Staufisches Mittelalter: Ausgewählte Aufsätze zur Herrschaftspraxis und Persönlichkeit Friedrichs II.
 9783412215132, 9783412207175

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Stuttgarter Historische Forschungen Herausgegeben von Joachim Bahlcke, Reinhold Bauer, Klaus Hentschel, Wolfram Pyta, Franz Quarthal, Folker Reichert und Peter Scholz Band 14

Wolfgang Stürner

Staufisches Mittelalter Ausgewählte Aufsätze zur Herrschaftspraxis und Persönlichkeit Friedrichs II.

Herausgegeben von

Folker Reichert

2012 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Stauferstiftung Göppingen, der Stiftung Würth, der Vereinigung von Freunden der Universität Stuttgart e.V., des Vereins der Freunde des Historischen Instituts der Universität Stuttgart e.V. sowie des Württembergischen Geschichts- und Altertumsvereins e.V.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Friedrich II. als Falkner © bpk

© 2012 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Wien Köln Weimar Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und buchbinderische Verarbeitung: Prime Rate Kft., Budapest Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Hungary

ISBN 978-3-412-20717-5

Inhaltsverzeichnis VORWORT .......................................................................................... VII EINLEITUNG .......................................................................................

I.

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STAUFISCHES MITTELALTER

Dynamische Vielfalt – Europa zur Zeit der Staufer .........................

1

Kaiser und Papst zur Stauferzeit .......................................................

21

Unfrei und doch Ritter? Die Ministerialen der Stauferzeit ...............

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II. HERRSCHAFTSAUFFASSUNG UND HERRSCHAFTSTHEORIE Rerum necessitas und divina provisio. Zur Interpretation des Prooemiums der Konstitutionen von Melfi (1231) ................

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Das Wesen der herrscherlichen Gewalt im Denken und Handeln Kaiser Friedrichs .................................................... 133 Deutschland und Italien in der Herrschaftskonzeption Kaiser Friedrichs II. ..................................................................... 147 Die Konstitutionen Friedrichs II. für sein Königreich Sizilien – Anspruch und Textgestalt ............................................................ 175

III. HERRSCHAFTSPRAXIS Die Gründung der Universität Neapel durch Kaiser Friedrich II. ....................................................................... 191 Kaiser Friedrich II., sein Gelehrtenkreis und die Schule von Salerno ................................................................ 205 Kreuzzugsgelübde und Herrschaftssicherung. Friedrich II. und das Papsttum im letzten Pontifikatsjahr Innozenz’ III. ............................................................................... 229

VI

Inhaltsverzeichnis

Friedrich II. als König von Jerusalem ............................................... 247 König Heinrich (VII.). Rebell oder Sachwalter staufischer Interessen? ................................................................. 265

IV. NACHLEBEN Kaiser Friedrich II. – Mythos und Persönlichkeit ............................. 291

PERSONENREGISTER ......................................................................... 321

Vorwort Wolfgang Stürner war von 1974 bis 2006 Professor für mittelalterliche Geschichte, seit 1988 Leiter der Abteilung für historische Hilfswissenschaften am Historischen Institut der Universität Stuttgart. Seine Arbeiten zur Geschichte des 12. und 13. Jahrhunderts haben die Mittelalterforschung in erheblichem Maß befruchtet und unser Wissen vom Funktionieren der staufischen Herrschaft in Deutschland und Italien deutlich erweitert. Seine Edition der Konstitutionen von Melfi (1996) hat für die weitere Erforschung der Verhältnisse im staufischen und nachstaufischen regnum Siciliae auf Generationen hinaus die Grundlagen gelegt, die monumentale Biographie Friedrichs II. (1992/2000) eine Summe gezogen, die lange Bestand haben wird. Der 6. Band des neuen „Gebhardt“ (2007) stellt die spätstaufische Herrschaft in den Rahmen der deutschen Geschichte. Die vorliegende Aufsatzsammlung vereinigt eine Auswahl verstreut oder noch gar nicht publizierter Texte, die den Gang der Forschung dokumentieren, zentrale Fragen gesondert gewichten und die Bedeutung der behandelten Epoche im Spiegel vielfältiger Zugänge zur Anschauung bringen. Im Mittelpunkt steht das Herrschaftsgefüge im staufischen Reich: im römisch-deutschen Imperium wie im sizilischen Regnum. Die theoretischen Grundlagen einerseits, deren praktische Umsetzung andererseits werden dabei erörtert und präzisiert. Die Möglichkeiten und Instrumente, aber auch die Grenzen herrschaftlichen Handelns im hohen Mittelalter werden auf diese Weise deutlich. Umrahmt wird die Sammlung durch Aufsätze, die die politischen, sozialen und geistigen Grundlagen der Epoche behandeln und das über Jahrhunderte anhaltende Interesse an der staufischen Kaisergeschichte erklären. Der Band summiert ein Lebenswerk von beeindruckender Geschlossenheit und will durch das Zusammenspiel von übergreifenden und speziellen Fragestellungen zu neuen Überlegungen und Nachforschungen anregen. Mit einer Ausnahme kommen alle Aufsätze sachlich unverändert zum Abdruck. Die ursprüngliche Paginierung ist an den entsprechenden Stellen in eckigen Klammern vermerkt. Nur im Beitrag über das Prooemium der Konstitutionen von Melfi („Rerum necessitas und divina provisio“, S. 59-131) wurde der editorische Anhang gekürzt. Die bibliographischen Angaben in den Fußnoten wurden so weit möglich an die Vorgaben der Buchreihe angepasst. Gelegentliche Hinweise auf neuere Forschungsergebnisse wurden in eckige Klammern gesetzt oder als Nachtrag eigens gekennzeichnet.

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Vorwort

Die Drucklegung des vorliegenden Bandes wäre ohne finanzielle und tatkräftige Unterstützung nicht möglich gewesen. Die Gemeinnützige Stiftung Würth in Künzelsau, die Stauferstiftung Göppingen, der Verein der Freunde des Historischen Instituts der Universtät Stuttgart, der Verein der Freunde der Universität Stuttgart sowie der Württembergische Geschichts- und Altertumsverein (Stuttgart) haben namhafte Druckkostenzuschüsse gewährt. Anna Hinz und Christian Körner sorgten für die Digitalisierung der älteren Manuskripte, Anna Joisten und Patrick Schefczik fertigten das Layout an. Larissa Hennig erstellte das Register. Frau Dorothee Rheker-Wunsch und Frau Susanne Kummer vom Verlag Böhlau betreuten mit Umsicht und Routine die Drucklegung. Ihnen allen sei herzlich gedankt. Stuttgart, im Juni 2011

Folker Reichert

Einleitung Das Interesse an den Staufern und ihrer Zeit scheint in der Geschichtswissenschaft wie außerhalb des kleinen Kreises der Spezialisten gleichermaßen ungebrochen. Die hohe Bedeutung, welche die Fachhistoriker diesem Thema nach wie vor zumessen, wie die besondere Aufmerksamkeit, mit der man dafür in der breiten Öffentlichkeit auch heute noch rechnen kann – beides führte eben jetzt die nach gründlicher Vorbereitung im September 2010 eröffnete große Mannheimer Ausstellung über „Die Staufer und Italien“ eindrücklich vor Augen, und als nicht weniger bezeichnend mag man die Selbstverständlichkeit ansehen, mit der das Jahr 2010 im Zusammenhang mit diesem Ausstellungsprojekt zum allenthalben als solches akzeptierten „Stauferjahr“ werden konnte. Unter den Herrschergestalten der Stauferzeit übte Friedrich II. stets eine ganz spezielle Faszination aus, seit je fiel ihm eine herausragende eigene Rolle zu. So fehlte es in den vergangenen Jahrzehnten denn auch wahrlich nicht an Zeugnissen für die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihm, an modernen, kritischen Editionen von Quellenwerken aus seinem Umfeld und aus seiner Epoche oder an Studien, die sich mit seiner Person und allen denkbaren Aspekten seines Wirkens befassten. Sein 800. Geburtstag fand 1994/95 vor allem in Italien außerordentlich starke Beachtung, er wurde zum Anlass für eine lange Reihe bewundernswerter Initiativen, für Veranstaltungen aller Art, Ausstellungen und wissenschaftliche Kongresse mit einem reichen, in einer Vielzahl von Publikationen festgehaltenen Ertrag. Etwas bescheidener, doch immer noch eindrucksvoll fielen die Aktivitäten zum Gedenken an des Staufers 750. Todestag im Jahr 2000 aus, und bis heute reißt die Kette der Tagungen und Veröffentlichungen nicht ab, in deren Mittelpunkt er steht oder wo er doch eine gewisse Beachtung erfährt. Der vorliegende Band präsentiert ausgewählte, durchweg aus den letzten drei Jahrzehnten stammende Beispiele für meine Teilnahme an den geschilderten Forschungsbemühungen. Die älteste der hier versammelten Abhandlungen entstand anfangs der 1980er Jahre, bei der jüngsten handelt es sich um den noch unveröffentlichten Text eines Vortrages, den ich im Februar 2010 in Stuttgart hielt. Ihnen allen gemeinsam ist trotz ihrer unterschiedlichen thematischen und zeitlichen Schwerpunkte ihr Charakter als Annäherungen an die Gestalt des Staufers, als Versuche, dessen Denken und Handeln zu verstehen, sein Verhältnis zu seinen Mitarbeitern, Gesinnungsgenossen und Gegnern zu bestimmen, seine Abhängig-

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keit von den Gegebenheiten seiner Zeit wie seine Wirkung auf diese Zeit zu erfassen. Zweifellos nämlich machen es die Fülle der verschiedenartigen Tätigkeitsfelder, auf denen man Friedrich begegnet, und die Vielfalt seiner Interessen, Kontakte und Beziehungen besonders schwer, ein klares Bild von seiner Persönlichkeit zu gewinnen. Andererseits jedoch tragen gerade diese Eigenheiten zugleich einen guten Teil zu der von ihm ausgehenden Faszination bei, und der Reiz der Beschäftigung mit ihm hängt sicher ganz wesentlich zusammen mit seiner Offenheit für die bestimmenden Tendenzen seiner Epoche und mit dem Einfluss, den er aufgrund seiner Stellung und seiner Kenntnisse auf deren Weiterentwicklung auszuüben vermochte. Wer sich auf die Auseinandersetzung mit dem letzten Stauferkaiser einlässt, wird also zwangsläufig auch mit den komplexen gesellschaftlichen Verhältnissen der späten Stauferzeit und ihrem Wandel konfrontiert. Die folgenden Beiträge geben exemplarisch etwas von der Friedrich und seinen Hof kennzeichnenden Mannigfaltigkeit des Denkens und Wirkens wieder. So analysiert einer von ihnen die in diesem Kreis lebendigen theologischen und philosophischen Vorstellungen (Rerum necessitas und divina provisio, S. 59-131). Ein anderer beschäftigt sich mit den naturwissenschaftlichen Kenntnissen, die dort verbreitet waren und diskutiert wurden, mit dem Verhältnis des Kaisers zur Medizin, mit seinen Beziehungen zu der berühmten Medizinschule von Salerno und mit der Naturauffassung, die seinem Falkenbuch zugrunde liegt (Kaiser Friedrich II., sein Gelehrtenkreis und die Schule von Salerno, S. 205228). Eine dritte Studie schließlich erinnert im Kontext der Universitätsgründung zu Neapel an Friedrichs bildungspolitische Absichten und Anstrengungen (Gründung der Universität Neapel, S. 191-204). Einen gewissen Vorrang beanspruchen die Beschäftigung mit Friedrichs Vorstellungen vom Wesen der Herrschaft, von ihrer Entstehung und Legitimierung, ihren Rechten und Pflichten, sowie die Schilderung der Schritte, die er zur praktischen Umsetzung dieses Herrschaftsentwurfes tat. Die beiden zentralen Kapitel der Sammlung widmen sich denn auch ausführlich diesem Themenbereich. Im ersten geht es um die Darlegung und Analyse der Herrschaftskonzeption des Staufers, sozusagen um seine Herrschaftstheorie, im zweiten um den Vollzug dieser Theorie, um ihre Realisierung im praktischen politischen Handeln. Unter den Aufsätzen des Theorieabschnittes liegt mir der „Rerum necessitas und divina provisio“ überschriebene und bereits 1983 erschienene, also der älteste und zugleich umfangreichste aller hier wieder abge-

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druckten Texte besonders am Herzen. Er steht am Beginn meiner wissenschaftlichen Bemühungen um Friedrich II., die während der Arbeit an ihm gewonnenen Einsichten und Resultate gaben den Anstoß zu allen weiteren mit dem Staufer in irgendeiner Weise verbundenen Untersuchungen. Ziel der Studie war es, zu einer adäquaten Interpretation und weltanschaulichen Einordnung des berühmten Vorworts zu Friedrichs Konstitutionen von Melfi zu gelangen. Sooft ich bis dahin in Vorlesungen oder Seminaren mit dem Dokument konfrontiert gewesen war, hatte mich insbesondere seine Eingangspartie mit einer gewissen Ratlosigkeit erfüllt: Was sollte der knappe Schöpfungsbericht, dessen Wortlaut überdies nicht geringe Rätsel aufgab, am Anfang eines Gesetzbuches? Die eingehende Analyse des Prooemiums brachte dann – von manchem sonst einmal abgesehen – für das Denken des Kaisers und seines Beraterkreises ganz generell kennzeichnende und wesentliche Züge zutage, deren sicheres Gespür für das im Überkommenen – in diesem Fall in den Werken der europäischen Intellektuellen des 12. Jahrhunderts – Bleibende und Weiterführende und das Geschick, diese Ansätze und Tendenzen klar herauszuarbeiten, schärfer zu profilieren, daraus neuartige Folgerungen zu ziehen und auf diese Weise zu letztlich neuen Positionen zu gelangen. Inhaltlich führte dieser Weg im Prooemium zu einer Bündelung der Argumente zugunsten der notwendigen Existenz und Unabhängigkeit der herrscherlichen Gewalt von bislang kaum erreichter, eindrucksvoller Geschlossenheit und damit zur prägnanten Formulierung einer Überzeugung, die Friedrich zeitlebens bestimmte. Die Untersuchung des Konstitutionen-Vorworts legte es zum einen nahe, danach zu fragen, ob die biblische Sündenfallgeschichte so wie dort auch ganz allgemein im spätantiken und mittelalterlichen Staatsdenken eine Rolle spielte und wie diese aussah (Peccatum und potestas, 1987). Zum anderen aber verlockten die Handschriften-Recherchen, die zur Sicherung des Prooemiumtextes nötig gewesen waren, dazu, das gesamte Konstitutionenwerk des Staufers kritisch zu edieren und damit ein Forschungsprojekt in Angriff zu nehmen, das die grundsätzlichen Fragen nach Sinn und Ziel, nach Inhalt und Wirkung der gesetzgeberischen Tätigkeit Friedrichs einschloss und so den Blick fast zwangsläufig auf seine Wirksamkeit als Herrscher überhaupt lenkte (Die Konstitutionen Friedrichs II. für sein Königreich Sizilien, 1996). Die große Tagung, die das Deutsche Historische Institut in Rom im Friedrich-Gedenkjahr 1994 veranstaltete, bot die Gelegenheit, einem sachkundigen internationalen Publikum meine Konstitutionen-Edition vorzustellen und von den Einblicken und Erkenntnissen zu berichten, die

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ich der Arbeit daran verdankte (Die Konstitutionen Friedrichs II., S. 175189). Zugleich erlebte ich auf diesem wie auf anderen Kongressen jenes Herbstes tief beeindruckt die festlich-gehobene Grundstimmung und das große, freudige Engagement, mit denen Wissenschaft und Öffentlichkeit in Italien den Anno Federiciano begingen. Kaum weniger denkwürdig pflegt ein Besuch der angesehenen Giornate normanno-sveve auszufallen, die das Centro di studi normannosvevi der Universität Bari regelmäßig alle zwei Jahre organisiert – denkwürdig des Kontaktes mit den italienischen oder etwa mit französischen und englischen Kollegen wegen, aber durchaus auch wegen der besonderen Atmosphäre der Stadt Bari mit ihren großartigen Baudenkmälern aus der normannisch-staufischen Zeit. Im Jahre 2000 reiste ich zum ersten Mal zu einer solchen Tagung des Centro; sie befasste sich mit der Bedeutung der Kreuzzüge für das sizilische Königreich, und ich referierte über Friedrichs II. Beziehungen zum Königreich Jerusalem und über seine Stellung dort (Friedrich II. als König von Jerusalem, S. 247-263). Eine Studie über sein Kreuzzugsgelöbnis von 1215 hatte ich bereits früher für die Festschrift zum 65. Geburtstag meines hoch geschätzten Doktorvaters Horst Fuhrmann abgefasst (Kreuzzugsgelübde und Herrschaftssicherung, S. 229-245). Nicht ganz so weit in die Ferne wie nach Bari führt die Teilnahme an den Staufertagen, zu welchen die rege Göppinger Staufergesellschaft alljährlich einlädt. Sie verfolgen die verdienstvolle Absicht, ein breites, interessiertes Publikum auf wissenschaftlichem Niveau, aber zugleich verständlich, mit der Stauferzeit vertraut zu machen, und stoßen damit auf beachtliche Resonanz. Im Mittelpunkt der Veranstaltung des Jahres 1999 stand die tragische Gestalt des Friedrichsohnes Heinrichs VII., dessen Schicksal seit einiger Zeit erfreulicherweise auch sonst wachsende Aufmerksamkeit findet. In meinem Vortrag zu dem Thema ging es um eine Gesamtwürdigung des Königs; ich suchte seine Verdienste ebenso vor Augen zu führen wie die wohl doch stärker zu Buche schlagenden Schwächen seines Regimentes, ohne die Versäumnisse zu verschweigen, die sich sein kaiserlicher Vater ihm gegenüber zuschulden kommen ließ (König Heinrich [VII.]. Rebell oder Sachwalter staufischer Interessen?, S. 265-290). Zwei kleinere Textgruppen umrahmen die beiden zentralen Teile der Aufsatzsammlung gewissermaßen. Der einleitende Abschnitt stellt die Stauferzeit und damit auch die Epoche Friedrichs vor (Dynamische Vielfalt, S. 1-19) und hebt einige für sie wesentliche Aspekte heraus, insbesondere das problematische Verhältnis von Kaisertum und Papsttum

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(Kaiser und Papst zur Stauferzeit, S. 21-39) sowie den erstaunlichen Aufstieg und die bedeutsame Rolle der Ministerialität (Unfrei und doch Ritter?, S. 41-57). Der abschließende Beitrag lenkt den Blick auf die Wahrnehmung und Beurteilung Friedrichs durch die Nachwelt: Meiner Abschiedsvorlesung an der Universität Stuttgart lag die Frage zugrunde, ob und welche Wurzeln für die bis zur Gegenwart anhaltende Neigung, die Person Friedrichs im Positiven wie Negativen ins Mythische zu überhöhen, sich bereits bei ihm selbst und in seiner Zeit finden lassen (Kaiser Friedrich II. – Mythos und Persönlichkeit, S. 291-320). Die Forschung unserer Tage setzt sich mit Recht energisch ab von der – nicht zuletzt unter dem Einfluss der Friedrich-Biographie von Ernst Kantorowicz – durchaus auch heute noch anzutreffenden Stilisierung des letzten Stauferkaisers zur übermenschlich-idealen herrscherlichen Heldengestalt. Sie neigt dabei manchmal freilich etwas dazu, ins andere Extrem zu verfallen und Friedrich II. als einen mittelalterlichen Durchschnittsherrscher von alltäglich-normalem Zuschnitt darzustellen. Von dessen konkreten, fassbaren Leistungen einmal ganz abgesehen, zeigt jedoch, wie mir scheint, gerade die noch zu seinen Lebzeiten massiv einsetzende Mythisierung seiner Persönlichkeit, dass ihn seine Zeitgenossen keineswegs als einen von den gegebenen Verhältnissen vollständig geprägten und abhängigen Mann wahrnahmen, dass schon sie ihm vielmehr eine Sonderstellung, sei es im Guten oder im Verwerflichen, zuerkannten. Ich meine, diesen Umstand sollte jede moderne Bewertung mit bedenken. Ich freue mich sehr über die vorliegende Neuausgabe älterer und jüngerer Studien zu Friedrich II. Mein herzlicher Dank gilt den Stiftungen und Vereinen, die das Erscheinen dieses Bandes durch ihre großzügige finanzielle Unterstützung erst möglich machten, sowie den Herausgebern der „Stuttgarter Historischen Forschungen“ für die Aufnahme der Aufsatzsammlung in die Stuttgarter Reihe. Ganz besonders großen Dank aber schulde ich Folker Reichert, dem Kollegen und Freund, der das Vorhaben angeregt hat, der tatkräftig für sein Zustandekommen sorgte und sich für seine Realisierung bis zum erfolgreichen Abschluss wirkungsvoll einsetzte. Stuttgart, im Juni 2011

Wolfgang Stürner

I. Staufisches Mittelalter Dynamische Vielfalt – Europa zur Zeit der Staufer Wollten wir die im Titel genannte Zeit der Staufer streng nach der Dauer der Stauferherrschaft bemessen, so hätten wir uns auf die 116 Jahre von 1138 bis 1254 zu konzentrieren: Im März 1138 wurde Konrad III. als erster Staufer zum König gewählt; im Mai 1254 erlosch mit dem Tod Konrads IV. in Unteritalien formell das deutsche Königtum der Staufer. Zweifellos jedoch zählte die Familie schon seit 1079, als der Salierkönig Heinrich IV. den Staufer Friedrich zum Herzog von Schwaben erhob und mit seiner einzigen Tochter verheiratete, zu jener kleinen adligen Spitzengruppe, deren Wirken über Deutschland hinaus den Geschicken des Reiches galt. Vor allem aber soll es im Folgenden ja darum gehen, etwas von der wesentlichen Eigenart jener Epoche, in der die Staufer herrschten, zu erfassen, und dabei nicht nur das staufische Imperium, sondern auch dessen europäisches Umfeld in den Blick zu nehmen. Wir wollen die zentralen sozialen und wirtschaftlichen, die wissenschaftlichen, religiösen und politischen Entwicklungen kennenlernen, die damals die Kernländer Europas bestimmten, mit denen sich die Staufer also auseinandersetzen mussten, die sie mitgestalteten oder sogar wesentlich prägten. Dabei empfiehlt es sich gewiss, großzügig das ganze 12. Jahrhundert und wenigstens einen guten Teil des 13. Jahrhunderts ins Auge zu fassen. Die Lage der Menschen, die zu dieser Zeit lebten, war ganz wesentlich durch den Umstand geprägt, dass sich damals die Bevölkerung überall in Europa stark vermehrte. Präzise Angaben, nach denen sich zwischen 1100 und 1300 beispielsweise die Einwohnerzahl Frankreichs von 6 auf 21 Millionen oder diejenige Deutschlands von 4 auf 12 Millionen erhöhte, beruhen zwar auf höchst unzuverlässigen Grundlagen. Dennoch können wir mit aller Vorsicht von einer Zunahme der Bevölkerung Europas während der genannten Zeitspanne um mindestens das Dreifache ausgehen. Dieses Wachstum stellte die Gesellschaft angesichts der recht bescheidenen Produktivität der Landwirtschaft vor erhebliche Probleme. Einigermaßen ausreichend ließ sich die rasch anwachsende Bevölkerung

Bisher unveröffentlichter Text eines im Februar 2010 in Stuttgart gehaltenen Vortrags.

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nur dann ernähren, wenn man die landwirtschaftlich genutzte Fläche erheblich vergrößerte. Das geschah denn auch während der gesamten Epoche mit großer Intensität. Die bereits seit der Römerzeit relativ dicht besiedelten und gut erschlossenen Regionen Italiens und Frankreichs gingen voran. Rasch erfasste die Bewegung dann, nach Norden und Osten ausgreifend, Flandern, Holland und Deutschland. Dabei kam es neben Projekten zur Eindeichung der Nordseeküste oder zur Entwässerung großer Sumpfgebiete und Moore nun auch in Deutschland in großem Umfang zur Rodung von Wäldern und zur Gründung neuer Siedlungen auf dem so für die landwirtschaftliche Nutzung gewonnenen Boden. Natürlich veränderten diese Eingriffe die Landschaft tiefgreifend. Wohl ungefähr 170 000 Siedlungen gab es schließlich im ausgehenden 13. Jahrhundert in Deutschland, so viele wie nie zuvor oder danach; allerdings handelte es sich dabei ganz überwiegend um äußerst kleine Dörfer mit meist nicht mehr als 60 bis 70 Bewohnern. Alle diese Erschließungsmaßnahmen erforderten zunächst erhebliche, nicht zuletzt finanzielle Anstrengungen und Vorleistungen. Vorwiegend die Angehörigen der Führungsschicht, also die Könige, der hohe Adel, Bischöfe oder Äbte, setzten denn auch derartige Unternehmungen in Gang. Sie besaßen das nötige Land und Geld und sie verfügten über das unentbehrliche sachkundige Personal, das die Anwerbung der bäuerlichen Siedler sowie alle Arbeiten vor Ort von der Rodung bis zur Vermessung und Aufteilung des Grundes in die Hand nahm. Der Erzbischof Wilhelm von Reims beispielsweise ließ gegen Ende des 12. Jahrhunderts in den Ardennen zahlreiche Dörfer anlegen. Die Urkunde, in der er die Rechte und Pflichten der bäuerlichen Neusiedler sehr genau regelte, fand im Laufe der Zeit fast unverändert in über 500 neuen Orten Anwendung. Ähnlich wie hier erhielten die Bauern, die einen derartigen Neubeginn wagten, für gewöhnlich auch anderswo in ihrer neuen Heimat ein Haus und Ackerland in Erbpacht zugewiesen, wofür sie einen Pachtzins an den Grundherrn zu zahlen hatten. Dieser beanspruchte überdies einen Anteil an ihren Ernteerträgen und an den vom Dorfgericht verhängten Geldstrafen sowie mancherlei Gebühren. Er legte die im Dorf geltende Rechtsordnung fest und kontrollierte durch seine Dienstleute die für die dörfliche Verwaltung und Gerichtsbarkeit verantwortlichen Schultheißen und Schöffen. In der Regel zogen die hochgestellten Initiatoren auf Dauer erheblichen Nutzen aus ihren Bemühungen um den zeitgemäßen Ausbau ihrer Lande. Sie erhöhten auf diese Weise nicht nur ihre Einnahmen ganz be-

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trächtlich, die Herrschaft über eine große und stets noch wachsende Zahl von Untertanen erweiterte zudem ihre Handlungsmöglichkeiten, nicht zuletzt in militärischer Hinsicht, sie vergrößerte ihren Einfluß und mehrte ihr herrscherliches Ansehen. Zweifellos verbesserten sich die Lebensbedingungen der beteiligten Bauern gleichfalls. Die lästige Verpflichtung zu persönlichen Diensten auf dem Land des Herrn beschwerte sie nicht mehr; das ihnen zugewiesene Land bot eine gewisse existentielle Sicherheit, sie konnten dort selbständig mit ihrer vollen Arbeitskraft markt- und gewinnorientiert wirtschaften und ihre alltäglichen Angelegenheiten eigenverantwortlich innerhalb ihres Heimatdorfes regeln. Statt des Herrenhofes wurde das Dorf zum bäuerlichen Lebensmittelpunkt. Diese positive Entwicklung erfasste bald auch solche Bauern, die nach wie vor auf seit alters bewirtschaftetem Grund lebten. Verständlicherweise erstrebten sie für sich ebenfalls günstigere, mit denen der neugegründeten Dörfer vergleichbare Existenzbedingungen. Doch auch viele ihrer Herren erkannten die Vorteile, die ihnen die dort praktizierte neuartige Organisation des agrarischen Produzierens bot. So teilten sie das bisher von dienstpflichtigen Hörigen bestellte Herrenland auf, verpachteten es und verlangten als Ersatz für die nun unnötig gewordenen persönlichen Dienste Geldzahlungen. Den Bauern aber brachte eine derartige Auflösung des alten Wirtschaftssystems im Allgemeinen wohl die ersehnte Besserstellung, mehr persönliche Freiheit und Unabhängigkeit. Für zahllose Bauern überall in Europa blieb es freilich bei den traditionellen, beengenden Produktions- und Lebensumständen, und auch davon abgesehen war die bäuerliche Existenz nach wie vor mancherlei Schwierigkeiten und Gefahren ausgesetzt, schlimmen Unwettern, schweren, langanhaltenden Hungersnöten, dazu den Versuchen der Grundherren, die Besitzrechte ihrer Bauern zu schmälern oder deren finanzielle Belastung zu erhöhen. Überdies mehrten sich bereits vor der Mitte des 13. Jahrhunderts die Hinweise auf eine zunehmende Knappheit des Landes. Darauf deutet unter anderem die Beobachtung hin, dass die auf Rodungsland neu entstehenden Hufen nun wesentlich kleiner ausfielen als ein Jahrhundert zuvor. In den Dörfern wuchs die Zahl der Kleinbauern, die jetzt oft schon die Mehrheit der Dorfbewohner bildeten, und der Gegensatz zwischen ihnen und der wohlhabenden bäuerlichen Oberschicht vertiefte sich. Die hier angesprochenen Probleme erklären wenigstens zu einem Teil, weshalb sich manche Bauern in der Hoffnung auf eine echte Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse zu einem völligen Bruch mit der gewohnten Umgebung und zur Auswanderung in das Gebiet östlich der deutsch-

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slawischen Siedlungsgrenze oder zum Neuanfang in einer Stadt entschlossen. Beides hatte bedeutsame gesellschaftliche Konsequenzen. Die von Slawen bewohnten Territorien östlich von Elbe und Saale waren in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts nur äußerst dünn besiedelt. Aber natürlich konnte ihre Erschließung durch deutsche Kolonisten, von einzelnen bereits unter deutscher Herrschaft stehenden Regionen einmal abgesehen, überall sonst an sich nur mit Billigung der dort regierenden slawischen Herrscher beginnen. Dennoch suchten deutsche Fürsten ihre Siedlungspläne auf slawischen Boden nicht selten ohne dieses Einverständnis mit militärischer Gewalt zu realisieren. In nennenswertem Umfang setzte die deutsche Ostsiedlung in den 1140er Jahren ein, als Graf Adolf von Holstein flämische, holländische, westfälische und friesische Kolonisten nach Ostholstein rief. Seit 1160 folgten, von Heinrich dem Löwen auf den Weg gebracht, ähnliche Aktionen in dem von ihm unterworfenen westlichen Mecklenburg oder auf Initiative Albrechts des Bären in Westbrandenburg. Das staufische Herrscherhaus blieb keineswegs hinter den Fürsten zurück: Konrad III. und dann besonders energisch Friedrich Barbarossa sorgten für die Erschließung des Pleißenlandes, des Vogtlandes sowie des Raumes um Eger und schufen so an strategisch wichtiger Stelle ein wohl entwickeltes Reichsterritorium. Im 13. Jahrhundert ging die Ostsiedlung eher noch verstärkt weiter. Sie erfasste mit ihren tiefgreifenden Veränderungen nun einen großen geographischen Raum, der Mecklenburg, Pommern, Ostbrandenburg, die Nieder- und Oberlausitz, Schlesien sowie den Westen des Ordenslandes Preußen einschloss, außerdem kleinere Siedlungszonen in Böhmen, Mähren und Ungarn. Im Unterschied zum 12. Jahrhundert verbreitete sich diese eindrucksvolle Migrationswelle jetzt, von der Ausnahme Preußens abgesehen, in aller Regel ohne den Druck militärischer Gewalt. Wie ihre deutschen Standesgenossen riefen die slawischen Fürsten Mecklenburgs, Pommerns oder Schlesiens, inzwischen durchweg christlichen Glaubens, die Kolonisten aus eigenem Antrieb in ihre Lande, weil sie sich von deren Wirken, von ihren modernen Formen des Wirtschaftens – meist mit Recht – die Erhöhung ihrer Einkünfte wie die Steigerung ihrer Macht und ihres Ansehens versprachen. Im Übrigen traten auch in ihrer unmittelbaren Umgebung die aus dem Westen einwandernden deutschen Ritter wegen ihrer militärischen Kenntnisse und ihres von der westlichen Ritterkultur geprägten attraktiven Lebensstiles mehr und mehr in den Vordergrund. Die neuen Lebens- und Arbeitsformen, die die deutschen Einwanderer mitbrachten, erwiesen sich auf Dauer als vorteilhaft nicht nur für diese

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selbst, sondern auch für die einheimischen Slawen einfachen wie insbesondere adligen Standes, was die slawische Assimilation offenbar sehr erleichterte. Zugleich festigten sich die bereits bestehenden lehnsrechtlichen Bindungen der slawischen Fürsten an das Reich und die endgültige Westorientierung der schlesischen Piastenherzöge zeichnete sich immerhin ziemlich klar ab. Das sprachlich-kulturell wie rechtlich und politisch deutsch geprägte Gebiet dehnte sich erheblich nach Osten hin aus. Für alle, die im Bereich der Ostsiedlung Herrschaft ausübten, gehörte zum effizienten Landesausbau ganz selbstverständlich die Gründung von Städten. So entstanden damals wichtige städtische Mittelpunkte wie Rostock, Berlin, Frankfurt an der Oder und Breslau. Deren Gründer hielten sich auch dabei an westliche Vorgehensweisen, an Vorbilder, die sich ihnen in Deutschland boten, die sich zuvor jedoch bereits im Süden und Westen Europas herausgebildet hatten. Schon seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert nämlich führten die engen Wirtschaftsbeziehungen zu Byzanz und zur arabischen Welt sowie das starke Wachstum der Bevölkerung zu einer Blüte süditalienischer Städte wie Amalfi, Bari oder Messina und bald auch Venedigs. Gleichzeitig gewannen Genua und Pisa den dominierenden Einfluss auf den Handel im westlichen Mittelmeer. Die Kreuzzüge und die Errichtung der Kreuzfahrerstaaten in Palästina und Syrien stärkten die überragende Position der italienischen Kaufleute im Fernhandel noch weiter, und schnell partizipierten an dem wirtschaftlichen Aufschwung auch die städtischen Zentren im Landesinnern, besonders deutlich die zum Imperium gehörenden Städte in der Poebene und in der Toskana. Zugleich stieg deren Einwohnerzahl vorwiegend durch Zuzug der Landbevölkerung drastisch an. In Mailand, Genua, Venedig und Florenz lebten damals wahrscheinlich über 80 000 Menschen. Fast überall nahmen die Vertreter der erfolgreichen Aufsteigerschicht der Kaufleute und Bankiers zusammen mit Angehörigen des grundbesitzenden und überdies meist gleichfalls kaufmännisch tätigen Adels ganz folgerichtig immer selbständiger das Stadtregiment in die Hand. Statt des vom Kaiser belehnten bischöflichen Stadtherrn fällte jetzt das aus ihren Reihen gewählte Ratsgremium der Konsuln alle wichtigen Entscheidungen, wobei indessen, insbesondere zwischen den beteiligten Adelsfamilien, immer wieder erbitterte Konflikte ausbrachen. Zu einem ähnlichen Wachstum bestehender Städte wie auch, häufiger als in Italien, zu Neugründungen kam es in Frankreich. Was Größe und Bedeutung anlangt, lässt sich unter ihnen immerhin Paris, die zentrale Königsstadt, mit den großen lombardischen Städten vergleichen, und in

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Flandern bildete sich, konzentriert um Gent und Brügge, geradezu ein Netz wirtschaftlich außerordentlich reger Städte. Mit einem gewissen Verzug entfaltete sich das Städtewesen in Deutschland erst im Laufe des 12. Jahrhunderts. Nun aber wuchsen auch hier die bestehenden Städte recht stürmisch, und zugleich setzte eine wahre Neugründungswelle ein, die erst um 1300 verebbte. Der Prozess erfasste zunächst den Westen, die Region am Niederrhein, die mit Köln als Zentrum für lange Zeit das städtereichste und wirtschaftlich führende Gebiet Deutschlands bleiben sollte. Allerdings war die Städteförderung von Anfang an und noch unter Friedrich II. auch ein wesentliches Merkmal der staufischen Territorialpolitik; sie verhalf dem Reichslandgebiet gleichfalls zu einer großen Zahl neuer städtischer Zentren und zum Anschluss an das hohe niederrheinische Niveau. Ähnliches gilt für Bayern oder für das damalige Sachsen, das ganz grob dem heutigen Niedersachsen entsprach. So erlebten Nürnberg, Ulm, Frankfurt am Main, Braunschweig, München oder Lübeck jetzt ihre erste Blüte. Dass für die Fürsten des Ostens Städtegründungen im 13. Jahrhundert ein unverzichtbares Element ihrer Erschließungspolitik bildeten, sahen wir bereits. Die allermeisten deutschen Städte glichen freilich eher Dörfern. Nur wenige wie Lübeck, Nürnberg oder Wien brachten es auf 20 000 Einwohner, Köln, die größte unter ihnen, auf ungefähr 40 000. Als Städtegründer taten sich bis weit ins 13. Jahrhundert hinein vorwiegend die staufischen Herrscher sowie die geistlichen und weltlichen Fürsten hervor. Sie partizipierten als Stadtherren an den in ihren Gründungen erwirtschafteten Erträgen und sie nutzten diese Gründungen zugleich als wertvolle administrative und militärische Zentren. In der Regel gaben sie ihnen eine eigene, auf die bürgerliche, also die handwerkliche und kaufmännische Erwerbs- und Lebensform abgestimmte Rechtsordnung. Indes besaßen meist nur jene Einwohner der Stadt, denen dort ein Haus oder Grundstück gehörte, das Bürgerrecht, und auch unter den Bürgern selbst gab es in Deutschland wie überall in Europa große Gegensätze. Eine kleine Elite, die Mitglieder der etablierten Kaufmannsfamilien sowie nicht selten hochrangige Ministeriale, also Dienstleute des Stadtherrn, vertraten für gewöhnlich die Bürgerschaft gegenüber dem Stadtherrn. Ein entscheidender Schritt zur Autonomie gelang vielen deutschen Städten im Laufe des 13. Jahrhunderts, also gut 100 Jahre nach den italienischen, mit der Einführung der Ratsverfassung. Utrecht und Lübeck gingen um 1200 voran, und besonders schnell folgten die neuen Städte in den östlichen Ausbaugebieten; um kompetente Handwerker oder Kaufleute dorthin zu locken, erhielten sie nämlich oft von Anfang an mit dem

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Lübecker oder Magdeburger Stadtrecht einen Rat. Dessen Mitglieder verstanden es meist geschickt, dem Stadtherrn unter Ausnutzung seiner politischen oder finanziellen Schwierigkeiten eine wichtige Herrschaftsbefugnis um die andere zu entreißen, und in der dramatischen Umbruchszeit nach 1240 errangen manche Bischofsstädte wie Regensburg, Mainz, Worms oder Köln sogar die völlig unabhängige Position einer nur lose noch dem Reich verbundenen Freien Stadt. Die Königs- oder künftigen Reichsstädte, das heißt: die Städte auf staufischem Hausgut bzw. auf Reichsgut nahmen eine Sonderstellung ein. Als bedeutsame militärische, wirtschaftliche und administrative Mittelpunkte der Reichslande erfuhren sie zwar die intensive Förderung ihrer staufischen Herren; zahlreiche königliche und kaiserliche Privilegien bestätigten und mehrten die persönlichen Rechte und Freiheiten ihrer Bürger und erleichterten deren wirtschaftliche Aktivitäten. Das Stadtregiment aber lag ganz bei der von den Staufern aufgebauten Reichsgutverwaltung. Erst nach dem Tod Friedrichs II. begann sich in den Königsstädten, zunächst in Ulm oder Reutlingen, die Ratsverfassung zu verbreiten. Der Ausfall des Schutz gewährenden königlichen Stadtherrn zwang seine Städte, ihr Geschick selbst in die Hand zu nehmen, um ihre unmittelbare Bindung an König und Reich zu verteidigen. Ihre Wandlung zu Reichsstädten hatte begonnen. Als immer wichtiger werdende Mittelpunkte des gesellschaftlichen Lebens gewannen Europas Städte bald auch zunehmende Bedeutung im Bildungswesen. Während sich in Deutschland allerdings das Niveau der städtischen Dom- und Stiftsschulen erst im 13. Jahrhundert spürbar hob, wirkten in Frankreich an einzelnen derartigen Institutionen bereits ein Jahrhundert zuvor Gelehrte von europäischem Rang und zogen Studenten von weither an, aus Deutschland etwa den späteren Bischof Otto von Freising, den Biographen Friedrich Barbarossas. In glänzendem Ruf stand die Domschule von Chartres, deren Lehrer sich als hervorragende Kanonisten und Theologen ebenso auszeichneten wie durch ihre Beschäftigung mit antiker Philosophie, Naturwissenschaft und Medizin. Sie benutzten dabei schon die damals in Süditalien und vor allem in Toledo eifrig gefertigten lateinischen Übersetzungen arabischer Schriften, welche Werke antiker Autoren wie Aristoteles überlieferten und kommentierten. Noch größeres Ansehen genoss gewiss Paris mit seiner Kathedralschule und den zahlreichen anderen Abtei-, Stifts- und sogar Privatschulen. Der berühmte Abaelard etwa lehrte dort und zeigte mit der sogenannten Scholastischen Methode einen Weg, mit Widersprüchen im traditionellen, auf Autoritäten bauenden Denken wissenschaftlich, also rational umzugehen

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und so neue Lösungen zu entwickeln. Seine der vernunftgeleiteten Logik großes Gewicht beimessende Theologie fand viel Zustimmung, brachte ihm jedoch die entschiedene Gegnerschaft des hochgeachteten, einflussreichen Zisterzienserabtes Bernhard von Clairvaux ein. Der Streit, in dem sich letztlich zwei fundamental gegensätzliche theologische Positionen gegenüberstanden, führt sehr klar die Vorbehalte und Widerstände vor Augen, denen die neue Wissenschaft des 12. Jahrhunderts mit ihrem Eintreten für die Urteilsfähigkeit des individuellen Intellekts begegnete. Kurz vor 1200 schlossen sich die Lehrer der verschiedenen Pariser Schulen zu einer universitas magistrorum, zu einer Art Standesorganisation, zusammen, um ihre Interessen wirkungsvoller zu vertreten. Da dem König wie der Stadt nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen sehr am dauerhaften Wirken der Professoren in Paris lag, setzten diese ihre Vorstellungen von Lehrfreiheit, Studienbetrieb oder der Erteilung der Lehrbefugnis in der Tat bei König und Bischof durch, wenngleich insbesondere dem Papst gewisse Kontrollrechte blieben. So trat die erste Universität Europas ins Leben, eine vom Papsttum als einer der beiden Universalgewalten anerkannte Bildungseinrichtung, deren Mitglieder umfassende Privilegien und Autonomierechte genossen und deren Professoren eine Vielzahl von Fächern auf höchstem Niveau vertraten. Etwa 6000 Menschen aus ganz Europa studierten um 1250 in Paris und zwar vor allem Philosophie einschließlich der nun grundlegenden Logik und der Naturwissenschaft sowie Theologie. Die hohe Studentenzahl beweist eindrücklich, welch enorme Nachfrage nach Bildung und Wissenschaft jetzt in Europa herrschte. Freilich gab es erst jetzt auch Großstädte, die über die zur Versorgung so vieler Studenten nötige Infrastruktur verfügten. Fast gleichzeitig mit Paris erlebte Bologna eine vergleichbare Entwicklung. Dort bildeten seit langem spezielle Schulen Notare, Richter und Verwaltungsleute aus. Dabei stand zunächst das römische Recht völlig im Mittelpunkt, später trat das Kirchenrecht an seine Seite. Kaiser Friedrich Barbarossa lernte früh die Bologneser Rechtsschulen kennen und bediente sich 1158 bei der Abfassung der wichtigen Ronkalischen Gesetze des sachkundigen Rates ihrer Lehrer. Es waren in Bologna dann jedoch die Studenten, an ihrer Spitze allerdings Kleriker und Adlige in bereits hoher Stellung, die sich um 1200 in zwei Vereinigungen oder universitates organisierten. Sie formulierten ihre Vorstellungen vom Lehrbetrieb, von der Bezahlung der Professoren und von der Rolle der Stadt und vermochten sie bis gegen 1250 tatsächlich durchzusetzen. Im seit 1194 staufisch regierten Königreich Sizilien schließlich blühte bereits im 12. Jahrhundert zu Salerno die europaweit angesehenste Medi-

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zinschule, deren Professoren ihr exzellentes Wissen und Können ihrer praktischen Erfahrung wie dem Studium teilweise am Ort selbst ins Lateinische übersetzter arabischer und griechischer Fachliteratur verdankten. Friedrich II. verlieh der Schule 1231 ein medizinisches Ausbildungsmonopol im sizilischen Königreich und erließ Rahmenrichtlinien für das dortige Studium, für die Prüfungen und die ärztliche Approbation. Vor allem aber gründete er 1224, ohne an schon vorhandene Einrichtungen anzuknüpfen, die Universität Neapel, an der mit Ausnahme der Medizin und Theologie alle damals aktuellen Fächer vertreten waren. Freilich fiel der Rechtswissenschaft und damit der Ausbildung königlicher Beamter auf dem in Bologna üblichen hohen Niveau eine zentrale Bedeutung zu. Der Herrscher berief und bezahlte die Professoren, er sorgte für angemessene Lebensbedingungen der Studenten, doch ebenso zum Beispiel für die Beteiligung seiner Beamten an den Abschlussprüfungen. So entstand in Neapel die erste rein staatliche, ohne jeden sonstigen, vor allem ohne jeden kirchlichen Einfluss gegründete und geführte Universität und damit ein Hochschultyp, dem noch heute – mit allen seinen Vorzügen und Nachteilen – beispielsweise in Deutschland bei weitem die meisten Universitäten entsprechen. Während der Stauferzeit allerdings suchen wir in Deutschland eine den neuen Universitäten vergleichbare Einrichtung vergebens. Natürlich boten die Höfe von Bischöfen oder weltlichen Fürsten, desgleichen Abteien und Stifte gelehrten Geistlichen geeignete Bedingungen für ihre wissenschaftliche Arbeit, und seit kurzem erfassen wir zudem auch die regen Beziehungen Friedrich Barbarossas und seines Hofes zu profilierten Intellektuellen seiner Zeit klarer. Längst bekannt ist hingegen, welche zentrale Rolle die Wissenschaft im Leben Kaiser Friedrichs II. spielte. Er zog bedeutende Gelehrte an seinen Hof in Apulien, diskutierte mit ihnen philosophische oder theologische Probleme und förderte ihre Studien. In seinem Auftrag übertrug der berühmte Michael Scotus zusammen mit jüdischen Spezialisten eine ganze Reihe der im Abendland bald maßgebenden Aristoteles-Kommentare des arabischen Philosophen Averroës ins Lateinische. Vor allem jedoch legte der Kaiser selbst mit seinem Falkenbuch eine Untersuchung vor, die neue Erkenntnisse zur Ornithologie beisteuerte und der damals allenfalls vereinzelt angewandten experimentellen Methode große Bedeutung zumaß. Wichtiger noch: Ihr lag die zukunftsweisende Vorstellung zugrunde, dass die natürlichen Prozesse ihre Ursache nicht außerhalb der agierenden Körper und letztlich in Gott hätten, sondern in diesen Körpern selbst und deshalb allein durch deren Analyse erklärt werden könnten.

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Einem Trend der Zeit folgte der Hof Friedrichs II. indessen, als eine Reihe seiner Mitglieder adliger wie bürgerlicher Herkunft zusammen mit dem Herrscher selbst daran gingen, Gedichte in ihrer süditalienischen Muttersprache zu verfassen und so den ersten, vielleicht wichtigsten Schritt auf dem Weg zur einheitlichen italienischen Schriftsprache zu tun. In vollem Gang war damals nämlich bereits Europas Abkehr von der universalen Geltung des Lateinischen und die Neubewertung der Volkssprachen als höchst leistungsfähiger Instrumente zur Schilderung individueller Gefühle und Erlebnisse. Gegen Ende des 11. Jahrhunderts begannen südfranzösische Liedermacher, Liebesgedichte in provenzalischer Sprache zu verfassen, in der Zeit zwischen 1150 und 1250 traten dann die bedeutendsten Vertreter dieser Troubadourdichtung mit ihren kunstvollnuancenreichen Schöpfungen hervor. Ihnen gleich taten es in Nordfrankreich und in ihrer altfranzösischen Sprache Künstler wie Chrétien von Troyes. Seinen außerordentlichen Ruf und Einfluss verdankte Chrétien jedoch seinem epischen Werk, seinen großen, von der ritterlichen Welt am Hofe des sagenhaften Königs Artus handelnden Romanen. In Deutschland, wo kurz nach 1150 die ersten volkssprachlichen Dichtungen erschienen, erkannte man bald den Rang und die Aktualität von Chrétiens Werk. An sein Vorbild angelehnt, schilderte der zwischen 1180 und 1220 wirkende Hartmann von Aue, ein gebildeter oberrheinischer Ministeriale, in seinen Epen die höfische Gesellschaft seiner Zeit, mit scharfem Blick für deren Glanz wie für deren problematische Seiten. Ganz ähnlich spielt im Parzifal seines Zeitgenossen Wolfram von Eschenbach die Problematik der ritterlichen Lebensform eine zentrale Rolle. Dazu tritt als wesentliche Erweiterung der Thematik indes die Suche des Titelhelden nach Erlösung von Schuld und Sünde durch Gott. Der ebenfalls um 1210 schreibende Gottfried von Straßburg hingegen stellte in seinem Versroman Tristan und Isolde der höfisch-ritterlichen Gesellschaft die Liebe als eine alle gesellschaftlichen Werte und Ordnungen außer Geltung setzende Kraft gegenüber. Gleichzeitig mit diesen Meisterwerken der Epik entstanden Gedichte, vorwiegend Minnesang, also Liebeslyrik, von höchster Qualität. Als bedeutendster Repräsentant dieser mittelhochdeutschen Lyrik, vielleicht als die herausragendste Dichterpersönlichkeit jener Zeit überhaupt, darf wohl Walther von der Vogelweide gelten, seines sprachlich-formalen Könnens wie der inhaltlichen Schönheit und Fülle seines Werkes wegen; als engagierter Kommentator der Zeitgeschichte führte er – seit 1213 als entschiedener Anhänger Friedrichs II. – zudem die politische Spruchdichtung zu einer ersten Blüte. Aufs Ganze gesehen, schufen die Epiker und Lyriker mittelhochdeutscher Sprache in den Jahrzehnten

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um 1200 eine beeindruckende Zahl noch heute bewundernswerter Werke, die jene Epoche zum ersten glanzvollen Höhepunkt des literarischen Schaffens in Deutschland machten. Die wachsende Aufmerksamkeit, die die Repräsentanten der Kirche den neuen, komplizierteren Herrschaftstechniken widmeten, verstärkte den Eindruck, der hohe Klerus sei vorwiegend mit weltlichen Sorgen beschäftigt. Vor allem die europäischen Städtelandschaften wurden bald zu Schwerpunkten der Kritik an der Verweltlichung der Kirche. Die vom Land in die Städte eingewanderten, aus ihren alten Bindungen gerissenen Menschen vermissten eine adäquate seelsorgerliche Betreuung durch den Klerus, und die eingesessene Bürgerschaft bekämpfte den kirchlichen Anspruch auf Steuerfreiheit und eigenes geistliches Gericht. So fanden jetzt zum ersten Mal im Mittelalter überhaupt Ketzergruppen ernstzunehmenden Widerhall, vor anderen die Katharer oder Albigenser. Während sie in Nordfrankreich und im Rheinland, wo sie gegen 1140 auftauchten, nicht dauerhaft Fuß zu fassen vermochten, spielten sie in Oberitalien und Südfrankreich ein Jahrhundert lang eine bedeutsame Rolle. Trotz ihrer vom christlichen Glauben klar abweichenden dualistischen Weltanschauung stießen sie dort wegen ihrer eindrucksvollen Christusnachfolge als arme, heimatlose Wanderprediger auf große Bewunderung und viel Sympathie. Nicht der von Papst Innozenz III. 1209 gegen sie ausgerufene Kreuzzug änderte daran etwas, sondern erst die Inquisition der Bettelorden. Vielen Christen wurde mit dem Zustand der Kirche indes auch ihre eigene Lebensführung, ihr neuartiger bürgerlicher Wohlstand, ja Reichtum zum Problem. Valdes und seine Genossen etwa, reiche Kaufleute in Lyon, verschenkten, beeindruckt von Christi Vorbild, ihr Vermögen und zogen wie er arm und predigend durchs Land. Ganz ähnlich suchte eine schnell anschwellende Zahl von Frauen nach neuen, aktiveren Frömmigkeitsformen. Sie fanden zunächst Aufnahme oder doch Unterstützung bei den etablierten Orden, etwa den Zisterziensern, doch diese überforderte die gewaltige Aufgabe bald. Viele Frauen wählten ohnehin von vornherein eine von kirchlicher Regelung und Kontrolle freie, karitative und weltzugewandte religiöse Lebensweise. Nördlich der Alpen setzte sich für sie nach 1200 allgemein der Name Beginen durch. Innozenz III. erkannte offenbar den Ernst und die Dynamik dieser religiösen Aufbruchbewegung wie die Gefahr, dass sie dem kirchlichen Einfluss entgleiten könnte. Es gelang ihm vielfach, Reformgruppen, sofern sie die orthodoxe Lehre und die kirchliche Ordnung akzeptierten, mit ihrem bewundernswerten Engagement für die Kirche zurückzugewinnen.

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Seine flexible Haltung ermöglichte es überdies den Männern um Dominicus wie dem Kaufmannssohn Franz von Assisi und seinen Gefährten, ihre Arbeit als vom Bettel lebende, bald vorwiegend in den städtischen Zentren wirkende Prediger von Anfang an innerhalb der Kirche zu tun. Ihre einprägsame Sprache, die neuartige, gerade auch die Sorgen des einfachen Volkes einbeziehende Form ihrer Predigten zog die Gläubigen dann – zum Unmut des Ortsklerus – nicht selten stärker an als die traditionelle Messfeier. Die tiefgreifenden Umbrüche der Stauferzeit beeinflussten und veränderten, wie wir bereits mehrfach sahen, in vielfältiger Weise auch das Verhalten der Herrschenden, der hohen Geistlichkeit, der Fürsten und Könige. Sie nützten die sich nun bietenden Möglichkeiten des intensiven Ausbaus ihrer Lande, der Städtegründung, der Förderung des Handels. Dabei stützten sie sich häufig auf kleine Adlige, in Deutschland jedoch überwiegend auf eine Spitzengruppe von Dienstleuten oder Ministerialen, die ihrer Sachkunde und Erfahrung wegen schnell unentbehrlich wurden. In der Regel gelang es diesen Fachleuten mit erstaunlicher Effizienz, die Besitztümer und Einkünfte ihrer hochgestellten Herren zu verwalten und zu mehren. Prächtige Bauten kündeten unübersehbar vom Rang und Gewicht der Mächtigen. Wer unter diesen Sinn und Geld dafür hatte, zog Gelehrte und Künstler an seinen Hof, unterstützte das Schaffen berühmter Dichter und sonnte sich im Glanz ihrer sein Mäzenatentum rühmenden Werke. Dazu fand sich besonders günstige Gelegenheit auf den Hoffesten, zu denen die Großen, eine entsprechende Stellung des Einladenden vorausgesetzt, sogar aus der Ferne mit ihrem prächtig ausgestatteten ritterlichen Gefolge zusammenströmten. Gerade solche Feste boten aber natürlich auch die reichlich genutzte Möglichkeit, bei Turnieren die alltägliche, kämpferische Seite des ritterlichen Daseins sehr realistisch zu praktizieren. Am glanzvollsten präsentierte sich die ritterliche Lebensform vielleicht in dem bereits von den Zeitgenossen als etwas Unvergleichliches gerühmten Hoffest, das Friedrich Barbarossa an Pfingsten 1184 in Mainz veranstaltete – zur weithin sichtbaren Darstellung seiner überragenden kaiserlichen Autorität, zur Demonstration seiner Rolle als Führer der Ritterschaft des Reiches und seiner aktiven Bejahung ihrer Ideale. Alle diese Initiativen verursachten selbstverständlich immense Kosten, zumal die Großen untereinander in scharfer Konkurrenz standen, heftig um die wirksamste Nutzung ihrer Ressourcen, um die Ausweitung ihres Einflusses wetteiferten. In Deutschland bestimmte dieses Verhalten in besonders markanter Weise die geistlichen und weltlichen Reichsfürsten.

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Das hatte zur Folge, dass sie immer deutlicher dazu neigten, sich ganz auf ihre Territorien zu konzentrieren, da die Verhältnisse dort sich ständig komplizierten und ständig noch aufwändigere Maßnahmen erforderten. Immer kleiner wurde wohl in der Tat der Kreis derer, die es sich leisten konnten, regelmäßig Hoftage zu besuchen oder gar an einem kaiserlichen Italienzug teilzunehmen, also die imperiale Politik der Staufer mitzutragen. Diesen selbstbewussten, mehr und mehr auf ihre eigenen Interessen und Probleme fixierten Reichsfürsten gegenüber war die kaiserlichkönigliche Dominanz recht schwer zu wahren. Eine wichtige Voraussetzung für ihre Wirksamkeit als Herrscher erfüllten alle Staufer: Sie betrieben selbst eine aktive, zeitgemäße Territorialpolitik. Besonders energisch und erfolgreich widmete sich Barbarossa nach 1167 der Vergrößerung des unmittelbar staufischen Territoriums und seiner planvollen, effektiven Verwaltung, und zu den wichtigsten Leistungen Friedrichs II. während seiner deutschen Jahre bis 1220 gehört es gewiss, dass er das im Thronstreit stark geschmälerte Reichsgut wieder ziemlich vollständig der Krone zurückgewann. Dazu kam, dass der herausragende Rang der Fürsten unmittelbar nach dem Herrscher auf der direkten Vergabe durch eben diesen Herrscher beruhte, auf der direkten Lehnsbindung an ihn, und das Lehnsrecht bot dem königlichen Lehnsherrn in der Tat durchaus Eingriffsmöglichkeiten in die reichsfürstliche Sphäre. Ähnliches gilt für die richterliche Tätigkeit des Königs und natürlich für die Gesetzgebung, ein im 12. Jahrhundert noch recht neuartiges Herrschaftsinstrument. Barbarossa bediente sich seiner mit dem Erlass von Lehnsgesetzen und Landfriedensordnungen als einer der ersten Monarchen Europas. Friedrich II., der erste große Gesetzgeber des Mittelalters, krönte seinen zweiten Deutschland-Aufenthalt 1235 dann mit der Verkündung des Mainzer Reichsfriedens, der die strukturellen Gegebenheiten des Landes, vor allem die zentrale Rolle der Reichsfürsten akzeptierte, zugleich aber die verbliebenen Kompetenzen der kaiserlichen Obergewalt zu sichern und zu mehren suchte. Zunächst eher ein programmatischer Entwurf, bezeichnete das Dokument doch den Rahmen der künftigen deutschen Entwicklung. Diese Aktivitäten machten zweifellos die überragende Stellung und Autorität der staufischen Herrscher immer wieder eindrucksvoll sichtbar. Andererseits handelten sie hier wie ganz generell bei wichtigen Entscheidungen für gewöhnlich im Konsens mit den Fürsten. Dies war nach dem misslungenen Konfrontationskurs Konrads III. der Weg, den Barbarossa

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einschlug, um die Fürsten wieder stärker an die kaiserliche Autorität zu binden, und noch Friedrich II. hielt an ihm fest. Wie Barbarossa wurden Heinrich VI. und Friedrich II. vom Papst in Rom zu Kaisern gekrönt. Seit Karl dem Großen bezeugte dieser feierliche Akt die einzigartige Würde des über die Monarchen Europas Erhöhten, seine besondere Gottesnähe, seinen Rang als vornehmster Verteidiger von Kirche und Christenheit an der Seite des Papstes. Von Otto I. an hatten ausschließlich deutsche Könige die Kaiserkrone getragen, und die Staufer knüpften ganz selbstverständlich an diese glanzvolle Tradition an. Sich ihr zu entziehen, hätte im Übrigen aller Welt als Zeichen der Schwäche und des Versagens gegolten. Zweifellos verlieh die Kaiserwürde ihrem Inhaber besondere Autorität. Sie lud ihm freilich auch Lasten auf. Die Kreuzzüge, die fast alle in die Stauferzeit gehören, verdeutlichen diese Ambivalenz. Nach dem von der Initiative Papst Urbans II. bestimmten, vorwiegend von der französischen Ritterschaft getragenen, sehr erfolgreichen ersten Kreuzzug ging es bei den folgenden Unternehmen um den militärischen Schutz der im Osten entstandenen Kreuzfahrerstaaten und damit um eine Aufgabe der Könige Europas und noch vordem des Kaisers. In der Tat sah es Barbarossa, der 1147/48 schon seinen Onkel Konrad III. auf einer völlig erfolglosen Kreuzfahrt begleitet hatte, nach dem Fall Jerusalems im Herbst 1187 als seine selbstverständliche kaiserliche Verpflichtung an, die Stadt an der Spitze eines christlichen Heeres zurückzuerobern, und er wurde dann auch europaweit als dessen Führer anerkannt. Er kam jedoch um, ehe er das Hl. Land erreichte, und sein Sohn Heinrich VI. starb bereits kurz vor der Ausfahrt nach Osten. Erst Friedrich II. sollte 1229 zum Ruhme des staufischen Kaisertums die Rückgewinnung Jerusalems gelingen, freilich auf ungewöhnliche Weise, nämlich auf dem Verhandlungsweg, überdies als ein vom Papst Gebannter und gegen dessen ausdrückliches Verbot. Die zunehmende Fragwürdigkeit der Kreuzzüge in ihrer traditionellen Form trat damals sehr klar zutage. Die Krönung des Kaisers in Rom bestätigte endgültig seine schon mit der deutschen Königswahl beanspruchte Herrscherstellung im ganzen Imperium. Die Aufmerksamkeit Barbarossas wie noch seines Enkels Friedrichs II. galt dabei nahezu ausschließlich Reichsitalien mit den wertvollen Zentralregionen der Lombardei und der Toskana. Ein Durchbruch hier versprach nicht nur greifbare, etwa finanzielle Vorteile, sondern zudem die Stärkung des kaiserlichen Prestiges und Gewichts im Imperium selbst wie ganz allgemein gegenüber den anderen bedeutenden

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Mächten Europas, also vor allem gegenüber Byzanz, dem Königreich Sizilien, England und Frankreich sowie gegenüber dem Papsttum. Das byzantinische Kaiserreich erlebte im 12. Jahrhundert unter Manuel Komnenos eine letzte glanzvolle politische, wirtschaftliche und kulturelle Blüte. Manuels Versuche, in Italien wieder Fuß zu fassen, scheiterten indes am Widerstand Barbarossas, und nach seinem Tod 1180 zerfiel sein Reich rasch. Konstantinopel wurde 1204 die Beute der damals nach Osten ziehenden Kreuzfahrer, die sich so ihrer großen Finanzsorgen entledigten. Das von ihnen dort errichtete, doch unter dem bestimmenden Einfluss Venedigs stehende Lateinische Kaiserreich ging freilich schon 1261 unter. Das Königreich Sizilien, dessen Eroberung Manuel wie Barbarossa vergeblich planten, war das Resultat der siegreichen Militäraktionen jener Söldnertruppen, die während des 11. Jahrhunderts aus der Normandie in Unteritalien eingewandert waren. Ihr politisch begabtester Führer Roger II. erlangte 1130 vom Papst die Anerkennung seiner damals ganz Unteritalien und Sizilien umfassenden, im Grunde usurpierten Herrschaft, die er künftig als erbliches Königreich und päpstliches Lehen innehatte. Unter seinem Regiment und danach dem seines Sohnes und seines Enkels wurde daraus eine relativ geschlossene, recht effizient verwaltete und erhebliche Einkünfte abwerfende Einheit. Die Ehe Kaiser Heinrichs VI. mit Rogers Tochter Konstanze, die vorderhand die friedliche Annäherung von Imperium und sizilischem Regnum fördern sollte, führte dann 1194, nicht ganz unerwartet, zum Übergang der sizilischen Krone an Heinrich und seine Gemahlin. Friedrich II., ihr einziger Sohn, gestaltete sein Erbreich nach 1220 in zwei großen Reformschüben tief um und benützte dabei die Gesetzgebung erstmals im mittelalterlichen Europa in großem Stil als Herrschaftsinstrument. Wie es seiner Amtsauffassung entsprach, ging es ihm in seinem Konstitutionenwerk vor allem um den Aufbau einer kompetenten, allein dem Recht verpflichteten und allen Untertanen gleichermaßen zu ihrem Recht verhelfenden Gerichtsbarkeit. Indes finden sich unter seinen Gesetzen daneben Vorschriften zum Verbraucherschutz, zur Ausbildung der Ärzte und Apotheker oder zur Reinhaltung der Luft und der Gewässer. Dazu kam eine umfassende Neuordnung der sizilischen Wirtschaft. Man sieht: Die Zuständigkeit des Herrschers und seiner das Königreich nun flächendeckend erfassenden Verwaltung begann sich auf fast alle diesseitigen Lebensbesreiche auszudehnen. Des Kaisers Beamte sorgten freilich auch für den pünktlichen Einzug der von ihm erhobenen Steuern, Gebühren und Zölle.

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Die dominierende Rolle unter den Monarchen Westeuropas spielte zu Barbarossas Zeit König Heinrich II. von England. Ihm gelang es, seinen königlichen Vorrang vor dem Adel wieder kraftvoll zur Geltung zu bringen, indem er mit sicherem Blick für die neuen administrativen Möglichkeiten der Epoche seine klar definierten Rechte als oberster Lehns- und Gerichtsherr sowie seine Ansprüche auf Steuern mit Hilfe einer von ihm abhängigen, auf die Sheriffs in den Grafschaften gestützten Verwaltung konsequent durchsetzte. Zudem beherrschte er als sein Erbe oder aufgrund seiner Heirat mit Eleonore von Poitiers große Teile Westfrankreichs. Dort war freilich der französische König sein Lehnsherr, was immer wieder zu Konflikten führte. Nach dem frühen Tod seines Nachfolgers Richard Löwenherz und dem Übergang der englischen Krone an dessen recht unbesonnen agierenden Bruder Johann Ohneland wandelten sich die Machtverhältnisse dann rasch zugunsten Frankreichs. Dort hatte Philipp II. die straffe, zentralistische Verwaltung der Krondomäne um Paris vollendet. Nun nutzte er entschlossen Johanns Schwäche. Ein Urteil seines Hofgerichts entzog diesem die französischen Lehen, und 1206 zwang er den auf dem Schlachtfeld Besiegten tatsächlich zum Verzicht auf seinen gesamten Besitz nördlich der Loire. Damit vergrößerte sich nicht nur der Umfang und Wert der französischen Krondomäne ganz beträchtlich; vor allem war die beherrschende Stellung Philipps in seinem Königreich von nun an unbestritten, und die künftige Führungsrolle unter den Monarchen Europas, die seinem Enkel Ludwig dem Heiligen nach Friedrichs II. Tod zufallen sollte, begann sich abzuzeichnen. Seit den 1170er Jahren verbanden Freundschafts- und Bündnisabkommen die französischen Könige mit den Staufern. Englands Herrscher hingegen standen nach der Heirat Heinrichs des Löwen und Mathildes, der Tochter Heinrichs II., im Konfliktfall auf der welfischen Seite. Erst die 1235 geschlossene Ehe Friedrichs II. mit Isabella, der Schwester des englischen Königs, führte dann zu einer Intensivierung der englischstaufischen Beziehungen. Deutlich musste freilich bereits Barbarossa während seiner Auseinandersetzung mit Papst Alexander III. erfahren, dass die hohe Geistlichkeit Englands wie insbesondere Frankreichs und unter ihrem Einfluss auch die dortigen Könige in solchen Fällen recht geschlossen für den Papst eintraten. Das lag zum einen vor allem in Frankreich an dem dort seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts zu beobachtenden Nationalbewusstsein, dem mit Stolz empfundenen Gefühl der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer einzigartigen Nation, die es beispielsweise nicht länger hinnehmen wollte, dass ihr der deutsche Kaiser einen Papst einfach zudiktierte. Vor allem

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jedoch sah der westeuropäische Klerus im Papst den Garanten der im Investiturstreit errungenen kirchlichen Freiheiten. Er wurde deshalb zu einer neuen, wichtigen Stütze des Papsttums bei der Abwehr kaiserlicher Ansprüche und verhalf diesem so zu größerer Unabhängigkeit vom Kaiser. Der Investiturstreit hatte die Stellung des Papstes ohnehin gestärkt. Unumstritten war nun im Abendland seine Würde als geistliches Oberhaupt der Christenheit und als in allen wesentlichen Fragen letztlich allein entscheidender Lenker der Amtskirche. Dazu vertraten die Nachfolger Petri die feste Überzeugung, aus ihrer Binde- und Lösegewalt ergebe sich der menschlichen Sündhaftigkeit wegen ihr Recht, ja ihre Pflicht zur übergeordneten Kontrolle der Könige und Fürsten auch in weltlichen Dingen. Besonders nachdrücklich betonte Innozenz III., die überragende Persönlichkeit des Abendlandes um 1200, die gottgewollte grundsätzliche Abhängigkeit jeder weltlichen Macht von der priesterlichen Autorität; er schloss aus ihr, ein Herrscher vermöge seine Aufgabe nur dann vollkommen zu erfüllen, wenn er sich dem Papst als Christi Stellvertreter gehorsam unterordne. Gregor IX. bannte Friedrich II. zweimal, weil er diesen Gehorsam vermisste. Unterdessen definierten die Kirchenrechtler die besonders gravierenden Fälle herrscherlichen Versagens, die den Papst aus ihrer Sicht sogar berechtigten, einem Herrscher sein Amt zu entziehen, und Innozenz IV., der brillante Jurist auf dem Stuhl Petri, richtete sich genau nach ihren Vorgaben, als er 1245 zu Lyon den Kaiser absetzte. An Widerspruch von weltlicher Seite fehlte es nicht. Unmissverständlich bekannte Barbarossa, er verdanke seine kaiserliche Würde allein Gott und der Wahl durch die Fürsten. Eine ausführliche Begründung für die unabhängige Existenz der weltlichen Gewalt legte dann Friedrich II. vor. Diese Gewalt galt ihm als eine den sündigen, zu Gesetzesbruch, Egoismus und Streit neigenden Menschen unentbehrliche Institution, die ihnen Gott denn auch gnädig gewährte. Zur Sicherung des irdischen Lebens durch Frieden und Recht war der Regent demnach von Gott gesetzt und dafür unmittelbar und ausschließlich ihm verantwortlich. Zum grundsätzlichen Dissens zwischen Kaiser und Papst über die rechte Ordnung der Christenheit kam verschärfend der ganz konkrete Gegensatz ihrer politischen Interessen in Italien. Schon als Barbarossa dort die Rechte des Reiches wieder zur Geltung zu bringen suchte und dabei auf den massiven Widerstand einer unter Mailands Führung zur lombardischen Liga zusammengeschlossenen Städtegruppe stieß, sah Papst Alexander III., den der Staufer als einen Verfechter der päpstlichen Suprematie hartnäckig bekämpfte, in dieser Liga natürlich eine willkommene

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Verbündete gegen den Kaiser. Friedrich II. schien bei seinen eigenen Bemühungen um die Einforderung der Reichsrechte in Oberitalien größere Erfolgsaussichten zu haben, standen ihm doch anders als seinem Großvater zusätzlich die reichen finanziellen und militärischen Ressourcen des Königreiches Sizilien zu Gebote, und das Südreich blieb in der Tat seine zuverlässige Basis für seinen Kampf im Norden. Andererseits betrachtete die päpstliche Seite gerade die Vereinigung des Imperiums mit dem sizilischen Regnum in staufischer Hand als eine gravierende Bedrohung des derart umklammerten Kirchenstaates und damit als schwere Gefahr für die päpstliche Unabhängigkeit überhaupt. Entschlossen nutzte deshalb Gregor IX. des Kaisers militärische Niederlage im Herbst 1238. Er verbündete sich mit der Lombardenliga sowie mit Genua und Venedig, um das sizilische Regnum zu erobern und den Staufer vom Thron zu stürzen. Noch kompromissloser und tatkräftiger setzte dann sein Nachfolger Innozenz IV. seit 1245 alle ihm zu Gebote stehenden geistlichen und weltlichen Mittel ein mit dem Ziel, den Staufer, den Erzfeind von Papst und Kirche und Verfolger der Christenheit, zu vernichten. Der Ausgang der dramatischen, vielen Zeitgenossen als Vorzeichen der Endzeit erscheinenden Auseinandersetzung zwischen den beiden vornehmsten Gewalten der Christenheit war offen, als Friedrich II. im Dezember 1250 überraschend starb. Sein Tod bedeutete zugleich das Ende des Imperiums als eines bestimmenden Faktors in Europa. Die Stauferzeit führt uns also die letzte große Phase des mittelalterlichen Imperiums vor Augen, zugleich jedoch eine Epoche, in der sich bereits deutlich in die Zukunft weisende, zuweilen sogar an unsere Gegenwart erinnernde Verhältnisse und Anschauungen herausbildeten. Die Menschen jener Zeit gingen entschlossener als ihre Vorfahren daran, ihr Leben selbst zu gestalten. Mit einem geschärften Blick für die vorhandenen Möglichkeiten veränderten sie die vorgefundenen Verhältnisse; sie nutzten die Natur effizienter und verbesserten die Formen gesellschaftlichen Zusammenwirkens in Dorf und Stadt. Wissenschaftler beriefen sich zur Begründung ihrer Positionen ebenso auf ihr intellektuelles Vermögen wie Herrscher bei der Verteidigung ihrer Unabhängigkeit. Dichter stellten eigenes Erleben ins Zentrum ihres Schaffens und bedienten sich dabei ihrer Muttersprache. Stolz empfanden sich Menschen einer bestimmten Nation zugehörig. Die wachsende Individualisierung und Vielfalt machte freilich nicht nur schöpferische Kräfte frei, sie erschwerte wohl auch den Zusammenhalt größerer staatlicher Gebilde und führte dazu, dass Herrscher wie der sizilische oder der französische König, um die Geschlossenheit ihrer Rei-

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che zu wahren, straffe, zentral gelenkte Verwaltungen einrichteten. In Deutschland prägte diese Entwicklung die fürstlichen Territorien, sie festigte hier also die regionale Mannigfaltigkeit. Die übergreifende Einheit des Landes hatten die Staufer noch recht wirkungsvoll zu repräsentieren und zu sichern verstanden; die Königsgewalt der folgenden Jahrhunderte indes vermochte ihr nur selten einmal vergleichbares Gewicht zu verschaffen.

Kaiser und Papst zur Stauferzeit Vor 900 Jahren, am 3. Mai 1102, ließ der Staufer Friedrich, seit 1079 Herzog von Schwaben, zusammen mit seiner Frau, der Kaisertochter Agnes, sowie mit seinen beiden Söhnen Friedrich und Konrad jene Urkunde abfassen, die man gemeinhin als die Gründungsurkunde des Klosters Lorch bezeichnet und die den Anlass zu den diesjährigen Lorcher Gedenkfeiern gibt. Es handelt sich dabei freilich – ganz genau genommen und im strikten Wortsinn – nicht um die Gründungsurkunde unseres Klosters. Die hochadligen Aussteller übertrugen in jenem Dokument vielmehr die Abtei, die sie demnach offenkundig bereits kurz zuvor, um 1100, gegründet hatten, dem heiligen Petrus, also dem Papst in Rom; sie behielten dem jeweils ältesten Angehörigen ihres Hauses allerdings ausdrücklich die Vogtei über ihre Stiftung vor. Das Kloster Lorch sollte nach ihrem Willen also dauerhaft in enger Verbindung mit der staufischen Familie bleiben und unter deren besonderem Schutz stehen; es sollte als Hauskloster und – wie sich bald zeigte – als Grablege der Dynastie in besonderer Weise das Gedenken an deren verstorbene Mitglieder und ihre Taten wach halten und pflegen und zugleich die lebenden Staufer zur Beratung und Besinnung zusammenführen. Die Staufer waren als nächste Verwandte und vertraute, zuverlässige Helfer der letzten Salierkaiser in die kleine Gruppe der führenden Adelsfamilien des Reiches aufgestiegen. Sie standen auf der Seite Heinrichs IV., also jenes Herrschers, den sein päpstlicher Gegenspieler Gregor VII. im Januar 1077 zum Bußgang nach Canossa zwang, und sie zählten zu den einflussreichsten Parteigängern Kaiser Heinrichs V. Bereits Herzog Friedrich I. erbaute als neues Herrschaftszentrum und weithin sichtbares

Erstdruck: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 22 (2003), S. 221-233. 

Im Folgenden wird der Wortlaut des Vortrags vom 19. Oktober 2002 auf der Jahresversammlung des Geschichtsvereins der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Lorch, von einer zusätzlichen Passage abgesehen, unverändert wiedergegeben. Zur vertieften Beschäftigung mit dem Thema seien empfohlen: Engels, Odilo: Die Staufer, Stuttgart 7 1998; Görich, Knut: Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert, Darmstadt 2001; Csendes, Peter: Heinrich VI., Darmstadt 1993; Stürner, Wolfgang: Friedrich II. Bd. 1: Die Königsherrschaft in Sizilien und Deutschland 1194-1220, Darmstadt 1992; ders.: Friedrich II. Bd. 2: Der Kaiser 1220-1250, Darmstadt 2000.

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Zeichen der inzwischen gewonnenen Geltung und Macht seines Hauses die Burg auf dem Hohenstaufen, um daraufhin den alten Herrensitz der Familie über dem Dorf Lorch in ein Kloster umzuwandeln. Wie sehr die Staufer auch in der Position der wichtigsten Verbündeten der Salier ihre Eigenständigkeit bewahrten, zeigt der Umstand, dass Friedrich und seine Söhne ihr Kloster trotz aller Kaisertreue dem Papst tradierten und die Lorcher Mönche in Zweifelsfragen an Hirsau, also an das angesehenste Reformkloster Süddeutschlands verwiesen. Im Jahre 1125 starb Kaiser Heinrich V. kinderlos, so dass das Erbe der Salier über Heinrichs Schwester Agnes den Staufern zufiel, und Herzog Friedrich II. von Schwaben, der Sohn der Agnes und Mitstifter von 1102, machte sich sogar große Hoffnungen auf das Königtum. Die Fürsten des Reiches wählten ihn freilich nicht zu Heinrichs [222] Nachfolger. Erst etwas später, im Jahre 1138, erlangte der erste Staufer, Konrad, Friedrichs Bruder also, die Königswürde. Auch er hatte ja zu den Gründern Lorchs gehört, und er blieb dem Kloster auch in seiner neuen, hohen Stellung sehr verbunden. König Konrad III. schenkte Lorch Güter und wertvolle Reliquien; er veranlasste, dass die in der Stiftskirche im Dorf Lorch bestatteten frühen Staufer und mit ihnen wohl sein Vater Herzog Friedrich I. hierher überführt wurden. Vielleicht ließ er hier seinen ältesten Sohn, den 1147 zu seinem Nachfolger gewählten, aber schon 1150 verstorbenen Heinrich, begraben, und jedenfalls wollte er selbst hier beigesetzt werden. Es kam allerdings anders: Als Konrad im Februar 1152 in Bamberg starb, setzten der Bischof und die Geistlichkeit jener Stadt durch, dass er dort, eben in Bamberg, bestattet wurde, weil sonst – so argumentierten die Bamberger – ihre eigene Ehre, aber ebenso der Ruhm von König und Reich Schaden nehme. Der Aufstieg der Staufer zu einer der führenden Herrscherfamilien des Abendlandes entfernte sie – das wird beim Tode Konrads III. ganz augenfällig – rasch von ihrer einst als Hauskloster und Grablege gedachten Gründung im Remstal. Und der Weg der staufischen Dynastie sollte noch weiter nach oben führen. Konrads Neffe und Nachfolger, der schon im März 1152 einhellig erhobene Friedrich Barbarossa erreichte, was jenem noch nicht vergönnt gewesen war: Im Juni 1155 krönte ihn Papst Hadrian IV. in der Peterskirche zu Rom zum Kaiser. Barbarossas Sohn wie sein Enkel folgten ihm in dieser höchsten Herrscherstellung der lateinischen Christenheit, Heinrich VI. also und Friedrich II., der 1250 im nordapulischen Fiorentino verstorbene letzte Stauferkaiser. Sie traten damit als die vornehmsten Repräsentanten des weltlichen Herrschertums, als die Inhaber der imperialen Universalgewalt der anderen, der geistlichen Univer-

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salgewalt des Abendlandes unmittelbar gegenüber, dem Papsttum an der Spitze der römischen Kirche. Dies aber bedeutete zugleich, dass ihnen eine bestimmende Rolle in jener heftigen Kontroverse zufiel, die seit den turbulenten Tagen des Investiturstreits im 11. Jahrhundert die Beziehungen zwischen Kaiser und Papst prägte und belastete. Sie hatten sich an führender Stelle einzuschalten in die damals entbrannte und seither andauernde Auseinandersetzung um das angemessene Verhältnis von Papsttum und Kaisertum, von Sacerdotium und Imperium, geistlicher und weltlicher Gewalt, sie hatten Position zu beziehen in dem fundamentalen Streit um die rechte, gottgewollte Ordnung der Christenheit. Tatsächlich gehörte dieser Konflikt dann zu den ganz zentralen Problemen der staufischen Kaiserzeit. Wenn wir uns im Folgenden seine wichtigsten Phasen ins Gedächtnis rufen, so führt uns dieses Thema deshalb mitten hinein in die Vorstellungswelt, die Politik und die öffentliche Diskussion der hochmittelalterlichen Gesellschaft, in die Mentalität und Denkungsart jener Epoche von eineinhalb Jahrhunderten also, die von der Gründerfamilie Lorchs wesentlich geformt wurde und die mit der Frühgeschichte des Klosters zusammenfällt. Zugleich aber weist das damalige Geschehen über sich hinaus, weil es einerseits das künftige päpstliche Amtsverständnis beeinflusste, weil es andererseits und vor allem die Emanzipation der weltlichen Herrschaft von kirchlichem Einfluss beschleunigte, also die Herausbildung des modernen Staates förderte. Grundlegend für die Amtsauffassung der Päpste im 12. Jahrhundert waren die Vorstellungen von Kirche und Welt, die Gregor VII. während seines Pontifikats zwischen 1073 und 1085 formuliert und zu einem beachtlichen Teil auch in Wirklichkeit umgesetzt hatte. Anknüpfend an seine Prinzipien sahen sich die späteren Päpste selbstverständlich als Nachfolger und Stellvertreter Petri, die wie Petrus selbst die volle Binde- und Lösegewalt über alle Menschen ausübten. Nur durch die direkte Bindung an ihre päpstliche Gewalt, durch Unterordnung und Gehorsam ihnen gegenüber konnte ein Christ deshalb sicher sein, einst das ewige Heil zu erringen. Wie Gregor schlossen sie [223] aus dieser Grundeinsicht, dass ihnen die umfassende Sorge für die allein rechtgläubige römische Kirche obliege und folglich die uneingeschränkte Leitungsbefugnis über die in ihr wirkenden Kleriker, die Erzbischöfe, Bischöfe und Priester zustehe. Sie beanspruchten darüber hinaus jedoch – ebenfalls ganz so, wie dies Gregor als erster Papst überhaupt getan hatte – die Führungsstellung und Oberhoheit auch über die weltliche Gewalt. Als Hirte aller Menschen, so die Begründung, trug der Papst nämlich selbstverständlich auch Verantwortung für die Herrscher. Er hatte sie zu kontrollieren, zu belehren und

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notfalls durch Mahnung und Strafe zur Umkehr auf den Weg des Heils zu bewegen. Wenn sich einer von ihnen diesem Zuspruch aber standhaft verweigerte, uneinsichtig bei seinen gefährlichen Irrtümern verharrte und sich damit klar von Gott abwandte, wenn von seinem Einfluss deshalb ernster Schaden auch für das Seelenheil seiner Untertanen drohte, dann musste der Papst diesem zerstörerischen Wirken mit allen Mitteln Einhalt gebieten, er musste einen solchen Machthaber äußerstenfalls sogar absetzen, um dessen Volk so vor dem Zugriff des Satans zu retten. Bereits Konstantin, der erste christliche Kaiser, hatte denn auch nach päpstlicher Überzeugung diese Zusammenhänge anerkannt, indem er Rom mit dem Westteil des römischen Reiches und damit die kaiserliche Gewalt im Abendland dem Papst Silvester übergab. Lothar III. aber, der erste nachsalische Kaiser des 12. Jahrhunderts, schloss sich im Jahre 1131 bei seiner ersten Begegnung mit Papst Innozenz II. zumindest wohl nach der Auffassung vieler Zeugen der Szene dieser Sicht der Dinge an, als er vor aller Öffentlichkeit Innozenz’ Pferd eine kurze Wegstrecke lang am Zügel führte und dem Papst beim Absteigen die Steigbügel hielt. Im Lateranpalast, dem damaligen päpstlichen Amtssitz in Rom, entstand wenig später ein Wandgemälde, das Lothars Kaiserkrönung darstellte; zwei darunter gesetzte Verse deuteten sie ziemlich offen als eine Zeremonie, die die kaiserliche Unterordnung unter den Papst vor Augen führte. „Der König“, so las man da, „kommt vor die Tore Roms und beschwört zunächst die Rechte der Stadt; er wird dann Lehnsmann des Papstes und erhält danach aus dessen Händen die Kaiserkrone“. Grundsätzlich die gleiche Anschauung vom rechten Verhältnis der beiden führenden Gewalten der Christenheit formulierte etwa gleichzeitig sehr knapp und präzise Bernhard von Clairvaux, der berühmte Zisterzienserabt und der wohl angesehenste Repräsentant der Kirche in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Beide Schwerter, so schrieb er an seinen Ordensgenossen, den Papst Eugen III., zur Belehrung und Beherzigung, das geistliche wie das allerdings minder wertvolle weltliche Schwert seien nach Christi Willen dem Papst anvertraut; wenngleich der Kaiser das weltliche tatsächlich führe, so trete er damit doch erst auf päpstlichen Wink hin in Aktion und unterstehe dabei päpstlicher Aufsicht. Nicht viel anders sah Gerhoch, der Propst des RegularkanonikerStiftes Reichersberg am Inn die Dinge, ein Mann, den Kaiser Barbarossa von persönlichen Begegnungen her kannte und durchaus schätzte. Die weltlichen Machthaber galten Gerhoch ihrem ursprünglichen Wesen nach als tyrannische, dem Reich des Bösen zugehörende Usurpatoren, deren Herrscherstellung erst durch ihre Aufnahme in die Schar der Gläubigen

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und durch die Weihe und das Gebet der Geistlichen Rechtmäßigkeit vor Gott erlangte. Diese Legitimierung behielt ihre Kraft freilich nur, solange sich die Herrscher in Demut Gott beugten, sich also der Führung der Kirche anvertrauten. Verweigerten sie ihr den gebührenden Gehorsam, so entzog ihnen der Papst mit Recht Gottes Gnade und damit die entscheidende Basis für ihren hohen Rang in der Gemeinschaft der Gläubigen. Die Kirchenrechtler, deren Wissenschaft in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ihre erste große Blütezeit erlebte, äußerten sich damals überwiegend in ähnlichem Sinn. Huguccio etwa, der gegen Ende des Jahrhunderts wohl bedeutendste unter ihnen und ein grundsätzlich auf Ausgleich zwischen den beiden höchsten Gewalten der Chris[224]tenheit bedachter Gelehrter, sprach dem Papst doch die Vollmacht zu, die Absetzung von Kaisern und Königen selbst mit Waffengewalt zu betreiben, sofern sie hartnäckig Unrecht taten und nicht anders zur Umkehr bewegt werden konnten. Friedrich Barbarossa indessen, der erste Kaiser aus dem Hause der Staufer, ließ von Anfang an keinen Zweifel daran, dass er sehr entschieden von der vollkommenen Gleichberechtigung der beiden Gewalten überzeugt war. Geradezu programmatisch betonte er diesen Standpunkt bereits, als er Papst Eugen III. in einem Brief seine Wahl zum König anzeigte. Seine rasche, einmütige Erhebung führte er dort, durchaus den Anschauungen seiner Zeit folgend, auf das unmittelbare Wirken des heiligen Geistes zurück. Gott selbst, so gab er damit ganz unzweideutig zu verstehen, habe ihm das Regnum übertragen; allein in Gottes Auftrag sorge er dort für Gesetz und Recht, suche er dessen Bewohner und insbesondere die Kirche auf jede Weise zu schützen. Dass Barbarossa in diesem Zusammenhang Worte des Kaisers Justinian, des ersten großen christlichen Gesetzgebers, anklingen ließ, dass er von seiner sanctificatio, seiner Heiligung durch die Königssalbung zu Aachen und von der heiligen Ordnung seines Reiches sprach, das geschah gewiss mit Bedacht: Neben seine hochheilige Mutter, die römische Kirche, stellte er so sehr bewusst seinen gleicherweise direkt von Gott eingesetzten und also geheiligten weltlichen Herrschaftsbereich. Beides, so kündigte er als der künftige Kaiser denn auch an, wolle er mit gleichem Eifer verteidigen, die Vorrechte der Kirche wie die Hoheit des römischen Reiches. Äußerst sorgsam, ja zuweilen fast überempfindlich, achtete Friedrich tatsächlich zeitlebens darauf, dass die Päpste seine Gleichrangigkeit anerkannten, und selbstverständlich reagierte er scharf ablehnend auf jedes Indiz für einen päpstlichen Überordnungsanspruch. Als die päpstliche Seite beispielsweise vor der Kaiserkrönung von ihm wie einst von seinem

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Vorgänger Lothar III. den Strator- und Marschalldienst forderte, verweigerte er diesen Akt, weil er ihm als Eingeständnis seiner Unterordnung unter den Papst erschien. Nur mit Mühe konnte ein Eklat vermieden werden; erst die Versicherung, es handle sich um eine freiwillige Geste der bloßen Ehrerbietung gegenüber dem Apostelfürsten, bewog den Staufer schließlich zum Einlenken. Unvergleichlich viel höher schlugen die Wogen, als päpstliche Legaten auf dem kaiserlichen Hoftag zu Besançon im Jahre 1157 ein Schreiben Papst Hadrians IV. an Friedrich vorlegten, in dem Hadrian offenbar ganz ausdrücklich von der Lehnsabhängigkeit des Kaisers vom Papst redete. „Denke daran“, so übersetzte der Reichskanzler Rainald von Dassel den versammelten Fürsten die entscheidende Passage des Briefes, „denke daran, ruhmreichster Sohn, mit welcher Güte und herzlichen Liebe die heilige römische Kirche sich um die Pflege deiner Größe und Erhabenheit mühte, als sie dir freudig das Zeichen der kaiserlichen Krone verlieh. Keineswegs reut es uns, deine Wünsche derart vollkommen erfüllt zu haben; wir würden uns vielmehr aufrichtig freuen, wenn deine Hoheit noch größere Lehen aus unserer Hand hätte empfangen können“. Den Anwesenden schien vieles, was sie sonst aus der Umgebung des Papstes gehört hatten, die Übersetzung Rainalds zu bestätigen. Überdies reizte einer der Gesandten aus Rom den aufkommenden Zorn der Fürsten noch weiter an mit der Bemerkung: „Von wem hat denn der Kaiser das Imperium, wenn nicht vom Herrn Papst?“ Er löste damit einen Sturm der Entrüstung aus, und die Legaten mussten schleunigst das Reich verlassen. Der Kaiser und seine Berater aber nahmen den Vorfall zum Anlass, in umfangreichen Rundschreiben ihren Standpunkt vom Wesen der Kaiserwürde mit aller Klarheit und Schärfe zu formulieren. Zum einen stellte Barbarossa erneut fest, er, der Gesalbte des Herrn, der christus divine providentie nach dem aussagekräftigeren lateinischen Originaltext, verdanke seine Macht durch die Wahl der Fürsten allein Gott, der in dieser Wahl seinen Willen kund tat. Darüber hinaus aber beanspruchte der Staufer diese Legi[225]timierung nun nicht mehr nur für sein Königtum, er bezog sie vielmehr ausdrücklich auch auf das Imperium, auf die Kaiserwürde: Auch den Empfang der Kaiserkrone schreibe er, so seine Worte, allein der göttlichen Gunst zu. Die päpstliche Krönung in Rom bestätigte demnach den Spruch Gottes zwar einer alten, guten Gewohnheit gemäß vor aller Öffentlichkeit. Rechtliches Gewicht, legitimierende Kraft kam ihr jedoch ebenso wenig zu wie der vorausgegangenen Königssalbung in Aachen. Wer etwas derartiges für sie forderte, der verging sich nach Friedrich gegen das Gebot Gottes, der den Erdkreis dem Regiment zweier

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gleicherweise notwendigen Schwerter unterworfen hatte. Konsequenter und unbedingter war die Position der kaiserlichen Selbstständigkeit und Gottesunmittelbarkeit zuvor wohl kaum einmal vertreten worden. Friedrich, der sich derart strikt für die dualistische Ordnung der Christenheit, also für die Gleichberechtigung der weltlichen mit der geistlichen Gewalt einsetzte, zählte zu seinen Herrscheraufgaben, wie wir sahen, von Beginn an den Schutz der Kirche. Diese Verpflichtung interpretierte er allerdings so großzügig, dass die gestärkt und mit neuem Selbstbewusstsein aus dem Investiturstreit hervorgegangene Kirche sich von seinen Taten oft genug weniger geschützt als vielmehr in ihrer Freiheit empfindlich bedroht fühlte. Das galt etwa angesichts Friedrichs Neigung, Männer seines Vertrauens in Bischofsämter zu bringen, ohne dabei die einschlägigen Abmachungen des Wormser Konkordats von 1122 allzu ernst zu nehmen, oder auch angesichts seiner wachsenden Tendenz, sich in die Verhältnisse im Kirchenstaat und in Rom selbst einzumischen. Zum tiefen Bruch kam es dann im Jahre 1159, als die Papstwahl mit einem zwiespältigen Ergebnis endete. Der Kaiser wollte mit allen Mitteln den Erfolg des einen Kandidaten, des künftigen Papstes Alexanders III. nämlich, verhindern, da dieser bereits bisher als päpstlicher Kanzler die Friedrich so oft empörende päpstliche Politik mitbestimmt hatte und etwa auf dem dramatischen Hoftag zu Besançon als einer der römischen Legaten aufgetreten war. So glaubte der Staufer offenbar, in ihm einen gefährlichen Vertreter päpstlicher Suprematieansprüche vor sich zu haben, und er setzte sich massiv für dessen ihm weit genehmeren Gegenkandidaten Victor ein. Er berief eine Synode nach Pavia, die sich unter seinem bestimmenden Einfluss für seinen Schützling erklärte und dessen Konkurrenten Alexander verwarf und bannte. Natürlich antwortete dieser mit der Exkommunikation Victors und des Kaisers – 18 Jahre lang sollte das so entstandene Schisma die Kirche spalten. Friedrich hatte beim Ausbruch des Schismas fast so gehandelt wie die Kaiser der Spätantike. Wie sie glaubte er sich zu einer derart bestimmenden und schwerwiegenden Einmischung in zentrale kirchliche Angelegenheiten berechtigt. Für die Kirche des Abendlandes jedoch war ein solch dominierendes herrscherliches Auftreten seit den Zeiten Gregors VII. weithin undenkbar geworden. Der von der Reform geprägte französische und englische Klerus wandte sich denn auch entschieden gegen den Staufer, tief erfüllt von der Überzeugung, dass der Papst der Repräsentant der ganzen Christenheit sei, dass die Besetzung des Papstamtes deshalb den Vertretern der gesamten Kirche obliege, nicht einer Teilkirche wie der deutschen oder gar dem Kaiser. Interessanterweise mischten

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sich in die Argumentation jetzt auch schon nationale Töne. Voller Empörung fragte damals etwa ein führender englischer Geistlicher, Johann von Salisbury, angesichts des kaiserlichen Eingreifens in die Papstwahl: „Wer hat denn die Deutschen zu Richtern über die Völker bestellt?“ Die überwiegend ablehnende Haltung der reformbewussten abendländischen Kirche macht es verständlich, dass sich Friedrich trotz langer diplomatischer und militärischer Bemühungen nicht durchzusetzen vermochte, zumal auch viele Städte der Lombardei gegen ihn auf die Seite des Papstes Alexander traten. Er musste einlenken und im Frieden von Venedig im Jahre 1177 den bisher bekämpften Alexander vor den Vertretern [226] von Kirche und Reich in aller Form anerkennen. Zweifellos bedeutete der Akt von Venedig des Kaisers öffentliches Eingeständnis, dass seine Politik als überlegener Schlichter der die Kirche spaltenden Konflikte, als dominierender Beschützer der Päpste gescheitert war. Damit aber hatte sich damals zugleich die im Investiturstreit erkämpfte Selbstständigkeit der Kirche und ihres Hauptes, des Papstes, ein weiteres Mal behauptet. Die Päpste empfanden das staufische Kaisertum freilich auch künftig als eine dauernde, ja sogar als eine immer noch weiter wachsende Bedrohung. In der Tat konnte sich Friedrich, von der Last des Konflikts mit Alexander befreit, in Deutschland verhältnismäßig rasch gegen Heinrich den Löwen durchsetzen. Kurz danach fand er zu einem Ausgleich mit dem lombardischen Städtebund, und die Ehe seines Sohnes Heinrichs VI. mit der normannisch-sizilischen Königstochter Konstanze besiegelte nicht nur seinen Frieden mit dem sizilischen Königreich, sie schuf, wie sich bald zeigte, auch die Rechtsgrundlage für die staufische Direktherrschaft in Unteritalien und Sizilien. Als sich Barbarossa nach dem Fall Jerusalems zu einem neuerlichen Kreuzzug entschloss, anerkannte ihn ganz Europa uneingeschränkt und selbstverständlich als dessen Führer, während der Papst, früher der Initiator und Organisator derartiger Unternehmungen, dieses Mal völlig zurücktrat. Friedrich Barbarossa starb bekanntlich im Juni 1190, bevor er das Heilige Land betrat. Sein Sohn Heinrich VI. aber wurde, vom Glück begünstigt, seiner Widersacher in Deutschland wie im Königreich Sizilien, dem Erbe seiner Frau, schließlich Herr. Zwar starb auch er bereits im Jahr 1197, und sein Großreich fiel danach schnell auseinander. Dennoch galt die durch ihn erstmals für kurze Zeit verwirklichte Vereinigung des Imperiums mit dem sizilischen Regnum und damit die Bündelung der Herrschaft im Norden wie im Süden des päpstlichen Kirchenstaates in einer Hand den Päpsten seither als eine existenzielle Gefahr für ihre territoriale

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wie geistliche Unabhängigkeit, als eine fortan unter allen Umständen zu verhindernde Konstellation. Zugleich bestärkte das expansive kaiserliche Amtsverständnis Barbarossas wie auch seines Sohnes die kirchliche Seite, die Theologen und Kirchenrechtler, natürlich in ihrem Bemühen, die Lehre vom päpstlichen Primat mit den damals zur Verfügung stehenden neuen wissenschaftlichen Methoden so klar wie irgend möglich zu begründen und insbesondere die Befugnisse des Papstes als der obersten Kontrollinstanz auch der weltlichen Gewalt und des Kaisers ganz eindeutig zu definieren. Eine bedeutsame Rolle spielte dabei Innozenz III., der von 1198 bis 1216 Papst war. Als Student hatte er den berühmten Huguccio gehört und zählte dann bald selbst zu den führenden Gelehrten seiner Zeit. Selbstverständlich hielt er strikt an den einst von Gregor VII. formulierten, biblisch fundierten Grundsätzen vom Wesen des Papsttums fest; er zeichnete dessen Profil nun freilich noch prägnanter. Nicht der Kaiser, sondern allein der Nachfolger Petri musste nach seiner Ansicht als der Gesalbte des Herrn gelten, ja als der vicarius Jesu Christi, als Christi Stellvertreter auf Erden, der in der Mitte steht zwischen Gott und Mensch, unter Gott, aber über den Menschen, geringer als Gott, doch größer als die Menschen, der über alle urteilt, während über ihn niemand ein Urteil fällen darf. Das hier dem Papst zugesprochene, übergeordnete Richteramt gebührt ihm nach Innozenz schon allein deshalb, weil er über das Seelenheil aller Menschen zu wachen hat und dafür Verantwortung trägt, also auch für das Seelenheil der weltlichen Machthaber. Gewiss stammen beide Gewalten, die geistliche wie die weltliche, von Gott, der sie wie Sonne und Mond am Himmel der Christenheit befestigte. Wie aber die Sonne, größer und wirkungsvoller als der Mond, jenem erst seinen Glanz verleiht, so empfängt das Regnum seine Macht und Würde von der priesterlichen Autorität. Es erfüllt umgekehrt seine Aufgabe nur dann vollkommen, wenn es sich dem Papst als dem Hirten aller Schafe gehorsam unterstellt und sich nach seinem Auftrag und Willen richtet. [227] In der praktischen Auseinandersetzung mit den Fürsten seiner Zeit beanspruchte Innozenz denn auch in der Tat ganz folgerichtig die Befugnis, unter bestimmten Bedingungen, namentlich bei unklaren oder schwierigen Rechtsfällen, auch die weltliche Gerichtsbarkeit auszuüben. Insbesondere aber leitete er aus seinem Hirtenamt die Vollmacht, ja die Verpflichtung ab, so wie alle Christen auch die Könige im Falle der schweren Sünde nötigenfalls mit Zwang zur Umkehr zu bewegen, und er hielt sich dabei durchaus für berechtigt, auch in ihre weltlichen Angelegenheiten einzugreifen, um ihre Sündhaftigkeit aufzudecken. Mit der

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Sündhaftigkeit der Menschen und der Mangelhaftigkeit ihrer Rechtsordnung begründete er also eine zwar nur vage definierte, nur unter gewissen Umständen sichtbare, aber letztlich doch umfassende und entscheidende Verantwortung und Autorität des Papstes auch im nicht-geistlichen Bereich. Die Kanonisten der Zeit griffen die Anschauungen Innozenz’ III. eifrig auf, sie diskutierten und präzisierten sie. Dabei stimmten sie mit ihm generell darin überein, dass der Papst als Ausfluss seiner höchsten geistlichen Gewalt ratione peccati, also um der Sünde willen, ein Aufsichtsrecht über den weltlichen Herrscher innehabe, das ihn, wo jener sich in Sünden verstricke und hartnäckig darin verharre, zum Einschreiten, schlimmstenfalls gar zu dessen Absetzung zwinge. Ihre Bemühungen galten dem Ziel, die Bedingungen und Grenzen des päpstlichen Eingriffsrechtes gegenüber der weltlichen Gewalt klarer zu bestimmen, die Umstände detaillierter zu beschreiben, unter denen der kirchliche Richter befugt sein sollte, sich in die weltliche Herrschaftsausübung und Gerichtsbarkeit einzumischen. Um 1250 zog dann Innozenz IV., einer der größten Kanonisten auf dem Stuhl Petri überhaupt, gewissermaßen Bilanz, indem er noch einmal mit aller Deutlichkeit die Fälle nannte, in denen der Papst nach dem damals geltenden Kirchenrecht in besonderer Weise verpflichtet war, gegen Fürsten vorzugehen, nämlich dann, wenn sie als Richter versagten und ihren Untertanen das Recht verweigerten, wenn sie sich eines Meineids oder des Friedensbruchs schuldig gemacht hatten oder aber in den Verdacht der Häresie geraten waren. Wo sie in diesem schuldhaften Zustand verharrten und sich nicht zur Buße bereit fanden, durfte der Papst bis zu ihrer Absetzung gehen. Der Kampf der Päpste, schließlich auch Innozenz’ IV., gegen den damaligen Kaiser Friedrich II., den Enkel Barbarossas und Sohn Heinrichs VI., galt letzten Endes dem Ziel, diese Konzeption gegen die ganz andersartigen kaiserlichen Vorstellungen durchzusetzen. Friedrich II. war als der künftige König des von seiner Mutter geerbten sizilischen Königreiches in Palermo unter der alles in allem freilich nur recht sporadisch wirksamen Vormundschaft und Regentschaft Papst Innozenz’ III. aufgewachsen. Im Imperium unterstützte Innozenz damals indessen gegen Friedrichs Onkel Philipp den Welfen Otto IV., den er 1209 nach Philipps Ermordung auch zum Kaiser krönte. Er begründete in einer ihrer nüchtern-rationalen Argumentation wie ihres Inhalts wegen berühmten Rede vor den Kardinälen schon früh seine Ablehnung der staufischen Ansprüche auf die deutsche Königs- und die Kaiserwürde, si-

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cher in Erinnerung an Barbarossas Kampf gegen Alexander, mit der notorischen Kirchenfeindschaft der Staufer, die er ein genus persecutorum, eine Dynastie von Kirchenverfolgern nannte. Höchst interessanterweise führte er als einen weiteren Ablehnungsgrund daneben auch den Umstand an, dass durch die Staufer, durch Philipp wie seinen Neffen Friedrich, das Königreich Sizilien mit dem Kaiserreich vereint und infolge dieser Union die Kirche in Verwirrung gestürzt würde. Erstmals sprach ein Papst hier ganz offen von der zentralen Bedeutung, die er der territorialen Selbstständigkeit der römischen Kirche, der Freiheit des Kirchenstaates also, zumaß, weil sie in seinen Augen die unabdingbare Voraussetzung dafür bildete, dass das Papsttum seinem geistlichen Auftrag nachkommen, seine Oberhoheit über die Christenheit verwirklichen konnte. Die totale Umfassung und Einschnürung des Patri[228]monium Petri durch eine überlegene politische Macht schien aus dieser Sicht ganz folgerichtig den politischen Handlungsspielraum wie die heilsgeschichtliche Mission des Vicarius Christi im Kern zu bedrohen. Um eine derartige Umklammerung künftig ganz auszuschließen, hatte Innozenz III. den Welfen Otto gefördert; von dessen Kaisertum erhoffte er das Ende der erdrückenden Staufermacht. Voller Empörung musste er dann jedoch erleben, dass Otto unter Bruch aller seiner Versprechungen kurz nach seiner Kaiserkrönung, gewissermaßen auf den Spuren der Staufer, daran ging, das sizilische Königreich zu erobern. Damit wandte er sich nicht nur gegen den dortigen König, den Staufer Friedrich, sondern er traf die Konzeption Innozenz’ III. im Kern. Dieser sah in der äußerst prekären Lage denn auch nur noch eine einzige Möglichkeit, um den Siegeszug Ottos aufzuhalten: Er betrieb, wie sich bald zeigen sollte mit Erfolg, die Wahl Friedrichs zum deutschen König, wohl wissend, dass dies nur ein Ausweg für den Augenblick sein konnte, weil das Papsttum dem Staufer Friedrich damit ja nun eben das verschaffte, was es dem Welfen Otto verweigerte und so sehr fürchtete: die Union von Imperium und sizilischem Regnum. In der Tat setzte sich Friedrich in Deutschland rasch durch. Innozenz’ Nachfolger, Honorius III., krönte ihn 1220 zum Kaiser und gewährte ihm sogar, wenngleich nur für seine Person, die bis dahin entschlossen abgelehnte Fortführung der Herrschaft im Königreich Sizilien auch als Kaiser und Herr des Imperiums. Die Hoffnung, der Kaiser werde sich nun bald, wie er dies mehrfach gelobt hatte, gestützt auf eine überlegene Machtbasis, begleitet von einem gewaltigen Kreuzzugsheer nach Osten aufmachen, diese Hoffnung war bei Honorius offenkundig stärker, der Kreuzzugswunsch im Zweifelsfall größer als die Furcht vor der staufischen

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Übermacht in Italien oder als das Bestreben, vom Kaiser die dem Stellvertreter Petri gebührende Demut und Unterordnung einzufordern. Anders dachte freilich der nach des Honorius Tod im März 1227 zum Papst gewählte Gregor IX. Ein glänzender Jurist und außerordentlich erfahrener Diplomat, zugleich Freund und Förderer der neuen Bettelorden, rückte er seine Verantwortung für die Christenheit und die sich daraus ergebende Verpflichtung zur übergreifenden Kontrolle auch der weltlichen Mächte und des Kaisers wieder weit stärker in den Vordergrund als sein Vorgänger. Als Inhaber von Petri unumschränkter Binde- und Lösegewalt erwartete er gerade vom christlichen Kaiser demütigen Gehorsam gegenüber der apostolischen Autorität. So versteht man, dass beispielsweise Friedrichs Weigerung, auf die hergebrachten königlichen Mitspracherechte in der sizilischen Kirche, vor allem bei den Bischofswahlen, zu verzichten, ebenso wie sein hartnäckiges Bemühen um die Rückgewinnung der Reichsrechte in Oberitalien oder seine schleppende Handhabung des Kreuzzugsunternehmens bereits früh Gregors Misstrauen geweckt hatte. Bereits seit langem hegte er den Verdacht, in dem Staufer stehe der römischen Kirche ein außerordentlich gefährlicher Nachbar gegenüber; anstatt dem Stellvertreter Petri demütig Hilfe zu leisten, lege er es darauf an, ihn immer stärker einzuschnüren, seinen territorialen und damit zugleich seinen politischen und seelsorgerlichen Freiheitsraum zu beseitigen und sich am Ende zu seinem Herrn aufzuschwingen. So sah er, als Friedrich im Sommer 1227 wegen einer Krankheit seinen Kreuzzugsaufbruch ein weiteres Mal verschob, wohl die letzte Gelegenheit gekommen, den Kaiser zur Umkehr auf seinem unheilvollen, kirchenfeindlichen Weg zu zwingen, und exkommunizierte ihn. Nur mit äußerster Mühe gelang nach Friedrichs Rückkehr aus dem wiedergewonnenen Jerusalem der Friedensschluss. Zweifellos traf Gregors Urteil über Friedrich allenfalls teilweise zu. Der Staufer machte sich – nicht zuletzt wohl beeindruckt von Innozenz III., der dominierenden Gestalt seiner Jugend – viel Mühe, die gottgewollte Unabhängigkeit der weltlichen Herr[229]schaft und des weltlichen Staatswesens, ihre Gleichberechtigung an der Seite der Kirche und als deren Partner theoretisch zu begründen und in seiner politischen Praxis zu realisieren. Er sah in der fürstlichen Macht eine Notwendigkeit unter den sündigen Menschen, weil sich das Menschengeschlecht ohne das schützende, Recht und Frieden wahrende Eingreifen der herrscherlichen Gewalt im chaotischen Streit, im Krieg aller gegen alle selbst vernichten würde. In seiner gnädigen Fürsorge gewährte Gott den Menschen diese unverzichtbare Institution nach Friedrichs Überzeugung denn auch zu ih-

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rer Rettung. Die weltliche Gewalt verdankte ihre Existenz also genau so wie die priesterliche dem unmittelbaren göttlichen Willen; ihr fiel die Aufgabe zu, sich auf dem ihr bestimmten Felde um die Verwirklichung der bewahrenden göttlichen Ordnung, um die Durchsetzung jener göttlichen Normen unter den Menschen zu mühen, ohne die menschliches Zusammenleben von Anfang an undenkbar war. Der Fürst hatte demnach gegen das Böse, gegen die Verbrechen vorzugehen, als Richter, der jedem das Seine zuteilt, Gottes Gerechtigkeit zu realisieren, kurz: seinen Untertanen nach Kräften ein Dasein in Gerechtigkeit und Frieden zu ermöglichen. Dazu war er von Gott gesetzt, dafür war er unmittelbar und ausschließlich Gott verantwortlich. Wir haben in der kaiserlichen Herrschaftstheorie fast so etwas wie ein Plädoyer für den neuzeitlichen, von allen Bindungen an die Kirche gelösten Staat mit ganz diesseitigen Aufgaben vor uns. Sicher erinnern Friedrichs Grundsätze in ihrem Kern an die Vorstellungen seines Großvaters. Der Enkel begründete seine Position mit Hilfe hervorragend geschulter Berater allerdings wesentlich subtiler als jener, und er setzte sie, vor allem im Königreich Sizilien, weit konsequenter in die Tat um. Den sizilischen Staat Friedrichs prägen eine ganze Reihe deutlich zukunftsweisender, ja geradezu moderner Züge. Dazu gehören etwa die intensive herrscherliche Gesetzgebung, der hierarchisch von den Städten über die Provinzen auf den Hof hin geordnete, flächendeckende Verwaltungsapparat, die vielfach schon in Neapel, der ersten Staatsuniversität des Abendlandes, wissenschaftlich geschulte Beamtenschaft zunehmend bürgerlicher Herkunft oder die Wirtschaftspolitik. Der Kirche gegenüber hielt sich Friedrich indessen grundsätzlich weit strenger als Barbarossa an den dualistischen Grundsatz, dass Gottes Wille nicht nur dem Staat und seinem Herrscher, sondern genauso ihr, der Kirche, und ihrem Haupt, dem Papst, eigene Aufgabenfelder und Verantwortungsbereiche zugewiesen habe, die dem Einfluss, der Mitbestimmung oder gar der Verfügung seiner kaiserlichen Gewalt vollkommen entzogen seien. Konsequenterweise versuchte er deshalb niemals, einen ihm nicht genehmen Papst durch die Aufstellung eines Gegenpapstes zu schwächen oder etwa an der Spitze eines Konzils innerkirchliche Prozesse in seinem eigenen Sinne zu lenken. Nicht weniger standhaft aber als sein Großvater lehnte er die päpstliche Kontrolle seiner herrscherlichen Maßnahmen ab, verweigerte er für den nach seiner Auffassung genuin weltlichen Herrschaftsbereich die gehorsame Unterwerfung unter die richtende Gewalt des Papstes, wie sie Gregor IX. selbstverständlich forderte; insbesondere

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beharrte er auf der Durchsetzung der überkommenen imperialen Befugnisse in Reichsitalien. Freilich gab es unter den zahlreichen Streitpunkten, die sein Verhältnis zum Papst auch nach 1230 fast ständig trübten, nicht nur solche, wo er sich durchaus im Recht fühlen durfte, wie etwa in der Lombardenfrage oder angesichts der päpstlichen Häresieverdächtigungen. In manch anderen Fällen stand es um die Rechtsbasis seiner Position weit weniger günstig, so wenn er zäh auf dem von seinen Vorfahren ausgeübten Konsensrecht bei den sizilischen Bischofswahlen bestand oder gar gegen seine frühere Verzichterklärung die vom Papst beanspruchte Insel Sardinien okkupierte. Solche unbedachten Aktionen mussten das ohnehin tiefe päpstliche Misstrauen immer noch weiter steigern und bestärkten Gregor natürlich zudem in der schmerzlichen Erkenntnis, dass der Kaiser nicht bereit war, sich der päpstlichen Suprematie so zu beugen, wie dies von [230] ihm als dem Vorbild der übrigen christlichen Herrscher erwartet werden musste. Umso schlimmer aus päpstlicher Sicht, dass gerade dieser unselige Mann überdies die erdrückende territoriale Dominanz in Italien zu erringen drohte. Als der Staufer sich dann seit Mitte der dreißiger Jahre tatsächlich entschlossen darauf konzentrierte, die Rechte des Reiches und die Reichsgewalt auch in Oberitalien wieder zur Geltung zu bringen, als er dort Ende 1237 nach seinem Sieg gegen die Lombardenliga bei Cortenuova offenbar vor dem entscheidenden Durchbruch stand, die römische Kirche damit aber ihre wichtigsten Verbündeten zu verlieren schien, da glaubte Gregor, die völlige Einschnürung von Papst und Kirchenstaat durch die staufische Macht stehe nun unmittelbar bevor und damit der Verlust der territorialen Freiheit der Kirche, ihr Ausgeliefertsein an einen Herrscher, der dem Stellvertreter Christi auf Erden standhaft das verweigerte, was diesem nach Gottes Willen zustand, und der sich so immer deutlicher als Erzfeind der Kirche und Zerstörer der göttlichen Ordnung entlarvte. Die Folge dieser Einsicht war Gregors Bündnis mit Genua, Venedig und dem Lombardenbund zur gewaltsamen Vertreibung des Staufers aus seinem sizilischen Regnum und dessen zweite, endgültige Exkommunikation im März 1239. Seither standen Kaiser und Papst in offener Feindschaft gegeneinander, und sie trugen ihre Auseinandersetzung mit bisher kaum bekannter Schärfe und Unerbittlichkeit aus. Sie suchten mit Hilfe der Diplomatie ihre Bundesgenossen so fest wie möglich an sich zu binden und deren Zahl stetig zu erweitern, und sie führten zugleich – konzentriert auf Oberitalien – ausdauernd Krieg gegeneinander. Daneben aber rangen sie mit einer Fülle von Manifesten, Flugschriften und

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Pamphleten intensiv um das Gehör und um die Zustimmung der Öffentlichkeit. Der Krieg der Propaganda begleitete den Krieg der Waffen, er spielte eine so große Rolle wie wohl nie zuvor in der mittelalterlichen Geschichte. In Friedrichs Kanzlei arbeiteten damals wohl die größten Stilisten seiner Zeit, die kundigsten Meister der lateinischen Sprache, an ihrer Spitze der berühmte Petrus de Vinea. Nun spornte sie der Herrscher zur äußersten Aktivität an, um die Großen des Abendlandes von den unfasslichen Schritten des Papstes aus seiner Sicht zu informieren und für seinen Standpunkt zu gewinnen. Gott, so rief er in Erinnerung, habe Sacerdotium und Imperium in gleicher Weise zur Zügelung und Lenkung der Menschen bestimmt, Gregor aber habe diese göttliche Ordnung zerstört, indem er dem Imperium seine Rechte raubte. Durch sein Bündnis mit den lombardischen Rebellen bedrohe er im Grunde sogar jede weltliche Gewalt überhaupt; er habe durch seine Machenschaften jeden Anspruch auf sein hohes Amt verloren. Die Kardinäle sollten deshalb ein Konzil einberufen, auf dem der Kaiser die Richtigkeit seiner Darstellung vor den Prälaten und Fürsten der Christenheit erweisen wolle. Des Kaisers Appell an die Solidarität der abendländischen Könige hatte schon früher seine Wirkung nicht verfehlt und sein Hinweis auf die Verantwortung der Kardinäle und die zentrale Rolle des Generalkonzils brachte Vorstellungen zur Neuordnung der Kirche in die Debatte, die dem Papst gleichfalls kaum angenehm sein konnten. Jedenfalls sah Gregor die Lage für bedrohlich genug an, um einen der führenden Männer seiner Umgebung, den Kardinal Rainer von Viterbo nämlich, seit langem der leidenschaftlichste Gegner des Kaisers an der Kurie, mit der Erwiderung zu beauftragen. Diese ließ denn auch nicht lange auf sich warten, und sie schlug, der zugespitzten Lage gemäß und die Grundsätzlichkeit der Auseinandersetzung bedingungslos herausstellend, einen völlig neuen, wahrhaft apokalyptischen Ton an. „Es steigt aus dem Meer ein Tier, voll mit den Namen der Lästerung, wütend mit Bärentatzen und dem Rachen eines Löwen, an seinen übrigen Gliedern wie ein Panther geformt“, so hub die päpstliche Enzyklika mit Worten aus den biblischen Büchern der [231] Offenbarung und des Daniel an, um in gleicher Art fortzufahren: „Es öffnet sein Maul zu Lästerungen des göttlichen Namens und hört nicht auf, Gottes Heiligtum und seine Heiligen im Himmel mit Speeren anzugreifen. Mit ihren Klauen und eisernen Zähnen will diese Bestie alles zermalmen und mit ihren Füßen alles zerstampfen“. Am Schluss hieß es: „Damit ihr aber mit der offenbaren Wahrheit ihren Lügen besser widerstehen und ihre Ränke mit

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dem Beweis der Lauterkeit zunichte machen könnt, betrachtet aufmerksam den Kopf, die Mitte und das Ende dieser Bestie: nämlich Friedrichs, des sogenannten Kaisers“. Friedrich erschien hier also ganz unverblümt und direkt als die längst prophezeite übermenschlich-dämonische Gegengewalt gegen Christus. Dessen Kirche vom Erdboden zu vertilgen, war sein höchstes Ziel. Um dahin zu gelangen, scheute er weder die Lüge noch Scheußlichkeiten oder Verbrechen jeder Art. Zum Beweis für seine Behauptung schilderte Gregor dann sein Verhältnis zu Friedrich aus seiner Warte. Er stellte seiner eigenen Güte in scharfem Kontrast die unerträglichen Bosheiten und Missetaten seines Widersachers gegenüber, belegte ihn erneut mit biblischen Schreckensnamen wie Drache, Skorpion, Berg des Verderbens oder Hammer der Welt, um ihn am Ende noch einmal deutlich in die Nähe des Antichrist zu rücken und als schlimmsten Ketzer zu brandmarken. Gregor führte damit die zu jener Zeit weithin verbreiteten und lebendigen eschatologischen Hoffnungen und Befürchtungen in die Argumentation der Streitparteien ein. Natürlich konnte derjenige, der zu seiner Rechtfertigung solch populäre Vorstellungen heranzog, damit rechnen, überall auf aufmerksame, verständige Hörer zu stoßen und durchaus auch Glauben zu finden, zumal die Härte und Erbitterung des päpstlichkaiserlichen Kampfes tatsächlich schnell vielerorts Furcht und Schrecken verbreitete und an die Endzeit denken ließ. Andererseits wuchs freilich mit der übersteigerten Stilisierung dieses Konflikts zum eschatologischen Aufeinanderprallen zweier überzeitlicher Gewalten, zum Endkampf der Streiter Gottes gegen ihre satanisch-böse Gegengemacht die Gefahr, dass die Kontrahenten blind für die konkreten Verhältnisse, unfähig zur nüchternen Einschätzung ihres Widersachers wurden, ganz gleich, ob sie nun von Anfang an ernstlich an die Wahrheit ihrer Verlautbarungen glaubten oder erst allmählich in den Sog der eigenen Propaganda gerieten. So drohte der von Gregor IX. eingeschlagene Kurs ein echtes Gespräch zwischen den Streitenden unmöglich zu machen, jede Aussicht auf Verständigung zu verbauen. Der Kaiser nämlich sah sich angesichts der in seinen Augen ungeheuerlichen offenen Kooperation des Papstes mit den Reichsrebellen und seiner unerträglichen Unterstellungen zu radikalen Gegenmaßnahmen berechtigt: Er entschloss sich zum gewaltsamen Zugriff auf den Kirchenstaat. Im September 1239 begann sein Sohn Enzio mit der Eroberung der Mark Ancona, Anfang 1240 betrat er selbst an der Spitze seines Heeres das Herzogtum Spoleto. Zugleich wurde in seiner Propaganda, in seinen Manifesten und öffentlichen Rundschreiben seine Absicht immer deutli-

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cher, die Christusnähe seiner eigenen Person den Menschen so unmissverständlich und einprägsam wir nur denkbar vor Augen zu führen. Diese Absicht steht durchaus im Einklang mit der verbreiteten mittelalterlichen Sicht von der Herrschaft als einer unmittelbar von Gott stammenden Institution und vom Herrscher als Gottes oder Christi Stellvertreter. Friedrich hatte diese Sicht immer vertreten und zudem früh die Überzeugung gewonnen, er selbst verdanke seine herrscherliche Stellung in besonders eindrücklicher Weise dem direkten göttlichen Wirken. Dass er die transzendente Basis seines Herrschertums seit 1239 intensiver noch als früher betonte, dass er sich zu ihrer Propagierung mitunter neuer, ungewöhnlicher Formen bediente, dies müssen wir wohl als eine Reaktion auf die dramatische Zuspitzung der politischen Lage ansehen. Seine erneute Exkommunikation, seine [232] Stilisierung zur apokalyptischen Bestie und der gegen ihn mit den Mitteln eines Kreuzzugs vorbereitete Krieg veranlassten den Herrscher und seine Umgebung, die Heiligkeit der kaiserlichen Person und Würde, ihren Rang als von Gott gesandte Friedensmacht desto offensiver, phantasievoller und effektiver zu begründen – gewiss im echten Glauben an den Kern der Botschaft, aber wohl vor allem in dem Bewusstsein, angesichts der päpstlichen Propaganda lasse sich die Öffentlichkeit nur so dauerhaft für die eigene Sache gewinnen. Im August 1241 starb Gregor IX. Friedrich hoffte, mit einem milder gestimmten Nachfolger doch noch zu einem Ausgleich zu kommen, und zog sich bis zu dessen Wahl in sein sizilisches Königreich zurück. Zwei Jahre sollte es dann dauern, bis im Jahre 1243 Innozenz IV. zum neuen Papst gewählt wurde. Der damals führende Kanonist war ein kühl abwägender Mann, der sich einer nüchternen, durch das juristische Denken geprägten Sprache bediente, der die faktenorientierte, aber desto wirkungsvollere Aufreihung kirchenrechtlicher Argumente bevorzugte. In der Sache aber, und vor allem, was das Verhältnis von Sacerdotium und Imperium betraf, unterschied sich die Überzeugung des neuen Papstes nicht von der des alten. So verfestigten sich die Fronten nach anfänglichen Friedensbemühungen erneut, ja die Gräben zwischen den Parteien vertieften sich noch weiter, und die militärischen Auseinandersetzungen nahmen bald wieder ihren Fortgang. Schließlich entzog sich der Papst der im Kirchenstaat befürchteten Isolation von seinen Anhängern und wich über Genua, seiner Heimatstadt, nach Lyon aus. Dorthin lud er im Jahre 1245 jenes Konzil, vor dem er den Herrscher dann, wie wohl schon seit längerem geplant und kirchenrechtlich völlig konsequent, absetzte. Er machte wie einst Gregor VII. Gebrauch von der von ihm beanspruchten absoluten Binde- und Lösegewalt und begründete seinen Schritt genauso

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wie es das damalige Kirchenrecht vorsah. Das Konzil bildete im übrigen nur den äußeren Rahmen für sein Vorgehen, es hatte keinerlei eigene Funktion. Innozenz betonte diesen Umstand später selber: Lediglich um die Feierlichkeit der Stunde, die Bedeutung des Augenblicks zu verdeutlichen, habe er sein Urteil über den Kaiser vor den versammelten Konzilsvätern verkündet. Mit der Absetzung war der Bruch zwischen Kaiser und Papst endgültig unheilbar geworden und der Kampf zwischen ihnen verschärfte sich in den folgenden Jahren noch weiter. Beide Seiten durften im Jahre 1250 durchaus hoffen, sich durchzusetzen, beide standen jedoch auch in zunehmender öffentlicher Kritik, und nicht nur der Staufer, sondern auch die Kirche und die Lombardenstädte zeigten sich jetzt empfindlich behindert durch gravierende finanzielle Engpässe. Des Kaisers überraschender Tod im Dezember 1250 entschied den Konflikt dann jedoch zu Gunsten seiner Gegner. Mit Friedrich II. ging der letzte machtvoll wirkende mittelalterliche Kaiser dahin. In Deutschland neigte sich die Waagschale künftig noch deutlicher als bisher zu Gunsten der Reichsfürsten, und Reichsitalien fiel in die Hände regionaler Machthaber vom Schlage eines Ezzelino da Romano; das Imperium schied als politische Größe künftig praktisch aus. Man müsste eigentlich annehmen, dass das Papsttum nach dem Verschwinden der bedrohlichen Macht der Staufer nun endgültig seine Ansprüche zum Durchbruch zu bringen verstand. Doch auch dies war nicht der Fall. Schon kurz nachdem Papst Bonifatius VIII. um 1300 das traditionelle päpstliche Amtverständnis noch einmal mit vollendeter Schärfe theoretisch begründet hatte, geriet er in einen erbitterten Konflikt mit dem französischen König Philipp IV. um die Besteuerung der französischen Kirche, und dieser Konflikt legte schnell die praktische Schwäche der damaligen päpstlichen Position bloß. Bereits unmittelbar nach dem Aussterben der Staufer waren die römische Kirche und das Kardinalskollegium nämlich in die Abhängigkeit von Frankreich geraten, und diese veränderte Konstellation, diese neue starke Bindung trat [233] in den kommenden Jahrzehnten immer stärker hervor. Die Päpste verlegten ihren Sitz von Rom weg nach Avignon, ihr Handeln stand unter ständiger französischer Kontrolle, die Überlegenheit der eben damals aufsteigenden Nationalstaaten Westeuropas, allen voran Frankreichs, über die einzige noch verbliebene Universalmacht, das Papsttum, zeigte sich mit aller Deutlichkeit. Seit 1378 stritten dann zwei und bald darauf drei Päpste um die Führung der Kirche, und im 15. Jahrhundert begann sich die lateinische Christenheit schon längst vor der Reformation in National- und

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Landeskirchen aufzuteilen. Als ob keine der beiden großen abendländischen Universalgewalten ohne die andere denkbar gewesen wäre, schieden sie beide also fast gleichzeitig aus ihrer führenden Stellung in der westlichen Christenheit aus. Und wie erlebte das Kloster Lorch, von dem wir ausgegangen waren, diese ganze Zeit? Gewiss hatten die Staufer ihr Hauskloster nicht vergessen. Friedrich Barbarossa bestätigte schon 1154 Lorchs Privilegien, und wenigstens zwei seiner Söhne sowie Irene, die Gemahlin König Philipps, fanden in Lorch ihre letzte Ruhestätte. Im Juni 1215 gewährte Friedrich II. nach Prüfung der von seinen Vorfahren für Lorch ausgestellten Urkunden dem Kloster seinen Schutz und übernahm, ihr Vorbild nachahmend, für sich und seine Nachkommen erneut dessen Vogtei; Heinrich VII. schließlich bekräftigte 1228 den Bestand der Lorcher Güter. Dennoch bleibt es zweifellos bei unserem anfänglichen Befund, dass Lorch für die staufischen Kaiser allenfalls eine Nebenrolle spielte; ihre Grablegen in Speyer, Palermo, Messina, ja im fernen Antiochia spiegeln die neue Situation auf einen Blick wider. Lorch war zu einem Ort staufischer Sorge unter vielen anderen geworden und kaum einer, der ihnen besonders wichtig schien. Dass wir seiner Gründung aber heute gedenken und dem Kloster noch immer besonderen Rang und Wert zumessen, das liegt dennoch zweifellos daran, dass bis zur Gegenwart etwas vom Glanz der Staufer auch auf Lorch, auf ihre frühe Gründung im Remstal fällt.

Unfrei und doch Ritter? Die Ministerialen der Stauferzeit Das Mittelalter gilt vielen als eine sehr statische Epoche, deren Sozialstruktur über Jahrhunderte praktisch unverändert geprägt war von der Dominanz des Königtums, der Geistlichkeit und des Adels und von der Unterordnung der überwiegend bäuerlichen Masse der Bevölkerung. Diese Sicht ist gewiss nicht völlig falsch. Doch selbstverständlich erlebten die Menschen während jenes immerhin ein Jahrtausend umspannenden Zeitalters häufig auch einschneidende Veränderungen ihrer Lebensverhältnisse – durch Missernten, Naturkatastrophen oder Epidemien, durch Kriege und Machtkämpfe, Herrscherwechsel und Thronstreitigkeiten. Und zuweilen geschah es damals sogar, dass eine neue soziale Gruppe gleichsam aus dem Nichts auftauchte, nach und nach an Geltung gewann, um schließlich eine bedeutsame Stellung einzunehmen. Ein solch erstaunlicher Aufstieg, vielleicht der spektakulärste im mittelalterlichen Europa überhaupt, gelang der Ministerialität in Deutschland. Davon soll im Folgenden die Rede sein. Ich möchte diese soziale Schicht zunächst kurz vorstellen und die Anfänge ihrer Erfolgsgeschichte skizzieren, ehe wir uns dann mit ihrer Glanzzeit beschäftigen, mit ihrer Funktion und ihrem Rang im Reich der Staufer. Das Wort Ministeriale, genauer seine lateinische Version ministerialis, leitet sich ab von dem nahezu synonymen Begriff minister, den wir heute noch für die Mitglieder unserer Regierungen benützen. Beide Ausdrücke, minister wie ministerialis, erscheinen schon in frühmittelalterlichen Quellen mit der Grundbedeutung „Diener“; sie bezeichnen zur Zeit Karls des Großen im Dienst des Herrschers stehende, sein Vertrauen genießende Männer von recht verschiedener Herkunft und mit ganz unterschiedlichen Aufgaben. Der Kaiser nannte hohe Würdenträger so, doch beispielsweise auch auf seinen Krongütern tätige Fachleute wie die Forstmeister, Gestütsvorsteher oder Kellermeister. Manche für diese Vorform der Ministerialität charakteristischen Züge, so ihre Bindung an einen mächtigen Herrn oder die Wichtigkeit spezieller Kenntnisse und Fähigkeiten, blieben auch später bedeutsam. Dennoch kam es seit dem 11. Jahrhundert, der Zeit der Salier und des Investiturstreits, zu unübersehbaren Veränderungen und Präzisierungen. Damals setzte nach einer langen Phase der Stagnation ein zunächst kaum spürba-

Bisher unveröffentlichter Text eines im März 2008 in Stuttgart gehaltenen Vortrags.

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res, im 12. und 13. Jahrhundert dann aber recht beachtliches Bevölkerungswachstum ein, und die Könige wie die großen geistlichen und weltlichen Grundbesitzer erkannten bald die Möglichkeiten, die sich ihnen dadurch boten. Sie veranlassten Rodungen auf ihrem Grund, um in ihren Dörfern mehr Menschen eine Lebensgrundlage zu bieten. Desgleichen begünstigten sie die Zuwanderung von Bauern aus dem Umland in ihre Städte und Märkte. So hofften sie – in der Regel mit Recht –, ihre Einnahmen aus Zins, Gebühren und Abgaben merklich zu erhöhen und außerdem mit der wachsenden Zahl ihrer Untertanen ihre militärische Macht, politische Geltung und Autorität zu steigern. Freilich ließen sich solche Neusiedlungs- und Ausbauprojekte erfolgreich nur mit der Hilfe erfahrener Spezialisten, mit deren Planungs- und Organisationsgeschick und deren Gespür für ökonomische Zusammenhänge realisieren. Zudem brauchte das größer und wertvoller werdende Herrschaftsgebiet, zumal angesichts der wachen, oft aggressiven Konkurrenz der fürstlichen Nachbarn, effizienten militärischen Schutz, das heißt: eine ansehnliche Truppe berittener Krieger in schwerer Rüstung, für die seit der Karolingerzeit der Name miles, also Ritter, üblich war. Dabei handelte es sich bis dahin überwiegend um Adlige, also um Freie von ganz unterschiedlichem Rang, die in einem Lehnsverhältnis zu einem Mächtigeren standen; diesem waren sie als seine Vasallen zu Treue, Rat und Hilfe verpflichtet und erhielten als Gegenleistung ein Lehen. Nun aber begannen die großen Grundherren, die Bischöfe und Äbte an ihrer Spitze, bei der Neubelehnung adliger Vasallen eine gewisse Zurückhaltung an den Tag zu legen – aus Furcht vor deren durch das Lehnsrecht garantierten Eigenständigkeit. Sie setzten statt dessen bei der Durchführung und Sicherung ihrer sich häufenden territorialpolitischen Aktivitäten mehr und mehr auf jene bewährten Fachleute, die als eine Art Elite aus der Masse ihrer eigenen Unfreien und Hörigen hervorgegangen waren und meist in einer Person die Gewandtheit im Kriegshandwerk mit der Beschlagenheit im Lösen verwaltungstechnischer, wirtschaftspolitischer oder rechtlicher Probleme verbanden; vor allem suchten sie deren Zahl jetzt durch neu entdeckte, aufstrebende Talente ständig zu mehren. Natürlich wurde den Angehörigen dieser Schicht, für die sich nun immer eindeutiger die Bezeichnung ministerialis, also Dienstmann, einbürgerte, der Wert bald bewusst, den ihr Fachwissen und ihr Dienst für ihre Herren besaß, und sie drangen auf die klare Definition und die schriftliche Fixierung ihrer Rechte und Pflichten. Dazu fanden sich zunächst vor allem die Bischöfe bereit, die zur Abwehr adliger Übergriffe besonders stark auf ihre Ministerialen angewiesen waren. So entstanden Dienstrechte, in denen

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sich trotz großer regionaler Unterschiede doch gemeinsame Grundzüge erkennen lassen. Die Ministerialen treten nun als ein eigener Stand mit besonderen Rechten deutlich aus dem Kreis der übrigen vom Grundherrn abhängigen Personen heraus. Die Rechtstexte sehen für sie ein eigenes, aus Standesgenossen gebildetes Gericht vor und gewährleisten ihre ausschließliche Verwendung in gehobenen Positionen der grundherrschaftlichen Verwaltung oder sogar in den Hofämtern ihres Herrn, also als dessen Kämmerer, Schenk, Truchsess oder Marschall, sowie im Militärdienst als Panzerreiter. Sie bewilligen ihnen außerdem als Basis für ihre Amtsführung ein Dienstlehen und damit eine Art von eigenem Herrschaftssitz. In ihrem öffentlichen Auftreten waren sie nun also kaum noch von adligen Rittern zu unterscheiden. In vielen Dienstrechten des 12. Jahrhunderts spielen denn auch Art, Ausmaß und Finanzierung der Heerespflicht eine große Rolle. Es gab jedoch nicht nur wegen dieser Fragen Spannungen und Konflikte, sondern auch wegen vieler anderer ministerialischer Dienst- und Gehorsamspflichten, wobei sich das zunehmende Selbstbewusstsein und gesellschaftliche Gewicht der Ministerialen sehr deutlich zeigte. Andererseits blieb es noch bis ins 13. Jahrhundert hinein bei ihrer grundsätzlichen Unfreiheit mit einzelnen durchaus lästigen Konsequenzen, so etwa Einschränkungen bei der Eheschließung und bei der Verfügung über das Dienstlehen oder über das Eigengut, das in der Regel nur an Ministeriale des eigenen Herrn verkauft werden durfte; zu den Folgen der Unfreiheit gehörte auch der Verkauf oder Tausch von Ministerialen durch ihren Herrn, was für die Betroffenen in der Praxis allerdings lediglich den meist sogar vorteilhaften Übergang an einen neuen Herrn mit sich brachte, wie im Falle der 1191 zu Reichsministerialen werdenden welfischen Ministerialen Oberschwabens. Welch beachtliche Bedeutung bereits im 11. Jahrhundert nicht nur die bischöfliche, sondern durchaus auch die königliche Ministerialität erlangt hatte, verdeutlicht ein Blick auf die salischen Herrscher. Während die Ministerialen bei Konrad II., dem ersten Kaiser aus diesem Geschlecht, noch kaum hervortraten, bediente sich bereits dessen Nachfolger Heinrich III. ihrer Kenntnisse in zunehmendem Maß bei der Verwaltung des Königsgutes. Heinrich IV. aber, der in den letzten Jahrzehnten des 11. Jahrhunderts herrschte, hielt nicht nur auffallende Distanz zu den Fürsten; er bevorzugte statt dessen eben die königlichen Ministerialen, für die bald auch der Name Reichsministerialen auftauchte. Bewährte Männer aus diesem Kreis erhielten wichtige Ämter an Heinrichs Hof, etwa das des Truchsessen und des Kämmerers, und er beriet seine politischen Vorha-

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ben am liebsten mit ihnen. Ganz folgerichtig stützte er sich bei seinem Versuch, in Sachsen wieder Fuß zu fassen und vor allem die wertvolle Harzregion der königlichen Verwaltung zu unterwerfen, überwiegend auf die ihm ergebene Ministerialität. Mit diesem noch ungewöhnlichen Schritt stieß er jedoch auf heftige öffentliche Kritik, er stachelte so den ohnehin vorhandenen massiven Widerstand gegen sein Vorhaben zusätzlich an und scheiterte am Ende. Als fremd, unrechtmäßig und bedrohlich, so sehen wir, erschien damals noch das neuartige, vom König selbst im großen Stil organisierte und legitimierte Auftreten der Ministerialen. Ebenso deutlich wurden jedoch bereits die Möglichkeiten, die sich dem Königtum boten, wenn es sich die Hilfe dieser von ihm abhängigen, ihm ihren Aufstieg verdankenden Schicht und ihre administrative wie militärische Kompetenz sicherte. Für eine moderne Ausgestaltung der Herrschaft erwies sich die Ministerialität dann in der Tat rasch als unentbehrlich, und das 12. Jahrhundert bescherte ihr den Höhepunkt ihres Einflusses und ihrer Geltung. Die Gefahren, die mit dieser gesellschaftlichen Veränderung für die gewohnte Ordnung und die darin Herrschenden verbunden waren, blieben freilich im Bewusstsein; ja sie traten gerade in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts zuweilen sehr drastisch vor Augen, vor allem bei den Konflikten, die Bischöfe und Äbte mit ihren Dienstleuten auszufechten hatten. Selbstbewusst waren diese nämlich vielfach überzeugt, die waffenlose Geistlichkeit vermöge ohne ministerialischen Schutz gar nicht zu existieren, und sie suchten diese Abhängigkeit zur Durchsetzung immer neuer Forderungen zu nützen. Voller Empörung konstatierte um 1130 der gelehrte Propst Gerhoch von Reichersberg am Inn, gerade jene Ritter, die ministri, also eigentlich Diener, genannt würden, wollten von ihren bischöflichen Herren, anstatt ihnen zu dienen, selbst bedient werden und würden von diesen gefürchtet, anstatt umgekehrt sie zu fürchten. Die Fälle, in denen Ministeriale sogar vor Gewalt und Verbrechen gegen ihre Herren nicht zurückschreckten, scheinen sich damals in der Tat gehäuft zu haben. Bezeichnend für diese Situation war die Entwicklung in Trier. Die herausragende Position unter den Ministerialen des dortigen Erzbischofs hatte seit ungefähr 1110 Ludwig von der Brücke inne, benannt nach seinem Haus an der wichtigen Moselbrücke. Er war erzbischöflicher Kämmerer und zugleich Burggraf oder Stadtpräfekt von Trier und damit im Auftrag des erzbischöflichen Stadtherrn der eigentliche Leiter des Trierer Stadtregiments. Geschickt machte er sich offenbar die modernen Reformforderungen nach einer auf die Seelsorge konzentrierten Kirche zu eigen

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und beanspruchte für sich und die von ihm angeführte Trierer Ministerialität die Befugnis, über die erzbischöflichen Güter und Rechte selbständig zu verfügen. Als das Trierer Domkapitel 1131 den Metzer Domherrn Albero zum neuen Erzbischof wählte, erklärte Ludwig diese Wahl, weil ohne die Mitwirkung der Trierer Ministerialen geschehen, kurzerhand für ungültig. Zusammen mit seinen ministerialischen Genossen und unterstützt von der Trierer Bürgerschaft suchte er die geistlichen Wähler durch massiven Druck, die Zerstörung ihrer Häuser und sogar durch Misshandlungen zum Widerruf zu zwingen und den vom Papst selbst geweihten Albero am Betreten der Stadt zu hindern. Beides war schließlich vergebens: Der energische Erzbischof, der übrigens 1138 auch entscheidend zur Wahl Konrads III., des ersten staufischen Königs, beitrug, behauptete sich. Er vermochte indessen nichts daran zu ändern, dass Männer aus seiner Ministerialität eine maßgebende Rolle an der Spitze der sich formierenden Trierer Stadtkommune spielten und deren Forderungen nach größerer Autonomie nachdrücklich vertraten. Außerordentliche Beachtung in der Öffentlichkeit fanden die dramatischen Ereignisse, die sich in den 1150er Jahren in Mainz zutrugen. Arnold von Selenhofen, der aus einer bedeutenden Mainzer Ministerialenfamilie stammte, hatte zunächst in seiner Heimatstadt als Domherr gewirkt, ehe ihn König Konrad III. zum Leiter der Hofkapelle und schließlich zum Reichskanzler berief. Friedrich Barbarossa, Konrads Nachfolger, behielt ihn in dieser Vertrauensstellung und verschaffte ihm 1153, nach der Absetzung des Erzbischofs Heinrich von Mainz, sogar die Mainzer Erzbischofswürde – man sieht, wie weit es, wenngleich gewiss unter besonders günstigen Umständen, ein Ministeriale im Kirchendienst inzwischen bringen konnte. Freilich opponierten die Anhänger seines Vorgängers sofort gegen Arnold, nicht zuletzt weil Klerus und Ministeriale bei seiner Erhebung übergangen worden waren, und seine eigenen Maßnahmen verschärften bald die Gegensätze zu wichtigen Angehörigen seiner Ministerialität. Schwer wog unter anderem, dass er zentrale Ämter der erzbischöflichen Verwaltung an Mitglieder seiner eigenen Familie vergab, andere, zum Teil außerordentlich einflussreiche Ministerialengeschlechter wie die Meingotsippe oder die Bolander jedoch nicht berücksichtigte. Der Konflikt spitzte sich zu, als sich die Mainzer Bürger, angestachelt von einem Mainzer Ministerialen, im Jahre 1158 weigerten, ihrem nach kaiserlichem Willen zum Italienzug aufbrechenden Erzbischof die geforderte Steuer zur Finanzierung seines Heeresaufgebotes zu zahlen. Arnold erwirkte daraufhin auf einem Hoftag vor Mailand ein Urteil des Kaisers und der Reichsfürsten, das die mit einem Lehen ausge-

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statteten Ministerialen, sofern sie nicht am Heereszug teilnahmen, zu einer Ersatzzahlung verpflichtete. Dies war das Signal für die Mainzer Gegner des Erzbischofs, an ihrer Spitze die in der Stadt ansässige Ministerialität, den gewaltsamen Widerstand gegen Arnold zu organisieren. Sie ließen sich zu Übergriffen und Gewalttaten hinreißen, erstürmten den Dom und drohten Arnold, der knapp entkam, umzubringen. Neue Warnungen und Urteile des Kaisers fruchteten nichts, mehrere Schlichtungsversuche scheiterten. Schließlich versperrten die Mainzer im Sommer 1160 dem zurückkehrenden Erzbischof den Zugang zu ihrer Stadt. Vor deren Toren wurde Arnold während des Kampfes mit den von Ministerialen befehligten städtischen Truppen erschlagen. Unmittelbar danach wählte die Mainzer Führungsschicht ohne Beteiligung des Klerus einen neuen Erzbischof. Das Strafgericht Kaiser Barbarossas entzog der Stadt dann ihre Freiheitsrechte, ordnete die Zerstörung ihrer Mauern an und befahl die Verbannung der Rädelsführer. Langfristige Folgen hatte das kaiserliche Urteil indessen nicht, und ganz generell gilt, dass die Zahl wie die funktionelle Bedeutung der Ministerialen trotz der geschilderten beklemmenden Begleiterscheinungen rasch immer noch weiter anwuchs. Die Mehrheit der Ritter, also der gepanzerten Reiter, die mit einem oder auch mehreren Knappen und mindestens drei Pferden zur Heerfahrt zogen, stammte nun aus der Ministerialität. Ohne die Ministerialen ließ sich also kein Krieg mehr führen, ließ sich der riesige, oft weit zerstreute herrschaftliche Grundbesitz weder schützen noch mit zeitgemäßen Methoden effizient verwalten. 105 Ministeriale besaß denn auch etwa Graf Otto von Cappenberg, der Taufpate Friedrich Barbarossas, als er seine nördlich von Dortmund gelegene Stammburg 1122 in ein Prämonstratenserstift umwandelte. Selbstverständlich gab es während der ganzen Stauferzeit innerhalb der Dienstmannschaft desselben Herrn wie zwischen den Ministerialen der einzelnen Regionen des Reiches große Unterschiede, und noch Eike von Repgow resignierte in seinem um 1230 niedergeschriebenen Sachsenspiegel vor der unübersehbaren Vielfalt des Dienstmannenrechts. Inhaber kleiner Dienstlehen – und dazu gehörte vermutlich die Mehrheit der Ministerialen – lebten meist in ländlicher Umgebung; sie überwachten die Bewirtschaftung ihrer Güter und sorgten sich mit dem echten Interesse des Betroffenen um Wetter, Ernteertrag und Getreidepreis. Aber natürlich arbeiteten sie nicht wie die Bauern selbst auf den Feldern. Dem Vorbild des Adels oder ihrer höhergestellten, reicheren Standesgenossen nachstrebend, legten sie darauf Wert, ihren Sitz wenigstens als kleine Burg auszubauen oder doch immerhin mit einem Turm zu versehen. Sie

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liebten alle Formen der Jagd und noch vordem den Umgang mit den Waffen, den sie mit Eifer betrieben und worin sie sich ständig zu vervollkommnen suchten, besonders gern bei Kampfspielen auf Turnieren. Mitunter gewann bei solchen Gelegenheiten das herausragende kriegerische Geschick eines Teilnehmers die Aufmerksamkeit und Gunst eines Großen und verhalf ihm so zu einer unerwarteten Karriere. Die Ausbildung in einer Klosterschule, das Lesenlernen oder gar weitergehende Studien kamen für Jugendliche ministerialischer Herkunft dagegen meist ebenso wenig wie für junge Adlige in Betracht. Zwar gibt es Gegenbeispiele. Man denke nur an den Dienstmann Hartmann von Aue, den Ritter, der „sô gelêret was, daz er an den buochen las“, und der zu den herausragenden Vertretern der mittelhochdeutschen Dichtung gehört. In erster Linie aber verband die Angehörigen der Ministerialität aller sozialen Stufen unter sich wie, fast noch wichtiger, mit dem Adel ganz zweifellos das Recht, Waffen zu tragen, und der Besitz von Schwert, Schild und Lanze, von Pferd und prächtigem Panzer war Grundlage des ministerialischen Selbstbewusstseins und öffentlicher Ausweis des gesellschaftlichen Vorrangs. Die gesteigerte Bedeutung dieser Sonderstellung, der Zugehörigkeit zum ritterlichen Stand, kam im 12. Jahrhundert darin besonders sinnfällig zum Ausdruck, dass der Akt der Schwertleite, ursprünglich die einfache Überreichung der Waffen an den mündig gewordenen Jüngling, nun feierlich ausgestaltet und zur Zeremonie der förmlichen Aufnahme in den Ritterstand wurde; zu ihr aber waren ganz folgerichtig spätestens seit der Jahrhundertmitte auch die Ministerialen zugelassen. Auch sie erhielten dabei nun wie bis dahin nur die Adligen den Rittergürtel als sichtbares Zeichen ihrer ritterlichen Würde. Hinzu trat jetzt ein neues religiöses Ritual mit Schwertsegen und Ritterweihe, das den Ritter an das von der Kirche propagierte Ideal des miles christianus, des christlichen Ritters erinnerte und ihn darauf verpflichten sollte, seine Waffen für die Sache Gottes, zum Schutz der Armen, der Schwachen und der Kirche einzusetzen. Wir sahen bereits, dass davon im ritterlichen Alltag zuweilen dennoch wenig zu spüren war. Andererseits brachten die maßgebend von staufischen Herrschern bestimmten Kreuzzüge, besonders der von Friedrich Barbarossa angeführte dritte Kreuzzug, eine deutliche Identifizierung von Kaiser, Königen und hohem Adel nicht nur mit dem Rittertum als solchem, sondern speziell mit dem Ideal des christlichen Ritters, und vielleicht gewann dieses Ideal so doch auch im Bewusstsein der weniger hochgestellten breiten Mehrheit der adligen wie ministerialischen Ritterschaft eine größere Bedeutung.

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Selbst wenn dem so war, blieb natürlich der Gegensatz zwischen Ideal und Wirklichkeit bestehen, und er wird ganz ähnlich sichtbar beim Blick auf die deutschsprachige Poesie aus den Jahrzehnten vor und nach 1200, die als der absolute Höhepunkt überhaupt im dichterischen Schaffen des mittelalterlichen Deutschland gelten darf. Minnelieder und große Romanepen behandelten erstmals Themen aus der Welt der Laien, befassten sich mit der Lebenswirklichkeit, den Problemen, Zielen und Idealen der ritterlichen Gesellschaft. Sie feierten die Kampfesabenteuer ihrer ritterlichen Helden und die in deren Verhalten vorbildhaft zutage tretenden Tugenden der Klugheit, des Maßes und der höfischen Zucht, der Gerechtigkeit und Tapferkeit; sie priesen ihre Treue und ihren unermüdlichen Einsatz für ihre Herren und sangen vom entsagungsvollen, veredelnden Dienst für die verehrte und unerreichbare hohe Dame. Bei den Dichtern handelte es sich wohl meist um fahrende Sänger, also um Männer mit einer gewissen klerikalen Bildung, die als Berufsdichter von ihrem literarischen Können lebten und vollkommen auf die Förderung mächtiger fürstlicher Mäzene angewiesen waren. Doch auch Adlige fanden sich unter ihnen und nicht zuletzt Ministeriale. Neben dem schon erwähnten Hartmann von Aue wären hier beispielhaft etwa Friedrich von Hausen oder der unter anderem für König Konrad IV. arbeitende Rudolf von Ems zu nennen, und vielleicht war Neidhart von Riuwental gleichfalls ministerialischer Herkunft. Einflussreiche Ministeriale wie Konrad von Winterstetten, ein enger Vertrauter Friedrichs II., betätigten sich überdies als Freunde und eifrige Förderer der Dichtkunst. Gewiss identifizierte sich die ritterlich-höfische Gesellschaft bei kleinen wie größeren festlichen Ereignissen nur zu gerne mit dem zwar durchaus nicht völlig unkritischen, aber im Ganzen doch glanzvollen, idealen Bild, das die Dichtung von ihr zeichnete. Andererseits boten gerade die höfischen Feste auch die willkommene, mit Eifer genutzte Gelegenheit, bei Turnieren die sozusagen alltägliche kämpferische Seite des ritterlichen Daseins sehr realistisch zu praktizieren und vorzuführen. Das erste sicher belegte Turnier in Deutschland fand im Jahr 1127 vor den Toren Würzburgs statt; die Anregung dazu gaben offenbar der staufische Herzog Friedrich II., der Vater Barbarossas, und sein Bruder Konrad, der spätere König. Ob es sich bei den anlässlich solcher Veranstaltungen gezeigten Kampfspielen um Reitergefechte zweier Parteien handelte oder um den Zweikampf mit Lanze oder Schwert – es ging jedenfalls um den Nachweis des persönlichen Mutes und der Geschicklichkeit im Umgang mit Waffen, insofern also um echten Kampf. Er wurde zwar nach festen Regeln ausgetragen, kostete die Beteiligten aber trotzdem nicht selten das

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Leben. Die Kirche versuchte deshalb wiederholt, die Turniere zu verbieten – freilich ohne Erfolg. Zu gewichtig war deren Bedeutung als zentrale Erscheinung der ritterlich-höfischen Kultur und als wesentlicher Ausdruck des elitären Selbstverständnisses der ritterlichen Gesellschaft; zu viel galt dem einzelnen Kämpfer die sein Ansehen erhöhende Auszeichnung als Sieger vor der höfischen Festversammlung, die Überreichung des Siegeszeichens durch eine der fürstlichen Zuschauerinnen und nicht zuletzt der Preis selbst, für gewöhnlich die Pferde und Rüstungen der von ihm Besiegten. Im höfischen Fest gipfelte die ritterliche Lebensform, am glanzvollsten und denkwürdigsten vielleicht im bereits von den Zeitgenossen als etwas Unvergleichliches gerühmten Hoffest, das Friedrich Barbarossa an Pfingsten 1184 in Mainz veranstaltete – zur weithin sichtbaren Darstellung seiner überragenden kaiserlichen Autorität, zur Demonstration seiner Rolle als Führer der Ritterschaft des Reiches, seiner Zugehörigkeit zu ihr und seiner aktiven Bejahung ihrer Ideale. Eine eigens errichtete Feststadt aus Holzbauten und Zelten war nötig, um die riesige Zahl der Besucher, die Großen des Reiches wie die Fürsten aus den benachbarten Königreichen mit ihren Begleitern zu beherbergen. Die Anwesenden wetteiferten darin, durch die Größe ihres Gefolges, dessen prachtvolle Kleidung, den Schmuck der Pferde ihren überragenden Rang zur Anschauung zu bringen. Feierlich begaben sich die Anwesenden zur Messe, die beiden ältesten Söhne Barbarossas, Heinrich VI. und Herzog Friedrich von Schwaben, empfingen die Schwertleite und wurden so in die Ritterschaft aufgenommen, Turniere fanden statt, es gab opulente Gastmahle, und die anwesenden Dichter trugen ihre Werke vor. Die Ministerialen der Stauferzeit waren in diese ritterliche Welt fest integriert, sie gehörten als geradezu unverzichtbarer Bestandteil zu ihr, stellten sie doch zu einem guten Teil das Gefolge der großen Herren und damit in der Regel die Mehrheit derjenigen, die sich zu den vielfältigen Festereignissen der Herrschaftselite einfanden. Schon ihre aufwendige Kleidung, für die ihr Herr aufkam und für die er zu seinem eigenen Ruhm sorgte, machte sofort in aller Öffentlichkeit einprägsam ihre gewichtige gesellschaftliche Position deutlich und verwischte rein äußerlich jeden Unterschied zum Adel. Doch auch inhaltlich-rechtlich verblasste dieser Unterschied gegen Ende des 12. Jahrhunderts mehr und mehr. Dazu trug der uns schon bekannte Umstand bei, dass Ministeriale nun häufig in bisher dem Adel vorbehaltene kirchliche Ämter, etwa zu Mitgliedern von Stiften und Domkapiteln, berufen wurden und sogar Bischöfe und Erzbischöfe werden konnten. Viele Ministeriale erwarteten vom Eintritt in den

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Deutschen Orden mit seinem hohen Bedarf an Fachleuten der Verwaltung und des Kriegswesens besonders günstige Karriereaussichten – mit Recht, wie sich oft genug zeigte. Es sei nur daran erinnert, dass Hermann von Salza, der enge Vertraute Friedrichs II., der von 1209 bis 1239 an der Spitze des Ordens stand und als sein bedeutendster Hochmeister überhaupt gelten darf, aus der Ministerialität der Landgrafen von Thüringen stammte. Zum Abbau der Differenzen zwischen Adel und Ministerialität führte außerdem, dass Heiraten zwischen adligen und ministerialischen Familien längst nichts Ungewöhnliches mehr waren und dass Edelfreie zuweilen in die Ministerialität eintraten, weil sie sich davon wirtschaftliche Vorteile oder bessere Aufstiegschancen versprachen. Mitunter erhielten Ministeriale bereits echte Lehen, also solche, die zu den für adlige Vasallen üblichen günstigen Bedingungen vergeben wurden; sie übernahmen wie Adlige Lehen verschiedener Herren, und die Mächtigen unter ihnen gaben sogar ihrerseits Lehen aus. Freilich blieben Kennzeichen der Unfreiheit, und Adlige konnten diesen Makel zum eigenen Vorteil ins Feld führen, was denn auch durchs ganze Spätmittelalter hindurch geschah. Sehr viel gravierender machten sich jedoch die Unterschiede innerhalb der Ministerialität selbst bemerkbar, Unterschiede, wie sie im übrigen auch innerhalb des Adels bestanden; man könnte in ihnen also geradezu ein weiteres Zeichen für die Angleichung der beiden sozialen Gruppen sehen. Den Dienstmann eines unbedeutenden Adligen trennten Welten von den führenden Repräsentanten des Ministerialenstandes. Je mächtiger und einflussreicher der Herr war, desto größere Möglichkeiten der Bewährung, der dynamischen Entfaltung und eindrucksvollen Karriere boten sich seinen Dienstleuten, sofern sie sich durch die nötigen und geforderten Fachkenntnisse und Fähigkeiten auszeichneten. Besonders gute Aussichten eröffneten sich dabei natürlich den Ministerialen der Reichskirche und der weltlichen Fürsten des Reiches, etwa denjenigen eines so aktiven Mannes, wie es Heinrich der Löwe war, der Herzog von Sachsen und Bayern. Mindestens 400 Familien, so schätzt man, gehörten zu seiner Ministerialität allein in Sachsen. Sie stellten das Personal, das die zentralen Hofämter innehatte, das seine Güter und Burgen verwaltete, seinen Städten vorstand und in seinem Auftrag für den prachtvollen Ausbau Braunschweigs zu einer Art von Residenz sorgte. Am erstrebenswertesten aber erschien offenbar die Zugehörigkeit zur Reichsministerialität, also zur Dienstmannschaft der staufischen Könige und Kaiser. Deren Mitglieder nämlich genossen nicht nur äußerst vorteilhafte Rechtsverhältnisse, ihnen öffnete sich auch ein konkurrenzlos weitgespanntes, vielfältiges und chancenreiches Tätigkeitsfeld

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von einzigartiger Attraktivität. In der Tat gingen die erfolgreichsten und bekanntesten Vertreter der hochmittelalterlichen Ministerialität aus der Schicht der staufischen Reichsministerialen hervor. Konrad III., der 1138 erhobene erste König aus dem Stauferhaus, stand vor der Aufgabe, dem Königtum wieder eine festere, zeitgemäße Machtbasis gegenüber den während des Investiturstreits erstarkten Reichsfürsten zu verschaffen. Um dieses Ziel zu erreichen, leitete er die Intensivierung der königlichen Territorialpolitik ein, die sein Nachfolger Friedrich Barbarossa im großen Stil energisch fortsetzte, vor allem nach der Krise seiner Italienpolitik seit 1167. Durch Kauf, Erbschaften und den Heimfall von Lehen nach dem Aussterben adliger Familien, aber auch durch den Erwerb von Kirchenvogteien und Kirchenlehen gelang ihm die beachtliche Ausdehnung des nicht an Adlige zu Lehen ausgegebenen, sondern direkt in seiner Hand bleibenden Territorialbesitzes. Dessen Verwaltung nach den effektivsten Methoden jener Zeit oblag in aller Regel den Reichsministerialen. Sie sorgten für die Realisierung von Rodungsprojekten zur Neuansiedlung von Bauern und vor allem für die Förderung der Pfalz- und Marktorte, für ihre rechtliche und praktische Weiterentwicklung zu Städten; sie betrieben den Ausbau und die Vergrößerung der bereits bestehenden Städte, ihre Ummauerung und Ausgestaltung zu militärischen, administrativen und wirtschaftlichen Zentren. So entstanden die Reichsstädte oder, wie man in der Stauferzeit vielleicht zutreffender sagen sollte, die königlichen Städte wie Hagenau, Gelnhausen oder Goslar, Ulm, Esslingen, Schwäbisch Gmünd und Schwäbisch Hall, Frankfurt am Main und Nürnberg. An ihrer Spitze standen vom kaiserlichen Stadtherrn eingesetzte ministerialische Schultheißen, die zusammen mit den vielfach ebenfalls aus der Ministerialität stammenden Schöffen für das Gericht und die Verwaltung der Stadt, auch für die Einziehung der dem Stadtherrn geschuldeten Abgaben verantwortlich waren. Ministeriale hatten dort noch manche wichtigen Funktionen sonst inne; sie betrieben auf genossenschaftlicher Basis und mit großem Gewinn beispielsweise häufig die Münze und das Geldwechslergeschäft; andere sorgten als Vögte für den Schutz des umliegenden Reichsguts und überwachten dessen korrekte Bewirtschaftung. Größeren, sozusagen überregionalen Einfluss und entsprechend höheres Ansehen besaßen natürlich jene Reichsministerialen, die sich wenigstens einigermaßen regelmäßig am Kaiserhof einfanden und damit zur engeren Umgebung des Herrschers gehörten. Als ein Indiz für das rasch zunehmende Gewicht, das den Reichsministerialen nun generell am Hof zu-

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fiel, kann es gelten, dass sich im Laufe des 12. Jahrhunderts ihre Namen in den Zeugenlisten der kaiserlichen Urkunden auffallend häufen. Nur eine relativ kleine reichsministerialische Elite, die Angehörigen einiger weniger besonders erfolgreicher und außerordentlich begüterter Ministerialenfamilien, gewannen indessen wirklich direkten und maßgebenden Anteil an der Gestaltung der herrscherlichen Politik. Sie begleiteten den Kaiser oft nahezu ständig und auch in fern von ihrer Heimatregion liegende Reichsgebiete; ihr Rat und ihr Einsatz gewann ihnen des Herrschers Gehör und Vertrauen. Aus ihrer Mitte stammten für gewöhnlich die Inhaber der Hofämter, also die kaiserlichen Truchsessen, Kämmerer, Schenken und Marschälle, deren Rang innerhalb der Hofgesellschaft sich durch diese besondere Würde und die zugehörigen Amtsinsignien noch weiter erhöhte – zu schweigen von den damit verbundenen materiellen Vorteilen. Für die in ihren Titeln anklingenden Geschäftsbereiche trugen sie wohl allenfalls eine Art von übergeordneter Verantwortung, sie übten sozusagen die Oberaufsicht über das für die praktische Arbeit zuständige Personal aus; lediglich dem Marschall fielen offenbar in der Tat ganz überwiegend militärische Aufgaben zu. Im Ganzen jedoch bildeten die Inhaber der Hofämter eine Gruppe besonders einflussreicher, dem Herrscher besonders naher Menschen, die mit ihrer Präsenz, Erfahrung und Einsatzbereitschaft den Bestand des Hofes als des weitaus wichtigsten zentralen Herrschaftsorgans des Stauferreiches gewährleisteten, die für dessen sachgemäße Organisation und Funktionsfähigkeit täglich aufs Neue sorgten. Der Kontinuität der Regierungsarbeit, nicht zuletzt in den kritischen Phasen des Herrscherwechsels, kam überdies zugute, dass die Hofämter gegen Ende des 12. Jahrhunderts in bestimmten Ministerialenfamilien erblich wurden – so sehr dies die kaiserliche Berufungsfreiheit einschränkte. Welche Konzentration von Gütern und Macht den führenden Familien der Reichsministerialität seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts möglich war, das soll der Blick auf einige Beispiele zeigen. Der Spitzenplatz unter den Ministerialengeschlechtern kam damals hinsichtlich der Größe des Territorialbesitzes wie des Gewichts der persönlichen Beziehungen und des Ansehens wohl den Bolandern zu. Genannt nach ihrer Hausburg Bolanden beim heutigen Kirchheimbolanden westlich von Worms, saßen sie inmitten des ausgedehnten, wirtschaftlich wie strategisch gleich bedeutsamen rheinpfälzischen Reichsgutsbezirkes und waren den Staufern fast unentbehrlich als dessen kundige Administratoren und als versierte Sachwalter ihrer dortigen Interessen mit vielfältigen verwandtschaftlichen Verbindungen zu anderen Ministerialenfamilien jener

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Gegend. Werner II., der Repräsentant des Hauses zu Friedrich Barbarossas Zeit, lässt sich seit 1163 regelmäßig am Kaiserhof nachweisen und wirkte im kaiserlichen Auftrag als Akteur in politischen Angelegenheiten von höchster Bedeutung; noch vom Kreuzzug aus verwies Barbarossa seinen Sohn Heinrich an Werners Rat. Er schätzte dessen Urteil also sehr und belohnte ihn, wie nicht anders denkbar, reichlich für seine Dienste. Zudem verstand es Werner durchaus, günstige Entwicklungen und Umstände auch selbständig zum Vorteil des Reiches wie zu seinem eigenen zu nutzen. Sein berühmtes Lehnsbuch, das im Kern wohl in seinen letzten Lebensjahren, also kurz vor 1191/92 entstand, zeigt ihn als Lehnsmann nicht nur des Kaisers, sondern außerdem von über 40 weiteren Herren, darunter Herzöge, Erzbischöfe und Bischöfe, Äbte und Grafen; sie handelten bei der Lehnsvergabe an ihn offenbar vielfach auf kaiserlichen Wunsch, suchten sich damit also vor allem die Gunst Barbarossas zu sichern. Werner jedoch vereinte auf diese Weise in seiner Hand einen weitgespannten, relativ geschlossenen Komplex von Gütern und Hoheitsrechten im pfälzisch-rheinhessischen Raum. Er stützte sich dabei ganz wesentlich auf den kaiserlichen Rückhalt und durfte umgekehrt in der für die Reichspolitik zentralen Region am Mittelrhein als der maßgebende Vertreter Barbarossas gelten, der ihn denn auch als seinen procurator bezeichnete. Eine kaum weniger herausragende Rolle unter den ministerialischen Helfern der Staufer spielten die Repräsentanten der Reichsministerialenfamilie von Pappenheim (westlich von Eichstätt), welchen die Verwaltung des wichtigen Königsgutes an der Nahtstelle zwischen Schwaben, Franken und Bayern oblag. Ihre eigentliche Bedeutung gründete sich jedoch auf ihre außergewöhnlichen militärischen Fähigkeiten. Bereits unter Konrad III. hatte ein Heinrich von Pappenheim das Amt des königlichen Marschalls inne, und die Familie behielt offenbar ein geradezu erbliches Anrecht auf diese Würde. Leider vererbte sich in ihr der Name Heinrich gleichfalls, so dass sich die einzelnen Träger von Namen und Amt nicht immer scharf voneinander trennen lassen. Der wohl fähigste, zielbewussteste und erfolgreichste unter ihnen, der nach seiner bis heute nicht identifizierten Burg Heinrich von Kalden hieß, taucht 1185 erstmals in einem Kaiserdiplom auf, zeichnete sich danach mehrfach durch militärische Heldentaten aus und führte schließlich 1194 das Heer Kaiser Heinrichs VI. siegreich durch das sizilische Königreich nach Palermo. Sein martialisches Auftreten an der Spitze der kaiserlichen Gesandtschaft nach Byzanz führte dort zum raschen Einlenken Alexios’ III., sein entschlossener Gegenschlag zum Zusammenbruch eines sizilischen Aufstandes gegen

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die Herrschaft des Staufers. Dessen großzügiger Lohn bestand in umfangreichen Belehnungen im Raum um Neuburg an der Donau. Heinrich von Kalden blieb die entscheidende militärische Stütze König Philipps, und er war es, der nach dessen Ermordung im Jahr 1208 den geschlossenen Übergang der staufischen Ministerialen zu Otto IV. organisierte, nachdem er den Welfen in einem persönlichen Gespräch auf die Wahrung der Rechte und Güter des Stauferhauses einschließlich der Rechtsstellung der Reichsministerialität verpflichtet hatte; überdies setzte er bei dem neuen König die Verurteilung von Philipps Mörder Otto von Wittelsbach durch. Das Urteil vollzog er persönlich: Er spürte Otto auf, erschlug ihn und warf das Haupt des Geköpften in die Donau. Bald nach dem Erscheinen Friedrichs II. in Deutschland wandte er sich dem Staufererben zu; in seinem Marschallamt anerkannt, starb er 1214. Die Karriere Heinrichs von Kalden deutet bereits an, welch weites Aktionsfeld die staufische Italien- und Sizilienpolitik den Reichsministerialen in den Jahren um 1200 bot. Mancher von ihnen nutzte die Stunde, um sich, von kaiserlicher Hand reich belehnt, sogar südlich der Alpen niederzulassen. Zu ihnen gehörte etwa der Ministeriale Diepold von Schweinspoint bei Donauwörth, den Heinrich VI. zum Grafen von Acerra (bei Neapel) erhob. Diepold stieg während der Wirren nach des Kaisers Tod zu einem der einflussreichsten Machthaber Unteritaliens auf und hielt sich dort, verschwägert mit einheimischen Adelsfamilien, bis zu seiner Absetzung durch Friedrich II. im Jahr 1221. Andere Mitstreiter Kaiser Heinrichs aus der Reichsministerialität erwarben ähnlich hochrangige Positionen im Süden. Hinsichtlich des militärischen wie des politischen Erfolgs konnte sich freilich keiner von ihnen mit Markward von Annweiler messen, der, 1185 als Truchsess bezeugt, seit dieser Zeit als einer der Hauptträger der Italienpolitik Heinrichs VI. auftrat. Er gewann die Unterstützung der Seestädte Pisa und Genua für den kaiserlichen Eroberungszug ins Königreich Sizilien und befehligte ihren Flottenverband beim entscheidenden Sieg vor Catania. Zum Lohn belehnte ihn der Kaiser mit dem Herzogtum Ravenna, der Mark Ancona und der Grafschaft Molise in den Abruzzen. Nach Heinrichs Tod anerkannte ihn König Philipp als Sachwalter der staufischen Interessen im Königreich Sizilien, und er vermochte sich dort einigermaßen durchzusetzen: Die Insel Sizilien mit der Hauptstadt Palermo und dem kleinen König Friedrich waren in seiner Hand, als er 1202 überraschend starb. Eben jener König Friedrich II. besaß zehn Jahre später, also 1212, bei seiner Ankunft in Deutschland weder eine territoriale Basis noch ausrei-

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chende Kenntnis der geographischen, gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten im Land seiner Väter. Er hätte deshalb keine Chance gehabt, sich dort gegen den Welfenkaiser Otto IV. durchzusetzen, wenn die Reichsministerialen diesen nicht sehr rasch verlassen und sich für ihn, den Staufer, entschieden hätten, also für den letzten Repräsentanten jenes Herrscherhauses, dem sie ihre Stellung und ihr Ansehen verdankten. Werner und Philipp von Bolanden beispielsweise, die Enkel Werners II., sehen wir bald und dann fast ununterbrochen bis zu ihrem Tod um 1221 am staufischen Königshof, Werner mit der Würde des Reichstruchsessen versehen. Als Reichsschenken agierten dort, gleichfalls Angehörige einer altbewährten Ministerialenfamilie, Walter von Schüpf (bei Bad Mergentheim) und nach ihm sein Bruder und sein gleichnamiger Sohn, der Erbauer der Limpurg bei Schwäbisch Hall. Dazu erhielt nun eine Gruppe ehemals oberschwäbisch-welfischer, seit 1191 staufischer Ministerialen erhebliches Gewicht an Friedrichs Hof, an ihrer Spitze Eberhard von Waldburg bei Ravensburg, der herzoglich-schwäbische Truchseß, und sein Neffe Konrad von Winterstetten bei Biberach, der herzogliche Schenk. Mit dem Fachwissen und der tatkräftigen Hilfe dieses Kreises gelang es Friedrich, die Territorien seiner Familie und des Reiches unter seine Herrschaft zurückzuführen und, an seine Vorgänger anknüpfend, effizient zu verwalten. Wieder spielte dabei neben der Städtegründung – Pfullendorf und Annweiler entstanden jetzt – die Förderung der vorhandenen Zentren wie etwa Nürnbergs eine Hauptrolle. Während Friedrich in Italien und in Sizilien recht wenig Deutsche und somit auch kaum Reichsministeriale einsetzte, fiel ihnen jetzt erneut die Hauptverantwortung für die königliche Territorialpolitik in Deutschland zu. Dass damals Männer aus bislang völlig unbekannten Familien aufgrund ihrer Begabung und ihrer Kenntnisse noch immer enorme Karrierechancen im Reichsdienst hatten, zeigt die erstaunliche Laufbahn des Wolfelin von Hagenau. Er kam aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen, wurde 1215 nach untergeordneten Diensten am Hagenauer Königshof dank seiner bald auffallenden Klugheit Schultheiß von Hagenau und übernahm zugleich die Verwaltung der großen Reichsgüter um die Stadt. Allem nach führte er seine Amtsgeschäfte höchst erfolgreich, denn er vermochte seine Wirksamkeit rasch auf das ganze Elsass auszudehnen; von Friedrich dort offenbar als Prokurator eingesetzt, stieg er so zum maßgebenden, aktiv mitgestaltenden Vertreter des Herrschers in diesem wichtigen staufischen Kernland auf. Er sorgte für den militärischen Schutz des königlichen Besitzes durch die Anlage von Burgen und die Befestigung der Städte und trieb deren Entwicklung voran. Schlettstadt

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etwa wurde nun zur ummauerten, durch Zuzug stetig wachsenden königlichen Stadt, der er sogar zu einer Münze verhalf. Ähnliches erreichte er als Vollstrecker des kaiserlichen Willens in Colmar oder beim Bau von Burg und Stadt Kaysersberg. Um 1237 sah sich Friedrich allerdings gezwungen, ihm wegen Amtsmissbrauchs und Bedrückung der Bevölkerung seine Funktionen zu entziehen. Grundsätzlich aber blieb die Stellung der Reichsministerialen nach 1220, als Friedrich Deutschland verließ, unangetastet. So oblag etwa die Erziehung des jungen Königs Heinrichs VII. und die Sorge für die laufenden Regierungsgeschäfte neben, ja noch vor Engelbert, dem Erzbischof von Köln, einem vom Kaiser benannten Kreis einzelner Adliger und Bischöfe und vor allem bewährter Reichsministerialen, an ihrer Spitze die uns schon bekannten Eberhard von Waldburg, Konrad von Winterstetten und Werner von Bolanden. Zwei Reichsministeriale, wieder Konrad von Winterstetten sowie Konrad von Schmiedelfeld bei Gaildorf, gehörten auch zu den vier Männern, die seit 1237 an der Seite des Regenten Siegfried von Mainz für Friedrichs eben zum König gewählten Sohn Konrad und für das Reich verantwortlich waren. Mit den königlichen Städten zusammen bildeten die Reichsministerialen dann während der 1240er Jahre die Hauptstütze Konrads IV. in seinem Kampf um die Behauptung der staufischen Position. Des Königs früher Tod im Jahre 1254 aber nahm ihnen ihren festen Bezugspunkt und Rückhalt. Der Verteilungskampf, der nun in den ehemals staufischen Gebieten ausbrach, verlangte von jedem einzelnen unter ihnen, dass er seine Position aus eigener Kraft verteidigte. Dabei identifizierten sich die in den Königsstädten bewährten und einflussreichen Ministerialen vielfach mit den Interessen ihrer Heimatstadt. Sie suchten in aller Regel erfolgreich, deren unmittelbare Bindung an das Reich gegen den Zugriff benachbarter Fürsten zu behaupten, und stellten in den künftigen Reichsstädten meist einen ansehnlichen Teil des Patriziats, aus dem die Bürgermeister und Ratsmitglieder stammten. Andere Ministerialenfamilien, die schon bisher eher die adlig-ritterliche Lebensführung bevorzugt und auf enge Kontakte und Ehebündnisse mit adligen Familien Wert gelegt hatten, verschmolzen nun mit der Schicht der kleineren Adligen zum niederen Adel. Sie übten in eher bescheidenem Rahmen durchaus Herrschaft aus, besaßen Lehen und belehnten ihre Vasallen. Mehr oder weniger abhängig von gräflichen, fürstlichen oder geistlichen Herren, wussten sie doch genau um die Bedeutung ihrer Dienste und speziellen Fähigkeiten; nach wie vor erfüllte sie die Überzeugung vom Rang ihrer ritterlichen

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Stellung und nicht selten auch die Hoffnung auf die künftige Erneuerung ihrer Reichsunmittelbarkeit. Nur unter besonders günstigen Bedingungen gelang es führenden Reichsministerialengeschlechtern, ihre eigenständige Herrschaft mit der direkten, ausschließlichen Bindung an das Reich dauerhaft zu erhalten. Die drei aus dem Bolander Geschlecht hervorgegangenen Linien Bolanden, Hohenfels und Falkenstein etwa traten während des Interregnums, besonders markant vertreten durch Philipp von Falkenstein und Philipp von Hohenfels, als entschlossene und kampferprobte Verteidiger der Reichsrechte und damit zugleich ihrer eigenen Machtstellung am Rhein auf und wahrten ihren Territorialbestand wie ihre Unabhängigkeit über Jahrhunderte bis zu ihrem Aussterben, im Falle der Bolander Linie sogar als vom König in den Grafenstand erhobene Adlige. Ähnlich glücklich agierten die Schenken von Limpurg oder die Herren von Rechberg. Der Nachkomme des schwäbischen Truchsessen Eberhard von Waldburg aber, der „Bauernjörg“ genannte Feldhauptmann des Schwäbischen Bundes, durfte sich seit 1528 „Des Heiligen Römischen Reiches Erbtruchsess“ nennen; seine Nachkommen stiegen nicht nur zu Reichsgrafen, sondern 1803 sogar zu Reichsfürsten auf, ehe freilich 1806 auch ihr Haus mediatisiert und der Landeshoheit des Königreiches Württemberg unterstellt wurde. Wir haben den Aufstieg der Ministerialen verfolgt und die Faktoren beobachtet, die ihn zustande kommen ließen: die Gunst des demographischen und wirtschaftlichen Wandels, bestimmte dadurch plötzlich wertvoll werdende persönliche Fähigkeiten, das Geschick im Nützen der neu sich bietenden Chancen, doch nicht selten auch das rücksichtslose Streben nach dem persönlichen Vorteil und sogar die Bereitschaft, diesen gewaltsam durchzusetzen. Vieles erinnert dabei gewiss an unsere eigene Zeit. Zugleich jedoch hatten die Ministerialen maßgebenden Anteil an den Leistungen der ritterlichen Kultur; gemeinsam bekannten sie sich zu vorbildlichen, den individuellen Egoismus überwindenden Werten und Verhaltensnormen, und sie kamen ihren Idealen im praktischen Handeln immer wieder wenigstens nah, als Kreuzfahrer etwa, im Einsatz für das Reich oder im verlässlichen Dienst für den Herrn. Es scheint, als ob es nicht gerade leicht falle, für diese Seite der Ministerialität rasch deutliche Parallelen in unserer Gegenwart zu finden – auch das könnte vielleicht zu denken geben.

II. Herrschaftsauffassung und Herrschaftstheorie Rerum necessitas und divina provisio Zur Interpretation des Prooemiums der Konstitutionen von Melfi (1231) Sicher hat kaum ein anderer Herrscher des Mittelalters seine Zeitgenossen und seine Nachwelt so fasziniert und zugleich zu so gegensätzlichen Urteilen veranlaßt, wie Kaiser Friedrich II. Noch in den jüngsten zusammenfassenden Darstellungen erscheint dieser Staufer in recht unterschiedlichem Lichte. Gilt sein Wirken O. Engels als „Höhepunkt und zugleich Ende einer langen Epoche“, so sieht J. Leuschner in ihm den Versuch, „den Vorrang des Imperiums vor dem Papsttum noch einmal zu behaupten, aber auf einer ... neuartigen Basis eines Staatswesens eigener Art, das Züge zeigte, die anderswo erst sehr viel später zutage traten“.1 In dem Bemühen, Friedrichs Herrschaftsauffassung, seine Vorstellung vom Sinn staatlicher Ordnung zu erkennen, also gewissermaßen die theoretischen Grundlagen seiner Politik herauszuarbeiten, wandte die Forschung ihr besonderes Augenmerk immer wieder dem Prooemium der Konstitutionen von Melfi zu. In der Tat scheint hier, am Eingang jenes [468] Gesetzeswerkes, das die Verhältnisse im Königreich Sizilien neu und dauerhaft gestalten sollte, die Meinung, die der Kaiser oder doch wenigstens sein engster Beraterkreis um das Jahr 1231 über Ursprung und

Erstdruck: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 39 (1983), S. 467-554. 1

Engels, Odilo: Die Staufer, Stuttgart 21977, S. 144; Leuschner, Joachim: Deutschland im späten Mittelalter, Göttingen 1975 (Deutsche Geschichte 3), S. 77; vgl. etwa noch das sehr ausgewogene Urteil Herbert Grundmanns in: Gebhardt, Bruno (Hg.): Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 1, Stuttgart 91970, S. 460-464, der Friedrich zwar nicht an die Neuzeit heranrücken möchte, in ihm aber doch „vieles beunruhigend Neues ... vereint und verdichtet“ sieht (S. 461), sowie Schaller, Hans Martin: Kaiser Friedrich II. Verwandler der Welt, Göttingen/Frankfurt/Zürich 1964 (Persönlichkeit und Geschichte 34), S. 84-88 (Friedrich wirkte „als Vorkämpfer und Wegbereiter neuer Ideen entscheidend in die Zukunft hinein“, blieb dabei jedoch „bis zuletzt ein Herrscher des christlichen Mittelalters“, S. 87), und Cleve, Thomas Curtis Van: The Emperor Frederick II of Hohenstaufen. Immutator Mundi, Oxford 1972, S. 531-540 („He [sc. Frederick] was neither Medieval nor Renaissance – nor was he Modern. He revealed attributes of all these eras, but he belonged to none“, S. 532).

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Ziel der Herrschaft vertrat, so unmittelbar und ausführlich wie selten sonst niedergelegt.2 Freilich kamen die Historiker bei der Interpretation dieses verhältnismäßig kurzen, aber sehr dicht formulierten Textes ebensowenig zu einem einheitlichen Ergebnis wie bei der Beurteilung Friedrichs im allgemeinen. Vielleicht manchmal allzu sehr auf den gewiß bedeutsamen Satz Sicque ipsarum rerum necessitate cogente nec minus divine provisionis instinctu principes gentium sunt creati – nach Kantorowicz „die Achse der ganzen Erörterung”3 – konzentriert, hob die eine Seite aus ihm vor allem den Begriff der rerum necessitas hervor, während die andere stärker das Wort von der divina provisio herausstellte – um die verwickelte, an vielfach abgetönten Äußerungen reiche Diskussion einmal auf diesen sehr vereinfachenden Nenner zu bringen. Schon K. Burdach hatte aus der Reihenfolge der genannten Ausdrücke geschlossen, daß Friedrich damit die Naturnotwendigkeit als die wichtigste Ursache für die Entstehung fürstlicher Herrschaft bezeichnen wolle. Noch entschiedener betonte dann E. Kantorowicz die „naturgesetzliche Zwangsläufigkeit“, die „positive Notwendigkeit“, aus der das Prooemium

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Zur Entstehung der Konstitutionen von Melfi siehe die knappe Darstellung von Hermann Conrad in: Conrad, Hermann/Lieck-Buyken, Thea von der/Wagner, Wolfgang (Hg.): Die Konstitutionen Friedrichs II. von Hohenstaufen für sein Königreich Sizilien, Köln/Wien 1973 (Studien und Quellen zur Welt Kaiser Friedrichs II. 2), S. XLIVf.; vgl. Dilcher, Hermann: Die sizilische Gesetzgebung Kaiser Friedrichs II. Quellen der Constitutionen von Melfi und ihrer Novellen, Köln/Wien 1975 (Studien und Quellen zur Welt Kaiser Friedrichs II. 3), S. 20-22. [Dazu jetzt ausführlich: Stürner, Wolfgang (Hg.): Die Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien, Hannover 1996 (MGH Const. 2, Supplementum), Einleitung.] Über die Frage, inwieweit Friedrich an der Formulierung seines Gesetzbuches persönlich beteiligt war, siehe Kantorowicz, Ernst: Kaiser Friedrich der Zweite, Berlin 1927, S. 275f., sowie Ergänzungsband (1931), S. 127f.; dazu Hampe, Karl: Das neueste Lebensbild Kaiser Friedrichs II. In: HZ 146 (1932), S. 446-448, 457; vgl. Schaller, Kaiser Friedrich (wie Anm. 1), S. 43 („Seinen [sc. Friedrichs] Geist atmet vor allem die feierliche Einleitung [des Liber Augustalis]“); ders.: Die Kanzlei Kaiser Friedrichs II. Ihr Personal und ihr Sprachstil. I. Teil. In: AfD 3 (1957), S. 246, vgl. S. 248, sowie II. Teil. In: AfD 4 (1958), S. 287. Kantorowicz, Ergänzungsband (wie Anm. 2), S. 96; vgl. Grabmann, Martin: Der Anfang des Prooemiums zu den „sizilianischen Konstitutionen“ Kaiser Friedrichs II. in philosophiegeschichtlicher Beleuchtung. In: Philosophisches Jahrbuch der GörresGesellschaft 49 (1936), S. 121 und 124. – [Der Text der Konstitutionen Friedrichs II. für Sizilien (Konst.) wird im folgenden zitiert nach der Neuedition: MGH Const. 2, Supplementum (wie Anm. 2); der Text des Prooemiums ist zusätzlich im Anhang unten S. 127-129 abgedruckt; das Zitat siehe dort Z. 25f.]

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das Werden des Staatswesens erkläre, und meinte, dieser Gedanke sei „unbedingt auf aristotelischen Einfluß zurück(zu)führen“. Dagegen wies [469] A. Brackmann auf Friedrichs ausführliche Schilderung des Sündenfalls hin; sie zeige, daß für ihn dem „Handeln der divina providentia“ die zentrale Bedeutung zufalle, womit er „vollkommen im Banne der kirchlichen Staatsanschauung“ stehe.4 In der Folge neigten Gelehrte wie H. Grundmann, A. Marongiù oder O. Engels dazu, beide Möglichkeiten wie Friedrich selbst gleichberechtigt nebeneinander aufzuführen, ohne sich klar für den Vorrang der einen oder anderen auszusprechen.5 Etwas weiter ging erst wieder die bisher wohl letzte ausschließlich dem Konstitutionen-Prooemium gewidmete Untersuchung aus der Feder von Th. Buyken. Die Verfasserin bemühte sich, die Quellen herauszuarbeiten, deren sich Friedrich in seinem Vorwort bediente, um so die verschiedenen dort wirksamen Anschauungen zu erfassen: Verhältnismäßig großes Gewicht maß sie dabei von neuem den Schriften des Aristoteles sowie den Kommentaren des Averroës bei: Sie glaubte, aristotelische Begriffe und Vorstellungen an zahlreichen Stellen des Prooemiums wiederzufinden, sah dessen Schöpfungsbericht weitgehend geprägt vom „naturwissenschaftlichen Weltbild des Aristoteles“ und identifizierte auch sein Wort

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Burdach, Konrad: Rienzo und die geistige Wandlung seiner Zeit. Vom Mittelalter zur Reformation 2,1, Berlin 1928, S. 297ff., siehe bes. S. 311, vgl. daneben die zurückhaltenderen Äußerungen etwa S. 317f.; Kantorowicz, Friedrich (wie Anm. 2), S. 220226, Ergänzungsband, S. 97f. (dort die Zitate); ähnlich auch Dempf, Alois: Sacrum Imperium. Geschichts- und Staatsphilosophie des Mittelalters und der politischen Renaissance, München 31962 [11929], S. 321f.; Brackmann, Albert: Kaiser Friedrich II. in „mythischer Schau“. In: HZ 140 (1929), S. 541f.; vgl. noch Steinen, Wolfram von den: Das Kaisertum Friedrichs des Zweiten nach den Anschauungen seiner Staatsbriefe, Berlin 1922, S. 17-23; sowie De Stefano, Antonino: L’idea imperiale di Federico II, Firenze 1927 (benutzt wurde der Nachruck von 1978), S. 39-59 („In realtà il pensiero politico speculativo di Federico II è ancora essenzialmente medievale“, S. 45). Grundmann (wie Anm. 1), S. 462 („gottgewollte und naturnotwendige Staatsgewalt“); Marongiù, Antonio: Uno „stato modello“ nel medioevo Italiano: Il regno Normannosvevo di Sicilia. In: Critica storia 2 (1963), deutsch in Wolf, Gunther (Hg): Stupor Mundi. Zur Geschichte Friedrichs II. von Hohenstaufen, Darmstadt 1966 (Wege der Forschung 101), siehe dort S. 765 (Marongiù betont dann allerdings das Fehlen jeder herrscherlichen Verpflichtung den Untertanen gegenüber bei Friedrich, S. 766, und hält den Staufer für „nicht weniger ,aufgeklärt‘ als die reformerischen Fürsten des 18. Jahrhunderts“, S. 768); Engels (wie Anm. 1), S. 137 („die göttliche Vorsehung und die den Dingen innewohnende Naturnotwendigkeit hätten die Fürsten dazu bestimmt, den Haß unter den Menschen zu zähmen“).

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von der rerum necessitas mit der „necessitas des griechischen Philosophen“. So nimmt das hier formulierte Herrscherbild nach ihrer Meinung im ganzen doch die zukünftige Entwicklung vorweg, es deutet in die Renaissance des 15. Jahrhunderts.6 [470] Der geschilderte Stand der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Friedrichs Prooemium ermuntert nicht gerade zu weiteren Studien. Offenbar läßt sich nur schwer über die bekannten Positionen hinausgelangen oder auch nur die Richtigkeit einer von ihnen schlagend beweisen. Unter Umständen spiegeln die Schwierigkeiten und Widersprüche, die der Text für uns bereithält, tatsächlich einfach die vielberufene Rätselhaftigkeit der Person des Kaisers wider, sind also als solche die eigentliche, letzte Aussage dieses Textes für uns. Freilich kann sich der Historiker mit dieser Lösung erst zufriedengeben, wenn alle anderen Möglichkeiten ganz ausgeschöpft sind. Deshalb sollen hier zwei Wege zu einem besseren Verständnis des so problematischen Prooemiums erprobt werden, die noch nicht oder vielleicht doch nicht entschieden genug begangen wurden. Einmal soll versucht werden, die Herkunft der Wendungen und Anschauungen des Textes, vor allem derjenigen, die in seinem ersten Teil bei der Schilderung des Schöpfungsprozesses begegnen, genauer als bisher zu bestimmen (I); zum andern soll gefragt werden, ob man vor bzw. nach Friedrich die Entstehung von Herrschaft auf die gleiche oder ähnliche Weise wie er mit der biblischen Sündenfallerzählung in Verbindung brachte (II). Ziel des Unternehmens ist dabei nicht so sehr das Aufspüren

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Buyken, Thea: Über das Prooemium der Constitutionen von Melfi. In: Revista Portuguesa de História 14 (1973), S. 161-176, zum Einfluß des Aristoteles siehe bes. S. 163-166, die Schlußbeurteilung S. 176, die Zitate S. 166 und 175; vgl. Schaller, Kaiser Friedrich (wie Anm. 1), S. 42f., der ebenfalls die Ansicht vertrat, Friedrich habe „den Begriff der Necessitas … der durch die Araber vermittelten aristotelischen Philosophie entnommen“ „und damit … eine Entwicklung eingeleitet, die über das Mittelalter hinaus zum autonomen, ja letzten Endes zum totalitären Staat führen sollte“; „eine rein diesseitige Rechtfertigung des Gesetzgebungsamtes“ kündigt sich im necessitas-Begriff des Prooemiums auch nach Erler, Adalbert: Aegidius Albornoz als Gesetzgeber des Kirchenstaates, Berlin 1970, S. 77f. an; voraus auf Thomas von Aquin und Dante weisen der necessitas-Begriff und das Prooemium im ganzen nach Van Cleve (wie Anm. 1), S. 257-260; Pichler, Johannes W.: Necessitas. Ein Element des mittelalterlichen und neuzeitlichen Rechts dargestellt am Beispiel österreichischer Rechtsquellen, Berlin 1983 (Schriften zur Rechtsgeschichte 27), S. 60 und 230f. übernimmt in seinen knappen Bemerkungen zum Prooemium im wesentlichen wieder die Sicht von Kantorowicz, sein Interesse gilt vor allem Rechtsquellen des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit.

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etwa noch unbekannter direkter Quellen unseres Dokumentes; vielmehr soll es ganz allgemein zu neubegründeten Aussagen über die Zeitbedingtheit oder Eigenständigkeit der im Prooemium formulierten Sicht von Natur, Mensch und gesellschaftlicher Ordnung führen. Da keiner der vorliegenden Drucke einen zuverlässigen Text des Prooemiums bietet, stützt sich die Untersuchung auf die im Anhang unmittelbar aus der handschriftlichen Überlieferung erarbeitete Neuedition (III).

I. [471] Unsere Bemühungen um die Quellen des Prooemiums, um Parallelen zu den dort vertretenen Anschauungen können von der eingangs erwähnten Studie von Th. Buyken ausgehen, die vor allem drei Quellengruppen herausstellt: den biblischen Schöpfungsbericht und die Bibel überhaupt, das römische Recht Justinians sowie die aristotelische Philosophie.7 Die biblischen Anklänge und Zitate bereiten am wenigsten Kopfzerbrechen. Immerhin läßt sich zusätzlich zu den von Buyken genannten Belegen anführen, daß die Vulgata wie das Prooemium (Z. 23f.) von dem Menschen redet, der sich – obwohl von Gott als ein homo rectus geschaffen – unaufhörlich in quaestiones gemischt habe, und daß sie den gottesfürchtigen und unschuldigen Hiob simplex et rectus nennt – beide Wendungen wurden im Mittelalter immer wieder zitiert und kommentiert.8

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Buyken (wie Anm. 6), S. 166-169 (Bibel), S. 173-175 (römisches Recht), S. 164-166 (aristotelische Philosophie); zum Einfluß „mittelalterlicher Zeitanschauungen“ (S. 169-172) siehe unten Teil II, S. 90ff. Ecce solummodo hoc inveni, quod fecerit Deus hominem rectum et ipse se infinitis miscuerit quaestionibus, Eccles. 7,30; Erat vir ille simplex et rectus ac timens Deum et recedens a malo, Iob 1,1, ebenso Iob 1,8 (homo simplex et rectus) und Iob 2,3; zur Wirkung der Stellen siehe etwa Gregor der Große, Moralia in Iob I 36, ed. Marcus Adriaen, CC 143-143 A, Turnhout 1979, S. 44, II 43, S. 86, III 14, S. 123 (simplicitas als obedientia Adams vor dem Fall); Augustin, De civitate Dei XIII 14, CSEL 40,1 (1899), S. 632, Z. 7, XIV 11, CSEL 40,2, S. 27, Z. 6f., XXII 30, S. 666, Z. 24; Enchiridion XXVIII 107, ed. E. Evans, CC 46, Turnhout 1969, S. 107, Z. 57; Hildebert von Lavardin, Sermo 111, Migne PL 171, 849C; Hugo von St. Viktor, Summa Sententiarum III 7, PL 176, 99A (zur umstrittenen Autorschaft Hugos siehe Goy, Rudolf: Die Überlieferung der Werke Hugos von St. Viktor, Stuttgart 1976 [Monographien zur Geschichte des Mittelalters 14], S. 486); Petrus Lombardus, Sententiarum liber II 24,1, PL 192, S. 70lf.; Alanus von Lille, Summa „Quoniam homines“ 151, ed.

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Außerdem findet sich das Wort vom villicationis reddere rationem (Z. 29f.) so bereits im Lukas-Evangelium.9 Parallelen zum römischen Recht überraschen grundsätzlich kaum, vor allem, seit H. Dilcher in einer großen Untersuchung nachwies, welchen überragenden Einfluß das Gesetzbuch Justinians auf die Konstitutionen von Melfi insgesamt ausübte.10 Freilich kann man sich fragen, ob der Ge[472]brauch so häufig vorkommender Wörter wie obtinere, observare oder crimen in diesem Zusammenhang wirklich etwas beweist. Darüber hinaus aber sei doch angemerkt, daß die meisten der bei Buyken als Entlehnungen des Prooemiums aus Justinians Werk aufgezählten Elemente auch schon in Dokumenten aus der Kanzlei oder aus dem Umkreis von Friedrichs Vorgängern begegnen, so bei den deutschen Königen und Kaisern des 12. Jahrhunderts und insbesondere bei Friedrich I. Dies gilt ebenso für die „römischen Rechtswörter“ des Prooemiums11 wie für den ihm vorangestellten kaiserlichen Titel: Auch Barbarossa wird von Otto von Freising und Rahewin in Übereinstimmung mit der Intitulatio Justinians als victor, inclitus, triumphator, semper augustus bezeichnet, und die gleichen Epitheta kehren in einigen seiner Urkunden bzw. Briefen wieder. Fast noch größer sind die Anleihen bei Justinian in dem Titel,

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P. Glorieux. In: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du moyen-âge 28 (1953), S. 291. Redde rationem vilicationis tuae, Luc. 16,2 (Gleichnis vom ungerechten Haushalter, vilicus), das Zitat auch bei Alanus von Lille, Distinctiones s.v. „ratio“, Migne PL 210,922BC; zur Wendung vitulum mactare (Z. 41) vgl. Lev. 9, 7f., zur Bezeichnung rex regum et princeps principum (Z. 30f.) siehe unten Anm. 129. Zur Bedeutung der Sprache der Vulgata und der Liturgie für die Kanzlei Friedrichs vgl. Schaller, Kanzlei II (wie Anm. 2), S. 307-313 und dazu unten Anm. 23. Dilcher (wie Anm. 2), bes. S. 760-816; eine kurze Zusammenfassung seiner Ergebnisse gibt ders.: Die sizilische Gesetzgebung Friedrichs II., eine Synthese von Tradition und Erneuerung. In: Vorträge und Forschungen 16 (1974), S. 23-41; vgl. noch Buyken, Thea: Das römische Recht in den Constitutionen von Melfi, Köln 1960 (Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen 17). Siehe dazu etwa die Wortregister in MGH DD 10,1-2, Die Urkunden Friedrichs I., bearbeitet von Heinrich Appelt (1975-1979), mit zum Teil zahlreichen Belegstellen für die meisten der von Buyken (wie Anm. 6), S. 173-175 angeführten justinianischen Rechtsbegriffe; vgl. darüber hinaus zu rerum dominia (Z. 22): dominus rei, Tractatus ... qui Glanvilla vocatur X 13, ed. George D. G. Hall, London 1965, S. 128, terrenarum rerum dominatio, id est: villarum possessio, Pellens, Karl (Hg.): Die Texte des Normannischen Anonymus J 24, Wiesbaden 1966, S. 135; über die Parallelen zum Gesetzbuch Rogers II. siehe unten S. 72 mit Anm. 26-28.

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den Lothar III. in seinem Lehnsgesetz von 1136 trägt. Nach den von ihm beherrschten Völkern schließlich nennt sich – den antiken Brauch wie Friedrich II. etwas abwandelnd – schon Otto III.12 Die Gottesunmittelbarkeit seiner [473] Stellung betont Friedrich I. während seiner ganzen Herrschaft,13 sehr deutlich bereits in der Arenga seiner Wahlanzeige an den Papst. Deren Wortlaut übernimmt bekanntlich den Anfang des Institutionen-Prooemiums, betont wie jenes die Bedeutung der Gesetzgebung für den Herrscher und bietet in der Bezeichnung sacrae disciplinae für die Gesetze der Kaiser zugleich ein Beispiel dafür, daß Recht und Gerechtigkeit durchaus auch im 12. Jh. „in die Sphäre des Sakralen erhoben“ wurden.14

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Otto von Freising, Chronica, Epistola ad Fridericum I., ed. Adolf Hofmeister, MGH SS rer. Germ., Hannover 1912, S. 1; vgl. ders., Gesta Frederici II 40, ed. Franz-Josef Schmale, Darmstadt 1974 (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 17), S. 362; Rahewin, ebd. IV 5, S. 516, IV 72, S. 660; MGH DD F.I. Nr. 358, S. 205; StumpfBrentano, Acta imperii inedita Nr. 364, S. 519; Brief Friedrichs an Ludwig VII. von Frankreich (1157), ed. Wilhelm von Giesebrecht. In: Simons, B. von (Hg.): Geschichte der deutschen Kaiserzeit Bd. 6: Die letzten Zeiten Kaiser Friedrichs des Rothbarts, Leipzig 1895, S. 356; MGH DD L.III. Nr. 105, S. 170; MGH DD O.III. Nr. 390, S. 821, Z. 8f. Justinians Titel findet sich mit den Völkernamen und dem Zusatz pius, felix, inclitus, victor ac triumphator, semper augustus im Institutionen-Prooemium sowie in De conceptione Digestorum (2. Schreiben), De confirmatione Digestorum, De emendatione Codicis Iustiniani, ohne Völkernamen in De conceptione Digestorum und De Iustiniano Codice confirmando. Einen Überblick über die justinianischen Elemente in der Kaisertitulatur des 12. Jh. gibt Gottfried Koch: Auf dem Wege zum Sacrum Imperium. Studien zur ideologischen Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jh. (1972), S. 235f., vgl. S. 53, 104f. und 115 (für Heinrich IV. und Heinrich V.), sowie S. 211; zum DL.III. Nr. 105: Appelt, Heinrich: Friedrich Barbarossa und das römische Recht, Römische Historische Mitteilungen 5 (1961/62), abgedruckt in: Wolf, Gunther (Hg.): Friedrich Barbarossa, Darmstadt 1975 (Wege der Forschung 390) (danach ist hier zitiert), S. 69f.; siehe daneben zu Wibald von Stablo: ders.: Die Kaiseridee Friedrich Barbarossas, SB Wien 252, 4. Abh. (1967), abgedruckt in: Wege der Forschung 390 (1975; danach ist hier zitiert), S. 224f., und Herkenrath, Rainer Maria: Regnum und Imperium. Das „Reich“ in der frühstaufischen Kanzlei (1138-1155), SB Wien 264, 5. Abh. (1969), abgedruckt in: Wege der Forschung 390 (1975; danach ist hier zitiert), S. 334, 355-357; bes, zum 11. Jh.: Schramm, Percy Ernst: Kaiser, Rom und Renovatio, Darmstadt 21957 [1929], S. 283f. (dort der Hinweis auf DO. III. Nr. 390). Belege bei Koch (wie Anm. 12), S. 180 Anm. 25, vgl. dort allgemein für das 12. Jh. S. 178-184, für das 11. Jh. S. 34, 38, 42f., 68; siehe auch Herkenrath (wie Anm. 12), S. 331f. Zitat bei Buyken (wie Anm. 6), S. 174. – Die Wahlanzeige Friedrichs I.: MGH Const. 1 Nr. 137, MGH DD F.I. Nr. 5, S. 9ff.; dazu und zum Aufkommen des Begriffs

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In der Wendung qui vite necisque arbitri gentibus ... stabilirent (Z. 2729) erkannte im übrigen schon Marinus de Caramanico in seiner zwischen 1270 und 1280 abgefaßten Glossa ordinaria zu Friedrichs Gesetzbuch ein fast wörtliches Zitat aus dem ersten Buch (I 1,2) von Senecas De

sacrum imperium Appelt, Kaiseridee (wie Anm. 12), S. 213-226; daneben Herkenrath (wie Anm. 12), S. 324-330, S. 354 Anm. 158; zur Tradition der Sakralisierung von Reich und kaiserlichem Gesetz allgemein bes. Koch (wie Anm. 12), S. 158, 260-275; vgl. darüber hinaus etwa noch Johannes von Salisbury, Policraticus IV 6, ed. C.C.I. Webb, Oxford 1909, 1, S. 252, Z. 28 - S. 253, Z. 3, S. 253, Z. 15-17 (sacratissimae leges; templum iustitiae), IV 10, S. 267, Z. 10f. (zum cultus iustitiae, ähnlich III 9, S. 198, Z. 11-13, IV 11, S. 271, Z. 18f., S. 274, Z. 22f.); Radulfus Niger, De re militari III 3, ed. Ludwig Schmugge, Berlin/New York 1977 (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 6), S. 132 (der König als magister et sacerdos iuridicus); die Questiones de iuris subtilitatibus, Praefatio, ed. Hermann Fitting (o.J., Nachdruck 1977), S. 53f. (zur Verfasserschaft des Placentin siehe Weigand, Rudolf: Die Naturrechtslehre der Legisten und Dekretisten von Irnerius bis Accursius und von Gratian bis Johannes Teutonicus, München 1967, S. 40 Anm. 6); und bes. Rogers II. Assisen-Vorwort (siehe unten S. 72 mit Anm. 26). – Gesetzgebung als kaiserliche Aufgabe in wörtlichem Anschluß an Cod. I 14, 12,3: Nostrum est leges condere, DF.I. für Speyer (27.5.1182), ed. F. Keutgen, Berlin 1901 (Ausgewählte Urkunden zur deutschen Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte 1), Nr. 22, S. 15 (St. 4341; Hinweis bei Fichtenau, Heinrich: Arenga. Spätantike und Mittelalter im Spiegel von Urkundenformeln, Graz/Köln 1957, S. 178); vgl. den Brief Friedrichs an Ludwig VII. von 1157 (wie Anm. 12): divina clementia, per quam reges regnant et legum conditores iusta decernunt (Prov. 8,15), sowie Otto von Freising, Gesta Fred. II 32 (wie Anm. 12), S. 350, Z. 1f.; der im Prooemium Friedrichs II. benutzte Begriff iura condere nach Justinians De confirmatione Digestorum findet sich bereits in der Ansprache Friedrichs I. zu Roncaglia bei Rahewin, Gesta Fred. IV 4 (wie Anm. 12), S. 516, Z. 5 (dum ius condimus), zur kaiserlichen Gesetzgebung vgl. den Kontext, S. 514, Z. 25 - S. 516, Z. 7; dort, S. 514, Z. 26f., auch die Wiederkehr des schon in die Wahlanzeige aufgenommenen Vergleichs von Kriegführung und Gesetzgebung aus dem Institutionen-Prooemium (patriam ... legibus gubernare), ebenso in DF.I. Nr. 147, S. 247 (vgl. auch DF.I. Nr. 165, S. 282), sowie bei Otto von Freising, Chron., Ep. ad Frid. I. (wie Anm. 12), S. 1, im Tractatus Glanvilla, Prol. (wie Anm. 11), S. 1, oder bei Girald von Wales, De principis instructione I 10, ed. G. F. Warner, London 1891, S. 32; vgl. zur Benutzung des Institutionen-Vorworts im 11. und 12. Jh. Fichtenau, Arenga, S. 28 mit Anm. 77, zur staufischen Gesetzgebung und ihrer Begründung allgemein Krause, Hermann: Kaiserrecht und Rezeption, Abh. Heidelberg Jg. 1952, 1. Abh., S. 31-49, siehe insbes. S. 48f. und S. 43 den Hinweis auf Johannes von Salisbury, Policraticus IV 2, S. 237-239 und auf die Kanonistik (Ivo von Chartres, Panormia II 138-168, Migne PL 161, 1115-1122, bes. c. 147 = Inst. I 2,6; Gratian, D.10), wo das herrscherliche Gesetzgebungsrecht als selbstverständlich vorausgesetzt ist, sowie S. 41f. auf entsprechende Äußerungen Heinrichs des Löwen.

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clemen[474]tia,15 aus der Schrift eines Autors also, von dem wir aufgrund der Äußerungen etwa Abaelards oder Johanns von Salisbury wissen, daß er bei den Gebildeten des Abendlandes seit langem in hohem Ansehen stand.16 Daß Friedrich II. freilich, wie Marongiù meinte, mit Senecas Hilfe bei der Definition seiner herrscherliehen Stellung über das römische Recht hinausgelangen wollte, weil es ihn in diesem Punkte nicht befriedigte,17 erscheint doch sehr unwahrscheinlich. Immerhin hatte das justinianische Corpus das „Maß der Majestät und Souveränität“ des Herrschers mit Wendungen wie princeps legibus solutus est (Dig. I 3,31), quod principi placuit, legis habet [475] vigorem (Inst. I 2,6; Dig. I 4,1; vgl. Cod. I 14,12) oder legem animatam eum (sc. imperatorem) mittens (sc. deus) hominibus (Nov. CV 2,4) wenigstens ebenso großzügig und eindeutig bestimmt wie Seneca. Diese Aussagen wurden bereits in der Herrschaftstheorie des 12. Jahrhunderts erörtert; auch Friedrich kannte sie selbstverständlich und bediente sich ihrer durchaus, allerdings verhältnismäßig selten und mit bemerkenswerter Zurückhaltung.18 Senecas

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Glosse zu statumque haberet, vgl. den Abdruck der Glossa ordinaria bei Riessinger, Constitutiones Regni Siciliae „Liber Augustalis“, Neapel 1475. Faksimiledruck mit einer Einleitung von Hermann Dilcher (Mittelalterliche Gesetzbücher Europäischer Länder in Faksimiledrucken 6. Im Auftrag des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte hg. von A. Wolf, 1973), siehe dazu Schaller, Hans Martin, DA 31 (1975), S. 247; zu vite necisque hatte Marinus zuvor auf die similia verba in Dig. I 6,1,1 und Cod. VIII 46,10 hingewiesen, die dann auch Buyken (wie Anm. 6), S. 173 mit Anm. 87, ohne Marinus zu nennen, anführt; zu Marinus: Stürner (wie Anm. 2), S. 50-55. – Über das bei Marinus bzw. Marongiù (siehe unten Anm. 17) Bemerkte hinaus wurde wohl auch noch die im Prooemium folgende Formulierung über die Fürsten, de quorum manibus (Z. 29) im Blick auf ihre künftige Rechenschaftspflicht ein bestimmtes Handeln gefordert werde, von Seneca angeregt, bei dem der Kaiser von Schicksal und Stand der Sterblichen sagt: in mea manu positum est, De clem. I 1,2; desgleichen spricht der Kaiser dort von seiner Bereitschaft, vor Göttern und Gesetz rationem reddere, De clem. I 1,4. Vgl. dazu Nothdurft, Klaus-Dieter: Studien zum Einfluß Senecas auf die Philosophie und Theologie des 12. Jahrhunderts, Leiden/Köln 1963 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 7), bes. S. 11, 13, 15f., 19 (De clem. – Hss.), 40-44 (Beurteilung Senecas im 12. Jh.), 89f., 119f. (Benutzung von De clem. im 12. Jh., siehe insbes. S. 120 Anm. 3); siehe noch S. 132 und 159. Marongiù (wie Anm. 5), S. 765f.; den frühen Hinweis des Marinus auf die SenecaParallele erwähnt Marongiù dabei nicht. Zum 12. Jh. vgl. vor allem Johannes von Salisbury, Policraticus IV 2 (wie Anm. 14), S. 238, Z. 2-12, IV 4, S. 244, Z. 13-17, S. 245, Z. 6-8, IV 6, S. 251, Z. 13-16, IV 7, S. 259, Z. 8-15, sowie IV 1, S. 235, Z. 22 - S. 236, Z. 4 (die Argumentation Johanns verrät deutlich, für wie gefährlich weitgehend er die Formulierungen des römischen

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Hinweis auf das herrscherliche Recht, jedem seinen Stand und sein Los zuzuteilen, erinnert zudem sehr an die Definition der iustitia als perpetua voluntas ius suum cuique tribuens in Inst. I 1,1 (vgl. Dig. I 1,10), die Friedrich II. in eine seiner Konstitutionen (III 4,1) fast wörtlich einschaltet, und die im ganzen Mittelalter immer wieder begegnet.19 Auffallend ist dabei jedoch dies: Ähnlich wie schon Friedrich I. oder Rahewin macht Friedrich II. durch die Wahl des Begriffs stabilire (bzw. conservare, Konst. III 4,1) nicht so sehr, wie Seneca, das freie Zuteilen des menschlichen Loses, sondern eher das Bewahren des nach der göttlichen [476] Ordnung dem einzelnen Zufallenden zur Aufgabe des gerechten Herrschers. Dem entspricht, daß Seneca auch im Kontext des Zitats in erster Linie die grundsätzliche Ungebundenheit des kaiserlichen Willens herausstellt und seine Verantwortlichkeit den Göttern gegenüber als eine eher theoretische Möglichkeit zurücktreten läßt, während sich Friedrich gerade dort, wo er den Seneca-Text in sein Prooemium aufnimmt, eben doch recht deutlich als einen Gebundenen sieht, gewiß nicht hinsichtlich

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Rechts hielt); siehe daneben die bei Koch (wie Anm. 12), S. 238f. gesammelten Zitate, sowie den Tractatus Glanvilla, Prol. (wie Anm. 11), S. 2 (quod principi placet, legis habet vigorem). Zu Friedrich II.: Huillard-Bréholles, Jean-Louis-Alphonse, Historia Diplomatica Friderici Secundi (künftig HB) 5, S. 162 (Januar 1238), MGH Const. 2 Nr. 262, S. 365 (Juli 1245), vgl. HB 6, S. 145 (Dezember 1243) – überall ist die gleichzeitige Bindung des Kaisers an ratio, virtus bzw. Gott ausdrücklich anerkannt. Der Kaiser als animata lex in terris zuerst in einem bischöflichen Schreiben vom 25.6.1230 (J. F. Böhmer, Reg. Imp. 5,1 Nr. 1793, zitiert MGH Const. 2, S. 184 Anm. 1), das offensichtlich einem für die Kirche günstigen kaiserlichen Spruch (HB 3, S. 230-232) besonderes Gewicht geben will, dann bei Friedrich selbst: Böhmer, Acta Imperii selecta Nr. 299, S. 264 (April 1237); schon im Juni 1231 von Heinrich (VII.) auch auf die regia potestas angewandt: HB 3, S. 469; vgl. dazu Krause (wie Anm. 14), S. 36-38, der zu Recht darauf hinweist, daß die Wendung durchweg im Zusammenhang mit Rechtssprüchen, nicht mit herrscherlicher Gesetzgebung auftaucht; zur Geschichte der Wendung siehe noch Steinwenter, A.: Nomos empsychos. Zur Geschichte einer politischen Theorie. In: Anzeiger der Akademie der Wissenschaften in Wien, 83. Jg. (1946), S. 250-268, bes. 251-255, und Kantorowicz, Ernst H.: The King's Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology, Princeton 1957, S. 129132, mit dem wichtigen Hinweis auf das Vorkommen der Wendung in der vermutlich seit 1215 entstehenden Glossa ordinaria des Accursius (vielleicht als Übernahme früherer Glossen) sowie auf ihre Anwendung auf den Papst in der Kanonistik seit Alanus (um 1200). Vgl. dazu die Belege bei Fichtenau (wie Anm. 14), S. 53f. und Appelt, Kaiseridee (wie Anm. 12), S. 227f.; siehe bes. MGH DD F.I. Nr. 25, S. 41; MGH Const. 1 Nr. 177, S. 247; Rahewin, Gesta Fred. IV 4 (wie Anm. 12), S. 514, Z. 18f.; außerdem etwa noch Johannes von Salisbury, Policraticus IV 2 (wie Anm. 14), S. 237, Z. 12-16.

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seiner Untertanen, aber doch in Bezug auf Gott: Er betrachtet sich als den „Vollstrecker des göttlichen Urteils“, als das Werkzeug Gottes, dem er zur Rechenschaft unbedingt verpflichtet ist; er folgt seinem antiken Vorbild also bezeichnenderweise gerade in diesem entscheidenden Punkte nicht. Ebensowenig erhebt er, wie der Kaiser bei Seneca, darauf Anspruch, an Stelle der Götter allein die Völker zu lenken: Das Prooemium gibt klar und ohne jede Einschränkung allen principes gentium dieselben Vollmachten.20 In diesem Zusammenhang sei schließlich noch bemerkt, daß man als Beleg dafür, daß Friedrich mit Hilfe einer „Fülle von römischen Titeln und Vorstellungen“, „die Grenze der Blasphemie“ überschreitend, „die Vergottung des Kaisertums vollendet“ habe, schwerlich die Anwendung der gleichen Begriffe auf Gott wie auf den Herrscher bzw. auf beider Handeln wird anführen können, wenn diese Begriffe für beide Bereiche seit alters so gebräuchlich waren, wie maiestas, arbitrium oder etwa die Wortgruppe providentia/provisio/providere.21 Letztere bezeichnet im Pro[477]oemium zunächst den Schöpfer und seine Fürsorge für Welt und Mensch (Z. 3, 25f.), im zweiten Teil Friedrichs Einsatz für die gerechte Ordnung Siziliens (Z. 42f., 48), ohne daß die unterschiedliche Reichweite

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Senecas umfassende, etwa die Austilgung, Vertreibung oder Versklavung ganzer Völker einschließende Beschreibung der kaiserlichen iurisdictio, deren Inhaber die Rolle der Götter auf Erden übernimmt: De clem. I 1,2, vgl. I 21,2 (Uti ... animose debet tanto munere deorum dandi auferendique vitam potens), sowie I 5,7; die Rechenschaft vor den Göttern wird erwähnt De clem. I 1,4, vgl. I 7,1f. – Als Vollzugsorgan Gottes wie im Prooemium erscheint der Herrscher auch schon im 11. und 12. Jh., vgl. die Belege für die Bezeichnungen vicarius Dei, imago Dei und bes. minister Dei bei Koch (wie Anm. 12), S. 70-76, S. 181 mit Anm. 27 und 32, S. 184f., siehe noch Johannes von Salisbury, Policraticus IV 1 (wie Anm. 14), S. 235, Z. 22 - S. 236, Z. 20, IV 6, S. 252, Z. 6 - S. 253, Z. 4, IV 7, S. 258, Z. 13-17, V 4, S. 295, Z. 21-28, V 6, S. 299, Z. 23-25, VIII 18, S. 358, Z. 7-11, für die Staufer allgemein Krause (wie Anm. 14), S. 39, für die Karolingerzeit unten S. 99 mit Anm. 90; zu Justinians Überzeugung, sein Amt stamme von Gott und verpflichte ihn diesem gegenüber, vgl. etwa Nov. VI pr., Nov. CIX pr., oder De conceptione Digestorum, pr.; vgl. Koch S. 241 mit Anm. 385. These und Zitate bei Buyken, Röm. Recht (wie Anm. 10), S. 11f., vgl. dies. (wie Anm. 6), S. 175f.; zur dort noch erwähnten Gewohnheit Friedrichs II., die Namen seiner Vorfahren und deren Gesetze mit den Epitheta divi bzw. sacratissime zu schmücken und das crimen lese maiestatis stark in den Vordergrund zu rücken, vgl. die Belege für dieselbe Verfahrensweise seiner Vorgänger im 11. und 12. Jh. bei Koch (wie Anm. 12), S. 264-267, S. 270-273 bzw. (für das Majestätsverbrechen) S. 122-125, S. 239f., daneben MGH Const. 1 Nr. 227, c. 2-5, S. 322 (dazu Appelt, Röm. Recht [wie Anm. 12], S. 65 Anm. 17) oder Rahewin, Gesta Fred. III 20 (wie Anm. 12), S. 436, Z. 9; allgemein zur frühstaufischen Sakralsprache: Fichtenau (wie Anm. 14), S. 87f.

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und Bedeutung dieser Bemühungen verhüllt würde, nennt der Kaiser sein Gesetzbuch doch eine Opfergabe für Christus; tatsächlich „in einem Atem“, nämlich im selben Satz, spricht indessen Friedrich Barbarossa mehrmals in seinen Briefen vom göttlichen und dem eigenen providere.22 Der unmittelbare Vergleich der divina maiestas mit der des Kaisers stammt aus einer brieflichen Äußerung Innocenz’III. zur Ketzerbestrafung; er gelangte von dort in Friedrichs Krönungsgesetze von 1220 sowie – in zum Teil etwas geändertem Wortlaut – in verschiedene andere Gesetze des Kaisers und schließlich im Rahmen einer nachträglichen Ergänzung in das Ketzergesetz der Konst. I 1.23

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MGH Const. 1 Nr. 182, S. 253, Z. 29f (=Const. 1 Nr. 183, S. 254, Z. 31f.), Const. 1 Nr. 184, S. 255, Z. 33f., vgl. Rahewin, Gesta Fred. IV 65 (wie Anm. 12), S. 644, Z. 25-27, IV 66, S. 646, Z. 32, S. 648, Z. 16-18; siehe auch die Briefe A1exanders bzw. seiner Wähler bei Rahewin IV 61, S. 624, Z. 29 und S. 626, Z. 14, sowie IV 63, S. 642, Z. 3 (Rahewin selbst scheint übrigens die Wortfamilie providere überwiegend auf menschliches Handeln anzuwenden, während sie bei seinem Vorbild Otto von Freising in der Regel wohl das Handeln Gottes beschreibt); vgl. etwa noch MGH DD F.I. Nr. 437, S. 333 (vom 17.4.1164), wo von der königlichen provisio die Rede ist, mit dem kaum späteren (2.5.1164) DF.I. Nr. 440, S. 337, das die göttliche providentia anführt. Ganz ähnlich stellt Innocenz III. im selben Brief das göttliche previdere und das päpstliche providere nebeneinander, ep. I 103, edd. O. Hageneder – A. Haidacher (1964), S. 151, Z. 18 - S. 152, Z. 19. Von der kaiserlichen maiestas spricht Friedrich auch im Konstitutionen-Prooemium; sie wird der divina maiestas unmittelbar gegenübergestellt bei Innocenz III., ep. II 1, Migne PL 214, 539B, fast wörtlich übernommen in das Krönungsgesetz (22.11.1220): MGH Const. 2 Nr. 85, c. 6, S. 108 (wörtlich wiederholt: Const. 2 Nr. 157, c. 1, S. 195 [22.2.1232], Const. 2 Nr. 211, c. 1, S. 284 [1238/39]); der Gedanke kehrt wieder im Mandatum für Deutschland (März 1232): Const. 2 Nr. 158, c. 8, S. 197 (ebenso in Const. 2 Nr. 209, c. 8, S. 282 [1238/39]), und begegnet endlich im Edictum für Sizilien von 1238/39: Const. 2 Nr. 210, S. 283, der vermutlichen Vorlage für die entsprechende Passage in Konst. I 1, S. 150, Z. 20-22 [es handelt sich dabei wohl doch um keine spätere Ergänzung, siehe auch Konstitutionen Friedrichs, ed. Stürner (wie Anm. 2), S. 78]; vgl. dazu Dilcher (wie Anm. 2), S. 68f. Diese Vorlage zeigt im übrigen klar, daß Friedrich mit seiner anschließenden Bemerkung (Konst. I 1, S. 150, Z. 22f.) nicht, wie Buyken, Röm. Recht (wie Anm. 10), S. 11 vermutete, die Richtergewalt seiner kaiserlichen Majestät der der göttlichen gleichsetzen, sondern – wie dies auch der Kontext nahelegt – lediglich darauf hinweisen will, daß das Verbrechen gegen die eine dasjenige gegen die andere Majestät hinsichtlich der Schärfe seiner Bestrafung nicht übertrifft; alterum alterum (auf crimen bezogen) non excedat liest denn auch die Hs. V2. – Ganz allgemein stellte schon Schaller, Kanzlei II (wie Anm. 2), S. 310-313, fest, „erst die Diktatoren Friedrichs II.“ hätten „keine Bedenken mehr“ gekannt, auf ihren Herrscher „biblische und sakrale Begriffe anzuwenden“ und so „die Exordien der Urkunden gleichsam (zu) amtlichen Zeugnissen der Sakralisierung des Kaiser-

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Es mag sein, daß der Übernahme römisch-rechtlicher Wendungen in die Dokumente Friedrichs I. vor allem eine formale, literarische Bedeutung zukommt, daß diese Wendungen dort in erster Linie als zusätzliche Stützen der Argumentation dienen sollten, während die Praxis der nun stärker einsetzenden kaiserlichen Gesetzgebung wie die Rechtsprechung im wesentlichen deutsch-rechtlich blieb. Andererseits läßt sich nicht erkennen, daß das römische Recht im Rahmen der Bemühungen Friedrichs II. um eine theoretische Begründung seiner und der fürstlichen Herr[478]schaft überhaupt, zum mindesten so wie sie uns im Konstitutionen-Prooemium faßbar werden, einen grundsätzlich anderen Stellenwert erhielte als zuvor etwa schon bei Barbarossa.24 Ganz ohne Zweifel freilich suchte Friedrich II. sehr viel entschiedener als sein staufischer Großvater, die Rechtswirklichkeit seines Reiches als Gesetzgeber nach justinianischem Vorbild umzugestalten. Darin indessen gingen ihm bekanntlich seine normannischen Vorfahren voran, am eindrücklichsten gewiß Roger II. mit dem Erlaß der Assisen von Ariano.25

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tums“ zu machen. Aber auch für die meisten der von ihm gesammelten Belege finden sich Parallelen bereits in den Urkunden Friedrich Barbarossas, vgl. die Wortregister in MGH DD 10, 1-2; siehe daneben Fichtenau (wie Anm. 14), S. 37, 87f., sowie die Übertragung der auf Gott bezogenen biblischen Aussagen auf Barbarossa in DF.I. Nr. 5, S. 11 (Exod. 23,22) oder DF.I. Nr. 186, S. 315 (Exod. 18,9). Vgl. Krause (wie Anm. 14), S. 31-49, der in der Stauferzeit insgesamt eine gesteigerte Bereitschaft zur Aneignung antiker Gedanken und damit auch des römischen Rechts feststellt (S. 46f.), vor einer Überbewertung einzelner Wendungen auch bei Friedrich II. jedoch warnt (S. 33-37); die vorwiegend literarische Bedeutung des römischen Rechts bei Barbarossa betonte in jüngster Zeit vor allem Appelt, Kaiseridee (wie Anm. 12), S. 227-229, 239f.; ders., Röm. Recht (wie Anm. 12), S. 59f., 79-81, vgl. Koch (wie Anm. 12), S. 233-235, 241-243, 277f.; größeres Gewicht erhält der römisch-rechtliche Einfluß auf Barbarossa dagegen bei Fuhrmann, Horst: Deutsche Geschichte im hohen Mittelalter, Göttingen 1978 (Deutsche Geschichte 2), S. 164, vgl. 170f.; Ullmann, Walter: Law and Politics in the Middle Ages, London 1975, S. 92-96; sowie Karl Jordan in: Gebhardt, Bruno (Hg.): Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 1, Stuttgart 91970, S. 391f. mit Anm. 4; siehe außerdem Schramm (wie Anm. 12), S. 277-289. Text: Monti, Gennaro Maria: Il testo e la storia esterna delle Assise Normanne. In: Studi di storia e diritto in onore di Carlo Calisse 1 (1940), S. 309-348 (künftig Ass. Ar.; zitiert wird die Fassung des Cod. Vat.); vgl. Brandileone, Francesco: Il diritto romano nelle leggi normanne e sveve del regno di Sicilia, Turin 1884, S. 94-138; über Entstehung und Zusammenhang der beiden Textfassungen siehe Monti, S. 301-308; zur These von Ménager, L.-R.: La legislation sud-italienne sous la domination normande. In: Settimane di Studio del Centro Italiano di Studi sull’alto medioevo 16 (1969), bes. S. 462-496, nach der die vorliegenden Assisentexte erst zur Zeit Fried-

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[479] Schon das Prooemium, das Roger, wie später sein Enkel, seinem Gesetzbuch vorausschickte, erinnert denn auch an manche Gedanken aus Friedrichs Vorwort: Sein Autor faßt seine herrscherliche Stellung auf als ein Geschenk der göttlichen Gnade, aus dem ihm – nach der Gewährung des Friedens – vor allem die Verpflichtung zur Gerechtigkeit, und das bedeutet bei ihm ganz wesentlich: zur Gesetzgebung, erwächst; indem der Herrscher diese Verpflichtung einlöst, erwirbt er sich nach Rogers Überzeugung die Gunst und Nähe Gottes, er opfert Gott, übt also geradezu eine priesterliche Funktion aus.26 Bereits Roger II. verkündete seine Gesetze im übrigen „autonom“, ohne Zustimmung der Großen seines Reiches, er bezeichnete sein Gesetzgebungswerk als ein corpus27 und setzte die ihm widersprechenden Gewohnheiten und Gesetze außer Kraft – in einer Formulierung, die am Schluß des Prooemiums von 1231 teilweise wörtlich wiederbegegnet.28 Vor allem jedoch zeigt eine Analyse seiner Gesetze selbst29 eine außerordentlich starke Abhängigkeit vom römischen Recht: Weit über die

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richs II. rekonstruiert wurden, siehe die Einwände von Marongiù, ebd. S. 610-612, sowie die einleuchtenden Gegenargumente bei Dilcher (wie Anm. 2), S. 791f.; über Rogers Gesetzgebung und ihre handschriftliche Überlieferung vgl. auch Dilcher S. 13-16. Hoc enim ipsum quod ait inspiramentum de munere ipsius largitoris accepimus, dicente ipso: per me reges regnant et conditores legum decernunt iustitiam. Nichil enim gratius Deo esse putamus, quam si id simpliciter offerimus, quod eum esse cognovimus, misericordiam scilicet atque iustitiam. In qua oblatione regni officium quoddam sibi sacerdotii vendicat privilegium, Ass. Ar. S. 309f., vgl. den Kontext, siehe dazu Koch (wie Anm. 12), S. 243, 189f., 278; Betonung der Gesetzgebung (leges condere) als königlicher Aufgabe auch Ass. Ar. 27, S. 327. Ass. Ar. S. 310; Hinweis auf Friedrichs autonome Gesetzgebung bei Buyken (wie Anm. 6), S. 175. Ass. Ar. 1, S. 311, vgl. Prooemium Z. 52-54; zur Übereinstimmung der Regelungen siehe Dilcher (wie Anm. 2), S. 202-206 (e–g), der dort die in Konst. I 47 vorgesehene Rangordnung der Rechtsquellen – königliche Konstitutionen, gebilligte Gewohnheiten, iura communia (römisches und langobardisches Recht) – interpretiert; nach Dilcher, S. 16 galten nach 1231 trotz Prooemium Z. 55-58 auch die meisten der nicht in Friedrichs Gesetzeswerk aufgenommenen Assisen Rogers II. als iura communia gemäß Konst. I 47 und I 62.1 weiter. Das Folgende nach Dilcher (wie Anm. 2), S. 790-795, sowie S. 815, zum Begriff des „Rechtsgedankens“ und des „Quellenvorbildes“ S. 5-7; Dilchers Untersuchung erfaßt die in Friedrichs Konstitutionen übernommenen, d.h. etwa drei Viertel der wahrscheinlich insgesamt von Roger erlassenen und uns erhaltenen Assisen, vgl. dazu Dilcher, S. 15f.; siehe daneben Buyken, Röm. Recht (wie Anm. 10), S. 49-52; sowie Caspar, Erich: Roger II. (1101-1154) und die Gründung der normannisch-sicilischen

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Hälfte [480] der dort enthaltenen Rechtsgedanken sind unmittelbar einem Vorbild aus dem Corpus Iuris nachgebildet, obwohl dieses um 1140 in Süditalien vermutlich erst zum Teil wieder bekannt war; dazu kommen Übernahmen aus dem byzantinischen Recht. Unter den Rechtsgedanken, die sich in den 1231 von Friedrich II. promulgierten Gesetzen finden, folgt dagegen nur etwa ein Viertel dem römischen Vorbild, und in den Novellen, die der Kaiser nach 1231 für sein sizilisches Königreich erließ, sinkt der römisch-rechtliche Anteil noch weiter ab; das byzantinische Recht fand bei ihm überhaupt nur in einem einzigen Fall Berücksichtigung. Im übrigen bemühte sich Friedrich offensichtlich allen für seine Gesetzgebung herangezogenen Quellengruppen gegenüber in gleichem Maß, nicht dem Zwang ihrer inneren Systematik zu verfallen, sondem lediglich die Details aus ihnen zu schöpfen, die sich in die von ihm für Sizilien vorgesehene Rechtsordnung einpassen ließen. So bestätigt Friedrichs Behandlung des römischen Rechts in der gesetzgeberischen Praxis unsere anhand der Corpus Iuris-Zitate des Konstitutionen-Prooemiums gewonnene Erkenntnis: Der Kaiser betritt weder hier noch dort grundsätzlich Neuland, er bewegt sich vielmehr auf Bahnen, die auch schon einige seiner Vorgänger beschritten hatten. Allein aus seiner gewiß großen Vertrautheit und seinem Umgang mit dem iustinianischen Gesetzbuch läßt sich deshalb schwerlich eine besondere, nur ihm eigene Sicht vom Herrscheramt, seiner Begründung und seinen Aufgaben erschließen. Dieses Ergebnis führt uns zurück zum Text unseres Prooemiums. Der eigentümliche Schöpfungsbericht an dessen Beginn galt der Forschung, wie wir eingangs sahen, immer wieder als ein Zeugnis dafür, welch bedeutenden Einfluß aristotelisches Gedankengut auf seinen Verfasser ausgeübt habe, wie offen dieser also den zu seiner Zeit neuen wissenschaftlichen Strömungen und Anschauungen gegenüber gewesen sei.30

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Monarchie, Innsbruck 1904, S. 237-287, der in fast zwei Dritteln von Rogers Assisen den Einfluß des justinianischen Rechts erkennt (S. 251, vgl. S. 263-269); Chalandon, Ferdinand: Histoire de la domination normande en Italie et en Sicile 2, Paris 1907, S. 612f., 617, 713-718, und Marongiù (wie Anm. 5), bes. S. 756-760. – Vgl. im übrigen zum Einfluß des römischen auf das kanonische Recht und bes. auf das Dekret Gratians Basdevant-Gaudemet, Brigitte: Les sources de droit romain en matière de procédure dans le Décret de Gratien. In: Revue de droit canonique 27 (1977), S. 193242, mit weiterer Literatur. Siehe dazu etwa E. Kantorowicz, H. M. Schaller und vor allem Th. Buyken (siehe oben S. 60-62 mit Anm. 4 und 6), zu einer Einzelfrage auch Grabmann (wie Anm. 3),

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[481] Nun sei es unbestritten, daß gewisse Vorstellungen dieses Berichts tatsächlich an Aristoteles erinnern und letztlich auf ihn zurückgehen mögen; entscheidend bleibt jedoch die Frage, von woher sie in das Prooemium gelangten. So begegnet der aristotelische Gedanke von der Urmaterie wieder im Kommentar des Calcidius zu Platos Timaios und wurde, da dieses Werk zu den wichtigsten Quellen der Naturphilosophen des 12. Jahrhunderts gehörte, auch von diesen diskutiert und mehrfach übernommen. Während nun Calcidius ebenso wie die um 1230 greifbaren lateinischen Fassungen der aristotelischen Metaphysik in diesem Zusammenhang von der materia prima (bzw. principalis) reden, verwenden einige Autoren des 12. Jahrhunderts schon wie dann das Prooemium Friedrichs II. den Begriff primordialis materia (Z. 3f.); er findet sich zum Beispiel bei Wilhelm von Conches, Johannes von Salisbury, Daniel von Morley oder Alanus von Lille.31 Ähnlich steht es um den Ausdruck mundi machina (Z.

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S. 121-124; vgl. von den Steinen (wie Anm. 4), S. 22 („Sonst aber wird schon die Weltschöpfung ... mit den Worten des neuplatonischen Aristotelismus erzählt – dabei z. B. auch nirgends Gott, sondern stehts nur eine seiner Eigenschaften ... wirksam genannt“; siehe zur letzten Feststellung jedoch Prooemium Z. 5, wo der bei der Schöpfung und vor allem bei der Erschaffung des Menschen Handelnde einfach mit dem Wort qui bezeichnet wird, für das weiter unten, Z. 23, dann ausdrücklich deus steht). – Vgl. andererseits Zahlten, Johannes: Medizinische Vorstellungen im Falkenbuch Kaiser Friedrichs II.. In: Sudhoffs Archiv. Zs. für Wissenschaftsgeschichte 54 (1970), bes. S. 92-96; ders.: Zur Abhängigkeit der naturwissenschaftlichen Vorstellungen Kaiser Friedrichs II. von der Medizinschule zu Salerno, ebd., bes. S. 209f., der die Bindung von Friedrichs Werk De arte venandi cum avibus an die naturwissenschaftliche Tradition des 12. Jh. hervorhebt. Bei Wilhelm von Conches, Glosae super Platonem, ed. E. Jeauneau, Paris 1965, häufig (siehe Index S. 349); bei Johannes von Salisbury, Metalogicon IV 37, ed. C.C.I. Webb, Oxford 1929, S. 209, Z. 29; bei Daniel von Morley, Liber de naturis inferiorum et superiorum, ed. K. Sudhoff. In: Archiv für Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik 8 (1918), S. 10 und 17; bei Alanus von Lille, De planctu naturae VI 23, ed. N. M. Häring. In: Studi medievali, 3a serie 19 (1978), S. 825; Sermo de sphaera intelligibili, ed. M.-Th. d’Alverny. In: Etudes de Philosophie Médiévale 52 (1965), S. 299 und S. 302, Summa 3 (wie Anm. 8), 123,5 cd, S. 129,8, S. 135; Theologicae Regulae 5, Migne PL 210, 626A, Distinctiones, Migne PL 210, 704A, 944C; bei Hugo von Rouen, Hexameron I 9, Migne PL 192, 1250D; die genannten Autoren behandeln dort in der Regel die Lehre von der Urmaterie, vgl. dazu etwa noch Bernhardus Silvestris, De mundi universitate I 1,1- I 2, 99, ed. C. S. Barach – J. Wrobel, Innsbruck 1876, S. 9-11, oder Urso von Salerno, De commixtionibus elementorum libellus 2, ed. W. Stürner, Stuttgart 1976, S. 39-44. – Zu Calcidius’ Timaios-Kommentar, seiner Bedeutung und seiner Lehre von der Urmaterie siehe

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3), der das Prooemium einleitet: Lukrez kennt ihn bereits, aber auch Calcidius führt ihn in seinem Timaios-Kommentar an, und zum Teil vermutlich daraus über[482]nehmen ihn im 12. Jh. Wilhelm von Conches, Petrus Lombardus, Honorius Augustodunensis und wiederum Alanus von Lille32. Schon Johannes von Salisbury und Alanus bezeichnen zudem wie das Prooemium die bei der Schöpfung entstehenden konkreten Gestalten der Einzeldinge als rerum effigies (Z. 4).33 Zweifellos erschwert die außerordentliche Dichte und Knappheit der allerersten Wendungen des Prooemiums das inhaltliche Verständnis in besonderer Weise. Nach Kantorowicz und ähnlich schon Niese will ihr Autor sagen, „Gott habe als der Werker den vorhandenen Urstoff ge-

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Stürner, Wolfgang: Natur und Gesellschaft im Denken des Hoch- und Spätmittelalters, Stuttgart 1975, S. 198; der Begriff materia prima (principalis): Timaeus a Calcidio translatus commentarioque instructus (künftig Tim. transl. com.) c. 308 und 316, ed. J. H. Waszink, London/Leiden 1962 (Plato Latinus 4), S. 309, Z. 9 und S. 312, Z. 20, allgemeiner über die Urmaterie c. 268-355, S. 273-346; zur Terminologie der Metaphysik-Übersetzungen siehe Translatio Anonyma (Media; vor 1200) V 4 1015a7, ed. G. Vuillemin-Diem (Aristoteles Latinus 25,2, 1976), S. 89, Z. 9, VIII 4 1044a18, S. 163, Z. 12.16, IX 7 1049a25f., S. 176, Z. 6f. (zur Datierung der verschiedenen Übersetzungen siehe die Praefatio der Edition S. X-XIII; Hinweis auf die Metaphysik-Stellen bei Buyken [wie Anm. 6], S. 164 Anm. 23), vgl. Translatio Iacobi (vor 1150) bzw. Translatio Composita (Vetus, 1220-1230), ed. G. Vuillemin-Diem (Aristoteles Latinus 25,1-1a, 1970) Index s. v. „hyle-materia“. Alanus, Expositio Prosae de Angelis, ed. M.-Th. d'Alverny (wie Anm. 31), S. 198 (als Zitat aus der weitverbreiteten Sequenz „Ad celebres“, vgl. deren Text, ebd. S. 191, über ihre Herkunft und die handschriftliche Verbreitung der Texte siehe ebd. S. 85f., 185-190), häufiger mundana (mundialis) machina: Sermo (wie Anm. 31), S. 302, S. 305, Distinctiones, Migne PL 210, 689D, 703D, 745A, 910D, 969C, De planctu naturae VI 44. 106 (wie Anm. 31), S. 826, 828; Honorius Augustodunensis, Hexaemeron, PL 172, 265A; Wilhelm von Conches, Glosae 175 (wie Anm. 31), S. 288, vgl. c. 64, S. 136f., c. 122, S. 213; Petrus Lombardus, Sententiarum liber II 14,6, PL 192,681; Petrus Pictaviensis, Sententiarum liber I 1, PL 211, 792A, vgl. II 7, 958D; Calcidius, Tim. transl. com. 147 (wie Anm. 31), S. 184, Z. 19, c. 299, S. 301, Z. 19, vgl. Plato, Tim. transl. com. 32c, S. 25, Z. 7, 41d, S. 36, Z. 18, sowie Urso, De commixtionibus 2 (wie Anm. 31), S. 48; der Hinweis auf Lukrez, De rerum natura V 95f., bei Buyken (wie Anm. 6), S. 164 Anm. 27. Johannes von Salisbury, Metalogicon II 20 (wie Anm. 31), S. 107, Z. 29; Alanus, De planctu naturae VIII 225f., vgl. 230f. (wie Anm. 31), S. 840; in der Translatio Anonyma der aristotelischen Metaphysik findet sich die Bezeichnung dagegen offenbar nicht, vgl. Met. VIII 8 1050a15f. (wie Anm. 31), S. 178, Z. 10ff., XI 3 1069b361070a1f., S. 206, Z. 11ff. (Stellenhinweise bei Buyken [wie Anm. 6], S. 164 Anm. 25).

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prägt“ mit den von ihm geschaffenen Formen („Urbildern“), und steht damit im Gegensatz zur traditionellen christlichen Vorstellung von der creatio ex nihilo.34 In der Tat weisen die mittelalterlichen Gelehrten, die seit dem 12. Jh. ihre naturwissenschaftliche Überzeugung auffallend häufig im Rahmen von Genesis-Interpretationen entwickeln und dabei durchaus die hier mit dem Prooemium in Zusammenhang gebrachte Kosmogonie erwähnen, sogar manches daraus entlehnen, einhellig jeden Gedanken an selbständige principia rerum neben dem Schöpfer zurück.35 Das Prooemi[483]um nun scheint eine solche Selbständigkeit der primordialis materia dann vorauszusetzen, wenn man seinen ersten Teilsatz (Z. 3), von der Lesart formatam ausgehend, auffaßt als einen Bericht über die Bildung der Formen der kosmischen Ordnung durch die göttliche Vorsehung, über die Entstehung jener „Urbilder“ also, die danach (et primordialem ... distributam, Z. 3-5) aus der Urmaterie die reale Welt gestalteten. Dieser Interpretation steht jedoch einmal entgegen, daß das Verb formare im Prooemium sonst durchweg den Prozeß der Vereinigung einer bereits vorhandenen Form mit der Materie zur realen Gestalt bezeichnet (vgl. Z. 7, 16); es würde demnach wohl auch in der fraglichen Eingangsformel schon die Erschaffung des sichtbaren Kosmos beschreiben. Zum andern ist an dieser Stelle mit allergrößter Wahrscheinlichkeit gar nicht formatam, sondem firmatam zu lesen,36 erinnert im Text selbst

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Kantorowicz, Friedrich (wie Anm. 2), S. 228f. (vgl. S. 236) sowie Erg.-bd. S. 102; Niese, Hans: Zur Geschichte des geistigen Lebens am Hofe Kaiser Friedrichs II. In: HZ 108 (1912), S. 501 mit Anm. 4 und 5, der seine These vom Einfluß Avicennas allerdings einschränkend als Vermutung bezeichnet. Siehe dazu etwa Hildebert von Lavardin, Tractatus theologicus 17, Migne PL 171, 1106D; Hugo von St. Viktor, Summa Sententiarum II 1, PL 176,79C, De sacramentis I 1,1, PL 176, 187B; Petrus Lombardus, Sententiarum liber II 1,1, PL 192, 651, vgl. II 1,2, 653 (zu Aristoteles); Wilhelm von Conches, Glosae 32 (wie Anm. 31) S. 98f., c. 37, S. 104, c. 42, S. 110, c. 155f., S. 260-262, c. 166, S. 275; Johannes von Salisbury, Metalogicon IV 35 (wie Anm. 31) 205, Z. 6-S. 206, Z. 25; Alanus von Lille, Sermo (wie Anm. 31), S. 300-303, Summa 5 (wie Anm. 8), S. 126, sowie Urso von Salerno, De commixtionibus 2 (wie Anm. 31), S. 39f., S. 43f., zum Kenntnisstand des Mittelalters vgl. die Übersicht bei Calcidius, Tim. transl. com. 276-301 (wie Anm. 31), S. 280-303, c. 311f., S. 311. Eine Zusammenstellung und kurze Typisierung der mittelalterlichen Genesis-Kommentare bei Zahlten, Johannes: Creatio mundi. Darstellung der sechs Schöpfungstage und naturwissenschaftliches Weltbild im Mittelalter, Stuttgart 1979, S. 86-101, 231-238. [Siehe dazu Konstitutionen Friedrichs, ed. Stürner (wie Anm. 2), S. 145, Z. 33, sowie DA 39, S. 544, Anm. 195.]

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hier also nichts an die Vorstellung von der sich in der Materie verwirklichenden Form. Allerdings sieht es nun so aus, als ob die Eingangspassage – wenn sie zunächst von der Befestigung des Weltgebäudes, dann von der Entfaltung der Urmaterie zur realen Welt redet – im Grunde zweimal denselben Vorgang schildere. Doch jene Autoren des 12. Jahrhunderts, bei denen uns bereits die auffallende Terminologie unserer Passage wiederbegegnete, belehren uns eines Besseren: Ganz ähnlich wie Friedrich unterscheiden nämlich auch manche von ihnen, ältere Traditionen weiterführend, zwei verschiedene Abschnitte des Schöpfungswerkes und stellen etwa die ersten drei Schöpfungstage, in denen Gott die universitatis huius mundi machina aufrichtete und die Elemente ordnete, den restlichen, der Ausschmückung gewidmeten Tagen gegenüber.37 Ein anderes Gliederungsschema kommt Friedrichs Prooemium noch wesentlich näher: Hugo von St. Viktor deutet coelum und terra, mit deren Erschaffung Gen. 1,1 einsetzt, als [484] die Engel bzw. die corporalis materia quatuor elementorum; dabei enthält die corporea materia nach seinen Worten die Elemente zwar noch in chaotischer Wirrnis, sie stellt aber doch schon ein das himmlische Reich der Engel in seinem oberen Teil einschließendes und den ganzen Raum des künftigen Universums einnehmendes Gebilde dar, eben die corporea machina oder auch universitatis machina. Himmel und Erde, d. h. also: die Engel und die Elementenmaterie bzw. machina, entstanden vor jeder Zeit, ante omnem diem; von diesem Geschehen trennt Hugo das Sechs-Tage-Werk der Schöpfung, das Werk der Ausformung und Vollendung der Materie, durch das ex illa materia genera rerum sint distincta.38 Alanus von Lille vervollständigt die Übereinstimmung mit dem Prooemium, wenn er in seinen Distinctiones den Begriff terra aus Gen. 1,1

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So z. B. Hugo von St. Viktor, De sacramentis I 1,24f., Migne PL 176, 202D-203A, und danach Petrus Lombardus, Sententiarum liber II 14,6, PL 192, 681. Die Vorstellungen Hugos von St. Viktor: Summa Sententiarum II 1, Migne PL 176, 81AC, III 1, 89A, 90A; zur Urmaterie als einer um die Erde gelagerten Wirrnis der übrigen Elemente auch De sacramentis legis naturalis, PL 176, 17C-19A; vgl. De sacramentis I 1,4f., PL 176, 189D, I 1,6, 190B-191A (der Abschnitt kehrt wörtlich wieder bei Dominicus Gundissalinus, De processione mundi, ed. G. Bülow, Münster 1925 [Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 14,3], S. 36f.; Sp. 190D setzt Hugo übrigens mit dem coelum von Gen. 1,1 die drei um die Erde gelagerten Elemente gleich), I 1,7, 193A, I 1,24, 202D. – Die Unterscheidung der ab initio geschaffenen Himmel und Erde und ihres anschließenden ornatus auch bei Johannes von Salisbury, Metalogicon II 20 (wie Anm. 31), S. 108, Z. 18-21.

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mehrfach als mundana machina bestimmt, ihn dann unter dem Stichwort coelum unmittelbar anschließend an diese Definition im Gegensatz zum coelum umschreibt als corporalia scilicet materiam omnium corporum und diesen Urstoff schließlich im gleichen Werk durchaus auch primordialis materia nennt. Offensichtlich von derselben Vorstellung geleitet, setzt er die in Gen. 1,2 erwähnten aquae bzw. den dort angeführten abyssus ebenfalls mit der mundana machina gleich, weist dabei auf deren ursprünglich chaotische Verwirrung hin und identifiziert sie noch einmal ganz eindeutig mit der primordialis materia.39 Die Eingangsworte unseres Prooemiums nehmen demnach begrifflich wie inhaltlich eine alte Tradition der Genesis-Auslegung auf. Alles spricht deshalb dafür, daß ihr äußerst gestraffter Bericht die christliche Überzeugung von der Erschaffung der Welt ex nihilo stillschweigend voraussetzt – nichts deutet jedenfalls auf deren Ablehnung. [485] Es bleibt die Frage, wie unser Text die Entfaltung der Urmaterie zu den sichtbaren Einzeldingen erklärt. Seine Formulierung, sie sei nature melioris conditionis officio (Z. 4)40 geschehen, läßt – vor allem der drei Genitive wegen – unterschiedliche Deutungen zu – und hat sie auch gefunden. Für Th. Buyken umschreibt sie „das zweckbestimmte Wirken der Natur“ im Sinne des Aristoteles; gerade die aristotelischen Leitbegriffe wie potestas, actus, species, privatio oder finis, mit denen in diesem Zusammenhang etwa die um 1230 vorliegende lateinische MetaphysikÜbersetzung arbeitet, begegnen im Prooemium jedoch nicht. 41 Eine völlig andere Lösung schlug M. Grabmann vor: Er hielt es für „allein rich-

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Alanus, Distinctiones s.v. „terra“, Migne PL 210, 969C, „coelum“ 745AB, „silva“ 944C, „abyssus“ 689D, „aqua“ 703D-704A; vgl. „primus“ 910D. – Die Formulierung firmatam im Prooemium könnte auf Überlegungen über die firmitudo bzw. soliditas der mundana machina zurückweisen, wie sie schon Hugo von St. Viktor, De sacramentis I 1,6, PL 176, 191BCD, vor allem aber, im Anschluß an Plato, Tim. transl. com. 31B-32C (wie Anm. 31), S. 24, Z. 5-S. 25, Z. 10, Wilhelm von Conches, Glosae 62 (wie Anm. 31), S. 133, c. 64f., S. 136-138 (vgl. zum Verhältnis der prima materia zu den elementa c. 154-156, S. 259-262) und Johannes von Salisbury, Policraticus VII 5 (wie Anm. 14), S. 109, Z. 10-20, anstellten, vgl. ders., Metalogicon II 20 (wie Anm. 31), S. 108, Z. 20 (über die prima mundani corporis fundamenta), sowie Alanus, De planctu naturae VI 46-51, VIII 208-216 (wie Anm. 31), S. 826, 840. [Zur Lesart conditionis siehe Konstitutionen Friedrichs, ed. Stürner (wie Anm. 2), S. 118 Anm. 446.] Die These bei Buyken (wie Anm. 6), S. 164; vgl. für die dort, Anm. 24f., genannten Belege aus der Metaphysik den Wortlaut der Translatio Anonyma (wie Anm. 31), S. 178 (1050a15 f), S. 206 (1069b33-1070a1), S. 218 (1074a30f.).

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tig“, die Wendung mit der Lehre Avicennas zu verbinden und als Hinweis auf „den Dienst ... einer Natur von einer besseren Beschaffenheit“, d. h. „der Natur der Intelligentien, der Engel zu verstehen“.42 In der Tat kannte das lateinische Abendland Avicennas Theorie von der Emanation des göttlichen Wesens in die Intelligentien und von da in die sublunare Welt seit der Mitte des 12. Jahrhunderts aus den Übersetzungen des Toledaner Kreises um Dominicus Gundissalinus und Gerhard von Cremona wie aus selbständigen Schriften. Um so weniger will es einleuchten, daß Friedrich II. anstelle des dort gebräuchlichen Ausdrucks intelligentiae oder des von christlichen Autoren dafür zuweilen eingesetzten Begriffes angeli, den er doch kurz darauf ohnehin anführt, die zweifellos vage und im Grunde für die nächst Gott edelsten Wesen im Vergleich mit dem Urstoff völlig unangemessene Umschreibung natura melioris conditionis gewählt haben sollte – ganz abgesehen davon, daß auch sonst nichts bei ihm an Avicennas Emanationsmodell erinnert.43 Die Forschung hat denn auch Grabmanns Vorschlag nicht aufgenommen. [486] Es mag ein Trost, vielleicht sogar eine Hilfe sein, daß die schwierige Stelle offensichtlich bereits im 13. Jh. ihren Lesern Rätsel aufgab. Jedenfalls widmete ihr der uns schon bekannte Marinus de Caramanico eine längere Glosse.44 Er schließt sie an die Worte nature melioris an, die demnach für ihn zusammengehören, und meint, diese Wendung könne man entweder im aktiven Sinne auf Gott als die natura naturans, den Schöpfer aller Dinge beziehen, oder aber passivisch auf die natura naturata, eben die geschaffenen Dinge also. Zur ersten Möglichkeit zitiert er Ovids Metamorphosen (I 21), woraus der Ausdruck nach seiner Überzeugung stammt und wo tatsächlich deus et melior ... natura das Urchaos ordnen, ohne freilich gleichgesetzt zu werden; für die zweite Lösung spricht nach seiner Ansicht der Schöpfungsvorgang selbst, in dessen Verlauf die rohe Urmaterie durch die formae geprägt und so wahrhaft zur besseren Natur gewandelt worden sei. In beiden Fällen hat

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Grabmann (wie Anm. 3), S. 121-123. Zu Avicenna siehe Stürner, Natur (wie Anm. 31), S. 199-202, mit weiterer Literatur und Belegen aus der lateinischen Übersetzung von Avicennas Metaphysik, vgl. ebd. S. 203-206 zu Avencebrols Fons vitae und zum Liber de causis; zur Übernahme der Lehre siehe Dominicus Gundissalinus, De processione mundi (wie Anm. 38) S. 54, Z. 19 - S. 55, Z. 5, über die Engel S. 50, Z. 17 - S. 52, Z. 3; vgl. die Funktion der Engel und Sterne bei Wilhelm von Conches, Glosae 113 (wie Anm. 31), S. 203f., c. 117, S. 208, c. 125-127, S. 222-224. c. 133, S. 234. Glosse zu nature melioris, Abdruck bei Riessinger (wie Anm. 15).

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das Wort conditio für ihn, anders als für Grabmann, die Bedeutung „Erschaffung, Bildung“. Obwohl sich Marinus nicht eindeutig festlegt, verdienen seine Bemerkungen doch Beachtung, nicht allein deswegen, weil sie, nur wenige Jahrzehnte nach der Niederschrift unserer Passage formuliert, gewissermaßen das Zeitverständnis widerspiegeln, sondern auch, weil sie nüchtern vom grammatisch Möglichen ausgehen. Folgen wir zunächst Marinus’ zweitem Vorschlag, nämlich nature als Genitivus obiectivus auf conditionis zu beziehen, so erhält der Text in der Tat einen guten Sinn, wobei sich nichts ändert, wenn wir den Komparativ melioris nicht wie Marinus zu nature, sondern zu conditionis setzen. Bedenklich stimmt freilich, daß der aktive Träger des geschilderten Entwicklungsprozesses ungenannt bleibt – die von Marinus so hervorgehobenen formae werden ja nirgends erwähnt – und für Gottes Schöpfertätigkeit, an die in diesem Falle doch wohl vor allem zu denken wäre, die Bezeichnung officium recht ungewöhnlich erscheint.45 Dieser letzte Einwand gilt auch gegenüber der anderen von Marinus vorgelegten Erklärung, die beide Genitive – conditionis als Genitivus explicativus, nature melioris als Genitivus subiectivus – in gleicher Abhängigkeit vom Wort officio sieht. Dazu kommt nun noch eine andere, ebenfalls bereits früher erwähnte Schwierigkeit: Zwar gingen mittelalterliche [487] Denker auch längst vor Marinus davon aus, daß der Begriff natura unter bestimmten Umständen für Gott stehen könne;46 dennoch erscheint die Wendung natura melior wie für die Intelligentien so erst recht auf Gott selbst angewandt als außerordentlich unpassend und unwahrscheinlich.47

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Zum Gebrauch von officium im mittelalterlichen Latein vgl. den umfassenden Überblick im Novum Glossarium Mediae Latinitatis ab anno DCCC usque ad annum MCC, hg. von F. Blatt, Fasc. O (1978), Sp. 397-415. Vgl. dazu etwa Alanus von Lille, Distinctiones s.v. „natura“, Migne PL 210, 871AB, daneben Honorius Augustodunensis, Clavis Physicae 117, 10f., ed. P. Lucentini. In: Temi e Testi 21 (1974), S. 87: Prima ... et maxima est divisio in creatricem et creatam naturam, siehe auch den Kontext c. 117, 11-17, und c. 19,10f., S. 14, c. 22,2-8, S. 15, c. 25, 52-54, S. 19, oder c. 26,8-10, S. 19, sowie Hugo von St. Viktor, Eruditio Didascalica I 11, PL 176, 748CD, Johannes von Salisbury, Policraticus II 12 (wie Anm. 14) S. 85, Z. 17 - S. 86, Z. 7, ders., Metalogicon I 8 (wie Anm. 31), S. 24, Z. 813. Zur Formel summa natura, id est Deus bei den Dekretisten siehe Yves Congar, „Ius divinum“. In: Revue de droit canonique 28 (1978), S. 110 mit weiterer Literatur. Den Marinus könnte zu seiner Vermutung die Institutionen-Summe des Placentin (gest. 1192) veranlaßt haben, die bereits auf Ovid, Metamorphosen I 21, hinweist: Natura, id est deus, quia facit omnia nasci. Unde Ovidius: Hanc deus et melior litem na-

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Beide Bedenken werden indessen gegenstandslos, sobald wir die natura melior hier nicht mit Gott identifizieren, sondern, wie vielleicht schon Ovid, als Gottes Helferin bei der Vollendung der Schöpfung auffassen. Die Aussage gewinnt dabei noch an Klarheit, wenn wir melioris als Ergänzung zu conditionis ziehen: Der Natur im gewöhnlichen Wortsinne fällt es nun zu, „durch den Dienst (das Geschäft, Amt) der besseren Erschaffung“ die Urmaterie zur realen Welt auszugestalten. Eine solche Sicht der Natur widerspricht gewiß jener GenesisDeutung, die das ganze Sechs-Tage-Werk allein dem Schöpfer selbst vorbehält. Ihr aber hingen etwa noch die Autoren des 12. Jahrhunderts vielfach an, auch wenn sie nun immerhin meist wesentlich deutlicher als früher betonen, daß die Natur nach Gottes Willen seiner Schöpfung Dauer verleihe, indem sie als eine den Dingen von Gott eingegebene Kraft similia ex simili[488]bus hervorbringe.48 Nicht wenige unter den Gelehr-

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tura diremit, Text nach Weigand (wie Anm. 14), S. 43. – Da eine Wendung des Prooemiums (siehe unten Anm. 130) ebenfalls an das Werk des Placentin erinnert, läßt es sich immerhin nicht völlig ausschließen, daß schon sein Verfasser diese Summe kannte und von ihr den Ausdruck natura melior übernahm; freilich bliebe auch dann die Möglichkeit, daß er mit ihm gar nicht den Schöpfer, sondern die in der Tradition des 12. Jh. als dessen Helferin aufgefaßte Natur (siehe dazu das oben Folgende) bezeichnen wollte, an die vielleicht auch Ovid selbst bei seiner Bemerkung dachte; zum verschwindend geringen Einfluß der mittelalterlichen Legisten auf die Konstitutionen von Melfi siehe im übrigen Dilcher (wie Anm. 2), S. 32f. und bes. S. 763, zur starken Wirkung Ovids auf das Mittelalter besonders im 12. und 13. Jh. vgl. dagegen etwa Munari, Franco: Ovid im Mittelalter, Zürich 1960, S. 5, 10-29. Est natura vis rebus insita similia de similibus operans, Wilhelm von Conches, Glosae 37 (wie Anm. 31), S. 104, dort Anm. d der Hinweis auf ähnliche Definitionen bei Clarembald von Arras, Tractatulus 26, ed. N. Haring. In: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du moyen-âge 22 (1955), S. 208f., und Johannes von Salisbury, Metalogicon I 8 (wie Anm. 31), S. 23, Z. 29 - S. 24, Z. 16; vgl. noch ders., Policraticus II 12 (wie Anm.14), S. 86, Z. 10-13, V 11, S. 333, Z. 31f.; Alanus von Lille, Distinctiones s.v. „natura“, Migne PL 210, 871D, Expositio (wie Anm. 32), S. 200; Summa 155 (wie Anm. 8), S. 296; Contra haereticos I 40, PL 210, 345CD; Daniel von Morley (wie Anm. 31), S. 12. Zur Trennung der Schöpfung Gottes vom Wirken der Natur: In constitutione mundi ... sola Dei voluntas naturae efficaciam habuit in illis tunc creandis vel disponendis; sed tantum ab illa operatione Dei sex diebus illa completa. Deinceps vim naturae pensare solemus, Peter Abaelard, Expositio in Hexaemeron, De II. die, ed. V. Cousin, P. Abaelardi Opera 1 (1843), S. 641f.; vgl. dazu Stürner, Natur (wie Anm. 31), S. 25f.; siehe auch die Äußerungen der Natura bei Alanus, De planctu naturae VI 128-139, VIII 217-235 (wie Anm. 31), S. 829, 840; vgl. ders., Anticlaudianus II 69-74, ed. R. Bossuat, Textes philosophiques du moyen-

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ten jener Zeit freilich begnügten sich mit dieser Rolle der Natur nicht, sie rechneten darüber hinaus in der Tat mit deren Aktivität als Werkzeug Gottes schon während der Schöpfung selbst und zwar, wie das Prooemium, von dem Augenblick der Entstehung der Urmaterie an. Hugo von St. Viktor zum Beispiel antwortet auf die Frage nach der ursprünglichen Lage von coelum und terra aus Gen. 1,1 (vgl. oben S. 77), ipsa conditorum natura habe keine andere Ordnung zugelassen, als das Schwere, die Erde, nach unten, das Leichte, den Himmel, nach oben zu setzen: Von Anfang an wirkte im Geschaffenen, durch dessen Qualitäten, nach seiner Meinung die Natur als eine die göttliche Schöpfungstätigkeit unterstützende Kraft.49 Zur gleichen Ansicht bekennt sich Wilhelm von Conches, der die formae, die die prima materia zu den vier Elementen prägen, als die diesen Elementen je eigentümlichen Qualitäten betrachtet, denen nach seiner Schilderung bei der weiteren Bildung des Kosmos die eigentlich entscheidende Wirkung zukommt; er identifiziert sie ausdrücklich mit der den Dingen innewohnenden Natur, die von Gott stammt, sich nach dessen Willen richtet und selbst den menschlichen Körper formte.50 Ganz ähn[489]lich beschreibt Daniel von Morley die Aufhebung des Chaos und die Entfaltung des irdischen Schmucks: quod operante natura factum est, wobei er die Natur ein Gesetz nennt, mit dem Gottes Atem schon die Urmaterie belebt habe, oder das Werkzeug, mit dem der Schöpfer die Welt schuf.51 Schließlich sei an die dichterisch ausgestaltete Kosmogonie des Bernhardus Silvestris erinnert, wo gleich zu Beginn die Natura, die filia

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âge 1 (1955), S. 75, I 187-196, S. 62f., V 288-300, S. 132; sowie etwa noch Hugo von St. Viktor, De Sacramentis I 1,7, PL 176, 193AB. Hugo von St. Viktor, De Sacramentis I 1,6, Migne PL 176, 191C, vgl. das Vorhergehende von Sp. 190D an. Ut aliquid sit natura operante, necesse est divinam voluntatem precedere. Iterum dicet hoc esse divine potentie derogare sic hominem esse factum dicere. Quibus respondemus e contrario id esse ei conferre quia ei attribuimus et talem rebus naturam dedisse et per naturam operantem corpus humanam creasse, Wilhelm von Conches, Glosse 52 (wie Anm. 31), S. 122, vgl. zur Entstehung des Kosmos das Vorhergehende von c. 51, S. 120 an, zum Verhältnis der Urmaterie zu den Elementen c. 154f., S. 258-260; weitere Belege siehe bei Stürner, Natur (wie Anm. 31), S. 36-39. Daniel von Morley (wie Anm. 31), S. 12 (Zitat) sowie S. 17f.; Natura velut artificiosa ministra depuratis elementis et ab invicem separatis, ut mundum profuturum serenaret, iussit unicuique, secundum quod ratio exigebat, congruum sibi locum tenere, S. 18.

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providentiae, vor der Noys, eben der Dei providentia, über die Wirrnis der prima materia klagt. Sie bittet jene, ut mundus pulcrius expoliatur, und fordert sie auf, die silva mit einer melioris imago formae auszustatten. Die Noys willigt ein und ruft die Natur als socia und comes operis an ihre Seite; während ihrer Arbeit bedient sie sich dann vorwiegend der auch als natura bezeichneten und schon in der Urmaterie zur Aktivität drängenden Elementenqualitäten; bei der Erschaffung des Menschen findet neben der natura officiosa die Physis besondere Erwähnung, die den menschlichen Körper aus verschiedenen Qualitätenmischungen zusammenfügt.52 Es zeigt sich also, daß der knappe Schöpfungsbericht zu Beginn des Prooemiums seinen Begriffen wie seinem Inhalt nach vollkommen mit Thesen und Vorstellungen übereinstimmt, die schon die gelehrten Genesis-Interpreten des 12. Jahrhunderts vertraten, daß er sogar erst mit ihrer Hilfe ganz verständlich wird. [490] Die gleiche Übereinstimmung besteht im Falle der anschließenden Bemerkungen unseres Textes zur Stellung des Menschen in der Schöpfung, soweit man sie als Beweise für den Aristotelismus des Prooemiums heranzog. Zwar entspricht etwa dessen Aussage, der Mensch lebe a globo circuli lunaris inferius (Z. 6), zweifellos der Anschauung des Aristoteles, nach dessen Lehre bekanntlich die Sphäre des Mondes den vom Äther erfüllten, von den unveränderlichen Kreisbewegungen der Fixsterne und Planeten durchzogenen Raum der unwandelbaren, ewigen Ordnung von dem darunter liegenden, wandelbaren und vergänglichen Bereich der vier Elemente trennt. Das lateinische Mittelalter

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Bernhardus Silvestris, De mundi universitate, Brev. 17-20 (wie Anm. 31), S. 5, I 1,710, vgl. 11-14, 43-54, 61, S. 7-9, I 2, 3-6,41-65,78-80,100-113, S. 9-12, I 4,49-51, S. 30, II 3,18-29, S. 36, II 13,60-73, S. 63; siehe auch Stürner, Natur (wie Anm. 31), S. 44-47. – Vgl. darüber hinaus etwa noch Peter Abaelard (Belege bei Stürner, Natur, S. 28-31); Johannes von Salisbury, Metalogicon II 20 (wie Anm. 31), S. 107, Z. 28-30 (Chaos erit, aut potius mundus sensibilis nichil erit, nisi rerum effigies formis adhibitis natura componat), III 3, S. 132, Z. 8-11, IV 17, S. 183, Z. 10-14; Alanus von Lille, De planctu naturae VI 20-46 (wie Anm. 31), S. 825f., Expositio (wie Anm. 32), S. 199f.; Dominicus Gundissalinus, De processione mundi (wie Anm. 38), S. 43, Z. 10-19. Economou, George D.: The Goddess Natura in Medieval Literature, Cambridge 1972, untersucht vor allem das Auftreten der Natura als Göttin, kaum ihre Rolle schon bei der Schöpfung und gar nicht ihre Identifizierung mit den Elementenqualitäten, Bernhard (S. 58-72) und Alanus (S. 72-103) stehen deshalb im Mittelpunkt seines Interesses; ähnlich schon Curtius, Ernst Robert: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern 41963 [11948], S. 116-137 (Göttin Natura).

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konnte diese Konzeption jedoch schon seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts den Übersetzungen der Metaphysik, der Physik oder des Traktats De caelo, einige Jahrzehnte später auch der pseudo-aristotelischen Schrift De mundo entnehmen.53 Sie erscheint denn auch etwa bei Daniel von Morley, dessen Traktat im ersten Teil die sublunare (a lunari globo inferius), aus den vier Elementen zusammengesetzte Umgebung des Menschen schildert und im zweiten Abschnitt den aus einer besonderen quinta essentia bestehenden Himmelskörper, der unmittelbar von Gott als dem ersten Beweger seinen Antrieb erhält. Daniel gibt deswegen allerdings die traditionellen, aus der Genesis gewonnenen Überzeugungen durchaus nicht auf; er betont etwa ausdrücklich, daß Gott die Urmaterie des gesamten Kosmos aus dem Nichts geschaffen habe, und vertritt aufs Ganze gesehen die für die Naturphilosophie des 12. Jahrhunderts allgemein charakteristischen Vorstellungen.54 In der Tat lag es ja nahe, auch ohne unmittelbare Kenntnis der geschilderten Lehre des Aristoteles, etwa ausgehend von Gen. 1,1 die Sphäre des Mon[491]des, des erdnächsten Planeten also, als die Grenze zwischen dem von den Menschen bewohnten Reich der Erde und der um dieses Zentrum des Kosmos geordneten himmlischen Welt der Planeten und Sterne anzusehen. Dabei konnte wieder einmal Calcidius als Quelle dienen, in dessen TimaiosKommentar dem globus lunae verschiedentlich diese Trennungsfunktion zufällt.55 Die Timaios-Glossen Wilhelms von Conches, die völlig von der Elementen- und Qualitätenlehre der Schule von Chartres geprägt sind,

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Die These, daß die Erwähnung der sublunaren Welt im Prooemium den Einfluß der aristotelischen Naturlehre beweise, bei Buyken (wie Anm. 6), S. 164; dort, S. 164f. mit Anm. 30-32, die wichtigsten Belege aus dieser Lehre; zur Datierung der lateinischen Übersetzungen der einschlägigen aristotelischen Schriften siehe oben Anm. 31 bzw. De mundo, ed. W. L. Lorimer, Aristoteles Latinus 11,1-2 (1951), S. 7, sowie Aristoteles Latinus, Codices descripsit G. Lacombe, Pars 1 (1939), S. 51-54, S. 61-66, S. 89f., Pars 2 (1955), S. 787-789, und allgemein Schipperges, Heinrich: Die Assimilation der arabischen Medizin durch das lateinische Mittelalter, Wiesbaden 1964, S. 59f., 63-66; Thorndike, Lynn: Michael Scot, London 1965, S. 24-26; soweit diese Übersetzungen in modernen Editionen vorliegen, finden sich dort keine nennenswerten Anklänge an die Wendung des Prooemiums. Daniel von Morley (wie Anm. 31), bes. S. 10, 15, 17, 19, 22f., 27, vgl. Stürner, Natur (wie Anm. 31), S. 55-57; daneben siehe etwa schon Dominicus Gundissalinus, De processione mundi (wie Anm. 38), S. 3, Z. 11-17, S. 43, Z. 22 - S. 44, Z. 6, S. 53, Z. 1-6. Vgl. dazu Calcidius, Tim. transl. com. 72f. (wie Anm. 31), S. 119, Z. 11-13, S. 121, Z. 1f. und 6f., c. 75f., S. 123, Z. 4 - S. 124, Z. 1, c. 98, S. 150, Z. 14 - S. 151, Z. 3.

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nehmen den Gedanken auf: Dem Element Feuer gehört der Raum oberhalb der Mondbahn, während die anderen Elemente sub luna sunt; unter ihnen herrschen starke Qualitätsgegensätze, die zu ständigen Veränderungen führen; der Kosmos super lunam dagegen zeichnet sich durch elementare Einheitlichkeit und infolgedessen durch Dauer und Wandellosigkeit aus. Dieselbe Ansicht äußert Bernhardus Silvestris, und schon Hugo von St. Viktor nennt für die Einteilung der Welt in eam partem, quae est a circulo lunae sursum et in eam, quae deorsum est, ähnliche Gründe.56 Die entsprechende Wendung im Konstitutionen-Prooemium läßt sich also zwanglos aus dem seit dem 12. Jh. üblichen wissenschaftlichen Sprachgebrauch erklären; sie beweist jedenfalls keine besondere Vertrautheit des Autors mit dem aristotelischen Corpus, zumal in Verbindung mit ihr weder spezifisch aristotelische Begriffe wie etwa das primum movens immobile oder die quinta essentia erscheinen, noch der Gegensatz von superlunarischer Dauer und sublunarischem Wandel eine Rolle spielt. Auch die Auffassung, der Mensch stehe an der Spitze der Geschöpfe, teilt das Prooemium (Z. 6) gewiß mit Aristoteles.57 Sie läßt sich jedoch mindestens ebenso leicht wie aus dessen Werk aus biblischen Aussagen ableiten, und das Prooemium fügt denn auch sicher nicht zufällig seiner Behauptung: homo creaturarum dignissima die wichtigsten einschlägigen Bibelzitate – Gen. 1,27 f. und Ps. 8,6f. – gleichsam als Belege unmittelbar an. Es steht damit in einer langen Tradition: Im gleichen Zusammenhang, in Anlehnung an dieselben Zitate, hatten christliche Autoren seit Tertullian immer wieder von der besonderen dignitas und bonitas der ers[492]ten Menschen gesprochen. Zu ihnen gehörten im 12. Jh. die nun schon so oft genannten Wilhelm von Conches, Johannes von Salisbury, Honorius Augustodunensis, Bernhardus Silvestris, Daniel von Morley, daneben Alexander Neckam,58 vor allem aber Papst Innocenz III., der

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Wilhelm von Conches, Glosae 66 (wie Anm. 31), S. 139f., vgl. c. 98, S. 182, nach Plato, Tim. transl. com. 38d (wie Anm. 31), S. 30, Z. 24; Bernhardus Silvestris II 5, 187-212 (wie Anm. 31), S. 45f., II 7,1-3, S. 47; Hugo von St. Viktor, Eruditio Didascalica I 8, Migne PL 176, 746CD; Honorius Augustodunensis, Clavis Physicae 84,3-13 (wie Anm. 46), S. 60. Vgl. etwa Aristoteles, De generatione animalium II 4 737b 26f., Historia animalium IX 1 608b 4ff.; Hinweis bei Buyken (wie Anm. 6), S. 164 Anm. 26. Tertullian, Adversus Marcionem II 4,3, CC 1, S. 478 (Quis denique dignus incolere dei opera quam ipsius imago et similitudo?), vgl. II 4,5, S. 479, II 6,2, S. 481; Wilhelm von Conches, Glosae 133 (wie Anm. 31), S. 234 (homo ... ceteris dignior

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gleich zu Beginn seiner berühmten Dekretale „Vergentis in senium“ vom März 1199 mit genau denselben Worten und im selben biblischen Kontext wie dann das Prooemium Friedrichs an die ursprüngliche, überragende Würde des Menschen erinnerte.59 Ein Indiz für den Aristotelismus des Prooemiums wollte man schließlich in jener Passage sehen, wo es heißt, Gott habe nach dem Sündenfall die Erde den sterblichen Menschen unterworfen, weil die völlige Vernich-[493]tung der Menschen auch die Zerstörung der übrigen Schöpfung hätte zur Folge haben müssen, da diese dann niemandem mehr hätte unterstellt sein und dienen können (Z. 16-20). Verschiedentlich erkannte die Forschung hier die aristotelische Anschauung von der „Stufenreihe des zu immer höherer Vollkommenheit entwickelten Organischen“ wie-

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animalibus); Johannes von Salisbury, Policraticus VII 10 (wie Anm. 14), S. 130, Z. 24ff., VIII 12, S. 307, Z. 3-10; Honorius Augustodunensis, Clavis Physicae 10,1-3 (wie Anm. 46), S. 7, c. 99,1, S. 71, c. 260,10-13, S. 212 (humane essentie super omnia que sunt manifeste dignitas aperitur); Bernhardus Silvestris II 3,4-9 (wie Anm. 31), S. 36 (universis ... animalibus quodam ... dignitatis privilegio ... concertet [sc. homo]); Daniel von Morley (wie Anm. 31), S. 7 (cetera ... homini ... tamquam suo famularentur digniori), S. 8; Alexander Neckam, De naturis rerum II 156, ed. Th. Wright, London 1863 (Rerum Britannicarum Scriptores 34), S. 249. – In Anlehnung an Ps. 8,6 findet sich in diesem Zusammenhang übrigens häufig die Vorstellung vom Menschen als einem medium zwischen Himmel und Erde, die Kantorowicz, Erg.-bd. (wie Anm. 2), S. 84, vgl. S. 72, als „Angelpunkt des Denkens und Wesens“ Friedrichs II. sowie „der Lebensauffassung der ganzen Zeit bis über Dante hinaus“ ansah: Vgl. Augustin, De civitate Dei XII 22, CSEL 40,1, S. 607, Z. 1f.; Hugo von St. Viktor, De sacramentis I 2,1, Migne PL 176, 205D; Dominicus Gundissalinus, De immortalitate animae, ed. G. Bülow. In: Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 2,3 (1897), S. 26, Z. 15-17; Wilhelm von Conches, Glosae 126, S. 223 (quoddam medium); Honorius Augustodunensis, Speculum ecclesiae, PL 172, 1099B, 1100A, Clavis Physicae 69,11, S. 49, c. 74,5, S. 52; Daniel von Morley, S. 7; Bernhardus Silvestris II 10,15-26, S. 55; Alanus, Anticlaudianus I 239-241 (wie Anm. 48), S. 64. Dignissima creaturarum ad imaginem et similitudinem condita conditoris, praelata privilegio dignitatis volucribus coeli et bestiis uniuersae terrae, Innocenz III., ep. II 1, Migne PL 214, 537A; zum Einfluß desselben Briefs auf andere Texte Friedrichs sowie mittelbar auf Konst. I 1 siehe oben Anm. 23; ein allgemeiner Hinweis auf ep. II 1 schon bei Niese (wie Anm. 34), S. 523 Anm. 2, die dort noch erwähnten Parallelen zwischen Konstitutionen-Prooemium und Orosius, Adversus Paganos I 3 bzw. Hugo von St. Viktor, De sacramentis 2f., 24, sowie Eruditio Didascalica I 8 sind wohl allein zu schwach und zufällig, um eine direkte Benutzung zu erweisen; zur Wirkung Innocenz’ III. auf Friedrichs Kanzlei siehe auch Schaller, Kanzlei II (wie Anm. 2), S. 286, S. 305f., sowie Vehse, Otto: Die amtliche Propaganda in der Staatskunst Kaiser Friedrichs II., München 1929, S. 167-174.

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der, wo jeweils das Niedrigere um des Höheren willen da sei. Als Beleg für diese Anschauung zog sie einmal die Äußerung des Philosophen heran, daß die Pflanzen den Tieren und diese den Menschen dienen müßten; sie stammt freilich aus dessen Politica (I 8 1256b 15ff.), einem Werk also, das erst Wilhelm von Moerbeke um 1260 ins Lateinische übersetzte. Aussagen über die sehr differenzierte Abstufung der Vollkommenheit unter der belebten Kreatur finden sich dagegen mehrfach in den schon vor 1220 durch Michael Scotus in Toledo aus dem Arabischen übertragenen 19 Büchern De animalibus.60 Nun redet Friedrichs Prooemium jedoch weder an unserer Stelle, noch sonstwo von einer derartig vielfältigen Ordnung des Lebendigen. Der Text setzt hier vielmehr einfach die weiter oben nach Gen. 1,28 bzw. Ps. 8,7 geschilderte ursprüngliche Herrschaft des Menschen über die übrige Kreatur voraus, er stellt hier wie dort dem homo die cetere creature gegenüber, die ihm, dem prepositus, als die subiecta zu dienen haben und so den einzigen Zweck ihres Daseins erfüllen. Damit aber übernimmt er einen Gedanken, der schon vorher in fast allen Genesis-Kommentaren begegnet. Als Beispiele seien, um von früheren zu schweigen, nur noch einmal die uns schon so vertrauten Autoren des 12. Jahrhunderts angeführt. Hugo von St. Viktor etwa erklärt wiederholt, daß der Mensch zum Herrscher über die gesamte Schöpfung bestimmt und als Besitzer und Lenker des Erdkreises eingesetzt worden sei; Gott habe ihm die Erde gewissermaßen als seine Behausung zubereitet, alles um seinetwillen geschaffen; ihm sei die Welt unterworfen, sie bestehe nur, um ihm zu dienen: causa omnium homo est.61 Zum Teil wörtlich an Hugo schließt sich Petrus Lombardus [494] an.62 Ähnlich argumentiert aber auch Wilhelm von Conches: Der vielfältigen menschlichen Bedürfnisse wegen schuf Gottes Güte alles an-

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Vgl. für die dargestellte These vor allem Buyken (wie Anm. 6), S. 164 mit den dort, Anm. 28f., genannten Belegen; ähnlich schon Kantorowicz, Friedrich (wie Anm. 2), S. 221, und von den Steinen (wie Anm. 4), S. 20f. – Über die Politica-Übersetzungen Wilhelms von Moerbeke siehe Aristoteles Latinus, Codices 1 (wie Anm. 53), S. 74f., Supplementa altera, ed. L. Minio-Paluello, Brügge/Paris 1961, S. 18 und 21; zur Datierung der De animalibus-Übersetzung siehe Thorndike (wie Anm. 53), S. 24, sowie Aristoteles Latinus 1, S. 80. Hugo von St. Viktor, De sacramentis I 2,1, Migne PL 176, 205C, vgl. das ganze Kapitel, Sp. 205B-206D, bes. 205D: Mundus factus est, ut serviret homini, propter quem factus est; daneben: De sacramentis, Prologus 3, 184B (ut spiritus Deo subiceretur, spiritui corpus et corpori mundus), I 1,25, 203A, De sacramentis legis naturalis, PL 176, 20C, 21D. Petrus Lombardus, Sententiarum liber II 1,8, Migne PL 192, 653, II 15,5, 682.

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dere; und Johannes von Salisbury vervollständigt: Die Engel entstanden propter animam, die körperliche Welt ad corporis usum.63 Grundsätzlich die gleiche Meinung vertritt Honorius Augustodunensis, für den der Mensch alle anderen Werke Gottes enthält und umfaßt; sie kehrt wieder bei Bernhardus Silvestris, Daniel von Morley, Alanus von Lille und Alexander Neckam.64 Durchweg sehen die genannten Autoren, genau wie das Prooemium, den Menschen im Mittelpunkt der gesamten Schöpfung, die ganz auf ihn hingeordnet, nur für ihn da ist. Zwar zieht offenbar noch keiner von ihnen, wie dann der Prooemium-Verfasser, aus diesem engen Abhängigkeitsverhältnis ausdrücklich den Schluß, daß demnach die Vernichtung des Menschen zwangsläufig zur Zerstörung der übrigen Kreatur geführt hätte. Zweifellos jedoch ließ sich dieser Schluß aus ihrer gemeinsamen Vorstellung von der Schöpfungsordnung ohne jede Mühe ableiten. Er ergab sich daraus vielleicht sogar mit größerer Folgerichtigkeit, als aus den Lehren des Aristoteles, der von der Ewigkeit der Welt überzeugt war und dem natürlichen Streben der Lebewesen nach Selbst- und Arterhaltung doch immer entscheidende Bedeutung beimaß;65 jedenfalls findet sich offenbar auch bei ihm nirgends etwas der Bemerkung des Prooemiums Entsprechendes. Auf einen beinahe vollständig mit dem Prooemium übereinstimmenden Gedankengang stößt man dagegen am Ende des etwa gleichzeitig mit ihm abgefaßten, aber unvollendet und zunächst wohl unveröffentlicht gebliebenen Physik-Kommentars von Robert

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Wilhelm von Conches, Glosae 48 (wie Anm. 31), S. 116, vgl. c. 126, S. 223; Johannes von Salisbury, Policraticus VII 10 (wie Anm. 14), S. 130, Z. 4-16; vgl. VIII 12, S. 307, Z. 8f. Honorius Augustodunensis, Hexaemeron 3, Migne PL 172, 258BC (Omnibus creatis ad usum hominis necessariis, ipse ... educitur, qui caeteris omnibus ut dominus praeficitur ... omnia subiecta habuit), Elucidarium I 11f., 1117AC, Libellus octo quaestionum 1, 1185C, Clavis Physicae 243, 45-244,9 (wie Anm. 46), S. 192f., c. 261, S. 212 (Ideo ... in fine divinorum operum introducitur [sc. homo], ut omnia in ipso subsistere et comprehendi manifestentur); Bernhardus Silvestris II 10,45-50 (wie Anm. 31), S. 56; Daniel von Morley (wie Anm. 31), S. 7; Alanus von Lille, Contra haereticos I 5, Migne PL 210, 312A, Distinctiones s.v. „creatura“, 755B; Alexander Neckam II 156 (wie Anm. 58), S. 249. Dazu De generatione animalium V8 789b2ff., I 23 731a22-731b8, II 1 731b28-732a9, De anima II 2 413a20-413b13, II 4 415a26-415b27; vgl. Nitschke, August: Naturerkenntnis und politisches Handeln im Mittelalter, Stuttgart 1967, S. 41f.

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Grosseteste.66 [495] Grossetestes Argumentation gründet sich auf den uns wohlbekannten Kernsatz mittelalterlicher Genesis-Deutung: omnia facta sunt propter hominem. Er gelte, so meint er, auch für die Himmelsbewegung, deren Zweck es sei, auf vielfältige Weise dem Menschen nützliche Wirkungen hervorzubringen. Bedürfe der Mensch dieser Wirkungen einmal nicht mehr, so falle damit die causa der Himmelsbewegung weg: Ohne den Menschen stünde also der Himmel still, gäbe es weder Zeit noch Bewegung. Bemerkenswert erscheint der Zusammenhang, in den diese Sätze gehören: Grosseteste sucht mit ihnen die aristotelische These von der ewigen Dauer der Zeit, der Bewegung und folglich der Welt zu widerlegen!67

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Roberti Grosseteste Commentarius in VIII Libros Physicorum Aristotelis, ed. Richard C. Dales, Boulder 1963; über seine Entstehungszeit (zwischen 1228 und 1232) und seine Verbreitung S. IX-XVIII, S. XXI-XXVI; die im folgenden behandelte Textstelle: l. VIII, S. 154f., vgl. das Vorhergehende. Wörtlich dieselbe Passage findet sich auch in Grossetestes Schrift De finitate motus et temporis, ed. L. Baur, Münster 1912 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 9), S. 106, Z. 5-12; der Traktat entstand wohl selbständig, erschien dann aber zuerst als Abschluß des PhysikKommentars, vgl. Dales S. XIIf. Nicht ganz so nahe wie Grosseteste kommt dem Prooemium des Orosius Äußerung: Sententiam creatoris Dei ... peccanti homini ac terrae propter hominem destinatam ... toleramus, Adversus paganos I 3,2, CSEL 5 (1882), S. 41, vgl. den kurzen Hinweis bei Niese (wie Anm. 34), S. 523 Anm. 2. – Erwähnung verdient an dieser Stelle noch die Argumentation des Averroёs, dessen Aristoteles-Kommentare von Michael Scotus wohl seit 1220 im Auftrag Friedrichs übersetzt wurden: Nach Averroёs ermöglichen und erhalten – gerade umgekehrt wie bei Grosseteste und Friedrich – die Himmelskörper als die Gott näheren und vollkommeneren Geschöpfe durch ihre Bewegung und Wirksamkeit das Sein auf der Erde; mit den Himmelsbewegungen würde deshalb auch jedes irdische Dasein aufhören. Die Existenz der Kreatur hängt hier also nicht wie bei Friedrich oder Grosseteste davon ab, daß sie ihrem menschlichen Herrn zu dienen und zu nützen und so die ihr innerhalb der göttlichen Schöpfungsordnung zukommende, fest umrissene Aufgabe zu erfüllen vermag, sondern davon, daß sie teilhat an der von Gott ausströmenden Vollkommenheit, die abgestuft von den edleren auf die weniger vollendeten Geschöpfe herabfließt, vgl. Epitome in Librum Metaphysicae Aristot. IV 389L, Aristotelis Opera cum Averrois Commentariis 8 (Venedig 1562), dazu Stürner, Natur (wie Anm. 31), S. 213f. mit Anm. 68, zur Averroёs-Übersetzung durch Michael Scotus S. 212.

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II. Bisher beschäftigten uns vorwiegend Einzelstellen des Prooemiums. Sie erwiesen sich entweder als Ausdruck einer seit dem 12. Jh. deutlicher als früher sichtbar werdenden Herrschaftsauffassung, die die Bedeutung des Herrschers vor allem in seinem Wirken als Gesetzgeber und Wahrer des Rechts sah und sich zunehmend des Vorbildes des römischen Rechts bediente; oder sie waren geprägt von den Begriffen und Anschauungen je[496]ner vorwiegend westeuropäischen Gelehrten, die sich ebenfalls seit dem 12. Jh. mit wachsender Intensität und auf neuen Wegen um eine vertiefte Kenntnis der Natur bemühten. Nun endlich können wir uns dem inhaltlichen Zentrum unseres Textes nähern, seiner Herleitung von Herrschaft und staatlicher Ordnung aus dem Sündenfall. Ganz gewiß ist diese Verknüpfung als solche mittelalterliches Gemeingut. Es stellt sich aber natürlich die Frage, ob Friedrich die vorhandene Tradition einfach aufnahm, oder ob er ihr eine neue, in die Zukunft weisende Deutung gab. In der Forschung finden sich Vertreter der einen wie der anderen Ansicht.68 Wir müssen deshalb versuchen, anhand der wichtigsten mittelalterlichen Darstellungen des Zusammenhangs von Sündenfall und Herrschaft die Entwicklung dieses Gedankens in ihren wesentlichen Etappen nachzuzeichnen,69 um so eine tragfähige Grundlage für unsere eigene Beurteilung der Position Friedrichs zu gewinnen. Viele charakteristische Aussagen des Prooemiums finden sich schon sehr früh bei den christlichen Autoren und kehren dann im ganzen Mittelalter wieder. Bereits Tertullian etwa hob die Sonderstellung des ersten Menschenpaares, seine Herrschaft über die ganze Schöpfung ebenso hervor, wie seine Unterwerfung unter die lex Gottes.70 Mit dem Sündenfall

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Vgl. dazu bes. Kantorowicz, Friedrich (wie Anm. 2), S. 220-223, sowie Erg.-bd., S. 96-98, und Brackmann (wie Anm. 4), S. 541f., daneben Buyken (wie Anm. 6), S. 169f.; siehe auch oben S. 60-62 mit Anm. 4-6. Dies soll demnächst in einer besonderen Studie geschehen [sie ist inzwischen erschienen: Wolfgang Stürner, Peccatum und potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt, Sigmaringen 1987]; vgl. für die Zeit nach Friedrich II. Stürner, Wolfgang: Adam und Aristoteles im „Defensor pacis“ des Marsilius von Padua. Ein Vergleich mit Thomas von Aquin und Jean Quidort. In: Medioevo. Rivista di storia della filosofia medievale 6 (1980), S. 379-396. Tertullian, Adversus Marcionem II 4,3-5, CC 1, S. 478f.; die Bezeichnung des göttlichen Gebotes als lex, die Kantorowicz, Friedrich (wie Anm. 2), S. 221 und schon von den Steinen (wie Anm. 4), S. 19 bei Friedrich sehr herausstreichen, ist durchaus nicht unüblich, vgl. außer Tertullian Augustin, De civitate Dei XIV 10, CSEL 40,2, S. 25,

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gaben die Menschen diese Unterordnung auf und mußten als Gottes Strafe Krankheit und Tod erleiden; sie verfielen mit allen ihren Nachkommen der Gewalt des Teufels, der sie fortwährend zu neuen Verbrechen und Streitigkeiten anstachelt: Ihre ursprünglich zum Guten bestimmte Natur verdarb, das von Gott in sie gelegte bonum vermag nur noch schwach [497] und gleichsam verdunkelt aus ihr zu wirken.71 Gebrochenheit und Doppeldeutigkeit kennzeichnen deshalb das künftige Tun der Menschen, vor allem auch die Formen ihres staatlichen Zusammenlebens. Tertullian gesteht mit Paulus zwar durchaus zu, daß alle irdische Macht von Gott stammt und Gottes Absichten dient, indem sie die Bösen zügelt und die Guten schützt. So nützt etwa das Römische Reich durchaus auch den Christen: Auch sie gewinnen die lebensnotwendigen Güter erst mit Hilfe seiner wohlüberlegten Organisation, sie benützen seine Einrichtungen und genießen den von ihm garantierten Frieden.72 Dennoch bleibt dieses Reich ein Produkt der sündigen menschlichen Natur: In der Verfolgung der Christen verrät es seinen unüberbrückbaren Gegensatz zu Gott, sein im Grunde böses, dämonisches Wesen, das Tertullian im übrigen bei der Obrigkeit überhaupt beobachtet. Tertullian kann sich deshalb Christen in einem Staatsamt nicht vorstellen und deutet Christi demütigen Verzicht

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Z. 24-26, XIX 15, S. 401, Z. 5-8, der den Sündenfall sogar fast wie das Prooemium als Dei legem transgredi umschreibt, De civitate Dei XIV 11, S. 29, Z. 10-13 (mandati divini transgressio: XIV 13, S. 33, Z. 19f., XIV 14, S. 34, Z. 13f.); siehe daneben etwa Johannes von Salisbury, Policraticus VIII 25 (wie Anm. 14), S. 422, Z. 19-21. Über die Folgen des Sündenfalls: Tertullian, De patientia V 12-21, CC 1, S. 304f., De cultu feminarum I 1,1-3, CC 1, S. 343f., Apologeticum XL 10-12, CC 1, S. 155, Adversus Marcionem II 8,2-3, CC 1, S. 484, II 11,1-2, S. 488; das Betroffensein aller Menschen: De exhortatione castitatis II 3-5, CC 2, S. 1017, De anima XXXIX 1-3, CC 2, S. 842, XL 1, S. 843, Apologeticum XXII 1-12, S. 128-130, vgl. Gross, Julius: Geschichte des Erbsündendogmas 1: Entstehungsgeschichte des Erbsündendogmas. Von der Bibel bis Augustin, München/Basel 1960, S. 114-120, der hier den Keim der augustinischen Erbschuldlehre sieht; die veränderte menschliche Natur: De anima XLI 1-3, S. 844, XVI 1f., S. 802f., LII 1-2, S. 858, Adversus Marcionem II 6,4f., CC 1, S. 481f. Vgl. Tertullian, Apologeticum XXVI 1-3, CC 1, S. 138, XXX 1-4, S. 141, XXXI 3, S. 142, XXXIII 1-2, S. 143, XL 13-15, S. 155, XLI 3, S. 156, XLII 1-3, S. 156f., XLIII 2, S. 158, Scorpiace XIV 1-2, CC 2, S. 1096, De idololatria XV 3.8, CC 2, S. 1115f., Ad nationes II 17, 19, CC 1, S. 75; zu Apologeticum XXXII 1, S. 142f., und De resurrectione mortuorum XXIV 17f., CC 2, S. 952, vgl. Suerbaum, Werner: Vom antiken zum frühmittelalterlichen Staatsbegriff, Münster 31977 [11961], S. 111-116.

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auf königliche Macht und irdischen Ruhm als deren Verurteilung, als ihre Zuweisung an das Reich des Satans.73 Der Kaiser, der höchste Repräsentant des irdischen Staatswesens, von Gott eingesetzt als eine für die Erhaltung des saeculum, der gefallenen Welt notwendige Institution und zugleich eben dieser Welt zugehörig [498] und fern von Gott:74 Diese Auffassung widerspricht den Vorstellungen des Prooemiums trotz überraschender Übereinstimmungen zweifellos in einem wesentlichen Punkt. Augustin zog die Linien des von Tertullian entworfenen Bildes dann schärfer aus. Auch für ihn kennzeichneten friedliche Eintracht und gegenseitige Liebe das Zusammenleben der ersten Menschen; sie standen als Herrscher über allen anderen Geschöpfen, waren jedoch ihrerseits ganz von der Liebe und dem Gehorsam zu Gott erfüllt.75 Der Sündenfall, ein Akt der inoboedientia gegen Gottes Gebot, hervorgerufen durch die superbia, den hochmütigen Drang des Menschen, seine Lebensumstände allein nach seinen eigenen Wünschen zu gestalten, änderte die Lage vollkommen: Die Sünde entstellte die zwar von Gott, aber nicht aus ihm, sondern aus dem Nichts geschaffene menschliche Natur, die sich nun von Gott entfernte und dem Nichts annäherte, aus dem sie stammte, und der damit für alle Zeiten ein schwerer Mangel anhaftete: Ihre schadhafte Form vererbte sich nämlich auf alle Nachkommen Adams, so daß diesen Sünde wie göttliche Strafe von nun an gemeinsam waren.76

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Tertullian, De idololatria XV 2-12, CC 2, S. 1115-1117, XVII 1-XIX 3, S. 1117-1120, Apologeticum XXV 14, CC 1, S. 137, XXXI 2, S. 142, XXXIV 1-XXXV 1, S. 144, XXXVIII 3, S. 149 (vgl. dazu Suerbaum [wie Anm. 72] S. 108-111), XLVI 13, S. 162, L 1-3, S. 169, L 12.15f., S. 171; Scorpiace XIV 3, CC 2, S. 1096; Ad nationes II 17, 15, CC 1, S. 74; De corona XI 1-5.7, CC 2, S. 1056-1058. – Suerbaum, S. 107-127 stützt sich vor allem auf das Apologeticum und beachtet deshalb Tertullians Überzeugung, daß der Staat wie die ganze gefallene Menschheit letztlich vom DämonischBösen geprägt sei, zu wenig; ähnlich schon Schilling, Otto: Naturrecht und Staat nach der Lehre der alten Kirche, Paderborn 1914, S. 65-69. Et Caesares credidissent super Christo, si aut Caesares non essent necessarii saeculo, aut si et Christiani potuissent esse Caesares, Tertullian, Apologeticum XXI 24, CC 1, S. 127. Vgl. dazu etwa Augustin, De civitate Dei XII 22, CSEL 40,1, S. 606, Z. 28 - S. 607, Z. 16, XII 24, S. 608, Z. 12-15, XII 28, S. 613, Z. 24 - S. 614, Z. 6, XIV 10, CSEL 40,2, S. 25. Z. 11 - S. 26, Z. 14, XIV 15, S. 34, Z. 21 - S. 35, Z. 1, XIX 15, S. 400, Z. 2-4, S. 401, Z. 3f. Augustin, De civitate Dei XIV 1, CSEL 40,2, S. 1, Z. 11-16, XIV 3, S. 6, Z. 27 - S. 7, Z. 5, XIV 11, S. 27, Z. 8 - S. 28, Z. 4, XIV 13, S. 31, Z. 4 - S. 32, Z. 21, S. 33, Z. 1-6, XIV 14, S. 34, Z. 2-17; zur Erbsündenlehre siehe bes.: XII 23, CSEL 40,1, S. 607, Z.

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Augustin schildert nicht nur die Folgen des Bruchs mit Gott für den einzelnen; auch über dessen Wirkung auf das menschliche Zusammenleben äußert er sich sehr deutlich und eindringlich: Condicio quippe servitutis iure intellegitur inposita peccatori ... Prima ergo servitutis causa peccatum est, ut homo homini condicionis vinculo subderetur.77 Die Entstehung von Herrschaft unter den Menschen, die Herausbildung der auf Herrschaft gegründeten staatlichen Gemeinwesen: beides ist das Ergebnis des Abfalls der Men[499]schen von Gott und der daraus resultierenden Verderbnis ihrer Natur. Die Geschichte der Staaten dieser Welt, an deren Anfang schon ein Brudermord stand, prägt denn auch weitgehend der für die abtrünnigen Glieder der civitas terrena überhaupt kennzeichnende Egoismus; Streitigkeiten und Kriege folgen unablässig aufeinander, der Hochmut der Sieger brüstet sich mit der Versklavung der Unterlegenen.78 Gewiß sieht auch Augustin, daß Gott in seiner Gnade die Menschen nicht völlig vernichtete, sondern ihnen doch wenigstens jene von ihm stammenden Fähigkeiten, Güter und Einrichtungen zugestand, die ihre weitere Existenz auf Erden ermöglichen – und dazu gehört für Augustin durchaus auch die politische Ordnung, die Macht der Könige, die das Böse bekämpft und den Frieden wahrt. Aber nie läßt er den geringsten Zweifel daran, daß auf diese Weise, in diesem nur das Diesseitige einschließenden Rahmen, lediglich ein kümmerlicher Rest jener Friedensordnung sichtbar werden kann, die Gott den Menschen ursprünglich zudachte.79 Die Herrschaft der Fürsten kam als Strafe für die menschliche

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22-28, XIII 3, S. 617, Z. 20 - S. 618, Z. 9, S. 618, Z. 24-28, XIII 14, S. 632, Z. 7-21, XIII 23, S. 648, Z. 22-25, S. 651, Z. 18f., vgl. dazu Gross (wie Anm. 71) S. 259-376, wonach Augustin diese Lehre als erster voll entwickelte. Augustin, De civitate Dei XIX 15, CSEL 40,2, S. 400, Z. 7f., vgl. den Kontext S. 400, Z. 7 - S. 401, Z. 8; zur Staatslehre Augustins siehe Schilling, Otto: Die Staats- und Soziallehre des hl. Augustin, Freiburg 1910; Bernheim, Ernst: Mittelalterliche Zeitanschauungen in ihrem Einfluß auf Politik und Geschichtsschreibung, Tübingen 1918, S. 10-50, 113-124; zuletzt Struve, Tilman: Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter, Stuttgart 1978 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 16), S. 45-67, mit weiterer Literatur. Siehe etwa Augustin, De civitate Dei I 5, CSEL 40,1, S. 10, Z. 14-24, VI 3, S. 165, Z. 8-15, XII 23, S. 607, Z. 22 - S. 608, Z. 1, XV 4, CSEL 40,2, S. 63, Z. 12-20, XV 5, S. 64, Z. 10 - S. 65, Z. 9, S. 65, Z. 15-18, XV 7, S. 69, Z. 9-12, XV 17, S. 95, Z. 29 - S. 96, Z. 6, S. 97, Z. 14-18, XVIII 2, S. 267, Z. 29 - S. 268, Z. 14, XIX 12, S. 393, Z. 916. Augustin, De civitate Dei IV 33, CSEL 40,1, S. 206, Z. 30 - S. 207, Z. 5, V 11, S. 231, Z. 4-28, V 13, S. 238, Z. 22 - S. 239, Z. 4, S. 239, Z. 14-17, V 14, S. 240, Z. 7-

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Sünde in die Welt und dient dort zugleich der Sicherung des irdischvergänglichen Lebens nach dem Sündenfall; so gehört sie in doppelter Hinsicht der abgefallenen civitas terrena an. Nur sehr vorsichtig und fast am Rande ergänzt Augustin diese düstere Sicht von Staat und Herrschaft durch den Hinweis auf den christlichen Staat. Wo die von Gottes Gnade zur civitas Dei Berufenen das politische Gemeinwesen bestimmen, bleiben zwar die Folgen des Sündenfalls, Herrschaft und Unterordnung, Krieg und Bedrohung, weiterhin Realität. Sie stehen nun aber in einem neuen, übergreifenden Zusammenhang und erfahren damit eine entscheidende Veränderung: Herrschaft wandelt sich in liebenden Dienst an Gott und den Mitmenschen und Unterordnung in freudigen Gehorsam; das Gemeinwesen hat nun die Aufgabe, den Abfall der Menschen von Gott zu überwinden; sein Sinn liegt in der Erfüllung des göttlichen Willens.80 [500] Was Augustin eher als eine Möglichkeit und Hoffnung beschrieb, wurde später zur dominierenden Meinung von Wesen und Ziel des politischen Gemeinwesens. Schon Gregor der Große etwa teilte zwar weitgehend die Meinung Augustins über den Sündenfall und rechnete wie jener zu dessen wesentlichen Folgen, daß nun die natürliche Gleichheit unter den Menschen verloren ging; das zeigte sich an ihrem grundlegend verschiedenen Verhalten Gott gegenüber ebenso, wie an ihren unterschiedlichen Fähigkeiten, ihren vielfältigen Lastern und Schwächen: Ex vitio, aufgrund ihrer Fehler, entstand die diversitas unter ihnen. Doch dabei ließ es Gott nach Gregors Ansicht nicht bewenden: Er setzte vielmehr eine Ordnung unter ihnen fest, die der neuen Lage angemessen war, und verfügte, daß künftig Menschen als Könige über andere Menschen regieren sollten. Deren Herrschaft nun erscheint von Anfang an als ein Instrument der Hilfe und Rettung: Da die Menschen nach dem Sündenfall nicht mehr alle gleichermaßen ein Gott gefälliges Leben zu führen verstehen, erhält der Fürst die Aufgabe, durch sein Amt den wahren Nutzen seiner Mitmenschen zu fördern, seine Untertanen wieder zum Guten, auf Gott hinzulenken; er soll prodesse, nicht praeesse, wie Gregor in einer präg-

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14, V 15, S. 242, Z. 21 - S. 243, Z. 3, V 19, S. 253, Z. 6-27, XV 4, CSEL 40,2, S. 63, Z. 20 - S. 64, Z. 8, XIX 12, S. 393, Z. 16-24, XIX 13, S. 397, Z. 8-22, XIX 17, S. 403, Z. 1-11, XIX 26, S. 421, Z. 1-17, XXII 24, S. 642, Z. 4 - S. 643, Z. 9, S. 643, Z. 19f., S. 644, Z. 25 - S. 645, Z. 8. Augustin, De civitate Dei V 24, CSEL 40,1, S. 260, Z. 19 - S. 261, Z. 23, vgl. V 25, S. 262, V 26, S. 263, Z. 2 - S. 265, Z. 16, sowie II 19, S. 86, Z. 13-20, IV 3, S. 166, Z. 613, V 19, S. 253, Z. 27 - S. 254, Z. 6.

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nanten, im Mittelalter häufig wiederholten und noch bei Friedrich II. wiederkehrenden Wendung verlangt, darf aber gegen jene, die ihm hartnäckig den Gehorsam verweigern, also gewissermaßen zu wilden Tieren geworden sind, in völligem Einklang mit der Schöpfungsordnung durchaus auch mit den Mitteln der Furcht und des Zwangs vorgehen. Ausdrücklich bezeichnet Gregor in einer späteren Formulierung die Furcht der Untertanen vor der Gewalt ihrer Anführer sogar als eine Notwendigkeit, als ein unverzichtbares Hilfsmittel im Kampf gegen die Sünde.81 So dient die hierarchisch nach Ständen gegliederte, durch Verehrung und Furcht der Untertanen gegenüber den Machthabern und deren Liebe zu ihrem Volk [501] geprägte Ordnung der Gemeinschaft nach Gregor als gottgewollte und zugleich notwendige Folge des menschlichen Abfalls von Gott der Überwindung eben dieses Abfalls.82

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Omnes homines natura aequales genuit, sed variante meritorum ordine, alios aliis dispensatio occulta postponit. Ipsa autem diversitas quae accessit ex vitio, recte est divinis iudiciis ordinata, ut quia omnis homo iter vitae aeque non graditur, alter ab altero regatur ... Plerumque a subditis etiam sancti viri timeri appetunt ..., ut humana saltem formidine peccare metuant, qui divina iudicia non formidant, Gregor der Große, Moralia XXI 22f. (wie Anm. 8), S. 1082, vgl. den Kontext XXI 21-24 sowie die pointiertere Fassung: Et tamen necesse est ut rectores a subditis timeantur, quando ab eis Deum minime timeri deprehendunt, ut humana saltem formidine peccare metuant, qui divina iudicia non formidant, Regula pastoralis II 6, Migne PL 77, 34D, daneben Moralia XX 14, S. 1012, XXII 52, S. 1130f., XXV 36, PL 76, 345A, und bes. XXVI 44-49, Sp. 374B-378C. – Zur Verbreitung des Begriffspaares prodesse - praeesse siehe Anton, Hans Hubert: Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit, Bonn 1968, S. 365 mit Anm. 40; zu Friedrich II. vgl. etwa MGH Const. 2 Nr. 216, S. 300, Z. 18f. Vgl. dazu noch: Ad hoc divinae dispensationis provisio gradus et diversos constituit ordines esse distinctos, ut, dum reverentiam minores potioribus exhiberent et potiores minoribus dilectionem impenderent, una concordiae fieret ex diversitate contextio et recte officiorum geretur amministratio singulorum. Neque enim universitas alia poterat ratione subsistere, nisi huiusmodi magnus eam differentiae ordo servaret. Quia ... creatura in una ... aequalitate gubernari vel vivere non potest, Gregor der Große, Ep. V 59, MGH Epp. 1 (1887), S. 371, Z. 12-17; auch hier stammt die hierarchische Ordnung der menschlichen Gemeinschaft als etwas existentiell Notwendiges von Gott, auch hier soll sie die rechte, Gottes Willen entsprechende Lebensführung gewährleisten. Gregors anschließender Hinweis auf die Rangunterschiede unter den sündlosen Engeln soll ganz offenbar seine These von der Notwendigkeit der Herrschaft zur Sicherung der göttlichen Ordnung untermauern. Gregor weicht damit schwerlich von seiner Überzeugung ab, daß die Herrschaft unter den Menschen eine Sündenfolge sei; der Sündenfall hatte vielmehr eben deren grundsätzliche Notwendigkeit auch für die Menschen bewiesen.

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Daß im übrigen die früher so hochmütigen Fürsten dieser Welt trotz der gefährlichen Verlockungen der Macht ihre eigentlichen Verpflichtungen immer besser erkennen, Gott gehorchen, den Ermahnungen der Kirche folgen und so auch ihre Völker auf den Weg zu Gott führen werden, davon spricht Gregor mit Zuversicht und Gewißheit.83 Wo dies geschieht, unterscheidet sich ihr herrscherliches Tun grundsätzlich nicht von dem der Geistlichkeit, denn auch diese ist von Gott über die Gläubigen gesetzt, um sie zu ihm zurückzuleiten und jene Kluft zwischen Gott und den Menschen, die durch den Sündenfall entstand, mit Hilfe der göttlichen Gnade wieder zu schließen. Wohl aus diesem Grund beschreibt Gregor die Verpflichtung der rectores oder praepositi zuweilen in so allgemeiner Form, daß es in der Tat kaum möglich ist zu entscheiden, ob er sich an Geistliche oder an Kaiser und Könige wendet.84 Isidor von Sevilla nahm die geschilderte Tradition der Sündenfalldeutung auf und faßte ihre wesentlichen Züge in prägnanter Formulierung zusammen. Wie die Kirchenväter vor ihm führte er die Existenz jeder Art von Herrschaft auf Gott zurück und hielt mit Augustin die Unterord[502]nung von Menschen unter Menschen, den Entzug ihrer ursprünglichen Freiheit, für eine Strafe, die Gott des Sündenfalls wegen dem Menschengeschlecht auferlegte. Aber diese Strafe erscheint bei ihm, noch eindeutiger als bei Gregor dem Großen, sofort auch als eine Tat göttlicher Fürsorge: Da den Menschen ihre Freiheit zum Schaden gereichte, unterwarf sie Gott aus Barmherzigkeit der Knechtschaft. Die Einsetzung der überlegenen herrscherlichen Gewalt hat also von Anfang an den positiven Sinn und Zweck, die Menschen vom Bösen abzuhalten, ihre licentia male agendi zu zügeln und sie durch Gesetze zur rechten Lebensführung hinzulenken. Isidor präzisiert auch darin einen älteren Gedanken, daß er die fürstliche Herrschaft, nun sogar unmittelbar anschließend an ihre Herleitung aus Gottes Gnade, zusätzlich – nicht den Worten, aber der Sache

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Vgl. dazu Gregors Ausführungen über den rhinoceros, der die potentes huius saeculi bezeichnet: Moralia XXXI 2-9, Migne PL 76, 572B-577B, bes. 572C, 573D, 574B-D, 575C, 576AB, 577A, siehe auch Moralia XX 34 (wie Anm. 8), S. 1027f., Ep. XI 37, MGH Epp. 2 (1899), S. 309, Z. 3-7, über die Gefahren der Macht Moralia XXIV 52, PL 76, 317B-318D, XXVI 44, 374C-375D, XXXIV 50, 745D-746A. Siehe etwa Moralia XXVI 44f., Migne PL 76, 374C-376C, wo Gregor die potentia temporalis ausdrücklich auf das Vorbild der geistlichen Gewalt hinweist (376A); allgemeiner an die praepositi gerichtet, aber sonst vielfach wörtlich kehrt diese Passage wieder in Regula pastoralis II 6, PL 77, 35A-36B, wo Gregor wohl in erster Linie an die Geistlichen gedacht haben mag.

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nach – als eine aus dem Sündenfall folgende Notwendigkeit beschreibt. Wer hätte denn – so fragt er – irgendjemanden am Bösen hindern können, wenn nicht die furchteinflößende Herrschermacht. Deshalb kam es angesichts der allgemeinen Verbreitung des Bösen überall bei den Menschen, bei den Christen wie bei den heidnischen Völkern, zur Wahl von Königen.85 Wie später im Prooemium Friedrichs, mit dem hier auch einzelne Begriffe zusammenklingen, bleibt bei Isidor der menschlichen Sündhaftigkeit wegen allein dieser eine Weg zur Rettung vom Verderben, d. h. dem völligen Heraustreten aus Gottes Ordnung, ist es jedoch ein Geschenk der göttlichen Gnade, daß den Menschen dieser Weg offensteht, selbst denen, die Gott nicht kennen. Isidor reflektiert nicht darüber, inwiefern die gegebene Lage Gott selbst in einen gewissen Zugzwang brachte; er betont vielmehr allein die rettende Barmherzigkeit in Gottes Handeln, vielleicht von der Vorstellung bestimmt, daß es Gott ja freistand, sich gegen die Errettung der Menschen zu entscheiden. Zwar teilt unser Autor wie Gregor der Große die Überzeugung von der Notwendigkeit der Herrschaft für die sündigen Menschen mit anderen vor ihm; doch macht gerade der Vergleich mit ihnen einen bezeichnenden Wandel der Begründung sichtbar: Waren es etwa noch für Tertullian und ähnlich für Augustin die lebensnotwendigen Güter und Einrichtungen, derentwegen der einzelne der [503] herrschaftlich strukturierten Gemeinschaft bedurfte, so sichert diese bei Isidor und ähnlich schon bei Gregor durch ihren Kampf gegen das Verbrechen und ihre Sorge für das Rechte einen Rest der gottgewollten Ordnung und ermöglicht auf diese Weise die weitere menschliche Existenz. Aus diesem wesenhaften Zusammenhang der Herrschaft mit der göttlichen Weltordnung ergibt sich rasch, daß auch für Isidor im Grunde nur der christliche Fürst seine Aufgabe ganz zu erfüllen vermag. Ihn allein bewahren, da er weder Richter noch Gesetze zu fürchten braucht, die Furcht vor Gott und der Wunsch nach ewiger Seligkeit vor dem Miß-

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Propter peccatum primi hominis humano generi poena divinitus illata est seruitutis, ita ut quibus aspicit non congruere libertatem, his misericordius irroget servitutem. Et licet peccatum humanae originis per baptismi gratiam cunctis fidelibus dimissum sit, tamen aequus Deus ideo discrevit hominibus vitam, alios servos constituens, alios dominos, ut licentia male agendi servorum potestate dominantium restringatur. Nam si omnes sine metu fuissent, quis esset qui a malis quempiam prohiberet? Inde et in gentibus principes, regesque electi sunt, ut terrore suo populos a malo coercerent, atque ad recte vivendum legibus subderent, Isidor, Sententiae III 47,1, Migne PL 83, 717AB; zum Herrscherbild Isidors vgl. Anton (wie Anm. 81), S. 55-60.

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brauch seiner Stellung. Nur er bemüht sich deshalb, seine Untertanen mit ihren unterschiedlichen Gaben zu jener körpergleichen Ordnung zu führen, die jedem seinen Platz wahrt und alle in brüderlicher Zuneigung verbindet; nur er gibt die ihm Anvertrauten wohlbehalten Gott zurück.86 Mehr noch: Isidor hält die fürstliche Gewalt auch in der Christenheit schlechthin für notwendig, damit sie der kirchlichen Lehre und dem christlichen Glauben ihren hochmütigen Widersachern gegenüber dort Geltung verschaffe, wo das priesterliche Wort nicht mehr durchzudringen vermag. Christus vertraute seine Kirche dem besonderen Schutz der Fürsten an, und die principes saeculi werden ihm einst Rechenschaft über sie ablegen müssen – auch diese die gelasianische Aussage umkehrende Überzeugung begegnet uns im Prooemium von 1231 wieder.87 [504] Die bisher vorgestellten Autoren scheinen mit ihren Äußerungen zu unserem Gegenstand den Rahmen abgesteckt zu haben, innerhalb dessen sich die folgenden Generationen bewegten, wobei deren Interesse vorwiegend dem rechten Verhalten der nun überall die Macht ausübenden christlichen Herrscher galt, kaum dagegen der Herleitung ihrer Stellung aus dem Sündenfall. So berichtet etwa Agobard von Lyon nur knapp, Gott habe die Menschen ursprünglich gleich erschaffen; deren Sünden

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Populi enim peccantes iudicem metuunt et a malo suo legibus coercentur. Reges autem, nisi solo Dei timore metuque gehennae coerceantur, libere in praeceps proruunt et per abruptum licentiae in omne facinus vitiorum labuntur, Sententiae III 50,4, Migne PL 83, 722A; Membra quippe Christi fideles sunt populi, quos dum ea potestate, quam accipiunt, optime regunt, bonam utique vicissitudinem Deo largitori restituunt, Sententiae III 49,3,721A, vgl. das Vorhergehende sowie Sententiae II 3,1f. 7, 602CD, 603B, II 5,7f.10, 604C-605B; die auf Paulus zurückgehende Sicht der Gemeinschaft der Gläubigen als des corpus Christi findet sich auch bei Gregor dem Großen, Moralia XIX 23 (wie Anm. 8), S. 974f., XIX 43-45, S. 991f., XXVIII 22-25, Migne PL 76, 461C-463A, oder XXX 23f., 536C-537C; über die Herrrschertugenden siehe noch Sententiae III 48,1.5.8f., 718A-719B, III 49,1-4, 720B-721B, III 50,1-3.6f., 721BC, 722B. Caeterum intra Ecclesiam potestates necessariae non essent, nisi ut, quod non praevalet sacerdos efficere per doctrinae sermonem, potestas hoc imperet per disciplinae terrorem ... Cognoscant principes saeculi Deo debere se rationem reddere propter Ecclesiam, quam a Christo tuendam suscipiunt, Sententiae III 51,4-6, Migne PL 83, 723BC, vgl. den Kontext, Sp. 723B-724 A; der Begriff ecclesia bezeichnet hier offensichtlich die Kirche im engeren Sinne wie allgemeiner die Gemeinschaft der Christen – um so bemerkenswerter, daß Isidor in diesem Zusammenhang die weltliche Macht ausdrücklich necessaria nennt. – Zur Wirkungsgeschichte der Äußerung siehe unten Anm. 89 (Jonas; Konzil von Paris) und S. 102 mit Anm. 97, zum Gedanken der fürstlichen Rechenschaftsverpflichtung daneben Anm. 133.

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hätten es jedoch erforderlich gemacht, daß das gerechte göttliche Urteil die einen als Herren erhöhte, die anderen dem Joch der Knechtschaft unterwarf – in einem Atemzug verweist Agobard auf die durch den Sündenfall gegebene Notwendigkeit und Gottes klärendes Eingreifen.88 Andere Dokumente zitieren im Wortlaut uns bereits bekannte einschlägige Äußerungen Gregors des Großen oder Isidors von Sevilla.89 Daß die so zu ihrer Stellung gelangten Fürsten gewissermaßen als Gottes Stellvertreter und Beauftragte handeln, mit ihrer Gewalt geradezu ein Stück göttliche Ordnung wiederherstellen und sichern – diese Auffassung indessen findet sich fast allgemein; ihr entspricht die nun häufig belegte Bezeichnung des Königs als minister Dei oder vicarius Dei.90 Es überrascht nicht, daß sich mit der Auseinandersetzung des Investi[505]turstreits auch das Interesse am Zusammenhang von Sündenfall und staatlicher Herrschaft neu belebte, und daß die am Streit beteiligten Parteien die traditionellen Argumente aufnahmen, sie umformten und zuspitzten, um sie in ihre Beweisführung einbauen zu können. Gregor VII.

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Perspicuum est quod unus omnipotens Deus ..., qui ... omne genus humanum quasi ex uno fonte et una radice propagavit, omnes unius conditionis fecerit, et licet peccatis exigentibus iustissimo et occultissimo eius iudicio alii diversis honoribus sublimati, alii servitutis iugo depressi sunt, Contra praeceptum impium de baptismo Iudaicorum mancipiorum, ed. L. van Acker, Agobardi Lugdunensis Opera omnia, CC, Cont. Med. 52 (1981), S. 187, Z. 70-77. Jonas von Orléans, De institutione regia 4, ed. J. Reviron, Les idées politicoreligieuses d’un évêque du IXe siècle: Jonas d’Orléans, Paris 1930, S. 147 (wörtlich Isidor, Sententiae III 51,4-6, Migne PL 83, 723B-724A, vgl. oben Anm. 87); ders., De institutione laicali II 22, PL 106, 213B-D (wörtlich Gregor der Große, Moralia XXI 22f. [wie Anm. 8], 1082, siehe oben Anm. 81), Konzil von Aachen (816) I 13, MGH Conc. 2, S. 337, Z. 28-30 (wörtlich Gregor der Große, Regula pastoralis II 6, PL 77, 34D, vgl. Anm. 81), Konzil von Paris (829) II 2, MGH Conc. 2, S. 652, Z. 31-41 (wörtlich Isidor, Sententiae III 51, 4-6, vgl. oben Anm. 87), oder das Schreiben eines Slawenmissionars, MGH Epp. 4 (1895) App. ad Alc. Epp. Nr. 2, S. 487, Z. 41-44 (ebenfalls wörtlich Gregor der Große, Regula pastoralis II 6, PL 77, 34D, danach auch das Folgende, vgl. Moralia XXI 23); siehe dazu Anton (wie Anm. 81) S. 365-368; die dort, S. 367f., aus Agobard, Liber apologeticus II 1, CC, Cont. Med. 52, S. 315, Z. 1417, zitierte Ansicht, Herrschaft werde überflüssig, sobald Gottes Wahrheit alle Menschen erfülle, vertritt ähnlich schon Gregor der Große, Moralia XXI 24, S. 1083: Cum vero deest vitium quod corrigatur, non de excellentia potestatis, sed de aequalitate conditionis gaudent (sc. praepositi); über den sich ebenfalls oft wörtlich an Gregor haltenden Hinkmar von Reims siehe Anton S. 291f.; zur Deutung von Rom. 13,5 in der Karolingerzeit siehe unten S. 103 mit Anm. 99. Vgl. die Belege und Literaturhinweise für die Karolingerzeit bei Anton (wie Anm. 81), S. 369-377.

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warnte offensichtlich in der an Augustin oder Tertullian erinnernden Überzeugung vom sündhaften Ursprung der staatlichen Gewalt Hermann von Metz vor den weltlichen Herrschern, und in wörtlichem Einklang damit berichtet Hugo von Fleury von dem gegen die Könige erhobenen Vorwurf, ihre Macht stamme nicht von Gott, sondern von jenen gottlosen Menschen, die sich, vom Teufel zur superbia verführt, am Anfang der Welt in blinder Begierde zu Herren über ihresgleichen aufgeschwungen hätten.91 Andere Autoren verwiesen als Beleg für ihre These von der regia potestas als einer humana adinventio auf das Verhalten des Volkes Israel, das sich seinen ersten König im Aufruhr und gegen Gottes Willen ertrotzt habe.92 Solche Angriffe parierten die Verteidiger der königlichen Position, indem sie die Herrschaft eine gerechte und zu ertragende Sündenfolge nannten, mit Augustin den von ihr gesicherten Frieden als etwas auch für die Gläubigen Notwendiges beschrieben, mit Gregor dem Großen das Chaos als unausweichliche Folge fehlender Herrschaft bezeichneten oder mit Isidor betonten, daß der König von Gott als Helfer gegen das Böse gesetzt und gerade dort notwendig sei, wo das priesterliche Wort versage.93

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Gregor VII., Registrum VIII 21, ed. E. Caspar, MGH Epp. 2, Berlin 1923, S. 552, Z. 5-7, vgl. S. 556, Z. 10 - S. 557, Z. 10, S. 558, Z. 10 - S. 560, Z. 13; Hugo von Fleury, De regia potestate et sacerdotali dignitate I 1, MGH Ldl 2, S. 467, Z. 25-28, vgl. S. 466, Z. 25-28. Rangerius von Lucca, De anulo et baculo 933f., Ldl 2, S. 528, Z. 34f., vgl. 1146-1148, S. 533, Z. 12-14; schon früher Deusdedit, Contra invasores et symoniacos III 12, Ldl 2, S. 353, Z. 25-30, Bernold von Konstanz, De solutione iuramentorum, Ldl 2, S. 147, Z. 43 - S. 148, Z. 1; möglicherweise führte dieser biblische Hintergrund auch Manegold von Lautenbach, Ad Gebehardum 30, Ldl 1, S. 365, Z. 10-34, c. 47f., S. 391, Z. 38 - S. 392, Z. 19, dazu, das Volk als Auftraggeber des Königtums zu sehen, siehe dazu Fuhrmann, Horst: „Volkssouveränität“ und „Herrschaftsvertrag" bei Manegold von Lautenbach. In: Gagner, Sten/Schlosser, Hans/Wiegand, Wolfgang (Hg.): Festschrift für Hermann Krause, Köln/Wien 1975, bes. S. 32-42; angesichts der dort, S. 37f., herausgestellten Abhängigkeit Manegolds von Isidor läßt sich freilich fast eher vermuten, daß er hier seine eigenen Schlüsse aus jener Äußerung Isidors zog, nach der infolge des Sündenfalls et in gentibus ... reges ... electi sunt, ut terrore suo populos a malo coercerent (vgl. oben Anm. 85), denn hier ist ja ebenfalls schon mit der Königswahl die Forderung nach gutem, gerechtem Handeln verknüpft – Isidors Überzeugung von der Notwendigkeit der Herrschaft als Institution und vor allem von deren Einsetzung durch Gott bleibt bei Manegold in jedem Falle unberücksichtigt. Vgl. dazu Sigebert von Gembloux, Ep. Leodicensium adversus Paschalem 9, Ldl 2, S. 461, Z. 7-10, vgl. c.10, S. 462, Z. 3-13; De unitate ecclesiae conservanda I 11, Ldl 2, S. 199, Z. 35 - S. 200, Z. 10, I 12f., S. 203, Z. 7 - S. 204, Z. 11, I 17, S. 211, Z. 19-34;

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[506] Wohl am entschiedensten in diesem Sinne äußerte sich der sogenannte Normannische Anonymus: Eindringlich warnte er, daß die Kirche, d. h. die Gemeinschaft der Gläubigen, ohne die Lenkung durch die Könige zerteilt und verlassen wäre und, schutzlos den Vorstößen der Heiden und Ketzer preisgegeben, rasch zugrunde ginge; Gottes Vorsehung setzte die fürstliche Macht ein, damit sie diese Gegner abwehre, den Glauben verteidige und Friede und Sicherheit bewahre. Weil allein sie dies zu leisten vermag, bedarf die Kirche ihrer ebenso notwendig wie der Geistlichkeit; dem König gebührt denn auch wie dem Priester der Name christus Domini. Unser unbekannter Autor beschränkt seine Aussage also im Gegensatz zu Isidor auf die Verhältnisse in der Christenheit, streicht die Notwendigkeit weltlicher Herrschaft für die Christen aber eher noch klarer als jener heraus; wie jener begründet er ihre Existenz daneben aus Gottes Willen und bestimmt ihr den Kampf gegen das Böse, die Aufrichtung der christiana iura zur Aufgabe.94 Unsere besondere Aufmerksamkeit verdient zweifellos die Tatsache, daß gerade die wichtigsten Stellungnahmen der Kirchenväter zur Notwendigkeit der Herrschaft in die jetzt entstehenden Kanonessammlungen gelangten. Gregors des Großen Wort von der Furcht vor den Fürsten als dem unentbehrlichen Instrument gegen die Sünde hatte, leicht entstellt freilich, bereits in den Dekretalen Pseudo-Isidors Verwendung gefunden.95 Es war von dort in die sog. Kanonessammlung des Remedius von Chur (c. 15), in die Collectio Anselmo dedicata (II 138) und wohl daraus in die Sammlung Burchards von Worms (I 138) gekommen. Wahrschein-

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Hugo von Fleury, De regia potestate I 4, S. 469, Z. 1-16 und 21-24; Orthodoxa defensio imperialis 2, Ldl 2, S. 536, Z. 9-18, vgl. c.6, S. 538, Z. 41 - S. 539, Z. 3. Ad hec enim necessaria est regalis potestas, ut ecclesia periclitans liberetur, non periclitans pace fruatur et sacerdotalis firmetur auctoritas, que per se subsistere non potest, nisi eam substentet regalis potestas, Normannischer Anonymus J 28 (wie Anm. 11) S. 225, vgl. S. 221-224, daneben J 24, S. 198f., S. 130, S. 135, S. 140, S. 142-144 (S. 142 das Zitat vom Rom. 13,5: Ideoque necessitate subditi estote), S. 148; die staatliche Sorge für die lebensnotwendigen Güter tritt völlig zurück, vgl. dazu J 31, S. 191-194. Gregor der Große, Regula pastoralis II 6, Migne PL 77, 34D, den Text siehe oben Anm. 81, zur Verbreitung des Wortes in der Karolingerzeit siehe Anm. 89; in den Decretales Pseudo-Isidorianae, Ps.-Anaclet c.36, ed. Paul Hinschius (1863), S. 85, Z. 1-3, wird Gregors Einschub quando ... deprehendunt durch die so schwerlich sinnvolle Formulierung ab ipsisque corrigantur ersetzt.

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lich bei Burchard stieß Ivo von Chartres auf den Satz und fügte ihn seinem Dekret (V 252) ein.96 [507] Noch weiter verbreitet wurde die Feststellung Isidors von Sevilla über die principes saeculi, die als potestates necessariae dem göttlichen Gebot und dem Wort des Priesters durch ihre Zwangsgewalt Geltung zu verschaffen und vor Gott einst Rechenschaft über die ihnen anvertraute Kirche abzulegen hätten. Nachdem schon Jonas von Orleans und das Pariser Konzil von 829 sie zitiert hatten, stoßen wir nun wieder bei Burchard von Worms (XV 43), in der Kanonessammlung des Deusdedit (IV 187), im Polycarpus (VI 1,21), sowie im Dekret Ivos (XVI 44) und in der Collectio tripartita (III 29,16) auf sie. Vermutlich von Ivo übernahm dann Gratian Isidors Äußerung in sein um 1140 fertiggestelltes Dekret;97 die Dekretisten schenkten ihm indessen offenbar keine sonderliche Beachtung. Burchard und ihm folgend Ivo schließen, ebenfalls im vollen Wortlaut, noch Isidors Deutung der Herrschaft im allgemeinen als einer unvermeidlichen Konsequenz des Sündenfalls (propter peccatum primi hominis) unmittelbar an, Deusdedit bringt wenigstens einen kurzen Auszug.98

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Die Stellenangaben bei Fuhrmann, Horst: Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen. Von ihrem Auftauchen bis in die neuere Zeit, Stuttgart 1972-1974 (Schriften der MGH 24), S. 880f., s.v. „Necesse enim est (bzw. est enim) ut rectores“; über die einzelnen Sammlungen siehe dort S. 774-778, ausführlicher S. 415-585, vgl. daneben Munier, Charles: Les sources patristiques du droit de l’Eglise du VIIIe au XIIIe siècle, Mühlhausen 1957, S. 30-43, sowie Sprandel, Rolf: Ivo von Chartres und seine Stellung in der Kirchengeschichte, Stuttgart 1962 (Pariser Historische Studien 1), S. 52-69. Isidor, Sententiae III 51,4-6, Migne PL 83, 723B-724A (Text teilweise oben Anm. 87); zu Jonas von Orléans und zum Pariser Konzil von 829 siehe Anm. 89, die Belege für die Kanonessammlungen außer Deusdedit nennt E. Friedberg in seiner Edition von Gratians Dekret, Anm. 326 zu C.23 q.5 c.20, wo Gratian die Isidor-Stelle anführt; über die Quellen Gratians siehe Munier (wie Anm. 96), bes. S. 128-133, vgl. Sprandel (wie Anm. 96) bes. S. 60-62, 74-77, sowie Le Bras, G./Lefebvre, Ch./Rambaud, J.: L’âge classique 1140-1378. Sources et théorie du Droit, Paris 1965 (Histoire du Droit et des Institutions de l’Eglise en Occident 7), S. 61-64. Isidor, Sententiae III 47,1-3, Migne PL 83, 717AB (Text teilweise oben Anm. 85), bei Burchard, Decretum XV 43 (richtig wohl 44), PL 140, 908AB, bei Ivo, Decretum XVI 45, PL 161, 915AB, vgl. Deusdedit IV 188, ed. W. von Glanvell, Paderborn 1905, S. 493 (Principes regesque electi sunt ut terrore suo populos a malo coercerent atque ad recte vivendum legibus subderent).

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Von mindestens ebenso großer Bedeutung erscheint im Blick auf das Prooemium Friedrichs die Entwicklung der Römerbrief-Interpretation seit dem 12. Jh. Das Wort des Paulus: Ideo necessitate subditi estote (Rom. 13,5) hatte man bisher meist im genauen Wortsinn als Hinweis auf die Notwendigkeit der Unterwerfung unter die Obrigkeit gedeutet, die sich schon aus deren überlegener Macht ergab, die aber auch innerlich als Gottes Wille bejaht werden sollte, weil ohne den Gehorsam gegen die irdischen rectores die Strafe im Jüngsten Gericht unausweichlich schien.99 Von hier [508] aus war es nur noch ein kleiner Schritt, die Herrschaft selbst als etwas Notwendiges anzusehen. Ihn tat als erster offenbar Anselm von Laon, der sich in seiner Parva glossatura aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts im ganzen zwar der Tradition anschloß, aber ausdrücklich von der notwendigen Unterordnung einer gottgewollten necessaria ordinatio gegenüber sprach.100 Ihm folgten um 1140 Gilbertus Porretanus und Petrus Lombardus in ihren Glossen zu Rom. 13,5 fast wörtlich,101 und etwa zur gleichen Zeit verstand auch Petrus Abaelard das Pauluswort, auf das er vergleichsweise ausführlich einging, ganz eindeutig in diesem Sinne: Nach Paulus sei die fürstliche Herrschaft dazu von Gott

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Necessitate subditi estote, quia ulciscentur se de vobis, si eorum potestati contradixeritis, Haimo von Auxerre, Expositio in Epistolas S. Pauli, Ad Rom. 13, Migne PL 117, 481B, Herrschaft als Sündenfolge im Sinne Augustins: Ad Col. 3, PL 117, 762D, zu Haimo siehe Affeldt, Werner: Die weltliche Gewalt in der PaulusExegese. Röm. 13,1-7 in den Römerbriefkommentaren der lateinischen Kirche bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, Göttingen 1969, bes. S. 121-125, 128, zu Augustin ebd., bes. S. 94f.; der zusätzliche Hinweis auf das Jüngste Gericht bei Sedulius Scotus, Collectanea in Epistolam ad Rom. I 13, PL 103, 117A, in Anlehnung an den Ambrosiaster, In Epistolam ad Rom. 13,5, ed. H. I. Vogels, CSEL 81,1 (1966), S. 420f., vgl. Affeldt S. 120 bzw. 83. ,Ideoque necessitate subditi estote‘, quia minister dei, quasi ex necessitate necessarie ordinationi, Text bei Affeldt (wie Anm. 99), S. 292, Z. 2-4, zum Glossenwerk Anselms und seiner Wirkung auf Media und Magna glossatura ebd. S. 137f., 258-260, zu Anselms Interpretation von Rom. 13,5 ebd. S. 152; Affeldt nennt sie, vermutlich generell zu Recht, „nicht sehr bedeutend“, beachtet jedoch die erwähnte Präzisierung des necessitas-Gedankens bei Anselm ebensowenig wie dann bei den von Anselm abhängigen Autoren. Text der Media glossatura des Gilbert bei Affeldt (wie Anm. 99), S. 293, Z. 25-27, zum Werk siehe ebd. S. 138, 264f.; Petrus Lombardus, Collectanea in omnes d. Pauli apostoli epistolas (magna glossatura), In epistolam ad Rom. 13: Quia minister Dei est, ideo subditi estote ei, quasi ex necessitate vel necessitati alia littera, id est: necessariae ordinationi subditi estote, Migne PL 191, 1505D-1506A, zum Werk siehe Affeldt S. 138, 156-158, 277.

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gesetzt und unter den Menschen notwendig, daß sie die menschliche Sünde und Bosheit bekämpfe und die Übeltäter bestrafe; damit aber dient sie nach Abaelards Meinung Gott, tritt sie ein für die unverzichtbare Wahrung der göttlichen Ordnung im diesseitigen Leben.102 Die Deutung, die die genannten Autoren der Paulus-Stelle gegeben hatten, wirkte bis weit ins 13. Jh. hinein. Sie findet sich, vermutlich von Petrus Lombardus übernommen, wieder etwa in dem nach 1238 entstandenen Paulinenkommentar des Johannes von La Rochelle. Johannes stellt [509] dort im Anschluß an Rom. 13,4f. fest, Gott habe die Fürsten eingesetzt zur Bekämpfung und Bestrafung des Bösen, das andernfalls so weit in seinen Untaten fortschreite, daß die menschliche Gemeinschaft völlig umgestürzt werde. Daraus folgert er die Notwendigkeit der fürstlichen Herrschaft und entsprechend die Notwendigkeit der Unterordnung unter ihre Gewalt.103 Im Mittelpunkt der Diskussion des 12. und beginnenden 13. Jahrhunderts um das rechte Verhältnis von sacerdotium und regnum standen freilich andere Texte, etwa der in Gratians Sammlung aufgenommene berühmte Brief des Gelasius über die beiden die Welt lenkenden Gewalten, deren eine, die geistliche, für die andere, die fürstliche, Gott Rechenschaft schulde, oder Gregors VII. gleichfalls von Gratian berücksichtigter Bericht über die Absetzung des letzten Merowingers durch Papst Zacha-

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In hoc loco Deo deservit (sc. princeps), qui super hoc eum instituit, ut vindicet mala ... Ideo, quia scilicet minister est Dei, obedientes ei estote, Deo, et hoc necessitate, id est pro manifesta utilitate quam ex ministerio principum percipitis, ... quia vobismetipsis conscii estis eos vobis necessarios esse ad malitiam reprimendam. Ideo enim, quia videlicet ita vobis necessarii sunt, vindicando scilicet de his qui male agunt ..., tributa eis persolvitis, Commentarius in Epistolam Pauli ad Rom. IV 13,4-6, ed. E. M. Buytaert, CC, Cont. Med. 11 (1969), S. 286f., vgl. den Kontext, sowie Affeldt (wie Anm. 99), S. 153-155, 275f., vgl. zu dessen abschließendem Urteil (“Wesentlich neue Gedanken ... hat er nicht beigesteuert”, S. 155) oben Anm. 100. Si enim non compescerentur mali timore et pena, intantum procederent ad maleficia, quod tota subverteretur societas humana. Est ergo ratio sua talis: Ipsi principes ordinati sunt ad timorem et vindictam malis; ergo necessaria est eorum prelatio; ergo necessarium est subici eis, Text bei Affeldt (wie Anm. 99), S. 303, Z. 18-22, vgl. den ganzen Abschnitt S. 303, Z. 16-38, zum Werk siehe ebd. S. 206-212, bes. S. 210, sowie S. 268. Knapper und enger an die Glossenwerke des 12. Jahrhunderts angelehnt, formulierten den Gedanken Petrus von Tarantaise, der spätere Papst Innocenz V. (zwischen 1259 und 1269), oder Nikolaus von Gorran (nach 1270), Texte bei Affeldt S. 306, Z. 35-38, bzw. S. 311, Z. 17-20, zu Petrus vgl. ebd. S. 212-218, bes, 216, zu Nikolaus S. 228-234, bes. 232f.

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rias.104 Vor allem aber spielten die beiden Schwerter, die der Evangelist Lukas (22,38) erwähnt und die man bereits im Investiturstreit als Symbol der beiden höchsten Gewalten in der Christenheit aufgefaßt hatte, eine wichtige Rolle. Über die Bedeutung, die diesen Schwertern in der Argumentation der einzelnen Autoren zukommt, und damit über deren Auffassung von der Stellung des Papstes zu Kaiser und Königen herrscht in der Forschung noch vielfach Uneinigkeit.105 Grundsätzlich jedoch wurde jetzt [510] wie schon im Investiturstreit neben dem dualistischen, die Gleichberechtigung von weltlicher und geistlicher Macht verteidigenden Standpunkt mit unterschiedlicher Schärfe und Konsequenz die hierokratische Position verfochten, die den Papst an der Spitze der Gemeinschaft der Gläubigen sah.106

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D.96 c.10 bzw. C.15 q.6 c.3; häufig herangezogen wurden daneben etwa noch D.96 c.6 (=D.10 c.8), D.96 c.9, D.96 c.11, D.22 c.1 oder C.2 q.7 dpc.41. Einen Überblick über die umfangreiche Literatur zur mittelalterlichen ZweiSchwerter-Lehre gibt Kennan, Elizabeth: The „De Consideratione“ of St. Bernhard of Clairvaux and the Papacy in the Mid-Twelfth Century: A Review of Scholarship. In: Traditio 23 (1967), S. 101 Anm. 112, vgl. dort S. 101-104, sowie bes. Hoffmann, Hartmut: Die beiden Schwerter im hohen Mittelalter. In: DA 20 (1964), S. 78-114, der sich mit der These von Alfons M. Stickler auseinandersetzt, wo die Schriftsteller des 12. Jh. für die Kirche auch den gladius materialis beanspruchten, sei es ihnen damit nur um die kirchliche Zwangsgewalt gegangen, neben der die politische Strafgewalt der Fürsten durchaus unabhängig weiter bestehen sollte, siehe die Liste der einschlägigen Veröffentlichungen Sticklers bei Hoffmann, S. 79 Anm. 5; die Argumente Hoffmanns erscheinen durchaus einleuchtend, vor allem überzeugt sein Hinweis, daß die Quellen der Zeit selbst von Sticklers Unterscheidung nicht reden. Als bedeutendster Vertreter der dualistischen Auffassung unter den Dekretisten sei hier Huguccio, der Lehrer Innocenz’ III. angeführt, der in seiner um 1190 vollendeten Summe in einer umfangreichen Glosse zu Gratian, D.96 c.6, unter anderem feststellt: Hinc aperte colligitur, quod utraque potestas, scilicet apostolica et imperialis, instituta sit a Deo et quod neutra pendeat ex altera et quod imperatur gladium non habeat ab apostolico, Text bei Stickler, Alfons M.: Der Schwerterbegriff bei Huguccio. In: Ephemerides iuris canonici 3 (1947), S. 211 Anm. 1, vgl. S. 210 Anm. 1, siehe jedoch die bedenkenswerten Einwände von Hoffmann (wie Anm. 105), S. 100-102, sowie dessen grundsätzlichen Hinweis, daß sich nach mittelalterlicher Überzeugung jedes fürstliche Handeln schließlich doch immer am Willen Gottes auszurichten hatte und damit der Kontrolle der Kirche unterstand (S. 80), daß ferner die meist nur fragmentarische Edition der Kanonisten-Texte das Urteil über den Stellenwert einzelner Zitate sehr erschwert (S. 98). – Zur hierokratischen Anschauung vgl. Alanus Anglicus (um 1202): Set veritas est et fides catholica quod pape subest (sc. imperator) quoad spiritualia et etiam gladium suum habet ab eo, quia ius utriusque gladii est apud papam, zu D.96 c.6 (ad v. ,cursu‘), Text bei Stickler, Alfons M.:

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Dabei zeigt Honorius Augustodunensis, daß man diese Position durchaus mit der Überzeugung von der nach dem Sündenfall notwendigen Herrschaft verbinden konnte. Wie Adam zum Herrn über die Tiere gesetzt war, so soll nach seinen Worten, die hier einen Gedanken Gregors des Großen aufnehmen, der Richter diejenigen, die ohne Verstand wie Tiere leben, durch Furcht zu menschlichem Verhalten zurückführen. Er erfüllt damit Gottes Willen, der einst die Nachkommen des Frevlers Cham dessen Brüdern als Knechte übergab und in der gleichen Weise die Sünder dem Priester und dem König unterwarf. Beider Gewalten oder Schwerter bedarf seine Kirche in der Tat: des geistlichen, um die Sünder zu belehren, des weltlichen, um die im Bösen Verharrenden zu bestrafen. Wo die Geistlichkeit die Rebellen gegen Gottes Gesetz nicht zum Besseren zu bewegen vermag, ist die königliche Gewalt notwendig, um sie zu beugen, so sagt Honorius107 und folgt damit der Auffassung Isidors. So darf der König durchaus einen eigenen Handlungsbereich beanspruchen, wo ihm [511] auch der Priester zu gehorchen hat. Umgekehrt allerdings muß er sich dem Papst in divinis, in allem was die divina lex berührt, unterordnen.108 Nun geht es jedoch, wie wir sahen, auch dem königlichen

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Alanus Anglicus als Verteidiger des monarchischen Papsttums. In: Salesianum 21 (1959), S. 362. Ad regimen aecclesiae in presenti vita duos gladios necessarios premonstravit (sc. Deus); unum spiritualem, scilicet verbum Dei, quo sacerdotium utitur ad vulnerandos peccantes, alterum materialem, quo regnum utitur ad puniendos in malis perdurantes. Necesse est enim, ut hos regalis potestas subigat gladio materiali, qui legi Dei rebelles non possunt corrigi stola sacerdotali, Honorius Augustodunensis, Summa gloria 26, MGH Ldl 3, S. 75, vgl. das ganze Kapitel, daneben c.17f., S. 71, Z. 31 - S. 72, Z. 8. Summa gloria 9, MGH Ldl 3, S. 69, Z. 11-17, vgl. dazu Hoffmann (wie Anm. 105), S. 92, der hier lediglich eine Zusammenfassung der auf das Alte Testament bezogenen Aussagen im ersten Teil des Traktats sehen möchte, jedoch selbst die „präsentische Ausdrucksweise“ der Stelle „auffallend“ findet. In der Tat schließt sich das ganze Kapitel eng an das vorangehende an, und schon an dessen Ende hatte Honorius seinen Lesern die Konsequenzen seiner Ausführungen für die Gegenwart aus eindeutig hierokratischer Sicht aufgezählt: Si princeps episcopo (sc. iure serviet), tunc iustissime rex, qui utique est de numero laicorum, subiectus erit apostolico, c.8, S. 68; wenn er dann in c. 9 wie ähnlich etwa auch c. 11, S. 69, Z. 30 - S. 70, Z. 1, c.12, S. 70, Z. 7f., c. 18, S. 72, Z. 9, c. 21, S. 73, Z. 3f., oder c.24, S. 74f. die Eigenverantwortung des Königs in secularibus zugesteht – durchweg in Verbindung mit dem Hinweis auf die Einsetzung der Könige durch die Priester –, so gilt wohl auch diese Bemerkung nach seiner Meinung allgemein; sie widerspricht im übrigen keineswegs seiner hierokratischen Grundüberzeugung, siehe dazu das oben Folgende.

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Tun letztlich immer um die Verwirklichung eben der lex Dei, und aus diesem Sachverhalt ergibt sich für Honorius klar der grundsätzliche Vorrang des Sacerdotium vor dem Regnum und dessen Abhängigkeit von jenem als dem caput ecclesiae. Ganz entsprechend mied schon Christus selbst die Königswürde und machte so die höhere Würde und Gottesnähe des Klerus sichtbar. Dem rex bleibt angesichts dieser tief im Wesen der Kirche begründeten Rangunterschiede lediglich die Rolle des minister Ecclesiae, der als Helfer von ihr sein Amt als vindex irae Dei empfängt und nach ihren Weisungen verwaltet,109 so notwendig es auch sein mag. Von ähnlichen Voraussetzungen her, aber ausführlicher und grundsätzlicher behandelte Johannes von Salisbury in seinem 1159 veröffentlichten Policraticus das Problem. Für ihn, der darin Augustinus folgt, verdarb der hochmütig aus eigenem Willen vollzogene Bruch des göttlichen Gesetzes die den Menschen von Gott geschenkte Natur so sehr, daß ihrer aller Tun fortan von Jugend auf zum Bösen hinneigt. Die Herrschsucht, die Begierde, sich die anderen im Privatbereich wie innerhalb größerer, auch staatlicher Gemeinschaften tyrannisch zu unterwerfen, erwächst aus dieser sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbenden iniquitas – darüber hinaus aber nach des Johannes Meinung letztlich jede herrschaftliche Ordnung überhaupt, ohne daß er an diese Aussage freilich eine Bewertung dieser Ord[512]nung knüpfen würde.110 Erlösung vom irdischen Elend wird den Menschen durch die in Christus gewährte gött-

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Über die königliche Verpflichtung zum Kampf gegen die legi Dei rebelles siehe die oben Anm. 107 angegebenen Stellen sowie Summa gloria 25, MGH Ldl 3, S. 75, Z. 48; dort auch die stillschweigende Folgerung, daß der König als Dei minister zugleich minister aecclesiae sei, vgl. c.27, S. 75, Z. 30 - S. 76, Z. 4; zur höheren Würde des Klerus siehe c.1, S. 65, Z. 2-4, c.18, S. 72, Z. 12-14, c.22, S. 73, Z. 16-20, c.23, S. 73, Z. 22-27, c.33, S. 79, Z. 15-20, S. 80, Z. 1f., c.34, S. 80, Z. 14-17. Zu Sündenfall und menschlicher Verderbnis siehe Policraticus II 20 (wie Anm. 14), S. 114, Z. 16-34, III 8, S. 194, Z. 3-15, VII 10, S. 131, Z. 12-14, VIII 12, S. 309, Z. 1416, VIII 17, S. 347, Z. 18-22, VIII 24, S. 412, Z. 14 - S. 413, Z. 13, S. 414, Z. 25 - S. 415, Z. 8, S. 417, Z. 17-28, VIII 25, S. 419, Z. 16 - S. 420, Z. 4, S. 422, Z. 11f.; zur Entstehung der Tyrannis bzw. der Herrschaft: II 20, S. 114, Z. 31-34, VII 25, S. 218, Z. 9-12, VIII 17, S. 345, Z. 30 - S. 346, Z. 13, VIII 18, S. 358, Z. 10-26, S. 360, Z. 14, VIII 21, S. 378, Z. 26 - S. 379, Z. 5; zur privaten Tyrannis: VII 17, S. 161, Z. 27 S. 162, Z. 11, VIII 18, S. 359, Z. 25-28. – Zu Johannes von Salisbury vgl. Stürner, Wolfgang: Die Gesellschaftsstruktur und ihre Begründung bei Johannes von Salisbury, Thomas von Aquin und Marsilius von Padua. In: Miscellanea Mediaevalia 12,1 (1979), S. 163-168; ders., Natur (wie Anm. 31), S. 119-131; Struve (wie Anm. 77), S. 123-148; Kerner, Max: Johannes von Salisbury und die logische Struktur seines Policraticus, Wiesbaden 1977, mit weiterer Literatur.

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liche Gnade zuteil und durch das so geweckte eigene Bemühen, zurückzukehren auf den Weg des Gehorsams gegen Gott, und das heißt bei Johannes: auf den Weg des Guten und Rechten, der Tugenden.111 Ihr Inhalt entspricht der iustitia Dei oder aequitas, deren Normen und Regeln Gott in seinem Gesetz bekannt macht. So ist die lex Dei Geschenk Gottes, Bild seines Willens, Hinleitung zum Heil; sie fordert, in letzter Zuspitzung formuliert, die völlige Unterwerfung unter Gott und als Konsequenz die Liebe zum Nächsten.112 Insofern aber bildet sie auch die Grundlage für die Ordnung der Gemeinschaft, mehr noch: Jede Gemeinschaft muß sich nach der Auffassung des Johannes notwendigerweise an ihr ausrichten, sonst fallen die Völker ins Laster zurück, verlassen also Gottes Ordnung und müssen untergehen.113 Diese Notwendigkeit gilt ganz allgemein und überall; so[513]gar die Heiden, bei denen Gottes Wille immerhin schattenhaft bekannt ist und die Tugenden deshalb doch wenigstens abgeschwächt zu wirken vermögen, halten sich an einige Vorschriften, deren perpetua necessitas offenbar auch sie erfahren haben und anerkennen.114

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Zu gratia und virtus: Policraticus VII 8 (wie Anm. 14), S. 118, Z. 10 - S. 119, Z. 29, VIII 24, S. 413, Z. 8-12, S. 417, Z. 22-24, VIII 25, S. 418, Z. 20 - S. 419, Z. 3, S. 421, Z. 18 - S. 422, Z. 9, S. 422, Z. 22-25, vgl. III 1, S. 173, Z. 1-26, V 9, S. 320, Z. 21f., VIII 16, S. 344, Z. 22-29, VIII 18, S. 360, Z. 19-25; angesichts dieser eindeutigen Äußerungen wird man schwerlich mit Kerner (wie Anm. 110), S. 42 bzw. 188 sagen können, Johannes vernachlässige die christliche Gnade zugunsten des „stoischen Gedankens der lehrbaren Tugend“. Vgl. zu iustitia Dei, aequitas und lex Policraticus IV 2 (wie Anm. 14), S. 237, Z. 1028, ähnlich VIII 17, S. 345, Z. 11-18; zur Gottes- und Nächstenliebe als dem Hauptinhalt der lex Dei: VII 11, S. 135, Z. 17 - S. 136, Z. 5; beides ist auch Ziel der wahren Philosophie, vgl. das Vorhergehende ab S. 135, Z. 1; zur philosophia als Weiserin der Tugenden und der beatitudo vgl. VII 8, S. 119, Z. 2-13 (teilweise Übereinstimmung ihrer Definition mit jener der lex, IV 2, S. 237, Z. 17-19), sowie S. 120, Z. 6-10, S. 120, Z. 29 - S. 121, Z. 3, S. 121, Z. 21-26. Lex omnis inventio quidem est et donum Dei, ... correctio voluntariorum excessuum, civitatis compositio et totius criminis fuga; secundum quam decet vivere omnes qui in politicae rei universitate versantur. Omnes itaque necessitate legis servandae tenentur adstricti, Policraticus IV 2 (wie Anm. 14), S. 237, Z. 23-28; Quae (sc. iustitia et pietas) adeo principi necessariae sunt, ut quisquis sine illis ... principatum ... vendicat, frustra se ipsum irrideat ... Amor sine disciplina non proficit, quia cessante iustitiae stimulo populus se in illicita resolvit, IV 8, S. 264, Z. 21-24 und 3133; Lex ... est unio et consolidatio populorum, VIII 17, S. 345, Z. 11-13. Sunt autem praecepta quaedam perpetuam habentia necessitatem, apud omnes gentes legitima et quae omnino impune solvi non possunt, Policraticus IV 7 (wie Anm. 14), S. 259, Z. 3-5; zur Geschichte der anschließend von Johannes besonders hervorgehobenen „goldenen Regel“ und der Auffassung von ihrer allgemeinen Geltung siehe

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Johannes deutet demnach die Erfahrung Isidors um: Nicht mehr die fürstliche Herrschaft, sondern die des von Gott geschenkten Gesetzes, der iustitia, erscheint ihm als die notwendige Folge des Sündenfalls für das Zusammenleben der Menschen. Dieses Gesetz nun, das jedem einzelnen seine Pflicht, sein officium in der Gemeinschaft zuweist, ihn so zu seinen Tugenden führt und ihm zugleich seinen Platz im Ganzen sichert,115 formt – vollkommen, das heißt: unter Christen verwirklicht – die res publica des Gottesvolkes zu einem körpergleichen Gebilde, das von Gottes Wohltat belebt, von der göttlichen aequitas durchwaltet wird und als dessen Seele folgerichtig die Priester erscheinen.116 Sein Haupt, der Herr[514]scher, hat sich zweifellos an Gottes Willen auszurichten und ist insofern der Geistlichkeit untergeordnet, die ihm diesen Willen verkün-

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Weigand (wie Anm. 14), S. 122-125, 131-134. – Zu Johanns hoher Meinung von den heidnischen Tugenden und seinen grundsätzlichen Vorbehalten ihnen gegenüber siehe III 9, S. 196, Z. 18 - S. 198, Z. 8, IV 6, S. 256, Z. 11-25, V 7f., S. 309, Z. 2 - S. 318, Z. 10, VIII 5, S. 245, Z. 6-28, S. 246, Z. 17-20, VIII 19, S. 369, Z. 9-24, VIII 24, S. 415, Z. 10-17, VIII 25, S. 420, Z. 28 - S. 421, Z. 4, S. 423, Z. 1-4; Johanns Wertschätzung der antiken Staatslehre wird allein schon darin sichtbar, daß er der Institutio Traiani Pseudo-Plutarchs eine zentrale Bedeutung zumißt; auch ihr gegenüber aber äußert er Bedenken vom christlichen Glauben her, vgl. etwa V Prol., S. 280, Z. 13 - S. 281, Z. 3, V 2, S. 283, Z. 27 - S. 284, Z. 5, V 3, S. 284, Z. 17-25. Vgl. die Definitionen von aequitas und lex Policraticus IV 2 (wie Anm. 14), S. 237, Z. 13-17 (über die Definition der Gerechtigkeit als tribuens unicuique quod suum est vgl. oben S. 68 mit Anm. 19); die lex als regula officiorum VIII 17, S. 345, Z. 11-13, über die den officia je zugehörigen virtutes VII 8, S. 120, Z. 29-31, S. 121, Z. 24-26, vgl. zu den officia noch I 2f., S. 19, Z. 30 - S. 20, Z. 2, S. 20, Z. 13-25, I 4, S. 31, Z. 33 - S. 32, Z. 2, S. 32, Z. 16f., S. 34, Z. 27 - S. 35, Z. 2, IV 12, S. 278, Z. 31 - S. 279, Z. 8, V 4, S. 290, Z. 16-24, VI 22, S. 63, Z. 19-23, VI 29, S. 86, Z. 13-16. Vgl. die berühmte, von Pseudo-Plutarch übernommene Definition der res publica als corpus quoddam, Policraticus V 2 (wie Anm. 14), S. 282, Z. 11-17; die Gleichsetzung der res publica mit dem populus Dei VIII 22, S. 396, Z. 12f. – sie könnte im übrigen ein Indiz dafür sein, daß Johannes der mit Paulus beginnenden Tradition des Ecclesiacorpus Christi-Vergleiches vielleicht doch näher steht, als Struve (wie Anm. 77), S. 127, 129-132 und bes. 146f. annimmt (zu Paulus S. 21-24), vgl. dazu die oben Anm. 86 für Isidor von Sevilla und vor allem Gregor den Großen aufgeführten Stellen, wo wie bei Johannes (etwa Policraticus II 22, S. 129, Z. 28-31, III 1, S. 172, Z. 24 - S. 173, Z. 1, V 3, S. 286, Z. 21 - S. 287, Z. 24) die Verschiedenheit der Gaben auch der Gläubigen in dieser gefallenen Welt gezeigt, daraus die Existenz der unterschiedlichen officia abgeleitet und die Verpflichtung aller Glieder der Gemeinschaft zur gegenseitigen Hilfe und Liebe gefolgert wird.

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det.117 Johannes bezeichnet es als das Ziel herrscherliehen Bemühens und geradezu als eine Notwendigkeit für den Fürsten, schließlich das eigene Wollen völlig auszuschalten und so, obwohl formal legis nexibus absolutus, gänzlich zum aequitatis seruus, zum famulus iustitiae zu werden. Daß dies gelingen kann, zeigt unser Autor am Vorbild der christianissimi principes, die ihre Untertanen in Wort und Tat zu den Tugenden anspornten, in allem Gott allein die Ehre gaben und – wie Justinian – mit ihren sacratissimae leges die Welt zu einem templum iustitiae zu weihen suchten.118 Wo aber ein Fürst so handelt, gibt es für ein Volk – wie Johannes sagt – nichts Nützlicheres, als sich ausschließlich um ihn zu sorgen und nach ihm zu richten, dem Diener Gottes und Abbild der göttlichen Majestät, der alles umfaßt und erfüllt und mit der Kraft seiner Tugend die Last der res publica trägt. Dieser Fürst verwirklicht das Heil der Gemeinschaft, seine Funktion in ihr rückt also, ähnlich wie bei Gregor dem Großen, nahe an die der Geistlichkeit. Sie gewinnt trotz oder gerade wegen der grundsätzlich hierokratischen Ausrichtung der res publica eigenständige Bedeutung, denn die theoretische Überordnung und Kontrollbefugnis der Geistlichkeit kommt [515] dem vollkommen Gottes Willen folgenden fürstlichen Handeln gegenüber genau genommen kaum noch zu praktischer Wirksamkeit.119

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Policraticus IV 3 (wie Anm. 14), S. 239, Z. 20-30, S. 240, Z. 24 - S. 241, Z. 5, V 5, S. 296, Z. 5-15; diese Stellen zeigen Johannes nach Hoffmann (wie Anm. 105), S. 94f. als Verfechter der hierokratischen Theorie, ähnlich Struve (wie Anm. 77), S. 139-143, vgl. dazu jedoch die oben folgenden Ausführungen; siehe daneben noch Policraticus IV 3, S. 239, Z. 20 - S. 241, Z. 5, IV 6, S. 251, Z. 13 - S. 252, Z. 5, S. 253, Z. 17 - S. 254, Z. 3, S. 255, Z. 5-13, V 4, S. 295, Z. 24-28, VI 9, S. 24, Z. 8-13, VIII 18, S. 364, Z. 10-12, VIII 23, S. 401, Z. 12-17. Princeps tamen legis nexibus dicitur absolutus, non quia ei iniqua liceant, sed quia is esse debet, qui non timore penae sed amore iustitiae aequitatem colat, rei publicae procuret utilitatem ... Sed quis in negotiis publicis loquetur de principis voluntate, cum in eis nil sibi velle liceat, nisi quod lex aut aequitas persuadet aut ratio communis utilitatis inducit? ... ab aequitatis mente eius sententia non discordet ... Publicae ergo utilitatis minister et aequitatis servus est princeps, Policraticus IV 2 (wie Anm. 14), S. 238, Z. 2-16, vgl. den Kontext bis S. 239, Z. 10, sowie III 15, S. 232, Z. 22-24, IV 1, S. 235, Z. 3-12, S. 237, Z. 1-6, IV 6, S. 254, Z. 10-17, IV 8, S. 264, Z. 21-25, S. 265, Z. 4-6; in gleicher Weise identifiziert Friedrich I. bei Otto von Freising, Gesta Fred. II 32 (wie Anm. 12), S. 350, Z. 10-13, sein Wollen mit der iustitia; über die vorbildlichen Kaiser: IV 6, S. 252, Z. 28 - S. 253, Z. 17. Populo nichil utilius est quam ut principis necessitas expleatur; quippe cum nec voluntas eius iustitiae inveniatur adversa, Policraticus IV 1 (wie Anm. 14), S. 235, Z. 19-21, vgl. S. 235, Z. 9-12; Quid autem in humanis rebus maius est principatu, cuius

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Indessen führte die These von der überlegenen Würde und entscheidenden Bedeutung des Klerus innerhalb der Christenheit ihre Verfechter nicht selten zu sehr viel weitergehenden Folgerungen. So vertraten namhafte Kanonisten zu Beginn des 13. Jahrhunderts die Ansicht, ohne die Billigung und Einsetzung durch den Papst und außerhalb der Christenheit gebe es überhaupt keine rechtmäßige weltliche Herrschaft. 120 Andere Autoren leiteten aus dem Vorrang des geistlichen Amtes ein grundsätzliches Eingriffsrecht der Geistlichkeit in weltliche Dinge in dem Fall ab, daß sonst das Seelenheil der Betroffenen gefährdet wäre. Schon Gerhoch von Reichersberg hatte von einem derartigen Recht des geistlichen Richters in Prozessen zwischen Laien gesprochen, que pertinent ad salutem animae.121 In ähnlicher Weise anerkannte der Dekretist Huguccio kurz vor 1200 die bischöfliche und um so mehr die päpstliche Befugnis, Kaiser und Könige zu richten, sie sogar abzusetzen, wenn diese ihre Untertanen widerrechtlich behandeln, auf ihrem Unrecht, also in der Sünde, beharren und nur so zur Umkehr und Besserung veranlaßt werden können.122

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officium quodammodo omnia circuit implet et penetrat et quasi robore virtutis suae totius rei publicae molem portat?, V Prol., S. 280, Z. 7-10, vgl. V 7, S. 308, Z. 4-6, VI 22, S. 63, Z. 21-23; Vigeat semper excellentia capitis, quia in eo totius corporis consistit salus, VI 26, S. 77, Z. 31 - S. 78, Z. 1; Sol eminet ·universis ut cuncta videat et diiudicet universa; solem alterum principem esse credo ... Recte facit cum Ecclesiae promovet culmen, cum religionis dilatat cultum, cum superbos humiliat et exaltat humiles (wie Gott selbst, siehe Luc. 1,52), VI 26, S. 79, Z. 13-20; vgl. noch III 1, S. 173, Z. 24-26, IV 1, S. 236, Z. 1-11 und 25-28, IV 8, S. 264, Z. 7-11, IV 12, S. 278, Z. 26 - S. 279, Z. 4, V 6, S. 299, Z. 23-27, VI 7, S. 20, Z. 19-26, VII 20, S. 182, Z. 5-10, VIII 17, S. 345, Z. 19-21 und 28f., VIII 18, S. 358, Z. 26 - S. 359, Z. 3. Alanus Anglicus, Glosse zu Gratian, D.96 c.6 (ad v. ,cursu‘), Text bei Stickler, Alanus (wie Anm. 106), S. 362; Laurentius Hispanus, Glosse zu Comp. III 1,6,19 (Venerabilem; X 1,6,34) ad v. ,a grecis transtulit‘, Text bei Franz Gillmann, Des Laurentius Hispanus Apparat zur Compilatio III auf der Staatl. Bibliothek zu Bamberg (1935) S. 128, sowie bei Post, Gaines: Some Unpublished Glosses (ca. 1210-1213) on the Translatio Imperii and the Two Swords. In: Archiv für Katholisches Kirchenrecht 117 (1937), S. 407-409, vgl. die Bemerkungen S. 409-413 sowie die Glosse des Johannes Teutonicus, ebd. S. 408, bzw. die des Silvester Hispanus zu Comp. III 1,5,1 (Cum ex illo; X 1,7,1) ad v. ,privilegio‘, ebd. S. 414f. De edificio Dei 108, MGH Ldl 3, S. 180, Z. 12-16, vgl. den Kontext sowie c.109, wo konkret vom berechtigten Eingreifen des Bischofs gegen einen oppressor innocentium und Verächter des ordo iudicialis die Rede ist. Summe zu Gratian, D.96 c.10, ad v. ,Nosti itaque – pendere’, Text bei Stickler, Schwerterbegriff (wie Anm. 106), S. 214 Anm. 2, vgl. die anderen einschlägigen Äußerungen Huguccios ebd. S. 211 Anm. 1 (S. 212), S. 214 Anm. 1-4; siehe dazu Kempf, Friedrich: Papsttum und Kaisertum bei Innocenz III., Rom 1954, S. 219-223

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[516] Innocenz III. machte sich diese Lehre zu eigen und wandte sie auf die politische Praxis an: Ausdrücklich rechtfertigte er in der Dekretale Novit seine Einmischung in die Streitigkeiten zwischen dem englischen und dem französischen König mit seiner seelsorgerischen Pflicht, alle Christen ohne Ausnahme de quocunque peccato mortali corripere und, wenn nötig, sogar mit kirchlichen Zwangsmitteln zu zügeln. Indirekt, ratione peccati, so interpretierten die zeitgenössischen Kanonisten seine Worte, sei der Papst demnach der zuständige Richter auch für alle weltlichen Auseinandersetzungen.123 Man mag darüber streiten, ob sich diese Position noch als dualistisch bezeichnen läßt oder ob hier und vielleicht eindeutiger in anderen Verlautbarungen Innocenz’ III. nicht doch eine Neigung zur hierokratischen Weltsicht erkennbar wird124 – für unseren Zusammenhang bleibt jedenfalls festzuhalten, daß der Vormund Friedrichs II. in der Sündhaftigkeit der Menschen den Grund für eine zwar nur

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mit weiteren Belegen; sowie Hoffmann (wie Anm. 105), S. 101f., ebd. S. 97f. der Hinweis auf die ähnliche Argumentation bei Rufin, Summa decretorum zu D.22 c.1, ed. Heinrich Singer, Paderborn 1902, S. 47. Dekretale Novit: Innocenz III., Registrum VII 42, Migne PL 215, Sp. 325-329 (= Comp. III 2,1,3 = X 2,1,13), vgl. bes. Sp. 326B-327A; siehe dazu Hoffmann (wie Anm. 105), S. 102f.; Kempf (wie Anm. 122), S. 263-267 (Belege für die Deutung durch die Kanonistik S. 265); sowie Tillmann, Helene: Papst Innocenz III., Bonn 1954, S. 22f. Vgl. zur Beurteilung Innocenz’ III. und besonders seiner Dekretalen Per venerabilem (Comp. III 4,12,2; X 4,17,13) und Venerabilem (Comp. III 1,6,19; X 1,6,34) Hoffmann (wie Anm. 105), S. 102-114, nach dessen Meinung sich der Papst zwar nicht ausdrücklich zur „monistischen These“ bekannte, ihr jedoch deutlich zuneigte und vor allem durch die Unklarkeit seiner Dekretalen ihren Siegeszug förderte (S. 113f.); ferner Kempf (wie Anm. 122), bes. S. 253-279, 310-325, der den dualistischen Grundzug in den politischen Anschauungen Innocenz’ herausstellt und zugleich seinen Anspruch auf „die Leitung des Abendlandes“ durch das Papsttum (S. 324, vgl. S. 313) sieht, sowie Tillmann (wie Anm. 123), bes. S. 15-26, S. 258-267, die den Papst für einen Verteidiger der dualistischen Ordnung hält, ähnlich Maccarrone, Michele: „Potestas directa“ e „potestas indirecta“ nei teologi del XII e XIII secolo. In: Miscellanea Historiae Pontificiae 18 (1954), S. 33f., vgl. neuerdings Fried, Johannes: Der päpstliche Schutz für Laienfürsten. Die politische Geschichte des päpstlichen Schutzprivilegs für Laien (11.-13. Jh.) (Abh. Heidelberg 1980,1), S. 178-184, S. 225f.; nach Pennington, Kenneth: Pope Innocent III’s Views on Church and State: A Gloss to ,Per Venerabilem‘. In: Pennington, Kenneth/Somerville, Robert (Hg.): Law, Church and Society. Essays in Honor of S. Kuttner, Philadelphia 1977, S. 49-67, muß Innocenz nicht als Jurist, sondern als Theologe verstanden werden, der seine Auffassung von der Überlegenheit der geistlichen Gewalt hauptsächlich auf die Bibel gründete.

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vage und allgemein definierte, aber letztlich doch umfassende und entscheidende Verantwortung und Vollmacht des Papstes auch im nichtgeistlichen Bereich sah. [517] Anders sein Nachfolger Honorius III.: Er stand offenbar wieder unter dem Einfluß jener bei Isidor, im Kirchenrecht bis zu Gratian oder in den Römerbrief-Kommentaren des 12. und 13. Jahrhunderts faßbaren Tradition, die aus dem Sündenfall die Notwendigkeit weltlicher Herrschaft ableitete. Dafür spricht zumindest sehr deutlich ein Brief, den E. Kantorowicz einst als eine sich eng an Petrus von Vinea haltende Stilübung aus der Zeit der kastilischen Thronkämpfe seit 1275 betrachtet hatte,125 den E. Heller dann aber, ausgehend von seiner Überlieferung in der um 1270 entstandenen Briefsammlung des Thomas von Capua, mit guten Argumenten Honorius III. zuwies und auf die Zeit nach dem 19. August 1218 datierte. Die Kanzlei Friedrichs II. übernahm das Exordium dieses Schreibens Ad extollenda iustorum preconia seit 1239 mehrfach fast wörtlich in eigene Schriftstücke. Vermutlich hatte jedoch Petrus de Vinea oder sonst jemand aus des Kaisers Umgebung eine Abschrift des Dokuments bereits während der päpstlich-kaiserlichen Verhandlungen 1229/30 von Thomas zusammen mit dessen Ars dictandi und anderen Briefmustern erhalten; so konnten seine Eingangssätze schon das Prooemium der Konstitutionen von Melfi beeinflussen.126 Honorius schildert zunächst die Einsetzung der herrscherlichen Gewalt über die Völker als das unmittelbare Werk Gottes, der, nach Ps.

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Kantorowicz, Ernst: Petrus de Vinea in England. In: MÖIG 51 (1937), bes. S. 86f. Heller, Emmy: Zur Frage des kurialen Stileinflusses in der sizilischen Kanzlei Friedrichs II. In: DA 19 (1963), S. 434-443, sowie die zustimmenden und ergänzenden Bemerkungen von Hans Martin Schaller, ebd. S. 443-450; zu beachten ist vor allem Schallers Hinweis, daß der Wortlaut unseres Briefes in den Hss. der Summa dictaminis des Thomas von Capua (III 4) zum Teil durch Zusätze aus dem ursprünglich auf ihn zurückgehenden Text V 1 im Briefbuch des Petrus von Vinea ergänzt wurde, vgl. die Edition des Honorius-Briefes auf der Basis von vier Hss. ebd. S. 446448; zu der außerordentlich vielschichtigen und schwer durchschaubaren Hss.Überlieferung der Sammlung des Thomas siehe Schaller, Hans Martin: Studien zur Briefsammlung des Kardinals Thomas von Capua. In: DA 21 (1965), S. 371-518, zu unserem Stück 483f. Eine Zusammenstellung der das Exordium Ad extollenda benutzenden kaiserlichen Dokumente gibt Gerhart Ladner, Formularbehelfe in der Kanzlei Kaiser Friedrichs II. und die „Briefe des Petrus de Vinea“. In: MÖIG, 12. Ergänzungsband (1933), S. 104-106; die Bezeichnung Gottes als iustitia que de celo prospexit nach Ps. 84,12 findet sich wie im Honorius-Brief bereits in einem Schreiben Friedrichs vom 5.10.1229, MGH Const. 2 Nr. 124, S. 169.

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84,12 mit der iustitia gleichgesetzt, auf diese Weise die Gerechten zu stärken und den Übermut der Gesetzesbrecher zu dämpfen suchte. Dann richtet sich der Blick auf die Betroffenen: Die Menschen wollten ihre ursprüngliche, natürliche Freiheit eigentlich nicht mit dem Joch der Herrschaft vertau[518]schen; rasch jedoch breitete sich der ungezügelte und ungestrafte Hang zum Verbrechen, zum Bösen unter ihnen aus und drohte sie zu verderben; notwendigerweise, um ihren Untergang zu verhindern, mußten sie also ihr eigenes Wollen der Gerechtigkeit, ihre Freiheit der von Gott stammenden Rechts- und Herrschaftsordnung unterwerfen. Diese Ordnung, die anschließend noch einmal ausdrücklich auf einen göttlichen Spruch zurückgeführt wird, spiegelt Gottes Gnade schon insofern wider, als sie die Menschen den eigenen Artgenossen unterstellt, vor allem jedoch, indem sie den Herrschenden aufträgt, ihren Untertanen durch ihre Sorge für pax und iustitia zu dienen und zu nützen, also gemäß Rom. 13,3f. die Guten zu loben, die Bösen mit dem Schwert zu strafen; als Gottes Sachwalter verdienen die Fürsten andererseits die besondere Achtung ihrer Völker. Der Brief fügt die uns im wesentlichen durchaus bekannten Gedanken sehr prägnant und geschlossen aneinander. Sein Verfasser führt die Existenz der Herrschaft auf die menschliche Sündhaftigkeit zurück; auch er sieht an ihrem Anfang, wie etwa schon Isidor, einmal die äußerste Gefährdung der von Gott abgefallenen, vom Bösen erfüllten Menschen, denen – ganz gleich, ob es sich um Heiden oder Christen handelt – nur dieser eine Ausweg bleibt, und daneben das gnädige und rettende Eingreifen Gottes.127 Wieder fehlt ein erklärendes Wort über die Beziehung von

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Vgl. dazu bes. das oben S. 94-98 mit Anm. 81-87 über Gregor den Großen und Isidor von Sevilla Gesagte; schon Isidor, Sententiae III 47, Migne PL 83, 717AB (siehe oben S. 96f. mit Anm. 85, zur Übernahme der Stelle in Kirchenrechtssammlungen S. 102 mit Anm. 98), stellt dabei der ursprünglichen menschlichen libertas die spätere servitus gegenüber; der Gedanke geht zweifellos letztlich auf Augustin zurück, für den die Freiheit gleichfalls zur gottgeschaffenen menschlichen Natur gehört, dem ihr Verlust allerdings als Sündenstrafe gilt, vgl. dazu oben S. 92, zur natürlichen Freiheit De civitate Dei XII 22, CSEL 40,1, S. 607, Z. 1-7, XIII 13, S. 631, Z. 21-25, XIV 15, CSEL 40,2, S. 35, Z. 5-7, S. 36, Z. 1-3, XIV 27, S. 55, Z. 28 - S. 56, Z. 5, XIX 15, S. 400, Z. 8-10, S. 401, Z. 3f., XXII 30, S. 666, Z. 23-25, S. 667, Z. 4-13, vgl. Gregor der Große, Moralia XV 31 (wie Anm. 8) S. 767f., XX 28, S. 1024, XXXV 28, Migne PL 76, 765BD. Über die ursprüngliche, naturrechtliche Freiheit bei den Legisten und Dekretisten siehe Weigand (wie Anm. 14), S. 64-78, S. 263-282; ihr Verlust erscheint dort freilich nur selten im Zusammenhang mit der Sündhaftigkeit, vgl. Rufin ebd. 266f., oder die Glosse zu D.1 c.7, ebd. S. 272, daneben S. 274-276. – Wie Honorius

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ne[519]cessitas und sententia divina zueinander; wieder scheint es indessen, daß nach Ansicht des Autors der Mensch die Notwendigkeit erfährt, sich beschränken, in irgendeiner Form nach Gottes Gesetz richten zu müssen, daß Gott seinerseits das so Notwendige gewährt, ihm das Mittel zu seiner Bewährung in die Hand gibt. Ganz auf diese Weise hatte im übrigen schon Honorius Augustodunensis das Verhältnis von Notwendigkeit und göttlichem Willen in einem sehr ähnlichen Fall dargestellt: Gottes Sohn, so erklärte er, habe sich für die Menschen, was ihn selbst angehe, allein aus freiem Willen geopfert; betrachte man das Geschehen aber von der Seite der Menschen aus, so komme ihm höchste Notwendigkeit zu, denn ohne Christi Menschwerdung hätten jene nie gerettet werden können; sein Wille dazu war also notwendig für sie.128 Die Gemeinsamkeiten zwischen dem Honorius-Brief und Friedrichs Prooemium liegen auf der Hand. Sie betreffen einzelne Worte und Wen-

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III. weist auch Isidor, Sententiae III 49,3, PL 83, 721A, auf die gleiche Stellung (conditio) von Herrscher und Beherrschten als Menschen hin und sieht darin wie jener für den Herrscher die Verpflichtung den Untertanen gegenüber zum prodesse durch sein praeesse, zum condescendo consulere anstelle des dominando premere, vgl. zur selben Vorstellung bei Gregor dem Großen oben S. 94f. mit Anm. 81, sowie Gregor, Moralia XXIV 52, PL 76, 317B; Gregors Formulierung: Homo quippe animalibus irrationalibus, non autem ceteris hominibus natura praelatus est, Moralia XXI 23 (wie Anm. 8), 1082, wird bei Honorius gewissermaßen den veränderten Verhältnissen nach dem Fall angepaßt, vgl. auch Augustin, De civitate Dei XIX 15, CSEL 40,2, S. 400, Z. 2-4 und 20f., S. 401, Z. 3f. (vgl. oben S. 93 mit Anm. 77). An Johannes von Salisbury, Policraticus IV 1 (wie Anm. 14), S. 236, Z. 2-13, erinnern des Honorius anschließende Bemerkungen: Auch dort ist von den Untertanen die Rede, die ihre colla vor dem (bei Johannes hier allerdings das Richtbeil führenden) Herrscher senken, beide Autoren begründen dann unter Berufung auf Rom. 13,1-2 die herrscherliche Gewalt aus Gottes Anordnung (den herrscherlichen gladius aus Rom. 13,4 behandelt Johannes unmittelbar danach IV 2f., S. 238, Z. 26f., S. 239, Z. 20-24). Die starke Anlehnung des zweiten Teils der Honorius-Arenga an Rom. 13,1-7 (Rom. 13,7 veranlaßte wohl das Zitat von Matth. 22,21) läßt im übrigen daran denken, daß Honorius unter Umständen auch den Gedanken von der um der menschlichen Sünden willen notwendigen Herrschaft, entweder selbständig oder angeregt von einem der uns bekannten Römerbrief-Kommentare (siehe oben S. 104), aus dem Römerbrief (13,5) gewonnen haben könnte. – Insgesamt spricht die enge Übereinstimmung des Brief-Textes mit der biblischen, patristischen und mittelalterlich-theologischen Tradition sicherlich für seine Herkunft aus der päpstlichen Kanzlei. Honorius Augustodunensis, Inevitabile, Migne PL 172, 1207BC; vgl. Elucidarium I 18, 1123B, sowie I 16,1121D, wo die Notwendigkeit der Sündenstrafe aus der Ordnung des regnum Dei begründet wird.

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dungen,129 vor allem jedoch die Hauptlinie des Gedankenganges: Friedrich sieht die fürstliche Herrschaft wie Honorius angesichts der Sünde der Menschen zugleich als Notwendigkeit und göttliches Geschenk; beide beschreiben den Herrscher als den Vollstrecker des göttlichen Willens, he[520]ben seine richterlichen Aufgaben und seine Verpflichtung hervor, seinem Volk pax und iustitia zu bringen. Freilich übernimmt das Konstitutionen-Prooemium weder die Gleichsetzung Gottes mit der iustitia oder die Anklänge an Rom. 13 und Matth. 22,21, noch erwähnt es die natürliche menschliche libertas. Dafür zieht es, wie wir sahen, eine ganze Fülle zusätzlicher Quellen von Seneca bis zur Theologie- und Naturphilosophie des 12. Jahrhunderts heran und erweitert die Darstellung wesentlich durch die Einbeziehung der Sündenfallgeschichte sowie mit dem Hinweis auf die Schützerrolle des Fürsten gegenüber der Kirche und seine unmittelbare Verantwortung vor Gott. So gelingt es dem Autor unseres Textes, aus einer vielfältigen Tradition, aus ganz unterschiedlichem Schrifttum die wichtigsten Argumente für seine Herrschaftsauffassung zu sammeln und zu einem durch seine Verknüpfung der Gesichtspunkte neuen, durch seine innere Folgerichtigkeit überzeugenden Gesamtbild zusammenzufügen. Dabei kommt dem einleitenden Schöpfungsbericht wohl eine doppelte Funktion zu. Indem derjenige, der sich anschickt, sein Reich neu zu ordnen, zunächst auf die Normen verweist, die Gottes schöpferischem Wirken zugrunde liegen, stellt er seine eigenen Maßnahmen sogleich in eine Beziehung zur göttlichen Schöpfungsordnung und kennzeichnet schon damit ihre besondere Bedeutung. Zugleich wird deutlich, daß Gott den Menschen in der vollkommenen Ordnung des Paradieses eine hervorragende Ehrenstellung zuwies, sie mit der Unsterblichkeit beschenkte und ihnen die Herrschaft über alle Kreatur anvertraute – freilich nicht zu unbeschränkter Willkür: Er band sie an das Gebot seines Gesetzes. Ihre Unterwerfung unter die lex Dei bildete also die Voraussetzung für ihre Existenz als Menschen.

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Etwa transgressor-transgressio, licentia scelerum, necessitate, divina sententia. Der gladius ultionis des Briefes wird bei Friedrich zum gladius materialis, und vielleicht regte ihn des Honorius Bemerkung: Cum ... ex Deo regnent reges et principes principentur (nach Prov. 8,15) zu seiner Formel rex regum et princeps principum an, er zitiert Prov. 8,15f. ähnlich gekürzt etwa MGH Const. 2 Nr. 156, S. 192, Z. 35 (April 1232); die eng verwandte Bezeichnung rex regum et dominus dominantium für Gott begegnet in der Bibel wie vielfach bei Friedrich II., siehe die Belege DA 39, S. 545 Anm. 196.

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Der Sündenfall, ihr Gesetzesbruch zerstörte diese Voraussetzung, und es ist allein der divina clementia zuzuschreiben, daß die Menschen und mit ihnen die ganze Schöpfung daraufhin nicht ebenfalls vernichtet wurden: Gott entzog ihnen zwar zur Strafe ihre Unsterblichkeit, gestattete ihnen und ihren Nachkommen aber gnädig, künftig als Sterbliche die Herrschaft über die Erde auszuüben. Doch das elterliche Laster des Gesetzesbruches vererbte sich auf die Kinder, auch sie entschieden sich gegen Gott: Sie begannen sich zu hassen, teilten das nach Naturrecht gemeinsame Eigentum130 untereinander und gerieten in endlose Streitigkeiten, kurz: ihr [521] Verhalten stand ebenfalls in völligem Gegensatz zu dem des von Gott geschaffenen homo rectus et simplex. Ähnlich lapidar wie seine Vorbilder von Isidor bis Honorius III. schildert das Prooemium die sich aus dieser Situation ergebende Konsequenz: Aus dem Zwang der Notwendigkeit und auf Veranlassung der göttlichen Fürsorge entstand die fürstliche Herrschaft über die Völker. Indessen gibt uns nun eben die vorgeschaltete Erzählung von Paradies und Sündenfall einen recht deutlichen Hinweis auf des Autors Meinung vom Geschehen: Indem er das Handeln der Menschen nachdrücklich mit dem Vergehen ihrer Stammeltern gleichsetzt, kennzeichnet er es als erneutes Heraustreten aus Gottes Ordnung und damit als das Aufgeben ihrer DaseinsGrundlage überhaupt; es muß ihren Untergang zur Folge haben, weil ein Leben gegen jedes göttliche Gebot unmöglich ist. In diesem Sachverhalt liegt also die Notwendigkeit, die die sündigen Menschen gegen ihr Wollen zwang, sich der Herrschaft von Fürsten zu unterstellen: Sie beschritten damit jenen Weg zurück in die bewahrende göttliche Ordnung, den ihnen ihr sorgender Schöpfer zu ihrer Rettung angewiesen hatte.131

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Vgl. dazu Weigand (wie Anm. 14), zum naturrechtlichen Gemeineigentum bes. S. 8592 und 307-361; danach stammt die Vorstellung des Prooemiums wohl aus Gratians Dekret, etwa aus D.8pr. bzw. c.1, C.12 q.1 c.2 § 1 (=Ps.-Isidor, Ps.-Clemens c.82, ed. Hinschius, S. 65, Z. 8-10), vielleicht auch D.1 c.7, siehe S. 310-313 sowie zur Diskussion unter den Dekretisten S. 313-316, zur Stellung Huguccios S. 327 und 344; die Formulierung des Prooemiums berührt sich am engsten allerdings mit der des Placentin, Summa Instit. 2,1: Acquiruntur rerum dominia non iure naturali, quo omnia sunt communia, Text nach Weigand S. 88 mit Anm. 13, vgl. oben Anm. 47. Mit Recht wies schon Kantorowicz, Ergänzungsband (wie Anm. 2), S. 100, darauf hin, daß Friedrich II. ganz der Argumentation im Prooemium entsprechend die matrimoniorum sacra solempnia sowohl als eine necessitas wie als institutio divina bezeichnet, MGH Const. 2 Nr. 188, S. 230, Z. 9ff. (=HB 4, 503). In der Tat geraten die Menschen auch hier in den Zwang der Notwendigkeit als Folge ihres Abfalls von Gott, den jener – wie Friedrich im Prooemium hervorhebt – mit dem Entzug der Un-

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Dieser Sicht der Herrschaft als einer dem sündigen Menschen unentbehrlichen, ihm von Gott gegebenen Institution zur Durchsetzung der seine Existenz sichernden göttlichen Normen entspricht die im Prooemium sich unmittelbar anschließende Beschreibung der herrscherlichen Aufga[522]ben: Der Fürst hat in der Tat gegen das Böse, gegen die Verbrechen vorzugehen, also gegen jene Handlungen, durch die sich der sündige Mensch vom gottgewollten homo rectus unterscheidet; indem er als Richter jedem das Seine zuteilt, verwirklicht er Gottes Gerechtigkeit und vollzieht dessen Willen. Gilt diese Aussage für die Herrscher allgemein, macht ihr Autor mit ihr – wie einst Isidor – zunächst auf die grundsätzliche Bedeutung der Herrschaft schlechthin aufmerksam, so betont auch er sogleich, daß sie für den vollkommenen, den christlichen Regenten besondere Pflichten mit sich bringt: Ihm obliegt es vor allem, die Kirche vor ihren Feinden zu schützen und ihr die gebührende Stellung in der ihm anvertrauten Gemeinschaft zu wahren; er tritt freilich ebenso für Frieden und Gerechtigkeit in seinem ganzen Volk ein. Man geht wohl nicht sehr fehl, wenn man einen Zusammenhang sieht zwischen der Darlegung des Prooemiums und der von Papsttum und Kanonistik seit Innocenz III. aus der menschlichen Sündhaftigkeit abgeleiteten These von der umfassenden Zuständigkeit des päpstlichen Richters auch in weltlichen Angelegenheiten, die etwa Raimund von Peñafort eben wieder klar formuliert und mit dem Hinweis untermauert hatte, daß Papst und kirchliche Prälaten schließlich im Jüngsten Gericht doch Rechenschaft für alle Menschen, auch für Kaiser und Könige ablegen müßten.132 Offenbar um diese Position zu entkräften, suchte Friedrich im

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sterblichkeit ahndete, nicht ohne dem Menschengeschlecht allerdings die Möglichkeit des Weiterlebens in ihren Nachkommen zu gewähren; mit der Einrichtung der Ehe schafft Gott nach Friedrichs Meinung der menschlichen Fortpflanzung gewissermaßen ihren legitimen, freilich auch den allein Gottes Willen entsprechenden Platz, das Gesetz, unter dem sie innerhalb der göttlichen Rechtsordnung steht (siehe auch HB 4, S. 539). – Anders als Friedrichs Prooemium faßt dagegen die Bemerkung der Inst. I 2,2, auf die von den Steinen (wie Anm. 4), S. 22f. aufmerksam machte (vgl. Kantorowicz, Erg.-bd. S. 97, und Weigand [wie Anm. 14], S. 66), Gefangenschaft und Knechtschaft wie die anderen Regelungen des Völkerrechts auf als zwangsläufige Folge der menschlichen Gewohnheiten und Bedürfnisse, vor allem der Kriege, ohne daß diese Lebensformen jedoch als widergöttlich und existenzgefährdend und die entstehende Rechtsordnung als Versuch zu ihrer Änderung und Anpassung an Gottes Willen gesehen würden. Nam imperatores, reges et omnes principes, hac sine distinctione, omnis homo pertinet ad iudicium ecclesiasticum ratione peccati ... (Unter den Belegen steht

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Prooemium alle jene Gesichtspunkte und Argumente zu vereinen, die die Existenz der fürstlichen Herrschaft als das notwendige Ergebnis von Sündenfall und Erbsünde erwiesen. Wie Augustin führte er die Entstehung dieser Herrschaft letztlich auf den Sündenfall zurück, wie Gregor deutete er sie positiv als eine von Gott dem sündigen Menschen gewährte Hilfe zur rechten und guten Lebensführung, mit Isidor, den zeitgenössischen Römerbrief-Interpreten oder Honorius betrachtete er ihr Auftreten als eine überall, jedoch gerade auch unter Christen notwendige Folge des [523] menschlichen Abfalls von Gott, weil nun allein ihr gerechtes Wirken das irdische Dasein weiterhin ermöglichte. Diese entscheidende Bedeutung des Herrschers in Gottes Weltordnung, die selbständige, unmittelbare und verantwortliche Beziehung zu Gott, die ihm darin zufällt, unterstreicht Friedrich vielfältig, mit dem Bild von den anvertrauten Talenten etwa, die er Gott verdoppelt zurückerstatten möchte, oder durch den Vergleich der gerechten Regierung mit einem Gott dargebrachten Opfer, vor allem jedoch damit, daß er die von Isidor formulierte und von Gratian tradierte Umkehrung des Gelasius-Wortes übernimmt und gegen Raimund seine fürstliche Verpflichtung betont, Gott über seine Behandlung der Kirche Rechenschaft zu geben.133

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Innocenz’ Dekretale Novit an erster Stelle.) Et est ratio quia ipse papa et alii prelati ecclesiastici tenentur de omnibus reddere rationem in districto examine, San Raimundo de Penyafort, Summa iuris I 11, ed. José Rius Serra (1945), S. 39, Datierung der Summe auf 1219/20 ebd. S. 15; zu Innocenz III. und zur zeitgenössischen Kanonistik siehe oben S. 111f. mit Anm. 122f. – Raimund äußert sich kurz darauf in ähnlich eindeutig hierokratischem Sinn wie etwa Alanus Anglicus (siehe oben Anm. 106) zum Zwei-Schwerter-Problem: Papa enim habet a Domino utrumque gladium et alterius, scilicet temporalis, executionem concedit imperatorem, I 11, S. 40; derartige Bemerkungen haben wohl Friedrich veranlaßt, im Prooemium den unmittelbar von Gott eingesetzten Herrscher als Träger des gladius materialis herauszustellen, vermutlich bestärkt durch den erwähnten Honorius-Brief (siehe oben S. 113-115). Den Text von Isidor, Sententiae III 51,6, Migne PL 83, 723C-724A, siehe teilweise oben, Anm. 87, zur Überlieferung des gesamten Zitats Sententiae III 51,4-6, von Jonas von Orléans bis Gratian siehe oben S. 102 mit Anm. 97. Der Gedanke von der königlichen Verpflichtung zur Rechenschaft vor Gott taucht auch sonst nicht selten auf, vgl. etwa noch Jonas von Orléans, Institutio regia 4 (wie Anm. 89), S. 145, c.5, S. 150, die Relatio episcoporum von 829, MGH Capit. 2 Nr. 196, S. 47, Z. 31f., Konzil von Paris (829) II 1f., MGH Conc. 2, S. 651, Z. 32f., S. 652, Z. 5-7, sowie die anderen bei Anton (wie Anm. 81), S. 412 mit Anm. 235 genannten Stellen, daneben noch Agobard von Lyon, Ep. 10, MGH Epp. 5 (1899) S. 202, Z. 37 - S. 203, Z. 3; Anton, S. 415f., zeigt, wie die fränkische Geistlichkeit seit 833 aus dieser Verpflichtung des Königs ein Kontrollrecht der Kirche ableitete; an das Prooemium erinnert bes. die

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Der Überblick über die Tradition, in der Friedrichs Prooemium steht, macht deutlich, daß hier von einer neuartigen, immanenten Begründung des Staates, von seiner Herleitung aus einer „naturgesetzlichen Zwangsläufigkeit“134 keine Rede sein kann. Gewiß reicht die geschilderte Tradi[524]tion bis in die Antike zurück, bewahrten ihre ersten Vertreter, Tertullian oder Augustin etwa, noch die antike Erfahrung von der natürlichen Notwendigkeit des Gemeinwesens; schon Gregor und Isidor jedoch wandelten den Gedanken ins Moralisch-Rechtliche: Nach dem Sündenfall hing die weitere Existenz der Menschen nach ihrer Darstellung notwendig davon ab, ob es ihnen gelang, Gottes Willen wenigstens in der Form einer das Gute schützenden, das Böse strafenden Rechtsordnung, und das hieß zwangsläufig: mit Hilfe einer herrschaftlichen Ordnung durchzusetzen; insofern war schon für sie der Staat in der Tat zu einem Teil des göttlichen Heilsplanes geworden, aber freilich auch – und dies bleibt noch bei Friedrich II. so – letztlich allein auf die jenseitige, göttliche Instanz bezogen. Dem widerspricht durchaus nicht, daß Friedrich die lex regia anerkannte, erstmals wohl in Konst. I 31, die er mit dem Hinweis einleitete, daß die Römer das Recht zur Gesetzgebung und die Herrschaft dem princeps Romanus übertragen hätten.135 Diese Aussage macht den Kaiser

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Formulierung der Synode von Diedenhofen (844): Ecclesia vobis ad gubernandum commissa, pro qua ex ministerio regali reddituri estis regi regum rationem in die iudicii, MGH Capit. 2 Nr. 227, S. 113, Z. 29-31. Auch Gregor VII. verstand seinen Hinweis an die Mächtigen: De tot enim hominibus Deo reddituri sunt rationem, quot sue dominationi subditos habuerunt, Registrum VIII 21 (wie Anm. 91), 2, S. 559, Z. 15f., als eine drohende Ermahnung zur Unterordnung unter den Papst. Dennoch kehrt der Gedanke bei Friedrich I. wieder, der versprach, die Rechte der Kirche so zu wahren, quod in examinis extremi iudicio, ubi omnium eorum, que gessimus, nos rationem reddere oportebit, pro alicuius detentione iusticie rei debeamus minime reperiri, MGH DD F.I. Nr. 156, S. 267. – Friedrich II. übernahm gerade in den seit 1239 abgefaßten Dokumenten mit dem Ad extollendum-Exordium aus dem Prooemium nicht nur die Begründung für sein Eingreifen in den jeweils betroffenen partes imperii, nämlich das bisherige Fehlen seiner provisio iusticie, sondern auch den Hinweis auf das ihm anvertraute talentum und auf die von ihm geforderte ratio villicationis, wobei er nun auch wie Barbarossa ausdrücklich das examen stricti iudicii nannte, vgl. MGH Const. 2 Nr. 216, S. 300, Z. 21-26, Nr. 217, S. 301, Z. 35 - S. 302, Z. 2, Nr. 266, S. 373, Z. 24-29, Nr. 272, S. 380, Z. 4-9, Nr. 273, S. 381, Z. 20-24. Vgl. zu dieser These etwa Kantorowicz, Erg.-bd. (wie Anm. 2), S. 97f., vgl. oben S. 60-62. Text: S. 185, Z. 12-20; utiliter und necessario nennt Friedrich dort freilich nicht das Vorgehen der Römer an sich, sondern die Übergabe von Gesetzgebung und Herr-

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keines[525]wegs zum Vertreter der These vom immanenten, natürlichen Ursprung der staatlichen Herrschaft. Vielmehr stehen seine Worte in vollem Einklang mit einer wesentlichen Erkenntnis des Prooemiums, die ähnlich schon Gregor der Große, Isidor, Johannes von Salisbury oder Papst Honorius III. aussprachen, der Erkenntnis nämlich, daß der Sündenfall alle Menschen, auch die Heiden, der Notwendigkeit der Herrschaft unterworfen habe. Auch den Heiden bleibt nur dieser eine, von Gott stammende Weg der Rettung vor der Zerstörung durch das Böse, und sie vermögen ihn grandi consilio et deliberatione perpensa zu erkennen und einzuschlagen. Diese Fähigkeit verwundert nicht, finden sich unter ihnen nach mittelalterlicher Anschauung doch sogar die Gottes Willen verwirklichenden Tugenden, wenngleich freilich immer verdunkelt, gebrochen und unvollkommen.136

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schaft an ein und dieselbe Person, an den Kaiser, vgl. dazu im übrigen schon MGH Const. 2 Nr. 105, S. 133, Z. 1-13; auf des Kaisers so begründeter Stellung als iustitie pater et filius, dominus et minister liegt das Hauptgewicht des Abschnittes, vgl. dazu Kantorowicz, King’s Two Bodies (wie Anm. 18), S. 97-107, der dort schon auf die Parallelen zu Johannes von Salisbury hinweist (bes. S. 104, vgl. S. 94-97), zur Position des Johannes siehe oben S. 110 mit Anm. 118, vgl. auch Otto von Freising, Gesta Fred. II 32 (wie Anm. 12), S. 350, Z. 10-13, III 32, S. 462, Z. 30, sowie Radulfus Niger, De re militari III 3 (wie Anm. 14), S. 132f.; zur Übernahme der weitverbreiteten iustitia-Definition (ius suum cuique tribuens) durch Friedrich wie Johannes siehe oben S. 68 mit Anm. 19, zur Bedeutung der ratio als Finderin des Rechts bei Friedrich und bei Johannes siehe Kantorowicz, King’s Two Bodies S. 106f., ders., Erg.bd. (wie Anm. 2), S. 104-106, bzw. Stürner, Gesellschaftsstruktur (wie Anm. 110), S. 166f., vgl. auch Otto von Freising, Chronica III prol. (wie Anm. 12), S. 132, Z. 33 - S. 133, Z. 11. – Weitere Erwähnungen der lex regia bei Friedrich nennt Kantorowicz, Erg.bd. S. 85f., vgl. dort auch S. 97f.; sie liegen durchweg verhältnismäßig spät – zur Datierung der frühesten nach 1231 in HB 5, S. 761 (BF 2199) auf März-April 1238 vgl. Kantorowicz, Erg.-bd. S. 283-289 –, häufen sich also wohl nicht zufällig in der durch die starke Betonung des Romgedankens gekennzeichneten Endphase der kaiserlichen Herrrschaft, vgl. Schaller, Hans Martin: Die Kaiseridee Friedrichs II. In: Fleckenstein, Josef (Hg.): Probleme um Friedrich II., Sigmaringen 1974 (Vorträge und Forschungen 16), S. 128 sowie 123. Zur Wirkungsgeschichte der lex regia im Mittelalter siehe auch die einschlägigen Äußerungen der Rechtsgelehrten des 12. bis 14. Jh., abgedruckt bei Dupré Theseider, Eugenio: L’idea imperiale di Roma nella tradizione del medioevo, Mailand 1942, S. 255-269, daneben Radulfus Niger, De re militari III 1, S. 131, und Rahewin, Gesta Fred. IV 5 (wie Anm. 12), S. 518, Z. 24-29, vgl. Koch (wie Anm. 12), S. 136-138, 212f. Vgl. zu Gregor oben S. 94f. mit Anm. 82, zu Isidor S. 96f. mit Anm. 85, zu Johannes S. 108 mit Anm. 113f., zu Honorius III. S. 113f.; über die teilweise Geltung des in der Bibel enthaltenen Naturrechts bei den Heiden nach Gratian (D.5pr., D.8pr.) siehe

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Das Charakteristische der dem Prooemium Friedrichs zugrunde liegenden Herrschaftsauffassung kann vielleicht der abschließende Blick auf zwei Staatslehren noch einmal verdeutlichen, die nach 1260 in Kenntnis der Politik des Aristoteles entstanden und unter deren Einfluß in der Tat eine natürliche Entstehung von Staat und Herrschaft annahmen. Die Konsequenzen dieser Position werden zum Teil schon bei Thomas von Aquin sichtbar, der sich wohl als erster mit der neuen aristotelischen Staatslehre auseinandersetzte.137 Nach seiner Meinung strebt jeder Mensch auf ein Ziel hin, er ersehnt den Zustand des Glücks, der Erfüllung ohne Mangel. Dies Ziel zu erreichen, ist ihm allein jedoch völlig unmöglich, denn im Unterschied zum Tier vermag er ja weder für seine Nahrung noch für den Schutz vor äußerer Unbill selbst zu sorgen. Seine vielfältigen Lebensbedürfnisse lassen sich vielmehr nur im friedlichen Zusammenwirken mit möglichst vielen, je auf eine besondere Tätigkeit spezialisierten Menschen befriedigen; zugleich besitzt er mit der ratio und der locutio die für eine solche Zusammenarbeit nötigen Gaben. So bestimmt den Menschen seine [526] Natur in jeder Hinsicht zum animal sociale, sie zwingt ihn geradezu zum Leben in einer großen Gemeinschaft, und das dort verwirklichte bonum commune umschließt auch das Wohl des einzelnen. Ebenso natürlich und selbstverständlich ergibt sich aus diesem Sachverhalt für Thomas die Notwendigkeit einer herrschenden Gewalt, die die Glieder des Gemeinwesens auf ihr wahres Ziel hinordnet, zu einer harmonischen Einheit fügt.138 Anders als im Prooemium Friedrichs oder im Honorius-Brief, wo sich der sündige und vom Untergang bedrohte Mensch gewissermaßen gegen seinen eigentlichen Willen dem Fürsten und dessen die göttliche Ordnung sichernder Macht unterwirft, entspricht demnach für Thomas das Leben in der herrschaftlich strukturierten Gemeinschaft dem Wesen, der Eigen-

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Weigand (wie Anm. 14), S. 135f.; vgl. etwa noch Hugo von Fleury, De regia potestate I 4, MGH Ldl 2, S. 469, Z. 21-24, S. 470, Z. 14-16, oder De unitate ecclesiae conservanda, Ldl 2, S. 276, Z. 29f., und grundsätzlich die Meinung des Augustinus, daß Gott auch der sündigen Natur seine bona nicht ganz entzogen habe, da sie sonst gar nicht existieren könnte, siehe dazu De civitate Dei XXII 24, CSEL 40,2, bes. 642, Z. 21-25, und oben S. 93 mit Anm. 79. Vgl. zur folgenden Thomas-Interpretation Stürner, Adam (wie Anm. 69), S. 382-386, daneben ders., Natur (wie Anm. 31), S. 146-154, sowie Struve (wie Anm. 77), S. 150165, jeweils mit weiterer Literatur. De regno I 2,2-7, ed. J. Perrier, S. Thomae Aquinatis Opuscula Omnia 1, Paris 1949, S. 222-225, vgl. I 8,22, S. 239, sowie I 3,8f., S. 226f., I 13,40, S. 254f.

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art der menschlichen Natur ganz allgemein, ohne daß deren Bruch mit Gott vorausgesetzt würde. Deshalb liegen umgekehrt Bestimmung und Zweck dieser Gemeinschaft zunächst allein darin, eben die Lebensbedürfnisse der menschlichen Natur in ihrer ganzen Vielfalt und möglichst vollkommen zu befriedigen. Angesichts dieser Grundposition überrascht es nicht, wenn Thomas folgerichtig davon ausgeht, daß der Mensch seiner Natur nach auch schon vor dem Sündenfall ein animal sociale und als solches auf die Gesellschaft anderer angewiesen war, und daß gemeinschaftliches Leben im Paradies ebenso sehr wie später der Leitung durch eine überragende Kraft bedurfte, die die mannigfaltigen Einzelabsichten auf das gemeinsame Ziel des bonum commune auszurichten verstand. Das Recht und die Pflicht zur Herrschaft über die anderen fiel im Stande der Unschuld dem zu, der seine Mitmenschen an Kenntnis und Gerechtigkeitssinn überragte.139 Diese Bemerkungen könnten die Vermutung nahelegen, Thomas suche im Gegensatz zur bisherigen Tradition Staat und Herrschaft rein immanent und natürlich, als Instrumente der menschlichen Bedürfnisbefriedigung zu erklären. Doch geht der Aquinate noch keineswegs so weit. Nach seiner Überzeugung erlangt der Mensch wirkliches Glück nur in der fruitio divina, der reinen Schau Gottes; Gott muß deshalb das höchste und letzte Ziel seines Denkens und Handeins sein. Während nun das paradiesische Zusammenleben die Menschen tatsächlich im steten liebenden Hingewandtsein auf den Schöpfer vereinte, verloren sie mit dem Sündenfall das Gnadengeschenk ihrer natürlichen Übereinstimmung mit dem gött[527]lichen Willen, und ihre virtus, ihre Neigung zum Guten, zum tugendgemäßen Handeln schwächte sich ab. Soll ihrem Tun fortan noch ein Verdienst für das ewige Leben zukommen, bedarf es des besonderen Eingreifens der göttlichen virtus gratiae, bedarf es des Wirkens der von Gott mit dem Dienst an seinem Reich betrauten Kirche. Das bedeutet, daß der einzelne innerhalb der vom Herrscher geführten Gemeinschaft künftig nicht mehr die letzte Erfüllung, sondern allenfalls eine Station auf dem Weg dahin erreichen kann; zur wahren beatitudo geleitet ihn allein der Priester.140

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Summa Theologiae I qu. 96 a. 4, ed. R. Busa, S. Thomae Aquinatis Opera omnia 2, Stuttgart 1980, S. 327, vgl. I qu. 96 a. 3, S. 327; ähnlich schon In II. Sententiarum, dist. 44 qu. 1 a. 3, ebd. 1 (1980), S. 255. Gott als wahres Ziel: De regno I 9,26-28 (wie Anm. 138), S. 242-244; die paradiesische Übereinstimmung mit Gott: Summa Theologiae I qu. 94 a. 4 (wie Anm. 139), S. 325, I qu. 95 a. 1-4, S. 325f., II 1 qu. 109 a. 2f., S. 512; die Folgen des Sündenfalls

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So nimmt Thomas in seinem Staatsdenken zwar den aristotelischen Ansatz auf und zieht ohne Scheu bedeutsame Folgerungen daraus. Indem er Gott als den ultimus finis des natürlichen menschlichen Strebens begreift, führt er dann aber in Übereinstimmung mit der traditionellen mittelalterlichen Anschauung Staat und Herrschaft letztlich doch wieder in die Bindung an Gottes Willen zurück und begründet mit dem Sündenfall, noch über Innocenz III. und seine kanonistischen Interpreten hinausgehend, ihre generelle Unterordnung unter die kirchliche Kontrolle. Gerade in diesem Punkte folgt ihm Marsilius von Padua nicht mehr.141 Zwar rechnet auch Marsilius mit dem allen Menschen gemeinsamen, natürlichen Verlangen nach dem befriedigenden Dasein des bene vivere, und das heißt nach seiner Meinung im Grunde: nach der Wiedergewinnung des im Sündenfall verlorengegangenen Zustandes der Vollkommenheit, in dem für das körperliche Wohlbefinden gesorgt, die Entfaltung der unterschiedlichen menschlichen Gaben und Fähigkeiten ermöglicht und Antwort auf die dem jenseitigen Heil geltenden Fragen und Sorgen gegeben wird. Marsilius ordnet diese vielfältigen Bedürfnisse jedoch nicht mehr in einer Rangfolge; sie alle müssen vielmehr in gleicher Weise befriedigt sein, soll sich das ersehnte Ziel menschlichen Strebens verwirklichen.142 [528] Natürlich kann der einzelne solche idealen Verhältnisse nicht herbeiführen; dazu bedarf es einer großen, arbeitsteilig organisierten Gemeinschaft. Die natürliche Sehnsucht nach dem Ziel des bene vivere weist den Menschen also mit Notwendigkeit auf das Zusammenleben im Staat, und dessen causa finalis perfecta besteht in nichts anderem als eben im bene vivere seiner Glieder. Da sich der festen Überzeugung unseres Autors gemäß alle Menschen, geradezu einem natürlichen Trieb folgend, für ihr Glück, also für die vollkommene Ausgestaltung des politischen Gemeinwesens einsetzen, ergibt sich für ihn, daß dieses Gemeinwesen am sichersten verwirklicht wird, wenn die Gesamtheit der Bürger

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und Gottes Gnade: Summa Theologiae II 1 qu. 81 a. 1, S. 463, II 1 qu. 85 a. 1f., S. 467, II 1 qu. 109 a. 2f. 5, S. 512f., II 1 qu. 113 a. 2, S. 518; über den Vorrang der Kirche: De regno I 15,43-47, S. 257-260, I 16,48, S. 261f. Vgl. zur folgenden Marsilius-Interpretation Stürner, Adam (wie Anm. 69), S. 389394, sowie ders., Natur (wie Anm. 31), S. 164-183, und Struve (wie Anm. 77), S. 257288, dort jeweils weitere Literaturangaben. Marsilius von Padua, Defensor Pacis I 4,1-3, ed. R. Scholz, MGH Fontes iuris 7 (1932) S. 16, Z. 16 - S. 17, Z. 13, I 5,2, S. 20, Z. 29 - S. 21, Z. 5, I 13,2, S. 70, Z. 1416, III 3, S. 613, Z. 2-8.

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– oder doch ihre valencior pars, wie Marsilius gerne sagt – die Herrschaft ausübt, also die Gesetze erläßt und die Regierung wählt.143 Soll das so entstehende Staatswesen tatsächlich das ursprünglichparadiesische Sein in seiner ganzen Vollkommenheit erneuern, so muß es auch die menschliche Sehnsucht nach jenseitigem Heil befriedigen. Marsilius sieht darin denn auch eine seiner vordringlichen Aufgaben und bekennt, daß nur der christliche Glaube den Weg zu Gott neu öffne und deswegen nur die christliche Priesterschaft ihrem Amt wirklich gerecht zu werden vermöge. Dennoch unterscheidet sie sich keineswegs grundsätzlich von anderen Berufsständen, kommt ihr keine besondere Stellung im Staatsganzen zu. Wie alle anderen Stände dient sie vielmehr dessen umfassendem Ziel, das Glück seiner Bürger in dieser Welt uneingeschränkt und rein zu verwirklichen.144 So führte die unter dem Einfluß des Aristoteles vollzogene Neuorientierung der mittelalterlichen Staatslehre, ihre Neigung, Ursprung und Ziel von Staat und Herrschaft nun wie jener aus dem Wesen der menschlichen Natur abzuleiten, von deren Bedürfnissen her zu erklären, in dem Augenblick zu einem säkularisierten, rein immanenten Verständnis des politischen Gemeinwesens, als Marsilius die Beziehung zu Gott nicht mehr als das für den Menschen schlechthin Wesentliche und Entscheiden[529]de betrachtete. Friedrich kannte sehr wahrscheinlich, wenngleich nicht von Aristoteles, die antike Vorstellung vom Menschen als einem sozialen Wesen: Er zitiert in seinem Prooemium, wie wir sahen, Senecas Schrift De clementia, und diese Schrift enthält den ausdrücklichen Hinweis, daß der Mensch als sociale animal an das Gemeinwohl, die staatliche Gemeinschaft gewiesen sei.145 Der Kaiser nutzte diese Anregung jedoch of-

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Defensor pacis I 3,5-I 4,1 (wie Anm. 142), S. 16, Z. 1-17, I 4,3, S. 17, Z. 22 - S. 18, Z. 15, I 4,5, S. 19, Z. 13-26, I 5,2, S. 20, Z. 26-28, I 5,3, S. 21, Z. 20 - S. 22, Z. 4, I 11,3, S. 56, Z. 22-25, I 12,5, S. 65, Z. 4-12, S. 65, Z. 20 - S. 66, Z. 16, I 12,7, S. 68, Z. 3-5, I 12,8, S. 68, Z. 14 - S. 69, Z. 2, I 13,2, S. 70, Z. 14 - S. 71, Z. 26, I 13,3, S. 72, Z. 4-9, I 13,4, S. 73, Z. 1 - S. 74, Z. 2, I 13,6, S. 75, Z. 6-13; zur Problematik des Begriffs der valencior pars siehe Stürner, Natur (wie Anm. 31), S. 168 Anm. 117 und ergänzend ders., Gesellschaftstruktur (wie Anm. 110), S. 176. Defensor pacis I 5,10f. (wie Anm. 142), S. 25, Z. 17 - S. 26, Z. 16, I 5,14, S. 28, Z. 820, I 6,3-10, S. 30, Z. 7 - S. 34, Z. 8; vgl. auch I 19,12, S. 135, Z. 1-24, sowie die umfangreiche Diccio II des Werkes, die den päpstlichen Anspruch auf die plenitudo potestatis als egoistisches Machtstreben zu entlarven sucht. Nos, qui hominem sociale animal communi bono genitum videri volumus, De clementia I 3,2, ed. C. Hosius, Opera 1,2 (1914), S. 214; zum De clementia-Zitat im Prooemium siehe oben S. 66-69.

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fensichtlich nicht. Sein Prooemium geht vielmehr von der göttlichen Ordnung als der entscheidenden menschlichen Seinsgrundlage aus und sieht im Menschen vor allem den Sünder, den Verächter der lex Dei, den aus Gottes Ordnung Ausgebrochenen, den seine frevlerische Natur zum Verbrechen lockt und ins Verderben stürzt. Dem Herrscher obliegt es, eben gegen diese Natur anzukämpfen, um so Gottes rettender Gerechtigkeit wieder Geltung zu verschaffen. Er handelt demnach in unmittelbarem göttlichen Auftrag, als das Werkzeug des göttlichen Willens; der Sündenfall macht ihn zum notwendigen Teil der göttlichen Weltordnung. So eindringlich und schlüssig wie vorher wohl selten war damit die unverzichtbare Bedeutung der fürstlichen Herrschaft, ihre Selbständigkeit und Gottesunmittelbarkeit dargestellt und erwiesen. Indem sich die Beweisführung ganz auf Gottes Willen stützte und an seiner Ordnung ausrichtete, bezog sie die Herrschaft freilich zugleich in diese Ordnung ein und setzte ihr hier ihre Grenze. Damit aber bot auch die Position Friedrichs – wie die seiner von der gleichen Prämisse ausgehenden Vorgänger, jedoch anders als dann die des Marsilius – trotz der Brillanz und Überzeugungskraft, mit der sie vorgetragen wurde, der Kirche einen Ansatzpunkt, ihre eigenen Ansprüche auf Kontrolle und Vorrang der weltlichen Herrschaft gegenüber sinnvoll zu begründen.146 Vielleicht liegt in dieser grundsätzlichen Schwäche der herrschaftstheoretischen Konzeption von 1231 bis zu einem gewissen Grade schon eine Ursache für das praktische Scheitern des Kaisers in seinem letzten Lebensjahrzehnt.

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Gregor IX. nahm schon in der Promulgationsbulle zu seiner Dekretalensammlung von 1234 wohl bewußt den Leitgedanken des Prooemiums auf und deutete ihn im päpstlichen Sinne um: Nun sind es seine Gesetze und die seiner päpstlichen Vorgänger, die dem verderblichen, gegen die göttliche Ordnung gerichteten Hang der menschlichen cupiditas zu Streit und chaotischer Entzweiung Einhalt gebieten und das Menschengeschlecht so formen, daß der einzelne honeste lebt und seinen Mitmenschen das Ihre zugesteht, Corpus Iuris canonici, ed. E. Friedberg, Leipzig 1879, 2, Sp. lf., zu Gregors Sammlung siehe Le Bras-Lefebvre-Rambaud (wie Anm. 97), S. 235-243, bes. S. 235 mit Anm. 3; vgl. auch Gottofredo da Trani, Summa super titulis decretalium (Lyon 1519) fol. 2vb (De constitutionibus). Vermutlich darf man im übrigen bereits das Zitat von Eccles. 7,30 mit dem anschließenden Hinweis auf die primitiva simplicitas der menschlichen Natur im Exordium eines Mandates Gregors IX. vom 30. Juli 1232, Auvray, L.: Les registres de Grégoire IX, Bd. 1, Paris 1896, Sp. 522f., Nr. 848, auf den Einfluß des Prooemiums (Z. 23f., vgl. oben S. 63 mit Anm. 8) zurückführen; den Hinweis auf diese Parallele verdanke ich Hans Martin Schaller.

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III. Anhang: Der Text des Prooemiums Im Erstdruck von 1983 beschloss den vorliegenden Aufsatz ein „Anhang: Der Text des Prooemiums“ (DA 39, S. 530-554). Er brachte einen Überblick über die Handschriften, die Friedrichs Konstitutionen für das Königreich Sizilien und damit auch den Text des Prooemiums überliefern, dazu eine erste Analyse ihrer Abhängigkeitsverhältnisse und Textqualität sowie eine auf dieser Basis entstandene vorläufige Edition des Prooemiums mit deutscher Übersetzung. Inzwischen liegt eine kritische Edition der Konstitutionen Friedrichs vor: Die Konstitutionen Friedrichs für das Königreich Sizilien, hg. von W. Stürner, MGH Constitutiones, Bd. 2, Supplementum (Hannover 1996). Deren Einleitung unterrichtet eingehend über die Entstehung und die Überlieferung des kaiserlichen Gesetzbuches sowie über die Probleme und Grundsätze seiner Edition. Deshalb erscheint ein vollständiger Wiederabdruck des Anhangs von 1983 entbehrlich. Hinzuweisen bleibt immerhin auf dessen ausführliche Analyse der Überlieferung des Prooemiums in den Handschriften der sechsteiligen Briefsammlung des Petrus de Vinea (DA 39, S. 542-545). Um die Lektüre des vorangehenden Aufsatzes zu erleichtern, sei hier indes wenigstens so wie im Anhang von 1983 der Text des Prooemiums (nun nach der nur an zwei für den Aufsatz nicht relevanten Stellen abweichenden kritischen Edition von 1996, S. 145-148, doch mit der im Aufsatztext vorausgesetzten Zeilenzählung) sowie eine deutsche Übersetzung abgedruckt.

IMPERATOR FRIDERICUS SEMPER AUGUSTUS, YTALICUS SICULUS IEROSOLIMITANUS ARELATENSIS, FELIX PIUS VICTOR ET TRIUMPHATOR. Post mundi machinam providentia divina firmatam et primordialem materiam nature melioris conditionis officio in rerum effigies distribu(5) tam, qui facienda previderat facta considerans et considerata commendans a globo circuli lunaris inferius hominem, creaturarum dignissimam ad ymaginem propriam effigiemque formatam, quem paulo minus minuerat ab angelis, consilio perpenso disposuit preponere ceteris creaturis; quem de limo terre transumptum vivificavit in spiritu ac eidem

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(10) honoris et glorie diademate coronato uxorem et sociam partem sui corporis aggregavit eosque tante prerogative munimine decoravit, ut ambos efficeret primitus immortales, ipsosque verumtamen sub quadam lege precepti constituit; quam quia servare tenaciter contempserunt, transgressionis eosdem pena dampnatos ab ea, quam ipsis ante (15) contulerat, immortalitate proscripsit. Ne tamen in totum, quod ante formaverat, tam ruinose, tam subito divina clementia deformaret et ne hominis forma destructa sequeretur perconsequens destructio ceterorum, dum carerent subiecta preposito et ipsorum commoditas ullius usibus non serviret, ex amborum semi(20) ne terram mortalibus fecundavit ipsamque subiecit eisdem; qui paterni discriminis non ignari, sed in ipsos a patribus transgressionis vitio propagato inter se invicem odia conceperunt rerumque dominia iure naturali communia distinxerunt, et homo, quem Deus rectum et simplicem procreaverat, immiscere se questionibus non ambegit. (25) Sicque ipsarum rerum necessitate cogente nec minus divine provisionis instinctu principes gentium sunt creati, per quos posset licentia scelerum coherceri; qui vite necisque arbitri gentibus, qualem quisque fortunam, sortem statumque haberet, velut executores quodammodo divine sententie stabilirent; de quorum manibus, ut villicationis (30) sibi commisse perfecte valeant reddere rationem, a rege regum et principe principum ista potissime requiruntur, ut sacrosanctam ecclesiam, Christiane religionis matrem, detractorum fidei maculari clandestinis perfidiis non permittant et ut ipsam ab hostium publicorum incursibus gladii materialis potentia tueantur atque pacem populis eisdemque (35) pacificatis iustitiam, que velut due sorores se invicem amplexantur, pro posse conservent. Nos itaque, quos ad imperii Romani fastigia et aliorum regnorum insignia sola divine potentie dextera preter spem hominum sublimavit, volentes duplicata talenta nobis credita reddere Deo vivo in reveren(40) tiam Iesu Christi, a quo cuncta suscepimus, que habemus, colendo iustitiam et iura condendo mactare disponimus vitulum labiorum ei parti nostrorum regiminum primitus providentes, que impresentiarum provisione nostra circa iustitiam magis dignoscitur indigere. Cum igitur regnum Sicilie, nostre maiestatis hereditas pretiosa, ple(45) rumque propter imbecillitatem etatis nostre, plerumque etiam propter absentiam nostram preteritarum turbationum incursibus extiterit hactenus lacessitum, dignum fore decrevimus ipsius quieti atque iustitie summo opere providere, quod ad nostre serenitatis obsequia resistentibus aliquibus etiam, qui non de ovili regni prefati nec nostro erant,

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(50) promptum semper invenimus et devotum. Presentes igitur nostri nominis sanctiones in regno tantum Sicilie volumus obtinere, quas cassatis in regno predicto legibus et consuetudinibus hiis nostris constitutionibus adversantibus antiquatis inviolabiliter ab omnibus in futurum precipimus observari; in quas precedentes (55) omnes regum Sicilie sanctiones et nostras iussimus esse transfusas, ut ex eis, que in presenti constitutionum nostrarum corpore minime continentur, robur aliquod nec auctoritas aliqua in iudiciis vel extra iudicia possint assumi.

Übersetzung Kaiser Friedrich, der allzeit Erhabene, der Herrscher über Italien, Sizilien, Jerusalem und das Arelat, der Glückliche, Fromme, Sieger und Triumphator. Nachdem der Bau der Welt durch die göttliche Vorsehung fest aufgerichtet und die ursprüngliche Materie durch den eine bessere Bildung bewirkenden Dienst der Natur zu den Gestalten der Dinge verteilt worden war, beschloß derjenige, der das, was zu tun war, vorausgesehen hatte, während er das Getane betrachtete und das Betrachtete guthieß, unterhalb der Sphäre des Mondkreises den Menschen, das unter den Geschöpfen würdigste, nach seinem eigenen Bild und seiner Gestalt geformte Geschöpf, den er um wenig geringer gemacht hatte als die Engel, nach gründlich erwogenem Plan über die übrigen Geschöpfe zu setzen. Er belebte den aus dem Erdenschlamm Hervorgebrachten im Geiste, gesellte dem mit dem Diadem der Ehre und des Ruhmes Gekrönten als Gattin und Gefährtin einen Teil seines Körpers bei und schmückte sie mit dem Schutz eines so großen Vorrechts, daß er beide anfänglich unsterblich machte; gleichwohl stellte er eben sie unter eine gewisse Gesetzesvorschrift. Weil sie es halsstarrig verschmähten, diese einzuhalten, belegte er dieselben mit der Strafe für ihre Übertretung und verordnete ihnen den Entzug jener Unsterblichkeit, die er ihnen zuvor übertragen hatte. Damit die göttliche Gnade dennoch nicht in vollem Umfang das, was sie zuvor geformt hatte, so verderbenbringend, so plötzlich vernichte, und damit sich nicht nach der Zerstörung der menschlichen Gestalt als Folge die Zerstörung des übrigen ergebe, weil das Untergeordnete des Vorgesetzten entbehren würde und seine Zweckmäßigkeit niemandes Bedürfnissen dienlich wäre, füllte sie aus beider Samen die Erde mit Sterblichen

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und unterwarf sie eben diesen. Diese kannten die väterliche Entscheidung wohl; aber da sich das Laster der Übertretung von den Vätern auf sie fortgepflanzt hatte, ließen sie Haß gegeneinander in sich aufkommen und unterschieden das nach natürlichem Recht gemeinsame Eigentum an den Dingen, und der Mensch, den Gott recht und ehrlich erschaffen hatte, trug keine Bedenken, sich in Streitigkeiten einzumischen. Und so wurden durch die zwingende Notwendigkeit der Verhältnisse selbst und nicht weniger auf Antrieb der göttlichen Vorsehung die Fürsten der Völker gewählt, damit durch sie die Zügellosigkeit der Verbrechen eingeschränkt werden könne; diese sollten als Richter über Leben und Tod für die Völker gewissermaßen wie Vollstrecker des göttlichen Urteilsspruchs festsetzen, welches Schicksal, welchen Rang und Stand jeder habe. Von ihren Händen wird, damit sie über das ihnen anvertraute Verwalteramt vollkommen Rechenschaft abzulegen imstande sind, vom König der Könige und Fürsten der Fürsten dies vornehmlich gefordert, daß sie die Befleckung der hochheiligen Kirche, der Mutter der christlichen Religion, durch die heimlichen Verrätereien der Verleumder des Glaubens nicht zulassen und daß sie eben diese vor den Angriffen der öffentlichen Feinde mit der Kraft des weltlichen Schwertes schützen und den Völkern den Frieden und, nachdem diese befriedet sind, die Gerechtigkeit, welche einander wie zwei Schwestern umarmen, nach Vermögen bewahren. Daher wollen wir, welche allein die Rechte der göttlichen Macht gegen die Hoffnung der Menschen zu den Gipfeln des Römischen Kaisertums und den Würden anderer Königreiche emporhob, in der Absicht, die uns anvertrauten Talente dem lebendigen Gott verdoppelt zurückzugeben, aus Verehrung für Jesus Christus, von dem wir alles, was wir haben, empfingen, durch die Pflege der Gerechtigkeit und die Abfassung von Gesetzen ein Opferkalb der Lippen darbringen, indem wir zuerst für den Teil unserer Herrschaftsgebiete sorgen, der bekanntermaßen gegenwärtig unserer Fürsorge bezüglich der Gerechtigkeit eher bedarf. Da also das Königreich Sizilien, die kostbare Erbschaft unserer Hoheit, vor allem wegen der Schwäche unserer Jugend, vor allem auch wegen unserer Abwesenheit durch die Anschläge vergangener Verwirrungen bis jetzt beeinträchtigt erschien, entschieden wir, daß es angemessen sein werde, für seine Ruhe und Gerechtigkeit mit äußerster Anstrengung zu sorgen, fanden wir es doch zu Diensten für unsere Erlauchtheit immer bereit und treu ergeben, wenn auch einige Widerstand leisteten, die nicht aus dem Schafstall des genannten Königreiches und nicht aus dem unsrigen stammten.

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Wir wollen also, daß die vorliegenden Verfügungen in unserem Namen im Königreich Sizilien allein gelten, und schreiben vor, daß sie in Zukunft von allen unverletzlich eingehalten werden, nachdem im vorgenannten Königreich die Gesetze und Gewohnheiten, die diesen unseren Verordnungen widersprechen, verworfen und aufgehoben wurden. Wir haben befohlen, daß in sie alle vorhergehenden Verfügungen der Könige von Sizilien und unsere eigenen übernommen wurden, damit aus dem, was in der vorliegenden Sammlung unserer Verordnungen durchaus nicht enthalten ist, weder irgendeine Unterstützung noch irgendeine Beglaubigung vor den Gerichten oder außerhalb der Gerichte gewonnen werden kann.

Das Wesen der herrscherlichen Gewalt im Denken und Handeln Kaiser Friedrichs II. Das christliche Denken der Spätantike und des Mittelalters entwickelte, wenn ich recht sehe, sehr vereinfacht dargestellt und gewissermaßen auf die grundsätzlichen Aspekte reduziert, zwei unterschiedliche Vorstellungen vom Wesen der herrscherlichen Gewalt. Die eine deutet sich bereits bei Tertullian an, sie prägt im Kern Augustins großes Werk „De Civitate Dei“ und sie dominiert schließlich in voller Schärfe bei Papst Gregor VII. Die weltliche Herrschaft als solche muss danach als eine Erfindung sündiger, dem Reich des Bösen angehörender Menschen gelten, als eine Erfindung von Menschen, die als Glieder am Leib des Satans stets allein an ihren persönlichen Vorteil denken und in Eigensucht und Hochmut alles daran setzen, sich ihre Mitmenschen gegen Gottes Willen durch Gewalt, durch Mord und jedes sonst denkbare Verbrechen zu unterwerfen. Herrscherliche Gewaltausübung in jeder Form erweist sich somit wie die fürstliche Herrschaft überhaupt als das Ergebnis der egoistischen menschlichen Selbstüberhebung und Gottesferne und damit als von Gott verworfen. Eine einzige Möglichkeit allerdings bleibt dem Herrscher, um vor Gott zu bestehen und so die Rechtfertigung seiner Stellung zu erlangen: Er muss sich vollkommen vom Zugriff und Einfluss des Teufels befreien und sein übliches Verhalten radikal ändern; anders ausgedrückt und ins Positive gewendet: Er muss mit ganzer Kraft nach der Verwirklichung der göttlichen Gerechtigkeit streben, den christlichen Glauben zu verbreiten suchen und die Kirche verteidigen. Dies aber gelingt ihm allein dann, wenn er sich im Gehorsam ausschließlich der Leitung und Weisung des Papstes unterwirft. Den Papst nämlich betraute Christus selbst mit der umfassenden Vollmacht des Bindens und Lösens und ihm übergab er – wie Bernhard von Clairvaux etwas später sagen sollte – beide Schwerter, das geistliche wie das weltliche. Die Legitimierung der weltlichen Gewalt wie jeder Gewalt überhaupt ist nach dieser Anschauung nur durch den Papst und in vorbehaltsloser Unterordnung unter seinen Willen denkbar. Ganz folgerichtig setzte Gregor nicht nur als erster Papst einen König und künftigen Kaiser ab, sondern beabsichtigte in vollem Ernst auch, persönlich an der Spitze der militia sancti Petri, der im Dienst des Petrus ste-

Erstdruck: Mensching, Günther (Hg.): Gewalt und ihre Legitimation im Mittelalter, Würzburg 2003, S. 15-25.

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henden abendländischen Ritterschaft, zur Verteidigung des byzantinischen Reiches gegen die Heiden in den Orient aufzubrechen.1 [16] Bis in die Zeit Gregors VII. dominierte im Abendland indessen eine andere Auffassung, und sie verlor auch nach seinem Auftreten ihre Bedeutung keineswegs. Sie sah die weltliche Gewalt, gestützt etwa auf Römer 13, in einem weit günstigeren Licht, und so erstaunt es nicht, dass der Stauferkaiser Friedrich II. und seine Berater an diese Tradition anknüpften, als sie daran gingen, ihre Grundüberzeugungen von Herkunft und Sinn der Herrschergewalt zu formulieren. Das geschah am ausführlichsten und eindringlichsten gewiss während des Sommers 1231 in dem berühmten Vorwort zu den nicht weniger berühmten Konstitutionen von Melfi, zu jenem ersten großen Gesetzbuch des Abendlandes also, mit dessen Hilfe der Kaiser eben damals die innere Ordnung seines sizilischen Königreiches seinem Willen gemäß zu formen gedachte. Sein Prooemium präsentiert aus der jahrhundertelangen einschlägigen Diskussion ebenso kenntnisreich wie prägnant die wichtigsten Argumente für die Notwendigkeit und gottgewollte Existenz der selbstständigen weltlichen Herrschaft und fügt sie zu einem ob seiner inneren Geschlossenheit beeindruckenden Ganzen.2 Der Text setzt ein mit einem knappen, auf das Wesentliche konzentrierten Schöpfungsbericht. Mit ihm verweist der Kaiser, der sich anschickt, sein sizilisches Regnum neu zu ordnen, zunächst auf die Normen, die Gottes schöpferischem Wirken zugrunde liegen; er bringt damit seine eigenen Maßnahmen sogleich in eine Beziehung zur göttlichen Schöpfungsordnung und kennzeichnet so ihren besonderen Rang. Noch vordem aber legt er Wert auf einen anderen Umstand: Gott wies den Menschen in der vollkommenen Ordnung des Paradieses zwar eine hervorragende Eh-

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Siehe dazu Stürner, Wolfgang: Peccatum und potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalterlichen Staatsdenken, Sigmaringen 1987, S. 42-49 (Tertullian), S. 67-85 (Augustinus), S. 132-135 (Gregor VII.); vgl. jetzt Töpfer, Bernhard: Urzustand und Sündenfall in der mittelalterlichen Gesellschafts- und Staatstheorie, Stuttgart 1999, S. 59-71 (Augustinus), S. 124-129 (Gregor VII.). Text des Prooemiums: Stürner, Wolfgang (Hg.): Die Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien, MGH Const. 2, Supplementum, Hannover 1996, S. 145-148; zur Entstehung der Konstitutionen von Melfi siehe ebd. 1-8, zur folgenden Interpretation ihres Vorwortes Stürner, Wolfgang: Rerum necessitas und divina provisio. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 39 (1983), S. 467-529 [in diesem Band S. 59-131]; daneben ders.: Peccatum (wie Anm. 1), S. 180-183; Töpfer (wie Anm. 1), S. 319-325.

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renstellung zu, indem er sie mit der Unsterblichkeit beschenkte und ihnen die Herrschaft über alle Kreatur anvertraute; er gestattete ihnen damit freilich nicht unbeschränkte Willkür, er band ihr Handeln vielmehr an das Gebot seines Gesetzes: Die Unterwerfung der Menschen unter die lex Dei bildete demzufolge von Anfang an die Grundvoraussetzung für ihre Existenz als Menschen. Der Sündenfall, ihr Gesetzesbruch, zerstörte diese Voraussetzung, und es ist allein der divina clementia zuzuschreiben, dass die Menschen und mit ihnen die ganze Schöpfung daraufhin nicht ebenfalls vernichtet wurden. Gott entzog ihnen zwar zur Strafe ihre Unsterblichkeit; er erlaubte ihnen und ihren Nachkommen aber gnädig, die Herrschaft über die Erde, wenngleich als Sterbliche, künftig doch weiterhin auszuüben. Das elterliche Laster des Gesetzesbruchs vererbte sich jedoch auf die Kinder, auch sie entschieden sich gegen Gott. Sie begannen sich zu hassen, teilten das nach Naturrecht gemeinsame Eigentum auf und gerieten in endlose Streitigkeiten. Gewalt bestimmte fort[17]an also ihre Beziehungen zueinander, und ihr Tun stand damit zweifellos ebenfalls in unüberbrückbarem Gegensatz zu dem Verhalten, das Gott von seinem Geschöpf, dem homo rectus et simplex, forderte und erwartete. Lapidar schildert Friedrich die Konsequenz dieser Situation: Aus dem Zwang der Notwendigkeit und auf Veranlassung der göttlichen Fürsorge entstand nach seinen Worten die fürstliche Herrschaft über die Völker.3 Die seiner Feststellung unmittelbar vorgeschaltete, gerade referierte Erzählung von Paradies und Sündenfall läßt keinen Zweifel darüber zu, wie der Autor seine knappe, bündige Aussage auffasste und verstanden wissen wollte. Indem er das verwerfliche Tun der Menschen nachdrücklich mit dem Vergehen ihrer Stammeseltern gleichsetzt, kennzeichnet er es als erneutes Heraustreten aus Gottes Ordnung und damit als das Aufgeben ihrer Daseinsgrundlage überhaupt. Es muss ihren Untergang zur Folge haben, weil ein Leben außerhalb der göttlichen Ordnung und gegen jedes göttliche Gebot unmöglich ist. Aus diesem Sachverhalt ergibt sich die Notwendigkeit, die die sündigen Menschen gegen ihr eigentliches Wollen und Begehren zwang, sich der Herrschaft von Fürsten zu unterstellen. Sie beschritten damit jenen einzig noch offenen Weg zurück in die bewah-

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Ipsarum rerum necessitate cogente nec minus divine provisionis instinctu principes gentium sunt creati, Prooemium, Konstitutionen Friedrichs II. (wie Anm. 2), S. 147, Z. 1f.

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rende göttliche Ordnung, den ihnen ihr sorgender Schöpfer zu ihrer Rettung angewiesen hatte. Dieser Sicht der Herrschaft als einer dem sündigen Menschen unentbehrlichen, ihm zugleich von Gott geschenkten Institution zur Durchsetzung jener Normen, die seine Existenz allein sichern – dieser Sicht entspricht die im Prooemium sich unmittelbar anschließende Beschreibung der herrscherlichen Aufgaben. Der Fürst hat demnach in der Tat gegen das Böse, gegen Verbrechen und Gewalt vorzugehen, also gegen jene Handlungen, durch die sich der sündige Mensch vom gottgewollten homo rectus unterscheidet. Als Richter, der jedem das Seine zuteilt, verwirklicht er Gottes Gerechtigkeit und vollzieht dessen Willen. Gilt diese Aussage für den Herrscher allgemein, weist sie zunächst auf die grundsätzliche Bedeutung der Herrschaft schlechthin, so betont Friedrich doch sofort die aus ihr resultierenden besonderen Pflichten für den vollkommenen, den christlichen Regenten: Ihm obliegt es vor allem, die Kirche vor ihren Feinden zu schützen und ihr die gebührende Stellung in der ihm anvertrauten Gemeinschaft zu wahren. Gerade der christliche Fürst tritt darüber hinaus freilich ganz generell für Frieden und Gerechtigkeit in seinem Volk ein. Bei der Erfüllung seiner Amtspflichten bedient er sich der potentia gladii materialis, der Gewalt des weltlichen Schwertes. Sie wurde ihm mit seinem Amt unmittelbar von Gott verliehen; für ihren Einsatz hat er sich dementsprechend ausschließlich und direkt vor Gott zu verantworten. Diesen Sachverhalt unterstreicht der Kaiser vielfältig, mit dem Bild von den anvertrauten Talenten etwa, die er Gott verdop[18]pelt zurückerstatten möchte, oder durch den Vergleich des gerechten Regierens mit einem Gott dargebrachten Opfer.4 Friedrichs Herrschaftskonzeption steht zu der Lehre, die Gregor VII. vertrat und die die Theologie und Kanonistik im 12. und 13. Jahrhundert immer perfekter begründete und ausgestaltete, in fast unversöhnlichem Gegensatz durch ihren selbstverständlichen Anspruch auf ein herrscherliches Gewaltmonopol, das Gott den weltlichen Machthabern anvertraute, damit sie imstande seien, ihren Untertanen Recht und Frieden, Schutz vor äußerer Bedrohung wie vor innerer Wirrnis und Gefahr zu gewähren. Prägende individuelle Erfahrungen Friedrichs verschärften

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Volentes duplicata talenta nobis credita reddere Deo vivo in reverentiam Iesu Christi, a quo cuncta suscepimus, que habemus, colendo iustitiam et iura condendo mactare disponimus vitulum labiorum, Prooemium, Konstitutionen Friedrichs II. (wie Anm. 2), S. 147, Z. 13-16, vgl. S. 147, Z. 2-11.

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diesen Gegensatz im übrigen eher noch weiter. Als gewiss galt ihm nämlich nicht nur, dass die herrscherliche Gewalt im allgemeinen unmittelbar und allein von Gott stamme und ihre Legitimation empfange. Der Staufer war überdies zutiefst davon überzeugt, dass er selbst seine Herrscherstellung in besonders eindrücklicher Weise dem ihm persönlich geltenden direkten göttlichen Eingreifen verdanke, Gottes geradezu wunderbarem Wirken, das alles entgegenstehende menschliche Planen und Wollen wieder und wieder vereitelt hatte. Seit seiner Errettung aus der von Otto IV. drohenden Gefahr und seit seinem Durchbruch in Deutschland erfüllte ihn dieser Glaube, und er hielt ein Leben lang an ihm fest. Wenn ihm die Königreiche Sizilien und Jerusalem als sein Erbe zufielen, so verwirklichte sich damit in seinen Augen ebenso wie mit seiner Wahl zum deutschen König oder mit seiner Krönung zum Kaiser im Grunde Gottes Wille, der sich der Menschen und ihrer Ordnungen lediglich als seiner Werkzeuge bediente.5 Friedrich formulierte seine Herrschaftstheorie nicht zufällig auf dem Boden seines sizilischen Königreiches. Er setzte sie dort auch so weitgehend wie nirgends sonst in die Praxis um, und zwar in zwei durch seinen Kreuzzug von 1228/29 unterbrochenen Aktionsschüben anfangs der zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre. Jedes Mal bediente er sich dabei der damals noch neuartigen Form der Gesetzgebung, um seinem Vorgehen gewissermaßen einen konkreten programmatischen Rahmen zu geben. Zwar wurden die noch äußerst knappen und bruchstückhaften Assisen von Capua aus dem Jahre 1220 durch die epochemachende legislatorische Leistung des Gesetzescorpus von 1231 in jeder Hinsicht weit in den Schatten gestellt. Die praktischen Konsequenzen, die sich aus den Herrschaftsgrundsätzen des Staufers ergaben, sind im Kern jedoch hier wie dort gleich entschieden und klar gezogen worden. Friedrichs Gesetzgebung war zu einem wesentlichen Teil Landfriedensgesetzgebung. Sie verbot die Fehde [19] und ahndete sie streng. Wer Unrecht erlitt oder um sein Recht fürchtete, hatte sich an die staatlichen Gerichte zu wenden. „Wir befehlen“, so verkündete der Herrscher etwa in Melfi, „dass der Friede, der ebenso wenig ohne die Gerechtigkeit bestehen kann wie diese

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Nos itaque, quos ad imperii Romani fastigia et aliorum regnorum insignia sola divine potentie dextera preter spem hominum sublimavit, Prooemium, Konstitutionen Friedrichs II. (wie Anm. 2) S. 147, Z. 12f., vgl. Anm. 4; siehe dazu Stürner, Wolfgang: Friedrich II. Teil 1: Die Königsherrschaft in Sizilien und Deutschland 1194-1220, Darmstadt 1992, S. 171-174, 177-179, 186f., 251.

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ohne ihn, in jeder Region unseres Königreiches streng gewahrt werde. Niemand darf sich deshalb aus eigener Machtvollkommenheit für geschehene oder künftig zu befürchtende Unrechts- und Gewalttaten rächen, Druckmittel anwenden, Vergeltung üben oder Fehden im Königreich beginnen. Er muss vielmehr vor dem Großhofjustitiar, den Justitiaren der Provinzen, den Kämmerern oder den Baiuli und Herren der Städte, je nach deren Zuständigkeit für den jeweiligen Fall, seine Rechtssache der Gerichtsordnung gemäß verfolgen“.6 Jeder, der sich trotzdem gewaltsam selbst zu seinem Recht verhelfen wollte und mit diesem Ziel zum Mittel der Fehde griff, der wurde, er sei Graf oder einfacher Untertan, mit dem Tode bestraft, sein Hab und Gut beschlagnahmt.7 Ausdrücklich um schon vorbeugend jede private Gewaltanwendung zu verhindern und so den öffentlichen Frieden zu sichern, untersagte der Staufer allen Bewohnern seines Königreiches das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit. Dieses Gebot sollte unter gewöhnlichen Umständen selbst für die königlichen Burgbesatzungen außerhalb der Kastelle gelten. Nur Hofbeamte und Ritter sowie Bürger auf Geschäftsreisen nahm der Gesetzgeber von seiner strengen Regelung aus.8 In engem Zusammenhang mit allen diesen Vorkehrungen zum Schutze des Friedens und zur Durchsetzung des herrscherlichen Gewaltmonopols stand schließlich auch des Kaisers Verbot, ohne seine Genehmigung Burgen und Befestigungen zu errichten, und der Befehl an seine Beamten, ohne seine Erlaubnis errichtete Wehrbauten zu zerstören.9 Friedrich beließ es nicht bei seinen normativen Bestimmungen. Er setzte seine Absichten energisch und zäh in Realität um und reagierte auf die mannigfachen dabei auftretenden Schwierigkeiten beweglich und mit Phantasie, ohne von seinen Grundlinien entscheidend abzuweichen. Von

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Konst. I 8, Konstitutionen Friedrichs II. (wie Anm. 2), S. 158, Z. 25-159, Z. 3; vgl.: Precipimus etiam, ut nullus sua auctoritate de iniuriis et excessibus dudum factis vel faciendis se debeat vindicare aut presalias seu represalias facere aut guerram movere; set coram magistris iustitiariis vel iustitiariis suam iustitiam experiatur, Assisen von Capua 3, Richard von San Germano: Chronica, ed. Carlo Alberto Garufi, Rerum Italicarum Scriptores 7, 2, Bologna 1936-1938, S. 89. Konst. I 9, Konstitutionen Friedrichs II. (wie Anm. 2), S. 160. Konst. I 10, Konstitutionen Friedrichs II. (wie Anm. 2), S. 160f., ähnlich schon Assisen von Capua 4, Richard von San Germano (wie Anm. 6), S. 89, vgl. Konst. I 11, S. 162 (über ins Königreich Einreisende); zu den Burgenbesatzungen: Konst. I 15, S. 165. Konst. III 32 und 33, Konstitutionen Friedrichs II. (wie Anm. 2), S. 400f., vgl. bereits Assisen von Capua 19, Richard von San Germano (wie Anm. 6), S. 92.

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Anfang an tat er alles, um als der von Gott mit der Rechts- und Friedenswahrung Betraute das Rechtswesen auch tatsächlich und ausschließlich zu lenken und zu prägen. Wo die hohe Gerichtsbarkeit durch Privilegien oder auch Usurpation an Adlige oder Geistliche gelangt war, scheute er kein Mittel, um sie in seine Hand zurückzubekommen, und war aufs Ganze dabei wohl erfolgreich. Schon im Dezember 1220 etwa [20] musste der Abt Stefan von Montecassino zu seinem Schmerz neben manchem anderen eben auf die hohe Butgerichtsbarkeit verzichten. Natürlich verloren auch die Städte jede Kompetenz, Funktionäre mit richterlichen Befugnissen selbst zu ernennen. Wie gesetzlich vorgeschrieben, ließ der Kaiser im übrigen unerlaubt gebaute Adelsburgen niederreißen, während er selbst seine Kastelle instand setzte oder neue aufführte, wo immer ihm dies notwendig schien.10 Ein Herrscher, der so streng wie Friedrich dem Grundsatz anhing, dass Gewaltausübung allein durch ihn ihre Legitimation erfahre, der musste für eine ebenso effiziente wie kompetente und im übrigen ganz auf ihn ausgerichtete Verwaltung sorgen, um seinem Willen überall Geltung zu verschaffen. Einen solchen flächendeckenden und hierarchisch strukturierten Behördenapparat, der von den Baiuli der Städte über die Kämmerer und Justitiare der Provinzen und die Zentralbehörden des Großhofes letztlich auf den Herrscher hingeordnet war und dessen Weisungen im ganzen Land verwirklichte – einen solchen Apparat hatte Friedrich, die Leistungen seiner Vorgänger weiterführend, im Königreich Sizilien denn auch geschaffen, und zeitlebens arbeitete er an seiner Verbesserung. Sein besonderes Augenmerk galt dabei stets und noch bis zu seinem Tod dem Gerichtswesen, der zügigen, gewissenhaften Abwicklung der Prozesse, der klaren Regelung des Instanzenzuges und insbesondere der Unbestechlichkeit und Sachkunde der Richter, für deren wissenschaftliche Ausbildung und zeitgemäße Schulung am römischen Recht er eigens die Universität zu Neapel gründete. Nur am Rande sei in diesem Zusammenhang vermerkt, dass die neuartige herrscherliche Vorliebe für das Recht und für die Rechtswissenschaft auch eine wichtige soziale Konsequenz hatte: Studien aus jüngster Zeit zeigen sehr eindrucksvoll, dass sich die Auf-

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Siehe dazu Richard von San Germano (wie Anm. 6), S. 88, Z. 8-17, S. 109, Z. 9-18 bzw. 19-26, S. 113, Z. 7f. bzw. 11-13, S. 116f., zur städtischen Selbstverwaltung Konst. I 50, Konstitutionen Friedrichs II. (wie Anm. 2), S. 209, und bereits Assisen von Capua 14, Richard von San Germano S. 91; vgl. Stürner, Wolfgang: Friedrich II. Teil 2: Der Kaiser 1220-1250, Darmstadt 2000, S. 9f., 26f., 46, 201-208, 234-243.

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stiegschancen des Bürgertums oder doch wenigstens der akademisch gebildeten bürgerlichen Oberschicht im friderizianischen Staatswesen merklich vergrößerten.11 In Friedrichs Augen hing das Wohl der Untertanen ganz vom Herrscher ab. Wie Flüsse aus einer reichen Quelle so sollten sich von seinem Hof die Ströme der Gerechtigkeit überall ins Land hinaus ergießen; in stetem Mühen hatte der Herrscher nach seiner Erfahrung und Überzeugung die immer neuen Verbrechen, Laster und Missbräuche der sündigen Menschen aufzuspüren und neue Gegenmittel zu ersinnen, um das Böse auszurotten und die Tugend zu verteidigen.12 [21] Allein von seinem schützenden Eingreifen konnten die wohlgesinnten Menschen angesichts der Bedrohung durch das Unrecht Abhilfe und Rettung erwarten, sofern man von Gott selbst einmal absah.13 Wem derart existenzielle Bedeutung für die Gemeinschaft zufiel, der durfte, ja musste besondere Vorkehrungen treffen und Vorrechte beanspruchen, damit er seine Aufgabe erfüllen, seinen Pflichten gerecht werden konnte. Der Herrscher vermochte nach Friedrichs eigenen Worten nur dann den Menschen ihr Recht zu verschaffen, wenn er seine eigenen Rechte innehatte und nutzte.14 Deshalb zog er ohne Bedenken und unnachgiebig entfremdete Domänengüter wieder für die Krone ein; deshalb rief er die Menschen, die nach 1189 aus dem Kronland abgewandert waren, unerbittlich dorthin zurück, wo sie, die sogenannten revocati, als Neusiedler bislang brach liegenden Grund zu bearbeiten hatten oder die erste Einwohnerschaft neu gegründeter Städte bildeten.15 Mit Worten seines Großvaters Roger schärfte der kaiserliche Enkel seinen Untertanen

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Zur sizilischen Verwaltung und zur Universität Neapel siehe Stürner, Friedrich. Teil 2 (wie Anm. 10), S. 34-57, 201, 243-250; Kölzer, Theo: Magna imperialis curia. Die Zentralverwaltung im Königreich Sizilien unter Friedrich II. In: Historisches Jahrbuch 114 (1994), S. 287-311; Kamp, Norbert: Die sizilischen Verwaltungsreformen Kaiser Friedrichs II. als Problem der Sozialgeschichte. In: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 62 (1982), S. 119-142, zu den neuen Chancen der bürgerlichen Elite bes. S. 129-131. Konst. I 38.1, Konstitutionen Friedrichs II. (wie Anm. 2), S. 191f. Qui (sc. fideles nostri) sola protectionis nostre post Deum defensione letantur, Konst. I 17, Konstitutionen Friedrichs II. (wie Anm. 2), S. 168. Dignum fore credimus et consentaneum rationi, ut nos, qui iustitie solio presidemus et constanter atque perpetue iura sua quibuslibet conservamus, rationum nostrarum non simus immemores, sed eas ab aliis... detentas ad nostrum dominium et demanium revocemus, Konst. III 4.1, Konstitutionen Friedrichs II. (wie Anm. 2), S. 367. Vgl. Stürner, Friedrich. Teil 2 (wie Anm. 10), S. 17-26, 203, 224-227.

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die Unantastbarkeit seiner Stellung, die Unanfechtbarkeit seiner Entschlüsse und Maßnahmen ein, und ganz selbstverständlich erwähnten seine Konstitutionen das Delikt des Majestätsverbrechens und dessen Rechtsfolgen, die Todesstrafe und die Güterkonfiskation, ohne sich allerdings sonderlich präzise darüber zu äußern. Ganz offenbar sollten die einschlägigen Vorschriften des römischen Rechts weiter gelten.16 Es verwundert kaum, dass Friedrichs Herrschaftstheorie und vor allem die Entschiedenheit, mit der er sie in die Praxis umsetzte, selbst im Königreich Sizilien keineswegs überall auf Begeisterung stieß. Wir hören bereits anfangs der zwanziger Jahre von einer ganzen Reihe von Prozessen wegen seiner Revokationsmaßnahmen, die, soweit wir das erkennen können, durchaus korrekt geführt und allem nach vielfach gegen die Krone entschieden wurden. Wer aber zum Mittel der Gewalt griff, der hatte unbedingt mit der herrscherlichen Gegengewalt zu rechnen. Das musste früh Graf Thomas von Molise und Celano erfahren. Dem mächtigen Adligen war wohl Friedrichs Politik der Zentralisierung ganz generell verhasst; vielleicht entzündete sich sein Ärger darüber hinaus speziell am Verlust der altgewohnten Hochgerichtsbarkeit. Jedenfalls entschloss er sich zum Kampf gegen seinen Herrn, und dieser zögerte nicht, den Aufrührer wider seine sakrosankte Majestät seinerseits mit militärischen Mitteln niederzu[22]werfen. Die gleiche Behandlung erfuhren die Sarazenen auf der Insel Sizilien, weil sie sich seit langem weigerten, ihren Verpflichtungen gegenüber ihren adligen und kirchlichen Grundherren nachzukommen, und zudem die Bevölkerung von ihren schwer befestigten Bergeshöhen aus durch Überfälle und Gewalttaten verunsicherten. Über Jahre hinweg belagerte sie der Staufer in ihren Machtzentren, bis er sie bezwungen hatte und nach Lucera deportierte. Ähnlich kompromisslos reagierte Friedrich auch sonst gegen Widerstände unter der sizilischen Bevölkerung. Das gilt beispielsweise für jene Städte, die sich unter Führung von Foggia und Troia 1229 eben in dem Augenblick gegen ihn erhoben, als er daran ging, die päpstlichen Truppen aus dem Regnum zu vertreiben, oder für Messina und seine Gesinnungsgenossen, die 1232 revoltierten, wohl aus Empörung über die Rigorosität, mit der der örtliche Justitiar die neuen kaiserlichen Gesetze praktizierte. Auch die Absetzung

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Disputare de regis iudicio, consiliis, institutionibus, factis non oportet. Est enim par sacrilegio, Konst. I 4, Konstitutionen Friedrichs II. (wie Anm. 2), S. 153f.; zum crimen lese maiestatis siehe Stürner, Friedrich. Teil 2 (wie Anm. 10), S. 199 mit Anm. 72.

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und Gefangennahme seines Sohnes, des deutschen Königs Heinrichs VII., war spätestens nach Heinrichs Bündnis mit den aufständischen Reichsfeinden in der Lombardei in Friedrichs Augen unvermeidlich, wenngleich er nach dem Tod des Königs als dessen besondere Schuld die Rebellion des Sohnes gegen den eigenen Vater bezeichnete und den damit vollzogenen Bruch eines fundamentalen göttlichen und natürlichen Gebotes herausstellte.17 Es versteht sich fast von selbst, und der kurze Blick auf Heinrich zeigte es bereits in aller Deutlichkeit, dass der Staufer die hier skizzierten Grundsätze auch außerhalb des sizilischen Königreiches zu verwirklichen suchte, wo und wann immer sich die Möglichkeit dazu bot. Während seines ersten Deutschland-Aufenthalts setzte ihm seine Abhängigkeit von den Reichsfürsten dabei gewiss ziemlich enge Grenzen. Dennoch zog er damals unermüdlich entfremdete königliche Güter und Rechte wieder an sich, und immerhin registrierten Zeitgenossen überdies erfreut seine erfolgreichen Bemühungen um die Verbrechensbekämpfung und die Friedenssicherung im Königreich.18 Sehr eindrucksvoll demonstrierte er dann mit dem Mainzer Landfrieden von 1235 seine herrscherliche Zuständigkeit für die Rechtssetzung, seine Sorge um eine wirksame staatliche Rechtsprechung, um die Qualifikation der im Richteramt Tätigen. Er verbot jedermann in Deutschland, sich gewaltsam sein Recht zu verschaffen, und verpflichtete seine Untertanen stattdessen, ihre Klagen vor die zuständigen Richter [23] zu bringen. An die Spitze der Gerichtsbarkeit aber stellte er einen Hofjustitiar als seinen ständigen Vertreter in der Leitung des Hofgerichts.19

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Stürner, Friedrich. Teil 2 (wie Anm. 10), S. 26 mit Anm. 60 (Revokationsprozesse), S. 61-64 (Thomas von Molise), S. 66-74 (Sarazenen), S. 178-180 (Foggia, Troia), S. 263-266 (Messina), S. 296-309 (Heinrich VII.). Rex igitur Fridericus regnum Alemannie sagaciter circuiens, quodquod potuit invenire raptores, nocturnos incendiarios, fures et alios regni molestatores, magno studio perquirebat. Inventosque sine aliqua redemptione decapitabat... Quare mercatores, quia regnum et vias et regionum stratas ita pacificaverat, quod securi quocumque volebant pergebant, eum magno affectu diligebant. Et ita fama sui boni initii ubique diffundebatur, Richer, Gesta Senoniensis ecclesiae IV 2, ed. G. Waitz, MGH SS 25, Hannover 1880, S. 301; zu Friedrichs erstem Deutschland-Aufenthalt siehe Stürner, Friedrich. Teil 1 (wie Anm. 5), S. 185-188, 195-227, 235-239. Statuimus igitur, ut nullus, in quacumque re dampnum ei vel gravamen fuerit illatum, se ipsum vindicet, nisi prius querelam suam coram suo iudice propositam secundum ius usque ad diffinitivam sentenciam prosequatur, Mainzer Landfriede, c. 5, ed. L. Weiland, MGH Constitutiones 2, Hannover 1896, S. 243, vgl. c. 4, S. 242f. (zum

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Dem sizilischen Vorbild weit näher kam freilich die Verwaltungsreform, die der Kaiser seit 1238 in Reichsitalien durchführte. Auch hier sollte künftig eine kompetente, hierarchisch auf ihn ausgerichtete Administration für Frieden und Recht sorgen. Gerade die von ständigen inneren Kämpfen geprägte Situation der Lombardei schien dem Herrscher im übrigen die Richtigkeit seines Welt- und Menschenbildes aufs Trefflichste zur Anschauung zu bringen. Die in seinen Augen chaotischen Verhältnisse des Landes galten ihm als schlagender Beweise dafür, dass die Menschen, auf sich gestellt und ohne Herrscher, sofort bereit seien, Recht und Frieden zu opfern, um sich den Ausschweifungen einer zügellosen, zerstörerischen Freiheit hinzugeben.20 Im März 1239 exkommunizierte Papst Gregor IX. den Kaiser zum zweiten Mal. Neben und noch vor allen offen genannten Vorwürfen dürfte ein wesentlicher Grund für Gregors Schritt seine Erkenntnis gewesen sein, dass sich der kaiserliche Anspruch auf die umfassende und nur vor Gott zu verantwortende Zuständigkeit für die Wahrung von Frieden und Recht in der staatlichen Gemeinschaft mit seinen eigenen, an Gregor VII. oder Innozenz III. anknüpfenden Vorstellungen von der rechten Ordnung der Christenheit auf Dauer nicht vereinbaren ließ. Bereits im Herbst 1238 hatte er enge Beziehungen zu Venedig und Genua geknüpft, nun schloss er im Juni 1239 mit diesen Städten, dazu mit Mailand und Piacenza, den Anführern der gegen Friedrichs Herrschaft in Oberitalien kämpfenden Lombardenliga, ein Bündnis zur Eroberung des sizilischen Königreiches. Damit war Friedrichs feste Basis, war seine Machtstellung im Kern bedroht. Seiner Überzeugung gemäß bedeutete dies jedoch zugleich auch die Gefährdung des Wohles seiner sizilischen Untertanen, ja die Gefährdung der von Gott bestimmten Gesellschaftsordnung schlechthin. Dementsprechend sah er sich zu allem berechtigt und sogar verpflichtet, was

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officium iudicis), cc. 28f., S. 246f. (zum Hofjustitiar); zum Mainzer Landfrieden siehe Stürner, Friedrich. Teil 2 (wie Anm. 10), S. 314-316, zu Friedrichs zweitem Deutschland-Aufenthalt ebd. S. 296-334. Iuri prefertur iniuria et voluntas iustitie dominatur, dum quidam Italie populi sceptrum contemnere conantur imperii, ac etiam proprie commoditatis immemores, libertatis cuiusdam vage luxuriam quieti pacis imponunt et equitati iustitieque pretulerunt, Brief Friedrichs an Ludwig IX. von Frankreich (wohl Mai 1236), ed. Jean-Louis-Alphonse Huillard-Bréholles, Historia diplomatica Friderici secundi 4, Paris 1855, S. 873; zur Verwaltungsreform in Reichsitalien siehe Stürner, Friedrich. Teil 2 (wie Anm. 10), S. 488-493.

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seine Position zu sichern, das heißt: das Regnum Sicilie gegen den drohenden Angriff zu wappnen versprach.21 [24] Natürlich forderte der Kaiser von den Einwohnern Siziliens nach wie vor alljährlich regelmäßig die Zahlung der Kollekte. Nun belastete er die sizilischen Kirchen und Klöster überdies mit einer Sonderabgabe und unterwarf den Verkehr der sizilischen Geistlichkeit mit der päpstlichen Kurie strengsten Restriktionen. Aus Furcht vor propäpstlichen Aktionen der Bettelorden wies er alle aus der Lombardei stammenden Mendikanten aus dem Regnum und wollte einige Monate später überhaupt nur noch höchstens zwei Brüder in jedem Konvent dulden. An den Grenzen des Königreiches durchsuchten Posten alle Reisenden nach antikaiserlichen Propagandaschriften; wer mit belastendem Material angetroffen wurde, verfiel der Todesstrafe. Desgleichen durften die Besatzungen der in sizilischen Häfen anlegenden Schiffe erst an Land gehen oder ihre Ladung löschen, wenn nach strenger Überprüfung feststand, dass sich weder Rebellen noch gegen Kaiser und Reich aufhetzende Traktate an Bord befanden. Adlige, deren loyales Verhalten Zweifeln unterlag, sahen sich zum Heeresdienst in der Lombardei gezwungen, und die Novellengesetzgebung jener Tage erleichterte das Vorgehen gegen der Majestätsverletzung verdächtige Personen. Zwar waren die entsprechenden Inquisitionen mit aller Sorgfalt durchzuführen; der Kaiser behielt sich fortan jedoch die Entscheidung darüber vor, ob die Inquisitionsprotokolle dem Beschuldigten ausgehändigt werden sollten oder nicht. Wurden sie ihm aber verweigert, verminderten sich natürlich seine Verteidigungsmöglichkeiten ganz erheblich. Andererseits ließ sich wohl nur so erreichen, dass abhängige Leute vor Aussagen gegen Mächtige nicht zurückschreckten. Schließlich sollten regelmäßige Inquisitionen der Beamten diejenigen ausfindig machen, die während des Kreuzzuges von ihrem kaiserlichen Herrn abgefallen waren. Wer aus diesem Kreis jetzt durch unbedachtes Handeln auffiel, sich gar durch neue antikaiserliche Aktivitäten hervortat, der musste mit Gefängnis, Verbannung, sogar der Todesstrafe rechnen und dazu mit der Konfiskation seiner Güter. Wir wissen freilich nicht, wie oft es zum Äußersten kam. Wir wissen überhaupt verhältnismäßig wenig darüber, wie sich Friedrichs Verteidigungsmaßnahmen konkret auf die Lebensumstände der

21

Siehe zu Gregors Vorgehen Stürner, Friedrich. Teil 2 (wie Anm. 10), S. 463-470, 480f., zu den im Folgenden geschilderten Maßnahmen Friedrichs ebd. S. 200f., 241243, 254-258, 481f., 493-495, 544.

Das Wesen der herrscherlichen Gewalt

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Menschen im Königreich Sizilien auswirkten. Einzelne Zeugnisse wie das des Heinrich von Isernia lassen immerhin erahnen, dass die Neigung der sizilischen Beamten zu Amtsmissbrauch und Bestechlichkeit, die Friedrich zeitlebens mit aller Schärfe bekämpfte, sich nun wohl gerade bei Anzeigen wegen Majestätsverbrechen, wo es für die Betroffenen um Leben und Tod ging, besonders häufig bemerkbar machte, um ein unseliges Bündnis mit dem Denunziantentum zu schließen.22 Zweifellos wirkte sich auf die Realisierung von Friedrichs Staatskonzeption ganz allgemein der Umstand außerordentlich hemmend aus, dass das sizilische [25] Königreich allenfalls wenige Jahre Zeit hatte, sich ungestört zu entwickeln. Sobald seit dem Ende der dreißiger Jahre der Krieg des Kaisers gegen den Papst und dessen oberitalienische Verbündete die Lage im Regnum prägte, dienten des Herrschers Entscheidungen und Vorkehrungen in erster Linie der Wahrung und Festigung der eigenen Position, während die Interessen seiner Untertanen vor diesem Ziel deutlich zurücktraten. Nach Friedrichs Überzeugung lag darin keine Inkonsequenz, bedeutete dies kein Abrücken von seinen ursprünglichen und eigentlichen Absichten, galt ihm doch die Stärke des Herrschers seit je als Voraussetzung und Garantie für die Wohlfahrt des Volkes. Die Bewohner seines sizilischen Reiches wie ganz ähnlich im übrigen diejenigen der Lombardei oder der Toskana mussten die Dinge freilich vielfach völlig anders sehen, wiewohl er sich seiner Verantwortung dafür, dass sie ihr Recht erhielten und in Frieden lebten, auch jetzt immer bewusst blieb. Des ungeachtet, drohte die kriegerische Wirklichkeit der ausgehenden vierziger Jahre mit ihren Zwängen des Staufers bewundernswerte Herrschaftstheorien überall in seinem großen Machtbereich zu deformieren und zum praktischen Scheitern zu verurteilen. Man kann sich natürlich mit einigem Recht fragen, ob sie sich damals unter günstigeren Umständen tatsächlich einigermaßen vollkommen hätten verwirklichen lassen, ja ob dies überhaupt je ernsthaft zu erwarten war, solange der Herrscher bei der Realisierung seiner Pläne auf die Mitarbeit von Menschen mit Schwächen und Fehlern, mit Interessen der Person oder des Standes angewiesen blieb, und solange er selbst wie Fried-

22

Rechtfertigungsschrift Heinrichs von Isernia (12.9. – 29.10.1268), ed. K. Hampe, Beiträge zur Geschichte der letzten Staufer. Ungedruckte Briefe aus der Sammlung des Magisters Heinrich von Isernia, Leipzig 1910, S. 69–97, Nr. 2 (über die Verhältnisse im sizilischen Königreich in den vierziger Jahren S. 72f.); vgl. dazu Stürner, Friedrich. Teil 2 (wie Anm. 10), S. 257f.

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rich jede irdische Kontrolle seines Tuns ablehnte. Zutiefst beeindruckend bleibt Friedrichs Entwurf trotz solcher Zweifel aber wohl doch der Schärfe, Geradlinigkeit und Folgerichtigkeit wegen, mit der sein Schöpfer das staatliche Gewaltmonopol theoretisch begründete und in der Praxis vertrat. Und gerade durch die fast utopisch hohen moralischen und fachlichen Qualitäten, welche die friderizianische Konzeption den Trägern dieses Gewaltmonopols abverlangte, wird sie über die Jahrhunderte hinweg zugleich zum Vorbild und zur Herausforderung.

Deutschland und Italien in der Herrschaftskonzeption Kaiser Friedrichs II.1 Die Frage, ob das Engagement der mittelalterlichen deutschen Kaiser in Italien der Entwicklung und den Interessen Deutschlands genützt oder nicht doch eher geschadet habe, beschäftigte seit der Debatte, die Heinrich von Sybel und Julius Ficker in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts darüber führten,2 die gelehrte Welt ebenso intensiv wie die historisch interessierte Öffentlichkeit. Dabei hielt man das Bemühen der deutschen Herrscher um den Erhalt und den Ausbau ihrer Stellung in Italien zum Teil für die Erfüllung einer nationalen wie europäischen Aufgabe, noch öfter freilich für einen Irrweg, mit dem sie ihre Möglichkeiten überstrapazierten, mit dem sie in Italien ganz folgerichtig scheiterten, in Deutschland aber die königliche Zentralgewalt entscheidend schwächten und dem Zerfall des Landes in machtlose Kleinstaaten Vorschub leisteten. Besonders verhängnisvoll erschien vielen das Ausgreifen der Staufer, Heinrichs VI. und Friedrichs II., über die Grenzen des Imperiums hinaus nach Süden, also die Einbeziehung des Königreiches Sizilien in den kaiserlichen Herrschaftsbereich. Im Rückblick erkennen wir heute sehr klar, wie stark die zu jener Streitfrage seinerzeit formulierten Antworten in der Regel von aktuellen politischen Entwicklungen und von den entsprechenden persön[11]lichen Positionen der Diskutanten beeinflußt waren. Geprägt von ihrer politischen Tagesmeinung bewerteten die Beteiligten allzu oft den Gang der Geschichte, um die derart einseitig interpretierte geschichtliche Entwicklung dann umgekehrt als Beleg dafür zu benützen, dass den eigenen Ansichten zum aktuellen politischen Geschehen generelle Geltung zukomme.

Erstdruck: Deutschland und Italien zur Stauferzeit, Göppingen 2002 (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 22), S. 10-40. 1

2

Ausführliche Literaturhinweise und Quellenbelege zum Folgenden siehe bei Stürner, Wolfgang: Friedrich II. Teil 1: Die Königsherrschaft in Sizilien und Deutschland 1194-1220, Darmstadt 1992; ders.: Friedrich II. Teil 2: Der Kaiser 1220-1250, Darmstadt 2000. Edition der Texte: Schneider, Friedrich: Universalstaat oder Nationalstaat. Macht und Ende des Ersten Deutschen Reiches, Innsbruck 1941.

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Immer deutlicher wird jedoch auch, dass bereits die hier angesprochene Fragestellung selbst neuzeitliche Probleme, Kategorien und Kriterien einigermaßen anachronistisch auf das Mittelalter überträgt, dass sie deren Relevanz allzu selbstverständlich auch für jene ferne Zeit voraussetzt, während es die Aufgabe des Historikers doch zunächst einmal sein müßte, möglichst unvoreingenommen nach den spezifischen Grundvorstellungen und Zielen, nach den Abhängigkeiten und Handlungsspielräumen der damals lebenden Menschen zu fragen und ihr Wirken allenfalls daran zu messen.3 Eben dies wollen wir deshalb nun für Friedrich II. versuchen. Der Staufer behielt seine Auffassung vom Wesen der Herrschaft und von den daraus abzuleitenden Pflichten und Rechten des Herrschers keineswegs für sich, er teilte sie vielmehr seinen Untertanen wie der Öffentlichkeit überhaupt wieder und wieder mit, um seine Maßnahmen damit zu begründen. Seine Hörer und Leser für seine Anschauungen zu gewinnen, daran lag ihm vor schwerwiegenden Entscheidungen natürlich besonders, und bei solchen Gelegenheiten warb seine Kanzlei denn auch mit der ganzen Sprachgewalt und allem rhetorischen Glanz, der ihr zu Gebote stand, für die kaiserliche Herrschaftskonzeption. Vielleicht am eindrücklichsten gelang dies in dem berühmten Vorwort zu den Konstitutionen von Melfi, zu jenem Gesetzbuch, das Friedrich im September 1231 für das Königreich Sizilien promulgierte und das dort, wenigstens formal, bis in die Tage Napoleons in Kraft bleiben sollte. Der Text präsentiert knapp und prägnant, mit außerordentlicher Kenntnis und sicherem Gespür alle bis dahin in der gelehrten mittelalterlichen Diskussion vorgebrachten Argumente, um die Existenz der herrscherlichen Gewalt ebenso als das notwendige Ergebnis von Sündenfall und Erbsünde wie als Resultat des fürsorglichen göttlichen [12] Handelns zu erweisen, und er fügt diese Gesichtspunkte zu einem Ganzen von eindrucksvoller und geradezu zwingender Geschlossenheit. Am Beginn steht ein auf das wesentliche konzentrierter Schöpfungsbericht, der die hervorragende Herrscherstellung der Menschen in der vollkommenen Ordnung des Paradieses aufzeigt, aber auch verdeutlicht, dass die Unterwerfung der Menschen unter das Gebot des göttlichen Gesetzes von Anfang an die Voraussetzung für ihre spezifische Existenz bildete. Der Sün-

3

Siehe dazu Kölzer, Theo: Die Staufer im Süden – eine Bilanz aus deutscher Sicht. In: ders. (Hg.): Die Staufer im Süden. Sizilien und das Reich (1996), S. 239-262, sowie in: Das Staunen der Welt, Göppingen 1996 (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 15), S. 72-97.

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denfall, ihr Gesetzesbruch, zerstörte diese Grundbedingung und zwar, da sich das elterliche Laster auf die Kinder vererbte, für alle Menschen schlechthin: Sie begannen sich zu hassen, gerieten in endlosen Streit; ihr Heraustreten aus Gottes Ordnung musste ihre Vernichtung im chaotischen Kampf aller gegen alle zur unausweichlichen Folge haben. Der den Menschen in dieser Situation allein bleibende, sie allein vor dem Untergang bewahrende, der für sie deshalb notwendige Ausweg bestand nach Friedrichs Worten darin, dass sie sich, wenngleich gegen ihr eigentliches Wollen, der Herrschaft von Fürsten unterstellten. Sie beschritten damit zugleich jenen Weg zurück in die bewahrende göttliche Ordnung, den ihr gnädig sorgender Schöpfer zu ihrer Rettung für sie vorgesehen hatte. Dieser Sicht der Herrschaft als einer dem sündigen Menschen unentbehrlichen, ihm von Gott gegebenen Institution zur Durchsetzung jener göttlichen Normen, die seine Existenz gewährleisten – dieser Sicht entspricht die Beschreibung der herrscherlichen Aufgaben, die sich im kaiserlichen Vorwort unmittelbar anschließt. Der Fürst hat danach gegen das Böse, gegen die Verbrechen vorzugehen. Als Richter, der jedem das Seine zuteilt, verwirklicht er Gottes Gerechtigkeit, vollzieht er dessen Willen. Der vollkommene, christliche Regent schützt überdies die Kirche vor ihren inneren und äußeren Feinden. Seinen Untertanen aber ermöglicht er nach Kräften ein Dasein in Gerechtigkeit und Frieden; dazu ist er von Gott gesetzt, dafür ist er unmittelbar und ausschließlich Gott verantwortlich. Friedrich sah sein Gesetzbuch als Erfüllung dieser Verpflichtung und bezeichnete es dementsprechend ausdrücklich als ein Opfer, das er Gott aus Ehrfurcht vor Christus darbrachte, als die biblischer Aufforderung folgende verdoppelte Rückgabe der anvertrauten Talente. An[13]gesichts der entscheidenden Bedeutung, die er dem Herrscher in Gottes Weltordnung zumaß, angesichts der eigenständigen Aufgabe und der direkten Legitimierung durch Gott, die er für ihn beanspruchte, musste ihm konsequenterweise freilich die unbedingte Unterordnung unter den Willen und das Gesetz des Herrschers als erste Untertanenpflicht gelten.4

4

Text des Vorworts: Stürner, Wolfgang (Hg.): Die Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien, MGH Const. 2, Supplementum, Hannover 1996, S. 145-148; zur Interpretation: Stürner, Wolfgang: Rerum necessitas und divina provisio. Zur Interpretation des Prooemiums der Konstitutionen von Melfi (1231). In: DA 39 (1983), S. 467-554 [in diesem Band S. 59-131].

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Der geographische Raum, in dem der Staufer das höchste Herrscheramt innehatte, in dem er also an die praktische Umsetzung seiner theoretischen Überlegungen denken konnte, war auch nach heutigen Maßstäben von beeindruckender Größe. Das sizilische Königreich gehörte dazu mit der Insel Sizilien und dem im Osten bis über Rom hinaus nach Norden reichenden festländischen Reichsteil, dann das große Gebiet des Imperiums, also Deutschland mit Böhmen, Österreich und dem Territorium des alten Herzogtums Lothringen, das Königreich Arelat zwischen Basel und Besançon im Norden und Arles und Marseille im Süden, sowie Reichsitalien, das heißt ganz Oberitalien und die Toskana sowie seit Friedrichs Schenkungsrücknahme große Teile des päpstlichen Patrimoniums, insbesondere das Herzogtum Spoleto und die Mark Ancona, außerdem das Königreich Jerusalem und endlich, aufgrund der zur Zeit Heinrichs VI. begründeten Lehnsoberhoheit, das Königreich Zypern. Nach Friedrichs fester Überzeugung entsprach die Zusammenführung dieser gewaltigen Ländermasse in seiner Hand Gottes unmittelbarem Willen. Das galt ihm nicht nur in jenen Fällen als gewiß, wo er sein Regiment – wie etwa im Regnum Sicilie – dem Erbrecht verdankte. Vielmehr führte er gerade auch seinen angesichts der Dominanz des Welfenkaisers Otto zunächst völlig unerwarteten Aufstieg in Deutschland mit der Aachener Krönung vom Juli 1215 als äußerem Höhepunkt und als Voraussetzung für die Kaiserkrönung im November 1220 auf Gott zurück. Auch diese glanzvolle Erhebung galt ihm von Anfang an als das Ergebnis von Gottes direktem, das Unmögliche bewirkendem, also recht eigentlich wunderbarem Eingreifen. Demütig und selbstsicher-überlegen zugleich formulierte er seine Grunderfahrung bereits im April 1215 folgendermaßen: „Obgleich alle Könige dem König der Könige dienen sollen, geziemt dies doch uns um so viel mehr, je mehr [16] wir aus der Fülle seiner Gnade empfangen haben. Denn in uns richtete er die Wunder seiner Macht auf, als er, die Absichten der Fürsten und die Gedanken der Völker verwerfend, den Mächtigen stürzte und uns erhob“. 5 Immer neue Erfolge bestärkten ihn später in der Überzeugung, von Gott in besonders deutlicher und ganz unverkennbarer Weise für seine überragende Herrscherposition auserwählt zu sein und in ihr geführt zu werden.

5

Huillard-Bréholles, Jean-Louis-Alphonse: Historia diplomatica Friderici Secundi (künftig: HB) 1, S. 365 (2.4.1215; Privileg für Erzbischof Berard von Palermo).

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In Jesi bei Ancona kam Friedrich am 26. Dezember 1194 zur Welt, aber wohl kaum – wie einige spätere Geschichtsschreiber behaupten – in einem Zelt auf dem Marktplatz des Städtchens – der heutigen Piazza Federico II.

Zum 800. Geburtstag wurde für den Stauferkaiser Friedrich II. auf Initiative der „Fondazione Federico II Hohenstaufen di Jesi“ an seinem Geburtsort ein Denkmal errichtet.

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Solcher Einsicht gemäß entsprach für ihn sogar die geographische Zuordnung und die spezifische innere Situation seiner Reiche keineswegs dem Zufall, sondern den großartigen und wunderbaren Absichten Gottes. Eigens wies er die Fürsten des Imperiums und die Städte Reichsitaliens auf diesen denkwürdigen Umstand hin, als er sie im Mai 1236 nach Piacenza rief, um dort endlich die Unterwerfung der aufrührerischen Lombarden ins Werk zu setzen. „Dass der Erlöser“, so schrieb er ihnen, „in seiner Fürsorge unsere Schritte so großartig, ja wunderbar lenkt, während im Osten das Königreich Jerusalem, das mütterliche Erbe unseres geliebten Sohnes Konrad, ferner das Königreich Sizilien, unser herrliches Erbe von Mutterseite, und die überragende Macht Deutschlands nach der Befriedung der Völker auf Wink des himmlischen Richters in Ergebenheit gegenüber unserer Person verharren, das geschieht nach unserer Überzeugung einzig und allein deshalb, damit jene Mitte Italiens, die auf allen Seiten von unserer Gewalt umfaßt wird, zum Gehorsam gegen unsere Hoheit und in die Einheit des Imperiums zurückkehre. Mit diesem Vorhaben zielen wir im übrigen keineswegs nur auf unseren eigenen Vorteil; es dient vielmehr ganz unmittelbar der Sache des Kreuzzuges“. Sei nämlich, so argumentierte der Herrscher, in Italien erst einmal die Ketzerei ausgelöscht und das Recht des Reiches wieder hergestellt, habe er dort jedermann ohne Ansehen der Person Frieden und Gerechtigkeit verschafft, dann lasse sich von der einmütigen Hilfe des reichen Landes außerordentlicher Nutzen für das Heilige Land erhoffen.6 Friedrich hatte es sich demnach durchaus zum Ziel gesetzt, seine Vorstellungen vom rechten Regiment grundsätzlich im ganzen ihm von Gott übertragenen Herrschaftsbereich zu verwirklichen. Zugleich wird freilich sichtbar, dass ihm dabei keineswegs alle seine Länder [17] gleich unmittelbar vor Augen standen, dass er bestimmten Vorhaben und Regionen vielmehr klare Priorität vor anderen zumaß. So nannte er etwa das Königreich Arelat gar nicht ausdrücklich, bezog es lediglich sozusagen indirekt in seinen Überblick ein, als er von der totalen Umklammerung der Lombardei durch seine Gewalt sprach. In der Tat beschäftigten ihn die Verhältnisse im burgundischen Reich, das er nie betrat, nur recht selten, am intensivsten wohl im Frühsommer 1247, als er in enger Absprache mit den Grafen von Savoyen und von Vienne jenen Zug nach Lyon vorbereitete, der Papst Innozenz IV. zum Einlenken zwingen sollte, der nach Parmas Abfall jedoch sogleich aufgegeben wurde.

6

MGH Const. 2, S. 267f., Nr. 200 (c. 3f.).

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Das Heilige Land hingegen spielte für Friedrich seit seiner spektakulären Kreuznahme zu Aachen im Juli 1215 zeitlebens eine wichtige Rolle, zumal er ja im Jahre 1225 durch seine Ehe mit Isabella von Brienne überdies der rechtmäßige Herrscher des Königreiches Jerusalem geworden war. Trotzdem schob er die Fahrt dorthin schon in seiner Jugend immer wieder auf, weil er bereits damals die Sicherung seiner europäischen Machtbasis als die unabdingbare Voraussetzung für ein erfolgreiches Auftreten im Osten betrachtete. Als sich sein Kreuzzug dann Ende der zwanziger Jahre nicht mehr weiter hinauszögern ließ, waren die Probleme in Italien freilich keineswegs in seinem Sinne gelöst; im Gegenteil: der Konflikt mit Papst Gregor IX. spitzte sich gerade jetzt dramatisch zu. Ganz folgerichtig drängte der Kaiser vermutlich in erster Linie deshalb auf einen raschen und vor allem friedlichen Ausgleich mit dem ägyptischen Sultan al-Kamil. Sein zu Beginn der dreißiger Jahre unternommener Versuch, seiner herrscherlichen Autorität gegenüber dem Adel des Königreiches Jerusalem mit militärischen Mitteln die dominierende Geltung zu verschaffen, scheiterte dann allerdings – die nach wie vor schwierige Situation in der Lombardei hinderte ihn daran, die für ein solches Vorhaben erforderliche starke Truppenmacht nach Syrien zu entsenden. Genausowenig führten jedoch die anschließenden, bis Anfang 1236 belegbaren Verhandlungen mit der durch ihren Erfolg gestärkten syrischen Adelspartei zum Ziel. Einen neuen Kreuzzug sogar auf eigene Kosten zu unternehmen – dies bot Friedrich indessen auch danach des öfteren an, [18] besonders dringend während seiner Verhandlungen mit Innozenz IV. nach dem neuerlichen und endgültigen Fall Jerusalems im Jahre 1244. Sein Versprechen war gewiss ernst gemeint, aber immer an die Bedingung geknüpft, dass der Papst seine kaiserliche Würde und die von ihr abgeleiteten Rechte anerkenne; es hatte insofern zugleich den Charakter eines politischen Instruments. Bis zuletzt stand für den Staufer der Kampf um seine Stellung im Imperium und im sizilischen Regnum mit Abstand im Vordergrund, weil er die unangefochtene Bewahrung seiner dortigen Position, aus seiner Sicht wohl zu Recht, für die Grundlage seiner Geltung und aller seiner Wirkungsmöglichkeiten hielt, für die Basis auch jeden sinnvollen Einsatzes zugunsten des Heiligen Landes.7

7

Siehe dazu Stürner, Friedrich. Teil 1 (wie Anm. 1), S. 172-174, 227-235; Teil 2, S. 85-169, zum geplanten Lyon-Zug ebd. S. 564-572; ders.: Federico II, re di Gerusalemme. In: Centro di studi normanno-svevi, Atti 14 (2002), S. 159-175 [deutsche Fassung in diesem Band S. 247-263]; Hiestand, Rudolf: Friedrich II. und der

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So zwang den Staufer die Größe der ihm nach seiner Überzeugung von Gott anvertrauten und daher verpflichtenden Aufgabe bei allem optimistischen Glauben an ihre schließliche Lösbarkeit zu abgestuftem Vorgehen, zur vorläufigen Konzentration auf die Sicherung von Kernländern als der Voraussetzung für einen denkbaren späteren Durchbruch auch in den anderen Regionen. Anders konnte er wohl tatsächlich kaum verfahren. Allerdings muß man doch sehr daran zweifeln, dass sich die ihm zugefallene riesige Ländermasse mit den ihm verfügbaren technischen und administrativen Mitteln und angesichts der damaligen Bedeutung der herrscherlichen Präsenz vor Ort überhaupt je so prägend durch seinen Willen hätte regieren lassen, wie ihm dies als Ziel wohl vorschwebte, selbst wenn ihm in seinen zentralen Herrschaftsbereichen der ersehnte Erfolg beschieden gewesen wäre. Damit fällt unser Blick auf Deutschland und Italien, und es stellt sich die Frage, welche Funktion Friedrich diesen Ländern im einzelnen zuwies, welches unter Umständen unterschiedliche Gewicht er ihnen beimaß. Auf der Suche nach einer Antwort mag man zunächst an Äußerungen des Kaisers denken, die eine besondere persönliche Bindung zu bestimmten Landstrichen oder Städten zu verraten scheinen. Jesi etwa, seinen Geburtsort, feierte er im August 1239 bekanntlich mit den Worten des Evangelisten Matthäus geradezu als sein Bethlehem. Unmittelbar vor seinem Einmarsch in den Kirchenstaat wollte er damit indessen gewiss vor allem die dortige Bevölkerung mit dem unmissver[19]ständlichen Hinweis auf seine Christus-Nähe für sich gewinnen. Ganz ähnlich zielte er vermutlich auf die augenblickliche Situation und die daraus zu schöpfenden Vorteile, als er die Römer zwischen 1236 und 1238 in glanzvoll formulierten Manifesten umwarb, als er sie einlud, an führender Stelle bei der Wiederherstellung des römischen Reiches mitzuwirken, und ihrer Stadt, dem „Haupt und Ursprung“ dieses Reiches, eine maßgebende Rolle im neu erstarkenden Imperium anbot. Mittels enger Kontakte zu den herrschenden Kreisen Roms suchte er damals offensichtlich den päpstlichen Handlungsspielraum einzuschränken, um bei der Neuordnung Reichsitaliens von dieser Seite möglichst ungestört zu bleiben. Rom aber wirklich zur Metropole des Imperiums zu machen, das dürfte ihm allenfalls als ein sehr fernes Ziel vorgeschwebt haben, an dessen Realisierung sich viel-

Kreuzzug. In: Esch, Arnold/Kamp, Norbert (Hg.): Friedrich II., Tübingen 1996 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 85), S. 128-149.

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leicht nach der Meisterung aller anderen, weit dringenderen Probleme denken ließ.8 Echte Verbundenheit spricht hingegen doch wohl aus Friedrichs Geständnis vom April 1237, das Elsass sei ihm teurer als alle anderen Besitztümer seines väterlichen Erbes. In der Tat diente ihm ja die von seinem Großvater Barbarossa prachtvoll neu errichtete Pfalz Hagenau inmitten des Heiligen Forstes, eines idealen Jagdreviers, bei seinem ersten wie noch bei seinem zweiten Deutschlandaufenthalt als sein Lieblingssitz, als seine bevorzugte Residenz, in der er vor allem die Wintermonate zu verbringen pflegte.9 Mit mißtrauischer Zurückhaltung vernehmen wir dann wieder, wie sicherlich schon die Adressaten selbst, Friedrichs Schmeicheleien für die Bewohner des Königreichs Sizilien; mit Skepsis hören wir, wie der Kaiser beispielsweise bekennt, er halte es trotz seiner hohen Würde nicht für ehrenrührig, einer aus Apulien genannt zu werden, und so lange er außerhalb des Regnums verweilen müsse, fühle er sich wie jemand, der fern des eigenen Hauses in der Fremde umherreise. Derartige Bekundungen der Hochschätzung, der Sympathie und Solidarität formulierte der Herrscher nämlich vorwiegend in jenen feierlichen Schreiben, mit denen er seine sizilischen Untertanen seit 1235 regelmäßig am Jahresanfang zur Zahlung der Generalkollekte aufforderte, und man darf sich fragen, ob seine Lobesworte die Zahlungsbereitschaft der Betroffenen merklich hoben. Außer Frage aber steht, dass Friedrich [21] die Capitanata im Norden Apuliens vor allen anderen Landstrichen seines Herrschaftsbereiches, auch vor dem Elsass, liebte. In ihrer Mitte errichtete er zu Foggia als eine Art zentralen Regierungssitz seinen großen Palast, geschützt von dem befestigten Lucera im Westen und rings umgeben von zahlreichen domus, also seinen Jagdschlössern, um die er sich mit nie erlahmender Sorge kümmerte. Viele von ihnen ließ er üppig ausstatten mit Herrenhaus und Nebengebäuden, mit Stallungen und Keltern, mit einem Gestüt, Falkenhof oder Tiergehege. In ihnen suchte er Ruhe, Ablenkung und Erholung, nach ihnen sehnte er sich als Stätten tröstlicher Muße, um seine eigenen

8

9

Jesi-Brief: MGH Const. 2, S. 304, Nr. 219; zur Interpretation: Schaller, Hans Martin: Der Brief Kaiser Friedrichs II. an Jesi. In: Ders.: Stauferzeit, Hannover 1993 (MGH Schriften 38), S. 417-422 (Erstdruck 1976); vgl. Stürner, Friedrich. Teil 2 (wie Anm. 1), S. 481-488; zu Friedrichs Rom-Manifesten ebd. S. 338-341, vgl. S. 471f.; dazu Thumser, Matthias: Friedrich II. und der römische Adel. In: Esch-Kamp, Friedrich II. (wie Anm. 7), S. 431-437. Elsass-Brief: HB 5, S. 60f.; vgl. Stürner, Friedrich. Teil 1 (wie Anm. 1), S. 196.

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Vom Kaiserpalast in Foggia haben sich lediglich ein Portalbogen und eine Inschriftentafel, die den Baubeginn im Jahr 1223 auf Befehl Friedrichs II. bezeugt, erhalten.

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Worte zu gebrauchen. So zog er sich, als er im Frühjahr 1249, ermüdet von den Anstrengungen des Krieges, in der erquickenden Ruhe des sizilischen Regnums neue Kraft zu schöpfen hoffte, kaum zufällig eben in die Capitanata zurück. Nach allem, was wir wissen, hat er in den letzten eineinhalb Jahren bis zu seinem Tod fast ausschließlich in der Gegend um Foggia oder im etwas südlicheren Lagopesole gelebt.10 Indessen sagt Friedrichs gewissermaßen private Vorliebe für bestimmte Regionen selbstverständlich nicht unbedingt auch schon etwas über die politische Bedeutung, die ihnen in seinen Augen zufiel. Um darüber mehr zu erfahren, mag man zunächst vielleicht einen Blick auf sein Itinerar werfen, also fragen, in welchem der uns interessierenden Hauptländer seiner Herrschaft er die meiste Zeit lebte und wirkte. Streng genommen dürfen wir dabei erst die Zeit ab Anfang 1212 berücksichtigen, denn erst jetzt, als ihn der Ruf nach Deutschland erreichte, hatte er wirklich die Wahl zwischen Imperium und Regnum, zwischen Italien und Deutschland. Im übrigen vereinfacht diese Alternative die gegebenen Verhältnisse unangemessen und anachronistisch. Wie wir bereits sahen, nannte Friedrich selbst drei seiner Herrschaft unterworfene europäische Kernzonen, das Königreich Sizilien, Deutschland und dazwischen Italien, also Reichsitalien mit Piemont, der Lombardei und der Toskana. In der Tat unterschieden sich diese drei Großregionen zu jener Zeit in vieler Hinsicht ganz beträchtlich. Verwiesen sei hier unter Übergehung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse nur auf ihre politische Struktur: Dem Regnum im Süden, das von seinem König mit Hilfe eines wohl ausgebildeten [22] Beamtentums geradezu absolutistisch regiert wurde, stand nördlich der Alpen das deutsche Reich gegenüber, in dem sich die königliche Gewalt angestrengt um eine Machtbalance mit den selbstbewussten geistlichen und weltlichen Reichsfürsten mühen musste, während in Reichsitalien und insbesondere in der Lombardei große und reiche Städte wie die kaiserfeindlichen Kommunen Mailand, Piacenza und Bologna oder die reichstreuen Gemeinden Cremona und Pavia entscheidenden Einfluss ausübten, zäh ihre Freiheitsrechte verteidigten und zugleich ständig erbitterte Konkurrenzkämpfe und Kriege gegeneinander austru-

10

Zur Kollekte siehe etwa Acta imperii inedita saec. XIII et XIV, hg. von E. Winkelmann, Bd. 1, Innsbruck 1880, S. 630, Nr. 811 (4.1.1238), zu den domus HB 5, S. 853 (18.3.1240), zur letzten Lebensphase HB 5, S. 992 (wohl Dez. 1249); vgl. Stürner, Friedrich. Teil 2 (wie Anm. 1), S. 218f. (Kollekte), S. 430f. (domus), S. 581, 587 (letzte Lebensphase).

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gen. Lässt man diese Rahmenbedingungen gelten, so verbrachte Friedrich von den in Frage stehenden 39 Herrscherjahren etwa 17 im sizilischen Königreich, etwas mehr als 10 in Deutschland und achteinhalb in Reichsitalien. Dazu kommen mehrere kürzere Aufenthalte auf dem Boden des Kirchenstaates, vor allem um Rom, Viterbo und Spoleto, die zusammen ungefähr zwei Jahre ergeben. Auch so gesehen, dominiert demnach Friedrichs italienisches Südreich. Deutschland folgt zwar an zweiter Stelle; Friedrichs Verweildauer hier übertrifft jedoch selbst mit derjenigen in Reichsitalien zusammengenommen jene im sizilischen Regnum nur verhältnismäßig knapp. Andererseits blieb der Staufer zwischen 1212 und 1220 acht Jahre ununterbrochen in seinem deutschen Königreich, so lange wie in keinem anderen Herrschaftsbereich sonst, auch nicht im südlichen Regnum. Er tat dies, obwohl er in Deutschland zunächst ohne eigene Basis nur geringe Erfolgsaussichten besaß, jedenfalls entscheidend auf den Papst und die geistlichen Reichsfürsten angewiesen war, und obwohl er die dem Königtum in Sizilien damals verbliebene, ziemlich bescheidene Autorität mit seiner langen Abwesenheit vollends zu verspielen drohte. Vor derartigen Bedenken hatte für fast ein Jahrzehnt die ihm ganz offensichtlich von Gott selbst eben jetzt zugewiesene Aufgabe absolute Priorität, die Verpflichtung nämlich, sein väterliches Erbe zu ergreifen und darüber hinaus die königliche und kaiserliche Position seiner staufischen Vorfahren zu erringen. Mit großem taktischen Geschick und diplomatischen Gespür, mit erstaunlich wachem Blick für die Besonderheiten der gesellschaftlichen und politischen Situation in Deutschland widmete er sich intensiv den dortigen Ange[23]legenheiten, rang er um die schwierige Balance zwischen der nötigen Nachgiebigkeit gegenüber seinen mächtigen kirchlichen und fürstlichen Förderern und dem mindestens ebenso wichtigen Bemühen um die Rückgewinnung der alten staufischen und königlichen Güter und Rechte, die in den zurückliegenden Wirren oft genug an eben jene Großen verloren gegangen waren. Für unumgänglich angesichts seiner prekären Ausgangslage hielt es der Staufer beispielsweise, seinem wichtigsten Helfer Papst Innozenz III. in der berühmten Goldbulle von Eger im Juli 1213 neben anderem noch einmal ausdrücklich den Besitz der römischen Kirche einschließlich der erst jüngst vom Reich gewonnenen Gebiete des Herzogtums Spoleto und der Mark Ancona zu garantieren. Aus ähnlichen Beweggründen, um sich im Endkampf gegen Otto IV. Rückhalt im Norden zu verschaffen, trat er Ende 1214 das von König Waldemar von Dänemark besetzte Reichsgebiet jenseits der Elbe förmlich an jenen ab. Die vom französischen König

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Philipp übersandten zwanzigtausend Mark Silber aber ließ er ohne Zögern unter die Großen des Reiches verteilen.11 Solch vielfach auch sonst bewiesenes Entgegenkommen brachte ihm nicht nur die wachsende Gunst der Öffentlichkeit und das Lob eines Mannes wie Walther von der Vogelweide ein. Er gewann damit vor allem die Bereitschaft der Reichsfürsten, mit ihm in Kontakt zu treten und zusammenzuarbeiten, ihn als Lehnsherrn und Herrscher anzuerkennen. Er verschaffte sich so überhaupt erst die Möglichkeit und den Freiraum zu eigenständiger Wirksamkeit. Ganz wesentliche Bedeutung für Friedrichs erstaunlichen Aufstieg nördlich der Alpen hatte indessen zweifellos seine energische und erfolgreiche Territorialpolitik in Süd- und Mitteldeutschland. Rasch gelang es ihm, die wichtigsten Gebiete und traditionellen Zentren, in denen seine staufischen Vorgänger seit langem den unmittelbaren Einfluß ausgeübt hatten, wieder in seine Hand zu bekommen, mochte es sich dabei um Haus- oder Reichsgut, um Kirchenvogteien oder Kirchenlehen handeln. Ausschlaggebend dafür war, dass sich der altbewährte Kreis der Anhänger, engen Mitarbeiter und Diener der staufischen Sache schnell und ziemlich vollständig auf seine Seite begab und sich fortan für ihn einsetzte. Zu ihnen gehörten Adlige wie der Mark[24]graf Hermann V. von Baden und die Grafen von Württemberg, vor allem aber die Reichsministerialen, an ihrer Spitze wichtige, in der Verwaltungspraxis erfahrene Männer wie die Brüder Werner und Philipp von Bolanden, Eberhard von Waldburg oder Konrad von Winterstetten. Dank ihres Einsatzes und seiner eigenen Beharrlichkeit gelang es dem Staufer, seine territorialpolitischen Ansprüche in bemerkenswertem Umfang durchzusetzen und allmählich auch die Administration seines Territorialbesitzes auszubauen und effizienter zu gestalten. Als Grundeinheiten erkennen wir die den Schultheißen unterstellten officia; darüber hinaus gab es offenbar größere Verwaltungsgebiete, die mehrere solcher Unterbezirke zusammenfassten und von einem Prokurator geleitet wurden. Schultheißen, Burgvögte und Prokuratoren hatten für Recht und Ordnung zu sorgen und die dem König zustehenden Abgaben einzuziehen. Sie widmeten sich sehr fachkundig insbesondere der Förderung und dem Ausbau der Städte; umgekehrt kam

11

MGH Const. 2, S. 57-63, Nr. 46 - 51, vgl. S. 84-86, Nr. 72 (Zusage von Eger), ebd. S. 64f., Nr. 53 (Abtretung an Waldemar); Cronica Reinhardsbrunnensis ad 1213, MGH SS 30, 1, S. 581f. (französische Geldspende).

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den Steuern, die die Stadtbürger bezahlen mussten, wachsende Bedeutung unter den Einnahmen der staufischen Verwaltung zu. So erfolgreich Friedrich dem staufischen Königtum seine traditionelle Grundlage in Süd- und Mitteldeutschland zurückgewann, und so notwendig dieser Erfolg für die Ausübung seines königlichen Amtes war – als ein wahrhafter König über seine direkte Einflußsphäre hinaus in ganz Deutschland zu wirken, dies war ihm, zumal nach den Wirren des staufisch-welfischen Thronstreites, nur noch in Verbindung mit den Reichsfürsten möglich. Der Staufer anerkannte diese Tatsache von vornherein und setzte auf Kooperation mit der fürstlichen Elite. Herzog Ludwig von Bayern, der Kanzler Konrad, Bischof von Speyer und Metz, oder die Erzbischöfe Albrecht von Magdeburg und Siegfried von Mainz gehörten wohl zu seinen wichtigsten Beratern aus dem Kreis der Fürsten. Daneben treffen wir zahlreiche andere geistliche und weltliche Große einigermaßen regelmäßig auf den feierlichen Hoftagen des Königs. Mit ihnen zusammen suchte er Recht und Frieden im Reich zu wahren. Ihren Spruch forderte er, wie schon unter seinen Vorfahren üblich, zur Klärung von Rechtsfragen und Streitfällen, um dieses Urteil danach selbst zu bekräftigen und für seine Durchsetzung zu sorgen. Gewiß ging es den Fürsten dabei oft genug [25] um die Sicherung der eigenen Dominanz in ihren Territorien, um den ungestörten Ausbau ihrer Macht insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht, und gewiss akzeptierte Friedrich die zentrale Bedeutung der Reichsfürsten, ihre Rolle als seine Partner im Reichsregiment und die ihm daraus erwachsenden Grenzen. Andererseits betonte er gerne selbstbewusst die Verantwortung der königlichen Majestät für Frieden und Recht, und die Fürsten begaben sich in der Tat an seinen Hof, um Privilegien zu erlangen oder die Klärung von Rechtsproblemen herbeizuführen. Sie wirkten in seinem Auftrag als Friedensstifter oder als Vollstrecker der am Hof gefällten Entscheidungen, ja es konnte sogar vorkommen, dass der König einen Fürstenspruch nachträglich eigenständig um der Billigkeit, um der equitas iuris willen revidierte.12 Das Verhältnis von König und Fürsten im damaligen Deutschland spiegelt die 1220 vereinbarte Confoederatio ebenso wie das Statutum für die Fürsten vom Jahre 1232 in aller Klarheit wider: Die Reichsfürsten verfügten in ihren Territorien über alle wesentlichen Herrschaftsrechte,

12

HB 1, S. 821f. (1220; equitas); vgl. zum Ganzen Stürner, Friedrich. Teil 1 (wie Anm. 1), S. 195-227.

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und die diesbezügliche königliche Kontrolle hatte sich an genau bestimmte, eng bemessene Grenzen zu halten. Zudem setzten die Fürsten wenigstens in der Theorie wesentliche Forderungen durch, um die ihnen lästige Dynamik der königlichen Territorialpolitik in Schranken zu halten. Die Praxis der königlichen Beamten änderte sich dadurch freilich offenbar nur wenig.13 Der König seinerseits erreichte im April 1220 als Gegenleistung immerhin die Königswahl seines Sohnes Heinrich. Er sicherte damit die Kontinuität der staufischen Herrschaft in Deutschland und schuf die Voraussetzung dafür, dass das seit 1212 zur Stärkung des deutschen Königtums Erreichte ebenso Bestand haben würde wie die Verbindung des Imperiums mit dem Regnum Sicilie, die nach seiner Überzeugung von Gott so wie ihm selbst auch seinen Erben zugedacht war. Friedrich behielt Deutschland auch von Italien aus im Auge. Er beriet sich auf Hoftagen mit den Fürsten und fällte wichtige Entscheidungen vom Süden aus. Gewiss war die Weiterführung der staufischen Territorialpolitik, wie sie der Reichsverweser Erzbischof Engelbert von Köln und später der eigenständiger werdende König Heinrich betrieben, ganz in seinem Sinn – er selbst tat in den dreißiger und vierzi[27]ger Jahren ja alles, um die Babenberger Lande Österreich und Steiermark in die Hand zu bekommen, und noch 1243 kaufte er für eine beachtliche Summe die Allgäu-Grafschaft um die Burg Eglofs bei Isny. Desgleichen bestärkte er die deutsche Regierung in dem Bemühen, dem dänischen König die nordelbischen Reichslande wieder zu entreißen. Er hielt den Verzicht auf sie wohl ähnlich wie jenen auf Spoleto und Ancona für letztlich ungültig, weil er ihm unter Ausnützung der Notlage seiner Jugend abgepresst worden war und weil er ganz offensichtlich Gottes Absicht widersprach, ihn in sein ungeschmälertes Erbe einzusetzen.14

13

14

MGH Const. 2, S. 86-91, Nr. 73 (26.4.1220; „Confoederatio cum principibus ecclesiasticis“), ebd. S. 211-213, Nr. 171 (Mai 1232; „Statutum in favorem principum“), vgl. ebd. S. 418 - 420 (1.5.1231; Fassung Heinrichs VII.). Eglofs: HB 6, S. 86; zu Österreich und Steiermark: Hausmann, Friedrich: Kaiser Friedrich II. und Österreich. In: Vorträge und Forschungen 16 (1974), S. 225-308; zu den Verhältnissen in Deutschland nach 1220: Thorau, Peter: König Heinrich (VII). Das Reich und die Territorien, 1220-1228, Berlin 1998; Klage über die Ausnutzung seiner jugendlichen Schwäche: Richard von San Germano, ad 1226, hg. v. Carlo Alberto Garufi, Bologna 1936-1938, S. 141-145 (an Honorius III., vgl. dessen Antwort: MGH Epp. saec. XIII 1, S. 217f., Nr. 296, Mai 1226).

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Mit dem „Statutum in favorem pricipum“ erneuerte und bestätigte Friedrich II. den Fürsten Privilegien, die ihnen sein Sohn König Heinrich (VII.) auf dem Hoftag zu Worms gegeben hatte. Die abgebildete Urkunde ist die Ausfertigung des Statutum für den Bischof von Würzburg, ausgestellt im Mai 1232 in Cividale.

Trotz solcher Übereinstimmung machte Friedrichs Verhältnis zu seinem Sohn Heinrich schnell auch die Schwierigkeiten deutlich, die der Beherrschung des weiten mitteleuropäischen Raumes aus einer Hand mit Hilfe eines königlichen Vertreters im fernen Norden entgegenstanden. Während der Sohn sich stark genug glaubte, gegen die deutschen Fürsten offensiv vorzugehen, hielt Friedrich aufgrund seiner Erfahrungen eine weitere Stärkung der staufischen Stellung und damit der Königsgewalt in Deutschland nach 1220 allenfalls auf der Basis von Erfolgen im Süden für möglich. Um sich dort aber durchzusetzen, brauchte er auch fernerhin das Wohlwollen, in entscheidenden Situationen auch die Unterstützung

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der Reichsfürsten. So entzweite wohl vor allem der Dissens hinsichtlich der Rolle der Fürsten den Kaiser und seinen Sohn, hier lag wohl die Hauptursache für ihren schweren Konflikt und für die Absetzung Heinrichs VII. im Sommer 1235. Das glanzvolle Auftreten Friedrichs in Deutschland zwischen 1235 und 1237 als höchster Repräsentant des Reiches, sein Wirken als Gesetzgeber und Wahrer des Landfriedens, als oberster, auch zur Kontrolle der Fürsten befugter Inhaber der Herrschaftsrechte, der nun offenbar sogar die Königswahl seines Sohnes Konrads IV. anders als 1220 ohne größere Zugeständnisse erreichte – dies alles mag durchaus als ein Indiz für die Richtigkeit seiner Einschätzung der Dinge gelten.15 Mitte der dreißiger Jahre nämlich schien der Staufer auf dem besten Wege, sich auch südlich der Alpen nach Wunsch durchzusetzen. Die Reorganisation des Regnum Sicilie war ihm bereits in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre zu einem guten Teil geglückt. Als Norm, an die er [28] sich dabei von Anfang an, seit dem Erlaß der Assisen von Capua hielt, betrachtete er grundsätzlich wie in Deutschland die unter seinen Vorfahren im 12. Jahrhundert geschaffenen Verhältnisse, hier also die Verhältnisse zur Zeit Wilhelms II. Sie hatten dem Herrscher freilich zumal in Friedrichs Augen in seinem Südreich eine ungleich mächtigere Position zugewiesen als in Deutschland. Wie unter seinen Vorgängern bis 1189 sollte sich das sizilische Königtum dementsprechend auch jetzt wieder auf reichen Domänenbesitz, auf das alleinige Befestigungsrecht und das Monopol der Rechtsprechung stützen. Neue effiziente Methoden sollten es in den Stand setzen, sich einerseits seiner Rechte und Möglichkeiten so vollkommen wie irgend denkbar zu bedienen, andererseits aber auch seinen Untertanen pflichtgemäß ein Höchstmaß an Rechtssicherheit und Frieden zu gewährleisten. Die Verpflanzung der sizilischen Muslime nach Lucera und insbesondere eine rigorose Revokationspolitik waren ebenso Konsequenzen dieses Ansatzes wie der Neuaufbau eines hierarchisch über die Gemeinden und Provinzen auf die magna curia, also den kaiserlichen Großhof hingeordneten Verwaltungsapparates, der dem Willen des Herrschers wie dem Recht seiner Untertanen vor Ort Geltung verschaffen sollte.

15

Mainzer Landfriede: MGH Const. 2, S. 241-247, Nr. 196 (lateinisch), ebd. S. 248-263 (deutsche Fassung), vgl. Stürner, Friedrich. Teil 2 (wie Anm. 1), S. 296-334.

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Miniatur mit der Übergabe der Konstitutionen von Melfi und Anfang ihres Vorwortes. Die in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts in Unteritalien entstandene Prachthandschrift befindet sich in der Biblioteca Apostolica Vaticana in Rom (Regin. Lat. 1948).

Damit die herrscherliche Verantwortung für Gerechtigkeit und Rechtssicherheit kein leeres Wort blieb, gründete der Staufer 1224 in Neapel die erste rein staatliche Universität des Abendlandes mit dem vorrangigen Ziel, dort am römischen Recht geschulte Juristen als seine künftigen Beamten insbesondere für das Richteramt auszubilden.16

16

Assisen von Capua: Richard von S. Germano, ad 1220 (wie Anm. 14), S. 88-93; Gründung der Universität Neapel: ebd. ad 1224, S. 113-116 (= HB 2, S. 450-453); vgl. Kamp, Norbert: Die sizilischen Verwaltungsreformen Kaiser Friedrichs II. In: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 62 (1982), S. 119-142.

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Der Konflikt mit Papst Gregor IX. im Zusammenhang mit dem Kreuzzug des Kaisers warf dessen Bemühungen um Sizilien weit zurück. So wandte er sich seit 1230 erneut mit unverminderter Energie seinem sizilischen Regnum zu, um dort mit einem umfassenden Reformprogramm seinen Vorstellungen von der angemessenen inneren Ordnung des Gemeinwesens endlich dauerhaft Geltung zu verschaffen. Die Basis und den Ausgangspunkt seiner Aktivitäten bildete seiner Herrschaftsauffassung gemäß ganz ähnlich wie 1220 ein gesetzgeberisches Werk: Nach sorgfältigen Vorarbeiten einer Kommission sachverständiger Juristen, unter ihnen gewiss die Mitglieder seines Hofgerichts, aber auch erfahrene städtische Richter oder Professoren aus [30] Neapel, kam im September 1231 das Corpus der Konstitutionen von Melfi heraus. In 220 Einzelgesetzen legte der Staufer in diesem ersten umfassenden Gesetzbuch des mittelalterlichen Europa die ihm wesentlichen Grundlinien für die künftige rechtliche Ordnung seines sizilischen Königreiches fest. Wieder ging es ihm darum, beides, die der Krone gebührende Stellung wie den Schutz der Untertanenrechte zu garantieren gemäß seiner hier offen ausgesprochenen Maxime, dass der Herrscher nur dann anderen Recht verschaffen könne, wenn er seine eigenen Güter und Rechte innehabe und nutze. So sicherten seine Konstitutionen etwa den Domänenbesitz und die Lehnsgüter der Krone; sie widmeten andererseits jedoch dem Gerichtswesen des Reiches größte Aufmerksamkeit. Dessen sinnvoller Aufbau und die Unbestechlichkeit der dort Wirkenden sollten die Gewähr dafür bieten, dass jeder Bewohner des Regnums sein Recht erhielt. Fast gleichzeitig brachte Friedrich eine umfassende Wirtschaftsreform in Gang, zu deren Kernpunkten die Errichtung staatlicher Handelsmonopole sowie Maßnahmen zur wirkungsvollen Lenkung und Kontrolle des sizilischen Außenhandels gehörten. Er verfolgte damit gewiss vor allem fiskalische Ziele, verfiel jedoch keineswegs in blinden Fiskalismus. Eine ganze Reihe von Initiativen wie seine Siedlungsprojekte, seine Bemühungen um die Kultivierung von Sumpf- und Waldflächen oder um den Anbau von Datteln, Henna und Indigo um Palermo, aber auch das neuartige System der Krongutsverwaltung von Massarien aus – dies alles zeigt, dass der Kaiser und seine Fachleute davon ausgingen, Produktionsprozesse gestalten und verbessern zu können, dass sie durchaus daran

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dachten, die Wirtschaft des Landes, deren Erträge sie mit viel Scharfsinn abschöpften, auch anzuregen und zu fördern.17

Das aus normannischer Zeit stammende Kastell in Melfi ließ Friedrich II. ausbauen. In Melfi entstand unter seiner Leitung sein Gesetzeskodex, der sog. „Liber Augustalis“, den er dort im September 1231 veröffentlichte.

17

Konstitutionen von Melfi: ed. Stürner (wie Anm. 4), die erwähnte Maxime ebd. Konst. III 4.1, S. 367, Z. 6-10; Wirtschaftsreformen: Acta imperii (wie Anm. 10), S. 609-621, Nr. 773-797, S. 633, Nr. 816, S. 636f., Nr. 819-822, S. 754-758, Nr. 998; vgl. zum Ganzen Stürner, Friedrich. Teil 2 (wie Anm. 1), S. 9-74, 189-262.

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Halbgroschen, Bergamo, nach 1236. Vorderseite mit der Büste Friedrichs II., die Rückseite mit symbolischer Stadtdarstellung. Original im Münzkabinett des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart.

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Friedrich beschäftigte sich nach 1235 durchaus noch mit der Weiterentwicklung der inneren Struktur des sizilischen Königreiches. Er novellierte dessen Gesetze, passte seine Verwaltung veränderten Gegebenheiten an. Grundsätzlich aber schienen ihm die Dinge im Regnum nun wohlgeordnet, und sein Südreich bewährte sich tatsächlich bis zu seinem Tod auch in schwersten Zeiten höchster Bedrohung, trotz seiner neuerlichen Exkommunikation und sogar Absetzung, als eine im Großen und Ganzen sichere und unangreifbare Bastion, als zuverlässige [33] Geldquelle für seine Kämpfe in Oberitalien und als ein Ort der Ruhe und Erholung in seinem letzten Lebensjahr. Von dieser Schlussphase aber oder von der Zeit des Abwartens nach Gregors Tod einmal abgesehen, verweilte Friedrich seit Mitte der dreißiger Jahre nur noch recht selten und jeweils allenfalls für ein paar Monate in seinem sizilischen Reich. Ganz im Sinne seiner eingangs erwähnten programmatischen Aussage von 1236 konzentrierte er sich nun darauf, auch in Reichsitalien, der letzten noch widerstrebenden Großregion seines mitteleuropäischen Herrschaftsbereiches, seine Vorstellungen zu verwirklichen, das hieß: gegenüber den Städten des Lombardenbundes die Reichsrechte durchzusetzen. Nach dem Sieg bei Cortenuova Ende 1237 schien er diesem Ziel denkbar nahe. Freilich weigerten sich seine Gegner standhaft, so wie er es von ihnen forderte, auf große Teile ihrer Selbstverwaltung und ihrer längst gewohnten politischen Freiheitsrechte zu verzichten, um in ein Staatswesen eingeordnet zu werden, das dem sizilischen Muster glich. Überdies sah sich Papst Gregor IX. durch Friedrichs Griff nach Sardinien in seinem alten, tiefen Misstrauen ganz entschieden bestärkt. Der Vorfall bestätigte aufs Schlimmste seinen lange schon gehegten Verdacht, dass der Kaiser, anstatt dem Stellvertreter Petri pflichtgemäß demütig Hilfe zu leisten, danach strebe, ihn in Rom einzuschnüren, seinen territorialen und damit zugleich seinen politischen und seelsorgerlichen Freiheitsraum zu beseitigen und sich am Ende zu seinem Herrn aufzuschwingen. Friedrichs überraschendes Scheitern vor Brescia betrachtete der Papst als seine wohl letzte Chance, den kaiserlichen Durchbruch in ganz Italien zu verhindern. Er schlug sich nun offen auf die Seite der Lombarden und schloss mit ihnen sowie mit Genua und Venedig ein Bündnis zur Vertreibung des Staufers aus dem sizilischen Regnum. Dessen zweite Exkommunikation, seine Stilisierung zum Kirchenzerstörer und Antichrist und vollends seine Absetzung im Jahre 1245 machten die Gegensätze der Parteien unüberbrückbar und banden Lombardenliga und Papsttum aufs engste aneinander. Zudem sah sich der Kaiser in den vierziger Jahren nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland mit der Tatsache konfrontiert, dass die

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Kirche ebenso entschlossen wie erfolgreich ihre vielfältigen Möglichkeiten [34] ausschöpfte, um die Großen des Imperiums auf ihre Seite zu ziehen. Ein solcher Übertritt versprach den dazu Bereiten zahlreiche Vorteile materieller wie geistlicher Art und ließ sich überdies als ein Akt der Glaubenstreue, als Teil des Kampfes gegen den Erzfeind des Christentums und Zerstörer der Kirche legitimieren, was immer seine tatsächlichen Motive gewesen sein mochten. Trotz dieser wachsenden Schwierigkeiten hielt Friedrich zäh an seinem Ziel fest. Er suchte unter Bündelung der prokaiserlichen Kräfte den militärischen Durchbruch und unterzog die Administration Reichsitaliens, soweit es seinen Weisungen offenstand, einer geradezu revolutionären Umgestaltung: Aus den großen Regionen des Landes machte er eine Art von Provinzen, deren Leitung er Generalvikaren meist sizilischer Herkunft anvertraute. An der Spitze der Unterbezirke dieser Provinzen wirkten Vikare, in den Städten Rektoren; auf ihre Ernennung übte der Staufer auch in den ihm traditionell ergebenen Zentren den bestimmenden Einfluss aus. Bereits seit 1239 hatte im übrigen sein Sohn Enzio das neugeschaffene Amt eines Generallegaten für Reichsitalien inne. Ohne Bedenken suchte Friedrich nun also auch den von ganz anderen Traditionen und Anschauungen geprägten Norden des Landes nach den Grundsätzen seiner Herrschaftsvorstellungen umzuformen, um hier wie im Königreich Sizilien durch einen hierarchisch auf ihn ausgerichteten Verwaltungsapparat Frieden zu stiften und Gerechtigkeit zu schaffen – in seinen Augen zusätzlich gerechtfertigt durch die endlosen und verheerenden Kämpfe unter den Adelsparteien und Städten der Lombardei und der Toskana. Freilich ließ sich des Kaisers Vorgehen in Reichsitalien nach seiner ausdrücklichen Ablehnung des Konstanzer Friedens von 1183 anders als in Deutschland oder Sizilien nicht damit begründen und rechtfertigen, dass es sich dabei um die Wiederherstellung der Rechte seiner Vorgänger handle. Überdies lernten des Kaisers Untertanen ihren Herrn angesichts der Härte der Kriegszeit wohl vielfach nicht so sehr als Spender von Frieden und Recht kennen, sondern als einen strengen, auf seinen Vorteil bedachten Machthaber, dessen Regiment ihnen kaum weniger Ungerechtigkeit, Belastung und Unfrieden bescherte als [35] das seiner Vorgänger,

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zumal sich seine Beamten offenbar immer wieder als bestechliche Egoisten erwiesen.18 Unter dem Druck der Kriegsjahre stand für Friedrich die Wahrung und Festigung seiner eigenen Stellung in Reichsitalien wie in Sizilien gewiss unbedingt im Vordergrund, während die Interessen seiner Untertanen vor diesem Gesichtspunkt deutlich zurücktraten. In Deutschland aber kämpfte die päpstliche Partei erbittert gegen die staufische, und die Zeit arbeitete dort wohl eher für die Sache der Kirche. So drohte die kriegerische Wirklichkeit der ausgehenden vierziger Jahre mit ihren Zwängen des Staufers hehre Herrschaftstheorie überall in seinem großen Machtbereich zum praktischen Scheitern zu verurteilen. Dennoch behielt der Kaiser bis zum Schluss seinen optimistischen Glauben, dass er sich letztlich werde behaupten können, weil er von Gott selbst mit seiner Mission betraut sei, weil er in dessen direktem Auftrag seine Herrscherrechte wie seine herrscherlichen Verpflichtungen in Imperium und Regnum wahrnehme. Und ganz ohne Aussicht auf Erfolg standen die Dinge für ihn damals vermutlich in der Tat nicht. Friedrich verschob seine im Frühjahr 1247 geplante Reise nach Deutschland auf die Nachricht vom Tode des Gegenkönigs Heinrich Raspe hin, um stattdessen nach Lyon zu ziehen und Papst Innozenz IV. durch sein machtvolles Erscheinen zum Einlenken zu zwingen. Der Abfall Parmas ließ ihn dann rasch umkehren. Seine Einschätzung freilich, dass alles, sowohl seine Behauptung in Reichsitalien wie auch die Rückgewinnung der abgefallenen Reichsfürsten und sein Einfluss in Deutschland, letztlich davon abhing, ob ihm der Friedensschluß mit der Kirche gelinge – diese Einschätzung war wohl richtig. An die Möglichkeit einer solchen Übereinkunft durfte er im Jahre 1250 im übrigen durchaus wieder denken: Die Kaiserlichen errangen in Italien nach einer Phase gefährlicher Rückschläge neue militärische Erfolge; die öffentliche Meinung begann sich gegen Innozenz zu wenden, nachdem der Kreuzzug des französischen Königs Ludwigs IX. in Ägypten gescheitert war; und nicht nur der Staufer, sondern auch Kirche und Lombardenstädte zeigten sich jetzt empfindlich behindert durch gra[38]vierende finanzielle Engpässe. Des

18

Ernennungsurkunden der Generalvikare: MGH Const. 2, S. 306f., Nr. 223 (Jan. 1240), ebd. S. 372-374, Nr. 266 (Febr. 1246), ebd. S. 381f., Nr. 273 (Juni 1249); Enzio Generallegat: ebd. S. 301f., Nr. 217 (25.7.1239); vgl., auch zum Folgenden, Stürner, Friedrich. Teil 2 (wie Anm. 1), S. 458-590.

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Kaisers überraschender Tod entschied den Konflikt jedoch zugunsten seiner Gegner.

Anlässlich seines 750. Todestags wurde dem Stauferkaiser auf dem Hügel, wo einst Fiorentino stand, ein Denkmal in der Gestalt einer achteckigen Stele gesetzt.

Die Zukunft gehörte allerdings auch ihnen nur zum Teil. Gewiss dominierten in Deutschland künftig stärker noch als bisher die Reichsfürsten. In Reichsitalien aber kehrte nicht die städtische Freiheit zurück, es

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Im Kastell zu Fiorentino verstarb Friedrich II. am 13. Dezember 1250. Von der im 15. und 16. Jahrhundert verlassenen Stadt haben Archäologen einige Gebäudereste und Befestigungsmauern ausgegraben.

fiel in die Hände regionaler Machthaber vom Schlage eines Ezzelino da Romano, und das Papsttum geriet wenige Jahrzehnte nach Friedrichs Tod in die Abhängigkeit vom französischen König. An die Stelle der universalen Mächte traten die Monarchien des europäischen Westens und in Friedrichs mitteleuropäischen Herrschaftszentren die regionalen Kräfte. Man mag sich fragen, ob ein noch nachgiebigeres und elastischeres Vorgehen des Stauferkaisers in entscheidenden Situationen wie etwa nach Cortenuova nicht seinen Untertanen viele Opfer erspart, ihn selbst aber vor schmerzlichen Enttäuschungen bewahrt und seinen Plänen ein glücklicheres Schicksal beschert hätte. Er selbst war ganz ohne Zweifel der Auffassung, er habe, wo immer sich Gelegenheit dafür bot, bereits ein Höchstmaß an Geduld und Kompromißbereitschaft bewiesen; er sah sich im übrigen jedoch vollkommen außerstande, gewisse feste Grundpositionen zu verlassen, jene Stellung und Verpflichtung aufzugeben, die ihm nach seiner tiefen Überzeugung unmittelbar von Gott anvertraut und aufgetragen war. Da seine Gegner indes ihren Grundvorstellungen mit den gleichen Argumenten ebenso beharrlich die Treue hielten, da ihre Konzeption der seinen aber vielfach fundamental widersprach, ließ sich ein offener Ausbruch des Konflikts – zumal angesichts der engen geographi-

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schen Nachbarschaft der Streitparteien – auf Dauer wohl in jedem Fall nur schwer vermeiden. Gewiss leistete der Kaiser der Eskalation durch manche Unvorsichtigkeit Vorschub. Die päpstliche Seite aber scheint mit ihrer verhängnisvollen Blindheit für die realen Dimensionen der kaiserlichen Absichten, mit der Dämonisierung Friedrichs zur apokalyptischen Bestie und der starren Ablehnung seiner Angebote noch vor ihm zur dramatischen Zuspitzung der Gegensätze beigetragen und deren Überbrückung am Ende unmöglich gemacht zu haben. Bildnachweis Manfred Akermann, Heidenheim: S. 166 unten. – Karl-Heinz Rueß, Göppingen, S. 151, 156, 166 oben, 171, 172. – Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, S. 164. – Stuttgart, Württembergisches Landesmuseum: S. 167. – Würzburg, Staatsarchiv: S. 162.

Die Konstitutionen Friedrichs II. für sein Königreich Sizilien – Anspruch und Textgestalt Mit Recht hat man die Konstitutionen Kaiser Friedrichs für sein Königreich Sizilien immer zu den eindrucksvollsten und bedeutendsten Leistungen des Staufers gezählt. Ähnlich wie wohl dessen Person und Wirken überhaupt sind sie einerseits Ausdruck ihrer Zeit und der ihr gegebenen Möglichkeiten, weisen sie andererseits durch die Konzentration der vorgefundenen Ansätze und die Konsequenz ihrer Anwendung über ihre Gegenwart hinaus.1 Bereits Friedrich selbst betonte denn auch klarsichtig sowohl die Bindung an seine Vorgänger und Vorfahren, wie das Neue seines eigenen Beginnens. Auf die Einbeziehung der sanctiones der früheren sizilischen Könige in seine Konstitutionensammlung wies er gleich in deren Prooemium unüberhörbar hin, und in der Tat finden sich dort 38 Gesetze Rogers II. und 27 Gesetze König Wilhelms, in aller Regel Wilhelms II., die allesamt ausdrücklich unter deren Namen aufgeführt wurden. Ihre Verfasserschaft dokumentieren jene Handschriften, die das Corpus von 1231 überliefern, noch heute recht einhellig. Daneben zitierte Friedrich in seiner Konstitution I 14 wörtlich mit dem Hinweis auf die divorum parentum nostrorum scita drei weitere Bestimmungen Rogers und verwies auch sonst des öfteren auf die predecessorum nostrorum assisiis comprehensa, teilweise offenbar, soweit sich das überprüfen läßt, ebenfalls unter Übernahme einzelner Begriffe

Erstdruck: Esch, Arnold/Kamp, Norbert (Hg.): Friedrich II. Tagung des Deutschen Historischen Instituts in Rom im Gedenkjahr 1994, Tübingen 1996 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 85), S. 263-275. 1

Die folgenden Zeilen berichten von Ergebnissen der eben abgeschlossenen Arbeit an der kritischen Edition der Konstitutionen Friedrichs für das Königreich Sizilien und stellen einige Probleme zur Diskussion, die sich in diesem Zusammenhang ergeben. Ausführliche Daten, Argumente und Nachweise bietet die Neuedition: Stürner, Wolfgang (Hg.): Die Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien, Hannover 1996 (MGH Const. 2, Supplementum). Deshalb sind hier nur die wichtigsten Belege genannt. Friedrichs Gesetzestext ist bereits nach der Neuedition zitiert („Konst.“). Deutsche Übersetzung: Conrad, Hermann/von der Lieck-Buyken, Thea/Wagner, Wolfgang (Hg.): Die Konstitutionen Friedrichs II. von Hohenstaufen für sein Königreich Sizilien, Köln/Wien 1973.

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aus jenen Assisen.2 Immer wieder [264] erscheint darüber hinaus die Zeit König Wilhelms II. als Maßstab für sein eigenes gesetzgeberisches Tun.3 Sehr viel ausführlicher und deutlicher stellt Friedrich freilich seine eigene, gegenwärtige Stellung als Kaiser heraus, seine von Gott empfangene, vor ihm zu verantwortende Aufgabe, in seinem Königreich Frieden durch Gerechtigkeit, durch Gesetzgebung und Rechtsprechung zu schaffen, die segensvolle neue Zeit, die für Sizilien mit seiner Herrschaft angebrochen sei. Die Exordien vieler Gesetze verkünden diese Vorstellung,4 am ausführlichsten, wirkungsvollsten und geschlossensten aber sicher das Prooemium zum Gesamtcorpus. Dieser Text nimmt eine lange Tradition abendländischen Staatsdenkens auf und fügt wesentliche Bausteine daraus genial zu einem neuartigen Ganzen zusammen. Er leitet aus der menschlichen Sündhaftigkeit, aus der tief in der Natur des Menschen verwurzelten und seine Existenz bedrohenden Neigung zum Bruch von Gottes Ordnung die Notwendigkeit herrscherlichen Wirkens ab. Gott ermöglicht in seiner Fürsorge und Gnade dieses existenzrettende Herrschertum. Als die zentrale Pflicht jedes Regenten erweist es sich demnach folgerichtig, in unmittelbarer, ausschließlicher Verantwortung vor Gott seine Untertanen durch iustitia und pax zu Gottes bewahrender Ordnung zurückzulenken und nötigenfalls zurückzuzwingen. Friedrich sah sein Gesetzbuch als Erfüllung dieser Verpflichtung und bezeichnete es deshalb ausdrücklich als ein Gott in reverentiam Iesu Christi dargebrachtes Opfer, als die biblischer Aufforderung folgende verdoppelte Rückgabe der anvertrauten Talente.5 Im Königreich Sizilien stand das kaiserliche Werk offenbar von Anfang an in entsprechend hohem Ansehen. Das zeigt sehr deutlich etwa die Geschichte seiner wissenschaftlichen Kommentierung. Vielleicht begann seine Glossierung schon zu Friedrichs Lebzeiten – jedenfalls wurde sie spätestens seit dem letzten Drittel des 13. Jahrhunderts äußerst intensiv betrieben. Dabei setzte sich allem nach sehr rasch das vermutlich in den

2

3 4 5

Konst. I 44 mit Bezug auf Rogers im Cod. Montecassino 468 X überlieferte Assise Ass. Cass. 36, ed. Zecchino, Ortensio: Le Assise di Ariano, Cava dei Tirreni 1984, S. 96, vgl. Konst. I 72.1; in Konst. I 14 Zitat von Rogers im Cod. Vat. Lat. 8782 überlieferten Assisen Ass. Vat. 37, 38 und 39, ed. Zecchino, S. 58 und S. 62. Vgl. etwa Konst. I 7, III 32. Siehe dazu die Konst. I 31, I 38.1 oder III 94. Zur Interpretation des Prooemiums siehe Stürner, Wolfgang: Rerum necessitas und divina provisio. In: DA 39 (1983), bes. S. 495-529 [in diesem Band S. 89-126].

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siebziger Jahren konzipierte Werk des königlichen Großhofrichters Marinus von Caramanico als die maßgebende Glossa ordinaria durch, und noch heute spiegelt die handschriftliche Überlieferung etwas von ihrer einstigen Vorrangstellung wider: In vier der sechs greifbaren vollständigen, also auch die Novellen enthaltenden Konstitutionen-Handschriften begleitet sie den Gesetzestext. Aber auch andere Zeugnisse für die Wirkung und Geltung des kaiserlichen Gesetzbuches fehlen keineswegs. Gar keine Beachtung fand bisher die Tat[265]sache, daß man nach Ausweis der heute von der Yale University Library verwahrten früheren Philipps-Handschrift 6063 offenbar schon Ende des 13. Jahrhunderts daranging, Friedrichs Corpus in einer besonderen Form zu verbreiten: Man schrieb die Rubriken sowie die Eingangsworte der einzelnen Gesetze fortlaufend nieder und referierte dann jeweils in wenigen, einfachen Sätzen deren Inhalt, zum Teil in Anlehnung an den originalen Wortlaut. Wahrscheinlich sollte diese Kurzfassung einen raschen Überblick über Friedrichs Gesetzgebung ermöglichen. Vielleicht war sie als erste Einführung in die Rechtsmaterie etwa für angehende Verwaltungsbeamte gedacht, vielleicht auch schon als ein Leitfaden zur Prinzenerziehung. Eben dieser Bestimmung nämlich dienten wohl in der Tat zwei ganz entsprechend aufgebaute Codices, die während des letzten Viertels des 15. Jahrhunderts in Neapel geschrieben wurden und später nach Valencia bzw. Madrid gerieten. Beide erläutern den Inhalt der Konstitutionen zwar nun auf italienisch, aber in deutlicher Abhängigkeit von dem wesentlich älteren Yale-Text. Die eine Handschrift (Valencia, Bibl. de la Universidad, M 814), prächtig ausgestattet und seit einigen Jahrzehnten verschollen, entstand im Auftrag des 1487 gestorbenen einflußreichen Neapolitaner Adligen und Prinzenerziehers Diomede Carafa. Die andere (Madrid, Bibl. Nac., Ms. 568) ist eher noch üppiger geschmückt und gibt sich schon durch ein Widmungssonett und die Eingangsrubrik auf dem ersten Blatt, beides in Goldmaiuskeln, klar als ein Werk zu erkennen, das für Friedrich angefertigt wurde, jenen zweiten Sohn König Ferdinands I., der den väterlichen Thron nach dem Tod von Bruder und Neffen 1496 unerwarteterweise gewann und schon 1501 wieder verlor. Sinn des Codex sollte es sein, den Fürsten Friedrich in das Gesetzescorpus des Kaisers Friedrich einzuführen. Eine weitere heute in Madrid (Bibl. Central de la Universidad, 117-Z-46) befindliche, 1503 in Alcalá de Henares verfertigte Handschrift faßt die Gesetze in ganz ähnlicher Weise zusammen, diesmal zur Unterweisung und zum Ansporn Ferdinands von Aragon, des damals bereits in Valencia im Exil lebenden älteren Sohnes von König

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Friedrich. Alle diese Arbeiten verdienen unsere Aufmerksamkeit als Belege für die Hochachtung, die Kaiser Friedrichs Gesetze noch im ausgehenden 15. Jahrhundert am aragonesisch-neapolitanischen Königshof genossen – ganz abgesehen von ihrer Bedeutung für die Geschichte der handschriftlichen Konstitutionen-Überlieferung. Damit sind die Konstitutionen-Handschriften selbst in unseren Blick geraten, zweifellos die wichtigsten Zeugen nicht allein für Rang und Wert der kaiserlichen Gesetzgebung, sondern vor allem für die Textgestalt, in der das kaiserliche Werk Verbreitung fand und wirkte. Wir kennen heute – von neuzeitlichen Abschriften abgesehen – acht vollständige Konstitutionen-Codices. Dazu kommen ein in der Klosterbibliothek von Montecassino erhaltenes [266] Fragment, eine 1870 verbrannte Straßburger Handschrift, die beiden Codices mit der griechischen Übersetzung sowie drei Handschriften mit Novellen-Sammlungen. Für die Textherstellung stehen damit insgesamt vierzehn Codices zur Verfügung, von denen einige allerdings nur einen unvollständigen Wortlaut bieten. Sie stammen (mit einer Ausnahme) ziemlich sicher durchweg aus dem sizilischen Königreich. Fünf Handschriften gehören noch ins 13. Jahrhundert, die übrigen wurden im 14. und 15. Jahrhundert abgeschrieben. Sicherlich ist diese Bilanz quantitativ etwas mager, müssen wir doch im Blick auf die Rechts- und Verwaltungspraxis im Königreich Sizilien erwarten, daß dort insgesamt beträchtlich mehr Gesetzesexemplare als die uns bekannten im Umlauf waren. Aus den Äußerungen der bereits erwähnten Glossatoren geht denn auch hervor, daß diese gelehrten Juristen meist nebeneinander mit mehreren Versionen von Friedrichs Corpus arbeiteten, die sich vor allem durch ihre Rubrizierung und die Reihenfolge der Gesetze unterschieden und die uns heute vielfach verloren sind. Sie verglichen sie und diskutierten den Wert der ihnen vorliegenden Varianten. So offenbaren ihre Kommentare die Lücken unserer Handschriften-Überlieferung; sie helfen aber auch nicht unwesentlich bei der Interpretation und sinnvollen Auswertung der erhaltenen Handschriften. Zum einen spricht alles dafür, daß sich die Glossatoren zwar mit einer Mischung aus Respekt und kritischer Distanz ihren Arbeitsexemplaren zuwandten, jedoch in deren Textbestand ganz offenbar nicht selbst verändernd eingriffen. Sie fanden die aus ihren Bemerkungen wie einigermaßen auch im erhaltenen Handschriftenmaterial faßbare Vielfalt der Überlieferung also schon vor. Zum anderen erfahren wir aus den Angaben der Glossatoren, daß sie von Beginn an ausgiebig eine Fassung des Corpus zu Rate zogen, die sich mit demselben Bestand und in derselben Ordnung der Konstitutionen in

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den heute bekannten bzw. sicher zu erschließenden Codices mehrfach wiederfindet, nämlich in sieben Handschriften aus dem 13., 14. und 15. Jahrhundert. Die hier greifbare Version von Friedrichs Gesetzbuch wahrte ihre Eigentümlichkeiten also mit bemerkenswerter Zuverlässigkeit bis zum Ausgang des Spätmittelalters. Das erstaunt vor allem deshalb, weil sie bei weitem nicht alle kaiserlichen Gesetze enthält, vor allem kein einziges jener Gesetze, die die Glossa ordinaria des Marinus als Novellen bezeichnet oder die wir heute für Novellen halten müssen. Bereits Capasso6 sah in diesem Umstand ein überzeugendes Argument dafür, daß wir es hier mit dem ursprünglichen, in Melfi 1231 [267] erlassenen Gesetzescorpus zu tun hätten. Im Blick auf die nunmehr wesentlich zuverlässigere und breitere handschriftliche Basis wird diese Vermutung zur größten Wahrscheinlichkeit. Daß eine unvollständige, für den praktischen Gebrauch auf ergänzende Kollektionen angewiesene Version über Jahrhunderte geschätzt, in Bestand und Struktur weitgehend unverändert bewahrt und tradiert wurde, dahin mochte es in der Tat am ehesten deswegen gekommen sein, weil sie von Anfang an und durch die Zeiten als die ursprüngliche Sammlung Friedrichs galt. Dieses besondere Ansehen wird vermutlich auch Glossatoren wie vor allem Marinus von Caramanico veranlaßt haben, bei der Kommentierungsarbeit neben erweiterten Versionen immer wieder sie heranzuziehen, wenn sie ihnen nicht einfach ganz praktisch zur sicheren Identifizierung der Novellen diente. Schließlich spricht für den besonderen Rang dieser unvollständigen Fassung, daß man sich eben auf sie stützte, als man gegen Ende des 13. Jahrhunderts begann, den Inhalt von Friedrichs Konstitutionen etwa in der Handschrift der Yale Library zum Zwecke der Einführung kurz zusammenzufassen. Und selbst noch die fast 200 Jahre später am Hofe der aragonesischen Könige in Neapel entstandenen, oben beschriebenen Lehrbücher für die Prinzenerziehung hielten sich genau an ihre äußere Struktur. So darf man aufgrund dieser Besonderheit der Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte doch wohl davon ausgehen, daß die in Frage stehenden Codices die Gesetzgebung von Melfi tradieren. Sehr schwer fällt es, etwas Hieb- und Stichfestes über den offiziellen Namen von Friedrichs Gesetzbuch zu sagen. Hieß es etwa „Liber augustalis“? Die dem nahekommenden griechischen Begriffe βασιλικòς

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Capasso, Bartolomeo: Sulla storia esterna delle costituzioni di Federico II. In: Atti dell’ Accademia Pontaniana 9 (Neapel 1871), S. 394-398, 421-424.

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νόμος bzw. βασιλικαì διατάξεις begegnen freilich nur in einem vom Schreiber stammenden Gedicht in einer der beiden griechischen Handschriften bzw. in deren Rubrikenverzeichnis; im eigentlichen Gesetzestext aber stehen sie für die lateinische Wendung constitutiones regie und bezeichnen die Konstitutionen der normannischen Könige. Zwar eröffnen die Cassineser Fragmente das dritte Buch in der Tat mit dem Vermerk domini Fr'. Liber tercius augustalis incipit. Doch macht es der deutlich redaktionelle Charakter der zitierten Formel eher unwahrscheinlich, daß gerade sie den herrscherlichen Willen zuverlässig ausspricht, zumal ihr ursprünglicher Stellenwert angesichts des fragmentarischen Zustands der Handschrift zumindest offen bleibt. Ihr Wortlaut begegnet denn auch in keinem anderen Codex.7 Gewiß nennt Friedrich selbst sein Werk abschließend ein opus ... augustalis nominis titulo presignatum.8 Wie aus ähnli[268]chen, auf einzelne Gesetze bezogenen Formulierungen klar hervorgeht, meint er damit freilich nur, daß dieses opus durch seinen Titel, nämlich den vorangestellten kaiserlichen Namen, besonders ausgezeichnet worden sei, wie das in den meisten Handschriften auch tatsächlich der Fall ist. Sonst gebraucht Friedrich für das Konstitutionencorpus ganz unterschiedliche Ausdrücke. Nicht einen einheitlichen Namen wollte er offensichtlich seinen Untertanen einprägen, sondern die Tatsache, daß die neuen Gesetze allein durch seine kaiserliche Person und seinen Willen Geltung und Autorität gewannen. Es entsprach aber wohl durchaus seiner Absicht, wenn sich für sein Gesetzbuch dann recht schnell die Bezeichnung constitutiones imperiales oder vielleicht noch häufiger constitutiones augustales verbreitete. Die Bedeutung und der Rang des neuen Gesetzeswerkes, der Einschnitt, den seine Veröffentlichung im Rechtsleben des Königreiches markierte, waren den Beamten und Bewohnern des Regnum Sicilie wohl bewußt. Ein Urteil vom August 1231 etwa belehrt uns, daß das Hofgericht selbst jetzt noch nach langobardischem und Gewohnheitsrecht entschied, weil die kaiserlichen Konstitutionen, wie ausdrücklich gesagt wird, zwar fertig, aber noch nicht veröffentlicht und vom Kaiser zur Anwendung durch die Gerichte zugelassen seien.9 Diese Regelung unter-

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Nur noch der um 1500 entstandene Vatic. Ottobon. lat. 2945 bringt zu Beginn des zweiten Buches eine verwandte Formulierung, allerdings ganz eindeutig innerhalb eines längeren nachträglichen Einschubs. Konst. III 94, zum Folgenden siehe vor allem Konst. II 1. Heupel, Wilhelm E.: Der sizilische Großhof unter Kaiser Friedrich II., Leipzig 1940, S. 142f., Nr. XIII.

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streicht noch einmal das entscheidende Gewicht, das der Kaiser offenbar der Einführung seines Gesetzescorpus und deren sorgfältiger Vorbereitung, der perfekten Ausformulierung und schriftlichen Ausarbeitung zumaß. Umso erstaunter hören wir dann jedoch von Richard von San Germano, bereits im Juli hätten auf dem Gebiet des Klosters Montecassino bezüglich einer Reihe von Verbrechen amtliche Nachforschungen begonnen, wie sie erst das neue Gesetzeswerk vorsah.10 Noch früher, im Mai 1231, wies der Kaiser dem compalacius zu Neapel im Rahmen der Neuregelung seiner Einkünfte die Hälfte jener Strafsumme zu, die iuxta editum novum statutum factum contra delatores armorum hereinkommen würde.11 Er hatte damals also offenbar wenigstens einzelne Konstitutionen wie I 10 über das Verbot des Waffentragens vorweg schon gesondert in Kraft gesetzt. Sicher wird man dieser Inkonsequenz im kaiserlichen Verhalten seinem Werk gegenüber für sich allein keine allzu große Aufmerksamkeit schenken. Einigermaßen irritierend aber ist eine auffällige Unschärfe auch in einer ganz grundsätzlichen inhaltlichen Frage. Das Vorwort des kaiserlichen Werkes mündet in der Feststellung, künftig hätten im Königreich Sizilien allein die [269] im folgenden Corpus enthaltenen, unter seinem Namen laufenden Konstitutionen einschließlich der darin eingefügten Gesetze seiner Vorgänger Geltung. Alle dort nicht erscheinenden Gesetze aber, so heißt es abschließend klipp und klar, sollten künftig weder vor Gericht noch außerhalb der Gerichtshöfe irgendeine Geltung beanspruchen können. Gewiß ein eindeutiges Wort zugunsten der Kodifizierung – doch wie war es gemeint? Zeitgleich mit der Abfassung seines Gesetzbuches hatte Friedrich die tiefgreifende wirtschaftliche Neuordnung seines Königreiches in Angriff genommen und zu ihrer praktischen Durchsetzung eine Reihe von statuta und nove constitutiones erlassen, deren Inhalt wir aus den in die Provinzen des Königreichs hinausgehenden Mandaten einigermaßen kennen, von denen sich jedoch die wenigsten im Corpus von Melfi wiederfinden – und keineswegs die für die neue Wirtschaftspolitik grundlegenden. Ganz ähnlich beschäftigt sich jenes Corpus mit einem so wichtigen Bereich wie dem des Privatrechts gleichfalls nur am Rande.

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Richard von San Germano, Chronica ad 1231, ed. Carlo Alberto Garufi, Bologna 1936-1938, S. 175. Acta imperii inedita saeculi XIII, ed. Eduard Winkelmann, Bd. 1, Innsbruck 1880, S. 612, Nr. 780.

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Die Verfasser des Gesetzbuches waren sich der gewaltigen Lücken ihres Werkes durchaus bewußt und trafen Regelungen zur Lösung der damit zusammenhängenden Probleme. Sie taten dies jedoch auf merkwürdig beiläufig-zufällige Weise, durchaus nicht so präzise, daß zum mindesten die heutige Forschung damit zufrieden wäre. Es handelt sich um die bekannten Erwähnungen der hilfsweise neben den Konstitutionen Friedrichs heranzuziehenden Rechtsquellen, also vor allem um die Aufzählung der consuetudines approbate, der iura und der königlichen responsa in Konstitution I 47, gemünzt freilich auf die Rechtsprechung des adligen Pairsgerichts, und um die äußerst kurze Anweisung ähnlichen Inhalts an alle Richter in I 73.1.12 Spätere Ergänzungen verraten, daß man in diesem Punkt Regelungsbedarf sah; sie präzisieren die Dinge jedoch nicht weiter.13 So bleibt man – von der Bedeutung der Begriffe consuetudines bzw. iura communia und ihrem Verhältnis zueinander einmal ganz abgesehen – im Grunde auch über die Rolle im Ungewissen, die nach Friedrichs Meinung den Konstitutionen seiner normannischen Vorgänger zufallen sollte. Sie alle seien in sein Corpus aufgenommen, so sagt er im Schlußsatz seines Prooemiums eigentlich unmißverständlich. Da das jedoch ganz offensichtlich nicht der Fall ist und dieser Umstand ihm ganz sicher bekannt war, bleibt nur die etwas windige Interpretation, nach Friedrichs Worten [270] sollten alle 1231 berücksichtigten früheren Konstitutionen weiterhin gelten, alle anderen nicht – es sei denn, sie übernähmen unmittelbar römisches Recht, gehörten insofern also zu den iura communia.14 Gegen diese Sicht läßt sich indessen anführen, daß einige der normannischen Konstitutionen durchaus im Corpus von 1231 wiederkehren, obwohl sie wörtlich aus dem römischen Recht geschöpft sind und somit oh-

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Vgl. dazu noch die ebenfalls knappe, die iura communia mit dem Wort vel vage neben die königlichen Gesetze stellende Konst. I 30. Siehe den Einschub in Konst. I 62.1 sowie die Novelle I 95.3, zum Ganzen vgl. Dilcher, Hermann: Die sizilische Gesetzgebung Kaiser Friedrichs II., Köln/Wien 1975, S. 202-207; Hübner, Heinz: Die Gesetzgebung Kaiser Friedrichs II. von Hohenstaufen und das Privatrecht. In: Kroeschell, Karl (Hg.): Festschrift für Hans Thieme zu seinem 80. Geburtstag, Sigmaringen 1986, S. 103-107; Martino, Federico: Federico II: Il legislatore e gli interpreti, Mailand 1988, S. 63-69. So Dilcher, Gesetzgebung (wie Anm. 13), S. 16; vgl. ders.: Normannische Assisen und römisches Recht im sizilischen Stauferreich. In: Seidl, Erwin (Hg.): Aktuelle Fragen aus modernem Recht und Rechtsgeschichte. Gedächtnisschrift für Rudolf Schmidt, Berlin 1966, S. 473-480.

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nehin Gesetzeskraft behalten hätten.15 Andere finden sich zwar im Werk von 1231, werden jedoch wie die Konstitution I 6.1 Wilhelms über das Zinsnehmen im unmittelbaren Anschluß durch eine viel umfassendere, genauere und strengere kaiserliche Regelung praktisch überholt16 oder – noch merkwürdiger – durch ein eigenes kaiserliches Gesetz, das ihre Regelungen als unangemessen tadelt, ausdrücklich abgeändert und ersetzt, so etwa Wilhelms Konstitution I 58 über die unerlaubte Übernahme des Justitiariats durch I 48 oder Rogers Konstitution III 80 über die ihre Töchter zur Unzucht verleitenden Mütter durch III 85. Die Aufnahme all dieser normannischen Konstitutionen hat keinen erkennbaren juristischen Sinn. Sie erfolgte allenfalls, um Friedrichs Werk als Fortsetzung der Gesetzgebung seiner Vorfahren erkennbar zumachen. Galten nun aber deren nicht mehr berücksichtigten und vom römischen Recht nicht gedeckten Konstitutionen wirklich nicht mehr? Eine Bemerkung Friedrichs wie diejenige in der Konstitution I 44, wonach die gerichtlichen Aufgaben des Justitiars an sich schon durch die assise seiner Vorgänger17 genügend definiert, jetzt aber noch etwas klarer umrissen würden, setzt eigentlich die grundsätzliche Geltung dieser Assisen auch unabhängig vom Einklang mit dem römischen Recht voraus. Diese Vermutung verstärkt sich, wenn wir die Begründung hören, die Friedrich am Anfang von Konstitution I 22.2 für deren Erlaß gibt: Ohne dieses neue Gesetz wären Vergewaltigungen künftig straflos geblieben, da er den Zweikampf abgeschafft, die predecessorum nostrorum, regum Sicilie sanctiones für diese Straftaten aber eben den Zweikampf vorgesehen hätten.18 In die gleiche Richtung weist die Auskunft, mit der der Kaiser im Oktober 1238 die päpstlichen Klagen über die Berau[271]bung der Templer und Johanniter beschied: Der Wortlaut einer alten Konstitution des Königreichs Sizilien berechtige ihn zu diesem Vorgehen. Kurze Zeit später erneuerte er diese ursprünglich von Roger stammende antiqua constitutio wohl förmlich; sie ist als Novelle unter seinen Konstitutionen

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Etwa die Konst. I 4, I 5 oder I 20; vgl. auch Schminck, Christoph Ulrich: Crimen laesae maiestatis. Das politische Strafrecht Siziliens nach den Assisen von Ariano (1140) und den Konstitutionen von Melfi (1231), Aalen 1970, S. 85f. Konst. I 6.2; vgl. noch Konst. III 5.1 mit III 1 oder Konst. III 84 mit III 79. Gemeint ist Ass. Cass. 36, ed. Zecchino (wie Anm. 2), S. 96, vgl. oben Anm. 2. Vgl. dazu Niese, Hans: Die Gesetzgebung der normannischen Dynastie im Regnum Siciliae, Halle/Saale 1910, S. 184f.

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erhalten.19 Schon in einem Erlaß vom April 1235 schließlich befahl Friedrich seinen Justitiaren, die antiqua statuta seiner Vorgänger über die Küstenverteidigung neu einzuschärfen.20 Sind diese im Zusammenhang mit dem Erlaß der Gesetze von 1231 zu beobachtenden Unklarheiten und Widersprüche hinsichtlich der im Königreich Sizilien geltenden Gesetze merkwürdig genug, so haben wir im Blick auf die anschließende Novellierung bestehender und die Publikation völlig neuer Gesetze durch Friedrich gleichfalls manchen Anlaß zu Zweifel und Unsicherheit. Wir können nach Ausweis der Handschriften davon ausgehen, daß der Kaiser nach 1231 dreiundsechzig Gesetze völlig neu schuf und zweiundzwanzig vorhandene umformte. Einzelne Novellen wurden ihrerseits später ebenfalls verändert. Dazu kommen zehn Extravagantes, also nur in einzelnen Konstitutionen-Handschriften überlieferte Gesetze. Die kaiserliche Novellengesetzgebung setzte im Juli 1233 ein und wurde zunächst wenig intensiv betrieben. Erst der zweite päpstliche Bann vom März 1239 und die darauf erfolgende Neuorganisation des Königreichs Sizilien brachte im Herbst 1239 und dann vor allem im April 1240 anläßlich eines Hoftages in Foggia eine ganze Flut neuer Gesetze hervor. Vorwiegend den sizilischen Beamten und ihren Aufgaben gewidmet, regelten sie daneben aber durchaus auch etwa die vor Gericht einzuhaltenden Ladungsfristen, die Abfolge der Prozesse, den besonderen Rechtsschutz für Hilf- und Mittellose, die Bestellung von Anwälten oder den Schutz der Untertanen vor Belästigungen durch Beamte. Der erneute Umbau der Reichsverwaltung nach der Verschwörung vom Frühjahr 1246 führte dann zur zweiten und letzten großen Welle von Novellen auf dem Hoftag von Barletta im Oktober 1246. Sechs Handschriften überliefern uns heute vollständige Sammlungen von Friedrichs Gesetzen einschließlich der Novellen. Dazu kommen drei Handschriften mit reinen Novellensammlungen. Die vollständigen Handschriften ordnen ziemlich übereinstimmend eine relativ kleine Zahl von Novellen an verschiedenen Stellen des dritten und am Ende des zweiten Buches ein. Weitaus die meisten aber bringen sie im ersten Buch unter.

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Konst. III 29; kaiserliche Aussage vom 28.10.1238: Huillard-Bréholles, Jean-LouisAlphonse: Historia diplomatica Friderici secundi, 6 Teile in 11 Bänden, Paris 18521861, hier 5, S. 253. Niese, Hans: Materialien zur Geschichte Kaiser Friedrichs II. In: Nachrichten der K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen (1912), S. 408f., Nr. 13a, dazu ebd. S. 394-396.

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Dabei bewahren sie bei allen Differenzen im einzelnen vor allem zu Anfang und Ende von Buch I [272] und im Buch II und III eine erstaunlich einheitliche äußere Struktur. Diese Übereinstimmung mag sich, von gegenseitiger Beeinflussung einmal abgesehen, an manchen Stellen zwangsläufig aus der Sache selbst ergeben haben. Sie wird in den meisten Fällen aller Wahrscheinlichkeit nach aber doch auf uns unbekannte, einigermaßen genaue Verfügungen des Herrschers zurückzuführen sein. Im zentralen Hauptteil des ersten Buches freilich treten die Gemeinsamkeiten spürbar zurück. Stattdessen bildeten sich hier beim Einfügen von Novellen und modifizierten Konstitutionen-Texten, das in diesem Abschnitt zudem einherging mit der fast völligen Auflösung der 1231 geschaffenen Reihenfolge der Gesetze, deutlich voneinander unterschiedene, neue Ordnungsmuster heraus. Die erhaltenen Codices bewahren drei verschiedene Ordnungen. Keine von ihnen ist befriedigend. Sie alle lassen vielmehr erkennen, wie sich im Gefolge der recht einschneidenden Veränderungen des ersten Konstitutionen-Buches nur zu leicht Mißverständnisse und Fehler einschlichen. Überall gibt es das doppelte Vorkommen desselben Gesetzes, das Auslassen eines anderen, die parallele Aufnahme der alten wie der novellierten Fassung oder sogar das völlig sinnlose Ineinanderschachteln dieser beiden Versionen. Anhand des einzigen Strukturtyps, der in mehreren Handschriften vertreten ist und deshalb auch Vulgata genannt wird, können wir sehr gut beobachten, wie die Redaktoren der einzelnen Handschriften diese Mängel erkannten, sie durch Vergleich mit anderen Exemplaren auszumerzen suchten und dabei meistens neue Irrtümer produzierten. Entsprechende Äußerungen, ja Klagen der Glossatoren lehren uns, daß die Überlieferungssituation schon zu ihrer Zeit, im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts, diesbezüglich nicht anders war. Unsere Handschriften spiegeln mit ihrer verwirrenden Vielfalt und auch in ihrer Mangelhaftigkeit also wohl die Situation zur Zeit Friedrichs II. und seiner Söhne wider. Sicherlich geht die Schuld für diese unbefriedigende Lage der Überlieferung bis zu einem gewissen Grad auf das Konto der Schreiber und Redaktoren, also letztlich der königlichen Beamten, die sich neue Exemplare des Gesetzbuches anlegten oder vorhandene zu vervollständigen suchten. Da die äußere Struktur der Fassung von 1231 aber über Jahrhunderte hinweg zuverlässig tradiert wurde und auch die Handschriften mit Novellen ja nur bestimmte Partien von Friedrichs Werk, speziell im ersten Buch, so uneinheitlich überliefern, muß man annehmen, daß die Hauptursache hierfür schon in unklaren oder gar fehlenden Anweisungen des Herrschers selbst liegt. Soweit uns vor allem die Marseiller Exzerpte

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Einblick geben, erkennen wir in der Tat, daß Friedrich seine Gesetze auf sehr verschiedene Art an die Provinzbeamten hinaus gab. Zum Teil erhielten sie demnach den Gesetzestext [273] selbst, entweder begleitet von einem Schreiben mit näheren Anweisungen oder auch kommentarlos. Zuweilen faßte der Kaiser jedoch die wesentlichen Regelungen seiner Gesetze auch nur mehr oder weniger knapp zusammen. So mochte bei seinen Amtsträgern hin und wieder nicht nur die Frage nach der richtigen Einordnung der ihnen zugehenden Texte in das kaiserliche Corpus aufkommen, sondern sogar grundsätzliche Unsicherheit darüber, ob sie überhaupt dort eingefügt werden sollten. Vielleicht erklärt sich daraus der Umstand, daß in manchen Exemplaren des Gesetzbuches etwa ein eindeutiges Mandat begegnet (vereinzelt noch mit dem Durchführungsbefehl an den Beamten und – leider ein seltener Glücksfall – sogar mit dem Ausstellungsdatum), während ein vom Kaiser ausdrücklich als constitutio bezeichneter Text fehlt.21 Die fleißigen Bemühungen der Glossatoren wie schon die sehr deutlich in den Handschriften erkennbaren vergleichenden Studien der Redaktoren der Sammlungen verraten die Unsicherheit über den Gesetzesinhalt, den der Textzustand früh, offenbar schon zur Zeit Friedrichs selbst hervorrief. Sie hatte indessen ihre Ursache nicht nur in der Art, wie der Hof Gesetze im Land bekanntmachte, sondern auch in der hin und wieder erstaunlich ungenauen Formulierung der Novellierungen selbst. So achtete der Hof offenbar bei dieser Gelegenheit kaum darauf, etwa außer Kraft gesetzte Regelungen präzise zu bezeichnen. Vermutlich deshalb taucht beispielsweise die Konstitution I 43 über die Befugnis des Kapitäns und Oberjustitiars, Teil eines größeren Gesetzgebungskomplexes vom April 1240, in einigen Handschriften als eigenes Gesetz auf, obgleich sie nach der Umarbeitung dieses Komplexes im Jahre 1246 ganz offenkundig zu den nunmehr aufgehobenen Partien zählte. Gewiß aus dem gleichen Grund blieb die Konstitution I 53.2 in allen Novellenhandschriften un-

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Aus den Marseiller Exzerpten vgl.: Acta imperii inedita (wie Anm. 11) Bd. I, S. 617619, Nr. 791 (wörtliche Passagen aus Konst. III 49 bzw. III 47 mit besonderen Anweisungen); ebd. S. 628f., Nr. 808 (= Konst. III 28, ein Mandat; in den Exzerpten und einer Konstitutionen-Hs. noch mit Datum); ebd. S. 628, Nr. 807, S. 654, Nr. 850, S. 638f., Nr. 825 (drei Mandate, die sich, meist mit Datum, auch in einzelnen Konstitutionen-Hss. finden); ebd. S. 697-699, Nr. 921 (als constitutio bzw. sanctio bezeichnet, aber nur in eine einzige Konstitutionen-Hs. aufgenommen); siehe noch die Konst. III 23.2, die in zwei Hss. mit der kaiserlichen Publikationsanweisung an die Beamten (in einem Cod. mit folgendem Datum) schließt.

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verändert stehen, wiewohl Friedrich selbst Wesentliches daraus durch die Konstitution I 53.3 als dira et dura observatio aufgehoben hatte. Dieser Widerruf seinerseits aber findet sich nicht in allen Sammlungen, vielleicht weil ihn Konrad IV. 1252 erneut aussprach. Er ist im übrigen so vage formuliert, daß noch heute Kommentatoren darüber spekulieren, welche Bestimmungen er wohl im einzelnen erfassen sollte.22 [274] Mag sich dies und ähnliches noch aus mangelnder Erfahrung mit den Schwierigkeiten gesetzgeberischer Arbeit erklären, so fragt man sich doch, welche Geldbeträge die Baiuli, Richter und Notare tatsächlich einzogen, nachdem ihnen die zwischen 1240 und 1244 novellierte Konstitution I 73.1 zusammen den dreißigsten, die Konstitution II 47 von 1246 aber nur noch den hundertsten Teil des Streitwertes für die schriftliche Urteilsausfertigung zubilligte und beide Verfügungen offenbar in allen Gesetzessammlungen kommentarlos nebeneinander standen. Vor ein ähnliches Problem stellt uns die Regelung der Säumnisstrafe in Zivilprozessen. Die Konstitution I 99.1 hatte 1231 dafür die Zahlung eines Drittels der beweglichen Güter festgelegt. Ein späterer Zusatz zu dem Gesetz schrieb für Prozesse vor dem Baiulus die Zahlung eines Augustalen pro Monat vor, ohne zugleich ausdrücklich die Streichung der Drittelstrafe für diesen Fall zu bestätigen. Die dadurch entstandene Unklarheit zeigt sich nun sehr eindrücklich beim Umgang der verschiedenen Handschriften mit jenen Passagen der Konstitutionen I 99.2 und I 102, die ebenfalls die Säumnisstrafe vorsehen: Einige lassen die Änderung dort völlig beiseite, einige sehen beides, die Drittel- wie die Augustalenstrafe vor, andere nur die jüngere Augustalenstrafe. Manche lösen das Problem zudem in I 99.2 anders als in I 102. Wie mag da wohl die Praxis ausgesehen haben? In meinen Darlegungen ging es nicht um die Kluft zwischen Theorie und Praxis in Friedrichs Königreich, auf die die jüngere Forschung mit Recht aufmerksam machte, sondern um merkwürdige Unschärfen, Nachlässigkeiten und geradezu Widersprüche in Friedrichs Gesetzeswerk selbst, wie sie bei der Editionsarbeit besonders deutlich werden, um Spannungen gewissermaßen innerhalb der Ebene der Theorie. Sicher mag manches davon einfach der Überlieferung und ihren Unwägbarkeiten, anderes der begreiflichen Unerfahrenheit der an der Gesetzgebung Beteilig-

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Siehe Dilcher, Gesetzgebung (wie Anm. 13), S. 235f; Konrads Widerruf: Quod liceat accusato et denunciato reprobare testes (c. 7), ed. Finocchiaro-Sartorio, Andrea: Le leggi di Corrado IV. In: Studi storici e giuridici offerti a F. Ciccaglione, Bd. 1, Catania 1909, S. 260.

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ten zuzuschreiben sein. Vieles aber, und gerade auch Dinge, die den Kern des Gesetzeswerkes und seiner Funktion berühren, ist eigentlich bei einem Mann von der Bewußtheit und intellektuellen Schärfe Friedrichs und angesichts seines bestens ausgebildeten Helferkreises und seiner Möglichkeiten schlechthin unbegreiflich. Freilich nur, wenn wir davon ausgehen, daß Friedrich danach strebte, seine Vorstellungen von der gerechten Ordnung seines Reiches widerspruchsfrei, in letzter Vollkommenheit und ein für alle Male gültig zu formulieren und schriftlich niederzulegen. Manches spricht jedoch dafür, daß dies – gewissermaßen die Schaffung eines Castel del Monte der Gesetzgebung – nicht seine Absicht war, ja daß ein solches Vorhaben seiner Vorstellung von Recht und Gerechtigkeit geradezu widersprochen hätte. [275] Der Herrscher war nach Friedrichs Überzeugung von Gott gesetzt, um unter den sündigen Menschen Gerechtigkeit und damit ein lebensnotwendiges, ihre Existenz sicherndes Stück göttlicher Ordnung zu verwirklichen. Dies galt ihm als schwere, fortwährende, nie endende Aufgabe. Da die sündigen Menschen dauernd neue Verbrechen, Laster und Mißbräuche erfinden, haben die Principes nach seinen Worten23 ständig neue heilende Gegenmittel zu ersinnen, um das Böse auszurotten und die Tugend zu fördern. Er selbst wandte sich deshalb sogar noch in der kurzen Ruhe des Waffenstillstands rastlos dieser Aufgabe zu, um so schließlich voller Mühe, einem Bauern vergleichbar, der aus einem Acker einen Park schafft, sein Reich allmählich zur norma regnorum zu wandeln. Nun bedurfte das Recht zwar um seiner sicheren und gerechten Anwendung willen der schriftlichen Fixierung; aus Friedrichs Erfahrung vom raschen Wandel der menschlichen Laster ergab sich aber auch, daß die Gesetze mit ihrer Niederschrift im Grunde sofort zu veralten begannen. Die aktuelle, in der jeweiligen Gegenwart mit ihrer spezifischen Problematik allein gültige und maßgebende Deutung des als gerecht Anzusehenden konnte daher allein direkt vom Herrscher selbst kommen. Aus diesem Grunde lag Friedrich vor allem die unmittelbare und strenge Verwirklichung seines je aktuellen Willens als des sichersten Ausdrucks der iustitia am Herzen; aus diesem Grunde war sein Urteil, wie er immer wieder einschärfte, bei jedem Zweifel direkt einzuholen. Vielleicht liegt es wenigstens zu einem Teil auch an dieser gewissermaßen dynamischen

23

Siehe zum Folgenden bes. Konst. I 38.1, vgl. I 95.1 oder auch die diligenciori deliberacione habita getroffene Neuregelung Acta imperii inedita (wie Anm. 11), Bd. I, S. 654, Nr. 850.

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Auffassung des Kaisers von Recht und Gerechtigkeit, wenn sich unsere hohen Erwartungen hinsichtlich innerer Stimmigkeit, Klarheit und Konsequenz bei der Durchsicht seines Gesetzgebungswerkes nicht an allen Stellen gleichermaßen erfüllen wollen.

Nachtrag 2011 Die auf S. 177 als verschollen bezeichnete Handschrift Valencia, Bibl. de la Universidad, M 814, ist wieder aufgetaucht, siehe: Un’epitome in volgare del „Liber Augustalis“. Il testo quattrocentesco ritrovato ed edito da Domenico Maffei, Rom-Bari 1995, vgl. dazu Stürner, Wolfgang: Eine wiedergefundene Handschrift mit der italienischen Kurzfassung der Konstitutionen Friedrichs II., ZRG Kanon. Abtl. 83 (1997), S. 585-588.

III. Herrschaftspraxis Die Gründung der Universität Neapel durch Kaiser Friedrich II. (1224) Das ausgehende 12. Jahrhundert brachte für die Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte Europas einen entscheidenden, bis zur Gegenwart wirksamen Umbruch: Fast gleichzeitig entstanden in Paris und Bologna Universitäten. Damit verabschiedete sich das wissenschaftliche Leben endgültig von der Einsamkeit der frühmittelalterlichen Klosterschulen und verlagerte sich unmittelbar in die neuen, eben erst in der Entfaltung begriffenen großen städtischen Zentren, in die modernen Mittelpunkte der gesellschaftlichen wie politischen, der sozialen wie wirtschaftlichen Entwicklung. Die Wissenschaft stand dort fortan weit direkter als bisher in Bezug zum allgemeinen Geschehen ihrer Zeit; sie gewann daraus Anregungen, erfuhr dadurch Behinderung, sie geriet in Widerspruch dazu. An den neuen Universitätsstädten versammelte sich eine große Zahl von Lehrern, die eine Fülle von Fächern anboten und den verschiedensten Methoden huldigten, die in harter Konkurrenz auf die hohe Qualität ihrer Leistungen achten mußten und je länger, desto selbstbewußter auf die Freiheit ihrer Tätigkeit Wert legten. Zu ihnen strömten bis dahin nicht gekannte Studentenmassen. Erst das neue, leistungsfähige, auf Marktproduktion und Geldwirtschaft, Spezialisierung und Differenzierung gegründete Wirtschaftssystem jener Tage ermöglichte das Zusammenleben so vieler nicht-produzierender Menschen an einem Ort, war in der Lage, ihnen allen in den großen Metropolen Nahrungsmittel und Mietwohnungen, Bücher oder Darlehen bereitzustellen. Erst jetzt gab es aber auch in breiteren Kreisen Interesse an der Bildung. Zum einen versprach eine gute, akademische Erziehung eine erfolgreiche Karriere an einem fürstlichen oder königlichen Hof, in der Verwaltung einer Stadt und insbesondere bei der Kirche – und wo ließen sich jene Kontakte, die nötig waren, um die spätere glanzvolle Berufslaufbahn vorzubereiten, besser knüpfen, als während des Studiums in einer großen Stadt, zumal in Paris, der werdenden Hauptstadt eines aufsteigenden Königreiches? Zum anderen aber – und

Erstdruck: Horizonte 4 (1999), S. 7-20.

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dies erklärt die neue Attraktivität der gehobenen Bildung zum mindesten ebenso gut – verbesserte sich im Ver[8]lauf des 12. Jahrhunderts die Qualität der wissenschaftlichen Leistungen erheblich. Die Wissenschaftler bedienten sich neuer durchdachter Methoden und interessierten sich für eine wachsende Zahl von Fächern.1 Gesellschaftliche Krisen wie der sogenannte Investiturstreit hatten die Intellektuellen jener Zeit die Bedeutung der eigenen Ratio und die wichtige Aufgabe erkennen lassen, mit ihrer Hilfe nachvollziehbare Wege zur Wahrheitsfindung zu entwickeln. Bahnbrechend für die ganze folgende Epoche der Scholastik war dies Abaelard mit seiner dialektischen Methode geglückt, die gegensätzliche Aussagen beim Namen nannte, diskutierte und so eine klare, nachvollziehbare Lösung der Probleme zu finden suchte. Das neue, intensive Erleben der eigenen Fähigkeiten und Grenzen machte jedoch auch neugierig auf ähnliche Erfahrungen anderer. Die Gelehrten wandten sich jetzt weit intensiver als früher den Schriften der Antike zu; vor allem die griechische Philosophie und Medizin, die Arbeiten des Aristoteles oder Galen erregten ihre Aufmerksamkeit. Da diese bisher nur zum Teil in lateinischer Sprache vorlagen, setzte eine Welle von Übersetzungen einschlägiger Texte ein. Dabei stützte man sich meist auf die Vermittlung durch arabische Zwischenstufen und gewann mit ihnen zusammen zugleich die Kenntnis der Kommentare und Ergänzungen arabischer Gelehrter wie Avicenna und später Averroës. Der Vorgang veränderte die höhere Bildung stark. In den GrundlagenFächern, den Artes liberales, gewann die Dialektik als die Methode der Wahrheitsfindung schlechthin entscheidendes Gewicht, und ganz folgerichtig hatte ein gründliches Studium dieser Basis-Disziplinen fortan dem Fachstudium der Theologie, Kanonistik, Legistik oder Medizin in der Regel vorauszugehen. Außerdem erweiterte sich das Spektrum der ArtesFächer insbesondere um die Naturphilosophie und Naturwissenschaft, und das Niveau des dort Gebotenen erhöhte sich ganz generell. Das Zusammenleben der Lehrenden und Studenten untereinander wie mit der Einwohnerschaft und den Behörden der großen Städte führte freilich zu einer Fülle von Schwierigkeiten, zu teilweise ernsthaften Zuspit-

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Siehe dazu und zum Folgenden: Rüegg, Walter: Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1: Mittelalter, München 1993; Verger, Jaques: Les universités françaises au Moyen Age, Leiden 1995; Weimar, Peter/Colliva, Paolo: Bologna. Die Rechts- schule. Universitates. In: Lexikon des Mittelalters 2, München 1983, Sp. 374-387; Classen, Peter: Studium und Gesellschaft im Mittelalter, Stuttgart 1983 (Schriften der MGH 29).

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zungen und manchmal sogar zu gewaltsamen Konflikten. Es gab Konkurrenzneid und Mißgunst unter den Lehrenden, Streit um Einkünfte, Lehrinhalte und Kontrollen. Die Studenten mußten als Fremde um ihre Rechte in den Universitätsstädten schwer kämpfen, sie hatten Sorgen mit dem Lehr[9]stoff und den Lehrenden wie um ihr materielles Auskommen. Die Städte suchten den Lehrbetrieb in ihren Mauern zu halten, weil er den Ruf ihrer Kommune hob und Geld brachte. Sie zögerten freilich auch nicht, auf vielfältige Weise darauf Einfluß zu nehmen und Kontrolle auszuüben. Um ihre Interessen sowohl der öffentlichen Gewalt des Königs und der Stadt wie dem Bischof oder den Studenten gegenüber wirkungsvoller durchzusetzen, schlossen sich deshalb in Paris kurz vor 1200 die Magister der Stadt zu einer universitas zusammen, zu einem Verband, der einer Zunft ähnlich vor allem die Vorstellung der Lehrenden formulierte und zu verwirklichen strebte, wenngleich er bald auch die Anliegen der Studierenden mitberücksichtigte. Die neue universitas magistrorum kämpfte also etwa für die Lehrfreiheit und die von ihr als sinnvoll erkannten Lehrinhalte, für die Sicherung der Bezahlung der Professoren und deren eigenes Gericht; sie legte Regelungen für die Examina und Vorschriften für das Verhalten von Professoren und Studenten fest. Da sie sich mit ihrer Konzeption im Laufe der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts im wesentlichen durchsetzte, wurde die Universität Paris zu einer dauerhaft und wesentlich von den Lehrenden geprägten Anstalt. Sie repräsentierte, vielfach nachgeahmt, geradezu den Typ der Magister-Universität. Fast noch etwas eher vollzog sich eine grundsätzlich ähnliche Entwicklung in Bologna. Dort arbeiteten schon seit dem Ende des 11. Jahrhunderts eine Reihe sehr geschätzter Notars- und Rechtsschulen, die früh den Wert der neuen wissenschaftlichen Möglichkeiten, besonders der Methode der Dialektik, erkannten, mit ihrer Hilfe das römische Recht bearbeiteten und kommentierten und so dessen Inhalt und überragende Bedeutung der Gegenwart erschlossen. Besonders berühmte Lehrer nahmen Kontakt mit den Kaisern auf, wurden etwa von Friedrich I. Barbarossa als Sachverständige befragt. Ihr Ruf ließ die am Recht und an einer Karriere als Jurist Interessierten aus ganz Europa nach Bologna strömen – mit der Folge, daß auch hier Schwierigkeiten im städtischen Zusammenleben auftraten. Die besondere Situation führte in Bologna jedoch zu einer anderen Lösung als in Paris. Die Bologneser Lehrer übten ihren Unterricht als eine Art Privatunternehmer in ihren eigenen Wohnungen aus und lebten anders als die meist durch kirchliche Pfründen gesicherten Pariser Magister

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ganz vom Honorar der Studenten. So gab es große Konkurrenz unter ihnen und eine grundlegende Abhängigkeit von den Studenten. Diese, vielfach schon erfahrene Männer, Kleriker und Adlige in oftmals bedeutenden Positionen, setzten ihr Gewicht und Geschick ein, um die Verhältnisse in Bologna in ihrem Sinn zu beeinflussen, für die Lehre des Rechts dort eine gesicherte und verläßliche Form zu schaffen. Von ihnen, nicht wie in Paris von den Lehrenden, ging hier also die Initiative aus. Sie, und zwar fürs erste die [10] Juristen allein, schlossen sich zu zwei universitates der italienischen bzw. nicht-italienischen Studenten mit je einem Rektor zusammen. Sie drangen mit ihren Forderungen hinsichtlich der Lehre, der Pflichten der Professoren und deren Bezahlung durch und erreichten die Garantie ihrer Freiheiten gegenüber der Stadt, die Sicherung von Wohnung, Mietpreis und Lebensmittel, sowie die Gerichtshoheit der beiden in der Praxis eng kooperierenden Rektoren über die Studierenden. So entstand in Bologna zugleich mit Paris im Laufe der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein zweiter, gleichfalls des öfteren übernommener Typ der Universität, die Studenten-Universität. Wiederum etwa gleichzeitig und wieder in Italien entwickelte sich aber auch noch ein dritter Typ, die Staatsuniversität. Darum handelte es sich nämlich bei der für die Zukunft bedeutungsvollen Gründung der Universität Neapel durch Friedrich II. im Jahre 1224. Friedrichs Schöpfung gehört eng zusammen mit der grundlegenden Reform, der er das Königreich Sizilien nach der Kaiserkrönung und seiner Rückkehr in das Land Ende 1220 unterzog. Dabei leitete ihn ganz wesentlich die Überzeugung, ein Herrscher habe Garant der Rechte seiner Untertanen zu sein. Der Rechtsordnung und dem Gerichtswesen, einer effizienten, schnellen und sachkundigen Rechtssprechung maß er entscheidende Bedeutung für den Erfolg seiner Herrschaft zu.2 Wichtig für die Ausgestaltung seines Reformkonzepts im einzelnen war wohl Friedrichs Begegnung mit Roffred von Benevent, einem Rechtsgelehrten, der in Bologna studiert und als Professor gewirkt hatte, dann als gesuchter Rechtsberater in der Toskana arbeitete.3 Friedrich

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Zum Folgenden: Kamp, Norbert: Friedrich II. im europäischen Zeithorizont. In: Esch, Arnold/Kamp, Norbert: Friedrich II. Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, Bd. 85, Tübingen 1996, S. 1-22; Stürner, Wolfgang: Die Konstitutionen Friedrichs II. für sein Königreich Sizilien – Anspruch und Textgestalt, ebd. S. 263275 [in diesem Band S. 175-189]. Kamp, Norbert: Roffredus de Epiphanio. In: Lexikon des Mittelalters 7, München 1995, Sp. 936.

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lernte ihn bei seiner Kaiserkrönung im November 1220 kennen und gewann ihn als maßgebenden Berater beim Neuaufbau des sizilischen Justizwesens. Als wichtigstes Ergebnis der Zusammenarbeit kann zunächst die Neustrukturierung der obersten Gerichtsinstanz des Königreiches, des Großhofgerichts gelten, das künftig zwar noch unter einem hochadligen Leiter stand, zu dessen Richtern nun aber durchweg angesehene juristische Fachleute berufen wurden. Es handelte sich jetzt in aller Regel um Angehörige der führenden städtischen Richterfamilien, die ein Universitätsstudium vorweisen mußten, um in ihr hohes Amt zu gelangen. Die überragende Bedeutung der iustitia für das herrscherliche Regiment führte demnach folgerichtig zur Forderung nach höchster Qualität für die Richter. Diese aber konnte – ein [11] Zeichen für das Prestige Bolognas – nur ein Universitätsstudium gewährleisten. Die gleiche Anschauung beeinflußte auch die Zusammensetzung der Gerichte in den Provinzen und Städten des Landes, auch dort erscheinen als Richter in Straf- wie Zivilprozessen zunehmend studierte Richter meist bürgerlicher Herkunft. Die neue Bedeutung der Wissenschaft, hier der Rechtswissenschaft, hatte also sofort auch soziale Folgen. Sie ermöglichte wenigstens den führenden Kreisen des Bürgertums den Aufstieg in höchste Staatsämter und die teilweise Verdrängung des Adels und der Kirche. Petrus de Vinea, ein Jurist aus dem Bürgertum von Capua und führender Berater Friedrichs, ist das bekannteste Beispiel für diese Konsequenz der Politik des Staufers.4 Angesichts des wachsenden Bedarfs an juristischen Fachleuten stellte sich natürlich die Frage, wie und woher sie gewonnen werden könnten, mit besonderer Dringlichkeit. Das Regnum war von Bologna oder vergleichbaren, ähnlich renommierten und leistungsfähigen Studienzentren relativ weit entfernt. Andererseits hatte der Kaiser – auch dies mochte bei seinen Überlegungen eine Rolle spielen – dem Papst gelobt, mit der Verwaltung Siziliens ausschließlich Einheimische zu betrauen. Da lag der Gedanke zweifellos nahe, die für den Staatsdienst benötigten Kräfte im Lande selbst auszubilden, und Friedrich entschied sich in der Tat sehr rasch für diese Lösung: Im Juli 1224 gab er in einem umfangreichen Rundschreiben, vielleicht einem der ersten Dokumente, das Petrus de Vinea in seinem Auftrag formulierte, den Einwohnern des Königreiches Sizilien, den Großen aus Adel und

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Schaller, Hans Martin: Della Vigna, Pietro. In: Dizionario Biografico degli Italiani 37 (1989), S. 776-784.

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Kirche, der Beamtenschaft wie allen seinen sizilischen Untertanen überhaupt seine Absicht bekannt, in Neapel eine Universität zu gründen.5 Mag die eine oder andere Schule Neapels damals auch bereits einen gewissen Ruf besessen haben, so handelte es sich nun ganz offenkundig um ein völlig neues Unternehmen, und Friedrich strich diese Tatsache gebührend heraus. Was die nach gelehrtem Wissen Dürstenden bisher nirgends im Königreich fanden, was sie vielmehr unter großen Mühen, Kosten und Gefahren in weiter Ferne suchen mußten, das sollte ihnen nach seinen [12] Worten künftig in jener Stadt bequem erreichbar zu Gebote stehen: eine blühende Ausbildungsstätte, in der die verschiedensten Wissenschaften auf höchstem Niveau gelehrt wurden. Freilich lag ihm, auch daraus machte er von Beginn an keinen Hehl, die Jurisprudenz vor allem am Herzen, gefalle die Sorge für das Recht doch gleicherweise Gott wie ihm, dem Herrscher, als dem Wahrer der Gerechtigkeit. Den auf diesem bedeutenden Felde Beschlagenen, den des Rechtes Kundigen stellte er bei Bewährung denn auch besonderen Lohn und Erfolg in Aussicht, Einfluß und Aufstieg bis in die höchsten Ämter. In glühendsten Farben rühmte der Universitätsgründer dann die hervorragenden Bedingungen, die die Stadt Neapel dank ihrer Lage und ihres natürlichen Reichtums für sein Projekt biete. Er berichtete von ersten erfolgreichen Schritten zur Gewinnung angesehener Professoren und kündigte außerdem an, er werde auf jede denkbare Weise für das Wohl der Studenten sorgen. Dafür nannte er gleich noch einige tatsächlich eindrucksvolle Beispiele. So versprach er Stipendien für Begabte, formulierte klare und angemessene Regeln für die Darlehensnahme durch Scholaren, schrieb für ihre Wohnungsmiete einen Höchstbetrag vor, vertraute die Festlegung der Einzelmieten einem Ausschuß von zwei Neapolitaner Bürgern und zwei Scholaren an und bestimmte, daß Zivilklagen gegen Studenten allein von deren Professoren zu entscheiden seien. Freilich war den Bewohnern des Regnum Sicilie ein wissenschaftliches Studium fortan nur noch in Neapel gestattet, weder an einem anderen Ort des Königreiches noch irgendwo außerhalb;

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Text: Richard von San Germano, ad 1224, ed. Carlo Alberto Garufi, Bologna 1936-38, S. 113-116 (datiert: Syrakus, 5.6.1224; publiziert: Juli 1224). Zur Gründung und Geschichte der Universität Neapel: Verger, Jaques: La politica universitaria di Federico II nel contesto europeo. In: Toubert, Pierre/Paravicini-Bagliani, Agostino (Hg.): Federico II e le città italiane, Palermo 1994, S. 129-143; Arnaldi, Girolamo: Fondazione e rifondazioni dello studio di Napoli in età sveva. In: Università e società nei secoli XII – XVI, Pistoia 1982, S. 81-105; Monti, Gennaro Maria: Per la storia dell’ Università di Napoli, Neapel 1924.

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bereits auswärts Studierende hatten sich spätestens am Michaelstag, am 29. September 1224 also, in Neapel einzufinden. Als Vorbild und Herausforderung stand Friedrich bei seinen Gründungsaktivitäten – wie bei seinen späteren Bemühungen um das Studium zu Neapel – gewiß vielfach die Universität Bologna vor Augen. So knüpften beispielsweise seine fürsorglichen Maßnahmen zugunsten der künftigen Neapolitaner Scholaren wohl nicht zufällig in wichtigen Einzelheiten an das berühmte Scholarenprivileg seines Großvaters Barbarossa an, das in erster Linie den Studenten Bolognas gegolten hatte. Vor allem aber sollte in Neapel wie in Bologna der Rechtswissenschaft eine zentrale Bedeutung zufallen, und die häufig aus Bologna kommenden Professoren lehrten das römische Recht in Neapel vermutlich methodisch und didaktisch in der Tat ganz ebenso, wie sie dies von dort gewohnt waren. Andererseits unterschied sich des Staufers Neapolitaner Schöpfung von Bologna wie von den anderen etablierten Zentren der Gelehrsamkeit wie Paris oder Oxford, aber etwa auch von dem damals aufstrebenden Salamanca, dadurch ganz wesentlich, daß es sich hier um einen Neubeginn von Grund auf, um ein Produkt allein des herrscherlichen Willens handelte. [13] Friedrich arbeitete weder mit längst aktiven und erfahrenen Professorenoder Scholarenkorporationen zusammen, noch zog er das Lehrpersonal einer Kathedralschule heran, er vermied vielmehr strikt jeden kirchlichen Einfluß überhaupt. Eng und unmittelbar, wesentlich tiefer auch als im Ansatz möglicherweise vergleichbare Versuche oberitalienischer Städte wie Modena, war sein Unternehmen verbunden mit dem Zweck des Staatsganzen, wie er ihn sah, mit seiner Überzeugung, daß der Herrscher seinen Untertanen Recht zu verschaffen habe. Weniger der Drang zu perfekter staatlicher Kontrolle als vielmehr eben die besondere Ausgangssituation in Neapel veranlaßte den Kaiser im übrigen wohl dazu, seine sizilischen Untertanen zum ausschließlichen Besuch der dortigen Ausbildungsstätte zu zwingen. Ohne die Gewähr einer solchen Monopolstellung hätte das Wagnis eines vollständigen Neuanfangs angesichts altbewährter konkurrierender Institutionen in der Tat kaum irgendwelche Erfolgschancen gehabt, ohne sie hätte sich schwerlich ein Studienbetrieb auf dem angestrebten Niveau im sachlich erwünschten wie ökonomisch sinnvollen Umfang, also mit Aussicht auf die erhoffte ansehnliche Zahl qualifizierter Absolventen entwickeln können. Desgleichen machten es die speziellen Neapolitaner Gegebenheiten fast unumgänglich, daß der Staufer die Professoren selbst berief, daß er ihnen attraktive Arbeitsverhältnisse anbot und vor allem eine angemessene Bezahlung garantierte.

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Natürlich wüßten wir gerne, ob die Magister und Studenten im Neapel Friedrichs neben persönlichen Vorteilen irgendwelche körperschaftliche Autonomierechte ähnlich denen ihrer Kollegen in Bologna oder Paris genossen. Leider äußern sich unsere Quellen nicht eindeutig zu dieser Frage, und sie wird deshalb in der Regel negativ beantwortet.6 Freilich hören wir umgekehrt auch nichts von konkreten Maßnahmen staatlicher Aufsicht und Einmischung oder von ihren Auswirkungen auf das Neapolitaner Universitätsleben. Selbst die eigentlich naheliegende Beteiligung königlicher Beamter an den Abschlußprüfungen können wir für Neapel lediglich aus den Verhältnissen an der Salernitaner Medizinschule erschließen. So sollte man die Möglichkeit vielleicht doch nicht ganz von der Hand weisen, daß Friedrich und seine Söhne, wenn sie die Freiheiten, Vergünstigungen und Privilegien der zu Neapel Lehrenden und Lernenden priesen, keineswegs nur individuelle Vorrechte der einzelnen Personen meinten, daß die vom Kaiser da und dort erwähnten Gemeinschaften der Professoren und der Scholaren vielmehr durchaus Korporationen mit gewissen Befugnissen [14] waren; das generale bzw. universale studium Friedrichs, von dem Konrad und Manfred sprachen und das sie zu erneuern beabsichtigten, hätte dann den an Bologna oder Paris erinnernden Namen immerhin wenigstens zu einem Teil verdient.7 Die dort Tätigen fühlten sich jedenfalls ganz offenbar wohl; anders läßt sich die dringende Bitte um Fortführung des Lehrbetriebs, die sie – allem nach geschlossen und gemeinsam handelnd – dem Kaiser im Jahre 1239 vortrugen, kaum verstehen.8 Wie immer es um die Korporationsrechte an der Universität Neapel bestellt gewesen sein mag – völlig unbestritten kam dort der herrscherlichen Initiative und Absicht jederzeit das entscheidende Gewicht zu. Gerade dieses für Friedrichs Vorgehen charakteristische Prinzip scheint nun auch in der Folgezeit, etwa 1245 beim Aufbau des päpstlichen Studiums in Rom oder danach in der Bildungspolitik Alfons X. von Kastilien eine maßgebende Rolle gespielt zu haben – um von den Universitätsgründungen Kaiser Karls IV. und Späterer ganz zu schweigen. Zum mindesten in dieser einen,

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So zuletzt Verger, Politica (wie Anm. 5), S. 138f., vgl. schon Monti, Storia (wie Anm. 5), S. 9-12; positiver wenigstens hinsichtlich der Studenten Arnaldi, Fondazione (wie Anm. 5), S. 101-103. Vgl. die Dokumente bei Monti, Storia (wie Anm. 5), S. 39, Nr. 1, S. 40, Nr. 2, S. 43 und 46, Nr. 4f., S. 51, Nr. 10, S. 54f., Nr. 14, S. 56, 57f., 59, Nr. 15-17. Monti, Storia (wie Anm. 5), S. 42-44, Nr. 4: Friedrichs Antwort ad magistros et scolares Neapolis.

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allerdings sehr wesentlichen Hinsicht tritt demnach die Zeitgemäßheit und zukunftsweisende Bedeutung der staufischen Konzeption sehr klar zutage.9 Für die neue Universität Neapel bestand die wichtigste Konsequenz ihrer starken Bindung an den Herrscher vermutlich darin, daß sich dessen politische Erfolge, aber ebenso die Rückschläge, die er erlebte, unmittelbar auf ihre Entwicklung auswirkten. So schien des Kaisers Streit mit dem lombardischen Städtebund Neapel unverzüglich Vorteile zu bringen: Wohl kurz nach der Ächtung der Bundesstädte, darunter Bolognas, im Juli 1226 verbot Friedrich nämlich allen Bewohnern des Imperiums und des Regnums eigens das Studium in Bologna; er forderte Professoren wie Scholaren auf, ihre Arbeit an Neapels Universität fortzusetzen, die zu schwächen und lahmzulegen die neidischen Bologneser vergeblich versucht hätten. Große Wirkung vermochte seine Strafaktion indes kaum zu entfalten: Bereits am 1. Februar 1227 mußte er sie wieder zurücknehmen.10 Die während seines Kreuzzuges im sizilischen Königreich ausbrechenden Unruhen und Kämpfe störten dann umgekehrt das universitäre Leben in Neapel offenbar ganz empfindlich, wenn es nicht zeitweilig sogar völlig erlosch. Jedenfalls entschloß sich der Staufer im Jahre 1234, nach der Kon[15]solidierung der sizilischen Verhältnisse nun energisch auch die neuerliche Blüte seiner Neapolitaner Schöpfung in die Wege zu leiten. Fast zwangsläufig fiel sein Blick damit sofort wieder auf die große Konkurrentin im Norden: Bei der Studentenschaft zu Bologna warb er besonders dringlich für sein Anliegen, gerade sie hoffte er mit dem Hinweis auf die Vorzüge Neapels, auf die natürliche Gunst der Stadt, die dort gebotenen Privilegien und die alsbald in ihr wirkenden, sämtliche wichtigen Fächer vertretenden Professoren zu gewinnen.11 Allem nach kam die Arbeit in Neapel tatsächlich rasch wieder erstaunlich gut in Gang, um dann freilich bereits 1239 in eine neue Krise zu geraten. Angesichts seiner zweiten Exkommunikation durch den Papst und der sich daraufhin schnell zuspitzenden Lage in der Lombardei mit ihren absehbaren enormen finanziellen Belastungen befahl Friedrich damals, das Nea-

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Vgl. dazu Verger, Politica (wie Anm. 5), S. 143. Ächtung: MGH Const. 2, S. 136-139,, Nr. 107; Studienverbot: Monti, Storia (wie Anm. 5), S. 38f., Nr. 1; Rücknahme: MGH Const. 2, S. 144, Z. 19, Nr. 112 (5.1.1227), S. 145, Z. 19, Nr. 113. Monti, Storia (wie Anm. 5), S. 39f., Nr. 2, vgl. dazu Richard (wie Anm. 5) ad 1234, S. 189, der an einen völligen Neubeginn denken läßt, während andererseits etwa Benedikt von Isernia anfangs der dreißiger Jahre anscheinend durchaus als Professor tätig war.

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politaner Studium aufzulösen. Zutiefst bestürzt reagierten die dortigen Professoren und Studenten: Sie entsandten zwei Boten, der eine ein Magister, der andere vielleicht ein Student, an den Kaiser mit der inständigen Bitte, er möge seinen Entschluß revidieren, sein großes Bildungswerk nicht aufgeben; gleichzeitig ersuchten sie wohl brieflich einflußreiche Männer des Hofes um Unterstützung für ihr Anliegen beim Herrscher. Ihr Einsatz hatte Erfolg. Friedrich ließ sich umstimmen und versprach im November, sich weiterhin nach Kräften für das Wohl und Wachstum seiner Gründung einzusetzen. Sofort erging eine Reihe von Mandaten mit entsprechenden Regelungen, und auch später blieb es augenscheinlich bei der jetzt festgelegten herrscherlichen Linie.12 Leider verrät die kärgliche Überlieferung außer einigen wenigen Namen nichts über die zu Friedrichs Zeit in Neapel Studierenden.13 Dagegen kennen wir doch eine ganze Reihe von Gelehrten, die mehr oder weniger lange dort unterrichteten. Die kaiserlichen Bemühungen um renommierte Professoren führten gleich anfangs zu einem beachtlichen Erfolg mit der Berufung Roffreds von Benevent. Der angesehene Jurist, der sich bereits bei der Umgestaltung des Hofgerichts bewährt hatte und nun durch sein Beispiel und seine Kontakte vielleicht weitere Fachleute an das neue Stu[16]dienzentrum zog, blieb in Neapel vermutlich bis zum Ausgang der zwanziger Jahre. Wiederholt, unter anderem 1227 nach der Exkommunikation des Kaisers, reiste er damals zudem im Auftrag seines Herrn und um dessen Standpunkt zu Gehör zu bringen, an die päpstliche Kurie. Nach 1230 wandte er sich dann freilich der päpstlichen Sache zu und war seit 1234 als ein gesuchter Anwalt und exzellenter Kenner nun auch des kanonischen Rechts vorwiegend in Rom tätig. Friedrich bedauerte den Verlust dieses außergewöhnlich befähigten Mannes offenkundig sehr. Kaum hatten nämlich seine Truppen 1241 Roffreds Heimatstadt unterworfen, sandte er ihm eigens einen Brief mit der Aufforderung, er möge gleichsam als ein verlorenes Schaf in den Schutz, Gehorsam und Dienst seines Herrn zurückkehren – angesichts der Situation in Benevent sicher ein bemerkenswertes Zeichen der Anerkennung und Hochachtung. Der Umworbene scheint indes seine letzten Le-

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Vgl. die Dokumente vom 14.11.1239: Monti, Storia (wie Anm. 5), S. 42-47, Nr. 4-7; die Bittschrift der Neapolitaner Magister an einen beim Herrscher Einflußreichen (Text: Monti S. 41f., Nr. 3) gehört wohl doch nicht zu 1234, sondern eher ins Jahr 1239: Es handelt sich jedoch nicht um die an Friedrich direkt gerichtete Botschaft der beiden Neapolitaner Abgesandten (so Monti S. 35). Siehe die Zusammenstellung bei Kantorowicz, Ernst: Kaiser Friedrich der Zweite. Ergänzungsband, Berlin 1931, S. 270-273.

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bensjahre ohne verpflichtende Bindungen an Kaiser oder Papst in seiner Heimat verbracht zu haben, um die Vollendung seines wissenschaftlichen Werkes bemüht, ein scharfer Beobachter und geistreicher Kritiker der Mißstände und Schwächen seiner Zeit, der Verweltlichung des Klerus ebenso wie der Eitelkeit und Geldgier seiner Berufsgenossen.14 Wie Roffred wirkte unter Umständen Benedikt von Isernia bereits seit 1224 in Neapel – immerhin führen ihn manche Handschriften des kaiserlichen Gründungs-Manifestes neben dem Beneventer Gelehrten als zweiten für die neue Universität gewonnenen Legisten von Rang an. Nun gibt dieser Beleg gewiß Anlaß zur Skepsis. Dennoch wird man in ihm wenigstens ein Indiz dafür sehen können, daß Benedikt seine für die beginnenden dreißiger Jahre gut belegte Neapolitaner Lehrtätigkeit recht früh, bald nach 1224 aufnahm. Einer seiner Schüler, Nicolaus Rufulus, hatte während der ersten Phase der Anjou-Herrschaft ebenfalls eine Professur in Neapel inne, ein zweiter, Johannes Faseolus aus Pisa, möglicherweise in den Jahren um 1250.15 Spärlicher fließen die Nachrichten über andere Zivilrechtler Neapels aus der Zeit Friedrichs. Wohl seit 1234 gehörte Matheus von Pisa zu ihnen; um die Jahreswende 1240/1241 nämlich verlieh ihm der Kaiser selbst nach siebenjährigem Aufenthalt im Königreich das sizilische Bürgerrecht, so daß er nun zusätzlich als Anwalt zugelassen werden konnte – ein eindrucksvoller Hinweis im übrigen auf die streng praktizierte administrative Trennung von Imperium und Regnum. Gleichfalls aus Oberitalien und wie [17] Matheus ungefähr um die Mitte der dreißiger Jahre kamen Martin von Fano und vermutlich Hubertus de Bonocurso aus Modena nach Neapel. Aus Benevent stammte dagegen jener Richter Saductus, den das Hofgericht 1224 als Sachwalter des Fiskus und 1231 zusammen mit Benedikt von Isernia als Ratgeber zu seinen Sitzungen heranzog und der offenbar 1229 und ebenso noch 1239 zur Professorenschaft Neapels zählte. Schließlich fand sich im Kreis der zu Neapel Lehrenden vielleicht schon unter Friedrich wie dann sicher während der ersten Regierungsjahre Karls I. von Anjou der gelehrte Jurist Andreas Bonellus aus Barletta, der neben Arbeiten zum römischen und langobardischen Recht wohl am Ausgang der Stauferherrschaft in Sizilien

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Bellomo, Manlio: Intorno a Roffredo Beneventano: Professore a Roma? In: ders. (Hg.): Scuole diritto e società nel Mezzogiorno medievale d’Italia, Bd. 1, Catania 1985, S. 135-181, vgl. oben Anm. 3. Vgl. dazu und zum Folgenden den Überblick bei Kantorowicz (wie Anm. 13), S. 266270.

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als erster namentlich bekannter Kommentator Glossen zu Friedrichs Konstitutionen verfaßte. Neben die Kenner und Lehrer des römischen traten solche des kirchlichen, des kanonischen Rechtes. Als bedeutendster unter ihnen darf gewiß Gottfried von Trani gelten. Der Traneser Kanoniker hatte in Bologna studiert und bereits erste Erfahrungen im Professorenamt gesammelt, als er wohl 1234 den Ruf nach Neapel erhielt. Er lehrte dort bis gegen 1240 und beschäftigte sich dabei offenbar nicht nur mit dem Kirchenrecht, sondern auch mit zivilrechtlichen Fragen. Sein Hauptwerk, eine Summe zur Dekretalensammlung Papst Gregors IX., die ihn bald berühmt machte, entstand freilich erst während seines Dienstes an der päpstlichen Kurie, also nach 1240. Kaum ein Jahr nach seiner Erhebung zum Kardinal starb Gottfried im April 1245. Zwei andere Kanonisten, Salvus und Petrus Paparonus, lassen sich schon 1225, also in der Anfangsphase der Universität, in Neapel nachweisen. Salvus könnte identisch sein mit dem seit 1238 in der kaiserlichen Kanzlei faßbaren gleichnamigen Notar und Prior der Hofkirche San Nicola in Bari. Den Petrus hingegen ernannte Gregor IX. 1227 zum Erzbischof von Brindisi; er hielt sich jedoch allem nach auch in seiner neuen Stellung auf der Seite des Kaisers, den er vielleicht um wenige Monate überlebte. Als einen seiner Schüler aus seiner Neapolitaner Zeit und einen seiner späteren Mitarbeiter können wir vermutlich den Bartholomaeus Pignatellus († 1270) ansehen. Friedrich holte ihn seines ausgezeichneten wissenschaftlichen Rufes wegen im November 1239 von Brindisi als Kirchenrechtler an die Universität in Neapel; nach 1250 entschied sich Bartholomaeus dann allerdings zum Frontenwechsel und trug, seit 1254 Erzbischof von Cosenza, seit 1266 von Messina, ganz entscheidend zur Herrschaftsübernahme Karls von Anjou im Königreich bei.16 [18] Offenkundig fehlte es auch den Artes liberales, den jetzt so wichtig gewordenen Grundwissenschaften, in Neapel durchaus nicht an fähigen Vertretern.17 Terrisius von Atina (nördlich Cassino) etwa, der in Bologna bei dem angesehenen Bene Florentinus Rhetorik studiert hatte und seit 1237

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Kamp, Norbert: Kirche und Monarchie im staufischen Königreich Sizilien, München 1973-1981, S. 557f. (Gottfried), S. 674-676 (Paparonus, zu Salvus S. 675 Anm. 95), S. 399f., 849-853, 1037-1041 (Bartholomaeus). Bereits das Gründungs-Rundschreiben sah allgemein die Lehre der artes et cuiuscumque profexionis ... studia vor, Richard (wie Anm. 5) ad 1224, S. 113, und 1234 wollte Friedrich nicht nur für Theologen, Kanonisten und Legisten sorgen, sondern auch für magistri quarumlibet artium liberalium, Monti, Storia (wie Anm. 5), S. 40, Nr. 2.

Die Gründung der Universität Neapel durch Kaiser Friedrich II.

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verschiedentlich als Literat im Dienst und in der Umgebung des Kaisers erscheint, vermittelte den Neapolitaner Scholaren seine Kenntnisse und Erfahrungen in der ars dictaminis, der Kenntnis des angemessenen, elegantgehobenen Formulierens von Prosatexten, vor allem Briefen und Urkunden. Als sein Fachkollege begegnet uns Nicolaus de Rocca, der begabte Schüler des Petrus de Vinea und führende Kanzleinotar während der letzten Jahre Friedrichs wie noch zur Zeit Konrads IV. und Manfreds. Ein Kondolenzbrief des Terrisius macht uns überdies auf den damals eben verstorbenen Neapolitaner Philosophieprofessor und Magister Arnaldus Catalanus aufmerksam und legt die Vermutung nahe, der Genannte sei vorwiegend mit naturwissenschaftlichen Problemen befaßt gewesen.18 Schließlich erfahren wir von Wilhelm von Tocco († um 1323), dem Biographen des Thomas von Aquino, daß dieser wohl berühmteste Absolvent der Universität Neapel während seiner ungefähr zwischen 1239 und 1244 anzusetzenden Studienzeit den Grammatik- und Logikunterricht eines Magister Martinus genoß und bei Petrus de Hibernia Vorlesungen zur Naturphilosophie hörte. Im Unterschied zu dem sonst unbekannten Martin kennen wir Petrus de Hibernia recht gut. Konrad IV. lud ihn im Sommer 1253 dringend ein, für das beachtliche Jahresgehalt von zwölf Goldunzen an die nach Salerno verlegte Universität zu kommen; dabei äußerte er sich voll des Lobes über die wissenschaftliche Arbeit des Gelehrten und seine dem verstorbenen Kaiser geleisteten Dienste. Tatsächlich scheint Petrus dann zum mindesten unter König Manfred wieder in Neapel gewirkt und in hohem Ansehen am Hofe gestanden zu haben. Seinen hervorragenden Ruf bezeugt der Verlauf jenes Streitgespräches, das Neapolitaner Magister um 1260 in Anwesenheit des Königs führten, um eine naturphilosophische Grundfrage zu klären, mit der sich Manfred selbst an sie gewandt hatte: Am Ende entschied die eingehende Stellungnahme des als gemma magistrorum, als Perle unter den Professoren gepriesenen Petrus die Sache. Seine Ausführungen weisen ihn denn auch als einen [19] guten Kenner sowohl des Aristoteles wie des seinerzeit überaus geschätzten arabischen Aristoteles-Kommentators Averroës aus.19

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Torraca, Francesco: Maestro Terrisio di Atina. In: Archivio storico per le Province Napoletane 36 (1911), S. 231-253 (Text seiner Briefe S. 243-251); Schaller, Hans Martin: Die Kanzlei Kaiser Friedrichs II. In: Archiv für Diplomatik 3 (1957), S. 244f., 248, 275f. (Nr. 55; Nicolaus). Baeumker, Clemens: Petrus de Hibernia, der Jugendlehrer des Thomas von Aquino und seine Disputation vor König Manfred, Sitzungsberichte der Akad. der Wiss. München 1920, 8. Abhandlung.

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Gewiß behielt der Staufer die Ausbildung der Ärzte der bereits länger als ein Jahrhundert blühenden, in ganz Europa anerkannten Medizinschule von Salerno vor, und aller Wahrscheinlichkeit nach konnte man an der von ihm ins Leben gerufenen Hohen Schule, von einzelnen Ausnahmesituationen vielleicht abgesehen, Theologie ebenfalls nicht studieren, sondern war dafür in der Regel auf das Neapolitaner Studium generale der Dominikaner angewiesen.20 Trotzdem läßt der Blick auf die an Friedrichs Universität Lehrenden und ihre mannigfaltigen Aktivitäten, so zufällig und eingeschränkt er sein mag, doch sehr zögern, in ihr, wie dies immer wieder geschieht,21 lediglich eine Art Kaderschmiede, eine eng und einseitig der Heranziehung tüchtiger Staatsbeamter verpflichtete Ausbildungsstätte von zweifelhafter Effizienz zu sehen. Vermutlich hatte der uns als Nicolaus de Jamsilla bekannte Mitarbeiter König Manfreds doch nicht völlig Unrecht, als er, Salerno in sein Urteil einbeziehend, Friedrich das Verdienst zuschrieb, alle anerkannten Studiengänge in seinem Königreich etabliert sowie Professoren aus den verschiedensten Ländern angeworben zu haben, und als er ihn zudem rühmte, weil er mit seiner großzügigen Stipendienvergabe gleichermaßen armen wie reichen Studenten den Zugang zur philosophia ermöglichte.22 Friedrichs Neapolitaner Universitätsgründung konsolidierte sich nach den Wirren am Ende der Stauferzeit unter der Anjou-Herrschaft schnell wieder; sie fand jetzt endgültig ihre feste, dauerhafte Form und Arbeitsweise. Ihre Juristen gehörten nicht selten zu den engsten Beratern der in Neapel residierenden Könige. Die Einrichtung bewährt sich bis zum heutigen Tag aufs beste. Der mit ihr geschaffene Typ der Staatsuniversität aber dominiert in unserer Gegenwart weithin – mit seinen schon zu Friedrichs Zeit gleicherweise sichtbaren Vorzügen und Nachteilen.

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Zur Theologie in Neapel: Monti, Storia (wie Anm. 5), S. 61-82; die dort S. 83f., Nr. 1, abgedruckte, auf 1240 datierte Bitte der Universitas doctorum et scholarium Neapolitani studii an den Theologieprofessor Erasmus von Montecassino, er möge in Neapel lehren, ist schwer zu beurteilen: Der institutionelle Rahmen für die geplante Lehrtätigkeit bleibt unklar, die Gemeinschaft der in Neapel Lehrenden und Lernenden war kaum, und gar allein, zur Berufung von Professoren befugt, sie agiert zudem sonst nirgends als universitas, vgl. Arnaldi, Fondazione (wie Anm. 5), S. 96f. Siehe etwa Verger, Politica (wie Anm. 5), S. 139f.; Abulafia, David: Frederick II. A Medieval Emperor, London 1988, S. 263f. Nicolaus de Jamsilla, ed. Giuseppe Del Re, Cronisti e scrittori sincroni napoletani, Bd. 2, Neapel 1868, S. 106, Z. 37-47.

Kaiser Friedrich II., sein Gelehrtenkreis und die Schule von Salerno Das herkömmliche Bild vom Hof des Staufers Friedrichs II. als eines herausragenden Zentrums vielfältiger kultureller und wissenschaftlicher Aktivitäten, wie es die Historiker von Haskins und Kantorowicz bis zu Van Cleve zeichneten, scheint neuerdings zunehmend auf Widerspruch zu stoßen. So beantwortete jüngst Abulafia in seiner Friedrich-Biographie die Frage, ob Friedrich die kulturellen Anstrengungen seiner Ahnen wieder aufgenommen und verstärkt fortgeführt habe, mit einem schlichten Nein und charakterisierte Friedrichs Hof als einen „blassen Schatten des reichen Normannenhofes“. Als ein eindrückliches Beispiel für das Unverständnis des Staufers der großen wissenschaftlichen Tradition seines sizilischen Königreiches gegenüber führte er unter anderem dessen Umgang mit der Medizinschule von Salerno an: Die gesetzlichen Regelungen des Kaisers, so behauptete er, hätten diese Schule der lähmenden Kontrolle durch die königliche Verwaltung unterworfen, mit katastrophalen Folgen für ihre weitere Entwicklung. Schon bald nach 1231 habe sie, unfähig geworden zur Aufnahme neuen Wissens, zur Entfaltung neuer Initiativen, ihre führende Stellung an andere Zentren, allen voran Montpellier, verloren; im übrigen habe der Kaiser für sich selbst bezeichnenderweise Ärzte bevorzugt, die nicht in Salerno ausgebildet worden seien.1 Ähnlich kritisch hatten sich zuvor italienische Historiker zur Wirkung von Friedrichs Konstitutionen auf Salerno geäußert, und bereits bei Haskins lesen wir immerhin die Feststellung: „Salerno … found itself tied down by royal statute“.2

Erstdruck: Borchardt, Karl/Bünz, Enno (Hg.): Forschungen zur Reichs-, Papst- und Landesgeschichte. Peter Herde zum 65. Geburtstag dargebracht, Stuttgart 1998, Bd. 1, S. 313-329. 1

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Abulafia, David: Frederick II. A Medieval Emperor, London/New York 1988, S. 264, die grundsätzlichen Urteile S. 252 und 266; vgl. Haskins, Charles Homer: Studies in the History of Mediaeval Science, Cambridge 1924, S. 242-326; Kantorowicz, Ernst: Kaiser Friedrich der Zweite, Berlin 1927, S. 308-337; Van Cleve, Thomas Curtis: The Emperor Frederick II of Hohenstaufen. Immutator Mundi, Oxford 1972, S. 299-318. Haskins (wie Anm. 1), S. 250; vgl. Tramontana, Salvatore: La monarchia normanna e sveva, Torino 1986, S. 314f.; Iacovelli, Gianni: Ordinamenti sanitari nelle costituzioni di Federico II. In: Atti delle seste Giornate Federiciane, Oria 1983 (1986), S. 231;

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Zu dieser negativen Bilanz des Verhältnisses des Gesetzgebers Friedrich zu Salerno paßt das Ergebnis von Morpurgos Analyse der eigenständigen wissenschaftlichen Erzeugnisse aus der Umgebung Friedrichs: Er konstatiert bei den Gelehrten, die der Kaiser um sich scharte, eine zutiefst konservative Gesinnung. Der berühmte Michael Scotus etwa habe die Bedeutung der damals teilweise sogar von ihm selbst ins Lateinische übersetzten Schriften, vor anderen der Aristoteles-Kommentare des Averroës, offenbar gar nicht erkannt, denn er benütze sie in seinem eigenen großen Liber introductorius nicht. Aber auch ganz generell stehe es mit diesem enzyklopädischen Werk so, wie mit den anderen wissenschaftlichen Produktionen aus dem Kreis um Friedrich: Sie alle fielen im Grunde hinter die wissenschaftlichen Errungenschaften des 12. Jahrhunderts und insbesondere hinter diejenigen der Salernitaner Schule zurück. Sie gäben nämlich deren Glaube an die umfassende Geltung und Wirksamkeit [314] immanenter Gesetze in der Natur und an die darauf beruhende Möglichkeit, die Natur zu deuten und zu verstehen, auf zugunsten einer Weltsicht, die wieder stärker traditionelle kirchlich-religiöse Anschauungen bevorzuge, die Bedeutung von Gottes Handeln in der Natur hervorhebe, kurz: Naturerkenntnis und Philosophie wieder der Herrschaft der Theologie unterwerfe. Bezüglich Friedrichs selbst aber müsse man sich fragen, ob er Salernitaner Grundwerke wie die Articella überhaupt gekannt habe.3 Die derart ins Zwielicht geratene Beziehung Friedrichs und seiner gelehrten Helfer insbesondere zur Schule von Salerno und zu den dort vertretenen Naturvorstellungen verdient demnach als ein wichtiges Exempel für den Stellenwert und das Niveau der wissenschaftlichen Bemühungen an seinem Hofe überhaupt erneute Aufmerksamkeit. Im folgenden soll versucht werden, zunächst ausgehend von den Thesen Abulafias, dann in Auseinandersetzung mit denjenigen Morpurgos, hier ein Stück Klarheit zu gewinnen. Zunächst scheint ein kurzes Wort zu Friedrichs Ärzten angebracht. Wir kennen sie – Michael Scotus wird man kaum im strengen Sinne unter sie rechnen dürfen – gewiß nur zum Teil, und die Quellen verraten uns in der Regel wenig mehr als ihre Namen, so im Falle des 1211 belegten Ja-

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Porsia, Franco: Indirizzi della tecnica e della scienza in età Federiciana. In: Archivio storico pugliese 31 (1978), S. 108. Morpurgo, Piero: L’idea di natura nell’Italia normannosveva, Bologna 1993, bes. S. 149-157, 166-168, 180-183.

Friedrich II. und die Schule von Salerno

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kob, des in einer Handschrift als Verfasser einer Rezeptsammlung erwähnten Magister Bene4 oder jenes medicus imperatoris Volmar, in dessen Haus zu Melfi der Kölner Magister Heinrich im August 1232 des Michael Scotus Übersetzung von Avicennas De Animalibus aus dem kaiserlichen Exemplar abschrieb.5 Theodor von Antiochia indessen lehrte immerhin unter Umständen in Salerno, und der einzige, von dem wir daneben Genaueres wissen, Johannes von Procida, der in Friedrichs letzten Tagen zu seiner nächsten Umgebung gehörte und sein Testament als domini imperatoris medicus mit unterschrieb, der dann im Dienste Manfreds und Konradins stand und schließlich nach der Sizilischen Vesper von 1282 in hohem Alter als Großkanzler der ersten aragonesischen Könige Siziliens wirkte – er stammte aus Salerno und erhielt seine Ausbildung gewiß in seiner Heimatstadt.6 Was die Schule von Salerno anlangt, so haben wir gleichfalls viel zu geringen Einblick in ihr inneres Leben und das Schaffen ihrer Lehrer während des 13. Jahrhunderts, um etwa einen abrupten Niedergang in den dreißiger Jahren konstatieren zu können.7 Wahr ist wohl, daß [315] die

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Maestro Bene medico dellomperadore Federico, Cod. Rom, Bibl. Vatic., Ross. XI. 7, Hinweis bei Haskins (wie Anm. 1), S. 257 Anm. 81; die Glaubwürdigkeit der Zuschreibung muß einstweilen offen bleiben. Zu Friedrichs Leibarzt Jakob siehe Stürner, Wolfgang: Friedrich II. Teil 1, Darmstadt 1992, S. 136 mit den Belegen. Diese Details vermerkte Heinrich von Köln selbst am Schluß seiner Abschrift; der entsprechende Kolophon kehrt in den von seinem Text stammenden Kopien wieder, sein Wortlaut bei Bund, Konrad: Untersuchungen zu Magister Heinrich von Köln. In: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 53 (1982), S. 2, zu den Hss. S. 2-5, zur kaum wahrscheinlichen Identität mit dem Dichter Heinrich von Avranches S. 6-19. Friedrichs Testament (Zeugenliste): MGH Const. 2, S. 388, Nr, 274, vgl. Reg. Imp. 5, Nr. 4698; zu Johannes siehe Menniti Ippolito, Antonio: Giovanni da Procida. In: Lexikon des Mittelalters 7, München 1995, Sp. 236; vgl. Kristeller, Paul Oskar: The School of Salerno. In: Bulletin of the History of Medicine 17 (1945), S. 170f., zu Theodor von Antiochia siehe unten S. 217f. mit Anm. 38. Zur Schule von Salerno siehe Vitolo, Giovanni/Keil, Gundolf: Salerno. Die Medizinische Schule. In: Lexikon des Mittelalters 7, München 1995, Sp. 1297-1300; Vitolo, Giovanni: Dalle scuole salernitane di medicina alla scuola medica salernitana. In: Studi di storia meridionale in memoria di Pietro Laveglia, Salerno 1994, S. 13-30; Morpurgo, Piero: Filosofia della natura nella scuola salernitana del secolo XII, Bologna 1990, S. 37-72; Kristeller (wie Anm. 6), bes. S. 169-179; außerdem Morpurgo (wie Anm. 3), S. 150f., der den Niedergang Salernos schon mit den Wirren zur Zeit Heinrichs VI. und Tankreds von Lecce in Verbindung bringt und zugleich auf Friedrichs Bemühungen um die Wiederbelebung der Wissenschaften in Süditalien verweist.

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Qualität wie Quantität ihrer wissenschaftlichen Veröffentlichungen bereits bald nach 1200 nachzulassen begann – möglicherweise die Folge der bürgerkriegsartigen Unruhen während Friedrichs Kindheit. Doch auch vorher, in der Zeit ihrer Hochblüte, beherrschte sie das Feld der Medizin keineswegs uneingeschränkt. Auf dem Gebiet der Chirurgie beispielsweise trat damals kein Salernitaner Magister besonders hervor; hier gebührte vielmehr dem um 1180 in Parma tätigen Wundarzt Roger Frugardi, später seinem bis gegen 1240 in Bologna lehrenden Schüler Roland und der Bologneser Chirurgenschule mit Abstand die Führung. Andererseits setzten sich die Salernitaner Magister schon seit der Jahrhundertwende wie noch um die Mitte des 13. Jahrhunderts intensiv mit dem Werk Rogers und Rolands auseinander.8 Genausowenig fehlt es an Arbeiten der Schule aus dieser Zeit zu anderen medizinischen Sachbereichen; in der zweiten Jahrhunderthälfte entstand möglicherweise hier der Kern jener großen Sammlung, die unter dem Titel „Regimen sanitatis Salernitanum“, also „Salernitaner Leitfaden zur Gesunderhaltung“, bekannt und weit verbreitet war und in einprägsamer, für Laien leicht faßlicher Versform dem damaligen medizinischen Wissen entsprechende praktische Verhaltensregeln bot.9 Wie bei Friedrichs Gesetzgebung insgesamt läßt sich auch im Falle seiner gesundheitspolitischen Bestimmungen nur schwer sagen, wie strikt sie angewandt wurden, wie stark sie die Wirklichkeit also tatsächlich prägten. Nachdenklich mag es immerhin stimmen, wenn Marinus von Caramanico, der Richter am königlichen Großhof Karls von Anjou und erste bedeutende Kommentator des kaiserlichen Konstitutionen-Corpus, in seinen zwischen 1270 und 1280 niedergeschriebenen Glossen vermerkt, die kaiserlichen Prüfungsbestimmungen für Ärzte würden schlecht befolgt und die von Friedrich vorgeschriebenen Kontrolleure der Apothe-

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Siehe dazu Keil, Gundolf: Roger Frugardi. In: Lexikon des Mittelalters 7, München 1995, Sp. 942; ders.: Roger Frugardi. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 8, Berlin 1992, S. 140-152; ders.: Rogerglosse. In: Lexikon des Mittelalters 7, München 1995, Sp. 945; Löchel, Wolfgang: Die Zahnmedizin Rogers und der Rogerglossen. In: Würzburger medizinhistorische Forschungen 4 (1975), S. 1230. Siehe zum Werk und zu seiner Textgestalt Schmitt, Wolfram: Theorie der Gesundheit und „Regimen Sanitatis“ im Mittelalter, Habil.-Schrift masch., Heidelberg 1973, S. 11f.; sowie Sudhoff, Karl: Zum Regimen Sanitatis Salernitanum. In: Archiv für Geschichte der Medizin 12 (1920), bes. S. 158-168; außerdem, auch allgemein zur Schule von Salerno im 13. Jh., Kristeller (wie Anm. 6), S. 169-171, 191, 193; Morpurgo (wie Anm. 7), S. 176f.; Vitolo (wie Anm. 7), S. 27.

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ker habe er nirgends gesehen. Ähnlich negativ äußerte sich knapp vierzig Jahre später Andreas von Isernia, der vertraute Ratgeber der Könige Karl II. und Robert von Neapel.10 [316] Doch gesetzt, der Kaiser habe während seiner Regierungszeit seinen Gesetzen energischer und erfolgreicher als seine Nachfolger aus dem Hause Anjou praktische Geltung verschafft:11 War das Netz seiner Verfügungen wirklich so eng geknüpft, daß jede Eigeninitiative der Salernitaner Schule darunter ersticken mußte? Weder Marinus noch Andreas werfen ihm dies vor oder deuten eine solche Konsequenz auch nur an, und der Wortlaut der Konstitutionen selbst spricht keineswegs dafür.12 Ganz im Gegenteil: Meist recht allgemein formuliert, enthalten sie vielfach bloß formale Rahmenrichtlinien. So schreiben sie zwar Prüfungen für die werdenden Ärzte bzw. Medizinprofessoren vor, überlassen die

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Marinus, Glosse zu Konst. III 44 (sowie III 45 und III 47), ed. Sixtus Riessinger, Constitutiones Regni Siciliae (Neapel 1475). Faksimiledruck mit einer Einleitung von Hermann Dilcher (1973) fol. 73ra (quod male servatur; quod nunquam vidi fieri); vgl. Andreas von Isernia, Lectura zu Konst. III 46 (Hec constitutio bona est et utilis, si servaretur), ähnlich zu III 47 und zu III 48, ed. Cesar de Perrinis, Constitutionum opus Regni Sicilie (Neapel 1521) fol. 199vb, 200rb, 200va; zu Marinus siehe Stürner, Wolfgang: Die Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien, Hannover 1996 (MGH Const. 2, Supplementum), S. 50-55, 58, zu Andreas ebd. S. 43f., 55-57. Von Friedrichs Sorge um die Realisierung seiner gesundheitspolitischen Ziele kündet etwa das Mandat vom 5.5.1240 in Huillard-Bréholles, Jean Louis Alphonse (Hg.): Historia diplomatica Friderici secundi (künftig: HB) 5, S. 975, wo er die Kapitäne und Oberjustitiare eigens daran erinnert, daß auch Ärzte und Chirurgen persönlich am Hof ihre Zulassung einzuholen hätten. Freilich ist uns eine entsprechende Konstitution bezüglich der Chirurgen nicht erhalten. Ebenso wenig kennen wir die gesetzliche Grundlage jenes Mandats vom 27.2.1240 (HB 5, S. 773), in dem Friedrich dem Justitiar von Ostsizilien Prüfungsmodalitäten für angehende Chirurgen nennt – auch in der wohl wenig später entstandenen Konst. III 46 findet sich nichts Entsprechendes, vgl. Stürner (wie Anm. 10), S. 89f. Es handelt sich um Friedrichs Konstitutionen III 44 (eine Bestimmung, die erstmals Roger II. 1140 erlassen hatte), III 45 und III 47 von 1231 sowie die wohl 1240 erlassene Novelle Konst. III 46; in engem Zusammenhang mit Friedrichs Medizinalordnung stehen die bereits 1231 publizierten Konst. III 48 über die Wahrung der Luftreinheit sowie III 72 über die verbotene Verunreinigung von Gewässern. Text der Gesetze: Stürner (wie Anm. 10), S. 411-416, 437, mit weiteren Hinweisen und Literaturangaben. Die auf die griechische Version gestützten Zweifel von Morpurgo (wie Anm. 7), S. 12; vgl. ders. (wie Anm. 3), S. 166f., an der Originalität des Wortes Salerni in Konst. III 45 (S. 412, Z. 23) sind angesichts der lateinischen Überlieferung (einschließlich Richards von San Germano) völlig unbegründet; vgl. zum eingeschränkten Wert der griechischen Fassung Stürner (wie Anm. 10), S. 77-79.

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Festlegung der inhaltlichen Anforderungen und die Einzelheiten der Durchführung aber den Fachleuten zu Salerno. Wenn sie diesen außerdem geradezu ein medizinisches Ausbildungsmonopol im Königreich sichern, dann zeigt sich darin das kaiserliche Vertrauen in die zu Salerno geleistete Arbeit vielleicht noch klarer – zu schweigen von dem Gewinn an Ansehen und Einfluß, den die Regelung den derart Priviligierten ohne Zweifel brachte. Gewiß machte Friedrich einige konkrete Angaben zum Studiengang, nannte er sogar Hippokrates und Galen als Pflichtlektüre. Doch andere Universitäten hatten damals mit weit schwerwiegenderen Eingriffen von außen fertig zu werden. Man denke nur an das Verbot, „die naturphilosophischen Schriften des Aristoteles oder die Kommentare dazu in Paris öffentlich oder insgeheim zu lesen“, das 1210 eine Pariser Synode aussprach, das der päpstliche Legat und Kardinal Robertus de Corson fünf Jahre später, um die aristotelische Metaphysik erweitert, wiederholte und das Papst Gregor IX. 1231 erneut einschärfte – immerhin sollte nun eine Kommission, die freilich allem nach nie zusammentrat, die verpönten Bücher prüfen.13 Weder um solch einschneidende Beschränkungen der Lehrfreiheit handelt es sich im Falle Friedrichs, noch um die Festlegung verbindlicher und detaillierter Ausbildungsvorschriften, wie sie der Legat Robertus 1215 für Paris formulierte, sondern ganz offenkundig lediglich um [317] einzelne, eher beispielhaft gemeinte Hinweise auf zentrale Punkte innerhalb des längst Eingespielten und Üblichen. Schriften des Hippokrates und Galen nämlich bilden in der Tat den Hauptbestand jener später Articella genannten Sammlung einführender medizinischer Traktate, von der die Lehre in Salerno (wie danach in Bologna oder Paris) bereits seit dem 12. Jahrhundert ausging und deren Texte die Salernitaner Magister eben deshalb eifrig kommentierten. Desgleichen besaß die Anatomie, die Friedrich als Pflichtfach der Chirurgen nennt, in Salerno eine lange Tradition; eine Reihe grundlegender einschlägiger Lehrbücher, zunächst vorwiegend Abhandlungen auf der Basis von Tiersektionen, bezeugt die wichtige Stellung des Faches im dortigen Schulbetrieb.14 Rela-

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Chartularium Universitatis Parisiensis, ed. Heinrich Denifle, Bd. 1, Paris 1889, S. 70, Nr. 11 (1210); S. 78f., Nr. 20 (1215, zu Robert vgl. Maleczek, Werner: Papst und Kardinalskolleg von 1191 bis 1216 [1984], S. 175-179); S. 138, Nr. 79 (1231); S. 143f., Nr. 87 (1231); siehe dazu Van Steenberghen, Fernand: La philosophie au XIIIe siècle, Louvain-la Neuve 21991, S. 82-89, 109f., 120f., 132-134. Zur Articella siehe Baader, Gerhard: Articella. In: Lexikon des Mittelalters 1, München 1980, Sp. 1069f.; Schipperges, Heinrich: Die Assimilation der arabischen Medi-

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tiv zurückhaltend mit präzisen Vorschriften, ohne auf kleinliche Gängelung zu verfallen oder gar Neuerungen zu verbieten, suchte Friedrich mit der Abfassung seiner Studienordnung demnach, beraten möglicherweise von Mitgliedern der Salernitaner Schule selbst, das in Salerno erprobte und bewährte Vorgehen von staatlicher Seite aus zu bestätigen und in seinem Kern dauerhaft zu sichern.15 Nur für einige wenige Einzelbestimmungen aus Friedrichs gesundheitspolitischem Gesetzgebungswerk lassen sich Vorläufer erkennen, als Ganzes ist es wenigstens im abendländischen Europa neu und ohne Vorbild.16 Zum ersten Mal verstand hier also ein Herrscher die Gesundheits-

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zin durch das lateinische Mittelalter, Wiesbaden 1964, S. 33f.; Kristeller, Paul Oskar: Bartholomaeus, Musandinus and Maurus of Salerno and other early commentators of the „Articella“. In: Italia medioevale e umanistica 9 (1976), S. 58-71, 75-80; daneben spielten die großen, gleichfalls von Constantinus Africanus übersetzten medizinischen Kompendien wie der in Theorica und Practica aufgeteilte Liber pantegni eine wichtige Rolle im Salernitaner Unterricht, vgl. dazu Schipperges, S. 34-43; außerdem Kristeller (wie Anm. 6), S. 151-159. Einen Überblick über die Anatomie-Lehrbücher Salernos gibt Zahlten, Johannes: Medizinische Vorstellungen im Falkenbuch Kaiser Friedrichs II. In: Sudhoffs Archiv 54 (1970), S. 63-67. Zur Rolle der Logik, deren dreijähriges Studium die Konst. III 46 als Voraussetzung für das Medizinstudium vorschreibt, in der damaligen Universitätslehre siehe Beckmann, Jan P.: Logik. In: Lexikon des Mittelalters 5, München 1991, Sp. 2071-2075; Van Steenberghen (wie Anm. 13), S. 77, 123-127, 158f., 162. Ponit ... et multa utilia de legendis libris ypocratis et galieni necnon de cyrurgicis, so urteilt denn auch noch Andreas von Isernia, Lectura zu Konst. III 46, ed. De Perrinis (wie Anm. 10) fol. 199vb; vgl. zur Beurteilung Kristeller (wie Anm. 6), S. 171-175; Siraisi, Nancy G.: Medieval and Early Renaissance Medicine. An Introduction to Knowledge and Practice, Chicago 1990, S. 17-19. Siehe die Quellenuntersuchungen zu den einschlägigen Konstitutionen bei Dilcher, Hermann: Die sizilische Gesetzgebung Kaiser Friedrichs II. Quellen der Constitutionen von Melfi und ihrer Novellen, Köln/Wien 1975, S. 681-693, 726f.; außerdem Powell, James M.: Greco-arabic influences on the public health legislation in the constitutions of Melfi. In: Archivio storico pugliese 31 (1978), S. 78-81, 84-92, ebd. 84-86 der Hinweis auf die zur Zeit von Rogers II. Gesetzgebung (Konst. III 44, ed. Stürner (wie Anm. 10), S. 411f.) offenbar in Byzanz übliche Prüfung für Ärzte vor dem Leiter der dortigen Ärzteschaft; vgl. Iacovelli (wie Anm. 2), S. 229-233. – Morpurgo (wie Anm. 7), S. 15 erinnert an die bereits gegen 1220 von der Pariser Universität mit dem Gemeinwohl begründete Sorge um die Medizinerausbildung. Der einschlägige Text läßt sich jedoch nur unzulänglich aus einem Dokument von 1322 erschließen, Chartularium (wie Anm. 13), Bd. 2.1, S. 255f. mit Anm. 1, Nr. 811 (propter utilitatem et rem publicam). Jedenfalls aber handelt es sich hier um eine Maßnahme der Ausbildungsstätte, nicht der herrscherlichen, also staatlichen Gewalt

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fürsorge in einem sehr weiten Sinne als einen Bereich, für den er Verantwortung trug und [318] zuständig war, als eine staatliche Aufgabe sozusagen. Gewiß hängt dieses Ausgreifen zusammen mit der dem Staufer grundsätzlich eigenen, fürstliche Rechte wie Pflichten gleich unbedingt herausstellenden Sicht vom Regentenamt. Aber es erklärt sich wohl ebenso aus Friedrichs besonderer Aufgeschlossenheit für die Bedeutung naturwissenschaftlicher und medizinischer Erkenntnisse; sie veranlaßte ihn, gerade seine hier gewonnenen Einblicke und Erfahrungen in politisches Handeln umzusetzen. Er wollte damit nach seinen eigenen Worten dem Wohle seiner Untertanen dienen, und voll des Lobes hoben noch die großen Kommentatoren der Anjou-Zeit den Nutzen seiner Medizinalgesetze für die Menschen hervor.17 Bereits sie bedauerten indes – wir hörten es18 – die mangelhafte praktische Umsetzung in ihrer Gegenwart. Es scheint in der Tat, als ob auch die Regierenden außerhalb des Königreiches Sizilien Maßnahmen, die den neuartigen gesetzgeberischen Aktivitäten des Stauferkaisers entsprachen, nur sehr zögernd in Angriff genommen hätten. Zunächst sorgten offenbar große Städte in ähnlicher Weise für Gesundheit und Hygiene in ihren Mauern.19 Auf Dauer jedoch setzte sich Friedrichs Anschauung, daß es sich dabei um einen zentralen Bereich öffentlicher Zuständigkeit handle, der staatlicher Regelung bedürfe und unterliege, allgemein durch, und sie blieb bis heute selbstverständlich.20 Standen Friedrich und seine gelehrte Umgebung, so können wir jetzt fragen, trotz des ganz offenbar wohlwollend-umsichtigen herrscherlichen

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wie bei Friedrich; in dieser Hinsicht bleibt wohl allein dessen Großvater Roger II. (Konst. III 44) mit ihm vergleichbar. Hec constitutio sicut precedentes prospicit sanitati hominum, Marinus, Glosse zu Konst. III 48, ed. Riessinger (wie Anm. 10), fol. 73va; zu Andreas von Isernia siehe oben Anm. 10 und 15; vgl. noch ders. Lectura zu Konst. III 49, ed. De Perrinis (wie Anm. 10), fol. 201r: Mirabilis prudentie fuit Fredericus Imperator (si bene cum sancta Ecclesia Romana fuisset), discretissime ordinavit vitam subditorum. Ähnlich positiv die moderne Bewertung bei Hübner, Heinz: Staat und Untertan in der Gesetzgebung Kaiser Friedrichs II. von Hohenstaufen. In: Börner, Bodo (Hg.): Einigkeit und Recht und Freiheit. Festschrift für K. Carstens, Bd. 2, München 1984, S. 640-642; Dilcher (wie Anm. 16), S. 681-691. Siehe oben S. 208f. mit Anm. 10. Hinweis auf Parallelen in den Mitte des 13. Jahrhunderts entstandenen Statuten von Bologna und Parma bei Iacovelli (wie Anm. 2), S. 232, auf solche in den Statuten Mailands (14. Jahrhundert) bei Powell (wie Anm. 16), S. 92. Vgl. Hübner (wie Anm. 17), S. 642f.; Iacovelli (wie Anm. 2), S. 230; Powell (wie Anm. 16), S. 92; Morpurgo (wie Anm. 3), S. 188.

Friedrich II. und die Schule von Salerno

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Einsatzes für die äußere Ordnung und das Gedeihen der Schule von Salerno deren wissenschaftlichen Leistungen tatsächlich so fremd und fast ablehnend gegenüber, wie Morpurgo dies annimmt? Wenn wir uns seiner Analyse der Naturvorstellungen an Friedrichs Hof zuwenden, so irritiert zunächst etwas, daß sie manche Personen einbezieht, die schwerlich als wissenschaftlich geschulte Naturphilosophen im eigentlichen Sinne und damit als repräsentativ für das naturwissenschaftliche Niveau an diesem Hof gelten können: den Literaten Terrisius von Atina etwa, den Troubadour Johannes von Aubusson oder den Juristen Petrus de Vinea mit ihren panegyrischen Versen.21 Auch scheint bisweilen allzu viel Wert auf formale Gesichtspunkte gelegt zu sein, vor allem auf den Accessus ad auctores, eine seit der Spätantike gebräuchliche, schematische Form der Bucheinleitung: Morpurgo vermißt sie als eine für die Salernitaner Autoren des 12. Jahrhunderts typische Hin[319]führung zum Text bei den Autoren im Umkreis Friedrichs.22 Tatsächlich begegnet sie dort jedoch an durchaus prominenter Stelle, und zwar sowohl am Schluß des Vorworts zum Liber introductorius des Michael Scotus wie am Beginn von Friedrichs eigenem Falkenbuch.23 Was nun den Ansatz und Inhalt von Michaels großer Enzyklopädie betrifft, so fällt in der Tat auf, welchen Rang der gelehrte Autor dort etwa der Dämonie oder der Zauberei einzuräumen bereit war, mit welcher Liebe er die Geheimnisse der Zahlensymbolik aufspürte, welches Gewicht

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Morpurgo (wie Anm. 3), S. 156f., 163 (mit der zusätzlichen Zitierung des Troubadours Aimeric); vgl. ders.: Federico II e la scuola di Salerno: Filosofia della natura e politica scolastica della corte sveva. In: Micrologus 2 (1994), S. 202f. Morpurgo (wie Anm. 3), S. 161f. („Di tutto ciò alla corte di Federico II non v’è traccia. Dunque la tradizione salernitana sembrerebbe essersi interrotta“); vgl. ders. (wie Anm. 7), S. 121-133; an beiden Stellen bleibt Maurus freilich der einzige zitierte Salernitaner Autor mit Accessus ad auctores. Michael Scotus, Liber introductorius, Prooemium, Cod. München, Bayer. Staatsbibl., clm 10268, fol. 16v-17v, Cod. Paris, Bibl. Nat., Nouv. acq. lat. 1401, fol. 35r-37r; Friedrich, De arte venandi cum avibus, ed. Carolus Arnoldus Willemsen, Leipzig 1942, Bd. 1, S. 2f.; vgl. Haskins (wie Anm. 1), S. 283 mit Anm. 69, dort der zusätzliche Hinweis auf die Einleitung des wohl von Michael Scotus stammenden Kommentars zu Johannes de Sacroboscos Schrift De spera, ed. Lynn Thorndike, The Sphere of Sacrobosco and Its Commentators, Chiacago 1949, S. 249; siehe außerdem den Überblick bei Zahlten (wie Anm. 14), S. 70-72, bes. S. 71 mit Anm. 105 der wichtige Beleg für den Accessus ad auctores bei Constantinus Africanus, der Morpurgos These (wie Anm. 7, S. 133) von der Abhängigkeit Salernos von westeuropäischen Zentren wenigstens in diesem Punkt entkräftet.

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religiöse Themen und insbesondere die Schilderung der göttlichen Schöpfermacht bei ihm gewannen. Wenn er beispielsweise auf Friedrichs Frage nach der Kraft, die den Erdball im Zentrum des Kosmos sicher fixiere, die überragende Stärke des alle Dinge nach seinem Willen fügenden Schöpfers als Ursache nennt, so hätten ihm Abaelard oder Thierry von Chartres gewiß mit dem Hinweis auf die natürliche Schwere der Erde widersprochen.24 Freilich entwickelten Michaels Vorgänger in Chartres, Paris oder Salerno keineswegs ein einheitliches oder durchgehend rational geprägtes Naturkonzept. Auch ihnen galt Gott selbstverständlich als der aus dem Nichts schaffende Baumeister des Kosmos; auch unter ihnen findet sich gelegentlich die Bereitschaft, Grundzüge der kosmischen Ordnung dem unmittelbaren, sogar gegen die Elementenqualitäten gerichteten göttlichen Befehl zuzuschreiben.25 Umgekehrt wandte Michael seinerseits durchaus die bei ihnen zentrale Lehre von den vier Elementen und ihren Qualitäten an, um Naturphänomene von einer rational einsichtigen Basis her zu erklären;26 Passagen wie der Abschnitt De urinis am Ende des Mittelteils seines Liber [320] physiognomie27 entsprechen methodisch und

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Michaels Erklärung zitiert bei Reichert, Folker: Geographie und Weltbild am Hofe Friedrichs II. In: DA 51 (1995), S. 454 Anm. 83; vgl. etwas später Michaels Bemerkung, der barmherzige Wille Gottes habe die rasche Zerstörung der Erde durch die Unterbringung des Schwefels und feurigen Gesteins im Erdinnern verhindert, Zitat: Haskins (wie Anm. 1), S. 297; zu Abaelard und Thierry siehe Stürner, Wolfgang: Natur und Gesellschaft im Denken des Hoch- und Spätmittelalters, Stuttgart 1975, S. 28f., 33f. mit Belegen. Hanc redegit Creator ordinem, conferendo terrae locum inferiorem, igni superiorem, Wilhelm von Conches, De philosophia mundi I 21, Migne PL 172, 54A, vgl. dazu Stürner (wie Anm. 24), S. 37f., außerdem S. 25 (zu Abaelard), S. 33 (zu Thierry von Chartres), S. 43, 47 (zu Bernardus Silvestris), S. 48 (zu Urso von Salerno). Vgl. dazu etwa Michaels Bemerkungen über den Vulkanismus, ausführlich zitiert bei Haskins (wie Anm.1), S. 296f., oder über die Luftqualität und den Regenbogen, ausführlich zitiert (in englischer Übersetzung) bei Thorndike, Lynn: Michael Scotus, London 1965, S. 64-69, aber auch seine grundsätzlichen Äußerungen über die Elemente und ihre Verbindungen und die Bedeutung der ratio, zitiert bei Morpurgo, Piero: Philosophia naturalis at the Court of Frederick II: From the Theological Method to the ratio secundum physicam in Michael Scot’s De Anima. In: Tronzo, William (Hg.): Intellectual Life at the Court of Frederick II Hohenstaufen, Washington 1994, S. 243246 mit Anm. 28-31; S. 35, 37-38. De noticia prognosticationis urine, Cod. Oxford, Bodl. Libr., Canon. Misc. 555, fol. 77v-80r, Rom, Bibl. Vat., Ross. 421, fol. 63v-65v; Verweise auf Michaels Verbindun-

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inhaltlich durchaus dem von der Salernitaner Schule Gebotenen, und die astrologischen Partien seines Werkes verraten ja eigentlich ebenfalls ein großes Vertrauen in die Berechenbarkeit der das Weltganze bestimmenden Kräfte und Abläufe. Gerade hier scheint Michael zudem als erster das einschlägige arabische Schrifttum in vollem Umfang berücksichtigt zu haben – ein erneutes Zeichen seiner bereits im Sacrobosco-Kommentar zutage getretenen Vertrautheit mit der modernen Entwicklung auf astronomisch-astrologischem Gebiet.28 Als ein der Erfahrung und dem Experiment zugetaner Mann mit zum Teil neuen Vorschlägen und Ideen erweist sich Michael jedoch auch an manchen Stellen seiner Enzyklopädie sonst.29 Wenn er die bald hochaktuell werdenden Texte des Averroës zwar übersetzte und offenbar am Hof diskutierte,30 aber noch nicht in sein Lehrbuch einarbeitete, so sei daran erinnert, daß er erklärtermaßen eine Einführung für Anfänger schreiben wollte,31 daß andererseits die Beschäftigung der Intellektuellen mit Averroës während seiner letzten Lebensjahre eben erst einsetzte.32 Seine zögernde, zunächst mündliche An-

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gen zur Salernitaner Medizin auch bei Morpurgo (wie Anm. 7), S. 15f.; ders. (wie Anm. 3), S. 168. Vgl. zu den astrologischen Quellen Burnett, Charles: Michael Scot and the Transmission of Scientific Culture from Toledo to Bologna via the Court of Frederick II Hohenstaufen. In: Micrologus 2 (1994), S. 117, 121-126; zu dem antike und arabische Traditionen selbständig zu einem für die Zukunft maßgebenden Neuen vereinenden Bildprogramm des Michael, wie es sich aus dem Cod. München, clm 10268 erschließen läßt, Orofino, Giulia: Il rapporto con I’antico e l’osservazione della natura nell’illustrazione scientifica di età sveva in Italia meridionale. In: Intellectual Life, ed. Tronzo (wie Anm. 26), S. 135-140; zum Sacrobosco-Kommentar siehe Thorndike (wie Anm. 23), S. 21-23; ders. (wie Anm. 26), S. 8, 34; vgl. Haskins (wie Anm. 1), S. 282f. Vgl. dazu Reichert (wie Anm. 24), S. 459, 480 (zu kosmographischen Fragen); Thorndike (wie Anm. 26), S. 60f. (über die Zonen der Luft), 66 (zur Behandlung des Regenbogens); Haskins (wie Anm. 1), S. 288f., 298 (über den Vulkanismus). Vgl. die Bemerkungen des Jakob ben Anatoli über seine Diskussionen mit Michael (in französischer Übersetzung) bei Sirat, Colette: Les traducteurs juifs à la cour des rois de Sicile et de Naples. In: Contamine, G. (Hg.): Traduction et traducteurs au Moyen Âge, Paris 1989, S. 171, 181-190 (S. 182 Gespräch über Aristoteles und Averroës, S. 184 bzw. 189 über Maimonides und Aristoteles). Der Liber introductorius zusammengestellt pro noviciis scolaribus: Schluß des Vorworts, Cod. München, clm 10268, fol. 19v, vgl. zu Beginn des Liber particularis: ut aliquis novicius hoc opus inveniat, Cod. Oxford, Bodl. Libr., Canon. Misc. 555, fol. 1r. Zum allmählichen Bekanntwerden des Averroës seit 1228-1230 siehe Gauthier, R. A.: Notes sur les débuts (1225-1240) du premier „Averroisme“. In: Revue des sciences

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näherung entspricht also wohl ganz dem Stand der Dinge, ebenso wie möglicherweise die Anlage seiner großen Abhandlung überhaupt. Sieht man in ihr nämlich den Versuch, vielleicht angeregt durch das Studium des Maimonides ein zuverlässiges Gesamtbild des greifbaren Wissens mit astronomisch-astrologischem Schwerpunkt zu bieten, zugleich jedoch die souveräne Herrschaft Gottes über die geschaffene Welt, ihre Kräfte und Gewalten und deren Abhängigkeit von ihm herauszustellen, so weist Michaels Absicht nicht in die Vergangenheit, [321] sondern eher voraus, etwa auf Petrus Hispanus oder auf die Arbeiten des Albertus Magnus und auf die großen Summen des Thomas von Aquino, die sein Anliegen dann freilich auf ungleich überzeugendere, systematisch klare, methodisch durchdachte Weise verwirklichten.33 Zwischen dem optimistischen Wissenschaftsglauben des 12. Jahrhunderts und den Gott und Welt umgreifenden Entwürfen der Hochscholastik böte Michaels Werk mit seinen Unsicherheiten, Abschweifungen und Wiederholungen, mit seinem tastenden Suchen nach einem neuartigen Ganzen, so betrachtet, die typischen Züge einer Übergangszeit. Daß Michaels Anschauungen im übrigen die wissenschaftliche Meinungsbildung am Hof offenbar keineswegs immer prägten, lehrt recht deutlich das Vorwort der Konstitutionen von Melfi aus dem Jahre 1231, das der eigenständig handelnden Natur anders als er eine deutlich dominierende Rolle beim Schöpfungsprozeß einräumt.34 Ganz ohne Neigung zu Gott und Welt verbindenden universalen Deutungsansätzen, sondern als ein nüchtern auf das Praktische gerichteter Mann tritt denn auch der nach Michael wohl bekannteste naturwissenschaftlich tätige Gelehrte aus Friedrichs unmittelbarer Umgebung vor

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philosophiques et théologiques 66 (1982), S. 321-367, sowie Van Steenberghen (wie Anm. 13), S. 101-106. Auch in seinen Gesprächen mit Jakob ben Anatoli vertrat Michael die Ansicht, es sei das Ziel aller Wissenschaften, die Existenz Gottes zu beweisen, alles Geschaffene sei in sich hierarchisch geordnet und auf Gott hin ausgerichtet, die Sphären bewegten sich aus Liebe zu Gott und um sich ihm anzugleichen, vgl. Sirat (wie Anm. 30), S. 183, 185, 187; zu den entsprechenden Grundkonzeptionen der Hochscholastik Stürner (wie Anm. 24), S. 77-100; zu Petrus Hispanus daneben unten S. 217f. mit Anm. 38; siehe dazu auch Morpurgo (wie Anm, 26), S. 246 (S. 243: Michael als Vorläufer des Vinzenz von Beauvais). Siehe Stürner, Wolfgang: Rerum necessitas und divina provisio. Zur Interpretation des Prooemiums der Konstitutionen von Melfi (1231). In: DA 39 (1983), S. 485-489 [in diesem Band S. 78-83].

Friedrich II. und die Schule von Salerno

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uns, der vielseitig ausgebildete kaiserliche Arzt Theodor von Antiochia.35 In der einzigen aus seiner Feder erhaltenen selbständigen Schrift stellte er auf Anweisung seines Herrn und zu dessen Gebrauch eine Reihe von Gesundheitsregeln über das Essen und Trinken, über Schlaf, Verdauung und Geschlechtsverkehr zusammen, knapp und leicht faßlich, allenfalls hie und da zur Erklärung auf die Effekte der vier Hauptqualitäten verweisend und grundsätzlich überall das natürliche Maßhalten empfehlend.36 Dabei schöpfte er gewiß vornehmlich aus seinem eigenen theoretischen Wissen und aus seinen zusätzlichen praktischen Erfahrungen und schuf so ein kleines Werk, das in Absicht und Anlage bereits stark an die große Sammlung des „Regimen sanitatis Salernitanum“ erinnert, deren Kern wohl wenige Jahre nach seinem Tod (kurz vor 1250) möglicherweise in Salerno entstand.37 Vielleicht wirkte Theodor im übrigen wenigstens zeitweise als Medizinprofessor eben in Salerno. Petrus Hispanus jedenfalls, der berühmte Arzt und spätere Papst Johannes XXI. (1276-77), der [322] zwischen 1246 und 1250 in Siena Medizin lehrte, ohne daß wir wüßten, wo er dieses Fach studierte, nennt zu Beginn seiner vermutlich in Siena entstandenen Schrift über Augenkrankheiten den Theodor, den Arzt des Kaisers, seinen Lehrer. Mit der gebotenen Vorsicht dürfen wir daraus doch wohl schließen, daß er dessen Unterricht in Salerno genoß, zumal er, wie seine medizinischen Abhandlungen verraten, auch die Werke der renommierten älteren Vertreter der Salernitaner Schule recht gut kannte und außerdem offenbar sogar zum Kaiser Kontakte besaß. Damit aber gewinnen wir trotz aller natürlich bleibenden Unsicherheit zugleich einen konkreten Anhalt für Theodors Salernitaner Lehrtätigkeit.38

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Siehe Burnett, Charles: Master Theodore, Frederick II’s Philosopher. In: Federico II e le nuove culture, Spoleto 1995, S. 225-254; außerdem Kedar, B. Z.: Theodor von Antiochia. In: Lexikon des Mittelalters 8, München 1996, Sp. 630f.; sowie Haskins (wie Anm. 1), S. 246-248; Theodor als physicus noster et medicus in einem Brief Friedrichs vom 4.10.1237 in Schaller, Hans Martin: Unbekannte Briefe Kaiser Friedrichs II. aus Vat. lat. 14204. In: DA 19 (1963), S. 418-420, vgl. S. 400f., wieder abgedruckt in: ders.: Stauferzeit, Hannover 1993, S. 351-353, vgl. 332. Edition: Burnett (wie Anm. 35), S. 266-274 (mit engl. Übers.), sowie Sudhoff, Karl: Ein diätetischer Brief an Kaiser Friedrich II. von seinem Hofphilosophen Magister Theodorus. In: Archiv für Geschichte der Medizin 9 (1916), S. 4-7. Siehe dazu oben S. 208 mit Anm. 9. Zu Petrus Hispanus: Morpurgo (wie Anm. 3), S. 109-146, zur Biographie und Verbindung mit Salerno bes. S. 111-123; de Rijk, L. M.: On the Life of Peter of Spain, the Author of the „Tractatus“, called afterwards „Summule logicales“. In: Vivarium 8 (1970), S. 138-153; Petrus als Medizinprofessor und Schüler des Theodor: Berger,

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Wie aber steht es mit der Beziehung Friedrichs selbst zur Schule von Salerno? Sein grundsätzliches Interesse an der Medizin bezeugen nicht nur seine einschlägigen Gesetze, die von Theodor angeforderten Verhaltensregeln oder der ihm vielleicht von Petrus Hispanus zugedachte Brief ähnlichen Inhalts. Bereits weit früher hatte der Salernitaner Lehrer und Poet Petrus von Eboli sein letztes Werk über die Bäder von Pozzuoli bei Neapel, deutet man seine Schlußzeilen recht, offenbar Friedrich II. gewidmet. Er rühmt den Staufer dort nicht nur als sol mundi, als Sonne des Erdkreises, sondern spricht auch davon, daß Friedrich bereits einen Sohn besitze, von dessen Taten er, Peter, dank der erwarteten herrscherlichen Belohnung einst zu künden hofft. Peter schrieb also nach der Geburt Heinrichs; er könnte sein Buch demnach etwa Anfang 1212 während Friedrichs Aufenthalt in Gaëta überreicht haben. Vor allem aber glaubte er, der besonderen Aufgeschlossenheit dieses Herrschers gerade für seinen Gegenstand gewiß sein zu dürfen, nämlich für seine ausführliche Schilderung der Heilquellen Pozzuolis mit ihren erquickenden, Krankheiten vertreibenden und die Gesundheit stärkenden Effekten. Sein kleiner Badeführer fand denn auch nicht nur im ganzen Spätmittelalter reiche Verbreitung, sondern genoß Wertschätzung offenbar durchaus bereits am Stauferhof, für den er ursprünglich gedacht war. Die älteste und vielleicht schönste der von ihm erhaltenen Kopien stammt immerhin aus der Zeit König Manfreds, mehr noch: Sie gehört zu einer Gruppe von Codices, die teilweise wie sie selbst von einem Schreiber Johensis geschaffen und vermutlich unmittelbar für Manfred gefertigt wurden. Manche späteren Abschriften des Pozzuoli-Führers könnten im übrigen, da in ihnen eine an Friedrichs Brückentor von Capua erinnernde Sonder[323]form des Dedi-

Albrecht, M. (Hg.): De egritudinibus oculorum. Die Ophthalmologie (Liber de oculo) des Petrus Hispanus, München 1899, S. 2 und 4; vgl. Da Rocha Pereira, Maria Helena: Obras médicas de Pedro Hispano, Coimbra 1973, S. 497 (Petrus als medicus Salerni im Cod. Mainz, Stadtarchiv, I 530, fol. 142v). Des Petrus Regimen sanitatis wurde zwar wohl erst nachträglich als Brief an Friedrich II. eingekleidet, vgl. Da Rocha Pereira S. 436-438, 496-498 (Edition des Werkes S. 447-491; die Brieffassung bringt auch der Cod. Trier, Stadtbibliothek 1005/1951, fol. 46r-47v); des Petrus gute Beziehungen zum Hof aber zeigen sich etwa darin, daß er um eine von Friedrich veranlaßte, der Öffentlichkeit noch vorenthaltene Übersetzung von Pseudo-Dionysios, De anima, wußte, siehe Alonso, Manuel: Petrus Hispanus. Expositio librorum Beati Dionysii, Lissabon 1957, S. 317 und dazu LVIf.

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kationsbildes auftaucht, unter Umständen sogar auf ein um 1240 am Hofe Friedrichs angelegtes Exemplar zurückgehen.39 In die Zeit vor Friedrichs krankheitsbedingtem Abbruch des Kreuzzuges gehört vermutlich jene Aufstellung ärztlicher Verhaltensregeln für Kreuzfahrer, die der Kantor Adam von Cremona, vielleicht ein Kanoniker an der Cremoneser Kathedralkirche, dem Kaiser, „dem höchst ruhmreichen und unbesiegbaren Triumphator“, wie er ihn nennt, übersandte. Seine vielseitigen medizinischen Ratschläge basieren auf der damals vorherrschenden Qualitäten- und Säftelehre, sie sind stark den Lehren des Avicenna verpflichtet und betreffen vorwiegend praktische Probleme, sie handeln vom Essen und Trinken, vom Marschieren und Lagern unter den besonderen Bedingungen des Kreuzzuges, empfehlen Mittel zur Bekämpfung von Schlangen, Wanzen oder Flöhen ebenso wie heilende Maßnahmen bei Erschöpfungszuständen, wunden Füssen oder Seekrankheit und schildern den Nutzen von Bädern, Aderlaß und körperlichen Übungen. Mag man in Friedrichs Umgebung daraus für das im Sommer 1228 endgültig beginnende Kreuzzugsunternehmen auch nichts grundsätzlich Neues erfahren haben, so faßte der Traktat doch immerhin – und darin lag zweifellos sein Wert – das damals zu Gebote stehende einschlägige Wissen knapp und übersichtlich zusammen. Zugleich aber zeigt er, daß die Zeitgenossen des Kaisers schon damals auch außerhalb seines sizilischen Königreiches mit seinem Verständnis für den Bereich der Gesundheitsfürsorge und Hygiene rechneten, seinen offenen Sinn für medizinische Fragen kannten. 40

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Zu des Petrus Schrift De Balneis Puteolorum et Baiarum, ihrer Datierung und Verbreitung siehe Kauffmann, Charles M.: The Baths of Pozzuoli. A study of the mediaeval illuminations of Peter of Eboli’s poem, Oxford 1959, bes. S. 1-13, 25-32 (zur ältesten Hs. Rom, Bibl. Angelica 1474), S. 45-49 (zum Widmungsbild); Daneu Lattanzi, Angela: Petrus de Ebulo. Nomina et virtutes balneorum seu De Balneis Puteolorum et Baiarum. Codice Angelico 1474, Rom 1962, S. 9-25 (in einem Anhang Faksimile-Ausgabe der Hs. Bibl. Angelica 1474); vgl. Gianni, M. / Orioli, R.: La cultura medica di Pietro da Eboli. In: Studi su Pietro da Eboli, Rom 1978, S. 89-117, sowie Mütherich, Florentine: Handschriften im Umkreis Friedrichs II. In: Vorträge und Forschungen 16 (1974), S. 15-17; Orofino (wie Anm. 28), S. 130-133. Edition von Adams Schrift: Hönger, Fritz: Ärztliche Verhaltungsmaßregeln auf dem Heerzug ins Heilige Land für Kaiser Friedrich II., geschrieben von Adam von Cremona (ca. 1227), Borna 1913, S. 1-96, vgl. dazu ebd. VII-XII sowie: Die Zeit der Staufer. Geschichte, Kunst, Kultur 1, Stuttgart 1977, S. 651 (F. Mütherich/H. M. Schaller); zum starken Einfluß des Avicenna: McVaugh, Michael: Medical

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Im übrigen scheint Friedrich zu den allerersten gehört zu haben, denen die kurz vor 1230 in Antiochia verfertigte Übersetzung des gesamten Secretum secretorum vorlag, jener im 10. Jahrhundert in Syrien entstandenen und fälschlich unter dem Namen des Aristoteles laufenden Kollektion älterer Traktate unterschiedlichsten, auch medizinischen Inhalts.41 Unwahrscheinlich, daß einem solcherart aufgeschlossenen Herrscher die bedeutende und einflußreiche Fachliteratur aus seinem eigenen Königreich entgangen, daß ausgerechnet Friedrich dem Schaffen der Salernitaner Schule gegenüber gleichgültig geblieben sein sollte. Manches in seinem eigenen Werk, dem hochberühmten Falkenbuch, verbindet ihn denn auch [324] deutlich mit den Salernitaner Autoren. Er verwendet dort eingangs wie etwa schon Constantinus Africanus, wie Maurus und Urso von Salerno und noch Petrus Hispanus den schon erwähnten Accessus ad auctores.42 Etwas später verweist er auf die Aphorismen des Hippokrates, eine Schrift also, die zu der wohl vor 1150 in Salerno als Basis für die Lehre zusammengestellten Textsammlung der sog. Articella gehörte.43 Schließlich hält er sich in den grundlegenden Partien zu Beginn seiner Abhandlung vielfach, teilweise wörtlich, an Constantinus Africanus und daneben hie und da an Arbeiten aus dem engeren Salernitaner Kreis, insbesondere Ursos von Salerno.44 Vor allem aber berührt sich die vielzitierte Absicht des Kaisers, „das was ist, so zu zeigen, wie es ist“, und dabei selbst Autoritäten wie dem Aristoteles gegenüber letztlich allein der eigenen Erfahrung mit den Ob-

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Knowledge at the Time of Frederick II. In: Micrologus 2 (1994), S. 12f., vgl. schon Powell (wie Anm. 16), S. 89. Friedrichs Kenntnis ist zu erschließen aus Theodors Verhaltensregeln für den Kaiser, edd. Burnett und Sudhoff (wie Anm. 36), S. 266 bzw. 4; siehe dazu Williams, Steven J.: The early circulation of the Pseudo-Aristotelian „Secret of Secrets” in the West: The papal and imperial Courts. In: Micrologus 2 (1994), S. 131-144. Zum Accessus ad auctores siehe oben S. 213 mit Anm. 22 und 23, insbesondere Zahlten (wie Anm. 14), S. 71; zu Petrus Hispanus: Expositio, ed. Alonso (wie Anm. 39), S. 473f., vgl. Grabmann, Martin: Handschriftliche Forschungen und Funde zu den philosophischen Schriften des Petrus Hispanus, Sitzungsberichte München 1936, Heft 9 (1936), S. 119, ebd. S. 130 der Hinweis auf den Accessus bei dem Dominikaner Philippus von Ferrara. De arte venandi (wie Anm. 23), Bd. 1, S. 143, Z. 8; zur Articella und der Beziehung von Friedrichs Medizingesetzgebung zu ihr siehe oben S. 210f. mit Anm. 14. Vgl. die Nachweise bei Zahlten (wie Anm. 14), S. 74-94, sowie ders.: Zur Abhängigkeit der naturwissenschaftlichen Vorstellungen Kaiser Friedrichs II. von der Medizinschule zu Salerno. In: Sudhoffs Archiv 54 (1970), S. 189-194, 209f.

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jekten zu trauen,45 grundsätzlich eng mit den Überzeugungen und Vorgehensweisen der von Morpurgo ins Feld geführten Salernitaner Magister. Wie sie ging er davon aus, daß in den Körpern der geschaffenen Natur selbst die Kräfte wohnten und wirkten, die deren spezifisches Verhalten veranlaßten, daß deshalb die exakte Beobachtung dieser Körper und ihres Verhaltens zur Erkenntnis dieser immanenten Ursachen und der Regeln ihrer Wirksamkeit führen werde und daß eben dies: solche nachvollziehbaren, generell gültigen Regeln aufzustellen, eine ars, eine Wissenschaft ausmache. Zur Praxis hatte für ihn wie für Constantinus Africanus oder Urso von Salerno die Theorie zu treten.46 Auf seinem speziellen Forschungsgebiet aber gelangte er mit einer ganzen Reihe bemerkenswerter, zum Teil wohl durch Sezierung gewonnener neuer Einsichten und Entdeckungen sogar über seine naturwissenschaftlichen Vorgänger hinaus.47 So läßt sich von Friedrich gewiß nicht sagen, er sei hinter den Salernitaner Standard zurückgefallen, und es verwundert nicht, daß man umgekehrt gerade im konservativen Festhalten an den Anschauungen und Methoden Salernos das für ihn Charakteristische sehen wollte, [325] das ihn gehindert habe, die neue Tendenz seiner Zeit zu verstehen und aufzunehmen, jene in den Werken der Hochscholastik gipfelnde Neigung nämlich, die Vielfalt des Seienden als von Gott stammende und auf ihn hingeordnete, auf ihn als ihr letztes Ziel zustrebende Hierarchie unterschiedlicher Vollkommenheiten zu begreifen; ganz entsprechend habe er auch die Bewegung einzelner Glieder und Organe nicht im aristotelischen Sinne als zweckbestimmtes Handeln erklärt, sondern mechanistisch als Folge ihrer je besonderen Gestalt.48

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De arte venandi (wie Anm. 23), Bd.1, S. 1f.. De arte venandi (wie Anm. 23), Bd. 1, S. 2, Z. 12-21, dazu Willemsen, Carl A.: Kaiser Friedrich der Zweite. Über die Kunst, mit Vögeln zu jagen. Kommentar zur lateinischen und deutschen Ausgabe, Frankfurt am Main 1970, S. 16-20; vgl. des Constantinus Liber pantegni mit den Teilen Theorica und Practica, ed.: Omnia opera ysaac, Lyon 1515; zum Verhältnis von Theorie und Praxis bei Urso von Salerno: De commixtionibus elementorum libellus, ed. Wolfgang Stürner, Stuttgart 1976, S. 37f. Siehe die Aufzählung bei Van Den Abeele, Baudouin: La fauconnerie au Mogen Âge, Paris 1994, S. 176f., vgl. S. 262; ders.: Inspirations orientales et destinées occidentales du De arte venandi cum avibus de Frédéric II. In: Federico II e le nuove culture, Spoleto 1995, S. 366f., 377-381, 388f., sowie Zahlten (wie Anm. 14), zusammenfassend S. 93f., Willemsen (wie Anm. 46), S. 19-21, 24-26. Nitschke, August: Friedrich II., ein Ritter des hohen Mittelalters. In: HZ 194 (1962), S. 16-22, 34-36; vgl. Zahlten, Johannes: Die „Hippiatria“ des Jordanus Ruffus. In: Archiv für Kulturgeschichte 53 (1971), S. 43-47, 52.

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Herrschaftspraxis

Nun entwickelte sich die hier angesprochene, geschlossene Sicht von Natur und kosmischer Ordnung erst während Friedrichs letzter Lebensphase, um sich nach seinem Tod dann weithin durchzusetzen. Zumindest einzelne unter den Gelehrten an seinem Hof hatten aber offenbar durchaus ein beachtliches Gespür für das Kommende; zu ihnen gehörte gewiß Michael Scotus, in dessen Enzyklopädie wir bereits erste Spuren der neuen Erfahrungen und Anschauungen entdecken zu können glaubten, und von dem sein Gesprächspartner, der jüdische Gelehrte Jakob ben Anatoli ausdrücklich berichtet, er habe die Überzeugung ausgesprochen, alles Geschaffene sei in sich hierarchisch geordnet und auf Gott hin ausgerichtet. Friedrich kannte wohl derartige Vorstellungen; sie dürften beispielsweise in den regen Diskussionen eine Rolle gespielt haben, die er selbst hin und wieder mit Michael und Jakob führte. Immerhin erörterte man dort unter anderem anhand der einschlägigen Aussagen des Maimonides die Frage, ob die ganze geschaffene Welt, der Bereich der Himmelssphären wie die Erde, aus einer einheitlichen Urmaterie hervorgegangen sei, was der Kaiser bejahte.49 Trotzdem bietet Friedrichs Falkenbuch zweifellos keinen Anhalt dafür, daß sein Autor das Welt- und Naturbild der Hochscholastik übernommen, ja daß er sich ihm auch nur wie Michael Scotus angenähert hätte. Im Mittelpunkt der Bemühungen um sein Naturverständnis standen vielfach seine Äußerungen zu dem Problem, ob die Glieder eines Lebewesens ihre besondere Form ihrer Tätigkeit wegen hätten oder ob sich umgekehrt ihre Tätigkeit notwendig aus ihrer Form ergebe. Bereits Manfred hielt diese Passage offenbar für wichtig, denn er legte dieselbe Quaestion seinerseits dem Petrus de Hibernia vor, jenem Gelehrten also, der noch zu Lebzeiten Friedrichs, um 1240, den Thomas von Aquino an der Universität zu Neapel in Naturphilosophie unterrichtet hatte, und Petrus ergriff die Gelegenheit, um die nun, wohl gegen 1260, dominierende Anschauung von der stufenweise auf Gott ausgerichteten Ordnung des Kosmos vorzutragen und ganz folgerichtig die Abhängigkeit der Gliederform von dem durch ihre Tätigkeit zu realisierenden Zweck zu behaupten.50

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Vgl. den Bericht Jakobs über die entsprechenden Unterredungen bei Sirat (wie Anm. 30), S. 172-174, 183, zu den dort von Michael Scotus vertretenen Positionen oben S. 215f. mit Anm. 33. Friedrichs Äußerungen: De arte venandi (wie Anm. 23), Bd. 1, S. 64f.; Edition des Petrus-Textes: Baeumker, Clemens: Petrus de Hibernia der Jugendlehrer des Thomas von Aquino und seine Disputation vor König Manfred, SB München 1920, 8. Abh.

Friedrich II. und die Schule von Salerno

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Friedrich selbst hatte sich entschieden gegen diese Meinung gewandt: Ein Späteres, die Tätigkeit, könne nicht Ursache eines Früheren, der Glieder, sein; zudem würde die entgegengesetzte Ansicht bedeuten, daß die Natur ungerechterweise einen Teil der Lebewesen, etwa [326] Raubvögel, mit dem Ziel schaffe, andere Lebewesen zu vernichten.51 Das klingt in der Tat so, als wolle der Kaiser das Verhalten der Geschöpfe streng deterministisch allein aus ihrer physischen Beschaffenheit erklären. Freilich sollte man den recht knappen Bemerkungen vielleicht doch nicht, verführt durch Manfred, allzu entscheidenden Rang einräumen, zumal der Autor die Dinge mit seinen anschließenden Erläuterungen selbst schon in ein etwas anderes Licht rückt – unter Umständen sogar ein Grund für die Quaestion seines verunsicherten Sohnes. Friedrich bezeichnet es dort nämlich als das wesentliche Merkmal der Natur, daß sie für jede einzelne Gattung und jedes Individuum gleichermaßen sorgt, also doch in einer gewissen Voraussicht auf ein Späteres deren künftige Bewahrung zu gewährleisten trachtet und in diesem Bestreben aus geeigneter Materie die ihnen angemessenen Glieder formt. Ihre Glieder sind den Geschöpfen konsequenterweise angemessen und für sie passend, weil sie damit eben die für ihre dauerhafte Existenz notwendigen Tätigkeiten auszuüben vermögen, die operationes sibi necessarias ad salvationem suam. Den so bestimmten Aktionsrahmen zu erfüllen, d. h. die durch die Form der Glieder gegebenen Möglichkeiten im praktischen Vollzug zu realisieren, danach streben denn auch, wie Friedrich sagt, alle Lebewesen.52 So verhalten sich streng genommen Natur wie Individuen zielorientiert: Die Individuen suchen, die Fähigkeiten, mit denen sie die Natur ausstattete, zu nützen und damit das ihnen Angemessene und Nützliche zu tun, und die fürsorgliche Natur ermöglichte ihnen solches Handeln um ihrer Erhaltung willen.

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(1920) S. 41-49, zu Petrus ebd. S. 3-13, zum erörterten Problem bes. S. 13-28, dazu bes. Nitschke (wie Anm. 48), S. 17-19, Willemsen (wie Anm. 46), S. 22f. De arte venandi (wie Anm. 23), Bd. 1, S. 64, Z. 10-18, 23-30. De arte venandi (wie Anm. 23), Bd. 1, S. 64, Z. 30 bis 65, Z. 3, das Zitat 64, Z. 8. Wenn Friedrich dort sagt: Natura providit et fecit ... omnia illa membra ... cuique individuo conventiora, per que membra ipsum individuum perficit operationes sibi necessarias, dann ähnelt dies stark der Argumentation des Petrus de Hibernia, der meint, da die Raubvögel ihrem Wesen nach nicht ohne rohes Fleisch auskämen, necessarium fuit nature ut faceret organa que faciliori modo possunt capere et retinere, ed. Baeumker (wie Anm. 50), S. 47, Z. 16-20.

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Friedrich scheint es hier demnach – vielleicht bereits im Blick auf in seiner Umgebung diskutierte neue Konzeptionen – vor allem auf die Feststellung anzukommen, daß natürliche Prozesse und Verhaltensweisen ihre Ursache nicht außerhalb der Agierenden oder gar in deren Verhältnis zu übergeordneten, vollkommeneren Geschöpfen, sondern in diesen Handelnden selbst hätten, daß sie als deren Streben nach Verwirklichung und Sicherung der ihnen von der Natur zugedachten und ermöglichten Lebensform aufzufassen seien. Diese durchaus finalistische und insofern aristotelische Sicht der Natur im Ganzen wie der Einzelnatur der individuellen Geschöpfe ist im Falkenbuch gewiß nicht durchgehend und konsequent angewandt. Wie manch andere Wissenschaftler seiner Zeit, insbesondere Mediziner, begnügt sich Friedrich vielmehr immer wieder mit deterministisch wirkenden bloßen Beschreibungen oder Erklärungen auf der Basis der im 12. Jahrhundert entwickelten Elementen- und Qualitätenlehre. Darin braucht jedoch kein Widerspruch zur finalistischen Interpretation zu liegen,53 und wir begegnen dieser Deutung denn auch als einer ergänzenden und übergreifenden Verständnisweise in der Tat an vielen Stellen des kaiserlichen Werkes. So ordnet dessen [327] Autor die einzelnen Glieder eines Lebewesens durchaus bestimmten Zwecken zu. Sie erhielten ihre besondere Form, damit dieses Lebewesen dadurch vor Schaden bewahrt wird oder einen konkreten Nutzen erlangt, allgemeiner gesprochen: damit es die ihm angemessene Lebensweise verwirklichen, seine Natur bewahren kann. Manche Vögel etwa haben nur zwei Zehen, damit sie beim Gehen nicht behindert werden; Wasservögel besitzen Häute zwischen den Zehen, damit sie beim Schwimmen besser vorankommen; Vögel können ihre Zehen abbiegen, damit sie besseren Halt auf Ästen finden – eine Notwendigkeit vor allem beim Schlafen.54 Jedes Lebewesen – Friedrich sagt

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Zumal die Entscheidung, welches der beiden Erklärungsmuster Friedrich anwendet, oft genug schwerfällt, weil sie etwa von der bisweilen kaum zu klärenden Frage abhängt, ob ein ut konsekutiv oder final zu verstehen sei, vgl. dazu Willemsen (wie Anm. 46), S. 23 mit Anm. 160 zu Nitschke (wie Anm. 48), S. 21. Vgl. dazu: De arte venandi (wie Anm. 23), Bd. 1, S. 85, Z. 4-6 (intrinsecum [sc. digitum] non habet, ne noceat ei in gressu suo); S. 85, Z. 9-13 (quod ideo fuerit, ut ... se ipsas impellerent in antea melius in natando), vgl. S. 13, Z. 24-27 und den Zusatz Manfreds, ed. Willemsen (wie Anm. 46), S. 219f., dessen fast wörtlich an Friedrich erinnernde Bemerkung über die Schwimmvögel: natura dedit eis tybias curtas, ut melius ... se impellerent natando (S. 219, Z. 4-6), von Zahlten, Zur Abhängigkeit (wie Anm. 44), S. 201f., als Beleg für Manfreds im Gegensatz zu seinem Vater „teleologisches Denken“ gewertet wird; S. 85, Z. 22 - 86, Z. 5 (ideo plures fuerunt iuncture

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zuweilen auch: seine Natur – sucht in seinem Verhalten die ihm solcherart gegebenen Handlungsmöglichkeiten auszuschöpfen; es strebt nach dem ihm Gemäßen, flieht das Fremde und Schädliche, liebt die ihm zuträgliche Umgebung, wählt die für seinen Nachwuchs günstigste Nestform.55 Dabei scheint es sich für Friedrich tatsächlich um so etwas wie einen bewußten Akt zu handeln, er redet hie und da geradezu vom Wissen der Lebewesen um ihre Eigenart.56 Zur Zielgerichtetheit natürlicher Abläufe bekennt sich Friedrich bezeichnenderweise am klarsten, wo er auf die Fortpflanzung zu sprechen kommt, den am unmittelbarsten die Existenz der Lebewesen sichernden Vorgang also. Er sieht in ihm sogar eine ganze Folge von Zielen verwirklicht: Die Vögel etwa finden sich zusammen mit dem Ziel der Paarung, diese hat ihrerseits das Eierlegen zum Ziel, das schließlich zum Ausschlüpfen junger Vögel führt. Die Natur im übergreifenden und allgemeinen Sinne, die den Erhalt der Arten als ihr eigentliches Ziel erstrebt und deshalb auch als natura provida erscheint, sorgt für die unendliche Wiederholung des derart wesentlich und unmittelbar ihrer Absicht dienenden Paarungsprozesses, indem sie ihn mit Freude für die Beteiligten verbindet, so daß das natürliche Verlangen danach alle geschlechtlich differenzierten Lebewesen erfüllt.57

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necessarie in digitis pedum ... Et ut fortius et firmius retinerent tenenda, fuerunt plures iuncture), vgl. S. 87, Z. 4-6, wo der zweckbestimmte Bau der Vogelzehe (digitus habuit officium concludendi brancationem ... pro eo habuit plures iuncturas, ut ...) als Zeugnis des mirabilis ordo complementi nature steht; siehe außerdem S. 38, Z. 5-7 (Hoc … faciunt, ne inopportunitas temporis ... eas impediat), S. 87, Z. 15-17 (articuli ... ad predictam utilitatem sunt dispositi per naturam), S. 94, Z. 1-4 (plumagium necessarium est avibus ad melius esse). Vgl. De arte venandi (wie Anm. 23), Bd. 1, S. 7, Z. 27-31, S. 8, Z. 24-27 (recedunt ab aquis ... propter cibum, que propter hoc, quod natura earum hoc appetit, ad aquas redeunt); S. 9, Z. 1-4, 10-14, 19, S. 51, Z. 13-22, S. 52, Z. 4-7, S. 52, Z. 31-33, S. 112, Z. 19-21. Nidos faciunt, quales sciunt magis esse convenibiles sibi, ovis et pullis, De arte venandi (wie Anm. 23), Bd. 1, S. 51, Z. 15f., vgl. S. 53, Z. 22-29. Combinatio avium tempore reditus est ad coitum tamquam ad finem, coitus vero ad ponendum ova tamquam ad finem, De arte venandi (wie Anm. 23), Bd. 1, S. 50, Z. 25-27, vgl. bis S. 51, Z. 6; Omne vivens, in quo est mas et femina, naturaliter appetat generare sibi similem, quatenus salvetur species, S. 43, Z. 23-25. Natura provida: 7, Z. 26f., vgl. die Wendung: natura providit, z. B. S. 64, Z. 31, S. 96, Z. 9f. (providit utiliter), S. 118, Z. 22. – Vgl. die ähnliche Naturkonzeption des Theodor von Antiochia im Vorwort zu seiner Moamin-Übersetzung, ed. Burnett (wie Anm. 35), S. 277f.

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[328] Die Vorstellung von der natura provida, die das Wohl der Geschöpfe so gut, wie irgend möglich,58 zu gewährleisten trachtet, war Friedrichs Zeitgenossen nicht fremd. Sie begegnet uns wieder bei Robert Grosseteste, der in seinem zwischen 1228 und 1232 geschriebenen Kommentar zur Aristotelischen Physik ganz ähnlich behauptet, die Natur ziele auf das Beste ihrer Geschöpfe, die natürliche Bewegung von Körpern etwa lasse sich dementsprechend erklären aus dem Bemühen der Natur um deren Wohl, um ihre vollkommene Ausbildung und deren Bewahrung.59 Mindestens ebenso stark an Friedrich erinnert Petrus Hispanus, wenn er von der natura summa et provida bzw. von der nature ordinaria providentia spricht, die jedes Geschöpf mit jenen Bestandteilen und Tätigkeiten ausstatte, deren es zur möglichst perfekten Verwirklichung der ihm angemessenen Lebensform bedürfe, und wenn er alle natürlichen Vorgänge auf das Ziel der Existenzerhaltung gerichtet sieht.60 Im Unterschied zu diesen Gelehrten begriff Friedrich indessen die Wirksamkeit der fürsorglichen Natur offensichtlich nicht als eine Kraft, die von Gott stammte, die unterschiedlich vollkommenen Stufen des Schöpfungsbaues durch ihren Drang nach Vervollkommnung in hierarchischer Ordnung aufeinander bezog und sich letztlich auf die göttliche Vollkommenheit richtete. Damit aber weist sein Ansatz in einem zentralen Punkt voraus auf Kommendes, auf Gedanken des Duns Scotus und insbesondere auf die Naturkonzeption des Wilhelm von Ockham. Auch

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Vgl. die durch Steigerungsformen wie insbes. melius eine solche Optimierungstendenz anzeigenden Zitate oben in Anm. 54 (etwa: ad melius esse) und Anm. 56. Natura tendit ad salutem subiecti sui, Commentarius in VIII libros Physicorum Aristotelis IV, ed. Richard C. Dales, Boulder 1963, S. 83, vgl. 83f., dazu Stürner (wie Anm. 24), S. 68f., dort (S. 69 mit Anm. 156) auch Belege für Grossetestes Deutung der Bewegung von Lebewesen als Streben nach dem conueniens bzw. Flucht vor dem nocivum. Natura summa et provida ... diversa membra in complexione et forma ... et officio multiformiter edidit, De egritudinibus oculorum, ed. Berger (wie Anm. 38) S. 1f.; Nature ... ordinaria providentia... cuilibet viventi donavit propriam complexionem et proprias dispositiones, eam sequentes, secundum ordinem singulorum, ut in ipsis ad vitam pefectiorem in suo statu ordinetur, Expositio librorum de longitudine et brevitate vite III 4, Pedro Hispano. Obras Filosóficas, ed. Manuel Alonso, Bd. 3, Madrid 1952, S. 477, Z. 22-26; Omnia propter hoc operatur, ut suam salvent existentiam, secundum quod ordo competit naturalis, Scientia libri de anima III 5, Obras Filosóficas 1 (1941), S. 157, dementsprechend heißt es in den Notule zur Articella von den Lebewesen: eligunt quod est sibi conueniens et fugiunt quod est sibi disconveniens, zitiert nach dem Cod. Madrid, Bibl. Nac., Ms. 1877, fol. 24rv, bei Morpurgo (wie Anm. 3), S. 122, vgl. die dort folgenden Zitate.

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Ockham verstand natürliche Prozesse nämlich nicht mehr auf solch unmittelbare Weise wie seine hochscholastischen Vorgänger von der Existenz und vom Einfluß Gottes her, sondern wesentlich als das den Geschöpfen innewohnende, natürliche Streben, ihre Eigenart oder Natur vollständig zu entfalten und zu bewahren. Das gilt zunächst für tote Körper. Das Zusammenwirken einer spezifischen Form und Materie bestimmt nach seiner Überzeugung ihre besondere Natur und legt damit den Rahmen für ihr Verhalten fest; folgerichtig erklärt sich dieses Verhalten eben aus ihrer Natur, es bedarf dazu keiner weiteren Größe außerhalb ihrer. Ihr Handeln vollzieht sich überdies unbewußt und mit Notwendigkeit, so daß man nach Ockham, streng genommen, nicht einmal sagen dürfte, es richte sich auf ein Ziel, wo es allein dem Zwang ihrer Natur folgt. Anders Tiere und Menschen: Sie wählen zweifellos Ziele aus, und die Liebe zu ihnen, die Begierde, das Erstrebte zu gewinnen, treibt [329] sie zu ihrem Tun. Aber auch in diesem Fall lehnt Ockham es ab, sie deshalb in Abhängigkeit von jenen Zielen als Größen oder Kräften außerhalb ihrer zu sehen und von dort her ihr Handeln zu erklären. Die Tatsache, daß Menschen sich Ziele vornähmen, die gar nicht real bestünden, zeige nämlich eindeutig, daß auch die Bewegungen und Handlungen der Lebewesen allein durch deren eigenen Willen verursacht würden. Nichts außer ihnen selbst, nichts außer ihrer eigenen Natur, lenke sie demnach und veranlasse sie zum Tätigwerden.61 Die Bedeutung dieses Ansatzes für die weitere Entwicklung der Naturwissenschaft ist unbestritten. Friedrich, den vieles noch mit dem 12. Jahrhundert und den Großen der Salernitaner Schule verbindet und der,

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Tunc aliquid dicitur esse in potentia naturali alicuius quando illud ex natura sua potest suscipere illud et natura sua non inclinatur ad oppositum, Summula philosophiae naturalis I 18. In: Opera Philosophica 6 (1984), S. 204; Sunt (sc. inanimata) mere agentia ex necessitate nature nihil pretendentia ... Finis dicitur aliquid intentum sive desideratum vel amatum, propter quod agens agit et sic naturalia pure inanimata... non habent causam finalem vel finem, ebd. II 6, 228f.; Patet quomodo causa finalis causat, quia causam finalem causare non est aliud quam illud esse propter quod amatum et desideratum efficiens agit actu vel producit, ebd. II 4, S. 221; Voluntas humana seipsa causat suas volitiones et affectiones, ebd. II 13, S. 246; vgl. Stürner (wie Anm. 24), S. 112-117 mit weiteren Belegen, zu Duns Scotus siehe ebd. bes. S. 105-111. Zu der im Laufe des 13. Jhs. bei der Diskussion der These von der Ewigkeit der Welt deutlich herausgearbeiteten Abgrenzung von Naturphilosophie und Theologie mit ihren unterschiedlichen Gegenständen, Möglichkeiten und Methoden siehe Dales, Richard C.: The Origin of the Doctrine of the Double Truth. In: Viator 15 (1984), S. 169-179.

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vielleicht dieser Prägung wegen, die zu seiner Zeit modern werdende finalistische Methode des Aristoteles zurückhaltend nur im Blick auf das Verhalten der individuellen Geschöpfe heranzog, nimmt andererseits gerade mit seiner Konzentration auf das konkret vor Augen Stehende, auf die Beobachtung der einzelnen Lebewesen und ihrer typischen Verhaltensformen, und mit seiner Neigung, dieses Verhalten immanent, aus deren eigener Natur zu begründen und zu verstehen, ganz offenkundig einen charakteristischen und bedeutsamen Grundzug des künftigen naturwissenschaftlichen Denkens bereits vorweg.

Kreuzzugsgelübde und Herrschaftssicherung Friedrich II. und das Papsttum im letzten Pontifikatsjahr Innozenz’ III. Am 25. Juli 1215, einen Tag, nachdem er zusammen mit zahlreichen Großen des Reiches ohne einen Schwertstreich feierlich in Aachen eingezogen war, ließ sich Friedrich II. vom Mainzer Erzbischof am rechten, durch eine lange Tradition bestimmten Ort, in der Marienkirche, der Pfalzkirche Karls des Großen, zum König krönen und weihen. Unmittelbar danach heftete er das Kreuz an seine Schulter und gelobte so in aller Öffentlichkeit seine persönliche Teilnahme am Kreuzzug. Ernst Kantorowicz sah in diesem Akt einen „genialen diplomatischen Zug des jungen Königs“, durch den er „sich selbst an die Spitze der Kreuzbewegung stellte“ und „dem päpstlichen Imperator die Führung und Leitung der Kreuzfahrt unversehens aus den Händen nahm“, so daß Papst Innozenz III. „peinlich berührt“ gewesen sei. Bis heute blieb diese Interpretation des Geschehens weithin bestimmend.1 Knapp ein Jahr war seit der Aachener Krönung und Kreuznahme vergangen, als der Staufer am 1. Juli 1216 nach längeren Verhandlungen mit dem Papst bindend zusagte, sofort nach seiner Kaiserkrönung werde er seinem bereits zum sizilischen König gekrönten Sohn Heinrich das Königreich Sizilien überlassen und selbst auf die sizilische Königswürde verzichten. „Zwei Wochen später war Innozenz tot, und der König setzte sich über sein Versprechen hinweg. Er ließ den fünfjährigen Heinrich von Messina nach Deutschland bringen und im April 1220 ... zum deutschen König wählen“, so faßt Hans Martin Schaller die allgemein vorherrschende Beurteilung von Friedrichs damaligem Verhalten zusammen.2

Erstdruck: Mordek, Hubert (Hg.): Papsttum, Kirche und Recht im Mittelalter. Festschrift für Horst Fuhrmann zum 65. Geburtstag, Tübingen 1991, S. 303-315. 1

2

Kantorowicz, Ernst: Friedrich der Zweite, Berlin 1927, S. 71; vgl. Van Cleve, Thomas Curtis: The Emperor Frederick II of Hohenstaufen. Immutator Mundi, Oxford 1972, S. 96f.; Mayer, Hans Eberhard: Geschichte der Kreuzzüge, Stuttgart 61986, S. 194; Lammers, Walther: Friedrich II. (1212-1250). In: Beumann, Helmut (Hg.): Kaisergestalten des Mittelalters, München 1984, S. 209. Schaller, Hans Martin: Kaiser Friedrich II.: Verwandler der Welt, Göttingen 21971, S. 24; vgl. Van Cleve (wie Anm. 1), S. 107-109; Grundmann, Herbert: Wahlkönigtum, Territorialpolitik und Ostbewegung im 13. und 14. Jh. (1198-1378). In: ders. (Hg.): Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte 1, Stuttgart 91970, S. 441; Engels,

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Bringt man die beiden Ereignisse am Beginn und am Ende von Innozenz’ letztem Pontifikatsjahr in Beziehung zueinander, hätte es Friedrich demnach einerseits zu Lebzeiten dieses Papstes nicht gewagt, sein Hauptanliegen, die dauerhafte Vereinigung von Imperium und Regnum Siciliae, weiter zu verfolgen. Er hätte andererseits jedoch lnnozenz’ Verärgerung, ja Empörung durchaus in Kauf genommen, als es [304] ihm darum ging, seine Führungsrolle beim Kreuzzug und damit zugleich Rang und Würde des erst noch zu erwerbenden Kaisertums herauszustellen. Nun meldeten sich freilich gegen Kantorowicz’ Deutung von Friedrichs Kreuzzugsgelübde auch vereinzelte Bedenken, und aus ihnen leitete man schließlich umgekehrt sogar die Vermutung ab, „daß Innozenz den Staufer ... zum Kreuzzug aufrufen ließ“.3 Die Autorität des Papstes seinem ehemaligen Mündel gegenüber wäre in diesem Falle also bis zu seinem Tode unangefochten geblieben. Angesichts derart kontroverser Aussagen der Forschung sei im folgenden zunächst versucht, Klarheit darüber zu gewinnen, welche Motive Friedrich zu seinem Kreuzzugsgelübde veranlaßten und welche Rolle Innozenz dabei zufiel. Anschließend soll uns dann die anscheinend keine ähnlichen Probleme bietende Deutschlandreise des fünfjährigen Heinrich und seiner Mutter Konstanze beschäftigen. Auch und gerade nach dem fehlgeleiteten, mit der Eroberung von Konstantinopel endenden Kreuzzugsunternehmen von 1204 blieb in der westlichen Christenheit das Bewußtsein lebendig, zur Befreiung des Heiligen Landes verpflichtet zu sein. Schon im Frühjahr 1212 waren in Lothringen und in den Rheinlanden ohne erkennbaren Anlaß, ohne einen Aufruf Geistlicher etwa, unzählige Kinder und Jugendliche, aber auch etliche Erwachsene, in der festen Überzeugung aufgebrochen, ihnen, den Armen und Unschuldigen, werde das gelingen, was die Könige und Mächtigen

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Odilo: Die Staufer, Stuttgart 41989, S. 131f.; Lammers (wie Anm. 1), S. 209; Beumann, Helmut: Das Reich der späten Salier und der Staufer 1056-1250. In: Schieder, Theodor (Hg.): Handbuch der europäischen Geschichte 2, Stuttgart 1987, S. 373. Roscher, Helmut: Papst Innocenz III. und die Kreuzzüge, Göttingen 1969, S. 154; vgl. schon Schaller, Hans Martin: Die Kanzlei Kaiser Friedrichs II. Teil 1. In: AfD 3 (1957), S. 257; Ders. (wie Anm. 2), S. 23f.; daneben Pixton; Paul B.: Die Anwerbung des Heeres Christi: Prediger des 5. Kreuzzuges in Deutschland. In: DA 34 (1978), S. 181f.; Powell, James M.: Anatomy of a Crusade 1213-1221, Philadelphia 1986, S. 23, 43, 74f., 108f.; nach Engels (wie Anm. 2), S. 131 nahm „Kardinalbischof Hugo von Ostia als Kreuzzugslegat das Kreuzzugsversprechen in Aachen entgegen“, Hugo war damals jedoch in Rom, siehe Maleczek, Werner: Papst und Kardinalskolleg von 1191 bis 1216, Wien 1984, S. 130, 390f.

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bisher vergeblich erstrebten: die Wiedergewinnung von Christi Grab. Von der Bevölkerung mit dem Nötigsten versorgt und vielfach in ihrem Glauben ernst genommen und bewundert, zogen die jugendlichen Kreuzfahrer über die Alpen nach Oberitalien – in eben jenen Sommertagen, als sich dort ihr Altersgenosse Friedrich mühsam nach Norden durchschlug, von seiner gottgewollten Sendung überzeugt auch er. Die Spuren des Kinderkreuzzuges verlieren sich dann freilich. Neugierige Aufmerksamkeit und heftige Diskussion über seinen Anlaß und Sinn aber löste das unerhörte Phänomen überall aus.4 Inzwischen hatte Papst Innozenz III., dessen wichtigstes Anliegen nach seinen eigenen Worten neben der Reform der Kirche von je die Rückeroberung der heiligen Stätten gewesen war, seine Kreuzzugspläne keineswegs aufgegeben. Er ging vielmehr eben damals an die Vorbereitung eines neuen Kreuzzugsprojektes, für das er im Frühjahr 1213 mit einem langen, eindringlichen Aufruf an die gesamte Christenheit zu werben begann. Jeder Gläubige, so schrieb er, sei um seines Seelenheiles willen zur Mitwirkung verpflichtet; wer sich verweigere, der lade schwere Schuld auf sich, dem drohe das gerechte Verdammnisurteil des Jüngsten Gerichts. Aufgrund seiner [305] Binde- und Lösegewalt verspreche er allen, die selbst und auf eigene Kosten auszögen, aber auch denjenigen, die andere ihrem Vermögen gemäß für den Zug auszustatten oder auf fremde Kosten aufzubrechen gedächten, die volle Verzeihung der aufrichtig bereuten Sünden. Das für den November 1215 einberufene allgemeine Konzil solle als einen Hauptpunkt die weitere Förderung des Unternehmens behandeln; schon jetzt würden sich indes päpstliche Beauftragte um seine Organisation kümmern. In der Tat wies Innozenz gleichzeitig in den einzelnen Kirchenprovinzen, unter anderem in allen Erzdiözesen Deutschlands, namentlich genannte Geistliche an, die Leitung der Kreuzzugspredigt in diesen Gebieten zu übernehmen und für geeignete Helfer zu sorgen.5 So traten bald in den meisten Bistümern des Reiches Kreuzzugsprediger auf. Am Niederrhein und in Friesland wirkte offenbar mit besonderem Erfolg der Kölner Domscholaster Oliver († 1227), der später, zwischen 1217 und 1222, die Kreuzfahrer aus seinem Zuständigkeitsbereich

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Raedts, Peter: The Children’s Crusade of 1212. In: Journal of Medieval History 3 (1977), S. 279-323; Miccoli, Giovanni: La crociata dei fanciulli del 1212. In: Studi Medievali 3. Serie 2 (1961), S. 407-443; Mayer (wie Anm. 1), S. 188-191. Innozenz III., Epp. XVI, 28-30, Migne PL 216, Sp. 817-825.

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auch persönlich nach Akkon und Damiette führte, eine Geschichte dieses Zuges abfaßte und nach seiner Rückkehr Bischof von Paderborn und Kardinal wurde. Reiner, der Prior des Lütticher Klosters St. Jakob, der Oliver und sechs von ihm eingesetzte Prediger drei Tage lang bei ihrer Tätigkeit in seiner Heimatstadt beobachtete, erzählt von dem dabei herrschenden unglaublichen Gedränge und von der Bereitschaft des in Massen herbeieilenden Volkes zur Kreuzesnahme, allerdings auch davon, daß Oliver die leichtfertigen, allzu maßlosen Ablaßversprechen seiner Mitarbeiter zu beanstanden hatte. Nicht nur von ihm, sondern auch von dem in der gleichen Gegend aktiven Magister Johannes von Xanten, damals Kanoniker und später Dekan an der Aachener Marienkirche, ging die Kunde, ein über ihm am Himmel erscheinendes Kreuz habe zuweilen die Aufmerksamkeit der Menge vom Markttrubel weg sehr ausschließlich auf seine Rede gelenkt.6 Einige von jenen Männern, denen lnnozenz in Deutschland die Verantwortung für das Kreuzzugsunternehmen übertragen hatte, gehörten zur hohen Geistlichkeit des Reiches und fanden sich als geschätzte Berater des Königs relativ häufig an seinem Hof ein. Das gilt vor allem von Bischof Konrad von Regensburg, aber etwa auch von Abt Eberhard von Salem. Sie oder andere Prediger ergriffen zuweilen wohl durchaus die Gelegenheit, die auf königlichen Hoftagen versammelten Großen zum Kreuzzugsgelöbnis aufzurufen. Wenigstens hören wir, daß während der Zusammenkunft in Andernach am 1. Mai 1215 Herzog Ludwig von Bayern und andere Adlige das Kreuz nahmen.7 So blieb Friedrich von der Kreuzzugswerbung und ihrer [306] offenen Aufnahme bei allen Kreisen

6

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Reineri Annales, ad 1215, MGH SS 16, S. 672f., Chronica regia Coloniensis, ad 1214, MGH SS rer. germ. 18, S. 192f.; zu Oliver: Wattenbach, Wilhelm/Schmale, FranzJosef: Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vom Tode Kaiser Heinrichs V. bis zum Ende des Interregnum 1, Darmstadt 1976, S. 367-369; zu Johannes: Meuthen, Erich: Aachener Urkunden 1101-1250, Bonn 1972, S. 268, 281f.; Crusius, Irene: Bischof Konrad II. von Hildesheim: Wahl und Herkunft. In: Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. Festschrift für Josef Fleckenstein, Sigmaringen 1984, 463f.; vgl. Pixton (wie Anm. 3), S. 169f., 174, 177f., 182. Annales S. Pantaleonis, ad 1215, MGH SS rer. germ. 18, S. 235f.; zu Bischof Konrad und Abt Eberhard vgl. die Zeugenlisten bei Böhmer, Johann Friedrich/Ficker, Julius: Reg. Imp. V 1-3; die Angaben bei Pixton (wie Anm. 3), S. 178-180 sind nicht ganz korrekt: Für Konrads Anwesenheit in Basel im November 1214 sowie in Nürnberg im Januar 1217 gibt es keine Belege; die Nürnberger Urkunde vom Dezember 1216 mit seinem Namen ist eine Fälschung: Zinsmaier, Paul: Reg. Imp. V 4 (1983), S. 23f., Nr. 151.

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der Bevölkerung schwerlich unberührt; die Vorgänge scheinen ihn vielmehr tief beeindruckt zu haben. Nun äußerte eben damals nicht nur mancher Geschichtsschreiber die Ansicht, der überraschende, fast stürmische Erfolg, der dem zunächst recht gewagten Eingreifen des Staufers in Deutschland beschieden war, sei kaum anders als mit Gottes Hilfe zu erklären. Vor allem Friedrich selbst fühlte sich durch den glückhaften Fortgang seiner Sache in der sicheren Überzeugung bestärkt, unmittelbar von Gott wunderbar geführt zu werden und wie im sizilischen Regnum so auch in Deutschland und im Imperium zum Erben und Nachfolger seiner Eltern auserwählt zu sein. „Obgleich alle Könige dem König der Könige dienen sollen, geziemt dies doch uns um soviel mehr, je mehr wir aus der Fülle seiner Gnade empfangen haben; denn in uns richtete er die Wunder seiner Macht auf, als er, die Absichten der Fürsten und die Gedanken der Völker verwerfend, den Mächtigen stürzte und uns erkor“, so demütig und selbstsicher-überlegen zugleich leitete er im April 1215 ein Privileg für Erzbischof Berard von Palermo, seinen altbewährten sizilischen Begleiter und verdienten Ratgeber ein, und die dem engvertrauten Manne zugedachten Worte offenbaren zweifellos einen wesentlichen Zug seiner damaligen Gesinnung.8 Friedrichs Zuversicht, sein unerschütterlicher Glaube an die ihm von Gott zugedachte hohe Bestimmung fanden schon ein Vierteljahr später mit seinem kampflosen Einzug in Aachen und der feierlichen Krönung ihre vollkommene Bestätigung. Einmal mehr verband sich in seiner Reaktion aufrichtige Dankbarkeit gegen Gott mit Freude und Stolz über den neugewonnenen Rang, der ihn als den Erben der Staufermacht zugleich in die Nachfolge Karls des Großen, des Neubegründers des Kaisertums und erhabenen Vorbildes jeden christlichen Herrschers, stellte. „Wenn wir angemessen und sorgfältig die Gnade erwägen und beachten, mit der die göttliche Macht unsere Unschuld zu beachten geruhte, indem sie uns, die wir ohne jede Hilfe dastanden, ebenso barmherzig wie wunderbar auf die väterlichen Throne erhob, so müssen wir zu Recht auf eine Gegenleistung sinnen und vermeiden, daß wir angesichts so großer Wohltaten als undankbar erscheinen“, bekannte der König in einer Urkunde aus jenen

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Huillard-Bréholles, Jean-Louis-Alphonse (Hg.): Historia diplomatica Friderici secundi (künftig HB) 1, S. 365; vgl. etwa Winkelmann, Eduard (Hg.): Acta Imperii inedita 1, Innsbruck 1880, S. 109, Nr. 128; die Sicht der Zeitgenossen: Reineri Annales, ad 1213, MGH SS 16, 665f., ad 1214, S. 672, Guillelmus Armoricus, Philippidos XII 41-50, Recueil des historiens des Gaules et de la France 17, S. 271, Vita Odiliae III 16, MGH SS 25, S. 189.

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Monaten,9 und beides, echte Frömmigkeit und das sichere Bewußtsein seiner überlegenen Würde und Berufung, veranlaßten ihn allem nach auch dazu, am Krönungstage das Kreuz zu nehmen. Offenbar begriff er damals den durch die Lande hallenden Ruf der Kreuzzugsprediger als die unmittelbar ihm selbst geltende Aufforderung Gottes und entschloß sich, Gott den ihm gebührenden Dank in Form seiner für das ganze Reich beispielgebenden Verpflichtung zum Kreuzzug abzustatten. Mit feierlich-eindringlichen Worten gedachte er noch zwölf Jahre später des Vorgangs: „Voller Demut sannen wir darüber nach, was wir dem Herrn für die uns erwiesenen unendlichen Wohl[307]taten darbringen sollten. Als wir dann sofort nach Empfang der Krone des Reiches zu Aachen unsere Schultern mit dem Kreuzzeichen schmückten, boten wir damit, obschon es keine gleichwertige Gegenleistung des Geschöpfes an seinen Schöpfer gibt, unsere Person und unsere Macht demütig und reinen, aufrichtigen Herzens dem Herrn dar, nicht als ein gewöhnliches Opfer, sondern als ein holocaustum, als echte, vollständige Hinopferung“.10 Gewiß verleitete die hochdramatische Gegenwart des Dezembers 1227 den Zurückblickenden zu mancher rhetorischen Zuspitzung und Übersteigerung; seine fromme Ergriffenheit stellte er grundsätzlich wohl dennoch zu Recht als das ihn seinerzeit Bestimmende heraus. Dieselbe Haltung veranlaßte ihn, an dem auf seine Krönung folgenden Tag, einem Sonntag, bis in den Spätnachmittag hinein in der Marienkirche den Kreuzzugspredigten zu lauschen und tags darauf eigenhändig die Einschließung der Gebeine Karls des Großen in einen neuen, kostbaren Schrein zu vollenden. Sie bewegte ihn vor allem, vier Wochen später die sich zum Generalkapitel versammelnden Zisterzienseräbte um die Aufnahme in ihre Gebetsgemeinschaft zu bitten. Überzeugt, daß ihr Flehen vor Gott Gehör finde und den gerechten göttlichen Zorn vom Sünder abzuwenden vermöge, rief er sie in seinem sehr persönlich gehaltenen Schreiben geradezu inständig an, ihm durch ihre fromme Fürsprache bei Gott die einem christlichen Herrscher nötige, friedenstiftende Urteilskraft und Wahrheitsliebe zu erwirken. Daneben aber sollte ihr Gebet seinem am Krönungstag gelobten Einsatz für die Befreiung der heiligen Stätten

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HB 1, S. 429 (20.10.1215, für das Deutschordenshaus in Akkon), vgl. HB 1, S. 412 (2.8.1215), S. 418 (11.9.1215), S. 437 (Jan. 1216), S. 488 (Dez. 1216). Manifest nach der Exkommunikation durch Gregor IX., MGH Const. 2, S. 150, Nr. 116 (5) (6.12.1227).

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gelten. Dafür versprach er ihrem Orden seinen Schutz und seine besondere Fürsorge.11 Wie beim Schließen des Karls-Schreines verwob sich bei Friedrichs Kreuzesnahme ernst gefühlte Religiosität untrennbar mit dem Sinn für die Hoheit der ihm zugefallenen Stellung, begründete doch eben sie die Größe seiner Dankesschuld. Überlegene herrscherliche Würde erwies sich in beispielhaftem Verhalten, und ein solch bestimmendes Zeichen seiner Führerschaft wollte Friedrich, an seine staufischen Vorfahren anknüpfend, seinen Untertanen mit seiner Kreuzesnahme zweifellos geben. In der Tat bewirkten sein Vorbild und Zureden, seine mehrtägige, geradezu demonstrative Anwesenheit bei den Predigten und nach seiner eigenen Aussage wohl auch seine Versprechungen und Schenkungen, daß sich eine große Zahl geistlicher und weltlicher Fürsten, hoher Adliger und einfacher Ritter entschloß, es ihm nachzutun und ebenfalls die Kreuzfahrt zu geloben. Gewiß traf Friedrich seine Entscheidung sehr kurzfristig, sodaß nur wenige schon vorher um sie wußten. Sie fiel aber vermutlich nicht erst am Krönungstag selbst. Der König machte sie ja gleich nach der Krönungsmesse bekannt,12 also offenbar [308] noch vor dem Einsatz der Kreuzzugsprediger und nicht unter ihrem unmittelbaren Einfluß. Außerdem trat in Aachen neben Johannes von Xanten und anderen, wie jener wohl ohnehin für die Region zuständigen Kreuzzugspredigern anscheinend auch der Speyrer Domdekan Konrad auf, der spätere päpstliche Pönitentiar und Bischof von Hildesheim († 1248), ein hochgebildeter Mann, der während seiner Studienjahre in Frankreich schon Erfahrungen bei der Bekämpfung der Albigenser gewonnen hatte. Papst Innozenz hatte ihm jetzt als Aktionsfeld für die Kreuzzugswerbung die Diözese Mainz zugewiesen. Sein Erscheinen in Aachen könnte also, wenn ihn nicht etwa der ihm bekannte Johannes zu seiner Unterstützung herbeirief, auf die Aufforderung seines Bischofs, des Reichskanzlers Konrad von Speyer, und

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Winkelmann (wie Anm. 8), S. 110f., Nr. 131; vgl. ebd. S. 109, Nr. 129; HB 1, S. 412, 471; vgl. Schaller. (wie Anm. 3), S. 250-255, bes. 251. Zu den Vorgängen in Aachen siehe Reineri Annales, ad 1215, MGH SS 16, S. 673; außerdem Annales S. Pantaleonis, ad 1215, MGH SS rer. germ. 18, S. 36; Annales Marbacenses, ad 1213, MGH SS rer. germ. 9, S. 84. So Friedrichs eigene Aussage: quam cito imperii diadema recepimus ..., personam ... obtulimus Domino, MGH Const. 2, S. 150, Nr. 116 (5); vgl. Reineri Annales, ad 1215, MGH SS 16, S. 673 (nec mora, post missam idem rex ex insperato signum ... crucis accepit).

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indirekt des Königs selbst zurückzuführen sein. Es wäre dann ebenfalls ein gewisses Indiz dafür, daß Friedrich, seitdem sich der friedliche Gewinn Aachens abzeichnete, im Zusammenhang mit seiner dortigen Krönung eine Kreuzzugsinitiative plante.13 Kaum glaubhaft erscheint indessen, daß Friedrich mit seiner Tat nicht nur Dankbarkeit gegen Gott abzustatten und seinen Getreuen als vorbildlicher Herrscher voranzugehen gedachte, sondern zugleich dem Papst die Führung der Kreuzzugsbewegung streitig machen wollte. Noch mußte er mit der Macht und dem Einfluß Kaiser Ottos im Norden Deutschlands rechnen, wohin sich dieser damals gerade zurückzog; noch stand die endgültige Entscheidung der Kirche zugunsten seines eigenen künftigen Kaisertums aus; noch immer stützte er sich vor allem auf die hohe Geistlichkeit seines Reiches und den wohlwollenden Rückhalt des Papstes. Tatsächlich unternahm der König denn auch weder sofort noch in den folgenden Jahren allzuviel, um das Papsttum als überragender und bestimmender Vorkämpfer des Kreuzzugsprojektes auszustechen. Vielmehr sollte gerade sein geringer Ehrgeiz, sein halbherziges Engagement in dieser Sache in Rom wachsende Ungeduld und Verärgerung hervorrufen. Wie aber sah Roms Haltung zu Friedrichs Kreuznahme selbst aus? Hatte Papst Innozenz aktiven Anteil an dieser Entscheidung, drängte er den deutschen König etwa gar dazu? Gewiß erscheinen manche der vom Papst für Deutschland berufenen Kreuzzugsorganisatoren, wie wir bereits sahen, mitunter am königlichen Hof, und zweifellos redeten sie bei solchen Gelegenheiten von ihrem Auftrag, ihren Erfahrungen und Schwierigkeiten. Allem nach aber führte sie nicht eigens die Absicht zum König, ihn für den Kreuzzug zu werben. Meist wissen wir nämlich nur von einzelnen Besuchen, die sie dem gerade in der Nähe verweilenden Hof abstatteten, und nichts läßt darauf schließen, daß sie dabei andere Ziele verfolgten als die übrigen, sich ebenfalls dorthin begebenden geistlichen und weltlichen Großen der Region. So verhält es sich mit Konrad von Krosigk, dem ehemaligen Bischof von Halberstadt, aber ebenso mit dem oft angeführten Magister Nikolaus, Domherren in Meißen, päpstlichen Subdiakon und Kreuzzugslegaten. Der eine traf Friedrich im Juni 1214, der andere im März 1215 in Eger. In beiden Fällen versammelten sich mit ihnen zahlreiche bedeutende, vorwiegend thüringische und böhmische

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Annales S. Pantaleonis, ad 1215, MGH SS rer. germ. 18, S. 236; Annales Marbacenses, ad 1213, MGH SS rer. germ. 9, S. 84; dazu Crusius (wie Anm. 6), S. 434444, bes. S. 441, und 463f.; Meuthen (wie Anm. 6), S. 268.

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Geistliche und Ad[309]lige, an ihrer Spitze König Ottokar von Böhmen, zur Klärung wichtiger politischer Fragen. Während beider Zusammenkünfte, zumal vor der Schlacht bei Bouvines, jedoch auch später, als Friedrich eben daran ging, erneut gegen die ihm nach wie vor widerstehenden, den Kaiser Otto unterstützenden Städte Köln und Aachen zu rüsten, konnte man gerade auf kirchlicher Seite schwerlich seine Kreuzesnahme wünschen und betreiben. Daß im übrigen der Speyrer Domdekan Konrad bei einem Aufenthalt des Königs in Speyer anwesend war, sollte nicht verwundern.14 Häufiger läßt sich der päpstliche Kreuzzugsbeauftragte Eberhard, Abt von Salem, am Stauferhof nachweisen, ein Mann freilich, der seit dem ersten Auftreten Friedrichs in Deutschland auf seiner Seite stand, für seine Fahrten zum König, wie üblich, vorwiegend dessen Durchzug in nicht allzu großer Ferne nützte, dort durchaus die Sicherung und Mehrung von Besitz und Rechten seines Klosters im Auge behielt und bei diesem Brauch auch nach Friedrichs Kreuznahme im Juli 1215 blieb. Bischof Konrad von Regensburg schließlich, ebenfalls schon im Februar 1213 erstmals in Friedrichs Umgebung bezeugt, gewann offenbar rasch dessen Vertrauen und begab sich fortan als zuverlässiger Anhänger und Berater regelmäßig zu ihm, vor allem, wenn der König nach Bayern oder in eine unmittelbar angrenzende Gegend kam. Auch bei ihm änderte sich darin nach dem Juli 1215 nichts.15

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Konrad von Krosigk: Reg. Imp. V, Nr. 735, vgl. Nr. 917 (Altenburg, 8.11.1217). – Nikolaus von Meißen: Reg. Imp. V, Nr. 14654, vgl. Innozenz III., Ep. XIII 49, Migne PL 216, Sp. 236-238 (an Nikolaus, 9.4.1210); erst seit November 1217 ständig im Dienst Friedrichs, Reg. Imp. V, Nr. 918 (HB 1, S. 526), war Nikolaus im Herbst 1218 königlicher Kaplan, Domherr und Legat des Königs in Cremona und bleibt bis Juni 1222 als kaiserlicher Kaplan in Oberitalien faßbar, Reg. Imp. V, Nr. 953 und 12544 (Böhmer, Johann Friedrich: Acta Imperii selecta [1870], S. 774, Nr. 1077, 649, Nr. 939), Reg. Imp. V, Nr. 995f., 1174, 12832, 12834; die „important role“, die Powell (wie Anm. 3), S. 23 dem Nikolaus zuerkennt, läßt sich also erst ab Ende 1217 und dann auf Seiten Friedrichs belegen. – Konrad von Speyer: Reg. Imp. V, Nr. 751. Eberhard von Salem: Reg. Imp. V, Nr. 698f., 737, 751, 870f., 902, 3853, 3872, zu den Salemer Kontakten mit Friedrich schon im Januar 1210 vgl. Nr. 623f. – Bischof Konrad: vgl. die Reg. Imp. V 3, 2232 aufgelisteten Belege, die mit Nr. 689 (Regensburg, 15.2.1213) beginnen und sich kontinuierlich bis zum Mai 1220 fortsetzen; siehe auch oben Anm. 7; daß Konrad wie auch der Salzburger Probst Otto von Innozenz III., Epp. XVI, 29, Migne PL 216, Sp. 823, keinen besonderen Wirkungsbereich zugewiesen bekommen, liegt gewiß nicht, wie Powell (wie Anm. 3), S. 23 vermutet, daran, daß sich der Papst die Bindungen Konrads an den Hof zunutze machen wollte, sondern wohl einfach an einem Fehler der Überlieferung: Die Herkunft der Genannten

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Innozenz’ Kreuzzugsbeauftragte scheinen demnach den Zugang zu Friedrich nicht besonders gesucht und wenn sie ihn besaßen, nicht dazu benützt zu haben, den Staufer persönlich für die Kreuzfahrt zu gewinnen. Genau besehen sprach gegen derartige Versuche in der Tat selbst Mitte 1215 dessen keineswegs schon völlig unangefochtene, nach wie vor durch Kaiser Ottos Herrschaftsgebiet eingeschränkte Stellung. Innozenz konnte angesichts dieser Situation wenig daran liegen, den König auf ferne Kreuzzugsziele hinzulenken, mußte sich dadurch doch sofort der Aktionsraum des gebannten Welfen im Reich wieder gefährlich erweitern. Papst Gre[310]gor IX., damals Kardinalbischof von Ostia, fast ständig in der Umgebung Innozenz’ III. und dessen wohl einflußreichster Berater, berichtete denn auch später, Friedrich habe das Kreuz sponte, non monitus, sede apostolica ignorante genommen.16 Wie das sponte, das Friedrich selbst ja bestätigte, trifft offensichtlich auch der Rest seiner Aussage zu. Keineswegs läßt sich andererseits aus Gregors Worten mit Van Cleve ein noch immer nachwirkender päpstlicher Unmut über Friedrichs Kreuzzugsgelübde heraushören.17 Im Gegenteil: Nach Gregor sah die Kirche in dem Versprechen zunächst sogar iucunda auspicia für das künftige Verhalten des Königs, und sie überschüttete ihn mit Gnadenerweisen, um seine Kreuzfahrt zu beschleunigen; empörend war allein, daß der Staufer sein Vorhaben wieder und wieder aufschob. Unmittelbar von Papst Innozenz selbst wissen wir über seine Reaktion auf Friedrichs Kreuznahme gar nichts – vielleicht sind Briefe mit einschlägigen Bemerkungen wie so viele Schreiben aus seinen letzten Jahren verlorengegangen. Gewiß zielten Innozenz’ Kreuzzugsaufrufe vor allem auf die Gefolgschaft breiter Volksmassen. Überzeugt von der Dringlichkeit eines neuen Unternehmens blieb ihm freilich auch kaum eine andere Möglichkeit nach seinen schlechten Erfahrungen mit den gekrönten Häuptern Europas, denen wie fünfzehn Jahre früher so auch jetzt wieder

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wie die Parallelität der betreffenden Adressenliste mit derjenigen in Epp. XVI, 28, Migne PL 216, Sp. 821, zeigen, daß hinter ihren Namen per Salzeburgensem provinciam einzufügen ist. – Zum Ganzen vgl. die in Anm. 3 genannten Beiträge sowie Crusius (wie Anm. 6), S. 441. Enzyklika über die erste Exkommunikation Friedrichs vom 10.10.1227, MGH Epp. Saec. XIII 1, S. 282, Nr. 368; zu Gregors Stellung als Kardinal siehe Maleczek (wie Anm. 3), S. 130, 356f., 358. Van Cleve (wie Anm. 1), S. 96f.; vgl. dazu und zum Folgenden auch die anderen in Anm. 1 angeführten Belege.

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der Kampf um ihre eigenen Länder weit näher lag als die Sorge um das Heilige Land. Trotz dieser Enttäuschungen lehnte er ihre Teilnahme indes keineswegs grundsätzlich ab. Eher resigniert klingt vielmehr seine Aufforderung vom April 1213, „die Könige und Fürsten, die Grafen, Barone und anderen Magnaten, die vielleicht nicht in eigener Person in den Dienst des Gekreuzigten eintreten“, sollten wenigstens eine angemessene Zahl von Bewaffneten ausrüsten. An der Hoffnung auf eine direkte königliche Mitwirkung hielt er jedoch fest: Wenn es sinnvoll scheine, so erklärte er im November 1215 vor dem Laterankonzil, werde er sich selbst „zu den Königen und Fürsten, den Nationen und Völkern“ begeben und sie aufrufen, „daß sie sich erheben, um den Kampf des Herrn zu kämpfen, das am Gekreuzigten begangene Unrecht zu rächen“.18 Damals hatte neben dem ungarischen bereits ein zweiter abendländischer König das Kreuz genommen: Johann von England. Sofern er, wofür vieles spricht, diesen Schritt vornehmlich tat, um sich des päpstlichen Schutzes gegen seine innenpoliti[311]schen Widersacher noch wirksamer als bisher zu versichern, dann ging seine Rechnung voll auf. Mehr als einmal erinnerte Innozenz die englischen Barone eindringlich daran, daß der König als Kreuzfahrer seine, des Papstes, besondere Protektion genieße, weil er von ihm wertvolle Hilfe für das Heilige Land erwarte. Ihre Feindschaft gegen Johann aber drohte nach seiner Meinung den Kreuzzug zu vereiteln, sie waren in seinen Augen deshalb schlimmer als die Sarazenen und verfielen schließlich der Exkommunikation.19 Nichts hindert die Annahme, daß der Papst das Kreuzzugsgelübde Friedrichs mit ähnlicher Zuversicht begrüßte wie das Johanns, ohne auf der Höhe seines An-

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Innozenz III., Epp. XVI, 28, Migne PL 216, Sp. 819C, vgl. Sp. 817 (April 1213), sowie Expeditio pro recuperanda terra sancta, ed. Claudio Leonardi, Conciliorum oecumenicorum decreta (1962), S. 244 (14.12.1215); ders., Sermo in concilio generali Lateranensi habitus, Migne PL 217, Sp. 676A (= Richard von S. Germano, Chronica, ad 1215, ed. Carlo Alberto Garufi [1936-38], S. 65); siehe dazu und zum Folgenden Roscher (wie Anm. 3), S. 148, 153-158; Powell (wie Anm. 3), S. 43, 108f. – Über die verlorenen Jahrgänge 17 bis 19 von Innozenz’ Register siehe Haidacher, Anton: Beiträge zur Kenntnis der verlorenen Registerbände Innozenz’ III. In: Römische Historische Mitteilungen 4 (1961), bes. S. 44-51. Roger de Wendover, Flores Historiarum, ad 1215, ed. Henry G. Hewlett 2, London 1887, S. 114, 139f., 142f., 145, 151f., 168; zur Exkommunikation auf dem Laterankonzil siehe den Augenzeugenbericht, ed. Stephan Kuttner/Antonio García y García: A New Eyewitness Account of the Fourth Lateran Council. In: Traditio 20 (1964), S. 128, Zeilen 159-168, dazu ebd. 156-158.

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sehens und Einflusses von dem jungen, vielfach auf ihn angewiesenen Herrscher eine Konkurrenz zu fürchten. Die Autorität, die Innozenz zu jener Zeit in der abendländischen Christenheit genoß, zeigte sich nirgends eindrucksvoller als auf dem Vierten Laterankonzil, das nach langer Vorbereitung im November 1215 unter seiner Leitung tagte. Seiner Absicht gemäß betrafen die dort gefaßten Beschlüsse vor allem die Reform der Kirche und den Kreuzzug. Der Papst nützte das Forum des Konzils jedoch auch dazu, um eine ganze Reihe anderer das Abendland damals bedrängender Probleme zu klären und damit der von ihm beanspruchten übergreifenden Verantwortung für die Christenheit vor deren vornehmsten Vertretern gerecht zu werden. So widmete er am 20. November die zweite der drei feierlichen Plenarversammlungen in der Lateranbasilika ganz der Frage des Kaisertums. Mögen die Schilderungen, die die beiden Augenzeugen, Richard von San Germano und ein unbekannter deutscher Beobachter, von den Beratungen des Gegenstandes geben, im einzelnen auch vielfach auseinandergehen, so zeigen sie doch einhellig, welch großes Gewicht man der Angelegenheit beimaß, wie leidenschaftlich man sie noch immer diskutierte, wie unsicher man noch immer über Innozenz’ Haltung war. Die heftige Debatte endete zunächst denn auch chaotisch und ohne Ergebnis. Erst zehn Tage später, auf der Schlußsitzung des Konzils, verkündete der Papst sein Urteil: „Niemand soll daran zweifeln: Was die Fürsten Deutschlands und des Imperiums hinsichtlich Friedrichs, des Königs von Sizilien, getan haben, halten wir für rechtskräftig; wir wollen und werden ihn gewiß in allem begünstigen und fördern“.20 Diese Äußerung des Papstes verrät durchaus seine Zufriedenheit mit der Entwicklung in Deutschland, seine Zustimmung und sein unverändertes Wohlwollen für Friedrich, auf dessen Dankbarkeit er rechnen, mit dem er manche Hoffnung gerade auch im Blick auf den ihn so stark beschäftigenden Kreuzzug verbinden mochte. Den Gedanken an eine Verstimmung über dessen Kreuznahme legen seine Worte jedenfalls nicht nahe. [312] Friedrich aber stand am Ziel. Die päpstliche Prüfung hatte seine Erhebung zum deutschen König als korrekt und gültig erwiesen. Nichts mehr vermochte jetzt ernsthaft seine Kaiserkrönung zu gefährden, und

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Richard von S. Germano, ad 1215 (wie Anm. 18), S. 71-73; deutscher Anonymus: Kuttner/García y García (wie Anm. 19), S. 126f., 128 (hier das Zitat), vgl. dazu ebd. S. 147-153, 161-163.

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sehr rasch begannen offenbar in der Tat die Verhandlungen darüber. Innozenz sandte wohl zu diesem Zweck noch im Februar 1216 den Kardinal Petrus von S. Pudenziana als seinen Legaten nach Deutschland; im April treffen wir den Petrus in Bayern, im Mai bestätigte er in Würzburg den neugewählten Erzbischof Engelbert I. von Köln.21 Seine schwierige Hauptaufgabe bestand aber wahrscheinlich darin, mit dem Königshof als Voraussetzung für die Kaiserkrönung eine Einigung über die künftige Beziehung des Imperiums und des Kaisers zum sizilischen Königreich herbeizuführen. Dies gelang. Friedrich bekundete der Kirche gegenüber gerade damals mehrfach seinen guten Willen. So hatte er, wenn nicht schon seine Kreuznahme in diesen Zusammenhang gehört, im Oktober 1215 die Grafschaft Sora im Nordwesten des Regnum Siciliae, seit 1210 Pfandbesitz des Apostolischen Stuhls, ganz der Römischen Kirche geschenkt, damit man ihn nicht der Undankbarkeit gegen Innozenz schelten müsse. Im darauffolgenden Mai löste er dann auf dem Würzburger Hoftag, also wohl in Anwesenheit des päpstlichen Legaten, sein zwei Jahre zuvor in Eger dem Papst gegebenes Versprechen ein: Er verzichtete unter ausdrücklichem Hinweis auf seine Kreuzesnahme den geistlichen Fürsten gegenüber verbindlich auf das Spolien- und Regalienrecht. Als schlüssige Weiterführung dieser kirchenfreundlichen Politik konnte die Vereinbarung gelten, zu der er sich schließlich am 1. Juli 1216 in Straßburg bereit fand: Unmittelbar nach seiner Kaiserkrönung, so gelobte er dort Innozenz, werde er seinen schon zum sizilischen König gekrönten Sohn Heinrich aus seiner väterlichen Gewalt entlassen, ihm das sizilische Reich als päpstliches Lehen übergeben und selbst auf die sizilische Königswürde verzichten; bis zur Mündigkeit seines Sohnes wolle er im Einverständnis mit Rom einen Regenten für Sizilien bestimmen, der alle Verpflichtungen gegenüber der Kirche erfülle. Das alles geschehe, „damit nicht deswegen, weil wir durch göttlichen Gnadenerweis zum Gipfel des Imperiums berufen sind, die Meinung aufkäme, es gebe zu irgendeiner Zeit irgendeine Form der Union des Regnum mit dem Imperium, wenn wir beides zugleich innehätten; dadurch könnte nämlich sowohl dem Apostolischen Stuhl wie unseren Erben irgendein Nachteil entstehen“.22 Das königliche Entgegenkommen

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Annales S. Pantaleonis, ad 1216, MGH SS rer. germ. 18, S. 237; Reg. Imp. V, Nr. 6183, 10797; vgl. Maleczek (wie Anm. 3), S. 163f. MGH Const. 2, S. 72, Nr. 58; Schenkung Soras: ebd. S. 546f., Nr. 416; Spolien- und Regalienverzicht: ebd. S. 67-70, Nr. 56.

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schien vollständig, die päpstliche Auffassung auf der ganzen Linie durchgedrungen, selbst bezüglich der Gefahren, die der staufischen Dynastie künftig drohen mochten. Nun stand allerdings in jenen Jahren, soweit sich das erkennen läßt, im Zentrum von Friedrichs Bemühungen eben die dauerhafte Sicherung der staufischen Herrschaft im Imperium und im Regnum Siciliae, wie sie sein Vater innegehabt hatte und wie sie ihm, so seine unverrückbare, oft geäußerte Überzeugung, nach Gottes Willen gleichfalls zukam.23 Genaueres Zusehen zeigt denn auch, daß er auf die [313] Durchsetzung dieses Zieles keineswegs verzichtet hatte, daß er sich vielmehr durchaus nicht scheute, seine Absichten sogar schon zu Lebzeiten und gewissermaßen unter den Augen seines großen päpstlichen Führers und Gönners Innozenz der Verwirklichung näher zu bringen. Er plante zu diesem Zweck vermutlich bereits zu Beginn der Gespräche mit dem päpstlichen Unterhändler, das ganze ihm gebührende Erbe, mochte denn sein förmlicher Verzicht auf Sizilien um des Kaisertums willen unvermeidbar sein, wenigstens in den Händen seines Sohnes zusammenzuhalten. Eben damals nämlich, nicht erst nach dem Tode Innozenz’ III., traf er wohl Anstalten, Heinrich zu sich kommen zu lassen, um ihm die deutsche Königskrone zu verschaffen, und im Blick auf dieses Vorhaben, in der Hoffnung auf dessen Gelingen, hätte er dann die allein seine eigene Machtfülle berührende Straßburger Erklärung unterzeichnet. Für diese Annahme sprechen zunächst die Aufbruchstermine der beiden Vertrauensleute, denen der König das Geleit von Frau und Kind auftrug. Der eine, Erzbischof Berard von Palermo, begab sich offenbar gleich nach dem Schluß des Laterankonzils in das sizilische Königreich. Vielleicht sollte er im Falle einer stauferfreundlichen Konzilsentscheidung sofort die Deutschlandreise Konstanzes und Heinrichs vorbereiten. Jedenfalls könnte die Tatsache, daß von den elf aus den Jahren 12121216 erhaltenen Urkunden der Königin und ihres Sohnes allein vier zwischen Februar und Juni 1216 entstanden, durchaus mit dem damals ins Auge gefaßten Aufenthalt im Norden zusammenhängen. Der andere Abgesandte Friedrichs, Graf Albert von Everstein, sein zuverlässiger Gefolgsmann von der ersten Stunde an und regelmäßig an seinem Hof anzutreffen, erscheint dort zum letzten Mal Ende Dezember 1215. Er verließ Deutschland demnach Anfang 1216, und spätestens er muß die Heinrich

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Siehe dazu neben den in Anm. 9 und 10 genannten Belegen noch Winkelmann (wie Anm. 8), S. 111, Nr. 131, S. 123, Nr. 147, S. 127, Nr. 151; HB 1, S. 660f., 662; MGH Const. 2, S. 83, Nr. 71 (1).

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und Konstanze betreffenden Wünsche des Königs überbracht haben. In der Tat stellten die beiden im Juni in Messina ihre letzte Urkunde aus, im Juni oder Juli traten sie nach dem einzig verfügbaren, hier insgesamt vertrauenswürdigen Bericht des Breve chronicon ihre Fahrt von der Hafenstadt aus an.24 Ein erst durch den überraschenden Tod des Papstes am 16. Juli ausgelöster Befehl Friedrichs aber hätte sie selbst bei größter Eile doch wohl schwerlich vor den ersten Septembertagen erreichen können, und welchen Grund sollte eine derartige Eile des Boten wie dann der Reisenden selbst – Konstanze war im Oktober in Verona25 – nun haben? Friedrichs Schachzug haftet, selbst wenn man seine hohe Meinung von der ihm gebührenden Machtstellung einmal außer acht läßt, auch insofern nichts ganz Ungewöhnliches an, als es seit je das Bestreben der deutschen Könige gewesen war, [314] ihren Thron möglichst früh dem eigenen Sohn zu sichern. Innozenz mußte also eigentlich mit einer entsprechenden Anstrengung des Staufers rechnen, und man mag sich fragen, ob und wie er sich dagegen zu wappnen suchte. Nach der Vermutung Winkelmanns, an die Van Cleve anknüpft, hätte Abt Ulrich von St. Gallen Anfang 1216 im königlichen Auftrag mit Innozenz III. in Rom die Hauptlinien der Vereinbarung vom 1. Juli 1216 ausgehandelt und so „die Hindernisse beseitigt, welche die Übersiedelung der Königin und ihres Sohnes bisher verzögert hatten“.26 Dagegen spricht einmal, daß die Gefahr, die aus päpstlicher Sicht mit dieser Übersiedelung allein verbunden sein konnte, eben die Königskrönung Heinrichs, durch die Straßburger Vereinbarung gerade nicht gebannt wurde. Vor allem jedoch sagt Konrad von Fabaria, der einzige Gewährsmann für Ulrichs Gesandtschaft, weder

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Breve chronicon de rebus siculis, HB 1, S. 894f.; der Bericht verbindet die Absendung von Friedrichs Boten nach Sizilien unmittelbar mit dem Ende des Laterankonzils; als Aufbruchstermin Konstanzes nennt die Hs. Neapel, Bibl. Naz., VIlI C9, fol. 103v, mense Julii, der gleichzeitige, wohl ebenso zuverlässige Cod. Vat. Ottob. lat. 2940, fol. 44r, liest mense Junii. [Siehe jetzt: Breve chronicon, ed. Wolfgang Stürner, MGH SS rer. Germ. 17, Hannover 2004, hier S. 70.] Die sizilischen Urkunden von 12121216 Reg. Imp. V, Nr. 3836-3838, 3840-3844, 5551, Reg. Imp.V 4, 80, Nr. 552, 552A, Druck der letzten: Winkelmann (wie Anm. 8), S. 376f., Nr. 443. Zu Berard: Kamp, Norbert: Kirche und Monarchie im staufischen Königreich Sizilien 1, Münster 1975, S. 1131; zu Albert: Reg. Imp. V, bes. Nr. 808, 813-815, 818, 822f., 827, 829, 834f., 840 (22.12.1215); Nr. 854 ist eine Fälschung, siehe Reg. Imp. V 4, 160. Annales Mantuani, ad 1215 et 1216, MGH SS 19, S. 20, vgl. Reg. Imp. V, Nr. 3845ad, 3846a-d; Tod Innozenz’: Richard von S.Germano, ad 1216 (wie Anm. 18), S. 74f. Winkelmann, Eduard: Philipp von Schwaben und Otto IV. von Braunschweig 2, Leipzig 1878, S. 439, vgl. 437-440; sowie Van Cleve (wie Anm. 1), S. 105-108.

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etwas über deren Zweck noch über ihren Zeitpunkt.27 Es scheint nun sehr unwahrscheinlich, daß Friedrich den Abt kurz nach Abschluß des Laterankonzils eigens nach Rom gesandt hätte, nachdem sich zum Konzil selbst und oft noch Wochen darüber hinaus ohnehin die ihm vertrauten Führer der deutschen und sizilischen Kirche dort aufhielten.28 Weiter hätte Ulrich, um auf die Formulierung des Straßburger Versprechens Einfluß zu nehmen, im Mai oder spätestens Juni 1216 an den Stauferhof zurückkehren müssen, wofür jeder Nachweis fehlt. Sein Erscheinen in Überlingen und Ulm im Juli 1216 aber entspricht völlig seinem auch sonst beim Durchzug des Königs durch seine engere Heimat üblichen Verhalten.29 Innozenz’ gerade aus jenen letzten Jahren nur sehr unvollständig überlieferten Briefe geben zu unserer Frage leider keine Auskunft. Es gilt freilich zu bedenken, daß er auf Friedrichs Straßburger Urkunde, die er schwerlich noch zu Gesicht bekam, nicht mehr reagieren konnte. Vielleicht hätte er sie als ungenügend abgelehnt, vielleicht hielt er seinen Einfluß auf die geistlichen Fürsten Deutschlands für groß genug, um eine Königswahl Heinrichs gegen seinen Willen auszuschließen. Möglicherweise vertraute er auch zu sehr auf die Ergebenheit Friedrichs ihm gegenüber, unterschätzte er dessen religiös motiviertes herrscherliches Sendungsbewußtsein. Unter Umständen aber erschien ihm am Ende tatsächlich die strikte Trennung der Kaiserwürde vom sizilischen Königtum für ausreichend oder doch auf Dauer allein durchsetzbar. [315] Andererseits bleibt Friedrichs Verhalten in mancher Hinsicht gleichfalls etwas rätselhaft. Schon sein Vater hatte erfahren, wie widerstrebend sich die deutschen Fürsten selbst einem recht starken Herrscher gegenüber dazu bereit fanden, zu seinen Lebzeiten seinen Sohn zum

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Conradus de Fabaria, Continuatio Casuum S. Galli, c.15, ed. Gerold Meyer von Knonau, St. Gallen 1879, S. 179-182; vgl. schon die Einwände Meyer von Knonaus ebd. S. 180f. Anm. 126 gegen Winkelmann. Vgl. Krabbo, Hermann: Die deutschen Bischöfe auf dem Vierten Laterankonzil von 1215. In: QFIAB 10 (1907), S. 280-300; Foreville, Raymonde: Latran I, II, III et Latran IV, Paris 1965, S. 252f., 391-395. Reg. Imp. V, Nr. 869f., 873f., vgl. zum November 1215 Nr. 838, dazu Zinsmaier (wie Anm. 7), S. 156 und 158f., Nr. 788 und 838. Möglicherweise fällt Ulrichs umstrittene Romreise in die Zeit zwischen September 1214 (Reg. Imp. V, Nr. 747) und November 1215, während der er Friedrich gegen seine Gewohnheit weder in Basel (November 1214), noch in Augsburg (April 1215) und Ulm (April 1215, Juni 1215) aufsuchte. Zur unsicheren Notiz über seine Anwesenheit bei einem Brand in St. Gallen im Mai 1215 vgl. Meyer von Knonau (wie Anm. 27), S. 187 Anm. 142; das Unglück könnte allenfalls sein Fehlen am Hof im Juni begründen.

Kreuzzugsgelübde und Herrschaftssicherung

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Nachfolger zu wählen. Nun stand zu gewärtigen, daß das Auftauchen Heinrichs in Deutschland sofort den größten Argwohn bei Innozenz wekken und daraus der geplanten Königswahl ein zusätzliches schweres Hindernis erwachsen würde, von der Gefahr für Friedrichs eigene Kaiserkrönung ganz zu schweigen. Offenkundig nahm der Staufer diese Risiken in Kauf. Er mochte hoffen, durch eine weiterhin kirchenfreundliche Politik, durch großzügiges Entgegenkommen auf anderen Gebieten, etwa beim Kreuzzugsunternehmen, schließlich doch Innozenz’ Wohlwollen zu bewahren und wenigstens die päpstliche Duldung seiner umfassenden Herrschaftspläne zu erreichen. Vor allem aber erfüllte ihn wohl die Zuversicht, daß sich wie bisher so auch künftig der ihm von Gott vorgezeichnete Weg unvermutet und wunderbar öffne. Erscheint dieser Optimismus Innozenz gegenüber doch etwas leichtfertig, so sollte Friedrich bei dessen Nachfolger in der Tat damit recht behalten. Das Verhältnis Friedrichs zu Innozenz wirft gerade auch im letzten Jahr ihrer Zusammenarbeit eine ganze Reihe von Fragen auf, die sich schon der ungünstigen Quellenlage wegen kaum je völlig befriedigend werden klären lassen. Im Blick auf die anfangs geschilderte Forschungssituation zeigt eine eingehende Analyse aber doch wohl dies einigermaßen deutlich, daß der Staufer weder gedrängt von den Beauftragten des Papstes das Kreuz nahm, noch etwa in der Absicht, Innozenz die Führungsrolle in der Christenheit streitig zu machen. Friedrich handelte vielmehr aus der ihn damals besonders stark erfüllenden Gewißheit heraus, von Gott auf ganz außerordentliche und unbegreifliche Weise erhoben und zur Herrschaft berufen worden zu sein. Unter dem Eindruck der weitverbreiteten Kreuzzugsbereitschaft und im Wissen um Innozenz’ dringende Sorge für den Kreuzzug wurde ihm das eigene Kreuzzugsgelöbnis offenbar zum angemessenen Ausdruck seiner Dankbarkeit gegen seinen göttlichen Wohltäter und dessen irdischen Diener. Mit dem Dank für Gottes wunderbare Fügung verband sich freilich eine hohe, mit jedem Erfolg klarer ausgeprägte Meinung von der eigenen Bestimmung. Sie ließ ihn trotz allem auch Innozenz gegenüber bis zuletzt zäh an dem Ziel festhalten, das ihm nach seiner Überzeugung von Gott selbst anvertraute und zugewiesene väterliche Erbe zu bewahren, seine Herrschaft sowohl im Imperium wie im sizilischen Regnum auf Dauer zu sichern.

Friedrich II. als König von Jerusalem Von den Beziehungen des Staufers Friedrichs II. zum Königreich von Jerusalem soll im Folgenden die Rede sein. Es wird darum gehen, die verschiedenartigen Bindungen darzustellen, in denen der Herrscher als Kreuzfahrer, als Kaiser und als König von Jerusalem zum Heiligen Land stand. Ich möchte deren jeweiligen Stellenwert herausarbeiten und fragen, ob der Königswürde eine besondere Bedeutung unter ihnen zukam, welche speziellen Maßnahmen des Herrschers sich gerade auf sie zurückführen lassen. Bekanntlich begann das Heilige Land im Leben Friedrichs bereits recht früh eine hervorgehobene Rolle zu spielen: Unmittelbar nach seiner Krönung zu Aachen am 25. Juli 1215 nahm er das Kreuz. Er gelobte damit, sich als Kreuzfahrer persönlich nach Kräften für das Wohl der Kreuzfahrerstaaten, für die Rückgewinnung der Heiligen Stätten und insbesondere des Heiligen Grabes in Jerusalem einzusetzen. Zu dem spektakulären Schritt veranlaßte ihn zunächst wohl die Dankbarkeit für seine unerwarteten Erfolge in Deutschland, die er auf Gottes unmittelbare Hilfe zurückführte. Zugleich aber bestimmte ihn ganz gewiß das sichere Bewußtsein seiner überlegenen Würde und Berufung, ging es ihm um ein Bekenntnis zur Tradition und den Zielen seiner staufischen Vorfahren und Vorgänger, von denen der eine, sein Großvater Barbarossa, während einer Kreuzfahrt gestorben war, der andere, sein Vater Kaiser Heinrich VI., bei der Vorbereitung eines neuen Kreuzzuges.1 Mit der Einlösung seines Versprechens eilte es Friedrich allerdings nicht, und schwerlich wäre er dazu fürs erste, vor der Festigung seiner Königsgewalt in Deutschland ernsthaft imstande gewesen. Ohne ihn brachen denn auch die Kreuzfahrer im Jahre 1217 nach Osten auf, von Papst Honorius III. mit Hingabe und Entschlossenheit angespornt. Doch selbst

Erstdruck italienisch unter dem Titel „Federico II, re di Gerusalemme“. In: Il Mezzogiorno normanno-svevo e le Crociate, Bari 2002 (Centro di studi normannosvevi della Università degli Studi di Bari. Atti 14), S. 159-175. 1

Die folgenden Anmerkungen bringen nur die wichtigsten Belege. Zur Vertiefung siehe die Schilderung der Zusammenhänge bei Stürner, Wolfgang: Friedrich II. 1194 – 1250, Darmstadt 1992/2000 [32009], Teil I, S. 171-180, 229-239, 246-253; Teil 2, S. 85-115, 130-169, 320f., 525-527, 585f., mit ausführlichen Literatur- und Quellenhinweisen.

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als sie nach der Einnahme von Damietta im November 1219 in erhebliche Schwierigkeiten gerieten, brachten den Staufer weder ihre Hilferufe noch die immer dringlicher werdenden päpstlichen Mahnungen dazu, rasch an ihre Seite zu eilen. Trotz fester Zusagen verschob er seine Ausfahrt vielmehr wieder und wieder. Honorius reagierte darauf mit wachsendem Ärger, gewährte ihm andererseits aber, wenngleich schweren Herzens, doch immer neuen Aufschub. Er sah sich dazu wohl genötigt, weil er für das Kreuzzugsunternehmen alles vom Einsatz des Staufers erwartete. Überdies mußte er manche Entschuldigung, die dieser für sein Säumen vorbrachte, als durchaus überzeugend anerkennen. Friedrich seinerseits aber nutzte die päpstliche Abhängigkeit und Nachgiebigkeit bis zum äußersten, um seine Stellung im Abendland auszubauen und abzusichern, ehe er nach Syrien abreiste. Er erreichte die Wahl seines Sohnes Heinrich zum deutschen König, und schließlich krönte ihn Honorius sogar zum Kaiser, ohne auf seinen früher vereinbarten gleichzeitigen Verzicht auf das Königreich Sizilien zu bestehen. Für den Papst entscheidend war die Tatsache, daß der Staufer bei der Kaiserkrönung sein Versprechen erneuerte, bald – spätestens im August 1221 – seine Kreuzfahrt zu beginnen. Daneben beeindruckte ihn unter Umständen Friedrichs Hinweis auf die Bedeutung Siziliens, seiner Ressourcen und Häfen für einen Erfolg dieses Unternehmens.2 Indessen hielt sich Friedrich auch jetzt nicht an den vereinbarten Aufbruchstermin, sondern konzentrierte sich auf die Neuordnung des Königreichs Sizilien. Immerhin ließ er dem Kreuzheer in Ägypten seine Unterstützung in beträchtlichem Ausmaß zugute kommen: Nacheinander entsandte er den Herzog Ludwig I. von Bayern, Anselm von Justingen und schließlich seinen Admiral Heinrich von Malta sowie den sizilischen Kanzler Walter von Pagliara, jeweils mit einer stattlichen Zahl von Schiffen, Rittern und Hilfsgütern nach Osten. Zugleich ermahnte er die Kreuzfahrer dringend, abzuwarten, nichts Entscheidendes vor seiner Ankunft zu unternehmen. Doch diese, und vor allem der päpstliche Legat Pelagius an ihrer Spitze, ließen sich nicht länger zurückhalten. Sie stießen im Juli 1221 nach Süden vor, wurden vom Hochwasser des Nils und von den

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Vgl. MGH Epp. saec. XIII 1, S. 104-106, Nr. 146-149, S. 111, Nr. 157; MGH Const. 2, S. 150, Nr. 116.

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Truppen des Sultans al-Kamil eingeschlossen und mußten am Ende schmählich und ohne jeden Erfolg aus Ägypten abziehen.3 Mit Trauer und Erbitterung nahm die abendländische Christenheit die unheilvolle Kunde auf. Die Führer des Kreuzheeres und ebenso Papst Honorius mußten sich schwere Vorwürfe anhören. Wie aber stand es um die Mitschuld Friedrichs? Sicher war der Kaiser ernsthaft zur Teilnahme am Kreuzzug bereit gewesen. Für vordringlich hielt er zunächst allerdings ganz offenkundig die Sicherung seiner Stellung in seinem unmittelbaren Herrschaftsbereich. Für seine Auffassung sprach in der Tat manches und nicht zuletzt gerade auch der Blick auf das Kreuzzugsprojekt: Erst als in Europa unangefochten regierender Monarch nämlich konnte er sich mit ganzer Kraft auf dessen Leitung konzentrieren und seinen Erfolg einigermaßen gewährleisten. Über die Schwierigkeiten, die ihn von diesem Ziel trennten, sah er freilich allzu leicht hinweg, darüber täuschte er sich selbst und andere. Die ständige Ungewißheit über sein persönliches Erscheinen aber erschwerte natürlich die Planungen der Kreuzfahrer. Sie ließ ihre Zuversicht immer wieder in tiefe Enttäuschung umschlagen und förderte so wohl jene Stimmung der Unzufriedenheit und der Ungeduld, in der sich Pelagius mit seiner unbedachten Initiative schließlich durchsetzen konnte. Ob Friedrich, wäre er im Sommer 1221 zu Damietta präsent gewesen, dem Unternehmen eine glücklichere Wendung gegeben hätte? Seine rückblickende Äußerung vom Dezember 1227 deutet darauf, daß er in diesem Fall anders als Pelagius vermutlich für die Annahme von al-Kamils Vorschlag, also für den Tausch der eroberten Stadt gegen Jerusalem eingetreten wäre; der Führungsstreit im Kreuzheer hätte sich dann aber vielleicht eher noch verschärft.4 Natürlich sparte Honorius nicht mit Klagen über die kaiserliche Säumnis und Nachlässigkeit in der Kreuzfahrtfrage, während sich Friedrich umgekehrt sofort zu jedem Entgegenkommen in dieser Angelegenheit bereit erklärte. Zweimal trafen sich Papst und Kaiser persönlich, und im März 1223 verpflichtete sich Friedrich durch einen Eid, am Johannisfest, also am 24. Juni 1225 die Kreuzfahrt anzutreten. Um jeden Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Absichten auszuräumen, schwor er überdies,

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MGH Epp. saec. XIII 1, S. 112, Nr. 159; MGH Const. 2, S. 150f., Nr. 116. Zum fünften Kreuzzug siehe Powell, James M.: Anatomy of a Crusade 1213 – 1221, Philadelphia 1986, bes. S. 172-193. MGH Const. 2, S. 151, Z. 16-20, Nr. 116. Vgl. Powell (wie Anm. 3), S. 77f., 112-118, 184f., 188, 191, 201-203; Mayer, Hans Eberhard: Geschichte der Kreuzzüge, Stuttgart 8 1995, S. 203.

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Isabella, die Tochter des Königs Johann von Brienne und Erbin des Königreiches Jerusalem, zu heiraten, so daß ihn, wie er selbst sagte, die Verantwortung für das Heilige Land künftig ebenso fest und dauerhaft binde wie seine Ehe.5 Der Vorschlag zu Friedrichs Vermählung mit Isabella stammte sehr wahrscheinlich von Papst Honorius, der wohl hoffte, auf diese Weise einen umso eifrigeren Kreuzfahrer zu gewinnen. Friedrich konnte das offenbar recht dringend gewünschte Zeichen seines guten Willens denn auch schwerlich verweigern, zumal ihm Papst und Kardinäle als Ersatz für eine Mitgift, die von der mittellosen Braut nicht zu erwarten war, angemessene Hilfsleistungen für sein Kreuzzugsprojekt zusagten. So sollte zu Friedrichs Verpflichtung als Kreuzfahrer und Kaiser nun also eine neue, eine noch weit engere und direktere Bindung an das Heilige Land treten: seine dauernde herrscherliche Zuständigkeit für dessen Geschicke. Fürs erste freilich änderte sich auch jetzt nichts an den politischen Prioritäten des Kaisers. Er begab sich im Mai 1223 nach Sizilien, um in zweijährigem Kampf den Widerstand der dortigen Sarazenen zu brechen. Unterdessen stießen die päpstlichen Kreuzzugswerbungen ebensowenig wie diejenigen Johanns von Brienne, des Königs von Jerusalem, oder die Bemühungen Hermanns von Salza auf greifbare Resonanz in den Königreichen Europas, und so gelang es den kaiserlichen Abgesandten, unter ihnen eben Johann und Hermann, den Papst nochmals für eine Fristverschiebung zu gewinnen. Im Juli 1225 schwor der Kaiser daraufhin feierlich, er werde im August 1227 ins Heilige Land aufbrechen, 1000 Ritter sowie 150 Transportschiffe und Kriegsgaleeren mit sich führen, außerdem für die Überfahrt von 2000 Rittern mit ihrer Begleitung sorgen, schließlich als Unterpfand seiner absoluten Aufrichtigkeit 100.000 Goldunzen hinterlegen; diese seien zum Nutzen des Heiligen Landes auszugeben, wenn er, aus welchen Gründen auch immer, die Kreuzfahrt an dem genannten Datum nicht antrete. Insbesondere aber sollte er selbst in diesem Fall ohne weiteres der Exkommunikation verfallen.6 Zweifellos bürdete Friedrich damit sich und seinen Untertanen, vor allem denen des sizilischen Königreiches, eine schwere Last auf, denn erstmals wurde ein Kreuzzugsprojekt nun allein zur Aufgabe eines einzi-

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MGH Epp. saec. XIII 1, S. 152-155, Nr. 225, vgl. S. 149, Nr. 220, S. 157, Nr. 227; Acta Imperii inedita saec. XIII et XIV, ed. Eduard Winkelmann, Innsbruck 1880 – 1885, Bd. 1, S. 237f., Nr. 261 (Friedrich II., 5.3.1224). MGH Const. 2, S. 129-131, Nr. 102f.

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gen Monarchen. Im Unterschied zu anderen Herrschern machte er überdies erstaunlicherweise die Erfüllung seines Eides von keinerlei Vorbehalten oder Bedingungen abhängig. Dennoch gab dessen Wortlaut in allen zentralen Punkten vermutlich durchaus seinen Willen wieder. Unter Anrechnung des bereits Geschaffenen und Vorhandenen überstiegen die zugesagten Leistungen denn auch schwerlich die Möglichkeiten seines Reiches. Dazu entsprach die neue Kreuzzugskonzeption der mit seiner Wiederverheiratung entstehenden neuen Rechtslage: Er würde der erste abendländische Herrscher sein, der nicht nur als Kreuzfahrer nach Osten zog, sondern zugleich als rechtmäßiger König des zu erobernden Landes.7 Vor allem jedoch war Friedrich wohl ernsthaft und aufrichtig entschlossen, Gott sein längst versprochenes Dankopfer endlich abzustatten und sich mit ganzer Kraft dieser Aufgabe zu widmen. Daß ihm ihre Erfüllung nach zwei zusätzlichen Jahren der Vorbereitung tatsächlich ohne jedes Hindernis gelingen werde, daran glaubte der durch unerwartete Erfolge immer wieder in seinem frommen Optimismus Bestärkte offenbar fest. Wenigstens die übliche Vorsicht walten zu lassen, dazu hätte freilich nach seinen bisherigen Erfahrungen gerade mit der Kreuzzugsplanung durchaus Anlaß bestanden. Bereits im August 1225 suchte der Kaiser der Öffentlichkeit unmißverständlich sichtbar zu machen, welche hervorragende Bedeutung er der Sache des Heiligen Landes künftig zuzumessen gedachte: Er sandte zur Einlösung seines bis dahin eher schleppend behandelten Eheversprechens den Bischof Jakob von Patti mit einer ansehnlichen Flotte nach Akkon. Noch im selben Monat fand dort seine Ferntrauung mit der knapp 14jährigen Isabella von Brienne in der Weise statt, daß Jakob von Patti während der kirchlichen Zeremonie als sein Vertreter fungierte. Wenig später folgte in Tyrus im Beisein der Großen des Landes die Krönung Isabellas zur Königin von Jerusalem. Daraufhin segelte die kaiserliche Gesandtschaft zusammen mit Isabella und Repräsentanten ihres Reiches rasch nach Unteritalien zurück, wo Friedrich am 9. November noch einmal persönlich in der Kathedrale von Brindisi die Ehe mit der Erbin des Königreichs Jerusalem schloß.8

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Siehe bes. Hiestand, Rudolf: Friedrich II. und der Kreuzzug. In: Esch, Arnold/Kamp, Norbert (Hg.): Friedrich II. – Federico II, Tübingen 1996, S. 135f. Estoire d’Eracles XXXII 20, Recueil des Historiens des Croisades 2, Paris 1859, S. 357f.; Filippo da Novara: Guerra di Federico II in Oriente (1223 – 1242), cc. 13, 20, ed. Silvio Melani, Neapel 1994, S. 70, 76; Breve chronicon de rebus Siculis, ad 1225, ed. Jean-Louis-Alphonse Huillard-Bréholles, Historia diplomatica Friderici Secundi

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Zur Überraschung und Erbitterung Johanns von Brienne beanspruchte sein Schwiegersohn sogleich nach der Heirat als Gemahl Isabellas den Titel und die vollen Herrschaftsrechte eines Königs von Jerusalem. Die an seinem Hof anwesenden Vasallen aus dem Königreich huldigten ihm denn auch ohne Zögern; die Lehnseide der daheim gebliebenen Barone für ihren neuen kaiserlichen Herrn empfing kurz darauf Bischof Richer von Melfi, der sich um die Jahreswende, begleitet von einer Gruppe sizilischer Ritter, als Sachwalter der kaiserlichen Interessen nach Akkon begab.9 Friedrich war mit seinem Vorgehen zweifellos im Recht und offenbar willens, nachdem er für das Heilige Land eben umfangreiche Verpflichtungen übernommen hatte, dort von Anfang an auch uneingeschränkt die königliche Gewalt auszuüben und so nicht zuletzt jedem Streit um Kompetenzen den Boden zu entziehen. Johann aber hoffte gewiß fest darauf, im Osten weiterhin die eigentlich maßgebende Persönlichkeit mit königlichem Rang zu bleiben. Seine abrupte und vollkommene Ausschaltung verletzte ihn zutiefst. Er ließ sich zu einem heftigen Wortwechsel, zu Drohungen, vielleicht sogar persönlichen Kränkungen des Staufers hinreißen und machte damit den Bruch rasch unheilbar. Eilends flüchtete er über die Grenze des sizilischen Regnums.10 Der Kaiser hatte einen unversöhnlichen Gegner mehr, der Papst einen Schützling. Obwohl der Kreuzzug dem Staufer nun zugleich die Möglichkeit bot, seine ihm offenbar so wichtige königliche Gewalt im Osten tatsächlich unmittelbar auszuüben, beeilte er sich nach wie vor nicht sonderlich mit dem Unternehmen. Vielmehr hoffte er, zuvor auch noch sein letztes großes Ziel in seinem europäischen Machtzentrum zu verwirklichen, nämlich die Durchsetzung der Reichsrechte in der Lombardei. Erst danach, also zusätzlich unterstützt von den reichen Ressourcen der lombardischen Städte, wollte er seinen Zug gegen die Feinde der Christenheit so glanzvoll antreten und vollenden, wie er es seiner kaiserlichen Würde schuldig war. Doch damit überspannte er den Bogen. Sein Aufenthalt in Oberitali-

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(= HB), Bd. 1, Paris 1852, S. 896f. [Vgl. die Neuedition: Stürner, wie oben S. 243 Anm. 24]. Estoire d’Eracles (wie Anm. 8), S. 358f.; zu Richer vgl. Kamp, Norbert: Kirche und Monarchie im staufischen Königreich Sizilien, München 1975, S. 489-491. Estoire d’Eracles (wie Anm. 8), S. 358-360; Chronique d’Ernoul, c. 39, ed. Louis de Mas Latrie, Paris 1871, S. 451-453; Richard von S. Germano, Chronica, ad 1226, ed. Carlo Alberto Garufi, Bologna 1936 – 1938, S. 136. Vgl. Mayer, Hans Eberhard: Das Pontifikale von Tyrus und die Krönung der lateinischen Könige von Jerusalem. In: Dumbarton Oaks Papers 21 (1967), S. 201f.

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en im Frühjahr und Sommer 1226 war völlig erfolglos; zum ersten Mal scheiterte er auf einem wichtigen Felde vollkommen.11 Alles hing nun vom Kreuzzugserfolg ab, er allein konnte Friedrichs Stellung seinen lombardischen Gegnern gegenüber wieder verbessern. So standen die Kreuzzugsvorbereitungen endlich ganz im Mittelpunkt der kaiserlichen Aktivität, und es gelang in der Tat, die Versprechen von 1225 ziemlich vollständig einzulösen – zum größten Teil wohl auf Kosten der Bewohner des sizilischen Königreichs. Doch des Kaisers Krankheit verhinderte seine Ausfahrt, auch dieses große Projekt drohte also zu mißlingen. Zudem nutzte der neue Papst Gregor IX. die Lage sofort entschlossen zu seinen Gunsten. Seit langem enttäuscht von Friedrichs Handhabung des Kreuzzuges und überdies zutiefst beunruhigt über dessen Streben nach Dominanz im nördlichen wie südlichen Italien, sprach er nun die Exkommunikation über ihn aus. Er war formal zweifellos im Recht, beharrte auf seinem Schritt jedoch mit immer neuen Gründen und Anschuldigungen, obwohl sich Friedrich im Großen und Ganzen überzeugend rechtfertigte und darum bat, gegen eine angemessene Bußleistung vom Bann gelöst zu werden. Diese starre Haltung zog Gregor vor allem in Deutschland bald den Vorwurf zu, er behindere und gefährde mit seiner Unnachgiebigkeit den erfolgreichen Fortgang des Kreuzzugs.12 Friedrich indessen sah nur die Möglichkeit, trotz seiner Exkommunikation und gegen das päpstliche Gebot den Kreuzzug zum Erfolg zu führen. Andernfalls drohte er in völlige Abhängigkeit von den päpstlichen Vorstellungen zu geraten und damit zugleich jede Aussicht auf einen Durchbruch in der Lombardei zu verlieren. So nahm er im Frühjahr 1228 die Kreuzzugsrüstungen wieder energisch auf. Er verpflichtete seine sizilischen Vasallen zu erheblichen Geldzahlungen und zur Stellung von Rittern; die sizilischen Kirchen aber hatten die Kosten für Ausstattung und Unterhalt je einer bestimmten Zahl von Söldnern aufzubringen. Fünfhundert Ritter schickte er unter Führung seines sizilischen Marschalls Richard Filangieri bereits im April 1228 nach Syrien voraus. Ihn selbst begleiteten im Juni dann wohl nochmals 100 Ritter aus dem sizilischen

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Vgl. Stürner, Friedrich. Teil 2 (wie Anm. 1), S. 98-115. MGH Epp. saec. XIII 1, S. 281-285, Nr. 368 (Gregor IX.; 10.10.1227), S. 286f., Nr. 370 (ders.; 12.1227); vgl. HB 3, S. 74f. (ders.; 5.8.1228); MGH Const. 2, S. 148-156, Nr. 116 (Friedrich II.; 6.12.1227). Vgl. Burchard von Ursberg, Chronik, ad 1227, ad 1228, MGH SS rer. Germ. 16, S. 122, 125; Notae S. Emmerammi, ad 1225, MGH SS 17, S. 574f.; Freidanks Bescheidenheit 157, 17-28, 162, 4-25, ed. Wolfgang Spiewok, Greifswald 1996, S. 132, 138.

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Regnum, und ungefähr 200 weitere Ritter aus Zypern folgten ihm von dort aus. Seine recht große Flotte läßt vermuten, daß er darüber hinaus 3000 oder mehr Fußsoldaten mitbrachte. Im Ganzen befehligte er also wohl eine Streitmacht, die den Vergleich mit früheren Kreuzheeren keineswegs zu scheuen brauchte. Da wenigstens ein Teil seiner Schiffe zudem wohl anders als 1221 eigens für Landemanöver im Nildelta ausgerüstet war, bedeutete sein Auftreten speziell für Ägypten offenbar durchaus eine echte Bedrohung, und der Sultan al-Kamil faßte es allem nach auch so auf.13 Friedrichs Stellung im Königreich Jerusalem hatte sich noch kurz vor seiner Ausfahrt insofern geändert, als er nach dem Tod Isabellas im Mai 1228 nur noch Regent des Königreichs für seinen Ende April geborenen Sohn Konrad war. Die Barone des Reiches anerkannten ihn zwar als solchen, registrierten den Unterschied aber sehr genau, während Friedrich selbst seinen auch vom Papst 1231 endlich anerkannten Königstitel nicht ganz korrekt bis zu seinem Tode beibehielt und Konrad sich bis dahin dementsprechend heres regni Jerusalem nannte.14 Über die Lage im Osten erhielt Friedrich von seinen dort schon wirkenden Vertrauten sehr zuverlässige Informationen. Überdies gingen seit Anfang 1227 auch direkte Gesandtschaften zwischen ihm und dem wichtigsten islamischen Führer al-Kamil, dem Sultan Ägyptens, hin und her. Gerade dessen Position hatte sich allerdings im Sommer 1228, nach dem Tod seines in Damaskus herrschenden Bruders und Hauptkonkurrenten, im Vergleich zum Vorjahr erheblich gebessert, und es war doch sehr die Frage, ob er seine damals dem Kaiser gegebene Zusage jetzt noch einhalten und tatsächlich auf Jerusalem verzichten würde.15 Lange zogen sich denn auch Friedrichs Verhandlungen mit al-Kamil hin, und mehrere Faktoren mußten schließlich zusammenwirken, damit es

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Richard, Chronica (wie Anm. 10), ad 1227 – 1228, S. 148-150; HB 3, S. 58; Estoire d’Eracles (wie Anm. 8), XXXIII 1 und 4, S. 366, 369; Filippo da Novara (wie Anm. 8), cc. 30f. (126f.), 39 (135), S. 82-84, 86, 100; Breve chronicon (wie Anm. 8), ad 1228, S. 898. Vgl. Pryor, John H.: The Crusade of Emperor Frederick II, 1220-1229: The Implications of the Maritime Evidence. In: The American Neptune 52 (1992), S. 127-132. Breve chronicon (wie Anm. 8), ad 1228, S. 898; Richard, Chronica (wie Anm. 10), ad 1228, S. 150. Vgl. Mayer, Pontifikale (wie Anm. 10), S. 202; Hiestand, Rudolf: Ierusalem et Sicilie rex – Zur Titulatur Friedrichs II. In: DA 52 (1996), S. 181-189. Richard, Chronica (wie Anm. 10), ad 1228, S. 149f.; Chronique d’Ernoul (wie Anm. 10), c. 40, S. 458. Vgl. Gottschalk, Hans L.: Al-Malik al-Kamil von Egypten und seine Zeit, Wiesbaden 1958, S. 132-152.

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zu einer friedlichen Einigung über die Herausgabe Jerusalems, Bethlehems und Nazareths sowie über einen Waffenstillstand für die Dauer von 10 Jahren kommen konnte. Ohne Zweifel förderte das enge persönliche Verhältnis, das die unmittelbaren Verhandlungspartner inzwischen verband, eine einvernehmliche Lösung der schwierigen Probleme, und Friedrichs Haltung erleichterte gewiß ebenfalls den Weg dahin. Der Kaiser erhielt gerade damals äußerst beunruhigende Nachrichten über die Entwicklung in Italien und die intensiven päpstlichen Rüstungen. Ganz offensichtlich erforderte die Situation dort dringend seine Gegenwart. Eilte er freilich als ein im Heiligen Land Gescheiterter zurück, stand es um seine Erfolgsaussichten auch in der Heimat von vorn herein äußerst schlecht. Ein Krieg gegen seine muslimischen Gegner aber bedeutete für ihn trotz seiner respektablen militärischen Mittel unter den herrschenden Verhältnissen zweifellos ein hohes Risiko. So blieb er auf dem schon betretenen Verhandlungsweg und verzichtete um des raschen Erfolges willen auf die Durchsetzung von Maximalforderungen. Großes, vielleicht entscheidendes Gewicht aber fiel vermutlich dem Umstand zu, daß für alKamil die kriegerische Auseinandersetzung mit seinem übervorteilten Neffen in Damaskus dicht bevorstand und für ihn durchaus ebenfalls ein Wagnis bedeutete – die Belagerung von Damaskus begann im März und sollte erst im Juni mit der Kapitulation der Stadt enden. In dieser kritischen Phase empfahl es sich für ihn unbedingt, einen gleichzeitigen Zusammenstoß mit dem Kaiser zu vermeiden, zumal ihm dessen militärische Stärke offenbar ohnehin von Anfang an Respekt einflößte.16 Friedrich hatte sein Unternehmen in den Monaten vor seinem Aufbruch sehr betont als eine Kreuzfahrt dargestellt, als Christi negotium oder servitium. Ganz auf der gleichen Linie feierte er nach seinem Einzug in die Stadt Jerusalem folgerichtig seinen Erfolg als wunderbare Gnadentat Gottes an dem ihm ergebenen Christenvolk und an dessen demütigem Führer. Diese Einschätzung entsprach sicherlich seinem eigenen tiefsten Empfinden. Mit ihr zugleich stellte er noch einen zweiten Aspekt sehr klar heraus: Trotz allen Unrechts, aller Verunglimpfung und Behinderung von päpstlicher Seite hatte er sein Gelöbnis gegenüber Gott und seine

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Der Vertrag mit al-Kamil: MGH Const. 2, S. 162, Z. 3-23, Nr. 121, S. 168, Z. 19-28, Nr. 123, S. 165, Z. 6-13, Nr. 122; vgl. MGH Epp. saec. XIII 1, S. 301, Z. 8-20, Nr. 384, S. 297f., Nr. 380. Vgl. Kluger, Helmut: Hochmeister Hermann von Salza und Kaiser Friedrich II., Marburg 1987, S. 87-95; Gottschalk, Al-Kamil (wie Anm. 15), S. 156-158, 160-167.

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kaiserliche Verpflichtung als höchster weltlicher Repräsentant und Schutzherr der Christenheit erfüllt. Indem Gott selbst sein Unternehmen auf ganz ungewöhnliche und eindrucksvolle Weise zum Ziel führte, machte er sich die Auffassung des Kaisers gewissermaßen zu eigen, nahm er – anders als der Papst – dessen Dienst an und gab ihm damit gegen Gregor sozusagen Recht. Im übrigen dominierte schon beim feierlichen Empfang Friedrichs durch die Einwohnerschaft Akkons und die dort zusammengeströmten Pilger und Kreuzritter sehr deutlich die Hoffnung, gerade der kaiserliche Kreuzfahrer werde der christlichen Sache zum Durchbruch verhelfen; sie dürfte die Templer und Johanniter zu ihren besonderen Ehrenbezeugungen bei dieser Gelegenheit veranlaßt haben. Nach dem Einzug in Jerusalem aber stand für die meisten Begleiter Friedrichs so wie für den deutschen Poeten Freidank gewiß der Kreuzzugscharakter ihres Unternehmens ganz im Vordergrund, das tiefe Glück darüber, dank des kaiserlichen Wirkens Jerusalem betreten und die Grabeskirche besucht zu haben.17 So erhielt Friedrichs Auftreten im Heiligen Land, durchaus seiner echten Überzeugung gemäß, die bestimmende Prägung durch seinen immer wieder besonders betonten Rang als kaiserlicher Kreuzfahrer und Führer der Christenheit, der im unmittelbaren Dienst Gottes stand. Daneben freilich bemühte sich der Herrscher ständig und nach Kräften darum, seine konkreten herrscherlichen Rechte im Osten einzufordern und durchzusetzen. Das tat er bereits auf Zypern, wo er sich trotz der drängenden Probleme auf dem nahen Festland sechs Wochen Zeit nahm, um seinem Vorrang als kaiserlicher Oberlehnsherr praktische Geltung zu verschaffen. Er erlangte tatsächlich die Regentschaft über die Insel und die Lehnseide seiner zyprischen Vasallen. Sein Beharren auf weitergehende kaiserliche Rechtsansprüche führte jedoch rasch zu einer gefährlichen Auseinandersetzung mit Johann von Ibelin, dem auf Zypern wie im Königreich Jerusalem gleich mächtigen Repräsentanten des Adels. Fast von Anfang an war in diesen Streit auch Johanns Herrschaft über Beirut einbezogen, da Friedrich sie ihm abzusprechen drohte. Zwar einigte man sich schließlich, und der Staufer konnte während seines Syrienaufenthaltes selbst über die

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MGH Const. 2, S. 162-167, Nr. 122 (Friedrich II.; 18.3.1229), vgl. S. 155, Z. 8-10, Nr. 116 (6.12.1227), HB 3, S. 60 (4.1228). Freidanks Bescheidenheit (wie Anm. 12), 160, 6-17, 161, 7-22, S. 136, vgl. Annales Scheftlarienses, ad 1229, MGH SS 17, S. 339, Burchard von Ursberg (wie Anm. 12), ad 1229, S. 125. Akkon: Rogeri de Wendover Flores Historiarum, ed. H. G. Hewlett, Bd. 2, London 1889, S. 351 (= MGH SS 28, S. 61).

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Dienste des Ibelin verfügen. Zugleich aber war sehr deutlich geworden, daß er seine Stellung als König von Jerusalem entschieden betonte, daß er sie zu festigen und auszubauen suchte und sich dabei allem nach auch von alten adligen Gewohnheitsrechten nicht hindern lassen würde.18 Eben auf die Stärkung seiner königlichen Gewalt in Jerusalem zielte dann gewiß die auffallende Privilegierung Hermanns von Salza und des Deutschen Ordens im Heiligen Land und insbesondere in der Stadt Jerusalem selbst, hier unter deutlicher Zurückdrängung der Johanniter und Templer. Ganz augenscheinlich betrachtete Friedrich die Männer, die er bei seiner Abreise zu seinen Stellvertretern im Königreich Jerusalem machte, Balian von Sidon und Werner von Egisheim, keineswegs als die einzigen Garanten für die dauerhafte Durchsetzung und Sicherung seiner königlichen Rechte und Interessen. Er traute die Bewältigung dieser schwierigen Aufgabe vielmehr neben und wohl noch vor ihnen dem Deutschen Orden zu und seinem bewährten und erfahrenen, auch während der Exkommunikation auf seiner Seite gebliebenen Leiter.19 An beide Aspekte seines Erscheinens und Wirkens im Osten erinnerte Friedrich mit seinem öffentlichen Gang unter der Krone. Er wollte damit am Grabe Christi die Dankbarkeit des rechtgläubigen Kaisers für seine glanzvolle Führung durch Gott während des Kreuzzugs bekunden, ebenso einprägsam aber vor Augen führen, daß er der gegenwärtige Inhaber der königlichen Gewalt im Reiche war. Anspielungen auf endzeitliches Geschehen, auf den in Prophetien verkündeten Endkaiser begegnen uns freilich überraschenderweise nirgends, und sogar der Hinweis, daß Friedrich mit seiner Ankunft in Jerusalem die Nachfolge Davids endgültig und vollkommen angetreten habe, findet sich nur in einer einzigen, überdies nicht ganz zuverlässig überlieferten Fassung seiner berühmten Kreuzzugsenzyklika. Auch später erwähnen die Dokumente aus Friedrichs

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Estoire d’Eracles (wie Anm. 8), XXXIII 1-4, S. 367-369; Filippo da Novara (wie Anm. 8), cc. 30 (126) - 40 (136), S. 82-102; vgl. Breve chronicon (wie Anm. 8), ad 1228, S. 900; dazu Richard, Jean: Le midi italien vu par les pèlerins et les chroniqueurs de Terre Sainte. In: Centro di studi normanno-svevi, Bari. Atti delle XIII giornate normanno-sveve, Bari 1999, bes. S. 353f., 356-358; Melani, Silvio: Lotta politica nell’Oltremare franco all’epoca di Federico II. In: Federico II e le nuove culture, Spoleto 1995, S. 89-111. Zu den Privilegien für den Deutschen Orden siehe Kluger, Hochmeister (wie Anm. 16), S. 123-140.

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Kanzlei den König David im übrigen nicht sehr häufig, und eine besondere Bedeutung kommt diesen Stellen kaum zu.20 Sehr schnell, am dritten Tage bereits, verließ Friedrich Jerusalem wieder. Dafür verbrachte er noch fünf Wochen in Akkon mit dem vergeblichen Versuch, den dort residierenden Patriarchen und die Templer militärisch in die Knie zu zwingen. Vermutlich sah er in dem erstaunlichen Kleinkrieg einen notwendigen Akt zur Wahrung seiner königlichen Gewalt, denn der Patriarch hatte mit seinen eigenmächtigen Rüstungen zum Schutze des Königreiches Friedrichs königliche Herrschergewalt wohl bewußt ignoriert. Freilich fehlte dem Staufer angesichts der schlechten Nachrichten aus Italien die Zeit, um sich wirklich durchzusetzen. Doch auch die fünf Regenten, die er während seines kurzen Zwischenhaltes auf Zypern ernannte, blieben nicht lange im Amt.21 Friedrich erlebte seine Fahrt ins Königreich Jerusalem demnach als einen echten Kreuzzug, der ihn zutiefst berührte, und gleichzeitig ging es ihm offensichtlich durchaus nicht weniger ernsthaft darum, seine Herrschaftsrechte und nicht zuletzt die Rechte, die er als König von Jerusalem beanspruchte, zur Geltung zu bringen und durchzusetzen. Beides, der aufrichtige Glaube an seine kaiserliche Verpflichtung zum Schutz der heiligen Stätten im Osten wie die Sorge um die Verteidigung seiner Königsherrschaft in Jerusalem, bestimmte sein Verhalten gegenüber dem Heiligen Land auch in der Zukunft und bis zu seinem Tode. Sicher traten nach seiner Rückkehr vom Kreuzzug die Probleme der Heimat stark in den Vordergrund: die Auseinandersetzung mit dem Papst, das Bemühen um die Sicherung und den Ausbau seiner Macht im Königreich Sizilien und später der Kampf um die Verwirklichung der Reichsrechte in Oberitalien. Dennoch vergaß er seine Verantwortung für das Heilige Land keineswegs völlig. Dabei beschäftigte ihn zunächst in erster Linie seine Stellung als König. Um seinen königlichen Einfluß zu wahren, gebot Friedrich schon im Januar 1231 seinen weltlichen wie geistlichen Lehnsleuten im sizilischen Regnum, Ritter für das Heilige Land zu stellen; im folgenden Sommer brach tatsächlich ein Heer unter Führung des Marschalls Richard

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Vgl. Stürner, Friedrich. Teil 2 (wie Anm. 1), S. 160-162 mit Anm. 155. HB 3, S. 137-140 (Gerold, Patriarch von Jerusalem), vgl. MGH Epp. saec. XIII 1, S. 316f., Nr. 397 (Gregor IX.; 18.7.1229); Richard, Chronica (wie Anm. 10), ad 1229, S. 159f.; Breve chronicon (wie Anm. 8), ad 1228, S. 902; Filippo da Novara (wie Anm. 8), cc. 42 (138) - 43 (139), S. 102-104; Estoire d’Eracles (wie Anm. 8), XXXIII 9, S. 375.

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Filangieri dahin auf. Die Truppe geriet bereits vor Zypern in erste Schwierigkeiten. Dort war es nämlich Johann von Ibelin rasch gelungen, den kaiserlichen Regentschaftsrat zu vertreiben. Seit Frühjahr 1230 beherrschte er die Insel wieder selbst und verhinderte nun die Landung der kaiserlichen Flotte. So segelte Richard nach Tyrus weiter, das ihm in den nächsten zehn Jahren als sein Hauptstützpunkt diente; es sollte zugleich jedoch neben Jerusalem der einzige Ort bleiben, über den er uneingeschränkt verfügte. Die Barone des Königreiches anerkannten ihn zwar formell als Friedrichs Statthalter, sie wandten sich in ihrer großen Mehrheit dennoch bald gegen ihn. Die meisten von ihnen befürchteten wohl, eine starke staufische Regierung werde einen dezidiert antiadligen Kurs einschlagen, und Richards Versuch, Johann von Ibelin aus Beirut zu vertreiben, bestärkte sie in ihrem Widerstand. Richard handelte vermutlich auf Befehl Friedrichs, der in Johanns Eingriffen auf Zypern gewiß einen schweren Treuebruch seines Vasallen sah. Andererseits aber widersprach der Angriff auf Beirut zweifellos den Rechtsgewohnheiten des Königreiches. Im übrigen verstimmte auch manche grundsätzlich eher stauferfreundlichen Männer wie Balian von Sidon oder Odo von Montbéliard offenbar Richards selbstherrliches Auftreten. Das Zentrum des Widerstands bildeten, zu einer Kommune zusammengeschlossen, Adel und Bürgertum der Stadt Akkon. Als Haupt der Opposition aber agierte auch im Königreich Jerusalem Johann von Ibelin. Obwohl Richard ihn im Mai 1232 besiegte, vermochte er sich nicht wirklich gegen ihn durchzusetzen. Sein anschließender Versuch, Zypern zurückzuerobern, scheiterte völlig, und nach dem endgültigen Verlust der Insel im Sommer 1233 fehlte der staufischen Partei ohne ausreichende Verstärkung aus dem Westen die Kraft, ihre relativ bescheidende Position auf dem syrischen Festland noch nennenswert auszubauen.22 Wohl seit dem Frühjahr 1233 bemühte sich Friedrich, auf dem Verhandlungswege zu einem Ausgleich mit den syrischen Baronen zu kommen. Der Papst, der damals auf seine Hilfe hoffte, unterstützte ihn dabei. Besonders umstritten waren die Befugnis zur Einsetzung des königlichen Statthalters und die Behandlung der Kommune von Akkon. Der im Auf-

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Zu Richard: Richard, Chronica (wie Anm. 10), ad 1231, S. 173, 175; Breve chronicon (wie Anm. 8), S. 904; vgl. Kamp, Norbert: Filangieri, Riccardo. In: Dizionario Biografico degli Italiani 47 (Rom 1997), S. 590-595. Zypern und Jerusalem nach 1229: Filippo da Novara (wie Anm. 8), cc. 44 (140) - 138 (234), S. 104-242; Estoire d’Eracles (wie Anm. 8), XXXIII 10 - XXXIV 1, S. 376-439.

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trag des Kaisers im Königreich tätige Bischof von Sidon scheiterte ebenso wie der Hochmeister des Deutschen Ordens Hermann von Salza, der mehrfach als kaiserlicher Friedensvermittler im Osten wirkte. Wie alle vorhergehenden Versuche blieb auch sein letzter am Jahreswechsel 1235/36 ohne Erfolg: Der von ihm an der päpstlichen Kurie in Viterbo unter päpstlichem Beistand mit zwei Abgesandten aus Akkon ausgehandelte Vertragstext kam zwar den kaiserlichen Vorstellungen sehr entgegen, er stieß gerade deswegen jedoch in Akkon auf empörte Ablehnung und hätte seinen Überbringern fast das Leben gekostet.23 Als Johann von Ibelin 1236 starb, rückten Nachkommen und Verwandte in seine Stellung und wahrten die dominierende Rolle des Hauses. Doch auch das Auslaufen von Friedrichs Waffenstillstand mit alKamil im Jahre 1239 veränderte die Verhältnisse zunächst nicht wesentlich, da sich damals die Söhne des Sultans um dessen Nachfolge stritten. Die Lage im Königreich spitzte sich erst zu, als die Ibelin-Partei wohl im April 1242 mit dem Hinweis auf die Volljährigkeit Konrads IV. alle ihre Verpflichtungen gegen Friedrich und seinen Statthalter in Tyrus für erloschen erklärte und als Regenten, solange der neue König nicht persönlich im Lande erscheine, allein seinen nächsten dort anwesenden Verwandten und Erben anerkennen wollte. Die Barone verwirklichten ihre Absicht in der Tat und hielten bis zum Tode Konradins 1268 an diesem Verfahren fest, ohne daß allerdings die beherrschende Position der Ibelins dadurch je gefährdet gewesen wäre. Noch im Jahre 1242 begann unter ihrer Führung die Belagerung von Tyrus, und Richard Filangieri sah sich mit seinen Helfern bald gezwungen zu kapitulieren und das Königreich zu verlassen.24 Am endgültigen Fall Jerusalems im Jahre 1244 konnten freilich weder die Ritter des Landes selbst noch der 1248 zur Kreuzfahrt aufbrechende König Ludwig IX. von Frankreich etwas ändern. Auf den heimwärts segelnden Richard Filangieri wartete ein bitteres Los: Kaum war er am Hof seines kaiserlichen Herrn eingetroffen, da warf ihn dieser seines Versagens wegen in den Kerker. Zwar erlangte er 1244 auf Bitten Graf Raimunds VII. von Toulouse seine Freiheit wieder. Er mußte Sizilien jedoch den Rücken kehren und nach Toulouse ins Exil ge-

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Filippo da Novara (wie Anm. 8), cc. 109 (205) - 112 (208), S. 202-208; Estoire d’Eracles (wie Anm. 8), XXXIII 40f., S. 406f.; MGH Epp. saec. XIII 1, S. 471, Nr. 578, S. 481f., Nr. 594, 570-573, Nr. 673-675; vgl. Kluger, Hochmeister (wie Anm. 16), S. 177-184. Filippo da Novara (wie Anm. 8), cc. 126 (222) - 138 (234), S. 222-242.

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hen. Friedrichs Vorgehen gegen seinen längjährigen Statthalter befremdet einigermaßen. Er mußte eigentlich schon nach dem Scheitern seiner Friedensbemühungen, also spätestens 1236 erkennen, daß Richard ohne machtvolle Truppenhilfe aus Sizilien auf verlorenem Posten stand,25 und durch besonderes dipomatisches Geschick oder militärische Glanztaten hatte sich dieser von Anfang an nicht gerade ausgezeichnet. Den Staufer aber beschäftigte die Sorge um seine königliche Position im Heiligen Land weiter. 1242 entsandte er als seinen neuen Statthalter und Legaten einen bewährten Helfer und ausgewiesenen Kenner dorthin, den Grafen Thomas von Acerra. Die verfahrene Situation, die Thomas antraf, verurteilte ihn indessen weithin zu Passivität.26 Neben dem Bemühen um die Verteidigung seiner königlichen Rechte in Jerusalem spielte für Friedrich bald auch der Gedanke an einen neuen Kreuzzug wieder eine Rolle. Gregor IX. suchte ihn nämlich seit Ende 1235 vom Vorgehen gegen die Lombarden dringend abzubringen mit dem Hinweis, wie nötig eine gemeinsame christliche Aktion zum Schutze des Heiligen Landes unter kaiserlicher Führung sei. Bald warf man dem Papst deshalb vor, er bediene sich des Kreuzzugsgedankens, um für seine lombardischen Genossen Entlastung zu schaffen. Friedrich selbst aber nahm die päpstliche Anregung geschickt auf und benutzte sie in seinem Sinne: Sein Kampf für die Reichsrechte und den Frieden in Oberitalien, so argumentierte er, sei nur die Vorstufe und Voraussetzung für seinen künftigen Kreuzzug.27 Nach der zweiten Exkommunikation des Staufers, die Gregor unter anderem auch mit der kaiserlichen Behinderung des Kreuzzugs begründete,28 verschärfte sich der Gegensatz zwischen Papst und Kaiser rasch dramatisch, und in den folgenden Auseinandersetzungen lieferte die Kreuzzugsproblematik immer wieder gewichtige Argumente. Heftig war-

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Über Friedrichs Hilfeleistung für Richard vgl. HB 5, S. 739f. (8.2.1240), HB 5, S. 848f. (16.3.1240), HB 5, S. 901 (15.4.1240); siehe außerdem HB 5, S. 587 (16.12.1239), HB 5, S. 694 (25.1.1240). Richard, Chronica (wie Anm. 10), ad 1242 (Juni), S. 215; HB 6, S. 117 (31.8.1243), HB 6, S. 623 (25.5.1248); vgl. Aquino, Tommaso d’. In: Dizionario Biografico degli Italiani 3 (Rom 1961), S. 676-678. MGH Epp. saec. XIII 1, S. 577, Nr. 678 (21.3.1236); Kritik: MGH Epp. 1, S. 589, Nr. 692 (Hermann von Salza; 10.6.1236), vgl. Stürner, Friedrich. Teil 2 (wie Anm. 1), S. 317-320 mit Anm. 102. Friedrich: HB 4, S. 879f. (5. 1236), MGH Const. 2, S. 267f., Nr. 200 (4) (5. 1236). HB 5, S. 288 (24.3.1239).

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fen beide Seiten einander die Blockierung dieses wichtigen Projekts durch Egoismus und verstocktes Beharren auf den eigenen Positionen vor. Unermüdlich erklärte Friedrich noch in den Friedensverhandlungen mit Innozenz IV., vor allem nach dem Fall Jerusalems im Sommer 1244, seine Bereitschaft, einen Kreuzzug sogar auf eigene Kosten zu führen, wenn er nur Absolution erhalte und wieder in die Kirche aufgenommen werde. Im Jahre 1246 bot er dem Papst offenbar sogar an, er werde sich selbst in den Orient begeben und dort bis zu seinem Lebensende für die ungeschmälerte Wiederherstellung des Königreiches Jerusalem kämpfen, wenn nur seinem Sohn Konrad an seiner Stelle die Kaiserwürde zufalle.29 Friedrichs Propaganda verfehlte keineswegs ihre Wirkung. Ludwig IX. von Frankreich etwa, dessen Kreuzzug der Kaiser von Anfang an tatkräftig unterstützte, hatte wohl schon 1249 um dieses Engagements willen die Absolution des Kaisers vom Papst gefordert. 1250 ließ er den Papst dann durch seine Brüder dringend zum Einlenken auffordern, da allein Friedrich die Lage in Syrien noch zum Guten wenden könne. Ganz ähnlich sah man die Dinge auch sonst im Heiligen Land: Jedermann setze nach Ludwigs Unglück seine Hoffnung auf den Kaiser, so berichtete ein Templer aus Syrien und machte dabei Innozenz heftige Vorwürfe, weil er das Angebot des Herrschers, er wolle als Preis für seine Versöhnung mit der Kirche das Heilige Land befreien, mehrfach hartnäckig abgelehnt habe.30 Friedrich machte sich zwar kein zweites Mal auf den Weg nach Jerusalem. Doch wie er bis zu seinem Tod auf den Königstitel jener Stadt nicht verzichtete, so erfüllte ihn noch in seinen letzten Tagen die Sorge für das nach ihr benannte ferne Reich: Nicht weniger als 100.000 Goldunzen sollten gemäß einer Verfügung seines Testaments um seines Seelenheiles willen der Sache des Heiligen Landes zufließen.31 Echte Kreuzzugsbegeisterung, die Bereitschaft, sich als Kaiser und Haupt der Christenheit im Osten auszuzeichnen, die Sorge um seine Rechte als König von Jerusalem: Alle diese Komponenten bestimmten das Verhalten Friedrichs gegenüber dem Heiligen Land. Aber natürlich

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MGH Const. 2, S. 342, Nr. 252 (1) (8.1244); Matthaeus Parisiensis, Chronica maiora, ad 1244, ed. Henry Richards Luard, London 1872-1883, Bd. 4, S. 300-305 (26.2.1245), ad 1245, ebd. S. 431-433 (26.6.1245), ad 1246, ebd. S. 523, vgl. ad 1250, ebd. Bd. 5, S. 99. Matthaeus Parisiensis (wie Anm. 29), ad 1249, Bd. 5, S. 70, ad 1250, ebd. S. 174f., 188f. Templer: Matthaeus Parisiensis, Additamenta, Bd. 6, S. 191-197, bes. 197. MGH Const. 2, S. 386, Nr. 274 (6).

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traten nicht alle immer gleich stark hervor. Im ganzen hatte der Kreuzzugsgedanke für den Staufer nach 1229 wohl doch eher die Bedeutung eines politischen Instruments, mit dem er den Papst auf seiner Seite halten und später dazu zwingen wollte, die staufische Stellung anzuerkennen, mochte sie auch in die Hände seines Sohnes Konrad übergehen. Man darf wohl glauben, daß er um dieses Zugeständnisses willen einen neuen Kreuzzug unternommen hätte. Einigermaßen regelmäßig bemühte sich der Kaiser vor allem in den dreißiger Jahren um die Sicherung und Stärkung der Königsgewalt in Jerusalem, ohne daß ihm dies freilich gelungen wäre. Sein Friedensvertrag mit dem Sultan verhinderte zwar, daß die Kämpfe des Adels gegen seinen Stellvertreter das Königreich existenziell gefährdeten. Die Chancen, die der Friede zur inneren Stärkung des Landes geboten hätte, blieben indessen ungenutzt. Es ist gewiß müßig zu fragen, ob Friedrich durch seine ständige Präsenz im Osten den Dingen eine Wendung zum Besseren hätte geben können: Für den Staufer stand, aus seiner Sicht wohl zu Recht, der Kampf um seine Rechte in Imperium und Regnum als der Basis seiner Stellung mit weitem Abstand im Vordergrund. Im übrigen spricht wenig dafür, daß der Adel des Königreiches sich gerade jetzt einem starken Monarchen kampflos gebeugt hätte. Es bedurfte wohl der schlimmen Erfahrungen seit 1244, ehe er bereit war, sich wenigstens für eine überschaubare Zeit einer Persönlichkeit wie Ludwig IX. zu fügen.

König Heinrich (VII.) – Rebell oder Sachwalter staufischer Interessen? Seit der Todestag des Stauferkönigs Heinrichs (VII.) im Jahre 1992 zum 750. Mal wiederkehrte, widmet sich die Forschung der Gestalt des Kaisersohnes mit so anhaltender Aufmerksamkeit wie kaum je bis dahin, und dass die an der Stauferzeit interessierte Öffentlichkeit Heinrich (VII.) nach wie vor der Beschäftigung für wert hält, das beweist eindrücklich das ihm gewidmete Symposium der Göppinger Gesellschaft für Staufische Geschichte.*

Erstdruck: Der Staufer Heinrich (VII.). Ein König im Schatten seines kaiserlichen Vaters, Göppingen 2001 (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 20), S. 12-42. *

Siehe zum Thema: Stürner, Wolfgang: Der Staufer Heinrich (VII.) (1211-1242). In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 52 (1993), S. 13-33 (die ältere Literatur dort S. 13, Anm. 1); außerdem Vogtherr, Thomas: Der bedrängte König. Beobachtungen zum Itinerar Heinrichs (VII.). In: DA 47 (1991), S. 395-440; Baaken, Gerhard: Die Erhebung Heinrichs, Herzogs von Schwaben, zum Rex Romanerum (1220/1222). In: Aus südwestdeutscher Geschichte. Festschrift für H.-M. Maurer, Stuttgart 1994, S. 105-120; Flachenecker, Helmut: Herzog Ludwig der Kelheimer als Prokurator König Heinrichs (VII.). In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 59 (1996), S. 835-848; Thorau, Peter: König Heinrich (VII.), das Reich und die Territorien. Untersuchungen zur Phase der Minderjährigkeit und der „Regentschaften“ Erzbischof Engelberts I. von Köln und Herzog Ludwigs I. von Bayern (1211) 1220-1228, Berlin 1998; Borchardt, Karl: Der sogenannte Aufstand Heinrichs (VII.) in Franken 1234/35. In: ders./Bünz, Enno (Hg.): Forschungen zur bayerischen und fränkischen Geschichte, P. Herde zum 65. Geburtstag, Würzburg 1998, S. 53-119; Goez, Werner: König Heinrich (VII.) (1220-1235). In: ders.: Lebensbilder aus dem Mittelalter. Die Zeit der Ottonen, Salier und Staufer, Darmstadt ²1998, S. 437-453; Hillen, Christian: Curia regis. Untersuchungen zur Hofstruktur Heinrichs (VII.) 1220-1235 nach den Zeugen seiner Urkunden, Frankfurt a. M. 1999. Ausführliche Belege zum Text des obigen Vortrages bieten die einschlägigen Kapitel in: Stürner, Wolfgang: Friedrich II. Teil 1: Die Königsherrschaft in Sizilien und Deutschland 1194-1220, Darmstadt 1992; ders.: Friedrich II. Teil 2: Der Kaiser 12201250, Darmstadt 2000. [Vgl. außerdem in dem Tagungsband: Der Staufer Heinrich (VII.). Ein König im Schatten seines kaiserlichen Vaters, Göppingen 2001 (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 20) die Beiträge von Thorau, Peter: Die erste Bewährungsprobe Heinrichs (VII.), S. 43-53, und Hillen, Christian: Hof und Herrschaft Heinrichs (VII.). Betrachtungen zum Beraterkreis des Königs, S. 54-71.

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Heinrichs Wirken als König in Deutschland und der Konflikt, in den er dabei mit seinem berühmten Vater geriet – dieses Thema erscheint in der Tat in mehr als einer Hinsicht reizvoll. Es lässt Aufschlüsse erwarten über die politischen und gesellschaftlichen Strukturen Deutschlands und Mitteleuropas in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, Aufschlüsse über die Möglichkeiten und Grenzen des deutschen Königtums zu jener Zeit wie ebenso über die Chancen, die die Verwirklichung der traditionellen universalistischen Konzeption des Imperiums am Übergang vom Hochzum Spätmittelalter noch besaß, und über die Schwierigkeiten, auf die diese Konzeption stieß. Zudem verspricht unser Gegenstand sonst seltene Einblicke in den Bereich des Persönlichen und Individuellen, in die Entwicklung eines Vater-Sohn-Verhältnisses mit seinen vielfältigen Facetten und Krisen bis hin zum endgültigen Bruch. Die Begegnungsszene zu Worms im Jahre 1235 aber schlägt gewiss schon allein durch ihre besondere Dramatik in ihren Bann, und ganz gleichgültig lässt uns wohl auch der traurige Tod des Kaisersohnes nicht. Freilich zeigt sich bei näherem Zusehen rasch, dass die Quellen selbst am Ende der staufischen Epoche, in einer Zeit schnell zunehmender Schriftlichkeit und Diesseits-Bewusstheit also, leider noch viele Vorgänge, und oft genug gerade die uns wichtigen, nur dürftig oder gar nicht registrieren, so dass wir uns mit Schlüssen auf das Wahrschein[13]liche begnügen müssen, ja sogar lediglich Vermutungen äußern können. Heinrich wurde wahrscheinlich in der ersten Hälfte des Jahres 1211 in Palermo oder Messina geboren. Sein damals sechzehnjähriger Vater Friedrich regierte seit Dezember 1208 als selbstständiger Herrscher das von seinen normannischen Vorfahren ererbte Königreich Sizilien. Er beherrschte tatsächlich aber nur die Insel Sizilien und drohte damals auch diese rasch an den Welfenkaiser Otto IV. zu verlieren, der Unteritalien bereits erobert hatte. Heinrichs Mutter, Konstanze von Aragón, die etwa zehn Jahre älter als ihr staufischer Gatte und bei der Hochzeit im Jahr 1209 bereits verwitwet war, prägte die Kindheit des gemeinsamen Sohnes gewiss stärker als der Vater. Diesen nämlich wählte im Herbst 1211 eine antiwelfische Gruppe deutscher Reichsfürsten auf Weisung Papst Inno-

Das Zerwürfnis zwischen Friedrich II. und Heinrich behandelt ausführlich Broekmann, Theo: Rigor iustitiae. Herrschaft, Recht und Terror im normannischstaufischen Süden (1050-1250), Darmstadt 2005, bes. S. 260-382; zur Beurteilung der dort vertretenen Position siehe Stürner, Wolfgang: Friedrich II. 1194-1250 (Darmstadt ³2009), S. XIX-XXI.]

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zenz’ III. zum künftigen Kaiser. Friedrich wurde dadurch nicht nur ganz unerwartet seinen übermächtigen Gegner im sizilischen Regnum los; er entschloss sich überdies, die deutsche Wahl anzunehmen, und eilte 1212 nach Norden. Zuvor, wohl im März 1212, veranlasste er in Palermo die Krönung seines kaum einjährigen Sohnes Heinrich zum sizilischen König. Zur Regentin im Königreich bestellte er seine Frau Konstanze, die ihre Aufgabe dann auch so gut erfüllte, wie es die schwierigen Umstände eben gestatteten. Sobald sich Friedrich nach der Aachener Königskrönung im Juli 1215 und nach seiner neuerlichen Bestätigung durch Innozenz III. auf dem 4. Laterankonzil seiner Stellung in Deutschland endgültig sicher fühlte, ließ er seine Gemahlin und seinen Sohn zu sich kommen, um Heinrich, wie sich bald zeigen sollte, die deutsche Königswürde zu verschaffen. Im Dezember 1216 trafen Frau und Kind an seinem Hof in Nürnberg ein, und unmittelbar darauf ernannte er Heinrich bereits zum Herzog von Schwaben. In einer Urkunde vom Februar 1217 trägt dieser zum ersten Mal den Titel dux Suevie. Sein sizilischer Königstitel, der hier noch vorweg erscheint, entfiel fortan – die Erinnerung an sein süditalienisches Erbe sollte wohl zurücktreten, um seinen weiteren Aufstieg im Norden, die Übernahme der traditionellen staufischen Position in Deutschland nicht zu hindern. Damit ging es denn auch zügig voran: Nach dem Tod Bertholds V. von Zähringen im Jahre 1218 [15] kam die nun frei gewordene Würde des rector Burgundie, des Stellvertreters des Königs in Burgund, an den siebenjährigen Staufer; spätestens seit Januar 1220 ergänzte sie seinen herzoglichen Rang. Nur drei Monate später taten die Reichsfürsten am Ende monatelanger, außerordentlich schwieriger Verhandlungen schließlich doch noch, was zuweilen kaum mehr möglich erschienen war: Sie wählten Heinrich auf einem großen Hoftag zu Frankfurt im April 1220 zum König. Die Kontinuität der staufischen Herrschaft in Deutschland durfte damit ebenso als gesichert gelten wie der Fortbestand der Verbindung des Imperiums mit dem Regnum Sicilie. Freilich musste der Herrscher den geistlichen Fürsten im Gegenzug ausdrücklich zugestehen, dass er sich bei der Handhabung der Regalien auf ihrem Gebiet auch künftig, wie in der Praxis bereits weithin üblich, an eng bemessene Grenzen halten und ihnen gegenüber zudem auf die Anwendung wesentlicher Elemente seiner Territorialpolitik verzichten werde. Papst Honorius aber nahm die ihm ganz und gar nicht gefallende Entwicklung zwar schließlich wohl im Blick auf den von Friedrich dringend erwarteten Kreuzzug hin; er verweigerte Heinrich jedoch genauso wie später sein Nachfolger Gregor IX. die Anrede mit dem Königstitel – gewiss ein Zeichen seines

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Unwillens und zugleich vermutlich ein Versuch, sich künftige Optionen möglichst offen zu halten.

Siegel Heinrichs als Herzog von Schwaben, 1216-1220. Orginal in den Fürstlich Hohenzollerischen Sammlungen, Sigmaringen (U6).

Während sich Friedrich nach seiner Kaiserkrönung im November 1220 auf die Neuordnung des sizilischen Reiches konzentrierte, blieb sein neunjähriger Sohn allein in Deutschland zurück. Er sollte seine Mutter, die bereits 1222 starb, nie mehr sehen, seinen Vater erst wieder nach zwölf Jahren. Zunächst hielt er sich fast ausschließlich in den traditionellen Zentren staufischer Macht in Schwaben und Franken auf, für gewöhnlich umgeben und gewiss wesentlich beeinflusst und geführt von Männern aus jenem Kreis staufertreuer Bischöfe, Adliger und Ministerialer, den sein Vater zu seiner Erziehung bestimmt hatte, von Eberhard von Waldburg etwa oder Konrad von Winterstetten, von Heinrich von Neuffen, Werner von Bolanden oder Graf Gerhard von Diez. Der vom Kaiser bestimmte eigentliche Leiter des Reichsregiments und Beschützer

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des Königs aber, der Kölner Erzbischof Engelbert, begegnet anfangs überraschenderweise nicht sonderlich häufig im [16] Zusammenhang mit Reichsangelegenheiten; allem nach befasste er sich mit diesem Aufgabenbereich intensiv erst seit Mitte 1223. Unter den früheren Ausnahmen fällt ein zentraler Akt besonders ins Auge: Auf Weisung des Kaisers vollzog Engelbert am 8. Mai 1222 in Aachen die feierliche Krönung des jungen Königs. Heinrich führte bald ein eigenes Königssiegel. Etwas später verfügte er außerdem über eine kleine Kanzlei, besser gesagt: ein Schreibbüro zur Ausfertigung seiner Urkunden. Der Kaiser gewährte seinem Sohn also eine gewisse Selbstständigkeit. Sie war allerdings recht eng bemessen, denn die Entscheidung aller wichtigen Fragen fiel – vom Einfluss der Reichsfürsten einmal abgesehen – nach seinem Willen ja den von ihm bestimmten Betreuern beziehungsweise dem Reichsverweser Engelbert zu, sofern er sie nicht weiterhin selbst traf. In der Tat informierte Friedrich den Gubernator und die maßgebenden Männer des Imperiums über seine Absichten und Wünsche durch Boten, Briefe und Mandate, während sich die Großen Deutschlands umgekehrt nicht selten an ihn wandten und zuweilen durchaus persönlich über die Alpen an seinen Hof reisten, um von ihm direkt Zusagen und Privilegien zu erwirken. Immer wieder führten Ereignisse von allgemeiner Bedeutung eine recht ansehnliche Zahl von Fürsten, von vornehmen Adligen und Ministerialen aus dem Reich oft sogar für Wochen gleichzeitig beim Kaiser zusammen. Die in die Zeit von Engelberts Regentschaft fallenden Maßnahmen des Königshofes standen meist in grundsätzlichem Einklang mit den Absichten des Kaisers, knüpften oft sogar unmittelbar an dessen frühere Initiativen an. Das gilt etwa für den im Sommer 1224 unternommenen Versuch, endlich ein Einvernehmen mit dem Bischof Berthold von Straßburg über die staufischen Kirchenlehen im Elsaß zu erreichen, oder mit Egino von Urach einen Ausgleich im Streit um das Zähringererbe zu finden. Das generelle Einverständnis zwischen Friedrich und seinem Sachwalter in Deutschland litt wohl auch nicht während der langwierigen Auseinandersetzung mit dem dänischen König Waldemar II., der im Mai 1223 in die Gefangenschaft seines Vasallen, des Grafen Heinrich von Schwerin, geraten war. Vielmehr folgte der deutsche Königshof [19] ohne Zögern dem kaiserlichen Wunsch und tat alles, um die Situation für die Interessen des Reiches zu nutzen, also dem Dänenkönig den Verzicht auf die 1214 an ihn abgetretenen Reichsgebiete nördlich der Elbe abzupressen. Umgekehrt setzte sich Papst Honorius energisch für Waldemar

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ein, und die Großen Dänemarks lehnten jedes Entgegenkommen der deutschen Seite gegenüber ab. Dennoch sah sich ihr König am Ende tatsächlich zum Nachgeben gezwungen, weil er der Beharrlichkeit und dem Kampfeswillen des Schweriner Grafen und seiner norddeutschen Verbündeten auf Dauer nichts Gleichwertiges entgegensetzen konnte. Nach der alles entscheidenden Schlacht bei Bornhöved (südlich Kiel) im Juli 1227 musste er sich mit dem Verlust der Lande südlich der Eider abfinden. Weder das Reich noch der Kaiser leisteten gegen ihn direkte Waffenhilfe. Möglicherweise wollten freilich König Heinrich und der bayrische Herzog Ludwig mit ihrem Vorstoß gegen Otto von Lüneburg, den Verbündeten Waldemars, im Sommer 1227 nicht zuletzt – wie Peter Thorau jüngst vermutete – den Gegnern des Dänen Entlastung bringen, wozu sie dann allerdings zu spät kamen. Zu merklichen Spannungen zwischen dem Kaiser und dem Kölner Erzbischof führte die Frage, wen König Heinrich heiraten solle, denn damit verband sich aufs Engste das Problem der Beziehungen des Imperiums zum englischen und französischen Königshaus. Während Friedrich das traditionelle staufisch-kapetingische Bündnis mit dem neuen französischen König Ludwig VIII. 1223 erneuerte, verhinderte Engelbert erfolgreich die vom Kaiser gewünschte entsprechende Festlegung Heinrichs und die von französischer Seite gleichzeitig vorgeschlagene Übereinkunft über eine Ehe Heinrichs mit einer französischen Prinzessin. Engelbert lag daran, ein Übergewicht Frankreichs in Westeuropa zu verhindern und stattdessen die alten, vorwiegend wirtschaftlichen Verbindungen Kölns und der niederrheinischen Region mit England auszubauen. Deshalb förderte er nach Kräften den englischen Vorschlag, der als Braut für den deutschen König eine Schwester des englischen Königs vorsah, wohl die 1214 geborene Isabella, die spätere Gemahlin Friedrichs. Friedrich, auf den alles ankam, fand schließlich eine einigermaßen überraschende Lösung für das Ehepro[20]blem: Er beschloss, seinem Sohn die um sieben Jahre ältere Margarete, die Tochter des Herzogs Leopold von Österreich, zur Frau zu geben, wohl um den Babenberger, der gute Kontakte zum englischen Hof unterhielt, stärker an sich zu binden. Engelbert fügte sich dem Gang der Dinge ohne erkennbaren Widerstand. Am 29. November 1225 feierte der König in Nürnberg seine Hochzeit, im März 1227 vollzog Erzbischof Heinrich von Köln, Engelberts Nachfolger, die Krönung der Königin in Aachen. Engelbert war nämlich schon drei Wochen vor Heinrichs Heirat von einem Verwandten erschlagen worden, der zusammen mit einer ganzen Gruppe von niederrheinischen Adligen gegen die rigorose Territorialpolitik des Erzbischofs gekämpft hatte.

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Wachssiegel König Heinrichs (VII.). Straßburg, 1220. Im April 1220 hatten die Reichsfürsten Heinrich auf dem Hoftag zu Frankfurt zum König gewählt.Orginal im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (H 51, Nr. 47).

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In der Aachner Pfalzkapelle wurde Heinrich 1222 zum deutschen König gekrönt. (Foto Münchow. Copyright: Domkapitel Aachen.)

Friedrich beriet die durch Engelberts Tod entstandene Lage vermutlich im Frühsommer 1226 mit den nach Oberitalien gekommenen Reichsfürsten. Jedenfalls beauftragte er im Juli den bayerischen Herzog Ludwig, einen bewährten Anhänger der Staufer, künftig die Sorge für König Heinrich wie die Leitung der Regierungsgeschäfte am deutschen Hof zu übernehmen, und der Herzog erklärte sich dazu nach längerem Zögern schließlich bereit. Noch immer sollte der nun fünfzehnjährige Kaisersohn also sein Königsamt nicht selbstständig ausüben. Friedrichs Entschluss bedeutete gewiss keinen Rechtsbruch, war er doch, von seiner Kaiserwürde ganz abgesehen, so rechtmäßig zum deutschen König erhoben worden wie sein Sohn. Die Schroffheit aber, mit der er angesichts dieser problematischen Dualität seine Vorstellungen durchsetzte, ohne das Ein-

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vernehmen mit Heinrich zu suchen, barg zweifellos schwere Gefahren für die Zukunft. Das gilt umso mehr, als die damals in Cremona geplante persönliche Begegnung von Vater und Sohn scheiterte, weil die Lombardenliga den Zuzug des Königs durch das Etschtal sperrte. Die Gefahr lag nahe, dass die fortdauernde Trennung zu wachsender Fremdheit zwischen Kaiser und König und vor allem zum grundsätzlichen Konflikt auch über die Ziele und Wege ihres politischen Handelns führen würde. Anders als Engelbert blieb Ludwig von Bayern fast ständig am Hof. Heinrich erkannte den Vorrang seines Prokurators offenbar durchaus eine Zeitlang an, zog mit ihm gemeinsam – wie schon erwähnt – im Sommer 1227 etwa gegen Otto von Lüneburg. Auf eine gewisse Selbst[21]ständigkeit des staufischen Königs, auf ein bewusstes Anknüpfen an die väterliche Territorialpolitik im Elsaß weist immerhin der Erwerb der Burg Kaysersberg im Mai 1227. Rasch ausgebaut und durch die Anlage einer Stadt verstärkt, vermochte sie das umfangreiche Staufergut in jenem Raum wirksam gegen Angriffe des oberlothringischen Herzogs zu sichern. Zudem amtierte spätestens seit dem September 1227 wieder Wolfelin als Schultheiß von Hagenau und bewährte sich in der Folgezeit erneut – wie bis zu Beginn der zwanziger Jahre unter Friedrich – als geschickter, vor allem auch in Wirtschaftsfragen beschlagener Wahrer und Förderer der staufischen wie der Reichsinteressen im Elsaß und am Oberrhein. Wie fast zu erwarten, führte diese Neuorientierung der königlichen Politik bald zu wachsenden Spannungen mit Bischof Berthold von Straßburg. Dieser lag noch immer mit verschiedenen adligen Konkurrenten im Streit um das wertvolle Erbe des Dagsburger Grafenhauses. Eben im Herbst 1227 gelang es nun seinen Hauptgegnern, den Grafen von Pfirt im Sundgau, sich den König zu verpflichten, indem sie ihm einen Teil ihrer Ansprüche übertrugen. Heinrich mochte hoffen, seine Position im Elsaß so noch weiter zu stärken. Welches Wagnis er mit seinem Schritt einging, wurde indessen schnell deutlich. Der Bischof wandte sich nämlich an den Papst um Hilfe und erhielt sie umgehend: Im Januar bekräftigte Gregor die Straßburger Rechtsauffassung in vollem Umfang. Wenige Monate zuvor hatte er den Kaiser exkommuniziert, jetzt ergriff er die willkommene Gelegenheit, in Deutschland einen ersten Verbündeten gegen den Staufer zu gewinnen. Dem König aber drohte seine Wendung gegen Straßburg überdies Verwicklungen mit dem Papst einzutragen. Man versteht deshalb gut, dass er im Juni 1228 äußerst unmutig auf die Nachricht reagierte, das Heer des Straßburger Bischofs habe den Pfirter Grafen und

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ihren Verbündeten, darunter eine ganze Reihe königlicher Städte, eine empfindliche Niederlage beigebracht. Seit dem Sommer 1228 mehrten sich dann zudem die Anzeichen für Unstimmigkeiten zwischen dem eigenständiger schaltenden Herrscher und seinen fürstlichen Beratern, und Ludwig von Bayern wie Leopold von Österreich verließen schließlich im September den Hof – wohl [22] kaum im Frieden mit dem König. Zwar kam es dann am Weihnachtsfest 1228 in der Pfalz Hagenau noch einmal zu einer Unterredung zwischen Heinrich und dem bayrischen Herzog. Sie vertiefte jedoch den Bruch zwischen den beiden Männern nur noch weiter. Möglicherweise spielte am Ende Heinrichs Vorwurf eine entscheidende Rolle, Ludwig arbeite gegen den exkommunizierten, sich auf Kreuzfahrt befindenden Kaiser mit dem Papst zusammen. Manches spricht in der Tat dafür, dass dem damals schon so war, dass der Herzog Gregor zu energischen Maßnahmen gegen den Staufer in Deutschland ermunterte. Im April 1229 traf jedenfalls, von Paris kommend, der Kardinal Otto von S. Nicola in der Grafschaft Hennegau ein mit dem Ziel, als päpstlicher Legat Friedrichs Exkommunikation in Deutschland zu verkünden, aber wohl auch die Chancen auszuloten, die für eine völlige Verdrängung der Staufer und die Wahl eines neuen Königs bestanden. Seine Bemühungen um die deutschen Fürsten, die weltlichen wie die geistlichen, hatten allerdings keinen greifbaren Erfolg – von Berthold von Straßburg und Herzog Ludwig, den bereits auf seiner Seite Stehenden, einmal abgesehen. Selbst der Welfe Otto, auf dessen Unterstützung der Legat allem nach besonders hoffte und dessen Thronkandidatur der englische König schon beim Papst betrieb, weigerte sich am Ende, gegen den Kaiser aufzutreten. Soweit wir den zeitgenössischen Chronisten glauben dürfen, überwog in Deutschland weithin die Meinung des Propstes Burchard von Ursberg, es sei ein beklagenswertes und beschämendes Zeichen für den Niedergang der Kirche, dass der Papst, während sich der Kaiser im Osten erfolgreich für die Sache der Christenheit einsetze, den Kreuzzug behindere und dem fernen Herrscher obendrein Krone und Reich zu entziehen trachte. Besonders klare Worte fand damals Walther von der Vogelweide: Voller Empörung forderte er den Kaiser auf, alle Geistlichen, die sich gegen ihn gewandt und damit dem Heiligen Land noch mehr geschadet hätten als selbst die Heiden, nach seiner Rückkehr aus der Kirche zu vertreiben. Heinrich nutzte die Stimmung der Öffentlichkeit. Er fiel im Sommer 1229 mit einem Heer in Bayern ein und zwang den Herzog zur Unterwerfung. Zwei Jahre später wurde Ludwig auf der Kelheimer Donaubrücke

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umgebracht. Obwohl Männer aus der herzoglichen Um[23]gebung den allen Anwesenden unbekannten Mörder offenbar sofort töteten, so dass seine Identität ein Geheimnis blieb, äußerten manche die wenig glaubwürdige Vermutung, der Kaiser selbst habe ihn zu seiner Untat angestiftet. Von Bayern wandte sich Heinrich sogleich gegen Straßburg, das Wolfelin von Hagenau am Hofe offenbar unablässig anschwärzte und dessen Bürger und Bischof gerade jetzt zusätzlich den Unmut des Königs dadurch erregten, dass sie gegen sein Verbot den päpstlichen Legaten Otto aufnahmen. Die königlichen Truppen schlossen die Stadt ein und verwüsteten ihre Umgebung. Obgleich in aussichtsreicher Position, entließ der Staufer dann jedoch etwas überraschend seine Armee. Im Jahr darauf vermittelte Abt Konrad von St. Gallen, der mehr und mehr in die Rolle von Heinrichs engstem Vertrauten hineinwuchs, einen Frieden mit der Stadt. Auf Rat und Drängen vieler geistlicher und weltlicher Reichsfürsten habe er sich seinerzeit zurückgezogen, so erklärte Heinrich später. Vielleicht wiesen ihn seine fürstlichen Mahner darauf hin, in welchem Widerspruch seine Blockade des päpstlichen Legaten zu den Friedensbemühungen seines unlängst aus dem Heiligen Land heimgekehrten Vaters stand. Gewiss ging es ihnen aber mindestens ebenso sehr darum, nach Heinrichs Erfolgen gegen zwei Nachbarn und territorialpolitische Konkurrenten einen totalen Durchbruch der staufischen Sache im deutschen Süden zu verhindern. Jedenfalls musste der junge Herrscher, als die Fürsten seinen ersten bedeutsameren selbstständigen Aktionen entschlossen entgegentraten, sofort nachgeben. Während der folgenden Zeit, über das Jahr 1230 hinweg, hielt er sich denn auch allem Anschein nach eher passiv vor allem im Südwesten Deutschlands auf, billigte aber doch beispielsweise die Vereinigung der Bürgerschaft führender Städte des Bistums Lüttich. Es kam zu einer Versöhnung mit dem bayerischen Herzogshaus, aber sonst wohl zu wenig Kontakten mit den Reichsfürsten. Am Hofe sehen wir häufiger lediglich den Abt von St. Gallen, daneben zuweilen den Andechser Herzog Otto von Meranien und einige wenige Bischöfe. Eben damals wurde indessen die Stellung und Bedeutung der Fürsten im Reich eindrücklich sichtbar, trugen doch sechs von ihnen, Stauferanhänger [24] aus dem Südosten Deutschlands allesamt, im Frühjahr und Sommer 1230 wesentlich zum Zustandekommen des Friedens zwischen Kaiser und Papst bei. Selbstbewusster und geschlossener denn je trat der Fürstenstand danach dem König entgegen. Er zwang ihn auf einem Hoftag zu Worms im Januar 1231 nicht nur, seine gerade erst den Städten an der Maas gemach-

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ten Zusagen zurückzunehmen, sondern ganz allgemein die dominierende Rolle der fürstlichen Stadtherren zu bekräftigen. Gegen deren Willen, so bestimmte der von Heinrich gebilligte Fürstenspruch, durften die Bürger untereinander keine Einungen oder Bündnisse schließen, durfte der König keine solchen Eidgenossenschaften genehmigen. Noch weiter ging jene große Versammlung, die sich von Ende April bis Anfang Mai desselben Jahres wieder in Worms mit dem Herrscher traf. An Friedrichs Vereinbarung mit den geistlichen Fürsten von 1220 anknüpfend, erreichten die Reichsfürsten nun generell die Bestätigung ihrer Stellung als domini terrae, als Landesherren, durch ein königliches Privileg. Der König sicherte ihnen in ihren Territorien die ungehinderte Ausübung aller wesentlichen Herrschaftsrechte zu. Vor allem aber verpflichtete er sich, der in ihren Augen offenkundig nach wie vor bedenklich expansiven Entwicklung der königlichen Städte auf ihre Kosten Zügel anzulegen. Wie für das Fürstenprivileg von 1220 so gilt auch für dasjenige von 1231, dass es nur formell zugestand, was längst vielerorts praktiziert wurde, dass mit ihm kein Hoheitsrecht völlig der Hand des Königs entglitt und dass sich die königliche Verwaltung nach seinem Erlass ebenso wenig wie vorher an die fürstlichen Forderungen bezüglich der königlichen Territorialpolitik hielt – Forderungen im Übrigen, die vom strengen Rechtsstandpunkt her vielfach durchaus verständlich erscheinen. So war die praktische Bedeutung auch des Dokuments von 1231 wohl eher gering. Es führt jedoch erneut die starke Position vor Augen, die die Fürsten Deutschlands dem Königtum gegenüber tatsächlich innehatten. Anders als 1220 nahmen allerdings nun geistliche und weltliche Reichsfürsten gemeinsam, als einheitlicher Stand, die Vertretung ihrer Interessen wahr, und – dies mag wichtig sein für die [25] Beurteilung Heinrichs – anders als 1220 gewann der König für sein Entgegenkommen, für seine offizielle Anerkennung der zu Gunsten der Fürsten gelaufenen realen Entwicklung, diesmal von deren Seite keinerlei Gegenleistung. Er hatte es freilich in gewissem Sinne auch schwerer als einst Friedrich, denn im Unterschied zu jenem musste er zusätzlich mit dem Willen und der Autorität seines kaiserlichen Vaters rechnen, und dessen Unzufriedenheit mit der Lage in Deutschland und mit dem Regiment seines Sohnes wuchs damals zusehends. Natürlich blieb es dem fernen Kaiser nicht verborgen, dass Vertraute Heinrichs wie Abt Konrad von St. Gallen bisweilen offenbar große Mühe hatten, den jungen Herrscher von Torheiten, von unbedachten und verkehrten Maßnahmen zurückzuhalten. Gewiss verstimmte ihn etwa die Absicht Heinrichs, sich von Margarete, sei-

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ner auf väterlichen Wunsch geheirateten, freilich wesentlich älteren Frau zu trennen, und mit Agnes von Böhmen eine neue Ehe einzugehen. Nur schwer, so hören wir, gelang es dem St. Gallener Abt, dem König sein Vorhaben auszureden. Ähnlich missmutig mochte Friedrich die Nachricht von dem Konflikt aufnehmen, der ausbrach, weil Heinrich die ihm zugesagte Mitgift auch nach dem Tod seines Schwiegervaters Leopold von Österreich im Jahre 1230 noch nicht ganz erhalten hatte. Eine dauerhafte Lösung des Falles führte erst der Kaiser selbst herbei, indem er den noch fehlenden Rest der Mitgift aus seiner eigenen Kasse an Heinrich auszahlte. Er wollte mit seiner großzügigen Geste vermutlich Heinrichs Scheidungsplänen endgültig den Boden entziehen. Vor allem jedoch ging es ihm natürlich darum, den neuen österreichischen Herzog Friedrich, den künftigen Herrn der strategisch so bedeutsamen Länder im deutschen Südosten, ebenso fest an sich zu binden wie einst dessen Vater. Abgesehen von solch einzelnen Krisen missbilligte der Kaiser sicher ganz generell Heinrichs Umgang mit den deutschen Fürsten. Während er selbst damals mehr denn je auf die Zusammenarbeit mit ihnen setzte, entzog sich der König zunehmend ihrem Einfluss und Rat und geriet in wachsende Spannungen zu ihnen. Nach Friedrichs Einschätzung trug Heinrichs Regierungspraxis dem Königtum nur immer wieder neue Rückschläge ein, ohne ihm zum Ausgleich irgendwelche [26] Vorteile zu bescheren; ihm, dem Kaiser, aber drohte sie wichtige Helfer seiner imperialen Politik zu verprellen. Im Mai 1231 vermochte Heinrich immerhin einen beachtlichen territorialpolitischen Erfolg zu verbuchen: Er kaufte vom Habsburger Grafen Land und Leute von Uri für das Reich und sicherte sich damit den Zugang zu dem vermutlich seit etwa 1200 offenen Gotthardpass. Im Übrigen zeigte seine Tätigkeit während jener Monate freilich kaum ein ausgeprägtes Profil. Weder lässt sich eine besondere Städtefreundlichkeit feststellen, noch eine Annäherung an die Fürsten. Und das Verhältnis zu seinem Vater verschlechterte sich noch weiter, als dieser König und Fürsten Deutschlands für November nach Ravenna lud. Zweifellos erschwerten die Blockademaßnahmen der lombardischen Städte den Zuzug zum Kaiser; doch viele Fürsten stießen trotzdem zu ihm. Heinrich indessen blieb fern. Er suchte die Begegnung wohl tatsächlich zu vermeiden, wie eine Quelle behauptet, und machte offenbar gar keine Anstalten zum Aufbruch. So berieten und entschieden Kaiser und Reichsfürsten in Ravenna ohne ihn. Vor allem bestätigte Friedrich, die Wormser Beschlüsse vom Januar 1231 aufgreifend und erweiternd, die umfassende Regierungsgewalt

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der Erzbischöfe und Bischöfe in den Städten ihres Machtbereiches. Ohne ihre Erlaubnis durfte es künftig keinerlei Organe der städtischen Selbstverwaltung, keine Ratsversammlungen, Rektoren oder auch nur Handwerkerzünfte geben; wo derartige Einrichtungen schon bestanden, verloren sie jede Berechtigung. Vorwiegend deutschen Problemen widmete sich der Kaiser auch während seines anschließenden Aufenthalts in der Grafschaft Friaul. Auf fürstliche Bitten hin stellte er unter seinem eigenen Namen noch einmal jenes große Privileg zugunsten der Fürsten aus, das genau ein Jahr zuvor bereits sein Sohn Heinrich hatte gewähren müssen. Für den Kaiser gab es wohl keine Alternative zu diesem Schritt, wollte er seine wichtigsten Partner in Deutschland nicht ernsthaft gegen sich aufbringen. Er unterzog den Urkundentext allerdings offenkundig einer gründlichen Prüfung und erreichte immerhin einige kleine Verbesserungen zugunsten der Krone. Möglicherweise versprachen ihm die Fürsten [27] zudem als Gegenleistung militärische Hilfe in künftigen Auseinandersetzungen mit den Lombardenstädten. Zum meistbeachteten und folgenreichsten Ereignis der Apriltage zu Aquileia und Cividale wurde indessen ohne Zweifel die Begegnung Friedrichs mit seinem Sohn. Da Heinrich nach wie vor an alles andere, nur nicht an eine Reise zu seinem Vater zu denken schien, hatte dieser, gewiss recht verärgert, Ende Februar eigens seinen Reichskanzler, den Bischof Siegfried von Regensburg, nach Deutschland geschickt, um den König in kaiserlichem Namen zum Kommen zu bestimmen. Siegfried traf den jungen Herrscher Mitte März in Augsburg, und auf sein Drängen entschloss dieser sich endlich, der väterlichen Weisung Folge zu leisten. Unter Berufung auf die ihm angeblich von seinem Vater übertragene volle Verfügungsgewalt in Deutschland bestätigte er zuvor freilich noch den Wormser Bürgern ihre Freiheiten und ihren Rat – entgegen seinen eigenen, eben vom Kaiser feierlich wiederholten Bestimmungen zur Wahrung der bischöflichen Stadtherrschaft. Bereits in der ersten Aprilhälfte, noch bevor Verona in kaiserliche Hand fiel, stand er dann in Aquileia zum ersten Mal nach zwölf Jahren wieder vor seinem Vater. Leider erfahren wir nichts Näheres über den Verlauf des so lange hinausgeschobenen Treffens. Aber es dürfte kaum allzu herzlich dabei zugegangen sein. Zwar anerkannte Friedrich jetzt wohl in der Tat formell das uneingeschränkte Königtum seines Sohnes. Doch damit stellte sich aufs Neue in ganzer Schärfe das Problem, dass es zwei gleicherweise zur Regierung in Deutschland legitimierte Herrscher gab, und der Kaiser beeilte sich, diese Frage eindeutig in seinem Sinn zu klären. Er sicherte die abso-

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lute Dominanz seiner eigenen Stellung, indem er Heinrich in drastischer, für diesen geradezu demütigender Form zur strikten Unterordnung unter sein kaiserliches Gebot verpflichtete. Der König musste schwören, sein Regiment nach festen, von seinem Vater schriftlich formulierten Grundsätzen zu richten. Wir kennen deren Wortlaut leider nicht. Eine zentrale Rolle spielte jedoch offensichtlich die Forderung nach unbedingtem Gehorsam gegenüber allen väterlichen Weisungen und nach ausschließlichem Einsatz zum Nutzen und Vorteil des Kaisers wie wohl auch der Reichsfürsten. Diese [28] versprachen ihrerseits unter Eid, sobald Friedrich ihnen einen Eidbruch Heinrichs anzeige, würden sie ihre Treuebindung an den König für gelöst erachten und dem Kaiser gegen ihn Hilfe leisten. Für den Fall, dass Heinrich sein Gelöbnis nicht einhielt, stand demnach seine Absetzung im Grunde bereits fest. Der König sah sich genötigt, dieser Lösung zuzustimmen, ja sie sogar selbst bei den Fürsten zu betreiben. Anders hätte er seine Krone vermutlich nicht retten können. Die neue Regelung entschied unzweideutig über die Verteilung der Regierungsverantwortung zwischen Vater und Sohn und schuf insoweit immerhin die längst nötige Klarheit. Schwerlich nahm durch sie das Ansehen des deutschen Königtums an sich unmittelbaren Schaden, war es doch in der Person Friedrichs nach wie vor, durch das Kaisertum gewissermaßen überhöht, besonders eindrücklich präsent und wirksam. Ob der in aller Öffentlichkeit zurechtgewiesene und an den Willen des Vaters und der Großen gebundene Heinrich indessen nach einer solch schlimmen persönlichen Erfahrung die Herrschaft, auf sich selbst gestellt, überhaupt jemals noch angemessen und entschieden würde ausüben können, das scheint im Frühjahr 1232 niemanden bekümmert zu haben, auch nicht seinen Vater. Heinrich kehrte gewiss tief in seinem Stolz verletzt von dem Treffen mit seinem Vater nach Deutschland zurück. Gleich in Regensburg offenbarte sich seine Unsicherheit: Er stieß, vielleicht bei dem Versuch, die jüngsten antistädtischen Beschlüsse hier durchzusetzen, auf den massiven Widerstand der Bürger und verhängte, in seiner königlichen Würde schwer gekränkt, eine harte Strafe über die Stadt. Kurz darauf vergab er zwar den Missetätern, bestand jedoch auf der Zahlung der ihnen auferlegten Buße. Andere kirchenfreundliche Entscheidungen folgten. Daneben stehen freilich dem durchaus widersprechende Versuche, die Stadtbürgerschaft gegen ihren Bischof zu stützen, so in Metz und Worms. Allerdings hatten sich Kaiser und Fürsten bereits in Cividale mit einem schroffen Urteil speziell gegen das im März 1232 ausgestellte Privileg des Königs zugunsten der Wormser Bürger gewandt. Infolgedessen stieß Heinrich

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auch jetzt sofort auf heftigen Widerstand des Bischofs von Worms. Er sah sich rasch genötigt einzulenken, den bürgerlichen Rat in dessen Stadt zu verbieten und die [29] Neuordnung der dortigen Verhältnisse einem fürstlichen Schiedsgericht anzuvertrauen. Des Königs unklar-schwankendes Regiment weckte offenbar schnell wieder die alten väterlichen Vorurteile und Befürchtungen. Friedrich forderte den Trierer Erzbischof Dietrich auf, seinen Sohn persönlich an seinen in Cividale geschworenen Gehorsamseid zu erinnern, und der hohe Geistliche nützte vermutlich einen Hoftag im Frühjahr 1233, um Heinrich ins Gewissen zu reden. Mochten ihm dabei besonders eindringliche Worte zu Gebote gestanden oder eher konkrete Drohungen die entscheidende Rolle gespielt haben – jedenfalls tat der König nach der Unterredung einen ungewöhnlichen Schritt, um seine feste Bereitschaft zu künftigem Wohlverhalten zu beweisen: Er bat nun auch noch den Papst, ihn im Falle seines Eidbruchs auf Verlangen des Kaisers ohne weiteres zu exkommunizieren. An Grund zu neuen Spannungen fehlte es danach freilich keineswegs. In Deutschland wuchs in jenen Jahren die Kritik an der Kirche und die Neigung zu ketzerischen Glaubensvorstellungen, wenngleich wohl nicht in so dramatischem Ausmaß wie in Oberitalien oder Südfrankreich. Dennoch intensivierte Papst Gregor IX. hier jetzt ebenfalls die Bekämpfung der Häretiker. Er betraute zu diesem Zweck im November 1231 erstmals Dominikaner eigens mit der Aufgabe der Ketzerinquisition. Bereits einen Monat zuvor aber erhielt Konrad von Marburg den gleichen Auftrag, und er sollte in den nächsten beiden Jahren durch sein Wirken als Aufspürer und gnadenloser Richter der Ketzer vorwiegend am Mittelrhein zweifelhaften Ruhm erwerben. Selbst kirchentreue Zeitgenossen klagten, sein Eifer habe keine Entschuldigung, keine Ausnahme zugelassen, keinen Raum zur Verteidigung oder auch nur zur Überlegung gegeben. Verdächtige hätten nur die Wahl gehabt, sich schuldig zu bekennen und zu büßen, oder das Verbrechen der Ketzerei abzustreiten und verbrannt zu werden. Vermutlich seien sogar Unschuldige verbrannt worden – offenkundig geschah dies in der Tat. Auch die Großen der Gesellschaft ließ Konrad nicht ungeschoren, selbst einen vornehmen Herrn wie den Grafen Heinrich von Sayn (nördlich Koblenz), der am Hofe des Königs verkehrte, zitierte er vor sein Tribunal. [30] So sah sich König Heinrich im Juli 1233 genötigt, auf einem Hoftag in Mainz zusammen mit Erzbischöfen und Bischöfen des Reiches über die Praxis der Ketzerverfolgung zu beratschlagen. Konrad von Marburg, der auf dieser Versammlung ebenfalls anwesend war, konnte sich

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dort offenbar gegen den Grafen von Sayn nicht durchsetzen, weil seine Zeugen ihre früheren Aussagen als erpresst widerriefen. Mehr noch: Auf der Heimreise von dem für ihn unbefriedigenden Treffen wurde er ermordet, vermutlich von erbitterten, zum Äußersten entschlossenen Männern, die er ebenfalls angeklagt hatte. Ein zweiter, von zahlreichen geistlichen und weltlichen Fürsten besuchter Tag in Frankfurt im Februar 1234 ebnete dann nicht nur dem Grafen von Sayn den Weg zum endgültigen Freispruch. Vor allem einigten sich die Anwesenden auf ein umfangreiches Landfriedensgesetz, mit dessen Hilfe sie wieder Ruhe, Gerechtigkeit und eine geordnete Rechtsprechung im Reich herzustellen gedachten. Der richterlichen Gewalt trugen sie unter anderem auf, gegen die Ketzer einzuschreiten; sie geboten ihr aber auch ausdrücklich, dabei der Gerechtigkeit den Vorzug vor ungerechter Verfolgung zu geben. Wie Heinrich stand die Mehrheit der deutschen Geistlichkeit dem von Konrad praktizierten Verfahren mit seiner unbarmherzigen Härte, seinem fanatischen Übereifer und seinen grässlichen Folgen durchaus kritisch gegenüber. Papst Gregor jedoch spornte im Juni 1233 nicht nur den Kaiser, seinen Sohn und die Bischöfe Deutschlands, sondern in einem besonderen Brief gerade auch Konrad zu vermehrten Anstrengungen im Kampf gegen die Häresie an. Mit umso tieferem Schmerz erfüllte ihn kurz darauf die Nachricht von dessen Tod, den er als einen Herold des Himmelskönigs und unübertroffenen Eiferer für die kirchliche Freiheit rühmte. Einzelne deutsche Bischöfe teilten seine Auffassung, so Konrad von Hildesheim, mit dem König Heinrich in Frankfurt deswegen heftig zusammenstieß. Dass sich sein Sohn auf solche Art hervortat, fand beim Kaiser allerdings schwerlich viel Gefallen. Friedrich hatte ja im Februar und März 1232 mit seinen eigenen Ketzergesetzen und Weisungen die damals in Deutschland anlaufenden antihäretischen Maßnahmen des Papstes gezielt gefördert, weil er hoffte, eine entschiedene und verlässliche Ketzerpolitik vergrößere das Ver[31]trauen Gregors in seine Absichten und erleichtere deshalb ein päpstliches Entgegenkommen etwa in der Lombardenfrage. Jedes deutsche Zögern auf dem Felde der Häresiebekämpfung musste ihm aus dieser Perspektive als eine unangenehme Gefährdung seiner übergeordneten imperialen Interessen erscheinen. Andere Vorfälle trübten Friedrichs Verhältnis zu seinem Sohn noch stärker. Im August 1233 wandte sich Heinrich mit einem großen Heer, begleitet erstaunlicherweise vom Straßburger Bischof, aber offensichtlich auch von Erzbischof Siegfried von Mainz und Bischof Hermann von Würzburg, gegen Otto, den neuen Herzog von Bayern; Otto musste sich

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rasch unterwerfen, Gehorsam versprechen und seinen Sohn als Geisel stellen. Die Gründe für dieses kriegerische Unternehmen sind völlig unklar. Möglicherweise spielte das Zerwürfnis Heinrichs mit Ottos Vater Ludwig und dessen antikaiserliche Haltung und Ermordung noch immer eine Rolle. Heinrich selbst behauptete später, Otto habe sich offen dem Kaiser widersetzt; er nennt freilich keine näheren Einzelheiten, und schwere Vergehen des Herzogs, die einen regelrechten Feldzug gegen ihn rechtfertigen würden, lassen sich nicht erkennen. Vielleicht plante der König tatsächlich, wie man vermutete, Bayern – und wohl ebenso die Rheinpfalz – dem unmittelbaren staufischen Herrschaftsbereich einzugliedern. Er hätte dann mit militärischer Gewalt, ohne zureichenden Rechtsgrund und allein aus machtpolitischen Motiven die Vernichtung eines Reichsfürsten angestrebt. Weitere eindeutige Schritte in diese Richtung unterließ er freilich. Des Bayern Standesgenossen hätten ihm dabei wohl auch kaum allzu lange tatenlos zugesehen – am wenigsten seine unmittelbaren Helfer, der Mainzer und der Straßburger Bischof, die vermutlich in erster Linie die Hoffnung auf territoriale Gewinne in der Pfalz zu ihrem Auftritt auf seiner Seite bewog. Fürs Erste schien Heinrich indessen der Erfolg Recht zu geben. Auf dem schon erwähnten Frankfurter Hoftag vom Februar 1234 nahm er im Streit zwischen Graf Egino von Urach und dem Markgrafen Hermann von Baden um Forstrechte und um die Silbergruben im Breisgau für den damals auf seiner Seite stehenden Egino Partei. Er bestätigte nicht nur die auf einen Fürstenspruch gegründete Belehnung des [32] Urachers mit den umkämpften Gütern und Rechten, wogegen wohl nichts sprach, sondern brachte Hermann zudem dahin, dass er ihm seinen Sohn als Geisel stellte; überdies zwang er ihn, die einst mit Friedrich vereinbarte Pfandsumme für Lauffen a. N. und andere Städte herabzusetzen. Gleichfalls in Frankfurt entschied der König die Erbauseinandersetzung um Burg und Stadt Langenburg (nördlich von Schwäbisch Hall) gegen Gottfried von Hohenlohe zugunsten eines anderen, noch unmündigen Anwärters, dessen Namen er merkwürdigerweise nicht nennt – vielleicht handelte es sich um den Sohn seines Vertrauten, des Schenken Walter von Schüpf-Limpurg. Heinrich von Neuffen erhielt den Auftrag, gegen den des Landfriedensbruchs beschuldigten Gottfried vorzugehen, und zerstörte in der Tat einige Burgen der Herren von Hohenlohe. Die Quellen unterrichten uns über den Fall leider nur mangelhaft; dennoch darf man auch hier bezweifeln, dass alle Schritte des Herrschers eindeutig durch das Recht gedeckt waren.

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Wie das bayerische Herzogtum setzte zweifellos der Besitz der Badener und Hohenloher der staufischen Territorialpolitik Grenzen, die Heinrich mit seinen Aktionen unter Umständen zu beseitigen gedachte. Erneut stützte er sich dabei jedoch auf Bundesgenossen, die in der Vergangenheit als Hauptgegner der staufischen Expansion in Süddeutschland hervorgetreten waren und aus denen ihm im Erfolgsfall sofort wieder seine schärfsten Konkurrenten erwachsen mussten. Das gilt für Egino von Urach so gut wie für Bischof Hermann von Würzburg. Der kritisch beobachtende Kaiser hielt es deshalb wohl für höchst unwahrscheinlich, dass das Vorgehen seines Sohnes der staufischen Sache irgendeinen dauerhaften Nutzen bringen könnte. Umso schneller wurde er mit dessen negativen Folgen konfrontiert. Die davon Betroffenen wandten sich nämlich mit ihren Klagen in tiefer Empörung unmittelbar an ihn und fanden, wie Heinrich enttäuscht und erbittert registrierte, als bewährte Gefolgsleute seines Vaters sofort das kaiserliche Gehör. Friedrich machte die umstrittenen Maßnahmen seines Sohnes rückgängig und drohte ihm mit dem vollständigen Bruch bei der geringsten weiteren Verfehlung. Im Juli 1234 kündigte er überdies sein persönliches Erscheinen in Deutschland für den Sommer [33] 1235 an. Gleichzeitig veranlasste er, dass der Papst den deutschen König ebenfalls ein letztes Mal, wiederum durch Erzbischof Dietrich von Trier, eindringlich auf seine christliche Pflicht zur Elternliebe sowie auf seine durch Eid bekräftigten Verpflichtungen gegenüber Kaiser und Reichsfürsten und auf die Folgen eines Eidbruchs hinwies; nach Gregors Willen sollte Dietrich den König im Fall eines solchen Bruchs, wie von Heinrich selbst erbeten, ohne weiteres öffentlich exkommunizieren. Heinrich rechtfertigte sein Verhalten zwar Anfang September noch in einer langen Schrift an Konrad von Hildesheim, bat den Bischof, ihm mit anderen Fürsten zusammen einen Weg zum Ausgleich mit seinem Vater und zum Frieden im Reich aufzuzeigen, und sandte außerdem sogar den Erzbischof Siegfried von Mainz und den Bischof Ekbert von Bamberg als seine Fürsprecher an den kaiserlichen Hof zu Foggia. Er glaubte damals jedoch allem nach schon nicht mehr ernsthaft an die Möglichkeit einer Verständigung, denn kurz darauf tat er, besorgt über die näher rückende Deutschlandfahrt des Kaisers, die ersten Schritte zur offenen Empörung gegen ihn: Während eines Hoftages in Boppard (südlich Koblenz) warb er um Verbündete für sein Vorhaben. Unter den Fürsten gewann er indessen nur die Bischöfe von Würzburg, Augsburg, Speyer und Worms sowie den Abt Konrad von Fulda; daneben sympathisierte vielleicht sein Schwager, der Herzog Friedrich von Österreich, mit seiner Sache, und

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aus dem süddeutschen Adel traten Graf Egino von Urach-Freiburg, Heinrich von Neuffen und Anselm von Justingen an seiner Seite hervor. Die Städte im Elsaß und am Rhein nötigte er zur Stellung von Geiseln und zur Leistung eines Treueids, den nun gerade die Wormser Bürger standhaft verweigerten. Bündnisverhandlungen des deutschen Königs mit dem französischen scheiterten, aber die Unterredungen Anselms von Justingen mit dem Lombardenbund führten im Dezember zu einem Schutz- und Hilfsabkommen zwischen Heinrich und seinen Anhängern einerseits und Mailand sowie den ihm befreundeten Städten andererseits. Heinrich erhoffte sich von der Übereinkunft mit den entschiedensten und gefährlichsten Gegnern seines Vaters vermutlich, dass sie diesem den Zugang nach Deutschland verschließe. In den Augen des Kaisers aber [34] musste sie als unfassliches und ungeheures Verbrechen erscheinen; sie bewies aus seiner Sicht aufs Eindrücklichste die hochverräterischen, auf das Verderben des Imperiums zielenden Absichten seines Sohnes. Spätestens jetzt, wenn nicht schon auf die Kunde von den zu Boppard getroffenen Abmachungen, dürfte überdies Erzbischof Eberhard von Salzburg die Exkommunikation Heinrichs ausgesprochen haben. Die Kämpfe, die im November ausbrachen, konzentrierten sich zunächst auf den hohenlohischen Raum, wo Gottfried einer von Walter von Limpurg geführten und vom Bischof von Würzburg unterstützten Koalition gegenüberstand; zeitweise erschien hier sogar der König selbst. Kaum vom Kaiserhof zurückgekehrt, hatte sich dann Markgraf Hermann von Baden der Angriffe Heinrichs von Neuffen zu erwehren; er behauptete im Ganzen seine Position, konnte allerdings die Zerstörung des Stifts Backnang nicht verhindern. Um das Rheintal vollständig zu sichern, rückte König Heinrich schließlich im April 1235 mit einem großen Heer gegen Worms. Er belagerte die ihm hartnäckig trotzende Stadt jedoch vergeblich und zog sich nach diesem Misserfolg ohne weitere militärische Aktionen nach Oppenheim und Frankfurt zurück. Der Kaiser legte Ende Januar in einem ausführlichen Schreiben noch einmal die hauptsächlichen Verfehlungen seines Sohnes dar: Heinrich habe sich, pflichtvergessen sowohl gegenüber seinem Vater wie gegenüber den Fürsten, den Leuchten und Beschützern des Imperiums, gerade von den verlässlichsten und getreuesten Stützen der Herrschaft abgewandt und unter Bruch seines öffentlich geleisteten Eides die väterlichen Befehle missachtet, die Fürsten aber vielfach und unerträglich bedrückt und beleidigt. Ein solch gefährliches Beispiel dürfe nicht Schule machen;

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Haupt und Glieder des Imperiums, der Herrscher und die Fürsten seien vielmehr aufgerufen, den Anfängen in aller Strenge zu wehren. Mitte April 1235 brach Friedrich zu seiner Reise nach Deutschland auf. Überall strömten ihm, als er sich über Österreich, Bayern und Franken dem Rhein näherte, die Fürsten ohne Zögern zu. Die Überzeugung, dass Friedrich im Recht sei und unzweifelhaft als Sieger aus dem Zwist mit seinem Sohn hervorgehen werde, die klare päpstliche Stellungnahme [35] zu seinen Gunsten, das Zutrauen in seine Fähigkeit und seinen Willen, im Reich wieder Frieden und stabile Verhältnisse zu schaffen, und keineswegs zuletzt natürlich die Hoffnung auf persönliche Vorteile – all diese Gesichtspunkte mochten bei ihrer Entscheidung eine Rolle spielen, am wenigsten aber vermutlich die Faszination des südlich-fremdartig prangenden kaiserlichen Aufzuges. Nur ein einziger Zeitgenosse fand denn auch des Staufers Elefanten und Dromedare, Leoparden und Sarazenen der Rede wert, und wenn er Wagen um Wagen beladen mit Gold und Silber, mit edlen Stoffen und kostbarem Gerät an unseren Augen vorüber fahren lässt, dann übertreibt er wohl tatsächlich. Heinrich, der zunächst anscheinend noch vorhatte, sich auf dem Trifels zu verteidigen, gab unter dem Eindruck des väterlichen Triumphes und offenbar auch auf Zureden Hermanns von Salza rasch ganz auf. Er schickte Boten nach Nürnberg, die seinen Vater in seinem Namen um Verzeihung bitten, seine Unterwerfung ankündigen sollten. Als der Kaiser mit den zahlreichen Fürsten seines Anhangs auf dem Weg an den Rhein dann am 2. Juli in der Pfalz Wimpfen Halt machte, suchte sein Sohn mit einem kleinen Rest von Getreuen hier vor ihn zu treten, um seine Gnade zu erflehen. Friedrich aber lehnte es ab, ihn zu empfangen, ließ ihn vielmehr nach Worms mitführen. Erst dort, in jener Stadt also, die Heinrich einst gegen ihren Bischof gefördert, die er vor kurzem freilich ihrer Kaisertreue wegen noch bekämpft hatte, nahm sein Vater seine bedingungslose Unterwerfung an und begnadigte ihn. War ihm damit das Leben und womöglich auch die Freiheit zugesagt, so stand für Friedrich wie für die Reichsfürsten doch fest, dass er durch den Bruch seines Gehorsamsversprechens vom April 1232 die Fürsten der damaligen Übereinkunft gemäß ohne weiteres von ihren Treueiden entbunden, also seine königliche Herrschaftsgewalt verloren hatte; die Wähler König Konrads beriefen sich im Februar 1237 auf eben diese Rechtslage. Heinrich indessen scheint sich mit ihr nicht abgefunden, sich vielmehr geweigert zu haben, auf den Trifels mit den Reichsinsignien und damit auf die Königswürde tatsächlich zu verzichten. Wohl aufgrund dieses neuerlichen Aufbäumens gegen den kaiserlichen Willen [36] befahl

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Friedrich, ihn gefangen zu nehmen und zunächst dem Herzog Otto von Bayern zu übergeben. Zwar drohte von der schwäbischen Opposition um die Herren von Neuffen und Justingen und dem aus dem Hintergrund vorsichtig Hilfe gewährenden Grafen Egino von Urach bereits seit Ende Juni, seit ihrer Niederlage gegen die Truppen des Bischofs Heinrich von Konstanz im Ermstal keine ernsthafte Gefahr mehr. Dennoch fürchtete der Kaiser offenbar ein Wiederaufflackern der Unruhen und ließ seinen Sohn Anfang 1236 in die Burg San Fele bei Melfi, 1240 nach Nicastro (südlich Cosenza) bringen. Bei der Verlegung ins nahe gelegene Kastell San Marco machte Heinrich im Februar 1242 bei Martirano seinem Leben wahrscheinlich selbst ein Ende. Auf Anordnung seines Vaters wurde er im Dom zu Cosenza beigesetzt. Schon Heinrichs Zeitgenossen äußerten sich recht gegensätzlich über den jungen König. Positives hören wir von einzelnen Dichtern, zu deren Kreisen er freilich auch engen Kontakt pflegte. Obwohl er selbst keine Gedichte verfasste, verkehrten doch Minnesänger von Rang wie Gottfried von Neuffen, Ulrich von Singenberg, Burkhard von Hohenfels, Ulrich von Winterstetten und vielleicht der Tannhäuser, aber ebenso führende Vertreter der höfischen Epik wie Rudolf von Ems oder Ulrich von Türheim wenigstens zeitweise in seiner nächsten Umgebung. Ohne Vorbehalte rühmte denn auch der Tannhäuser Heinrichs erfolgreichen Einsatz für den Frieden im Reich, während Ulrich von Türheim seinen tiefen Schmerz über die Nachricht vom Tod des gefangenen Herrschers eingestand. Der Bruder Wernher pries voller Wohlwollen und Sympathie die Tugenden des jungen Staufers, und selbst Ulrich von Singenberg anerkannte dessen gute Anlagen. Er warnte freilich zugleich dringend vor schlechten Beratern und Unstetigkeit, und die bei ihm anklingende Skepsis schlug bei andern nach Heinrichs Erhebung gegen den Vater in offene Enttäuschung um. Wernher sah darin geradezu einen auf Einflüsterung des Teufels hin vollzogenen zweiten Sündenfall. Noch schwerer wiegt vielleicht, dass ein so erfahrener Beobachter des politischen Geschehens wie Walther von der Vogelweide den König allem nach bereits früh als mangelhaft erzogen, schlecht vorbereitet und ungeeignet für sein hohes Amt [39] charakterisierte und auch später die Verhältnisse am staufischen Königshof wiederholt tadelte und beklagte. Wenn geistliche Autoren, die dazu womöglich Heinrichs Gegnern nahestanden, mit ihrer Geißelung der angeblich in seinem Kreis verbreiteten Ausschweifungen und Laster Walthers Kritik noch weit überboten, mag dies nicht viel besagen. Bedenklich stimmt indessen, dass Abt Konrad von St. Gallen, gewiss ein wohlmeinender, vertrauter Mitarbeiter, Wal-

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thers Sicht bestätigte und seine Sorge über gewisse ungünstige Anlagen und Neigungen des Königs äußerte.

In der Pfalz Wimpfen suchte Heinrich im Juli 1235 vergeblich, die Gnade seines Vaters Kaiser Friedrichs II. zu erlangen. (Foto oben: Marburg, Bildarchiv Foto Marburg, KKB 4724; unten: Stuttgart, Landesbildstelle Württemberg, Neg. Nr. 52 446).

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Heinrichs Empörung scheint im übrigen nicht nur bei Bruder Wernher, sondern auch sonst ziemlich einhellig auf Unverständnis und Ablehnung gestoßen zu sein, eben weil es sich, wie immer wieder eigens betont wird, um eine Rebellion des Sohnes gegen den Vater handelte. Sogar Papst Gregor stellte das besonders Verwerfliche gerade dieses Vergehens heraus. Friedrich selbst verhielt sich nicht anders, als er Heinrichs Tod vor seinen Untertanen, vor der Geistlichkeit des Regnums und vor Margarete, der Witwe seines Sohnes, in tief bewegten, sicherlich aufrichtig empfundenen Worten beklagte.

Als Heinrich sich weigerte, auf den Trifels und die dort verwahrten Herrschaftszeichen des Reiches zu verzichten, ließ ihn sein Vater Friedrich II. festnehmen und Anfang 1236 nach Italien bringen. (Foto: Marburg, Bildarchiv Foto Marburg, Archiv-Nr. 779 575).

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Auch er verwies zur Rechtfertigung seines strengen Verhaltens dem Verstorbenen gegenüber noch einmal auf die Größe von Heinrichs Schuld: Dessen Verbrechen gegen den eigenen Vater habe eine harte Strafe unabdingbar gemacht; mit ihr habe er die Voraussetzung für Sühne und Besserung schaffen und insofern ein Zeichen der Liebe geben wollen, zugleich jedoch ein warnendes Beispiel für alle ähnlichen Fälle in der Zukunft.

Im Dom von Cosenza fand Heinrich (VII.) seine letzte Ruhestätte. Sein Leichnam wurde in einem antiken Sarkophag beigesetzt. (Foto oben: Karl-Heinz Rueß, Göppingen, unten: Walter Ziegler, Göppingen).

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Ganz unabhängig von irgendwelchen konkreten Regelungen des Rechts galt ihm wie den meisten zeitgenössischen Beobachtern Heinrichs Tat als der Bruch eines für das Zusammenleben der Menschen fundamentalen göttlichen und natürlichen Gebotes. Was bewegte Heinrich zu seinem verhängnisvollen Schritt? Wir wissen leider noch immer zu wenig über die Hintergründe und Motive seiner Maßnahmen, um darüber wie generell über sein Regiment ein zuverlässiges Urteil abgeben zu können. Sein Bemühen um einen weiteren Ausbau der unmittelbar staufisch-königlichen Territorien mithilfe eines sachkundigen Personals aus der Reichsministerialität und dem niederen Adel unterschied sich im Großen und Ganzen [41] zweifellos kaum von den gleichgerichteten Anstrengungen seines Vaters. Mit einem gewissen Recht konnte er deshalb noch im Herbst 1234 des Glaubens sein, er habe im Sinne des Kaisers regiert. Freilich schätzte er, der das deutsche Königtum nur in dem relativ gefestigten Zustand der zwanziger Jahre kannte, dessen Möglichkeiten offenbar optimistischer ein, als sie nach den Erfahrungen seines Vaters und wohl auch in Wirklichkeit waren. Vor allem jedoch haftet seinem Agieren als Herrscher etwas Unstetes und Sprunghaftes an. Auf unvermitteltes, gewaltsames Losschlagen folgte plötzliches Nachgeben. So konnte sich etwa selbst das vielfach bevorzugte städtische Bürgertum doch nie vor ungünstigen königlichen Entscheidungen sicher fühlen. Zwar arbeitete Heinrich bis zum bitteren Ende durchaus mit einzelnen Reichsfürsten zusammen. Er paktierte indessen vorzüglich mit solchen Vertretern dieser Gruppe, die über kurz oder lang zu seinen territorialpolitischen Gegnern werden mussten, während er umgekehrt viele altbewährte Helfer der staufischen Sache in den fürstlichen Reihen mit seinen Vorstößen und Eingriffen zum Widerstand trieb. Damit aber gefährdete er zugleich an einem zentralen Punkt Friedrichs auf Kooperation mit dem Fürstenstand setzende und angewiesene imperiale Politik. Allerdings machte es sich der Kaiser seinerseits gewiss zu einfach, wenn er von einem erwachsenen Herrscher, der ihn kaum kannte, völlig selbstverständlich die kindliche Unterwerfung unter ein gänzlich formales, von keinerlei persönlichen Beziehungen oder Bindungen getragenes Gehorsamsgebot gegenüber dem Vater erwartete. Um den Sinn für eine derartige Verpflichtung beim Sohn zu wecken und ihn zugleich für die eigene politische Konzeption zu gewinnen, hätte es der regelmäßigen väterlichen Zuwendung, des persönlichen Rates und Gespräches bedurft. Scheiterte der Sohn an seinen charakterlichen Schwächen und an mangelnder Einsicht in das dem deutschen Königtum Mögliche, so versagte der Vater bei der Aufgabe, dem Sohn diese Einsicht zu vermitteln.

IV. Nachleben Kaiser Friedrich II. – Mythos und Persönlichkeit

Kaiser Friedrich II. Abguss des Kopfes der Thronfigur vom Brückenkastell in Capua (entstanden zwischen 1234 und 1240). Gefertigt von dem Bildhauer Tommaso Solari um 1780, also kurz bevor französische Truppen im Jahr 1799 die Kaiserstatue köpften; seither ist der Kopf verschollen. Quelle: Gesellschaft für staufische Geschichte e. V. (Hg.): Die Staufer. Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst Bd. 19, Göppingen 2000, S. 119.

Erstdruck: Universität Stuttgart. Reden und Aufsätze, Bd. 73, Stuttgart 2006, S. 7-37.

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Dass der letzte Stauferkaiser Friedrich II., von dessen Persönlichkeit und deren Wahrnehmung durch die Nachwelt im Folgenden die Rede sein soll, dass Friedrich II. also bis heute von den Historikern sehr unterschiedlich, ja bisweilen geradezu gegensätzlich beurteilt wird, dieses Schicksal teilt er mit vielen anderen Gestalten der Vergangenheit. Wie wenige sonst aber wurde er darüber hinaus durch die Jahrhunderte und bis in unsere Zeit wieder und wieder zu einer Schlüsselfigur der Imagination, mit der die Menschen ihre Erwartungen oder auch ihre Ängste verbanden, die sie übersteigernd und mythisierend verklärten oder verteufelten. Die Beschäftigung mit dem derart ins Überindividuelle, Allgemeingültige Gehobenen, die Annäherung an ihn gab ihnen Hoffnung, Ansporn und Ermutigung angesichts der Probleme ihrer eigenen Gegenwart oder bot doch immerhin die Möglichkeit, diese Gegenwart zu verstehen und zu deuten, einen tieferen Sinn im äußeren Geschehen zu entdecken.

Ernst Kantorowicz (1895-1963). Seit 1932 Professor in Frankfurt a. M., 1934 Emeritierung, 1938 Flucht in die USA; seit 1939 Professor an der University of California in Berkeley, 1951-1963 Professor am Institute for Advanced Study, Princeton. Quelle: Selected studies by Ernst H. Kantorowicz, Locust Valley/New York 1965, Frontispiz.

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[8] Die zweifellos bedeutendste und eindrucksvollste, dazu bis in unsere Tage wirkungsmächtige Mythisierung des Staufers stammt gewiss von Ernst Kantorowicz. Enthusiastisch fasste er am Schluss seiner 1927 erschienenen Friedrich-Biographie das zusammen, was ihm an seinem Helden als wesentlich galt. „Friedrich II.“, so heißt es da, „mit dem das Reich [9] schloss und die Frucht aufsprang, reichte als Priester noch in die Himmel Gottes hinauf, dröhnte als Kaiser über das Erdenrund hin und stieß als Tyrann bis in die tiefsten Höllen hinunter, um mit den himmlischen und irdischen Mächten auch die von der Kirche für ein Tausendjahr gebannten Dämonen und Kräfte der unteren Welten aufzurühren und in sein Gesamt einzubeziehen: Gottessohn Weltenrichter Widerchrist zugleich. Der Staufer hat als Erster die Spannung von Himmel und Hölle gezeigt und damit als Erster die Kluft geschlossen. Er, Heiland und Antichrist zugleich, der erste Gottlose und der erste von sich aus göttliche, nicht durch die Kirche heilige Mensch, hatte diese zwiegesichtige Einheit herbeigezwungen durch die Gottheit Justitia, durch das kaiserliche Weltrichter- und Welträchertum“. Unverkennbar überschritt der Autor damit die Grenze von der wissenschaftlich begründeten Argumentation zur Glaubensaussage. Er schuf aus den äußerst gegensätzlichen Stellungnahmen von Friedrichs Zeitgenossen das moderne Gemälde einer ins Übermenschlich-Unbegreifliche gehobenen Gestalt, eines wahrhaft überragenden Individuums, kurz: das Bild jenes idealen, sich kraftvoll, genialisch und unbeschränkt entfaltenden Herrschers, den er wie seine Gesinnungsgenossen aus dem George-Kreis als den Retter an der Spitze des „geheimen Deutschland“ ersehnte. Doch nicht nur er selbst und seine Bundesbrüder, auch viele seiner Leser erkannten in dem solcherart zum Sinnbild herrscherlichen Menschentums stilisierten Kaiser damals, am Ende der Weimarer Republik, ein ihrer eigenen Zeit Richtung und Ziel weisendes Vorbild – der Erfolg des Kantorowiczschen Werkes lässt sich nur so erklären. Zwar tadelte Friedrich Baethgen, der Freund, sicherlich zutreffend, Kantorowicz habe die Ideologien aus dem „imperialen Vorstellungskreis“ ungeprüft und unbewiesen für die Wirklichkeit, „die Geste also für die Tat genommen“; zwar stellte Albert Brackmann scharf ablehnend fest, der Biograph schildere Friedrich „in mythischer Schau“ und damit wissenschaftlich vollkommen unzulänglich. Trotzdem bekannte ein so sachlich-nüchterner Gelehrter wie der Amerikaner Thomas Van Cleve 1972 am Ende seines Friedrichbuches, ganz offenbar noch immer stark von Kantorowicz geprägt, die Geschichte kenne niemanden, der dem Staufer auch nur annähernd gleichkomme. Wenn der Cambridger Historiker David Abulafia sich 1988 dann mit großer Energie um den Nach-

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weis bemühte, Friedrichs Begabung und Leistung hätten, wo immer man hinblicke, kaum das für Herrscher seiner Epoche übliche Niveau erreicht und er sei durchweg unoriginell von älteren, etwa arabischen oder normannischen Vorbildern abhängig gewesen, so scheint hier umgekehrt der Kampf gegen Kantorowicz’ übermächtigen Friedrich-Mythos geradezu so etwas wie einen negativen Gegenmythos hervorzubringen. Einen ähnlichen Eindruck gewinnt man bei der Lektüre der 1998 publizierten umfangreichen Studie des Italieners Francesco [10] De Robertis zum Thema „Friedrich II. in Mythos und Wirklichkeit“.

Friedrich Baethgen (1890-1972). Professor in Heidelberg, Königsberg und Berlin; 19471958 Präsident der Monumenta Germaniae Historica (seit 1949 in München), 1956-1964 Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Gemälde von Fritz Kaiser (1891-1968). Quelle: Fuhrmann, Horst: „Sind eben alles Menschen gewesen“ – Gelehrtenleben im 19. und 20. Jahrhundert, dargestellt am Beispiel der Monumenta Germaniae Historica und ihrer Mitarbeiter, München 1996, S. 63.

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Dort nämlich geht die Entlarvung des ghibellinischen, also positiven Friedrichmythos als Lug und Propaganda einher mit der vollständigen Bestätigung des päpstlich-guelfischen Gegenbildes, das den Staufer als einen gänzlich amoralischen, von Haremsdamen umgebenen Tyrannen zeigt, der sein Volk grausam knechtete und jeden Ungehorsam so brutal und heimtückisch niederschlug wie Hitler den Röhmputsch, der vor allem jedoch, gottlos und ohne jeden Glauben, durch seine offene Zusam-[11] menarbeit mit den islamischen Machthabern der Christenheit schweren Schaden zufügte, die römische Kirche verriet und letztlich beabsichtigte, nach der Beseitigung des Papsttums als absolut unantastbarer, weil höchste geistliche wie weltliche Autorität besitzender Gewaltherrscher über seinen Untertanen zu thronen.

Friedrich Gundolf (1880-1931). Germanist, 1917-1931 Professor in Heidelberg; gehörte zum Kreis um S. George, unter dessen Einfluss seine Hauptwerke entstanden („Goethe“, 1916; „Caesar. Geschichte seines Ruhms“, 1924; „Shakespeare. Sein Wesen und Werk“, 1928). Quelle: Barner, Wilfried: Von Rahel Varnhagen bis Friedrich Gundolf: Juden als deutsche Goethe-Verehrer (Kleine Schriften zur Aufklärung Bd. 3), Göttingen 1992, S. 37.

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Stefan George (1868-1933). Suchte seine Zeit und insbesondere die ihn als „Meister“ verehrenden Mitglieder seines Freundeskreises durch sein dichterisches Werk als Seher und Lehrer zu den dort gefeierten Urbildern menschlichen Schöpfertums, überragender Größe, Schönheit und Würde hinzuführen und für sie zu begeistern. Quelle: Stefan George mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, dargestellt von Franz Schonauer, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 156.

[13] Ernst Kantorowicz’ kunstvoll ins Heroische gesteigertes Friedrich-Bild entstand natürlich nicht ohne Anregungen und Vorbilder. Der Literarhistoriker Friedrich Gundolf, der Biograph Goethes, Caesars und Shakespeares, hatte dem Heidelberger Studenten der Nationalökonomie nicht nur die Aufnahme in Stefan Georges Jüngerkreis ermöglicht und

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den persönlichen Zugang zum Meister vermittelt, sondern ihn wohl auch zur Geschichtsschreibung gewiesen und insbesondere auf die Gestalt Friedrichs II. aufmerksam gemacht. Der Stauferkaiser erschien ihm, Gundolf, nämlich durch Tun und Haltung, durch sein „weltliches Heldentum“, durch das Bewusstsein der eigenen Heiligkeit, ja Göttlichkeit, als der nach Jahrhunderten erste würdige Nachfolger Julius Caesars, als der spezifisch mittelalterliche Repräsentant zeitlos-ewiger menschlicher Größe, dessen einzigartigen Rang an der Seite von Alexander und Caesar einerseits, von Napoleon, Nietzsche und George andererseits eine auf das Überzeitlich-Wesentliche zielende Darstellung zur Anschauung zu bringen hätte. Der hier von Gundolf in besonderer Weise herausgehobene Philosoph Friedrich Nietzsche spielte im Freundeskreis Georges und vor allem im Denken Stefan Georges selbst in der Tat eine bedeutsame Rolle. Wie jener verurteilte George die modernen Zeitströmungen, suchte und feierte er die allein Sinn und Maßstab verheißenden, an das Göttliche reichenden Urbilder menschlicher Größe und Schöpferkraft, Schönheit und Würde. Friedrich Nietzsche seinerseits hatte seine Ablehnung aller metaphysischen Annahmen und Jenseitshoffnungen in den Werken seiner letzten Schaffensperiode, während der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts, mit ebenso kompromissloser Schärfe verkündet wie seinen Glauben an die allein rettende Mission des zur Herrschaft berufenen, kraft- und lebensvoll die Idee der Freiheit mit allen ihren Konsequenzen verwirklichenden Übermenschen. Wieder und wieder berief er sich dabei auf das Beispiel und Vorbild Friedrichs II., der ihm als „der große Freigeist, das Genie unter den deutschen Kaisern“ galt und, seines kühnen Kampfes gegen die römische Kirche wegen, als „der Atheist und Kirchenfeind comme il faut“. In einer Epoche der Auflösung und des Übergangs lebend, vom Erbe gegensätzlichster Triebe und Wertmaße geprägt, suchte der Staufer nach dem Urteil Nietzsches nicht wie die meisten in einer solchen Situation „das Glück des Ausruhens und der Sattheit“; er fand vielmehr gerade darin Lebensreiz und Lebensinhalt, dass er den Kampf zwischen den seiner eigenen Natur wie seiner Zeit innewohnenden Widersprüchen bewusst und entschieden austrug und mit Meisterschaft führte. So aber entstehen nach Nietzsches Überzeugung „jene zauberhaften Unfass[14]baren und Unausdenklichen, jene zum Siege und zur Verführung vorherbestimmten Rätselmenschen, deren schönster Ausdruck Alcibiades und Caesar sind, denen ich gerne jenen ersten Europäer nach meinem Geschmack, den Hohenstaufen Friedrich II. zugesellen möchte“.

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Friedrich Nietzsche (1844-1900). 1869-1879 Professor der Klassischen Philologie in Basel, bedeutungsvolle Bekanntschaft mit J. Burckhardt; lebte danach in der Schweiz und in Italien, nach einem Zusammenbruch 1889 in geistiger Umnachtung in Naumburg und Weimar. Quelle: Friedrich Nietzsche in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, dargestellt von Ivo Frenzel, Reinbek bei Hamburg 1976, S. 6.

[15] Vermutlich lenkte Jacob Burckhardt, der Baseler Historiker und Kollege, Nietzsches Blick auf Friedrich, obgleich der Staufer keineswegs etwa im Mittelpunkt von Burckhardts Schaffen stand. Recht kurz nur ging er zu Beginn seiner 1860 erschienenen, viel gelesenen Darstellung der „Kultur der Renaissance in Italien“ auf ihn ein, hob dabei allerdings seine Leistungen bei der Umgestaltung des sizilischen Königreiches

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durchaus hervor. Er sprach gar davon, dass damals „ein neues Lebendiges in die Geschichte eingetreten“ sei: „der Staat als berechnete, bewusste Schöpfung, als Kunstwerk“; er ließ das derart charakterisierte friderizianische Staatswesen geradezu als Vorbild und Muster des für die italienische Renaissance dann bestimmenden Staatstyps erscheinen und nannte dessen Schöpfer in einem vielzitierten Wort den „ersten modernen Menschen auf dem Thron“.

Jacob Burckhardt (1818-1897). 1858-1893 Professor in Basel, beeinflusste das Friedrich-Bild seiner Mit- und Nachwelt stark durch seine knappe Skizze zu Beginn seines weit verbreiteten Werks „Die Kultur der Renaissance in Italien“ (1860). Quelle: Teuteberg, René: Wer war Jacob Burckhardt?, Basel 1997, S. 2.

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Wohl lieferte Burckhardt mit seiner knappen Friedrich-Skizze der Sehnsucht des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts nach dem alle Maßstäbe sprengenden, wahrhaft großen Individuum einen bald aufgegriffenen und intensiv verwerteten Hinweis. Er selbst freilich sah den Stauferkaiser wie sein sizilisches Königreich im Ganzen doch vorwiegend negativ; vor allem die düster-problematischen Züge der Moderne glaubte er dort bereits deutlich zu erkennen. Recht drastisch benannte er die bedenklichen Folgen des von dem Herrscher eingeführten neuartigen „Regierungsmechanismus“, die „grausam beigetriebenen Steuern“ etwa und ganz generell die Wandlung des Volkes zum „kontrollierbaren Haufen von Untertanen“, die den Maßnahmen des staufischen Tyrannen und seines Regierungsapparates schutzlos preisgegeben gewesen seien. Burckhardt bezog seine Informationen über Friedrich und dessen Staat im Wesentlichen aus dem 1844 publizierten Friedrich-Buch des Münchener, dann Prager Geschichtsprofessors Constantin Höfler, aus einem Werk demnach, das den Kaiser aus dezidiert katholischer Sicht als einen rücksichtslosen, amoralischen Gewaltmenschen darstellte, vor allem als einen erbitterten Feind und Verfolger der Kirche, der am Ende freilich mit seiner Auflehnung gegen die höhere kirchliche Friedensordnung notwendig scheiterte, ja sogar seine eigenen Reiche damit zugrunde richtete. Kaum anders urteilte in jenen Jahren indessen auch ein Protestant, der Frankfurter Johann Friedrich Böhmer nämlich, Jurist, Privatgelehrter und verdienstvoller Erstbearbeiter der Friedrich-Regesten. Ganz von seinem der katholischen Romantik verpflichteten, idealisierenden Mittelalterbild bestimmt, kritisierte auch er den Staufer scharf als einen zügellosen, dem Laster ergebenen und zu jedem Betrug fähigen Menschen. Heftig brandmarkte er zudem die bereits an Machiavelli erinnernde, „orienta[16]lischgewaltsame und nur auf persönliche Zwecke gerichtete Politik“ des „Tyrannen, der alle unglücklich machte“. Insbesondere sein Kampf gegen seine päpstlichen Wohltäter und die Kirche offenbare nicht nur seine krasse Undankbarkeit und Selbstsucht, mit ihm habe er überdies die Einheit und den Glanz des mittelalterlichen Kaiserreiches zerstört. Die Repräsentanten der Kirche aber beugten sich seinem brutalen Zugriff [17] auch in der äußersten Not nicht, weil nach Böhmers Überzeugung andere und heiligere Beweggründe sie aufrecht hielten als der Egoismus, den man ihnen so oft unterschiebe. „Welcher Unbefangene“, so rief er aus, „könnte zweifeln, auf welche Seite er sich mit seiner Teilnahme, ja mit seiner Bewunderung zu stellen habe“.

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Johann Friedrich Böhmer (1795-1863). Jurist und Privatgelehrter in Frankfurt a. M., einer der ersten Mitarbeiter der Monumenta Germaniae Historica, deren Projekte er aus seinem eigenen Vermögen unterstützte; erster Bearbeiter der Regesten Friedrichs II. Quelle: Fuhrmann, Horst: „Sind eben alles Menschen gewesen“ – Gelehrtenleben im 19. und 20. Jahrhundert, dargestellt am Beispiel der Monumenta Germaniae Historica und ihrer Mitarbeiter, München 1996, S. 34.

[18] Natürlich fehlte es auch schon zu Böhmers Zeit keineswegs an Übersteigerungen, die in die entgegengesetzte Richtung zielten und statt des Bildes vom Tyrannen und gottlosen Kirchenverfolger jenes von dem staufischen Helden zeichneten, der gegen die universalistisch-hierokratische päpstliche Gewalt und die widerborstigen Lombarden einen bewundernswerten Kampf um die Realisierung seiner fortschrittlichen, auf Gesetzgebung und Zentralität der Verwaltung gegründeten Staatsord-

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nung ausfocht. Diese Tendenz verfolgte bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts Friedrich von Raumers Staufergeschichte; sie prägte in den 60er Jahren dann eher noch nachdrücklicher etwa Friedrich Wilhelm Schirrmachers umfangreiche Friedrich-Biographie. Burckhardt, Höfler und Böhmer, von Raumer und Schirrmacher ging es nicht so sehr wie den anfangs vorgestellten späteren Friedrich-Deutern um die emphatische Feier individueller Größe und Einzigartigkeit oder um deren entschiedenes Abstreiten. Sie maßen den Staufer vielmehr an allgemeinverbindlichen Kriterien. Ihr Urteil richtete sich freilich nach ihren je eigenen moralischen, politischen oder gesellschaftlichen Grundsätzen und Idealen und es fiel eben deshalb auch bei ihnen recht gegensätzlich aus; gerade die Festigkeit und Tiefe ihrer Überzeugungen verleitete auch sie zur Mythisierung Friedrichs, zur Stilisierung seiner Person ins Heroisch-Positive oder Abgründig-Böse. Kaum anders verhielt es sich im Übrigen mit der Wahrnehmung und Bewertung des Herrschers durch die vorhergehenden Jahrhunderte bis hin zur Reformation und Gegenreformation, und grundsätzlich wiederholte die Neuzeit unter veränderten Rahmenbedingungen ohnehin vielfach nur das, was das Spätmittelalter bereits vorgebildet hatte. Davon soll deshalb nun die Rede sein. Friedrichs überraschender Tod im Dezember 1250 stürzte nicht nur die staufische Herrschaft in eine schwere Krise; er verunsicherte auch des Kaisers joachitische Gegner zutiefst. Es handelte sich dabei um einen Kreis von Franziskanern, die sich intensiv mit den Schriften des 1202 verstorbenen kalabresischen Abtes Joachim von Fiore beschäftigten und aus ihren Studien unter anderem die sichere Erkenntnis gewonnen hatten, die von Joachim prophezeite dritte Weltepoche, das vom Mönchtum und, wie sie glaubten, in erster Linie von ihrem Orden geprägte, glückselige Zeitalter des heiligen Geistes werde im Jahre 1260 anbrechen, allerdings nach furchtbaren Kämpfen und nach dem zur Läuterung der Kirche notwendigen Schreckensregiment des ersten Antichrist. Dass es sich bei diesem um Friedrich II. handle, schien in Anbetracht der von ihm bereits begangenen Untaten gewiss. Freilich kam nun sein Tod um 10 Jahre zu früh. Salimbene von Parma, einer der bekanntesten Joachiten, erzählt in seiner großen, zwischen 1282 und [19] 1288 niedergeschriebenen Chronik denn auch, dass er und mit ihm viele andere Menschen lange am Tod des Kaisers gezweifelt hätten. Er bringt diese Tatsache in Verbindung mit der bereits kurz vor 1250 als Spruch der Sibilla Erithea in Umlauf gebrachten Prophezeiung über Friedrichs Tod: „Im Verborgenen wird er sterben und weiterleben; tönen wird es unter den Völkern: Er lebt und er lebt nicht – vivit, non vivit“.

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Wie die meisten seiner Gesinnungsgenossen sagte sich indessen auch Salimbene, wie er selbst bekennt, nachdem die für das Jahr 1260 angekündigte große geschichtliche Wende ausgeblieben war, endgültig von seinen liebgewordenen joachitischen Grundüberzeugungen los. Freilich beschäftigte ihn die Persönlichkeit Friedrichs II. auch danach stark. Mehr als zwanzig Jahre später würdigte er in seiner umfangreichen Cronica durchaus Friedrichs hohe Begabung und scheute sich nicht, ihm eine Reihe sympathischer Eigenschaften zuzuerkennen. Als das für die Beurteilung des Staufers zentrale Merkmal, als der alle positiven Seiten gänzlich zerstörende, das Wesen und Schaffen des Kaisers völlig prägende Grundzug galt ihm jedoch nach wie vor dessen Wirken als Verfolger der Kirche. Die Kirche, die ihn als Kind genährt hatte, suchte der Undankbare ein Leben lang zu bekämpfen und zu zerstören, als ein Mann ohne christlichen Glauben und ohne Gottvertrauen, erfüllt von unstillbarer Herrschsucht, von Verschlagenheit und Geiz, Laster und Völlerei. Aberglauben, wahnhafte Irrtümer und Perversitäten aller Art glaubte ihm Salimbene folgerichtig nachweisen zu können. Um seiner Missetaten willen schlug ihn Gott nach unseres Autors Schilderung mit vielfachem Unglück, und keineswegs zufällig trafen die auf Tyrannen vom Schlage eines Antiochos Epiphanes, ja auf Luzifer selbst gemünzten Worte und Weissagungen der biblischen Seher vielfach bis ins einzelne auch auf Friedrich zu. Seinem schlimmen Leben entsprach ein schlimmer Tod: Des widerlichen Gestanks wegen, der von seinem Leichnam ausging, konnte der tote Kaiser nicht nach Palermo gebracht und in der dortigen Kathedrale neben seinen Vorfahren bestattet werden. Mit ihm endete die Macht des Imperiums, und bald nach ihm erlosch sein Geschlecht. So bewahrte das Friedrichbild des im Alter seine Lebenserinnerungen notierenden franziskanischen Chronisten ganz augenscheinlich vieles, was ihm und seinen Ordensbrüdern einst kennzeichnend für den Staufer gewesen war. Dieser blieb wie vordem der gottlose und tyrannische Herrscher schlechthin, der Prototyp des Kirchenfeindes und Kirchenverfolgers. Als solcher erschien er im Übrigen in der stark von der Sicht der Franziskaner und Dominikaner geprägten kirchennahen Geschichtsschreibung ganz allgemein, und sie beherrschte das Feld bis ins 15. Jahrhundert hinein. [21] Als exemplarisch dafür kann der Dominikaner Martin von Troppau gelten, der in den 1270er Jahren sein bald als eine Art Handbuch viel benutztes und außerordentlich einflussreiches Chronicon schrieb.

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Salimbene de Adam, Cronica, Vat. lat. 7260, fol. 309r. Der Franziskaner aus Parma (1221- nach 1288) verfasste seit 1282 in Reggio nell’Emilia seine Chronik, in der er, der weitgereiste Mönch, die Geschichte seit 1168 bis 1287/88 aus entschieden päpstlicher Sicht und bereichert durch viele eigene Erlebnisse schilderte. Das Werk ist nur in dem von ihm selbst geschriebenen Codex Vat. lat. 7260 der Biblioteca Vaticana, Rom, überliefert. Quelle: Cronica fratris Salimbene de Adam ordinis Minorum, ed. Oswald Holder-Egger, in: MGH SS 32 (Nachdr. d. Ausg. 1905-1913, Hannover 1963), Tafel III b, f. 309.

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Der Kaiser tritt dort unverkennbar als Widersacher und Erzfeind der Kirche auf, die ihn einst erzog und die er nun zerfleischte. Seine Absetzung, seine schwere Krankheit und sein Tod als Exkommunizierter ohne Empfang der Sakramente erscheinen gleicherweise als adäquate Resultate seines verwerflichen Lebens, und zu dem düsteren Gesamtbild passt trefflich der Umstand, dass ihn nach Martins Bericht sein herrschbegieriger Sohn Manfred auf dem Sterbelager mit einem Kissen erstickte. Die führenden Chronisten des 14. Jahrhunderts übernahmen von ihren Vorgängern in der Regel das negative Bild Friedrichs als des Kirchenfeindes und Verächters des christlichen Glaubens. Der Zisterzienserabt Johann von Viktring in Kärnten etwa urteilte so, und sein Zeitgenosse, der Franziskaner Johann von Winterthur, kam zu einer ganz entsprechenden Gesamtbewertung. Grundsätzlich nicht anders als die beiden Deutschen äußerte sich damals der Florentiner Geschichtsschreiber Giovanni Villani über den Kaiser. Kirchennahen Autoren galt Friedrich II. also lange Zeit hindurch als die Verkörperung des Kirchenverfolgers schlechthin. Diese Sicht gab ihrer Deutung der Geschichte einen festen Maßstab und verlässlichen Bezugspunkt; sie bestätigte ihnen und ihren Lesern Gottes letztlich gerechtes, die Kirche bewahrendes Regiment. Zugleich bot sie die Möglichkeit, die Zeitgenossen anhand eines markanten historischen Beispiels über Tendenzen der eigenen Gegenwart warnend oder ermutigend aufzuklären und die eigene Position dazu glaubhaft und schlüssig zu begründen. An Bedrohungen der Kirche durch eigensüchtige Herrscher fehlte es ja nach wie vor keineswegs, ob man dabei an das widerrechtliche Regiment der Aragonesischen Könige auf Sizilien dachte, an die Bedrückung der französischen Kirche durch Philipp IV. oder an die Usurpation des Kaisertums durch Ludwig von Bayern. Die im Spruch der Sibylle anklingende Erwartung, dass Kaiser Friedrich II. nach seinem Tod weiterlebe und in der eigenen Person oder doch in seinen Nachkommen gegenwärtig bleibe, war auch unter des Kaisers Anhängern von Anfang an lebendig. Im Kreis um seinen Sohn Manfred hoffte man wohl nicht zuletzt, durch die Propagierung dieser Vorstellung werde sich die Autorität des Verstorbenen am unmittelbarsten und sichersten auf seine Nachkommen übertragen lassen. Manfred selbst sprach von der einen Sonne, die im Vater untergegangen sei, nun aber in König Konrad IV., also Manfreds legitimem Bruder, wieder aufgehe, [22] Gerechtigkeit und Frieden ausstrahlend wie je. Wenig später bezeichnete der kaiserliche Notar Petrus de Prece den verstorbenen Herrscher in einem

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Brief ganz ähnlich als den Adler aus dem Osten, der in seinen Jungen weiterlebe, ja von ihnen noch übertroffen werde. Die Stauferanhänger in Deutschland wie die Ghibellinen Italiens verbanden ihre Hoffnung auf ein neues glanzvolles Aufblühen der staufischen Herrschaft, auf die Vollendung des von Friedrich II. Begonnenen und auf die Aufrichtung des ersehnten Friedensreiches nach Konrads IV. Tod zunächst mit Manfred und Konradin, danach seit 1269 sehr ernsthaft mit dem 1323 verstorbenen Wettiner Friedrich I., Markgraf von Meißen und Landgraf von Thüringen, dem Sohn der Kaisertochter Margarethe. Nicht anders sahen die Helfer und Förderer Friedrichs III., seit 1296 König des Inselreiches Sizilien und über seine Mutter Konstanze ein Urenkel Friedrichs II., in ihrem Herrn jenen dritten Friedrich, den Weissagungen durchaus positiv als den künftigen Kaiser und den Lenker eines weltumspannenden Imperiums angekündigt hätten. Noch mit dem Habsburger Kaiser Friedrich III. verbanden sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ähnliche Prophezeiungen und Hoffnungen, obwohl er selbst eine solche Identifizierung entschieden ablehnte. Bei vielen Zeitgenossen jedoch und gerade auch in weiten Kreisen des einfachen Volkes verfestigte sich bald und nicht zuletzt wohl wegen des so plötzlichen, überraschenden Todes Kaiser Friedrichs II. der Glaube, der Staufer sei nur scheinbar tot, er lebe im Verborgenen weiter und werde einst persönlich wiederkommen, um sein Werk des Friedens und der Gerechtigkeit zu Ende zu führen. Bereits im Sommer des Jahres 1257 hören wir denn auch von einem Goldschmied aus San Gimignano in der Toskana, der mit sechs anderen Männern vor einem Notar eine Wette darüber abschloss, dass der Staufer noch lebe und bald wieder öffentlich auftreten werde. In Deutschland, wo man ohnehin keine genaue Kenntnis vom Tod Friedrichs II. im fernen Apulien hatte, suchten während der beiden letzten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts, in einer Zeit also, als sich kaum noch jemand an den echten Kaiser erinnern konnte, in der Tat nacheinander fünf Männer ihr Glück als wiederkehrende Friedriche. Der Eremit Heinrich, der 1284 im Elsaß als Kaiser Friedrich von sich Reden machte, scheint keinen großen Erfolg gehabt zu haben. Drei Jahre später allerdings vermochte in Lübeck ein Mann mit dem Anspruch, der letzte Stauferkaiser zu sein, die einfache Bevölkerung der Stadt auf seine Seite zu ziehen. Erst dem Bürgermeister, der Friedrich offenbar noch selbst gesprochen hatte, gelang es schließlich, ihn zu entlarven. Etwa gleichzeitig zog durch [23] viele Städte und Dörfer am Niederrhein ebenfalls ein Pseudo-Friedrich und erregte weithin Aufsehen, ehe er in Gent verhaftet

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und hingerichtet wurde. 1295 endete ein falscher Friedrich in Esslingen als Ketzer auf dem Scheiterhaufen. Am erfolgreichsten und spektakulärsten agierte zweifellos Dietrich Holzschuh, seiner Herkunft nach vielleicht ein Bauer oder Handwerker. Zwar endete sein erster Auftritt als Kaiser Friedrich II. 1283 recht kläglich: Die Kölner verspotteten und vertrieben ihn. Die Bürger der benachbarten Stadt Neuss aber nahmen ihn auf, unterstützten ihn und verweigerten die Auslieferung an den Kölner Erzbischof. Schnell anerkannten ihn auch andere Städte und adlige Herren. Er empfing ihre Gesandtschaften, bestätigte Privilegien und konnte mit Genugtuung registrieren, dass selbst lombardische Städte und der Markgraf von Este Boten entsandten, um vorsichtshalber Kontakt mit ihm aufzunehmen. Zweifel an seiner Identität vermochte er offenbar kenntnisreich zu zerstreuen, Verdacht erregte allerdings sein zu geringes Alter. Vielleicht um seinen Einflussbereich auszudehnen, zog Dietrich im Frühjahr 1285 nach Wetzlar, das damals mit König Rudolf wegen dessen Steuerpolitik im Streit lag. Sogar die patrizische Führungsschicht entschied sich dort zunächst für ihn. Als der König sich dann jedoch zur Belagerung der Stadt anschickte, brach deren Widerstand sofort zusammen. Sie lieferte Dietrich aus, und der falsche Kaiser wurde im Juli 1285 verbrannt. Die Zeit der falschen Friedriche war mit dem Ende des 13. Jahrhunderts offenkundig vorbei. Doch die Erwartung und Hoffnung, Friedrich werde wiederkehren und alle Dinge zum Besseren wenden, blieb in Deutschland auch danach lebendig. Johann von Winterthur bezeugt sie; er berichtet vom verbreiteten Glauben, Friedrich werde, von Gott selbst gesandt, die Kirche reformieren, Mönche und Nonnen zur Ehe zwingen und allen, insbesondere jedoch den Armen und Bedrückten, zu ihrem Recht verhelfen. Aus den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts erfahren wir dann, dass damals viele Menschen, vor allem in Thüringen, überzeugt gewesen seien, Friedrich halte sich in den Ruinen von Reichsburgen auf. Diese Ansicht verdichtete sich offenbar rasch zu der Vorstellung, der Kaiser lebe in den seit 1407 unbewohnten, doch noch immer an den alten Glanz des Imperiums erinnernden Burgen auf dem Kyffhäuser; erst später setzte sich dann die Auffassung durch, er hause im Inneren dieses Berges. Noch als sich die Bauern jener Gegend im Jahre 1525 erhoben, rechneten sie anscheinend mit seiner Unterstützung. Schon Ende des 15. Jahrhunderts begann man freilich da und dort, den kaiserlichen Kyffhäuserbewohner mit Friedrichs Großvater Barbarossa zu identifizieren und dieser Deutung gehörte dann bekanntlich die Zukunft.

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Neuss. Spätmittelalterliche Ansicht der Stadt (1477), in der Dietrich Holzschuh 12831285, als Kaiser Friedrich II. anerkannt, Hof hielt, Privilegien erteilte und Gesandtschaften empfing. Quelle: Schmitt, Michael: Das Stadtbild in Druckgraphik und Malerei: Neuss 1477 – 1900, Köln/Wien 1991, S. 2.

[24] Wenn breite Schichten der Bevölkerung Deutschlands zwischen 1250 und 1500 immer wieder sehnsüchtig auf die Wiederkehr Friedrichs, des letzten Stauferkaisers, hofften, in ihm den Retter aus ihrer Not und geradezu den Heilsbringer sahen, so hängt dies gewiss mit der besonderen Situation des Landes im Spätmittelalter zusammen. Mit dem Untergang des staufischen Hauses endete die glanzvolle, Mitteleuropa bestimmende Geschichte des Imperiums. Er führte zudem zu einer spürbaren

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Schwächung der königlichen Gewalt in Deutschland selbst. Dort bemühten sich die Reichsfürsten nun noch intensiver als zuvor, ihre dominierende Stellung in ihren Territorien zu sichern und auszubauen, und in jenen großen Regionen Süd- und Mitteldeutschlands, die die Staufer [25] einst unmittelbar beherrscht hatten, setzte zwischen Fürsten, Adel und Städten ein hemmungsloser Kampf um die besten Stücke aus dem staufischen Erbe ein. Überdies gab es bald immer deutlichere Anzeichen für eine allgemeine, strukturelle Wirtschaftskrise. Die wachsenden sozialen Gegensätze in den Städten führten zu Aufständen gegen das Patriziat und den Klerus, und infolge der sich dramatisch verschlechternden Lage der Bauern mehrten sich die bäuerlichen Erhebungen, bis sie schließlich ihren Höhepunkt im großen Bauernkrieg von 1525 fanden. Aussicht auf eine Besserung der misslichen Zustände, auf grundlegende Reformen durch die vorhandenen Institutionen bestand kaum, alle diesbezüglichen Forderungen blieben ohne greifbare Wirkung. So wird es verständlich, dass sich viele Menschen gerade unter den Bewohnern der Städte und in der bäuerlichen Bevölkerung mit ihren Erwartungen von ihrer traurigen Alltagswirklichkeit abwandten und in dem Gedanken Trost suchten, Friedrich II. ergreife wieder das kaiserliche Regiment, dass sie mit seinem Wiederkommen die Hoffnung auf eine gerechtere, friedlichere Zukunft für sich selbst verbanden. Friedrich II. als Unmensch ohne Glauben und Moral, als Tyrann und Kirchenverfolger oder aber als Fürst des Friedens und der Gerechtigkeit, als kraftvoll-unerschrockener Kämpfer gegen Missstände jeder Art in Gesellschaft und Kirche, als ein die Zeiten überstrahlendes Beispiel glanzvoller Herrschergröße – diese Vorstellungen vom letzten Stauferkaiser waren im Spätmittelalter im Umlauf und sie bestimmten, wie wir sahen, abgemildert oder modifiziert auch noch die Sicht des 19. und 20. Jahrhunderts. Sie vereinfachen die differenzierte Wirklichkeit, konzentrieren sich verfälschend auf einige wenige, als wesentlich für die eigene Gegenwart angesehenen Punkte und verabsolutieren diese. So sagen die derart entstehenden Bilder, mythischen Veränderungen und Übersteigerungen vor allem etwas über die Menschen selbst aus, die sie schufen, verbreiteten und aufnahmen, über ihre Sehnsüchte, Erwartungen und Befürchtungen – und eben darin liegt ihr eigentlicher Wert. Den Zugang zum „wahren“ Friedrich aber verstellen sie wohl eher. Andererseits hängen sie in irgendeiner Weise wohl doch mit des Staufers tatsächlichem Wirken zusammen – schon deswegen, weil die Nachwelt ja beileibe nicht mit jedem beliebigen Herrscher ihre Ängste und Hoffnungen verbindet.

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Fragen wir deshalb nun also noch, ob sich etwas über diesen Zusammenhang des Mythos mit der Persönlichkeit Friedrichs II. sagen lässt.

Kyffhäuser. Große, aus Ober-, Mittel- und Unterburg bestehende Reichsburg im Kyffhäusergebirge südlich des Harzes aus dem 12. Jahrhundert, von Friedrich I. Barbarossa vollendet. Die in Thüringen verbreitete Vorstellung, hier bereite sich Friedrich II. auf seine Wiederkehr vor, verband sich spätestens zu Beginn des 16. Jahrhunderts mit seinem Großvater Friedrich I., und diesen rief dann auch das 1891-96 auf dem Areal der Oberburg zu Ehren Kaiser Wilhelms I. errichtete Kyffhäuserdenkmal ins Gedächtnis, gewissermaßen als mittelalterlichen Künder des modernen Reichsvollenders. Quelle: Müller, Horst: Der Kyffhäuser. Aufnahmen von Hans-Dieter Kluge, Leipzig 1992, S. 4.

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Quelle: Müller, Horst: Der Kyffhäuser. Aufnahmen von Hans-Dieter Kluge, Leipzig 1992, S. 41.

Friedrichs Zeitgenossen waren ganz offenbar außerordentlich empfänglich für jene damals recht häufig auftauchenden Traktate und Bot[28]schaften, die trotz oder gerade wegen ihres meist dunklen, nur schwer deutbaren Wortlauts verlässliche Kunde vom künftigen Gang der Dinge zu geben versprachen. Mancherlei Weissagungen bereiteten die Öffentlichkeit insbesondere auf das nahe Kommen des Weltendes vor. Es kündigte sich diesen Prophezeiungen zufolge durch Katastrophen aller Art und durch das unheilvolle Auftreten der Vorläufer des Antichrist an, doch auch im segensreichen Friedens- und Bekehrungswerk des Endkaisers,

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der seine Krone freilich in Jerusalem niederlegen und so dem Antichrist, dem teuflischen Erzfeind der Christenheit, für eine letzte, kurze Herrschafts- und Schreckenszeit Platz machen werde, ehe Christus selbst diesen besiege. Die Kenner schöpften präzisere Angaben, wie wir bereits sahen, beispielsweise aus den seherischen Sentenzen Joachims von Fiore. Das dramatische Geschehen jener Zeit mit seinen unerhörten Konflikten, vor allem der mit äußerster Härte ausgetragene Streit zwischen Kaiser und Papst, den beiden führenden Gewalten der Christenheit, doch auch andere bedrückende Ereignisse wie etwa das unheimliche Auftauchen und unaufhaltsame Vorwärtsstürmen der Mongolen im Jahr 1241 – dies alles stürzte viele Menschen in größte Unsicherheit, und sie empfanden die umlaufenden endzeitlichen Deutungen ihrer Gegenwart als tief überzeugend, sahen in ihnen eine willkommene und einleuchtende Sinngebung dessen, was sie erlebten. Auf diese öffentliche Stimmungslage stellte sich die kaiserliche wie die päpstliche Seite ein; ihrer bedienten sich beide zur Förderung ihrer Ziele in dem mit allen Mitteln geführten Entscheidungskampf, der nach Friedrichs zweiter Exkommunikation im März 1239 zwischen ihnen ausbrach. Mit bisher unbekannter Intensität begleitete den Krieg der Waffen nun nämlich der Krieg der Propaganda. Dabei schlugen die päpstlichen Enzykliken schon bald einen wahrhaft apokalyptischen Ton an. Sie identifizierten den Kaiser mit dem im biblischen Buch der Offenbarung prophezeiten Untier der letzten Welttage, mit der übermenschlich-dämonischen Gegengewalt gegen Christus, die dessen Kirche vom Erdboden vertilgen wolle und dazu auch die grässlichsten Verbrechen nicht scheue. Sie bezeichneten den Herrscher mit biblischen Schreckensnamen, schilderten ihn als Freund der Muslime, Verächter Christi und schlimmen Ketzer, als Vorläufer des Antichrist, ja als diesen selbst. Papsttreue Kreise, allen voran franziskanische Prediger, gaben dem Bild vom kaiserlichen Häretiker, Kirchenzerstörer und Antichrist noch schärfere Akzente und verbreiteten es weithin. [29] Umgekehrt hob Friedrich die im Mittelalter an sich verbreitete und seiner Überzeugung seit je entsprechende Vorstellung von der Christus-Nähe des Herrschers und insbesondere von seiner eigenen ChristusÄhnlichkeit nun noch intensiver als früher hervor, und er bediente sich, um sie sinnfällig und einprägsam zur Geltung zu bringen, zuweilen neuer, ungewöhnlicher Formen, so wenn er seinen Geburtsort Jesi mit Worten des Evangelisten geradezu als sein Bethlehem pries. Seine Anhänger und Mitarbeiter taten ein Übriges, um die Heiligkeit der kaiserlichen Person und Würde, ja die Messias-Ähnlichkeit ihres Herrn in Wort und Schrift

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zu feiern und ihn der Öffentlichkeit als übermenschlichen Heilsbringer und Friedensfürsten vorzustellen. Schon in Friedrichs letzten Lebensjahren bildeten sich demnach jene typischen Grundformen der Mythisierung heraus, die dann, zeitgemäß abgeändert und umgestaltet, die Wahrnehmung und Beurteilung seiner Person und seines Handelns Jahrhunderte hindurch bis zur Gegenwart immer wieder maßgebend prägen sollten. Sie konnten sich gerade so wohl nur in einer Epoche entwickeln, die erbitterte Auseinandersetzungen um ganz grundsätzliche, allen Beteiligten existenziell wichtige gesellschaftliche Ordnungsfragen durchzustehen hatte und für die es überdies naheliegend war, derartigen Auseinandersetzungen transzendente Bedeutung zuzumessen, in ihnen den Gang des göttlichen Heilsplanes zu erkennen. Sollten die unter solchen Rahmenbedingungen entstandenen mythisch überzeichnenden Darstellungen des Kaisers indessen, wie dies ihre Schöpfer doch beabsichtigten, beim breiten Publikum auch wirklich Glauben finden und von ihm akzeptiert werden, so musste es zwischen den mythisierenden Bildern und der realen Gestalt des ja noch lebenden und agierenden Herrschers wenigstens gewisse Ähnlichkeiten geben, bedurfte es sozusagen eines beiden Ebenen gemeinsamen Kernes von einander entsprechenden oder doch aufeinander beziehbaren Eigenschaften, Zielen und Praktiken. Hier also können wir hoffen, auf die gesuchte Nahtstelle zu stoßen, den Zusammenhang von Mythos und Persönlichkeit bei Friedrich zu fassen. Denn solche verbindenden Elemente existieren in der Tat; zum Gegenstand der mythisierenden Ausdeutung wurden gerade die zentralen und charakteristischen Absichten und Tätigkeitsfelder des Staufers. Der als Kirchenverfolger gebrandmarkte Kaiser vertrat entschieden die Überzeugung, dass nach dem göttlichen Willen die Sorge für die diesseitigen Bedürfnisse der Menschen ausschließlich und vollständig der weltlichen Gewalt obliege. Am Klarsten begründete er diese Auffassung wohl in dem berühmten Vorwort zu seinem 1231 promulgierten [30] Konstitutionencorpus von Melfi, wo er nachzuweisen suchte, dass allein das Auftreten der fürstlichen Herrschaft die von Gott abgefallenen Menschen mit ihrem tief eingewurzelten Drang zu Hass und Streit vor der Vernichtung in einem chaotischen Kampf Aller gegen Alle bewahren könne. Eben deshalb sei ihnen diese höchst notwendige Institution denn auch von Gott zu ihrer Rettung, zur Durchsetzung der ihre Existenz sichernden göttlichen Normen gnädig gewährt worden. Energisch verteidigte Friedrich folgerichtig den ihm nach seiner Meinung gebührenden Raum der Zuständigkeit und Verantwortung gegen jede kirchliche Einmi-

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schung. Unerschüttert von päpstlicher Kritik verwirklichte er sein Gesetzgebungsprogramm für das sizilische Königreich. Die Wirtschaftsreformen, die er dort einleitete, sahen zwar Zahlungen an die Kirche in der bisher üblichen Höhe vor, aber keinerlei Beteiligung an den infolge der [31] Neuordnung in der Zukunft erwarteten Einnahmesteigerungen. Mit zunehmender Schärfe geißelte er die päpstlichen Versuche, die Städte des lombardischen Bundes bei der Usurpierung von Rechten zu decken, die aus seiner Sicht eindeutig dem Imperium und dem Kaiser zustanden. Natürlich lehnte er die von Papst Gregor IX. mehrfach formulierte Anschauung vom gottgewollten Richteramt des Papstes über die Fürsten der Welt und von seiner speziellen Obergewalt über den Kaiser scharf ab, und natürlich sah seine Weltordnung eine Absetzung von Königen und gar des Kaisers durch den Papst nicht vor. Eindringlicher denn je wandte er sich deshalb im Sommer 1245 an die Monarchen Europas mit der Warnung, was Innozenz IV. an ihm versuche, drohe ihnen ebenso, wenn die Kaisermacht nur erst gebrochen sei. Jetzt zogen kaiserliche Rundschreiben auch die letzte Konsequenz aus der These von der umfassenden weltlichen Zuständigkeit der Könige und Fürsten und forderten die Rückkehr der Kirche und ihres Klerus zu den apostolischen Lebensformen der Urkirche, zum seelsorgerlichen Dienst in Bescheidenheit und Armut. Damals freilich war das an der römischen Kurie schon früh verbreitete und immer wieder, nicht zuletzt durch unüberlegte Übergriffe des Herrschers selbst, bestärkte Misstrauen gegenüber Friedrich bei Papst Innozenz längst zu der Gewissheit geworden, man habe in dem Staufer einen tödlichen Feind der Kirche und ihrer universalen Mission vor sich. Ohne Zweifel suchte Friedrich Zeit seines Lebens seinen Reichen, so wie er es für seine herrscherliche Aufgabe hielt, eine auf das Recht gegründete, Sicherheit und Frieden wahrende Ordnung zu geben. Schon seine Verwaltungsmaßnahmen während des ersten Deutschlandaufenthaltes bis 1220 führten, wenn man einem Zeitgenossen glauben darf, zu einer spürbaren Verbesserung der Lebensbedingungen gerade auch der einfachen Bevölkerung, weshalb ihn, wie unser Gewährsmann schreibt, „die Kaufleute von ganzem Herzen liebten, weil er das Königreich so befriedet hatte, dass sie sicher reisen konnten, wohin sie wollten“. Mit dem schon erwähnten, für das Abendland neuartigen, umfangreichen Gesetzgebungswerk von 1231 gedachte der Staufer die normativen Grundlagen dafür zu schaffen, dass sich sein sizilisches Regnum zu einem für alle anderen Reiche Europas vorbildlichen Staatswesen entwickelte.

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Der Mainzer Landfrieden von 1235, Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 3.1 Aug. 2°, fol. 1r. Auf dem Mainzer Hoftag im August 1235 wurde offensichtlich eine deutsche Fassung des offiziellen lateinischen Texts des kaiserlichen Landfriedens verkündet. Sie fand dann auch in zahlreichen Handschriften Verbreitung, unter anderem zusammen mit dem Sachsenspiegel. Die Abbildung zeigt den Anfang des Mainzer Landfriedens zu Beginn der Wolfenbütteler Bilderhandschrift des Sachsenspiegels. Quelle: Lück, Heiner/Schildt, Bernd (Hg.): Recht – Idee – Geschichte. Beiträge zur Rechts- und Ideengeschichte für Rolf Lieberwirth anläßlich seines 80. Geburtstages, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 137. Zu den Konstitutionen von Melfi, 1231, siehe die Abbildung oben S. 164.

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Dabei bezogen seine Vorstellungen und Maßnahmen, seiner anspruchsvollen Amtsauffassung entsprechend, fast alle Lebensbereiche ein. Seine besondere Aufmerksamkeit galt der Effizienz des Gerichtswesens; bestens ausgebildete, unbestechliche Richter hatten allen Untertanen, selbst Juden und Sarazenen, zu ihrem Recht zu verhelfen. Des Herrschers Anweisungen, für deren Realisierung eine kompetente, hierarchisch gegliederte, vom Hof aus zentral gelenkte [33] Beamtenschaft sorgen sollte, regelten jedoch ebenso Wirtschaftsfragen aller Art oder die Einführung einheitlicher Maße und Gewichte, sie legten Grundsätze für das redliche Geschäftsgebaren der Kaufleute und Handwerker fest, kümmerten sich um die sachgemäße Ausbildung und die Approbation von Ärzten, Apothekern und Chirurgen oder um die Reinhaltung der Luft. Ihre Wiederholung und insbesondere die oft erneuerte Ermahnung der Beamten zur Unbestechlichkeit verraten etwas von den Schwierigkeiten, auf die Friedrich bei der Verwirklichung seines Ideals stieß. Fehlentwicklungen, Missstände und Kritik häuften sich dann, als der Herrscher während der Kriegsjahre nach 1239 seinen Untertanen immer größere finanzielle Lasten aufbürdete und seinen Beamtenapparat in wachsendem Maße zu ihrer Überwachung und zum frühzeitigen Aufspüren oppositioneller Gruppen anhielt. Mitte der 1230er Jahre freilich, als Friedrich zum zweiten Mal nach Deutschland kam, schätzte man dort offenbar durchaus seine Verdienste um Recht und Frieden in seinem Südreich und erwartete von ihm nun eine ähnliche Reform der deutschen Rechtsordnung. Der Mainzer Landfriede, den er 1235 erließ, suchte denn auch die Machtverteilung zwischen Kaiser und Reichsfürsten neu zu definieren und die fürstliche Verantwortung für Frieden und Recht in ihren Territorien ebenso herauszustellen wie die übergreifende kaiserliche Zuständigkeit für diesen zentralen Herrschaftsbereich. Das bedeutsame Dokument blieb zunächst freilich Programm. Rudolf von Habsburg und seine Nachfolger jedoch griffen des Staufers gesetzgeberische Initiative wieder auf und stärkten damit im Übrigen zugleich die Erinnerung an ihn selbst. Die Unbedingtheit mit der Friedrich II. die beschriebenen Ziele verfolgte, die Eindeutigkeit und Selbstgewissheit, mit der er in der Öffentlichkeit stets als deren leidenschaftlicher Vorkämpfer, als der entscheidende Repräsentant seiner Sache auftrat – kurz: seine unzweifelhaft herausragende, durch ungewöhnliche wissenschaftliche und künstlerische Aktivitäten noch zusätzlich profilierte Persönlichkeit machte ihn bereits zu Lebzeiten zum Objekt der Heroisierung wie der Verteufelung, sie reizte noch in der Neuzeit zur Verklärung seines Genies. Des Staufers zähes

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Kaiser Friedrich II. Zeichnung der Sitzfigur des Kaisers vom Brückenkastell in Capua. Das Figurenprogramm der Fassadenwand des Kastells sollte den Kaiser als den Wahrer des Rechts und den Beschützer seiner Untertanen darstellen, war also wohl als bildliche Interpretation seines Konstitutionenwerkes gedacht. Die Zeichnung ist erhalten im Nachlass des Kunsthistorikers J.-B. Séroux d’Agincourt. Sie wurde wohl im Jahr 1782 von dem neapolitanischen Hofhistoriographen Francesco Daniele gefertigt. Quelle: Gesellschaft für staufische Geschichte e. V. (Hg.): Die Staufer. Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst Bd. 19, Göppingen 2000, S. 118.

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Ringen mit der Kirche um das, was er als seine herrscherlichen Rechte ansah, sein unermüdlicher Kampf um die Autonomie des Staatswesens, um dessen Befreiung von jeder Kontrolle durch die Kirche und von jeder Bindung an sie, bot Jahrhunderte lang Anlass für übersteigerten Lobpreis wie für die ebenso übertriebene Stilisierung zum Kirchenverfolger; heute indes hat dieser Kampf wohl seine Aktualität verloren, wenngleich manche italienischen Äußerungen noch immer einen anderen Eindruck vermitteln. Höchst bedenkenswert bleibt hingegen nach wie vor Friedrichs Überzeugung, dass es Aufgabe des Fürsten sei, in jedem Winkel [35] seines Reiches der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen und so seinen Untertanen ein Leben in Frieden zu sichern. Mit ihr formulierte der Stauferkaiser zweifellos ein Ideal, um dessen Verwirklichung sich auch noch die demokratisch legitimierten Regierungen unserer Tage stets aufs Neue bemühen müssen.

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[36] Literaturhinweise Abulafia, David: Frederick II. A Medieval Emperor, London 1988; deutsch: Herrscher zwischen den Kulturen. Friedrich II. von Hohenstaufen, Berlin 1991. Baethgen, Friedrich: Besprechung von Ernst Kantorowicz’ „Kaiser Friedrich II.“. In: Deutsche Literaturzeitung 51 (1930), S. 75-85. Brackmann, Albert: Kaiser Friedrich II. in „mythischer Schau“. In: HZ 140 (1929), S. 534-549. De Robertis, Francesco Mario: Federico II di Svevia nel mito e nella realtà, Bari 1998. Fried, Johannes: Einleitung zu Ernst H. Kantorowicz, Götter in Uniform. Studien zur Entwicklung des abendländischen Königtums, hg. von Eckhart Grünewald/Ulrich Raulff, Stuttgart 1998, S. 7-45. Grünewald, Eckhart: Ernst Kantorowicz und Stefan George. Beiträge zur Biographie des Historikers und zu seinem Jugendwerk „Kaiser Friedrich II.“, Wiesbaden 1982. Hampe, Karl: Kaiser Friedrich II. in der Auffassung der Nachwelt, Berlin/Leipzig 1925. Jostmann, Christian: Sibilla Erithea Babilonica. Papsttum und Prophetie im 13. Jahrhundert, Hannover 2006 (MGH Schriften 54). Kantorowicz, Ernst: Kaiser Friedrich der Zweite, Berlin 1927. Ergänzungsband, Berlin 1931. Kaup, Matthias: Antichrist oder Endkaiser: Friedrich II. in der eschatologischen Propaganda des 13. Jahrhunderts. In: Koller, Walter (Hg.): Apokalypse oder Goldenes Zeitalter?, Zürich 1999, S. 105-123. Lerner, Robert E.: Refrigerio dei Santi. Gioacchino da Fiore e l’escatologia medievale, Rom 1995. Möhring, Hannes: Der Weltkaiser der Endzeit. Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjährigen Weissagung, Stuttgart 2000. Schaller, Hans Martin: Endzeit-Erwartung und Antichrist-Vorstellungen in der Politik des 13. Jahrhunderts. In: ders.: Stauferzeit. Ausgewählte Aufsätze, Hannover 1993 (MGH Schriften 38), S. 25-52.

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Nachleben

Sommerlechner, Andrea: Stupor mundi? Kaiser Friedrich II. und die mittelalterliche Geschichtsschreibung, Wien 1999. Struve, Tilman: Die falschen Friedriche und die Friedenssehnsucht des Volkes im späten Mittelalter. In: Fälschungen im Mittelalter. Teil 1, Hannover 1988 (MGH Schriften 33, I), S. 317-337. Stürner, Wolfgang: Friedrich II. Teil 1: Die Königsherrschaft in Sizilien und Deutschland 1194-1220, Teil 2: Der Kaiser 1220-1250, Stuttgart ³2009. Stürner, Wolfgang: Friedrich II. Antichrist und Friedenskaiser. In: Schneider, Almut/Neumann, Michael (Hg.): Mythen Europas, Bd. 3: Zwischen Mittelalter und Neuzeit, Regensburg 2005, S. 14-29. Thomsen, Marcus: „Ein feuriger Herr des Anfangs…“, Kaiser Friedrich II. in der Auffassung der Nachwelt, Ostfildern 2005. Töpfer, Bernhard: Das kommende Reich des Friedens, Berlin 1964. Van Cleve, Thomas: The Emperor Frederick II of Hohenstaufen. Immutator Mundi, Oxford 1972.

Personenregister

A Abaelard, Petrus 7, 67, 103f., 192, 214 Abulafia, David 205, 293f. Adam von Cremona 219 Adolf von Holstein, Graf 4 Agnes, Tochter Heinrichs IV. 21f. Agnes von Böhmen, Tochter Ottokars I. 277 Agobard von Lyon, Erzbischof 98f. Alanus von Lille, Theologe, Philosoph 74, 77, 88 Albero von Trier, Erzbischof 45 Albert von Everstein, Graf 242 Albertus Magnus 216 Albrecht der Bär, Markgraf von Brandenburg 4 Albrecht von Magdeburg, Erzbischof 160 Alcibiades 297 Alexander der Große 297 Alexander III., Papst 16f., 27f., 31 Alexander Neckam, Theologe, Philosoph 85, 88 Alexios III., byzantinischer Kaiser 53 Alfons X., König von Kastilien 198 Al-Kamil, Sultan von Ägypten 153, 249, 254f., 260, 263 Andreas Bonellus, Rechtsprofessor in Neapel 201

Andreas von Isernia, Rechtsprofessor in Neapel 209 Anselm von Justingen 248, 284, 286 Anselm von Laon, Theologe 103 Antiochos Epiphanes 303 Aristoteles 7, 9, 61, 74, 78, 8386, 88, 122, 124f., 192, 203, 206, 210, 220, 226, 228 Arnaldus Catalanus, Philosophieprofessor in Neapel 203 Arnold von Selenhofen, Erzbischof von Mainz 45f. Artus 10 Augustinus 92-94, 96f., 100, 107, 119f., 133 Averroes 9, 61, 192, 203, 206, 215 Avicenna 79, 192, 207, 219 B Baethgen, Friedrich 293f. Balian, Herr von Sidon 257, 259 Bartholomaeus Pignatellus, Erzbischof von Cosenza 202 Bene, Arzt Friedrichs II. 207 Bene Florentinus, Rhetoriklehrer 202 Benedikt von Isernia, Rechtsprofessor in Neapel 201 Berard von Palermo, Erzbischof 233, 242

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Personenregister

Bernhard von Clairvaux, Abt 8, 24, 133 Bernhardus Silvestris, Philosoph 82, 85, 88 Berthold V. von Zähringen, Herzog 267 Berthold von Straßburg, Bischof 269, 273f., 281 Böhmer, Johann Friedrich 300302 Bonifatius VIII., Papst 38 Brackmann, Albert 61, 293 Bruder Wernher, Dichter 286, 288 Burchard von Worms, Bischof 101f. Burchard von Ursberg, Propst 274 Burckhardt, Jacob 298-300, 302 Burdach, Konrad 60 Burkhard von Hohenfels, Dichter 286 Buyken, Thea 61, 63f., 78 C Caesar, C. Julius 296f. Calcidius 74f., 84 Capasso, Bartolomeo 179 Carafa, Diomede 177 Chrétien von Troyes, Dichter 10 Constantinus Africanus 220f.

Deusdedit, Kardinal 102 Diepold von Schweinspoint, Graf von Acerra 54 Dietrich von Trier, Erzbischof 280, 283 Dilcher, Hermann 64 Dominicus 12 Dominicus Gundissalinus, Übersetzer 79 Duns Scotus, Johannes 226 E Eberhard von Salzburg, Erzbischof 284 Eberhard von Salem, Abt 232, 237 Eberhard von Waldburg 55-57, 159, 268 Egino von Urach, Graf 269, 282-284, 286 Ekbert von Bamberg, Bischof 283 Eleonore von Poitiers, Königin von Frankreich, dann England 16 Engelbert von Köln, Erzbischof 56, 161, 241, 269f., 272f. Engels, Odilo 59, 61 Enzio, Sohn Friedrichs II. 36, 169 Eugen III., Papst 24f. Ezzelino da Romano 38, 172

D Daniel von Morley, Philosoph 74, 82, 84f., 88 David 257f. De Robertis, Francesco 294

F Ferdinand I. von Aragon, König von Neapel 177

Personenregister

Ferdinand von Aragon, Sohn Friedrichs I. von Aragon 177 Ficker, Julius 147 Franz von Assisi 12 Freidank, Dichter 256 Friedrich I. Barbarossa, Kaiser 4, 7-9, 12-17, 21f., 24-29, 31, 33, 39, 45-49, 51, 64f., 68, 70f., 155, 193, 197, 247, 307 Friedrich II., Kaiser 6f., 9f., 1318, 22, 30-39, 48, 50, 54-56, 59-74, 77, 79, 86f., 90, 95, 97, 103, 113, 115-122, 125318 Friedrich III., Kaiser 306 Friedrich I. von Aragon, König von Neapel 177 Friedrich III., König von Sizilien 306 Friedrich II., Herzog von Österreich 277, 283 Friedrich I., Herzog von Schwaben 1, 21f. Friedrich II., Herzog von Schwaben 21f., 48 Friedrich V., Herzog von Schwaben 49 Friedrich I., Markgraf von Meißen 306 Friedrich von Hausen, Dichter 48 G Galen 192, 210 Gelasius I., Papst 104, 119 George, Stefan 293, 295-297 Gerhard von Cremona, Übersetzer 79

323

Gerhard von Diez, Graf 268 Gerhoch von Reichersberg, Propst 24, 44, 111 Gilbertus Porretanus, Bischof von Poitiers, Theologe 103 Goethe, Johann Wolfgang von 296 Gottfried von Hohenlohe 282, 284 Gottfried von Neuffen, Dichter 286 Gottfried von Straßburg, Dichter 10 Gottfried von Trani, Kardinal 202 Grabmann, Martin 78-80 Gratian 102, 104, 113, 119 Gregor der Große, Papst 94-97, 99-101, 106, 110, 119-121 Gregor VII., Papst 21, 23, 27, 29, 37, 99, 104, 133f., 136, 143 Gregor IX., Papst 17f., 32-37, 143, 153, 165f., 202, 210, 238, 253, 256, 259, 261, 267, 273f., 280f., 283, 288, 314 Grosseteste, siehe Robert Grosseteste Grundmann, Herbert 61 Gundolf, Friedrich 295-297 H Hadrian IV., Papst 22, 26 Hartmann von Aue, Dichter 10, 47f. Haskins, Charles Homer 205 Heinrich III., Kaiser 43

324

Personenregister

Heinrich IV., Kaiser 1, 21, 43 Heinrich V., Kaiser 21f. Heinrich VI., Kaiser 14f., 22, 28, 30, 49, 53f., 147, 150, 247 Heinrich (VII.), König 39, 56, 142, 161-163, 218, 229, 241-245, 248, 265-291 Heinrich II., König von England 16 Heinrich Raspe, Landgraf von Thüringen, Gegenkönig 170 Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen und Bayern 4, 16, 28, 50 Heinrich I. von Köln, Erzbischof 270 Heinrich I. von Mainz, Erzbischof 45 Heinrich von Konstanz, Bischof 286 Heinrich von Worms, Bischof 280 Heinrich von Malta, Graf 248 Heinrich von Sayn, Graf 280f. Heinrich von Schwerin, Graf 269f. Heinrich von Isernia, Kanzleinotar in Prag 145 Heinrich von Kalden, Marschall 53f. Heinrich von Neuffen 268, 282, 284, 286 Heinrich von Pappenheim, Marschall 53 Heinrich von Köln, Magister 207 Heinrich, Eremit 306 Heller, Emmy 113 Hermann von Metz, Bischof 100

Hermann von Würzburg, Bischof 281, 283f. Hermann von Salza, Hochmeister des Deutschen Ordens 50, 250, 257, 260, 285 Hermann V., Markgraf von Baden 159, 282, 284 Hiob 63 Hippokrates 210, 220 Hitler, Adolf 295 Höfler, Constantin 300, 302 Holzschuh, Dietrich 307f. Honorius III., Papst 31f., 113117, 121f., 247-251, 267, 269 Honorius Augustodunensis 75, 85, 88, 106f., 115, 119 Hubertus de Bonocurso, Rechtsprofessor in Neapel 201 Hugo von Fleury, Geschichtsschreiber 100 Hugo von St. Viktor 77, 82, 85, 87 Huguccio, Bischof von Ferrara, Kanonist 25, 29, 111 I Innozenz II., Papst 24 Innozenz III., Papst 11, 17, 2932, 70, 85, 112, 118, 124, 143, 158, 229-245, 266f. Innozenz IV., Papst 17f., 30, 37f., 153, 170f., 262, 314 Irene, Gemahlin König Philipps von Schwaben 39 Isabella II., Königin von Jerusalem, 2. Gemahlin Friedrichs II. 153, 250-252, 254

Personenregister

Isabella von England, 3. Gemahlin Friedrichs II. 16, 270 Isidor von Sevilla, Bischof 96102, 106, 109, 113f., 117-121 Ivo von Chartres, Bischof 102

325

Johensis, Schreiber 218 Jonas von Orleans, Bischof 102 Justinian, oströmischer Kaiser 25, 63f., 67, 71, 110 K

J Jakob von Patti, Bischof 251 Jakob, Arzt Friedrichs II. 206f. Jakob ben Anatoli 222 Joachim von Fiore, Abt 302, 312 Johann von Brienne, König von Jerusalem, byzantinischer Kaiser 250, 252 Johann Ohneland, König von England 16, 239 Johann von Ibelin, Graf 256f., 259f. Johann von Viktring, Abt 305 Johann von Winterthur, Geschichtsschreiber 305, 307 Johannes XXI., Papst, siehe Petrus Hispanus Johannes von Salisbury, Bischof von Chartres 28, 67, 74f., 85, 88, 107-110, 121 Johannes Faseolus, Rechtsprofessor in Neapel 201 Johannes von Aubusson, Troubadour 213 Johannes von La Rochelle, Theologe 104 Johannes von Procida, Arzt Friedrichs II. 207 Johannes von Xanten, Dekan der Aachener Marienkirche 232, 235

Kantorowicz, Ernst 60, 75, 113, 205, 229f., 292-294, 296 Karl der Große, Kaiser 14, 41, 229, 234 Karl IV., Kaiser 198 Karl I. von Anjou, König von Sizilien 201f., 208 Karl II. von Neapel, König 209 Konrad II., Kaiser 43 Konrad III., König 1, 4, 13f., 21f., 45, 48, 51, 53 Konrad IV., König 1, 48, 56, 151, 163, 187, 198, 203, 254, 260, 262f., 285, 305f. Konrad von Hildesheim, Bischof 235, 237, 281, 283 Konrad von Krosigk, Bischof von Halberstadt 236 Konrad von Regensburg, Bischof 232, 237 Konrad von Scharfenberg, Bischof von Speyer und Metz, Reichskanzler 160 Konrad von Speyer, Bischof 283 Konrad von Fulda, Abt 283 Konrad von St. Gallen, Abt 275277, 286 Konrad von Fabaria, Chronist 243 Konrad von Marburg 280f. Konrad von Schmiedelfeld 56 Konrad von Winterstetten 48, 55f., 159, 268

326

Personenregister

Konradin, Enkel Friedrichs II. 207, 260, 306 Konstantin I., römischer Kaiser 24 Konstanze von Aragòn, 1. Gemahlin Friedrichs II. 230, 242f., 266f. Konstanze von Sizilien, Gemahlin Heinrichs VI. 15, 28 Konstanze, Königin von Aragon, Tochter Manfreds 306 L Landolf von Worms, Bischof 283 Leopold VI., Herzog von Österreich 270, 274, 277 Leuschner, Joachim 59 Lothar III., Kaiser 24, 26, 65 Ludwig I. von Bayern, Kaiser 305 Ludwig VIII., König von Frankreich 270 Ludwig IX., der Heilige, König von Frankreich 16, 171, 260, 262f. Ludwig I., Herzog von Bayern 160, 232, 248, 270, 272274, 282 Ludwig von der Brücke 44f. Lukrez 75 M Machiavelli, Niccolò 300 Maffei, Domenico 189 Maimonides 216, 222

Manfred, König von Sizilien 198, 203f., 207f., 218, 222f., 305f. Manuel Komnenos, byzantinischer Kaiser 15 Margarete, Gemahlin Heinrichs (VII.) 270, 276, 288 Margarethe, Tochter Friedrichs II. 306 Marinus de Caramanico, Jurist 66, 79f., 177, 179, 208f. Markward von Annweiler 54 Marongiù, Antonio 61, 67 Marsilius von Padua 124-126 Martin von Fano, Rechtsprofessor in Neapel 201 Martin von Troppau, Geschichtsschreiber 303, 305 Martinus, Magister 203 Matheus von Pisa, Rechtsprofessor in Neapel 201 Mathilde, Gemahlin Heinrichs des Löwen 16 Maurus von Salerno, Arzt 220 Michael Scotus 9, 87, 206f., 213-216, 222 Morpurgo, Piero 206, 213, 221 N Napolen I. Bonaparte 148, 297 Neckam, siehe Alexander Neckam Neidhart von Riuwental, Dichter 48 Nicolaus de Jamsilla 204 Nicolaus de Rocca, Rhetorikprofessor in Neapel 203

Personenregister

Nicolaus Rufulus, Rhetorikprofessor in Neapel 201 Niese, Hans 75 Nietzsche, Friedrich 297f. Nikolaus, Meißener Domherr 236 Normannischer Anonymus 101 O Odo von Montbéliard 259 Oliver, Domscholaster, Bischof von Paderborn 231f. Otto I., Kaiser 14 Otto III., Kaiser 65 Otto IV., Kaiser 30f., 54f., 137, 151, 159, 236-238, 266 Otto II., Herzog von Bayern 281f., 286 Otto das Kind, Herzog von Braunschweig-Lüneburg 270, 273f. Otto von Meranien, Herzog 275 Otto von Wittelsbach, Pfalzgraf von Bayern 54 Otto von S. Nicola, Kardinal 274f. Otto von Freising, Bischof 7, 64 Otto von Cappenberg, Graf 46 Ottokar I., König von Böhmen 237 Ovid 79, 81 P Paulus 91, 103f. Pelagius von Albano, Kardinal 248f. Petrus Hispanus (Papst Johannes XXI.) 216-218, 220, 226

327

Petrus von S. Pudenziana, Kardinal 241 Petrus Paparonus, Erzbischof von Brindisi 202 Petrus de Hibernia, Professor in Neapel 203, 222 Petrus de Prece, Protonotar 305 Petrus de Vinea 35, 113, 127, 195, 203, 213 Petrus Lombardus 75, 87, 103f. Petrus von Eboli, Dichter 218 Philipp II., König von Frankreich 16, 159 Philipp IV., König von Frankreich 38, 305 Philipp von Schwaben, König 30f., 39, 54 Philipp von Bolanden 55, 159 Philipp von Falkenstein 57 Philipp von Hohenfels 57 Plato 74 R Rahewin, Geschichtsschreiber 64, 68 Raimund VII., Graf von Toulouse 260 Raimund von Peñafort, Kanonist 118f. Rainald von Dassel, Erzbischof von Köln 26 Rainer von Viterbo, Kardinal 35 Raumer, Friedrich von 302 Reiner von Lüttich, Prior 232 Remedius von Chur 101 Richard Löwenherz, König von England 16

328

Personenregister

Richard Filangieri, sizilischer Marschall 253, 258-261 Richard von San Germano, Geschichtsschreiber 181, 240 Richer von Melfi, Bischof 252 Robert von Neapel, König 209 Robert Grosseteste, Bischof von Lincoln 89, 226 Robertus de Corson, Kardinal 210 Roffred von Benevent, Rechtsgelehrter 194, 200f. Roger II., König von Sizilien 15, 71f., 140, 175, 183 Roger Frugardi, Arzt 208 Roland von Parma, Chirurg 208 Rudolf von Habsburg, König 307, 316 Rudolf von Ems, Dichter 48, 286 S Sacrobosco, Johannes de 215 Saductus, sizilischer Richter 201 Salimbene von Parma 302-304 Salvus, Rechtsprofessor in Neapel 202 Schaller, Hans Martin 229 Schirrmacher, Friedrich Wilhelm 302 Seneca 66-69, 116, 125 Shakespeare, William 295f. Siboto von Augsburg, Bischof 283 Siegfried II.von Mainz, Erzbischof 160, 229 Siegfried III. von Mainz, Erzbischof 56, 281, 283 Siegfried von Regensburg, Bischof 278

Silvester I., Papst 24 Stefan, Abt von Montecassino 139 Sybel, Heinrich von 147 T Tannhäuser, Dichter 286 Terrisius von Atina, Rhetorikprofessor in Neapel 202f., 213 Tertullian 85, 90-92, 97, 100, 120, 133 Theodor von Antiochia 207, 217f. Thierry von Chartres, Philosoph 214 Thomas von Capua, Kardinal 113 Thomas von Aquino, Theologe, Philosoph 122-124, 203, 216, 222 Thomas von Aquino, Graf von Acerra 261 Thomas von Celano und Molise, Graf 141 Thorau, Peter 270 U Ulrich von Singenberg, Dichter 286 Ulrich von St. Gallen, Abt 243f. Ulrich von Türheim, Dichter 286 Ulrich von Winterstetten, Dichter 286 Urban II., Papst 14 Urso von Salerno, Arzt 220f.

Personenregister

V Valdes 11 Van Cleve, Thomas 205, 238, 243, 293 Victor IV., Gegenpapst 27 Villani, Giovanni 305 Volmar, Arzt Friedrichs II. 207 W Waldemar II., König von Dänemark 158f., 269f. Walter von Pagliara, Bischof von Catania 248 Walter von Schüpf-Limpurg 55, 282 Walther von der Vogelweide 10, 159, 274, 286f. Werner II. von Bolanden 53, 55 Werner III. von Bolanden 55f., 159, 268 Werner von Egisheim 257 Wernher, siehe Bruder Wernher Wilhelm II., König von Sizilien 163, 175f., 183 Wilhelm von Reims, Erzbischof 2 Wilhelm von Conches 74f., 82, 84f., 87 Wilhelm von Moerbeke, Übersetzer 87 Wilhelm von Ockham 226f. Wilhelm von Tocco, Biograph des Thomas von Aquino 203 Winkelmann, Eduard 243 Wolfelin von Hagenau 55, 273, 275 Wolfram von Eschenbach 10

329 Z

Zacharias, Papst 104f.

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