des Stadtrechts erweitert) bestätigte das städtische Satzungsrecht und die Treue wie den Gehorsam gegenüber dem Rat67. Der jährliche Gehorsamseid darf dabei nicht mit   Die Rechtsquellen der Stadt Weitra, ed. Herbert Knittler (FRA III/4, Wien–Köln–Graz 1975) 20f.   Schultheiss, Bürgerrecht (wie Anm. 33) 192. 62   Am Beispiel von Graz Fritz Popelka, Geschichte der Stadt Graz 1 (Graz–Wien–Köln 1959) 366. 63  Als regionale Überblicke Thomas Just–Herwig Weigl, Spitäler im südöstlichen Deutschland und in den österreichischen Ländern im Mittelalter, in: Europäisches Spitalwesen. Institutionelle Fürsorge in Mittelalter und Früher Neuzeit/Hospitals and Institutional Care in Medieval and Early Modern Europe, hg. von Martin Scheutz–Andrea Sommerlechner–Herwig Weigl–Alfred Stefan Weiss (MIÖG Ergbd. 51, Wien 2008) 149–184, hier 155–157; Martin Scheutz–Alfred Stefan Weiss, Spitäler im bayerischen und österreichischen Raum in der Frühen Neuzeit (bis 1800), in: ebd. 185–229, hier 189–195. 64  Am Beispiel der Stadt Zwettl Wilfried Gramm, Das Zwettler Bürgerspital in der Frühen Neuzeit, in: Leben und Regulieren in einer kleinen Stadt. Drei Beiträge zu Kommunikation, Fürsorge und Brandgefahr im frühneuzeitlichen Zwettl, NÖ, hg. von Friedel Moll–Martin Scheutz–Herwig Weigl (Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich 32, St. Pölten 2007) 207–309, hier 253–259, das Zitat 255. 65   Isenmann, Bürgerrecht (wie Anm. 40) 214; Andreas Fahrmeir, Art. Bürgereid. EdN 2 (2005) 552– 554, hier 552. 66   Ebel, Bürgereid (wie Anm. 16) 22f.; am Beispiel von Würzburg zeigt den Weg vom Einzelbürgereid zum Gesamteid Ulrich Wagner, Bürgereid und Bürgerrecht, in: Geschichte der Stadt Würzburg 1: Von den Anfängen bis zum Ausbruch des Bauernkriegs, hg. von dems. (Stuttgart 2001) 126f.; am Beispiel von Frankfurt werden im 15. Jh. Ausnahmen vom gemeinsamen Bürgereid (Witwen, Kleriker) diskutiert: Felicitas Schmieder, „von etlichen geistlichen leyen wegen“. Definitionen von Bürgerschaft im spätmittelalterlichen Frankfurt am Main. Jahrbuch des Historischen Kollegs 1999 (2000) 131–165, hier 133–137. 67  Zum Verhältnis von Bürger und Rat am Beispiel des Bürgereides (Treue, Huld und Gehorsam) vgl. etwa für Lübeck Gerhard Dilcher, Bürgerrecht und Bürgereid als städtische Verfassungsstruktur, in: Neubürger im späten Mittelalter (wie Anm. 40) 83–98, hier 85–89. 60

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dem Bürgereid verwechselt werden, der einmalig bei der Bürgerrechtsverleihung geleistet wurde68. Der vom Neubürger bzw. den Bürgern generell eingemahnte, umfassende Forderungskatalog nahm im Zuge des Ausbaues des frühmodernen Staates ab, indem die stehende Armee allmählich an die Stelle des städtischen Bürgeraufgebots trat und die städtische Polizei zunehmend ehemals bürgerliche Wachaufgaben übernahm. Der in der Verkehrssprache69 der Stadt abgelegte Einzelbürgereid – im Gegensatz zum Eid aller Bürger – stellt vor diesem Hintergrund eine weitere Entwicklung dar, wo der Neubürger vor dem Rat/dem Bürgermeister/einem Ratsdeputierten den durch Handheben „körperlich“ geleisteten Bürgereid ablegte. Der häufig mit seinen Waffen (später Gewehr) angetretene Bürgerrechtswerber beschwor darin eidlich die Treue gegenüber dem Landesherrn, Gehorsam gegenüber dem Rat und Erfüllung der Bürgerpflicht (darunter auch Aufdeckung von Verschwörungen, Brandbekämpfung) und die Anerkennung der allein zuständigen städtischen Gerichtsinstanzen70. Im konfessionellen Zeitalter verlangten viele Städte, abhängig von der Konfession des Landesfürsten/Stadtherrn bzw. von reichsrechtlichen Gegebenheiten, ein Bekenntnis zur „richtigen“ Konfession. Ein katholisches Beispiel lautet etwa folgendermaßen: Vor allen Dingen aber mich kainer verfürerischen sectischen lehr und opinion, sonder des allainselligmachenden christlichen catholischen alten glaubens und religion thaillhafftig machen71. Der aus dem 16. Jahrhundert stammende, hier exemplarisch herangezogene Bürgereid der kleinen österreichischen Donaustadt Tulln legt bei der „Ehre und Treue“ des aufzunehmenden Bürgers die Pflichten des Bürgers dar. Sowohl dem Stadtherrn (Landesfürst) als auch Richter und Rat hatten die Neubürger jederzeit treu, gehorsam und gewärdtig zu sein und den Nutzen des Stadtherrn, aber auch der Stadt zu fördern und schaden zu wenden nach eurem höchsten und pessten vermugen. Weder gegen den Landesfürsten noch gegen Richter, Rat und „gemeine Stadt“ Tulln durfte gehandelt werden, sondern es galt guete policey und ordnung zu halten, auch nach statbrauch recht nehmen und geben wie ain anderer bürger, und sonst alles zu thuen wöllet, das frömen getreuen und gehorsamen bürgersmänner gebürt72. Neben dem Treueid gegenüber dem Stadtherrn umfasste der Eid vielfach auch die Verpflichtung sich keinem anderen Grundherrn zu unterwerfen oder keinen unrechten, dem Interesse der Stadt schadenden Handel mit Gästen zu treiben73. Über die Aufnahme eines Bürgers konnte die Stadt mit Einschränkung selbst entscheiden. Der Neubürger wurde in consortium et communionem, in das jus burgense oder in das jus concivium aufgenommen. 68   Rosemarie Merkel, Bürgerschaft und städtisches Regiment im mittelalterlichen Freiburg, in: Geschichte der Stadt Freiburg im Breisgau 1: Von den Anfängen bis zum „Neuen Stadtrecht“ von 1520, hg. von Heiko Haumann–Hans Schadek (Stuttgart 1996) 564–596, hier 566. 69   Zum slowenischen Bürgereid von Eisenkappel 1682 Alfred Ogris, Eine zweisprachige Eidesformel aus Kärnten und der slowenische Bürgereid von Eisenkappel (1682). Mit einem Exkurs zur Schwurhand von Karnburg. Carinthia I 201 (2011) 233–258, hier 240–245. 70   Ebel, Bürgereid (wie Anm. 16) 96–126. 71  Popelka, Bürgerschaft (wie Anm. 19) 11f. (dort auch Bürgereid aus der Zeit Karls VI.); Rechtsquellen Leoben, ed. Schillinger-Prassl (wie Anm. 30) 306f. (1598/1599). 72  Edition des Bürgereides (nach 1564) bei Ramharter, Profile (wie Anm. 48) 127f.; Beimrohr, Geschichte der Verwaltung (wie Anm. 37) 130f.; Beispiel auch bei Michaela Krissl, Die Salzburger Neubürger im 15. und 16. Jahrhundert. MGSL 128 (1988) 251–314, hier 258; MGSL 129 (1989) 61–178; dies., Addenda und Corrigenda zur Edition des Ersten Salzburger Bürgerbuchs. MGSL 130 (1990) 345–350. 73  Weiss, Städtewesen (wie Anm. 9) 98; als Vergleich etwa für Leoben (1580): Rechtsquellen Leoben, ed. Schillinger-Prassl (wie Anm. 30) 298f.

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Nach dem ältesten Kölner Bürgeraufnahmebuch aus der Mitte des 14. Jahrhunderts hatte der Neubürger nicht nur dem Rat und der Stadt treu zu sein, sondern auch der Sturmglocke zu folgen und einen Panzer zu tragen74. Die Leistungsfähigkeit des Bürgerrechtswerbers musste in der beginnenden Neuzeit durch Vorlage einer Hakenbüchse bzw. durch den Nachweis der Beherrschung dieser häufig im bürgerlichen Zeughaus verwahrten Waffe („Bürgerschuss“) und durch das „Ampergeld“ (Vorlage eines ledernen Eimers bzw. die Bezahlung eines Eimergeldes) nachgewiesen werden. Sie konnte auch durch Besitznachweis eines Eishakens (zur Freihaltung der Wehrgräben), von Straßenruten (Reisigbündel zur Wegausbesserung) und fallweise durch Beiträge zur Armenbüchse erfolgen75. Bei gelehrten Bürgern konnte man die Präsentation der Waffe bei der Bürgeraufnahme durch Alternativen ersetzen. So vermerkte man 1668 deshalb in Hall in Tirol nicht wie gewöhnlich: Gwöhr [Waffe] ain Musqueten, sondern beim Gerichtsschreiber deutlich friedfertiger: Gwöhr ain Schreibföder 76. Die gewer an einem Haus (also der rechtliche Besitz), aber auch das Bürgerrecht war mit der Feuerprävention verbunden77, der Ledereimer wurde später mancherorts durch die Handspritze ersetzt. Einige Städte scheinen auch auf eine einheitliche Gewandung der Bürger Wert gelegt zu haben, indem beim Bürgereid ein so genannter Bürgermantel – auch ein Zeichen des Gehorsams gegenüber dem Rat – getragen werden musste. In einem kleinen Markt in Niederösterreich beispielsweise lief 1757 die Zeremonie der Bürgerrechtsverleihung folgendermaßen ab: Der entsprechend gewandete Bürgerrechtswerber erschien mit einem bürgerlichen Bürgen vor dem Rat, alhier sich mit einer flinten, seitengewöhr [Degen] und ledernen amper praesentirend und um das burgerrecht gehorsamlich anlangend. Der Rat legte ihm die bürgerlichen Pflichten dar, zudem musste er bei der Bürgerwehr auf der bürgerlichen Schießstatt zumindest ein Jahr lang teilnehmen, daraufhin gelobte man ihn an. Er musste den burgergulden, die Bürgerrechtsverleihungsgebühr, die Gebühr für den Ledereimer, einen Beitrag zur jährlich stattfindenden Begehung des markteigenen Waldes (bürgerhofzöhrung) sowie die Schreibgebühr und die Gerichtsdienertaxe erlegen. Der neue Bürger verrichtete, auch akustisch als Signal an die übrige städtische Einwohnerschaft gedacht, im abzug den burgerschuß 78. Die Stellung als Bürger endete entweder mit dem Tod, mit der Aufgabe des Bürgerrechts oder aber durch Ausschluss aus der Bürgergemeinschaft. Formal musste ein Bürger vor seinem Wegzug Abschied beim Stadtrat nehmen, die aushaftenden bürgerlichen Abgaben (ledigzallung seiner burgerlichen phlicht) erledigen79 und erhielt dafür einen förmli  Planitz, Die deutsche Stadt (wie Anm. 59) 254; Müller, Bürgerrecht (wie Anm. 21) 176.   Popelka, Bürgerschaft (wie Anm. 19) 17; Walter Wohlfahrt, Das Bürgerbuch der Stadt St. Veit 1564–1884. Carinthia I 192 (2002) 506f., hier 507; Ramharter, Profile (wie Anm. 48) 130 (Abgaben auch in das „Corbulum“ [eine Kassa, wo die Gefälle, Strafen und Abgaben gezahlt wurden, die dann an die Amtsträger und Ratsbürger als Aufwandsentschädigung ausgezahlt wurde]); Schröder, Bürgerrechtsquellen (wie Anm. 53) 6. 76  Hochenegg, Bürgeraufnahmen (wie Anm. 24) 30. 77  Trude Kowarsch-Wache, das liebe feür. Frühneuzeitliche Feuerbeschau in landesfürstlichen Städten und Märkten: Zwettl und Perchtoldsdorf im Vergleich, in: Leben und Regulieren (wie Anm. 64) 111–205, hier 163, 177; zum „Feuereimer“ Rosa Hausteiner, Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte der landesfürstlichen Stadt Eggenburg 1620–1850 (Diss. Wien 1974) 54. 78  Stadtarchiv Scheibbs, Hs. 3/15, Ratsprotokoll 1757, fol. 11v, Bürgeraufnahme von Anton Schneider im Markt Scheibbs. 79  Am Beispiel eines Zwettler Tuchmachers aus 1559, der sich seiner pessern und merern wolfart wegen von dannen zu erheben und anderen enden niederzurichten vorhabennß, Das Zwettler Ratsprotokoll 1553–1563. Edi74 75



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chen „Abschied“ des Rates im Sinne einer Entlassung aus dem Bürgerrecht, der Bürgereid wurde formal gelöst80. In manchen Städten war mit dem Bürgerrecht die Pflicht verbunden, fünf oder zehn Jahre das Bürgerrecht zu halten oder bei vorzeitigem Abzug eine große Summe als Abschlag zu erlegen81. Wenn der Bürger seine Bürgerpflicht verletzte82, ging er seines Bürgerrechts verlustig, etwa wenn er außerhalb der Stadt „eigenen Rauch“ gehalten hatte und „über Jahr und Tag“ außerhalb wohnte83. Bezahlte ein Bürger seine Steuern nicht, so konnte der Stadtrat das bürgerliche Haus feilbieten oder im Fall von Verurteilungen oder ungebührlichem, auch kriminellem Verhalten (etwa Diebstahl, Ehebruch, Betrügereien, Münzfälschung)84 das Bürgerrecht aberkennen. Im Zuge der Konfessionalisierung konnten Bürger aufgrund der „falschen“ Konfession nach Ankündigung einer Konversionsfrist das Bürgerrecht durch die Interzession des Landesfürsten verlieren85. Immer wieder lassen sich auch Fälle von heimlicher Abwanderung („ohne Urlaub“) als eine Art Flucht aus der städtischen Rechtsgemeinschaft nachweisen86.

Bürgertaxen und Einschreibgelder – Torwächter der Stadt Die Aufnahme in die Bürgergemeinde und die Ablegung des wechselseitigen bürgerlichen Gemeinschaftseides bedeutete formal-rechtlich die Gleichstellung mit den anderen Bürgern („arm und reich“87), wenn auch die soziale Differenz innerhalb der Bürgerschaft groß blieb. Galt der Bürgereid als Beitrittserklärung zur Stadt, könnte man das Bürgergeld als „Einkaufsgeld in die Schwurgemeinschaft“88 bezeichnen. Das Bürgergeld erscheint direkt abhängig von der Wirtschaftskraft des Bürgerrechtswerbers und auch davon, ob Neubürger erwünscht waren oder nicht. Manche Städte verhängten deshalb ein Schweigegebot der Neubürger über die entrichtete Summe in der Öffentlichkeit, um Konflikte zu vermeiden89. So musste um 1578 ein Bürger in Bozen die Bürgertaxe, die ime durch ainen ersamen rath auferlegt wirdet, gehorsamlichen erlegen, dene biß in sein grueben verschwigen tion und Kontext, hg. von Cathrin Hermann–Friedel Moll–Martin Scheutz–Herwig Weigl (Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich 34, St. Pölten 2010) 271f.; Rechtsquellen Leoben, ed. SchillingerPrassl (wie Anm. 30) 52. 80  Ramharter, Profile (wie Anm. 48) 129 (1577 Februar 16): Haben hierauf ine […] seinem glüb, damit er uns unnd gemainer statt verpflicht gewesen, erlassen unnd müessig gezellt. 81   Isenmann, Bürgerrecht (wie Anm. 40) 213; manche Städte gewährten ihren Bürgern mitunter auch ein für einige Zeit ruhendes Bürgerrecht (wögen seines vorbehaltenen Bürgerrechtes), am Beispiel von Tittmoning Dieter Goerge, Tittmoninger Bürgerrecht, Räte und Bürgermeister. Eine Studie zur Gewerbestruktur des 17. und 18. Jahrhunderts. MGSL 125 (1985) 425–447, hier 432. 82   Beispiele (etwa offen stehendes Stadttor bei Nacht) bei Kustatscher, Städte (wie Anm. 46) 63f. 83   Bund, Frankfurt am Main (wie Anm. 58) 75. 84   So waren Personen, die im Herrendienst standen, vom Bürgerrecht ausgeschlossen (kaines Herrn versprochner Diener) Beimrohr, Geschichte der Verwaltung (wie Anm. 37) 117f., zur Aufkündigung des Bürgerrechts 129f.; Beispiele aus Graz Popelka, Bürgerschaft (wie Anm. 19) 19f.; Ramharter, Profile (wie Anm. 48) 128f. (rückständige Abgaben; der Bewohner habe sich gehorsamblich und burgerlich zu verhalten), 130 (Verlust des Bürgerrechts wegen Ehebruch). 85   Popelka, Geschichte der Stadt Graz (wie Anm. 62) 366. 86   Lipburger–Müller, „Es soll auch kainer fremder“ (wie Anm. 17) 94: zwischen 1459 und 1534 wanderten in Radstadt 9,3 % der Bürger ab: einvernehmliche Abwanderung (2,2 %), Ausschluss (1,1 %) und „ohne Urlaub“ (2,6 %), unsichere Zuordnung (3,3 %). 87  Dilcher, Bürgerbegriff (wie Anm. 32) 175. 88  Ebel, Bürgereid (wie Anm. 16) 57. 89  Beimrohr, Geschichte der Verwaltung (wie Anm. 37) 125.

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halten90. Während in kleinen Städten und Märkten der Rat in toto für die Aufnahme der Neubürger zuständig war, bildeten sich in größeren Städten eigene Deputationen heraus91. In Nürnberg beispielsweise betraute man die auch mit der Sammlung der Bürgersteuern beschäftigten „Losunger“ (Ratsherren) gemeinsam mit dem Stadtschreiber mit der Aufnahme und Entlassung der Bürger. Ab dem 14./15. Jahrhundert versah eine aus Patriziern und Handwerksgenannten bestückte Kommission die Bürgeraufnahme. Die Kommission nahm die Anträge entgegen, prüfte die Voraussetzungen, berichtete an den Gesamtrat, nahm die eidliche Verpflichtung des Neubürgers vor, empfing die Aufnahmegebühr und führte diese Gebühr anschließend an die Stadtkasse ab. Betrachtet man die je nach Stadt unterschiedliche Entwicklung der Bürgertaxe, so zeigt sich, dass viele Städte mit fixen Sätzen der Bürgertaxe begannen, von diesem Modell im Laufe der Zeit, je nach Rahmenbedingungen, wiederum abwichen. Die Bestätigung des Stadtrechts der Stadt Eferding 1415 durch den Stadtherrn Graf Johann von Schaunberg sah vor, dass ein künftiger Neubürger 10 Pfund Pfennig im Burgfried an legen sollte, als dann purkchrechts recht ist, zudem hatte er in die städtische Kammer ein Pfund Pfennig zu erlegen, weiters zu der städtischen Pfarrkirche ein Pfund Wachs92. Für die Verleihung des Bürgerrechts wurde in Wien nachweisbar ab dem 14. Jahrhundert eine Bürgertaxe eingehoben93. Während diese Gebühr im 14. Jahrhundert 4 Schilling betrug, mussten abhängig von den Vermögensverhältnissen des Bürgerrechtswerbers im 16. Jahrhundert im Durchschnitt zwei Pfund, im 18. Jahrhundert dagegen zwei Gulden bezahlt werden94. Nach dem „Laudum Bavaricum“ von 1535 stellt sich die Vergabe des Bürgerrechts in Passau mit Blick auf die rechtlichen Voraussetzungen der Bürgerschaftswerber dreigliedrig dar95: (1) Bürgersöhne mussten nach Vollendung ihres 16. Lebensjahres am jeweils darauffolgenden Johannistag als Bürger aufschwören; (2) Werber, die mit einer Bürgerstochter bzw. einer Bürgerswitwe verheiratet waren, mussten einen Antrag stellen; (3) Neubewerber mussten auf einen „Willen des Rats“ warten. Auch die Stadt Innsbruck unterschied in der Frühen Neuzeit zwischen den von außen kommenden geschworenen Bürgern (Handwerker) und den vom Bürgereid und der Erlegung der Bürgertaxe befreiten Erbbürgern, den Söhnen von Innsbrucker Bürgern96. In Innsbruck wurde das Neubürgergeld ebenfalls, wie in den meisten Städten, individuell bemessen97. Nach einem Beschluss des Innsbrucker Stadtrates aus 1514 sollte ein Neubürger, der vorher nicht Inwohner war, nicht unter 10 Gulden Gebühr zahlen. In der Praxis zahlte man in Innsbruck in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts durchschnittlich zwischen 20 und 40 Gulden, später im 17. Jahrhundert zwischen 40 und 60 Gulden. Das Bürgergeld konnte auch in Sachleistungen bestehen: So mussten Leobener Neubürger als Anlait Dachziegel liefern; ein Neubürger sollte 1531 zwei Hakenbüchsen 90   Rudolf Marsoner, Bozner Bürgerbuch 1551–1806: 1551–1806. Bozner Jahrbuch für Geschichte, Kultur und Kunst 1929/1930 (1930 [Nachdr. Innsbruck 1956]) 2 (Fürhalt der burgerrecht, 1578). 91  Schultheiss, Bürgerrecht (wie Anm. 33) 185. 92  Die Rechtsquellen der Stadt Eferding, ed. Otto Wutzel (FRA III/2, Graz–Köln 1954) 8. 93  Brunner, Finanzen (wie Anm. 51) 131f. 94   Zur Anhebung der Gebühren in verschiedenen Höhen ebd. 131; Rigele, Wiener Bürgerrechtsverleihungen (wie Anm. 30). 95  Gabriel Maria Ott, Das Bürgertum der geistlichen Residenzstadt Passau in der Zeit des Barock und der Aufklärung (Neue Veröffentlichungen des Instituts für ostbairische Heimatforschung 6, Passau 1961) 33f.; Isenmann, Bürgerrecht (wie Anm. 40) 211. 96  Beimrohr, Geschichte der Verwaltung (wie Anm. 37) 110–144. 97  Ebd. 125.



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als Bürgergeld vorlegen98; ein Brixner Tischler trug 1590 als Bürgertaxe mit seiner Arbeitsleistung zum Ausbau der neuen Ratsstube am Rathaus bei99. Die Bürgersöhne zahlten dagegen in den meisten Städte keine oder ganz geringe Gebühren (oder erlegten Gaben, etwa Wein), weil sie das Bürgerrecht von ihrem Vater „ererbt“ hatten. Im Salzburger Markt Golling erlegten die Bürgersöhne als Bürgertaxe nur eine bestimmte Menge Weißbrot (einige schuss) und mehrere Viertel Wein, während die von außen kommenden Neubürger, abhängig von ihrem Handwerk, recht hohe Aufnahmegebühren begleichen mussten100.

Bürgerbücher und die Zusammensetzung der Neubürger: prosopographische Dynamik Prinzipiell stand es dem Stadtherrn und dem Stadtrat frei, über die Aufnahme von Bürgern zu entscheiden. Der Wichtigkeit des Rechtsakts Rechnung tragend vermerkte man die Neuaufnahme von Personen ins Bürgerrecht schriftlich in chronologisch geführten „Bürgerbüchern“ (matricula civium)101, in denen in unterschiedlicher Ausführlichkeit und Dichte Angaben zur Person der Neubürger (und mitunter der minderberechtigen Inwohner) wie Namen (und Namen der Eltern, der Bürgen), Beruf, Herkunftsort, eheliche Geburt, Bürgergeld und „Denkwürdigkeiten“ (etwa Kaution) verbucht wurden102. Eine Voraussetzung für die als Amtsbücher geführten Bürgerbücher stellten neben den Bürgerlisten die Ratsprotokolle103, wo zu den Ratssitzungen die Namen der Neubürger angeführt wurden, und die Kammerrechnungen, wo man den Eingang des individuell ausgehandelten Bürgergeldes verzeichnete, dar. Die ab dem Spätmittelalter geführten, als Bürgermatrikel anzusprechenden Bürgerbücher liefern gute Angaben zur Sozialstruktur und Binnendifferenzierung der Städte, verdeutlichen die Dynamiken der Aufnahme vor dem Hintergrund von wirtschaftlichen Konjunkturen, bieten Angaben zur Migration und Genealogie. Neben dem Überblick über die Neuaufnahmen der Bürger standen auch fiskalische Interessen für die Anlage der Bürgerbücher im Zentrum. Die älteste Bürgerliste im deutschen Sprachraum hat sich aus Köln erhalten (1130–1170), Wismar (1250), Rostock (1258) oder etwa Lübeck (1259) folgten. Seit dem 14. und auch 15. Jahrhundert sind die überproportional im Süden der Heiligen Römischen Reiches geführten Bürgerbücher auch für den österreichischen Raum bis ins beginnende 19. Jahrhundert häufig104.   Rechtsquellen Leoben, ed. Schillinger-Prassl (wie Anm. 30) 51, 266f.   Philipp Tolloi, Das Bürger- und Inwohnerbuch der Stadt Brixen von 1500–1593. Edition und Kommentar (Dipl. Wien 2010) 31. 100  Peter Michael Lipburger, Das Bürgerbuch von Golling, in: Golling. Geschichte einer Salzburger Marktgemeinde, hg. von Robert Hoffmann–Erich Urbanek (Golling 1991) 478–494, hier 482. 101   Andreas Fahrmeir, Art. Bürgerbuch. EdN 2 (2005) 549f. Als Bibliographie zu Bürgerbüchern Eckart Henning, Bürgerbücher, in: Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung, hg. von Wolfgang Ribbe–dems. (Neustadt an der Aisch 1995) 190–234; Harm Rieper, Quellen für Familienforscher in Ländern, Landschaften, Städten und Orten: Eine Bibliographie familiengeschichtlicher Veröffentlichungen aus dem gesamten deutschen Sprachraum (CD Rom, Uslar 2002); Schröder, Bürgerrechtsquellen (wie Anm. 53) 21–56. 102   Christine E. Janotta, Das Bürgerbuch – eine wichtige stadtgeschichtliche Quelle. Pro Civitate Austriae 4 (1986) 29–32, hier 30. 103  Am Beispiel von Eggenburg sieht man die Differenzen zwischen den Bürgeraufnahmen im Ratsprotokoll und dem Stadtkammeramt Hausteiner, Beiträge (wie Anm. 77) 53–55 und Tabelle 4. 104   Hartweig Walberg, Art. Bürgerbuch. LMA 2 (1983) 1042; Karl Kroeschell, Art. Bürgerbuch. HRG 1 (1971) 553; Andreas Petter, Art. Bürgerbuch. HRG 1 (22008) 748f.; zu den drei Phasen (13./14.; 15. und 16. Jh.) Rainer Christoph Schwinges, Neubürger und Bürgerbücher im Reich des späten Mittelalters. Eine 98 99

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Die Bürgerbücher dienten nicht nur als Grundlage für die Zahlung der Bürgertaxen, sondern man verwendete sie auch zur Assentierung etwa in das städtische Schützenkorps bzw. als Rekrutierungsliste für die städtische, in der Frühen Neuzeit zunehmend uniformierte Bürgermiliz105. Die Bürgerbücher legen implizit die Strategie der Bürgerrechtsverleihungen der Städte offen, indem bestimmte Handwerke favorisiert wurden und andere dagegen weniger stark Niederschlag bei der Aufnahme von Neubürgern fanden. Mitunter dokumentieren die Bürgerbücher, dass dem Neubürger auch eine Beschränkung auf das angeführte, oft am Haus anhaftende (radizierte) Handwerk bzw. einen bestimmten Teil des Handwerks auferlegt wurde106, um Streitigkeit mit dem restlichen bürgerlichen Handwerk zu vermeiden. Das Bürgerrecht diente in vielen Städten als Voraussetzung für die Zulassung zu einer Zunft. Die Bürger innerhalb einer Stadt waren in der Minderheit, man könnte ein grob geschätztes Verhältnis von rund einem Achtel bis Zehntel Bürger im Relation zur städtischen Gesamtbewohnerschaft (oder unter Einrechnung der Familien rund ein Drittel) als ungefähren Richtwert annehmen. In Graz gab es beispielsweise 1578 bei 7.000 Einwohnern rund 412 Bürger (was rund 30 % bürgerliche Familien [pro bürgerliches Haus Multiplikator 5,5] bedeutet)107. Bei 700 bis 800 Einwohnern wies die Salzburger Stadt Radstadt im Spätmittelalter rund 100 bis 110 Bürger auf108. Meist werden in den Bürgerbüchern auch die Inwohner verzeichnet, so lag das Verhältnis von Bürgern zu Mitbürgern in Linz zwischen 1658 und 1707 bei 1 : 2,5 (241 Bürger zu 603 Mitbürger, insgesamt 844 Neubürger)109. Bozen weist dagegen zwischen 1551 und 1810 ein durchschnittliches Verhältnis von zwei Bürger- zu 38 Inwohneraufnahmen (1 : 19) auf 110. Gut verdeutlichen die Bürgerbücher die Wertigkeit bestimmter Berufe, weil die Bürgertaxen – so nicht starre Staffelungen für Auswärtige und Bürgersöhne eingeführt wurden111 – abhängig vom Gewerbe und dessen Sozialprestige aufgeschlagen wurden. Die durchschnittliche Aufnahmezahl der Neubürger pro Jahr hängt von der Größe der Stadt und den verschiedenartigen Umständen (Wirtschaftslage, Pest, soziale Struktur usw.) ab – Ziel für die von einer deutlich höheren Mortalität als das Land geprägten Stadt war es, die durch Tod und Abwanderung entstandenen Verluste auszugleichen. Abhängig von verschiedenen Faktoren wie Stadterweiterung, Mauerbau, sozialer Schichtung und Wirtschaftslage (etwa der Höhe des Getreidepreises) belief sich der Anteil der Neubürgeraufnahme im Verhältnis zur städtischen Gesamtbevölkerung während des 14. und Einführung über die Quellen, in: Neubürger im späten Mittelalter (wie Anm. 40) 17–50, hier 24–29; Schröder, Bürgerrechtsquellen (wie Anm. 53) 12 (Anfangsjahre der Bürgerrechtsbücher). 105   Popelka, Bürgerschaft (wie Anm. 19) 17f.; Konrad Fischnaler, Das Innsbrucker Bürgerbuch. Historische Skizze. Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg III/47 (1903) 161–185, hier 180–182. 106   Lipburger, Bürgerbuch von Golling (wie Anm. 100) 479; Krissl, Salzburger Neubürger [1] (wie Anm. 72) 267f.; Fischnaler, Bürgerbuch (wie Anm. 105) 174f. 107  Popelka, Bürgerschaft (wie Anm. 19) 25. 108  Lipburger–Müller, „Es soll auch kainer fremder“ (wie Anm. 17) 92; die Städte/Märkte im Rentamt Landshut als Gegenbeispiel weisen im 18. Jh. durchschnittlich 52,8 % Bürger, 12,2 % Insassen und 35,2 % Nichtbürger auf: Helmut Rankl, Altbayerische Kleinstädte im Spiegel landesherrlicher Erhebungen des 17. und 18. Jahrhundert: Erding, Rosenheim, Trostberg und Murnau (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte 28, München 2011) 62; Martin Scheutz, Öffentlichkeit und politische Partizipation in einem grundherrschaftlichen Markt des 18. Jahrhunderts. Das Beispiel der Scheibbser Taidinge und die Strategie der Ämtervergabe. MIÖG 109 (2001) 382–422, hier 390. 109  Kurzbauer, Bürgerbuch (wie Anm. 25) 148. 110  Huter, Beiträge (wie Anm. 35) 21. 111  Popelka, Bürgerschaft (wie Anm. 19) 16.



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15. Jahrhunderts innerhalb des Heiligen Römischen Reiches auf durchschnittlich 0,4 bis 0,5 Prozent, wobei die süddeutschen Städte tendenziell leicht höhere Werte aufwiesen112. Während die kleine Stadt Salzburger Stadt Radstadt mit 700–800 Einwohnern zwischen 1459 und 1534 jährlich im Durchschnitt 6,17 Personen113 als Neubürger aufnahm, waren dies im spätmittelalterlichen Salzburg (1531 4.600 Einwohner) zwischen 1441 und 1540 durchschnittlich 23114 und in der Donaustadt Linz bei geschätzten 15.000 Einwohnern zwischen 1658 und 1707 im Schnitt 17 Personen115. Größere Städte wie Köln mit 40.000 Einwohnern verzeichneten im 15. Jahrhundert 22 Neubürgeraufnahmen, Augsburg mit rund 18.000 Einwohnern gar nur zwölf116. Ein deutlicher Zusammenhang zwischen Getreidepreis und Neubürgeraufnahmen zeichnet sich ab. Ein hoher Getreidepreis bedingte wenige Neubürgeraufnahmen, ein niederer Getreidepreis förderte dagegen die Aufnahmen – regionale Krisen (etwa Pest, Kriege, Naturkatastrophen, demographische Krisen) beeinflussten die Aufnahmen zusätzlich117. Mit der Höhe der Bürgertaxe konnte der Zugang zu den Städten in Korrelation zu den von Stadt zu Stadt leicht differierenden, qualifizierenden persönlichen Voraussetzungen (wie etwa Hausbesitz, Meisterwürde, Ehelichkeit, Mindestvermögen) gesteuert werden. Die Städte senkten und erhöhten je nach Erfordernis ihre Bürgertaxen118. Bozen besaß im Mittelalter eine einheitliche Bürgertaxe, doch änderte man diese in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu durchschnittlich bezahlten 9 fl. 36 xr. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts kletterte sie dann auf durchschnittlich rund 35 Gulden. In der zweiten Hälfte lag sie bei rund 57 fl., im 18. Jahrhundert dann schon bei über 500 fl. In Bozen schröpfte man in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vor allem die neu ins Inwohner- und Bürgerrecht eintretenden Handelsleute (mit durchschnittlich 113 fl.), die Wirte (22 fl.), die Apotheker (28 fl.) Ärzte (22 fl.), während dagegen die mit Mehl handelnden „Melbler“ mit durchschnittlich 1,5 fl. oder die Weber mit 5,5 fl. belastet wurden119. Die Neubürgeraufnahmen der Städte können im Heiligen Römischen Reich, bei aller Verschiedenheit der geographischen Einflusszonen, bezüglich ihrer Migrationsräume in drei Raumsegmente unterteilt werden, ohne in diesem Rahmen die berechtigte Frage von Auswanderungsräumen (wie Schwaben, Niederrhein), Einwanderungsräumen (Flandern, Ostsee, Eidgenossenschaft) und Austauschräumen (wie Franken, Thüringen, MittelrheinHessen) näher zu erörtern120: (1) ein enges, ländliches Umfeld um die Stadt, in dem die 112   Roland Gerber, Die Einbürgerungsfrequenz spätmittelalterlicher Städte im regionalen Vergleich, in: Neubürger im späten Mittelalter (wie Anm. 40) 251–288, hier 263. Gerber betont die Abhängigkeit der Neubürgeraufnahme vom Getreidepreis deutlich, wobei hier auch Faktoren wie Epidemien und Jahreszeiten eine Rolle gespielt haben müssen. 113  Lipburger–Müller, „Es soll auch kainer fremder“ (wie Anm. 17) 90. 114   Krissl, Neubürger [1] (wie Anm. 72) 262f., 293; Heinz Dopsch–Robert Hoffmann, Geschichte der Stadt Salzburg (Salzburg–München 1996) 642. 115   Kurzbauer, Bürgerbuch (wie Anm. 25) 147; Richard Bart–Karl Ehrenfellner, Landeshauptstadt Linz. Stadt mit eigenem Statut, in: Die Städte Oberösterreichs, hg. von Herbert Knittler (Österreichisches Städtebuch 1, Wien 1968) 193–238, hier 207. 116   Zahlen nach Krissl, Neubürger [1] (wie Anm. 72) 263. 117   So die Kernthese bei Gerber, Einbürgerungsfrequenzen (wie Anm. 112) 279. 118   Z. B. in Nürnberg, als es galt, die ab 1400 ummauerten Vorstädte mit Bürgern zu füllen, oder nach Epidemien Schultheiss, Bürgerrecht (wie Anm. 33) 186f. 119   Huter, Beiträge (wie Anm. 35) 106f., siehe auch 72–75. 120   Für das Heilige Römische Reich modellhaft Rainer Christoph Schwinges, Die Herkunft der Neubürger: Migrationsräume im Reich des späten Mittelalters, in: Neubürger im späten Mittelalter (wie Anm. 40) 371–408, hier 402. Bezüglich der Richtung der Migration Bruno Koch, Quare magnus artificus est: Migrie-

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Städte bzw. auch der Stadtherr die Einbürgerungen als Instrument der Herrschaftssicherung bzw. -erweiterung einsetzten, was mitunter zu Problemen mit den benachbarten Grundherren in Form von Landfluchtklagen führen konnte. (2) Ein zweiter, von Neubürgern aus anderen Städten geprägter Migrationsraum orientiert sich an den wirtschaftlichen Interessen der Stadt, was Ausdruck in Handwerkermigration bzw. der Migration von Kaufleuten findet. (3) Ein dritter Migrationsraum, der sich unter den Neubürgern ausmachen lässt, war von Fernmigration geprägt. Hier wanderten vor allem berufliche Spezialisten aus anderen Städten (im Spätmittelalter Ärzte, Silberschmiede, Buchbinder, Apotheker, Gürtler usw.) zu. Am Beispiel der kleinen bischöflichen Stadt Salzburg wird diese Dreiteilung für das Spätmittelalter deutlich: Ein engerer Migrationsraum bestimmt die Einwanderung von Neubürgern aus dem Flach- und Tennengau, dem benachbarten Oberösterreich und aus dem angrenzenden Ober- und Niederbayern. Der weite Migrationsraum (das heutige Ostösterreich, Schweiz, Italien) war durch Handelswege bestimmt. Während die nahe Migration stark ländlich bestimmt war, stammten die Fernmigranten aus Städten (etwa Goldschmiede), die „Einwanderung aus Städten nimmt […] proportional zur Entfernung zu“121. Zwischen nahem und weitem Migrationsraum etablierte sich auch eine Art „Mittelgrund“. Ein beträchtlicher Teil der Neubürger stammte aus der Stadt selbst, mitunter wurden diese Bürgersöhne nicht oder nur unvollständig in den Bürgerbüchern vermerkt, weil sie nicht die volle Bürgertaxe zahlten oder überhaupt gratis aufgenommen wurden122. Im frühneuzeitlichen Innsbruck wird deutlich, dass die Zugezogenen stärker in der Sparte der Handelstreibenden, der Wirte und der Hofleute zu finden waren, während sich die bürgerlichen Handwerker aus den Inwohnern ergänzten123. Traditionell zu den stärksten Berufsgruppen unter den Neubürgern zählten das Nahrungsmittelgewerbe und Gewerbe, die mit der Bekleidung zusammenhingen124. Das zwischen 1720 und 1819 geführte Grazer Bürgerbuch (rund 3.200 Namen) verdeutlicht, dass rund 60 Prozent der neuaufgenommenen Bürger auf die drei Sparten Lebensmittelgewerbe (30 %), Bekleidungsgewerbe (20 %) und Metallgewerbe (10 %) entfielen. Ähnlich war die Verteilung in Linz (821 Angaben zwischen 1658 und 1707), auch hier war das Lebensmittelgewerbe stark vertreten, allein 106 Gastgeben, 28 Fleischhauer und 13 Bäcker konnten im Untersuchungszeitraum nachgewiesen werden125. Die Südtiroler Stadt Bozen nahm zwischen 1551 und 1806 552 Bürger und 9.959 Inwohner auf, davon stammten 25,8 % aus dem Bekleidungsgewerbe, ein weiteres Viertel aus dem Lebensmittelgewerbe, gefolgt von 15,6 % aus Handel und Verkehrsgewerbe sowie 10,1 % aus Metall- und 9,3 % aus landwirtschaftlichem Gewerbe126.

rende Berufsleute als Innovationsträger im späten Mittelalter, in: ebd. 409–443. 121  Krissl, Neubürger [1] (wie Anm. 72) 289; als Vergleich Popelka, Bürgerschaft (wie Anm. 19) 28–37. 122   Huter, Beiträge (wie Anm. 35) 62; Kurzbauer, Bürgerbuch (wie Anm. 25) 154. 123   Beimrohr, Geschichte der Verwaltung (wie Anm. 37) 116. 124   Krissl, Neubürger [1] (wie Anm. 72) 274–283. Die Berufsgruppen sind in der hier vorgestellten Literatur unterschiedlich systematisiert, was die Vergleichbarkeit erschwert. 125  Siehe die unsystematische Auswertung bei Kurzbauer, Bürgerbuch (wie Anm. 25) 152. 126  Mit veränderter Zuordnung (im Vergleich zu Salzburg und Graz) Huter, Beiträge (wie Anm. 35) 27–40, 108.



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„Sondergruppen“ in der Stadt Das Bürgerrecht wurde in manchen Städten nicht nur an Männer verliehen, sondern stand mitunter auch Frauen offen127. Prinzipiell offerierte der Stadtrat den Frauen zwei verschiedene Formen des Bürgerrechts: einerseits die Partizipation am Bürgerrecht des Mannes, zum anderen ein Bürgerrecht für Frauen, welche in das Vollbürgerrecht aufgenommen wurden. Frauen mussten ebenso Bürgen stellen, erlegten Bürgergeld wie Steuern und legten einen Eid ab. Anders als die männlichen Bürger mussten sie den Wachtdienst nicht ableisten und durften Ersatz für den Wehrdienst stellen (aber Erlag von Rüstungen etc.), traten aber selbst vor Gericht auf. Die als Vollbürger aufgenommenen Frauen, meist ledige oder verwitwete Frauen, durften allerdings nicht an der städtischen Politik teilhaben, etwa eine Ratsstelle einnehmen. Bürgerbücher verzeichnen als Neubürgerinnen neben adeligen Frauen vor allem Inhaberinnen von Frauenberufen aus dem Textilgewerbe (Schneiderinnen, Weberinnen etc.). Neben den Bürgern und den Mitbürgern gab es in vielen Städten noch Abstufungen des Bürgerrechts, worunter etwa auch ein Bürgerrecht für Gäste fiel. Die Gäste besaßen die schwächste Position, weil sie nur eingeschränkten Schutz durch die Stadt erhielten und nicht an deren Rechten und Freiheiten partizipieren konnten128. Vielfach verlieh man fremden Kaufleuten, um den Gegensatz fremd/einheimisch abzudämpfen, den verbesserten Rechtsstatus des Gastes, der aber kein Grundstück in der Stadt erwerben durfte129. Dem Gast wurde in der Regel ein bürgerlicher „Wirt“ (etwa als Bürge) zugeordnet, der den Gast im Sinne eines privilegierten Fremden in seinem Haus (Hausrecht) aufnahm. Zwei Prinzipien, das Schützen der eigenen Stadtwirtschaft und zum anderen der offene Markt der Stadt, verdeutlichen, dass die Gäste nur mit Zustimmung der Stadt an der städtischen Wirtschaft teilnehmen durften (etwa Bestimmungen im Kontext des Stapelrechts). Die Gäste unterlagen zahlreichen Einschränkungen, die ihre Tätigkeiten im Sinne von Konkurrenzvermeidung zum Vorteil der Stadt beschränkten (Verbot des Detailhandels, Verbot eines Handels von Gast zu Gast)130. Besonders die Rechtsstellung des Fremden wurde durch das Gastrecht betroffen, indem den Gästen der städtische Rechtsschutz gewährt wurde, mitunter waren eigene Gastgerichte (etwa in Köln und Lübeck) für Klagen von Bürgern gegen Gäste verantwortlich, wobei während des Jahrmarktes besondere Regelungen galten131. 127   Breiter Überblick bei Barbara Studer, Frauen im Bürgerrecht. Überlegungen zur rechtlichen und sozialen Stellung der Frau in spätmittelalterlichen Städten, in: Neubürger im späten Mittelalter (wie Anm. 40) 171–200; für Augsburg Kalesse, Bürger in Augsburg (wie Anm. 38) 157–162. 128  Bündig bei Jürgen Weitzel, Art. Gast, -recht, -gericht. LMA 4 (1989) 1130f.; Isenmann, Stadt (wie Anm. 17) 148; breiter Bader–Dilcher, Deutsche Rechtsgeschichte (wie Anm. 15) 461–464. Die beste Übersicht immer noch bei Alfred Schultze, Über Gästerecht und Gastgerichte in den deutschen Städten des Mittelalters. HZ 101 (1908) 473–528. Siehe dagegen für ungarische Städte, wo die Gäste sogar besser als die restlichen Einwohner gestellt waren, Katalin Szende, Power and Identity. Royal Privileges to the Towns of Medieval Hungary in the Thirteenth Century, in: Urban Liberties and Citizenship from the Middle Ages up to now. Libertés et citoyenneté urbaines du moyen âge à nos jours. Städtische Freiheiten und bürgerliche Partizipation vom Mittelalter bis heute. Actes du colloque 2009 de la Commission internationale pour l’Histoire des villes, hg. von Michel Pauly–Alexander Lee (Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte 9 = Publications du CLUDEM 41, Trier 2015) 27–67. 129  Schultze, Gästerecht (wie Anm. 128) 487–498. 130   Ebd. 498–502. 131  Bernhard Koehler, Art. Fremde. HRG 1 (1971) 1266–1270; Schultze, Gästerecht (wie Anm. 128) 513–516.

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Die Pfahlbürger, hergeleitet vermutlich vom althochdeutschen „balo“ „falsch“, und die begrifflich weiter gefassten Ausbürger (meist niedere Adelige) waren Bewohner aus dem umliegenden Land, die zwar in eine Art Bürgerrecht zur Stadt eintraten, aber dennoch ihren Lebensmittelpunkt weiterhin (über längere Zeit) auf dem Land aufwiesen132. Sie zahlten Bürgergeld, leisteten den Bürgereid und unterstanden der städtischen Gerichtsbarkeit, mussten Vermögenssteuern zahlen und Bürgen stellen und mitunter auch für einige Zeit (etwa im Winter) in der Stadt wohnen. Diese Pfahlbürger lassen sich als eine Art dörfliche Oberschicht anzusprechen, waren aber Eigenleute ihrer Grundherren, was durch das angenommene Bürgerrecht zu Konflikten führte. Die Bauern verfügten durch das Pfahlbürgerrecht über den militärischen und rechtlichen Schutz der Stadt, zudem erleichterte ihre Rechtsstellung den Zugang zum städtischen Markt133. Aus städtischer Sicht sicherten die Pfahlbürger die städtische Nahrungsmittelzufuhr, erhöhten das militärische und steuerliche Potential der Stadt, eine regelrechte, zielbewusste städtische Landpolitik lässt sich aber darin insgesamt nicht erkennen. Aus der Sicht der eingebürgerten Landbevölkerung brachte die Pfahlbürgerschaft neben der doppelten Haushaltsführung vielfache Doppelverpflichtungen mit sich, häufig in Konkurrenz zueinander. Die Rechtsstellung des Pfahlbürgers eröffnete aber auch brisanten Manövrierraum zur Wahrnehmung eigener Interessen, die Geschädigten waren die Adeligen und kirchlichen Grundherrschaften der städtischen Umgebung. Das Institut des Pfahlbürgerrechts und das personenrechtliche Ausgreifen der Stadt auf das Land schuf um die Städte eine konfliktreiche Zone, der Bestimmungen wie etwa das Statutum in favorem principum von 1232 oder die Goldene Bulle von 1356 (Kapitel XVI) ein Ende bereiten wollten, als man reichsgesetzlich festlegte, dass Städte nur mehr Bürger aufnehmen sollten, die ständig in der Stadt wohnten. Die adeligen Ausbürger, die meist nicht der städtischen Steuerpflicht unterworfen waren, verwandelten sich im Laufe der spätmittelalterlichen Territorialbildung vermehrt in Bündnispartner; mitunter dehnten die Städte ihre Herrschaft über das ländliche Gebiet aus. In der Frühneuzeit suchte der Adel in der Stadt nicht um das Bürgerrecht an, sondern war in seinen als städtische Residenzen verstandenen Freihäusern von der städtischen Rechtsprechung und der Steuerpflicht exemt, was in der alltäglichen Praxis zu vielfältigen wirtschaftlichen und rechtlichen Konflikten führte134. Die Kleriker unterstanden zwar der kirchlichen Gerichtsbarkeit, aber die Städte suchten unter Anerkennung der rechtlichen Sonderstellung den städtischen, auch im Handel und im Gewerbe agierenden Klerus in das Bürgerrecht miteinzubeziehen. Als Probleme dieser Konstruktion erwiesen sich dann häufig Besteuerung, Treu- und Schutzverhältnis135. Vor allem die Beanspruchung der bürgerlichen Rechte durch die Kleriker, darunter das Recht zum Wein- und Bierausschank, führte zu Konflikten, die von den Städten 132   Zum Folgenden: Wilfried Ehbrecht, Art. Pfahlbürger. HRG 3 (1984) 1652–1656; Kalesse, Bürger in Augsburg (wie Anm. 38) 134–148; Isenmann, Stadt (wie Anm. 17) 148–152; Bader–Dilcher, Deutsche Rechtsgeschichte (wie Anm. 15) 459–461. 133  Siehe den systematisierenden Versuch einer Abwägung von Vor- und Nachteilen dieses „verwirrenden Interessenspiels“ (S. 361) bei Guy P. Marchal, Pfahlburger, bourgeois forains, buitenpoorters, bourgeois du roi: Aspekte einer zweideutigen Rechtsstellung, in: Neubürger im späten Mittelalter (wie Anm. 40) 333–367. 134  Am Beispiel von Wien Ferdinand Opll–Martin Scheutz, Der Schlierbach-Plan des Job Hartmann von Enenkel. Ein Plan der Stadt Wien aus dem frühen 17. Jahrhundert (QIÖG 13, Wien 2014) 160–178. 135  Als breiter Problemaufriss Bernd Moeller, Kleriker als Bürger, in: Festschrift für Hermann Heimpel 2 (wie Anm. 33) 195–224, hier 200–202; Isenmann, Stadt (wie Anm. 17) 152f.; Bader–Dilcher, Deutsche Rechtsgeschichte (wie Anm. 15) 473f.; zu Klerikern auch Hans-Jörg Gilomen, Städtische Sondergruppen im Bürgerrecht, in: Neubürger im späten Mittelalter (wie Anm. 40) 125–167, hier 159–165.



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unterschiedlich gelöst wurden. Manche Städte bezogen die Kleriker (und die Klöster als juristische Personen) mit bestimmten Ausnahmeregelungen (Befreiung von Wachtdienst, eigenes Gelöbnis) in das Bürgerrecht ein, andere Städte nahmen die Kleriker dagegen bloß in das Treu- und Gehorsamverhältnis der Stadt auf. Das Gerichtsstandsprivileg der Kleriker blieb trotz Bürgerrecht aufrecht. Durch das Bürgerrecht erhielten die Kleriker zwar Zugang zum städtischen Markt, das Recht auf Ausübung eines Gewerbes und den Schutz der Stadt, sie mussten sich aber mitleidend an den bürgerlichen Lasten und Pflichten beteiligen. Die Juden innerhalb der Stadt stellten einen „konstitutiven, vor allem für den Handel wichtigen, mit eigenen Privilegien ausgestatteten Teil der städtischen Bevölkerung dar“136, wobei sich die Stellung der Juden innerhalb der Stadt nach den Pogromen Mitte des 14. Jahrhunderts zunehmend verschlechterte. Als Fernhändler, Geldleiher und Kaufleute137 machten sich Juden vor 1348/50 in vielen Städten des Reiches ansässig, wo sie ein dem christlichen Bürgerrecht vergleichbares, aber deutlich vermindertes jüdisches Bürgerrecht (Judenbürger) erhielten (nach 1350 in etwa 100 Städten). Als Grundregel kann auch hier gelten: „Steuerpflicht gegen Schutz und Schirm“138. Solange die Juden ihre Funktion als Kredit- und Kapitalgeber erfüllten, waren sie in den Städten geduldet. Die Städte garantierten den Juden als einziger nicht-christlicher Gruppe innerhalb der Stadt die Ansässigkeit, Schutz und Hilfe durch die Stadt, verbesserte Bedingungen im Vergleich zu Gästen, den bevorzugten Schutz vor fremden Gerichten, Hilfe bei der Eintreibung von Forderungen. In manchen Städten (etwa Zürich) durften Juden Grundbesitz erwerben, meist mussten sie pauschal Steuern (Judensteuern) zahlen, leisteten einen eigenen Bürgereid (getrennt vom bürgerlichen Schwörtag) und waren von der bürgerlichen Wachtund Wehrpflicht befreit. Grundsätzlich unterschied sich das nach 1348/50 deutlich verschlechterte Judenbürgerrecht durch die zeitliche Befristung der Aufenthaltsdauer vom christlichen Bürgerrecht (das oft eine Mindestaufenthaltsdauer festlegte) und durch das Fehlen der politischen Partizipation (Verbot der Übernahme städtischer Ämter jenseits der Selbstorganisation der jüdischen Gemeinde)139.

Bürgerpartizipation, Ehrenämter und Sozialtopographie Der städtische, in komplizierten Wahlvorgängen erhobene Rat als Modell kollektiver Herrschaft und Regierung kam im ausgehenden 11. Jahrhundert in den oberitalienischen Bischofsstädten auf und verdrängte allmählich die Amtsträger des Stadtherrn (Kommunebewegung von 1100 bis 1250 von Oberitalien ausgehend, in den nördlichen Teil des Heiligen Römischen Reiches, nach Flandern, ausstrahlend). Ein von Stadt zu Stadt unter136  Bader–Dilcher, Deutsche Rechtsgeschichte (wie Anm. 15) 466; Isenmann, Stadt (wie Anm. 17) 153–158; siehe den kritischen Überblick (eigenes Recht oder Funktionsbegriff?) bei Klaus Lohrmann, Bemerkungen zum Problem „Juden und Bürger“, in: Juden in der Stadt, hg. von Fritz Mayrhofer–Ferdinand Opll (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 15, Linz 1999) 145–165. 137  Zur Differenzierung der Tätigkeit von Juden im Mittelalter Michael Toch, Geldleiher und sonst nichts? Zur wirtschaftlichen Tätigkeit der Juden im deutschen Sprachraum des Spätmittelalters. Tel Aviver Jahrbuch zur deutschen Geschichte 22 (1993) 117–126. 138  Gilomen, Städtische Sondergruppen (wie Anm. 135) 130–154, das Zitat ebd. 166; am Beispiel von Augsburg Kalesse, Bürger in Augsburg (wie Anm. 38) 177–189. 139  Gilomen, Städtische Sondergruppen (wie Anm. 135) 142–146; Michael Toch, Die Juden im mittelalterlichen Reich (EDG 44, München 32013) 52–55.

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schiedliches Verhältnis der drei konstitutiven Institutionen der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt etablierte sich je nach örtlichen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen: ein Kräftefeld zwischen der Bürgergemeinde, dem sich selbst ergänzenden (Kooptation) oder durch Wahl ergänzten Rat und dem meist über Amtsvertreter vor Ort präsenten Stadtherrn140. Die jährliche, für Störungen prinzipiell anfällige Ratswahl band in Verbindung mit einem stadttypischen Zeremoniell die gesamte Bürgerschaft im Sinne der Ratserneuerung und der Konsensstiftung ein141. Die Tendenz der Oligarchisierung (Reduzierung der Ratsstellen, „ewige Ratsstelle“, Verengung der Familien auf eine Elite im Sinne eines impliziten Patriziats) war Wesenszug vieler Ratsgremien. Der Stadtrat, die Bürgerversammlungen und die performativen Aktionen der Stadt als gesamter Einheit bzw. als Teilöffentlichkeit spielten im selbst geschaffenen und auf Anwesenheit gründenden politischen Rahmen der Stadt eine wichtige Rolle. Vor dem Hintergrund von großen sozialen Gegensätzen zwischen Armen und Reichen kam der Überbrückung dieser sozialen-ökonomischen Disparitäten durch formalisierte Wahl, Wahlpartizipation (Los, Wahlmänner, Wahlausschuss, Kooptierungen in den äußeren Rat usw.) und den damit verbundenen Zeremonien (etwa der rituelle Verabschiedung der alten Räte zwischen Bürgergemeinde und Rat) größte Bedeutung zu, aber auch die Mitgliedschaft in städtischen Korporationen (etwa Handwerk, Viertel- und Bürgerversammlungen) ermöglichte Mitsprache; spontane Versammlungen als „schlechte Ratsversammlungen“ wurden dagegen verboten. Die für das Funktionieren städtischer Verwaltung essentielle „Vergesellschaftung unter Anwesenden“142 und das Aufteilen aller Lasten unter den Stadtbewohnern (Stadtwirtschaft)143 prägten das Miteinander. Die bürgerlichen Eliten innerhalb der Stadt stellten den Rat und machten sich untereinander die wichtigsten Ämter der Stadt (etwa Stadtrichter/Schultheiß144, Bürgermeister145, Oberkämmerer) aus. Die ursprünglich stadtherrlichen Beamten wie Schultheißen/Ammänner wurden im Spätmittelalter aus dem Vorsitz der Ratssitzungen verdrängt, die Bürgermeister übernahmen viele von deren Funktionen. Die Städte der Vormoderne im mitteleuropäischen Bereich waren durch soziale Ungleichheit geprägt, indem ökonomische Stärke direkt proportional sozialen und politischen Einfluss bedeutete. Eine Annäherung von gesellschaftlicher Ordnung und Verfassungsrealität macht sich bemerkbar. Städte mit patrizisch-geburtsständischen und Städte mit bürgerlich-berufsständischen Oberschichten zeigen sich im Hoch- und Spät  Eberhard Isenmann, Art. Rat. EdN 10 (2009) 619–630, hier 621.   Als Überblick etwa Dietrich W. Poeck, Rituale der Ratswahl. Zeichen und Zeremoniell der Ratssetzung in Europa (12.–18. Jahrhundert) (Städteforschung A/60, Köln–Weimar–Wien 2003); auf breiter europäischer Ebene Urban Elections and Decision-Making in Early Modern Europe, 1500–1800, hg. von Rudolf Schlögl–Patrick Oelze–Jan Marco Sawilla–Alexander Schlaak (Newcastle upon Tyne 2010). 142  Rudolf Schlögl, Vergesellschaftung unter Anwesenden. Voraussetzungen und Formen politischer und sozialer Ordnung in der frühneuzeitlichen Stadt, in: Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt, hg. von dems. (Historische Kulturwissenschaft 5, Konstanz 2004) 9–30. 143  Peter Blickle, Das Alte Europa. Vom Hochmittelalter bis zur Moderne (München 2008) 62–88. 144  Ogris, Bürgerschaft (wie Anm. 6) 94–103; Martin Scheutz, Stadtherr, Richterwahl, Zepter und Eliten. Österreichische Stadtrichter in der Vormoderne, in: RichterInnen in Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Auswahl, Ausbildung, Fortbildung und Berufslaufbahn, hg. von Gerald Kohl–Ilse Reiter-Zatloukal (Wien 2014) 1–29. 145   Als Überblick für österreichische Städte Martin Scheutz, Der Bürgermeister in der österreichischen Stadt vom Spätmittelalter bis zur Josephinischen Magistratsreform: Konturen einer wichtigen städtischen Funktion. Pro Civitate Austriae 16 (2011) 71–103. 140 141



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mittelalter in vielen Teilen Europas, die neben einer von Stadt zu Stadt unterschiedlichen Ratsrekrutierung in der Frühen Neuzeit stärker durch das Vordringen von juristisch gebildeten Akademikern, durch das Beamtenbürgertum (neue Beamtenaristokratie) und durch die Ausbildung des Territorialstaates abgeschwächt bzw. beeinflusst wurden146. Mit der Aufnahme als Bürger sahen sich alle bürgerlichen Bewohner verpflichtet, für das Gemeinwohl, den Gemeinnutz der Stadt, also für politisch-soziale Leitbegriffe, im Sinne von Ehrenämtern zu arbeiten. Das Bozner Bürgerbuch formuliert die Bürgerpflichten 1578 folgendermaßen: Verer sollen sy in allen burgerlichen ambtern und diennstper­khaidten, so innen durch ain ersamen rath auferlegt würden, guette gehorsam laisten, denselben auch irer miglichait nach mit hechstem fleiß abwarten und darinnen nicht vernachlassen147. Die prinzipielle Egalität der bürgerlichen Stadtbewohner, die korporative Organisation (in Zünften, Stadtvierteln) und die große Breite der bürgerlichen Selbstverwaltung innerhalb der Stadt zwangen alle bürgerlichen Bewohner zur „freiwilligen“ Übernahme von öffentlichen Ämtern, die außerberuflich ausgeübt wurden, aber das Sozialprestige der Inhaber erhöhten148. Die Ausübung der Ehrenämter war neben der „Tüchtigkeit“ und der finanziellen Abkömmlichkeit an ein ausreichendes Sozialprestige innerhalb der städtischen Gesellschaft geknüpft, um überhaupt in die engere Wahl zu kommen. Der Amtscharakter des Ehrenamtes verdeutlicht sich zum einen durch Zugangsbeschränkungen und zum anderen durch Übernahmeverpflichtungen149. Ökonomisches, soziales und symbolisches Kapital waren in diesen Ehrenämtern, die zu einer zusätzlichen sozialen Stratigraphie der Städte führten, gebündelt. Die Ausübung der Ehrenämter war unmittelbar an die ständische Rolle des Amtsinhabers geknüpft. Die Ehre als Ausdruck von sozialem Rang, ökonomischer Position, Familienehre und persönlichem Prestige liest sich vor diesem Hintergrund als unmittelbare Vorbedingung für die Übernahme einer Ratsstelle und/oder eines hohen Ehrenamtes innerhalb der Stadt, war aber andererseits auch Resultat eines Wahlvorganges in die Ratselite. Die unentgeltlichen Ehrenämter, de facto eine Pflicht der Bürger, bewirkten in der Praxis eine Rangerhöhung des Amtsinhabers, der damit neben seinem Broterwerb noch in einem „dem Beruf nebengeordneten Funktionssystem“150 diente. Erst ab der Frühen Neuzeit wurden diese „Ehrenämter“ bezahlt bzw. erhielten die Amtsinhaber Aufwandsentschädigungen. Die Verbeamtung der Mitglieder des Ratsregiments ist dann ein typisches Erscheinungsbild der frühneuzeitlichen Stadt, die Besoldung der städtischen Ämter im Rat, aber auch der „Ehrenämter“ bedeutet dann in der Praxis eine starke Einschränkung des Wahlprinzips und eine stärkere Einbindung des städtischen Ämterwesens in den frühmodernen Staat. Die Stadtämter wurden zum Teil der territorialen Verwaltungsstruktur151. 146

141.

  Herbert Knittler, Die europäische Stadt in der frühen Neuzeit (Querschnitte 4, Wien 2000) 123–

  Marsoner, Bozner Bürgerbuch (wie Anm. 90) 1 (Fürhalt der burgerrecht, 1578).   Michael Hecht, Ehrenämter und Gemeinwohlorientierung? Oder Was bedeutet „bürgerschaftliches Engagement“ für die Stadt der Vormoderne, in: Der Bürger und seine Stadt. Bürgerschaftliches Engagement zwischen Mittelalter und Moderne in Halle, hg. von Holger Zaunstöck–Jörn Weinert–Andrea Thiele (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte 17, Halle 2011) 13–41, hier 32f. 149  Als breiter Überblick Stefan Gorissen, Ehrenamt und Mäzenatentum: Eine Einführung, in: Ehrenamt und Mäzenatentum. Grundlagen der Zivilgesellschaft im historischen Wandel (Westfälische Forschungen 55, Münster 2005) 1–16, hier 5. 150  Nicolas Rügge, Ehrenämter im frühneuzeitlichen Stadtrat? Überlegungen am Beispiel Herfords im 18. Jahrhundert, in: Ehrenamt und Mäzenatentum (wie Anm. 149) 17–40, hier 39f. 151  Knittler, Die europäische Stadt (wie Anm. 146) 141–148. 147 148

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Die Städte der Vormoderne waren durch große soziale Ungleichheit gekennzeichnet. Die wichtige Salzstadt Hall im Inntal wies im 17. Jahrhundert eine recht typische Verteilung auf: 11,5 % der Haller Haushaltsvorstände gehörten der Oberschicht, 46,3 % der Mittelschicht und 42,2 % der Unterschicht an, wobei die nicht gesondert erfassten Unselbstständigen wie Dienstboten und Handwerksgesellen eher der Unterschicht zuzählen sind, sodass man hier von einer „Unterschicht“ von rund 60 % sprechen kann152. Der Handelsstand (etwa Eisen- oder Weinhändler) und vielfach auch das Wirtgewerbe begründeten Wohlstand, legten die Grundlage für die enormen Einkommensunterschiede der Oberschicht im Vergleich zur Mittel- wie Unterschicht und sicherten in den Städten deren politischen Einfluss. Diese elitäre Schicht konnte oft die Ratsstellen in hohem Ausmaß besetzen. Vielfach sind es wenige, zudem verwandte und sozial verflochtene Familienverbünde, die dauerhaft Sitze im Rat erwerben konnten. Die Oberschicht war nochmals stark sozial zergliedert. Eine kleine Führungsschicht innerhalb der Oberschicht bestimmte in der Regel das politische Geschehen der Stadt. Wirtschaftlich dominierende Familien konnten einen informellen Anspruch auf Teilhabe am politischen Geschehen der Stadt (Ämter des Stadtrichter, Bürgermeisters, Kammerämter) erheben. Die Lage der Wohnorte innerhalb der Stadt war wesentlich von der sozial-beruflichen Position des Stadtbewohners mitbestimmt. Soziale Verhältnisse, berufliche Aktivitäten, soziale Ordnungen und politisch-wirtschaftliche Strukturen wirkten sich im städtischen Bereich raumgestaltend und -greifend aus153. Der Stadtgrundriss mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Städte liest sich als eine Art gesellschaftliche Stratigraphie, wobei sich deutliche Unterschiede zwischen Vorstadt und ummauerter Stadt, aber auch zwischen den zentralen Plätzen und den Gassen ausmachen lassen. In Linz lag etwa die durchschnittliche Steuerleistung der Vorstädte bei einem Drittel der innerstädtischen Steuerleistung154. Die Armut und das ärmere Handwerk wohnten in den Vorstädten bzw. den Randlagen der Stadt. Einen deutlich zusammenhängenden, hervorragenden Bereich bildet häufig der zentrale Marktplatz, wo sich meist die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Eliten ansiedeln konnten. „Der Standort am Markt bleibt an erster Stelle in der Rangordnung der sozioökonomi[s]chen Raumbewertung“155. Arbeitsplatz und Wohnort waren nicht getrennt, sodass die Kaufleute auch den Markt am Platz dominierten. Im spätmittelalterlichen Bozen siedelten sich am so genannten Obstplatz nicht nur die adeligen Familien, sondern zunehmend auch das herausgehobene bürgerliche Gewerbe wie Goldschmiede und Apotheker an; hier entstand folgerichtig in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts auch das erste Rathaus der Stadt156. Die wirtschaftlich potenten 152  Klaus Brandstätter, Ratsfamilien und Tagelöhner. Die Bewohner von Hall in Tirol im ausgehenden Mittelalter (Tiroler Wirtschaftsstudien 54, Innsbruck 2002) 124–166, hier 124f. 153   Dietrich Denecke, Soziale Strukturen im städtischen Raum: Entwicklung und Stand der sozial-topographischen Stadtgeschichtsforschung, in: Die Sozialstruktur und Sozialtopographie vorindustrieller Städte. Beiträge eines Workshops am Institut für Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg am 27. und 28. Januar 2000, hg. von Matthias Meinhardt–Andreas Ranft (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 1, Berlin 2005) 123–137. 154   Müller, Die Bürger von Linz (wie Anm. 41) 93–108. 155  Grundlegend immer noch: Dietrich Denecke, Sozialtopographie und sozialräumliche Gliederung der spätmittelalterlichen Stadt. Problemstellungen, Methoden und Betrachtungsweisen der historischen Wirtschafts- und Sozialgeographie, in: Über Bürger, Stadt und städtische Literatur (wie Anm. 6) 161–202, hier 169. 156  Exemplifiziert an einem Südtiroler Beispiel Rainer Loose, Wohnen und Wirtschaften in der Laubengasse. Versuch einer Sozialtopographie der Altstadt Bozen um 1350, in: Bolzano fra i Tirolo e gli Asburgo. Bozen von den Grafen von Tirol bis zu den Habsburgern. Atti del convegno internazionale di studi, Bolzano,



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bürgerlichen Familien suchten also nicht nur durch Stiftungen und durch karitative Einrichtungen adelige Lebensformen zu imitieren, sondern auch mittels räumlicher Segregationsvorgänge die Nähe zu den bevorzugten Wohngebieten der städtischen Eliten herzustellen. Die Abnahme des sozialtopographischen Prestiges bzw. die soziale Differenz vom sich herausbildenden Zentrum der Stadt hin zur Peripherie vor dem Hintergrund eines „Kampfes“ um begrenzt verfügbaren Boden und dem Bestreben der Eliten nach Dominanz durch spezifische Bodennutzung kann als Grundprinzip der Stadtentwicklung gelten, das Wohnen in der Stadt ist direkt abhängig von sozialen-beruflichen Faktoren157. Die dominanten Eliten konnten sich zudem durch bestimmte Codes wie etwa Luxus-, Kleider- oder Hochzeitsordnungen im städtischen Raum besonders repräsentieren.

Zusammenfassung Das von verschiedenen Faktoren (etwa Haus- und Grundbesitz, Bürgertaxe) abhängige Bürgerrecht begründete die volle, mitunter abgestufte Teilhabe des Inhabers an den politischen Rechten der Stadt, an der Ausübung der Gerichtsbarkeit (etwa als Beisitzer) und an der Selbstverwaltung der Stadt (etwa über Ehrenämter). Die vielfach aus zünftisch organisierten Handwerksmeistern, Kaufleuten und Wirten bestehenden Bürger waren im Prinzip rechtlich gleich gestellt, dennoch gab es in allen Städten eine Reihe von Familien, die bevorzugt den Rat besetzen konnten. Das Bürgerrecht begründete weitere Rechte wie etwa das Recht der Freizügigkeit, die ausschließliche Zuständigkeit des städtischen Gerichts und den Rechtsschutz nach außen. Die Ehefrauen und die Kinder der Bürger besaßen über den Haushaltsvorstand verminderten Anteil am Bürgerstatus. Neben den Beisassen oder Mitbürgern gab es verschiedene Sondergruppen innerhalb der Stadt, die graduell abgestufte Rechte – von Stadt zu Stadt unterschiedlich – besaßen. Der frühneuzeitliche Staat zwang die Städte mehr und mehr die von Stadt zu Stadt unterschiedlich erstellten Ordnungen und Normen zugunsten von einheitlicheren, territorialstaatlichen Ordnungsvorstellungen aufzugeben158. Die sich in der Frühen Neuzeit vermehrt als Obrigkeit gebärdenden Stadträte wurden mehr und mehr zu ausführenden Organen des frühmodernen Staates und in dessen bürokratische Hierarchie eingebunden. Die Stadträte, aber auch die wichtigsten städtischen Ämter wurden in ihrer Zusammensetzung von der Zustimmung des Landesfürsten abhängig. Dennoch blieb die politische Partizipation der Bürger an der städtischen Verwaltung durchaus hoch, eine Fülle von Ämtern der Selbstverwaltung musste Jahr für Jahr besetzt werden, vielfach Ämter, die auch über Einkünfte und Ausgaben verfügten. Die sich bildende bürgerliche Gesellschaft, wie sie etwa in den Vertragsvorstellungen der Frühen Neuzeit (etwa bei John Locke) präfiguriert wurde, fand nicht mehr im ständischen Bürgertum und damit in dem mit Sonderrechten ausgestatteten Stadtbürger, sondern im mündigen Individuum, dem Bürger eines Staates, ihren Castel Mareccio 16, 17, 18 Ottobre 1996. Beiträge der internationalen Studientagung, Bozen, Schloß Maretsch, 16., 17. 18. Oktober 1996 (Studi di Storia Cittadina/Forschungen zur Bozner Stadtgeschichte 1, Bozen 1999) 105–126, Stadtplan: 110f. 157  Hans-Christoph Rublack, Probleme der Sozialtopographie der Stadt im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Voraussetzungen und Methoden geschichtlicher Städteforschung, hg. von Wilfried Ehbrecht (Städteforschung A/7, Köln–Weimar–Wien 1979) 177–193, hier 185. 158   Siehe die konzise Synthese bei Michael Schäfer, Geschichte des Bürgertums. Eine Einführung (UTB 3115, Köln–Weimar–Wien 2009) 26–43.

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Ausdruck. Die bürgerliche Öffentlichkeit konstituierte sich über Teilhabe am politischen Diskurs der öffentlichen Meinung, an der Teilhabe am gedruckten Wort und an neuen Formen der Vergesellschaftung (wie etwa Salons, Kaffee) und versuchte der Staatsgewalt eine Legitimierung des staatlichen Handels abzuringen – die französische Revolution und die Revolutionen des 19. Jahrhunderts zeigen einen deutlich veränderten Bürgerbegriff, der begrifflich nicht mehr vom Stadtbürger abhing.

Les droits concédés par les empereurs aux populations urbaines (Xe–XIVe siècle) Jean-Claude Cheynet

Les villes byzantines se développèrent remarquablement entre les xe et xive siècles, jusqu’à l’apparition de la peste noire. En Occident, cet essor est encore plus marqué et provoque la formation d’institutions spécifiquement urbaines. Les conséquences du développement économique du monde byzantin sont finalement mal connues, même si l’autonomie des villes fait des progrès, fait sanctionné par l’octroi de privilèges impériaux. Souvent cette autonomie croissante est associée au déclin de l’autorité impériale. Cependant il semble d’une part que les privilèges urbains soient bien antérieurs à l’époque des Paléologues et d’autre part que cette évolution ne se fait pas nécessairement aux dépens du pouvoir des basileis de Constantinople. Rappelons que la documentation byzantine sur les libertés urbaines est très modeste, notamment si on la compare avec celle que fournissent les archives des villes italiennes. Il ne s’agit pas seulement de renouveler l’éternelle plainte du byzantiniste, mais aussi de souligner que ce déséquilibre peut conduire à des erreurs d’appréciation dans une comparaison des évolutions respectives de l’Empire byzantin et de l’Occident1. De plus, les informations se multiplient à l’époque des Paléologues, alors que le territoire de l’Empire s’est singulièrement réduit, permettant un éclairage beaucoup plus fin, au risque de surévaluer le contraste avec l’époque précédente. Le corpus des textes connus est assez stable depuis un demi-siècle, à part quelques nouvelles publications d’actes provenant des archives des monastères athonites, publiés ces dernières décennies. La cité de l’antiquité a disparu au cours des transformations de l’Empire provoquées par les invasions, quoique les sceaux mentionnent encore une polis, mais on ne sait pas ce qui se cache derrière ce terme2, et s’il correspond à un ensemble d’habitants ou une institution. A ce groupe de sceaux, il faut ajouter les très rares mentions sur les plombs d’une   Alexander Kazhdan, The Italian and Late Byzantine City. DOP 49 (1995) 1–22, cit. 3, 6s.   Ces mentions concernent des régions où semble se prolonger l’administration protobyzantine, notamment dans les îles, Chypre, Crète ou Sicile. Le plus souvent il s’agit de sceaux d’évêque: Théodore, évêque de la ville de Kition; Epiphane, évêque de la ville de Karpasion: David M. Metcalf–Jean-Claude Cheynet–Andreas G. Pitsillides, Byzantine lead seals from Cyprus (Texts and studies of the history of Cyprus 47, Nicosia 2004) no. 425, 426, 428; l’oikos de Sainte-Théodotè de la ville de Knossos: Ioannis Touratsoglou–Ioanna KoltsidaMakre–Yorka Nikolaou, New Lead Seals from Crete. SBS 9 (2006) 52s. no. 4–7; Antoine, métropolite de la ville de Catane: Vitalien Laurent, Le corpus des sceaux de l’Empire byzantin V. L’Église 1 (Paris 1963) no. 896. Les mentions de polis disparaissent au ixe siècle, sauf à Cherson, mais il a un emploi plus tardif justifié par un jeu de mot: sceau de la Vierge de la ville protégée de Dieu de Hiérapolis (Vente Gorny no. 225, octobre 2014, lot 2816). 1 2

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communauté, comme le koinon de la ville de Sinope, celui de la Décapole3. Le terme koinon dans les sources littéraires renvoie au bien commun ou à la foule du commun, mais l’existence d’un sceau pointe vers le koinon comme une institution. Si, dans les textes postérieurs, on retrouve à de nombreuses reprises la mention de koinon, jamais ce nom ne paraît pris dans un sens institutionnel et ne prouve pas l’existence ou non d’une communauté urbaine. Au viiie siècle, l’Empire est un monde de villages et de bourgs fortifiés, même si quelques villes résiduelles survivent: Constantinople sûrement, Thessalonique, fort menacée un temps, mais retrouvant vite sa position de capitale des Balkans, peut-être Ephèse et Palerme, longtemps épargnée par le gros des raids arabes, sans compter quelques capitales de thème, comme Amorion. Il faut y ajouter une cité de taille modeste, Cherson en Crimée, qui semble avoir sauvegardé ses institutions antiques jusqu’au xe siècle. Durant les siècles dits obscurs, le souci premier des empereurs fut de conforter l’armée qui, seule, assurait la survie de l’Empire. Mais des préoccupations économiques sont attestées parmi les fameuses „vexations“ attribuées par le chroniqueur Théophane à l’empereur Nicéphore Ier, qui voulut favoriser la reprise du commerce à grande échelle dans le milieu des grands marchands constantinopolitains. Cet intérêt pour le développement économique s’accentua avec l’arrivée au pouvoir des empereurs macédoniens. Léon VI fit rédiger le Livre de l’Eparque, qui, certes, ne constituait pas un règlement favorisant les libertés de la population de Constantinople, mais qui délimitait les devoirs de nombreux corps de métiers. Le même souverain intervint directement dans le commerce entre Byzance et les Bulgares, plus pour favoriser des amis qu’en raison d’une politique économique cohérente, et sans doute fut-il aussi le premier à vendre à de riches particuliers des dignités ouvrant les portes du Sénat. Ce soin porté à satisfaire les milieux économiques d’une capitale où les basileis souhaitaient se sentir en sécurité ne fut plus jamais démenti jusqu’à la fin de l’Empire4. Il se traduit parfois par la présence d’institutions liées au commerce, comme celle des commerciaires. Les documents, qui témoignent des privilèges accordés aux habitants des villes5, à commencer par Constantinople, sont presque totalement absents, sauf à l’époque des Paléologues. Il faut donc s’efforcer de saisir toute allusion à de tels accords entre les empereurs et les populations urbaines. Evelyne Patlagean a réuni un dossier très complet rassemblant les chrysobulles impériaux, tous postérieurs à 1204, accordés aux habitants de plusieurs villes, toutes situées dans les Balkans6. Elle en tirait la conclusion que „les franchises accordées par l’empereur grec à certaines villes de son Empire prennent donc bien leur place dans la période et le mouvement général des revendications citadines à travers la chrétienté du temps“. Cette conclusion est, semble-t-il, inattaquable, mais elle doit être 3  George Zacos–Alexander Veglery, Byzantine Lead Seals 1 (Basel 1972) no. 2890; Jean-Claude Cheynet, Sceaux de la collection Zacos (Bibliothèque nationale de France) se rapportant aux provinces orientales de l’Empire byzantin (Paris 2001) no. 25. 4  Même Alexis Comnène, accusé de mépriser les marchands, n’a jamais pris de mesure qui aurait consciemment bridé leur activité, le traité avec Venise répondant à une nécessité militaire de première urgence. 5  Etait considéré comme l’habitant d’une ville celui qui y avait résidé dix ans, Κωνσταντίνου Αρμενουπούλου, Πρόχειρον Νόμων ἡ Εξάβιβλος, ed. Konstantinos G. Pitsakis (Athènes 1971) 377. 6  Évelyne Patlagean, L’immunité des Thessaloniciens, in: ΕΥΨΥΧΙΑ. Mélanges offerts à Hélène Ahrweiler 2, ed. Michel Balard et al. (Byzantina Sorbonensia 16, Paris 1998) 591–601. Il faut rappeler l’œuvre pionnière de Gheorghe I. Bratianu, Privilèges et franchises municipales dans l’Empire byzantin (Paris 1936). L’auteur reste le seul à avoir tenté de réunir l’ensemble de la documentation sur ce thème et de la commenter. Ljubomir Maksimović a également consacré aux privilèges des villes un chapitre de son ouvrage sur l’administration sous les Paléologues, Ljubomir Maksimović, The Byzantine Provincial Administration under the Palaiologoi (Amsterdam 1988) 248–267.



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replacée dans le contexte du rapport entre le basileus et les villes de son Empire sur le long terme. Aussi faut-il s’interroger sur la barrière mise en 1204 et rechercher les indices qui attesteraient de franchises antérieures pour mesurer la part de l’influence occidentale et celle de la tradition byzantine antérieure. Le travail d’Evelyne Patlagean est à compléter par celui de Nicolas Oikonomides qui apporte des éléments complémentaires par une typologie des villes isolées du territoire principal de l’Empire7, et celui de Dèmètrios Kyritzès, sur les privilèges accordés aux habitants de ces villes, concernant les biens fonciers8.

Avant 1204 Quelles traces de franchises antérieures à 1204 trouve-t-on? Réglons immédiatement le cas de Constantinople. La capitale de l’Empire n’a pas joui d’exemptions fiscales globales, car la mégalopole est sous l’autorité directe de l’empereur. L’impôt sur les transactions commerciales, le kommerkion prélevé au taux de 10 %, n’a pas été modifié depuis l’époque iconoclaste, ce qui a provoqué de fortes tensions à l’égard des marchands italiens qui avaient obtenu son abolition, comme les Vénitiens dès 1081, ou une réduction du taux, comme les Génois et les Pisans, peu après les habitants de la lagune. Seuls ces Latins, qui vivaient dans l’enceinte des murailles, bénéficiaient d’un statut particulier sur le plan fiscal, qui ne les mettait pas à l’abri des mouvements d’humeur d’un empereur. Cependant, à la fin de la dynastie des Macédoniens ou sous les Anges, l’intégration des plus riches marchands fut recherchée par l’ouverture du Sénat, ce qui n’implique pas de franchise municipale, mais tout de même la prise en compte de leurs intérêts. Nous savons qu’il était coutumier pour les empereurs de réunir le „peuple“ pour annoncer, par l’intermédiaire de l’éparque, les grands événements le concernant9. De même, lorsqu’ils devaient prendre des décisions difficiles, les basileis les présentaient au peuple de la capitale qu’il convoquait, ce que fit, par exemple, Alexis Ier Comnène, lors de la confiscation des biens d’Eglise ou lors de la condamnation de Nicéphore Diogénès, très populaire, ainsi que ses complices10. Les marchands et artisans constituaient un groupe de pression parfois efficace, qui ne pouvait être ignoré. En 1201, lorsque Alexis III Ange voulut renflouer la caisse de l’Etat en confisquant les biens d’un très riche marchand, Kalomodios, il vit se dresser contre lui le „peuple de l’agora“. En janvier 1204, les mêmes marchands participèrent à l’étrange réunion dans Sainte-Sophie, destinée à choisir un nouveau basileus, scandale aux yeux du haut fonctionnaire qu’était Nicétas Chôniatès, témoin de l’événement11. 7  Nicolas A. Oikonomidès, Pour une typologie des villes „séparées“ sous les Paléologues, in: Geschichte und Kultur der Palaiologenzeit: Referate des Internationalen Symposions zu Ehren von Herbert Hunger (Wien, 30. November bis 3. Dezember 1994), ed. Werner Seibt (Veröffentlichungen der Kommission für Byzantinistik 8 = ÖAW, phil.-hist. Kl., Denkschriften 241, Wien 1996) 168–175, repris in: idem, Society, Culture and politics in Byzantium (Variorum CSS 824, Aldershot 2005) no. XXI. 8   Demetrios S. Kyritzes, The „Common Chrysobulls“ of Cities and the Notion of Property in Late Byzantium. Symmeikta 13 (1999) 229–245. 9   Lorsque, au printemps 1042, Michel V enferma sa mère adoptive dans une île des Princes, l’éparque en informa la population de la capitale, qui n’accepta pas le fait accompli et se révolta, Ioannis Scylitzae Synopsis historiarum, ed. Johannes Thurn (CFHB, Series Berolinensis 5, Berlin–New York 1973) 418s. 10  Sur ces assemblées, cf. Constantine N. Tsirpanlis, Byzantine Parliaments and Representative Assemblies from 1081 to 1351. Byzantion 43 (1973) 432–481, et pour Alexis Ier, 456. 11  Nicetae Choniatae Historia, ed. Jan Louis van Dieten (CFHB, Series Berolinensis 11, Berlin–New York 1975) 561–564.

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Les provinces Les privilèges urbains les plus anciens furent accordés aux villes situées à la périphérie de l’Empire, lorsque les empereurs n’étaient plus en mesure de les gouverner directement, mais continuaient à les considérer comme relevant de l’Empire. Nous avons évoqué Cherson, qui, lorsque Byzance contrôlait la région, combinait la présence d’un conseil municipal dominé par les prôteuontés successifs de la cité et celle d’un représentant du pouvoir central, archonte, puis stratège, accompagné de quelques fonctionnaires thématiques à partir du ixe siècle12. Cherson conserva aussi un atelier monétaire qui frappait des monnaies de billon de faible valeur. Le terme prôteuôn s’applique, semble-t-il, au chef de la cité, unique ou collégial. Mais il désigne aussi le chef d’un simple village, comme en témoigne la Vie de saint Lazare le Galésiote, lequel eut maille à partir avec le prôteuôn de son village, Galésion13. Cependant l’emploi de prôteuôn est rare et le terme a donc sans doute un sens technique. Agathe, fille de Jean Chrysélios, prôteuôn de Dyrrachion, était mère de Gabriel, le tsar de Bulgarie qui succéda à son père Samuel14. Dyrrachion, qui avait été longtemps isolée du reste de l’Empire aux siècles précédents, avait peut-être, comme Cherson, maintenu une forme de gouvernement municipal. L’Italie fournit également de bons exemples, en particulier Venise qui, dans la première moitié du ixe siècle, acquit le droit de nommer son duc, selon les modalités déterminées par les habitants. Il est intéressant de noter qu’aux viiie–ixe siècles, le représentant de Byzance à Cherson, comme l’est à Venise le doge, en principe, et à Naples le duc, sont honorés de la même dignité d’hypatos15. Nous sommes moins précisément informés pour Amalfi, mais le processus fut identique. Avec le temps, le lien avec l’Empire se distendit, mais Basile II comptait les Vénitiens au nombre de ses sujets, même si, parfaitement réaliste, il traita avec eux comme avec un archonte voisin de l’Empire. L’Italie est riche en exemples de privilèges urbains postérieurs. Lorsque le même Basile II consolida la présence byzantine en Italie et fit fonder de nouvelles villes par son catépan Basile Boïoannès, ce dernier essaya d’attirer de nouveaux habitants pour les peupler. Nous avons conservé la charte de fondation de Troia16. Les habitants étaient dispensés de certaines taxes et même en percevaient sur les troupeaux qui venaient de l’extérieur pour paître sur le territoire de la ville. Il n’y a aucune liberté politique, juste des mesures attractives. D’autres villes reçurent des avantages fiscaux17. D’une façon plus générale, l’administration byzantine de l’Italie était extrêmement légère, car elle s’effectuait avec un nombre très réduit de fonctionnaires venus de Constantinople sur ordre de l’empereur. Les notables locaux exerçaient le pouvoir, y compris dans 12   Ce sont les sceaux qui attestent principalement la survie des prôteuôntés, ekdikoi ou pères de la ville, Nikolaj A. Alekséyenko, L’administration byzantine de Cherson. Catalogue des sceaux (Occasional Monographs 4, Paris 2012). Sur les institutions de la ville, cf. aussi Maria Nystazopoulou-Pélékidou, L’administration locale de Cherson à l’époque byzantine (ive–xiie s.), in: ΕΥΨΥΧΙΑ (cit. n. 6) 567–579. 13  Vita S. Lazarii auctore Gregorio monacho, in: AASS Nov. III (Bruxelles 1910) 508–588, cit. 527 § 56; Richard P. H. Greenfield, Life of Lazaros of Mt. Galesion: an Eleventh-Century Pillar Saint. Introduction, Translation and Notes (Byzantine saints’ lives in translation 3, Washington, D. C. 2000) 144. 14   Ioannis Scylitzae Synopsis historiarum (cit. n. 9) 349, ms U. 15   Jean-Marie Martin, L’Occident chrétien dans le Livre des cérémonies, II, 48. TM 13 (2000) 624–628. 16  Les chartes de Troia I (1024–1266), ed. Jean-Marie Martin (Codice diplomatico Pugliese 21, Bari 1976) 259s. 17  Jean-Marie Martin, La Pouille du vie au xiie siècle (Collection de l’École française de Rome 179, Rome 1993) 712; Paul Oldfield, City and Community in Norman Italy (Cambridge 2009) 22s.



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les villes. Il semble que l’impôt était payé sous une forme forfaitaire, directement au fonctionnaire byzantin18. Bari, capitale du catépanat d’Italie, paraît avoir également bénéficié d’une certaine autonomie municipale lorsque s’opposèrent, au moment de la conquête normande, les partisans du basileus et ceux de Guiscard19. Le rôle des archontes dans le gouvernement des villes est souligné à maintes reprises dans les chroniques d’Italie du Sud, mais toujours en rapport avec un fonctionnaire impérial20. Dans les provinces orientales reconquises dans la seconde moitié du xe siècle, le même système était à l’œuvre: une administration byzantine très légère et le gouvernement local laissé aux autochtones. Selon une célèbre inscription gravée sur un mur de la cathédrale d’Ani, datant du règne de l’impératrice Théodora, le gouverneur du thème d’Ibérie, Aarôn, accorda aux habitants des avantages fiscaux adaptés à cette grande cité commerçante, peuplée en majorité d’Arméniens non chalcédoniens. Selon ses dires, il a rapporté de Constantinople une lettre d’exemption marquée du sceau d’or, concernant les impôts des maisons de la ville et une surtaxe d’un montant de huit livres d’or. Quelques années plus tard, vers 1060, un nouveau catépan, Grégoire, fit également graver sur un mur de la cathédrale un décret pris au nom de l’empereur Constantin X, qui dispensait de corvées les habitants et abaissait certaines taxes de marché. Toutefois, cette libéralité s’accompagnait peut-être de la hausse d’autres impôts21. Constantin X Doukas émis un décret, peut-être un chrysobulle, pour ordonner la reconstruction des murailles de Mélitène exposée aux raids des Turcs. Ce document fut apporté par de riches habitants, originaires de Mélitène, mais qui résidaient à Constantinople. Chacun d’eux se chargea de reconstruire une partie de la muraille. L’ouvrage, qui mobilisa une main-d’œuvre nombreuse, fut rapidement achevé22. Les clauses du décret ne nous sont pas parvenues, mais il est raisonnable de supposer que les habitants de la cité qui relevaient les murailles bénéficiaient d’une contrepartie, sans doute fiscale. Nos informations sont très limitées; nous ignorons en effet tout de la façon dont Antioche était régie, or c’était la ville de l’Orient la mieux contrôlée. Selon les sources narratives orientales, les ducs avaient à tenir grand compte de l’élite urbaine, qui pouvait à l’occasion récompenser un duc apprécié. Ainsi, lorsque Isaac Comnène, frère du futur empereur Alexis Comnène, fut capturé par les Turcs, la population de la ville réunit la grosse rançon de 20.000 pièces d’or. Le duc étant évidemment absent, ce geste suppose une coordination des plus riches habitants pour réunir la somme. Mais nous ignorons comment l’opération fut organisée: fut-elle informelle ou passa-t-elle par une institution municipale qui n’a pas laissé de trace dans les chroniques23? 18  Catherine Holmes, Basil II and the Governance of Empire (976–1025) (Oxford Studies in Byzantium, Oxford 2005) 446s. 19   En 1071, la soumission de Bari par Robert Guiscard fut facilitée par le soutien d’Argyritzos, l’un des plus riches citoyens de la ville que le long siège prive sans doute de ses ressources et que la défaite de l’escadre byzantine rend sans espoir de victoire: Guillaume de Pouille, La Geste de Robert Guiscard. Édition, traduction, commentaire et introduction, ed. Marguerite Mathieu (Istituto Siciliano di Studi Bizantini e Neoellenici. Testi 4, Palermo 1961) 172 lib. III v. 142–148, 200 v. 655–658, cf. 297. 20   Voir les quelques pages de Vera von Falkenhausen, La dominazione bizantina nell’Italia meridionale dal ix all’xi secolo (Bari 1978) 154–160. 21   Jean-Pierre Mahé, Ani sous Constantin X d’après une inscription de 1060. TM 14 (2002) 405–414. 22  Chronique de Michel le Syrien patriarche jacobite d’Antioche (1166–1199) III, ed. Jean-Baptiste Chabot (Paris 1905) 165s. 23  Nicephori Bryennii historiarum libri quattuor, ed. Paul Gautier (CFHB, Series Bruxellensis 9, Bruxelles 1975) 207. Ce n’était pas la première fois qu’il était capturé par les Turcs, il avait connu la même més­

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Dans les autres provinces, les données sont parcellaires et dispersées, mais dessinent finalement une organisation d’une certaine cohérence. Les Balkans, comme l’Italie, furent un temps séparés de la capitale byzantine par des invasions slaves massives. La place singulière de Monemvasie dans le thème du Péloponnèse ne lui interdisait pas d’être un précieux point d’appui de la flotte byzantine. Elle pouvait résister grâce à ses défenses naturelles et a obtenu très précocement un statut particulier24. Mais il est peu vraisemblable que, dès l’époque de l’empereur Maurice, les habitants aient joui de privilèges urbains. Curieusement, la ville est absente des chroniques, à l’exception du mouillage de la flotte destinée à secourir Syracuse, prise en 878, et de plus, comme il a déjà été remarqué, Monemvasie n’est pas incluse dans la liste des cités ouvertes aux Vénitiens en 1082 ou 1198. Cette lacune, qui ne paraît pas fortuite, vise probablement à protéger Monemvasie et ses libertés. On peut s’interroger sur la situation des villes dalmates, et de Dyrrachion en particulier, qui se trouvèrent isolées de l’Empire, leur arrière-pays étant contrôlé par les Slaves durant les viie–ixe siècles. Sous Manuel Comnène, la Dalmatie était repassée sous l’administration directe de l’Empire, lorsqu’un gouverneur de la province avait été nommé, mais à nouveau l’arrière-pays était devenu hostile, en raison de l’essor des Némanides. Il fallut attendre 1192 pour trouver mention d’un chrysobulle, aujourd’hui perdu, d’Isaac Ange en faveur de Raguse. L’empereur lui accordait sa liberté politique puisque les consuls de la ville étaient élus par les Ragusains, mais gardait le droit de nommer un gouverneur qui partageait avec eux le pouvoir de rendre la justice. En échange, l’empereur était nommé dans les prières des églises, les soldats impériaux devaient être reçus et les Ragusains étaient tenus de mettre à disposition de l’Empire deux galères25. De fait, l’évolution de Raguse semble assez parallèle de celle de Monemvasie. La ville, bien à l’abri de ses défenses naturelles, fut sans doute fondée lors de l’invasion des Slaves ou des Croates, et maintint ses relations avec l’Empire autant que l’influence de celui-ci pouvait s’exercer. En 1205, les Vénitiens, devenus maîtres de la ville, reprirent la plupart des termes de l’accord avec Isaac II. Les maîtres successifs de l’Epire émirent ultérieurement une série d’ordonnances (1234, 1237?, 1251) qui accordaient aux Ragusains des facilités commerciales26. Sous les Comnènes et les Anges, l’essor des villes est certain dans l’Empire byzantin, entraînant une augmentation sensible de leur population. Des velléités d’autonomie se manifestent, comme à Philadelphie, qui se donna à un rebelle, Théodore Magkaphas. Ce dernier disposait d’une assise locale et put battre monnaie quelque temps27. Rien n’indique cependant que Philadelphie, capitale du thème des Thracésiens, ait joui de privilèges particuliers et que son ralliement à Magkaphas ait eu pour objectif d’en obtenir. Les lettres de Michel Chôniatès témoignent de la situation du thème de l’HelladePéloponnèse à la fin du xiie siècle. Les questions de fiscalité tiennent une grande place dans sa correspondance, car le métropolite, représentant de la cité d’Athènes, se plaint aventure près de Césarée de Cappadoce et avait été racheté par des gens aisés de la région en leur promettant de les rembourser (ibid. 157). Dans les deux cas, rien n’indique que ces opérations aient été coordonnées par des institutions urbaines. 24  Sur l’histoire de Monemvasie, Haris A. Kalligas, Monemvasia, a Byzantine City State (London–New York 2010). 25  Bariša Krekić, Dubrovnik (Raguse) et le Levant au Moyen Âge (Documents et recherches sur l’économie des pays byzantins, islamiques et slaves et leurs relations commerciales au Moyen Âge 5, Paris 1961) 21s. 26  Ibid. 167s. 27  Nicetae Choniatae Historia (cit. n. 11) 399.



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d’exactions auxquelles échapperaient d’autres villes du thème en raison de leur position naturellement protégée, Thèbes et l’Eubée. D’après le rapport (hypomnèstikon) de Chôniatès, Athènes avait obtenu, comme les autres villes de l’Hellade, le droit de ne pas accueillir le gouverneur du thème de l’Hellade et sa suite, avantage qui évitait les abus coutumiers de ce genre de visite. Mais Chôniatès constatait que, à Athènes, cette interdiction n’était pas respectée28. Mieux attestés, quoique indirectement, sont les privilèges accordés à Thessalonique, seconde ville de l’Empire. Geoffroy de Villehardouin précise que, lorsque Baudouin, l’empereur latin, se fit ouvrir les portes de la ville, le maintien de certains privilèges furent réclamés: „Ceux de l’endroit lui rendirent la ville, qui était l’une des meilleures et des plus riches de la chrétienté en ce temps-là, à la condition qu’il les régirait aux us et coutumes où les empereurs les avaient régis“29. Chôniatès, qui rapporte le même événement, précise que Baudouin avait accordé un texte en lettres pourpres, donc un chrysobulle de confirmation30. Les us et coutumes ne sont pas précisés, mais les savants ont tous supposé qu’il s’agissait d’avantages accordés aux Thessaloniciens. Depuis quand de tels privilèges avaient-ils été accordés? Un éparque de Thessalonique est encore attesté par des sceaux au début du ixe siècle. Il serait le dernier témoin de l’administration de la préfecture des Balkans et non un équivalent de l’éparque de Constantinople, mais cette interprétation n’est pas certaine31. Au viiie siècle, en effet, l’éparque attesté à Nicée, en Bithynie, a peu de chance d’être le descendant du chef de la préfecture d’Orient, à moins d’une survie anachronique. Thessalonique connaissait une organisation des corps de métier: en 1097, le chef des fabricants de chapeaux signe comme témoin un acte de vente32. Cependant, l’existence de corps de métier ne suppose pas des libertés citadines et rien dans le Timarion, qui décrit la foire de la Saint-Dèmètrios, ne les suggère. En 1185, lors du siège de la ville par les Normands, il n’y a pas trace d’une organisation municipale, dans le récit détaillé du siège, les plus riches citoyens se contentant de quitter la ville avant que son encerclement ne fût complet. La nature des privilèges accordés aux Thessaloniciens reste donc obscure. Cependant, Jean III Vatatzès les renouvela avant d’entrer dans la ville en 124633.

28  Sur Athènes à la veille de la quatrième croisade, voir la dernière mise au point: Teresa Shawcross, Golden Athens: Episcopal Wealth and Power in Greece at the Time of the Crusades, in: Contact and Conflict in Frankish Greece and the Aegean, 1204–1453: Crusade, Religion and Trade between Latins, Greeks and Turks, ed. Nikolaos G. Chrissis–Mike Carr (Crusades. Subsidia 5, Farnham 2014) 65–95. 29   Villehardouin, La conquête de Constantinople II, ed. Édmond Faral (Les Classiques de l’Histoire de France au Moyen Âge 19, Paris 1973) 88 § 280. 30   Nicetae Choniatae Historia (cit. n. 11) 599. 31   Angeliki Konstantakopoulou, L’éparque de Thessalonique: Les origines d’une institution administrative (VIIIe–IXe siècles), in: Communications grecques présentées au Ve Congrès international des études du sud-est européen (International Congress on South-East European Studies 6, Athènes 1985) 157–162. Toutefois, nous avons conservé le sceau d’un éparque de l’Illyricum et c’est bien ce nom qui y est gravé: Georges, apo éparchôn et éparque de l’Illyricum (Zacos BNF 1130, bulle inédite, datable de la fin du viie siècle). 32   Actes de Lavra 1. Des origines à 1204, ed. Paul Lemerle–André Guillou–Nicolas Svoronos–Denise Papachryssanthou (Archives de l’Athos 5, Paris 1970) 278 no. 53 (1097). 33   Georgii Acropolitae opera vol. I, continens Historiam, Breviarium historiae, Theodori Scutariotae additamenta, ed. August Heisenberg (Leipzig 1903) 80 § 45.

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Après 1204 La prise de Constantinople en 1204 provoqua un affaiblissement durable de l’Empire byzantin, privé de sa capitale, qui ne fut pas compensé par un nouveau pouvoir fort, puisque, dès 1205, les Latins sortirent affaiblis de leur lutte avec les Bulgares, après la défaite d’Andrinople. Les structures administratives de l’Empire, reconstitué en Asie Mineure, par Jean III Vatatzès, puis Michel Paléologue, furent profondément modifiées. Le contexte politique évolua aussi sous les premiers Paléologues. Au début du xive siècle, sous Andronic II, la nécessité d’augmenter les taxes pour faire face à l’invasion turque se heurta à un mouvement de protestation dont Thomas Magistros se fit le porte-parole34. Dans une certaine mesure, après 1204, la division des thèmes en de petites circon­ scriptions, comme les katépanikia, formés autour d’une agglomération principale, retrouve un peu la configuration antique du monde des cités. S’assurer la loyauté des cités reprend toute son importance, d’autant que l’impossibilité de refaire l’unité de l’Empire après 1268 favorise la compétition entre les pouvoirs rivaux dans les Balkans, entre les Paléologues et les Epirotes, sans compter les ambitieux Serbes et ceux qui cherchaient à se tailler une principauté autonome. Dans ces conditions, les cités les plus riches ou les plus stratégiques peuvent faire monter les enchères, d’autant que, dans les Balkans du moins, la croissance démographique se poursuit jusqu’à la première moitié du xive siècle.

La documentation sous les Lascarides et les Paléologues Nous avons conservé toute une série de chrysobulles du temps des Paléologues, certains faisant référence à de plus anciens documents. La série la plus dense concerne Monemvasie. Andronic II confirme en 1284 un chrysobulle accordé par son père Michel VIII, en 1262, au moment où lui-même, lors du retour de la ville dans l’Empire, avait assuré qu’il respecterait ce que les empereurs grecs avaient jadis accordé. Les privilèges anciens sont confirmés: absence de kommerkion sur place et une exemption d’impôts pour les biens personnels (ta gonika). Même pendant la domination de Guillaume II de Villehardouin, les Monemvasiotes avaient obtenu quelques concessions au moment de leur reddition en 1248. Un chrysobulle intermédiaire est indirectement mentionné dans le chrysobulle de 1336, qui élargit la dispense de kommerkion à tout l’Empire sauf à Constantinople et dans quelques villes où il est réduit à 2 %. Les Monemvasiotes, qui s’étaient réfugiés à Pègai de l’Hellespont durant l’occupation latine et qui y établirent une colonie durable, bénéficièrent également d’un abaissement du kommerkion35. En 1236, les habitants de Corfou obtinrent le renouvellement de privilèges à peu près identiques. Dans le document, il est fait allusion à des chrysobulles antérieurs dont le plus ancien remonterait à Isaac II Ange. La ville constituait un verrou stratégique de premier ordre à la sortie de l’Adriatique et les empereurs devaient s’assurer de sa loyauté. De fait, en 1203, les croisés avaient été assez fraîchement reçus. Est-ce que le chrysobulle d’Isaac avait été accordé en même temps que celui pour Raguse? Ou bien Corfou avait-elle déjà 34   Cf. Angeliki Laiou, Le débat sur les droits du fisc et les droits régaliens au début du 14e siècle. REB 58 (2000) 97–122. 35   Haris A. Kalligas, Byzantine Monemvasia. The Sources (Monemvasia 1990) 102–115.



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bénéficié d’une faveur de Manuel Comnène lorsqu’il avait repris la forteresse aux Normands de Roger II? En 1457, Alphonse V d’Aragon confirme les privilèges de Kroia, en Epire. Cet acte reproduit deux chrysobulles plus anciens, l’un, daté de 1343 et rédigé par Etienne Douchan, l’autre, signé par Andronic Paléologue, l’avait précédé à une date sujette à discussion, peut-être 1273. Ce dernier chrysobulle se réfère à des documents antérieurs identiques qui seraient remontés au règne de Manuel Comnène. Les habitants de Kroia avaient obtenu une garantie de sécurité pour leurs biens fonciers, la protection contre les administrateurs impériaux et une dispense des droits de douane à Dyrrachion. On remarquera l’extraordinaire continuité de ces documents sur plusieurs siècles, confirmés par des gouvernements très différents, byzantin, latin ou ottoman36. En 1324, la ville de Verroia jouissait de dispositions semblables. Plusieurs chrysobulles sont accordés à des villes qui avaient rejeté un temps le pouvoir impérial et que les empereurs se sont efforcé de rallier par des concessions financières: Melnik (Jean III Vatatzès, en 1246), Ioannina (Andronic II en 1319). Le cas de Phanarion (1342) est particulier, mais de même signification politique, car c’est un seigneur local, Michel Gabrièlopoulos, qui accorde une garantie sur les biens des habitants, une exemption partielle des impôts, en conservant toutefois la levée du kommerkion et ses droits de levée de soldats. Fait plus rare, les „archontes“ de la ville se voient reconnu le droit de justice. Une telle faveur pourrait s’expliquer par la faiblesse d’un pouvoir très local. On ignore si ces concessions furent confirmées par Andronic III lorsqu’il reprit la Thessalie. Enfin, par les archives des monastères athonites, un chrysobulle, sans doute renouvelé, est bien attesté pour Thessalonique, du moins pour la clause qui assure aux habitants la possession de leurs biens patrimoniaux, libres de charges37. La Chronique de Morée, dans sa version grecque, sans doute la plus ancienne, décrit l’avance des Francs dans le Péloponnèse. Ils n’ont pas les moyens d’assiéger chaque ville et doivent négocier. Selon la Chronique, ils auraient traité avec Corinthe, Patras, Monemvasie, Coron, Kalamata38. Il n’est pas spécifié que ces villes aient bénéficié de privilèges antérieurs du temps des Byzantins, même si nous savons que c’était le cas pour Monemvasie. Plusieurs de ces accords garantissent aux citadins la possession de leurs biens patrimoniaux, ta gonika, exactement comme les Paléologues pour Ioannina ou Thessalonique. Dans quelques cas, il est précisé que la possession des maisons est aussi garantie, clause qui se comprend dans un contexte de conquête. Parfois la garantie s’étendait aux pronoiai, c’est-à-dire à des biens qui n’étaient par nature qu’une possession temporaire des bénéficiaires. Il est sûr que cette clause n’était pas un héritage des empereurs byzantins. Les empereurs parfois favorisèrent l’Eglise d’une ville, manière indirecte d’avantager les habitants de cette cité. Andronic II Paléologue accorda des privilèges au siège de Kanina en Albanie, forteresse qui occupait une place stratégique dans le conflit qui opposait 36  Nicolas Oikonomides, Andronic II et la ville de Kroia, in: The Medieval Albanians. International Symposium (National Hellenic Research Foundation, Institute for Byzantine Research, International Symposium 5, Athens 1998) 241–247, repris in: idem, Society, Culture and Politics (cit. n. 7) no. XXII. Les Ottomans conservèrent ces privilèges quand ils voulurent associer les forces locales aux troupes de garnison qui défendaient la ville, Halil Inalcik, Ottoman Methods of Conquest. Studia islamica 2 (1954) 103–129, cit. 107s. 37  Toutes les références sont données par Patlagean, L’immunité (cit. n. 6) 592–596, qui reprend Maksimović, Administration (cit. n. 6) 258–263. 38  Toutes références dans David Jacoby, Les archontes grecs et la féodalité en Morée franque. TM 2 (1967) 421–481, cit. 430.

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les Grecs de Nicée aux Angevins39. Le même empereur avait, dans son chrysobulle général pour Ioannina, inclus la confirmation de tous les biens de la métropole, conformément aux documents plus anciens40. Les informations concernent très majoritairement les provinces occidentales, mais c’est en raison de la chronologie qui nous les fait connaître, car durant ces derniers siècles, l’Empire a perdu ses provinces orientales. Un seul document concerne Pègai de l’Hellespont. Cependant à défaut de chrysobulles ou d’horismoi, les informations ne manquent pas sur Philadelphie, ville bien fortifiée, capitale militaire de l’ouest de l’Asie Mineure, qui résista plusieurs décennies à ses voisins turcs avant de succomber, en 1390, à l’assaut des troupes ottomanes, qui comportaient, bien malgré lui, les quelques soldats de Manuel Paléologue, l’héritier du trône. Cet „émirat grec“, comme l’a appelé Hélène Ahrweiler, est resté isolé au milieu des Turcomans, tout en conservant longtemps un gouverneur venu de la capitale et la possibilité pour les marchands de la ville de rejoindre la partie européenne de l’Empire, Sélymbria ou Thessalonique, grâce à la bienveillance de l’émirat de Saruhan qui laissa les Thessaloniciens libres d’accéder à la mer Egée41. Si nous n’avons conservé aucun chrysobulle en faveur de la ville, en revanche, les circonstances et les acteurs de sa liberté sauvegardée sont décrits dans divers documents, dont les correspondances des métropolites de la ville. Les noms des notables tombés lors du siège de 1348, Phôkas, Chrysobergès, Pépanos … témoignent du rôle de l’élite urbaine dans le gouvernement de la ville42. A Philadelphie se devine une structure sociale assez proche de celle des villes occidentales contemporaines.

Qui bénéficie des privilèges? Une des questions est de savoir quelle institution représentant les habitants des villes était le partenaire du pouvoir impérial. Nous savons que les villages de paysans propriétaires avaient une personnalité juridique et pouvaient ester en justice 43. Si l’on excepte Thessalonique, notamment durant le mouvement zélote44, il n’y a pas de traces nettes, semble-t-il, d’une institution équivalente pour les villes. Dans les chrysobulles, se rencontrent les termes d’époikoi ou oikètores, qui semblent renvoyer simplement aux habitants de ces villes, sans leur donner une place particulière. Cependant Cécile Morrisson remarque, par l’analyse de plusieurs documents athonites, qu’ils correspondraient plutôt à ceux que les Latins nomment burgenses. Elle note en particulier que dans une querelle de propriété opposant les habitants de Rentina au monastère d’Esphigménou, des représen39  Paul Julius Alexander, A Chrysobull of the Emperor Andronicus II Palaeologus in Favor of the See of Kanina in Albania. Byz 15 (1940–1941) 167–207, texte du chrysobulle 177–182. 40  MM V 79. 41  Hélène Ahrweiler, La région de Philadelphie au XIVe siècle (1290–1390), dernier bastion de l’hellénisme en Asie Mineure. CRAI 127/1 (1983) 175–197, cit. 183, 195. 42  Matoula Couroupou, Le siège de Philadelphie par Umur Pacha d’après le manuscrit de la bibl. patriarcale d’Istanbul, Panaghias 58, in: Geographica Byzantina, ed. Hélène Ahrweiler (Byzantina Sorbonensia 3, Paris 1981) 67–77, cit. 73. 43   A titre d’exemple, le conflit territorial entre les habitants de Hiérissos et les moines athonites. Des habitants signèrent le compromis comme représentant de la κοινότης du village: Actes du Prôtaton, ed. Denise Papachryssanthou (Archives de l’Athos 7, Paris 1975) 191 no. 4 (942). 44  La vieille étude de Oreste Tafrali est encore utile: Oreste Tafrali, Thessalonique au XIVe siècle (Paris 1913) 66–80.



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tants des époikoi de Rentina sont allés à Constantinople défendre le point de vue des habitants de cette petite cité de Macédoine45. Ce corps constitué ne diffère guère des chôria de l’époque méso-byzantine et l’on supposera qu’il avait une personnalité juridique. Ceux que les chrysobulles visent à favoriser appartiennent soit à la catégorie des kastrènoi ou des mèsoi, c’est-à-dire les notables. La notion de mèsoi n’a pas de définition juridique, mais les textes montrent bien qu’il s’agit d’un groupe intermédiaire entre la riche aristocratie terrienne et la masse des pauvres. N. Oikonomidès estime qu’ils correspondent „grosso modo aux bourgeois“46. Klaus-Peter Matschke et Franz Tinnefeld notent que sont inclus des marchands, des artisans de tous corps de métier47. Le terme „bourgeois“ est attesté à Byzance, mais il désigne les résidents latins. En 1185, les défenseurs de Thessalonique furent trahis par les gardiens de la tour des „bourgeois“48.  Cependant ils n’avaient pas de place institutionnelle. Nous avons vu que plusieurs assemblées se réunirent dans la capitale, lors de crises graves; ainsi, en janvier 1204, lorsque les Constantinopolitains voulurent choisir un empereur susceptible de mener une lutte efficace contre les Latins, mais c’était évidemment hors du contrôle d’Alexis IV, le basileus contre lequel les habitants voulaient agir. En revanche, en 1296, c’est Andronic II qui réunit une assemblée du peuple, des archontes et des prélats pour remettre de l’ordre dans les institutions judiciaires49. Jean VI Cantacuzène, en 1347, prit aussi l’initiative de convoquer une assemblée réunissant toutes les couches de la population pour lever une contribution destinée à construire une flotte. T. Kiousopoulou assimile la politeia de Constantinople, au xve siècle, à une commune qui associerait les riches marchands aux décisions politiques50. Le terme politeia, fréquemment rencontré sous la plume des chroniqueurs byzantins, désigne la constitution politique de l’Empire, le bien public, ou la société dans son ensemble51, mais aussi la condition d’une personne, notamment d’un saint52. Michel Attaleiatès mentionne à plusieurs reprise la politeia d’une ville, à l’occasion des raids turcs qui ont vidé les grandes politeiai du thème d’Ibérie, ou ravagé celle d’Amorion, ou encore celle d’Ikonion sous Romain Diogène53, sans qu’on puisse discerner derrière ce mot autre chose que la notion de cité et non une allusion à une orga45  Actes d’Esphigménou, ed. Jacques Lefort (Archives de l’Athos 6, Paris 1973) 133s. no. 19 (1334); Cécile Morrisson, L’ouverture des marchés après 1204: Un aspect positif de la IVe croisade? in: Urbs Capta. The Fourth Crusade and its Consequences, ed. Angeliki Laiou (Réalités byzantines 10, Paris 2005) 215–232, cit. 223s. 46   Nicolas Oikonomidès, Hommes d’affaires grecs et latins à Constantinople (13e–15e siècles) (Montréal–Paris 1979) 118. 47  Klaus-Peter Matschke–Franz Tinnefeld, Die Gesellschaft im späten Byzanz: Gruppen, Strukturen und Lebensformen (Köln–Wien 2001). 48  Eustazio di Tessalonica, La espugnazione di Tessalonica, ed. Stilpon Kyriakidès (Istituto Siciliano di Studi Bizantini e Neoellenici, Testi e Monumenti. Testi 5, Palermo 1961) 92. Traduction française: Jean Caminiatès, Eustathe de Thessalonique, Jean Anagnostès. Thessalonique. Chroniques d’une ville prise, ed. Paolo Odorico (Toulouse 2005) 207. 49   Georges Pachymérès, Relations historiques, II, Livres IV–VI, ed. Albert Failler, traduction française par Vitalien Laurent (CFHB, Series Parisiensis 24/1, Paris 1984) 235–237. 50   Tonia Kiousopoulou, Emperor or Manager. Power and Political Ideology in Byzantium before 1453 (Geneva 2011) 169. 51  Gilbert Dagron, Lawful Society and Legitimate Power: Ennomos politeia, ennomos arche, in: Law and Society in Byzantium, Ninth–Twelfth Centuries, ed. Angeliki Laiou–Dieter Simon (Washington, D. C. 1994) 27–51. 52  Michaelis Attaliatae Historia, ed. Eudoxos Th. Tsolakis (CFHB, Series Atheniensis 50, Athen 2011) 95. 53  Ibid. 105s.

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nisation de celle-ci. Peut-être était-ce une façon de distinguer la cité sans mur du kastron, ou la cité dont la fonction militaire était réduite. Deux textes du De administrando imperio opposent ainsi politeia et kastron, rappelant que „les kastra, les politeiai et les villages (chôria) qui appartenaient à l’archonte des archontes appartenaient aussi au basileus des Romains“54. Dans le second passage, il est rappelé que l’émir de Perse s’est établi dans le kastron de Mantzikert et s’est emparé des kastra de Chliat et de Perkri ainsi que de la politeia de Artzes55. A Constantinople ou plus exactement hors les murailles de la ville, des colonies latines purent s’établirent, notamment les Génois à Péra, qui devaient selon les traités l’obéissance à l’empereur, mais qui conquirent une autonomie de plus en plus complète sous l’autorité de leur podestat. Cette évolution résultait d’un rapport de force qui prit fin lorsque Mehmed II prit la capitale et obligea les Génois à se reconnaître ses sujets. Les Vénitiens étaient gouvernés par un bayle. Les traités confirmaient la libre transmission des biens, le droit de justice dans le cas de procès entre Italiens et des commissions mixtes si des Grecs étaient impliqués. Le chrysobulle en faveur de Ioannina permet de préciser ce qu’étaient les kastrènoi, inclus dans la catégorie plus large des époikoi. Ils n’étaient pas des soldats professionnels, puisque le chrysobulle distingue, entre stratiotes et kastrènoi, mais des habitants du kastron dont les demeures étaient donc protégées et qui exerçaient éventuellement une garde sur les murailles. Ils n’étaient pas contraints de servir hors de la ville, à la différence des stratiotes qui étaient enregistrés dans les allagia et avaient reçu en compensation une oikonomia56. Leur groupe est reconnu, puisque, comme jadis dans la commune rurale, ils ne pouvaient vendre leurs biens qu’à d’autres membres de leur communauté. Ce chrysobulle en leur faveur éclaire un commentaire du métropolite d’Athènes, Michel Chôniatès, qui, à la fin du xiie siècle, fait mention des kastrènoi de sa cité qui ne sont pas autant touchés que les autres habitants par les exactions fiscales. Chôniatès se montre également jaloux des habitants de Thèbes et de l’Euripe, qui peuvent échapper aux percepteurs en raison des murailles ou du détroit qui les protègent. Si l’on se souvient que Thessalonique bénéficiait aussi de prérogatives, il faut se demander si les capitales de thèmes ne jouissaient pas plus facilement ou plus systématiquement d’avantages octroyés par les empereurs pour assurer le bon accueil des gouverneurs envoyés depuis la capitale. Il faut supposer chez Michel Chôniatès que les kastrènoi étaient les habitants d’Athènes protégés par les murailles de l’Acropole. Telle est l’hypothèse de A. Papageorgiou qui considère cependant que les kastrènoi n’avaient aucune fonction militaire57. Effectivement nous ne les voyons pas agir en tant que tels, mais l’exemple plus tardif de Ioannina montre qu’ils étaient aptes à un service de garde. On supposera qu’ils jouèrent ce rôle lorsque Michel Chôniatès fit échouer l’attaque de Léon Sgouros contre Athènes. Il arrivait en effet que les habitants d’une forteresse fussent conduits à prendre les armes pour défendre leur cité. Ce fut le secret de la résistance de Philadelphie. De plus, ses marchands s’enrichissaient suffisamment pour verser un tribut aux émirats voisins et 54   Constantine Porphyrogenitus, De administrando imperio, ed. Gyula Moravcsik; English translation by Romilly J. H. Jenkins (CFHB 1, Washington, D. C. 1967) § 44 l. 48. 55  Ibid. l. 53–54. 56  MM V 81. 57  Angeliki P. Papageorgiou, Το υπομνιστικόν του Μιχαήλ Χωνιάτη και οι καστρινοί. Symmeikta 18 (2008) 159–169.



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obtenir un répit entre les attaques58. La ville, réputée pour ses textiles et ses tanneries, put frapper une monnaie de bon aloi59. Enfin dans plusieurs cas, les habitants des villes sont classés comme archontes, petits ou grands, καλοὶ ἄνθρωποι, équivalent manifeste des boni homines occidentaux, clercs et simples habitants. C’est reconnaître que parmi les habitants, un groupe social se distingue, celui des archontes à prendre au sens social de notables, sans pour autant qu’ils disposent de prérogatives reconnues dans les chrysobulles60.

Quelle est la nature de ces privilèges? Tous les documents ont donc en commun d’être liés à la fiscalité. Il s’agit pour les bénéficiaires d’obtenir que leurs biens soient préservés de toute exaction et soient librement transmissibles. Cet aspect prend une importance accrue à l’époque des Paléologues, quand les confiscations se multiplient, compte tenu de l’instabilité politique engendrée par les guerres civiles et les invasions étrangères. Probablement, les bénéficiaires de pronoiai faisaient également pression pour que ces biens deviennent gonika et donc transmissibles, ce que nous avons vu lorsque la conquête latine a désorganisé l’ancienne administration et facilité la mainmise sur des pronoiai. Ce qu’obtient l’Etat en échange varie selon les circonstances de l’octroi des chrysobulles. Parfois, comme à Ioannina, rien de plus ne semble exigé que la loyauté des habitants, antérieurement soumis à une autre autorité politique. En échange l’empereur s’engageait à ce que le gouverneur nommé pour lui ne déplaçât quiconque contre sa volonté, sauf s’il était fauteur de trouble. Il reconnaissait les coutumes locales et accordait aux citoyens le droit de choisir leurs juges, la dispense des impôts commerciaux, un droit d’hébergement (mitaton), exercé sans exaction …61 Lorsque, en 1430, Sînan Pacha accorda un horismos aux habitants de la ville, il reprit largement la forme de ses prédécesseurs byzantins, même si les clauses différèrent quelque peu. Les habitants obtenaient de sauvegarder leurs biens et leurs églises et de ne pas être déportés. La différence avec l’époque antérieure, c’est qu’en cas de refus, leur ville aurait été ravagée et les églises détruites62. Dans la plupart des cas, depuis le haut Moyen Âge, l’Etat attend une participation à la défense de la ville, voire un soutien aux opérations menées par les officiers impériaux. Les privilèges qu’obtiennent les villes sont de nature économique et fiscale, rarement de vraies libertés politiques, sauf dans le domaine de la justice. Ils consistent en garantie des biens et, pour les Monemvasiotes, en dispense de kommerkion, pour donner à leurs marchands l’égalité dans la compétition commerciale avec les Italiens. L’insistance sur la garantie des biens fonciers sous les premiers Paléologues pourrait s’expliquer par le contexte économique, dans la mesure où, pour la première fois, l’Empire connaissait un niveau de population qui impliquait de défricher même les   Ahrweiler, La région de Philadelphie (cit. n. 41) 192s.   F. Balducci Pegolotti, La pratica della mercatura, ed. Allan Evans (Mediaeval Academy of America. Publication 24, Cambridge, MA 1936) 289. Rappelons que déjà, à la fin du xiie siècle, Théodore Magkaphas, un rebelle à l’autorité d’Isaac II Ange à qui la ville s’était ralliée, avait frappé monnaie (cf. n. 27). 60   Tonia Kiousopoulou, Οι „αόρατες“ βυζαντινές πόλεις στον ελλαδικό χώρο (13ος–15ος αιώνας) (Athen 2013) 97s. 61  MM V 82. 62  Antonio Rigo, Lo horismos di Sinân Pascià, la presa di Ionnina (1430). Thesaurismata  28 (1998) 57–78, cit. 62. 58 59

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terres médiocres et donc la perte de bonnes terres ne pouvait plus être compensée63. Ainsi se comprend mieux l’opposition farouche du monastère d’Esphigménou et celle des habitants de Rentina pour 2.000 modioi de terre. Les habitants des villes portaient leurs conflits devant des tribunaux locaux sous les Paléologues et sous Etienne Douchan, dont le code précise les modalités. Les juges sont recrutés parmi les archontes des villes et le clergé. L’empereur serbe souligne qu’il reprend les anciennes dispositions des empereurs byzantins. De fait, ce n’est pas une innovation, car si on lit bien les Conseils et récits de Kékauménos, rédigés lors de la seconde moitié du xie siècle, ce dernier conseillait à ses enfants d’éviter de trancher les conflits entre auto­ chtones, action que les habitants lui réclamaient64. On ne sait si ce conseil s’adressait à un notable de la campagne ou de la ville, mais les pratiques ne devaient guère différer. Cela n’empiétait pas, à l’époque, sur les prérogatives impériales, car les tribunaux impériaux étaient compétents dès que s’élevaient des contestations touchant l’ordre public, portant, par exemple, sur les exemptions fiscales ou lorsque les plaideurs souhaitaient une garantie publique à la solution de leurs procès. En somme, les habitants des villes souhaitaient des avantages fiscaux, à propos des impôts fonciers et commerciaux. Mais les chrysobulles de l’époque des Paléologues reflètent aussi l’incertitude des temps, la crainte de perdre ses biens patrimoniaux ou d’être transféré hors de sa ville d’origine.

Des institutions urbaines? Il y a toujours une élite qui représente la ville, mais elle semble très large dans certains cas. A Melnik, Jean III Vatatzès, qui veut rallier cette cité, rencontra cinq cents habitants65. Quoiqu’on ignore le niveau de population de Melnik, il est probable que la quasitotalité des hommes adultes fut reçue par le basileus, et pas seulement les archontes ou même ce groupe incertain des mèsoi, ce qui donnait un grand poids à l’accord conclu, mais suggère également qu’il n’y avait pas d’institution représentant la population autre que son dèmos entier. En principe, l’élite est tout de même restreinte, définie sous la domination vague d’archontes, c’est-à-dire quiconque, fonctionnaire, ecclésiastique, riche marchand ou gros propriétaire, exerce une influence sur un nombre notable de dépendants. A Serrès, comme à Ioannina, aux propriétaires fonciers s’ajoutaient des boutiquiers, ce qui explique que le kommerkion figure parmi les impôts supprimés ou allégés. A Philadelphie, la ville étant isolée à distance du territoire sous contrôle direct du basileus, les habitants se sont organisés en s’appuyant sur le métropolite, y compris contre le représentant du basileus66. Il n’y a pas de „communes“ byzantines. Dans le récit de la guerre civile menée par Jean Cantacuzène, de nombreuses ambassades négocient la reddition de leur ville ou le parti 63  Sur cette pression démographique, voir, à titre d’exemple bien documenté, l’évolution du village de Radolibos: Jacques Lefort, Radolibos: population et paysage. TM 9 (1985) 195–234, cit. 217s., repris dans idem, Société rurale et histoire du paysage (Bilans de recherche 1, Paris 2006) 161–200, cit. 182–184. 64   Cecaumeni consilia et narrationes, ed. Genadij G. Litavrin (Moskva 1972) 232; Cecaumeno, Raccomandazioni e consigli di un galantuomo, ed. Maria Dora Spadaro (Hellenica. Testi e strumenti di letteratura greca antica, medievale e umanistica 2, Alessandria 1998) 182–184. 65  Georgii Acropolitae opera (cit. n. 33) 77. 66  Donald M. Nicol, Philadelphia and the Tagaris Family. Neo-Hellenica 1 (1970) 9–17.



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à prendre. Leur constitution paraît spontanée et ne pas émaner d’une organisation régulière de la ville67. Sans doute le mouvement des zélotes à Thessalonique est-il un contre exemple, mais il s’agit d’un développement inédit et jugé incongru, au moins par les chroniqueurs contemporains. C’est probablement le seul cas où l’on puisse faire un rapprochement avec les institutions qui se développent à la même époque dans les communes lombardes, dont de nombreux commerçants venaient pour leur négoce dans la métropole des Balkans. T. Shawcross vient de souligner dans un article récent les liens entre le comté de Montferrat et Thessalonique. Théodore Paléologue, fils d’Andronic II et de Yolande de Montferrat, né dans l’Empire, y a longtemps résidé, mais a également accepté de gouverner le comté italien, lorsque que son oncle maternel est mort sans enfant. Il avait épousé la fille d’un Génois très influent68. Cet homme représente admirablement le trait d’union entre les mondes byzantin et latin. Il n’était pas le seul, une colonie génoise était établie dans la seconde ville de l’Empire et bien évidemment les idées circulaient dans le monde méditerranéen chrétien. C’est seulement à Thessalonique que des institutions municipales sont clairement attestées. Dèmètrios Kydonès fait allusion aux bouleutes et au boullôtèrion de la ville. Nicéphore Grègoras parle d’autonomie urbaine69. Il y a effectivement un sénat qui serait choisi par les membres de l’aristocratie. Il coopérait avec le gouverneur de la ville. L’étendue de ses pouvoirs n’est jamais explicitée. Il diffère de l’assemblée générale du peuple, qui est réunie lors d’événements graves. On retrouve la même configuration qu’à Constantinople aux xie et xiie siècles: sénat et peuple consultés pour les sujets susceptibles de compromettre l’autorité impériale. Plus qu’une évolution générale des villes, cela traduit le rôle de Thessalonique, devenue seconde capitale au xive siècle. Le temps des Zélotes correspond à un dérèglement de ces équilibres. Nous ignorons si ces structures étaient en place avant 1204. Selon Eustathe, métropolite de Thessalonique, lors du siège par les Normands, en 1185, David Comnène, duc de Thessalonique, auquel Eustathe était très hostile, dirigea la défense apparemment sans jamais consulter les civils, qui pourtant participèrent au combat, même si les plus riches avaient déserté avec leur suite avant l’arrivée des ennemis70.

Conclusion D. Kyritzès note que, après le milieu du xive siècle, ce type de chrysobulle d’exemption n’est plus émis et lie ce fait au déclin irréversible des Paléologues71. Tout d’abord, la nouvelle datation du chrysobulle pour les Monemvasiotes, donnée par E. Kislinger, repousse au moins la limite jusqu’en 1365 environ72. La disparition des chrysobulles d’exemption pourrait aussi s’interpréter comme l’effort des ultimes Paléologues pour conserver les maigres ressources dont ils disposaient, la formidable menace ottomane favorisant la solidarité entre les dernières possessions byzantines.   Kiousopoulou, Πόλεις (cit. n. 60) 91. :   Teresa Shawcross, Mediterranean Encounters before the Renaissance Byzantine and Italian Political Thought concerning the Rises of Cities, in: Renaissance Encounters: Greek East and Latin West, ed. Marina S. Brownlee (Medieval and Renaissance Authors and Texts 8, Leiden 2013) 57–93. 69  Nicephorus Gregoras, Historiae II, ed. Ludwig Schopen (Bonn 1830) 674. 70  Eustazio di Tessalonica, La espugnazione di Tessalonica (cit. n. 48) 76. 71  Kyritzes, The „Common Chrysobulls“ (cit. n. 8) 243. 72  Ewald Kislinger, Die zweite Privilegurkunde für die Pegai-Monembasioten – ein Fälschung? JÖB 53 (2003) 205–228. 67 68

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En somme, il y a une grande continuité dans la politique des empereurs byzantins à l’égard des villes et 1204, de ce point de vue, ne marque pas une vraie rupture, même si la désagrégation de l’Empire qui s’ensuivit offrit l’occasion à de plus nombreuses villes de négocier des privilèges. Les indices de privilèges urbains concédés avant 1204 sont beaucoup plus rares, mais suffisants pour suggérer une persistance des pratiques. Il est clair que les empereurs accordaient une grande autonomie aux villes périphériques: l’administration centrale, qui assurait la sécurité, levait l’impôt et jugeait les causes les plus importantes, devait être très légère et compter sur le soutien des autochtones. L’idée sous-jacente était que l’armée impériale n’avait plus les moyens de défendre ces villes et qu’il était donc normal de leur rétrocéder une part des impôts pour qu’ils paient les soldats locaux. Ainsi à Ioannina, l’impôt pour entretenir les murailles, la kastroktisia, était rétrocédé aux habitants pour leur défense73. Encore en 1450, le despote Dèmètrios Paléologue accordait aux Monemvasiotes le fruit de l’abiôtikion et du kommerkion pour financer leurs fortifications74. Plutôt qu’une véritable exemption, il s’agit d’un transfert de charge. Notre documentation ne concerne que les zones périphériques qui, en dehors de Constantinople, sont les territoires les mieux décrits. Rien n’interdit de penser que des cités comme Ephèse, Smyrne, Attaleia ou Trébizonde aient obtenu des avantages similaires. Sans nier l’affaiblissement militaire de l’Empire, les privilèges de l’époque des Paléologues ne marquent donc pas une dégradation très nette du pouvoir central, mais tentent de résoudre la pénurie d’administrateurs compétents. L’exemption de l’impôt foncier de base ne semble que rarement accordée, à la différence des impôts sur les transactions ou le droit de cogérer la justice, à nouveau une manière de faire une économie de fonctionnaires. Les archontes gouvernaient de fait les villes en collaboration avec les représentants de l’empereur, qui gardaient le droit de décider dans les domaines régaliens de la défense et de l’impôt, en respectant les privilèges existants. Georges Akropolite, contemporain de Michel VIII Paléologue, a parfaitement résumé l’état d’esprit des populations ballottées entre Grecs de diverses obédiences, Latins ou Serbes …: „Les habitants de l’Occident se soumettent aisément à chacun de ceux qui gouvernent, ainsi ils évitent les destructions et conservent la majeure partie de leurs biens“75. Il reste à étudier plus en détail ce qui dans les textes concernant la vie urbaine, rébellions76, sièges, actes juridiques, laisserait entrevoir plus exactement comment les décisions collectives se prenaient au sein d’une agglomération et qui traitait avec la puissance publique, amie ou ennemie. L’évolution vers l’autonomie en Orient paraît moins prononcée qu’en Occident, même si la croissance démographique a accru le poids politique des villes de l’Empire.

  MM V 82.   Sur les sources de financement des travaux de fortifications, cf. Raúl Estangüi Gómez, Byzance face aux Ottomans: exercice du pouvoir et contrôle du territoire sous les derniers Paléologues, milieu XIVe–milieu XVe siècle (Byzantina Sorbonensia 28, Paris 2014) 163–166. 75  Georgii Acropolitae opera (cit. n. 33) 167. 76   Demetrios Kyritses, Revolts in Late Byzantine cities. Is a reappraisal possible? in: Οι βυζαντινές πόλεις (8ος–15ος αιώνας): προοπτικές της έρευνας και νέες ερμηνευτικές πpoσεγγίσεις, ed. Tonia Kiousopoulou (Rethymno 2012) 263–275. 73 74

Städtische Eliten im byzantinischen Raum Albrecht Berger

Die städtischen Eliten im byzantinischen Raum des Spätmittelalters unterscheiden von den gleichzeitigen Eliten in Westeuropa ganz erheblich, und vor allem ist im Osten das 13. bis 15. Jahrhundert, ganz anders als im Westen, eine Zeit des Verfalls und endet mit dem Untergang des byzantinischen Reichs im Jahr 14531. Um Parallelen überhaupt zu ziehen und die strukturellen Unterschiede begreifen zu können, ist es deshalb nötig, zeitlich erheblich weiter auszuholen und bis in die Spätantike zurückzugehen. Grund für diese Entwicklung ist der unterschiedliche Verlauf der politischen Geschichte seit dem Ende des weströmischen Reichs im fünften Jahrhundert, der für lange Zeit zu einer weitgehenden Trennung zwischen Ost und West führte. Die städtische Kultur der griechisch-römischen Antike hielt sich im Osten des römischen Reichs bis in das späte sechste Jahrhundert, wenn sie auch zunehmend durch die Kultur der einheimischen Bevölkerung überlagert und verändert wurde. Im späten sechsten Jahrhundert gingen große Teile der Balkanhalbinsel an die Slaven, im siebten der ganze Nahe Osten, in dem sich die großen städtischen Zentren wie Antiocheia und Alexandreia befanden, an die islamischen Araber verloren. Die Folge war ein wirtschaft­licher Kollaps und ein starker Bevölkerungsrückgang auch in den verbliebenen Gebieten2. Die spätantiken Städte verwandelten sich zu befestigten Burgen, und an die Stelle der kommunalen Autonomie, die bereits vorher stark zurückgegangen war, trat die Verwaltung durch den Bischof  3 oder einen Militärkommandanten4. Städtisches Leben im antiken Sinn mit einer quasi-adligen Oberschicht und kultureller Aktivität außerhalb des kirchlichen Bereichs scheint es seit dem siebten Jahrhundert praktisch nur noch in der Hauptstadt Konstantinopel gegeben zu haben. Für einige andere Orte, wie Thessaloniki oder Athen, ist Ähnliches auf einer kleineren Skala anzunehmen, aber kaum dokumentiert5. Im Folgenden wird es deswegen fast nur um Konstantinopel gehen, mit kurzen Ausblicken auf Thessaloniki und Trapezunt in der späten byzantinischen Zeit, wo die Quellen etwas reicher fließen. 1  Ich danke den Teilnehmern an der Diskussion nach meinem Vortrag, insbesondere Peter Schreiner, für ihre wertvollen Anregungen. 2  Eine zusammenfassende Darstellung bei John F. Haldon, Byzantium in the Seventh Century. The Transformation of a Culture (Cambridge 1990). 3  Vgl. Claudia Rapp, Holy Bishops in Late Antiquity. The Nature of Christian Leadership in an Age of Transition (The Transformation of the Classical Heritage 37, Berkeley 2005). 4  In der sogenannten Themenordnung; zusammenfassend dazu vgl. Haldon, Byzantium (wie Anm. 2) 208–253. 5  So ist die Herkunft der Kaiserin Eirene (752–803, Alleinregierung 797–802) aus Athen wohl ein Hinweis auf die Existenz eines städtischen Patriziats in der Stadt.

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Konstantinopel wurde durch Kaiser Konstantin den Großen 324 anstelle der alten griechischen Stadt Byzantion neu gegründet und im Jahr 330 eingeweiht6. Die Bevölkerung wuchs innerhalb der folgenden hundert Jahre auf etwa 200.000, bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts auf etwa 400.000 Personen an, ging dann aber durch eine Reihe von Pestepidemien und durch die politischen Katastrophen des siebten Jahrhunderts stark zurück, möglicherweise bis auf nur noch etwa 50.000 Menschen7. Erst seit der Mitte des achten Jahrhunderts stieg sie langsam wieder an, was teilweise auch durch staatliche Umsiedlungsprogramme bewirkt wurde8. Zuwanderung von außen war in Konstantinopel zu allen Zeiten ein wichtiger Faktor der Bevölkerungsentwicklung, besonders in Phasen der Expansion oder wenn die Stadt Flüchtlinge aus bedrohten Gebieten in der Umgebung aufnehmen musste. In den meisten Fällen ist es freilich nicht bekannt, aus welchen Gebieten die neuen Bewohner stammten. Insgesamt entsteht der Eindruck, als sei die Bevölkerung der Stadt im Lauf der Jahrhunderte mehrfach praktisch komplett ausgetauscht worden9. Eine Kontinuität von der Spätantike zur mittelbyzantinischen Zeit in Gestalt alter Familien, die etwa seit dem vierten Jahrhundert in der Stadt ansässig gewesen wären, ist nicht erkennbar, auch nicht für die höchste Schicht der Gesellschaft, das heißt den Kaiser und seine unmittelbare Umgebung. Für die reichen Familien der Oberschicht in der mittel- und spätbyzantinischen Zeit wird sie auch von der Legende nicht konstruiert10. Nur für einige Kaiserdynastien wird erst im elften und zwölften Jahrhundert gelegentlich eine römische Abstammung behauptet, das aber aus so offenkundig propagandistischen Motiven, dass kaum jemand ernsthaft daran geglaubt haben kann11. Es ist zwar trotzdem möglich, dass sich einige Familien von der Spätantike bis zur mittelbyzantinischen Zeit durchgehend gehalten haben, doch lässt sich das nicht nachweisen. Grund dafür sind die veränderten Sitten bei der Namensgebung: Gentilnamen werden spätestens seit dem sechsten Jahhundert nicht mehr, Familiennamen vor dem 6  Vgl. Gilbert Dagron, Naissance d’une capitale. Constantinople et ses institutions de 330 à 451 (Bibliothèque byzantine. Études 7, Paris 1974) 19–47. 7   Vgl. Cyril Mango, Le développement urbain de Constantinople (IVe–VIIe siècles) (Travaux et mémoires du Centre de Recherche d’Histoire et Civilisation de Byzance. Monographies 2, Paris 21990) 51; Paul Magdalino, Medieval Constantinople, in: ders., Studies on the History and Topography of Byzantine Constantinople (Variorum CSS 855, Aldershot 2007) Nr. I, 61–67. 8  Vgl. dazu: Paul Magdalino, Constantine V and the Middle Age of Constantinople, in: ders., Studies (wie Anm. 7) Nr. IV, 5–14. 9   Auf das Problem der ethnischen Minderheiten in der Stadt kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Vgl. dazu Hansgerd Hellenkemper, Fremde Nachbarn. Polyethnizität und Migration in Städten des byzantinischen Reiches, in: Vieler Völker Städte. Polyethnizität und Migration in Städten des Mittelalters – Chancen und Gefahren. Vorträge des gleichnamigen Symposiums vom 7. bis 10. April 2011 in Heilbronn, hg. von Kurt-Ulrich Jäschke–Christhard Schrenk (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Heilbronn 21, Heilbronn 2012) 117–136. 10  So ist in der Legende des späten 10. Jhs. über die zwölf namentlich genannten, angeblich mit Konstantin aus Rom gekommenen Senatoren nicht von einer Kontinuität ihrer Familien bis zur Gegenwart des Verfassers die Rede. Vgl. Albrecht Berger, Untersuchungen zu den Patria Konstantinupoleos (Poikila byzantina 8, Bonn 1988) 220–226. 11  Zur angeblichen römischen Abstammung der Kaiserfamilien Dukas und Phokas s. unten Anm. 32 und 33. Die romanhafte Vita des Kaisers Basileios I. (867–886) ersetzt wegen seiner offenkundig armenischen Herkunft die römischen Genealogie durch eine persisch-armenische von den Arsakiden. Vgl. Chronographiae quae Theophanis continuati nomine fertur liber quo Vita Basilii Imperatoris amplectitur, c. 1, 2–3, ed. Ihor Ševčenko (CFHB 42, Berlin 2011) 10–18.



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neunten Jahrhundert noch kaum verwendet, so dass die meisten Personen nur einen Namen tragen, und Verwandtschaften zwischen Personen werden nur sehr selten von den Quellen erwähnt. Die Zugehörigkeit zur selben Familie ist daher oft nicht erkennbar, auch wenn sie vielleicht gegeben war12. Auch in Konstantinopel gab es einen Senat13. Er war aus der alten Kurie von Byzantion hervorgegangen, die nach der Neugründung weiter bestand und im Zug des Aufstiegs von Konstantinopel zur zweiten Hauptstadt um 355/60 zu einem zweiten, mit dem von Rom gleichberechtigten Gremium ausgebaut wurde. Das geschah unter anderem durch die Aufnahme zahlreicher Offiziere und Palastbeamter14. Die hohe Zahl von Mitgliedern führte im Lauf der Zeit aber dazu, dass deren Rang innerhalb des Senats durch neue Titel differenziert werden musste15. In der frühen Zeit von Konstantinopel, das heißt bis zur endgültigen Reichsteilung von 395, wurden Spitzenbeamte noch durch das ganze römische Reich versetzt, danach durch das ganze oströmische Reich, und da im Osten auch noch nach der Trennung vom Westen Latein die Sprache von Verwaltung, Rechtswesen und Militär blieb16, stammten die hohen Beamten und Offiziere, auch die meisten Kaiser bis zum Ende des sechsten Jahrhunderts aus den romanisierten Teilen der Balkanhalbinsel17. Die besonders im Heer stark vertretenen Germanen wurden seit dem späten fünften Jahrhundert vorübergehend durch die kleinasiatischen Isaurier18, dann durch Armenier und andere Bevölkerungsgruppen aus dem Osten verdrängt19. Alle diese Gruppen wurden, soweit sich das erkennen lässt, durch die Übertragung hoher Ämter in den Senat, die Umgebung des Kaisers und die Staatsverwaltung integriert, und dadurch bei allen auftretenden Spannungen doch sehr schnell in die städtische Oberschicht aufgenommen20.

12  Eine gute Darstellung der dadurch entstehenden Probleme findet sich bei Christian Settipani, Continuité des élites à Byzance durant les siècles obscurs. Les princes caucasiens et l’Empire du VIe au IXe siècle (Paris 2006) 13–105. Eine Folge davon sind freilich auch genealogische Spekulationen von höchst zweifelhaftem Wert über die Verwandtschaft zwischen den byzantinischen Adels- und Kaiserfamilien, für die Settipanis Arbeit selbst das beste Beispiel bietet. 13  Grundlegend dazu nach wie vor Hans-Georg Beck, Senat und Volk von Konstantinopel. Probleme der byzantinischen Verfassungsgeschichte (Bayerische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, SB 6/1966, München 1966). 14  Dagron, Naissance (wie Anm. 6) 119–210. 15  Vgl. John Haldon, The Fate of the Late Roman Senatorial Élite: Extinction or Transformation, in: The Byzantine and Early Islamic Near East VI: Élites Old and New in the Byzantine and Early Islamic Near East, hg. von John Haldon–Lawrence I. Conrad (Studies in Late Antiquity and Early Islam 1, Princeton 2004) 179–234, hier 186–189. 16   Vgl. dazu Henrik Zilliacus, Zum Kampf der Weltsprachen im oströmischen Reich (Helsingfors 1935). 17   Von den Kaisern waren das Markianos (450–457), Leon I. (457–474), Anastasios (491–518), Iustinos I. (518–527), Iustinianos I. (527–565), Iustinos II. (565–578), Tiberios (578–582) und Phokas (602–610). 18  Zur Rolle der Germanen vgl. etwa Henning Börm, Herrscher und Eliten in der Spätantike, in: Commutatio et contentio. Studies in the Late Roman, Sasanian and early Islamic Near East. In Memory of Zeev Rubin, hg. von Henning Börm–Josef Wiesehöfer (Reihe Geschichte 3, Düsseldorf 2010) 159–198; zu den Isauriern vgl. Karl Feld, Barbarische Bürger. Die Isaurier und das Römische Reich (Millennium-Studien 8, Berlin 2007) 207–338. 19   Vgl. dazu Peter Charanis, The Armenians in the Byzantine Empire (Lissabon 1963). 20  So waren unter den Konsuln der späten römischen Zeit, von Merobaudes 377 im Westen bis zu Areobindos 506 im Osten, über zwanzig germanischer, isaurischer oder persischer Herkunft. Der erste oströmische Kaiser nicht „römischer“ Herkunft war der Isaurier Zenon (474–491), seit dem 8. Jh. gab es mehrere Kaiser und ganze Dynastien armenischer oder syrischer Herkunft.

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Der Senat entwickelte sich im fünften Jahrhundert zur höchsten Institution des ost­ römischen Staates nach dem Kaiser und spielte bei den Kaiserwahlen von Leon I. 457, Anastasios 491 und Iustinos I. 518 die entscheidende Rolle21. Der Nika-Aufstand gegen Kaiser Iustinianos im Jahr 532 ging unter anderem von hochrangigen Senatoren aus, von denen viele nach dessen Scheitern Besitz und Leben verloren und wohl durch neue, nicht den alten Familien entstammende Mitglieder ersetzt wurden. Danach wurde der Senat durch neue Gesetze stärker kontrolliert. Es wurde eine Unterscheidung zwischen Mitgliedern mit und ohne Amt eingeführt und der Senat in die Justiz eingebunden22. Ähnliche Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Senats scheinen die Ereignisse von 668 gehabt zu haben, als Konstans II. durch Mitglieder der Senatsaristokratie ermordet wurde, sein Sohn Konstantinos IV. sich jedoch letztlich gegen diese durchsetzen konnte. Seit dieser Zeit, besonders aber nach zwei weiteren, diesmal erfolgreichen Umstürzen 695 und 711, die beide Male Iustinianos II. den Thron kosteten, stieg die Zahl von patrikioi mit nicht griechischen oder römischen Namen stark an, was auf einen größeren personellen Wechsel in der städtischen Elite hindeutet23. Noch im achten Jahrhundert wurden Mitglieder des Senats oft in hohe Staatsämter berufen, danach ging sein Einfluss jedoch zurück. Um 800 waren die senatorialen Rangtitel weitgehend durch Funktionstitel der Hofhierarchie ersetzt worden, die übrig gebliebenen Rangtitel waren nicht mehr erblich24. Der Senat existierte als Gremium noch bis zum Ende des Reichs im fünfzehnten Jahrhundert. Er verlor zwar seine formalen Kompetenzen völlig, aber seine Mitglieder bildeten noch lange die staatstragende Schicht und gleichzeitig die städtische Elite von Konstantinopel: Ohne die Zustimmung des Senats hatte kaum jemals ein Versuch Erfolg, den Kaiser zu stürzen oder einen neuen an die Macht zu bringen25. Noch im späten elften Jahrhundert unterscheidet Michael Psellos klar zwischen Volk, Senat und Militär als den drei Hauptklassen der Konstantinopler Bevölkerung26 und beklagt die Praxis der Kaiser seiner Zeit, besonders von Konstantinos X. Dukas (1059– 1067), die Trennung zwischen diesen Klassen durch allzu großzügige Beförderungen von Angehörigen der unteren Schichten zu Senatoren aufzuweichen27. Tatsächlich scheint es für die Aufnahme in den Senat nie ein anderes Kriterium als persönliche Beziehungen oder die Nähe zum Kaiserhof gegeben zu haben. Die starke Abhängigkeit des Senats von der Gunst des Kaisers führte vor allem dann zu schnellen Veränderungen in seiner Zusammensetzung, wenn der Kaiser selbst, wie das bis ins elfte Jahrhundert immer wieder wieder vorkam, aus einer unteren Schicht der Gesellschaft stammte und sich verpflichtet sah, nach dem Aufstieg zur Staatsspitze seine Unterstützer und Verwandten in hohen Ämtern oder eben im Senat unterzubringen28.   Beck, Senat und Volk (wie Anm. 13) 10–17.   Haldon, Fate (wie Anm. 15) 189–191. 23  Ebd. 211–217. Bemerkenswert ist dabei das schnelle Voranschreiten der Assimilierung: Die Nachkommen von Personen mit armenischen, persischen, türkischen und arabischen Namen tragen oft schon in der nächsten Generation griechische Namen. 24   Ebd. 221–226. 25  Beck, Senat und Volk (wie Anm. 13) 41–47. 26  Michaelis Pselli Chronographia 7, 1, ed. Diether Roderich Reinsch (Millennium-Studien 51, Berlin 2014) 207. 27  Ebd. 7, 107 (a15), ed. Reinsch 256f. 28  Vgl. Hans-Georg Beck, Konstantinopel. Zur Sozialgeschichte einer früh-mittelalterlichen Hauptstadt. BZ 58 (1965) 11–45, hier 16f. 21 22



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Konstantinopel war als Sitz des Kaiserhofs und, seit dem siebten Jahrhundert, als einziges verbliebenes politisches Zentrum des oströmischen Reichs noch lange Zeit eine typische Haupt- und Residenzstadt spätantiker Prägung, in der die alten politischen Institutionen weiter bestanden29. Durch die ständige Präsenz des Kaiserhofs und der Zentralverwaltung war sie mit keiner westlichen Stadt ihrer Zeit vergleichbar, denn diese Präsenz führte zu einer Überlagerung von Staatsführung und städtischer Oberschicht, die für die Herausbildung eines städtischen Patriziats aus reichen, lange am Ort ansässigen Familien eher hinderlich als förderlich war. Spannungen zwischen den alten und neuen Führungsschichten nach Phasen eines größeren personellen Wechsels sind anzunehmen, aber nur sehr selten in den Quellen greifbar30. Vom frühen neunten Jahrhundert bis zur Eroberung durch die Kreuzfahrer im Jahr 1204 erlebte Konstantinopel eine lange Phase der Stabilität und des stetigen Aufschwungs31, die sich auch in einer stärker gewachsenen Bevölkerungsstruktur niederschlug. Zu dieser gehört auch die Präsenz reicher, quasi-adliger Familien wie der Dukas32, Phokas33 und Skleros34, die über großen Grundbesitz in Kleinasien verfügten und auf dieser Basis allmählich damit begannen, die Macht im Staat an sich zu ziehen. Trotzdem war ein schneller sozialer Aufstieg von der Unterschicht bis zur Staatsspitze noch lange möglich. Das zeigt vor allem die Person des Kaisers Basileios I., der aus einer Bauernfamilie stammte und innerhalb nur weniger Jahre nach seiner Ankunft in Konstantinopel im Jahr 867 auf den Kaiserthron gelangte35. Erst seit der Regierung von Alexios I. Komnenos (1081–1118) wurde die traditionelle Verwaltung des Staates durch ernannte Beamte ganz zugunsten einer Regierung durch einige Familien der Oberschicht bzw. die weitere Familie des Kaisers aufgegeben36. Es beginnt ein Prozess der Feudalisierung, der jedoch erst in der spätesten Zeit, etwa seit 1300, wie im Westen zu einer Auflösung des Staates in Einzelterritorien führt37. 29   Insbesondere die Stadtpräfektur und das Zunftwesen. Zu letzterem vgl. Das Eparchenbuch Leons des Weisen, ed. Johannes Koder (CFHB 33, Wien 1991). 30   Ein Beispiel: Benjamin Anderson, Classified Knowledge: the Epistemology of Statuary in the Parasta­ seis Syntomoi Chronikai. Byzantine and Modern Greek Studies 35 (2011) 1–19, nimmt an, dass dieser Text des 8. Jhs. den Versuch einer Gruppe von Beamten aus alten Konstantinopler Familien darstellt, die richtige Deutung der antiken Standbilder in der Stadt für sich zu reklamieren und sich dadurch von den neu in den kaiserlichen Dienst gekommenen Beamten zu distanzieren. 31  Vgl. Magdalino, Medieval Constantinople (wie Anm. 7) 57–104. 32   Vgl. Demetrios I. Polemis, The Doukai: a Contribution to Byzantine Prosopography (University of London Historical Studies 22, London 1968). Die Familie führte ihren Namen nach dem anonymen Vorwort zur Geschichte des Nikephoros Bryennios auf einen Zeitgenossen Konstantins des Großen zurück, der mit ihm aus Rom gekommen und später dux von Konstantinopel geworden sei: Nicéphore Bryennios, Histoire, ed. Paul Gautier (CFHB 9, Bruxelles 1975) 69, Prooimion c. 9 Z. 18–26; ähnlich auch in der Satire Timarion: Pseudo-Luciano, Timarione, ed. Roberto Romano (Byzantina et neo-hellenica neapolitana 2, Napoli 1974) 57 Z. 220–224. Aus derselben Zeit stammt auch die fiktive römische Genealogie der Phokas-Familie, siehe die folgende Anmerkung. 33  Die Familie Phokas stammte nach Michael Attaleiates, Historia, ed. Immanuel Bekker (Bonn 1853) 217–223, von den römischen Fabiern ab. 34  Vgl. Werner Seibt, Die Skleroi. Eine prosopographisch-sigillographische Studie (Byzantina Vindobonensia 9, Wien 1976). 35  Die Umstände seines Aufstiegs sind nur in einer romanhaften Darstellung aus der Zeit seines Enkels Konstantinos VII. überliefert: s. oben Anm. 11; vgl. dazu Gyula Moravcsik, Sagen und Legenden über Kaiser Basileios I. DOP 15 (1961) 61–126. 36  Vgl. dazu Paul Magdalino, Innovations in Government, in: Alexios I Komnenos, hg. von Margaret Mullett (Belfast Byzantine Texts and Translations 4/1, Belfast 1996) 146–166. 37  Zu diesen Apanagen s. unten bei Anm. 46.

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Die staatliche und kulturelle Kontinuität des Staates seit der Römerzeit hatte auch zur Folge, dass die „klassische“, am kulturellen Kanon der Antike orientierte Bildung als Mittel des sozialen Aufstiegs und vor allem auch als Qualifikation für öffentliche Ämter im byzantinischen Raum von erheblich größerer Bedeutung war als im Westen. Zwar spielte die Kirche, insbesondere durch die Klöster, nach dem Zusammenbruch der spätantiken städtischen Kultur mehrere Jahrhunderte lang eine dominierende Rolle bei der Bewahrung der älteren Literatur, was zum zeitweiligen oder endgültigen Verschwinden einiger weltlicher Literaturgattungen führte38. Anders als im Westen wurde die Kirche aber nie zum Staat im Staat und war, weil der Patriarch von Konstantinopel in derselben Stadt und in der unmittelbaren Nähe des Kaiserpalastes residierte, immer dem Kaisertum untergeordnet, mit der Folge, dass auch die gesellschaftlichen Normen in einem viel geringeren Maß als im Westen durch die Geistlichkeit festgelegt wurde. Das Ansehen des klassischen Bildungskanons war so hoch und dessen Kenntnis in der Oberschicht so weit verbreitet, dass sich etwa seit dem zehnten Jahrhundert im Literaturbetrieb eine regelrechte Tendenz zur Säkularisierung erkennen lässt – einerseits in Form einer verstärkten Rezeption der antiken Philosophie39, andererseits durch eine Romanliteratur, die an antike Vorbilder anschließt und deren Werke in einem pseudo-antiken, völlig unchristlichen Milieu spielen40. Nach einer längeren Phase der fast vollständigen Trennung verstärkten sich die Kontakte zwischen dem Westen und dem Osten seit dem zehnten Jahrhundert. Italienische Kaufleute trieben Handel von Niederlassungen in Konstantinopel und anderen Städten aus41, und in der Zeit der Kreuzzüge kamen Westeuropäer in viel größerer Zahl als früher ins Land. Gleichzeitig schritt die Entfremdung durch die Kirchenspaltung des Jahrs 1054 schnell voran42. Die starke Präsenz von Ausländern in Konstantinopel führte zu großen Integrationsproblemen, etwa bei der Aufnahme in den Staatsdienst. Der Zugang von Ausländern zur staatlichen oder städtischen Oberschicht war seitdem nicht mehr so leicht wie früher, und ein Ausländer als Kaiser oder ein anderer hoher Würdenträger war, im Gegensatz zu früheren Zeiten, nicht mehr durchsetzbar43. Nach der Eroberung Konstantinopels 1204 versuchten Kreuzfahrer und die Venezianer, auch das restliche Reich zu erobern und unter sich aufzuteilen44. Das gelang ihnen 38   Vor allem verschwindet das Theater fast völlig, vgl. Przemysław Marciniak, Theatre that Did Not Exist? Byzantine Theatre and Performances, in: Vizantija v sobstvenite j oči i v očite na drugite. Byzantium as seen by the Byzantines and the Others, hg. von Veselina Vačkova–Albena Milanova–Cvetelin Stepanov (Sofia 2007) 177–188. 39  Vgl. Herbert Hunger, Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner (Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft 12. Byzantinisches Handbuch 5/1–2, München 1978) 1 32–35 zu den Gestalten des Michael Psellos und des Ioannes Italos. 40   Vgl. Panagiotis Roilos, Amphoteroglossia. A Poetics of the Twelfth-Century Medieval Greek Novel (Hellenic studies 10, Washington, D. C. 2005); Elizabeth Jeffreys, Four Byzantine Novels (Translated Texts for Byzantinists 1, Liverpool 2012); Hunger, Literatur (wie Anm. 39) 2 119–142. 41  Vgl. dazu Ralph-Johannes Lilie, Handel und Politik zwischen dem byzantinischen Reich und den italienischen Kommunen Venedig, Pisa und Genua in der Epoche der Komnenen und der Angeloi 1081–1204 (Amsterdam 1984). 42  Zur Kirchenspaltung, ihrer Vorgeschichte und den Folgen vgl. Axel Bayer, Spaltung der Christenheit. Das sogenannte Morgenländische Schisma von 1054 (Beih. zum AfK 53, Köln–Weimar–Wien 2002). 43  Ein bekannter Fall ist der gescheiterte Versuch Kaiser Manuels I. (1143–1180), den ungarischen Prinzen Béla/Alexios als Thronfolger zu etablieren. Vgl. dazu Ferenc Makk, The Árpáds and the Comneni: Political Relations between Hungary and Byzantium in the 12th Century (Budapest 1989) 96–106. 44  Aus der reichen Litetratur können hier nur exemplarisch einige Titel genannt werden: Donald E. Queller–Thomas F. Madden, The Fourth Crusade. The Conquest of Constantinople 1201–1204 (Philadelphia



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jedoch nur teilweise, und Konstantinopel fiel 1261 wieder in die Hände der Byzantiner zurück. In der Spätzeit bestehen im byzantinischen Raum griechische und „fränkische“ Staaten sowie die Kolonien von Venedig und Genua nebeneinander weiter45. Der politische Einfluss des Westens auf das verbliebene, nach einer letzten kurzen Blüte stetig schrumpfende Kaiserreich bleibt dominierend, und seine verbliebenen Gebiete werden zuletzt als Apanagen unter die Mitglieder der kaiserlichen Familie aufgeteilt46. Die spätantike senatorische Oberschicht in Konstantinopel ist aus den genannten Gründen zwar prosopographisch kaum fassbar, scheint sich aber in ihrer Struktur doch bis ins späte siebte Jahrhundert gehalten zu haben47. Danach, unter anderem als Folge mehrerer gewaltsamer Umstürze, nimmt der Anteil von Personen mit nicht griechischen oder lateinischen Namen in den Quellen stark zu, und die alten Familien verlieren an Bedeutung. Die neue Aristokratie aus Beamten- und Grundbesitzerfamilien, die danach im byzantinischen Raum seit dem achten Jahrhundert entsteht, ist mit dem institutionalisierten Adel im westlichen Sinn samt den dazugehörenden Rechten und Pflichten allerdings nicht zu vergleichen, der Terminus „Adel“ sollte im Zusammenhang mit der byzantinischen Aristokratie daher möglichst vermieden werden. Das Wort archon (im Plural archontes, Herrscher), das im Altgriechischen einen städtischen Amtsträger bezeichnet, wird in der früh- und mittelbyzantinischen Zeit einerseits für Gouverneure bestimmter Provinzen, auch ausländische Fürsten, andererseits allgemein für Angehörige dieser neuen Oberschicht benützt48. Daneben wird, zumeist mit negativer Konnotation, der Ausdruck dynatos (Mächtiger) als Bezeichnung für reiche Amts- und Titelträger verwendet, die ihre Stellung zur Bildung von Großgrundbesitz auszunutzen versuchten49. Durch mehrere Gesetze wurde im zehnten und elften Jahrhundert versucht, wenn auch letztlich erfolglos, den systematischen Aufkauf von Bauernland und Soldatengütern durch diese dynatoi zu verhindern50. Bei all diesen Gruppen handelt es sich aber nicht um städtische Eliten, sondern um Großgrundbesitzer aus dem länd­lichen Raum, die in Konstantinopel allenfalls durch die dort ausgeübten Ämter und durch Wohnsitze präsent waren. Ein wie immer benanntes Gremium, dessen Funktion der eines Stadtrats oder dergleichen entsprechen würde, ist in Konstantinopel nicht nachweisbar. In anderen größeren Städten, wo eine Präsenz von Kaiser und Staatsregierung nicht gegeben war, könnte ein solches Gremium eher existiert haben als in der Hauptstadt, doch gibt es darüber keine Quellen. 1977); Michael Angold, The Fourth Crusade. Event and Context (Harlow 2003); Urbs capta. The Fourth Crusade and its Consequences, hg. von Angeliki Laiou (Réalités byzantines 10, Paris 2005). 45  Zu den griechischen Staaten zählten neben dem wiederhergestellten byzantinischen Reich das Despotat von Epiros und das Kaiserreich von Trapezunt, dazu kamen die „fränkischen“ Staaten von Athen und Achaia (Peloponnes). Zu Venedig gehörten Kreta und einige Stützpunkte auf dem Festland direkt, weitere Inseln indirekt als Herrschaften von Venezianern; genuesisch waren der Konstantinopler Vorort Galata und später einige Inseln der Nordägäis. Vgl. dazu Donald M. Nicol, The Last Centuries of Byzantium, 1261–1453 (Cambridge 21993). 46  Vgl. dazu John W. Barker, The Problem of Apanages in Byzantium during the Palaiologan Period. Byzantina 3 (1971) 103–122; Ljubomir Maksimović, Geneza i karakter apanaža u Vizantiji. ZRVI 14/15 (1973) 103–154. 47   Hierzu und im folgenden vgl. Haldon, Fate (wie Anm. 15) 179–234. 48   Jadran Ferluga, Art. Archon. LMA 1 (1980) 911; Alexander Kazhdan, Art. Archon. Oxford Dictionary of Byzantium 1 (Oxford 1991) 160. 49  Vgl. Andrew J. Cappel, Art. Dynatoi. Oxford Dictionary of Byzantium 1 (Oxford 1991) 667f. 50  Vgl. dazu Catherine Holmes, Basil II and the Governance of Empire (976–1025) (Oxford 2005) 20–24 und 461–487.

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Eine Entwicklung der Gesellschaft von Konstantinopel hin zu einer städtischen Gesellschaft im westlichen Sinn hat, soweit sich das erkennen lässt, erst in der spätbyzantinischen Zeit zwischen 1261 und 1453 stattgefunden, ist jedoch bis zum Untergang des Staates nicht mehr zum Abschluss gekommen51. Grund für diese Entwicklung war vor allem das ständige Schrumpfen des verbliebenen Staatsgebiets. Es führte dazu, dass sich wirtschaftliche Aktivitäten zunehmend auf Konstantinopel und Thessaloniki konzentrierten und vom Bereich der Agrarproduktion auf den Handel verlagerten, in dem nun notgedrungen auch die traditionell staatstragende Schicht der Aristokraten, Beamten und Intellektuellen aktiv wurde. Es bildete sich, erstmals im Osten und auch nur vorübergehend, ein städtisches, kulturell und wirtschaftlich aktives Bürgertum mit einem eigenen Standesbewusstsein, das freilich von der Aristokratie stets abhängig blieb. Diese Schicht wird in den Quellen bezeichnenderweise die der mesoi genannt, also der „Mittleren“52. Die aristokratischen Unternehmer dieser Zeit waren, anders als ihre Standesgenossen in Italien, im wesentlichen von dem Motiv getrieben, ihren vorigen Lebensstandard auch nach dem Verlust des Großgrundbesitzes im westlichen Kleinasien oder auf der Balkanhalbinsel zu erhalten, und ihr wirtschaftlicher Ehrgeiz ging über dieses Ziel offenbar nicht hinaus53. Anders als zu derselben Zeit in Italien führte die Entwicklung auch nicht zur Annäherung zwischen städtischem Bürgertum und Aristokratie. Grund dafür war hauptsächlich die bereits angesprochene sozial exklusive Funktion der klassischen Bildung, von der die mesoi fast völlig ausgeschlossen waren, und die damit einhergehende traditionelle Verachtung für Kaufleute und Handwerker, die, soweit das aus den Quellen zu erkennen ist, nach wie vor von den Intellektuellen und Aristokraten ausging54. Abgebrochen wurde die Entwicklung einer städtischen Gesellschaft durch den politischen und wirtschaftlichen Verfall, der mit dem Bürgerkrieg von 1341 bis 1347 begann, durch die Pest von 1348 verstärkt wurde und mit dem Eindringen der Osmanen in Europa seit 1354 katastrophale Ausmaße annahm55. Durch diese Ereignisse büßte die Schicht der mesoi ihre in den Jahrzehnten zuvor gerade erst erlangte Stellung wieder ein, und die traditionelle soziale Struktur von Konstantinopel brach weitgehend zusammen56. Eine positivere Beurteilung von Kaufleuten und ihre Akzeptanz als Träger von Bildung ist erst in den letzten Jahrzehnten vor 1453 feststellbar, allerdings nur bei den wenigen Autoren, die dem kulturellen Einfluss aus dem Westen positiv gegenüber standen57. Für den größten Teil der byzantinischen Gesellschaft verhinderte allein schon der starke konfessionelle Gegensatz zwischen Orthodoxen und Katholiken jede weitere Annäherung, und das vorherrschende politische Ideal blieb bis zuletzt eine autarke, staatlich kontrollierte Agrargesellschaft. Einen eigenen Bankensektor hat das byzantinische Reich in der Spätzeit praktisch nicht mehr entwickelt58, so dass sich die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz von Geldgeschäften nicht stellte. 51   Grundlegend hierzu Klaus-Peter Matschke–Franz Hermann Tinnefeld, Die Gesellschaft im späten Byzanz. Gruppen, Strukturen und Lebensformen (Köln–Wien 2001). 52  Vgl. ebd. 99–154. Zur Verwendung des Ausdrucks in früheren Zeiten vgl. Beck, Konstantinopel (wie Anm. 28) 20–23. 53  Vgl. Matschke–Tinnefeld, Gesellschaft (wie Anm. 51) 158–201. 54  Vgl. ebd. 202–217. 55  Vgl. Nicol, Last Centuries (wie Anm. 45) 185–250. 56  Vgl. Matschke–Tinnefeld, Gesellschaft (wie Anm. 51) 154–157. 57  Vgl. ebd. 212–214, über Michael Apostolios. 58  Wohl aber waren Byzantiner an Bankgeschäften in Italien oder westlichen Kolonien im Ägäisraum beteiligt, vgl. ebd. 178–180.



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Zeitgenössische Schriften, die sich mit den sozialen Gegensätzen in der Gesellschaft befassen, gibt es aus der byzantinischen Zeit nur wenige. Der bekannteste Text mit dem Titel „Dialog zwischen den Reichen und den Armen“ stammt von einem Autor namens Alexios Makrembolites und ist um 1343 entstanden59. Eine revolutionäre Tendenz gibt es darin allerdings nicht. Zu den Armen gehört auch der ganze Stand der städtischen Handwerker, während die Reichen sich von der raffgierigen und verantwortungslosen obersten Schicht zu distanzieren suchen und sich selbst in der Mitte der Gesellschaft s­ ehen wollen60: „Die Armen: Auch wenn wir euch wegen unserer Armut unedel vorkommen, so sind wir doch nützlich, denn wir unterscheiden uns von euch durch das Materielle, nicht durch unsere Natur, und ihr braucht auch notwendigerweise unsere Hilfe. Von uns stammen nämlich diejenigen, die die Erde bearbeiten, Häuser und Schiffe bauen, die Handwerker, aus denen alle Städte bestehen. Und wer stammt von euch? Auch das muss gesagt werden, selbst wenn es euch unangenehm ist: die Würfelspieler, die Lüstlinge und diejenigen, die durch ihre Unersättlichkeit Unheil für das Gemeinwesen hervorbringen, die Städte in Verwirrung stürzen und die Armut vergrößern. Der Herrscher des Gemeinwesens würde gottgefällig handeln, wenn er die aus dem Palast vertriebe, die sich nicht einmal um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, damit er nicht durch ihre Schlechtigkeit verunreinigt wird. Die Reichen: Ihr Drohnen habt ungehörig viele Schmähworte gegen uns ausgestoßen, von denen die meisten aber die beiden Extreme der Gesellschaft betreffen. Denn besonders bei denen herrschen Diebstahl, Säuferei, Lustlosigkeit, Verleumdung, Neid und Mord, ihr aber schreibt das fälschlicherweise der Mittelschicht zu.“ Ein bemerkenswerter Sonderfall ist die Entwicklung in Thessaloniki im vierzehnten Jahrhundert. Die Stadt war schon seit langer Zeit nach Konstantinopel die zweitwichtigste im Reich, und ihr relatives Gewicht nahm in der Spätzeit durch den Rückgang des Staatsgebiets noch zu. Thessaloniki diente damals zwar phasenweise auch als Zweitresidenz, war aber vom regulären Kaiserhof doch so weit entfernt, dass ein selbständiges politisches Handeln des städtischen Bürgertums zu beobachten ist. Im Jahr 1342 erhoben sich während des Bürgerkriegs im byzantinischen Reich Vertreter des städtischen Bürgertums, die sogenannten Zeloten, das heißt „Eiferer“, gegen die im Reich politisch dominierenden Großgrundbesitzer und errichteten eine autonome Stadtrepublik61. Dass die Anführer der Zeloten zunächst Angehörige der legitimen Dynastie der Palaiologen waren, ändert an der Einzigartigkeit dieser Ereignisse nichts. Unter den Zeloten kam es allerdings bald zu einem heftigen Konflikt zwischen der Fraktion der Kaufleute und den radikalen Kräften. Letztere setzten sich 1345 durch und führten seitdem in Thessaloniki eine autoritäre, gegen die Aristokraten gerichtete Herrschaft, die erst 1349 durch einen Mili59  Ihor Ševčenko, Alexios Makrembolites and his „Dialogue between the Rich and the Poor“. ZRVI 6 (1960) 187–228; vgl. auch Matschke–Tinnefeld, Gesellschaft (wie Anm. 51) 344–347. Ein weiterer Text des 14. Jhs., die „Rede gegen die Archonten“ des Nikolaos Kabasilas, ist mit großen Problemen bezüglich der Datierung und Interpretation behaftet; vgl. dazu Marie-Hélène Congourdeau, Les énigmes du Discours de Nicolas Cabasilas contre les archontes. Nea Rhome 8 (2011) 169–188. 60  Ševčenko, Alexios Makrembolites (wie Anm. 59) 210 Z. 6–20 und 222f. 61  Vgl. Marie-Hélène Congourdeau–Alexios Chryssostallis, Les Zélotes. Une révolte urbaine à Thessalonique au 14e siècle (Textes, dossiers, documents 18, Paris 2013); Thessalonique au temps des Zélotes (1342– 1350). Actes de la table ronde organisée dans le cadre du 22e Congrès international des études byzantines, à Sofia, le 25 août 2011, hg. von Marie-Hélène Congourdeau (Centre de Recherche d’Histoire et Civilisation de Byzance. Monographies 42, Paris 2014).

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täreinsatz der Zentralregierung beendet werden konnte62. Auch in dieser Stadt ging jede Möglichkeit zur weiteren Entwicklung durch die katastrophale politische Entwicklung der folgenden Zeit verloren, denn Thessaloniki fiel ein erstes Mal 1386, dann endgültig 1430 an die Osmanen. Ein Sonderfall ist in der spätbyzantinischen Zeit auch die Stadt Trapezunt am Schwarzen Meer. Durch den Verlust des kleinasiatischen Binnenlands an die Türken nach 1071 an die äußerste Peripherie des Reichs geraten, wurde sie danach praktisch autonom von der Adelsfamilie der Gabraden regiert63. Seit 1204 war Trapezunt das Zentrum eines eigenen Staates unter der zuvor in Konstantinopel gestürzten Dynastie der Komnenen, die sich über den Fall von Konstantinopel hinaus noch bis 1461 halten konnte. Die Stadt spielte eine wichtige Rolle im Transithandel zwischen dem persischen Raum, Konstantinopel und dem Mittelmeer und entwickelte sich zu einer lebhaften Handelsmetropole mit einer höchst unruhigen Bevölkerung. In der Oberschicht standen seit dem Ende des 13. Jahrhunderts dabei oft die Anhänger einer byzanzfreundlichen Richtung den Vertretern der lokalen Aristokratie gegenüber64. Pierre Monnet hat in seinem Beitrag zu dieser Tagung gezeigt, wie die jeweiligen Traditionen der historischen Forschung in Frankreich, Deutschland und Italien zu einem unterschiedlichen Blick auf die Städte in dieser Zeit geführt haben, weil sie in einem engen Zusammenhang mit der unterschiedlichen politischen Entwicklung in den einzelnen Staaten seit dem späten Mittelalter stehen65. Auch in diesem Punkt ist die Situation im Osten grundsätzlich anders, denn die Zeit des Aufblühens der Städte und ihrer Eliten in Westeuropa ist die Zeit, in der das byzantinische Reich für immer unterging. Es gibt deshalb im byzantinischen Raum keine kontinuierliche Entwicklung des Staates und der Städte bis zur Gegenwart, und weil das im frühen neunzehnten Jahrhundert neu gegründete Griechenland versuchte, im politischen Selbstverständnis an das antike Griechenland, nicht an Byzanz anzuknüpfen, gibt es auch keinen Nachfolgestaat, der sich mit seinen Institutionen auf Byzanz berufen würde. Die Folge davon ist, dass sich einerseits für das byzantinische Reich niemand wirklich verantwortlich fühlt, es aber andererseits, je nach dem, was man in ihm sehen möchte, sehr unterschiedlich wahrgenommen wird: In den Augen vieler Orthodoxer scheint dieses Reich durch und durch christlich, ja ein regelrechter Gottesstaat gewesen zu sein, in den Augen vieler klassischer Philologen dagegen eine Art Institut für die Überlieferung antiker Texte. Der Bruch der Institutionen des byzantinischen Staates führt auch dazu, dass gerade die Forschung über sie, aber auch über die Städte und ihre Eliten, wenigstens bisher kaum in Griechenland, sondern vor allem in Frankreich und Deutschland stattgefunden hat66. Wollten wir, allen offensichtlichen Unterschieden zum Trotz, die Struktur Konstantinopels mit der Struktur westeuropäischer Städte des späten Mittelalters vergleichen, so wäre diese während der ganzen Zeit seiner Existenz nach dem eben Gesagten eher der 62  Vgl. Raúl Estangüi Gómez, Le séjour de Jean VI Kantakouzènos à Thessalonique et la fin du régime des Zélotes (septembre 1349–décembre 1350), in: ebd. 55–88. 63   Anthony M. Bryer, A Byzantine Family: the Gabrades, c. 979–c. 1653. University of Birmingham Historical Journal 12 (1970) 164–187. 64   Vgl. Anthony A. M. Bryer, The Empire of Trebizond and the Pontos (Variorum CSS 117, London 1980); Sergej P. Karpov, Istorija Trapezundskoj imperii (Sankt-Peterburg 2007). 65  Vgl. seinen Beitrag in diesem Band. 66  Meine vorangegangenen Ausführungen über die Gesellschaft der spätbyzantinischen Zeit beruhen im Wesentlichen auf der mehrfach zitierten Arbeit von Klaus-Peter Matschke und Franz Tinnefeld.



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einer französischen Stadt ähnlich, wo die stärkere Präsenz des Herrschers dazu führte, dass Eliten sich als Folge der Nähe zum Hof bildeten. Ansätze zu einer Autonomie des städtischen Bürgertums hat es, wie gesagt, nur im vierzehnten Jahrhundert vorübergehend gegeben, und sie führte nie zur Entstehung einer Elite aus dem Bürgertum heraus, auf der Basis sozialer Exklusivität und wirtschaftlicher Macht. Auch zur Herausbildung von Adelsfamilien, die durch Gewalttätigkeit und Machtstreben zum Störfaktor in einer Stadt wurden, ist es im Osten nicht oder nicht mehr gekommen.



Zwischen Reproduktion und Repräsentation Formierungsprozesse von Eliten in westeuropäischen Städten des Spätmittelalters: Terminologie, Typologie, Dynamik Pierre Monnet

„Elite“: Historische Dimensionen und Aktualität eines Forschungskonzepts Das moderne Konzept der „Eliten“ im sozio-kulturellen Sinn einer minderheitlichen Oberschicht der Gesellschaft verstanden, das bei der diesem Band zugrunde liegenden Tagung und insbesondere in der dazu gewidmeten Sektion im Zentrum der Überlegungen stand, gehört nicht zum zeitgenössischen Vokabular der europäischen Stadtbewohner des 13., 14. und 15. Jahrhunderts. Man wird vergebens nach einem solchen Terminus im narrativen wie auch normativen Schriftgut der spätmittelalterlichen Städten suchen, sei es auf Latein, sei es in den gängigen Vernakularsprachen der Zeit1. Zwar kennt das Mittellatein2 das Verb eligere (dementsprechend kiesen, „erwählen“ auf mittelhochdeutsch) oder das Substantiv electus, aber die Semantik stellt fast immer einen christlichen Sinn her: Electio wird oft als Synonym für die Taufe verwendet oder bedeutet die Wahl eines Papstes, eines Bischofs oder eines Abtes; electus bezeichnet im Allgemeinen Christus, oder im Plural die Apostel selbst (electi) oder die Kandidaten zur Taufe. Parallel dazu findet man noch eine politische, „weltliche“ Sinndeutung im Fall eines Wahlkönigs, zum Beispiel beim Rex Romanorum. Mit den ersten westeuropäischen Stadtrechten ab dem Ende des 12. Jahrhunderts (so in deutschen Städten wie Köln, Worms, Speyer3; aber auch sonst in lombardischen und toskanischen Städten4) kann man den Wortgebrauch 1  Jürgen Ellermeyer, Sozialgruppen, Selbstverständnis, Vermögen und städtische Verordnungen. BlldtLG 113 (1977) 203–275. 2  Lorenz Diefenbach, Glossarium Latino-Germanicum mediae et infimae aetatis (Frankfurt a. M. 1857); Charles Du Fresne Sieur Du Cange, Glossarium mediae et infimae latinitatis (Paris 1883–1887); Albert Blaise, Dictionnaire latin-français des auteurs chrétiens (Turnhout 1954); Jan Frederik Niermeyer, Mediae Latinitatis Lexicon (Leiden 1954–1976); Lexicon latinitatis medii aevi (Turnhout 1975); Bernd-Ulrich Hergemöller–Nicolai Clarus, Glossar zur Geschichte der mittelalterlichen Stadt (Frankfurt a. M. u. a. 2011). 3  Studien zu den Anfängen des europäischen Städtewesens. Reichenau-Vorträge 1955–1956 (VuF 4, Lindau–Konstanz 1958); Untersuchungen zur gesellschaftlichen Struktur der mittelalterlichen Städte in Europa. Reichenau-Vorträge 1963–1964 (VuF 11, Konstanz–Stuttgart 1966); Edith Ennen, Die europäische Stadt des Mittelalters (Göttingen 1972); Evamaria Engel, Die deutsche Stadt des Mittelalters (München 1993); Pierre Monnet, Villes d’Allemagne au Moyen Âge (Les médiévistes français 4, Paris 2004); Felicitas Schmieder, Die mittelalterliche Stadt (Darmstadt 2005). 4  Patrick Boucheron, Les villes d’Italie (vers 1150–vers 1340) (Paris 2004); Patrick Gilli, Villes et so-

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von electi als Bezeichnung der Schöffen (iurati, scabini) und den Terminus electio für die Schöffenwahl bzw. Ratswahl5 (bereits in den italienischen Kommunen oder den flandrischen Städten im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts6) finden7. Eine genaue historische und chronologische Semantik des Gebrauchs des Doppelterminus (electi/scabini) bleibt jedoch im europäischen, städtischen Kontext ein geschichtswissenschaftliches Desiderat8: Eine solche Forschung würde zweifelsohne für die Geschichte der politischen Theorie und der Ideologie der mittelalterlichen Stadt als webersche Schwörgemeinschaft9 von entscheidendem Nutzen sein. Alles in allem aber fehlt in den mittelalterlichen Quellen jeder Beweis für eine Bedeutung des Begriffes „Elite“ in einem soziologischen Sinn, während sich der kirchlichchristliche und der verfassungspolitische Gebrauch attestieren lassen. Dies gilt grosso modo auch für die moderne historische Forschung. Weder in den klassischen Wörterbüchern zum Mittelalter wie dem Lexikon des Mittelalters10 noch in den „Geschichtlichen Grundbegriffen“11 ist ein entsprechender Eintrag (mittelalterliche Elite) zu finden. Interessanterweise bietet der Generalindex der „Geschichtlichen Grundbegriffe“ zu diesem Begriff nur fünf Verweise an, alle nach 1750 und im Zusammenhang entweder mit Adel oder mit Auserlesenen. Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts bezeichnete der Beciétés urbaines en Italie milieu XIIe–milieu XIVe siècle (Paris 2005); François Menant, L’Italie des communes (1100–1350) (Paris 2005). 5  Dietrich Poeck, Rituale der Ratswahl. Zeichen und Zeremoniell der Ratssetzung in Europa (12.–18. Jahrhundert) (Städteforschung A/60, Köln–Weimar–Wien 2003). 6  Tadeusz Rosłanowski, Recherches sur la vie urbaine et en particulier sur le patriciat dans les villes de la moyenne Rhénanie septentrionale, fin du XIe–début du XIVe siècle (Studia i materiały z historii kultury materialnej 21. Studia z dziejów osadnictwa 2, Warszawa 1964); Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland. Studien zur Sozialgeschichte des europäischen Bürgertums im Mittelalter und in der Neuzeit, hg. von Heinz Schilling–Hermann Diederiks (Städteforschung A/23, Köln–Wien 1985); Hanno Brand, Over macht en overwicht. Stedelijke elites in Leiden (1420–1510) (Studies in Urban Social, Economic and Political History of the Medieval and Modern Low Countries 6, Leuven 1996); Robert Stein, Stände und Staat in den Niederlanden, in: Europa im späten Mittelalter. Politik – Gesellschaft – Kultur, hg. von Rainer Christoph Schwinges–Christian Hesse–Peter Moraw (HZ Beih. N. F. 40, München 2006) 205–235. 7   Karl S. Bader–Gerhard Dilcher, Deutsche Rechtsgeschichte. Land und Stadt – Bürger und Bauer im Alten Europa (Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft, Berlin u. a. 1999); Gerhard Dilcher, Bürgerrecht und Stadtverfassung im europäischen Mittelalter (Köln–Weimar–Wien 1996); Histoire de l’Europe urbaine 1: De l’Antiquité au XVIIIe siècle. Genèse des villes européennes, hg. von Jean-Luc Pinol (Paris 2003); Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150–1550. Stadtgestalt, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft (Wien–Köln–Weimar 2012) 221–230. 8  Vielerlei Städte. Der Stadtbegriff, hg. von Peter Johanek–Franz-Joseph Post (Städteforschung A/61, Köln–Weimar–Wien 2004). 9  Klaus Schreiner, Die mittelalterliche Stadt in Webers Analyse und die Deutung des okzidentalen Rationalismus. Typus, Legitimität, Kulturbedeutung, in: Max Weber, der Historiker, hg. von Jürgen Kocka (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 73, Göttingen 1986) 119–150; Die okzidentale Stadt nach Max Weber. Zum Problem der Zugehörigkeit in Antike und Mittelalter, hg. von Christian Meier (HZ Beih. N. F. 17, München 1994); Otto Gerhard Oexle, Gilde und Kommune. Über die Entstehung von „Einung“ und „Gemeinde“ als Grundformen des Zusammenlebens in Europa, in: Theorien kommunaler Ordnung in Europa, hg. von Peter Blickle (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 36, München 1996) 75–97; Gerhard Dilcher, Max Webers Stadt und die historische Stadtforschung der Mediävistik. HZ 267 (1998) 91–125; Max Weber und die Stadt im Kulturvergleich, hg. von Hinnerk Bruhns–Wilfried Nippel (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 140, Göttingen 2000). 10   Lexikon des Mittelalters (München–Zürich 1980–1999). 11   Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland 1–8, hg. von Otto Brunner–Werner Conze–Reinhart Koselleck (Stuttgart 1972–1997).



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griff „Elite“ nämlich primär ausgewählte Produkte von besonderer Qualität12. Für soziale Gruppen wird er erst seit der Aufklärung verwendet und schließt dort zum Teil an das platonische und aristotelische Denken über die oligarchisch organisierten griechischen Stadtstaaten an. Dies erklärt, warum zunächst Soziologen wie Norbert Elias und Jürgen Habermas den Begriff mit dem Prozess der Zivilisation oder der Aufklärung historisch assoziierten13. Kurzum: Es handelt sich bei dem Begriff um eine Kategorie der modernen Soziologie, die bereitwillig von den Historikern seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts rezipiert wurde, insbesondere von denen, die zum Staat und zu Städten arbeiten14. Neben dem Begriff der „Elite“ finden sich, je nach Land, und je nach historiographischer Tradition oder politischer Einstellung, andere Bezeichnungen wie „Ober“-/ „Schicht“, „Führungs“-/„Gruppe“, „dominante Klasse“15. Aufgrund der häufigen Unbestimmtheit des Begriffs „Elite“ und des mit ihm verbundenen Anachronismus lehnen sogar manche Historiker den Gebrauch für ältere Geschichtsperioden ab oder halten ihn zumindest für problematisch. Dies resultiert aus der Tatsache, dass der Begriff der „Elite“ nicht den großen Denkmustern des Mittelalters entspricht. Inhaber von Macht, Sakralität oder Entscheidungsgewalt an der Spitze der Gesellschaft bestimmten sich durch ihre Geburt, ihre göttliche Wahl, ihren geistlichen oder weltlichen Status, ihre Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe, ihre Ehre, oder sogar durch die Gewohnheit, aber nicht primär durch Reichtum oder sozialen Status, wie dies der moderne Elitenbegriff impliziert16. Das heißt aber nicht, dass die städtische Gesellschaft des Spätmittelalters nicht auch reiche und mächtige Männer, Handels- und Machteliten an der Spitze der Stadtgremien gekannt hätte17. Das heißt auch nicht, dass man nicht in den Städten bestimmte Kreise oder Gruppen findet, die als optimates, meliores, potentes, geschlechter, mehrer, divites, die reichen, gewaltigen, genannten oder sogar patricii bezeichnet wurden; oder dass man nicht über Steuerlisten, Ratsprotokolle oder Studien zur städtischen Soziotopographie eine Elite herausarbeiten kann18. Auch ohne den Begriff „Elite“ versteht die spätmittelalter­ 12  Hans Pohl, Eliten in Wirtschaft und Gesellschaft aus historischer Perspektive. VSWG 88 (2001) 48– 69; Louis Baudin, Art. Elite. Handwörterbuch der Sozialwissenschaften 3 (Stuttgart–Tübingen–Göttingen 1961) 198–202. 13   Hans Peter Dreitzel, Elitebegriff und Sozialstruktur. Eine soziologische Begriffsanalyse (Göttinger Abhandlungen zur Soziologie 6, Stuttgart 1962); Urs Jaeggi, Die gesellschaftliche Elite. Eine Studie zum Problem der sozialen Macht (Berner Beiträge zur Soziologie 3, Bern–Stuttgart 21967). 14   Ulrich Meier, Mensch und Bürger. Die Stadt im Denken spätmittelalterlicher Theologen, Philosophen und Juristen (München 1994). Eine solche Rezeption – deren Etappen zu rekonstruieren kultur- und begriffsgeschichtlich an sich hochinteressant wäre – dauerte bei den Altertums- und Mittelalterhistorikern insgesamt länger als bei den Frühneuzeit- und Neuzeithistorikern. 15  Ulf Dirlmeier, Merkmale des sozialen Aufstiegs und der Zuordnung zur Führungsschicht in süddeutschen Städten des Spätmittelalters, in: Pforzheim im Mittelalter. Studien zur Geschichte einer landesherrlichen Stadt, hg. von Hans-Peter Becht (Pforzheimer Geschichtsblätter 6, Sigmaringen 1983) 77–106; Städtische Führungsgruppen und Gemeinde in der werdenden Neuzeit, hg. von Wilfried Ehbrecht (Städteforschung A/9, Köln–Wien 1980); Construction, reproduction et représentation des patriciats urbains de l’Antiquité au XXe siècle, hg. von Claude Petitfrère (Tours 1999); Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. von Günther Schulz (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 25, München 2002). 16   Les élites urbaines au Moyen Âge. XXVIIe Congrès de la S.H.M.E.S. (Rome, mai 1996) (Collection de l’École française de Rome 238. Histoire ancienne et médiévale 46, Paris 1997). 17   Strutture del potere ed élites economiche nelle città europee dei secoli XII–XVI, hg. von Giovanna Petti Balbi (Europa mediterranea 10, Napoli 1996). 18   Ingrid Bátori, Das Patriziat der deutschen Stadt. Zu den Forschungsergebnissen über das Patriziat besonders der süddeutschen Städte. Zeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege 2 (1975)

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liche Stadtgesellschaft Europas die Überlegenheit, den Wert, die Qualität und die zahlenmäßige Minderheit, die der Elite-Begriff beinhaltet, da es sich dabei um mittelalterliche Bewertungskriterien handelt, die auf Hierarchie und Ungleichheit am Schnittpunkt zwischen Geburt und Wahl aufbauen. Deshalb dürfte es erlaubt sein – trotz all dieser Einwände –, für einen überlegten und kritischen, bewussten und reflektierten Gebrauch des Konzepts zu plädieren, das absichtlich begrifflich offen gelassen wird (wie es auch die städtischen Gesellschaften des 13.–15. Jahrhunderts waren, auf die es angewendet wird), um darin die soziale, funktionale und ökonomische Überlegenheit einzuschließen und um Mischformen näher zu bestimmen, die unterschiedliche Elemente enthalten, je nach Zeit, Ort und soziopolitischer Konfiguration. Es scheint nämlich, dass das Herrschaftsbewusstsein, das von den städtischen Eliten des Spätmittelalters entwickelt und zum Ausdruck gebracht wurde, an einer kulturellen und autonomen Form von Urbanität teilhatte (d. h. neben der von Kirche und fürstlicher bzw. königlicher Gewalt). Diese kann die Definition der spätmittelalterlichen Stadt insofern bereichern, als man sie zeitgleich als Begleiterscheinung zur Ausbildung von territorialen, städtischen und Eliten-Netzwerken beobachten kann. Sowohl vom methodischen als auch vom terminologischen Standpunkt aus ist der Begriff „Elite“ folglich hilfreich, wenn er sich in eine Vorgehensweise mit drei Bestandteilen oder drei Einheiten einfügt: Die Eliten definieren sich selbst (1), werden gleichzeitig aber auch von anderen definiert (2), und diese Dynamik, die zum Übergang von „Eliten in der Stadt“ zu den „Eliten der Stadt“ führt, wird wiederum durch den Historiker (3) beobachtet. In diesem Sinn kann der Terminus „Elite“ wieder seine etymologische Bedeutung der Erwählten (abgeleitet von electi) annehmen – durch einen Filter, dessen Körnigkeit und Natur noch zu definieren ist – und befindet sich somit zwischen den mittelalterlichen und mediävistischen Kategorisierungen. Dies dient grundsätzlich zur Bestimmung der gesellschaftlichen Vorstellungswelten, die sich hinter diesen Termini verstecken – gestern wie heute19. Anders gesagt, man kann „Elite“ als Indikator für die immer stärkere Differenzierung der Lebens- bzw. Sozialbedingungen in den europäischen Städten des 14. und 15. Jahrhunderts sehen und als Indiz für eine Umgestaltung der Beziehung zwischen Politik, Gesellschaft und Kultur innerhalb der städtischen Institutionen. Auch grob zugeschnitten erlaubt es das Konzept der „Elite“, die mittelalterliche Gesellschaft nicht als Standesgesellschaft zu denken, sondern als Gesellschaft von Gruppen – wobei darunter dauerhafte soziale Einheiten verstanden werden, die eigene Regeln und Normen haben, eine nicht-austauschbare Identität, und die Träger von Zusammenhalt sind, die sich auf Nachbarschaft, Freundschaft und Verwandtschaft stützen20. Es ist wichtig, immer 1–30; Carl-Hans Hauptmeyer, Probleme des Patriziats oberdeutscher Städte vom 14. bis 16. Jahrhundert. ZBLG 40 (1977) 40–58; Josef Fleckenstein, Vom Stadtadel im spätmittelalterlichen Deutschland. Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 3 (1980) 1–13; Rudolf Endres, Adel und Patriziat in Oberdeutschland, in: Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität, hg. von Winfried Schulze (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 12, München 1988) 221–238; Thomas Zotz, Adel in der Stadt des deutschen Spätmittelalters. Erscheinungsformen und Verhaltensweisen. ZGORh 141 (1993) 22–50; Andreas Ranft, Adelsgesellschaften. Gruppenbildung und Genossenschaft im spätmittelalterlichen Reich (Kieler Historische Studien 38, Sigmaringen 1994); Pierre Monnet, Doit-on encore parler de patriciat dans les villes allemandes de la fin du Moyen Âge? Bulletin d’information de la Mission Historique Française en Allemagne 32 (1996) 54–66. 19   Günter Endruweit, Elitebegriffe in den Sozialwissenschaften. Zeitschrift für Politik 28 (1979) 30–46. 20   Michael Borgolte, Klassen, Schichten, Bürgerkämpfe, in: ders., Sozialgeschichte des Mittelalters. Eine Forschungsbilanz nach der deutschen Einheit (HZ Beih. N. F. 22, München 1996) 249–277; Otto Gerhard Oexle, Stand, Klasse, in: Geschichtliche Grundbegriffe (wie Anm. 11) 6 (1990) 156–200; ders., Soziale



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die ständigen Verschiebungen zwischen der Nomenklatur des Mittelalters, die überwiegend vom Klerus festgeschrieben wurde (und dies in doppelter Hinsicht: einerseits heilsgeschichtlich, andererseits zur Konstruktion der herrschenden kirchlichen Strukturen), und der sozialen Organisation zu berücksichtigen, wie beispielsweise der Stadt, mit ihren Umordnungen der Hierarchien, der Distinktionskennzeichen und dem internen sozialen Aufstieg. Die Hypothese lautet, dass die Stadt der Ort war, an dem solche Veränderungen beobachtet, adaptiert und vorangetrieben wurden. Es ist heute deswegen nicht sicher, ob weiterhin nur die Sozialgeschichte, die sich so lange der Geschichte der Eliten angenommen hat, deren Erforschung gewährleisten kann21. Im gesamten 19. Jahrhundert ist es im Wesentlichen die Soziologie (und zwar unabhängig davon, ob es im Rahmen einer Republik, einem Kaiser- oder Königreich in Europa entworfen wurde), welche die Gesellschaft als Masse dachte, die durch die Elite nach oben gezogen wurde, der somit implizit die historische und universalistische Mission als Motor des Fortschritts zukam22. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierte die verfassungsrechtliche Debatte über den Ursprung der städtischen Eliten seit dem 13. Jahrhundert (Adel oder Ministerialität? Exogene oder endogene Stadteliten?) die westeuropäische Geschichtsschreibung23. Sie fand in den 1930er Jahren sowohl in Frankreich, Belgien, Deutschland als auch in Italien Widerhall. Die großen Monographien der Stadtgeschichte, gefolgt von den prosopographischen Studien der Sozialgeschichte der 1960er bis 1980er Jahre24, befassten sich mit dem Beschreiben, Zerlegen und Umschreiben (nicht ohne Relation mit dem ideologisch-politischen Protest gegen die alten Eliten in Europa um das Jahr 1968) sowie dem Zählen der Eliten durch eine Ausweitung des Untersuchungsbereichs unter Einschluss der akademischen und juristischen Eliten, die aus der Welle der Universitätsgründungen zwischen 1350 und 1500 hervorgingen25. Der unbewusste und verstörende Effekt des Terminus „Elite“ besteht darin, seine Existenz zu verifizieren, sobald man ihn anwendet (Hypostasierung). Daraus resultierte eine lange Liste an Studien, die 20, 30 oder 40 herrschende Familien bzw. 100, 200 oder 300 herrGruppen in der Ständegesellschaft, in: Die Repräsentation der Gruppen. Texte – Bilder – Objekte, hg. von dems.–Andrea von Hülsen-Esch (VMPIG 141, Göttingen 1998) 9–44; ders., Stände und Gruppen. Über das Europäische in der europäischen Geschichte, in: Das europäische Mittelalter im Spannungsbogen des Vergleichs, hg. von Michael Borgolte (Europa im Mittelalter 1, Berlin 2001) 39–48. 21   Eliten in Deutschland und in Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Rainer Hudemann– Georges-Henri Soutou (München 1994). 22   Ursula Hoffmann-Lange, Wilhelm Bürklin, Eliten. Führungsgruppen, in: Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands, hg. von Bernhard Schläfers–Wolfgang Zapf (Opladen 1998) 167–178. 23  Knut Schulz, Richerzeche, Meliorat und Ministerialität in Köln, in: Köln, das Reich und Europa. Abhandlungen über weiträumige Verflechtungen der Stadt Köln in Politik, Recht und Wirtschaft im Mittelalter, hg. von Hugo Stehkämper (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 60, Köln 1971) 149–172; ders., Stadtadel und Bürgertum vornehmlich in oberdeutschen Städten im 15. Jahrhundert, in: Stadtadel und Bürgertum in den italienischen und deutschen Städten des Spätmittelalters, hg. von Reinhard Elze–Gina Fasoli (Schriften des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient 2, Berlin 1991) 161–181. 24   Deutsches Patriziat 1430–1740, hg. von Hellmuth Rössler (Büdinger Vorträge 3. Schriften zur Problematik der deutschen Führungsschichten in der Neuzeit 3, Limburg/Lahn 1968). 25  Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte 123. Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 6, Stuttgart 1986); Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, hg. von dems. (ZHF Beih. 18, Berlin 1996); Jacques Verger, Les études, facteur de mobilité sociale en Europe à la fin du Moyen Âge?, in: Europa im späten Mittelalter (wie Anm. 6) 559–567.

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schende Gruppen in Montpellier, Douai, Nürnberg26, Braunschweig, Krakau oder Pisa im 14., 15. oder 16. Jahrhundert untersuchten27. Ende der 1980er Jahre wurde sowohl der Begriff des Patriziats als auch jener der Klasse kritisch hinterfragt28. Die weite Verbreitung des Begriffes „Elite“ ist sicherlich durch die Kritik am Terminus „Klasse“ im Kontext des Endes der revolutionären und umfassenden Ideologien des 20. Jahrhunderts bedingt. Gleichzeitig machten die Kulturgeschichte und die historische Anthropologie große Fortschritte29. Diese beiden Teildisziplinen führten das „gemeine Volk“ bzw. den Gemeinen Mann (neben und nicht anstatt der Elite) als Akteur in die umfassende Entwicklung des Stadtkörpers ein30. Außerdem hoben sie auf die Kategorien, den Diskurs und die Vorstellungswelten der Eliten ab, indem sie in die Analyseraster die Konzepte Ehre31, Reputation, Distinktion32, symbolische Macht, Ritual33 und die Beherrschung bzw. Instrumentalisierung von politischen Termini (wie beispielsweise des Gemeinwohls) 34 26   Exemplarisch: Hanns Hubert Hofmann, Nobiles Norimbergenses. Beobachtungen zur Struktur der reichsstädtischen Oberschicht. ZBLG 28 (1965) 114–150. 27   Dazu mit Sekundärliteratur: Pierre Monnet, Élites dirigeantes et distinction sociale à Francfort-surle-Main (XIVe–XVe siècles). Francia 27 (2000) 117–162; ders., Führungseliten und Bewußtsein sozialer Distinktion in Frankfurt am Main (14. und 15. Jahrhundert). Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 66 (2000) 12–77. 28   Evamaria Engel, Bürgertum – Bürgerkampf – Bürgerstadt. Probleme beim Versuch einer Synthese deutscher Stadtgeschichte des Mittelalters, in: Mittelalterforschung nach der Wende 1989, hg. von Michael Borgolte (HZ Beih. N. F. 20, München 1995) 407–425; Anja Victorine Hartmann, Kontinuitäten oder revolutionärer Bruch? Eliten im Übergang vom Ancien Régime zur Moderne. Eine Standortbestimmung. ZHF 25 (1998) 389–420; Felicitas Schmieder, Städte im mittelalterlichen Reich als Ort und Motor gesellschaftlichen Wandels. Alte Gruppen – neue Gruppen – verschiedene Gruppen, in: Europa im späten Mittelalter (wie Anm. 6) 339–355. 29  Hans-Werner Goetz, Moderne Mediävistik. Stand und Perspektiven der Mittelalterforschung (Darmstadt 1999); Les tendances actuelles de l’histoire du Moyen Âge en France et en Allemagne. Actes des colloques de Sèvres (1997) et Göttingen (1998), hg. von Jean-Claude Schmitt–Otto Gerhard Oexle (Histoire ancienne et médiévale 66, Paris 2003); Mediävistik im 21. Jahrhundert. Stand und Perspektiven der internationalen und interdisziplinären Mittelalterforschung, hg. von Hans-Werner Goetz–Jörg Jarnut (MittelalterStudien 1, München 2003); Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert, hg. von Peter Moraw–Rudolf Schieffer (VuF 62, Ostfildern 2005). 30   Paradigmatisch, der Kommunalismusbegriff von Peter Blickle: Peter Blickle, Der Bauernkrieg. Die Revolution des Gemeinen Mannes (Beck’sche Reihe 2103, München 42012); dazu auch: Theorien kommunaler Ordnung in Europa, hg. von Peter Blickle (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 36, München 1996); ders., Der Kommunalismus als Gestaltungsprinzip zwischen Mittelalter und Moderne, in: Gesellschaft und Gesellschaften. Festschrift zum 65. Geburtstag von Professor Dr. Ulrich Im Hof, hg. von Nicolai Bernard–Quirinius Reichen (Bern 1982) 95–113; Résistance, représentation et communauté, hg. von Peter Blickle (Paris 1998). 31  Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der frühen Neuzeit, hg. von Klaus Schreiner–Gerd Schwerhoff (Norm und Struktur 5, Köln–Weimar–Wien 1995). 32  Geschlechtergesellschaften, Zunft-Trinkstuben und Bruderschaften in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten, hg. von Gerhard Fouquet–Matthias Steinbrink–Gabriel Zeilinger (Stadt in der Geschichte 30, Stuttgart 2003). 33  Frank Rexroth, Rituale und Ritualismus in der historischen Mittelalterforschung. Eine Skizze, in: Mediävistik im 21. Jahrhundert (wie Anm. 29) 391–406. 34  Winfried Eberhard, Der Legitimationsbegriff des „gemeinen Nutzens“ im Streit zwischen Herrschaft und Genossenschaft im Spätmittelalter, in: Zusammenhänge, Einflüsse und Wirkungen. Kongressakten zum ersten Symposium des Mediävistenverbandes in Tübingen, 1984, hg. von Jörg O. Fichte–Karl-Heinz Göller– Bernhard Schimmelpfennig (Berlin 1986) 241–254; Peter Hibst, Utilitas Publica – Gemeiner Nutz – Gemeinwohl. Untersuchungen zur Idee eines politischen Leitbegriffes von der Antike bis zum späten Mittelalter (Europäische Hochschulschriften III/497, Frankfurt a. M. u. a. 1991); Pierangelo Schiera, „Bonum Commune“ zwischen Mittelalter und Neuzeit. Überlegungen zur substantiellen Grundlage der modernen Politik.



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einführten35. Diese Bewegung bereitet seit ungefähr 15 Jahren eine Rückkehr der politischen Geschichte vor36, die wieder die Untersuchung der Konstituierung und die Rolle der Eliten ins Zentrum stellt und vor allem die Frage nach dem „Wer herrscht?“ durch zwei Fragen ersetzt: „Was ist Herrschaft?“37 und „Was sind die Erwartungen der Regierten an die Eliten, die sie regieren?“38. Natürlich stehen hinter dieser etwas überspitzten historiographischen Skizze verschiedene geschichtswissenschaftliche Traditionen, die durch den deutschen und französischen Fall illustriert werden können. Wenn man wiederum in grober und etwas übertriebener Form die französische Historiographie beschreiben müsste, könnte man sagen, dass es vor allem der Reichtum ist, der die Elite ausmacht (Stichwort „Jacques Cœur“)39, dann in absteigender Reihenfolge die Ausübung der politischen Macht (verbunden mit der Praxis des Klientelismus)40 und die symbolische Herrschaft41. Die deutsche Historiographie dagegen hebt vor allem die politische Stellung hervor (nicht nur in der Stadt, sondern auch in Zusammenhang mit der Territorialherrschaft)42, gefolgt von sozialer Exklusivität und der daraus resultierenden herrschenden Position in der Wirtschaft43. Dieser Raster korrespondiert einerseits mit der höheren Anzahl an Territorialherrschaften vor den Toren der Stadt im Heiligen Römischen Reich im 14. und 15. Jahrhundert (Verdichtungsprozess), während die Städte dabei sind, autonom zu werden, und anderseits mit dem Verständnis von „bourgeois/Bürger“, das in den deutschen Städten einen stärkeren stadtbürgerlichen und juristischen Sinn hat44. In Frankreich dagegen ist die Bezeichnung AfK 81 (1999) 283–303; Jörg Rogge, Für den Gemeinen Nutzen. Politisches Handeln und Politikverständnis von Rat und Bürgerschaft in Augsburg im Spätmittelalter (Studia Augustana 6, Tübingen 1996); Gemeinwohl und Gemeinsinn. Historische Semantiken politischer Leitbegriffe, hg. von Herfried Münkler–Harald Bluhm (Forschungsberichte der Interdisziplinären Arbeitsgruppe „Gemeinwohl und Gemeinsinn“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 1, Berlin 2001). 35  Déborah Cohen, Catégories sociales et discours sur la société, in: A quoi pensent les historiens? Faire de l’histoire au XXIe siècle, hg. von Christophe Granger (Paris 2013) 197–208. 36  Historiographies. Concepts et débats 1–2, hg. von Christian Delacroix–François Dosse–Patrick Garcia–Nicolas Offenstadt (Collection Folio: Histoire 179–180, Paris 2010). 37  Zwischen Nicht-Adel und Adel, hg. von Kurt Andermann–Peter Johanek (VuF 53, Stuttgart 2001). 38   Beispiel: Martin Alioth, Gruppen an der Macht. Zünfte und Patriziat in Straßburg im 14. und 15. Jahrhundert. Untersuchungen zu Verfassung, Wirtschaftsgefüge und Sozialstruktur (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 156–156a, Basel–Frankfurt a. M. 1988). 39   Michel Mollat, Jacques Cœur ou l’esprit d’entreprise au XVe siècle (Paris 1988); Olivier Richard, Die städtischen Eliten Frankreichs im Spätmittelalter, in: Europa im späten Mittelalter (wie Anm. 6) 291–312. 40  Wolfgang Reinhard, Power Elites, State Servants, Ruling Classes and the Growth of State Power, in: Power Elites and State Building, hg. von dems. (Oxford 1996) 1–18. 41  Für Paris: Boris Bove, Dominer la ville: Prévôts des marchands et échevins parisiens de 1260 à 1350 (CTHS histoire 13, Paris 2004). 42  Sigrid Jahns, Der Aufstieg in die juristische Funktionselite des Alten Reiches, in: Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität (wie Anm. 18) 353–387. 43   Hans-Jörg Gilomen, Wirtschaftliche Eliten im spätmittelalterlichen Reich, in: Europa im späten Mittelalter (wie Anm. 6) 357–384; Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit. Eine Zwischenbilanz, hg. von Hanns Hubert Hofmann–Günther Franz (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 12, Boppard 1980); Christian Hesse, Amtsträger der Fürsten im spätmittelalterlichen Reich. Die Funktionseliten der lokalen Verwaltung in Bayern-Landshut, Hessen, Sachsen und Württemberg, 1350–1515 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 70, Göttingen 2005); ders., Elitenbildung in den Fürstentümern des spätmittelalterlichen Reiches, in: Europa im späten Mittelalter (wie Anm. 6) 263–289. 44   Heinrich Schmidt, Die deutschen Städtechroniken als Spiegel des bürgerlichen Selbstverständnisses im Spätmittelalter (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 3, Göttingen 1958); Städtische Geschichtsschreibung im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. von

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vor allem wirtschaftlich und sozial konnotiert, da dort die Konstruktion des Königreichs bei den städtischen Eliten ein Streben nach einem Amt, eine Verbindung zur königlichen Würde schuf, kurz das Ideal der gens du roi (königliche Amtsträger bzw. officiers)45. Dies erklärt zum Teil, warum dieser Ansatz in Frankreich zur Erforschung der städtischen Eliten des Mittelalters relativ unumstritten ist, da alle mehr oder weniger, und je nach interpretativem Modell, dieselbe exogene Orientierung auf den Staat und seinen König teilen (der Ort des Politischen schlechthin für die französische Geschichtswissenschaft). Die italienische Historiographie dagegen sieht den Ort par excellence des Politischen im Bild der gewalttätigen und untereinander zerstrittenen Eliten in der Stadt, die nur der von außen kommende und mit zeitlich begrenzter Amtsbefugnis ausgestattete Podestà befrieden kann46. Aus dieser Perspektive scheint die deutsche historiographische Tradition eine Zwischenstellung einzunehmen, welche die Konzeption des dualistischen Reichs berücksichtigt, in der sich die politische Macht zwischen den Polen Stadt, Fürst und König/Kaiser aufteilt und sich gegenseitig ausgleicht47. Diese Bemerkung unterstreicht außerdem, dass der soziale und territoriale Evolutionsprozess des Reichs in seiner Gesamtheit und somit auch seiner Städte nichts Abgetrenntes und Besonderes, sondern im Gegenteil mit anderen Entwicklungen in Europa vergleichbar ist (dies sei nur erwähnt, um auf die Unhaltbarkeit der deutschen Sonderwegsdebatte in Bezug auf die longue durée hinzuweisen)48. Hier wendet sich die städtische Elite nicht vom Territorialstaat ab, sondern trägt zu dessen Verdichtungsprozess bei. Es ändern sich nur der Rhythmus, die Hierarchie in der Loyalität und der Grad der städtischen Integration in das fürstliche und königliche Ensemble. In den unterschiedlichen historiographischen Traditionen, wiederbelebt durch die Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts, überdauern immer noch semantische Spuren, wie sie dem Französischen und Deutschen eigen sind: Im Deutschen bleibt der Begriff „Elite“ negativ besetzt (im Sinne von elitär, was noch verstärkt wird durch die Debatten über das angebliche Scheitern der Eliten vor bzw. während des Dritten Reichs); Peter Johanek (Städteforschung A/47, Köln–Weimar–Wien 2000); Memoria, communitas, civitas. Mémoire et conscience urbaines en Occident à la fin du Moyen Âge, hg. von Hanno Brand–Pierre Monnet–Martial Staub (Beih. der Francia 55, Ostfildern 2003); Aspetti e componenti dell’identità urbana in Italia e in Germania (secoli XIV–XVI). Aspekte und Komponenten der städtischen Identität in Italien und Deutschland (14.– 16. Jahrhundert), hg. von Giorgio Chittolini–Peter Johanek (Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento. Contributi 12, Bologna–Berlin 2003). 45  Olivier Mattéoni, Servir le prince. Les officiers du duc de Bourbon à la fin du Moyen Âge (1356– 1523) (Histoire ancienne et médiévale 52, Paris 1998); Les serviteurs de l’État au Moyen Âge (Histoire ancienne et médiévale 57, Paris 1999); Gisela Naegle, Im Dienst von König und Königreich? Französische „officiers“ im Spätmittelalter, in: Europa im späten Mittelalter (wie Anm. 6) 313–338. 46   Jean-Claude Maire Vigueur, Cavaliers et citoyens. Guerre, conflits et société dans l’Italie communale, XIIe–XIIIe siècles (Civilisations et sociétés 114, Paris 2003). 47   Peter Moraw, Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250–1490 (Propyläen-Geschichte Deutschlands 3, Berlin 1985). 48   Hartmut Boockmann, Stauferzeit und spätes Mittelalter. Deutschland 1125–1517 (Das Reich und die Deutschen 7, Berlin 1987); Francis Rapp, Les origines médiévales de l’Allemagne moderne. De Charles IV à Charles Quint (1378–1519) (Paris 1989); Ernst Schubert, Einführung in die deutsche Geschichte im Spätmittelalter (Darmstadt 1998); Wolfgang Reinhard, Probleme deutscher Geschichte 1495–1608. Reichsreform und Reformation 1495–1555 (Gebhardt, Handbuch der Deutschen Geschichte 9, Stuttgart 2001); Stefan Weinfurter, Das Reich im Mittelalter. Kleine deutsche Geschichte von 500 bis 1500 (München 2008); Jean-Marie Moeglin, Kaisertum und allerchristlichster König 1214 bis 1500 (WBG Deutsch-Französische Geschichte 2, Darmstadt 2010).



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im Französischen dagegen ist das Wort positiv konnotiert und verweist auf Qualität, die durch Auswahlverfahren erzeugt wird (vor allem durch die grandes écoles …)49. Abschließend soll zu diesen Rahmenbestimmungen festgehalten werden, dass die städtischen Eliten den Adel einschließen können, aber dass das Konzept deutlich weiter greift, selbst wenn neuere Studien Symbioseeffekte zwischen Adel und städtischem Patriziat aufgezeigt haben50. Nichtsdestoweniger ist es prinzipiell der Fürst und nicht die Stadt, die den Adligen macht, was aber nicht ausschließt, dass der Fürstendienst ein wichtiges Element für sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg in der Stadt darstellt und deswegen eine Art des Zugangs zur Elite ist51. Grundsätzlich müssen die städtischen Eliten jedoch nicht im System adliger Werte (bestimmt durch Kriegsdienst, wechselseitige Verpflichtungen und Treueverhältnisse), sondern im System der städtisch-egalitären Werte (Gemeinwohl, Friede, Einheit, Kommunalismus) beobachtet werden und sei es nur deshalb, weil sie entschieden dazu beigetragen haben, diese Weltanschauung zu entwickeln und zu definieren. Wenn die adligen Eliten, sei es Residenz- oder Landadel, sich in die städtischen Eliten integrieren wollten, mussten sie das „bürgerliche“ Rechtssystem akzeptieren, außer wenn sie dem Klerus angehörten. Im Reich blieb die Erhebung der städtischen Elite zum echten Adel, wie im Falle der Fugger, die Ausnahme (im Gegensatz zur einfachen Nobilitierung der städtischen Aristokratie gegen Geld durch einen einfachen Wappenbrief, wie es vor allem im 15. Jahrhundert und im Besonderen in der Regierungszeit Friedrichs III. zwischen 1440 und 1493 üblich war)52. Das städtische Patriziat hatte eher die Tendenz, ein städtischer Adel zu werden53, ohne den Umweg über Lehen oder Lehnsherrschaft und ohne die obligatorische Etappe des Fürstendienstes. Dies ist nicht der Fall in den stärker zentralisierten Königreichen wie Frankreich, England oder Teilen der spanischen Halbinsel. Das ändert nichts daran, dass die Vorstellung einer Aufwertung des Adels weiterhin aktiv war, auch in der Stadt und auch als der niedere Adel nicht mehr die ökonomische und politische Elite war, aber sich weiterhin als eine solche (re-)präsentierte. Dies zeigt, dass das Mittelalter den Adel zu definieren und zu kategorisieren wusste54 und gleichzeitig   Giovanni Busino, Elite(s) et élitisme (Que sais-je? 26922, Paris 1992).   Joseph Morsel, La noblesse et les villes à la fin du Moyen Âge. Nouvelles perspectives de recherche. Bulletin d’information de la Mission Historique Française en Allemagne 32 (1996) 33–53. 51   Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration in Spätmittelalter und früher Neuzeit. 9. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Halle an der Saale, 25.–28. September 2004, hg. von Werner Paravicini–Jörg Wettlaufer (Residenzenforschung 20, Ostfildern 2006); Städtisches Bürgertum und Hofgesellschaft. Kulturen integrativer und konkurrierender Beziehungen in Residenz- und Hauptstädten vom 14. bis ins 19. Jahrhundert, hg. von Jan Hirschbiegel–Werner Paravicini–Jörg Wettlaufer (Residenzenforschung 25, Ostfildern 2012). 52   Peter Moraw, König, Reich und Territorium im späten Mittelalter. Prosopographische Untersuchungen zu Kontinuität und Struktur königsnaher Führungsgruppen (Habil. Heidelberg 1971); ders., Reichsstadt, Reich und Königtum im späten Mittelalter. ZHF 3 (1979) 385–424; Paul-Joachim Heinig, Reichsstädte, freie Städte und Königtum 1389–1450. Ein Beitrag zur deutschen Verfassungsgeschichte (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte 108, Wiesbaden 1983); ders., Kaiser Friedrich III. (1440–1493). Hof, Regierung und Politik (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 17/1–3, Köln–Weimar–Wien 1997); Friedrich Bernward Fahlbusch, Städte und Königtum im frühen 15. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte Sigmunds von Luxemburg (Städteforschung A/17, Köln–Wien 1983). 53  In Italien, besonders Florenz: Christiane Klapisch-Zuber, Retour à la cité. Les magnats de Florence 1340–1440 (Civilisations et sociétés 123, Paris 2006). 54  Nobilitas. Funktion und Repräsentation des Adels in Alteuropa, hg. von Otto Gerhard Oexle–Werner Paravicini (VMPIG 133, Göttingen 1997); Werner Paravicini, Noblesse. Studien zum adeligen Leben im spätmittelalterlichen Europa (Ostfildern 2012); Joseph Morsel, L’aristocratie médiévale. La domination sociale en Occident (Ve–XVe siècle) (Paris 2004). 49 50

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durch andere Kriterien die Existenz einer Elite anerkannte, die sich von ihm abgrenzte oder sich ihm annäherte55.

Kriterien, Merkmale In seiner Beschreibung der Verfassung und des Zustands der Stadt Ulm führte der Dominikanermönch Felix Fabri Ende des 15. Jahrhunderts sieben Stände (ordines) ein, um die Stadtbevölkerung zu ordnen56. An die Spitze stellte er – wie es sich für einen Geistlichen gehörte – den Klerus, gefolgt vom Adel, dann von den „Geschlechtern“, die er cives civium nannte, und den Würdenträgern (nach Rang, Anciennität und Reputation). Die Linie, die wir heute als Grenze zur Elite bestimmen würden, ist in seinen Augen genau diese Schwelle, die durch Honorabilität markiert wird. Die drei verbleibenden und niedrigeren Kategorien sind die der Kaufleute (die wirtschaftliche Bedeutung allein reicht also nicht aus), der Handwerker in den Zünften und der Einwohner ohne Stadtbürgerrechte. Außerdem unterscheidet er zwölf Zugehörigkeitskriterien für die Mächtigen und Entscheidungsträger der Stadt. Wenn man diese in drei Blöcke zusammenfasst, kommt man zu einer Trilogie, die aus Reichtum, politischer Beteiligung in der Stadt und der Fähigkeit, Heiratsallianzen zu knüpfen, besteht57 – eine Art Quintessenz von Herrschaft58. Interessant ist zuerst festzuhalten, dass sich diese Einteilungen in den Schriften und Traktaten über die Stadt seit ungefähr 140059 immer weiter ausbreiteten, und dies nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Niederlanden oder bei den Juristen und Theologen der italienischen Städte: ein Zeichen einer zunehmenden, allgemeinen, sozialen Differenzierung im Zentrum der städtischen Gesellschaft, und dies nicht nur aufgrund der Konsequenzen der konjunkturellen Krise der Pandemie von 1350. Daran anschließend ist es auch interessant festzustellen, was die mittelalterlichen Denker des Sozialen und der Schichten, so kurz danach und bis Felix Fabri, zur jeweiligen Abgrenzungen am besten definierten und bezeichneten60: nämlich die Stadt, ihre Regierung, die Zunft, das Recht, die Bruderschaft, die Pfarrgemeinde, das Amt und den Handel. Dagegen hält sich das Vokabular, das die sozialen und symbolischen Unterscheidungsmerkmale beschreibt, außerhalb der Gruppe „Klerus, Adel, Würdenträger“ an die alten Orientierungspunkte wie das Haus, die Kleidung, die Feier, die Wappen. Dies ist auch noch gegen 1500 der 55  Sistema di rapporti ed élites economiche in Europa (secoli XII–XVII), hg. von Mario del Treppo (Europa Mediterranea Quaderni 8, Napoli 1994); L’État moderne et les élites XIIIe–XVIIIe siècles. Apports et limites de la méthode prosopographique, hg. von Jean-Philippe Genet–Günther Lottes (Histoire moderne 36, Paris 1996). 56   Fratris Felicis Fabri Tractatus de civitate Ulmensi, de eius origine, ordine, regimine, de civibus eius et statu, ed. Gustav Veesenmeyer (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 186, Tübingen 1889). 57   Margret Wensky, Städtische Führungsgruppen im Spätmittelalter, in: Sozialer Aufstieg (wie Anm. 15) 17–27. 58   Erich Maschke, Die Schichtung der mittelalterlichen Stadtbevölkerung Deutschlands als Problem der Forschung, in: ders., Städte und Menschen. Beiträge zur Geschichte der Stadt, der Wirtschaft und Gesellschaft 1959–1977 (VSWG Beih. 68, Wiesbaden 1980) 157–169; Dirlmeier, Merkmale (wie Anm. 15); Pierre Monnet, Ville réelle et ville idéale: une géographie au prisme des témoignages autobiographiques dans les cités du Sud de l’Empire à la fin du Moyen Âge. Annales H. S. S. (2001) 591–621. 59  Heike Bierschwale–Jacqueline van Leeuwen, Wie man eine Stadt regieren soll. Deutsche und niederländische Stadtregimentslehren des Mittelalters (Medieval to Early Modern Culture. Kultureller Wandel vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit 8, Frankfurt a. M. u. a. 2005). 60   Meier, Mensch und Bürger (wie Anm. 14).



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Fall, als die Stadt schon Konzepte und Bezeichnungen bereitstellte, die den wachsenden Abstand der Herrschaft und die Brüche innerhalb der sozialen Gruppen berücksichtigten. Auf jeden Fall bevorzugt das Vokabular die zeitgenössischen Vorstellungen von Herrschaft durch Macht und durch den Besitz von Reichtum, ohne dass die Diskurse (beispielsweise in den städtischen Chroniken) oder die praktischen Handlungen (Fiskalität, Vertragswesen, Privilegien etc.) sich besonders darum kümmerten, wodurch diese bedingt waren61. Bezüglich der Macht ist bemerkenswert, dass die städtische Definition oder Charakterisierung zahlreicher Eliten durch narrative oder normative Quellen der Zeit die Möglichkeit beinhaltete, Ämter (charges und offices) in der Stadtregierung zu übernehmen. Dies wird ab 1350/1400 auf den Fürstendienst bzw. den Königsdienst ausgeweitet, aber auch auf die Ausübung von diplomatischen Funktionen und ab 1450 auf die Besetzung der Pfründen wichtiger Stadtstifte oder auf das Innehaben eines Pflegeamtes für kirchliche Einrichtungen. Im Reich ist dieser Fall besonders deutlich für die Eliten der reichsunmittelbaren Städte62. Es ist aber gleichzeitig wichtig zu berücksichtigen, dass der Stadtrat, oder die entsprechenden Regierungsinstitutionen, in dieser Zeit ihren Charakter änderten: Bis 1350 war er ein Instrument zum Erlangen kommunaler Freiheiten oder zum Aushandeln von Privilegien, danach wird er zu einer Quelle und einem Werkzeug der Macht. Im 15. Jahrhundert werden die Mitglieder, die jetzt „Herren“ sind, immer zahlreicher, während die Beherrschten zu „Untertanen“ werden. Gewiss gibt es viele verschiedene Situationen, und manche Räte sind offener als andere, aber die Stadtregierung hasste das Hereindrängen von homines novi genauso wie die Tyrannis eines Einzelnen63. Von Italien bis Deutschland genoss das Ideal der Oligarchie den Vorrang – wenn auch nicht in der Praxis, so doch im Streben danach. In Bezug auf den Reichtum ist wichtig festzustellen, dass keine arme Elite, also ohne materielles, soziales oder kulturelles Kapital, existierte – und auch wenn es manchen evident erscheint. Reichtum bleibt in der spätmittelalterlichen Stadt Europas das Mittel, um an die Spitze zu gelangen64. Aber in den Abstufungen der Laufbahnen, des Respekts und der Ehre machen die Anciennität und die Natur dieses Reichtums den Unterschied aus. In der spätmittelalterlichen Stadt missachtete man die Neureichen oder diejenigen, die ihren Reichtum nicht mit den richtigen Mitteln erlangt hatten: Die soziale Wertschätzung des Handels (Tücher, Metalle, Gewürze) und der Wert der gepflegten Handelsverbindungen (Gewürze aus der Levante, Edelsteine, Seidenstoffe etc.) sind die Unterscheidungskriterien im Vergleich zum einfachen Kredit, zur Spekulation mit dem Geld und den Wechseln65. Darin stimmten die Eliten mit dem herrschenden Diskurs der Kirche überein, die 61  Barbara Frenz, Gleichheitsdenken in deutschen Städten des 12.–15. Jahrhunderts. Geistesgeschichtliche Dimension und gesellschaftliche Funktion (Städteforschung A/52, Köln–Weimar–Wien 2000). 62   Exemplarisch für das mittelalterliche Frankfurt: Pierre Monnet, Les Rohrbach de Francfort. Pouvoirs, affaires et parenté à l’aube de la Renaissance (Genève 1997); für Regensburg: Olivier Richard, Mémoires bourgeoises. Memoria et identité urbaine à Ratisbonne à la fin du Moyen Âge (Rennes 2009). 63  Hartmut Boockmann, Spätmittelalterliche deutsche Stadt-Tyrannen. BlldtLG 119 (1983) 73–91. 64   Strutture del potere (wie Anm. 17); La circulation des élites européennes. Entre histoire des idées et histoire sociale, hg. von Henri Bresc–Fabrice d’Almeida–Jean-Michel Sallmann (Paris 2002); Hans-Jörg Gilomen, Wirtschaftliche Eliten (wie Anm. 43). 65  Wolfgang Herborn, Die politische Führungsschicht der Stadt Köln im Spätmittelalter (Rheinisches Archiv 100, Bonn 1977); Endres, Adel und Patriziat (wie Anm. 18); François de Capitani, Sozialstruktur und Mechanismen der Herrschaft in der spätmittelalterlichen Stadt Bern, in: Nürnberg und Bern. Zwei Reichsstädte und ihre Landgebiete, hg. von Rudolf Endres–Urs Martin Zahnd (Erlanger Forschungen A/46, Erlangen 1990) 39–48.

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niemals den Reichtum als solches verdammt hat, sondern immer nur dessen Ursprung und Gebrauch. Je nach Stadt gab es keine von Natur aus schmutzigen, unwürdigen oder verbotene Berufe, aber es lässt sich eine Ab- oder Aufwertung von Praktiken und Aktivitäten verzeichnen. Außerdem wusste man nur zu gut, dass die Investitionen in Immobilien, die Schaffung von Vermögen auf dem Land, von Renditen erst auf dem Höhepunkt einer Laufbahn eintraten. Man kann hier sogar von einer „Lebensform“ der Stadteliten sprechen; der Kauf von Gütern auf dem Land war außerdem häufig der Schlüssel für den Zutritt zum kleinen Landadel66. Dieser vermeintliche „Verrat der Bourgeoisie“ wurde in letzter Zeit öfters und für die meisten europäischen Städte kritisch untersucht: In Wirklichkeit war der Kauf von Land durch die Eliten Teil einer Wirtschaftsstrategie, die oft mit Neuerungen in der Verwertung oder der Arbeit einherging, wie beispielsweise das Verlagssystem zeigt67. Damals wie heute war die Streuung der Investitionen die Regel: Die jüngsten Studien über die italienischen Städte, angefangen mit Venedig68, oder über die deutschen69, zeigen, dass die Eliten niemals nur eine einzige Kapitalsorte besaßen. Die Erneuerung an der Spitze resultierte proportional und statistisch aus der Demographie und weniger aus den finanziellen oder ökonomischen Crashs, die es zwar auch gab und die in den Stadtchroniken gut dokumentiert wurden, weil sie die Zeitgenossen durch ihre Außergewöhnlichkeit beeindruckten. Man kann nicht oft genug wiederholen, wie wichtig die Folgen der Migration für das Verständnis des sozialen städtischen Zusammenlebens im Spätmittelalter waren: Die Studien von Rainer Christoph Schwinges für Deutschland und von Hans-Jörg Gilomen für die Städte der Schweiz haben errechnet, dass ungefähr 40.000 neue Bürger jedes Jahr in die städtischen Listen eingeschrieben wurden – auch wenn die Mehrheit (80 %) aus einem Umkreis von zehn Kilometern um die Stadt kam70. Dies wirft im hier behandelten Rahmen wiederum die Frage nach dem Kontakt zwischen den Eliten der Stadt und dem Landadel auf71. Nur eine umfassende Prosopographie der Eliten würde es erlauben72, die Etappen des Aufstiegs und das Reichwerden näher zu bestimmen, das der Elitenbildung und der anschließenden Anerkennung durch die   Fleckenstein, Stadtadel (wie Anm. 18); Schulz, Stadtadel (wie Anm. 23).   Wolfgang von Stromer, Une clé du succès des maisons de commerce d’Allemagne du Sud: le grand commerce associé au Verlagssystem. RH 285 (1991) 29–49. 68  Elisabeth Crouzet-Pavan, Sopra le acque salse. Espaces, pouvoirs et société à Venise à la fin du Moyen Âge (Nuovi Studi Storici 14. Collection de l’École française de Rome 156, Roma 1992). 69   Wolfgang von Stromer, Oberdeutsche Hochfinanz 1350–1450, Bd. 1–3 (VSWG Beih. 55–57, Wiesbaden 1970); Volker Press, Führungsgruppen in der deutschen Gesellschaft im Übergang zur Neuzeit (um 1500), in: Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit (wie Anm. 43) 29–77. 70  Determinanten der Bevölkerungsentwicklung im Mittelalter, hg. von Bernd Herrmann–Rolf Sprandel (Weinheim 1987); Zentren. Ausstrahlung, Einzugsbereich und Anziehungskraft von Städten und Siedlungen zwischen Rheinlauf und Alpen, hg. von Hans-Jörg Gilomen–Martina Stercken (Zürich 2001); Neubürger im späten Mittelalter. Migration und Austausch in der Städtelandschaft des alten Reiches (1250–1550), hg. von Rainer Christoph Schwinges–Roland Gerber–Barbara Studer (ZHF Beih. 30, Berlin 2002). 71   Stadt und Umland, hg. von Erich Maschke–Jürgen Sydow (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B/82, Stuttgart 1974); Städtisches Um- und Hinterland in vorindustrieller Zeit, hg. von Hans K. Schulze (Städteforschung A/22, Köln–Wien 1985). 72  Zum Vergleich für das frühneuzeitliche und moderne Frankreich: Prosopographie des élites françaises (XVIe–XXe siècles) (Paris 1980); Louis Bergeron–Guy Chaussinand-Nogaret, Les „masses de granit“. 100 000 notables du Premier Empire (Paris 1979); Prosopographie et genèse de l’État moderne, hg. von Françoise Autrand (Collection de l’École Normale Supérieure des Jeunes Filles 30, Paris 1986); Histoire des élites en France du XVIe au XXe siècle. L’honneur, le mérite, l’argent, hg. von Guy Chaussinand-Nogaret (Approches 15, Paris 1991). 66 67



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Aufnahme in den Rat und den Kreis der Patrizier vorausgeht73. Diesen Etappen werden häufig sowohl von den Zeitgenossen als auch von den Historikern in Generationen gerechnet. Die positive Konnotierung dieses Wortes „Generation“ regt zur Arbeit über die historische Semantik seines Gebrauchs an74. Aber mit der Generation gehen auch die Heirat und die Heiratsallianz einher, da Generation (generare) sowohl den Übergang von einer zu nächsten Generation bezeichnet als auch die Zeugung von Nachwuchs75. Die Studien über die städtischen Eliten haben in jüngster Zeit vor allem bezüglich der Heiratsallianzen und der Rolle der Frau Fortschritte gemacht. So machte Felix Fabri aus dem connubium ein Definitionskriterium für den Kern der ehrenwerten Geschlechter der Stadt Ulm. Zwischen Integration, Aufstieg und Anerkennung waren Heiratsallianzen Teil des Systems von Normen und Werten, ohne die der Begriff „Elite“ an Sinn verliert76. Außerdem belegen die zahlreichen Geschlechtergesellschaften, die sich im 15. Jahrhundert vor allem im Reich zu etablieren begannen (sowohl in Städten mit 1.000 als auch mit mehreren 10.000 Einwohnern), die dynamische, kulturelle Verflechtung der Kriterien Macht, Reichtum und Ansehen77. Die besonderen, freiwilligen und elitären gesellschaft­ lichen Gruppierungen hatten einen Namen, eine Identität, waren an einen Ort gebunden, bestimmten die Einteilung der benachbarten Wohnviertel, waren von der Regierung und den Institutionen der Stadt anerkannt78. Sie wurden als Ort der Geselligkeit, der 73   Monographisch, Frankfurt am Main: Monnet, Rohrbach de Francfort (wie Anm. 62); Andreas Hansert, Geburtsaristokratie in Frankfurt am Main. Geschichte des reichsstädtischen Patriziats (Wien–Köln–Weimar 2014); Konstanz: Klaus D. Bechtold, Zunftbürgerschaft und Patriziat. Studien zur Sozialgeschichte der Stadt Konstanz im 14. und 15. Jahrhundert (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen 26, Sigmaringen 1981), und Christoph Heiermann, Die Gesellschaft „Zur Katz“ in Konstanz. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschlechtergesellschaften in Spätmittelalter und früher Neuzeit (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen 37, Stuttgart 1999); Lübeck: Sonja Dünnebeil, Die Lübecker Zirkel-Gesellschaft. Formen der Selbstdarstellung einer städtischen Oberschicht (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck B/27, Lübeck 1996), und Michael Lutterbeck, Der Rat der Stadt Lübeck im 13. und 14. Jahrhundert. Politische, personale und wirtschaftliche Zusammenhänge in einer städtischen Führungsgruppe (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck B/35, Lübeck 2002). 74  Yves Renouard, La notion de génération en histoire. RH 209 (1953) 21–31; David Herlihy, The generation in medieval history, in: ders., The Social History of Italy and Western Europe, 700–1500 (Variorum CSS 84, London 1978); Thomas Schuler, Der Generationsbegriff und die historische Familienforschung, in: Die Familie als sozialer und historischer Verband. Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur frühen Neuzeit, hg. von Peter-Johannes Schuler (Sigmaringen 1987) 23–41; Familie – Generation – Institution. Generationenkonzepte in der Vormoderne, hg. von Ulrike Nagengast (Bamberger historische Studien 2, Bamberg 2008); Christian Kuhn, Generation als Grundbegriff einer historischen Geschichtskultur: Die Nürnberger Tucher im langen 16. Jahrhundert (Formen der Erinnerung 45, Göttingen 2010); Generationen in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten (ca. 1250–1750), hg. von Mark Häberlein–Christian Kuhn–Lina Hörl (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 20, Konstanz 2011); Erfahren, Erzählen, Erinnern: narrative Konstruktionen von Gedächtnis und Generation in Antike und Mittelalter, hg. von Hartwin Brandt (Bamberger historische Studien 9, Bamberg 2012). 75  Erich Maschke, Die Familie in der deutschen Stadt des Mittelalters (SB der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 1980/4, Heidelberg 1980); Haus und Familie in der spätmittelalterlichen Stadt, hg. von Alfred Haverkamp (Städteforschung A/18, Köln–Wien 1984); Didier Lett, Famille et parenté dans l’Occident médiéval, Ve–XVe siècle (Carré histoire 49, Paris 2000); Die Familie in der Gesellschaft des Mittelalters, hg. von Karl-Heinz Spiess (VuF 71, Ostfildern 2009). 76   Michael Harsgor, Un très petit nombre. Des oligarchies dans l’histoire de l’Occident (Paris 1994). 77   Ranft, Adelsgesellschaften (wie Anm. 18). 78  Hans-Christoph Rublack, Probleme der Sozialtopographie der Stadt im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Voraussetzungen und Methoden geschichtlicher Städteforschung, hg. von Wilfried Ehbrecht (Städteforschung A/7, Köln–Wien 1979) 177–193; Dietrich Denecke, Sozialtopographie und sozialräumliche Gliederung der spätmittelalterlichen Stadt. Problemstellungen, Methoden und Betrachtungsweisen der his-

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Kontrolle, der Reproduktion, des Geschäfts- und Vertragsabschlusses ins Leben gerufen, als Ort der Distinktion und der Definition einer „stadtadeligen Lebensform“, und blieben dabei gleichzeitig ein Element unter anderen einer städtischen „Vergemeinschaftung“, von der sie sich nicht separierten. Zweifellos sollte eine Studie von europäischer Tragweite über die anthropologischen Konstanten des Seins und Scheins der städtischen Eliten ins Auge gefasst werden. Jenseits der historischen Semantik, der Ortsnamenkunde und der Namensforschung, die heute für die sozialen Gruppen gut erforscht sind79, erschließen sich den Historikern heute neue Forschungsfelder. Diese betreffen die aufmerksame Analyse des Zusammentreffens zwischen Stadt und Hof in Form der „Residenzstadt“, die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstand und die die Entwicklung in zahlreichen Städten Europas bis 1800 und teilweise sogar bis 1850 prägte80. Auf einer anderen Ebene wirft die Berücksichtigung der Infragestellung und des Protests gegen die Macht der Eliten neues Licht auf die Auswirkungen der Revolten des 15. Jahrhunderts, die zur Erneuerung der ökonomischen Eliten führten, die im 14. Jahrhundert an die Macht gelangt waren81. Erneuerungspotential steckt auch in der besseren Zusammenarbeit der Forschungsbereiche der Elitenforschung und der „Zivilreligion“ (Messen, Pflegeamt, wohltätige Einrichtungen, Vergemeinschaftung der Frömmigkeit, also eine Kommunalisierung religiöser Aufgaben)82. Die „Zivilreligion“ (frz. religion civique) erlaubt es, am sozialen torischen Wirtschafts- und Sozialgeographie, in: Über Bürger, Stadt und städtische Literatur im Spätmittelalter. Bericht über Kolloquien der Kultur des Spätmittelalters 1975–1977, hg. von Josef Fleckenstein–Karl Stackmann (Abh. der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, phil.-hist. Kl. III/121, Göttingen 1980) 161–202; Pierre Monnet, Les élites urbaines et leur espace dans les villes d’Allemagne à la fin du Moyen Âge, in: Mercado inmobiliario y paisajes urbanos en el Occidente Europeo (siglos XI–XV). XXXIII Semana de Estudios Medievales de Estella, hg. von Miguel Lodero Quesada (Pamplona 2007) 301–346; Marquer la ville. Signes, traces, empreintes du pouvoir (XIIIe–XVIe siècle), hg. von Patrick Boucheron–Jean-Philippe Genet (Collection de l’École Française de Rome 485/8. Histoire ancienne et médiévale 124/8, Paris 2013). 79  Adelige und bürgerliche Erinnerungskulturen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, hg. von Werner Rösener (Formen der Erinnerung 8, Göttingen 2000); Häuser – Namen – Identitäten. Beiträge zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadtgeschichte, hg. von Karin Czaja–Gabriela Signori (Spätmittelalterstudien 1, Konstanz 2009); Konkurrierende Zugehörigkeit(en). Praktiken der Namengebung im europäischen Vergleich, hg. von Christof Rolker–Gabriela Signori (Spätmittelalterstudien 2, Konstanz 2011); Marquer la prééminence sociale. Actes de la conférence organisée à Palerme en 2011, hg. von Jean-Philippe Genet–E. Igor Mineo (Collection de l’École française de Rome 485/6. Histoire ancienne et médiévale 127/6, Paris–Rome 2014). 80  Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich, hg. von Werner Paravicini (Residenzenforschung 15/I–IV, Stuttgart–Ostfildern 2003–2012); Vorbild – Austausch – Konkurrenz. Höfe und Residenzen in der gegenseitigen Wahrnehmung, hg. von Werner Paravicini–Jörg Wettlaufer (Residenzenforschung 23, Ostfildern 2010). Zum wissenschaftlichen Programm des langjährigen Forschungsprojekts der Residenzenkommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen „Höfe, Residenzen im Alten Reich“ und „Residenzstädte im Alten Reich (1300–1800)“ siehe: http://resikom.adw-goettingen.gwdg.de/index.php [Zugriff Jänner 2015]. 81  Peter Blickle, Unruhen in der ständischen Gesellschaft 1300–1800 (EDG 1, München 1988); Engel, Bürgertum (wie Anm. 28); Wilfried Ehbrecht, Konsens und Konflikt. Skizzen und Überlegungen zur älteren Verfassungsgeschichte deutscher Städte (Städteforschung A/56, Köln–Weimar–Wien 2001); Bernd Kannowski, Bürgerkämpfe und Friedebriefe. Rechtliche Streitbeilegung in spätmittelalterlichen Städten (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 19, Köln 2001); Pierre Monnet, Élites et conflits urbains dans les villes allemandes de la fin du Moyen Âge, in: Élites en conflits, hg. von Claude-Isabelle Brelot–Françoise Bayard (Cahiers d’Histoire 45/4, Lyon 2001) 533–561; ders., Les révoltes urbaines en Allemagne au XIVe siècle: un état de la question, in: Rivolte urbane e rivolte contadine nell’Europa del Trecento. Atti del convegno internazionale di studi, Firenze 30 marzo–1 aprile 2006, hg. von Monique Bourin–Giovanni Cherubini–Giuliano Pinto (Firenze 2008) 105–153. 82   La religion civique à l’époque médiévale et moderne: Chrétienté et Islam, hg. von André Vauchez (Collection de l’École française de Rome 213, Rome 1995); Stefanie Rüther, Prestige und Herrschaft. Zur Re-



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Ansehen teilzuhaben, da das Stiften (oder auch nur Zustiften) allen Bürgern offenstand. Sie führt somit Korrektive ein, die die Prestigeordnung dynamisieren. Von der Zivilreligion zur Religion als solcher: Die Forschung müsste auch versuchen, die Rolle des Klerus bei der Definition und der Ausbildung der Eliten neu zu bestimmen: Vielleicht hat man die Elite als zu säkular gedacht83.

Schluss Insgesamt kann man erstens festhalten, dass die mittelalterliche Gesellschaft die Eliten mit ihren eigenen Mitteln bestimmte, die einerseits auf realer, anderseits auf symbolischer Macht beruhten, die in dieser Gesellschaft an den Ruf (Ehre und Reputation) gebunden waren84. Die Unterschiede und Differenzierungen innerhalb der Gruppe der Eliten, die ihre eigene Herrschaftsmacht oft brutal auf sich selbst anwandte (Exil, Verbannung, Prozess, Rache etc.)85, müssen außerdem am Maßstab dieses sozialen Rufes gemessen werden. Zweitens kann festgehalten werden, dass heute weniger diese Säulen der Macht und des Reichtums der Eliten in den europäischen Städten des 13., 14. und 15. Jahrhunderts Diskussionen auslösen. Im Grunde hat sich die Basis der Vorherrschaft seit den Schriften Max Webers über die Stadt nicht wirklich verändert, weder bei den Historikern noch bei den Soziologen. Weber machte vor genau hundert Jahren (1914) aus der Stadt des Abendlandes ein Labor der sozialen und ökonomischen Modernisierung, gegründet auf der Herrschaft über eine Körperschaft der homines economici et politici (ohne Sklaven) durch Eliten, die sich durch Reichtum, kommunale Macht und symbolisches Charisma (und nicht über ihre militärischen Fähigkeiten) auszeichneten und somit zwischen Königtum und Feudalität verortet wird. Christoph Scheurl, basierend auf Conrad Celtis gegen 150086, in seiner Epistula Ad Staupitium de statu sive regimine reipubl. Noricae definierte sie im Jahr 1516 wie folgt: Das sein nun soliche leut, dero anen und uranen vor langer zeit präsentation der Lübecker Ratsherren in Mittelalter und Früher Neuzeit (Norm und Struktur 16, Köln 2003); Religion civique XVe–XVIe siècle (Histoire urbaine 27, Paris–Liège 2010). 83  Le clerc séculier au Moyen Âge (Histoire ancienne et médiévale 27, Paris 1993); Enno Bünz, Klerus und Bürger. Die Bedeutung der Kirche für die Identität deutscher Städte im Spätmittelalter, in: Aspetti e componenti (wie Anm. 44) 351–389. 84   Thierry Dutour, Une société de l’honneur. Les notables et leur monde à Dijon à la fin du Moyen Âge (Études d’histoire médiévales 2, Paris 1998); Ehre und Recht: Ehrkonzepte, Ehrverletzungen und Ehrverteidigungen vom späten Mittelalter bis zur Moderne, hg. von Sylvia Kesper-Biermann (Editionen + Dokumentationen 5, Magdeburg 2011). 85   Valentin Groebner, Ratsinteressen, Familieninteressen. Patrizische Konflikte in Nürnberg um 1500, in: Stadtregiment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hg. von Klaus Schreiner–Ulrich Meier (Bürgertum 7, Göttingen 1994) 278–308; Gerhard Fouquet, Die Affäre Niklas Muffel. Die Hinrichtung eines Nürnberger Patriziers im Jahre 1469. VSWG 83 (1996) 459–500; Friedrich Battenberg, Herrschaft und Verfahren. Politische Prozesse im mittelalterlichen römisch-deutschen Reich (Darmstadt 1995); Jörg Rogge, Ehrverletzungen und Entehrungen in politischen Konflikten in spätmittelalterlichen Städten, in: Verletzte Ehre (wie Anm. 31) 110–143; Ulrich Andermann, Politische Justiz im Spätmittelalter. Neue Fragen zu niederdeutschen Stadtkonflikten, in: Wirtschaft – Gesellschaft – Städte. Festschrift für Bernhard Kirchgässner zum 75. Geburtstag, hg. von Hans-Peter Becht–Jörg Schadt (Ubstadt-Weiher 1998) 43–63; Valentin Groebner, Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 3, Konstanz 2000). 86   Albert Werminghoff, Conrad Celtis und sein Buch über Nürnberg (Freiburg 1921); Martial Staub, Les paroisses et la cité. Nuremberg du XIIIe siècle à la Réforme (Civilisation et sociétés 116, Paris 2004).

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her auch im regiment gewest und uber uns geherscht haben87. Alles in allem herrscht bis heute dieses Modell vor, das vor fünf Jahrhunderten definiert wurde. Es macht aus den städtischen Eliten, deren Macht auf vielfältigen und selbständigen Stützpfeilern beruht, ein Spezifikum der europäisch-christlichen Stadt88. Heute werden vielmehr die Spannungen, Interaktionen und Prioritätsveränderungen zwischen Reichtum, Macht und Ansehen genauer untersucht. Diese Interaktionsdynamiken dienen zur Beschreibung der sozialen und städtischen Einrichtungen im Allgemeinen. Die Formierung der städtischen Eliten der Antike ist in dieser Perspektive nur eine Variante des eher prinzipiellen Problems, wie sich soziale Gruppen und Vereinigungen herausbilden89. So werden die Erneuerungen und internen Differenzierungen der Gruppen an der Spitze der Gesellschaft in Hinblick auf die Spezifika einer vormodernen europäischen Vereins- und Verbandskultur gelesen. Durch diese Sichtweise, das heißt auf der Basis einer Typologie der Elitenbildung und der Elitenreproduktion, hat man gleichzeitig die Möglichkeit zur Entwicklung einer Typologie der Stadt selbst (frei, autonom, königlich, territorial, aber auch kleine, mittlere und große) und der Regionen (Königreich, Kaiserreich, Fürstentum, Bund) als auch zur Erschließung der Vielfalt der urbanen Möglichkeiten und der sozialen Konfigurationen. Ein Beispiel unter vielen zur Illustration, dessen Einzigartigkeit helfen kann, die Mechanismen zu verstehen, die woanders in unterschiedlicher Art und Weise wirkten: Im Nürnberg des 14. und 15. Jahrhunderts war es nicht der Reichtum als solcher, sondern dessen Ursprung („würdig“ oder „unwürdig“, „neu“ oder „alt“ und deshalb geschätzt), nicht die Tätigkeit als solche, sondern der Lebensstil, die Zugang zu den höchsten Regierungsämtern ermöglichten90. Eine Linie zwischen Nicht-Eliten und Eliten und die Unterscheidung innerhalb derselben trennt die alten von den neuen Familien. Die Hochzeit hatte von nun an die Funktion, den Übergang von einer Kategorie zur anderen zu gewährleisten. Hingegen existieren auch andere Modelle als die süddeutschen Reichsstädte, die in mancher Hinsicht an einige Städte in Norditalien erinnern. So sind beispielsweise in Lübeck zum gleichen Zeitpunkt die Machteliten klar durch den aktiven und gewinnbringenden Handel bestimmt. Kaufmännischer Erfolg und Misserfolg rekonfigurierten die Herrschaftskreise der Eliten der hansischen Städte, die stark durch eine berufliche Handels­kultur gekennzeichnet waren91. 87   Zitiert nach Isenmann, Stadt (wie Anm. 7) 750; Wilhelm Graf, Doktor Christoph Scheurl von Nürnberg (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 43, Leipzig 1930); Christoph Scheurl’s Briefbuch: Ein Beitrag zur Geschichte der Reformation und ihrer Zeit 1–2, ed. Franz Frhr. von Soden (Augsburg 1867–1872). 88  Giovanni Tabacco, Egemonie sociali e strutture del potere nel Medioevo italiano (Piccola biblioteca Einaudi 379, Torino 1974); Sergio Bertelli, Il potere oligarchico nello stato-città medievale (Strumenti 88, Firenze 1978); Gerarchie economiche e gerarchie sociali sec. XIII–XVIII. Atti della dodicesima Settimana di Studi dell’Instituto Internazionale di Storia Economica F. Datini, hg. von Annalisa Guarducci (Istituto Internazionale di Storia Economica F. Datini II/12, Firenze 1990). 89   Ellermeyer, Sozialgruppen (wie Anm. 1); Monnet, Élites dirigeantes (wie Anm. 27). 90   Wolfgang von Stromer, Reichtum und Ratswürde. Die wirtschaftliche Führungsschicht der Reichsstadt Nürnberg, in: Führungskräfte der Wirtschaft in Mittelalter und Neuzeit 1350–1850, hg. von Herbert Helbig (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 6, Limburg/Lahn 1973) 1–50; Michael Diefenbacher, Stadt und Adel. Das Beispiel Nürnberg. ZGORh 141 (1993) 51–69. 91  Klaus Wriedt, Zum Profil der lübischen Führungsgruppe im Spätmittelalter, in: Neue Forschungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck, hg. von Antjekathrin Grassmann (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck B/13, Lübeck 1985) 41–49; Rolf Hammel-Kiesow, Neue Aspekte zur Geschichte Lübecks: von der Jahrtausendwende bis zum Ende der Hansezeit. Die Lübecker Stadtgeschichtsforschung der



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Dies zeigt, dass der wirtschaftliche Erfolg in der mittelalterlichen Gesellschaft verschieden bewertet wurde, oder zumindest anders als in unserer heutigen Gesellschaft. Ob man die Nürnberger Malerei Dürers am Anfang des 16. Jahrhunderts betrachtet oder die Buddenbrooks von Thomas Mann liest, jenseits der genannten Differenzen funktionierten diese Modelle lange Zeit: Man muss sich eine mittelalterliche Stadt vorstellen (ein langes Mittelalter im Sinne Jacques Le Goffs, das im Falle Lübecks bis weit zum 19. Jahrhundert oder sogar bis zum Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 andauert), die durch die Eliten getragen, aber nicht zum Erstarren gebracht wurde92.

letzten zehn Jahre (1988–1997). Zeitschrift des Vereins für lübeckische Geschichte 78 (1998) 47–114; 80 (2000) 9–61. 92  Thierry Dutour, Sous l’empire du bien. „Bonnes gens“ et pacte social (XIIIe–XVe siècle) (Bibliothèque d’histoire médiévale 13, Paris 2015).



Der Einsatz von GIS und CAD in der Stadtgeschichts­ forschung am Beispiel der steirischen Stadt Leoben Alfred Joham

Die Stadt Leoben, die alte Eisenhandelsstadt in der Obersteiermark, bietet sich aufgrund ihrer überschaubaren Ausdehnung – die ummauerte städtische Siedlung umfasste bis zum Ende des 19. Jahrhunderts kaum 130 Gebäude auf einer Fläche von 11 Hektar (110.000 m2) – und der vielfältigen, ab der Mitte des 16. Jahrhunderts oft flächen­ deckend vorhandenen Quellenbestände zur Baugeschichte für eine Auswertung mit Hilfe der digitalen grafischen Datenverarbeitung an. Daher sollen nachstehend auf Basis der vorhandenen Quellen beispielhafte Möglichkeiten aufgezeigt werden, die bauliche Gestalt der Stadt aus historischen und aktuellen Unterlagen zu erfassen und mit GIS- und CADProgrammen die Siedlungsentwicklung unter verschiedensten Blickwinkeln zu analysieren1.

GIS – Konzept und Datenmodell Mit Hilfe eines geografischen Informationssystems (GIS) können raumbezogene Daten in großer Anzahl und Vielfalt übersichtlich und geordnet verwaltet werden. Der Zugriff auf räumliche Datenbestände und ihre thematische Aufbereitung, aber besonders die Zusammenführung raumbezogener Informationen zum Zwecke der Analyse und Informationsgewinnung wird durch den Einsatz einer GIS-Software vereinfacht durchführbar2. Ein wesentliches Merkmal von GIS-Anwendungen ist dabei das Arbeiten mit grafischen Darstellungen (thematischen Karten), die aus den gespeicherten Datenbeständen mit relativ geringem Aufwand erstellt werden können. Der Anwender kann nicht nur diese Daten für Berichte und Präsentationen visualisieren, sondern auch aus Daten verschiedenster Herkunft durch thematische und geometrische Operationen neue Informationen generieren. Jedes erfasste reale oder abstrakte Objekt wird dabei durch ein GIS-Objekt (feature) von definierter Geometrie und Thematik abgebildet und eindeutig beschrieben, wobei die im GIS gespeicherten Daten als modellhafte Abbildung der realen 1  Vgl. Alfred Joham, Leoben – Bauentwicklung und Stadtbefestigung (Schriftenreihe des Instituts für Geschichte 17, Graz 2009). 2  „Ein GIS dient der Erfassung, Speicherung, Verarbeitung und Darstellung aller Daten, die einen Teil der Erdoberfläche und die darauf befindlichen administrativen und technischen Einrichtungen sowie ökonomische und ökologische Gegebenheiten beschreiben.“ Norbert Bartelme, Geoinformatik. Modelle, Strukturen, Funktionen (Berlin 32000) 13.

Abb. 1: GIS-Datenmodell – Franziszeischer Kataster (Copyright Alfred Joham).

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Der Einsatz von GIS und CAD in der Stadtgeschichts­forschung

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Welt innerhalb der Grenzen des gewählten Datenmodells zu verstehen sind. Im geometrischen Teil des GIS-Datenmodells werden räumliche Objekte in einem zu Grunde liegenden Bezugssystem (Koordinatensystem) durch Geometriedaten repräsentiert, die bei Vektordatenmodellen meist aus Punkt-, Linien- und Flächenelementen, bei Rasterdatenmodellen aus einzelnen Bildpunkten (pixels) bestehen. Im Bereich der Stadtgeschichte beziehen sich die raumbezogenen digitalen Daten auf Informationen über reale Objekte verschiedener Zeitepochen – beispielsweise Gebäude, Grundstücke oder Verkehrswege – und auf abstrakte Objekte zur Strukturierung oder Gliederung des Stadtraumes wie Burgfried, Vierteleinteilungen u. a. Geometrisches Modellieren ermöglicht Fragestellungen nach Lage, Nachbarschaften sowie räumlicher Ausdehnung (Länge, Fläche, Entfernung etc.) im Rahmen der erfassten Genauigkeit. Euphorisch wurde von verschiedenen Autoren festgehalten, dass dies im digitalen Plan mit „einer sonst nicht erreichbaren Genauigkeit“, ja „absoluter Präzision“3, möglich wäre. Dabei wird aber außer Acht gelassen, dass einzig die Qualität der Ausgangsdaten, also die Lagegenauigkeit der erfassten Elemente, das Ergebnis bestimmt4. Im thematischen Teil des GIS-Datenmodells wird die Bedeutung von GIS-Objekten abgebildet. Die Attribut- oder Sachdaten beschreiben Eigenschaften und Merkmale, welche den raumbezogenen Objekten in großer Vielfalt zugeordnet sein können und meist in relationalen Datenbanken verwaltet werden. Durch einen definierten Schlüsselwert (Identifikator) werden die Attributdaten mit den Geometriedaten eines GIS-Objektes in Beziehung gesetzt – und sind so grafisch darstell- und klassifizierbar. In der Stadtgeschichtsforschung sind beispielsweise unterschiedlichste Sachdaten mit einem Gebäude verknüpfbar, beginnend von den Eigentümerdaten über die Höhe der Haussteuer, die Anzahl der Rauchfänge oder Zimmer, die Art der Dachdeckung und vieles mehr (Abb. 1)5.

Der Franziszeische Kataster als GIS-Datenbasis zur Stadtgeschichtsforschung Die Grundlage für stadthistorische Auswertungen bilden meist Katasterpläne, also parzellenscharf vermessene Lagepläne, wie sie in ihrer Masse ab dem zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts entstanden. Diese Pläne stellen sehr oft die älteste umfassende kartographische Quellengruppe für die Siedlungsgeschichte einer Stadt dar6. Meist handelt es sich um die früheste vollständige Bestandsvermessung des Stadtraumes, die auch die kartographische Grundlage der historischen Städteatlanten darstellt, die in großer Zahl in verschiedenen europäischen Ländern erstellt wurden und werden7. 3   Beispielsweise bei Klaus Humpert–Martin Schenk, Die Entdeckung der mittelalterlichen Stadt­ planung. Das Ende vom Mythos der „gewachsenen Stadt“ (Stuttgart 2001) 65. 4  Die Entfernung zwischen zwei lagerichtigen Punkten wird gleich exakt berechnet wie zwischen zwei willkürlich gesetzten Punkten, die keinen Bezug zur Realität haben. 5  Als Beispiel sei auf ein durchschnittliches Bürgerhaus in Leoben verwiesen, für das mehr als 60 Sachdaten – überwiegend Eigentümerinformationen – exemplarisch erhoben wurden; vgl. Joham, Leoben (wie Anm. 1) 88–90. 6  Vgl. Peter Johanek, Stadtgeschichtsforschung – ein halbes Jahrhundert nach Ennen und Planitz, in: ­Europäische Städte im Mittelalter, hg. von Ferdinand Opll–Christoph Sonnlechner (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 52, Innsbruck–Wien–Bozen 2010) 45–92, hier 58. 7   Zu den Stadtatlanten vgl. zuletzt Ferdinand Opll, The European Atlas of Historic Towns. Project, Vision, Achievements. Ler história 60 (2011) 169–182; Städteatlanten. Vier Jahrzehnte Atlasarbeit in Europa, hg. von Wilfried Ehbrecht (Städteforschung A/80, Köln–Weimar–Wien 2013). In fast allen österreichischen

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Durch das Grundsteuerpatent vom 23. Dezember 1817 ordnete der österreichische Kaiser Franz I. die Vermessungen in allen Kronländern der österreichischen Monarchie für den „stabilen“ Kataster an. Zusätzlich wurden erstmals alle Besitzer in getrennten Grund- und Bauparzellenprotokollen je Steuergemeinde (Katastralgemeinde) ermittelt und die Grundstücke in Ertragsklassen eingeteilt. Auf Basis des mittleren Bruttoertrages erfolgte die Festsetzung des Reinertrages als unveränderliche Grundlage der Besteuerung – daher rührt auch die Bezeichnung „stabiler Kataster“. An der Einbeziehung aller Grundstücke, also auch der unproduktiven Flächen, in die Vermessung und ihrer Darstellung in einem Planwerk ist schon zu erkennen, dass der Grundsteuerkataster nicht nur der Steuerbemessung, sondern vielfältigen Zwecken der staatlichen Planung und Verwaltung dienen sollte8. Der große Wert dieses Katasters für die historische Forschung resultiert aus dem Umstand, dass er – zum Unterschied von anderen kartografischen Quellen – nicht nur ein Bild (Riedkarte), sondern auch eine begleitende schriftliche Dokumentation (Grund- und Bauparzellenprotokolle, Schätzungsoperate etc.) enthält. Und genau mit dieser Kombination der Informationen, wie sie zum einen im Kartenwerk, zum anderen in den Verzeichnissen enthalten sind, ergibt sich die Möglichkeit eines detailreichen Einblicks in die Struktur einer Stadt. Zudem bietet der Kataster aufgrund seines großen Maßstabs und seiner Stellung als öffentlich-rechtliches Dokument einen hohen Genauigkeitswert und eignet sich als Basis für viele stadtmorphologische Untersuchungen, wobei die GISFunktionalität für die Auswertung und Darstellung Anwendung finden kann9. Die Katastralmappe stellte damals wie heute alle Grundstücksgrenzen, Grundstücksnummern, die Nutzung des Bodens, die Grenzpunkte, topografische Namen, Ortsnamen, Riednamen und andere bodenbezogene Informationen dar. Die franziszeische Landesvermessung ist in einheitlichen ebenen Koordinatensystemen angelegt. Als Abbildungsmaßstab wurde 1:2.880 gewählt, damit entsprach 1 Zoll in der Mappe 40 Klaftern10 in der Natur bzw. 1 Quadratzoll am Papier einer Fläche von einem Joch (1.600 Quadratklaftern)11. Im metrischen System repräsentiert 1 Millimeter in der Riedkarte 2,88 Meter in der Natur. Die geometrische Genauigkeit der Riedkarte selbst hängt von der zeichnerischen Qualität der Darstellung und der Genauigkeit der Vermessung bzw. Bundesländern – und auch einigen angrenzenden Ländern der ehemaligen Habsburgermonarchie – laufen derzeit Projekte zur Veröffentlichung und Einbindung des Franziszeischen Katasters in die jeweiligen Internet-GIS-Anwendungen der (Bundes-)Länder sowie verschiedene Auswertungen zur Wirtschafts-, Sozial und Umweltgeschichte. Vgl. u. a. Barbara Piskaty, Georeferenzierung des Franzisceischen Katasters im Rahmen des GIS-Steiermark (Masterarbeit TU Graz 2009); Walter Liebhart, Kulturlandschaftsforschung und Geoinformation. Der Einsatz Geographischer Informationssysteme in der Kulturlandschaftsforschung nach dem Franziszeischen Kataster. Beispiel Kronland Kärnten 1844 (Diss. Klagenfurt 2013). 8   Vgl. u. a. Susanne Fuhrmann, Digitale historische Geobasisdaten im Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (BEV). Die Urmappe des Franziszeischen Kataster. Österreichische Zeitschrift für Vermessung und Geoinformation 95/1 (2007) 24–35; Robert Messner, Der Österreichische Grundsteuerkataster. Geschichtlicher Werdegang, in: ders., Die Wieden im Vormärz. Historisch-topographische Darstellung der südwestlichen Vorstädte und Vororte Wiens auf Grund der Katastralvermessung (Topographie von Alt-Wien 4, Wien 1975) 25–44. 9   Vgl. z. B. Mirela Slukan Altić, Cadastres as Sources of the Analysis of Urban Development. Experiences Based on the Example of Zagreb Lower Town (Donji Grad) 1862–1914, in: Bild und Wahrnehmung der Stadt, hg. von Ferdinand Opll (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 19, Linz 2004) 199–218, hier 217f. 10   1 Klafter = 1,896 m, 1 Zoll = 26,3 mm. 11   1 Joch = 1.600 Quadratklafter = 57,54 Ar. 1 Quadratklafter = 3,595 m².



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der angewandten Messmethode (Messtisch, Orthogonalaufnahme) ab. Zudem wird die erreichbare Genauigkeit durch das gewählte Druckverfahren der Lithographie und die daraus resultierenden Übertragungsprobleme der Linien auf den Stein sowie durch den unregelmäßigen Papierverzug der gedruckten Riedkarten beeinflusst. Außerdem ist zu beachten, dass neben den Grundstücksgrenzen nur Wohngebäude genau vermessen, die Dimensionen der Stallungen und Wirtschaftsgebäude dagegen nach Schritten ermittelt wurden12. Generell kann davon ausgegangen werden, dass auch Abgrenzungen von Flächen, die entweder gar nicht oder nur sehr gering steuerpflichtig waren, nicht genau erfasst und nur näherungsweise festgehalten wurden – denn in diesen Fällen erschien der mögliche Steuerverlust als vernachlässigbare Größe. Im Rahmen der Vermessungen erfolgte zusätzlich die Erhebung der „Indikation“: Name und Adresse des Eigentümers, Kulturgattung, Ried, gesetzliche Eigenschaft des Grundes. Die Verknüpfung zwischen diesen Informationen und dem Kartenwerk erfolgt über die Grundstücksnummern, die jeweils innerhalb einer Katastralgemeinde für Bau- und Grundparzellen eindeutig sind.

Beispiele für GIS-Auswertungen Nachfolgend sollen drei Beispiele für die Möglichkeiten von GIS-Auswertungen vorgestellt werden, die auf dem Franziszeischen Kataster von 1825 basieren13. Das Verzeichnis uiber die in der Stadt Leoben und Vorstadt Waasen befindlichen Häuser, welche mit Ziegel-, Schindel- oder Bretterdachungen versehen sind, so auch von den Nebengebäuden vom September 1824 liegt in Tabellenform vor, sortiert nach Konskriptionsnummern14. Es gewährt einen „Blick“ auf die damalige Dachlandschaft der Stadt und entstand fast zeitgleich mit dem Kataster. Von den 135 angeführten Innenstadtobjekten waren 42 ausschließlich und sechs zumindest teilweise mit Dachziegeln (dies entspricht 34 %), 80 Häuser (oder 61 % des Bestandes) mit Holzschindeln, sieben Gebäude mit Brettern und der Mautturm mit Blech eingedeckt (Abb. 2). Durch Georeferenzierung und Visualisierung wird sehr gut erkennbar, dass die Gebäude an den Längsseiten des Hauptplatzes bereits überwiegend mit Ziegeln versehen waren, während ansonsten noch Schindeln vorherrschten. Die Korrelation zwischen Gebäudegröße und Dachdeckung war nicht so ausgeprägt, wie dies angenommen werden könnte. Auffällig ist, dass Gebäude im ärarischen Besitz ausschließlich Ziegeldeckung aufwiesen – wohl als Vorbild in Bezug auf die angestrebte Feuersicherheit interpretierbar. Die kartografische Auswertung deckt sich dabei mit der Stadtbeschreibung durch den damaligen Bürgermeister Josef Graf, der für das erste Viertel des 19. Jahrhunderts in seinen Historisch-topographischen Nachrichten festhält: „Nur ein Paar Gewerckens- oder herrschaftliche Häuser waren mit Ziegeln eingedeckt und Feuermauern eine kaum gekannte Sache“15.

  Vgl. Franz Martinz, Der österreichische Grundkataster (Graz 1926) 7, 21.   Steiermärkisches Landesarchiv, KG Leoben: Riedkarte RK 1086; FK Prot. 1912; Joham, Leoben (wie Anm. 1) 35–37. 14  Archiv Museumscenter Leoben, C6a/13 Bauten. 15  Joseph Graf, Historisch-topographische Nachrichten über Leoben und die Umgegend besonders in Bezug auf die Montan-Industrie (Graz 1852) 82. 12 13

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Abb. 2: Georeferenzierung der Dachdeckungen von 1824 (Copyright Alfred Joham).

Die Georeferenzierung von Gebäude-Sachdaten vor der Katastervermessung kann ab 1770 über die damals eingeführten Konskriptionsnummern erfolgen, die oft noch bis ins 20. Jahrhundert in Verwendung standen. Vorrangiges Ziel des Patents vom 10. März 1770 war eigentlich die Schaffung eines neuen Rekrutierungssystems, das alle männlichen Untertanen als potenzielle Wehrpflichtige erfassen sollte16. Kommissionen aus Mitgliedern des Militärs und der Kreisämter zogen von Dorf zu Dorf, erhoben die „Seelen“ und nummerierten fortlaufend die Häuser. In den Städten war meist ein repräsentatives Gebäude (Burg, Rathaus) der Ausgangspunkt. Die Reihenfolge der Nummern lässt den Weg erkennen, den die Kommissare durch die jeweilige Stadt genommen haben. Neubauten, Häuserzusammenlegungen und -abrisse brachten die durchgehende Zahlenreihe in Unordnung, Umnummerierungen und Nachträge mussten vorgenommen werden17. Für die Zuordnung älterer Sachdaten können nur Eigentümerinformationen oder topografische Anhaltspunkte herangezogen werden. So bildete in Leoben die planmäßige Stadtanlage – vereinfacht mit vier Gebäudeblöcken um den zentralen Hauptplatz (vier Viertel) und fortlaufenden Gebäudereihen an der Innenseite der Stadtmauer (Im Ring) charakterisiert – bereits in den ersten erhaltenen flächendeckenden Quellen die Basis für 16  In unmittelbarem Zusammenhang damit steht auch das Patent über die gesetzlich geregelten Zunamen aller Personen. Die eigenständige Abänderung des bei der Geburt erhaltenen Zunamens gefährdete das Auffinden der in den Konskriptionstabellen erfassten Untertanen. 17   Die Beschreibung des Brucker Kreises wurde Ende Oktober 1770 beendet; vgl. Anton Tantner, Ordnung der Häuser, Beschreibung der Seelen – Hausnummerierung und Seelenkonskription in der Habsburgermonarchie (Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit 4, Innsbruck–Wien–Bozen 2007) 186, 205f.



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die Erfassung der Informationen. Die Planmäßigkeit der Stadt wurde als solche empfunden und diente zur Strukturierung der Sachinformationen18. Sind Quellenbelege mit vergleichbarer Information für verschiedene Epochen vorhanden, so können auf Basis der GIS-Darstellungen Zeitreihen erstellt werden. Beispielsweise bieten sich die Berufsbezeichnungen von Hausbesitzern an, die im ältesten Grundbuch von 1561, dem Theresianischen Kataster (1749), dem Josephinischen Kataster (1789)19 sowie in der Franziszeischen Aufnahme von 1825 genannt werden. Die Klassifikation der erfassten Berufe erfolgt nach den Bereichen Produktion (unterteilt in Metallverarbeitung, Textilien inklusive Leder und Bekleidung, Nahrungsmittel, Holzverarbeitung und sonstige), Handel und Dienstleistungen (Rauheisenverleger, Händler allgemein, Lebensmittelhändler und Wirte/Schankberechtige) sowie sonstige (vom Advokaten bis zum Türmer) und vermittelt eine Vorstellung von der Wirtschaftsstruktur Leobens. Daraus wird ersichtlich, dass die Eisenverleger und Handelsherren die

Abb. 3: Klassifikationsschema der Berufe (Copyright Alfred Joham).

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  Zur Objektlokalisation in historischen Dokumenten Joham, Leoben (wie Anm. 1) 19–26.   Zu den Quellensignaturen ebd. 49, 53–56.

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Abb. 4: Berufsbezeichnung der Hausbesitzer 1561 (Copyright Alfred Joham).



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Abb. 5: Berufsbezeichnung der Hausbesitzer 1749 (Copyright Alfred Joham).

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Abb. 6: Berufsbezeichnung der Hausbesitzer 1789 (Copyright Alfred Joham).



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Abb. 7: Berufsbezeichnung der Hausbesitzer 1825 (Copyright Alfred Joham).

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repräsentative Lage am Hauptplatz (erwartungsgemäß) bevorzugten, während die Handwerker meist an der Stadtmauer siedelten. Die wiederholt dokumentierte Aufeinanderfolge der verschiedensten Berufssparten in den meisten Handwerkerhäusern kann – wie in anderen Städten – bestätigt werden. Aber auch der wirtschaftliche Wandel durch die Aufhebung der Handelsfreiheit für Eisen und Stahl von 1781/1782 findet in diesen Karten seinen Niederschlag, der zu einem gänzlichen Verschwinden des über lange Zeit prägenden Berufstandes des Rauheisenhändlers in Leoben führte (Abb. 3–7)20. Es muss nicht ausdrücklich angemerkt werden, dass die Geometriedaten, also beispielsweise die grafische Darstellung des Hausbestandes, nur zum Zeitpunkt ihrer Erfassung mit gleichzeitig erhobenen Sachdaten übereinstimmen. Für die Darstellung von früheren oder späteren Sachinformationen können diese Geometriedaten wesentlich abweichen – und sind sehr oft auch gar nicht bekannt. Daher würde eine symbolhafte Darstellung der Gebäude (Kreise, Quadrate o. ä.) diesem Umstand korrekterweise besser entsprechen, aber gleichzeitig die Lesbarkeit für den Betrachter durch einen zu hohen Grad der Abstraktion wiederum erschweren. Es erscheint daher zielführender, Sach­ informationen, auch wenn diese beispielsweise Jahrhunderte vor dem ersten Kataster erhoben wurden, auf Basis dieser frühesten Geometriedaten darzustellen – natürlich unter Bedachtnahme auf die Ungleichzeitigkeit der beiden Datenbestände. Gleichzeitig sind Divergenzen – beispielsweise ein großes Gebäude im 19. Jahrhundert und eine geringe Haussteuer oder Anzahl von Zimmern in der Zeit davor – bereits Ergebnisse der GISBearbeitung, da sie auf bauliche Veränderungen zwischen beiden Erfassungsdaten hinweisen. Eine weitere wichtige Quelle für die Untersuchung von stadtgeschichtlichen Fragestellungen in Leoben stellt das erhaltene Grundbuch aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts dar, das 1561 vom Stadtschreiber Georg Jändl begonnen wurde und über ein Jahrzehnt in Verwendung stand21. Es verzeichnet die jährlichen Geldbeträge, die von den Besitzern an die Stadt zu entrichten waren, sowohl innerhalb der Stadtmauern als auch in der Vorstadt jenseits der Mur. Schuldverschreibungen, Erbschaften und Eigentümerwechsel wurden bis 1571 in diesem Grundbuch eingetragen. In der Stadt blieben in diesem Zeitraum von 119 Eintragungen 59 Liegenschaftseigentümer unverändert, 49 Hofstätten wechselten einmal, zehn zweimal und eine dreimal den Besitzer. Die Häufigkeit der Eigentümerwechsel mit über 50 % ist im dokumentierten Zeitraum von einem Jahrzehnt erstaunlich hoch22. Immer wurden gesamte Liegenschaften verkauft, für Teilungen oder Vereinigungen von Grundstücken gibt es in diesem Zeitraum keine Belege. In der Vorstadtsiedlung blieben von 35 Liegenschaften 29 in Händen der gleichen Besitzer – hier herrschten also wesentlich stabilere Besitzverhältnisse als bei den Stadthäusern. Während in der Vorstadt der Grundzins pauschal mit 18 Pfennig festgesetzt wurde – einzige Ausnahme war eine Mühle –, ist die Zinshöhe in der Stadt wesentlich differen20  Zur völligen Freiheit des Handels mit Eisen und Stahl durch die Patente Kaiser Josefs II. vom 29. Dezember 1781 und 9. November 1782 s. Roman Sandgruber, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Österreichische Geschichte, Wien 1995) 184. 21  Steiermärkisches Landesarchiv, Archiv Leoben Stadt, K. 29, H. 328: Gemainer Stat Leobm Grünndtpüech […] in Mathesen Schmeltzers Bürgermaister ambt durch Geörgen Jhänndl, derzeit statschreiber zu Leobm, im 1561 jar aufgericht vnd angefangen worden; vgl. Joham, Leoben (wie Anm. 1) 66–69. 22   Ähnliche Zahlen sind für Wien, Augsburg oder Nürnberg belegt und auch in anderen Städten ist eine überaus hohe Fluktuation zu beobachten. Vgl. u. a. Harry Kühnel, Mobile Menschen in „quasistatischer“ Gesellschaft, in: Alltag im Spätmittelalter, hg. von Harry Kühnel (Graz–Wien–Köln 21986) 114–120, hier 119f.



Der Einsatz von GIS und CAD in der Stadtgeschichts­forschung

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zierter. Sie bewegt sich zwischen 3 und 120 Pfennig, wobei gewisse bevorzugte Zinswerte erkennbar sind. Mehr als ein Drittel der Häuser zinste 12 Pfennig (34 %), gefolgt von 18 (17 %), 24 (15 %) und 6 Pfennig (12 %). Gemeinsam umfassen diese vier Kategorien 78 % der zinspflichtigen Hofstätten. Durch die GIS-Datenerfassung und Berechnung der zugehörigen Grundflächen (Wohnhaus und Hinterhöfe) konnte ermittelt werden, dass die Haussteuer für 85 % der Fälle in Korrelation zum Ausmaß der Fläche stand. Dabei wurde offenbar ein Steuersatz von 1 Pfennig je 10 Quadratklafter Grundfläche angewandt. Bei „ungeraden“ Rechenergebnissen ist ein Hang zur Klassifizierung nach dem Duodezimalsystem – meist zum Nachteil des Besitzers – erkennbar. Solche Ergebnisse sind mit aller gebotenen Vorsicht zu interpretieren und zudem ist der Umstand zu berücksichtigen, dass die Grundflächen von 1825 nicht automatisch mit jenen von 1561 gleichzusetzen sind. Trotzdem kann diese hohe Übereinstimmung auch als Indiz dafür gewertet werden, dass sich die Abgrenzungen der Hofstätten in diesem Zeitraum nur wenig verändert haben23.

CAD – Anwendungen und Auswertungen Ähnliche Möglichkeiten wie geografische Informationssysteme bieten CAD-Programme24 für die Analyse von raumbezogenen grafischen Daten, doch im Unterschied zu einem GIS ist (meist) keine Verknüpfung von Attributen möglich, d. h. das Ergebnis ist eine Grafik – ein Strichplan im herkömmlichen Verständnis. CAD-Zeichnungen sind hauptsächlich das Ergebnis von Vermessungsarbeiten, sei es nun die Dokumentation von (historischer) Bausubstanz, archäologischen Grabungen oder anderen raumbezogenen Objekten. Durch die Verwendung eines einheitlichen Koordinatensystems ist wiederum die Kombination verschiedenster geometrischer Datenquellen möglich. Unter Ausnutzung der Programmfunktionalität können in der Zeichnung beliebige Entfernungen oder Winkel für metrologische Untersuchungen ermittelt werden – beispielsweise bei der Suche nach historischen Baustrukturen25. Erfolgte die Datenerfassung in einem dreidimensionalen Koordinatensystem, also mit zusätzlichen Höheninformationen, so können die Ergebnisse mit Werkzeugen zur dreidimensionalen Darstellung „von allen Seiten“ betrachtet werden, aber auch Schnittdarstellungen sind rasch und effizient erzeugbar. Aufgrund von spezielleren Funktionen eignen sich diese digitalen Zeichenprogramme bestens für die Transformation (gescannter) historischer Pläne in das heute gebräuchliche metrische System. Meist sind historische Baupläne mit einer Maßstabsleiste – beispielsweise in Klaftern – versehen, sodass diese mit der bekannten Umrechnung Klafter/Meter sofort skaliert werden können. So kann aufgrund eines erhaltenen Vermessungsplanes die Rekonstruktion und Visualisierung eines historischen Gebäudes erfolgen. Im Jahre 1837 wurde vom k. k. Kreisamt ein Plan uiber die nothwendige Abtragung der baufälligen dem

23  Dokumentierte Flächenveränderungen (Teilungen, Vereinigungen) wurden sehr wohl berücksichtigt, jedoch fehlen aktuelle archäologische Untersuchungen zur Permanenz der Grundstücksgrenzen in Leoben als Untermauerung dieser Theorie; vgl. Joham, Leoben (wie Anm. 1) 66–69. 24  Computer aided design (CAD), Software zur Erstellung digitaler Pläne und Zeichnungen. 25   Vgl. Alfred Joham, Baugeschichte des Klosters und der Kirche im Mittelalter, in: Vom Kloster zum Einkaufszentrum. Die Geschichte des Dominikanerklosters in Leoben, hg. von Alfred Joham–Wolfram Hoyer (Leoben 2011) 49–69. 

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Abb. 8: Plandarstellung der Stadttürme (1837) und 3D-Rekonstruktion (Copyright Alfred Joham).

Einsturze drohenden Thurm- und Stadtmauern zu Leoben angefertigt26. An der Ostseite der Stadt sollten zwei Türme und angrenzende Mauerbereiche aufgrund ihres schlechten Bauzustandes teilweise abgebrochen werden. Der beauftragte Kreisingenieur stellte in seinem Plan, der als Basis für die Ermittlung der anfallenden Kosten diente, Grundrisse, Ansichten und mehrere Schnitte dar. Wie die nachfolgenden Abbildungen zeigen, ermöglichen daraus erzeugte 3D-Darstellungen dem ungeübten Planbetrachter einen wesentlich schnelleren Informationszugang – bei gleichem Informationsgehalt (Abb. 8). Historische Baupläne sind eine Genauigkeitsstufe über den Katasterplänen anzusetzen und stellen mit weitaus größerer Detailliertheit einen sehr beschränkten Teil des Stadtraumes dar. Noch viel mehr ist bei dieser Quellengattung nach dem Verwendungszweck der Planerstellung zu fragen. Beispielsweise werden bei Umbauten in Gebäuden die angrenzenden Gebäudeteile oder die Umgebung des Hauses oft nur schematisch angedeutet 26

  Archiv Museumscenter Leoben, C6a/7 Stadtmauer.



Der Einsatz von GIS und CAD in der Stadtgeschichts­forschung

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Abb. 9: Bauentwicklung des Hauses Dominikanergasse 9 von 1750–2006 (Copyright Alfred Joham).

Abb. 10: 3D-Modell der Stadtbefestigung – Ansicht von Nordwest (Copyright Alfred Joham).

und genügen nicht den heute gewohnten – und oft implizit vorausgesetzten – Genauigkeitsansprüchen. Daher sind auch eine quellenkritische Betrachtung und Interpretation äußerst wichtig. Weiters darf nicht vergessen werden, dass Baupläne geplante Baumaßnahmen darstellen. Dabei wird der Bestand meist in Schwarz dargestellt, Abbrüche in Gelb und beabsichtigte Neubauten in roter Farbgebung – in Leoben bereits in den ältesten Hausplänen ab 1799 üblich. Die Überlieferung eines solchen Bauplanes ist allerdings noch kein verbindlicher Hinweis auf seine auch tatsächliche Ausführung. Sind mehrere Bauphasen bekannt, lässt sich die Bauentwicklung von Gebäuden in Zeitreihen sehr anschaulich darstellen. So werden am Beispiel eines kleinen Handwerkerhauses an der nördlichen Stadtmauer die baulichen Entwicklungsschritte bis zur vollständigen Verbauung der schmalen Streifenparzelle dargestellt (Abb. 9). Auch flächenmäßig umfassendere Ergebnisse über die bauliche Gestalt einer Stadt bieten sich für zusammenfassende 3D-Darstellungen an wie beispielsweise die Visualisierung des ältesten dokumentierten Zustandes der Stadtbefestigung. Da die Einzelergebnisse oft

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aus zeitlich stark differierenden Quellen erschlossen werden, ist die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ in einer solchen Darstellung zu berücksichtigen. Bei allen Einschränkungen und Ungenauigkeiten bietet sich so trotzdem die Möglichkeit, „nie Gesehenes“ auch einem breiten Publikum nahezubringen (Abb. 10).

Zusammenfassung Die Stadt Leoben bietet sich aufgrund ihrer überschaubaren Ausdehnung und der vielfältigen, ab der Mitte des 16. Jahrhunderts oft flächendeckend vorhandenen Quellenbestände zur Bau- und Siedlungsgeschichte für eine computergestützte Untersuchung an. Auf Basis der digitalisierten kartographischen Unterlagen ist es möglich, die bauliche Gestalt der Stadt aus historischen und aktuellen Unterlagen zu erfassen und mit Hilfe der digitalen grafischen Datenverarbeitung unter verschiedensten Blickwinkel zu untersuchen. Dabei bietet sich der Einsatz eines geografischen Informationssystems (GIS) für Erfassung, Bearbeitung, Analyse und Präsentation von flächendeckenden raumbezogenen Informationen an. Als kartografische Grundlage wird dazu die älteste Katasterdarstellung des Stadtgebiets, der Franziszeische Kataster von 1825, herangezogen, wodurch die Darstellung von verschiedenen Sachinformationen über den gesamten Stadtraum möglich wird. Nicht nur bei Schriftquellen, sondern auch bei kartografischen Unterlagen ist beachten, dass diese einer quellenkritischen Reflexion und wechselseitigen Kontrolle (wie durch Bauforschung, Archäologie u. a.) bedürfen. So wie räumliche Informationen in unterschiedlichen Maßstabsebenen und Genauigkeitsstufen vorliegen, so können sie auch mit verschiedenen Werkzeugen bearbeitet werden. Für die Arbeit mit großmaßstäblichen historischen Bauplänen bietet sich dabei der Einsatz von CAD-Systemen an. Die verwendeten Quellen sind dabei wesentlich kleinräumiger und sehr oft auf ein Bauwerk oder nur einen Bauteil beschränkt. Daher sind eine quellenkritische Behandlung und die Berücksichtigung des Entstehungskontextes, des ursprünglichen Zweckes einer Darstellung, für die Interpretation noch wichtiger. Neben den geometrischen und thematischen Analysemöglichkeiten bieten sowohl GIS- als auch CAD-Programme umfangreiche und komfortable Möglichkeiten zur Darstellung verschiedenster Sachdaten und Auswertungen. Damit vereinfachen sie die Vermittlung auch von nichtkartografischen Informationen und ermöglichen das Erkennen komplexer Zusammenhänge in einer Grafik frei nach dem Motto: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“.

The Use of Innovative Techniques in the Process of Rescue Excavations The Case of the Wałowa Site in Gdańsk Andrzej Gołembnik and Jacek Gzowski

The archaeological studies at the Wałowa site in Gdańsk (Danzig) have been completed in their field stage. They were carried out in accordance with the approved plan, which involved wide applications of new technical solutions, both during the excavations, as well as in the course of works summing up the gathered knowledge. Unfortunately, the death of the leader carrying out the research made the realization of our far-reaching ideas impossible. This survey shall be dedicated to the memory of my friend; trusting that his ideas will find followers. The course of archaeological investigations carried out in Gdańsk after the Second World War seems to be reflect the turbulence of the town’s history. The first excavators focused their efforts on the issues of the earliest period, associated with Slavic origin, while the later phases, confirming presence and activity of German Fig. 1: Jacek Gzowski, citizen of Gdańsk, settlers, were completely ignored. This incomarchitect and archeologist (1955–2013). plete and biased manner of research lasted more than twenty years. Paradoxically, the methodological standards of these patchy excavations were paradoxically on top level1. The next decades brought a significant change of priorities, and archaeological observations covered a full range of research problems, but lost their accuracy in terms of methods. Archaeology regained the required standards in late 1980s. Riding the wave of political and economic transformations, urban archaeology

1   Romana Barnycz-Gupieniec, Planigrafia materiału zabytkowego z osady podgrodowej wczesno­ średniowiecznego Gdańska (stanowisko 1) [Planigraphy of finds from the early medieval boroigh of Gdańsk (site 1)] (Gdańsk 2005).

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also received an invigorating breeze2. This comfortable situation lasted for the next several years, bringing exciting and spectacular results. Unfortunately a sudden acceleration of economic prosperity in the last decade resulted in deterioration in how archaeology is carried out: it has lost scientific accuracy and has become a part of an investments process, losing at the same time its social prestige. We must objectively conclude that this dangerous tendency is also caused by an inconsistent attitude of archaeologists themselves3. There is no doubt that in Poland we are dealing with the collapse of archaeology as a science in its traditional form. Time will tell if this is a deeper, long-lasting crisis or a momentary breakdown. It should be remembered though that archaeology has grown from society’s need at a certain stage of development in civilization. Its evolution went hand in hand not only with the emergence of cultural and political elites, not only with the ambition of prospectors, but also with technical developments. Each of these factors left its mark on science. However, the end of the second and the beginning of the third millennium has seen a rapid acceleration, affecting several fields at the same time. There is no doubt that this time archaeology did not keep up with the changes. The conservative attitude of researchers including the supported romantic vision of the profession, as well as a lack of openness towards new technologies and techniques of social communication, effectively slowed down the previously harmonious development. For the first time, archaeology and a few other sciences in the field of humanities were outside the mainstream of interest and dropped off the list of priorities. In the era of great civilizatory changes, this profound crisis might, however, become a chance. Nowadays archaeology is waiting for a new openness, waiting for bold decisions breaking out of the existing doctrine, visions of new methodological forms, including those applied at the time of excavations, but also, and perhaps more urgently, those which change the way how the synthesis is presented4. At a time of globalization of science, when almost every action becomes part of a larger plan, at a time of multifaceted thinking and acting based on the leading interdisciplinary cooperation, archaeology might play an entirely new role in the area of historical sciences. With the appropriate set of research instruments and proper application of modern methods and techniques, it might become a trans-science, a platform combining the results of various lines of research conducted in the broad cultural anthropology research front. An example of one of the first attempts to move in this direction might be the excavations organized at the Wałowa site in Gdańsk. A few years ago, a large open space situated on the northern outskirts of the medieval town was destined to become the location for the construction of The Second World War Museum. The conditions for the planned re2  Henryk Paner, Archeologia Gdańska w latach 1988–2005 [Archaeology of Gdańsk in the period 1988– 2005] (Gdańsk 2006) 11–88. 3  Andrzej Gołembnik, Problemy i perspektywy współczesnej archeologii (przyczynek do dyskusji o metodyce badań stanowisk w obrębie miast zabytkowych) [Problems and prospects of modern archaeology (contribution to the discussion on research methodology in historical towns], in: Archeologia w obliczu wyzwań współczesności [Archaeology in the face of contemporary challenges], ed. Andrzej Buko–Dariusz Główka– Maciej Trzecieski (Radom: Korzenie Miasta i regionu 3, Warszawa 2012) 73–107. 4  Archaeology. New Approaches in Theory and Techniques, ed. Imma Ollich-Castanyer (Rijeka 2012: http://www.intechopen.com/books/archaeology-new-approaches-in-theory-and-techniques [accessed April 2015]); Andrzej Gołembnik, Metodyka archeologicznych badań terenowych w dobie przemian technologicznych [Methodology of archaeological fieldwork in a time of technological change], in: Nawarstwienia historyczne miast. Forum naukowe 2008 [Stratigraphy of historic towns. Scientific Forum], ed. Marty Wardas-Lasoń (Kraków 2012) 237–259.



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Fig. 2: Position of archaeology among the cultural anthropology sciences.

Fig. 3: The aerial photo of the Wałowa site during first weeks of excavations. Photo W. Stępień.

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search were very difficult right from the beginning. The organizers of the venture allowed a time of nine months (including winter) to excavate an area of 17.000 m2 down to the depth of 4 meters. It meant that more than 7.000 m3 of historical layers filled by brick and timber structures had to be removed during the worst season of the year. The tender for the execution of these works was won by Jacek Gzowski, one of the most gifted architects in Poland, expert on medieval urbanism and owner of the private company Agencja DART. The site designed for rescue excavations covered almost the entire area of the former Wiadrownia („Eimermacherhof“ – the place belonging to the guild of craftsmen making wooden buckets, tubs, pails and other similar wooden vessels). Originally this piece of land was situated outside of the northern flank of the Teutonic Knights’ castle, which was built in place of the old Slavic ducal stronghold, transformed into a fortress forecourt5. The swampy area of suburban meadows, stretched along the edge of the fortifications, was donated to the guild by the City Council in the first half of 15th century. Initially, it was built up by sparse workshops, sheds and storage shelters. The area was significantly transformed in the middle of the 17th century. A new bed of the Radunia Channel, which finally found its outlet in the Motława river, limited the area of Wiadrownia to a small, triangular island bordered by solidly reinforced embankments. It was also the time of the first urban regulations organized when four main streets were laid out6. This pattern survived until the Second World War, and after destruction of 1945 the area was left unbuilt. Fortunately in many cases difficult conditions force researchers to look for new possibilities to improve their work. This also happened during the excavations conducted at the Wałowa site. Beyond routine activities preceding the survey, such as detailed investigation of historical sources and testing drillings, specific principles for organizing the field work were established. First of all it was assumed that the only chance for archaeologists to complete their excavations in time and to maintain proper scientific standards was to set regulations based on implementation of the latest measurement techniques and use of the newest systems of documentation. At the same time the credibility of the conclusions achieved by field work had to be supported by the opinions of cooperating experts. This interdisciplinary group consisting of an architect, a historian, botanists, a geologist and a hydrogeologist, worked in intense co-operation together with archaeologists from the first day of the field work until the final conclusions summarized the results of the excavations. At the same time as the archaeologists doing their field work, three other groups were involved in the process of investigations. The first was engaged in the conservation of finds, while two o­ thers took care of gathering detailed information about layers and structures, keeping order in the documentation, and putting data into two main systems: working CAD and final GIS. This work was supervised by the council of the heads of the team: Jacek Gzowski as manager of the site, Patryk Monterski as field leader, and two experts: Bogdan Bobowski, responsible for finds and Andrzej Gołembnik, supervising documentation and GIS. 5  Reinhold Curicke, Der Stadt Dantzig historische Beschreibung cap. VII (Amsterdam–Danzig 1687) 14–16; Erich Keyser, Die Danziger Burg. Altpreussische Forschungen 5 (1928) 217–238; Henryk Paner, The Teutonic Castle in Gdańsk, in: Castle and Church, ed. Leszek Kajzer (Castrum Bene 5, Gdańsk 1996) 137– 150. 6  Erich Keyser, Die Baugeschichte der Stadt Danzig (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart 14, Köln–Wien 1972) 375s.; more information on the early property of the „Eimermacher“: Siegfried Rühle, Das Gewerk der Böttcher in Danzig. Mitteilungen des Westpreußischen Geschichtsvereins 29 (1930) 59–74, cit. 67, 74.



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Fig. 4: The Wałowa site – the main strategy.

It is true that the site seemed relatively simple. Except the upper rubble, the next layers consisted of organic matter. At a depth of 3,5 m, the archaeologists exposed a regular surface of marshy meadow. The swampy vegetation covered a bulk of stratified silt. According to the result of C14 analysis and the opinion of the hydrogeologist and the botanists, this „clayish“ deposit was accumulated in the Early Middle Ages, as a result of flowing water. Deeper drillings brought the other astonishing conclusions. Suddenly the scope of the work was dangerously expanded. An unexpected problem of geological origin of the terrain became one of the major questions of investigations. It is worth mentioning at this stage that, ultimately, detailed analysis brought a thrilling answer for the hitherto unsolved problem of the beginning of the settlement in Gdańsk and the genesis of the neighboring Slavic fortress. The upper deposits were divided into four main phases, and proved almost 600 hundred years of continuous occupation. Fortunately for archaeologists, the first phase, which also was the most significant in volume, was formed at a time when the area of future Wiadrownia was used as a dumping ground for the town’s rubbish. Lack of structures helped to maintain good speed of investigations at the final stage of excavations. The exploration of the garbage brought the biggest collections of late medieval artifacts which have ever been found in Gdańsk. The next phases, divided by sandy deposits left by destructive floods, confirmed the dynamics of the process of stratification and established in detail our knowledge of the topographical and structural evolution of Wiadrownia, known only sketchily from the written sources. The absence of strong and broad constructions (except timber embankments and the youngest brick foundations), as well as the loose structure of the soil used for successive levelling, caused problems of internal communication within the site. Trying to solve this problem, a crucial one due to the vast area to be excavated, the site was divided into seven

Fig. 5: The Wałowa site – a section of sector 6.

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large zones. They were separated by narrow strips of land, serving as roads and used as standing profiles. At the beginning, significant efforts were made to complete the full examination of one chosen zone. All information gathered during this test excavation was used for further decisions regarding the neighbouring areas. This system of spatial organization gave the team a chance to preserve the stratigraphic order; even parts of the site were removed by digging machines. Of course it is hard to maintain that the site was excavated „layer by layer“, however, almost all deposits and structures have been distinguished from each other and described. It was simply impossible and, in fact, unnecessary to extract each individual layer within the huge bulk of garbage, especially under such time pressure. Despite these simplifications, archaeologists followed their procedures according to the main schedule, leading at the very first step towards the most important goal of the field work – to establish a „horizon“, a space consisting a set of exposed and defined stratigraphic units, representing a defined, chronologically equal stage of depositional history of the site.

Fig. 6: Preliminary schedule of the Wałowa site strategy.

In this system, each layer distinguished during the excavations was designated by a unique number. Then its detailed characteristics were notes in an individual form and stored in computer memory. The same procedure was used for constructional elements and for the whole structure. Verbal and formalized descriptions were entered into a database and sent immediately to the system administrated by the head of excavations. The basic procedure during the excavations was to determine the character of explored units. This task seems to be of great importance when applying the latest methods of documentation of discoveries, as well as storing data for further analysis. Defining a full extent of

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each examined unit of stratification (both horizontally and vertically) and attempting its comprehensive description and definition became part of the system applied at Wałowa site. With regard to this, the archaeologist’s duties included the determination of the material contents of a unit, identification and definition of its physical properties, study of the mechanisms of accumulation and finally specification of mechanical and natural factors responsible for post-deposition processes. These analyses should result in a decision assigning the examined unit to one of three categories of layer units: continuity, disturbance or destruction. As a consequence, archaeologists are able to divide units into those which were accumulated in situ, and such which appeared as a secondary deposit.

Fig. 7: Chart showing different groups and categories of the units.

This stage of the stratigraphic analysis was no doubt useful, e. g., for a more comprehensive understanding of the stratification process and for a proper evaluation of finds discovered during the exploration. It consists in putting together and analyzing all the acquired features. Among the list of the most useful features to determine a category of the stratigraphic unit was topography of the surface of examined layers, as well as the degree of intermingling of its top and the bottom of the neighboring units; in other words, the degree of lamination, position, state of preservation and degree of overlapping of components making up their contents. Each identified feature of a unit was nevertheless significant for the value of the conclusions. A complete identification of all features of a layer unit, meaning an attempt to identify its original nature, is a resultant of all the physical features, their cultural contents and the results of all intermediate analyses undertaken in a course of excavations. An appropriate identification of the contents, including relations



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Fig. 8: Chart showing all procedures to determine the character of the stratigraphic unit.

between layer units and object units, supported the archaeologists in their attempts to reconstruct the stratification process. The list of basic features started with the determination of the color of the layers and the degree of its change. The second attribute in particular seemed to be valuable to establish the chemical reactiveness of a unit. Other physical attributes, such as the degree of compactness, cohesion and elasticity, also played an important role in the process of establishing the characteristics of the stratigraphic units. Simple tests, such as breaking,

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crushing, squeezing, twisting and rolling of samples were supplemented with the results of chemical analyses using simple pedological sets. The identification of physical features, already at the stage of field examinations, provides the archaeologist with a basis for trustworthy identification of one of three different types of the stratification unit: deposit, sediment and stratum. Thanks to the use of specific terms for different types of layers, it is possible to eliminate the ambiguous term „layer” from the description of stratification processes. It has become just a kind of general term used in general presentation of ­stratigraphy. In the system worked out for further computer analysis at the Wałowa site, the smallest stratigraphic unit is a deposit – a spatially defined unit with homogeneous or mixed composition. It is distinguished by its stratigraphic context, physical features and cultural contents. It originates as a result of an activity or occurrence of homogeneous nature. The next one is the sediment – a continuous sequence of identifiable deposits. These deposits result from repetitive activities or series of subsequent activities which took place in the same spatially defined place and which were conditioned by a similar cause. The definition of a sediment therefore results from an interpretive process by which two or more connected deposits are grouped together into a single cultural unit. In order to distinguish between types of sediments, it is worth distinguishing three types of sediments in the archaeological records, depending on the legibility of their structure: a) evident (clear, laminar structure), b) certain (disturbed structure), c) unclear (unified structure, e. g., fills of latrines). The third and the most general unit is a stratum – a spatially defined unit which is distinguished by its stratigraphic context, its physical features and its cultural contents. Its original nature is impossible to define.

Fig. 9: Short characteristic of different groups of stratigraphic units.

The list of units is completed by interfaces (cuts). At present it is difficult to ima­ gine any serious archaeological excavation without using this category of stratification units. While attempting to discuss the question of cuts/interfaces and their role in the stratigraphic analysis, it is worth stressing that only part of the originally deposited layers have survived in historic towns. This is obviously due to the dynamics of stratification processes. The principal task of the stratigraphic analysis is therefore to first identify places where an interruption or a disturbance of continuity of the stratification process occurred. An identification of such a place (let us call it a „stratigraphic gap“) is a confirmation of some past occurrence which resulted in a formation of a final stratification system. It is the trace of such an activity, which is recognizable only as a touch line between units, that



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must be provided with an individual number in the course of work and must be considered an essential element of reconstructed history. In this system, an interface is understood rather as the term „cut“, or a proof for a conscious, dynamic activity. This activity results in a change of the original sequence of units. In the case of „layer“ units, these may be horizontal lines (testimonies to accumulation or levelling) and vertical lines (testimonies to digging in). All the aforementioned remarks also concern relations between object units. An interface is a trace of interference in the original structure of a construction. This interference results in disassembling or rebuilding of the construction and as such it must be subject to the same rigorous documentation procedures. The idea of using different terms for different types of stratigraphic units was used for the first time during excavations in Bergen many years ago7. This method, despite being published many times, did not find understanding among researchers. Probably it seemed to be too complicated and difficult to apply. Nevertheless, during the growth of popularity of spatial databases it is worthy of any effort, bringing significant advantages, especially when reconstructing the process of stratification. As a consequence of the introduction of different types of „layers“, „constructions/structures“ were also divided into smaller units, getting their individual numbers and characteristics. This distinction gave archaeologists the opportunity to study and to reconstruct the dynamics of stratification processes in a more reliable manner. Determining the extent and nature of each unit, and then examining the mutual relations between them, became the most important part of the field work interpretation. It allowed archaeologists to look for mutual spatial relations between horizontal and standing units, expanding the scope of interpretation. The option of entering the search results of archaeologists and architects in a geodetic defined space created an opportunity to find common relationships between the different categories of sources. Finally it was decided also to introduce precisely defined terms for stratigraphic analysis. The basic „unit“ is a horizon, which consists of defined stratigraphic units or a set of chronologically convergent units, which stand in direct stratigraphic relation or which are spatially dependent on one another. All of them should correspond to defined stratigraphic event (events). A more general term is a settlement level – a horizon or a set of horizons which are directly related to other units in the site in stratigraphic and chronological terms. This relation, however, is not necessarily of functional nature. The last and the largest one is a phase – a „unit“ or a series of stratigraphic events of different nature, being a testimony to a planned, carried out and completed idea of organization and functioning of a given space. This had a certain beginning and the resulting organization and functioning lasted until a given activity was stopped or was subject to destruction. The latter implied a need for structural and spatial changes within the new space. Unification of archaeological research terminology was intended not only to lay the foundations of a transparent database. The need for precise field analysis, which necessitates that those on site define the nature of the layers and structures by giving them specific names, has lead to the empowerment of exploration and made it the primary activity of research, even under difficult conditions, where detailed analysis has to be based only 7  Andrzej Gołembnik–Alexander Rory Dunlop, A System for Documentation and Processing of Information from Medieval Urban Deposit, in: Proceedings from the 6th Nordic Conference on the Application of Scientific Methods in Archaeology, ed. Vagn Mejdahl–Palle Siemen (Arkæologiske rapporter 1, Esbjerg 1996) 247–258.

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Andrzej Gołembnik and Jacek Gzowski

Fig. 10: New documentary techniques enforce discipline during fieldwork. It is maintained by the defined procedures, unified terminology and measurement precision. They divide the research process into four basic stages, each having its own place in the spatial database.

on testing samples. The results of precise and comprehensive analysis of the content and nature of the explored layers only has to support the basic, stratigraphical decisions, which allow final decisions to choose the proper surface, representing topographic emanation of the defined stage of stratification. In other words, the archaeologist’s task working in this system was to find and document an excavation surface where the layers and accompanying structures represented the defined event or phenomenon8. The history of the analyzed site therefore had to be illustrated by a set of such separated and documented plans. Each one represented a specific stratigraphic episode, while all together represented the history of spatial and functional changes, registered in topography, structure and composition of the layers, as well as accompanying structures and objects. This is a fundamental change in the methods of field work. On the one hand, it sanctioned the stratigraphic method by removing layers from the youngest to the oldest; on the other hand, it departed from the principle of registering individual layers in favor of a broader context9 . A joint exploration process with a method for illustrating the discoveries seems to be a logical consequence of the development in digital image processing and the parallel progressive development in computer techniques. The popularization of the total station and the ability to assign a coordinate value to each element of documentation strengthens this bond. The space stored in computer memory becomes the framework not only for 8   The system adopted for Wałowa site preserved the basic principle of the „stratigraphic” method, al­ though the purpose of the archeologist’s work was not only the search of the upper limits and the range of the youngest „layer“, but also (and perhaps above all) the attempt to identify and define its context. 9  Attempts at such an approach to the issues of excavation surface registration were applied for the first time during excavations carried out in Norway. See Andrzej Gołembnik, Stratigraphic Reconstruction of the Urban Deposits at the Sites of Finnegarden 3A, Dreggsalmenning 14–16 and Skostredet in Bergen, in: Acquisition of Field Data at Multi-strata Sites, ed. Witold Hensel–Stanisław Tabaczyński–Przemysław Urbańczyk (Theory and practice of Archaeological research 2, Warszawa 1995) 303–328.



The Use of Innovative Techniques in the Process of Rescue Excavations 223

the precise location of finds, but also shows their correct position (horizontally and vertically) in photo realistic, two- or three-dimensional form, along with the entire contents of the created databases and the researchers’ interpretations. The ability to achieve this type of documentation, as must be stressed at this point, is derived from the ability to establish and enforce a strategy of investigation based on a clear division of the roles and tasks of the team members. In this scenario, the most important element is to attempt the complete reading of the content of stratification units and establish a surface within the excavation area, which provides evidence for its recognition as witness of a specific event or a series of events by its topography and the spatial, functional and chronological relations of uncovered units. In other words, the foundation of the system is the ability to distinguish planes corresponding to the definition of the „horizon“ concept. It should be stressed at this point that the precision and form of the documentation within this system allow verification of the decisions taken, and this is mainly due to its graphic quality. This is the real advantage of new technologies, because the high resolution image (thanks to good hardware or an appropriate number of photographs taken on the basis of photogrammetric images) enables to make calibrated close-ups to a scale of 1:510. Each single item of information in the image files and databases can be adapted or changed, as needed, regardless of the size of the selected image. They are the basis and at the same time the flexible tool of post-excavation research work. It is worth emphasising that they thus constitute materials subject to any improvements, opening the way for the development of adopted solutions.

Fig. 11: Schedule of modern archaeology based on application of the newest techniques.

10   The problem of scale depends now on the conscious choice made by the archaeologist, because there is nothing that prevents the collection of material for an even smaller scale.

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Andrzej Gołembnik and Jacek Gzowski

The development of measurement techniques and the introduction of new solutions for digital image registration, coupled with the ability to create databases, recording not only tables and three-dimensional images in computer memory, created a new form of expression – the language of the image. For the sake of precision of measurement and illustration, during the researches at Wałowa site, both techniques were used. First of all a geodetically positioned laser scanning and, additionally, an aerial and ground close range photogrammetry determined the final recording. This second technique was used in two different ways: a basic means, as an orthogonal documentation, and sporadically 3D, as an experiment for attempts to combine photogrammetry with laser scanning. These two techniques were used for documentation of vast areas of general plans, showing the prepared surface of the defined stratigraphic episodes, and for documentation of profiles and sections.

Fig. 12: Wałowa site – positions for 3D scanning of the excavated area.

The new techniques used at the Wałowa site operated on entirely different principles. The first, which works as a measurement instrument, creates three dimensional space in the form of dense clouds of points. Millions or even billions of such dots, having their own geodesic position, measured precisely by a laser ray, create a model of documented space in 1:1 scale11. At the moment it is the most precise and the fastest way of conducting exhaustive spatial registrations. A continuous improvement of this technique offers astonishing results. The newest scanners are able to measure 1 million points within one second, while the laser ray reaches a distance of 300 m. And because the scanner head rotates around its axis, an area of more than 25.000 m2 can be documented in one turn, within several minutes. Despite the fact that one session does not cover all details, and it is practically almost always necessary to conduct a few or even several scanning sessions, it is still the best 11  David Barber–Jon Mills–David Andrews, 3D Laser Scanning for Heritage (second edition). Advice and guidance to users on laser scanning in archaeology and architecture (Swindon 2011: https://content.historicengland.org.uk/images-books/publications/3d-laser-scanning-heritage2/3D_Laser_Scanning_final_low-res. pdf/ [accessed April 2015]).



The Use of Innovative Techniques in the Process of Rescue Excavations 225 Fig. 13: Wałowa site – making photos for close range photogrammetry.

and the fastest way to map the site threedimensionallly. The second technique, in some ways more traditional, which was used during our excavations, is based on the properties of digital images combined with geodesic measurements12. Properly done, registration gives a photorealistic image of the documented area, pinned under geodetic coordinates. Due to the geodesic grid attributes, which retain accuracy of registration in proper scale and position, the final result of photogrammetric documentation was directly translated into CAD. This means that using CAD tools, we were able to present almost instantly a vector version of plans and profiles. For practical reasons, bucket cranes were used to cover larger space in one photo frame. It is worth adding that now, having ground view photos of good quality in our archive, it is easily possible to get three dimensional registrations and put them together with the cloud of points. But this is a new possibility being applied in the newest projects. The properties of the newest spatial documentation provide a means to link the active, three dimensional models and images with sets of data bases, storing knowledge gathered during excavations by archaeologists and cooperating specialists. In this way the defined space, arranged according to geodetic coordinates, has become a common environment for further computer analysis. For such purposes, the GIS system was applied13. Initially, archeological data were ordered and stored in the system. Then it was combined with a database storing information on architecture. The net of streets, the plots and foundations of buildings were arranged according to chronological levels, spatial coverage and changes, type of construction, names of owners and their profession. Each of the separated horizons and settlement levels was registered in the system, and the characteristics of the re­ gistered construction were combined with a list of contemporary stratigraphic units. This list was complemented by archaeological findings, creating an active archive allowing the sorting and the analysis of the knowledge acquired during the excavations. Unfortunately, the author of the research was not able to attach information from hydro-geologic and paleobotanic analyses to the database any more. This is especially to be deplored, because 12  Mercedes Farjas, Digital Photogrammetry: 3D Representation of Archaeological Sites (Madrid 2009: http://ocw.upm.es/ingenieria-cartografica-geodesica-y-fotogrametria/3d-scanning-and-modeling/Contenidos/Lectura_obligatoria/photogrammetry1.pdf [accessed April 2015]). 13  Menno-Jan Kraak–Ferjan Ormeling, Cartography. Visualization of Geospatial Data (Harlow 2003 [32011]).

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Andrzej Gołembnik and Jacek Gzowski

Fig. 14: Orthogonal, calibrated registration of the overplan of the youngest foundations (the initial plan), made using one of the most popular photogrammetric softwares.

the discoveries in this respect figure among the most important achievements of Jacek Gzowski. Considering the success of the excavators at Wałowa site, which can be measured not only by the amount of information presented in mass media, but also by the great number of invitations to participate in public meetings and scientific conferences, it must be said that the main reason for the increase in interest of the public and the scientific community in the results of the excavations was the organization and the form of the comprehensive report. The decision to create a multidisciplinary team and the scope of innovative techniques used allowed the excavators, on the one hand, to present the results in an attractive way, but on the other hand still to keep to the standards of a comprehensive scientific study. For participants on the Wałowa site excavation, there is no doubt that the efforts will indicate the right path for the evolution of methodological bases of modern archaeology.



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Fig. 15: Wałowa site – overplan of the youngest foundations with chronological stratification.

Fig. 16: Wałowa site – succesive horizons (top layers of succesive levels of the oldest occupation) combined with chronologically diverse foundations of 17th and 18th c., from the spatial data base.



The Late Antique City in Northern Illyricum and Regional Connectivity Vujadin Ivanišević

The urbanization of the central Balkan provinces started in the last quarter of the first century AD, during the reign of Emperor Domitian, when Sirmium was granted the status of colony, as was also probably Scupi, in whose territory veteran legionnaires were settled. After the Dacian Wars and the establishment of the new province of Dacia, came the second wave of city founding, which initially encompassed the transversal along the Danube Road and the Morava corridor. Road junctions were of particular importance in this respect. Only at a later stage would this process spread to the interior of the territory1. The modest urbanization of these areas, when compared with Italy and some of the Imperial provinces along the Mediterranean coast, was in no way different from that in other continental parts of the vast Empire. The degree of urbanization in northern Illyricum, with one city per 5,300 square kilometres, was three times lower than in Asia Minor, where the ratio was one city per 1,761 square kilometres2. The main generator of the urbanization of the central Balkan areas was the army, which was to remain the major political and economic factor until the end of Antiquity owing to the presence of two legions in the cities of Singidunum and Viminacium, respectively, and a third one later at Ratiaria, and a large number of auxiliary troops both in the forts along the Danube and in the interior of the land. The presence of troops in the interior of the land is attributed to the necessity of protecting Imperial domains and customs duties and, especially, mining districts, which played an important part in the economy of the Danubian provinces. Some of the cities, such as Municipium Dardanorum, owed their existence to the extraction and processing of ores. This is also true of Ulpiana in Kosovo. Mining was also well developed in the hinterland of large centres, such as Singidunum, Viminacium, Naissus, and Scupi. Danubian cities, which were the most important urban centres, also had sizeable agricultural resources, a fact reflected in their stable development during the Principate and, particularly, during the Tetrarchy and the Second Flavians. Cities in the interior of the land, such as Horreum Margi, Naissus, Ulpiana, and 1  Miroslava Mirković, Sirmium: istorija rimskog grada od I do kraja VI veka [Sirmium: the History of a Roman Town from the 1st to the End of the 6th Century] (Sremska Mitrovica 2006) 23–35; eadem, Moesia Superior: eine Provinz an der mittleren Donau (Zaberns Bildbände zur Archäologie. Sonderbände der antiken Welt, Mainz am Rhein 2007) 7–40. 2   John W. Hanson, The Urban System of Roman Asia Minor and Wider Urban Connectivity, in: Settle­ ment, Urbanization, and Population, ed. Alan Bowman–Andrew Wilson (Oxford Studies in the Roman Economy 2, Oxford 2011) 229–275, at 242.

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Vujadin Ivanišević

Fig. 1. The distribution of cities in Northern Illyricum with aggregated radii of 37 km.

Scupi, enjoyed favourable conditions for the development of agriculture, as they were built in broad valleys. Some cities, such as those in the west (Municipium Malvesatium, Municipium Celegerorum, and Municipium S), owed their prosperity to strong indi­ genous communities, which played an important part in the interior of the province, that is, in the hinterland of the central Balkan mountain ranges. Animal husbandry, moreover the mining, was the basis of their economy3 (Fig. 1). The prosperity of the central Balkan provinces waned in the second half of the third century owing to barbarian incursions and a political, military and economic crisis that affected the Empire. One of the results of the crisis was the Empire’s withdrawal from the once prosperous province of Dacia under Emperor Aurelian after the year 271. Eventually, this event, together with the vying of power between the western and the rising eastern provinces, put the focus of political events on the central Illyrian provinces in the late third and the first half of the fourth century. Balkan provinces served as a bridge between 3  Slobodan Dušanić, Organizacija rimskog rudarstva u Noriku, Panoniji, Dalmaciji i Gornjoj Meziji [The Organisation of Roman Mining in Noricum, Pannonia, Dalmatia and in Upper Moesia]. Istorijski glasnik 1–2 (1980) 7–55; idem, The Economy of Imperial Domains and the Provincial Organization of Illyricum. Godišnjak Akademije nauka i umjetnosti Bosne i Hercegovine, Centar za balkanološka ispitivanja 27 (1991) 49–52; idem, Army and Mining in Moesia Superior, in: Kaiser, Heer und Gesellschaft in der Römischen Kaiserzeit: Gedenkschrift für Eric Birley, ed. Géza Alföldy–Brian Dobson–Werner Eck (Stuttgart 2000) 343–363; Snežana Ferjančić, Istorija rimskih provincija na tlu Srbije u doba principata [History of the Roman Provinces in the Territory of Serbia in the Time of the Principate], in: Konstantin Veliki i Milanski edikt 313, ed. Ivana Popović–Bojana Borić-Brešković (Beograd 2013) 16–25, at 20–25.



The Late Antique City in Northern Illyricum and Regional Connectivity 231

remote parts of the Empire and often as venues for decisive battles for command over legions and, not infrequently, for the Imperial throne. Frequent visits of Emperors to the cities, especially Sirmium, where Licinius I and Constantine I stayed for long periods of time, testify to the importance of this territory4. An equally important element for comprehending the role of these provinces are their human resources. In Late Antiquity, their inhabitants were frequently conscripted into the army, which is clearly evident from the fact that quite a few of them ultimately assumed the Imperial purple. Diocletian’s and Constantine’s I reforms introduced new administrative divisions, organization of the army and stationing of troops. This new framework and especially the political circumstances – the presence of Barbarians at the Empire’s borders – required that new forts along the Limes be built, old ones rebuilt and cities fortified. The new circumstances put fortification in the foreground as one of the main features of cities in times of crisis, especially in the second half of the fourth century, but also in the following centuries. Fortifications were to play a major part in sustaining urban life and, particularly, in defending the Empire. Danubian cities, as well as those in their hinterland, underwent a similar transformation. Their primary role was to defend the borders, provision the army stationed in the legionary camps and numerous forts lining the frontier on the Danube, and provision the Emperors and the troops accompanying them during their frequent stays in Danubian cities. According to the document Notitia dignitatum, Legio IV Flavia was still in Singidunum, whereas Legio VII Claudia was stationed between Viminacium and Cuppae. River fleet detachments were stationed at Viminacium and Margum5. During this period, Sirmium expanded over an area of 76 hectares and was one of the most heavily populated cities in the region. It was exceeded in area only by Viminacium, the capital city of Moesia Prima and the base of Legio VII Claudia, which sprawled over 90 hectares. For the sake of comparison, it should be stated that Salona, the biggest city of Dalmatia, had an area of 74 hectares6. The other cities in the area were much smaller. Singidunum, the base of Legio IV Flavia, was the third-largest city, with an area of ca. 30 hectares. Other centres were even smaller: Bassianae covered 28 hectares and Horreum Margi only seven. With an area of 31 hectares, Naissus, in Dacia Mediterranea, was much smaller than the cities along the Limes and the provincial capital city, Serdica, which covered 164 hectares. As the second-largest city in Dardania, Ulpiana covered 36 hectares, whereas the provincial capital, Scupi, with 39 hectares, was only slightly larger. The areas of Municipium Malvesatium and Municipium Celegerorum are not known7 (Fig. 2). The model of the distribution of cities – a small number of large ones and a large number of small ones and a certain number of medium-sized ones – fits the known models of distribution of urban centres. We shall deal with another issue, one that has to do 4  Snežana Ferjančić, Istorija rimskih provincija na tlu Srbije u doba tetrarhije i Drugih Flavijevaca (284– 363. godine) [History of the Roman Provinces in the Territory of Serbia in the Time of the Tetrarchy and the Later Flavians (284–363)], in: Konstantin Veliki (cit. n. 3) 26–35, at 30–32. 5  Notitia Dignitatum accedunt Notitia urbis Constantinopolitanae et laterculi provinciarum, ed. Otto Seeck (Berlin 1876, reprint Frankfurt 1962) or. XLI 30; 31–32; 38–39. 6  Andrew Wilson, City Sizes and Urbanization in the Roman Empire, in: Settlement, Urbanization, and Population, ed. Alan Bowman–Andrew Wilson (Oxford Studies in the Roman Economy 2, Oxford 2011) 161–195, at 189, Table 7.13. 7  Our estimation of cities area, based on the published city plans, differs from that given by Wilson, City Sizes (cit. n. 6) 189, Table 7.13 and n. 35.

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Vujadin Ivanišević

Fig. 2. The area of cities in Northern Illyricum.

with direct links between cities. Analyses have been done of the so-called „buffer“ zones – established to have been 37 kilometres in radius and, according to Bekker-Nielsen, represented the distance that could be covered on foot or by cart in one day8. The radii that have been measured clearly indicate that only Danubian cities were close to one another, which was by all means related to their function (Fig. 1). Direct communication enabled better economic and trade relations between them. Other urban centres, particularly those in the interior of the land, where the hilly terrain made communication difficult, were situated a long way from one another. The large distances between the cities clearly indicate that there was no daily exchange of goods between them and that their predominant role was to be administrative centres for the provinces, the army, and the mining districts. The city with the largest population was Viminacium, with an estimated 22,500 inhabitants (250 per hectare), while Sirmium had a population of 19,000. Miroslav Jeremić estimates that the population of Sirmium was smaller, around 15,000, which is substantially below the lower limit of 250 people per hectare9. The other cities, such as Bassianae, Singidunum, Naissus, and Ulpiana, as well as Scupi, lagged behind and had between 8  Tønnes Bekker-Nielsen, The Geography of Power: Studies in the Urbanization of Roman North-West Europe (BAR International Series 477, Oxford 1989) 30. 9   Miroslav Jeremić, Istraživanje fizičke strukture Sirmijuma [Study of the Physical Structure of Sirmium], in: Coopération franco-serbe dans le domaine de l’archéologie, ed. Vujadin Ivanišević (Beograd 2008) 25–43, at 38.



The Late Antique City in Northern Illyricum and Regional Connectivity 233

7,500 and 10,000 inhabitants. According to estimates, Horreum Margi may have had a population of a mere 2,000. Table 1: Area and theoretical city population of cities in the Northern Illyricum City

Area

Population (250/ha)

Sirmium

76 ha

19,000

Bassianae

28 ha

7,000

Singidunum

30 ha

7,500

Viminacium

90 ha

22,500

Horreum Margi

7 ha

2,000

Naissus

31 ha

8,000

Justiniana Prima

13 ha

3,500

Ulpiana

36 ha

9,000

Justiniana Secunda

16 ha

4,000

Serdica

164 ha

41,000

Scupi

39 ha

10,000

Doclea

28 ha

7,000

It has to be pointed out that it is by no means easy to reconstruct the appearance of the Late Antique city in central Illyricum. The problem predominantly lies in the fact that Roman urban centres have been insufficiently researched, and also in the fact that research records have not been made public yet. For this reason, only the location of many of these cities is known and it is not possible to gain insight into their plans, internal organization, floor plans of buildings, and, above all, the chronology of their development. Another point of importance with regard to understanding the role of the cities is the existence of large imperial and private domains in central Illyricum in the fourth century. The known examples are the large Villa publica Pistrensis, 26 miles west of Sirmium, and the Villa publica at Mediana, three miles east of Naissus10 (Fig. 3). The role of both of them implied provisioning the Emperor and his troops. Apart from these, there were special areas – χώρα according to Procopius, who mentions two: χώρα Ἀκυενισίων and χώρα Ρεμεσιανισία. The latter corresponds to Civitas Remesiana, which was first mentioned in fifth century church sources11. Production in the provinces of Moesia and Dacia, according to the description of the Expositio Totius Mundi et Gentium from the mid-IV century, was sufficient despite the severe winters. The only town in this area worth mentioning, according to the same source, was Naissus12. 10  Miloje Vasić, Gradovi i carske vile u rimskim provincijama na teritoriji današnje Srbije [Towns and Imperial Villae in the Roman Provinces in the Territory of Present-Day Serbia], in: Konstantin Veliki (cit. n. 3) 76–101, at 81, 99–101; Gordana Milošević, Arhitektura rezidencijalnog kompleksa na Medijani [The Architecture of the Residencial Compound in Mediana], in: ibid. 118–125. 11  Miroslava Mirković, Villas et domaines dans l’Illyricum central (IVe–VIe siècle). ZRVI 35 (1996) 57–75, at 63s. 12  Expositio totius mundi et gentium, ed. Alexander Riese (Geographia Latini Minores, Heilbronn 1878) 57.

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Vujadin Ivanišević Fig. 3. Mediana – Villa (after Milošević, Arhitektura rezidencijalnog [cit. n. 10]).

Barbarians at the frontiers of the Empire and the fateful defeat of the Roman army at Hadrianopolis in 378, opened the door to Barbarian incursions and their settling in the territories of the Balkan and Pannonian provinces of the Empire. Modern historiography and archaeology are still assessing the scale of the defeat. Evidently, big changes occurred in the cities in the late fourth century, resulting in overall insecurity, population decline and loss of importance due to contracting urban cores13. Theodosius II resorted to emergency measures in order to defend the Balkan provinces between 407 and 412 by sending an edict to Herculius, prefect of the praetorian prefecture of Illyricum, on the compulsory engagement of all subjects, regardless of their status, in building ramparts14. Depopulation and ruralization were not reflected solely in the disintegration of the city, but most importantly in the disappearance of the elite that was the carrier of urban life. The disappearance of the top ranks of society is clearly indicated by a drastic drop in epigraphic monuments, public or private, rich tombs and cemeteries, finds of gold jewellery and, particularly, silverware. This process was caused by the desertion of the villa estates which had provided the supplies for army and cities15. 13   Vujadin Ivanišević–Michel Kazanski, Illyricum du Nord et les Barbares à l’époque des Grandes Mi­ grations. Starinar 64 (2014) 131–160, at 132–135. 14  Codex Theodosianus, ed. Theodor Mommsen–Paul Meyer (Berlin 1905) 11.17,4. 15  Andrew Poulter, The Use and Abuse of Urbanism in the Danubian Provinces during the Later Roman Empire, in: The City in Late Antiquity, ed. John Rich (London 1992) 99–135, at 130.



The Late Antique City in Northern Illyricum and Regional Connectivity 235

The exhausted Danubian provinces suffered heavily during the major onslaughts of Attila’s Huns in 441 and 443, when urban centres on the Limes and in the interior of the land were destroyed. Priscus, as an eyewitness to these events, presents disturbing images of Naissus, one of the many cities that were raided: „Arriving at Naissus we found the city destitute of men, since it had been razed by the enemy. In the ruins of shrines were found people afflicted by disease. We spent the night in an open place a short distance from the river – for every place on the bank was full of the bones of those slain in war.“16 The disruption of organized urban life is further attested by the fact that the Council of Chalcedon, held in 453, was not attended by the bishops of Pannonia Secunda and Moesia Prima, with the exception of Valerianus, the bishop of Bassianae (?), who was a refugee in Constantinople at that time17. It is difficult to say how much the new rulers of Danubian cities, the Huns and thereafter the Goths and the Gepids, contributed to the continuation of the cities’ existence. Some of the cities, for example Sirmium, by all means played an important part as advance guards of the newly formed Ostrogoth state. Theodoric sent comes Colosseus to the area in order to organize power18. It is a huge factor of uncertainty to what extent the Barbarian elite, whose presence can be traced owing to a large number of funerary finds, participated in the organization of urban life19. Despite defeats, the Roman Empire mustered strength in the sixth century and recovered the Danubian territories of Moesia Prima and parts of Pannonia Secunda. The first instances of rebuilding were recorded during the reign of the energetic Anastasius I, as attested by a Ratiaria inscription, in which great hopes for the future are expressed – ­Anastasiana Ratiaria semper floreat20. Significant destruction and a reduction of the urban core were registered in the 6th century in Sirmium, a Pannonian metropolis21 (Fig. 4). The scope of the Barbarian raids was certainly far-reaching and they had a special impact on the immediate vicinity of the towns. Thus, Procopius informs us that „the Gepids conquered Sirmium and its vicinity – areas, briefly said, quite deserted. Because a part of the population was eradicated by the war, others by disease and famine, the usual companions of war“.22 The spirit of restoration was extremely prominent under Justinian I, during whose reign, according to Procopius, old forts and cities were rebuilt and new ones erected. Old Roman cities were re-fortified and new urban centres were established, such as Justiniana Prima in the heart of central Illyricum, between Naissus and Ulpiana. Close to Ulpiana, a new urban centre was built, but its exact location is still unknown. There was substantial settling of people in the area around Naissus and Justiniana Prima in this period. This is evident from the large network of local forts and shelters erected over canyons and the valleys of both rivers and rivulets23 (Fig. 5).   Prisci fragmenta, ed. Ludwig Dindorf (Historici Graeci Minores, Leipzig 1870) I b.   Richard Price–Michael Gaddis, The Acts of the Council of Chalcedon (Liverpool 2005) 194 n. 207. 18   Cassiodori senatoris variae, ed. Theodor Mommsen (MGH Scriptores 1. Auctores antiquissimi 12, Berlin 1894) 3 c. 23 p. 91. 19   Ivanišević–Kazanski, Illyricum du Nord (cit. n. 13) 142–152. 20   Velizar Velkov, Frühbyzantinische Inschriften aus Dacia Ripensis. Byzantina 13 (1985) 883–891. 21   Miroslav Jeremić, Graditeljstvo Sirmijuma u V i VI veku [The Architecture of Sirmium in the 5th and 6th Centuries]. Saopštenja 34 (2002) 43–58. 22   Procopii Caesariensis opera omnia 3. Historia Arcana, ed. Jacob Haury–Gerhard Wirth (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana, Leipzig 1963) c. 18 p. 114. 23  Vujadin Ivanišević–Sonja Stamenković, Late Roman Fortifications in the Leskovac Basin in Relation to Urban Centres. Starinar 64 (2014) 219–227. 16 17

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Vujadin Ivanišević

Fig. 4. Sirmium – Plan (after Jeremić, Graditeljstvo [cit. n. 21]).

In the territory under the control of Byzantium, besides the Romanised population, Barbarians participated in the defence of the Limes, who had either settled near the towns, like the Heruls between Sirmium and Singidunum, or were employed as federati, as was the case in Viminacium24. The hinterland of the Danube frontier comprised a broad band of territory sporadically populated according to the distribution of fortified refugia – frouria. In this considerable fertile zone large 40 to 50 km we had only few refugia. It seems that this territory was mainly depopulated and that the inhabitants were concentrated in the few Danubian cities from Sirmium to Singidunum. The root of this depopulation lies in the insecurities caused by the presence of the barbarians on the Danubian border and the frequent incursions. All the Danubian cities were related primarily to the forts deployed on the limes. On the contrary, the interior of the Northern Illyricum was, for the most part, popu24   Вујадин Иванишевич–Михаил Казанский, Герулы Юстиниана в Северноме Иллирикуме и их археологические следы [The Herulians of Justinian in Northern Illyricum and their Archaeological Evidence]. Startum plus 5 (2010) 147–157.



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Fig. 5. Distribution of cities and hillforts in Northern Illyricum.

lated following the numerous forts (φρούρια) erected on the numerous hills that dominated the core of the region. The few larger plains were, as in those along the Danube and Sava, occupied with cities, as Horreum Margi, Naissus and Ulpiana/Justiniana Secunda. The interior cities were connected to the numerous frouria in their surrounding area and those rose far from the urban centres. The best examples are the hillforts on the Pešter plateau build on the altitude of 1300 and 1500 m significant for cattle raising activities25. Certainly the most remarkable example is the basilica with a series of buildings, discovered at an altitude of 1,800 metres at Nebeske stolice, below one of the highest mountain peaks of Serbia, the Pančić Peak on Mount Kopaonik. The entire complex, dated between the III and VI centuries, can undoubtedly be linked to mining, considering that the whole area is covered with numerous mines, slag fields and mining installations. Those examples show that even the distant refugia maintained their economic basis26 (Fig. 6). On the other way the role of those two regions, the Danubian, and the inland one, were different. The cities along the Danube played nevertheless an important role in the supply of the army. Therefore, the distribution of coins shows that the Danubian Illyricum under Justin I and Justinian I had a similar distribution as the diocese of Thrace with the dominance of the issues of Constantinople. On the other hand the inland was 25  Marko Popović–Vesna Bikić, Vrsenice, Kasnoantičko i srpsko ranosrednjovekovno utvrđenje [Vrsenice, a Late Antique and Serbian Early Medieval Fortification] (Beograd 2009) 125–129. 26  Gordana Tošić–Dušan Rašković, Ranohrišćanski spomenici na istočnim padinama Kopaonika [Early Christian Monuments on the Eastern Slopes of the Kopaonik]. ZRVI 44/1 (2007) 27–47, at 34–39.

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Vujadin Ivanišević Fig. 6. Nebeske stolice – The basilica (courtesy of G. Tošić).

supplied in major part by Thessaloniki. The distribution of the coins clearly demonstrates the role of the capital in the defence of the Limes and the link of the Danubian cities with Constantinople27. On the other hand, the decades-long incursions of the Barbarians and their settling left a deep mark that was reflected in urban depopulation. We find out about the scale of the devastation from Procopius, whose narration on Sirmium, the Gepids and the depopulation due to war, diseases and famine has been quoted above28. According to researchers, the area of Sirmium, one of the largest cities in central Illyricum, was halved. A similar fate befell cities such as Singidunum and many others in the interior of the land, as has been described by Procopius reports: „And there was a certain city among the Dardanians, dating from ancient times, which was named Ulpiana; he tore down most of its circuit-wall, for it was seriously damaged and altogether useless, and he added a very great number of improvements (ἐγκαλλωπίσματα) to the city, changing it to its present fair aspect; and he named it Justiniana Secunda. Near it he built another city where none had existed before, which he called Justinopolis from his uncle’s name.“29 27   Cécile Morrisson–Vladislav Popović–Vujadin Ivanišević, Les trésors monétaires byzantins des Balkans et d’Asie Mineure (491–713) (Réalités byzantines 13, Paris 2006) 59–61. 28  Cf. above n. 22. 29  Procopii Caesariensis opera omnia 4. De aedificiis libri VI, ed. Jacob Haury–Gerhard Wirth (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana, Leipzig 1954) IV c. l p. 106.



The Late Antique City in Northern Illyricum and Regional Connectivity 239 Fig. 7. Naissus – The gravestone of Peter, son of vicar Thomas (Photo M. Radmilović).

It is difficult, at the present stage of research, to say much about the accuracy of these reports and the reconstruction of the former urban centres. Based on the measurements of the city plans discernible in the field, we can infer that besides Ulpiana, measuring 36 hectares in area, a new city, Justiniana Secunda, was built, covering an area of only 16 hectares. Barbarian incursions were not the only cause of the depopulation of Illyricum. According to Marcellinus Comes, plague broke out in Egypt in 541 and spread to Italy and Illyricum within the span of two years and by 544 encompassed the whole of the Mediterranean world. This well-known epidemic is mentioned in the sources and in numerous epigraphic monuments, especially those in Rome30. The tombstone of Peter, the son of vicar Thomas, dated to the sixth century, represents an important testimony to the plague in Naissus that was rampant in the interior of Illyricum. We learn from the inscription that vicar Thomas’s sister and his two sons died within a very short time after one another – in uno mense simul vita(m) finirunt31 (Fig. 7, spelling normalised). Indubitably, the plague had severely affected the population of the region. Its recurrent outbreaks in the second half of the century were facilitated by long periods of cold weather and famine, which further contributed to population decline. After its renaissance during the reign of Justinian, the early Byzantine city in central Illyricum gradually dwindled, most certainly due to population decline. The following 30  Dionysios Stathakopoulos, Crime and Punishment: The Plague in the Byzantine Empire, 541–749, in: Plague and the End of Antiquity, The Pandemic of 541–750, ed. Lester K. Little (Cambridge 2006) 99–102. 31   Nikola Vulić, Antički spomenici naše zemlje [The Antique Monuments of Our Country]. Spomenik Srpske Kraljevske Akademije 77 (1934) 3–36; The Prosopography of the Later Roman Empire 3, ed. John Robert Martindale (Cambridge 1992) 1320 (Thomas 22).

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contributed to the drop in population: plague epidemics, climate change, migrations of people eastward and towards Dalmatia, as well as numerous incursions of the Kutrigurs, Slavs and Avars, who raided the interior of Illyricum on several occasions32. A citizen of Sirmium has left us this moving testimony to the fate of the city and its population: „O Christ, Lord, help the city and repel the Avars; protect Romania and the one who has written this. Amen.“33 With the collapse of Byzantine governance in the first decades of the seventh century, urban life in central Illyricum disappeared only to be restored only several centuries later.

32  Vladislav Popović, Les témoins archéologiques des invasions avaro-slaves dans l’Illyricum byzantin. Mélanges de l’École française de Rome. Antiquité 87/1 (1975) 445–504. 33  Miroslava Mirković, Sirmium – Its History from the I Century A.D. to 582 A.D., in: Sirmium I, ed. Vladislav Popović (Beograd 1971) 5–94, at 56.

Die antike Polis als Modell für städtische Gemeinschaft in der Gedankenwelt der Byzantiner Claudia Rapp

Georg Ostrogorsky stellte 1959 die Frage nach der Kontinuität der antiken Städte im mittelalterlichen Byzanz1. Zu diesem Zweck unternahm er eine statistische Untersuchung der Anzahl von Bischofssitzen als städtischen Zentren, die bei den Kirchenkonzilien vom 5. bis zum 9. Jahrhundert repräsentiert waren. Zusätzlich untersuchte er den Fortbestand bereits existenter sowie die Gründung neuer Bischofssitze in den verschiedenen Regionen des Reiches. Er konstatierte einen deutlichen Rückgang der Anzahl von Städten (und damit auch von Bischofssitzen) in der frühbyzantinischen Zeit, und stellte dann fest: „Among the fundamental problems in Byzantine history it would be hard to find one that has been studied less than has that of the cities“2. Heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später und nicht zuletzt dank vielseitiger archäologischer Studien, hat sich die Situation geändert, wie es auch dieser Band und die ihm zugrunde liegende Konferenz bezeugen. Forscher haben die internen Veränderungen der städtischen Verwaltung und urbanen Eliten im Laufe der Zeit festgestellt, um mit Wolf Liebeschuetz den „decline and fall“ der antiken polis zu konstatieren oder um mit Johannes Koder das „Städtesterben“ zu beschreiben3. Aus der archaischen und klassischen Zeit sind uns 1.500 griechische Städte (poleis, sg. polis) bekannt, die vor allem vom Kopenhagener Polis Center untersucht wurden4. Genau wie das antike Athen waren dies autonome Stadtstaaten, die ihre jeweils eigene Verfassung und eigenen religiösen Traditionen hatten. Um 400 n. Chr., zur Zeit des spätrömischen Reiches, hatte die Urbanisierung den gesamten Mittelmeerraum einschließlich des lateinischen Westens ergriffen. Insgesamt existierten damals etwa 2.000 Städte, von denen die 1  Frühere Versionen des hier vorgelegten Materials sind bereits, mit leicht verschiedener Akzentsetzung, auf Englisch erschienen: Claudia Rapp, The Christianization of the Idea of the Polis in Early Byzantium, in: Proceedings of the International Congress of Byzantine Studies, Sofia 2011, vol. 1: Plenary Papers (Sofia 2011) 263–284; dies., City and Citizenship as Christian Concepts of Community in Late Antiquity, in: The City in the Classical and Post-Classical World. Changing Contexts of Power and Identity, hg. von Claudia Rapp–Harold A. Drake (New York 2014) 153–166. Krystina Kubina danke ich für ihre Hilfeleistung bei der Erstellung der deutschen Fassung. 2  Georg Ostrogorsky, Byzantine Cities in the Early Middle Ages. DOP 13 (1959) 45–66, hier 47. 3  John H. W. G. Liebeschuetz, The Decline and Fall of the Roman City (Oxford 2001); Johannes Koder, Zu den Folgen der Gründung einer zweiten Reichshauptstadt an der „Peripherie“ des Römischen Reiches am Übergang von Antike zu Mittelalter. SOF 48 (1989) 1–18, hier 17 zum Stichwort „Städtesterben“. 4  Vgl. die wichtige Überblicksdarstellung von Mogens Herman Hansen, Polis. An Introduction to the Ancient Greek City-State (Oxford 2006).

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meisten allerdings im griechischsprachigen Osten des Reiches lagen. Nur drei Jahrhunderte später, am Ende der frühbyzantinischen Epoche, hatte – wie bereits Ostrogorsky bemerkte – nur noch ein Bruchteil von ihnen Bestand. Und auch die überlebenden Städte hatten eine fundamentale Veränderung erfahren, sowohl in Bezug auf ihre innere Organisation als auch auf ihre äußere Erscheinung5. Eine grobe Gegenüberstellung der Städte in ihrer politischen, kulturellen und religiösen Funktion in klassischer und frühbyzantinischer Zeit macht den Kontrast deutlich. Die antike polis bestand aus der Stadt selbst, die im Allgemeinen von einer Mauer umgeben war, sowie dem ländlichen Umland. Sie stellte eine selbstverwaltete und autonome politische Einheit dar, deren Regierung sich normalerweise aus einer Volksversammlung (ekklēsia) und einer Ratsversammlung (gerousia oder boule) sowie gewählten Magistraten zusammensetzte. Auch die Priester und gelegentlich Priesterinnen, welche die Kultstätten der Stadt pflegten und verwalteten, waren von der Stadt bestellte Amtsträger. Jede Stadt hatte ihre eigene Gesetzgebung und Rechtsprechung, legte eigene Archive an und folgte einer eigenen Zeitrechnung. Auch prägte jede Stadt ihre eigenen Münzen und unterhielt eigenständige diplomatische Beziehungen6. Der Funktion und Ausstattung nach kann die antike polis also mit Recht als Stadtstaat bezeichnet werden. Diesen Charakter behielten die Städte auch im Hellenismus sowie für die längste Zeit des Römischen Reiches bei. Aufgrund interner Verschiebungen im Sozialgefüge und einer zunehmenden externen Kontrolle der Verwaltung dieser Stadtstaaten durch den Kaiser veränderten sich die Städte jedoch ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. In den folgenden Jahrhunderten wurde die Regierung der Städte im Osten zunehmend von einigen wenigen wohlhabenden Aristokraten dominiert, welche die Zuständigkeiten der Ratsversammlung monopolisierten. Die breite Bevölkerung verlor damit massiv an politischem Einfluss. Im Jahr 518 wurde die verwaltungstechnische und wirtschaftliche Autonomie der einzelnen Städte durch die Steuerreform des Kaisers Anastasios zudem deutlich eingeschränkt. Nun waren es nicht mehr die Städte selbst, die für die Eintreibung der Steuern auch in ihrem Umland verantwortlich waren, sondern ein von der Zentralverwaltung ernannter kaiserlicher Beamter, der vindex. Im 6. Jahrhundert brachten die wiederkehrenden Wellen der Pestepidemie, die sich vom Osten des Reiches aus in den Westen ausbreiteten, einen massiven Rückgang der Einwohnerzahl, besonders in den Städten. Der östliche Mittelmeerraum wurde zusätzlich geschwächt, als im frühen 7. Jahrhundert die Einfälle der Perser zu Landverlusten in Kleinasien, Syrien und Palästina führten. Zur Abwehr wurden in vielen Städten hastig neue Mauern aus Spolien errichtet oder bestehende eilig instandgesetzt. Einige Jahrzehnte später brachte die endgültige Übernahme dieser Regionen durch die Araber einen vollständigen Zusammenbruch der stadtzentrierten Wirtschaft sowie der autonomen Städte5  Arnold H. M. Jones, The Greek City from Alexander to Justinian (Oxford 1940, Nachdr. 1967) 90–92, bietet eine vergleichende Darstellung von Plinius’ Bericht über das Augusteische Register und Hierokles’ Synekdemos, welcher wahrscheinlich auf einem unter Theodosius II. erstellten und unter Justinian überarbeiteten Register beruht. Eine aktuelle Übersicht über den Forschungsstand bietet Alba Maria Orselli, I processi di cristianizzazione della città tardoantica. Discussioni in corso. Studi e materiali di storia delle religioni 75/1 (2009) 315–333. Siehe auch die Aufsätze von Friedrich Vittinghoff, Civitas romana. Stadt und politisch-soziale Integration im Imperium Romanum der Kaiserzeit, hg. von Werner Eck (Stuttgart 1994). 6  Wie bürgerlicher Stolz sich im historiographischen Schrifttum äußert, untersucht Guido Schepens, Ancient Greek City Histories. Self-Definition through History Writing, in: The Greek City from Antiquity to the Present. Historical Reality, Ideological Construction, Literary Representation, hg. von Kristoffel Demoen (Louvain 2001) 3–25.



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regierungen7. Es sollte jedoch bis zum 9. Jahrhundert dauern, bis die polis als politische Einheit offiziell als überkommenes Modell abgetan wurde, als nämlich Kaiser Leon VI. verkündete, dass Ratsversammlungen (bouleuteria) der Vergangenheit angehörten und die für Städte typische Form der gemeinschaftlichen Regierung von einem anderen System (ta politika) abgelöst wurde, das ganz auf die Person des Kaisers ausgerichtet war8. Die antike Stadt (polis) war nicht nur eine politische Organisationsform, sondern auch eine Siedlung mit einer erheblichen Zahl an Einwohnern, häufig bis zu mehreren Tausend. Auch hier gab es einschneidende Veränderungen. Als urbane Zentren waren die Städte mit Prachtbauten geschmückt, die das bürgerliche Selbstverständnis bestimmten und die politische Macht der polis zur Schau stellten: Kolonnaden, Brunnen, Bäder, Tempel, Theater, Hippodrom sowie eine Halle für die Ratsversammlung. Diese Gebäude waren Orte der Selbstrepräsentation nach innen und außen. Vom 5. nachchristlichen Jahrhundert an änderte sich jedoch das Stadtgefüge. Mitten im Stadtzentrum wurden große Kirchen, oft in Verbindung mit Bischofsresidenzen, erbaut, welche die Agora oder das Forum in ihrer Funktion als zentrale Versammlungsorte ablösten. Die Oberschicht demonstrierte ihre Freigiebigkeit und Wohltätigkeit durch Evergetismus nicht mehr, indem sie Spiele finanzierte, Statuen errichtete9 oder Bäder, Bibliotheken und andere Gebäude für den öffentlichen Gebrauch bauen ließ, sondern indem sie am Bau und an der Ausschmückung von Kirchen mitwirkte. Gemeinsam mit den führenden Bürgern der Stadt übernahmen nun auch Bischöfe die Verantwortung für das Wohlergehen der Stadt und kümmerten sich um deren Belange, angefangen mit der Errichtung von Bädern und Stadtmauern (und deren Verteidigung im Falle eines Angriffes) bis zur Organisation der Getreideversorgung10. 7   Johannes Koder, The Urban Character of the Early Byzantine Empire. Some Reflections on a Settlement Geographical Approach to the Topic, in: The 17th International Byzantine Congress, Dumbarton Oaks/ Georgetown University, Washington, D. C., August 3–8, 1986. Major Papers (New Rochelle, N. Y. 1986) 155–187; John Haldon, The Idea of the Town in the Byzantine Empire, in: The Idea and Ideal of the Town between Late Antiquity and the Early Middle Ages, hg. von Gian Pietro Brogiolo–Bryan Ward-Perkins (The Transformation of the Roman World 4, Leiden–Boston–Köln 1999) 1–23. Zu den sozio-ökonomischen Bedingungen in den Städten von der frühen bis zur mittelbyzantinischen Zeit: Gilbert Dagron, The Urban Economy. Seventh–Twelfth Centuries, in: The Economic History of Byzantium: From the Seventh through the Fifteenth Century 2, hg. von Angeliki Laiou (Dumbarton Oaks Studies 39/2, Washington, D. C. 2002) 393–461, hier 393–405 (online unter http://www.doaks.org/resources/publications/doaks-online-publications/ economic-history-of-byzantium/ehb17-urban-7th-12th [Zugriff 29. Oktober 2014]). 8   Les novelles de Léon VI le Sage, Novella 46, ed. Pierre Noailles–Alphonse Dain (Nouvelle collection de textes et documents, Paris 1944) 183–185. Eine wichtige Ausnahme bildet Cherson auf der Krim, wo noch im 10. Jh. die traditionellen Ämter der antiken polis, von patēr poleōs bis ekdikos und proteuontes, durch Bleisiegel von Amtsträgern bezeugt sind. Dazu Werner Seibt, Was lehren die Siegel über die Verwaltung von Cherson im Mittelalter? ZRVI 50 (2013) 187–194. 9   Dazu jetzt Last Statues of Antiquity Database, http://laststatues.classics.ox.ac.uk [Zugriff 18. Dezember 2014]. 10   Zu den Veränderungen in der baulichen Struktur von Städten vgl. Helen Saradi, The Demise of the Ancient City and the Emergence of the Mediaeval City in the Eastern Roman Empire. Echos du monde classique/Classical Views 37/N. S. 7 (1988) 365–401. Zu städtischen Veränderungen und der Rolle der Bischöfe s. Claudia Rapp, Holy Bishops in Late Antiquity: The Nature of Christian Leadership in an Age of Transition (The Transformation of the Classical Heritage 37, Berkeley 2005, reprint 2013). In der mittelbyzantinischen Zeit wurden Bauprojekte weder von der gesamten Bürgerschaft oder einzelnen Mäzenen noch von Bischöfen in Auftrag gegeben, sondern von regionalen Machthabern. Die Kaiser hingegen waren ausschließlich mit der Instandhaltung der Befestigungsanlagen beschäftigt, vgl. Leonora Neville, Authority in Byzantine Provincial Society, 950–1100 (Cambridge 2004) 122–126.

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In der Antike stellte die polis den Rahmen für das Selbstverständnis der Bürger, selbst wenn sie Teil eines größeren Bündnisses war oder einem König unterstand. Die Herkunftsstadt diente den Menschen dementsprechend in archaischer, klassischer und hellenistischer Zeit bis in das spätrömische Reich als Identifizierungsmerkmal, wie es in der Namensgebung wie z. B. Archytas „von Tarent“ oder Basilius „von Caesarea“ zum Ausdruck kommt. Auch diese Praxis verschwand aber in der mittelbyzantinischen Zeit, als Namenszusätze üblich wurden, die auf der Herkunftsgegend, nicht aber der Heimatstadt beruhten, wie bei Justinians Verwalter Johannes „dem Kappadozier“ oder Heraklius’ Dichter Georg „von Pisidien“. Aus dieser Gegenüberstellung der frühbyzantinischen mit der vorangegangenen Periode ergibt sich für die Geistesgeschichte eine grundlegende Frage: Was geschah mit dem Konzept der polis zu einer Zeit, als in der griechischsprachigen Welt der Spätantike und des byzantinischen Mittelalters die Zahl der poleis zu sinken begann und die antiken Strukturen der städtischen Selbstverwaltung gleichzeitig mit den urbanen Prunkbauten verfielen? Oder anders gefragt, was bedeutete das Konzept der polis für einen griechischsprachigen Autor des 5. oder 12. Jahrhunderts anderes, als es in klassischer Zeit oder im Römischen Reich bedeutet hatte? Dies soll im Folgenden skizzenhaft untersucht werden11. Das griechische Wort polis und die von ihm abgeleiteten Begriffe umfassen ein weites semantisches Feld, das in zahlreichen Studien untersucht worden ist. Um das Konzept möglichst präzise fassen zu können, werden im Folgenden drei verwandte Begriffe zum Einsatz kommen, die auf verschiedene Aspekte der griechischen Stadt rekurrieren, wobei die hier getroffene, analytisch erforderliche Unterscheidung schärfere Grenzen zieht, als sie von den antiken Autoren selbst gezogen wurden: 1. polis: die Stadt als Raum, der von einer Stadtmauer begrenzt und beschützt wird, welche die Menschen innerhalb von denen außerhalb der Stadt trennt; 2. politeuma: eine gut organisierte und strukturierte Gemeinschaft bzw. Gesellschaft von Menschen; 3. politeia: die Verfassung einer Stadt oder, allgemeiner, eine Reihe von Regeln, die den Lebenswandel ihrer Bewohner als Individuen und als Gemeinschaft ordnen.

Polis Die Philosophie Platons (428/427–348/347 v. Chr.) war untrennbar mit seiner Heimatstadt Athen verwoben. Seine Dialoge zeigen Sokrates, wie er in Gymnasien und Gärten, auf den Straßen der Stadt oder in den Häusern berühmter Athener mit ehrgeizigen jungen Männern oder unwilligen Demagogen diskutiert. Sokrates’ Leitfrage, wie Platon sie seinem bewunderten Lehrer in den Mund legt, betrifft die Ausübung der Tugend. Was ist Tugend? Können wir sie erkennen, können wir sie ausüben und, wenn ja, unter welchen Umständen? Platons Gedanken pendeln dabei zwischen zwei Polen: zwischen dem Mikrokosmos der Einzelperson und dem Makrokosmos der Gesellschaft. Für ihn war 11   Zu dieser Thematik, besonders mit Bezug auf den lateinischen Westen, die wichtigen Beiträge in: Idéologies et valeurs civiques dans le Monde Romain. Hommage à Claude Leppeley, hg. von Hervé Inglebert (Paris 2002).



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die polis die ideale Gesellschaft und staatliche Organisationsform (z. B. im Vergleich zum Königtum oder zur Tyrannei): Die polis ist jener Ort, wo alle Menschen gemeinschaftlich leben, wo die verschiedensten Talente zusammenkommen und wo Gerechtigkeit praktiziert und gepflegt wird12. Aus diesem Grund ist sie auch der einzige Ort, an dem Tugend gelehrt, gelernt und umgesetzt werden kann. Die Ausübung der Tugend gründet sich also auf der Existenz der polis. In Platons Verständnis besteht die polis aus wesentlich mehr, als nur aus einem urbanen Siedlungsgebiet, das von einer Mauer umgrenzt wird, oder der Gesamtzahl aller Bewohner der Stadt, die an bestimmten religiösen Kulten teilnehmen. Sie ist eine Gemeinschaft von Bürgern, die sich auf einen gemeinsamen Wertekanon einigen, der ihr Verhalten als Individuen regelt. Überspitzt formuliert, ist die polis in Platons Sichtweise ein politeuma, eine Gemeinschaft von Bürgern, welche die gleiche politeia, also den gleichen Lebenswandel, ausüben. Platons bekannteste Schrift, die diese Gedanken darlegt, ist der Dialog Politeia, in dem ein Gespräch zwischen Sokrates, der als Ich-Erzähler auftritt, und sieben Athener Bürgern, unter ihnen Glaukon, referiert wird. Dass der griechische Titel des Dialogs gerade politeia und nicht polis heißt, ist kein Zufall. Abgeleitet von polis umfasst der Begriff politeia, wie weiter unten noch ausgeführt wird, eine große Bandbreite von Bedeutungen, von der Verfassung einer Stadt bis zum Verhalten eines Einzelnen. In vielen mittelalterlichen Handschriften ist der Titel des Werks sogar im Plural überliefert, politeiai13. Dadurch verlagert sich der Fokus von unterschiedlichen Verfassungen, die einzelne poleis sich gegeben haben, hin zu den verschiedenen Verhaltensweisen, zwischen denen die Menschen wählen können, und deren Auswirkungen auf sie selbst und die polis als Ganze. Diese Stadt ist eine idealisierte Einheit, aber in keiner Weise in einer real existierenden Stadt verwirklicht, auch nicht in Athen: „Ich verstehe, sagte er [i. e. Glaukon], du meinst in dem Staate den wir jetzt durchgegangen sind und angeordnet haben, und der in unseren Reden liegt; denn auf der Erde glaube ich nicht, daß er [der ideale Staat] irgendwo zu finden sei. Aber, sprach ich [i. e. Sokrates], im Himmel ist doch vielleicht ein Muster aufgestellt für den der sehen will, und nach dem was er sieht sich selbst einrichten.“14 Platon beschreibt hier die Dichotomie zwischen einer idealen Stadt im Himmel, d. h. im Reich der Ideen, und seinem sehr mängelbehafteten Abbild auf der Erde. Dieselbe Unterscheidung wurde später zur gedanklichen Grundlage von Augustinus’ De civitate Dei (Gottesstaat), nur dass für den Kirchenvater des lateinischen Westens das Gegenstück zum Gottesstaat bereits in der christlichen Kirche auf Erden verkörpert und erreichbar ist. Platons Schüler Aristoteles (384–322 v. Chr.) befasste sich ebenfalls mit der polis. Im Unterschied zu seinem Lehrer stand für ihn nicht die politische Ethik im Vordergrund, sondern die Beobachtung und Analyse der realen Welt. Sein für Historiker wichtigstes Werk ist der „Staat der Athener“ (Athenaiōn politeia), die einzige erhaltene systematische und detaillierte Darstellung der demokratischen Regierungsform der Athenischen polis. Im Gegensatz dazu bietet seine „Politik“ theoretische Überlegungen für die Errichtung der idealen polis, häufig unter Bezug auf konkrete Beispiele aus den zeitgenössischen Stadtstaaten. Aus diesem Zusammenhang stammt auch sein berühmtes Diktum, dass „der 12   Vgl. Jean-François Pradeau, Plato and the City. A New Introduction to Plato’s Political Thought (Exeter 2002, zuerst auf Französisch publiziert Paris 1997). 13  Ich danke Myles Burnyeat für diesen Hinweis. 14  Platon, Politeia IX 592a–b (Platon, Sämtliche Werke 5, ed. Karlheinz Hülser [Insel Taschenbuch 1405, Frankfurt am Main–Leipzig 1991] 714f.).

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Mensch von Natur aus ein zur polis gehörendes Lebewesen ist“ (physei men estin anthrōpos zōon politikon)15. In der Politik betont Aristoteles auch den Wert der polis als Gemeinschaft von Individuen, aber in zweckgebundener Weise. Er geht nicht so weit wie Platon, für den die polis in demselben Verhältnis zum Individuum steht, wie der Körper zum Geist: eine Externalisierung seines Wesens und der unerlässliche Rahmen zur Artikulierung seiner selbst16. Stattdessen betont Aristoteles die kollektive Seite der idealen polis als eine organisierte und strukturierte Gemeinschaft von Individuen, die ein gutes Leben ermöglicht und den konkreten Rahmen bereitstellt, sodass die Ausübung von Tugend nicht nur möglich, sondern auch nötig ist17. Der hypothetische ideale Staat ist nach Aristoteles’ „Politik“ der Stadt-Staat der polis. Buch VII erklärt den idealen Ort, Bevölkerungszahl usw. für diese polis. Dort wird auch die Frage der Stadtmauern angesprochen. Aristoteles kommt zu der Meinung, dass es besser sei, wenn eine polis zu ihrem Schutz mit Mauern und Wachtürmen ausgestattet ist. Dabei betont er, dass die Mauern „sowohl das schöne Aussehen der Stadt erhöhen als auch den militärischen Notwendigkeiten dienen“ sollen18. Stadtmauern mögen für Aristoteles’ Definition einer polis nicht absolut unabdingbar gewesen sein, aber sie waren aus Gründen der Ästhetik und defensiven Zwecken durchaus wünschenswert. Die Demarkierung der Stadt von ihrem Umland war ein wichtiges Thema, anhand dessen sich Fragen der Zugehörigkeit und des Kontrastes von Drinnen und Draussen erörtern liessen. In der Antike waren daher die Mauern ein essentieller Bestand einer Stadt und als solche wert, öffentlich gelobt zu werden. Im Lobpreis von Städten, der in der epideiktischen Rhetorik einen bedeutenden Platz einnahm, wurden die Mauern gesondert angesprochen und gepriesen19. Im späten 3. Jahrhundert n. Chr. beschrieb Menander Rhetor die Regeln für solch eine Lobesrede in seinem praktischen Handbuch für Redner. Der erste Traktat darin ist in drei Bücher unterteilt, eines über Hymnen, eines über das Lob eines Landes und ein drittes über das Lob einer Stadt. Doch bereits im zweiten Buch sind einige Anleitungen, wie eine Stadt angemessen zu loben ist, enthalten: „Ein Städtelob ist also eine Kombination jener Topoi, die im Zusammenhang mit Ländern und Einzelpersonen besprochen worden sind. Wir sollen nämlich von den Themen, welche die Länder betreffen, den ‚Ort‘, von jenen aber, welche Einzelpersonen betreffen, das ‚Geschlecht‘, die ‚Taten‘ und ‚Werke‘ auswählen. Auf dieser Grundlage nämlich loben wir die Städte.“20 15  Aristoteles, Politik III 1278b, ed. Eckart Schütrumpf (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung 9/2, hg. von Hellmut Flashar, Berlin 1991) 59. 16   Diese Bedeutung findet sich bereits bei Platons älterem Zeitgenossen Isokrates, der bemerkt: „Denn in der Tat, die Seele einer Polis ist nichts anderes als ihre Verfassung, da diese in der Polis einen ebenso großen Einfluß hat wie der Verstand im Körper“, Areopagitikos 14, in: Isokrates, Sämtliche Werke 1: Reden I–VIII, übers. v. Christine Ley-Hutton, eingel. und erl. von Kai Brodersen (Bibliothek der griechischen Literatur 36, Abt. klassische Philologie, Stuttgart 1993) 135–150, hier 137. Zu den ethischen, politischen und rhetorischen Konsequenzen von Isokrates’ und Platons polis-Begriff vgl. Kathryn A. Morgan, The Tyranny of the Audience in Plato and Isocrates, in: Popular Tyranny. Sovereignty and its Discontents in Ancient Greece, hg. von ders. (Austin, TX 2003) 181–213. 17   Aristoteles, Politik III 1281a (wie Anm. 15) 65. 18   Aristoteles, Politik VII 1331a, ed. Eckart Schütrumpf (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung 9/4, hg. von Hellmut Flashar, Berlin 2005) 31. 19  Zum Städtelob allgemein: Helen Saradi, The Kallos of the Byzantine City. The Development of a Rhetorical Topos and Historical Reality. Gesta 34 (1995) 37–56. 20  Menander Rhetor, ed. Donald Andrew Russell–Nigel Guy Wilson (Oxford 1981), Traktat I, 346 Z. 27–347 Z. 1 (S. 32 griechischer Text).



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Menander stimmt also mit anderen Denkern überein, dass sowohl die äußeren Charakteristika einer Stadt als auch die Gemeinschaft ihrer Einwohner das Wesen einer polis ausmachen. Lobenswerte Elemente einer Stadt sind laut Menander im weiteren Verlauf dieses Textes einerseits ihre Lage, das umliegende Gelände, ihr Klima und ihre Wasserversorgung, andererseits aber die gemeinschaftlichen Errungenschaften ihrer Einwohner in der politischen Struktur, in Kultur und Wissenschaft, beim Sport oder religiösen Festen. Interessanterweise widmet Menander den Mauern kein gesondertes Lob. Stattdessen beschreibt er den Umgang mit Fremden (xenous) als Indikator dafür, ob eine Stadt sich durch dikaiopragia (gerechtes Handeln) auszeichnet21. Demnach unterscheidet Menander zwischen den Menschen außerhalb und jenen innerhalb einer Stadt, nicht indem er auf die physische Grenze einer Stadt in Gestalt ihrer Mauern Bezug nimmt, sondern indem er auf moralische Werte, die im Rechtssystem verankert sind, rekurriert. Da Gesetze und Bräuche die Grenzen einer Gesellschaft definieren, sind sie zur Bestimmung von deren Identität genauso wichtig wie Mauern zur Abgrenzung des Stadtgebietes. Für das Städtelob wird also von Menander der Aspekt des politeuma in den Mittelpunkt gestellt. Die Rolle der Mauern zur Definition und zum Schutz des Stadtgebiets bot den christlichen Autoren der Spätantike eine vielseitig einsetzbare Metapher. Über Themen wie Schutz und Zugehörigkeit ließ sich anhand des Bildes der gut bewachten und stark befestigten Stadt genauso nachdenken, wie über die göttliche Gegenwart in einem deutlich definierten Raum. Häufig wurden der Körper und der Verstand des Menschen mit einer uneinnehmbaren Stadt verglichen. Die befestigte und wehrhafte Stadt, die nur an einer begrenzten Zahl von Zugängen Einlass gewährt, wurde als Bild verwendet, um Vätern zu erklären, warum sie bei der Erziehung ihrer Kinder Obacht walten lassen und stets überprüfen sollten, was ihre Kinder sahen oder hörten. Johannes Chrysostomos (ca. 349–407) setzt die Metapher in seinem Traktat „Über Geltungssucht und Kindererziehung“ ein, wo er christliche Väter folgendermassen ermahnt, bei der Erziehung ihrer Söhne darauf zu achten, dass diese von der Sünde der Geltungssucht frei bleiben: „Stell dir vor, du seist ein König, dem eine Stadt untertan ist: die Seele eines Kindes. Denn die Seele ist wirklich eine Stadt.” 22 Die Väter sollen nicht nur wie Gesetzgeber die Seelen ihrer Söhne festen Regeln unterstellen, sondern auch für deren Verteidigung sorgen: „Deshalb gib Gesetze und paß sorgfältig auf! Für den ganzen Erdkreis nämlich gilt unsere Gesetzgebung, und eine Stadt ist es, die wir heute gründen. Die Ringmauern und die Tore sollen die vier Sinne sein. Der ganze restliche Körper sei wie ein Schutzwall, dessen Tore die Augen, die Sprache, das Gehör, der Geruchssinn und, wenn man so will, der Tastsinn sind.“23 Auch Gregor von Nyssa (ca. 335–ca. 395) verwendet in seinem Traktat „Über die Ausstattung des Menschen“ den umschlossenen Raum der polis als Metapher für das menschliche Leben. Anders als Johannes Chrysostomos legt er seinen Fokus nicht auf die Stadtmauer, sondern auf die verschiedenen Attraktionen innerhalb der Stadt, die miteinander um die   Ebd. 363 Z. 4–11 (S. 64).   Johannes Chrysostomos, Über Geltungssucht und Kindererziehung § 23, hg. und übers. in: Michael Gärtner, Die Familienerziehung in der Alten Kirche. Eine Untersuchung über die ersten vier Jahrhunderte des Christentums mit einer Übersetzung und einem Kommentar zu der Schrift des Johannes Chrysostomus über Geltungssucht und Kindererziehung (Kölner Veröffentlichungen zur Religionsgeschichte 7, Köln–Wien 1985) 197–442, hier 265. 23  Ebd. § 27 S. 276f. 21 22

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Aufmerksamkeit derer wetteifern, die von außen in der Stadt zusammenkommen, ungeachtet ihres gesellschaftlichen Status oder ihrer Herkunft und ungeachtet des Eingangstores – wiederum als Sinneswahrnehmung verstanden, durch welches sie die Stadt betreten. „Und wie bei einer geräumigen Stadt, welche von verschiedenen Zugängen her die in sie Einströmenden aufnimmt, nicht allesammt auf den nämlichen Platz in der Stadt zusammenlaufen, sondern die Einen auf den Markt, die Andern in die Häuser, Andere in die Kirchen oder Strassen und Gäßchen oder in die Theater dahingehen, ein Jeder nach seiner Absicht, als eine solche betrachte ich auch die in unserem Innern angelegte Stadt des Geistes, welche die verschiedenen Zugänge durch die Sinne voll machen, während prüfend und forschend der Geist jeden der Eintretenden an den entsprechenden Erkenntnißorten unterbringt.“24 Das christliche Konzept einer himmlischen Stadt als ideales Modell für die Struktur einer Gesellschaft entstammt letztendlich dem Judentum. An prominenter Stelle kommt dieser Gedanke in den Psalmen zum Ausdruck, wo Jerusalem den Kristallisationspunkt allen religiösen Denkens bildet, allerdings im Laufe der Zeit in einer ambivalenten Position. Nach der ersten Zerstörung Jerusalems und des Salomonischen Tempels durch Nebukadnezar am Ende des 6. vorchristlichen Jahrhunderts, die zur Vertreibung der Juden ins Babylonische Exil führte25, und später nach der Eroberung Jerusalems durch die Römer 70 n. Chr., die mit der Zerstörung des zweiten, von König Herodes errichteten Tempels einherging, hatte die religiöse Sehnsucht nach Jerusalem zwei Ausrichtungen. Einerseits war sie in der Erinnerung an die glorreiche Vergangenheit verankert, andererseits aber eschatologisch in die Zukunft gerichtet, insofern die reale Stadt Jerusalem als Vorwegnahme des himmlischen Jerusalems als Ort der Erfüllung des jüdischen Schicksals am Ende der Zeit angesehen wurde. Die Zentralität Jerusalems im mittelalterlichen Weltverständnis findet ihren Ausdruck auch in den sogenannten TO-Karten, wo Jerusalem das Zentrum des orbis terrarum bildet. Im christlichen Denken wird diese Dichotomie besonders im Buch der Offenbarung sichtbar, das von einem gewissen Johannes (dessen Identität mit dem Evangelisten ungeklärt ist) in Patmos im späten ersten Jahrhundert n. Chr. verfasst wurde. Die letzten Kapitel enthalten einen Vergleich zwischen Babylon, der großen und sündenreichen Stadt, in der es vor Händlern, Kaufmännern und Handwerkern, die ihre Dienste und Waren feilboten, nur so wimmelt, und dem Versprechen des neuen Jerusalem als heiliger Stadt. Die Gegenüberstellung der sprichwörtlichen Hure Babylon und des als reine und unbefleckte Braut dargestellten Jerusalem erinnert an die antike Metapher von der befestigten Stadt, deren Mauern sie vor dem Eindringen äußerer Gefahren beschützen26. Für den Verfasser der Offenbarung diente sie zur lebhaften Darstellung des Kontrastes zwischen dieser und der zukünftigen Welt. 24  Gregor von Nyssa, Über die Ausstattung des Menschen, c. 10, in: Ausgewählte Schriften des heiligen Gregorius, Bischofs von Nyssa 1, übers. von Heinrich Hand (Bibliothek der Kirchenväter [I/24], Kempten 1874) 207–317, hier 232, neu bearb. von Uwe Holtmann–Rudolf Heumann, http://www.unifr.ch/bkv/ buch372.htm [Zugriff 5. Dezember 2014]. 25  In den Endzeitszenarien der apokalpytischen Texten der früh- und mittelbyzantinischen Zeit wird Babylon als verruchte, dem Untergang geweihte Stadt oft mit der Reichshauptstadt Konstantinopel gleich gesetzt. Dazu Andreas Külzer, Konstantinopel in der apokalyptischen Literatur der Byzantiner. JÖB 50 (2000) 51–76. 26  Heike Behlmer, The City as Metaphor in the Works of Two Panopolitans. Shenoute and Besa, in: Perspectives on Panopolis. An Egyptian Town from Alexander the Great to the Arab Conquest. Acts from an International Symposium held in Leiden on 16, 17 and 18 December 1998, hg. von Arno Egberts–Brian P. Muhs–Jacques van der Vliet (Papyrologica Lugduno-Batava 31, Leiden u. a. 2002) 13–27, hier 21.



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Am Ende des zweiten Jahrhunderts hatte die eschatologische Erwartung des nahenden Anbruchs des Reiches Gottes an Dringlichkeit und Unmittelbarkeit verloren. Von da an entwickelten die christlichen Denker die Idee, dass Gottes polis, wie mangelhaft und sündenreich auch immer, bereits in dieser Welt in Gestalt der Kirche präsent war. Am bekanntesten ist dieser Gedanke aus dem bereits erwähnten „Gottesstaat“ des Augustinus, den er im römischen Nordafrika verfasste, nachdem die Westgoten unter Alarich im Jahr 410 die Stadt Rom geplündert und damit die Vergänglichkeit der irdischen Stadt par excellence aufgezeigt hatten.

Politeuma Paul von Tarsus (etwa 5–67 n. Chr.), ein konvertierter Jude, der den in der griechisch-römischen Tradition gebildeten Nichtjuden die Botschaft Christi nahezubringen versuchte, nutzte für seine theologischen Überlegungen das Bild der polis als Erster in größerem Maßstab und mit höherem Abstraktionsgrad. Für ihn, wie für den Verfasser der Offenbarung einige Jahrzehnte später, enthält Gottes Zukunftsversprechen auch die Bereitstellung einer dauerhaften Heimstatt für seine treuen Anhänger. Diese Heimat wird, aufbauend auf der jüdischen Vorstellung des Himmels als wohlgeordneter Stadt, selbst als Stadt definiert. Paulus formuliert im Brief an die Philipper 3, 20 einen Gedanken, der in den späteren Jahrhunderten außerordentlich bedeutend werden sollte: „Unser politeuma27 aber ist im Himmel“. Die Übersetzung dieses vielschichtigen Begriffs gestaltet sich als schwierig28. Heimat, Staatsverfassung, Gemeinschaft, Bürgerrecht und verwandte Begriffe sind als Bedeutungsvarianten belegt. Wichtig ist für unsere Fragestellung die Gegenüberstellung der bestehenden Welt mit dem Jenseits, das für die Christen den eigentlichen Lebenskontext darstellt. So wird dies auch in der Vita der heiligen Syncletica, einer Eremitin im Jordantal, aufgefasst, wo es heiß: „Wir betrachten das himmlische Jerusalem als unsere Stadt und Mutter, als unseren Vater aber nennen wir Gott.“29 Als die Konstantinische Wende dazu geführt hatte, dass mehr und mehr Männer und Frauen der Kirche beitreten wollten, nutzten die christlichen Prediger den Begriff der polis, um die Bedeutung der Taufe zu erklären. Besonders aufschlussreich sind dabei die katechetischen Predigten, mit denen die Bischöfe (oder Priester in ihrem Auftrag) die Katechumenen auf die Taufe vorbereiteten. Bevorzugt benutzen die Kirchenväter dabei den Begriff politeuma, der im politischen Denken der Griechen eine lange Tradition aufweisen kann und in der Regel eine Gruppe von Menschen bezeichnet, die einem gemeinsamen Regelkanon folgen. Urkundlich und inschriftlich erhaltene Texte zeigen ebenfalls die Existenz von politeumata als wohldefinierte soziale Gruppen. Am bekanntesten ist das politeuma der Juden in Alexandria oder das der Juden in Herakleopolis, das in rezenten Forschungsbeiträgen 27  Zur diesem Begriff in der griechischen Literatur bis in die Spätantike: Walter Ruppel, Politeuma. Bedeutungsgeschichte eines staatsrechtlichen Terminus. Philologus 82 (1927) 268–312, 433–454. 28  Vgl. zu dieser Passage: Paul C. Böttger, Die eschatologische Existenz der Christen. Erwägungen zu Philipper 3.20. Zeitschrift für neutestamentliche Wissenschaft 60 (1969) 244–263; Wendy Cotter, „Our Politeuma is in Heaven“. The Meaning of Philippians 3:17–21, in: Origins and Method. Towards a New Understanding of Judaism and Christianity. Essays in Honour of John C. Hurd, hg. von Bradley H. McLean (Journal for the Study of the New Testament. Supplement Series 86, Sheffield 1993) 92–104. 29  Vita et gesta sanctae et beatae magistrae Syncleticae c. 90, in: PG 28 (1887) 1487–1558, hier 1544 A.

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beleuchtet wurde. Zusätzlich gab es andere, ethnisch definierte Formen von politeumata im römischen Ägypten. Sie hatten ihre eigene Rechtsprechung und wurden in der kaiserlichen Gesetzgebung als Einheit betrachtet, auch wenn sie weiterhin als Teil der Hellenes angesehen wurden und damit Steuervergünstigungen genossen30. In seinen katechetischen Homilien bezieht sich Johannes Chrysostomos auf Paulus’ Wort, dass das politeuma der Christen im Himmel ist (Phil. 3, 20), um die angehenden Christen, die er ansprach, daran zu erinnern, dass sie ihre Gedanken und Werke darauf ausrichten sollten, dass sie sich ihres neu bestimmten bürgerlichen Status (politeuma) an dem neuen Ort, dem sie sich eingeschrieben haben (apegraphete)31, als würdig erweisen. Für unser Verständnis des damaligen Sprachgebrauchs der Kirchenväter ist es erhellend, dass Johannes Chrysostomos den terminus technicus für die Einschreibung in Bürgerlisten nutzt, wenn er den neu Getauften erklärt, dass sie „als würdig erachtet wurden, als Bürger [im Himmel] eingeschrieben zu werden“ (politographethenai)32. Ganz offensichtlich waren die christlichen Autoren versiert im Umgang mit der politischen Sprache ihrer Zeit. Sie setzten die Verwaltungssprache als Metapher ein, um die Bedeutung des Kirchenbeitritts zu untermalen: Er ist gleichbedeutend mit der Einschreibung in die symbolische Bürgerliste der Kirche, welche den Zugang zum Himmlischen Jerusalem eröffnet33. Die Kirchgemeinde ist also als direktes Gegenstück zur Gemeinde der polis zu verstehen. Johannes Chrysostomos’ jüngerer Zeitgenosse Basilius von Caesarea in Kappadozien (330–379) war wie jener Bischof einer großen Stadt, der vor der Herausforderung stand, die Schwelle für den Kircheneintritt bei einer wachsenden Zahl von Anwärtern weiterhin hoch anzusetzen. Beredt beschreibt Basilius diesen Aufnahmeprozess in einer Predigt zur Taufe: „Gib dich nun ganz Gott hin. Gib dir selbst die Bezeichnung [Christ]. Schreibe dich in die Kirche ein. Der Soldat ist in einer Liste eingetragen; der Wettkämpfer stellt sich dem Kampf, nachdem er sich registriert hat; ein Mitglied eines demos (demotes), der als Bürger gemeldet ist (politographetheis), wird unter die Mitglieder eines Stammes (phyletais) gezählt. In jeder Beziehung bist du verantwortlich: als Soldat Christi, als Wettkämpfer der Frömmigkeit und als jemand, der dem Himmel angehört (politeuma). Schreibe dich also in dieses Buch ein, damit dein Name nach oben [d. h. an den Himmel] über30  Thomas Kruse, Das politeuma der Juden von Herakleopolis in Ägypten, in: Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 20.–23. Juli 2006, hg. von Martin Karrer–Wolfgang Kraus (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 219, Tübingen 2008) 166–175. 31   Johannes Chrysostomos, Katechese VII 12, in: Jean Chrysostome, Huit catéchèses baptismales inédites, ed. Antoine Wenger (Sources chrétiennes 50, Paris 1957, Nachdr. 2005) 235 Z. 9–12. 32   Ebd. Katechese I 18 S. 118 Z. 9f. 33   Daraus ergibt sich die Frage, ob die Mitgliedschaft in einer bestimmten polis durch Bewerbung erworben werden konnte. Im antiken Athen war dies sicher nicht der Fall. Eine detaillierte Analyse der inschriftlichen und literarischen Quellen hat ergeben, dass es im klassischen und hellenistischen Athen (vom 5. bis ins 2. Jh. v. Chr.) nicht möglich war, sich um die Bürgerrechte zu bewerben. Stattdessen wurde sie von der Athenischen Versammlung meist als Anerkennung für Wohltätigkeiten (andragathia) gegenüber der Athener Bevölkerung gewährt. Dazu vgl. Michael J. Osborne, Naturalization in Athens 3–4 (Verhandelingen van de Konink­lijke Academie voor Wetenschappen, Letteren en Schone Kunsten van België, Klasse der Letteren 109, Brussel 1983) 145. Vgl auch ders., Naturalization in Athens 1 (Verhandelingen van de Koninklijke Academie voor Wetenschappen, Letteren en Schone Kunsten van België, Klasse der Letteren 98, Brussel 1981) 16, wo er auf eine bedeutende Veränderung im Wortlaut von Inschriften hinweist. Während in der Frühzeit der Ausdruck „jemanden zum Athener machen“ (einai Athēnaiōn) verwendet wird, kommt nach 229 v. Chr. die Wendung „das Bürgerrecht verleihen“ (didonai politeian) in Gebrauch.



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mittelt wird. Lerne und lass dich in einem den Evangelien gemäßen Verhalten (politeian) unterrichten.“34 Als im Laufe des vierten Jahrhunderts die christlichen Gemeinden wuchsen und strengere Organisationsstrukturen entwickelten, bürgerte sich das Verständnis der gesamten Kirche als politeuma, einer Gemeinschaft von gleichgesinnten Mitgliedern, weiter ein. Eusebius von Caesarea in Palästina (ca. 263–339), ein gebildeter Bischof, innovativer Theologe und selbsternannter Biograph Kaiser Konstantins, äußerte sich in diesem Zusammenhang besonders wortreich und sprach häufig davon, dass die Kirche ein „gottesfürchtiges Gemeinwesen“ (theosebes politeuma) und eine „Stadt Gottes“ (polis tou Theou) ist35. Am Ende des 4. Jahrhunderts bezeichneten die „Apostolischen Konstitutionen“ im selben Sinn die Gemeinde als die „heilige ekklēsia Gottes, die namentlich im Himmel eingeschrieben (apogegrammenē  ) ist“36. Die reichhaltigen Konnotationen des Wortes ekklēsia können in der Übersetzung nicht adäquat widergegeben werden. Im Kontext der antiken polis bezog ekklēsia sich auf die Bürgerversammlung und deren Mitgliederliste, das Fundament der antiken Demokratie. Im christlichen Sprachgebrauch wird das Wort als „Kirche“ übersetzt, was leicht in Vergessenheit geraten lässt, dass das Modell der antiken polis Pate steht für das Verständnis der organisierten christlichen Gemeinschaften (dies übrigens auch im lateinischen Sprachgebrauch, der das Wort ecclesia aus dem Griechischen übernimmt). Paradoxerweise rekurrierten die Kirchenväter auf die antike polis als Modell für ihr Kirchenverständnis genau in einer Zeit, als die realen Städte des Imperium Romanum an politischer Bedeutung verloren. Dieser Umstand belegt einmal mehr, dass gedankliche Konzepte häufig die gesellschaftliche Realität überdauern, die sie hervorgebracht hat. Als nach den religiösen und politischen Veränderungen der folgenden Jahrhunderte die Kindstaufe zur Regel wurde und die polis als politische Organisationsform nicht mehr existierte, wurde das Konzept weiter verwendet, allerdings eingeschränkt auf das Himmlische Jerusalem. Ein schönes und komplexes Beispiel aus späterer Zeit bietet Eustathios, Erzbischof von Thessaloniki (ca. 1115–1195). Als ausgezeichneter Kenner der antiken Literatur ist er besonders berühmt für seine Beschreibung der Eroberung Thessalonikis durch die Normannen (1185) und seine Homerkommentare. Er ist aber auch der Verfasser einer kurzen Beschreibung des Martyriums von Alphaeus, Zosimus, Alexander und Markus, die zur Zeit der Christenverfolgung durch Diokletian ums Leben kamen. Nachdem Eustathios die grosse Beliebtheit ihres Kultes in Thessaloniki erklärt hat – ein weiteres Bespiel für die Umorientierung des Bürgerstolzes vom Forum auf die Kirche –, beginnt er seine Erzählung auf konventionelle Weise mit der Beschreibung ihrer geographischen Herkunft aus Kalyte, einem Dorf bei Antiochia in Pisidien. Ein Wortspiel zeigt, wie Eustathios zwischen verschiedenen Formen von Siedlungen unterscheidet: „Dieses Kalyte zog sie als gute Bauern auf, aber sie wurden als Stadtbürger in die bereits erwähnte metropolis eingeschrieben. Ihre Einschreibung [als Bürger] (politographēma) geschah wie 34  Basilius von Caesarea, Homilia exhortatoria ad sanctum baptisma, in: PG 31 (1885) 423–444, hier 440 A. 35  Vgl. z. B. Eusebius, Commentaria in Psalmos, in: PG 23 (1857) 65–1396, hier 1045 A. Ebenso Basilius von Caesarea, Homilia in Psalmum XLV, in: PG 29 (1886) 415–432, hier 421. Vgl. dazu Michael Hollerich, Religion and Politics in the Writings of Eusebius. Reassessing the First „Court Theologian“. Church History 59 (1990) 309–325. 36  Les constitutions apostoliques 1: Livres I et II, ed. Marcel Metzger (Sources chrétiennes 320, Paris 1985) lib. II c. 26.1, S. 234 Z. 3–236 Z. 4.

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folgt …“. Dann geht er zur Beschreibung ihres Martyriums über. Während also in der frühbyzantinischen Zeit die Taufe als wichtiger Schritt der Grenzüberschreitung in die Gemeinschaft die Kirche galt, war es in der vollständig christianisierten Welt des 12. Jahrhunderts das Martyrium, das den Eingang in die Himmelsstadt gewährt37.

Politeia Politeia ist ein vielschichtiger Begriff mit ganz unterschiedlichen Bedeutungsnuancen. Plutarch (ca. 46–120 n. Chr.) nennt vier mögliche Definitionen: „Nun nennt man Politie auch die Teilnahme an den bürgerlichen Rechten. […] Auch das Leben des im politischen Treiben Tätigen wird Politie genannt. […] Manche nennen auch eine einzelne wohlgelungene und hervorstechende Leistung im Dienste des Staates Politie (Staatsakt). […] Neben diesen Bedeutungen gilt das Wort Politie auch als Bezeichnung für die Ordnung und Regelung aller Angelegenheiten des Staates.“38 Aristoteles hatte das Wort vor allem in der letzten Bedeutung gebraucht. In seiner „Politik“ erklärt er, dass eine Stadt nicht von ihren Mauern bestimmt wird, sondern dass sie aus einer Gemeinschaft von Bürgern besteht, die sich derselben Verfassung unterstellen (esti de koinōnia politōn politeias). Als viele Jahrhunderte später die antike polis einen radikalen Wandel erfuhr, definierte Hesychios von Alexandria, der im 5. oder 6. Jahrhundert n. Chr. ein griechisches Wörterbuch kompilierte, politeia folgendermaßen: „entweder Stadt oder Leben, auch Verhaltensweisen; auch Werke“39. Ein weiteres wichtiges Moment in der Institutionalisierung des Christentums nach der Konstantinischen Wende war, neben der Formierung der flächendeckenden Territorialverfassung der Kirche, die Ausbreitung des Mönchtums. Obgleich die frühesten Zeugnisse ins späte 3. Jahrhundert führen, gewann es in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts massiv an Einfluss, sodass sich das Mönchtum im 5. Jahrhundert zu einer wichtigen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Macht entwickelte. Männer und Frauen wandten sich einem Leben harter Askese zu in der Hoffnung, dadurch eine größere Nähe zu Gott zu erlangen, und bildeten somit eine geistliche Elite innerhalb der christlichen Gesellschaft. Dies ging häufig damit einher, dass sie sich aus der Stadt zurückzogen und einen abgelegenen Ort außerhalb bewohnten. Auch in diesem Kontext kommt die Terminologie von Stadt und Bürgerschaft zum Gebrauch. Besonders die stoische Philosophie hatte den platonischen Begriff von der polis als Gemeinschaft von guten Menschen, die demselben Naturgesetz folgen und sich somit derselben politeia gemäß verhalten, aufgenommen40. Unter diesem Einfluss verwenden christliche und jüdische Autoren das Substantiv politeia bevorzugt, um „persönliche Taten“ oder „Lebensweise“ zu bezeichnen41. Einen fernen Nachklang davon kann man in 37  Eustathius von Thessaloniki, Oratio de S. Alpheo et sociis martyribus, c. 5, in: PG 136 (1865) 264– 284, hier 266 D. 38  Plutarch, Über Monarchie, Demokratie und Oligarchie, in: Plutarch, Moralische Schriften 3. Politische Schriften, c. 2–3, übers. von Otto Apelt (Philosophische Bibliothek 206, Leipzig 1927) 132. 39  Hesychii Alexandrini lexicon 3, ed. Moritz Schmidt (Jena 1861) s. v. politeia. 40  Vgl. Malcolm Schofield, The Stoic Idea of the City (Cambridge u. a. 1991). 41  Vgl. Adolf Wilhelm, Zum griechischen Wortschatz. Glotta 14 (1925) 68–84, hier 78–82, und Walter Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der übrigen urchristlichen Literatur (Berlin 1958, Nachdr. 1963) s. v. politeia, politeuomai. Vgl. auch Le martyre de Pionios, prêtre de Smyrne, ed. Louis Robert (Washington, D. C. 1994) 78.



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der christlichen Vorstellung erkennen, dass das Mönchtum eine alternative Gemeinschaft darstellt, die von der Befolgung derselben Verhaltensweisen bestimmt wird. Dies zeigt sich besonders deutlich in der hagiographischen Literatur in Byzanz. Zahlreiche Viten – um genau zu sein 78, wie eine Recherche im Thesaurus Linguae Graecae ergibt – tragen den Titel bios kai politeia, gewöhnlich übersetzt als „Leben und Taten“. Mehr als bloß deskriptive Biographien sind hagiographische Texte als Erzählungen über Vorbilder für andere Menschen zu verstehen. Die Grundlage dafür wurde im frühesten hagiographischen Werk gelegt, der Vita Antonii, verfasst von Athanasios, Patriarch von Alexandrien. Antonius († 356) wurde weithin bekannt als erster Einsiedler unter den Wüstenvätern im Ägypten des 4. Jahrhunderts und seine Vita zirkulierte unter eben diesem Titel. Ein wichtiges Thema und ein assoziationsreicher Topus in der Vita Antonii ist die wiederholte Aussage, dass „die Wüste zu einer Stadt gemacht wurde“, weil Antonius als geistlicher Vater für viele Jünger fungierte, die seinem Rat folgten und seine Lebensweise nachahmten, indem sie ihre eigenen Behausungen in der Wüste einrichteten42. Nach den bisherigen Ausführungen sollte dies nicht nur im wörtlichen Sinn verstanden werden, nämlich als Besiedlung einer unwirtlichen, von Dämonen heimgesuchten Gegend, sondern besonders in dem Sinn, dass hier ein neues politeuma eingerichtet wurde. Die Wüste wurde genau dadurch zur polis gemacht, dass sie einer Gemeinschaft gleichgesinnter und nach Tugend strebender Männer (und Frauen) eine Heimstatt bot, die ihrem Gewissen und der Berufung zur Askese folgten und dementsprechend die gleichen Regeln beachteten, also eine gemeinsame asketische politeia bildeten. Athanasios prägt einen interessanten Ausdruck, um diesen Gedanken bereits am Beginn der Vita zu etablieren, wenn er anerkennend bemerkt, dass unter seinem Publikum bereits einige monastische Siedlungen an abgelegenen Orten gegründet wurden, so dass die „Bezeichnung Mönch ihr bürgerliches Verhalten prägt“ (to tōn monachōn onoma politeuetai)43. Genau in diesem Sinn wurden christliche Gemeinden, insbesondere Mönchsgruppen, in der christlichen Literatur häufig mit den Chören der Engel, dem Himmlischen Jerusalem oder der neutestamentlich-metaphorischen „Stadt auf dem Berg“ der Bergpredigt verglichen. Anders als die Taufe ist das Mönchtum eine lebenslange Praxis der Askese. Dies spiegelt sich auch im Gebrauch der polis-Metaphorik: Während die Taufe als einmaliger Akt des Eintritts in das politeuma der Kirche in Analogie zur Einschreibung als Mitglied einer polis verstanden wird, stellt das monastische Leben eine dauerhaft zu befolgende Lebensweise dar oder, anders ausgedrückt, die Befolgung einer bestimmtem politeia. Durch lebenslange Anstrengungen bemühen sich die Mönche und Nonnen darum, als Lohn für ihre Taten in das Himmlische Jerusalem aufgenommen zu werden. In einigen Ausnahmefällen ging man davon aus, dass dieses Privileg den „holy men“ bereits zu Lebzeiten zuteil wurde. Sie wurden von ihren Zeitgenossen aufgrund ihrer Wundertätigkeit als heilig betrachtet und bekamen auf diese Weise auch für ihre Stadt 42  Athanase d’Alexandrie, Vie d’Antoine, c. 14, 7, ed. Gerhard J. M. Bartelink (Sources chrétiennes 400, Paris 1994) 174 Z. 31–33: hē erēmos epolisthē monachōn, exelthontōn apo tōn idiōn kai apograpsamenōn tēn en tois ouranois politeian. Wörtlich übersetzt heißt dies: „Die Wüste wurde von Mönchen besiedelt, die von ihrem Eigentum weggingen und ihr Leben im Himmel einschrieben“, Athanasius, Vita Antonii, ed. Adolf Gottfried, übers. von Heinrich Przybyla (Graz–Wien–Köln 1987) 41. Vgl. dazu mit weiteren Literaturangaben Claudia Rapp, Desert, City and Countryside in the Early Christian Imagination, in: The Encroaching Desert. Egyptian Hagiography and the Medieval West, hg. von Jitse Dijkstra–Mathilde van Dijk (Dutch Archive of Church History = Church History and Religious Culture 86, Leiden–Boston 2006) 93–112. 43  Athanase d’Alexandrie, Vie d’Antoine (wie Anm. 42) Vorwort 1, S. 126 Z. 4f.

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eine Schutzfunktion zugesprochen, aus der sich bald das Städtepatronat entwickeln sollte44. So wurde der berühmte syrische Säulenheilige des 5. Jahrhunderts Symeon Stylites als „Engel auf Erden, der Bürger des Himmlischen Jerusalem noch zu Lebzeiten“ bezeichnet45. Er galt schon wenige Generationen nach seinem Tod als „Bollwerk“ für die Stadt Antiochien. Die syrische Vita erläutert, warum er dort bestattet wurde: „Weil unsere Stadt keine Mauer hat, da diese im Zorn fiel, haben wir ihn als unsere Festungsmauer gebracht, damit uns sein Gebet schützen möge“46. Symeons Präsenz in seinen Reliquien wurde für die Sicherheit der Stadt als so wichtig erachtet, dass das Ersuchen des Kaisers Leo I. nach Überführung derselben in die Hauptstadt Konstantinopel abgelehnt wurde. Als Begründung wurde angegeben, dass Symeon für Antiochien „eine Mauer und eine Schutzburg“ sei47. Das Schutzpatronat der Heiligen als Beschützer „ihrer“ Stadt ist in Gallien bereits seit dem späten 4. Jahrhundert festzustellen und wird mit poliorketischen Metaphern unterlegt48. So wird z. B. die Stadt Tours nach ihrem berühmten Bischof Martin als civitas Martini bezeichnet. Diese Tradition hält sich durch das ganze Mittelalter, besonders im lateinischen Westen. Es bleibt zu fragen, wie die antike polis im historischen Sinn, als real existierende Stadt, in den Texten byzantinischer Autoren präsent bleibt, ein Thema, das von Andreas Rhoby im Detail untersucht wurde49. Abhängig von der politischen Situation änderte sich der Ton dieser Reminiszenzen. Als sich Byzanz im 9. und 10. Jahrhundert von den arabischen Eroberungen erholte und die „Makedonische Renaissance“ den kulturellen Hintergrund für die Wiederentdeckung antiker Autoren bildete, manifestierten sich diese Reminiszenzen in der Form von Gründungslegenden, die sich auf antike Städte bezogen. Das änderte sich ab dem 12. Jahrhundert. Als die byzantinischen Gebiete feindlichen Angriffen von allen Seiten ausgesetzt waren, wurde die Erinnerung an antike Städte in der Form von Klagen über deren Untergang wach gehalten. Dies setzte sich in unterschiedlicher Intensität bis ins 15. Jahrhundert und zur endgültigen Eroberung Konstantinopels 1453 fort50. Um den gegenwärtigen Zustand der Städte anzuprangern und zugleich die 44   Zur Stadt als Schauplatz und Bezugsrahmen in der byzantinischen Hagiographie s. Helen Saradi, The City in Byzantine Hagiography, in: The Ashgate Research Companion to Byzantine Hagiography 2: Genres and Contexts, hg. von Stephanos Efthymiadis (Farnham 2014) 419–452. 45   Évagre le Scholastique, Histoire ecclésiastique. Livres I–III, lib. I c. 13/21, ed. Joseph Bidez–Léon Parmentier, trad. A.-J. Festugière–Bernard Grillet–Guy Sabbah (Sources chrétiennes 542, Paris 2011) 160 Z. 23f. 46  „Because our city has no wall as it fell in anger, we brought him to be for us a fortified wall that we may be protected by his prayer“, The Lives of Simeon Stylites, übers. v. Robert Doran (Cistercian Studies Series 112, Kalamazoo, Mich. 1992) 194. 47   Évagre le Scholastique (wie Anm. 45) lib. I 13/23, S. 164 Z. 77–166 Z. 80. Für ein Beispiel aus Nordafrika im 5. bis 6. Jh. s. Conrad Leyser, „A Wall Protecting the City“. Conflict and Authority in the Life of Fulgentius of Ruspe, in: Foundations of Power and Conflicts of Authority in Late-Antique Monasticism. Proceedings of the International Seminar, Turin, December 2–4, 2004, hg. von Alberto Camplani–Giovanni Filoramo (Orientalia Lovaniensia Analecta 157, Leuven 2007) 175–192. 48  Brigitte Beaujard, Le patriotisme municipal dans la Gaule des Ve et VIe siècles après J.-C., in: Idéologies et valeurs civiques (wie Anm. 11) 261–269, hier 267f. 49  Andreas Rhoby, Reminiszenzen an antike Stätten in der mittel- und spätbyzantinischen Literatur. Eine Untersuchung zur Antikenrezeption in Byzanz (Göttinger Studien zur byzantinischen und neugriechischen Philologie 1, Göttingen 2003); ders., Stadtlob und Stadtkritik in der byzantinischen Literatur, in: Byzantinische Sprachkunst. Studien zur byzantinischen Literatur gewidmet Wolfram Hörandner zum 65. Geburtstag, hg. von Martin Hinterberger–Elisabeth Schiffer (Byzantinisches Archiv 20, Berlin–New York 2007) 277–295. 50  Margaret Alexiou, The Ritual Lament in the Greek Tradition (Lanham, MD 22002).



Die antike Polis als Modell für städtische Gemeinschaft in der Gedankenwelt der Byzantiner 255

eigene Gelehrsamkeit zu demonstrieren, zogen die Autoren in Krisenzeiten gerne Vergleiche mit den ruhmvollen Städtebeschreibungen der antiken Schriftsteller. Besonders Athen galt als Vorbild und Metapher für die klassische Bildung, aber auch andere Städte werden auf diese Weise beschrieben. In der Rückschau durch die byzantinischen Autoren, egal welcher Zeitperiode, sind die einschlägigen Charakteristika dieser Städte ihre Bauwerke, ihre Mauern, ihre feierlichen Feste und der Ruhm ihrer Bürger. In dieser Hinsicht folgen die byzantinischen Autoren den rhetorischen Anweisungen Menanders bis ins Detail. Das antike Griechenland und seine Städte als gemeinsamer Bezugspunkt von gebildetem Autor und ebenso gebildetem Publikum ist auch in den byzantinischen Romanen des 12. Jahrhunderts gegenwärtig, einer neu aufgelebten Form der spannend-erotischen Unterhaltungsliteratur, die sich bewusst an antiken Vorbildern orientierte. Die Handlung dieser Romane – nach dem Schema erste Begegnung, Trennung und Wiedervereinigung eines Liebespaares – spielt in der antiken Welt der polis. Ein schönes Beispiel bietet der Roman „Hysmine und Hysminias“ des Eustathios Makrembolites. Im Traum stellt sich der Held Hysminias vor, wie er seiner Hysmine nahe kommt. Sie aber „ummauerte ihre Brust mit dem ganzen Körper wie eine Stadt ihre Akropolis: mit Händen, Hals, Kinn und Bauch schützte und verteidigte sie ihre Brüste, und während sie von unten die Knie anhob, schleuderte sie wie von einer Akropolis aus vom Kopf die Tränen herab ...“51. Auch hier wird die polis als Metapher für einen durch Mauern geschützten Innenraum verwendet, und zwar nicht, wie bei den Kirchenvätern, im Bezug auf die Außeneinflüsse auf die geistige Entwicklung von (generisch als männlich gedachten) Kindern, sondern in Hinblick auf die Eroberung der jungfräulichen Heldin durch den ungestümen, aber zielstrebigen Helden, der seinerseits bereits wie eine befestigte Stadt dem Belagerungskrieg des Gottes Eros zum Opfer gefallen ist. In analoger Weise ist in dem Roman „Aristandros und Kallithea“ des Konstantin Manasses davon die Rede, dass selbst die stärkste Befestigung einer Stadt machtlos ist, sobald Übel und Verrat Eingang gefunden haben52. Machtlosigkeit macht sich aber auch breit im Angesicht der überwältigenden Kraft des Eros, die den männlichen Helden in seinem Status reduziert. In Anlehnung an den antiken terminus technicus des „Einschreibens in die Bürgerlisten“ (politographesthai) wird der Held unter dem Eindruck dieser Gefühlsmacht als deren „Sklave“ deklariert (doulographesthai)53. Eine Rede des 13. Jahrhunderts auf die Stadt Nikaia zur Zeit des nizäanischen Kaiserreiches, als Konstantinopel unter lateinischer Herrschaft war, zeigt eine Kombination von Elementen aus Menander Rhetors Anleitung zu einem Städtelob und einem Widerhall von Platons Bestimmung, dass die Stadt sowohl Grundlage für als auch Resultat der Tugend ihrer Bürger ist. Der spätere Kaiser Theodor Laskaris hielt einige Zeit vor 1254 eine rhetorisch gewandte Rede, die wenig konkrete historische Informationen übermittelt, dafür aber den außergewöhnlichen Status der Stadt bildhaft darstellt. Nikaia wird 51  Eustathius Macrembolites, De Hysmines et Hysminiae amoribus libri XI, lib. 3. 7. 4, ed. Miroslav Marcovich (Bibliotheca Teubneriana, München–Leipzig 2001) 30; übers. von Karl Plepelits (Stuttgart 1989) 101–102. Vgl. auch lib. 3. 2. 3–7, ed. Marcovich 25, übers. Plepelits 98. 52   Konstantin Manasses, Aristandros und Kallithea, fragm. 29, ed. Otto Mazal, Der Roman des Konstantinos Manasses. Überlieferung, Rekonstruktion, Textausgabe der Fragmente (Wiener Byzantinistische Studien 4, Wien 1967) 161–209, hier 170; übers. von Elizabeth Jeffreys–Michael Jeffreys, Four Byzantine Novels (Liverpool 2012) 291. Für diese Hinweise danke ich Ondrej Cikan. 53  Herbert Hunger, Antiker und byzantinischer Roman (SB der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 1980/3, Heidelberg 1980) 24. Siehe auch Carolina Cupane, The Heavenly City: Religious and Secular Visions of the Other World in Byzantine Literature, in: Dreaming in Byzantium and Beyond, hg. von Christine Angelidi–George T. Calofonos (Farnham 2014) 53–68.

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im Positiven mit dem antiken Babylon und Athen und selbst mit dem zeitgenössischen Konstantinopel verglichen, sowohl was die geistigen Bestrebungen der Bildungselite als auch was die Präsenz des Kaiserhofes angeht, wobei es ihm nicht einmal an Luxusgütern als Dreh- und Angelpunkt des Handels fehlte54. „Und ich nenne die Stadt auch göttlichen Verstand, da sie euch als gute Bürger wie edle Gedanken in sich hat, die lebhaft debattieren und mit der Theorie die Praxis vermischen und auf einem reinen Weg die Rednertribünen betreten und die sich selbst schmücken ganz durch die Kraft der Vernunft und Mauern um ihre Stadt bauen, als ob sie Verstand wäre …“55. Zum Abschluss dieser Bemerkungen zur Thematik der polis als Konzept in byzantinischer Zeit kann ein Zitat des Johannes Cassian (ca. 360–435) erhellend sein, das die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten des Begriffs „Stadt“ am Beispiel von Jerusalem verdeutlicht. Zwar kam er aus Scythia und schrieb auf Latein, doch erfolgte seine intellektuelle und geistliche Prägung im Zusammenleben mit den griechischen Mönchen in Ägypten. „In Bezug auf die Geschichte ist es [Jerusalem] die Stadt der Juden. In Bezug auf die Allegorie ist es die Kirche Christi. In Bezug auf die Anagoge ist es diese himmlische Stadt Gottes, die unser aller Mutter ist. In Bezug auf die Tropologie [d. h. in Bezug auf das menschliche Verhalten] ist es die Seele des Menschen, die unter diesem Namen von Gott häufig entweder gescholten oder gelobt wird.“56 Polis, politeuma und politeia: Die Konzepte von Stadt, Gemeinschaft und gesellschaftlichem Verhalten sind bei Cassian vereint in der Gesamtschau auf Jerusalem. Auf diese Weise entfaltete sich im christlichen Gedankengut der Kirchenväter die Kontinuität von der realen polis der Antike zur eschatologischen Erwartung von Jerusalem als der Stadt aller Städte und ihrem Abglanz in der Kirche der Gegenwart. Auch in späteren Jahrhunderten, als die antike Städtekultur schon lange nicht mehr existierte, überdauerte – wie sich zeigen ließ – die Anziehungskraft der auf ihr beruhenden Konzepte in den theologischen Ausführungen, in der historischen Erinnerung und in der literarischen Phantasie der Byzantiner.

54  Einführung, Text und englische Übersetzung: Clive Foss, Nicaea. A Byzantine Capital and Its Praises (The Archbishop Jakovos Libray of Ecclesiastical and Historical Sources 21, Brookline, Mass. 1996) 123–163. Siehe jetzt auch Andreas Rhoby, Theodoros Metochites’ Byzantios and Other City Encomia of the 13th and 14th Centuries, in: Villes de toute beauté. L’ekphrasis des cités dans les littératures byzantine et byzantino-slave. Actes du colloque international, Prague, 25–26 novembre 2011, ed. Paolo Odorico–Charalambos Messis (Dossiers byzantins 12, Paris 2012) 81–99. 55  Vgl. Foss, Nicaea (wie Anm. 54) 137. 56  Johannes Cassian, Conlatio XIV, c. VIII, in: Jean Cassien, Conférences VIII–XVII, ed. Étienne P ­ ichéry (Sources chrétiennes 54, Paris 1958) 190f.

Bilder, Ansichten und Einschätzungen von Stadt im lateinischen Westen Europas Elisabeth Gruber

Das Erscheinungsbild der Stadt und seine wirksame Nutzung interessiert wohl bereits seit Existenz dieser Siedlungsform. Städte konnten Thema von sakral oder profan orientierten Traktaten und Beschreibungen ebenso sein wie Schauplätze von Erzählsträngen oder Gegenstand in urkundlichen Narrationen. Abbildungen von Städten finden sich auf Siegeln und Münzen, in Handschriften, auf Tafelbildern und Wandmalereien oder in Form von Stadtplänen. Sich einen Eindruck von den verschiedenen Vorstellungen, Bilder, Metaphern von Stadt im christlichen Abendland im Rahmen dieses Formats zu verschaffen, ist deshalb ein schwieriges Unterfangen. Zu vielfältig sind sowohl die unterschiedlichen Möglichkeiten, Stadt als Vorstellung und Metapher zu fassen als auch wiederum deren Zugänge und Motivationen, mit denen zu unterschiedlichen Zeiten hantiert wurde und wird1. Ich möchte mich daher auf die Frage konzentrieren, welches Bild oder welche Bilder von „Stadt“ über welche Medien in welchen historischen Kontexten vermittelt wurden, wie diese in den Quellen fassbar und beschreibbar sind und welche Möglichkeiten der Einordnung bestehen. Welcher Praktiken bedienten sich „Städte“ – oder besser: jene Personen, die Stadt als Objekt der Kommunikation und Repräsentation zu nutzen wussten, um die gewählten Botschaften zu transportieren? Meiner eigenen inhaltlichen Schwerpunktsetzung entsprechend werde ich dabei anhand von Beispielen aus dem Hoch- und Spätmittelalter, mit flüchtigem Blick in die Frühe Neuzeit und einer regionalen Einschränkung auf das deutschsprachige Zentraleuropa, der Frage nachgehen, welche Bilder, Ansichten und Einschätzungen von Stadt aus den Quellen zu erschließen wären. Vollständigkeit kann hier zweifelsfrei nicht geboten werden, doch die Möglichkeiten gehen über literarische Formen wie Städtelob und Städteschelte weit hinaus. Stadtheilige, Siegelbilder oder illuminierte Stadtbücher wurden kaum beliebig ausgewählt, zumindest waren sie Ausdruck und Repräsentation von Zugehörigkeit – aber auch der Aus- und Abgrenzung. In welchen Kontexten bediente man sich dieser Ausdrucksformen, wurden sie „gelesen“ und konnten auch verstanden werden? Und wurden die Stadt-Bilder immer nur zugunsten der Städte genutzt oder dienten sie auch dazu, Gegenentwürfe zu entwickeln und zu legitimieren? Die Städteforschung des 21. Jahrhunderts widmet sich intensiv den vielfältigen Fragen nach den bürgerlichen Rechten, der Nutzung sozialer, realer und heiliger Räume, der Erforschung städtischer Eliten und sozialer Gruppen, den Aspekten 1  S. den Beitrag von Claudia Rapp in diesem Band, der die antike Polis als Modell für städtische Gemeinschaft in der Gedankenwelt der Byzantiner thematisiert.

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der wirtschaftlichen, herrschaftspolitischen und infrastrukturellen Rolle von Städten unter Anwendung traditioneller und/oder moderner Analyse- und Vermittlungsinstrumente und entwirft damit facettenreiche und multiperspektivische Stadtbilder. Die Frage nach den unterschiedlichen Formen und Wirksamkeiten städtischer Repräsentation am Beispiel der Residenzstädte brachte eine Diskussion über disziplinäre Grenzen hinweg in Gang2. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts interessieren vermehrt die räumliche Dimension städtischer Repräsentation und ihre bildliche und kartografische Darstellung3. Auch Stadtplanung und kartografische Umsetzung von Städten können als Lesart einer Vorstellung von Stadt begriffen werden, wie dies etwa die architekturhistorische Forschung für die Renaissance umfassend zeigen konnte4. Alfred Heit bezeichnete die Schaffung eines auch für die kartographische Darstellung zweckmäßigen Stadtbegriffs als den wohl größten „qualitative[n] Sprung“ der Stadtgeschichtsforschung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts5. Der vorliegende Beitrag schließt an Fragestellungen der Städteforschung an, die besonders in den letzten Jahrzehnten vielfältige Beachtung gefunden haben. Exemplarisch zu nennen wären der von Peter Johanek herausgegebene Sammelband zur städtischen Geschichtsschreibung im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit6 und die beiden ident mit „Bild und Wahrnehmung der Stadt“ betitelten Bände, die Ferdinand Opll und Peter Johanek herausgegeben haben7 und die zugegebenermaßen auch Impulsgeber für meinen eigenen Beitragstitel waren. Aufschlussreiche Argumente zu meiner Frage liefert der Sammelband von Kurt-Ulrich Jäschke, welcher der Frage nachgeht, was denn im Mittelalter überhaupt zu Stadt mache, und damit eine Debatte anspricht, die nicht erst die Stadtgeschichtsforschung des (vor-)letzten Jahrhunderts beschäftigt8.

2  Repräsentationen der mittelalterlichen Stadt, hg. von Jörg Oberste (Forum Mittelalter. Studien 4, Regensburg 2008); In der Residenzstadt: Funktionen, Medien, Formen bürgerlicher und höfischer Repräsentation. 1. Atelier der neuen Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen veranstaltet mit dem Hohenlohe-Zentralarchiv Neuenstein, 20.–22. September 2013, bearb. von Kurt Andermann, hg. von Jan Hirschbiegel–Werner Paravicini (Residenzenforschung N. F. 1, Ostfildern 2014). 3   Martina Stercken, Gebaute Ordnung. Stadtvorstellung und Planung im Mittelalter, in: Städteplanung – Planungsstädte, hg. von Bruno Fritzsche–Hans-Jörg Gilomen–Martina Stercken (Zürich 2006) 15–38; Städteatlanten. Vier Jahrzehnte Atlasarbeit in Europa, hg. von Wilfried Ehbrecht (Städteforschung A/80, Köln–Weimar–Wien 2013). 4  Eva-Maria Seng, Stadt – Idee und Planung. Neue Ansätze im Städtebau des 16. und 17. Jahrhunderts (Kunstwissenschaftliche Studien 108, München–Berlin 2003) bes. 155–184; Ruth Eaton, Die ideale Stadt. Von der Antike bis zur Gegenwart (Berlin 2003), hier bes. 40–73, Kap. 3: Die Idealisierung der Stadt in der Renaissance und die Blütezeit der literarischen Utopien. 5   Alfred Heit, Vielfalt der Erscheinung – Einheit des Begriffs? Die Stadtdefinition in der deutschsprachigen Stadtgeschichtsforschung seit dem 18. Jahrhundert, in: Vielerlei Städte. Der Stadtbegriff, hg. von Peter Johanek–Franz-Joseph Post (Städteforschung A/61, Köln–Weimar–Wien 2004) 1–12, hier 10. 6  Städtische Geschichtsschreibung im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. von Peter Johanek (Städteforschung A/47, Köln–Weimar–Wien 2000). 7  Bild und Wahrnehmung der Stadt, hg. von Ferdinand Opll (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 19, Linz 2004); Bild und Wahrnehmung der Stadt, hg. von Peter Johanek (Städteforschung A/63, Wien–Köln–Weimar 2012) 8  Was machte im Mittelalter zur Stadt? Selbstverständnis, Außensicht und Erscheinungsbilder mittelalterlicher Städte. Vorträge des gleichnamigen Symposiums vom 30. März bis 2. April 2006 in Heilbronn, hg. von Kurt-Ulrich Jäschke–Christhard Schrenk (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Heilbronn 18, Heilbronn 2007).



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Stadt einschätzen Unter dem Eindruck der im Laufe des 19. Jahrhunderts expandierenden Städte setzte eine intensive Auseinandersetzung über den Stellenwert der immer einflussreicher werdenden wirtschaftlichen, politischen und sozialen Akteure innerhalb der europäischen Staaten ein. Dynamischer Städtebau, Zuwanderung und Modernisierung machten etwa Wien zur Metropole der Habsburgermonarchie9. „Experiment Metropole“ betitelte das Wien Museum eine der Wiener Weltausstellung gewidmete Ausstellung, die sich dem Metropolen-Anspruch der Hauptstadt der Habsburgermonarchie kritisch näherte 10. Die insgesamt fünfte Weltausstellung, die mit Genehmigung Kaiser Franz Josephs I. 1873, nun in Wien, ihre Pforten öffnete, erreichte eine bauliche Größenordnung, die jene der voran gegangenen in Paris übertraf. Für den gewählten Standort im Wiener Prater war die Regulierung der Donau grundlegende Voraussetzung, die damit verbundenen städtebaulichen Maßnahmen im Bereich des Verkehrs- und Infrastrukturausbaus, des Gesundheitswesens oder der Wasserversorgung enorm11. Wien als aufstrebende Metropole im ausgehenden 19. Jahrhunderts zu positionieren war wichtigster Motor für die Anstrengungen, die unternommen wurden12. Doch unter welchen Umständen kann eine Stadt als Metropole bezeichnet werden? Ist eine Großstadt gleichzeitig auch eine Metropole13? Im Zeitraum zwischen 1825 und 1900 wuchsen die Bevölkerungszahlen von Städten wie London, Paris, Berlin oder Wien um ein Vielfaches ihrer bisherigen Einwohnerschaft an14. Die Industrialisierung als städtisches Phänomen wirkte maßgeblich auf die zunehmende Expansion der Städte und die Ausbildung ihrer Zentralitätsfunktion ein. Industrieanlagen mussten infrastrukturell erschlossen werden, die Zu- und Ablieferung der produzierten Waren sicher gestellt, die Versorgung der beschäftigten Menschen gewährleistet und Rahmenbedingungen für das Zusammenleben und -wirken der unterschiedlichen Kräfte geschaffen werden. Unter dem Eindruck der entstehenden Großstädte in Europa und Nordamerika regte diese Entwicklung auch 9   Wolfgang Maderthaner, Von der Zeit um 1860 bis zum Jahr 1945, in: Wien. Geschichte einer Stadt 3: Von 1790 bis zur Gegenwart, hg. von Peter Csendes–Ferdinand Opll (Wien–Köln–Weimar 2006) 175–544, bes. 175–248, hier 177. 10  Experiment Metropole. 1873: Wien und die Weltausstellung. Wien Museum Karlsplatz, 15. Mai bis 28. September 2014, hg. von Wolfgang Kos–Ralph Gleis (Sonderausstellung des Wien-Museums 397, Wien 2014). 11   Bertrand Michael Buchmann, Dynamik des Städtebaus, in: Wien (wie Anm. 9) 47–76; Sylvia Gierlinger–Gertrud Haidvogl–Simone Gingrich–Fridolin Krausmann, Feeding and cleaning the city: the role of the urban waterscape in provision and disposal in Vienna during the industrial transformation. Water History 5/2 (2013) 219–239, hier 226f. (DOI 10.1007/s12685-013-0075-1). 12  Dennoch scheiterte das Projekt: die Baukosten stiegen von geplanten 6 Millionen Gulden auf 14,8 Millionen und von den erwarteten 20 Millionen Besuchern fanden lediglich 7,2 Millionen den Weg in die Ausstellung. Vgl. dazu Noemi Leemann, Die Weltausstellung kommt nach Wien. Ein Unternehmen der Superlative, in: Experiment Metropole (wie Anm. 10) 118–125, hier 125. 13   Im Mittelalter wurden jene Städte als Metropole bezeichnet, die als Sitz eines Erzbistums zentrale Funktionen im Bereich der Kirchenorganisation erfüllten oder als Hauptstadt politisches Zentrum waren. Vgl. dazu Jörg Oberste, Paris im Mittelalter. Metropolenbildung zwischen Zentralität und Diversität, in: Metropolität in der Vormoderne. Konstruktionen urbaner Zentralität im Wandel, hg. von dems. (Forum Mittelalter. Studien 7, Regensburg 2012) 73–100, hier 75. 14   London 1825: 1.335.000 Einwohner, 1900: 6.480.000; Paris: 1825: 855.000, 1900: 3.330.000; Berlin: 1825: 222.000, 1900: 2.242.000; Wien: 1825: 288.000, 1900: 1.662.000. Zahlen zit. nach: Experiment Metropole (wie Anm. 10) 13.

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die wissenschaftlichen Debatten über Städte an. Erste Kriterien wurden im Rahmen der frühen Metropolenforschung der Chicago School for Urban Sociology15 auch für den deutschsprachigen Raum nutzbar gemacht. Als wichtigstes Merkmal galt dabei die Bedeutsamkeit der Großstadt hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Zentralität weit über den konkreten Ort hinaus16. In funktionaler Hinsicht werden Hauptstädte oder zentrale Orte dann als Metropolen bezeichnet, wenn ihre Bedeutung als regionales Wirtschaftszentrum oder ihre politische Funktion als Hauptstadt deutlich gemacht werden soll. Eng damit verbunden ist die hohe Dichte von Interaktion(en), die im Raum der Stadt stattfinden und diese damit zur Metropole machen17. Jörg Oberste hat die Tauglichkeit des Metropolenbegriffs „als modernen Analysebegriff“18 für die mittel­ alterliche Periode am Beispiel Paris geprüft. Ausgehend von einem Zitat Bischof Ottos von Freising, der Mitte des 12. Jahrhunderts Regensburg als Norici ducatus metropolis19 bezeichnete, stellt Oberste fest, dass einige Merkmale der Metropolität auch für das mittelalterliche Paris zutreffen. Mit seiner Funktion als Herrschaftssitz, seiner zentralen Verkehrslage und der Bedeutung als Kultort kann die bevölkerungsreichste Stadt Europas zu dieser Zeit durchaus als Referenzort dienen20. Denn, so konstatiert er, auch im Mittelalter stellten sich in größeren Städten die unterschiedlichen Kommunikationsprozesse, die Lösung von sozialen Konflikten, die Erfordernisse politischer Leitung oder die Lösung von technischen und infrastrukturellen Problemen anders dar als in klein(er)en Städten21. Metropolen sind also bedeutende Städte, die als Referenzorte gelten und dadurch hinsichtlich der gewählten Kriterien Größe, Funktion und Zentralität zum Leitbild oder Maßstab werden, im modernen Sinn auch als „Marken“ oder „Brands“ bezeichnet22. Das „Branding“ zielt darauf ab, Ordnung und Übersichtlichkeit in einer vielfältigen Umwelt herzustellen und Entscheidungen zu erleichtern. Identifikation und Wiedererkennung, Kontinuität und Erinnerung sind die Schlagworte, die Menschen, Waren und Dinge zu Teilen eines Ganzen machen. So dienen etwa Tourismuskonzepte dazu, Städte als unverkennbare Marken in Erinnerung zu behalten: Paris, die Stadt der Liebe, Prag, die goldene Stadt, oder Wien, das „anders“ ist23. Es werden Vorstellungen angesprochen, die mit kon15   Rainer Egloff, Die Rolle der Weltausstellung 1893 als Idealstadt in der amerikanischen Stadtplanung und in der frühen Chicagoer Soziologie, in: Städteplanung (wie Anm. 3) 125–155, hier 132–136. 16  Renate Banik-Schweitzer–Siegfried Mattl–Lutz Musner–Clemens Zimmermann, Kriterien einer Metropole. Ein Werkstattgespräch, in: Experiment Metropole (wie Anm. 10) 24–33, hier 25f. 17  Ebd. 31; Harald Mieg, Metropolen: Begriff und Wandel, in: Metropolität (wie Anm. 13) 11–33, hier 12; zur Metropolendiskussion in der Frühen Neuzeit vgl. Herbert Knittler, Der Aufstieg der europäischen Metropolen in der frühen Neuzeit, in: Die vormoderne Stadt. Asien und Europa im Vergleich, hg. von Peter Feldbauer–Michael Mitterauer–Wolfgang Schwentker (Querschnitte 10, Wien–München 2002) 213–231. 18   Oberste, Paris (wie Anm. 13) 76. 19   Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. imperatoris, lib. 2 c. 6, ed. Georg Waitz (MGH SS rer. Germ. in usum scholarum [46], Hannoverae–Lipsiae 31912) 107; Oberste, Paris 73. 20   Oberste, Paris 73–75. 21   Oberste, Paris 77. 22   Siegfried Mattl, City Brandings, in: Phantom Kulturstadt, hg. Konrad Becker–Martin Wassermair (Texte zur Zukunft der Kulturpolitik 2, Wien 2009) 15–25; Bernd Radtke, Stadtslogans zur Umsetzung der Markenidentität von Städten. Eine theortetisch-konzeptionelle und empirische Untersuchung (Wiesbaden 2013) 260–290. 23   Der Werbeslogen des Stadtmarketings für Wien war bis zum Jahr 2011 in Verwendung. Vgl. dazu Reinhard Johler, „Wien bleibt Wien“, „Wien ist anders“, „Wien darf nicht Chicago werden“. Zur Rhetorik gegenwärtiger Urbanitätsdiskurse in Wien. Berliner Blätter. Ethnographische und ethnologische Beiträge 17 (1998) 51–60.



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kreten Städten verbunden sind und diese aus der Masse anderer Städte hervorheben24. Oft werden dafür gut bekannte Bilder genutzt, deren Wurzeln durchaus historische sein können, wie etwa die Initiativen Karls IV., Prag, die Hauptstadt seines Königreichs, als „Krone Böhmens“ zu etablieren25. Eine Stadt als Metropole zu bezeichnen bedeutet jedenfalls, das komplexe Zusammenspiel von wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen, politischen, religiös-kultischen, rechtlichen, technischen und topografischen Rahmenbedingungen einer Stadt für die Eigen- und Fremdwahrnehmung fass- und nutzbar zu machen. Ihr das typisch Eigene, Unverwechselbare mit Wiedererkennungswert zuzuschreiben, hat eine lange Tradition. Die Instrumentarien wurden nicht erst, seitdem sich Städte wie Edinburgh oder Paris in den 1890er Jahren im Rahmen der Weltausstellungen einer Corporate Identity bedienten, genutzt26.

Über Stadt schreiben Die Erforschung von Prozessen urbaner Kommunebildung kann auf eine längere Tradition stadthistorischer Forschung aufbauen. Dies wird in der städtischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts am deutlichsten sichtbar. Ihr diente das Interesse am Zusammenleben der Menschen in den Städten, an den Funktionsweisen der städtischen Gemeinschaft oder an den Möglichkeiten der Reglementierung öffentlichen Lebens in mittelalterlichen Städten als idealer Untersuchungs- und Bezugsgegenstand27. Erste modernen Ansprüchen der Wissenschaftlichkeit entsprechende Quellensammlungen und Abhandlungen und die Gründung von Museen und Geschichtsvereinen dienten der Auffindung, Sicherung, Erhaltung und Wiederherstellung von Denkmalen und Quellen28. Die Krisenerfahrungen der Revolutionen an der Wende des 18. zum 19. Jahrhunderts lenkten dabei den Blick auf die unterschiedlichen Möglichkeiten der Verfassungs- und Gemeinschaftsbildung, die ein konfliktfreies Einvernehmen zwischen Ständen, Schichten und Gruppen gewährleisten konnten. Zeitgenössischen Gelehrten wie Johann Gott24   Bernhard Denscher, Kultur-Kapitalen. Kultur als Marketingfaktor im Wettbewerb der Städte, in: Stadtkultur – Kultur(haupt)stadt, hg. von Ferdiand Opll–Walter Schuster (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 23, Wien 2012) 175–191, hier 175; Wilfried Lipp, Stadt – Image – Identität, in: ebd. 105–112. 25   Prague: The crown of Bohemia 1347–1437. In conjunction with the Exhibition „Prague, the Crown of Bohemia, 1347–1437“, held at the Metropolitan Museum of Art, New York, from September 20, 2005, through January 3, 2006, and continuing as „Karel IV. – Císarz Boží Milosti. Kultura a Umení za Vlády Posledních Lucemburku. 1347–1437“ at Prague Castle from February 16 through May 21, 2006, hg. von Barbara Drake Boehm–Jirí Fajt (New York 2005). 26  Vgl. dazu den Überblick bei Winfried Kretschmer, Geschichte der Weltausstellungen (Frankfurt a. M. 1999). 27  Hanno Brand–Sven Rabeler–Harm von Seggern, Gelebte Normen im urbanen Raum? Zur Einführung, in: Gelebte Normen im urbanen Raum: Zur sozial- und kulturgeschichtlichen Analyse rechtlicher Quellen in Städten des Hanseraums (13. bis 16. Jahrhundert) hg. von dens. (Groninger Hanze Studies 5, Hilversum 2009) 9–14, hier 10; Klaus Schreiner, Die Stadt des Mittelalters als Faktor bürgerlicher Identitätsbildung. Zur Gegenwärtigkeit des mittelalterlichen Stadtbürgertums im historisch-politischen Bewußtsein des 18., 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, in: Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland 1150–1650. Landesausstellung Niedersachsen 1985, Ausstellungskatalog 4: Aufsätze, hg. von Cord Meckseper (Stuttgart–Bad Cannstatt 1985) 517–541, hier 517. 28   Daniela Saxer, Die Schärfung des Quellenblicks. Forschungspraktiken in der Geschichtswissenschaft 1840–1914 (Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit 37, München 2014) bes. 43–94.

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fried Herder, Friedrich Schiller oder Friedrich Schlegel erschien das Zusammenleben in den mittelalterlichen Städten als der Anfang einer Freiheitsgeschichte, die historische Legitimation für den freien National- und Verfassungsstaat bieten konnte29. Auch der rechtshistorisch geprägte Grundsatz „Stadtluft macht frei“ liegt in der Tradition des 19. Jahrhunderts begründet und beschreibt die Stadt als einen freiheitlich definierten Raum. Dabei wird auf vereinzelte hochmittelalterliche Privilegien Bezug genommen, die neuen Stadtbewohnern binnen einer Jahresfrist rechtliche Freiheit zusicherten. Dass sich die Häufungsfälle dabei in Grenzen hielten, erschien vernachlässigbar. Städte, so schien es, boten die Möglichkeit, sich in eine – oftmals wirtschaftlich begründete – Gemeinschaft zu integrieren, die bestimmten Regeln folgte: Der Bürgereid vereinte Gleichgestellte und verpflichtete sie einander. Dieser Eid unter Gleichrangigen zielte auf eine langfristig angelegte, innere Friedens- und Rechtsgemeinschaft ab, um nach außen hin die Durchsetzung gemeinsamer Interessen zu ermöglichen30. Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts erfuhr die mitteleuropäische Stadtgeschichtsforschung entscheidende Impulse der Neuorientierung und Schwerpunktsetzung unter Bezugnahme auf die Freiheitsrechte der städtischen Bürger, die sich in ihrer Grundtypik im Hochmittelalter herausbildeten, und auf die Institutionen, die daraus entstanden (Rat, städtische Ämter). Die Fragen nach der städtischen Gemeinschaft und ihren rechtlichen Rahmenbedingungen, nach den verschiedenen Formen der Gemeindebildung, der Einungen, coniurationes, Gilden und Genossenschaften der Kaufleute standen dabei im Zentrum des Interesses31. Einen entscheidenden Impuls dafür gab der Wiederabdruck einer erst posthum veröffentlichten Abhandlung Max Webers zur mittelalterlichen Stadt32. Weber beschreibt darin die städtische Kommune als eine Rechts-, Friedens- und Herrschaftsordnung, die durch die Eidverbrüderung Möglichkeiten zur Konfliktlösung bot. Doch Stadt und Urbanisierung wurden nicht immer als Synonyme von Freiheit, Modernität und Gemeinschaftsbildung betrachtet. Die Wahrnehmung von Stadt fiel am Beginn der mittelalterlichen Stadtentwicklung nicht immer positiv aus, zumindest für eine Zeit, für die wir auf Quellen zurückgreifen, die noch selten die Perspektive der Stadtbewohner – konkret der städtischen Funktions- und Wirtschaftselite – einnehmen. Klassisches Beispiel dafür ist der französische Benediktinermönch Guibert de Nogent, der, wie es   Schreiner, Stadt (wie Anm. 27) 519–527.   Gerhard Köbler, Art. Stadtluft macht frei. LMA 8 (1997) 23 (auch: Brepolis Medieval Encyclopaedias – Lexikon des Mittelalters Online [Zugriff Mai 2015]). Vgl. den Beitrag von Martin Scheutz in diesem Band. 31   Knut Schulz, „Denn sie lieben die Freiheit so sehr ...“. Kommunale Aufstände und Entstehung des europäischen Bürgertums im Hochmittelalter (Darmstadt 1992) 5–11; ders., Zensualität und Stadtentwicklung im 11./12. Jahrhundert, in: Beiträge zum hochmittelalterlichen Städtewesen, hg. von Bernhard Diestelkamp (Städteforschung A/11, Köln–Wien 1982) 73–93; ders., Von der familia zur Stadtgemeinde. Zum Prozeß der Erlangung bürgerlicher Freiheitsrechte durch hofrechtlich gebundene Bevölkerungsgruppen, in: Die abendländische Freiheit vom 10. zum 14. Jahrhundert. Der Wirkungszusammenhang von Idee und Wirklichkeit im europäischen Vergleich, hg. von Johannes Fried (VuF 39, Sigmaringen 1991) 461–484; ders., Die Urbanisierung Mitteleuropas im 12. und 13. Jahrhundert, in: Die Urbanisierung Europas von der Antike bis in die Moderne, hg. von Gerhard Fouquet–Gabriel Zeilinger (Kieler Werkstücke E/7, Frankfurt a. M. 2009) 147–171. 32  Max Webers Beitrag wurde in der Forschung vielfach aufgegriffen, um den Gegensatz zwischen orientalischer und okzidentaler Stadt zu begründen. Zu den Kontroversen vgl. Klaus Schreiner, Legitimität, Autonomie, Rationalisierung. Drei Kategorien Max Webers zur Analyse mittelalterlicher Stadtgesellschaften – wissenschaftsgeschichtlicher Ballast oder unabgegoltene Herausforderung?, in: Die okzidentale Stadt nach Max Weber. Zum Problem der Zugehörigkeit in Antike und Mittelalter, hg. von Christian Meier (HZ Beih. N. F. 17, München 1994) 161–212; Peter Arnade–Martha Howell–Walter Simons, Fertile Spaces. The Productivity of Urban Space in Northern Europe. Journal of Interdisciplinary History 32 (2002) 515–548, hier 530. 29 30



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Gert Melville nennt, eine massive „Stadtphobie“ pflegte33. Guibert berichtet in seiner Autobiografie von der Erhebung der Bürger der französischen Stadt Laon gegen ihren Bischof zu Beginn des 12. Jahrhunderts. Ziel dieser coniuratio war es, persönliche Freiheitsrechte gegenüber dem Bischof zu erlangen. Und obwohl Guiberts Beschreibung hauptsächlich dessen korrupten Charakter in Szene setzt, ist es die Verschwörung der Bürger, die Guiberts eigentliches Missfallen erregt. Communio autem novum ac pessimum nomen, beschreibt er die neue Situation, in der das Volk die Gelegenheit ergriff, sich freizukaufen, und Berge von Geld zusammen trug, „um sie in den Schlund so vieler habgieriger Leute zu stopfen“34. Das Missfallen an dieser Organisationsform wurde von manchen christlich-abendländischen Theologen des 12. Jahrhunderts geteilt. Im Rahmen einer Heiligenvita konnte Stadt als Handlungsort auch durchaus positiv thematisiert werden. Petrus Cantor, Richard von Devizes aus Winchester oder Guibert von Gembloux thematisieren Stadt in den für ihre jeweiligen Erzählintentionen passenden Varianten, die nicht immer dem Genre Städtelob oder Städtekritik gerecht werden35. So eignet sich etwa die gerne als Beleg für monastische Städtefeindlichkeit herangezogene Kritik an den Londoner Verhältnissen und anderen englischen Städten in der Chronik Richards von Devizes schlecht als Beispiel dieser Gattung. Im konkreten (und oft zitierten) Fall lässt der Autor einen verräterischen Juden aus Frankreich einen arglosen Glaubensgenossen von der Reise nach London abhalten, um ihn zu seinem Komplizen in Winchester, der aus diesem Grund einzigen positiv geschilderten Stadt in England, zu dirigieren, wo er ermordet wird36. Die Stelle belegt allenfalls das mögliche Repertoire an Stadt-Beschimpfungen – bis hin zum Übermaß an Schotten in York –, aus dem der einfallsreiche, oft satirische Autor schöpfen konnte, und keine auf theologischen Argumenten basierende Stadtkritik, wie es das Genre erwarten lassen würde. Viele der Äußerungen waren parteiisch, klischeehaft, oft voll von Vorurteilen, möglicherweise auch von Erfahrungen – je nach Autor, Publikum und Intention der Darstellung. Der mittelalterlichen Theologie diente die Stadt als Topos. Argumentiert wurde im Rahmen jener Vorstellungen, welche die christliche Theologie und Bibelexegese mit ihren 33   Gert Melville, Zeichen der Stadt. Zum mittelalterlichen „Imaginaire“ des Urbanen, in: Was machte im Mittelalter zur Stadt (wie Anm. 8) 9–23. 34   A Monk’s Confession. The Memoirs of Guibert of Nogent, hg. von Paul J. Archambault (Philadelphia 1996); Guibert de Nogent, Autobiographie lib. 3. 7, ed. Edmond-René Labande (Les classiques de l’histoire de France au Moyen Âge 34, Paris 1981) 320, Übersetzung: Guibert von Nogent, Die Autobiographie, ed. Walter Berschin–Elmar Wilhelm (Bibliothek der Mittellateinischen Literatur 10, Stuttgart 2012) 153; Reinhold Kaiser, Guibert de Nogent und der Bischofsmord in Laon (1112): Augenzeuge, Akteur, Dramaturg, in: Bischofsmord im Mittelalter. Murder of Bishops, hg. von Natalie Fryde–Dirk Reitz (VMPIG 191, Göttingen 2003) 121–157; Marc Boone, Die mittelalterliche Stadt. Vorzeichen von Modernität, Ort des kulturellen Transfers? Pro Civitate Austriae N. F. 13 (2008) 5–17; Knut Schulz, Die Reaktion auf die frühe kommunale Bewegung vom Ende des 11. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts, in: Tradition, Innovation, Invention. Fortschrittsverweigerung und Fortschrittsbewusstsein im Mittelalter, hg. von Hans-Joachim Schmidt (Scrinium Friburgense 18, Berlin–New York 2005) 335–360, hier 340f. 35   Melville, Zeichen (wie Anm. 33) 13f.; vgl. auch die teils ausführlichen Angaben zu den Quellenstellen zu Petrus Cantor, Guibert von Gembloux und Richard von Devizes aus Winchester bei Hans-Joachim Schmidt, Societas christiana in civitate. Städtekritik und Städtelob im 12. und 13. Jahrhundert. HZ 257 (1993) 297–354, hier 300–303 Anm. 13, 8, 9. 36   The Chronicle of Richard of Devizes of the Time of King Richard the First. Chronicon Richardi Divisensis De Tempore Regis Richardi Primi, ed. John T. Appleby ([Nelson’s] Medieval Texts, London u. a. 1963) 64–69, vgl. XVI. Zu London äußert sich ambivalent der Kleriker William Fitz Stephen, vgl. dazu Klaus Arnold, Städtelob und Stadtbeschreibung im späteren Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Städtische Geschichtsschreibung (wie Anm. 6) 247–268, hier 252–254.

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beiden gegensätzlichen Stadtentwürfen Babylon und Jerusalem bereithielt. In Schilderungen des Alten Testaments, etwa über den Turmbau zu Babel oder die Zerstörung Sodoms und Gomorras, wurde die Stadt als ein Ort der Gottlosigkeit beschrieben. Jerusalem hingegen erschien mit positiven Aspekten, doch auch dort war man der Gefahr der Gottlosigkeit ausgesetzt. Das neutestamentliche Himmlische Jerusalem, das in der Offenbarung des Johannes beschrieben wird, hatte wenig Merkmale von konkreter Stadt zu bieten. Stadt erscheint hier als Metapher für das vollkommene Leben37. Mit zunehmendem Einfluss städtischer Siedlungen auf das wirtschaftliche und politische Geschehen sahen sich die mittelalterlichen Theologen veranlasst, auch dafür Deutungsmuster bereit zu stellen38. Erste Positiv-Entwürfe stellten das neutestamentliche Jerusalem in den Mittelpunkt, indem sie Stadtmetaphern verwendeten, ohne dabei auf konkrete städtische Merkmale Bezug zu nehmen, und prägten damit eine christlichabendländische Vorstellung von Stadt39. So konnte etwa die utopische Realität der Himmelsstadt Jerusalem durch architektonische Repräsentation fassbar werden40. Exemplarisch kann Bernhard von Clairvaux († 1153) genannt werden, der aus aktuellem Anlass das Gegensatzpaar bemühte. Sein neues Babylon ist Paris, das in seiner Lasterhaftigkeit unzählige Gefahren bereithält41. Den jungen Männern empfiehlt er deshalb, ihr Heil im durch das zisterziensische Kloster repräsentierten Himmlischen Jerusalem zu suchen, und legt damit die Basis für die Ablehnung der Stadt als Leitlinie seines Ordensideals42. Dementsprechend setzte sich die ambivalente Sicht auf die Stadt auch in den Beschreibungen der Städte des 12. Jahrhunderts fort. Der verschwörerische Moloch „Stadt“ fügte sich dann positiv ins Weltbild ein, wenn er den christlichen Ordnungsvorstellungen – die sich ebenso ändern konnten – entsprach. Das „rechte Maß“ eines Thomas von Aquin fand in Lage, Anlage, Versorgung, Ressourcenplanung und Infrastruktur als wesentliche Rahmenbedingungen der mittelalterlichen Stadt Anwendung43. Das Phänomen Stadt war aus der mittelalterlichen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Ob es nun Anklang fand oder nicht – es musste integriert werden. Dafür sprach schon das wirtschaftliche Potential, über das manche dieser Orte verfügten. Auch in der höfischen Literatur wird das Verhältnis zwischen realer und metaphorischer Bedeutung von Stadt thematisiert44. Die Hauptfigur des zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstandenen Prosaromans Rudolfs von Ems Der guote Gêrhart ist ein Kaufmann, 37  Ulrich Meier, Mensch und Bürger. Die Stadt im Denken spätmittelalterlicher Theologen, Philosophen und Juristen (München 1994) 28f. 38   Schmidt, Societas christiana (wie Anm. 35) 297. 39   Theresia Heimerl, Zwischen Babylon und Jerusalem. Die Stadt als locus theologicus im Mittelalter, in: Repräsentationen (wie Anm. 2) 13–24, hier 16. 40   Reinhard Messner, Das mittelalterliche Kirchweihritual als Bau und Besiedlung der Himmelsstadt, in: Utopie, Fiktion, Planung: Stadtentwürfe zwischen Antike und Früher Neuzeit, hg. von Albert Dietl–Wolfgang Schöller–Dirk Steuernagel (Forum Mittelalter. Studien 9, Regensburg 2014) 163–174, hier 163. 41  Heimerl, Babylon (wie Anm. 39) 19f.; zur Stadtmetapher Bernhards von Clairvaux vgl. Robert Konrad, Das himmlische und das irdische Jerusalem im mittelalterlichen Denken. Mystische Vorstellung und geschichtliche Wirkung, in: Speculum Historiale. Geschichte im Spiegel von Geschichtsschreibung und Geschichtsdeutung, hg. von Clemens Bauer–Laetitia Boehm–Max Müller (Freiburg–München 1965) 523–540, hier 533–535; Zwischen Babylon und Jerusalem. Beiträge zu einer Theologie der Stadt, hg. von Michael Theobald–Werner Simon (Schriften der Katholischen Akademie in Berlin 2, Berlin 1988). 42   Schmidt, Societas christiana (wie Anm. 35) 307. 43  Siehe auch den Beitrag von Zoë Opačić in diesem Band. 44  Klaus Garber, Literatur in der Stadt – Bilder der Stadt in der Literatur. Eine kleine europäische Revue, in: Vielerlei Städte (wie Anm. 5) 71–89, bes. 74–76.



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der auf seinen Handelsreisen bis nach Marokko gelangt. Die Stadt, auf die er dort trifft, ist eine wehrhafte Handelsstadt mit Meerzugang, wo ihm Friede während des Markttags gewährt wird und seine Waren vom Zoll befreit werden45. In der heidnischen Handelsstadt findet der Kaufmann ideale Bedingungen vor, die ihn seine Geschäfte erfolgreich abschließen lassen. Seine moralische Größe zeigt sich im christlichen Handeln, das er dort unter Beweis stellt. Mit dieser Exempelgeschichte konfrontiert Rudolf von Ems die Figur Kaiser Ottos mit dem sozial wesentlich niedriger gestellten Kaufmann Gerhard, dessen Handlungen sich im Laufe der Erzählung als bedeutend moralischer als jene des Kaisers erweisen46. Mit zunehmender Bedeutung der städtischen Gemeinwesen wird ein Prozess der Einordnung, Positionierung und Wertung von Gemeinschaft im spätmittelalterlichen gesellschaftlichen Denken sichtbar. Die politische Funktion der sich im späten Mittelalter etablierenden städtischen Geschichtsschreibung lag vorwiegend in der Notwendigkeit, Identität(en) zu stiften und damit eine eigene städtische Gedächtniskultur zu forcieren47. Peter Johanek ordnet die städtischen Gemeinschaften in den Kontext der Erinnerungsgemeinschaft ein, die nach einem „Fundament ihres Selbstverständnisses“48 suchten und dafür unterschiedliche Mittel und Medien zu nutzen wussten. Wesentliches Element dabei ist die Einbettung ihrer historischen Wurzeln in die Universal- und Heilsgeschichte. Man zeigte sich bekanntlich erfinderisch, bediente sich andererseits jedoch altbekannter Medien: eines davon die Geschichtsschreibung. Nun werden die Stadt, ihre Verfasstheit, ihre Aktivitäten und ihre Hierarchien in Form aktiv handelnder Personen zum Thema geschichtlicher Darstellung. Die Sammlung der Chroniken der deutschen Städte49 sowie eine Reihe an lokalen Einzelpublikationen geben einen Eindruck davon, wie intensiv dieses Mittel in den Städten des deutschen Reiches genutzt wurde. Ganz im Gegensatz zu Frankreich etwa, wo von diesem Bedürfnis weitgehend nichts zu spüren ist – jedenfalls gibt es dort kaum eine ähnlich gelagerte Überlieferung, die sich mit politischen und sozialen Aspekten von Stadt auseinandersetzt50. Brauchbare Medien für die Vermittlung solcher Botschaften stellten Städtelob und Stadtbeschreibung dar, die unter Rückgriff auf antike Formen wie die laudes urbium auch 45   Franziska Wenzel, hof, burc und stat. Identitätskonstruktionen und literarische Stadtentwürfe als Repräsentationen des Anderen, in: Repräsentationen (wie Anm. 2) 25–43, hier 35–37. 46   Wolfgang Walliczek, Art. Rudolf von Ems. VL2 8 (1992) 322–345, hier 326–330; zur Figur Kaiser Otto, der viele Bezüge zum Welfen Otto IV. aufweist, vgl. Otto Neudeck, Erzählen von Kaiser Otto. Zur Fiktionalisierung von Geschichte in mittelhochdeutscher Literatur (Norm und Struktur 18, Köln–Wien 2003) 191–265. 47   Carla Meyer, Wie und warum wird städtische Identität zum Thema? Nürnberg im Städtelob um 1500, in: Identität und Krise? Zur Deutung vormoderner Selbst-, Welt- und Fremderfahrungen, hg. von Christoph Dartmann–Carla Meyer (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 17, Münster 2007) 119–136; zu Wien Ferdinand Opll, Zum städtischen Identitätsbegriff in Österreich im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit: Das Beispiel Wien, in: Stadt und Prosopographie. Zur quellenmäßigen Erforschung von Personen und sozialen Gruppen in den Städten des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, hg. von Peter Csendes–Johannes Seidl (Forschungen zur Geschichte der Städte und Märkte Österreichs 6, Linz 2002) 13–28; ders, Was ist Wien? Studien zur städtischen Identität in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (13. bis frühes 18. Jahrhundert). JbVGStW 57/58 (2001/2002) 125–196. 48   Peter Johanek, Einleitung, in: Städtische Geschichtsschreibung (wie Anm. 6) VII–XIX, hier VII. 49  Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 1–36, hg. durch die Historische Commission bei der königlichen Academie [Kommission bei der Bayerischen Akademie] der Wissenschaften (Leipzig 1862–1931). 50   Johanek, Einleitung (wie Anm. 48) XIII.

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Einblick in Aspekte des städtischen Lebens gaben51. Sowohl heidnisch-antike als auch christlich-antike Motive finden Eingang in die Beschreibungen von Stadt, die oft als Bühne für die Protagonisten dienen. Ähnliches gilt auch für die besonders aus dem 15. Jahrhundert vermehrt überlieferten Reiseberichte, in denen nicht nur Reiseziele, sondern auch die vielen Stationen auf dem Weg dorthin in unterschiedlichem Ausmaß beschrieben wurden. Den vielfältigen Motivationen der Reise und der Aufzeichnung derselben entsprechen auch die Themenkreise der Beschreibungen, die Gedanken über Stadtbegriff und Stadtkultur, Erscheinungsformen der Stadt und ihrer Bauwerke, die Möglichkeiten der Unterhaltung oder die Gepflogenheiten hinsichtlich Speise und Trank beinhalten konnten52. Bis ins Spätmittelalter stellen Stadtbeschreibungen jedoch keine eigenständige Textsorte dar, sondern werden in Heiligenviten, historiografische Erzählungen und Dichtung eingebettet53. Auch wenn Städtelob, Stadtbeschreibung und städtische Geschichtsschreibung unterschiedliche literarische Gattungen darstellen, so erscheinen sie doch ähnliche Funktionen zu erfüllen: eine aktive Auseinandersetzung mit Innen- und Außenansichten von Stadt, Stadtcharakter und städtischem Bewusstsein.

Stadt abbilden Die Vielschichtigkeit des Phänomens „Stadt“ und die sich verändernden Frageinter­ essen der Stadtgeschichtsforschung54 führten zu differenzierten Kategorisierungen von Stadt: Verdichtete Besiedlung und Bebauung, beruflich spezialisierte und sozial geschichtete Bevölkerung und zentrale Funktionen gelten als wesentliche Merkmale mittelalterlicher Städte55. Zeitliche und räumliche Differenzierungen und die Miteinbeziehung des städtischen Umlandes stehen für den Versuch, möglichst vielen Aspekten städtischer Wesensmerkmale gerecht zu werden56. Daraus ergibt sich, dass nicht von „der Stadt“ die Rede sein kann, sondern Modelle und Beispiele helfen müssen, Bilder, Ansichten und Einschätzungen zu beschreiben. Das wird besonders bei Hartmann Schedel greifbar, des51   Arnold, Städtelob (wie Anm. 36) 250. Mit der Vorstellung von Stadt in der Literatur des Mittelalters beschäftigt sich umfassend Hartmut Kugler, Die Vorstellung der Stadt in der Literatur des deutschen Mittelalters (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 88, München–Zürich 1986) bes. 43–50. Zu den antiken Vorbildern vgl. Carl Joachim Classen, Die Stadt im Spiegel der Descriptiones und Laudes urbium in der antiken und mittelalterlichen Literatur bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts (Beiträge zur Altertumswissenschaft 2, Hildesheim–New York 21986). 52  Helmut Hundsbichler, Stadtbegriff, Stadtbild und Stadtleben des 15. Jahrhunderts nach ausländischen Berichterstattern über Österreich, in: Das Leben in der Stadt des Spätmittelalters. Internationaler Kongreß, Krems an der Donau, 20. bis 23. September 1976 (Veröffentlichungen des Instituts für Mittelalterliche Realienkunde Österreichs 2 = SB der ÖAW, phil.-hist. Kl. 325, Wien 1977 [21980]) 111–133, hier 112f. 53   Kugler, Vorstellung (wie Anm. 51) 19. 54  Peter Johanek, Stadtgeschichtsforschung – ein halbes Jahrhundert nach Ennen und Planitz, in: Europäische Städte im Mittelalter, hg. von Ferdinand Opll–Christoph Sonnlechner (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 52, Innsbruck–Wien–Bozen 2010) 45–92, hier 46. 55   Franz Irsigler, Annäherungen an den Stadtbegriff, in: ebd. 15–30, hier 28. Einen Versuch, unabhängig von der okzidentalen Variante eine möglichst allgemeine Stadtdefinition zu entwickeln, unternimmt Peter Clark, Introduction, in: The Oxford Handbook of Cities in World History, hg. von Peter Clark (Oxford 2013) 1–24. 56  Einen aktuellen Überblick über die unterschiedlichen Fragestellungen und Forschungsinteressen, die in der deutschsprachigen Stadtgeschichtsforschung seit den 1950er Jahren entwickelt wurden, gibt Johanek, Stadtgeschichtsforschung (wie Anm. 54). Die niederländische Forschung deutet Boone, Stadt (wie Anm. 34), an.



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sen Bild von Konstantinopel aus dem Liber Chronicarum (1493) als „bildliche Repräsentation“ für unsere Tagung ausgewählt wurde57. In seiner Weltchronik bezieht er sich explizit auf einen idealisierten Stadtbegriff, der die Wehrhaftigkeit, die Heiligkeit und die Schönheit in den Mittelpunkt stellt58. Es mag wenig verwundern, dass der aus einer Nürnberger Kaufmannsfamilie stammende Schedel dies besonders bei jenen Städten unterstreicht, die als wichtige Handelspartner der Nürnberger Kaufmannschaft im Norden, Osten und Süden des Reiches gelten, wie etwa Breslau, Krakau, Prag, Wien, Budapest, um einige östliche Vertreter zu nennen59. Er geht dabei auf das Bedürfnis seines Publikums nach Abbildung des eigenen Selbstverständnisses ein. Politische, wirtschaftliche und soziale Errungenschaften fanden ihren Ausdruck in der idealtypischen Darstellung der Stadt, reale Gegebenheiten spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Dies wird auch durch die Verwendung von identen Druckstöcken für Illustrationen unterschiedlicher Städte wie Mainz, Neapel, Aquileia, Lyon oder Bologna sichtbar. Hauptaugenmerk wurde dabei darauf gelegt, den Betrachtern besondere Eigenschaften der Städte vor Augen zu führen, wie etwa den Reichtum der Stadt, der durch die günstige infrastrukturelle Lage am Wasser ausgedrückt wird, oder ihr Vermögen, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, durch eine eindrucksvolle Stadtbefestigung. Als konkrete Städte erkennbar wurden die Ansichten erst durch individuelle Wappen und Bildlegenden. Grundlegend für die Fähigkeit, die Bilder entschlüsseln zu können, sind die Regeln, mit denen sie konstruiert wurden. Mauer, Türme und Tore sowohl weltlicher als auch kirchlicher Gebäude lassen die Stadt allgemein als baulichen Körper und soziales Gebilde erkennen, der Wiedererkennungseffekt kann hingegen durch andere Zusatzinformationen hergestellt werden60. Die Weltchronik Hartmann Schedels steht am Beginn einer Reihe von Stadtbüchern, deren Produktion eng mit der Entwicklung neuer Technologien zur Vervielfältigung von Schrifttum verbunden ist. Holzschnitt und Buchdruck ermöglichten die rasche Verbreitung von Texten und 57   Hartmann Schedel, Weltchronik. Kolorierte Gesamtausgabe von 1493 [Nachdruck auf Grundlage des Exemplars der Stiftung Weimarer Klassik, Herzogin Anna Amalia Bibliothek (Sign. Inc. 119)], hg. von Stephan Füssel (Köln 2001) fol. CXXIXv–CXXXr; Werner Kreuer, Imago civitatis. Stadtbildsprache des Spätmittelalters. Essener Bearbeitung der authentischen Stadtansichten aus der Schedelschen Weltchronik von 1493 mit 32 Vollfaksimilierungen des Originals der Diözesan- und Dombibliothek Köln (Essener geographische Schriften 2, Essen 1993). 58  Albrecht Classen, Die Entdeckung des städtischen Raumes als Lebensbereich und Identifikationsmedium in spätmittelalterlichen Bildern und Texten: Der „Luttrell Psalter“, Ambrogio Lorenzettis Fresken, Hartmann Schedels „Liber chronicarum“ und Hans Sachs’ Enkomium auf Nürnberg, in: Städtische Räume im Mittelalter, hg. Susanne Ehrich–Jörg Oberste (Forum Mittelalter. Studien 5, Regensburg 2009) 73–89, hier 78–84. 59   Roland Gerber, Wehrhaft, heilig und schön. Selbstverständnis, Außensicht und Erscheinungsbilder mittelalterlicher Städte im Südwesten des Reiches, in: Was machte im Mittelalter zur Stadt (wie Anm. 8) 25–46, hier 30f.; Gerhard Jaritz, Stadtikonographie des Spätmittelalters, in: Die Städte und Märkte Niederösterreichs im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Die Vorträge des 20. Symposions des Niederösterreichischen Instituts für Landeskunde, Zwettl, 3. bis 6. Juli 2000, und Das Bild der Kleinstadt. Ansichten, Veränderungen. Identitäten, und der 1. Kurztagung des NÖ Instituts für Landeskunde und der NÖ Landesbibliothek, St. Pölten, 23. Mai 2000, hg. von Willibald Rosner–Reinelde Motz-Linhart (Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 36 / NÖ Schriften 149 Wissenschaft, St. Pölten 2005) 45–59; Überlegungen zur „Schönheitsfrage“ wären hier ebenso zu nennen: Helmut Hundsbichler, Die „schöne“ Stadt Villach im „Itinerarium“ des Paolo Santonino (1486), in: Viatori per urbes castraque. Festschrift für Herwig Ebner, hg. von Helmut Bräuer–Gerhard Jaritz–Käthe Sonnleitner (Schriftenreihe des Instituts für Geschichte 14, Graz 2003) 293–299. 60   Peter Johanek, Bild und Wahrnehmung der Stadt, in: Bild und Wahrnehmung der Stadt, hg. ders. (wie Anm. 7) 1–24, hier 3f.

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Bildern, die diese neue Form des „Stadtmarketings“ möglich machten. Sebastian Münster griff diese Möglichkeit in seiner Cosmographia 1544 auf und rief die Bürgermeister und Verantwortlichen der Städte auf, ihm Stadtansichten und passende Beschreibungen zukommen zu lassen, um diese in den nächsten Ausgaben entsprechend berücksichtigen zu können61. Die beiden Herausgeber der Civitates orbis terrarum, Georg Braun und Franz Hogenberg, dehnten ihren Einzugsbereich potentiell abzubildender Städte unter Berufung auf renommierte Kosmographen und Herausgeber auf die ganze Welt aus62. Sie hielten weder eine nach Stadtgründungsdaten vorgenommene chronologische Reihenfolge ein, wie dies bei Schedel der Fall war, noch gliederten sie ihre Darstellungen hinsichtlich Erdteilen und Völkern wie Sebastian Münster. Die Anordnung der Abbildungen war vom Zufall bestimmt63.

Kleine Städte einschätzen – abbilden – und darüber schreiben Auf welche Formen der (Selbst-)Reflexion und Repräsentation wurde nun in den österreichischen Kleinstädten zurückgegriffen, dort wo aktive städtische Schriftlichkeit im Sinne von schriftlichem Verwaltungshandeln überhaupt erst ab dem 13. Jahrhundert fassbar wird64? In Brauns und Hogenbergs Projekt wurden von den heute österreichischen Städten immerhin Eisenstadt, Enns, Gmunden, Innsbruck, Linz, Mannersdorf am Leithagebirge, Salzburg, St. Pölten und Wien aufgenommen65. Die meisten dieser Städte sind aufgrund ihrer Größe und Bevölkerungszahl66 den Kleinstädten zuzuordnen; Wien und Innsbruck, bisweilen auch Linz67 können als Residenzstädte gewertet werden. Man wird daher auch für die frühe Zeit am ehesten nach Wiener Beispielen zu suchen haben und dort auch fündig werden, wenn auch nicht in der ausführlichen Form einer von der städtischen Elite verfassten Stadtchronik oder eines Städtelobs, so doch unter Verwendung der bekannten Topoi68. Einer im Vatikanischen Archiv entdeckten 61   Stephan Füssel, Natura sola magistra. Der Wandel der Stadtikonografie in der frühen Neuzeit, in: Georg Braun–Franz Hogenberg, Civitates orbis terrarum. Städte der Welt. 363 Kupferstiche revolutionieren das Weltbild. Gesamtausgabe der kolorierten Tafeln 1572–1617 nach dem Original des Historischen Museums Frankfurt, hg. von Stephan Füssel (Köln 2011) 8–44, hier 8. 62  Ebd. 14f. 63   Ebd. 23f. 64   Herwig Weigl, Schriftlichkeit in einer spätmittelalterlichen Kleinstadt. Verlorene Quellen und des Kleinstadt-Historikers Not. MIÖG 100 (1992) 254–267. 65  Braun–Hogenberg, Civitates orbis terrarum (wie Anm. 61) 461 (Eisenstadt), 458f. (Enns), 413 (Gmunden), 172f., 416 (Innsbruck), 29, 412 (Linz), 461 (Mannersdorf am Leithagebirge), 12, 90, 252 (Salzburg), 24, 459 (St. Pölten), 96–98, 455–457 (Wien). 66   Will man mit Zahlen hantieren, so wird eine ungefähre Anzahl von 80 als Städte klassifizierten Siedlungen zu Beginn des 15. Jahrhunderts angenommen. Viele davon kommen über eine geschätzte Einwohnerzahl zwischen 2.000 und 4.000 nicht hinaus. Wien mit seinen etwa 20.000 Einwohnern könnte wohl als einzige mittelalterliche Großstadt bezeichnet werden; Alois Niederstätter, Das Jahrhundert der Mitte. An der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit (Österreichische Geschichte 1400–1522, hg. von Herwig Wolfram, Wien 1996) 19–25. 67  Des Kaisers Kulturhauptstadt. Linz um 1600. Katalog zur Ausstellung der Oberösterreichischen Landesmuseen im Schlossmuseum Linz vom 16. Mai 2012 bis 26. August 2012, hg. von Peter Assmann–Christina Schmid (Weitra 2012). 68   Einen Überblick über österreichische Kleinstädte als Gegenstand der Historiografie gibt Herwig Weigl, Die unauffälligen Städte. Österreichische Kleinstädte im Dunkel der Historiographie, in: Österreich im Mittelalter. Bausteine zu einer revidierten Gesamtdarstellung. Die Vorträge des 16. Symposions des NÖ Instituts für



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Briefsammlung entstammt eine erste Beschreibung Wiens aus dem ausgehenden 13. Jahrhundert – kurz, aber dafür umso prägnanter: Vienna civitas gloriosa, nimis et famosa, sita in Austria69. Einen anderen Blickwinkel nimmt etwa gleichzeitig Gutolf von Heiligenkreuz ein, der in seiner Translatio s. Delicianae eine genauere Beschreibung jener Stadt liefert, die den Handlungsraum der Reliquienüberführung der Heiligen Deliciana, einer der 11.000 Jungfrauen, in das Zisterzienserinnenkloster St. Niklas in Wien ausmacht70. Mit Blick für das Detail stammt von ihm immerhin der erste schriftliche Hinweis auf die Existenz von Mauern des antiken Römerlagers, von denen lange Zeit angenommen wurde, sie seien Basis der ersten mittelalterlichen Stadtmauer71. Die Beschreibungen geben die Sichtweise von außen, von Nicht-Stadtbürgern wieder, und beziehen sich auf das Gebilde „Stadt“ und nicht so sehr auf dessen Bewohner. Das Treiben der Wiener Bürgerschaft betrachtet der namentlich nicht bekannte Autor der Wiener Meerfahrt zu Beginn des 14. Jahrhunderts72. Diese trifft sich in einer Weinlaube zum geselligen Umtrunk, der zunehmend ihre Sinne beflügelt. Sie beschließen, sich zum Wohle der Stadt auf Wallfahrt zu begeben. Mit fortschreitender Nacht und Trunkenheit erleben sie eine aufregende Meerfahrt. Viele Abenteuer und einen heftigen Sturm später endet das Gedicht mit einer Lehre über die Gefahren des Weins. Interessant dabei ist die eingangs sehr ausführliche und lobende Beschreibung der Stadt Wien, der als Kontrast das – wie sich in weiterer Folge herausstellt – äußerst unangemessene Verhalten der reichen Wiener Bürger entgegen gesetzt wird. Das Werk endet mit einem ausführlichen Lehrgedicht auf die Gefahren des Weins: Wiene daz ist lobes wert (V. 67), wird ausgeführt, doch der wîn ist der sêle slac (V. 663). Der mittelhochdeutsche Autor Jans von Wien hingegen bringt eine explizite städtische Innensicht auf die Stadt Wien in seine Weltchronik ein. Bereits in der Einleitung zur Weltchronik und dem Fürstenbuch, die beide im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts entstanden, positioniert er sich als Besitzer eines Hauses in der Stadt Wien und impliziert damit seinen Bürgerstatus als „rechter Wiener“. Dies nicht ohne Grund, denn besonders in der Weltchronik hebt er Landeskunde, hg. von Willibald Rosner (Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 26, St. Pölten 1999) 119–166, hier 139. 69  Zit. nach Alfons Lhotsky, Mittelalterliche Lobsprüche auf Wien, in: ders., Aufsätze und Vorträge 4, hg. von Hans Wagner–Heinrich Koller (Wien 1974) 11–18, hier 11f. [erstmals 1955]; Ferdinand Opll, Leben im mittelalterlichen Wien (Wien–Köln–Weimar 1998) 50; ders., Kontinuität und Wandel. Zur Entwicklung des Wien-Bildes an der Wende von Mittelalter und früher Neuzeit, in: Aspetti e componenti dell’identità urbana in Italia e in Germania (secoli XIV–XVI). Aspekte und Komponenten der städtischen Identität in Italien und Deutschland (14.–16. Jahrhundert), hg. von Giorgio Chittolini–Peter Johanek (Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento. Contributi 12, Bologna–Berlin 2003) 69–95, hier 71. 70  Oswald Redlich–Anton E. Schönbach, Des Gutolf von Heiligenkreuz Translatio s. Delicianae (SB der phil.-hist. Kl. der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 159/2, Wien 1908) 8–20, hier 11f.; zu den Zisterzienserinnen in Wien vgl. Christina Lutter, „Locus horroris et vastae solitudinis“? Zisterzienser und Zisterzienserinnen in und um Wien. HJb 132 (2012) 141–176, hier 166. 71   Lhotsky, Lobsprüche (wie Anm. 69) 12–14; Opll, Leben (wie Anm. 69) 50f; ders., Siedlungsformenlehre, in: Art. Wien, § 3 Mittelalter. RGA 34 (22007) 20–36, hier 36; Heike Krause, Mauern um Wien. Die Stadtbefestigung von 1529 bis 1857, mit Beiträgen von Martin Mosser (Wien archäologisch 6, Wien 22014) 15–17. 72   Der Wiener Meerfahrt, in: Mittelalter. Texte und Zeugnisse 2, ed. Helmut de Boor (Die deutsche Literatur. Texte und Zeugnisse I/2, München 1965) 1472–1482; dazu Opll, Leben (wie Anm. 69) 63; ders., Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien. Zeitgenossen berichten (Wien–Köln–Weimar 1995) 38–41; Fritz Peter Knapp, Die Literatur des Spätmittelalters in den Ländern Österreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg und Tirol von 1273 bis 1439. Die Literatur in der Zeit der frühen Habsburger bis zum Tod Albrechts II. 1358 (Geschichte der Literatur in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart 2/1, Graz 1999) 259–263.

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die bedeutende Rolle der Wiener Bürger im Rahmen der habsburgischen Herrschaftsstabilisierung hervor73. Die Selbstreflexion der spätmittelalterlichen österreichischen Städte erscheint jedenfalls in literarischer Hinsicht nicht allzu ausgeprägt und die Fremdsichten auf dieselben ordnen sie auf weite Strecken in Rahmenerzählungen politisch-dynastischen oder gesellschaftlich-staunenden Inhalts ein, in denen sie eine je nach Anlass gewichtete Rolle spielen74. Auch das ist eine Positionierung. Ganz ohne Selbstverständnis kommen jedoch auch die österreichischen Städte nicht aus – und zumindest in der Auswahl der Bilder ihrer Stadtsiegel kann dieses zuweilen abgelesen werden, auch wenn hier die Rechnung nicht ohne den Stadtherrn gemacht werden darf. Theoretisch brauchte es dessen Erlaubnis, das Siegel zu führen, praktisch hing es wohl von der Machtkonstellation zwischen Stadt und Herrn ab. Stadtsiegel finden wir in unseren Breiten seit dem 13. Jahrhundert: Enns und Linz im Land ob der Enns, Wien, Tulln, St. Pölten, Wiener Neustadt und Krems im Land unter der Enns, Judenburg in der Steiermark und Innsbruck in Tirol sind die Vorreiter – zumindest was die Kenntnis der Überlieferung vermittelt, die vor allem im Österreichischen Städteatlas75 auf eine fundierte Quellenbasis zurückgreifen kann. Alois Niederstätter hat sehr ausführlich die unterschiedlichen Variationen der österreichischen Stadtsiegel einer ikonografischen Systematisierung unterzogen76. Neben den Bildnissen des Orts- oder Landespatrons und/ oder dessen Attributen finden Bauwerke oder Teile derselben, die auf den Stadtcharakter Bezug nehmen, Verwendung: Tore, Türme und Stadtmauer77. Auch die Symbole des Stadtherrn in Form von Wappen, Wappenbild oder seinem eigenen Bild können das Stadtsiegel ebenso zieren wie charakteristische Wirtschaftszweige oder Bezugnahmen auf

73   Christina Lutter, Affective Strategies for Narrating Community. Jans the „Enikels“ Fürstenbuch as an Example of Vernacular Popular Culture. In: Narrating Communities. Historiographies in Central and Eastern Europe 13th–16th ct., hg. von ders.–Pavlina Rychterová (Historiographies of Identity 5, Turnhout 2016), dort mit umfangreichen Angaben zur Literatur. Ich danke Christina Lutter für die freundlicherweise gewährte Einsicht in das Manuskript. 74  Weigl, Die unauffälligen Städte (wie Anm. 68) 136; Hundsbichler, Stadtbegriff (wie Anm. 52). 75   Österreichischer Städteatlas. Lieferungen 1–11 (1982–2010) (www.mapire.eu/oesterreichischerstaedteatlas/ [Zugriff Oktober 2015]). Die steiermärkischen Stadtsiegel thematisiert Gerhard Pferschy, Stadtrichter und Stadtsiegel. Über die Anfänge des städtischen Urkundenwesens in der Steiermark, in: Forschungen zur Landes- und Kirchengeschichte. Festschrift Helmut J. Mezler-Andelberg zum 65. Geburtstag, hg. von Herwig Ebner et al. (Graz 1988) 359–363, ohne jedoch auf die Siegelbilder einzugehen. Für Slowenien vgl. Darja Mihelič, Siegel erzählen – Fallbeispiel: Mittelalterliche Städte auf slowenischem Gebiet, in: Bild und Wahrnehmung der Stadt, hg. Opll (wie Anm. 7) 97–117. 76   Alois Niederstätter, Das Stadtsiegel. Medium kommunaler Selbstdarstellung. Eine Annäherung anhand von Beispielen aus dem habsburgisch-österreichischen Alpen- und Donauraum, in: Bild und Wahrnehmung der Stadt, hg. Opll (wie Anm. 7) 143–156. 77  Andrea Stieldorf, Zur Funktion von Stadtbefestigungen auf Siegeln und Münzen, in: „vmbringt mit starcken turnen, murn“. Ortsbefestigungen im Mittelalter, hg. von Olaf Wagener (Beihefte zur Mediaevistik 15, Frankfurt a. M. 2010) 61–83; vgl. dazu auch ihre Überlegungen zu einer systematischen Erforschung mittelalterlicher Siegelbilder hinsichtlich ihrer Rolle als „Ausdrucksmittel für […] politische, soziale, geistliche usw. Stellung” des Siegelführers: dies, Rheinische Frauensiegel. Zur rechtlichen und sozialen Stellung weltlicher Frauen im 13. und 14. Jahrhundert (Rheinisches Archiv 142, Köln–Weimar–Wien 1999) 5f.; Carla Meyer, Mächtige Mauern – stolze Stadt. Bedeutung und Symbolik der Stadtbefestigung im spätmittelalterlichen Städtelob, in: Ortsbefestigungen (wie oben) 85–100; Peter Johanek, Die Mauer und die Heiligen. Stadtvorstellungen im Mittelalter, in: Das Bild der Stadt in der Neuzeit 1400–1800, hg. von Wolfgang Behringer–Bernd Roeck (München 1999) 26–38.



Bilder, Ansichten und Einschätzungen von Stadt im lateinischen Westen Europas 271

den Stadtnamen sowie Mischformen jeglicher Art78. Politische Zuordnungen werden etwa am ältesten Kremser Stadtsiegel sichtbar, das aus der Zeit der Herrschaft des böhmischen Königs Ottokar II. Přemysl stammt und neben dem österreichischen Adler den böhmischen Löwen zeigt. Nach der Besetzung des Landes durch Rudolf von Habsburg wurde der Löwe kurzerhand entfernt und durch eine neutrale Figur, einen Helm, ersetzt79. Etwa die Hälfte der österreichischen Stadtsiegel zieren bauliche Elemente der Befestigungsanlage: Mauer, Türme, Tore in den unterschiedlichen Varianten und Darstellungsformen. Eben jene Elemente, die die Städtelandschaft Europas prägen – wie Sebastian Münster es in seiner Kosmographie der europäischen Städtelandschaft Mitte des 16. Jahrhunderts beschreiben wird: Mauern und Befestigungen80. Ein ebenfalls ertragreicher Untersuchungsgegenstand, der konkrete Einblicke in das – wenn überhaupt vorhandene – Selbstverständnis der österreichischen Kleinstädte bieten könnte, wäre die Auswahl der Stadtpatrone, die sich vielfach auf Patrozinien der Hauptpfarreien beziehen81. Ähnliches gilt auch für andere Formen der bildlichen Repräsentation, etwa kartographische Darstellungen oder Stadtansichten in den österreichischen Städten. Hier wäre eine Sammlung und Systematisierung82 von Darstellungsformen ein erster Schritt auf dem Weg zur Einschätzung der Instrumentarien, die genutzt wurden. Das führt zurück zur eingangs gestellten Frage nach den Mechanismen, die mit den modernen Vermarktungsstrategien der Städte angesprochen wurden. Dass hier nicht von deren mittelalterlichen Vorläufern gesprochen werden kann, ist offensichtlich – dies verbietet schon die schwierige und meist nicht zulässige Projektion von zeitgenössischen Begriffen und Erscheinungen auf frühere Zeiten. Doch die Mechanismen, die damit bedient und in Gang gesetzt werden, können durchaus als Instrumentarium der Analyse dienen. Gemeinschaftsvorstellungen, Selbsteinschätzungen oder Fremdwahrnehmungen, aber auch Probleme, die bewältigt werden mussten oder Ziele, die erreicht werden wollten, finden in den mit unterschiedlichen Medien hergestellten Bildern von Stadt ihren Ausdruck. Sie zu herauszufiltern, zu beschreiben, einzuordnen und zu interpretieren ist lohnende Aufgabe.

78  Niederstätter, Stadtsiegel (wie Anm. 76) 145; beispielhaft für Bozen zeigt dies Gustav Pfeifer, S­ igillum boni burgi Bolzani. Überlegungen zu den mittelalterlichen Siegeln der Stadt Bozen, in: Handschriften, Historiographie und Recht. Winfried Stelzer zum 60. Geburtstag, hg. von dems. (MIÖG Ergbd. 42, Wien– München 2002) 292–314. 79  Niederstätter, Stadtsiegel 151. 80   Arnold, Städtelob (wie Anm. 36) 245. 81  Olivier Richard, Eine Stadt mit mehreren Patronen? Regensburg im Spätmittelalter, in: Städtische Kulte im Mittelalter, hg. von Susanne Ehrich–Jörg Oberste (Forum Mittelalter. Studien 6, Regensburg 2010) 139–152; Roman Hankeln, Exulta civitas Ratisbona!... – Reflexe politisch-sozialer Identität in den Offiziumsgesängen zur Ehre der Regensburger Stadtpatrone und ihr mittelalterlicher europäischer Kontext, in: ebd. 217–235. 82  Für Wien, das zweifellos die umfangreichere Überlieferung bietet, wurden bereits wichtige Schritte gesetzt: Ferdinand Opll–Martin Stürzlinger, Wiener Ansichten und Pläne von den Anfängen bis 1609. Mit einem Neufund aus Gorizia/Görz aus der Mitte des 16. Jahrhunderts (Wiener Geschichtsblätter, Beih. 4/2013, Wien 2013).



Religion und Politik. Die westeuropäische Stadt als „sakraler Handlungsraum“ in Spätmittelalter und Früher Neuzeit – eine Skizze Gerrit Jasper Schenk

I. In Hartmann Schedels Weltchronik zeichnen sich fast alle Stadtansichten dadurch aus, dass neben den Befestigungsanlagen vor allem die Türme und Dächer ihrer Kirchen und Klöster der abbreviaturhaften Charakterisierung der Stadt dienen1. Auch die spätmittelalterlichen laudes urbium zählten als wesentliches Merkmal der gepriesenen Stadt häufig deren Sakralbauten auf 2. Tatsächlich muss der Anblick einer Stadt von Ferne, jenseits aller Topik und eingerechnet die Blicklenkung der Zeitgenossen durch ihre Sehgewohnheiten, im Kontrast zum umliegenden Land vor allem durch die Mauern, Kirchtürme, Kreuze und Dächer ihrer geistlichen Anstalten überwältigend gewirkt haben3. Ganz zu schweigen von der akustischen Ausstrahlung der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen europäischen Stadt! Das unterscheidbare Geläut der einzelnen Gotteshäuser und geistlichen Anstalten dehnte deren Sphäre in das umliegende Land aus, strukturierte mit seinen Schallwellen die Zeit nach den kanonischen Stunden und zeigte liturgische Hand1  Vgl. das Beispiel von Nürnberg, Straßburg und Erfurt: Hartmann Schedel, Weltchronik. Kolorierte Gesamtausgabe von 1493. Einleitung und Kommentar von Stephan Füssel (Köln u. a. 2001) fol. 99v–100r, 139v–140r, 155v–156r, dazu Wolfgang Behringer, Stadtgestalt und Stadtbild im Alten Reich. Ein Projekt zur vergleichenden Ikonographie deutscher Städte. Die Alte Stadt 21 (1994) 56–69, hier 56f.; Matthias Mende, Nürnberg, in: Das Bild der Stadt in der Neuzeit 1400–1800, hg. von Wolfgang Behringer–Bernd Roeck (München 1999) 334–339, hier 336; Ulman Weiss, Erfurt, in: ebd. 184–189, hier 184f. – Ich danke Kristin Zech für ihre Hilfe bei der Redaktion des Beitrags. 2  Frank G. Hirschmann, Stadtplanung, Bauprojekte und Großbaustellen im 10. und 11. Jahrhundert. Vergleichende Studien zu den Kathedralstädten westlich des Rheins (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 43, Stuttgart 1998) 488f.; zum Beispiel Nürnbergs Carla Meyer, Die Stadt als Thema. Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 (Mittelalter-Forschungen 26, Ostfildern 2009) 36–38, 245–341; Uta Goerlitz, Humanismus und Geschichtsschreibung am Mittelrhein. Das „Chronicon urbis et ecclesiae Maguntinensis“ des Hermannus Piscator OSB (Frühe Neuzeit 47, Tübingen 1999) 265; allerdings setzt das Städtelob in Ostmittel­ europa erst in der Frühen Neuzeit ein, vgl. Lucie Doležalová, The Lack of Self-Praise: A Search for Laudes Urbium in the Medieval Czech lands. Medium Aevum Quotidianum 47 (2003) 33–43, hier 35. 3  Cord Meckseper, Kleine Kunstgeschichte der deutschen Stadt im Mittelalter (Darmstadt 32011) 200; ähnlich Enno Bünz, Stadt und Kirche – Stadtbild und Sakraltopographie von Wittenberg als Forschungsgegenstände, in: Das ernestinische Wittenberg: Universität und Stadt (1486–1547), hg. von Heiner Lück et al. (Wittenberg-Forschungen 1, Petersberg 2011) 27–29, hier 27.

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lungen an4. Die Städte, soviel scheint auf den ersten Blick klar, zeigten sich materiell, optisch und akustisch geprägt durch ihre Sakralbauten. Auf den ersten Blick scheint es auch eine opinio communis der Forschung zu sein, dass die westeuropäische Stadt des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit als ideelles und materielles Gebilde von sakralen Begründungen und Bezügen durchtränkt gewesen sei. Schon Ernst Hartwig Kantorowicz wies darauf hin, dass die mittelalterliche Stadt von Juristen und politischen Schriftstellern des Spätmittelalters als durch Eide verbundenes corpus mysticum verstanden wurde, in der Auffassung der Zeitgenossen also einen außerweltlich begründeten Wesenskern aufweise5. Ernst Voltmer nennt sie, frei nach Max Weber, eine „Kult-, Kampf- und Erinnerungsgemeinschaft“, und charakterisiert damit ihre Legitimierung als politischer Personenverband unter anderem durch religiöse Praxis6. Mit den Worten Eberhard Isenmanns und in Anlehnung an die ältere Forschung des 19. Jahrhunderts wird davon gesprochen, dass Bürgerschaft und Klerus eine „Sakralgemeinschaft“ formierten, die sich auch noch nach der Glaubensspaltung in unterschiedliche Konfessionen jeweils als geistliche Gemeinschaft, konkret als corpus christianum verstand7. Seit langem diskutiert werden schließlich auch die in der Vorstellungswelt der Zeitgenossen bestehenden Bezüge jeder Stadt zum „Himmlischen Jerusalem“ als imaginärem Idealbild und Rom als realem Vorbild mit ganz materiellen Folgen für den Städtebau8. Zahlreiche zum Teil gut bekannte Einzelbefunde werden für diese Argumentation herangezogen, von denen ich hier nur einige wenige stellvertretend für viele weitere nennen möchte. Wer eine Stadt betrat, tat dies nicht selten durch ein Tor mit Bildern oder 4   Gerhard Dohrn-van Rossum, Die Geschichte der Stunde. Uhren und moderne Zeitordnungen (München–Wien 1995) 194–197, 215f., 241–250, 271–273. 5   Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters (dtv 4465, München 1990 [Orig.: Princeton 1957]) 219–222. Ferner Gabriela Signori, Patriotische Heilige? Begriffe, Probleme und Traditionen, in: Patriotische Heilige. Beiträge zur Konstruktion religiöser und politischer Identitäten in der Vormoderne, hg. von Dieter R. Bauer–Klaus Herbers–Gabriela Signori (Beiträge zur Hagiographie 5, Stuttgart 2007) 11–31, hier 20–24. 6   Ernst Voltmer, Leben im Schutz der Heiligen. Die mittelalterliche Stadt als Kult- und Kampfgemeinschaft, in: Die Okzidentale Stadt nach Max Weber. Zum Problem der Zugehörigkeit in Antike und Mittelalter, hg. von Christian Meier (HZ Beih. N. F. 17, München 1994) 213–242, hier 233–241, Zitat 241; ferner Stefan Breuer, Herrschaftsstruktur und städtischer Raum. Überlegungen im Anschluß an Max Weber. AfK 77 (1995) 135–164, hier 147–151; zu städtischen Kulten vgl. die Beiträge in Städtische Kulte im Mittelalter, hg. von Susanne Ehrich–Jörg Oberste (Forum Mittelalter. Studien 6, Regensburg 2010). 7  Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150–1550. Stadtgestalt, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft (Wien–Köln–Weimar 2012) 605. Forschungsüberblick zur Stadtreformation: Heinz Schilling, Die Stadt in der frühen Neuzeit (EDG 24, München 22004) 94–98; Olaf Mörke, Die Reformation. Voraussetzungen und Durchsetzung (EDG 74, München 22011) 93–100; Vera Isaiasz–Matthias Pohlig, Soziale Ordnung und ihre Repräsentationen: Perspektiven der Forschungsausrichtung „Stadt und Religion“, in: Stadt und Religion in der frühen Neuzeit. Soziale Ordnungen und ihre Repräsentationen, hg. von Vera Isaiasz et al. (Eigene und fremde Welten 4, Frankfurt a. M.–New York 2007) 9–32, hier 25–29. 8   Zur Stadt als „Himmlischem Jerusalem“ vgl. Hirschmann, Stadtplanung (wie Anm. 2) 475–484; Christoph Auffahrt, Irdische Wege und himmlischer Lohn. Kreuzzug, Jerusalem und Fegefeuer in religionswissenschaftlicher Perspektive (VMPIG 144, Göttingen 2002) 103–112; Wilfried Ehbrecht, Überall ist Jerusalem, in: Die Stadt als Kommunikationsraum. Beiträge zur Stadtgeschichte vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Festschrift für Karl Czok zum 75. Geburtstag, hg. von Helmut Bräuer–Elke Schlenkrich (Leipzig 2001) 129–185; Sergiusz Michalski, Vom Himmlischen Jerusalem bis zu den Veduten des 18. Jahrhunderts – Symbolik und Darstellungsparadigmen der Stadtprofilansichten, in: Bild der Stadt (wie Anm. 1) 46–55, 431f.; Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter (Darmstadt 32005) 436–438. Zu Rom vgl. Anm. 37; klassisch die ursprünglich 1953 erschienene Studie von Wolfgang Braunfels, Mittelalterliche Stadtbaukunst in der Toskana, hg. von Stephan Braunfels (Berlin 72012).



Religion und Politik. Die westeuropäische Stadt als „sakraler Handlungsraum“

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Skulpturen der heiligen Patrone, unter deren Schutz sich die Stadt gestellt hatte9. In Siena war dies z. B. die Heilige Maria, der sich die Stadt vor der Schlacht von Montaperti 1260 gegen die Florentiner gewidmet hatte. Sie prangte prominent auf den Toren, welche den strategisch wichtigen „Frankenweg“ nach Rom sperrten (Porta Camollia und Porta Romana)10. Auch in Florenz zeigten die Tore, die den Nord-Südverkehr kontrollierten, seit dem beginnenden 14. Jahrhundert wichtige Heilige und Patrone der Stadt11. Auf der Porta San Gallo auf der Straße nach Bologna waren Skulpturen der Madonna, flankiert von Johannes dem Täufer und der Heiligen Reparata, der Patronin des ersten Doms der Stadt vor dem Bau von Santa Maria del Fiore, zu sehen12. Die Porta Romana auf der Straße nach Süden zeigte neben der in vielen Städten als Schutzpatronin beliebten Maria mit dem Kinde flankierend und auf die Stadt beziehbar die Heiligen Johannes den Täufer, Nikolaus, Peter und Paul. Im Reich nördlich der Alpen sah es im Prinzip nicht anders aus. Wer sich Dortmund auf dem Hellweg näherte, erblickte seit dem Spätmittelalter den Heiligen Reinold als Schutzpatron auf dem Ostentor der Stadt, das zudem baulich mit einer Benediktskapelle verbunden war13. Nicht selten betonten Torpatrozinien und Kapellen in Toren den sakralen Charakter dieser Schwelle zwischen Draußen und Drinnen in besonderer Weise14. 9   Vgl. allgemein Angelika Lampen, Das Stadttor als Bühne. Architektur und Zeremoniell, in: Adventus. Studien zum herrscherlichen Einzug in die Stadt, hg. von Peter Johanek–Angelika Lampen (Städteforschung A/75, Köln–Weimar–Wien 2009) 1–36; Ferdinand Opll, Trennen und Verbinden. Zur praktischen und symbolischen Bedeutung des Stadttores, in: Orte der Stadt im Wandel vom Mittelalter zur Gegenwart. Treffpunkte, Verkehr und Fürsorge, hg. von Lukas Morscher–Martin Scheutz–Walter Schuster (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 24, Innsbruck u. a. 2013) 59–89, bes. 72, 77, 81–85. 10  Julian Gardner, An Introduction to the Iconography of the Medieval Italian City Gate. DOP 41 (1987) 199–213, hier 212; Fabrizio J. D. Nevola, Urbanism in Siena (c. 1450–1512). Policy and Patrons: Interactions between public and private (Dissertation thesis DX207792, London 1998) 158–164; Machtelt Israëls, Sodoma at Porta Pispini and the Pictorial Decoration of Sienese City Gates, in: Art as Politics in Late Medieval and Renaissance Siena, hg. von Timothy B. Smith–Judith B. Steinhoff (Farnham–Burlington 2012) 195–220, hier 200–210; zur Rolle Marias als Patronin Klaus Schreiner, Maria. Jungfrau, Mutter, Herrscherin (München–Wien 1994) 331–366; allgemeiner ders., Schutzherrin und Schirmfrau Maria. Marienverehrung als Quelle politischer Identitätsbildung in Städten und Ländern des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: Patriotische Heilige (wie Anm. 5) 253–307. 11   Gardner, Introduction 211; Felicity Ratté, Architectural Invitations: Images of City Gates in Medi­ eval Italian Painting. Gesta 38/2 (1999) 142–153, hier 143f. 12   Nicolò Masturzo, Santa Reparata e Santa Maria del Fiore. Studio delle fondazioni in facciata, in: S. Maria del Fiore. Teorie e storie dell’archeologia e del restauro nella città delle fabbriche arnolfiane, hg. von Giuseppe Rocchi Coopmans de Yoldi (Studi e rilievi di architettura medioevale e moderna 6, Firenze 2006) 209–222. 13   Vgl. die Beiträge in: Reinoldus und die Dortmunder Bürgergemeinde. Die mittelalterliche Stadt und ihr heiliger Patron, hg. von Thomas Schilp–Beate Weifenbach (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Dortmund 15, Essen 2000); ferner Heinz-Dieter Heimann, Städtische Feste und Feiern. Manifestationen der Sakralgemeinschaft im gesellschaftlichen Wandel, in: Vergessene Zeiten im Ruhrgebiet. Katalog zur Ausstellung im Ruhrlandmuseum Essen, 26. September 1990 bis 6. Januar 1991, Bd. 2, hg. von Ferdinand Seibt et al. (Essen 1990) 171–176, hier 172f.; Thomas Schilp, Verlorene Kapellen, in: Stadtführer Dortmund im Mittelalter, hg. von dems.–Barbara Welzel (Dortmunder Mittelalter-Forschungen 6, Bielefeld 2006) 139. 14  Zur auch rituellen Bedeutung von Torschwellen bereits Gerrit Jasper Schenk, Der Einzug des Herrschers. „Idealschema“ und Fallstudie zum Adventuszeremoniell für römisch-deutsche Herrscher in spätmittelalterlichen italienischen Städten zwischen Zeremoniell, Diplomatie und Politik (Edition Wissenschaft, Reihe Geschichte 13, Marburg 1996) 26f., 66–72, und allgemein Ulrich Schütte, Stadttor und Hausschwelle. Zur rituellen Bedeutung architektonischer Grenzen in der frühen Neuzeit, in: Zeremoniell und Raum. 4. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, veranstaltet gemeinsam mit dem Deutschen Historischen Institut Paris und dem Historischen Institut der Universität Potsdam. Potsdam,

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So befand sich im Westentor von Dortmund eine Jakobskapelle, die den Pilgern auf ihrem Weg nach Santiago de Compostela einen Besuch wert gewesen sein wird15. Manche Stadttore wurden sogar zu Kirchen ausgebaut. So enthielt die Porta Nigra von Trier bereits in frühmittelalterlicher Zeit eine dem Erzengel Michael gewidmete Kapelle16. Nachdem der aus Syrakus stammende griechische Rekluse Simeon, der sich 1028 im Ostturm hatte einschließen lassen, 1034 gestorben und bald darauf heiliggesprochen worden war, wurde die Porta Nigra zugemauert und um 1042 in eine Doppelkirche für die Heiligen Simeon, Maria und den Erzengel Michael (Oberkirche) und Maria (Unterkirche) umgewandelt. Der Zugang zur Stadt erfolgte daher seit dem 13. Jahrhundert direkt östlich von der Porta Nigra durch die Simeonspforte und damit gleichsam unter den Augen dieses Heiligen17. In der Vorstellung der spätmittelalterlichen Zeitgenossen verteidigten die heiligen Patrone „ihre“ Stadt an den Toren auch gegen Feinde, wie das Beispiel Kölns zeigt. Die Cronica van der hilliger stat van Coellen, die 1499 in der Koelhoffschen Druckerei erschien, berichtet zum Jahr 1265 von einer Begebenheit der Stadtgeschichte, bei der die Schutzpatrone der Stadt, die Heilige Ursula mit ihren elftausend Jungfrauen, der Heilige Gereon und die Heiligen Drei Könige, auf der Stadtmauer beim Weyertor stehen und die städtischen Freiheiten gegen das belagernde Heer des Erzbischofs Engelbert von Falkenberg verteidigen, und zeigt diese Szene in einem Holzschnitt18. Dass die Stadtpatrone gerade in Situationen, in denen sich die gesamte Bürgerschaft als politischer Körper gegenüber einer von außen kommenden politischen Macht darstellte, eine diese Korporation mehr verkörpernde als repräsentierende Funktion hatten, zeigt sich auch in der Verwendung von Reliquien von Stadtpatronen oder anderer für die Stadt, ihre jeweilige Führungsschicht oder einzelne Stadtviertel wichtiger Heiliger in ihren Reliquien vor allem im Moment des Einzugs des Reichsoberhauptes oder des Stadtherrn nördlich wie südlich der Alpen19.

25. bis 27. September 1994, hg. von Werner Paravicini (Residenzenforschung 6, Sigmaringen 1997) 305–324. 15  Vgl. Schilp, Verlorene Kapellen (wie Anm. 13). 16  So Lampen, Stadttor (wie Anm. 9) 17. 17   Franz Roning, Der heilige Simeon von Trier († 1035). Ein monastischer Weltenbummler und Rekluse in der Porta Nigra, in: ders., Geist und Auge weiden. Beiträge zur Trierer Kunstgeschichte. Festgabe zur Voll­endung des 80. Lebensjahres, hg. von Michael Embach (Geschichte und Kultur des Trierer Landes 7, Trier 2007) 303–319; Klaus-Peter Goethert, Porta Nigra, in: Römerbauten in Trier. Porta Nigra, Amphitheater, Barbarathermen, Thermen am Viehmarkt, Kaiserthermen, Basilika, Dom und Liebfrauenkirche, Römer­ brücke, hg. von dems.–Winfried Weber (Edition Burgen, Schlösser, Altertümer Rheinland-Pfalz. Führungsheft 20, Regensburg 22010) 23–56, hier 29–31; Eberhard Zahn, Trier: Die Porta Nigra, die Simeonskirche, das ­Simeonsstift (Rheinische Kunststätten 7/8, Neuss 1974) 2–27. 18  Die Cronica van der hilliger stat van Coellen 1499, ed. Hermann Cardauns, in: Die Chroniken der niederrheinischen Städte: Cöln 2 (Chroniken der Deutschen Städte 13, Leipzig 1876, Nachdr. Göttingen 1968) 209–638, hier 606f.; vgl. bereits Lampen, Stadttor (wie Anm. 9) 34f. mit Abb. 13. Zum Tor Udo Mainzer, Stadttore im Rheinland (3. Veröffentlichung der Abteilung Architektur des Kunsthistorischen Instituts der Universität Köln, Köln 1973) 180f. 19  Dazu allgemein Gerrit Jasper Schenk, Heiltümer und geraubte Himmel. Virtuelle Räume bei spätmittelalterlichen Herrschereinzügen im Reich, in: Virtuelle Räume. Raumwahrnehmung und Raumvorstellung im Mittelalter. Akten des 10. Symposiums des Mediävistenverbandes, Krems, 24.–26. März 2003, hg. von Elisabeth Vavra (Berlin 2005) 215–237, hier 225–230; jetzt auch am Beispiel Karls IV. in Lucca und Pisa Martin Bauch, Divina favente clemencia. Auserwählung, Frömmigkeit und Heilsvermittlung in der Herrschaftspraxis Kaiser Karls IV. (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 36, Köln–Weimar–Wien 2015) 104–136.



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Die Tore konnten auch Zeichen tragen, welche die Stadt in Beziehung zum imaginierten Idealbild der Stadt setzten, dem Himmlischen Jerusalem, wie z. B. am Trierer Neutor20. Mit dem Überqueren der Torschwelle des von Mauern geschützten Gebietes städtischen Friedens wird also ein Raum betreten, der zeichenhaft mit einem „imaginären“ Raum der Glaubensvorstellungen in Verbindung gebracht wurde21. Tatsächlich wird in der Forschung argumentiert, dass gerade die frühen Siegelbilder der rheinischen Kathedralstädte, aber z. B. auch der Reichsstadt Dortmund mit ihren Abbreviaturen des Mauerrings und der Tore in bewusster Anspielung auf die biblische Schilderung des Himmlischen Jerusalems auf ein Selbstverständnis der sich ausbildenden Kommunen hinweisen, das sich an dieser baulichen Struktur festmache und sie zugleich durch den Verweis auf das Ideal als gottgefällig legitimiere22. In der Stadt selbst führte der repräsentativste Straßenzug meistens zur Hauptkirche – bei den Kathedralstädten westlich des Rheins spricht Frank G. Hirschmann von einer schon im Hochmittelalter planmäßig angelegten via triumphalis für Prozessionen, die Zoë Opačić im Fall der viel jüngeren Prager Neustadt wegen ihrer Ausrichtung an den Sakralbauten und ihrer Nutzung als regelrechte via sacra charakterisiert hat23. Diese Straßen verbanden baulich klar erkennbar einen sakral durch die Präsenz von Reliquien gleichsam aufgeladenen Ort (die Kathedrale) mit einem wichtigen Stadttor, das durch die bereits erwähnten häufigen Bezüge zu den Patronen der Stadt den sakralen Schutz der Heiligen auf das Befestigungswerk ausdehnte. Durch die Verwendung dieser Straßen für Prozessionen mit und ohne Reliquien (der Patrone) wurde diese Verbindung immer wieder evoziert – die Heiligen „begingen“ gleichsam den Raum ihrer Stadt24. Das Nutzen 20   So bereits Hermann Jakobs, Nochmals Eugen III. und die Anfänge europäischer Stadtsiegel. AfD 39 (1993) 85–184, hier 100–108 mit Abb. 1. 21   Zu imaginären Räumen Elisabeth Vavra, Einleitung, in: Imaginäre Räume. Sektion B des internationalen Kongresses „Virtuelle Räume. Raumwahrnehmung und Raumvorstellung im Mittelalter“, Krems an der Donau 24. bis 26. März 2003, hg. von ders. (ÖAW, phil.-hist. Kl., SB 758 = Veröffentlichungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit 19, Wien 2007) 7–16, hier 13f.; Schenk, Heiltümer (wie Anm. 19) 216f. 22   Vgl. Jakobs, Eugen III. (wie Anm. 20), dessen Datierungsvorschlägen ich hier gegen andere folgen möchte; vgl. auch für z. B. Dortmund Thomas Schilp, Dortmund im Mittelalter – aus der Geschichte der Reichs- und Hansestadt, in: Stadtführer Dortmund (wie Anm. 153) 12–29, hier 21; umfassend Lampen, Stadttor (wie Anm. 9) 10–17. 23  Hirschmann, Stadtplanung (wie Anm. 2) 455–466. Zur Via sacra in Prag vgl. Zoë Opačić, The Sacred Topography of Medieval Prague, in: Sacred Sites and Holy Places. Exploring the Sacralization of Landscape through Time and Space, hg. von Sæbjørg Walaker Nordeide–Stefan Brink (Studies in the Early Middle Ages 11, Turnhout 2013) 252–281, hier 261; Beispiel Speyer: Kurt Andermann, Zeremoniell und Brauchtum beim Begängnis und beim Regierungsantritt Speyerer Bischöfe. Formen der Repräsentation von Herrschaft im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 42 (1990) 125–177, hier 158. 24   Anstelle einer raumgreifenden Bibliographie vgl. nur Sabine Felbecker, Die Prozession. Historische und systematische Untersuchungen zu einer liturgischen Ausdruckshandlung (Münsteraner theologische Abhandlungen 39, Altenberge 1995); Andrea Löther, Prozessionen in spätmittelalterlichen Städten. Politische Partizipation, obrigkeitliche Inszenierung, städtische Einheit (Norm und Struktur 12, Köln–Weimar–Wien 1999); eine vor allem durch die städtischen weltlichen Eliten gestaltete Prozession war die Fronleichnamsprozession, vgl. dazu zuerst Miri Rubin, Corpus Christi. The Eucharist in Late Medieval Culture (Cambridge 1991) 243–271; siehe auch Thomas A. Boogaart II, Our Saviour’s Blood: Procession and Community in Late Medieval Bruges, in: Moving Subjects. Processional Performance in the Middle Ages and the Renaissance, hg. von Kathleen Ashley–Wim Hüsken (Ludus. Medieval and Early Renaissance Theatre and Drama 5, Amsterdam–Atlanta 2001) 69–115; zu frühneuzeitlichen Prozessionen vgl. z. B. Kathrin Enzel, „Eins Raths Kirmiß…“. Die „Große Kölner Gottestracht“ als Rahmen der politischen Selbstdarstellung städtischer Ob-

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von Straßenachsen als Möglichkeit, den Blick auf die Kathedrale oder wichtige Kirchen der Stadt zu lenken, war natürlich nur dort möglich, wo dies nicht durch eine vorgängige ältere Baustruktur der Stadtanlage verhindert wurde. Ein Indiz, dass die von Hirschmann und Anderen beobachtete Planmäßigkeit im Stadtbau der Intention der Zeitgenossen entsprungen sein wird, liefern auch z. B. die im Zuge der Städtegründungswelle östlich der Elbe im 13. Jahrhundert planmäßig angelegten Hafenstädte wie Greifswald, Stralsund, Rostock, Wismar und Wolgast. Barbara Rimpel sieht in den Hansestädten Greifswald und Stralsund eine „sich auf die Gesamtstadt beziehende[n] Gestaltungsabsicht“ am Werk, die sich an einer „auffällige[n] Ausbildung von signifikanten, auf wichtige Bauten ausgerichteten Blickachsen“ zeige, die trotz der stufenweise erfolgenden Ausbauphasen durchgehalten worden sei25. So sei etwa die Blickführung in Greifswald durch die Lappstraße ganz gezielt auf den erst im 15. Jahrhundert erbauten, repräsentativen Ostgiebel von Sankt Nikolai gelenkt worden26. Die Dimensionierung und Positionierung der sakralen Baukörper tat ein Übriges: Kathedralen überragten durch ihre schiere Größe das Häusermeer der Stadt, ihre Türme (soweit sie im Mittelalter vollendet wurden) markierten mit ihrem wandernden Schatten den urbanen Raum und prägten ihre Silhouette auch aus der Ferne, wie dies bezeichnenderweise auch die eingangs erwähnten zeitgenössischen Stadtansichten zeigen. In der Forschung werden regelmäßig auch die vielen geistlichen Immunitäten in Städten angeführt, um die Prägung des Städtebaus durch religiös markierte Zonen zu belegen. Sie gliederten den Rechtsraum der Stadt, indem sie einzelne Zonen geistlichem Gericht unterwarfen und aus dem städtischen Abgabensystem herausnahmen27. Diese Zonen konnten im Stadtraum baulich gestaltet werden, werden aber auch ohne diese materiellen Markierungen im Bewusstsein der Einwohner als besondere Zonen präsent gewesen sein, wie z. B. Indizien im Zusammenhang mit Herrschereinzügen und Huldigungsakten zeigen: In Besançon wurde der einziehende König Friedrich III. 1442 wohl kaum zufällig gerade an der alten Immunitätsgrenze des Domkapitels, zwischen dem Tor Malpas und noch vor dem Tor Notre Dame, vom Klerus der Stadt empfangen28. In Worms verlegte der Rat der Stadt 1494 die Huldigung der Wormser für König Maximilian I. offenbar ganz bewusst vom Domhof vor der Salstiege auf den Platz vor der städtischen Neuen rigkeiten, in: Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt, hg. von Rudolf Schlögl (Historische Kulturwissenschaft 5, Konstanz 2004) 471–497. Klassische Studien zur Rolle von Prozessionen im öffentlichen Leben der Städte sind Richard C. Trexler, Public Life in Renaissance Florence (Ithaca–New York 1980), hier 354–361, und Edward Muir, Civic Ritual in Renaissance Venice (Princeton 1981), hier 185–250. 25  Barbara Rimpel, Zum Verhältnis von Kirchenbau und Stadttopographie am Beispiel der Hansestädte Greifswald und Stralsund im 13./14. Jahrhundert, in: Pfarrkirchen in den Städten des Hanseraums. Beiträge eines Kolloquiums vom 10. bis 13. Dezember 2003 in der Hansestadt Stralsund, hg. von Felix Biermann– Manfred Schneider–Thomas Terberger (Archäologie und Geschichte im Ostseeraum 1, Rahden/Westfalen 2006) 39–54, hier 39 (Zitat), 43–50; allg. vgl. Ortwin Pelc, Die Sakraltopographie der Seestädte im wendischen Quartier der Hanse, in: ebd. 55–69. 26  Rimpel, Verhältnis 43. 27   Generell Isenmann, Deutsche Stadt (wie Anm. 7) 605–643; Helmuth Flachenecker, Kirchliche Immunitätsbezirke: Fremdkörper in der Stadt?, in: Sondergemeinden und Sonderbezirke in der Stadt der Vormoderne, hg. von Peter Johanek (Städteforschung A/59, Köln–Weimar–Wien 2004) 1–28. 28  Gerrit Jasper Schenk, Friedrich III. in Besançon 1442 und in Metz 1473 oder: Von geglückten und gescheiterten Herrschertreffen mit dem Burgunderherzog, in: Außenpolitisches Handeln im ausgehenden Mittelalter: Akteure und Ziele, hg. von Sonja Dünnebeil–Christine Ottner (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 27, Wien–Köln–Weimar 2007) 97–141, hier 116 mit Anm. 79.



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Münze und damit aus dem Immunitätsbezirk des Bischofs in den städtischen Machtbereich29. Auch die Klöster mit ihrer Klausur (und oft auch über diese hinaus), die Kirchund Friedhöfe haben als „sakrale“ oder zumindest Räume hervorgehobenen „heiligen“ Charakters den städtischen Raum durchsetzt und mitgeprägt30. Die in Worms beispielhaft deutlich werdende, in den Bauwerken, ihrer Positionierung und Gestaltung sich andeutende Konkurrenzsituation zwischen geistlicher und weltlicher Macht ist ein auch in vielen anderen Städten Europas seit dem Hochmittelalter wirksam gewordener städtebaulicher Treibsatz: der Bau repräsentativer Gebäude und ganzer Gebäudeensemble wie Kathedralen oder Stiftskirchen, Bischofspalästen, Häusern für die Kapitularen oder Stiftsgeistlichen, manchmal verbunden mit weiteren kirchlichen Gebäuden wie Pfarrkirchen, Klöstern und Spitälern, auf der geistlichen Seite und Rathäusern mit Turm, Marktplatz und Münze beziehungsweise Pfalz, Burg oder Residenz für die gewählten, ernannten oder geborenen Stadtherren auf der weltlichen Seite. Ob nun eher in Konkurrenz, Kooperation oder, wie die jüngere Forschung betont, Symbiose – die grundsätzliche Dualität dieser „sakralen“ und „profanen“ Machtzentren der mitteleuropäischen Stadt prägt durch ihre bauliche Verräumlichung teilweise bis heute die Stadtlandschaft alter Städte31. In der Forschung fehlt daher auch nicht der regelmäßige Hinweis auf alle Kirchen der Stadt, die im mittelalterlichen Kirchweihritual sakralisiert und explizit zum Himmlischen Jerusalem in Beziehung gesetzt worden seien32. Die klassische und viel gelesene, aber umstrittene Studie von Hans Sedlmayr versuchte bereits im Jahr 1950 nachzuwei29  Gerrit Jasper Schenk, Zähmung der Widerspenstigen? Die Huldigung der Stadt Worms 1494 zwischen Text, Ritual und Performanz, in: Rituelle Welten, hg. von Christoph Wulf–Jörg Zirfas (Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie 12, Berlin 2003) 223–257, hier 246f. 30   Cécile Caby, Construction et sacralisation des espaces conventuels dans l’ordre des frères prêcheurs (XIIIe–début XIVe siècle), in: Lieux sacrés et espace ecclesial (IXe–XVe siècle), hg. von Julien Théry (Cahiers de Fanjeaux 46, Toulouse 2011) 131–171; Florian Mazel, Lieu sacré, aire de paix et seigneurie autour de l’abbaye de Saint-Gilles (fin IXe–début XIIIe siècle), in: ebd. 229–276, bes. 250–252; Isabell Cartron, Le cimetière de Saint-Seurin de Bordeaux. Mémoire et sacralisation de l’espace, in: ebd. 313–330, hier 320–323; Jan Brademann–Werner Freitag, Heilig und Profan. Der Kirchhof als Ort symbolischer Kommunikation – eine Forschungsskizze, in: Leben bei den Toten. Kirchhöfe in der ländlichen Gesellschaft der Vormoderne, hg. von dens. (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 19, Münster 2007) 391–412; Martin Illi, Wohin die Toten gingen. Begräbnis und Kirchhof in der vorindustriellen Stadt (Zürich 1992) 37–134. 31  Forschung: Frank G. Hirschmann, Die Stadt im Mittelalter (EDG 84, München 2009) 80–83; zur siedlungsgenetischen Rolle von Pfarreien und der „Symbiose“ von Kirche und Stadt vgl. Felicitas Schmieder, Die mittelalterliche Stadt (Darmstadt ³2012) 43–46, 117–128; auch die Architekturtheorie der Renaissance und die teilweise erfolgende Umsetzung mancher ihrer Konzepte vermochte es meist nicht, die grundsätzlich mittelalterliche Anlage der Städte im Kern zu verändern, so Leonardo Benevolo, Die Stadt in der europäischen Geschichte (München 1999) 108–125. Vgl. ferner zur Rolle der Kirche(n) David Nicholas, The Growth of the Medieval City. From Late Antiquity to the Early Fourteenth Century (A History of Urban Society in Europe [1], London–New York 1997) 208–210; ders., The Later Medieval City 1300–1500 (A History of Urban Society in Europe [2], London–New York 1997) 77–80; Yves Esquieu, La ville au Moyen Âge. L’exemple français (Joué-lès-Tours 2001) 47–70. 32  Im Einzelnen differenzierter bei Miriam Czock, Gottes Haus. Untersuchungen zur Kirche als heiligem Raum von der Spätantike bis ins Frühmittelalter (Millennium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr. 38, Berlin 2012) 2f. Anm. 2, 146–173; fortgeführt bis ins Hochmittelalter von Dominique Iogna-Prat, La maison Dieu. Une histoire monumentale de l’Église au Moyen Âge (v. 800–v. 1200) (Paris 2006). Kritisch Hanns Peter Neuheuser, Mundum consecrare. Die Kirchweihliturgie als Spiegel der mittelalterlichen Raumwahrnehmung und Weltaneignung, in: Virtuelle Räume (wie Anm. 19) 259–279; Sible de Blaauw, Die Kirchweihe im mittelalterlichen Rom. Ritual als Instrument der Sakralisierung eines Ortes, in: Sakralität zwischen Antike und Neuzeit, hg. von Berndt Hamm–Klaus Herbers–Heidrun Stein-Kecks (Beiträge zur Hagiographie 6, Stuttgart 2007) 91–99, hier 96–99.

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sen, dass gotische Kathedralen architektonisch als Abbild dieses Himmlischen Jerusalem auf Erden konzipiert und gestaltet worden seien33. Die Auffassung Sedlmayrs von einer semantisch präzisen Aussage, die architektonisch dem Baukörper „der“ gotischen Kathedralen fest eingeschrieben sei, ist jedoch problematisch. Sie bildet nach Auffassung der jüngeren Forschung nur eine von mehreren möglichen Lesarten mittelalterlicher Kirchengebäude ab, die sich am Beispiel der Kathedralen mit normativen Quellen wie z. B. der Kirchweih­liturgie oder einer neuplatonisch inspirierten Lesart des berühmten Libellus de consecratione ecclesiae Sancti Dionysii Abt Sugers von St-Denis34 zwar plausibel machen lasse. Man gehe damit aber von einer semantisch verengten Lesart aus und somit klerikalen und gelehrten Selbstbeschreibungen des Mittelalters auf den Leim und, viel mehr noch, einer höchst zeitgebundenen „romantisierenden“ Forschungsauffassung der 1950er Jahre von einem in religiöser Einheit und gesellschaftlicher Ordnung organisch gegliederten und gebauten Mittelalter35. Gerade das Kirchweihritual eröffnete nämlich nach Hanns Peter Neuheuser – und das spricht entschieden gegen Sedlmayrs vereinfachende These – eine Vielzahl von Deutungsmöglichkeiten des „Sakralraums“ Kirche: vom architektonischen Gebilde über die Seele des Gläubigen und den Leib Christi bis hin zur transzendenten Idee eines „Gotteshauses“, das der Gemeinde „Spiegel der Heil vermittelnden Weltaneignung und Zeichenhandlung der Raum- und Weltkonsekration durch Christus“ werden konnte36. Nach Frank G. Hirschmann und anderen entsprechen die Patronatsheiligen der wichtigsten Kirchen vieler Städte Mitteleuropas und manchmal sogar deren räumliche Lage zueinander in einer Kreuzform oder als schützender Kranz auffällig häufig dem Vorbild Roms mit seinen fünf Patriarchalkirchen; als Beispiele werden Lüttich, Köln, Trier, Mainz, Besançon, Worms und Konstanz herangezogen37. Damit – so ließe sich folgern – wurde der städtische Raum insgesamt nicht nur „sakral“ durchsetzt, sondern in Mimesis der besonders „heiligen“ Orte Rom und (mit Blick auf die ideale Kreisform) Jerusalem auch gegliedert und beziehungsvoll mit einer den Gläubigen präsenten Bedeutung aufgeladen. Allerdings wird in der frühen Neuzeit ein Wandel sichtbar, der durch die Reformation bedingt wurde. Die Reformatoren verstanden ihre Kirchen nicht als „sakralen Raum“ im altgläubigen Sinn. Das europaweite Bild ist zwar nicht einheitlich, doch gerieten in den 33   Zur Kritik an Hans Sedlmayr, Die Entstehung der Kathedrale. Mit einem Vorwort von Bernhard Rupprecht (Graz 21988), siehe unten Anm. 35f. 34  Jetzt gut erschlossen in: Abt Suger von Saint-Denis. Ausgewählte Schriften. Ordinatio, De consecratione, De administratione, ed. Andreas Speer–Günther Binding (Darmstadt 2000, Nachdr. 2005) 198–251; dazu Susanne Linscheid-Burdich, Suger von Saint-Denis. Untersuchungen zu seinen Schriften Ordinatio – De consecratione – De administratione (Beiträge zur Altertumskunde 200, München–Leipzig 2004), hier 43–57, 190–202. 35  Zur Kritik z. B. Christian Nille, Mittelalterliche Sakralarchitektur interpretieren. Eine Einführung (Darmstadt 2013) 117–127; ferner Otto Gerhard Oexle, Die gotische Kathedrale als Repräsentation der Moderne, in: Bilder der Macht in Mittelalter und Neuzeit. Byzanz – Okzident – Russland, hg. von dems.–Michail A. Bojcov (VMPIG 226, Göttingen 2007) 631–674, bes. 669. 36  Neuheuser, Mundum consecrare (wie Anm. 32) 279; Michael Viktor Schwarz, Kathedralen verstehen (St. Veit in Prag als räumlich organisiertes Medienensemble), in: Virtuelle Räume (wie Anm. 19) 47–68, hier 47–50. 37  Hirschmann, Stadtplanung (wie Anm. 2) 448f. (entsprechend S. Maria Maggiore, San Pietro in Vaticano, San Giovanni in Laterano, San Paolo und San Lorenzo fuori le mura); Yvonne Leiverkus, Köln. Bilder einer spätmittelalterlichen Stadt (Köln–Weimar–Wien 2005) 17, 24, 69–76, 224–258; Helmut Maurer, Kirchengründung und Romgedanke am Beispiel des ottonischen Bischofssitzes Konstanz, in: Bischofs- und Kathedralstädte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hg. von Franz Petri (Städteforschung A/1, Köln–Wien 1976) 47–59.



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von den Protestanten übernommenen Kirchen in aller Regel die Nebenaltäre außer Gebrauch und die fokussierende Funktion des Hochaltars wurde von einer Ausrichtung auf die Predigtkanzel abgelöst38. Da die Protestanten viele der mittelalterlichen Kirchengebäude übernahmen, vollzog sich dieser Wandel im Baukörper selbst jedoch langsam und zeigte sich vor allem bei Neubauten im 18. Jahrhundert durch die veränderte Ausrichtung des Kirchenraums auf die Predigtkanzel. Die erste Generation der Protestanten lehnte mit Luther das Sakrament der Weihe einer Kirche und die Reliquienverehrung als papistisch ab, löste durch die Kritik der Werkgerechtigkeit die enge Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten der Gemeinde durch Gebetsgedenken und Messen auf und trug damit zunächst zu einer Desakralisierung des Kirchenraums bei: Gottesdienst war überall möglich, der Tempel Gottes war die Seele des Gläubigen oder die Gemeinde39. Doch schon die Generation nach Luther kehrte, vielleicht auch wegen der konfessionellen Konkurrenz um Angemessenheit und Würde des Vollzugs von Gottesdienst, zu rituellen oder ritualisierten Formen einer Art von Kirchweihe (Konsekration und Firmung) zurück40. Tatsächlich wird die Wirkung der anfänglichen Desakralisierung des Kirchenraumes in der jüngeren Forschung als eher paradox eingeschätzt: Eben weil der Kirchenraum und der Friedhof keine Sakralräume mehr waren, sei in den protestantischen Kirchenordnungen ein angemessenes Betragen an diesen Orten als Zeichen der Rechtgläubigkeit eingefordert und damit die Grenze zwischen „sakral“ und „profan“ erst recht markiert worden41. Während in der altgläubigen Praxis eine Bestattung apud sanctos in der Kirche oder nahebei auf dem Kirchhof innerhalb der geweihten Sphäre der Kirche und im geweihten Boden weit verbreitet war, erfolgte seit dem ausgehendem 15. Jahrhundert die Bestattung zunächst aufgrund hygienischer Bedenken und steigenden Raumbedarfs innerhalb der Stadtmauern nun meistens in räumlicher Distanz vom Ort des Gottesdienstes, nämlich im Coemeterium vor der Stadt42. Die durch die Reformation zweifellos verstärkte Trennung von Kult- und Sepulkralort führte zu einer veränderte Praxis von Totengedenken und Leichenbestattung. Uwe Dörk hat am Beispiel Ulms zu zeigen versucht, dass diese 38   Jan Harasimowicz, Evangelische Kirchenräume der frühen Neuzeit, in: Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Susanne Rau–Gerd Schwerhoff (Norm und Struktur 21, Köln–Weimar–Wien 2004) 413–445, besonders 414, 417f. 39  Vera Isaiasz, „Architectura Sacra“: Feier und Semantik städtischer Kirchweihen im Luthertum des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Stadt und Religion (wie Anm. 7) 125–146, hier 126f., 129f.; Susanne Rau–Gerd Schwerhoff, Öffentliche Räume in der Frühen Neuzeit. Überlegungen zu Leitbegriffen und Themen eines Forschungsfeldes, in: Gotteshaus und Taverne (wie Anm. 38) 11–52, hier 38f. 40   Vgl. Isaiasz, „Architectura Sacra“ 131f.; zur Konkurrenzsituation vgl. Anna Ohlidal, Kirchenbau in der multikonfessionellen Stadt: Zur konfessionellen Prägung und Besetzung des städtischen Raums in den Prager Städten um 1600, in: Stadt und Religion (wie Anm. 7) 67–81. Zur Unterscheidung ritueller von ritualisierten Handlungsformen vgl. Catherine M. Bell, Ritual Theory, Ritual Practice (New York–Oxford 1992) 197–223. 41   Rau–Schwerhoff, Öffentliche Räume (wie Anm. 39) 38f. 42   Vgl. Reiner Sörries, „Kirchhof“ oder Coemeterium? Anmerkungen zum mittelalterlichen Friedhof, zu den Sonderfriedhöfen und zur Auslagerung vor die Stadt, in: Nekropolis: Der Friedhof als Ort der Toten und der Lebenden, hg. von Norbert Fischer–Markwart Herzog (Irseer Dialoge. Kultur und Wirtschaft interdisziplinär 10, Stuttgart 2005) 23–34, hier 33f.; Uwe Dörk, Memoria und Gemeinschaft. Städtische Identitätskonstruktion im Totenkult. Drei Bestattungen in Bern und Ulm, in: Interaktion und Herrschaft (wie Anm. 24) 517–561, hier 521f. mit Anm. 20, 535, 539–547. Grundlegend jetzt Anja A. Tietz, Der frühneuzeitliche Gottesacker. Entstehung und Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung des Architekturtypus Camposanto in Mitteldeutschland (Beiträge zur Denkmalkunde 8, Halle 2012) 28–30.

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Trennung zu neuen Ritualen führen konnte, zu einer Art protestantischer Prozession, die unter großartig inszenierter Beteiligung von Verwandten und Öffentlichkeit vom Haus des Verstorbenen zum Münster führte, wo die eigentlichen geistlichen Handlungen erfolgten, um dann ohne große Beteiligung auf dem Friedhof vor der Stadt zu enden43. Hier zeigt sich m. E. die Evokation einer (neuen?) Art von „Sakralität“ in der Handlungspraxis durch Angleichung an die altgläubigen Prozessionen mit dem bezeichnenden Unterschied, dass hier nicht Gott und seine Heiligen den transzendenten Bezugspunkt bildeten, sondern die Gemeinschaft der Gläubigen, genauer die der Familie, der politischen und der religiösen Gemeinde. Die Grenzen zwischen „sakral“ und „profan“, zwischen „öffentlich“ und „privat“, zwischen „Religion“ und „Politik“ verschwimmen hier offensichtlich, die Materialität des Städtebaus wirkt zeitweise auf die räumliche Gestaltung der Handlungsfolge ein, wie diese umgekehrt auf die nicht nur ephemere Ausgestaltung des Kirchen- wie Stadtraums zurück wirkt.

II. Dieser Eindruck verschwimmender Grenzen und sich synchron wie diachron überlagernder, wechselseitig durchdringender und beeinflussender Räume und Handlungen, Materialitäten und Vorstellungen ist symptomatisch. Einige der erwähnten älteren und viele der jüngeren Forschungsergebnisse von einer „sakralen“ Durchdringung städtischen Raums sind demnach nicht so zu verstehen, als habe man es in mittelalterlichen Städten mit einer in Bauwerken wie vor allem Kirchen, Klöstern, Kirchhöfen, Torkapellen und Reliquien materialisierten und an sie gebundenen, substantialistischen „Sakralität“ zu tun. So zeigte z. B. Jörg Rogge jüngst, dass der gelehrte Diskurs im Mittelalter auf viel komplexere Raumvorstellungen bereits der Zeitgenossen schließen lässt44: Mit Denkern wie Wilhelm von Ockham (ca. 1300–1349/59) und Nikolaus von Kues (1401–1464) habe eine Erweiterung des vorgängigen aristotelischen Verständnisses von „Ort“ (locus) als einem physi(kali)sch festen, bestimmbaren und unbeweglichen Körper eingesetzt. Zwischen Körpern sei nun eine Ausdehnung (spatium) angenommen worden, die Orte in diesem „Raum“ habe man sich als vom Menschen gemachte Punkte denken können. Der so verstandene „Raum“ sei folglich sowohl als ein relationales Phänomen als auch als ein Ergebnis von Handlungen des Menschen aufgefasst worden. Rogge versucht zu zeigen, dass diese gedankliche Differenzierung in physische und relationale „Räume“ auch zu praktischen Konsequenzen wie zu einer „Fähigkeit zur Funktionalisierung von wenigstens einigen dieser Räume“ geführt habe45. Nimmt man diesen Befund ernst, müssen auch die Räume zwischen „sakral aufgeladenen“ Punkten und dem, was dort zeitweise vollzogen wird wie z. B. Prozessionen mit „sakralen“ Gegenständen, als eine zeitweise einen „sakralen“ Raum konstituierende Handlung gewertet werden.   Dörk, Memoria 523–539.   Vgl. im folgenden Jörg Rogge, Politische Räume und Wissen. Überlegungen zu Raumkonzepten und deren heuristischen Nutzen für die Stadtgeschichtsforschung (mit Beispielen aus Mainz und Erfurt im späten Mittelalter), in: Tradieren. Vermitteln. Anwenden. Zum Umgang mit Wissensbeständen in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten, hg. von dems. (Beiträge zu den Historischen Kulturwissenschaften 6, Berlin 2008) 115–154, hier 121–123; allgemein die Beiträge in: Raum und Raumvorstellungen im Mittelalter, hg. von Jan A. Aertsen–Andreas Speer (Miscellanea mediaevalia 25, Berlin–New York 1997). 45  Rogge, Räume 123 (Zitat), 128–146. 43 44



Religion und Politik. Die westeuropäische Stadt als „sakraler Handlungsraum“

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Die Mehrzahl der vor allem jüngeren Forschungsergebnisse differenziert tatsächlich die These, im Mittelalter habe es die Vorstellung von einer mit umbautem Raum, also mit konkreten Orten fest verbundenen und ständig wirksamen „Sakralität“ gegeben, die andere „Funktionalisierungen“ des Raums verhindert habe. Gut bekannt ist46, dass mittelalterliche Kirchen ungeachtet ihres im Kirchweihritual sichtbar gemachten und rechtlich geschützten „sakralen“ Charakters multifunktionale Gebäude waren, vor denen oder in denen nicht nur Recht gesprochen und Geschäfte abgeschlossen wurden, sondern die auch als Memorial-, Repräsentations- und Versammlungsraum dienten, in denen Waren und Kriegsbeute gelagert, Flücht(l)i(n)ge Schutz am Altar suchten und Arme untergebracht wurden, sich Bettler und Hunde herumtrieben, sogar Prügeleien und Schäferstündchen stattfanden: Religion, Politik und Alltagsleben vermischten sich, auch wenn, wie Susanne Rau und Gerd Schwerhoff konzedieren, einem Sakralbau unter dem Aspekt der funktionalen Nutzung durchaus eine dominante Zweckbestimmung, nämlich Raum für liturgische Handlungen zu sein, zugesprochen werden könne. Und mit Michael Viktor Schwarz muss betont werden, dass sich ein so komplexes Gebilde wie der Prager Veitsdom auf keinen Fall im Sinne Sedlmayrs auf ein simples „Abbild“ oder „Symbol“ von was auch immer reduzieren lässt, sondern im Gegenteil als kompliziertes Zeichenensemble und Medium verstanden werden muss, das den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Nutzern „einen funktionalen Ritualraum“ mit einer Vielzahl von Handlungs- und Verstehensmöglichkeiten bot und den Zeitgenossen folglich auch eine Vielzahl von (religiösen, politischen, gesellschaftlichen) Botschaften zu senden und Wirkungen zu erzielen ermöglichte47. Auch auf dem Kirchhof sah es nicht viel anders aus, vielleicht muss hier sogar davon gesprochen werden, dass es gar keine dominante Zweckbestimmung gab, sondern die Multifunktionalität dominant war48. Wer auf den Straßen einer Stadt unterwegs war, bewegte sich umgekehrt auch nicht in einem ausschließlich „profanen“ Raum. Schon Edward Muir hat am Beispiel italienischer Städte darauf aufmerksam gemacht, dass die vielen Heiligenbilder und -statuen an den Straßenecken gleichsam wie „little fountains“ den städtischen Raum mit punktueller Heiligkeit durchsetzten und nicht nur zu lokaler Verehrung aufforderten, sondern nach Überzeugung der Anwohner auch Wunder wirken, Kranke heilen, Armen helfen und vor Verbrechen schützen konnten, dies aber nicht mussten und oft auch nicht taten49. Richard Trexler hat in einem grundlegenden Aufsatz 46   Vgl. zu diesem Abschnitt in Auswahl (mit vielen Nachweisen): Rau–Schwerhoff, Öffentliche Räume (wie Anm. 39) 33–40, 50; Adalbert Erler, Das Strassburger Münster im Rechtsleben des Mittelalters (Frankfurter wissenschaftliche Beiträge. Rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Reihe 9, Frankfurt a. M. 1954) bes. 24–39; Rob Meens, Violence at the Altar. The Sacred Space around the Grave of St Martin of Tours and the Practice of Sanctuary in the Early Middle Ages, in: Ritual and Space in the Middle Ages. Proceedings of the 2009 Harlaxton Symposium, hg. von Frances Andrews (Harlaxton Medieval Studies 21, Donington 2011) 71–89; Donal Cooper, Access All Areas? Spatial Divides in the Mendicant Churches of Late Medieval Tuscany, in: ebd. 90–107; Marjan De Smet, Heavenly Quiet and the Din of War. Use and Abuse of Religious Buildings for Purposes of Safety, Defence and Strategy, in: The Use and Abuse of Sacred Places in Late Medieval Towns, hg. von Paul Trio–Marjan De Smet (Mediaevalia Lovaniensia I/38, Leuven 2006) 1–26. 47  Schwarz, Kathedralen (wie Anm. 36) 68. Zur Polyvalenz der Zeichen im Prager Veitsdom vgl. jetzt auch Martin Bauch, Divina favente clemencia (wie Anm. 19) 328–352. 48  Brademann–Freitag, Heilig (wie Anm. 30); Andreas Holzem, Kirche – Kirchhof – Gasthaus. Konflikte um öffentliche Kommunikationsräume in westfälischen Dörfern der Frühen Neuzeit, in: Gotteshaus und Taverne (wie Anm. 38) 447–461. 49  Edward Muir, The Virgin on the Street Corner: The Place of the Sacred in Italian Cities, in: Religion and Culture in the Renaissance and Reformation. Papers from a Symposium held at Harvard University, No-

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zur religiösen Erfahrung in Florenz schon 1972 und noch umfassender in seinem Werk über „Public Life in Renaissance Florence“ von 1980 die untrennbare Verbindung und Vermischung „sakraler“ und „profaner“ Sphären in den kommunalen Ritualen der Stadt wie z. B. Prozessionen zur Abwehr krisenhafter Situationen (Krieg, Unruhen, Unwetter etc.) analysiert50. Vielfach aufgegriffen, haben mittlerweile zahlreiche Studien am Beispiel von Prozessionen in europäischen Städten zeigen können, wie der städtische Raum im Takt des Kirchenjahres, aber auch in Ausnahmesituationen durch Prozessionen bestimmter städtischer Gruppen – geistlicher wie weltlicher – auf ganz bestimmten und beziehungsvoll auf die „sakrale“ wie politische Topographie bezogenen Routen begangen wurde, welche spezifischen Absichten sich damit verbanden und welche sozialen, religiösen und politischen Wirkungen diese Handlungen haben konnten51. Obwohl im Vordergrund dieser handlungstheoretisch inspirierten Analysen meistens der soziale Sinn und die Funktion des Handlungstypus’ Prozession stand, lassen sich aus ihnen auch Aussagen über das Verständnis von und den Umgang mit „sakralem Raum“ in Städten gewinnen. Doch bevor dies im vierten Teil dieser Skizze geschehen kann, muss skizzenhaft auf grundlegende Begriffe eingegangen werden.

III. Der Blick auf den Stand der Forschung macht die Notwendigkeit deutlich, die der Forschung zugrundeliegende höchst diverse, zum Teil sich sogar widersprechende und wechselseitig ausschließende Begrifflichkeit und damit auch den analytischen Ansatz einer Untersuchung von Stadt als „sakralem Raum“ und „sakraler Räume“ in der Stadt kritisch zu reflektieren und damit zugleich die Ergebnisse der Forschung unter theoretischen Prämissen zu systematisieren. Schon aus Gründen des Umfangs dieser Skizze kann dies nicht mit der eigentlich gebotenen Gründlichkeit erfolgen52. Zu fragen ist erstens nach dem vember 1987, hg. von Steven Ozment (Sixteenth Century Essays and Studies 11, Kirksville 1989) 25–40, hier 26; Fabrizio Nevola, Surveillance and Control of the Street in Renaissance Italy. I Tatti Studies in the Italian Renaissance 16 (2013) 85–106, hier 99f. 50  Richard C. Trexler, Florentine Religious Experience: The Sacred Image. Studies in the Renaissance 19 (1972) 7–14; ders., Public Life (wie Anm. 24) bes. 331–364; zu Trexlers bahnbrechender Studie s. Gerd Schwerhoff, Das rituelle Leben der mittelalterlichen Stadt. Richard C. Trexlers Florenzstudien als Herausforderung für die deutsche Geschichtsschreibung. Geschichte in Köln 35 (1994) 33–60. 51   Vgl. den Forschungsüberblick bei Fabrizio Nevola, Street Life in Early Modern Europe. Renaissance Quarterly 66 (2013) 1332–1345, bes. 1334f. Zur Ambivalenz von Prozessionen zwischen Religion und Politik vgl. auch die Literatur in Anm. 24, 100–108, ferner Klaus Schreiner, „Nudis pedibus“. Barfüßigkeit als religiöses und politisches Ritual, in: Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter, hg. von Gerd Althoff (VuF 51, Stuttgart 2001) 53–124; Gabriela Signori, Ritual und Ereignis. Die Straßburger Bittgänge zur Zeit der Burgunderkriege (1474–1477). HZ 264 (1997) 281–327; Gerrit Jasper Schenk, Zeremonielle und Rituale auf dem Konstanzer Konzil, in: Das Konstanzer Konzil. Weltereignis des Mittelalters 1414– 1418. Essays [Große Landesausstellung des Badischen Landesmuseums Karlsruhe, 27. 02. 2014–21. 09. 2014 im Konzilgebäude Konstanz], hg. von Karl-Heinz Braun et al. (Stuttgart 2013) 22–27, hier 24f.; ders., Die Lesbarkeit von Zeichen der Macht und die Grenzen der Macht von Zeichen. Der Einzug Papst Johannes’ XXIII. zum Konstanzer Konzil (1414), in: Das Konstanzer Konzil als europäisches Ereignis. Begegnungen, Medien und Rituale, hg. von Gabriela Signori–Birgit Studt (VuF 79, Ostfildern 2014) 253–302, bes. 279, 281–297. 52   Für die religionswissenschaftlichen und raumtheoretischen Aspekte kann auf die umfangreiche Forschung jüngerer Zeit verwiesen werden, so dass ich mich auf eine Andeutung des eigenen theoriegeleiteten Zugriffs beschränken kann.



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„sakralen Raum“, mithin nach dem beschreibungssprachlichen Verständnis von „sakral“ und „Raum“ und der Verbindung beider Phänomene. Zweitens muss danach gefragt werden, wie sich das Verhältnis von baulicher Struktur und dem Leben darin darstellt, also nach den Wechselwirkungen von „Materialität“ und „Handlungspraxis“ im Verlauf der untersuchten Zeit. Schließlich und übergreifend müssen die Rolle des mit dem „sakralen Raum“ verbundenen Weltbildes, die entsprechenden Vorstellungen und Ideen der Zeitgenossen thematisiert werden. Zunächst zum Problem, was unter „sakral“ verstanden werden soll. Mit Blick auf den vergleichenden Charakter der Fragestellung und die epochenübergreifende Berücksichtigung mehrerer Religionen und Konfessionen muss darauf geachtet werden, dass zwischen der quellensprachlichen und der beschreibungssprachlichen Ebene klar unterschieden wird. Gefragt ist ein religionswissenschaftlicher Ansatz, der kein substanzialistisches oder ontologisierendes Verständnis von „sakral“ voraussetzt und methodologisch davon ausgeht, dass „sakral“ eine reine Zuschreibungsqualität ist. Dies gilt gerade auch dann, wenn die Zeitgenossen von dem Eindruck sprechen, die „Sakralität“ liege und wirke in der Sache (Objekt, Gegenstand, Handlung) selbst. Objekt der Untersuchung sind diese Aussagen, Reaktionen und Aktionen, nicht aber die Verifizierung oder Falsifizierung des behaupteten zugrundeliegenden Agens. Weil es bei den untersuchten Phänomenen vor allem um zeichenhaftes oder symbolisches Handeln und Rituale im sakralen Raum gehen soll, bietet es sich m. E. außerdem an, religionsethnologische Modelle und Konzepte zu wählen, die in besonderem Maße Handlungspraktiken zu analysieren geeignet sind (wie z. B. Modelle von Arnold van Gennep, Richard Turner, Clifford Geertz, Mary Douglas)53. Ein religionssoziologischer Ansatz, sei er funktionalistisch in der Nachfolge Émile Durckheims oder Max Webers oder systemtheoretisch im Sinne Niklas Luhmanns54, läuft meines Erachtens Gefahr, die Selbstbeschreibung der Zeitgenossen von dem, was als „sakral“ empfunden wird, nicht ernst genug zu nehmen. Gleichwohl verbietet sich eine unreflektierte Übernahme von oder Anlehnung an quellensprachliche Begriffe aus den heiligen Schriften wie im lateinisch-christlichen Mittelalter zum Beispiel sacer (rein, der Gottheit geweiht), sanctus (ganz, heil, gesund, heilig), im hebräisch-mosaischen Bereich qadoš, im griechischen orthodox-christlichen Bereich ἅγιος oder im islamisch-arabischen Bereich ḥaram55. Da es sich um abrahamitische Religionen handelt, deren teilweise gemeinsame Geschichte eine gewisse Ähnlichkeit grundlegender Begriffe voraussetzt und zur Folge 53  Vgl. Michael Stausberg, Ritualtheorien und Religionstheorien. Religionswissenschaftliche Perspektiven, in: Ritualdynamik. Kulturübergreifende Studien zur Theorie und Geschichte rituellen Handelns, hg. von Dietrich Harth–Gerrit Jasper Schenk (Heidelberg 2004) 29–48; Dietrich Harth, Handlungstheoretische Aspekte der Ritualdynamik, in: ebd. 95–116; Einführungen: Theorizing Rituals 1 (Issues, Topics, Approaches, Concepts) & 2 (Annotated bibliography of ritual theory, 1966–2005), hg. von Jens Kreinath et al. (Numen book series. Studies in the history of religions 114/1–2, Leiden–Boston 2006–2007); Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch, hg. von Andréa Belliger–David J. Krieger (Wiesbaden 42008); Barbara StollbergRilinger, Rituale (Historische Einführungen 6, Frankfurt a. M.–New York 2013) 23–31; Christiane Brosius–Axel Michaels–Paula Schrode, Ritualforschung heute – ein Überblick, in: Ritual und Ritualdynamik. Schlüsselbegriffe, Theorien, Diskussionen, hg. von dens. (Göttingen 2013) 9–24; Klassiker der Ritualtheorie: Arnold van Gennep, Übergangsriten. Les rites de passage. Aus dem Französischen von Klaus Schomburg. Mit einem Nachwort von Sylvia M. Schomburg-Scherff (Frankfurt a. M. 32005); Victor Turner, Das Ritual. Struktur und Antistruktur (Frankfurt a. M. 2005). 54   Vgl. zu den Ansätzen Klaus Hock, Einführung in die Religionswissenschaft (Darmstadt 2002) 79–90. 55   Vgl. Rainer Flasche, Art. Heil. Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe 3 (1993) 66–74; Carsten Colpe, Art. heilig (sprachlich). Ebd. 74–80, hier 76f., dem folgend noch die volkssprachliche Begrifflichkeit (deutsch, slawische Sprachen etc.) ergänzt werden könnte.

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hat, kann aber kritisch abstrahierend von diesem quellensprachlichen Befund ausgegangen werden. Mit Blick auf die Möglichkeit, hermeneutisch dem zeitgenössischen Verständnis von „sakral“ näher zu kommen, ohne zugleich den metasprachlichen Zugriff aufzugeben, scheint mir folglich ein reflexiv gewendeter phänomenologischer Ansatz hilfreich, der eine Begriffsbestimmung im Vergleich der genannten Religionen versucht56. In Anlehnung an die in der Forschung von Rudolf Otto über Mircea Eliade bis Carsten Colpe und Arnoldt Angenendt diskutierten idealtypischen Charakterisierungen soll im Folgenden daher alles das als „sakral“ (synonym „heilig“) verstanden werden, was folgende Merkmale aufweist: außeralltäglich / dem Bereich des Numinosen zugehörig; faszinierend / erschreckend57. Zum einen zeichnet sich das „Sakrale“ also dadurch aus, dass es zeitlich und/oder räumlich außerhalb oder abgegrenzt vom Bereich des „Profanen“ liegt, das als Gegensatz zu verstehen ist, also als alltäglich, normal und gewöhnlich. Der Zugehörigkeitsbereich des „Sakralen“, der hier in Anlehnung an Rudolf Otto als das „Numinose“ charakterisiert wird, kann seinerseits als Bereich einer besonderen qualitativen und quantitativen Intensitätserfahrung charakterisiert werden, die als transzendent beschrieben werden kann58. Diese Erfahrung des „Heiligen“ im Sinne von „heil“, „ganz“ und „rein“ verweist auf Idealvorstellungen, die ihrerseits gemäß den Wertvorstellungen oder kosmologischen Vorstellungen in den einzelnen Religionen unterschiedlich sind. Zur Begriffsbestimmung gehört zum anderen aber auch das Gegensatzpaar „faszinierend“ / „erschreckend“, das hinsichtlich der ambivalenten Wirkungsbeschreibung sowohl das fascinosum als auch das tremendum dieser Erfahrung des Numinosen charakterisieren soll. Etwas einfacher ist das analytische Sprechen über den „Raum“, da sich mit dem „spatial turn“ seit den 1980ern eine neue opinio communis von „Raum“ als sozialem Konstrukt und relationaler Kategorie abzeichnet, die sich auch in der mediävistischen Forschung seit den grundlegenden Studien von Edward Muir und Richard Trexler zunehmender Akzeptanz erfreut59. Es muss daher ausreichen, die eigene Position innerhalb des sich diversifizierenden Theorieangebots knapp anzudeuten. In Fortentwicklung älterer Überlegungen von Henri Lefèbvre und jüngerer Systematisierungen von Martina Löw sowie der Diskussion eines „Ritualraums“ von Anette Adelmann und Katharina Wetzel sei daher kurz skizziert, welche Raumkonzepte unter analytischen Gesichtspunkten einen erklärenden Mehrwert versprechen60. Unterscheiden möchte ich (A) zwischen Begriffen und Konzepten von unter56   Vgl. ebd. 70; Carsten Colpe, Art. Das Heilige. Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe 3 (1993) 80–99. 57   Rudolf Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen. Mit einer Einführung zu Leben und Werk Rudolf Ottos von Jörg Lauster–Peter Schütz und einem Nachwort von Hans Joas (München 2014); Mircea Eliade, Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen (Köln 2008); Colpe, Art. Das Heilige (wie Anm. 56); Angenendt, Religiosität (wie Anm. 8) 355–359. 58  Bei Otto, Das Heilige 5–37, als das „Numinöse“ bezeichnet. 59  Vgl. Anm. 49–50; zur historischen Entwicklung der Raumtheorien am besten Susanne Rau, Räume. Konzepte, Wahrnehmungen, Nutzungen (Frankfurt a. M.–New York 2013) 17–70; ferner einschlägig: dies., Raum und Religion. Eine Forschungsskizze, in: Topographien des Sakralen. Religion und Raumordnung in der Vormoderne, hg. von ders.–Gerd Schwerhoff (München–Hamburg 2008) 10–37; Doris BachmannMedick, Cultural turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften (Reinbek 42010) 284–328; Vadim Oswalt, Das Wo zum Was und Wann. Der „spatial turn“ und seine Bedeutung für die Geschichtsdidaktik. Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 61 (2010) 220–233. 60  Vgl. im Folgenden, ohne dass jeweils im Einzelnen nachgewiesen wird, wo ich welcher Raumtheorie folge oder nicht folge: Henri Lefèbvre, The Production of Space. Translated by Donald Nicholson-Smith (Oxford–Cambridge 1991, Nachdr. 2001); Martina Löw, Raumsoziologie (Frankfurt a. M. 72012); Einführung in die Stadt- und Raumsoziologie, hg. von Martina Löw et al. (Opladen–Farmington Hills 22008)



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schiedlichen „Räumen“, die jeweils bestimmte Aspekte der beobachtbaren Phänomene zu erfassen vermögen, und (B) Modellen, die Aspekte der Konstituierung von „Räumen“ und Wechselwirkungen zwischen den unterschiedlichen „Räumen“ zu beschreiben versuchen. (A) (1) Unterscheiden möchte ich zunächst den Begriff „Ort“ (oder „Platz“) von dem des „Raumes“61. „Raum“ wird als das Bezugssystem gedacht, innerhalb dessen sich einzelne „Orte“ befinden, die eine bestimmte Position im Raum haben. „Raum“ muss in diesem Konzept nicht zwingend nur ein physikalisches, sondern kann ebenso gut ein soziales oder symbolisches Bezugssystem sein. „Orte“ oder „Plätze“ haben dann bestimmte Merkmale, an denen sie erkannt, bestimmt und innerhalb des bezüglichen „Raumes“ verortet werden können. Daher erklärt sich, dass „Raum“ im Plural gedacht und beobachtet werden kann. Die Ver-Ortung kann stattfinden im „geographischen Raum“, z. B. durch Raumkoordinaten, im „sozialen Raum“, wenn z. B. durch eine raumwirksame Handlung oder Vorstellung ein soziales „Oben“ und „Unten“ hergestellt wird, oder im „imaginären Raum“ (verstanden als vorgestellter Raum), z. B. durch mittelalterliche Vorstellungen von der Lokalisierung von „Hölle“ im Erdinneren und „Unten“, ihrer Eigenschaft als heiß und Charakterisierung als Ort des Leidens62. Im Falle einer Verortung im „sozialen“ und „imaginären Raum“ spielt die kulturelle Prägung eine ganz wesentliche Rolle, damit also z. B. auch Erinnerungsleistungen (Wissen, Traditionen, Überlieferungen), Gewohnheiten, Institutionen und damit der Faktor Zeit und Geschichte63. (2) Vor allem in der Soziologie wird ein „natürlicher“ (oder „geographischer“, „physischer“, „physikalischer“, „realer“) Raum von einem „sozialen“ oder „konstruierten Raum“ unterschieden64. Gemeint wird damit, dass es in Analogie zur Unterscheidung von „Natur“ und „Gesellschaft“ einen in der Wirklichkeit vorhandenen, materiellen Raum der natürlichen Gegebenheiten wie Berge, Meere und Flüsse gibt, der im Gegensatz zu dem Raum steht, den Menschen durch soziales Handeln erst schaffen wie z. B. Marktplätze, Brücken, Fußgängerzonen, aber auch transnationale Räume (Öffentlichkeit, globaler Markt), virtuelle Räume (z. B. des Internets), Wahrnehmungsund Gefühlsräume usw.65. Das führt oft zu Missverständnissen, denn selbst ein idealtypisch gedachter „physikalischer Raum“ ohne Mensch und „Kultur“ (etwa in Sonnensystemen ferner Galaxien) ist ohne Benennung und mit ihm verbundenen Vorstellungen (z. B. mathematischer 58–66; Anette Adelmann–Katharina Wetzel, Ritualraum, in: Ritual und Ritualdynamik (wie Anm. 53) 180–187. 61  Vgl. dazu bereits Schenk, Heiltümer (wie Anm. 19) 216f. Anders Aleida Assmann, Geschichte findet Stadt, in: Kommunikation – Gedächtnis – Raum. Kulturwissenschaften nach dem „Spatial Turn“, hg. von Moritz Csáky–Christoph Leitgeb (Bielefeld 2009) 13–27, hier 15f., mit der ich aber die Auffassung teile, dass ein „Ort“ bestimmt und identifizierbar ist, also (Erinnerungs)Spuren von Handlungen enthält. Zum Verhältnis der Raumkonzeption(en) zu erkenntnistheoretischen und physikalischen Theorien kann ich hier keine Stellung nehmen. 62  Bernward Deneke, Art. Hölle II. Volksglaube. LMA 5 (1991) 96f. 63  Ähnlich schon Lefèbvre, Production (wie Anm. 60) 30–53. 64  Markus Schroer, „Bringing space back in“ – Zur Relevanz des Raums als soziologischer Kategorie, in: Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, hg. von Jörg Döring–Tristan Thielmann (Bielefeld 22009) 125–148, hier 132–135. 65   Vgl. z. B.: Funktionsräume, Wahrnehmungsräume, Gefühlsräume. Mittelalterliche Lebensformen zwischen Kloster und Hof, hg. von Christina Lutter (VIÖG 59, Wien–München 2011); Löw, Raumsoziologie (wie Anm. 60) 93–104, und dies. et al., Einführung (wie Anm. 60) 78–89, zum „Cyberspace“.

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oder astrophysikalischer Art) für Menschen nicht existent, also ebenso (in diesem Fall wissenschaftlich) „konstruiert“ wie jeder „soziale Raum“66. Umgekehrt sind „soziale“ Räume auch nie gänzlich von materiellen Gegebenheiten losgelöst, da sie selbst in der Vorstellung stets eine physische Anbindung oder Anmutung haben. Insofern ist diese Unterscheidung nur unter abstrakten, analytischen Gesichtspunkten sinnvoll, um z. B. davon sprechen zu können, welche Beziehungen, Interdependenzen oder Interpenetrationen zwischen „natürlichem“ und „sozialem Raum“ bestehen. (3) Fast alle neueren Raumtheorien unterscheiden einen „Behälterraum“ (oder ein „Container-Modell“ des Raums) von einem „relationalen Raum“ und präferieren den Letzteren67. Unter einem „Behälterraum“, auch als „absolut(istisch)er“ oder „substantialistischer“ Raum bezeichnet, wird die Vorstellung vom Raum als einem Behältnis verstanden, innerhalb dessen Dinge und Menschen eine feste Position einnehmen. Der „relationale Raum“ wird dagegen als eine relationale An-Ordnung von Objekten (Dingen und/oder Lebewesen) verstanden, die den Raum erst (zeitweise, teilweise, prozesshaft) konstituiert68. Dieser „relationale Raum“ besteht also relativ zu Objekten, weil Körper und Raum aufeinander bezogen sind, so dass weder das eine noch das andere unabhängig voneinander bestehen. Der „relationale Raum“ ist wie der „soziale Raum“ ein gesellschaftliches Konstrukt. Unschwer ist zu erkennen, dass die unter (1) und (2) skizzierte, tendenziell ältere Auffassung von festen „Orten“ im Raum oder einem (statisch gedachten) „natürlichen Raum“ im Sinne des „Container-Modells“ von Raum als raumdeterministisch in der jüngeren Forschung verworfen und durch das handlungstheoretisch begründete Paradigma eines sozial konstruierten und dynamisch verstandenen „relationalen Raumes“ ersetzt werden soll69. Diese Position wiederum ist in jüngster Zeit kritisiert worden, weil damit zum einen lediglich ein Raumdeterminismus durch einen Raumvoluntarismus ersetzt werde70. Zum anderen stelle die Auffassung eines „Behälterraums“ eine von der Antike (euklidischer Raum) bis in die Gegenwart sehr verbreitete, theoretisch diskutierte und empirisch nachweisbare Vorstellung von „Raum“ dar71. Mit diesem Kritikpunkt wird aus analytischer Perspektive freilich die Metaebene der wissenschaftlichen Beschreibung verlassen und die Objektebene betreten, die ja eigentlich Gegenstand der Analyse sein sollte. Immerhin gilt es festzuhalten, dass mit Blick auf die Raumwahrnehmungen, Raumvorstellungen und den gesellschaftlichen Umgang mit Raum in vormodernen Epochen die mit der Vorstellung von einem (absoluten) „Behälterraum“ verknüpften Phänomene Objekt der historischen Analyse sein müssen. Insofern spielt dieses Modell als Untersuchungsobjekt eine Rolle, aber nicht als Beschreibungsmodell. (B) Die skizzierten Raumkonzepte setzen voraus, dass „Raum“ einer Konstituierung bedarf, also nicht „von sich aus ist“72. Auch für die Art der Konstituierung sind mehrere 66   Unklare Unterscheidungen z. B. bei Christina Lutter–Stefanie Kollmann–Maria Mair, Einleitung, in: Funktionsräume (wie Anm. 65) 9–15, hier 11f. 67   Schroer, „Bringing space back in“ (wie Anm. 64) 135–137; für die Stadtforschung z. B. Joseph F. Patrouch, European Cities. Containers or Groups of Inhabitants? A Review of Some Recent Developments in Early Modern Urban Studies. History Compass 7 (2009) 1350–1362, hier 1355f. 68   Löw, Raumsoziologie (wie Anm. 60) 152–230; Rau, Räume (wie Anm. 59) 49f., 61–70. 69   Vgl. programmatisch etwa die Einleitung durch die Herausgeber Csáky–Leitgeb in: Kommunikation (wie Anm. 61) 7–10, hier 8. 70   Schroer, „Bringing space back in“ (wie Anm. 64) 136f. 71   Ebd.; siehe auch oben bei Anm. 44f. zu mittelalterlichen Raumkonzepten. 72   Diese Feststellung bezieht sich nicht auf erkenntnistheoretische Voraussetzungen. Vielleicht liegt der



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Abb. 1: Aus: Löw et al., Einführung (wie Anm. 60) 65 Abb. 2.1.3. Mit freund. Genehmigung von Sergej Stoetzer.

handlungstheoretisch fundierte Modelle vorgeschlagen worden, von denen hier vereinfacht zwei skizziert seien. (1) In marxistischer Tradition stehend hat Henri Lefèbvre eine Beziehungstriade zwischen einer räumlichen Praxis der Produktion und Reproduktion von Raum (erfahrener Raum), einer Repräsentation von Raum im kognitiven Sinne (gedachter Raum) und pluralen Räumen der Repräsentation mit Symbolisierungen (gelebter Raum) angenommen73. Diese drei Ebenen der Raumproduktion würden sich wechselseitig verstärkend, abschwächend und widersprechend durchdringen und beeinflussen. (2) Ein komplexeres und stärker systematisiertes Modell schlägt Martina Löw vor (Abb. 1)74. Anthony Giddens Vorschlägen75 folgend geht sie von einer Dualität von Struktur radikalen Ablehnung des „Behälterraum“-Modells ein Missverständnis des mathematischen und physikalischen Raumverständnisses seit Bernhard Riemann und Albert Einstein und grundlegender erkenntnistheoretischer Prämissen Immanuel Kants zugrunde. 73  Vgl. Lefèbvre, Production (wie Anm. 60) 38–47, 190–194; ich folge hier weitgehend der Analyse von Löw et al., Einführung (wie Anm. 59) 52–56. 74  Löw, Raumsoziologie (wie Anm. 60); knapper dies. et al., Einführung (wie Anm. 60) 63–66; Abb. 1 entspricht dem dort (65 Abbildung 2.1.3) gegebenen Schema von Sergej Stoetzer; für die Erlaubnis der Verwendung danke ich Sergej Stoetzer und Martina Löw. 75  Anthony Giddens, Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung (Theorie und Gesellschaft 1, Frankfurt a.M.–New York 31997) 67–81.

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und Handlung aus, die alle sozialen Praktiken auszeichne, also auch die Raumkonstituierung. Sie versteht Räume als „relationale (An)Ordnungen von Lebewesen und sozialen Gütern an Orten“76. Diese Anordnungen beruhten auf der Praxis des Anordnens in einem doppelten Sinn, einmal durch die Platzierungsleistung durch Errichten, Bauen und Positionieren, das sie „Spacing“ nennt. Zweitens beruhten sie auf der von ihr als „Syntheseleistung“ bezeichneten Praxis der Wahrnehmung und Verknüpfung von einzelnen Ensembles zu Räumen. Dieses Wiedererkennen, Verknüpfen und Erspüren von Anordnungen kann individuell und gesellschaftlich routinisiert, in Regeln gefasst und institutionalisiert werden. „Spacing“ und „Syntheseleistung“ sind eine Praxis, die räumliche Strukturen hervorbringt und als räumliche Struktur rückwirkend das Handeln beeinflusst. Erfasst werden damit Prozesse in der Zeit, also kognitive, diskursive und praktische Ebenen ebenso wie materielle und ideelle Dimensionen der Raumkonstitution. Das Modell erlaubt eine Analyse der einzelnen angeordneten Elemente (Dinge, Lebewesen) und ihrer Verknüpfung, muss aber stets die Relation der Elemente mit einbeziehen. Löws Modell vereinfacht und systematisiert also den Ansatz von Lefèbvre, ohne die Komplexität der wechselseitigen Beziehungen und Beeinflussungen aufzugeben. Beide Modelle haben den Vorteil, ein metasprachliches Modell für die Vielfalt historischer und gegenwärtiger Erscheinungsformen von Raumwahrnehmung, Raumkonstitution und die Wechselwirkungen zwischen räumlichem Handeln und räumlichen Strukturen zu bieten. Während Lefèbvres Ansatz eine starke Determinierung der sozialen Strukturen über routinisierte Praktiken und verräumlichte Institutionen durch die vorherrschende gesellschaftliche Macht sieht (gedacht wird an den europäischen Staat der Neuzeit), erlaubt das Modell von Löw eine stärkere Erfassung sub- und gegenkultureller Praktiken und Räume und ist daher offener für vormoderne und außereuropäische Phänomene und Entwicklungen. Vor allem Löws Modell berücksichtigt auch die Materialität von Dingen/Lebewesen bei der Konstituierung von Räumen, jedoch stets als Produkt menschlicher Praxis. Wie sich die Materialität von Handlungsräumen und die Handlungspraxis wechselseitig beeinflussen, wird als „Spacing“ und „Syntheseleistung“ erfasst. Hinsichtlich der Rolle von „sakralen Räumen“ in ihren Wechselwirkungen mit der städtischen Gesellschaft und dem Städtebau sind beide Vorgänge hoch relevant: Durch den Vorgang des „Spacing“ wird z. B. die Situierung von Kirchen im Raum und die räumliche Beziehung von Kirchen mit anderen Bauten wie Stadtmauern und Toren im Modell eingefangen. Die Zeichenhaftigkeit von Architektur wird ihrerseits durch die Analyse der „Syntheseleistung“ erfassbar, die z. B. Praktiken wie Liturgie, die Symbolik von Lettnern als Markierung von Raumgrenzen und die Vorstellung von der Anwesenheit Jesu Christi im Sakrament umfassen kann. Meines Erachtens unzureichend berücksichtigt wird jedoch der rein materielle Aspekt von z. B. Architektur. Zwar ist der Bau einer Kirche an einer bestimmten Stelle ebenfalls Resultat von „Spacing“, verbunden mit routinisierten und institutionalisierten „Syntheseleistungen“, die z. B. beim Bau aus Sandstein für die Wahl des Baustoffs, seinen Abbau und Transport zum Bauplatz, für den Entwurf der Bauzeichnung, die Konstruktion und Errichtung durch die Dombauhütte eine wesentliche Rolle spielen. Aber völlig frei bzw. nur gebunden in und durch soziale Strukturen sind diese Entscheidungen und Praktiken 76

  Löw et al., Einführung (wie Anm. 60) 63.



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nicht. Immer spielen auch Faktoren eine Rolle, die nicht menschlicher Kontrolle unterstehen, z. B. die physikalischen Eigenschaften wie das spezifische Gewicht und die Bearbeitbarkeit des Baumaterials oder die geographische Lage der Abbaustätte. Mit anderen Worten: Es gibt eine (idealtypisch gesprochen) „natürliche“ Grundlage, die eine möglicherweise geringfügige, aber doch vorhandene Limitierung der menschlichen Handlungsmacht darstellt. Das Produkt, das Artefakt „Kathedrale“ beispielsweise, trägt noch Spuren dieser Limitierung – etwa was die rein physikalische Haltbarkeit des Materials (z. B. Holzversus Steinkirche) oder die genaue Form(barkeit) des Bauwerks betrifft. Der Aspekt der Dauerhaftigkeit spielt gerade bei der Gestaltung von Raum als Resultat von „Spacing“ eine große Rolle. Es ist eben nicht nur die soziokulturelle Rahmung, die z. B. große und repräsentative Steinbauten über Jahrhunderte oder Jahrtausende hinweg bestehen lässt, sondern auch das Material selbst. Selbst wenn sich der Rahmen vollständig wandelt, vielleicht sogar die erbauende Gesellschaft nicht mehr existiert, spielt die schiere physikalische Präsenz, Mächtigkeit und Dauerhaftigkeit der errichteten Gebäude eine Rolle: Man denke nur an die Tempelanlagen von Angkor Wat, die ägyptischen Pyramiden, die Bauten der Inkas, Mayas und Azteken oder eben an mittelalterliche Kathedralen und Stadtmauern. Selbst wenn dauerhafte Strukturen wie Stadtmauern zu einem bestimmten Zeitpunkt beseitigt wurden, konnten sie durch ihre Abwesenheit nachfolgende Raumstrukturen prägen, wie z. B. die Ringstraßen an Stelle der ehemaligen Stadtbefestigungen in vielen europäischen Haupt- und Großstädten zeigen. Die Entscheidung für einen großen Steinbau ist zwar soziokulturell determiniert und kann den Aspekt der Dauerhaftigkeit des Materials und die Größe des Bauwerks z. B. als Symbol von Macht, Größe und Stärke berücksichtigen. Sie determiniert aber im Sinne einer Pfadabhängigkeit über Jahrhunderte oder Jahrtausende hinweg Raumstrukturen bis hin z. B. zur (touristischen) Infrastruktur des 21. Jahrhunderts77. Die Entscheidung für die Ausführung eines Bauwerks in dauerhaftem Material wie Stein kann nicht intendierte Folgen haben, die den Gegenwartshorizont weit überschreiten und mit Faktoren wie dem Material der Bauwerke zusammenhängen. Ich plädiere daher für eine stärkere Einbeziehung der materiellen Faktoren als zugleich limitierendes wie ermöglichendes Element im Prozess des „Spacings“. Diese Forderung hat nicht zur Konsequenz, auch Dingen eine dem Menschen gleichkommende Handlungsmacht zuzuschreiben78 oder das Modell von Löw grundlegend zu ändern. Im Sinne Theodore R. Schatzkis möchte ich in Erweiterung von Löws Modell von „practice-arrangement nexuses“ sprechen, von sozionaturalen Schauplätzen, auf denen soziale Praktiken untrennbar mit „natürlichen“ Gegebenheiten in spezifischen Arrangements miteinander verbunden sind, die im Lauf der Zeit eine Art sozionaturaler Biotope für Gesellschaften 77  Zur Pfadabhängigkeit bei Großbauten und Infrastrukturbauten vgl. Jens Ivo Engels–Gerrit Jasper Schenk, Macht der Infrastrukturen – Infrastrukturen der Macht. Überlegungen zu einem Forschungsfeld, in: Wasserinfrastrukturen und Macht. Politisch-soziale Dimensionen technischer Systeme von der Antike bis zur Gegenwart, hg. von Birte Förster–Martin Bauch (HZ Beih. N. F. 63, Berlin–München 2014) 22–58, hier 48f.; im Städtebau Dieter Schott, Europäische Urbanisierung (1000–2000). Eine umwelthistorische Einführung (Köln–Weimar–Wien 2014) 14f. 78  Vgl. die Diskussion über technische Vermittlung bei Bruno Latour, Über technische Vermittlung. Philosophie, Soziologie und Genealogie, in: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie, hg. von Andréa Belliger–David J. Krieger (Bielefeld 2006) 483–528; zum Verhältnis von Praxistheorie und der Akteur-Netzwerk-Theorie vgl. Matthias Wieser, Naturen, Artefakte und Performanzen – Praxistheorie und Akteur-Netzwerk-Theorie, in: Verschwindet die Natur? Die Akteur-Netzwerk-Theorie in der umweltsoziologischen Diskussion, hg. von Martin Voss–Birgit Peuker (Bielefeld 2006) 95–109.

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bilden, von der Kulturlandschaft bis hin zur Stadtlandschaft79. Die Materialität des gebauten Raumes kann Generationen überdauern und koevolviert mit der Handlungspraxis der in ihm Lebenden80. Doch welchen Nutzen hat diese recht komplexe Modellbildung für die Frage nach der Rolle des „sakralen Raums“ der Stadt und in Städten, genauer für die Konstituierung von „sakralen Räumen“ und dem dabei beobachteten Zusammenwirken von Materialität, Handlungspraxis und Vorstellungen? Das Modell ermöglicht eine genauere Bestimmung des Gewichts der einzelnen Faktoren bei der Konstituierung von „sakralem Raum“: In den ersten beiden Abschnitten wurde eine Vielzahl auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinender Forschungsbefunde vorgestellt, die auf eine eigentümliche Vermischung von „sakralen“ und „profanen Räumen“ deutet. So wurden z. B. ganze Städte als „Himmlisches Jerusalem“ charakterisiert, Kirchen als zugleich Sakral- und Profanbauten beschrieben und die Vermutung geäußert, dass Prozessionen durch bestimmte Straßen zwischen der Hauptkirche und einem bestimmten Tor der Stadt der Konstituierung eines beweglichen und nur zeitweise wirkenden „sakralen Raumes“ im ansonsten „profanen“ Stadtraum dienten. Das hinsichtlich der Rolle der Materialiät leicht modifizierte Modell von Martina Löw erlaubt eine recht einfache Erklärung dieser vermeintlichen Widersprüche. „Sakraler Raum“ entsteht durch „Spacing“ von Objekten und Lebewesen an Orten und spezifische „Syntheseleistungen“ der Zeitgenossen und kann folglich auch nur zeit- und fallweise hergestellt werden. Der so hergestellte „sakrale Raum“ kann z. B. funktional anders bestimmte Räume sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht überlagern, durchdringen, besetzen oder ablösen – nacheinander, nebeneinander, übereinander. Die „Sakralität“ des Raumes wird beschreibungssprachlich durch eine von den Zeitgenossen oft nicht als solche reflektierte Syntheseleistung erzeugt, die z. B. die Erinnerung an die (jährlich in einem Fest evozierte) Kirchweihe mit den baulichen und auch durch Kunstwerke erzielten Markierungen von Architektur als „Kirche“ verknüpft, die durch eine tägliche Liturgie routinisiert wird, für welche die Institution Kirche Sorge trägt. Im Kirchenbau ist z. B. an der Bauform, an materiellen Markierungen (z. B. Altar als Behälter oder Träger einer Reliquie, Lettner), Bildern und Skulpturen der delegierte Sinn des Bauwerks ablesbar, jedoch nur, wenn dieser vom Gebäude als „Medium“ und Zeichenträger vermittelte Sinn vom Adressaten auch mit z. B. der Vorstellung vom Himmlischen Jerusalem aus dem „imaginären Raum“ der kollektiven Vorstellungswelt verknüpft wird oder prinzipiell verknüpft werden kann81. Damit erst wird der Raum der Kirche in der Wahrnehmung 79  Theodore R. Schatzki, Nature and Technology in History. History and Theory Theme Issue 42 (December 2003) 82–93, hier 84f.; zur Stadtlandschaft auch ders., The Timespace of Human Activity. On Performance, Society, and History as Indeterminate Teleological Events (Lanham 2010) 97–110. Zum Begriff des „sozionaturalen Schauplatzes“ siehe Verena Winiwarter–Martin Schmid, Umweltgeschichte als Untersuchung sozionaturaler Schauplätze? Ein Versuch, Johannes Colers „Oeconomia“ umwelthistorisch zu interpretieren, in: Umweltverhalten in Geschichte und Gegenwart. Vergleichende Ansätze, hg. von Thomas Knopf (Tübingen 2008) 158–173, und Martin Knoll, Die Natur der menschlichen Welt. Siedlung, Territorium und Umwelt in der historisch-topografischen Literatur der Frühen Neuzeit (Bielefeld 2013) 92–107. 80  Verena Winiwarter–Martin Knoll, Umweltgeschichte. Eine Einführung (UTB 2521, Köln–Weimar–Wien 2007) 137, sprechen mit Blick auf sozionaturale Konstellationen unter Verweis auf Luhmann von „interpenetrierende[n] Systeme[n], die im Wege struktureller Koppelung coevolutionär verbunden sind“. Vgl. dazu Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (Frankfurt a. M. 1997) 108f., 128–134, 776–788. 81  Nille, Mittelalterliche Sakralarchitektur (wie Anm. 35) 104–106; zum Himmlischen Jerusalem oben Anm. 8 und zur Rolle der Erinnerung im Rückgriff auf Maurice Halbwachs vor allem Jan Assmann, Das



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und Vorstellung der Zeitgenossen transzendiert und mit einer Bedeutung aufgeladen, die ihn im Sinne der vorgestellten Begriffsbestimmung zum „sakralen“ Raum macht. Eine veränderte Rahmung, andere Handlungsfolgen, eine andere Syntheseleistung kann aus derselben baulichen Struktur im Kriegsfall aber auch einen Zufluchtsort, im Alltag einen Raum für vertrauliche Gespräche und Geschäftsabschlüsse, in bestimmten Situationen sogar einen Raum zur Königswahl machen (wie z. B. Frankfurts Bartholomäuskirche)82. Gabriela Signori und anderen verdanken wir die Beobachtung, dass es in den spätmittelalterlichen Kirchen unterschiedliche Intensitätszonen von „Sakralität“ gab und dass – betrachtet man die alltägliche Handlungspraxis – die in der Kirchweihe hergestellte „Sakralität“ eben nicht dauerhaft galt und im Sinne Mircea Eliades alles „Profane“ klar ausschloss83. Es gab zwar Handlungsfolgen, die den zugeschriebenen „sakralen“ Charakter doch so stark verunreinigten, dass die Syntheseleistung einer Verknüpfung des Gebäudes mit einer Vorstellung von „Sakralität“ sehr stark beeinträchtigt wurde – zu denken ist etwas an eine Bluttat oder Sex in der Kirche, die den Raum in der Vorstellung der Zeitgenossen entweihen und eine Rekonziliation notwendig machen konnte84. Entscheidender als die materielle Markierung ist jedenfalls der durch Handlungen und Vorstellungen evozierte „Ritualraum“, der „Sakralität“ zeitweise herzustellen oder zu aktivieren erlaubte85. Die Grenzen zwischen „sakralem“ und „profanem Raum“ verlaufen also nur vordergründig unklar und verschwommen, denn sie sind nicht nur mit Materialität, sondern zugleich immer mit vergangenen und gegenwärtigen Handlungen und Syntheseleistungen verbunden. Diese Beobachtung lässt die These zu, dass das westliche Christentum eine nur schwach an Orte (und Gebäude) gebundene und stark mit Menschen, ihren Handlungen und Vorstellungen verknüpfte „Sakralität“ lebt. Daraus resultiert offenbar auch die räumlich nur schwach konturierte Trennlinie zwischen „Sakralem“ und „Profanem“. Die Zusammenhänge zwischen Sakralität, Religion, Profanität und Politik sind keineswegs einfach und können hier nicht weiter thematisiert werden. Die Beobachtungen könnten jedoch auch aufschlussreich für eine nähere Bestimmung von z. B. der „Herrschersakralität“ im Mittelalter und allgemein für das Verhältnis von Religion und Politik sein86.

kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen (München ²1999) 34–48 und öfter. 82  Vgl. August Heuser–Mathias T. Kloft, Der Frankfurter Kaiserdom. Geschichte, Architektur, Kunst (Regensburg 2006) 37–44, hier 38f.; Bernd H. Wanger, Kaiserwahl und Krönung im Frankfurt des 17. Jahrhunderts. Darstellung anhand der zeitgenössischen Bild- und Schriftquellen und unter besonderer Berücksichtigung der Erhebung des Jahres 1612 (Studien zur Frankfurter Geschichte 34, Frankfurt a. M. 1994) 94–102. 83   Gabriela Signori, Sakral oder profan? Der Kommunikationsraum Kirche, in: Use and abuse (wie Anm. 46) 117–134, bes. 117f.; ferner die Literatur in Anm. 46. 84   Eine Entweihung konnte auch durch eine sexuelle Handlung in der Kirche erfolgen, vgl. Arnold Esch, Die Lebenswelt des europäischen Spätmittelalters. Kleine Schicksale selbst erzählt in Schreiben an den Papst (München 2014) 264. Zur Profanierung und Rekonziliation vgl. Decretum Gratiani, De Consecratione bes. D. 1 c. 19, 20; X 3 tit. 40 (Corpus Iuris Canonici, ed. Aemilius Friedberg [Leipzig 1879, Nachdr. Graz 1955] I 1299, II 633–635); Jean-Pierre Gibert, Corpus iuris canonici per regulas naturalis ordine digestas […] expositi 2 (Colonia Allobrogum [Cologny] 1735) 534; Theodor Seidl–Heinrich J. F. Reinhardt, Art. Entweihung. LThK  3 3 (1995) 688f.; Angenendt, Religiosität (wie Anm. 8) 436. 85  Adelmann–Wetzel, Ritualraum (wie Anm. 60). 86  Vgl. dazu nur Franz-Reiner Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit (Stuttgart 2006).

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IV. Unterstützung finden die Thesen eines nicht dauerhaft mit festen Orten verbundenen, aber handlungs- und vorstellungsgebundenen „sakralen Raumes“ und einer vergleichsweise schwach ausgeprägten räumlichen Differenzierung in „Sakrales“ und „Profanes“, wenn die Untersuchung auf die mehrfach erwähnten Prozessionen ausgeweitet wird. Diese verbanden durch im Raum vollzogene, rituell gestaltete und geordnete Bewegungen mit als heilig geltenden Gegenständen wie Reliquien oder dem Sakrament (vor allem im Fall von Fronleichnamsprozessionen) auf bestimmten Routen besonders hervorgehobene Orte in und manchmal auch außerhalb von Städten, in der Regel Kirchen, Klöster und Kapellen87. Auch innerhalb des Kirchenraums evozierten liturgisch gebundene, feierliche Ein- und (in geringerer Prägnanz) Auszüge von Klerikern eine besondere Sakralität des dadurch gerahmten Geschehens der Heiligen Messe88. Am Beispiel der Konstituierung der von Pilgern individuell oder in Gruppen begangenen Via dolorosa in Jerusalem und der Veränderung ihrer genauen Route im Lauf der Jahrhunderte habe ich im Anschluss an die Untersuchungen von Maurice Halbwachs in einer Studie zu zeigen versucht, dass das Ritual eines körperlichen Nachvollzugs des Leidensweges Christi eben gerade nicht in erster Linie die räumliche Dimension betraf89. Es kam nicht darauf an, die exakte Route des Leidensweges abzuschreiten, sondern dem Pilger sollte immer wieder von Neuem und jeweils an die räumliche, politische und religiöse Situation vor Ort angepasst „die Einkehr in die überzeitlich gedachte Zeit und die raumlos gedachten Orte der Heilsgeschichte“ möglich sein90. Entscheidend waren die durch die Rahmung als Pilgerreise außeralltägliche, mimetische Handlung im Raum und die Via Crucis als mentales (Erinnerungs)Gebilde, die den Kreuzweg erst im Zusammenwirken auf mehreren Ebenen erfahrbar machte: körperlich, zeitlich, spirituell und metaphorisch. Deswegen war es auch möglich, das Modell des Kreuzwegs von Jerusalem abzulösen und nach Europa zu übertragen – man denke etwa an den Bamberger und Nürnberger Nachbau des Kreuzwegs und die Sacri Monti Norditaliens91 – oder sogar ganz ohne räum87   Vgl. neben Anm. 24 noch Gabriela Signori, Ereignis und Erinnerung: Das Ritual in der städtischen Memorialkultur des ausgehenden Mittelalters (14. und 15. Jahrhundert), in: Prozessionen, Wallfahrten, Aufmärsche. Bewegung zwischen Religion und Politik in Europa und Asien seit dem Mittelalter, hg. von Jörg Gengnagel–Monika Horstmann–Gerald Schwedler (Menschen und Kulturen. Beihefte zum Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte 4, Köln–Weimar–Wien 2008) 106–121. 88   Im Einzelnen zu differenzieren wäre nach dem feierlichen Einzug mit Introitus Missae bei Messen mit Abt und Bischof im Unterschied zu einfachen Pfarrmessen, bei denen die beendende Prozession oft nur aus dem Zug des Priesters mit den Zelebranten (Ministranten) vom Altar in die Sakristei bestand; zu Details vgl. Josef A. Jungmann, Missarum sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe 1 (Wien–Freiburg–Basel 5 1962) 344–353; ebd. 2 529–567, hier 541f., 570f. 89  Gerrit Jasper Schenk, Dorthin und wieder zurück. Mittelalterliche Pilgerreisen ins Heilige Land als ritualisierte Bewegung in Raum und Zeit, in: Prozessionen (wie Anm. 87) 19–86. Vgl. bereits Maurice Halbwachs, Stätten der Verkündigung im Heiligen Land. Eine Studie zum kollektiven Gedächtnis (Édition discours 6, Konstanz 2003) 109–120 (ursprünglich französisch 1925). 90  Schenk, Dorthin 67. 91  Vgl. Michael Rüdiger, Gerusalemme ovunque. Copie del Santo Sepolcro nella vecchia Europa, in: La Bisaccia del Pellegrino: Fra Evocazione e Memoria. Il pelegrinaggio sostitutivo ai luoghi santi nel mondo antico e nelle grandi religioni viventi. Atti del Convegno Internazionale, Torino, Moncalvo, Casale Monferrato 2–6 ottobre 2007, hg. von Amilcare Barbero–Stefano Piano (Ponzano Monferrato 2010) 287–302; Bianca Kühnel, Virtual Pilgrimages to Real Places. The Holy Landscapes, in: Imagining Jerusalem in the Medieval West, hg. von Lucy Donkin–Hanna Vorholt (Proceedings of the British Academy 175, Oxford 2012) 243–264, bes.



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liche Verortung vollständig ins Mentale und Spirituelle zu verschieben, wie dies der „Sionpilger“ als geistliche Pilgerfahrt des Jerusalempilgers Felix Fabri den Daheimgebliebenen durch Lektüre ermöglichen sollte92. Eine wenig differenzierte räumliche Ausprägung der Grenzziehung zwischen „sakralen“ und „profanen Räumen“ und eine stärker an bestimmte Handlungsabläufe als an Routen gebundene „sakrale“ Dimension des Geschehens zeigt sich auch bei Prozessionen anlässlich von Herrschereinzügen. Kam ein Herrscher erstmals in eine Stadt, wurde er am Stadttor regelhaft vom Klerus und der Bevölkerung von einer Prozession mit Kreuzen und Reliquien in liturgisch gebundener Form empfangen und erst zur Hauptkirche und dann zu seinem Quartier geleitet93. Die liturgische Gestaltung des Empfangs und der Prozession lässt darauf schließen, dass der Einzug in der Vorstellungswelt der Zeitgenossen typologisch mit dem Einzug Jesu und König Davids in Jerusalem verbunden wurde94. Durch die Verwendung eines Baldachins als Traghimmel über dem Haupt des Herrschers wurde zeichenhaft auf das Himmlische Jerusalem verwiesen95. Häufig wurde der Herrscher mit einer Reliquie begrüßt. So trug man ihm in Aachen die Karlsbüste mit dem Schädel Karls des Großen entgegen, in Frankfurt die Hirnschale des Heiligen Bartholomäus, in Dortmund Haupt und Gebein des Heiligen Reinold und in Nürnberg u. a. das Haupt des Heiligen Sebald, denen er seine Verehrung erwies96. In St. Gallen betrat Friedrich III. 1442 den Kirchhof, indem er unter den Reliquienbehältern der Hl. Constantinus und Remaclus durchschritt, in Köln suchte der Herrscher die Reliquien der Heiligen Drei Könige im Dom auf  97. Die Prozessionsroute verknüpfte zwar stets wichtige 257–260; dies., Monumental Representations of the Holy Land in the Holy Roman Empire, in: Die Kreuzzugsbewegung im römisch-deutschen Reich (11.–13. Jahrhundert), hg. von Stefan Tebruck–Nicolas Jaspert [im Druck 2015]. 92   Felix Fabri, Die Sionpilger, ed. Wieland Carls (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 39, Berlin 1999); vgl. bereits Schenk, Dorthin (wie Anm. 89) 66. 93   Umfassend ders., Zeremoniell und Politik. Herrschereinzüge im spätmittelalterlichen Reich (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 21, Köln– Weimar–Wien 2003) 49, 292, 369–373; im Folgenden besonders ders., Heiltümer (wie Anm. 19) 225–230. 94   Zur Liturgie des Einzugs ders., Einzug (wie Anm. 14) 51–58, und ders., Zeremoniell 101–126, 345f., 373–381. 95   Ders., Zeremoniell 448–472; ders., Lesbarkeit (wie Anm. 51) 288, 292–297. 96   Frankfurt: z. B. Friedrich III. 1474 nach dem Bericht des Augenzeugen Caspar Feldener, vgl. Frankfurter Chroniken und annalistische Aufzeichnungen des Mittelalters, ed. Richard Froning (Quellen zur Frankfurter Geschichte 1, Frankfurt a. M. 1884) 23; Aachen: z. B. Sigismund 1414 nach einem zeitgenössischen Bericht, in: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund. Erste Abtheilung 1410–1420, ed. Dietrich Kerler (Deutsche Reichstagsakten [Ältere Reihe] 7, München 1878) 245 Nr. 168; vgl. Hartmut Kühne, ostensio reliquiarum. Untersuchungen über Entstehung, Ausbreitung, Gestalt und Funktion der Heiltumsweisungen im römisch-deutschen Regnum (Arbeiten zur Kirchengeschichte 75, Berlin–New York 2000) 98–105; Dortmund: z. B. Karl IV. 1377 nach dem Bericht Dietrich Westhoffs, vgl. Chronik des Dietrich Westhoff von 750–1550, ed. Joseph Hansen, in: Die Chroniken der westfälischen und niederrheinischen Städte 1: Dortmund, Neuß (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 20, Leipzig 1887) 147–477, hier 231; Nürnberg: Dieter J. Weiss, Des Reiches Krone – Nürnberg im Spätmittelalter, in: Nürnberg. Eine europäische Stadt in Mittelalter und Neuzeit, hg. von Helmut Neuhaus (Nürnberger Forschungen 29, Nürnberg 2000) 23–41, hier 38–41. 97   Z. B. Friedrich III. 1442, vgl. den Bericht bei F. E. Mering, Geschichte der Burgen, Rittergüter, Abteien und Klöster in den Rheinlanden und den Provinzen Jülich, Cleve, Berg und Westphalen nach archivalischen und anderen authentischen Quellen 10 (Köln 1855) 127; St. Gallen: Nach dem Bericht des mit zeitlichem Abstand schreibenden St. Gallensers Joachim Vadian, hier zitiert nach der Quellensynopse bei Christoph Studer, Do der kúng hie wz. Der Besuch Friedrichs III. 1442 in St. Gallen. Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 112 (1994) 1–44, hier 19.

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Orte wie Stadttor, Hauptkirche und Quartier (Pfalz, Bischofspalast, Bürgerhaus), wurde aber offenbar flexibel je nach den Anforderungen des Einzelfalls festgelegt und konnte die Himmelsrichtung, aus welcher der Herrscher eintraf, ebenso berücksichtigen wie besonders repräsentative Straßenzüge der Stadt wie in Nürnberg, alte Pilgerwege wie in Zürich, Königsstraßen wie in Dortmund oder Immunitätsbezirke innerhalb der Stadt wie in Besançon98. Durch diese und andere Handlungen wurden ephemere Räume geschaffen, die sich noch nach unterschiedlichen Kriterien wie z. B. dem sozialem Rang der Prozedierenden oder der sakraler Valenz der sie umgebenden Zeichen (Baldachin, Reliquien, Fanfarenklänge, Weihrauchduft) in sakrale Haupt- und Nebenräume differenzieren ließen99. Mit Martina Löw kann hier von der Syntheseleistung einer Verknüpfung der einzelnen Elemente der Prozession, also der Anordnung von Objekten und Lebewesen (Teilnehmer, Reliquien, Stadttor, Route, Kirche), mit Vorstellungen aus dem „imaginären Raum“ der Glaubensvorstellungen gesprochen werden, die zeitweise einen spezifischen und mobilen „Ritualraum“ konstituierte. Zweifellos wurde damit zeitweise die Außeralltäglichkeit des Geschehens betont, der Herrscher selbst zeichenhaft erhöht und in Verbindung mit Heiligen gebracht. Von einer Sakralisierung des Herrschers selbst und einer dauerhaften Markierung der abgeschrittenen Route als „sakraler Raum“ kann aber nicht die Rede sein. Da ein Herrschereinzug zugleich ein dezidiert politischer Akt war, der das politisch-rechtliche Verhältnis des Einziehenden und der Empfangenden durch demonstrative Darstellung herstellte, überlagern und durchdringen sich hier „politischer“ und „sakraler Raum“ in eigentümlicher Weise. Ein faszinierendes Beispiel sind Prozessionen, die im Zusammenhang mit gefähr­ lichen oder schadenbringenden Ereignissen wie Extremwetter und Naturkatastrophen (extreme Kälte und Hitze, Überschwemmungen, Dürren, Erdbeben), Hungersnöten, Epidemien und Kriegen stattfanden100. Genauere Untersuchungen stehen noch aus, doch scheint es, als sei der Raumbezug bei der Gestaltung der Prozessionsrouten in diesen Fällen bezeichnend anders101. Die Erfurter vollzogen am 20. Juni 1483 auf Anordnung des   Schenk, Zeremoniell (wie Anm. 93) 368–373; ders., Heiltümer (wie Anm. 19) 227.   Begrifflichkeit in Analogie zu Beobachtungen von Michail A. Bojcov, Qualitäten des Raumes in zeremoniellen Situationen: Das Heilige Römische Reich, 14.–15. Jahrhundert, in: Zeremoniell und Raum (wie Anm. 14) 129–153, hier 137–149, und ders., Ephemerität und Permanenz bei Herrschereinzügen im spätmittelalterlichen Deutschland. Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 24 (1997) 87–107, hier 100f. 100  Zur Quellenlage dieser außerordentlichen Prozessionen, die in aller Regel von den städtischen Autoritäten angeordnet wurden, vgl. Pascal Collomb, Écrire la performance professionelle dans les villes de l’Occident médiéval, in: Medialität der Prozession. Performanz ritueller Bewegung in Texten und Bildern der Vormoderne, hg. von Katja Gvozdeva–Hans Rudolf Velten (Germanisch-Romanische Monatsschrift Beih. 39, Heidelberg 2011) 105–125, hier 125. 101   Dazu bereits: Emanuela Guidoboni, Riti di calamità: Terremoti a Ferrara nel 1570–74. Quaderni storici 55 (1984) 107–135, besonders 115–119; Jean Delumeau, Rassurer et protéger. Le sentiment de s­ écurité dans l’Occident d’autrefois (Paris 1989) 90–156; Jussi Hanska, Strategies of Sanity and Survival. Religious ­Responses to Natural Disasters in the Middle Ages (Studia Fennica. Historica 2, Helsinki 2002) 49–63; ­Signori, Ritual (wie Anm. 51); Mariano Barriendos, Climate and Culture in Spain. Religious Responses to Extreme Climate Events in the Hispanic Kingdoms (16th–19th Centuries), in: Kulturelle Konsequenzen der „Kleinen Eiszeit“. Cultural Consequences of the „Little Ice Age“, hg. von Wolfgang Behringer–Hartmut Lehmann–Christian Pfister (VMPIG 212, Göttingen 2005) 379–414; Sabine von Heusinger, „Cruzgang“ und „umblauf“ – Symbolische Kommunikation im Stadtraum am Beispiel von Prozessionen, in: Kommunikation in mittelalterlichen Städten, hg. von Jörg Oberste (Forum Mittelalter. Studien 3, Regensburg 2007) 141–155; Gerrit Jasper Schenk, Lektüren im Buch der Natur. Wahrnehmung, Beschreibung und Deutung von Naturkatastrophen, in: Geschichte schreiben. Ein Quellen- und Studienhandbuch zur Historiographie (ca. 1350–1750), hg. von Susanne Rau–Birgit Studt (Berlin 2010) 507–521, hier 514–517; Thomas Labbé, Essai 98 99



Religion und Politik. Die westeuropäische Stadt als „sakraler Handlungsraum“

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Rates und im Zusammenwirken mit dem Klerus der Stadt als Reaktion auf schlechtes Wetter, drohende Hungersnot und Seuchengefahr eine Bittprozession, deren Route einmal um die gesamte Stadt herum führte102. Die Prozession begann in der Hauptkirche, der Marienkirche, und führte in sieben Stunden auf dem Wallgraben vor den Mauern der Stadt die gesamten etwa neun Kilometer um die Stadt herum und wieder zur Marien­ kirche zurück103. In Frankfurt wurde nach der verheerenden Jahrtausendflut am Tag der Heiligen Maria Magdalena, dem 22. Juli 1342, eine bis in die Zeit der Reformation (1527) reichende, jährlich wiederholte Prozessionstradition begründet: Klerus und Bürgerschaft zogen am Maria Magdalenentag mit dem Sakrament unter einem Baldachin von der Hauptkirche St. Bartholomäus auf einer den alten Stadtkern (Kaiserpfalz) umkreisenden Route wieder zu St. Bartholomäus zurück104. Ursprünglich eine Bußprozession, die Gott um Vergebung für Sünden und Interzession gegen die als Sündenstrafe interpretierte Flut bat, wurde sie im Lauf der Zeit zu einer Art Gedenkprozession, die mit den Worten Gabriela Signoris zusehends „dem Frankfurter Patriziat die Möglichkeit bot, sich selbst in Szene zu setzen“105. Auch in Florenz wurden anlässlich von Krisensituationen Prozessionen durchgeführt, für die eigens das für wundertätig gehaltene Bild der Madonna aus dem südlich gelegenen Impruneta in einer tagelangen Prozession in die Stadt geholt wurde. Die Rekonstruktion der Route in der Stadt selbst durch Richard Trexler und (etwas anders) durch Felicity Ratté zeigt einen Verlauf, der das alte, noch römerzeitliche Straßennetz um den Kern der Stadt nutzt und damit ebenfalls in einer circumambulatio die Stadt zeichenhaft unter göttlichen Schutz stellt106. Die Beispiele ließen sich vermehren107: Gesellschaftlichen Krisensituationen wurde gern mit Prozessionen begegnet, die zeichenhaft die Stadt als solidarische Gemeinschaft unter dem Schutz von Patronen darstellten – unabhängig davon, ob die Bevölkerung tatde réflexion sur la réaction aux inondations en milieu urbain au XVe siècle: du seuil de tolérance catastrophique des sociétés riveraines à la fin du Moyen Âge. Revue du Nord. Hors série. Collection Art et Archéologique 16 (2011) 173–181; Bernard Delmaire, Conjoncture et processions à l’abbaye et au village de Crespin (XVe siècle). Ebd. 57–73. 102   Löther, Prozessionen (wie Anm. 24) 236f., 241–251; knapp zu den älteren Prozessionen im Zusammenhang mit dem Gedenken an die Toten vorangegangener Seuchen und zur Fürbitte um Verschonung vor weiteren Seuchen von Erfurt nach Schmidtstedt seit 1340 Joachim Meisner, Nachreformatorische katholische Frömmigkeitsformen in Erfurt (Erfurter theologische Studien 26, Leipzig 1971) 183–196. 103   Löther, Prozessionen (wie Anm. 24) 249, 347 (Anhang Karte Erfurt: Bittprozession 1483). 104   Vgl. auf der Grundlage von im Zweiten Weltkrieg teils vernichteten Archivquellen Georg Ludwig Kriegk, Deutsches Bürgertum im Mittelalter 1 (Frankfurt a. M. 1868) 366–377, 569–571; zuletzt Luitgard Gedeon, Zur Geschichte der Prozessionen in Frankfurt am Main (Marburg 22005) bes. 59 (Karte der Prozessionsroute). Zum Ende der Prozessionstradition vgl. Frankfurt, Institut für Stadtgeschichte, Bürgermeisterbücher 1527, fol. 29r–29v. Zur Kaiserpfalz sind jetzt die Ergebnisse der neueren Ausgrabungen heranzuziehen, vgl. Magnus Wintergerst, Die Befunde der karolingisch-ottonischen Pfalz aus den Frankfurter Altstadtgrabungen 1953–1993 (Franconofurd 1. Schriften des Archäologischen Museums Frankfurt 22/1, Frankfurt a. M. 2007). 105   Signori, Ereignis (wie Anm. 87) 114. Zu den liturgischen Vorschriften für die Maria-MagdalenenProzession vgl. Frankfurt, Institut für Stadtgeschichte, Bartholomäusstift Bücher II 4b, fol. 22v–23r. 106   Zur Sache Trexler, Experience (wie Anm. 50); Rekonstruktion der Route: ders., Public Life (wie Anm. 24) Karte Umschlagseite innen; ein leicht variierter Routenvorschlag bei Felicity Blanche Ratté, Picturing the City in Medieval Italian Painting (Jefferson 2006) 189 fig. 115. 107  Vgl. kulturübergreifend zu Prozessionen als Krisenritualen Gerrit Jasper Schenk–Jacob Birken, Gemeinsam statt einsam? Krisenrituale und die Bewältigung von Katastrophen, in: Mensch – Natur – Katastrophe: von Atlantis bis heute (Begleitband zur Sonderausstellung „Mensch. Natur. Katastrophe. Von Atlantis bis heute“ in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, 7. September 2014 bis 1. März 2015), hg. von Alfried Wieczorek (Regensburg 2014) 199–206.

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Gerrit Jasper Schenk

sächlich so einig war, wie es dargestellt wurde. Andrea Löther und andere haben allerdings darauf aufmerksam gemacht, dass neben zirkulären Routen auch andere räumliche Muster, etwa verbindende Linien zwischen wichtigen Stationskirchen, die Prozessionen zur Abwehr drohender Gefahr kennzeichnen108. Doch scheint in allen Fällen der räumliche Bezug zur Stadt als Ganzer – etwa durch stellvertretendes Umschreiten ihres alten Kerns – entscheidend zu sein. Vielleicht kann man diese Beobachtung auch dahingehend interpretieren, dass auf diese Weise die Stadt und die Gemeinschaft ihrer Bewohner nicht nur für die Dauer des Rituals zu einem „sakralen“ und damit besonders geschützten Raum gemacht werden sollten.

V. „Sakralen Raum“, so lässt sich abschließend vermuten, gab es in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten nicht, sondern er musste immer wieder neu hergestellt werden. Selbst der Raum in Kirchen, deren Status als geweihter Kirchenraum vor der Reformation theoretisch weitgehend unangefochten war, bedurfte in der Praxis trotz aller baulichen Signale seines sakralen Status des Vollzugs von Handlungen, der Regelmäßigkeit liturgischer Akte und der Aktivierung der Syntheseleistung der Gläubigen, um zeitweise, überwiegend oder bei kontinuierlichen Syntheseleistungen auch dauerhaft als „sakraler Raum“ wahrgenommen und respektiert zu werden. „Sakrale Räume“ in der Stadt und die Stadt selbst als „sakraler Raum“ waren als „Handlungsraum“ in Raum und Zeit erstaunlich fluide. Weil sie mindestens ebenso stark von Handlungen und Vorstellungen aus dem Weltbild ihrer Bewohner geprägt wurden wie von baulichen Strukturen, überlagerten sich „sakrale“ und „profane Räume“ am selben Ort. Dennoch hat die bauliche Verfestigung von überwiegend „sakral“ genutzten Räumen wie z. B. Kirchen ihrerseits einen prägenden Einfluss nicht nur auf die bauliche Gestalt der Städte, sondern auch auf die Stadt als ­„sakralen Handlungsraum“ selbst ausgeübt.

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  Löther, Prozessionen (wie Anm. 24) 250f.; Ratté, Picturing (wie Anm. 106) 187–192 mit Fig. 115.

Politics of Religion: Spatial Modification and Transformation of Religious Infrastructures of the Southeastern European Cities in the Late Middle Ages and Early Modern Period Grigor Boykov

The school of „orientalist“ historians in the past tended to perceive the emergence and the development of the cities of the Near East and Anatolia, including those controlled by the Ottomans, as a fully spontaneous and coincidental process, thus by default completely excluding any suggestion that there was purposeful organization of the urban space. The shortcomings of this thesis have naturally been criticized by modern scholarship and a generation of historians has already urged for a more balanced approach, based on careful examination of the sources at hand1. Moreover, scholarly debate focuses not only on the intentional spatial organization of the Ottoman cities, but also on the dominant urban tradition, which determined the morphological adaptions of the inherited cities of the Ottomans. Thus, a scholar examining the transformation of the urban centers in the Balkans under Ottoman rule is faced with varying interpretations, which often over­ emphasize contrasting concepts such as the decisive significance of Islamic urban tradition or, on the contrary, accentuate the uninterrupted continuity of a genuine local tradition, which completely undermined the determining role of the Islamic institutions2. A growing number of studies in more recent years has urged for a more reconciliatory approach 1  An overview of the discussion to date can be found in the introduction: Was there an Ottoman City? in: The Ottoman City Between East and West: Aleppo, Izmir, and Istanbul, ed. Edhem Eldem–Daniel Goff­ man–Bruce Masters (Cambridge 1999) 1–16; cf. Fatma Acun, A Portrait of the Ottoman Cities. Muslim World 92/3–4 (2002) 255–286; Gilles Veinstein, The Ottoman Town (Fifteenth–Eighteenth Centuries), in: The City in the Islamic World 1, ed. Salma K. Jayyusi et al. (Leiden–Boston 2008) 205–217. 2  The debate on the nature of the cities in the Ottoman Balkans began with the important publications of Ömer Barkan and Nikolay Todorov, who presented conflicting views on the urban transformation of the Balkan cities, giving preference to continuity or discontinuity respectively. Cf. Ömer Lütfi Barkan, Quelques observations sur l’organization économique et sociale des villes Ottomanes des XVI et XVI siècles, in: La Ville 2: Institutions économiques et sociales (Recueils de la Société Jean Bodin pour l’histoire comparative des institutions 7, Bruxelles 1955) 289–311; idem, Quelques remarques sur la constitution sociale et démographique des villes balkaniques au cours des XVe et XVIe siècles, in: Istanbul à la jonction des cultures balkaniques, méditerranéennes, slaves et orientales, aux XVIe–XIXe siècles. Actes du colloque international organisé par l’AIESEE, en collaboration avec les commissions internationales d’histoire maritime et des études sur la Méditerranée et les comités internationaux de l’Asie centrale et des études slaves, Istanbul, 15–20 octobre 1973 (Bucarest 1977) 279–301; Nikolai Todorov, Po niakoi văprosi na balkanskiya grad prez XV–XVII v. [On some questions of the Balkan city in the 14th–17th c.]. Istoričeski Pregled 1 (1962) 32–58; idem, Balkanskiyat grad XV–XIX v.: sotsialno-ikonomichesko i demografsko razvitie [The Balkan city 15th to 19th c.: socio-economic and demographic development] (Sofia 1972).

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in examining the transformation of the cities in the Ottoman Balkans, pointing to the diverse nature of local conditions, which often predetermined the continuity and change during the Ottoman rule3. Detailed study of the processes in the post-conquest Balkans came up with several models of urban development, which ranged from uninterrupted continuity of local tradition to drastic transformation in accordance with the Ottomans’ urban perception4. Historians also argue about categorization of the cities according to the boundaries of the Ottoman Empire itself. It appears that a dividing line, which splits the different urban models in the Ottoman domain, crosses Anatolia, approximately linking Antalya with ­Erzurum. Thus, the cities of the Ottomans in which Seljuq architecture is present, but more notably where the Byzantine substratum was obliterated before the Ottoman conquest by Arab and Seljuq patronage, can be contrasted with the cities in the „Turko-Balkan“ part (roughly from Bithynia to the western Balkans), where the Byzantino-Slavic dominance persisted longer, therefore preserving a rich layer inherited by the Ottomans5. This categorization was overruled by other scholars, who considered that the presence of common cha­ racteristic features and the interconnections of the urban centers in the ­Middle East, Anatolia, and the Balkans can be conceptualized as „Turkish Ottoman City“6. In spite of the scholarly debate, scholarship to date has established quite firmly at least one fact: After the Ottoman conquest some towns and cities suffered minor, if any, changes to their spatial and organizational structure, while others were, to say the least, drastically transformed by the Ottomans. On the one hand, such a development is not astonishing in the context of the Ottoman territories in which old and established Islamic urban centers existed for centuries prior to the conquest, while on the other, it is particularly intriguing that even in Western Asia Minor and the Balkans, where the Byzantine base clearly prevailed, the Ottomans did not modify the space of virtually all of the inherited towns. This article focuses primarily, if not exclusively, on those „Turko-Balkan“ cities in Bithynia and Southeastern Europe, in which the spatial order was completely transformed and modified by the Ottomans, with new Islamic cores thus emerging and replacing the old Christian urban centers. It aims at elucidating the role of Islamic religious infrastructure, which played a decisive role in the adaptation of urban morphology to the Ottoman 3  Halil İnalcık, Istanbul: an Islamic City. Journal of Islamic Studies 1 (1990) 1–23; idem, Fatih, Fetih ve İstanbul’un Yeniden İnşası [Fatih, the conquest and the remaking of Istanbul], in: Dünya Kenti İstanbul. İstanbul World City (İstanbul 1996) 22–37; idem, The Ottoman Survey of 1455 and the Conquest of Istanbul, in: 550. Yılında Fetih ve İstanbul / The Conquest and Istanbul in the 550th Anniversary (Ankara 2007) 1–14. 4  Machiel Kiel, Urban Development in Bulgaria in the Turkish Period: the Place of Turkish Architecture in the Process. International Journal of Turkish Studies 4/2 (1989) 79–129. 5  Pierre Pinon, who gathers evidence from architectural typologies, housing and the urban fabric, argues that the real division between the cities in the Ottoman Empire must not be seen as a clear-cut split between the Arab and the so-called „core provinces“, i. e. Anatolia and Rumelia (Asia Minor and the Balkans), but rather in that there was a loose division that divided the „Turko-Balkan“ and „Arabo-Ottoman“ worlds and their respective cities: Pierre Pinon, Essai de définition morphologique de la ville ottomane des XVIIIe–XIXe siècles, in: La culture urbaine des Balkans 3: La ville des Balkans depuis la fin du Moyen Age jusqu’au début du XXe siècle, ed. Verena Han–Marina Adamović (Paris–Belgrade 1991) 147–155; idem, Essai de typologie des tissus urbains des villes ottomanes d’Anatolie et des Balkans, in: 7 Centuries of Ottoman Architecture: A Supra-National Heritage (Istanbul 2000) 174–188; idem, Ottoman Cities of the Balkans, in: City in the Islamic World 1 (cit. n. 1) 143–158, at 146s. 6  Kayoko Hayashi, Turkey: I. The Formative Period of Turkish Urban Studies, II. From the 1940s to the 1970s, III. Recent Trends, in: Islamic Urban Studies: Historical Review and Perspective, ed. Masashi Haneda– Toru Miura (London–New York 1995) 185–234, at 185.



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perception of cities. The focus of this article falls on the program or the system for „Ottomanizing“ the urban area, i. e. the existence of a repetitive pattern in the way the Ottomans modified the space of those of the conquered cities which they chose to islamize. It stresses a particular architectural type, which not only played a role in colonizing urban space, but also became the key marker that, on the one hand, set the outer boundaries of the Islamic cities, while on the other, it defined the main arteries of the urban tissue, thus stimulating expansion in a relatively orderly fashion. It is noteworthy that the strategy for reclaiming the space of an originally Christian city was replicated to a lesser or greater extent in the numerous towns and cities in the Balkans, which the Ottomans established from scratch. Evidently, the way in which the Ottomans built their cities, or remodeled the inherited ones, was not static, but rather may be seen as a complex system that changed with time and was naturally influenced by a number of factors. Nevertheless, historians seem to agree on the fact that in the Ottomans’ perception, the „Turko-Balkan“ cities of their realm, or at least the larger and more important centers, had to have a large congregational Friday mosque (in the majority of the cases a Sultanic establishment) and a clearly defined market area (çarşı), where the commercial infrastructure was located. This constituted the urban core, while the space around the outer city boundaries was filled with residential quarters (mahalle) connected with the commercial center via several fanshaped traffic axes. As valid as this opinion may seem, it appears that it only reflects a later stage in the development of the Ottoman urbanizing concept. In its nascent period, i. e. when the Ottomans took possession of the first larger Byzantine urban centers in Bithynia and took their first steps on Balkan soil, they sought to propagate their supremacy over the city through the construction of a different type of building, a T-shaped zaviye/imaret, situated outside the confines of the walled parts of these cities. Built in a systematic manner, the T-shaped buildings constituted the key mechanism used by the Ottomans to colonize urban space, thus not only encouraging spatial growth in a desired direction in a rather organized fashion, but also determining the main axes of development7. Naturally, changing spatial order through architectural patronage was not an Ottoman invention; it was an established system in the Anatolian society of the time, which was inherited by the emerging dynasty. After the dissolution of the centralized authority of the Seljuk sultan in mid-thirteenth century, local aristocratic elites accumulated large landed properties and acted to a great extent as independent rulers. Scholars like Howard Crane or Ethel Sara Wolper argued that the dramatic changes in political power in midthirteenth and early fourteenth century Anatolia evoked a significant shift of architectural patronage in which the powerful local emirs replaced the Seljuk sultans8. Furthermore, the types of institutions supported by the local lords changed from fortifications, mosques and caravanserais, etc. to medreses, tombs and most notably dervish lodges9. The local rulers sought to transform the hierarchy of city space and to modify the existing spatial 7  Sedat Emir, Erken Osmanlı Mimarlığında Çok-işlevli Yapılar: Kentsel Kolonizasyon Yapıları Olarak Zâviyeler 1–2 [Multifunctional buildings in Ottoman architecture: the zaviyes – structures of urban colonization] (İzmir 1994). 8  Howard Crane, Notes on Saldjûq Architectural Patronage in Thirteenth Century Anatolia. Journal of the Economic and Social History of the Orient 36/1 (1993) 1–57; Ethel Sara Wolper, Cities and Saints: Sufism and the Transformation of Urban Space in Medieval Anatolia (University Park, PA 2003). 9  Ethel Sara Wolper, Politics of Patronage: Political Change and the Construction of Dervish Lodges in Sivas. Muqarnas 12 (1995) 39–47.

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order through a conscious attempt at shifting the urban core away from the former Seljuk center10. The instrument of urban transformation was the patronage of dervish lodges, which were built near city gates or market areas to serve as a manifestation of the alliance between the local rulers and the itinerant Anatolian dervishes, who had an enormous influence over the local Turkoman population alienated from the Sunni practices of the central Seljuk power11. The first Ottoman rulers, essentially no differently from any local Anatolian emir of that time, inherited the established tradition of seeking representation through architectural patronage that aimed at changing the existing spatial order of cities12. The notable difference between Osman Gazi (1299–1326) and his son Orhan (1326–1362) and the rest of the local rulers of Anatolia was the fact that the Ottoman state emerged at the edge of the contemporary Muslim world, and its territorial expansion was directed only towards Byzantium. Consequently, the Byzantine cities that fell into Ottoman hands completely lacked the Seljuk base of their eastern counterparts. And therefore, the rulers from the emerging dynasty of Osman seized cities built in accordance with different urban traditions and with a different spatial order. The Ottomans had to introduce the first Islamic symbols and institutions into the previously entirely Christian environment of the Bithynian cities. It seems to have been in this very early formative period that the Ottoman rulers proved skilled in establishing, under the rule of the house of Osman, a conciliatory mode of existence between the two seemingly opposing sides. These were, on the one hand, the elite frontier warriors, who embraced gaza (holy war against the infidels and misbelievers) as their leading ideology, the ahi brotherhoods and the wandering dervishes who dominated the spiritual life of the Turkoman subjects that roughly comprised the Muslim strata in the then Ottoman society, and on the other hand, the local nonMuslim population of the conquered towns and cities of Asia Minor13. It was in this early stage that the Ottomans adopted a distinct way of remodeling the Byzantine cities in order to shift the hierarchy of space and embody a statement of the permanency of the ruling dynasty. A pattern that can be observed in most urban centers reshaped by the Ottomans provides a firm indication that the efforts of the rulers of the Ottoman state in this direction were a purposeful program in which the T-shaped buildings played a key role. On the one hand, the conquerors installed themselves within the walled parts of the Byzantine cities, where in the majority of the cases a cathedral church was converted to a Friday mosque, thereby not only providing the Muslim congregation with a place for worship but also displaying the triumph of Islam. Soon after this act, several smaller mosques (mahalle mescids) and a bathhouse (hamam), needed for the ritual ablutions, were also established in the walled parts of the larger cities. These changes, as drastic as they may seem at a first glance, did not, however, have a significant impact on the inherited spatial order. The important difference, on the other hand, was accomplished with the erection of a T-shaped zaviye/imaret, the construction of which in the majority of cases began simultaneously with or shortly after the conquest of the city.   Ibid. 41–43.   Ibid. 40s. 12   For a recent overview of the architectural changes that took place in the post-Seljuk Anatolian principalities (beyliks), see Howard Crane, Art and Architecture, in: The Cambridge History of Turkey 1: Byzantium to Turkey, 1071–1453, ed. Kate Fleet (Cambridge 2009) 266–277. 13  Certainly the picture of the border society in the early Ottoman state is far more complex. See Cemal Kafadar, Between Two Worlds: the Construction of the Ottoman State (Berkeley 1995). 10 11



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These buildings were always placed outside the confines of the Byzantine citadel and built in close relation to other buildings such as soup kitchens for the poor, baths, medreses, etc. and were even often fenced round by a protective wall. The T-shaped buildings – interchangeably referred to in the sources by the words imaret or zaviye – which according to some scholars owed their architectural origin to Central Anatolian dervish lodges14, combined in a single structure an elevated prayer hall in either a vaulted or domed eyvan, a central space and two to four side-rooms (tabhanes) equipped with fire places15. As a rule, these buildings never stood alone, but were part of complexes usually including medrese, hamam, kitchen for the poor, as mentioned above, and in many cases the tomb of the person who commissioned its construction. The exact functions of these buildings are still subject to some debate in scholarly literature, but one may with fair certainty assert that they were meant to provide shelter for various wandering dervishes, and to accommodate important travelers, and warriors of the faith. Moreover, these complexes always delivered other important social services such as providing food free of charge to the poor or travelers, and supported religious schools which provided the links to the ulema. These T-shaped imaret/zaviyes were usually built on an empty space outside the confines of the Byzantine city and defined the direction of expansion of the Muslim town. In this respect, the old capital Bursa where five consecutive sultans built such complexes might be seen as emblematic, and moreover the great number of T-shaped buildings and their magnificence made some art historians to refer to them in general as „Bursa type mosques“16. As a rule, the location where the first Ottoman buildings „colonized“ the space beyond the protected parts of the city was selected with utmost care. Organically integrated into the city’s topography, the complexes of the T-shaped zaviye/imarets occupied previously uninhabited areas and set the direction for the expansion of the Muslim city. Ideally, these complexes were meant to shift the focus of urban economic life. Supplemented by a commercial infrastructure, the quarters that emerged around the earliest T-shaped buildings were often subsequently transformed into a new urban core and main market district (çarşı) of the expanding Muslim city. The erection of a large imperial Friday mosque (Ulu Cami’ ) on this spot sanctioned the completion of the process of transformation and the materialization of a fully developed Ottoman model for a new commercial core in the remodeled urban center. Once the central part was established, new complexes of T-shaped buildings defined the outer boundaries of the Ottoman city. Depending on the city’s magnitude, between one and up to a dozen T-shaped buildings, placed at the important road arteries, surrounded the new urban core. Being a major focus of patronage, the T-shaped imaret/zaviyes became the driving force used by the Ottomans to encourage and facilitate the growth of urban settlement. By extending the architectural presence of the Otto  Doğan Kuban, Osmanlı Mimarisi [Ottoman Architecture] (İstanbul 2007) 75–122.   In the „classical“ work of Kuran these buildings are referred to as eyvan mosques: Aptullah Kuran, The Mosque in Early Ottoman Architecture (Chicago–London 1968) 71–135. Eyice introduced the term zaviyeli cami: Semavi Eyice, İlk Osmanlı Devrinin Dini-içtimai Müessesesi Zâviyeler ve Zâviyeli-camiler [Socioreligious organization of the early Ottoman period and the mosque with zaviyes]. İstanbul Üniversitesi İktisat Fakültesi Mecmuası 23/1–2 (1962/63) 3–80. Overview and detailed discussion of historiography up to date in: Zeynep Oğuz, Multi-Functional Buildings of T-Type in Ottoman Context: a Network of Identity and Territorialization (unpublished MA Thesis, Middle East Technical University, Ankara 2006). 16   Comprehensive overview of Sultanic complexes in Bursa in Albert Gabriel, Une capitale turque: Brousse, Bursa (Paris 1958) 43–129; Godfrey Goodwin, A History of the Ottoman Architecture (London 22003) 34–92. 14 15

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man dynasty to outlying areas, the rulers marked the confines of the new Ottoman city. Located at important strategic points, the T-shaped imaret/zaviyes and their complexes were most probably meant also to serve as a dignified preview of the city for those coming in and because of this they were mostly lavishly decorated, imposing structures. Thus expending vast resources, the Ottomans gave quite a clear message demonstrating the change and highlighting their intentions for permanent rule of the area17. Examining in consecutive sequence the structures that highlighted the patronage of the sultans and other grandees, regardless of whether they are still standing or are now lost, reveals quite clearly the Ottoman program for the remodeling of the inherited urban space. Studies on the re-establishment of urban tissue in the principal Ottoman cities in Bithynia demonstrate that the Ottomans changed the spatial order completely though architectural patronage18. Utilizing the principal religious buildings, the Ottoman rulers, as explained above, aimed at a complete shift of spatial order executed through the erection of series of T-shaped multifunctional zaviye/imarets. These buildings not only colonized the space outlying the Byzantine fortified city, but also set up the principal axes of spread of the urban tissue. Thus, for instance, in Bursa (Fig. 1, opposite), which because it was a focus of royal patronage can be regarded as an exemplary case, the then young Ottoman ruler Orhan Gazi (1326–1362) commissioned a T-shaped zaviye/imaret along with several other service buildings on empty, flat terrain only a few hundred meters east of the elevated citadel almost immediately after the conquest. It seems apparent that Orhan aimed at establishing a new Muslim institution at a previously unoccupied location, which at the time must have appeared isolated19. The complex formed around the T-shaped multifunctional building aimed at setting up a new Islamic core for the Ottoman city. Although Orhan’s program for shifting the economic neighborhood to the outside of the Byzantine citadel would seems to have been very vital, it took several decades before it was finalized. Several members of the ruling dynasty and their dependent grandees commissioned the necessary commercial infrastructure to turn the area into a real market zone. The final touch that sanctioned the elevation of the area east of the citadel to Bursa’s new urban core came into sight only seven decades after the Ottomans seized the city. In 1396 Bayezid I commissioned the enormous Great Mosque (Ulu Cami’ ) of Bursa, the monumentality of which not only clearly indicates the increasing importance of the most significant Ottoman city at that time, but also embodies the claim of the dynasty to permanent rule over the lands that formerly belonged to Christendom. The type of edifice that Orhan erected in Bursa and which implemented the shift of the commercial core was not a chance choice made by the Ottoman ruler. On the con17  Howard Crane, The Ottoman Sultan’s Mosques: Icons of Imperial Legitimacy, in: The Ottoman City and its Parts: Urban Structure and Social Order, ed. Irene Bierman et al. (Subsidia Balcanica, Islamica et Turcica 3, New Rochelle 1991) 173–243; Oya Pancaroğlu, Architecture, Landscape, and Patronage in Bursa: the Mak­ing of an Ottoman Capital City. Turkish Studies Association Bulletin 22/1 (1995) 40–55; Aptullah Kuran, A Spatial Study of Three Ottoman Capitals: Bursa, Edirne, and Istanbul. Muqarnas 13 (1996) 114–131; Çiğdem Kafesçioğlu, Constantinopolis/Istanbul: Cultural Encounters, Imperial Vision, and the Construction of the Ottoman Capital (University Park, PA 2009) 129–131. 18  Kuran, Spatial Study (cit. n. 17); Pancaroğlu, Architecture, Landscape, and Patronage in Bursa (cit. n. 17) 40–55; Suna Çağaptay, Prousa/Bursa, a City within the City: Chorography, Conversion and Choreography. BMGS 35/1 (2011) 45–69. 19  Emir, Çok-işlevli Yapılar (cit. n. 7) 2 18–25; Gabriel, Une capitale turque (cit. n. 16) 43.

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Fig. 1. Main axes of development of Ottoman Bursa in the 14th and 15th c. City map modified by the author on the basis of Ottoman map of Bursa from a Provincial Yearbook (Salnâme), scale 1:10.000.

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trary, comparing the transformation of the space in Byzantine cities conquered by the Ottomans shows us that the modification of Bursa was executed in accordance with an established tradition. Thus, Orhan commissioned a T-shaped zaviye/imaret after he conquered the once strong city of Nicaea (İznik)20. Besides the presently ruined zaviye/imaret in İznik, two other T-shaped buildings in the region that date from approximately the same time are attributed to Orhan’s patronage. Scholars argue that he commissioned the still standing zaviye for Postinpuş Baba (prior to 1348) near the town walls of Yenişehir and an imaret outside the fortified part of the town of Bilecik (most likely in the 1330s), seized earlier by his father Osman Gazi21. Moreover, the mighty commanders in the Balkans, who conquered cities and territories on behalf of the Ottoman dynasty, imitated the program of the ruling dynasty and implemented the program for spatial transformation on European soil. The transformation of two of the principal cities in the Ottoman Balkans, namely those of Philippupolis (Filibe) and Skopje (Üsküb), clearly bespeak the transfer of the tradition of urban spatial adaptation from Asia Minor to the Balkans22. After the new Islamic urban core was completed, which in the majority of cases was symbolically sanctioned by the erection of a large imperial communal mosque, a second wave of T-shaped zaviye/imarets surrounded the new commercial district and extended the main axes of development of urban tissue. This process can be best observed in large cities like Bursa and Edirne, where multiple complexes built up around a T-shaped building stretched the boundaries of the cities to previously unoccupied areas. At present, wherever still standing, these structures are often integrated into the central parts of modern cities. Therefore, scholars often fail to examine them as lonely and isolated urban colonizers, in the form in which they framed the expansion of urban tissue in a relatively organized fashion in the late fourteenth and early fifteenth centuries. Virtually every reigning sultan prior to Bayezid II (1481–1512) established a T-shaped zaviye/imaret in Bursa. Along with the complexes commissioned by high ranking dignitaries, the T-shaped buildings encircled the core of the Islamic town founded by Orhan several decades earlier. Tracing and mapping these edifices in chronological order provides a fairly good idea of how the Ottoman rulers reclaimed unoccupied territories for the emerging capital of the ruling 20   When Nicaea (İznik) fell into Ottoman hands in 1331, Orhan ordered the construction of a T-shaped zaviye/imaret outside the fortified Byzantine city, next to the Yenişehir Gate on the road towards Bursa. According to the Ottoman narrative tradition, when the building of the imaret was completed, Orhan served the first meal with his own hands on the night of its opening, an act which clearly indicates the great significance of the earliest Ottoman establishment in İznik: Halil İnalcık, The Struggle between Osman Gazi and the Byzantines for Nicaea, in: İznik Throughout History, ed. Işıl Akbaygil et al. (Istanbul 2003) 59–83; Heath Lowry, The „Soup Muslims“ of the Balkans: Was There a „Western“ and „Eastern“ Ottoman Empire, in: Beyond Dominant Paradigms in Ottoman and the Middle Eastern/North African Studies: A Tribute to Rifa’at Abou-El-Haj, ed. Donald Quataert–Baki Tezcan (Osmanlı Araştırmaları / The Journal of Ottoman Studies 36, Istanbul 2010) 97–134, at 102–104. 21   Emir, Çok-işlevli Yapılar (cit. n. 7) 2 14–17, 51–62; Oğuz, Multi-functional Buildings of T-type (cit. n. 15) 21–24. 22   Although the earliest Ottoman buildings in modern Skopje and Plovdiv are no longer standing, assembled circumstantial evidence strongly suggests that soon after their conquest, the conquerors of the cities – Paşa Yiğit Bey and Lala Şahin Paşa – commissioned T-shaped zaviye/imarets outside the confines of the walled urban parts, which marked the core of the emerging Islamic cities; Grigor Boykov, Reshaping Urban Space in the Ottoman Balkans: a Study on the Architectural Development of Edirne, Plovdiv, and Skopje (14th–15th Centuries), in: Centri i periferije u osmanskoj arhitekturi. Ponovo otkrivanje balkanskog naslijeđa / Centres and Peripheries in Ottoman Architecture: Rediscovering a Balkan Heritage, ed. Maximilian Hartmuth (Cultural Heritage without Borders. Report series 9, Sarajevo 2011) 36–49, at 39–45.



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Islamic dynasty. In 1365/66, Orhan’s son Murad I (1361–1389) built a complex around a peculiar T-shaped building, located about two kilometers west of the citadel of Bursa in the then rather isolated and remote suburb of Çekirge. His successor Bayezid I not only ordered the construction of the large imperial mosque at the commercial core of the town, but also commissioned a T-shaped zaviye/imaret and other imposing buildings belonging to the complex. Bayezid’s complex mirrored his father’s and was placed east of the stream of Gökdere, one and a half kilometers from the center. Setting the northeastern boundaries of the city at the time of its construction, the so-called Yıldırım complex must have appeared as distant and isolated as that built by his father in Çekirge. Mehmed I (1413–1421) demonstrated the consolidation of his rule, after the turbulent decade following Bayezid I’s defeat at the battle of Ankara (1402), by erecting one of the richest Tshaped zaviye/imaret complexes that was ever constructed by the Ottomans (1419–1421). The magnificent Yeşil complex, centered around a massive T-shaped building with two tabhanes on each side, was also placed at a considerable distance from the urban core of Bursa and the then very new great mosque. The last T-shaped building in Bursa subject to royal patronage was Murad II’s complex, located west of the citadel. Tracing the rest of the T-shaped imaret/zaviyes in Bursa, built by Ottoman dignitaries such as Timurtaş Paşa, Çandarlı Ali Paşa, Ebu İshak Kazeruni and Hamza Bey23, one can clearly envisage a well-defined circle with the great mosque of Bayezid I and Orhan’s zaviye/imaret in its center and a multitude of complexes centered around T-shaped buildings placed on the periphery. A number of axes, spread like a fan, connected the remote T-shaped complexes and the commercial center. The space between the center and the periphery became a residential area, where new residential quarters were founded around small neighborhood mosques. Examining the spatial transformation and the erection of the principal public buildings, which formed the skeleton of Islamic infrastructure in the European capital of the Ottomans, the city of Adrianople (Edirne) (Fig. 2, next page), one can easily perceive a repetitive pattern in which the T-type multifunctional buildings likewise constituted the key mechanism used in order to encourage urban growth in the desired direction. The early history of Ottoman Edirne is shrouded in obscurity while close to nothing is known about the architectural patronage of the conqueror of the city Murad I. He took the city most likely in 136124 and converted a Byzantine church located in the walled part of the city into the mosque of Aya Sofya. This act not only sought to provide ritual space for the Muslim community, which installed itself in the city, but also displayed the victory of Islam. What seems apparent, however, is that Murad I refrained from patronizing architecture in Edirne, except for the royal residence of which we know very little25. This seems 23  For a complete list of T-shaped buildings in the Ottoman realm see: Oğuz, Multi–Functional Buildings of T-Type (cit. n. 15) 112–115. 24   The date of the conquest of Adrianople is debated in scholarly literature. While it is unlikely that scholars studying the topic agree on the exact date of the fall of Adrianople, the present work sides with the view expressed by Halil İnalcık, The Conquest of Edirne (1361). Archivum Ottomanicum 3 (1971) 185–210. For arguments in favour of a later date for the fall of Adrianople into Ottoman hands, see Irène BeldiceanuSteinherr, La conquête d’Andrianople par les Turcs: la pénétration turque en Thrace et la valeur des chroniques ottomans. TM 1 (1965) 439–461; Elizabeth Zachariadou, The Conquest of Adrianople by the Turks. Studi Veneziani 12 (1970) 211–217; Aleksandır Burmov, Türkler Edirne’yi ne Vakit Aldılar [When the Turks took Edirne]. Belleten 13 (1949) 79–106. 25  The mosque-turned Byzantine church of St. Sophia stood within the walled part of Edirne until the early twentieth century. For a recent study on this building and a reprint of the photograph taken in 1888 by

Fig. 2. Main axes of development of Ottoman Edirne in the 14th and 15th c. City map modified by the author on the basis of Ottoman military map, scale 1:25.000.

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quite surprising since in general he was a prolific patron of architecture, commissioning some of the masterpieces of Ottoman architecture, such as his complex in Çekirge or the Nilüfer imareti in İznik, buildings that appear in virtually every textbook on Ottoman architectural history. It is difficult to state with any degree of certainty why Murad I hesitated to patronize public buildings in his newly promoted capital. Was he uncertain about the permanent character of the Ottoman control over the city? Or did other motives shape his decision? We shall never know. In any case, had he wished to commission large public buildings in Edirne, he lacked neither craftsmanship nor financial resources. The next step in the expansion of the Islamic city beyond the walled parts was realized by Murad’s successor Bayezid I who, in a „Bursa manner“, placed a T-shaped zaviye/imaret at a considerable distance from the walled part, stretching the Ottoman presence beyond the city’s natural border – the Tundža River26. Examining Bayezid’s addition to Edirne’s landscape, at least two facts appear obvious. Firstly, Bayezid commissioned and built his imaret in Edirne on a spot that was not only unoccupied but also appears to have been quite distant from the Byzantine fortified city. Undoubtedly, erecting his building on this particular spot must have been a purposeful decision and not a chance choice. Secondly, Sultan Bayezid’s Edirne edifice quite apparently lacked the grandeur of his Bursa complex, built only a few years earlier. This is also unlikely to be the result of an oversight and calls for an adequate explanation. The remoteness of Bayezid’s T-shaped building in Edirne indicates one important circumstance. By the time the Ottoman sultan commissioned the building, the new Ottoman urban core outside the walled Byzantine city must already have existed. His complex centering around a T-shaped zaviye/imaret established far beyond the confines of the then city bespeaks the ongoing second phase of urban transformation. Bayezid’s endowment in Edirne must by all means be perceived as an attempt to set the western boundaries of the emerging Ottoman city and to encourage growth in this direction. In this respect, Bayezid’s edifice in Edirne clearly mirrored the role which his complex in Bursa played a few years earlier. Tracing architectural patronage in consecutive order in the half-a-century following Bayezid’s rule, one inevitably discovers the similarities in the spatial modifications of Edirne and Bursa. Firstly, the sons of Bayezid – the emirs Süleyman and Mehmed – commissioned and built a large imperial communal mosque (the so-called Eski Cami’ ) on a spot that must have already gained the importance of a new urban core of Edirne. Mehmed I added to it the first piece of important commercial infrastructure – the twelvedomed bedesten, which is an exact replica of the bedesten in Bursa27. As in Bursa, Edirne’s new commercial center soon attracted more patronage, and a whole multitude of individual shops, inns and other buildings gave a more complex appearance to the emerging Gh. Léchine, Russian consul in the city, see Robert Ousterhout–Charalambos Bakirtzis, The Byzantine Monuments of the Evros/Meriç River Valley (Thessaloniki 2007) 167–171. Murad’s palace was demolished in the sixteenth century in order to clear space for the construction of the magnificent Selimiye mosque: Abdurrahman Hibrî, Enîsü’l-müsâmîrin: Edirne tarihi, 1360–1650, ed. Ratip Kazancıgil (Edirne araştırma dizisi 14 = Türk Kütüphaneciler Derneği Edirne Şubesi yayınları 24, Edirne 1996) 14. 26  Aptullah Kuran, Edirne’de Yıldırım Camii [Yildirim mosque in Edirne]. Belleten 27/111 (1964) 419–438; Ekrem Hakkı Ayverdi, Osmanlı Mi’mârîsinin İlk Devri [First period of the Ottoman architecture] (İstanbul 1966) 484–494; Oktay Aslanapa, Edirne’de Osmanlı Devri Abideleri [Ottoman era monuments in Edirne] (İstanbul 1949) 2–6. 27  Kuran, Mosque (cit. n. 15) 154–158; Goodwin, Ottoman Architecture (cit. n. 16) 97–102.

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Fig. 3. Floor plan of Muradiye in Edirne – a T-shaped zaviye/imaret commissioned and built by sultan Murad II (r. 1421–1444 and 1446–1451). Source: Kuran, Mosque (cit. n. 15) 124.

Ottoman city. These examples do not exhaust the cases of similarity in the spatial transformation of Bursa and Edirne. On the contrary, if one traces the establishments that set the main axes of development in Edirne’s urban space, one finds the same pattern. This fact alone already suggests that the adaptation of the urban space was carried out in accordance with a well-defined Ottoman program rather than being a spontaneous chance process. In the course of the two decades following the erection of the main communal mosque in the commercial core of Edirne (Eski Cami’ ), no fewer than four complexes centered around T-shaped zaviye/imarets were commissioned and built in the city’s outskirts. Located in areas that in the first decades of the fifteenth century must have been completely isolated, these zaviye/imarets and their adjunct buildings such as public bathhouses, kitchens for feeding visitors and the poor, etc. encircled the urban core in a „Bursa manner“ and defined the main axes of urban spread. The earliest standing T-shaped building dating back to the fifteenth century is that of Gazi Mihal Bey, which is situated on the western bank of the Tundža. In 1421 the patron of the complex Mihal Bey not only erected a T-shaped zaviye/imaret but also renovated a fallen Roman bridge and adorned



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Fig. 4. Muradiye in Edirne – view from SE (photo: author, 2010).

Fig. 5. Muradiye in Edirne – view from NE (photo: author, 2010).

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his complex with a magnificent double bath, which still stands today albeit in a pitiful state of decay28. Eight years later, in 1429, the then governor and commander in chief of all European provinces of the Ottoman Empire (Rumili beylerbeyisi), Sinaneddin Yusuf Paşa, built in the northwestern edge of the city a T-shaped building that has an unusual polygonal prayer area. The beylerbeyi complex also offered the benefit of a public bath in its close proximity and houses the magnificent mausoleum of the patron29. Another seven years later, the northeastern edge of Edirne was marked by a T-shaped building with surrounding complex which in this case was subject to royal patronage. It was only after the consolidation of his power on the Ottoman throne and the completion of his complex in Bursa, that Murad II (1421–1444 and 1446–1451) was able to launch his European building program. Thus, entrusted to Mevlevi dervishes, his Muradiye complex in Edirne completed in 1436 was merely a prelude to an ambitious program that turned him into probably the most prolific patron of architecture in the Ottoman Balkans30 (Fig. 3–5). The latest standing T-shaped building in Edirne appeared only five years later. It was built in 1441 by one of the most prominent Ottoman commanders in the western Balkans, Mezid Bey, and was located in the southeastern part of the city. The building lies on the main road leading to Istanbul and at the time of its founding it must have appeared as remote and isolated as the one erected by Sultan Bayezid at the opposite edge of the city half a century earlier31. The repetitive pattern for urban spatial transformation observable in Bursa and Edirne is also perceivable on a smaller scale in a number of prominent Balkan cities. Examining the way in which the Ottomans modified some of the principal cities in Asia Minor and the Balkans, one can conclude that the ongoing transformation was accomplished in accordance with an established program. The origins of the Ottoman doctrine for changing the spatial order of the Byzantino-Slavic cities can be traced back to the dissolution of the Seljuk sultanate and the period of Ilhanid power in Asia Minor, when local elites sought to propagate their supremacy through architectural patronage. The architectural predecessors of the most important agents used by the Ottomans to colonize urban space – the T-shaped zaviye/imarets – can also be traced back to this period. The multifunctional T-shaped buildings constituted a key element in the urban fabric of virtually every prominent town in the Ottoman domain. Ideally, the complexes of the T-shaped zaviye/imarets were meant to shift the focus of economic and social life in the newly conquered city away from the existing urban core. Establishing a new Islamic center of the town, the T-shaped buildings defined the expansion of urban tissue in a relatively orderly fashion. Depending on the city’s magnitude, a second wave of T-shaped zaviye/imarets was often placed outside the confines of the newly formed Muslim core, thus again extending the Ottoman architectural presence to previously unoccupied areas.

28  Ekrem Hakkı Ayverdi, Osmanlı Mimârîsinde Çelebi ve II. Sultan Murad Devri, 806–855 (1403– 1451) [The period of Mehmed I and Murad II in Ottoman architecture] (İstanbul 21989) 386–393; Kuran, Mosque (cit. n. 15) 86s.; Sedat Emir, Edirne Mihal Bey Zaviyesi. Arredamento Mimarlık 265 (2013) 98–105. 29   Ayverdi, Çelebi ve II. Sultan Murad Devri (cit. n. 28) 377–381; Kuran, Mosque (cit. n. 15) 89s. 30   Suheyl Ünver, Edirne Mevlevihanesi Tarihine Giriş [Introduction to the history of the mevlevihane in Edirne], in: Edirne: Serhattaki Payıtaht, ed. Emin Nedret İşli–M. Sabri Koz (Istanbul 1998) 623–627; Ayverdi, Çelebi ve II. Sultan Murad Devri (cit. n. 28) 405–415; Kuran, Mosque (cit. n. 15) 124s. 31  Ratip Kazancıgil, Edirne İmaretleri (İstanbul 1991) 45–49; Ayverdi, Çelebi ve II. Sultan Murad Devri (cit. n. 28) 397–400; Kuran, Mosque (cit. n. 15) 126s.

City as Sacred Space – Sacred Spaces in the City: a Response Zoë Opačić

The richness and intellectual breadth of essays presented in this section makes further additions hardly necessary. Instead, I will use my art-historical viewpoint and highlight ideas that have struck me as being particularly interesting and fruitful for a future study of cities as sacred spaces. Taking a cue from the intellectually and historically broad framework of all contributors to this volume, one can start by asking what makes the city so special and worthy of our study? Clearly there were a large number of people in the ­Middle Ages who did not live in cities, whose lives were governed by similar religious rituals to those of city dwellers, whose existence was even more geographically circumscribed and tied to local landmarks1. Landscape after all could be sacralised through rituals, architectural landmarks such as wayside crosses and roadside shrines, and natural elements with supernatural powers2. And yet there was something about cities that distinguished them in the eyes of their contemporaries as much as for modern-day scholars. Despite, or rather because of, its man-made qualities, the city has been singled out as the fundamental form of human association and as the reflection of divine order3. This concept, at least in theory, was clearly more developed in Italy than in the north. While working on medieval Italian cities (often city states), one frequently encounters Italian intellectuals pointing out to both classical antiquity and patristic wisdom: to the Augustinian idea of heaven as a city and the Aristotelian notion of the city that orders and maintains the best kind of life4. 1  For English examples of rural ceremonies, including the „beating of the bounds“ during Rogation week, which delineated the boundaries of one parish from another and warded off evil spirits, see Eamon Duffy, The Stripping of the Altars: Traditional Religion in England c. 1400–c. 1580 (New Haven–London 1992) 37–46, 136; George Caspar Homans, English Villagers of the Thirteenth Century (Cambridge, Mass. 1941) 354–401; James D. Stokes, Processional Entertainments in Villages and Small Towns, in: Moving Subjects. Processional Performance in the Middle Ages and the Renaissance, ed. Kathleen Ashley–Wim Hüsken (Ludus. Medieval and Early Renaissance Theatre and Drama 5, Amsterdam–Atlanta 2001) 239–259. On the town and country relationship in rituals see Konrad Schoell, Un sujet de théâtre médiéval: les dangers du séjour en ville, in: Performance, Drama and the Spectacle in the Medieval City. Essays in Honour of Alan Hindley, ed. Catherine Emerson–Adrian P. Tudor–Mario Longtin (Synthema 8, Louvain–Paris–Walpole, MA 2010) 3–16. 2  Veikko Anttonen, Landscapes as Sacroscapes: Why does Topography Make a Difference?, in: Sacred Sites and Holy Places. Exploring the Sacralization of Landscape through Time and Space, ed. Sæbjørg Walaker Nordeide–Stefan Brink (Studies in the Early Middle Ages 11, Turnhout 2013) 13–32. 3  Spiro Kostof, The City Shaped. Urban Patterns and Meanings through History (London 1991) 36s.; Keith D. Lilley, City and Cosmos. The Medieval World in Urban Form (London 2009) 15–18. 4  See for example Aristotle, Politics, Book 1, 1253a, in: Aristotle in 23 Volumes, vol. 21, trans. Harris Rackham (The Loeb classical library 264, Cambridge, MA 1944); Augustine, The City of God, book 15 c. 2, trans. Henry Bettenson (London 1984) 579. Thomas Aquinas saw the creation of kingdoms (regna) and cities (civitates) as a mirror to the creation of the world and as the prerogative of rulers (paralleling them with the

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Fig. 1. Christ on the road to Emmaus, Ulrich von Lilienfeld’s Concordantiae Caritatis (Pierpont Morgan Library, MS M 1045, fol. 105v). Pierpont Morgan Library.

Grigor Boykov has persuasively dismissed the notion that Ottoman town planning is a haphazard process but I wonder whether its civic existence also has some kind of historical and theoretical underpinning, bearing in mind the symbolic aspects embedded in the layout of Ottoman cities. Were the new Ottoman cities ever meant to stand for anything other than the physical manifestation of a new regime and its rituals? In the West, the platonic notion of cities as signifiers of common identity and selfrealisation is apparent in many late medieval depictions of actual cities. Schedel’s Liber Chronicarum is one more systematic example of this phenomenon, but we can also think of a number of paintings and illuminations where recognisable cities become visual proxies for places of Biblical significance5. In the fifteenth-century manuscript of Ulrich von Lilienfeld’s Concordantiae Caritatis (Pierpont Morgan Library, MS M 1045, fol. 105v, Fig. 1) an immediately recognisable Vienna, with its gates and church towers – and even the Spinnerin am Kreuz – all carefully delineated, stands improbably for the village of Emmaus, the goal of the first pilgrimage, where the weary doubtful pilgrims will have their faith in Christ miraculously restored6. Creator): De regimine principum I/14, in: Divi Thomae Aquinatis doctoris angelici Opuscula philosophica, ed. Raimondo Spiazzi (Taurini–Romae 1954) 272s., esp. 273 § 809; translation: On the Government of Rulers. De Regimine Principum. Ptolemy of Lucca with Portions Attributed to Thomas Aquinas, ed. and trans. James M. Blythe (Philadelphia, PA 1997) 96s.; in the allegorical writing of Christine de Pizan, a century later, the Virgin becomes the queen of a vast city of women, which the author constructed with the assistance of three virtues „covering the whole area with beautiful buildings and houses and leaving no space unfilled“, Christine de Pizan, The Book of the City of Ladies, trans. Rosalind Brown-Grant (London–New York 1999) 14. 5   On the concept of the polis and its verbal imagery from Greek to Early Byzantine era see Claudia Rapp, The Christianization of the Idea of the polis in Early Byzantium, in: Proceedings of the 22nd International Congress of Byzantine Studies, Sofia 22–27 August 2011 (Sofia 2011) 263–284. On the city as a late medieval visual and poetic icon see Albrecht Classen, Hans Sachs and his Encomia Songs on German Cities: Zooming Into and Out of Urban Space from a Poetic Perspective. With a Consideration of Hartmann Schedel’s Liber Chronicarum (1493), in: Urban Space in the Middle Ages and the Early Modern Age, ed. Albrecht Classen (Fundamentals of Medieval and Early Modern Culture 4, Berlin–New York 2009) 567–594. 6   Ferdinand Opll–Martin Roland, Wien und Wiener Neustadt im 15. Jahrhundert. Unbekannte Stadtansichten um 1460 in der New Yorker Handschrift der Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld (For-



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Fig. 2. Byzantine Emperor being shown relics of the Passion, Sir John Mandeville’s Travels (BL, Add MS 24189, fol 11r). The British Library.

An even more complex architectural surrogacy can be found in the illuminated Mandeville travels of Bohemian origin (BL, Additional 24189, fol. 11r, Fig. 2). Emperor Constantine receiving the Passion relics in Constantinople is represented as another emperor altogether, Charles IV of Luxembourg (1347–1378), celebrating the Feast of the Holy schungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 45 = Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Reihe C: Sonderpublikationen 11, Innsbruck–Wien–Bozen 2006).

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Lance and Nail in Prague’s New Town, while, continuing that mimetic chain, the New Town itself seems to have been planned with critical topographical axes of Jerusalem in mind7. The whole thing starts to resemble an architectural hall of mirrors. In that sense architecture identified cities, not only by creating recognisable points of reference but also by articulating their spiritual and civic aspirations and their historical outlook; by demonstrating not only what they were but what they wanted to be. As Richard Krautheimer has persuasively argued in relation to individual buildings, this kind of symbolic planning can be built into the design of the cities from the outset or interpreted post festum8. In attempting to define the concept of urban sacred space, the authors have considered many facets of this problematic issue, all of which appear to be closely entwined. One could be described as political agency, which is a particularly important factor in Boykov’s contribution. As we have seen the new regime’s positioning of the main public structures, such as the market or the Friday mosque, defined urban centres. The location of T-shaped structures outside the existing urban limits directed its future development. Rituals, as Gerrit Schenk has pointed out, can also be political gestures in religious disguise. The anthropologist Claude Lévi-Strauss described ceremonies as a „bricolage“, where existing symbols are brought together in a performance or a „game“ of equals, but where the final outcome is a differentiation of power9. Such games have a disjunctive effect despite their preordained symmetry, while the aim of the rituals is to conjoin initially separate or asymmetrical groups – the faithful and the officiating, the initiated and uninitiated. In the introduction to the influential volume of essays entitled „City and Spectacle in Medieval Europe“, Barbara Hanawalt and Kathryn Reyerson have argued that while in the Middle Ages the configuration of power rarely changes through ceremony, the hierarchical relationship can be one of opposition or alignment10. In Charles IV’s Prague that relationship appears to be one of virtual symbiosis, architecturally if not always politically, with the Emperor’s projects, workshops, ceremonies and images dominating the cityscape. Frequently, however, the perspective of the ruler was placed against that of the town. Towns in England, for example, often took part in royal pageantry in hope of benefits or future patronage, as was the case with Richard III and York (1483), or as a ritual gesture of reconciliation, in case of Richard II’s spectacular pageant in London in 139211. The balance of power was clearly specific to each situation, being very much in the hands of 7  Vilém Lorenc, Nové Město pražské (Praha 1973) 49–54; Paul Crossley, Politics of Presentation: the Architecture of Charles IV of Bohemia, in: Courts and Regions in Medieval Europe, ed. Sarah Rees Jones– Richard Marks–Alastair J. Minnis (York 2000) 99–172, cit. 131s.; Zoë Opačić, The Sacred Topography of Medieval Prague, in: Sacred Sites and Holy Places (cit. n. 2) 252–281, cit. 264. 8   Richard Krautheimer, Introduction to an „Iconography of Medieval Architecture“. Journal of the Warburg & Courtauld Institutes 5 (1942) 1–33, cit. 9. 9  Claude Lévi-Strauss, The Savage Mind (Chicago–London 1966) 30–32. For its application to latemedieval rituals in England and France see Lawrence M. Bryant, Configuration of the Community in Late Medieval Spectacles. Paris and London during the Dual Monarchy, in: City and Spectacle in Medieval Europe, ed. Barbara A. Hanawalt–Kathryn L. Reyerson (Medieval Studies at Minnesota 6, Minneapolis–London 1994) 3–33. 10   Barbara A. Hanawalt–Kathryn L. Reyerson, Introduction, in: City and Spectacle in Medieval Europe (cit. n. 9) IX–XX. 11  Lorraine Attreed, The Politics of Welcome. Ceremonies and Constitutional Development in Later Medieval English Towns, in: City and Spectacle in Medieval Europe (cit. n. 9) 208–231; Gordon Kipling, Enter the King. Theatre, Liturgy and Ritual in the Medieval Civic Triumph (Oxford 1998) 10–13.



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the ruler or the Church in the Byzantine and the Ottoman Empire, but there is no doubt that a gradual shift emerged in northern Europe. The Feast of the Holy Lance and Nails, the celebration of imperial treasure and Passion relics instituted in 1354, was carefully choreographed in all its aspects by Charles and his court in Prague12. Once it moved to Nuremberg in 1424, however, the festival quickly shed its more overt imperial propaganda in favour of equal representation of the parishes and the council in the proceedings. It culminated in Nuremberg’s refusal to hand over the imperial treasure to the incumbent Emperor Frederick III and to have it moved to Vienna. Vienna’s own spectacular relic display instituted in 1486 involved the relic collection assembled by Rudolph IV and handed over to St Stephen’s for safekeeping, but it required the cooperation of ten key holders to open the sacristy – the archduke and later emperor being only one of them13. At first the increasing role played by the guilds and confraternities in late medieval Europe appears to embody the platonic ideal of the city as a place where citizens are united by a common set of values, but it would be wrong to see them as champions of inclusivity. The evidence of Corpus Christi processions, such as those in Norwich and York, reveals endless factional struggles. As Miri Rubin has pointed out, the history of Corpus Christi processions is not only one of social harmony and order but of „disorder, of lawsuits generations long, of disputes over precedence and riots“14. Confraternities and town councils could also be seen as undemocratic oligarchies bound by elaborate written and unwritten codes, and without any interest in promoting cohesion15. Such competitive forces in Vienna, for example, led to the institution of two processions of Corpus Christi, in order to accommodate all confraternity members16. Instead of being a picture of community, such events, stresses Rubin, should be seen as „a mirror of the city“, which habitually excluded its female and underage inhabitants, foreigners and servants17. Many interesting points have been made about the role of signs or symbols as codes of sanctity. Holiness can be seen as an apotropaic device – the cross allegedly or truly embedded in the urban layout is one of the themes that runs through the history of me12   Antonín Podlaha–Eduard Šittler, Chrámový poklád u sv. Víta v Praze. Jeho dějiny a popis (Podílná kniha za rok 1902 a 1903, číslo 43, Praha 1903) 29 n. 1 (for the institution of the feast); Kronika Beneše z Weitmile (Chronicon Benessii de Weitmil), in: Fontes rerum Bohemicarum 4, ed. Josef Emler (Praha 1884) 457–548, cit. 519 (for the King’s involvement in the ritual’s liturgy). See also Franz Machilek–Karlheinz Schlager–Theodor Wohnhaas, O Felix Lancea. Beiträge zum Fest der Heiligen Lanze und der Nägel. Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittelfranken 92 (1984/85) 43–107. 13   As stipulated in the so-called Great Foundation Charter of 16th of March 1365, transcribed in: Viktor Flieder, Stephansdom und Wiener Bistumsgründung. Eine diözesan- und rechtsgeschichtliche Untersuchung (Veröffentlichungen des kirchenhistorischen Instituts der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien 6, Wien 1968) 254–266, cit. 260. 14  Miri Rubin, Corpus Christi. The Eucharist in Late Medieval Culture (Cambridge–New York–Melbourne 1991) 263. 15  Sheila Lindenbaum, Ceremony and Oligarchy. The London Midsummer Watch, in: City and Spectacle in Medieval Europe (cit. n. 9) 171–188; and Benjamin R. McRee, Unity or Division? The Social Meaning of Guild Ceremony in Urban Communities, in: ibid. 189–207. 16  Johann Weissensteiner, Do uns dann nach zeittlicher ableibung nichts dan die guten werich hülfflichen sein. Bruderschaften, Wallfahrten und Prozessionen an der Domkirche St. Stephan, in: 850 Jahre St. Stephan. Symbol und Mitte in Wien 1147–1997. 226. Sonderausstellung, Historisches Museum der Stadt Wien. Dom- und Metropolitankapitel Wien. 24. April bis 31. August 1997, ed. Renata Kassal-Mikula–Reinhard Pohanka (Wien 1997) 28–30, cit. 28. 17  Rubin, Corpus Christi (cit. n. 14) 263s.

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Zoë Opačić Fig. 3. Gautier Cornut, Archbishop of Sens, displaying the Crown of Thorns. Stained glass panel from the ambulatory of the Cathedral of Saint-Gatien, Tours, circa 1245–48. The Cloisters Collection, 1937.

dieval town planning, as has been argued by Vilém Lorenc in the case of Prague, but also somewhat more improbably by Giovanni Villani for Florence18. The mimesis of a sacred space could be confined to a particular part of the city, such as its square, or in the case of Bologna to the entire church complex of Santo Stefano. Schenk has referred to the encoding of the sacred histories of cities through their gates, bridges and chapels dedicated to patron saints and decorated with their images. The presence of relics, especially those of the Virgin and Christ, endowed the city and the entire realm with a greater aura of sanctity. The arrival of the Passion relics to Paris in 1239 famously prompted Gautier Cornut, Archbishop of Sens (Fig. 3), to proclaim that Christ himself chose France for the „more devoted veneration of the triumph of his Passion“19. The words foreshadow a similar statement of divine will recorded in a Sienese document of 1357 regarding the authenticity of a collection procured by the Florentine-born merchant Pietro di Giunta Torrigiani, who it is said was led to Constantinople by Lord Jesus Christ „in order to take the relics out of

18  Lorenc, Nové Město (cit. n. 7) 72s. For Villani see David Friedman, Florentine New Towns. Urban Design in the Late Middle Ages (Architectural History Foundation Books 12, Cambridge, MA 1988) 203. 19   Quoted in Daniel H. Weiss, Architectural Symbolism and the Decoration of Ste.-Chapelle. Art Bulletin 77 (1995) 308–320, cit. 308 and n. 2. See also Meredith Cohen, The Sainte-Chapelle and the Construction of Sacral Monarchy. Royal Architecture in Thirteenth-Century Paris (New York 2014) 164–170.



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the hands of the schismatics and bring them to a holy place“20. In Paris, as in Venice and Siena, the transfer of Passion relics to a new locus sanctus triggered both a ritual and architectural response: the entry was marked with a procession, the erection of a temporary platform at the church of Saint Antoine and eventually the construction of the SainteChapelle, one of the most influential and copied buildings of the late Middle Ages. The chapel’s westernmost bay contains the window with a history of the Passion relics, which places their entry in Paris into a historicized context of another famous entry: Heraclius’s return of the True Cross to Jerusalem. One fundamental concept under scrutiny here is the notion of sacrality and its definitions. In Grigor Boykov’s paper, the new regime of the Ottoman cities in the Balkans and elsewhere had to colonise the institutions and symbols of the Christian cities that it conquered. The topography of those cities was recast according to the communal rituals, sacred or otherwise, of the new ruling class and not necessarily, one assumes, to those of the majority of the subjects. It would be interesting to know how the old Christian inhabitants of the new Ottoman towns responded to finding themselves living in a city that suddenly became alien: where the Friday mosque became the focus for religious ritual, Christian symbols gave way to Islamic. We have clearer evidence of architectural colonisation in Andalusia, where a vastly inflated Cordoba Cathedral was deliberately implanted on the existing structures of the mosque, itself erected on the site of an older church, leading to telling disruptions of the plan and orientation and imposing one set of rituals over the other. In Scandinavia, in one example, Cistercian monks removed all trees considered to be sacred by the pagans and reused them in churches, in an act that was described as being simultaneously a Christianisation of the landscape and the purification of the old belief system21. Perhaps equally disconcerting was the realignment between the sacred and profane in Reformation Germany. It is here, argued Schenk, that we see rituals which define the boundaries between different categories. If those genres are blurred (to apply Clifford Geertz’s much-used terminology) in a context of a single monument denoted for ritual use, the definition of sacrality in an urban context is even more problematic. Fabrizio Nevola argued that sacred rituals in an urban setting momentarily rearranged the „ordinary and implicit“ to appear „explicit and remarkable“22. The erection of temporary theatrical structures such as arches, a timber dais for a coronation celebration or wooden relic platforms is a demonstration that a landscape of the city needed to be transformed into a sacroscape by way of architecture23. Moreover, as Nevola has suggested, ephemeral architecture of urban theatre can often prefigure permanent architectural change24. While 20  Quoted in Holger A. Klein, Eastern Objects and Western Desires: Relics and Reliquaries between Byzantium and the West. DOP 58 (2004) 283–314, cit. 309 and n. 144. 21   Kurt Villads Jensen, Crusading and Christian Penetration into the Landscape: the New Jerusalem in the Desert after c. 1100, in: Sacred Sites and Holy Places (cit. n. 2) 215–236, cit. 222s. 22   Fabrizio Nevola, Siena. Constructing the Renaissance City (London–New Haven 2007) 29. 23   Klára Benešovská, Místa pro chvíle slavnostní, in: Dvory a residence ve středověku III: Všední a sváteční život na středověkých dvorech (Mediaevalia Historica Bohemica. Supplementum 3, Praha 2009) 319–336; Nicola Coldstream, „Pavilion’d in Splendour“: Henry V’s Agincourt Pageants. Journal of the British Archaeological Association 165 (2012) 153–171; Jesse D. Hurlbut, Immobilier et Cérémonie Urbaine: Les Joyeuses Entrées Françaises à la Fin du Moyen Age, in: Civic Drama and Ritual, ed. Alexandra F. Johnston–Wim Hüsken (Ludus. Medieval and Early Renaissance Theatre and Drama 2, Amsterdam–Atlanta 1997) 125–142. 24   Nevola, Siena (cit. n. 22) 29. Coldstream cites a „permanent“ gate built by Henry III at the Tower of London painted in symbolic colours of the New Jerusalem. It collapsed within two years, Coldstream, Pavilion’d in Splendour (cit. n. 23) 155.

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Fig 4. University procession in Rostock, Vicke Schorler’s scroll, 1578–1586, Archiv der Hansestadt Rostock. Wikimedia Commons.

Imperial treasure continued to be displayed from a wooden Heiltumstuhl in Nuremberg, in Vienna relics were displayed from a stone arch built for this purpose west of the cathedral. In the context of the enclosed area of the Stephansplatz and its cemetery, the Heiltumstuhl could act as a platform for the static and very large relic displays and also as a triumphal arch for the kinetic ritual of the Corpus Christi processions and the Passion plays. The growing popularity for large squares was also driven by the increasing need for ceremonial space within the cluttered fabric of a medieval city. This is especially the case in Italy, where much consideration was given to the proportional beauty of the square and the uniformity of the buildings around it while banishing the smelly and noisy trades traditionally attached to it25. The notion of the square as a theatrum mundi, a focal point of the town’s mundane and ceremonial life, is clearly evident in the compressed view of Rostock by Vicke Schorler (1586), where the main human activities are those taking place in the main marketplace outside the Town Hall, a doctoral promotion outside the College of Jurisprudence on the Alten Markt, and another swaggering student parade outside the Lectorium (large auditorium) on the New Town square, in an otherwise eerily unpopulated city (Fig. 4)26. In the Rostock Scroll the intellectual and commercial life of the city is epitomised by the decorum of the square and its rituals.

25   Marvin Trachtenberg, Dominion of the Eye. Urbanism, Art and Power in Early Modern Florence (Cambridge 1997) 27–147. 26  Die Universität schreitet zur Kirche. Prozession während einer Doktorpromotion in Rostock, in: Spektakel der Macht. Rituale im Alten Europa 800–1800. Kooperationsausstellung des Sonderforschungsbereiches 496 der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und des Kulturhistorischen Museums Magdeburg. 21. September 2008–4. Januar 2009. Katalog, ed. Barbara Stollberg-Rilinger–Matthias Puhle–Jutta Götzmann–Gerd Althoff (Darmstadt 2008) 86s. no. I.24; Die Wahrhaftige „Abcontrafractur“ der See- und Hansestadt Rostock des Krämers Vicke Schorler, ed. Horst Witt (Rostock 1989) 64–66, 82–84, 97s.



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321 Fig. 5. Regensburg Cathedral west porch. Conway Library, Courtauld Institute of Art.

I would argue, therefore, that interpreting monuments, their sequence, arrangement and relationship can often give us a clue to the intended effect, even if its meaning is not always singular or fixed. Instead of looking for a meaningful plan that is either predetermined or articulated after the event, we should perhaps seek a different relationship between urban designs and their symbolism, one governed in Krautheimer’s words by a „network of reciprocal half-distinct connotations“27. Thus, symbolic meaning is attached to certain forms but their connotation is „dimly visible“ and not necessarily agreed upon. I must offer here praise to Prof. Schenk for seeking a theoretical model to aid such interpretations and in particular for favouring Martina Löw’s theory which focuses on the interaction between built structures and human actions. I wonder, however, where the centre of gravity may be? Are buildings a backdrop to the ritual or can we say that architecture can suggest something specific, less „dimly visible“ through the choice of its tectonic and decorative forms and their interrelationship? In working on late Gothic material it is clear that one of the consequences of the popularity of urban ceremonial is a more theatrical and rhetorical architecture which seems to demand some kind of performance. Those buildings can belong to different categories: in the first instance there are the numerous lost ephemeral structures, such as the Heiltumsstühle of Prague and Nuremberg. There are extant structures which can be connected to specific rituals, such as the Church of Our Lady in Nuremberg whose balcony garlanded with imperial heraldry was probably constructed and certainly used for the display of the imperial relics from 1361. There are 27

  Krautheimer, Introduction (cit. n. 8) 9.

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Zoë Opačić Fig. 6. St Mary, Mühlhausen south transept facade. Wikimedia Commons.

also buildings, such as the triangular western porch of Regensburg Cathedral, which appear to have been designed with a ritual in mind. And finally those, like the south portal of St Vitus’ Cathedral or that of St Mary’s at Mühlhausen, whose illusionism, theatrical forms and images commemorate or infer a ceremony which in fact never seems to have taken place (Figs 5 and 6)28. Finally, one aspect that has not been brought into the discussion is the question of the ability of architecture and ritual to shape human experience. The psychological aspect of this proposition makes it a perilous path to take, but attention given recently to the staging of particular rituals has produced some interesting insights through the exploration of their architectural, devotional and semantic landscape at an extreme end of the sensory spectrum29. Let us for a moment imagine instead of an adventus, a university procession or even a celebration of Corpus Christi – a ritual of execution. We see the prisoner taken 28  Andreas Puth, „Christus Dominus de Hoc Seculo“. Charles IV, Advent and Epiphany on the South Transept Façade of St Mary’s in Mühlhausen, in: Kunst als Herrschaftsinstrument: Böhmen und das Heilige Römische Reich unter den Luxemburgern im europäischen Kontext, ed. Jiří Fajt–Andrea Langer (Berlin– München 2009) 515–533. 29  This evocative psychological timbre reverberates through Johan Huizinga’s still powerful but pessimistic, The Waning of the Middle Ages (Harmondsworth 1924). For the study of medieval rituals of punishment and their architectural and devotional setting see Achim Timmermann, Late Gothic Microarchitecture and Topographies of Criminal Justice, in: Mikroarchitektur im Mittelalter. Ein gattungsübergreifendes Phänomen zwischen Realität und Imagination, ed. Christine Kratzke–Uwe Albrecht (Leipzig 2008) 297–313; Mitchell B. Merback, The Thief, the Cross and the Wheel. Pain and Spectacle of Punishment in Medieval and Renaissance Europe (Chicago–London 1999) 126–157.



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Fig. 7. Nuremberg, Hartmann Schedel, Weltchronik, 1493. Collection of the author.

out of the prison in the town hall in a demonstration of punitive justice. He is walked past many civic and religious landmarks, a sculpted fountain, an external pulpit, or the images of saints in tabernacles who metaphorically accompany him on the journey. The ritual is observed by a large crowd, witnesses to the execution of justice, for whom this can also be a moralising ritual with Biblical overtones or perhaps a form of gruesome entertainment. The prisoner meanwhile is taken through the city gate and out of the boundary of the civilised community whose laws he has transgressed, but his last moments are accompanied by a priest as well as an executioner and he is likely to be looking at a sculpted architectural monument, a Bildstock visualising passio Christi and providing a redemptive role model and spiritual consolation on his ultimate journey (Fig. 7).



Städte im griechischen Osten Eine kritische Zusammenfassung der Problematik des Colloquiums Peter Schreiner

Bei der Behandlung der Frage ist zunächst der geographische Raum festzulegen: Unter „griechischem“ Osten verstehen wir die Osthälfte des Römischen Reiches nach der Reichsteilung des Jahres 395 und das nach dem Tod Justinians (565) auf seinem Territorium entstandene byzantinische Reich in seinen wechselnden Grenzen bis zum Untergang im Jahr 1453. Der Versuch Justinians, wenigstens die Einheit des Mittelmeerraumes wieder herzustellen, war nur teilweise geglückt und bald nach seinem Tod vollends gescheitert. Die geringe Chance, dass die Stadt in der westlichen Mittelmeerwelt sich am Osten hätte orientieren können, war damit für immer entschwunden, auch wenn der Wunsch nach Einheit innerhalb der Kaiserideologie im Begriff der Oikumene weiterlebt1. Der Stadt kommt eine über die Jahrhunderte hin wechselnde politische und kirch­ liche Bedeutung im Rahmen der Verwaltung und Wirtschaft des byzantinischen Reiches zu, die an die staatliche Zugehörigkeit zu diesem Reich gebunden ist. Eine durch politische Veränderungen bedingte Unterbrechung dieser Zugehörigkeit oder eine Weiterexistenz unter einer anderen staatlichen Obrigkeit – Bulgaren, Serben im Balkanraum, Perser /Sasaniden, Araber, Seldschuken, Kreuzfahrer, Turkemirate in Kleinasien, Araber und Normannen in Unteritalien – verändert Funktion und Charakter der Stadt, so dass wir nur mehr mit Einschränkungen von einer griechischen oder byzantinischen Stadt sprechen können. Doch sind auch Städte, die diese politische Bindung zum Kaiser und zum Zentrum Konstantinopel verloren haben, gewissermaßen als mehr oder weniger gut lesbare Palimpseste, für die Fragestellung nach dem Leben der byzantinischen Stadt im Osten von praktischer und methodischer Bedeutung. Die hier hervorgehobenen definitorischen Merkmale sind auch der Stadt des Westens (ebenfalls im Sinne der Reichsteilung des Jahres 395) nicht in jeder Hinsicht fremd, aber die vom Osten gänzlich unterschiedliche politische, kirchliche und gesellschaftliche Entwicklung zwischen dem 4. und dem 15. Jh. haben, trotz ähnlicher und trotz ähnlicher und teilweise sogar gleicher Ausgangspunkte in der spätrömischen Staatlichkeit (Stadtanlage, römisches Stadtrecht u.ä.), der Stadt des Westen insgesamt ganz andere Wege gewiesen, die wohl Vergleiche im Einzelnen, nicht aber solche genereller Art möglich machen2. 1  Dazu grundlegend Johannes Koder, Die räumlichen Vorstellungen der Byzantiner von der Ökumene (4. bis 12. Jahrhundert). ÖAW, Anzeiger der phil.-hist. Kl 137 (2002) 15–34. 2  Zu den gemeinsamen Grundlagen und ihren Auswirkungen siehe Deno John Geanakoplos, Interaction of the „Sibling“ Byzantine and Western Cultures in the Middle Ages and Italian Renaissance (330–1600)

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I. Die Problemlage Stadtgeschichte ist in erster Linie die Darstellung der politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und kirchlich-religiösen Entwicklung der einzelnen Stadt. Sie umfasst aber als „Geschichte der Städte“ auch die Topographie einer Städtelandschaft und deren regionalen und überregionalen Zusammenhalt in Verwaltung und Wirtschaft. Erste und wichtigste Quelle für die Abfassung einer Stadtgeschichte im eigentlichen und engeren Sinn ist das schriftliche Textzeugnis, das von archäologischen und topographischen Forschungsergebnissen ergänzt wird. Verschiedene Teilbereiche der Stadtforschung wie Sozial- und Wirtschaftsgeschichte beruhen nahezu ausschließlich auf schriftlichen Dokumenten, im besonderen Urkunden. Für keine Stadt der Antike oder des Mittelalters bis an die Schwelle der Neuzeit ist eine lückenlose Dokumentation der Stadtgeschichte im genannten Sinn möglich. In besonderem Maße aber leidet die Darstellung der mittelalterlichen Stadt im griechischen Osten oder – etwas eingeengt – der byzantinischen Stadt unter dem Mangel an schriftlicher und dinglicher Dokumentation. Dieser Sachverhalt ist nicht neu und wurde oft hervorgehoben, muss aber gerade an dieser Stelle noch einmal besonders unterstrichen werden, weil er zu den Hauptgründen zählt, weswegen die byzantinische Stadt in den Phänomenen ihres inneren Lebens kaum greifbar ist. Die einzige Stadt, deren Geschichte auf etwas breiterer Informationsgrundlage beruht, ist Konstantinopel als Hauptstadt des Reiches3. Als Stadt, in welcher der Kaiser ständig lebte, erfuhr sie die ganze Aufmerksamkeit der Reichschronistik. Eine spezielle Stadtchronistik (sicher überwiegend in annalistischer Form) hat wohl existiert, ist aber nur fragmentarisch erhalten4. Das rhetorische Städtelob und erbauliche Erzählungen über verschiedene Denkmäler lassen topographische Überlegungen über das Stadtbild zu5. Die ständige Überbauung, ein Phänomen kontinuierlicher Stadterneuerung, zu der vor allem Brände und Erdbeben beitrugen, und schließlich die langsame Umwandlung zu einer islamischen Stadt machen systematische archäologische Forschungen unmöglich oder reduzieren sie auf punktuelle Ergebnisse und zufällige Funde6. Nur verschwindend wenige Urkunden geben Einblick in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben, jene Bereiche, die im Zentrum der westlichen Stadtgeschichte stehen7. (New Haven 1976). Der Verfasser hat die Stadtentwicklung mit guten Gründen in das Werk nicht miteinbezogen. 3   Die Topographie, d. h. die Bauten, ihre Lage und ihre Funktion, ist bearbeitet von Raymond Janin, Constantinople Byzantine. Développement urbain et répertoire topographique (Paris 21964), und dems., Les églises et les monastères (de Constantinople) (Paris 21969), ergänzt durch Wolfgang Müller-Wiener, Bildlexikon zur Topographie Istanbuls (Tübingen 1977). Den Versuch einer kulturhistorischen Stadtgeschichte unternahm Peter Schreiner, Konstantinopel. Geschichte und Archäologie (München 22015). 4   Peter Schreiner, Die byzantinischen Kleinchroniken 1 (Wien 1975) 24. 5  Erwin Fenster, Laudes Constantinopolitanae (Miscellanea Byzantina Monacensia 9, München 1968); Albrecht Berger, Untersuchungen zu den Patria Konstantinupoleos (Poikila byzantina 8, Bonn 1988). 6  Die archäologischen Funde sind bis 1976 bei Müller-Wiener, Bildlexikon (wie Anm. 3), zusammengefasst. Neuere archäologische Ergebnisse finden sich bei Kenneth Dark–Ferudun Özgümüş, Constantinople. Archaeology of a Byzantine Megalopolis. Final Report to the Istanbul Rescue Archaeological Project 1998– 2004 (Oxford 2013). Viel neues realienkundliches Material, das oft noch einer genaueren Datierung bedarf, förderten die nun abgeschlossenen Ausgrabungen im Bereich des Theodosios-Hafens am Marmarameer und die damit in Verbindung stehenden Arbeiten zur Metro-Linie zu Tage. 7   Die meisten urkundlichen Quellen finden sich in den lateinisch-griechischen Staatsverträgen mit den italienischen Seerepubliken Venedig, Pisa und Genua, die nur teilweise diplomatisch-kritisch ediert und inhaltlich meist nur sehr unzureichend ausgewertet sind. Ergänzend treten die lateinischen Urkunden der zahlreichen



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Für andere Städte steht die Quellenlage noch wesentlich schlechter, weil sich ihnen die Geschichtsschreibung, die zentral nach Konstantinopel hin ausgerichtet ist, nur punktuell (Feldzüge, Eroberungen, Naturereignisse) widmet. Forschungen beruhen dann fast ausschließlich auf archäologischen Ergebnissen, soweit diese von der Besiedlungslage her möglich sind. Der archäologische Survey an Hand noch erkennbarer oder in späteren Anlagen verbauter Reste ist hier meist die einzige Methode, die Lage einer (städtischen) Siedlung überhaupt festzustellen8. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Erforschung des byzantinischen Straßensystems, das für Funktionieren und Erhalt des Staates von zentraler Bedeutung war9, ergänzt von der Central Place Theorie, die schon zu wichtigen Ergebnissen im Hinblick auf verschiedene Typen städtischer Siedlungen und ihrer Dichte und gegenseitigen Lage geführt hat10. Unser derzeitiges Wissen über städtische Siedlungseinheiten ist in den Bänden der Tabula Imperii Byzantini zusammengefasst11. Sie zeigen, dass eine Darstellung des Aufstiegs und Untergangs der byzantinischen Städte im Osten keine unmögliche Aufgabe ist, es aber trotzdem ausgeschlossen bleibt, mit diesem Material eine Stadtgeschichte im eingangs definierten Sinn zu schreiben. Die Hoffnung auf neue ­s chriftliche Quellen, die dieses Bild entscheidend verändern, besteht nicht. Weitere archäologische Resultate, die wir erwarten können und müssen, verlangen in ihrer schriftlich zugänglichen Auswertung große Geduld. Sie werden trotzdem immer nur eine einseitige Sicht der Stadt bringen und nur in sehr geringem Umgang das tatsächliche Leben vermitteln. Es ist methodisch fragwürdig und führt vielfach zu falschen Ergebnissen, von Vorgängen in der Hauptstadt ohne explizite Parallelen auf andere Städte des Reiches zu verweisen. Allein aus diesen Fakten ist es ersichtlich, dass Stadtgeschichte im Westen und im Osten zwar nebeneinander gestellt werden kann, tatsächliche Verbindungslinien aber höchst selten oder rein zufällig sind. Wir sollten es daher akzeptieren, von Fallbeispielen auf beiden Seiten auszugehen, die die jeweiligen Gegensätze in den Grundstrukturen und die ganz unterschiedlichen Möglichkeiten der Dokumentation und der Darstellungs­ formen erkennen lassen. venezianischen und genuesischen Notare des 12. und 13. Jahrhunderts hinzu. Vgl. dazu Peter Schreiner, Untersuchungen zu den Niederlassungen westlicher Kaufleute im byzantinischen Reich des 11. und 12. Jahrhunderts. Byzantinische Forschungen 7 (1979) 175–191 (Nachdr. in: ders., Byzantinische Kultur. Eine Aufsatzsammlung. 3: Die materielle Kultur [Opuscula collecta 8, Roma 2011], Beitrag II), mit genauen Quellenangaben zu den Dokumenten. 8   Johannes Koder, Der Lebensraum der Byzantiner. Historisch-geographischer Abriß ihres mittelalterlichen Staates im östlichen Mittelmeerraum (Byzantinische Geschichtsschreiber, Ergbd. 1, Wien 2001) 114–134; ergänzend dazu verschiedene Beiträge im Kongressband: Byzanz als Raum. Zu Methoden und Inhalten der historischen Geographie des östlichen Mittelmeerraumes, hg. von Klaus Belke–Friedrich Hild–Johannes Koder–Peter Soustal (Veröffentlichungen der Kommission für die Tabula Imperii Byzantini 7 = ÖAW, phil.-hist. Kl., Denkschriften 283, Wien 2000). 9  Friedrich Hild, Das byzantinische Straßensystem in Kappadokien (Wien 1977), und ders., Meilensteine, Straßen und das Verkehrsnetz der Provinz Karia (Wien 2014). Weitere Beiträge im Kongressband: Handelsgüter und Verkehrswege. Aspekte der Warenversorgung im Östlichen Mittelmeerraum (4. bis 15. Jahrhundert). Akten des Internationalen Symposiums Wien. 19. bis 22. Oktober 2005, hg. von Ewald Kislinger–Johannes Koder–Andreas Külzer (Veröffentlichungen zur Byzanzforschung 18 = ÖAW, phil.-hist. Kl., Denkschriften 431, Wien 2010). 10  Siehe dazu den Beitrag von Mihailo Popović in diesem Band. 11  Es sind zwölf Bände abgeschlossen (Hellas und Thessalia, Kappadokien, Nikopolis und Kephallenia, Galatien und Lykaonien, Kilikien und Isaurien, Thrakien, Phrygien und Pisidien, Lykien und Pamphylien, Paphlagonien und Honorias, Aigaion Pelagos, Ostthrakien, Syria. In Bearbeitung: Makedonien (südlicher Teil), Bithynien und Hellespont, Lydien, Makedonien (nördl. Teil), Asia, Karien.

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II. Zusammenfassungen und Kommentierung Die Gliederung in der Thematik dieser Konferenz folgt für die Stadt im Osten und im Westen den gleichen Gruppierungsbegriffen (vgl. Inhaltsverzeichnis), die gerade der Welt des Ostens nur selten in adäquater Weise angemessen sind. Daher sind innerhalb eines Oberbegriffes gegenseitige Verknüpfungen oft a priori ausgeschlossen. Eine byzantinische Stadtforschung, die alle Epochen des Reiches umfasst, setzt mit dem 9. Internationalen Byzantinistenkongreß in München 1958 ein, als Ernst Kirsten ein richtungweisendes Hauptreferat mit dem bescheidenen Titel „Die byzantinische Stadt“ hielt, das bis heute Aktualität besitzt12. Seither ist die Stadtforschung unter allen Aspekten, oft angeregt durch die Fragestellungen der westlichen Mediävistik, zu einem Kernbereich der Byzantinistik geworden. Es war daher längst an der Zeit, dass ein Forschungsüberblick zu den Schwerpunkten, Zielen und Desideraten vorgelegt würde. Dies geschah nun an dieser Stelle in der vorwiegend chronologisch-wissenschaftsgeschichtlichen Darstellung von Paul Ma g d a l i n o (Sixty years of research on the Byzantine city), die durch eine Gliederung nach sachlichen Schwerpunkten noch mehr an Profil hätte gewinnen können. Der Beitrag zeigt die rapide Entwicklung des Interesses an der byzantinischen Stadt (besonders auch in der angelsächsischen Forschung), greift aber kaum die speziellen Themenbereiche heraus, die vornehmlich gefördert wurden. Wichtig scheinen mir in der langen Zusammenfassung am Ende acht Schwerpunkte für die weiteren Ziele der byzantinischen Stadtforschung, die auch künftige Entwicklungsmöglichkeiten der Forschung aufzeigen und so in gewissem Sinn ein Pendant zum Beitrag von Michel Pauly und Martina Stercken in diesem Band darstellen. Der folgende Beitrag von Philipp Ni e w ö h n e r (The End of the Byzantine City in Anatolia. The case of Miletus) war nicht, wie im Programm vorgesehen, eine Antwort (response) auf die Darlegungen von Magdalino, sondern fügte sich eher in den Gesamtrahmen des „Kontinuitäten und Brüche“ betitelten Generalthemas des ersten Tages. Milet stellt ein gutes Fallbeispiel für Stadtkontinuität mit einigen gerade für den Osten typischen Bruchstellen dar. Ihre Geschichte ist auch charakteristisch für eine Stadt, aus der überwiegend archäologisches Material vorliegt, sowohl und besonders aus antiker Zeit, aber auch aus den frühen byzantinischen und den seldschukischen Jahrhunderten, sowie der erneut folgenden byzantinischen Zeit. Am Beispiel Milet zeigt sich nachweisbar die Verkleinerung der Stadt, der Rückzug in sich selbst, im konkreten Fall der festungsartige Ausbau des Theaters (vergleichbar der Umwandlung eines Kaiserpalastes in einen mittelalterlichen Stadtkern in Spalato/Split – ein Vergleich, der im Beitrag nicht erwähnt ist). Charakteristisch ist auch der Verlust des alten Namens und die Entstehung eines neuen, der auf den im Theater errichteten kastellartigen Palast (Balat) Bezug nimmt. Ebenso war das alte hippodamische Straßensystem verloren gegangen. Phänomene, die sonst oft nur aus schriftlichen Quellen bekannt sind, lassen sich hier aus der baulichen Struktur ersehen: eine neue Ummauerung, die Errichtung christlicher Kirchen (und eines Bischofs­ palastes, die Zerstörung durch Erdbeben. Das Fallbeispiel Milet kann eine Anregung geben für Wege und Methoden einer vergleichenden Stadtgeschichte, sofern nur genügend (parallele) Denkmäler vorliegen. Es wäre gerade in dieser Hinsicht auch noch auf andere 12   Ernst Kirsten, Die byzantinische Stadt (Berichte zum XI. Internationalen Byzantinistenkongress, Heft V/3, München 1958).



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Städte in diesem Raum hinzuweisen gewesen, die eine ähnliche Entwicklung hatten13. Wir erfahren aber weder aus inschriftlichen noch schriftlichen Quellen Daten über die Errichtung und Zerstörung der Bauten, über Einwohnerzahlen, soziale Schichten und ihre Funktion und die Wiederbelebung der Stadtstruktur. Die Baugeschichte allein kann die Stadtgeschichte nicht zum Leben erwecken. In diesem Zusammenhang ist auch die spätantike Stadt im Balkanraum zu sehen. Vujadin Ivanišević zeigt Aufstieg und (vor allem) Niedergang der städtischen Siedlungen zwischen dem ersten und dem sechsten nachchristlichen Jahrhundert, im wesentlichen konzentriert auf das nördliche Illyricum, mit nützlichem Kartenmaterial, aber in einer für alle römischen Balkanprovinzen gültigen Auslegung doch etwas verengten Sicht. Die Stadt in Südosteuropa hatte einen ganz anderen Ausgangspunkt als jene in Kleinasien, insofern sie überwiegend oder ausschließlich mit der militärischen Sicherung in Verbindung stand, ähnlich wie in den römischen Provinzen in Gallien und Germanien, obwohl diese Parallele im Beitrag nicht erwähnt wird. Diese Unterschiedlichkeit zwischen zwei Reichsteilen führt dazu, dass die Städtedichte – natürliches, auf frühen Wurzeln beruhendes Wachstum in Kleinasien und zweckgerichtete Anlage im Balkanraum – erhebliche Unterschiede aufweist. Während die kleinasiatische Stadt, wie eben das Beispiel Milets zeigte, auch (und oft fast allein) archäologisch greifbar ist, bleibt die Stadt in den römischen Balkanprovinzen ein überwiegend topographisches Phänomen oder ist oft nur aus den Notitia dignitatum oder Kastelllisten (wie sie Prokop im 4. Buch von de aedificiis bringt) bekannt. Dies liegt nicht nur im Mangel an archäologischen Grabungen, sondern am oft völligen Verschwinden dieser Siedlungen seit dem 7. Jahrhundert. Die Maßnahmen Justinians, die Prokop in de aedificiis (4. Buch) schildert, haben ganz der Fortifikation gedient und der Anlage eines Systems von bloßen Verteidigungskastellen, die in jüngster Zeit (besonders im heutigen Bulgarien) zunehmend ausgegraben werden. Der Autor kann dabei auf die Anlage von Siedlungen aus logistischen Gründen ihrer Versorgung (Radius von 37 km) hinweisen. Es werden aber im Beitrag Überlegungen angestellt, warum das Wehrsystem so schnell schon in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts zusammengebrochen ist und den awarischen Angriffen nicht standhielt. Man könnte daran denken, dass es in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts nicht mehr möglich war, diese Festungen mit genügend Leuten zu besetzen und somit auch ihre strategische Bedeutung hinfällig war oder der genannte Versorgungsradius doch nicht mehr ausreichte. Die ein knappes Jahrhundert später dort eingewanderten Bulgaren haben jedenfalls ihre Siedlungen neu gegründet14. Doch geht der Verfasser auf den Besiedlungsbruch leider nicht mehr ein, obwohl in keinem anderen Bereich des Römischen Imperiums das Ende der antiken Besiedlung so flächendeckend gewesen ist wie zwischen Donau und Adria. Im Gegensatz zur Spätantike erlaubt die spätbyzantinische Zeit wesentlich präzisere Aussagen über Topographie und städtischen Raum. Mihailo Popovi ć, der sich mit der „Raumordnung und Stadtgestalt in den Städten auf der Balkanhalbinsel in der spätbyzantinischen Zeit“ befasst, verweist zunächst auf die fruchtbaren Ergebnisse, die die Anwendung der „Central Place Theory“ gerade in diesem Raum zeitigt. Das an Hand 13  Wolfgang Müller-Wiener, Von der Polis zum Kastron. Wandlungen der Stadt im Ägäischen Raum von der Antike zum Mittelalter. Gymnasium 93 (1986) 435–475. 14  Andrey Aladzhov, The Byzantine Empire and the Establishment of the Early Medieval City in Bulgaria, in: Byzanz – das Römerreich im Mittelalter 3: Peripherie und Nachbarschaft, hg. von Falko Daim–Jörg Drauschke (Mainz 2011) 113–158. Kontinuität war gegeben bei den Siedlungen am nördlichen Schwarzen Meer, im Inland wohl allein Serdica.

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west­europäischer Beispiele entwickelte Modell bestätigt auch in Byzanz ähnliche Entfernungen zwischen Provinzhauptstädten (39 bis 46 km) und Zentralen Marktstädten zu den Verwaltungszentren (13 bis 15 km). Diese Feststellungen lassen sich im südlichen Balkanraum in diesen Jahrhunderten wenigstens teilweise auch an Hand schrift­licher Quellen verifizieren: Gebietsbeschreibungen in den byzantinischen Klosterpraktika, serbische Urkunden, osmanische Defter. Eine besonders reiche Begrifflichkeit weisen in diesem Zusammenhang die serbischen und bulgarischen Herrscherurkunden auf. Es wird daraus ersichtlich, dass der Stadt die Ausübung einer Herrschaft über einen begrenzten Bereich zukommt (serb. област, gr. ἐξουσία, lat. potestas). Als Stadt (град, κάστρον) wird immer die Oberstadt bezeichnet. Der Begriff verweist auch auf den Festungs­ charakter, der sich oft auch noch in archäologischen Resten nachweisen lässt. Städtische Siedlungen im südlichen Balkanraum erlitten in den osmanischen Jahrhunderten vielfach weniger bauliche Veränderungen als in anderen Landesteilen, so dass auch Karten des 19. oder des frühen 20. Jahrhunderts für architektonische Identifizierungen, die in die spätbyzantinische Zeit zurückführen, hilfreich sein können, wie gerade dieser Beitrag überzeugend zeigt. Die Kombinationsmöglichkeit von d re i Methoden – Central Place Theory, Urkunden, Karten – scheint aber im byzantinischen Reich allein auf diese Region beschränkt zu sein. Den bisherigen Ausführungen zufolge sind die byzantinischen Städte heute in erster Linie topographisch und archäologisch erschließbar, während die Dokumentation über ihre innere Struktur, insbesondere Stadtrechte im Allgemeinen und Rechte der Bürger, die vorwiegend im Zentrum der westlichen Stadtforschung stehen, recht spärlich ist. In der byzantinistischen Literatur werden oft die besonderen „Rechte“ der Bürger Konstantinopels hervorgehoben (Wahl des Kaisers, Akklamation, aktive Rolle bei Aufständen, Teilnahme an Volksversammlungen als Beratungsinstitution)15. Es liegen hier aber nur gewohnheitsrechtliche Handlungen vor, nicht verbriefte Rechte, die ein Kaiser zugestanden hätte. Durch die Heranziehung neuer Quellen, nämlich der Siegel, gelingt es Jean-Claude C h e y n e t, auch mehr Licht auf andere Städte außerhalb Konstantinopels zu werfen, die oft als „gemeindliche Einheit“ (κοινόν) bezeichnet werden. Das Jahr 1204 stellt nicht nur von der Dokumentation her eine Trennlinie dar. Auch der Umfang der Privilegien an Städte und Stadtbewohner (oder, wie ich nicht ausschließen möchte, doch nur die erhaltene Dokumentation?) war vor diesem Jahr viel geringer. Städte an der ­Peripherie des Reiches waren aus politischen und militärischen Gründen begünstigter als solche im Inland und nahe zur Hauptstadt, da man ihrer Unterstützung an der Grenze bedurfte. In solchen Städten begegnet bisweilen auch ein Vorsteher (πρωτεύων) als Repräsentant der Stadt, aber er hatte sicher nur die Funktion eines „Sprechers“. Die Rechte, die aus ganz unterschiedlichen Gründen zugestanden werden, betreffen aber immer nur bestimmte Gruppierungen der Bewohner, manchmal auch nur die Kirchen oder gar eine ganz bestimmte Kirche. Nach 1204 sind mehr und ausführlichere Quellen erhalten, die auch die Stadtbevölkerung als Ganzes berühren können. Grundsätzlich aber handelt es sich bei diesen sogenannten städtischen Privilegien der byzantinischen Kaiser immer um wirtschaftliche und steuerliche Erleichterungen, die theoretisch und meist auch praktisch auf die Dauer einer Kaiserherrschaft beschränkt waren. Sie umfassen niemals politische 15   Hans-Georg Beck, Senat und Volk von Konstantinopel. Probleme der byzantinischen Verfassungs­ geschichte (München 1966); Klaus-Peter Matschke, Bemerkungen zum Stadtbürgertum und „stadtbürgerlichem Geist“ in Byzanz. Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 8 (1984) 267–285.



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Rechte, auch wenn in spätbyzantinischer Zeit manche Städte (z.B. Philadelpheia) wegen der Schwäche des Reiches eine selbständige Politik betrieben haben. Ein bemerkenswertes Einzelbeispiel in diesem Zusammenhang ist eine Gesandtschaft der Bü r g e r Philadelpheias (1352/53) an Papst Clemens VI. in Avignon wegen Hilfe gegen die Türken16. Weder byzantinische Quellen noch die Fachliteratur verwenden für die politische Oberschicht in den Städten einen Begriff, der dem der „Elite“ gleichkommt, wie er in der thematischen Gliederung der Tagung vorgesehen ist, so dass Albrecht Berger gewisse Schwierigkeiten hat, von „städtischen Eliten im byzantinischen Raum“ zu handeln. Neben wenigen und zeitlich eng begrenzten Hinweisen in Thessalonike und Trapezunt bleibt wiederum nur Konstantinopel, in dessen langer Geschichte auch die Rolle der Eliten gezeigt werden kann. In Konstantinopel ist die Elite mit den Angehörigen der Oberschicht gleichzusetzen, also jenen, die die politische Macht (im Reich) für den Kaiser durchsetzen (δυνατοί) und die auch weitgehend mit der Schicht der Träger von Wirtschaft und Finanzen (πλούσιοι) identisch sind. Es ist aber im Gegensatz zum Westen festzuhalten, dass wir es hier mit einer Trägerschicht des St a a t e s zu tun haben, die nur (überwiegend) in der Stadt (Konstantinopel oder anderen Städten mit kaiserlicher Verwaltung) lebte. Auf die Geschichte der Stadt als solcher nimmt sie jedoch allenfalls mittelbar Einfluss, aber sie hat keine unmittelbar städtischen Funktionen. Da diese Schicht ganz an die Kaiserdynastie und im Besonderen an den einzelnen Kaiser gebunden ist, ist sie eng mit der Instabilität der Kaiserherrschaft in früh- und mittelbyzantinischer Zeit (oder den Familienclans der spätbyzantinischen Epoche) verbunden und oft großen Veränderungen unterworfen. Man sollte aber noch einen weiteren Gesichtspunkt berücksichtigen. Diese „städtische“ Elite gehörte auch zu jener Schicht, die nicht nur der Schrift kundig war, sondern auch im Allgemeinen an der höheren Bildung, der enkyklios paideia, den westlichen „artes ­liberales“, Anteil hatte und die dafür nötigen Schulen (oder adäquaten Privatunterricht) besucht hatte17. Es gab aber in Konstantinopel und anderen Städten des Reiches nicht nur diese politische Elite, sondern eine weitere, weil auch Personen, die nicht der politischen Oberschicht angehörten, sich auf Grund derselben Ausbildung dieser zugehörig fühlten. Der Begriff der Bildungselite (der auch Kleriker umfasste) ist in der byzantinistischen Forschung als soziales und politisches Phänomen noch kaum behandelt18, doch zeigt dieses Faktum, wie differenziert der Begriff „städtische Elite“ in Ost und West zu sehen ist. Konstantinopel trägt (neben Adrianupolis und Philippupolis) in seinem Namen die Erinnerung an die griechische Staatsform der Polis, die noch bis ins 6. Jahrhundert in den 16   Peter Schreiner, Zur Geschichte Philadelpheias im 14. Jahrhundert (1293–1390). Orientalia Christiana Periodica 35 (1969) 375–431, bes. 401f. 17   Georg Rechenauer, Art. Enkyklios paideia. Historisches Wörterbuch der Rhetorik 2 (Tübingen 1994) 1160–1185. Zum praktischen Interesse in dieser Schicht an Literatur und Büchern siehe Daniele Bianconi, Libri e letture di corte a Bisanzio. Da Costantino il Grande all’ascesa di Alessio Comneno, in: Le corti nell’alto medioevo (Settimane di Studio della Fondazione Centro Italiano di Studi sull’Alto Medioevo 62, Spoleto 2014) 767–819. 18   Erstmals weist darauf hin Klaus-Peter Matschke, Bemerkungen zu den Mikro- und Makrostrukturen der spätbyzantinischen Gesellschaft, in: Acts. XVIIIth International Congress of Byzantine Studies, Moscow 1991. Selected Papers 1 (Shepherdstown 1996 [ersch. 2000]) 394–424, bes. 411–414, und Peter Schreiner, Stadt und Gesetz – Dorf und Brauch (Nachrichten der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, phil.-hist. Kl. 2001/9, Göttingen 2001) 14f. Eine musterhaft ausgearbeitete und dokumentierte Publikation zur Bildungselite an einem konkreten und lokal begrenzbaren Beispiel hat nun Niels Gaul, Thomas Magistros und die spätbyzantinische Sophistik. Studien zum Humanismus urbaner Eliten in der frühen Palaiologenzeit (Mainzer Veröffentlichungen zur Byzantinistik, Wiesbaden 2011), vorgelegt.

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öst­lichen Reichsteilen (mit zeitbedingten recht erheblichen Veränderungen gegenüber dem Athener Vorbild) existierte, dann aber im Verlauf des Städtesterbens verschwand und nur noch im Gedächtnis der Literaten weiterlebte. Einen letzten Rest des Polis-Denkens zeigt Michael Psellos, wenn er im Jahr 1042, als alle Bewohner gegen den Kaiser (Michael V.) revoltierten, schreibt: „Die Polis, ich verstehe darunter jedes Geschlecht, jede soziale Stellung, jedes Alter“19. In Wirklichkeit hat schon Kaiser Leon VI. in seiner Novelle 46 auch den letzten Rest einer Selbständigkeit der Polis abgeschafft20. Die Fakten vom Sterben der Polis waren in großen Zügen nicht unbekannt, werden aber erstmals an dieser Stelle von Claudia R a p p in ihrer chronologischen Abfolge und ihren inhaltlichen Veränderungen, mit einem gewissen Schwerpunkt in der christlichen Spätantike, dargestellt. Im Hintergrund steht immer Platon, den die griechischen Autoren der Spätantike und in Byzanz stets im Original zur Verfügung hatten. Es ist auch immer die Polis im platonischen Sinn, die Eingang in die rhetorische Literatur findet und so auch das Städtelob beherrscht, das sich in byzantinischer Zeit fast ganz auf Konstantinopel zentriert oder vorwiegend in dieser Form erhalten ist21. Das Christentum nach der konstantinischen Wende bediente sich zunehmend der Terminologie der Polis, um die Kirchengemeinde zu charakterisieren und auf das himmlische Jerusalem als die wahre Polis vorzubereiten. Im Grunde genommen braucht der Christ die antike Idee der Polis nicht mehr (und noch weniger ihre irdische Realisierung), da sie auf die himmlische Stadt übertragen wurde. Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Metapher den Abschied von der antiken Polis erleichterte, die eigentlich nur mehr im Wissen gelehrter Literaten existent war und im Volksnamen der Hauptstadt weiterlebte22. Die christliche griechisch-byzantinische Stadt der Spätantike erhielt nach ihrem Untergang, sei es durch Naturkatastrophen oder feindliche Eroberung, nicht immer einen „christlichen“ Nachfolger. Für die meisten Städte des spätbyzantinischen Reiches blieb nach der Eroberung durch Andersgläubige eine Rückkehr zum Christentum gänzlich ausgeschlossen oder vollzog sich in Griechenland und auf dem Balkan erst im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Die formalreligiösen Anforderungen an den Islam führten notwendigerweise zur Veränderung des Stadtbildes wie dies auch, vielleicht in etwas geringerem Umfang, beim Wandel zur christlichen Stadt in der Spätantike der Fall war23. Grigor Boykov stellt generell fest, dass die architektonischen Eingriffe der Osmanen nach den jeweiligen Eroberungen in Zentralkleinasien und Anatolien, in Städten also, die bereits lange der seldschukischen Herrschaft unterstanden, weit weniger gravierend ausfielen als in den bithynischen und besonders den südosteuropäischen Städten. Der unmittelbare Übergang von der christlich byzantinischen zur osmanischen Stadt erforderte mindestens den Bau einer Freitagsmoschee, Medresen, Bäder und Imarete (Armenküchen) und klar festgelegte Marktviertel. Die Einrichtung von Bädern, die in den byzantinischen Städten schon seit Jahrhunderten außer Gebrauch waren24, ergab sich aus rituellen Gründen. Während,   Michel Psellos, Chronographie 1, ed. Émil Renaud (Paris 1926) 101 (XXV, l. 2–3).   Les novelles de Léon VI le Sage, Novella 46, ed. Pierre Noailles–Alphonse Dain (Nouvelle collection de textes et documents, Paris 1944) 183–185. 21  Fenster, Laudes Constantinopolitanae (wie Anm. 5). 22  Dirk Hesseling, Istanbul. Revue des Études Grecques 3 (1890) 189–196. 23  Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung. Symposium vom 14. bis 16. Februar 2000 in Halle/Saale, hg. von Gunnar Brands–Hans-Georg Severin (Spätantike – frühes Christentum – Byzanz B/11, Wiesbaden 2003). 24  Albrecht Berger, Das Bad in der byzantinischen Zeit (Miscellanea Byzantina Monacensia 27, München 1982). 19 20



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wenigstens zunächst, häufig nur die christliche Hauptkirche in eine Moschee umgewandelt wurde, waren für die anderen Gebäude der Abriss byzantinischer Bauten und ganzer Stadtviertel zur Schaffung größerer Grundflächen notwendig. Die Armenküchen (imaret) in ihrer charakteristischen T-förmigen Gestalt entstanden auch außerhalb oder am Rande der Umgrenzungen der byzantinischen Stadt. Im Zuge der weiteren Osmanisierung der byzantinischen Stadt sollte man auch auf Veränderungen im Straßensystem hinweisen, die Prävalenz von Höfen (eine Entwicklung, die schon in byzantinischer Zeit einsetzt)25 und die Entstehung von Sackgassen. Das Studium der osmanischen Stadt ist ein selbständiger Gegenstand der Städteforschung, mit der sich aber die byzantinische Stadtforschung von der topographischen Seite her auseinandersetzen muss, um Möglichkeiten und Grenzen einer Rekonstruktion byzantinischer Stadtbilder zu erkennen.

III. Was ist eine Stadt? Wenn man ein Fazit aus der Summe der hier vorgelegten Beiträge zu Städten im lateinischen Westen und im griechischen Osten zieht, so wird man der byzantinischen Stadt am ehesten gerecht, wenn man sie nicht mit der westlichen vergleicht, und umgekehrt scheint es mir ebenso zu sein. Der Hintergrund dieser Feststellung liegt in erster Linie in der juristisch, staatspolitisch und besonders gesamthistorisch völlig unterschiedlichen Ausgangsposition in den Nachfolgestaaten des weströmischen Reiches und im byzantinischen Reich, das unveränderlich Rechtsnachfolger des Römischen Reiches ist. Die byzantinische Stadt lässt sich nicht nach den Normen der im Westen entstandenen Kategorien beurteilen, wie dies auch nicht für die Stadt in China oder die Vielzahl der Stadttypen in den islamischen Staaten des Mittelalters der Fall ist. Es geht allein um Charakteristika, die eine Stadt zur Stadt machen26. Im Hinblick auf die mittelalterliche Stadt kann man hier stichwortartig anführen27: (1) Weiterführung einer früheren Siedlung (welcher Art?) oder 25   Vgl. dazu Peter Schreiner, Das Haus in Byzanz nach den schriftlichen Quellen, in: ders., Byzantinische Kultur 3 (wie Anm. 7), Beitrag XI, S. 315. 26   Italo Calvino, Le città invisibili (Torino 1972), ist die Frage auf literarische Weise angegangen, und eine Umformung unter historischen Gesichtspunkten könnte ein brauchbares Gliederungsprinzip zur Stadtgeschichte darstellen. Lewis Mumford (1895–1990) hat mit The City in History (London 1961; deutsch: Die Stadt. Geschichte und Ausblick [Köln 1963]) eine Darstellung nach übergeordneten Gesichtspunkten geschaffen, die von der mittelalterlichen Stadtforschung und vielleicht der wissenschaftlichen Stadtforschung überhaupt nur beiläufig zur Kenntnis genommen wurde, wohl weil er diese Kategorien vornehmlich auf die Stadt der Neuzeit anwandte. Eine Fülle wichtiger sachlicher und methodischer Anregungen bringt ein Tagungsband, den Klaus-Peter Matschke unter dem Titel: Die byzantinische Stadt im Rahmen der allgemeinen Stadtentwicklung (Leipzig 1995) herausgegeben hat, sowie die überwiegend in griechischer Sprache abgefassten Beiträge eines den byzantinischen Städten gewidmeten Kongresses Οι βυζαντινές πόλεις (8ος–15ος αιώνας). Προοπτικές της έρευνας και νέες ερμηνευτικές προσεγγίσεις, hg. von Tonia Kiosopoulou (Rhetymno 2012). Ohne ausgedehnte theoretisch-definitorische Darstellung widmet sich der Frage ein Sammelband mit dem sprechenden Titel: Was machte im Mittelalter zur Stadt? Selbstverständnis, Außensicht und Erscheinungsbilder mittelalterlicher Städte. Vorträge des gleichnamigen Symposiums vom 30. März bis 2. April 2006 in Heilbronn, hg. von Kurt-Ulrich Jäschke–Christhard Schrenk (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Heilbronn 18, Heilbronn 2007). Dort behandelt Klaus-Peter Matschke, Selbstverständnis, Außenansicht [sic] und Erscheinungsbilder mittelalterlicher Städte im Byzantinischen Reich (157–201), die Problematik nach kulturgeschichtlichen Prämissen, die nicht dem Prokrustesbett einer starren Normierung folgen. Die im Beitrag von Michel Pauly und Martina Stercken zugrunde gelegte Definition der Stadt von Franz Irsigler ist auf den Osten nur bedingt übertragbar. 27  Alle Gesichtspunkte und Überlegungen bleiben an dieser Stelle bibliographisch undokumentiert.

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Neugründung (auf welche Weise?), (2) Topographie und deren Bedeutung, (3) architektonische Charakteristika (die man um die „Abbildung der Stadt in der Kunst“ – also die Eigensicht – erweitern könnte), (4) Dichte der Besiedlung (Einwohnerzahlen), (5) politische und kulturelle Bedeutung, (6) Umfang von Handel und Handwerk, (7) das Leben der Bewohner (Sicherheit, soziale Veränderungen), (8) die Stadt in der politischen und kirchlichen Ideologie, (9) Kontakte mit dem Umland. Ausgehend von diesen Punkten könnte man für die byzantinische Stadt – Konstantinopel ausgenommen – folgende Charakteristika festhalten: (1) überwiegend Verbindung mit einer antiken Vorgängerstadt, die aber selten auf unmittelbarer Kontinuität beruht, (2) weitgehend absolute Einbindung in den Zentralstaat, die aber mit zunehmender Entfernung von der Hauptstadt (Konstantinopel) auch Lockerungen zeigt, (3) Gefühl der Zusammengehörigkeit der Bewohner als Bürger des Reiches (Rhomaioi/Römer), (4) Schaltstellen der staatlichen und kirchlichen Verwaltung (Themenhauptstädte/Metropolitansitze), (5) Sammelpunkte von Wirtschaft und Handel in Verbindung mit einem funktionierenden und überwachten zentralen Straßensystem, (6) Perioden städtischer Ruralisierung, (7) Anpassung an großräumige politische Veränderungen (Sasaniden, Araber, Seldschuken, Turkemirate, und Rückkehr in den byzantinischen Staatsverband nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten), (8) Multiethnizität und Mehrsprachigkeit in anatolischen und balkanischen Städten (Armenier, Juden, christianisierte Araber, Slawen). *** Abgesehen von Mauern, baulicher Dichte (bei unterschiedlicher Architektur) und Agglomeration der Bevölkerung hat die westliche Stadt kaum etwas mit der byzantinischen gemeinsam. Berührungspunkte mit dem Westen bestehen am ehesten in Handel und Handwerk, aber auch hier sind Ausgangspunkte, Formen der Durchführung und soziale Abhängigkeiten unterschiedlich. Die byzantinische Stadt bleibt – bis im 13. Jahrhundert in einigen der noch verbliebenen Reichsteilen (Griechenland, Peloponnes, Inseln, WestEpiros) eine (kolonialartige) westliche Dauerbesiedlung (in Stadt und Land) stattfindet – eine Stadt des römischen Ostens, die auch zunehmend Einflüssen der östlichen Völker, die sie umgeben oder vorübergehend einnehmen, ausgesetzt ist. Auch wenn Anregungen aus der westlichen Stadtgeschichte nützlich und wertvoll sind, so kann die byzantinische Stadt nur aus dem Gesamtgefüge des byzantinischen Reiches heraus und vor dem Hintergrund seiner inneren und äußeren Geschichte, der historischen Tradition der Alten Welt und des Christentums östlicher Prägung („Orthodoxie“) verstanden werden.

Urbane Dynamik. Die Städte des lateinischen Westens. Eine Zusammenfassung Andreas Bihrer

Der Byzantiner Michael Marullus Tarcaniota war im späten 15. Jahrhundert voll des Lobes über die Stadt Siena1: Mater nobilium nurum, Antiqui soboles Remi, Sena, delitiae Italae, Seu libet positum loci Convallesque beatas Tot circumriguis aquis, Seu ver conspicere annuum Nativisque rosariis Semper purpureum solum Et colles viridantes. Nam quid dicam operum manus Aut tot ditia marmora? Quid spirantia signa tot Passim? quid fora? quid vias? Quid deum sacra templa? Adde publica civium Iura parque iugum et pares Cunctis imperii vices, Adde tot populorum opes, Tot parentia late Oppida, adde virum ingenia, Adde artes, nec inhospita Corda Pieridum choris. 1  Michael Marullus, carm. 3, 10: De laudibus Senae, in: Michaelis Marulli Carmina, ed. Alessandro Perosa (Zürich 1951) 58f.

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O vere soboles Remi, Digna nomine, digna Urbs tantis titulis patrum: Te concordia, te bona Pax alat, famis et minarum Immunem, tibi defluat Flavis Brandus arenis!

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Mutter adeliger Schwiegertöchter, Nachkomme des alten Remus, Siena, Kleinod Italiens, gleich ob man die Lage des Orts und die fruchtbaren Täler mit so vielen ringsum bewässernden Fluten, gleich ob man den jährlich wiederkehrenden Frühling betrachtet und den von natürlichen Rosengärten immer purpurfarbenen Boden und die grünenden Hügel. Denn soll ich die kunstvollen Werke der Gebäude nennen oder so viele reiche Marmorbauten, warum die vielen lebensechten Denkmäler überall? Warum die Foren? Warum die Straßen? Warum die Tempel der heiligen Götter? Nimm dazu die öffentlichen Rechte der Bürger und die gerecht verteilte Pflicht und die für alle gleichen Dienste der Herrschaft. Nimm dazu den so großen Reichtum der Bevölkerung, die vielen Siena weithin unterworfenen Städte, nimm dazu die Talente der Männer, nimm dazu die Wissenschaften und die dem Reigen der Musen nicht ungastlichen Herzen. O du wahrhafter Nachkomme des Remus, deines Namens „Stadt“ würdig, der große Ehrentitel deiner Vorfahren, dich möge Eintracht und ein glückbringender Frieden gedeihen lassen, von Hunger und Bedrohungen frei, dir fließe stets herab die Branda-Quelle mit ihrem goldgelben Sand.

Michael Marullus, seiner Selbststilisierung zufolge in Konstantinopel, tatsächlich aber wohl in Morea (Peloponnes) geboren, floh mit seiner Familie vor den türkischen Eroberern nach Italien; Ancona, Neapel und Florenz bildeten dabei die wichtigsten Lebensstationen bis zu seinem frühen Tod im Jahr 15002. Sein Gedicht auf die Stadt Siena orientiert 2   Zu Marullus vgl. Michael Marullus. Ein Grieche als Renaissancedichter in Italien, hg. von Eckard Le­ fèvre–Eckart Schäfer (NeoLatina 15, Tübingen 2008), und zuletzt Andreas Bihrer, Gefährliche Urbanitas



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sich an den topischen Mustern des Genres „Städtelob“, das neben der Stadtbeschreibung und der Städteschelte von Elisabeth Gruber behandelt wird. So wird die Urbs Siena durch ihre schöne Lage, die reichen Bauten, den großen Reichtum oder die fähige Stadtregierung gekennzeichnet. Marullus folgt den Vorgaben, wie man Idealstädte nach den seit der Antike im Osten wie im Westen bestehenden Gattungskonventionen zu beschreiben pflegte3. Marullus handelt somit gleichsam einen Merkmalskatalog ab, was eine Siedlung zu einer Stadt mache – und auch auf der Tagung „Städte im lateinischen Westen und im griechischen Osten. Topographie – Recht – Religion“ spielten im Hinblick auf die lateinischen Städte des Westens derartige Kriterienbündel eine zentrale Rolle: Pierre Monnet stellte mit dem Katalog Felix Fabris aus dem späten 15. Jahrhundert ein mittelalterliches Beispiel vor und wies auf die wichtigsten Kennzeichen westlicher Städte hin, Katalin Szende diskutierte die modernen Merkmalsammlungen von Richard Hodges und András Kubinyi mit ihrem Fokus auf stadttopographische Aspekte (früh)mittelalterlicher Städte, Elisabeth Gruber präsentierte verschiedene Definitionsversuche der Metropolenforschung, ja die Tagung wurde durch Michel Paulys und Martina Sterckens Diskussion der Stadtdefinition Franz Irsiglers eröffnet, die um zusätzliche Kriterien ergänzt wurde4. Insbesondere anhand dieser stadtbegründenden Kriterien näherten sich die Referentinnen und Referenten den Grundlagen, Erscheinungsformen und Entwicklungen des Phänomens „Stadt“ vom 9. bis zum 19. Jahrhundert. Schwerpunktsetzungen galten dabei Kontinuitäten und Brüchen, der Topographie, dem Recht und der Theologie und dem sakralen Raum. Es kann im Folgenden nicht Ziel sein, alle diese Definitionen zusammenzuführen oder einzelne Kriterien in extenso zu diskutieren, auch wenn dies gewiss die zen­trale Voraussetzung für den angestrebten Vergleich zwischen den Städten im Osten und im Westen bilden könnte. Ein solches Vorgehen ist in Bezug auf die Städte des lateinischen Westens auch insofern problematisch, weil anders als im byzantinischen Reich von einer breiter ausgeprägten Vielgestaltigkeit auszugehen ist: Zum einen war der lateinische Westen politisch, sozial, religiös, wirtschaftlich oder auch kulturell sehr viel heterogener als der Osten, denn dem Wirkungsbereich wie auch dem eigenen Anspruch nach universaler Gewalten wie dem westlichen Kaisertum oder dem Papsttum waren enge bei Michael Marullus. Griechische Exilanten als Konstrukteure und Vermittler urbaner Ideale in der italienischen Renaissance. FMSt 45 (2011) 277–293. 3  Zur Gattung des Städtelobs vgl. Paul Gerhard Schmidt, Mittelalterliches und humanistisches Städtelob, in: Die Rezeption der Antike. Zum Problem der Kontinuität zwischen Mittelalter und Renaissance, hg. von August Buck (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 1, Hamburg 1981) 119–128; Hartmut Kugler, Die Vorstellung der Stadt in der Literatur des Mittelalters (Münchener Texte und Untersuchungen zur Literatur des Mittelalters 88, München 1986); Carl Joachim Classen, Die Stadt im Spiegel der Descriptiones und Laudes urbium in der antiken und mittelalterlichen Literatur bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts (Beiträge zur Altertumswissenschaft 2, Hildesheim–New York 21986); Klaus Arnold, Städtelob und Stadtbeschreibung im späteren Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Städtische Geschichtsschreibung im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. von Peter Johanek (Städteforschung A/47, Köln–Weimar–Wien 2000) 249–268; Carla Meyer, Die Stadt als Thema. Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 (MittelalterForschungen 26, Ostfildern 2009). Siehe auch den Beitrag von Claudia Rapp in diesem Band. 4  Vgl. Fratris Felicis Fabri Tractatus de civitate Ulmensi, de eius origine, ordine, regimine, de civibus eius et statu, ed. Gustav Veesenmeyer (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 186, Tübingen 1889); Richard Hodges, Dark Age Economics. The Origins of Town and Trade, AD 600–1000 (London–New York 1982) 23; András Kubinyi, Városhálózat a késő középkori Kárpát-medencében [Das Städtenetz im Karpatenbecken im Mittelalter]. Történelmi Szemle 46 (2004) 1–30; Franz Irsigler, Was machte eine mittelalterliche Siedlung zur Stadt?, in: Universität des Saarlandes. Universitätsreden 51 (Saarbrücken 2003) 17–44, hier 44.

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Grenzen gesetzt. Zum anderen konnte selbst die Stadt Rom nicht den Rang eines absoluten Vorbilds einnehmen, wohingegen Konstantinopel eine solche Funktion für den griechischen Osten zugeschrieben werden kann. Ergänzend sei noch erwähnt, dass aufgrund der im Gegensatz zum byzantinischen Raum sehr viel reicheren vor allem schriftlichen, aber auch visuellen und archäologischen Überlieferung eine abschließende Darstellung der Problemlage zum gegenwärtigen Zeitpunkt gewiss verfrüht wäre. Vielmehr soll hier ein Aspekt, ja der zentrale Aspekt in den Mittelpunkt gestellt werden, der in den Beiträgen in Bezug auf die Städte im Westen immer wieder angesprochen wurde: Dynamik als das wichtigste Merkmal der lateinischen Stadt – also die „urbane Dynamik“. Hierzu muss nochmals auf die Definition Franz Irsiglers zurückgegriffen werden: Die Stadt des Mittelalters wäre dann „eine vom Dorf und nichtagrarischen Einzwecksiedlungen unterschiedene Siedlung relativer Größe [1] mit verdichteter, gegliederter Bebauung, [2] beruflich spezialisierter und sozial geschichteter Bevölkerung, [3] Selbstverwaltungsorganen, einer auf Gemeindestrukturen aufbauenden, freie Lebens- und Arbeitsformen sichernden Rechtsordnung sowie [4] zentralen Funktionen politisch-herrschaftlich-militärischer, wirtschaftlicher und kultisch-kultureller Art für eine bestimmte Region oder regionale Bevölkerung“5. Die vier für Irsigler zentralen Merkmale einer Stadt – Verdichtung, Schichtung abgetrennter Gruppen, Selbstverwaltung bzw. Rechtsordnung und Zentralfunktionen – verweisen ähnlich wie andere in der Forschung lange diskutierte Kriterienkataloge weniger auf Dynamik, sondern vor allem auf Beständigkeit und damit auf Kohärenz und Kontinuität. Dieses „Festschreiben“ von Stadt mag einerseits auf die Identitätssuche der bürgerlichen Wissenschaften des 19. Jahrhunderts in Abgrenzung zu Kirche und Adel zurückgehen, infolgedessen mit der Konstruktion einer fast bruchlosen Geschichte bürgerlicher Autonomie seit der griechischen Antike eigene Traditionen erfunden wurden. Andererseits orientierte sich die Geschichtswissenschaft an anderen Disziplinen, für deren Selbstverständnis Homogenität, Stabilität und Dauerhaftigkeit von zentraler Bedeutung sind. Michel Pauly und Martina Stercken erwähnten Max Webers „Begriff und Kategorien der Stadt“6, mit Georg Simmel oder Ferdinand Tönnies ließen sich weitere frühe Soziologen mit urbanem Interesse nennen, daneben Kulturgeographen, Politikwissenschaftler, aber auch Stadtplaner und Architekturtheoretiker; Walter Christallers Modell der zentralen Orte wurde ebenfalls häufig herangezogen7. Die Geschichts­ wissenschaft ließ sich lange von diesen Vorstellungen leiten, so konnte noch Edith Ennen die Stadt als „rechtlich herausgehobene und abgegrenzte Siedlung“8 definieren9.

  Irsigler, Siedlung (wie Anm. 4) 44.   Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Nachlaß, Teilband 5: Die Stadt, hg. von Wilfried Nippel (Studienausgabe der Max-Weber-Gesamtausgabe I/22-5, Tübingen 2000) 1. 7   Vgl. Walter Christaller, Das Grundgerüst der räumlichen Ordnung in Europa. Die Systeme der europäischen zentralen Orte (Frankfurter Geographische Hefte 24/1, Frankfurt a. M. 1950). 8   Edith Ennen, Die europäische Stadt des Mittelalters (Göttingen 41987) 36. 9  Die Forschungsliteratur zu Stadtdefinitionen und -typologien ist unübersehbar, genannt seien nur: Vielerlei Städte. Der Stadtbegriff, hg. von Peter Johanek–Franz-Joseph Post (Städteforschung A/61, Köln–Weimar–Wien 2004); Franz Irsigler, Annäherungen an den Stadtbegriff, in: Europäische Städte im Mittelalter, hg. von Ferdinand Opll–Christoph Sonnlechner (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 52, Innsbruck–Wien–Bozen 2010) 15–30; Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150–1550. Stadtgestalt, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft (Wien–Köln–Weimar 2014) 39–52. 5 6



Urbane Dynamik

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Demgegenüber soll hier dafür plädiert werden, die Stärken der Geschichtswissenschaft fruchtbar zu machen und die Differenzen, den historischen Wandel und damit die Dynamik in den Mittelpunkt zu stellen. In den Vorträgen zu den Städten des lateinischen Westens wurde die „urbane Dynamik“ von den Referentinnen und Referenten vielfach herausgearbeitet. Im Folgenden soll nur eine knappe Auswahl geboten werden, die in drei Abschnitte gegliedert ist. (1) Auf die Träger von Mobilität und Migration, auf Inklusion und Exklusion bzw. Auf- und Abstieg wurde mehrfach hingewiesen, so von Michel Pauly und Martina Stercken bzw. von Martin Scheutz auf die Sondergruppen, auf die Gäste, Zuwanderer und Neubürger sowie auf die urbanen Migrationsräume. Von besonderem Interesse waren dabei die Kontaktsituationen, Aushandlungsprozesse und damit auch Kontroversen und Konflikte, wobei den unterschiedlich handelnden Akteuren und deren wechselnden Interessen ein besonderes Augenmerk zukam: Michel Pauly und Martina Stercken legten Strategien offen, wie Stadtraum etabliert und immer wieder neu angeeignet wurde. Katalin Szende hob die unterschiedlichen Intentionen von ostmitteleuropäischen Stadtherren hervor, die bei der Standortwahl für Neugründungen oder bei der Umgestaltung des Stadtraums ihre Autorität geltend zu machen versuchten. Martin Scheutz sprach bezüglich der Neubürger „die Dynamiken der Aufnahme vor dem Hintergrund von wirtschaftlichen Konjunkturen“10 an und beschrieb den unterschiedlich regulierten und sich verändernden Zugang zum Bürgerrecht. Pierre Monnet demonstrierte, wie Prioritäten bei Zugehörigkeitskriterien für städtische Eliten immer wieder neu ausgehandelt wurden; die Eliten definierten sich in einem fortwährenden Prozess selbst und wurden immer von anderen definiert. Seine Hypothese lautete, „dass die Stadt der Ort war, an dem solche Veränderungen beobachtet, adaptiert und vorangetrieben wurden“11. Gleichsam auf einer Metaebene zeigte Pierre Monnet, wie verschieden sich die modernen historiographischen Traditionen und Wertungen in den unterschiedlichen nationalen Geschichtswissenschaften ausnehmen. Elisabeth Gruber verdeutlichte, wie differierende städtische Akteursgruppen altbekannte Bilder einer Stadt kontextabhängig unterschiedlich nutzten oder neue Designs kreierten, um ihre Botschaften zu transportieren; inhaltliche Schwerpunktsetzungen und Repräsentationen städtischer Gemeinschaft sowie von Selbsteinschätzungen und Fremdwahrnehmungen wurden in einer Vielzahl unterschiedlicher Medien immer wieder neu ausgehandelt. Zoë Opačić sprach die zahlreichen Konflikte bei Fronleichnamsprozessionen an und behandelte die „ephemeral architecture of urban theatre“12. Gerrit Jasper Schenk zeigte, dass „sakraler Raum“ durch „Spacing“ von Objekten und Lebewesen an Orten und durch spezifische „Syntheseleistungen“ der Zeitgenossen entstand und folglich auch nur zeitweise und fallweise hergestellt werden konnte; „sakralen Raum“ – so Gerrit Jasper Schenk – „gab es in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten nicht, sondern er musste immer wieder neu hergestellt werden“13. Eine dauerhafte Markierung von Raum war nicht herstellbar, sondern nach Michel Pauly und Martina Stercken gab es nur temporäre Aneignungen von Stadtraum; ephemere und mobile Räume bilden ein Charakteristikum vormoderner Städte des Westens.

    12  13  10 11

Vgl. den Beitrag von Martin Scheutz in diesem Band. Vgl. den Beitrag von Pierre Monnet in diesem Band. Vgl. den Beitrag von Zoë Opačić in diesem Band. Vgl. den Beitrag von Gerrit Jasper Schenk in diesem Band.

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(2) Neben den Trägern und den Aushandlungsprozessen kamen weitere Felder mehrfach zur Sprache, nämlich das Überschreiten von Grenzen, die einzelnen Transfers und die dadurch ausgelösten umfassenderen Wandlungsprozesse. Gerrit Jasper Schenk stellte hinsichtlich der sakralen und profanen Räume in der mittelalterlichen Stadt fest: „Dieser Eindruck verschwimmender Grenzen und sich synchron wie diachron überlagernder, wechselseitig durchdringender und beeinflussender Räume und Handlungen, Materialitäten und Vorstellungen ist symptomatisch.“14 Transfers und gegenseitige Einflüsse profilierten Michel Pauly und Martina Stercken hinsichtlich der Beziehungen von Stadt und Land sowie innerhalb urbaner Netzwerke, außerdem in Bezug auf zeitgenössische Diskurse über Urbanität und urbanen Lebensstil, oder Pierre Monnet hinsichtlich des Kontakts zwischen Eliten in der Stadt und auf dem Land. Katalin Szende nahm Kontinuitäten und Brüche der Stadtentwicklung im östlichen Teil Mitteleuropas mit einem besonderen Augenmerk auf Standortwahl, Stadtgestalt und Raumordnung in den Blick. Auf einer breiteren Ebene zeichneten Michel Pauly und Martina Stercken Urbanisierungsprozesse im Mittelalter nach und deuteten darüber hinaus das 16. und 19. Jahrhundert als herausragende Phasen dieses Wandels. (3) Neben Trägern und Transferprozessen galt schließlich den Folgen „urbaner Dynamik“ ein besonderes Interesse: Michel Pauly und Martina Strecken präsentierten Umbrüche und Transformationsphasen der westeuropäischen Stadtgeschichte, Katalin Szende zeigte, wie die Veränderung der Prioritäten bei der Standortwahl in verschiedenen Perioden zur Schrumpfung oder Verlegung von Siedlungen, aber auch zur Veränderung der städtischen Bau- und Raumstruktur führen konnte, wobei sie hierbei insbesondere das 13. Jahrhundert als Umbruchszeit verstand. Am Beispiel eines vor allem von Handwerkern bebauten Siedlungsgebiets im Norden des mittelalterlichen Stadtgebiets von Danzig zeigte Andrzej Gołembnik, wie sich die vielfältigen baulichen Aktivitäten seit dem 15. Jahrhundert im archäologischen Befund darstellen. Alfred Joham beschrieb die stetige Veränderung der baulichen Gestalt der Stadt Leoben in der Obersteiermark mit Neubauten, Häuserzusammenlegungen und -abrissen vor allem anhand kartographischer Quellen. Aus Grundbucheinträgen des 16. Jahrhunderts konnte Alfred Joham rekonstruieren, dass die Häufigkeit der Eigentümerwechsel mit über 50 % innerhalb nur eines Jahrzehnts erstaunlich hoch war. Martin Scheutz verfolgte die Entwicklung des Bürgerbegriffs, für den aber je nach Region und Stadttyp weiterhin differierende Kriterien galten, ja auch innerhalb einer Stadt unterschiedliche Abstufungen des Bürgerrechts und damit graduell abgestufte Rechte und Pflichten unterschiedlicher Gruppen in der Stadt existierten, wohingegen Pierre Monnet auf die fortwährenden Erneuerungen der städtischen Eliten blickte. Weiterhin war die Pluralität und Diversität, die Komplexität und Vielschichtigkeit urbanen Lebens zu beobachten: Michel Pauly und Martina Stercken sprachen von einer „Vielfalt an Brüchen und Diskontinuitäten“15 bzw. von der „Vielfalt an kommunikativen Situationen“16, Pierre Monnet von „der Vielfalt der urbanen Möglichkeiten und der sozialen Konfigurationen“17, Katalin Szende von der Mannigfaltigkeit der architektonischen Gestaltung von öffentlichen Stadträumen, Elisabeth Gruber von immer neuen Formen des Erscheinungsbilds der Stadt und von der Vielschichtigkeit des Phänomens     16  17  14 15

Vgl. den Beitrag von Gerrit Jasper Schenk in diesem Band. Vgl. den Beitrag von Michel Pauly und Martina Stercken in diesem Band. Vgl. den Beitrag von Michel Pauly und Martina Stercken in diesem Band. Vgl. den Beitrag von Pierre Monnet in diesem Band.



Urbane Dynamik

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„Stadt“, Zoë Opačić von variierenden visuellen Zukunftsentwürfen, Gerrit Jasper Schenk von der verwirrenden Vielfalt sakraler und profaner Räume, ihren unklaren Grenzen und verschwimmenden Sphären. Die Stadt war der Ort der Erprobung immer neuer Kombinationen und Transformationen, ein Schmelztiegel, der neue hybride Verbindungen hervorbrachte. Damit geht einher, dass man vielfach von in der Forschung fast schon liebgewonnenen klar strukturierten, kohärenten und stabilen Vorstellungen Abschied nehmen und sich mit den oftmals ungeplanten, ephemeren und unstrukturierten Folgen „urbaner Dynamik“ vertraut machen muss: Michel Pauly und Martina Stercken stellten heraus, dass entgegen der Ansicht der älteren Forschung die Gliederung des Stadtraums nicht sozialtopographischen Gesichtspunkten folgte und man auch keine allzu schematische wirtschaftliche Gliederung des Stadtraums annehmen darf; vor allem im Mittelalter sei das nicht oder nur rudimentär geplante und damit unbeabsichtigte Wachstum der Städte zu beobachten, so Michel Pauly und Martina Stercken. Gerrit Jasper Schenk verstand die Kirchen als multifunktionale Gebäude und wies auf „die untrennbare Verbindung und Vermischung ‚sakraler‘ und ‚profaner‘ Sphären in den kommunalen Ritualen der Stadt“18 hin. Die Stadt war – aus der Pespektive Michel Paulys und Martina Sterckens – ein offener Raum. Welche Perspektiven ergeben sich aus den Beobachtungen zur „urbanen Dynamik“ auf den skizzierten drei Feldern? Man könnte vorschnell vermuten, dass das zeitlich und geographisch weit gestreckte Thema der Tagung den Grund für die so zahlreich beobachteten Differenzen und Wandelsprozesse darstellt. Die Beiträge zeigen jedoch vielmehr, dass man auch bei Mikrostudien zu diesem Ergebnis kommen würde. Die „urbane Dynamik“ mit all ihren Facetten als vielleicht wichtigstes Merkmal der westlichen Stadt wurde selbstverständlich nicht erst jetzt entdeckt, hier lassen sich zahlreiche zeitgenössische Wahrnehmungen seit der Antike ebenso anführen wie Ergebnisse der modernen Forschung, auf welche die Beiträge aufgebaut haben. Ausdrücklich hervorgehoben sei aber, dass aufgrund der aktuellen kulturwissenschaftlichen Perspektivierungen wie der Verwendung akteursorientierter und handlungstheoretischer Zugänge, dem spatial turn verpflichteter Ansätze, diskursanalytischer und kommunikationsgeschichtlicher Methoden und der Historischen Semantik – um nur die auf der Wiener Tagung diskutierten Zugänge zu nennen – die „urbane Dynamik“ vermehrt in den Fokus geraten ist und geraten wird. Nun sollte dieser Aspekt stärker in die bestehenden Stadtdefinitionen und Merkmalskataloge integriert werden. Vor allem gilt es, ein Instrumentarium zu entwickeln, wie die Qualität „urbaner Dynamik“ adäquater beschrieben werden kann, die sich von Dynamiken anderer Vergemeinschaftungsformen durch ihre Vielfältigkeit und Instabilität, ihre Geschwindigkeit und Innovationskraft sowie durch ihre Fähigkeit, Bestehendes zu transformieren, auszeichnet. Vielleicht richtet die Geschichtswissenschaft dafür zukünftig den Blick noch stärker als bisher auf die Randgruppen und Grenzgänger in der Stadt, auf die Juden und Kleriker, auf die Gäste und Pfahlbürger, auf die Exilanten und Flüchtlinge, wie den griechischen Italiener oder den italienischen Griechen Michael Marullus.

18

  Vgl. den Beitrag von Gerrit Jasper Schenk in diesem Band.

Autorinnen und Autoren Prof. Dr. Albrecht Berger Institut für Byzantinistik, Byzantinische Kunstgeschichte und Neogräzistik, Ludwig-Maximilians-Universität München  Geschwister-Scholl-Platz 1  80539 München, Deutschland e-mail: [email protected] Prof. Dr. Andreas Bihrer Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Olshausenstraße 40 24098 Kiel, Deutschland e-mail: [email protected] Dr. Grigor Boykov Department of Byzantine and Balkan Studies, Faculty of History, Sofia University 15 Tsar Osvoboditel, bul. 1504 Sofia, Bulgarien e-mail: [email protected] Prof. Dr. Jean-Claude Cheynet Centre national de la recherche scientifique (CNRS)/Délégation Paris A  27, rue Paul Bert 94204 Ivy-sur-Seine cedex, Frankreich  e-mail: [email protected]  Andrzej Gołembnik M.A. INCED03D ul. Paca 9 m. 4 04-361 Warszawa, Polen e-mail: [email protected] MMag. Dr. Elisabeth Gruber Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Universität Salzburg Körnermarkt 13 3500 Krems, Österreich e-mail: [email protected] Dr. Vujadin Ivanišević Institute of Archaeology

344 Autorinnen und Autoren

Knez Mihailova 35/IV 11000 Beograd, Serbien e-mail: [email protected] DI Dr. Alfred Joham Referat Raumplanung und Stadtvermessung, Stadtamt Leoben Erzherzog Johann-Straße 2 8700 Leoben, Österreich e-mail: [email protected] Prof. Dr. Paul Magdalino University of St. Andrews (emer.) 2 rue de Volage 01420 Corbonod, Frankreich e-mail: [email protected] Prof. Dr. Pierre Monnet Institut français d’histoire en Allemagne (IFHA) Goethe-Universität Grüneburgplatz 1 IG-Farben Haus Postfach 42 60 323 Frankfurt/Main, Deutschland e-mail: [email protected] PD Dr. Philipp Niewöhner Deutsches Archäologisches Institut Podbielskiallee 69–71 14195 Berlin, Deutschland e-mail: [email protected] Dr. Zoë Opačić Department of History of Art and Screen Media, School of Arts, Birkbeck College, University of London 43 Gordon Square London WC1H 0PD, United Kingdom e-mail: [email protected] Prof. Dr. Michel Pauly Institut d’Histoire, Université du Luxembourg Maison des Sciences Humaines 11, Porte des Sciences 4366 Esch/Alzette (Belval), Luxemburg [email protected] Dr. Mihailo Popović Abteilung Byzanzforschung des Institutes für Mittelalterforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften



Autorinnen und Autoren

Hollandstr. 11–13 1020 Wien, Österreich e-mail: [email protected] Univ.Prof. Dr. Claudia Rapp Institut für Byzantinistik und Neogräzistik, Universität Wien Postgasse 7/Stiege 1/3. Stock 1010 Wien, Österreich e-mail: [email protected] Prof. Dr. Gerrit Jasper Schenk Institut für Geschichte, Technische Universität Darmstadt Residenzschloss 64283 Darmstadt, Deutschland E-mail: [email protected] ao. Univ.Prof. Martin Scheutz Institut für Österreichische Geschichtsforschung / Institut für Geschichte, Universität Wien Universitätsring 1 1010 Wien, Österreich e-mail: [email protected] Prof. Dr. Peter Schreiner Mozartstr. 9 82008 Unterhaching / München, Deutschland e-mail: [email protected] Prof. Dr. Martina Stercken Historisches Seminar/NCCR Mediality, Universität Zürich Rämistrasse 42 8001 Zürich, Schweiz e-mail: [email protected] Univ.Prof. Dr. Katalin Szende Department of Medieval Studies, Central European University Nádor u. 9 1051 Budapest, Ungarn e-mail: [email protected]

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Namenregister Das Register erfasst die Orts- und Ländernamen wie auch die Namen historischer Personen, nicht jedoch im Text genannter Autorinnen und Autoren der Forschungsliteratur. Antike und weiter verwendete Namen sind entsprechend ihren in den Beiträgen gebrauchten Formen, basierend auf ihrer griechischen oder lateinischen Variante oder in beiden, verzeichnet, wobei sich die Wiedergabe an den deutschsprachigen Usus hält (z. B. Konstantinopel, Athen). Benennungen in verschiedenen Sprachen sind durch „/“ getrennt, konventionelle Übertragungen in die Kontextsprache (z. B. Constantinople, Athènes; Prague) im Register stillschweigend unter die Haupteintragung subsumiert oder in Klammern hinter dem gültigen Namen angegeben, wie „Venezia (Venedig)“. Die Namen der byzantinischen Städte wurden beibehalten, in der Regel ohne dazu die aktuellen Namen der Nachfolgesiedlungen anzugeben, außer Letztere sind in den Beiträgen genannt. Dann wurde bei der Einreihung der primär verwendeten Form der Vorzug gegeben (Konstantinopel / Istanbul, aber Edirne / Adrianopel). Zur Orientierung über die Lage in heutigen Staaten werden deren zweistellige Länderkennungen gemäß ISO-Code in Klammern angegeben. Querverweise führen jeweils zum Haupteintrag. Städte, die nach Ausweis der zitierten Literatur als Beispiele herangezogen wurden, aber nicht explizit genannt sind, wurden nicht berücksichtigt, sodass der im Register reflektierten Auswahl eine gewisse Zufälligkeit zukommt. Schließlich gilt das Interesse des Bandes ausgewählten Phänomenen der Städtegeschichte im Vergleich und nicht den Einzelbeispielen. Daher wurden topographische Einzelheiten innerhalb der Städte nicht aufgenommen. Seitenzahlen in Klammern bedeuten, dass die Namen nur in den Fußnoten der jeweiligen Seiten vorkommen. Abkürzungen: B. – Bischof; EB. – Erzbischof; Hg. – Herzog; Kg. – König; Ks. – Kaiser; s. – siehe. Aachen (DE) 295 Aaron, Statthalter des Themas Iberien 153 Achaia (GR) (171) Adriatisches Meer 156, 329 Adrianopel, Adrianupolis s. Edirne Ägäis 61, 158, (171), (172) Ägypten 239, 250, 253, 256, 291 Aesop 42 Afrika 249, (254) Agatha, Tochter des Johannes Chryselios 152 Aizanoi / Aezani, Phrygien (TR) 56, 73f. Alarich, gotischer Kg. 249 Alba Iulia / Gyulafehérvár (RO) 101 Albanien 157 Aleksij Slav, Despot von Melnik 86, 88 Alexander, Hl. 251 Alexandria (EG) 46, 165, 249; s. Athanasios, ­Hesychios Alexios s. Béla Alexios I. Komnenos, Ks. (150), 151, 153, 169 Alexios III. Angelos, Ks. 151 Alexios IV. Angelos, Ks. 159 Alexios Makrembolites 173 Alfons V., Kg. von Aragón, Neapel und Sizilien 157 Alphaeus, Hl. 251

Amalfi (IT) 50, 152 Amorion, Phrygien (TR) 47, 52, 56, 58, 62, 150, 159 Amphipolis (GR) 47 Anastasios I., Ks. (167), 168, 235, 242 Anatolien 50, 52, 59, 63, 72–77, 299–303, 332 Ancona (IT) 336 Androna / al-Andarin (SY) 47 Andronikos II. Palaiologos, Ks. 156f., 159, 163 Andronikos III. Palaiologos, Ks. 157 Anemurium, Kilikien (TR) 47, 53 Angeloi, Dynastie 151, 154 Angkor Wat (KH) 291 Ani (TR) 153 Anjou, Dynastie 158 Ankara (TR) 51, 307 Antalya s. Attaleia Antiochia (TR) 46f., 56, 153, 165, 254 Antiochia in Pisidien (TR) 251 Antonius, Hl. 253 Antonius, Metropolit von Catania (149) Aphrodisias (in Karien) (TR) 62, (75) Aquileia (IT) 267 Aquincum (HU) 97; s. Budapest Aquino s. Thomas



Namenregister

Araber 42, 59, 61, 68, 72, 77, 150, 165, (168), 242, 254, 285, 300, 325, 334 Archytas von Tarent 244 Arčēš s. Artzes Areobindos, Konsul (167) Argonnen (FR) 33 Argyritzos, Bewohner von Bari (153) Aristoteles 124f., 179, 245f., 252, 282, 313 Armenien 153, 166f., (168), 334 Arsakiden, Dynastie (166) Artois 36 Artzes / Arčēš / Erciş (TR) 160 Askalon s. Julian Athanasios von Alexandrien 253 Athen (GR) 47, 56, 60, 154f., 160, 165, (171), 241, 244f., (250), 255f., 332 Athos (GR) 82, (83), 85f., (158) Attaleia / Antalya (TR) 164, 300 Attila, hunnischer Herrscher 97, 235 Augsburg (DE) (127), 129, 131, 139, (206) Augustinus, Hl. 125, 245, 249, 313 Aurelian, Ks. 230 Avignon (FR) 331 Awaren 240 Babylon (IQ) 42, 248, 256, 264 Baia (RO) 119 Balat 64–67; s. Milet Balduin, Latein. Ks. 155 Balkan(-Halbinsel) 50, 55, 79f., 82f., 90f., 150, 154–156, 163, 165, 172, 229f., 234, 299–301, 306, 312, 319, 325, 329f., 332 Bamberg (DE) 294 Banská Štiavnica / Schemnitz (SK) 102 Bari (IT) 153; s. Argyritzos Bartholomäus, Hl. 295 Basileios I., Ks. (166), 169 Basileios II., Ks. 152 Basileios Boioannes, Katepan 152 Basileios Kladon, Strategos von Strymon 94 Basilius von Caesarea, Basileios von Kaisareia 244, 250 Bassianae bei Donji Petrovci (RS) 231–233, 235; s. Valerianus Bayezid I., Sultan 304, 307, 309, 312 Bayezid II., Sultan 306 Beaumont-en-Argonne (FR) 33 Béla/Alexios, ungar. Prinz (170) Belgien 37, 181 Belgrad (RS) 112 Bergen (NO) 221 Berlin (DE) 17, 259 Bernhard von Clairvaux 264 Besançon (FR) 278, 280, 296 Bilecik (TR) 306 Bithynien (TR) 155, 300–302, 304, 332 Blankenrode, Westfalen (DE) 19

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Böhmen 119, 271, 315 Böotien (GR) 47, 58 Bologna (IT) 39, 267, 275, 318 Bozen / Bolzano (IT) 135, 138f., 145f., (271) Brabant 28 Bratislava / Preßburg / Poszony (SK) 101, 104f., 107, 112f., 115 Braun, Georg 268 Braunschweig (DE) 21, 182 Breisach am Rhein (DE) 116 Breslau s. Wrocław Brixen / Bressanone (IT) 137 Bruck an der Mur (AT) (200) Buda, Budapest (HU) 40, 97, 102f., 110, 112, 115, 118f., 267; s. Aquincum, Óbuda, Ofen, Pest Bulgaren, Bulgarien 86, 150, 156, 325, 329f. Bursa (TR) 303–307, 309f., 312 Butrint (AL) 47, 62 Byzanz, Byzantinisches Reich 45– 64, 67–77, 79–81, 108, 149–152, 154, 156f., 159–165, 172, 174, 236, 239–242, 253f., 300–304, 306, (314), 317, 325–328, 330–335, 337 Caesarea in Kappadokien (TR) (154), 244; s. Basilius Caesarea Maritima, in Palästina (IL) 47, 62, 251; s. Eusebius Cambridge (GB) 39 Caracalla, Ks 33, 124 Caričin Grad s. Justiniana Prima Catania (IT) (149); s. Antonius Celtis, Konrad 191 Cenad / Csanád (RO) 101 Chabert, Wilhelm von, Konsul 93–95 Chalcedon (TR) 153, 235 Chemnitz (DE) 116 Cherson, Krim (UA/RU) 50, 56, (149), 150, 152, (243) Cheshire (GB) 20 Chilandar, Kloster am Athos (GR) 82, (83), 84f. China 333 Chliat / Xlat‘ / Ahlat (TR) 160 Choniates s. Michael, Niketas Chrysoberges, Bewohner von Philadelphia 158 Civitas Remesiana (RS) 233 Clairmont (FR) 22 Clairvaux s. Bernhard Clemens VI., Papst 331 Clermont-Ferrand (FR) 22 Cœur s. Jacques Colosseus, comes 235 Cordoba (ES) 319 Coron / Koroni (GR) 157 Crewe, Cheshire (GB) 20 Criş s. Körös Csanád s. Cenad Csenger (HU) 107 Cuppae (RS) 231

348 Namenregister Çandarlı Ali Paşa 307 Çekirge (TR) 307, 309 Dacia 229–231, 233 Dänemark 37 Dalmatien (HR) 154, 231, 240 Damaskus (SY) 63 Danzig s. Gdańsk Dardania (RS) 231, 238 David, Kg. der Israeliten 295 David Komnenos, dux von Thessaloniki 163 Debrecen (HU) 107 Dekapolis 150 Deliciana, Hl. 269 Demetrios Kydones 163 Demetrios Palaiologos, Despot 164 Deutschland 124, 174, 181f., 184, 186–188, 192, 319; s. Römisch-deutsches Reich Diokletian, Ks. 231, 251 Doclea (ME) 233 Domitian, Ks. 229 Donau, Fluss 97, 100f., 103, 109, 129, 133, 179, 229, 231f., 235–238, 259, 329 Dorpat s. Tartu Dortmund (DE) 275–277, 295f. Douai (FR) 182 Dublin (IE) 40 Dubrovnik / Ragusa (HR) 154, 156 Dukas, Dynastie (166), 169 Dumbarton Oaks (US) 54 Dunaföldvár (HU) 103 Dyrrachion / Durrës (AL) 152, 154, 157 Ebu İshak Kazeruni 307 Edirne / Adrianopel / Adrianupolis / Hadrianopolis (TR) 156, 234, 306–312 Eferding (AT) 136 Eggenburg (AT) (137) Eidgenossenschaft s. Schweiz Eisenkappel (AT) (133) Eisenstadt (AT) 268 Emmaus 314 Engelbert von Falkenberg, EB. von Köln 276 England 19, 37f., 184, 316 Enns (AT) 268, 270 Ephesos (TR) 47, 51, 54, 57–59, 62, 150, 164 Epiros (GR) 58, 60, 154, 157, (171), 334 Epiroten, Dynastie 156 Erciş s. Artzes Erfurt (DE) 40, (273), 296, (297) Erzurum (TR) 300 Esphigmenon, Kloster am Athos (GR) 158, 162 Esslingen (DE) 116 Estland 40 Esztergom / Gran (HU) 100f., 112 Euböa (GR) 155 Euripos (GR) 160

Eusebius von Caesarea 251 Eustathios Makrembolites 255 Eustathios von Thessaloniki 163, 251 Fabri s. Felix Falkenberg s. Engelbert Feldener, Caspar (295) Felix Fabri 186 Filibe s. Philippupolis Firenze (Florenz) (IT) 275, 284, 297, 318, 336 Flandern (BE) 19, 28, 30, 35f., 139, 143, 178 Flavier, Dynastie 229 Florenz s. Firenze Franken (DE) 139 „Franken“ (Westeuropäer) 157, 275 Frankfurt am Main (DE) 128, (132), (189), 293, 295, 297 Frankreich 19, 33, 35–37, 174, 184, 263 Franz I., Ks. 198 Franz Joseph I., Ks. 259 Freiberg in Sachsen (DE) 102 Freising s. Otto Fribourg / Freiburg im Üchtland (CH) 19 Friedrich III., Kg., Ks. 278, 295, 317 Gabriel, bulgarischer Zar 152 Galata (TR) (171); s. Konstantinopel Galesion 152; s. Lazarus Gallien 34, 254, 329 Garam / Hron, Fluss 101 Gautier Cornut, EB. von Sens 318 Gazi Mihal Bey 310 Gdańsk / Danzig, Wałowa (PL) 211–218, 220, (222), 224–227, 340 Genova (Genua) (IT) 35, 151, 160, 163, 171, (326) Geoffroy de Villehardouin 155 Georgios Akropolites 164 Georg von Pisidien 244 Gepiden 235, 238 Gereon, Hl. 276 Germanien 167, 329 Glaukon 245 Gmunden (AT) 268 Gökdere, Fluss 307 Golling (AT) 137 Gomorra 264 Gortyn, Kreta (GR) 47, 62 Goten 235, 249; s. Alarich Graf, Josef 199 Gran s. Esztergom Graz (AT) 115, (126), (130), 138, 140 Gregor, Katepan 153 Gregor von Nyssa 247 Greifswald (DE) 278 Griechen(land) 50, 53, 58, 60, 124, 158, 160, 164, (168), 174, 250, 254, (314), 332, 334, 341 Großwardein s. Oradea

Namenregister Gruyère / Greyerz (CH) 19 Guibert von Gembloux 263 Guibert de Nogent 262f. Guillaume II. de Villehardouin 156 Gutolf von Heiligenkreuz 269 Győr / Raab (HU) 101, 110 Gyulafehérvár s. Alba Iulia Hadrianopolis s. Edirne Haithabu (DE) 27 Halberstadt (DE) 111 Hall in Tirol (AT) 134, 146 Hamburg (DE) 193 Hamza Bey 307 Hannover (DE) 20 Haussmann, Georges-Eugène 24 Heidelberg (DE) 40, 116 Heilige Drei Könige 276, 295 Heiligenkreuz s. Gutolf Heinrich (Henry) III., Kg. von England (319) Heinrich IV., Kg., Ks. 123 Heinrich Jasomirgott, Hg. von Österreich 108 Hellas(-Peloponnes) 154f. Hellespont / Dardanellen (TR) 156, 158 Henry s. Heinrich Herakleopolis (EG) 249 Heraklius, Ks. 244 Herculius, Präfekt von Illyricum 234 Herder, Johann Gottfried 261f. Hereford (GB) 112 Hersfeld s. Lampert Hessen (DE) 139 Hesychios von Alexandria 252 Hierapolis, Phrygien (TR) 47, 62, (149) Hierissos (GR) (158) Hogenberg, Franz 268 Horreum Margi (RS) 229, 231, 233, 237 Hron s. Garam Hunnen 235 Huy (BE) 33, 35 Iaşi (RO) 119 Iberia, Kaukasus 153, 159 Ikonion (TR) 159 Illyricum 52, (155), 229f., 232–240, 329; s. Herculius Ilyas Bey 66 Innsbruck (AT) (126), 136, 140, 268, 270 Ioannina (GR) 157f., 160–162, 164 Isaak II. Angelos, Ks. 154, 156, (161) Isaak Komnenos 153 Isaurien 167 Isokrates (246) Istanbul (TR) 54, 312; s. Konstantinopel Italien 18, 20, 23, 30f., 34f., 54, 60, 140, 143, 152– 154, 160, 170, 172, 174, 181, 184, 186–188, 294, 313, 325, 341

349

İznik s. Nikaia Jacques Cœur 183 Jändl, Georg 206 Jean s. Mandeville Jerash (JO) 48 Jerusalem (Himmlisches) 41, 248–251, 253f., 256, 264, 274, 277, 279f., 292, 294f., 316, 319, 332 Johannes Cassianus 256 Johannes Chryselios 152 Johannes Chrysostomos 247, 250 Johannes Italos (170) Johannes VI. Kantakuzenos, Ks. 89, 159, 162 Johannes III. Vatatzes, Ks. 155–157, 162 Johannes der Kappadokier 244 Johannes der Täufer, Hl. 275 Jordan, Fluss 249 Josef II., Ks. (206) Jovan Dragaš 82 Juden 22, 115, 119, 128f., 143, 248f., 252, 256, 263, 334, 341 Judenburg (AT) 270 Julian von Askalon 55 Justinian I., Ks. 45, (167), 168, 235, 237, 239, (242), 244, 325, 329 Justinian II., Ks. 168 Justiniana Prima / Caričin Grad (RS) 47, 62, 233, 235 Justiniana Secunda (RS) 233, 235, 237–239; s. Ulpiana Justinopolis (RS) 238 Justinos I., Ks. (167), 168, 237 Justinos II., Ks. (167) Kalamata (GR) 157 Kalocsa (HU) 101 Kalomodios, Bewohner von Konstantinopel 151 Kalyte (TR) 251 Kanina (AL) 157 Kappadokien (154), 244, 250 Karien (TR) (75) Karl d. Gr., Hl., Ks. 295 Karl IV., Kg., Ks. 104, 261, (295), 315–317 Kaschau s. Košice Kastro Apalirou, Naxos (GR) 60 Kavala (GR) 93f. Kazimierz (PL) 104 Kazimir III., Kg. von Polen 104 Kekaumenos 162 Kilikien 53 Kition (149); s. Theodor Kleinasien 50, 55, 58, 63f., 80, 156, 158, 169, 172, 229, 241, 300, 306, 312, 329, 332 Knossos (GR) (149) Köln (DE) 23, 37, 39f., 111, 128, 134, 137, 139, 141, 177, 276, 280, 295; s. Engelbert von Falkenberg

350 Namenregister Körmend (HU) 103 Körös / Criş, Fluss 101 Komnenen, Dynastie 154, 174 Konstans II., Ks. 168 Konstantin, Hl. 295 Konstantin I. d. Gr., Ks. (169), 231, 251f., 315 Konstantin IV., Ks. 168 Konstantin VII., Ks. (169) Konstantin X. Dukas, Ks. 153, 168 Konstantin Manasses 255 Konstantinopel / Byzantion / Istanbul (TR) 45f., 50, 53f., 56, 61, 149–153, 155f., 159f., 163–174, 235, 237f., (248), 254–256, 267, 315, 318, 325f., 330–332, 334, 336f.; s. Galata, Pera Konstanz (DE) (189), 280 Kopaonik, Berg (RS) 237 Kopenhagen (DK) 241 Korfu (GR) 156 Korinth (GR) 47, 62, 157 Kosovo 229 Košice / Kaschau (SK) 102 Kotyaion / Kütahya (TR) 52 Kraków / Krakau (PL) 40, 101f., 104, 112, 116, 182, 267 Krems (AT) 270f. Kreta (GR) (149), (171) Krim (UK/RU) 150, (243) Kroaten 154 Kroia / Kruja (AL) 157 Kütahya s. Kotyaion Kulmerland (PL) 109 Kutná Hora / Kuttenberg (CZ) 102 Kutriguren 240 Kuttenberg s. Kutná Hora Lakonia / Sparta (GR) 47 Lala Şahin Paşa (306) Lampert v. Hersfeld 37 Landshut (DE) (138) Laodicea (TR) 47 Laon (FR) 262 Laskariden, Dynastie 156 Lazarus von Galesion 152 Leipzig (DE) 30 Leitmeritz s. Litoměřice Lemberg s. Lviv Leoben (AT) 129, (133), 136, 195f., (197), 199–210, 340 Leon I. , Ks. (167), 168 Leon VI., Ks. 150, 243, 332 Leon Sgouros 160 León (ES) 33 Leopold VI., Hg. von Österreich 109 Licinius I., Ks. 231 Liège s. Lüttich Linz an der Donau (AT) 129, 138–140, 146, 268, 270

Litoměřice / Leitmeritz (CZ) 116 London (GB) 35, 37, 40, 46, 99, 259, 263, 316, (319) Lorris (FR) 33 Lothringen 20 Lucca (IT) (276) Lübeck (DE) 99, (132), 137, 141, (189), 192f. Lüttich / Liège (BE) 280 Lund (SE) 40 Luxemburg (LU) (31), 35, 37 Lviv / Lemberg (UA) 40, 119 Lyon (FR) 30, 267 Maasland 28, 33 Mäander, Fluss 70 Mähren 119 Magdeburg (DE) 51, 111 Mainz (DE) 267, 280 Makedonen, Dynastie 151, 254 Makedonien 60, 79, 82f., 85, 89, 92f., 159 Mandeville, Jean de 315 Mannersdorf am Leithagebirge (AT) 268 Mantzikert (TR) 160 Manuel I. Komnenos, Ks. 154, 157, (170) Manuel II. Palaiologos, Ks. 158 Margum (RS) 231 Maria, Hl. 275f. Maria Magdalena, Hl. 297 Markianos, Ks. (167) Markus, Hl. 251 Marokko 265 Maroneia (GR) 47 Maros / Mureş, Fluss 101 Martin, Hl. 254 Mauren 35 Maurikios, Ks. 154 Maximilian I., Kg., Ks. 278 Mediana (RS) 233 Medina del Campo (ES) 30 Mehmed I., Sultan 306 Mehmed II., Sultan 160 Mehmed, Emir 309 Mehmed Ali Paşa 93 Meißen (DE) 111 Melitene (TR) 153 Melnik (BG) 86–89, 93, 157, 162; s. Aleksij Slav Melniška reka, Fluss 89 Menander Rhetor 246f., 255 Menteşe (TR) 64, 66 Merobaudes, Konsul (167) Mezid Bey 312 Michael, Hl. 276 Michael V., Ks. 332 Michael Attaleiates 159 Michael Choniates 154f., 160 Michael Gabrielopoulos 157 Michael Marullus Tarcaniota 335–337, 341

Namenregister Michael VIII. Palaiologos, Ks. 156, 164 Michael Psellos 168, (170), 332 Milas (TR) 64 Milet / Miletos / Miletus / Balat / Palatia (TR) 47, 57–59, 62–72, 328f. Milutin s. Stefan Uroš II. Milutin Mittelmeer 49, 55, 163, 174, 229, 239, 241f., 325 Moesia 231, 233, 235 Moldau 119 Moldau / Vltava, Fluss 101 Monemvasia (GR) 154, 156f., 161, 163f. Montaperti (IT) 275 Montferrand (FR) 22 Montferrat (IT) 163 Montpellier (FR) 182 Morava, Fluss 229 Morea (GR) 336; s. Peloponnes Moskau (RU) 40 Motława, Fluss 214 Mühlhausen (DE) 322 München (DE) 50, 328 Münster, Sebastian 268, 271 Münster in Westfalen (DE) 111 Municipium Celegerorum (SE) 230f. Municipium Dardanorum / Sočanica am Fluss Ibar, Kosovo und Metochien 229 Municipium Malvesatium / Skelani am Fluss Drina (RS) 230f. Municipium S / Komini bei Pljevlja (ME) 230 Mur, Fluss 206 Murad I., Sultan 307, 309 Murad II., Sultan 307, 312 Mureş s. Maros Myra (TR) 47 (Nagy-)Várad s. Oradea Naissus (RS) 229, 231–233, 235, 237, 239 Napoleon I., Ks. 27, 110 Napoleon III., Ks. 24 Napoli (Neapel) 50, 152, 267, 336 Naxos (GR) 60 Nea Anchialos (GR) 47 Neapel s. Napoli Nebeske stolice (SE) 237f. Nebukadnezar 248 Nemanjiden, Dynastie 154 Németi s. Satu mare Niederlande 19, 23, 186 Nikaia / Nicaea / İznik (TR) 54, 155, 158, 255, 306, 309 Nikephoros Bryennios (169) Nikephoros Diogenes 151 Nikephoros Gregoras 163 Niketas Choniates 151, 155 Nikolaus, Hl. 275 Nikolaus von Kues 282 Nikomedia (TR) 47, 54

351

Nikopolis (GR) 47 Nördlingen (DE) 131 Nogent s. Guibert Nordsee 29 Normannen 153, 155, 157, 163, 251, 325 Norwegen 37, (222) Norwich (GB) 317 Nürnberg (DE) 30, 128, (130), 136, (139), 182, 191–193, (206), 267, (273), 294–296, 317, 320f., 323 Nyssa s. Gregor Óbuda / Altofen (HU) 97, 100, 102; s. Budapest Ockham s. Wilhelm Oder, Fluss 101f., 104 Ödenburg s. Sopron Österreich (Ober-, Nieder-) (AT) 134, 137, 140, (144), 269f. Ofen (HU) 105–107; s. Budapest Olten (CH) 20 Oradea / (Nagy-)Várad / Großwardein (RO) 101, 107, 111 Orhan I., osmanischer Herrscher 302, 304, 306f. Osman Gazi, osmanischer Herrscher 302, 306 Osmanisches Reich, Osmanen 45, 48, 71, 79, 83, 93, 95, 110, 157f., 163, 172, 174, 299–310, 312, 314, 317, 319, 330, 332f. Ostsee 139 Otinja, Fluss 89 Otto, B. von Freising 260 Ottokar II. Přemysl, Kg. von Böhmen 271 Oxford (GB) 39, 54 Palästina 47, 55, 63, 242, 251 Palaiologen, Dynastie 149f., 156f., 161–164, 173 Palatia (TR) 64, 67f., 70f.; s. Milet Palermo (IT) 150 Pančić, Berg (RS) 237 Pannonien 97, 234f. Paris (FR) 24, 35, 37, 39, 53, 259–261, 264, 318f. Passau (DE) 136 Paşa Yiğit Bey (306) Patara (TR) 47, 59, 62 Patras (GR) 157 Paulus von Tarsus, Hl. 249f., 275 Pegai (TR) 156, 158 Peloponnes (GR) 51, 154, 157, (171), 334, 336; s. Morea Pepanos, Bewohner von Philadelphia 158 Pera (TR) 160; s. Konstantinopel Pergamon / Pergamum (TR) 47, 63 Perkri / Berkri / Muradiye (TR) 160 Perser 52, 68, 77, 160, (166), (167), (168), 174, 242, 325; s. Sasaniden Pest (HU) 100, 102f., 107; s. Budapest Pešter, Hochfläche (RS) 237 Peter, Sohn des Thomas 239

352 Namenregister Petrus, Hl. 275 Petrus Cantor 263 Phanarion (GR) 157 Phidias 64 Philadelphia / Alaşehir (TR) 154, 158, 160, 162, 331; s. Chrysoberges, Pepanos, Phokas Philipper 249 Philippi (GR) 47 Philippupolis / Filibe / Plovdiv (BG) 306, 331 Phokas, Adelsfamilie (166), 169 Phokas, Ks. (167) Phokas, Bewohner von Philadelphia 158 Phrygien (TR) 73f. Pietro di Giunta Torrigiani 318 Pilsen s. Plzeň Pisa (IT) 151, 182, (276), (326) Pisidien (TR) 244, 251; s. Georg Platon 179, 218, 244–246, 252, 255, 314, 317, 332 Plinius (242) Plovdiv s. Philippupolis Plutarch 252 Plzeň / Pilsen (CZ) 112f., 119; s. Starý Plzenec Polen 109, 119, 212, 214 Polog, historische Landschaft (FYROM, Kosovo, Metochien) 83f. Poreč, historische Landschaft (FYROM) 84 Postinpuş Baba 306 Poszony s. Bratislava Praha / Prag (CZ) 40, 61, (99), 101, 104, 112, 260f., 267, 277, 283, 316–318, 321f. Prešov / Preschau (SK) 102 Preßburg s. Bratislava Priene (TK) 47 Priskos 235 Prokopios 233, 235, 238, 329 Quentovic (FR) 27 Raab s. Győr Raab, Fluss 101, 110 Radolibos (GR) (162) Radstadt (AT) (125), (135), 138f. Ragusa s. Dubrovnik Ratiaria (BG) 229, 235 Regensburg (DE) 103, 127, 129, 260, 321f. Reinold, Hl. 275, 295 Rentina (GR) 158f., 162 Reparata, Hl. 275 Rheinland 19, 33, 35, (126), 129, 139, 277 Richard III., Kg. von England 316 Richard von Devizes 263 Robert Guiscard, Hg. von Apulien und Kalabrien 153 Römisches Reich 34, 45f., 48f., 51, 53, 55f., 63f., 67, 70f., 73–75, 80, 97, 101, 111f., 124, 167, 170, 233–236, 242, 244, 248, 251, 269, 297, 310, 325, 329, 333f.

Römisch-deutsches Reich 18, 123, 137, 139, 143, 177, 182f., 187 Roger II., Kg. v. Sizilien 157 Rom (IT) 46, 54, 139, (166), (169), 239, 249, 274f., 280, 338 Roman (RO) 119 Romanos Diogenes 159 Rostock (DE) 137, 278, 320 Rudolf IV., Hg. von Österreich 317 Rudolf von Ems 264f. Rumelien (300); s. Balkan Ruthenien 119 Saarland 20 Sagalassos (TR) 47, 59, 62 St. Denis 29 Salamanca (ES) 39 Salona (HR) 231 Salzburg (AT) 137–140, 268 Samuel, bulgarischer Zar 152 Sandomierz (PL) 119f. St. Gallen (CH) 295 St. Petersburg (RU) 40 St. Pölten (AT) 268, 270 Santiago de Compostela (ES) 276 Sardis (TR) 47, 51, 62 Saruhan (TR) 158 Sasaniden 325, 334; s. Perser Satu mare / Szatmárnémeti / Németi (RO) 107 Savaria s. Szombathely Save, Fluss 101, 237 Schedel, Hartmann 266–268, 273, 314, 323 Scheibbs (AT) (134) Schemnitz s. Banská Štiavnica Schiller, Friedrich 262 Schlegel, Friedrich 262 Schlesien 119 Schorler, Vicke 320 Schottland 263 Schweiz, Eidgenossenschaft 139f., 188 Scupi (FYROM) 229–233 Scythia 256 Scythopolis (IL) 47 Sebald, Hl. 295 Seldschuken 59, 63–68, 301f., 312, 325, 332, 334 Selymbria (TR) 158 Semmering, Pass 102 Sens (FR) 318; s. Gautier Cornut Serben, Serbien 82f., 85, 89, 156, 162, 164, 237, 325, 330 Serdica / Sofia (BG) 231, 233, (329) Serres (GR) 93, 162 Sidirokastron (GR) 93 Siena (IT) 275, 318f., 335–337 Sigismund, Kg., Ks. (295) Simeon, Hl. 276 Sinan Paşa (Sinaneddin Yusuf Paşa) 161, 312

Namenregister Singidunum / Beograd (Belgrad) (RS) 229, 231–233, 236, 238 Sinope / Sinop (TR) 150 Siracusa s. Syrakus Siret (RO) 119 Sirmium (RS) 229, 231–233, 235f., 238, 240 Sizilien (149) Skandinavien 319 Skleros, Adelsfamilie 169 Skopje / Üsküb (FYROM) 83–85, 91–93, 306 Slawen 82–86, 88f., 102, 154, 165, 211, 214f., 240, (285), 300, 312, 334 Smyrna (TR) 164 Sodom 264 Sofia s. Serdica Sokrates 244f. Sopron / Ödenburg (HU) 112–114 Spalato s. Split Spanien 33f., 184 Sparta s. Lakonia Speyer (DE) 32f., 35, 123, 177, (277) Split / Spalato (HR) 328 Spoleto (IT) 51 Stalin, Iosif 49 Starý Plzenec (CZ) 112; s. Plzeň Stefan Hrelja Dragovol, Adeliger 89 Stefan Uroš II. Milutin (Milutin), Kg. von Serbien 83f., 91f. Stefan Uroš IV. Dušan (Stefan Dušan), Kg. und Ks. von Serbien 157, 161 Steiermark (AT) 195, 270, 340 Steinamanger s. Szombathely Stobi (FYROM) 47, 62 Stralsund (DE) 278 Straßburg / Strasbourg (FR) 129, (273) Strymon 94; s. auch Basileios Kladon Stuhlweißenburg s. Székesfehérvár Suceava (RO) 119 Süleyman, Emir 309 Symeon Stylites, Hl. 254 Syncletica, Hl. 249 Syracus / Siracusa (IT) 154, 276 Syrien 47, 53, 55, 58, 63, (167), 242, 254 Szatmárnémeti s. Satu mare Szeged (HU) 107 Székesfehérvár / Stuhlweißenburg (HU) 106f. Szombathely / Steinamanger / Savaria (HU) 102, 112 Štip (FYROM) 82, 89f. Tarent (IT) 244; s. auch Archytas Târgovişte (RO) 119 Tarsus s. Paulus Tartu / Dorpat (EE) 40 Thatcher, Margaret 38 Theben (GR) 47, 155, 160 Theiss, Fluss 101 Theoderich d. Gr. 235

353

Theodor, B. von Kition (149) Theodor II. Laskaris 63, 255 Theodor Magkaphas 154, (161) Theodor Palaiologos 163 Theodora, Ksin. 153 Theodora Komnena 108 Theodosius I., Ks. 46, (326) Theodosius II., Ks. 234, (242) Theophanes 150 Thessalien 157 Thessaloniki (GR) 46, 48, 52, 54, 57, 59f., 93, 150, 155, 157–160, 163, 165, 172–174, 238, 251, 331; s. David Komnenos, Eustathios Thisvi (GR) 62 Thomas von Aquin 264, (313) Thomas Magistros 59, 156 Thorn s. Toruń Thrakien 237 Thrakesion (TR) 154 Thüringen (DE) 139 Tiberios, Ks. (167) Timurtaş Paşa 307 Tirol (AT) 140, (146), 270 Tittmoning (DE) (135) Tmorane (FYROM) 84 Toruń / Thorn (PL) 109f., 112 Tours (FR) 254; s. Martin Trapezunt (TR) 46, 164f., (171), 174, 331 Trier (DE) 276f., 280 Troia (IT) 152 Türken 67, 74, 76f., 153, (168), 325, 331, 334; s. Osmanisches Reich Tulln (AT) 133, 270 Tundža, Fluss 309f. Üsküb s. Skopje Ukraine 22 Ulm (DE) 186, 189, 281 Ulpiana, bei Priština (Kosovo, Metochien) 229, 231–233, 235, 237–239; s. Justiniana Secunda Ulrich von Lilienfeld 314 Umayyaden 63 Ungarn 33, 100, 102, 112, (141), (170) Ursula, Hl. 276 Vác / Waitzen (HU) 101 Vadian, Joachim (295) Valerianus, B. von Bassianae 235 Várad s. Oradea Vardar, Fluss 92 Vardišta (FYROM) 82 Venezia (Venedig, Venice) (IT) 50, 66, 151f., 154, 160, 170f., 188, 319, (326f.) Verroia (GR) 157 Villa publica Pistrensis, bei Sremska Mitrovica (RS) 233 Villani, Giovanni 318

354 Namenregister Villehardouin s. Geoffroy, Guillaume Vilnius / Wilna (LT) 40 Viminacium (RS) 229, 231–233, 236 Visegrád (HU) 103 Vltava s. Moldau Waitzen s. Vác Walachei (RO) 119 Washington, D. C. (US) 52 Weesen am Wanensee (CH) 19 Weichsel / Wisła, Fluss 101, 110 Westfalen 19, 111, 127, (130) Westhof, Dietrich (295) Wien (AT) 23f., 40, (52), 80, 101, 103, 108–110, 112f., 127, 129, 136, (142), (206), 259f., (265), 267–270, (271), 314, 317, 320, 341 Wien, Fluss 109 Wiener Neustadt (AT) 102, 112, 270 Wilhelm von Ockham 282 William Fitz Stephen (263) Wilna s. Vilnius Winchester (GB) 99, 263

Wisła s. Weichsel Wismar (DE) 137, 278 Wolgast (DE) 278 Worms (DE) 123, 177, 278–280 Wladislaw II., Hg., Kg. von Böhmen 104 Wrocław / Breslau (PL) 40, 101–104, 112, 267 Würzburg (DE) (132) Xanthos (TR) 47 Yenişehir (TR) 306 Yolande von Montferrat 163 York (GB) 263, 316f. Zagreb (HR) 101 Zenon, Ks. (167) Zosimus, Hl. 251 Zürich (CH) 22, 116, 143, 296 Zwettl (AT) (132), (134) Zypern (149)

CLAUDIA ULBRICH

VERFLOCHTENE GESCHICHTE(N) AUSGEWÄHLTE AUFSÄTZE ZU GESCHLECHT, MACHT UND RELIGION IN DER FRÜHEN NEUZEIT

Der Titel Verflochtene Geschichte( n ) verweist auf die Verwobenheit der historischen Lebenswelten wie der historiografischen Kategorien. Diese relationale Geschichtsschreibung verabschiedet die großen Erzählungen zugunsten des scheinbar Partikularen. Statt vermeintlicher Homogenität lenkt die Autorin den Blick auf die Pluralität und Konflikthaftigkeit frühneuzeitlicher Gesellschaften. Die von ihr untersuchten Frauen und Männer , oft Angehörige ländlicher Bevölkerung , werden als selbstbewusst handelnde Subjekte ihrer eigenen Geschichte( n ) sichtbar. Claudia Ulbrich ist Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit und Geschlechtergeschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Geschlechtergeschichte , Geschichte ländlicher Gesellschaften , die Geschichte christlich-jüdischer Beziehungen und die transkulturelle Selbstzeugnisforschung. 2014. 280 S. 7 S/W-ABB. GB. MIT SU. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-205-79632-9

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