Stadtforschung von unten: Kelleruntersuchungen und ihr Beitrag zur Stadtbaugeschichte 9783035626780, 9783035625875

Cities are constantly changing. What often remains are the cellars as parts of buildings that exist underground, which a

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Stadtforschung von unten: Kelleruntersuchungen und ihr Beitrag zur Stadtbaugeschichte
 9783035626780, 9783035625875

Table of contents :
Inhalt
Keller als Quelle. Eine Einführung
Kellerforschung als baugeschichtliche Methode Ein historischer Überblick
Ein formgetreuer Stadtgrundriss auf Kellerniveau Darstellung des methodischen Vorgehens bei der Kellerforschung in Luckau
Ein Kellerkataster für Wittenberg Sein Wert für die Bauforschung und die Denkmalpflege
Das Kellerkataster der Meißner Altstadt und seine Auswertung Erkenntnismöglichkeiten und Grenzen bei der Erforschung der Stadtentwicklung
Der Kellerplan der Stadt Einbeck Praxisbericht zur flächendeckenden Erfassung und Dokumentation von historischen Gewölbekellern
Minus Null Mittelalterliche Kelleranlagen in Brandenburg an der Havel
Untersuchungsergebnisse zu den Kelleranlagen auf dem Bamberger Domberg
Kelleruntersuchungen an Beispielen der Paderborner Altstadt
Farbtafeln

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Stadtforschung von unten Kelleruntersuchungen und ihr Beitrag zur Stadtbaugeschichte

Kulturelle und technische Werte historischer Bauten Hg. von Klaus Rheidt und Werner Lorenz Band 8

Luisa Beyenbach, Alexandra Druzynski v. Boetticher (Hg.)

Stadtforschung von unten Kelleruntersuchungen und ihr Beitrag zur Stadtbaugeschichte

Birkhäuser · Basel

Publiziert mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Graduiertenkollegs 1913 »Kulturelle und technische Werte historischer Bauten«, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg; Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung Erkner; Archäologisches Institut der Humboldt Universität zu Berlin.

Wissenschaftlicher Beirat Dr. Bernd Adam, Dr. Markus Agthe, Dr. Christiane Brasse, Stefanie Brüggemann M.A., Dr. Birte Rogacki-Thiemann, Christian Misch M.A., Dipl.-Ing. Haiko Türk, Dr. Konstantin Wächter, Dr. Dorothee Heinzelmann Konzept: Luisa Beyenbach, Alexandra Druzynski v. Boetticher Projektkoordination: Albrecht Wiesener, Sophia Hörmannsdorfer Layout, Satz, Lektorat und Redaktion: Sophia Hörmannsdorfer Covergestaltung: Jörg Denkinger Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Umschlagabbildung: Zeichnung: L. Beyenbach auf Grundlage studentischer Aufnahmen der BTU Cottbus-Senftenberg, 2021

Library of Congress Control Number: 2022942670 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Dieses Buch ist auch als E-Book (ISBN PDF 978-3-0356-2678-0) erschienen. ISBN 978-3-0356-2587-5 © 2022 Birkhäuser Verlag GmbH, Basel Postfach 44, 4009 Basel, Schweiz Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

9 8 7 6 5 4 3 2 1

www.birkhauser.com

Inhalt

Keller als Quelle. Eine Einführung Luisa Beyenbach, Alexandra Druzynski v. Boetticher

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Kellerforschung als baugeschichtliche Methode Ein historischer Überblick Thomas Nitz

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Ein formgetreuer Stadtgrundriss auf Kellerniveau Darstellung des methodischen Vorgehens bei der Kellerforschung in Luckau Luisa Beyenbach

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Ein Kellerkataster für Wittenberg Sein Wert für die Bauforschung und die Denkmalpflege Antonia Brauchle

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Das Kellerkataster der Meißner Altstadt und seine Auswertung Erkenntnismöglichkeiten und Grenzen bei der Erforschung der Stadtentwicklung Knut Hauswald

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Der Kellerplan der Stadt Einbeck Praxisbericht zur flächendeckenden Erfassung und Dokumentation von historischen Gewölbekellern Thomas Kellmann

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Minus Null Mittelalterliche Kelleranlagen in Brandenburg an der Havel Joachim Müller

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Untersuchungsergebnisse zu den Kelleranlagen auf dem Bamberger Domberg Roman Schöpplein

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Kelleruntersuchungen an Beispielen der Paderborner Altstadt Sven Spiong

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Farbtafeln

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Keller als Quelle. Eine Einführung

Städte wandeln sich fortwährend und sind dabei mannigfaltigen Entwicklungen und Prozessen ausgesetzt. Die Veränderungen können schlagartig und umfassend geschehen, etwa nach Kriegszerstörungen oder Bränden, in deren Folge die Städte unter neuen städtebaulichen Vorstellungen wiederaufgebaut werden, oder aber kontinuierlich und räumlich punktuell, im Zuge fortschreitender baulicher Entwicklungen. Je länger eine Stadt besteht, desto mehr sich überlagernde Schichten weist sie auf. Einzelne Bauwerke werden in Folge sich wandelnder Wohnbedürfnisse und wiederholter Nutzerwechsel immer wieder modernisiert, neue Bautechniken und -materialien führen zu Eingriffen in die bestehende Bausubstanz. Bei Um- oder Wiederaufbau einzelner Bauwerke wurde dabei in der Vergangenheit häufig der Gebäudekern erhalten, und nicht selten wurden sogar bei Neubauten bestehende Fundament- oder Kellermauern der Vorgängerbebauung einbezogen. Diesem Umstand und der Tatsache, dass Keller aufgrund ihrer untergeordneten Funktion diesen Modernisierungen weniger stark ausgesetzt sind, ist es zu verdanken, dass vielerorts unter der oberirdisch erneuerten Stadt im Untergrund ältere Bausubstanz erhalten blieb. Damit kommt historischen Kellern eine besondere Rolle zu – sie werden zu Trägern von Informationen über oberirdisch nicht mehr sichtbare stadtbaugeschichtliche Phasen. Thomas Kellmann formuliert es so: »Der Grundriss, die Bebauungs- und Parzellenstruktur der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt spiegelt sich demnach weniger im Hochbau als in der Kellerebene wider.«1 Bereits in den 1950er Jahren wurden Keller als Untersuchungsobjekte in diesem Zusammenhang identifiziert. Seitdem etablierte sich, wenn auch langsam, eine Kellerforschung, bei der Keller nicht primär als Teile einzelner Bauwerke zur Klärung ihrer Baugeschichte als untersuchenswert betrachtet, sondern in ihrer Summe als Quelle für die Stadtforschung erkannt werden. Die methodische Herangehensweise der Untersuchungen ist vielfältig und kann im Wesentlichen in zwei Gruppen unterteilt werden: Entweder erfolgt eine Konzentration auf aussagekräftige Einzelobjekte und die anschließende Projektion der erzielten Ergebnisse im Analogieschluss auf weitere Objekte im Stadtgebiet, oder es wird eine flächendeckende Erfassung eines zuvor definierten Gebietes angestrebt. In Bezug auf die Detaillierung der Untersuchung bewegen sich die Ansätze wiederum zwischen einerseits eher grober Erfassung einzelner Merkmale sowie Anfertigung von Skizzen und andererseits einer ausdifferenzierten Bauphasenerfassung samt präzisem Aufmaß. Unabhängig von diesen grundsätzlichen methodischen Wegen unterliegt die Kellerforschung einer allgemeinen Entwicklung, die zum einen auf der Etablierung neuer Untersuchungsmethoden in den Bereichen des Aufmaßes und der Bauforschung gründet, zum anderen aber von der Analyse und der darauf basierenden Optimierung vorangegangener (Keller-) Erfassungen profitiert.2 So ist die gegenwärtige Kellerforschung gegenüber der älteren vor allem ausdifferenzierter, da neben der Bausubstanz selbst auch Erkenntnisse aus archäologischen Untersuchungen sowie Auswertungen relevanter Schriftquellen einbezogen werden. Die Dokumentation der Bausubstanz beinhaltet dabei meist eine dem Maßstab adäquate Bauforschung samt Fotodokumentation; ein Aufmaß scheint als Grundlage unerlässlich. Es wird allerdings diskutiert, ob dieses verformungsgetreu zu sein hat und welchen Mehrwert angesichts des vergleichsweise größeren Zeitaufwands es in dieser Form bietet. Nicht zuletzt werden die gewählten Methoden und die Intensität vom Anlass der Untersuchungen

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Luisa Beyenbach, Alexandra Druzynski v. Boetticher

und finanziellen Rahmenbedingungen beeinflusst. So werden an einigen Orten die Erfassungen im Zuge von Stadtsanierungsmaßnahmen oder Inventarisierungskampagnen durchgeführt, während sie andernorts die Summe von Einzeluntersuchungen im Kontext von Baumaßnahmen im Laufe vieler Jahre darstellen. Die Gefahr, dass die Ergebnisse aufgrund fehlender Zeit für wissenschaftliche Auswertung unpubliziert in den Archiven der Landesdenkmalämter landen, ist hierbei groß. Rein wissenschaftliche, flächige Kelleruntersuchungen bleiben die Ausnahme. Um den aktuellen Stand der methodischen Herangehensweise zu ermitteln und darüber hinaus eine Diskussion zwischen den verschiedenen, an Kellerforschungen beteiligten Disziplinen zu ermöglichen, fand am 15. Juni 2018 an der BTU Cottbus-Senftenberg die Tagung Kelleruntersuchungen als Methode der stadtbaugeschichtlichen Forschung statt. Die vorliegende Publikation dokumentiert die Beiträge dieses vom DFG-Graduiertenkolleg 1913 »Kulturelle und technische Werte historischer Bauten« geförderten Kolloquiums.3 Bereits 2005 hatten sich die Teilnehmer*innen der in Stralsund abgehaltenen Tagung Keller in Mittelalter und Neuzeit – Beiträge zur Archäologie, Baugeschichte und Geschichte mit der Entwicklungs­ geschichte von Kellern und den Auswertungsmöglichkeiten von Kellerkatastern beschäftigt. Der geografische Fokus lag dabei dezidiert auf der Hansestadt Stralsund, bezog jedoch mit Fallbeispielen das gesamte norddeutsche Gebiet mit ein. In einem zeitlichen Abstand von 13 Jahren wollten die Organisatorinnen der Cottbuser Tagung einen erneuten intensiven Austausch der Fachgemeinschaft ermöglichen, vor allem aber die Diskussion verstärkt auf die Potentiale der Kellerforschung für stadtbaugeschichtliche Fragestellungen fokussieren. Im Zentrum des Interesses stand daher die Frage, ob und wenn ja, inwieweit sich bauforscherische Untersuchungen von erhaltenen historischen Kellern als Instrument für die Erforschung der Stadtbaugeschichte eignen. So sollte erläutert werden, in welchem Maß städtische Transformationsprozesse in Kellerkomplexen über den Verlauf von Jahrhunderten ablesbar bleiben und welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit frühe Bauentwicklungen eines Stadtgebiets mit jüngerer oberirdischer Bebauung durch eine ausgiebige Kellerforschung nachgezeichnet werden können. Dabei ist insbesondere interessant, welche speziellen Vorgehensweisen sich bei der zusammenhängenden Untersuchung vieler Einzelbauten für die Bearbeitung bestimmter Forschungsaspekte eignen. Zudem sollte thematisiert werden, ob ein präzises Aufmaß der Kellersubstanz einen Mehrwert für die Erkenntnisse darstellt oder ob skizzenhafte Bauaufnahmen ausreichend sind. Der Tagungsband versammelt Aufsätze, die sich mit konkreten Fallbeispielen (Luckau/Niederlausitz, Wittenberg, Meißen, Einbeck, Brandenburg an der Havel, Bamberg und Paderborn) beschäftigen und deren Gemeinsamkeit das Ansinnen ist, Informationen zur oberirdischen Entwicklung aus der erhaltenen Bausubstanz der Keller zu extrahieren. Die sich hierbei ergebende ungleichmäßige geographische Verteilung ist nicht beabsichtigt, sie spiegelt lediglich die in den letzten Jahrzehnten durchgeführten Untersuchungen wider. Eingeleitet wird der Band von einem Beitrag von Thomas Nitz, der einen historischen Abriss der Kellerforschung liefert. Darin werden alle wichtigen Untersuchungsorte im deutschsprachigen Raum und ihre Bearbeiter*innen nach dem Zweiten Weltkrieg, und damit überhaupt seit dem Beginn solcher Untersuchungen hierzulande, bis in die Gegenwart dargelegt, kurz beschrieben und in Beziehung zueinander gesetzt. Ein großer Mehrwert des Aufsatzes ist, dass sowohl publizierte als auch unpublizierte Forschungsergebnisse vorgestellt werden. Besondere Würdigung erfährt dabei die Arbeit von HansHartmut Schauer zu den Merseburger Kellern aus den 1960er Jahren, die im Hinblick auf die methodische Herangehensweise Maßstäbe setzte. Die in den 1970er Jahren für das schweizerische Bern

Keller als Quelle. Eine Einführung

erfolgte Kellererfassung unter der Leitung von Paul Hofer wird dagegen kritisch bewertet, konkret der Versuch, Erkenntnisse aus der reinen Plandarstellung zu ziehen, ohne sie bauhistorisch zu verifizieren. Die Arbeiten, die federführend von Leo Schmidt in Freiburg i. Br. in den 1980er Jahren durchgeführt wurden, werden von Nitz als »Qualitätssprung in der Kellerforschung«4 beurteilt, vor allem, da sie durch die Einbeziehung von Mittelalterarchäologie, Hausforschung und Dendrochronologie einen integrativen Ansatz verfolgten. Die Untersuchungen zu Merseburg, Bern und Freiburg werden als wegweisend für alle weiteren Kelleruntersuchungen im deutschsprachigen Raum beurteilt. Luisa Beyenbach stellt in ihrem Aufsatz das methodische Vorgehen bei der Herleitung der Stadtgestalt des brandenburgischen Luckau aus der baulichen Entwicklung der einzelnen Keller vor. Dabei geht es u. a. um die Klärung der für die Stadtgenese relevanten Frage, inwieweit detaillierte Untersuchungen von konkreten Objekten die Veränderungen der Parzellenaufteilungen und des Straßensystems widerspiegeln. Der Schwerpunkt des Beitrags liegt auf der kritischen Betrachtung der Methodik. Die Autorin beschreibt u. a. deren Möglichkeiten und Grenzen und formuliert die notwendigen Rahmenbedingungen. Die zentrale Rolle spielt die Bewertung des Nutzens des Aufmaßes, bei dem die Lage und Ausrichtung der Keller präzise vermessen wird, um damit die Zusammenhänge der Keller zueinander wie zur oberirdischen Bebauung festzustellen. Des Weiteren wird die Einbindung der Bauforschung und der archäologischen Grabungsergebnisse thematisiert und abschließend die allgemeine Frage nach der Datierbarkeit von Kellern aufgeworfen. Antonia Brauchle stellt die grundsätzliche Frage nach dem Wert einer Kellererfassung für Historische Bauforschung und Denkmalpflege. Anhand der systematischen Erfassung und Auswertung der Kelleranlagen erörtert die Autorin deren Beitrag zur Erforschung der Stadt als bauliches und soziales Gefüge, die für Wittenberg im Rahmen eines großangelegten, interdisziplinären Projekts erarbeitet wurde. Dabei spielt die zeitliche Einordung der Keller eine wichtige Rolle, die u. a. anhand von chronologischen Abfolgen der Baumaterialien und der Deckenausbildung erstellt wurde. Obwohl ober­irdisch alle Bürgerhäuser in die Zeit nach 1490 datierten, konnte in den Kelleranlagen bis ins 13. Jh. reichende Bausubstanz ausgemacht werden. Für die Erforschung der Stadtentwicklung plädiert Brauchle jedoch für ein Zusammenspiel aus Kellerkataster (»Bauforschung in der Breite«) und detaillierten Einzeluntersuchungen (»Bauforschung in die Tiefe«). Einen weiteren Aspekt des Aufsatzes stellt die Herausarbeitung unterschiedlicher Kellertypen dar, die mit konkreten Nutzungen in Verbindung gebracht werden. Im Mittelpunkt des Interesses in Knut Hauswalds Aufsatz stehen die frühen Ausbauphasen der sächsischen Bischofsstadt Meißen. Der Autor unternimmt den Versuch, mit Untersuchungen der Keller­substanz die Transformation der präurbanen Struktur der vor 1200 planmäßig angelegten Stadt nachzuzeichnen und Argumente für eine der beiden bislang in der Forschung postulierten Gründungs­hypothesen zu finden. Das konkrete Werkzeug ist die Systematisierung der Keller in Gruppen unterschiedlicher baulicher Charakteristika, wie der Lage innerhalb der Parzellen, der Gewölbeform oder bautechnischer Merkmale des Mauerwerks. Die in Meißen vergleichbar zahlreich erhaltene mittelalterliche Bausubstanz auch der oberirdischen Bebauung bietet, im Vergleich zu anderen Fallbeispielen dieses Bandes, mehr Ansatzpunkte für die Datierung dieser Gruppen. Bei der Suche nach der baulichen Disposition, also der ursprünglichen Parzellierung der Stadt, kann Hauswald aus der Kellerbebauung ein Raster ableiten. Thomas Kellmann greift für seine Darstellung der Stadt Einbeck auf Kelleruntersuchungen der 1990er und 2000er Jahre zurück, bei denen rund 500 Keller dokumentiert und untersucht wurden. Einbeck gehört zur Gruppe der wirtschaftlich prosperierenden, spätmittelalterlichen Städte, deren wichtigstes Exportgut Bier war. Ihre Keller besaßen einst herausragende Bedeutung, da sie für den

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Luisa Beyenbach, Alexandra Druzynski v. Boetticher

Prozess des Bierbrauens unerlässlich waren. Kellmann stellt den Einfluss der ökonomischen Entwicklung und des technologischen Geschehens auf die Bausubstanz dar. Aufgrund der hohen Zahl untersuchter Keller sind seine Aussagen besonders belastbar. Einer der behandelten Schwerpunkte ist das bauliche Verhältnis zwischen oberirdischer und unterirdischer Bebauung und das damit verbundene Thema der Erschließung von Kellern, bei dem eine Chronologie der Varianten, inklusive der sie bedingenden Faktoren, vorgestellt wird. Abschließend werden am Einbecker Beispiel die mit der Ausweisung von Kellern als bauliche Denkmale einhergehenden Probleme thematisiert. Auch Joachim Müller stellt in seinem Beitrag zu Brandenburg an der Havel umfangreiche Erkenntnisse früherer Kelleruntersuchungen vor, die sich im Fall Brandenburgs aus einer Schnellerfassung 1990, einem 1991 angefertigten Kellerkataster und verschiedenen bauforscherischen und archäologischen Einzeluntersuchungen der vergangene 30 Jahre speisen. Vor allem die im Beitrag vorgestellten Holzkeller ergänzen das im Tagungsband behandelte Sujet. Ihr ausschließlich archäologisch fassbarer Bestand ist für die Stadtbaugeschichte von herausragender Bedeutung, da mit den daran durchführbaren dendrochronologischen Untersuchungen präzise Datierungen möglich sind und beispielsweise das Bestehen der städtischen Siedlung um/nach 1200 belegt werden kann. Die Mehrzahl der Brandenburger Keller ist jedoch in massiver Bauweise errichtet. Müller beschreibt unterschiedliche Beispiele, auch unter Sonderbauten wie dem städtischen Kaufhaus, und ordnet sie über zahlreiche Vergleiche in den Baukontext Norddeutschlands ein. Roman Schöpplein rekonstruiert in seinem Beitrag über die Erforschung der Keller die frühe profane Bebauung auf dem Bamberger Domberg. Im Mittelpunkt seines Interesses stehen ehemalige Kurien, die einst als kleine Hofeinheiten den Domherren zu Wohnzwecken dienten und später in der renaissance- und barockzeitigen Bebauung aufgingen. Durch Begehungen und typologische Analysen identifiziert der Autor die mittelalterliche Bausubstanz, um sie anschließend mit historischem Bildmaterial sowie Schriftquellen und Ergebnissen der Untersuchung der oberirdischen Bauwerke abzugleichen. Diese Methodik wird beispielhaft an sieben Kurien beleuchtet und anschließend kritisch evaluiert. In Sven Spiongs Beitrag werden die Vorzüge der archäologischen Kellerforschung ersichtlich, die im beschriebenen Fallbeispiel Paderborn aus einem Zusammenspiel bauforscherischer und archäologischer Untersuchungen an einzelnen Objekten besteht. Dabei beschreibt der Autor sehr anschaulich die Dringlichkeit, die untersuchten Kellermauern im Zusammenhang mit dem bauzeitlichen Geländeniveau zu betrachten. Dies gilt insbesondere für Orte wie Paderborn, wo aufgrund der sich im Verlauf der Jahrhunderte stark veränderten Topographie ehemals ebenerdig errichtete Gebäude bis 5 m unter dem heutigen Laufhorizont liegen. Mit den Untersuchungen ließen sich für Paderborn das Aufkommen erster Keller im städtischen Kontext in der Mitte des 11. Jhs. feststellen sowie eine Wandlung der Keller hinsichtlich Gestalt, Materialität und Lage auf der Parzelle und die damit einhergehende Veränderung der Stadtgestalt detailliert nachzeichnen. Dieser Tagungsband spiegelt deutlich die große methodische Breite in der Kellerforschung wider. Dabei eint die versammelten Beiträge die Überzeugung, dass Keller als Quelle für die Stadtbaugeschichts­ forschung relevant sind. Die vorgestellten Forschungsansätze unterscheiden sich in ihrer disziplinären Verankerung und damit zumeist auch in der Berücksichtigung weiterer Quellengruppen neben der Kellersubstanz. Auch die angewendeten Aufmaßmethoden und gewählten Erfassungstiefen sind breit gefächert. Eine große Herausforderung bleibt für alle Ansätze die absolute Datierung. Keller sind hinsichtlich des architektonischen Anspruchs den oberirdischen Gebäudeteilen stets untergeordnet und beinhalten dementsprechend selten datierbare Elemente. Deshalb ist es besonders wertvoll und

Keller als Quelle. Eine Einführung

zielführend, wenn Dendrochronologie und Archäologie in die bauhistorischen Untersuchungen einbezogen werden können. Eine offene Frage bleibt auch nach dieser Tagung unbeantwortet und wird mit fortwährender Forschung zu prüfen sein: Können anhand der Bauformen und Kellertypologien Rück­ schlüsse auf die Nutzungen durch die Bewohnerschaft und damit auf das städtische Sozialgefüge gezogen werden? Oder ist dafür eine Auswertung archivalischer Quellen unumgänglich? In allen Fallbeispielen wird evident, dass Keller eine eigene geschichtliche Ebene der Stadt bilden, die nahezu unabhängig von der heutigen oberirdischen Bebauung existiert und aus der sich Erkenntnisse zur Siedlungsentwicklung gewinnen lassen, die über andere Quellen nicht generiert werden können. Diese Schlussfolgerung unterstreicht den wissenschaftlichen Mehrwert von Kellerkatastern. Eine methodische Gebrauchsanweisung für Kellerforschung kann selbstverständlich auch in diesem Band nicht präsentiert werden; zu unterschiedlich sind die individuellen Begebenheiten in den jeweiligen Städten, zu unterschiedlich die baukulturellen Traditionen und stadtgeschichtlichen Vorkommnisse. Cottbus, im Juli 2022 Luisa Beyenbach und Alexandra Druzynski v. Boetticher

1 Kellmann im vorliegenden Band, 79. 2 Vgl. den Beitrag Nitz im vorliegenden Band, 16. 3 Leider muss dieser Tagungsband ohne die interessanten Vorträge von Bernhard Flüge über Freiburg, von Christian Matthes über Frankfurt/Oder und von Astrid Schneck über die Bierkeller in Schweinfurt veröffentlicht werden. Zusätzlich konnte Knut Hauswald für einen Schrift­beitrag gewonnen werden. 4 Vgl. den Beitrag Nitz im vorliegenden Band, 16.

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Kellerforschung als baugeschichtliche Methode Ein historischer Überblick

Thomas Nitz

Keller wurden als eigenständiger Betrachtungs­ gegenstand der bauhistorischen Forschung außerhalb Frankreichs erst seit den Kriegszerstörungen des Zweiten Weltkrieges »entdeckt«, als mancherorts, wie z.B. in Magdeburg oder Warschau, nur wenig mehr als die Keller dinglich erhalten waren. Von den unmittelbar nach dem Krieg durchgeführten Untersuchungen wurde lediglich zu Prag ein Aufsatz von Rudolf Hlubinka zeitnah 1947 veröffentlicht.1 Etwa gleichzeitig publizierte auch Élie Lambert zur bereits älteren Tradition der Kellerforschung in Frankreich,2 was jedoch im deutschsprachigen Raum nicht rezipiert wurde. Erst zehn Jahr später erschienen dann die ersten Teilpublikationen zu den Magdeburger Ergebnissen durch Hans-Joachim Mrusek 1956/573 und von Jan Zachwatowicz zu Warschau 19564. Die Abschlusspublikation zu den Arbeiten in Magdeburg erfolgte gar erst weitere zehn Jahre später in der Mitte der 1960er Jahre.5 Noch vor Erscheinen der Ergebnisse zu Warschau und Magdeburg entstanden in den frühen 1950er Jahren an der TU Darmstadt in der Tradition Karl Grubers stadthistorische Arbeiten, die auch baugeschichtliche Forschungen zu Kellern zum Inhalt hatten. Die erste dieser Arbeiten war die Dissertation Arwed Hoyers zu Frankenberg/Eder von 1953,6 die jedoch nie publiziert wurde und daher keine weitere Wirkung entfalten konnte. Überregionale Bedeutung erlangten hingegen die Kellerforschungen zu Gelnhausen, die Teil einer von Anton Fuhs 1955 vorgelegten Darmstädter Dissertation7 waren und die er im Jahr 1957 in einem programmatischen Aufsatz

Ein Beitrag zur Methodik der Kellerforschung8 und nochmals 1960 publizierte.9 Er verwies darin auf Vorarbeiten von Heinrich Winter zu Heppenheim und Adolf Bernt zu Konstanz.10 Fuhs betonte in seinen Arbeiten vor allem die Bedeutung der Keller als bislang unerschlossene Quellengruppe, die durch Aufmaß und baugeschichtliche Einordnung von Architekten für die stadtgeschichtliche Forschung zusätzlich zu den bekannten Quellengattungen der Schriftquellen und der Stadtpläne erschlossen werden könne. Die Arbeiten von Fuhs waren auf Jahrzehnte hinaus einer der wesentlichen wissenschaftlichen Bezugspunkte für die Kellerforschung. Ausdrücklich auf seine Publikationen bezogen sich z. B. in den 1960er Jahren Rolf Aulepp und Hans-Hartmut Schauer bei ihren Arbeiten zu Mühlhausen/Thüringen und Merseburg. Die beiden zuletzt Genannten waren Mitarbeiter eines Forschungsprojektes der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin, das im Vorfeld geplanter Stadtumbauprojekte gezielte Keller­forschungen zu Magdeburg, Merseburg, Mühlhausen, Görlitz und Halle an der Saale umfasste. Das Berliner Akademieprojekt begann nach der Bearbeitung der Magdeburger Arbeiten mit systematischen Kelleraufnahme seit 1962 in Mühlhausen/Thüringen durch Rolf Aulepp, wobei dessen Ergebnisse erst ab 197311 in Form von Aufsätzen in regionalgeschichtlichen Periodika mit nur begrenzter Auflage und Reichweite, jedoch in der Folge in größerer Anzahl und über mehrere Jahrzehnte publiziert wurden. Insofern hatten die Arbeiten Aulepps Auswirkungen auch noch auf die Keller­forschung der 1990er und 2000er

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Thomas Nitz

Jahre im gesamten mitteldeutschen Raum. Seine Kellererfassungen sind akribisch dokumentiert und liegen im Original im Reichstädtischen Archiv Mühlhausen12 sowie in Abschriften im Archiv des Thüringischen Landesdenkmalamtes vor. Die im Rahmen des Berliner Akademieprojek­ tes ab 1967 durch Ingrid Kirsten durchgeführten Kelleraufnahmen in Halle an der Saale hingegen blieben bis auf einen Aufsatz, der sogar erst 1986 erschien, unpubliziert und auch die von einer Arbeits­gemeinschaft in Görlitz durchgeführten Keller­forschungen wurden nicht veröffentlicht. Einzig die im Rahmen des Akademieprojektes von Hans-Hartmut Schauer ab 1963 durchgeführten Keller­untersuchungen in Merseburg mündeten

1967 in eine Dissertation,13 wurden aber bedauerlicherweise erst weitere zehn Jahre später, 1977, lediglich in Form eines größeren Aufsatzes publiziert und von der späteren Forschung offenbar nicht wahrgenommen.14 In diesem Aufsatz mit dem Titel Kellergewölbe in Merseburg. Neue Materialien und Erkenntnisse zur Frühgeschichte der Stadt legte Schauer bereits einen weitgehend vollständigen methodischen Überblick zur Keller­ forschung vor, der nach Meinung des Autors bis heute Gültigkeit behalten hat und dem seither auch nichts substanziell Neues hinzugefügt werden konnte (Abb. 1). Wie schon Fuhs sah Schauer in den Keller­ anlagen eine wesentliche Quelle vor allem für die

1  Merseburg, Obere Burgstraße 9a, Bestandsaufnahme der Keller von Hans-Hartmut Schauer.

Kellerforschung als baugeschichtliche Methode

innerhalb der Bauschichtenfolge der gleichen Anlage. Er quantifiziert auch deren Erfolgsrate: »In Merse­burg wurden mit Hilfe dieser drei Da­tie­rungs­ möglichkeiten von 499 Kellergewölben 105 genau und weitere 39 ungefähr datiert.«16 Weiterhin wurden gemäß der Prämisse, »daß Gewölbe, deren Form oder technische Einzel­heiten den bereits datierten Gewölben17 gleichen, auch deren Alter besitzen«18, sowie durch Maß- und Flä­chen­ver­glei­ che weitere statistische Vergleiche zur zeitlichen Einordnung einzelner Keller angewandt. Außerdem verwies Schauer bereits auf die zu dieser Zeit noch sehr selten genutzten Da­tie­rungs­mög­lich­keiten

3  Merseburg. Zusammenstellung von Kellerpfortenformen in chronologischer Folge von Hans-Hartmut Schauer.

2  Merseburg. Kartierung mittelalterlicher Keller von HansHartmut Schauer zur siedlungshistorischen Analyse.

stadtgeschichtliche Forschung (Abb. 2). Dabei entwickelte er den bauhistorischen Ansatz sehr viel weiter: Für Aussagen zur Stadtkernforschung sind die Fest­ stellungen über Lage und Größe der Kellergewölbe, über bautechnische Einzelheiten, Inschriften u. a. von großem Interesse. Am wichtigsten ist es jedoch, zunächst die Ent­ ste­hungszeit der Kellergewölbe zu ermitteln, da aus der Datierung dieser ältesten Bauteile wesentliche Er­kennt­ nisse über die topographische Entwicklung der frühen Stadt gewonnen werden können. Den Datierungs­ versuchen muß eine möglichst vollständige Aufmessung aller Keller­gewölbe innerhalb eines einheitlichen Unter­ suchungsgebietes vorangehen, da bei den wenigen Anhalts­punkten die annähernd sichere Datierung nur durch eine große statistische Menge abgesichert werden kann.15

Als Datierungsmöglichkeiten benennt er: 1. Bau­ inschriften, 2. gestalterische Einzelformen der Gewölbe und Türgewände (Abb. 3), 3. Zuordnung

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der Radio­karbon(C14)-Methode und der Dendro­ chronologie.19 Als weiterführende Erkenntnis aus den im Rahmen des Akademieprojekts in Merseburg gewonnenen Erfahrungen fasste Schauer für künftige Kellerforschungen zusammen: Für ähnliche Untersuchungen in anderen Städten werden Aufmessungen von mindestens 100 Kellergewölben als Un­ter­su­chungs­grundlage für nötig gehalten. Im Einzelnen sind dabei zu beobachten und aufzumessen: Länge, Breite und Höhe aller Gewölbe, Gänge, Zugänge und Verbindungsbauten;

Bezugspunkte zur Lage des Grundstücks und benachbarter Gewölbe sowie zur Geländehöhe;

Formen der Gewölbe, Gewände und sonstiger Öffnungen; Material, Technik der Steinbearbeitung und -vermauerung; Fußbodenausbildung, Brunnen, Einbauten;

Inschriften, Baufugen, Spolien, ältere Bauteile und andere Betrachtungen. 20

Diese Angaben können bis heute ohne Ver­än­de­ rung als Aufgabenstellung für eine Keller­unter­su­ chung verwendet werden. Interessanterweise gibt Schauer auch sehr präzise die Arbeitsweise, verwendete Hilfsmittel und den zeitlichen und personellen Aufwand für die Kelleruntersuchungen 1962/63 in Merseburg an. Demnach wurden die 500 Kellerräume im Laufe von 13 Monaten von drei Personen in insgesamt 1.800 Stunden aufgemessen. Die Umzeichnung und Aufbereitung dauerten weitere 1.200 Arbeits­ stunden. Verwendet wurden Maßbänder und Messstäbe, die Mauerwerksstrukturen wurden mit Hilfe eines 1 x 1 m Rasters aus verknoteten Fäden in 20 cm Teilung auf Millimeterpapier maßstäblich übertragen. Die Feldbuch-Grobaufmaße wurden in geeignete Maßstäbe (Lageübersicht 1:500, Grundrisse und Schnitte 1:100, Details 1:20) umgezeichnet.21 Nur auf die später übliche systematische Fotodokumentation wurde bei den Merseburger Arbeiten verzichtet, es wurden lediglich exemplarische Aufnahmen angefertigt. Vermutlich unabhängig vom Berliner Aka­de­ mie­projekt verfolgte der seit 1962 als Professor für Stadt­bau­geschichte an der ETH Zürich wir-

kende Paul Hofer einen ähnlichen Ansatz. Bereits 1958 hatte er im Zuge der Bearbeitung des Denk­ mäler­inventars für Bern Keller­untersuchungen veranlasst. Er sah in der Untersuchung der Keller eine wichtige zusätzliche Quelle für die stadtgeschichtliche Forschung, die er erstmals 1970/72 und dann systematisch in den Jahren 1978–80 mit einer großangelegten Keller­ erfassung für Bern praktisch anwandte. Er ließ dabei einen sog. Kellerplan, bestehend aus einem zusammenhängenden Grundriss aller bestehenden historischen Keller der Stadt, anfertigen, den er als den ursprünglichsten Grundriss der Stadt ansprach. Dies publizierte er erstmals 1980 im Katalog zu einer Ausstellung22 und dann als Aufsatz gemeinsam mit weiteren Autor*innen 1982.23 Die Kelleraufnahmen in Bern waren nur durch die geförderte Beschäftigung arbeitsloser Zeichner und von Studierenden möglich. Es wurden 1.900 Kellerräume in 14.000 Arbeitsstunden mit Klapp­ meter, Messband und Senkblei als Maßskizzen aufgenommen und die Grundrisse abschließend umgezeichnet. Die grundsätzlich vorgesehene bauhistorische Auswertung der Dokumentationen unterblieb jedoch. Methodisch war der Berner Kellerplan damit ein Rückschritt gegenüber den Arbeiten Schauers, da Hofer vor allem an der von ihm betriebenen Planauswertung bezüglich der Rückschreibung »Zähringischer Gründungs­ städte« interessiert war und von der irrigen Annahme ausging, dass der Keller stets das älteste Bauteil eines Gebäudes sei. Der Aussagewert der flächigen Kellerpläne ohne deren entsprechende bauhistorische Untersuchung und zeitliche Einordnung ist daher nur gering. Dies wurde schon kurz nach der Veröffentlichung in der Forschung kritisiert.24 Indem die Arbeiten jedoch publiziert und in der Forschung rezipiert wurden, waren Hofers Kellerpläne zentraler Bezugspunkt für weitere Kellerforschungen in den 1980er Jahren. Auf den Ansätzen Hofers aufbauend begannen systematische Kelleruntersuchungen in der Zähringer­stadt Freiburg i. Br. in den 1980er Jahren durch Josef Diel, Peter Schmidt-Thomé

Kellerforschung als baugeschichtliche Methode

und Leo Schmidt,25 wobei vor allem ein Aufsatz Schmidts von 198526 einen Qualitätssprung in der Kellerforschung dokumentiert, indem darin erstmals ein integrierter For­ schungs­ ansatz beschrieben wird, der die systematische flächige Keller­aufnahme mit der damals neu gebildeten Mittel­alter­archäologie und den verschiedenen Methoden der Hausforschung verknüpft. Erstmals wurde auch die Da­ tie­ rungs­ methode der Dendro­chrono­logie in der Kellerforschung mit Erfolg eingesetzt, auf deren Potential schon Schauer hingewiesen hatte (Abb. 4). Die Arbeiten zu Freiburg entstanden im Rahmen der Denk­ mal­inventarisation als Grundlage für die künftige denk­ mal­ fachliche Bewertung geplanter

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Veränderungen, was zumindest in Ansätzen auch den Anlass für die Berner Keller­aufnahmen bildete.27 Der methodische Fortschritt und die herausragende Qualität der Freiburger Kellerforschung in dieser Zeit zeigt sich dabei beispielhaft im Vergleich mit dem seit 1971–92 laufenden, wohl umfang­reichsten Denk­mal­erfassungsprojekt seiner Zeit, den »Bau­alters­plänen zur Stadtsanierung« der Stadt Regensburg. In diesem Mammutprojekt wurden sämtliche Grundstücke der Altstadt von Regens­burg begangen und erfasst, wobei auch die Keller Bestandteil der Erfassung waren. Die Erfassung erfolgte allerdings nur verbal-beschreibend und nahezu ohne bauhistorische Detail­be­ wer­tung, so dass diese Kellererfassung trotz der

4  Freiburg im Breisgau, Kellerplan der Altstadt, Projektleitung: Leo Schmidt.

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vollständigen Publikation für die Forschung nahezu ohne Erkenntnis­gewinn blieb.28 Hingegen wurden in dem etwas später begonnenen, großangelegten stadtgeschichtlichen For­ schungs­projekt Der Profanbau der Innenstadt Lübeck – Historische Zusammenhänge zwischen Bau­struktur und Nutzung29 die Forschungsansätze aus Bern und Freiburg aufgenommen und flossen in die dort entstehenden Arbeiten von Jens Holst und Michael Scheftel ein.30 Insbesondere Jens Holst verweist ausdrücklich auf die Arbeiten Hofers und Schmidts.31 Zum Zeitpunkt der Publikation 1986 waren in Lübeck etwa 100 Keller erfasst, wobei lediglich 30 tatsächlich im Maßstab 1:50 aufgemessen waren. Die Fortführung der Aufmaße mit studentischen Arbeiten und sanierungs­ vorbereitenden Untersuchungen im Umfang von ca. 20 Keller­anlagen pro Jahr war geplant. In Süddeutschland wurde die systematische Kellerforschung im Zuge der Stadtsanierung von Schwäbisch Hall von 1988–91 und Schwäbisch Gmünd ab 1990 erstmals als vollständig flächenhafte Begehung und Vermessung durchgeführt.32 Die anschließende bauhistorische Einschätzung aller Keller in der Weiler- und Katharinenvorstadt von Schwäbisch Hall wurde durch Christian Schaetz und Donatus Bönsch 1994 umfangreich publiziert.33 Die wissenschaftliche Auswertung der Arbeiten fand in engem Austausch mit Historiker*innen und Bauforscher*innen statt.34 Dabei ist hervorzuheben, dass hier erstmals die Bearbeitung der Keller hauptsächlich durch Archäolog*innen durchgeführt wurde. Der methodische Ansatz, der von Schaetz und Bönsch auch ausführlich dargelegt wird, entspricht im Wesentlichen dem von Schauer, dessen Arbeiten ihnen jedoch nicht bekannt waren. Der zeitliche Aufwand wird von Schaetz und Bönsch nicht dargestellt, dürfte jedoch aufgrund der vergleichbaren Arbeitsweise ähnlich wie für Merseburg und Bern ermittelt bei etwa 6–7 Arbeits­stunden je Keller gelegen haben. Bauhistorische Reihenuntersuchungen zur Vorbereitung der damals nicht mehr als vollständiger Abbruch und anschließende Neubebauung

konzipierten Stadtsanierung wurden in den 1980er und 1990er Jahren vielerorts durchgeführt und vor allem in Baden-Württemberg deren Umsetzung in Form denkmalpflegerischer Fachpläne von Seiten der Denkmalfachbehörden stark forciert.35 Die vor allem in Süddeutschland und Lübeck gewonnenen Erfahrungen waren Grundlage erster Kellererfassungen im Zuge der beginnenden Stadtsanierungen in den neuen Bundesländern ab 1990. Eine der ersten Kellererfassungen erfolgte in Brandenburg an der Havel bereits 1991–92 durch Gabriele Koppe und Matthias Metzler.36 Dabei handelte es sich um eine Schnellerfassung, die in Form von bemaßten Skizzen, Beschreibung und Fotos vor allem einen vollständigen Überblick schaffte und damit in der Qualität dem Berner Kellerplan ähnelt. Das Brandenburger Kellerkataster wurde in der Folge jedoch insbesondere durch die Stadt­ archäologie ergänzt, bauhistorisch präzisiert und wissenschaftlich ausgewertet.37 Bereits 1993/94 wurde auch eine vor allem aus den Lübecker Erfahrungen gespeiste Kellererfassung für die Alt­ stadt von Schwerin durch Angela Gude und Michael Scheftel durchgeführt. Sie wurde im Auftrag der Stadt als vorbereitende Untersuchung zur Stadt­ sanie­rung beauftragt, jedoch nie publiziert.38 Einen Öffentlichkeitsschub erhielt die Keller­ forschung 1994 durch zwei sehr stark wahrgenommene Beiträge zur Erfassung der Keller und Gänge in Oppenheim in der Zeitschrift Die Denk­ mal­pflege.39 Dabei handelt es sich jedoch um den Sonderfall nachträglich in den Löss-Untergrund der Stadt gegrabener Gänge und Keller, die teilweise aufgegeben waren und zu bisweilen spektakulären Einbrüchen, wie dem eines Polizeiautos in ein in der Straße entstandenes Loch, führten. Ziel war daher nach der Erfassung vor allem die Sicherung zur Vermeidung weiterer Einbrüche.40 Derartige Gangsysteme sind auch aus Gera, Walden­burg, Lommatzsch und Zeitz mit ähnlichen Problem­stellungen bekannt.41 Im Jahr 1995 begann die flächendeckende Keller­untersuchung der Hansestadt Wismar unter der Leitung von Angela Gude und Michael Scheftel,

Kellerforschung als baugeschichtliche Methode

die schon Erfahrungen aus Lübeck und Schwerin einbringen konnten, und im selben Jahr wurden dieselben Bearbeiter mit der Erforschung der Keller in Quedlin­burg beauftragt.42 Für die bis 2001 abgeschlossene Bearbeitung des Kellerplanes für Wismar wurden auch Studierende der TU Berlin und der FH Lübeck beschäftigt. Im Ergebnis von Begehungen, Auf­maß­skizzen und Bau­akten­aus­wertung wurde ein nach Baublöcken zusammengefasster Keller­ plan im Maßstab 1:500 erstellt, der die Lage der Keller zueinander, in den Gebäuden und im Grund­ stücks­gefüge des Baublocks darstellt. Darüber hinaus wurden verschiedene Aus­wer­tungen erarbeitet, die die unterschiedlichen Keller­ab­deckungen und einen Baualtersplan beinhalten. Auf diesen Grundlagen können dann sowohl denk­mal­pfle­ge­ rische Bewertungen als auch stadt­ge­schicht­liche Forschungen erfolgen.43 In Struktur und Umfang ähnlich entstand ab 1995 auch die Kellererfassung in Naumburg. Dabei wurden die vier untersuchten Stadt­quar­tie­re jeweils an unterschiedliche freiberufliche Bearbeiter (Michael Back, Elmar Altwasser, Mark Bettge und Armin Schulz) vergeben, wobei in zwei Quartieren mit Mark Bettge zumindest derselbe Bearbeiter tätig war.44 In Erfurt war bereits seit den 1980er Jahren – inspiriert durch die Mühlhäuser Arbeiten Rolf Aulepps – eine Kulturbund-Arbeitsgruppe Keller­forschung gebildet worden und auch sehr aktiv in der Erfassung und Bewertung von Keller­ anlagen tätig. Diese jahrzehntelangen Vor­arbeiten konnten in die dann ab 1997 unter Leitung Elmar Altwassers großflächig angelegte Keller­erfassung einfließen, die mit zeitweise vier ABM-finanzierten Mitarbeiten unter dem Dach der städtischen Denk­ mal­ schutzbehörde durchgeführt und bearbeitet wurde. Erste Ergebnisse wurden in mehreren Aufsätzen 2001 und 2002 von Volker Düsterdick und Elmar Altwasser publiziert.45 Aufgrund der nicht gesicherten Finanzierung wurden die Arbeiten 2004 vorläufig beendet. Erst zwei Jahre später konnte eine Wiederaufnahme der Keller­ erfassung in Erfurt mit zwei ABM-finanzierten Mitarbeitern erreicht werden. Diese Arbeiten

wurden in einer zweiten großen Kampagne 2006– 11 unter Leitung von Michael Beyer mit deutlicher auf den aufgehenden Baubestand, Archivalien und Stadt­ent­wick­lungs­fragen ausgerichteter Auf­ ga­ben­stellung fortgesetzt, deren Ergebnisse im Archiv der Denkmalbehörden liegen, jedoch bislang nicht publiziert sind. Schon im Jahr 1995 begann das schließlich über 10 Jahre laufende Großprojekt der Keller­ erfassung in der Altstadt von Stralsund,46 wobei der Abschluss dieser zeitlich längsten und bis dato umfangreichsten Kellererfassung in Deutschland im Jahr 2005 Anlass für eine Tagung zum Thema Kellerkataster war, deren Ergebnisse schon 2006 durch Stefanie Brüggemann publiziert werden konnten.47 Neue Kellerforschungen wurden auch in den 2000er Jahren unternommen, so 2004 zu Freyburg an der Unstrut durch Reinhard Schmitt48 oder 2005–09 zu Bad Langensalza in Thüringen, wo als Voruntersuchungen zur Stadtsanierung und hauptsächlich über Mittel der Städtebauförderung finanziert eine Kellererfassungen in verschiedenen Abschnitten unter der Leitung von Thomas Nitz, Michael Beyer und Bernd Müller-Stückrad stattfand, bei der in insgesamt vier größeren Baublöcken etwa 300 Kellern dokumentiert und bauhistorisch bewertet wurden.49 Ab 2004 wurden im Rahmen der Bearbeitung des Denkmalinventars Bamberg eine Nach­be­ar­ bei­tung von 60 Kelleraufmaßen an acht Schwer­ punkten der Stadt initiiert,50 die schließlich in den 2012 erschienenen Teilband zum Stadt­denkmal Bamberg mit einem umfangreichen Kapitel zu Kellern und Keller­ anlagen Eingang fand.51 Bezüglich der Mög­lichkeiten und Grenzen der Nutzung u. a. von Keller­katastern entstand in diesem Zusammenhang 2005 ein Beitrag zur Nutzung Geographischer In­for­ma­tions­systeme.52 Auch der von Thomas Kellmann bearbeitete, 2017 erschienenen Band der Denk­mal­topographie der Stadt Einbeck enthält einen Keller­plan und einen eigenen Abschnitt zu den Kellern der Stadt.53 2005–12 wurde ein Kataster der historischen Keller­anlagen

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der Aschaffenburger Ober­stadt als Forschungs­ projekt mit Studierenden der Hoch­schule RheinMain in Wiesbaden erstellt, als Bau­phasen­plan ausgewertet und 2014 publiziert.54 Seit 2011 wird als Folge­projekt ein Kataster der historischen Keller­anlagen der Altstadt von Frankfurt am Main durch Studierende der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden in Kooperation mit der Denk­mal­ schutz­behörde der Stadt Frankfurt erstellt. Als Teil des großen Forschungsprojektes WittenbergForschungen wurden 2009–12 unter der Leitung von Antonia Brauchle mit Studierenden der TU Berlin die Keller der 232 Hausnummern der Altstadt von Wittenberg dokumentiert und unter verschiedenen Aspekten bauhistorisch bewertet und publiziert.55 Die an der TU Berlin eingereichte Dissertation mit dem Titel Kelleranlagen in Witten­berg liegt seit 2020 gedruckt vor.56 Keller­ forschungen mit der Beteiligung von Studierenden an der BTU Cottbus-Senftenberg boten schließlich 2018 den Anlass einer Tagung zur Kellerforschung, dessen Beiträge und Ergebnisse der vorliegende

Band beinhaltet. Großangelegte Kellererfassungen sind außerhalb von Hochschulprojekten derzeit nicht bekannt. Seit mehr als einem halben Jahrhundert werden Keller als Objekte der Baugeschichte untersucht. In dieser Zeit entstanden einige umfangreiche Kellerpläne, die ganze Stadträume umfassen. Die Dokumentationen sind in jedem Fall wichtige Hilfsmittel für die Denkmalschutzbehörden, sie können für stadtgeschichtliche Fragen hinsichtlich der Baugeschichte einzelner Bauten und der Siedlungsentwicklung der ganzen Stadt wichtige Quellen sein. Hinsichtlich des methodischen Vorgehens hat sich seit Schauers Arbeiten in Merseburg 1963 wenig verändert. Kellerforschung wird erst ab der Bearbeitung einer gewissen Anzahl räumlich zusammenhängender Keller (Schauer nannte die Zahl 100) zu brauchbaren Ergebnissen führen, wobei pro Keller mindestens sechs Arbeits­ stunden realistisch sind. Der enorme zeitliche Aufwand war und ist das begrenzende Element der Kellerforschung als baugeschichtliche Methode.

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17 Trotz der ausschließlichen Benennung von Gewölben war Schauer bewusst: »Die mit massiven Seitenwänden umgebenen ersten Keller waren anfangs mit Holz­bal­ken­ decken überdeckt, was in Norddeutschland auch späterhin die vorherrschende Bauweise blieb.« Schauer 1977, 110. 18 Schauer 1977, 111. 19 Schauer 1977, 112, Anm. 5. 20 Schauer 1977, 112. 21 Schauer 1977, 113. 22 Hofer 1980. 23 Hofer et al. 1982. 24 Baeriswyl 2018, 127–130 mit einer Zusammenfassung der Forschungsgeschichte zum Berner Kellerplan. 25 Schmidt / Schmidt-Thomé 1981. 26 Schmidt 1985. 27 Obwohl durch die Stadtarchäologie mit dem Bereich Stadtkernforschung und Monumentenarchäologie des Hochbauamtes Freiburg unter Leitung von Dr. Immo Beyer von 1985–98 weiterhin auch Keller untersucht wurden, erfolgte in Freiburg offenbar keine flächenhafte Erfassung in Form eines Kellerkatasters. In der jüngst veröffentlichten Historischen Ortsanalyse Freiburg im

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Hlubinka 1947. Lambert 1946. Mrusek 1956/57. Zachwatowicz et al. 1956. Nickel 1960/64. Hoyer 1953. Fuhs 1955. Fuhs 1957. Fuhs 1960. Fuhs 1957, 7. Aulepp 1973; Aulepp 1979; Aulepp 1993; Nitz / Stracke 2020. Stadtarchiv Mühlhausen, 86/204 (Rolf Aulepp, Keller­ berichte. Manuskript 1962–1969). Schauer 1967. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Arbeit von Schauer selbst in jüngeren Forschungsübersichten nur mit dem unveröffentlichten Typoskript der Weimarer Disser­ tation und nicht mit dem publizierten Aufsatz zitiert wird. So bei Gude / Scheftel 2000, Anm. 5, bei Brügge­mann 2002, Anm. 16 und bei Brauchle 2020, Anm. 174. Schauer 1977, 111. Schauer 1977, 111.

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Breisgau, aktualisiert 01/2018 werden Keller zwar als eigene Kategorie im Denkmalpflegerischen Werteplan, nicht jedoch als Kellerplan berücksichtigt: https://www. denkmalpflege-bw.de/fileadmin/media/denkmalpflege-bw/denkmale/projekte/bau-und-kunstdenkmalpflege/04_staedtebauliche-denkmalpflege/ortsanalysen/ortsanalyse_freiburg_aktual_2018.pdf (27.2.2021). Baualterspläne Regensburg 1973–93. 1980–84 von der Stiftung Volkswagenwerk gefördert. Holst 1986; Scheftel 1988. Holst 1986, 111, Anm. 12. Schaetz / Bönsch 1992. Schaetz / Bönsch 1994. Bedal 1994. Die flächenhafte Untersuchung der Keller in Schwäbisch Hall wurde begonnen, nachdem zuvor 1986–88 Reihenuntersuchungen mit Gefügeanalyse und dendro­chronlogischer Datierung des aufgehenden Bestandes durch H.-J. Bleyer und B. Lohrum erfolgt waren, die auch bereits die Dendrodatierungen der von Schmidt publizierten Freiburger Keller durchgeführt hatten. Schäfer 1994, 62, Anm. 13. Aus diesen Überlegungen entstanden in Baden-Württemberg die Denk­mal­pfle­ge­ ri­schen Wertepläne im Rahmen der Ortsanalyse.

Ahrendt-Flemming 2014 H. Ahrendt-Flemming: Das Kellerkataster der Aschaffenburger Oberstadt 2005–2012, Aschaffenburger Jahrbuch 30, 2014, 69–127. Altwassser 2001 E. Altwasser: Das Erfurter Kellerkataster – Zum Stand der Forschung im Frühjahr 2000, Archäologie und Bauforschung in Erfurt. Kleine Schriften des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt, Band V, 2001, 171–180. Altwasser 2002 E. Altwasser: Keller als archäologische Quelle: Die mittelalterliche Siedlungsstruktur Erfurts im Umfeld von Marktstraße und Fischmarkt, Erfurter Beiträge, H. 3, 2002, 103–110. Aulepp 1973 R. Aulepp: Mittelalterliche Keller sagen über die Sied­lungs­ geschichte von Mühlhausen aus, Eichsfelder Heimathefte, H. 1, 1973, 75–76. Aulepp 1979 R. Aulepp: Die Aufgaben der topographischen Stadt­kern­for­ schung in Mühlhausen, Mühlhäuser Beiträge, H. 2, 1979, 71–76. Aulepp 1993 R. Aulepp: Die spätromanischen Tonnenkeller von Mühlhausen, in: R. Aulepp: Neues aus dem alten Mühlhausen, Mühlhäuser Beiträge, Sonderheft 9 (Mühlhausen 1993) 26–47. Baeriswyl 2018 A. Baeriswyl: ›Zähringerstädte‹. Ein städtebaulicher Mythos

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Metzler 1992; Müller 2005, 89–90. Müller 2005 und Beitrag Müller in diesem Band. Gude / Scheftel 2000, 131, Anm. 2. Glatz et al. 1994; Stanzl 1994. Die Oppenheimer Kellergänge werden heute intensiv touristisch genutzt. Meier 1997. Scheftel / Steinert 2004. Gude / Scheftel 2000, 132–134. Bettge 2001. Altwasser 2001; Altwasser 2002; Düsterdick 2002. Brüggemann 2002. Brüggemann 2006. Schmitt 2004. Müller-Stückrad 2009. Enns 2006. Gunzelmann 2012. Gunzelmann / Röhrer 2005. Kellmann 2017. Ahrendt-Flemming 2014. Brauchle 2013; Brauchle 2015. Brauchle 2020. Dies ist die erste Dissertation zur Keller­ forschung seit der Arbeit von Schauer 1967.

unter der Lupe der Archäologie, in: J. Dendorfer et al. (Hg.): Die Zähringer. Rang und Herrschaft um 1200 (= Veröffentlichung des Alemannischen Instituts 85) (Ostfildern 2018) 125–140. Baualterspläne Regensburg 1973–93 Baualtersplan zur Stadtsanierung Regensburg Bände 1 (1973) – 10 (1993), Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege (München 1973–93). Bedal 1994 A. Bedal: Verkannte Schönheiten aus dem Mittelalter. Neue Erkenntnisse der Bauforschung in Schwäbisch Hall und seiner Katharinen- und Weilervorstadt, in: A. Bedal / I. Fehle (Hg.): Hausgeschichten. Bauen und Wohnen im alten Hall und seiner Katharinenvorstadt (Stuttgart 1994) 17–52. Bettge 2001 M. Bettge: Naumburger Kelleranlagen, in: Stadt Naumburg (Hg.): Naumburg an der Saale. Beiträge zur Baugeschichte und Stadtsanierung (Petersberg 2001) 317–328. Brauchle 2013 A. Brauchle: Kelleranlagen des 13. bis 18. Jahrhunderts in Wittenberg, in: H. Lück et al. (Hg.): Das ernestinische Witten­ berg. Wittenberg Forschungen 2 (Petersberg 2013) 91–103. Brauchle 2015 A. Brauchle: Kelleranlagen in Wittenberg. Konstruktion und Grund­riss im 16. Jahrhundert, in: Arbeitskreis für Haus­for­ schung (Hg.): Lutherstadt Wittenberg, Torgau und der Haus­ bau im 16. Jahrhundert, Jahrbuch für Hausforschung 62 (Marburg 2015) 93–106.

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Brauchle 2020 A. Brauchle: Kelleranlagen in Wittenberg. Form, Konstruktion und Material unterirdischer Bausubstanz vom Spätmittelalter bis in das 19. Jahrhundert und ihre Aussagen zur Stadt­ge­ schichte (Langenweißbach 2020). Brüggemann 2002 S. Brüggemann: Der Stralsunder Kellerplan. Erste Ergebnisse einer systematischen Erfassung, in: Arbeitskreis für Haus­ forschung (Hg.): Historischer Hausbau zwischen Elbe und Oder. Jahrbuch für Hausforschung 49 (Marburg 2002) 261–286. Brüggemann 2006 S. Brüggemann (Hg.): Keller in Mittelalter und Neuzeit. Bei­ träge zur Archäologie, Baugeschichte und Geschichte. Bericht über die Tagung »Kellerkataster« der Unteren Denk­mal­ schutzbehörde der Hansestadt Stralsund in Stralsund 21.-22. Oktober 2005 (Langenweissbach 2006). Düsterdick 2002 V. Düsterdick: Kellerforschung in Erfurt, in: Arbeitskreis für Haus­forschung (Hg.): Hausbau in Thüringen. Jahrbuch für Haus­forschung 48 (Marburg 2002) 85–102. Enns 2006 C. Enns: Die Bamberger Hauskeller: Sechzig Kelleraufmaße an acht Schwerpunkten. Ein Werkstattbericht, in: Brüggemann 2006, 165–172. Fuhs 1955 A. Fuhs: Gelnhausen. Städtebauliche Untersuchungen einer staufischen Gründung, Diss. TU Darmstadt 1955, Typoskript. Fuhs 1957 A. Fuhs: Ein Beitrag zur Methodik der Kellerforschung. Studien zur Topographie Gelnhausens, in: Hessisches Landesamt für Geschichtliche Landeskunde et al. (Hg.): Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 7 (Marburg 1957) 165–198. Fuhs 1960 A. Fuhs: Gelnhausen. Städtebauliche Untersuchungen, Ver­öf­ fent­lichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck 25 (Marburg 1960). Glatz et al. 1994 J. Glatz / P. Heberer / G. Stanzl: Die Keller und Gänge von Op­pen­heim, Die Denkmalpflege Jg. 52, H. 1, 1994, 5–17. Gude / Scheftel 2000 A. Gude / M. Scheftel: Kellerplan für die Hansestadt Wismar – Ein Vorbericht, in: D. Schumann (Hg.): Bauforschung und Archäologie. Stadt- und Siedlungsentwicklung im Spiegel der Baustrukturen (Berlin 2000) 131–148. Gunzelmann / Röhrer 2005 T. Gunzelmann / A. Röhrer: Geographische Informationssysteme als Werkzeug der Denkmalforschung. Künftige Strategien der Denkmalerfassung und Denkmalforschung – Das Großinventar im Dialog mit der Städtebaulichen Denkmalpflege. Denk­mal­ pflege Informationen A 94 (München 2005) 29–36. Gunzelmann 2012 T. Gunzelmann: Keller und Kelleranlagen im Stadtdenkmal Bamberg, in: Die Kunstdenkmäler von Bayern. Stadt Bamberg. Stadtdenkmal und Denkmallandschaft 2. Stadtdenkmal (Bamberg 2012) 1485–1538.

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Kellerforschung als baugeschichtliche Methode

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Scheftel / Steinert 2004 M. Scheftel / A. Steinert: Denkmalpflegeplan und flächen­ deckende Voruntersuchungen in Quedlinburg, in: C. SegersGlocke (Hg.): System Denkmalpflege – Netzwerke für die Zukunft. Dokumentationsband zur Jahrestagung der Ver­eini­ gung der Landesdenkmalpfleger 2003 (Hannover 2004) 393– 397. Schmidt / Schmidt-Thomé 1981 L. Schmidt / P. Schmidt-Thomé: Ein Keller aus der Frühzeit der Stadt Freiburg, Denkmalpflege in Baden-Württemberg, Jg. 10, Heft 2, 1981, 43–46. Schmidt 1985 L. Schmidt: Kellerkartierung und Hausforschung in Freiburg i. Br., Denkmalpflege in Baden-Württemberg, Jg. 14, Heft 2 (1985) 112–122. Schmitt 2004 R. Schmitt: Die hochmittelalterlichen Keller in Freyburg an der Unstrut und ihre Bedeutung für die Frühgeschichte der Stadt, in: B. W. Bahn et al. (Hg.): Freyburg an der Unstrut. Beiträge zur Frühgeschichte der Stadt, novum castrum Bd. 8 (Freyburg Unstrut 2004) 64–80. Stanzl 1994 G. Stanzl: Internationales Kolloquium in Oppenheim am Rhein: Historische Keller- und Gangsysteme. Probleme der Erforschung, Erhaltung, Nutzung. Tagungsbericht, Die Denk­ mal­pflege, Jg. 52, H. 2, 1994, 146–149. Zachwatowicz et al. 1956 J. Zachwatowicz et al.: Stare Miasto w Warszawie. Odbudowa, Teka konserwatorska. H. 4, 1956, Plan 85, 87.

Abbildungsnachweis 1 2 3 4

Schauer 1967, o. S. Schauer 1977, 129, Abb. 4. Schauer 1977, 133, Abb. 8. Schmidt 1985, 115.

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Ein formgetreuer Stadtgrundriss auf Kellerniveau Darstellung des methodischen Vorgehens bei der Kellerforschung in Luckau

Luisa Beyenbach

Die Stadt Luckau in der Niederlausitz ist eine hoch­ mittelalterliche Stadt, geplant und ausgebaut im Zuge der Deutschen Ostsiedlung der damals von sorbischen und wendischen Volksgruppen besiedelten Gebiete (Farbtafel I, 165). Die im Jahr 1276 erstmals urkundlich erwähnte Stadt ist in ihrem mittelalterlichen Stadtgrundriss bis heute überliefert, die aufgehende Bausubstanz aus dieser Zeit ist jedoch in großem Ausmaß verloren.1 Von zahlreichen Stadtbränden, Seuchen und Kriegszerstörungen heimgesucht, zerstört und entvölkert, anschließend aber wiedererrichtet und belebt: Die verkürzte Stadtbau- und Stadt­ zerstörungsgeschichte liest sich auf den ersten Blick, als sei sie schon vielfach erzählt worden. Die Geschichte vieler Ortschaften und Kleinstädte im Nordosten Deutschlands kann mit diesen wenigen Sätzen umrissen werden. Bemerkenswert ist jedoch in Luckau, dass die Altstadt im Zweiten Weltkrieg ebenso wie in der darauffolgenden Zeit kaum bauliche Verluste erlitt und daher ein intaktes Bild einer neuzeitlichen Ackerbürgerstadt zeigt. Hinzu kommen zahlreiche historische Kelleranlagen, die zu einem beachtlichen Teil auf die gebaute Stadt vor den letzten weitreichenden Zerstörungen im Dreißigjährigen Krieg zurückgehen. Nahezu jedes Grundstück innerhalb der Stadtmauer verfügt über einen, einzelne auch über mehrere Keller (Abb. 1), die von kleinformatigen Einraumkellern bis zu vielteiligen Kellerkomplexen reichen. Neben diesen sind obertägig nur Fragmente der Stadt aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg erhalten: In Teilen der Stadtmauer, der Stadtkirche St. Nikolai, dem ehemaligen Kloster und dem Rathaus ist

im Kern Bausubstanz des 13. bzw. 14. Jhs. erhalten. Auch in den Wohnhäusern ist mit Resten von Bausubstanz aus dieser Zeit zu rechnen. Denn in den Kellern finden sich eindeutige Hinweise, dass sie im Kontext einer älteren Bebauung entstanden, in die Neubauten des 17.–18. Jhs. integriert und im gleichen Zug oftmals erweitert wurden. Die Kellerforschung in Luckau hat zum Ziel, zuverlässige Informationen zur Stadtgestalt und Stadtgenese aus der Zeit vor dem 17. Jh. zu erhalten. Dabei sollen einerseits Veränderungen des Straßen­systems und der Parzellenaufteilungen sichtbar gemacht und andererseits die Bau­ent­ wick­lun­gen auf den einzelnen Parzellen nachvollziehbar werden. In diesem Aufsatz wird anhand der Unter­su­ chun­gen der historischen Keller in Luckau beispielhaft dargestellt, welche Informationen zur Stadtbaugeschichte in diesen gespeichert und bis heute ablesbar sind. Diese Darstellung wird von der Frage begleitet, ob flächendeckende Keller­ forschung eine praktikable Methode der Stadt­ bau­forschung darstellt und welche Bedingungen gegeben sein müssen, um mit dieser Methode aussagekräftige Erkenntnisse zu gewinnen. Ein oberflächlicher Blick auf Keller­unter­ su­chun­gen verrät, dass es in der Stadt­bau­ge­ schichts­forschung dafür unterschiedliche Ansätze gibt.2 Entweder liegt der Fokus auf aussagekräftigen Einzelobjekten, um die erzielten Ergebnisse im Analogieschluss auf andere Objekte im Stadt­ gebiet zu übertragen, oder es werden flächendeckende Erfassungen eines zuvor definierten Gebietes vorgenommen, wobei die Schärfe der

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St n be ra tg ad

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Luckau, Kelleruntersuchungen Grundriss Keller

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1  Luckau, Stadtkataster mit Eintragungen der untersuchten und aus Archivalien entnommenen Kellerpläne, Markierung nicht unterkellerter Grundstücke.

erfassten Details sehr unterschiedlich ausfällt. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in großem Maße Kellerkataster angefertigt, die zumeist eine Kategorisierung der Keller anhand einzelner Merkmale vornahmen und ihre Grundrisse, wenn überhaupt, nur als Skizze beachteten. Diese Methode dient in erster Linie der Ermittlung historischer Bausubstanz und hat hauptsächlich inventarisatorischen Charakter. Damit eignet sie sich nur bedingt dafür, Informationen zur Stadtgenese zu generieren. Um aussagekräftige Erkenntnisse aus der Untersuchung von Kellern für die Stadtbaugeschichte zu erhalten,

ist es notwendig, sämtliche zur Verfügung stehende Quellen in die Auswertung einzubeziehen, jedoch das Bauwerk selbst als zentrale Quelle zu betrachten. Dabei ist ein formgetreues Aufmaß der Bausubstanz als Grundlage unerlässlich. So können Bezüge und Muster sichtbar gemacht und Ergebnisse kartiert werden. Der so entstandene Kellerplan ist damit nicht primär als Ergebnis, sondern vor allem als ein Werkzeug zu betrachten. Zudem ist eine ausführliche Begehung und Untersuchung der Bausubstanz unabdingbar, sodass anhand der Baumaterialien, Ausstattungen und Veränderungen das Baugeschehen und die

Ein formgetreuer Stadtgrundriss auf Kellerniveau

Nutzung der Räume nachvollziehbar gemacht werden. Ein Studium relevanter Schriftquellen und die Einbeziehung ggf. vorhandener Erkenntnisse aus archäologischen Arbeiten können noch offene Fragen in konkrete Kontexte bringen. Wie im Beitrag von Thomas Nitz in diesem Band nachzulesen ist, formulierte Hans-Hartmut Schauer in seiner Dissertation über Merseburg aus dem Jahr 1967 maßgebliche Parameter für eine stadt­bau­geschichtlich aussagekräftige Keller­for­ schung.3 Auch wenn Schauer mit seiner Arbeit wegweisende Grundlagen für die methodische Keller­forschung schuf, sind seine Aussagen bezüglich der präzisen Bauentwicklung auf den Merse­burger Parzellen ohne Bezug zu konkreten Befunden für die Leser*innen nicht ausreichend nachvollziehbar.4 Zudem ermöglicht die Weiter­ entwicklung tachymetrischer Mess­ methoden heutzutage eine raschere Bau­auf­nahme, die nun auch äußerst präzise ist. Das machte sich u. a. Falko Arendt-Flemming zunutze, dessen 2010 und 2014 veröffentlichte Arbeit zu den Kellern der Aschaffenburger Oberstadt die erste publizierte zusammenhängende Kellerforschung darstellt, bei welcher die Datenblätter der einzelnen Objekte mit formgetreuen Bauaufnahmen versehen wurden.5 Jens Christian Holst ergänzte die 1980–84 durchgeführten Kellerforschungen in Lübeck durch Ergebnisse aus archäologischen Untersuchungen.6 Archäologische Grabungen im Stadtgebiet ebenso wie in ländlichen Wüstungen können bezüglich der Datierung der Keller Schlüsselquellen darstellen. Bei den Kelleruntersuchungen von Stralsund, die Stefanie Brüggemann in den Jahren 2000–05 vornahm, verband sie den archäologischen Ansatz zudem eng mit der Auswertung von Schriftquellen und erreichte damit einen umfassenden Erkenntnisgewinn zur Stralsunder Stadtbaugeschichte.7 Ein Beispiel für eine Kelleruntersuchung, die den Fokus auf ausführliche Auswertungen von bauforscherischen Untersuchungen der Bausubstanz setzte, ist die Dissertation von Antonia Brauchle zu

Wittenberg.8 Trotz der nur als Maßskizze aufgenommenen Kellergrundrisse konnte Brauchle mithilfe der Bauforschung relevante Erkenntnisse zur Wittenberger Stadtbaugeschichte ableiten. Vielversprechend ist auch Knut Hauswalds Vorgehen bei der Analyse des 1996/97 vom Denkmalamt der Stadt Meißen begonnenen Kellerkatasters von Meißen. Dieses besteht zwar nicht aus formgetreuen Bauaufnahmen der Keller, doch war es Hauswald möglich, mittels der zur Errichtungszeit geltenden Maßeinheit, die der baulichen Anlage der Stadt zugrunde liegt, die frühen bauzeitlichen Parzellenbreiten und Ehgräben zwischen den einzelnen Häusern sichtbar zu machen.9 Die drei oben genannten methodischen Zu­gänge werden bei dem Luckauer Projekt in konsequenter Weise zusammengeführt, um dadurch die Aus­ sage­ kraft der Kelleruntersuchungen zu stärken. Erkenntnisse aus der Analyse des formgetreuen Auf­maßes werden mit einer ausführlichen Bau­forschung kombiniert und mit Informationen aus archäologischen Arbeiten komplettiert. Diese wurden aus dem umfangreichen Bestand baubegleitender archäologischer Dokumentationen des BLDAM10 gewonnen. Ergänzt werden die Unter­ suchungen durch eine ausführlichen Recherche der schriftlichen Quellen zu Luckau. Trotz der vielen und vielfältigen Aussagen zur Stadtentwicklung, die durch den komplementären Einsatz der genannten Methoden erreicht werden, können die Kellerräume meist nur relativ datiert werden. Nur in sehr wenigen Fällen liegen bauhistorische Dokumentationen zum Grundstück und seiner Bebauung vor, die eine absolute Datierung der Kellersubstanz ermöglichen. Das Mauerwerk der Luckauer Keller allein ist wenig ergiebig hinsichtlich der zeitlichen Zuordnung. Die Überzahl der Kellermauern besteht aus Feldsteinmauer­ werk, welches keine Anhaltspunkte für absolute Datierungen bietet. Auch das regelmäßig vorgefundene Backstein- oder Mischmauerwerk aus Feldsteinen und Backsteinen bietet per se kaum Spezifika, die eine genaue zeitliche Einordnung

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2  »Prospekt von Luckau«, Kupferstich, zweite Hälfte 18. Jh.

Ein formgetreuer Stadtgrundriss auf Kellerniveau

erlauben. Mörtelanalysen mit C14-Methode wurden aufgrund der kaum vorhandenen pflanzlichen Überreste im Material und der dadurch fehlenden Erfolgsaussichten nicht durchgeführt. Aufgrund der Durchfeuchtung des Mauermaterials bot sich ebenso wenig die Untersuchung der Backsteine mit dem Thermolumineszenzverfahren an.11 Die Möglichkeit, über dendrochronologische Untersuchungen absolute Datierungen vornehmen zu können, besteht bei den bislang erforschten Objekten leider ebenso nicht. In den Kellern ist nur äußerst selten Holz verbaut, welches sich zudem nirgends zur Beprobung eignet. Auch ist die absolute Datierung der Mauerwerke über eine Backsteinchronologie hinfällig, da sie nur unter besonderen Begebenheiten möglich ist.12 Es kann nur eine grobe Unterscheidung zwischen Backsteinen im sog. Klosterformat und industriell angefertigten Ziegelsteinen vorgenommen werden, anhand derer man eine sehr unzureichende Einordnung des Alters der Mauer bzw. des Materials vornehmen kann. Innerhalb einzelner Kelleranlagen lassen sich aus der Betrachtung der unterschiedlichen Beschaffenheit, Farbe, Struktur und Größe der Backsteine meist einzelne Bauphasen unterscheiden und damit die Mauerwerksabschnitte relativ einordnen, sie bietet aber keinen absoluten Datierungsansatz. Erschwerend kommt hinzu, dass zu allen Zeiten altes Baumaterial bei Umbau-, Ergänzungs- und Reparaturmaßnahmen wiederverwendet wurde. Ist das Mauerwerk der Keller verputzt, bieten sich oftmals noch weniger Anhaltspunkte für eine Datierung, da dann auch Veränderungen im Verband verdeckt bleiben. Eine weitere Möglichkeit der zeitlichen Einordnung der Bauwerke bieten baudekorative Elemente. Während die meisten Keller in Luckau mit einem Tonnengewölbe aus Backstein versehen sind, gibt es vereinzelte Räume, die mit Kreuzrippen- oder Netzrippengewölben ausgestattet sind, die eine stilistische Einordnung über die Gestalt des Gewölbes und über das Profil der Gewölberippen eine vage Datierung erlauben. Auch Wandöffnungen wie Durchgänge, Fenster

und Nischen können aufgrund ihrer Gestaltung Datierungsansätze geben, einerseits über formale Charakteristika, andererseits über ihre Lage und Einbindung in das Mauerwerk. Ergänzt werden die Untersuchungen der Luckauer Keller durch archivalische Recherchen. Im Brandenburgischen Landeshauptarchiv Potsdam (BLHA) und dem Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden (SHSA) sind Schriftquellen der Stadt Luckau zugänglich, die bis in das 14. Jh. zurückreichen. Aber erst für die Zeit ab dem 16. Jh. liegen Stadtbücher vor, welche die Stadtverwaltung zum Teil nachvollziehbar machen und hauptsächlich der finanziellen Haushaltsführung dienten.13 Über die Jahrzehnte werden diese Bücher Stadtregister, Eingabe- und Ausgaberegister, Schoßregister und Urbarien genannt und beinhalten u. a. Informationen zu steuerpflichtigen Einwohnern der Stadt, sodass in ihnen die Anzahl der einzelnen Hausstellen nachvollziehbar wird.14 Auch Gerichtsbücher und Schöffenbücher können relevante Informationen zum Stadtgeschehen beinhalten. Das Gerichtsbuch von 1652 enthält beispielsweise eine Schilderung des Stadtbrandes im gleichen Jahr.15 Dekrete des 18. Jhs., wie etwa die Luckauische Brauordnung von 171516 und die Feuerverordnungen des Kurfürstentums Sachsen von 171917, hatten aufgrund der geforderten Feuerfestigkeit Auswirkungen auf das bauliche Geschehen der Stadt. Des Weiteren wurden historisches Kartenmaterial und Stadtansichten in die Recherche einbezogen.18 Der Kupferstich aus der zweiten Hälfte des 18. Jh. zeigt hinter der allegorischen Darstellung der Einigkeit Luckau von Norden (Abb. 2). Das große Kirchenschiff von St. Nikolai tritt ebenso markant in Erscheinung wie der Hausmannturm auf dem Marktplatz. Außerhalb der Stadtmauer sind im Mittelgrund Mauerreste der Burg zu erkennen, ebenso ausgedehnte Garten- und Weideflächen und das HeiligGeist-Hospital in der Sandoer Vorstadt. Informationen zum jüngeren Baugeschehen sind im Bauamt der Stadt Luckau zu finden, wo überwiegend Unterlagen seit dem 20. Jh.

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liegen. In diesen Unterlagen finden sich Bauund Umbauanträge, denen oftmals Pläne und Grundrisse der Gebäude beigefügt sind, sodass bauliche Veränderungen am Haus, aber auch in den Kellern nachvollzogen werden können. Dadurch konnte ebenfalls Kellersubstanz, die nicht zugänglich oder nicht mehr erhalten ist, in den Gesamtkellerplan aufgenommen werden. Im Archiv des Brandenburgischen Landes­denk­ mal­amtes in Wünsdorf (BLDAM) werden zudem bauhistorische Dokumentationen und sämtliche Bauanträge zu denkmalgeschützten Bauwerken im Stadtgebiet aufbewahrt. Diese wurden gesichtet, um die dort vorhandenen Erkenntnisse zur Baugeschichte in die Untersuchung der Keller einfließen zu lassen. Da das Stadtgebiet auch als Bodendenkmal ausgezeichnet ist, befinden sich auch im Archäologischen Informations- und Dokumentations­zentrum (AIDZ) der Landes­ archäologie umfangreiche, die Archäologie betreffende Unterlagen. Diese reichen von Lesefunden von den Grundstücken bis zu baubegleitenden archäologischen Dokumentationen, die im Zuge von Bodenarbeiten angefertigt wurden. In wenigen Fällen sind hierbei auch die Kellerräume Gegenstand der Untersuchung.19 Im Folgenden werden drei zentrale Methoden des Luckauer Projektes näher erläutert. Zunächst werden die Potentiale eines formgetreuen Keller­ plans ausgeführt, dann wird beispielhaft die Aussage­kraft der Kellerschnitte dargestellt, bevor die unverzichtbare Einordnung der Befunde am Bau durch eine ausführliche Bauforschung erläutert wird. Der formgetreue Kellerplan Sämtliche Grundstücke in der Altstadt sind mit Kellerkomplexen unterfangen, die sich aus mehreren Kellerräumen zusammensetzen. Dabei ist auffällig, dass die Komplexe mit der höchsten Raumanzahl entlang der Hauptstraße und im Bereich des Marktplatzes zu finden sind. Seit

2011 wurden in Luckau die historischen Keller intra muros in ihrer Bausubstanz aufgenommen.20 Dafür wurde zu Beginn der Arbeiten ein Messnetz angelegt, welches das gesamte Untersuchungsgebiet überspannt. In diesem Messnetz wurden zugängliche Keller tachymetrisch eingemessen, dabei wurden von jedem Kellerkomplex ein Grundriss und ein Schnitt hergestellt. Die Schnittlage wurde so definiert, dass sie parallel zur straßenseitigen Wand mit Blickrichtung auf diese liegt. Durch das gemeinsame Bezugsystem sind die Keller exakt zueinander in Verbindung gesetzt. Auf diese Weise entstanden 78 Bauaufnahmen von Kellerkomplexen, die zudem bauforscherisch untersucht und fotografisch dokumentiert wurden. An einzelnen Stellen wurde der Gesamtplan mit Kellerplänen aus archivalischen Quellen ergänzt. Das Ergebnis dieser Arbeiten ist ein Stadtplan, der sämtliche historische Keller auf dem Innenstadtgebiet beinhaltet, die zugänglich waren (s. Abb. 1).21 Bezüglich des Aufnahmemaßstabes ist es weniger relevant, ein steingerechtes Aufmaß mit hoher Detaildichte vorzunehmen. Vielmehr ist es von zentraler Wichtigkeit, mit einem lagegerechten Aufmaß die genaue Lage der Keller und die genaue Ausrichtung der Wände festzuhalten, um so die präzisen Zusammenhänge der Kellerräume untereinander und zur oberirdischen Bebauung sichtbar zu machen. Anhand des so entstandenen Plans können Überlegungen zu der Quantität und Qualität des Baubestandes, aber auch der Stadtgenese angestellt werden. 22 Auf einem Blatt können so sämtliche Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Besonderheiten erfasst werden. In der Einzelansicht der Keller werden darüber hinaus präzise Details hinsichtlich Lage, Ausrichtung und Ausstattung dargestellt. Im Ergebnis können damit unterschiedliche Muster und Besonderheiten ermittelt und visualisiert werden. Auf dem Kellerplan finden sich beispielsweise Anhalts­punkte, die nahelegen, dass die Hausfassaden bei ihrer neuzeitlichen Neuerrichtung erheblich in den Straßenraum

Ein formgetreuer Stadtgrundriss auf Kellerniveau

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3  Ausschnitt aus dem Kellerplan, Hauptstraße.

vorgerückt wurden. Auf mehreren Grundstücken ist das Vorderhaus aktuell nicht oder nur in seiner hinteren Hälfte unterkellert. Interessanterweise ist dies nur im westlichen Bereich der Stadt auf der nördlichen Straßenseite der Hauptstraße zu beobachten (Abb. 3). In der Hauptstraße 25 ist nur das Seitengebäude mit einem tonnengewölbten Raum unterfasst, in der Hauptstraße 23, 19, 18, 14 und 10 befinden sich die unterkellerten Bereiche im hinteren Teil der Vorderhausbebauung. In manchen Fällen erstrecken sich die Kellerkomplexe auch noch unter das Seitengebäude oder, wie im Falle der Hauptstraße  18, sogar unter die freie Hoffläche. Diese Orientierung der Keller zur Hofseite des Vorderhauses kann mehrere Gründe haben. Sie könnte einerseits mit der Möglichkeit, diese rückwärtig gelegenen Kellerräume vom Hof aus zu befüllen, erklärt werden. 23 Andererseits könnte sie mit einer Veränderung des Straßenverlaufs oder zumindest der Bebauungsflucht im Zusammenhang stehen. Bei dieser Option befände sich die einstige Bebauung oberhalb der Keller weiter zurückliegend im Grundstück, und der Straßenraum

öffnete sich zu einer Platzsituation, die heute an der Gabelung Hauptstraße / Lange Straße mit dem sog. Töpfermarkt noch immer nachvollziehbar ist. Vor allem mit Blick auf den Keller der Hauptstraße 18 gewinnt diese Überlegung an Über­zeu­gungs­kraft (Abb. 4). Der Keller liegt hier zu einem erheblichen Teil unter freier Hoffläche, und das lagegerechte Aufmaß macht sichtbar, dass der Verlauf seiner Außenmauern von der Ausrichtung sowohl der Parzellengrenzen als auch des aktuellen Wohnhauses abweicht. Dass dieses erst nach dem Keller errichtet wurde, beweisen zusätzlich die nachträglich eingefügten Deckenstützen an der Südwand des rippengewölbten Kellerraums, welche die rückwärtige Wohnhausmauer unterfangen. Diese drei Beobachtungen sind Indizien dafür, dass sich zu früherer Zeit auf dem Grundstück eine Bebauung befand, die ungefähr 8 m hinter der aktuellen Hausfassade lag. Erkenntnisse der archäologischen Erfassung der Hauptstraße von 201324 bestärken diese Annahme. Denn hier wurde für den entsprechenden Bereich der Hauptstraße festgestellt, dass die archäologisch

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4 Luckau, Grundrisse der Keller der Marktstraße 5, 6 und 7. Keller Marktstraße 5, 6 und 7 BTU Cottbus, Lehrstuhl Baugeschichte, August 2013 0

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dokumentierten Bohlenwege zwar hinsichtlich ihrer Ausrichtung dem heutigen Straßenverlauf folgen, aber etwas weiter in nördliche Richtung versetzt verliefen. 25 Des Weiteren wurden südlich dieser hölzernen Straßenbefestigung auf der Höhe der Hauptstraße 43 Pfostenstellungen gefunden, die als Zaunbefestigung des südlich gelegenen Grundstücks interpretiert werden. 26 Dieser Zaun trennte demzufolge einen Grund­ stücks­bereich vor dem Haus vom Straßenraum

ab. Es ist denkbar, dass sich analog zu diesem Befund auch auf der Nordseite des 4,5 m27 breiten Holzweges ein abgetrennter Grundstücksbereich vor den Wohnhäusern befand. Das würde die Annahme bestärken, dass die mittelalterliche Be­bauungs­linie in der Hauptstraße ca. 5–8 m weiter nördlich verlief. Das formgetreue Aufmaß der Keller macht aber auch kleinere Verlaufsanpassungen der Häuser­ fassaden, wie sie z. B. beim neuzeitlichen Neubau der Marktstraße 6 vorgenommen wurden, sichtbar (Abb. 5).28 Dieses Objekt ist auch ein anschauliches Beispiel für die Zusammenlegung zweier Parzellen. Wie in vielen anderen mittelalterlichen Städten gab es auch in Luckau Veränderungen der ursprünglichen Parzellengrößen und -aufteilungen. Auf Parzellenzusammenlegungen lassen u. a. besonders vielteilige Komplexe auf einem außergewöhnlich breiten Grundstück schließen.29 Schon die oberirdische Bausubstanz mit dem ungewöhnlich breiten Grundstück spricht in der Marktstraße 6 für eine nachträgliche Zusammenlegung zweier Parzellen. Das Vorderhaus ist mit drei Keller­ räumen unterfangen, die mindestens zwei, wahrscheinlich eher drei Bauphasen zuzuordnen sind. Die Verlaufsrichtungen der straßenseitigen Kellermauern der tonnenüberwölbten Räume weisen darauf hin, dass sie in unterschiedlichen baulichen und zeitlichen Zusammenhängen errichtet wurden. Während die beiden südlichen Schildmauern parallel zur Straße verlaufen, weicht die Schild­mauer des nördlichen Raums von der Ausrichtung der Hausfassade ab, nimmt stattdessen aber die Richtung des Nachbarhauses Marktstraße 5 auf.30 Das exakte Aufmaß macht zudem sichtbar, dass die Längsmauern der beiden südlichen Räume nicht im rechten Winkel zu den straßenparallelen Ostmauern stehen. Das legt nahe, dass diese Keller zwar gemeinsam mit dem aktuellen Haus errichtet wurden, sich jedoch mit ihrer Erstreckung in die Grundstücktiefe an bestehenden Bauten orientieren mussten. Ähnlich verhält es sich mit dem südlichen trapezförmigen Kellerraum der Marktstraße 7. Dessen unregelmäßige Form

Ein formgetreuer Stadtgrundriss auf Kellerniveau

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Luckau, Lange Straße 19, 20 und 21 Grundriss Keller

Schnitt Ansicht Projektion Bogen Gebäude/ Parzelle

5  Grundrisse der Keller der Langen Straße 19, 20 und 21.

hat wohl ihre Ursache in der älteren, in den Neubau einbezogenen Südmauer. Demzufolge sind die Nord-Süd verlaufenden Ostmauern älter als jene, die parallel zur Hausfassade stehen. Für den Bebauungsverlauf der Marktstraße lässt sich aus diesen Befunden nur anhand der lagegerechten Bauaufnahme ableiten, dass hier einst einzelne Häuser standen, deren Fronten zueinander noch stärker versetzt waren als heute. Später erfolgte zumindest auf der Parzelle der Marktstraße 6 die Bebauung mit einem breiteren Gebäude unter Einbeziehung des vorhandenen nördlichen Kellerraums. Auch Parzellenteilungen sowohl der Länge als auch der Breite nach lassen sich auf der Keller­ ebene beobachten. Auf dem Gesamtplan wird

sichtbar, dass sich die mehrräumigen Keller­ anlagen in der Langen Straße vorrangig auf der südlichen Straßenseite befinden, während die nördliche Straßenseite vor allem im westlichen Bereich kaum unterkellert ist. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Nordseite im Mittelalter den Parzellen an der Haupt­straße zugeordnet war, die damit von der Haupt­straße bis zur Langen Straße reichten. Die nördliche Bebauung entlang der Langen Straße hätte damit nicht aus unterkellerten Wohngebäuden bestanden, sondern aus Grund­stücks­zufahrten oder allenfalls einfachen Torbauten. Im Zuge der Stadt­verdichtung wurden viele der Parzellen in der Länge geteilt. Heute befinden sich auch auf der nördlichen Seite der Langen Straße Wohngebäude.

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Im Falle der Langen Straße 19 und 20 beispielsweise wird die nachträgliche Grundstücksteilung in der Breite durch eine nachträglich in den Keller eingefügte Trennmauer offensichtlich (Farbtafel II, 166). Die Kellerräume auf diesen Parzellen stellten bauzeitlich ebenso wie das darüber liegende Haus eine zusammenhängende Einheit dar, wobei der östliche Raum zeitlich vor dem westlichen errichtet wurde. Wohl im Zuge einer Erbschaftsteilung31 wurde der bauliche Besitz geteilt und sowohl im aufgehenden als auch im unterirdischen Mauerwerk eine trennende Mauer in den Bestand eingefügt. Neben diesen Veränderungen der Parzellen­ größen kann anhand des Kellerplans ein Wechsel der Bebauungsrichtung der Stadthäuser auf Keller­ebene nachvollzogen werden. Das Stadtbild Luckaus ist heute von geschlossenen Straßen­ fronten geprägt, die von zumeist traufständigen Häusern gebildet werden. Nur der Marktplatz wird von teilweise reich geschmückten Giebel­häusern dominiert. Dass auch entlang der Hauptstraße und der Langen Straße ehemals giebel­ständige Häuser das Straßenbild bestimmten, legen Ausrichtung und Form der hier vorkommenden Keller nahe. Einzelne Kellerräume, die unter dem Vorderhaus an die Seite der Parzelle gerückt und orthogonal zum Straßenverlauf ausgerichtet sind, können bauzeitlich zu einem ehemals giebelständigen Haus mit daneben verlaufender Hofeinfahrt gehört haben. Auf einigen Grundstücken der Langen und der Hauptstraße sind seitlich unter dem Vorderhaus längsrechteckige, orthogonal zum Straßenverlauf liegende Keller­räume erhalten.32 Über ihnen sind wohl giebelständige Häuser zu rekonstruieren, mit einer Einfahrt zum rückwärtigen Grundstücksteil daneben. Diese Durchfahrten waren zunächst nicht unterkellert. Im Zuge der baulichen Nachverdichtung der Städte, mit welcher vermutlich auch ein Wechsel von Giebel- zur Traufständigkeit vollzogen wurde, wurden die Hofeinfahrten überbaut und nachträglich unterkellert. Analog zu diesen Überlegungen kann auf dem zuvor genannten, nachträglich geteilten

Grundstück Lange Straße 19/20 angenommen werden, dass es zunächst mit einem weniger breiten, womöglich giebelständigen Haus an der östlichen Seite des Grundstücks bebaut war. Der Verlauf der straßenseitigen Mauer des geteilten Kellerraumes weicht von der heutigen Hausflucht ab, ebenso wie vom Verlauf der Außenwand des tonnengewölbten Nebenraumes. Dieser liegt nicht nur 30 cm weiter im Norden, sondern stimmt auch mit der aktuellen oberirdischen Bebauung überein und wurde demnach wahrscheinlich im Zuge der Neubebauung mit einem traufständigen Haus angelegt. Zuvor befand sich wohl an dieser Stelle die Zufahrt zum Grundstück, welches auf der Seite der Brauhausgasse wieder verlassen werden konnte.33 Mit Blick auf die Kellerräume der Langen Straße 21 lässt sich auch hier eine Veränderung in der Bebauungslinie nachweisen. Der präzise Grundriss der Keller des Nachbargrundstücks Lange Straße  20 zeigt, dass die nördliche Kellermauer weiter vom Straßenverlauf zurückversetzt ist und nicht parallel zur heutigen Straßenfassade verläuft. Beides begründet die Annahme, dass der Keller im Zusammenhang einer Vorgängerbebauung errichtet wurde, welche im baulichen Befund bestätigt wurde. Dabei stimmt der Verlauf der straßenseitigen Außenmauer des östlichen Kellerraums mit dem der Langen Straße 20 überein, welche in diesem Komplex als Rest der älteren Bauphase identifiziert wurde. Die einstigen Straßenfronten waren an dieser Stelle also stärker gegeneinander versetzt. Erst beim Neubau der Häuser wurde eine geschlossene gemeinsame Straßenflucht gebildet. Es zeigt sich also wiederholt, dass die zusammenhängende Betrachtung formgetreuer Keller­ grundrisse sowohl für die Unterscheidung einzelner Bauphasen innerhalb eines Kellerkomplexes als auch für die Baureihenfolge nebeneinanderliegender Grundstücke äußerst aussagekräftig sein kann. Auch Informationen bezüglich des Straßen­raumes wie die Lage des Einzelbauwerks und die Relation zueinander können diesen präzisen Plänen entnommen werden.

Ein formgetreuer Stadtgrundriss auf Kellerniveau

Die Kellerschnitte Im Zuge der Gebäudeaufnahmen wurden neben den Grundrissen auch Schnittzeichnungen der Keller­räume angefertigt, die weiterführende Infor­ mationen beispielsweise zur Höhenlage und dem Ge­wöl­be­quer­schnitt beinhalten. Diese Schnitt­ zeich­nun­gen wurden entlang der prominenten Straßen­züge der Hauptstraße, der Langen Straße und des Markt­platzes in einer Zeichnung zusammengefügt. Dank der tachymetrischen Aufnahme in einem gemeinsamen Koordi­naten­system sind die exakte Bestimmung der Höhenlage und eine Zusammen­führung der Schnitt­zeichnungen in einem Gelände­schnitt möglich. Die meisten Keller in Luckau liegen mit ihrem aktuellen Fußbodenniveau tief unter der aktuellen Geländeoberkante (GOK), während die Erd­ geschosse maximal drei Stufen erhöht liegen. Damit stellen sie zumindest in ihrem heutigen Bestand Vollkeller dar.34 An keiner Stelle konnte bisher die wiederholt im Raum stehende Vermutung im Befund bestätigt werden, es handle sich bei den Kellern um ehemalige Erdgeschosse, die im Laufe der Zeit zu Kellern versanken.35 Außerdem ist erkennbar, dass keiner der untersuchten Keller unter 61,00 m Normalhöhennull (NHN) liegt, was mit dem relativ hohen Grundwasserspiegel in Luckau zu erklären ist.36 Der Höhenverlauf der Hauptstraße nimmt vom Sandoer Tor im Westen zur Mitte hin zu und erreicht den höchsten Punkt bei ca. 64,60 m NHN ungefähr bei der Einmündung der Finken­gasse, bevor die Straße weiter Richtung Marktplatz wieder auf 64,15 m NHN abfällt. Die unterirdischen Räume liegen sowohl in absoluter als auch in relativer Hinsicht unterschiedlich tief im Stadt­gelände. Wenn man dieser Beobachtung die These zugrunde legt, dass die Keller, die in Relation zur aktuellen GOK tiefer liegen, älter sind als höher liegende, lässt sich hieraus eine relative Bau­reihen­ folge der einzelnen Keller zueinander festlegen. Um dabei eine Fehlinterpretation auszuschließen, ist es notwendig, den historischen Terrainverlauf des Stadtgebiets in die Betrachtung einzubeziehen.

Daher werden die untersuchten Keller straßenzugweise in Kontext zueinander und zum aktuellen sowie den archäologisch nachgewiesenen Laufhorizonten gestellt. Die Informationen aus archäologischen Untersuchungen beschränken sich in den meisten Fällen auf Befunde im Straßenraum. Nur in wenigen Fällen wurden Nutzungshorizonte auch auf den Grundstücken und in den Keller­ räumen nachgewiesen. Die Untersuchungen weisen auf dem gesamten Stadtgebiet einen Nutzungs­ horizont nach, der bis zu 3 m unter der aktuellen GOK liegt. Spektakulär und für die Datierung der Keller von großem Interesse ist die Dichte der Befunde zum Straßenbau im frühen 13. Jh. Im gesamten Altstadtgebiet konnten mittelalterliche Holz­bohlen­wege nachgewiesen und ihre Reste dendro­ chronologisch datiert werden.37 In vielen Stra­ßen­bereichen konnten bis zu drei übereinanderliegende Wege festgestellt werden. Der älteste ist ein den­dro­chronologisch auf 1175–90 datierter Holz­bohlen­weg in der Rathausstraße.38 In der Haupt­straße liegen drei Bohlenwege übereinander. Der untere wurde auf 1190, der darauffolgende auf 1202–03 und der dritte auf um 1230 datiert. Ferner wurden über den Bohlen­ wegen Aufschüttungsschichten aus Sandpaketen beobachtet. Diese Schichten sind seit dem ausgehenden Spätmittelalter nachgewiesen.39 Vor ihrer Aufbringung müssen allerdings bestehende Wegeanlagen abgetragen worden sein, da sich im gesamten Stadtgebiet keine jüngeren Wege nachweisen ließen. Wie oben bereits erwähnt, bestehen in Luckau kaum Möglichkeiten, die Keller aufgrund ihrer baulichen Ausführung absolut zu datieren. Daher wurde der Versuch unternommen, die vorhandenen Erkenntnisse der archäologischen Erfassung der Holz­bohlen­wege mit den Kellern in Verbindung zu bringen. Fügt man den Schnittzeichnungen der Hauptstraße die in archäologischen Unter­ suchungen ermittelten Nutzungshorizonte ebenso wie die aktuelle GOK hinzu, fällt ins Auge, dass die Keller hinsichtlich ihres aktuellen Nutzungs­ horizontes sehr heterogen sind. Nur im westlichen

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6  Hauptstraße 22, straßenseitige Kellerwand.

Bereich finden sich vereinzelte Keller­räume mit ihrem Fußbodenniveau unterhalb des ersten sicher fassbaren Holzbohlenwegs aus den Jahren um 1190 (Farbtafel III, 166). Der Bohlenweg liegt im Bereich der Gabelung Hauptstraße / Lange Straße auf einer Höhe 61,7–61,8 m und im östlichen Bereich ca. 25 cm höher auf 61,95–62,7 m NHN. Die mittlere Weganlage (auf 1202–03 datiert) verläuft im Westen auf 61,9–62,05 m und im Osten auf 62,2–62,4 m NHN. Die dritte und oberste fassbare Weganlage (vmtl. nach 1230) liegt im Osten auf 62,55–62,7 m NHN. Mit einem Fuß­boden­niveau ab 61,5 m NHN befinden sich die Keller auf annähernd der gleichen Höhe wie die Bohlen­wege oder sogar weit darüber, sodass eine Errichtung als Kellerräume um diese Zeit ausgeschlossen ist. Allerdings kann damit ein eindeutiger terminus post quem für die Kellerräume in der Hauptstraße benannt werden.

In diese Überlegungen müssen auch die Befunde am Bauwerk einbezogen werden. Betrachten wir das Beispiel der Hauptstraße 22. Die vergleichende Analyse des Grundrisses und der Schnitt­zeichnung dieses Kellers mit seinem Nachbarkeller der Haupt­ straße 21 lässt vermuten, dass die Haupt­straße 22 erheblich jünger ist (Abb. 6). Der Laufhorizont der Nr. 21 liegt mit 61,35 m NHN beträchtlich tiefer und lässt daher ein höheres Alter der Anlage erwarten. Auch die flächen­deckende Verwendung von Feldsteinen als Mauer­werk und die monolith überfassten Wand­öffnungen lassen darauf schließen, dass hier relativ frühe Bausubstanz vorliegt. Setzt man den Keller in Höhenbezug zu den Holzbohlenwegen, so zeigt sich, dass dieser Raum knapp 60 cm tiefer liegt als der Weg. Sollten beide also zeitgleich in Nutzung gewesen sein, müssten sich an den straßenseitigen Kellerwänden ehemalige Wandöffnungen abzeichnen, die auf ein

Ein formgetreuer Stadtgrundriss auf Kellerniveau

ebenerdiges bzw. nur leicht eingetieftes Bauwerk rückschließen lassen. Das Fehlen sämtlicher nachträglich verschlossener Wand­öffnungen belegt, dass der Kellerraum in seiner Funktion als solcher errichtet wurde. Die Errichtung muss demnach zu einer Zeit erfolgt sein, als das Straßen­niveau schon erheblich höher lag. Der Kellerraum der Hauptstraße 22 ist erheblich größer, und die straßenseitige Außenmauer ist erheblich dünner als die seines Nachbars. Sein Fußbodenniveau bei 62,25 m NHN reicht auch bei Weitem nicht so tief in das Erdreich hinein.40 Betrachten wir die straßenseitige Kellerwand der Hauptstraße  22, fallen in erster Linie die relativ homogene Verwendung von Backsteinen mit nur sehr vereinzelten Feldsteinen und relativ großformatige Fensteröffnungen auf (s. Abb. 6). Der Scheitel des Tonnengewölbes liegt ca. 0,95 m über der GOK, während der Keller der Hauptstraße 21 beinahe vollständig im Boden liegt. Diese Befunde verweisen darauf, dass die Keller der Haupt­ straße 22 nach der Hauptstraße 21 errichtet wurden und erheblich jünger sind. Eine genaue Untersuchung der Außenmauer, die im unteren Bereich aus Feldsteinmauerwerk mit vereinzelten Backsteinen besteht, brachte jedoch im Sockelbereich zwei stichbogige Über­ fang­bögen von Wandöffnungen zu Tage. In der Neben­einanderstellung der Schnittzeichnungen wird sichtbar, dass diese Überfangbögen sich auf ähnlicher Höhe befinden wie die Stürze der Fenster­schächte im Nachbarkeller. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich dabei um inzwischen zugesetzte Fensteröffnungen, deren Brüstungen sich weit unterhalb des aktuellen Fuß­ boden­niveaus befinden. Das heutige Gebäude der Hauptstraße 22 stammt laut Denkmalbegründung maßgeblich aus der zweiten Hälfte des 18. Jhs.41 Der Keller ist aber einem früheren Bauwerk zuzurechnen. Er wurde in den neuzeitlichen Neubau integriert, in diesem Zuge mit Füllmaterial aufgefüllt und damit der Laufhorizont um ca. 0,7 –1 m angehoben. Eine erste Orientierung für die Zeitstellung der Keller kann also über ihre Höhenlage gegeben

werden. Zumindest kann durch die Höhenlage der Bohlenwege die Feststellung getroffen werden, dass die Keller frühestens im Spätmittelalter errichtet wurden. Es zeigte sich jedoch, dass das Bauwerk als Quelle unbedingt in die Betrachtung mit einbezogen werden muss, damit aufgrund baulicher Veränderungen und Einbeziehung alter Bausubstanz nicht falsche Schlussfolgerungen gezogen werden. Befunde am Bau In den vorangegangenen Textpassagen wurde bereits deutlich, dass mit der präzisen Bauaufnahme immer eine ausführliche Beobachtung und Analyse der Befunde am Bauwerk einhergehen muss, um die Bestandspläne angemessen zu interpretieren. Neben der relativen Bau­ chronologie des Einzel­bauwerks können mit der Untersuchung der Befunde am Bau beispielsweise auch Fragen zur »Versteinerung« der Stadt beantwortet werden. Dass im Mittelalter nicht nur die oberirdische Bebauung, sondern auch die Keller in Holz errichtet wurden, ist aus verschiedenen Regionen Nordostdeutschlands bekannt.42 Auch in Luckau wurden auf dem Grundstück Lange Straße / Am Markt Reste eines Holzkellers nachgewiesen.43 Dieser wurde grob in mittelalterliche Zeit datiert. Die »Versteinerung« der unterirdischen Bausubstanz setzte also erst später ein. Dabei wurden zuerst die Kellermauern in Stein errichtet, während die Überdeckung vermutlich noch in Holz ausgeführt war. Heute sind auf dem gesamten Stadtgebiet Keller zu finden, deren bestehende Gewölbe nicht ihre bauzeitliche Überdeckung darstellen. Balkenlöcher oder Konsolsteine für einen Streichbalken von Holz­decken­konstruktionen müssen sich an den Längsmauern befunden haben, da die Balkenlage quer zum Raum zu erwarten ist. Wenn diese noch erhalten sind, so liegen sie heute verdeckt hinter den längs zum Raum ausgerichteten Tonnen­gewölben. Auch wenn in Luckau weder Holzbalkendecken zwischen Keller und

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7  Hauptstraße 44, straßenseitige Kellerwand.

Erdgeschoss erhalten noch Balkenlöcher oder Konsolsteine sichtbar sind, gibt es doch vereinzelt Hinweise, dass manche Keller ehemals mit einer Flachdecke aus Holz überspannt waren. Eindeutig verweisen Mauerrücksprünge an den Schild­ wänden, die in vereinzelten Kellern zu beobachten sind, auf eine einstige flache Überdeckung der Räume. Diese Rücksprünge waren wohl ursprünglich Auflager für die quer zu den Balken liegenden Holzbohlen. Es sind auch vielfach Befunde zu beobachten, die auf eine nachträgliche Einwölbung hindeuten. Dabei wurden sowohl Tonnengewölbe44 als auch komplexere Gewölbe nachträglich eingefügt.45 Ein zweifelsfreier Beweis für den nachträglichen Einbau eines Gewölbes ist, wenn es bestehende Wandöffnungen auf ungünstige Weise überschneidet. In der Langen Straße beispielsweise konnten auf der südlichen Straßenseite insgesamt

vier recht große Keller festgestellt werden, die sich strukturell und auch hinsichtlich ihrer Ausstattung ähneln. Sie liegen unter dem Vorderhaus und verfügen mindestens über einen weiteren, kleineren Nebenraum, der jedoch auch nachträglich hinzugefügt sein kann.46 Der Hauptkellerraum ist mit zwei parallelen Tonnen überfasst, die orthogonal zur Langen Straße ausgerichtet sind, mit ihren äußeren Seiten auf den Sockelmauern auflagern und mit ihren inneren auf einem viereckigen Pfeiler in der Mitte des Raumes. In die Tonnen sind jeweils vier großdimensionierte Stichkappen eingefügt, sodass beinahe der Eindruck eines vierteiligen Kreuzgratgewölbes entsteht. Baubefunde an allen vier Kellern belegen das nachträgliche Einfügen der Gewölbe. An weiterer Aussagekraft gewinnen solche Beobachtungen, wenn die Gewölbe, beispielsweise aufgrund stilistischer Merkmale, einer bestimmten

Ein formgetreuer Stadtgrundriss auf Kellerniveau

8  Am Markt 13, Reste der ehemaligen Türlaibung in straßenseitiger Kellerwand.

Zeit zuzuordnen sind. Dies ist z. B. in der Haupt­ straße 44 der Fall. Hier überschneidet das vierteilige Kreuz­rippen­gewölbe mit Mittelstütze zugesetzte Fenster­öffnungen in der straßenseitigen Keller­ mauer, was ihren nachträglichen Einbau belegt (Abb. 7). Stilistische und konstruktive Ähnlichkeiten des Gewölbes mit einem überwölbten Raum unter der Sakristei in der Stadtkirche St. Nikolai, der aufgrund der Bauformen und -ausführung ins frühe 16. Jh. datiert wird, lassen eine Entstehung des Gewölbes in der Hauptstraße 44 etwa in der gleichen Zeit vermuten.47 Da aber die Keller­mauern älter als das Gewölbe sind, ergibt sich damit für das Mauerwerk, als terminus ante quem, eine Datierung vor dem frühen 16. Jh. Vereinzelt stellen inzwischen zugesetzte Öff­ nun­gen in den Außenmauern auch Tür­öff­nun­gen dar, die einst eine Erschließung der Keller­­räume seitens der Straße ermöglichten. Sowohl in der

Hauptstraße 44 als auch im Keller auf der Parzelle Am Markt 13 (Abb. 8) waren diese Öffnungen vor dem Einbau des Gewölbes angelegt. Die Höhen­­ lagen der Türschwellen verlangen einen zusätzlichen außenliegenden Treppenabgang, der im Straßen­raum in Erscheinung trat. Vor allem entlang der Hauptstraße und des Marktplatzes kann angenommen werden, dass der einstige Straßen­raum durch von außen womöglich öffentlich zugängliche Keller geprägt war. Resümee Die Vorstellung, Antworten auf Fragen zur Stadt­ entwicklung in der unterirdischen Bau­sub­stanz zu finden, ohne dabei aufwändige Boden­eingriffe vornehmen zu müssen, ist für die Stadt­bau­ for­schung verlockend. Gerade in intakten und

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bewohnten Stadtgebieten sind Gelegenheiten, auf großflächigen Siedlungsgebieten mittels archäologischer Untersuchungen Informationen zu rezenten Bau­zuständen zu erhalten, sehr selten. Im Vorgehen der präzisen Bauaufnahme des Altstadt­gebietes unterscheidet sich das Projekt in Luckau von Keller­katastern mit der schwerpunkt­ mäßigen Inventarisation des unterirdischen Bau­ bestandes nach festgelegten Kriterien. Wie an den angeführten Beispielen nachvollziehbar gemacht wurde, können durch die präzise Ein­mes­sung der Kellerräume im Bezug zueinander wie auch zur oberirdischen Bebauung stadtbau­ge­schicht­ liche Bauprozesse sichtbar gemacht werden, die bei einer skizzenhaften zeichnerischen Aufnahme der Keller nicht erfasst worden wären. So war beispielsweise in der Marktstraße 6 allein aufgrund der Lage und Ausrichtung der Räume der Rückschluss auf die Bauabfolge und die Parzellen­ zusammen­legung auf dem Grundstück möglich. Bei der Bauaufnahme ist es dabei besonders wichtig, dass die Keller genau zueinander und zur oberirdischen Bausubstanz abgebildet werden.

Der steingerechten Bauaufnahme kommt dabei weniger Bedeutung zu als der lagegerechten Plan­erstellung. Es zeichnet sich ab, dass zahlreiche Frage­stellungen hinsichtlich der Bau­ent­wick­ lungs­geschichte auf den Parzellen mithilfe einer genauen zusammenhängenden und flächen­ deckenden Aufnahme der Kellersubstanz entwickelt werden können. Der unterirdische Stadt­plan ermöglicht Beobachtungen, anhand derer Thesen entwickelt werden können, die wiederum zu weiteren Untersuchungen führen. Das Phänomen der nachträglichen Unterkellerung von Grund­stücks­ zufahrten kann dort ebenso beobachtet werden wie auch Veränderungen der Bebauungslinien. Für die Schärfung und Präzisierung der Aussagen sind aber eine weitreichende Beobachtung der Bau­ befunde im Mauer­werk und die Hinzuziehung weiterer Quellen vonnöten. Eine bleibende Schwierigkeit bereitet dabei die absolute zeitliche Einordnung der vorgefundenen Keller. Diese kann aber teilweise mit den geschilderten methodischen Ansätzen zumindest mit termini ante quem und post quem eingegrenzt werden.

1 Zur Stadtgeschichte Luckaus: Vetter 1904, Tuček / Mietk 2018. 2 Ausführlich zur verschiedenen Kellerforschungen im deutschsprachigen Raum vgl. den Beitrag Nitz in diesem Band, 13–23. 3 Vgl. Schauer 1967, 1–3. 4 Beispielsweise rekonstruiert er ein 8 m breites Gebäude über den ältesten Keller, ohne dass diese Behauptung zufriedenstellend belegt wird. Schauer 1967, 95. 5 Arendt-Flemming 2010. 6 Vgl. Holst 1986. 7 Brüggemann 2005. 8 Brauchle 2020. Vgl. auch ihren Beitrag in der vorliegenden Publikation, 43–62. 9 Vgl. Hauswald 2019. 10 Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum. 11 Siehe hierzu Holst 2002. 12 Vgl. Pittaluga / Valeriani 2003.

13 Das älteste Stadtregister stammt aus dem Jahr 1517. BLHA, 8 Luckau 32. 14 Stadtregister 1517, in: BLHA, 8 Luckau 32; Stadtregister 1520 / 21, in: BLHA, 8 Luckau 33; Stadtregister 1522 / 23, in: BLHA, 8 Luckau 34; Stadtregister 1524 / 25, in: BLHA, 8 Luckau 35; Stadtregister 1546, in: BLHA, 8 Luckau 36. Einnahme- und Ausgaberegister 1550–1552, in: BLHA, 8 Luckau 37; Einnahme- und Ausgaberegister 1559–1560, in: BLHA, 8 Luckau 38; Einnahme- und Ausgaberegister 1561, in: BLHA, 8 Luckau 39. Urbarium der Stadt Luckau und der zur Stadt gehörigen Dörfer 1668, in: BLHA, 8 Luckau 62; Urbarium von den Häusern (Steuer und Schoß der Innenstadt und der beiden Vorstädte) 1719, in: BLHA, 8 Luckau 63; Urbarium von den Äckern und Grundstücken 1719, in: BLHA, 8 Luckau 64; Urbarium über Gärten, Scheunen, Wiesen 1719, in: BLHA, 8 Luckau 65. 15 BLHA, 8 Luckau 30, fol. 14 r. und 4 v. 16 BLHA, Rep. 17c 192. 17 SHSA, Geheimer Rat (Geheimes Archiv) Loc. 9993/4.

Ein formgetreuer Stadtgrundriss auf Kellerniveau

18 Luckau ist auch in die Karte der sächsischen Land­auf­ nah­me von Matthias Oeder 1586–1634 aufgenommen. Weitere historische Karten stammen aus dem 18. und frühen 19. Jh., bspw. der Stadtplan von 1814, in: Archiv des Heimat­museums Luckau, VS. 8434/13. 19 So z. B. die Brauhausgasse 13 und Am Markt 22. 20 Das aktuelle Promotionsvorhaben zu den Luckauer Kellern konnte auf 55 Kellergrundrisse und Schnittzeichnungen zurückgreifen, die am Fachgebiet Baugeschichte an der BTU Cottbus-Senftenberg im Rahmen studentischer Projekte angefertigt wurden. Das studentische Projekt wurde von Dr. Alexandra Druzynski v. Boetticher entwickelt und geleitet. Für das Anlegen des Messnetzes und seiner Nachbearbeitung sei an dieser Stelle dem Fachgebiet Vermessung der BTU Cottbus-Senftenberg und dort insbesondere Rex Haberland mein herzlicher Dank ausgesprochen. 21 An dieser Stelle möchte ich Frau Fischer und Frau Heinze aus dem Bauamt der Stadt Luckau herzlich für ihre Unterstützung danken. Auch den Einwohner*innen, die mir den Zugang zu ihren Kellerräumen ermöglichten, gilt mein herzlicher Dank. 22 Für eine erste Auswertung des studentischen Projekts vgl. Druzynski v. Boetticher 2018. 23 Die Räume selbst sind mit 20–33 m² nicht besonders großflächig, sodass eine gewerbliche Nutzung, mit Ausnahme der Hauptstraße 18, unwahrscheinlich erscheint, sondern vielmehr von einer Nutzung als privater Lager­keller von Ackerbürgern ausgegangen werden muss, die hier ihre Jahresernte von Kartoffeln, Äpfeln, Zwiebeln u. ä. lagerten. 24 Vgl. Korluß 2018. Die archäologischen Befunde werden an späterer Stelle umfassender erörtert. 25 Korluß 2018, 112. Die südliche Kante der Fahrbahn des Boh­ len­weges liegt ca. 3,8 m nördlich der heutigen südlichen Fahr­bahn­linie und ca. 5,5 m nördlich der Hausfassade. 26 Korluß 2018, 109. 27 Die Breite von 4,5 m ist in der Hauptstraße nur für die jüngste Weganlage gesichert. Die Breite der darunter liegenden Bohlenwege konnte nicht eindeutig bestimmt werden. Vgl. Korluß 2018, 112. 28 Die Bauentwicklung auf dem Grundstück Marktstraße 6 hat A. Druzynski v. Boetticher nachvollziehbar dargestellt. Vgl. Druzynski v. Boetticher 2018, 53. 29 Ein weiteres Beispiel für eine Parzellenzusammenlegung stellt der Kellerkomplex der Hauptstraße  52/53 dar. Druzynski v. Boetticher 2018, 51–53.

30 In der Planzeichnung wurden diese zwei Verlaufs­rich­tun­ gen mit durchgehenden und gestrichelten Linien markiert. 31 Mündliche Auskunft der Hauseigentümer der Langen Straße 19. 32 Hauptstraße 25, 22, 20, 32, Lange Straße 5. 33 Um die Grundstücke mit einem Pferdegespann zu befahren und auch wieder zu verlassen, muss es entweder eine Durchfahrtmöglichkeit gegeben haben oder es wurde eine Hoffläche benötigt, auf welcher ein Pferdegespann wenden konnte. 34 Ausnahmen bilden die Keller neueren Baudatums wie z. B. Hauptstraße 5. 35 In Gesprächen mit der Luckauer Bewohnerschaft wurde diese Vermutung wiederholt geäußert. 36 Bei dem nachmittelalterlichen, frühneuzeitlichen Feld­ stein­brunnen am Rathaus wurde eine Sohlhöhe auf 61,1 m nachgewiesen, was demnach wohl die Unter­ grenze des nachmittelalterlichen/neuzeitlichen Grund­ wasser­stands benennt. Vgl. unveröffentlichte archäologische Untersuchung, Maßnahme LAU 1996:33, 1996, AIDZ im BLDAM; Wünsdorf. Im Sommer 1996: 60,9–61,1 m NHN. 1992 lag er im Bereich Lange Straße/Marktplatz bei 60,2 m NHN. Vgl. Baugrundgutachten vom 18.8.1992, S. 5, unveröffentlichte archäologische Untersuchung, Maßnahme SK 1994:6, 1994, AIDZ im BLDAM; Wünsdorf. 37 Die betreffenden Dokumentationen im BLDAM Ar­chäo­ logie wurden gesichtet. Bisher sind nur die Unter­ suchungen der Grabungen in der Hauptstraße publiziert. Korluß 2018. 38 Unveröffentlichte archäologische Untersuchung, Maß­ nahme LAU 1996:68, 1996, S. 5, AIDZ im BLDAM; Wüns­ dorf. 39 Korluß 2018, 107. 40 Im Gegensatz hierzu befindet sich der westliche Bereich der Hauptstraße 21 auf 61,35 m NHN. 41 Vgl. Denkmalbegründung Hauptstraße 22 vom 14.3.1994, in: BLDAM, Objektakte, 09140020. 42 Bspw. in Brandenburg an der Havel, vgl. Müller 2018, 85. 43 Unveröffentlichte archäologische Untersuchung, Maß­ nahme SK 1994:6, 1994, AIDZ im BLDAM; Wünsdorf. 44 So z. B. im straßenseitigen Raum von Am Markt 14, Am Markt 13. 45 Z. B. Hauptstraße 44, Am Markt 15. 46 Analog zur Betrachtung der Lange Straße 19/20 an früherer Stelle. 47 Schumann 2006, 25.

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Arendt-Flemming 2010 F. Arendt-Flemming: Die historischen Kelleranlagen der Aschaffenburger Oberstadt, Broschüre der Stadt Aschaffen­ burg, Denkmalschutzbehörde (Aschaffenburg 2010). Brauchle 2020 A. Brauchle: Kelleranlagen in Wittenberg. Form, Konstruktion und Material unterirdischer Bausubstanz vom Spätmittelalter bis in das 19. Jahrhundert und ihre Aussagen zur Stadt­ge­ schich­te (Langenweißbach 2020). Brüggemann 2005 S. Brüggemann: Vorarbeiten zur systematischen Erfassung der historischen Kelleranlagen, in: Stadterneuerungsgesellschaft Stralsund (Hg.): Auf den Spuren des Welterbes. Das Stralsunder Kellerkataster (Stralsund 2005) 10–11. Druzynski v. Boetticher 2018 A. Druzynski v. Boetticher: Luckau Underground. Stadt­ forschung auf Grundlage von Kellerforschungen, Branden­ burgische Denkmalpflege, Jg. 4, H. 1, 2018, 48–56. Hauswald 2019 K. Hauswald: Die profane mittelalterliche Steinbausubstanz der Stadt Meißen. Ein Beitrag zur Erforschung der Stadt­ entwicklung, in: Landesamt für Archäologie Sachsen (Hg.): Arbeits- und Forschungsberichte zur Sächsischen Boden­ denkmalpflege 57/58, Jg. 2015/2016 (Dresden 2019) 529–594. Holst 1986 J. C. Holst: Beobachtungen zu Handelsnutzung und Geschoß­ bildung an Lübecker Steinhäusern des Mittelalters, in: Arbeits­ kreis für Hausforschung (Hg.): Hausbau in Lübeck. Jahrbuch für Hausforschung 35 (Marburg 1986) 93–144. Holst 2002 J. C. Holst: Erfahrungen mit der bauhistorischen Anwendung der Thermolumineszenzdatierung, in: Arbeitskreis für Haus­ forschung (Hg.): Historischer Hausbau zwischen Elbe und Oder, Jahrbuch für Hausforschung 49 (Marburg 2002) 241–259. Korluß 2018 C. Korluß: Archäologische Untersuchungen in der Hauptstraße von Luckau, Landkreis Dahme-Spreewald, Arbeitsberichte zur Bodendenkmalpflege in Brandenburg, 31, Einsichten, Archäologische Beiträge für den Süden des Landes Bran­den­ burg 2012–2014, 2018, 107–126. Müller 2018 J. Müller: Bis bald, »Alter Klaus«… Archäologische Befunde zum Brauwesen in Brandenburg an der Havel, in: W. Melzer (Hg.): Lebensmittel im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Erzeugung, Verarbeitung, Versorgung. Beiträge des 16. Kolloquiums des Arbeitskreises zur archäologischen

Erforschung des mittelalterlichen Handwerks, Beiträge zur Archäologie 15 (Soest 2018) 81–99. Pittaluga / Valeriani 2003 D. Pittaluga / S. Valeriani: Chronologie der Backsteinmaße. Eine Möglichkeit zur Datierung von Bauten in spezifischen geographischen Bereichen, in: E. Badstübner / D. Schumann (Hg.): Studien zur Backsteinarchitektur, Backsteintechnologien im Mittelalter und in der Neuzeit (Berlin 2003) 370–387. Schauer 1967 H.-H. Schauer: Merseburg. Untersuchungen des Bau­be­stan­ des, namentlich der Keller- und Gewölbeanlagen. Zur Städte­ baulichen Entwicklung der Altstadt, Diss. Weimar 1967. Schumann 2006 D. Schumann: Die neuen Ergebnisse zur mittelalterlichen Baugeschichte der Luckauer Nikolaikirche, in: Zwischen Himmel und Erde. Entdeckungen in der Luckauer Nikolaikirche, Arbeits­hefte des Brandenburgischen Landesamtes für Denk­ mal­pflege und Archäologischen Landesmuseum 13 (Berlin 2006) 13–27. Tuček / Mietk 2018 H. Tuček / T. Mietk (Hg.): Luckau. Von der Hauptstadt der Nie­ der­lausitz zur Gartenstadt der Moderne (Berlin 2018). Vetter 1904 J. Vetter: Chronik der Stadt Luckau im Markgraftum Nieder­ lausitz (Luckau 1904).

Abbildungsnachweis 1 L. Beyenbach, auch auf Grundlage studentischer Auf­nah­ men der BTU Cottbus-Senftenberg, 2021. 2 Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden, 12884 Karten und Risse, Nr. Schr 001, F016, Nr. 026, Bl 12. 3 L. Beyenbach, 2021. 4 A. Druzynski v. Boetticher und L.-S. Liga, auf Grundlage studentischer Bauaufnahme 2013. 5 L. Beyenbach, 2019. 8 L. Beyenbach, 2019. 9 L. Beyenbach, 2018. 10 R. Wieczorek, 2018. Farbtafel I euroluftbild.de/BSF Swissphoto GmbH, 2016. Farbtafel II L. Beyenbach, 2021. Farbtafel III L. Beyenbach, 2020.

Ein Kellerkataster für Wittenberg Sein Wert für die Bauforschung und die Denkmalpflege

Antonia Brauchle

Dieser Beitrag geht der Frage nach, welche Er­geb­ nisse durch ein Kellerkataster gewonnen werden können und welchen Wert eine solche Erfassung für die Historische Bauforschung und die Denk­ mal­pflege haben kann. Als Beispiel für diese Betrachtung dient das Kellerkataster für die Innen­ stadt von Witten­berg (Sachsen-Anhalt), welches 2009–14 erstellt wurde.1 Entstanden ist diese Keller­ doku­men­tation im Rahmen des 2009 begonnenen For­schungs­projektes Ernestinisches Wittenberg: Universität und Stadt (1486–1547). Ziel des interdisziplinär aus Historiker*innen unterschiedlicher Fach­ richtungen, Kunsthistoriker*innen, Archäolog*innen und Bauforscher*innen zusammengesetzten For­ schungs­teams war es, ein umfassendes Bild über die Entwicklung der Stadt Wittenberg als bauliches und soziales Gefüge im 15. und 16. Jh. zu gewinnen. Dabei lag ein zeitlicher Schwerpunkt zunächst auf der Re­gie­rungs­zeit (1486–1525) Friedrichs III. (1463– 1525) als Kurfürst von Sachsen, der mit dem Ausbau Witten­bergs zu einem wichtigen Residenzort und der Gründung der Universität in Wittenberg die Voraussetzungen für die Entwicklung der Stadt zu einem Zentrum des Humanismus schuf. Ein wichtiger Ansatz der Forschung war es, die Stadt als ökonomisches und soziales Geflecht und die bauliche Hülle als Ausdruck dessen und der darin stattfindenden Wechsel­wirkungen zu begreifen. Ein weiteres zentrales Anliegen des Vorhabens war es, die vor Ort vorhandene Bausubstanz, den archäologischen Fund und Befund gleichberechtigt neben den schriftlichen und bildlichen Archivalien als Quelle aufzufassen und mit den jeweiligen fachspezifischen Methoden zu bearbeiten und

auszuwerten. Dabei sollte die trans­disziplinäre Arbeits­weise die Verknüpfung der unterschiedlichen Arbeits­methoden und Erkenntnisse sicherstellen.2 Die systematische Erfassung und Aus­wer­ tung der Keller­anlagen hatte dabei u. a. das Ziel, Phasen der Stadt­entwicklung auch in der baulichen Überlieferung nachzuweisen und durch die Auswertung der schriftlichen Quellen besondere Aspekte der Nutzung der Kelleranlagen darstellen zu können. Die Struktur der Stadt und ihre bauliche Entwicklung Wittenberg liegt etwa 120 km südwestlich von Berlin am Nordufer der mittleren Elbe, leicht erhöht auf einer Sandbank. Der überlieferte Stadtgrundriss wird durch die lang gestreckte West-Ost-Achse bestimmt, die heutige Schloß- und Collegienstraße, die einem mittelalterlichen hochwassersicheren Handelsweg3 am nördlichen Ufer der Elbe folgt. An dieser Achse liegen der Markt und, jeweils durch eine Hauszeile von Markt und Straße getrennt, der Kirchplatz. Im Westen und Osten dieser Achse befand sich je ein Stadttor, ein weiteres Stadttor war in Richtung Süden zur Elbe hin vorhanden. Ergänzt wird diese West-Ost-Ausrichtung durch einen weiteren Straßenzug, der im Westen am Schlossplatz V-förmig abzweigt, und im östlichen Bereich durch eine parallel verlaufende Straße, die Mittelstraße, die aber am Kirchplatz endet. Diese West-Ost gerichteten Straßenzüge werden durch mehrere, im rechten Winkel daran anschließende

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Antonia Brauchle

1  Innenstadt von Wittenberg. Grau hinterlegt: bebaute Fläche auf den Grundstücken. Zusätzlich markiert sind die Grundstücke, auf denen zum Zeitpunkt der Erfassung ein vor 1490 zu datierender Keller vorhanden war. Die zeitliche Einordnung erfolgte aufgrund unterschiedlicher Kriterien, vgl. Legende. Stand der Bebauung: 2009, Stand der Kartierung: August 2014.

2  Markt mit Rathaus und Bürgerhäusern (bis auf das zweite von links, alle im Kern aus dem 16. Jh.), im Hintergrund links: Turm der Schlosskirche, 2011.

Ein Kellerkataster für Wittenberg

Straßen ergänzt (Abb. 1). Die Ausdehnung der spätmittelalterlichen Stadt ist nach wie vor anhand der Grünzüge nachvollziehbar, die dem Verlauf der nach 1873 abgerissenen Befestigungs- und Wallanlagen folgen.4 Das Stadtbild wird auch heute noch durch das ab 1489 errichtete Schloss mit der Schlosskirche am westlichen Ende und durch das in mehreren Bauphasen ab 1503/04 entstandene Ensemble aus Augusteum und Lutherhaus am östlichen Ende geprägt. Das in zwei Bauphasen 1523– 35 und 1570–73 entstandene ehemalige Rathaus auf dem Markt (Abb. 2) und auf dem Kirchplatz die Stadtpfarrkirche mit der Doppelturmfassade bilden das Zentrum der Stadt. Mehrere im 16. Jh. entstandene steinerne Bürgerhäuser am Markt und in den in West-Ost-Richtung verlaufenden Hauptstraßen ergänzen das Ensemble. Die Entstehung der Stadt wird für die 1160er Jahre angenommen5 und seit 1260 war Witten­ berg Residenzstadt der askanischen Herzöge. Aus dieser Zeit sind jedoch obertägig nur die ältesten Teile der Stadtpfarrkirche, Teile eines Fran­zis­ka­ner­ klosters, der Probstei sowie eines Ter­mi­nier­hauses der Antoniter,6 jedoch keine profane Bausubstanz bekannt. Nach einer Zeit der Stagnation aufgrund des Aussterbens der männlichen Linie der Witten­berger Askanier 1422 erlebte Wittenberg im 16. Jh. wieder einen wirtschaftlichen Aufschwung, der sich auch baulich in der Stadt niederschlug.7 Der Ernestiner Friedrich III. bestimmte Wittenberg 1486 zu einem seiner Haupt­residenzorte, ließ das Schloss errichten und gründete 1502 hier die Universität »Leucorea«, welche sich bald zu »einem Zentrum des Humanismus in Deutschland, […] mit einem außerordentlichen Profil, das die neuen Strömungen der Zeit repräsentierte«8, entwickelte und Studierende und Gelehrte aus allen deutschen Landesteilen anzog. Die enge Verbindung zwischen Universität und Stadt bedeutete jedoch auch eine große Abhängigkeit der Stadt von der Universität, deren Zuspruch und Ansehen unmittelbar auf die politischen und religiösen Rich­tungs­kämpfe reagierten. Bereits die zweite Hälfte des 16.  Jhs. war von politischen und

wirtschaftlichen Auf- und Abschwüngen geprägt. Nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618–48) sanken die Immatrikulations- und Bevölkerungszahlen beträchtlich, bis schließlich Ende des 17. Jhs. die Witten­berger Universität in ihrer Bedeutung für Wissenschaft und Theologie unwiederbringlich hinter anderen Universitäten wie Leipzig, Jena und Göttingen zurückfiel.9 Als weit nach Norden vorgeschobene Bastion innerhalb des albertinischen Sachsens behielt die Stadt Wittenberg zwar eine hohe strategische Bedeutung, jedoch waren der damit einhergehende Ausbau der Festungs­ anlagen und die Einquartierung der Soldaten mit Einschränkungen für die bauliche Entwicklung der Stadt verbunden. Nachdem das mit Napoleon verbündete Sachsen seine nördlichen Landesteile 1815 nach der Niederlage Napoleons an Preußen abtreten musste, wurde die Universität Wittenberg mit der in Halle zusammengelegt und der Standort Wittenberg geschlossen. Für Wittenberg blieb unter der preußischen Herrschaft der Status einer Festungsstadt bis Ende des 19. Jhs. prägend. Erst die industrielle Entwicklung gegen Ende des 19. Jhs. zog wieder eine rege Bautätigkeit nach sich, welche sich jedoch überwiegend außerhalb des Alt­ stadt­kerns und nur in geringem Umfang in der Innenstadt niederschlug, so dass die mittelalterliche bzw. frühneuzeitliche Stadtstruktur und auch zahlreiche Bürgerhäuser mit ihrem Kern aus dem 16. Jh. bis heute erhalten sind.10 Das Kellerkataster: Bauaufnahme – Dokumentation – Auswertung Für das Kellerkataster in Wittenberg wurden über 300 Kelleranlagen unter Bürgerhäusern besichtigt, 112 aufgemessen und dokumentiert und davon 93 besonders aussagekräftige Kel­ler­anlagen auf 83 Grundstücken11 in einem Katalog beschrieben sowie mit Grundriss­zeichnungen und Fotos dargestellt. Zusätzlich wurden für sieben besonders komplexe Kel­ler­anlagen Bau­phasen­pläne angelegt (Farbtafel  IV, 167).12 Insgesamt liegen

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für 75 % der in der Innenstadt heute vergebenen Haus­nummern13 Informationen zur Art der Überdeckung der Kellerräume und damit eine erste Information zur zeitlichen Einordnung vor. Die Auswahl der im Katalog dargestellten Keller erfolgte in erster Linie mit dem Ziel, den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bestand möglichst weitgehend zu erfassen. Um jedoch einen größeren Zeitraum der Entwicklung der Kellerkonstruktionen aufzeigen zu können, wurden in den Katalog auch exemplarisch Keller mit einer Bauzeit bis Ende des 19. Jhs. aufgenommen. Als Grundlage für eine systematische Aus­ wertung der Beobachtungen und Befunde wurde eine Typologie der vorgefundenen Kellerformen entwickelt. Die verwendeten Materialien und Konstruktionen der Wände und Gewölbe wurden genauso wie die Beziehung der Kelleranlage zum Grund­stück und zu der darüber vorhandenen Bebauung ausführlich dargestellt. Aus diesen Analysen konnten Hinweise auf unterschiedliche Nutzungen und für eine zeitliche Abfolge der Keller­bau­werke gewonnen werden. Wichtige Hinweise zur zeitlichen Einordnung ergaben sich darüber hinaus aus den Ergebnissen der 2009–14 im Auftrag des Landes­amtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt durchgeführten archäologischen Grabungen.14 Neben den Kellern unter den Bürger­häusern wurden auch drei Anlagen unter Sonder- bzw. Großbauten in die Untersuchung miteinbezogen. Für die Keller unter dem Schloss, dem Gebäude­ensemble Augusteum (bestehend aus Luther­ haus und Collegium Augusteum) sowie unter dem Rathaus galten aufgrund der Bau­herren­schaft (Landes­ herr, Universität und städtischer Rat) andere Voraussetzungen z. B. im Hinblick auf die Material­ beschaffung und die finanziellen Ressourcen. Aus diesem Grund sind diese Kelleranlagen nicht für einen direkten Vergleich geeignet, stellten jedoch gerade wegen der möglicherweise feststellbaren Unterschiede wichtige Referenzobjekte für eine Systematisierung und zeitliche Einordnung der Keller unter den Bürger­häusern dar.

Ergebnisse der Kellerforschung für Wittenberg Vor Beginn der Erfassung war bekannt, dass im Untergrund von Wittenberg große Kellerräume mit Tonnengewölben vorhanden sind, aber es bestand keine Klarheit über deren Zahl, Be­schaf­ fen­heit und Entstehungszeit. Nun konnte belegt werden, dass unter mindestens einem Drittel aller Bürger­häuser in der Innenstadt von Wittenberg vor 1800 errichtete Kelleranlagen erhalten sind. Diese Kelleranlagen sind sowohl unter den steinernen Bürgerhäusern des 16. Jhs. als auch unter der im 19. und 20. Jh. erneuerten Bebauung vorhanden. Damit sind zahlreiche Keller aus einer Zeit überliefert, bevor die über Jahrhunderte angewendete Bautechnik, Kellerräume mit hohen Gewölben zu überdecken, durch Konstruktionen mit einer geringeren Bauhöhe wie preußische Kappen­decken, Steineisen- und Eisenbetondecken abgelöst wurde. Ein großer Teil der in eine Bauzeit vor 1800 eingeordneten Keller ist zudem bereits zwischen 1490 und Anfang des 17. Jhs. entstanden. Zunächst wenig überraschend deckt sich damit die Hauptbauphase auf Kellerebene mit der Phase in der Bauentwicklung der Stadt Witten­ berg, in der auch obertägig bis heute prägende Bauten entstanden. Interessant ist auch, dass der Ver­stei­ne­rungs­grad der unterirdischen Bebauung im 16. Jh. deutlich weiter fortgeschritten war als der der aufgehenden Bebauung. In Wittenberg bestanden noch Mitte des 17. Jhs. über 80 % der Häuser entweder vollständig aus Holz oder nur aus einem steinernen Erdgeschoss und Fach­ werk­ober­ge­schos­sen.15 Regelmäßig konnte auch festgestellt werden, dass der unterirdische Bau­ bestand ab dem 17. Jh. bis in das 19. Jh. weniger Veränderungen unterworfen war als der obertägige Bau­bestand. Folglich ist auch der Anteil der aus dem 16. Jh. überlieferten Bausubstanz auf Keller­ebene höher als derjenige an der obertägigen Bebauung. Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist, dass in den zentralen Bereichen der Stadt mindestens 20 vor 1490 entstandene Keller lokalisiert

Ein Kellerkataster für Wittenberg

werden konnten, deren Baugeschichte teilweise möglicherweise bis in das 13. Jh. zurückreicht (s. Abb. 1).16 Der Anteil dieser Keller ist unerwartet hoch. Diese Räume ermöglichen mit ihrem Zuschnitt, ihrer Verteilung in der Stadt und ihrer Platzierung auf dem Grundstück neue Einsichten zum Ausbaustand der Stadt vor 1490.17 Kellertypen Die in Wittenberg dokumentierten Kellerformen reichen von einem einzelnen kleinen Raum über Kelleranlagen, die aus mehreren unterschiedlich großen, unterschiedlich zueinander angeordneten und unterschiedlich tief gelegenen Räumen bestehen, bis zu mehreren unabhängig voneinander erschlossenen Kelleranlagen auf einem Grundstück. Vor allem die ältesten Keller bestehen meist nur aus einem Raum, aber auch bei Kelleranlagen aus dem 16. Jh. kann oftmals ein einzelner Raum als erste Bauphase identifiziert werden, der dann nach und nach zu einer komplexen Anlage erweitert wurde. Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich in Wittenberg nicht ein spezifischer Kellertyp entwickelte, sondern die Anlagen entsprechend der jeweiligen Nutzungs­bedürfnisse sowie in Ab­hän­ gig­keit von den baulichen Gegebenheiten und von denjenigen des Grundstücks errichtet und darüber hinaus die Keller jeweils den sich verändernden Be­dürf­nissen angepasst wurden.18 Einraumkeller Als einfachster Kellertyp wurde der Einraumkeller definiert, der nur aus einem Kellerraum und der dazu gehörenden Erschließung besteht. Diese Anlagen wurden oftmals in späteren Bau- und Nutzungsphasen erweitert oder mit anderen zusammengelegt. Bei den Einraumkellern lassen sich zwei unterschiedliche Typen feststellen: die Ein­ raum­keller unter Vorderhäusern und die Ein­raum­ keller als Vollunterkellerung von Seiten­gebäuden. Die Einraumkeller unter den Vorder­häusern sind meist nur 5–15 m², vereinzelt bis max. 20 m² groß.

Oft liegen diese Keller deutlich von der straßenseitigen Bau- und Grundstücksgrenze abgerückt, aber noch im Bereich einer Vorder­haus­bebauung. Diese Keller sind aufgrund ihrer Größe als einfache Haus­keller für die Vorratshaltung anzusprechen. Möglicherweise ist ihre von der Grund­stücks­ grenze zurückgesetzte Lage auf die räumliche Nähe zur Küche zurückzuführen. Von diesen Kellern im Bereich der Vorder­häuser deutlich zu unterscheiden sind die sehr großen einzelnen Kellerräume, die sich im Bereich des Grundstücks jenseits der Vorder­häuser befinden und meist als Voll­unter­kellerung eines Seitengebäudes ausgeführt sind. Diese Kellerräume sind oft über 100 m² groß und gehören damit zu den größten Kellerräumen in Wittenberg überhaupt. Diese Keller unter den Seiten­gebäuden, wie z. B. auf dem zum Besitz Cranachs gehörenden Markt 1, verweisen auf einen großen Hausstand, den es zu versorgen galt. Möglicherweise war darüber hinaus mit diesen Kellern auch eine über die rein häusliche Vorrats­haltung hinausgehende Nutzung verbunden.19 Kelleranlagen: geplant und gewachsen Im Unterschied zu den Einraumkellern bestehen Kelleranlagen mindestens aus zwei Räumen und der dazu gehörenden Erschließung. Hier ist zwischen geplanten und gewachsenen Anlagen, also denjenigen, die erweitert oder aus bestehenden Räumen zusammengelegt wurden, zu unterscheiden. Zwar lässt sich seit dem 16. Jh. grundsätzlich ein hohes Maß der Unterkellerung feststellen, jedoch entstanden die meisten Anlagen in mehreren Bauphasen. Geplante Voll­unter­kellerungen wurden in Wittenberg erst mit den GurtbogenKappen­ gewölben seit Ende des 18. Jhs. zum Standard.20 Neben der Kelleranlage unter dem im 16. Jh. errichteten Rathaus konnten nur auf zwei Grund­stücken bereits im 16. Jh. als Voll­unter­ kellerung geplante Anlagen unter Bürger­häusern festgestellt werden. Auffällig ist ein Kellertyp, der aus einem größeren und einem deutlich kleineren Raum besteht,

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M 1:200)

N 0

5

K02

-2,58 v

K03

-3,38 v

K01

10 K04 -0,00 v

-2,25 v

K05

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3  Kirchplatz 10, Grundriss des Kellers.

Grundriss Keller (M 1:200) 206 0 4  Kirchplatz 10, Kellerabgang mit erhöht angeordnetem Kellerraum rechts, 2009.

10m

wobei der größere Raum immer am Ende des Trep­ pen­abgangs oder erst über einen Gang zu erreichen ist, während der kleinere Raum vor diesem Raum angeordnet ist. In verschiedenen Varianten konnte dieser Typ insgesamt achtmal in Witten­ berg festgestellt werden.21 Dabei ist jene Variante besonders auffällig, bei der der kleinere Raum (z. B. K02 in Abb. 3) zusätzlich erhöht auf halber Treppe angeordnet ist (Abb. 4). Die Größe dieser in Wittenberg beobachteten Anlagen ist sehr unterschiedlich, die Grundfläche der großen Räume reicht von 8–69 m² und die der kleinen von 3–12 m², sodass diese Anlagen sowohl als häusliche Vorratskeller als auch möglicherweise für eine darüber hinaus gehende Nutzung für gewerbliche Zwecke gedacht waren. Da vor allem die VarianteNmit erhöht angeordnetem 5 10m Kellerraum konstruktiv vergleichsweise aufwändig ist, drängt sich die Frage auf, welche Vorteile diese Anordnung bot. Möglicherweise handelt es sich hier um eine funktionale Trennung: ein Keller für die Waren des täglichen Bedarfs, der schneller erreichbar sein sollte und ein größerer und tiefer gelegener Kellerraum, der für das Einlagern, also für eine längerfristige Lagerung, gedacht war. Auch war ein häufig begangener Kellerraum stärkeren Temperaturschwankungen unterworfen, und das häufige Öffnen und Schließen der Tür brachte vor allem im Sommer einen erhöhten Feuch­ tig­keits­eintrag mit sich, was zu einer verstärkten Kon­dens­wasser­bildung führen konnte. Diese klimatischen Schwankungen waren für eine längerfristige, schadfreie Lagerung möglicherweise nachteilig.22 Dass für unterschiedliche Waren verschiedene Lagerräume vorgesehen waren, ist in Wittenberg auch archivalisch belegt. So sind an einem Treppenabgang zum Keller des Schlosses auf halber Höhe rechts und links ebensolche erhöht angeordneten Räume vorhanden, von denen einer in schriftlichen Überlieferungen als »Broth-Kammer«23 bezeichnet wird. Ein weiterer Typ, der »Seitenstrangkeller«, besteht ebenfalls aus zwei Räumen oder zwei Keller­anlagen, die über einen gemeinsamen

Ein Kellerkataster für Wittenberg

Treppen­abgang zwischen diesen beiden Räumen oder Anlagen erschlossen werden. Insgesamt kommt dieser Typ in unterschiedlichen Varianten zehnmal in Wittenberg vor. Meistens liegt ein Teil der Gesamt­anlage unter dem Vorderhaus und der zweite unter einem Seitengebäude, die Erschließung befindet sich dann zwischen den Gebäude­teilen. Aber es gibt auch Anlagen, in denen beide Teile unter einem oder unter zwei hintereinander angeordneten Seitengebäuden liegen, sowie ein Beispiel, bei dem sich beide Bestandteile unter dem Vorderhaus befinden. Charakteristisch für diesen Typ ist, dass es sich um schmale, weit in die Grundstückstiefe reichende Anlagen handelt, bei denen die meist eindeutig längs gerichteten Räume im rechten Winkel zur Straße und zur Bebauungs­grenze ausgerichtet sind. Ist das Vorder­haus in die Unterkellerung einbezogen, ist es immer nur zu einem geringen Teil in der Breite unterkellert. In der Regel ist der Teil der Kelleranlage unter dem Seitenflügel deutlich größer als der Teil unter dem Vorderhaus (Abb. 5). Bei den Seiten­strang­kellern können die beiden durch die Erschließung verbundenen Bereiche als geplante Anlage oder in unterschiedlichen Bauphasen ausgeführt sein. Dabei kann sich die Bauabfolge unterscheiden. So sind etwa auf dem Grundstück Markt 16 die älteren Bestandteile der Keller­anlage eines Seitenstrangkellers (K07 und K08) unter einem ehemals frei stehenden Hofgebäude und die jüngeren (K03/04/05)24 im Bereich eines an das Vorderhaus anschließenden Seitenflügels – deutlich von der Bebauungsgrenze zur Straße abgerückt – vorhanden (s. Farbtafel IV, 167), während in der Collegienstraße  61 (s. Abb. 5) die älteren Bestandteile unter dem Vorderhaus festgestellt wurden. Zumindest für den zuletzt genannten Fall ergibt sich ein Erklärungsansatz für diese Art der Teilunterkellerung des Vorderhauses aus einer möglichen Bauabfolge auf dem Grundstück, die sich in der aufgehenden Bebauung aufgrund späterer Veränderungen nicht mehr nachvollziehen lässt. So war möglicherweise im Bereich des Vorder­ hauses bereits ein Gebäude mit einem kleinen

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K03 -3,70 v

K02

-3,46 v

Bef-1 K01 -2,41 v

K04

0,00 v

-3,61 v

K05

K06

K07

-3,75 v

-3,80 v

N 0

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10m

5  Collegienstraße 61, Grundriss des Kellers. K01 K03

K02

K04 K06

Keller vorhanden, dem dann ein Seitengebäude mit einem großen Keller folgte, später wurde das klei74 ne Vorder­haus abgerissen, durch einen in der Regel größeren Neubau ersetzt und dabei nur der ältere kleine Kellerraum an dieser Stelle beibehalten. Keller Grundriss und Längsschnitt AA, K07 Querschnitt BB (M 1:200)

Wände und Überdeckung: Materialien und Konstruktion Für die Errichtung der Wände wurde bis in das 20. Jh. vorrangig auf das vor Ort verfügbare Material zurückgegriffen. So sind für die Wände der ältesten Keller verschiedene Arten von Feld­ stein­mauer­werk charakteristisch. Seit dem 15. Jh.

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6  Grabung zwischen Juristen- und Bürgermeisterstraße, Kellerraum mit Wänden aus Raseneisenstein, Gewölbe aus Backstein nachträglich aufgesetzt (eingestürzt im Vordergrund), hinter dem Gewölbe Reste einer Fensteröffnung (Bildmitte, ebenfalls eingestürzt), 2011.

wurde zunehmend Backstein verwendet, sowohl in verschiedenen Materialkombinationen mit Feldund Bruchstein als auch als alleiniges Baumaterial. Hingegen bleibt das Importmaterial Bruchstein als alleiniges Baumaterial im Keller selten, kann jedoch auch seit dem 16. Jh. als Beimengung in Feld­stein- oder Backsteinmauerwerken häufiger festgestellt werden. Bei den Feldsteinkellern handelt es sich meist um regelloses oder höchstens partiell lagenhaftes25 Feldsteinmauerwerk – zum Teil mit einem auffällig hohen Anteil an Hohlziegeln als Material zum Auszwickeln. Soweit erkennbar, sind diese Mauerwerke mit einem sandigen Lehmmörtel gefügt, aber waren wohl regelmäßig mit Kalk verputzt. Die Dicke dieser Feldsteinmauern, soweit sie in vorhandenen Befundöffnungen oder bei frei

gelegten Kelleranlagen in der Grabung gemessen werden konnten, beträgt ca. 60–65 cm. Raseneisenstein bildet einen häufigen Begleiter aller Materialien und Materialmischungen, als eigenständiges Baumaterial spielt er jedoch nur eine sehr untergeordnete Rolle. Der einzige Kellerraum mit Wänden aus überwiegend blockhaft behauenen Raseneisensteinen wurde bei einer Grabung freigelegt (Abb. 6).26 Bei diesem Beispiel ist auch deutlich zu erkennen, dass das Backsteingewölbe erst nachträglich aufgesetzt wurde, denn in der Nordwand wurde eine Wandnische oder -öffnung vollständig durch die Gewölbewange überdeckt. Die größte Gruppe der Mauerwerke stellen mit 69 % die Materialmischungen mit unterschiedlichen Zusammensetzungen dar: Backstein mit Feldstein, Backstein mit Bruch- bzw. Haustein und eine

Ein Kellerkataster für Wittenberg

7  Markt 14, Kellerraum mit Wänden und Gewölbe aus Feldsteinen, Gewölbe mit Kalkmörtel auf Schalbrettern errichtet, 2012.

Mischung aus den drei Bestandteilen Feld-, Backund Bruch- bzw. Haustein. Auch diese Mauerwerke sind meist regellos und höchstens partiell lagenhaft aufgebaut. Die meisten Kellerräume in Wittenberg von Ende des 15. bis in das 18. Jh. sind mit einem hohen rund­ bogigen Gewölbe aus Backstein überdeckt. Daneben konnten einzelne Räume mit einer flachen Kappe und Anlagen mit Gurt­ bogen-Kappen­gewölbe aus dem 18. und 19. Jh. festgestellt werden. Gänge sind häufiger als die Haupt­räume mit flachen Kappen überdeckt, aber auch hier kommen hohe rundbogige Gewölbe vor. Kreuzgrat- und Rippengewölbe sind unter Bürger­häusern in Wittenberg selten: es konnten nur vier Kreuz­grat­gewölbe, die frühestens Anfang des 17.  Jhs. errichtet wurden,

und ein Netz­rippen­gewölbe dokumentiert werden. Weitere Grat- und Rippengewölbe sind unter dem Rathaus und unter dem Schloss vorhanden. Die einzige Kelleranlage unter einem Bürger­haus mit einem Netzrippengewölbe wird aufgrund des Bau­zusammenhangs und eines auffälligen Sand­ stein­gewändes in die erste Hälfte des 16.  Jhs. datiert, wies zudem früher einen direkten Zugang von der Straße auf und wurde möglicherweise als Wein­ausschank genutzt.27 Die Gewölbe – auch die Kreuzgrat- und das Rippengewölbe einschließlich der Rippen­steine – sind überwiegend aus Back­ steinen errichtet, nur zwei Kellerräume unter Bürger­häusern und der Kellerraum unter dem Augusteum haben ein Gewölbe zumindest teilweise aus Bruch- bzw. Haustein. Einen singulären Befund stellt eine Art Kalkmörtelgussgewölbe mit

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Feld­steinen in einem Keller am Markt dar (Abb. 7). Eine weitere Sonderkonstruktion sind Gewölbe aus keilförmig bearbeiteten Raseneisensteinen, die in zwei Erschließungs­gängen dokumentiert werden konnten, die zu nachträglich eingewölbten Feldsteinkellern führten (Abb. 8). Im Gegensatz zu den Wänden, wo sehr viel Lehmmörtel oder binde­mittelarmer Kalkmörtel verwendet wurde, sind die Gewölbe mit Kalkmörtel erstellt. Keller vor 1490 Wie eingangs dargelegt, ist in Wittenberg aus der Zeit vor 1486 kein profaner Gebäudebestand

obertägig erhalten. So war die Erstellung des Keller­katasters u. a. von der Frage bestimmt, ob und falls ja, in welchem Ausmaß in Wittenberg Kelleranlagen aus der Zeit vor 1486 erhalten sind. Als Eingrenzung für die Bauphase wurde 1490 festgelegt, da mit dem Bau des Schlosses ab 1489 eine rege Bautätigkeit und Umgestaltung der Stadt sowohl in baulicher als auch sozialer Hinsicht begann, als Wittenberg unter Friedrich III. erneut zum bevorzugten Residenzort wurde. Der wichtigste Hinweis für eine zeitliche Ein­ ord­nung auf eine Entstehung vor 1490 ist das Feld­stein­mauer­werk mit einem hohen Anteil an

8  Collegienstraße 61, Blick von K01 Richtung K02, Gewölbe aus Raseneisenstein im Zugang zu dem nachträglich eingewölbten Feldsteinkeller unter dem Vorderhaus, 2009.

Ein Kellerkataster für Wittenberg

Hohl­ziegeln in Verbindung mit einem nachträglich aufgesetzten Tonnengewölbe. Auch kann eine willkürlich erscheinende Lage, ohne einen Bezug zur Grund­stücks- oder Bebauungsgrenze, ein Hinweis auf eine vor 1490 entstandene Kelleranlage sein, vor allem, wenn darüber noch ein Gebäude aus dem 16. Jh. erhalten ist.28 Insgesamt werden mindestens 20 Keller­räume unter einer Bebauung derzeit auf eine Bauzeit vor 1490 eingeordnet (s. Abb. 1), hinzu kommen noch die Erkenntnisse aus den archäologischen Befunden. Alleine aufgrund der ungewöhnlichen Material­verwendung und Konstruktion des Gewölbes wurden auch

der Kellerraum mit dem bereits erwähnten Feldstein-Kalkgussgewölbe am Markt (s. Abb. 7) und der kleine, ausschließlich mit großformatigen Backsteinen und einem spitzbogigen Zugang ausgeführte Kellerraum Markt 16 (Abb. 9) dieser frühen Bauzeit zugeordnet. Bei zwei aus Feldsteinen mit einem hohen Anteil an Hohlziegeln errichteten Keller­räume wird die sich daraus ergebende frühe Bauzeit noch durch die mit keilförmigen Rasen­eisen­steinen überwölbten Zugänge (s. Abb. 8) unterstützt, denn mit der zunehmenden Verfügbarkeit von Backsteinen seit dem 15. Jh. war die Verwendung von Raseneisenstein nicht

9  Markt 16, kleiner Kellerraum unter dem Vorderhaus, Wände überwiegend, Gewölbe vollständig aus Backstein, 2011.

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10  Markt 23, Keller unter dem Vorderhaus, Bauzeit 2. Viertel des 16. Jhs. gleichzeitig mit dem Vorderhaus: links die Außenwand des Kellers aus Feldstein, rechts eine Trennwand aus der Bauzeit, 2012.

mehr erforderlich oder möglicherweise waren die Lagerstätten bereits erschöpft.29 Keller zwischen 1490 und Ende des 16. Jhs. Wie bereits dargestellt, lässt sich ober- und unter­ irdisch für Wittenberg im 16. Jh. eine rege Bau­tätig­ keit nachvollziehen. Charakteristisches Material bei Keller­bauten im 16. Jh. ist Backstein, sei es als alleiniges Material oder in Kombination mit Feld- und Bruch- bzw. Haustein. Auch wenn Naturstein vermehrt in den Wänden zu beobachten ist, bleiben Keller­anlagen, deren Wände oder gar Gewölbe überwiegend oder ausschließlich aus Naturstein errichtet wurden, selten. Zudem fiel auf, dass Back­ steine und Feld­steine teilweise für unterschiedliche Bau­aufgaben verwendet wurden. So wurden

im 16. Jh. die Außen­wände und Fundamente der Keller­räume nach wie vor aus Feldsteinen erstellt, während nun aus Back­stein errichtete Innenwände beobachtet werden konnten (Abb. 10).30 Keller vom 17. Jh. bis 1763 Die eingangs beschriebene wirtschaftliche Stag­ nation im 17. Jh. führte auch dazu, dass die baulichen Befunde sowohl überirdisch als auch auf der Keller­ebene gering sind. Im aktuellen Denk­mal­ ver­zeich­nis sind nur vier Gebäude aus der Zeit um 1600 verzeichnet, ein weiteres wird in das 17. Jh. datiert.31 Als Grenze für diese Bauphase wird das Ende des Siebenjährigen Krieges 1763 angesetzt. In Witten­berg kam es im Siebenjährigen Krieg (1756–63) zu einer teils großflächigen Zerstörung

Ein Kellerkataster für Wittenberg

der nördlichen Stadteile u. a. zwischen Juristenund Bürger­meister­straße (s. Abb. 1). Infolgedessen kann im Anschluss zwar wieder mit einer größeren Bautätigkeit gerechnet werden, allerdings ist die Befund­lage für die genannte Zeitspanne schwierig, da aus dem Bestand heraus kaum Kriterien entwickelt werden konnten, um einen Kellerraum aus dem 16. von einem aus dem 17. Jh. unterscheiden zu können. Ein Indiz für eine Erbauung im 17. Jh. können dünnere und kleinere Backsteinmaße sein.32 Weitere Hinweise ergaben sich aus dem Bau­zu­sam­men­hang mit der darüber vorhandenen Bebauung, wenn diese dem 17. Jh. zugeordnet werden konnte. Aufgrund des Zusammenhangs mit den darüber vorhandenen Gebäuden wird z. B. für die meisten kreuz­grat­ge­wölb­ten Räume und die einzige Anlage mit einem mehrteiligen Kreuz­grat­ gewölbe (Abb. 11) eine Bauzeit zwischen Anfang des 17. und Anfang des 18. Jhs. angenommen. Gleichzeitig konnte aber auch beobachtet werden, dass noch in der ersten Hälfte des 18. Jhs. Keller­ räume mit hohen Tonnen­gewölben errichtet wurden. Dies zeigt die kleine Doppel­keller­anlage auf dem Grundstück Jüdenstraße 36/37: Hier wurde 1716/17 als Ersatz für eine Vor­gänger­bebauung ein Doppel­haus als Pfarr­wohn­häuser erbaut. Jedes der spiegel­bildlich errichteten Häuser hat einen knapp 18 m² großen Keller­raum, der jeweils mit einem hohen Tonnen­gewölbe überdeckt ist.33 Keller zwischen 1764 und Mitte des 19. Jhs. Für die zweite Hälfte des 18. und für die erste Hälfte des 19. Jhs. lässt sich zwar obertägig anhand der Baualterskartierung34 eine stärkere Neu­bau­tätigkeit im Stadtzentrum von Witten­berg nachvollziehen, jedoch schlägt sich diese zunächst kaum auf der Kellerebene nieder. Auch in dieser Aus­bau­phase der Stadt wurden regelmäßig die bestehenden Keller, selbst bei einer grundlegenden Neugestaltung der obertägigen Bebauung, beibehalten und gegebenenfalls erweitert. Gleichzeitig lässt sich aber bereits seit Anfang des 19. Jh. ein grundlegender konstruktiver Wandel bei den Kellerbauwerken feststellen, denn Keller­erweite­rungen wurden vermehrt als

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Gurt­bogen-Kappen­gewölbe ausgeführt. Eine verstärkte Bautätigkeit auf der Kellerebene lässt sich erst wieder nach 1873, nach der Schleifung der Festungs­anlagen, feststellen. Zu dieser Zeit wurden dann oftmals die vorhandenen hohen Keller­ gewölbe durch flache Decken oder Preußische Kappen ersetzt. Vollständige Neubauten wurden mit zeitgemäßen Überdeckungen als GurtbogenKappengewölbe, als Preußische Kappendecken oder als flache Steineisendecken errichtet. Zwar lässt sich auch in Wittenberg Ende des 19. Jhs. ein grundlegender – für die Zeit typischer – Wandel in der Bautechnik von Kellerbauten feststellen, jedoch

11  Bürgermeisterstraße 15, Keller mit einem vierteiligen Kreuzgrat­gewölbe und einer Mittelstütze, 2010.

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12  Bürgermeisterstraße 20, Grundriss und Querschnitt zu einem »Eiskeller« einer Gaststätte, Bauantrag 1885 (Keller nicht mehr vorhanden).

entstanden nach wie vor für Brauereien große Anlagen und für Gaststätten einzelne Kellerräume mit hohen Gewölben als Eiskeller (Abb. 12). Keller in Wittenberg: Aussagen zur Stadtgeschichte Die Auswertung der Verteilung der überlieferten Keller macht deutlich, dass nicht überall in der Stadt Kelleranlagen aus der Zeit vor Mitte des 19. Jhs.

im gleichen Umfang vorhanden sind. Auch wenn immer die Überlieferungssituation berücksichtigt werden muss, lassen sich aus der Verteilung ein paar allgemeine Beobachtungen ableiten. Die meisten Keller mit hohen Tonnengewölben aus dem 16. Jh. sind in denjenigen Bereichen der Stadt vorhanden, wo sich auch die steinernen Bürgerhäuser aus dem 16. Jh. befinden: überwiegend rund um den Markt und in den daran anschließenden West-Ost gerichteten Hauptstraßen. Hier deckt sich grundsätzlich die Überlieferung der obertägigen Bebauung mit derjenigen der Kellerebene, wenn auch im Einzelfall die beiden Ebenen nicht immer deckungsgleich sind. Auch die ältesten Kelleranlagen aus dem späten Mittelalter sind nicht auf einen eng begrenzten Bereich in der Stadt konzentriert. Auffällig war, dass u. a. im Norden entlang der ehemaligen Stadtmauer und im Nordosten der Stadt keine Keller aus einer Bauzeit vor dem Ende des 19. Jhs. überliefert sind. Zwar ist hier auch ein sehr hoher Anteil erst seit dem 20. Jh. entstandener Neubauten vorhanden, jedoch konnten im Zentrum der Stadt mehrfach unter jüngerer Bebauung ältere Keller festgestellt werden, so dass ein junger Baubestand alleine nicht als Erklärung für diese Beobachtung ausreicht. Vielmehr scheint vor 1490 und auch noch im 16. und 17. Jh. die in diesem Bereich der Stadt vorhandene Bebauung von so geringerer Qualität und so geringer Dauerhaftigkeit geprägt gewesen zu sein, dass hier wohl gar keine oder zumindest keine steinernen Keller vor dem 19. Jh. vorhanden waren. Die wechselvolle Geschichte der Stadt Wittenberg mit ihren archivalisch bekannten Phasen einer abwechselnd regen und dann wieder stagnierenden Bautätigkeit vom Spätmittelalter bis in das 19. Jh. lässt sich nun auf der Kellerebene auch baulich nachweisen. Die vor 1490 entstandenen Keller verweisen mit ihrer Lage auf die bis Ende des 15. Jhs. bestehende, nicht geschlossene und nicht einheitlich bis an die heutige Bebauungsgrenze zur Straße reichende Bebauung. Die Beobachtung, dass mehrfach nur unter dem Vorderhaus ein kleiner, vor 1490 entstandener Keller vorhanden ist, während im hinteren Teil der Bebauung größere Kelleranlagen des

Ein Kellerkataster für Wittenberg

16. Jhs. platziert sind, kann dahingehend interpretiert werden, dass die bestehende ältere Bebauung auf dem vorderen Teil des Grundstücks beibehalten wurde, während auf dem hinteren Teil ein Neubau entstand. Die ältere Bebauung wurde erst nach dessen Fertigstellung abgerissen und der Neubau auch auf den vorderen Teil des Grundstücks erweitert, wobei dieser dann nicht unterkellert wurde.35 Insgesamt stellen die überlieferten Keller ein eindrückliches bauliches Zeugnis der Stadtgeschichte dar. Dabei ist der Wert zunächst in den zahlreichen Einzelbefunden zu sehen, durch die anhand der unterirdisch überlieferten Bausubstanz die Bauund Ausbaustufen der Stadt exemplarisch erläutert werden können. Über den Einzelbefund hinaus war es ebenfalls möglich, die das Erscheinungsbild der Stadt prägenden Phasen wie z. B. die starke Bautätigkeit im 16. Jh. anhand der Kellerebene aufzuzeigen. Darüber hinaus konnten aufgrund jüngerer Veränderungen obertägig nicht mehr oder nur eingeschränkt fassbare Ausbauphasen der Stadt im Untergrund am Befund noch in größerem Umfang nachvollzogen werden.36 Das Kellerkataster in Wittenberg: sein Wert für die Bauforschung und die Denkmalpflege Zunächst wird durch die systematische Erfassung der Keller eine Lücke in der Darstellung der seit dem Spätmittelalter überlieferten Bausubstanz in der Innenstadt von Wittenberg geschlossen. Durch diese Dokumentation ist erstmalig eine Grundlage für eine Bewertung und zeitliche Einordnung der Kelleranlagen gegeben. Eine solche Dokumentation kann als Grundlage sowohl für die denkmalfachliche Inventarisation und die Verbreitung des Erhaltungsgedankens allgemein als auch für die Stadt- und Bauplanung dienen. Besonders hervorzuheben ist die Erkenntnis, dass neben den zahlreichen Anlagen aus dem 16. Jh. ein erheblicher Anteil aus dem Spätmittelalter überlieferter Keller im Untergrund erhalten blieb. Diese Keller sind oftmals unter Gebäuden vorhanden,

die keine herausragende Bausubstanz aufweisen und nicht in der Denkmalliste erfasst sind. Dieses Ergebnis macht nochmals deutlich, dass eine systematische und flächendeckende Erfassung nicht durch eine objektbezogene Bauforschung an Einzel­denkmalen ersetzt werden kann. Die Bau­forschung in die Breite – das Kellerkataster – und die Bauforschung in die Tiefe – die detaillierte Einzel­untersuchung – sind zwei Aspekte einer Methode, die sich bei der Erforschung der Stadt­geschichte gegenseitig ergänzen. Während die baulichen Zusammenhänge zur aufgehenden Bebauung auch im Rahmen einer gebäudebezogenen Bauforschung erfasst werden können, ist hervorzuheben, dass der Zeugniswert der Keller­ anlagen ganz besonders in ihrer Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit begründet ist. Demzufolge reicht es nicht aus, nur wenige exemplarische Keller­anlagen zu erhalten. Die systematische Darstellung der Kelleranlagen in Katalog­form legt den Schwerpunkt auf die Erfassung in der Fläche, bezieht vorhandene Ergebnisse detaillierter Bauforschungen aber mit ein. Für jeden erfassten Keller sind die wichtigsten Daten komprimiert zusammengefasst. Somit bietet der Katalog einen schnellen Zugriff auf die Erkenntnisse und hat damit auch einen hohen praktischen Nutzen. Das Kataster als Bestandteil einer umfassenden Bestandserfassung historisch wertvoller Bau­ substanz ist vor dem Hintergrund der inzwischen erfolgten Verluste von besonders hoher Relevanz. In der Innenstadt von Wittenberg wurden alleine während des Bearbeitungs­zeit­raums des Keller­ katasters 2009–14 mehrere Keller­anlagen abgerissen oder blieben zwischen den Fundamenten der darüber errichteten Neu­bauten nur noch bruchstückhaft erhalten. Dies ist umso bedauerlicher, da es sich bei den verlorenen Anlagen mehrfach um solche mit singulären Befunden handelte, wie z. B. die einzigen beiden spätmittelalterlichen Keller­ anlagen mit Rasen­ eisen­ stein im Gewölbe des Zugangs (s. Abb. 8) und der möglicherweise einzige spätmittelalterliche Kellerraum, bei dem sowohl

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die Wände als auch das leicht spitzbogige Tonnen­ gewölbe aus Backsteinen bestand (s. Abb. 9). Vor dem Hintergrund der hier vorgestellten Ergebnisse ist davon auszugehen, dass künftig bei Baumaßnahmen und in bislang nicht zugänglichen Kellern noch mehr spätmittelalterliche Bausubstanz in Wittenberg aufgefunden wird. Es ist zu hoffen, dass die publizierten Forschungsergebnisse einen Beitrag zur Wertschätzung der bereits bekannten und der noch zu entdeckenden Kelleranlagen leisten und damit zu ihrem Erhalt beitragen. Da die Bauweise der Keller weitgehender und länger als die aufgehende Bebauung durch die lokal verfügbaren bzw. vorherrschenden Baumaterialien bestimmt war und demzufolge oftmals bis weit in das 19. Jh. kaum einem grundsätzlichen Wandel unterlag, kann ihre Auswertung Hinweise auf Bautechnik und Materialverwendung früherer Zeitschichten liefern. Zwar lassen sich bei einer vergleichenden Betrachtung anderer Kellerlandschaften wie der von Stralsund37, Wismar38, Frankfurt (Main)39, Branden­burg (Havel)40 oder Luckau41 teilweise ähnliche Beobachtungen feststellen, wie z. B. die nachträgliche Einwölbung von Kellerräumen oder die häufigere Verwendung bestimmter Materialien, aber bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass die Verschiedenartigkeit der einzelnen Kellerlandschaften es nicht erlaubt, die Erkenntnisse aus einer Stadt ohne Weiteres auf andere Städte zu übertragen. Das in den letzten Jahren gewachsene Interesse an der Untersuchung von Kelleranlagen und der Erstellung von Keller­ katastern für (Innen-)Städte oder Stadtteile mit unterschiedlichen Entwicklungsgeschichten lässt, auf den wachsenden Bestand aufbauend, für die nähere Zukunft vielversprechende For­schungs­ ergebnisse erwarten. Bei der Sichtung publizierter Kataster wurde allerdings auch deutlich, dass sich zwar grundsätzlich die Methode der Erfassung (Aufmaß, fotografische Dokumentation und systematisiertes Datenblatt zur Bestandserfassung) gleicht, aber die Ausführung im Detail genauso wie die

Auswertung sehr unterschiedlich sind. Es liegt in der Natur des Forschungsgegenstands, u. a. an der mit hohem Organisationsaufwand verbundenen Herstellung der Zugänglichkeit, dass letztendlich für jede Stadt oder jeden Stadtteil die Methode und die Tiefe der Erfassung vor dem Hintergrund der Zielstellung, der zur Verfügung stehenden Zeit, dem beteiligten Personal, den vorhandenen Vorarbeiten und nicht zuletzt der bekannten Stadt- und Stadtbaugeschichte neu festgelegt werden müssen. Ohne eine bereits vorhandene Bestandserfassung ist ein zweistufiges Verfahren zu empfehlen. In der ersten Stufe werden die Keller durch eine Erstbegehung gesichtet und daraus eine Liste repräsentativ erscheinender Keller erstellt. Hier können sowohl der Arbeitsaufwand für eine detaillierte Erfassung festgestellt als auch die Fragestellung und die zu erwartenden Ergebnisse konkretisiert werden. Im zweiten Schritt kann dann die detaillierte Erfassung effektiver durchgeführt werden. Dieses planvolle Vorgehen setzt aber eine vorab bekannte Laufzeit des Forschungsvorhabens und damit eine gewisse Planungssicherheit voraus. Resümee Neben den Erkenntnissen zu allgemeinen Aspek­ ten der Baukonstruktion und Materialverwendung zeichnet ein Kellerkataster die bauliche Ent­wick­ lung einer Stadt anhand der Baubefunde im Unter­grund nach. Das Kataster trägt somit dazu bei, das Bild von der Stadt und ihrer baulichen Entwicklung zu vervollständigen. In Wittenberg war es u. a. möglich, die Baudichte und -abfolge innerhalb der Stadt­teile auch am baulichen Befund nachzuvollziehen. Diese Forschungsergebnisse können jedoch in der Regel nicht kurzfristig erzielt werden und sind umso aussagekräftiger, je besser die Erstellung des Kellerkatasters in eine Stadt­geschichts- und Stadt­bau­forschung unter Einbeziehung anderer Disziplinen eingebunden ist, die auch auf das Einzelobjekt bezogene

Ein Kellerkataster für Wittenberg

Bau­forschung vom Keller bis zum Dachwerk und die archäologische Forschung einschließt. Ein Keller­ kataster verspricht insbesondere aussagekräftige For­schungs­ergebnisse in Städten und Stadtteilen, die in der Vergangenheit grundlegende Über­ formungen ihrer Struktur erfahren haben, etwa einen Neuaufbau nach einem Brand­ereignis oder eine stadtplanerischen Erneuerung. Auch bieten sich besonders günstige Erhaltungs­bedingungen für Keller, wenn eine Stadt nach einer relativen Prosperität und Bautätigkeit für längere Zeit in eine wirtschaftliche Stagnation verfiel. Über die Forschung in einzelnen Städten hinaus kann durch

überörtliche Vergleiche der Keller­land­schaften eine weitere Forschungs­perspektive entstehen, deren Potential bislang noch nicht genutzt wurde. Ein solcher Vergleich eröffnet die Möglichkeit, die Viel­fältigkeit der Konstruktionen und Typen in Abhängigkeit der geologisch-geographischen Gegebenheiten genauso wie die der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen auszuwerten. Zwar sind Keller­anlagen zunächst unsichtbar, dennoch sind sie genauso wie die aufgehende Bebauung ein Teil der Bau-, Kultur-, Wirtschaftsund Bau­technik­geschichte und damit ein Teil des zu erhaltenden baulichen Erbes.

1 Für die umfängliche Darstellung des Kellerkatasters: Brauchle 2020. Für die Darstellung von Einzelaspekten: Brauchle / Frase 2011; Brauchle 2013; Brauchle 2014; Brauchle 2015. Die Begehungen der Keller wurden vor Ort in den jeweiligen Jahren durchgeführt zusammen mit: I. Frase (2009); alle weiteren unter Mitarbeit von Studierenden des Masterstudiengangs Denkmalpflege des Fach­ge­bietes Historische Bauforschung der Tech­ nischen Universität Berlin: M. Bereri / K. Geiges (2010); M. Kohnert / M. Popiołek / S. Reinken / J. Schmidt (2011); weitere Begehungen und Aufmaße 2012–14 mit M. Kohnert. 2 2011–2020 erschienen insgesamt fünf Bände mit unterschiedlichen Schwerpunkten: Lück et al. 2011; Lück et al. 2013; Lück et al. 2015; Lück et al. 2017; Lück et al. 2020. 3 Junghans 1996, 10. 4 Zum Ausbau der Wittenberger Befestigung: Stahl 2014, 73–94. 5 Lang 2013, 269. 6 Zur ältesten Bausubstanz allgemein: Titze / Kleinschmidt 2002, 146–147, 168–169; zur Baugeschichte der Stadt­ pfarr­kirche: Gaisberg 2013; zum Terminierhaus der Antoniter: Timpe 1996. 7 Hierzu z. B. Hennen 2013, 53. 8 Tullner 2008, 33. 9 Zur Entwicklung der Universität in Wittenberg und ihrer Bauten: Ludwig 2011; Ludwig 2015; Ludwig 2017. 10 Ausführlich zur baulichen Entwicklung der Stadt z. B.: Bellmann et al. 1979; Junghans 1996; Titze / Kleinschmidt 2002, 11–34. 11 Da jede abgeschlossene und eigenständig erschlossene Kelleranlage gezählt wird, können unter einem Haus oder auf einem Grundstück mehrere Kelleranlagen vorhanden sein. 12 Zum Aufbau des Katalogs s. Brauchle 2020.

13 Die Anzahl der heute vergebenen Hausnummern ist nicht gleichbedeutend mit den heute vorhandenen Gebäuden, Grundstücken oder Kelleranlagen. Oftmals sind den zwischen zwei Straßenzügen angeordneten Häusern auch für jede Straße jeweils eine Hausnummer zugeordnet, auch wenn es sich um ein Gebäude handelt, z. B. zwischen Col­le­gi­en- und Mittelstraße, Kirchplatz und Markt sowie Schloßstraße und Coswiger Straße. Kellern auf Brachflächen kann nicht immer eine Hausnummer zugeordnet werden, vor allem wenn die Brachfläche seit dem 18. Jh. nicht mehr bebaut war. Die Anzahl der Hausnummern heute ist auch nicht gleichzusetzen mit der Zählung der Hausstellen, wie sie auf den überlieferten Stadtplänen von 1623, 1742 und 1823 dargestellt ist (für die Stadtpläne s. Brauchle 2020, Beilage 1–3). 14 Die Grabungen wurden unter Leitung von H. Rode und J. Reetz durchgeführt, für den fachlichen Austausch danke ich vor allem H. Rode; zu den Ergebnissen der Grabung auf dem Gelände des Schlosses s. Reetz 2014. 15 Kluttig-Altmann 2013, 123–124. 16 Ausführlich dazu Brauchle 2020, 55–57, 95–97. 17 Brauchle 2020, 103–104. 18 Brauchle 2020, 107. 19 Brauchle 2020, 35–36. 20 Zur Materialverwendung und Überdeckung der Keller­ räume vgl. Brauchle 2020, 41–57, zur zeitlichen Ein­ord­ nung der Kelleranlagen vgl. Brauchle 2020, 94–99. 21 Brauchle 2020, 38. 22 Brauchle 2020, 89–90. 23 Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Finanzarchiv, Rep. A 25a I, I, Nr. 2396, Bl. 19r – Exzerpt Thomas Lang, Leipzig. 24 Hierbei handelt es sich um einen nachträglich unterteilten Kellerraum.

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25 Die Beschreibung der Mauerwerke folgt der Terminologie und Systematik bei Kinne 2009, 46–47; hier wird zwischen »regellos, nicht lagenhaft«, »partiell lagenhaft«, »ungleichmäßige Lagen«, »lagenhaft« und »regelmäßig lagenhaft« unterschieden. 26 Grabung unter Leitung von H. Rode im Auftrag des Lan­ des­amtes für Denkmalpflege und Archäologie SachsenAnhalt, Halle, 2010/11. 27 Brauchle 2020, 92. 28 Brauchle 2020, 43–46, 55–57, 95–97. 29 Brauchle 2020, 52. 30 Brauchle 2020, 97–98. 31 Titze / Kleinschmidt 2002, 129, 142, 158. 32 Zu den Veränderungen der Backsteinmaße allgemein: Schumann 2000, 314–315; auch in Wittenberg konnten mehrfach dünne und kürzere Backsteine festgestellt werden: Brauchle 2020, 48–49. 33 Brauchle 2020, 293–295.

34 Auf der Grundlage der beiden Denkmalverzeichnisse Bellmann et al. 1979 und Titze / Kleinschmidt 2002 wurde eine Baualterskartierung der obertägigen Bebauung erstellt, s. Brauchle 2020, Beilage 4. 35 Diese These zu einer möglichen Bauabfolge auf einem Grund­stück wurde z. B. für Markt 3 auch anhand der Bauphasen der obertägigen Bebauung festgestellt, vgl. Berger-Schmidt et al. 2011, v. a. 232 (Abb. 8). 36 Ausführlich diskutiert wurden die Beobachtungen auf Keller­ebene vor dem Hintergrund der überlieferten Stadt­ pläne von 1623, 1742 und 1823, s. Brauchle 2020, 100–104 und Beilage 1–3. 37 Brüggemann 2006; Stralsund 2005. 38 Gude / Scheftel 2000. 39 Aschaffenburg 2010; Rohn / Ahrendt-Fleming 2013. 40 Müller 2006. 41 Druzynski v. Boetticher 2018 und Beitrag von L. Beyen­ bach in diesem Band, 25–42.

Aschaffenburg 2010 Stadt Aschaffenburg, Denkmalschutzbehörde (Hg.): Die historischen Kelleranlagen der Aschaffenburger Oberstadt. Erste Ergebnisse der Auswertung des Kellerkatasters (Aschaffenburg 2010).

Brauchle 2015 A. Brauchle: Kelleranlagen in Wittenberg. Konstruktion und Grundriss im 16. Jahrhundert, in: M. Goer et al. (Hg.): Luther­ stadt Wittenberg, Torgau und der Hausbau im 16. Jahrhundert. Jahrbuch für Hausforschung 62 (Marburg 2015) 93–106.

Bellmann et al. 1979 F. Bellmann / M.-L. Harksen / R. Werner: Die Denkmale der Lutherstadt Wittenberg. Die Denkmale im Bezirk Halle (Weimar 1979).

Brauchle 2020 A. Brauchle: Kelleranlagen in Wittenberg. Form, Konstruktion und Material unterirdischer Bausubstanz vom Spät­mittel­alter bis in das 19. Jahrhundert und ihre Aussagen zur Stadt­geschichte. Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie SachsenAnhalt, Beiträge zur Denkmalkunde 15 (Langenweißbach 2020).

Berger-Schmidt et al. 2011 D. Berger-Schmidt / I. Ch. Hennen / Th. Schmidt / I. Frase: Das Wohn- und Geschäftshaus Markt 3: Zeugnis der Glanzzeit der Universität und Stadt Wittenberg, in: Lück et al. 2011, 180–190 (Textbd. 2.1), 231–234 (Bildbd. 2.2). Brauchle / Frase 2011 A. Brauchle / I. Frase: Keller als Quellen für die Stadtforschung – erste Ergebnisse aus Wittenberg, in: Lück et al. 2011, 169–179. Brauchle 2013 A. Brauchle: Kelleranlagen des 13. bis 18. Jahrhunderts in Wittenberg: Bauliche Struktur und Nutzung, in: Lück et al. 2013, 91–103 (Textbd. 2.1) und 33–38 (Bildbd. 2.2). Brauchle 2014 A. Brauchle: Die unterirdische Struktur der Stadt. Kelleranlagen in Wittenberg – zur Entwicklung von Material, Konstruktion und Grundriss vom Spätmittelalter bis in das 16. Jahrhundert, in: H. Meller für das Landesamt für Denkmalpflege und Archäo­logie Sachsen-Anhalt (Hg.): Das Schloss des Kurfürsten und der Beginn der frühneuzeitlichen Stadtbefestigung von Wittenberg. Kolloquium zu den aktuellen Ausgrabungen im Vorschloss (Südflügel) Wittenberg, Halle a. d. Saale, 25. Mai 2011. Archäologie in Sachsen-Anhalt, Sonderband 22, Archäologie in Wittenberg I (Halle (Saale) 2014) 91–100.

Brüggemann 2006 S. Brüggemann: Das Stralsunder Kellerkataster. Auf­zeich­nun­ gen zu einem städtebaulichen Denkmal, in: S. Brüggemann (Hg.): Keller in Mittelalter und Neuzeit. Beiträge zur Archäo­ logie, Bau­geschichte und Geschichte. Bericht über die Tagung »Keller­kataster« der Unteren Denk­mal­schutzbehörde der Hanse­stadt Stralsund in Stralsund 21.–22. Okt. 2005 (Langen­ weiß­bach 2006) 11–31. Druzynski v. Boetticher 2018 A. Druzynski v. Boetticher: Luckau underground. Stadt­ forschung auf Grundlage von Kelleruntersuchungen, Branden­ burgische Denkmalpflege 1, 2018, 48–56. Gaisberg 2013 E. v. Gaisberg: Stadtkirche und Kirchhofensemble, in: Lück et al. 2013, 127–150 (Textbd. 2.1), 53–82 (Bildbd. 2.2). Gude / Scheftel 2000 A. Gude / M. Scheftel: Kellerplan für die Stadt Wismar – Ein Vor­ bericht, in: D. Schumann (Hg.): Bauforschung und Archäo­logie. Stadt- und Siedlungsentwicklung im Spiegel der Bau­strukturen (Berlin 2000) 131–148.

Ein Kellerkataster für Wittenberg

Hennen 2013 I. Ch. Hennen: Reformation und Stadtentwicklung – Einwohner und Nachbarschaften, in: Lück et al. 2013, 33–76 (Textbd. 2.1), 21–28 (Bildbd. 2.2).

Lück et al. 2020 H. Lück / E. Bünz / L. Helten / A. Kohnle / E.-J. Waschke (Hg.): Das ernestinische Wittenberg: Residenz und Stadt. Wittenberg Forschungen 5 (Petersberg 2020).

Junghans 1996 H. Junghans: Martin Luther und Wittenberg (München, Berlin 1996).

Müller 2006 J. Müller: Die Keller der Altstadt und Neustadt Brandenburg, in: S. Brüggemann (Hg.): Keller in Mittelalter und Neuzeit. Beiträge zur Archäo­logie, Bau­geschichte und Geschichte. Bericht über die Tagung »Keller­kataster« der Unteren Denk­ mal­schutzbehörde der Hanse­stadt Stralsund in Stralsund 21.– 22. Okt. 2005 (Langen­weiß­bach 2006) 89–108.

Kinne 2009 A. Kinne: Tabellen und Tafeln zur Grabungstechnik. Ein Hilfs­ mittel für die archäologische Geländearbeit (Dresden 2009). Kluttig-Altmann 2013 R. Kluttig-Altmann: Wittenberg, eine Ziegelstadt? Archäo­lo­ gi­sche Funde, Ziegelscheunen und das »Urbar«, in: Lück et al. 2013, 117–126 (Textbd. 2.1), 47–52 (Bildbd. 2.2). Lang 2013 Th. Lang: Nur Stroh und Lehm? Baulichkeit und Nutzung des Wittenberger Schlosses (1423–1489). Teil 2: Aufenthalte und Befestigungsbauten der Kurfürsten von Sachsen, in: Lück et al. 2013, 293–313 (Textbd. 2.1), 147–154 (Bildbd. 2.2). Ludwig 2011 U. Ludwig: Die Universitätsgebäude von der Gründung der Leucorea 1502 bis zum Jahr 1547, in: Lück et al. 2011, 121–134. Ludwig 2015 U. Ludwig: Die Gebäude der Wittenberger Universität in der Frühen Neuzeit, in: M. Goer et al. (Hg.): Luther­stadt Wittenberg, Torgau und der Hausbau im 16. Jahrhundert. Jahrbuch für Hausforschung 62 (Marburg 2015) 107–131. Ludwig 2017 U. Ludwig: Die Verortung der Universität im städtischen Raum, in: Lück et al. 2017, 53–56. Lück et al. 2011 H. Lück / E. Bünz / L. Helten / D. Sack / H.-G. Stephan (Hg.): Das ernestinische Wittenberg: Universität und Stadt (1486–1547). Wittenberg Forschungen 1 (Petersberg 2011). Lück et al. 2013 H. Lück / E. Bünz / L. Helten / A. Kohnle / D. Sack / H.-G. Stephan (Hg.): Das ernestinische Wittenberg: Stadt und Be­wohner (2 Bde). Wittenberg Forschungen 2 (Petersberg 2013). Lück et al. 2015 H. Lück / E. Bünz / L. Helten / A. Kohnle / D. Sack / H.-G. Stephan (Hg.): Das ernestinische Wittenberg: Spuren Cranachs in Schloss und Stadt. Wittenberg Forschungen 3 (Petersberg 2015). Lück et al. 2017 H. Lück / E. Bünz / L. Helten / A. Kohnle / D. Sack / H.-G. Stephan (Hg.): Das ernestinische Wittenberg: Die Leucorea und ihre Räume. Wittenberg Forschungen 4 (Petersberg 2017).

Reetz 2014 J. Reetz: Die Untersuchungen auf dem Hof des Wittenberger Schlosses, in: H. Meller (Hg.): Das Schloss des Kurfürsten und der Beginn der frühneuzeitlichen Stadtbefestigung von Witten­berg. Kolloquium zu den aktuellen Ausgrabungen im Vor­schloss (Südflügel) Wittenberg, Halle a. d. Saale, 25. Mai 2011. Archäologie in Sachsen-Anhalt, Sonderband 22, Archäologie in Wittenberg I (Halle (Saale) 2014) 9–18. Rohn / Ahrendt-Fleming 2013 C. Rohn / F. Ahrendt-Fleming: Kellerkataster Frankfurt am Main, Denkmalpflege und Kulturgeschichte 2, 2013, 6–9. Schumann 2000 D. Schumann: Möglichkeiten einer Chronologie von Back­ stein­formaten, in: D. Schumann (Hg.): Bauforschung und Archäologie. Stadt- und Siedlungsentwicklung im Spiegel der Bau­strukturen (Berlin 2000) 298–317. Stahl 2014 A. Stahl: Von der Stadtbefestigung zur »ChurVestung Wittembergk«, in: H. Meller (Hg.): Das Schloss des Kurfürsten und der Beginn der frühneuzeitlichen Stadt­be­festigung von Wittenberg. Kolloquium zu den aktuellen Ausgrabungen im Vorschloss (Südflügel) Wittenberg, Halle a. d. Saale, 25. Mai 2011. Archäologie in Sachsen-Anhalt, Sonderband 22, Archäologie in Wittenberg I (Halle (Saale) 2014) 65–96. Stralsund 2005 Stadterneuerungsgesellschaft Stralsund mbH (Hg.): Auf den Spuren des Welterbes. Das Stralsunder Kellerkataster (Putbus 2005). Timpe 1996 S. Timpe: Die ehemalige Antoniterkapelle in Wittenberg. Schluß­folgerungen aus der Bauuntersuchung: Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt 2, 1996, 117–129. Titze / Kleinschmidt 2002 M. Titze / H. Kleinschmidt: Landkreis Wittenberg. Denkmal­ ver­zeich­nis Sachsen-Anhalt 11 (Petersberg 2002). Tullner 2008 M. Tullner: Geschichte Sachsen-Anhalts (München 2008).

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Antonia Brauchle

Abbildungsnachweis 1 Plangrundlage: Liegenschaftskarte 2009 © GeoBasisDE/LVermGeo LSA/www. lvermgeo. sachsen-anhalt. de, Abgabe: 2011, Az.: A9-2343-09, Plangrundlage bearbeitet von A. Brauchle/I. Frase/J. Lenz; weitere Bearbeitung: A. Brauchle, 2014. 2 I. Frase, 2011. 3, 5 A. Brauchle / M. Kohnert, 2014. 4 A. Brauchle / M. Kohnert, 2009. 6, 9 A. Brauchle, 2011. 7, 10 A. Brauchle, 2012. 8 A. Brauchle, 2009. 11 A. Brauchle, 2010. 12 Bauaktenarchiv der Stadtverwaltung Wittenberg (o. Signatur). Farbtafel IV A. Brauchle / M. Kohnert, 2014.

Das Kellerkataster der Meißner Altstadt und seine Auswertung Erkenntnismöglichkeiten und Grenzen bei der Erforschung der Stadtentwicklung

Knut Hauswald

Im Jahr 2029 feiert die Stadt Meißen ihre 1100-JahrFeier. König Heinrich I. gründete 929 auf dem Bergsporn über der Elbe allerdings keine Stadt, sondern eine hölzerne Burg. Die Gründung und früheste Entwicklung einer an ihrem Fuß liegenden Bürger­stadt liegt weitestgehend im Dunkeln der Geschichte. In den beiden vergangenen Jahr­ zehnten wurden Möglichkeiten ausgelotet, mithilfe eines Kellerkatasters Licht in dieses Dunkel zu bringen. Die Untersuchung förderte jedoch auch klare Erkenntnis­grenzen dieses Instrumentes der Stadt­ geschichts­forschung zutage. Zum Prozess der Herausbildung der mittelalterlichen Stadt Meißen werden zwei Szenarien in Betracht gezogen:1 Zum einen kann es sich um ein Zusammenwachsen bereits vorhandener präurbaner Siedlungen unterschiedlicher Jurisdiktionen handeln, wobei der durch die Verleihung des Marktrechtes jüngsten Zutat, der eigentlichen Bürgerstadt, die Rolle der städte­baulichen Arrondierung zufällt. Zum anderen ist auch eine planmäßige Parzellenabsteckung durch ankommende Kolonisten unter Anleitung der von Mark­ graf, Burggraf2 oder gar dem staufischen König­ tum3 Beauftragten möglich, wobei im Falle Meißens besonders auf das schwierige Relief des Tal­bodens der Triebisch Rücksicht genommen werden musste, die keine rechtwinklige Anlage des Marktes und des Straßennetzes zuließ.4 Anhand der ältesten profanen Steinbausub­ stanz der Altstadt wurde der Frage nach der städtebaulichen Entwicklung Meißens vertiefend nachgegangen. Die stadtgeschichtlichen Fragestellungen lauten demnach: Gelingt der Nachweis eines

ur­sprüng­lichen »Bebauungsplanes«, also einer Par­zel­len­anordnung, oder hat die sofort einsetzende kontinuierliche urbane Transformation alle Spuren getilgt? Setzt die »Versteinerung« der Profan­bau­substanz so spät ein, dass die überkommene Bau­substanz keine Relevanz für Aussagen über die früheste Stadtbildung besitzt?5 Der Informationsgehalt des Kellerkatasters und das Problem der absoluten Datierung Auf Veranlassung des mittlerweile verstorbenen Amtsleiters des seinerzeit existierenden Denk­ mal­amtes der Stadt Meißen, Andreas Christl, wurde im Rahmen der Altstadtsanierung mit der Herstellung eines Kellerkatasters begonnen, welches in den Jahren 1996 und 1997 entstand. Das Vorhaben wurde mit öffentlichen Fördermitteln finanziert und konnte leider nicht ganz zu Ende gebracht werden, sodass die Westseite des Hohlweges, der Burgstraße und des Marktes nicht bearbeitet wurden. Die Keller wurden einzeln mit Vermessungsplänen im Maßstab 1:50 und Erläuterungstexten erfasst. Die Vermessung erfolgte nicht verformungsgerecht, aber die Winkel wurden mittels Diagonalen festgestellt; Details wie Wandöffnungen, Baufugen, Oberflächen und absolute Höhen wurden berücksichtigt. Die Unterlagen liegen sowohl in Papierform als auch im digitalen Format im Stadtarchiv Meißen.6 Um wenigstens einen allgemeinen Gesamt­ überblick über die Meißner Keller zu erhalten, hat der Autor im August 2015 das Kellerkataster

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Knut Hauswald

provisorisch um die fehlenden Keller der Westseite des Marktes, der Burgstraße sowie des Hohlweges mit den skizzenhaften Kellergrundrissen aus den Akten der denkmalpflegerischen Erfassung ergänzt. Für eine Einschätzung der baulichen Ent­ wicklung der Stadt Meißen anhand überkommener Baustrukturen ist die zeitliche Einordnung der Substanz unabdingbar. Die heute noch in Nutzung befindlichen Keller sind jedoch nicht absolut datierbar. Man kann lediglich eine relative Chronologie nachzeichnen, die die Entwicklung der schrittweisen Verdichtung der Parzellen­ überbauung zeigt. Natürlich weisen die Mauer­ werks­verbände unterscheidbare Fügungen, Steine und Mörtel auf, aber für die zeitliche Einordnung hilft das aufgrund der Langlebigkeit vieler baulicher und handwerklicher Lösungen nicht wesentlich weiter. Ebenso ist die Form der Gewölbe, besonders der tonnenförmigen Gewölbetypen, über mehrere Jahrhunderte hinweg nahezu unverändert geblieben. Bearbeitete Architekturteile mit formalen Merkmalen, die wenigstens eine vorsichtige stilistische Einordnung erlauben, fehlen in den Kellern weitestgehend, ebenso allgemeingültige archäologische Befunde. Trotz allem wurde der Versuch unternommen, aus diesem noch nicht untersuchten untertägigen »Archiv«, dem Meißner Kellerkataster, Erkenntnisse über die Stadtbaugeschichte zu gewinnen. Dabei wurde wie folgt vorgegangen: 1. Auswertung des Kellerkatasters: Keller bzw. Teile von Kelleranlagen, denen gemeinsame bau- und raumstrukturelle Merkmale innewohnen, wurden in Gruppen aufgeteilt und ihre topografische Lage und Anordnung im Stadtbild ausgewertet. Dies hatte zum Ziel, eine Horizontalstratigrafie des Siedlungsgefüges zu erkennen. 2. Feststellung von noch erhaltenen ursprünglichen Parzellenbreiten der Grundstücke oder deren Rekonstruktion mit Hilfe der Keller­geo­ metrie: Ziel war es dabei, ggf. die Vermutung der Planmäßigkeit der Stadtanlage zu unterstützen.

3. Erfassung, Katalogisierung und Auswertung der für die Datierung von Steinbausubstanz relevanten archäologischen Funde und Befunde. 4. Feststellung, Katalogisierung und Auswertung unter- und obertägig erhaltener mittelalterlicher Profanbausubstanz und bisher partiell erfasster bauarchäologischer und restauratorischer Beobachtungen. Datierung mittels dendro­chrono­logischer Untersuchung von Hölzern aus Geschossdecken oder Dach­ konstruk­tionen sowie stilkritischer Vergleiche. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass ein Kellerkataster methodisch immer nur eine von mehreren Quellen eines vollständigen archäologischen Stadtkatasters sein kann: Dazu gehören außerdem die Erfassung der archäologischen Fundstellen, die Kartierung der erfolgten Bodeneingriffe im Altstadtboden und der obertägigen historischen Bausubstanz sowie die Hinzuziehung gegebenenfalls nachbearbeiteter (entzerrter) historischer Stadtpläne und bildlicher Darstellungen.7 Entwurf einer Kellertypologie auf Grundlage raum- und baustruktureller Merkmale Die Aufteilung der Keller bzw. Teile von Keller­ anlagen in Gruppen wurde anhand gemeinsamer struktureller Merkmale vorgenommen (Farbtafel V, 168, Tabelle 1): Gruppe 1 Die Keller der ersten Gruppe gehören zu baulichen Strukturen, die eventuell schon im ausgehenden 12. bis Mitte des 13. Jhs. vor der Ausbildung der Bürgerstadt in exponierter Lage existierten und nicht in Verbindung mit der frühen Stadt zu sehen sind. Besonders viele dieser Untergeschosse, die möglicherweise nur gering eingetiefte Halbkeller waren, findet man auf dem Höhenrücken der »Freiheit«, wo sie die ältesten baulichen Reste der Dom­herren­kurien oder Burghutslehenshäuser darstellen. Aber auch im städtischen Gefüge am

Das Kellerkataster der Meißner Altstadt und seine Auswertung

Gruppe 1

Frühe Steinhäuser

Gruppe 2

Rückwärtige Steinwerke

Gruppe 3

Quer zur StraßeGiebelständigkeit (?)

Gruppe 4

Straßenparallele Tonnengewölbe

Gruppe 5 Felsenkeller

Anzahl Keller je Gruppe

19

26

119

77

18

Prozent. Anteil auf dem Höhenzug

7 %

10 %

46 %

30 %

7 %

Tabelle 1  Kellergruppen und deren Verteilung in der Altstadt Meißens.

Fuß von Burgberg und »Freiheit« finden sich vereinzelt Keller, die zu Bauwerken gehörten, bei denen Funktionen wie Hospital, Vogtei, Kurie oder Festes Haus vermutet werden können. Es ist eine Meißner Besonderheit, dass innerhalb der späteren Bürgerstadt abgabenfreie Grundstücke unterschiedlicher Jurisdiktionen wie Hochstift, Burggrafschaft und Markgrafschaft und deren Ministerialen lagen. Gruppe 2 Das für die Differenzierung entscheidende Merkmal der Keller der zweiten Gruppe ist zunächst deren Lage innerhalb des Grundstückes: Die Keller liegen zurückgesetzt von der heutigen Straße im hinteren Teil.8 Oft wurden sie später in mehr­glied­ri­ ge Kelleranlagen einbezogen. In diesen Fällen liegt daneben ein Gang zu einem straßenseitigen, oft quer vorgelagerten jüngeren Keller. Die Geometrie ist entweder fast quadratisch mit geringer Grund­fläche oder längsrechteckig mit spitzbogigen Gewölben. Die Mauerstärke ist teilweise auffallend stark und weicht damit von den benachbarten Räumen ab. Meist lässt sich kein unmittelbarer baulicher Zusammenhang mit den heutigen Vorder­häusern an den Straßen finden. Die Um­fassungs­mauern bestehen ausnahmslos aus Bruch­stein­mauer­werk. Es ist nicht auszuschließen, dass wenigstens ein Teil der Einwölbungen jünger ist. Das häufig spitzbogige Gussgewölbe mit breiten Schal­brett­abdrücken lässt sich sicher schon ins 14., spätestens aber ins ausgehende 15. Jh. einordnen.9 Die rückwärtige Lage gibt Anlass, diese Keller als Indiz für »spezielle Zusatzgebäude oder

steinerne Hinterhäuser, die zu hölzernen Wohn­ gebäuden gehörten«10, anzusprechen. Gruppe 3 Bei der größten Gruppe handelt es sich um schmale und längliche tonnengewölbte Bruchsteinkeller, die im rechten Winkel zum Straßenverlauf liegen. Die Stirn- bzw. Schmalseiten nehmen deutlich Bezug auf die heutigen Baufluchten. Ein großer Teil dieser teilweise auch spitzbogig überdeckten Keller (Markt­gasse 2, 5, Burgstraße 2) verweisen auf vormalige giebelständige, schmale Häuser, die oft, aber wohl nicht zwingend,11 durch Traufgassen getrennt standen und möglicherweise vereinzelt schon im 14., besonders aber wohl im 15. Jh. errichtet wurden. Ihre Obergeschosse dürften noch aus Fachwerk bestanden haben. Gruppe 4 Eine große Anzahl von tonnengewölbten Bruch­ stein­kellern liegt parallel zur Straße. Hier ist es wahrscheinlich, dass die untertägigen Räume schon einen baulichen Bezug zu den jüngeren Vorder­ häusern haben. Demnach sind sie frühestens in das ausgehende 15., eher aber ins 16. Jh. und damit in die Zeit der »Versteinerung« zur Renaissance-Stadt zu setzen. Gruppe 5 Bei einigen Grundstücken war es aus topografischen Gründen sinnvoll und nötig, Felsenkeller anzulegen. Diese Grund­stücke grenzen im rückwärtigen Teil an den Schloss­berg oder den Höhenrücken der Afra­ni­schen Freiheit. Es liegt mangels vorhandener

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Bau­details auf der Hand, dass eine Datierung aus der höhlenartigen Substanz heraus de facto nicht möglich ist. Man kann hier nur indirekte Schlüsse ziehen. Gruppe 6 Im 19. Jh. wurden an einigen Stellen der Innenstadt komplett neue Gebäude errichtet. Die Altsubstanz wurde vorher einschließlich der Untergeschosse vollständig abgebrochen. Die neuen Keller sind häufig aus Ziegeln gemauert und verfügen über flache Ziegel-Kappengewölbe, die entweder auf Stichbögen oder auf Stahlträgern (»Preußische Kappen«) ruhen. Damit sind diese Keller für unsere

Tabelle 2  Ehemals vermutlich mit einem 12-Ellen-Haus bebaute Grundstücke. Bis etwa 7 m Gebäudebreite (ohne zusätzlich einbezogene Traufgasse)

Etwa 7,60 m Gebäudebreite (Einbeziehung einer später überbauten Traufgasse)

Etwa 8,00 bis 8,50 m Gebäude­breite (Einbeziehung beider überbauter Traufgassen)

Burgstraße 3

Burgstraße 10

Elbstraße 28

Burgstraße 16

Burgstraße 12

Fleischergasse 3

Burgstraße 31

Burgstraße 13

Görnische Gasse 39

Elbstraße 27

Burgstraße 17

Leipziger Straße 2

Fleischergasse 4

Burgstraße 27

Leipziger Straße 5

An der Frauenkirche 9

Burgstraße 2

Burgstraße 18

Fleischergasse 8

Elbstraße 2

Leipziger Straße 12

Fleischergasse 9

Elbstraße 3

Leipziger Straße 18

Fleischergasse 11

Elbstraße 5

Leipziger Straße 19

Fleischergasse 15

Leipziger Straße 7

Rosengasse 10

Görnische Gasse 35

Leipziger Straße 16

Theaterplatz 3

Hohlweg 4

Rosengasse 2

Hohlweg 7

Rosengasse 4

Leipziger Str. 13

Rosengasse 9

Leipziger Straße 14

Webergasse 3

Leipziger Straße 15 Leipziger Straße 17 Markt 6 Marktgasse 11 Rosengasse 5

Untersuchung nicht verwertbar und werden im Folgenden nicht betrachtet. Verteilung der Kellertypen: Rückschlüsse auf Meißens urbane Genese Die Untergeschosse der Gruppe 1, der frühen Steinhäuser, sind vor allem auf dem Höhenzug der Afra­ni­schen Freiheit nachzuweisen. Das verwundert nicht: Auf der Anhöhe vor dem Burgberg siedelten sich vor der Stadtgründung zunächst die Burgmannen auf ihren Lehensanwesen an, später dann in der Nachbarschaft der Afrakirche und des Augustinerchorherrenstiftes die Domherren und Vikare. Im Gebiet der heutigen Altstadt am Fuß von Burg- und Afraberg gibt es nur wenige Standorte, die wohl eine Sonderfunktion innerhalb des frühstädtischen Organismus belegen: Der turm­ artige Bau in der Lorenzgasse 10 als Vorgänger des Hospitales besetzt den Stadtzugang oberhalb des Hafenbeckens und der späteren burggräflichen Jahrmarktsiedlung an strategisch wichtiger, hochwassersicherer Stelle.12 Am Markt 1 stand die markgräfliche Vogtei an der Einmündung der Burgstraße, in Markt 9 vielleicht ein bischöflicher Stadthof.13 Einzig das Steinhaus Elbstraße 7 liegt unterhalb der hochwasserfreien Mittelterrasse und ist wohl in Beziehung zum Stadtausgang in Richtung Elbe zu setzen. Ein Knick in der Elbstraße an dieser Stelle könnte ein Indiz dafür sein, dass das Grundstück schon vor dem Bau der Elbbrücke existierte, auf die die erst dann angelegte Elbstraße zielte. Davor verlief die Straße womöglich etwas weiter nördlich in Verlängerung ihrer westlichen Ausrichtung. Die Keller der Gruppe 2 bilden aus Sicht des Autors die erste Parzellenstruktur der vor 1200 angelegten Stadt ab, die im Folgenden mit den Kellern der Gruppe 3 verfestigt wurde. Eine auffällige Häufung dieser massiven Untergeschosse, die vermutlich häufig flach gedeckt waren und erst später eingewölbt wurden, findet sich in der Burgstraße, die wohl die älteste reguläre

Das Kellerkataster der Meißner Altstadt und seine Auswertung

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Verkehrsverbindung war. Ein erster Bohlenweg an der Einmündung zum Markt konnte schon für 1109(d) nachgewiesen werden.14 Die auf eine Giebelhausbebauung mit regelmäßigen Parzellenbreiten hinweisenden Keller der Gruppe 3 finden wir besonders häufig an der Burg­straße und der Fleischergasse, aber auch an der Görnischen Gasse und Elbstraße, also an den Aus­fall­straßen vom Markt zu den Stadttoren. Gemeinsam mit dem Braurecht sind sie Ausdruck der planmäßigen Entstehung der Bürgerstadt seit Beginn des 13. Jhs. (s. Farbtafel V, 168). Kellerkataster und Parzellenstruktur: Spuren einer städtebaulichen Ordnung in einer planmäßig entwickelten Stadt? Inwieweit lässt sich nun trotz vielfältiger jüngerer Überformungen und Entwicklungen noch eine ursprüngliche, regelmäßige Parzellierung des Meißner Altstadtgrundrisses ablesen? Kann die Hypo­these bekannter Forscher wie Helmuth Gröger bekräftigt werden, die besagt, dass es sich bei der Stadt­gestalt Meißens um einen an schwieriges Gelände angepassten planmäßigen Entwurf einer burg­gräflichen und markgräflichen Grün­dungs­stadt handelte, der prä­urbane Siedlungsstrukturen durch städtebauliche Ord­ nungs­maßnahmen ablöste?15 Bevor im Folgenden alle vom Markt wegführenden Straßen, also Burgstraße, Fleischergasse, Marktgasse und Elbstraße betrachtet werden, soll zunächst geklärt werden, ob in der Parzellierung ein der baulichen Ordnung zugrundeliegendes Längenmaß feststellbar ist. Hans-Jürgen Pohl vermutet in seiner Publikation über einen gescheiterten bischöflichen Stadtgründungsversuch »Cölln, nahe bei Meißen«, dass als Grundlage für das städtebauliche Raster der römische Fuß mit 29,574 cm diente.16 Matthias Donath untersuchte in seiner Arbeit über die Baugeschichte des Meißner Domes die dortigen Maßverhältnisse und stellte fest, dass »der Fuß zu 29,03 cm dem Ver­mes­sungs­system

1  Görnische Gasse 35, ein gotisches Handwerkerhaus von 1458. Zeichnerische Rekonstruktion des Ursprungszustandes.

am Meißner Dom entspricht«.17 Legt man dieses Maß zugrunde, mit der Verdoppelung als Elle, so entsprechen 12 Ellen etwa 7 m. Diese Gebäude­ breite trifft man auffällig häufig an (Tabelle  2). Wenn nun, ausgehend von den ältesten Stadt­ ansichten, die Giebelständigkeit der frühen städtischen Wohnhäuser mit beidseitiger Trauf­gasse als Normalfall angesehen wird, lassen sich noch zwei weitere Grundstücksbreiten auf dieses Raster

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2  Burgstraße, südlicher Teil vom Markt aus, Kellerplan. Dunkelgrau: Keller der Gruppen 1 und 2.

zurückführen, bei denen der Errichtung der späteren traufständigen Häuser eine oder beide Traufgassen den Grundstücken zugeschlagen wurden. Dabei ist eine Traufgasse durchschnittlich mindestens eine Elle, also etwa 58 cm breit. Bauland war kostbar, und man musste nur zu Reinigungszwecken hindurchgelangen.18 Ein typisches 12 Ellen, also 7 m breites Hand­ wer­ker­haus zwischen Traufgassen, welches auf spätestens 1458(d) datiert werden kann, wurde in der Görnischen Gasse 35 nachgewiesen.19 Die linke Traufgasse hat sich erhalten, ebenso der etwa quadratische Keller, das massive Erdgeschoss aus Ziegelmauerwerk und die Decken über Erd- und erstem Obergeschoss. Leider lässt sich nicht mehr feststellen, ob es ein Giebelhaus war und eventuell

auch ein zweites Obergeschoss besaß. Über dem ersten Obergeschoss, welches zunächst als Blockstube innerhalb von Fachwerkaußenwänden ausgebildet war und erst später in Stein aufgeführt wurde, spannt die Holzbalkendecke rechtwinklig zur Straße. Das muss aber nicht bedeuten, dass das Dach traufständig war – in der Gotik wurde das Dachtragwerk noch von der oberen Geschossdecke konstruktiv getrennt (Abb. 1). Für die Rekonstruktion des Rasters wurde entlang der vom Meißner Markt wegführenden »Aus­ fall­straßen« ein Maß von 12 Ellen Breite für die Parzellen sowie beidseitig je einer Elle (58 cm) für die Traufgassen zugrunde gelegt. Wie am Beispiel der Burgstraße gezeigt (Abb. 2, 3), scheint dies weitgehend zu gelingen: Besonders die Keller der

Das Kellerkataster der Meißner Altstadt und seine Auswertung

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3  Burgstraße, nördlicher Teil bis unterhalb des Burgberges, Kellerplan. Dunkelgrau: Keller der Gruppen 1 und 2.

Gruppe 3 lassen sich in den meisten Fällen recht gut in das entstandene Raster einordnen. In der Burgstraße häufen sich zudem die relativchronologisch älteren Keller der Gruppe 2 in zweiter Reihe, deren Lage wohl auf einst straßenseitig angeordnete Holzgebäude hinweist.20 Am Beispiel der Kelleranlagen in der Burg­ straße 2 konnte die bauliche Entwicklung auf einem Grundstück gezeigt werden (Abb. 4). Seit 1758 sind hier zwei deutlich unterschiedliche Gebäude zu einem Wohnhauskomplex mit Seiten­flügeln und Hinterhaus zusammengelegt.21 Die beiden Häuser wurden beim Stadtbrand infolge des Dreißig­ jährigen Krieges am 6. Juni 1637 vollkommen zerstört.22 Sogar die Kellergewölbe des nördlichen Hauses stürzten zusammen. Nach einem schlichten

Wieder­aufbau im späteren 17. Jh. erfolgte im 18. Jh. die Umwandlung in ein barockes Bürgerhaus mit einem Portal von 1735, welches offenbar bei den späteren Ladeneinbauten in das südliche Vorder­ gebäude versetzt wurde. Der Keller­grundriss verrät zunächst, dass zwei oder drei Giebel­häuser an der Straße lagen. Die südliche Spitz­bogen­tonne ist noch zum überwiegenden Teil erhalten. Sie wurde lediglich im hang­seitigen Viertel umgestaltet. Die nördlich anschließenden, jüngeren Gewölbe sind einfache Wiederaufbauten zusammengestürzter Vor­gän­ger­keller. Die Ansätze auf den hangseitigen Schild­mauern zeigen die ursprünglichen Spitz­ bo­gen­tonnengewölbe, die wohl auf das 14. oder 15.  Jh. zurückgehen. Unter dem heutigen spät­ barocken Innenhof liegt ein Keller­raum, der mit

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4  Burgstraße 2. Ehemals drei gotische Giebelhäuser, unter der hofseitigen Außenwand ein älteres Steinwerk (schraffiert).

Das Kellerkataster der Meißner Altstadt und seine Auswertung

den auf die Straße orientierten Gie­bel­hauskellern in keinem baulichen Zusammenhang steht. Hierbei könnte es sich um einen relativchronologisch älteren Keller der Gruppe 2 handeln, der zunächst flach­gedeckt war und später eingewölbt wurde. Er gehörte wohl zu einem im Bereich zur Straße nicht unter­kellerten Holz- oder Fachwerkbau des 14.(?) Jhs. Besonders interessant ist der Nachweis eines zweigeschossigen spätgotischen Ziegelbaus als Giebel­haus, welches über der erwähnten südlichen Spitz­bogen­tonne liegt. Die Ziegelmauern der Außen­wände mit ihren Blendbogenstrukturen sind bis in 11 m Höhe erhalten (Abb. 5). Der Grund für den im Meißner Kellerkataster klar ablesbaren Übergang von giebelständigen Bürgerhäusern mit Traufgassen zur straßenbegleitenden geschlossenen Traufständigkeit mit Brandwänden ist vermutlich nicht vordergründig in der schwierigen Wasserableitung im Allgemeinen, sondern vor allem in der spezifischen Problematik der »Schneesackbildung« über den engen Trauf­ gassen zu suchen. Von der mittelalterlichen Warmzeit in der Stadtgründungsperiode bis zur »kleinen Eiszeit« ab dem ausgehenden 16. Jh. dürfte der Klimawandel gerade im Erzgebirgsvorland mit immer häufigeren Schneefällen zu verstärkten biotischen Schädigungen der Traufzonen der Giebeldächer geführt haben. Während der »Versteinerung« der Bausubstanz in Spätgotik und Renaissance wurden daher die Traufgassen teilweise überbaut, bei Beibehaltung der Grenz­ mauern oft vermauert oder Grundstücke zusammengelegt und die Dachwerke gedreht. Da sich in den Hansestädten in den schneefallarmen Küsten­ regionen des Nordens bis heute die stadtbildprägende Giebelhausbebauung erhalten hat, ist die Regen­entwässerung von Giebelhäusern über den immer feuchten und schlecht zu reinigenden und belüfteten Traufgassen sicher nicht der vorherrschende Grund. 23 Ein veränderter stadtgestalterischer Zeitgeist seit Ende des 17.  Jhs. mit der »Beruhigung der Wirkung der städtebaulichen Wände«24 stellt wohl eher eine Folge baukonstruktiven Holzschutzes dar, nicht die

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5  Burgstraße 2. Zeichnerische Rekonstruktion des südlichen gotischen Giebelhauses.

Ursache für die Umorientierung der Gebäude. 25 Weil in Meißen das Handwerkerhaus zunächst vorherrschend war, hat sich hier ebenso wenig ein Typus des Kaufmannshauses als Giebelhaus mit Krantor und von der Straße zugänglichem »Kauf­ keller« herausgebildet. Rückseitig sind Kran­ balken im Traufbereich der Dachwerke26 und die Zugänglichkeit der Keller als Bier- und Lager­keller dagegen nachweisbar.

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Zur Datierung der ältesten profanen Steinbausubstanz Meißens Da verwertbare, frühe archivalische Quellen gänzlich fehlen, können nur archäologische, dendrochronologische und bauarchäologische Befunde Anhalts­punkte für eine Datierung der überkommenen Steinbausubstanz liefern. Eine umfangreiche archäologische Unter­su­ chung des Landesamtes für Archäologie Sachsen, die datierbares Material erbrachte und ver­wert­bare stratigraphische Zusammenhänge sichtbar werden ließ, wurde im März 1991 im Keller des Gebäudes Schloßberg 3 unter Grabungsleitung von Dieter Stuchly durchgeführt. Das Um­fas­sungs­mauer­werk des Untergeschosses und das Keller­gewölbe wurde anhand von Keramikresten ins 14. Jh. datiert. Wenige dendrochronologische Daten aus den Gebäuden Freiheit 6 und 7 erbrachten erste An­halts­ punkte zur Einschätzung des Alters der Stein­bau­ substanz: Die schlichten, unprofilierten Eichen­holz­ balkendecken des ältesten Kernbaus der Freiheit 6 datieren die Außenwände und den einfachen wehrhaften Baukörper auf etwa 1323(d) im Erdgeschoss und 1353(d) im ersten Ober­geschoss,27 aber nicht unbedingt den relativ flachen Keller, der auch später eingewölbt worden sein kann. Im Keller der Frei­ heit 7 fanden sich in der angrenzenden Grundmauer des Steinhauses »Brett­reste«, die »nach 1366(d), 1364(d), 1358(d)«28 alters­bestimmt wurden. So kann schlussgefolgert werden, dass spätestens bis zur Mitte des 14. Jhs. drei­geschossige Stein­häuser, wie Freiheit 6 und 7, im Bereich der Afranischen Freiheit errichtet wurden. Unter dem 1452(d)29 in Fachwerk erbauten Dom­herren­haus Freiheit 9 liegt hangseitig ein wohl deutlich älteres, noch zweigeschossig erhaltenes Stein­haus, welches auf Grundlage der stilistischen Ein­ordnung der Knickbogenöffnungen ins 13. Jh. zu datieren ist.30 Ebenso dürfte der nicht zum steinernen Dom­herren­haus Freiheit 12 von 1457(d)31 passende, über die aufgehenden spätgotischen Um­fas­sungs­wände herausstehende kleine Keller deutlich älter sein.

Rückschlüsse aus der Form des Gewölbes auf die Erbauungszeit zu ziehen, ist auch in Meißen aufgrund der Langlebigkeit besonders der tonnen­ förmigen Gewölbetypen nicht möglich. Die ältesten Meißner Gewölbe finden sich wohl in den unteren Kellern der Albrechtsburg. Insbesondere die »hintere Kemenate« oder der »ehemals verschüttete Keller« besitzen rundbogige Gusstonnengewölbe mit breiten Brettabdrücken. Sie sind wohl als Reste eines romanischen Vorgängerbaues des spätgotischen Schlossbaues anzusehen. Ein leicht spitzbogig ausgebildeter Tonnen­ge­ wöl­be­scheitel erscheint sicherlich nur in der Gotik. Die bisher älteste in Sachsen nachgewiesene Spitz­ bogen­tonne wurde in Freiberg, Obermarkt 8, untersucht. Hier konnte die Bauzeit eines derart ausgebildeten Keller­gewölbes anhand in der Verfüllung der Ge­wöl­be­zwickel geborgener Keramik auf »bis um die Mitte des 13. Jahrhunderts angegeben werden«.32 Vom Pirnaer Grundstück Schmiedestraße 19 ist eine Tonne mit einer ausgeprägten Scheitellinie recht­winklig zur Straße bekannt, die teilweise unter der östlichen Giebelwand eines Baus mit einer Bohlenstube von 1381(d) liegt und damit deutlich älter als das darüberstehende Haus sein dürfte,33 also wohl in die erste Hälfte des 14. Jhs. gehört. Ebenso ordnet Frank-Ernest Nitzsche die Bauphase 2 des Schönhofes in Görlitz mit Spitz­ tonnen in den Anfang des 14. Jhs. ein.34 Das mächtige Tonnengewölbe unter dem Süd­flügel der Dompropstei Domplatz 7 in Meißen ist ebenfalls leicht spitzbogig ausgebildet. Die Dendro­daten aus der Dachkonstruktion des Süd­ flügels weisen auf seine Errichtung bis 1494(d) hin, was ein terminus ante quem für die Errichtung des Keller­gewölbes wäre. Im Steinhaus Markt 9 in Meißen dürfte ein leicht spitzbogiges Ton­nen­ gewölbe spätestens im ausgehenden 15.  Jh. in einen romanischen Baukörper des 13. Jhs. eingefügt worden sein, als das Marktniveau sukzessive aufgeschüttet wurde. Der turmartige Baukörper am Ostende des Hospitals Baderberg 10 weist ebenfalls eine möglicherweise jüngere spitzbogige

Das Kellerkataster der Meißner Altstadt und seine Auswertung

Einwölbung im Untergeschoss auf. Weitere spitzbogige, meist langgestreckte Kellertonnen finden sich unter der Burgstraße 2 gleich dreimal, außerdem unter der Marktgasse 1, 2 und 5. So bleibt festzuhalten, dass leicht spitzbogige Tonnengewölbe für das entwickelte 13. und bis zum ausgehenden 15. Jh. nachweisbar sind. Ar­chi­ tek­tur­details in Form von spitzbogigen Tür­ge­wän­ den haben sich nur in Marktgasse 2, Burg­straße 15 und Hohlweg 2 erhalten und weisen ebenfalls ins 14. bis 15. Jh. Nicht nur beim ehemaligen Meißner Ratskeller, sondern auch beim sog. Bennohaus am Markt 9 oder beim Keller der Afranischen Pfarre in der Freiheit 7 wurde festgestellt, dass es sich zunächst um Souterraingeschosse handelte, die nicht vollständig eingetieft waren. Durch die Erhöhung des umliegenden Geländeniveaus in Folge des Anwachsens der Kulturschichten, nicht zuletzt nach Stadtbränden, wurden die Unter­geschosse zu Kellern. Bei den zunächst mit Holzbalken flach überdeckten Räumen geriet die Konstruktion in den Spritzwasserbereich oder in den Einfluss aufsteigender Nässe und wurde nach biotischer Schädigung durch Gewölbe ersetzt. In Meißen ist dieses Phänomen zweifelsfrei im Keller der Afranischen Pfarre Freiheit 7 und im Neben­ gebäude Freiheit 8 nachweisbar. Der an das wohl dreigeschossige Steinhaus Freiheit 7 angrenzende südliche Stützensaal war sicher zunächst nahezu ebenerdig. In seiner Mitte steht noch heute eine sorgfältig gearbeitete Sandsteinsäule, auf der wohl ein Unterzug auf Sattel­hölzern ruhte, der eine Holzbalkendecke unterstützte. Erst 1595(d) wurde der Saal mit einer Bruch­stein­tonne eingewölbt. Die Säule blieb stehen. »Schalungs­reste« um das obere Ende ließen eine zeitliche Bestimmung zu. Resümee und offene Fragestellungen Von den betrachteten Steinbauten mit Kellern der Gruppe 1, den frühen Steinhäusern, lassen sich nur das Unter­geschoss des Rathauses am Markt 1

und das Steinhaus im sog. Bennohaus am Markt 9 mit großer Wahrscheinlichkeit ins 13. Jh. datieren. Grund sind spärliche Baureste, die eine stilkritische Zuordnung in die Spätromanik erlauben. Auch der zur Lorenzgasse zeigende giebelseitige Turm­rest in Baderberg 10 gehört wohl ins 13. Jh. Dagegen stammen die Domherrenkurien Freiheit 6 und 7 zweifelsfrei aus dem 14. Jh. Diese Zuordnung gelingt auf Grundlage von gewonnenen dendrochronologischen Daten. Nach einer archäologischen Untersuchung kann durch stratigrafische Schlüsse auch die Errichtung des Kellers (oder ehemaligen Erdgeschosses) von Schloss­berg 3 ins 14. Jh. eingeordnet werden. Da es sich bei den frühen Stein­ häusern nicht um Bauten der ersten Stadt­bürger handelt, sondern zumeist um Sonder­bauten innerhalb des frühstädtischen Organismus (Markgräfliche Vogtei (?), Bischöflicher Stadthof (?), Vorgängerbau des hochstiftischen Hospitals St. Laurentius), kann der Beginn des »Ver­stei­ne­rungsschubes« der bürgerlichen Wohn­haus­bebauung erst in das entwickelte 14. Jh. gesetzt werden. Die Keller der Gruppe 2, die rückwärtigen Steinwerke, sind offenbar ein Indiz für den Beginn bürgerlicher Steinbaukultur und bieten feuerfeste und kühle Lagermöglichkeiten.35 Von der Straßenfront zurückgesetzte Untergeschosse mit Spitz­bogen­tonnengewölben haben sich in Markt­ gasse 2 und 5 erhalten und dürften vielleicht noch ins 14., auf jeden Fall aber ins 15. Jh. gehören. Die auffällige Häufung rückwärtiger Steinwerke an der Burgstraße zeigt ihre besondere Bedeutung als wohl älteste städtische Straße, die seit 1109(d) archäologisch nachweisbar ist.36 Die gotischen Giebelhäuser, wohl zunächst weit­gehend Fachwerkhäuser, besaßen steinerne Keller der Gruppe 3, die mit 46 % aller Innen­ stadt­keller den größten Anteil bildet. So haben sich drei Keller mit Spitzbogentonnengewölben unter Burgstraße 2 erhalten, die ins 14. oder 15. Jh. weisen. Die Keller der Gruppe 3 bilden, neben der Giebel­haus­struktur, auch die Ausdehnung der Stadt des 14. und 15. Jhs. innerhalb der heute bekannten Stadtmauer ab.

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Mit dem Übergang von der Giebel- zur Trauf­stän­ dig­keit der Bürgerhäuser kam es zur weitgehenden Überbauung oder dem straßenseitigen Ver­schluss der Traufgassen. Im 16. und frühen 17. Jh. entstand das heute sichtbare Straßenbild mit ge­schlos­senen Straßenfronten und Platzwänden. Viele breitere repräsentative Bürgerhäuser, die durch Zu­sam­men­ legung schmalerer Parzellen entstanden, erhielten straßen­parallele Tonnengewölbe als Unter­kellerung. Damit war die städtebauliche Entwicklung durch »Versteinerung« weitgehend abgeschlossen. Fach­ werk­bauten verschwanden bis auf wenige Aus­ nahmen aus dem Meißner Straßenbild. Das »Wiederfinden der alten Stadt in der Minus-Eins-Ebene«37 gelingt in Meißen nur ab dem 14. und 15. Jh.38 Mit der gegenwärtig vorhandenen schmalen Materialbasis kann man m. E. den Prozess der Stadtgründung nicht näher beleuchten. Die überkommene Steinbausubstanz scheint relativchronologisch fast gänzlich spätmittelalterlich zu sein. Dennoch zeichnet sich ein »Par­zel­lie­ rungs­muster« ab, welches aus Sicht des Autors die These von einer planmäßigen Gründungsstadt stützt, die zunächst, bis auf wenige Sonderbauten, nur aus frühbürgerlichen Holz­häusern bestand.39 Allerdings wurde keinesfalls eine unbesiedelte Fläche parzelliert: Ob die Bautätigkeit im Schutz der Meißner Burg vorher »lediglich zur Anlage von zusammenhanglosen Siedlungen präurbanen Charakters«40 oder aber schon zur Bildung der »größte(n) Frühstadt Sachsens«41 geführt hatte, lässt sich gegenwärtig noch nicht sagen. Die Verleihung des Marktrechtes führte in jedem Fall zur Notwendigkeit erster städtebaulicher Ordnungsmaßnahmen. Dabei diente sicherlich u.a. die bereits seit 1109 nachweislich vorhandene Holzstraße, die spätere Burgstraße, deren Verlauf auf den Hangfuß des Afraberges Rücksicht nahm, als Orientierung. In ihrer Steinbausubstanz ist auch die weitere Stadtentwicklung seit dem 14. Jh. mit der fortschreitenden Verdichtung der Grundstücksbebauung am besten ablesbar. Eine wichtige Frage zur Gründung und städtebaulichen Entwicklung Meißens, die schon

mehrere Forscher bewegte, muss weiter offenbleiben: Gab es vor der Errichtung der heute bekannten steinernen Stadtmauer einen enger gezogenen Verteidigungsring um den »Nukleus« der Marktstadt? Dies ist am Kellerkataster nicht ablesbar und muss Vermutung bleiben. Bereits 1917 wagte Cornelius Gurlitt einen ersten Versuch, eine kleinflächigere Planstadt zu rekonstruieren. In dem von ihm angenommenen »Vorrücken der Elbfront«42 in mehreren Schritten beschreibt er u.a. eine »deutlich erkennbare Linie zwischen Lorenz­ gasse und Theaterplatz, die ein Tor am Chor der Kapelle des Lorenzspitales, also im Zug der Bader­ gasse, gehabt haben dürfte«.43 Diese heute noch deutlich sichtbar abfallende Geländekante als Rand der Triebisch-Mittelterrasse44 hat Andreas Christl, vor allem aus archäologischer Sicht, als Rand eines Hafen­beckens in einem Triebisch-Altarm45 und des späteren burggräflichen »Jahrmarktes« gesehen und hielt die Hospitalkirche St. Laurentius für die älteste Kirche außerhalb des Burgberges.46 Im Falle der Existenz einer frühen Stadtmauer westlich, oberhalb des ehemaligen Hafenbeckens wäre nach Gurlitt ein erstes Stadttor in Richtung Elbe auf dem Heinrichsplatz in Höhe Elbstraße 7 wahrscheinlich.47 Auch ist Gurlitts Vermutung , dass erst mit der Ansiedlung des Franziskanerklosters um 1253 und dem Bau der hölzernen Elbbrücke im 13. Jh. die Stadtmauer auf die heute bekannten spätmittelalterlichen Linien herausgerückt wurde,48 nachvollziehbar. Analoge Vorgehen, bei denen die gewünschte Ansiedlung von Bettelordensklöstern durch Erweiterung der Stadtmauer ermöglicht wurde, sind in einigen Städten nachweisbar.49 Günter Naumann veröffentlichte 2010 eine Arbeit, in der er auf der Grundlage geomorphologischer, geologischer und topografischer Untersuchungen den bemerkenswerten Versuch unternahm, die Stadt­entwicklung in Verbindung mit Hoch­wasser­ schutz zu sehen.50 Dabei kam er zu einer ähnlichen Vermutung wie Gurlitt: dem Wachsen der Stadt von der Triebisch-Mittelterrasse bis an den Rand der Niederterrasse. Die Niederterrasse war ohnehin nur durch Gebäude mit massiven

Das Kellerkataster der Meißner Altstadt und seine Auswertung

Erdgeschossen bebaubar, weil die leichte HolzLehmbauweise der Frühstadt dem Hochwasser schwerlich standhalten konnte. Es bleibt abschließend festzustellen, dass sich Fragen zur frühstädtischen Entwicklung Meißens nicht ausschließlich mit Hilfe bauarchäologischer Methoden anhand überkommener

Stein­bau­substanz, sondern nur durch zusätzliche archäologische Untersuchungen beantworten lassen. Da in nächster Zeit hoffentlich keine größeren Eingriffe in das Bodendenkmal der Altstadt Meißens stattfinden, mögen die vorgestellten Theorien bis auf Weiteres ihre Berechtigung haben.

1 Jansen 2009, 89, 96. Michaela Jansen präzisiert den Unterschied zwischen einer »gewachsenen« und später durch Erhebung privilegierten Stadt und einer als politischer Akt »gegründeten Planstadt bzw. geplanten Gründungsstadt«. 2 Das älteste Stadtwappen von Meißen zeigt sowohl das Wappenschild des Markgrafen als auch des Burggrafen. 3 Blaschke 1990, 117: »auch in […] Meißen dürfte die Erhebung zur Stadt im Zusammenhang der staufischen Politik erfolgt sein«. 4 Gröger 1927, 250–253, Gröger 1929, 73–76. 5 Bei dem folgenden Beitrag handelt es sich um die speziell auf das Thema Kellerforschung reduzierte Zusammen­ fassung eines Artikels, den der Bericht­erstatter 2019 unter dem Titel Die profane mittelalterliche Stein­bau­ substanz der Stadt Meißen. Ein Beitrag zur Erforschung der Stadtentwicklung in den Arbeits- und Forschungs­ berichten zur sächsischen Boden­denk­mal­pflege Band 57/58 veröffentlicht hat, s. Hauswald 2019. 6 Herrn Stadtarchivar Tom Lauerwald sei für die Unter­ stüt­zung und die Veröffentlichungserlaubnis herzlich gedankt. 7 Jenisch 2009, 103. 8 Vergleichbare Beispiele finden sich in Freiberg, Unter­ markt 12 und Obermarkt 8 (Richter 2013, 373–374) und Pirna, Schloßstraße 13 und 14, Markt 7 und 8 (Sturm 2013, 397). 9 Als Beispiel sei hier der stadtseitige Gewölbekeller der Dom­propstei Domplatz 7 genannt, der auf 1494(d) zu datieren ist. Siehe Verzeichnis der Dendrodatierungen aus Meißen. Maschinenmanuskript im Stadtarchiv Meißen. Undatiert. 10 Hoffmann / Richter 2012, 169. Dort auch weiterführende Literatur. 11 Ohne Traufgassen aneinanderstoßende Sattel­dach­trauf­ linien sind für den Berichterstatter nur schwer vorstellbar. Die Schneesackbildung verursacht hier eine permanente Schwachstelle, die bei den im späten Mittelalter zur Verfügung stehenden Dachbaustoffen zu ständigen Durchfeuchtungen und Holzzerstörungen geführt haben müssen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass erst nach einem recht warmen 13. und 14. Jh. die größere

Schneefallhäufigkeit den konstruktiven Wandel zur Trauf­ ständigkeit einleitete. 12 Hierzu schon Christl 2013, 68. 13 Hans-Jürgen Pohl versuchte 1971 und 1972, den in der Überlieferung mit Bischof Benno in Verbindung gebrachten Ort als bischöflichen Hof nachzuweisen, s. Pohl 1971 u. Pohl 1972. 14 Christl 1992a. 15 Gröger 1927, 250–253, Gröger 1929, 73–76. 16 Pohl 2005, 8. 17 Donath 2000, 58. 18 Untersucht wurden die erhaltenen Traufgassen Görnische Gasse 34/35 mit 47 bis 70 cm Breite sowie Schloßberg 1/2 mit etwa 51 bis 59 cm Breite. Zum Vergleich: Eine erhaltene Traufgasse in der Pirnaer Töpfergasse ist etwa 56 cm breit. Eine im Pirnaer Stadtmuseum befindliche Elle misst 56,64 cm. 19 Hauswald 2013, 157–180. 20 A. Christl konnte nachweisen, dass zwischen Markt 3 und Marktgasse 1 ein »seit dem 12. Jh. immer wieder erneuerte[r] Zaun entlang der Grundstücksgrenze« stand und damit die Parzellenstruktur möglicherweise schon vor dem »Versteinerungsschub«, also in der »Holzbauzeit«, existierte; s. Christl 1992b, 45. 21 Gurlitt 1917, 213. 22 Naumann 2009, 317. 23 Dagegen Nitz 2007, 241. 24 Sturm 2002, 342. 25 Das von Albrecht Sturm angeführte Argument, dass die Traufständigkeit bei bleibender Gebäudetiefe zu höheren Dachwerken und damit größeren Lagerräumen im Dach führt, ist zwar richtig. Die größere Lagerfläche für Braugerste ist aber schwer erschließbar und war gerade bei Handwerkerhäusern mit wenigen Bieren jährlichen Braurechtes nicht notwendig und somit sicherlich nicht angestrebt. 26 Hauswald 2013, Abschnitt 2.1.1, 41. 27 Verzeichnis der Dendrodatierungen aus Meißen, Stadt­ archiv Meißen, o.J. Gutachten wohl von Dr. Karl-Uwe Heußner, Deutsches Archäologisches Institut Berlin. 28 Ebd. 29 Christl 2012, 219.

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Knut Hauswald

30 Albrecht Sturm bezeichnet »Dreiecksbögen« von Tür­ nischen als »unzweifelhaft romanische Stilform« (Sturm 2013, 396). Ähnliche »Knickbogenöffnungen« finden sich im Untergeschoss der Marktgasse 1 und in den Ruinen des Klosters Heilig Kreuz in Meißen. 31 Christl 2012a, 227. 32 Richter 2013, 374. 33 Sturm 2002, 325. 34 Nitzsche 2006, 50. 35 Zuletzt v. a. Hoffmann / Richter 2012, 169. 36 Christl 1992a. 37 Müller 2006, 107. 38 Diese Beobachtung deckt sich mit den archäologischen Befunden aus Dresden: Auch dort sind die bisher ältesten Bürgerhauskeller zu Beginn des 14. Jhs. nachweisbar. Z.B. Hiptmeier et al. 2002, 33–44.

39 Christl 2004, 58: »Meißen ist keine Kolonisationsstadt der Ostkolonisation im reinen Sinn. Ihr Grundriß orientiert sich ansatzweise am Anlageschema dieser Städte«. 40 Naumann 2010, 182. 41 Westphalen 2012, 148. 42 Westphalen 2012, 204. 43 Westphalen 2012, 203. 44 Naumann 2010, 179 und Abb. 1. 45 Naumann 2010, 179: »Weil am ›Jahrmarkt‹ nur Sedimente der Triebisch anstehen, ist auszuschließen, dass sich hier einst eine Bucht der Elbe erstreckte«. 46 Christl 2004. 47 Gurlitt 1917, 203. 48 Naumann 2009, 86. 49 So in Pirna für das Dominikanerkloster: Meutzner 1934, 4. 50 Naumann 2010.

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Abbildungsnachweis 1, 5 K. Hauswald. 2, 3 S. Müller / L. Burghardt, LfA Sachsen, nach Vorlagen des Verfassers. 4 S. Müller / L. Burghardt, LfA Sachsen, nach Bestands­ aufnahme Vermessungsbüro Rosinski, Dresden 2014. Farbtafel V  S. Müller / L. Burghardt, LfA Sachsen, nach Vor­la­ gen des Verfassers, Straßennamen redaktionell ergänzt.

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Der Kellerplan der Stadt Einbeck Praxisbericht zur flächendeckenden Erfassung und Dokumentation von historischen Gewölbekellern Thomas Kellmann

Im Zuge einer flächendeckenden Erfassung aller historischen Hausstellen innerhalb der Stadt­ mauern von Einbeck wurde von 1990 bis 1993 und abschließend von 2001 bis 2006 auch die Keller­ebene berücksichtigt. Der hierbei entstandene Keller­plan von 2008 (Abb. 1) wurde erstmals in Band 7.3 der Reihe Denkmaltopographie der Bundes­republik Deutschland. Baudenkmale in Niedersachsen unter dem Titel Stadt Einbeck 2017 veröffentlicht. In der topographischen Darstellung des Denk­mal­bestandes wurden die Keller in einer einführenden Über­blicks­darstellung zum städtischen Hausbau eingehend in ihrer Funktion und Entwicklung vom Mittelalter bis heute behandelt.1 Gerade in einer Stadt, die durch das nebengewerbliche und exportorientierte Hausbrauen ihrer Voll­bürger vom 14. bis 17. Jh. überregionale Bekannt­heit erlangte, spielten die eingewölbten Gär- und Lager­keller eine besondere Rolle. Mit Beginn des Dreißig­jährigen Krieges waren weite Teile der Bürger­stadt mit ihren 723 brauberechtigen Dielen­häusern (Stand 1616) unterkellert. Diesem Höchststand in der Verbreitung von Gewölbe­kellern ging eine Neubauwelle im späten 16. Jh. voraus. Die gravierenden Veränderungen im Brauwesen der Stadt infolge des Kriegs, als zuletzt auch der Fernhandel mit Süddeutschland weitgehend zum Erliegen kam, machten den Neubau von Kellern für die nächsten 300 Jahre weitgehend überflüssig. Mit der Aufgabe des Hausbrauens, dem Wechsel von unter- auf obergärige Biersorten und dem dramatischen Einbruch in Qualität und Quantität der Bierproduktion verloren die Keller im 17. Jh. weitgehend ihre Funktion. Die tatsächliche

Anzahl der Kellergewölbe um 1600 lässt sich heute nur grob schätzen. Da viele Hausstellen im Durchschnitt über zwei Gewölbekeller verfügten und neben den 723 Brauhäusern noch 448 Buden mit minderem Recht ebenfalls teilunterkellert waren, dürfte die tatsächliche Anzahl bei deutlich über 1.000 Kellern gelegen haben. Im Rahmen der auch im wörtlichen Sinn vertiefenden Erfassung wurden bis 2006 rund 500 Gewölbekeller besichtigt und dokumentiert. Im Hausstellen-Katalog der Stadt Einbeck in Band 7.4 der Denkmaltopographie von 2019 finden sich ausgehend vom heutigen Stand die Kurzbeschreibungen sämtlicher Keller alphabetisch nach Straßen und Hausnummern geordnet.2 Nicht dargestellt sind die vielen, hauptsächlich im 20. Jh. zerstörten, verfüllten oder nicht mehr zugänglichen Kelleranlagen sowie die rund 10 % der Gewölbekeller3, zu denen der Zugang von Seiten der Eigentümer verwehrt wurde und keine belastbaren Angaben (z. B. aus der Bauakte) vorlagen. Entscheidend für das Verständnis und die außer­ ordentliche Bedeutung der Kellerebene ist ihre weitgehende bauliche und funktionale Eigen­ständigkeit gegenüber der aufgehenden Substanz. Während noch 1600 der überwiegende Teil der Keller jünger als die aufgehenden Häuser war, hat sich dieses Bild durch Stadtbrände und Ersatz­neu­bauten vom 17. bis frühen 20. Jh. gewandelt. Heute ist die aufgehende Substanz überwiegend deutlich jünger als die Keller. Der Grundriss, die Bebauungs- und Parzellenstruktur der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt, spiegelt sich demnach weniger im Hochbau als in

Thomas Kellmann

Münst erstra ße

Münsterkirche

Tied exer Straß e

M as ch en str aß e

Marktkirche Marktplatz

Marktstraße

Möncheplatz

Hullerser Straße

Neustädter Kirchplatz

Altend orfer St raße

Benser Straße

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1  Kellerplan der Stadt Einbeck, Stand der Kartierung 2008.

Baustraße

Der Kellerplan der Stadt Einbeck

der Kellerebene wider. Die überwiegend tonnengewölbten Keller sind nicht fundamentiert, d. h. sie setzen auf Höhe des einstigen Laufhorizontes des Kellers an. Sie gehen auch keine direkte bauliche Verbindung mit dem aufgehenden Haus ein. Die vollflächigen, weitgehend stützenlosen Braudielen der Vorderhäuser konnten also auch nachträglich unterkellert werden. Von dieser Möglichkeit wurde in der zweiten Hälfte des 16. Jhs., nach den großen Stadtbränden von 1540 und 1549, auch ausgiebig Gebrauch gemacht. In der Zeit zwischen 1600 und 1900 wurden nach Stadtbränden, Abbrüchen und bei Ersatzneubauten der solide, nicht entflammbare Kellerbestand einfach integriert, überbaut, verbunden oder verfüllt, aber nur selten zerstört. Daher liefert neben den Brandhorizonten im Bodenarchiv die heute weitgehend vergessene Kellerebene wesentliche Informationen zur Blütezeit der Stadt im 15. und 16. Jh., und dies weit mehr als es der aufgehende, stark überformte Bestand an Bürgerhäusern vermag, von dem lediglich 150 Bauten im Kern aus der Zeit vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges stammen. Während bei der aufgehenden Bebauung also nur bis zu 15 % des Bestandes von 1618 erhalten ist, und davon auch nur 5 % mit bauzeitlichen Dachwerken, sind es bei den Gewölbekellern geschätzt rund 50 %. Als das Geländeniveau innerhalb der Stadt­ mauern über die Jahrhunderte nivelliert und grundsätzlich deutlich angehoben wurde, verblieben nur die Keller an Ort und Stelle. Aus einem spät­mittel­alterlichen Halbkeller wurde vielfach ein Vollkeller, aus einem Vollkeller ein tief unterhalb des heutigen Straßenniveaus liegender Bauteil. Bestes Beispiel hierfür ist das historische Rathaus am Marktplatz.4 Lediglich im frühen 18.  Jh., nach Aufgabe des Hausbrauens, gravierenden Änderungen im Hausbau und im Zuge einer beachtlichen Baukonjunktur wurden die Laufhorizonte der Keller in weiten Teilen der Stadt durch das gezielte Einbringen von Hausmüll (Knochen, Scherben, Asche, Aushub, Kehricht) angehoben (Abb. 2). Der überwiegende Teil der Keller ist bis

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in das 21. Jh. nur deshalb überkommen, weil dort seit dem späten 19. Jh. die Versorgungsanschlüsse für (Ab-)Wasser und Gas, die Brennstofflager und Heizkessel installiert wurden. Die bis in die Mitte des 20. Jhs. traditionelle Nutzung als Lagerkeller für Kartoffeln und Einmachgläser bildet heute die absolute Ausnahme. In diesem fast vergessenen Zustand erfolgten ab 1990 die ersten Begehungen. Da es sich grundsätzlich nur um Teil­ unter­kellerungen handelt, war es das vornehmliche Ziel, Aufschluss über die Verbreitung und die Ausdehnung der Keller zu erhalten. Die Zugänge

2  Grabungsschnitt Keller Hullerser Straße 34, Fundstelle 180, 1996.

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Thomas Kellmann

3  Typischer Braukeller des 16. Jh. unter dem Vorderhaus Altendorfer Straße 29, 2015.

und Fensterschächte dienten der Orientierung, wenn es darum ging, die Lage der eingewölbten Räume unter dem Haus zumindest grob einmessen und kartieren zu können. Die vielfach um 50 bis 150 cm angehobenen Laufhorizonte der tonnengewölbten Keller lieferten zunächst ein unklares Bild von deren tatsächlicher Breite. Erst im Zuge der flächendeckenden Erfassung wurde deutlich, dass mit Standardmaßen in Höhe und Breite gearbeitet wurde. Besonders die frühneuzeitliche Kellerschicht unter den Vorderhäusern aus der zweiten Hälfte des 16. Jhs. stellte sich im Material, der Konstruktion, der Erschließung und der Breite als außerordentlich homogen dar (Abb. 3). Lediglich die Tiefe des Hauses und das Vermögen

des Bauherrn entschieden über die unterschiedliche Länge. Die verwendeten Lehrgerüste aus dem städtischen Bauhof mit Breiten von 4,5– 5,5 m und einer Länge von rund 5 m konnten durch Verschieben oder Versatz beliebig verlängert werden. In vielen Gewölben, die länger als 5 m sind, lassen sich bis heute die entsprechenden Anschlussnähte der Lehrgerüste erkennen, teilweise auch die Mauerabsätze, auf denen die Lehrgerüste aufgebockt wurden. Diese waren immer dann erforderlich, wenn der Kreisbogen der Tonne nicht auf dem Laufniveau, sondern höher ansetzen sollte, sei es aus Platzgründen mit kleineren Lehrgerüsten oder um zusätzliche Scheitelhöhen zu erzielen.

Der Kellerplan der Stadt Einbeck

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4  Braudiele mit Abgang zum Halbkeller links und zur Stube im Hochparterre rechts am Beispiel Münsterstraße 10, um 1930.

Lage und Verteilung im Stadtgrundriss Die Gewölbekeller sind innerhalb der Stadtmauern, die das bebaute Areal in der zweiten Hälfte des 13. Jhs. weitgehend festlegten, sehr unterschiedlich verteilt. Dies hat sowohl siedlungsgeschichtliche als auch hydrologische Gründe. Innerhalb des Münsterkirchspiels ganz im nördlichen Drittel der Stadt lag auch die Stiftsfreiheit mit der Stiftskirche St. Alexandri. Ebenso wie auf anderen kirchlichen Arealen im Neustädter und Marktkirchspiel war das Bierbrauen hier stark eingeschränkt und nur für den privaten Verbrauch möglich. Die Braugerechtigkeit konzentrierte sich als bürgerliches Gewerbe auf

die rund 700 Braustellen an den vier großen Torstraßen, der Tiedexer, Altendorfer, Benser und Hullerser Straße, im mittleren und südlichen Teil der Stadt. Im Münsterkirchspiel mit dem Ostertor im Nordosten und dem Augustiner-EremitenKloster am Schmiede­plan (heute Möncheplatz) gibt es keine älteren Tonnen­gewölbe, sondern die Keller­anlagen sind allesamt jünger, kleiner und zudem noch flachgedeckt. Dies erklärt sich mit dem anhaltend hohen Grund­wasser­stand innerhalb einer einstigen Flussaue zwischen der höher gelegenen Münster­kirche und dem Marktplatz. Mit dem Stadt­mauer­bau wurde der natürliche Wasserlauf des Krummen Wassers um die Stadt

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Thomas Kellmann

rund 800 reduziert. Auffallend sind die großen, überwiegend quer zur Firstrichtung ausgerichteten Tonnen­gewölbe unter den Vorderhäusern und die oft kürzeren und dafür breiteren Gewölbe im rückwärtigen Bereich. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass der heterogene Bestand auf eine zeitliche Entwicklung vom 15. bis 16. Jh. zurückgeht. Die enorme Verdichtung der Hausplätze im 15. Jh. hatte dazu geführt, dass die älteren, rückwärtigen Keller, die teilweise auch in Verbindung mit Stein­ werken entstanden waren, nur geringe Er­wei­ terungs­möglichkeiten boten. Die Wende brachte der verheerende Stadtbrand von 1540. Die ältere Schicht der rückwärtigen Keller wurde mit Seiten­ flügeln auf den Grundstücksgrenzen überbaut, in die Neubauten der Vorderhäuser integriert oder gänzlich erneuert. Durch zusätzliche Keller unter den Brau­dielen der Vorderhäuser wurde dieser meist ältere Kellerbestand in der zweiten Hälfte des 16. Jhs. oft bis zur Straße erweitert bzw. ergänzt, teilweise aber auch gänzlich ersetzt (Abb. 5). Kellerkonjunkturen / Chronologie

5  Beispiel für eine gewachsene Kelleranlage, Marktstraße 44, Kellerskizze, 2001.

herumgeleitet und lediglich ein durchspülbarer, kanalisierter Ent­wässerungs­graben angelegt. Die wenigen Gewölbe­keller innerhalb der teilweise aufgeschütteten und besiedelten Flussaue entstanden dort als Halbkeller (Abb. 4). Der Kellerplan von 2008 mit den schematisch eingetragenen Scheitellinien zeigt auch ein auffallendes Schema hinsichtlich der Ver­tei­lung der Kellerräume auf den Hausstellen (s. Abb. 1). Durch Zusammenlegung benachbarter Grund­ stücke nach der Wüstungsperiode im 17. Jh. und dem Stadtbrand von 1826 wurde die Anzahl der Hausstellen von rund 1.200 um 1600 auf heute

Mit den Ergebnissen der neueren Stadtarchäologie der letzten 30 Jahre hat sich die Fragestellung an den Bestand kontinuierlich erweitert.5 Die nachträgliche Einwölbung der älteren, rückwärtigen, flach gedeckten Keller im späten Mittelalter könnte in Zusammenhang mit der Ausweitung des Fernhandels mit Bier gestanden haben. Bis heute ist nicht abschließend geklärt, ob das in Einbeck produzierte Bier nur aufgrund eines besonderen Filtrierverfahrens, einer starken Hopfung und eines hohen Alkoholgehalts oder auch aufgrund des Zusatzes einer untergärigen Hefe besonders haltbar gemacht wurde.6 Vieles, wie der lange Gärprozess von acht Tagen, die Eiskeller in den spätmittelalterlichen Wällen, die Brauperiode in der kalten Jahreszeit von September bis April und eine Zwischeneiszeit im 15. Jh. sprechen für ein untergäriges Bier, das den gewöhnlichen, obergärigen Bieren in der Haltbarkeitsdauer deutlich überlegen

Der Kellerplan der Stadt Einbeck

war. In diesem Zusammenhang lohnte sich die kostspielige Einwölbung der Keller nur dann, wenn es auch einen entsprechend großen wirtschaftlichen Nutzen gab. Die Ausweitung des Fernhandels mit dafür besser geeignetem untergärigem Qualitäts­ bier wäre ein entsprechendes Motiv. Diese älteren, spätmittelalterlichen Gewölbekeller können vornehmlich rückseitig zum Hof verortet werden. Dies hängt nicht zuletzt mit der Lage der Stube zusammen. Die erhöhte Lage der Stube über einem Halbkeller hatte viele Vorteile, da hierdurch aufsteigende Feuchte und Kälte weitgehend unterbunden werden konnten. Im 15. Jh. vollzog sich nicht nur

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in Einbeck, sondern überregional die Verlagerung der beheizbaren und rauchfreien Stuben von der Hof- an die Straßenseite. Da die gerade erst kostspielig eingewölbten Keller zunächst nicht mit verlagert wurden, mussten die neuen Stuben straßenseitig in einem Zwischengeschoss innerhalb der Braudiele eingehängt werden. Nur so konnten die Stuben gleichermaßen rauchfrei und trocken gehalten werden. Vereinzelt finden sich bauliche Hinweise auf die nachträgliche Einwölbung der rückwärtigen Keller, die sich heute teilweise auch unter Hinterhäusern und Seitenflügeln befinden (Abb. 6). Konsolen oder Wandvorlagen für die Streichbalken

6  Beispiel für einen älteren, nachträglich eingewölbten Gewölbekeller unter dem Hinterhaus/Seitenflügel von Marktstraße 28 mit Abgang von der Braudiele und Durchgang in den jüngeren Braukeller unter dem Vorderhaus, 1992.

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Thomas Kellmann

7  Muster einer ausgefüllten Checkliste, 2003.

oder Längsunterzüge der einstigen Deckenbalken sowie ältere Wandnischen und Öffnungen werden im Einzelfall durch die nachträgliche Einwölbung überschnitten.7 Diese älteren Gewölbe zeichnen sich häufig durch ein besonders kleinteiliges und sorgfältig vermauertes Bruchsteinmauerwerk aus unterschiedlichen sowohl hellen als auch rötlichen Bunt­sand­stein­vorkommen aus. Die besonderen Scheitel­höhen von mehr als 2,6 m und die ungewöhnlichen Tiefen der Kellersohlen sprechen für ein hohes Alter. Diese Feststellungen ließen sich nur durch eine Reihenuntersuchung im Vergleich mit den vorderen Gewölben untermauern. Die beiden einzigen inschriftlich datierten Gewölbekeller, nämlich Benser Straße 17 von »1592« und Maschenstraße 9

von »1585«, beziehen sich nicht zufällig auf die zur Straße belüfteten Tonnengewölbe unter den einstigen Braudielen. Dabei liegen diese Gewölbe selten unter der Dielenein- bzw. -durchfahrt sondern überwiegend seitlich davon unweit des Brandgiebels mit der Feuerstelle für die Braupfanne. Nur in wenigen Fällen verweisen Abweichungen von dieser Regel auf einen älteren und damit auch tiefer liegenden Kellerbestand. Die Lage der Keller und die Tiefe ihrer Sohlen geben daher auch beim überwiegend jüngeren Hausbestand einen wichtigen Hinweis auf die spätmittelalterliche oder frühneuzeitliche Vorgängerbebauung. Die jüngeren, oft nachträglich eingefügten Keller an der Straße sind aus großformatigen, gespaltenen, roten Sandsteinquadern gemauert. Allein die im Keller sichtbaren Köpfe dieser Bruchsteine weisen eine grobe steinmetzmäßige Bearbeitung auf. Da die Häuser des 16. Jhs. über den einplanierten Brandhorizonten von 1540 und 1549 entstanden, liegen die jüngeren Keller der zweiten Hälfte des 16.  Jhs. deutlich höher. Sie können archäologisch als Störung dieser Brandhorizonte wahrgenommen werden. Ebenso wie die Stubenerker entstand diese jüngere Kellerschicht erst nachträglich, also nicht unmittelbar mit dem Bau der Häuser. Mit der Umstellung auf das sog. Riegeoder Reihebrauen im Zuge voranschreitender Absatzprobleme mussten im späten 16.  Jh. die Lagerkapazitäten erweitert und dafür die Keller vergrößert werden. Erst wenn die produzierte Menge abgesetzt war, konnte der nächste Brauberechtigte in der Riege oder Reihe mit seinem Gebräu beginnen. Die reicheren Brauer konnten sich durch entsprechende Gär- und Lagerkeller also Vorteile gegenüber der Konkurrenz verschaffen. Fragestellung der flächendeckenden Erfassung Die erste, 1993 abgebrochene Erfassungskampagne mit zwei Vollzeitkräften der Denkmalfachbehörde wurde ab 2001 trotz deutlich erweiterter Frage­

Der Kellerplan der Stadt Einbeck

stellung nur noch mit 80 % einer Vollzeitstelle fortgesetzt. Da die zeitaufwendige Termin­verein­ ba­rung mit den Eigentümern und Mietern, der Abgleich mit den Bauakten, die Ausleuchtung, sowie die durch Fotografien, Texte und Hand­ skizzen ergänzte Dokumentation durch lediglich eine Fachkraft geleistet werden mussten, galt es die Vorgehensweise zu vereinfachen. Die Nutzung eines Distometers zur elektro-optischen Ab­stands­messung bedeutete eine erhebliche Erleichterung, da vielfach auftretende Hindernisse durch den Laserstrahl überwunden werden konnten. Kleinere Abmessungen wie Tiefe und Höhe der Stufen oder kleinere Wandnischen wurden mit dem Maßband abgenommen. Um dabei den Überblick zu wahren, war die frühzeitige Einführung von Checklisten sowohl für die Dachwerke als auch für die Keller ab 2002 sehr hilfreich (Abb. 7), weil dadurch die Gewölbe untereinander vergleichbar wurden. Diese Listen sind zudem als Protokolle der Ortsbegehungen angelegt. Sie enden mit der Lage unter dem Haus oder auf dem Grundstück sowie mit Angaben zum aktuellen Zustand (Feuchtigkeit, Deformationen, Schwammbefall, offene Fugen, Gefahrenstellen, Sondermüll, Ratten). Da beim Wiederaufbau nach dem Stadtbrand von 1826 oft mehrere Hausstellen zusammengezogen wurden, entstanden hier häufig weitläufige Anlagen mit bis zu sechs Gewölben. Bei diesen nachträglich miteinander verbundenen Gewölben waren die Zuordnung zu den alten Hausstellen und damit die spätmittelalterliche bzw. frühneuzeitliche Parzellierung zu hinterfragen. Dabei wurde schnell deutlich, dass die Keller einer historischen Hausstelle auf diverse Arten erweitert werden konnten: durch Ergänzung, durch Verlängerung, durch Ersatz oder durch Verknüpfung. Bei der Zusammenlegung von Hausstellen wurden die Keller nicht immer sofort auch miteinander verbunden. Der Nachweis einer Chronologie in der Entwicklung der Kelleranlagen vom 15. Jh. bis heute wurde deutlich erleichtert, als sich im Laufe der Erfassung zunehmend ein sich wiederholendes Schema abzeichnete.

Variante I über kleiner Quertonne

Variante III von der Durchfahrtsdiele direkt

Variante IV von der Herdstelle in der Braudiele direkt

Variante II über unterkellertem Seitenflügel

8  Erschließungsvarianten mit Lage der Herdstelle bzw. dem Pfannenherd in der Braudiele, 2002. Die Sterne markieren jeweils die Herdstelle innerhalb der Braudiele im EG.

Erschließungsvarianten Jede Zeitperiode und jede Nutzungsform kannte ihre eigenen Erschließungsvarianten (Abb. 8). Nach rund 700 Jahren liegen die Informationen in einem dichten Neben- und Übereinander in den heutigen Anlagen mehr oder weniger verborgen. Dabei konnten einzelne Entwicklungsstufen durchaus übersprungen werden oder auch mit zeitlicher Verzögerung eintreten. Für die Periode des nebengewerblichen Hausbrauens vom 14. bis 17. Jh. lassen sich einige grundsätzliche Beobachtungen machen. Wenn möglich wurden die Keller ebenso wie die anderen Geschossebenen des Dielenhauses separat erschlossen. Dies hängt mit der Multifunktionalität und der Standardisierung des zugrunde liegenden Haustyps zusammen. Sie sind Ausdruck einer hohen Mobilität der Bewohner dieser Häuser und Städte. Davon zeugen auch die vom Rat beglaubigten

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9  Beispiel für einen Keller auf einem heutigen Gartengrundstück, der zum 1826 zerstörten Vorderhaus von Hullerser Straße 6 gehört, hier das östliche von zwei Gewölben nach Süden, 1993.

10  Kellerzugang über eine Stichtonne am Beispiel Benser Straße 15, 2001.

Kaufkontrakte, die sich für Einbeck in großer Zahl aus dem späten 16. Jh. im Landesarchiv erhalten haben. Eindeutige Hinweise auf die dort ausgeübten Hauptgewerbe sind nur selten möglich, zumal sich in rascher Folge die Gewerbe, die feuersichere oder kühlende Gewölbe benötigten, wie Zinngießer, Bäcker oder Fleischhauer, im selben Haus abwechseln konnten. Ferner spielten die Grundfläche des Hauses sowie die Breite und Tiefe des Grundstücks eine entscheidende Rolle für die Erschließung der Keller. Gerade und einläufige Treppen wurden in dieser Hauptphase der Entstehung eindeutig bevorzugt. Fässer aller Art, also nicht nur Bierfässer, wurden über die sog. Bierleitern aus den Kellern gezogen bzw. gerollt. Diese leiterähnlichen Auflager wurden auf die Treppen gelegt und vermutlich durch (bislang nur für Goslar nachgewiesene) Winden in der Diele ergänzt. Vielfach kann eine räumliche Nähe zwischen den Feuerstellen in der Braudiele und den Trep­ pen­abgängen in die Keller festgestellt werden (s. Abb. 8), sodass auch Rückschlüsse auf die Vor­ gänger­bebauung überall dort möglich werden, wo im Aufgehenden Ersatzneubauten entstanden. Auffallend oft, wenn unter den Seiten­flügeln, Hinter­häusern oder einfach nur im hinteren Haus­ teil die mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Gewölbe erhalten blieben, erfolgt die Erschließung der vorderen, meist geringfügig jüngeren Gewölbe unter der Braudiele über diese älteren Gewölbe. Nunmehr als Vorgewölbe konnten sie aufgrund der räumlichen Nähe zur Feuerstelle ganzjährig auch der Hauswirtschaft dienen (s. Abb. 6). Allerdings wurden einige der tiefen Vorderhäuser auch ab dem 18. Jh. eingekürzt, die Steinwerke und Seiten­ flügel abgebrochen, sodass sich bereits für den Haus­bestand des 16. und frühen 17. Jh. große Unsicherheiten ergeben. Vielfach wurden die rückwärtigen Keller dabei ebenfalls eingekürzt, verfüllt, abgebrochen oder liegen unter einer heute unbebauten Hof- oder Gartenfläche (Abb. 9). Eine besonders aufwendige Form der Er­schlie­ ßung bilden die kleinen Quertonnen, die mit Stich­ kappen rechtwinklig in die Hauptgewölbe führen.

Der Kellerplan der Stadt Einbeck

Diese Quertonnen hatten den großen Vorteil, die Treppen parallel zum Hauptgewölbe anlegen zu können (Abb. 10). Der ansonsten raumgreifende Austritt erfolgte bei dieser Variante nicht im Haupt- sondern im kleineren Nebengewölbe. Die Treppe ragt somit nicht oder deutlich weniger in den Verkehrs­raum des Kellers oder der Diele. Die Stufen der Kellertreppen bestehen durchgängig aus Blockstufen in Buntsandstein. Bei der üblichen Verlegung der Treppen wurden vielfach auch diese Stufen ausgebaut und erneut verwendet. Die Treppen­abgänge zu den Kellergewölben waren bis in das 19.  Jh. grundsätzlich eingewölbt. Mit dem ständigen Bodenauftrag besonders im Zuge der Einführung neuer Haustypen im 18. Jh. wurden diese mit Bruchstein eingewölbten Treppen­ hälse auch nach oben verlängert, im 19. Jh. oft mit Ziegelsteinen. Verschließbare Türen mit gefalzten Tür­ge­wän­ den in Buntsandstein oder Kalkstein befanden sich bis in das 17.  Jh. grundsätzlich am Zugang zum Keller im Erdgeschoss. Diese über die Kellerebene hinausragenden Bauteile gingen in Folge von Ersatzneubauten, Aufgabe der Braudielen und diversen Umbauten der Erdgeschosszonen in den meisten Fällen verloren. Aufgrund der flächendeckenden Erfassung konnten aber einige wenige Ausnahmen gefunden werden. In einem Fall, Baustraße 24, hat sich sogar zusätzlich eine feuersichere Blechfetzentür aus dem 17. Jh. erhalten (Abb. 11). Ältere Türgewände innerhalb der Kelleranlagen können sich auch auf ein deutlich älteres, mittelalterliches Geländeniveau beziehen, als der zugehörige Keller noch das leicht eingetiefte Untergeschoss einer Vorgängerbebauung bildete. Dieser Nachweis ist vielfach nur mit archäologischen Methoden zu führen. Bereits im 16. Jh. kam es vereinzelt auch zur Zusammenlegung von benachbarten Hausstellen. Dabei konnte es zu nachträglich eingefügten Verbindungsgängen zwischen zwei parallel liegenden Gewölben kommen, wie bei Hullerser Straße 16. Überall dort, wo z. B. Gasthäuser, Gildehäuser oder Weinhändler die Keller mit einer hohen Warenfluktuation nutzten,

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11  Bauzeitlicher Kellerzugang aus der Braudiele mit eingewölbtem Kellerhals und Blechfetzentür am Beispiel Baustraße 24, 2015.

boten sich zusätzliche, straßenseitige Zugänge an. Dies galt umso mehr, wenn es sich um besonders stark frequentierte Plätze und Straßen­kreuzungen handelte, wie heute noch beim Bäcker­gilde­ haus Marktplatz 13, das ebenso wie das benachbarte Eckhaus Marktplatz 15 zumindest zeitweise eine Sonderfunktion jenseits der bürgerlichen Brauhäuser erfüllte. Mit dem Ausbau der Chausseen im späten 18. Jh. wurden auch die innerstädtischen Hauptstraßen für den Verkehr mit Fuhrwerken deutlich verbreitert. Die straßen­seitigen Kellerabgänge galten nunmehr als Verkehrs­hindernisse. Sie wurden zusammen mit Außen­treppen und Beischlägen weitgehend zurückgebaut. Auch mit der Einführung neuer Haustypen im 18. Jh. verschwanden die älteren Kelleranlagen nicht automatisch, sondern wurden den neuen Anforderungen lediglich angepasst. Die neue Wollmanufaktur in der Baustraße 38

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12  Durchgang vom Braukeller unter dem Vorderhaus in einen älteren Hinterkeller am Beispiel Altendorfer Straße 27, 2015.

nutzte ein Gelände mit ehemals neun bürgerlichen Hausstellen, von denen sechs zur Bauzeit im Jahr 1712 nach den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges immer noch wüst lagen. Von der Vor­gän­ ger­be­bau­ung wurden lediglich drei gut erhaltene Tonnen­gewölbe integriert. Mit den Braudielen oder ganzen Braudielen­ häusern verschwanden vielfach auch die älteren

Er­schlie­ßungsvarianten. Sie lassen sich bis heute vielfach noch im Bestand nachweisen. Die alten Aus­tritte wurden vermauert, die Blockstufen teilweise entfernt, die Abgänge verfüllt und die Aufbauten im Erdgeschoss überwiegend abgebrochen. Vielfach ersetzte nunmehr eine Bodenluke mit einem neuen, ein- oder mehrfach verzogenen Abgang die älteren Abgänge. Im 19. Jh., im Zuge

Der Kellerplan der Stadt Einbeck

des Baus von durchgehenden Treppenhäusern, wurden auch die Kellerabgänge mit einbezogen, sodass erstmals vom Keller bis zum Dachboden eine durchgängige Erschließung über ein gemeinsames Treppenhaus entstand. Im 19. Jh. wurden zudem die vielen Keller als Kartoffel-, Rüben- oder Apfel­miete, als Brennstofflager für Kohlen und Holz oder als Lagerplatz für Viehfutter genutzt. Da die Stallungen, die Wasch- und Futter­küche im Hof lagen, erhielten viele der alten Keller unter den Vorderhäusern einen rückwärtigen Zugang von dort. Selbst Neubauten aus dem frühen 20. Jh., wie Hullerser Straße 24 von 1905, integrierten abweichend von den erteilten Baugenehmigungen die alten Gewölbekeller. Mit der Umnutzung der Keller als Luftschutzbunker im Zweiten Weltkrieg entstanden die fast flächendeckend anzutreffenden Verbindungen zwischen den Kellern als Fluchtwege in die benachbarten Gewölbe, die heute ebenfalls bereits als eine historische Erschließungsvariante zu betrachten sind. Standardtypen und Sonderformen / Konstruktionsform Erst durch eine flächendeckende Erfassung der Keller war es möglich, Standardtypen von Sonder­ formen zu unterscheiden. Dabei treten viele unterschiedliche Gewölbe- und Kellertypen nebeneinander auf, die immer auch einige Gemeinsamkeiten aufweisen. Sowohl im Profan- als auch im Sakralbau finden sich zwei- bis dreischiffige Kreuz­grat­ gewölbe, Tonnengewölbe oder auch Kappen­ gewölbe. Den Regelfall im bürgerlichen Profan­bau bilden jedoch die Tonnen­gewölbe. Neben Kellern kamen sie in der gleichen Ent­stehungs­zeit auch bei Brücken, den Wall­durch­stichen des Mühlenkanals, den Pulver- und Eiskellern in den Wällen und der Einwölbung der Dreck­gräben zur Ausführung. Unter vielen unterschiedlichen Quer­ schnitts­ profilen der Tonnen ist der Halb­kreis­bogen mit Abstand am weitesten verbreitet (Abb. 13). Dabei setzt die Standard­variante auf Höhe der Kellersohle an, während vereinzelt auch gestelzte Rundbögen

mit oder ohne Rücksprung in der Kämpferzone auftreten. Bei Letzteren handelt es sich oft um kleinere Sonder­größen. Um die erforderliche Standhöhe bei schmalen Tonnen­gewölben zu erzielen, setzte dort die Kämpfer­zone deutlich höher an. Daneben treten immer wieder auch gestelzte oder gedrückte Spitzbögen auf. Immer dann, wenn die Gewölbe an den Auflager­punkten zu den Schildmauern einen Rundbogen aufweisen und nur partiell die Tonne spitzbogig in Erscheinung tritt, kann von einer nachträglichen Verformung ausgegangen werden. Dies passiert immer dann, wenn bei geraden Seitenwänden durch den Gewölbeschub ein Einknicken nach Innen oder ein Ausweichen nach

13  Gängige Gewölbequerschnitte bei Tonnengewölben des 15./16. Jhs, 2002.

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Außen erfolgt ist (Abb. 14). Gerade bei der nachträglichen Einwölbung von einst flach gedeckten Kellern im späten Mittelalter sind die aufgehenden Seitenwände nicht immer ausreichend dimensioniert. Die wenigen Korbbögen des 18. Jhs. und die Segmentbögen des 19. Jhs. runden das Bild ab. Aus der überwiegenden Ausführung von Halbkreistonnen bei den frühneuzeitlichen Kellergewölben ergibt sich aus einer Breite von 4,6–5,6 m zugleich auch eine entsprechende Scheitelhöhe von 2,3–2,8 m. Allerdings sind diese Höhen heute nach gezielten Verfüllungen, Einbau von Betonsohlen oder kontinuierlichem Eintrag von Sedimenten (Kohlen, Kartoffeln) nur noch selten erhalten (Abb. 15). Bei den großen Brauhäusern mit Tiefen von 16–20 m können sich die ein oder zwei Tonnengewölbe unter der ehemaligen Braudiele über Längen von jeweils 12–18 m erstrecken. Die oft älteren Gewölbe im rückwärtigen Bereich der

einstigen Braudielenhäuser sind vielfach zwar kürzer, aber auch breiter und höher dimensioniert. Nutzungstypen Die Brau- und Gärkeller lassen sich auf den bürgerlichen Hausstellen mit Brauberechtigung sehr genau verorten. Produktionsbedingt handelt es sich hierbei um die großen Tonnengewölbe unter den Braudielen. Allein diese Keller waren nicht multi­funktional nutzbar, da die großen Gärfässer, die sog. Koepfässer, aufgrund ihrer Größe fest installiert waren. Da bei einem Gebräu mit maximal drei Durchgängen jeweils 2.300 l Brauwürze von der Braupfanne über die Seibottiche und Kühlfässer in die Gärfässer geleitet werden mussten, kann von einem maximalen Fassungsvermögen sämtlicher Gärfässer von bis zu 7 m³ ausgegangen werden.

14  Nach außen wegknickende Flanken eines vermutlich nachträglich eingewölbten Kellers am Beispiel Lange Brücke 8, mittleres Vorderhaus, 2002.

Der Kellerplan der Stadt Einbeck

Stand für das Abfüllen kein zweiter Gewölbe­keller zur Verfügung, musste hierfür ausreichend Platz im Gärkeller bleiben. Nach der achttägigen Gärzeit wurde das Bier aus den großen Stand­fässern in die 416 l fassenden Transport- und Lager­fässer abgefüllt. Erst mit den zunehmenden Absatz­problemen im späten 16.  Jh. kam es zu einer Einlagerung von wenigen Wochen oder gar Monaten. Da ein Losverfahren die Reihenfolge der Gebräue regelte, musste unabhängig vom Zustand der Straßen produziert und bei ungünstigen Witterungs­ verhältnissen auch bereits in Zeiten guter Absatz­ bedingungen das Bier eingelagert werden können. Die Einleitung der geläuterten und herunter­ gekühlten Bierwürze aus der Braudiele im Erdgeschoss in die Gärfässer im Keller erfolgte über Öffnungen in der Scheitellinie der Gewölbe. Diese Öffnungen finden sich grundsätzlich in den vorderen Kellern unweit der Hauptfeuerstelle, auf der Pfannenherd und Braupfanne temporär installiert wurden. Über hölzerne Trichter und Rinnen wurden die Gärfässer direkt aus der Braudiele befüllt, bevor dann in den Gärfässern die Hefe zugegeben wurde. Abriebspuren an den Unterseiten dieser rund 40 x 40 cm großen Öffnungen zeugen von den hierzu genutzten Hilfsmitteln. Die Öffnungen waren von oben aus der Diele verschließbar. Teilweise finden sich noch heute Sandsteinplatten mit sauber herausgearbeiteten Löchern auf diesen Öffnungen (Abb. 16). Zusätzlich gab es selbstverständlich ganzjährig genutzte Hauswirtschaftskeller, sowie gewerblich genutzte Keller mit oder ohne Brenn- oder Backofen. Letztere dürften sich in den rückwärtigen, multifunktional genutzten, älteren Kellern befunden haben. Teilweise standen in den Braudielen auch zusätzliche Halbkeller mit Balken­ decke in unmittelbarer Nähe der Feuerstelle zur Verfügung, wie im Fall des 1544(i) errichteten Kellers in der Tiedexer Straße 19.8 Im Zuge der Begehungen wurden auch kleinteilige und verzweigte Kelleranlagen angetroffen sowie kleine eingewölbte Nebengelasse

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15  Wandnischen kurz oberhalb der heutigen Laufsohle verweisen auf eine starke Verfüllung, hier die nördliche Schildwand des Kellers der Altendorfer Straße 44, 2003.

16  Typische Öffnung in der Scheitellinie eines Braukellers unter der Braudiele am Beispiel der Altendorfer Straße 25, 2001.

und Annexe, die auch als feuerfester Bergeraum für Wertgegenstände in Kriegszeiten gedient haben könnten. Für die Zeit während und nach dem Dreißigjährigen Krieg ist bekannt, dass der Landadel auf den Rittergütern um Einbeck den von Plünderungen bedrohten Besitz in den Kellern der städtischen Adelshöfe einlagerte, so beispielsweise bei Marktplatz 23.9 Es ist nicht ausgeschlossen, dass reiche Bürger ähnlich handelten und geheime Bergeräume in den Kellern anlegten, wie bei Marktplatz 12–14 im Anschluss an das westliche Gewölbe.10

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Denkmalausweisung Da der Bau von Gewölbekellern unter den brauberechtigten Bürgerhäusern um 1620 zusammen mit dem Hausbrauen fast gänzlich endete, hat sich in Einbeck in großen Teilen eine spätmittelalterliche/frühneuzeitliche Kellerebene erhalten, die siedlungs- und stadtgeschichtlich von großer Bedeutung ist. Von den 1.200 Bürgerhäusern sind heute nicht einmal 15 % im Aufgehenden erhalten, bei den Dachwerken nur 5 %, bei den Gewölbekellern dagegen bis zu 50 %. Ähnlich wie die Häuser selbst waren auch die Keller vielfältigen Eingriffen unterworfen. Eine saubere Trennung zwischen den besonders gut und den weniger gut erhaltenen Anlagen wäre der siedlungs- und stadtgeschichtlichen Bedeutung nicht gerecht geworden. Aus diesem Grund wurden unabhängig von der aufgehenden Substanz alle historischen Kellergewölbe innerhalb der Stadtmauern als denkmalwerte Teile innerhalb der drei Gruppen baulicher Anlagen mit den Kirchspielen (Münster­ kirch­spiel, Markt­kirch­spiel und Neustädter Kirch­ spiel) gewertet. Das Niedersächsische Denk­mal­ schutz­gesetz (NDSchG) lässt zu, auch Teile einer Gruppe baulicher Anlagen, in diesem Fall den Keller eines Hauses, als Baudenkmal auszuweisen. Die Ge­wöl­be­keller in Gänze, die nicht in einer konstruktiven, wohl aber in einer geschichtlichen und funktionalen Verbindung zum aufgehenden Haus und mehr noch zur historischen Hausstelle stehen, erhielten daher konsequenterweise alle den Status eines Baudenkmals nach § 3 (3) NDSchG. Zusätzlich können einzelne Anlagen unabhängig von ihrer siedlungs- und stadtgeschichtlichen Bedeutung also aufgrund ihrer baugeschichtlichen und bautypologischen Bedeutung für sich eine Einzeldenkmalqualität nach § 3 (2) NDSchG besitzen. Ein stark im Grundriss, der Erschließung und der Nutzung verändertes Haus von 1826 ohne historische Oberflächen, ohne historisches Zubehör und Ausstattung, wird daher nicht im Denk­mal­ ver­zeich­nis aufgeführt, wohl aber der zugehörige, vor 1600 entstandene Gewölbekeller. Dies ist eine Besonderheit innerhalb der Stadt Einbeck, die als

Renaissancestadt und als Ur­sprungs­ort des legendären Bock­bieres, eines überregional bedeutsamen Luxus-, Qualitäts- und Starkbieres des 15. und 16. Jhs., gilt. In der Denk­mal­kartierung werden daher die Keller­anlagen lediglich in den Umrissen ihrer Grund­fläche dargestellt, ohne die aufgehende Substanz. Bei den grau markierten baulichen Anlagen handelt es sich um die Häuser als Ganzes, also zusammen mit der historischen Kellerebene (Abb. 17). Methodische Grenzen in der Aussagekraft des Kellerplans Der Kellerplan dient in erster Linie als Orientierung für die Stadtplanung, aber auch für Besucher*innen und Eigentümer*innen, um das Schutzgut innerhalb der Stadtmauern beschreiben zu können. In zweiter Linie dient er der Stadtarchäologie, der historischen Hausforschung und der Stadt­forschung als Nachweis der materiellen Quellen zur Stadt­ geschichte des 15. und 16. Jhs. Der Keller­plan macht sichtbar, was bislang weitgehend verborgen blieb. Dabei wurden nicht annäherungsweise alle Befunde ausreichend dokumentiert und bewertet. Es handelt sich um einen ersten, aber wichtigen Gesamtüberblick. Die Umzeichnung der Handskizzen, die punktgenaue Einmessung der Keller, die durchgängige fotografische Dokumentation und der interdisziplinäre Diskurs vor Ort konnten in diesem immer noch aufwendigen Schnelldurchgang nicht geleistet werden. Die Verweil­dauer in einem Gewölbe lag selten über einer halben Stunde. Für das Verständnis der Beschreibungen wären verlässliche Grundrisse sehr hilfreich gewesen. Die Dokumentation der abgebrochenen, eingekürzten und verfüllten Keller­gewölbe bildet weiterhin ein Desiderat. Ein zweiter Durch­gang unter deutlich verbesserten Bedingungen wäre notwendig, um zu abgesicherten Ergebnissen zu kommen. Im Vorfeld müsste hierzu eine bessere Zugänglichkeit der Keller, also zentrale Termin­vereinbarung und weitgehende

Der Kellerplan der Stadt Einbeck

17  Ausschnitt aus der Ortskarte Einbeck mit der Denkmalkartierung.

Entrümpelung, sichergestellt werden. Viele Keller wurden über Generationen zur Entsorgung von Altlasten genutzt, für Sperrmüll, Autobatterien, Farben und Lacke, Autoreifen, Dielen, Bauschutt und Hausmüll. Nicht mehr genutzte und undichte Öltanks behindern die Zugänglichkeit zusätzlich. Aufgrund der oftmals fehlenden Durchlüftung und des in Verschlägen verbauten Altholzes sind einige Keller akut von Keller- und Hausschwamm betroffen, der jederzeit auch auf die benachbarten Häuser übergreifen kann. Grabungsbefunde, Archivalien und Bauakten konnten nicht immer in zeitlicher Nähe vor der Begehung ausgewertet werden. Die Frage­stellung gegenüber dem Bestand sollte

zusammen mit der Archäologie erweitert und dem Forschungsstand angepasst werden. Der vorliegende Kellerplan bildet somit nur eine recht unscharfe Momentaufnahme. Aufgrund des Maßstabes der Liegenschaftskarten von 1:1.000 konnten die diversen Zugänge im Kellerplan nicht mit dargestellt werden. Dies hätte die Lesbarkeit des Kellerplans massiv eingeschränkt. Die Vorgehensweise, trotz geringer personeller Ressourcen eine flächendeckende Gesamtschau aller historischen Keller zu erhalten, war dennoch hilfreich und notwendig, um diesen bislang verborgenen Schatz ins Bewusstsein der lokalen Öffentlichkeit und der Fachöffentlichkeit zu rücken.

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1 Kellmann 2017, Das Hausbrauen und seine Auswirkungen auf den Hausbau, 140–148, Der Einbecker Hausbau im Mittelalter, 151–157, Der frühneuzeitliche Hausbau ab 1540 und sein Wandel: Keller und Kellererschließung, 163– 167; dort auch eine ausführliche Auswahl der verwendeten Literatur, 615–622. 2 Kernstück der beiden Bände ist der Kellerplan mit Stand April 2008, in Band 7.3 im Kartenteil auf S. 42 sowie als eingesteckter Faltplan DIN 3 im rückwärtigen Buchdeckel, in Band 7.4 mit Erläuterung im Kartenteil, 14–15. 3 10 % entsprechen ca. 50 Gewölbekellern. 4 Kellmann 2017, 328–345. 5 Heege 2002, dort findet sich eine erste Auswertung der

Aumann 1998 S. Aumann: …und wird gar weit geführet. Die Geschichte des Einbecker Bieres. Studien zur Einbecker Geschichte 14 (Oldenburg 1998). Feise 1928 W. Feise: Das Brauwesen der Stadt Einbeck (Berlin 1928). Heege 2002 A. Heege: Einbeck im Mittelalter. Eine archäologisch-historische Spurensuche. Studien zur Einbecker Geschichte 17 (Oldenburg 2002). Kellmann 2017 T. Kellmann: Stadt Einbeck. Denkmaltopographie Bundes­ republik Deutschland, Baudenkmale in Niedersachsen 7.3 (Petersberg 2017). Kellmann 2019 T. Kellmann: Stadt Einbeck. Hausstellenkatalog. Denkmal­ topographie Bundesrepublik Deutschland, Baudenkmale in Niedersachsen 7.4 (Petersberg 2019). Teuber 2004 S. Teuber: Nachrichten aus der Stadtarchäologie: Einbeck FStNr. 231, Tiedexer Straße 19, Patrizierhaus, in: Einbecker Jahrbuch 49, 2004, 14–26. Voß 1993 E. Voß: Der Schatz im Gewölbe des »Steinernen Hauses« in Einbeck, in: Einbecker Jahrbuch 42, 1993, 135–152.

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Grabungskampagnen zwischen 1992 und 2002 durch den damaligen Stadtarchäologen Andreas Heege; Kurz­berichte zu den Fundstellen und Grabungen in der Keller­ebene finden sich in den Nachrichten aus der Stadt­archäo­logie im Einbecker Jahrbuch, herausgegeben durch den Einbecker Geschichtsverein, durch die jeweiligen Stadt­archäologen Andreas Heege (1993–2002), Stefan Teuber (2002–16) und Markus Wehmer (ab 2017). Vgl. Feise 1928 und Aumann 1998. Vgl. z. B. Marktstraße 28 in Kellmann 2019, 555–559. Teuber 2004, 14–26. Voß 1993, 135, 152. Kellmann 2019, 459.

Abbildungsnachweis 1 Niedersächsisches Landesamt für Denk­mal­pflege, T. Kellmann, 2008. Im Text erwähnte Straßennamen zwecks Lesbarkeit vergrößert. 2 A. Heege, 1996. 3, 11, 12  J. Brüdern, 2015. 4 Staatliche Bildstelle, Berlin. 5, 10, 16  Niedersächsisches Landesamt für Denk­mal­pflege, T. Kellmann, 2001. 6 Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, W. Lucka / H. Kern, 1992. 7, 15  Niedersächsisches Landesamt für Denk­mal­pflege, T. Kellmann, 2003. 8, 13, 14  Niedersächsisches Landesamt für Denk­mal­pflege, T. Kellmann, 2002. 9 Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, W. Lucka / H. Kern, 1993. 17 Kellmann 2019, 41.

Minus Null Mittelalterliche Kelleranlagen in Brandenburg an der Havel

Joachim Müller

Keller gehörten von Anfang an zur selbstverständlichen Ausstattung bürgerlicher Grundstücke in Städten. Sie stellen eine unverzichtbare Möglichkeit dar, Getränke und andere Lebensmittel zu kühlen, Waren feuersicher zu lagern oder zu verkaufen. Anders als die große Zahl anderer Baudenkmäler wie Kirchen, Burgen, Bürgerhäuser oder Stadt­ mauern bleiben Keller aber in aller Regel dem öffentlichen Blick verborgen. Das gilt nicht nur für die privaten Bürgerhauskeller, sondern sogar für Keller­anlagen unter Burgen, Klöstern und Rathäusern, die nur selten allgemein zugänglich sind. Auch bemerkenswerte Kelleranlagen finden in der Literatur nur am Rande Erwähnung, etwa in den Denkmaltopographien. Dabei ist der Keller oft der älteste Teil eines Gebäudes und hat dazu den Vorzug, dass er auch bei späteren Umbauten kaum verändert wurde und ohne Freilegungsaufwand als Quelle lesbar ist. Oft wurden bestehende Keller in jüngere Neubauten übernommen, sodass man in der Minus-0-Ebene den Rest von Bauwerken findet, die aus dem Stadtbild seit Jahrhunderten verschwunden sind. Aus den genannten Gründen ist es außerordentlich schwierig, sich auch nur für eine Stadt einen Überblick über den Kellerbestand zu verschaffen: Keller, insbesondere einfachere Objekte, lassen sich oft kaum datieren. Meist sind sie dunkel, oft voller Kohlen, Gerümpel und Verschlägen und entziehen sich so auf den ersten und zweiten Blick der Analyse. Zudem gibt es je nach Art der Bewirtschaftung und Status des Grundstücks sehr unterschiedliche Typen, die sich zudem über

die Zeiten wandeln. In der Mark Brandenburg werden Steinkeller im Bürgerhausbau erst im Verlauf des 15. Jhs. üblich. Zuvor gab es flächendeckend holzausgekleidete Keller, die eine Lebensdauer von nur wenigen Jahrzehnten hatten und sich nur archäologisch nachweisen lassen. Brandenburg an der Havel Der historische Stadtkern von Brandenburg an der Havel besteht aus drei Kernen, den ehemals selbständigen Städten Altstadt und Neustadt (Farb­ tafel VI, 169) und der erst im 20. Jh. eingemeindeten Dominsel mit dem Sitz der landesherrlichen Burg und dem Dombezirk (Abb. 1). Die Innenstadt wurde nie durchgreifend zerstört, etwa durch Stadt­ brände, wie sie in der Mark Brandenburg oft vorkamen und häufig den Neubau der gesamten Stadt erzwangen. Andererseits büßte Brandenburg die herausragende Bedeutung, die die Stadt im Mittel­ alter besaß, in der Neuzeit allmählich ein. Der Rück­ gang der wirtschaftlichen Kraft sorgte dafür, dass der mittelalterliche Stadtgrundriss in weiten Teilen erhalten blieb, die darauf stehende Bebauung immer weiter genutzt und weiterentwickelt wurde, was ideale Bedingungen für die Konservierung zahlreicher Keller im Bestand bedeutet. Auch in Bezug auf die Erforschung der Keller bietet die Stadt außerordentlich günstige Ver­hält­ nis­se (Farbtafel VII, 170). So wurden im Zuge der In­ven­ta­ri­sie­rung der Baudenkmäler ab 1990 die große Mehr­zahl der Keller begangen, in einer Schnell­er­fas­sung Grundrisse im Maßstab 1:100

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gezeichnet und nebst Fotos und Beschreibungen in einem Kellerkataster zusammengetragen.1 Die Digitalisierung und Grobkartierung aller Anlagen erfolgte auf dieser Basis und erlaubt eine Gesamtdarstellung, auch wenn nicht in jedem Falle eine genaue Verortung, beispielsweise die genaue Lage des Kellers unter dem darüber stehenden Haus, möglich war. Eine weitere wichtige Quelle sind Aufnahmen, die z. B. für Bauanträge gezeichnet wurden, auch wenn diese gerade für Keller in der Regel sehr ungenau, mitunter richtig­ gehend falsch sind. Von großer Bedeutung für das Verständnis von Kelleranlagen ist eine Handvoll detaillierter Bauuntersuchungen, die für einige herausragende Baudenkmäler mit hohem Aufwand erstellt wurden. Die Bauanalysen liefern in der Regel auch für die unterirdischen Räume Baugeschichten, die exemplarisch auf andere übertragen werden können. Schließlich liegen aus dem Stadtgebiet archäo­ logische Dokumentationen vor, in denen etliche mittelalterliche Holzkeller erfasst und datiert sind. In archäologischen Ausgrabungen wurden auch immer wieder mittelalterliche und früh­neu­zeit­ liche Steinkeller dokumentiert. Die eingehende Analyse auch der Außenseiten offenbarte aber mitunter Bau­abfolgen, die man bei der Betrachtung des erhaltenen Innenraums niemals geahnt hätte. Jeder Keller steht im Zusammenhang mit einem gleichzeitig bestehenden oder gleichzeitig errichteten Gebäude oder Bauensemble und befand sich gegenüber diesem in einer funktional untergeordneten Position. Der planmäßigen Stadtanlage und der Ab­ste­ ckung und Vergabe von Parzellen geht eine in der Regel auf die Ufer konzentrierte slawische Be­sied­ lung aller drei Stadtteile voraus. Dort sind zwar eingetiefte Bauten dokumentiert. Es handelt sich aber eher um Grubenhäuser, also um Bauten, die ihre Haupt­nut­zungs­ebene unter der Erde hatten, hierzu nur einen Meter oder wenig mehr eingetieft waren. Der Zuzug deutscher Siedler erfolgte nach 1100 und ist gegen 1150 in den Quellen fassbar. So wird im Zusammenhang mit der damals bereits

bestehenden Kirche St. Gotthardt eine Siedlung mit dem niederdeutschen Namen »parduin« erwähnt. Eine dörfliche Siedlung ist in der Straße »Deutsches Dorf« erfasst und bestand spätestens 1178, wie das Dendrodatum eines Brunnens nachweist.2 Neben Pfostenbauten dieser Zeit­stellung kommen auch kleine eingetiefte Bauten vor, aber auch diese sind als Grubenhäuser anzusprechen. Der Begriff Keller wird im Folgenden für ganz oder größtenteils eingetiefte Räume verwendet, die Stehhöhe besitzen und bei denen die eigentliche Nutzungsebene im Erdgeschoss bzw. Hoch­ parterre des Gebäudes liegt. Derartige Keller­ anlagen wurden bisher nur in einem städtischen Kontext erfasst. Das heißt, auch die archäologisch dokumentierten Anlagen liegen auf städtischen Parzellen, sind auf diese bezogen und treten erst um/nach 1200 in Erscheinung. Frühe holzausgekleidete Keller in der Altstadt und Neustadt Stehhohe Keller mit Holzauskleidung gibt es bereits im späten 12. Jh. In der Plauer Straße 11/12 dokumentierte Wolfgang Niemeyer einen geräumigen Keller3 (s. Abb. 1, Nr. 1), der im hinteren Teil des Grundstücks lag und mehr als 1,2 m eingetieft war. Mit einer Länge von über 7 m und einer Breite von knapp 4 m gehört er zu den ungewöhnlich großen Kelleranlagen. Er dürfte um 1200 entstanden sein. Charakteristisch ist die Konstruktion aus starken rechteckigen Ständern im Ein-MeterAbstand.4 Ein ähnlicher Keller wurde in der Neustadt auf dem Eckgrundstück Sankt-Annen-Straße/ Stein­straße erfasst (s. Abb. 1, Nr. 2). Er hat eine Größe von 4,4 x 3,8 m, also rund 16 m², und liegt gegenüber der Sankt-Annen-Straße weit zurück, sodass er wohl zu einem Gebäude im Hofraum gehörte. Durch die Funde aus der mutmaßlichen Nutzungsschicht lässt er sich eindeutig auf die Wende vom 12. zum 13. Jh. datieren. Der Keller wurde nur als Rest unter einer weit in den

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1  Brandenburg an der Havel, Innenstadt. Eingetragen sind die Untersuchungen mit Erkenntnissen zur Baugeschichte. Die Nummern bezeichnen die im Text genannten Keller.

anstehenden Boden reichenden Tiefen­ent­trüm­ me­rung erfasst und auch nicht vollständig ausgegraben, sodass seine ehemalige Tiefe nicht ermittelt werden konnte. Die Aussteifung des Inneren gegen das Erdreich bestand aus senkrechten Rundhölzern in kurzen Abständen, gegen die von außen Bohlen gelegt waren– eine ähnliche

Ausführung wie beim Keller in der Plauer Straße. Möglicherweise erfolgte der Zugang durch eine Eingangsrampe an der Schmalseite.5 Bei einer Nachgrabung in der Plauer Straße 11/12 konnte Stefan Dalitz einen weiteren Keller untersuchen.6 Das zugehörige Gebäude stand 15 m von der Straßenkante entfernt, wohl an der

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2  Altstadt, Plauer Straße 11/12. Rekonstruktion des holzausgesteiften Kellers und des darüberstehenden Werkstattgebäudes nach Grabungsbefunden.

Rückseite des Hofes (s. Abb. 1, Nr. 1). Der quadratische Keller von ca. 3 m Kantenlänge war stehhoch eingetieft (Abb. 2). Er besaß einen umlaufenden Schwellenkranz mit großen Findlingen unter den Außenecken, darauf in den Ecken kräftige Ständerbalken, die auch das aufgehende Gebäude trugen. Der Verbau gegen die Erde erfolgte durch angespitzte Eckbohlen, die außerhalb der Ständer eingerammt waren. Einziger Zugang war eine Rampe, die vom Hof hinab führte. Im Boden des Kellers war ein sehr großer Kugeltopf als Vorratsgefäß eingelassen. Ein aus Brandschutt geborgenes Trinkservice aus fünf dünnwandigen Pokalen und Bechern aus harter Grauware war wohl auf einem Regalbrett verwahrt worden. Erkennbar war noch die herabgestürzte Deckenbalkenlage (1220/35d), die eine in Lehm gefasste Feuerstelle getragen hatte, die vielleicht

3  Altstadt, Grabungsplan Altstädtischer Markt 1 mit Baustrukturen der ersten Phase. Der Keller (dick umrandet) ist im Gesamtkontext des Grundstücks und der Vorderhausbebauung dargestellt.

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der Ausgangspunkt des Brandes gewesen war. Verkohlte Drechselteile, die ebenfalls aus dem Erdgeschoss in den Keller gefallen waren, lassen vermuten, dass es sich um eine Drechslerwerkstatt gehandelt hatte. Das Gebäude hatte bereits einige Zeit gestanden, ehe es in der ersten Hälfte des 13. Jhs. einem Schadensfeuer zum Opfer fiel.7 Einen nahezu identischen Baubefund eines quadratischen Kellers am Hof mit Eingangsrampe fand sich auch auf dem Grundstück Sankt-AnnenStraße/Ecke Steinstraße.8 Ein Keller auf dem Grundstück Altstädtischer Markt 1 gehört zu den stratigrafisch ältesten Baubefunden (Phase I) im Vorderhausbereich (s. Abb. 1, Nr. 3). Nach der Funddatierung dürfte der Keller um/nach 1200 gebaut worden sein. Er lag gegenüber der Straßenflucht zum Markt zurück und dürfte im Aufgehenden ein kleines Gebäude im Hofbereich getragen haben (Abb. 3). Die Länge des mindestens 1,3 m tiefen Kellers betrug rund 4 m, die Breite konnte nicht ermittelt werden. An der Schmalseite gab es eine Eingangsrampe. Zur Konstruktion der Holzaussteifung oder des darüberstehenden Baukörpers gab es keine Befunde.9 Besser dokumentiert ist ein Keller an der Ecke des Molkenmarktes zur Kleinen Münzenstraße, der 2011/12 von Michael Specht im Grundstück Molken­markt 21/22 ausgegraben wurde (s. Abb. 1, Nr. 4). Der um mehr als 1,6 m eingetiefte Keller10 war mit 4,6 x 4,4 m nahezu quadratisch. Im Gegensatz zu den beiden oben besprochenen Kellern und zu den meisten holzausgesteiften Kellern liegt er nicht im Hof, sondern offenbar unter dem Vorderhaus, das an der Straßenecke stand und das Hauptgebäude eines besonders großen Eckgrundstücks war. Die Konstruktion ließ sich im Befund gut nachvollziehen: In einen Kranz aus Schwellbalken mit Überkämmung an den Ecken waren Eck- und zwei Zwischen­ständer je Wand eingezapft. Die horizontale Verbohlung war gegen die Außenseite gelegt und wurde durch den Erddruck gehalten (Abb. 4). Im Inneren gab es vermutlich einen (später herausgenommenen) Dielenboden. Der Zugang erfolgte von der

4  Neustadt, Molkenmarkt 21/22. Rekonstruktion des Kellers um 1200.

Hofseite durch eine 1,3 m breite und 2,6 m lange, überdachte Rampe. Auf der linken Seite führte in einem Kellerschacht eine Treppe ins Haus­innere. Dendrodatierte Holzkohlen aus der Verfüllung erbrachten Datierungen auf 1181 bzw. 1194. Die Funde legen eine Entstehung um/nach 1200 nahe.11 Zusammenfassung Holzkeller Die Liste der holzausgesteiften Keller in der Altstadt und Neustadt für die Zeit des 13./14. Jhs. ließe sich noch durch weitere Beispiele verlängern, von denen viele jedoch weniger vollständig erhalten oder ergraben bzw. in der Dokumentation noch nicht zugänglich sind. Holzausgesteifte Keller gehören zur allgemein üblichen Ausstattung von Grundstücken der frühen deutschrechtlichen Stadt, auf denen sich in der Regel ein an der Straße

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stehendes Pfosten-, später Schwellbalkenhaus und einige Nebengebäude im Hof finden. Meist sind Keller bzw. unterkellerte Gebäude zum Hof hin orientiert, nur selten werden auch Vorderhäuser unterkellert (so am Molkenmarkt 21/22). Da die meisten Grabungen in Vorderhausbereichen stattgefanden, darf man die Regelmäßigkeit, mit denen hölzerne Keller im Hofraum angetroffen werden, dahingehend bewerten, dass diese zur üblichen Ausstattung bürgerlicher Grundstücke vom späten 12. bis ins 14. Jh. gehören. Soweit sich das im Augenblick absehen lässt, finden sich größere holzausgekleidete Keller ausschließlich auf den großen zentralen Grundstücken, bei denen auf dem 1722/24 von Hedemann gezeichneten Plan der Besitz des Braurechts vermerkt ist. Zwar werden Braurechte erst 1324 erstmals erwähnt;12 es wäre aber zu überlegen, ob diese Rechte nicht in die Stadtgründungszeit zurückgehen und ob diese Holzkeller nicht wenigstens zeitweise der Lagerung von Bier gedient haben könnten. Bei älteren Anlagen erfolgte der Erdverbau mitunter durch engstehende senkrechte Ständer und waagrecht gelegte Bohlen. Die Kon­struk­ tions­weise mit einem umlaufenden Schwellen­ kranz und darauf stehenden Ständern scheint sich aber frühzeitig allgemein durchgesetzt zu haben. Kompliziertere Werktechniken wie Stabbohlenbau oder in Nute gesetzte Wandbohlen konnten in Branden­burg bisher nicht beobachtet werden, was aber teilweise auch durch die Erhaltungs­ bedingungen erklärt werden kann.13 Zeitliche Einordnung von Holzkellern Die Stadt Freyenstein in der Prignitz wurde in der ersten Hälfte des 13. Jhs. gegründet, 1263 erstmals erwähnt, in Folge kriegerischer Auseinander­ setzungen zerstört und mit urkundlich überlieferter Stadtrechtsverleihung 1287 an einem benachbarten Platz neu gegründet. Der Ort der alten Stadt war 1295 wüst.14 In Kombination mit partiellen Ausgrabungen und einer flächendeckenden

Prospektion, die auch alle Möglichkeiten der geophysikalischen Untersuchung einschloss, konnte der Grundriss der Stadtwüstung zum großen Teil rekonstruiert werden. Besonders deutlich zeichnete sich eine Anzahl mittelgroßer, durch Rampen erschlossener Steinkeller ab, die im zentralen Teil der Stadt meist an der Straßenflucht lagen bzw. in einem stets gleichen Abstand von dieser. Den aus Stein gesetzten Kellern scheinen holzausgesteifte Keller vorausgegangen zu sein. Der Ausgräber Thomas Schenk deutet diese überzeugend als Teil­unter­kellerungen unter größeren ebenerdigen Holzbauten15 und leitet diese von nordwestdeutschen Vorbildern ab: Braunschweig, Höxter, Nienover, Minden. Der Vergleich mit den gleichzeitigen Branden­ burger Kellern zeigt Unterschiede.16 Zwar lagen auch in Brandenburg die Hauptgebäude der Anwesen immer an der Straße bzw. an Straßen­ ecken.17 Diese waren jedoch in der Regel nicht unterkellert. Die nachgewiesenen Keller lassen sich durchweg nicht an deren Hausgrundrisse anschließen und werden eher zu Nebengebäuden gehört haben. Eine Ausnahme bildet der Keller vom Molkenmarkt 21/22, ein Holzkeller, der in seiner Form, Größe und Lage unter dem Vorderhaus gut mit Freyenstein vergleichbar ist. Steinkeller des 13. Jhs. scheint es auf bürgerlichen Grundstücken nicht gegeben zu haben. Das Kaufleute- und Gründungsviertel in Lübeck wurde durch große Grabungen untersucht, die inzwischen auch in umfangreichen Publikationen als feinmaschig periodisierte Bau­ abfolge vorliegen.18 Die Ausgangssiedlung der deutsch­rechtlichen Stadt wurde 1143 im slawisch besiedelten Land gegründet, 1147 durch einen Slawen­überfall zerstört und 1157 von Kaufleuten wiederbesiedelt, womit sie Parallelen zu Branden­ burg aufweist. Betrachtet man die Zeiten der Holz­bau­phasen, so erkennt man in Grundstücks­ zuschnitten und Haustypen beider Städte weitgehende Übereinstimmungen.19 Im Lübecker Gründungsviertel treten Holz­ keller erst nach der Mitte des 12. Jhs. (1152/53 bis

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1158/59) auf und werden bis in die erste Hälfte des 13. Jhs. hinein errichtet. Im Zeitraum bis 1215 ist eine erhebliche Zahl ähnlich konzipierter Anlagen nachweisbar. Häufig sind quadratische, stehhoch eingetiefte Keller mit ca. 5 m Kantenlänge, die sich entweder rückseitig an das ebenerdige Vorderhaus anschließen und von diesem durch eine Treppe oder Rampe zugänglich sind. Andere Keller dieser Größe liegen unter dem Vorderhaus und grenzen an die Straße. 20 Diese Kelleranlagen sind von Größe und Konstruktion, sicher auch in ihrer Funktion, sehr gut mit den Brandenburger Kellern zu vergleichen, jedoch nicht unbedingt in ihrer Bindung an das Vorderhaus. Trotz der sehr unterschiedlichen Erhaltungsbedingungen wird aber deutlich, dass die handwerkliche Qualität der Ausführung in Brandenburg sehr viel einfacher ist. Ein in Brandenburg so nicht zu beobachtender Sondertyp scheint die in Lübeck postulierte »Kemenate« zu sein, ein über einem gleichgroßen Keller mehrgeschossig, fast turmartig aufragender nobler Wohnbautyp. 21 Mit dem Aufkommen des Backsteins als hauptsächlichem Baumaterial um die Mitte des 13. Jhs. werden nur noch kleinere Keller unter rückwärtig am Hof liegenden Werkstatt- oder Speichergebäuden errichtet. Steinkeller in der Altstadt und Neustadt Die Menge erhaltener vormoderner Kelleranlagen in Brandenburg an der Havel deckt einen Zeitraum vom späten 12. bis ins späte 18.  Jh. ab. Die Funktionen und Kontexte der Anlagen sind vielfältig. Die ältesten Beispiele finden sich in Klöstern, so in der Spiegelburg, ursprünglich vermutlich der Palas der Brandenburger Bischöfe, später ein Teil der Domklausur. Der palasartige Bau der Zeit nach 1165 besitzt ein großes halb eingetieftes Souterrain mit Tonnengewölbe, zweifellos der älteste Steinkeller Brandenburgs.22 Die Kelleranlage unter dem Ostflügel des Dominikanerklosters St. Pauli entstand gegen Ende des 13. Jhs.23

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Die Betrachtung soll im Folgenden auf Bürger­ haus­keller beschränkt werden, auch wenn hier keine scharfe Trennlinie zwischen öffentlichen und privaten Bauten gezogen werden kann, oft weil entsprechende Quellen fehlen oder weil sich die Funktion geändert hat, so z. B. bei Kaufhallen, die zu Privat­häusern umgebaut wurden. Die vorgestellten Keller können auch nicht ohne Weiteres in einer systematischen Reihe vorgestellt werden (Lage, Funktion, Anzahl und Überdeckung der Räume oder Alter), weil letztlich jede Anlage ihr individuelles Gepräge besitzt. Das Anwesen Hauptstraße 9 liegt an der prominenten Ecke der Hauptstraße zur Großen Münzenstraße (s. Abb. 2, Nr. 5). Unter dem Eckhaus, einem stattlichen Barockgebäude mit spätgotischem Kern und einer 1794 hinzugefügten kolossalen Fassadengliederung, hat sich eine mehrteilige mittelalterliche Kelleranlage erhalten, die beim Umbau 1991 stark verändert wurde (Abb. 5). Das Gebäude wird in der Literatur

5  Neustadt, Hauptstraße 9. Kellergrundriss.

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6  Altstadt, Schusterstraße 6. Rekonstruktion des Zustands um 1300; unten: Grundriss; oben: Schnitt mit Blick Richtung Schusterstraße.

als die Brandenburger Münze angesprochen und dürfte zumindest in Teilen der älteste erhaltene Profanbau der Stadt sein.24 Den ältesten Kern bildet ein quadratischer Keller aus großen, in horizontalen Reihen versetzten Findlingsquadern, der einer der wenigen Brandenburger Feldsteinkeller ist.25 Die Südwand des im Lichten rund 6,5 x 5 m großen Haupt­ raums ist, dem nicht rechtwinkligen Verlauf der Straßen­kreuzung folgend, um 10 ° in die Flucht der Hauptstraße gedreht, obwohl die Mauer ca. 5 m hinter der heutigen Bauflucht liegt. Der Keller ist flachgedeckt. Zur Hauptstraße hin schließt sich ein kleiner quadratischer Raum an, der mit einem Rundbogenportal aus sauber bearbeiteten Findlings­quadern ausgestattet und mit einem Tonnen­gewölbe überdeckt ist. Die straßenseitige Wand ist zwar mit einer Backsteinmauer verblendet, in den Rückwänden der Nischen erkennt man aber, dass die Findlingsmauer hier geschlossen war. Es handelt sich also nicht um einen Eingang mit Vorkeller, sondern um einen nur zum Keller geöffneten Raum. Dafür spricht auch, dass das Rund­bogen­portal keinerlei Verschluss­ vorrichtungen aufweist. Der Keller besitzt an seiner Rückseite in gleichmäßigem Abstand drei tiefe, gerade überdeckte Lichtnischen. Der ursprüngliche Zugang ist unklar. Sicher gab es einen Zugang vom Hausinnern, vielleicht auch einen Außenzugang von der Großen Münzenstraße her. Dicht an der Südwestecke des Kellers sitzt eine geschrägte, ansteigende Laibung, wohl ein Fenster, das sich zur Hauptstraße hin öffnete. Dies zeigt, dass die ursprüngliche Baulinie ehemals hier, 5 m nordöstlich der heutigen Flucht, verlief. In diesem Fall wäre der kleine quadratische Vorkeller das Untergeschoss eines vor der Fassade stehenden Turms. Im Nordwesten wurde nachträglich ein unterkellerter, massiver Anbau aus Backstein angefügt. Der 6 x 4,5 m große Kellerraum hat einen leicht verzogenen Grundriss und wird von einer Viertel­kreis­ tonne aus Backstein überdeckt. Wie im Verband erkennbar, weist das halbsteindicke Gewölbe nach

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7  Neustadt, Molkenmarkt 13–18. Kellergrundriss mit Rekonstruktion der Kaufhalle von 1307.

oben aufgelegte Gurte auf. Über einem Sockel aus gespaltenen Findlingen ist das Mauerwerk aus Backsteinen im Binder-Läufer-Verband errichtet, was auf eine Entstehung um/nach 1500 hindeuten könnte. In beiden Seitenwänden liegen breite und tiefe Schranknischen, von denen die an der Nordwestwand in ihrer Seitenwange einen geräumigen Haustresor besitzt. Das Bürgerhaus Schusterstraße 6 steht auf einem sehr großen Grundstück am Altstädtischen Markt an der Ecke zur Schusterstraße, genau gegenüber dem Rathaus (s. Abb. 1, Nr. 6). Der um 1300/10 errichtete Backsteinbau (Abb. 6) ist das älteste erhaltene profane Bürgerhaus der Mark Brandenburg.26 Von der beachtlichen Grundfläche von 15,5 x 20 m war ursprünglich die vordere, d. h. die zur Schusterstraße hinweisende Hälfte, unterkellert. Eine außermittig stehende Längsmauer, die auch das aufgehende Haus in zwei ungleich breite Zonen teilt, trennt auch im Keller einen großen,

im Lichten ca. 7 x 9 m messenden Kellerraum von einer schmaleren Zone, die in zwei hintereinanderliegende Räume von 3,5 x 4,5 m bzw. 4,5 x 4,5 m unterteilt war. Das Kellergeschoss war mit einer Balkendecke versehen, hatte eine lichte Höhe von 3,1 m und ragte zum Markt ca. 1,2 m, wegen des abfallenden Geländes zum Hof hin rund 2 m aus der Erde. Der große Kellerraum war durch eine Tür in der westlichen Mauer von der Straße erreichbar. Ein großes, von einer Spitzbogenblende überfangenes Rundbogenportal an der Ostseite erlaubte die Warenanlieferung. Durch den großen Kellerraum konnte man die beiden kleineren erreichen, von denen vermutlich eine Treppe ins Hausinnere führte. Die Wände waren abwechselnd mit flachbogig überfangenen Wandnischen ausgestattet, die sich mit gleichartigen Kellerluken abwechselten. Da der Keller allseits aus dem Boden ragte, wird er über eine ausreichende Belichtung verfügt haben.

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8  Neustadt, Molkenmarkt 13–18. Rekonstruktion Ansicht des Kaufhauses von 1307 mit einem Fachwerkgeschoss.

Nach den Untersuchungen von Jens Christian Holst handelt es sich um einen typischen Kaufkeller, wie er vor allem in Lübeck in Kaufmannshäusern des späten 13. Jhs. vorkommt, dort aber fast immer mit einer aufwändigen Einwölbung versehen ist. 27 Das Halten »offener Keller« war mit wenigen Ausnahmen nur Lübecker Bürgern erlaubt. Für das Land Brandenburg sind vergleichbare Anlagen dieser Zeitstellung bisher nicht nachgewiesen.28 Die Häuserzeile Molkenmarkt  13–18 ist ein Ensemble kleiner, unscheinbarer Barockhäuser am nördlichen Ende des Neustädtischen Marktes (s. Abb. 1, Nr. 7). Bei der Untersuchung anlässlich der Sanierung des Hauses Nr. 18 und der Häuser 14–16 zeigte sich, dass diese Häuser über einem bedeutend älteren Keller errichtet sind, der sich unter das inzwischen abgebrochene Haus Nr. 13 zog (Abb. 7).29 Erhalten sind Teile der östlichen und westlichen Längsmauer sowie Stirnwand in Haus Nr. 18. Insgesamt ergibt sich das Bild eines im Lichten 35 m langen und nur 6 m breiten, zu zwei Dritteln eingetieften, flach gedeckten Backsteinkellers, der sich auf dem Markt entlang des Weges zur Dominsel erstreckte. In der Mittellängsachse sind die Stümpfe mehrerer gemauerter Pfeiler vorhanden, die im mittelalterlichen Keller einen Unterzug getragen hatten. Ganz ungewöhnlich ist die Fundamentierung ohne Findlinge über einer Backstein-Rollschicht.

Auffallend ist – bei einer ordentlichen Mauerwerks­ aus­ füh­ rung mit großen Kloster­ formaten – die Bescheidenheit: Es konnte nur eine einzige Nische, eine Winkel­sturz­nische, erfasst werden. Formsteine fehlen gänzlich. Ansätze von Fensternischen deuten darauf hin, dass der Keller nicht voll eingetieft war, sondern durch zahlreiche Fensterschlitze Tageslicht empfing. Es ist zu vermuten, dass er von der Straße über mehrere Treppen­schächte zugänglich war, wie das an einem ergrabenen Kaufhaus in Neu­branden­ burg nachgewiesen ist.30 Für die spätere Überdeckung des Kellers hatte man offenbar Material des über dem Keller stehenden Bauwerks genutzt (Abb. 8). Die meisten der wiederverwendeten Eichenholzbalken zeigten Einarbeitungen für angeblattete Kopfbänder, die sie als ehemalige Deckenbalken eines aufgehenden Fachwerkgebäudes identifizieren. Zwischen den massiven Stirnmauern besaß der aufgehende Bau mindestens ein Fachwerkgeschoss. Die Dendro­datierung ergab ein durchgängiges Fälldatum 1306/07. Obwohl zweitverwendet, sind hier mit die ältesten Bauteile eines profanen Fach­ werk­gebäudes im Land Brandenburg überliefert. Bei dem Gebäude handelte es sich ohne Zwei­ fel um ein mittelalterliches Kaufhaus. Kauf­haus­ bauten gehörten im Mittelalter zur üblichen urbanen Ausstattung, auch wenn sie inzwischen nahezu

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vollständig aus dem Bild der märkischen Städte verschwunden sind. So wird bereits 1253 in der Stadtgründungsurkunde von Frankfurt/Oder ein Kaufhaus erwähnt. Grabungen auf Marktplätzen märkischer Städte brachten regelmäßig derartige Bauten ans Licht. Sehr gut vergleichbar in den Maßen ist ein Kaufhausbau der Zeit um 1300, den Verena Hoffmann auf dem Neubrandenburger Marktplatz nachweisen konnte. In der Grabung auf dem Neustädtischen Markt, rund 100 m vom Molkenmarkt entfernt, wurden 1995/96 hinter dem ehemaligen Neustädtischen Rathaus zwei langgestreckte öffentliche Bauten aufgedeckt, von denen einer unterkellert war. Auch diese waren nachträglich von kleinen Bürgerhäusern überbaut worden. In Analogie zu diesen Beispielen ist es wahrscheinlich, dass auch im Keller des Gebäudes am Molkenmarkt Handel betrieben wurde. Auch im Keller des Kaufhauses Sieben Raben in Frankfurt/Oder wurde eine Ausrüstung für separate Kellerläden nachgewiesen, die jedoch nie in Betrieb genommen wurden.31 Das Haus Bäckerstraße 14 birgt erhebliche Reste des ältesten aufrecht stehenden Fach­werk­hau­ses der Mark Brandenburg (s. Abb. 1 Nr. 8).32 Auf dem mittelgroßen, zweifellos in diesem Zu­schnitt seit dem Mittelalter bestehenden Grund­stück erhebt sich ein zur Straße giebelständiger Ständer­bau mit Hochrähmverzimmerung aus dem Jahre 1408d (Farbtafel VIII, 171). Rückseitig schließt sich an diesen ein wenig jüngerer Flügelbau an, von dem einige konstruktive Hölzer in situ erhalten sind und in einen Neubau übernommen wurden. Bei diesem Flügelbau handelt es sich wahrscheinlich um ein Brauhaus.33 Unter der rechten Hälfte des Flügel­baus erstreckt sich in dessen voller Länge ein im Lichten 9 x 4,5 m messender tonnengewölbter Kellerraum, der durch eine Treppe von der Diele des Vorder­ hauses betreten werden konnte. Die Seitenwände des Kellers sind in einer gleichmäßigen Folge von segmentbogig geschlossenen, flachen Wandnischen aufgelöst, die den Kämpfer der Viertelkreistonne tragen. An den Stirn­ seiten sind Licht- und Verwahrnischen angeordnet.

Die besonders große und tiefe Mittel­nische birgt einen seitlich im Mauerwerk ausgesparten Tresor. In die Seitenwände des bauzeitlichen Keller­halses sind kleine Lichtnischen eingelassen; eine tiefe begehbare Nische hat wohl zur Aufbewahrung von Lebensmitteln gedient. Es gibt eine ganze Anzahl vergleichbarer Keller in dieser charakteristischen Ausführung, die wohl alle ins 15. Jh. datieren. Bei einem ähnlichen Keller auf dem Grundstück Große Münzenstraße 4 wurde 2018 die Freilegung der Tonne baubegleitend dokumentiert (s. Abb. 1, Nr. 9).34 Der im Lichten 7,6 m lange und 3,4 m breite Keller weist ebenfalls eine Tonnenwölbung von seg­ment­bogigem Querschnitt auf, die auf Seiten­wänden mit einer regelmäßigen Folge flacher Spar­nischen aufsitzt. Der Keller schließt sich rück­wärtig an das Vorderhaus an und gehörte zu einem Flügel­bau, bei dem es sich, wie in der Bäckerstraße 14, um ein Brauhaus gehandelt haben dürfte. Die bei den Arbeiten herausgenommene Einfüllung über dem Gewölbe enthielt Material des späten 15. Jhs. und datiert den Bau der Anlage. Eine große, mehrfach erneuerte Feuerstelle dürfte den Standort des Braukessels anzeigen. Das große gotische Bürgerhaus Ritter­straße 86 liegt am Stadteingang der Altstadt unmittelbar an der Jahrtausendbrücke auf einem besonders großen Eck­grundstück (s. Abb. 1, Nr. 10). Nach der Bauuntersuchung 1992 und der daran anschließenden baubegleitenden Unter­ suchung 2013 durch Maurizio Paul und der archäologischen Untersuchung unter der Leitung von Dietmar Rathert dürfte das Anwesen nicht nur zu den am besten erhaltenen, sondern auch zu den am besten untersuchten im Bundesland Branden­burg gehören.35 Wie alle herausragenden Bürger­ häuser des Mittel­alters ist die Ritterstraße 86 ein vermutlich seit der Wende vom 12. zum 13. Jh. bebautes städtisches Grund­stück eines privilegierten Besitzers. Baulich handelt es sich bei dem Ensemble um eine Gruppe funktional unterschiedlicher, aber aufeinander bezogener Baukörper, die nacheinander zwischen vor 1453 und 1483 errichtet wurden.36

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9  Altstadt, Ritterstraße 86. Grundriss des Kellergeschosses, Baualtersplan, schwarz: älterer Vorgänger; mittelgrau: Flügelbau vor 1452; hellgrau: Rechteckbau 1452.

Das an der Ecke stehende Hauptgebäude ist ein zweigeschossiger Backsteinbau, der an Stelle eines älteren, ebenfalls bereits unterkellerten Hauses um 1453d errichtet wurde (Abb. 9). Der Kernbau besitzt über dem Keller eine große, ungeteilte Diele, darüber ein niedriges Speichergeschoss und dürfte zu seiner Entstehungszeit keiner Wohnfunktion gedient haben, sondern ausschließlich gewerblich genutzt gewesen sein. Im Gegensatz zu anderen mittelalterlichen Gebäuden Brandenburgs ist der gesamte Hausgrundriss unterkellert. Der balkengedeckte Keller hatte eine mäßige Höhe von 2,1 m unter den Balken bzw. 2,4 m zwischen den Balken.

Der Keller war ursprünglich wohl nicht vollständig eingetieft. Den Zugang ermöglichten drei Türen: Eine schmale Tür öffnete sich zum Hof, ein komfortabler Kellerabgang führte von der Ritterstraße hinab. Ein dritter, breiterer Zugang führte über eine Treppe von der Johanniskirchgasse hinab. Da keine der Öffnungen Verschlussmöglichkeiten vorsieht, müssen die Kellerhälse mit verschließbaren Klappen ausgestattet gewesen sein. Der Kellerraum ist großzügig mit breiten und tiefen, segmentbogig überwölbten Nischen ausgestattet, die nicht mit Türen verschlossen werden konnten. Neben der Tür zur Ritterstraße gibt es eine kleine Lichtnische, in der wohl später eingezogenen Mittellängswand zwei weitere. Der Keller war zweifellos ein öffentlich zugängliches Verkaufslokal, wobei offenbleiben muss, welche Waren hier gehandelt wurden. Durch die breitere Pforte zur Johanniskirchgasse konnten auf kürzestem Wege zur Brücke und zum Fluss auch sperrige Waren angeliefert werden. Wenig älter ist der an das Eckgebäude angrenzende Keller im ehemaligen Flügelbau entlang der Johanniskirchgasse. Der Bauteil wurde noch an den Vorgänger des Backsteinhauses angefügt. Der im Lichten ca. 6 x 8 m große Kellerraum hat wohl aus Rücksicht auf bestehende Bauten einen leicht trapezförmig verzogenen Grundriss. Der Raum ist allseitig mit großen und tiefen Nischen ausgestattet, in deren Seitenwänden und Böden sich mehrere Haustresore verbergen. Der einzige Kellerzugang lag am nördlichen Ende der Südwand. Durch ein Portal konnte man durch einen gewinkelten Gang den Keller des benachbarten Haupthauses erreichen oder durch einen Treppenschacht in den Hof steigen. Das Portal zeigt keine Vorrichtungen für eine Tür. Das Innere ist mit einem Mittelpfeiler ausgestattet, von dem sich zwei flache Bögen zu den Wänden spannen. Darauf ruhen sehr flache Kappengewölbe, die für Brandenburger Kellergewölbe untypisch sind und sich damit erklären lassen, dass man im darüber liegenden Erdgeschoss keinen Raum verlieren wollte. Der Fußboden weist eine aufwändige

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Isolierung durch eigens für diese Verwendung hergestellte Topfkacheln auf (Abb. 10). Diese spezielle Feuchtigkeits- und Wärmeisolierung deutet darauf hin, dass hier empfindliche und wertvolle Waren gelagert wurden, die in diesem luxuriösen Ambiente, vielleicht dem Privatkontor eines reichen Kaufmanns, zum Verkauf angeboten wurden. Die Wohnung wird sich im Flügelbau befunden haben, der im Erdgeschoss ein Kreuz­ rippen­gewölbe besaß und im Obergeschoss aus Fachwerk konstruiert war. Das Anwesen Plauer Straße 1 liegt unmittelbar am Plauer Tor und besaß das Braurecht (s. Abb. 1, Nr. 11). Unter dem südwestlichen Teil des barocken Vorderhauses liegt ein im Lichten 5,3 x 4,3 m großer Kellerraum entlang der Plauer Straße, der in seiner ersten Bauphase wahrscheinlich flach gedeckt war, wie man an der Nord- und Ostwand erkennen kann (Abb. 11). Die zur Straße weisende Stirnwand zeigt eine kleine Lichtnische; dicht an der westlichen Seite sitzt ein ursprünglicher, schmaler Straßeneingang. Zwei oder drei weitere Stufen im Raum fehlen. Die daneben befindliche schmalere Nische zeigt eine

10  Altstadt, Ritterstraße 86. Mit Topfkacheln ausgelegter Boden des Kellers im Flügelbau, 2014.

11  Altstadt, Plauer Straße 1. Kellerraum, Blick Richtung Straße, 2007.

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12  Altstadt, Ritterstraße 98. Grundriss des Kellergeschosses mit Baualterskartierung.

13  Altstadt, Ritterstraße 98. Blick in den großen Kellerraum, Blick Richtung Ritterstraße, 2018.

steil ansteigende Stufung, typisch für einen ins Freie führenden Lichtschacht, der zumindest etwas natürliches Licht ins Innere führte. Ob ein weiterer Ausgang in das Erdgeschoss des Hauses führte, wäre näher zu untersuchen. Bei dem relativ kleinen Kellerraum handelte es sich wahrscheinlich um einen Kaufkeller. Der Eingang von der Straße und der Lichtschacht sind vom Gewölbe überschnitten. Für den Einbau der Wölbung wurden Mauern unterfangen und vor die östliche Längswand eine Wand vorgeblendet, die in flachen Nischen aufgelöst ist und den Tonnenkämpfer trägt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde ein Kellerhals angebaut, der sich heute in den Hof hinter dem Vorderhaus öffnet. Das Haus Ritterstraße 98 vereinigt zwei An­we­ sen (s. Abb. 1, Nr. 12).37 Der linke Hausteil ist breiter und besitzt eine fünfachsige verputzte Back­ stein­fassade. In voller Breite dieses Hausteils von 14 m erstreckt sich eine Kelleranlage aus drei parallelen, tonnen­­gewölbten Räumen, die senkrecht zur Straße angeordnet sind und deren straßen­seitigen Giebel­­wände in der Bauflucht liegen (Abb. 12). Die beiden rechten Kellerräume sind mit 9,3 bzw. 7,6 m von geringerer Tiefe als der Bau­körper des Hauses, der sich 13,7 m in die Tiefe des Grund­ stücks erstreckt. Alle drei Kellerräume sind ähnlich konstruiert und von sehr charakteristischer Gestalt. Ihre Seitenwände sind ganz oder größtenteils in 0,3 m (ein Stein-)tiefe flachbogig geschlossene Sparnischen aufgelöst, die direkt oder knapp über dem Boden ansetzen und in der Breite zwischen 0,7 und 1,6 m variieren. Das Mauerwerk besteht aus großen klosterformatigen Backsteinen mit deutlichen Quetsch- und Absetzfalten, in der Regel 28–29 cm lang, 13–14 cm breit und 9–10 cm hoch. An wenigen ungestörten Partien lässt sich ablesen, dass das Mauerwerk durch einfache Fugenstriche konturiert war. Unter den Umfassungsmauern treten in unterschiedlicher Höhe teilweise die unvermörtelten Findlinge der Fundamente hervor. Die Wölbung ruht in allen drei Kellerräumen auf einem Rücksprung über den Seitenmauern,

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der bis zu 15 cm tief ist und die Schalung für die Gewölbedecke aufnehmen konnte. Die Kämpfer­ höhe liegt dabei durchgängig in Höhe der Boden­ scheitel der Nischen 1,3 bis 1,5 m oberhalb des Fußbodens. Die Tonnengewölbe haben segmentbogige Querschnitte von etwa einem Viertelkreis, so dass die lichte Raumhöhe deutlich über 2 m liegt. Die Gewölbeschale ist einen halben Stein dick und besteht ausschließlich aus Läufern. Der nach der Herausnahme der Lehrgerüste verbleibende Spalt wurde mit Backsteinbruch und Putz verschlossen. Die drei Kellerräume sind durch zwei baueinheitliche Türöffnungen miteinander verbunden, die weder Tür­anschläge noch Türkloben aufweisen, also nicht verschließbar waren. Ein ursprünglicher Zugang lag an der Rückseite des mittleren Kellers. Die rund 1,1 m breite Türöffnung ist mit einem Seg­ment­bogen überwölbt, der nur auf seiner Außen­seite ein Viertel­kreis­profil aufweist – die einzige Verwendung von Form­steinen an der ganzen Anlage. Von dieser Öffnung aus führte ein leicht schräg geführter Treppen­schacht nach oben ins Innere des Hauses. Der lange Kellerraum (Abb. 13) besitzt an seiner Stirnseite einen mit 1,35 m außerordentlich breiten Zugang, der sicher in einem Treppen­schacht auf der Ritterstraße mündete. Die Keller­an­la­ge war also als Kauf- und/oder Lager­keller für die Öffent­ lich­keit zugänglich. Der hofseitig über den Grundriss des Vorder­ hauses hinausragende Kellerraum beweist, dass das ursprünglich zugehörige Haus von größerer Tiefe gewesen sein muss. Es könnte sich um ein sehr großes, giebelständiges Fachwerkhaus von 14 x 22 m Grundfläche gehandelt haben. Vergleich­bare Bau­ ten des Spätmittelalters sind aus Brandenburg bekannt. So befindet sich beispielsweise am Mol­ ken­markt 24 ein dreigeschossiges Giebel­haus des späten 15. Jhs. mit einer rekonstruierbaren Tiefe von immerhin 23 m.38 Das Haus Neustädtischer Markt 30 ist im Kern ein kleines zweigeschossiges Fachwerkhaus, das 1535d erbaut wurde (s. Abb. 1, Nr. 13).39 Es gehört

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zu einem der drei Blocks privateigener Häuser, die ausgehend von Marktbuden oder öffentlichen Gebäuden seit dem Spätmittelalter auf dem Markt entstanden waren. Noch vom Vorgängerbau stammt ein Kellerraum, dessen Boden weniger tief reicht als die übrigen Räume. Er misst im Lichten ca. 3,8 x 2,8 m (Abb. 14). Die Wände bestehen unten aus mittleren und größeren Feldsteinen, darüber Backsteinmauerwerk aus klosterformatigen Steinen in märkischem Verband. An der nördlichen Stirnseite erkennt man eine später zugesetzte Wandnische mit segmentbogigem Sturz. Die südliche Stirnseite besaß eine größere, aber wahrscheinlich flach überwölbte Wandnische, die noch in Resten sichtbar ist. Gleichzeitig mit den Umfassungsmauern wurde eine Zungenmauer an der westlichen Wand errichtet, die nach Nordosten eine gerundete Kante aus Formsteinen aufweist. Hier handelt es sich um den ursprünglichen Zugangs­schacht, in dem eine steile Treppe vom Haus­innern hinabführte; Abdrücke der Stufen sind noch erkennbar. Seine geringe Tiefe deutet darauf hin, dass der Keller ursprünglich flach gedeckt war.

14  Neustadt, Neustädtischer Markt 30. Kellergrundriss mit Baualterskartierung.

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leere Blattsasse

Rest einer Blattsasse tw. verdeckt

Aktuelle Straßenfassade

Flur

Vorkeller Tresor

Schnitt A-A Obergeschosse nach Skizzen ergänzt, gespiegelt 0 15  Neustadt, Neustädtischer Markt 30. Querschnitt durch das Haus.

5 Meter

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Durch die nachträgliche Einwölbung wurden die zu schwachen Umfassungsmauern stark nach außen gedrückt und stehen schief, die Zungenmauer hat sich verschoben. Der Keller ist vielleicht ins 15. Jh. zu datieren. Im Zusammenhang mit dem Neubau des Hauses 1535 wurde dieser Kellerraum eingewölbt und die Kelleranlage erweitert und neu erschlossen. Man fügte einen großen, senkrecht zur Straße stehenden Raum (lichte Maße von 5,2 x 3,5 m) hinzu, der von einem segmentbogigen Back­stein­tonnen­ gewölbe überspannt wird. In der Mitte seiner westlichen Stirnwand sitzt eine Schranknische, die in der Seitenwand einen kleinen Tresorraum birgt. In der gegenüberliegenden Wand befindet sich eine Türöffnung, die durch einen Treppenschacht Zugang von der Straße erlaubte (Abb. 15). In halber Höhe des Treppenschachtes ist seitlich ein kleiner, gewölbter Raum von nur 1,4 m Höhe angeordnet, der mit seiner ganzen Fläche im Straßenraum liegt. Derartige Vorkeller sind in Brandenburg sonst nicht bekannt. Der Keller ist in seiner zweiten Ausbauphase als Kaufkeller zu interpretieren, also als unterirdisches Verkaufs- oder Schanklokal mit Zugang von der Straße, einem zweiten angeschlossenen Raum, der der Lagerung gedient haben mag, und einem Aufgang in das Hausinnere. Zusammenfassung Steinkeller Die Reihe der vorgestellten Keller ist lediglich eine nicht repräsentative Auswahl aus den über 200 im Kataster erfassten vormodernen Kelleranlagen der Doppelstadt Brandenburg und über 300, wenn man die aus archäologischen Grabungen bekannten Anlagen hinzuzählt. Von ihnen lassen sich einige Dutzend dem Mittelalter zurechnen. Jeder der Keller hat seine eigene Geschichte von Nutzungsänderungen, nicht selten mit zahlreichen Umbauten, Ergänzungen und Anpassungen. Direkt von der Straße zugängliche Keller müssen nicht in jedem Falle Verkaufslokale gewesen sein, sondern werden auch als Lagerkeller für von

der Straße angelieferte Waren gedient haben. Da sich nahezu alle größeren Kelleranlagen auf Grundstücken mit Braurecht befinden, ist insbesondere an Lagerung und Verkauf von Bier zu denken. Bei den an der Straße liegenden Kellerräumen könnte man sich durchaus auch eine Nutzung als Schankräume vorstellen.40 Indizien für einen Verkaufsbetrieb sind gute bauliche Ausstattung z. B. durch eine Vielzahl von Nischen sowie besonders gestaltete oder mehrfache Eingänge. Kaufkeller, zu denen man selbstverständlich noch die hier nicht besprochenen Keller unter den mittelalterlichen Rathäusern hinzurechnen darf, gibt es bereits ab 1300, so auch im sog. Or­donnanz­haus in der Schusterstraße. Beim Feld­ stein­keller Hauptstraße 9 aus dem 13. Jh. ist es nicht sicher, ob er einen Eingang von der Straße her besaß. Als vermutlicher Standort der Münze gehört das Haus jedenfalls zu den Gebäuden mit einer nicht mehr im Detail nachvollziehbaren Sondernutzung. Eine eigene Gruppe bilden die lang gestreckten Kaufhäuser, von denen drei auf dem Neu­städ­ ti­schen Markt nachgewiesen sind.41 Es scheint sich dabei um einen eigenen, im 13. und 14. Jh. verbreiteten Typus zu handeln, der heute vollständig aus dem aufgehenden Baubestand der märkischen Städte verschwunden ist. Man darf vermuten, dass es sich in der Regel um öffentliche Gebäude handelte, die vielleicht auch im Besitz von Zünften waren. Die Ladenlokale, auch die im Keller, wurden an Händler vermietet. Für zwei der Brandenburger Kaufhallen lässt sich nachvollziehen, dass die spätere Teilung und Privatisierung entlang der im Keller angelegten Unterteilungen erfolgte. Sicher ist, dass diese öffentlichen Kaufkeller mehrere Ein­gänge besaßen, wie dies in Neu­bran­den­ burg nachgewiesen wurde. Die Keller, z. B. beim Kaufhaus am Molkenmarkt 13–18, waren nicht vollständig eingetieft, so dass sie ausreichend natürliches Licht durch Luken empfangen konnten. Dies könnte auch für einige der älteren Kauf­ keller zutreffen, so z. B. für Schusterstraße 6 und Ritter­straße  86.

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Die älteren Kaufkeller weisen in der Regel eine Bal­ ken­decke auf, die bei größeren Spannweiten durch einen Unterzug gestützt wurden. Soweit sich das nach­voll­ziehen lässt, hält sich die Raumhöhe mit 2–3 m in engen Grenzen. Kaum wird man sich repräsentative Räume vorzustellen haben. Außer den großflächigen Anlagen gab es aber auch kleinere flach gedeckte Kaufkeller, so in der Plauer Straße 1, wo im 15. Jh. nur ein Raum zur Verfügung stand. Ein (öffentliches?) Gebäude am Neustädtischen Markt enthielt zwei kleine abgetrennte Verkaufseinheiten (s. Abb. 1, Nr. 14).42 Der Zugang in die eingetieften Kellerräume erfolgte von der Straße durch Treppen in gemauerten Schächten bzw. Kellerhälsen. Da Eingänge im Keller oft keine Verschlussvorrichtungen aufweisen, ist anzunehmen, dass die Klappen der Keller­eingänge mit Schloss und Riegel, Aushebe­ sicherungen etc. ausgestattet waren. Oft münden die in den Kellermauern angelegten Eingänge oberhalb des Kellerfußbodens, so dass im Inneren noch ein paar Stufen angeordnet waren. So konnte man die Tiefe und Ausladung der Kellerhälse, die im öffentlichen Raum tendenziell störend waren, reduzieren. Öffentlich zugängliche Keller unter privaten Häusern besaßen stets einen Aufgang ins Innere des Hauses. Oft sind gerade die ins Innere weisenden Türöffnungen die einzige Stelle des Kellers, an der Formsteine verwendet wurden. Kartiert man für die Altstadt (Farbtafel IX, 172) und Neustadt (Farbtafel X, 173) die an der Straße liegenden Keller, so lässt sich eine starke Kon­zen­ tra­tion auf die »guten Geschäfts­lagen« rings um die Markt­plätze und entlang der Haupt­straße erkennen. In allen Fällen finden sich diese Keller auf Grund­ stücken, die 1722/24 das Braurecht besaßen. Der mit einer aufwändigen Fuß­boden­iso­lie­ rung, zahlreichen Nischen und Tresoren ausgestattete Gewölbekeller unter dem Flügelbau zur Ritter­ straße 86 diente sicher nicht zu Wohnzwecken und ist insofern wahrscheinlich ebenfalls als Verkaufs­ raum anzusprechen, in dem wohl wertvolle und empfindliche Güter sicher verwahrt und zur Schau

gestellt wurden. Er ist in dieser Form in der Stadt Brandenburg einzigartig. Seit dem 15. Jh. gibt es gewölbte Kelleranlagen aus zwei oder mehr zueinander parallelen und senk­recht zur Straße liegenden Räumen, von denen einer als Verkaufs- oder Schankraum, der andere zum Lagern gedient haben könnten.43 In der Ritter­ straße 98 hat sich eine besonders stattliche dreiräumige Anlage erhalten, die im 15. oder frühen 16. Jh. in einem Zuge, aber nicht ohne Rücksicht auf eine bereits vorhandene Situation errichtet wurde. In der Plauer Straße 11/12 wurde ein flachgedeckter, von der Straße aus zugänglicher Keller mit einem tonnen­gewölbten Lagerkeller verbunden.44 Im Vergleich zur ungleich reicheren Keller­ land­schaft in Lübeck fällt in Brandenburg der relativ geringe Anteil an repräsentativen unterirdischen Räumen auf. So gibt es nur wenige rippengewölbte Keller in der Stadt. Im Kontext bürgerlicher Parzellen ist nur ein Beispiel bekannt: Am Neustädtischen Markt 7 (s. Abb. 1, Nr. 15) wurde ein in zwei Jochen rippengewölbter Keller später beim Neubau des Nachbargebäudes der Länge nach halbiert.45 Obwohl man zweifellos die Technik des Ge­wöl­ be­baus seit dem 12. Jh. beherrschte und auch für Keller in Anwendung brachte, scheint es auf bürgerlichen Grundstücken zunächst nur flach gedeckte Keller gegeben zu haben. Zwar haben sich fast keine derartigen Anlagen in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten, dies dürfte aber daran liegen, dass sie seit dem 15.  Jh. flächendeckend durch tonnen­gewölbte Keller ersetzt wurden. Nicht selten wurden dazu die bestehenden Anlagen umgebaut, was oft eine Unterfangung erforderte, um auch nach dem Einbau des Gewölbes ausreichende Raumhöhen zu gewährleisten. Solche Maßnahmen sind nicht immer vom Innenraum des Kellers nachvollziehbar.46 Oft wird man nur die zur Straße oder zum Nachbarn weisenden Mauern stehen gelassen haben, um ein Nachrutschen zu verhindern. Dies könnte etwa erklären, warum die typischen Nischen­wände des 15. Jhs. oft nur an einer Raum­ seite des Kellers vorkommen.47 Häufig waren die

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dünneren Mauern der flach gedeckten Keller dem Gewölbedruck nicht gewachsen, was sich in Setzungen und Ausweichen der Mauern manifestiert.48 Eine typische Bauform des 15. Jhs. sind meist langgestreckte Keller, deren Seitenwände in eine Folge von relativ flachen Nischen aufgelöst sind und in halber Höhe den Kämpfer für Tonnengewölbe tragen. Die Tonnen haben dabei segmentbogigen Querschnitt.49 Diese Bauform ist materialsparend und verlangt keine allzu tief liegenden Keller­räume. Schranknischen, Kellerlichtschächte und Eingangs­ türen finden sich auf den Stirnseiten. Typisch für Keller des 15./16. Jhs. ist die Anordnung kleiner, im Mauerwerk ausgesparter Hohlräume, die bei drohender Gefahr zugemauert werden konnten, um so wertvollen Besitz, z. B. das Bar­vermögen, zu verbergen.50 Ansonsten bedarf es weiterer Unter­ suchungen, um Kellertypen, Nischen­formen und Ge­wöl­be­querschnitte funktional oder chronologisch näher zu bestimmen. Anders als in den Hanse­ städten Stralsund und Lübeck deutet nichts darauf hin, dass in Branden­burg an der Havel Keller auch nur zeitweise als Wohnungen gedient hätten.51 Die Bautraditionen setzen sich nach dem Dreißig­jährigen Krieg in ähnlicher Weise fort. So gibt es beispielsweise in der Hauptstraße 7 (s. Abb. 1, Nr. 16) einen in einem Zuge errichteten Kaufkeller wohl des späten 17. Jhs., der drei parallele, tonnengewölbte Räume aufweist und einen Eingang von der Straße aus besitzt.52 Generell scheinen aber im Verlauf des 18. Jhs. die Keller­zugänge von der Straße aufgegeben worden zu sein. Der Grund mag in der barocken Stadt­erneuerung liegen, im Zuge derer die Vorder­häuser nach Möglichkeit dem barocken Ideal der aus traufständigen Häusern

gebildeten, geschlossenen Zeile angenähert wurden. Vermutlich passten die altertümlichen, in die Straße ragenden Kellerhälse nicht mehr ins Bild. Für das 18. Jh. ist zudem ein Niedergang der in den Privathäusern betriebenen Brauereien zu verzeichnen.53 Erst im Verlauf des fortgeschrittenen 18. Jhs. wird es üblich, Häuser auch zu einem größeren Teil ihrer Grundfläche oder vollständig zu unterkellern, wobei man selbstverständlich ältere vorhandene Anlagen einbezog und erweiterte. Die Keller des späteren 18. und frühen 19. Jhs. lassen sich durch ihre Konstruktion unschwer erkennen. Gar nicht in die Betrachtung eingeflossen sind zahlreiche Haushaltskeller, einzelne kleine Räume, die nur vom Hausinnern zugänglich waren. Sie dienten der privaten Haushaltsführung und dürften überwiegend der frühen Neuzeit angehören. Die Kellerlandschaft der Brandenburger Innen­ stadt ist ein faszinierender, aber auch ein sehr unübersichtlicher Forschungsgegenstand. Sie ist zwar in groben Zügen im Kellerkataster von 1991 erfasst und in zahlreichen bau- und bodenarchäologischen Untersuchungen im Einzelfall tiefer­ gehend untersucht. Dabei zeigt sich aber, dass die Materie bei eingehender Betrachtung eher komplizierter wird – es offenbaren sich oft verwickelte einzelne Baugeschichten und nicht eindeutig zu benennende Funktionen, zumal man die darüberstehenden Bauten meist nicht kennt und mangels schriftlicher Überlieferung keine Informationen über die ehemaligen Bewohner, ihren Status und ihre Berufe besitzt. Hilfreich wäre eine vollständige Kartierung und Datierung der in Grabungen aufgedeckten Holzkeller sowie eine Differenzierung der steinernen Kelleranlagen durch weitere bauhistorische Untersuchungen.

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Koppe / Metzler 1991. Müller 2009, 84–85. Befund 159 in Niemeyer 2006. Niemeyer 2006, 184. Müller 1997, 38–40, Befund 223.

Niemeyer 2006, 185–186. Niemeyer 2006, 185–186. Müller 1997, 38–42. Grabungsnummer UD 1994/24; Kossian 1996, 15–17. Befunde 9 und 21 in Biermann et al. 2014.

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11 Grabungsnummer UD 2010/51, Biermann et al. 2014, 226–229. 12 Müller 2018a. 13 Harder et al. 2019, 193–253. 14 Schenk 2009, 10–11. 15 Plate 1989; Schenk 2009, 135–142; Biermann / Schenk 2014. 16 Die zahlreichen und außergewöhnlich gut erschlossenen Grabungen aus dem Prenzlauer Stadtkern sind in erster Linie in Bezug auf die Stadtentwicklung ausgewertet worden. Wie ein Blick in den Gesamtbefundkatalog vermuten lässt, ließe sich aus dem Material vermutlich auch ein guter Überblick zu innerstädtischen Be­bau­ungs­ strukturen, Parzellen, Haupthäusern, Kellern und weiteren Bauten gewinnen (Schulz 2010, 202–334). 17 Müller 2000. 18 Harder et al. 2019. 19 Müller 2000; Müller 2006b; Legant 2010; Harder et al. 2019. 20 Harder et al. 2019, Beilage 1 bis 5. 21 Legant 2010, 145. 22 Cante 1994, 71–77; Heimann et al. 2007, 250–255. 23 Cante 1994, 250–252; Heimann et al. 2007, 297–299. 24 Cante 1994, 283–284. 25 Entgegen der bei Cante geäußerten Vermutung, es könne sich um das eingeschüttete Erdgeschoss eines Gebäudes handeln, zeigen die Profile der angrenzenden Erd­ schichten eindeutig, dass es sich immer um einen Keller­ raum gehandelt hat. Ein genaueres Aufmaß könnte klären, ob der Raum ganz oder nur teilweise eingetieft war. Abgesehen vom Kellerkataster gibt es von dem außerordentlich wichtigen Gebäude keine Aufnahmen, eine bauhistorische Untersuchung wäre dringend zu wünschen. 26 Holst 2006; Holst 2008. 27 Holzgedeckte Keller sind hingegen in Stralsund üblich; Brüggemann 2006. 28 Holst 1986, 95–100. 29 Müller 2018b. 30 Hoffmann 2010. 31 Schumann 2005. 32 Paul 1993. 33 Müller 2018a; Müller 2019b.

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Müller 2019b, 147–149. Paul 1994; Paul 2015; Rathert 2015. Müller / Wiesner 2014. Müller 2019a. Durchstecher 2011. Müller 2013. Z. B. besitzt das Haus Steinstraße 9, ehemals Gaststätte Kegler, einen großen, ursprünglich von der Straße begehbaren Kellerraum, der später um einen weiteren tonnengewölbten Kellerraum ergänzt wurde. Gleichzeitig wurden das Vorderhaus und ein geräumiges Brauhaus errichtet (Abb. 1, Nr. 17); Bartmann / Kindel 1998. Ähnlich auch der zweiräumige Keller aus der Grabung Plauer Straße 11/12, der eindeutig in Verbindung mit dem nachgewiesenen Brauhaus zu sehen ist (Abb. 1 Nr. 1); Niemeyer 2006, 195–197. Die Grabung unter Leitung von Wolfgang Niemeyer, Gra­ bungs­nr. 1995/30 erbrachte den Nachweis einer nicht unterkellerten Budenreihe bzw. eines Kaufhauses, das die westliche Häuserzeile Molkenmarkt mindestens der Haus­nummern 5–9 umfasste. An der östlichen Zeile reicht ein langgestreckter unterkellerter Kaufhausbau von der Parzelle Neustädtischer Markt 20 bis über das Haus mit der alten Hausnummer 15 hinaus. Müller 2006a, 96–98. Steinstraße 57 (Abb. 1 Nr. 18), Plauer Straße 11/12. Niemeyer 2006, 195–200. Koppe / Metzler 1991; Neustädtischer Markt 7, Cante 1994, 346–347. Z. B. Bäckerstraße 14. Etwa in der Bäckerstraße 25. Neustädtischer Markt 30, Bäckerstraße 25. Ritterstraße 98, Bäckerstraße 14, Plauer Straße 14, Große Münzenstraße 4. Hauptstraße 9, Sankt-Annen-Straße, Grabung 1998/7, Keller 1003, Altstädtisches Rathaus, Archivraum, Neu­ städtischer Markt 30 usw. Kroll 2006; Brüggemann 2002, 276–277; Scheftel 1988. Bauuntersuchung Andrea Sonnleitner, Grabungs-Nr. 2002/56. Tschirch 1928/29, 173–176.

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Abbildungsnachweis

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J. Müller, 2021, redaktionell bearbeitet. J. Müller, 2006. nach Kossian 1996, Übersichtsplan Phase 1. J. Müller, 2014. Grundriss nach Kellerkataster Koppe / Metzler 1991, Haupt­straße  9. 6 Holst 2008, 267. 7, 8, 13 J. Müller, 2018. M. Paul, 2015. 9 10 D. Rathert, 2014. J. Müller, 2007. 11 J. Müller, 2019. 12 14, 15 J. Müller, 2013. Farbtafel VI Jürgen Hohmuth / zeitort.de, 2007. Farbtafeln VII, IX, X J. Müller, 2021. Farbtafel VIII M. Paul, 1993.

Untersuchungsergebnisse zu den Kelleranlagen auf dem Bamberger Domberg

Roman Schöpplein

Der Bamberger Domberg oder auch die Dom­ burg (Farbtafel XI, 174) ist die bedeutendste Keimzelle, die zur Stadt­werdung Bambergs beitrug. Hier gründete Kaiser Heinrich II. 1007 das letzte ottonische Bistum auf Reichsboden. Der Ort trat bereits 902 in der Chronik Regino von Prüms im Zusammenhang mit der Babenberger Fehde ins Licht der Geschichte. Jedoch existierte das castrum babenberh in der franconia orientalis schon seit dem frühen 9. Jh.1 Archäologische Funde vor Ort weisen sogar bis in den Zeitraum des frühen 7. Jhs. zurück und lassen hier durchaus einen Zusammenhang mit der frühen fränkisch-merowingischen Ost­expansion sowie einer lokalen slawischen Bevölkerung erkennen.2 Für das 10. Jh. kann eine ottonische Reichsburg belegt werden. Nach erfolgter Gründung des Bistums und der Errichtung der notwendigen Bauten ließen sich die Kanoniker Heinrichs II., die sog. Georgs­brüder, zunächst in ihrem monasterium südlich des Kaiser­ doms nieder, lange bevor sie Kurien bezogen.3 Nicht abschließend zu beantworten war bislang die Frage, wann die Georgsbrüder ihr gemeinsames Leben zugunsten individueller Wohnungen aufgaben. Flankierend zu den wenigen historischen Nachrichten kann vielleicht die Bau­for­schung hierzu Klärendes beitragen, indem sie ihre Aufmerksamkeit auf die Domkurien und überhaupt auf die profanen Bauten richtet, die im Schatten der repräsentativen Großbauten liegen. War diesen Objekten zumindest in früherer Zeit in Publikationen zur Kunstgeschichte Bambergs4 immerhin noch Beachtung geschenkt worden, so wurde seit vielen Jahrzehnten kaum etwas zu diesen herausragenden

Gebäudekomplexen geschrieben. Die einzigen bedeutenden jüngeren Ausnahmen bilden die Aufsätze von Alexander Freiherr von Reitzenstein und Christian Dümler, die beide heute eine wichtige Quellen­sammlung in Bezug auf die Geschichte und Besitz­verhältnisse der Höfe darstellen.5 Aus bauforscherischer Sicht existieren lediglich zwei Aufsätze, über die Kurie St. Laurentius6 sowie über den Erthalshof7. Die durch den Verfasser begonnene Bauforschung in den Kurien St. Philippus und Jakobus I und II wird derzeit durch Mitarbeiter*innen und Student*innen der Universität Bamberg weitergeführt.8 Die Untersuchung der Kurie St. Elisabeth, in der sich ebenfalls, und dies im besonderen Maße, hochmittel­alterliche Gebäuderelikte erhalten haben, wird gegenwärtig vom Bamberger Büro für Bauforschung Kohnert bearbeitet. Zur Archäologie auf dem Domberg liegen zwar zahlreiche, jedoch nur wenige aussagekräftige Gra­ bungs­berichte vor. Die umfangreichste Kampagne war das Projekt »Babenburg« in den Jahren 1986– 92, dessen Ergebnisse nach Abschluss zusammen­ fassend publiziert wurden.9 Glücklicherweise erschien unlängst die Dissertation des Bamberger Stadt­archäo­logen Stefan Pfaffenberger, in der sämtliche wichtigen und aussagekräftigen archäologischen Befunde, vor allem auch des Dom­berges, zusam­men­gefasst sind.10 Ausschlaggebend für den relativ schlechten For­schungsstand ist ein auffallendes Übergewicht des Interesses an den repräsentativen Residenzund Sakralbauten, während den Profan­bauten, den Umwehrungen, der Infrastruktur und anderen strukturellen Aspekten bisher nur wenig Aufmerksamkeit

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geschenkt wurde. Seit kürzerem vorliegende Ar­bei­ ten über deutsche Dom­immunitäten, bei denen eine ganzheitliche Betrachtung der Struk­tu­ren im Vordergrund steht bzw. diese zumindest be­rück­ sich­tigt werden, geben die künftige For­schungs­ rich­tung auf dem Bamberger Domberg vor.11 In jüngeren Untersuchungen gilt das Interesse nun auch vermehrt der profanen Bebauung innerhalb der sedes episcopales. Die Rekonstruktion der langfristigen Ent­wick­ lung ist nach den ersten Prospektionen auf dem Bamberger Domberg nur an einigen Gebäuden darstellbar. Bei der überwiegenden Zahl der Anwesen wie auch bei einem Großteil des Berg­reliefs haben neuzeitliche Überformungen jeglichen For­schungs­ zugriff in Bezug auf das Mittelalter zunichtegemacht. Deshalb können die Untersuchungen der erhaltenen Keller einen zentralen sowie methodisch wichtigen Aspekt der geplanten Forschung darstellen. An ihnen soll versucht werden, die teils noch älteren Bebauungs­strukturen abzulesen, auch wenn sich über ihnen heute beispielsweise ein spätbarockes Gebäude mit abweichender Ausrichtung und Größe befindet. Ein Keller­kataster, das im Zusammenhang mit der Vorbereitung für die neuesten Bamberger Inventar­bände erstellt wird, soll nun eine Übersicht über diese Kelleranlagen ermöglichen. Die Kurien Bei Kuriengebäuden handelt es sich meist um kleinere Hofeinheiten, die den Domherren und ihren Bediensteten als Wohnstätten dienten. Die Kanoniker lebten zu Beginn in einer klösterlichen Gemeinschaft in dem südlich des Doms gelegenen Domkloster. Wohl um das Jahr 1200 begann eine Aufweichung bzw. ein allmählicher Auf­lö­sungs­ prozess ihrer vita communis. Dass dies besonders in Bamberg mit dem Dombrand von 1185, bei dem wohl auch das Domkloster beträchtlichen Schaden erlitt, zusammenhängt, ist zwar anzunehmen, aber derzeit nicht zu belegen. Abgesehen davon waren es wohl in erster Linie die hochrangigen Kanoniker, die

sich zunächst vom gemeinschaftlichen Klosterleben trennten und eine eigene Wohnung in diesen Hofstätten, den Kurien, nahmen. Den Quellen zufolge waren die ersten Bewohner von freistehenden Häusern auf dem Domberg Angehörige des bischöflichen Verwaltungsapparates, wie Ministeriale und andere Dienstleute der hofrechtlichen Haus­genossen­schaft, meist als familia bezeichnet, ehe die Grundstücke sukzessive überwiegend an Dom­herren übergingen.12 Neben wohlhabenden Kanonikern richteten sich auch immer wieder Bischöfe in den größeren Kurien ein bzw. ließen sich neue modernere und größere Bauten zum Teil auf zusammengelegten Grundstücken errichten. Hier sei vor allem auf die einstige »Neue Hofhaltung« an Stelle der heutigen »Neuen Residenz« verwiesen. Daneben existiert auf dem Bamberger Domberg mit dem Langheimer Hof auch ein Absteige­ quartier der Zisterziensermönche aus dem nahegelegenen Kloster Langheim13. Auch Wirtschaftsund Ver­sor­gungs­einrichtungen waren innerhalb der Domburg vertreten. Bis zum Abriss 1739 stand noch die Kapitel­schmiede am östlichsten Rand des Domplatzes; im Südosten an der südlichen Zufahrt befand sich die ehemalige Dompfisterei. Im Folgenden sollen einige Kurien beispielhaft vorgestellt werden, die innerhalb ihrer Bau­ substanz heute noch Strukturen aufweisen, die Rückschlüsse auf ältere Bauzustände zulassen. Da sich die Untersuchungen der Keller auf den gesamten Domberg bezogen, blieb aus Zeitmangel eine detaillierte Bauforschung der einzelnen Gebäude von Seiten des Verfassers außen vor. Die Keller sind oft vollflächig verputzt und mit rezenten Ein­ bauten versehen, was genaue Datierungen sowie Untersuchungen meist nicht zulässt. Zudem befinden sich die aufgehenden Mauerwerke innerhalb bewohnter Gebäude und können deshalb oft ebenso wenig mit einbezogen werden. Somit können Rekonstruktionen ehemaliger Zustände nur bedingt in Form von Grundrissen schematisch dargestellt werden. Zumindest liegt mit dem Zweidler-Plan eine relativ genaue Darstellung des Dom­berges in Schrägaufsicht aus der Zeit um 1600 vor (Abb. 1).

Untersuchungsergebnisse zu den Kelleranlagen auf dem Bamberger Domberg

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1  Der Domberg um 1600. Ausschnitt aus dem Stadtplan Petrus Zweidler mit Markierung der im Text behandelten Kurien.

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Auf diesem Plan sind teils noch die Gebäude in ihren älteren, meist hoch- und spät­mittel­alter­lichen Zuständen überliefert. Einige der vorhandenen, prospektierten Keller sind zum Teil mit den dort dargestellten Gebäuden kongruent. Neben dem Zweidler-Plan liegen für den Bamberger Domberg auch noch die berühmten, Wolfgang Katzheimer zugeschriebenen Aquarelle14 vor. Die Darstellungen aus der Zeit um 1480 bieten eine fast fotografische Sicht zumindest auf Ausschnitte des Dombergs, u. a. die Kurien­bebauung hinter der Dom­kirche und am nördlichen Dom­platz. Auch der »Apostel­ abschied« Katzheimers, das Epitaph für Barbara Tucher in St. Sebald in Nürnberg sowie einige weitere Hand­zeichnungen erlauben uns einen Blick auf den baulichen Zustand des Dombergs im ausgehenden Mittelalter.15 Neben diesen historischen Bildquellen helfen, wenn auch nur bedingt, schriftliche Quellen weiter, um die vorhandenen Strukturen der Bebauung innerhalb des Domberges vor allem in Bezug auf Erbauung, Neugestaltung sowie Besitzer und die jeweilige Nutzung der im Zuge der Prospektionen begangenen Keller zu erklären. Kurie St. Lambert, heute Domprobstei, Domstraße 5 (Nr. 1) Der heutige Bau entlang der südlichen Außen­ grenze der inneren Immunität ist ein im Auftrag des Domherrn Franz Friedrich Freiherr von Greiffenklau-Vollrath errichteter barocker Neubau aus dem Jahr 1706 (Abb. 2, Nr. 1).16 Durch die Pro­ spek­tion in den Kellern konnte festgestellt werden, dass dort ältere Baureste nach wie vor erhalten sind (Abb. 3, Nr. 1). Unter der östlichen Hälfte des barocken Anwesens liegen drei ehemals miteinander verbundene Kellerräume (im Plan -1.01, -1.02, -1.03). In der westlichen Hälfte des Gebäudes hingegen findet sich nur ein einzelner, sehr kleiner Kellerraum, der nur durch eine heute im Erdgeschoss befindliche Küche zugänglich ist. Dabei handelt es sich um einen kleinen Haus­ halts­keller (Abb. 3, Nr. 1, Raum -1.04).

Zu den drei besagten Kellern in der Osthälfte führen zwei unterschiedliche Zugänge. Ein Abgang führt vom heutigen barocken Treppenhaus des Hauptbaus hinab in den westlichen der drei Räume (-1.01). Anhand des angeschnittenen und teilweise offen liegenden Gewölbes ist dort zu erkennen, dass dieser nachträglich eingebrochen wurde und aufgrund seiner Lage wohl den barocken Umbaumaßnahmen zuzuordnen ist. Der andere Zugang führt mittels eines steilen Kellerhalses durch ein modernes Nebengebäude hinab in den östlichen der drei Räume (-1.03). Auch diese Situation ist nicht als bauzeitlich anzusehen. Der obertägige Bereich dieses Kellerhalses lag vor Errichtung des Nebengebäudes vermutlich einst im Hof des Anwesens. Häufig sind zwei Kellerzugänge vorzufinden, ein größerer von der Hofseite zum Beschicken des Kellers sowie ein kleiner vom Inneren des Gebäudes her. Die ersten beiden Räume von Osten aus betrachtet haben zumindest in ihrer Tiefe die gleiche Ausdehnung, jedoch ist der mittlere Raum (-1.02) deutlich kleiner. Der östliche Raum (-1.03) weist ein Tonnengewölbe in Nord-Süd-Richtung und der mittlere (-1.02) ein Gewölbe in Ost-West-Richtung auf. Zwischen beiden befindet sich ein heute zugemauerter Durchgang. Die Vermauerung ist Resultat veränderter Mietverhältnisse innerhalb des Anwesens. Der Zuliefereingang für die gesamte Kelleranlage könnte im Zuge des barocken Umbaus, eventuell aber auch etwas früher, angelegt worden sein. Die Verlegung der Kellerzugänge zur Straßenseite bzw. zu der Seite, an der sich der Keller leichter befüllen ließ, entspricht einer baulichen Entwicklung, die vielerorts in der Stadt beobachtet werden kann. Der westliche Raum (-1.01) allerdings besitzt eine auffallend größere Tiefe als die beiden östlich danebenliegenden Keller. Zudem liegt dessen Laufniveau deutlich höher. Von dort zum mittleren Raum führt eine Treppe mit acht Stufen, durch ein offensichtlich durchbrochenes Mauerwerk mit einer Mächtigkeit von immerhin 2,75 m. Die Tonne des Kellerraums (-1.01) ist Ost-West ausgerichtet. Alle drei Räume sind vollständig verputzt,

Untersuchungsergebnisse zu den Kelleranlagen auf dem Bamberger Domberg

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2  Randhausbebauung des Domberges von Süden, 2016. Der Weg im Hof der Kurie (1) markiert in etwa die ehemalige Parzellengrenze.

3  Schematische Darstellung der Keller in den Kurien St. Lambert (1) sowie St. Kunigunde (2).

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so dass keine Formate von Mauerquadern oder Ziegelsteinen aufgenommen werden konnten. Ebenso fehlen Erkenntnisse zu den Baufugen innerhalb der Keller­anlage. Lediglich im Bereich des eingebrochenen Keller­zugangs lassen sich vom Treppenhaus aus Natur­stein­quader und somit die Materialität des Gewölbes erkennen. Wie bereits erwähnt, befinden sich unterhalb der westlichen Hälfte des jüngeren Hauptbaus keine Kellerräume wie jene auf der bereits beschriebenen Seite. Hier liegt lediglich ein kleiner vom Küchenraum der Erdgeschosswohnung zugänglicher Keller (-1.04) vor, der als Vorratskeller (Kühl­ schrank) bezeichnet werden kann. In der Südwand befindet sich eine größere Nische. Ob es sich bei dieser möglicherweise um einen vermauerten Zugang handelt, lässt sich nicht bestimmen, da auch hier alle Wände verputzt sind. Vergleicht man nun die gewonnenen Er­kennt­ nisse mit den vorhandenen Schrift- und Bild­ quellen, ergeben sich interessante Rückschlüsse: Auf dem Plan Zweidlers (s. Abb. 1) sind entlang der Immunitätsmauer bzw. -grenze größere Stein­gebäude zu erkennen, deren Grundrisse als quadratisch und/oder rechteckig bezeichnet werden können. Die erkennbaren aufgehenden Strukturen (Biforien) deuten auf ältere steinerne Bauten (Kemenaten) hin. Vergleicht man die erhaltenen Keller mit dem Aufgehenden, wie es sich bei Zweidler darstellt, kann angenommen werden, dass sich mit den Kellern Reste jener mittelalterlichen, vermutlich sogar hochmittelalterlichen Gebäude im Untergrund erhalten haben. Aus den schriftlichen Quellen geht hervor, dass die östliche Hälfte des heutigen Hofes die eigentliche, bereits im 13. Jh. erwähnte curia retro monasterium in qua capella s. Lamberti, der westliche Teil jedoch der Sant michaels hoff war, in dem vier Vikare, die sog. Tagmesser, wohnhaft waren.17 Noch um 1555 ist diese Teilung in den Quellen nachzuvollziehen und bei Zweidler eindeutig zu erkennen. Offensichtlich befinden sich also unterhalb des barocken Anwesens die ehemaligen Keller

oder Untergeschosse der mittelalterlichen, randständigen, steinernen Bebauung des Domberges. Zudem ist noch die einstige Zwei­teilung des Hofes erkennbar, was wiederum Erkenntnisse bezüglich ehemaliger Parzellen­größen zulässt. Schriftliche Quellen und bauliche Relikte lassen den Schluss zu, dass die erhaltenen Keller zu den bei Zweidler dargestellten Gebäuden vor der Zusammenlegung der beiden Höfe und der Errichtung des barocken Neubaus gehörten. Kurie St. Kunigunde, heute Dompfarrhof, Domstraße 3 (Nr. 2) Etwas anders verhält es sich bei dem östlich anschließenden Hof St. Kunigunde (Abb. 2, Nr. 2). Diese gleichfalls im 13. Jh. als retro monasterium lokalisierte Kurie bestand ursprünglich ebenso aus zwei getrennten Höfen, der curia superior mit der capelle s. Marie und der curia inferior mit der capella s. Silvestri.18 Eine Zuordnung dieser beiden Kurien zu konkreten Gebäuden bzw. ihren erhaltenen Resten ist nur bedingt möglich. Wegen des Zuschnitts des Grundstücks ist es wahrscheinlich, dass die eine (die obere/superior) an der Grenze zum Tiergarten im Süden lag und die andere (die untere/inferior) straßenseitig im Norden an der Domstraße. Dies legen auch die Quellen nahe.19 Die Kurien waren wohl bei der Einrichtung der Vikarie im späten 14. Jh. bereits zusammengelegt.20 Die Kapelle mit dem Patrozinium St. Kunigunde, die dem Hof seinen heutigen Namen gab, wird 1387 zuerst erwähnt21 und wurde 141522 oder 142323 als So­li­tär­bau neu errichtet. Der lange Hauptbau, an der südlichen Außengrenze erbaut, stammt in seiner heutigen Form aus der Zeit um 1700.24 Im frühen 19. Jh. wurde der Bau erweitert, so dass die Kapelle heute zum Teil in das Gebäude integriert ist. Im Hof und zur Straßenseite hin, somit im Bereich der unteren Kurie, befindet sich heute ein modernes einstöckiges Gebäude, in dem sich jedoch noch ein historischer Kellerabgang

Untersuchungsergebnisse zu den Kelleranlagen auf dem Bamberger Domberg

erhalten hat (Abb. 3, Nr. 2). Steigt man den Keller­ hals hinab, liegt rechter Hand ein relativ großer Ge­ wöl­ be­ keller (-1.01). Linker Hand steht eine Mauer, deren Struktur sich deutlich von den anderen Keller­wänden unterscheidet, wobei die regelmäßigen Quader Zangenlöcher aufweisen. Dieser Teil (-1.02), der als eine Art Vorraum bezeichnet werden kann, besitzt eine Segment­tonne aus Ziegel und ist mittels eines großen Ent­las­tungs­ bogens vom Hauptraum (-1.01) abgetrennt. Es ist nicht auszuschließen, dass hier innerhalb des Kellers ein älterer Bauabschnitt bzw. ein älteres Bauteil erhalten blieb. Am Ende besagter Mauer liegt ein jüngerer, nachträglich eingebrochener Zugang zu einem kleineren, längs gerichteten, tonnen­gewölbten Kellerraum (-1.03). Dieser weist an seinem Ende einen zugesetzten, vielleicht renaissance­zeitlichen Kellerabgang auf, dessen Tür­gewände erhalten blieb. Dabei handelt es sich offensichtlich um einen ehemaligen Zugang zu einer gewendelten Kellertreppe. Es liegt womöglich auch hier eine größere hofseitige Erschließung zum Beschicken der Lagerräume sowie eine kleinere hausseitige vor. Eine Überlagerung der aufgenommenen Kellerräume mit dem Urkataster der Stadt Bamberg zeigt auf, dass um 1820/21 hier noch ein offensichtlich spätmittelalterliches/frühneuzeitliches Gebäude stand, zu dem die heute noch vorhandenen Keller einst gehörten. Dass es sich bei dem großen Keller um einen Lagerraum handelt, ist offensichtlich. Der kleinere, langgezogene Raum scheint jünger zu sein und fällt mit Umbaumaßnahmen zusammen, die heute nicht mehr rekonstruiert werden können, da im Aufgehenden keine Befunde erhalten blieben. Unter der oberen Kurie, mit welcher der Haupt­ bau entlang der Begrenzung zum Tiergarten identifiziert wird, liegen keine Kellerräume im eigentlichen Sinn vor. Ein kleiner Raum (-1.04) unter dem östlichen Teil der Kurie, welcher von Seiten des Treppenhauses wie auch von der Gartenseite her zugänglich ist, bildet zwar eine Art Keller, jedoch nicht im klassischen Sinn. Der Abgang innerhalb des Gebäudes, der Zugang zum Garten (moderne

Stahltür), die Strukturen und Mauerwerke im Inneren bilden einen »Flickenteppich« unterschiedlichster Befunde, die im Einzelnen auf Anhieb kaum zu klären sind, zudem ist dieser L-förmige und relativ kleine Raum mit einer modernen Beton­ decke versehen. Nach mündlichen Aussagen von Mitarbeitern des Pfarramtes soll dieser Kellerraum vor einigen Jahrzehnten vom ehemaligen Dom­ pfarrer in seiner Freizeit freigelegt worden sein. Es ist allerdings zu erkennen, dass hierbei ältere Baureste erhalten blieben, deren Zuordnung jedoch ohne intensive Untersuchungen nicht möglich ist. Der interessanteste Befund ist die östliche Außenmauer des Gebäudes, welche sich innerhalb des Kellerraumes befindet und deren Sand­stein­ quader offen liegen. Ob die erhaltenen Baubefunde in den derzeitigen Kellern der Hauptgebäude (obere Kurie) auf eine ältere Vorgängerbebauung hindeuten, bleibt offen. Jedoch sind die Keller der hofseitigen Bebauung (untere Kurie) eindeutig einem späteren Zeitpunkt zuzuordnen. Diese entstanden vermutlich im Zusammenhang mit den dortigen spätmittelalterlichen/frühneuzeitlichen Neubauten. Erthalshof, Domstraße 11 (Nr. 3) Etwas weiter im Westen, entlang der Südgrenze des Dombergs, liegt eine weitere Kurie, in der aussagekräftige Befunde vorliegen. Dieses im Vergleich zu den oben beschriebenen Höfen deutlich kleinere Anwesen ist der sog. Erthalshof. Es handelt sich dabei um einen kleinen Vierseithof mit Torbau, Wohn- und Nebengebäuden und einem Lauben­ gang. Diese Kurie weist heute noch in ihrer Gesamt­ heit einen frühneuzeitlichen Charakter auf, bei dem schon auf den ersten Blick verschiedene, zeitlich differenzierte Gebäudeteile (16.–18. Jh.) zu erkennen sind (Abb. 4). Zudem haben sich hier hoch­mittel­ alterliche Befunde erhalten, die eindeutige Rück­ schlüsse auf frühere Bebauungszustände zulassen. Auch hier liegt der Hauptbau entlang der baulichen Südgrenze des Domberges. Unter diesem

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4  Hofansicht des südlichen Hauptbaus des Erthalshofes, unter dem sich die Kellerräume befinden, 2020.

Gebäude befinden sich zwei unterschiedlichen Bauphasen zuzuordnende Kellerräume. Die hier durchlaufende, etwa 1,3–1,5 m mächtige Außen­ mauer wurde von Jan Fuhrmann als Dom­burg­ mauer interpretiert (Abb. 5).25 Der ältere der beiden Räume ist der östliche (-1.01), seine Ost- und Westwand stoßen stumpf gegen die umlaufende Burgmauer. Daraus kann ein Steinbau von 9 x 8,5 m Grundfläche rekonstruiert werden, dessen Mauern mit Steinquadern unterschiedlich großer Formate errichtet wurden und ins 12./13. Jh. zu datieren sind. Bereits bauzeitlich führten einige Stufen hinab in den Keller. Fehlende Kenntnis des hochmittelalterlichen Hofniveaus lässt eine Zuordnung als Voll- oder Halbkeller derzeit nicht zu. Das heute noch bestehende Dachwerk des Steinbaus stammt aus der Mitte des 14. Jh. Zu dieser

Zeit wurde gegen Westen ein Erweiterungsbau von 10 m Länge angegliedert, dessen Breite sich am Vorgängerbau orientierte und der ebenso bauzeitlich unterkellert wurde (-1.02). Anhand der annähernd zeitgleich errichteten Dachwerke ist zudem zu erkennen, dass es sich um zwei separate Gebäude handelte. Im frühen 15. Jh. wurde gegen Westen ein weiterer, dritter, jedoch nicht unterkellerter Baukörper angebaut. Der zunächst als Fachwerkbau konstruierte Anbau wurde bei einer größeren Umbauphase um 1500 »versteinert«. Der Ostkeller (-1.01) war zunächst mit einer Flachdecke versehen, deren Auflager noch rudimentär erhalten sind. Die Einwölbung des älteren Kellers steht wohl zeitlich eng mit der Errichtung des mittleren Gebäudeteils und dessen bauzeitlich überwölbtem Keller im Zusammenhang, was angesichts ähnlicher

Untersuchungsergebnisse zu den Kelleranlagen auf dem Bamberger Domberg

Ziegelformate rekonstruiert werden konnte. Es entstand hier also laut Bericht ein nahezu quadratisches Steinhaus des 12./13. Jh. als Kernbau entlang der Umwehrung der Domburg. Dieser Bau wurde dann in zwei Etappen erweitert und erhielt somit, wohl um 1500, sein heutiges, relativ einheitliches Aussehen: Ein Längsbau entlang der Südgrenze also, der jedoch im Unterschied zu den bereits vorgestellten Bauten noch heute deutlich erkennbar Einzelgebäude in sich integriert. Ein weiterer von Jan Fuhrmann dargelegter Befund im Erthalshof betrifft die östliche Be­gren­ zungs­mauer der Parzelle, die vom Torbau im Norden bis an die südliche Umfassungsmauer heranführt. Allerdings ist zu erkennen, dass zwischen der Grund­stücksmauer und dem älteren Steinbau eine Lücke gelassen wurde, was seinerzeit wohl folgerichtig als Ehgraben/Brandmauer interpretiert wurde. Jüngst konnte vom Verfasser bei einer Be­fun­ dung des Kellerraumes im Nordflügel dieses Hofes ein weiterer hochmittelalterlicher, annähernd quadratischer Steinbau rekonstruiert werden, dessen einstige Außengrenzen heute unter dem trapezoiden nördlichen Gebäudetrakt liegen. Kurie St. Philippus und Jakobus I, Obere Karolinenstraße 4 (Nr. 4) Eine weitere aufgrund ihrer Bausubstanz bedeutende Kurie liegt auf der Nordseite des Dombergs hinter der Neuen Residenz und der Domschule (Neubau 1882 und Erweiterung 1901)26 versteckt (Abb. 6, Nr. 4). Dabei handelt es sich um die Kurie St. Philippus und Jakobus I. Schon die Bezeichnung (I) lässt erahnen, dass auch dies eine mehrteilige Kurie war. Die eigentlichen Befunde liegen unter dem Haupt­bau entlang der Immunitätsmauer. Von deren Außenseite aus, also von Seiten des spätmittel­ alterlichen Zwingers, sind an diesem Längs­bau noch heute die Baufugen einzelner Gebäude gut erkennbar (s. Abb. 6, Nr. 4). Die Hofseite wurde in

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5  Grundriss der Kellerräume unter dem Hauptbau im Erthalshof.

der frühen Neuzeit vereinheitlicht. Eine ehemalige Bau­lücke kann im Bereich des heutigen Durch­ gangs und dem darin befindlichen Treppen­haus angenommen werden. Somit ergeben sich eine westliche und eine östliche Hälfte des Hauptbaus. Dendro­ chrono­ logische Beprobung und eine Untersuchung des Dachstuhls erbrachten, dass diese einst separaten Gebäude kurz nach 1300 mit einem einheitlichen Dachwerk überbaut worden waren.27 Östlich dieses zusammengefügten Haupt­ baus befindet sich ein weiteres, augen­scheinlich selbstständiges Gebäude mit Binnen­mauern, die heute zum Teil mit dem Hauptbau in Verbindung stehen, dessen Dachfirst jedoch deutlich niedriger ist (s. Abb. 6, Nr. 4). Darin ist ein weiterer kleiner Bau­körper integriert, welcher vermutlich einst Teil des ehemaligen, 1901 abgerissenen Seiten­trakts war (Abb. 7, Nr. 4). Der östliche Teil des Hauptgebäudes weist im unteren Bereich einen bauzeitlichen Halbkeller sowie einen darüber liegenden Raum auf, in dem noch Reste von Wandfassungen (Begleitstrich) gleicher Zeitstellung erhalten sind. Hier liegen wohl tatsächlich noch Räume aus dem 14./15. Jh. vor, die dank ihrer (Nicht-)Nutzung bis heute überdauert haben (Abb. 7). Innerhalb des Halbkellers gelangt man heute in zwei deutlich tieferliegende

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6  Der Domberg von Norden mit den Kurien St. Philippus und Jakobus I (4) und II (5) sowie dem deutlich hervortretenden Bau der Domschule, 2016.

7  Schematische Darstellung der Keller in den Kurien St. Philippus und Jakobus I (4) und II (5) (Domschule: 4a).

Untersuchungsergebnisse zu den Kelleranlagen auf dem Bamberger Domberg

8  Süd- und Westwand des hochmittelalterlichen Kellerraumes unter dem westlichsten Teil der Kurie St. Philippus und Jakobus I, 2017. In der Westwand die vermauerte Tür in Richtung Nachbarkurie.

Kellerräume (-2.01, -2.02). Deren Zugang erfolgte jedoch ursprünglich von Seiten des Hofes über einen Kellerhals. Die beiden relativ großen Kellerräume sind mit Tonnengewölben aus Sandstein in Nord-Süd-Richtung überwölbt und mit einem rundbogigen zweiflügeligen Durch­ gang miteinander verbunden. Der westliche kleinere Keller (-2.01) befindet sich noch unter der östlichen Hälfte des Hauptbaus, während der östliche größere Keller bereits unter dem jüngeren, östlich daran anschließenden niedrigeren Gebäude liegt. Hier bildet der natürliche Fels sowohl den Fußboden wie auch in Teilen die unterste Lage der Um­fas­sungs­wände. Diese Räume wurden vermutlich im Spätmittelalter oder der beginnenden Neuzeit nachträglich unter die Gebäude eingetieft. Sie könnten jedoch auch während der Erbauung des jüngeren östlichen Gebäudes

angelegt worden sein. Womöglich besteht hier ein Zusammen­hang mit Umbauten sowie der Ver­ein­ heit­lichung der Fassade des Innenhofes, die wohl ins 16./17. Jh. fällt.28 Unter der westlichen Hälfte befinden sich zwei weitere Kellerräume, die heute von der Hof­ seite zu­gänglich sind (-1.03, -1.04). Der relativ steile Keller­abgang, aber auch die darüber liegende Decke aus Spann­beton entstammen jüngeren Um­bau­maßnahmen. Beide Räume besitzen einen nahezu quadratischen Grund­riss. Im ersten Raum mit dem Abgang und der modernen Decken­ platte (-1.03) deutet nichts auf die ursprüngliche Deckenkonstruktion hin. Gegen Westen betritt man durch einen rund­bogigen Durchgang und drei hinab­führende Stufen einen weiteren, etwas tiefer­liegen­den Raum (-1.04). Dieser in Ost-WestRichtung überwölbte Raum weist an seinem

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westlichen Ende einen zugemauerten Durchgang auf, der einst wohl zur nebenliegenden Kurie St. Philippus und Jakobus II führte (Abb. 8). Dieser Durchgang bzw. seine Vermauerung könnte mit der Teilung des Kurien­hofes im 14. Jh. zusammenhängen.29 Bei diesem Bau ziehen noch die Mauerwerke der Keller bis in die aufgehenden Bereiche hinauf. Auf Seiten des Zwingers ist zu erkennen, dass sich über dem westlichen Kellerraum im ersten Obergeschoss ein kleines schlichtes Biforium (Zeitstellung ungewiss) und über dem östlichen Kellerraum im gleichen Geschoss ein gotisches, vermutlich bauzeitliches Steinkreuzfenster befinden. Es ist nicht auszuschließen, dass beide Keller einst zu zwei unterschiedlichen kleineren Gebäuden zählten. Es könnte sich auch um eine frühe Erweiterung des einen Baus durch den anderen handeln.30 Diese Befund­lage weist Ähnlichkeiten mit der Entwicklung im Erthalshof auf. Auch hier lassen also die untersuchten Keller, vor allem im westlichen Bereich, Rückschlüsse auf die einstige Bebauung zu, die wie bei den oben beschriebenen Gebäuden auf der südlichen Seite des Domberges quadratische und kleine längsrechteckige Grundrisse aufwies, welche anschließend zu einem größeren Längsbau zusammengefasst wurden. Die durchlaufende Außen­mauer könnte auch hier Teil der ehemaligen Immunitäts­mauer sein. Kurie St. Philippus und Jakobus II, Obere Karolinenstraße 6 (Nr. 5) Die benachbarte Kurie besteht in erster Linie aus kleineren randständigen Gebäuden zu den Nach­bar­grundstücken sowie zur Straßenseite hin (Abb. 6, Nr. 5). Ein entlang der Dom­burg­um­weh­ rung verlaufendes Gebäude, wie bei den meisten Anlagen, fehlt hier. Jedoch lassen erhaltene bauliche Reste und die Darstellung bei Zweidler vermuten, dass ein solches einst existierte (s. Abb. 1, Nr. 5). Die Kurie brannte wohl um 1400 zum Teil ab,31 wurde dann 1531 zum größten Teil neu errichtet32 und etwa 100 Jahre später erweitert.33

In dieser Kurie, die aus separaten Gebäuden besteht, befinden sich mehrere kleinere Keller (s. Abb. 7, Nr. 5). Die jüngsten Gebäude liegen entlang der Straßen­seite zur Karolinenstraße. Unter diesen befinden sich lediglich zwei kleine, relativ quadratische Vorrats­räume (-1.06, -1.05). Beide Kellerräume scheinen älteren Bebauungsphasen anzugehören. Die Erschließung erfolgt heute von der Hofseite durch nachträglich eingebrochene Zugänge. In der Ostwand des kleinen östlichen Raumes (-1.05) steht ein rundbogiges Türgewände aus Sandstein, das zu einem wiederum vermauerten Gang führt. Auch der westliche der beiden kleinen Keller (-1.06) besitzt sowohl in der West- wie auch Ostwand je ein vermauertes Türgewände. Das Ziegel­gewölbe wurde nachträglich eingebracht. Beide Räume bestehen teils aus Sand­ stein­quadern, teils aus Ziegel­mauerwerk. Auch wenn diese Keller deutlich jünger sind, ist nicht auszuschließen, dass Partien der unteren Sand­ stein­quader­lagen auf ältere Bauzustände zurück­ gehen. Auffällig sind die vermauerten Durch­lässe, die auf weitere Räume oder ältere Zugänge hinweisen. Interessanterweise haben sich innerhalb dieser Kurie ein weiterer Gang sowie eine weitere vermauerte Tür erhalten. In dem freistehenden, relativ quadratischen Gebäude, das an der Grenze zur Nachbarkurie St. Philippus und Jakobus I steht (s. Abb. 6), befindet sich ein Keller, der anhand seiner Größe und Lage vermutlich bauzeitlich zu dem darüber liegenden Gebäude gehört (-1.04). Dieser Keller wurde einst mit einem Mittelstützengewölbe versehen, welches als bauzeitlich zu interpretieren und stilistisch in das 16. Jh. zu datieren ist. Auch der Zugang zu diesem Keller ist stark verändert und lag wohl einst nicht an seiner heutigen Stelle. Der Abgang befindet sich derzeit in einem kleineren Nebengebäude am östlichen Grundstücksrand. Auf der gegenüberliegenden Seite, am West­ rand des Grundstückes, befindet sich ein weiterer mehrteiliger Keller (-1.03, -1.02, -1.01). Der Raum, der heute ein barockes Gartensalettl34 (vermutlich um 1760 von Johann Jakob Michael Küchel erbaut)

Untersuchungsergebnisse zu den Kelleranlagen auf dem Bamberger Domberg

9  Kellerraum unter dem Gartensalettl in der Kurie St. Philippus und Jakobus II, 2016. In der Nordwand der Durchgang zum kleinen Keller im Turmbau.

unter­kellert (-1.01), stellt ebenfalls einen größeren Lager­keller dar. Die Wände sind aus sauber gearbeiteten, relativ gleichformatigen Steinquadern mit Zangen­löchern erbaut. Diese Wände sind im Vergleich zu denen in den anderen Kellern außergewöhnlich sauber gearbeitet und akkurat versetzt, so dass man auf den ersten Blick nicht von einem herkömmlichen Kellerraum ausgehen möchte (Abb. 9). Die Ost-West gerichtete Tonne ist aus Ziegel­steinen erbaut. Bereits der Abgang zum Keller, der von einer Garage (ehem. Stallung?), also von außerhalb des festen Gebäudes von Süden herabführt, wurde ebenfalls mit sauber bearbeiteten Quader­steinen errichtet. Diese Quadermauern weisen auf ein älteres, darüber liegendes, heute nicht mehr vorhandenes Gebäude hin. Am nördlichen Ende des Keller­raumes führt durch eine ebenfalls rundbogige Tür ein tonnengewölbter Gang (-1.02) in einen weiteren kleinen Keller (-1.03). Dieser steht im Zusammenhang mit einem kleinen Turm, der heute zwar mit neuzeitlichen Aufbauten

versehen, aber bereits bei Zweidler zu erkennen ist (s. Abb. 1, Nr. 5). Zudem liegt hier ein ungewöhnlicher und am Domberg einzigartiger Befund innerhalb des Raumes vor. Mittig im Boden führt eine halbgewendelte Treppe aus Sandstein etwa 2 m hinab und endet dort abrupt. Auf der Sohle befindet sich lediglich ein kleiner quadratischer Abfluss. Der Befund, der wie ein kleiner Brunnen mit Treppen­anlage anmutet, stellt nach Meinung des Verfassers einen neuzeitlichen, nachträglich eingebrachten kleinen Eiskeller dar. Vergleicht man die Keller mit dem Auf­ge­ hen­den, stellt sich die Frage, wie das Gebäude gestaltet war, zu dem dieser relativ große Keller gehörte. Das auf dem Plan Zweidlers an dieser Stelle stehende turm­ähnliche Steinhaus mit außen­liegender Treppen­spindel (s. Abb. 1, Nr. 5) scheint im Zusammenhang mit diesem herausragenden Keller zu stehen. Die an­nähernd quadratische Grund­fläche von gut 6 m Sei­ten­länge würde dies durchaus untermauern. Zudem sind die

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bei Zweidler im Hof erkennbaren Mauern heute noch erhalten. Dabei handelt es sich um eine innere mit Tür, welche vielleicht zu dem ab­ge­brann­ ten Gebäude gehörte, sowie eine weitere, äußere, die mittig auf das Turmhaus zuläuft und in ihrem Verlauf mit der inneren Um­fassungs­mauer des Domberges (Immunitäts­mauer) identisch sein sollte. Der danebenliegende kleinere Raum steht mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit im Zusammen­ hang mit dem kleinen älteren Turmbau an der Zwinger­mauer. Die beiden Kurien St. Philippus und Jakobus I und II geben vor allem bezüglich ihrer Zugehörigkeit und Patrozinien einige Rätsel auf. Die Geschichte

der Besitzer beginnt kurz nach 1200, allerdings werden neben vielen Eigentümern auch verschiedene Patrozinien erwähnt, wie St. Gallus, St. Katharina, St.  Pantaleon, ehe erst um 1400 die Kapelle St. Philippus und Jakobus genannt wird.35 Dies fällt verwirrenderweise etwa in die Zeit der Teilung des Grundstücks in zwei separate Kurien, weshalb auch die derzeitige Bezeichnung etwas irre­führend erscheint. Bauliche Rückschlüsse auf das hohe Mittelalter können somit zwar in größerem Umfang auf St. Philippus und Jakobus I, jedoch nur in kleinerem Maße für die Kurie St. Philippus und Jakobus II gezogen werden.

10  Süd-Ost-Ecke des Domberges, 2016. Im Vordergrund die Kurie St. Laurentius mit der Apsis der namensgebenden Kapelle (7). Daneben die Kurien St. Sebastian und St. Hippolyt (6).

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Untersuchungsergebnisse zu den Kelleranlagen auf dem Bamberger Domberg

Kurie St. Hippolyt, Domplatz 1 (Nr. 6) Die Kurie St. Hippolyt liegt direkt am östlichen Aufgang von der Stadt zum Domberg als erste Kurie am Platz, der Neuen Residenz gegenüber. Direkt daneben, oder vielleicht sogar noch zum Teil in das Gebäude integriert, stand bis zu seinem Abriss 1738 das Untere Burgtor der Domburg (s. Abb. 1, Nr. 6).36 Dieses war der Hauptzugang von und zur Stadt. Innerhalb des Torturmes lag in dessen erstem Obergeschoss auch die namensgebende Kapelle St. Hippolyt. Die Kurie war bereits um 1200 im Besitz des Domkapitels.37 Das Gebäude stellt heute eine dreiflügelige, mehr­geschossige, barocke Anlage dar (Abb. 10, Nr. 6), die 1739 durch Michael Küchel vermutlich nach Plänen Balthasar Neumanns errichtet wurde (letzte Umbauten 1770). Die Nachbarkurie St. Sebastian bildete einst gemeinsam mit der Kurie St. Hippolyt eine Einheit als »Großkurie«. An eben dieser Stelle der beiden heutigen Kurien ließ sich ab 1538 der Domherr Kaspar von Berg durch den Bamberger Baumeister Peter Dauth einen respektablen Renaissance­bau errichten. Dieser Bau muss so fortschrittlich und repräsentativ gewesen sein, dass 1547 sogar Kaiser Karl V38 und 1553/56 Mark­graf Albrecht Alcibiades39 hier ihr Quartier nahmen. 1738 wurde angeblich die gesamte aufgehende Bebauung dieses Komplexes niedergelegt.40 Unter dem Anwesen haben sich insgesamt vier bzw. je zwei zusammenhängende Kellerräume erhalten, von denen sich die eine Raumfolge unter dem westlichen Flügel zum Dom­platz hin befindet. Die beiden anderen Räume liegen unter dem östlichen Flügel entlang der Karolinen­straße, wobei diese sich lediglich unter der straßenseitigen Hälfte erstrecken und einst wohl auch nur von dort aus erschlossen waren. Der große Keller unter dem Westflügel ist vom heutigen Treppenhaus aus zugänglich. Der Zugang ist nicht bauzeitlich. Durch ihn gelangt man zunächst in den vermutlich älteren, nördlichen Bereich des Raumes. Die Mauern sind aus Steinen

11  Westliche Außenwand des westlichen Kellerraumes in St. Hippolyt, 2016. Die untersten 60 cm der Wand bestehen aus abgearbeitetem, anstehendem Sandsteinfelsen.

relativ großen Formats errichtet. Würde man über diesen Keller ein turmartiges Gebäude rekonstruieren, hätte dieses eine innere Grundfläche von etwa 6 x 9 m gehabt. Südlich daran schließt sich ein nachträglich angebauter Kellerraum bzw. -bereich an. Beide Räume wurden wohl in zwei Etappen mit Ziegelgewölben versehen. Ein Baubefund in der Südwand lässt auf eine ehemalige Flachdecke schließen. Die Außenwände stehen auch hier alle auf dem anstehenden Sandsteinfelsen (Abb. 11). Laut Archivalien ist der Keller unter dem West­ flügel ein Einbau des späten 18. Jhs. (vielleicht dem Umbau von 1770 zuzuordnen),41 allerdings sollte lediglich die Einwölbung jener Bauphase zugeschrieben werden. Der nördliche Bereich scheint aufgrund unterschiedlicher Ziegel- und Stein­formate

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sowie des »trennenden« Ent­las­tungs­bo­gens älteren Datums zu sein. Die Kellerräume unter dem östlichen Ge­bäu­ de­teil sind heute von der Hofseite her zugänglich. Dieser Zugang wurde aber ganz offensichtlich erst in jüngerer Zeit angelegt – er durchbricht die Außen­wand von annähernd 2 m Stärke sowie eine weitere innenliegende Trenn­wand. Dadurch entstand im Zu­gangs­bereich ein zusätzlicher kleiner Keller­raum, der deutlich höher als die beiden folgenden liegt. Er wird in Ost-West-Richtung von einer Ziegel­tonne überdeckt. Auf einer älteren Fotografie42 (Abb. 12) ist zu sehen, dass bei Re­stau­rie­rungs­arbeiten straßenseitig ein Zugang freigelegt wurde, von dem im Innern des Raumes allerdings keine Befunde erhalten geblieben sind.

12  Der 1965 bei Bauarbeiten freigelegte ehemalige straßenseitige Zugang zwischen den ersten beiden nördlichen barocken Kellerfenstern.

Die beiden straßenseitigen Räume liegen nebeneinander und sind mit einem rundbogigen Durch­ gang verbunden. Dieser Keller besitzt ebenfalls eine Ziegel­tonne in Ost-West-Ausrichtung. Eine Besonderheit bilden die Stein­quader in der nördlichen Seitenwand dieses Raumes. Bei diesen handelt es sich um kleine, grob zugehauene Steine mit 15–25 cm Seitenlänge, sog. Hand­quader (Abb. 13). Diese Wand steht an der Seite des nichtunterkellerten Teils der Kurie. Dabei könnte es sich tatsächlich um einen sehr alten Gebäude­rest (eventuell Relikt einer früheren Grund­mauer) handeln, der unweit des Unteren Tores stand. Geht man durch die rundbogige Tür in den letzten Raum, ist zu erkennen, dass hier ein deutlich anderes Mauerwerk anzutreffen ist als in dem nördlichen Raum. Die Wände bestehen aus sauber gearbeiteten Quadern. In dieses Mauerwerk ist auch besagter Rundbogen integriert. Hier wurde der Raum mit einer Nord-Süd orientierten Ziegeltonne eingewölbt. Am südlichen Ende dieses Raumes befindet sich eine Querwand mit kleiner Revisionsöffnung, durch die ein modernes Leitungsrohr führt. Dahinter liegt ein ca. 70 cm breiter schachtartiger Raum, der ebenfalls mit einer Ziegeltonne überwölbt ist (Abb. 14) und eine Öffnung in das darüber liegende Erdgeschoss aufweist. Ob es sich hier um einen alten Kellerzugang handelt oder um den Ehgraben zwischen den beiden Anwesen, bleibt zurzeit noch offen. Auch wenn hier interessante mittelalterliche Kellerbefunde vorliegen, sind konkrete Rück­ schlüsse auf die frühere Bebauung kaum möglich. Kurie St. Laurentius, Domplatz 3 (Nr. 7) Südlich der eben beschriebenen Anwesen liegt eine weitere interessante Kurie mit mittelalterlichen Befunden. Die Kurie St. Laurentius bildet mit ihrem Grundstück die Süd-Ost-Ecke der Domburg. Der relativ niedrig gelegene Sporn zieht sich hier in den Bereich der bürgerlichen Bergstadt hinein. Die Kurie selbst – wenn auch vom Grundstück her nicht eine der größten – ähnelt in ihrer heutigen Gestalt

Untersuchungsergebnisse zu den Kelleranlagen auf dem Bamberger Domberg

13  Verbaute Handquader in der Nordwand des nordöstlichen Kellerraumes der Kurie St. Hippolyt, 2020.

einer kleinen Burganlage. Diesen Charakter erhielt die bereits im frühen 13.  Jh. erwähnte Anlage43 jedoch erst in der Renaissancezeit (1605).44 Der heute im Hof gelegene Hauptbau ist ein historisierendes Gebäude aus dem Jahr 1903. Der eigentliche pallasartige Hauptbau, der noch bei Zweidler zu erkennen ist (s. Abb. 1, Nr. 7), existiert leider nicht mehr. Das bedeutendste erhaltene mittelalterliche Relikt ist die kleine namensgebende Kapelle St. Laurentius bzw. deren noch erhaltene Apsis aus der Zeit um 1200 (s. Abb. 10, Nr. 7). Unterhalb des spätmittelalterlichen Nebengebäudes, entlang der alten, südlichen, heute noch größtenteils erhaltenen Burgmauer, liegt ein kleiner tonnengewölbter

14  Schacht (eventuell Ehgraben) zwischen den Kurien St. Hippolyt und St. Sebastian, Blick Richtung Osten, 2016.

Kellerraum, der als bauzeitlich (15./16. Jh.) einzustufen ist.45 Hinter dem modernen Hauptbau des frühen 20. Jh. erstreckt sich der renaissancezeitliche Kapellenbau, unter dem sich westlich der Kapelle die mittelalterlichen Keller einer Vorgängerbebauung erhalten haben (Abb. 15). Der Keller besteht aus einem Hauptraum (-1.01) und einem kleinen, engen, östlich daran anschließenden Nebenraum (-1.02). Über dem nichtunterkellerten Bereich steht die Laurentius-Kapelle. Im Mauerwerk beider Kellerräume liegen Lichtnischen, die anzeigen, dass hier trotz der merkwürdigen Form einst ein einheitliches Untergeschoss um die Kapelle herum errichtet wurde. In diesem sind

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mehrere Bauphasen erkennbar. Die Nordwand (in -1.01), aus großen Quadern errichtet, zieht an allen Quermauern vorbei. Diese Mauer nutzt den anstehenden Sandsteinfelsen als Fundament und Wandsockel. An der gegenüberliegenden Wand, der Südseite, liegen zwei Mauern unterschiedlicher Zeitstellung hintereinander. Ein rundbogiger Durchgang zu dem kleinen Nebenkeller (-1.02) wurde nachträglich eingebaut, was anhand der offenliegenden Mauerwerke gut abzulesen ist. Die heutige Außenwand am östlichen Ende (von -1.02) wurde nachträglich vorgeblendet. Die abgeschlagenen Läufer sind noch in der Baunaht gut zu erkennen. Merkwürdig ist jedoch, dass die Außenwand mit der Chorwand der Kapelle augenscheinlich in baulichen Verband steht. Die offenliegenden Mauerwerke, und zwar gerade die des Nebenraumes, deuten anhand ihrer Größe und Versetztechnik (regelmäßiges Schicht­

mauerwerk mit unterschiedlichen Höhen in den einzelnen Lagen) auf ein romanisches Mauer­werk (Abb. 16). Auch die teilweise erhaltenen Fugen­ striche (pietra rasa) sowie die Be­ar­bei­tungs­technik (Zurichtung mit Steinbeil, Glattfläche) unterstreichen diese Annahme. Innerhalb des kleinen Seitenraumes wurde in jüngerer Zeit über die gesamte Länge des Raums ein Eiskeller um 4,5 m eingetieft und mit Mauerwerk unterfangen (s. Abb. 16). Unterschiedliche Balken­ löcher und dazugehörige Schleifzapfennuten sind Relikte einer Konstruktion zur Beschickung des Eis­ kellers. Am Abgang vom Hof zum Hauptraum ist zu erkennen, dass das Außenniveau hofseitig um mindestens 1 m angehoben wurde, wodurch die Keller­treppe nachträglich verlängert werden musste.46 Die Erhöhung des Niveaus im Innenhof kann auch an den Konsolsteinen des einstigen Wehr­ gangs abgelesen werden. Ursprünglich führten

15  Grundriss der Keller in der Kurie St. Laurentius (7).

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EG Kapellenraum

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au

er

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Bu

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lediglich fünf Stufen in den Keller hinab, der damit einem für das Hoch­mittelalter zeittypischen Halb­ keller entspräche. Da dieser Keller quasi neben bzw. um die Kapelle herum angeordnet und durchaus als hoch­ mittel­alterlich einzustufen ist, stellt sich die Frage, ob die Kapelle zunächst freistand oder ob bereits in früher Zeit ein größeres Gebäude mit Kapelle als Annex­bau existierte. Resümee Trotz der großen baulichen Verluste, die der Dom­ berg im 18. und 19. Jh. erfuhr, sowie der dem jeweiligen Zeitgeist entsprechenden Um- und Neu­ gestaltungen der einzelnen Kurienbauten blieben dennoch einige hoch- und spätmittelalterliche Bau­befunde erhalten. Es sind immer noch kleine Ausschnitte und Muster im Baugefüge wie Mauer­ werks­arten, Versetztechniken, Oberflächen, Ziegel­ stein­formate, Grundrisse, etc. ablesbar. Diese lassen zwar Rückschlüsse auf einstige Bebauungszustände zu, die sich jedoch meist nicht eindeutig einem bestimmten Jahrhundert zuordnen lassen. Mittels der strukturierten Untersuchung der Keller sind zwar die Kubaturen älterer Gebäude zu erschließen, wobei die Geschosszahl und die Form der Dächer jedoch außen vor bleiben müssen. Nur mit Zweidlers Darstellung der Domburg um 1600 sowie den erhaltenen spätmittelalterlichen Aquarellen stehen für diese oberirdischen Bereiche bildliche Quellen zur Verfügung. Die meisten Keller gründen, was kaum verwundert, direkt auf dem anstehenden Felsen. Die Keller­böden wurden auf ein einheitliches Niveau relativ plan gearbeitet. Zudem ist fast überall zu erkennen, dass die Außenwände im Felsen mit angelegt wurden und dieser somit zum Teil, meist nicht durchgehend, je nach Beschaffenheit des Felsens, den Sockel sowie die Fundamentierung der Wand bildet. In fast allen Kellern ist eine nachträgliche Auf­weitung der jeweiligen Kellerdurchgänge zu

16  Kellerraum in der Kurie St. Laurentius. Das hochmittelalterliche Mauer­werk sowie der nachträglich eingetiefte Eiskeller, Blick Richtung Osten, 2013.

beobachten. Die Türgewände wurden seitlich bogig abgearbeitet, was wohl zur Beschickung mit größeren Fässern notwendig war und vermutlich ab dem 18. Jh. einsetzte. Es ist zudem zu erkennen, dass die älteren Keller alle nachträglich eingewölbt wurden. Die in einigen Kellern vorgefundenen hochund spätmittelalterlichen Reste lassen zumindest Rückschlüsse auf die Grundform der Gebäude zu. Die aufgenommenen, meist relativ kleinen, quadratischen oder rechteckigen Grundrisse sind

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typisch für den frühen steinernen Hausbau des Hochmittelalters. Eine an mehreren Stellen nachweisbare Niveauanhebung des Areals, meist zwischen 0,5 und 1 m, lässt die Vermutung zu, dass es sich bei einigen frühen Kellern anfangs um sog. Halbkeller handelte (St. Philippus und Jakobus I, St. Laurentius). In anderen Fällen kann aufgrund der Tiefe eindeutig von einem Keller gesprochen werden. Die Keller wurden meist direkt in die Hangkante gebaut, so dass diese Räume eine Art Souterrain-Geschoss darstellen. Die nachträglich angelegten Türen an den Kelleraußenseiten führen heute, gerade auf der Südseite des Dombergs, direkt auf die davorliegenden Gärten, die anstelle des ehemaligen Tiergartens angelegt wurden. Gleichermaßen verhält es sich auf der Ostseite an der Karolinenstraße, wo noch heute, außer bei der Kurie St. Hippolyt, straßenseitig Kellerzugänge liegen (St. Sebastian). Bei der Anlage der Keller in die Hangkante hinein stellt sich die Frage nach der eigentlichen Immunitätsgrenze respektive -mauer. Wurden die Gebäude außerhalb des eigentlichen Plateaus erbaut, um die Gesamtfläche zu vergrößern? Oder arbeitete man sich sukzessive durch den anstehenden Hang? Die eigentlichen hochmittelalterlichen Gebäude besaßen wohl zum überwiegenden Teil zunächst keine Keller. Das ist nicht ungewöhnlich für den frühen Steinbau des Mittelalters.

Die größeren der erhaltenen Gewölbekeller stammen meist aus dem ausgehenden Spätmittelalter und der beginnenden Neuzeit. Auch ist zu erkennen, dass die älteren erhaltenen Keller nachträglich eingewölbt wurden und demnach wohl zunächst Flachdecken besaßen, was wiederum typisch für frühe Steinbauten ist. Bauzeitliche Gewölbe besitzen lediglich die jüngeren frühneuzeitlichen Keller, deren lichte Höhe die der nachträglich eingewölbten, eher flachen/gedrungenen Decken deutlich übersteigt. Die Methode der Kelleruntersuchungen inner­ halb rezenter Gebäude mit dem Ziel, Rück­schlüsse auf ehemalige, womöglich mittelalterliche Be­bau­ ung zu ziehen, ist, wie die durchgeführten Prospektionen erbracht haben, tatsächlich nur eingeschränkt erfolgversprechend. Es besteht jedoch die berechtigte Hoffnung, dass die Ergebnisse durch weitere Bauforschung an den aufgehenden Bauten untermauert und vervollständigt werden können.47 Im Zuge der Inventarisierung werden schon derzeit und in naher Zukunft die einzelnen Kurien durch unterschiedliche Bauforscher bearbeitet. Es kann mit Spannung erwartet werden, welche neuen Erkenntnisse dann in den letzten Teilband zum Bamberger Domberg über diese herausragenden, jedoch so oft »vernachlässigten« Gebäude einfließen werden.

nlass für die laufenden Untersuchungen der Keller auf dem A Bamberger Domberg war die bevorstehende Inventarisierung des Domberges durch das Bayerische Landesamt für Denk­ mal­pflege unter Mitwirkung der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Die Ergebnisse werden im Band Die Kunstdenkmäler von Bayern, Regierungsbezirk Franken IV, Stadt Bamberg Bd. 2, Domberg 3. Drittelsband Domburg und Domherrenhöfe veröffentlicht. Der Bereich der Bauforschung wird seitens der Universität von Prof. Dr.-Ing. Stefan Breitling geleitet. Zur Vorbereitung der letzten beiden Teilbände für den Domberg konnte der Verfasser 2016 mittels einer damaligen Anstellung an der Universität Bamberg mit den ersten Surveys und Prospektionen in den Kellern der Kurienhöfe beginnen. Dies geschah zunächst vor allem um festzustellen, ob und inwieweit mittel­alter­liche

Bausubstanz erhalten ist und wie weit diese Rück­schlüs­se auf die einstige Bebauungsstruktur zulässt. Die Erhebung der Informationen galt primär der In­ven­ta­ ri­sie­rung, sekundär jedoch einer vom Verfasser angestrebten Dissertation zum Thema der baulichen und strukturellen Entwicklung des Domberges im Hochmittelalter. Zu Beginn der Arbeiten sowie zum Zeitpunkt der Tagung 2018 war es noch ungewiss, ob ein Katasterplan erstellt werden soll, bzw. in welchem Maße explizit die Kellerforschung dort zu berücksichtigen ist. 1 Vgl. hierzu Zimmermann 2002, 25–27. 2 Zeune 2003, 465. 3 Kohlhagen 1907, 14. 4 Vgl. hierzu u. a. Leitschuh 1914, Schuster 1918, Ament 1929, Teufel 1944, Mayer 1955 sowie Dehio 1979.

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Reitzenstein 1988, Dümler 2000. Arnold / Kiel 2012. Fuhrmann 2014. Die Bearbeitung beider Kurien innerhalb des Inventars obliegt der Leitung durch Prof. Dr.-Ing. Stefan Breitling. Henning 1993. Pfaffenberger 2020. Vgl. hierzu Wilschewski 2007, Herdick 2015 u. a. Vgl. hierzu Reitzenstein 1988, 65, 96, 78 sowie Herzog 1964, 179. Zunächst war der Hof für die Zisterziensermönche der Klöster Ebrach, Langheim und Heilsbronn bestimmt. Vgl. hierzu Reitzenstein 1988, 49–50. Heute im Besitz des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Vgl. hierzu ausführlich Imhof 1989. Mayer 1955, 126–127. Reitzenstein 1988, 69–70. Vgl. hierzu Reitzenstein 1988, 66–68. »… die untere an der Domgasse und die obere an/über der Burgmauer gelegen.« Reitzenstein 1988, 67. Guttenberg / Wendehorst 1966, 70. Reitzenstein 1988, 66–68. Mayer 1955, 126. Ament 1929, 39. Mayer 1955, 126. Den im Folgenden aufgeführten Befunden und Inter­pre­ ta­tionen liegt der Aufsatz von Jan Fuhrmann zu Grunde. Vgl. hierzu ausführlich Fuhrmann 2014. Mayer 1955, 132. Die Ergebnisse der Befundung durch Dr.-Ing. Dipl.-Holz­wirt Thomas Eißing (Universität Bamberg) wurden im Rahmen des Bearbeitertreffens der Inventarinitiative am 6.11.2017 vorgestellt. Protokoll: Dr. Christoph Bellot (8.11.2017). Wappen an der Fassade des Innenhofes Hector von Kotzau († 1617), die Wappen der Domherren von Stromberg und des Probstes von Schaumburg weisen sogar ins 18. Jh. Vgl. hierzu Mayer 1955, 132–133 sowie Dümler 2000, 91. Vgl. hierzu Dümler 2000, 88–89 sowie Reitzenstein 1988, 80–82. Bei Guttenberg / Wendehorst 1966, 73 ist

Ament 1929 W. Ament: Bamberg, die fränkische Kaiser- und Bischofsstadt. Die Stadt der Romantik und des E. T. A. Hoffmann (Bamberg 1929). Arnold / Kiel 2012 S. Arnold / S. Kiel: Die »Curie St. Laurentii« in Bamberg, in: Bericht über die 46. Tagung für Ausgrabungswissenschaften und Bauforschung vom 12.–16. Mai 2010 in Konstanz (Dresden 2012) 241–248. Dehio 1979 G. Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Bayern 1:

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in einem Nachtrag aus dem 14. Jh. zu lesen »…que divisa est in duas curias«. Mayer schreibt, er habe noch innerhalb des Gebäudes an der einst freistehenden östlichen Giebelwand (heutiger Durchgang) den ehemaligen Hocheingang, eine Tür mit Kragsteinrahmung sowie Quaderbemalung der einstigen Außenwand beobachten können. Vgl. hierzu Mayer 1955, 132–133. Reitzenstein 1988, 81. Ament 1929, 148–150. Mayer 1955, 133–134. Salettl = kleiner Saal, »Sälchen«, von lat. saletta. Vgl. hierzu Reitzenstein 1988, 80–82 sowie Dümler 2000, 87–89. Teufel 1944, 44. Reitzenstein 1988, 62–64. Ament 1929, 95–96. Mayer 1955, 123–124. Reitzenstein 1988, 62–64. Vgl. hierzu Teufel 1944, 43. Privatsammlung M. Meisenbach. Nachweise eines Domherrn als Besitzer der Kurie fallen ins späte 13. Jh. Reitzenstein 1988, 65–66. Ament 1929, 96–97. Vgl. hierzu ausführlich Arnold / Kiel 2012. Rozanski / Schöpplein 2013, Semesterarbeit in der Bau­ forschung an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Die hier bzw. bereits 2018 vorgestellten Zwischen­ ergebnisse der Prospektionen und Voruntersuchungen durch den Verfasser waren der Beginn größerer Unter­ suchungen auf dem Bamberger Domberg im Zuge der fortschreitenden Inventarisierung der Bamberger Altstadt. Die Unter­suchungen seitens des Verfassers gerieten jedoch nach der Tagung 2018 leider ins Stocken. Erst 2020 konnte die Arbeit an diesem Projekt, dank des nun leider verstorbenen Herrn Dr. Exner und des Bayerischen Landesamtes für Denk­mal­pflege, wieder aufgenommen werden. Derzeit wird durch den Verfasser für das Bayerische Landesamt ein Keller­kataster (Übersichts­ plan und Katalog der Bau­befunde) erstellt.

Franken, Die Regierungsbezirke Oberfranken, Mittelfranken und Unterfranken, bearbeitet von T. Breuer et al. (München 1979). Dümler 2000 Ch. Dümler: Die abgegangenen Domherrenhöfe an der Stelle der Neuen Residenz in Bamberg und deren Umfeld, in: 136. Bericht des historischen Vereins Bamberg (Bamberg 2000) 47–116. Fuhrmann 2014 J. Fuhrmann: Die Mauern des Bamberger Domberges. Neue bau­archäologische Forschungen am Beispiel des »Madler-Hof«, in: Bericht über die 47. Tagung für Aus­gra­bungs­wissenschaften

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und Bauforschung vom 16.–20. Mai 2012 in Trier (Dresden 2014) 189–196.

der Bauforschung an der Otto-Friedrich-Universität (Bamberg 2013).

Guttenberg / Wendehorst 1966 E. Frhr. von Guttenberg / A. Wendehorst: Die Bistümer der Kir­ chen­ provinz Mainz. Das Bistum Bamberg. Die Pfarr­ organisation, Germania Sacra 2 (Berlin 1966).

Schuster 1918 A. Schuster: Bamberg und Umgebung (Bamberg 1918).

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Abbildungsnachweis 1 StadtA BA, H 501 B 009, bearbeitet R. Schöpplein. 2, 6, 10  Schrägluftbilder (2016) AEROWEST/Stadtplanungsamt Bamberg, bearbeitet R. Schöpplein. 3 Kartengrundlage: digitale Flurkarte der Stadt Bamberg (Baye­rische Vermessungsverwaltung), bearbeitet R. Schöpp­lein, 2018. 4, 13  R. Schöpplein, 2020. 5 Fuhrmann 2014, 191. 7 Kartengrundlage: digitale Flurkarte der Stadt Bamberg (Baye­rische Vermessungsverwaltung), bearbeitet R. Schöpp­lein, 2020. 8 R. Schöpplein, 2017. 9, 11, 14  R. Schöpplein, 2016. 12 Privatsammlung M. Meisenbach. 15 Vermessung; S. Arnold/S. Kiel aus Dokuarchiv BLfD-B. IV, M-2009-579-2_0; bearbeitet R. Schöpplein, 2020. 16 Rozanski / Schöpplein 2013, Raumbuch Blatt 2. Farbtafel XI  Schrägluftbilder (2016) AEROWEST/Stadt­pla­ nungs­amt Bamberg.

Kelleruntersuchungen an Beispielen der Paderborner Altstadt

Sven Spiong

Bei der Beschäftigung mit dem Thema »Keller­ unter­ suchungen« sind zwei unterschiedliche Aspekte zu berücksichtigen: einerseits das Er­for­ schen der Entwicklung von Kellern und andererseits die Betrachtung archäologischer Relikte in heutigen Kellern. Deshalb ist zunächst danach zu fragen, seit wann und unter welchen Umständen Keller im frühstädtischen Kontext entstanden und wie sie sich weiterentwickelten. So lassen z. B. die Gestalt der Keller, aber auch ihre Lage auf einem Grundstück Aussagen über sich wandelnde Baukonzepte städtischer Grundstücke zu. Andererseits ergeben sich in Paderborn durch die natürliche sowie die künstlich veränderte Topografie Voraussetzungen für unterschiedliche Sedimentationen, die dazu führten, dass Teile ehemals ebenerdiger Gebäude heute als Kellermauern auf die Entschlüsselung ihrer ehemaligen Funktion harren (Farbtafel XII, 175). So wurde etwa in einem zum Teil verfüllten ehemaligen Steinbruch in 5–7 m Tiefe Steingebäude errichtet und das Gelände sukzessive aufgefüllt. An der Süd­seite der Paderborner Domburg wurde ein Befestigungsgraben zu einem bis zu 50 m breiten und über 14 m tiefen Stein­bruch erweitert, um den anstehenden Kalkstein als Baumaterial für den Dom und die Kaiser­pfalz abzubauen. Der Steinbruch wurde ab der Mitte des 12. Jhs. zur Gewinnung neuen zentralen Bau­landes nach und nach aufgefüllt. Ehemals ebenerdig errichtete Gebäude liegen deshalb dort heute in bis zu 5 m Tiefe.1 Ferner finden sich westlich der Domburg an verschiedenen Stellen weitere, bereits im Mittelalter wieder verfüllte Steinbrüche. Südlich des ehemaligen Ab­ding­hof­klosters ist heute noch eine bis zu 5 m

hohe Stein­bruch­kante sichtbar, auf der die Kloster­ immunitäts­mauer liegt. Eine weitere Stein­kuhle mit den Ausmaßen von 7,2 x 12,5 m und einer Tiefe von mindestens 8 m lag etwa 25 m von der Bus­ dorf­kirche entfernt und war kurzzeitig im 13. Jh. in Betrieb, vermutlich für den Wiederaufbau der Kirche nach einer Brandkatastrophe.2 Auch in der Domburg wurden lokal kleinere Steinbrüche kurzzeitig für ein Bauprojekt angelegt, die teilweise noch Jahrhunderte nach ihrer Verfüllung auch wegen nachträglichen Nachsackens der lockeren Verfüllung im Gelände als deutliche Vertiefungen erkennbar waren. So wurden auf dem Marktplatz zwei mindestens 4 m tiefe Steinbrüche aus dem frühen 13. Jh. an der Nordseite und an der Südostseite des Platzes entdeckt, die damals zur Gewinnung der Kalksteine für den Neubau des Domes betrieben worden waren. Die Standorte der verfüllten Stein­brüche waren noch im 17. Jh. als bis zu 1 m tiefe Senken erkennbar und sind u. a. als »kolgrove« schriftlich überliefert.3 Auch bei einer Grabung in der Südostecke der Domburg konnte die nördliche Kante eines Steinbruches freigelegt werden, der im 14./15. Jh. verfüllt wurde und Fundamente eines im späten 11. Jh. errichteten Gebäudes störte.4 Doch nicht nur nach und nach verfüllte Stein­ brüche führten dazu, dass sich das Außen­niveau von Gebäuden veränderte. Wie in anderen mittelalterlichen Städten gibt es auch in Paderborn flächige Se­di­men­tationsprozesse, die das Gelände deutlich erhöhten. So wurde durch eine mehr als tau­send­ jährige Friedhofsbelegung das gesamte Gelände südlich des Doms allmählich um bis zu 2 m angehoben. Auch durch mangelnde Abfall­ent­sor­gung

Sven Spiong

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Ausgrabung Paderborn 1994 PB 001 Kamp Gesamtplan

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1  Paderborn, Kamp 32–34. Gesamtplan der Ausgrabung 1994.

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Kelleruntersuchungen an Beispielen der Paderborner Altstadt

und fehlende Straßenreinigung bildeten sich mit der Zeit schlammige Schichten, die jeweils wieder durch neue Pflasterungen überdeckt wurden. So erhöhte sich das Laufniveau auf dem Marktplatz in Paderborn um teilweise mehr als 1,4 m.5 Auf dem Domplatz wurden einerseits natürliche Erhebungen abgetragen, um einen ebenen Platz zu schaffen, andererseits finden sich die ältesten ehemaligen Oberflächen in 2 m Tiefe.6 Mauerteile sind bei Kelleruntersuchungen deshalb jeweils in ihrer Beziehung zum zeitgleichen Außen­niveau zu setzen, um zu entscheiden, ob sie zu ehemaligen Kellerräumen, halb eingetieften Geschossen, ebenerdigen Stockwerken oder zu Gebäuden in ehemaliger Hanglage gehörten, die sich zu einer Seite als Keller, zur anderen Seite als ebenerdig darstellten. In vielen Fällen bedeutet das, dass Kelleruntersuchungen, die meist von der Bodendenkmalpflege betreut werden, eigentlich Bauforschungen mit archäologischen Methoden sind. Keller im frühstädtischen Paderborn des 11. und frühen 12. Jhs. Paderborn war im 11. Jh. eine typische polyzentrische Stadt mit der befestigten Domburg im Zentrum sowie dem Kloster Abdinghof im Westen, dem Busdorfstift im Osten und einem durch einen Graben befestigten Ministerialenhof im Nordosten. Die zugehörigen Bauern im Dorf Aspethera nördlich der Domburg und in der Siedlung westlich der Domburg lebten in weitläufigen Höfen mit Pfostenhäusern als Wohnhäusern und Gruben­ häusern als Nebengebäuden. Im 11.  Jh. kamen Bauten auf, die sich von den Grubenhäusern deutlich unterschieden. Es handelt sich um nur leicht eingetiefte Gebäude in Fachwerkbauweise mit in Lehm gesetzten Bruchsteinfundamenten. Sie weisen eine kleine Grundfläche auf und dienten vermutlich als mehrgeschossige freistehende Speicherbauten. In einem Fall erhielten sich im Fundament noch Reste der durch die Schwelle

gezapften Ständer. In Paderborn ließen sich bisher drei solcher frühen Schwellbalkenbauten nachweisen.7 Ein gutes vergleichbares Beispiel ist aus Höxter bekannt.8 Sowohl in Höxter als auch in Paderborn liegen diese Bauten in der Nähe des Marktes bzw. des Hellwegs und werden als Warenlager oder Speicher mit dem im 11. Jh. aufblühenden Handel und Gewerbe in Verbindung gebracht. In seiner Funktion nicht eindeutig ist ein eingetieftes Gebäude, das bei der Grabung 1994 in Paderborn am Kamp freigelegt wurde.9 Der als Keller C angesprochene Befund weist 60 cm breite, in Lehm gesetzte Bruchsteinmauern auf (Abb. 1). Da das zeitgleiche Außenniveau nicht mehr erhalten ist, kann nur indirekt eine Tiefe von deutlich über 1 m angenommen werden, denn das Gebäude war bis zu 80 cm in den dort allerdings hoch anstehenden Kalkfelsen eingetieft. Mit Ausmaßen von 5,4 x 4,6 m ist das Gebäude deutlich kleiner als die Keller der jüngeren Wohnhäuser. Es ist zwar größer als die Fundamente der eingetieften Speicherbauten des 11. Jhs. in der Westernstraße 15, die nur Größen von 3,2 x 2 m bzw. 4 x 3,5 m aufweisen10, aber in etwa vergleichbar mit den Ausmaßen des Speicherbaus aus der Grabung Im Düstern (5,8 x mind. 3,5 m).11 Neben der geringen Tiefe und Größe spricht auch das Fehlen eines Kellerhalses dafür, den sog. Keller C als ein nur leicht eingetieftes, freistehendes Speichergebäude zu deuten und nicht als eine Teilunterkellerung eines größeren Wohnhauses. Ein älteres Grubenhaus J aus dem 10. Jh. belegt die Existenz einer älteren, weitläufigen Hofstelle. Hierzu gehört sehr wahrscheinlich auch das als freistehender Speicherbau dieser Hofstelle zu deutende Gebäude C, dessen Errichtung anhand der Keramik noch ans Ende des 11. oder in die erste Hälfte des 12. Jhs. datiert werden kann. Zwar liegt dieses Gebäude in der Nordostecke einer späteren städtischen Hausstätte, die dann mit dem nachfolgenden Steinwerk (Keller D) an fast derselben Stelle ab der zweiten Hälfte des 12. Jhs. belegt ist, und suggeriert damit eine Bautradition mit einer älteren Grundstückseinteilung vor Mitte

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Sven Spiong

des 12. Jhs., es fehlen aber die Nachweise dieser Einteilung für die angrenzenden Hausstätten für diese frühe Zeit. Es ist deshalb eher davon auszugehen, dass der noch deutlich vor Mitte des 12.  Jhs. errichtete freistehende, eingetiefte Speicherbau (Keller C) bei der Einteilung der neuen städtischen Grundstücke berücksichtigt wurde bzw. nun die nordwestlichen Grundstücksgrenzen vorgab. Diese einzeln stehenden Speicherbauten des 11. und, sofern die Deutung für Keller C am Kamp richtig ist, auch des frühen 12. Jhs. sind noch zu den weitläufigen Hausstätten zu rechnen, die aus mehreren Bauten bestanden. Dass sich die verschiedenen Funktionen der einzelnen Gebäude unter einem Dach vereinen, ist eine Entwicklung, die sich im Profanbau außerhalb der Domburg in Paderborn bereits ab der Mitte des 11. Jhs. fassen lässt. Dies ist die Geburtsstunde der Keller bzw. der zum Teil unterkellerten, mehrgeschossigen Fachwerkhäuser. Denn mit zunehmender Urbanisierung wurden die weitläufigen Höfe im Laufe des 11. Jhs. aufgegeben und durch Schwellbalkenhäuser mit Teil­unterkellerungen ersetzt. Die ersten Keller­ räume sind klein, meist kleiner als die älteren Grubenhäuser. Sie wurden mit Holzwänden oder mit Wänden aus Trocken­mauer­werk versehen. Die ältesten Teilkeller in Paderborn stammen noch aus der Mitte des 11. Jhs. Der bisher älteste wurde in der Königstraße freigelegt. Mit einer deutlich größeren Tiefe als das nur wenig ältere benachbarte Grubenhaus, deutlich kleineren Ausmaßen von 2,8 x gut 4 m, einer um 90° geänderten Ausrichtung (Nord-Süd) und mit einer Zugangsrampe im Westen kann der Befund eindeutig als Keller angesprochen werden.12 Je drei Pfosten an der Nord- und Südseite trugen wahrscheinlich die Kellerdecke. Die Wände waren vermutlich mit Holz verschalt, nur in einem kleinen Bereich ist die Wand als Trockenmauer ausgeführt. Der Eingang nach Westen deutet auf einen Fach­werk­bau, der sich bereits zur Königstraße hin orientierte. Die Anlage des Kellers im Verlauf eines im 11. Jh. verfüllten Hofgrabens spricht zwar für eine neue Grundstückseinteilung, genaue Grenzen

der neuen Hausstätte konnten aber nicht ermittelt werden. Auch anhand der anderen wenigen Teilunterkellerungen und der nur in Ausnahmefällen nachweisbaren frühen, nicht unterkellerten Schwell­ balken­häuser sind in Paderborn für den Zeitraum etwa zwischen 1050 und 1150 weder Grund­stück­ grenzen zu erkennen, noch lässt sich ein Bau­ konzept für einzelne Hausstätten erschließen.13 Dies ändert sich erst nach der Mitte des 12. Jhs. Mit dem Bau der Stadtmauer wird das nun begrenzte Stadt­ gebiet zumindest in vielen Bereichen entlang der Ausfall­straßen aus der Domburg mit langrechteckigen Grundstücken neu parzelliert. Die Menschen dort bebauten ihre Grundstücke mit regelhaften Baukonzepten, die sich im Laufe von drei Generationen nach dem gleichen Muster veränderten. Die Entwicklung der bürgerlichen Hausstätten im späten 12. und 13. Jh. lassen sich nun an vielen Stellen ansatzweise nachvollziehen. Ein besonders gutes Beispiel für die Erforschung dieser Bau­konzepte stellt eine Untersuchung mehrerer zusammen­liegender Grund­stücke am Schildern dar. Die Entwicklung reicher Bürgerhausstätten am Beispiel »Schildern 1–7« Als im Jahr 2000 an der westlichen Ausfallstraße der Domburg »Schildern« ein Areal von vier Grund­ stücken (s. Abb. 12, a) archäologisch untersucht wurde, zeigte sich erstmals die Entwicklung bürgerlicher Baukonzepte in der Frühphase der Stadt. Noch in der ersten Hälfte des 12. Jhs. finden sich auf dem Areal, das damals zum Abding­hof­kloster gehörte, kleine begrenzte Steinbrüche und eine Aktivitätsschicht als Nachweis von Bunt­metall­ handwerk. Die Lauf­niveaus liegen mehr als 2 m tiefer als die Straße Schildern. Damit war der Höhen­ unterschied dieses nach Norden abfallenden Hangs zu den Klausur­gebäuden deutlich geringer als er heute ist. Eine Abgrenzung des Areals vom Kloster und eine Einteilung in neue Haus­ stätten bei gleichzeitiger flächiger Auf­schüttung des Geländes geschah nach der Mitte des 12. Jhs.,

Kelleruntersuchungen an Beispielen der Paderborner Altstadt

möglicherweise um 1170/80.14 Ein Mauer­rest auf der westlichen Haus­stätte stammt aus dem letzten Drittel des 12. Jhs. (Abb. 2). Er ist für eine weitergehende Deutung leider zu fragmentarisch erhalten. Zur selben Zeit entstand auf der östlichen Hausstätte (Schildern 5) ein erstes Steinwerk im mittleren Grund­stücks­bereich.15 Ein Latrinenschacht und Reste eines schmalen Bruchsteinfundamentes stellen die letzten Überreste eines ehemaligen, in Fachwerk errichteten Vorderhauses dar. Eine schmale Er­ schlie­ ßungs­ gasse blieb seitlich der

beiden Gebäude bis zum Grundstücksende frei, um von dort die Lagerräume des Steinwerkes zu be- und entladen. Im westlichen Grundstück wurde schon bald an der Stelle des dokumentierten Gebäuderestes ein massives Steinwerk mit Kreuzgewölbe errichtet. Die Gebäude im hinteren und mittleren Grundstücksbereich sind zum Kloster nach Norden hin nahezu ebenerdig und stellen sich nach Süden, zur höher gelegenen Straße Schildern hin, als Keller oder zumindest halb eingetiefte Untergeschosse dar.

2  Schildern 1–7. Phasenplan für das letzte Drittel des 12. Jhs. 35 my

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Ausgrabung Paderborn 2000 PB 010 Schildern 1-7 Hausstätte 2: Phase II Hausstätte 1: Phase III 1170/80 bis um 1200

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Immunitätsmauer des Klosters Abdinghof, 14. Jh. 372

Keller B 38

Keller K

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Keller D

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Keller I

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Keller C 366

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Keller E 458 72

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Keller F

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Keller Q

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Keller O mx

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Grube M

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Rathausplatz 2

Keller H

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Keller A

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Eine ähnliche Bebauung früher städtischer Grund­ stücke der zweiten Hälfte des 12. Jhs. mit hölzernem Vor­der­haus, Steinwerk und seitlicher Er­schlie­ßungs­ gasse ließ sich in Paderborn an mehreren Stellen nachweisen. In Grube 8 (s. Abb. 12, b) konnte ein Fach­werk­haus mit einer direkt auf den Lehm­boden gesetzten Schwelle und einem an das Haus anschließenden Stein­werk entdeckt werden, das zwischen 1150 und 1180 errichtet wurde.16 Die gute Erhaltung ermöglicht es, die Größe des Fachwerkhauses mit ursprünglich 10 x 9,6 m zu rekonstruieren. Eine große Feuer­stelle lag zurückversetzt zum Stein­werk etwa in der Mitte der Hausbreite. Das Stein­werk war 7,9 x 10,4 m groß und besaß eine Mauer­stärke von 1 m. Die von der Bebauung freigelassene Er­schlie­ ßungs­gasse mit einer Breite von 3–5,8 m lag an der Nord­seite. Dort lagen auch die Keller­fenster des Stein­werkes, von denen das östliche im Zuge der Erhöhung des Außen­niveaus nachträglich zugemauert wurde. Auf dem nördlich benachbarten Grund­stück Grube 6 wiederholt sich dieses Bau­ konzept. Erhalten ist noch das Stein­werk im hinteren Grund­stücks­bereich und ein schmaler nach Westen deutlich abfallender Er­schlie­ßungs­gang an der Nordseite. Vom ursprünglichen Vor­der­haus ist aufgrund späterer Bau­tätig­keit nichts mehr übriggeblieben. Auf einem weiteren Grundstück am Kamp findet sich dasselbe Baukonzept wieder. Hier wurde etwa um 1170/80 auf dem hinteren Grund­stücks­ areal ein ähnliches Steinwerk mit Keller errichtet. Es hatte ursprünglich die Maße von 6,4 x 6,4 m und etwa 70 cm starke Mauern. Da es 2 m in den Fels eingetieft war, kann das Untergeschoss als Keller angesprochen werden.17 Der Kellerhals an der Ostseite zeigt den Standort eines nicht mehr vorhandenen Fachwerkhauses an der Stichstraße an, die südlich vom Kamp abzweigt. Nördlich des Steinwerks lag eine Erschließungsgasse mit einer Breite von etwa 5 m. Von den Steinwerken im Kötterhagen sind zwei Bauten, die beide noch im 12. Jh. im mittleren oder hinteren Grundstücksbereichen errichtet wurden, besonders gut erhalten (s. Abb. 12, c).18 Steinwerk A

mit den Ausmaßen von 7 x 8,3 m besaß eine Mauer­ stärke zwischen 80  cm und 1 m. Die Belichtung erfolgte über eine Lichtnische in der Ostmauer. Ein 3,8 m langer Kellerhals führte nach Westen in ein zum Kötter­hagen ausgerichtetes Fachwerkhaus. Südlich angrenzend liegt das Steinwerk D, ebenfalls mit einem Kellerhals im Westen, der in ein zum Kötter­hagen ausgerichteten Fachwerkhaus führte. In der Krämerstraße  6 konnte ebenfalls ein zwischen 1150 und 1250 errichtetes Steinwerk mit einem Plattenboden zum Teil erfasst werden.19 Aufgrund des hochanstehenden Grund­wasser­ spiegels war das Gebäude nicht eingetieft. Die Breite betrug ursprünglich etwa 8,5 m. Im Osten verblieb eine schmale Erschließungsgasse von etwa 1,7 m. Das Vorderhaus war in der zweiten Hälfte des 12. Jhs. noch in Pfostenbauweise ausgeführt. Das Laufniveau war nur um wenige Zentimeter höher als das des Steinwerks. Der Zugang vom Vorder­haus ins Steinwerk erfolgte auf der linken Seite. Rechts daneben lag nach hinten zum Stein­ werk versetzt die Feuerstelle im Vorderhaus. Da im Bereich des Vorderhauses im 13. Jh. keine Pfosten mehr existierten, ist davon auszugehen, dass der Pfosten­bau spätestens um 1200 von einem Fach­ werk­haus ersetzt wurde, von dem sich allerdings keine Spuren im Boden erhalten haben. Eine abweichende Form dieser späten Pfosten­ bauten als Vorderhäuser von Steinwerken sind für das späte 12. Jh. in der Bäckerstraße in Minden belegt.20 Statt der eingegrabenen Pfosten wurden Ständer im Abstand von 3,2 m auf Sandsteinklötze gesetzt, die im Boden mit Schwellriegeln verkeilt wurden. Die Steinwerke entstanden auch hier im späten 12. Jh. und lassen seitlich jeweils kleine Er­schlie­ßungs­gassen frei. Vergleichbare Stein­ werke des späten 12. Jhs. sind auch aus Höxter oder Warburg bekannt. Noch in der ersten Hälfte des 13. Jhs. ersetzten die Bürger im Schildern ihre straßenseitigen Fach­werk­häuser durch Steingebäude, die, wie in Schildern 5, manchmal ein repräsentatives Kreuz­ gewölbe erhielten (Abb. 3). Dabei blieben die Stein­ werke größtenteils erhalten. Diese Entwicklung lässt

Kelleruntersuchungen an Beispielen der Paderborner Altstadt

sich allerdings nur entlang der westlichen Ausfall­ straße der Domburg (heute Schildern bis West­ern­ straße) erkennen. Bei den Grund­stücken Grube 8 und Grube 6 sowie teilweise im Kötter­hagen und in der Krämerstraße standen an der Straße nach wie vor Fachwerkhäuser vor den Stein­werken. Einen Sonderfall stellt das Grundstück Kötter­hagen dar. Dort lag das Steinwerk direkt an der Straße und war mit einem daran anschließenden Fach­werk­haus an der Straße verbunden.21 Diese Ausnahme ist sehr wahrscheinlich durch den stark vernässten, tiefer

liegenden Bereich im hinteren Grund­ stücks­ teil begründet, in den auch durch verschiedene Kanäle das Regenwasser der höherliegenden Gebäude an der Straße eingeleitet wurde. Noch im 13.  Jh. ging man dazu über, auch die schmalen Erschließungsgassen zu überbauen und zu unterkellern, wodurch die Straßen nun eine geschlossene Häuserfront bekamen. Im heutigen Kellerkataster zeigt sich dieses charakteristische Baukonzept noch an einem Wechsel von breiten Kellern und sehr schmalen Kellern, sowie

3  Schildern 1–7. Phasenplan für die erste Hälfte des 13. Jhs. 30

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1200 bis um 1250

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Keller B

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Rathausplatz 2

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Keller D

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Keller E

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Keller F

Kloake P Keller Q

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Keller I

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Keller K

Keller C

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Keller A

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Immunitätsmauer des Klosters Abdinghof, 14. Jh.

Schildern 9

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Ausgrabung Paderborn 2000 PB 010 Schildern 1-7 Hausstätte 2: Phase III Hausstätte 1: Phase IV

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einem weiteren Keller, der von einem ehemaligen Steinwerk stammt. In Paderborn sind nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg nur noch zwei mittelalterliche profane Steingebäude obertägig erhalten geblieben. Anhand der Keller lässt sich aber besonders im Bereich des als Marktstraße dienenden Hellweges (u. a. Schildern) diese regelhafte Entwicklung bürgerlicher Hausstätten gut nachvollziehen (Abb. 4).22 Noch heute besteht in der Straße Schildern ein Wechsel zwischen sehr schmalen und breiten Grundstücken. Anhand des kartierten Kellerbestandes lassen sich ehemalige straßenseitige Steingebäude, überbaute und unterkellerte ehemaligen Erschließungsgassen und Steinwerke im mittleren und hinteren Grundstücksbereich fast regelhaft erkennen, auch wenn durch jüngere Baumaßnahmen diese Situation auf vielen Grundstücken nicht mehr oder nur ansatzweise nachweisbar ist. In sog. »bürgerlichen Bestlagen« entstand somit eine durchgehende geschlossene Bebauung

beiderseits des Schildern, des Marienplatzes und der Westernstraße. Allerdings scheint es sich dabei um überwiegend additive Bauensembles zu handeln, bei denen die jeweils folgende Generation statt des Fachwerks ein Steingebäude an der Straße hinzufügte und anschließend die für Erschließungsgassen freigelassenen Zwischen­ räume durch schmale unterkellerte Gebäude zu einer durchgehenden Häuserfassade schloss. Dieses additive Baukonzept scheint spezifisch für das bürgerliche Zentrum in Paderborn zu sein. In anderen Bischofsstädten wie Münster oder Minden sind in vergleichbaren Lagen für das 13. Jh. weit in den hinteren Grundstücksbereich hineinreichende Neubauten festzustellen. Für den Prinzipal­markt in Münster geht man davon aus, dass gegen Ende des 13. Jh. diese geschlossene Bebauung einen zusätzlichen Bogengang erhielt. In Minden wurden am Scharn (auch hier in der Nähe des Rathauses) in einer Ausgrabung im Jahr 2018 die Überreste eines vergleichbaren, weit in

4  Kellerplan im Bereich Schildern/Rathausplatz mit den Steinwerken ab 1170/80 (hellgrau), straßenseitigen Steingebäuden ab um 1200 (dunkelgrau) und den überbauten Erschließungsgassen ab etwa 1250 (schwarz).

Kelleruntersuchungen an Beispielen der Paderborner Altstadt

den hinteren Grundstücksbereich hineinreichenden Steingebäudes nachgewiesen, das noch in der ersten Hälfte des 13. Jh. errichtet wurde.23 Dieses ebenerdige Steingebäude lag wahrscheinlich direkt an der Straße und war ursprünglich 17 m lang und gut 8 m breit bei einer Mauerstärke von 90 cm. Die Bebauung der bürgerlichen Hausstätten in Minden stellt sich somit im 13. Jh. am Scharn ganz anders als etwa in der Bäckerstraße dar, auch wenn die Situation am Scharn nur sehr ausschnitthaft bekannt ist. Gerade für die Frühphase der mittelalterlichen Städte im späten 12. und 13. Jh. scheinen sich damit in der Oberschicht der Bürger klare Vorstellungen abzuzeichnen, wie in der jeweiligen Straße eine Hausstätte zu bebauen war. Möglicherweise war dies teilweise vom Stadtherrn gelenkt. Die sehr gut vernetzten reichen Bürger, die sich in städtischer Bestlage ansiedelten, wussten sehr gut, was von ihnen bezüglich ihrer Wohnkultur erwartet wurde und was sich dort nicht »gehörte«. Auch wenn für unterschiedliche Straßen jeweils verschiedene Baukonzepte entwickelt wurden, so lassen sich doch innerhalb einer Nachbarschaft zumindest in der bürgerlichen Oberschicht gleichförmige Entwicklungen erkennen. Schildern 6: Beispiel einer Reduktion vom adligen Prunkbau zur bürgerlichen Standardbebauung Einen Sonderfall stellt die Bebauung auf dem Grund­stück Schildern 6 dar (s. Abb. 12, d). Dort stieß ein Gra­bungs­team im Frühjahr 2012 unter dem Keller­boden des damals noch stehenden, rezenten Gebäudes auf die Fundamente eines Gebäude­ ensembles eines typischen bürgerlichen Grund­ stückes am Schildern. An der Straße lag ein Keller mit dem Fundament einer Mittelsäule, das auf ein ehemaliges Kreuzgewölbe schließen ließ. Daneben an der Straße befand sich ein vollständig intakter tonnengewölbter Keller, der vermutlich nachträglich die schmale Baulücke einer etwa 4 m schmalen

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5  Schildern 6. Befundplan und Rekonstruktion des Gebäude­bestandes Ende des 12. Jhs.

Erschließungsgasse schloss. Im hinteren Grund­ stücks­bereich konnten weitere 80  cm mächtige Fundamente eines Steingebäudes freigelegt werden. Dies war ein Befund, den das Gra­bungs­team nach der Grabung »Schildern 1–7« erwartet hatte.24 Als dann nach dem Abriss der rezenten Gebäude auf dem Gelände eine flächige Dokumentation des gesamten Geländes vorgenommen werden konnte, stellte sich heraus, dass einige Mauerteile zu einem etwa zwischen 1150 und 1180 errichteten monumentalen Steingebäude gehörten (Abb. 5). Westlich des Gebäudes wurde zunächst eine 4 m breite Erschließungsgasse freigelassen. Das Steingebäude war 20 m lang und 13,6 m breit und besaß eine Mauerstärke von 1–1,3 m.25 Dieser mit einer Grundfläche von über 250 m² in seinen

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Ausmaßen außergewöhnlich monumentale Bau unterscheidet sich deutlich von der Bebauung zeitgleicher bürgerlicher Grundstücke. Durch seine Lage am Rand des ab dem 12. Jh. sukzessive verfüllten Steinbruchs, der gleichzeitig als Teil der Domburgbefestigung fungierte, stellten sich die beiden unteren Stockwerke zum Schildern hin als Kellergeschosse, zum hinteren Grundstücksbereich aber als obertägige Bauteile dar. Für die Zu­gäng­ lich­keit der unteren Stockwerke direkt von der Straße sorgte eine Treppe, von der sich noch die Fun­da­mente erhalten haben. Ein Brunnen lag im

6  Schildern 6. Westlicher Anbau des späten 12. Jhs, 2012.

Gebäude an der Nordwestecke, ein weiterer lag in der Erschließungsgasse auf der westlichen Grund­ stücks­grenze. Noch gegen Ende des 12. Jhs. kamen zwei Anbauten hinzu. Im Süden entstand ein mindestens 55 m² großer Anbau mit einem Zugang vom Hinter­ hof im Westen. Im Westen wurde die Er­schlie­ßungs­gasse mit einem 24 m² großen Anbau geschlossen (Abb. 6). Der Zugang erfolgte über die jetzt verkürzte Gasse vom Norden her, dabei musste vom Schildern aus ein Gefälle von über 4 m überwunden werden. Die Bewohner der ungewöhnlichen Haus­stätte gehörten sicherlich dem Adel an. Möglicherweise handelte es sich um den Sitz des Stadt­grafen, denn es ist auffällig, dass die Bürger bei der Errichtung des 1279 erstmals erwähnten Rathauses eine mit diesem Gebäude gut vergleichbare Architektur schufen. So deutet der östliche Teil des Keller­geschosses mit einer originalen hochmittelalterlichen Bausubstanz einen Baukörper von 21,7 x 12,7 m an, dessen repräsentatives Untergeschoss ebenfalls über eine Treppe von der Straße erschlossen wurde. Das ebenfalls giebelständig zur Straße Schildern ausgerichtete erste Rathausgebäude besaß eine vergleichbare Mauerstärke von 1,3 m.26 Anscheinend kopierten die Bürger die Architektur des ehemaligen Stadtgrafensitzes, um infolge der Konflikt­ phase mit dem Bischof um 1229 ihre zum Teil dem Bischof abgetrotzte Selbstverwaltung und das damit erworbene Selbstbewusstsein nach außen zu tragen. Auf dem Grundstück Schildern 6 kam es in den ersten Jahrzehnten des 13. Jhs. zu einer radikalen Veränderung des Baubestandes (Abb. 7). Das untere Stockwerk wurde aufgefüllt, das monumentale Steingebäude durch einen Teilabriss um 60 % reduziert. Dadurch entstanden zwei Gebäude­gruppen, getrennt durch eine Freifläche. Zum Schildern ausgerichtet lag nun aus den Resten des ehemaligen Monumentalgebäudes ein breites straßenseitiges Steingebäude mit einem neuen Kellergeschoss mit Kreuzgewölbe, ein schmaler unterkellerter Anbau in der ehemaligen Er­schlie­ßungs­gasse auf der Westseite des

Kelleruntersuchungen an Beispielen der Paderborner Altstadt

Grundstückes und daran südlich anschließend der verbliebene ehemalige westliche Anbau des Mo­nu­men­tal­gebäudes. Auf der Südseite stellt sich der ehemalige südliche Anbau des älteren Steingebäudes nun als freistehendes zur Straße Kötterhagen ausgerichtetes Vorderhaus dar, das im Westen einen Anbau erhielt. Auch hier wurde das ehemalige Erdgeschoss zusammen mit dem Hinterhof aufgefüllt und der ehemalige Zugang im Westen zugemauert. Das einstige Obergeschoss war nun Erdgeschoss mit Fenstern zum Kötterhagen. Durch weitere Auffüllungen wurde dieses Geschoss später zum Keller, die Fenster entsprechend zugemauert. Die Trennung in zwei Gebäudeensembles lässt wahrscheinlich darauf schließen, dass mit den neuen Baumaßnahmen des frühen 13. Jhs. das Grundstück geteilt wurde. Für den zum Schildern ausgerichteten Grundstücksteil lässt sich dabei ein für diese Zeit typisches Baukonzept einer bürgerlichen Hausstätte erkennen: straßenseitiges Steingebäude mit repräsentativen Keller­ räumen, überbaute und unterkellerte schmale Er­schlie­ßungs­gasse. Ein Besitzerwechsel, der sich in der neuen Architektur deutlich spiegelt, ist demnach vorauszusetzen. Auffällig ist jedoch, dass bei der Umwandlung der adligen Haus­ stätte in ein oder zwei bürgerliche Haus­stätten ein enormer Aufwand betrieben wurde. Der monumentale, zwischen 1150 und 1180 errichtet Bau war bei dem Besitzerwechsel erst etwa 50 Jahre alt und sehr wahrscheinlich nicht abgängig – schließlich wurden Gebäudeteile ja in den neuen Gebäudebestand übernommen. Statt eine Teilung der Hausstätte durch einfache Zwischen­ wände vorzunehmen, wurde mehr als die Hälfte des Gebäudes abgerissen und anderseits an die dadurch getrennten Baukörper neue Gebäude angebaut. Dies lässt sich nur damit erklären, dass gängige Baukonzepte für bürgerliche Hausstätten am Schildern und in nicht ganz so deutlicher Form auch am Kötterhagen verwirklicht werden sollten und die Bebauung auf den beiden Hausstätten dementsprechend angepasst wurde.

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7  Schildern 6. Grabungsplan und Rekonstruktion kurz vor 1250.

Ein neuer Gebäudetyp: frühe Kurien der Stiftsherren In den Jahren 2006 und 2007 untersuchte das Team der Stadtarchäologie im Zuge von Umbau­arbeiten mehrere Bereiche im erzbischöflichen General­ vikariat.27 Hierbei wurden ältere Mauerteile und Fundamente von Gebäuden freigelegt, die in das nach 1133 hierhin verlegte Domkloster einbezogen wurden bzw. damals den Neubauten weichen mussten. Für die Verlegung des Klosters kann ferner der schriftlich überlieferte, verheerende Brand im Jahr 1133 mit verantwortlich gemacht werden. Im Südflügel des Klosters stellt sich der ehemalige Kapitelsaal von der Südseite her als Kellerraum dar, während der Ausgang in den Kreuzgang an der Nordseite ebenerdig ist.

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8  Domkloster. Blick auf das zugemauerte, von der eingewölbten Decke überlagerte Fenster in der Südwand des Kapitelsaales, 2006.

9  Kapitelsaal des Domklosters. Freigelegte Säulen­fun­da­men­te mit älteren Pfostenlöchern, 2006.

Die lange Bestattungstradition des Paderborner Hauptfriedhofs an der Südseite des Doms und Domklosters führte im Laufe der Jahrhunderte zu einer Erhöhung des Laufniveaus um über 2 m. Auf diese Weise haben sich Teile des mittelalterlichen Klosterbaubestandes erhalten, die umfangreich in einer Kooperation mit dem LWL-Amt für Denkmalpflege dokumentiert wurden.28 Obwohl bereits seit 1910 bekannt war, dass die Einwölbung des Kapitelsaales nachträglich erfolgte, waren weitergehende Untersuchungen an diesem Gebäude bis dahin nicht vorgenommen worden. In der Südwand des Kapitelsaales konnte damals eine zugemauerte Fensteröffnung freigelegt werden, die teilweise von der Einwölbung des Kapitelsaales überdeckt wird (Abb. 8). Diese Einwölbung mit den zugehörigen Wandpfeilern und Säulen kann insbesondere anhand der Ausformung der Kapitelle und Säulenbasen in die Zeit kurz vor Mitte des 12. Jhs. datiert werden. Sowohl die Nord- als auch die Südwand des Kapitelsaales sind älter als die nachträgliche Einwölbung und stammen somit von einem Gebäude, das deutlich vor dem Brand von 1133 errichtet wurde (s. Abb. 12, A). Bei einer kleinen Grabung aus dem Jahr 1952 wurde eine Mauer im westlich anschließenden Raum dokumentiert, die nun als ursprüngliche Westmauer des Gebäudes vor 1133 identifiziert werden konnte. Reste der Fundamente der Ostmauer des Baus lagen direkt unter dem rezenten Fußboden des Kapitelsaals. Entlang der Mittelachse verläuft eine Reihe von Pfostenlöchern mit jeweils etwa 2 m Abstand zueinander (Abb. 9). Die unmittelbare Abfolge von Pfostenlöchern und massiven Pfeilerfundamenten ist anhand rundlicher Ausbuchtungen bei den Pfeilerfundamenten deutlich erkennbar: Nachdem die hölzernen Mittelstützen einer ehemaligen Flachdecke aus den Pfostenlöchern gezogen wurden und die neuen Pfeilerfundamente errichtet wurden, füllten die aus Kalkbruchsteinen und Kalkmörtel bestehenden Fundamente auch die angeschnittenen, noch nicht oder nur locker verfüllten Pfostenlöcher aus.29 Das erste Stein­ge­bäu­ de aus dem 11. oder frühen 12. Jh. kann als ein

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10  Kapitelsaal des Domklosters. Grabungsplan.

ursprünglich etwa 1 m teilweise in den anstehenden Kalkfelsen eingetiefter, freistehender Saalbau ohne Zwischenwände im Untergeschoss und mit einem Innenraum von 9,1 m Breite und 21 m Länge rekonstruiert werden (Abb. 10). Das nur halb eingetiefte Untergeschoss deutet auf einen Hocheingang in das leicht erhöhte Erdgeschoss. Während für dieses Untergeschoss im Ostteil teilweise bereits der anstehende Kalkfelsen abgebaut werden musste, waren im Westteil unter dem Fußboden noch drei Bestattungen des späten 8. Jhs. erhalten. Die ursprüngliche Oberfläche stieg somit von Westen nach Osten um etwa 50 cm an. Demnach wurde der Steinbau in leichter Hanglage im Westen etwa um 50 cm, im Osten um etwa 1 m eingetieft. Da das

Kloster erst mit dem Umbau des Gebäudes um die Mitte des 12. Jhs. in das Domkloster einbezogen wurde und das Domkloster vorher weiter westlich, direkt neben der Kaiserpfalz lag, stellte sich die Frage nach der ursprünglichen Funktion des Gebäudes. In den frühesten schriftlichen Überlieferungen für den Ostteil der Domburg kann spätestens im 13. und frühen 14. Jh. das Domstift als Besitzer identifiziert werden. Da für diese Zeit verschiedene Kurien des Domstiftes überliefert sind, liegt es nahe, den vor 1133 errichteten Saalbau als frühe Kurie eines adeligen Domherrn anzusprechen. Mit einem vergleichbaren Befund im Landund Amts­gericht, an der Südostecke der Dom­ burg, konnte bereits im Jahr 2005 erstmals in

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11  Land- und Amtsgericht. Grabungsplan.

Paderborn ein vergleichbares Gebäude (s. Abb. 12, B) archäologisch untersucht werden (Abb. 11).30 Auch dieses Gebäude war ursprünglich etwa 1 m teilweise in den anstehenden Kalkfelsen eingetieft und besaß mit einen Innenraum von 17,5 m Länge und 8,5 m Breite vergleichbare Ausmaße wie der Saalbau im späteren Domkloster. Mit einer Mauer­stärke von annähernd 1 m handelt es sich auch hier um ein wahrscheinlich anderthalbstöckiges Steingebäude ohne eine Unterteilung des knapp 153 m² großen Innenraumes. Fehlende Fundamente von Wandpfeilern oder Pfeilern deuten auf eine ursprüngliche Flachdecke hin. Auch dieser Bau war Ost-West ausgerichtet. Da sich bei diesem Gebäude noch der Lehmfußboden samt Unterbau erhalten hatte, konnte das Baualter

mittels der dort gefundenen Keramik gut datiert werden. Typische, kurze, verdickte und abgestrichene oder stärker gekehlte Kugeltopfränder, aber auch schon frühe, harte, graue Irdenware datieren die Errichtung des Gebäudes ins späte 11. Jh.31 Im Nordflügel des späteren Domklosters konnte anhand älterer Dokumentationen ein weiteres, langrechteckiges, Ost-West ausgerichtetes Steingebäude identifiziert werden (s. Abb. 12, C). Auch dieses Gebäude mit gekuppelten Fenstern stammt aus dem fortgeschrittenen 11. Jh.32 Ebenso lässt sich im Südostteil des späteren Domklosters ein älteres Steingebäude (s. Abb. 12, D) mit 1 m Mauerstärke anhand seiner Westmauer nachweisen. Im Nordostbereich des Klosters wurden im Jahr 2007 Fundamente eines weiteren

Kelleruntersuchungen an Beispielen der Paderborner Altstadt

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12  Paderborner Domburg mit den frühen Kurien im östlichen Areal.

Steingebäudes mit gleicher Ost-West-Ausrichtung entdeckt. Dieser Bau mit einer Mauerstärke von gut 1 m und mindestens zwei durch eine Zwischen­ mauer getrennten Räumen kann anhand der Keramik nur allgemein ins 11. Jh. datiert werden.33 Die unklare Datierung und die Zwischenwand ermöglichen deshalb keine eindeutige Zuordnung zu diesem Gebäudetyp. Mit diesen vier, möglicherweise sogar fünf vergleichbaren Saalbauten liegt nun ein neuer Gebäudetyp vor, der erstmals im späten 11. Jh. auftritt und bei dem es sich sehr wahrscheinlich um frühe Kurien der Domherren handelt (Abb. 12). Wesentliche Merkmale sind langrechteckige Form, Ost-West-Ausrichtung (mit Bezug zum Dom), etwa 1 m Mauerstärke, leicht eingetieftes Untergeschoss

(meist) ohne Zwischenwände und ein indirekt zu erschließender Hocheingang zum Obergeschoss. Der Ursprung des Gebäudetyps ist wahrscheinlich darin zu sehen, dass die Domherren den Palast des Bischofs Meinwerk (1009–36) oder die gleichzeitig errichtete Kaiserpfalz in kleinerem Format kopiert haben. Ein Blick zur Münsteraner Domburg zeigt, dass der für Paderborn typische Bautyp dort bisher nicht nachgewiesen ist. Die ersten vor 1121 datierten Stein­gebäude, die als Kurien der Dom­ herren gedeutet werden, können zwar mit teilweise geringerer Mauerstärke von 60 cm bis 1 m ebenfalls als Stein­gebäude bezeichnet werden, besitzen aber mit 6 x 6 m oder 6,5 x 5 m deutlich kleinere Ausmaße und keine langrechteckige

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Raum B

Raum C

Raum A

13  Dompropsteigasse. Kellerphasenplan.

Form.34 Das Untergeschoss ist allerdings ebenfalls halb eingetieft. Somit gehen die Domherren zwar auch in Münster etwa ab dem späten 11. Jh. dazu über, eigene Kurien zu errichten, diese folgen aber einem anderen Bautyp als in Paderborn. In Minden sind die älteren Kurien auf dem Großen Domhof zu vermuten. Ausgrabungen, die Aussagen zu frühen Kurien ergeben könnten, fehlen dort leider. Hier sind zukünftige Ausgrabungen abzuwarten, um die Situation mit Paderborn vergleichen zu können. Die Domburgmauer im Keller Die Paderborner Domburgmauer wurde unmittelbar ab 778 errichtet und im 11. Jh. erneuert.

Ihre Bedeutung als Sicherung des Dom-PfalzAreals schwand erst, als nach Mitte des 12. Jhs. die Paderborner Stadtmauer erbaut wurde. Seit dieser Zeit hatte sie als Abgrenzung des Im­mu­ni­täts­ bereiches bis ins frühe 19. Jh. weiter eine wichtige Funktion, allerdings nicht mehr als Befestigung. Seit dem frühen 19. Jh. wurde die Mauer dort, wo sie der Bauentwicklung im Wege stand, beseitigt – auch das Osttor am Bogen (s. Abb. 12, E) wurde 1905 abgerissen.35 Überreste der im Laufe der Jahrhunderte immer wieder teilerneuerten Dom­ burg­mauer sind allerdings heute noch teilweise als Grund­stücks­mauer, teilweise als Kellermauer in Teilen erhalten.36 Als Beispiel für Untersuchungen der Dom­burg­mauer in vorhandenen Kellermauern sei hier eine Dokumentation am ehemaligen Nordtor der Domburg (s. Abb. 12, F) vorgestellt, die von einem Team der Stadtarchäologie im Rahmen einer Lehr­veranstaltung der Universität Münster im Juli 2013 durchgeführt wurde.37 Im Zuge von Renovierungs­arbeiten waren kurzzeitig drei Kellerräume in der ehemaligen Dompropstei (s. Abb.  12, G) am kleinen Domhof zugänglich (Abb. 13). Die Dompropstei wurde von Walter von Brabeck 1593 unter Einbeziehung mittelalterlicher Reste errichtet, gelangte 1810 in Privatbesitz und wurde später als Brenkenhof bezeichnet. Seit 1945 ist sie nur noch eine Ruine mit drei unterschiedlich alten Kellerräumen. Graffitis an Wänden zeigen, dass die Kellerräume noch in den 1950er Jahren von Jugendlichen häufig aufgesucht wurden. Der später zugemauerte Eingang im Norden wurde im Rahmen von Renovierungsarbeiten im Sommer 2013 für die Untersuchung kurzzeitig geöffnet.38 Der südliche größte Kellerraum A besitzt ein Nord-Süd ausgerichtetes Tonnengewölbe, das an eine ältere, massive, 1,6 m dicke Nordmauer anschließt, bei der es sich um die nördliche Dom­ burg­mauer handelt. Sie wurde 1959–61 in derselben Flucht etwa 40 m weiter östlich als zweiphasige Dom­burg­mauer ausgegraben39 und datiert mindestens bis ins 11. Jh. zurück. Der Kellerraum A ist 7 m breit und 7,4 m lang. Auf dem gesamten Boden sind große Kalkbruchsteinplatten verlegt.

Kelleruntersuchungen an Beispielen der Paderborner Altstadt

Im Raum sind noch zwei Bruchstücke profilierter Fensterrahmen erhalten. Der Keller besaß in seiner Südwestecke einen ursprünglichen Zugang von der Dom­propstei­gasse. Weiter nördlich in der Westwand befindet sich ein zugemauertes Fenster. Fenster und Tür sind von der Dompropsteigasse aus sichtbar, wobei die Tür zunächst nur zum Teil zugemauert und als Fenster neu gefasst wurde. In der Ostwand deutet ein Lichtschacht darauf hin, dass der von der Gasse aus ebenerdig zugängliche Raum sich zu einem östlich gelegenen Innen­ hof als Keller darstellte. Der Lichtschacht, das Fenster und der Eingang in der Westwand sind bauzeitlich, denn die jeweils flach gewölbten Oberkanten sind in das Deckentonnengewölbe ohne erkennbare Fuge eingebunden. Die ältere Nordwand (Abb. 14), also die mittelalterliche Dom­burg­mauer, besaß im westlichen Teil einen Durchgang, der sich unter der verputzten Wand

schwach andeutet und an dessen Stelle nach dem Zumauern nur eine Wandnische verblieb. Dieser Durchgang wird vom Tonnengewölbe teilweise überdeckt. Sein ursprüngliches Ausmaß ist von der Nordseite der Mauer aus noch gut sichtbar. Beim Bau der Propstei entstand ein neuer Durchbruch weiter östlich. Er besitzt einen Sandsteinrahmen, der zugleich die nördliche Wange einer inzwischen zugemauerten Tür bildete, die auf eine zeitgleich errichtete Spindeltreppe in der Nordostecke des Kellerraumes führte. Von der Spindeltreppe sind noch zwei Stufen erkennbar. Etwa in der Mitte der Südwand ist ein jüngerer, nach etwa 1 m verschütteter Durchbruch vorhanden, vermutlich ein bald nach 1937 angelegter Fluchtgang für die im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzkeller genutzten Räume. Der Kellerraum A ist Teil der Neubaumaßnahme von 1593. Zusammen mit den beiden nördlichen Kellerräumen nimmt er die Grundfläche des zu

14  Dompropsteigasse. Blick vom Süden auf die ehemalige Domburgmauer, 2013.

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15  Dompropsteigasse. Blick von Norden in die ehemalige Torgasse, 2014.

dieser Zeit errichteten westlichen Gebäudes der Dompropstei ein. Die Spindeltreppe und die Sandsteinfassung des Durchganges in den nördlich angrenzenden Kellerraum B unterstützen die bauzeitliche Datierung, wobei sich der Keller im Norden an die mittelalterliche Domburgmauer anlehnt. Der nordöstliche kleine Kellerraum B besitzt ein mittelalterliches Kreuzgewölbe, das im Süden in die Domburgmauer einbindet. Der quadratische Raum mit einer Größe von 3,2 x 3,2 m und einer Mauerstärke von 90 cm gehörte somit zu einem mit der Domburgmauer im Verbund stehenden nördlich vorgelagerten Baukörper und war Teil eines Torhauses. Der Boden besteht aus einem verfestigten schwarzen Laufhorizont. Der Keller ist durch ein Loch in der Decke im Nordosten zum

Teil mit Schutt verfüllt. In der Nordwand befindet sich eine Lichtnische, die nachträglich mit Beton zugesetzt wurde. Die Westwand ist durch einen weiten Bogen in den tonnengewölbten Keller C geöffnet. Keller C besitzt ein Ost-West verlaufendes Ton­nen­gewölbe und hat eine innere Grund­ fläche von 3 x 3 m. Der Eingang befindet sich in der Nordwand. Er wurde nachträglich verbreitert. Gleichzeitig errichtete man eine kleine Zwi­ schen­wand, die den jüngsten Einbau darstellt. Als Treppen wurden zum Teil ehemalige Fenster­ fassungen verwendet. Zuvor entstand ein kleines Podest an der Nordwand, östlich der Treppe. Die Zwischen­wand zum Keller B mit einem kleinen Tür­durch­lass wurde nach der Errichtung des Podestes gebaut, möglicherweise gleichzeitig mit

Kelleruntersuchungen an Beispielen der Paderborner Altstadt

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16  Nördlicher Verlauf der Domburgmauer mit dem Mauerverlauf in der Grabung von 1959–61 und den Mauerresten im Kellerbestand.

der Verbreiterung des Eingangs. In der Westwand befindet sich ein kleines, nachträglich zugemauertes Fenster direkt neben dem Eingang, das auch von außen zu sehen ist. Die Mauerstärke beträgt an der Nord- und Westwand etwa 90 cm. Die schmale tonnengewölbte Nord-Süd verlaufende Decke über dem Eingang zeigt an, dass dieser ursprünglich in gleicher Flucht zum älteren Durchgang durch die Domburgmauer, in der Südwestecke des Raumes, lag und identische Ausmaße besaß. Der Befund stellt einen ursprünglichen Zugang durch einen mit zwei Türen gesicherten Durchgangsraum C in die Domburg dar, wobei die ursprüngliche Situation südlich der Domburgmauer durch den Bau des jüngeren Kellerraums A aus dem späten 16. Jh. nicht mehr rekonstruiert werden kann. Der Durchgangsraum

ermöglichte einen Zugang ins Domstift auch bei geschlossenem Tor. Von diesem Raum wurde wiederum der östlich anschließende Raum B erschlossen, bei dem es sich möglicherweise um einen Schlaf- oder Aufenthaltsraum der hier stationierten Wache handelte. Die Kellerräume B und C wären dann gleichzeitig errichtet, wobei sich das zeitliche Verhältnis zwischen den Räumen während der zeitlich begrenzten Bauuntersuchung im Befund nicht klären ließ. Der Domburgmauer wäre damit ein Baukörper mit zwei Räumen mit einem Gesamtausmaß von 4 x 9 m vorgelagert. Dieser Baukörper mit den beiden von Norden aus ebenerdigen Räumen endet im Westen am Nordtor der Domburg, der heutigen Dompropsteigasse, und stellte im Mittelalter einen östlichen Flan­kie­ rungs­bau eines aufwendig gestalteten Tores dar.

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Resümee

Die Torgasse ist 1388 erstmals schriftlich bezeugt. Sie besaß noch im 16.  Jh. einen Torbogen am unteren nördlichen Teil der Gasse. Auf der westlichen Seite der Dompropstei­ gasse befinden sich im Keller des JohannesHatzfeld-Hauses die Überreste eines weiteren älteren Gebäudes mit 1,1 bzw. 1,45 m dicken Kalk­ bruch­stein­wänden (s. Abb.  12, H). Dieser Bau­ körper mit einem nicht ganz rechteckigen Raum misst 6 x 4,4 m. Er ist auf dem Urkataster von 1830 nicht mehr als Gebäude verzeichnet. Bei einer Ausgrabung im Jahr 2009 konnten Schichten des 16./17.  Jhs. ausgegraben werden, die eindeutig über diesen Baukörper ziehen. Wahrscheinlich handelt es sich um einen kleinen, mittelalterlichen, westlichen Flankierungs­turm des Nordtores. Das nördliche Dom­burgtor besaß demnach eine aufwendige Toranlage mit zwei Flankierungsbauten, die sich über die Jahrhunderte zusammen mit der Dom­burg­mauer an dieser Stelle als Kellerwände erhalten haben (Abb. 16). Die Bauuntersuchung am Nordtor gibt uns einen Eindruck von der Domburg, wie sie sich spätestens seit der Ausbauphase unter Bischof Mein­ werk darstellte. Außer dem Zugang im Norden kennen wir nur einen Zugang im Westen (heute: Schildern, Abb. 12, J) und einen Zugang im Osten (heute: Am Bogen, Abb. 12, E). Über das ursprüngliche Aussehen dieser Toranlagen vermitteln uns ältere Bilder und Pläne einen Eindruck, die einen schmalen, sehr langen Torbogen für das Osttor belegen.40 Ob auch hier mit mittelalterlichen Flan­ kie­rungs­bauten zu rechnen ist, kann nur noch mit Hilfe der Archäologie geklärt werden.

Im Rahmen kontinuierlicher Untersuchungen jedes größeren Bodeneingriffs in der Paderborner Alt­ stadt seit inzwischen über 25 Jahren ist es möglich, neue Kapitel der Architekturgeschichte einer werdenden Stadt zu schreiben. Insbesondere in einer gemeinsamen Formensprache in der baulichen Organisation der Hausstätten reicher Bürger im späten 12. und 13. Jh. lassen sich Netzwerke erkennen, die wesentlich an der Emanzipation der Bürger­ gemeinde gegenüber dem Bischof beteiligt waren. Außer der gleichförmigen Entwicklung dieser Haus­ stätten zunächst mit Fachwerkhäusern und Stein­ werken hin zu straßenseitigen Steingebäuden und einer geschlossenen Straßenfront nach der Über­ bauung der Erschließungsgassen, ist hier auch die Rezeption eines Monumentalbaus (wahrscheinlich des ehemaligen Stadtgrafen) beim Bau des Rathauses zu erkennen. Ein ähnlicher Fall zeichnet sich bei der Bedeutungszunahme des Domkapitels zur Zeit des Investiturstreites bzw. in dessen unmittelbarem Nachgang ab. Im Laufe des 11. Jhs. werden die Vermögen von Bischof und Domkapitel getrennt und die Bischofswahl durch das Domkapitel setzt sich zunehmend durch.41 So gehen im Laufe der zweiten Hälfte des 11. Jhs. die Domkleriker dazu über, sich eigene repräsentative Kurien zu errichten. In Paderborn diente für diese Bauten der von Bischof Meinwerk errichtete Bischofs­ palast als Vorbild. Anderthalbgeschossige, langrechteckige, freistehende Saalbauten in der Osthälfte der Domburg belegen diesen neuen Architektur­typ bisher anhand von fünf bekannten Beispielen.

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Bulla et al. 2007. Spiong 2008a, 35. Spiong 2015, 215–216. Lißner 2008, 79. Spiong 2015, 214. Spiong 2019, 169. Spiong 2018b, 36–37.

König et al. 2003, 147. Moser 1995, 25. Spiong 2021a, 242. Siegfried 2021, 186. Siemers 2006, 90–91. Spiong 2018a, 24. Steinbring 2009, 46–47.

Kelleruntersuchungen an Beispielen der Paderborner Altstadt

Manz 2018. Lißner 2021, 313–314. Moser 1995, 31–33. Bulla et al. 2007, 26–44. Spiong 2021b, 230–232. Isenberg 1987, 37. Bulla et al. 2007, 40. Spiong 2012, 119. Evers / Spiong 2019, 114–115. Spiong 2012, 119–120. Manz / Spiong 2013, 290–291. Manz / Spiong 2013, 294. Spiong 2008b. Niemeyer 2008. Niemeyer 2008, 68–70. Lißner 2008. Spiong 2021c, 40–43. Spiong 2021c, 43. Spiong 2021c, 35–37. Kroker 2007, Bd. 3, 307–317. Bau- und Kunstdenkmäler 1994, 154 und Moser 2002, 9.

36 Gai / Spiong 2009, 238–239. 37 Spiong 2014. 38 Diözesanbaumeisterin Emanuela von Branca sei an dieser Stelle für die gute Zusammenarbeit herzlich gedankt. 39 Moser 2002, Abb. 5. Noch ist der nördliche Verlauf der nördlichen Domburgmauer nicht eindeutig geklärt. Zwar ist der hier vorgestellte Mauerverlauf für den Baubefund und den Grabungsbefund von 1959–61 gesichert, es existiert jedoch noch ein weiter nördlich gelegener Verlauf, der bis fast zur Straße »Thisaut« reicht, an der Nordostecke die Tigge jedoch ausklammert und östlich der Dompropsteigasse wieder an den südlichen Mauerverlauf stößt. Die Reste dieser zweiten nördlichen Domburgmauer wurden an der Nordostecke der Domburg in einer Grabung im Winter/Frühjahr 2020 auf einer Länge von mehr als 10 m erfasst. Ein Anschluss dieses nördlichen Verlaufes des Domburgmauerabschnittes war im von außen heute sichtbaren Teil des Torhauses nicht erkennbar. 40 Bau- und Kunstdenkmäler 1994, 154. 41 Schieffer 2011.

Bau- und Kunstdenkmäler 1994 Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Paderborn (Pader­ born 1899, Nachdruck Warburg 1994).

Der Dom zu Münster 3. Denkmalpflege und Forschung in Westfalen 26,3 (Mainz 2007).

15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

Bulla et al. 2007 A. Bulla / M. Moser / S. Spiong: Die archäologische Ausgrabung am Kötterhagen in Paderborn. Heimatkundliche Schriften­ reihe 38/2007, hg. v. Volksbank Paderborn-Höxter-Detmold. Evers / Spiong 2019 T. Evers / S. Spiong: Frühe Steinbauten am Rande der Min­de­ ner Domburg. Archäologie in Westfalen-Lippe 2018 (2019), 113–118. Gai / Spiong 2009 S. Gai / S. Spiong: Großbaustelle Paderborn. Der Bischofssitz im frühen 11. Jahrhundert, in: Ch. Stiegemann / M. Kroker (Hg.): Für Königtum und Himmelreich. 1000 Jahre Bischof Mein­werk von Paderborn (Paderborn 2009) 238–243. Isenberg 1987 G. Isenberg: Zur Siedlungsentwicklung an der Bäckerstraße nach den Befunden der Ausgrabungen 1973–1979, in: Ausgrabungen in Minden. Bürgerliche Stadtkultur des Mittelalters und der Neuzeit (Münster 1987) 31–48. König et al. 2003 A. König / H. Rabe / G. Streich: Höxter. Band 1. Höxter und Corvey im Früh- und Hochmittelalter (Hannover 2003). Kroker 2007 M. Kroker: Die Domburg. Archäologische Ergebnisse zur Geschichte der Domimmunität vom 8. – 18. Jahrhundert.

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161

162

Sven Spiong

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Abbildungsnachweis 1 LWL-Archäologie für Westfalen/M. Moser u. O. Heilmann. 2, 3 LWL-Archäologie für Westfalen/E. Manz u. O. Heilmann. 4, 5, 7, 10, 12, 13, 16  LWL-Archäologie für Westfalen/S. Spiong und O. Heilmann. 6, 8, 9, 14, 15  LWL-Archäologie für Westfalen/S. Spiong. 11 LWL-Archäologie für Westfalen/B. Lißner u. O. Heilmann. Farbtafel XII  S. Spiong, privat, 2008.

Farbtafeln

Abbildungsnachweis Farbtafeln I II III IV V 

euroluftbild.de/BSF Swissphoto GmbH, 2016. L. Beyenbach, 2021. L. Beyenbach, 2020. A. Brauchle / M. Kohnert, 2014. S. Müller / L. Burghardt, LfA Sachsen, nach Vorlagen von K. Hauswald, Straßennamen redaktionell ergänzt. VI J. Hohmuth / zeitort.de, 2007. VII, IX, X J. Müller, 2021. VIII M. Paul, 1993. XI  Schrägluftbilder (2016) AEROWEST/Stadt­pla­nungs­amt Bamberg. XII  S. Spiong, privat, 2008.

I  Luckau, Luftbild von Süden, 2016.

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Farbtafeln

Nördliche Nördliche Straßenseite Straßenseite 65,00 65,00

GOK GOK

61,00 61,00

1 1

3 3

7 7

5 5

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Südliche Südliche Straßenseite Straßenseite 65,00 65,00

GOK GOK

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43 43

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65,00 65,00

61,00 61,00

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50 50

Gelb: Gelb: Bohlenweg Bohlenweg (1 (1190d), 190d), OK OK 61,70 61,70 m m (W) (W) -- 62,10 62,10 m m (O) (O) Orange: Bohlenweg (1203d-1213d), OK 62,00 m (W) Orange: Bohlenweg (1203d-1213d), OK 62,00 m (W) - 62,40 62,40 m m (O) (O) Rot: Bohlenweg (1230d), OK 62,35 m (W) 62,70 m (O) Rot: Bohlenweg (1230d), OK 62,35 m (W) - 62,70 m (O)

52 52 / / 53 53

0 0

20 20

10 10

30 30 m m

II  Luckau, Geländeschnitt durch die Hauptstraße mit Schnittzeichnungen der Keller und Eintragung der mittelalterlichen Holzbohlenwege.

65,00 65,00 64,00 64,00

GOK GOK

63,00 63,00 62,00 62,00 Unterbau aus Backstein Unterbau aus Backstein

61,00 61,00 0 0

5m m 5

Nr. Nr. 21 21

III  Luckau, Hauptstraße 21 und 22, Schnittzeichnungen der Keller.

Nr. Nr. 22 22

Farbtafeln Markt 16

QG

K26 K25

K16 K27

K24

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K17

K15

-0,00

v

K14

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K10 K12

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westl. SG II

K20

westl. SG III

K22

K13

-3,54

K09

v

K08 Bef-6

-2,80 v

Baufuge in der aufgehenden Bebauung: südl.: SF, nördl.: HG

K07

westl. SG I

östl. SG

-2,57

v

K04

Markt 16

K05

Bauphasen vor 1490 1490–1599 1600–1763 1764–1814

K03

K06 K02

VH

K01

1815–1918

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nach 1918

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N 0

Grundriss Keller, Bauphasen (M 1:200) 254

5

10m

IV  Wittenberg, Markt 16, Bauphasenplan des Kellers.

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534 534 168

Die Die profane profane mittelalterliche mittelalterliche Steinbausubstanz Steinbausubstanz der der Stadt Stadt MeiMei ßen ßen

Farbtafeln Abb.Abb. 1. Lageplan 1. Lageplan der Meißner der Meißner Altstadtkeller, Altstadtkeller, Kellertypologie. Kellertypologie.

Meißen, Keller in der Altstadt

Gruppe frühe Steinhäuser Meißen, Keller1in– der Altstadt Gruppe 2 – rückwärtige Steinwerke Gruppe – Giebelhauskeller Gruppe 1 –3frühe Steinhäuser Gruppe 4 – straßenparallele Gewölbekeller Gruppe 2 – rückwärtige Steinwerke Gruppe – Felsenkeller Gruppe 3 –5Giebelhauskeller Gruppe – neuere Keller Gewölbekeller des späten Gruppe 4 –6straßenparallele 19. u.520. Jhs. Gruppe – Felsenkeller Stadtmauer Gruppe 6 – neuere Keller des späten 19. u. 20. Jhs. 0Stadtmauer 50 150 m 0

50

Albrechts­ burg

150 m

rechten Winkel zum Straßenverlauf liegen. Die bzw. Schmalseite nimmt schon deutlich Bezug e heutigen Baufluchten. Zumindest ein großer

Dom

Domplatz

berg loss Sch

eg hlw Ho

Elbe

Hoh lweg

Leipziger Straße

Beispiel sei hier der stadtseitige Gewölbekeller der DomN N ei Domplatz 7 genannt, der auf 1494 (d) datierbar ist.

r­platz Theate

it ihe Fre

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V  Meißen, Kellerplan der Altstadt.

M ark tg as se

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Marktplatz

t ark inm Kle

Meißen, Meißen, KellerKeller in derinAltstadt der Altstadt Gruppe Gruppe 1in– der frühe 1in–Altstadt frühe Steinhäuser Steinhäuser Meißen, Meißen, Keller Keller der Altstadt Gruppe 2 – rückwärtige Steinwerke Gruppe 2 – rückwärtige Steinwerke Gruppe 3frühe –Steinhäuser Giebelhauskeller Gruppe –– Giebelhauskeller Gruppe Gruppe 1 –3frühe 1 Steinhäuser Gruppe 4rückwärtige – straßenparallele Gewölbekeller Gruppe –– straßenparallele Gewölbekeller Gruppe Gruppe 2 –4rückwärtige 2 Steinwerke Steinwerke Gruppe 5Giebelhauskeller – Felsenkeller Gruppe –– Felsenkeller Gruppe Gruppe 3 –5Giebelhauskeller 3 Gruppe –– neuere KellerKeller des späten Gruppe 6straßenparallele – neuere des späten Gruppe 4 Gewölbekeller Gruppe 4 –6straßenparallele Gewölbekeller 20. Jhs. 19. u.19. Jhs. Gruppe 5 – Felsenkeller Gruppe 520. –u. Felsenkeller Stadtmauer Stadtmauer Gruppe 6 – neuere des späten Gruppe 6 – neuere KellerKeller des späten 20. Jhs. 19. u.19. 20.u.Jhs. 0Stadtmauer 0Stadtmauer 50 50 150 m150 m 0

0

50

50

150 m150 m

15 15 hundert hundert einordnen. einordnen. Die Die rückwärtige rückwärtige LageLage gibt gibt Anlass, Anlass, die im die rechten im rechten Winkel Winkel zumzum Straßenverlauf Straßenverlauf liegen. liegen. Die Die diesediese Keller Keller als Indiz als Indiz für „spezielle für „spezielle Zusatzgebäude Zusatzgebäude oderoder StirnStirnbzw.bzw. Schmalseite Schmalseite nimmt nimmt schon schon deutlich deutlich Bezug Bezug steinerne steinerne Hinterhäuser, Hinterhäuser, die zu diehölzernen zu hölzernen Wohngebäuden Wohngebäuden auf auf die die heutigen heutigen Baufluchten. Baufluchten. Zumindest Zumindest ein ein großer großer gehörten“ gehörten“ (Hoffmann/Richter (Hoffmann/Richter 2012, 2012, 169),169), anzusprechen. anzusprechen. 15 • Gruppe • Gruppe 3: Bei 3: der Bei größten der größten Gruppe Gruppe handelt handelt es sich es sich um um 15 Als Beispiel Als Beispiel sei hier sei der hierstadtseitige der stadtseitige Gewölbekeller Gewölbekeller der Domder Dom-

VI  Brandenburg an der Havel, Luftbild der Neustadt von Südwesten, 2007.

Farbtafeln 169

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Farbtafeln

ALTSTADT

DOMINSEL

NEUSTADT

VII  Brandenburg an der Havel, Innenstadt. Eingetragen sind die Untersuchungen mit Erkenntnissen zur Baugeschichte. Die Nummern bezeichnen die im Text von Joachim Müller (S. 97–118) genannten Keller.

VIII  Brandenburg an der Havel, Altstadt, Bäckerstraße 14. Längsschnitt durch Haus und Keller, Baualtersplan.

Farbtafeln 171

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Farbtafeln

IX  Brandenburg an der Havel, Plan der Altstadt mit Kartierung der Braugrundstücke nach Hedemann 1722/24 und Eintragung der Kelleranlagen mit Vorschlag zur Altersbestimmung, rot: vermutlich mittelalterliche Keller.

Farbtafeln

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X  Brandenburg an der Havel, Plan der Neustadt mit Kartierung der Braugrundstücke nach Hedemann 1722/24 und Eintragung der Kelleranlagen mit Vorschlag zur Altersbestimmung, rot: vermutlich mittelalterliche Keller.

XI  Bamberg, Luftbild mit dem Domberg im Vordergrund, Ansicht von Süden, 2016.

174 Farbtafeln

XII  Paderborn, Luftbild des Dombezirks, Ansicht von Nordosten, 2008.

Farbtafeln 175