Staatssoziologie: Soziologie der rationalen Staatsanstalt und der modernen politischen Parteien und Parlamente. Mit einer Einführung und Erläuterungen hrsg. von Johannes Winckelmann [3 ed.] 9783428535101, 9783428135103

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Staatssoziologie: Soziologie der rationalen Staatsanstalt und der modernen politischen Parteien und Parlamente. Mit einer Einführung und Erläuterungen hrsg. von Johannes Winckelmann [3 ed.]
 9783428535101, 9783428135103

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MAX WEBER

Staatssoziologie O Dritte Auflage

Duncker & Humblot · Berlin

MAX WEBER

Staatssoziologie

Staatssoziologie Soziologie der rationalen Staatsanstalt und der modernen politischen Parteien und Parlamente

Von

Max Weber Mit einer Einführung und Erläuterungen herausgegeben von

Johannes Winckelmann Dritte Auflage

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage 1956 2., durchgesehene und ergänzte Auflage 1966 3. Auflage (Neusatz auf Basis der Ausgabe von 1966) Alle Rechte vorbehalten # 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Neusatz auf Basis der Ausgabe von 1966 Printed in Germany ISBN 978-3-428-13510-3 (Print) ISBN 978-3-428-53510-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-83510-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 * ∞ Internet: http://www.duncker-humblot.de

Inhalt Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Staatssoziologie. Soziologie der rationalen Staatsanstalt und der modernen politischen Parteien und Parlamente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 1. Die Entstehung des rationalen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 2. Der rationale Staat als anstaltsmäßiger Herrschaftsverband mit dem Monopol legitimer Gewaltsamkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 3. Der staatliche Herrschaftsbetrieb als Verwaltung. Politische Leitung und Beamtenherrschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 4. Parteiwesen und Parteiorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

§ 5. Das Parlament als Staatsorgan und das Problem der Verwaltungsöffentlichkeit. Die Aufgabe der Führerauslese. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

§ 6. Parlamentarismus und Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Legale Herrschaft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Traditionelle Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109

III. Charismatische Herrschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Erläuterungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zur Einführung Nachdem Max Weber im Sommer 1909 die Schriftleitung des Sammelwerkes „Grundriß der Sozialökonomik“ übernommen, den Plan der „Einteilung des Gesamtwerkes“ aufgestellt und einen entsprechenden Mitarbeiterkreis von Fachgelehrten gewonnen hatte, mußte er alsbald die Erfahrung machen, daß die Unterbringung der einzelnen Beiträge und ihre fristgerechte Ablieferung sich höchst schwierig gestalteten. Er äußerte sich hierüber in einem Rundschreiben an die Verfasser der verschiedenen Beiträge, in das er die resignierte Feststellung einfließen ließ, er habe sich schließlich sehr gegen seinen Willen zu dem Entschluß veranlaßt gesehen, in der Abteilung III „eine ziemlich umfassende soziologische Erörterung“ selbst zu übernehmen, wie es in dieser Art nicht seine Absicht gewesen sei1. In den Jahren 1911 bis 1913 hat dann Max Weber das Manuskript seines Beitrages „Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“ niedergeschrieben. Der Plan, den er seinem Manuskript zugrundelegte, wurde von ihm selbst in den einzelnen Bänden des „Grundriß“, die ab Sommer 1914 zu erscheinen begannen, in der diesen beigegebenen „Einteilung des Gesamtwerkes“, also nach der Abfassung seines Manuskripts, veröffentlicht. Der weitere Verlauf hat es mit sich gebracht, daß Max Weber in der ausführlichen Übersicht über die Einteilung des Gesamtwerkes im Verlagsbericht J. C. B. Mohr auf das Jahr 19142, die die einzelnen Beiträge unter Angabe des je in Aussicht genommenen Verfassers aufführt, sich notgedrungen bei weiteren sieben Beiträgen als Bearbeiter eingesetzt hat3. Die unveränderte Einteilung des Gesamtwerkes wurde unter der Redaktion Max Webers in allen bis zum Ende des ersten Weltkrieges herauskommenden Bänden des „Grundriß“ abgedruckt. Die noch von ihm selbst zum Druck beförderte erste Lieferung seines eigenen Beitrages (1921) fügte sich nach Titel und Untertiteln genau dieser Planeinteilung ein. Von dem Vorliegen des Manuskripts seines soziologischen Beitrages für den Grundriß hat Max Weber der Öffentlichkeit erstmals in der Ein-

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gangsfußnote zu seinem Kategorienaufsatz Kenntnis gegeben, der im dritten Heft der Zeitschrift Logos 1913 erschien4. Aus der gleichen Anmerkung geht hervor, daß Max Weber schon bald an den einleitenden methodischen Ausführungen seines Beitrages ein Ungenügen empfunden haben muß, da er sie aus der Gesamtmasse des Manuskripts herausgelöst und teilweise in den Kategorienaufsatz als dessen zweiten Teil eingearbeitet hat. Wir wissen, daß seitdem die „Einleitung“5 in seine große Soziologie ihn gedanklich nicht mehr losgelassen hat, bis er im letzten Jahr seines Lebens die bis dahin ausgearbeiteten Teile der „Allgemeinsten Kategorien der Gesellschaftswissenschaft“6 in Form einer umfangreichen soziologischen Kategorienlehre als Anfang des Ersten Teils seiner Soziologie druckfertig machen konnte. Diese Begriffstypologie erschien als Erste Lieferung des beabsichtigten Ganzen im Jahre 1921, nachdem der Tod schon in der Mitte des Vorjahres Max Weber die Feder aus der Hand genommen hatte. Bei der Nachlaßsichtung stellte sich heraus, daß zwar das ältere Manuskript vorhanden war, daß jedoch die beiden letzten Themen des von Max Weber selbst veröffentlichten Plans nicht zur Ausführung gelangt waren. Dringendere Aufgaben müssen sich dem Verfasser in der zweiten Jahreshälfte 1913 in den Vordergrund gedrängt haben, und er ließ das Manuskript liegen. Der Verein für Sozialpolitik war dabei, seine für den Herbst 1914 in Aussicht genommene Tagung vorzubereiten. Demzufolge wurde der Hauptausschuß einberufen. Dabei sollte zugleich die berühmte Frage der Wert(urteils)freiheit der ökonomischen und soziologischen Wissenschaften diskutiert werden. Zur Vorbereitung dieser Werturteilsdiskussion lieferte Max Weber eine gutachtliche Äußerung, die (zusammen mit anderen) im Jahre 1913 als Manuskript durch den Verein gedruckt, im Jahre 1917 von Max Weber in umgearbeiteter Form, wiederum im Logos, veröffentlicht wurde7. Der Ausschuß tagte am 4. und 5. Januar 1914 in Wien, und am zweiten Sitzungstage nahm die denkwürdige Werturteilsdiskussion ihren dramatischen Verlauf8. Dann nahmen die Vorbereitungsarbeiten für das Erscheinen der ersten Bände des „Grundriß“ die Tätigkeit Max Webers vollauf in Anspruch. Das das Gesamtwerk einleitende Vorwort von Schriftleitung und Verlag aus der Feder Max Webers trägt das Datum des 2.  Juni 19149. Danach folgte der Hereinbruch des Schicksals. Der unfertige Schluß des Manuskripts ließ Max Weber so wenig Ruhe wie der neuzugestaltende Anfang. Als er im Jahre 1918 eine Anzahl

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im Vorjahre in der Frankfurter Zeitung erschienener politischer Aufsätze zu einer umfangreichen Broschüre unter dem Titel „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“ umformte, benutzte er die Gelegenheit, eine Fülle staatssoziologischer Grundeinsichten zur Erläuterung und Begründung seiner politischen Thesen in die Schrift einzuarbeiten. Und im Sommer 1918, als Max Weber seine Vorlesungstätigkeit zunächst als Gastprofessor an der Wiener Universität wieder aufnahm, hielt er neben der großen Vorlesung über „Positive Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung“ ein zweistündiges Kolleg „Staatssoziologie“10. Der im folgenden Winter, Anfang 1919, gehaltene Vortrag „Politik als Beruf “ erweitert sich ihm bei der Umarbeitung für den Druck11 in seinen Anfangsteilen zu einer eingehenden theoretischen Darlegung der soziologischen Voraussetzungen rationaler Staatstätigkeit und modernen Parteiwesens. Nach der Übernahme des Brentanoschen Lehrstuhls liest Max Weber in seinem zweiten Münchener Semester (Winter 1919/20) seine letzte vollständige Vorlesung „Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“, zu der ihn die Studenten gegen seinen Wunsch gedrängt hatten, deren IV. Kapitel § 8 die Entstehung des rationalen Staates behandelt12. Die für den Sommer 1920 angekündigte Vorlesung „Allgemeine Staatslehre und Politik“ wird – nach übereinstimmenden Kollegnachschriften – tatsächlich wiederum unter dem Titel „Staatssoziologie“ gehalten. Man erkennt deutlich: Max Webers Denken der letzten drei Jahre seines Lebens kreist um das Thema Staatssoziologie, und die Veröffentlichungen, Vorlesungen und Vorträge dieser Zeit bedeuten – entsprechend dem gleichen Vorgang bei der soziologischen Kategorienlehre – zugleich eine Sammlung und Vorbereitung für die Vollendung des Manuskripts seiner großen Soziologie. Dazu, wie zu unendlich vielem Andern, ist es nicht mehr gekommen. Aber in den Schriften und Nachschriften seiner letzten Jahre liegen bereits erhebliche Einzelteile, wenn auch wesentlich als gedankliche Vorarbeit, gedruckt vor. Die endgültige Ausarbeitung des Schlußabschnitts fehlt. So blieb das große Werk unvollendet. Im Jahre 1949 wurde von dem Herausgeber in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft13 zu zeigen versucht, inwiefern die bisherige Ausgabe von „Wirtschaft und Gesellschaft“ den dem Manuskript inhärenten konstruktiven Grundgedanken und dessen Entfaltung in der Gliederung des Werkes verfehlt hat. Zum andern läßt sich mit Hilfe des veröffentlichten Gedankenguts Max Webers jedenfalls in Umrissen eine

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Abrundung des nachgelassenen Textes in Gestalt von sechs Paragraphen zur „Staatssoziologie“ erzielen und damit das Hauptwerk Max Webers zu einem solchen Abschluß bringen, daß es in der ganzen Großartigkeit, Schlüssigkeit und Fülle seiner Konzeption in Erscheinung tritt. Der Herausgeber hat diesen Versuch gewagt. Bei der Neugestaltung von „Wirtschaft und Gesellschaft“ waren die Textbereinigung der bisherigen Teile (das Manuskript ist unauffindbar), daneben die Entscheidung über die für den anzufügenden – aus Texten Max Webers zu entwickelnden – staatssoziologischen Schluß zu treffende Auswahl die schwierigsten Aufgaben. Ohne Frage ist die Schließung der vorhandenen Lücke durch Zusammenfügung der grundsätzlichen staatssoziologischen Erkenntnisse Max Webers aus seiner gleichfalls posthum edierten „Wirtschaftsgeschichte“14 sowie aus der politischen Abhandlung „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“15 und dem Vortrag „Politik als Beruf “16 ein Wagnis, das sich erheblichen Bedenken gegenübersieht und sorgfältiger Erwägung bedurfte. Wenn die Entscheidung, wesentlich im didaktischen Interesse und unter strikter Beschränkung auf das Strukturelle und Grundsätzliche, gleichwohl für eine Aufnahme der ausgewählten Textstellen als Schlußabschnitt in „Wirtschaft und Gesellschaft“ ausgefallen ist, so deswegen, weil diese prinzipiellen Ausführungen Max Webers seine Einsichten in die Soziologie des Staates plastisch hervortreten lassen und ihnen eine so aufschlußreiche Erkenntnisbedeutung beizumessen ist, daß sie dem in das Verständnis seiner Soziologie als einem Ganzen Eindringenden an ihrem eigentlichen „typologischen Ort“ nicht aus noch so pietätvollen Erwägungen vorenthalten werden sollten. Erkennt man diese Gesichtspunkte an, so wird der Versuch gerechtfertigt erscheinen, zur Abrundung des Werkes eine Übersicht über die Gesamtkonzeption und -stoffmasse zu geben und so dafür Sorge zu tragen, daß nicht die an verschiedenen Stellen außerhalb des Hauptwerkes eingestreuten theoretischen Grundeinsichten Max Webers in die Soziologie des rationalen Staates unwahrgenommen bleiben oder in dem systematischen Zusammenhang von universeller Bedeutung, in dem sie in Wahrheit stehen, verkannt werden. Der Schluß von Max Webers selbstverfaßtem und veröffentlichtem ursprünglichen Plan seiner Soziologie, der tatsächlich dem Manuskript

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zugrundelag, sah am Ende der Herrschaftssoziologie die später von ihm selbst als „Staatssoziologie“ bezeichneten Teilabschnitte vor: 8d) Die Entwicklung des modernen Staates; 8e) Die modernen politischen Parteien. Die nähere Prüfung ergab, daß nach Max Webers eigenen Darlegungen diese Trennung nicht aufrechterhalten werden kann. In Abweichung von seinem früheren Plan hat nämlich Max Weber in der von ihm selbst im Jahre 1920 zum Druck gegebenen Kategorienlehre die materiale Darstellung der Struktur und Funktion der Parteien in die „Staatssoziologie“ verwiesen17. Da ferner die Parlamente den Typus des modernen „legalen Staates mit Repräsentativverfassung“ charakterisieren, in ihrer Funktion jedoch wiederum „ohne das Eingreifen der Parteien nicht zu erklären“ sind18, so erscheint eine getrennte Behandlung der modernen Strukturformen des Staates, der Parteien und der Parlamente nicht möglich. Die den rationalen Staat, das Parlament und die Parteien betreffenden Ausführungen waren daher innerhalb des die Soziologie der Herrschaft behandelnden Kapitels in einem einheitlichen Abschnitt zusammenzufassen. Für die typologische Eingliederung des die Soziologie der Herrschaft und damit das ganze Werk abrundenden Schlußabschnitts in „Wirtschaft und Gesellschaft“ ergibt sich damit folgendes Bild: Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Parlamente (Staatssoziologie). § 1. Die Entstehung des rationalen Staates. § 2. Der rationale Staat als anstaltsmäßiger Herrschaftsverband mit dem Monopol legitimer Gewaltsamkeit. § 3. Der staatliche Herrschaftsbetrieb als Verwaltung. Politische Leitung und Beamtenherrschaft. § 4. Parteiwesen und Parteiorganisation. § 5. Das Parlament als Staatsorgan und das Problem der Verwaltungsöffentlichkeit. Die Aufgabe der Führerauslese. § 6. Parlamentarismus und Demokratie.

Für die Zwecke der hier vorliegenden Einzelausgabe hat es dagegen der Herausgeber für richtig gehalten, die generelle Bezeichnung „Staatssoziologie“ als Haupttitel voranzustellen und diesem eine zusammenfassende Angabe des gedanklichen Gehalts der sechs Paragraphen als Untertitel folgen zu lassen.

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Die eingehende Untersuchung bei der Gewinnung des Textes im Rahmen der vorstehenden Stoffanordnung zeigte höchst aufschlußreiche Bezüge. Die ganz auf das Anschauliche gestellte Durchdringung des soziologischen Gestaltungsprozesses des modernen Staates in den lehrhaften Abschnitten und staatstheoretischen Ausführungen der vorerwähnten drei Schriften nimmt in der Konkretisierung das Gedankenmaterial der Begriffe und Themen des Hauptwerkes auf und belebt diese mit innerer Anschaulichkeit, um so zugleich den gedanklich-systematischen Ort der Betrachtungen auszuweisen. Die dergestalt von Max Weber in den letzten Jahren erarbeiteten und in den genannten Schriften vorgeformten Grundeinsichten in die Soziologie des Staates fügen sich auf eine überraschende Weise der in der Neufassung sichtbar gemachten Gesamtkonzeption von „Wirtschaft und Gesellschaft“ ein und erhellen den einheitlichen Denkzusammenhang der gesamten Herrschaftssoziologie Max Webers. Aus der Erkenntnis dieses inneren Zusammenhanges ergab sich zugleich die gedankliche Gliederung der an den Schluß des Hauptwerkes gestellten staatssoziologischen Einzelausführungen in der vorgenommenen Unterteilung. Die Einteilung in Paragraphen und die Wahl der Überschriften wurde vom Herausgeber vorgenommen. Dieser Disposition sind die Auswahl und die Reihenfolge der zum Abdruck gebrachten Partien unter Beiseitelassung aller nicht prinzipiellen Ausführungen und unter Vornahme weitgehender Streichungen und vielfacher Umstellungen angepaßt worden. Der Text ist überall derjenige Max Webers; jedoch wurden reine Werturteile eliminiert, und die Fassung ist mehrfach aus der Anrede- in die Aussageform übertragen worden. Da die Ursprungsschriften der Öffentlichkeit vorliegen, werden gegen die Art der Textbehandlung für die besonderen Zwecke der systematischen Darstellung keine durchschlagenden Bedenken geltend zu machen sein. Während im Ausland in Übersetzungen nur Teile von „Wirtschaft und Gesellschaft“ erschienen sind19, entspricht es einem wissenschaftlichen Bedürfnis, in Deutschland die Originalausgabe von Max Webers großer Soziologie in einer wissenschaftlich-kritischen Ausgabe und in denkbarer Vollständigkeit herauszubringen. Nachdem Max Weber noch in seinem letzten von ihm selbst herausgebrachten Werk, der ersten Lieferung von „Wirtschaft und Gesellschaft“, wiederholt ausdrücklich auf seine künftige „Staatssoziologie“, als welche in die „Einzeldarstellung“ des Werkes gehöre, hingewiesen hat20, darf es als ein

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wissenschaftlich legitimes Anliegen angesehen werden, diesen seinen letzten Willen auszuführen und sein hinterlassenes Hauptwerk mittels seines eigenen, hierzu vorbereitend bereits formulierten und veröffentlichten Gedankengutes zu schließen. Die hier vorgelegte Einzelausgabe der auf solche Weise gewonnenen „Staatssoziologie“ – vermehrt um die damit in engstem gedanklichen Zusammenhang stehende posthume Abhandlung über „Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft“, die gleichfalls (siehe unten S. 112) auf die „Staatssoziologie“ verweist21, – möchte die Gedanken Max Webers einem erweiterten Leserkreis zugänglich machen. Unwillkürlich sieht sich der Leser zu der Frage gedrängt, welchen weiteren Inhalt Max Weber seiner „Staatssoziologie“ gegeben haben würde22. Auch hierfür hält das vorhandene Material eine gewisse Antwort bereit. Einmal durch Heranziehung der erreichbaren Nachschriften des letzten, die „Staatssoziologie“ behandelnden Kollegs23, zum andern durch Betrachtung der im Ersten Teil von „Wirtschaft und Gesellschaft“ vorhandenen Bezugnahmen Max Webers auf die spätere „Sonderdarstellung“, soweit sie nicht durch Ausführungen in den bisherigen Titeln des Zweiten Teils von „Wirtschaft und Gesellschaft“ belegt sind24. Bei Zugrundelegung der von Max Weber zu Beginn seiner letzten staatssoziologischen Vorlesung diktierten Disposition und der Verweisungen in seiner „Soziologischen Kategorienlehre“ auf die Sonderdarstellung im Zweiten Teil von „Wirtschaft und Gesellschaft“ nach Abzug der in den bisherigen Teilen des Werkes vorliegenden diesbezüglichen Einzelausführungen ergibt sich als mögliche Fortsetzung der „Staatssoziologie“ folgende Übersicht der Thematik: §  7. Formen der Demokratie. §  8. Rationale Staatsgewalt und Selbstverwaltung. §  9. Der Rationalismus des modernen Staates und sein Verhältnis zu den kirchlichen Gewalten. § 10. Politische Gewalt und Heeresgewalt. § 11. Das Abgabenwesen im modernen Staat. § 12. Staatsform und Wirtschaftsform. § 13. Die politischen Umwälzungen. § 14. Der Rätestaat. § 15. Innere Staats- und Wirtschaftsstruktur und auswärtige Politik.

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Was nun in sachlicher Beziehung die auf den nachfolgenden Seiten gebrachten Darlegungen zur „Staatssoziologie“ angeht, so tragen die wenigen Paragraphen ein ganz eigenartiges Gepräge und stehen mit dem Ganzen der „Herrschaftssoziologie“ Max Webers in einem geschlossenen, vielbezügigen Sinnzusammenhang. Am stärksten in die Augen springt die Darstellung des architektonischen Baues des modernen Staates: die Betriebs- und Anstaltsstruktur des erst in der Neuzeit herausgebildeten einheitlich-rationalen Staates (Anstaltsstaat), dem das moderne politische Parteiwesen mit seinem ebenfalls rationalen Betriebs- und Organisationscharakter sich vermöge der von ihm beherrschten Parlamentsstruktur zu integrieren bestrebt sein muß25. Dies zu dem ausgesprochenen Zweck, daß der anstaltsmäßige Herrschaftsverband nicht kraft einer aus ihm selbst, aus seiner notwendig und stets zunehmend bürokratischen Struktur entwickelten Beamtenherrschaft, sondern – angesichts und trotz seiner niemals rein beamtlichen Spitze26 – von einer aus dem Parlament entwickelten und von ihm laufend kontrollierten, in spezifischem Sinn politisch bestimmten Gruppe regiert und geführt werde. Es ist ferner von hervorragendem Interesse, daß Max Webers „Staatssoziologie“ den modernen rationalen Staatsbegriff scharf absetzt gegenüber früheren Herrschaftsstrukturen des okzidentalen politischen Gemeinwesens27 und daß ihm die Entwicklung des modernen rationalen Staates identisch ist mit der Entstehungsgeschichte des modernen Fachbeamtentums, d. h. mit der Ausbildung der rationalen Bürokratie28. Auch läßt sich prinzipiell die Entstehung des rationalen Staates im modernen Sinn auf einen bestimmten Zeitpunkt fixieren. Es ist die tatsächlich welthistorische Situation, in der eine Anzahl herrschaftsstruktureller Momente Realität gewinnen: die Stabilisierung einer fürstlichen Eigenverwaltung im Sinne eines rational ausgerichteten, persönlich und sachlich allein vom Fürsten abhängigen „Verwaltungsstabes“, die Einschmelzung aller autonomen politischen Verbände in die eine staatliche Zwangsanstalt, die Monopolisierung des Eigentums an den Verwaltungsmitteln durch die staatliche Zentralinstanz, die Schaffung einer fürstlich-autonomen Finanzquelle (Schatz, Eigenhandel, Monopolvergabe) oder Finanzverwaltung (vectigalia perpetua), die Entstehung des miles perpetuus in der Hand des Fürsten, die Errichtung des staatlichen Monopols legitimer Gewaltsamkeit sowie die (allmähliche) Monopolisierung der Rechtsschöpfung in der staatlichen

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Spitze und damit die „Verstaatlichung“ aller Rechtsnormen überhaupt. Unter der Signatur eines ersten, in diesem Sinne „staatlichen“ Systems der Wirtschaftspolitik gesehen, wird die modern-staatliche Entwicklung erstmals in der Epoche des sogenannten „Merkantilismus“ manifest. Der Kampf der um die Macht konkurrierenden Nationalstaaten in Verbindung mit dem ständig fortschreitenden Prozeß der allgemeinen Intellektualisierung und Rationalisierung hat aus diesen Anfängen das stahlharte, unentrinnbare Gehäuse der rationalen, anstaltsstaatlichen Bürokratisierung mit allen ihren notwendigen Konsequenzen für die Kulturmenschheit hervorgehen lassen. In dem nunmehr entfesselten Ringen aber zwischen „Beamtentum“ und „Parteiwesen“, konkret: zwischen der Macht der Bürokratie und der Parlamentsmacht, wird das dramatische Schauspiel eines nochmaligen Kampfes  – und alle „Politik ist Kampf “ – zwischen „Staat und Gesellschaft“ sichtbar: eines auf absehbare Zeit offensichtlich letzten Kampfes. Denn „danach“, d. h. sollte die Partie für die „Gesellschaft“ verloren gehen, wäre für die freiheitliche Kulturmenschheit einzig der Quietismus des „Pazifismus der Ohnmacht“ zu erwarten: Friedhofsruhe, Fronherrschaft und Fellachentum. Als Mittel der Sicherung in diesem Machtkampf stehen dem Parlament nur zwei Wege offen: die Erzwingung der Verwaltungsöffentlichkeit und die Entwicklung einer in der politischen und parlamentarischen Arbeit mit Einschluß der Verwaltungsüberwachung geschulten Führerauslese. Nur auf diese Weise kann aus der Kampfsituation eine Kräftekonsolidierung gewonnen und entfaltet werden, und dazu bedarf es der Gestaltung des Parlaments zu einem zugleich machtvollen und politisch-administrativ geschulten Staatsorgan29. Die Bürokratie bedarf der politischen Leitung; aber auch das Parlament und die Wähler brauchen Führung. Diese Konzeption hat bei Max Weber zur gedanklichen und faktischen Voraussetzung eine zu eigenem Recht institutionalisierte Staatsspitze sowie unter ihrer Autorität eine intakte, in einem eigenständigen staatstragenden Beamtentum verkörperte Exekutive als Gegenspieler des parlamentarischen Systems. Die starke Stellung des Reichspräsidenten in dem amtlichen deutschen Verfassungsentwurf von 1919 ging – ebenso wie das korrelative Gegengewicht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse – auf das entschiedene Eintreten Max Webers zurück, der an der Ausarbeitung maßgebend mitgewirkt hat29a. Die den Entwurf begleitende Denkschrift des damaligen Staatssekretärs im

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Reichsamt des Innern Hugo Preuß sagt denn auch ausdrücklich: „Der echte Parlamentarismus setzt zwei einander wesentlich ebenbürtige höchste Staatsorgane voraus. In der parlamentarischen Monarchie steht die Krone neben dem Parlament. In der parlamentarischen Demokratie, in der alle politische Gewalt vom Volkswillen ausgeht, erhält der Präsident die ebenbürtige Stellung neben der vom Volke unmittelbar gewählten Volksvertretung nur, wenn er nicht von dieser selbst, sondern unmittelbar vom Volke gewählt wird. Für Wahl und Wiederwahl ist er also vom Parlament unabhängig29b.“ Max Webers nachdrückliche Warnung galt drei spezifischen Fehlentwicklungen des Parlamentarismus, deren jede für sich in der Potenzierung den Sinn parlamentarischer Teilhabe am Regiment, d. h. an der Ausübung der Staatsgewalt, aufheben kann: der parteipolitischen „Klüngelherrschaft“, d. h. dem Schachern und Kuhhandel in für die Nation politisch entscheidenden Sachfragen um Posten, Patronageund fraktioneller Vorteile willen30; der parlamentarischen „Mehrheitswirtschaft“, d. h. dem Absolutismus der jeweiligen Majoritäten, das ihnen gerade aus gleich welchen Gründen willkommen Erscheinende in Recht und Legalität zu verwandeln31; der Verwandlung der Volksvertretung als Stätte gewissenhafter, echter politischer Entscheidung in ein „Banausenparlament“ durch das siegreiche Eindringen abhängiger Interessenvertreter in das parlamentarische Getriebe32. So hat es Max Weber gesehen. Zugleich aber erkennt er das in der modernen Massendemokratie – wie in der ihr darin ähnlichen attischen Form – notwendig beschlossene letale Gefahrenmoment: die Gefahr des „Cäsarismus“. Auch ihr läßt sich (in den Gedankenbahnen der „Staatssoziologie“ Max Webers) ausschließlich durch die Existenz und unablässige Bewährung eines starken und selbstbewußten Parlaments begegnen, das vor der Größe der Führungsaufgabe in sturmbewegter Zeit kein Sichversagen kennt, wie dies das welthistorische Beispiel der englischen Parlamentsgeschichte der letzten hundert Jahre in großartiger Weise demonstriert hat33. Als Fazit der staatssoziologischen Lehre Max Webers, die getragen ist von dem Pneuma seiner Persönlichkeit, läßt sich erkennen: für Max Weber gilt es, gegen die zerstörende Gewalt der politischen Emotionalität einzusetzen die gestaltende Kraft verantwortungsbewußter menschlich-freiheitlicher Vernünftigkeit, gegen die destruktive Macht der entmenschlichenden Rationalisierung und Mechanisierung den

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tatkräftigen Aufschwung der Geister und der Herzen. So erweist sich ihm auch der Bereich der Politik als dem nämlichen Prinzip zugeordnet wie die übrigen Seinsweisen abendländischen Menschentums: der regulativen Idee der Freiheit des Menschen unter der Selbstbestimmung der Vernunft34/35.

Staatssoziologie Soziologie der rationalen Staatsanstalt und der modernen politischen Parteien und Parlamente § 1. Die Entstehung des rationalen Staates1 Staat im Sinne des rationalen Staates hat es nur im Okzident gegeben. Der ständige friedliche und kriegerische Kampf konkurrierender Nationalstaaten um die Macht schuf dem neuzeitlich-abendländischen Kapitalismus die größten Chancen. Der einzelne Staat mußte um das freizügige Kapital konkurrieren, das ihm die Bedingungen vorschrieb, unter denen es ihm zur Macht verhelfen wollte. Aus dem notgedrungenen Bündnis des nationalen Staates mit dem Kapital ging der nationale Bürgerstand hervor, die Bourgeoisie im modernen Sinn des Wortes. Der geschlossene nationale Staat also ist es, der dem Kapitalismus die Chancen des Fortbestehens gewährleistet; solange er nicht einem Weltreich Platz macht, wird also auch der Kapitalismus dauern2. Im chinesischen Ancien Régime3 saß über der ungebrochenen Macht der Sippen, Gilden und Zünfte eine dünne Schicht sogenannter Beamter, der Mandarinen. Der Mandarin ist in erster Linie ein humanistisch gebildeter Literat, der eine Pfründe besitzt, selbst aber nicht im geringsten für die Verwaltung geschult ist, keine Jurisprudenz kennt, sondern vor allem Kalligraph ist, Verse machen kann, die Jahrtausende alte Literatur der Chinesen kennt und sie zu interpretieren imstande ist. Auf politische Leistungen wird bei ihm kein Gewicht gelegt. Ein solcher Beamter verwaltet nicht selbst; die Verwaltung liegt vielmehr in den Händen der Kanzleibeamten. Der Mandarin wird von Ort zu Ort versetzt, damit er nicht in seinem Verwaltungsbezirk Fuß faßt; er darf sogar in seiner Heimatprovinz nicht angestellt werden. Da er nie den Dialekt seiner Provinz versteht, kann er mit dem Publikum nicht verkehren. Ein Staat mit solchen Beamten ist etwas anderes als ein okzidentaler Staat. In Wirklichkeit beruht hier alles auf der magischen

§ 1. Die Entstehung des rationalen Staates

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Vorstellung, daß die Tugend des Kaisers und der Beamten, d. h. ihre Vollkommenheit in literarischer Bildung, in normalen Zeiten alles in Ordnung hält. Tritt aber Dürre ein oder sonst ein unangenehmes Ereignis, so ergeht ein Edikt, daß die Prüfungen im Versemachen verschärft oder die Prozesse beschleunigt werden, weil sonst die Geister in Aufregung geraten. Das Reich ist ein Agrarstaat. Daher ist die Macht der bäuerlichen Sippen, auf denen neun Zehntel der Wirtschaft beruht und neben denen noch Gilden und Zunftverbände stehen, völlig ungebrochen. Im wesentlichen ist alles sich selbst überlassen. Die Beamten regieren nicht, sondern greifen nur bei Unruhen und unangenehmen Zwischenfällen ein. Anders der rationale Staat, in dem allein der moderne Kapitalismus gedeihen kann. Er beruht auf dem Fachbeamtentum und dem rationalen Recht. Zur Verwaltung durch ein Fachbeamtentum an Stelle eines humanistisch gebildeten ist der chinesische Staat schon im 7. und 11. Jahrhundert übergegangen. Aber nur vorübergehend ließ sie sich durchsetzen; dann trat die übliche Mondfinsternis ein, und die ganze Sache wurde wieder umgeworfen. Daß etwa die chinesische Volksseele das Fachbeamtentum nicht ertragen hätte, kann im Ernst nicht behauptet werden. Sein Aufkommen (und damit das des rationalen Staates) wurde vielmehr durch die Ungebrochenheit der Magie verhindert. Daher konnten auch niemals die Sippenverbände gesprengt werden, wie das im Okzident durch die städtische Entwicklung und durch das Christentum geschehen ist. Das rationale Recht des modernen okzidentalen Staates, nach welchem das fachmännisch gebildete Beamtentum entscheidet, stammt nach der formalen Seite, nicht dem Inhalt nach, aus dem römischen Recht. Dieses ist zunächst ein Produkt des römischen Stadtstaates, der niemals im Sinn der griechischen Stadt die Demokratie und damit deren Justiz zur Herrschaft hat kommen sehen. Ein griechisches Heliastengericht übte Kadijustiz; die Parteien wirkten durch Pathos, Tränen und Beschimpfungen des Gegners auf die Richter. Dieses Verfahren hat man, wie Ciceros Reden zeigen, auch in Rom im politischen Prozeß gekannt, nicht aber im Zivilprozeß, wo der Prätor einen iudex einsetzte, dem er strenge Weisungen für die Voraussetzungen der Verurteilung des Beklagten oder der Abweisung der Klage gab. In dieses rationale Recht hat dann unter Justinian die byzantinische Bürokratie

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Staatssoziologie

Ordnung gebracht, aus dem natürlichen Interesse der Beamten, ein systematisiertes, endgültig fixiertes und daher leichter lehrbares Recht zu besitzen. Mit dem Zerfall des römischen Reiches im Westen kam das Recht in die Hände der italienischen Notare. Sie, und sekundär die Universitäten, haben die Wiedererweckung des römischen Rechts auf dem Gewissen. Die Notare behielten die alten Kontraktformeln des römischen Rechtes bei und gestalteten sie den Zeitbedürfnissen entsprechend um; neben ihnen bildete sich an den Universitäten eine systematische Rechtslehre aus. Das Entscheidende an der Entwicklung war aber doch die Rationalisierung des Prozesses. Wie alle primitiven Prozesse war auch der altgermanische ein streng formales Verfahren. Die Partei, welche auch nur ein Wort der Formel falsch aussprach, verlor, weil die Formel zauberische Bedeutung hatte und man magische Nachteile befürchtete. Der magische Formalismus des germanischen Prozesses paßte zum Formalismus des römischen Rechtes und wurde in römisch-rechtlichen umgedeutet. Dabei wirkte zunächst das französische Königtum durch die Schaffung des Institutes der Fürsprecher (Advokaten) mit, deren Aufgabe es vor allem war, die gerichtlichen Formeln richtig auszusprechen; dann aber besonders das kanonische Recht. Die großartige Verwaltungsorganisation der Kirche bedurfte für ihre disziplinären Zwecke gegenüber den Laien und für ihre eigene innere Disziplin fester Formen. Sie konnte sich mit dem germanischen Gottesurteil ebensowenig befreunden, wie es das Bürgertum vermochte. Wie dieses sich nicht darauf einlassen konnte, handelsrechtliche Ansprüche durch eine Kampfansage entschieden zu sehen, und sich daher überall die Freiheit vom Zwang zum gerichtlichen Zweikampf und vom Gottesurteil überhaupt verbriefen ließ, hat auch die Kirche, nachdem sie in ihrer Haltung anfangs geschwankt hatte, schließlich die Ansicht vertreten, daß derartige Prozeßmittel heidnisch und daher nicht zu dulden seien, und hat den kanonischen Prozeß, soweit als nur möglich, rational ausgestaltet. Diese doppelte Rationalisierung des Prozesses von weltlicher und geistlicher Seite her hat sich über die gesamte abendländische Welt erstreckt. Man hat in der Rezeption des römischen Rechtes4 den Grund, wie für den Untergang des Bauernstandes, so auch für die Entstehung des Kapitalismus sehen wollen. Allerdings hat es Fälle gegeben, wo die Anwendung römisch-rechtlicher Grundsätze den Bauern nachteilig war; z. B. bedeutete die Umdeutung der alten Markgenossenschaftsrechte

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in Servituten, daß, wer als Obermärker der Markgenossenschaft vorstand, als Eigentümer im römischen Sinne galt, und daß der Besitz der Markgenossen mit Servituten belastet wurde. Andererseits hat aber in Frankreich das Königtum gerade durch seine am römischen Recht geschulten Legisten den Grundherren das Bauernlegen außerordentlich schwer gemacht. Ebensowenig ist das römische Recht schlechthin der Entstehungsgrund des Kapitalismus gewesen. England, die Heimat des Kapitalismus, hat das römische Recht niemals rezipiert, weil in Verbindung mit dem Königsgericht ein Advokatenstand existierte, der nicht an die nationalen Rechtsinstitute tasten ließ. Er beherrschte die Rechtslehre, aus seiner Mitte gingen (und gehen noch) die Richter hervor, und er verhinderte deshalb, daß auf den englischen Universitäten römisches Recht gelehrt wurde, damit nicht Persönlichkeiten, die nicht aus seinen Reihen stammten, auf die Richterstühle gelangten. Auch stammen sämtliche charakteristischen Institute des modernen Kapitalismus von anderwärts als dem römischen Recht: der Rentenbrief (die Schuldverschreibung und Kriegsanleihe) aus dem mittelalterlichen Recht, wobei germanische Rechtsgedanken mitgewirkt haben; ebenso stammt die Aktie aus dem mittelalterlichen und modernen Recht, der Antike war sie unbekannt; desgleichen der Wechsel, an dessen Ausbildung arabisches, italienisches, deutsches und englisches Recht gearbeitet haben; auch die Handelsgesellschaft ist ein Produkt des Mittelalters, der Antike ist nur die Kommendaunternehmung geläufig; ebenso sind die Hypothek mit Grundbuchsicherung und Pfandbrief sowie die Stellvertretung mittelalterlicher, nicht antiker Herkunft. Entscheidend wurde die Rezeption des römischen Rechtes nur insoweit, als es das formaljuristische Denken schuf. Seiner Struktur nach ist jedes Recht entweder an formal-juristischen oder an materialen Prinzipien orientiert, wobei unter den letzteren das utilitarische und das Billigkeitsprinzip zu verstehen sind, nach denen z. B. die Jurisdiktion des islamischen Kadi verfährt. Die Justiz jeder Theokratie und jedes Absolutismus war material orientiert, umgekehrt die der Bürokratie formal-juristisch. Friedrich der Große haßte die Juristen, weil sie fortwährend seine material orientierten Erlasse in ihrer formalistischen Art anwendeten und dadurch Zwecken dienstbar machten, von denen er nichts wissen wollte. Das römische Recht war hier (wie auch sonst) das Mittel der Ekrasierung des materialen Rechtes zugunsten des formalen.

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Aber dieses formalistische Recht ist berechenbar. In China kann es geschehen, daß ein Mann, der einem anderen ein Haus verkauft hat, nach einiger Zeit zu ihm kommt und ihn um Aufnahme bittet, weil er inzwischen verarmt sei. Läßt der Käufer das altchinesische Gebot der Bruderhilfe außer acht, so geraten die Geister in Unruhe; deshalb geschieht es, daß der verarmte Verkäufer als Zwangsmieter ohne Miete wieder in das Haus einzieht. Mit einem so gearteten Recht kann der Kapitalismus nicht wirtschaften; was er braucht, ist ein Recht, das sich ähnlich berechnen läßt wie eine Maschine; rituell-religiöse und magische Gesichtspunkte dürfen keine Rolle spielen. Die Schaffung eines solchen Rechtes wurde dadurch erreicht, daß der moderne Staat sich mit den Juristen verbündete, um seine Machtansprüche durchzusetzen. Im 16. Jahrhundert hat er es zeitweise mit den Humanisten versucht, und die ersten griechischen Gymnasien wurden in der Annahme geschaffen, ein dort ausgebildeter Mann sei geeignet zu Staatsämtern; denn der politische Kampf vollzog sich zu einem erheblichen Teil in dem Austausch von Staatsschriften, und nur ein im Lateinischen und Griechischen Geschulter konnte ihn führen. Diese Illusion hat nur kurze Zeit gedauert; dann wußte man, daß die Produkte der Gymnasien rein als solche noch nicht befähigt sind, Politik zu treiben, und es blieben nur die Juristen übrig. In China, wo der humanistisch gebildete Mandarin das Feld beherrschte, hatte der Monarch keine Juristen zur Verfügung, und der Kampf der verschiedenen Philosophenschulen um die Frage, welche von ihnen die besten Staatsmänner ausbilde, ging hin und her, bis schließlich der orthodoxe Konfuzianismus siegte. Auch Indien kannte wohl Schreiber, aber keine ausgebildeten Juristen. Dagegen verfügte der Okzident über ein formal durchgebildetes Recht, das Produkt des römischen Genius, und die an diesem Recht geschulten Beamten waren als Verwaltungstechniker allen anderen überlegen. Wirtschaftsgeschichtlich wurde diese Tatsache dadurch von Bedeutung, daß das Bündnis zwischen Staat und formaler Jurisprudenz indirekt dem Kapitalismus zugute kam. Eine staatliche Wirtschaftspolitik, die diesen Namen verdient, d. h. kontinuierlich und konsequent ist, entsteht erst in moderner Zeit. Das erste System, das sie hervorbringt, ist das des sogenannten Merkantilismus. Vor seiner Ausbildung gab es allerdings überall zweierlei: fiskalische Politik und Wohlfahrtspolitik, die letztere im Sinn der Sicherung des üblichen Nahrungsmaßes.

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Im Osten haben im wesentlichen rituelle Gründe, dazu Kasten- und Sippenverfassung die Entwicklung einer planvollen Wirtschaftspolitik verhindert. In China wechseln die politischen Systeme außerordentlich. Das Land hat eine Epoche starken Außenhandels bis nach Indien hin gekannt. Aber dann beschränkte sich die chinesische Wirtschaftspolitik auf Abschließung nach außen, so daß die gesamte Ein- und Ausfuhr in den Händen von nur dreizehn Firmen lag und über den einzigen Hafen Kanton ging4a. Im Innern war die Politik rein religiös orientiert; nur wenn schreckliche Naturereignisse eintraten, wurde nach Mißständen geforscht. Immer war dabei die Rücksicht auf die Stimmung der Provinzen maßgebend, und ein Hauptproblem bildete die Frage, ob man die Staatsansprüche durch Steuern oder Fronden decken sollte. In Japan hat die Feudalverfassung die gleiche Wirkung gehabt und zur vollständigen Abschließung nach außen geführt: der Zweck war hier ständische Stabilisierung. Man befürchtete vom Außenhandel eine Umschichtung der Vermögensverhältnisse. In Korea sind für die Absperrung rituelle Gründe bestimmend gewesen. Wenn Fremde, d. h. Unheilige, ins Land kamen, war der Zorn der Geister zu fürchten. Im indischen Mittelalter finden wir griechische und römische Kaufleute (auch römische Söldner), Judeneinwanderung und Judenprivilegien; aber diese Möglichkeiten vermochten sich nicht zu entfalten, denn alles ist wieder durch die Kastenordnung stereotypisiert worden, die eine planvolle Wirtschaftspolitik unmöglich machte. Dazu kam, daß der Hinduismus Reisen ins Ausland streng verpönt. Wer in die Fremde reist, muß nach der Rückkehr in seine Kaste neu aufgenommen werden. Im Okzident konnte sich bis in das 14. Jahrhundert eine planmäßige Wirtschaftspolitik nur insoweit entwickeln, als die Städte dabei in Betracht kamen. Auch hier5 finden wir grundlegende Unterschiede zwischen der antiken und der mittelalterlich-neuzeitlichen Entwicklung. In der Antike ist die Stadtfreiheit zugunsten eines bürokratisch organisierten Weltreiches verschwunden, innerhalb dessen kein Raum mehr für politischen Kapitalismus war. Wir sehen die Kaiser, die anfangs auf das Finanzkapital der Ritterschaft angewiesen waren, sich in zunehmendem Grade von dieser Abhängigkeit emanzipieren, indem sie die Ritterschaft aus der Steuerpacht ausschalten und damit von der einträglichsten Quelle des Reichtums absperren, ähnlich wie die ägyptischen Könige, die gleichfalls die politische und militärische Bedarfsdeckung ihres Staa-

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tes von kapitalistischen Mächten unabhängig zu machen und es dahin zu bringen wußten, daß der Steuerpächter als Steuerbeamter endete6. Überall ist in der Kaiserzeit die Domänenpacht zugunsten erblicher dauernder Appropriation zurückgegangen. An Stelle der Vergebung der staatlichen Aufträge durch Submission an Unternehmer treten Leiturgien und Untertanenfronden; die einzelnen Bevölkerungsklassen werden berufsständisch gegliedert und diesen neugeschaffenen Berufsständen die Staatslasten unter solidarischer Haftung auferlegt. Diese Entwicklung bedeutet die Erdrosselung des antiken Kapitalismus7. An Stelle des Soldheeres tritt die Konskription; für die Schiffe besteht Zwangsgestellungspflicht; die gesamte Getreideernte, soweit sie aus Überschußgebieten kommt, wird nach Bedarf auf einzelne Städte, unter Ausschaltung des privaten Handels, verteilt; die Wegebaupflicht und überhaupt jede nur irgend in Betracht kommende Last wird auf die Schultern bestimmter, an Scholle und Beruf erblich gefesselter Personen gelegt. Zuletzt jagen die römischen Stadtgemeinden hinter ihren Bürgermeistern her, nicht viel anders als eine Dorfgemeinde hinter ihrem Gemeindebullen, und fordern die reichen Stadträte mit Eigentumsklage zurück, weil die Einwohnerschaft für die staatlichen Abgaben und Leistungen solidarisch haftet. Maßgebend war für alle diese Leistungen das Prinzip der origo, die wieder der idía des ptolemäischen Ägypten nachgebildet ist: Untertanenpflichten können nur in der Heimatgemeinde erfüllt werden. Seitdem aber dieses System sich ausgebildet hat, sind die politischen Verdienstmöglichkeiten für den Kapitalismus beseitigt: so wenig wie im ägyptischen Fron-, ist im spätrömischen Leiturgiestaat mehr Platz für ihn. Ganz anders hat sich das Schicksal der Stadt in der Neuzeit gestaltet. Auch hier ist ihr in zunehmendem Maße die Selbstverwaltung genommen worden. Die englische Stadt des 17. und 18. Jahrhunderts war nur noch eine Clique von Gilden, die lediglich finanzielle und ständische Bedeutung beanspruchen konnte. Die deutschen Städte der gleichen Zeit, mit Ausnahme der Reichsstädte, waren Landstädte, denen alles von oben oktroyiert wurde. Bei den französischen Städten war diese Entwicklung schon früher eingetreten. Die spanischen Städte sind von Karl V. in dem Aufstand der Communeros niedergeworfen worden, die italienischen befanden sich in der Hand der Signorie; die russischen sind überhaupt niemals zu der Freiheit der Städte im Westen aufgestiegen. Den Städten wurden Militärhoheit, Gerichtshoheit, Gewer-

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behoheit entzogen. Formal wurde dabei an den alten Rechten in der Regel nichts geändert; aber tatsächlich sind die Städte in der Neuzeit ihrer Freiheit ganz ebenso beraubt worden wie in der Antike mit der Aufrichtung der Römerherrschaft. Aber zum Unterschied von damals gerieten sie in die Gewalt der in ständigem Konkurrenzkampf liegenden Nationalstaaten. Zu einer fürstlichen Wirtschaftspolitik hat es allerdings Ansätze gegeben. In der Karolingerzeit treffen wir Preistaxen und eine Wohlfahrtspolitik in verschiedenen Richtungen; aber das meiste ist auf dem Papier stehengeblieben, und mit Ausnahme der Münzreform und des Maß- und Gewichtssystems Karls des Großen ist in der folgenden Epoche alles spurlos wieder verschwunden. Die Handelspolitik, die er gegenüber dem Orient gern eingeschlagen hätte, ist durch das Fehlen einer Flotte unmöglich gemacht worden. Während der Fürstenstaat versagte, hat die Kirche in das Gebiet des Wirtschaftslebens eingegriffen, indem sie ein bestimmtes Minimum an Rechtlichkeit, Redlichkeit und kirchlicher Ethik in die Wirtschaft hineinzutragen versuchte. Eine ihrer wichtigsten Maßregeln war dabei die Stützung des Landfriedens, indem sie zuerst Landfriedenstage und dann schließlich die grundsätzliche Beobachtung des Landfriedens durchzusetzen versuchte. Ferner sind die großen kirchlichen Vermögensgemeinschaften, insbesondere die Klöster, Träger einer sehr rationalen Wirtschaft gewesen, die man nicht kapitalistische Wirtschaft nennen kann, die aber doch die rationalste der damaligen Zeit war. Später gerieten diese Bestrebungen in Mißkredit, je stärker die Kirche ihre alten asketischen Ideale wieder aufleben ließ und für die Zeit umdeutete. Bei den Kaisern finden sich wieder einige wenige handelspolitische Ansätze unter Friedrich Barbarossa, Preistaxen, ein Zollvertrag mit England, der deutsche Kaufleute begünstigen sollte. Friedrich II. führte den Landfrieden durch, trieb aber im übrigen eine rein fiskalische Politik, die nur die reichen Kaufleute begünstigte und ihnen Privilegien, vor allem Zollprivilegien, verschaffte. Die einzige wirtschaftspolitische Maßregel der deutschen Könige war der Kampf gegen die Rheinzölle, der aber gegenüber der Unzahl kleiner Herren, die dort saßen, im großen und ganzen vergeblich geblieben ist. Sonst fehlte jede planmäßige Wirtschaftspolitik7a. Maßregeln, die den Eindruck einer solchen machen, wie z. B. die Sperre Kaiser Siegmunds gegen Venedig oder die gelegentliche Sperrung des Rheins (im Kampf gegen Köln), sind doch rein

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politischer Natur. Die Zollpolitik lag in den Händen der Landesfürsten. Auch ihr fehlt mit wenigen Ausnahmen die planmäßige Förderung der Wirtschaft. Ihre beherrschenden Gesichtspunkte sind8: Begünstigung des Nahverkehrs, im Gegensatz zum Fernverkehr, zwecks Förderung des Austausches zwischen Stadt und umliegender Landschaft; Ausfuhrzölle sind immer höher zu halten als Einfuhrzölle; Begünstigung der eigenen Kaufleute beim Zoll: Differentialzölle für die Wege, weil der Fürst eine bestimmte Straße zu begünstigen wünscht, um sie fiskalisch bequemer auszunutzen, ein Ziel, zu dessen Erreichung er sogar zum Straßenzwang und zur Systematisierung des Stapelrechtes griff; endlich Privilegierung der Stadtkaufleute, wie sich denn Herzog Ludwig der Reiche von Bayern (1450 – 1479) rühmte, die Landkaufleute überhaupt abgeschafft zu haben9. Schutzzölle sind unbekannt, mit wenigen Ausnahmen, für die etwa der Tiroler Weinzoll gegenüber der Konkurrenz der Einfuhr aus Italien ein Beispiel gibt. Die gesamte Zollpolitik steht unter fiskalischen und nahrungspolitischen Gesichtspunkten. Das gleiche gilt für die zahlreichen, bis ins 13.  Jahrhundert zurückgehenden Zollverträge. Die Technik der Zölle hat dabei gewechselt. Ursprünglich galt ein Wertzoll von einem Sechzigstel des Wertes; im 14. Jahrhundert war er bis auf ein Zwölftel gestiegen, weil der Zoll zugleich als Akzise zu funktionieren hatte. Unsere modernen handelspolitischen Maßregeln, wie die Schutzzölle, wurden durch indirekte Handelsverbote ersetzt, die sehr oft verhängt wurden, wenn es die Nahrung der einheimischen Handwerker und später der Verleger zu schützen galt. Oder aber man gestattete nur den Großhandel und verbot den Detailhandel. Die erste Spur einer rationalen fürstlichen Wirtschaftspolitik zeigt sich im 14. Jahrhundert in England; es ist der seit Adam Smith sogenannte Merkantilismus. Merkantilismus10 bedeutet die Übertragung des kapitalistischen Erwerbsbetriebes auf die Politik. Der Staat wird behandelt, als bestände er einzig und allein aus kapitalistischen Unternehmern; die Wirtschaftspolitik nach außen beruht auf dem Prinzip, den Gegner zu übervorteilen, möglichst billig einzuhandeln und sehr viel teurer abzusetzen. Zweck ist, die Macht der Staatsleistung nach außen zu stärken. Merkantilismus bedeutet also moderne Machtstaatsbildung, und zwar direkt durch Steigerung der fürstlichen Einkünfte, indirekt durch Steigerung der Steuerkraft der Bevölkerung.

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Voraussetzung für die merkantilistische Politik war die Erschließung von möglichst viel Gelderwerbsquellen im eigenen Lande. Es ist allerdings ein Irrtum zu glauben, die merkantilistischen Theoretiker und Staatsmänner hätten Edelmetallbesitz und Reichtum eines Landes miteinander verwechselt. Sie wußten sehr wohl, daß die Steuerkraft die Quelle dieses Reichtums ist, und lediglich um sie zu heben, haben sie alles getan, das Geld, das aus dem Verkehr zu schwinden drohte, im Lande zu erhalten. Ein weiterer Programmpunkt des Merkantilismus war, in unmittelbar greifbarem Zusammenhang mit der Machtpolitik des Systems, möglichste Vermehrung der Bevölkerung, und, um diese trotz ihres Anwachsens ernähren zu können, Schaffung möglichst vieler Verkaufschancen nach außen, und zwar tunlichst von Verkaufs­ chancen für solche Produkte, in denen ein Maximum inländischer Arbeit steckte, also für Fertigfabrikate, nicht für Rohstoffe. Endlich sollte der Handel möglichst nur durch eigene Kaufleute geschehen, damit der Verdienst ganz der inländischen Steuerkraft zugute käme. Theoretisch wurde dieses System durch die Theorie von der Handelsbilanz gestützt, die eine Verarmung des Landes lehrte, sobald der Wert der Einfuhr den der Ausfuhr übersteige; sie ist zuerst in England im 16.  Jahrhundert entwickelt worden. Überhaupt ist England das Ursprungsland des Merkantilsystems. Die ersten Spuren seiner Anwendung finden sich dort im Jahre 1381. Unter dem schwachen König Richard II. setzte das Parlament, als eine Geldklemme eintrat, eine Untersuchungskommission ein, die zuerst mit dem Handelsbilanzbegriff mit allen seinen wesentlichen Merkmalen gearbeitet hat. Zunächst produzierte sie nur Gelegenheitsgesetze: Verbot der Ein-, Begünstigung der Ausfuhr, allerdings ohne daß die gesamte englische Politik nun eine merkantilistische Richtung genommen hätte. Den entscheidenden Umschwung pflegt man von 1440 zu datieren. Damals wurden (durch eines der zahlreichen, zur Bekämpfung der angegebenen Mißstände erlassenen Statutes of employment) zwei Sätze, die schon vorher, aber nur gelegentlich, angewendet worden waren, zum Prinzip erhoben: fremde Kaufleute, die Waren nach England bringen, müssen alles Geld, das sie dafür einnehmen, in englischen Waren anlegen, und: englische Kaufleute, die in das Ausland gehen, müssen wenigstens einen Teil des Erlöses in Bargeld nach England zurückbringen. An diese beiden Sätze hat sich dann allmählich das

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ganze System des Merkantilismus bis zur Navigationsakte von 1651 mit ihrer Ausschaltung der Auslandsschiffahrt angeschlossen. Der Merkantilismus als das Bündnis des Staates mit kapitalistischen Interessen ist unter einem doppelten Aspekt aufgetreten. [1.] Seine eine Erscheinungsform war die eines ständisch-monopolistischen Merkantilismus, wie er uns in typischer Gestalt in der Politik der Stuarts und der anglikanischen Kirche, besonders des später enthaupteten Bischofs Laud entgegentritt11. Dieses System wollte die Schaffung einer ständischen Gliederung der gesamten Bevölkerung in christlich-sozialem Sinn, eine Stabilisierung der Stände, um das christlich-soziale Liebessystem wieder durchführen zu können. Im schärfsten Gegensatz zum Puritanismus, der jeden Armen als Arbeitsscheuen oder Verbrecher ansah, stand es der Armut freundlich gegenüber. In der Praxis war der Merkantilismus der Stuarts vorwiegend fiskalisch orientiert, indem alle neuen Industrien nur kraft königlicher Monopolkonzession importieren durften und dauernd unter der Kontrolle und fiskalischen Ausbeutung seitens des Königs erhalten werden sollten. Ähnlich, wenn auch nicht so konsequent, war die Politik Colberts in Frankreich. Er wollte eine künstliche, durch Monopole gestützte Förderung der Industrie, eine Absicht, in der er sich mit den Hugenotten traf, deren Verfolgung er daher ungern sah. In England ist die königliche und anglikanische Politik im Langen Parlament dank den Puritanern zusammengebrochen. Ihr Kampf gegen den König ging jahrzehntelang unter dem Feldgeschrei: „gegen die Monopole“, die teils Ausländern, teils Höflingen verliehen wurden, während die Kolonien an königliche Günstlinge kamen. Der kleine Unternehmerstand, der inzwischen, hauptsächlich innerhalb der Zünfte, zum Teil aber auch außerhalb derselben, herangewachsen war, wehrte sich gegen die königliche Monopolwirtschaft, und das Lange Parlament dekretierte die Wahlunfähigkeit der Monopolisten. Die außerordentliche Hartnäckigkeit, mit der sich der Wirtschaftssinn des englischen Volkes gegen alle Kartelle und Monopole gesträubt hat, ist in diesen puritanischen Kämpfen zum Ausdruck gekommen12. [2.] Die zweite Form des Merkantilismus war nationaler Merkantilismus, der sich darauf beschränkte, tatsächlich vorhandene, nicht durch Monopole geschaffene nationale Industrien systematisch zu schützen. Fast keine der durch den Merkantilismus geschaffenen Industrien hat die merkantilistische Epoche überlebt; die Schöpfungen der Stu-

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arts sind ebenso zugrunde gegangen wie diejenigen der kontinentalen Staaten des Abendlandes und die späteren Rußlands. Auch bildet nicht der nationale Merkantilismus den Ausgangspunkt der kapitalistischen Entwicklung, sondern diese hat sich zunächst in England neben der monopolistisch-fiskalischen Politik des Merkantilismus vollzogen, und zwar derart, daß eine Schicht von Unternehmern, die unabhängig von der Staatsgewalt emporgekommen war, nach dem Zusammenbruch der monopolistisch-fiskalischen Politik der Stuarts im 18. Jahrhundert die systematische Unterstützung des Parlaments fand12a. Zum letztenmal standen hier irrationaler und rationaler Kapitalismus im Kampf mit einander: Kapitalismus, der an fiskalischen sowie kolonialen Chancen und Staatsmonopolen, und Kapitalismus, der an Marktchancen orientiert war, die automatisch von innen heraus, kraft eigener kaufmännischer Leistungen aufgesucht wurden. Der Punkt, wo beide zusammenstießen, war die Bank von England12b. Sie war von dem Schotten Paterson13 gegründet, einem kapitalistischen Abenteurer, wie die Stuarts sie durch Verleihung von Monopolen züchteten. Aber der Bank gehörten außerdem puritanische Geschäftsleute an. Das letzte Mal, daß die Bank in der Richtung des Abenteurerkapitalismus entgleiste, war gelegentlich der South-Sea-Company Angelegenheit. Aber davon abgesehen, können wir an ihrem Gebaren Schritt für Schritt verfolgen, wie der Einfluß Patersons und seinesgleichen zugunsten des Einflusses der rationalen Kategorie von Bankmitgliedern zurücktritt, die sämtlich direkt oder indirekt puritanischen Ursprungs oder puritanisch beeinflußt waren. Der Merkantilismus hat auch weiter noch die Rolle gespielt, die aus der Geschichte der Volkswirtschaftslehre bekannt ist. In England hat er endgültig erst mit der Durchführung des Freihandels ausgespielt, einer Leistung der puritanischen Dissenters (Cobden und Bright) und ihres Bundes mit industriellen Interessen, die jetzt die merkantilistische Stütze entbehren konnten14. § 2. Der rationale Staat als anstaltsmäßiger Herrschaftsverband mit dem Monopol legitimer Gewaltsamkeit1 Vom Standpunkt der soziologischen Betrachtung ist ein „politischer“ Verband und insbesondere ein „Staat“ nicht aus dem Inhalt dessen zu definieren, was er tut2. Es gibt fast keine Aufgabe, die nicht ein politi-

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scher Verband hier und da in die Hand genommen hätte, andererseits auch keine, von der man sagen könnte, daß sie jederzeit, vollends: daß sie immer ausschließlich denjenigen Verbänden, die man als politische, heute: als Staaten, bezeichnet oder welche geschichtlich die Vorfahren des modernen Staates waren, eigen gewesen wäre. Man kann vielmehr den modernen Staat soziologisch letztlich nur definieren aus einem spezifischen Mittel, das ihm, wie jedem politischen Verband, eignet: das der physischen Gewaltsamkeit. „Jeder Staat wird auf Gewalt gegründet“, sagte seinerzeit Trotzkij in Brest-Litowsk. Das ist in der Tat richtig. Wenn nur soziale Gebilde beständen, denen die Gewaltsamkeit als Mittel unbekannt wäre, würde der Begriff „Staat“ fortgefallen sein; dann wäre eingetreten, was man in diesem besonderen Sinn des Wortes als „Anarchie“ bezeichnen würde. Gewaltsamkeit ist natürlich nicht etwa das normale oder einzige Mittel des Staates – davon ist keine Rede –, wohl aber: das ihm spezifische. In der Vergangenheit haben die verschiedensten Verbände – von der Sippe angefangen – physische Gewaltsamkeit als ganz normales Mittel gekannt. Heute dagegen werden wir sagen müssen: Staat ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes – dies: das „Gebiet“, gehört zum Merkmal – das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht. Denn das der Gegenwart Spezifische ist, daß man allen anderen Verbänden oder Einzelpersonen das Recht zur physischen Gewaltsamkeit nur soweit zuschreibt, als der Staat sie von ihrer Seite zuläßt: er gilt als alleinige Quelle des „Rechts“ auf Gewaltsamkeit. „Politik“ würde für uns also heißen2a: Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen den Menschengruppen, die er umschließt. Das entspricht im wesentlichen auch dem Sprachgebrauch. Wenn man von einer Frage sagt: sie sei eine „politische“ Frage, von einem Minister oder Beamten: er sei ein „politischer“ Beamter, von einem Entschluß: er sei „politisch“ bedingt, so ist damit immer gemeint: Machtverteilungs-, Machterhaltungs- oder Machtverschiebungsinteressen sind maßgebend für die Antwort auf jene Frage oder bedingen diesen Entschluß oder bestimmen die Tätigkeitssphäre des betreffenden Beamten. Wer Politik treibt, erstrebt Macht: Macht entweder als Mittel im Dienst anderer Ziele – idealer oder egoistischer –, oder Macht

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„um ihrer selbst willen“: um das Prestigegefühl, das sie gibt, zu genießen. Der Staat ist, ebenso wie die ihm geschichtlich vorausgehenden politischen Verbände, ein auf das Mittel der legitimen (das heißt: als legitim angesehenen) Gewaltsamkeit gestütztes Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen. Damit er bestehe, müssen sich also die beherrschten Menschen der beanspruchten Autorität der jeweils herrschenden fügen. Wann und warum sie das tun, läßt sich nur verstehen, wenn man die inneren Rechtfertigungsgründe und die äußeren Mittel kennt, auf welche sich eine Herrschaft stützt. Es gibt der inneren Rechtfertigungen, also: der Legitimitätsgründe einer Herrschaft – um mit ihnen zu beginnen – im Prinzip drei3. Einmal die Autorität des „ewig Gestrigen“: der durch unvordenkliche Geltung und gewohnheitsmäßige Einstellung auf ihre Innehaltung geheiligten Sitte: „traditionale“ Herrschaft, wie sie der Patriarch und der Patrimonialfürst alten Schlages übten. Dann die Autorität der außeralltäglichen persönlichen Gnadengabe (Charisma): die ganz persönliche Hingabe und das persönliche Vertrauen zu Offenbarungen, Heldentum oder anderen Führereigenschaften eines Einzelnen: „charismatische“ Herrschaft, wie sie der Prophet oder – auf dem Gebiet des Politischen – der gekorene Kriegsfürst oder der plebiszitäre Herrscher, der große Demagoge und politische Parteiführer ausüben. Endlich: Herrschaft kraft „Legalität“, kraft des Glaubens an die Geltung legaler Satzung und der durch rational geschaffene Regeln begründeten sachlichen „Kompetenz“, also der Einstellung auf Gehorsam in der Erfüllung satzungsmäßiger Pflichten: eine Herrschaft, wie sie der moderne „Staatsdiener“ und alle jene Träger von Macht ausüben, die ihm in dieser Hinsicht ähneln. – Es versteht sich, daß in der Realität höchst massive Motive der Furcht und der Hoffnung – Furcht vor der Rache magischer Mächte oder des Machthabers, Hoffnung auf jenseitigen oder diesseitigen Lohn – und daneben Interessen verschiedenster Art die Fügsamkeit bedingen. Davon sogleich. Aber wenn man nach den „Legitimitäts“gründen dieser Fügsamkeit fragt, dann allerdings stößt man auf diese drei „reinen“ Typen. Und diese Legitimitätsvorstellungen und ihre innere Begründung sind für die Struktur der Herrschaft von sehr erheblicher Bedeutung. Die reinen Typen finden sich freilich in der Wirklichkeit selten. Aber es soll hier auf die höchst verwickelten Abwandlungen, Übergänge und Kombinationen dieser reinen Typen

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nicht eingegangen werden: das gehört zu den Problemen der „allgemeinen Staatslehre“. Uns interessiert hier vor allem der zweite von jenen Typen: die Herrschaft kraft Hingabe der Gehorchenden an das rein persönliche „Charisma“ des „Führers“. Hier wurzelt der Gedanke des Berufs in seiner höchsten Ausprägung. Die Hingabe an das Charisma des Propheten oder des Führers im Kriege oder des ganz großen Demagogen in der Ekklesia oder im Parlament bedeutet, daß er persönlich als der innerlich „berufene“ Leiter der Menschen gilt, daß diese sich ihm nicht kraft Sitte oder Satzung fügen, sondern weil sie an ihn glauben. Er selbst zwar lebt seiner Sache, „trachtet nach seinem Werk“, wenn er mehr ist als ein enger und eitler Emporkömmling des Augenblicks. Seiner Person und ihren Qualitäten aber gilt die Hingabe seines Anhanges: der Jüngerschaft, der Gefolgschaft, der ganz persönlichen Parteigängerschaft. In den beiden in der Vergangenheit wichtigsten Figuren: des Magiers und Propheten einerseits, des gekorenen Kriegsfürsten, Bandenführers, Kondottiere andererseits, ist das Führertum in allen Gebieten und historischen Epochen aufgetreten. Dem Okzident eigentümlich ist aber: das politische Führertum in der Gestalt zuerst des freien „Demagogen“, der auf dem Boden des nur dem Abendland, vor allem der mittelländischen Kultur, eigenen Stadtstaates, und dann des parlamentarischen „Parteiführers“, der auf dem Boden des ebenfalls nur im Abendland bodenständigen Verfassungsstaates gewachsen ist. Diese Politiker kraft „Berufes“ in des Wortes eigentlichster Bedeutung sind nun aber nirgends die allein maßgebenden Figuren im Getriebe des politischen Machtkampfes. Höchst entscheidend ist vielmehr die Art der Hilfsmittel, die ihnen zur Verfügung stehen. Die Frage: wie fangen die politisch herrschenden Gewalten es an, sich in ihrer Herrschaft zu behaupten?4, gilt für jede Art von politischer Herrschaft in all ihren Formen: für die traditionale ebenso wie für die legale und die charismatische. Jeder Herrschaftsbetrieb, welcher kontinuierliche Verwaltung erheischt, braucht einerseits die Einstellung menschlichen Handelns auf den Gehorsam gegenüber jenen Herren, welche Träger der legitimen Gewalt zu sein beanspruchen; und andererseits, vermittelst dieses Gehorsams, die Verfügung über diejenigen Sachgüter, welche gegebenenfalls zur Durchführung der physischen Gewaltanwendung erforderlich

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sind: den personalen Verwaltungsstab und die sachlichen Verwaltungsmittel. Der Verwaltungsstab, der den politischen Herrschaftsbetrieb wie jeden anderen Betrieb in seiner äußeren Erscheinung darstellt, ist nun nicht nur durch jene Legitimitätsvorstellung, von der eben die Rede war, an den Gehorsam gegenüber dem Gewalthaber gekettet. Sondern durch zwei Mittel, welche an das persönliche Interesse appellieren: materielles Entgelt und soziale Ehre. Lehen der Vasallen, Pfründen der Patrimonialbeamten, Gehalt der modernen Staatsdiener, – Ritterehre, ständische Privilegien, Beamtenehre, – bilden den Lohn, und die Angst, sie zu verlieren, die letzte entscheidende Grundlage für die Solidarität des Verwaltungsstabes mit dem Gewalthaber. Auch für die charismatische Führerherrschaft gilt das: Kriegsehre und Beute für die kriegerische, die „spoils“: Ausbeutung der Beherrschten durch Ämtermonopol, politisch bedingte Profite und Eitelkeitsprämien für die demagogische Gefolgschaft. Zur Aufrechterhaltung jeder gewaltsamen Herrschaft bedarf es zudem gewisser materieller äußerer Sachgüter, ganz wie bei einem wirtschaftlichen Betrieb. Alle Staatsordnungen lassen sich danach gliedern, ob sie auf dem Prinzip beruhen, daß jener Stab von Menschen – Beamte oder wer sie sonst sein mögen, auf deren Gehorsam der Gewalthaber muß rechnen können – im eigenen Besitz der Verwaltungsmittel, mögen sie bestehen in Geld, Gebäuden, Kriegsmaterial, Wagenparks, Pferden oder was sonst immer, sich befinden, oder ob der Verwaltungsstab von den Verwaltungsmitteln „getrennt“ ist, im gleichen Sinn, wie heute der Angestellte und Proletarier innerhalb des kapitalistischen Betriebes „getrennt“ ist von den sachlichen Produktionsmitteln. Ob also der Gewalthaber die Verwaltung in eigener von ihm organisierter Regie hat und durch persönliche Diener oder angestellte Beamte oder persönliche Günstlinge und Vertraute verwalten läßt, welche nicht Eigentümer: Besitzer zu eigenem Recht, der sachlichen Betriebsmittel sind, sondern vom Herrn darin dirigiert werden, oder ob das Gegenteil der Fall ist. Der Unterschied geht durch alle Verwaltungsorganisationen der Vergangenheit hindurch. Einen politischen Verband, bei dem die sachlichen Verwaltungsmittel ganz oder teilweise in der Eigenmacht des abhängigen Verwaltungsstabes sich befinden, wollen wir einen „ständisch“ gegliederten Verband nennen. Der Vasall z. B. im Lehnsverband bestritt die Verwal-

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tung und Rechtspflege des ihm verlehnten Bezirks aus eigener Tasche, equipierte und verproviantierte sich selbst für den Krieg; seine Untervasallen taten das gleiche. Das hatte erhebliche Konsequenzen für die Machtstellung des Herrn, die nur auf dem persönlichen Treubund und darauf ruhte, daß der Lehnsbesitz und die soziale Ehre des Vasallen ihre „Legitimität“ vom Herrn ableiteten. Überall aber, bis in die frühesten politischen Bildungen zurück, finden wir auch die eigene Regie des Herrn: durch persönlich von ihm abhängige Sklaven, Hausbeamte, Dienstleute, persönliche „Günstlinge“ und aus seinen Vorratskammern mit Natural- und Gelddeputaten entlohnte Pfründer sucht er die Verwaltung in die eigene Hand zu bekommen, die Mittel aus eigener Tasche, aus Erträgnissen seines Patrimonium zu bestreiten, ein rein persönlich von ihm abhängiges, weil aus seinen Speichern, Magazinen, Rüstkammern equipiertes und verproviantiertes Heer zu schaffen. Während im „ständischen“ Verband der Herr mit Hilfe einer eigenständigen „Aristokratie“ herrscht, also mit ihr die Herrschaft teilt, stützt er sich hier entweder auf Haushörige oder auf Plebejer: besitzlose, der eigenen sozialen Ehre entbehrende Schichten, die materiell gänzlich an ihn gekettet sind und keinerlei konkurrierende eigene Macht haben. Alle Formen patriarchaler und patrimonialer Herrschaft, sultanistischer Despotie und bürokratischer Staatsordnung gehören zu diesem Typus. Insbesondere: die bürokratische Staatsordnung, also die in ihrer rationalsten Ausbildung auch und gerade dem modernen Staat charakteristische. Überall kommt die Entwicklung des modernen Staates dadurch in Fluß, daß von seiten des Fürsten die Enteignung der neben ihm stehenden selbständigen, „privaten“ Träger von Verwaltungsmacht: jener Eigenbesitzer von Verwaltungs- und Kriegsbetriebsmitteln, Finanzbetriebsmitteln und politisch verwendbaren Gütern aller Art, in die Wege geleitet wird. Der ganze Prozeß ist eine vollständige Parallele zu der Entwicklung des kapitalistischen Betriebs durch allmähliche Enteignung der selbständigen Produzenten. Am Ende sehen wir, daß in dem modernen Staat tatsächlich in einer einzigen Spitze die Verfügung über die gesamten politischen Betriebsmittel zusammenläuft, kein einziger Beamter mehr persönlicher Eigentümer des Geldes ist, das er verausgabt, oder der Gebäude, Vorräte, Werkzeuge, Kriegsmaschinen, über die er verfügt. Vollständig durchgeführt ist also im heutigen „Staat“ – das ist ihm begriffswesentlich – die „Trennung“ des Verwaltungsstabes:

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der Verwaltungsbeamten und Verwaltungsarbeiter, von den sachlichen Betriebsmitteln. Für unsere Betrachtung ist also das rein Begriffliche festzustellen: daß der moderne Staat ein anstaltsmäßiger Herrschaftsverband ist, der innerhalb eines Gebietes die legitime physische Gewaltsamkeit als Mittel der Herrschaft zu monopolisieren mit Erfolg getrachtet hat und zu diesem Zweck die sachlichen Betriebsmittel in der Hand seiner Leiter vereinigt, die sämtlichen eigenberechtigten ständischen Funktionäre aber, die früher zu Eigenrecht darüber verfügten, enteignet und sich selbst in seiner höchsten Spitze an deren Stelle gesetzt hat. § 3. Der staatliche Herrschaftsbetrieb als Verwaltung. Politische Leitung und Beamtenherrschaft In einem modernen Staat liegt die wirkliche Herrschaft, welche sich ja weder in parlamentarischen Reden, noch in Enunziationen von Mo­ narchen, sondern in der Handhabung der Verwaltung im Alltagsleben auswirkt1, notwendig und unvermeidlich in den Händen des Beamtentums2, des militärischen wie des zivilen. Denn auch der moderne höhere Offizier leitet vom „Büro“ aus die Schlachten. Wie der sogenannte Fortschritt zum Kapitalismus seit dem Mittelalter der eindeutige Maßstab der Modernisierung der Wirtschaft, so ist der Fortschritt zum bürokratischen, auf Anstellung, Gehalt, Pension, Avancement, fachmäßiger Schulung und Arbeitsteilung, festen Kompetenzen, Aktenmäßigkeit, hierarchischer Unter- und Überordnung ruhenden Beamtentum der ebenso eindeutige Maßstab der Modernisierung des Staates, des monarchischen ebenso wie des demokratischen. Dann jedenfalls, wenn der Staat nicht ein kleiner Kanton mit reihumgehender Verwaltung, sondern ein großer Massenstaat ist. Die Demokratie schaltet ganz ebenso wie der absolute Staat die Verwaltung durch feudale oder patrimoniale oder patrizische oder andere ehrenamtliche oder erblich fungierende Honoratioren zugunsten angestellter Beamter aus. Angestellte Beamte entscheiden über alle Alltagsbedürfnisse und Alltagsbeschwerden. Von dem bürgerlichen Verwaltungsbeamten unterscheidet sich der militärische Herrschaftsträger, der Offizier, in dem hier entscheidenden Punkt nicht. Auch das moderne Massenheer ist ein bürokratisches Heer, der Offizier eine Sonderkategorie des Beamten im Gegensatz zum Ritter, Kondottiere, Häuptling oder homerischen Helden. Auf der Dienstdiszi-

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plin beruht die Schlagkraft des Heeres. Nur wenig modifiziert vollzieht sich der Vormarsch des Bürokratismus in der Gemeindeverwaltung. Je größer die Gemeinde ist oder je mehr sie durch technisch und ökonomisch bedingte Zweckverbandsbildungen aller Art unvermeidlich ihrer organischen lokalen Bodenständigkeit entkleidet wird, desto mehr. Und in der Kirche war nicht etwa das vielberedete Unfehlbarkeitsdogma, sondern der Universalepiskopat der prinzipiell wichtige Abschluß [des vatikanischen Konzils im Jahre] 1870. Er schuf die „Kaplanokratie“ und machte im Gegensatz zum Mittelalter den Bischof und Pfarrer zu einem einfachen Beamten der kurialen Zentralgewalt. Nicht anders auch in den großen Privatbetrieben der Gegenwart, und zwar je größer sie sind, desto mehr. Die Privatangestellten wachsen statistisch rascher als die Arbeiter3, und es ist eine irrige Vorstellung anzunehmen, daß sich die geistige Arbeit im Kontor auch nur im mindesten von derjenigen im staatlichen Büro unterscheide. Beide sind vielmehr im Grundwesen ganz gleichartig. Ein „Betrieb“3a ist der moderne Staat, gesellschaftswissenschaftlich angesehen, ebenso wie eine Fabrik: das ist gerade das ihm historisch Spezifische. Und gleichartig bedingt ist auch das Herrschaftsverhältnis innerhalb des Betriebes hier und dort. Wie die relative Selbständigkeit des Handwerkers oder Hausindustriellen, des grundherrlichen Bauern, des Kommendatars, des Ritters und Vasallen darauf beruhte, daß er selbst Eigentümer der Werkzeuge, der Vorräte, der Geldmittel, der Waffen war, mit deren Hilfe er seiner ökonomischen, politischen, militärischen Funktion nachging und von denen er während deren Ableistung lebte, so beruht die hierarchische Abhängigkeit des Arbeiters, Kommis, technischen Angestellten, akademischen Institutsassistenten und des staatlichen Beamten und Soldaten ganz gleichmäßig darauf, daß jene für den Betrieb und die ökonomische Existenz unentbehrlichen Werkzeuge, Vorräte und Geldmittel in der Verfügungsgewalt, im einen Fall: des Unternehmers, im anderen: des politischen Herrn konzentriert sind. Diese entscheidende ökonomische Grundlage, die „Trennung“ des Arbeiters von den sachlichen Betriebsmitteln: den Produktionsmitteln in der Wirtschaft, den Kriegsmitteln im Heer, den sachlichen Verwaltungsmitteln in der öffentlichen Verwaltung, den Forschungsmitteln im Universitätsinstitut und Laboratorium, den Geldmitteln bei ihnen allen, ist dem modernen macht- und kulturpolitischen und militärischen Staatsbetrieb und der kapitalistischen Privatwirtschaft als entscheiden-

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de Grundlage gemeinsam. Beide Male liegt die Verfügung über diese Mittel in den Händen derjenigen Gewalt, welcher jener Apparat der Bürokratie (Richter, Beamte, Offiziere; Werkmeister, Kommis, Unteroffiziere) direkt gehorcht oder auf Anrufen zur Verfügung steht, der allen jenen Gebilden gleichmäßig charakteristisch und dessen Existenz und Funktion als Ursache wie als Wirkung mit jener „Konzentration der sachlichen Betriebsmittel“ untrennbar verknüpft ist, vielmehr: deren Form [er] ist. Zunehmende „Sozialisierung“ bedeutet heute unvermeidlich zugleich zunehmende Bürokratisierung. Auch geschichtlich steht aber der „Fortschritt“ zum bürokratischen, nach rational gesatzem Recht und rational erdachten Reglements judizierenden und verwaltenden Staat in engstem Zusammenhang mit der modernen kapitalistischen Entwicklung. Der moderne kapitalistische Betrieb ruht innerlich vor allem auf der Kalkulation. Er braucht für seine Existenz eine Justiz und Verwaltung, deren Funktionieren wenigstens im Prinzip ebenso an festen generellen Normen rational kalkuliert werden kann, wie man die voraussichtliche Leistung einer Maschine kalkuliert. Er kann sich mit der im populären Sprachgebrauch sogenannten „Kadijustiz“: dem Judizieren nach dem Billigkeitsempfinden des Richters im Einzelfall oder nach anderen irrationalen Rechtsfindungsmitteln und Prinzipien, wie sie in der Vergangenheit überall bestanden und im Orient noch heute bestehen, ebensowenig befreunden wie mit der patriarchalen, nach freier Willkür und Gnade und im übrigen nach unverbrüchlich heiliger, aber irrationaler, Tradition verfahrenden Verwaltung der theokratischen oder patrimonialen Herrschaftsverbände Asiens und der okzidentalen Vergangenheit. Der Umstand, daß diese „Kadijustiz“ und die ihr entsprechende Verwaltung, eben ihres irrationalen Charakters wegen, besonders häufig käuflich ist, gestattet zwar dem Kapitalismus des Händlers und Staatslieferanten und allen Arten des seit vier Jahrtausenden in der Welt bekannten vorrationalistischen Kapitalismus, namentlich des an der Politik, dem Krieg, der Verwaltung als solchen verankerten Abenteurer- und Raubkapitalismus, die Entstehung und Existenz (und oft gerade durch jene Qualitäten: üppige Blüte). Das aber, was dem modernen Kapitalismus im Gegensatz zu jenen uralten Formen kapitalistischen Erwerbs spezifisch ist: die streng rationale Organisation der Arbeit auf dem Boden rationaler Technik, ist nirgends innerhalb derartig irrational konstruierter Staatswesen entstanden und konnte dort auch nie

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entstehen. Denn dazu sind diese modernen Betriebsformen mit ihrem stehenden Kapital und ihrer exakten Kalkulation gegen Irrationalitäten des Rechts und der Verwaltung viel zu empfindlich. Sie konnten nur da entstehen, 1. wo entweder, wie in England, die praktische Gestaltung des Rechts tatsächlich in den Händen der Advokaten lag, welche im Dienste ihrer Kundschaft: der kapitalistischen Interessenten also, die geeigneten Geschäftsformen ersannen, und aus deren Mitte dann die streng an „Präzedenzfälle“, also an berechenbare Schemata gebundenen Richter hervorgingen. 2. Oder wo der Richter, wie im bürokratischen Staat mit seinen rationalen Gesetzen, mehr oder minder ein Paragraphen-Automat ist, in welchen man oben die Akten nebst den Kosten und Gebühren hineinwirft, auf daß er unten das Urteil nebst den mehr oder minder stichhaltigen Gründen ausspeie, – dessen Funktionieren also jedenfalls im großen und ganzen kalkulierbar ist4/5. Die Darstellung wendet sich nunmehr der Rekrutierung der Verwaltungsstäbe bei der Heranbildung des rationalen Staates zu6. Im Verlaufe des politischen Enteignungsprozesses (s. vorigen §), der in allen Ländern der Erde mit wechselndem Erfolg spielte, sind, und zwar zuerst im Dienste der Fürsten, die ersten Kategorien von „Berufspolitikern“ in einem zweiten Sinn aufgetreten, von Leuten, die nicht selbst Herren sein wollten, wie die charismatischen Führer, sondern in den Dienst von politischen Herren traten. Sie stellten sich in diesem Kampf den Fürsten zur Verfügung und machten aus der Besorgung von deren Politik einen materiellen Lebenserwerb einerseits, einen ideellen Lebensinhalt andererseits. Wieder nur im Okzident finden wir diese Art von Berufspolitikern auch im Dienst anderer Mächte als nur der Fürsten. Diese „Berufspolitiker“ haben sich jedoch in der Vergangenheit im Kampf der Fürsten mit den Ständen entwickelt im Dienst der Ersteren; sie waren deren wichtigstes Macht- und politisches Expropriationsinstrument7. „Stände“ sollen uns heißen die eigenberechtigten Besitzer militärischer oder für die Verwaltung wichtiger sachlicher Betriebsmittel oder persönlicher Herrengewalten. Ein großer Teil von ihnen war weit davon entfernt, sein Leben ganz oder auch nur vorzugsweise oder mehr als gelegentlich in den Dienst der Politik zu stellen. Sie nützten vielmehr ihre Herrenmacht im Interesse der Erzielung von Renten oder auch geradezu von Profit und wurden politisch, im Dienst des politischen Verbandes, nur tätig, wenn der Herr oder wenn ihre Standesgenossen dies besonders verlangten. Nicht anders auch ein Teil jener Hilfskräfte,

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die der Fürst im Kampf um die Schaffung eines politischen Eigenbetriebes, der nur ihm zur Verfügung stehen sollte, heranzog. Die „Räte von Haus aus“7a und, noch weiter zurück, ein erheblicher Teil der in der „Curia“ und den anderen beratenden Körperschaften des Fürsten zusammentretenden Ratgeber hatten diesen Charakter. Aber mit diesen nur gelegentlichen oder nebenberuflichen Hilfskräften kam der Fürst natürlich nicht aus. Er mußte sich einen Stab von ganz und ausschließlich seinem Dienst gewidmeten, also hauptberuflichen, Hilfskräften zu schaffen suchen. Davon, woher er diese nahm, hing zum sehr wesentlichen Teil die Struktur des entstehenden dynastischen politischen Gebildes und nicht nur sie, sondern das ganze Gepräge der betreffenden Kultur ab. Erst recht in die gleiche Notwendigkeit versetzt waren diejenigen politischen Verbände, welche unter völliger Beseitigung oder weitgehender Beschränkung der Fürstenmacht sich als (sogenannte) „freie“ Gemeinwesen politisch konstituierten, – „frei“ nicht im Sinne der Freiheit von gewaltsamer Herrschaft, sondern im Sinne von: Fehlen der kraft Tradition legitimen (meist religiös geweihten) Fürstengewalt als ausschließlicher Quelle aller Autorität. Sie haben geschichtlich ihre Heimstätte durchaus im Okzident, und ihr Keim war: die Stadt als politischer Verband, als welcher sie zuerst im mittelländischen Kulturkreis aufgetreten ist8. Die typische Eigenart der Berufspolitiker, sowohl der „Führer“ wie ihrer Gefolgschaft, hat gewechselt und ist auch heute sehr verschieden9. Gegen die Stände stützte sich der Fürst auf politisch verwertbare Schichten nichtständischen Charakters. Dahin gehörten in Vorderund Hinterindien, im buddhistischen China und Japan und in der lamaistischen Mongolei ganz ebenso wie in den christlichen Gebieten des Mittelalters zunächst: die Kleriker. Technisch deshalb, weil sie schriftkundig waren. Überall ist der Import von Brahmanen, buddhistischen Priestern, Lamas und die Verwendung von Bischöfen und Priestern als politischer Berater unter dem Gesichtspunkt erfolgt, schreibkundige Verwaltungskräfte zu bekommen, die im Kampf des Kaisers oder Fürsten oder Khans gegen die Aristokratie verwertet werden konnten. Der Kleriker, zumal der zölibatäre Kleriker, stand außerhalb des Getriebes der normalen politischen und ökonomischen Interessen und kam nicht in Versuchung, für seine Nachfahren eigene politische Macht gegenüber seinem Herrn zu erstreben, wie es der Lehnsmann tat. Er war von

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den Betriebsmitteln der fürstlichen Verwaltung durch seine eigenen ständischen Qualitäten „getrennt“. Eine zweite derartige Schicht waren die humanistisch gebildeten Literaten. Es gab eine Zeit, wo man lateinische Reden und griechische Verse zu dem Zwecke machen lernte, politischer Berater und vor allen Dingen politischer Denkschriftenverfasser eines Fürsten zu werden. Das war die Zeit der ersten Blüte der Humanistenschulen und der fürstlichen Stiftungen von Professuren der „Poetik“: bei uns eine schnell vorübergehende Epoche, die immerhin auf unser Schulwesen nachhaltig eingewirkt hat, politisch freilich keine tieferen Folgen hatte. Anders in Ostasien. Der chinesische Mandarin ist oder vielmehr war ursprünglich annähernd das, was der Humanist unserer Renaissancezeit war: ein humanistisch an den Sprachdenkmälern der fernen Vergangenheit geschulter und geprüfter Literat. In den Tagebüchern des Li Hung Tshang findet man, daß noch er am meisten stolz darauf ist, daß er Gedichte machte und ein guter Kalligraph war. Diese Schicht mit ihren an der chinesischen Antike entwickelten Konventionen hat das ganze Schicksal Chinas bestimmt, und ähnlich wäre vielleicht unser Schicksal gewesen, wenn die Humanisten seinerzeit die geringste Chance gehabt hätten, mit gleichem Erfolg sich durchzusetzen. Die dritte Schicht war: der Hofadel. Nachdem es den Fürsten gelungen war, den Adel in seiner ständischen politischen Macht zu enteignen, zogen sie ihn an den Hof und verwendeten ihn im politischen und diplomatischen Dienst. Der Umschwung unseres Erziehungswesens im 17. Jahrhundert war mit dadurch bedingt, daß an Stelle der humanistischen Literaten hofadelige Berufspolitiker in den Dienst der Fürsten traten. Die vierte Kategorie war ein spezifisch englisches Gebilde, ein den Kleinadel und das städtische Rentnertum umfassendes Patriziat, technisch „gentry“ genannt: eine Schicht, die ursprünglich der Fürst gegen die Barone heranzog und in den Besitz der Ämter des „selfgovernment“ setzte, um später zunehmend von ihr abhängig zu werden. Sie hielt sich im Besitz der sämtlichen Ämter der lokalen Verwaltung, indem sie dieselben gratis übernahm im Interesse ihrer eigenen sozialen Macht. Sie hat England vor der Bürokratisierung bewahrt, die das Schicksal sämtlicher Kontinentalstaaten war.

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Eine fünfte Schicht war dem Okzident, vor allem auf dem europäischen Kontinent, eigentümlich und war für dessen ganze politische Struktur von ausschlaggebender Bedeutung: die der universitätsgeschulten Juristen. Die gewaltige Nachwirkung des römischen Rechts, wie es der bürokratische spätrömische Staat umgebildet hatte, tritt in nichts deutlicher hervor, als darin, daß überall die Revolutionierung des politischen Betriebs im Sinne der Entwicklung zum rationalen Staat von geschulten Juristen getragen wurde. Auch in England, obwohl dort die großen nationalen Juristenzünfte die Rezeption des römischen Rechts hinderten. Man findet in keinem Gebiet der Erde dazu irgendeine Analogie. Alle Ansätze rationalen juristischen Denkens in der indischen Mîmâmsâ-Schule10 und alle Weiterpflege des antiken juristischen Denkens im Islâm haben die Überwucherung des rationalen Rechtsdenkens durch theologische Denkformen nicht hindern können. Vor allem wurde das Prozeßverfahren nicht voll rationalisiert. Das haben nur die Übernahme der antik-römischen Jurisprudenz, des Produkts eines aus dem Stadtstaat zur Weltherrschaft aufsteigenden politischen Gebildes ganz eigenartigen Charakters, durch die italienischen Juristen zuwege gebracht, der „Usus modernus“ der spätmittelalterlichen Pandektisten und Kanonisten und die aus juristischem und christlichem Denken geborenen und später säkularisierten Naturrechtstheorien. Im italienischen Podestat, in den französischen Königsjuristen, welche die formellen Mittel zur Untergrabung der Herrschaft der Seigneurs durch die Königsmacht schufen, in den Kanonisten und naturrechtlich denkenden Theologen des Konziliarismus, in den Hofjuristen und gelehrten Richtern der kontinentalen Fürsten, in den niederländischen Naturrechtslehrern und den Monarchomachen, in den englischen Kron- und den Parlamentsjuristen, in der „Noblesse de Robe“ der französischen Parlamente, endlich in den Advokaten der Revolutionszeit hat dieser juristische Rationalismus seine großen Repräsentanten gehabt. Ohne ihn ist das Entstehen des absoluten Staates so wenig denkbar wie die Revolution. Wenn man die Remonstrationen der französischen Parlamente oder die Cahiers11 der französischen Generalstände seit dem 16.  Jahrhundert bis in das Jahr 1789 durchsieht, findet man überall: Juristengeist. Und wer die Berufszugehörigkeit der Mitglieder des französischen Konvents durchmustert, findet darin – obwohl er nach gleichem Wahlrecht gewählt war – einen einzigen Proletarier, sehr wenige bürgerliche Unternehmer, dagegen massenhaft Juristen aller Art, ohne die der spezifische Geist, der diese radikalen Intellektuellen und

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ihre Entwürfe beseelte, ganz undenkbar wäre. Der moderne Advokat und die moderne Demokratie gehören seitdem schlechthin zusammen, und Advokaten in unserem Sinn, als ein selbständiger Stand, existieren wiederum nur im Okzident, seit dem Mittelalter, wo sie aus dem „Fürsprech“ des formalistischen germanischen Prozeßverfahrens unter dem Einfluß der Rationalisierung des Prozesses sich entwickelten. Die Bedeutung der Advokaten in der okzidentalen Politik seit dem Aufkommen der Parteien ist nichts Zufälliges12. Der politische Betrieb durch Parteien bedeutet eben: Interessentenbetrieb, – wir werden bald sehen, was das besagen will. Und eine Sache für Interessenten wirkungsvoll zu führen, ist das Handwerk des geschulten Advokaten. Er ist darin jedem „Beamten“ überlegen. Gewiß kann er eine durch logisch schwache Argumente gestützte, in diesem Sinn: „schlechte“ Sache dennoch siegreich, also technisch „gut“, führen. Aber auch nur er führt eine durch logisch „starke“ Argumente zu stützende, in diesem Sinn „gute“ Sache siegreich, also in diesem Sinn: „gut“. Der Beamte als Politiker macht nur allzu oft durch technisch „schlechte“ Führung eine in jenem Sinn „gute“ Sache zur „schlechten“. Denn die heutige Politik wird nun einmal in hervorragendem Maße in der Öffentlichkeit mit den Mitteln des gesprochenen oder geschriebenen Wortes geführt. Dessen Wirkung abzuwägen, liegt im eigentlichsten Aufgabenkreis des Advokaten, gar nicht aber des Fachbeamten, der kein Demagoge ist und, seinem Zweck nach, sein soll, und wenn er es doch zu werden unternimmt, ein sehr schlechter Demagoge zu werden pflegt13. Der „Demagoge“ ist seit dem Verfassungsstaat und vollends seit der Demokratie der Typus des führenden Politikers im Okzident. Der unangenehme Beigeschmack des Wortes darf nicht vergessen lassen, daß nicht Kleon, sondern Perikles der Erste war, der diesen Namen trug. Amtlos oder mit dem – im Gegensatz zu den durch das Los besetzten Ämtern der antiken Demokratie – einzigen Wahlamt: dem des Oberstrategen, betraut, leitet er die souveräne Ekklesia des Demos von Athen. Die moderne Demagogie bedient sich zwar auch der Rede: in quantitativ ungeheuerlichem Umfang sogar, wenn man die Wahlreden bedenkt, die ein moderner Kandidat zu halten hat. Aber noch nachhaltiger doch: des gedruckten Worts14. Es gibt zwei Arten, aus der Politik seinen Beruf zu machen. Entweder: man lebt „für“ die Politik, – oder aber: „von“ der Politik. Der Gegensatz ist keineswegs ein exklusiver. In aller Regel vielmehr tut man,

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mindestens ideell, meist aber auch materiell, beides: wer „für“ die Poli­ tik lebt, macht im innerlichen Sinne „sein Leben daraus“: er genießt entweder den nackten Besitz der Macht, die er ausübt, oder er speist sein inneres Gleichgewicht und Selbstgefühl aus dem Bewußtsein, durch Dienst an einer „Sache“ seinem Leben einen Sinn zu verleihen. In diesem innerlichen Sinn lebt wohl jeder ernste Mensch, der für eine Sache lebt, auch von dieser Sache. Die Unterscheidung bezieht sich also auf eine viel massivere Seite des Sachverhalts: auf die ökonomische. „Von“ der Politik als Beruf lebt, wer danach strebt, daraus eine dauernde Einnahmequelle zu machen, – „für“ die Politik der, bei dem dies nicht der Fall ist. Damit jemand in diesem ökonomischen Sinn „für“ die Politik leben könne, müssen unter der Herrschaft der Privateigentumsordnung bestimmte Voraussetzungen vorliegen: er muß – unter normalen Verhältnissen – ökonomisch von den Einnahmen, welche die Politik ihm bringen kann, unabhängig sein. Das heißt unter normalen Verhältnissen: er muß vermögend oder in einer privaten Lebensstellung sein, welche ihm auskömmliche Einkünfte abwirft. Zwar die Gefolgschaft des Kriegsfürsten fragt ebensowenig nach den Bedingungen normaler Wirtschaft wie die Gefolgschaft des revolutionären Helden der Straße. Beide leben von Beute, Raub, Konfiskationen, Kontributionen, Aufdrängung von wertlosen Zwangszahlungsmitteln, – was dem Wesen nach alles das Gleiche ist. Aber das sind notwendig außeralltägliche Erscheinungen; in der Alltagswirtschaft leistet nur eigenes Vermögen diesen Dienst. Aber damit allein nicht genug: er muß überdies wirtschaftlich „abkömmlich“ sein, d. h. seine Einkünfte dürfen nicht davon abhängen, daß er ständig persönlich seine Arbeitskraft und sein Denken voll oder doch weit überwiegend in den Dienst ihres Erwerbes stellt. Abkömmlich in diesem Sinn ist am unbedingtesten: der Rentner, derjenige also, der vollkommen arbeitsloses Einkommen, sei es, wie die Grundherren der Vergangenheit, die Großgrundbesitzer und die Standesherren der Gegenwart, aus Grundrenten – in der Antike und im Mittelalter auch Sklaven- oder Hörigenrenten –, sei es aus Wertpapier- oder ähnlichen modernen Rentenquellen bezieht. Weder der Arbeiter, noch – was zu beachten ist – der Unternehmer (auch und gerade der moderne Großunternehmer) ist in diesem Sinn abkömmlich. Denn auch und gerade der Unternehmer – der gewerbliche sehr viel mehr als, bei dem Saisoncharakter der Landwirtschaft, der landwirtschaftliche Unternehmer – ist an seinen Betrieb gebunden und nicht abkömmlich. Es ist für ihn meist sehr schwer, sich auch nur zeitweilig

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vertreten zu lassen. Ebensowenig vertretbar ist z. B. der Arzt, je hervorragender und beschäftigter er ist, desto weniger. Leichter schon, aus rein betriebstechnischen Gründen, der Advokat, der deshalb auch als Berufspolitiker eine ungleich größere, oft eine geradezu beherrschende Rolle gespielt hat. – Wir wollen diese Kasuistik nicht weiter verfolgen, sondern machen uns einige Konsequenzen klar. Die Leitung eines Staates oder einer Partei durch Leute, welche (im ökonomischen Sinn des Wortes) ausschließlich für die Politik und nicht von der Politik leben, bedeutet notwendig eine „plutokratische“ Rekrutierung der politisch führenden Schichten. Damit ist freilich nicht auch das Umgekehrte gesagt: daß eine solche plutokratische Leitung auch zugleich bedeutete, daß die politisch herrschende Schicht nicht auch „von“ der Politik zu leben trachtete, also ihre politische Herrschaft nicht auch für ihre privaten ökonomischen Interessen auszunutzen pflegte. Davon ist keine Rede. Es hat keine Schicht gegeben, die das nicht irgendwie getan hätte. Nur dies bedeutet es: daß die Berufspolitiker nicht unmittelbar für ihre politische Leistung Entgelt zu suchen genötigt sind, wie das jeder Mittellose schlechthin in Anspruch nehmen muß. Und andererseits bedeutet es nicht etwa, daß vermögenslose Politiker lediglich oder auch nur vornehmlich ihre privatwirtschaftliche Versorgung durch die Politik im Auge hätten, nicht oder doch nicht vornehmlich „an die Sache“ dächten. Vielmehr ist dem vermögenden Mann die Sorge um die ökonomische „Sekurität“ seiner Existenz erfahrungsgemäß – bewußt oder unbewußt – ein Kardinalpunkt seiner ganzen Lebensorientierung. Der ganz rücksichts- und voraussetzungslose politische Idealismus findet sich dagegen, wenn nicht ausschließlich, so doch wenigstens gerade, bei den infolge ihrer Vermögenslosigkeit ganz außerhalb der an der Erhaltung der ökonomischen Ordnung einer bestimmten Gesellschaft [interessierten Kreise] stehenden Schichten: das gilt zumal in außeralltäglichen, also revolutionären, Epochen. Sondern nur dies bedeutet es: daß eine nicht plutokratische Rekrutierung der politischen Interessenten, der Führerschaft und ihrer Gefolgschaft, an die selbstverständliche Voraussetzung gebunden ist, daß diesen Interessenten aus dem Betrieb der Politik regelmäßige und verläßliche Einnahmen zufließen. Die Politik kann entweder „ehrenamtlich“ und dann von, wie man zu sagen pflegt, „unabhängigen“, d. h. vermögenden Leuten, Rentnern vor allem, geführt werden. Oder aber ihre Führung wird Vermögenslosen zugänglich gemacht, und dann muß sie entgolten

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werden. Der „von“ der Politik lebende Berufspolitiker kann sein: reiner „Pfründner“ oder besoldeter „Beamter“. Entweder bezieht er dann Einnahmen aus Gebühren und Sporteln für bestimmte Leistungen – Trinkgelder und Bestechungssummen sind nur eine regellose und formell illegale Abart dieser Kategorie von Einkünften –, oder er bezieht ein festes Naturaliendeputat oder Geldgehalt, oder beides nebeneinander. Er kann den Charakter eines „Unternehmers“ annehmen, wie der Kondottiere oder der Amtspächter oder Amtskäufer der Vergangenheit oder wie der amerikanische Boss, der seine Unkosten wie eine Kapitalanlage ansieht, die er durch Ausnutzung seines Einflusses Ertrag bringen läßt. Oder er kann einen festen Lohn beziehen, wie ein Redakteur oder Parteisekretär oder ein moderner Minister oder politischer Beamter. In der Vergangenheit waren Lehen, Bodenschenkungen, Pfründen aller Art, mit der Entwicklung der Geldwirtschaft aber besonders Sportelpfründen das typische Entgelt von Fürsten, siegreichen Eroberern oder erfolgreichen Parteihäuptern für ihre Gefolgschaft; heute sind es Ämter aller Art in Parteien, Zeitungen, Genossenschaften, Krankenkassen, Gemeinden und Staat, welche von den Parteiführern für treue Dienste vergeben werden15. Dem steht nun gegenüber die Entwicklung des modernen Beamtentums zu einer spezialistisch durch langjährige Vorbildung fachgeschulten hochqualifizierten geistigen Arbeiterschaft mit einer im Interesse der Integrität hochentwickelten ständischen Ehre, ohne welche die Gefahr furchtbarer Korruption und gemeinen Banausentums als Schicksal über uns schweben und auch die rein technische Leistung des Staatsapparates bedrohen würde, dessen Bedeutung für die Wirtschaft, zumal mit zunehmender Sozialisierung, stetig gestiegen ist und weiter steigen wird. Die Dilettantenverwaltung durch Beutepolitiker, welche in den Vereinigten Staaten Hunderttausende von Beamten, bis zum Postboten hinunter, je nach dem Ausfall der Präsidentenwahl, wechseln ließ und den lebenslänglichen Berufsbeamten nicht kannte, ist längst durch die Civil Service Reform durchlöchert. Rein technische, unabweisliche Bedürfnisse der Verwaltung bedingen diese Entwicklung. In Europa ist das arbeitsteilige Fachbeamtentum in einer Entwicklung vom einem halben Jahrtausend allmählich entstanden. Die italienischen Städte und Signorien machten den Anfang; von den Monarchien die normannischen Erobererstaaten. Bei den Finanzen der Fürsten geschah der entscheidende Schritt. Bei den Verwaltungsreformen des Kaisers

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Maximilians I. kann man sehen, wie schwer – selbst unter dem Druck der äußersten Not16 und Türkenherrschaft – es den Beamten gelang, auf diesem Gebiet, welches den Dilettantismus eines Herrschers, der damals noch vor allem ein Ritter war, am wenigsten vertrug, den Fürsten zu depossedieren. Die Entwicklung der Kriegstechnik bedingte den Fachoffizier, die Verfeinerung des Rechtsganges den geschulten Juristen. Auf diesen drei Gebieten siegte das Fachbeamtentum in den entwickelteren Staaten endgültig im 16. Jahrhundert. Damit war gleichzeitig mit dem Aufstieg des Absolutismus des Fürsten gegenüber den Ständen die allmähliche Abdankung seiner Selbstherrschaft an die Fachbeamten, durch die ihm jener Sieg über die Stände erst ermöglicht wurde, eingeleitet17. Gleichzeitig mit dem Aufstieg des fachgeschulten Beamtentums vollzog sich auch – wennschon in weit unmerklicheren Übergängen – die Entwicklung der „leitenden Politiker“. Von jeher und in aller Welt hatte es solche tatsächlich maßgeblichen Berater der Fürsten gegeben. Im Orient hat das Bedürfnis, den Sultan von der persönlichen Verantwortung für den Erfolg der Regierung möglichst zu entlasten, die typische Figur des „Großwesirs“ geschaffen. Im Abendland wurde die Diplomatie, vor allem unter dem Einfluß der in diplomatischen Fachkreisen mit leidenschaftlichem Eifer gelesenen venezianischen Gesandtschaftsberichte17a im Zeitalter Karls V. – der Zeit Macchiavellis – zuerst eine bewußt gepflegte Kunst, deren meist humanistisch gebildete Adepten sich untereinander als eine geschulte Schicht von Eingeweihten behandelten, ähnlich den humanistischen chinesischen Staatsmännern der letzten Teilstaatenzeit. Die Notwendigkeit einer formell einheitlichen Leitung der gesamten Politik, einschließlich der inneren, durch einen führenden Staatsmann entstand endgültig und zwingend erst durch die konstitutionelle Entwicklung. Bis dahin hatte es zwar solche Einzelpersönlichkeiten als Berater oder vielmehr – der Sache nach – Leiter der Fürsten immer wieder gegeben. Aber die Organisation der Behörden war zunächst, auch in den am weitesten vorgeschrittenen Staaten, andere Wege gegangen. Kollegiale höchste Verwaltungsbehörden waren entstanden17b. Der Theorie und, in allmählich abnehmendem Maße, der Tatsache nach tagten sie unter dem Vorsitz des Fürsten persönlich, der die Entscheidung gab. Durch dieses kollegialische System, welches zu Gutachten, Gegengutachten und motivierten Voten der Mehrheit und Minderheit führte, und ferner dadurch, daß er neben

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den offi­ziellen höchsten Behörden sich mit rein persönlichen Vertrauten – dem „Kabinett“ – umgab und durch diese seine Entscheidungen auf die Beschlüsse des Staatsrats – oder wie die höchste Staatsbehörde sonst hieß  – abgab, suchte der Fürst, der zunehmend in die Lage eines Dilettanten geriet, dem unvermeidlich wachsenden Gewicht der Fachschulung der Beamten sich zu entziehen und die oberste Leitung in der Hand zu behalten: dieser latente Kampf zwischen dem Fachbeamtentum und der Selbstherrschaft bestand überall. Erst gegenüber den Parlamenten und den Machtaspirationen ihrer Parteiführer änderte sich die Lage. Sehr verschieden gelagerte Bedingungen führten doch zu dem äußerlich gleichen Ergebnis, freilich mit gewissen Unterschieden. Wo immer die Dynastien reale Macht in der Hand behielten – wie namentlich in Deutschland –, waren nun die Interessen des Fürsten mit denen des Beamtentums solidarisch verknüpft gegen das Parlament und seine Machtansprüche. Die Beamten hatten das Interesse daran, daß auch die leitenden Stellen, die Ministerposten, aus ihren Reihen besetzt, also Gegenstände des Beamtenavancements wurden. Der Monarch seinerseits hatte das Interesse daran, die Minister nach seinem Ermessen auch aus den Reihen der ihm ergebenen Beamten ernennen zu können. Beide Teile aber waren daran interessiert, daß die politische Leitung dem Parlament einheitlich und geschlossen gegenüber trat, also das Kollegialsystem durch einen einheitlichen Kabinett­ chef ersetzt wurde. Der Monarch bedurfte überdies, schon um dem Parteikampf und den Parteiangriffen rein formell enthoben zu bleiben, einer ihn deckenden verantwortlichen, das heißt dem Parlament Rede stehenden und ihm entgegentretenden, mit den Parteien verhandelnden Einzelpersönlichkeit. Alle diese Interessen wirkten hier zusammen in der gleichen Richtung: ein einheitlich führender Beamtenminister entstand. Noch stärker wirkte in der Richtung der Vereinheitlichung die Entwicklung der Parlamentsmacht da, wo sie – wie in England – die Oberhand gegenüber dem Monarchen gewann. Hier entwickelte sich das „Kabinett“ mit dem einheitlichen Parlamentsführer, dem „Leader“, an der Spitze als ein Ausschuß der von den offiziellen Gesetzen ignorierten, tatsächlich aber allein politisch entscheidenden Macht: der jeweils im Besitz der Mehrheit befindlichen Partei. Die offiziellen kollegialen Körperschaften waren eben als solche keine Organe der wirklich herrschenden Macht: der Partei, und konnten also nicht Träger der wirklichen Regierung sein. Eine herrschende Partei bedurfte vielmehr, um im Innern die Gewalt zu behaupten und nach außen große Poli-

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tik treiben zu können, eines schlagkräftigen, nur aus ihren wirklich führenden Männern zusammengesetzten, vertraulich verhandelnden Organes: eben des Kabinetts, der Öffentlichkeit – vor allem der parlamentarischen Öffentlichkeit – gegenüber aber eines für alle Entschließungen verantwortlichen Führers: des Kabinettchefs. Dieses englische System ist dann in Gestalt der parlamentarischen Ministerien auf den Kontinent übernommen worden, und nur in Amerika und den von da aus beeinflußten Demokratien wurde ihm ein ganz heterogenes System gegenübergestellt, welches den erkorenen Führer der siegenden Partei durch direkte Volkswahl an die Spitze des von ihm ernannten Beamtenapparates stellte und ihn nur in Budget und Gesetzgebung an die Zustimmung des Parlaments band. Die Entwicklung der Politik zu einem „Betrieb“, der eine Schulung im Kampf um die Macht und in dessen Methoden erforderte, so wie sie das moderne Parteiwesen entwickelte, bedingte nun die Scheidung der öffentlichen Funktionäre in zwei, allerdings keineswegs schroff, aber doch deutlich geschiedene Kategorien: Fachbeamte einerseits, „politische Beamte“ andererseits. Die im eigentlichen Wortsinn „politischen“ Beamten sind äußerlich in der Regel daran kenntlich, daß sie jederzeit beliebig versetzt und entlassen oder doch „zur Disposition gestellt“ werden können, wie die französischen Präfekten und die ihnen gleichartigen Beamten anderer Länder, im schroffsten Gegensatz gegen die „Unabhängigkeit“ der Beamten mit richterlicher Funktion. In England gehören jene Beamten dazu, die nach fester Konvention bei einem Wechsel der Parlamentsmehrheit und also des Kabinetts aus den Ämtern scheiden. Besonders diejenigen pflegen dahin zu rechnen, deren Kompetenz die Besorgung der allgemeinen „inneren Verwaltung“ umfaßt; und der „politische“ Bestandteil daran ist vor allem die Aufgabe der Erhaltung der „Ordnung“ im Lande, also: der bestehenden Herrschaftsverhältnisse. In Preußen hatten diese Beamten17c nach dem Puttkamerschen Erlaß18, bei Vermeidung der Maßregelung, die Pflicht, „die Politik der Regierung zu vertreten“, und wurden, ebenso wie in Frankreich die Präfekten, als amtlicher Apparat zur Beeinflussung der Wahlen benutzt. Die meisten „politischen“ Beamten teilten zwar nach deutschem System – im Gegensatz zu anderen Ländern – die Qualität aller anderen insofern, als die Erlangung auch dieser Ämter an akademisches Studium, Fachprüfungen und einen bestimmten Vorbereitungsdienst gebunden war. Dieses spezifische Merkmal des modernen

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Fachbeamtentums fehlt in Deutschland nur den Chefs des politischen Apparates: den Ministern. Preußischer Kultusminister konnte man schon unter dem Regime vor 1918 sein, ohne selbst jemals eine höhere Unterrichtsanstalt besucht zu haben, während man Vortragender Rat grundsätzlich nur auf Grund der vorgeschriebenen Prüfungen werden konnte. Der fachgeschulte Dezernent und Vortragende Rat war selbstverständlich – z. B. unter Althoff19 im preußischen Unterrichtsministerium – unendlich viel informierter über die eigentlichen technischen Probleme des Fachs als sein Chef. In England stand es damit nicht anders. Er war infolgedessen auch für alle Alltagsbedürfnisse der Mächtigere. Das war auch nichts an sich Widersinniges. Der Minister war eben der Repräsentant der politischen Machtkonstellation, hatte deren politische Maßstäbe zu vertreten und an die Vorschläge seiner [ihm] unterstellten Fachbeamten anzulegen oder ihnen die entsprechenden Direktiven politischer Art zu geben. Ganz ähnlich steht es in einem privaten Wirtschaftsbetrieb: der eigentliche „Souverän“, die Aktionärversammlung, ist in der Betriebsführung ebenso einflußlos wie ein von Fachbeamten regiertes „Volk“, und die für die Politik des Betriebes ausschlaggebenden Persönlichkeiten, der von Banken beherrschte „Aufsichtsrat“, geben nur die wirtschaftlichen Direktiven und lesen die Persönlichkeiten für die Verwaltung aus, ohne aber selbst imstande zu sein, den Betrieb technisch zu leiten20. Der echte Beamte – das ist für die Beurteilung des Regimes im Deutschen Reich vor 1918 entscheidend – soll seinem eigentlichen Beruf nach nicht Politik treiben, sondern: „verwalten“, unparteiisch vor allem; das gilt, offiziell wenigstens, auch für die sogenannten „politischen“ Verwaltungsbeamten, soweit nicht die „Staatsräson“, d. h. die Lebensinteressen der herrschenden Ordnung, in Frage stehen. Sine ira et studio, „ohne Zorn und Eingenommenheit“, soll der Beamte seines Amtes walten. Er soll also gerade das nicht tun, was der Politiker, der Führer sowohl wie seine Gefolgschaft, immer und notwendig tun müssen: kämpfen. Denn Parteinahme, Kampf, Leidenschaft – ira et studium – sind das Element des Politikers. Und vor allem: des politischen Führers. Dessen Handeln steht unter einem ganz anderen, gerade entgegengesetzten Prinzip der Verantwortung, als die des Beamten ist. Ehre des Beamten ist die Fähigkeit, wenn – trotz seiner Vorstellungen – die ihm vorgesetzte Behörde auf einem ihm falsch erscheinenden Befehl beharrt, ihn auf die Verantwortung des Befehlenden gewissenhaft und genau so auszu-

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führen, als ob er seiner eigenen Überzeugung entspräche: ohne diese im höchsten Sinn sittliche Disziplin und Selbstverleugnung zerfiele der ganze Apparat. Ehre des politischen Führers, also: des leitenden Staatsmannes, ist dagegen gerade die ausschließliche Eigenverantwortung für das, was er tut, die er nicht ablehnen oder abwälzen kann und darf. Gerade sittlich hochstehende Beamtennaturen sind schlechte, vor allem: im politischen Begriff des Wortes verantwortungslose Politiker, solche, wie sie sich früher in Deutschland in leitenden Stellungen immer wieder befunden haben. Das ist es, was wir „Beamtenherrschaft“ nennen21. In der Verwaltung von Massenverbänden bildet stets das festangestellte Beamtentum mit spezialisierter Einschulung den Kern des Apparates, und seine „Disziplin“ ist absolute Vorbedingung des Erfolges. Und zwar mit zunehmender Größe des Verbandes, zunehmender Kompliziertheit seiner Aufgaben und – vor allem – zunehmender Machtbedingtheit seiner Existenz (sei es, daß es sich um Machtkämpfe auf dem Markt, auf dem Wahlkampfplatz oder auf dem Schlachtfeld handelt) in zunehmendem Maße22. Wie die Italiener und nach ihnen die Engländer die moderne kapitalistische Wirtschaftsorganisation, so haben die Byzantiner, nach ihnen die Italiener, dann die Territorialstaaten des absolutistischen Zeitalters, die französische revolutionäre Zentralisation und schließlich, alle anderen übertreffend, die Deutschen die rationale, arbeitsteilige, fachmäßige bürokratische Organisation aller menschlichen Herrschaftsverbände, von der Fabrik bis zum Heer und Staat, virtuosenhaft entwickelt und sich nur in der Technik der Parteiorganisation von anderen Nationen, insbesondere den Amerikanern, vorläufig und teilweise übertreffen lassen. Der Weltkrieg23 aber bedeutete vor allem den Siegeszug dieser Lebensform über die ganze Welt. Er war ohnehin im Gange. Universitäten, technische und Handelshochschulen, Gewerbeschulen, Militärakademien, Fachschulen aller sonst denkbaren Art ( Journalistenschulen): – das Fachexamen als Voraussetzung aller lohnenden und dabei vor allem „gesicherten“ privaten und öffentlichen Amtsstellungen, – das Examensdiplom als Grundlage aller Ansprüche auf soziale Geltung (Konnubium und soziales Kommerzium mit den zur „Gesellschaft“ sich rechnenden Kreisen), – das „standesgemäße“, sichere, pensionsfähige Gehalt, wenn möglich: die Aufbesserung und das Avancement nach der Anciennität: – dies war bekanntlich schon vorher die eigentliche, von dem Frequenzinteresse der Hochschulen gemeinsam mit der Pfründensucht ihrer Zöglinge ge-

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tragene „Forderung das Tages“, im Staat wie außerhalb des Staates. Hier ist nur die Konsequenz für das politische Leben zu behandeln. Denn dieser nüchterne Tatbestand der universellen Bürokratisierung verbirgt sich in Wahrheit auch hinter dem, was euphemistisch der „Sozialismus der Zukunft“ genannt wird, hinter dem Schlagwort von der „Organisation“, der „Genossenschaftswirtschaft“ und überhaupt hinter allen ähnlichen Redewendungen der Gegenwart. Stets bedeuten sie (auch wenn sie das gerade Gegenteil erstreben) im Resultat: die Schaffung von Bürokratie. Gewiß ist die Bürokratie bei weitem nicht die einzige moderne Organisationsform, so wie die Fabrik bei weitem nicht die einzige gewerbliche Betriebsform ist. Aber beide sind diejenigen, welche dem gegenwärtigen Zeitalter und der absehbaren Zukunft den Stempel aufdrücken. Der Bürokratisierung gehört die Zukunft. Die Bürokratie ist gegenüber anderen geschichtlichen Trägern der modernen rationalen Lebensordnung ausgezeichnet durch ihre weit größere Unentrinnbarkeit. Es ist kein geschichtliches Beispiel dafür bekannt, daß sie da, wo sie einmal zur völligen Alleinherrschaft gelangt war – in China, Ägypten, in nicht so konsequenter Form im spätrö­ mischen Reich und in Byzanz –, wieder verschwunden wäre, außer mit dem völligen Untergang der ganzen Kultur, die sie trug. Und doch ­waren dies noch relativ höchst irrationale Formen der Bürokratie: „Patrimonialbürokratien“. Die moderne Bürokratie zeichnet sich vor al­ len  diesen älteren Beispielen durch eine Eigenschaft aus, welche ihre Unentrinnbarkeit ganz wesentlich endgültiger verankert als die jener anderen: die rationale fachliche Spezialisierung und Einschulung. Der alte chinesische Mandarin war kein Fachbeamter, sondern im Gegenteil: ein literarisch-humanistisch gebildeter Gentleman. Der ägyptische, spätrömische, byzantinische Beamte war wesentlich mehr Bürokrat in unserem Sinn. Aber die Staatsaufgaben, welche in seiner Hand lagen, waren gegenüber den modernen unendlich einfach und bescheiden, sein Verhalten teils traditionalistisch gebunden, teils patriarchal, also irrational, orientiert. Er war ein reiner Empiriker, wie der Gewerbe­ treibende der Vergangenheit. Der moderne Beamte ist entsprechend der rationalen Technik des modernen Lebens stetig und unvermeidlich zunehmend fachgeschult und spezialisiert. Alle Bürokratien der Erde gehen diesen Weg. Der alte amerikanische Parteipatronagebeamte z. B. war zwar ein fachlicher „Kenner“ des Wahlkampfplatzes und der ihm entsprechenden „Praxis“, aber in keiner Art ein spezialistisch gebilde­

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ter  Fachmann. Darauf, nicht auf der Demokratie als solcher, beruhte die dortige Korruption, die dem universitätsgebildeten Fachbeamten des jetzt erst24 sich dort entwickelnden „civil service“ ebenso fremd ist wie der modernen englischen Bürokratie, welche zunehmend an die Stelle des „selfgovernment“ durch Honoratioren („Gentlemen“) tritt. Wo aber der moderne eingeschulte Fachbeamte einmal herrscht, ist ­seine Gewalt schlechthin unzerbrechlich, weil die ganze Organisation der elementarsten Lebensversorgung alsdann auf seine Leistung zugeschnitten ist. Theoretisch wohl denkbar wäre eine immer weitergehende Ausschaltung des Privatkapitalismus, – wennschon sie wahrlich keine solche Kleinigkeit ist, wie manche, die ihn nicht kennen, träumen. Aber gesetzt, sie gelänge einmal: so würde sie praktisch keineswegs ein Zerbrechen des stählernen Gehäuses der modernen gewerblichen Arbeit bedeuten, vielmehr: daß nun auch die Leitung der verstaatlichten oder in irgendeine „Gemeinwirtschaft“ übernommenen Betriebe bürokratisch würde. Die Lebensformen der Angestellten und Arbeiter in der preußischen staatlichen Bergwerks- und Eisenbahnverwaltung sind durchaus nicht irgendwie fühlbar andere als die in den großen privatkapitalistischen Betrieben. Unfreier jedoch sind sie, weil jeder Machtkampf gegen eine staatliche Bürokratie aussichtslos ist und weil keine prinzipiell gegen sie und ihre Macht interessierte Instanz angerufen werden kann, wie dies gegenüber der Privatwirtschaft möglich ist. Das wäre der ganze Unterschied. Die staatliche Bürokratie herrschte, wenn der Privatkapitalismus ausgeschaltet wäre, allein. Die jetzt neben und, wenigstens der Möglichkeit nach, gegeneinander arbeitenden, sich also immerhin einigermaßen gegenseitig im Schach haltenden privaten und öffentlichen Bürokratien wären in eine einzige Hierarchie zusammengeschmolzen. Etwa wie in Ägypten im Altertum, nur in ganz unvergleichlich rationalerer und deshalb: unentrinnbarerer Form. Eine leblose Maschine ist geronnener Geist. Nur, daß sie dies ist, gibt ihr die Macht, die Menschen in ihren Dienst zu zwingen und den Alltag ihres Arbeitslebens so beherrschend zu bestimmen, wie es tatsächlich in der Fabrik der Fall ist. Geronnener Geist ist auch jene lebende Maschine, welche die bürokratische Organisation mit ihrer Spezialisierung der geschulten Facharbeit, ihrer Abgrenzung der Kompetenzen, ihren Reglements und hierarchisch abgestuften Gehorsamsverhältnissen darstellt. Im Verein mit der toten Maschine ist sie an der Arbeit, das Gehäuse jener Hörigkeit der Zukunft herzustellen, in welche vielleicht

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dereinst die Menschen sich, wie die Fellachen im altägyptischen Staat, ohnmächtig zu fügen gezwungen sein werden, wenn ihnen eine rein technisch gute und das heißt: eine rationale Beamten-Verwaltung und -Versorgung der letzte und einzige Wert ist, der über die Art der Leitung ihrer Angelegenheiten entscheiden soll. Denn das leistet die Bürokratie ganz unvergleichlich viel besser als jegliche andere Struktur der Herrschaft. Und dieses Gehäuse, welches unsere ahnungslosen Literaten preisen, ergänzt durch die Fesselung jedes einzelnen an den Betrieb (Anfänge dazu: in den sogenannten „Wohlfahrtseinrichtungen“), an die Klasse (durch zunehmende Festigkeit der Besitzgliederung) und vielleicht einmal künftig an den Beruf (durch „leiturgische“ staatliche Bedarfsdeckung, das heißt: Belastung berufsgegliederter Verbände mit Staatsaufgaben), würde nur um so unzerbrechlicher, wenn dann etwa auf sozialem Gebiet, wie in den Fronstaaten der Vergangenheit, eine „ständische“ Organisation der Beherrschten der Bürokratie angegliedert (und das heißt in Wahrheit: ihr untergeordnet) würde. Eine „organische“, d. h. eine orientalisch-ägyptische Gesellschaftsgliederung, aber im Gegensatz zu dieser: so streng rational, wie eine Maschine es ist, würde dann heraufdämmern. Wer wollte leugnen, daß derartiges als eine Möglichkeit im Schoße der Zukunft liegt? Nehmen wir einmal an: gerade diese Möglichkeit wäre ein unentrinnbares Schicksal, – wer möchte dann nicht lächeln über die Angst davor, daß die politische und soziale Entwicklung uns künftig zuviel „Individualismus“ oder „Demokratie“ oder dergleichen bescheren könnte und daß die „wahre Freiheit“ erst aufleuchten werde, wenn die jetzige „Anarchie“ unserer wirtschaftlichen Produktion und das „Parteigetriebe“ unserer Parlamente beseitigt sein werden zugunsten „sozialer Ordnung“ und „organischer Gliederung“, – das heißt: des Pazifismus der sozialen Ohnmacht unter den Fittichen der einzigen ganz sicher unentfliehbaren Macht: der Bürokratie in Staat und Wirtschaft. Angesichts der Grundtatsache des unaufhaltsamen Vormarsches der Bürokratisierung kann die Frage nach den künftigen politischen Organisationsformen überhaupt nur so gestellt werden: 1. Wie ist es angesichts dieser Übermacht der Tendenz zur Bürokratisierung überhaupt noch möglich, irgendwelche Reste einer in irgendeinem Sinn „individualistischen“ Bewegungsfreiheit zu retten25? Denn schließlich ist es eine gröbliche Selbsttäuschung zu glauben, ohne diese

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Errungenschaften aus der Zeit der „Menschenrechte“ vermöchten wir heute – auch der Konservativste unter uns – überhaupt26 zu leben. 2. Wie kann, angesichts der steigenden Unentbehrlichkeit und der dadurch bedingten steigenden Machtstellung des uns hier interessierenden staatlichen Beamtentums, irgendwelche Gewähr dafür geboten werden, daß Mächte vorhanden sind, welche die ungeheure Übermacht dieser an Bedeutung stets wachsenden Schicht in Schranken halten und sie wirksam kontrollieren? Wie wird Demokratie auch nur in diesem beschränkten Sinn überhaupt möglich sein? 3. Eine dritte Frage, und zwar die wichtigste von allen, ergibt sich aus einer Betrachtung dessen, was die Bürokratie als solche nicht leistet. Leicht ist nämlich festzustellen, daß ihre Leistungsfähigkeit auf dem Gebiet des öffentlichen, staatlich-politischen Betriebes ganz ebenso wie innerhalb der Privatwirtschaft feste innere Grenzen hat. Der leitende Geist: der „Unternehmer“ hier, der „Politiker“ dort, ist etwas anderes als ein „Beamter“. Nicht notwendig der Form, wohl aber der Sache nach. Auch der Unternehmer sitzt auf dem „Büro“. Auch der Heerführer tut es. Der Heerführer ist ein Offizier und formell also nichts anderes als alle anderen Offiziere. Und ist der Generaldirektor eines großen Unternehmens ein angestellter Beamter einer Aktiengesellschaft, so ist auch er in seiner Rechtsstellung von anderen Beamten nicht prinzipiell unterschieden. Ebenso steht es auf dem Gebiet des staatlichen Lebens mit dem leitenden Politiker. Der leitende Minister ist formell ein Beamter mit pensionsfähigem Gehalt. Der Umstand, daß nach allen Verfassungen der Erde er jederzeit entlassen werden und Entlassung fordern kann, unterscheidet seine Dienststellung äußerlich von derjenigen der meisten, aber nicht aller anderen Beamten. Weit auffälliger ist dagegen die Tatsache: daß für ihn – und für ihn allein – keinerlei Fachbildungsqualifikation vorgeschrieben ist wie für andere Beamte. Das deutet an, daß er eben doch dem Sinn seiner Stellung nach etwas ähnlich Verschiedenes von den anderen Beamten ist wie der Unternehmer und Generaldirektor innerhalb der Privatwirtschaft. Oder vielmehr richtiger: daß er etwas anderes sein soll. Und so ist es in der Tat. Wenn ein leitender Mann dem Geist seiner Leistung nach ein „Beamter“ ist, sei es auch ein noch so tüchtiger: ein Mann also, der nach Reglement und Befehl pflichtgemäß und ehrenhaft seine Arbeit abzuleisten gewohnt ist, dann ist er weder an der Spitze eines Privatwirtschaftsbetriebes, noch an der Spitze eines Staates zu brauchen.

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Der Unterschied liegt nur zum Teil in der Art der erwarteten Leistung. Selbständigkeit des Entschlusses, organisatorische Fähigkeit kraft eigener Ideen wird im einzelnen massenhaft, sehr oft aber auch im großen von „Beamten“ ebenso erwartet wie von „Leitern“. Und gar die Vorstellung, daß der Beamte im subalternen Alltagswirken aufgehe, nur der Leiter die „interessanten“, geistige Anforderungen stellenden Sonderleistungen zu vollbringen habe, ist abwegig und nur in einem Lande möglich, welches keinen Einblick in die Art der Führung sei­ ner Geschäfte und die Leistungen seiner Beamtenschaft hat. Der Un­ terschied liegt in der Art der Verantwortung des einen und des ande­ ren, und von da aus bestimmt sich allerdings weitgehend auch die Art der Anforderungen, die an die Eigenart beider gestellt werden. Ein ­Beamter – das sei hier wiederholt27 –, der einen nach seiner Ansicht verkehrten Befehl erhält, kann – und soll – Vorstellungen erheben. ­Beharrt die vorgesetzte Stelle bei ihrer Anweisung, so ist es nicht nur seine Pflicht, sondern seine Ehre, sie so anzuführen, als ob sie seiner eigensten Überzeugung entspräche, und dadurch zu zeigen, daß sein Amtspflichtgefühl über seiner Eigenwilligkeit steht. Ob die vorgesetzte Stelle eine „Behörde“ oder eine „Körperschaft“ oder „Versammlung“ ist, von der er ein imperatives Mandat hat, ist gleichgültig. So will es der Geist des Amtes. Ein politischer Leiter, der so handeln würde, verdiente Verachtung. Er wird oft genötigt sein, Kompromisse zu schließen, das heißt: Unwichtigeres dem Wichtigeren zu opfern. Bringt er es aber nicht fertig, seinem Herrn (er sei der Monarch oder der Demos) zu sagen: entweder ich erhalte jetzt diese Instruktion oder ich gehe, so ist er ein „Kleber“, wie Bismarck diesen Typus getauft hat, und kein Führer. „Über den Parteien“, das heißt in Wahrheit: außerhalb des Kampfes um eigene Macht, soll der Beamte stehen. Kampf um eigene Macht und die aus dieser Macht folgende Eigenverantwortung für seine Sache ist das Lebenselement des Politikers wie des Unternehmers28. § 4. Parteiwesen und Parteiorganisation1 Die Existenz der Parteien kennt keine Verfassung und (in Deutschland wenigstens) auch kein Gesetz2, obwohl doch gerade sie heute die weitaus wichtigsten Träger alles politischen Wollens der von der Bürokratie Beherrschten, der „Staatsbürger“, darstellen. Parteien sind – mögen sie noch so viele Mittel der dauernden Angliederung ihrer Klientel

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an sich verwenden – ihrem innersten Wesen nach freiwillig geschaffene und auf freie, notwendig stets erneute, Werbung ausgehende Organisationen, im Gegensatz zu allen gesetzlich oder kontraktlich fest umgrenzten Körperschaften. Heute ist stets Stimmenwerbung für Wahlen zu politischen Stellungen oder in eine Abstimmungskörperschaft ihr Ziel. Ein dauernder, unter einem Führer oder einer Honoratiorengruppe vereinigter Kern von Parteiinteressenten mit sehr verschieden fester Gliederung, heute oft mit entwickelter Bürokratie, sorgt für die Finanzierung mit Hilfe von Parteimäzenaten oder wirtschaftlichen Interessenten oder Amtspatronageinteressenten oder durch Mitgliedsbeiträge: meist aus mehreren dieser Quellen. Er bestimmt das jeweilige Programm, die Art des Vorgehens und die Kandidaten. Auch bei sehr demokratischer Form der Massenparteiorganisation, welche dann, wie stets, ein entwickeltes besoldetes Beamtentum zur Folge hat, ist die Masse zum mindesten der Wähler, in ziemlichem Umfang aber auch der einfachen „Mitglieder“, nicht (oder nur formell) beteiligt an der Bestimmung der Programme und Kandidaten. Die Wähler kommen vielmehr mitwirkend nur dadurch in Betracht, daß [jene] beiden den Chancen, dadurch deren Stimmen zu gewinnen, angepaßt und danach ausgewählt werden. Mag man nun die Existenz, die Art des Werbens und Kämpfens und die Tatsache, daß unvermeidlich Minderheiten die Formung von Programmen und Kandidatenlisten in der Hand haben, moralisierend beklagen, – beseitigen wird man die Existenz der Parteien nicht und jene Art ihrer Struktur und ihres Vorgehens höchstens in begrenztem Maße. Reglementieren kann das Gesetz, wie z. B. mehrfach in Amerika, die Form der Bildung jenes aktiven Parteikerns (ähnlich wie etwa die Bedingungen der Bildung von Gewerkschaften) und die „Kampfregeln“ auf dem Wahlschlachtfeld. Aber den Parteikampf selbst auszuschalten, ist nicht möglich, wenn nicht eine aktive Volksvertretung überhaupt fortfallen soll. Die verworrene Vorstellung, daß man es doch könne und solle, beschäftigt aber manche Köpfe stets erneut. Sie gehört, bewußt oder unbewußt, zu den Voraussetzungen der vielen Vorschläge, statt der oder neben den auf der Basis des allgemeinen (gleichen oder abgestuften) staatsbürgerlichen Wahlrechts gebildeten Parlamenten: Wahlkörperschaften auf „berufsständischer“ Basis zu schaffen, bei welchen korporativ zusammengefaßte Berufsvertretungen zugleich Wahlkörper für das Parlament sein würden3. Ein Ungedanke schon an sich in ei-

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ner Zeit, wo die formelle Zugehörigkeit zu einem bestimmten Beruf (die wahlgesetzlich an äußere Merkmale geknüpft werden müßte) über die ökonomische und soziale Funktion bekanntlich so gut wie nichts aussagt, wo jede technische Neuerfindung und jede ökonomische Verschiebung und Neubildung diese Funktionen und damit auch den Sinn der formal gleichbleibenden Berufsstellungen und ihr Zahlenverhältnis zueinander verschiebt. Aber selbstverständlich auch kein Mittel für den erstrebten Zweck. Denn würde es gelingen, sämtliche Wähler in Berufskörperschaften von der Art etwa der heutigen Handelskammern oder Landwirtschaftskammern vertreten und aus diesen dann das Parlament hervorgehen zu lassen, so wäre selbstverständlich die Folge: 1. daß neben diesen gesetzlich zusammengeklammerten Berufsorganisationen einerseits die auf freier Werbung ruhenden Interessenvertretungen stehen würden, so wie neben den Landwirtschaftskammern der Bund der Landwirte, neben den Handelskammern die verschiedenen Arten der freien Unternehmerorganisationen. Andererseits würden selbstverständlich die auf Werbung ruhenden politischen Parteien, weit entfernt davon zu verschwinden, Richtung und Art ihrer Werbung dem neugeschaffenen Zustand anpassen. Gewiß nicht zum Vorteil: die Beeinflussung der Wahlen in jenen Berufsvertretungen durch Wahlgeldgeber und die Ausnutzung der kapitalistischen Abhängigkeiten würden mindestens ebenso unkontrollierbar fortbestehen. Im übrigen würden als selbstverständliche Folge eintreten: einerseits – 2. daß die Lösung der sachlichen Aufgaben der Berufsvertretungen nun, wo ihre Zusammensetzung die Parlamentswahlen und damit die Amtspatronage beeinflussen würde, in den Strudel der politischen Macht- und Parteikämpfe gerissen, statt der sachlich kompetenten Fachvertreter also Parteivertreter sie bevölkern würden. Andererseits – 3. daß das Parlament ein Markt für rein materielle Interessenkompromisse ohne staatspolitische Orientierung würde. Für die Bürokratie ergäbe das die gesteigerte Versuchung dazu und einen erweiterten Spielraum dafür, durch Ausspielen materieller Interessengegensätze und durch ein Patronage- und Lieferungs-Trinkgeldersystem verstärkter Art die eigene Macht zu erhalten und vor allem: jede Verwaltungskontrolle illusorisch zu machen. Denn die entscheidenden Vorgänge und Kompromisse der Interessenten würden sich nun, noch viel weniger kontrolliert, hinter den verschlossenen Türen ihrer unoffiziellen Konzerne abwickeln. Nicht der politische Führer, sondern der Geschäftsmann käme im Par-

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lament ganz unmittelbar auf seine Rechnung, während für die Lösung politischer Fragen nach politischen Gesichtspunkten eine solche sogenannte „Volksvertretung“ wahrlich die ungeeignetste Stätte wäre. Das alles liegt für den Kundigen auf der Hand. Ebenso, daß derartiges kein Mittel ist, die kapitalistische Beeinflussung der Parteien und des Parlaments zu schwächen oder gar das Parteigetriebe zu beseitigen oder doch zu reinigen. Das gerade Gegenteil wäre der Fall. Die Tatsache, daß die Parteien nun einmal auf freier Werbung beruhende Gebilde sind, steht ihrer Reglementierung im Weg und wird von solchen Vorstellungen, welche nur die durch staatliches Reglement geschaffenen, nicht die „freiwillig“ auf dem Kampfplatz der heutigen Gesellschaftsordnung gewachsenen Gebilde als Organisationen kennen möchten, verkannt4. Politische Parteien können in modernen Staaten vor allem auf zwei verschiedenen letzten innerlichen Prinzipien aufgebaut sein. Entweder sie sind – wie in Amerika seit dem Wegfall der großen Gegensätze über die Verfassungsinterpretation – wesentlich Amtspatronage-Organisationen. Ihr Ziel ist dann lediglich, durch Wahlen ihren Führer in die leitende Stellung zu bringen, damit er dann seiner Gefolgschaft: dem Beamten- und Werbeapparat der Partei, die staatlichen Ämter zuwende. Inhaltlich gesinnungslos, schreiben sie, miteinander konkurrierend, jeweils diejenigen Forderungen in ihr Programm, welchen sie die stärkste Werbekraft bei den Wählern zutrauen. Dieser Charakter der Parteien ist in den Vereinigten Staaten deshalb so nackt ausgeprägt, weil dort kein parlamentarisches System besteht, vielmehr der vom Volk gewählte Präsident der Union (unter Beteiligung der gewählten Senatoren der Staaten) die Amtspatronage der ungeheuren Zahl zu vergebender Bundesämter in Händen hat. Trotz der Korruption, die es zur Folge hatte, war dies System populär, weil es die Entstehung einer Bürokratenkaste vermied. Technisch möglich aber war es, weil und solange selbst die übelste Dilettantenwirtschaft angesichts des unbegrenzten Überflusses an ökonomischen Chancen ertragen werden konnte. Die steigende Notwendigkeit, den jeder Fachschulung entbehrenden Parteischützling und Gelegenheitsbeamten durch den das Amt als Lebensberuf versehenden fachgeschulten Beamten zu ersetzen, gräbt diesen amerikanischen Parteien zunehmend Pfründen ab und läßt auch dort unentrinnbar eine Bürokratie europäischer Art entstehen. Oder die Parteien sind vornehmlich Weltanschauungsparteien, welche also der Durchsetzung inhaltlicher politischer Ideale dienen wollen.

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In ziemlich reiner Form waren dies das deutsche Zentrum der siebziger Jahre und die Sozialdemokratie bis zu ihrer Durchbürokratisierung. Die Regel ist aber, daß Parteien beides zugleich sind: sie haben sachlich-politische, durch die Tradition überlieferte und mit Rücksicht auf sie nur langsam modifizierbare Ziele, erstreben aber außerdem: Ämterpatronage. Und zwar in erster Linie die Besetzung der leitenden Ämter, derjenigen also, welche politischen Charakters sind, durch ihre Führer. Die Erreichung dieses Ziels durch sie im Wahlkampf ermöglicht dann den Führern und Betriebsinteressenten während der politischen Herrschaft der Partei, ihren Schützlingen Unterkunft in gesicherten Staatsstellungen zu verschaffen. Dies ist die Regel in parlamentarischen Staaten, und diesen Weg sind daher dort auch die Weltanschauungsparteien gegangen. In nichtparlamentarischen Staaten steht den Parteien die Patronage der leitenden Ämter nicht zu. Dagegen pflegen dort die einflußreichsten von ihnen in der Lage zu sein, die herrschende Bürokratie wenigstens zu nötigen, ihren Schützlingen neben den durch Konnexion mit Beamten empfohlenen Anwärtern Unterkunft in unpolitischen Staatsstellungen zu gewähren, also: Subalternpatronage auszuüben5. Alle Parteikämpfe sind nicht nur Kämpfe um sachliche Ziele, sondern vor allem auch: um Ämterpatronage5a. Alle Kämpfe zwischen partikularistischen und zentralistischen Bestrebungen in Deutschland drehen sich vor allem auch darum, welche Gewalten, ob die Berliner oder die Münchener, Karlsruher, Dresdener, die Ämterpatronage in der Hand haben6. Zurücksetzungen in der Anteilnahme an den Ämtern werden von Parteien schwerer empfunden als Zuwiderhandlungen gegen ihre sachlichen Ziele. Ein parteipolitischer Präfektenschub in Frankreich galt immer als eine größere Umwälzung und erregte mehr Lärm als eine Modifikation des Regierungsprogramms, welches fast rein phraseologische Bedeutung hatte. Manche Parteien, so namentlich die in Amerika seit dem Schwinden der alten Gegensätze über die Auslegung der Verfassung, sind reine Stellenjägerparteien, welche ihr sachliches Programm je nach den Chancen des Stimmenfangs abändern. In Spanien wechselten bis in die letzten Jahre6 in Gestalt der von obenher fabrizierten „Wahlen“ die beiden großen Parteien in konventionell feststehendem Turnus ab, um ihre Gefolgschaft in Ämtern zu versorgen. In den spanischen Kolonialgebieten handelt es sich sowohl bei den sogenannten „Wahlen“ wie den sogenannten „Revolutionen“ stets um

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die Staatskrippe, an der die Sieger gefüttert zu werden wünschen. In der Schweiz repartieren die Parteien im Wege des Proporzes die Ämter friedlich untereinander, und manche unserer „revolutionären“ Verfassungsentwürfe6, so z. B. der erste für Baden aufgestellte, wollten dieses System auf die Ministerstellen ausdehnen und behandelten so den Staat und seine Ämter als reine Pfründnerversorgungsanstalt. Vor allem die Zentrumspartei begeisterte sich dafür und machte in Baden die proportionale Verteilung der Ämter nach Konfessionen, also ohne Rücksicht auf die Leistung, sogar zu einem Programmpunkt. Mit steigender Zahl der Ämter infolge der allgemeinen Bürokratisierung und steigendem Begehr nach ihnen als einer Form spezifisch gesicherter Versorgung steigt für alle Parteien diese Tendenz und werden sie für ihre Gefolgschaft immer mehr Mittel zum Zweck, derart versorgt zu werden7. Nicht anders als in Wirtschaft und staatlicher Verwaltung steht es mit dem Fortschritt zur Bürokratisierung auch in den Parteien8. Ihrer inneren Struktur nach gehen alle Parteien im Lauf der letzten Jahrzehnte mit zunehmender Rationalisierung der Wahlkampftechnik zur bürokratischen Organisation über. Die Stufen der Entwicklung, welche die einzelnen Parteien auf dem Weg dahin erreicht haben, sind verschieden, die allgemeine Richtung des Weges ist aber, in Massenstaaten wenigstens, eindeutig. Der „Caucus“ J. Chamberlains in England, die Entwicklung der bezeichnenderweise sogenannten „Maschine“ in Amerika und die überall, auch in Deutschland – am schnellsten in der Sozialdemokratie, also, und ganz natürlicherweise, gerade in der demokratischsten Partei9 – zunehmende Bedeutung des Parteibeamtentums sind alle in gleicher Art Stadien dieses Vorgangs. In der Zentrumspartei versieht der kirchliche Apparat: die „Kaplanokratie“, und für die konservative Partei in Preußen seit dem Ministerium Puttkamer9a der Landrats- und Amtsvorsteherapparat des Staates, einerlei ob offen oder verhüllt, die Dienste der Parteibürokratie. Auf der Qualität der Organisation dieser Bürokratien in erster Linie beruht die Macht der Parteien. Auf der Feindseligkeit dieser Parteibeamtenapparate gegeneinander weit mehr als auf Unterschieden der Programme beruhen z. B. auch die Schwierigkeiten der Parteifusionen10. Es ist im Parteiwesen ein zum Untergang verurteilter Zustand, wenn es, wie in Frankreich (dessen ganze Parlaments-Misere auf dem Fehlen bürokratisierter Parteien beruht) und teilweise auch in Deutschland, noch Parteien gibt, die an dem System der lokalen Honoratiorenver-

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waltung festhalten, welches ja dereinst im Mittelalter ganz universell alle Arten von Verbänden beherrschte und heute noch in kleinen und mittleren Gemeinden vorherrscht. Als Reklamemittel, und nur als solches, nicht aber als Träger der ausschlaggebenden Alltagsarbeit, kommen für die Parteien heute solche „angesehene Bürger“, „führende Männer der Wissenschaft“ und wie sie sonst genannt werden mögen, in Betracht, ganz ebenso wie etwa in den Aufsichtsräten der Aktiengesellschaften allerhand dekorative Würdenträger, auf den Katholikentagen die Kirchenfürsten, auf den Versammlungen des Bundes der Landwirte echte und unechte Adelige figurieren. Die reale Arbeit leisten in allen Organisationen zunehmend die bezahlten Angestellten und Agenten aller Art11. In allen irgendwie umfangreichen, das heißt über den Bereich und Aufgabenkreis kleiner ländlicher Kantone hinausgehenden politischen Verbänden mit periodischen Wahlen der Gewalthaber ist der politische Betrieb notwendig: Interessentenbetrieb. Das heißt, eine relativ kleine Zahl primär am politischen Leben, also an der Teilnahme an der politischen Macht, Interessierter schaffen sich Gefolgschaft durch freie Werbung, präsentieren sich oder ihre Schutzbefohlenen als Wahlkandidaten, sammeln die Geldmittel und gehen auf den Stimmenfang. Es ist unerfindlich, wie in großen Verbänden Wahlen ohne diesen Betrieb überhaupt sachgemäß zustande kommen sollten. Praktisch bedeutet er die Spaltung der wahlberechtigten Staatsbürger in politisch aktive und politisch passive Elemente, und da dieser Unterschied auf Freiwilligkeit beruht, so kann er durch keinerlei Maßregeln, wie Wahlpflicht oder „berufsständische“ Vertretung oder dergleichen ausdrücklich oder tatsächlich gegen diesen Tatbestand und damit gegen die Herrschaft der Berufspolitiker gerichtete Vorschläge, beseitigt werden. Führerschaft und Gefolgschaft, als aktive Elemente freier Werbung: der Gefolgschaft sowohl wie, durch diese, der passiven Wählerschaft für die Wahl des Führers, sind notwendige Lebenselemente jeder Partei. Verschieden aber ist ihre Struktur. Die „Parteien“ etwa der mittelalterlichen Städte, wie die Guelfen und Ghibellinen, waren rein persönliche Gefolgschaften. Wenn man das Statuto della parte Guelfa ansieht, die Konfiskation der Güter der Nobili – das hieß ursprünglich aller derjenigen Familien, die ritterlich lebten, also lehnsfähig waren –, ihren Ausschluß von Ämtern und Stimmrecht, die interlokalen Parteiausschüsse und die streng militärischen Organisationen und ihre Denunziantenprämien, so fühlt

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man sich an den Bolschewismus mit seinen Sowjets, seinen streng gesiebten Militär- und – in Rußland vor allem – Spitzelorganisationen, [mit] der Entwaffnung und politischen Entrechtung der „Bürger“, das heißt der Unternehmer, Händler, Rentner, Geistlichen, Abkömmlinge der Dynastie, Polizeiagenten, und [mit] seinen Konfiskationen erinnert. Und wenn man auf der einen Seite sieht, daß die Militärorganisation jener Partei ein nach Matrikeln zu gestaltendes reines Ritterheer war und Adlige fast alle führenden Stellen einnahmen, die Sowjets aber ihrerseits den hochentgoltenen Unternehmer, den Akkordlohn, das Taylorsystem, die Militär- und Werkstattdisziplin beibehalten oder vielmehr wieder einführen und nach ausländischem Kapital Umschau halten, mit einem Wort also: schlechthin alle von ihnen als bürgerliche Klasseneinrichtungen bekämpften Dinge wieder annehmen mußten, um überhaupt Staat und Wirtschaft in Betrieb zu erhalten, und daß sie überdies als Hauptinstrument ihrer Staatsgewalt die Agenten der alten Ochrana wieder in Betrieb genommen haben, so wirkt diese Analogie noch frappanter. Wir haben es aber hier nicht mit solchen Gewaltsamkeitsorganisationen zu tun, sondern mit Berufspolitikern, welche durch nüchterne „friedliche“ Werbung der Partei auf dem Wahlstimmenmarkt zur Macht zu gelangen streben. Auch diese Parteien in unserem üblichen Sinn waren zunächst, z. B. in England, reine Gefolgschaften der Aristokratie. Mit jedem aus irgendeinem Grunde erfolgenden Wechsel der Partei seitens eines Peer trat alles, was von ihm abhängig war, gleichfalls zur Gegenpartei über. Die großen Familien des Adels, nicht zuletzt der König, hatten bis zur Reformbill12 die Patronage einer Unmasse von Wahlkreisen. Diesen Adelsparteien nahe stehen die Honoratiorenparteien, wie sie mit Aufkommen der Macht des Bürgertums sich überall entwickelten. Die Kreise von „Bildung und Besitz“ unter der geistigen Führung der typischen Intellektuellenschichten des Okzidents schieden sich, teils nach Klasseninteressen, teils nach Familientradition, teils rein ideologisch bedingt, in Parteien, die sie leiteten. Geistliche, Lehrer, Professoren, Advokaten, Ärzte, Apotheker, vermögliche Landwirte, Fabrikanten  – in England jene ganze Schicht, die sich zu den gentlemen rechnet – bildeten zunächst Gelegenheitsverbände, allenfalls lokale politische Klubs; in erregten Zeiten meldete sich das Kleinbürgertum, gelegentlich einmal das Proletariat, wenn ihm Führer erstanden, die aber in der Regel nicht aus seiner Mitte stammten. In diesem Stadium bestehen

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interlokal organisierte Parteien als Dauerverbände draußen im Lande überhaupt noch nicht. Den Zusammenhalt schaffen lediglich die Parlamentarier; maßgebend für die Kandidatenaufstellung sind die örtlichen Honoratioren. Die Programme entstehen teils durch die Werbeaufrufe der Kandidaten, teils in Anlehnung an Honoratiorenkongresse oder Parlamentsparteibeschlüsse. Nebenamtlich und ehrenamtlich läuft, als Gelegenheitsarbeit, die Leitung der Klubs oder, wo diese fehlen (wie meist), der gänzlich formlose Betrieb der Politik seitens der wenigen dauernd daran Interessierten in normalen Zeiten. Nur der Journalist ist bezahlter Berufspolitiker, nur der Zeitungsbetrieb kontinuierlicher politischer Betrieb überhaupt, daneben nur die Parlamentssession. Die Parlamentarier und parlamentarischen Parteileiter wissen zwar, an welche örtlichen Honoratioren man sich wendet, wenn eine politische Aktion erwünscht erscheint. Aber nur in großen Städten bestehen dauernd Vereine der Parteien mit mäßigen Mitgliederbeiträgen, periodischen Zusammenkünften und öffentlichen Versammlungen zum Rechenschaftsbericht des Abgeordneten. Leben besteht nur in der Wahlzeit. Das Interesse der Parlamentarier an der Möglichkeit interlokaler Wahlkompromisse und an der Schlagkraft einheitlicher, von breiten Kreisen des ganzen Landes anerkannter Programme und einheitlicher Agitation im Lande überhaupt bildet die Triebkraft des immer strafferen Parteizusammenschlusses. Aber wenn nun ein Netz von örtlichen Parteivereinen auch in den mittleren Städten und daneben von „Vertrauensmännern“ über das Land gespannt wird, mit denen ein Mitglied der Parlamentspartei als Leiter des zentralen Parteibüros in dauernder Korrespondenz steht, bleibt im Prinzip der Charakter des Parteiapparates als eines Honoratiorenverbandes unverändert. Bezahlte Beamte fehlen außerhalb das Zentralbüros noch; es sind durchweg „angesehene“ Leute, welche um der Schätzung willen, die sie sonst genießen, die örtlichen Vereine leiten: die außerparlamentarischen „Honoratioren“, die neben der politischen Honoratiorenschicht der einmal im Parlament sitzenden Abgeordneten Einfluß üben. Die geistige Nahrung für Presse und örtliche Versammlungen beschafft allerdings zunehmend die von der Partei herausgegebene Parteikorrespondenz. Regelmäßige Mitgliederbeiträge werden unentbehrlich; ein Bruchteil muß den Geldkosten der Zentrale dienen. In diesem Stadium befanden sich noch vor nicht allzu langer Zeit die meisten deutschen Parteiorganisationen. In

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Frankreich vollends herrschte teilweise noch das erste Stadium: der ganz labile Zusammenschluß der Parlamentarier und im Lande draußen die kleine Zahl der örtlichen Honoratioren, die Programme durch die Kandidaten oder für sie von ihren Schutzpatronen im Einzelfall bei der Bewerbung aufgestellt, wenn auch, mehr oder minder, unter örtlicher Anlehnung an Beschlüsse und Programme der Parlamentarier. Erst teilweise war dies System durchbrochen. Die Zahl der hauptberuflichen Politiker war dabei gering und setzte sich im wesentlichen aus den gewählten Abgeordneten, den wenigen Angestellten der Zentrale, den Journalisten und – in Frankreich – im übrigen aus jenen Stellenjägern zusammen, die sich in einem „politischen Amt“ befanden oder augenblicklich ein solches erstrebten. Die Politik war formell weit überwiegend Nebenberuf. Auch die Zahl der „ministrablen“ Abgeordneten war eng begrenzt, aber wegen des Honoratiorencharakters auch die der Wahlkandidaten. Die Zahl der indirekt an dem politischen Betrieb, vor allem materiell, Interessierten war aber sehr groß. Denn alle Maßregeln eines Ministeriums und vor allem alle Erledigungen von Personalfragen ergingen unter der Mitwirkung der Frage nach ihrem Einfluß auf die Wahlchancen, und alle und jede Art von Wünschen suchte man durch Vermittlung des örtlichen Abgeordneten durchzusetzen, dem der Minister, wenn er zu seiner Mehrheit gehörte – und das erstrebte daher jedermann –, wohl oder übel Gehör schenken mußte. Der einzelne Deputierte hatte die Amtspatronage und überhaupt jede Art von Patronage in allen Angelegenheiten seines Wahlkreises und hielt seinerseits, um wiedergewählt zu werden, Verbindung mit den örtlichen Honoratioren. Diesem idyllischen Zustand der Herrschaft von Honoratiorenkreisen und vor allem: der Parlamentarier, stehen nun die modernen Formen der Parteiorganisation scharf abweichend gegenüber. Sie sind Kinder der Demokratie, des Massenwahlrechts, der Notwendigkeit der Massenwerbung und Massenorganisation, der Entwicklung höchster Einheit der Leitung und strengster Disziplin. Die Honoratiorenherrschaft und die Lenkung durch die Parlamentarier hört auf. „Hauptberufliche“ Politiker außerhalb der Parlamente nehmen den Betrieb in die Hand. Entweder als „Unternehmer“ – wie der amerikanische Boss und auch der englische „Election agent“ es der Sache nach waren –, oder als fest besoldeter Beamter. Formell findet eine weitgehende Demokratisierung statt. Nicht mehr die Parlamentsfraktion schafft die maßgeblichen

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Programme, und nicht mehr die örtlichen Honoratioren haben die Aufstellung der Kandidaten in der Hand, sondern Versammlungen der organisierten Parteimitglieder wählen die Kandidaten aus und delegieren Mitglieder in die Versammlungen höherer Ordnung, deren es bis zum allgemeinen „Parteitag“ hinauf möglicherweise mehrere gibt. Der Tatsache nach liegt aber natürlich die Macht in den Händen derjenigen, welche kontinuierlich innerhalb des Betriebes die Arbeit leisten, oder aber derjenigen, von welchen – z. B. als Mäzenaten oder Leitern mächtiger politischer Interessentenklubs (Tammany Hall) – der Betrieb in seinem Gang pekuniär oder personell abhängig ist. Das Entscheidende ist, daß dieser ganze Menschenapparat – die „Maschine“, wie man ihn in den angelsächsischen Ländern bezeichnenderweise nennt –, oder vielmehr diejenigen, die ihn leiten, den Parlamentariern Schach bieten und ihnen ihren Willen ziemlich weitgehend aufzuzwingen in der Lage sind. Und das hat besonders Bedeutung für die Auslese der Führung der Partei. Führer wird nur derjenige, dem die Maschine folgt, auch über den Kopf des Parlaments. Die Schaffung solcher Maschinen bedeutet, mit anderen Worten, den Einzug der plebiszitären Demokratie. Die Parteigefolgschaft, vor allem der Parteibeamte und -unternehmer, erwarten vom Siege ihres Führers selbstverständlich persönliches Entgelt: Ämter oder andere Vorteile. Von ihm – nicht oder doch nicht nur von den einzelnen Parlamentariern: das ist das Entscheidende. Sie erwarten vor allem, daß die demagogische Wirkung der Führerpersönlichkeit im Wahlkampf der Partei Stimmen und Mandate, damit Macht zuführen und dadurch jene Chancen ihrer Anhänger, für sich das erhoffte Entgelt zu finden, möglichst ausweiten werde. Und ideell ist die Genugtuung, für einen Menschen in gläubiger persönlicher Hingabe und nicht nur für ein abstraktes Programm einer aus Mittelmäßigkeiten bestehenden Partei zu arbeiten: dieses „charismatische“ Element allen Führertums, eine der Triebfedern. In sehr verschiedenem Maß und in stetem latenten Kampf mit den um ihren Einfluß ringenden örtlichen Honoratioren und den Parlamentariern rang sich diese Form durch. In den bürgerlichen Parteien zuerst in den Vereinigten Staaten, dann in der sozialdemokratischen Partei vor allem Deutschlands. Stete Rückschläge treten ein, sobald einmal kein allgemein anerkannter Führer da ist, und Konzessionen aller Art müssen, auch wenn er da ist, der Eitelkeit und Interessiertheit der Parteihonoratioren gemacht werden. Vor allem aber kann auch

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die Maschine unter die Herrschaft der Parteibeamten geraten, in deren Händen die regelmäßige Arbeit liegt. Nach Ansicht mancher sozialdemokratischer Kreise sei ihre Partei dieser „Bürokratisierung“ verfallen gewesen. Indessen „Beamte“ fügen sich einer demagogisch stark wirkenden Führerpersönlichkeit relativ leicht: ihre materiellen und ideellen Interessen sind ja intim mit der durch ihn erhofften Auswirkung der Parteimacht verknüpft, und die Arbeit für einen Führer ist an sich innerlich befriedigender. Weit schwerer ist der Aufstieg von Führern da, wo – wie in den bürgerlichen Parteien meist – neben den Beamten die „Honoratioren“ den Einfluß auf die Partei in Händen haben. Denn diese „machen“ ideell „ihr Leben“ aus dem Vorstands- oder Ausschußmitgliedspöstchen, das sie innehaben. Ressentiment gegen den Demagogen als homo novus, die Überzeugung von der Überlegenheit parteipolitischer „Erfahrung“ – die nun einmal auch tatsächlich von erheblicher Bedeutung ist – und die ideologische Besorgnis vor dem Zerbrechen der alten Parteitraditionen bestimmen ihr Handeln. Und in der Partei haben sie alle traditionalistischen Elemente für sich. Vor allem der ländliche, aber auch der kleinbürgerliche Wähler sieht auf den ihm von altersher vertrauten Honoratiorennamen und mißtraut dem ihm unbekannten Mann, um freilich, wenn dieser einmal den Erfolg für sich gehabt hat, nun ihm um so unerschütterlicher anzuhängen. Wir sehen uns an einigen Hauptbeispielen dieses Ringen der beiden Strukturformen und das namentlich von Ostrogorski13 geschilderte Hochkommen der plebiszitären Form an. Zunächst England14: dort war die Parteiorganisation bis 1868 eine fast reine Honoratioren-Organisation. Die Tories stützten sich auf dem Lande etwa auf den anglikanischen Pfarrer, daneben – meist – den Schulmeister und vor allem die Großgrundbesitzer der betreffenden county, die Whigs meist auf solche Leute wie den nonconformistischen Prediger (wo es ihn gab), den Posthalter, Schmied, Schneider, Seiler, solche Handwerker also, von denen – weil man mit ihnen plaudern kann – politischer Einfluß ausgehen konnte. In der Stadt schieden sich die Parteien teils nach ökonomischen, teils nach religiösen, teils einfach nach in den Familien überkommenen Parteimeinungen. Immer aber waren Honoratioren die Träger des politischen Betriebes. Darüber schwebten das Parlament und die Parteien mit dem Kabinett und mit dem „leader“, der der Vorsitzende des Ministerrats oder der Opposition war. Dieser leader hatte neben sich die wichtigste berufspolitische

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Persönlichkeit der Parteiorganisation: den „Einpeitscher“ (whip). In seinen Händen lag die Ämterpatronage; an ihn hatten sich also die Stellenjäger zu wenden, er benahm sich darüber mit den Deputierten der einzelnen Wahlkreise. In diesen begann sich langsam eine Berufspolitikerschicht zu entwickeln, indem lokale Agenten geworben wurden, die zunächst unbezahlt waren und ungefähr die Stellung der deutschen „Vertrauensmänner“ einnahmen. Daneben aber entwickelte sich für die Wahlkreise eine kapitalistische Unternehmergestalt: der „Election agent“, dessen Existenz in der modernen, die Wahlreinheit sichernden Gesetzgebung Englands unvermeidlich war. Diese Gesetzgebung versuchte, die Wahlkosten zu kontrollieren und der Macht des Geldes entgegenzutreten, indem sie den Kandidaten verpflichtete anzugeben, was ihn die Wahl gekostet hatte: denn der Kandidat hatte – weit mehr, als dies früher auch bei uns vorkam – außer den Strapazen seiner Stimme auch das Vergnügen, den Geldbeutel zu ziehen. Der Election agent ließ sich von ihm eine Pauschalsumme zahlen, wobei er ein gutes Geschäft zu machen pflegte. – In der Machtverteilung zwischen „leader“ und Parteihonoratioren, im Parlament und im Lande, hatte der erstere in England von jeher, aus zwingenden Gründen der Ermöglichung einer großen und dabei stetigen Politik, eine sehr bedeutende Stellung. Immerhin war aber der Einfluß auch der Parlamentarier und Parteihonoratioren noch erheblich. So etwa sah die alte Parteiorganisation aus, halb Honoratiorenwirtschaft, halb bereits Angestellten- und Unternehmerbetrieb. Seit 1868 aber entwickelte sich zuerst für lokale Wahlen in Birmingham, dann im ganzen Lande, das „Caucus“-System. Ein nonconformistischer Pfarrer und neben ihm Josef Chamberlain riefen dieses System ins Leben. Anlaß war die Demokratisierung des Wahlrechts. Zur Massengewinnung wurde es notwendig, einen ungeheuren Apparat von demokratisch aussehenden Verbänden ins Leben zu rufen, in jedem Stadtquartier einen Wahlverband zu bilden, unausgesetzt den Betrieb in Bewegung zu halten, alles straff zu bürokratisieren: zunehmend angestellte bezahlte Beamte, von den lokalen Wahlkomitees, in denen bald im ganzen vielleicht 10 % der Wähler organisiert waren, gewählte Hauptvermittler mit Kooptationsrecht als formelle Träger der Parteipolitik. Die treibende Kraft waren die lokalen, vor allem die an der Kommunalpolitik – überall die Quelle der fettesten materiellen Chancen – interessierten Kreise, die auch die Finanzmittel in erster Linie aufbrachten. Diese

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neuentstehende, nicht mehr parlamentarisch geleitete Maschine hatte sehr bald Kämpfe mit den bisherigen Machthabern zu führen, vor allem mit dem whip, bestand aber, gestützt auf die lokalen Interessenten, den Kampf derart siegreich, daß der whip sich fügen und mit ihr paktieren mußte. Das Resultat war eine Zentralisation der ganzen Gewalt in der Hand der wenigen und letztlich der einen Person, die an der Spitze der Partei stand. Denn in der liberalen Partei war das ganze System aufgekommen in Verbindung mit dem Emporsteigen Gladstones zur Macht. Das Faszinierende der Gladstoneschen „großen“ Demagogie, der feste Glaube der Massen an den ethischen Gehalt seiner Politik und vor allem an den ethischen Charakter seiner Persönlichkeit war es, der diese Maschine so schnell zum Siege über die Honoratioren führte. Ein cäsaristisch-plebiszitäres Element in der Politik: der Diktator des Wahlschlachtfeldes, trat auf den Plan. Das äußerte sich sehr bald. 1877 wurde der Caucus zum erstenmal bei den staatlichen Wahlen tätig. Mit glänzendem Erfolg: Disraelis Sturz mitten in seinen großen Erfolgen war das Resultat. 1886 war die Maschine bereits derart vollständig charismatisch an der Person orientiert, daß, als die Home-rule-Frage aufgerollt wurde, der ganze Apparat von oben bis unten nicht fragte: Stehen wir sachlich auf dem Boden Gladstones?, sondern einfach auf das Wort Gladstones mit ihm abschwenkte und sagte: Was er tut, wir folgen ihm, – und seinen eigenen Schöpfer, Chamberlain, im Stich ließ. Diese Maschinerie bedarf eines erheblichen Personenapparates. Es sind immerhin wohl 2000 Personen in England, die direkt von der Politik der Parteien leben. Sehr viel zahlreicher sind freilich diejenigen, die rein als Stellenjäger oder als Interessenten in der Politik mitwirken, namentlich innerhalb der Gemeindepolitik. Neben den ökonomischen Chancen stehen für den brauchbaren Caucus-Politiker Eitelkeitschancen. „J. P.“ oder gar „M. P.“ zu werden, ist naturgemäß Streben des höchsten (normalen) Ehrgeizes, und solchen Leuten, die eine gute Kinderstube aufzuweisen hatten, „gentlemen“ waren, wurde das zuteil. Als Höchstes winkte, insbesondere für große Geldmäzenaten – die Finanzen der Parteien beruhten zu vielleicht 50 % auf Spenden ungenannt bleibender Geber – die Peers-Würde. Der Effekt des ganzen Systems war, daß heute die englischen Parlamentarier mit Ausnahme der paar Mitglieder des Kabinetts (und einiger Eigenbrötler) normalerweise nichts anderes als gut diszipliniertes Stimmvieh sind. Im deutschen Reichstag pflegte man zum mindesten

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durch Erledigung von Privatkorrespondenz auf dem Schreibtisch vor seinem Platz zu markieren, daß man für das Wohl des Landes tätig sei. Derartige Gesten werden in England nicht verlangt; das Parlamentsmitglied hat nur zu stimmen und nicht Parteiverrat zu begehen; es hat zu erscheinen, wenn die Einpeitscher rufen, zu tun, was je nachdem das Kabinett oder was der leader der Opposition verfügt. Die CaucusMaschine draußen im Lande vollends ist, wenn ein starker Führer da ist, fast gesinnungslos und ganz in den Händen des leader. Über dem Parlament steht also damit der faktisch plebiszitäre Diktator, der die Massen vermittelst der „Maschine“ hinter sich bringt, und für den die Parlamentarier nur politische Pfründner sind, die in seiner Gefolgschaft stehen. Wie findet nun die Auslese dieser Führerschaft statt? Zunächst: nach welcher Fähigkeit? Dafür ist – nächst den überall in der Welt entscheidenden Qualitäten des Willens – natürlich die Macht der demagogischen Rede vor allem maßgebend. Ihre Art hat sich geändert von den Zeiten her, wo sie sich, wie bei Cobden, an den Verstand wandte, zu Gladstone, der ein Techniker des scheinbar nüchternen „Die-Tatsachen-sprechen-Lassens“ war, bis zur Gegenwart, wo vielfach rein emotional mit Mitteln, wie sie auch die Heilsarmee verwendet, gearbeitet wird, um die Massen in Bewegung zu setzen. Den bestehenden Zustand darf man wohl eine „Diktatur, beruhend auf der Ausnutzung der Emotionalität der Massen“, nennen14a. – Aber das sehr entwickelte System der Komiteearbeit im englischen Parlament ermöglicht es und zwingt auch jeden Politiker, der auf Teilnahme an der Führung reflektiert, dort mitzuarbeiten. Alle erheblichen Minister der letzten Jahrzehnte haben diese sehr reale und wirksame Arbeitsschulung hinter sich, und die Praxis der Berichterstattung und öffentlichen Kritik an diesen Beratungen bedingt es, daß diese Schule eine wirkliche Auslese bedeutet und den bloßen Demagogen ausschaltet. So in England. Das dortige Caucus-System war aber nur eine abgeschwächte Form, verglichen mit der amerikanischen Parteiorganisation, die das plebiszitäre Prinzip besonders früh und besonders rein zur Ausprägung brachte. Das Amerika Washingtons sollte nach seiner Idee ein von „gentlemen“ verwaltetes Gemeinwesen sein. Ein gentlemen war damals auch drüben ein Grundherr oder ein Mann, der Collegeerziehung hatte. So war es auch zunächst. Als sich Parteien bildeten, nahmen anfangs die Mitglieder des Repräsentantenhauses in Anspruch,

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Leiter zu sein wie in England zur Zeit der Honoratiorenherrschaft. Die Parteiorganisation war ganz locker. Das dauerte bis 1824. Schon vor den zwanziger Jahren war in manchen Gemeinden – die auch hier die erste Stätte der modernen Entwicklung waren – die Parteimaschine im Werden. Aber erst die Wahl von Andrew Jackson zum Präsidenten14b, des Kandidaten der Bauern des Westens, warf die alten Traditionen über den Haufen. Das formelle Ende der Leitung der Parteien durch führende Parlamentarier ist bald nach 1840 eingetreten, als die großen Parlamentarier – Calhoun, Webster – aus dem politischen Leben ausschieden, weil das Parlament gegenüber der Parteimaschine draußen im Lande fast jede Macht verloren hatte. Daß die plebiszitäre „Maschine“ in Amerika sich so früh entwickelte, hatte seinen Grund darin, daß dort, und nur dort, das Haupt der Exekutive und – darauf kam es an – der Chef der Amtspatronage ein plebiszitär gewählter Präsident und daß er infolge der „Gewaltenteilung“ in seiner Amtsführung vom Parlament fast unabhängig war. Ein richtiges Beuteobjekt von Amtspfründen winkte also als Lohn des Sieges gerade bei der Präsidentenwahl. Durch das von Andrew Jackson nun ganz systematisch zum Prinzip erhobene „spoils system“ wurde die Konsequenz daraus gezogen. Dieses spoils system – die Zuwendung aller Bundesämter an die Gefolgschaft des siegreichen Kandidaten – bedeutet für die Parteibildung, daß gesinnungslose Parteien einander gegenüberstehen, reine Stellenjägerorganisationen, die für den einzelnen Wahlkampf ihre wechselnden Programme je nach der Chance des Stimmenfanges machen – in einem Maße wechselnd, wie dies trotz aller Analogien sich anderwärts nicht findet. Die Parteien sind ganz und gar zugeschnitten auf den für die Amtspatronage wichtigsten Wahlkampf: den um die Präsidentschaft der Union und um die Governorstellen der Einzelstaaten. Programme und Kandidaten werden in den „national conventions“ der Parteien ohne Intervention der Parlamentarier festgestellt: – von Parteitagen also, die formell sehr demokratisch von Delegiertenversammlungen beschickt werden, welche ihrerseits ihr Mandat den „primaries“, den Urwählerversammlungen der Partei, verdanken. Schon in den primaries werden die Delegierten auf den Namen der Staatsoberhauptkandidaten gewählt; innerhalb der einzelnen Parteien tobt der erbittertste Kampf um die Frage der „nomination“. In den Händen des Präsidenten liegen immerhin 300.000 bis 400.000 Beamtenernennungen, die von ihm nur unter Zuziehung von Senatoren der Einzelstaaten vollzogen

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werden. Die Senatoren sind also mächtige Politiker. Das Repräsentantenhaus dagegen ist politisch relativ machtlos, weil ihm die Beamtenpatronage entzogen ist und weil die Minister, reine Gehilfen des vom Volk gegen jedermann, auch das Parlament, legitimierten Präsidenten, unabhängig vom Vertrauen oder Mißtrauen des Repräsentantenhauses ihres Amtes walten können: eine Folge der „Gewaltenteilung“. Das dadurch gestützte spoils system war in Amerika technisch möglich, weil bei der Jugend der amerikanischen Kultur eine reine Dilettantenwirtschaft ertragen werden konnte. Denn 300.000 bis 400.000 solcher Parteileute, die nichts für ihre Qualifikation anzuführen hatten als die Tatsache, daß sie ihrer Partei gute Dienste geleistet hatten, – dieser Zustand konnte selbstverständlich nicht bestehen ohne ungeheure Übelstände: Korruption und Vergeudung ohnegleichen, die nur ein Land mit noch unbegrenzten ökonomischen Chancen ertrug. Diejenige Figur nun, die mit diesem System der plebiszitären Parteimaschine auf der Bildfläche erscheint, ist: der „Boss“. Der Boss ist ein politischer kapitalistischer Unternehmer, der für seine Rechnung und Gefahr Wahlstimmen herbeischafft. Er kann als Rechtsanwalt oder Kneipwirt oder Inhaber ähnlicher Betriebe oder etwa als Kreditgeber seine ersten Beziehungen gewonnen haben. Von da aus spinnt er seine Fäden weiter, bis er eine bestimmte Anzahl von Stimmen zu „kontrollieren“ vermag. Hat er es so weit gebracht, so tritt er mit den Nachbarbossen in Verbindung, erregt durch Eifer, Geschicklichkeit und vor allen Dingen: Diskretion die Aufmerksamkeit derjenigen, die es in der Karriere schon weiter gebracht haben, und steigt nun auf. Der Boss ist unentbehrlich für die Organisation der Partei. Die liegt zentralisiert in seiner Hand. Er beschafft sehr wesentlich die Mittel. Zu ihnen kommt er teilweise durch Mitgliederbeiträge; vor allem durch Besteuerung der Gehälter jener Beamten, die durch ihn und seine Partei ins Amt kamen. Dann durch Bestechungs- und Trinkgelder. Wer eines der zahlreichen Gesetze ungestraft verletzen will, bedarf der Konnivenz des Bosses und muß sie bezahlen. Sonst erwachsen ihm unweigerlich Unannehmlichkeiten. Aber damit allein ist das erforderliche Betriebskapital noch nicht beschafft. Der Boss ist unentbehrlich als direkter Empfänger des Geldes der großen Finanzmagnaten. Die würden keinem bezahlten Parteibeamten oder irgend einem öffentlich rechnunglegenden Menschen überhaupt Geld für Wahlzwecke anvertrauen. Der Boss mit seiner klüglichen Diskretion in Geldsachen ist selbstverständlich der

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Mann derjenigen kapitalistischen Kreise, welche die Wahl finanzieren. Der typische Boss ist ein absolut nüchterner Mann. Er strebt nicht nach sozialer Ehre; der „professional“ ist verachtet innerhalb der „guten Gesellschaft“. Er sucht ausschließlich Macht, Macht als Geldquelle, aber auch: um ihrer selbst willen. Er arbeitet im Dunklen, das ist sein Gegensatz zum englischen leader. Man wird ihn selbst nicht öffentlich reden hören; er suggeriert den Rednern, was sie in zweckmäßiger Weise zu sagen haben, er selbst aber schweigt. Er nimmt in aller Regel kein Amt an, außer dem des Senators im Bundessenat. Denn da die Senatoren an der Amtspatronage kraft Verfassung beteiligt sind, sitzen die leitenden Bosses oft in Person in dieser Körperschaft. Die Vergebung der Ämter erfolgt in erster Linie nach der Leistung für die Partei. Aber auch der Zuschlag gegen Geldgebote kam vielfach vor, und es existierten für einzelne Ämter bestimmte Taxen: ein Ämterverkaufssystem, wie es die Monarchien des 17. und 18. Jahrhunderts mit Einschluß des Kirchenstaates ja auch vielfach kannten. Der Boss hat keine festen politischen „Prinzipien“, er ist vollkommen gesinnungslos und fragt nur: Was fängt Stimmen? Er ist nicht selten ein ziemlich schlecht erzogener Mann. Er pflegt aber in seinem Privatleben einwandfrei und korrekt zu leben. Nur in seiner politischen Ethik paßt er sich naturgemäß der einmal gegebenen Durchschnittsethik des politischen Handelns an, wie sehr viele Deutsche in der Zeit des „Hamsterns“ auch auf dem Gebiet der ökonomischen Ethik getan haben dürften. Daß man ihn als „professional“, als Berufspolitiker, gesellschaftlich verachtet, ficht ihn nicht an. Daß er selbst nicht in die großen Ämter der Union gelangt und gelangen will, hat dabei den Vorzug, daß nicht selten parteifremde Intelligenzen: Notabilitäten also, und nicht immer wieder die alten Parteihonoratioren wie in Deutschland in die Kandidatur hineinkommen, wenn die Bosses sich davon Zugkraft bei den Wahlen versprechen. Gerade die Struktur dieser gesinnungslosen Parteien mit ihren gesellschaftlich verachteten Machthabern hat daher tüchtigen Männern zur Präsidentschaft verholfen, die in Deutschland niemals hochgekommen wären. Freilich, gegen einen Outsider, der ihren Geld- und Machtquellen gefährlich werden könnte, sträuben sich die Bosses. Aber im Konkurrenzkampf um die Gunst der Wähler haben sie nicht selten sich zur Akzeptierung gerade von solchen Kandidaten herbeilassen müssen, die als Korruptionsgegner galten.

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Hier ist also ein stark kapitalistischer, von oben bis unten straff durchorganisierter Parteibetrieb vorhanden, gestützt auch durch die überaus festen, ordensartig organisierten Klubs von der Art von Tammany Hall, die ausschließlich die Profiterzielung durch politische Beherrschung vor allem von Kommunalverwaltungen – auch hier des wichtigsten Ausbeutungsobjektes – erstreben. Möglich war diese Struktur des Parteilebens infolge der hochgradigen Demokratie der Vereinigten Staaten als eines „Neulandes“. Dieser Zusammenhang nun bedingt, daß dies System im langsamen Absterben begriffen ist. Amerika kann nicht mehr nur durch Dilettanten regiert werden. Von amerikanischen Arbeitern bekam man noch vor 15 Jahren15 auf die Frage, warum sie sich so von Politikern regieren ließen, die sie selbst zu verachten erklärten, die Antwort: „Wir haben lieber Leute als Beamte, auf die wir spucken, als wie bei euch eine Beamtenkaste, die auf uns spuckt.“ Das war der alte Standpunkt amerikanischer „Demokratie“: die Sozialisten dachten schon damals völlig anders. Der Zustand war nicht mehr zu ertragen. Die Dilettantenverwaltung reicht nicht mehr aus, und die Civil Service Reform schafft lebenslängliche pensionsfähige Stellen in stets wachsender Zahl und bewirkt so, daß auf der Universität geschulte Beamte, genau so unbestechlich und tüchtig wie die deutschen, in die Ämter kommen. Rund 100.000 Ämter sind schon jetzt nicht mehr im Wahlturnus Beuteobjekt, sondern pensionsfähig und an Qualifikationsnachweis geknüpft. Das wird das spoils system langsam mehr zurücktreten lassen, und die Art der Parteileitung wird sich dann wohl ebenfalls umbilden; wir wissen nur noch nicht: wie. In Deutschland waren die entscheidenden Bedingungen des politischen Betriebes bisher im wesentlichen folgende. Erstens: Machtlosigkeit der Parlamente. Die Folge war, daß niemand, der Führerqualität hatte, dauernd hineinging. Dazu trat – und dies zweite Moment bedingte das erste – die ungeheuere Bedeutung des geschulten Fachbeamtentums in Deutschland. Diese Bedeutung brachte es mit sich, daß dies Fachbeamtentum nicht nur die Fachbeamtenstellen, sondern auch die Ministerposten für sich beanspruchte. Im bayerischen Landtag ist es gewesen, wo im Jahre 1918, als die Parlamentarisierung zur Diskussion stand, gesagt wurde: die begabten Leute werden dann nicht mehr Beamte werden, wenn man die Parlamentarier in die Ministerien gesetzt. Die Beamtenverwaltung entzog sich überdies systematisch einer solchen Art von Kontrolle, wie sie die englischen Komitee-Erörterungen

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bedeuten, und setzte so die Parlamente außer stand – von wenigen Ausnahmen abgesehen –, wirklich brauchbare Verwaltungschefs in ihrer Mitte heranzubilden. Das dritte war, daß in Deutschland, im Gegensatz zu Amerika, gesinnungspolitische Parteien bestanden, die zum mindesten mit subjektiver bona fides behaupteten, daß ihre Mitglieder „Weltanschauungen“ vertraten. Die beiden wichtigsten dieser Parteien: das Zentrum einerseits, die Sozialdemokratie andererseits, waren nun aber geborene Minoritätsparteien, und zwar nach ihrer eigenen Absicht. Die führenden Zentrumkreise im Reich haben nie ein Hehl daraus gemacht, daß sie deshalb gegen den Parlamentarismus seien, weil sie fürchteten, in die Minderheit zu kommen und ihnen dann die Unterbringung von Stellenjägern wie bisher, durch Druck auf die Regierung, erschwert würde. Die Sozialdemokratie war prinzipielle Minderheitspartei und ein Hemmnis der Parlamentarisierung, weil sie sich mit der gegebenen politisch-bürgerlichen Ordnung nicht beflecken wollte. Die Tatsache, daß beide Parteien sich ausschlossen vom parlamentarischen System, machte dies unmöglich16/17. Bei bürgerlichen Parteien gab ein Durchschnitt durch die, wie früher bemerkt, sehr verschieden straffe Organisation etwa folgendes Bild18: der aktive lokale Betrieb wird meist nebenamtlich von Honoratioren betrieben, nur in Großstädten von Beamten. Zeitungsredaktionen oder Anwälte stellen in den mittleren Orten die Büros. Erst größere Bezirke haben festbesoldete Sekretäre, die das Land bereisen. Die Kandidatenaufstellung und die Feststellung der Wahlparolen erfolgt durch ein im Einzelfall sehr verschiedenartig verlaufendes Zusammenwirken örtlicher und regionaler Verbände; die Mitwirkung der letzteren ist namentlich durch die Erfordernisse der Wahlbündnisse und Stichwahlabkommen bedingt. Die örtlichen Leiter sammeln um sich durch eine sehr verschieden intensive Werbung die ständigen Mitglieder der örtlichen Parteiorganisation. Hauptwerbemittel sind öffentliche Versammlungen. Die Aktivität der Mitglieder ist gering. Oft tun sie wenig mehr, als daß sie Beiträge zahlen, die Parteiblätter halten, allenfalls leidlich regelmäßig die Versammlungen, zu denen Parteiredner erscheinen, füllen und in mäßigem Umfang sich an der Gelegenheitsarbeit bei den Wahlen beteiligen. Dafür nehmen sie, wenigstens der Form nach, an der Beschlußfassung über die Wahlen des Ortvorstandes und der Vertrauensmänner und, je nach Größe des Ortes, direkt oder indirekt der Delegierten zu den Parteitagen teil. Alle zu wählenden Persönlichkei-

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ten werden aber in der Regel von jenem Kern von ständigen Leitern und Beamten designiert, meist ihm entnommen, ergänzt durch einige wegen bekannten Namens, persönlichen gesellschaftlichen Einflusses oder besonderer materieller Opferbereitschaft nützliche oder verdiente Honoratioren. Die Aktivität jener zweiten Klasse der Mitglieder beschränkt sich also auf die Assistenz und Abstimmung bei diesen in größeren Zwischenräumen stattfindenden Wahlen und Aussprachen mit Resolutionen, deren Resultat stets weitgehend von den Leitern vorbereitet ist. Ein gänzlicher Wechsel des Personals, der örtlichen Leiter und der Bezirksbeamten ist selten und fast stets die Folge einer, meist persönlich bedingten, inneren Revolte. Jeder Aktivität entbehrt schließlich der einfache, nicht zur Organisation gehörige, von den Parteien umworbene Stimmgeber, von welchem persönlich nur bei den Wahlen, sonst nur durch öffentliche auf ihn gemünzte Reklame Notiz genommen wird. – Wesentlich straffer und auch einen relativ größeren Bruchteil der als Stimmgeber in Betracht kommenden Wähler umfassend, dabei unter demokratischen Formen streng diszipliniert und zentralisiert ist die oft geschilderte Organisation der sozialdemokratischen Partei. Lockerer, mehr an lokale Honoratiorenkreise anknüpfend, war diejenige der Parteien der Rechten, denen aber im Bund der Landwirte eine sehr straffe Massenorganisation zur Seite steht. In der Zentrumspartei ist formal der Zentralismus und die autoritative Leitung am stärksten entwickelt, obwohl die Macht des Klerus, wie sich mehrfach gezeigt hat, für alle nicht kirchenpolitischen Dinge ihre Grenze hat. Schon durch den bisher erreichten Entwicklungsgrad ist jedenfalls der alte Zustand, daß Wahlen auf Grund von Ideen und Parolen erfolgten, welche vorher von Ideologen aufgestellt, in der Presse und in freien Versammlungen propagiert und diskutiert waren, daß die Kandidaten von ad hoc gebildeten Komitees vorgeschlagen wurden, daß die Gewählten dann zu Parteien zusammentraten und daß diese im Personalbestand flüssigen parlamentarischen Gruppen nun die Führer der im Lande verstreuten Gesinnungsgenossen blieben, insbesondere die Parole für die nächsten Wahlen formulierten, endgültig verschwunden. Überall, nur in verschieden schnellem Tempo, tritt der Parteibeamte als treibendes Element der Parteitaktik in den Vordergrund. Und neben ihm: die Geldbeschaffung18a. Die Finanzsorgen rufen neben den regelmäßigen Beiträgen, welche naturgemäß in klassenbedingten Massenorganisationen, wie der sozialdemokratischen Partei, die relativ größte

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Rolle spielen, stets erneut das früher alleinherrschende Parteimäzenatentum auf den Plan. Es hat auch in der sozialdemokratischen Partei nie ganz gefehlt. Eine mittlere Bedeutung hat das Mäzenatentum als Finanzquelle in der bürgerlichen Linken, eine wesentlich stärkere auf der Rechten. Die größte aber, der Natur der Sache nach, bei bürgerlichen Mittelparteien von der Art der Nationalliberalen und der alten Freikonservativen. Die jetzige bescheidene Stärke dieser Mittelparteien ist daher am ehesten ein ungefährer Maßstab für die Bedeutung des Geldes an sich, d. h. des individuell von Interessenten gegebenen Geldes, bei Wahlen auf Grund des gleichen Wahlrechts. Und auch bei ihnen ist gar keine Rede davon, daß das für sie selbstverständlich besonders unentbehrliche Geld allein die Wahlziffern zustande brächte. Diese Parteien leben vielmehr von einer eigentümlichen Mischehe der Geldmächte mit jenem breiten Teil des Literatentums, vor allem der akademischen und außerakademischen Lehrerschaft, welche gefühlsmäßig an den Reminiszenzen der Bismarckschen Ära hängen. Auf sie als Abonnenten reflektiert ein im Verhältnis zu den Wählerzahlen unverhältnismäßig großer Teil der bürgerlichen Presse, deren Haltung, in verwässerter Form, auch von der gänzlich gesinnungslosen Inseratenpresse nachgeahmt wird, weil sie amtlichen und geschäftlichen Kreisen bequem ist. Den Weg der Entwicklung zur Honoratiorenzunft sind alle deutschen Parteien gegangen. Die deutschen Berufspolitiker [im Lande] hatten keine Macht, keine Verantwortung, konnten nur eine ziemlich unbedeutende Honoratiorenrolle spielen und waren infolgedessen neuerlich beseelt und von den überall typischen Zunftinstinkten. Wer Führerqualitäten hatte, wurde um eben deswillen von den Honoratioren keiner Partei geduldet. Nach dem Tode Bebels, der noch ein Führer war, begann innerhalb der [sozialdemokratischen] Partei die Beamtenherrschaft, und deren früher erörterte Konsequenzen traten auch dort ein. Die bürgerlichen Parteien wurden seit den achtziger Jahren vollends Honoratiorenzünfte. Gelegentlich zwar mußten die Parteien zu Reklamezwecken außerparteiliche Intelligenzen heranziehen. Möglichst vermieden sie es, dieselben in die Wahl hineinkommen zu lassen, und nur, wo es unvermeidlich war, geschah es. Im Parlament herrschte der gleiche Geist, und die deutschen Parlamentsparteien waren ebenfalls Zünfte19. Jetzt20 ist infolge des gewaltigen Zusammenbruchs, den man Revo­ lution zu nennen pflegt, vielleicht eine Umwandlung im Gange. Viel-

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leicht, – nicht sicher. Zunächst traten Ansätze zu neuen Arten von ­Parteiapparaten auf. Erstens Amateurapparate. Besonders oft vertreten durch Studenten der verschiedenen Hochschulen, die einem Mann, dem sie Führerqualitäten zuschreiben, sagen: Wir wollen für Sie die ­nötige Arbeit versehen, führen Sie sie aus. Zweitens geschäftsmännische Apparate. Es kam vor, daß Leute zu Männern kamen, denen sie Führerqualitäten zuschrieben, und sich erboten, gegen feste Beträge für jede Wahlstimme die Werbung zu übernehmen. Unter rein technisch­ politischen Gesichtspunkten wäre wohl der letztere dieser beiden Apparate für verläßlicher zu halten. Allein beides waren schnell auf­ steigende  Blasen, die rasch wieder verschwanden. Die vorhandenen ­Apparate schichteten sich um, arbeiteten aber weiter. Jene Erscheinungen waren nur ein Symptom dafür, daß die neuen Apparate sich vielleicht schon einstellen würden, wenn nur die Führer da wären. Aber schon die technische Eigentümlichkeit des Verhältniswahlrechts schloß deren Hochkommen aus. Nur ein paar Diktatoren der Straße entstanden und gingen wieder unter. Und nur die Gefolgschaft der Straßendiktatur ist in fester Disziplin organisiert: daher die Macht dieser verschwindenden Minderheiten. Nehmen wir an, das änderte sich, so muß man sich nach dem früher Gesagten klarmachen: die Leitung der Parteien durch plebiszitäre Führer bedingt die „Entseelung“ der Gefolgschaft, ihre geistige Proletarisierung, könnte man sagen21. Um für den Führer als Apparat brauchbar zu sein, muß sie blind gehorchen, Maschine im amerikanischen Sinne sein, nicht gestört durch Honoratioreneitelkeit und Prätensionen eigener Ansichten. Lincolns Wahl war nur durch diesen Charakter der Parteiorganisation möglich, und bei Gladstone trat, wie erwähnt, das gleiche im Caucus ein. Es ist das eben der Preis, womit man die Leitung durch Führer zahlt. Aber es gibt nur die Wahl: Führerdemokratie mit „Maschine“ oder führerlose Demokratie, das heißt: die Herrschaft der „Berufspolitiker“ ohne Beruf, ohne die inneren, charismatischen Qualitäten, die eben zum Führer machen. Und das bedeutet dann das, was die jeweilige Parteifronde gewöhnlich als Herrschaft des „Klüngels“ bezeichnet. Vorläufig besteht nur dies letztere in Deutschland. Und für die Zukunft wird der Fortbestand, im Reich wenigstens, begünstigt einmal dadurch, daß doch wohl der Bundesrat wiedererstehen und notwendig die Macht des Reichstages und damit seine Bedeutung als Auslesestelle von Führern beschränken wird. Ferner durch das Verhält-

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niswahlrecht22 – so, wie es jetzt gestaltet ist: eine typische Erscheinung der führerlosen Demokratie, nicht nur, weil es den Kuhhandel der Honoratioren um die Placierung begünstigt, sondern auch, weil es künftig den Interessentenverbänden die Möglichkeit gibt, die Aufnahme ihrer Beamten in die Listen zu erzwingen und so ein unpolitisches Parlament zu schaffen, in dem echtes Führertum keine Stätte findet. Das einzige Ventil für das Bedürfnis nach Führertum könnte der Reichspräsident werden, wenn er plebiszitär, nicht parlamentarisch, gewählt wird. Führertum auf dem Boden der Arbeitsbewährung könnte entstehen und ausgelesen werden vor allem dann, wenn in den großen Kommunen, wie in den Vereinigten Staaten überall da, wo man der Korruption ernstlich zu Leibe [rücken] wollte, der plebiszitäre Stadtdirektor mit dem Recht, sich seine Büros selbständig zusammenzustellen, auf der Bildfläche erscheinen würde. Das würde eine auf solche Wahlen zugeschnittene Parteiorganisation bedingen. Aber die durchaus kleinbürgerliche Führerfeindschaft aller Parteien, mit Einschluß vor allem der Sozialdemokratie, läßt die künftige Art der Gestaltung der Parteien und damit aller dieser Chancen noch ganz im Dunkel liegen23. § 5. Das Parlament als Staatsorgan und das Problem der Verwaltungsöffentlichkeit. Die Aufgabe der Führerauslese

Die modernen Parlamente sind in erster Linie Vertretungen der durch die Mittel der Bürokratie Beherrschten1. Ein gewisses Minimum von innerer Zustimmung – mindestens der sozial gewichtigen Schichten – der Beherrschten ist Vorbedingung der Dauer einer jeden, auch der bestorganisierten, Herrschaft2. Die Parlamente sind heute das Mittel, dieses Minimum von Zustimmung äußerlich zu manifestieren. Für gewisse Akte der öffentlichen Gewalten ist die Form der Vereinbarung durch Gesetz nach vorheriger Beratung mit dem Parlament obligatorisch, und zu diesen gehört vor allem: der Haushaltsplan. Heute wie seit der Zeit der Entstehung der Ständerechte ist die Verfügung über die Art der Geldbeschaffung des Staates: das Budgetrecht, das entscheidende parlamentarische Machtmittel. Solange freilich ein Parlament nur durch Verweigerung von Geldmitteln und Ablehnung der Zustimmung zu Gesetzesvorschlägen oder durch unmaßgebliche Anträge den Beschwerden der Bevölkerung gegenüber der Verwaltung Nachdruck

§ 5. Das Parlament als Staatsorgan. Führerauslese

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verleihen kann, ist es von positiver Anteilnahme an der politischen Leitung ausgeschlossen. Es kann und wird dann nur „negative Politik“ treiben, d. h. den Verwaltungsleitern wie eine feindliche Macht gegenüberstehen, von ihnen als solche mit dem unentbehrlichen Minimum von Auskunft abgespeist und nur als Hemmschuh gewertet werden. Die Bürokratie andererseits gilt dann dem Parlament und seinen Wählern leicht als eine Kaste von Strebern und Bütteln, denen das Volk als Objekt ihrer lästigen und zum guten Teil überflüssigen Künste gegenüberstehe. Anders, wo das Parlament durchgesetzt hat, daß die Verwaltungsleiter entweder geradezu aus seiner Mitte entnommen werden müssen („parlamentarisches System“ im eigentlichen Sinn) oder doch, um im Amt zu bleiben, des ausdrücklich ausgesprochenen Vertrauens seiner Mehrheit bedürfen oder wenigstens der Bekundung des Mißtrauens weichen müssen (parlamentarische Auslese der Führer) und aus diesem Grunde, erschöpfend und unter Nachprüfung des Parlaments oder seiner Ausschüsse, Rede und Antwort stehen (parlamentarische Verantwortlichkeit der Führer) und die Verwaltung nach den vom Parlament gebilligten Richtlinien führen müssen (parlamentarische Verwaltungskontrolle). In diesem Fall sind die Führer der jeweils ausschlaggebenden Parteien des Parlaments notwendig positive Mitträger der Staatsgewalt. Das Parlament ist dann ein Faktor positiver Politik neben dem Monarchen, der dann nicht oder wenigstens nicht vorwiegend, jedenfalls nicht ausschließlich, kraft seiner formalen Kronrechte, sondern kraft seines unter allen Umständen sehr großen Einflusses die Politik mitbestimmt, verschieden stark also je nach seiner politischen Klugheit und Zielbewußtheit. In diesem Fall spricht man, einerlei ob mit Recht oder Unrecht, vom „Volksstaat“2a, während ein Parlament der Beherrschten mit negativer Politik gegenüber einer herrschenden Bürokratie eine Spielart des „Obrigkeitsstaats“ darstellt. Uns interessiert hier die praktische Bedeutung der Stellung des Parlaments. Man mag den parlamentarischen Betrieb hassen oder lieben, – beseitigen wird man ihn nicht. Man kann ihn nur politisch machtlos machen, wie Bismarck es mit dem Reichstag getan hat. Die Machtlosigkeit des Parlaments aber äußert sich außer in den allgemeinen Konsequenzen der „negativen Politik“ in folgenden Erscheinungen. Jeder parlamentarische Kampf ist selbstverständlich ein Kampf nicht nur um sachliche Gegensätze. sondern ebenso: um persönliche Macht. Wo die Machtstellung des Parlaments es mit sich bringt, daß der Monarch in

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aller Regel den Vertrauensmann der entschiedenen Mehrheit mit der Leitung der Politik betraut, richtet sich dieser Machtkampf der Parteien auf die Erlangung dieser höchsten politischen Stellung. Es sind dann die Leute mit großem politischen Machtinstinkt und mit den ausgeprägtesten politischen Führerqualitäten, welche ihn durchfechten und welche also die Chance haben, in die leitenden Stellungen zu kommen. Denn die Existenz der Partei im Lande und alle die zahllosen ideellen und zum Teil sehr materiellen Interessen, welche damit verknüpft sind, erheischen dann gebieterisch, daß eine mit Führereigenschaften ausgestattete Persönlichkeit an die Spitze kommt. Es besteht dann, und nur dann, der Anreiz für die politischen Temperamente und politischen Begabungen, sich der Auslese dieses Konkurrenzkampfes zu unterziehen. Ganz anders, wenn unter der Bezeichnung „monarchische Regierung“ die Besetzung der höchsten Stellen im Staate Gegenstand des Beamtenavancements oder höfischer Zufallsbekanntschaften ist, und wenn ein machtloses Parlament diese Art der Zusammensetzung der Regierung über sich ergehen lassen muß. Auch dann wirkt sich natürlich innerhalb des parlamentarischen Kampfes neben den sachlichen Gegensätzen der persönliche Machtehrgeiz aus. Aber in ganz anderen, subalternen, Formen und Richtungen. In der Richtung, welche er seit 1890 in Deutschland eingeschlagen hat. Neben der Vertretung von lokalen wirtschaftlichen Privatinteressen einflußreicher Wähler ist dann die kleine, subalterne Patronage ausschließlich der Punkt, um den sich letztlich alles dreht. Die von den Staatsämtern dauernd ausgeschlossenen Parteien suchen für sich Entschädigung in Gemeinde- oder Krankenkassen-Verwaltungen und treiben, wie früher die Sozialdemokratie, im Parlament eine staatsfeindliche oder staatsfremde Politik. Denn jede Partei erstrebt als solche: Macht, das heißt Anteil an der Verwaltung und also: am Einfluß auf die Ämterbesetzung. Dies ist die selbstverständliche Folge davon, wenn die Partei (oder Parteikoalition), in deren Hand jeweils tatsächlich die Mehrheitsbildung für oder gegen die Regierung im Parlament liegt, nicht als solche offiziell zur Besetzung des verantwortlichen höchsten politischen Postens berufen wird. Andererseits ermöglicht dieses System Leuten, welche die Qualitäten eines brauchbaren Beamten, aber keinen Hauch staatsmännischer Begabung besitzen, sich so lange in leitenden politischen Stellungen zu behaupten, bis irgendeine Intrige sie zugunsten einer anderen gleichartigen Persönlichkeit von der Bildfläche verschwinden läßt3.

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Das Wesen aller Politik ist, wie noch oft zu betonen sein wird: Kampf, Werbung von Bundesgenossen und von freiwilliger Gefolgschaft, – und dazu, sich in dieser schweren Kunst zu üben, bietet die Amtslaufbahn des Obrigkeitsstaates nun einmal keinerlei Gelegenheit. Für Bismarck bot bekanntlich der Frankfurter Bundestag die Schule3a. Im Heer ist die Schulung eine solche für den Kampf und kann militärische Führer gebären. Für den modernen Politiker aber ist der Kampf im Parlament und für die Partei im Lande die gegebene Palästra, die durch nichts anderes – am wenigsten durch die Konkurrenz um Avancement – gleichwertig zu ersetzen ist. Natürlich nur in einem Parlament und für eine Partei, deren Führer die Macht im Staate erwirbt4. Wie vollzieht sich nun5 der Gang der Geschäfte im Parlament? Reden, die ein Abgeordneter hält, sind heute keine persönlichen Bekenntnisse mehr, noch viel weniger Versuche, die Gegner umzustimmen. Sondern sie sind amtliche Erklärungen der Partei, welche dem Lande „zum Fenster hinaus“ abgegeben werden. Haben Vertreter aller Parteien ein- oder zweimal reihum gesprochen, so wird die Debatte im Reichstag geschlossen. Die Reden werden vorher in der Fraktionssitzung vorgelegt oder doch in allen wesentlichen Punkten dort vereinbart. Ebenso wird dort vorher bestimmt, wer für die Partei zu sprechen hat. Die Parteien haben ihre Spezialexperten für jede Frage, wie die Bürokratie ihre zuständigen Beamten [hat]. Sie haben allerdings auch ihre Drohnen, Paraderedner, die nur zu repräsentativen Zwecken mit Vorsicht verwertbar sind, neben ihren Arbeitsbienen. Wenn auch nicht ausnahmslos, so gilt doch im ganzen der Satz: wer die Arbeit tut, hat den Einfluß. Diese Arbeit aber vollzieht sich hinter den Kulissen, in den Kommissions- und Fraktionssitzungen, bei den wirklich scharf arbeitenden Mitgliedern aber vor allem: in ihren Privatbüros6. Bis in die kleinsten Einzelheiten der Geschäftsordnung und der Konventionen des Reichstags und der Parteien sprach sich7 die Einstellung auf bloß negative Politik aus. Es sind nicht wenige Fälle bekannt, in welchen innerhalb der Parteien junge Talente mit Führereigenschaften von den alten verdienten Lokal- und Parteigrößen einfach niedergehalten wurden, wie es in jeder Zunft geschieht. Das ist in einem machtlosen Parlament, welches auf negative Politik beschränkt ist, selbstverständlich. Denn dort herrschen die Zunftinstinkte allein. Das könnte sich dagegen eine Partei niemals gestatten, deren Existenz auf die Teilnahme an der Macht und Verantwortung im Staate zugeschnitten wäre, bei

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der infolgedessen jeder Parteigenosse im Lande draußen wissen würde, daß Sein und Nichtsein der Partei und aller der Interessen, die ihn an sie knüpfen, daran hängt, daß sie sich den Leuten mit Führereigenschaften, über die sie verfügt, unterordnet. Denn nicht die vielköpfige Versammlung des Parlaments als solche kann „regieren“ und die Politik „machen“. Davon ist nirgends in der Welt die Rede, auch nicht in England. Die ganze breite Masse der Deputierten fungiert nur als Gefolgschaft für den oder die wenigen „leader“, welche das Kabinett bilden, und gehorcht ihnen blind, solange sie Erfolg haben. Stets beherrscht das „Prinzip der kleinen Zahl“, d. h. die überlegene politische Manövrierfähigkeit kleiner führender Gruppen, das politische Handeln. Dieser „cäsaristische“ Einschlag ist (in Massenstaaten) unausrottbar. Er allein gewährleistet es aber auch, daß auf bestimmten Persönlichkeiten der Öffentlichkeit gegenüber die Verantwortlichkeit ruht, die sich innerhalb einer vielköpfig regierenden Versammlung ganz verflüchtigen würde. Gerade in der eigentlichen Demokratie zeigt sich das. Durch Volkswahl ins Amt berufene Beamte bewähren sich nach den bisherigen Erfahrungen in zwei Fällen. Einerseits im lokalen Kantonalverband, wo man sich bei stabiler Bevölkerung gegenseitig persönlich kennt, also die Bewährung innerhalb der Nachbarschaftsgemeinschaft die Wahlen bestimmen kann. Andererseits, mit erheblichen Vorbehalten, bei der Wahl des höchsten politischen Vertrauensmanns einer Nation in einem Massenstaat. Selten der hervorragendste, aber im Durchschnitt doch: geeignete politische Führer gelangen so zur höchsten Macht. Für die ganze Masse der mittleren Beamten, vor allem derjenigen, welche Fachschulung benötigen, versagt dagegen in Massenstaaten das Volkswahlsystem in aller Regel völlig und aus begreiflichen Gründen. In Amerika waren die vom Präsidenten ernannten Richter den vom Volk gewählten turmhoch an Tüchtigkeit und Integrität überlegen. Deshalb, weil in dem jene ernennenden Führer eine immerhin für die Qualität der Beamten verantwortliche Stelle vorhanden war und die herrschende Partei es daher später am eigenen Leibe spürte, wenn gröbliche Mißgriffe begangen wurden. Die Herrschaft des gleichen Wahlrechts in den großen Kommunen hat daher dort immer wieder dahin geführt, daß ein Vertrauensmann der Bürgerschaft durch Volksabstimmung zum Bürgermeister gewählt wurde mit weitgehender Freiheit, sich selbst seinen Verwaltungsapparat zu beschaffen. Nicht minder neigt die englische Parlamentsherrschaft zur Entwicklung solcher

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cäsaristischen Züge. Der leitende Staatsmann gewinnt dem Parlament gegenüber, aus dem er hervorgeht, eine immer überragendere Stellung. Die Schwächen, welche der Auslese der führenden Politiker durch Parteiwerbung natürlich ebenso anhaften wie jeder menschlichen Organisation überhaupt, sind von deutschen Literaten der letzten Jahrzehnte bis zum Überdruß breitgetreten worden. Daß auch die parlamentarische Parteiherrschaft dem Einzelnen zumutet und zumuten muß, sich Führern zu fügen, die er oft nur als das „kleinere Übel“ akzeptieren kann, ist selbstverständlich. Aber der Obrigkeitsstaat läßt ihm 1. gar keine Wahl und gibt ihm 2. statt der Führer vorgesetzte Beamte. Das ist gewiß ein Unterschied8. Die Motive des persönlichen Verhaltens sind innerhalb einer Partei ebensowenig nur idealistisch, wie die üblichen Avancements- und Pfründeninteressen der Konkurrenten in einer Beamtenhierarchie es sind. Um persönliche Interessen des Einzelnen handelt es sich hier wie dort in der Masse der Fälle. Es kommt nur alles darauf an, daß diese überall menschlichen, oft allzu menschlichen, Interessen so wirken, daß dadurch eine Auslese der mit Führerqualitäten begabten Männer wenigstens nicht geradezu verhindert wird. Das aber ist in einer Partei ausschließlich dann möglich, wenn ihren Führern im Falle des Erfolges die Macht und: die Verantwortung im Staate winkt. Es ist nur dann möglich. Aber es ist damit allein allerdings noch nicht gesichert. Denn nicht ein redendes, sondern nur ein arbeitendes Parlament kann der Boden sein, auf dem nicht bloß demagogische, sondern echt politische Führerqualitäten wachsen und im Wege der Auslese aufsteigen. Ein arbeitendes Parlament aber ist ein solches, welches die Verwaltung fortlaufend mitarbeitend kontrolliert9. Glänzend bewährt hat sich das Beamtentum überall da, wo es an amtlichen, festumschriebenen Aufgaben fachlicher Art sein Pflichtgefühl, seine Sachlichkeit und seine Kraft der Beherrschung organisatorischer Probleme zu beweisen hatte. Aber hier handelt es sich um politische, nicht „dienstliche“, Leistungen, und die Tatsachen selbst rufen die von keinem Wahrheitsliebenden zu verhehlende Erkenntnis in die Welt: gänzlich versagt hat die Beamtenherrschaft da, wo sie mit politischen Fragen befaßt wurde. Das ist kein Zufall. Es wäre umgekehrt erstaunlich, wenn innerlich ganz fremdartige Fähigkeiten innerhalb desselben politischen Gebildes zusammentreffen würden. Es ist, wie gesagt, nicht

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Sache des Beamten, nach seinen eigenen Überzeugungen mitkämpfend in den politischen Streit einzutreten und, in diesem Sinn, „Politik zu treiben“, die immer: Kampf ist. Sein Stolz ist es im Gegenteil, die Unparteilichkeit zu hüten und also seine eigenen Neigungen und Meinungen überwinden zu können, um gewissenhaft und sinnvoll durchzuführen, was allgemeine Vorschrift oder besondere Anweisung von ihm verlangen, auch und gerade dann, wenn sie seinen eigenen politischen Auffassungen nicht entsprechen. Die Leitung der Beamtenschaft, welche ihr die Aufgaben zuweist, hat dagegen selbstverständlich fortwährend politische: – machtpolitische und kulturpolitische – Probleme zu lösen. Sie darin zu kontrollieren, ist die erste grundlegende Aufgabe des Parlaments. Und nicht nur die den höchstgestellten Zentralinstanzen zugewiesenen Aufgaben, sondern jede einzelne noch so rein technische Frage in den Unterinstanzen kann politisch wichtig und die Art ihrer Lösung durch politische Gesichtspunkte bestimmt werden. Politiker müssen der Beamtenherrschaft das Gegengewicht geben. Dagegen aber wehrt sich das Machtinteresse der leitenden Instanzen einer reinen Beamtenherrschaft, welche stets der Neigung zu möglichst unkontrollierter Freiheit und vor allem zur Monopolisierung der Ministerstellen für das Beamtenavancement nachgehen werden. Die Möglichkeit, das Beamtentum wirksam zu kontrollieren, ist an Vorbedingungen geknüpft. Die Machtstellung aller Beamten ruht, außer auf der arbeitsteiligen Technik der Verwaltung als solcher, auf Wissen, einem Wissen von zweierlei Art. Zuerst: dem durch Fachschulung erworbenen, im weitesten Sinn des Wortes „technischen“ Fachwissen. Ob es auch im Parlament vertreten ist oder sich Abgeordnete im Einzelfall privatim bei Spezialisten Auskunft einholen können, ist Zufall und Privatsache. Niemals ersetzt dies für die Verwaltungskontrolle das systematische (eidliche) Kreuzverhör von Sachverständigen vor einer Parlamentskommission unter Zuziehung der betreffenden Ressortbeamten, welches allein Kontrolle und Allseitigkeit der Befragung garantiert. Dem Reichstag10 fehlte das Recht dazu. Aber das Fachwissen allein begründet nicht die Beamtenmacht. Dazu tritt die durch die Mittel des amtlichen Apparates nur dem Beamten zugängliche Kenntnis der für sein Verhalten maßgebenden konkreten Tatsachen: das Dienstwissen. Nur wer sich diese Tatsachenkenntnis unabhängig vom guten Willen des Beamten beschaffen kann,

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vermag im Einzelfall die Verwaltung wirksam zu kontrollieren. Je nach den Umständen kommen Akteneinsicht, Augenscheinseinnahme, äußerstenfalls aber wiederum: das eidliche Kreuzverhör der Beteiligten als Zeugen vor einer Parlamentskommission in Betracht. Auch dieses Recht fehlte dem Reichstag. Aus schlechthin keinen sachlichen Gründen. Sondern ausschließlich deshalb, weil das wichtigste Machtmittel des Beamtentums die Verwandlung des Dienstwissens in ein Geheimwissen durch den Begriff des „Dienstgeheimnisses“ bildet: letztlich lediglich ein Mittel, die Verwaltung gegen Kontrolle zu sichern. Während die unteren Staffeln der Amtshierarchie durch die übergeordneten kontrolliert und kritisiert werden, versagte in Deutschland gerade gegenüber den obersten, also den mit der „Politik“ befaßten, Stellen alle Kontrolle, technische wie politische, überhaupt. Die Art, wie im Reichstag der parlamentarischen Vertretung gegenüber von seiten der Verwaltungschefs Anfragen und Kritiken beantwortet zu werden pflegten, ist nur möglich, wenn dem Parlament die Mittel versagt sind, sich durch Handhabung des sogenannten „Enqueterechtes“ jederzeit jene Kenntnis der Tatsachen und der technischen Fachgesichtspunkte zu verschaffen, welche allein ihm fortlaufende Mitarbeit und Einfluß auf die Richtung der Verwaltung ermöglichen würde. Nicht etwa soll der Reichstag in seinen Kommissionen sich in umfangreiche Studien vertiefen und darüber dicke Bände veröffentlichen: – dafür, daß dies nicht geschieht, sorgt übrigens seine Arbeitslast. Sondern das Enqueterecht ist als gelegentliches Hilfsmittel zu gebrauchen und bietet im übrigen eine Rute, deren Vorhandensein die Verwaltungschefs zwingt, in einer Art Rede zu stehen, die seine Anwendung unnötig macht. In dieser Art der Verwertung dieses Rechts liegen die allerbesten Leistungen des englischen Parlaments. Die Integrität des englischen Beamtentums und der hohe Stand der politischen Erziehung des englischen Volkes beruhen wesentlich mit hierauf, und man hat oft betont, daß in der Art, wie die Komiteeverhandlungen von der englischen Presse und deren Leserkreis verfolgt werden, der beste Maßstab für den politischen Reifegrad gegeben ist. Denn dieser äußert sich nicht in Mißtrauensvoten, Ministeranklagen und solchen Spektakelstücken des französisch-italienischen unorganisierten Parlamentarismus, sondern darin, daß eine Nation über die Art der Führung ihrer Geschäfte durch das Beamtentum orientiert ist, sie fortlaufend kontrolliert und beeinflußt. Nur Ausschüsse eines mächtigen Parlaments sind

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die Stätten und können sie sein, von wo jener erzieherische Einfluß ausgeübt werden kann. Das Beamtentum als solches aber kann dadurch im Endeffekt nur gewinnen. Selten und jedenfalls nicht bei parlamentarisch geschulten Völkern ist das Verhältnis des Publikums zum Beamtentum so verständnislos wie in Deutschland. Die Probleme, mit welchen die Beamten bei ihrer Arbeit zu ringen haben, treten hier nirgends sichtbar hervor. Ihre Leistung kann niemals verstanden und bewertet, das an Stelle positiver Kritik stehende sterile Schelten über den „heiligen Bürokratismus“ niemals überwunden werden, wenn der Zustand unkontrollierter Beamtenherrschaft anhält. Und auch die Machtstellung des Beamtentums würde da, wo sie hingehört, nicht geschwächt. Der spezialistisch eingeschulte Vortragende Rat ist seinem Minister (auch, und oft, gerade dem aus dem Fachbeamtentum hervorgegangenen Minister) im Fachbetrieb überall überlegen, in England ebenso (aber im ganzen nicht mehr) wie in Deutschland. Denn Fachschulung ist unter den modernen Verhältnissen unentbehrliche Voraussetzung für die Kenntnis der technischen Mittel zur Erreichung politischer Ziele. Aber politische Ziele zu setzen, ist keine Fachangelegenheit, und die Politik hat der Fachbeamte nicht rein als solcher zu bestimmen. Eine vermittels des Enqueterechts gesicherte fortlaufende Kontrolle und Mitarbeit der Parlamentsausschüsse mit und gegenüber der Verwaltung ist die grundlegende Vorbedingung einer Steigerung der po­ sitiven Leistungen des Parlaments als Staatsorgan. Sie ist insbesondere auch die unentbehrliche Voraussetzung dafür, daß das Parlament zur Auslesestätte für politische Führer wird11. Das unsachliche Gerede in Deutschland diskreditiert die Parlamente gern als Orte, wo nur „geredet“ wird. Ähnlich, freilich weit geistvoller, hat Carlyle vor drei Gene­ rationen in England gegen das dortige Parlament gewettert, und doch wurde es immer mehr der ausschlaggebende Träger der englischen Weltmacht. Heute ist nun einmal nicht das eigene Dreinschlagen mit dem Schwert, sondern sind ganz prosaische Schallwellen und Tintentropfen: geschriebene und gesprochene Worte, die physischen Träger des leitenden (politischen und militärischen) Handelns. Es kommt nur darauf an, daß Geist und Kenntnisse, starker Wille und besonne­ ne Erfahrung diese Worte: Befehle oder werbende Rede, diplomatische Noten oder amtliche Erklärungen im eigenen Parlament, formen. In einem Parlament, welches nur Kritik über kann, ohne sich die Kenntnis der Tatsachen verschaffen zu können, und dessen Parteiführer niemals

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in die Lage gesetzt werden, zeigen zu müssen, was sie selbst politisch leisten können, führen nur entweder kenntnislose Demagogie oder routinierte Impotenz (oder beide zusammen) das Wort. Die politische Schulung wird natürlich nicht in den ostensiblen und dekorativen Reden im Plenum eines Parlaments erworben. Sondern innerhalb der Parlamentslaufbahn nur in stetiger scharfer Arbeit. Keiner der bedeutenden englischen Parlamentsführer ist in die Höhe gekommen, ohne sich in der Arbeit der Komitees geschult zu haben und von dort aus oft durch eine ganze Reihe von Ressorts der Verwaltung hindurchgegangen und in ihre Tätigkeit eingeführt worden zu sein. Nur jene Schule intensiver Arbeit an den Realitäten der Verwaltung, welche der Politiker in den Kommissionen eines mächtigen Arbeitsparlamentes durchzumachen hat und in der er sich bewähren muß, machen eine solche Versammlung zu einer Auslesestätte nicht für bloße Demagogen, ­sondern für sachlich arbeitende Politiker, als welche das englische ­Parlament (was ehrlicherweise niemand verkennen darf) bis heute unerreicht dasteht. Nur diese Art des Zusammenwirkens von Fachbeamtentum und Berufspolitikern garantiert die fortwährende Kontrolle der Verwaltung und durch sie die politische Erziehung und Schulung von Führern und Geführten. Durch effektive Parlamentskontrolle erzwungene Publizität der Verwaltung ist das, was als Vorbedingung jeder fruchtbaren Parlamentsarbeit und politischen Erziehung zu fordern ist. Aktuelle Erörterungen der Außenpolitik (und des Krieges) gehören zur Beratung zunächst vor einen kleinen Kreis von Vertrauensmännern der Parteien12. Und da Politik überhaupt stets von wenigen gemacht wird, dürfen eben auch die Parteien für hochpolitische Zwecke nicht nach Art von „Zünften“, sondern nur nach Art von „Gefolgschaften“ organisiert sein. Ihre politischen Vertrauensmänner müssen also „Führer“ sein, das heißt unbeschränkte Vollmacht für wichtige Entschließungen haben (oder innerhalb weniger Stunden von jederzeit zusammenzurufenden Ausschüssen einholen können). Jedenfalls kann nur ein kleines Gremium mit Diskretionspflicht wirklich politische Entscheidungen in hochgespannter Lage beratend vorbereiten13. Als einziges sachlich beachtliches Bedenken gegen das Enqueterecht pflegt von Staatsrechtslehrern geltend gemacht zu werden, daß der Reichstag in der Gestaltung der Geschäftsordnung gänzlich autonom sei, die jeweilige Mehrheit also eine Erhebung einseitig unterlassen oder so gestalten könne, daß das nicht festgestellt werde, was ihr

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unwillkommen sei. Zweifellos paßt die (indirekt) aus der englischen Theorie kritiklos übernommene Geschäftsordnungsautonomie (Art. 27 der Reichsverfassung von 1871) für dieses Recht nicht. Vielmehr ist durch gesetzliche Normen die Garantie für die Verläßlichkeit zu schaffen. Insbesondere muß das Recht unbedingt als Minoritätsrecht (sagen wir etwa: auf Verlangen von 100 Abgeordneten) und natürlich mit dem Recht der Minderheit auf Vertretung, Fragestellung, Nebenbericht geschaffen werden. Schon um gegen jede künftig einmal mögliche parlamentarische „Mehrheitswirtschaft“ und ihre bekannten Gefahren jenes Gegengewicht der Publizität zu bieten, welches in anderen Staaten fehlt und in England bisher nur durch die gegenseitige Parteicourtoisie gegeben war14. Die ganze Struktur des deutschen Parlaments [bis 1918] war zugeschnitten auf eine lediglich negative Politik: Kritik, Beschwerde, Beratung, Abänderung und Erledigung von Vorlagen der Regierung, und alle parlamentarischen Gepflogenheiten entsprachen dem15. Indessen: darauf, ob große Probleme in einem Parlament nicht nur beredet, sondern maßgeblich entschieden werden, – ob also etwas und wieviel darauf ankommt, was im Parlament geschieht –, oder ob es nur der widerwillig geduldete Bewilligungsapparat einer herrschenden Bürokratie ist, stellt sich die Höhe oder Tiefe seines Niveaus ein16. Dazu, das Parlament fähig zur Macht zu machen, gehört – neben den erwähnten wichtigen Ergänzungen seiner Machtbefugnisse – vor allem eines: die Entwicklung eines geeigneten Berufsparlamentariertums17. Das Ressentiment der Partei-Beamtennaturen gegen echtes politisches Führertum spielt bei der Haltung mancher Parteien gegenüber der Frage der Parlamentarisierung, und das heißt der parlamentarischen Führerauslese, stark mit. Es verträgt sich natürlich vortrefflich mit den gleichgesinnten Interessen der Bürokratie. Denn der Berufsparlamentarier an sich ist den Instinkten der bürokratischen Verwaltungschefs ein Dorn im Auge. Schon als unbequemer Kontrolleur und als Prätendent einer, immerhin, gewissen Anteilnahme an der Macht. Vollends aber, wenn er in einer Gestalt auftritt, um als möglicher Konkurrent um die leitenden Stellungen in Betracht zu kommen (was bei den Interessenvertretern eben nicht der Fall ist). Daher auch der Kampf für Erhaltung der Unwissenheit des Parlaments. Denn nur qualifizierte Berufsparlamentarier, welche durch die Schule intensiver Ausschußarbeit eines Arbeitsparlaments gegangen sind, können verantwortliche

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Führer, nicht bloße Demagogen und Dilettanten aus sich hervorgehen lassen. Auf solche Führer und ihre Wirksamkeit muß die ganze innere Struktur des Parlaments zugeschnitten werden, wie es in ihrer Art diejenige des englischen Parlaments und seiner Parteien seit langem ist18. § 6. Parlamentarismus und Demokratie1 Parlamentarisierung und Demokratisierung2 stehen durchaus nicht notwendig in Wechselbeziehung, sondern oft im Gegensatz zueinander. Man hat neuerdings sogar nicht selten geglaubt: in notwendigem Gegensatz3. Denn wirklicher Parlamentarismus sei nur bei einem Zweiparteiensystem und dies nur bei einer aristokratischen Honoratiorenherrschaft innerhalb der Parteien möglich. Der althistorische Parlamentarismus Englands war in der Tat, seinem ständischen Ursprung gemäß, auch nach der Reformbill und bis in den Krieg4 hinein, nicht wirklich im kontinentalen Sinn „demokratisch“. Schon im Wahlrecht. Der Wohnungszensus und die tatsächlichen Mehrstimmrechte hatten immerhin eine solche Tragweite, daß bei Übernahme auf deutsche Verhältnisse wohl nur die Hälfte der jetzigen5 Sozialdemokraten und auch bedeutend weniger Zentrumsabgeordnete als jetzt5 im Reichstag sitzen würden. Und bis zu Chamberlains Caucussystem waren beide Parteien durchaus von Honoratiorenklubs beherrscht. Falls wirklich die zuerst in Cromwells Heerlager von den Levellers erhobene Forderung des universellen Einstimmrechts und des (vorerst begrenzten) Frauenstimmrechts durchgeführt wird, so muß der Charakter des englischen Parlaments sich sicherlich stark ändern und die Bürokratisierung der Parteien weiter fortschreiten. – Das bekannte spanische Zweiparteiensystem, beruhend auf der festen Konvention der Parteihonoratioren, daß die Wahlen im Sinn eines periodischen Wechsels der beiderseitigen Amtsreflektanten in der Macht erledigt werden, scheint soeben5 dem ersten Anlauf zu ernstlichen Wahlen zu erliegen. Aber werden solche Änderungen den Parlamentarismus beseitigen? Der Bestand und die formale Machtstellung der Parlamente ist durch Wahlrechtsdemokratie an sich nicht bedroht6. Das zeigen Frankreich und andere Staaten mit gleichem Wahlrecht, wo die Ministerien durchweg aus den Parlamenten hervorgehen und sich auf deren Mehrheiten stützen. Aber freilich ist der Geist des französischen Parlaments ein sehr anderer als der des englischen. Nur ist gerade Frankreich kein Land, an welchem

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man die typischen Folgen der Demokratie für den Parlamentarismus studieren könnte. Der stark kleinbürgerliche und vor allem: Kleinrentner-Charakter seiner stabilen Bevölkerung schafft Bedingungen für eine spezifische Art von Honoratiorenherrschaft in den Parteien und einen besondersartigen Einfluß der Haute Finance, wie sie unter den Verhältnissen eines vorwiegenden Industriestaates nicht bestehen. Die französische Parteistruktur ist in einem solchen ebenso undenkbar, wie allerdings auch das historische Zweiparteiensystem Englands. Ein Zweiparteiensystem ist in Industriestaaten schon infolge der Spaltung der modernen ökonomischen Schichten in Bürgertum und Proletariat und der Bedeutung des Sozialismus als Massenevangelium unmöglich. Das gibt eine sozusagen „konfessionelle“ Schranke. So vor allem in Deutschland. Die Organisation des Katholizismus ferner in Deutschland als Minderheitsschutzpartei, folgend aus den Konfessionsverhältnissen, wird, wenn sie auch im Zentrum nur infolge der Wahlkreiseinteilung ihre jetzige Abgeordnetenzahl besitzt, schwerlich ausgeschaltet werden. Mindestens vier, wahrscheinlich aber fünf große Parteien werden also in Deutschland dauernd nebeneinanderstehen, Koalitionsregierungen eine Notwendigkeit bleiben und die Macht einer klug operierenden Krone wäre stets bedeutend5. Die Honoratiorenherrschaft aber in den Parteien ist außerhalb verkehrsentlegener agrarischer Gebiete mit patriarchalem Großgrundbesitz überall deshalb unhaltbar, weil die moderne Massenpropaganda die Rationalisierung des Parteibetriebs: den Parteibeamten, die Parteidisziplin, die Parteikasse, die Parteipresse und die Parteireklame zur Grundlage der Wahlerfolge macht. Die Parteien organisieren sich zunehmend straffer. Sie bemühen sich, schon die Jugend auf ihre Gefolgschaft festzulegen. Automatisch besorgt das bei der Zentrumspartei der kirchliche Apparat, bei den Konservativen die gesellschaftliche Umwelt. Andere Parteien haben ihre besonderen Jugendorganisationen: so die „nationalliberale Jugend“ und die Jugendveranstaltungen der Sozialdemokraten. Und ebenso stellen die Parteien alle ökonomischen Interessen in ihren Dienst. Sie organisieren Genossenschaften, Konsumvereine, Gewerkschaften und schieben ihre Vertrauensmänner als Beamte in die so geschaffenen Parteistellen ein6a. Sie schaffen sich Rednerschulen und andere Institute für die Einschulung von Agitatoren, Redakteuren und Angestellten, teilweise mit Millionenfonds. Eine ganze Parteiliteratur entsteht, gespeist aus den gleichen, von Interessenten gestifteten

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Kapitalien, welche Zeitungen aufkaufen, Annoncenbüros gründen u. dgl. mehr. Die Parteibudgets schwellen an, denn die Kosten der Wahlen und die Anzahl der notwendigen entgeltlichen Agitationskräfte steigen. Der Parteiapparat steigt an Bedeutung, und entsprechend sinkt die Bedeutung der Honoratioren7. So verschieden die innere soziale Struktur der deutschen Parteien ist, so sind doch hier wie überall Bürokratisierung und rationale Finanzwirtschaft Begleiterscheinungen der Demokratisierung. Dies bedingt aber ein weit kontinuierlicheres und angespannteres Arbeiten für die Stimmwerbung, als den alten Honoratiorenparteien je bekannt war. Die Zahl der Wahlreden, die ein Kandidat heute, tunlichst in jedem kleinen Ort seines Bezirks, halten muß, seiner Besuche und Rechenschaftsberichte dort, der Bedarf nach Parteikorrespondenzen und Klischees für die Parteipresse und nach Reklamen aller Art steigert sich ständig. Ebenso die Schärfe und Rücksichtslosigkeit der Kampfmittel. Dies ist oft beklagt und als Besonderheit der Parteien ihnen zur Last gelegt worden. Allein nicht nur die Parteiapparate, sondern ganz ebenso der im Besitz der Macht befindliche Apparat der Regierung nimmt daran teil. Die aus dem sogenannten „Welfenfonds“ gespeiste Bismarcksche Presse stand besonders seit 1878 an Unbedenklichkeit der Mittel und der Tonart durchaus an der Spitze. Die Versuche, eine völlig von dem herrschenden Amtsapparat abhängige Lokalpresse zu schaffen, haben nicht aufgehört. Mit dem Maß der Parlamentarisierung hat also die Existenz und Qualität dieser Kampfmittel nichts zu tun. Auch nicht mit der Art der Abstufung des Wahlrechts. Sondern sie ist Folge der Massenwahlen rein als solcher, ganz einerlei, ob die Wahlkörperschaften die Auslesestätte der politisch verantwortlichen Führer sind oder ob sie nur eine negative Interessen- und Trinkgelderpolitik treiben können. Gerade im letzteren Fall pflegt der Parteikampf ganz besonders subalterne Formen anzunehmen, weil dann rein materielle und persönliche Interessen dahinterstehen. Man kann durch scharfen strafrechtlichen Schutz die Wendung des politischen Kampfes gegen die persönliche Ehre und vor allem das Privatleben des Gegners und die leichtfertige Verbreitung unwahrer sensationeller Behauptungen bekämpfen. Aber Art und Charakter des Kampfes als solchen kann man, so lange es überhaupt Wahlkörperschaften gibt, welche über materielle Interessen entscheiden, nicht ändern. Am allerwenigsten durch Herabschrauben der Bedeutung und des Niveaus des Parlaments. Die politische Frage ist lediglich

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die: was für Konsequenzen hat diese fortschreitende Demokratisierung der politischen Kampfmittel und Kampforganisationen für die Gestaltung des politischen Betriebs, des außerparlamentarischen sowohl wie des parlamentarischen?8 Denn die zuletzt geschilderten Entwicklungen gehen Hand in Hand mit der früher erörterten Gestaltung der parlamentarischen Arbeit. Beide aber rufen nach einer charakteristischen Figur: nach dem Berufspolitiker. d. h. einem Mann, der mindestens ideell, in der Masse der Fälle aber materiell, den politischen Betrieb innerhalb einer Partei zum Inhalt seiner Existenz macht. Diese Figur ist in ihrer heutigen Gestalt das unvermeidliche Produkt der Rationalisierung und Spezialisierung der parteipolitischen Arbeit auf dem Boden der Massenwahlen. Auch hier wieder: ganz einerlei, welcher Grad von politischem Einfluß und Verantwortlichkeit durch Parlamentarisierung in die Hände der Parteien gelegt wird. Berufspolitiker, sahen wir9, gibt es von zweierlei Art: solche, die materiell „von“ der Partei und dem politischen Treiben leben: unter amerikanischen Verhältnissen die großen und kleinen politischen „Unternehmer“: die Bosse; unter deutschen Verhältnissen aber: die politischen „Arbeiter“, die bezahlten Parteibeamten. Oder solche, die „für“ die Politik zu leben durch ihre Vermögenslage instand gesetzt und durch ihre Überzeugung getrieben sind, also ideell ihr Leben daraus bestreiten, wie etwa Paul Singer in der Sozialdemokratie es tat, der zugleich ein Parteimäzenat großen Stils war. Wohlgemerkt: es soll hier nicht etwa dem Parteibeamtentum der „Idealismus“ bestritten werden. Weit entfernt [davon], daß der Idealismus etwa Funktion der Vermögenslage wäre, ist eben doch das Leben „für“ die Politik billiger für den besitzenden Parteifreund. Gerade dies nach oben und unten ökonomisch unabhängige Element ist innerhalb des Parteilebens höchst erwünscht. Der eigentliche Parteibetrieb ist freilich heute damit allein nie zu bestreiten: die Masse der Arbeit außerhalb des Parlaments wird immer auf den Parteibeamten ruhen. Schon wegen ihrer Inanspruchnahme durch den Betrieb sind aber diese Beamten keineswegs immer die gegebenen Kandidaten für das Parlament selbst. Das trifft vielmehr in verhältnismäßig großem Umfang nur für die Sozialdemokratie zu. In den meisten bürgerlichen Parteien ist dagegen der durch sein Amt gebundene Parteisekretär keineswegs immer der geeignetste Kandidat. Innerhalb des Parlaments würde das Parteibeamtentum, so dringend

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erwünscht und nützlich die Vertretung dieses Elementes ist, nicht günstig wirken, wenn es allein vorherrschte. Aber eine solche Vorherrschaft besteht selbst innerhalb der am stärksten bürokratisierten Partei: der Sozialdemokratie, nicht. Die Gefahr einer Herrschaft des „Beamtengeistes“ zuungunsten wirklicher Führernaturen würde überdies das Parteibeamtentum noch relativ am wenigsten heraufbeschwören. Eine solche Gefahr stellt weit eher die Nötigung dar, auf moderne Interessentenorganisationen bei der Stimmwerbung Rücksicht zu nehmen: das Eindringen der Angestellten dieser Organisationen in die Kandidatenlisten der Parteien also, welches sich sehr wesentlich steigern würde, wenn ein Proportionalwahlrecht in Form der allgemeinen Listenwahl10 durchgeführt würde. Ein aus lauter solchen Angestellten zusammengesetztes Parlament wäre politisch steril. Immerhin ist der Geist der Angestellten solcher Organisationen, wie es die Parteien selbst und etwa die Gewerkschaften sind, infolge der Schulung im Kampf mit der Öffentlichkeit ein wesentlich anderer als der Geist des friedlich in der Aktenstube arbeitenden Staatsangestellten. Gerade bei den radikalen Parteien, vor allem den Sozialdemokraten, wäre daher jene Gefahr relativ am geringsten, weil die Heftigkeit des Kampfes dem immerhin auch dort nicht seltenen Verknöchern zu einer Parteipfründnerschicht verhältnismäßig stark entgegenwirkt. Dennoch waren auch dort die eigentlichen Führer nur zum kleinen Teil Parteibeamte. Die Natur der heutigen Anforderungen an den politischen Betrieb bringt es vielmehr mit sich, daß in allen demokratisierten Parlamenten und Parteien ein Beruf eine besonders starke Rolle für die Rekrutierung der Parlamentarier spielt: die Advokaten. Neben der Rechtskenntnis als solcher und neben der, weit wichtigeren, Schulung für den Kampf, welche dieser Beruf im Gegensatz zu den Ämtern der angestellten Juristen bietet, ist dafür auch ein rein materielles Moment maßgebend: der Besitz eines eigenen Büros, wie es der heutige Berufspolitiker unbedingt benötigt. Und während jeder andere freie Unternehmer durch die Arbeit für seinen Betrieb spezifisch „unabkömmlich“ ist für die steigenden Anforderungen regelmäßiger politischer Arbeit und auf seinen Beruf verzichten müßte, um Berufspolitiker zu werden, ist für den Advokaten das Hinüberwechseln von seinem Beruf in die berufspolitische Tätigkeit technisch und nach den inneren Vorbedingungen verhältnismäßig besonders leicht11.

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Wir fragen nunmehr: in welcher Richtung entwickelt sich die Führerschaft in den Parteien unter dem Druck der Demokratisierung und der zunehmenden Bedeutung der Berufspolitiker, Partei- und Interessenten-Beamten, und welche Rückwirkung hat das auf das parlamentarische Leben? Eine populäre deutsche Auffassung ist mit der Frage der Wirkung der „Demokratisierung“ schnell fertig: der Demagoge kommt obenauf, und der erfolgreiche Demagoge ist der Mann, der in den Mitteln der Umwerbung der Massen am unbedenklichsten ist. Eine Idealisierung der Realitäten des Lebens wäre zweckloser Selbstbetrug. Der Satz von der steigenden Bedeutung des Demagogen ist in diesem üblen Sinn nicht selten zutreffend gewesen und ist im richtigen Sinn tatsächlich zutreffend. Im üblen Sinn trifft er für die Demokratie zu in etwa demselben Umfang wie für die Wirkung der Monarchie jene Bemerkung, die vor einigen Jahrzehnten ein bekannter General einem selbstregierenden Monarchen machte: „Euer Majestät werden bald nur noch Kanaillen um sich sehen.“ Eine nüchterne Betrachtung der demokratischen Auslese wird stets den Vergleich mit anderen menschlichen Organisationen und ihrem Auslesesystem heranziehen. Nun genügt jeder Blick in die Personalien bürokratischer Organisationen, mit Einschluß selbst der besten Offizierkorps, um zu erkennen, daß die innere Anerkennung der Untergebenen: der Vorgesetzte, vor allem der schnell avancierte Neuvorgesetzte, „verdiene“ seine Stellung, nicht etwa die Regel, sondern die Ausnahme ist. Tiefste Skepsis in betreff der Weisheit der Stellenbesetzung, sowohl der Motive, welche die besetzenden Stellen leiteten, wie der Mittel, durch welche besonders glückliche Stellenbesitzer ihre Stellen erlangt haben, beherrschen (von allem kleinlichen Klatsch ganz abgesehen) die Meinung der großen Mehrzahl gerade der ernsthaften, im Innern des Getriebes stehenden Persönlichkeiten. Nur vollzieht sich diese, meist stumme, Kritik abseits vom Licht der Öffentlichkeit, die davon nichts ahnt. Ungezählte Erfahrungen, die jeder rundum machen kann, lehren aber, daß das Maß der Fügsamkeit gegenüber dem Apparat: der Grad der „Bequemlichkeit“ des Untergebenen für den Vorgesetzten, diejenigen Qualitäten sind, welche den Aufstieg am sichersten garantieren. Die Auslese ist, durchschnittlich gesprochen, ganz gewiß keine solche von geborenen Führern. Bei den akademischen Stellenbesetzungen ist die Skepsis der Eingeweihten in einem doch recht großen Bruchteil der Fälle die gleiche, obwohl doch

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hier die Kontrolle der Öffentlichkeit angesichts der vorliegenden Leistungen sich fühlbar machen könnte, was beim Beamten im allgemeinen überhaupt nicht der Fall ist. Der zur öffentlichen Macht gelangende Politiker und zumal Parteiführer ist dagegen der Beleuchtung durch die Kritik der Feinde und Konkurrenten in der Presse ausgesetzt und kann sich darauf verlassen, daß im Kampf gegen ihn die Motive und Mittel, welche seinen Aufstieg bedingten, rücksichtslos ans Licht gezogen werden. Nüchterne Beobachtung dürfte also ergeben, daß die Auslese innerhalb der Parteidemagogie auf die Dauer und aufs Große gesehen, keineswegs nach unbrauchbareren Merkmalen erfolgt als hinter den verschlossenen Türen der Bürokratie12. Entscheidend wichtig ist, daß für die politische Führerschaft jedenfalls nur Persönlichkeiten geschult sind, welche im politischen Kampf ausgelesen sind, weil alle Politik dem Wesen nach Kampf ist. Das leistet nun einmal das vielgeschmähte „Demagogenhandwerk“ im Durchschnitt besser als die Aktenstube, die freilich für sachliche Verwaltung die unendlich überlegene Schulung bietet13. Demokratisierung und Demagogie gehören zusammen. Aber: ganz unabhängig – das sei wiederholt – von der Art der Staatsverfassung, sofern nur die Massen nicht mehr rein als passives Verwaltungsobjekt behandelt werden können, sondern in ihrer Stellungnahme aktiv irgendwie ins Gewicht fallen. Den Weg der Demagogie haben ja in ihrer Art auch die modernen Monarchen beschritten. Reden, Telegramme, Stimmungsmittel aller Art setzen sie für ihr Prestige in Bewegung, und man kann nicht behaupten, daß diese Art politischer Propaganda sich etwa staatspolitisch als ungefährlicher erwiesen hätte als die denkbar leidenschaftlichste Wahldemagogie14. Hier soll indes lediglich die Folge der tatsächlichen Bedeutung der Demagogie für die Struktur der politischen Führerstellen erörtert, also die Frage aufgeworfen werden, wie sich infolgedessen Demokratie und Parlamentarismus zueinander verhalten. Die Bedeutung der aktiven Massendemokratisierung ist, daß der politische Führer nicht mehr auf Grund der Anerkennung seiner Bewährung im Kreise einer Honoratiorenschicht zum Kandidaten proklamiert, dann kraft seines Hervortretens im Parlament zum Führer wird, sondern daß er das Vertrauen und den Glauben der Massen an sich und also seine Macht mit massendemagogischen Mitteln gewinnt.

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Dem Wesen der Sache nach bedeutet dies eine cäsaristische Wendung der Führerauslese. Und in der Tat neigt jede Demokratie dazu. Das spezifisch cäsaristische Mittel ist: das Plebiszit. Es ist keine gewöhnliche „Abstimmung“ oder „Wahl“, sondern die Bekennung eines „Glaubens“ an den Führerberuf dessen, der für sich diese Akklamation in Anspruch nimmt. Entweder der Führer kommt auf militaristischem Wege in die Höhe: als Militärdiktator wie Napoleon I., der sich seine Stellung durch Plebiszit bestätigen läßt. Oder auf bürgerlichem Wege: durch plebiszitäre Bestätigung des Herrschaftsanspruchs eines nichtmilitärischen Politikers wie Napoleon  III., der sich das Heer fügt. Beide Wege der Führerauslese leben mit dem parlamentarischen Prinzip ganz ebenso in Spannung wie (selbstverständlich) mit dem erbmonarchischen Legitimismus. Jede Art von direkter Volkswahl des höchsten Gewaltträgers, darüber hinaus aber jede Art von politischer Machtstellung, welche auf der Tatsache des Vertrauens der Massen, nicht: der Parlamente, beruht – auch die Machtstellung eines kriegerischen Volkshelden –, liegt auf dem Wege zu jenen „reinen“ Formen cäsaristischer Akklamation. Insbesondere natürlich die durch (formell) „demokratische“ Nomination und Wahl legitimierte Machtstellung des Präsidenten der Vereinigten Staaten, dessen Überlegenheit gegenüber dem Parlament eben hierauf beruht. Die Hoffnungen, welche eine so cäsarische Gestalt wie Bismarck an das gleiche Wahlrecht knüpfte, und die Art seiner antiparlamentarischen Demagogie lagen, nur in ihrer Formulierung und Phrase den nun einmal legitimistischen Bedingungen seiner Ministerstellung angepaßt, in der gleichen Richtung. Wie der Erblegitimismus der Monarchien gegen diese cäsaristischen Gewalten reagiert, zeigte die Art von Bismarcks Scheiden aus dem Amt. Jede parlamentarische Demokratie sucht auch ihrerseits die der Parlamentsmacht gefährlichen plebiszitären Methoden der Führerwahl geflissentlich auszuschalten, wie dies namentlich die französische Verfassung und das französische Wahlrecht (Wiederabschaffung der Listenwahl wegen der boulangistischen Gefahr15) getan haben. Sie bezahlten dies freilich mit jenem Mangel an Autorität der höchsten Gewalten bei der Masse, welcher für Frankreich typisch ist und so charakteristisch gegen die Machtstellung des amerikanischen Präsidenten absticht. In demokratisierten Erbmonarchien andererseits ist das cäsaristisch-plebiszitäre Moment stets stark temperiert16. Aber es fehlt nicht. Die Stellung des englischen Premierministers [im Kriege] ruhte der Sache nach durchaus nicht auf dem Vertrauen des Parlaments und seiner Parteien, sondern auf dem

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der Massen im Lande und des kämpfenden Heeres. Das Parlament aber fügt sich (innerlich widerwillig genug) der Lage. Der Gegensatz zwischen plebiszitärer und parlamentarischer Auslese der Führer besteht also. Aber: die Existenz des Parlaments ist deshalb nicht etwa wertlos. Denn gegenüber dem (der Sache nach) cäsaristischen Vertrauensmann der Massen gewährleistet sie in England 1. die Stetigkeit und 2. die Kontrolliertheit seiner Machtstellung, 3. die Erhaltung der bürgerlichen Rechtsgarantien gegen ihn, 4. eine geordnete Form der politischen Bewährung der um das Vertrauen der Massen werbenden Politiker innerhalb der Parlamentsarbeit und 5. eine friedliche Form der Ausschaltung des cäsaristischen Diktators, wenn er das Massen-Vertrauen verloren hat. Aber, daß gerade die großen Entscheidungen der Politik, auch und gerade in der Demokratie, von einzelnen gemacht werden, dieser unvermeidliche Umstand bedingt es, daß die Massendemokratie ihre positiven Erfolge seit den Zeiten des Perikles stets erkauft durch starke Konzessionen an das cäsaristische Prinzip der Führerauslese. In den amerikanischen großen Kommunen z. B. ist die Korruption nur durch plebiszitäre Munizipaldiktatoren, welchen das Vertrauen der Massen das Recht einräumte, sich selbst ihre Verwaltungskomitees zusammenzusetzen, gebändigt worden. Und überall haben massendemokratische Parteien, wenn sie sich vor große Aufgaben gestellt sahen, sich Führern, welche das Vertrauen der Massen besaßen, mehr oder minder bedingungslos unterordnen müssen. Welche Bedeutung angesichts dieses Umstandes in einer Massendemokratie dem Parlament zukommt, wurde an dem Beispiel Englands schon erläutert. Es gibt aber nicht nur gefühlsehrliche „Sozialisten“, sondern auch gefühlsehrliche „Demokraten“, welche das parlamentarische Getriebe derart hassen, daß sie „parlamentlosen Sozialismus“ oder „parlamentlose Demokratie“ auf ihre Fahne schreiben. „Widerlegen“ lassen sich übermächtige Gefühlsantipathien natürlich nicht. Nur muß man sich klarmachen, was sie, in ihre praktischen Konsequenzen getrieben, bedeuten würden. Und zwar unter den Bedingungen einer monarchischen Staatsordnung17. Was würde innerhalb dieser Verfassung mit ihrer obrigkeitlichen Beamtenmacht eine Demokratie ohne allen Parlamentarismus darstellen? Eine solche lediglich passive Demokratisierung wäre eine gänzlich reine Form der wohlbekannten kontrollfreien Beamtenherrschaft, die sich „monarchisches Regiment“ nennen würde. Oder, wenn in Verbindung gesetzt mit der von diesen „Sozia-

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listen“ erhofften Organisation der Wirtschaft, ein modernes rationales Gegenbild des antiken „Leiturgiestaates“. Durch die Staatsbürokratie legitimierte und (angeblich) kontrollierte Interessentenverbände wären aktiv die Träger der Syndikats-Selbstverwaltung und passiv Träger der staatlichen Lasten. Die Beamten würden dann durch diese syndizierten Erwerbs- und Profit-Interessenten, aber weder durch den dazu gar nicht fähigen Monarchen, noch durch die vertretungslosen Staatsbürger kontrolliert werden. Sehen wir uns diese Zukunftsperspektive etwas näher an18. Eine Ausschaltung des privatwirtschaftlichen Unternehmers würde ihre Durchführung für alle absehbare Zukunft, auch bei weitgehenden „Verstaatlichungen“, nicht bedeuten. Sondern eine Organisation von Groß- und Kleinkapitalisten, besitzlosen Kleinproduzenten und Lohnarbeitern, mit irgendwie reglementierter und – die Hauptsache – monopolistisch garantierter Erwerbschance für jede Kategorie. „Sozialismus“ wäre das etwa im gleichen Sinn, wie es der Staat des altägyptischen „Neuen Reiches“ war. „Demokratie“ wäre es nur dann, wenn Sorge getragen würde, daß für die Art der Leitung dieser syndizierten Wirtschaft der Wille der Masse ausschlaggebend ist. Wie dies ohne eine deren Macht sichernde, die Syndikate ständig kontrollierende Vertretung: ein demokratisiertes Parlament also, welches in die sachlichen und personalen Verhältnisse dieser Verwaltung eingriffe, geschehen könnte, ist nicht abzusehen. Ohne eine Volksvertretung des jetzigen Typus wäre von der syndizierten Wirtschaft die Entwicklung zu einer zünftigen Politik der gesicherten Nahrung, also zur stationären Wirtschaft und zur Ausschaltung des ökonomischen Rationalisierungsinteresses, zu erwarten. Denn überall ist dieses Interesse an der zünftigen Nahrungsgarantie für die kapitallosen und kapitalschwachen Erwerbsinteressenten ausschlaggebend gewesen, sobald sie einmal monopolistisch organisiert waren. Dies mag nun als „demokratisches“ oder „sozialistisches“ Zukunftsideal ansehen, wer will19. Aber es gehört ein ganz leichtfertiger Dilettantismus dazu, eine solche Kartellierung der Profit- und Lohninteressen mit dem jetzt so oft vertretenen Ideal zu verwechseln, daß in Zukunft die Richtung der Gütererzeugung dem Bedarf und nicht, wie jetzt, dem Profitinteresse angepaßt sein solle, wie es immer wieder geschieht. Denn für die Realisierung dieses letzten Ideals wäre ja ganz offenbar gerade nicht ein Ausgehen von der Syndizierung und Monopolisierung der Erwerbsinteressen, sondern das genau Umgekehrte: ein Ausgehen von der Orga-

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nisation der Verbraucherinteressen der Weg. Die Zukunftsorganisation dürfte dann nicht nach Art staatlich organisierter Zwangskartelle, Zwangsinnungen, Zwangsgewerkschaften, sondern müßte nach Art einer riesenhaften, staatlich organisierten Zwangskonsumgenossenschaft erfolgen, welche dann ihrerseits die Richtung der Produktion der Nachfrage entsprechend zu bestimmen hätte, so wie es Konsumvereine vereinzelt schon jetzt (durch Eigenproduktion) versuchen. Wie dabei die „demokratischen“ Interessen, also diejenigen der Masse der Verbraucher, anders garantiert werden sollten als durch ein Parlament, welches auch die Gütererzeugung fortlaufend maßgeblich kontrollierte, ist wiederum nicht abzusehen. – Im Ernst ist die wirklich völlige Beseitigung der Parlamente noch von keinem noch so sehr gegen ihre heutige Gestalt eingenommenen Demokraten verlangt worden. Als die Instanz zur Erzwingung der Verwaltungsöffentlichkeit, der Budgetfeststellung und endlich der Beratung und Verabschiedung von Gesetzentwürfen – Funktionen, in denen sie in der Tat in jeder Demokratie unersetzlich sind – will man sie wohl allseitig bestehen lassen. Die Opposition gegen sie, soweit sie ehrlich demokratisch und nicht, wie in aller Regel, eine unehrliche Verhüllung bürokratischer Machtinteressen ist, wünscht vielmehr im wesentlichen wohl zweierlei: 1. daß nicht die Parlamentsbeschlüsse, sondern die obligatorische Volksabstimmung für die Schaffung von Gesetzen maßgeblich sein sollen, – 2. daß nicht das parlamentarische System bestehen, die Parlamente also nicht Auslesestätte für die leitenden Politiker und ihr Vertrauen oder Mißtrauen nicht entscheidend sein sollen für deren Verbleiben im Amt. Dies ist nun bekanntlich in der amerikanischen Demokratie geltendes Recht. Es folgt dort teils aus der Volkswahl des Staatsoberhauptes und anderer Beamter, teils aus dem sogenannten Prinzip der „Gewaltenteilung“. Die Erfahrungen der amerikanischen Demokratie lehren aber mit hinlänglicher Klarheit, daß diese Art der Beseitigung des Parlamentarismus ebenfalls, gegenüber dem parlamentarischen System, nicht die mindeste Gewähr für eine sachlichere und unbestechlichere Verwaltung bietet; das gerade Gegenteil ist der Fall. Zwar hat man mit der Volkswahl des Staatsoberhauptes im großen Durchschnitt keine schlechten Erfahrungen gemacht. Jedenfalls ist in den letzten Jahrzehnten die Zahl der wirklich ungeeigneten Präsidenten zum mindesten nicht größer gewesen als in den Erbmonarchien die Zahl der ungeeigneten Monarchen. Dagegen sind die Amerikaner

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selbst mit dem Prinzip der Volkswahl der Beamten im großen und ganzen nur in sehr begrenztem Umfang zufrieden. Nicht nur beseitigt es, wenn man es sich verallgemeinert denkt, das, was die bürokratische Maschinerie technisch auszeichnet: die Amtsdisziplin. Sondern es gewährt gerade bei massenhafter Anwendung in einem modernen Großstaat auch keine Garantie für die Qualität der Beamten. Es legt die Auslese der Amtskandidaten im Gegensatz zum parlamentarischen System in die Hände unsichtbarer und der Öffentlichkeit gegenüber, im Vergleich mit einer parlamentarischen Partei und ihrem Führer, in hohem Grade unverantwortlicher Cliquen, welche die Kandidaten den fachlich ungeschulten Wählern präsentieren: bei Verwaltungsbeamten mit dem Erfordernis technischer Fachqualifikation ein höchst ungeeigneter Weg der Besetzung. Gerade für die modernsten Verwaltungsbedürfnisse, aber auch im Richteramt, funktionieren in Amerika notorisch die vom gewählten Staatsoberhaupt ernannten fachgeschulten Beamten technisch und in bezug auf ihre Unbestechlichkeit unvergleichlich besser. Auslese von Fachbeamten und Auslese politischer Führer sind eben zweierlei. – Dagegen hat das Mißtrauen gegen die machtlosen und deshalb so korrupten Parlamente in amerikanischen Einzelstaaten zur Erweiterung der direkten Volksgesetzgebung geführt. Die Volksabstimmung hat als Mittel sowohl der Wahl wie der Gesetzgebung innere Schranken, die aus ihrer technischen Eigenart folgen. Sie antwortet nur mit „Ja“ oder „Nein“20. Nirgends ist ihr in Massenstaaten die wichtigste Funktion des Parlaments: die Feststellung des Budgets, zugewiesen. Aber auch das Zustandekommen aller solcher Gesetze, welche auf einem Ausgleich widerstreitender Interessen beruhen, würde sie in einem großen Massenstaat in der bedenklichsten Weise obstruieren. Denn die entgegengesetztesten Gründe können ein „Nein“ bedingen, wenn kein Mittel besteht, vorhandene Interessengegensätze auf dem Boden der Verhandlung auszugleichen. Das Referendum kennt eben nicht: den Kompromiß, auf welchem in jedem Massenstaat mit starken regionalen, sozialen, konfessionellen und anderen Gegensätzen der inneren Struktur unvermeidlich die Mehrzahl aller Gesetze beruht. Wie bei Volksabstimmungen Steuergesetze anderer Art als etwa progressive Einkommens- und Vermögenskonfiskationen und „Verstaatlichungen“ in einem Massenstaat mit starken Klassengegensätzen überhaupt zur Annahme gelangen sollten, ist nicht abzusehen. Nun würde einem Sozialisten gerade diese Konsequenz vielleicht nicht

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schreckhaft erscheinen. Nur ist kein Beispiel bekannt – auch nicht in Amerika und sogar nicht unter den sehr günstigen Bedingungen der Schweizer Kantone mit ihrer, kraft alter Tradition, sachlich denkenden und politisch geschulten Bevölkerung –, daß ein unter dem Druck des Referendums stehender Staatsapparat solche oft nominell sehr hohen, teilweise konfiskatorischen, Vermögenssteuern auch effektiv durchgeführt hätte. Und die plebiszitären Prinzipien schwächen das Eigengewicht der Parteiführer und die Verantwortlichkeit der Beamten. Eine Desavouierung der leitenden Beamten durch eine ihre Vorschläge ablehnende Volksabstimmung hat nicht, wie in parlamentarischen Staaten ein Mißtrauensvotum, ihren Rücktritt zur Folge, und kann diese Folge auch gar nicht haben. Denn das negative Votum läßt seine Gründe nicht erkennen und belastet die negativ abstimmende Masse nicht, wie eine gegen die Regierung stimmende parlamentarische Parteimehrheit, mit der Pflicht, nun ihrerseits die desavouierten Beamten durch ihre eigenen verantwortlichen Führer zu ersetzen. Je mehr vollends die eigene Wirtschaftsregie der staatlichen Bürokratie wüchse, desto fataler würde sich der Mangel eines selbständigen Kontrollorgans fühlbar machen, welches, wie die Parlamente es tun, von den allmächtigen Beamten öffentlich Rede und Antwort verlangt und sie zur Rechenschaft zu ziehen die Macht hat. Als Mittel sowohl der Auslese von Fachbeamten wie der Kritik ihrer Leistung sind im Massenstaat die spezifischen Mittel der rein plebiszitären Demokratie: die unmittelbaren Volkswahlen und -abstimmungen und vollends das Absetzungs-Referendum, durchaus ungeeignet. Und wenn schon für den Parteibetrieb der parlamentarischen Wahlen die Bedeutung des Geldes der Interessenten keine kleine ist, so würde seine Macht und die Stoßkraft der von ihm gestützten demagogischen Apparate unter den Verhältnissen eines Massenstaates bei ausschließlicher Herrschaft von Volkswahlen und Volksabstimmungen ins Kolossale anwachsen. Die obligatorische Volkswahl und Volksabstimmung bildet freilich den radikalen Gegenpol zu dem oft beklagten Zustand, daß der Staatsbürger im parlamentarischen Staat politisch nichts anderes leiste, als daß er alle paar Jahre einen ihm von den Parteiorganisationen vorgedruckt gelieferten Wahlzettel in eine Urne stecke. Man hat gefragt, ob dies ein Mittel politischer Erziehung sei. Das ist es zweifellos nur unter den früher erörterten Bedingungen einer Verwaltungsöffentlichkeit und Verwaltungskontrolle, welche die Staatsbürger an die ständige Ver-

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folgung der Art gewöhnt, wie ihre Angelegenheiten verwaltet werden. Die obligatorische Volksabstimmung aber ruft den Staatsbürger unter Umständen in wenigen Monaten Dutzende von Malen an die Abstimmungsurne über Gesetze. Und die obligatorische Volkswahl erlegt ihm die Abstimmung über lange Listen ihm persönlich vollkommen unbekannter, von ihm in ihrer fachlichen Qualifikation nicht zu beurteilender Amtskandidaten auf. Nun ist das Fehlen der Fachqualifikation (die ja auch der Monarch nicht besitzt) an sich gewiß kein Argument gegen die demokratische Auslese der Beamten. Denn man braucht sicherlich selbst kein Schuster zu sein, um zu wissen, ob der Schuh drückt, den der Schuster hergestellt hat. Allein nicht nur die Gefahr der Abstumpfung, sondern auch die Gefahr der Irreleitung hinsichtlich der Person des wirklich an der Mißverwaltung Schuldigen ist bei der Volkswahl der Fachbeamten übergroß, im Gegensatz zum parlamentarischen System, bei welchem der Wähler sich an die Führer der für die Beamtenbestellung verantwortlichen Partei hält. Und für das Zustandekommen aller technisch komplizierten Gesetze kann gerade die Volksabstimmung das Ergebnis allzu leicht in die Hand kluger, aber verborgener Interessenten legen. In dieser Hinsicht liegen die Bedingungen in europäischen Ländern mit entwickeltem Fachbeamtentum wesentlich anders als in Amerika, wo man die Volksabstimmung als einzige Korrektur gegen die Korruption der dort unvermeidlich subalternen Legislaturen bewertet. Gegen die Anwendung der Volksabstimmung als ultima ratio in geeigneten Fällen ist damit, trotz der von den Bedingungen der Schweiz abweichenden Verhältnisse der Massenstaaten, nichts gesagt. Aber machtvolle Parlamente macht sie für Großstaaten nicht überflüssig. Als Organ der Beamtenkontrolle und Verwaltungspublizität, als Mittel der Ausschaltung ungeeigneter leitender Beamter, als Stätte der Budgetfeststellung und als Mittel der Herbeiführung von Parteikompromissen ist das Parlament auch in den Wahldemokratien unentbehrlich. Vollends unentbehrlich in Erbmonarchien, da der Erbmonarch weder mit reinen Wahlbeamten arbeiten [kann], noch, wenn er die Beamten ernennt, selbst Partei ergreifen darf, wenn seine spezifische innerpolitische Funktion, bei fehlender Eindeutigkeit der politischen Stimmung und Machtlage eine konfliktlose Lösung zu ermöglichen, nicht kompromittiert werden soll. Neben „cäsaristischen“ Führern aber ist schon infolge des Umstandes, daß es lange Perioden geben kann, in

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welchen einigermaßen allgemein anerkannte Vertrauensmänner der Massen fehlen, die Parlamentsmacht in Erbmonarchien unentbehrlich. Das Nachfolgerproblem ist überall die Achillesferse aller rein cäsaristischen Herrschaft gewesen. Ohne innere Katastrophengefahr vollzieht sich Aufstieg, Ausschaltung und Fortfall eines cäsaristischen Führers am ehesten da, wo die effektive Mitherrschaft machtvoller Vertretungskörperschaften die politische Kontinuität und die staatsrechtlichen Garantien der bürgerlichen Ordnung in ungebrochenem Bestand aufrecht erhält. Der Punkt, welcher den parlamentsfeindlichen Demokraten in Wirklichkeit letztlich Anstoß gibt, ist offenbar der weitgehend voluntaristische Charakter des parteimäßigen Betriebs der Politik und dadurch auch der parlamentarischen Parteimacht selbst. In der Tat stehen sich, wie wir sahen, bei diesem System „aktive“ und „passive“ Teilnehmer am politischen Leben gegenüber. Der politische Betrieb ist Interessentenbetrieb. Unter „Interessenten“ sind dabei nicht jene materiellen Interessenten gemeint, die, in verschieden starkem Maße, bei jeder Form der Staatsordnung die Politik beeinflussen, sondern jene politischen Interessenten, welche politische Macht und Verantwortung zum Zweck der Realisierung bestimmter politischer Gedanken erstreben. Allein eben dieser Interessentenbetrieb ist das Wesentliche der Sache. Denn nicht die politisch passive „Masse“ gebiert aus sich den Führer, sondern der politische Führer wirbt sich die Gefolgschaft und gewinnt durch „Demagogie“ die Masse. Das ist in jeder noch so demokratischen Staatsordnung so. Und daher ist die gerade umgekehrte Frage weit näherliegend: gestatten die Parteien in einer voll entwickelten Massendemokratie überhaupt Führernaturen den Aufstieg? Sind sie imstande, neue Ideen überhaupt zu rezipieren? Sie verfallen der Bürokratisierung ganz ähnlich wie der staatliche Apparat. Ganz neue Parteien mit dem zugehörigen Apparat an Organisation und Presseunternehmungen zu schaffen, erfordert heute einen solchen pekuniären und Arbeitsaufwand und ist gegenüber der festen Machtstellung der bestehenden Presse so schwer, daß es praktisch fast nicht in Betracht kommt. Die bestehenden Parteien aber sind stereotypisiert. Ihre Beamtenposten bilden die „Nahrung“ ihrer Inhaber. Ihr Ideenschatz ist weitgehend in Propagandaschriften und in der Parteipresse festgelegt. Materielle Interessen der beteiligten Verleger und Autoren stellen sich der Entwertung diese Schriftwerks durch Umformung der Ideen in den

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Weg. Und vollends wünscht der Berufspolitiker, der von der Partei leben muß, den „ideellen“ Besitz an Gedanken und Schlagworten: sein geistiges Handwerkszeug nicht entwertet zu sehen. Daher vollzieht sich die Rezeption neuer Ideen durch die Parteien nur da verhältnismäßig schnell, wo gänzlich gesinnungslose reine Amtspatronageparteien, wie in Amerika, für jede Wahl diejenigen „Planken“ neu in ihre „Plattformen“ einfügen, von denen sie sich jeweils bei der Stimmenwerbung Zugkraft versprechen. Noch schwieriger scheint das Hochkommen neuer Führer. An der Spitze der deutschen Parteien erblickt man seit langen Zeiten dieselben, meist persönlich höchst achtungswerten, aber ebensooft weder geistig noch durch starkes politisches Temperament hervorragenden Leiter. Von dem zünftlerischen Ressentiment gegen neue Männer war schon die Rede: es liegt in der Natur der Dinge. Auch hier liegen die Verhältnisse gerade in solchen Parteien, wie es die amerikanischen sind, teilweise anders. In hohem Grade stabil sind dort die Machthaber innerhalb der Parteien: die Bosse. Sie erstreben nur Macht, nicht Ehre oder Verantwortung. Und gerade im Interesse der Erhaltung ihrer Machtstellung setzen sie sich nicht den Peripetien einer eigenen Kandidatur aus, bei der ihre politischen Praktiken öffentlich erörtert würden und daher ihre Person die Chancen der Partei kompromittieren könnte. Als Kandidaten präsentieren sie daher nicht selten, wenn auch nicht immer gern, „neue Männer“. Gern dann, wenn sie in ihrem Sinne „verläßlich“ sind. Ungern, aber notgedrungen, dann, wenn sie in irgendeiner Art durch ihre „Neuheit“, durch irgendeine spezifische notorische Leistung also, derart zugkräftig sind, daß im Interesse des Wahlsieges ihre Aufstellung erforderlich erscheint. Diese durch die Bedingungen der Volkswahl geschaffenen Verhältnisse sind auf Deutschland ganz unübertragbar und auch schwerlich wünschenswert. Ebenso unübertragbar sind die französischen und italienischen Zustände, welche sich dadurch auszeichnen, daß eine von Zeit zu Zeit durch Neulinge ergänzte, aber ziemlich begrenzte Zahl „ministrabler“ politischer Persönlichkeiten in stets anderer Zusammenstellung in den leitenden Stellen wechselt: eine Folge der dortigen Parteienstruktur. Die englischen Verhältnisse dagegen weichen davon stark ab. Es zeigt sich, daß innerhalb der Parlamentslaufbahn und auch innerhalb der durch das Caucussystem straff organisierten Parteien dort politische Temperamente und Führernaturen in genügender Zahl aufgetreten sind und hochkommen. Einerseits eröffnet die Parlamentslaufbahn dem politischen Ehrgeiz und dem Macht- und Verantwortungswillen die reich-

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sten Chancen, und andererseits sind die Parteien infolge des „cäsaristischen“ Zuges der Massendemokratie gezwungen, sich wirklichen politischen Temperamenten und Begabungen als Führern zu fügen, sobald diese sich imstande zeigen, das Vertrauen der Massen zu gewinnen. Die Chance, daß Führernaturen an die Spitze gelangen, ist eben, wie sich immer wieder zeigt, Funktion der Machtchancen der Parteien. Weder der cäsaristische Charakter und die Massendemagogie noch die Bürokratisierung und Stereotypierung der Parteien sind jedenfalls als solche ein starres Hindernis für den Aufstieg von Führern. Gerade straff organisierte Parteien, welche sich wirklich in der Staatsmacht behaupten wollen, müssen sich den Vertrauensmännern der Massen, wenn sie Führernaturen sind, unterordnen, während die lockere Gefolgschaft des französischen Parlaments bekanntlich die recht eigentliche Heimat der reinen Parlamentsintrigen ist. Die feste Organisation der Parteien und vor allem der Zwang für den Massenführer, in der konventionell fest geregelten Teilnahme an den Komiteearbeiten des Parlaments sich zu schulen und sich dort zu bewähren, bietet andererseits ein immerhin starkes Maß von Gewähr dafür, daß diese cäsaristischen Vertrauensleute der Massen sich den festen Rechtsformen des Staatslebens einfügen und daß sie nicht rein emotional, also lediglich nach den im üblen Sinn des Worts „demagogischen“ Qualitäten, ausgelesen werden. Gerade unter den heutigen Bedingungen der Führerauslese sind ein starkes Parlament, verantwortliche Parlamentsparteien, und das heißt: deren Funktion als Stätte der Auslese und Bewährung der Massenführer als Staatsleiter, Grundbedingungen stetiger Politik. Denn die staatspolitische Gefahr der Massendemokratie liegt in allererster Linie in der Möglichkeit starken Vorwiegens emotionaler Elemente in der Politik. Die „Masse“ als solche (einerlei, welche sozialen Schichten sie im Einzelfall zusammensetzen) „denkt nur bis übermorgen“. Denn sie ist, wie jede Erfahrung lehrt, stets der aktuellen rein emotionalen und irrationalen Beeinflussung ausgesetzt. (Sie teilt das übrigens wiederum mit der modernen „selbstregierenden“ Monarchie, welche ganz die gleichen Erscheinungen zeigt.) Der kühle und klare Kopf – und erfolgreiche Politik, gerade auch erfolgreiche demokratische Politik, wird nun einmal mit dem Kopf gemacht – herrscht bei verantwortlichen Entschlüssen um so mehr: 1. je kleiner die Zahl der an der Erwägung Beteiligten ist, – 2. je eindeutiger die Verantwortlichkeiten jedem einzelnen von ihnen selbst und den von ihnen Geleite-

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Staatssoziologie

ten vor Augen stehen. Die Überlegenheit des amerikanischen Senats über das Repräsentantenhaus z. B. ist ganz wesentlich Funktion der kleineren Zahl der Senatoren; die besten politischen Leistungen des englischen Parlaments sind Produkte eindeutiger Verantwortlichkeit. Wo diese versagt, versagt auch die Leistung der Parteiherrschaft, wie jede andere. Und auf dem gleichen Grund beruht die staatspolitische Zweckmäßigkeit des Parteibetriebs durch fest organisierte politische Interessentengruppen. Staatspolitisch völlig irrational ist andererseits die unorganisierte „Masse“: die Demokratie der Straße. Sie ist am mächtigsten in Ländern mit einem entweder machtlosen oder mit einem politisch diskreditierten Parlament, und das heißt vor allem: beim Fehlen rational organisierter Parteien. In Deutschland sind, abgesehen von dem Fehlen der romanischen Kaffeehauskultur und von der größeren Ruhe des Temperaments, Organisationen wie die Gewerkschaften, aber auch wie die sozialdemokratische Partei ein sehr wichtiges Gegengewicht gegen die für rein plebiszitäre Völker typische aktuelle und irrationale Straßenherrschaft21. Gegen Putsche, Sabotage und ähnliche Ausbrüche, wie sie in allen Ländern – in Deutschland seltener als anderwärts – vorkommen, würde jede, auch die demokratischste und sozialistischste, Regierung das Ausnahmerecht anwenden müssen, wenn sie nicht Konsequenzen, wie [sie seinerzeit] in Rußland [eingetreten sind], riskieren will. Aber: die stolzen Traditionen politisch reifer und der Feigheit unzugänglicher Völker haben sich dann immer und überall darin bewährt, daß sie ihren kühlen Kopf behielten, zwar die Gewalt durch Gewalt niederschlugen, dann jedoch rein sachlich die in dem Ausbruch sich äußernden Spannungen zu lösen suchten, vor allem aber sofort die Garantien der freiheitlichen Ordnung22 wieder herstellten und in der Art ihrer politischen Entschließungen sich überhaupt durch derartiges nicht beirren ließen23.

Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft Herrschaft, d. h. die Chance, Gehorsam für einen bestimmten Befehl zu finden, kann auf verschiedenen Motiven der Fügsamkeit beruhen: Sie kann rein durch Interessenlage, also durch zweckrationale Erwägungen von Vorteilen und Nachteilen seitens des Gehorchenden, bedingt sein. Oder andererseits durch bloße „Sitte“, die dumpfe Gewöhnung an das eingelebte Handeln; oder sie kann rein affektuell, durch bloße persönliche Neigung des Beherrschten, begründet sein. Eine Herrschaft, welche nur auf solchen Grundlagen ruhte, wäre aber relativ labil. Bei Herrschenden und Beherrschten pflegt vielmehr die Herrschaft durch Rechtsgründe, Gründe ihrer „Legitimität“, innerlich gestützt zu werden, und die Erschütterung dieses Legitimitätsglaubens pflegt weitgehende Folgen zu haben. An „Legitimitätsgründen“ der Herrschaft gibt es, in ganz reiner Form, nur drei, von denen – im reinen Typus – jeder mit einer grundverschiedenen soziologischen Struktur des Verwaltungsstabes und der Verwaltungsmittel verknüpft ist. I. Legale Herrschaft kraft Satzung. Reinster Typus ist die bürokratische Herrschaft. Grundvorstellung ist: daß durch formal korrekt gewillkürte Satzung beliebiges Recht geschaffen und [bestehendes beliebig] abgeändert werden könne. Der Herrschaftsverband ist entweder gewählt oder bestellt, er selbst und alle seine Teile sind Betriebe. Ein heteronomer und heterokephaler (Teil-)Betrieb soll Behörde heißen. Der Verwaltungsstab besteht aus vom Herrn ernannten Beamten, die Gehorchenden sind Verbands-Mitglieder („Bürger“, „Genossen“). Gehorcht wird nicht der Person, kraft deren Eigenrecht, sondern der gesatzten Regel, die dafür maßgebend ist, wem und inwieweit ihr zu gehorchen ist. Auch der Befehlende selbst gehorcht, indem er einen Befehl erläßt, einer Regel: dem „Gesetz“ oder „Reglement“, einer formal abstrakten Norm. Der Typus des Befehlenden ist der „Vorgesetzte“, dessen Herrschaftsrecht durch gesatzte Regel legitimiert ist, innerhalb einer sachlichen „Kompetenz“, deren Abgrenzung auf Spezialisierung nach sachlicher Zweckmäßigkeit und nach den fachlichen Ansprüchen

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an die Leistung des Beamten beruht. Der Typus des Beamten ist der geschulte Fachbeamte, dessen Dienstverhältnis auf Kontrakt beruht, mit festem, nach dem Rang des Amtes, nicht nach dem Maß der Arbeit abgestuftem Gehalt und Pensionsrecht nach festen Regeln des Avancements. Seine Verwaltung ist Berufsarbeit kraft sachlicher Amtspflicht; ihr Ideal ist, „sine ira et studio“, ohne allen Einfluß persönlicher Motive oder gefühlsmäßiger Einflüsse, frei von Willkür und Unberechenbarkeiten, insbesondere „ohne Ansehen der Person“ streng formalistisch nach rationalen Regeln und – wo diese versagen – nach „sachlichen“ Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu verfügen. Die Gehorsamspflicht ist abgestuft in einer Hierarchie von Ämtern mit Unterordnung der unteren unter die oberen und geregeltem Beschwerdeverfahren. Grundlage des technischen Funktionierens ist: die Betriebsdisziplin. 1. Unter den Typus der „legalen“ Herrschaft fällt natürlich nicht etwa nur die moderne Struktur von Staat und Gemeinde, sondern ebenso das Herrschaftsverhältnis im privaten kapitalistischen Betrieb, in einem Zweckverband oder Verein gleichviel welcher Art, der über einen ausgiebigen hierarchisch gegliederten Verwaltungsstab verfügt. Die modernen politischen Verbände sind nur die hervorragendsten Repräsentanten des Typus. Die Herrschaft im privaten kapitalistischen Betriebe ist zwar teilweise heteronom: die Ordnung ist teilweise staatlich vorgeschrieben, – und bezüglich des Zwangsstabes gänzlich heterokephal: der staatliche Gerichts- und Polizeistab versieht (normalerweise) diese Funktionen, – aber er ist autokephal in seiner zunehmend bürokratischen Verwaltungsorganisation. Daß der Eintritt in den Herrschaftsverband formell freiwillig erfolgt ist, ändert, da die Kündigung ebenso formell „frei“ ist und dies die Beherrschten den Betriebsnormen normalerweise infolge der Bedingungen des Arbeitsmarktes unterwirft, nichts an dem Herrschaftscharakter, dessen soziologische Verwandtschaft mit der modernen staatlichen Herrschaft die Erörterung der ökonomischen Grundlagen der Herrschaft noch deutlicher machen wird. Die Geltung des „Vertrages“ als Basis stempelt den kapitalistischen Betrieb zu einem hervorragenden Typus der „legalen“ Herrschaftsbeziehung. 2. Die Bürokratie ist der technisch reichste Typus der legalen Herrschaft. Aber keine Herrschaft ist nur bürokratisch, d. h. nur durch kontraktlich engagierte und ernannte Beamte geführt. Das ist gar nicht möglich. Die höchsten Spitzen der politischen Verbände sind entwe-

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der „Monarchen“ (erbcharismatische Herrscher, s. u.) oder vom Volke gewählte „Präsidenten“ (also plebiszitär-charismatische Herren, s. u.) oder von einer parlamentarischen Körperschaft gewählt, wo denn deren Mitglieder oder vielmehr die, je nachdem mehr charismatischen oder mehr honoratiorenhaften (s. u.) Führer ihrer vorherrschenden Parteien die tatsächlichen Herren sind. Ebenso ist der Verwaltungsstab fast nirgends wirklich rein bürokratisch, sondern es pflegen in den allermannigfachsten Formen teils Honoratioren, teils Interessenvertreter an der Verwaltung beteiligt zu sein (bei weitem am meisten in der sogenannten Selbstverwaltung). Entscheidend ist aber: daß die kontinuierliche Arbeit überwiegend und zunehmend auf den bürokratischen Kräften ruht. Die ganze Entwicklungsgeschichte des modernen Staates insbesondere ist identisch mit der Geschichte des modernen Beamtentums und bürokratischen Betriebes (s. u.), ebenso wie die ganze Entwicklung des modernen Hochkapitalismus identisch ist mit zunehmender Bürokratisierung der Wirtschaftsbetriebe. Der Anteil der bürokratischen Herrschaftsformen steigt überall. 3. Die Bürokratie ist nicht der einzige Typus legaler Herrschaft. Das Turnus-, Los- und Wahlbeamtentum, die Parlaments- und Komiteeverwaltung und alle Arten kollegialer Herrschafts- und Verwaltungskörper fallen darunter, falls ihre Kompetenz auf gesatzten Regeln beruht und die Ausübung des Herrschaftsrechtes dem Typus legalen Verwaltens entspricht. In der Entstehungszeit des modernen Staates haben kollegiale Körperschaften sehr wesentlich zur Entwicklung der legalen Herrschaftsform beigetragen; und besonders der Begriff der „Behörde“ verdankt ihnen seine Entstehung. Andererseits spielt das Wahlbeamtentum in der Vorgeschichte der modernen Beamtenverwaltung (und auch heute in den Demokratien) eine große Rolle. II. Traditionelle Herrschaft, kraft Glaubens an die Heiligkeit der von jeher vorhandenen Ordnungen und Herrengewalten. Reinster Typus ist die patriarchalische Herrschaft. Der Herrschaftsverband ist Vergemeinschaftung, der Typus des Befehlenden der „Herr“, der Verwaltungsstab „Diener“, die Gehorchenden sind „Untertanen“. Gehorcht wird der Person kraft ihrer durch Herkommen geheiligten Eigenwürde: aus Pietät. Der Inhalt der Befehle ist durch Tradition gebunden, deren rücksichtslose Verletzung seitens des Herrn die Legitimität seiner eigenen, lediglich auf ihrer Heiligkeit ruhenden, Herrschaft selbst gefährden würde. Neues Recht gegenüber den Traditionsnormen zu schaffen, gilt

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als prinzipiell unmöglich. Es geschieht der Tatsache nach im Wege der „Erkenntnis“ eines Satzes als „von jeher geltend“ (durch „Weistum“). Außerhalb der Normen der Tradition dagegen ist der Wille des Herrn nur durch Schranken, welche im Einzelfall das Billigkeitsgefühl zieht, also in äußerst elastischer Art gebunden: seine Herrschaft zerfällt daher in ein streng traditionsgebundenes Gebiet und ein solches der freien Gnade und Willkür, in dem er nach Gefallen, Zuneigung, Abneigung und rein persönlichen, insbesondere auch durch persönliche Gefälligkeiten zu beeinflussenden Gesichtspunkten schaltet. Soweit aber der Verwaltung und Streitschlichtung Prinzipien zugrunde gelegt werden, sind es solche der materialen ethischen Billigkeit, Gerechtigkeit oder utilitaristischen Zweckmäßigkeit, nicht solche formaler Art wie bei der legalen Herrschaft. Ganz ebenso verfährt sein Verwaltungsstab. Dieser besteht aus persönlich Abhängigen (Hausangehörigen oder Hausbeamten) oder aus Verwandten oder persönlichen Freunden (Günstlingen) oder durch persönliches Treuband Verbundenen (Vasallen, Tributärfürsten). Der bürokratische Begriff der „Kompetenz“ als einer sachlich abgegrenzten Zuständigkeitssphäre fehlt. Der Umfang der „legitimen“ Befehlsgewalt der einzelnen Diener richtet sich nach dem Einzelbelieben des Herrn, dem sie auch bezüglich ihrer Verwendung in wichtigeren oder ranghöheren Rollen gänzlich anheimgegeben sind. Tatsächlich richtet sie sich weitgehend darnach: was die Bediensteten gegenüber der Fügsamkeit der Unterworfenen sich gestatten dürfen. Nicht sachliche Amtspflicht und Amtsdisziplin, sondern persönliche Dienertreue beherrscht die Beziehungen des Verwaltungsstabes. Indessen sind in der Art seiner Stellung zwei charakteristisch geschiedene Formen zu beobachten: 1. Die rein patriarchale Struktur der Verwaltung: Die Diener sind in völliger persönlicher Abhängigkeit vom Herrn, entweder rein patrimonial rekrutiert: Sklaven, Hörige, Eunuchen, – oder extrapatrimonial aus [nicht]1 gänzlich rechtlosen Schichten: Günstlinge, Plebejer. Ihre Verwaltung ist völlig heteronom und heterokephal; es besteht keinerlei Eigenrecht der Verwaltenden an ihrem Amt, aber auch keinerlei Fachauslese und keine ständische Ehre des Beamten; die sachlichen Verwaltungsmittel werden gänzlich für den Herrn in dessen eigener Regie bewirtschaftet. Bei der vollkommenen Abhängigkeit des Verwaltungsstabes vom Herrn fehlt jede Garantie gegen Herrenwillkür, deren mögliches Ausmaß daher hier am größten ist. Der reinste Typus ist die

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sultanistische Herrschaft. Alle wirklichen „Despotien“ hatten diesen Charakter, bei welchem die Herrschaft wie ein gewöhnliches Vermögensrecht des Herrn behandelt wird. 2. Die ständische Struktur: Die Diener sind nicht persönliche Diener des Herrn, sondern unabhängige, kraft Eigenstellung als sozial prominent geltende Leute; sie sind durch Privileg oder Konzession des Herrn mit ihrem Amt beliehen (tatsächlich oder der Legitimitätsfiktion nach) oder haben durch Rechtsgeschäft (Kauf, Pfand, Pacht) ein nicht beliebig entziehbares Eigenrecht an dem ihnen appropriierten Amt, ihre Verwaltung ist demgemäß, wenn auch begrenzt, autokephal und autonom, die sachlichen Verwaltungsmittel befinden sich in ihrer Regie, nicht in der des Herrn: ständische Herrschaft. – Die Konkurrenz der Amtsinhaber um den Gewaltsbereich ihrer Ämter (und deren Einnahmen) bedingt dann die gegenseitige Abgrenzung ihrer inhaltlichen Verwaltungsbereiche und steht an der Stelle der „Kompetenz“. Die hierarchische Gliederung ist durch Privileg (de non evocando, non appellando) sehr oft durchbrochen. Die Kategorie der „Disziplin“ fehlt. Tradition, Privileg, feudale oder patrimoniale Treuebeziehungen, ständische Ehre und „guter Wille“ regeln die Gesamtbeziehungen. Die Herrenmacht ist also zwischen dem Herrn und dem appropriierten und privilegierten Verwaltungsstab geteilt, und diese ständische Gewaltenteilung stereotypiert die Art der Verwaltung hochgradig. Die patriarchale Herrschaft (des Familienvaters, Sippenchefs, „Landesvaters“) ist nur der reinste Typus der traditionalen Herrschaft. Jede Art von „Obrigkeit“, die lediglich kraft eingelebter Gewöhnung mit Erfolg legitime Autorität in Anspruch nimmt, gehört der gleichen Kate­ gorie an und stellt nur nicht eine so klare Ausprägung dar. Die durch Erziehung und Gewöhnung eingelebte Pietät in der Beziehung des ­Kindes zum Familienoberhaupt ist der am meisten typische Gegensatz einerseits zur Stellung eines kontraktlich angestellten Arbeiters in einem Betriebe, andererseits zur emotionalen Glaubensbeziehung eines Gemeindemitgliedes zu einem Propheten. Und auch tatsächlich ist der  Hausverband eine Keimzelle traditionaler Herrschaftsbeziehun­ gen. Die typischen „Beamten“ des Patrimonial- und Feudalstaates sind Hausbeamte mit zunächst rein dem Haushalt angehörigen Aufgaben (Truchseß, Kämmerer, Marschall, Schenke, Seneschal, Hausmeier). Das Nebeneinander der streng traditionsgebundenen und der freien Sphäre des Handelns ist allen traditionalen Herrschaftsformen ge-

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meinsam. Innerhalb dieser freien Sphäre muß das Handeln des Herrn oder seines Verwaltungsstabes erkauft oder durch persönliche Beziehungen verdient werden. (Das Gebührenwesen hat darin einen seiner Ursprünge.) Das entscheidend wichtige Fehlen formalen Rechts und statt dessen die Herrschaft materialer Prinzipien in der Verwaltung und Streitschlichtung ist gleichfalls allen traditionalen Herrschaftsformen gemeinsam und hat besonders für die Beziehung zur Wirtschaft weitgehende Konsequenzen. Der Patriarch ebenso wie der patrimoniale Herrscher regiert und entscheidet nach den Prinzipien der „Kadijustiz“: einerseits streng traditional gebunden, soweit diese Bindung aber Freiheit läßt, nach juristisch unformalen und irrationalen Billigkeits- und Gerechtigkeitsgesichtspunkten des Einzelfalles, und zwar auch „unter Ansehung der Person“. Alle Kodifikationen und Gesetze patrimonialer Herrscher atmen den Geist des sogenannten „Wohlfahrtsstaates“: eine Kombination sozialethischer mit sozialutilitaristischen Prinzipien herrscht vor und durchbricht jede formale Strenge des Rechts. Die Scheidung der patriarchalen von der ständischen Struktur2 der traditionalen Herrschaft ist grundlegend für die ganze Staatssoziologie der vorbürokratischen Epoche. (In vollem Umfang verständlich wird der Gegensatz freilich erst in Verbindung mit seiner später zu besprechenden wirtschaftlichen Seite: Trennung des Verwaltungsstabes von den sachlichen Verwaltungsmitteln oder Appropriation der sachli­ chen Verwaltungsmittel durch den Verwaltungsstab.) Die ganze Frage, ob und welche „Stände“ es als Träger ideeller Kulturgüter gab, ist geschichtlich in erster Linie dadurch mitbedingt worden. Die Verwaltung durch patrimonial Abhängige (Sklaven, Hörige), wie sie im vorder­ asiatischen Orient und in Ägypten bis hinab zur Mamelukenzeit sich findet, ist der extremste und scheinbar (nicht immer wirklich) konsequenteste Typus der ganz ständelosen rein patriarchalen Herrschaft. Die Verwaltung durch freie Plebejer steht dem rationalen Beamtentum relativ nahe. Die Verwaltung durch Literaten kann je nach dem Charakter dieser (typischer Gegensatz: Brahmanen einerseits, Mandarinen andererseits, und beiden gegenüber wiederum: buddhistische und christliche Kleriker) sehr verschiedenen Charakter haben, nähert sich aber stets dem ständischen Typus. Dieser wird am eindeutigsten durch Adelsverwaltung repräsentiert, in reinster Form durch den Feudalismus, der das ganz persönliche Treueverhältnis und den Appell an die

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ständische Ehre des mit dem Amt beliehenen Ritters an die Stelle der sachlichen rationalen Amtspflicht setzt. Alle Arten ständischer, auf mehr oder minder fester Appropriation der Verwaltungsmacht ruhender Herrschaft stehen im Verhältnis zum Patriarchalismus insofern der legalen Herrschaft näher, als sie, kraft der Garantien, welche die Zuständigkeiten der Privilegierten umgeben, den Charakter eines besondersartigen „Rechtsgrundes“ haben (Folge der ständischen „Gewaltenteilung“), der den patriarchalischen Gebilden mit ihren völlig der Willkür des Herrn anheimgegebenen Verwaltungen fehlt. Andererseits steht die straffe Disziplin und das fehlende Eigenrecht des Verwaltungsstabes beim Patriarchalismus technisch der Amtsdisziplin der legalen Herrschaft näher als die durch Appropriation zerspaltene und dabei stereotypierte Verwaltung der ständischen Gebilde, und ist die Verwendung von Plebejern (Juristen) im Herrendienst in Europa geradezu der Vorläufer des modernen Staates gewesen. III. Charismatische Herrschaft, kraft affektueller Hingabe an die Person des Herrn und ihre Gnadengaben (Charisma), insbesondere: magische Fähigkeiten, Offenbarungen oder Heldentum, Macht des Geistes und der Rede. Das ewig Neue, Außerwerktägliche, Niedagewesene und die emotionale Hingenommenheit dadurch sind hier Quellen persönlicher Hingebung. Reinste Typen sind die Herrschaft des Propheten, des Kriegshelden, des großen Demagogen. Der Herrschaftsverband ist die Vergemeinschaftung in der Gemeinde oder Gefolgschaft. Der Typus des Befehlenden ist der Führer. Der Typus des Gehorchenden ist der „Jünger“. Ganz ausschließlich dem Führer rein persönlich um seiner persönlichen, unwerktäglichen Qualitäten willen wird gehorcht, nicht wegen gesatzter Stellung oder traditionaler Würde. Daher auch nur, solange ihm diese Qualitäten zugeschrieben werden: sein Charisma sich durch deren Erweise bewährt. Wenn er von seinem Gotte „verlassen“ oder seiner Heldenkraft oder des Glaubens der Massen an seine Führerqualität beraubt ist, fällt seine Herrschaft dahin. Der Verwaltungsstab ist ausgelesen nach Charisma und persönlicher Hingabe: dagegen weder nach Fachqualifikation (wie der Beamte), noch nach Stand (wie der ständische Verwaltungsstab), noch nach Haus- oder anderer persönlicher Abhängigkeit (wie im Gegensatz dazu der patriarchale Verwaltungsstab). Es fehlt der rationale Begriff der „Kompetenz“ ebenso wie der ständische des „Privilegs“. Maßgebend für den Umfang der Legitimation des beauftragten Gefolgsmannes oder Jüngers ist le-

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diglich die Sendung des Herrn und seine persönliche charismatische Qualifikation. Der Verwaltung – soweit dieser Name adäquat ist – fehlt jede Orientierung an Regeln, sei es gesatzten, sei es traditionalen. Aktuelle Offenbarung oder aktuelle Schöpfung, Tat und Beispiel, Entscheidung von Fall zu Fall, jedenfalls also – am Maßstab gesatzter Ordnung gemessen – irrational, charakterisiert sie. An Tradition ist sie nicht gebunden: „es steht geschrieben, ich aber sage Euch“ gilt für den Propheten; für den Kriegshelden schwinden die legitimen Ordnungen gegenüber der Neuschaffung kraft der Gewalt des Schwertes, für den Demagogen kraft des von ihm verkündeten und suggerierten revolutionären „Naturrechtes“ dahin. Die genuine Form charismatischer Rechtsweisung und Streitschlichtung ist die Verkündung des Spruches durch den Herrn oder „Weisen“ und seine Anerkennung durch die (Wehr- oder Glaubens-) Gemeinde, welche pflichtmäßig ist, falls ihr nicht eine konkurrierende Weisung eines Anderen mit dem Anspruch auf charismatische Geltung entgegengestellt wird. In diesem Falle liegt ein letztlich nur durch das Vertrauen der Gemeinde zu entscheidender Führerkampf vor, bei dem nur auf einer Seite Recht, auf der anderen sühnepflichtiges Unrecht vorliegen kann. a) Der Typus der charismatischen Herrschaft ist zuerst von R. Sohm in seinem Kirchenrecht3 für die altchristliche Gemeinde – noch ohne die Erkenntnis, daß es sich um einen Typus handele, – glänzend entwickelt, der Ausdruck ist seitdem mehrfach ohne Erkenntnis der Tragweite gebraucht worden. – Die frühe Vergangenheit kennt neben geringen Ansätzen „gesatzter“ Herrschaft, die freilich keineswegs gänzlich fehlen, die Aufteilung der Gesamtheit aller Herrschaftsverhältnisse unter Tradition und Charisma4. Neben dem „Wirtschaftshäuptling“ (Sachem) der Indianer, einer wesentlich traditionalen Figur, steht der charismatische Kriegsfürst (dem deutschen „Herzog“ entsprechend) mit seiner Gefolgschaft. Jagd- und Kriegszüge, die beide einen persönlich mit außerwerktäglichen Qualitäten ausgerüsteten Führer verlangen, sind die weltlichen, die Magie ist die „geistliche“ Stätte des charismatischen Führertums. Seitdem geht mit den Propheten und Kriegsfürsten aller Zeiten die charismatische Herrschaft über Menschen durch die Jahrhunderte. Der charismatische Politiker – „Demagoge“ – ist Produkt des okzidentalen Stadtstaates. Im Stadtstaat Jerusalem trat er nur im religiösen Gewande, als Prophet auf, die Verfassung von Athen dagegen war seit den Neuerungen des Perikles und Ephialtes völlig auf seine Existenz

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zugeschnitten, ohne welche die Staatsmaschine keinen Augenblick funktionieren würde. b) Die charismatische Autorität ruht auf dem „Glauben“ an den Propheten, der „Anerkennung“, die der charismatische Kriegsheld, der Held der Straße oder der Demagoge persönlich findet, und fällt mit ihm dahin. Gleichwohl leitet sie ihre Autorität nicht etwa aus dieser Anerkennung durch die Beherrschten ab. Sondern umgekehrt: Glaube und Anerkennung gelten als Pflicht, deren Erfüllung der charismatisch Legitimierte für sich fordert, deren Verletzung er ahndet. Die charismatische Autorität ist zwar eine der großen revolutionären Mächte der Geschichte, aber sie ist in ihrer ganz reinen Form durchaus autoritären, herrschaftlichen Charakters. c) Es versteht sich, daß der Ausdruck „Charisma“ hier in einem gänzlich wertfreien Sinn gebraucht wird. Der manische Wutanfall des nordischen „Berserkers“, die Mirakel und Offenbarungen irgendeiner Winkelprophetie, die demagogischen Gaben des Kleon sind der Soziologie genau so gut „Charisma“ wie die Qualitäten eines Napoleon, Jesus, Perikles. Denn für uns entscheidend ist nur, ob sie als Charisma galten und wirkten, d. h. Anerkennung fanden. Dafür ist „Bewährung“ die Grundvoraussetzung: durch Wunder, Erfolge, Wohlergehen der Gefolgschaft oder der Untertanen muß sich der charismatische Herr als „von Gottes Gnaden“ bewähren. Nur solange gilt er dafür, als er das kann. Ist ihm Erfolg versagt, so wankt seine Herrschaft. Dieser charismatische Begriff des „Gottesgnadentums“ hatte da, wo er bestand, entscheidende Konsequenzen. Der chinesische Monarch war in seiner Stellung bedroht, sobald Dürre, Überschwemmung, Mißerfolg im Felde oder andere Unfälle es fraglich erscheinen ließen, ob er in der Gnade des Himmels stehe. Öffentliche Selbstanklage und Buße, bei hartnäckigem Unheil: Absetzung und eventuell Opferung, drohten ihm. Die Beglaubigung durch Wunder verlangte man von jedem Propheten (noch Luther von den Zwickauern). Der Bestand auch bei weitem der meisten, ihrem Grundcharakter nach legalen Herrschaftsverhältnisse ruht, soweit bei ihrer Stabilität der Legitimitätsglauben mitspricht, auf gemischten Grundlagen. Traditionale Eingewöhnung und „Prestige“ (Charisma) rücken mit dem – letztlich ebenfalls eingelebten – Glauben an die Bedeutung der formalen Legalität zusammen: die Erschütterung eines von ihnen durch gegenüber der Tradition ungewohnte Anforderungen an die Beherrschten, außer-

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gewöhnliches, das Prestige vernichtendes Mißgeschick oder Verletzung der üblichen formalen legalen Korrektheit erschüttert den Legitimitätsglauben in gleichem Maße. Bei allen Herrschaftsverhältnissen aber ist für den kontinuierlichen Bestand der tatsächlichen Fügsamkeit der Beherrschten höchst entscheidend vor allem die Tatsache der Existenz des Verwaltungsstabes und seines kontinuierlichen, auf Durchführung der Ordnungen und (direkte oder indirekte) Erzwingung der Unterwerfung unter die Herrschaft gerichteten Handelns. Die Sicherung dieses die Herrschaft realisierenden Handelns ist das, was man mit dem Ausdruck „Organisation“ meint. Für die hiernach so überaus wichtige Herrenloyalität des Verwaltungsstabes selbst wiederum ist dessen Interessensolidarität mit dem Herrn – ideell sowohl wie materiell – ausschlaggebend. Für die Beziehungen des Herrn zum Verwaltungsstab gilt im allgemeinen der Satz: daß in der Regel der Herr, kraft der Vereinzelung der Zugehörigen des Stabes und der Solidarität jedes Mitgliedes mit ihm, jedem widerstrebenden Einzelnen gegenüber der Stärkere ist, allen zusammen gegenüber aber jedenfalls dann der Schwächere, wenn sie sich – wie zahlreiche Stabskategorien der Vergangenheit und Gegenwart gelegentlich taten – vergesellschaften. Es bedarf aber einer planvollen Vereinbarung der Glieder des Verwaltungsstabes, um durch Obstruktion oder bewußte Gegenaktion die Einwirkung des Herrn auf das Verbandshandeln und hiermit seine Herrschaft lahmzulegen. Und ebenso bedarf es der Schaffung eines eigenen Verwaltungsstabes. d) Die charismatische Herrschaft ist eine spezifisch außeralltägliche und rein persönliche soziale Beziehung. Bei kontinuierlichem Bestand, spätestens aber mit dem Wegfall des persönlichen Charismaträgers, hat das Herrschaftsverhältnis – in letzterem Fall dann, wenn es nicht zugleich erlischt, sondern in irgendeiner Art fortbesteht, und also die Autorität des Herrn auf Nachfolger übergeht, – die Tendenz, sich zu veralltäglichen: 1. durch Traditionalisierung der Ordnungen. An Stelle der kontinuierlichen charismatischen Neuschöpfung im Recht und Verwaltungsbefehl durch den Charismaträger oder charismatisch qualifizierten Verwaltungsstab tritt die Autorität der Präjudizien und Präzedenzien, die sie schufen oder die ihnen zugeschrieben werden; 2. durch Übergang des charismatischen Verwaltungsstabes: der Jüngerschaft oder Gefolgschaft, in einen legalen oder ständischen Stab durch Übernahme von internen oder von durch Privileg appropriierten Herrschaftsrechten (Lehen, Pfründe); 3. durch Umbildung des Sinnes des

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Charisma selbst. Dafür ist maßgebend die Art der Lösung der aus ideellen wie (sehr oft vor allem) materiellen Gründen brennenden Frage des Nachfolgeproblems. Diese ist in verschiedener Art möglich: das bloße passive Abwarten des Auftretens eines neuen charismatisch beglaubigten oder qualifizierten Herrn pflegt, zumal wenn sein Erscheinen auf sich warten läßt und starke Interessen, gleichviel welcher Art, mit der Fortdauer des Herrschaftsverbandes verknüpft sind, durch aktives Handeln für seine Gewinnung ersetzt zu werden. a) Durch Aufsuchung nach Merkmalen der charismatischen Qualifikation. Ein ziemlich reiner Typus: das Suchen des neuen Dalai Lama. Der streng persönliche, außeralltägliche Charakter des Charisma wandelt sich dadurch in eine nach Regeln feststellbare Qualität. b) Durch Orakel, Los oder andere Techniken der Bezeichnung. Der Glaube an die Person des charismatisch Qualifizierten wandelt sich dadurch zum Glauben an die betreffende Technik. c) Durch Bezeichnung des charismatisch Qualifizierten: 1. Durch den Charismaträger selbst: Nachfolgerdesignation, eine sehr häufige Form, sowohl bei Propheten wie bei Kriegsfürsten. Der Glaube an die Eigenlegitimität des Charisma wandelt sich dadurch in den Glauben an den legitimen Erwerb der Herrschaft kraft rechtlicher und göttlicher Designation. 2. Durch die charismatisch qualifizierte Jüngerschaft oder Gefolgschaft unter Hinzutritt der Anerkennung seitens der religiösen resp. militärischen Gemeinde. Die Auffassung als „Wahl“- bzw. „Vorwahl“Recht für dieses Verfahren ist sekundär. Dieser moderne Begriff ist ganz fernzuhalten. Es handelt sich der ursprünglichen Idee nach nicht um eine „Abstimmung“ über Wahlkandidaten, zwischen denen freie Auswahl besteht, sondern um Feststellung und Anerkennung des „richtigen“, des als charismatisch qualifiziert zur Nachfolge berufenen Herrn. Eine „falsche“ Wahl war daher ein zu sühnendes Unrecht. Das eigentliche Postulat war: daß es möglich sein müßte, Einstimmigkeit zu erzielen, das Gegenteil Irrung und Schwäche sei. In jedem Falle galt alsdann der Glaube nicht mehr der Person rein als solcher, sondern der „richtig“ und „gültig“ bezeichneten (und evtl. inthronisierten) oder sonst in die Macht nach Art eines Besitzobjekts eingewiesenen Person des Herrn.

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3. Durch „Erbcharisma“ in der Vorstellung, daß die charismatische Qualifikation im Blute liege. Der an sich naheliegende Gedanke ist zunächst der eines „Erbrechts“ an der Herrschaft. Dieser Gedanke ist nur im Okzident im Mittelalter herrschend geworden. Sehr oft haftet das Charisma nur an der Sippe und es muß der neue aktuelle Träger erst besonders festgestellt werden: nach einer der unter a) bis c) erwähnten Regeln und Methoden. Wo bezüglich der Person feste Regeln bestehen, sind diese nicht einheitlich. Nur im mittelalterlichen Okzident und in Japan ist durchweg ganz eindeutig das „Primogeniturerbrecht“ an der Krone durchgedrungen, sehr zur Erhöhung der Stabilität der dortigen Herrschaft, da alle anderen Formen zu internen Konflikten Anlaß geben. Der Glaube gilt dann nicht mehr der Person rein als solcher, sondern dem „legitimen“ Erben der Dynastie: Der rein aktuelle und außeralltägliche Charakter des Charisma ist sehr stark traditionalisierend umgewandelt und auch der Begriff des „Gottesgnadentums“ in seinem Sinne völlig verändert (= Herr zu eigenem vollen Recht, nicht kraft durch die Beherrschten anerkanntem persönlichen Charisma). Von persönlichen Qualitäten ist der Herrenanspruch dann völlig unabhängig. 4. Durch rituelle Versachlichung des Charisma: Der Glaube, daß es eine durch eine bestimmte Art von Hierurgie: Salbung, Händeauflegung oder andere sakramentale Akte, übertragbare oder erzeugbare magische Qualität sei. Der Glaube gilt dann nicht mehr der Person des Charismaträgers – von deren Qualitäten der Herrschaftsanspruch vielmehr (wie besonders klar durch das katholische Prinzip des character indelebilis des Priesters durchgeführt ist) völlig unabhängig ist –, sondern der Wirksamkeit des betreffenden sakramentalen Aktes. 5. Das seinem primären Sinn nach autoritär gedeutete charismatische Legitimitätsprinzip kann antiautoritär umgedeutet werden. Die tatsächliche Geltung der charismatischen Herrschaft ruht auf der Anerkennung der konkreten Person als der charismatisch qualifizierten und bewährten durch die Beherrschten. Nach der genuinen Auffassung des Charisma wird diese Anerkennung dem legitimen, weil qualifizierten Prätendenten geschuldet. Dieses Verhältnis kann indessen leicht dahin umgedeutet werden: daß die freie Anerkennung durch die Beherrschten ihrerseits die Voraussetzung der Legitimität und ihre Grundlage

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sei („demokratische Legitimität“). Dann wird die Anerkennung zur „Wahl“ und der kraft eigenem Charisma legitimierte Herr zu einem Gewalthaber von Gnaden der Beherrschten und kraft Mandats. Sowohl die Designation durch die Gefolgschaft, wie die Akklamation durch die (militärische oder religiöse) Gemeinde, wie das Plebiszit haben geschichtlich oft den Charakter einer durch Abstimmung vollzogenen Wahl angenommen und dadurch den seinen charismatischen Ansprüchen gemäß gekorenen Herrn zu einem von den Beherrschten rein nach ihrem Belieben gewählten Beamten gemacht. Ebenso entwickelt sich der charismatische Grundsatz: daß eine charismatische Rechtsweisung der Gemeinde (Wehrgemeinde oder religiöse Gemeinde) verkündet und von ihr anerkannt werden müsse, und so die vorhandene Möglichkeit: daß verschiedene und entgegengesetzte Weisungen konkurrieren und dann durch charismatische Mittel, letztlich durch Bekenntnis der Gemeinde zur richtigen Weisung, die Entscheidung getroffen wird, leicht zu der – legalen – Vorstellung: daß die Beherrschten über das geltensollende Recht durch Willenskundgebung frei bestimmen und daß die Zählung der Stimmen das dafür legitime Mittel sei (Majoritätsprinzip). Der Unterschied zwischen einem gewählten Führer und einem gewählten Beamten bleibt dann lediglich ein solcher des Sinnes, den der Gewählte selbst seinem Verhalten gibt und – nach seinen persönlichen Qualitäten – gegenüber dem Stab und den Beherrschten zu geben vermag: der Beamte wird sich gänzlich als Mandatar seines Herrn, hier also der Wähler, der Führer als ausschließlich eigenverantwortlich verhalten: dieser wird also, solange er ihr Vertrauen mit Erfolg in Anspruch nimmt, durchaus nach eigenem Ermessen handeln (Führer-Demokratie) und nicht, wie der Beamte, gemäß dem (in einem „imperativen Mandat“) ausgesprochenen oder vermuteten Willen der Wähler.

Erläuterungen Zur Einführung Diese Ausführungen wollen als Beitrag zur Entstehungsgeschichte einer „Staatssoziologie“ (Soziologie des rationalen Anstaltsstaates) im Denken Max Webers als beabsichtigter Schluß seiner großen Soziologie „Wirtschaft und Gesellschaft“ dienen. Die politische Verbandssoziologie der „vorbürokratischen Epoche“ findet sich in den vorhergehenden Abschnitten der „Herrschaftssoziologie“ Max Webers in „Wirtschaft und Gesellschaft“ dargestellt. 1 Marianne Weber, Max Weber – Ein Lebensbild, 1. Aufl. 1926, S. 346, 423 f., 446. 2

Tübingen 1915, S. 8 bis 15.

Es waren dies folgende Themen: Die moderne Staatsordnung und der Kapitalismus; Allgemeine Bedeutung des modernen Nachrichtenwesens; Ökonomische und gesellschaftliche Hemmungen des Kapitalismus; Kapitalismus und Bevölkerungsgruppierung; Ökonomische und soziale Aristokratie im kapitalistischen Zeitalter; Bauernstand und Bauernschutzpolitik; Wesen und gesellschaftliche Lage der Arbeiterklasse. 3

Logos Bd. IV (1913), S. 253 ff. = Ges. Aufs. z. Wissenschaftslehre, 2. Aufl. (1951), S. 427 ff. 4

5

Marianne Weber, Lebensbild1 S. 676.

Titel der ersten Münchener Vorlesung im Sommer 1919 (Marianne Weber, Lebensbild1 S. 671). 6

Logos Bd. VII (1917), S. 40 ff. = Wissenschaftslehre, 2. Aufl., S. 475 ff.

7

Das Nähere s. Wissenschaftslehre, 2. Aufl., Hinweis zu S. 475, A. 1 (S. 616).

8

Grundriß der Sozialökonomik, I. Abt., 1. Aufl., 1914, S. IX.

9

Marianne Weber, Lebensbild1 S. 617: er trug „seine Staatssoziologie“ vor. Das war also ein durchaus feststehender Begriff. 10

11 Erschienen in 1. Aufl. im Oktober 1919; 2. Aufl. 1926; 3. Aufl. 1958 (Nachdruck); 4. Aufl. 1964. 12 Auf Grund von Kollegnachschriften rekonstruiert in Buchform veröffentlicht: s. nachst. Anm. 14.

105. Bd. (1949), S. 368 ff.

13

Erläuterungen

121

Wirtschaftsgeschichte. Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. 1. Aufl. 1923; 2. Aufl. 1924; 3., ergänzte Aufl. 1958. 14

Als Artikelserie geschrieben im Sommer 1917, überarbeitet als Broschüre veröffentlicht im Mai 1918. Max Weber selbst schrieb, er habe die Schrift „in eine mehr akademische Form umgearbeitet“ (Marianne Weber, Lebensbild1 S. 602). Jedenfalls sind die theoretischen Teile geflissentlich aufgenommen worden. 15

Als Vortrag gehalten im Winter 1918/19, im Druck erschienen im Herbst 1919. Siehe oben Anm. 11. 16

So unter wiederholter ausdrücklicher Verwendung des Terminus „Staatssoziologie“: Wirtschaft und Gesellschaft, S. 168. 17

Ebenda, S. 172 Ziff. 4.

18

From Max Weber: Essays in Sociology, ed. by H. H. Gerth and C. Wright Mills. New York 1946; Max Weber, The Theory of Social and Economic Organization, ed. by Talcott Parsons. New York 1947, Neudruck 1950; Max Weber on Law in Economy and Society, ed. by Max Rheinstein. Cambridge/Mass. 1954; The City, ed. by Don Martindale and Gertrud Neuwirth. Glencoe/Ill. 1958; The Rational and Social Foundations of Music, ed. by Don Martindale, Johannes Riedel, and Gertrud Neuwirth. The Southern Illinois University Press, 1958; Basic Concepts in Sociology, ed. by H. P. Secher. Philosophical Library, New York 1962; The Sociology of Religion, ed. by Ephraim Fischoff. Beacon Press, Boston 1963; Methuen & Co., London 1965. 19

Wirtschaft und Gesellschaft, S. 168.

20

Die ausdrückliche Bezugnahme auf die „Staatssoziologie“ – unter Verwendung eben dieses Terminus (Wirtschaft und Gesellschaft, 4. Aufl. S. 554) – betrifft die Scheidung der patriarchalischen von der ständischen Struktur in der vorbürokratischen Epoche in Verbindung mit der Trennung des Verwaltungsstabes von den sachlichen Verwaltungsmitteln, wie denn auch tatsächlich in den Ausführungen der „Staatssoziologie“ (Wirtschaft und Gesellschaft, 4. Aufl. S. 831 f., 833 f.) deren Behandlung einen breiten Raum einnimmt (s. u. im Text S. 33 f., 36 f.). Hier ist also die Verwendung des Terminus unspezifisch. 21

22 Die Darstellung endet nach Maßgabe des vorhandenen Materials auf Seite 97, und man sieht sich unwillkürlich vor die Frage gestellt, wie sie fortgesetzt worden sein würde. Zwar ist Max Weber auf staatstechnische Fragen der Allgemeinen Staatslehre noch einmal in der bedeutsamen Aufsatzfolge „Deutschlands künftige Staatsform“ (Ges. Politische Schriften2, S. 436 ff.) mit ihren heute von neuem aktuellen Fragestellungen und Erörterungen zu sprechen gekommen. Die Ausführungen sind indessen so sehr auf die konkrete Problematik der verfassungsrechtlichen Gestaltung Deutschlands abgestellt, daß sie hier für eine grundsätzliche Darstellung weder der Theorie, noch der Formen der Demokratie herangezogen werden können.

122

Erläuterungen

Anhaltspunkte für die vermutliche Weiterführung der „Staatssoziologie“ erschließen sich durch einen Vergleich der Nachschriften des letzten Kollegs Max Webers mit den Themen derjenigen Vorausverweisungen im Ersten Teil von „Wirtschaft und Gesellschaft“, die durch die bisherige Darstellung im Zweiten Teil daselbst nicht belegt sind, also vom Verfasser für den abschließenden Teil „Staatssoziologie“ vorbehalten wurden. Auf diese Weise zeigt sich, daß die jetzigen sechs Paragraphen des allerletzten Abschnitts in der Tat für eine solche Einreihung vorgesehen waren, und zugleich, wie die mutmaßliche Fortsetzung der „Staatssoziologie“ zu denken wäre. Die getrennten Nachweise durch die Kollegnachschriften und durch die Verweisungen im Ersten Teil von „Wirtschaft und Gesellschaft“ auf spätere Erörterungen ergeben eine volle Übereinstimmung. Die sechs Paragraphen des Schlußabschnitts befinden sich außerdem in Kongruenz mit den Ziff. 8 d und 8 e des von Max Weber selbst veröffentlichten ursprünglichen Plans von „Wirtschaft und Gesellschaft“. Die Durchprüfung des Materials zeitigte im einzelnen die nachstehend in Erl. 23 und 24 dargelegten Ergebnisse. Dem Herausgeber lagen zwei verschiedene Kollegnachschriften der letzten, als „Allgemeine Staatslehre und Politik“ angekündigten, unvollendet gebliebenen Vorlesung Max Webers aus dem Sommersemester 1920 vor, die beiden Niederschriften zufolge tatsächlich unter dem Titel „Staatssoziologie“ gehalten wurde: 23

a) des verstorbenen bayerischen Regierungsdirektors Dr. Erwin Stölzl, b) des Mainzer Professors Dr. Hanns Ficker. Die Aufzeichnungen wurden für die vorliegende Darstellung benutzt. Sie befinden sich jetzt im Archiv des Max-Weber-Instituts der Universität München. Das Kollegheft des Hamburger Bürgermeisters Dr. Kurt Sieveking ist bei der seinerzeitigen Sammelaktion zwecks Prüfung, ob auch diese, auf Grund der Nachschriften der Hörer rekonstruierbare Vorlesung zu veröffentlichen sei (was damals verneint wurde), leider verlorengegangen. Die von Max Weber zu Beginn seiner Vorlesung diktierte Disposition hatte danach folgenden Wortlaut: Staatssoziologie

§ 1. Begriff des Staates. § 2. Die Typen der legitimen Herrschaft. § 3. Stände und Klassen. § 4. Geschlechterstaat und Lehnsstaat. § 5. Patrimonialismus und Fachbeamtentum. § 6. Bürgertum und Stadtstaat, Staat und Nation. § 7. Ständische Gewaltenteilung und ständische Repräsentation.

Erläuterungen

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§ 8. Rationale Gewaltenteilung, Parteien und Parlamentarismus. § 9. Die verschiedenen Arten der Demokratie. Politische Gewalten



§ 10. Politische Gewalt und Selbstverwaltung. § 11. Politische und hierokratische Gewalt. § 12. Politische Gewalt und Heeresgewalt. Staatsform und Wirtschaftsform



§ 13. Politisch orientierter Kapitalismus. § 14. Moderner (rationaler) Staat und rationaler Kapitalismus. § 15. Rätestaat. § 16. Beeinflussung der inneren Struktur durch die Außenpolitik. Von diesem Programm wurden gemäß den Nachschriften tatsächlich vorgetragen: (als Introitus) 14 allgemeine Definitionen zur Soziologie; sodann der soziologische Staatsbegriff, die Typen der legitimen Herrschaft (schließend mit: Typen des Cäsarismus), Kollegialität, Gewaltenteilung, herrschaftsfremde Verwaltung und Repräsentation, die Partei. Nach den ersten beiden Sätzen dieses letzten Paragraphen: Definition und Zweck der Partei, bricht das, was wir über die Vorlesung besitzen, ab. Von den insoweit gemachten und mitgeschriebenen Ausführungen entsprechen: die Eingangs-Definitionen inhaltlich großenteils „Wirtschaft und Gesellschaft“, I. Teil Kap. I; der Staatsbegriff ebd. § 3 Erl. 2, § 5 Erl. 3 („Politik als Beruf “, S. 3 f.); die Herrschaftstypen ebd. Kap. III §§ 1 bis 12a, 13, 14; Kollegialität und Gewaltenteilung ebd. §§ 15, 16; herrschaftsfremde Verwaltung und Repräsentation ebd. §§ 19 bis 21; Partei ebd. § 18. Bereits ausführlich behandelt finden sich in „Wirtschaft und Gesellschaft“ (4. Aufl.) von den Gegenständen der Vorlesung: § 1 (II. Teil Kap. IX, 9. Abschn. § 2); § 2 (I. Teil Kap. III, II. Teil Kap. IX, 2. bis 4. und 6. Abschn.); § 3 (I. Teil Kap. IV, II. Teil Kap. VIII § 6); § 4 (II. Teil Kap. IX, 6. Abschn. § 2, 5. Abschn.); § 5 ­(I­ .­Teil Kap. III §§ 9a, 15a. E., II. Teil Kap. IX, 4. und 5. Abschn.); § 6 (II. Teil Kap. IX, 8. Abschn., Kap. VIII § 5); § 7 (I. Teil Kap. III, II. Teil Kap. IX, 5. und 9. Abschn.); § 8 (II. Teil Kap. IX, 9. Abschn.); § 11 (in allgemeiner Hinsicht: II. Teil Kap. IX, 7. Abschn.); § 13 (nur teilweise: I. Teil Kap. II § 31, Kap. III § 9a, II. Teil Kap. VIII § 4, Kap. IX, 9. Abschn. § 1). Offengeblieben sind demnach für die staatssoziologische Darstellung als Abschluß von „Wirtschaft und Gesellschaft“ die §§ 9 bis 16 der Vorlesung. Um jede Möglichkeit eines Zweifels auszuschließen, betont Max Weber in der 13. Definition der Vorlesung nochmals ausdrücklich, daß in seiner Soziologie

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Erläuterungen

des Staates „Staat“ (im spezifischen Sinn) „ein politischer Verband nur dann heißt, wenn er 1. rationaler Anstaltsbetrieb ist: a)  gesatzte Ordnungen, b)  angestellte Beamte besitzt; 2. das Monopol physischer Gewaltsamkeit (mit Erfolg für sich) in Anspruch nimmt“ [im gleichen Sinn Wirtschaft und Gesellschaft4, S. 30, 519, 644, 685; hierzu vgl. Ernst Kern, Moderner Staat und Staatsbegriff (1949), I. Teil]; in Wirtschaft und Gesellschaft4, S. 832 a. E. kommt noch ein weiteres, sehr entscheidendes definitorisches Kriterium hinzu: 3. die Monopolisierung des Eigentums an den Herrschafts- und Betriebsmitteln durch die Zentralgewalt erreicht hat (s. u. im Text S. 34 f.). 24 Bei den Vorausverweisungen im Ersten Teil von „Wirtschaft und Gesellschaft“, in denjenigen Darlegungen also, die den tatsächlich letzten Ansatz zur abschließenden Gestaltung des Hauptwerkes durch Max Weber darstellen und bei deren Fertigstellung für den Druck ihm mit größter Wahrscheinlichkeit die definitive Stoffanordnung der Gesamtkonzeption vor Augen gestanden hat, handelt es sich im wesentlichen um die folgenden:

1. Seite 116 in Verbindung mit Seite 211: a) das Abgabenwesen im modernen Staat: die Verbindung von Abgabenarten mit Typen von Herrschaftsverhältnissen wird erst weiterhin zu erörtern sein; b) Hinweis auf die später zu erörternde Eigenart der Herrschaftsstrukturen und ihrer Gemeinschaftswirtschaft. 2. Seite 118: von dem Schlußkampf gegen die fürstliche Monopol- und Monopolkonzessionswirtschaft unter den Stuarts wird an seinem Ort zu reden sein. 3. Seite 124: von den materialen Tatbeständen der sog. „Demokratie“ wird später gesondert zu reden sein. 4. Seite 128 in Verbindung mit Seite 594 ff. und 602: über die Vorläufer der modernen bürokratischen Organisation, insbes. auf dem Gebiet des Heerwesens später im einzelnen. 5. Seite 130: a) über Bürokratisierung und Massendemokratie wird eingehender in anderem Zusammenhang gehandelt;

Erläuterungen

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b) die Tendenz zur materialen Rationalität auf seiten der negativ privilegierten Schichten gehört in die Theorie der „Demokratie“. 6. Seite 137: ständische Gewaltenteilung ist voll nur im Okzident entwickelt; über ihre Eigenart und Entstehung ist später gesondert zu sprechen. 7. Seite 139: a) es wird sich zeigen, daß die Entstehung eines fachgeschulten Beamtentums innerhalb des okzidentalen Patrimonialismus durch einzigartige Bedingungen nur hier herbeigeführt ist; b) von der Eigenart der spezifisch okzidentalen städtischen Verbände ist später gesondert zu reden; c) auch darüber, daß die merkantilistischen Monopolindustrien der Stuarts nicht in realer Kontinuität mit der späteren kapitalistischen Entwicklung standen, später gesondert. 8. Seite 140 in Verbindung mit Seite 139: auf die beispiellose Eigenart der Sonderentwicklung der Patrimonialstaaten als Vorläufer des rationalen Staates wird näher gesondert einzugehen sein. 9. Seite 148: über die Ökonomik von Revolutionen ist gesondert zu reden. 10. Seite 151: Sieg des Fürsten über feudale und ständische Gewalten, historisch gegebene Bedingungskonstellationen dafür im Okzident, Bündnis zwischen rationaler Verwaltung und Kapitalismus sind später näher darzulegen. 11. Seite 155: a) auf die spätere Erörterung derjenigen Schichten, auf die sich der Fürst im Kampf gegen die Träger ständischer Eigenmacht stützte, wird Bezug genommen; b) von der rätestaatlichen Struktur und den geschichtlichen Analogien ihres Wirksamwerdens s. später; c) es wird wiederholt auf das künftige Kapitel über die Theorie der Umwälzungen verwiesen. 12. Seite 158 in Verbindung mit Seite 157: alle Einzelheiten über plebiszitäre Demokratie und soziale Diktatur gehören in die Sonderdarstellung. 13.  Seite 164: a) Entwicklung der bürokratischen Herrschaft in Massenstaaten zur Monokratie: prominente Stellung des leaders, Premiers sind s. Zt. zu erörtern;

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Erläuterungen b) Erörterung der entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung kollegialer Beratungskörperschaften an anderem Ort.

14. Seite 167 in Verbindung mit Seite 166: Einzelheiten über Aufhebung der Gewaltenteilung durch Räterepublik, Kommuneherrschaft usw. gehören in die Spezialerörterungen. 15. Seite 168: die Darstellung des modernen Parteiwesens, der Parteiorganisation und Parteifinanzierung erfolgt in der Staatssoziologie. 16. Seite 174 in Verbindung mit Seite 173: a) die verschiedenen Arten der Demokratie, die konstitutionelle im Unterschied von der parlamentarischen Monarchie, die Amtspatronage und die Entwicklung der Parlaments- und Kabinettsherrschaft in England sind später zu erörtern; b) über die Bürokratisierung der Parteien und den wesentlich plebiszitären Charakter des modernen Parteiwesens ist gesondert zu reden. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß in „Wirtschaft und Gesellschaft“ (4. Aufl.) noch an einer so späten Stelle wie auf Seite 646 gesagt wird, daß den Gründen für die Entwicklung von Ständestaat und Bürokratie allein im Okzident erst später nachgegangen werden soll. Von den in der voranstehenden Übersicht angeführten Themen sind in „Wirtschaft und Gesellschaft“ (4 . Aufl.) bereits abgehandelt:   2 II. Teil Kap. IX, 9. Abschn. § 1 a. E.   5a Wirtschaft und Gesellschaft, S. 575 f.; II. Teil Kap. IX, 9. Abschn.   5b teilweise bereits Wirtschaft und Gesellschaft, S. 573 f.   6 Wirtschaft und Gesellschaft, S. 644 f.; II. Teil Kap. IX, 9. Abschn.   7a II. Teil Kap. IX, 9. Abschn.   7b II. Teil Kap. IX, 8. und 9. Abschn.   7c II. Teil Kap. IX, 9. Abschn. § 1.   8 II. Teil Kap. IX, 2., 5. und 9. Abschn. 10 II. Teil Kap. IX, 9. Abschn. 11a ebenda. 12 über plebiszitäre Demokratie z. T. ebenda. 13 ebenda. 15 ebenda. 16 mit Ausnahme der Arten der Demokratie (und Monarchie) ebenda.

Erläuterungen

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Unerledigt und für eine abschließende Darstellung in „Wirtschaft und Gesellschaft“ offengelassen sind demzufolge nur die Gegenstände: Arten der Demokratie, Abgaben- und Heerwesen im modernen Staat, die Beziehungen von Staats- und Wirtschaftsstruktur, die politischen Umwälzungen und die Tendenzen zur Umbildung der kapitalistischen Wirtschaftsform, soziale Diktatur, Rätestaat. Diese Zusammenstellung befindet sich in einer auffallenden Übereinstimmung mit den §§ 9 bis 15 der Disposition der staatssoziologischen Vorlesung Max Webers (s. vorst. Erl. 23). Faßt man das Ergebnis des im voraufgehenden (Erl. 23 und 24) Vorgetragenen zusammen, so fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, wie der fehlende Schluß der „Staatssoziologie“ und damit der Abschluß von „Wirtschaft und Gesellschaft“ aus Max Webers Hand ausgefallen sein würde. Sehr wahrscheinlicherweise hätte sich dafür folgendes Bild ergeben: § 7. Formen der Demokratie. § 8. Rationale Staatsgewalt und Selbstverwaltung. § 9. Der Rationalismus des modernen Staates und sein Verhältnis zu den kirchlichen Gewalten. § 10. Politische Gewalt und Heeresgewalt. § 11. Das Abgabenwesen im modernen Staat. § 12. Staatsform und Wirtschaftsform. § 13. Die politischen Umwälzungen. § 14. Der Rätestaat. § 15. Innere Staats- und Wirtschaftsstruktur und auswärtige Politik. Die Anlage der Vorlesung zeigt überzeugend, daß in der „Staatssoziologie“ die Fortführung der soziologischen Analyse dem Gang der historischen Entwicklung nach der Begründung der „einheitlichen Staatsgewalt“ (Gesammelte Politische Schriften2, S. 252) und nach dem Ausgang des Patrimonialismus in Europa mit Einschluß Rußlands folgen und damit über die Darstellung in den bisherigen Abschnitten der „Soziologie der Herrschaft“ hinaus in die Staatenwelt des 19. und 20. Jahrhunderts überleiten sollte – bis zum „Rätestaat“. Der Sinn des Zweiten Teiles von „Wirtschaft und Gesellschaft“ ist es ja, die den soziologischen Kategorien und Strukturen entsprechenden Sachzusammenhänge in der Dynamik ihrer Entfaltung im historisch-soziologischen Prozeß darzustellen. Die soziologische Analyse folgt so dem tatsächlichen Fortgang der geschichtlichen Entwicklung des rationalen „Staates“ bis in die neueste Zeit, der – im Gegensatz zu den ihm zeitlich voraufgehenden Formen des Gemeinwesens und der Herrschaft – erst in seiner modernen, anstaltlich-betrieblichen Ausprägung diese Bezeichnung in voller begrifflicher Schärfe zuläßt. Diese Schärfe der begrifflichen Entgegensetzung des rationalen „Staates“ zu den vorhergehenden Herrschaftsformen teilt mit Max Weber die Darlegung Ernst Kerns (Moderner Staat und Staatsbegriff, 1949), für den dann die abendländische Entwicklung der Rationa-

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Erläuterungen

lität als gestaltendes Prinzip der Staatsstruktur wie der gesamten menschlichen Lebensordnung in der „formalen Rationalität“ des „totalen Plandaseins“ ihren auf dieser Grundlage nicht mehr überbietbaren Gipfel und im „bolschewistischen Rationalismus“ schließlich „den ungeheuerlichsten Triumph der ratio“ erreicht. Fraglos wäre auch im weiteren Verlauf der Darstellung Max Webers von der „Paradoxie der Geschichte“ die Rede gewesen, jener Verkehrung eines ursprünglichen menschlichen Ideenzieles geradezu ins Gegenteil, hier also von der Möglichkeit der Verkehrung des Rationalismus der Freiheit und also der „Vernünftigkeit“ der Freiheitsrechte in den Rationalismus der Unfreiheit, den der Machiavellismus und die „Staatsräson“ der modernen Machtstaaten und deren zugleich latente soziale Kampflage als „Keim“ in sich tragen. „Überall ist das Gehäuse für die neue Hörigkeit fertig“ – diese Feststellung Max Webers aus dem Jahre 1906 (Beilageheft zum XXII. Bd. d. Arch. f. Sozialwiss. u. Sozialpol., S. 347) hätte gewiß Gelegenheit zu neuerlicher darstellerischer Konkretisierung gefunden. Auch die Dialektik des „Umschlagens“ der materialen in die formale Rationalität mit ihren möglichen Folgen wäre sicherlich, wie es Max Weber an anderen Stellen tat, erneut in diesem Zusammenhang zur Sprache gekommen, ebenso wie das discite moniti: daß die freiheitlich gesonnene Menschheit aufgerufen sei, durch die Art der Sinnorientiertheit ihres Handelns sich ein mögliches Dasein in Freiheit zu bewahren und nicht sich unter einem „bürokratischen Zentralismus“ (a. a. O. S. 350) „wie eine Viehherde verwalten“ zu lassen (Gesammelte Politischen Schriften2, S. 279). Den Abschluß sollte offenbar der Gedanke bilden, daß der Lebenswille der Nationen auch in der noch so rationalisierten Staatenwelt der neuesten Zeit in deren Außenpolitik zum Ausdruck komme und daß diese Außenpolitik der Staaten die erheblichsten Rückwirkungen auch auf die innere Staats- und Gesellschaftsstruktur zu zeitigen pflege. Daß diese immanenten Konsequenzen der auswärtigen (außenwirtschaftlichen wie außenpolitischen) Lage auch für einen irgendwie „staatssozialistisch“ orientierten politischen Verband keinerlei prinzipielle Änderung erfahren würden, hatte Max Weber schon in Wirtschaft und Gesellschaft4, S. 526 auseinandergesetzt. Bezüglich des Gegen-, Neben- und Miteinander von Staatsanstalt (Regierung und Beamtenstaat) und Staatsvolk (im Parlament repräsentierte Aktivbürgerschaft) siehe insbesondere Gesammelte Politische Schriften2, S. 198, 213  f., 277 f., 279, 308, 327 f., 348, 461. 25

Wirtschaft und Gesellschaft, 4. Aufl., S. 126 f., 154, 552, 671.

26

Wirtschaft und Gesellschaft, 4. Aufl., S. 30, 519, 644, 685, 830.

27

Ebenda, S. 552 (s. u. im Text S. 109).

28

Wirtschaft und Gesellschaft4, S. 864; s. u. im Text S. 78. So schon Georg Jellinek in seiner Allgemeinen Staatslehre (2. Aufl. 1905, S. 552 ff., 570 f.; zu vgl. 3. Aufl., 6. Neudruck 1959, S. 545, 548, 566 ff., 585). 29

Erläuterungen

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Es war Max Webers ideeller Antipode Heinrich v. Treitschke, der zuvor den Deutschen einzuschärfen suchte: „Uns Deutschen ist heilsam … zu lernen, welcher tätigen Wachsamkeit ein Volk bedarf, um sich zu schützen vor der Alleinherrschaft der Bürokratie, die in allen Lebensgewohnheiten der modernen Gesellschaft eine gewaltige Stütze findet“ (Historische und politische Aufsätze, 6. Aufl. 1903, 2. Bd. S. 384/385; Ausgewählte Schriften, 4. Aufl., 2 Bde., 1907 und 1908, 2. Bd. S. 167). 29a

Entwurf der künftigen Reichsverfassung, hrg. i. Auftrage des Reichsamts des Innern, Berlin (Anfang) 1919: Denkschrift S. 24 ff.; §§ 40, 58, 60 Abs. 2, 61, 63 und (hins. d. Parlamentsausschüsse) § 52. (Zu vgl. Heinr. Triepel, Quellensammlung z. Dt. Reichsstaatsrecht, 5. Aufl. 1931, S. 6 ff., 10 bis 15.) Siehe dazu ferner Max Weber, Gesammelte Politische Schriften2, S. 456 ff., 486 ff., insbes. S. 488 Ziff. 6; wiederholt fordert er für den volksgewählten Präsidenten die Stellung als Chef der Exekutive. 29b

Denkschrift (s. Anm. 29 a), S. 24 Abs. 1. – Ebenso betont Max Weber, daß, angesichts der zunehmenden Begrenzung „der rein politischen Bedeutung des Parlaments als solchen, die(s) unbedingt ein auf dem demokratischen Volkswillen ruhendes Gegengewicht fordert“ (Gesammelte Politische Schriften2, S. 488 Ziff. 4 a. E.). Der Richtigkeit dieser Auffassung Max Webers widerspricht nachdrücklich: Karl Loewenstein, Max Webers staatspolitische Auffassungen in der Sicht unserer Zeit (1965), S. 25. Wirtschaft und Gesellschaft4, S. 858; s. u. im Text S. 77 f.

30

Wirtschaft und Gesellschaft4, S. 865; s. u. im Text S. 88.

31

Gesammelte Politische Schriften2, S. 487/88; s. u. Erl. 10 zu § 6 (S. 148).

32

33 Vgl. Zum Problem des modernen Staates: Johannes Winckelmann, Gesellschaft und Staat in der verstehenden Soziologie Max Webers (1957), S. 38 ff. 34 Vgl. hierzu Dieter Henrich, Die Einheit der Wissenschaftslehre Max Webers (1952), S. 131.

Es ist klar, daß die verantwortungsethische, freiheitlich gerichtete Vernünftigkeit (Sachergriffenheit, Verantwortungsbewußtsein, Augenmaß: s. „Politik als Beruf “, 1. Aufl. S. 49  f.; 2. Aufl. S. 51  f.; Gesammelte Politische Schriften2, S. 533 f.) nicht mit der wertneutralen soziologischen Kategorie der „Rationalität“ gleichzusetzen ist. Der Rationalisierungsprozeß rein als solcher könnte nach Durchlaufen der verschiedensten Stadien seiner Entfaltung, die keineswegs mit den Peripetien der Freiheitsverwirklichung identisch zu sein brauchen, noch es tatsächlich sind, durchaus zum Grabe der Freiheit werden, wenn nicht die vom Freiheitsprinzip bestimmte menschliche und mitmenschliche Vernünftigkeit es vermöchte, „der Freiheit eine Gasse“ offenzuhalten.

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Erläuterungen

Über die Bedeutung der Vernünftigkeit, Menschlichkeit und Freiheitlichkeit als Konstituentien der griechischen Polis und zugleich als aktuale Verwirklichung im stadtbürgerlichen Lebensvollzug in der Lehre des Aristoteles siehe den ausgezeichneten Aufsatz von Joachim Ritter, Das bürgerliche Leben (zur aristotelischen Theorie der Eudaimonía: Vierteljahrsschrift f. wissenschaftl. Pädagogik, 32. Jg. 1956, S. 60 bis 94); Voraussetzung, Kriterium und Aktualität der rechten Verfassung, wie des Einzelnen, so auch des Gemeinwesens, ist danach die polis-bürgerliche Tugend: Tüchtigkeit, Verantwortlichkeit und Besonnenheit (ebenda, S. 78 ff.). Vgl. hierzu neuerdings: Joachim Ritter, Zur Grundlegung d. prakt. Philosophie bei Aristoteles (Arch. f. Rechts- u. Sozialphil., XLVI 1960, S. 179 bis 199). Die Probleme der Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit behandeln u.  a.: Karl Löwith, Das Individuum i. d. Rolle des Mitmenschen (1928; Nachdruck 1962); Alfr. Weber, Der dritte oder der vierte Mensch. Vom Sinn d. geschichtl. Daseins (1953); O. Fr. Bollnow, D. Forderung d. Menschlichkeit (1961); Karl Barth, Mensch u. Mitmensch (1962); Leop. v. Wiese, D. Mensch als Mitmensch (1964). 35 Die letzten Formulierungen Max Webers zur soziologischen Struktur des rationalen „Anstaltsstaates“ finden sich in dem noch von ihm selbst zum Druck gegebenen begriffstypologischen Teil von „Wirtschaft und Gesellschaft“ (S. 29/30):

„Politischer Verband soll ein Herrschaftsverband dann und insoweit heißen, als sein Bestand und die Geltung seiner Ordnungen innerhalb eines angebbaren geographischen Gebiets kontinuierlich durch Anwendung und Androhung physischen Zwangs seitens des Verwaltungsstabes garantiert werden. Staat soll ein politischer Anstaltsbetrieb heißen, wenn und insoweit sein Verwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimen physischen Zwanges für die Durchführung der Ordnungen in Anspruch nimmt. – „Politisch orientiert“ soll ein soziales Handeln, insbesondere auch ein Verbandshandeln, dann und insoweit heißen, als es die Beeinflussung der Leitung eines politischen Verbandes, insbesondere die Appropriation oder Expropriation oder Neuverteilung oder Zuweisung von Regierungsgewalten, bezweckt. 1. Für politische Verbände ist selbstverständlich die Gewaltsamkeit weder das einzige, noch auch nur das normale Verwaltungsmittel. Ihre Leiter haben sich vielmehr aller überhaupt möglichen Mittel für die Durchsetzung ihrer Zwecke bedient. Aber ihre Androhung und, eventuell, Anwendung ist allerdings ihr spezifisches Mittel und überall die ultima ratio, wenn andere Mittel versagen. Nicht nur politische Verbände haben Gewaltsamkeit als legitimes Mittel verwendet und verwenden sie, sondern ebenso: Sippe, Haus, Einungen, im Mittelalter unter Umständen: alle Waffenberechtigten. Den politischen Verband kennzeichnet neben dem Umstand: daß die Gewaltsamkeit (mindestens auch) zur Garantie von Ordnungen angewendet wird, das Merkmal: daß er die Herrschaft seines

Erläuterungen

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Verwaltungsstabes und seiner Ordnungen für ein Gebiet in Anspruch nimmt und gewaltsam garantiert. Wo immer für Verbände, welche Gewaltsamkeit anwenden, jenes Merkmal zutrifft – seien es Dorfgemeinden oder selbst einzelne Hausgemeinschaften oder Verbände von Zünften oder von Arbeiterverbänden (Räten) – müssen sie insoweit politische Verbände heißen. 2. Es ist nicht möglich, einen politischen Verband – auch nicht: den „Staat“ – durch Angeben des Zweckes seines Verbandshandelns zu definieren. Von der Nahrungsfürsorge bis zur Kunstprotektion hat es keinen Zweck gegeben, den politische Verbände nicht gelegentlich, von der persönlichen Sicherheitsgarantie bis zur Rechtsprechung keinen, den alle politischen Verbände verfolgt hätten. Man kann daher den politischen Charakter eines Verbandes nur durch das – unter Umständen zum Selbstzweck gesteigerte – Mittel definieren, welches nicht ihm allein eigen, aber allerdings spezifisch und für sein Wesen unentbehrlich ist: die Gewaltsamkeit. Dem Sprachgebrauch entspricht dies nicht ganz; aber er ist ohne Präzisierung unbrauchbar. Man spricht von „Devisenpolitik“ der Reichsbank, von der „Finanzpolitik“ einer Vereinsleitung, von der „Schulpolitik“ einer Gemeinde und meint damit die planvolle Behandlung und Führung einer bestimmten sachlichen Angelegenheit. In wesentlich charakteristischerer Art scheidet man die „politische“ Seite oder Tragweite einer Angelegenheit, oder den „politischen“ Beamten, die „politische“ Zeitung, die „politische“ Revolution, den politischen „Verein“, die „politische“ Partei, die „politische“ Folge von anderen: wirtschaftlichen, kulturlichen, religiösen usw. Seiten oder Arten der betreffenden Personen, Sachen, Vorgänge, – und meint damit alles das, was mit den Herrschaftsverhältnissen innerhalb des (nach unserem Sprachgebrauch:) „politischen“ Verbandes: des Staats, zu tun hat, deren Aufrechterhaltung, Verschiebung, Umsturz herbeiführen oder hindern oder fördern kann, im Gegensatz zu Personen, Sachen, Vorgängen, die damit nichts zu schaffen haben. Es wird also auch in diesem Sprachgebrauch das Gemeinsame in dem Mittel „Herrschaft“: in der Art nämlich, wie eben staatliche Gewalten sie ausüben, unter Ausschaltung des Zwecks, dem die Herrschaft dient, gesucht. Daher läßt sich behaupten, daß die hier zugrunde gelegte Definition nur eine Präzision des Sprachgebrauchs enthält, indem sie das tatsächlich Spezifische: die Gewaltsamkeit (aktuelle oder eventuelle) scharf betont. Der Sprachgebrauch nennt freilich „politische Verbände“ nicht nur die Träger der als legitim geltenden Gewaltsamkeit selbst, sondern z. B. auch Parteien und Klubs, welche die (auch: ausgesprochen nicht gewaltsame) Beeinflussung des politischen Verbandshandelns bezwecken. Wir wollen diese Art des sozialen Handelns als „politisch orientiert“ von dem eigentlich „politischen“ Handeln (dem Verbandshandeln der politischen Verbände selbst) scheiden. 3. Den Staatsbegriff empfiehlt es sich, da er in seiner Vollentwicklung durchaus modern ist, auch seinem modernen Typus entsprechend – aber wiederum: unter Abstraktion von den, wie wir ja gerade jetzt [scil. 1919] erleben, wandel-

132

Erläuterungen

baren inhaltlichen Zwecken – zu definieren. Dem heutigen Staat formal charakteristisch ist: eine Verwaltungs- und Rechtsordnung, welche durch Satzungen abänderbar ist, an der der Betrieb des Verbandshandelns des (gleichfalls durch Satzung geordneten) Verwaltungsstabes sich orientiert und welche Geltung beansprucht nicht nur für die – im wesentlichen durch Geburt in den Verband hineingelangenden – Verbandsgenossen, sondern in weitem Umfang für alles auf dem beherrschten Gebiet stattfindende Handeln (also gebietsanstaltsmäßig). Ferner aber: daß es „legitime“ Gewaltsamkeit heute nur noch insoweit gibt, als die staatliche Ordnung sie zuläßt oder vorschreibt (z. B. dem Hausvater das „Züchtigungsrecht“ beläßt, einen Rest einstmaliger eigenlegitimer, bis zur Verfügung über Tod und Leben des Kindes oder Sklaven gehender Gewaltsamkeit des Hausherrn). Dieser Monopolcharakter der staatlichen Gewaltherrschaft ist ebenso wesentliches Merkmal ihrer Gegenwartslage wie ihr rationaler „Anstalts“- und kontinuierlicher „Betriebs“-Charakter.«“ – Die Anwendung des spezifischen modernen „Staats“-Begriffs auf die vorrationalen Formen des politischen Verbands- und Gemeinwesens lehnt Max Weber mit Bestimmtheit ab (s. Wirtschaft und Gesellschaft4, S. 30 [Erl. 3], 519, 644, 685). Vgl. auch Gesammelte Politische Schriften2, S. 252: „Von einem ‚Staat‘ im modernen Sinn war da überhaupt noch keine Rede.“ Staatssoziologie Soziologie der rationalen Staatsanstalt und der modernen politischen Parteien und Parlamente Diese systematische Darstellung wurde aus Schriften und Nachschriften der letzten drei Lebensjahre Max Webers rekonstruiert und als Schlußabschnitt der „Soziologie der Herrschaft“ in Max Webers Grundriß der verstehenden Soziologie „Wirtschaft und Gesellschaft“ (4. Auflage, 1956, II. Teil Kap. IX, letzter Abschnitt) angefügt. Sie stellt somit in der vorliegenden Gestalt keine Originalarbeit Max Webers dar. Zu § 1. Die Entstehung des rationalen Staates 1 Unveränderter Abdruck aus Max Webers gleichfalls posthum rekonstruierter „Wirtschaftsgeschichte. Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ (1. Aufl. 1923; 2. Aufl. 1924; 3., erg. Aufl. 1958), Viertes Kapitel, § 8, S. 289 bis 300.

Dieser Absatz: Einschaltung aus „Wirtschaftsgeschichte“, S. 288/89, § 7 a. E. – Vgl. „Wirtschaft und Gesellschaft“, S. 96. 2

Vgl. dazu Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, S. 276 ff. und die dort angegebene Literatur. (Orig. Anm.) 3

Erläuterungen

133

Georg v. Below, Die Ursachen der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland, 1905. (Orig. Anm.) 4

4a

Hierzu s. Max Weber, „Wirtschaftsgeschichte“, S. 204; Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, S. 297 Anm. 2. 5 Dieser und der folgende Absatz: Einschaltung aus „Wirtschaftsgeschichte“, S. 287/88. 6 Vgl. U. Wilcken, Papyruskunde I, 1, S. 169 ff., 329 ff.; Ders., Alexander der Große und die hellenistische Wirtschaft, Schmollers Jahrbuch XLV (1921). (Orig. Anm.) – S. ferner Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, S. 276 [Hdwb. d. Staatswiss., 3. Aufl. I. Bd., S. 181]. 7 Vgl. zu diesem Absatz Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, S. 271 ff., insbes. S. 275 ff.; ferner S. 301 bis 308.

7a Siehe jedoch hierzu Friedr. Lütge, Reich u. Wirtschaft. Zur Reichsgewerbe- u. Reichshandelspolitik im 15. – 18. Jahrhundert (Gesellschaft f. Westf. Wirtschaftsgesch., Heft 8, 1961).

Hinsichtl. d. Reichssteuern vgl. ferner Karl Zeumer, Zur Geschichte der Reichssteuern i. früh. Mittelalter (Hist. Ztschr., Bd. 81, 1898, Neudruck 1955). 8 Vgl. A. Braunholz, Das deutsche Reichszollwesen während der Regierung der Hohenstaufen und des Interregnums, 1890. (Orig. Anm.)

Vgl. Max Weber, „Wirtschaftsgeschichte“, S. 193. (Orig. Anm.)

9

Vgl. E. Leser, Art. Merkantilsystem im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 3. Aufl., Bd. VI, S. 650 ff., und die einschlägigen Artikel („Balance of trade“ usw.) bei R. H. J. Palgrave, Dictionary of political economy, 3 Bde., London 1895, ferner Ad. Smith, An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations, 1776, 4. Buch; G. Schmoller, Das Merkantilsystem in seiner historischen Bedeutung, Jahrb. f. Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft VIII (1884), S. 15 ff. (abgedruckt in: Umrisse u. Untersuchungen zur Verfassungs-, Verwaltungs- u. Wirtschaftsgesch. pp. [1898], S. 1 ff.); W. Sombart, Der Bourgeois, München und Leipzig 1913 (3. Aufl. 1923); K. Haebler, Die wirtschaftliche Blüte Spaniens im 16. Jahrhundert und ihr Verfall, Berlin 1888; W. A. S. Hewins, English trade and finance chiefly in the 17. century, London 1892; P. Clément, Historie du système protecteur en France, Paris 1854; A. P. Usher, History of the grain trade in France 1400 – 1710, Cambridge (Harvard) 1913, S. 223 ff.; N. A. Brisco, The economic policy of Robert Walpole, New York 1907, S. 41 ff. (Orig. Anm.) 10

Vgl. H. Bell, Archbishop Laud and priestly government, London 1907. (Orig. Anm.) 11

Vgl. Hermann Levy, Die Grundlagen des ökonomischen Liberalismus in der Geschichte der englischen Volkswirtschaft, Jena 1912. (Orig. Anm.) 12

134

Erläuterungen

12a

Hierzu s. auch Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 1. Bd. S. 201. 12b

Vgl. Max Weber, Wirtschaftsgeschichte3, S. 232 f., 249 f.

Vgl. S. Bannister, William Paterson [the Merchant-Statesman, and Founder of the Bank of England: His Life and Trials, 1858], 2. Aufl., London 1860. (Orig. Anm.) 13

14 Vgl. A. Prentice, History of the Anti-corn-law league, 2 Bde., London 1853; A. Mongredien, History of the free-trade movement in England, London 1881; J. Morley, Life of Richard Cobden, 3. Aufl., 2 Bde., London 1902; Palgrave, a. a. O. (Orig. Anm.)

Zu § 2 Der rationale Staat als anstaltsmäßiger Herrschaftsverband mit dem Monopol legitimer Gewaltsamkeit Abdruck aus „Politik und Beruf “, S. 3 – 10 (2. Aufl. S. 7 – 13; Gesammelte Politische Schriften2, S.  493 – 499). 1

Zum Begrifflichen s. insbes. „Wirtschaft und Gesellschaft“, S. 29 f. (s. o. Erl. 35 zur Einführung). 2

2a

In s. Vortrag „Politik als Beruf “ hatte Max Weber gleich eingangs ausgeführt: „Was verstehen wir unter Politik? Der Begriff ist außerordentlich weit und umfaßt jede Art selbständig leitender Tätigkeit. Man spricht von der Devisenpolitik der Banken, von der Diskontpolitik der Reichsbank, von der Politik einer Gewerkschaft in einem Streik, man kann sprechen von der Schulpolitik einer Stadt- oder Dorfgemeinde, von der Politik eines Vereinsvorstandes bei dessen Leitung, ja schließlich von der Politik einer klugen Frau, die ihren Mann zu lenken trachtet. Ein derartig weiter Begriff liegt unseren Betrachtungen hier nicht zugrunde. Wir wollen darunter nur verstehen: die Leitung oder die Beeinflussung der Leitung eines politischen Verbandes, heute also: eines Staates.“ (Pol. als Beruf, 1. Aufl. S. 3; 2. Aufl. S. 7; Ges. Pol. Schr.2, S. 493). Die Antwort, die der Text (S. 27/28) gibt, setzt die vorstehend wiedergegebene Fragestellung voraus. Die Fassung letzter Hand für das Problem des Politischen gab Max Weber in der letzten Arbeit, die er selbst zum Druck gab: im § 17 Erl. 2 der „Soziologischen Grundbegriffe“ (Wirtsch. u. Gesellsch., S. 30). Hier wird das spezifisch politische Handeln als Mittel unmittelbar auf Gewaltsamkeit, Ordnungsgarantie und Herrschaft bezogen, während ein soziales Handeln, das die nicht gewaltsame Beeinflussung oder Erringung der Leitung (planvollen Behandlung und Führung) einer sachlichen Angelegenheit zum Inhalt hat, als „politisch orientiert“ bezeichnet wird (vgl. oben den Abdruck in der Erläuterung 35 zur Einführung, S. 130 f.). Dem steht gegenüber die ganz andersartige Auffassung des spezifisch „Politischen“ durch Carl Schmitt als des durch das Merkmal der Unterscheidung von

Erläuterungen

135

Freund und Feind Gekennzeichneten: Der Begriff des Politischen, Arch. f. Soz.wiss. u. Soz.pol., 58. Bd. 1927, S. 1 – 33; Einzelschrift 1932, erw. Neudruck 1963 (Duncker & Humblot). Hierzu vgl. kritisch: Heinz Laufer, D. Kriterium d. polit. Handelns. Zur Freund-Feind-Doktrin Carl Schmitts auf d. Grundlage d. Aristotelischen Theorie, 1962. Zum ganzen s. die Behandlung des Begriffs der Politik im Handb. der Politik, I. Bd., 3. Aufl. 1920, I. Hptst., 1. u. 2. Abschn., und neuerdings die Bestrebungen, den Begriff des Politischen vom spezifisch „Staatlichen“ gänzlich zu lösen (z. B. Roman Schnur, Arch. f. R. u. Soz. Phil., XLII. Bd. 1956, S. 260 ff.). Das hatte schon Max Weber getan, sofern er das Politische als Mittel verstand und dieses auf die Beeinflussung oder die Gewinnung von Macht, Leitung oder Herrschaft schlechthin bezog. Konsequenterweise müßte also eine beabsichtigte Erneuerung des Begriffs des Politischen dieses nicht formal als Mittel, sondern material bezogen auf ein ihm seine gegenständliche Inhaltlichkeit verschaffendes Substrat aufgefaßt werden: Öffentlichkeit, Gemeinwohl oder Ordnung. Aber die Dialektik des Ordnungs- oder Wohlfahrtsdenkens will es, daß seine Verwirklichung wiederum an die Beeinflussung oder den Erwerb von Macht, Leitung oder Herrschaft gebunden bleibt. 3 Über „Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft“, s. die hier i. Text am Schluß abgedruckte Abhandlung Max Webers. Es ist dieses eines der von ihm am häufigsten behandelten Themen, woraus die Bedeutung erschlossen werden kann, die er selbst dem Problem beimaß (vgl. Wirtschaft und Gesellschaft4, S. 16 ff., 122 ff., 549 f.; Ges. Aufsätze zur Wissenschaftslehre3, S. 475 ff.; Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1 S. 267 ff.). Man darf, ohne sich der Gefahr einer Übertreibung auszusetzen, davon ausgehen, daß Max Weber die Erkenntnis dieser fundamentalen Strukturtypen der Herrschaft unter seine bleibenden wissenschaftlichen Entdeckungen gerechnet hat.

Otto Hintze bemerkt dazu (in der Besprechung der 2. Auflage von „Wirtschaft und Gesellschaft“, Schmollers Jahrbuch, 50. Jg. 1926, S. 91/92): „Die drei Idealtypen legitimer Herrschaft: rationale, traditionale, charismatische Herrschaft, stellen ein Prinzip auf, das mit enormer Leuchtkraft die Dämmerung der herkömmlichen Ansichten durchdringt und der Geschichte wie dem System der Staats- und Gesellschaftsverfassung gestattet, sich ganz anders als bisher zu orientieren. Nicht minder epochemachend ist der von Max Weber zum erstenmal unternommene Versuch, mit dieser Wunderlampe in der Hand die soziale und politische Struktur der wichtigsten großen Kulturkreise der Menschheit … in vergleichender Betrachtung zu durchleuchten.“ 4 Hierzu s. den ersten Satz aus Bismarcks „Gedanken und Erinnerungen“ (I. Bd. S. 1).

136

Erläuterungen Zu § 3. Der staatliche Herrschaftsbetrieb als Verwaltung. Politische Leitung und Beamtenherrschaft.

Zu vgl. Wirtschaft und Gesellschaft4, S. 126, 545. Andererseits erklärt sich Max Weber in schärfster Betonung gegen den Wahn, „die Staatsleitung erschöpfe sich in Verwaltung“ (Ges. Politische Schriften2, S. 277) und für strengste „Scheidung von politischer Leitung und Beamtenarbeit“ (Ges. Politische Schriften2, S. 461). 1

2 Allein die deutsche Literatur über das Beamtentum ist nahezu unübersehbar; es kann daher hier nur ein ganz knapper Hinweis auf die wichtigsten Ori­ entierungsmittel gegeben werden: S. Isaacsohn, Gesch. d. preuß. Beamtentums, 3 Bde. (1874, 1878, 1884; Neudruck 1962); Gust. Schmoller, Acta Borussica, Be­ hördenorganisation, Bd. 1 (1894); Alb. Lotz, Gesch. d. Dt. Beamtentums (1906 bis 1909, 2. Aufl. 1914); Otto Hintze, Acta Borussica, Behördenorganisation, Bd. 6, 1 (1901); Ders., Der Beamtenstand (Vortrag d. Gehe-Stiftung, 3. Bd. 1911, S. 93 – 170, Neudr. 1963); Alfred Weber, Der Beamte (Die Neue Rdschau, Jg. 1910, S. 1321 – 1339, abgedruckt in: Ideen zur Staats- u. Kultursoziologie [1927], S.  81 – 101); Fritz Winters, D. mod. Beamtenproblem (1912); Gerhard Anschütz, Dt. Staatsrecht (Holtzendorff-Kohlers Enzyklopädie d. Rechtswiss., 7. Aufl. 4. Bd. 1914, S. 147 f.); Paul Laband, Dt. Reichsstaatsrecht, 7. Aufl., bearb. v. Otto Mayer (1919), S. 101  f.; Emil Lederer u. Jakob Marschak, D. neue Mittelstand (Grundriß d. Sozialökonomik, IX. Abt., I. Teil [1926], S. 121 f.); Werner Sombart, Beamtenschaft u. Wirtschaft (1927); Arnold Köttgen, D. dt. Berufsbeamtentum u. d. parlamentarische Demokratie (1928); Fritz Winters, Abriß d. Gesch. d. Beamtentums (2. Aufl. 1929); Arnold Köttgen, Die Entw. d. dt. Beamtenrechts u. d. Bedeutung d. Beamtentums i. Staat d. Gegenwart (Hdb. d. Dt. Staatsrechts, II. Bd. [1932], § 61 S. 1 – 19); Handb. d. Dt. Staatsrechts, II. Bd. (1932), IV. Hauptstück, §§ 62 – 69; Entwicklung u. Reform d. Beamtenrechts (Veröffentlichungen d. Vereinigung d. Dt. Staatsrechtslehrer, 7. Heft, 1932); W. Weber, D. Berufsbeamtentum i. demokr. Rechtsstaat (1952); Theodor Eschenburg, D. Beamte i. Partei u. Parlament (Kl. Schr. f. d. Staatsbürger, Heft 15, 1952); Ders., Bemerkungen zur dt. Bürokratie, 1955; Herbert v. Borch, Obrigkeit u. Widerstand. Zur polit. Soziologie d. Beamtentums (1954); Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 4. Aufl. (1956); Fritz Morstein Marx, Einführung in die Bürokratie (m. umfangr. auch ausl. Lit.ang.), 1959; vgl. ferner (rechtsvergl.) d. Schriften d. Dt. Ges. f. Personalwesen, insbes.: D. öffentl. Dienst i. Frankr., Großbritannien, d. Vereinigten Staaten usw. (1950 – 52); Probleme d. öffentl. Dienstes i. Engl., Frankr. u. d. Ver. Staaten (1951); Oppler-Rosenthal-Pelldram, D. Neugestaltung d. öffentl. Dienstes (1950).

Eine allgemeine Literaturübersicht gibt Herb. v. Borch, Bibliographie zur Geschichte u. Soziologie des Beamtentums (Alfred Weber-Institut f. Sozial- u. Staatswissenschaften, 1952).

Erläuterungen

137

Probleme d. Verwaltungssoziologie erörtert (auf internat. Ebene): Otto Haussleiter, Art. Verwaltungssoziologie i. Hdwb. d. Soz.wiss. (11. Bd. 1961 mit reichh. Lit.übers.); Verwaltungssoziol. Denken i. Deutschland (D. öffentl. Verw., 11. Jg. 1958, S. 65 ff.); Verwaltungssoziol. Denken i. d. Ver. Staaten u. i. Großbritannien (D. öffentl. Verw., 12. Jg. 1959, S. 168 ff.); s. ferner: Johannes Winckel­ mann, Max Webers historische und soziologische Verwaltungsforschung (in: Annali della Fondazione Italiana per la Storia Amministrativa, Vol. I 1964, S.  27 – 67). 3 Hierüber bringen die näheren Einzelheiten, auch in statistischer Beziehung: Emil Lederer, Die Privatangestellten in der modernen Wirtschaftsentwicklung (1912); Emil Lederer und Jakob Marschak im Grundriß d. Sozialökonomik, IX. Abt., I (1926), S. 127 f. (Abschn. 3 a). Über die Entwicklung und Bedeutung dieses Sachverhaltes in der Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg unterrichtet ein aufschlußreicher Aufsatz von Emil Lederer, „Die Umschichtung des Proletariats“ i. d. Neuen Rundschau (Jg. 1929, S. 145 – 161).

Neuerliche Darstellungen der Lage der Angestelltenschaft in der modernen Gesellschaft: Fritz Croner, Die Angestellten in der modernen Gesellschaft (1954); C. Wright Mills, White Collar (New York, 1951), dt. Ausgabe unter d. (inadäquaten) Titel: Menschen im Büro. Ein Beitrag zur Soziologie der Angestellten (1955). Beide m. reichen Lit.-Ang. Ferner: Karl V. Müller, D. Angestellten i. d. hochindustrialisierten Gesellschaft, 1957; D. Claessens, J. Fuhrmann, G. Hartfiel, H. Zirwas, Angestellte u. Arbeiter i. d. Betriebspyramide. Hrg. v. O. Stammer, 1958; Ludw. Neundörfer, Die Angestellten, 1961; G. Hartfiel, Angestellte u. Angestelltengewerkschaften i. Deutschland, 1961; G. Hartfiel, L. Sedatis, D. Claessens, Beamte u. Angestellte i. d. Verwaltungspyramide. Hrg. v. O. Stammer, 1964; Urs Jaeggi u. Herb. Wiedemann, Der Angestellte i. automatisierten Büro, 1963 (Schriftenreihe d. Bundesmin. f. Arbeit u. Sozialordnung, Heft 10). Nach den Angaben des Deutschen Industrieinstituts, die mir gerade zur Hand sind, ist die Zahl der Arbeiter im heutigen Bundesgebiet von 1939 – 1964 um 35 % auf 12,86 Millionen, die Zahl der Angestellten um 163 % auf 6,85 Millionen gestiegen. An der Gesamtzahl der „Arbeitnehmer“ waren danach 1964 die Arbeiter mit 61,2 % (gegenüber 69 % im Jahre 1939), die Angestellten mit 32,6 % (gegenüber 18,9 % i. J. 1939) beteiligt. Die Zahl der Beamten betrug i. J. 1964 1,31 Millionen (6,2 %). 3a Vgl. hierzu: Otto Hintze, D. Staat als Betrieb u. die Verfassungsreform (Wille u. Weg, 3. Jg. 1927, S. 425 – 430).

„In die Kleinkinderschule gehört die charakteristische dilettantische Literatenvorstellung: das ‚römische Recht‘ habe den Kapitalismus befördert. Jeder Student ist verpflichtet zu wissen, daß alle charakteristischen Rechtsinstitute des modernen Kapitalismus, von der Aktie, dem Rentenpapier, dem modernen Bo4

138

Erläuterungen

denpfandrecht, dem Wechsel und allen Arten der Verkehrsurkunden an bis zu den kapitalistischen Assoziationsformen in Industrie, Bergbau und Handel dem römischen Recht völlig unbekannt und mittelalterlichen, zum erheblichen Teil spezifisch germanischen Ursprungs sind, und daß in dem Mutterland des modernen Kapitalismus, England, das römische Recht niemals Fuß gefaßt hat. Das Fehlen der großen nationalen Advokatenzünfte, die in England sich dem römischen Recht widersetzten, und im übrigen: die Bürokratisierung der Rechtspflege und Staatsverwaltung ebneten in Deutschland dem römischen Recht den Weg. Der moderne Früh-Kapitalismus ist nicht in den Musterländern der Bürokratie (die ihrerseits dort aus reinem Staatsrationalismus erwuchs) entstanden. Und auch der moderne Hochkapitalismus war zunächst nicht auf sie beschränkt, zunächst nicht einmal in ihnen vorwiegend heimisch. Sondern da, wo die Richter aus Advokaten hervorgingen. Aber heute haben sich Kapitalismus und Bürokratie gefunden und gehören intim zusammen.“ (Orig. Anm. in „Parlament und Regierung“, S. 18; Gesammelte Politische Schriften2, S. 311 f. Anm. 1). Über den „Unfug“ des agitatorischen „Schlachtgeschreis“ wider das (vermeintlich) „römische“ Recht zugunsten des (angeblich) „deutschen“ Rechts s. die noch heute lesens- und beherzigenswerten Ausführungen Max Webers in „Christliche Welt“ 9. Jg. (1855), Sp. 521 – 525. Bisheriger Teil dieses Paragraphen: Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 13 – 18 (Gesammelte Politische Schriften2, S.  308 – 311). 5

6

Überleitungssatz vom Herausgeber. Das Folgende aus „Politik als Beruf “.

Abdruck aus „Politik als Beruf “, S. 10 (2. Aufl. S. 13/14; Gesammelte Politische Schriften2, S. 499/500; erster Halbsatz des letzten Satzes: ebd., S. 21 (2. Aufl. S. 24; Gesammelte Politische Schriften2, S. 509). 7

7a Vgl. dazu: Fritz Hartung, Deutsche Verfassungsgeschichte vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 7. Aufl., Stuttgart 1959, S. 48, 79. 8 Abdruck aus „Politik als Beruf “, S. 11/12 (2. Aufl. S. 14/15; Gesammelte Politische Schriften2, S. 500 f.).

Dieser und die nächsten Absätze: „Politik als Beruf “, S. 21 ff. (2. Aufl. S. 24 ff.; Gesammelte Politische Schriften2, S. 509 ff.). 9

Hinsichtlich des Begrifflichen vgl. zum Folgenden: „Wirtschaft und Gesell­ schaft“, S. 150/151, 155 Ziff. 2. 10 Über die Mîmâmsâ-Schule s. Max Weber, Ges. Aufsätze z. Religionssoziologie, 1. Bd. S. 2, 2. Bd. S. 184; Chantepie-Bertholet-Lehmann, Lehrb. d. Religionsgeschichte, 4. Aufl. 1925, 2. Bd. S. 78 f. 11 Cahiers de doléances: „Wirtschaft und Gesellschaft“, S. 172; Robert Holtzmann, Französische Verfassungsgeschichte (1910; Neudruck 1965), S. 372, 380, 384, 392.

Erläuterungen

139

Vgl. hierzu ferner „Parlament und Regierung“, S. 73/74, 109 (Gesammelte Politische Schriften2, S. 352, 378). 12

Abdruck aus „Politik als Beruf “, S. 21 – 24 (2. Aufl. S. 24 – 27; Gesammelte Politische Schriften2, S.  509 – 512). 13

Abdruck aus „Politik als Beruf “, S. 25/26 (2. Aufl. S. 28/29; Gesammelte Politische Schriften2, S. 513). 14

15 Abdruck aus „Politik als Beruf “, S. 12 – 15 (2. Aufl. S. 15 – 18; Gesammelte Politische Schriften2, S.  501 – 504). 16 Nach Carl Schmitt (Verfassungslehre, S. 48) ist dann später in der Wahlkapitulation Kaiser Ferdinands III. vom 24. Dezember 1636 festgelegt worden, daß es dem Kaiser auch in der „äußersten Notdurft“ nicht erlaubt ist, Abgaben zu erheben, ohne wenigstens die Kurfürsten vorher zu befragen.

Vgl. „Wirtschaft und Gesellschaft“, S. 164 f.

17

17a

Hierzu vgl. Willy Andreas, Staatskunst u. Diplomatie der Venezianer im Spiegel ihrer Gesandtenberichte (1943). 17b

Über die Organisation und das Funktionieren dieser Kollegialbehörden vgl. z. B. Gust. Schmoller, Üb. Behördenorganisation, Amtswesen u. Beamtentum bis 1713 (Acta Borussica, Behördenorganisation I, 1894); Otto Hintze, Behördenorganisation u. allg. Verwaltung i. Preußen beim Regierungsantritt Friedrichs  II. (Acta Borussica, Behördenorganisation VI, 1, 1901); Johs. Dürichen, Geh. Kabinett u. Geh. Rat unter August d. Starken 1704 – 1720 (N. Arch. f. Sächs. Gesch., 51. Bd. 1930); Friedr. Facius, Staat, Verw. u. Wirtsch. i. Sachsen-Gotha unter Herzog Friedrich  II. 1691 – 1732 (Gotha 1933); Willy Flach, Goetheforschung u. Verwaltungsgeschichte (Thür. Arch. Studien, Bd. 3, Weimar 1952). 17c

Üb. d. Begriff des „politischen Beamten“ in Preußen vor 1918 u. das Los der sog. „Kanalrebellen“ siehe Fritz Hartung, Zur Geschichte d. Beamtentums im 19. u. 20. Jahrh. (Studien z. Gesch. d. preuß. Verwaltung, III. Teil, i. Abh. Berl. Ak., Jg. 1945/46, Ph.-hist. Kl. Nr. 8, 1948), 2. Kap. S. 21 ff. Aus dem Jahre 1882.

18

Friedrich Althoff, seit 1882 als Vortragender Rat Universitätsreferent im Preußischen Kultusministerium, 1897 – 1907 Ministerialdirektor und Leiter der Hochschulabteilung daselbst. 19

20 Abdruck aus „Politik als Beruf “, S. 16 – 21 (2. Aufl. S. 19 – 24; Gesammelte Politische Schriften2, S.  504 – 509). 21 Abdruck aus „Politik als Beruf “, S. 25 (2. Aufl. S. 27/28; Gesammelte Politische Schriften2, S. 512/513).

Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 25 (Gesammelte Politische Schriften2, S. 317). 22

1914 – 1918.

23

140

Erläuterungen Geschrieben im Jahre 1917.

24

Vgl. Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik, S. 413 ff.; Arch. f. Sozialwiss. u. Sozialpol., Beil. zum XXII. Bd. (1906), S. 347 ff. 25

Scil.: „als Menschen“.

26

Parenthese vom Herausgeber. Siehe oben im Text S. 45.

27

Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 26 – 34 (Gesammelte Politische Schriften2, S.  317 – 323). 28

Zu § 4. Parteiwesen und Parteiorganisation. 1 Hierzu s. das Begriffliche: „Wirtschaft und Gesellschaft“, S. 167 ff. Vgl. ferner Robert Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. 1. Aufl. 1911; 2. Aufl. 1925; Neudruck, hrg. m. e. Nachwort von Werner Conze, 1957 (Kröners Taschenausgabe, Bd. 250).

Neuere deutsche Literatur üb. Parteien u. zur Theorie d. Parteiwesens, insbes. auch zur Frage: Demokratie d. „Wähler“ od. Demokratie d. „Parteien“: Carl Schmitt, Verfassungslehre (1928), S. 246 ff., 325 f.; Heinr. Triepel, D. Staatsverfassung u. d. pol. Parteien (2. Aufl. 1930); Gust. Radbruch, D. pol. Parteien i. Syst. d. dt. Verfassungsrechts (Hdb. d. Dt. Staatsrechts, I. Bd. 1930, S. 285 ff.); Ernst Forsthoff, Zur verfassungsrechtl. Stellung u. inn. Ordnung d. Parteien (DRZ. 1950, S. 313 ff.); Wilh. Grewe, Zum Begriff d. pol. Partei (i. d. Festgabe f. Erich Kaufmann, 1950, S. 82 ff.); Ders., Parteienstaat – oder was sonst? (Der Monat, 3. Jg. 1951, Heft 36, S. 571 ff.); Hans Reif, Die verfassungsrechtl. Stellung u. inn. Ordnung d. Parteien (Verhdlgen d. 38. dt. Jur.tages, Teil C, 1951); Gerh. Leibholz, Verfassungsrechtl. Stellung u. inn. Ordnung d. Parteien (Verhdlg. d. 38. dt. Juristentages, Teil C, 1951); Ders., Parteienstaat u. repräsentative Demokratie (Dt. Verw. Bl. 1951, S. 1 ff.); Werner Weber, Spannungen u. Kräfte i. westdt. Verfassungssystem (1951); Otto Heinr. v. d. Gablentz, Politische Parteien als Ausdruck gesellschaftlicher Kräfte (Schriften d. Dt. Hochschule f. Politik, 1952); Christ. Fr. Menger, Zur verfassungsrechtl. Stellung d. dt. pol. Parteien (Arch. d. öfftl. Rechts, 78. Bd. 1952, S. 149 ff.); Günter Rabus, D. inn. Ordnung d. pol. Parteien i. ­ggwärt. dt. Staatsrecht (a. e. a. O. S. 163 ff.); v.d. Heydte-Sacherl, Soziologie d. dt. Parteien (1955); Parteien i. d. Bundesrepublik. Studien zur Entw. d. dt. Parteien bis z. Bundestagswahl 1953. M. e. Einl. v. Sigm. Neumann (Schriften d. Inst. f. Pol. Wissenschaft 6, Stuttgart-Düsseldorf 1955); Georg Kesting, D. Parteien i. d. Demokratie (Civis, Nr. 22 [1956], S. 99 ff.). Die französische Forschung zit. b. Götz Roth, Politische Soziologie (in d. Einführung i. d. Soziologie, hrg. v. Alfr. Weber, 1955), S. 328; ferner G. E. Lavau, Partis politique et réalités sociales (Paris 1953); Maurice Duverger (e. a.), Partis politiques et classes sociales, Paris 1955; Maurice Duverger, Les Partis politiques (1951), 3me éd., Paris 1958, dt. Die politischen Parteien. Nach d. 3. frz. Aufl. übers. u. hrg. v. Siegfr. Landshut, 1958.

Erläuterungen

141

Zusammenfassend mit ausführlicher Literaturübersicht: Rechtliche Ordnung des Parteiwesens. Bericht der vom (deutschen) Bundesminister des Innern eingesetzten Parteienrechtskommission, Frankfurt am Main – Berlin, 1957. Zur Theorie der „öffentlichen Verbände“ überh. s. Rüdiger Altmann, Zur Rechtsstellung d. öfftl. Verbände (Ztschr. f. Politik, 1955, S. 211 ff.). Zum Problem d. Öffentlichen u. d. Öffentlichkeit: Rud. Smend, Zum Problem d. Öffentlichen u. d. Öffentlichkeit (Festschr. f. W. Jellinek, 1954, S. 11 ff.); Rüd. Altmann, D. Problem d. Öffentlichkeit u. s. Bedeutung f. d. Demokratie (Diss. phil., Marburg 1954); Hans J. Arndt, Öffentlichkeit als Staatsersatz (Arch. f. R. u. Soz.phil., 42. Bd. 1956, S. 239 ff.); Jürgen Habermas, Strukturwandel d. Öffentlichkeit (Politica, Bd. 4), 1962. 2 Veröffentlicht 1918. – Jetzt: Grundgesetz f. d. Bundesrepublik Deutschland v. 23. 5. 1949, Art. 21 nebst der dazu erwachsenen Literatur. 3 Das Begriffliche zur „berufsständischen Vertretung“ s. „Wirtschaft und Gesellschaft“, S. 174 ff. 4 Siehe hierzu des Näheren: Gesammelte Politische Schriften2, S.  240 – 256. Daselbst (S. 251 f.) auch die Darlegung, daß und warum die Strukturvoraussetzungen des sog. „Ständestaats“ gänzlich andere waren, als sie der heutigen Sozialverfassung eignen, und also ein „Ständestaat“ unter den gegebenen Bedingungen der gegenwärtigen historischen Situation keinesfalls zu den heute möglichen Staatsformen zu rechnen ist. 5 Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 18 – 24 (Gesammelte Politische Schriften2, S.  314 – 315).

5a

Hierzu neuerdings: Theodor Eschenburg, Ämterpatronage, Stuttgart 1961.

Veröffentlicht 1919.

6

Abdruck aus „Politik als Beruf “, S. 15/16 (2. Aufl. S. 18/19; Gesammelte Politische Schriften2, S. 504). 7

Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 18 (Gesammelte Politische Schriften2, S. 312). 8

D. h. hier – sinngemäß –: „der am demokratischsten organisierten Partei“; vgl. unten im Text S. 74 f. mit 92 f. 9

9a

Robert v. Puttkamer, preußischer Minister des Innern und Vizepräsident des Staatsministeriums v. 1881 bis 1888. Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 24 (Gesammelte Politische Schriften2, S. 316). 10

Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 25/26 (Gesammelte Politische Schriften2, S. 317). 11

12 Es war dies die Reformbill von 1831, zu der G. W. F. Hegel seine berühmte, seither wenig gelesene Aufsatzfolge erscheinen ließ: „Über die englische Re-

142

Erläuterungen

formbill“, 1831 (WW, ed. Georg Lasson, Bd. VII, 1913, 2. Aufl. 1923 [Phil. Bibl. Bd. 144], S. 285 – 326). Die drei Reformakte von 1832, 1867 und 1884 haben im 19. Jahrhundert Englands Wahlrecht zum Unterhaus umgestaltet. Das allgemeine Wahlrecht erhielt England erst im Jahre 1918 (The Representation of the People Act v. 6. Februar 1918). M. Ostrogorski, La démocratie et l’organisation des partis politiques, 2 Bde., 2. Aufl., Paris 1903; neue Ausg. in 1 Bd.: La Démocratie et les Partis Politiques, ebd. 1912; Ders., Democracy and the organization of Political Parties, with a preface by James Bryce, 2 vol., New York 1902; ferner: Democracy and the party system in the United States, 1910. 13

Zu den Grundfragen der modernen Demokratie vgl. auch: Wilhelm Hasbach, Die moderne Demokratie (1912, Neudruck 1921) nebst zwei Ergänzungen (Ztschr. f. Pol. VII, 1914, S. 49 ff. und Ztschr. f. Sozialwiss., N. F. VII, 1916, S. 374 ff.); Ders., D. parl. Kabinettsregierung (1919); James Bryce, Modern Democracies (1921), dt. Ausg. Moderne Demokratien, 3 Bde. (1923 bis 1926) von Karl Loewenstein u. Albrecht Mendelsohn-Bartholdy; Rich. Thoma, D. Begriff d. mod. Demokratie i. s. Verhältnis zum Staatsbegriff (i. d. Erinnerungsgabe für Max Weber, II. Bd. 1923, S. 39 ff.); Verhdlgen d. V. Dt. Soziologentages 1926 (i. Schr. d. Dt. Ges. für Soziol., V. Bd. 1927, S. 12 ff.); Carl Schmitt, Verfassungslehre (1928, Neudruck 1954 u. ö.); Ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze (1958); Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928, wieder abgedruckt in: Staatsrechtliche Abhandlungen u. a. Aufsätze, 1955); Rich. Thoma, D. Reich als Demokratie (Hdb. d. Staatsrechts, I. Bd. 1930, S. 190 ff.); Ders., Üb. Wesen u. Erscheinungsformen d. modernen Demokratie (1948); Hermann Heller, Staatslehre (Leiden 1934, 2. Aufl., Den Haag 1961); Gerhard Leibholz, Der Strukturwandel d. mod. Demokratie, 1952; Ders., Demokratie u. Rechtsstaat, 1957; Ders., Strukturprobleme d. mod. Demokratie, 1958; Otto Stammer, Politische Soziologie (in: Soziologie. Lehr- u. Handb. z. mod. Gesellschaftskunde, 1955, S. 256 ff.); Ders., Gesellschaft u. Politik (Hbd. d. Soziologie, hrg. v. W. Ziegenfuß, 1956, S.  530 – 611); Götz Roth, Politische Soziologie (i. d. Einführung in die Soziologie, hrg. v. Alfred Weber, 1955, S. 293 ff.) mit weiteren Lit.ang. S. 322 ff.; Gottfr. Eisermann, Soziologie d. Politik (in: D. Lehre v. d. Gesellschaft. Ein Lehrb. d. Soziologie [1958], S. 292 ff.); Dolf Sternberger, Lebende Verfassung (1956) u. d. fernere Schriftenreihe d. Vereinigung f. d. Wiss. von der Politik; Viola Gräfin Bethusy-Huc, Soziologische Struktur deutscher Parlamente (1958); Karl Loewenstein, Verfassungslehre (1959). Wegen weiterer anglo-amerikanischer Lit. s. Götz Roth, Politische Soziologie (in der Einführung in die Soziologie, hrg. v. Alfred Weber, 1955), S. 325/326; „Rechtl. Ordnung des Parteiwesens“ (vorsteh. Anm. 1, S. 140  f.), Anhang, S. 237 f., 242 f. 14 Vgl. Julius Hatschek, Englisches Staatsrecht, II. Bd. 1906, S. 2 ff.; Rob. T. McKenzie, British Political Parties, London 1954. Über die Zusammenarbeit

Erläuterungen

143

zwischen Regierung und Parlament unterrichtet das ausgezeichnete Buch von Herbert Morrison, Government und Parliament, London 1954. S. ferner: Sir Ivor W. Jennings, Cabinet Government, 3. Aufl. 1957; Parliament, 2. Aufl. 1957; Party Politics, 3 Bde., 1960 ff. (sämtl. Cambridge University Press); Ders. u. Gerh. A. Ritter, D. britische Regierungssystem, 2 Bde. 1958 (m. reichh. Lit.); Thomas Oppermann, Brit. Unterhauswahlrecht u. Zweiparteiensystem, 1961; Gerh. A. Ritter, Deutscher u. Britischer Parlamentarismus, 1962. 14a Die Entwicklung hat der Einschätzung der Machtstellung des britischen Premierministers durch Max Weber Recht gegeben: nicht nur ist dem britischen Parlament seine Position als „Souverän“ verloren gegangen, auch das Cabinet hat längst aufgehört, Sitz der Macht zu sein. Alle diese Änderungen sind dem ungeheuren Machtzuwachs des Premierministers zugute gekommen, der ausschließlich über die Wahlen (und etwaige Neuwahlen) regiert. Die Standardwerke über das britische Kabinett gingen noch von der Situation der Zeit von 1868 – 1914 aus, z. B. A. B. Keith, The British Cabinet System, 2. Aufl., hrg. v. N. H. Gibbs, London 1952; Sir Ivor Jennings, Cabinet Government, 3. Aufl., Cambridge 1957. Die neuerlichen Untersuchungen von John P. Mackintosh, The British Cabinet, London 1962, haben diese Vorstellung einer Kabinettsregierung als illusionär erwiesen. Das britische Regierungssystem ist damit der amerikanischen Regierungsform der präsidentiellen Demokratie zum mindesten nahegekommen, während die Präsidialregierung europäischer Provenienz sich zwischen Prinzipat und Diktatur bewegt. Zu dieser Frage neuestens: Karl Loewenstein, Der britische Parlamentarismus, Entstehung und Gestalt. RDE Bd. 208, Hamburg 1964; Ders., Max Webers staatspolitische Auffassungen in der Sicht unserer Zeit, Frankfurt am Main und Bonn 1965. 14b

1829 – 1837.

1904.

15

16 Das Nähere siehe „Parlament und Regierung“, S. 75 – 77 (Gesammelte Politische Schriften2, S.  353 – 355). 17 Abdruck aus „Politik als Beruf “, S. 30 – 45 (2. Aufl. S. 32 – 47; Gesammelte Politische Schriften2, S.  516 – 530). 18 Vor dem 9. November 1918. Dieser und der folgende Absatz: Einschaltung aus „Parlament und Regierung“, S. 102 – 105 (Gesammelte Politische Schriften2, S. 373 – 375).

18a

Fragen der Parteifinanzierung erörtert Max Weber: Wirtsch. u. Ges.4, S. 168 f., 579, 677, 845, 852, 854 f., 857 (s. o. S. 51, 61, 65 f.); Ges. Pol. Schriften2, S. 312, 372, 374 f.; s. ferner die in: Rechtl. Ordnung d. Parteiwesens (1957), S. 244 f. angegebene Lit. zu: 3. Parteifinanzen, sowie Theod. Eschenburg, Probleme d. mod. Parteifinanzierung (1961). 19 Abdruck aus „Politik als Beruf “, S. 45/46 (2. Aufl. S. 47/48); Gesammelte Politische Schriften2, S. 530/531).

144

Erläuterungen Frühjahr 1919.

20

Was darunter zu verstehen ist, führt Max Weber in „Politik als Beruf “, S. 61 – 63 (2. Aufl. S. 62 – 64; Gesammelte Politische Schriften2, S. 544/545) aus: 21

„Das spezifische Mittel der legitimen Gewaltsamkeit rein als solches in der Hand menschlicher Verbände ist es, was die Besonderheit aller ethischen Probleme der Politik bedingt. Wer immer mit diesem Mittel paktiert, zu welchen Zwecken immer – und jeder Politiker tut das –, der ist seinen spezifischen Konsequenzen ausgeliefert. In besonders hohem Maße ist es der Glaubenskämpfer, der religiöse wie der revolutionäre. Wer die absolute Gerechtigkeit auf Erden mit Gewalt herstellen will, der bedarf dazu der Gefolgschaft: des menschlichen ‚Apparates‘. Diesem muß er die nötigen inneren und äußeren Prämien – himmlischen oder irdischen Lohn – in Aussicht stellen, sonst funktioniert er nicht. Also innere: – unter den Bedingungen des modernen Klassenkampfes – Befriedigung des Hasses und der Rachsucht, vor allem: des Ressentiments und des Bedürfnisses nach pseudoethischer Rechthaberei, also des Verlästerungs- und Verketzerungsbedürfnisses gegen die Gegner. Äußere: Abenteuer, Sieg, Beute, Macht und Pfründen. Von dem Funktionieren dieses seines Apparates ist der Führer in seinem Erfolg völlig abhängig. Daher auch von dessen – nicht: von seinen eigenen – Motiven. Davon also, daß der Gefolgschaft: der roten Garde, den Spitzeln, den Agitatoren, deren er bedarf, jene Prämien dauernd gewährt werden können. Was er unter solchen Bedingungen seines Wirkens tatsächlich erreicht, steht daher nicht in seiner Hand, sondern ist ihm vorgeschrieben durch jene ethisch überwiegend gemeinen Motive des Handelns seiner Gefolgschaft, die nur im Zaum gehalten werden, solange ehrlicher Glaube an seine Person und seine Sache wenigstens einen Teil der Genossenschaft: wohl nie auf Erden auch nur die Mehrzahl, beseelt. Aber nicht nur ist dieser Glaube, auch wo er subjektiv ehrlich ist, in einem sehr großen Teil der Fälle in Wahrheit nur die ethische ‚Legitimierung‘ der Rache-, Macht-, Beute- und Pfründensucht – darüber lassen wir uns nichts vorreden, denn die materialistische Geschichtsdeutung ist auch kein beliebig zu besteigender Fiaker und macht vor den Trägern von Revolutionen nicht halt! –, sondern vor allem: der traditionalistische Alltag kommt nach der emotionalen Revolution, der Glaubensheld und vor allem der Glaube selbst schwindet oder wird – was noch wirksamer ist – Bestandteil der konventionellen Phrase der politischen Banausen und Techniker. Diese Entwicklung vollzieht sich gerade beim Glaubenskampf besonders schnell, weil er von echten Führern: Propheten der Revolution, geleitet oder inspiriert zu werden pflegt. Denn, wie bei jedem Führerapparat, so auch hier ist die Entleerung und Versachlichung, die seelische Proletarisierung im Interesse der ‚Disziplin‘, eine der Bedingungen des Erfolges. Die herrschend gewordene Gefolgschaft eines Glaubenskämpfers pflegt daher besonders leicht in eine ganz gewöhnliche Pfründnerschicht zu entarten.“

Erläuterungen

145

Vgl. Max Weber, Gesammelte Politische Schriften2, S. 378, 487 f.

22

Sofort hat damals Rudolf Smend die grundsätzliche Wirkung der Einführung des Verhältniswahlsystems herausgearbeitet (Die Verschiebung der konstitutionellen Ordnung durch die Verhältniswahl, i. d. Festgabe für Karl Bergbohm, 1919, S. 278 ff.; abgedruckt in: Staatsrechtliche Abhandlungen u.  a. Aufsätze [1955], S. 60 – 67): Die Proportionalisierung des Wahlrechts zerstöre wesentliche Konstituentien des Verfassungslebens: die Diskussion („government by talk­ing“), das Prinzip der Öffentlichkeit der politischen Willensbildung und vor allem den Prozeß des dialektischen Kampfes um die politische Entscheidung durch den Wähler. Das habe zur Folge die Bagatellisierung der örtlichen politischen Willensbildung, die politische Monopolstellung der Parteileitungen und das Bewußtsein der Machtlosigkeit und Unbeachtlichkeit auf seiten der örtlichen Wählerschaft. Die Ausschaltung des Spannungsmoments der inneren Beteiligung am Kampf um Wahrheit und Richtigkeit mit der entscheidungsvollen Alternative des Siegens oder Unterliegens, der Verzicht auf die dynamische Auseinandersetzung mit der individuellen Überzeugung des einzelnen Wählers, der daraus resultierende Verlust der Einflußnahme des politischen Willens der Aktivbürger auf Abgeordnete, Fraktionen und Parlamentsgeschäfte führe unabweislich zur Entleerung des Verfassungslebens an politisch-ethischem Wert, zur Interesselosigkeit der individuellen Wähler und zum Gruppenmechanismus der Interessenten. – Eine Zusammenfassung der Argumentation gegen das Verhältniswahlsystem bringt die Aufsatzsammlung: „Der Wähler“. Die Hauptperson in der Demokratie (Schriften d. Dt. Wählergesellschaft, Erstes Heft, 1947). Vgl. ferner: R. Schmidt, Verhältniswahl u. Führerauslese (Diss. Kiel 1928); G. B. v. Hartmann, Für und Wider d. Mehrheitswahlrecht, 2. Aufl. 1950 (Kl. Schriften f. d. Staatsbürger, Heft 2); F. A. Hermens, Demokratie od. Anarchie? Untersuchung üb. d. Verhältniswahl (1951); Wolfgang Hirsch-Weber u. Klaus Schütz, Wähler und Gewählte. Eine Untersuchung d. Bundestagswahlen 1953 (1957); Heinz Laufer, D. ­demokr. Regime d. Bundesrepublik, 6. Das Wahlsystem (Beilage z. Ztg. D. Parlament, B 30/65 v. 28.  Juli 1965); Hartmut Jäckel u. Hanns H. Rass, D. Mehrheitswahl – und was dann? (D. Monat, 17. Jg. 1965, Heft 204, S. 24 bis 34); Erwin Scheuch u. Rud. Wildenmann, Zur Soziologie d. Wahl, Sonderheft 9 d. Köln. Ztschr. f. Soziol., 1965). Abdruck aus „Politik als Beruf “, S. 46 – 48 (2. Aufl. S. 48 – 50; Gesammelte Politische Schriften2, S.  531 – 532. 23

Zu § 5. Das Parlament als Staatsorgan und das Problem der Verwaltungsöffentlichkeit. Die Aufgabe der Führerauslese. 1 Das Begriffliche hierzu siehe: „Wirtschaft und Gesellschaft“, S. 172 ff. Über Konstitutionalismus: daselbst S. 174 nebst S. 165 f. 2

Vgl. „Wirtschaft und Gesellschaft“ (4. Aufl.), S. 122, 543.

146

Erläuterungen

2a

Zur Frage „Volksstaat“ und „Obrigkeitsstaat“ s. u. a.: Hugo Preuss, D. dt. Volk u. d. Politik (1916); Fritz Fleiner, Beamtenstaat u. Volksstaat (Festgabe f. Otto Mayer, 1916, S. 29 ff.); Gust. Schmoller, Obrigkeitsstaat und Volksstaat (Schmoll. Jb. 40, 1916, S. 2031 ff.); Otto Gierke, Recht u. Sittlichkeit (Logos VI, 1916/17, S. 261 f.), Neudruck 1963, S. 51 f.; Friedrich Naumann, Der dt. Volksstaat, 1917; V. Cathrein, D. Volksstaat i. S. des hl. Thomas v. Aquin (Arch. f. Rechts- u. Wirtschaftsphil. 12, 1918/19, S. 104 ff.); Rich. Schmidt, Volksstaat und Obrigkeitsstaat (Ztschr. f. Politik 15, 1926, S. 193 ff.). 3 Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 39 – 43 (Gesammelte Politische Schriften2, S.  327 – 330).

3a Hierüber unterrichten: Preußen im Bundestag 1851 bis 1859. Dokumente d. Preuß. Bundestags-Gesandtschaft, 4 Bde., hrg. v. Ritter v. Poschinger (1882/1884); Arnold Oskar Meyer, Bismarcks Kampf mit Österreich am Bundestag zu Frankfurt (1851 bis 1859), 1927. 4 Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 51 (Gesammelte Politische Schriften2, S. 335).

Im Deutschen Reich vor 1918.

5

Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 47 (Gesammelte Politische Schriften2, S.  332 – 333). 6

Im Deutschen Reich vor 1918. – Zu vgl. Kurt Perels, Das autonome Reichstagsrecht. Die Geschäftsordnung und die Observanz des Reichstags i. syst. Darst. Mit einem Anhang: Die Geschäftsordnung f. d. Reichstag i. krit. Bearb., 1903; Julius Hatschek, D. Parlamentsrecht d. Dt. Reichs, 1915. 7

8 Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 51/53 (Gesammelte Politische Schriften2, S.  336 – 337). 9 Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 54/55 (Gesammelte Politische Schriften2, S. 338).

Vor 1918.

10

Dagegen wendet sich Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 2. Aufl. 1926, S. 8; 3. Aufl. 1961. 11

„Eines ist natürlich selbstverständlich: überall, auch und gerade in der ‚Demokratie‘, werden die verantwortlichsten Entschließungen der Außenpolitik von einer kleinen Zahl von Menschen gefaßt: Amerika und Rußland sind gerade jetzt [1917] die besten Beispiele. Keine Literatenideologie ändert das. Jeder Versuch, es zu ändern, schwächt die Last der Verantwortung, auf deren Schärfung gerade alles ankommt“ („Parlament und Regierung“, S. 95; Gesammelte Politische Schriften2, S. 368). „Schwebende Erwägungen der auswärtigen Politik gehören in diesem Stadium unbedingt vor ein mit Garantie der Diskretion umgebenes kleines Gremium. Denn es ist natürlich ein gerade jetzt durch die Tatsachen verspotteter Irrtum einzelner, namentlich russischer, Literaten: daß der Betrieb der 12

Erläuterungen

147

auswärtigen Politik, etwa ein sachlicher Friedensschluß kriegführender Länder, durch öffentlich meistbietende Proklamation allgemeiner ‚Prinzipien‘ herbeigeführt werden könne statt durch sachliche Verhandlung über den bestmöglichen Ausgleich der doch nun einmal kollidierenden Interessen der Staaten und Nationen, die sich hinter jenen ‚Prinzipien‘ verbergen“ („Parlament und Regierung“, S. 67; Gesammelte Politische Schriften2, S. 347). Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 56 – 63 (Gesammelte Politische Schriften2, S.  339 – 344). 13

Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 66/67 (Gesammelte Politische Schriften2, S. 347). 14

„Alle Parteien waren seit vierzig Jahren darauf eingestellt, daß der Reichstag lediglich die Aufgabe habe, ‚negative Politik‘ zu treiben. Erschreckend deutlich zeigte sich als Wirkung der Erbschaft Bismarcks jener ‚Wille zur Ohnmacht‘, zu dem durch ihn die Parlamentsparteien verdammt waren“ („Parlament und Regierung“, S. 69; Gesammelte Politische Schriften2, S. 349). 15

Einschaltung aus „Parlament und Regierung“, S. 55, 13 (Gesammelte Politische Schriften2, S. 339, 308). 16

Daselbst, S. 72/73 (Gesammelte Politische Schriften2, S. 351/352).

17

Daselbst, S. 74 (Gesammelte Politische Schriften2, S. 352/353).

18

Zu § 6. Parlamentarismus und Demokratie. Die Originalüberschrift des (V.) Abschnitts in „Parlament und Regierung“ lautet „Parlamentarisierung und Demokratisierung“. Die Fragestellung: „wie sich Demokratie und Parlamentarismus zueinander verhalten“, findet sich in dieser Formulierung: „Wirtschaft und Gesellschaft“ (4. Aufl.), S. 869 (s. u. im Text S. 95 f.). 1

2 „Nicht das Problem der sozialen Demokratisierung, sondern nur dasjenige des demokratischen, also gleichen, Wahlrechts soll uns hier in seiner Beziehung zum Parlamentarismus angehen“ (Einleitungssatz des V. Abschnitts in „Parlament und Regierung“, S. 99; Gesammelte Politische Schriften2, S. 370). 3 „Parlamentarismus und Demokratie sind weit davon entfernt, identisch zu sein“ (Gesammelte Politische Schriften2, S. 459); vgl. „Wirtschaft und Gesellschaft“, S. 174 Erl. 5. Siehe ferner: Hans Kelsen, Referat auf dem V. dt. Soziologentag, „Verhandlungen“, S. 44; Ders., „Wesen und Wert der Demokratie“ (2. Aufl. 1929), S. 27; Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage d. heutigen Parlamentarismus. 2. Aufl. 1926, S. 5 ff., 30 ff.; Ders., Verfassungslehre (1928), S. 265; vgl. auch Ferd. Tönnies, Demokratie u. Parlamentarismus (Schmoll. Jahrb., 51. Bd. 1927, S. 173 ff., abgedruckt in: Soziol. Studien u. Kritiken, Bd. III 1929, S.40 – 84); Gerh. Leibholz, Die Auflösung d. liberalen Demokratie i. Deutschl. (1933), S. 21 f.

148

Erläuterungen

4

Der erste Weltkrieg.

5

Vor dem 9. November 1918.

Siehe jedoch hinsichtlich der grundsätzlichen Wandlung in der Stellung der Parlamente unter der Herrschaft der Massenparteien: „Wirtschaft und Gesellschaft“, S. 174 Ziff. 6. 6

6a

Vgl. „Wirtschaft und Gesellschaft“ (4. Aufl.), S. 206.

Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 99 – 102 (Gesammelte Politische Schriften2, S.  371 – 373). 7

„Die Demokratisierung des Parteibetriebes auf der Linken wie auf der Rechten ist in Deutschland eine Tatsache und nicht wieder zu beseitigen“ („Parlament und Regierung“, S. 130; Gesammelte Politische Schriften2, S. 394). 8

9

Parenthese vom Herausgeber. Siehe oben im Text S. 42 f.

„Der Berufspolitiker kann ein Mann sein, der lediglich von der Politik und ihrem Getriebe, ihren Einflüssen und Chancen lebt. Oder ein solcher, der für die Politik lebt. Nur im letzteren Fall kann er ein Politiker großen Zuschnitts werden. Er kann das natürlich um so leichter, je mehr er durch Vermögen unabhängig und dadurch ‚abkömmlich‘, also nicht betriebsgebunden (Unternehmer), sondern: Rentner ist“ („Parlament und Regierung“, S. 73; Gesammelte Politische Schriften2, S. 352). 10 Über „die Wirkung des Verhältniswahlrechts“ schrieb Max Weber i. d. Berl. Börsenztg. vom 25. 2. 1919: „Bei den nächsten Wahlen wird eintreten, was bei diesen sich erst im Keim zeigte: die Berufsverbände werden die Parteien zwingen, lediglich zum Zwecke des Stimmenfangs deren (der Berufsverbände) besoldete Sekretäre an die Spitze der Listen zu stellen. Das Parlament wird so eine Körperschaft werden, innerhalb deren solche Persönlichkeiten den Ton angeben, denen die nationale Politik ‚Hekuba‘ ist, die vielmehr, der Sache nach, unter einem ‚imperativen‘ Mandat von ökonomischen Interessenten handeln: ein Banausenparlament, unfähig in irgendeinem Sinne eine Auslesestätte politischer Führer darzustellen … Dies bedeutet eine unvermeidliche Schranke der rein politischen Bedeutung des Parlaments als solchen“ (Gesammelte Politische Schriften2, S. 487 f.). 11 Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 105 – 109 (Gesammelte Politische Schriften2, S.  375 – 378).

„Von den betriebsgebundenen Schichten sind nur die Advokaten ‚abkömmlich‘ und [insofern] zu Berufspolitikern geeignet. So wenig nun gewiß eine reine Advokatenherrschaft erwünscht wäre, so töricht ist doch die meist übliche Minderschätzung der Qualifikation des Advokatentums für die politische Leitung. In einem Zeitalter der Juristenherrschaft ist der große Advokat der einzige Jurist, der – im Gegensatz zum Beamten – im Kampf und in der wirksamen Vertretung einer Sache durch Kampf geschult ist … Aber nur, wenn das Parlament Füh-

Erläuterungen

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rerstellungen mit Führerverantwortung in Aussicht stellt, werden nicht nur Advokaten großen Stils, sondern überhaupt unabhängige Persönlichkeiten für die Politik leben wollen. Sonst nur: besoldete Parteibeamte und Interessenvertreter“ (Parlament und Regierung, S. 73/74; Gesammelte Politische Schriften2, S. 352). 12 Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 110/111 (Gesammelte Politische Schriften2, S.  378 – 380). 13 Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 112 (Gesammelte Politische Schriften2, S. 380). 14 Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 112/113 (Gesammelte Politische Schriften2, S. 381).

1889 (Nachweis: Enzyklopädie d. Rechts- u. Staatswiss., Abt. Rechtswiss., Bd. XXVII, 2 [1923], S. 5). 15

„Alle Stärke des britischen Parlamentarismus hängt, wie man in England sehr gut weiß, mit der Tatsache zusammen, daß die formell höchste Stelle im Staat ein- für allemal besetzt ist. Worauf diese Funktion der bloßen Existenz eines Monarchen beruht, ist hier nicht zu erörtern. Ebenso nicht, ob dies unvermeidlich überall gerade nur ein Monarch zu leisten vermöchte“ („Parlament und Regierung“, S. 36/37; Gesammelte Politische Schriften2, S. 325). Übereinstimmend: „Wirtschaft und Gesellschaft“, 4. Aufl. S. 689. Dazu s. Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 286 f. 16

Vor dem 9. November 1918 veröffentlicht.

17

Vgl. hierzu Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, S. 277 f. [Hdwb. d. Staatswiss., 3. Aufl. I. Bd., S. 182]. 18

Vgl. Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 2. Aufl., S. 526. 19

Hierzu Carl Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren (1927), S. 36; Ders., Verfassungslehre, S. 277. 20

Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 113 – 128 (Gesammelte Politische Schriften2, S. 381 – 392). Vgl. hierzu ferner: Gesammelte Politische Schriften2, S. 274 f. 21

Die außerordentliche Bedeutung, die Max Weber dem Grundrechtsgedan­ ken beimaß, ergibt sich aus den verschiedensten Auslassungen seines Gesamtwerkes: s. z. B. Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 1. Bd. S. 135 Anm. 1; Gesammelte Politische Schriften2, S. 59, 61 f., 203, 321, 383, 389, 393, 465. 22

23 Abdruck aus „Parlament und Regierung“, S. 129 – 130 (Gesammelte Politische Schriften2, S. 393). –

Es verdient ausdrücklich hervorgehoben zu werden, daß sich diese Aus­ lassungen Max Webers unmittelbar auf die schwierige Zeit der Nachkriegswirren beziehen. Um so mehr Gewicht erhält seine Forderung – auch unter solchen

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Erläuterungen

Umständen – nach unverzüglicher Wiederherstellung der Garantien der freiheitlichen Ordnung. Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft. Aus dem Nachlaß Max Webers posthum als selbständige Abhandlung im Jahre 1922 in den Preußischen Jahrbüchern (187. Bd., S. 1 – 12) publiziert. Die Zeit der Abfassung dürfte – zumal mangels Vorliegens des Manuskripts – schwer zu bestimmen sein. Doch gehören die Darlegungen gedanklich und terminologisch in den Umkreis des Kategorienaufsatzes von 1913 (s. speziell die Bemerkungen in Max Webers „Wissenschaftslehre“, 2. Aufl. S. 470). Da die Ausführungen in engstem geistigen Zusammenhang mit den Gedanken der „Staatssoziologie“ stehen, werden sie hier zur Erläuterung des in der „Staatssoziologie“ nur kurz behandelten gleichen Themas (s. o. im Text S. 31) im Anschluß an diese mit abgedruckt. Englische Übersetzung unter dem Titel: The Three Types of Legitimate Rule, transl. by H. H. Gerth. Berkeley Publications in Society and Institutions, Vol. IV No. 1 (1958), pp. 1 – 11. 1 Auf dieses nicht kommt es entscheidend an. Die extrapatrimonial oder „frei“ rekrutierten Plebejer oder Günstlinge entstammen – im Gegensatz zu den gänzlich rechtlosen Sklaven, Hörigen und Eunuchen – gerade anderen, nicht patrimonial unterworfenen, somit „freien“ Schichten. Das geht auch aus den begrifflichen Bemerkungen in „Wirtschaft und Gesellschaft“, S. 131 (§ 7) sowie nachstehend im Text (S. 112) eindeutig hervor. Allerdings begründet die Aufnahme in den Verwaltungsstab des Herrn in jedem Fall eine persönliche Abhängigkeit von diesem und verleiht dem Aufgenommenen keinerlei Eigenrecht (s. d. nachfolgenden Text und „Wirtschaft und Gesellschaft“, S. 132, 155).

Die Scheidung der patriarchalen bzw. patrimonialen Herrschaftsstruktur von der anders gearteten ständischen bei Max Weber ständig: siehe z. B. „Wirtschaft und Gesellschaft“ (4. Aufl.), S. 134, 453, 485, 644, 656, 832. 2

3 Rudolf Sohm, Kirchenrecht, I. Bd. S. 6, 26; II. Bd. S. 176 ff. (Bindings Syst. Handb. d. Dt. Rechtswiss., VIII. Teil). 4 Vgl. „Wirtschaft und Gesellschaft“, S. 142 Ziff. 5; Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 1. Bd. S. 270.

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