Staatsrechtliche Probleme politischer Planung [1 ed.] 9783428443765, 9783428043767

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Staatsrechtliche Probleme politischer Planung [1 ed.]
 9783428443765, 9783428043767

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 360

Staatsrechtliche Probleme politischer Planung Von

Thomas Würtenberger

Duncker & Humblot · Berlin

THOMAS

WÜRTENBERGER

Staatsrechtliche Probleme politischer Planung

S c h r i f t e n zum ö f f e n t l i c h e n Band 360

Recht

Staatsrechtliche Probleme politischer Planung

Von

Dr. iur. Thomas Würtenberger Professor an der Universität Augeburg

DUNCKER

& HÜMBLOT

/

BERLIN

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg gedruckt m i t Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Alle Rechte vorbehalten © 1979 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1979 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3 428 04376 6

Reinhold Zippelius in Dankbarkeit und Verehrung

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist bis auf einige Ergänzungen i m wesentlichen die unveränderte Fassung einer Habilitationsschrift, die i m Sommersemester 1977 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg angenommen wurde. Trotz des Abklingens einer gewissen Planungseuphorie bleibt Planung nach wie vor „der große Zug unserer Zeit" (J. H. Kaiser). Ziel dieser Abhandlung ist eine Verortung der politischen Planung i m Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Behandelt werden die Einwirkungen des Grundgesetzes auf Verfahren und Inhalt der politischen Planung, aber auch die Auswirkungen der politischen Planung auf die Fortbildung der Verfassungsordnung. I m Vordergrund stehen u. a. die Planungskompetenzen, vor allem die Plangewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung, weiterhin die Anforderungen an eine rechtsstaatliche Planung, die Realisierung von Freiheitlichkeit durch Planung und die Freiheitssicherung gegenüber Planung. Aus Raumgründen mußte leider auf einzelne wichtige Fragen wie der Rolle der politischen Planung i n einer föderalistischen Ordnung oder des Rechtsschutzes gegenüber politischer Planung verzichtet werden. Rechtsprechung und Literatur sind bis Mitte 1978 berücksichtigt. Die jüngst erschienenen Habilitationsschriften von C. Brünner, W. Graf Vitzthum und R. Wahl berühren, so verschieden die Ansätze i m einzelnen sind, manche Fragestellungen der nachfolgenden Untersuchungen. Der Zeitpunkt der Drucklegung brachte es m i t sich, daß die Auseinandersetzung mit diesen Arbeiten i n die Fußnoten verbannt werden mußte; verschiedentlich mußte es beim bloßen Hinweis auf Meinungsverschiedenheiten verbleiben. Zutiefst verpflichtet b i n ich meinem verehrten Lehrer Professor Reinhold Zippelius; von i h m habe ich während meiner sechsjährigen Tätigkeit als Assistent reiche Anregungen empfangen, sein Rat hat die Konzeption dieser Arbeit und ihr Werden begleitet. Professor Walter Leisner sei für seine Anregungen zur Ergänzung und Abrundung einzelner Kapitel bestens gedankt. Zu danken habe ich weiterhin der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die gewährte großzügige Hilfe, die die Drucklegung ermöglichte, und Professor J. Broermann für die Aufnahme dieser Arbeit i n sein Verlagsprogramm. Erlangen, i m August 1978

Thomas

Würtenberger

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel Funktionen politischer Planung i m Industriestaat

19

2. Kapitel Planung als Problemlösungsstrategie

36

I. Der Begriff der Planung

38

1. Planung kein interdisziplinär eindeutiger Begriff

38

2. Planung als Vorgabe verbindlicher Handlungs- und Entscheidungsrahmen

42

3. Abweisung verkürzender Planungsbegriffe

49

a) Bloße systematische und zweck-mittel-rationale tung von Entscheidungen?

Vorberei-

b) Bloßes Instrument der Heformpolitik?

49 52

I I . Einteilungsgesichtspunkte für politische Planung

54

1. Aufgabenplanung und Ressourcenplanung

56

2. Konkretisierungsbedürftige Planung und konkreter Plan

59

3. Entwicklungsplanung und Hessortplanung (Fachplanung)

62

4. Entscheidungsstruktur- und Organisationsplanung

67

I I I . Entscheidungsschritte in den Verfahren politischer Planung

68

1. Problemformulierung

70

2. Informations- und Datensammlung (Lageanalyse)

72

3. Prognose der Entwicklung

75

4. Entwicklung der Zielvorstellungen, Prioritäten und Zielketten

79

5. Insbesondere Operationalisierung der Zielvorstellungen durch Nutzen-Kosten-Analyse

83

6. Bindung und Flexibilität in Planungsverfahren

86

a) Die Offenheit der Planung

86

10

nsverzeichnis b) Faktische Bindungswirkung durch Vorwirkung

88

aa) Vorwirkungen der Planung im Bereich des Rechtsschutzes

89

bb) Die Vorwirkung der Planausarbeitung cc) Die Vorwirkung der Planung in der Realisierungsphase

90 93

7. Fehleranalyse und Erfolgskontrolle

97

3. Kapitel Verfassungstheorethische Grundlagen der modernen Planungsproblematik (Problemaufriß) I. Verfassungsrechtliche Vorgaben der Planung 1. Die verfassungsrechtliche nung

Kompetenzeil- und Verfahrensord-

2. Staatszielbestimmungen und Verfassungsgrundsätze I I . Eindringen von Planungselementen in die Verfassung

103 103 104 108 115

1. Verfassungswandel durch Aufnahme von Planungsnormen in die Verfassung 116 2. Wandel einzelner verfassungsrechtlicher Institutionen durch politische Planung 120 I I I . Die Planungsidee als Paradigma eines neuen Verfassungsverständnisses 122

4. Kapitel Die Verteilung der Planungsfunktionen im Schema der Verfassung I. Planungsfunktionen im Bereich der Parteien

129 131

1. Die Einwirkung der Parteien auf den Prozeß staatlicher Willensbildung 132 2. Formulierung von Planungszielen in Parteiprogrammen

134

3. Keine Bindung der Parlamentsabgeordneten an die Parteiprogramme 139 I I . Die Verteilung der Planungsfunktionen i m Bereich der Regierung 146 1. Die Planungsfunktionen des Regierungschefs a) Bei der Kabinettsbildung und Kabinettsleitung

149 149

nsverzeichnis b) Richtlinienkompetenz

150

aa) Informations- und Datensammlung

156

bb) Prognose der Entwicklung

157

cc) Entwicklung von Zielvorstellungen

157

dd) Operationalisierung der Zielplanungen

160

ee) Erfolgskontrolle

160

2. Die Planungsfunktionen des Kabinetts und der einzelnen Ressorts 161 I I I . Die Funktionen der Ministerialbürokratie i m Planungsbereich der Regierung 165 1. Die Mitwirkung an den politischen Entscheidungen der staatsleitenden Instanzen 165 a) Bereiche bürokratischer Mitwirkung

170

aa) Der Anteil der Bürokratie an der Formulierung von politischen Leitzielen 170 bb) Die Beteiligung der Bürokratie am Vollzug politischer Programme und Planungen 171 cc) Wachsende Mitwirkungs- und Einflußmöglichkeiten der Bürokratie in den Verfahren politischer Planung 174 b) Tendenzen bürokratischer Mitwirkung und Einflußnahme . . 176 2. Die Kontrolle der Bürokratie durch die politische Führung

179

IV. Planungsfunktionen im Bereich des Parlaments

185

1. Demokratische Legitimation, Publizität und Verbindlichkeit politischer Planungen durch Gesetzesform 185 a) Das Gesetz als die vorzugsweise gebotene Form politischer Planungen 185 b) Politische schlüsse?

Planungen

in

Form

schlichter

Parlamentsbe-

189

c) Politische Planungen in Form von Rechtsverordnungen oder von Regierungsbeschlüssen 190 2. Kriterien und Funktionen des Planungsgesetzes

195

a) Erscheinungsformen und Merkmale des Planungsgesetzes .. 195 aa) Erscheinungsformen des Planungsgesetzes bb) Zweckfixierung, Flexibilität und Zukunftsoffenheit Merkmale des Planungsgesetzes

199 als

b) Funktionen planungsrechtlicher Vorschriften V. Planungsfunktionen im Bereich des Bundesrates

3. Die Durchsetzung oppositioneller Politik

205 211

1. Die Durchsetzung der Länderinteressen 2. Die Kontrolle der technisch-administrativen politischer Planung

200

212 Zweckmäßigkeit

212 213

12

nsverzeichnis 5. Kapitel Insbesondere die verfassungsmäßige Verteilung der Planungsfunktionen zwischen Parlament und Regierung

217

I. Politische Planung als spezifische Regierungsfunktion?

218

1. Begründungsversuche

220

a) Die Planungsindifferenz des Grundgesetzes

220

b) Planung als genuin exekutivische Tätigkeit

221

aa) Die konjunkturpolitische Planung als Argumentationsansatz 222 bb) Folgerungen aus der Funktionenlehre 223 c) Der Gesichtspunkt der Effizienz

228

aa) Die mangelnde Planungskapazität der Parlamente

229

bb) Effizienzsteigerung ohne Kompetenzenverschiebung

231

2. Der Einwand der faktischen Kompetenzenverschiebung

232

I I . Differenzierte Verteilung der Planungsfunktionen (Frühzeitige und umfassende Beteiligung des Parlaments) 237 1. Funktionenteilung in Analogie zu Kompetenzenverteilungsnormen? 237 a) Analogie zu Art. 110 GG

238

b) Analogie zu Art. 59 Abs. 2 G G

239

c) Vorerstreckung des Gesetzesvorbehaltes

240

d) Rechtsanalogie zum verfassungsrechtlichen Kompetenzenverteilungsschema insgesamt 246 2. Funktionenteilung aus dem Gesichtspunkt der zur gesamten Hand?

Staatsleitung

248

a) Planung zur gesamten Hand von Regierung und Parlament? 248 b) Der begrenzte Erkenntniswert einer Lehre von der Staatsleitung zur gesamten Hand 252 3. Funktionenteilung aus dem Gesichtspunkt der parlamentarischen Demokratie 256 4. Funktionenteilung aus dem Gesichtspunkt der Gewaltenbalancierung 266 I I I . Einzelne parlamentarische Mitwirkungsbefugnisse Planung

an politischer

273

1. Planungssteuerung durch Beschluß über den Haushaltsplan . . . 274 2. Planungssteuerung durch Beschluß über die mittelfristige Finanzplanung 287 a) Funktionen der Finanzplanung

288

b) Verfassungswidrigkeit von § 9 StabG

292

nsverzeichnis 3. Informationsrechte

304

a) Der Informationsbedarf des Parlaments b) Informationsmöglichkeiten durch Interpellation, und Untersuchungsausschüsse c) Der allgemeine parlamentarische spruch

304 Anfragen

Planungsinformationsan-

309 315

aa) Verfassungsrechtliche Begründung 315 bb) Inhalt der Planungsinformationspflicht der Regierung . . 318 4. Planungsinitiative

322

a) Formen der Planungsinitiative

322

b) Berechtigung des Parlaments zur Planungsinitiative

324

6. Kapitel Verfassungsrechtliche Vorgaben und Zielsetzungen für die politische Planung

330

I. Vorgaben aus Staatsstrukturbestimmungen (dargestellt am Beispiel des Rechtsstaatsprinzips) 333 1. Rechtsstaatliche Vorgaben für die Planung

333

2. Politische Planung als Instrument der Rechtsstaatlichkeit

337

3. Insbesondere Rechtssicherheit durch Konsequenz im Planungsrecht 339 a) Konsequenz im Planungsrecht aus faktischen Gründen

341

b) Konsequenz i m Planungsrecht Gründen

343

aus verfassungsrechtlichen

aa) Durchbrechung der „Regeln" über die Gesetzeskollision im Planungsrecht 344 bb) Bindung des Gesetzgebers durch Hineinwachsen gesetzlicher Regelungen in das Verfassungsrecht 352 cc) Die Bindung an selbstgesetzte Prinzipien sozialer und ökonomischer Gestaltung aus dem Gesichtspunkt der Prinzipientreue 358 I I . Auftrag zu politischer Planung aus Staatszielbestimmungen

371

1. Rationalität und Effizienz staatlichen Handelns als Grundmaximen politischer Kultur 372 2. Der Verfassungsauftrag zu politischer Planung

377

a) Planung und Grundrechtsvoraussetzungen im regelungsintensiven Industriestaat 380 b) Pflicht zur grundrechtseffektuierenden Planung als Sozialstaatsgebot 383

14

nsverzeichnis

I I I . Planungsziele aus dem Sozialstaatsprinzip

387

1. Planungsziel „sozialer Frieden"

392

2. Planungsziel „soziale Sicherheit"

393

3. Planungsziel „soziale Gerechtigkeit"

394

4. Mangelnde Konkretheit staatsprinzip

396

der Planungsziele aus dem Sozial-

I V . Planungsziele aus den Grundrechten 1. Planungsziele aus einzelnen Grundrechten

399 402

2. Planungsprioritäten aus einer Rangordnung der Grundrechte . . 408 3. Zur Konkordanz der grundrechtsbestimmten Planungsziele

415

4. Zur Legitimationsfunktion der Korrelation von Planungs- und Verfassungszielen 416 V. Grenzen sozialstaatlicher und grundrechtseffektuierender Planung . 417

Literaturverzeichnis

429

Abkürzungsverzeichnis Abs. a. E. a. M. Anm. AöR Art. BAbfG

= = = = = = =

bay bayLplG

= =

bayVBl. BB BBauBl. BBauG bd-w BFStrG

= = = = = =

BGBl. Β GHZ BHO

= = =

BImSchG

=

bin brem BNatSchG

= = =

BROG

=

Β RS BT-Drs. BVerfG BVerwG BWaStrG

= = = = =

DJT DÖV Drs. DVB1. FN

= = = = =

Absatz am Ende anderer Meinung Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Gesetz über die Beseitigung von Abfällen i. d. F. vom 5.1.1977 (BGBl. I , S. 41) Bayern; bayerisch Bayerisches Landesplanungsgesetz vom 6.2.1970 (GVB1. S.9) Bayerische Verwaltungsblätter Der Betriebsberater Bundesbaublatt Bundesbaugesetz i. d. F. vom 18. 6.1976 (BGBl. I, S. 2257) Baden-Württemberg; baden-württembergisch Bundesfernstraßengesetz i. d. F. vom 1.10.1974 (BGBl. I, S.2413) Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung vom 19. 8. 1969 (BGBl. I, S.1284) Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz) vom 15. 3.1974 (BGBl. I, S. 1193) Berlin Bremen; bremerisch Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) vom 20.12.1976 (BGBl. I, S. 3574) Bundesraumordnungsgesetz vom 8. 4. 1965 (BGBl. I, S.306) Thiel/Gelzer, Baurechtssammlung Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Bundeswasserstraßengesetz vom 2. 4. 1968 (BGBl. I, S.173) Deutscher Juristentag Die öffentliche Verwaltung Drucksache Deutsches Verwaltungsblatt Fußnote

16 GBl Gesetz zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes Gesetz zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur GG GOBReg GVB1 hamb hess hessLPIG HGrG Hochschulbauförderungsgesetz i. d. F. JöR JUS JZ Kohlegesetz LHO Lit. LKrO LT LT-Drs. MDR m. w. Nw. nds ndsROG NF NJW nrw nrwLPIG OVG PBefG PVS rhpf

Abkürzungsverzeichnis Gesetzblatt Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" vom 3. 9. 1969 (BGBl. I, S. 1573) Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" vom 6. 10. 1969 (BGBl. I, S. 1861) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Geschäftsordnung der Bundesregierung vom 11. Mai 1951 (GMB1. S. 137) Gesetz- und Verordnungsblatt Hamburg; hamburgisch Hessen; hessisch Hessisches Landesplanungsgesetz i. d. F. vom 1. Juni 1970 (GVB1. 1970, S. 360) Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz) vom 19.8.1969 (BGBl. I, S. 1273) Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen" (Hochschulbauförderungsgesetz) vom 1. 9. 1969 (BGBl. I, S. 1556) in der Fassung Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Schulung Juristenzeitung Gesetz zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaus und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete vom 15. 5.1968 (BGBl. I, S. 365) Landeshaushaltsordnung Literatur Landkreisordnung Landtag Landtagsdrucksache Monatsschrift für Deutsches Recht mit weiteren Nachweisen Niedersachsen; niedersächsisch Niedersächsisches Gesetz über Raumordnung und Landesplanung i. d. F. vom 2.1. 1978 (GVB1. S. 1) Neue Folge Neue Juristische Wochenschrift Nordrhein-Westfalen; nordrhein-westfälisch Landesplanungsgesetz Nordrhein-Westfalen i. d. F. vom 3. Juni 1975 (GVB1. S. 450) Oberverwaltungsgericht Personenbeförderungsgesetz vom 21. 3. 1961 (BGBl. I, S. 241) Politische Vierteljahresschrift Rheinland-Pfalz; rheinland-pfälzisch

Abkürzungsverzeichnis Randnummer Saarland; saarländisch Saarländisches Landesplanungsgesetz vom 27. 5. 1964 (ABl. S. 525) Schleswig-Holstein; schleswig-holsteinisch Schleswig-holsteinisches Gesetz über die Landesplanung vom 19.4.1971 (GVB1. S. 151) Schweizerische Juristen-Zeitung Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. 6.1967 (BGBl. I, S. 582) Gesetz über städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen in den Gemeinden vom 27. 7. 1971 (BGBl. I, S. 1125) und andere(s) mehr Verfassungsgerichtshof Verwaltungsarchiv Verwaltungsgerichtshof Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer Weimarer Reichsverfassung Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Rechtspolitik

Erstes Kapitel

Funktionell politischer Planung im Industriestaat Planung ist keine Erfindung der jüngsten Zeit, sondern eine zentrale Kategorie menschlichen Handelns. Planendes Handeln und Gestalten richtet sich an selbst- oder fremdgesetzten Zielen aus und sucht vermittels einer umfassenden „Vergegenwärtigung" und Antizipation künftiger Situationen einen zweckmäßigen Weg der Zielerreichung zu bestimmen 1 . I n diesem weitläufigen Sinn stellt sich Planung als Grundvorgang menschlicher Tätigkeit dar, der auch i m Sinn operationalen Denkens 2 beschrieben werden kann. Daneben erfaßt Planung unabhängig vom Moment der Zielgerichtetheit und Zweckmäßigkeit individuellen Handelns das Grundmuster politischer Gestaltung. Politisches Handeln ist nicht rein reaktives und damit planloses Handeln, das auf die kurzfristige Erfüllung unmittelbar relevanter Bedürfnisse gerichtet ist. I n der Regel ist politisches Handeln an mehr oder weniger umfassenden Leitzielen ausgerichtet wie etwa des allgemeinen Wohls, der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, des sozialen Ausgleichs, der Sicherung internationalen Friedens oder der nationalen Größe. Beim Aufstellen von Ordnungsmustern gesellschaftlichen Zusammenlebens, bei Planungen zur sozialen Sicherheit oder bei Abschluß völkerrechtlicher Verträge und Bündnisse sucht man entsprechend den jeweiligen politischen Zielsetzungen zu handeln 3 . I n der Geschichte begegnet uns eine Vielfalt von Erscheinungsformen politischer Planung. Angefangen von der Wasserwirtschafts- und Raumplanung i n der Antike 4 über die Planungen des kameralistischen Verwaltungsstaates 5 i m Zeitalter des Absolutismus, die Utopie eines wissen1

Hierzu R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 29 m. w. Nw. Hierzu H. Stachowiak, Denken und Erkennen im kybernetischen Modell, 2. Aufl. (1969), S. 78 ff.; vgl. auch R. Schmidt, Wirtschaftspolitik, S. 71; E. Volk, Rationalität, S. 17. 3 Zur Planung als wesentlicher Kategorie menschlichen Handelns: R. Werner, Soziale Indikatoren, S. 15 ff.; F. H. Tenbruck, Kritik, S. 141 ff. 4 Vgl. Κ . A. Wittfogel, Die orientalische Despotie (1963), S. 51 ff. 5 Vgl. etwa K. Weidner, Die Anfänge einer staatlichen Wirtschaftspolitik in Württemberg (1931); L. Zimmermann, Der hessische Territorialstaat im Jahrhundert der Reformation, Bd. 1 (1933); K. Meyer, Art. Planung, in: Akademie für Raumforschung und Raumplanung (Hg.), Handwörterbuch. 2

2*

20

1 Kap.: Funktionen politischer Planung i m Industriestaat

schafts- und wirtschaftsdemokratischen Planungsstaates bei SaintSimon®, die mannigfaltigen Planfeststellungsverfahren 7 und die Intensivierung der städtebaulichen Planung i m 19. Jahrhundert 8 spannt sich der Bogen planenden Bemühens bis zu den ideologischen Auseinandersetzungen u m politische Planung 9 und bis zu den großen Projekten nationaler und internationaler 1 0 Planung i m 20. Jahrhundert. Das Planungsdenken i n der Bundesrepublik Deutschland verlief zunächst i n zwei gegenläufigen Phasen. I n der durch die neoliberale W i r t schaftspolitik gekennzeichneten Phase des Wiederaufbaus war „Planung" ein Reizwort, dem ein Odeur des „totalitären Systems" anhaftete 11 . Man assoziierte mit Planung die freiheitsbeschränkenden Formen der Kriegswirtschaft und der Planwirtschaft i n den totalitären Staaten faschistischer und sozialistischer Prägung. Dem folgte seit Mitte der sechziger Jahre für ein knappes Jahrzehnt eine gewisse Planungseuphorie. Nach diesen Jahren der Planungseuphorie läßt sich eine gewisse Planungsskepsis 12 , zumindest aber eine nüchternere Betrachtung der Planung feststellen. Es hat sich gezeigt, daß am Instrumentar i u m politischer Planung noch i n vielfältiger Weise gefeilt werden muß, soll eine qualitativ bessere Politik ermöglicht werden. Gleichwohl erweist eine Diagnose der Realität unserer sozialen und ökonomischen Verhältnisse die Unerläßlichkeit staatlichen Planens. Planung bleibt nach wie vor „der große Zug unserer Zeit" 1 3 . Regierung und Parlament Sp. 2355 ff.; G. Parry , Aufgeklärte Regierung und ihre Kritiker im Deutschland des 18. Jahrhunderts, in: K. O. Freiherr von Aretin (Hg.), Der aufgeklärte Absolutismus (1974), S. 164 ff. β Β. Schäfers, Voraussetzungen und Prinzipien der Gesellschaftsplanung bei Saint-Simon und Karl Mannheim, in: ders. (Hg.), Gesellschaftliche Planung, S. 102 ff.; N. Sombart, Krise und Planung (1965), S. 7 ff.; F. A. Lutz, Wirtschaftliche Entwicklung in der Sicht ökonomischer Denker, in: R. W. Meyer (Hg.), Das Problem des Fortschritts heute (1969), S. 183 ff.; C. Lau, Theorien, S. 13 ff. 7 W. Blümel, Bauplanfeststellung, S. 35 ff., 40 ff., 84 ff. 8 E. Schmidt-Aßmann, Grundfragen, S. 20 ff.; W. Blümel, S. 111 ff. 9 P. Knirsch, Formen zentraler Wirtschaftsplanung, S. 40 ff. 10 So werden etwa die Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften geradezu als „Planungsverfassungen" qualifiziert (C. F. Ophüls, Die Europäischen Gemeinschaftsverträge als Planungsverfassungen, in J. H. Kaiser (Hg.), Planung I, S. 128 ff.; H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht (1972), S. 128 ff.). 11 Zur ideologisch verfestigten Abneigung gegenüber jeder Art von Planung vgl. 17. Lohmar, Politik und Planung, in: Deutschland 1975. Analysen, Prognosen, Perspektiven (1965), S. 232 ff., 238; K. Lenk, Aspekte der gegenwärtigen Planungsdiskussion, in: PVS 1966, 364 ff. 12 Vgl. W. Hennis , Vom gewaltenteilenden Rechtsstaat zum teleokratischen Programmstaat, in: P. Haungs (Hg.), D. Sternberger zum 70. Geburtstag (1977), S. 170 ff., 184 ff.; C. Lanz, Politische Planung, S. 15. 13 J. H. Kaiser, Vorwort, S. 7; skeptischer F. H. Tenbruck, Grenzen der staatlichen Planung, in: W. Hennis u. a. (Hg.), Regierbarkeit, S. 134 ff.

1 Kap.: Funktionen politischer Planung i m Industriestaat

sowie — mit einigen Abstrichen — die Verwaltung können heute und i n Zukunft die ihnen obliegenden vielfältigen Aufgaben nur i m Wege kurz-, mittel- und langfristiger Planungen erfüllen 1 4 . Die Aufgaben politischer Planung i m Industriestaat der Gegenwart lassen sich zunächst von einem anthropologischen Ansatz her bestimmen. Für ein am Menschen orientiertes Staatswesen ist politische Planung eine wichtige Komponente staatlicher Wirksamkeit. I m regelungsintensiven Industriestaat 15 entspricht es einer weitverbreiteten und, wie es scheint, durchaus berechtigten Bewußtseinslage und einem nicht von der Hand zu weisenden Bedürfnis des Menschen, vom Staat planende Fürsorge und Vorsorge als Äquivalent für den weitgehenden Verlust sozialer Selbständigkeit zu fordern. Technisierung und Industrialisierung entziehen dem Einzelnen, worauf Forsthoff mit Nachdruck hingewiesen hat1®, viel von seinem ehemals beherrschbaren Raum; gemeint ist hiermit jener Raum, i n dem sich der Einzelne seit jeher zur Sicherung seiner Existenz eigenverantwortlich entfalten konnte. I n der arbeitsteiligen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts ist der Einzelne unfähig geworden, für alle seine Bedürfnisse selbständig zu sorgen. Dieser Schrumpfung des beherrschten individuellen Lebensraumes entspricht auf der anderen Seite die durch die moderne Technik ermöglichte Ausweitung des effektiven Lebensraumes. I n großem Ausmaß ist der Ein14 Allgemein zum Gesichtspunkt der Notwendigkeit politischer Planung: K. Mannheim, Mensch und Gesellschaft, S. 185 ff., 279 ff.; ders. t Geplante Demokratie, S. 13 ff., 27 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, §281; W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 46 ff.; R. Wahl, Rechtsfragen, S.46ff.; R. Herzog, Regierungsprogramme, S.40ff.; B. Dobiey, Politische Planung, S. 25 ff.; C. Bohret, Entscheidungshilfen, S. 11; J.-Th. Blank, Staatliche Aufgabenplanung, S. 10 ff.; D. Frank, Politische Planung, S. 15 ff.; U. Wehinger, Raumplanung, S. 116 ff.; C. Lanz, Politische Planung, S. 35 ff.; A. Murswieck, Regierungsreform; W. Weber, Planende Verwaltung, S. 21; H. Steiger, Entscheidung kollidierender öffentlicher Interessen, S. 386 ff.; H. Bebermeyer, Regieren, S. 9 ff.; F. Wagener, Aufgabenplanung, S. 37 ff.; C. Arndt, Parlament und Ministerialbürokratie, in: Die Verwaltung 1969, S. 265 ff., 269; H. Lübbe, Herrschaft und Planung, S. 196; R. Jochimsen, Politische Planung in der Bundesregierung: Probleme und Perspektiven, in: P. Hoschka und U. Kalbhen (Hg.), Datenverarbeitung, S. 7 ff.; ders., Zur Philosophie staatlicher Planung, in: H. M. Baumgartner u. a. (Hg.), Philosophie, S. 155 ff., 156 ff.; F. Duppré, Ziele der Raumordnung und Landesplanung, in: Verfassungs- und Verwaltungsprobleme, S. 7 ff.; P. Meyer-Dohm, „Wettbewerb soweit wie möglich, Planung soweit wie nötig". Karl Schillers Bochumer Leitregel, in: H. Körner u. a. (Hg.), Wirtschaftspolitik — Wissenschaft und politische Aufgabe (1976), S. 85 ff. 15 Zu diesem Staatstyp grundlegend R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre,

§28.

18 E. Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger (1938); ders., Verfassungsprobleme des Sozialstaates, in: E. Forsthoff (Hg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit (1968), S. 145 ff., 147; vgl. weiter F. Werner, Wandelt sich die Funktion des Rechts im sozialen Rechtsstaat? in: Die moderne Demokratie und ihr Recht. Festschrift für G. Leibholz, hrsg. von K. D. Bracher u. a., 2. Bd. (1966), S. 153 ff., 157 ff.

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1 Kap. : Funktionen politischer Planung i m Industriestaat

zelne i n fast allen Bereichen des täglichen Lebens auf organisierte Versorgungsapparaturen angewiesen. Zur Befriedigung seiner Bedürfnisse muß er an staatlichen Leistungen teilhaben können, die i n ausreichendem Maße und i n zweckmäßiger Weise nur durch vorausschauende Planung erbracht werden können. Diese Befriedigung von Bedürfnissen, die gegenüber der früheren Zeit ins Unermeßliche gesteigert sind, muß man nicht zuletzt auch darum staatlicher Planung anvertrauen, weil die Sicherung der Lebensgrundlagen i m Industriestaat nicht dem gesellschaftlichen Kräftespiel überlassen werden kann und die gesellschaftlichen Verteilungsmechanismen für eine allseitige und gerechte Güterverteilung nicht mehr ausreichend sind. Damit erlangt das Phänomen der Planung i m gegenwärtigen Bewußtsein eine wichtige Rangstelle und erhebt sich zu einer zentralen Kategorie. Planvolle Vorsorge und Fürsorge des Staates kann den Einzelnen wenn nicht von existenzieller Lebens- und Zukunftsangst befreien, so doch zu einem gewissen Teil entlasten. Staatliche Planung kann von der Zukunftsangst entlasten 17 , indem sie über die angestrebten Projekte informiert, die der Sicherung künftiger Lebensbedingungen dienen. Durch politische Planung gewinnt so die vor dem Einzelnen liegende unsichere Zukunft festere Konturen; er kann sich auf künftige Lebenssituationen einrichten und frühzeitig sein Verhalten i n eine bestimmte Richtung lenken. Die alte Hoffnung auf Sekurität i m Sinne gesicherter Lebensbedingungen 18 ist heute an der Planung staatlicher Vorsorge festgemacht. Nicht mehr durch die Beschwörung des Herkömmlichen oder des status quo kann der Mensch i m modernen Industriestaat die erstrebte soziale Sicherheit finden. Es gibt eine neue Dimension der Sicherheit, die „ihren Ansatzpunkt darin suchen muß, den gesellschaftlichen Veränderungen und der Wandlung der Lebensverhältnisse auf die Spur zu kommen und die Politik darauf einzurichten" 19 . Diese Hoffnung auf und das Vertrauen i n die planende Vorsorge des Staates entsprechen dem Sicherheitsbedürfnis des modernen Menschen. Das Bedürfnis nach staatlicher Planung ist damit ein anthropologisches Phänomen, dem der Staat bei seiner Politik Rechnung tragen muß; es t r i t t u m so akzentuierter i n Erscheinung, je mehr der Mensch auf Fremdleistungen des Staa17 — und kann damit zu „Sicherheit als subjektive Befindlichkeit" führen (vgl. F. X. Kaufmann, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem, 2. Aufl. [1973], S. 285 ff.). 18 F.-X. Kaufmann, S. 19 ff. und passim; H. D. Duncan, Language and Literature in Society (Chicago 1953), S. 148 ff.; H. Schelsky, Der Realitätsverlust der modernen Gesellschaft, in: Grundriß einer reòhtlichen Volkskunde (1974), S. 39 ff.; P. Kmieciak, Wertstrukturen und Wertwandel in der Bundesrepublik Deutschland (1976), S. 230 ff. 19 H. Rohde, Gesellschaftspolitische Planung, S. 12; Th. EUwein, Probleme, S. 39 ff.

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tes angewiesen ist 2 0 . I n diesem Sinne scheint der Plan mehr und mehr zu einem Symbol für eine bessere Zukunft zu werden 21 . Dieses für den Menschen i m Industriestaat elementare Bedürfnis nach staatlicher Planung ist die Grundlage dafür, daß Planung zu einem wichtigen Instrument der Konsensgewinnung i m regelungsintensiven Industriestaat der Gegenwart geworden ist 2 2 . Eine transparente staatliche Planung verdeutlicht die Rationalität politischer Programme, weist die Grenzen staatlicher Handlungsmöglichkeiten auf, verhindert zu hoch gesteckte Leistungserwartungen und vermag i m Idealfall Zustimmung zu unbequemen Maßnahmen der Planungsrealisierung zu erzeugen. Problemlösungen i n Form transparenter Planungsverfahren können damit zu einem Element der Legitimation des politischen Systems werden 23 . Mit dem anthropologischen Bedürfnis nach existenzsichernder Planung eng verbunden ist das Phänomen, daß Planung zu einem Teilaspekt moderner Heilsgläubigkeit und Heilslehre zu werden droht. „Immer mehr Aufklärung durch Information, immer mehr Einsicht durch Belehrung, immer mehr soziale Gerechtigkeit durch Betreuung, immer mehr Zukunftssicherheit durch Planung, das ist das illusionäre Syndrom des sozialen Heilsglaubens, das Zusammenschließen von Belehrung, Betreuung und Beplanung zur Herrschaftsform über die neugläubigen Massen der modernen Gesellschaft 24 ." Planung kann auf diese Weise zu einem allzu leichtfertig akzeptierten Herrschaftsinstrument werden. Demgegenüber gilt es, bei allem Bedürfnis des Menschen nach sozialer Sicherheit, staatliche Planung nicht zu einem gängigen Instrument der Herrschaft werden zu lassen, sondern die gebotene Freiheitssicherung i n das System der Planungstheorie einzubeziehen. Zu erhellen ist hierbei das facettenreiche Problem der Legitimität konkreter politischer Planung 25 , mag sie auf den konsenserzeugenden demokrati20 Vgl. K.-H. Hansmeyer, Der Weg zum Wohlfahrtsstaat (1957), S. 80 ff.; C. Lau, S. 44; H. Braun, Soziale Sicherung, S. 13 f. — Diese neue Bedeutung der Planung für den Menschen in der Industriegesellschaft konstatiert bereits H. Freyer in seiner 1933 erschienenen Schrift über „Herrschaft und Planung" (S. 4). 21 H. Krings, Philosophie als Voraussetzung von Planung, in: H. M. Baumgartner u. a. (Hg.), Philosophie, S. 180 (zum Symbolcharakter des Planes). 22 Hierzu W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 51 ff. und zweifelnd S. 70 f. 23 Wobei zu betonen bleibt, daß eine Legitimation durch bloßes Verfahren keine hinreichende Legitimation eines politischen Systems sein kann (vgl. Th. Würtenberger, Artikel „Legitimität, Legalität", in: Brunner/Conze/Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, V I I I . m. w. Nw.). 24 H. Schelsky, Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen (1975), S. 374 f.; vgl. auch H. Lilthy, Geschichte und Fortschritt, in: R. W. Meyer (Hg.), Das Problem des Fortschritts — heute (1969), S. 1 ff., 15.

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sehen Verfahren, auf der Autorität des Sachverstandes oder i n einer Einbindung i n die Verfassungsordnung beruhen, — eine Fragestellung, die als eines der Leitmotive dieser Arbeit gelten mag. Ist politische Planung das geeignete Instrumentarium staatlichen Handelns, das dem Sicherheitsbedürfnis des Menschen i m Industriestaat der Gegenwart entgegenzukommen vermag, so w i r d deutlich, daß die vorrangige Funktion der Planung die Existenzsicherung i n einem umfassenden Sinn sein muß. Zum Zweck der Existenzsicherung nimmt Planung als Organisationsform staatlicher Gestaltung einen zentralen Rang i m politischen System des regelungsintensiven Industriestaates ein. Der regelungsintensive Industriestaat als eine „tendenziell allgegenwärtige und i n unbeschränkt vielen Lebensgebieten tätige Staatsorganisation von perfekter Produktivität und hohem Wirkungsgrad" 2 6 ist auf Planung angewiesen. M i t bloßem Krisenmanagement können die sozialen und ökonomischen Probleme, die die Lebensqualität und Existenz der Einzelnen bedrohen, nicht bewältigt werden. Zwangsläufig hat sich daher der regelungsintensive Industriestaat auf neuartige A k t i v i t ä t e n verlegt, deren gemeinsames Merkmal soziale Vorsorge und Fürsorge ist und die nur durch Planung zu bewältigen sind 27 : Durch vorausschauende Planung sorgt der regelungsintensive Industriestaat für so verschiedenartige Bereiche wie Vollbeschäftigung, Bildung und Ausbildung, verhindert Wirtschaftskrisen und fördert gefährdete Wirtschaftszweige, baut Wohnungen und Verkehrswege, kümmert sich um die Gestaltung von Ferien und Freizeit, produziert, verteilt und schützt Energie, Wasser und Lebensmittel, garantiert die Versorgung von Kranken, Erwerbsunfähigen und Alten. Die Planungen des regelungsintensiven Industriestaates setzen überall dort ein, wo die gesellschaftlichen Selbstregulierungsmechanismen versagen, soziale Krisen drohen und die Lebensqualität verbessert werden kann 2 8 . Es ist aber nicht allein das menschliche Bedürfnis nach Existenzsicherung, das die Legitimation zu umfassender staatlicher Planung abgibt. I n den Demokratien der Industriestaaten westlicher Prägung scheint ferner eine Tendenz zur Eskalation der Ansprüche auf staatliche Lei25 Vgl. etwa M. Rein, Sozialplanung: Auf der Suche nach Legitimität, in: F. Naschold, W. Väth (Hg.), Politische Planungssysteme, S. 203 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 41 IV. 26 K. Eichenberger, Leistungsstaat und Demokratie (Basler Universitätsreden H. 62), (Basel 1969), S. 11; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 28 I. 27 Vgl. etwa G. Myrdal, Jenseits des Wohlfahrtsstaates, S. 16 ff. und passim. 28 Zur wichtigen, aber hier nicht zu verfolgenden Frage der Planungsrestriktionen im Industriestaat westlicher Prägung: V. Ronge und G. Schmieg, Restriktionen; F. W. Scharpf u. a., Politikverflechtung, S. 15 ff.

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stungen zu bestehen. Die organisatorische Existenz der Verbände i m pluralistischen Staat ist dadurch bedingt, daß sie die Interessen ihrer Mitglieder formulieren und i n größtmöglichem Umfang zu realisieren suchen. Der Erfolg des Werbens politischer Parteien u m die Gunst der Wähler hängt davon ab, daß großzügige Wahlversprechen gemacht oder latente Bedürfnisse artikuliert werden. Hier wie auch i n den Massenmedien werden potentielle Funktionsdefizite des politischen Systems in das allgemeine Bewußtsein gehoben mit der Konsequenz, daß die Leistungsansprüche an den Staat stetig i m Steigen begriffen sind. I n den Verfahren politischer Planung muß ein Kompromiß zwischen den vielfältigen Leistungsansprüchen an den Staat gesucht werden. Nur die Transparenz einer sachgerechten Planung w i r d ein geeignetes Mittel gegen übertriebene Leistungsansprüche an den Staat abgeben können. Man hat der Planung geradezu die Funktion zugesprochen, „Schutzwall gegen übermäßigen Interessenteneinfluß" zu sein. Vermag Planung Konsequenzen und Folgekosten politischer Entscheidungen allseitig, d. h. auch den Interessentenverbänden deutlich zu machen, so kann sie zu einem „nationalen Erziehungsinstrument zu politischer Verantwortung" (Hettlage) werden 29 . Abgesehen von den anthropologischen und systemstabilisierenden Funktionen politischer Planung w i r d der regelungsintensive Industriestaat durch die soziale und wirtschaftliche Entwicklung geradezu zu Planungen gezwungen, w i l l er seiner ordnungstiftenden Funktion nachkommen. Überblickt man die verschiedenen Herausforderungen, denen der Industriestaat der Gegenwart mittels politischer Planung zu antworten hat, so fallen vor allem die Akzeleration und Bändigung des technischen Fortschritts, der knapper werdende Ressourcenrahmen und die Verflechtung von Staat und Wirtschaft auf. Die Akzeleration der technischen Entwicklung 3 0 macht Planungen i n immer größerem Ausmaß nötig. Für Energielücken, die neue Technologien oder eine weitere Technisierung des privaten Bereiches i n den kommenden fünfzehn oder zwanzig Jahren hervorrufen werden, muß heute bereits durch Planung vorgesorgt werden. Auf vielen Gebieten geht die technische Entwicklung über bestehende Systeme hinweg. Genannt seien nur die Revolution i n der Datenspeicherung oder die Entwicklung militärischer Waffensysteme, die langfristige Konzeptionen 29 So H. H. von Arnim, Gemeinwohl, S. 340 m. w. Nw.; F. W. Scharpf u. a., S. 14 f.; U. Matz, Der überforderte Staat: Zur Problematik der heute wirksamen Staatszielbestimmungen, in: W. Hennis u. a. (Hg.), Regierbarkeit, S. 82 ff., 94 ff. 30 D. Aderhold, Kybernetische Regierungstechnik, S. 36 f.; D. Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft (1975), S. 173 ff.; C. Lanz, Politische Planung, S. 18 ff.; L. Kern (Hg.), Probleme der nachindustriellen Gesellschaft (1976), Einleitung, S. 52 ff. und passim.

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erfordern. Der Staat muß durch planende Vorausschau die Akzeleration der technischen Entwicklung einzufangen versuchen, w i l l er nicht funktionsunfähig werden 3 1 . Denn ist der Staatsapparat nicht auf der Höhe des technischen Fortschritts und w i r d der technische Fortschritt nicht gebührend i n die Politik einbezogen, w i r d der Staat über kurz oder lang nicht mehr seiner ordnungstiftenden Funktion nachkommen können. Staatliches Handeln soll nicht allein am technischen Fortschritt ausgerichtet sein; daneben ist die Bändigung des technischen Fortschritts zum Schutz der Bürger eine der vordringlichsten Aufgaben der kommenden Jahre 32 . Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, wie mit der Akzeleration der technischen Entwicklung die Gefahr einer Diskontinuität hergebrachter politischer und sozialer Lebensformen 33 einhergeht. Technischer Fortschritt kann etwa die tatsächlichen Voraussetzungen grundrechtlich geschützter Lebensbereiche vernichten oder die reale M acht Verteilung zwischen staatlichen Institutionen verändern. Der Staat w i r d auch diese Aufgabe nur durch Planung von langer Hand bewältigen können. Symptomatisch ist etwa die Planung des Datenschutzes 34 . Für die Weiterentwicklung von Systemen der automatischen Datenverarbeitung werden derzeit in Staat und Wirtschaft jährlich Milliardenbeträge auf gewendet. Soll ein Datenschutz ohne übermäßige Folgekosten realisierbar und wirkungsvoll sein, müssen bereits i n der ersten Entwicklungsphase die freiheitsbeeinträchtigenden Folgewirkungen von umfassenden Datensystemen i n Betracht gezogen werden. Bereits bei der Entwicklung von Informationssystemen sind die zum Schutz der Persönlichkeit und der freiheitlich-demokratischen Strukturen erforderlichen Maßnahmen mit einzuplanen 35 . 31 Vgl. etwa E. Lutterbeck, Arbeitsprogramm zur Verbesserung des Informationswesens der Bundesregierung, in: P. Hoschka und U. Kalbhen (Hg.), Datenverarbeitung, S. 17 ff. 32 Zu den verschiedenartigen Problemen, vor die der technische Fortschritt die Industriestaaten stellt, vgl. E. Küng, Steuerung und Bremsung des technischen Fortschritts (1976), S. 22 ff., 99 ff. und passim. 33 Zum Phänomen der Diskontinuität vgl. den von H. Trümpy herausgegebenen Sammelband „Kontinuität und Diskontinuität in den Geisteswissenschaften" (1973). 34 R. Waterkamp (Politische Leitung, S. 274 ff.) schildert die technischen Probleme und die sich aus Rechtsstaatsgebot und Grundrechten ergebenden Anforderungen an eine Planung des Datenschutzes. 35 Zum Datenschutz vgl. W. Steinmüller, B. Lutterbeck, C. Mallmann, U. Harborth, G. Kolb und J. Schneider, Grundfragen des Datenschutzes. Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums des Innern, Bundestags-Drucksache VI/3826 vom 7. Sept. 1972, S. 5 ff.; W. Birkelbach, Überlegungen nach dreijähriger Datenschutzpraxis, in: Erfassungsschutz. Der Bürger in der Datenbank: zwischen Planung und Manipulation, hrsg. von H. Krauch (1975), S. 10 ff., 14; R. Kamiah, Der Informationsanspruch des Parlaments im Computerzeitalter, in: öffentliche Verwaltung und Datenverarbeitung, 1. Jahrgang

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Darüber hinaus kann technischer Fortschritt selbstzerstörerisch w i r ken. Gemeint sind etwa die Zerstörung der Umwelt durch skrupellose Realisierung technischen Fortschritts oder die unvorhergesehenen Fehlentwicklungen durch Eingriffe i n die Naturbasis 3®. Um diese und andere Gefahren zu bannen, genügt kein kurzfristiges Krisenmanagement, sondern ist eine langfristig angelegte Planung des Staates erforderlich. Nur langfristige staatliche Planung vermag die zerstörende Wirkung technischen Fortschritts zu bändigen. Außer zur Indienstnahme und Zähmung des technischen Fortschritts erweist sich Planung zur Bereitstellung und effektiven Verwendung von Ressourcen 37 als nötig. Zunächst hat der Übergang vom liberalen zum leistenden und gestaltenden Staat das Problem der Knappheit der Ressourcen in neuem Licht erscheinen lassen 38 . Der liberale Staat brauchte nur für überschaubare Bereiche Sorge zu tragen. M i t dem Aufbau der klassischen „Eingriffsverwaltung" waren bereits die wichtigsten Staatsaufgaben gelöst. Sobald aber der Staat zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit Leistungen erbringt, liegen die Dinge anders. Durch Leistungen gestaltet werden kann nur, wenn die erforderlichen Ressourcen i n ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Der Ressourcenrahmen setzt dem leistenden und gestaltenden Staat eine unüberwindbare Grenze. Da der Ressourcenrahmen die wesentliche Restriktion aller sozialstaatlichen A k t i v i t ä t bildet, ist die Planung der Bereitstellung eines ausreichenden Ressourcenrahmens zu einer zentralen Staatsaufgabe geworden. Aber auch unter einem weiteren Aspekt ist die Planung einer zielgerichteten und den gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechenden Verwendung von Ressourcen für den modernen Industriestaat geradezu lebensnotwendig. Durch die moderne Technik werden selbst so elementare Lebensgüter wie Wasser und Luft gefähr1971, S. 35 ff., 60 ff.; von Berg, Harborth, Jarass und Lutterbeck, Schafft die Datenverarbeitung den modernen Leviathan? ebd., 2. Jahrgang 1972, S. 3 ff.; C. Mallmann, Datenschutz in Verwaltungsinformationssystemen (1976), S.27ff.; A. Podlech, Prinzipien des Datenschutzes in der öffentlichen Verwaltung, in: Datenschutz, hrsg. von W. Kilian, K. Lenk und W. Steinmüller (1973), S. 3 ff., 9 ff.; K. Lenk, Datenschutz in der öffentlichen Verwaltung, ebd., S. 15 ff.; C. Sasse, Sinn und Unsinn des Datenschutzes (1976) m. w. Nw.; O. Mallmann, Zielfunktionen des Datenschutzes (1977); U. Dammann u.a., Datenbanken und Datenschutz (1974); vgl. weiter unten S. 74. 38 P. Drucker, The Age of Discontinuity, dt.: Die Zukunft bewältigen. Aufgaben und Chancen im Zeitalter der Ungewißheit (1969), S.23, 56 ff., 61, 261; E. Benda , Rechtsstaat, S. 504 f. 37 Zu den Ressourcen zählen zunächst die finanziellen Mittel, weiterhin menschliche Arbeitskraft und technisches Know-how, Informationen und Infrastruktur, aber auch allgemeiner Konsens und Massenloyalität (H. Schatz, Politische Planung, S. 4). 38 JR. Herzog, Regierungsprogramme, S. 40; vgl. auch A. Wagners Gesetz der wachsenden Staatsausgaben (Nw. bei Anm. 65).

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det und müssen i n die Ressourcenplanungen einbezogen werden 39 . Hinzu kommt, daß die Industriegesellschaft der Gegenwart von einem hohen Anspruchsniveau geprägt wird, dem der Staat genügen muß, soll seine Legitimität anerkannt bleiben 40 . Angesichts der rasch eskalierenden A n sprüche an den Staat und der gravierenden strukturbedingten Engpässe i m Industriestaat w i r d auch heute noch, angefangen von den Numerusclausus-Fächern an den Hochschulen über den Verkehrs- und Parkraum bis zu den Kommunikationsmitteln und Freizeiteinrichtungen, eher Mangel verwaltet, als daß soziale Leistungen nach bestimmten politischen Konzeptionen, d. h. planvoll, bereitgestellt und verteilt werden. Sollen nicht Engpässe ζ. B. i m Bereich der Gesundheitsvorsorge 41 , B i l dung oder Energie auftreten, die die Lebenschancen und Lebensqualität entscheidend beeinträchtigen, so muß der Staat durch eine langfristige Gesundheits-, Bildungs- oder Energiepolitik Vorsorgen. Bei der Planung der Bereitstellung eines ausreichenden Ressourcenrahmens geht es u m das Ansammeln der finanziellen Ressourcen, vor allem aber auch u m die Gewährleistung der Rahmenbedingungen einer leistungsfähigen Volkswirtschaft, die das Ausmaß sozialstaatlicher Leistungen entscheidend bestimmt 4 2 . Weiterhin ist wegen der Knappheit der Ressourcen bei allen politischen Entscheidungen zu beachten, daß die Prioritäten richtig gesetzt und die M i t t e l sparsam verwendet werden. Sozialkonsum und Sozialinvestitionen sind auf lange Sicht zu planen. Derzeit beträgt der Anteil der öffentlichen Ausgaben von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungsträgern am Sozialprodukt etwa 45 W 3 . Von der Verteilung dieser Ressourcen hängt nicht nur soziale Gerechtigkeit, sondern i n hohem Maß der Lebensstandard jedes einzelnen Bürgers ab. Die knappen M i t t e l müssen i n erster Linie für jene Staatsauf gaben verwendet werden, deren Erfüllung nach dem jeweiligen Stand der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung am vordringlichsten ist. Bei der Planung der Bildungs- und Forschungseinrichtungen, der Einrichtungen des Gesundheitswesens, der Verkehrs- und 39 Vgl. die Nachweise bei W. Berg, Die Verwaltung des Mangels. Verfassungsrechtliche Determinanten für Zuteilungskriterien bei knappen Ressourcen, in: Der Staat 15. Bd. (1976), S. 1 ff. 40 Hierzu Th. Würtenberger jun., Die Legitimität staatlicher Herrschaft (1973), S. 302 und die Nw. bei Anm. 29. 41 Beispiele im 6. Kap. unter II., 2 b. 42 Hierzu im 6. Kap. I I , 2 a. 43 W. Grund, Die mehrjährige Finanzplanung des Bundes, in: J. H. Kaiser (Hg.), Planung I I I , S. 51; G. Schmölders, „Mehr Demokratie" — Mehr Inflation?, in: öffentliche Aufgaben in der parlamentarischen Demokratie (Cappenberger Gespräche der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft, Heft 10,1975), S. 9 ff., 13; vgl. auch die Tabellen bei W. Bromsberg, Staatsaufgaben und Staatsausgaben, 3. Aufl. (1971), S. 11 ff.; M. J. Buse, Integrierte Systeme, S. 14.

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Verteidigungseinrichtungen etc. geht es jeweils darum, den sozialen Bedürfnissen nicht nur der jetzigen Generation gerecht zu werden, sondern auch die sozialen Bedürfnisse der kommenden Generation i n die Planung einzubeziehen. Andernfalls würden die knappen Ressourcen des Staates zur Beseitigung bloßer momentaner Engpässe vergeudet und nicht auf lange Sicht optimal genutzt. Damit wird, womit H. P. B u l l seine Arbeit über „Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz" (1973)44 schließt, die Planung schlechthin zur Bedingung staatlicher Vorsorge. Bereits bei der Erforderlichkeit der Ressourcenplanung wurde deutlich, wie eng der staatliche und der wirtschaftliche Bereich i m regelungsintensiven Industriestaat miteinander verflochten sind. Der Sozialstaat der Gegenwart ist auf eine hohe Leistungsfähigkeit der W i r t schaft angewiesen, w i l l er durch Umverteilung des Sozialprodukts öffentliche Wohlfahrt gewährleisten. Wirtschaftliche Depressionen mit langanhaltender hoher Arbeitslosigkeit führen zwangsläufig zu einer Demontage des sozialstaatlichen Leistungssystems. Der wirtschaftliche Bereich wiederum ist i n hohem Maße auf eine wirkungsvolle staatliche Planung angewiesen. Infrastrukturplanungen oder Bereitstellung von Ausbildungseinrichtungen i n volkswirtschaftlich erforderlichem Maß verhelfen der Wirtschaft zu günstigen Produktionsbedingungen und zu internationaler Konkurrenzfähigkeit. Vor allem spielt die allgemeine Wirtschaftspolitik des Staates eine wichtige Rolle: Durch eine Stabilitätspolitik kann der Staat jenen Rahmen schaffen, dessen die Wirtschaft für langfristige Investitionen bedarf. Wegen dieser gegenseitigen Abhängigkeit von Staat und Wirtschaft erscheint staatliche Wirtschaftsplanung geradezu als eine Lebensnotwendigkeit des Staates der Industriegesellschaft. Planung i m regelungsintensiven Industriestaat ist auch als Reaktion auf Planungen auf dem wirtschaftlichen Sektor geboten. Denn die Planungen der Wirtschaftssubjekte können für staatliche Planungen unübergehbare Daten setzen. W i l l der Staat nicht zum Vollzugsorgan außerstaatlicher, langfristig geplanter Aktivitäten werden, muß er dieser Planung „unter dem Blickpunkt eigener Verantwortung" 4 5 entgegentreten, indem er Richtdaten für langfristige Entwicklungen i n den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen setzt. Diese wachsenden Interdependenzen zwischen dem wirtschaftlichen und sozialen Bereich auf der einen und dem politischen System auf der anderen Seite sucht i n jüngster Zeit vor allem die politökonomische 44

S. 377; vgl. weiter D. Frank, S. 18 ff. E.-W. Böckenförde, Planung, S. 431 f.; vgl. weiter F. H. Tenbruck, Zur Kritik, S. 44 ff. 45

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Planungsforschung zu erhellen 4®. Die politökonomische Planungsforschung untersucht, welche Entwicklungen eine staatliche Planung nötig, aber auch möglich machen. Sicherlich ist der Ausgangspunkt der politökonomischen Planungsforschung zutreffend, daß nämlich der Produktionsprozeß i m regelungs- und leistungsintensiven Industriestaat westlicher Prägung wirtschaftliche und soziale Probleme erzeugt, die von den Trägern der privaten Wirtschaft nicht bewältigt und gelöst werden können. Insbesondere die politökonomische Planungsforschung linker Provenienz sieht die Funktion politischer Planung i m Industriestaat westlicher Prägung darin, die gegenwärtigen Bedingungen der Kapitalverwertung zu gewährleisten und das bestehende sozio-ökonomische Gefüge zu stabilisieren. Für jene Politische Ökonomie stellt sich Planung geradezu als systemimmanenter Zwang dar, u m einer vermeintlichen Labilität des imperialistischen Staates entgegen zu steuern und einen von schwerwiegenden Legitimationskrisen geschüttelten Staatsapparat zusammen zu halten 4 7 . Dem kapitalistischen Staat bleibe es nicht erspart, so folgert jene politökonomische Planungstheorie, bei sozialen und ökonomischen Krisen unter Vernachlässigung der tatsächlichen Bedürfnisse der Bevölkerung zugunsten der Kapitalverwertungsinteressen regelnd einzugreifen. Eine solche politökonomische Planungstheorie schätzt die Autonomie des Staatsapparates gegenüber dem wirtschaftlichen System i m Industriestaat westlicher Prägung nicht besonders hoch ein 4 8 ; denn sie bestimmt den Handlungsrahmen politischer Planung i m regelungsintensiven Industriestaat unter der Prämisse, daß die ökonomischen Kapitalverwertungsinteressen i n grundsätzlicher Weise die Aktionen und Entscheidungen des politisch-administrativen Systems beeinflussen 49 . Wenn 46 V. Ronge, Politökonomische Planungsforschung, S. 139; V. Ronge und G. Schmieg, Restriktionen, S. 14 ff.; F. Naschold, Zur Politik und Ökonomie von Planungssystemen, S.20ff., 36 ff.; C. Lau, Theorien, S. 29 ff.; W. Zeh, Föderalismus und öffentliche Planung, in: F. Schäfer (Hg.), Schwerpunkte, S. 57 ff., 80 ff.; U. Thaysen, Staatsaufgabe „Planung", in: ZParl 1974, S. 280 ff., 288 ff. m. w. Nw.; W. Brohm und W. Sigg, Stadtentwicklungsplanung, S. 198. 47 E. Volk, Rationalität, S. 9; E. Altvater, Plan und Markt. Ökonomische Leitungsmechanismen und gesellschaftliches Strukturprinzip, in: Stadtbauwelt Jahrgang 1971, S. 111 ff., 114; J. Esser, F. Naschold und W. Väth, Gesellschaftsplanung und Weltdynamik, in: dies. (Hg.), Gesellschaftsplanung, S. 7 if., 15 ff. 48 Hierzu K. von Beyme, Die politischen Theorien der Gegenwart, 3. Aufl. (1976), S. 78 ff. m. w. Nw.; R. Mayntz, Soziologie, S. 40 ff. 49 Allerdings bemühte sich die politökonomische Planungsforschung bis zu den Arbeiten von P. Grottian (Strukturprobleme), A. Murswieck (P. Grottian und A. Murswieck, Zur theoretischen und empirischen Bestimmung von politisch-administrativen Handlungsspielräumen, in: dies. [Hg.], Handlungsspielräume, S. 15 ff.) und J. Kussau und L. Oertel (Der Prozeß der Problembearbeitung in der Ministerial Verwaltung: Das verkehrspolitische Programm für die Jahre 1968 - 1972, ebd., S. 113 ff.) nicht um einen empirischen Nächweis einer

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die Politische Ökonomie das moderne Phänomen der staatlichen Planung auf die Notwendigkeit der Sicherung der kapitalistischen Produktionsweise und Produktionsbedingungen zurückführt, so weist sie der staatlichen Planung gleichzeitig auch die Funktion eines Herrschaftsinstrumentes zu. Der politökonomische Ansatz bestimmt je nach politischem Standort unterschiedlich die Herrschaftsmöglichkeiten, die die politische Planung sichern hilft. Den Vertretern einer Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus scheint es, daß es dem „Monopolkapital" gelingt, seine Herrschaft auf dem Wege der Wahrnehmung seiner Interessen durch den Staat aufrecht zu erhalten. Durch den Einfluß des „Monopolkapitals" auf die Prozesse staatlicher Planung sollen die auf den kapitalistischen Grundwidersprüchen beruhenden Krisenerscheinungen relativ geglättet werden können. Nach dieser wenig realitätsadäquaten „Agenturtheorie", die den planenden Staat als „Agentur" des Kapitals betrachtet 50 , soll der Staatsapparat m i t der kapitalistischen Produktion „und der Aufrechterhaltung ihrer Bedingungen i n einer Weise verfilzt sein, daß die Fiktion seiner Selbständigkeit, d. h. seiner nur negativen Bezogenheit auf die Dynamik der Einzelkapitale nicht mehr aufrechterhalten werden kann" 5 1 . I n abgeschwächter Form billigt man verschiedentlich dem Staat einen autonomen Handlungsrahmen insoweit zu, als er innerhalb der Grenzen, die durch die Institution des Privateigentums gesetzt sind, eine gewisse Autonomie gegenüber dem kapitalistischen Reproduktionsprozeß besitzen soll 52 . Das erkenntnisleitende Interesse der politökonomischen Planungsforschung zielt auf die K r i t i k der herrschenden Systemstrukturen ab, vor allem der behaupteten Verschmelzung und Interessenidentität von Staat und Wirtschaft. Durch Planung möchte man wenigstens partiell das Gesetz der KapitalSteuerung des politischen Systems durch die Interessen des Kapitals. Die vorliegenden Fallstudien von P. Grottian, J. Kussau und L. Oertel haben deutlich gemacht, daß in der planenden Ministerialbürokratie durchaus weitreichende Reformkonzepte entwickelt und von der politischen Führung bei entsprechender Strategie auch durchgesetzt werden können. 50 Zu einzelnen Theorieansätzen: B. Blanke, U. Jürgens und H. Kastendiek, Kritik der politischen Wissenschaft, Bd. 2 (1975), S. 398 ff., 402 ff.; P. A. Baran und P. M. Szweezy, Monopolkapital (1967), S. 153 ff.; M. Th. Greven, Zur Kritik der theoretisch-methodischen und inhaltlichen Marx-Lenin-Rezeption der Theorie des staatsmonopolitischen Kapitalismus, in: M. Th. Greven, B. Guggenberger, J. Strasser, Krise des Staates? (1975), S. 105 ff., 118 ff., 141 ff. u. passim m. w. Nw. 51 C. Offe, zitiert bei V. Ronge, S. 139; vgl. weiter C. Offe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, 2. Aufl. (1973), S. 65. 52 Vgl. C. Lau, S. 29; T. Guldimann, Grenzen des Wohlfahrtsstaates, S. 89 ff.; R. Miliband, Der Staat in der kapitalistischen Gesellschaft (1972), S. 94 ff., 105 ff.; F. W. Scharpf, Politische Durchsetzbarkeit, S. 8 ff.; V. Ronge und G. Schmieg, Restriktionen, S. 44; F. Naschold und W. Väth, Politische Planungssysteme im entwickelten Kapitalismus, in: dies. (Hg.), Politische Planungssvsteme, S. 7 ff., 29 ff., 33 ff.

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Verwertung außer Kraft setzen 53 oder den sozialen Wandel i n Richtung auf gesellschaftliche Mitbestimmung und individuelle Partizipation steuern 54 . Nicht zu übersehen sind die ideologischen Verfremdungen der politökonomischen Planungsforschung. Trotz aller Kooperation zwischen dem Staat einerseits und den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräften andererseits bleibt der Staat gegenüber dem gesellschaftlichen und ökonomischen Bereich autonom. Es bestehen trotz gegenteiliger Behauptungen keine engen personellen Verflechtungen zwischen den leitenden Positionen i n der politischen Führung und i n der Wirtschaft 55 . Nach wie vor sichert der Staat mit Erfolg das Aushandeln eines gerechten Interessenausgleichs zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen und garantiert eine Freiheitssphäre gegenüber gesellschaftlicher Machtkonzentration. Trotz dieser Verzeichnung der realen Lage bleibt es das Verdienst der politökonomischen Planungstheorie, das Augenmerk auf die wachsende Interdependenz von Staat und W i r t schaft gerichtet zu haben 56 . Denn w i l l man den Standpunkt der Planung i m regelungs- und leistungsintensiven Industriestaat bestimmen, muß man die Interdependenzen von Staat und Wirtschaft, von Produktion und Distribution, von Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik i n die Planungsforschung einbeziehen. Dem unübersehbaren Zwang zu planender politischer Gestaltung korrespondieren neue Möglichkeiten sozialer und ökonomischer Steuerung. Die „Verwissenschaftlichung des Lebens", die i n den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht hat, ermöglicht Planungen i m großen Stil 5 7 . Die Wirtschaftswissenschaften, aber auch die Soziologie, Politologie und Psychologie liefern i n zunehmendem Umfang empirisch gefundene Gesetzlichkeiten, denen die gesellschaftliche Entwicklung unterworfen zu sein scheint 58 . M i t Hilfe der Großrechenanlagen lassen sich aufgrund von Situationsanalysen und der simulierenden Darstel53 I n diesem Sinne etwa P. von Oertzen, Theorie und Grundwerte, hrsg. vom Vorstand der SPD (1974), S. 17. 54 R. Waterkamp, Politische Leitung, S. 95. 55 Für die Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich mag anderes gelten (vgl. R. Miliband, S. 78 ff., 168 ff.). 58 H. Schatz, Politische Planung, S. 10; Joachim Hirsch, Elemente einer materialistischen Staatstheorie, in: C. von Braunmühl u. a. (Hg.), Probleme einer materialistischen Staatstheorie (1973), S. 199 ff., 234 ff.; T. Guldimann, S. 92 ff.; R. Miliband, S. 18 ff.; F. Scharpf, Politische Durchsetzbarkeit, S. 10 ff. 57 R. Herzog, Planung I, Sp. 1818 f.; vgl. auch H. Finer, Der moderne Staat. Theorie und Praxis, Bd. 3, hrsg. von S. Landshut (1958), S. 318 ff.; K. Mannheim, Mensch und Gesellschaft, S. 279 ff.; A. Etzioni, Aktive Gesellschaft. 58 Vgl. etwa W. G. Bennis, K. D. Berne und R. Chin (Hg.), The Planning of Change, 2. Aufl. (1969), deutsch: Änderung des Sozialverhaltens (1975); J. S. Schmidt (Hg.), Planvolle Steuerung gesellschaftlichen Handelns (1975).

1 Kap. : Funktionen politischer Planung i m Industriestaat

lung des Einflusses hypothetischer Maßnahmen mögliche Entwicklungen prognostizieren, indem eine Vielzahl von Variablen miteinander verflochten werden 59 . Für die nächsten Jahrzehnte ist zu erwarten, daß die staatsleitenden Instanzen derartige Simulationsverfahren besser i n den Griff bekommen 80 . Dann lassen sich zuverlässigere Prognosen für die künftige wirtschaftliche und soziale Entwicklung formulieren und besser als bisher Maßnahmen angeben, die zur Steuerung der Entwicklung i n Richtung auf ein bestimmtes politisches Ziel erforderlich sind 61 . Planung und die mit ihr immer mitzudenkende Prognostik liefern eine unentbehrliche Erhöhung des Entscheidungspotentials 62 und damit das Instrumentarium für eine aktive Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik. I m Idealfall ließe sich mit den Methoden moderner Planung vermeiden, daß die Gesellschaft von sozialen Krisen geschüttelt wird, wie sie die notwendigen Folgen eines laissez-faire-Liberalismus oder einer an bestimmten Weltbildern (ideologisch) ausgerichteten Wirtschafts- und Sozialpolitik waren. Dieser Idealfall kann aber immer nur angestrebt, niemals w i r k lich erreicht werden. Trotz allem Fortschritt von Technik und Wissenschaft w i r d die altbekannte Figur des Laplaceschen Dämons eine Utopie bleiben, der auf Grund seiner Kenntnisse des tatsächlichen Zustandes der Welt und aller Naturgesetze i n einem bestimmten Zeitpunkt i n der Lage sein soll, den Zustand der Welt i n einem beliebigen anderen Zeitpunkt zu bestimmen 63 . Dieser Steuerungsbedürftigkeit und diesen Steuerungsmöglichkeiten sozialer und ökonomischer Prozesse entspricht nicht allein der bekannte Wandel i n den Staatsfunktionen, der sich m i t der Entstehung des Staa39

H. K. Schneider, Plankoordinierung in der Regionalpolitik, in: E. Schneider, Rationale Wirtschaftspolitik und Planung in der Wirtschaft von heute (1967), S. 34 f.; R. Krüger, Die Koordination von gesamtwirtschaftlicher, regionaler und globaler Planung (1969), S. 120 ff.; F. W. Scharpf, Informations» und Planungssysteme, S. 222 ff. 60 P. Hoschka, Computer als Instrumente politischer Planung, in: P. Hoschka und U. Kalbhen (Hg.), Datenverarbeitung, S. 27 ff., 33 ff.; U. Kalbhen, Zukunftsperspektiven des DV-Einsatzes in der politischen Planung, ebd., S. 41 ff.; H.-P. Heinrich, Einsatz der EDV im Bundesministerium für Forschung und Technologie, ebd., S. 103 ff.; U. Geißler, Modellrechnungen zur Vorbereitung sozialpolitischer Entscheidungen, ebd., S. 111 ff.; W. Schmidt, Modellrechnungen zur Vorbereitung bildungspolitischer Maßnahmen, ebd., S. 125 ff.; H. Rudolf, EDV als Hilfsmittel der Wirtschaftspolitik im Bereich gesamtwirtschaftlicher Analysen und Projektionen, ebd., S. 149 ff.; D. Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft (1975), S. 40 ff. 61 Zu den Grenzen derartiger Konzepte H. Albert, Ordnung ohne Dogma. Wissenschaftliche Erkenntnis und ordnungspolitische Entscheidung, in: Wirtschaft und Gesellschaft, hrsg. von E. Arndt u. a. (1975), S. 3 ff. 62 W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 47; R. Wahl, Rechtsfragen, S. 52 f. 63 Vgl. etwa H. Albert, Ordnung ohne Dogma, in: Wirtschaft und Gesellschaft, hrsg. von E. Arndt u. a. (1975), S. 3 ff.; R. Wahl, S. 57. 3 Würtenberger

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1 Kap. : Funktionen politischer Planung i m Industriestaat

tes der Industriegesellschaft anbahnte, sondern auch die neue positivere Bewertung der politischen Planung i m regelungsintensiven Industriestaat. Die liberale These von einer prästabilisierten Harmonie, die sich i n einer möglichst frei entwickelten Gesellschaft am ehesten einstellen werde, trifft auf den regelungsintensiven Industriestaat nicht mehr zu. I m entwickelten Kapitalismus kann der Staat nicht allein Rechtsbewahrstaat sein, wie es einer liberalistischen Staatsdoktrin vorgeschwebt haben mag. Der moderne Staat kann auch nicht bloßer Interventionsstaat sein, der den negativen Folgewirkungen des Wirtschaftsprozesses durch „Hinterherreparieren" zu begegnen sucht. Ein solches neoliberales Staatsverständnis kann den heutigen, an den Staat gestellten Anforderungen nicht genügen, da sich mit der zunehmenden Komplexität i m Industriestaat und m i t dem geschilderten Bedürfnis nach sozialer Sicherung i n einem umfassenden Sinn die alten Staatsfunktionen zwangsläufig i n einem rasch zunehmendem Maß ausdehnten. Erinnert sei nur an den Ausbau der sozialen Sicherung oder die neuen Dimensionen der Bildungs- und Gesundheitspolitik. Zu dieser quantitativen Zunahme von Staatsaufgaben treten eine Vielzahl neuer Staatsfunktionen. Umweltschutz, Raumordnung, Forschungs- und Entwicklungsplanung, Wirtschaftssteuerung u. a. m. sind neue Aufgabenbereiche, denen sich Politik und Verwaltung stellen müssen, soll der Staat seiner ordnungstiftenden Funktion nachkommen. Es drängt sich geradezu die Erkenntnis auf, daß mit diesem Wandel der Staatsfunktionen „der Staat i n hochentwickelten Industriegesellschaften zu einem gesamtplanerischen Organ der Gesellschaft geworden ist bzw. werden soll" 8 4 . Dieser qualitative wie quantitative Aufgabenzuwachs und das Wissen um die existenzbedrohenden Folgewirkungen ungesteuerter Produktion erzwingen ein neues Verständnis von Funktion und Rolle des Staates 85 und damit auch der politischen Planung. Der Staat soll i n zunehmendem Maße eine gesellschaftspolitische Funktion übernehmen. Er soll nach Reformkonzepten die Zukunft gestalten und die soziale Entwicklung steuern. Politische Planung liefert dem Staat die Handlungsvoraussetzungen, u m „diesen gesellschaftspolitischen Auftrag der Bewirkung des als notwendig angesehenen sozialen Wandels zu er64 G. Schmid und H. Treiber, Bürokratie, S. 14, 61 ff.; H. Steiger, S. 388; K. Lompe, Gesellschaftspolitik, S. 73 ff.; R. Wahl, Aufgabenplanung, S. 467 ff., 472 ff. 65 Dieser Funktionswandel des Staates kündigt sich in Wagners „Gesetz der wachsenden öffentlichen, insbesondere der Staatstätigkeiten" an (vgl. A, Wagner, Grundlegung der politischen Ökonomie, 3. Aufl. [1892], Bd. 1, S. 891 ff., 908 ff.). Wagner erkannte, daß der Wandel von einer „repressiv" orientierten zu einer „präventiven" Staatstätigkeit nicht nur zu einem entscheidenden Funktionswandel der Staatstätigkeit, sondern auch zu einer ubiquitären Ausdehnung staatlicher Aktivität führt (hierzu R. Mayntz, Soziologie, S. 45 ff. m. w. Nw.; H. C. Korff, Haushaltspolitik, S. 19 ff.).

1. Kap.: Funktionen politischer Planung i m Industriestaat

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füllen"® 6 . Es liegt i n der Konsequenz des sozialen Gedankens, der der neueren politischen Entwicklung den Stempel aufprägt, daß der Staat sich nicht allein auf die Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit festlegt und nicht allein durch Sozialhilfe und Daseins Vorsorge gesellschaftliche Ungleichgewichte korrigiert, sondern zum gesellschaftspolitisch planenden Gestaltungsstaat wird 6 7 . Durch Planung sucht der Industriestaat der Gegenwart jene Legitimationskrisen zu vermeiden, die Mißerfolge einer leistungsstaatlichen Politik zur Folge haben können 68 .

06 H. Steiger, S. 389; K. Lompe, S. 119; D. Frank, S. 18 ff.; B. Blanke, 17. Jürgens und H. Kastendiek, Kritik der politischen Wissenschaft, Bd. 2 (1975), S. 306; G. Myrdal, Jenseits des Wohlfahrtsstaates, S. 28 ff.; W. Graf Vitzthum, S. 47 ff. ®7 Der gesellschaftliche Konsens über die Berechtigung dieser Ausdehnung der Staatsfunktionen zum Gestaltungsstaat oder — in anderer Terminologie — regelungs- und leistungsintensiven Industriestaat läßt sich an den Parteiprogrammen der großen Parteien ablesen. 68 K. Eichenberger, Der geforderte Staat: Zur Problematik der Staatsaufgaben, in: W. Hennis u. a. (Hg.), Regierbarkeit, S. 103 ff., 106, 108; kritisch F. H. Tenbruck, Grenzen der staatlichen Planung, ebd., S. 134 ff., 142 f.



Zweites Kapitel

Planung ale Problemlösungestrategie Verschiedentlich w i r d an den Hinweis, staatliches Handeln vollziehe sich heute i n Formen der Planung, die Frage geknüpft, ob die moderne planende Tätigkeit des Staates nicht lediglich eine quantitative Steigerung jenes planmäßigen Handelns darstelle 1 , das man seit jeher kenne. Diese Frage erscheint berechtigt, da nämlich planende staatliche Tätigkeit bei der Organisierung gesellschaftlichen Lebens immer schon geleistet wurde und da jeder Versuch der Lösung gemeinschaftlicher Aufgaben ein vorausschauendes und zielgerichtetes Verhalten notwendig voraussetzt. Nach Herzog 2 „kann man sich schwerlich der Erkenntnis entziehen, daß sich Planung nicht qualitativ, sondern lediglich quantitat i v von den bisherigen Formen staatlichen Tätigwerdens, insbesondere aber von der staatlichen Norm- und Maßnahmegesetzgebung unterscheidet". M i t dieser Argumentation sucht man Planung als eine traditionelle Aufgabe gestaltender und lenkender Verwaltung 8 zu beschreiben, deren Bewältigung mit dem herkömmlichen rechtswissenschaftlichen Begriffsinventar adäquat erfaßt werden kann. Es ist bald erkannt worden, daß eine solche „Planungsblindheit" dem modernen Phänomen der Planung nicht gerecht zu werden vermag. Bei der politischen Planung i m Industriestaat des 20. Jahrhunderts handelt es sich nicht allein u m eine quantitative Steigerung bisheriger Staatstätigkeit, etwa durch verbesserte Entscheidungsvorbereitung oder durch gezielten Einsatz des staatlichen Regelungsinstrumentariums. Planung erweist sich vielmehr geradezu als eine qualitativ neue A r t staatlichen Handelns. Diese neue Qualität hoheitlichen Gestaltens i m planenden Staat zeigt sich i n der gesteigerten Intensität staatlichen Handelns, i n 1

E.-W. Böckenförde, Planung, S. 430. R. Herzog, Gutachten, S.3; ders., Wissenschaftliche Entwicklung, S. 23; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 306 f. — Herzog versucht allerdings zwischen einer „großen", „globalen" Planung und den „kleinen" Planungen des staatlichen „Alltags" zu unterscheiden. Daß diese Abgrenzung notwendigerweise unpräzise bleiben muß, wird von Herzog zugegeben (Gutachten, S. 4). 8 Vgl. auch B. Dobiey, Politische Planung, S. 38 ff. — H. Lecheler (Verwaltung, S. 444) sieht das Neuartige an der modernen Planung in ihrem Umfang, ihrem Horizont und ihren Methoden. Planung soll „nichts anderes als antizipierter Vollzug, mögliche Exekution" sein und „ganz wesentlich in Kategorien des Vollzugs" denken. 2

2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

den neuen Methoden und Techniken der Entscheidungsfindung und der Entscheidungsdurchsetzung, i n den neuen Formen der Koordinierung staatlichen Handelns und i n der Ausrichtung der Politik an aktiver Zukunftsgestaltung. Die zunehmende gesellschaftliche Differenzierung i n der modernen Industriegesellschaft, das Bedürfnis nach Angleichung der Lebensbedingungen i n den verschiedenen Regionen und der Zwang zu einer gerechten und zielgerichteten Verteilung der Ressourcen haben dieses qualitativ neue hoheitliche Handeln, die politische Planung also, zur entscheidenden Organisationsform hoheitlicher Gestaltung gemacht. I m regelungsintensiven Industriestaat muß das Planungsinstrumentar i u m u m so feiner ausgestaltet werden und u m so schlagkräftiger sein, als die — vielleicht früher auch nur i n rudimentärer Form vorhandenen — gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Selbstregulierungsmechanismen versagen. W i l l Planung die Krisen vermeiden helfen, die aus den sozialen und wirtschaftlichen Problemen des regelungsintensiven Industriestaates entstehen können, muß sich die inhaltliche Ausrichtung der modernen politischen Planung wesentlich von früheren Planungen unterscheiden. Lange Zeit war ein Großteil der staatlichen Planung an reaktivem Krisenmanagement ausgerichtet; sie war reagierende Anpassungsplanung. Demgegenüber zielt politische Planung nunmehr auf aktive und bewußte Steuerung der gesellschaftlichen Entwicklung, u m sozialen und wirtschaftlichen Krisen vorbeugen zu können 4 . Nur durch eine aktive und bewußte Steuerung der gesellschaftlichen Entwicklung kann der Staat den gesteigerten Regelungsbedarf erfüllen und gegenüber den bedrohlichen Herausforderungen von Wirtschaft und Technik bestehen 5 . Schon durch diesen neuen Umfang und die lange zeitliche Reichweite kann die moderne staatliche Planung von älteren Formen rationalen staatlichen Verwaltungshandelns, das i n einem untechnischen Sinn planmäßig war, unterschieden werden®. Eine solche umfassende und langfristig angelegte politische Planung w i r d durch den i n den letzten Jahrzehnten nochmals sprunghaft gewachsenen sozialwissenschaftlichen und technischen Erkenntnisfortschritt ermöglicht, der zu einer starken Zunahme der Steuerungsmöglichkeiten gesellschaftlicher Abläufe geführt hat. Daher läßt sich die moderne politische Planung von der Methode her i m Vergleich zu den herkömmlichen Formen staatlicher Planung qualitativ anders betreiben 7 . Genannt seien nur die 4 V. Ronge, Stichwort „Planung", in: H.-H. Röhring und K. Sontheimer (Hg.), Handbuch des deutschen Parlamentarismus (1970), S. 386; G. W. Wittkämper, Analyse und Planung, S. 74. 5

Hierzu im 1. Kapitel. F. H. Tenbruck, Kritik, S. 8; E.-W. K. Lompe, Gesellschaftspolitik, S. 26 f. β

7

Böckenförde,

B. Dobiey, S. 39; R. Mayntz, Soziologie, S. 53 f.

S. 431 f.; vgl. weiter

2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

38

modernen Verfahren der Lageanalyse, Prognose, Zielfindung und Operationalisierung von Zielen 8 . Zur näheren Erläuterung der Besonderheiten moderner politischer Planung erscheint es angebracht, zunächst die besondere Form politischen Entscheidens und Handelns herauszustellen, die sich mit dem Planungsbegriff verbindet. Nach dieser mehr theoretisch-formalen Begriffserläuterung lassen sich zur näheren Charakterisierung des Planungsphänomens die Bereiche der politischen Planung aufgliedern und die einzelnen Entscheidungsschritte angeben, die zu einem konkreten Plan führen. I. Der Begriff der Planung 1. Planung kein interdisziplinär eindeutiger Begriff Das Phänomen der Planung ist seit Mitte der sechziger Jahre Forschungsgegenstand i n den verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen. Ursachen, Erscheinungsformen und Auswirkungen von Planung als Organisationsform staatlichen Handelns werden i n der Geschichtsphilosophie, Soziologie, Systemtheorie, Politikwissenschaft, Politischen Ökonomie, Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre, Staatsrechtslehre, Verwaltungsrechtslehre und neuerdings vor allem aber i n der Verwaltungswissenschaft behandelt 1 . Trotz dieser vielseitigen Erörterung der Planung gibt es bislang keine Planungstheorie, die die verschiedenen planungstheoretischen Ansätze zu einer umfassenden Theorie politischer Planung verarbeitet 2 . Eine interdisziplinäre Planungsforschung müßte vor allem den kulturellen Kontext 3 , die historischen und sozialen Bedingungen 4 , die soziologischen Aspekte 5 , die diversen Formen der 8

Hierzu unter I I I . B. Schäfers, Theorien staatlicher Planung, S. 235 ff.; F. M. Fester, Vorstudien zu einer Theorie kommunikativer Planung, S. 42 ff.; N. Sombart, Planung und Krise, S. 43 ff.; J. J. Hesse, Stadtentwicklungsplanung, S. 15 ff.; W. Brohm und W. Sigg, Stadtentwicklungsplanung, S. 185 ff., 198 ff.; C. Lau, Theorien; P. Knirsch, Formen zentraler Wirtschaftsplanung, S. 17 ff. 2 So H. Lenk, Erklärung, S. 72; D. Frank, Politische Planung, S. 7; vgl. auch R. Herzog, Gutachten, S. 2 f.; G. Picht, Prognose, Utopie, Planung, 3. Aufl. (1971), S. 48. — Erste Ansätze einer Wissenschaftstheorie der Planung liefert F. Spreer in seiner Arbeit „Zur Wissenschaftstheorie der Wirtschaftsplanung" (1974). Ihn interessiert „die wissenschaftstheoretische Möglichkeit, Planungstheorien zu erstellen" und er stellt „die planungstheoretischen Konsequenzen verschiedener Wissenschaftsprogramme" vergleichend dar (S. 13). 3 F. G. Burke (The Cultural Context, in: Β. M. Gross [Hg.], Action under Planning [New York, London u.a. 1967], S.68ff.) beschreibt die kulturellen Rahmenbedingungen, die Planung in Industriegesellschaften und in Entwicklungsländern ermöglichen. 4 R. Schlesinger, Some Oberservations on Historical and Social Conditions of Planning, in: Economics of Planning, V I 5, 1/2, Oslo 1965, S. 53 ff. 1

I. Der Begriff der Planung

39

Planungsrestriktionen® sowie die p h i l o s o p h i s c h e n u n d ethischen I m p l i k a t i o n e n 7 der P l a n u n g z u e i n e m G e s a m t b i l d v e r e i n i g e n 8 . A n A n s ä t z e n , w e n i g s t e n s d e n P l a n u n g s b e g r i f f z u b e s t i m m e n , f e h l t es n i c h t . Z u n e n n e n ist e t w a Riegers A n a l y s e v o n „ B e g r i f f u n d L o g i k d e r P l a n u n g " ; er u n t e r s c h e i d e t P l a n u n g s t y p e n k l a s s i f i k a t o r i s c h u n d r o l l e n s t r u k t u r a n a l y t i s c h danach, ob einzelne oder m e h r e r e P l a n e n t w e r f e r , P l a n t r ä g e r u n d P l a n a u s f ü h r e r a u f t r e t e n 9 . W e i t e r h i n n ä h e r t m a n sich m i t verhaltenspsychologischen10, kybernetischen 11, systemanalytischen12

5 D. Pocock, Social Anthropology. Its Contributions to Planning, in: P. Streeten und M. Lipton (Hg.), The Crisis of Indian Planning (London u. a. 1968), S. 271 if.; J. Hanser und P. F. Lazarsfeld, Sociological Aspects of Planning, in: Informations sur les sciences sociales, Vol. 5 (Paris 1964), S. 435 ff. β Zu den ökologischen Grenzen der Entwicklungsplanung: L. C. Caldwell, The Biophysical Environment, in: Β. M. Gross (Hg.), Action under Planning, S. 84 ff.; zum eingeschränkten Handlungsspielraum des Staates: V. Ronge und G. Schmieg, Restriktionen; P. Grottian, Strukturprobleme; P. Grottian und A. Murswieck (Hg.), Handlungsspielräume; F. W. Scharpf u. a., Politikverflechtung; der s., Politische Durchsetzbarkeit. 7 S. Hook, The Philosophical Implications of Economic Planning, in: F. Mackenzie (Hg.), Planned Society (New York 1937), S. 663 ff.; F. H. Tenbruck, Kritik; K. Scholder, Grenzen der Zukunft. Aporien von Planung und Prognose (1973); D. E. Trueblood, Logical and Ethical Problems Inherent in Central Planning, in: H. Schock und J. W. Wiggins (Hg.), Central Planning and Neo-Mercantilism (Princeton 1964), S. 1 ff. 8 Vorstudien zu einer interdisziplinären Besinnung auf den Begriff der Planung sind von H. Schelsky (Uber die Abstraktheit des Planungsbegriffs, S. 10 ff.) geleistet worden. Er stellt einen technokratischen, am „Sachzwang" ausgerichteten (S. 14 ff.), einem historisch-politischen, an der staatlichen Herrschaft orientierten und einem systemfunktionalen, von der kybernetischen Gesellschaftstheorie beeinflußten (S. 16 ff., 19 ff.) Planungsbegriff gegenüber. Als Synthese entwirft Schelsky einen institutionellen Planungsbegriff und verweist rationale Planung in die Institutionen und ihre Fähigkeit zu planmäßiger Rechtsschöpfung (S. 22 ff.; vgl. hierzu C. Brünner, Politische Planung, S. 24 f.). Dieser Versuch einer interdisziplinären Planungskonzeption ist bislang nicht wieder aufgenommen worden. Die bisherige Planungsdiskussion ist wegen der fehlenden Gesamtschau mit gewissem Recht als methodologisch abstinent und desorientiert bezeichnet worden (F. Spreer, S. 14 f.). 9 H. C. Rieger, Begriff und Logik der Planung, S. 34 ff.; kritisch S. Jensen, Bildungsplanung, S. 61 ff. 10 G. A. Miller, E. Galanter und Κ Η . Pribram, Plans and the Structure of Behavior (London, New York, Sydney, Toronto 1960), S. 16 ff. und passim. 11 G. Kade, R. Hujer und D. Ipsen, Kybernetik und Wirtschaftsplanung, in: ZgesStW 125. Bd. (1969), S. 17 ff.; H. Stachowiak (Grundriß einer Planungstheorie, in: Kommunikation V I [1970], S. 1 ff.) definiert die Planung als Regelkreis: „Planung erweist sich als ein Regelungsprozeß. Das Planungssystem ist ein Regelungssystem. Vergleicht man es mit einem Regelkreis, so wird man den Motiven des Aktionssubjekts die Rolle der Führungsgrößen zuerkennen. Das Planungssubjekt wirkt als das eigentlich regelnde System, d.h. als Regler: es vergleicht die Sollwerte der Planungsziele mit den Istwerten des geplanten Bereichs und übt auf Grund dieses Vergleichs seine regelnde Funktion aus" (S. 4). — Vor allem in der Planungsliteratur der DDR

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2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

u n d a n d e r e n A n s ä t z e n 1 3 d e m P h ä n o m e n der P l a n u n g . B e i der A n a l y s e des Planungsbegriffes w i r d a n dieser S t e l l e k e i n e Synthese d e r b i s h e r i gen A n s ä t z e z u l i e f e r n v e r s u c h t . D e n n die Suche n a c h e i n e m a l l g e m e i n g ü l t i g e n P l a n u n g s - u n d P l a n b e g r i f f erscheint w e n i g aussichtsreich 1 4 . Z u v e r s c h i e d e n a r t i g s i n d n i c h t n u r die h i s t o r i s c h e n u n d zeitgenössischen P l a n u n g e n i m B e r e i c h des Ö f f e n t l i c h e n 1 5 u n d des P r i v a t e n , s o n d e r n auch die P l a n u n g s v o r s t e l l u n g e n i n d e n verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen. E i n e t o u r d ' h o r i z o n k ö n n t e uns v o n d e n P l a n u n g s v e r f a h r e n des O p e r a t i o n s Research ü b e r die P l a n u n g u n d L e i t u n g d e r m o r a l i s c h e n E n t w i c k l u n g 1 0 bis z u m P l a n d e r Geschichte 1 7 u n d g ö t t l i c h e n H e i l s p l a n 1 8 führen.

seit Beginn der sechziger Jahre wird immer wieder auf die enge Verknüpfung von Planung und Regelkreis aufmerksam gemacht. Unter dem Begriff „Plan" wird nicht die Strategie der Erreichung eines Zieles verstanden, sondern das Ziel selbst, der vorher festgelegte Endzustand der Handlung. Der Plan ist also — in der Terminologie des Regelkreismodells — die Stellgröße. Planung „ist die Tätigkeit der Herausarbeitung und Festlegung der Gesamtheit der Ziele und nur dieser, während die wissenschaftliche Führungstätigkeit... den Prozeß der Erreichung der Ziele" betrifft (K. D. Wüstneck, Der kybernetische Charakter des neuen ökonomischen Systems und die Modellstruktur der Perspektivplanung als zielstrebiger, kybernetischer Prozeß, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 13. Jg. [1965], S. 5 ff., 19; ähnlich auch W. Matusch und G. Schnauß, Probleme der Optimierung gesellschaftlicher Prozesse, ebd. S. 661 ff.). 12 E. S. Quade und E. I. Boucher (Hg.), Systems Analysis, 3. Aufl. (1970); S. Jensen, S. 73 f., 102 ff. 13 H. Ozbekhan, Toward a General Theory of Planning, in: E. Jantzsch (Hg.), Perspectives of Planning (Paris 1969), S. 47 ff., I l l ff.; F. Grube, G. Richter und U. Thaysen, Politische Planung, S. 4 ff.; F. Hollihn, Parizipation und Demokratie (1978), S. 91 ff.; S. Maser, Wissenschaftstheoretische Grundlagen der Planung, in: H. Sachsse (Hg.), Möglichkeiten und Maßstäbe für die Planung der Forschung (1974), S. 13 ff. 14 E. Volk (Rationalität, S. 17 ff.), W. Hoppe (Planung und Pläne, S. 666 f.) und B. Lutterbeck (Parlament, S. 9 f.) weisen darauf hin, daß die Suche nach einem allgemein gültigen Planungsbegriff scheitern müsse. Auch uns geht es nur um einen staatstheoretisch brauchbaren Arbeitsbegriff, der als analytisches Werkzeug benutzt werden kann. 15 Planungen im Bereich des öffentlichen reichen vom Raumordnungs- und Landesentwicklungsprogramm bis zum Bebauungsplan, müssen u. a. die Wirtschaftsplanung, Finanzplanung und Haushaltsplanung integrieren und ergehen in jeder erdenkbaren Rechtsform (vom Gesetz über den Verwaltungsakt bis zur innerdienstlichen Richtlinie). 16 Vgl. F. Loeser, Deontik. Planung und Leitung der moralischen Entwicklung (Berlin-Ost 1966). 17 Vgl. etwa J. G. Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784), Vorrede. 18 Die Redeweisen vom Plan der Geschichte oder dem Plan der Vorsehung, die den Gang der Geschichte vorherbestimmen, besagen, daß der Geschichtsprozeß kein Subjekt hat. Die Geschichtsphilosophie liefert das Verständnis für Prozesse, in denen „Fortschritt" ohne Plan und aktives Handeln derer geschieht, die an ihm partizipieren (vgl. zu den Einzelheiten H. Lübbe, Herrschaft und Planung, S. 198 ff.).

I. Der Begriff der Planung

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Es soll darum versucht werden, pragmatisch einen Begriff der politischen Planung zu bestimmen, der über die Besonderheiten planender Tätigkeit i m politischen Prozeß des regelungsintensiven Industriestaates Auskunft gibt und für verfassungsrechtliche Analysen brauchbar ist 1 9 . Ein solches Verständnis von politischer Planung ist zwar einerseits auf dem Hintergrund des regelungsintensiven Industriestaates zu entwickeln, ohne daß aber andererseits die systemkritischen und emanzipatorischen Planungsansätze 20 der neueren Politischen Ökonomie und Politikwissenschaft miteinbezogen zu werden brauchen. Aufgabe einer staatstheoretischen Erörterung des Begriffs der politischen Planung ist vielmehr, alle jene entscheidungs- und verfahrensmäßigen Besonderheiten der Planung herauszustellen, die für die rechtswissenschaftliche Durchdringung dieser modernen Form staatlicher A k t i v i t ä t von Bedeutung sind. Wenn der Allerweltsausdruck der politischen Planung 2 1 zu einer juristischen Kategorie ausgeformt und i n eine juristische Form gegossen wird, werden folgende Anliegen verfolgt: Bei der Lösung staatstheoretischer und verfassungsrechtlicher Fragestellungen muß der Begriff der Planung und des Plans klar bestimmt sein. Dies ist bereits aus Gründen der Klarheit der Darstellung geboten. Eine fest umrissene Vorstellung von der Planung i m System staatlichen Handelns spielt weiterhin eine wichtige Rolle bei der Beteiligung des Parlaments am Planungsprozeß, — ob nämlich eine Maßnahme von Regierung oder Exekutive als Planung angesehen werden kann. Nicht zuletzt sind die besonderen Eigenschaften von politischer Planung als staatstheoretischer Kategorie u. a. von Bedeutung bei der Erfassung der Eigenheiten von Planungsnormen 22 . Die staatsrechtlichen Probleme, die Planungen i m Gewände von Rechtsnormen aufwerfen, lassen sich nur i m Hinblick auf die neue Form der Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungssteuerung klären, die Planung darstellt. 19 Die Ansicht von K. Redeker (Staatliche Planung, S. 537), Planung sei zunächst eine außerjuristische Erscheinung und trete erst mit dem Plan aus dem außerjuristischen Bereich heraus, ist verfehlt. So akute Probleme wie parlamentarische Partizipation an Planungsverfahren wären juristischer Analyse nicht mehr zugänglich! 20

Vgl. im 1. Kapitel, Anm. 49 ff. K. Obermayer (Der Plan als verwaltungsrechtliches Institut, S. 144) bezeichnet das Wort „Plan" als einen „Allerweltsausdruck, der im Hinblick auf Entstehung, Entwicklung und Gebrauch keine ursprüngliche juristische Affinität aufweist". Für J. Joedicke (Zur Formalisierung des Planungsprozesses, in: Bewertungsprobleme in der Bauplanung (1969), S. 9 ff., 10) ist das Wort „Planung einer dieser üblichen und gängigen Begriffe, mit dem Progressivität beansprucht wird". 22 M. Schröder, Planung, S. 5 ff.; H.-G. Niemeyer, Entwicklungstendenzen, S. 6; M. Lepper, Besprechung, in: Die Verwaltung, 8. Bd. (1975), S. 523 ff., 524. 21

2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

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2. Planung als Vorgabe verbindlicher Handlungs- und Entscheidungsrahmen P l a n u n g l ä ß t sich i m U n t e r s c h i e d z u d e n i n h a l t l i c h s t a r k v a r i i e r e n d e n D e f i n i t i o n s v e r s u c h e n der m a t e r i a l e n P l a n u n g s t h e o r i e n 2 3 i n e i n e m f o r m a l e n S i n n als „ f r a m e w o r k f o r a c t i o n " , d . h . als H a n d l u n g s - u n d Entscheid u n g s r a h m e n 2 4 b e t r a c h t e n . Beschäftigt m a n sich m i t P l a n u n g als H a n d l u n g s - u n d E n t s c h e i d u n g s r a h m e n , so a n a l y s i e r t m a n die E n t s c h e i d u n g s prozesse u n d die E n t s c h e i d u n g s r e a l i s i e r u n g i n e i n e r p l a n e n d e n I n s t i t u t i o n , die l a n g f r i s t i g e , k o o r d i n i e r t e E n t s c h e i d u n g e n z u f ä l l e n u n d i n d i e R e a l i t ä t u m z u s e t z e n h a t 2 5 . I m V o r d e r g r u n d des Interesses stehen w e n i g e r die p o l i t i s c h e n Aussagen der P l a n u n g , als v i e l m e h r d i e A r t d e r Entscheidungsfindung u n d Entscheidungsdurchsetzung. D e r Begriff P l a n u n g w i r d h i e r w e s e n t l i c h d u r c h d e n Entscheidungsprozeß b e s t i m m t , der z u e i n e m k o n k r e t e n P l a n u n d k o n k r e t e n M a ß n a h m e n f ü h r e n k a n n . N a c h diesem A n s a t z ist d e r A k t d e r E n t s c h e i d u n g 2 8 die b e s t i m m e n d e K a t e g o r i e der p l a n e n d e n A k t i v i t ä t 2 7 , da das P h ä n o m e n d e r P l a n u n g i n entscheidungstheoretische F r a g e s t e l l u n g e n e i n g e b e t t e t w i r d 2 8 . E i n e solche entscheidungstheoretische B e t r a c h t u n g des P l a n u n g s p h ä n o m e n s 23

Hierzu unter 3 b. J. Friedmann, The Social Context of National Planning Decisions. A Comparative Approach, CAG-Papers (Bloomington, Ind. 1964); E. Volk , S. 19 f.; F. Naschold, Zur Politik und Ökonomie von Planungssystemen, S. 18; W. Brohm und W. Sigg, Stadtentwicklungsplanung, S. 199; ähnlich auch H. J. von Oertzen, Transparenz, S. 13. 25 Zur Rolle der Planung als eines Verfahrens zur Verbesserung des Werdegangs von Entscheidungen vgl. P. J. Klein, Das Berufsbild des Planers in der öffentlichen Verwaltung (Schriften zur Verwaltungslehre H. 9, 1971), S. 27 ff. 26 Minimumkriterien für den Begriff der Entscheidung sind: 1. Das Gewahrwerden eines Konflikts; 2. Die Unterbrechung des bisherigen Handlungsablaufs; 3. Das Abwägen der Alternativen des Handelns mit ihren jeweiligen Konsequenzen; 4. Die Zielsetzungen mit Lösung von Zielkonflikten (vgl. H. Thomae, Die Entscheidung als Problem der Interaktion von kognitiven und motivationalen Vorgängen, in: H. Brandstätter und B. Gahlen (Hg.), Entscheidungsforschung (1975), S. 1 ff., 2. 27 „Planning is a certain manner of arriving at decisions and actions the intention of which is to promote a social good of a society undergoing rapid change" (J. Friedmann, The Study and Practice of Planning, in: International Social Science Journal, Bd. 11 [1959], S. 329). 28 Gegen eine entscheidungstheoretische Bestimmung des Planungsbegriffes wendet H. C. Rieger (S. 11) ein, die Entscheidungstheorie beschäftige sich mit Situationstypen, die den Bereich der Planung künftiger Handlungen nur unvollkommen decken. Denn die Entscheidungstheorie helfe erst, wenn ein Entscheidungsproblem bereits formuliert sei, liefere aber kein Verfahren, das die Erkenntnis verschaffen könne, wann eine Entscheidungssituation vorliege. Dieser Einwand gegen eine entscheidungstheoretische Fassung des Planungsbegriffs ist ohne Belang, wenn man Planung als eine Organisationsform betrachtet, die der Realisierung politischer Programme dienlich ist. Politische Planung begleitet den politischen Prozeß, der nicht allein an reaktivem Krisenmanagement ausgerichtet ist, sondern prospektiv künftigen Krisen vorbeugen möchte; auch Entscheidungssituationen, die künftig eintreten können, sind damit Gegenstand politischer Planung. Planung antizipiert also auch 24

I. Der Begriff der Planung

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kann Ausgangspunkt für weiterreichende Analysen sein. Unter entscheidungstheoretischem Aspekt läßt sich die Rolle wissenschaftlicher und „interessierter" Beratung i n Planungsverfahren klarer erfassen oder lassen sich Aussagen zu einer effizienten Organisation der planenden Institution machen. Diesen Fragen w i r d an dieser Stelle allerdings nicht nachgegangen. Hier interessiert nur, welche Bedeutung die entscheidungstheoretischen Voraussetzungen politischer Planung für verfassungsrechtliche Fragestellungen besitzen können. Unter entscheidungstheoretischem Aspekt ist das Festlegen von Entscheidungsprämissen für zukünftige Entscheidungen, d.h. ihrer Ziele und Zwecke, ein wesentliches Element politischer Planung 29 . Bei Planungen handelt es sich um ziel- und zweckgerichtete Programme, die das Entscheidungsverhalten mitwirkender, nachgeordneter oder dezentraler Behörden bei der Verarbeitung von Informationen lenken und koordinieren sollen. So werden etwa bei wirtschaftspolitischen oder bildungspolitischen Planungen die Ziele und Zwecke der Wirtschaftsoder Bildungspolitik festgelegt, auf deren Verwirklichung die berufenen Instanzen i n Bund, Ländern und Gemeinden bei der Wahl ihrer politischen Entscheidungen aus einer Reihe von Entscheidungsalternativen zu achten haben 30 . So gesehen stellt sich politische Planung geradezu künftige Entscheidungssituationen und erschöpft sich nicht in systematischer Entscheidungsvorbereitung bei gegebenem Entscheidungsproblem. Diese Antizipation zukünftiger Entscheidungssituationen, d.h. zukünftig entstehender sozialer Probleme ist eine wesentliche Voraussetzung für eine wirkungsvolle politische Planung. 29 Unter Planung lassen sich ganz allgemein das konditional programmierte Entscheiden über Entscheidungen (ζ. B. durch Normen: vgl. R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 306) und die final programmierte Festlegung von Entscheidungsprämissen (so etwa N. Luhmann, Politische Planung, S. 67, 70) begreifen. Die hier vorgeschlagene Ausrichtung des Planungsbegriffs an lediglich final programmierten Entscheidungen unter Vernachlässigung der konditionalen Entscheidungsprogrammierung findet sich wohl erstmals bei K. König (Planung, S. 3, 8, 10); vgl. weiter C. Lau, Theorien, S. 44 ff.; D. Aderhold, S. 22; R. Waterkamp, Interventionsstaat und Planung, S. 28 f.; U. Wehinger, Raumplanung, S. 117 f.; H. Widder, Grundbegriffe eines modernen Politikverständnisses, in: Ordnung im sozialen Wandel. Festschrift für J. Messner, hrsg. von A. Klose u.a. (1976), S. 423 ff., 437 ff.; R. Wahl, Rechtsfragen, S. 35 ff. 30 Die Vorgabe von Zielen und Zwecken in den Verfahren politischer Planung läßt sich an den verschiedensten Beispielen belegen: Nach §5 Abs. 2 Hochschulbauförderungsgesetz ist bei der Aufstellung des gemeinsamen Hochschulrahmenplanes die mehrjährige Finanzplanung des Bundes und der Länder zu berücksichtigen (vgl. auch § 4 Abs. 2 Gesetz zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur und § 4 Abs. 2 Gesetz zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes). Eine stufenweise Konkretisierung von Zielen und Zwecken der Landesplanung findet zwischen den Landesentwicklungsprogrammen, den regionalen Raumordnungsplänen und der kommunalen Bauleitplanung statt, wobei jeweils auch die Ziele des BBauG, BROG und StBauFG zu beachten sind (vgl. hierzu R. Stich, Planstufen, S. 589 ff.).

2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

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als Entscheidungsdelegation bei gleichzeitiger Vorgabe von Entscheidungsrahmen dar, damit die zunehmende soziale Differenzierung bewältigt werden kann. Ein solcher rechtswissenschaftlich-entscheidungstheoretischer Planungsbegriff betrachtet eine ziel- und zweckorientierte stufenweise zu konkretisierende Entscheidungsfindung als Strukturelement planender Tätigkeit 3 1 i m politisch-administrativen Bereich 32 . Zur näheren Präzisierung dieser entscheidungstheoretischen und verfahrensmäßigen Bestimmung des Begriffs der Planung läßt sich zunächst eine Parallele zur Verhaltenssteuerung durch Norm oder Weisung ziehen. Zwar lassen sich auch durch Norm oder Weisung zukünftige Entscheidungen nachgeordneter oder dezentraler Behörden steuern und koordinieren. Die Handlungs- und Entscheidungssteuerung durch Norm oder Weisung erfolgt aber in der Regel unter einem Aspekt der Ordnung sozialen Zusammenlebens. Die Planung zielt dagegen, wenn sie zukünftige Entscheidungen und Handlungen steuert, weniger auf statische Ordnung als auf eine zukunftsoffene soziale Gestaltung ab 33 . M i t Planung werden verschiedene Möglichkeiten künftiger sozialer Gestaltung durch Angabe intendierter Ziele und einsatzfähiger M i t t e l vorstrukturiert 3 4 . Bei Planungen werden also zukünftige politische Entscheidungen und Programme noch nicht festgelegt, sondern durch Vorgabe von Entscheidungs- und Handlungsrahmen lediglich ihre Richtung bestimmt. Darum sind nicht allein bei der zentralen politischen Instanz, sondern auf allen Ebenen der Verwaltung die Vorgänge der Informationsverarbeitung, Prognose, Zielfindung, Zielbewertung und Programmierung die entscheidenden Instrumente planender Tätigkeit 3 5 . Hier31

Vgl. auch E.-W. Böckenförde, Planung, S. 434 f. Das Neuartige am Phänomen der politischen Planung wird nicht deutlich, wenn Th. Maunz (Staatsrecht, § 33 I vor 1; ähnlich auch R. Herzog, Artikel Planung, in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 1818) Planung als die „gedankliche Vorwegnahme von Verhaltensweisen und Zielen sowie ihre programmatische oder (?) normative Festlegung durch Träger öffentlicher Aufgaben" bezeichnet. Auch der Erlaß des BGB würde nach dieser Definition unter Planung fallen, da hier Ziele und Verhaltensweisen gedanklich vorweggenommen und normativ festgelegt werden. 33 Bei D. Aldrup (Das Rationalitätsproblem in der Politischen Ökonomie [1971], S. 122) findet sich diese Differenzierung deutlich ausgesprochen: „Soziale Planungen korrespondieren mit dem kurzfristigen Anliegen, das eine oder andere singuläre — d.h. bestimmten raum/zeitlichen Beschränkungen . . . unterliegende — Programm zu realisieren... Die Herstellung und Aufrechterhaltung eines sozialen Ordnungsgefüges dagegen korrespondiert mit dem langfristigen Anliegen, bestimmten universellen — d.h. keinen raum/zeitlichen Beschränkungen unterliegenden... — Rahmenbedingungen für Planungen gesellschaftliche Geltung zu verschaffen (Beispiel: Herstellung einer freien Wirtschaftsordnung ...)." 34 C. Lau, Theorien, S. 43; W. Hoppe, Planung und Pläne, S. 684. 35 Verschiedentlich möchte man unter Planung die Gesamtheit aller Anstrengungen verstehen, „die von einer Organisation oder einem Einzelnen in der Absicht unternommen werden, zusammenhängende Entscheidungen zu 32

I. Der Begriff der Planung

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durch w i r d zukünftiges komplexes Handeln von Regierung u n d Verw a l t u n g m e t h o d i s c h e r a r b e i t e t u n d k o o r d i n i e r e n d festgelegt 3 6 . I n dieser entscheidungstheoretisch o r i e n t i e r t e n B e g r i f f s b e s t i m m u n g s t e l l t sich P l a n u n g als e i n r e f l e x i v e r M e c h a n i s m u s d a r 3 7 : I n d e m m a n i n d e n V e r f a h r e n d e r P l a n u n g e n ü b e r E n t s c h e i d u n g e n entscheidet, w i r d „ e i n Prozeß seiner A r t nach auf sich a n g e w a n d t " 3 8 . D u r c h das Festlegen v o n Entscheidungsprämissen, w i e es d e r P l a n u n g e i g e n t ü m l i c h ist, w i r d eine s c h r i t t w e i s e R e d u k t i o n v o n K o m p l e x i t ä t u n d d a m i t , w o r a u f sogleich z u r ü c k z u k o m m e n sein w i r d , eine L e i s t u n g s s t e i g e r u n g e r r e i c h t : A u f d e r ersten S t u f e des Entscheidens w e r d e n b i n d e n d e P l a n u n g s e n t scheidungen getroffen. Diese E n t s c h e i d u n g e n d e t e r m i n i e r e n aber E n t scheidungen n a c h f o l g e n d e r S t u f e n noch n i c h t i n h a l t l i c h , s o n d e r n l i e f e r n l e d i g l i c h R i c h t p u n k t e f ü r e i n nochmaliges Entscheiden. P l a n u n g d e t e r m i n i e r t also d u r c h F e s t l e g u n g v o n E n t s c h e i d u n g s p r ä m i s s e n spätere E n t s c h e i d u n g e n m e h r oder w e n i g e r s t a r r . I m Prozeß s t u f e n w e i s e r s t ä r k e r e r K o n k r e t i s i e r u n g w i r d l e t z t l i c h eine k o n k r e t e E n t s c h e i d u n g ü b e r eine H a n d l u n g g e f ä l l t , die die P l a n u n g i n die W i r k l i c h k e i t u m s e t z t 3 9 . Z u r n ä h e r e n B e s c h r e i b u n g dieses entscheidungstheoretisch gefaßten Planungsbegriffes lassen sich d i e b e i d e n G r u n d f o r m e n d e r P r o g r a m m i e treffen, die geeignet sind, das Verhalten über einen bestimmten Zukunftszeitraum mit einem möglichst geringen Fehlerrisiko zu lenken " (G. Wittkämper, Analyse und Planung, S. 76). I n dieser noch zu allgemeinen Fassung bleibt der Planungsbegriff für eine verwaltungswissenschaftliche und verfassungsrechtliche Analyse zu unscharf. I n jedem Gesetz werden von den berufenen Instanzen zusammenhängende Entscheidungen getroffen, die zukünftiges Verhalten optimal steuern sollen. Die Lenkungs- und Koordinationsfunktion des Gesetzes unterfällt nach dieser Definition bereits dem Planungsbegriff. So würde etwa mit dem Rechtsfahrgebot der Straßenverkehr — in freilich untechnischem Sinn — geplant: Der Gesetzgeber entscheidet darüber, wie sich zukünftige Straßenverkehrsteilnehmer in Verkehrssituationen entscheiden sollen. 36 F. Wagener, Öffentliche Planung, S. 571. 37 Beispiele reflexiver Mechanismen sind u. a. das Lernen des Lernens, die Normierung der Normsetzung oder die Forschung über Forschung. 38 N. Luhmann, S. 67; ders., Probleme eines Parteiprogramms, in: H. Baier (Hg.), Freiheit und Sachzwang. Beiträge zu Ehren H. Schelskys (1977), S. 167 ff., 171 f.; vgl. W. Bonß, Politik, Verwaltung, Planung, in: V. Ronge und U. Weihe, Politik ohne Herrschaft? (1976), S. 159 ff.; C. Lanz, Politische Planung, S. 30 ff. 39 R. Herzog (Regierungsprogramme, S. 37) möchte den Blick mehr auf die konkreten Maßnahmen lenken, auf die jede Planung abzielt. Denn die W i r kung der Planung werde nicht durch „Vorherdenken künftiger Entscheidungen", sondern durch das, „was der Jurist Realakte nennt", zutreffend beschrieben. Herzog macht mit Recht darauf aufmerksam, daß die planerische Enddezision im Vordergrund juristischen Interesses stehen muß. Trotzdem ist der entscheidungstheoretische Ansatz fruchtbar, da die rechtlichen Probleme von Planungsakten oft erst durch Analysen des Entscheidungsprozesses und seiner Implikationen ausgeschöpft werden können. Hierauf wird noch verschiedentlich zurückzukommen sein.

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2. Kap. : Planung als Problemlösungsstrategie

rung und Programmsteuerung heranziehen: Beim Konditionalprogramm laufen Entscheidungsprozesse nach dem Wenn-Dann-Schema ab. T r i t t die vom Programm vorgezeichnete Handlungssituation ein, w i r d die vorgesehene Handlungsfolge ausgelöst. I m Rahmen von Finalprogrammen werden Entscheidungen auf Grund eines Zweck-MittelSchemas getroffen. Die i n Frage stehende Entscheidung w i r d durch das Finalprogramm nicht determiniert. Zur Erreichung des i m Finalprogramm angegebenen Zieles stehen Handlungsalternativen zur Verfügung; zur Zweckerreichung kann zwischen den zur Verfügung stehenden Mitteln ausgewählt werden 40 . Die Entscheidungsprämisse des Zweckprogrammes bildet die Zweckfixierung 41 . Durch die Zweckbestimmung w i r d der Entscheidungsspielraum begrenzt; es bestehen innerhalb der Grenzen des Entscheidungsspielraums verschiedene Entscheidungsmöglichkeiten, die jeweils vom Programm umfaßt werden. Bei der Planung i m staatlichen Bereich ist lediglich das Verfahren konditional programmiert. Dies erscheint aus rechtsstaatlichen Gründen geboten. Der Prozeß der Zielrealisierung ist jedoch final programmiert. Der planenden Verwaltung w i r d i n der Regel ein Abwägungsspielraum bei der Lösung von Zielinterdependenzen überlassen. Außerdem bleibt es der planenden Verwaltung überlassen, aus der Vielzahl von Maßnahmen, die zur Zielrealisierung geeignet sind, die erfolgversprechendste auszuwählen. Die Steuerung der planenden Verwaltung durch Zweckprogramme, d.h. durch Vorgabe verbindlicher Handlungs- und Entscheidungsrahmen kann verschiedene Funktionen erfüllen. Während eine konditionale Steuerung der Verwaltungstätigkeit bei Routinetätigkeiten am Platze ist, integriert eine finale Steuerung der Verwaltung das Innovationspotential und den Sachverstand nachgeordneter oder dezentraler Verwaltungsbehörden i n Planungsverfahren. I n diesem Zusammenhang geht es bei der Wahl zwischen einer konditionalen oder finalen Steuerung der Verwaltungstätigkeit auch u m eine Erhöhung des Informa40 Den Unterschied zwischen Konditionalprogramm und Finalprogramm hat soweit ersichtlich im deutschen Schrifttum erstmals N. Luhmann dargestellt: Lob der Routine, in: Politische Planung, S. 118 ff. (hier werden Zweckprogramme und Routineprogramme unterschieden); Gesellschaftliche und politische Bedingungen des Rechtsstaates, ebd., S. 53 ff., 56 f.; Politische Planung, ebd., S. 62 ff., 70 ff.; Funktionale Methode und juristische Entscheidung, in: AöR Bd. 94 (1969), S. 1 ff., 3 ff.; Zweckbegriff und Systemrationalität. Über die Funktion von Zwecken in sozialen Systemen (1968), S. 67 ff.; Rechtssoziologie, S. 88, 227 ff., 234 ff. Die Luhmannsche Begriffsbildung wurde, teilweise kritisch, aufgegriffen von P. Oberndorfer, Strukturprobleme, S. 261 ff.; K. König, Planung, S.3; ders., Programmsteuerungen, S. 141; W. Hoppe, Struktur, S. 643 f.; F. Rotter, Sozialer und personaler Wandel (Soziologische Gegenwartsfragen N. F. Bd. 42) (1976), S. 25 ff.; vgl. weiter die im 4. Kap., IV. in Anm. 71 genannten Autoren. 41 P. Oberndorfer, S. 262; W. Hoppe, Struktur, S. 643.

I. Der Begriff der Planung

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tionsverarbeitungspotentials des politisch-administrativen Systems. Laufen die Verfahren politischer Planung i n einem zwei- oder mehrstufigen Entscheidungsprozeß ab und w i r d das Entscheidungsergebnis weitgehend offen gehalten, können die planungsrelevanten Informationen auf verschiedenen Ebenen des Staatsaufbaus und zu verschiedenen Zeitpunkten bei der Verfolgung bestimmter Ziele und Zwecke verarbeitet werden. Bei der Planung w i r d über Programme entschieden, die zukünftiges Entscheidungsverhalten nachgeordneter oder dezentraler Verwaltungseinheiten bei der Verarbeitung von Informationen steuern sollen 42 . Hierbei vertraut man darauf, daß die nachgeordnete oder dezentrale Planungseinheit am ehesten dazu i n der Lage ist, die verschiedensten Informationen aus der Umwelt zu einer wirkungsvollen Planung zu verarbeiten. Weiterhin ermöglicht die Steuerung der planenden Verwaltung durch Vorgabe verbindlicher Handlungs- und Entscheidungsrahmen Konsensbildungsprozesse auf den verschiedenen Stufen der Realisierung der Planung. Die Entscheidung von Konflikten zwischen einzelnen Planungszielen 43 braucht von den staatsleitenden Instanzen nicht abstrakt vorgenommen zu werden; die Konfliktlösung w i r d einem Konsensbildungsprozeß zwischen der unmittelbar betroffenen Bevölkerung und der Verwaltungsbehörde mit der besten Kenntnis der Sachfragen überlassen. Kehrseite dieser verfahrensmäßigen Legitimation politischer Planung ist ein zunehmender politischer Druck auf die Verwaltung. Denn bei der herkömmlichen, weitgehend konditional programmierten Entscheidungssteuerung ist die Verwaltung vom Druck der zu lösenden Interessenkonflikte weitgehend entlastet. Konditionalprogramme bestimmen — allerdings nur der Idee nach — ohne Rücksicht auf die Motive des Entscheidenden das Entscheidungsergebnis: A n die V e r w i r k lichung eines Tatbestandes sind bestimmte (Rechts-)Folgen geknüpft. Das Zweckprogramm dagegen räumt dem Entscheidenden Einfluß auf die Entscheidung ein. Denn der Zweck, der anzustreben ist, steht zwar für den Entscheidenden fest; bei der Auswahl der Mittel zur Zweckerreichung können politische Rücksichten, Einfluß von Interessentengruppen oder eine persönliche Einstellung des Entscheidenden die Entscheidung färben. M i t der Wahl des einen oder des anderen Entscheidungsmusters w i r d darüber entschieden, ob das Verhalten der Verwaltung zentral gesteuert w i r d oder ob die Verwaltung einen Bereich eigener politischer Verantwortung zum Ausgleich zwischen 42 K. König, Planung, S. 3; F. Halstenberg, Planung als Verwaltungs- und politisches Führungsinstrument, in: A. Rehkopp (Hg.), Öffentliche Verwaltung, S. 42 ff., 43. 43 Vgl. etwa die Abwägungsgebote in § 1 Abs. 7 BBauG oder in § 1 Abs. 4 S. 3 StBauFG.

2. Kap. : Planung als Problemlösungsstrategie

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widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen überantwortet erhält 4 4 . Insgesamt gesehen erfüllt die Entscheidungssteuerung der planenden Verwaltung mittels Zweckprogrammen eine wichtige Funktion i m regelungsintensiven Industriestaat. Die Entwicklung des regelungsintensiven Industriestaates ist von einer zunehmenden gesellschaftlichen Differenzierung geprägt. Die gesellschaftliche Entwicklung kennzeichnen eine zunehmende Komplexität und Kompliziertheit, eine stetige Ausdifferenzierung relativ autonomer Subsysteme und eine hohe Kontingenz. Eine Entscheidungssteuerung i m politisch-administrativen System durch Planungsverfahren, die die Sachkunde und Informationsverarbeitungskapazität verschiedener Ebenen des Staatsaufbaus i n den Prozeß der Entscheidungsfindung einzubeziehen vermag, ist angesichts der bestehenden gesellschaftlichen Ausdifferenzierung geradezu geboten. Planung mit gestuften Entscheidungsverfahren ist auch unter diesem systemtheoretischen Aspekt das geeignete Handlungsinstrumentarium, u m den Steuerungsproblemen i m regelungsintensiven Industriestaat genügen zu können. Die Unterscheidung zwischen Konditionalprogrammen und Finalprogrammen, die auf der Vorstellung von offenen und geschlossenen Entscheidungsmustern basiert 45 , ist nicht zuletzt auch von verfassungsrechtlicher Bedeutung. Unter dem Subsidiaritäts- und Partizipationsaspekt sind offene Entscheidungsmuster wünschenswert, da hier dezentralen Entscheidungseinheiten ein hohes Maß an Autonomie eingeräumt werden kann. Dem Rechtsstaatsprinzip andererseits entspricht eine weitgehend konditionale Programmierung der Verwaltungstätigkeit 4 6 . Die Einbruchsteilen i n das System rechtsstaatlicher konditionaler Programmierung sind bekannt: Bei der Gewährung von Ermessensspielräumen an die Verwaltung und bei einem Teil der Leistungsverwaltung bewegt sich die Verwaltung i n einem nicht konditional programmierten Entscheidungs- und Handlungsbereich. Rechtsprechung und Literatur haben i n diesen Bereichen durch Erarbeiten feststehender Grundsätze, 44

N. Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, S. 69. Teilweise weiter differenzierend K. König, Planung, S. 4 f. 46 N. Luhmann ist der Ansicht, die finale Programmierung der Verwaltung habe mit dem Übergang des Polizeistaates in den Rechtsstaat ihre unmittelbare rechtliche Relevanz verloren (S. 63 f.). Demgegenüber ist mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß das Sozialstaatsprinzip in gewissem Umfang eine finale Programmierung der Verwaltungsentscheidungen erforderlich macht. Die Kombination von Rechts- und Sozialstaat in Art. 20 und 28 G G ist, wie Luhmann selber anschaulich formuliert, der „Versuch einer Balance von Konditional- und Zweckprogrammen" (S. 70 f.; vgl. auch H. P. Bull, Staatsauf gaben, S. 129 ff.). A n diesem Befund wird deutlich, daß eine Effektivierung des Sozialstaatsgedankens zu Entscheidungsmustern des absolutistischen Wohlfahrtsstaates zurückführen kann. 45

I. Der Begriff der Planung

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wie den der Selbstbindung der Verwaltung aufgrund des Gleichheitssatzes, eine Verschachtelung konditionaler m i t finalen Entscheidungsprogrammen i n engen Grenzen gehalten. Der Rechtslehre obliegt es seit dem Aufkommen politischer Planung, neue Quantitäten finaler Entscheidungsmuster rechtlich zu formen. Die Bewältigung dieser Aufgabe w i r d eines der Anliegen vorliegender Arbeit bilden. 3. Abweisung verkürzender Planungsbegriffe

Die Bestimmung der politischen Planung als Festlegen von Entscheidungsprämissen für zukünftige Entscheidungen, indem nämlich nachgeordneten oder dezentralen Behörden Entscheidungen bei gleichzeitiger Vorgabe von Entscheidungsrahmen delegiert werden, w i r d i m verwaltungs- und politikwissenschaftlichen Schrifttum nicht allseitig akzeptiert. I n der Verwaltungswissenschaft und Staatstheorie umschreibt man den Begriff der politischen Planung nicht selten mit Merkmalen wie systematische Entscheidungsvorbereitung oder Anwendung der Zweck-Mittel-Rationalität i n der Politik, die freilich das Neuartige an dem Phänomen der Planung nicht ausreichend berücksichtigen. Die politikwissenschaftliche Literatur hingegen möchte vielfach Planung mit Politik selbst gleichsetzen, wobei Planung zum Instrumentarium bestimmter reformistischer politischer Konzeptionen wird. a) Bloße systematische und zweck-mittel-rationale Vorbereitung von Entscheidungen? I m verwaltungswissenschaftlichen und staatstheoretischen Schrifttum w i r d der Begriff der politischen Planung verschiedentlich nach w i r t schaftswissenschaftlichem Vorbild 4 7 mit systematischer und zweckmittel-rationaler Entscheidungsvorbereitung gleichgesetzt 48 . Vorbild 47 Zum wirtschaftswissenschaftlichen Planungsverständnis: H. C. Rieger, S. 10; R. Schmidt, Wirtschaftspolitik, S. 71; F. Rahmeyer, Pluralismus und rationale Wirtschaftspolitik (1974), S. 57 f.; H. K. Schneider, Planung und Modell, in: Zur Theorie der regionalen und allgemeinen Planung (1969), S.42; G. Gäfgen, Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung, 2. Aufl. (1968), S. 101 (Planung befaßt sich mit Entscheidung und Entscheidungsdurchführung); vgl. weiter O. W. Haseloff (Hg.), Planung und Entscheidung (1970). 48 So versteht etwa A. Röttgen (Mandat, S. 14) „Planung als eine auf Grund sorgsamer Information methodisch reflektierte Analyse im Zweifel nicht nur variabler, sondern auch komplexer Sachverhalte". Vgl. auch F. Sidler, Grundlagen für ein Management-Modell für Regierung und Verwaltung (Zürich 1974), S. 176 ff.; E. Laux, Die Planung im Verwaltungshandeln, in: Staat und Kommunalverwaltung, Jg. 1965, S. 12; K. Lompe (Gesellschaftspolitik, S. 29 ff.) bezeichnet Planung als Prozeß zur Erarbeitung raumzeitlich abgestimmter Ziel-Mittel-Beziehungen und (S. 31 ff.) als Tätigkeit der systematischen Vorbereitung von politischen Entscheidungen auch in der Phase der Interpretation von Ziel Vorstellungen. Weitere Nachweise finden sich bei D. Aderhold (Kybernetische Regierungstechnik, S. 21 f.).

4 Würtenberger

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2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

ist etwa Grochlas Definition, der Planung als „Vorausdenken zukünftigen Handelns unter Beachtung des Rationalprinzips" bestimmt 4 9 . Der Gesichtspunkt der systematischen Entscheidungsvorbereitung steht i m Vordergrund des Interesses, wenn i n der verwaltungswissenschaftlichen und staatstheoretischen Literatur politische Planung auf die „systematisierte Vorbereitung des Willensaktes eines Entscheidungsträgers" 50 verkürzt wird. Wenn man Planung als methodische Vorbereitung von Entscheidungen bezeichnet, so werden die folgenden beiden Kriterien für die Bestimmung des Planungsverständnisses gewählt: Zum einen w i r d deutlich gemacht, daß nicht alle Entscheidungen auf Planung zurückgehen. Bloß reagierende und improvisierte Entscheidungen unterfallen nicht dem Planungsbegriff. Zum anderen trägt diese Bestimmung des Planungsbegriffs der Tatsache Rechnung, daß die planende und die entscheidende Instanz i m staatlichen Bereich oft nicht identisch sind. Weiterhin sucht man m i t dem Zweck-Mittel-Schema dem Begriff der politischen Planung klare Konturen zu verleihen. Recht global definiert man Planung als „vorausschauendes Setzen von Zielen und gedankliches Vorwegnehmen der zu ihrer Verwirklichung erforderlichen Verhaltensweisen" 51 . Tenbruck kennzeichnet den Begriff Planung durch zwei Elemente, nämlich durch Zielsetzung und Verwendung des ZweckMittel-Schemas bei der Zielerreichung: „Unter Planungen seien ausdrückliche und begründete Festlegungen von Zielen und zugehörigen M i t t e l n verstanden, welche das zukünftige Verhalten eines angebbaren Personenkreises i m Sinne optimaler Zielerreichung vorgreifend, ausdrücklich und effektiv regeln und koordinieren wollen 5 2 ." Bei dieser am Zweck-Mittel-Schema ausgerichteten Planungsdefinition steht die systemtheoretische Perspektive 58 i m Vordergrund, „durch bewußte und 49 Grochla, Betriebliche Planung, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 8 (1964), S. 315. 50 E. Laux, Planung, S. 12; M. Lepper, Besprechung, in: Die Verwaltung, 8. Bd. (1975), S. 523 ff., 524; D. Storbeck, Grundfragen und Entwicklung der Raumplanung in der BRD, in: B. Schäfers (Hg.), Gesellschaftliche Planung, S. 253; H. Bebermeyer, Planungssystem, S. 715 f.; H. H. von Arnim, Gemeinwohl, S. 339 f. (Planung „als eine Sammelbezeichnung für den gedanklichmethodischen Prozeß, den rationale Politik voraussetzt"); M. Brösse, Raumordnungspolitik (1974), S. 7. 61 Wolff -Bachof, §47 I X a; R.Herzog, Planung I, Sp. 1818; § 1 Abs. 1 des CDU-Entwurfes eines Planungskontrollgesetzes N R W vom 28.2.1971, L T Drs. 7/1518; § 1 Abs. 1 des SPD-Entwurfes eines Planungskontrollgesetzes Rhpf. vom 20.2.1973, LT-Drs. 7/1542; K. König (Hg.), Koordination, Landesbericht Berlin, S. 241; B. Wootton, Planwirtschaft, S. 10 ff. 52 F. H. Tenbruck, Kritik, S. 145; vgl. weiter H. Harnischfeger, Planung, S. 93 ff.; D. Frank, S. 11. 53 Angemerkt sei, daß man gelegentlich den Begriff der politischen Planung auch unter Rückriff auf die kybernetische Systemtheorie (vgl. zu diesem

I. Der Begriff der Planung

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gezielte Veränderung einzelner Variablen ein System so zu steuern, daß bestimmte Ziele erreicht werden" 5 4 . A n dieser Umschreibung des Planungsbegriffs ist zutreffend, daß an den Schaltstellen der Planung Ziele gesetzt, daß die für die Zielerreichung erheblichen Verhaltensformen abgestimmt und die erforderlichen Sachmittel bereit gehalten werden müssen. Die Verwendung des Zweck-Mittel-Schemas und der Gesichtspunkt der Koordination sind wesentliche Elemente des Planungsbegriffs. Sicherlich gehören eine systematische Entscheidungsvorbereitung und die Ausrichtung staatlichen Handelns an politischen Zielen zu den wichtigsten Voraussetzungen planenden Handelns. Bei näherer Betrachtung umfaßt allerdings die Umschreibung des Planungsbegriffs als systematische und zweck-mittel-rationale Vorbereitung von Entscheidungen nicht alle wesentlichen Aspekte der modernen Verfahren politischer Planung. Bezeichnet man Planung lediglich als zielgerichtete und systematische Entscheidungsvorbereitung, so verkennt man das Neuartige am Phänomen öffentlicher Planung. Die moderne Planung erschöpft sich nicht i n der Zielsetzung, der Koordination des politischen Handelns und den Techniken zweckrationaler Entscheidungsfindung. Ein Blick auf die Entwicklung der Verwaltungspraxis zeigt, daß die Verwaltung bereits seit langem die Zweck-Mittel-Relation zur Vorbereitung ihrer Entscheidungen verwendet. Und es ist nicht zu bestreiten, daß i n der Politik seit jeher Ziele gesetzt und Programme zur Zielerreichung erarbeitet werden 55 . Wenn etwa der Abschluß eines außenpolitischen Vertrages oder der Entwurf eines Gesetzes zur Steuerreform methodisch und systematisch vorbereitet werden, läßt sich aber sicherlich noch nicht von einer Planungsaktivität sprechen, die qualitativ den modernen Verfahren politischer Planung gleichzusetzen ist 5 5 a . Das Neuartige an dem Ansatz Anm. 11) zu bestimmen sucht. So versteht F. Naschold (Anpassungsplanung oder politische Gestaltungsplanung?, in: W. Steffani (Hg.), Parlamentarismus ohne Transparenz (1971), S. 69 ff., 77; zustimmend B. Lutterbeck, Parlament, S. 11) unter politischer Planung „das Handeln eines Systems, das durch Rückkoppelungsprozesse einerseits auf Grund einer gewissen Umweltautonomie sich zielstrebig zu verhalten versucht, andererseits aus den rückgekoppelten Interaktionen mit der Umwelt zu lernen bemüht ist". So beschrieben bleibt Planung nichts als eine Leerformel, das Spezifische am Begriff der Planung wird nicht deutlich. Die Rückkoppelungsmechanismen zwischen politischem System und Umwelt sind altbekannt; außerdem ist es das Wesen jeder Politik, an Zielen ausgerichtet zu sein und die Probleme der jeweiligen sozialen oder ökonomischen Situation „lernend" zu verarbeiten. 54 E. Gehmacher, Prognostik, S. 16; grundlegend zur Bedeutung der Systemanalyse für die politische Planung ist der von E. S. Quade und W. I. Boucher herausgegebene Sammelband „Systems Analysis and Policy Planning" (3. Aufl., New York 1970). 55 M. Schröder, S. 10 m. w. Nw. 55a Hierzu S. A. Musto, Wandlungstendenzen in der Gesellschaftsplanung, in: Soziale Welt Jahrgang 1975, S. 293 ff. 4*

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2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

Phänomen politischer Planung liegt eben an der Organisation der Entscheidungsdurchsetzung: Die Vorgabe verbindlicher Handlungs- und Entscheidungsrahmen an dezentrale oder nachgeordnete Behörden vermag die Konfliktlösungskapazität des politischen Systems i m regelungsintensiven Industriestaat erheblich zu steigern. b) Bloßes Instrument

der Reformpolitik?

I n der politikwissenschaftlichen Planungsforschung w i r f t man dem entscheidungstheoretisch orientierten Planungsverständnis einen Formalismus vor, der sich gegenüber den Aufgaben politischer Gestaltung abkapsele. Dieses Planungsverständnis soll geradezu Blindheit gegenüber der Umwelt des i m politischen System verankerten Planungssystems kennzeichnen 56 . Insbesondere Ronge und Schmieg 57 wenden gegen den verwaltungswissenschaftlich-entscheidungstheoretischen Begriff politischer Planung ein, Planung könne „nicht zureichend i n der Begrifflichkeit von Zweck- oder Konditionalprogrammen erfaßt werden". Der entscheidungstheoretisch gefaßte Planungsbegriff betreffe lediglich neue Formen politischen Handelns wie die Nutzen-KostenAnalyse als Entscheidungshilfe, organisatorische Veränderungen i n Regierung und Verwaltung, rechtliche Strukturveränderungen durch das Stabilitätsgesetz oder durch die Gemeinschaftsaufgaben. Gegenüber einem entscheidungstheoretisch gefaßten Planungsbegriff, der sich am Wandel des politischen „decision making" orientiert, befürworten Ronge und Schmieg einen Planungsbegriff, der sich „materiell" an der Zukunftsbewältigung, an der „policy" ausrichte. Andernfalls würden so zentrale Problemkreise wie ökonomische Entwicklungstendenzen und soziale Konfliktstrukturen aus dem Planungsbegriff ausgeblendet und theoretische wie empirische Leerstellen gebildet. Diese Leerstellen i n den entscheidungs- und handlungstheoretisch orientierten Planungskonzeptionen sollen wissenschaftlich nicht zu legitimieren sein, da keine weitgehende Kontrolle der Umwelt durch das politische System vorliege und die Umwelt signifikante Einwirkungen auf das Planungssystem habe 58 . Bei diesen Einwänden gegen den gewählten entscheidungs- und handlungstheoretisch orientierten Planungsbegriff stellt man der instrumen66 F. Naschold, Zur Politik und Ökonomie von Planungssystemen, S. 32 ff.; J. Esser, F. Naschold und W. Väth, Gesellschaftsplanung und Weltdynamik, in: dies. (Hg.), Gesellschaftsplanung, S. 7 ff. 57 V. Ronge und G. Schmieg, Restriktionen, S. 12. 58 Eine Anreicherung des Planungsbegriffs mit inhaltlichen Kriterien findet sich bereits bei K. Mannheim (Mensch und Gesellschaft, S. 228). Für ihn bedeutet Planen den „Akt des Umbaus einer historisch gewordenen und auf uns gekommenen Gesellschaft in eine immer vollkommener durch den Menschen von zentralen Stellen aus regulierte Einheit".

I. Der Begriff der Planung

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teilen Definition des Planungsbegriffs antithetisch eine teleologische Definition gegenüber 59 . Betrachtet man Planung als Handlungs- und Entscheidungsrahmen, so stellt man auf spezifische Instrumente der Entscheidungsfindung und Entscheidungsdurchsetzung ab: Delegation von Entscheidungsspielräumen an nachgeordnete und dezentrale Entscheidungseinheiten, Koordination von Entscheidungsprogrammen, Zweck-Mittel-Erwägungen bei Operationalisierung politischer Leitziele u. a. m. Einen ganz anderen Ansatz wählt eine teleologische Definition des Planungsbegriffs. Hier sucht man allgemeine Ziele jeder Planung i n die Definition des Planungsbegriffs einzubeziehen. Planungsziele könnten etwa sein: Lenkung sozialen Wandels, Überwindung von Klassengegensätzen oder auch Stabilisierung eines gegebenen sozialen Systems. Es ist sicherlich wenig sinnvoll, die Progressivität, die meist mit einem teleologischen Planungsverständnis verbunden wird, gegen den Formalismus eines entscheidungstheoretischen Planungsbegriffs ausspielen zu wollen. Denn daß politische Planung die aus der Umwelt an das politische System herangetragenen Probleme lösen möchte, w i r d auch von einem entscheidungstheoretisch orientierten Planungsverständnis nicht i n Frage gestellt 60 . Was Naschold als theoretische und empirische Leerstellen i n dieser Planungstheorie bezeichnet, betrifft die materiellen Aufgaben politischer Entscheidung und damit die Funktionen der politischen Führung. Von diesen inhaltlichen Zielen politischer Planung muß aber Planung als rechtstheoretischer Begriff zunächst einmal A b stand halten. Wie das Recht überhaupt muß auch Planung für verschiedene Formen sozialer Gestaltung offen bleiben. I n diesem Sinne bietet politische Planung Verfahren zur Problemformulierung und Problemlösung, aber keine eigenen Richtlinien zur Lösung sozialer Konflikte und Bewältigung ökonomischer Entwicklungstendenzen. Aus ähnlichen Gründen berührt es ein rechtswissenschaftliches Planungsverständnis, das entscheidungstheoretisch formuliert ist, nicht, wenn i h m ein gewisser konservativer Zug vorgeworfen w i r d 6 1 . Die konservative Tendenz des entscheidungstheoretischen Planungsverständnisses liegt darin begründet, daß es seinen Bezugsrahmen i n der Theorie 59 E. Volk, Rationalität, S. 22 ff.; D. Aderhold, Kybernetische Regierungstechnik, S. 17 ff.; H. Schatz, Politische Durchsetzbarkeit, S. 2 (politische Planung als Versuch den Prozeß der Artikulation gesellschaftlicher Bedürfnisse auf „gesamtgesellschaftliche Nutzen-Kriterien" [?] auszurichten und als „Systempolitik" [?] zu betreiben). 60 Dem trägt etwa R. Waterkamp (Politische Leitung, S. 95) Rechnung, wenn er das formale Planungsverständnis der Systemtheorie durch Einbeziehung von Teilerkenntnissen der Politökonomie erweitert. 61 C. Lau, Theorien, S. 93 f.

2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

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gesellschaftlicher Differenzierung findet® 2. Das erkenntnisleitende Interesse des entscheidungstheoretischen Planungsverständnisses innerhalb dieser Theorie gesellschaftlicher Differenzierung richtet sich auf die Aufrechterhaltung bzw. Ausweitung bestehender gesellschaftlicher Ausdifferenzierungen und ihrer adäquaten Vermaschung. Die Bewältigung von Steuerungsproblemen steht i m Vordergrund, die primär vom politischen System zu leisten ist. Die Reformintention eines derartigen Planungsverständnisses reicht oft nur bis zur Mängelbehebung innerhalb bestehender Systemstrukturen. Hinter diesem Planungsverständnis steht die These, daß dem System insgesamt eine gewisse Basisoptimalität zugeschrieben werden könne 63 , jene These also, die von manchen modernen Sozialreformern auf das energischste angegriffen wird. Es ist sicher zutreffend, daß dem entscheidungstheoretisch ausgerichteten Planungsverständnis ein gewisser konservativer Zug eigen sein kann und i n der Regel wegen seiner Ausrichtung an der Systemstabilität auch eigen sein wird. Andererseits bleibt zu bedenken, daß dieses Planungsverständnis letztlich neutral gegenüber jeglicher politischer Innovation ist. M i t einem entscheidungstheoretisch orientierten Planungsbegriff lassen sich Planungen unter dem Motto des „Auf zu neuen Ufern" wie auch Planungen aus dem Geist traditionalistischer Sozialtechnologien begreifen. Nur ein derart weites Planungsverständnis, das sowohl eine emanzipatorische wie auch eine traditional-technokratische Planung zu begreifen vermag, ist für verwaltungswissenschaftliche und staatsrechtliche Analysen brauchbar. I I . Einteilungsgesichtspunkte für politische Planung Spricht man von politischer Planung, so mag es nahe liegen, zwecks genauerer Eingrenzung des Themas den schillernden Begriff des Politischen 1 näher zu klären. M i t einer solchen Begriffsklärung wäre aber für jene Thematik, die erörtert werden soll, wenig gewonnen. W i l l man die staatsrechtlichen Probleme politischer Planung darstellen, so geht es u m Planungen, die von den staatsleitenden Instanzen Regierung und Parlament i m verfassungsrechtlich geordneten politischen Prozeß erstellt und realisiert werden. Auch Planungen der Ministerialbürokratie e2

Hierzu oben unter 2. F. Naschold, S. 18, 33. 1 Vgl. etwa C. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1963), S.20ff., 26 ff. (Definition des Politischen durch die Unterscheidung von Freund und Feind); W. Schmidt, Organisierte Einwirkungen auf die Verwaltung, in: V V D S t R L H. 33 (1975), S. 183 ff., 199 (zur Abgrenzung zwischen rechtlicher und politischer Entscheidung); N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 245 (Politik als „Vorfeld derjenigen Prozesse, die zu kollektiv bindenden Entscheidungen führen"). 63

I I . Einteilungsgesichtspunkte f ü r politische Planung

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können politische Planungen sein, wenn sie i m verfassungsrechtlich geordneten politischen Prozeß eine besondere Rolle spielen, also nicht bloß Verwaltungsplanungen sind. Politische Planungen sind, stellt man auf den Entscheidungsinhalt ab, Planungen m i t staatsleitendem Charakter; sie zielen auf die Festlegung der großen Linie der Politik und der politischen Weichenstellungen 2 . Allenfalls mittelbar zu berücksichtigen sind damit die Planungen von Gemeinden und Kommunalverbänden, mag man sie i m übrigen auch als „politisch" bezeichnen, da richtungweisende Entscheidungen für ein örtlich begrenztes Gemeinwesen getroffen werden. Eine solche i n erster Linie institutionelle Umschreibung der politischen Planung bleibt freilich ähnlich inhaltsarm wie eine entscheidungstheoretische Bestimmung des Planungsbegriffs; sie ist darum durch eine Darstellung der Aktionsbereiche politischer Planung zu ergänzen. Die Frage nach den Aktionsbereichen politischer Planung läßt sich mit Blick auf die Einteilungsgesichtspunkte beantworten, die die Vielzahl an Planungen, Programmen, planungsrealisierenden Maßnahmen und einzelnen Plänen überschaubar werden lassen 3 . Zu diesem Zweck brauchen nicht mit dem Vollständigkeitsdrang eines Naturforschers all jene verschiedenen Erscheinungsformen der Planung zusammengestellt zu werden, die i n letzter Zeit i m Bereich des Öffentlichen i n Erscheinung traten 4 . Es reicht, einige typische Kategorien der Planung 2 W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 27. — Allerdings kann W. Graf Vitzthum nicht gefolgt werden, wenn er an anderer Stelle (S. 96) nur jene Planung als politische Planung bezeichnet, die in die gemeinsame Zuständigkeit von Regierung und Parlament fällt. Denn dann würden alle Planungsakte im Bereich der Exekutive, die nicht parlamentarischer Mitwirkung unterliegen, etwa jene kraft Richtlinienkompetenz der Regierungschefs oder Ressortplanungen (S. 102), aus dem Begriff der politischen Planung ausgeblendet sein. Ein solches restriktives Verständnis von politischer Planung ist einer Entflechtung dieses komplexen Phänomens äußerst hinderlich. A n dererseits geht W. Thiemes Formulierung „Planung, auch soweit sie verwaltungsrelevant ist, ist regelmäßig zugleich politische Planung" (Verwaltungslehre, § 106 C) zu weit. Hier droht die bloße Verwaltungsplanung ohne Not in den Bereich des Politischen heraufzudrängen (vgl. auch C. Lanz, Politische Planung, S. 38 m. w. Nw.). 3 Erscheinungsformen von öffentlichen Planungen und Plänen beschreiben mehr oder weniger ausführlich: K. Obermayer, Der Plan als verwaltungsrechtliches Institut, S. 151 ff.; H. P. Ipsen, Fragestellungen, S.43ff. (Typologie der Wirtschaftsplanung); ders., Rechtsfragen, S. 69 fî.; M . Schröder, Planung, S. 10 fî.; E.-W. Böckenförde, Planung, S. 435 ff.; B. Dobiey, Politische Planung, S. 16 ff.; R. Herzog, Gutachten, S. 5 f.; W. Hoppe, Planung und Pläne, S. 669 ff.; C. Lanz, S. 21 ff.; P. Noll, Gesetzgebungslehre (1973), S. 74 f. (zur nach wie vor vernachlässigten Gesetzgebungsplanung). 4 Dies schon deshalb, weil man gegenwärtig manches als Planung bezeichnet, was den soeben entwickelten entscheidungstheoretischen Anforderungen an Planung im staatlichen Bereich nicht zu genügen vermag (vgl. die Aufzählung bei W. Graf Vitzthum, S. 93 Anm. 108). Auszuklammern sind alle ordnend-beschreibenden Pläne (wie Bebauungsplan, Pläne auf Grund von

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2. Kap. : Planung als Problemlösungsstrategie

i m Bereich der staatsleitenden Instanzen zu beschreiben, u m das nötige Anschauungsmaterial und Begriffsinstrumentarium zu gewinnen, auf das bei der Darstellung der verfassungsrechtlichen und staatstheoretischen Probleme jeweils zurückgegriffen werden kann 5 . 1. Aufgabenplanung und Ressourcenplanung

Aufgabenplanung, verschiedentlich auch als Zielplanung bezeichnet, und Ressourcenplanung stehen i m Zentrum einer an Zukunftskonzepten ausgerichteten Politik der staatsleitenden Instanzen Regierung und Parlament. Bei der Aufgaben- und Ressourcenplanung geht es u m die grundlegende Funktion moderner politischer Planung, an die Stelle eines bloß reaktiven Krisenmanagements zielgerichtete Krisenvermeidungsstrategien treten zu lassen. Diese Verlagerung des Schwergewichts von einer reaktiven auf eine aktiv-gestaltende Politik erfordert Prognosen der Entwicklung gesellschaftlicher Bedürfnisse und Interessenlagen und, hierauf aufbauend, ihre Befriedigung anhand einer politischen Gesamtkonzeption. Die Aufgabenplanung bildet die Grundlage der Regierungsprogramme. M i t der Aufgabenplanung werden zunächst A r t , Umfang und Reihenfolge der öffentlich wahrzunehmenden Aufgaben bestimmt®. Hierbei hat eine Zielsuche stattzufinden, an die sich eine Zielabwägung und Lösung von Zielkonflikten anschließen. Die Anstöße zur Aufgabenplanung können von konkretisierungsbedürftigen Staatszielbestimmungen, aus dem Bereich von Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch aus dem politischen System kommen. Interessentengruppen, Parteien oder die Massenmedien können massiven Druck auf die Aufgabenplanung ausüben. Daneben muß sich das politische System bemühen, schlecht organisierbare gesellschaftliche Bedürfnisse zu ermitteln und i n das Verfahren der Aufgabenplanung einzubeziehen. Weiterh i n w i r d der Umfang der Aufgabenplanung durch den Bedarf an gesamtgesellschaftlich verbindlichen Entscheidungen bestimmt. I n der Aufgabenplanung schlagen sich die von den politischen Entscheidungsträgern verfolgten Vorstellungen über den anzustrebenden Zustand des gesellschaftlichen Systems nieder. Die heterogenen Anforderungen an das politische System werden zu einer gesellschaftspolitischen Konzeption verarbeitet, aus der eine Reihe und, soweit möglich, eine Planfeststellungsverfahren) oder etwa die „Sozialplanung", mit der sich die Sozialpädagogik einen wissenschaftlichen Nimbus gibt (vgl. F. Ortmann [Hg.], Sozialplanung für wen? [1976]). 5 Ähnlich auch C. Lanz, S. 38 ff. 6 Η . Schatz, Politische Planung, S. 3; E.-W. Böckenförde, Planung, S.437; zur Phase „Zielplanung" im Prozeß politischer Planung vgl. unter I I I . , 4.

I I . Einteilungsgesichtspunkte für politische Planung

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Reihenfolge instrumentaler Ziele, d.h. Ziele, die der Verwirklichung von Leitzielen dienen, entwickelt werden kann. Bei der Aufgabenplanung steht also die Zukunftsbezogenheit der Planung i m Vordergrund: Es werden die i n der Zukunft zu verwirklichenden politischen Zielvorstellungen i n das Verfahren der Planung eingebracht. Da der politische Kurs eines Staates durch Planung nur langfristig beeinflußt werden kann, finden die Divergenzen über den politischen Kurs i m Planungsgeschäft ihren Niederschlag 7 . Entsprechend der politischen Grundeinstellung w i r d einerseits als Aufgabe der A u f gabenplanung ein effizientes Krisenmanagement und die Katastrophenabwehr gesehen8. Andererseits sieht man i n der Aufgabenplanung eine Möglichkeit, sozialen Fortschritt zu verwirklichen, und weist der Aufgabenplanung die Rolle zu, den Kurs zu neuen Ufern zu bestimmen; Aufgabenplanung w i r d als Implementationsmittel gesamtgesellschaftlicher Idealmodelle angesehen, wobei durch eine progressive Planung die Veränderung gesellschaftlicher Regulierungsprozesse und i n letzter Konsequenz eine neue Gesellschaft angestrebt wird 9 . Dieses „emanzipatorische" Verständnis von Aufgabenplanung greift auf den politökonomischen Ansatz zurück, der bereits dargestellt wurde 1 0 . Sicherlich steht Aufgabenplanung i m Zentrum der politischen Gestaltung des Gemeinwesens. Und es ist sicherlich richtig, daß jeder langfristigen Planung, soll sie nicht der „Utopie des Bewahrens" 1 1 anheimfallen, ein Moment der Veränderung eigen ist 1 2 . Für rechtswissenschaftliches Arbeiten ist aber ein „emanzipatorisches" Verständnis von Aufgabenplanung 7 D. Aderhold, Kybernetische Regierungstechnik, S. 17; E. Volk, Rationalität, S. 22. — Hinweisen läßt sich in diesem Zusammenhang auf eine politikwissenschaftliche Umschreibung der politischen Planung bei H. Schatz (Politische Planung, S. 2). Schatz möchte politische Planung als den Versuch verstehen, „den politischen Prozeß der Artikulation gesellschaftlicher Bedürfnisse, der Festlegung und der Verwirklichung der öffentlich wahrzunehmenden Aufgaben zu systematisieren und auf gesamtgesellschaftliche Nutzenkriterien auszurichten". Unklar bleibt, wie in einem pluralistischen Staat der „Prozeß der Artikulation gesellschaftlicher Bedürfnisse" systematisiert werden kann und wie „gesamtgesellschaftliche Nutzenkriterien" allgemein verbindlich festgelegt werden können. 8 H. Lübbe, Die Freiheit und der Plan, in: Fragezeichen, März 1971, S. 17 f. 9 D. Aderhold, S. 18 m. w. Nw.; V. Ronge und G. Schmieg, Einleitung, S. 15. 10 Hierzu im 1. Kap. bei Anm. 48 ff. und im 2. Kap. unter 3 b. 11 H.-J. Arndt (Die Figur des Plans als Utopie des Bewahrens, in: Säkularisation und Utopie, Ebracher Studien. E. Forsthoff zum 65. Geburtstag, 1967, S. 119 ff., 154) will den Plan und damit wohl auch die Planung auf die widerspruchsvolle Figur eines Bewahrens von Techniken oder einer Technik des Bewahrens reduzieren. Solange ein Ende der technischen Realisation nicht abzusehen ist, muß Planung gerade die Antithese des Bewahrens sein, nämlich die Anpassung an die technische Herausforderung. Daß Planung und Pläne freilich nicht zu Instrumenten des Terrors werden, was Arndt befürchtet, ist Aufgabe einer Planungspolitik, die breiten gesellschaftlichen Konsens erringen kann. 12 V. Ronge und G. Schmieg, Restriktionen, S. 12; M. Schröder, S. 6.

2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

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als Erscheinungsform der politischen Planung insgesamt nur beschränkt brauchbar. Es w i r d zwar auf die Zielgerichtetheit der politischen Planung abgehoben; doch deckt eine teleologische Definition der Zielplanung nur einen Teil planmäßiger Entwicklung von Zielvorstellungen i m politischen Prozeß ab. Eine teleologische Bestimmung der Aufgabenplanung müßte sich auf eine bestimmte Konzeption von gesellschaftlichem Wandel festlegen 13 . Aufgabenplanung wäre nur eine progressive Planung. Aufgabenplanung kann aber auch ohne den Anstrich der Progressivität sinnvoll sein. Ohne i m gesellschaftspolitischen Sinn progressiv zu sein, kann Aufgabenplanung auf die Herausforderungen der technischen Realisation reagieren. Aufgabenplanung kann sich hierbei die Aufrechterhaltung eines sozialen Gleichgewichts angelegen sein lassen, das von der öffentlichen Meinung gebilligt wird, oder soziale Verbesserungen i n die Wege leiten, ohne das gesellschaftliche Wertsystem zu ändern. Der realistische Antipode der politischen Phantasie, die sich i n konservativ-bewahrenden, evolutionären oder revolutionären Konzeptionen der Zielplanung manifestieren kann, ist die Ressourcenplanung. I m weitesten Sinne sind Ressourcen alle materiellen und immateriellen Güter, die bei einem politischen Entscheidungsprozeß berücksichtigt werden müssen 14 . Die wichtigste Ressource sind zweifelsohne die finanziellen Mittel. Monetäre Ressourcen müssen dem Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben zur Verfügung stehen. M i t diesem Ressourcenrahmen beschäftigen sich die Haushalts- und Finanzplanung, aber auch die Planung des Ressourcenflusses, wie etwa des Einzugs der Steuern, der Organisation der Finanzverwaltung etc. Die Planung der monetären Ressourcen ist eingebettet i n die Planung des volkswirtschaftlichen Leistungsvermögens und der Sicherung der wirtschaftlichen Prosperität. Weitere wichtige Aufgabe der Ressourcenplanung ist etwa die Sicherung von Bau- und Lieferkapazitäten, die sachgerechte Nutzung des Bodens, aber auch das Bereitstellen von Informationen (wie etwa statistische Daten, fachliches „know how"), die Sorge u m effiziente Organisation oder die Sicherung menschlicher Arbeitskraft und Denkkapazität. I n diesem Sinne können ζ. B. auch Forschungs- und Bildungsplanung als Ressourcenplanung angesehen werden, da u. a. ein hoher Stand an internationaler Wettbewerbsfähigkeit angestrebt wird. Außer diesen „materiellen" Ressourcen spielt bei der Planung auch die „psychologische" Ressource Konsens eine wichtige Rolle 15 . Unter der 13

E. Volk, S. 22 f. Ähnlich H. Schatz, S. 4; H. MäcLing, Zur Beurteilung sektoraler Planungen, S. 339 ff.; G.W. Wittkämper, Ressourcenplanung, S. 113 ff.; U. Becker, Regierungsprogramm, S. 137 ff. 15 Hierzu unter systemtheoretischem Aspekt D. Easton, A Systems Analysis of Political Life (New York 1965), S. 153 ff. 14

I I . Einteilungsgesichtspunkte für politische Planung

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psychologischen Ressource Konsens läßt sich die persönliche Übereinstimmung mit dem gegebenen Verfassungssystem, das Akzeptieren der amtierenden Regierung und die Zustimmung zu einzelnen politischen Programmen und Maßnahmen verstehen. Dieser letztgenannte Aspekt der Ressource Konsens besitzt für die Realisierungschance von Planungen eine hohe Bedeutung1®. Eine sozialpolitisch einschneidende Planung kann i n der Regel nur bei relativ breitem Konsens i n der Bevölkerung durchgesetzt werden. Andernfalls stößt die Planung auf kaum überwindbaren Widerstand; die staatsleitenden Instanzen werden nur konsensfähige politische Planungen durchzusetzen versuchen, da eine Diskrepanz zwischen gesellschaftlichem Bedürfnis und politischem Programm zu Systemkrisen führen kann. Erzeugung allgemeinen Konsenses über die Ziele der politischen Planung durch Öffentlichkeitsarbeit der Regierung i n den Massenmedien oder besondere Veranstaltungen ist eine wichtige Aufgabe der Ressourcenplanung 17 . Was das Verhältnis von Aufgabenplanung zur Planung der finanziellen Ressourcen betrifft, so liegt die Annahme nahe, die Finanzplanung präjudiziere bereits die Aufgabenplanung. Denn die Finanzplanung ist das „Nadelöhr", durch das die Aufgabenplanung hindurch muß; sie stellt sich als das i n Zahlen gekleidete Regierungsprogramm dar. Demgegenüber bleibt mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß Finanzplanung und Aufgabenplanung unterschiedlichen Zwecken dienen. Ziel der Finanzplanung ist u. a. die Sicherung gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Finanzplanung w i r k t nur insoweit auf die Aufgabenplanung zurück, als sie Rahmen und Grenzen des Ausgabenvolumens umreißt. Innerhalb des durch die Finanzplanung gesetzten Ausgabevolumens hat die Zielplanung die politische Gewichtung der öffentlichen Aufgaben zum Gegenstand 18 . 2. Konkretisierungsbedürftige Planung und konkreter Plan

Bei der Unterscheidung von Zielplanung, Programmplanung und Maßnahmeplanung w i r d der unterschiedliche Konkretisierungsgrad der Planung zum Bezugspunkt genommen 19 . Jede mittel- und langfristige 18 H. Schatz (S.4) hat — soweit ersichtlich — als erster die Wichtigkeit dieser „psychologischen" Ressource für die politische Planung beschrieben. Allgemein zur Frage, inwieweit die öffentliche Meinung dem Einzelnen Orientierungsgewißheit liefern muß, vgl. R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 21 I. 17 Einzelheiten bei W. Graf Vitzthum, S. 367 ff. 18 E.-W. Böckenförde, S.439; M . Schröder, S. 13 f.; R. Herzog, Gutachten, S. 6; H. Bebermeyer, Planungssystem, S. 715 f.; R. Wahl, Aufgabenplanung, S. 460; W. Graf Vitzthum, S. 101. 19 Zur Unterscheidung von Zielplanung und Maßnahmeplanung vgl. fl. Herzog, Gutachten, S. 5 ff.

2. Kap. : Planung als Prblemlösungsstrategie

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Aufgabenplanung unterliegt einem Prozeß zunehmender Konkretisierung. Eine strategische oder konzeptionelle Planung mündet immer i n einen operativen Plan, i n dem die planungsrealisierenden Maßnahmen dargestellt werden 2 0 . Die Zielplanung befaßt sich m i t den allgemeinen politischen Zielsetzungen, die bereits äußerst vielschichtig sein können. Dies zeigt ein kurzer Blick auf die wirtschaftspolitische Zielplanung. Die wirtschaftspolitische Zielplanung beschäftigt sich m i t den Größen des gesamtwirtschaftlichen Kreislaufprozesses. Es werden globale Zielprojektionen für alle makroökonomischen Aggregate aufgestellt, die i n der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als begrifflicher Rahmen für Prognose und Planung erscheinen und mit Hilfe der Geld-, Fiskal- und Einkommenspolitik beeinflußt werden können 21 . Geplant w i r d das Niveau wirtschaftspolitischer A k t i v i t ä t innerhalb der Volkswirtschaft, d. h. das Produktionsniveau, das Beschäftigungsniveau, das Preisniveau, der Zahlungsbilanzsaldo und die gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate 22 , wobei als Instrumentarium der volkswirtschaftlichen Niveausteuerung die kurz- und mittelfristig orientierte staatliche Konjunkturpolitik und die staatliche Budgetpolitik dienen. Sind die einzelnen Ziele und Aufgaben festgelegt und die Prioritäten bestimmt, setzt auf einer zweiten 23 Konkretisierungsstufe die Programmplanung 2 4 ein. Sie w i r d i n der Regel von den einzelnen Ressorts vorbereitet und von den staatsleitenden Instanzen beschlossen. Die Umsetzung der abstrakt formulierten Ziele i n realisierbare Programme läßt sich ζ. B. am Agrarbericht der Bundesregierung 25 und am Bundes20

F. Wagener, Regierungsprogramme, S. 16 f. F. Rahmeyer, Pluralismus, S. 63 ff.; O. Schlecht, Gesamtwirtschaftliche Zielprojektionen als Grundlage der wirtschaftspolitischen Planung in der Marktwirtschaft, in: J. H. Kaiser (Hg.), Planung I I I , S. 111 ff., 115 ff. 22 H. Jürgensen und E. Kantzenbach, Ansatzmöglichkeiten gesamtwirtschaftlicher Planung, in: J. H. Kaiser (Hg.), Planung I I , S. 53. 23 Es handelt sich hier bereits um die dritte Konkretisierungsstufe, wenn man zwischen „Systemzielen" (ζ. B. Sozialstaatsprinzip) und hieraus abgeleiteten „Programmzielen" (ζ. B. Planung der Altersversorgung) unterscheidet (vgl. Oberndorfer, Planungskompetenz, S. 453). 24 E.-W. Böckenförde (S.436) möchte noch zwischen Rahmenplanung und Programmplanung unterscheiden. Unterscheidungskriterium soll die „Vollständigkeit der Planung innerhalb der Planungsstufen" sein. Die Rahmenplanung soll nur Eckwerte und Richtlinien festlegen und weitere Planungen sowohl im Zielbereich als auch im Bereich der operativen Planung erfordern. Ähnlich wie die Rahmen- und Grundsatzgesetzgebung ist auch die „Rahmenplanung" ein wichtiges Kooperationselement im föderalistischen Staat. Gleichwohl kann kein Unterschied zwischen Rahmenplanung und Programmplanung erblickt werden. Beide bedürfen weiterer Konkretisierung durch die operative Planung. Und beide Planungsarten sind darauf angewiesen, die Ziele und Prioritäten anderer Planungen auf Bundes- und Landesebene zu beachten. 25 Vgl. etwa Agrarbericht 1971, BT-Drs. VI/1800. 21

I I . Einteilungsgesichtspunkte für politische Planung

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raumordnungsprogramm 26 zeigen. Grundlage des Bundesraumordnungsprogramms sind die Zielsetzungen des Raumordnungsgesetzes. Gleichzeitig werden i m Bundesraumordnungsprogramm die Zielsetzungen der verschiedenen Fachplanungen der Bundesressorts und die Zielsetzungen der Landesentwicklung zu einer Konzeption für die gesamträumliche Entwicklung der Bundesrepublik verarbeitet. I m Agrarbericht werden u. a. i n Verfolgung der Zielsetzungen des Gesetzes zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes strukturpolitische Maßnahmen vorgesehen. Ziel- und Programmplanung lassen sich zusammenfassend als die zentralen Bereiche politischer Planung bezeichnen; hier geht es u m die Entwicklung politischer Konzeptionen wie auch u m die Organisation der Leitung des Staates. Dagegen sollte der Begriff „staatsrechtliche" Planung 2 7 vermieden werden, da jede Planungsaktivität unter verfassungsrechtlichem Aspekt zu würdigen ist. Ziel- und Programmplanung kann sich i m Vorfeld der Gesetzgebung vollziehen und gesetzeserzeugende Wirkung entfalten. Ziel- und Programmplanung kann, wie etwa i m Bereich der Raumordnung, aber auch gesetzliche Zielsetzungen konkretisieren 28 . Die dritte und letzte Stufe der Konkretisierung w i r d bei der Maßnahmeplanung (operative Planung) erreicht. Gehören die ersten beiden Konkretisierungsstufen der politischen Phase der Planungserstellung an, so beschäftigt sich die Maßnahmeplanung mit dem Planungsvollzug, d. h. der Realisierung der Planung: die Planung w i r d von der Verwaltung i n die soziale Wirklichkeit umgesetzt 29 . A u f Grund einer Regierungsplanung, eines (Planungs-)Gesetzes oder eines konkretisierten Verwaltungsauftrags werden alle jenen Maßnahmen getroffen, die zur Verwirklichung der Planungsziele und Programme erforderlich sind. Die prinzipiellen Aussagen des Rahmenplans werden i n zeitlicher, räumlicher und sachlicher Hinsicht spezifiziert; bei der Maßnahmeplanung kommt es zu einer konditional programmierten und normativ 26 Raumordnungsprogramm für die großräumige Entwicklung des Bundesgebietes (Bundesraumordnungsprogramm) 1975, Schriftenreihe „Raumordnung" des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 06.002; vgl. weiter Sechster Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", BT-Drs. VIII/759. 27 U. Scheuner, Verfassungsrechtliche Probleme, S. 70 f.; vgl. aber ders., Politische Planung, S. 369. 28 Politische Planung braucht sich also nicht unbedingt im Vorfeld der Gesetzgebung zu vollziehen, wie man aus der Definition bei E.-W. Böckenförde (S. 437) folgern könnte (Einzelheiten hierzu unter 4.). 29 E. Laux, Planung, S. 11; H.-L7. Erichsen und W. Martens, Das Verwaltungshandeln, in: dies. (Hg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. (1978), §§21 ff.

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2. Kap. : Planung als Problemlösungsstrategie

verbindlichen Festlegung eines Ordnungszustandes. A u f der Verwaltungsebene ist die operative Planung also weitgehend mit der Planung von Einzelmaßnahmen identisch. Operative Planung dient der Durchführung einzelner Programme, wobei bei der Aufstellung der Einzelpläne besondere Verfahrensvorschriften zu beachten sind: § 28 PBefG; §§ 16 ff. BFStrG; §§ 13 ff. BWaStRG etc. Die operative Planung auf Verwaltungsebene verfolgt den Zweck, eine einheitliche Entscheidung über alle Rechte und rechtlich geschützten Positionen der Planungsbetroffenen uno actu herbeizuführen 30 . Die Verwaltungsplanung beschäftigt sich also i m Unterschied zur politischen Planung i n der Regel nur mit Spezialfragen 31 , sie ist punktuelle Verwirklichung umfassender politischer Planungen. Hier gilt die grundlegende Definition Obermayers, daß der Verwaltungsplan die „Ausarbeitung eines Verwaltungsorgans (ist), die durch verschiedene aufeinander abgestimmte Maßnahmen die Verwirklichung eines bestimmten Ordnungszustandes anstrebt" 3 2 . 3. Entwicklungsplanung und Ressortplanung (Fachplanung)

Bei der Differenzierung zwischen Entwicklungsplanung und Ressortplanung, bzw. Fachplanung w i r d die „inhaltliche Ausrichtung der Planung" 3 3 zum Bezugspunkt genommen: Ressortplanungen müssen sich i n die umfassenden Konzeptionen der koordinierenden Entwicklungsplanung einfügen. Wegen ihrer grundlegenden Bedeutung für das Gemeinwesen gehören die Ressortplanungen der Ministerien i n aller Regel i n den Bereich der politischen Planung 34 . Ressortplanung beschränkt sich auf einen fachlich begrenzten Einzelbereich. Auf der Ebene der politischen Planung ist die Ressortplanung meist Aufgabe einzelner Ministerien: Verteidigungsplanung, Bundes30 E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 10. Aufl. (1973), S. 304 f.; C. Lanz, Politische Planung, S. 21 f. (Ordnungsplanung). 31 U. Scheuner, Verfassungsrechtliche Probleme, S. 77; K. Ossenbühl, Normative Anforderungen, S. Β 26. 32 Κ. Obermayer, Der Plan als verwaltungsrechtliches Institut, S. 150. 33 So E.-W. Böckenförde, S. 436. — Abgelehnt wird diese Differenzierung zwischen Entwicklungsplanung und Ressortplanung von J. H. Kaiser (Entwicklungsplanung, S. I 22). Er bezeichnet bereits den „Entwurf von flexiblen Aktionsmodellen für die Gestaltung zukünftiger Ordnungsstrukturen" als Entwicklungsplanung. Dieser Oberbegriff der Entwicklungsplanung umfaßt die Ressortplanung (Fachplanung) und eine „alle Aktivitäten der öffentlichen Hand umfassende Globalplanung". Was von der sich im Schrifttum durchsetzenden Terminologie als Entwicklungsplanung bezeichnet wird, nennt Kaiser also „Globalplanung". 34 A. M. W. Graf Vitzthum (S. 107), der freilich an manchen Stellen (so etwa S. 113) Zweifel an der eigenen Ausklammerung der Ressortplanung aus der politischen Planung äußert.

I I . Einteilungsgesichtspunkte f ü r politische Planung

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fernstraßenplanung, Planung des Ausbaues von Hochschulen 35 , Sanierung einzelner Wirtschaftszweige etc. Solche „Planungen der einzelnen Geschäftsbereiche der Regierung" werden von einzelnen Planungsgesetzen als „Fachplanung" bezeichnet 36 . Einzelne Fachplanungsgesetze 37 , aber auch das Bundesraumordnungsgesetz und die Landesplanungsgesetze binden die Ressortplanung an die übergeordnete Raumordnungs-, Landes-, Regional- und Wirtschaftsplanung 88 . So fordert etwa § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der regionialen Wirtschaftsstruktur, daß bei den Planungen zur Erfüllung des Gesetzes die Grundsätze der allgemeinen Wirtschaftspolitik und die Ziele und Erfordernisse von Raumordnung und Landesplanung berücksichtigt werden. Aus dem großen Bereich der Ressortplanungen sei exemplarisch die Bundesfernstraßenplanung herausgegriffen. Die Planung der Bundesfernstraßen ist i n dem Gesetz über den Ausbau der Bundesfernstraßen in den Jahren 1971 - 198539 geregelt. Der Ausbau der Bundesfernstraßen geschieht nach einem Bedarfsplan, der dem Gesetz als Anlage beigefügt ist. Nach jeweils fünf Jahren kann der Bedarfsplan auf Vorschlag des Bundesministers für Verkehr durch Gesetz der Verkehrsentwicklung unter Beachtung des Raumordnungsgesetzes angepaßt werden (§4). Außerdem stellt der Bundesminister für Verkehr zur Verwirklichung des Ausbaus nach dem Bedarfsplan drei Fünfjahrespläne auf, wobei das Stabilitätsgesetz zu beachten ist (§ 5). Blickt man schließlich noch auf die Möglichkeit, aus aktuellem Anlaß vom Bedarfsplan „verwaltungsmäßig" abweichen zu können (§ 6), und die jährliche Berichtspflicht des Bundesministers für Verkehr gegenüber dem Bundestag, so w i r d eine sachgerecht gestufte Funktionenteilung zwischen Regierung und Parlament i n diesem Bereich der Ressortplanung deutlich. Die Entwicklungsplanung steht zunächst i m Gegensatz zu einer A n passungs- und Ordnungsplanung. M i t einer an liberalen Ordnungsvorstellungen ausgerichteten Anpassungsplanung w i r d die Umwelt „an einen naturwüchsigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozeß" angepaßt 40 . I n Abkehr von einer bloß passiven Auffang- oder Anpas35

Die Bildungsplanung dagegen gehört eher in den Bereich der Aufgabenund Entwicklungsplanung (hierzu W. Graf Vitzthum, S. 117 ff.). 36 So etwa § 1 Abs. l b schlhLPlG; § 1 Abs. 3 b saarlLPlG; vgl. auch Zinkahn-Bielenberg, Raumordnungsgesetz des Bundes, § 1 R N 1. 37 Vgl. ζ. B. das Gesetz zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaus und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete vom 15. Mai 1968 (BGBl. I, S. 365). 38 H.-G. Niemeyer, Entwicklungstendenzen, S. 1 ff. 39 Vom 30. 6.1971 (BGBl. I, S. 873 f.) i. d. F. vom 5. 8.1976 (BGBl. I, S. 2097 f.). 40 H. Feussner und M . Wagner, Anpassungsplanung und Entwicklungsplanung, in: Raum und Siedlung 1969, 220 ff., 221; Κ H. Friauf, Baurecht und Raumordnung, in: I. von Münch (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Aufl.

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2. Kap. : Planung als Problemlösungsstrategie

sungsplanung nimmt die Entwicklungsplanung Einfluß auf die Umwelt, indem sie „gesellschaftsgestaltende und -verändernde, aktivsteuernde Planung" ist 4 1 . Entwicklungsplanung hat nicht allein die Zielplanung zum Gegenstand, sondern befaßt sich auch m i t der finanziellen und verwaltungsmäßigen Verwirklichung der Zielplanung durch Investitionsprogramme und Maßnahmeplanungen. I m Rahmen der Entwicklungsplanung geschehen die Koordination und Integration einzelner oder aller Fachplanungen 42 . Einzelne Fachplanungen werden ζ. B. i m Querschnitt auf die Raumordnung i n Bund, Ländern und Gemeinden 43 , oder auf Aspekte des Umweltschutzes 44 h i n orientiert (Entwicklungsplanung als Querschnittsplanung). Solche Entwicklungsplanung kann sich entweder i m Vorfeld der Gesetzgebung bewegen oder aber auch bereits gesetzesgesteuerte Planung sein. Zu den Entwicklungsplanungen i m Vorfeld der Gesetzgebung gehört etwa das Umweltprogramm der Bundesregierung vom 29. September 197145, das m i t dem Umweltbericht 4 ® 1976 fortgeschrieben wurde. Umweltplanung w i r d hier als ressortübergreifende Querschnittsplanung betrieben. Energie-, Konjunktur-, Haushalts-, Raumordnungs-, Kernkraftwerkstandortsplanung, u m nur einige der betroffenen Planungsbereiche zu nennen, sind bei der Umweltplanung zu berücksichtigen. Demgemäß vielfältig sind auch die Verfassungsänderungen und Gesetze, die zur Realisierung der Umweltprogramme der Bundesregierung ergingen. So wurde etwa durch Grundgesetzänderung vom 12. A p r i l 1972 die Abfallbeseitigung, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung in den Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes aufgenommen (Art. 74 Nr. 22 GG). Es ergingen u. a. das Bundesimmis(1976), S.431 ff., 524; M.Schröder, Neuordnung, S. 10 f.; K.-P. Prüß und A. Tschoepe, Planung, S. 135 ff.; C. Lanz, Politische Planung, S. 21 f.; R. Wahl, Rechtsfragen, S. 249 ff.; W. Brohm und W. Sigg, Stadtentwicklungsplanung, S. 200 ff.; G. Wegener, Raumplanung-Entwicklungsplanung-Aufgabenplanung, in: Die Verwaltung, 9. Bd. (1976), S. 38 ff., 61 ff. 41 R.Wahl, S. 251. 42 F. Rietdorf, Entwicklungsplanung, S. I 28. 43 E. Forsthoff und W. Blümel (Raumordnungsrecht) zeigen, wie schwierig im Einzelfall die Koordinierung von Gesamtplanung und Fachplanung auf Grund einzelner Gesetze sein kann. 44 Zu den organisatorischen Problemen einer erfolgreichen Umweltplanung vgl. H.-G. Flickinger und S. Summerer, Voraussetzungen erfolgreicher Umweltplanung in Recht und Verwaltung (1975), S. 53 ff. (planungserschwerende Kompetenzaufteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden), 110 ff. (Grenzen der Effektivität hierarchischer Organisation bei Querschnittplanungen). 45 BT-Drs. VI/2710; hierzu W. Graf Vitzthum, S. 135 ff. m. w. Nw. 4e Umweltbericht '76. Fortschreibung des Umweltprogrammes der Bundesregierung vom 14. Juli 1976 (1976); vgl. weiter P. Stamer, Orientierungslinien der Umweltpolitik (1977).

I I . Einteilungsgesichtspunkte für politische Planung

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sionsschutzgesetz, das Bundesabfallbeseitigungsgesetz, die Abfallbeseitigungsgesetze der Länder, das Abwasserabgabengesetz, das Bundesnaturschutzgesetz u . a . m . M i t vollem Recht weist W. Graf Vitzthum darauf hin, daß die Umweltprogramme der Bundesregierung das Parlament und den Bundesrat i n einen starken Zugzwang versetzt haben; eine klare Diagnose der Situation und Prognose möglicher Fehlentwicklungen verbunden m i t einzelnen Umweltschutzprogrammen, deren Realisierung auch von einer breiten Öffentlichkeit gefordert wurde, verfehlten nicht ihre Wirkung auf die gesetzesbeschließenden Instanzen 47 . Zu den gesetzesgesteuerten Entwicklungsplanungen gehört neben der Finanzplanung 48 die Raumplanung auf Bundes- und Landesebene. Das Bundesraumordnungsgesetz gibt den Rahmen für das Raumordnungsprogramm für die großräumige Entwicklung des Bundesgebietes 49 . A u f gabe des Bundesraumordnungsprogramms ist es, die verschiedenen raumbedeutsamen Ressortplanungen auf Bundesebene zu koordinieren und an mehr oder weniger konkretisierten raumordnungspolitischen Zielsetzungen auszurichten. I n diesem Sinne enthält das Bundesraumordnungsprogramm „die Zielsetzungen und Schwerpunkte für die großräumige und langfristige Entwicklung des Bundesgebietes" 50 . I n seinen umweltbezogenen Zielsetzungen deckt sich das Bundesraumordnungsprogramm m i t dem Umweltprogramm der Bundesregierung. Außerdem richtet sich nach den i m Bundesraumordnungsprogramm konkretisierten räumlichen Zielsetzungen für die Entwicklung des Bundesgebietes die regionale Verteilung der Bundesmittel i n der Finanzplanung. Hier sind also gesetzesvorbereitende und gesetzesrealisierende Entwicklungsplanungen i n Einklang gebracht worden. Selbstverständlich werden auch die Raumentwicklungsplanungen der Länder vom Bundesraumordnungsprogramm berücksichtigt, gleichzeitig aber auch beeinflußt; denn die Programme und Pläne der Länder sollen an die Zielaussagen und Scliwerpunktbestimmungen des Bundesraumordnungsprogrammes nach Maßgabe des Landesplanungsrechts angepaßt werden 51 .

47

W. Graf Vitzthum, S. 141 f. Hierzu im 5. Kapitel unter I I I . , 2 a. 49 A m 14. Februar 1975 von der Ministerkonferenz für Raumordnung, am 23. April 1975 von der Bundesregierung beschlossen (Schriftenreihe „Raumordnung" des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Heft 06.002); vgl. hierzu W. Graf Vitzthum, S. 143 ff. m. w. Nw. 50 Bundesraumordnungsprogramm, S. I I I , 1 ff. 51 Bundesraumordnungsprogramm, S. 50 f. 48

5 Würtenberger

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2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

A u f Landesebene spielt die Landesentwicklungsplanung 52 i n der Planungspraxis eine herausragende Rolle. Die Bundesländer besitzen mittlerweile i n ihrer Aussagekraft freilich stark voneinander abweichende Landesentwicklungspläne 53 . Die Landesentwicklungsplanung baut auf der herkömmlichen Raumplanung auf, indem sie finanz- und zeitbezogene Planungskomponenten i n das Raumplanungsverfahren einbringt 5 4 . Ebenso wie das Bundesraumordnungsprogramm hat die Landesentwicklungsplanung die wichtige Aufgabe, die soziale und ökonomische Entwicklung i n räumlicher Hinsicht zu kanalisieren und Fehlentwicklungen vermeiden zu helfen. Ziele der Landesentwicklungspolitik wie etwa regionale Wirtschaftsförderung, Sicherung der V o l l beschäftigung auch i n den vom Strukturwandel erfaßten Gebieten, stetige Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens i n allen Entwicklungsräumen, Verbesserung des Kommunikationsnetzes, Entwicklung des Bildungswesens oder Ausbau der Einrichtungen für Freizeit und Gesundheit werden i n den einzelnen Landesentwicklungsplänen zu verwirklichen gesucht 55 . Neben die Entwicklungsplanung als Querschnittplanung t r i t t der weit anspruchsvollere, letztlich utopische Versuch, die Entwicklungsplanung als „Planung der Planungen" zu konzipieren. Bei dieser integrativen 5 6 Entwicklungsplanung geht es u m ein System, das eine sächliche, räumliche und zeitliche Steuerung aller Planungen versucht. Die Entwicklung 52 Daneben sind wichtige Ansätze einer kommunalen und Kreisentwicklungsplanung zu nennen: R. Göb, E. Laux, J. Salzwedel und B. Breuer, Kreisentwicklungsplanung (1974); W. Bielenberg, Rechts- und Verwaltungsfragen der kommunalen Entwicklungsplanung, in: Raumplanung und Entwicklungsplanung, S. 55 ff.; E. Laux, Entwicklungsplanung in der Kommunalverwaltung, ebd., S. 83 ff.; E. Schmidt-Aßmann, Gesetzliche Maßnahmen zur Regelung einer praktikablen Stadtentwicklungsplanung, ebd., S. 101 ff.; J. J. Hesse, Organisation kommunaler Entwicklungsplanung (1976), insbes. S. 84 ff. 53 Verordnung der bd.-w. Landesregierung über die Verbindlichkeitserklärung des Landesentwicklungsplanes vom 11.4.1972 (Ges. Bl. S. 169); Verordnung über das Landesentwicklungsprogramm Bayern vom 10.3.1976 (GVB1. S. 131); Landesentwicklungsplan Hessen 80, hrsg. vom Hessischen Ministerpräsidenten (1970); Landesentwicklungsprogramm Niedersachsen 1985 (Stand Sommer 1973), hrsg. vom Niedersächsischen Ministerpräsidenten (1973); nrw. Gesetz zur Landesentwicklung vom 19.3.1974 (GVB1. S.96); Einzelheiten bei R. Wahl, Rechtsfragen der Landesplanung und Landesentwicklung, 2. Bd.: Die Konzepte zur Siedlungsstruktur in den Planungssystemen der Länder (1978). 54 Vgl. die grundlegende Darstellung bei R. Wahl, Rechtsfragen, S. 249 ff.; W. Ernst, in: ders. und W. Hoppe, Bau- und Bodenrecht, S. 2 ff. 55 Über Stand und Unzulänglichkeiten der Landesentwicklungspläne und Landesentwicklungsprogramme berichten R. Waterkamp (Politische Leitung, S. 209 ff.), H.-G. Niemeyer (S. 1 ff.), F. Wagener (Instrumentarium, S.39ff., 50 ff.), E.-H. Ritter (Regionale Entwicklungsplanung zwischen staatlicher Steuerung und kommunaler Autonomie, in: Innere Kolonisation, Jahrgang 1978, S. 130 ff.) und nunmehr umfassend R. Wahl, Rechtsfragen. 5β R. Göb, E. Laux, J. Salzwedel und R. Breuer, S. 6.

I I . Einteilungsgesichtspunkte für politische Planung

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aller sektoralen und Fachplanungen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene aus einem umfassenden Entwicklungsplan wurde i n den ersten Jahren der Planungseuphorie angestrebt 57 , muß aber wenn nicht überhaupt so doch bei dem derzeitigen Stand der Kapazität der Informations·, Koordinations- und Steuerungssysteme Utopie bleiben 5 8 . 4. Entscheidungsstruktur- und Organisationsplanung

Die Entscheidungsstruktur- und Organisationsplanung 59 befassen sich m i t der Steuerung und Kontrolle des politisch-administrativen Systems unter einem formalen Aspekt. Diese Planungen betreffen nicht i n erster Linie die für das politische System gültigen Zielsetzungen, ihre A b stimmung und Operationalisierung; sie stellen sich vielmehr als Planung der Planung dar 8 0 . Entscheidungsstruktur- und Organisationsplanung sind vor allem i m Bereich der Regierung und Ministerialbürokratie Voraussetzung für das Gelingen anspruchsvoller Planungsvorhaben. Die Planung von Entscheidungsstrukturen der öffentlichen Verwaltung soll sicherstellen, daß die am Beginn einer Planung stehenden Zielsetzungen ihren Niederschlag bei der Ausarbeitung der Planung finden. Sie soll weiterhin gewährleisten, daß die Entscheidungen der demokratisch legitimierten Instanzen nicht vor dem Sachverstand und eventuellem politischen Engagement der Verwaltung kapitulieren müssen®1. U m diese komplexe Zielsetzung zu erreichen, müssen i n einer umfassenden Entscheidungsstrukturplanung eine Vielzahl heterogener Einzelplanungen integriert werden. Ausgangspunkt ist, daß die Entscheidungsstrukturplanung i n erster Linie auf den Menschen zielt, der i n der Verwaltung Entscheidungen zu fällen hat. Hier geht es u m die Planung der Personalführung, d. h. u m Fragen der hierarchischen oder kooperativen Führungsorganisation, u m die Einrichtung von Teams und Projektgruppen, u m Formen der Zuständigkeitsdelegation; weiterhin 57 Vielversprechend sind die neueren Ansätze zu einer integrativen Entwicklungsplanung auf Kommunal-, Kreis- und Regionalebene. Aus dem sehr umfangreichen Schrifttum wird verwiesen auf: R. Göb, E. Laux, J. Salzwedel und R. Breuer, ebd. 58 J. H. Kaiser, Entwicklungsplanung, S. I 16; V. Götz, Staat und Kommunalkörperschaften in der Regionalplanung, in: I m Dienst an Recht und Staat. Festschr. für W. Weber, hrsg. von H. Schneider und V. Götz (1974), S. 979 ff., 980; W. Bliimel, Diskussionsbemerkung, in: Verhandlungen des 50. DJT, Bd. I I (1974), S. I 55 f. 69 U. Becker, Organisationsaufgaben und Organisationsstellen, in: E. M ä ding und F. Knöpfte (Hg.), Organisation, S. 23 ff.; H. Siepmann, Organisationsplanung, Organisationsanalyse, ebd., S. 79 ff. 80 E. Laux, Regierungspläne und Verwaltungsorganisation, S. 109 ff. 61 Hierzu im 4. Kap., I I I . , 2.

5*

2. Kap. : Planung als Problemlösungsstrategie

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geht es u m die Planung der Stellenbeschreibung und Stellenbesetzung, u m die Personalbedarfsplanung und Personalentwicklungsplanung 62 u. a. m. 63 . Vor allem sichert die Entscheidungsstrukturplanung die Praktikabilität und Durchsetzung neuer Entscheidungsverfahren i n der öffentlichen Verwaltung 6 4 . Die Entscheidungsstrukturplanung w i r d durch die Organisationsplanung ergänzt, die den formalen Aufbau der verschiedenen politischen Institutionen einschließlich der i n ihnen gültigen Kommunikationsregeln organisiert. Die Organisationsplanung sucht die Verwaltungsorganisation den neu auftauchenden Aufgaben anzupassen, etwa durch Verselbständigung einzelner Aufgabenbereiche oder durch Ausbau des vorhandenen Instrumentariums der Hilfsmittel. Wesentliche Aspekte einer Entscheidungsstruktur- und Organisationsplanung sind die Kommunikationsstrukturen innerhalb des politisch-administrativen Systems und seine Kommunikationsverbindungen zur Umwelt, die A r t e n und Gründe der Selektivität von Kommunikation, und die formellen wie informellen Kommunikationsflüsse 65 . I I I . Entscheidungsschritte in den Verfahren politischer Planung Forschungsgegenstand der politischen Entscheidungslehre 1 ist die Entscheidung i n ihrer Eigenschaft als zentrale Kategorie des Politischen. Von der politischen Wissenschaft und der Verwaltungswissenschaft ist die Lehre von der Vorbereitung und Erarbeitung vertretbarer politischer Entscheidungen kaum gepflegt worden 2 . Folge ist, daß die gegenwärtig i n der Bundesrepublik verwandten Methoden der Vorbereitung 62

Vgl. H. Lecheler, Personalgewalt, S. 112 ff. Vgl. etwa H. Schönfelder, Hierarchie und Management in der öffentlichen Verwaltung (1972); E. Laux, Führung und Führungsorganisation in der öffentlichen Verwaltung (1975); ders., Personalplanung im öffentlichen Dienst, in: Die Verwaltung, 9. Bd. (1976), S. 137 ff.; H. Reinermann und G. Reichmann, Verwaltung und Führungskonzepte (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 70) (1978); C. Reichard, Managementkonzeption; H. Lecheler, Personalpolitik und Personalführung in der öffentlichen Verwaltung (1972); R. Baumgarten, Führungsstile und Führungstechniken (1976). 84 Zu den Schwierigkeiten, neue Entscheidungstechniken in der öffentlichen Verwaltung durchzusetzen: H. Reinermann, Programmbudgets, S. 169 ff. 65 D. Fürst, Kommunale Entscheidungsprozesse. Ein Beitrag zur Selektivität politisch-administrativer Prozesse (1975). 1 Vgl. hierzu A. Nagel, Politische Entscheidungslehre, Bd. I: Ziellehre (1975). 2 C. Bohret, Probleme politischer Entscheidung, in: PVS 1967, 608; ders., Entscheidungshilfen, S. 11 ff.; A. Nagel, S. 76 f. m. w. Nw.; zur Irrationalität der Entscheidungsprozesse in der Verwaltungswirklichkeit: W. Thieme, Verwaltungslehre, § 100 Β, I. 63

I I I . Entscheidungsschritte i n den Verfahren politischer Planung

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politischer Entscheidungen häufig inadäquat 3 und überholt sind. I m Gegensatz zu dieser allgemeinen Diagnose des Standes einer politischen Entscheidungslehre hat sich die verwaltungs- und politikwissenschaftliche Literatur der letzten Jahre i n bemerkenswert gründlicher Weise entscheidungsrelevanten Einzelproblemen gewidmet, die i m Verlauf der politischen Planung auftreten können 4 . I m folgenden können diese A n sätze weder umfassend dargestellt noch vertieft werden. I n Ergänzung 5 zu der formal-entscheidungstheoretischen Bestimmung des Planungsbegriffs soll vielmehr ein Aufriß des verfahrensmäßigen Ablaufs politischer Planung gegeben werden. Dieser Aufriß erscheint nötig aber auch ausreichend, u m eine empirische Basis für die Beurteilung der rechtlichen Probleme von politischer Planung zu besitzen. Bereits i m Rahmen dieses Aufrisses des Verfahrens politischer Planung lassen sich bei den jeweiligen Entscheidungsschritten einzelne verfassungsrechtliche Fragestellungen deutlich machen. So spielt es etwa i m Hinblick auf die Verortung der politischen Planung zwischen politischer Führung und Bürokratie eine Rolle, inwieweit die einzelnen Phasen von politischen Zielvorstellungen gesteuert werden und inwieweit lediglich zweckrationale Erwägungen zum Zuge kommen 6 . Denn wie jede planende A k t i v i t ä t 7 vollzieht sich auch die politische Planung i n einem typischen Handlungsablauf 8 ; charakteristisch für diesen Hand3 A. Nagel (S. 78) nennt zwölf Gründe für die Unzulänglichkeit traditioneller EntscheidungsWerkzeuge: Unübersichtlichkeit des Entscheidungsfeldes, unsystematischer Entscheidungsprozeß, unklarer Stellenwert einzelner Argumente, fehlendes Maß an Informationsmengen, ungenutzte wissenschaftliche Vorarbeiten etc. 4 Umfassende Darstellungen finden sich bei D. Aderhold, Kybernetische Regierungstechnik in der Demokratie (1973); C. Bohret, Entscheidungshilfen für die Regierung (1970); P. Bendixen und H. Kammler, Planung (1972) (vorwiegend zu den Planungsprozessen in Industrie und Wirtschaft, aber auch für politische Planung brauchbar); H. Krauch (Hg.), Systemanalyse in Regierung und Verwaltung (1972); David E. Boy ce, Norman D. Day und Chris McDonald, Metropolitan Plan Making (1975); P.Noll, Gesetzgebungslehre (1973), S. 72 ff. 5 Vgl. auch das Kapitel über die „Merkmale des Typusbegriffs politische Planung" bei C. Brünner, Politische Planung, S. 116 ff. β Zur Unterscheidung von Zweckrationalität und politischer Rationalität: H.-P. Bank, Rationale Sozialpolitik. Ein Beitrag zum Begriff der Rationalität (1975), S. 66 und passim. 7 Vgl. unter entscheidungstheoretischem Aspekt G. Gäfgen, Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung, 2. Aufl. (1968), S. 100 f. 8 M. Schröder, Planung, S. 7 ff.; C. Bohret, Planungspraxis, S. 16 ff.; U. Bek~ ker, Ressourcenrahmen, S. 146 ff. (zum Hamburger Planungsmodell); J. Seeger, Gutachten, S. 5; E. S. Quade, Introduction, in: E. S. Quade und W. I. Boucher, Systems Analysis, S. 12 ff. u. passim; H. Rohde, Gesellschaftspolitische Planung, S. 26; K.-H. Hansmeyer und B. Rürup, Staatswirtschaftliche Planungsinstrumente, S. 2 ff.; H. Mäding, Beurteilung sektoraler Planungen, S. 319 ff.; B. Lutterbeck, Parlament, S. 25 ff.; M . J. Buse, Integrierte Systeme, S. 45 ff.; W. Thieme, §§ 101 f., 107 C; G. Wittkämper, Analyse und Planung, S. 76 ff. — Verschiedentlich werden die Entscheidungsschritte in Planungsverfahren

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2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

lungsablauf ist das Wechselspiel von staatsleitenden Instanzen und administrativem System, bei dem man idealtypisch geradezu zwischen „politischen" und „administrativen" Phasen der politischen Planung unterscheiden kann 9 . Was die Legitimität des politischen Systems betrifft, ist neben der freiheits- und menschenwürdebedrohenden W i r kung von Planungsverfahren u. a. die Problemwahrnehmungskapazität und Problemverarbeitungskapazität der Verfahren politischer Planung von Bedeutung. E i n Staat, der sich u m den sozialen Ausgleich und soziale Gerechtigkeit bemüht, muß auf eine gute Organisation seiner Problemverarbeitungsverfahren bedacht sein. Eine Frage der Organisation der Problemverarbeitung ist es auch, von welcher Instanz i m politischen System die Planungsziele festgelegt werden und welche Instanz die Problemverarbeitungsverfahren steuern kann. Weiterhin ist besonderes Augenmerk auf das Erfordernis der „Offenheit" des Planungsverfahrens zu richten, das von rechtlichen Regelungen, soll Planung effektiv bleiben, nicht verletzt werden darf. Und nicht zuletzt ist die verfassungsrechtliche Bedeutung der faktischen Bindungswirkungen politischer Planung herauszuarbeiten, d.h. alle jene Bindungswirkungen, die nicht auf rechtlicher Normierung oder dienstlicher Weisung beruhen. 1. Problemformulierung

Sozial- und Wirtschaftsplanung setzt ein besonderes Verhältnis des Menschen zur Geschichte und zu der überkommenen Sozial- und W i r t schaftsordnung voraus. „Die prinzipielle Entscheidbarkeit und damit erst Rationalisierbarkeit gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse ist die Prämisse, die die Planung als Antithese zu einer naturwüchsig verlaufenden Geschichte ermöglicht 10 ." Planende Gestaltung sozialer und ökonomischer Verhältnisse geschieht also aus einer besonderen Mentalität heraus. Man ist der Überzeugung, die soziale und wirtschaftliche Entwicklung kraft rationaler Überlegungen und vorbedachter Maßnahmen i n eine gesellschaftspolitisch erwünschte Richtung lenken zu könanders als hier vorgeschlagen gegliedert. H. Krings (Philosophie als Voraussetzung von Planung, in: H. M. Baumgartner [Hg.], Philosophie, S. 180 ff., 182) unterscheidet zwischen drei Phasen, nämlich „Konzeptplanung, Inhalt einer Entscheidung und Realplanimg". E. Laux (Planung, S. 21 ff.) beginnt die Gliederung des Planungsvorganges abweichend von dem hier vorgeschlagenen Schema mit der „Festlegung des Zieles und Zweckes der Planung" und der „Festlegung der Prämissen für die Planung". Demgegenüber erscheint es sinnvoller mit der Bestandsaufnahme zu beginnen, da erst auf Grund der sozialen Realität Planungsziele vernünftigerweise entwickelt werden können. 9 H. Mäding, S. 319. 10 F. M. Fester, Vorstudien zu einer Theorie kommunikativer Planung, S. 42 ff., 43; R. Herzog, Gutachten, S. 3; C. Brünner, Politische Planung, S. 21 ff. m. w. Nw.

I I I . Entscheidungsschritte i n den Verfahren politischer Planung

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nen; Planung soll zukünftige soziale und ökonomische Entwicklungen verfügbar machen 11 . Daher w i r d bei aller Planung i n einer ersten politischen Phase nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen gefragt; politische Planung resultiert i n aller Regel aus einer gewissen Unzufriedenheit m i t dem Stand der Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse 12 . Die Divergenz zwischen dem Stand der Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse und den an das politische System herangetragenen Leistungs- und Lenkungsansprüchen kann mehr oder weniger groß sein. Vor allem wachsende Leistungsansprüche und Veränderungen i m Verständnis der Funktionen des Staates, aber auch Fehlentwicklungen i m technischen, sozialen und ökonomischen Bereich werden i n der Regel zu einer Divergenz von staatlicher Leistung und gesellschaftlichem Bedürfnis führen. Bereits i n dieser ersten Phase der Problemformulierung können legitime gesellschaftliche Bedürfnisse bei der politischen Willensbildung außer Acht gelassen werden. Der Interaktionsprozeß zwischen Bedürfnisartikulation des gesellschaftlichen Bereichs und Bedürfniswahrnehmung des politisch-administrativen Systems weist manche schwache Stelle auf. Die den Planungsprozeß initiierende Planungseinheit, sei es der Hilfsreferent i m Ministerium, der Minister oder das Kabinett, ist i n der Regel i n der Lage, das zu lösende soziale oder wirtschaftliche Problem für den weiteren Planungsprozeß zu definieren und hierdurch unter Umständen bereits wichtige Detailfragen aus dem Planungsprozeß auszuscheiden 13 . Weiterhin besitzen nicht alle Gruppen die gleichen Chancen, ihre Bedürfnisse zu formulieren, i n das politische System einzubringen und i n i h m durchzusetzen 14 . Die Politiker haben oft nur eine „selektive Wahrnehmungskapazität" 15 , die auf die verschiedensten Ursachen (beschränkter Zugang zu Informationen, parlamentarische Sozialisation 16 u. a. m.) zurückgeführt werden kann. 11

W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 61 ff. m. w. Nw. F. Voigt und H. J. Budischin, Grenzen, S. 30 f. 13 F. Scharpf, Planung als politischer Prozeß, in: Planung als politischer Prozeß, S. 51; zu den daraus zu ziehenden verfassungstheoretischen Konsequenzen vgl. 4. Kap. unter I I I . , 2. 14 M. Olson jr., Die Logik des kollektiven Handelns (1968), S. 163 ff. — Wie neuere Untersuchungen zeigen, darf der Einfluß von Interessentengruppen in der Planungsinitiierungsphase nicht überschätzt werden. I n der Regel entfaltet erst in der Phase der Planausarbeitung die Lobby ihre bekannten Pressionen auf das politische System (vgl. F. Scharpf, Fallstudien, S. 73 ff.). 15 J. G. March und H. A. Simon, Organizations (New York 1958), S. 127 ff.; F. W. Scharpf, S. 79 f. 18 Zur parlamentarischen Sozialisation B. Badura und J. Reese, Jungparlamentarier in Bonn — ihre Sozialisation i m Deutschen Bundestag (1976), S. 55 ff., 84 ff. 12

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2. Kap. : Planung als Problemlösungsstrategie 2. Informations- und Datensammlung (Lageanalyse)

Nach der Initialphase der Problemformulierung, die sowohl von der politischen Führung als auch von der Ministerialbürokratie ausgehen kann, finden die beiden folgenden Phasen der Planerarbeitung, nämlich die Informations- und Datensammlung und die Prognose der Entwicklung, i m Bereich der Verwaltung statt: Zunächst liefert die Bürokratie der politischen Führungsspitze die Informationen, derer sie zur Festlegung von Planungsvorhaben bedarf. Die Wirklichkeitserfassung ist der erste Schritt bei aller sorgfältigen Planung 17 . Denn soll die Entwicklung i n einem bestimmten Sozialbereich durch planende Gestaltung beeinflußt werden, müssen für diesen Bereich umfassende Daten und Informationen gesammelt werden. Da Planungsverfahren zum größten Teil Verfahren der Informationsverarbeitung sind, kann Planung nicht besser sein, als die Informationen, die ihr zugrunde liegen. I n einer umfassenden Bestandsaufnahme ist der Status quo zu bestimmen, auf den sich die planende Gestaltung auswirken soll. Diese Beschreibung der gesellschaftlichen und ökonomischen Wirklichkeit kann unter Zuhilfenahme der Erfahrung des Planers, von Informationen aus dem gesellschaftlichen und politischen Bereich, vor allem aber m i t Hilfe der empirischen Sozialwissenschaften 18 erfolgen. M i t sozialen Indikatoren 1 9 , amtlichen Statistiken, administrativen Daten oder Meinungsbefragungen läßt sich ein mehr oder weniger umfassendes B i l d der sozialen Wirklichkeit zeichnen. Die ständig zunehmende Datendichte gehört zu den „wichtigsten Entwicklungen der Nachkriegszeit" 20 . Es bestehen beeindruckende technische Möglichkeiten der automatischen Erfassung von Daten, ihrer Speicherung, Abrufung und Verknüpfung. Für die Auswertung der erhobenen Daten hat die moderne Datentechnik neue Perspektiven ge17 H.-17. Derlien, Erfolgskontrolle, S. 121 ff.; D. Aderhold, S. 121; C. Bohret, S. 20; R. Waterkamp, Politische Leitung, S. 106 ff.; H. Gerfin, Langfristige Wirtschaftsprognose (1964), S. 16 ff.; H.-P. Bank, S. 89 fî.; H. Rohde, Gesellschaftspolitische Planung, S. 18; F. W. Scharpf, Informations- und Planungssysteme, S.227 ff. 18 Hierzu R. König (Hg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung, 3. Aufl. (1973); T. R. Gurr, Politometrie, Einführung in die quantitative Makropolitik (1974). 19 R. Werner, Soziale Indikatoren, S. 55 ff. und passim; M . Huber, Zur Leistungsfähigkeit von Sozialindikatoren im Planungsprozeß der öffentlichen Verwaltung, in: PVS 1975, 153 ff.; E. Sheldon und U. Freeman, Sozialindikatoren. Illusion oder Möglichkeit, in: G. Fehl, M. Fester und N. Kuhnert (Hg.), Planung und Information, S. 245 ff.; C. Bohret, Planungspraxis, S. 154 ff.; W. Zapf (Hg.), Lebensbedingungen in der Bundesrepublik. Sozialer Wandel und Wohlfahrtsentwicklung (1977). 20 R. Jungk, Krisenherde der 70er Jahre, in: Management-Perspektiven der 70er Jahre , hrsg. von G. Hohenstein (1970), S. 25.

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setzt 21 . Die politische Planung muß sich, w i l l sie eine größtmögliche Effizienz erlangen, der modernen Datentechnik bedienen. Die Möglichkeiten einer systematischen Ist-Analyse auf Grund umfassender Datensammlung scheinen i m staatlichen Bereich bislang nicht v o l l ausgeschöpft 22 . Nicht übersehen werden darf, daß die Entwicklung zufriedenstellender staatlicher Informationssysteme nur über einen Zeitraum von mehreren Jahren und nur von Teilbereich zu Teilbereich erfolgen kann 2 3 . Durch Datenerhebung und Datenauswertung kann selbstverständlich nicht die gesamte Wirklichkeit i n allen ihren Bezügen erfaßt werden 2 4 . Wenn das erhobene Datenmaterial für die Auswertung aufbereitet wird, werden die Daten nach bestimmten Gesichtspunkten zusammengefaßt und repräsentieren m i t relativ wenigen statistischen Angaben einen Sektor sozialer Komplexität. Bereits bei der Datenerhebung kommt damit zwangsläufig ein voluntaristisches Element ins Spiel, da K r i t e rien, nach denen die Daten für ein Untersuchungsfeld erhoben und ausgewertet werden, bestimmt werden müssen. Ohne eine bestimmte Konzeption lassen sich Kriterien für die Datenerhebung nicht entwickeln. Es versteht sich von selbst, daß i n diesem Stadium der Planung nur Konzeptionen brauchbar sind, die einer Pluralität von Ansichten weitgehend gerecht werden 2 5 . Da durch die bei Lageanalysen erforderliche Reduktion von Komplexität Zusammenhänge unzulässig simplifiziert werden können und Manipulationen möglich werden, müssen bereits die Konzepte der Aggregierung von Daten politisch kontrolliert werden 2 6 . Weiterhin werden Datenerfassung und Datenweitergabe aus normativen Gründen kein vollkommenes B i l d der sozialen Realität liefern können. Staatliche Planungen können durch die auf normativen Re21 Allerdings erhöht die computermäßige Aufbereitung von Daten die Gefahr, daß nichtnumerische Informationen und nichtmathematisierbare Zusammenhänge ohne ausreichende Berücksichtigung bleiben. 22 R. Waterkamp, S. 107 ff.; H. Leussink, Schwierigkeiten beim Planen der Bildung, in: Die Zeit, 26. Jahrgg. Nr. 30 vom 23. 7.1971, S. 12; D. Aderhold, S. 172 ff. m. w. Nw. 23 Welche Probleme zu bewältigen sind, schildern: D. Aderhold (S. 180 f.); E. Lutterbeck (Arbeitsprogramm zur Verbesserung des Informationswesens der Bundesverwaltung, in: P. Hoschka und U. Kalbhen (Hg.), Datenverarbeitung, S. 17 ff.); P. Hoschka (Computer als Instrumente politischer Planung, ebd., S. 27 ff.) und H. Brinckmann (Verwaltungsgliederung als Schranke von Planungs- und Informationsverbund, in: W. Steinmüller [Hg.], Informationsrecht und Informationspolitik [1976], S. 110 ff.). 24 Einzelheiten bei R. Werner, Soziale Indikatoren, S. 34 ff. 25 H. Glaser, Bürokratie jenseits von Parkinson, Bemerkungen zu einer Verwaltung im Regelkreis, in: Beilage zu „Das Parlament" vom 16. 5.1970, S. 16; D. Aderhold, S. 124. 28 D. Aderhold, S. 126.

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2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

striktionen beruhende Unvollständigkeit i n der Datenbasis verfälscht werden. I n freiheitlichen Staatswesen besteht ein Mindestbereich an geschützter Persönlichkeitssphäre, der auch durch Auskunftspflichten zu statistischen Zwecken nicht beeinträchtigt werden darf. Das Steuergeheimnis oder Geschäftsgeheimnis etwa setzen der Weitergabe erhobener Daten Grenzen 27 . Zur höchsten Empfindlichkeitsstufe für das betroffene Individuum gehören Informationen, die seine Lebens- und Entfaltungschancen schmälern können. Inwieweit derartige Daten für Planungsverfahren zentral gespeichert und i n Planungsverfahren verwertet werden dürfen, bleibt noch zu diskutieren 2 8 . Abschließend sei auf das politische Gefahrenpotential umfassender Datensysteme zu Planungszwecken hingewiesen 29 . Die Datenspeicherung kann zu einer Verschiebung der Entscheidungmacht führen. Wenn ein Planungssubjekt m i t einem überlegenen Informationssystem ausgestattet ist, hat es nicht nur einen Vorsprung vor den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräften i n seinem Planungsbereich, sondern auch gegenüber konkurrierenden öffentlichen Planungssubjekten ohne Zugriffsmöglichkeit auf Informationssysteme. Bei dezentralisierter Planung kann die Gefahr bestehen, daß der Planungsträger auf übergeordneter Ebene sein technisches Instrumentarium der Datenspeicherung und Datenverarbeitung v o l l ausschöpft und so die dezentralen Planungsträger i n ihrem Aktionsradius beschneidet. A u f diese Weise kann es zu einer Aushöhlung der Planungskompetenz von Planungsträgern i n Ländern und Gemeinden kommen. Gravierender noch ist der Machtverlust der Parlamente, der durch eine Regierungsprärogative beim Zugang zu Dateninformationssystemen eintreten kann. Ein Parlament, das weder den Zugang zu den einer Planung zugrunde gelegten Daten noch zu etwaigen computergespeicherten Wechselwirkungen zwischen Fachplanungen, zwischen der Aufgaben- und der Finanzplanung sowie zwischen den Planungen auf den verschiedenen Verwaltungsebenen besitzt, kann weder die Einzelplanungen noch das Konzept der Abstimmung zwischen den einzelnen Planungen zum Gegenstand seiner Beschlüsse machen 30 . 27

U. Dammann, Datenschutzprobleme bei Planungs- und Entscheidungssystemen, in: Datenschutz, hrsg. von W. Kilian, K. Lenk und W. Steinmüller (1973), S. 257 ff., 267 ff. 28 Für die Beurteilung eines Informationssystems unter dem Datenschutzaspekt ist die Individualisierbarkeit der gespeicherten Information von entscheidender Bedeutung, d. h. die Möglichkeit, das Individuum zu bestimmen, auf das sich eine Information bezieht (Einzelheiten bei LT. Dammann, S. 269 ff.). 29 U. Dammann, Politische Kontrolle von Planungsinformationssystemen, in: Erfassungsschutz, hrsg. von H. Krauch, S. 105 ff., 110 ff. 30 S. Simitis, Chancen und Gefahren der elektronischen Datenverarbeitung. Zur Problematik des Datenschutzes, in: N J W 1971, 673 ff., 677; H. Geiger, Datenschutz und Gewaltenteilung, in: Datenschutz, hrsg. von W. Kilian u. a.,

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Ohne Zugang zu den genannten Daten und Informationen erscheinen die vorgelegten Planungen als ein monolithischer Block, an den nicht gerührt werden kann. Das Parlament gelangt i n eine Ratifizierungslage und ist den i n der Regierungsbürokratie gefallenen Vorentscheidungen ausgeliefert. Diese Problematik ist nicht erst m i t den modernen Methoden der Datenverarbeitung entstanden. Der Informationsvorsprung der Regierung gegenüber dem Parlament war seit jeher eine Achillesferse des Parlamentarismus. Wenn nunmehr Bürokratie und Regierung diesen Informationsvorsprung durch Planungsinformationssysteme i n einem Maß zu steigern vermögen, daß dem Parlament wegen seines Informationsmangels verantwortungsvolle Entscheidungen unmöglich werden, w i r d die Ausstattung des Parlaments m i t eigenen Informationssystemen oder m i t einem Zugriffsrecht auf die Informationssysteme der Exekutive zu einer Grundvoraussetzung 31 parlamentarischer Regierungssysteme 32 . 3. Prognose der Entwicklung

Die Prognose überbrückt, hier liegt ihre wesentliche Funktion, die Zeitdifferenz, die zwischen der die Gegenwart repräsentierenden Datensammlung und dem Zustand existiert, i n dem die Planung ihre Wirkung entfalten soll 33 . I n der Konjunkturplanung dauert diese Zeitdifferenz nur Monate, sie kann i n anderen Planungsbereichen Jahre und Jahrzehnte betragen. A u f Grund der Bestandsaufnahme ist die Entwicklung abzuschätzen, wie sie sich i n dem sozialen Bereich ohne Planung aller Erfahrung nach vollziehen wird. Hierbei läßt sich von der Erfahrungstatsache ausgehen, „daß Veränderungen der . . . gesellschaftlichen oder politischen Situation nicht zufällig, sondern Fortsetzungen schon früher beobachteter Entwicklungen sind" 3 4 . Es ist eine Vielzahl von Verfahren entwickelt worS. 173 ff.; vgl. auch § 10 Abs. 2 Hess. DatenschutzG, in dem dem Datenschutzbeauftragten die Aufgabe zugewiesen wird, zu beobachten, ob die Auswirkungen der maschinellen Datenverarbeitung zu Verschiebungen der verfassungsmäßigen Gewaltenteilung führen. 31 Einzelheiten im 5. Kap. unter I I . und I I I . , 3. 32 Zu weiteren nachteiligen Folgen von umfassenden Planungsinformationssystemen wie etwa des Verlustes an demokratischer Öffentlichkeit vgl. 17. Dammann, S. 111 f. 33 Zu dem hier nicht zu erörternden Phänomen der Eigendynamik von Prognosen („seif fulfilling" bzw. „seif destroying prophecy") vgl. H. Albert, Probleme der Wissenschaftslehre in der Sozialforschung, in: R. König (Hg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. 1, 3. Aufl. (1973), S. 57 ff., 81 m. w. Nw. 34 K. Steinbuch, Zukunftsplanung als politische Aufgabe, in: Die neue Gesellschaft, 15. Jahrg. (1968), S. 123 ff., 124.

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2. Kap. : Planung als Problemlösungsstrategie

den, u m aus den i m Rahmen einer Bestandsaufnahme gewonnenen Daten zukünftige Entwicklungen und Tendenzen herleiten zu können 35 . Wenn auch eine vollkommene Voraussicht unmöglich ist, so hofft man doch, mit solchen Prognoseverfahren den Gang der realen Entwicklung wenigstens i n groben Umrissen bestimmen zu können 36 . Zu den Verfahren der fortschreibenden Vorausschau gehören u. a. die Trendextrapolation von Zeitreihen, die Extrapolation abhängiger Variablen und die qualitativen Methoden. Bei den Trendextrapolationen von Zeitreihen werden i n einer graphischen Darstellung Vergangenheitswerte über eine Reihenentwicklung bis zur Gegenwart erfaßt und i n die Zukunft fortgeschrieben. Diese „graphische" Methode führt zu zutreffenden Ergebnissen, wenn das System einen hohen Stabilitätsgrad aufweist. Sie ist aber aus mehreren Gründen problematisch. Ihre Ergebnisse werden ungenau, wenn die Zeitreihen i n ihrem bisherigen Verlauf geschwankt haben. Außerdem kann m i t Systemstabilität desto weniger gerechnet werden, je weiter eine Prognose i n die Zukunft reicht 37 . Aus diesen Gründen muß die graphische Extrapolation, soll ein hoher Grad an Genauigkeit erreicht werden, an die Entwicklung i n anderen Bereichen rückgekoppelt werden. Es handelt sich hier u m einen Regreß zu Prognosen singulärer Bedingungen 38 .

35 E. Gehmacher, Methoden der Prognostik (1971); Diagnose und Prognose als wirtschaftswissenschaftliches Methodenproblem (Schriften des Vereins für Socialpolitik N F Bd. 25) (1962); V. C. Lutz, Zentrale Planung, S. 121 ff.; H. Gerfin, Langfristige Wirtschaftsprognose (1964), S. 30 ff.; C. Bohret, Art. Prognosen, in: Wörterbuch zur politischen Ökonomie, hrsg. von G. v. Eynern (1973), S. 311 ff.; ders., Planungspraxis, S. 203 ff.; H. Wagenführ, Gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturwandlungen in den 70er Jahren, in: Management-Perspektiven der 70er Jahre, hrsg. von G. Hohenstein (1970), S. 45 ff., 48; F. Rahmeyer, Pluralismus S. 60 ff.; J. H. Müller, Methoden zur regionalen Analyse und Prognose (1973), S. 103 ff.; H. Lenk, Erklärung; R. Waterkamp, Futurologie und Zukunftsplanung, S. 25 ff., 76 ff.; D. Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft (1975), S. 201 ff. (zu den technologischen Prognosen); zu den Grenzen der Sozial- und Wirtschaftsprognose F. Spreer, Wissenschaftstheorie, S. 53 ff.; G. Petersen, Regionale Planungsgemeinschaften als Instrument der Raumordnungspolitik in Baden-Württemberg (1972), S. 79 ff. 38 F. Voigt und J. Budischin, Grenzen, S. 35 f., 47 ff., 102 ff. m. w. Nw. 37 Bei langfristiger Betrachtung stößt die einfache Extrapolation von Zeitreihen in sehr vielen Fällen an eine logische Begrenzung ihrer Kontinuität. Der Nullpunkt wird selten völlig erreicht und nach oben gibt es in der Regel kein Limit. Daher bildet diese einfache Extrapolation in der Regel nur die erste grobe Vorstufe zur Erstellung besserer Extrapolationen (E. Gehmacher, Prognostik, S. 33; vgl. weiter H. Gerfin, S. 30 ff.). 38 Zum bei zeitraumüberwindenden Prognosen erforderlichen unendlichen Regreß der Prognose zu singulären Bedingungen vgl. P. Urban, Zur wissenschaftstheoretischen Problematik zeitraumüberwindender Prognosen (1973), S. 51 fï. m. w. Nw.

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Anspruchsvollere, aber nicht unbedingt genauere Prognoseergebnisse liefert die Extrapolation abhängiger Variablen 3 9 . Sie setzt voraus, daß i n der Vergangenheit für voneinander abhängige Größen eine längere Reihe von Daten und Werten erhoben wurden. Nachdem der Zusammenhang zwischen den voneinander abhängigen Variablen bestimmt ist, w i r d aus der Zahl der erhobenen Daten und Werte eine geglättete Kurve der Entwicklung abgeleitet; mit Hilfe dieser geglätteten Kurve w i r d die wahrscheinliche künftige Entwicklung anzugeben versucht 40 . Abgesehen von den Schwierigkeiten der Datenbeschaffung, vor allem aber der sozialen Komplexität und schnellen Veränderlichkeit der Erscheinungen, leiden diese Prognosetechniken an einer mangelnden Rückkoppelung an die Einflüsse aus der Umwelt. Die Prognosen werden nur für Teilbereiche vorgenommen, aber nicht i n Relation zu den Prognosen anderer Teilbereiche gesetzt. Bei einer auch nur mittelfristigen Vorausschau muß die Interdependenz aller sozialen und ökonomischen Bereiche berücksichtigt und i n die verschiedenen Trendanalysen integriert werden. Diese schwerste Aufgabe der Prognostik ist bislang nicht v o l l bewältigt worden 4 1 . So werden etwa bei den derivativen Prognose verfahr en Teilprognosen aus einer umfassenden Prognose hergeleitet 42 . Weiterhin w i r d an Verfahren gearbeitet, die die Simulation eines „vollständigen Modells" ermöglichen und „eine kohärente, simultane Prognose aller jeweils wichtigen Größen" 43 zur Verfügung stellen. Zu beachten bleibt, daß die mathematisch orientierten Prognosemodelle von einer mehr oder weniger geradlinig-deterministischen Entwicklung der sozialen Verhältnisse ausgehen 44 . Nicht erfaßt werden neue Formen sozialen Verhaltens und die von menschlicher Erfindungsgabe realisierten Innovationen. Diese soziale und psychische Komponente bleibt die große Unbekannte i n allen Prognosen 45 . Technische oder 39 Vgl. die Beispiele bei H. Gerfin, S. 41 ff.; C. Bohret, Planungspraxis, S. 204 ff.; E. Gehmacher, Prognostik, S.45ff.; zu den exponentialen Trendberechnungen vgl. C. Bohret, S. 206 ff. und H. J. Müller, S. 109 mit Beispielen. 40 Zu weiteren Prognosemethoden wie der Leontief'schen Input-OutputAnalyse oder den Substitutionsanalysen vgl. H. G'erfin, S. 88 ff., 105 ff. 41 D. Aderhold, S. 129; E. Gehmacher, Prognostik, S. 115 f. 42 Ζ. B.: Die Prognose der regionalen Entwicklung wird an die Prognose der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung angelehnt (H. J. Müller, S. 111 ff.). 43 W. Krelle, Gesamtwirtschaftliche Prognosesysteme und ihre wirtschaftspolitische Verwendung, in: Volkswirtschaftliche Korrespondenz der AdolfWeber-Stiftung, 6. Jahrgang (1967), S.2; D. Aderhold, S. 195 ff. m . w . Nw.; H. H. Nachtkamp, Mehrjährige Finanzplanung, S. 81 und passim; G. B. Friedel und R. Courbis, Das „modèle-physicofinancier", ein neues Instrument der französischen Wirtschaftsplanung, in: J. H. Kaiser (Hg.), Planung V I , S. 239 ff. 44 H. J. Müller, S. 111. 45 K. Steinbuch, Zukunftsplanung als politische Aufgabe, S. 139; P. F. Drucker, Die Zukunft bewältigen (1969), S. 11; B. de Jouvenel, Die Kunst der Vorausschau (1967); E. Gehmacher, Prognostik, S. 48 ff.

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2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

soziale Innovationen, welche Diskontinuitäten einleiten, lassen sich mit Trendextrapolationen nicht erfassen. Wandlungen der Wertvorstellungen, Verhaltensweisen und der technischen Umwelt können nicht rational berechnet, sondern allenfalls m i t „sozialer" Phantasie erahnt werden. Dieser „sozialen" Phantasie wollen die humanwissenschaftlichen (qualitativen) Prognosemethoden zur Entfaltung verhelfen. Zu den bekanntesten humanwissenschaftlichen Prognosemethoden 4® zählen das „Scenario-Writing" und die Delphi-Technik. Beim ScenarioW r i t i n g werden gegenwärtige Entwicklungstendenzen systematisch weitergedacht. Man konstruiert denkbare Kausalketten von Ereignissen und kann aus den sich ergebenden Zukunftsmodellen Handlungsstrategien ableiten. Scenario-Writing ermöglicht zukünftige Entwicklungen i n ihrer Vielfalt zu beschreiben und bereits antizipierende Problemlösungsstrategien ausarbeiten zu können 47 . Die Delphi-Technik vermag systematisch Expertenwissen i n Prognoseverfahren einzubeziehen. Die verschiedenen für einen Problemkreis infrage kommenden Experten werden u m ihre Meinung über bestimmte Entwicklungstendenzen befragt. Nach der ersten Befragungsrunde werden alle geäußerten Ansichten den befragten Experten zur neuerlichen Stellungnahme vorgelegt mit der Maßgabe, die eigene Voraussage der Meinung von Kollegen anzugleichen oder besonders zu begründen. I n einer dritten und vierten Befragungsrunde kann dieses Verfahren zwecks weiterer Rückkoppelung der Voraussagen wiederholt werden. Die Delphi-Technik ermöglicht den Gedankenabtausch von Prognosen innerhalb einer Expertengruppe i n einem schriftlichen Verfahren und bei disziplinierter Gedankenführung 4 8 . I n die Prognose der sozialen Entwicklung sind selbstverständlich auch die Auswirkungen von Gesetzen, wirtschaftspolitischen Maßnahmen, ins Werk gesetzten Planungen, Verwaltungsanweisungen u. a.m. einzubeziehen. Über die vom Staat gesetzten Bedingungen zukünftiger Ent4 ® Weiterhin sei auf die morphologische Analyse und das Brainstorming hingewiesen, die i m einzelnen zu erläutern zu weit führen würde (vgl. etwa E. Gehmacher, Prognostik, S. 50 ff.; K. Seemann, Planungsprobleme in der Bundesregierung der sozial-liberalen Koalition [1971], S. 21 ff.; Methoden der Prioritätsbestimmung, Band 3, Teil 2, S. 1 ff.). 47 A. Nagel, Leistungsfähige Entscheidungen in Politik und Verwaltung durch Systemanalyse (1971), S. 113 m . w . N w . ; D. Aderhold, S. 131; S. Brown, Scenarios in Systems Analysis, in: E. S. Quade und W. I. Boucher (Hg.), Systems Analysis, S. 298 ff. 48 Zum Ursprung, dem Verfahrensablauf und der möglichen Weiterentwicklung der Delphi-Technik vgl. A. Nagel, S. 32 - 36; O. Helmer, Analysis of the Future: The Delphi Method (Santa Monica, 1967), in: R A N D Paper 3558; J. Pill , The Delphi Method: Substance, Context, a Critique and an Annotated Bibliographie, in: Socio-Economic Planning Science, Bd. 5 (1971), S. 57 ff.; Methoden der Prioritätsbestimmung, Band 3, Teil 2, S. 24 ff.

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Wicklung werden freilich keine Wahrscheinlichkeitsberechnungen angestellt, sondern es werden die Auswirkungen staatlichen Verhaltens abgeschätzt (Projektion). So sind etwa bei einer langfristigen Bildungsplanung die Auswirkungen der derzeitigen Ansätze i m Haushaltsplan und i n der Finanzplanung zu berücksichtigen. Diese Projektion der i n der Gegenwart angelegten staatlichen Handlungsstrategien auf einen zukünftigen Zeitpunkt ist ein wesentliches Element aller Prognose. Prognosen der zukünftigen Entwicklung sind durch die Projektion der überwiegend staatlicherseits beeinflußbaren Prämissen zu ergänzen. Vor allem sind jeweils auch die bereits beschlossenen Planungen i n die Prognose und Projektion miteinzubeziehen 49 . 4. Entwicklung der Zielvorstellungen, Prioritäten und Zielketten

Der naturwüchsigen oder m i t verfehltem, bzw. überholtem politischem Konzept geplanten Entwicklung eines Sozialbereichs können die staatsleitenden Instanzen Vorstellungen von einer wünschbaren Entwicklung gegenüberstellen. Die Entwicklung derartiger Zielvorstellungen, d.h. gedanklicher Modelle erstrebter künftiger Ergebnisausprägungen, ist die zentrale politische Phase 50 i m Planungsprozeß 51 . Ziel- und Leitvorstellungen 5 2 geben Auskunft darüber, was von der politischen Führung i n der Zukunft geleistet werden soll. Diese Vorstellungen verbleiben nicht i m Bereich des Utopischen oder der politischen Phantasie, da Ziel- und Leitvorstellungen aus einer realistischen Einschätzung der Lage heraus zu entwickeln sind. Ziel- und Leitvorstellungen weisen der 49 G. Myrdal, Das Wertproblem in der Sozialwissenschaft (1965), S.269; D. Aderhold, S. 134 f. mit Nachweisen zum Planungssystem der Bundeswehr, zum Großen Hessenplan und zur Bildungsplanung; wie eine Sicherheitsmarge gegen fehlerhafte Vorausschau bei staatlicher Planung in die Planungskalkulation einbezogen werden kann, beschreibt D. Gabor (Openended Planning, in: Perspectives of Planning, hrsg. von E. Jantzsch [Paris 1969], S. 329 ff.). 50 Demgegenüber möchte H.-J. Arndt (Die Figur des Planes als Utopie des Bewahrens, in: Säkularisation und Utopie. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag [1967], S. 119 ff., 144 f.) den Zielfindungsprozeß aus der Planung ausschließen; Planung soll gesellschaftliche Entwicklung nicht verursachen, sondern nur organisieren. 51 A. Nagel, Politische Entscheidungslehre, S. 129 ff.; Methoden der Prioritätsbestimmung, Band 1, S. 49 ff.; F. Wilkenloh, Probleme und Bedingungen einer zielorientierten Politik unter besonderer Berücksichtigung des Sektors Verkehr, in: Die Verwaltung, 10. Bd. (1977), S. 433 ff.; J. J. Hesse, Stadtentwicklungsplanung, S. 33 ff., 72 ff. (Zielvorstellungen zur Stadtenwicklung); G. Kade und R. Hujer, Zielfindungsprozesse am Beispiel staatlicher Forschungsplanung, in: Stadtbauwelt, Jahrgg. 1971, S. 285 ff. (zu den unterschiedlichen Problemen der Zielfindung bei politischer und ökonomischer Planung); Ch. Reichard, Managementkonzeption, S. 47 ff.; E. Laux, Verwaltungsführung und betriebliches Management, in: Demokratie und Verwaltung. 25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (1972), S. 537 ff., 544 ff. 52 Zum Zielbegriff vgl. A. Nagel, S. 227 m. w. Nw.

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staatlichen A k t i v i t ä t die Richtung und üben so eine A r t Kompaßfunktion aus 53 . Aus den Ziel- und Leitvorstellungen insgesamt läßt sich das Gesamtkonzept der Regierungs- und Verwaltungspolitik ablesen. Bei der Entwicklung von Ziel- und Leitvorstellungen geht es letztlich darum, zwischen widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen zu einem konsensfähigen Kompromiß zu gelangen 54 . Sind die einzelnen Ziel- und Leitvorstellungen der Politik entwickelt worden, muß eine wertende Auswahl zwischen mehreren möglichen Entwicklungszielen, die nicht gleichzeitig erreicht werden können, getroffen werden 5 5 . Es geht u m die Setzung von Prioritäten, wenn bestimmte Ziele anderen Zielen gegenüber für vordringlicher gehalten werden. Diese Planungsphase läßt sich als politische Phase bezeichnen, weil sie nicht auf zweckmittel-rationale Erwägungen zurückgeführt werden kann5®. Diese politische Phase des Planungsprozesses ist das Bindeglied zwischen empirisch überprüfbarer Bestands- und Trendanalyse und nachfolgenden weitgehend zweck-mittel-rationalen Erwägungen i m Hinblick auf die Zielverwirklichung. Die Leitziele politischer Planung sind entweder i m Grundgesetz und anderen Gesetzen bereits normativ fixiert oder sie werden i m Prozeß politischer Willensbildung gewonnen. Planungsziele können i m Gewände von Gemeinwohlvorstellungen auftreten, über die i n Regierung und Opposition i n gleicher Weise Konsens herrscht. Derartige Gemeinwohlvorstellungen sind verfassungsrechtlich abgesichert, wenn man etwa als Leitziele wirtschaftspolitischer Planung die Sicherung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts betrachtet (Art. 109 Abs. 2 GG); aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt das Planungsziel „innerstaatliche Sicherheit und Ordnung", aus dem Sozialstaatsprinzip u.a. das Planungsziel „gerechte Sozialordnung" 57 . Zu diesen verfassungsrechtlich fixierten Leitzielen treten die Zielvorstellungen, die i n den einzelnen 53 F. Sidler, Grundlagen zu einem Management-Modell für Regierung und Verwaltung (Zürich 1974), S. 136; vgl. weiter E. Pusic, Regierungspolitik und Koordination, in: H. Siedentopf (Hg.), Regierungspolitik, S. 27 ff., 28 ff. 54 H. Steiger, Entscheidung kollidierender öffentlicher Interessen, S. 386, 392 ff. 55 Die Möglichkeiten und Probleme einer integrierten Zielplanung können nur angedeutet, aber nicht vertieft werden. Wegen der Einzelheiten wird auf Ch. Reichard (S. 49 ff.) verwiesen. 58 H.-P. Bank, Rationale Sozialpolitik (1975), S. 73 ff.; H. H. Nachtkamp, Mehrjährige Finanzplanung, S. 36; vgl. auch P. R. Wossildo, Zum gegenwärtigen Stand der empirischen Entscheidungstheorie aus mikroökonomischer Sicht, in: H. Brandstätter und B. Gahlen, Entscheidungsforschung (1975), S. 98 ff., 111 ff. 57 Die Beziehung von verfassungsrechtlichen Leitbildern zu den gesetzlichen Grundsätzen der Raumordnung und Landesplanung beschreibt D. Molter (Raumordnung, S. 51 ff.).

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Planungsgesetzen wie dem Kohlegesetz, dem Stabilitätsgesetz, dem Raumordnungsgesetz oder den Landesplanungsgesetzen 58 formuliert sind. Weiterhin werden aus dem gesellschaftlichen Bereich eine Reihe von Planungszielen i n das politische System eingebracht. Zu nennen ist etwa die Diskussion der Ziele einer Umweltplanung oder die Diskussion der Ziele einer Bildungsplanung. Ist die Entwicklung von Zielvorstellungen, die nicht bereits verfassungsrechtlich abgesichert sind, von politischem Für-Richtig-Halten weitgehend abhängig, so kann der nächste Schritt, die Zielabstimmung und das Setzen der Prioritäten, wenigstens teilweise i n rationaler Analyse vollzogen werden. Bei der Zielabstimmung und Prioritätensetzung geht es u m die Herstellung rationaler Bezüge zwischen einzelnen obersten Zielen. Hierbei sind die jeweiligen Unterziele und Maßnahmen, die zur Realisierung eines Oberzieles beizutragen vermögen, mit einzubeziehen 59 ; denn oftmals ergeben sich die Zielkonflikte erst i n der Phase der Realisierung politischer Planungen und Programme. Theoretisch ließe sich ein rationales Zielsystem der Gesellschaftspolitik bestimmen, „ i n dem jedes Gestaltungsproblem nach seiner Interdependenz mit allen übrigen Problemen (Zielen und Instrumenten) der Gesellschaftspolitik verortet ist" 6 0 . I n der Gesellschafts- und Sozialpolitik ist es jedoch praktisch unmöglich, eine Zielhierarchie aufzustellen, i n der sich aus Oberzielen Unterziele und weiter darauf bezogene instrumentale Ziele ableiten lassen 61 . Denn bei dem Versuch einer positiven Rückkoppelung aller gesellschaftspolitisch relevanten Zielsysteme würde ein Maß an Komplexität erzeugt werden, das nicht zu bewältigen ist: Bei der Diskussion einzelner gesellschaftspolitischer Teilziele und Maßnahmen wären nicht allein die Auswirkungen auf ein Oberziel zu berücksichtigen, sondern jeweils immer das gesamte Zielsystem i n Betracht zu ziehen 62 . Darum würde die Aufstellung eines gesellschaftspolitischen Zielsystem voraussetzen, daß man „einen geschlossenen Entw u r f einer optimalen Gesellschaftsverfassung zu erstellen" für machbar hält 6 3 , der sich als ein rigides Zielsystem darstellen würde. Eine an einem rigiden Zielsystem orientierte Gesellschaftspolitik hätte freilich, wie Popper nachgewiesen hat 6 4 , utopischen und autoritären Charakter. 58

Einzelheiten bei F. Klein, Rechtsnatur, S. 3 ff. Einzelheiten bei R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre § 29 I I m. w. Nw. 60 D. Storbeck, Zielkonflikt-Systeme als Ansatz zur rationalen Gesellschaftspolitik, in: Zur Theorie der allgemeinen und der regionalen Planung (1969), S. 65; F. Rahmeyer, Pluralismus, S. 31 ff. 81 Ch. Reichard, S.48; C. Lau, Theorien, S. 85 ff.; Methoden der Prioritätsbestimmung, B a n d i , S. 49 ff.; H. Giersch, Allgemeine Wirtschaftspolitik, S. 59 ff. 82 F. W. Scharpf, Politikverflechtung, S. 59 f. m. w. Nw. 83 R. Zippelius, § 28 I I . 59

6 Würtenberger

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Denn i n einer pluralistischen Gesellschaft gibt es weder Einzelziele noch ein gesellschaftspolitisches Gesamtziel, auf das sich alle politische Planung zweckrational zurückführen ließe. Es besteht i n einer pluralistischen Gesellschaft, i n einer Diktatur mag anderes gelten®5, ein Pluralismus der politischen Ziele, der sich aus unterschiedlichen Interessenlagen und Wertvorstellungen ergibt. Solange der Pluralismus der Handlungsziele und Wertvorstellungen Grundmuster der sozialen Handlungsfreiheit ist, kann es keine für jedwede politische Planung verbindliche Zielhierarchie geben. Die Abstimmung der einzelnen Leitziele, der Unterziele, Programme und Maßnahmen zu ihrer Realisierung hat also problemorientiert zu erfolgen. Bei Planungen zur Verwirklichung einzelner Leitziele der Gesellschaftspolitik ergeben sich zwangsläufig Zielinterdependenzen. Es zeigt sich rasch, daß kein Leitziel isoliert verfolgt werden kann, sondern daß alle zur Zielverwirklichung erforderlichen Maßnahmen auch darauf überprüft werden müssen, ob sie nicht auch auf andere Ziele Auswirkungen haben®®. Hier setzt die große Aufgabe der Abstimmung und Koordinierung einzelner Planungen, Programme und Maßnahmen ein, die i n der Planungspraxis große Schwierigkeiten bereitet. I n der politischen Praxis w i r d Planung oftmals geradezu zu einem Koordinationsproblem. Dieses Koordinationsproblem ist von der Strukt u r des politischen Systems abhängig. Je differenzierter i n einem Staat die Macht und die Aufgaben verteilt sind, desto größere Anstrengungen sind i m Hinblick auf die Planungskoordination erforderlich. Vor allem i n föderalistisch geordneten Staaten gehört die Planungskoordination zu den zentralen Problemen® 7. 84 K. R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1: Der Zauber Piatos, 2. Aufl. (1970), S. 213 ff. bezeichnet „die Methode des Planens in großem Stil, die utopische Sozialtechnik, oder die Technik der Ganzheitsplanung" als Inbegriff rationaler Sozialtechnik. Denn es werden endgültige politische Ziele festgelegt, ein Bauplan der angestrebten Gesellschaftsordnung umrissen, bevor die Maßnahmen zur Zielverwirklichung ergriffen werden. Die Technik der Ganzheitsplanung setzt ein Bild von einem idealen Staat voraus, das nur durch eine Diktatur verwirklicht werden kann (S. 217). 85 K. R. Popper, S. 213 ff.; jR. Zippelius, § 28 I I , § 19 I I , vgl. auch § 41 I V 1, 3; F. Rahmeyer, Pluralismus, S. 35 ff. 88 A. Nagel, S. 504 ff.; W. Knips, Die Problematik wirtschaftspolitischer Zielkonflikte und Zielkompromisse i m unternehmerischen Entscheidungsprozeß (1968), S. 73; G. Gäfgen, Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung, 2. Aufl. (1968), S. 119 ff. 87 Grundlegend zum Problem der Koordination politischer Planung: K. König (Hg.), Koordination und integrierte Planung in den Staatskanzleien (1976); ders., Koordination der Regierungspolitik, in: DVB1. 1975, 225 ff.; ders., Planung, S. 1 ff.; B. A. Baars, Κ. B. Baum, J. Fiedler, Politik und Koordinierung (1976); A. Katz, Politische Verwaltungsführung, S. 254 ff.; F. W. Scharpf, Koordinationsplanung und Zielplanung, in: R. Mayntz und F. Scharpf (Hg.), Planungsorganisation, S. 107 ff.; F. W. Scharpf u. a., Politikverflechtung; R. Zippelius, § 29 I 2; D. Aderhold, Kybernetische Regierungstechnik, S. 145 ff.

I I I . Entscheidungsschritte i n den Verfahren politischer Planung

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Wenn i n einer offenen Gesellschaft auch keine Zielhierarchien aufgestellt werden können, so sind doch zu einem gewissen Teil die Zielinterdependenzen rationalisierbar: Man kann angeben, ob die V e r w i r k lichung eines Zieles auch ein anderes Ziel — teilweise — m i t v e r w i r k licht (Komplementarität der Ziele), die Verwirklichung eines anderen Zieles mindert (Konkurrenz der Ziele), die Verwirklichung eines anderen Zieles völlig ausschließt (Antinomie bzw. Alternativität der Ziele) oder die Verwirklichung eines anderen Zieles nicht berührt (Neutralität der Ziele) 88 . Den Nachweis von Zielinterdependenzen und Zielkonflikten hat sich die Zielforschung zur Aufgabe gemacht, deren Ergebnisse i n eine verwaltungswissenschaftliche Theorie der Planung einzubringen sein werden® 9. Nach der Entscheidung über Zielkonflikte durch Prioritätensetzung werden die Ziele durch gedankliche Verfolgung von Zielketten konkretisiert. Anhand von Zweck-Mittel-Beziehungen sind die einzelnen Unterziele und Programme zu bestimmen, die zur Realisierung eines Leitzieles beitragen können 70 . Indem einzelnen Leitzielen immer konkreter werdende Unterziele zugeordnet werden, stößt man zu immer präziser werdenden Zielvorstellungen vor, die dann i n eindeutige Maßnahmen münden 7 1 . 5. Insbesondere Operationalisierung der Zielvorstellungen durch Nutzen-Kosten-Analyse

Bei den Maßnahmen zur Zielerreichung ist auf eine sparsame und wirtschaftliche Verwendung öffentlicher M i t t e l zu achten. Eine w i r t schaftliche Verwaltungsführung gehört zu den Hauptaufgaben der Ver68 D. Storbeclc, S. 74 f.; R. Krüger, Koordination, S.40f., 124 ff.; U. Brösse, S. 61 ff. (unter Verwendung der Termini „Kompatibilität" und „Inkompatibilität" von Zielen); P. Eichhorn, Die öffentliche Verwaltung als Dienstleistungsbetrieb, in: A. Rehkopp (Hg.), Kompendium der Volkswirtschaftslehre, Bd. 2, 3. Aufl. (1972), S. Iff., 33 ff.; A. Nagel, S. 512 ff. m. w. Nw.; J. Tinbergen , Gerechtigkeit als gesellschaftspolitisches Ziel, in: B. Külp, H.-D. Haas (Hg.), Soziale Probleme, S. 9 ff., 17 ff. e9 Noch zu wenig reflektiert bei H. Steiger, S. 392 ff. 70 Zu dieser „Zieltreppenbildung": A. Nagel, S. 482 ff.; J. Bidlingmaier, Unternehmerziele und Unternehmerstrategien (1964), S. 77; Η. H. Koelle, Zur Problematik der Zielfindung und Zielanalyse, in: Analysen und Prognosen für die Welt von morgen, Heft 16 (1971), S. 15; Methoden der Prioritätsbestimmung, Band 2, S. 122 ff.; P. Eichhorn und G. Ludwig, Quantitative Planungstechniken, S. 8 f. 71 Eine an Leitzielen ausgerichtete Staffelung von nachgeordneten Zielen kennzeichnet den Planungsprozeß in komplexen Organisationen. Die interne Koordinierung von Teilentscheidungen muß durch Vorgabe von Zielen erfolgen, die zu dem Leitziel der Organisation in einem Zweck-Mittel-Verhältnis stehen. Auf diese Weise läßt sich eine an Leitzielen orientierte Politik verwirklichen, wobei den dezentralen Stellen gleichwohl Entscheidungsspielräume belassen werden (hierzu R. Mayntz, Zielstrukturen, S. 91 ff.).

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2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

waltungs- und politischen Führung i n einer Zeit, i n der insgesamt mehr als 90 v. H. der Ausgaben der Bundes- und der Länderhaushalte gebunden sind 72 . Dieser bescheidene Rahmen disponibler Ressourcen zwingt bei jedem Planungsvorhaben zu eingehenden Zweck-Mittel- und Nutzen-Kosten-Analysen. Die Notwendigkeit derartiger Analysen liegt i n der Forderung begründet, daß die „ratio politica" auch die „ratio oeconomica" umfassen solle 73 , d. h. daß der Wert aller Nutzen, vermindert u m die Kosten, zu maximieren sei. Die Nutzen-Kosten-Analyse leitet sich aus der Wohlfahrtstheorie her: „Ziel dieses Ansatzes ist es, auch i m Bereich der öffentlichen Wirtschaft ein Optimum an sozialer Wohlfahrt i m Sinne der paretianischen optimalen Allokation der Ressourcen theoretisch zu bestimmen und, wenn möglich, praktisch zu sichern 74 ." Ist durch politische Entscheidung das Ziel eines Planungsvorhabens festgelegt, so stellt sich die Frage, welche alternativen Mittel und Maßnahmen zu einer maximalen Differenz zwischen den Vorteilen aus der Zielverwirklichung und den Kosten der Zielrealisierung führen 7 5 . Die politische Entscheidung über zielrealisierende Maßnahmen w i r d durch die Nutzen-Kosten-Analyse i n einem hohen Maße transparent, da die langfristigen Effekte und die vielfältigen Nebenwirkungen der zur Zielrealisierung erforderlichen Maßnahmen deutlich gemacht und alle wirtschaftlich und sozial relevanten Belastungen und Erfolge bewertet werden. Hierdurch w i r d der politischen Führung i n Parlament und Regierung exaktes Material an die Hand gegeben, auf Grund dessen die Entscheidungen über die Auswahl der Programme versachlicht 72 K. Rambow, Vorschläge für eine sparsame und wirtschaftliche Verwendung öffentlicher Mittel, in: DÖV 1975, 617 ff. 73 A. Predöhl, Wissenschaft und Politik bei der wissenschaftlichen Beratung der Wirtschaftspolitik, in: R. Willeke (Hg.), Wissenschaftliche Beratung der verkehrspolitischen Planung (1971), S. 11 — Die Grundzusammenhänge der Nutzen-Kosten-Analyse sind bereits seit über hundert Jahren bekannt: eine der ersten Abhandlungen zu diesem Thema verfaßte J. Dupuit, „La mésure de l'utilité des travaux publics" in den „Annales des Ponts et Chaussées" (1844). Die eigentliche Pionierarbeit wurde in den USA geleistet, als zu Beginn dieses Jahrhunderts vor allem im Bereich der Wasserwirtschaft Projekte vom Nachweis der ökonomischen Vor- und Nachteile abhängig gemacht wurden. 74 G. Eisholz, Cost-Benefit-Analysis. Kriterien der Wirtschaftlichkeit öffentlicher Investitionen, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 12. Jahrg. (1967), S. 286 ff., 289; P. Eichhorn und G. Ludwig, Quantitative Planungstechniken, S. 7 ff.; H. C. Recktenwald, Das Gesicht der Finanzwissenschaft unserer Zeit, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 177 (1965), S. 395; O. Eckstein, A Survey of the Theorie of Public Expenditure Criteria, in: Public Finances: Needs, Sources and Utilization (Princeton 1961), S. 441 ff. 75 Erwähnt sei in diesem Zusammenhang, daß sich die Nutzen-KostenAnalyse vielfach ähnlicher Methoden wie die der Prognostik zu bedienen hat (E. Gehmacher, Prognostik, S. 112 ff.).

I I I . Entscheidungsschritte i n den Verfahren politischer Planung

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w e r d e n k ö n n e n 7 6 . M i t d e r N u t z e n - K o s t e n - A n a l y s e l ä ß t sich e i n D r e i faches erreichen: Sie k a n n zunächst ü b e r die W i r t s c h a f t l i c h k e i t eines öffentlichen P r o j e k t e s u n t e r r i c h t e n . W e n n m e h r e r e z u r E r r e i c h u n g eines p o l i t i s c h e n Zieles geeignete, aber sich gegenseitig ausschließende P r o j e k t e z u r D i s k u s s i o n stehen, k a n n die N u t z e n - K o s t e n - A n a l y s e die o p t i male Lösungsmöglichkeit finden helfen. Letztlich k a n n die NutzenK o s t e n - A n a l y s e herangezogen w e r d e n , w e n n es u m die B e s t i m m u n g des geeigneten Z e i t p u n k t e s e i n e r M a ß n a h m e g e h t 7 7 . A l l e r d i n g s s i n d auch N u t z e n - K o s t e n - A n a l y s e n n i c h t i m m e r f r e i v o n w e r t e n d e r E n t s c h e i d u n g . Es s i n d gegebenenfalls b e i N u t z e n - K o s t e n A n a l y s e n G r ö ß e n z u b e r ü c k s i c h t i g e n , d e r e n N u t z e n u n d Schäden n i c h t d i r e k t i n M a r k t p r e i s e n a u s d r ü c k b a r sind. E i n r e i n ö k o n o m i s c h m o t i v i e r t e s E f f i z i e n z k a l k ü l k a n n e t w a d e n W e r t eines V e r t e i d i g u n g s p r o 76 Aus der umfangreichen Literatur zur Methode und zur Kritik der Nutzen-Kosten-Analyse wird verwiesen auf: H. C. Recktenwald, Die NutzenKosten-Analyse (Recht und Staat H. 394/395, 1971); ders., (Hg.), NutzenKosten-Analyse und Programmbudget. Grundlage staatlicher Entscheidung und Planung (1970); H. Lévy -Lambert und H. Guillaume , La rationalisation des choix budgétaires (Paris 1971); K.-H. Hansmeyer und B. Rürup, Staatswirtschaftliche Planungsinstrumente, S. 65 ff.; Methoden der Prioritätsbestimmung, Band 2, Teil 2, S. 59 fî.; J. Schmidt, Wirtschaftlichkeit in der öffentlichen Verwaltung (1976), S.81ff.; P. Eichhorn und G. Ludwig, S. 9 ff.; V. Arnold, Methoden der Entscheidungsfindung bei staatlichen Allokationsaktivitäten — ein kritischer Vergleich, in: Finanzarchiv n. F. 33. Bd. (1974/ 1975), S. 418 ff.; G. Gröbner, Effizienzanalysen i m Staatssektor, in: Die Verwaltung, 3. Band (1970), S. 297 ff.; O. Reigl, Techniken des Managements in der öffentlichen Verwaltung, in: BayVBl. 1972, 397 ff.; über die Erfahrungen mit diesem Instrument der Entscheidungsvorbereitung berichten: G. Aberle, Cost-Benefit-Analysen und Verkehrsinfrastrukturplanung, in: Wissenschaftliche Beratung der verkehrspolitischen Planung, hrsg. von R. Willeke (1971), S. 145 ff.; G. H. Peters, Cost Benefit Analyse und staatliche Aktivität (1968); H. K. Schneider (Hg.), Nutzen-Kosten-Analysen bei öffentlichen Investitionen (Nutzen-Kosten-Analysen in den Verfahren der Flurbereinigung, bei städtebaulicher Sanierung und bei der Planung gemeindlicher Industrieansiedlungsvorhaben); T. Sarrazin, F. Spreer und M. Tietzel, Theorie und Realität in der Cost-Benefit-Analyse, in: ZgesStW 130. Bd. (1974), S. 51 ff. (zum Problem der sachlichen und zeitlichen Bewertung der Kosten- und Nutzenkomponenten und zur Identifikation der realen Kosten- und Nutzenelemente); L. D. Attaway, Criteria and the Measurement of Effectiveness, in: E. S. Quade u. W. I. Boucher (Hg.), Systems Analysis, S. 54 ff.; Petruschell und A. J. Tenzer, Cost-Sensitivity Analysis, ebd., S. 138 ff. (besondere Bewertungsprobleme bei der Kosten-Nutzen-Analyse im Verteidigungsbereich); H. Meyer zu Drewer und E. Guth, Erfahrungen mit Nutzen-Kostenuntersuchungen in der Verwaltungspraxis, in: D Ö V 1976, 404 ff. (zur Eignung von Untersuchungsobjekten, zum Zeitpunkt der Untersuchung und zur Auswertung des Untersuchungsergebnisses); H. Kunz, Die Ökonomie von Strafverfolgung und Strafvollzug, in: ZgesStW 132. Bd. (1976), S. 535 ff. (m. w. Nw.). 77 Nach § 7 Abs. 2 BHO, § 50 Abs. 3 H G r G sollen Nutzen-Kosten-Analysen mehr und mehr zur Vorbereitung weitgehender politischer Entscheidungen verwendet werden (vgl. auch die „Erläuterungen zur Durchführung von Nutzen-Kosten-Untersuchungen", in: Ministerialblatt des Bundesministers der Finanzen und des Bundesministers für Wirtschaft, 24. Jahrg. (1973), Nummer 13, S. 190 ff., 293 ff.; Bundestags-Drucksache VII/2287 S. 10 ff.).

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2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

gramms, den kulturhistorischen Wert eines Baudenkmals i n einem Stadtsanierungsgebiet oder die Schönheit der Landschaft bei der Standortwahl eines Industriegebietes nicht berücksichtigen. Diese Größen, die sich einer Quantifizierbarkeit weitgehend entziehen, bedeuten einen Fremdkörper i m Rechenwerk der Nutzen-Kosten-Analyse. Da der Markt seine Hilfe versagt, muß anhand geeigneter Erfolgsmaßstäbe „politisch" entschieden werden 78 . Politisch zu entscheiden ist auch bei den finanziellen „constraints", so etwa bei der Festlegung der Diskontierungsrate, die die Alternativenauswahl erheblich beeinflussen kann, oder bei der Festlegung von Schattenpreisen 79 . Oftmals kann die Nutzen-Kosten-Analyse zwar die ökonomisch sinnvolle Entscheidung weisen, ihre Durchsetzung aber an der politischen Konstellation scheitern 8 0 . Es zeigt sich also, daß die Nutzen-Kosten-Analyse nicht lediglich die Domäne des Verwaltungsfachmanns sein kann. Bei Nutzen-KostenAnalysen werden immer auch — und nicht nur bei der Alternativenwahl i m engeren Sinne — politische Entscheidungen getroffen werden müssen. 6. Bindung und Flexibilität in Planungsverfahren

a) Die Offenheit

der Planung

I m Regelfall münden die vorstehenden Erwägungen i n politische Ziele, Prioritäten, Programme und konkrete Pläne, es sei denn, man sieht von einer planvollen Steuerung der sozialen und ökonomischen Entwicklung ab. I n den Programmen und Plänen schlagen sich die Zielvorstellungen nieder, wie sie von der politischen Führung formuliert werden, und finden sich die konkreten M i t t e l und Maßnahmen angegeben, die zur Erreichung des Sollzustandes einzusetzen sind. A m Ende jeder Planung steht gewissermaßen als Ergebnis die ordnende Zusammenfassung verschiedener Elemente i m Vordergrund, wenn z.B. eine Stadtplanung betrieben oder ein Haushaltsplan aufgestellt wird. Vor allem der Bebauungsplan und jene Pläne, die auf Grund eines Planfeststellungsverfahrens ergehen, sind wesentlich durch den Ge78 H. C. Recktenwald (Die Nutzen-Kosten-Analyse, S. 25 f.) beschreibt die möglichen Attitüden gegenüber den nicht rationalisierbaren Größen in der Kosten-Nutzen-Analyse: Man kann sie in einem Addendum anführen oder sie völlig unberücksichtigt lassen, falls sie anderweitig berücksichtigt werden. Man kann die inkommensurablen Werte aber auch als Nebenbedingungen behandeln und in das allgemeine Zielsystem einbeziehen; dann würde etwa nur jene Alternative eines Projektes oder einer Maßnahme gewählt, die die nicht rationalisierbaren Größen unbeeinträchtigt läßt. — Vgl. weiter R. A. Musgrave, Kosten-Nutzen-Analyse und Theorie der Staatswirtschaft, in: H. C. Recktenwald (Hg.), Nutzen-Kosten-Analyse und Programmbudget (1970), S. 25 ff., 28 ff.; P. Eichhorn und G. Ludwig, S. 11. 79 Einzelheiten bei H. C. Recktenwald, S. 41 ff. und passim. 80 Vgl. die Beispiele bei K. Rambow, S. 620 ff.

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sichtspunkt der Ordnung geprägt. Bei diesen verwaltungsrechtlichen Planungen und Plänen w i r d ein rechtlich geordneter Endzustand angestrebt und werden definitive Verhältnisse geschaffen 81. M i t dieser Kategorie von Planung und Plänen beschäftigt sich traditionellerweise die Verwaltungsrechtswissenschaft; ihrer statischen Betrachtungsweise entspricht die Konzentrierung auf die Rechtsnatur des Plans, die Integrierung der „statischen" Planung i n das traditionelle Handlungsinstrumentarium der Verwaltung und das Herausarbeiten der Grenzen der Planung, die i h r durch die Grundrechte und die rechtsstaatlichen Prinzipien gezogen werden 8 2 . M i t der rechtlichen Erfassung der Planung als eines institutionalisierten Entscheidungsprozesses befaßt sich die Verwaltungsrechtswissenschaft nur i n der Realisierungsphase politischer Planung, nicht aber auf den höheren Ebenen der Entscheidungsprogrammierung 88 . Trotz dieser Ordnungsfunktion bleiben auch Pläne und planungsrealisierende Maßnahmen wie alle Planungen Aktionsmodelle, d. h. die Entscheidungsgrundlagen für die künftige Realisierung des i n ihnen dargestellten Problems 84 . Die Planung insgesamt und i n der Regel auch die einzelnen Pläne sind zukunftsoffen. Sie sind auf Gestaltung der Zukunft angelegt und werden gleichzeitig durch die künftige Entwicklung, also durch den Verlauf nicht geplanter Entwicklungstendenzen gestaltet. Darum wäre es verfehlt, den Plan als Abschluß des Planungsprozesses zu betrachten. I n ihrer Eigenschaft als Aktionsmodell bleiben Planung und Plan ständig „Objekt planenden Bemühens" 85 . Es kann etwa durch eine politische Entscheidung das zu erreichende Planungsziel modifiziert und dadurch eine Plankorrektur nötig werden. Auch können Teilergebnisse der Planverwirklichung oder neue soziale und ökonomische Entwicklungen das oder die Planziele i n neuem Licht erscheinen lassen und eine Plankorrektur erforderlich machen. Insgesamt gesehen sind Planziel- und Mittelbestimmung, Planfestlegung und Plan81 B. Dobiey, Politische Planung, S. 12; U. Scheuner, Verfassungsrechtliche Probleme, S. 72 ff.; J. H. Kaiser, Der Plan, S. 21 ff. 82 P. Baischeit, Die Rechtsnatur des Planes (1969), S. 17 ff.; W. Zeh, Föderalismus und öffentliche Planung, in: F. Schäfer (Hg.), Schwerpunkte, S. 57 ff., 72 f. 83 S. Leibfried und M. Quilisch, Planung, S. 557. 84 J. H. Kaiser, Der Plan, S. 25 ff.; E. Gehmacher, Plädoyer für eine aufgeklärte Planung, in: G.-K. Kaltenbrunner (Hg.), Plädoyer für die Vernunft (1974), S. 120 ff., 122; W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 71 ff., 78 ff. 85 Th. EUwein, Einführung, S. 142; J. H. Kaiser, Der Plan, S. 25; M. Schröder, S. 9; B. Dobiey, Politische Planung, S.23ff.; W. A. Kewenig, Planung, S. 26; Th. Eschenburg, Staat und Gesellschaft in Deutschland, 3. Aufl. (1965), S. 669; G. Wittkämper, Analyse und Planung, S. 79 f. u. passim; zum Außerkrafttreten von Plänen infolge Abweichung der tatsächlichen Entwicklung: BVerwG, BayVBl. 1978, 23 ff.

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2. Kap. : Planung als Problemlösungsstrategie

Verwirklichung E i n z e l b e s t a n d t e i l e eines s t ä n d i g l e r n e n d e n k y b e r n e t i schen S y s t e m s 8 8 . b) Faktische

Bindungswirkung

durch

Vorwirkung

Die Offenheit u n d F l e x i b i l i t ä t politischer P l a n u n g können durch faktische B i n d u n g s w i r k u n g e n b e e i n t r ä c h t i g t w e r d e n , die i m W e s e n der P l a n u n g s v e r f a h r e n b e g r ü n d e t liegen. Das P h ä n o m e n d e r V o r w i r k u n g 9 7 d e r P l a n u n g , das z u w e i t r e i c h e n d e n B i n d u n g s w i r k u n g e n 8 8 f ü h r e n k a n n , b e r u h t a u f d e r Tatsache, daß P l a n u n g i n e i n e m g e s t u f t e n Entscheidungsprozeß s t a t t f i n d e t . Jede P l a n u n g s e n t s c h e i d u n g ist a u f d i e Gestalt u n g d e r Z u k u n f t g e r i c h t e t u n d l e g t d e n R a h m e n f ü r spätere Entscheid u n g e n fest. V o r w i r k u n g d e r P l a n u n g b e d e u t e t , daß die Staatsorgane f a k t i s c h oder r e c h t l i c h 8 9 d u r c h P l a n u n g e n i n i h r e m E n t s c h e i d u n g s s p i e l r a u m eingeschränkt w e r d e n können. E n g v e r b u n d e n m i t der V o r w i r 86 D. Aderhold, Kybernetische Regierungstechnik, S. 81 ff. u. passim; H. P. Bull, Staatsaufgaben, S. 119 f.; H. J. Hoenisch, Planifikation, S. 116; K. Lompe, Gesellschaftspolitik, S. 33; B. Lutterbeck, Parlament, S. 17 f., 25 ff. und passim. 87 „Vorwirkungen" können auf den verschiedensten Rechtsgebieten vorkommen. Bei der Vorwirkung der Enteignung handelt es sich regelmäßig um Vorwirkungen von Verwaltungsakten (Einzelheiten bei M. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen [1974], S. 239 ff.; W. Hoppe, Rechtsschutz, S.22ff.). Weiterhin spricht man von einer „Vorwirkung" der Nichtigkeitserklärung von Rechtsnormen durch das BVerfG (vgl. U. Scheuner, Die Einwirkung verfassungsrechtlicher Feststellung der Nichtigkeit von Rechtnormen auf vorgängige Hoheitsakte, in: Der Betriebsberater, 15. Jahrgang [1960], S. 1253 ff.), der Vorwirkung von Entscheidungen des BVerfG auf den Gesetzgebungsprozeß (C. Starck, Das Bundesverfassungsgericht i m politischen Prozeß der Bundesrepublik [1976], S. 16 ff.) oder auch von „vorwirkenden" Urteilen (W. Habscheid, Urteilswirkungen und Gesetzesänderungen, in: Zeitschrift für Zivilprozeß, 78. Bd. [1965], S. 401 ff., 408, 442 ff.). Die „Vorwirkung von Gesetzen" wird in der gleichnamigen Habilitationsschrift von M. Kloepfer (1974) umfassend dargestellt. 88 Auf Fragen des Bindungseffektes von politischer Planung ist erstmals R. Herzog (Gesetzgeber und Verwaltung, in: V V D S t R L H. 24 [1966], S. 183 ff., 203 ff.) eingegangen. Aus der neueren Literatur seien genannt: E.-W. Böckenförde, Planung, S.441 („BindungsWirkung" der Planung); H.-P. Bull, Staatsaufgaben, S. 121; F. Ossenbühl, Normative Anforderungen, S. Β 71; R. Wimmer, Gewaltentrennung oder Gewaltenkooperation in der Bildungsplanung, in: ZRP 1970, 199 ff., 200; M . Abelein, Finanzplanung und Haushaltsrecht, in: ZRP 1969, 242 ff.; E. Stachels, Stabilitätsgesetz, S. 130; W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 81 ff. 80 E. Schiffer (Diskussionsbeitrag, in: Verhandlungen des 50. DJT Bd. I I (1974), S. I 69) möchte in der verfassungsrechtlichen Diskussion nur „eine im Rechtssinne determiniert präjudizierende Planung" berücksichtigt wissen. Der Planungsbegriff soll nämlich jeder Kontur entbehren, wenn auch die „sogenannte(n) vollendeten Tatsachen" in die Präjudiz Wirkung der Planung mit einbezogen werden. Für eine verfassungsrechtliche Betrachtung ist eine Beschränkung der Analysen auf die rechtlich sanktionierte Bindungs Wirkung politischer Planung unhaltbar. Denn das Verfassungsrecht will nicht allein die Rechtsordnung beeinflussen, sondern auch die Faktizität politischen Lebens — soweit möglich und erforderlich — in seinen Regelungsrahmen einbeziehen.

I I I . Entscheidungsschritte i n den Verfahren politischer Planung

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kung ist der Kontinuitätszwang der Planung. Bei jeder mittelfristigen und langfristigen Planung w i r d ein Punkt erreicht, von dem ab die Planung und ihre Implikationen nicht mehr i n Frage gestellt werden können. Man kann das geplante Vorhaben nicht mehr abbrechen, sondern nur noch zu Ende führen. I n der Literatur hat sich für diese ΒindungsWirkung von Planungsentscheidungen der Terminus „Präjudizwirkung" bzw. „präjudizierende K r a f t " eingebürgert 90 . Dieser Terminus ist wenig glücklich gewählt, da nur die Bindungswirkung von Planungsentscheidungen i m Hinblick auf den gerichtlichen Rechtsschutz thematisiert wird. Eine Vorw i r k u n g von Planungsentscheidungen läßt sich über den Rechtsschutzbereich hinaus auch dann beobachten, wenn mehrere Entscheidungsträger arbeitsteilig ein Planungsprojekt ausarbeiten. Die Entscheidungsvorschläge der die Planung ausarbeitenden Behörde können die Entscheidungen eines am Projekt beteiligten weiteren Entscheidungsträgers bereits i n eine gewisse Richtung lenken. Außerdem fällt die Vorwirkung der Planung ins Gewicht, wenn es um die Bindung eines Planungsträgers an eigene oder fremde früher getroffene Planungsentscheidungen geht. aa) Vorwirkungen der Planung i m Bereich des Rechtsschutzes A m geläufigsten ist die Vorwirkung von Planungen i m Bereich des Rechtsschutzes. Planung spielt sich zunächst i m Bereich des Politischen ab. Erst i n ihrer Realisierungsphase t r i t t Planung i n den Bereich des Rechts. W i r d mit einer Planung begonnen, so fehlt es i n aller Regel noch an der verbindlichen Wirkung nach außen und damit an der Anfechtbarkeit 9 1 . Erst wenn die politische Planung sich i n rechtlicher Form, wie etwa i n Planungsgesetzen, Bebauungsplänen, Planfeststellungsbeschlüssen, konkretisiert, kommt Rechtsschutz i n Frage. Ist die Planung bis i n dieses Stadium gelangt, i n dem dem Einzelnen eine Klagemöglichkeit offensteht, sind die Erfolgsaussichten einer verfassungsgerichtlichen Klage gegen das Planungsgesetz oder einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen einen Planfeststellungsbeschluß oder planungsrealisierenden Verwaltungsakt nur gering einzuschätzen. Die grundlegenden Entscheidungen sind bereits gefallen. Vor allem i n den verwaltungsprozessualen Verfahren kann die Planung allenfalls noch peripher modifiziert, 90

So z.B. F. Ossenbühl, S. Β 71; E. Stachels, S. 130; R. Wimmer, S. 200; M. Abelein, S. 243; H.-P. Bull , S. 121. 91 W. Hoppe, Rechtsschutz, S. 28 ff.; ders., Planung und Pläne, S. 677 ff.; W. Blümel, Raumplanung, vollendete Tatsachen und Rechtsschutz, in: Festgabe für E. Forsthoff, hrsg. von K. Doehring (1967), S. 133 ff., 138 ff.; W. Brohm, Rechtsschutz im Bauplanungsrecht (1959), S. 75; K. Obermayer, Der Plan als verwaltungsrechtliches Institut, S. 152 f., 164 f.

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der Planvollzug aber nicht mehr aufgehalten werden 9 2 . Damit steht die Effektivität des Hechtsschutzes des Bürgers i n Planungssachen auf dem Spiel: Die Planung vollzieht sich zunächst i n einem nicht justitiablen Raum; die nicht justitiablen Planungsentscheidungen w i r k e n sich aber bereits durch Schaffung von Fakten auf individuelle Rechtspositionen aus. Wenn Planungsentscheidungen i m politischen Bereich mit ihrer faktischen Vor- und Bindungswirkung so weit konkretisiert worden sind, daß gerichtlicher Rechtsschutz möglich wird, kann an dem Ob und Wie der Planung nicht mehr gerüttelt werden. Die Planung rollt auf den Bürger mit schicksalhafter Vehemenz zu; abstrakte Programme werden immer weiter konkretisiert, bis z.B. sein Grundstück i n eine Autobahntrasse einbezogen w i r d oder sein Gewerbebetrieb einer Stadtsanierung zum Opfer fällt. I m Bereich des Rechtsschutzes führt die Präjudizwirkung von Planungsentscheidungen zu folgenden, hier nicht weiter zu behandelnden Fragestellungen: Wie kann das Planungsverfahren rechtlich so strukturiert werden, daß bereits i n einem frühen Verfahrensstadium Rechtsschutz mit ausreichender Effektivität gewährt werden kann? Lassen sich Verfahren der Partizipation dergestalt durchführen, daß Konfliktstoff, der auf der Rechtsschutzebene zu bewältigen wäre, bereits durch Beteiligung an der Planungsentscheidung abgearbeitet werden kann 98 ? bb) Die Vorwirkung der Planausarbeitung Planungen können bereits Vorwirkungen entfalten, wenn ein Planungsträger einen Planentwurf vorlegt, der von einem anderen Verfahrensbeteiligten noch zu billigen ist. Liegt i m Bereich des Rechtsschutzes die V o r w i r k u n g der Planung i n der Struktur des Planungsprozesses, d. h. der schrittweisen Konkretisierung der Planung und des Umgießens politischer Vorstellungen i n rechtliche Form begründet, so ist das Phänomen der Vorwirkung bei den „arbeitsteiligen" Planungsentscheidungen facettenreicher. Bereits die Vorlage einer fertigen Planung oder auch nur einer Planungskonzeption kann es einem kooperierenden Verfahrensbeteiligten schwer machen, alternative Ziel- und 92 F. Ossenbühl, S. Β 165, 191 ff.; R. Bartlsperger, Die Bauleitplanung als Reservat des Verwaltungsstaates, in: DVB1. 1967, 360 ff., 369. 93 Hierzu R. Scholz, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: V V D S t R L H.34 (1976), S. 145 ff., 150, 163 ff., 174 ff., 183 ff.; E. Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, ebd., S. 221 ff., 251 ff.; H.-H. Seidler, Rechtsschutz, S. 147 ff.; J. Schwarze, Der funktionale Zusammenhang von Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz (1974); R. Wahl, Der Regelungsgehalt von Teilentscheidungen im mehrstufigen Planungsverfahren, in: D Ö V 1975, 373 ff.; LT. Battis , Partizipation, insbesondere S. 62 ff.

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Realisierungsvorstellungen zu formulieren und durchzusetzen 94 . Vom organisationstheoretischen und verwaltungswissenschaftlichen Schriftt u m w i r d daher vorgeschlagen, Planungen nicht i n Teilproblemkreise aufzuteilen und nacheinander von Experten bearbeiten zu lassen, sondern i n „simultanem Vorgehen", d.h. i n einer kooperierenden Arbeitsgruppe erstellen zu lassen 95 . Grund für die Vorwirkung des ausgearbeiteten Planes können zunächst die Planungskosten sein. Wenn eine Planung unter erheblichen Kosten erstellt ist, stellt sich die Frage, ob es — eventuell infolge neuer Erkenntnisse — besser sei, eine an anderen Leitzielen ausgerichtete Neuplanung vorzunehmen oder das bereits vorliegende Planungskonzept weiterzuführen. Die m i t der Planung verbundenen erheblichen Kosten, wenn etwa Erhebungen neu durchgeführt oder neue hochqualifizierte Planungsstäbe gebildet werden müssen, können für die A b lehnung einer Neuplanung ausschlaggebend sein. Denn bei jeder Planungsarbeit sind die finanziellen Folgen für die öffentliche Hand zu berücksichtigen und i m Interesse einer „sparsamen Haushaltsführung ist jeweils zu klären, ob ein angemessenes Verhältnis zwischen den Kosten und dem Nutzen für die Allgemeinheit besteht" 98 . Damit können bereits die Planungskosten die am Planungsverfahren beteiligten Instanzen i n einen Zugzwang versetzen. Weiterhin kann das Moment der Zeit bei einer Planung, die noch nicht i n das Stadium der Realisierung getreten ist, einen Kontinuitätszwang entfalten. Die Ausarbeitung von Planungen kann vor allem bei mittelund langfristigen Planungen einen Zeitraum von einem und mehr Jahren i n Anspruch nehmen. Wenn am Ende der Ausarbeitungszeit von Beteiligten am Planungsverfahren Alternativkonzepte i n die Debatte geworfen werden, die bislang nicht ausreichend berücksichtigt wurden, stellt sich die Frage, ob ein weiteres, nicht plangeleitetes „muddling through" besser sei, als das sofortige Ingangsetzen einer zwar konsistenten, aber nicht am Alternativkonzept überprüften Planung 9 7 . 94 F. Scharpf, Planung als politischer Prozeß, in: Planung als politischer Prozeß, S. 51 Anm. 55; P. Bendixen und H. Kemmler, Planung, S. 64 ff.; zu den Voraussetzungen, unter denen politischen Vorschlägen erhöhte Aufmerksamkeit zukommt, vgl. N. Luhmann, öffentliche Meinung, in: PVS 1970, 2 ff., 11 ff. 93 P. Bendixen und H. Kemmler, S. 65 f. 96 K.-P. Prüß und A. Tschoepe, Planung, S. 113. 97 Aus diesem Grunde hat auch ein „contre-plan" von Interessentengruppen gegen eine Regierungsplanung wenig Aussicht auf Erfolg, wenn er nicht bereits in einem sehr frühen Stadium der Planerarbeitung vorgelegt wird (methodische Überlegungen für langfristige Gegenplanungen finden sich bei F. Naschold, Grenzen der Analysekapazität staatlicher Bildungsplanung, in: Gedenkschrift für W. Besson, hrsg. von G. Jasper (1976), S. 241 ff., 251 ff.).

2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

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Die Vorwirkungen der fertigen Planung entfalten eine beträchtliche verfassungsrechtliche Problematik, wenn Planungsentwürfe der Regierung dem Parlament vorgelegt und vom Parlament — i n welcher Form sei hier dahingestellt — verabschiedet werden. Vorwirkung von Planungen bedeutet hier, daß das demokratisch legitimierte Beschlußorgan i n aller Regel den von der Verwaltung ausgearbeiteten Planungsvorschlag akzeptiert oder doch nur geringfügig modifiziert. Die Vorwirkungen von Planungsentscheidungen der Regierungsbürokratie auf die Entscheidungsfreiheit demokratischer Beschlußorgane lassen sich auf drei Gründe zurückführen: A n erster Stelle ist zu nennen der überragende Sachverstand der Exekutive, dem die Volksvertretung kaum Gleichwertiges entgegenzusetzen hat. Die Exekutive beherrscht die Informationskanäle und erhält die für die Planungen erforderlichen Daten. Sie besitzt einen ausgebildeten Stab von Planern, die i n Rückkoppelung zur politischen Führungsspitze i n sich kohärente Pläne ausarbeiten und begründen. Solange vom Parlament nicht die Offenlegung der Informationen von der Regierung und die Durchführung von Alternativplanungen verlangt werden können, besitzt die Planung von Regierung und Exekutive einen derart großen Vorsprung an vermutetem Sachverstand, daß ein Infragestellen einzelner Planteile nicht mehr möglich ist. Dies gilt u m so mehr, als angesichts der geschilderten Lage das Parlament vor der Alternative steht, die Planung der Regierung zu akzeptieren oder „das Chaos zu wählen" 9 8 . Denn bei dem rapiden Fortschritt der Entwicklungen i m sozialen Bereich kann auf eine planvoll-vorausschauende Gestaltung der Zukunft immer weniger verzichtet werden. So erscheint es oft angebracht, statt einen krisenbedrohten Sozialbereich weiterhin sich selbst zu überlassen, eher einen ausgearbeiteten Plan zu akzeptieren. Begünstigt w i r d die Vorwirkung der Regierungs- und Verwaltungsplanung durch die bereits beschriebene Knappheit der Zeit und die für Planungen entstehenden erheblichen sozialen Kosten. Alternativpläne auszuarbeiten kann Jahre dauern. Der Parlamentarier befindet sich daher i n dem Dilemma, ob er lieber einem nicht ganz ausgewogenen Plan seine Zustimmung geben oder krisenhafte Entwicklungstendenzen i n Kauf nehmen soll, u m einen vielleicht perfekten Plan abzuwarten. Es geht hier bei Planungen u m jenes Entscheidungsoptimum, das den Zeitfaktor und die „Richtigkeit" der Entscheidung miteinander korreliert. I n diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß das Planungspotential der Bürokratie nicht unbegrenzt ist. Umfassendere Planungsvorhaben erfordern größere Planungsstäbe, die wegen der nicht beliebig vermehrbaren personellen Ausstattung immer nur i n kleiner Zahl vorhanden sein werden. 98

F. Ossenbühl, S. Β 71.

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Ein letzter Grund für die Vorwirkung von Regierungs- und Verwaltungsplanung auf parlamentarische Entscheidungen ergibt sich aus dem politisch-administrativen System. I n der parlamentarischen Demokratie w i r d die Regierung von einer Mehrheit i m Parlament getragen. Es erscheint darum wenig wahrscheinlich, daß eine von der Regierung erarbeitete Planungsvorlage i m Parlament nicht die erforderliche Zustimmung zu erlangen vermöchte. Denn eine Ablehnung der von der Regierung vorgeschlagenen Planung würde einer Brüskierung der Regierung durch die sie tragende Parlamentsmehrheit gleichkommen. Differenzen zwischen Parlamentsmehrheit und Regierung werden darum oft durch vorherige informelle Beratungen und Absprachen beigelegt. Die Planung, die i m Parlament beraten und der öffentlichen Diskussion vorgestellt wird, w i r d also i n der Regel des Konsenses der Parlamentsmehrheit gewiß sein. cc) Die Vorwirkung der Planung i n der Realisierungsphase Durch die Vorwirkung der Planung i n der Realisierungsphase t r i t t der Regelfall der Bindungswirkung von politischer Planung ein, daß nämlich künftige politische und Verwaltungs-Entscheidungen i n eine gewisse Richtung gelenkt oder sogar festgelegt werden. Denn politische Planung zielt i m allgemeinen auf eine generalisierende Zukunftsregelung komplexer Handlungszusammenhänge. Politische und Verwaltungs-Entscheidungen auf Gebieten, die einer beschlossenen und i n der Realisierungsphase befindlichen Planung unterworfen sind, müssen sich i n dem durch diese Planung abgesteckten Handlungs- und Entscheidungsrahmen halten. Planung schränkt auf diese Weise den politischen Gestaltungsspielraum, bzw. das Verwaltungsermessen zumindest bei kurzfristigen und einzelfallbezogenen politischen und VerwaltungsEntscheidungen ein. Auch können die Planungen der staatsleitenden Instanzen oder der Verwaltung einen Entscheidungsrahmen für weitere Planungen und planungsrealisierende Maßnahmen abstecken. Diese Vorwirkung von Planungen i n der Realisierungsphase auf zukünftige politische oder Verwaltungs-Entscheidungen kann gesetzlich mit unterschiedlicher Bindungswirkung abgesichert sein. A n zwei Beispielen lassen sich die Vorwirkungen von Planungen auf der politischen und auf der Verwaltungs-Ebene darlegen: Auf politischer Ebene entfaltet das Bundesraumordnungsprogramm beträchtliche Vorwirkungen: „Die Behörden des Bundes werden entsprechend § 3 Abs. 1 BRaumOG und A r t . 65 S. 2 GG auf die Anpassung ihrer raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen an die Zielsetzungen und Schwerpunktbestimmungen des Programms hinwirken. Sie werden i n gemeinsamen Planungsgremien von Bund und Ländern auf

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2. Kap. : Planung als Problemlösungsstrategie

eine Anpassung hinwirken 9 9 ." Die Bindungswirkung des Bundesraumordnungsprogramms ist freilich weder für die Bundes- noch für die Landesbehörden i m BRaumOG gesetzlich sanktioniert; nur die i n §2 BRaumOG genannten Zielsetzungen sind für Bund und Länder auf Grund der §§ 3, 4 BRaumOG verbindlich, nicht aber das diese Zielsetzungen konkretisierende Bundesraumordnungsprogramm. Daher mußte auch die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers bemüht werden, u m die Ressorts an das Bundesraumordnungsprogramm zu binden. Wenn das Bundesraumordnungsprogramm auch keine unmittelbare Bindungsw i r k u n g gegenüber den Ländern zu entfalten vermag, kann es doch indirekt dazu beitragen, die Landesentwicklungsplanung mit den Planungen auf Bundesebene zu koordinieren. Die Vorwirkungen einer Verwaltungsplanung lassen sich am Beispiel des Flächennutzungsplans verdeutlichen. Der Flächennutzungsplan soll für das ganze Gemeindegebiet die beabsichtigte A r t der baulichen und sonstigen Bodennutzung nach den voraussehbaren Bedürfnissen der Gemeinde i n den Grundzügen darstellen (§ 5 Abs. 1 BBauG) und bildet das Rahmenprogramm für die städtebauliche Entwicklung der Gemeinde, aus dem die Bebauungspläne mit ihren verbindlichen Einzelfestsetzungen entwickelt werden (§8 Abs. 2 BBauG). Dieser Flächennutzungsplan kann folgende Vorwirkung entfalten: Es t r i t t eine gewisse Selbstbindung der Gemeinde an die Darstellungen i n ihrem Flächennutzungsplan ein 1 0 0 . Eine Bindungswirkung auf andere Organe öffentlicher Verwaltung läßt sich der Bestimmung entnehmen, daß öffentliche Planungsträger, die an der Planung beteiligt wurden, ihre Planungen dem Flächennutzungsplan insoweit anpassen müssen, als sie i h m nicht widersprochen haben (§ 7 BBauG). Von der Rechtsprechung ist endlich eine mittelbare, nunmehr durch die Novellierung des BBauG Gesetz gewordene Bindungswirkung des Flächennutzungsplans herausgearbeitet worden: Festlegungen i m Flächennutzungsplan können bei der Entscheidung über die Zulässigkeit nicht privilegierter Vorhaben i m Außenbereich (§ 35 Abs. 2 und 3 BBauG) als öffentliche Belange gewertet werden und der Zulässigkeit eines Vorhabens entgegenstehen 101 . 99 Bundesraumordnungsprogramm, Schriftenreihe des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 06.002 (1975), S. 50; zur Bindungswirkung des Bundesraumordnungsprogramms vgl. W. Graf Vitzthum, S. 154 ff. 100 Vgl. hierzu R. Stich, Die Planstufen, in: DVB1. 1973, S.592; zur hier nicht zu vertiefenden Frage, ob das Abweichen vom Fläbhennutzungsplan einen Bebauungsplan nichtig macht: BVerwGE 48, 70 ff., 73 ff.; V G H Bad.Württ. BRS 27, 1 f.; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 8 BBauG, R N 6. 101 Einzelheiten bei O. Schlichter, in: Schlichter/Stich/Tittel, Bundesbaugesetz, 2. Aufl. (1976), § 5 R N 8; Zinkahn/Dyong, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 35 BBauG, R N 72 ff. m. w. Nw.

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Planungen können aber auch Vorwirkungen entfalten, die gesetzlich nicht sanktioniert sind. Zu denken ist vor allem an ressortinterne Planungen der Ministerien, die nicht auf der Grundlage eines Gesetzes ergehen und auch nicht in Gesetzesform verabschiedet werden. Diese Planungen können einen Rahmen für weitere Planungsvorhaben nachgeordneter Behörden und selbst dezentraler kooperationswilliger Instanzen abgeben. Gegebenenfalls kann die Vorwirkung der Planung einer übergeordneten Behörde durch innerdienstliche Weisung an eine nachgeordnete Behörde begünstigt werden. Bindungswirkungen ins Werk gesetzter Planungen lassen sich wieder auf das allen Planungen eigene Entscheidungsmuster zurückführen. Soll Planung ein gestufter Entscheidungsprozeß sein, der vom Abstrakten zum Konkreten, vom politischen Leitbild zur Gestaltung der Wirklichkeit voranschreitet, so müssen alle Vorentscheidungen auf die nachfolgenden Planungsentscheidungen weiterwirken. Das Leitbild eines Planungsvorhabens muß i m endgültigen Plan und i n der letzten Verwaltungsmaßnahme zur Planerfüllung fortwirken. Abgesehen von dieser entscheidungstheoretisch begründeten Bindungswirkung der ins Werk gesetzten Planung spielt die Knappheit der Ressourcen eine erhebliche Rolle. Wenn eine Planung i n das Stadium der Realisierung t r i t t und Investitionen getroffen werden, die an der Planung ausgerichtet und auf sie zugeschnitten sind, so sind bei Abbruch des Planungsvorhabens die ohnehin knappen Ressourcen ohne Ziel und Erfolg vergeudet worden. Je mehr die Ressourcen auf eine Planung ausgerichtet sind und nur durch die Planung einen Sinn bekommen, desto spürbarer w i r d der Zugzwang, i n den die Verwaltung, bzw. Regierung gerät. Ein groß angelegtes Projekt kann eben nicht auf halbem Wege abgebrochen werden, sollen die Investitionen optimal genutzt werden können. Andererseits muß auch die Beendigung eines Planungsvorhabens i n Betracht gezogen werden, d. h. vor allem müssen die durch ein Projekt verursachten Folgeplanungen bedacht werden. Es ist die Gefahr zu vermeiden, daß die Planung einer gezielten Steuerung entgleitet und sich selbst programmiert: Das Planungsverfahren ist zwar ein kybernetischer Prozeß, der immer wieder die Stadien der Erfolgskontrolle, der politischen Zielsetzungen und der Programmierung durchläuft. Hierbei darf ein denkbares Planungsende, bzw. eine Neuplanung m i t völlig anderen Zielsetzungen nicht außer acht gelassen werden, soll der staatliche Aktions- bzw. Reaktionsrahmen nicht empfindlich schrumpfen. Weiterhin kann das Vertrauen des Bürgers i n die Fortführung einer ins Werk gesetzten Planung einen gewissen Kontinuitätszwang ausüben. Das Vertrauensprinzip kann unter bestimmten Voraussetzungen einen Bezirk individueller Positionen schützen, die i m Vertrauen auf den

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2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

Fortbestand einer Planung mit eigenen „Aufwendungen und Investitionen" geschaffen worden sind 1 0 2 . Hier geht es zunächst u m rechtliche Absicherung von schutzwürdigen Positionen, die durch Vertrauen i n den Fortbestand einer Planung entstanden sind. Neben der rechtlichen hat der Vertrauensschutz weiterhin auch eine politische Dimension. Soll darüber entschieden werden, ob eine ins Werk gesetzte Planung abzubrechen ist, kann für diese politische Entscheidung maßgebend sein, ob sich weite Kreise der Bevölkerung auf die Planung eingestellt haben. Man kann gegebenenfalls zu dem Ergebnis gelangen, daß die Bevölkerung i n ihrem Vertrauen auf die Kontinuität des Staatshandelns nicht enttäuscht werden sollte, selbst wenn dieses Vertrauen noch nicht zu einzelnen Rechtspositionen erstarkt ist. Ein Beispiel für ein nur teilweise „enttäuschungsfestes" Planungsvertrauen ist die Bildungsplanung. Nachdem Mitte der sechziger Jahre die Bildungsförderung zu einem wichtigen politischen Programmpunkt gemacht worden war, setzte alsbald der Ansturm auf die Universitäten ein. Die Hoffnung, die auch von den politischen Instanzen geweckt worden war, wurde durch den erforderlichen Numerus clausus bald gedämpft. Aus verschiedenen Gründen konnte die Hochschulausbauplanung mit der auf die Hochschulen zukommenden Studentenzahl nicht Schritt halten. A n dem Unmut über den Engpaß an Studienmöglichkeiten, vor allem an der Enttäuschung über verpaßte Lebenschancen läßt sich ermessen, wie notwendig eine Berücksichtigung des Vertrauens des Bürgers i n die politische Planung sein kann. Letztlich kann sich ein gewisses Bedürfnis zur Fortführung ins Werk gesetzter Planungen aus dem Zwang zur Planungskonsistenz ergeben. Planungen müssen aufeinander abgestimmt werden. Jede Planung muß die Prämissen und Folgen anderer Planungen berücksichtigen und i m eigenen Planungskonzept verarbeiten. A l l e Ressort- und Fachplanungen sind also mehr oder weniger stark voneinander abhängig. Wenn ein Planungsprojekt modifiziert wird, sind die Folgen auf andere Planungen abzuschätzen. Die Planungskonsistenz kann es erfordern, daß eine einzelne Planung weiterhin durchgeführt wird, damit wichtige Projekte, die auf dieser Planung aufbauen, nicht gefährdet werden. Denken läßt sich etwa an die erforderliche Konsistenz von Bundesfernstraßenplanung und Raumentwicklungsplanung. Unter verfassungsrechtlichem Aspekt können die beschriebenen Mechanismen der V o r w i r k u n g ins Werk gesetzter Planung i n mehrfacher 102 Einzelheiten bei G. Kisker und G. Püttner, Vertrauensschutz im Verwaltungsrecht, in: V V D S t R L H. 32 (1974), S. 149 ff., 200 ff.; W. Schmidt, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, in: JUS 1973, 529 ff.; W. Leisner, Das Gesetzesvertrauen des Bürgers, in: Festschrift für F. Berber (1973), S. 273 ff. und im 6. Kapitel unter I., 3.

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Hinsicht bedeutsam sein. Durch mittel- und langfristige Planungen kann ein Handlungsrahmen geschaffen werden, den staatliche Politik nur i m Laufe der Zeit langsam modifizieren kann. Planungen können dann über eine Legislaturperiode hinauswirken und eine neue Regierung i n ihren Bann schlagen. Planungskontinuität kann auf diese Weise die Innovation anläßlich politischen Machtwechsels stark beschneiden 103 . Es stellt sich darum die Frage, ob es — wie eine Diskontinuität der Legislaturperiode — auch eine Diskontinuität der Planungen geben muß. Oder kommen die mittel- und langfristigen Planungen einem bei der Verfassungsinterpretation zu berücksichtigenden Bedürfnis der Bevölkerung nach Kontinuität und Sekurität i n einer sich rasch wandelnden technischen und sozialen Welt entgegen? Bejahendenfalls wäre etwa zu untersuchen, ob nicht Parteiprogramme und Wahlplattformen eine gewisse Planungskontinuität nahe legen können. Weiterhin wäre zu fragen, ob nicht ein breiter demokratischer Konsens, d. h. ein Konsens, der durch die Parteien geht, für mittel- und langfristige Planungen geboten erscheint 104 . Manches spricht für eine Verfassungsänderung dahingehend, daß grundlegende mittel- und langfristige Planungen einer qualifizierten Parlamentsmehrheit bedürfen; so könnte auch der bereits „konkordanzdemokratische" Aushandlungsmechanismus zwischen Bundestagsmehrheit auf der einen Seite und Bundesrat auf der anderen Seite i n das Parlament zurückverlagert werden.

7. Fehleranalyse und Erfolgskontrolle

Mit der Offenheit des Planungsprozesses sind die Fehleranalyse und Erfolgskontrolle eng verbunden 1 0 5 . I m Gegensatz zu Lageeinschätzungen und Prognosen geht es bei der Fehleranalyse und Erfolgskontrolle u m eine ex post-Einschätzung der Planungsrichtigkeit und Planungswirksamkeit10®. Fehleranalyse und Erfolgskontrolle sind wichtige Stadien i n 103

Th. Ellwein, Probleme, S. 31 ff. Hierzu W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 30 ff.; D. Grimm, Gegenwartsprobleme der Verfassungspolitik und der Beitrag der Politikwissenschaft, in: PVS Sonderheft 9 (1978), S. 272 ff., 277 ff. — Da hier auch Fragen der Föderalismustheorie eine erhebliche Rolle spielen, wird diese zuletzt angesprochene Problematik der Verlustliste entsprechend (vgl. Vorwort) nur gelegentlich gestreift (etwa im 4. Kapitel unter V., 3. oder im 6. Kapitel unter IV., 4.). 104

105 Die Wichtigkeit der Kontrolle von Planungserfolgen ist bereits frühzeitig erkannt worden. Zu Beginn der dreißiger Jahre untersuchte W. B. Donham (Can Planning Be Effective without Control?, in: The Annals of the American Academy, July 1932, S. 1 ff.) unter einem systemtheoretischen Aspekt die Möglichkeiten der Erfolgskontrolle der Wirtschaftsplanung. Er möchte diese Erfolgskontrolle einer Institution zuweisen, die weder staatlichem Einfluß unterliegen noch dem Druck von Interessentenverbänden ausgesetzt sein soll. Diese „central thinking agency" (S. 5) soll durch ihre Bewertung von Planungsentscheidungen Fehlplanungen vermeiden helfen.

7 Würtenberger

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2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

einem Planungsprozeß, der Lernbereitschaft und Lernfähigkeit in politischen Institutionen gewährleisten möchte. Die Fehleranlayse sucht nach verfehlten Lageeinschätzungen und Prognosen infolge Mängeln i m Informationsfluß zwischen Umwelt und politisch-administrativem System. Sie beschäftigt sich weiterhin m i t Fehlern bei der Prognose sozialer und ökonomischer Entwicklungen 1 0 7 . Bei der Erfolgskontrolle der Planung geht es anhand klarer Maßstäbe und exakt festgelegter Zielkriterien 1 0 8 darum, ob die einzelnen Programme des Planungskonzeptes realisiert sind und die mit der Zielsetzung intendierten Wirkungen herbeigeführt haben und ob eventuelle Nebenfolgen eingetreten sind, die nicht beabsichtigt und vorhergesehen waren („Impact-Evaluation") 1 0 9 . Weiterhin w i r d untersucht, ob die Programme zur Zielerreichung geeignet waren und ob ein bestimmtes Programm anderen laufenden oder geplanten Programmen vorzuziehen ist („Programmeffizienz") 110 . Zuletzt w i r d gefragt, welche Schlüsse aus Abweichungen von Zielgrößen zu ziehen sind und ob die ursprünglichen Ziele sich nicht gewandelt haben 111 . Diese Erfolgskontrolle kann auf verschiedenen Ebenen des Planungsprozesses stattfinden. Die Kontrolle der Ziele politischer Planung (strategische Erfolgskontrolle) 112 beschäftigt sich mit dem Realisierungsgrad 106 Einzelheiten in der Arbeit von H.-U. Derlien, Die Erfolgskontrolle staatlicher Planimg (1976); zur Erfolgskontrolle in der Regionalplanung: E. Lauschmann, Grundlagen einer Theorie der Regionalpolitik, 3. Aufl. (1976), S. 286 ff.; vgl. weiter W. Thieme, § 128 m. w. Nw.; F. W. Scharpf, Politische Durchsetzbarkeit innerer Reformen (1974), S. 90 ff. 107 H. Mäding (Beurteilung sektoraler Planungen, S. 329 ff.) trennt nicht zwischen Fehleranalysen und Erfolgsanalyse (Erfolgskontrolle). Sein Grundmodell für die Beurteilung von Planungen liefert jedoch wichtige Ansätze für eine umfassende Erfolgskontrolle politischer Planungen. 108 Die wesentlichen methodischen Schwierigkeiten liegen darin, ausreichend klare Maßstäbe und Zielkriterien für die Erfolgskontrolle zu erhalten. Einzelheiten bei H.-U. Derlien, S. 101 ff.: zur Identifizierung und Operationalisierung der Programmziele; H. Flohr, Rationalität und Politik, Bd. 2 (1975), S. 26 ff.: zur Erfolgskontrolle in der Außenpolitik; D. Schimanke, Evaluierung, in: Verwaltungsarchiv, 68. Bd. (1977), 361 ff.: zur Bestimmung von Indikatoren zwecks Messung der Auswirkungen von Verwaltungsprogrammen als Voraussetzung für eine Verwaltungskontrolle. 109 H.-U. Derlien, S. 21 ff. 110 Damit ineffektive Programme zugunsten effektiver Programme abgebrochen und die knappen Ressourcen gespart werden können (H.-U. Derlien, S. 31). 111 D. Aderhold, Kybernetische Regierungstechnik, S. 243 ff.; D. Brummerhoff und H. Wolff, Aufgabe und Möglichkeit einer Erfolgskontrolle der staatlichen Aktivität, in: ZgesStW 130. Bd. (1974), S. 477 ff., 479; — ein Erfolgskontrollsystem wird von S. Beer, Decision and ControlL The Meaning of Operational Research and Management Cybernetics (London, New York, Sydney 1966) vorgestellt.

I I I . Entscheidungsschritte i n den Verfahren politischer Planung

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und dem Fortwirken der planungsleitenden wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Ziele. I m Rahmen der strategischen Erfolgskontrolle w i r d zweierlei untersucht: Zunächst w i r d geklärt, ob die Realisierung der den Leitzielen nachgeordneten instrumentellen Ziele zu einer Veränderung, d.h. zu einer Verbesserung oder Verschlechterung der angestrebten Zielrealisierung beigetragen haben. Weiterhin werden die ursprünglichen Zielsetzungen daraufhin überprüft, ob sie trotz neuer wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen noch beizubehalten sind und ob neuere Planungsvorhaben i n anderen Bereichen nicht zu Zielkorrekturen führen müssen. Eine entscheidende Aufgabe der strategischen Erfolgskontrolle ist die Klärung, ób die Gewichtung der einzelnen Ziele der gegenwärtigen politischen Wertung noch entspricht und ob ein etwa eingetretenes Leistungsdefizit i m sozialen oder wirtschaftlichen Bereich nicht eine neue Gewichtung der Prioritäten erfordert. Die strategische Erfolgskontrolle stellt also die Berechtigung der von den staatsleitenden Instanzen beschlossenen Zielvorgaben und Prioritäten i n Frage. Zu diesem Zweck werden die durch die Planungsrealisierung eingetretenen Wirkungen und die Wertungsveränderungen i m gesellsçhaftlich-politischen Bereich den Zielvorgaben des politischen Systems gegenüberstellt. Unterhalb der strategischen Erfolgskontrolle zielt die taktische Erfolgskontrolle auf eine Revision der Entscheidungskriterien und der Maßnahmen, „wie sie i n den Planungsprozeß bei der Konkretisierung der Politik durch Kosten-Nutzen-Analysen, Festlegung von bestimmten Präferenzen i m Rahmen der qualitativen Zielvorgaben und bei der Entscheidung über die operationalisierten Pläne eingehen" 113 . Ganz allgemein w i r d nach dem Erfolg von Maßnahmen gefragt, ob sie nämlich die angestrebten instrumenteilen Ziele verwirklicht haben und ob zwischen den instrumentellen Zielen nicht Diskrepanzen entstehen, die die Realisierung der politischen Leitziele ihrerseits gefährden können. I n der tagespolitischen Diskussion steht diese Erfolgskontrolle i m Vordergrund, da sich die Auseinandersetzungen zwischen der Regierungsmehrheit und der Opposition weniger u m die zu verfolgenden Ziele als vielmehr „ u m die Angemessenheit der operationalen Zwischenziele und die Effektivität der durchgeführten Maßnahmen" 1 1 4 drehen. Daher hat 112 D. Brümmerhoff und H. Wolff, S. 484; M. J. Buse, Integrierte Systeme, S. 92 ff.; kritisch zur Unterscheidung zwischen strategischer, taktischer und operationaler Erfolgskontrolle: E. Bohne und H. König, Probleme der politischen Erfolgskontrolle, in: Die Verwaltung, 9. Bd. (1976), S. 19 ff., 30 ff.; wenig förderlich ist die unklare Trennung zwischen Prozeßkontrolle und Wirkungskontrolle bei A. Hübener und R. Halberstadt, Erfolgskontrolle politischer Planung (1976), S. 16. 113 D. Brümmerhoff und H. Wolff, S. 485 f.; M. J. Buse, S. 94 ff. 114 M.J. Buse, S. 94 f.

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2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

nicht allein die strategische Erfolgskontrolle, sondern auch die taktische Erfolgskontrolle politische Bedeutung. Bei der operationalen Erfolgskontrolle, d. h. der Kontrolle der W i r t schaftlichkeit von Planungen und Planrealisierungen, geht es u m die von den Rechnungshöfen ausgeübte Kontrolltätigkeit 1 1 5 . I m Prinzip werden weniger Zielsetzungen revidiert und neue Programme oder Maßnahmen angeregt, sondern ihr wesentlicher Gegenstand ist das ökonomische Prinzip der Kostenminimierung bei gegebener Leistung 1 1 6 . Aber auch bei der Erfolgskontrolle durch die Rechnungshöfe können am Rande politische Wertungen i m Spiel sein, da die Prüfung der W i r t schaftlichkeit des Mitteleinsatzes oftmals nicht ohne Bewertung und K r i t i k der politischen Ziele erfolgen kann 1 1 7 . Zeitpunkt, A r t der Institutionalisierung und Träger der Erfolgskontrolle von politischer Planung standen bislang kaum i m Vordergrund wissenschaftlicher Diskussion 118 . Bei der zeitlichen Abstimmung der operationalen Erfolgskontrolle mit dem Planungsverfahren ergeben sich keine Schwierigkeiten. Sie bewegt sich i n dem Rahmen vorgegebener Programme und stellt ihre politischen Zielsetzungen nicht i n Frage. Es geht um die nachträgliche Überprüfung der Einhaltung haushaltsrechtlicher Vorschriften. Wesentlich akzentuierter stellt sich das Problem der zeitlichen Abstimmung zwischen Planung, bzw. planungsrealisierenden Programmen und der strategischen und taktischen Erfolgskontrolle 119 . Diese beiden Arten der Erfolgskontrolle stehen und fallen mit der Wahl des richtigen Zeitpunktes: „ W i r d ζ. B. zu früh gemessen, haben sich die Maßnahmen noch nicht voll ausgewirkt, so daß die Maßnahme als erfolglos angegeben wird. A u f der anderen Seite kann die Messung . . . zu spät erfolgen, so daß über den Rückkoppelungseffekt ausgelöste Maßnahmen zu spät kommen 1 2 0 ." Richtige Programme können, wenn die Reaktionszeit falsch 115 Th. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 114 GG R N 15 ff.; W. Krüger-Spitta und H. Bronk, Haushaltsrecht, S. 169 ff.; M. J. Buse, S. 91 f. m. w. Nw. 116 Die Kontrolle der Rechtmäßigkeit staatlicher Planung gehört nicht, wie M. J. Buse (Integrierte Systeme, S. 90) annimmt, zur Erfolgskontrolle. Denn bei der Rechtmäßigkeitskontrolle steht nicht der Erfolg eines Handlungsablaufs, sondern seine Übereinstimmung mit dem Rechtssystem im Vordergrund. 117 U. Battis, Rechnungshof und Politik, in: D Ö V 1976, 721 ff., 724 ff. m. w. Nw. 118 Erste Ansätze bei H.-U. Derlien, Erfolgskontrolle. 119 Einzelheiten bei D. Brümmerhof} und H. Wolff, S. 488 ff. 120 H. Jürgensen und T. Thormählen, Regionale Entwicklungspläne: Ziele, Ansätze, Erfolgsmöglichkeiten, in: Neue Wege der Wirtschaftspolitik, hrsg. von E. Dürr (1972), S. 288 f.

I I I . Entscheidungsschritte i n den Verfahren politischer Planung

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eingeschätzt wird, fehlerhaft korrigiert oder abgebrochen werden. Eine strategische Erfolgskontrolle ist erst möglich, wenn sich die getroffenen Maßnahmen voll auswirken konnten. Für strategische Kontrollen kommen daher nur größere Zeiträume von drei bis fünf Jahren i n Betracht. Andererseits kann es sich aber bereits anläßlich von operationalen und taktischen Erfolgskontrollen erweisen, daß Zielsetzungen erneut zu überprüfen sind. Neben der Frage der Wahl des richtigen Zeitpunktes stehen die methodischen Schwierigkeiten der Erfolgskontrolle: Es stellen sich ähnlich wie bei der Prognose erhebliche Kausalitäts-, Wertungsund Indikatorenprobleme 1 2 1 . Die Funktionsfähigkeit derartiger Erfolgskontrollen hängt von ihrer institutionellen Ausgestaltung ab. So versteht sich von selbst, daß die Qualifikation der „Kontrolleure" der Qualität der Planungsstäbe entsprechen muß. Die Effizienz der Erfolgskontrolle w i r d gesteigert, wenn die Planungs- und Kontrollaufgaben nicht von derselben Personengruppe durchgeführt werden. Die Ergebnisse der Erfolgskontrolle müssen, soll sie i m politischen Bereich zu einer Verbesserung der Planungen und Programme führen, allen zuständigen Gremien und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Bestandskraft der ins Werk gesetzten Programme und Planungen kann nur durch massiven Druck der interessierten Öffentlichkeit und der leitenden Instanzen i m politisch-administrativen System gebrochen werden 1 2 2 . Als Träger der Erfolgskontrolle kommen, sieht man von der Forderung nach einer unabhängigen Instanz für Erfolgskontrolle als Fremdkontrolle 1 2 3 ab, nur wenige Institutionen i n Betracht: Die strategische Erfolgskontrolle ist Aufgabe von Parlament und Regierung. Wenn sich auch die Parlamentsmehrheit mit dem Regierungsprogramm und der Behauptung seiner Effizienz identifizieren wird, so besteht doch die Chance einer breiten und sachverständigen Diskussion über die Ausw i r k u n g der Planungen. Träger der taktischen Erfolgskontrolle kann ein bestimmter Stab innerhalb der Regierungsorganisation sein, wie etwa das Bundeskanzleramt oder die Staatskanzleien 124 i n ihrer Funktion als „zentrale politische Buchhaltung", aber auch das Parlament, da 121

Einzelheiten bei D. Aderhold, S. 247 ff. D. Aderhold, S. 255 ff.; H. Harnischfeger, Planung, S. 134. — Erfolgskontrolle scheitert oft am „Programmkonservativismus" der Facheinheiten, am Druck der durch Programmkorrekturen betroffenen Interessentenverbände, aber auch daran, daß die politische Führung die Durchführung verfehlter Programme und damit Ressourcenvergeudung nicht gerne zugibt (H.-17. Derlien, S. 149 ff.). 123 Vgl. E. Bohne, H. König, S. 37 f. m. w. Nw.; S. Leibfried und M. Quilisch, Planung, S. 618. 124 Vor allem ist durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, daß der „Programmkonservativismus" der Fachressorts verhindert wird (H.-U. Derlien, S. 33). 122

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2. Kap.: Planung als Problemlösungsstrategie

sich oft Gesetzesänderungen als notwendig erweisen werden 1 2 5 . Aus der Planungsfunktionenteilung zwischen Regierung und Parlament läßt sich klären, welche Formen der strategischen und taktischen Erfolgskontrolle sinnvoll und verfassungsrechtlich geboten sind 1 2 6 . Bei der Wahrnehmung der operationalen Erfolgskontrolle endlich haben sich die Rechnungshöfe bewährt. Bemerkenswert ist, daß nach §99 BHO der Bundesrechnungshof nach Abschluß von Planungen, aber bereits vor ihrer Realisierung den staatsleitenden Instanzen Bericht erstatten kann 1 2 7 , was eine zeitnahe Wirtschaftlichkeitsprüfung i n Planungsverfahren ermöglicht 128 . Abschließend bleibt festzustellen, daß die Erfolgskontrolle i m politischen Bereich sich nur langsam durchzusetzen beginnt 1 2 9 . A u f Regierungsebene gibt es einen wachsenden Trend zu systematischer Erfolgskontrolle. I n den Staatskanzleien einzelner Länder sind Stäbe gebildet worden, die die Abwicklung von Landesprogrammen verfolgen 180 . Die Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes analysiert u.a. „laufende Maßnahmen m i t erheblicher Mittelbeanspruchung, die seit Jahren fortgeschrieben werden, auf die Möglichkeit ihrer Einstellung, Einschränkung oder Umsteuerung" 1 3 1 ; nicht zuletzt werden natürlich auch i n den einzelnen Bundesministerien die Programme und Planungen auf ihren Erfolg überprüft 1 3 2 .

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D. Aderhold, S. 264 ff., 267 ff. Hierzu im 4. Kap. unter I I I . , 2; 5. Kap. unter II., 2., 3., 4. 127 Ε. A. Piduch, § 99 BHO R N 1; H. Karehnke, Zur Berichterstattung des Rechnungshofes an die gesetzgebende Gewalt nach neuem Haushaltsrecht, in: DÖV 1971, 441 ff., 444; W. Krüger-Spitta und H. Bronk, S. 172. 128 Bei der operationalen Erfolgskontrolle kann es problematisch sein, wo die politische Entscheidung endet und die administrative Entscheidung beginnt. Anhaltspunkt ist, ob die finanziell relevanten Entscheidungen in Verfolgung der politischen Zielsetzungen der Regierung getroffen werden (Einzelheiten bei G. Brunner, Möglichkeiten und Grenzen der öffentlichen Finanzkontrolle, in: Festschr. f. H. Schäfer, hrsg. von E. Schiffer und H. Karehnke [1975], S. 169 ff., 180). 129 Die Institutionalisierung der Erfolgskontrolle in der Ministerialbürokratie beschreibt H.-U. Derlien (Erfolgskontrolle, S. 43 ff.); vgl. weiter F. W. Scharpf (Politische Durchsetzbarkeit, S. 91 f.) zu den Schwierigkeiten der Erfolgskontrolle. 130 Ζ. B. in Nordrhein-Westfalen für das Nordrhein-Westfalen-Programm 1975. 131 Bundestagsdrucksache VII/2887, S. 8; VI/1953, S. 10; vgl. weiter D. Aderhold, S. 251 ff., 263 ff.; H.-U. Derlien, S. 52 ff. 132 Einzelheiten bei H.-U. Derlien, S. 67 ff. 126

Drittes

Kajpitel

Verfaeeungstheoretische Grundlagen der modernen Planungeproblematik (Problemaufriß) I . Verfassungsrechtliche Vorgaben der P l a n u n g D i e Frage nach d e m E i n f l u ß , d e n die V e r f a s s u n g a u f die politische P l a n u n g zu n e h m e n v e r m a g , e r f o r d e r t e i n e n B l i c k a u f die v e r s c h i e d e n e n F u n k t i o n e n d e r V e r f a s s u n g 1 . Ganz a l l g e m e i n ist die V e r f a s s u n g d e r n o r m a t i v e R a h m e n d e r p o l i t i s c h e n K u l t u r e i n e r Gesellschaft 2 . Sie v e r leiht den i n einer Gemeinschaft zur A n e r k e n n u n g gebrachten politischen I d e e n rechtliche V e r b i n d l i c h k e i t . Z u diesem Z w e c k ist d i e n o r m a t i v e Festlegung staatlicher W i r k s a m k e i t ein A n l i e g e n jeder Verfassung: A l s „ r e c h t l i c h e G r u n d o r d n u n g des S t a a t e s " 3 r e g e l t sie d i e S t a a t s f o r m u n d g r u n d l e g e n d e Staatsziele, die G r u n d z ü g e d e r s t a a t l i c h e n O r g a n i s a t i o n u n d d e r S t a a t s w i l l e n s b i l d u n g u n d das V e r h ä l t n i s des Staates z u seinen B ü r g e r n 4 . Das G r u n d g e s e t z b i l d e t d i e G r u n d l a g e s t a a t l i c h e n G e 1 Zu den verschiedenen Funktionen der Verfassung wie der rechtsstaatlichen und der politischen Funktion: C.Schmitt, Verfassungslehre (1928), S. 123 ff., 221 ff.; — wie der Integrationsfunktion: R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928), in: Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 2. Aufl. (1968), S. 119 ff., 189 ff.; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 321 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 8 I I 3; — wie der politischen Sicherheit und rechtlichen Ordnung als Verfassungsfunktionen: K. Hesse, Grundzüge, § 1 I I , I I I , 2; H. Krüger, Art. Verfassung, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 11. Bd. (1961), S. 72 ff., 73; — wie der Legitimationsfunktion der Verfassung: A. Hollerbach, Ideologie und Verfassung, in: W. Maihofer (Hg.), Ideologie und Recht (1969), S. 37 ff., 43; — wie der Gewährleistung eines „fair play" als Verfassungsfunktion: C. J. Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit (1953), S. 135. — Eine umfassende Darstellung der verschiedenen Funktionen der Verfassung findet sich bei K. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, S. 62 ff. 2 Zum Topos „Verfassungsrecht und politische Kultur" vgl. die grundlegenden Ausführungen bei H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, S. 18 ff. m. w. Nw. 3 W. Kägi, Verfassung, S. 40 ff.; U. Scheuner, Art. Verfassung, in: Staatslexikon, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, 6. Aufl. (1963), Sp. 117 ff., 118; K. Hesse, § 1 I I I , 1; K. Stern, S. 53 ff. mit eingehender Darstellung der verschiedenen Ausdeutungen des Verfassungsbegriffs. 4 Vgl. etwa G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. (1914), S. 505; R. Carré de Malberg, Contribution à la théorie générale de l'Etat, Bd. 2 (Paris 1922), S. 570. — Zu kurz gegriffen ist es, wenn man wie etwa C. J. Friedrich (S. 147, 196 und passim) die spezifische Bedeutung der Verfassung in der wirksamen Beschränkung staatlichen Handelns sieht.

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3. Kap. : Verfassungstheoretische Grundlagen der Planungsproblematik Ks

schehens und der Ausübung politischer Macht, indem es einen freien politischen Prozeß ermöglicht und gewährleistet, m i t den Grundrechten und organisatorischen Vorkehrungen wie Gewaltenteilung und föderalistischem Prinzip eine freiheitliche Ordnung schafft und darüber hinaus durch Gesetzgebungsaufträge und Staatszielbestimmungen richtungweisende Leitlinien für die Politik setzt 5 . Zu den Errungenschaften des Verfassungsstaates gehört es, daß i n irgendeiner Form alles staatliche Handeln auf die Verfassung zurückführbar sein soll®. „ I m Verfassungsstaat bedarf die Ausübung aller staatlichen Funktionen einer Grundlage i n der Verfassung 7 ." Zu klären ist, inwiefern dieser Grundsatz der Verfassungsmäßigkeit staatlichen Handelns auch für die m i t politischer Planung verbundenen Handlungsund Entscheidungsmuster des Staates gilt. 1. Die verfassungsrechtliche Kompetenzen- und Verfahrensordnung

Die Kompetenzen- und Verfahrensordnung einer Verfassung ermöglicht eine sachgerechte politische Willensbildung und Arbeitsteilung und vermeidet eine bedrohliche Machtkonzentration, indem sie die einzelnen Staatsaufgaben verschiedenen Staatsorganen zuweist und den Ablauf wichtiger politischer Prozesse regelt. I n diesem Sinne läßt sich die Verfassung als ein „planvoller Mechanismus für das Zusammenspiel der mehreren Machtträger" bezeichnen, da sie Träger und die Form der Ausübung staatlicher Macht i n rechtlich verbindlicher Weise 8 bestimmt. Durch die Kompetenzenordnung werden den von der Verfassung konstituierten Organen jene Machtbefugnisse zugewiesen, die zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben erforderlich sind. Hierdurch schafft die Verfassung für bestimmte Sachbereiche rechtmäßige staatliche Gewalt. Die Verfahrensbestimmungen, d.h. die Festlegung von Entscheidungsabläufen i n der Verfassung, regeln die politische Willensbildung 5 U. Scheuner, Staatszielbestimmungen, in: Festschrift für E. Forsthoff (1972), S. 325 ff., 326; R. Herzog, S.320; R. Zippelius, §8 I I , 3, §41 I V 3; K. Hesse, § 1 I I I , 2 b; A. Hollerbach, S. 47. 6 Andernfalls bliebe die Verfassung nur wohltönende Fassade, die realen politischen Kräfte würden ihren eigenen Gesetzen folgen (vgl. K. Stern, S. 59 f.). 7 W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff (1969), S. 98; E.-W. Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung (1964), S. 56 m. w. Nw.; P. Badura, Art. Verfassung, in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 2708 f. 8 K. Loewenstein, Verfassungslehre, 2. Aufl. (1969), S. 131; U. Häfelin, Verfassungsgebung, in: Probleme der Rechtsetzung. Referate zum Schweizerischen Juristentag 1974 (Bern 1974), S. 75 ff., 81 f.; P. Badura, Verfassung und Verfassungsgesetz, in: Festschrift für U. Scheuner, hrsg. von H. Ehmke, J. H. Kaiser u.a. (1973), S. 19 ff., 32 ff.; H. Haug, Die Schranken der Verfassungsrevision (Zürich 1947), S. 84 ff.; K. Stern, S. 75 ff.

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben der Planung

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und dienen sachgerechten Konfliktlösungen 9 . Den Verfahrensbestimmungen i n einer Verfassung kommt eine u m so größere Bedeutung zu, je mehr Fragen von der Verfassung selbst nicht sachlich fixiert sind 10 . Kann sich staatliche Politik — entsprechend dem Grundaxiom einer freiheitlich-demokratischen Ordnung — an sachlich stark differenzierenden Zielsetzungsen orientieren, ohne den von der Verfassung gezogenen Rahmen zu verlassen, so sollte der Verwirklichung dieser Zielsetzungen eine feste Form gegeben werden; ohne eine feste Form politischer Willensbildung kann die Verfassung nicht jene stabilisierende Wirkung 1 1 entfalten, derer der politische Prozeß bedarf. Verfahrensvorschriften, die die politische Willensbildung regeln, ermöglichen dadurch eine sachliche Offenheit der Verfassung, daß sie der Aufarbeitung von Konfliktstoffen dienen und darüber hinaus Konsens schaffen können. Hieraus w i r d deutlich, daß das Verfahren politischer Planung als hochentwickelter Problemlösungsstrategie i m regelungsintensiven Industriestaat den verfassungsrechtlichen Kompetenzen- und Verfahrensbestimmungen Rechnung tragen muß. Politische Planung ist keine Frage bloßer — rechtsfreier — Organisation des Bereichs von Verwaltung und Regierung. Sie steht vielmehr i m Zentrum politischer Gestaltung, da in den Planungsverfahren politische Zielsetzungen diskutiert und festgelegt werden, zwischen den Verbänden, Interessentengruppen, Parteien, Fraktionen, Regierungen, Regierungsbürokratien und anderen Beteiligten nach politischen Kompromissen gesucht w i r d und Planung weitgehend zum Instrumentarium der Durchsetzung sozialer und ökonomischer Programme geworden ist. Bedenkt man diese wichtigen „planungssteuernden" Funktionen der grundgesetzlichen Kompetenzen- und Verfahrensvorschriften, so liegt es nahe, Kompetenzen und Verfahren politischer Planung verfassungsrechtlich zu regeln. Kompetenzen und Verfahren politischer Planung gehören zu den wesentlichen politischen Spielregeln, die einer Aufnahme i n den Text der Verfassung wert sind 12 . Die verfassungsrechtliche Stellung der Opposition i m Prozeß politischer Willensbildung, aber auch die verfassungsrechtlich vorausgesetzte Gewichtsverteilung zwischen Regierung und Parlament oder der Sinn der Diskontinuität der Wahlperioden 13 werden durch die Verfahren politischer Planung erheb9

K. Hesse, § 1 I I 2 b. R. Bäumlin, Staat, Recht und Geschichte (Zürich 1961), S. 43; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 197 ff., 835. 11 Die stabilisierende Wirkung der Verfassung findet sich bereits bei G. Jellinek (S. 534) angesprochen. 12 Hierzu allgemein K. Stern, S. 69. 13 Nach dem Grundsatz der Diskontinuität der Wahlperioden steht es dem neuen Bundestag frei, die unvollendete Arbeit des alten Bundestages aufzunehmen. Wenn sich Planungsvorhaben, die vom alten Bundestag betrieben 10

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3. Kap. : Verfassungstheoretische Grundlagen der Planungsproblematik

lieh beeinflußt, solange die Verfassung „planungsabstinent" bleibt 1 4 . Politische Planung beeinflußt aber nicht allein die reale Geltung der Kompetenzen- und Verfahrensvorschriften der Verfassung. Gravierender ist, daß durch politische Planung die Richtung einer Politik auf lange Zeit festgelegt werden kann. Die Vorwirkung und die Kontinuitätszwänge, die jeder politischen Planung eigen sind 15 , können auf lange Zeit hinaus den Spielraum zur politischen Alternative auf ein M i n i m u m begrenzen. Je „bestandsfähiger" politische Entscheidungen werden können, um so sorgfältiger müssen sie aber Verfahrens- und kompetenzmäßig abgesichert sein. Denn bei langfristig wirkenden politischen Entscheidungen t r i t t die Aufgabe der verfassungsrechtlichen Kompetenzenund Verfahrensordnung i n den Vordergrund, wenigstens einen „Konsens durch Verfahren" zu erzeugen 16 . Sollen die verfassungsrechtlichen Kompetenzen- und Verfahrensbestimmungen nicht ihre Funktion der Gewährleistung einer konsenserzeugenden politischen Willensbildung bei Wahrung von Offenheit für unterschiedliche Zielsetzungen verlieren, müssen die Probleme der Konsenssicherung i m Rahmen der Verfahren politischer Planung i m Zentrum einer verfassungsrechtlichen Regelung (bzw. Reform) der Kompetenzen- und Verfahrensordnung stehen. Das Grundgesetz normiert i m Zusammenhang mit den Gemeinschaftsaufgaben und der Haushalts- und Finanzplanung einige wenige Leitlinien, Kompetenzen und Verfahren bei politischer Planung. A l l gemeine Regelungen von Kompetenzen und Verfahren, die i m Zusammenhang mit Planungsvorhaben zu beachten sind, sind nicht getroffen. Ein Fehlen derartiger Regelungen erklärt sich aus der liberal-rechtsstaatlichen Verfassungstradition, i n der das Grundgesetz steht. Der regelungsintensive Industriestaat mit seinem modernen Instrumentar i u m der Planung hat sich neben der Ordnung des Grundgesetzes entwickelt. W i l l man das Grundgesetz auf der „Höhe der Zeit" halten, d. h. Zeit und Verfassung aufeinander abstimmen 17 , so sind wegen ihrer Bedeutung für die Ausarbeitung und Festlegung der Politik i n erster wurden, in einem vorgerückten Stadium befinden, wird der Diskontinuitätsgrundsatz illusorisch. Denn auch hier können politische Planungen, ist ihre Ausarbeitung erst einmal vorangeschritten, die entscheidende Instanz in einen Zugzwang versetzen (vgl. Kap. 2 unter I I I , 6 b). 14 Hierzu im 5. Kap. unter I., 2. 15 Hierzu im 2. Kap. unter I I I , 6 b. 19 Vgl. hierzu N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren (1969), S. 139 ff. — Erinnert sei an die alte Diskussion der Frage (erstmals aufgeworfen von K. Mannheim, Geplante Demokratie, S.91), ob Planungen und Planungsgesetze von qualifizierten Mehrheiten beschlossen werden sollen. 17 P. Häberle, Zeit und Verfassung. Prolegomena zu einem „zeit-gerechten" Verfassungsverständnis, in: Zeitschrift für Politik, Jahrgang 1974, S. 11 ff., 135.

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben der Planung

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Linie die Kompetenzen- und Verfahrensbestimmungen, die der planende Staat zu beachten hat, i n das Grundgesetz aufzunehmen. Demgegenüber kann eingewendet werden, die durch politische Planung aufgeworfenen Probleme ließen sich auch durch interpretative Fortentwicklung des Verfassungstextes bewältigen. Vor allem kann eine sach- und zeitgemäße Verfassungsinterpretation Verfassungsänderungen überflüssig machen 19 . Wie i m Kapitel über die politische Planung zwischen Regierung und Parlament gezeigt wird, können i m Wege der Verfassungsinterpretation wichtige Grundsätze des Verfahrens und der Kompetenzen bei politischer Planung ermittelt werden. Dennoch erscheint es sinnvoll, einzelne Kompetenzen- und Verfahrensbestimmungen i n den Text des Grundgesetzes aufzunehmen. Durch schriftliche Fixierung des Verfassungstextes w i r d die stabilisierende Wirkung der Verfassung verstärkt 1 0 . Die geschriebene Verfassung schafft Rechtsklarheit und Rechtsgewißheit, da sie die Möglichkeiten unterschiedlichen Verständnisses begrenzt und der konkretisierenden Aktualisierung feste Richtpunkte verleiht. I m übrigen können sich die politische Praxis und die politischen Machtverhältnisse über verfassungsrechtliche Pflichten, die i m Wege der fortentwickelnden Verfassungsinterpretation gefunden sind, leichter hinwegsetzen als über ausdrückliche Bestimmungen i m Verfassungstext. Regelungen der Planungsinitiative, der Planungsinformation, der Planungsbeteiligung und der Planungskontrolle müssen normativ abgesichert sein, sollen sie i m politischen Prozeß volle Wirkungskraft entfalten 20 . Andererseits scheint die Zeit für eine Aufnahme von Regelungen der allgemeinen Planungsorganisation i n das Grundgesetz noch nicht reif 2 1 . Zwar können Verfassungsänderungen nicht allein Anpassungscharakter sondern auch Entwurfscharakter haben. I n einer Experimentier- und Entwicklungsphase jedoch, i n der sich die politische Planung auch nach über zehn Jahren Planungspraxis noch befindet, wäre es aber schädlich, Kompetenzen und Verfahren politischer Planung bereits i n umfassender Weise normativ festzulegen. Denn die effizienteste Organisation der Verfahren politischer Planung, die sich reibungslos i n das überkommene System politischer Willensbildung einfügt, kann nur i n einem langwie18

D. Grimm, Verfassungsfunktion, S. 507. K. Hesse, Grundzüge, § 1 I I I 3. 20 Eine frühzeitige verfassungsrechtliche Verankerung des PlanungsVerfahrens fordern: F. Ossenbühl, Normative Anforderungen, S. Β 61, 88; B. Dobiey, Politische Planung, S. 149; J.-T/i. Blank, Staatliche Aufgabenplanung, S. 106; Zwischenbericht, S. 76; R. Wahl, Aussprache, in: Regierungsprogramme und Regierungspläne (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 51, 1973), S. 60; D. Grimm, Verfassungsfunktion, S. 520 f. 21 So etwa die Bundesregierung in ihrer Kritik am Planungsmodell des Zwischenberichts (vgl. Schlußbericht, S. 165). 19

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3. Kap. : Verfassungstheoretische Grundlagen der Planungsproblematik

rigen Probieren nach dem Grundsatz des t r i a l and error gefunden werden. Dies aber braucht Zeit, und bloß die Wirklichkeit zu reflektieren, verträgt sich nicht mit den Aufgaben der Verfassung. Darf vor allem die Entwicklung neuer Entscheidungsverfahren nicht durch verfrühte normative Festlegungen behindert werden, so bietet sich an, zunächst nur punktuell einige wichtige Bereiche politischer Planung (wie die Gemeinschaftsaufgaben oder die Finanzplanung) i n der Verfassung zu regeln. Andere verfassungsrechtliche Probleme i n dieser Übergangsphase der Entwicklung neuer Entscheidungs ver fahr en sind von der politischen Praxis und der Wissenschaft i m Wege der interpretativen Fortentwicklung des Verfassungstextes anzugehen. Hier mag der von Häberle prägnant formulierte Topos gelten: „,Äußerste' Verfassungsinterpretation erweist sich als ,Vorhut' von Verfahren und Inhalten der Verfassunggebung 22 ." So läßt sich etwa politische Planung i n das bestehende Verfassungsgefüge durch Parallele zu den Regelungen der Gesetzgebung oder durch Fortentwickeln des Gewaltenteilungsprinzips einarbeiten 23 . Dadurch kann man auch dem gelegentlich geäußerten Bedenken Rechnung tragen, daß die politische Planung sich „selbstläufig und neben der Verfassung" entwickelt und daß ein zu lang dauerndes „Erprobungsstadium" i n vollendete Tatsachen münden würde, die bekanntlich schwer zu korrigieren sind 24 . 2. Staatszielbestimmungen und Verfassungsgrundsätze

Als Grundlage der gesamten staatlichen Rechtsordnung und ihrer Weiterentwicklung kann die Verfassung neben den Verfahren des politischen Prozesses auch materiale Gehalte i n ihren Text aufnehmen. Dann erscheint die Verfassung nicht nur als fundamentale Verfahrensordnung für den politischen Prozeß, sondern darüber hinaus als rechtsethische Grundordnung mit Sinnprinzipien 2 5 . Durch die Aufnahme materialer Bestimmungen setzt die Verfassung der Politik Leitlinien, die den ständigen Auseinandersetzungen von Gruppen und Richtungen entzogen sind 26 . Es w i r d von der Verfassung ein fester Bestand an politischen Entscheidungen gesichert, die ohne eine Änderung der Verfas22 P. Häberle, Verfassungsinterpretation und Verfassunggebung, in: Zeitschrift für Schweizerisches Recht, n. F. Bd. 97 (1978), S. 1 ff., 4, 31 f. 23 So M. Schröder, Planung, S. 110; H. Ehmke, Planung im Regierungsbereich, S. 2029; R. Herzog, K. Kölble und F. Wagener, Aussprache, in: Regierungsprogramme und Regierungspläne (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 51, 1973), S. 61. 24 Zwischenbericht, S. 73; Schlußbericht, S. 167; B. Dobiey, S. 149. 25 A. Hollerbach, Ideologie und Verfassung, in: W. Maihof er (Hg.), Ideologie und Recht (1969), S. 37 ff.; J. P. Müller, Soziale Grundrechte, S. 719 ff.; E. Benda, Rechtsstaat, S. 510 ff.; K. Stern, S. 76 ff. 26 Vgl. etwa zu den verfassungsrechtlichen Bindungen wirtschaftspolitischer Gesetzgebung P. Badura, Grundprobleme des Wirtschaftsverfassungsrechts, in: JUS 1976, 205 ff., 209.

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben der Planung

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sung nicht in Frage zu stellen sind und daher nicht ständig neuer Verständigung bedürfen. Die materialen Gehalte, die von der Verfassung zum Ausdruck gebracht werden, sind für alle Handlungen und Äußerungen des Staates und damit auch für die Verfahren politischer Planung richtungweisend. Die Zielsetzung und die verfahrensmäßige Gestaltung der politischen Planung muß sich an den i n der Verfassung formulierten Leitvorstellungen staatlicher A k t i v i t ä t ausrichten. Es würde zu weit führen, den Katalog der einzelnen Verfassungsgrundsätze und Staatszielbestimmungen i n allen Einzelheiten aufzuzählen 27 . Es seien daher nur einige Verfassungsgrundsätze und Staatszielbestimmungen genannt, die für die politische Planung von besonderer Bedeutung sind: Zu den Staatszielbestimmungen, d.h. den zukunftsweisenden politischen Zwecken des Staates, gehört zunächst der Sozialstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 1, 28 GG), dessen verschiedene inhaltliche Ausprägungen der planenden A k t i v i t ä t des Staates die große Richtung weisen 28 . Weiterhin ist es ein wichtiges Staatsziel, die Voraussetzungen für eine menschenwürdige Existenz zu gewährleisten (Art. 1 Abs. 1 GG) und für ein gewisses Maß an persönlicher und sozialer Sicherheit des Einzelnen zu sorgen (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG i. V. m. dem Sozialstaatsgrundsatz). Den Grundrechten insgesamt lassen sich bedeutsame Staatszielbestimmungen entnehmen, insbesondere soweit sie Gesetzgebungsaufträge zum Inhalt haben 29 oder wenn man mit ihnen die leistungsstaatliche 27 Hierzu Einzelheiten bei H. P. Bull, Staatsaufgaben, S. 126 ff., 148 ff.; U. Scheuner (Staatszielbestimmungen, in: Festschrift für E. Forsthoff, hrsg. von R. Schnur [1972], S. 325 ff., 327 ff.). — Lediglich die „inhaltlichen" zukunftsgerichteten Verfassungsprinzipien werden gemeinhin als Staatszielbestimmungen bezeichnet; die übrigen Grundentscheidungen der Verfassung, wie Rechtsstaatlichkeit, reiht man unter den Oberbegriff der Verfassungsgrundsätze ein (U. Scheuner, ebd.; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 320, 322, 365, 387 f.). Diese terminologische Differenzierung begegnet freilich Bedenken: Auch die mit dem Rechtsstaatsgrundsatz verbundenen Prinzipien, wie Berechenbarkeit staatlichen Handelns oder Rechtssicherheit, oder das den Grundrechten zugrunde liegende Verfassungsprinzip der Freiheitssicherung sind politisch richtungsweisende Zielbestimmungen und nicht staatliches Handeln bloß ordnende Verfassungsprinzipien. Besonders deutlich wird dies daran, daß Rechtsstaatlichkeit oder Freiheitssicherung insbesondere im regelungsintensiven Staat nicht bloß statisch, bloß zu achten, sondern auch aufgegeben, durch Politik zu verwirklichen sind. 28 Einzelheiten im 6. Kap. unter I I I . 29 Ζ. B. aus Art. 6 Abs. 5 GG den bindenden Auftrag des Grundgesetzes an den Gesetzgeber, die unehelichen Kinder den ehelichen in angemessener Frist gleichzustellen (BVerfGE 8, 210 ff., 216; 25, 167 ff., 173; 26, 44 ff., 62 ff.; 206 ff., 209 f.) oder aus Art. 10 G G den Auftrag an den Gesetzgeber, die Einschränkung des Briefgeheimnisses im Strafvollzug gesetzlich zu regeln (BVerfGE 33, 1; 40, 276); vgl. auch C. Pestalozza, „Noch verfassungsmäßige" und „bloß verfassungswidrige" Rechtslagen, in: Bundesverfassungsgericht, hrsg. von C. Starck, Bd. 1 (1976), S. 519 ff., 540 f.

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3. Kap. : Verfassungstheoretische Grundlagen der Planungsproblematik

Seite des regelungsintensiven Industriestaates i n den Griff zu bekommen sucht 30 . A n Staatszielbestimmungen außerhalb des Sozialstaatsprinzips und des Grundrechtsteils ist u. a. noch auf die „Verbesserung der Lebensverhältnisse" (Art. 91a Abs. 1 GG), den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Verteidigung (Art. 91,87 a, 73 Nr. 10 b GG), das „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht" (Art. 109 Abs. 2 GG) und die konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft (Art. 109 Abs. 3 GG) hinzuweisen. Besonderer Erwähnung bedürfen alle jene Staatsziele, die sich aus dem Grundrechtsteil der Verfassung herleiten lassen. I m Grundrechtsteil w i r d zunächst die Rechtsstellung der Gemeinschaftsmitglieder i n ihren Grundzügen festgelegt 31 . Für die Verfahren politischer Willensbildung, vor allem aber i m gesellschaftlichen Bereich garantiert die Verfassung Bereiche individueller und kollektiver Freiheit. Es handelt sich hier um jene Verfassungsfunktion der Freiheitssicherung, die von der traditionellen liberal-rechtsstaatlichen Verfassungstheorie i n den Vordergrund gestellt wurde und die i m regelungsintensiven Industriestaat der Gegenwart, w i r d mit dem Staatsziel der Sozialstaatlichkeit ernst gemacht, mancherlei heftig umstrittenen Wandlungen unterworfen ist 8 2 . W i l l Planung dem Verfassungsziel der Freiheitssicherung genügen, muß sie zunächst den grundrechtlich geschützten Bereich des Bürgers beachten 33 . Sicherlich läßt sich von politischer Planung nicht generell sagen, sie sei mit der grundrechtlichen Freiheitssicherung unvereinbar. Selbst eine massive wirtschafte- und gesellschaftspolitische Planung des Staates ist nicht von vornherein mit dem freiheitsschützenden Charakter der Grundrechte unvereinbar. Bereits wegen der wirtschaftspolitischen und gesellschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes 34 können sich 30

Einzelheiten bei H. P. Bull, S. 155 ff. und im 6. Kap. unter IV. U. Scheuner, Art. Verfassung, in: Staatslexikon, 8. Bd., 6. Aufl. (1963), Sp. 118; K. Loewenstein, S. 131; U. Häfelin, S. 81; H. Haug, S. 107 ff.; H. Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung (1953), S. 103 ff.; K. Stern, S. 74. 32 Einzelheiten hierzu im 6. Kap. unter I I . und IV. 33 U. Scheuner (Staatszielbestimmungen, S. 330 f.) möchte allerdings die Abwehrfunktion und damit die Freiheitssicherung der Grundrechte nicht zu den Staatszielbestimmungen rechnen, da hier lediglich bestimmte Bereiche der politischen Verfügung entzogen werden. Demgegenüber bleibt aber zu betonen, daß auch die Gewährleistung der von Grundrechten garantierten Freiheitsbereiche ein Leitsatz und Ziel auch der zukunftsgestaltenden staatlichen Politik ist, der bei aller Planung zu berücksichtigen ist. 34 Vgl. etwa BVerfGE 4, 7 ff., 17 ff. (Investitionshilfe-Urteil); 18, 315 ff., 327 ff.; Th.Maunz, Staatsrecht, § 20 I; A. Schule, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, Bd. 127 (1964), S. 220 ff.; E. R. Huber, Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, in: DÖV 1956, 97 ff., 135 ff., 172 ff., 200 ff.; K. Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, in: Die Grundrechte I I I , 1 31

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben der Planung

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Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik i n größerem oder geringerem Umfang des Instrumentes der Planung bedienen, ohne grundrechtlich geschützte Lebensbereiche verletzen zu müssen. Andererseits läßt sich nicht behaupten, die Grundrechte seien ohne jede Bedeutung für staatliche Planung. I n ihrer Realisierungsphase mündet Planung immer i n ein Maßnahmesystem. Dieses planungsausführende Maßnahmesystem kann mit den Freiheits- und Gleichheitsrechten des Grundgesetzes kollidieren. Hier findet jede Planung selbstverständlich ihre Grenzen i n der Abwehrfunktion der Grundrechte. Bildungsplanung etwa muß die von Art. 12 Abs. 1 GG gewährten Freiheitsrechte beachten; Planungen i m Hochschulbereich müssen den Anforderungen der A r t . 5 Abs. 3 und 12 GG Rechnung tragen. Subventionen als Maßnahmen der Wirtschaftsplanung dürfen nicht zu einer gegen A r t . 3 GG verstoßenden Wettbewerbsverzerrung führen 3 5 . Die Beispiele der durch Grundrechte gezogenen Grenzen für politische Planungen ließen sich beliebig fortsetzen 36 . Da es sich hier i n erster Linie u m herkömmliche Probleme der Auslegung einzelner Grundrechtsnormen handelt, die durch ihren Bezug zur politischen Planung keine besondere Bedeutung gewinnen, w i r d der Themenkreis „freiheitsschützende Funktion der Grundrechte und politische Planung" i n dieser Arbeit nicht am Beispiel einzelner Grundrechte vertieft, sondern nur ganz allgemein i m Hinblick auf die freiheitsbedrohende Wirkung umfassender politischer Planung erörtert 3 7 . Diese Eingrenzung der Thematik ist dadurch gerechtfertigt, daß i m regelungsintensiven Industriestaat weniger die Freiheitssicherung gegen Planung als die Freiheitssicherung durch Planung problematisch erscheint. Ein wichtiges Anliegen politischer Planung muß es nämlich sein, die politische Wirklichkeit auch unter Berücksichtigung der Leitziele zu gestalten, die die einzelnen Grundrechte i n Verbindung m i t dem Sozialstaatsgebot weisen. Nur wenn i n den Zielfindungsprozeß politischer Planung die grundrechtlichen Leitideen miteinbezogen werden, können i m regelungsintensiven Industriestaat die sozialen Voraussetzungen für eine breite Grundrechtsverwirklichung geschaffen werden. Zu den Verfassungsgrundsätzen, die die politische Planung ordnend lenken, rechnen vor allem die verschiedenen Ausprägungen des Rechts(1958), S. 1 ff., 49 ff.; G. Müller, BVerfG und Wirtschaftsverfassungsrecht, in: Juristen-Jahrbuch, Bd. 2 (1961/62), S. 17 ff.; a. A. Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 3. Aufl. (1965), S. 21 ff. u. passim; H. Reuß, Verfassungsrechtliche Grundlegung der Wirtschaftsordnung in der BRD, in: DVB1. 1967, 349 ff. 35 Zu diesem Themenkreis H. Kreussler, Der allgemeine Gleichheitssatz als Schranke für den Subventionsgesetzgeber unter besonderer Berücksichtigung von wirtschaftspolitischen Differenzierungszielen (1972). 36 Weitere Beispiele bei R. Herzog, S. 57 f. 37 Vgl. im 6. Kap. unter V.

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3. Kap. : Verfassungstheoretische Grundlagen der Planungsproblematik

staatsprinzips 38 . Die Gebote formaler Berechenbarkeit und Bestimmtheit, die Verhältnismäßigkeit, Erforderlichkeit und Zwecktauglichkeit besitzen als formale Richtlinien auch für die politische Planung grundsätzliche Geltung 39 . Daneben müssen sich die Verfahren politischer Planung an den Leitprinzipien der demokratischen, gewaltenteiligen und föderalistischen Ordnung ausrichten, wie sie dem Grundgesetz zugrundeliegen. Diese Vielzahl inhaltlicher Staatszielbestimmungen und ordnend formender Verfassungsprinzipien, an denen sich politische Planung zu orientieren hat, können verschiedene Grade normativer Dichte und Bestimmtheit aufweisen. Es gehört zu den Eigenarten des Grundgesetzes, i n seiner „normativ-inhaltlichen Durchbildung fragmentarisch und bruchstückhaft" zu sein 40 . Ohne hohe normative Dichte sind zunächst die Staatszielbestimmungen und Programmsätze, die „ i n allgemeiner oder auch begrenzter Form Grundsätze und Richtlinien für das staatliche Handeln aufstellen und i h m i n bestimmten Richtungen durch Gebote und Weisungen Orientierung und sachliche Aufgaben geben" 41 . Solche Programmsätze und Staatszielbestimmungen weisen den staatsleitenden Instanzen einen Rahmen und eine bestimmte Richtung für ihre A k t i v i t ä t 4 2 . I h r wesentlicher Inhalt sind nicht einmalige Verfassungsbefehle, sondern eine i n die Zeit hinein wirkende politische „Richtung". Programmatische Aussagen i n der Verfassung machen den staatsleitenden Instanzen eine Annäherung an bestimmte Sachziele zu einer Aufgabe, die angesichts der immer wieder neuen politischen Herausforderungen nie ganz gelöst werden kann. Zu diesen bloß richtungweisenden Verfassungsprinzipien und Staatszielbestimmungen rechnet etwa die Sozialstaatsklausel, die eine grundsätzliche wie sachlich weitreichende Zielsetzung für staatliche Tätigkeit zum Inhalt hat. Hierzu rechnen weiterhin die Grundrechte, soweit man sie nicht bloß als A b wehrrechte auffaßt, sondern ihnen eine programmatische Funktion zu entnehmen sucht. I n die Kategorie der richtungweisenden Verfassungsprinzipien und Staatszielbestimmungen gehören auch so globale Wendungen wie von der „Verbesserung der Lebensverhältnisse" oder ein so wandlungsfähiges Prinzip wie das der Bundesstaatlichkeit 43 . Infolge ihrer 38 Zum Rechtsstaatsprinzip vgl. etwa K. Hesse, Grundzüge, § 6; K. Stern, Staatsrecht, S. 602 ff.; Th. Maunz, Staatsrecht, § 10; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 23 jew. m. w. Nw. 39 Einzelheiten zur Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips für politische Planung im 6. Kapitel unter I. 40 E.-W. Böckenförde, Methoden, S. 2091 m. w. Nw.; K. Stern, S. 65 ff. 41 U. Scheuner, Staatszielbestimmungen, S. 325 ff., 335. 42 P. Lerche, Das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsdirektiven, in: AöR 90. Bd. (1965), S. 341 ff., 347; Th. Maunz, § 27 I I I . 43 K. Hesse, § 7 I 2 c.

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben der Planung

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Mannigfaltigkeit können diese Verfassungsprinzipien und Staatszielbestimmungen untereinander häufig kollidieren. Es ist Sache der staatsleitenden Instanzen, auch i n den Verfahren politischer Planung Rang und Vorrang sowie den Zeitpunkt und die Modalitäten ihrer Realisation zu bestimmen. Wenn es sich bei diesen Verfassungsnormen i m Grunde nur u m Anstoßnormen handelt, so ist der Gestaltungs-, Entschließungsund Entscheidungsspielraum der staatsleitenden Instanzen i n Regierung und Parlament doch nicht unbegrenzt. Selbst programmatischen Richtungsnormen lassen sich neben Grenzen auch — freilich i n höchst unterschiedlichem Maß — Inhalte politischer Gestaltung entnehmen. Auf Einzelheiten einer planungsrelevanten Inhaltsbestimmung von Verfassungsgrundsätzen und Staatszielbestimmungen w i r d am Beispiel des Rechtsstaatsprinzips, des Sozialstaatsprinzips und der Grundrechte i m 6. Kapitel eingegangen. Weiter eingeengt w i r d der Gestaltungsspielraum der staatsleitenden Instanzen, wenn es u m die Ausführung von Verfassungsbefehlen geht. Verfassungsbefehle bezwecken die Herbeiführung und Aufrechterhaltung eines bestimmten Zustandes. So muß etwa die Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung tragen (Art. 109 Abs. 2 GG) und konjunkturgerecht sein (Art. 109 Abs. 3 GG). Besonders stark werden politische Entscheidungen durch verfassungsgesetzliche Regelungsaufträge gebunden, wenn ζ. B. nach A r t . 33 Abs. 5 GG das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu gestalten ist. Haushalts- oder Personalplanungen müssen sich an diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben orientieren. Zwischen den verfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen und den mit politischer Planung verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten besteht ein ganz besonderes Verhältnis instrumentaler A r t . Bereits bei der Darstellung der Funktionen politischer Planung i m Industriestaat 44 wurde deutlich, daß die wachsenden sozialen und ökonomischen Probleme i n diesem Staatstyp ohne eine langfristige und zielgerichtete politische Planung nicht zu bewältigen sind. Verfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen wie der Sozialstaatsgrundsatz, wie die Gewährung einer menschenwürdigen Existenz i n persönlicher und sozialer Sicherheit, wie die Verbesserung der Lebensverhältnisse u. a. m. lassen sich unter den gegenwärtigen sozialen und ökonomischen Voraussetzungen nicht durch kurzfristiges Krisenmanagement, sondern nur durch eine planvolle Politik verwirklichen. Insbesondere am Beispiel der Grundrechte läßt sich belegen, daß i n einem Sozialstaat eine Pflicht zu grund44

I m i . Kapitel.

8 Würtenberger

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3. Kap. : Verfassungstheoretische Grundlagen der Planungsproblematik

rechtseffektuierender Planung besteht, sollen die realen Voraussetzungen zur Wahrnehmung der Grundrechte geschaffen oder gewährleistet oder gerecht verteilt werden. Läßt sich i m Wege der Verfassungsauslegung aus dieser instrumentalen Funktion politischer Planung eine Pflicht des Staates zu politischer Planung entnehmen 45 , so w i r d Planung zu einer Staatsausgabe, die die Organisation verfassungsverwirklichender staatlicher Tätigkeit bestimmt. Zu bemerken bleibt i n diesem Zusammenhang, daß Verfassung und Planung i n gewissem Sinne strukturgleich sind. Die Normen des Verfassungsrechts sind oftmals programmatisch und verheißend i n die Zukunft gerichtet, damit die Verfassung offen für soziale Entwicklungen und konsensschaffende Diskussion der politischen Richtung bleibt. Insoweit stellt sich Verfassungsrecht als ein zur Verwirklichung bestimmter „Entwurf" oder „Plan" dar 4 6 . Mehr noch als die Verfassung ist auch die Planung zukunftsoffen und auf Zukunftsgestaltung bedacht. I n der Planung entfaltet sich jener politische Prozeß, der die Zukunft des Gemeinwesens strukturiert; dieser politische Prozeß der Planung kann durch eine zukunftsoffene Verfassung i n erheblichem Maße gelenkt und festgelegt werden: Verfassung und Planung sind i m regelungsintensiven Industriestaat untrennbar verbunden, sollen die Probleme der Industriegesellschaft i n einem freiheitlich-demokratischen Prozeß gelöst werden können. Diese Einsicht i n die Artverwandtschaft von Planung und Verfassung hat bereits zu einer gewissen Ineinssetzung von Planung und Verfassung bei den Römischen Verträgen geführt 4 7 . Daß zukünftige Verfassungen, wollen sie die ökonomischen und sozialen Probleme der Industriegesellschaft verbindlich regeln, „Planungsverfassungen" sein müssen, scheint i n der Konsequenz der Entwicklung des regelungsintensiven Industriestaates zu liegen. 45

Hierzu im 6. Kapitel unter I I . 17. Scheuner, Art. Verfassung, Sp. 127; ders., Konsens und Pluralismus als verfassungsrechtliches Problem, in: Rechtsgeltung und Konsens, hrsg. von G. Jakobs (1976), S. 33 ff., 61 ff.; P. Badura, Verfassung und Verfassungsgesetz, in: Festschrift für U. Scheuner, S. 33; ders., Art. Verfassung, in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 2708 ff., 2709. 47 C. F. Ophiils, Die Europäischen Gemeinschaftsverträge als Planungsverfassungen, in: J. H. Kaiser (Hg.), Planung I, S. 229 ff., 232; H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht (1972), S. 128 f. — Demgegenüber sieht H.-J. Arndt (Die Figur des Planes als Utopie des Bewahrens, in: Säkularisation und Utopie. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag [1967], S. 119 ff., 152) einen wesentlichen Unterschied zwischen Verfassung und Plan darin, daß die klassischen Verfassungen den politischen Wettkampf zwischen Personen regeln, während Pläne „organisierte Veranstaltungen zur Bewahrung desjenigen Glücks" sind, „das sich als herstellbar erwiesen hat". Dieses Unterscheidungskriterium scheint zumindest für jene Verfassungen des regelungsintensiven Industriestaates wenig Aussagekraft zu besitzen, in denen eine Reihe von Staatszielbestimungen festgeschrieben werden (vgl. weiter D. Suhr t Entfaltung des Menschen durch die Menschen [1976], S. 40 ff.). 48

I I . Eindringen von Planungselementen i n die Verfassung

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I I . Eindringen von Planungselementen i n die Verfassung L i e f e r t das G r u n d g e s e t z n u r i n b e s c h r ä n k t e m M a ß e n o r m a t i v e V o r g a b e n organisatorischer u n d i n h a l t l i c h e r A r t f ü r die p o l i t i s c h e P l a n u n g , so l i e g t die Gegenfrage nahe, i n w i e w e i t d e r V e r f a s s u n g s t e x t m i t R ü c k sicht a u f die m o d e r n e n V e r f a h r e n p o l i t i s c h e r P l a n u n g g e ä n d e r t w i r d oder sich i n h a l t l i c h w a n d e l t . Ganz a l l g e m e i n geht es h i e r u m F r a g e n des V e r f a s s u n g s w a n d e l s , n ä m l i c h u m d i e Ä n d e r u n g e n des Verfassungst e x t e s 1 u n d u m d e n W a n d e l des Verfassungsrechts d u r c h d i e V e r f a s s u n g s w i r k l i c h k e i t 2 , d . h . des V e r h ä l t n i s s e s v o n Rechtsverfassung u n d R e a l v e r f a s s u n g 3 . B e i d e T h e m e n k r e i s e lassen sich a n dieser S t e l l e n i c h t v o m G r u n d s ä t z l i c h e n h e r v e r t i e f e n . Es soll l e d i g l i c h j e n e r V e r f a s s u n g s 1 Vgl. hierzu: Zwischenbericht; Schlußbericht; W. Weber, Das Problem der Revision und einer Totalrevision des Verfassungstextes, in: Festgabe für Th. Maunz, hrsg. von H. Spanner u. a. (1971), S. 451 ff.; K. Stern, Totalrevision des Grundgesetzes?, ebd., S. 391 f.; H. Dichgans, Vom Grundgesetz zur Verfassung (1970); F. K. Fromme, „Totalrevision" des Grundgesetzes. Eine situationsbedingte Forderung als Ausdruck des sich wandelnden Verfassungsverständnisses, in: Zeitschrift für Politik, Jahrg. 1970, S. 87 ff.; R. Schuster, Ein neues Grundgesetz? Überlegungen zur geforderten Verfassungsreform, in: Demokratisches System und politische Praxis der BRD, hrsg. von G. Lehmbruch u. a. (1971), S. 127 ff.; J. Seifert, Totalrevision: Drohung mit dem Verfassungsbruch, in: Kritische Justiz, Jahrg. 1969, S. 169 ff.; W. Thieme, Für eine Totalrevision des Grundgesetzes, in: ZRP, Jahrg. 1969, S. 32 ff.; H. Lindemann, Das antiquierte Grundgesetz. Plädoyer für eine zeitgerechte Verfassung (1966). Aus der schweizerischen Diskussion sei verwiesen auf: Arbeitsgruppe für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung, Bd. V I , Schlußbericht (Bern 1973). 2 Das Verhältnis von Verfassungsrecht und VerfassungsWirklichkeit läßt sich als Leitmotiv der neueren Verfassungslehre bezeichnen. Die Literatur zu diesem Fragenkreis beginnt unüberschaubar zu werden (vgl. etwa F. Lassalle, Über Verfassungswesen [1862]; K. Hesse, Die normative Kraft der Verfassung [1959] ; ders., Grundzüge § 1 I I I , 5 b; N. Wimmer, Materiales Verfassungsverständnis [1971], S. 14 ff.; H. H. Rupp, Wandel der Grundrechte, S. 161 ff.; H. Krüger, Artikel Verfassung, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 11. Bd. [1961], S. 72 ff., 74 ff.; F. Ronneberger, Verfassungswirklichkeit als politisches System, in: Der Staat, Bd. 7 [1968], S. 409 ff.; G. Leibholz, Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, in: Strukturprobleme, S. 277 ff.; H. Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems [1973], S.22ff.). Skeptische Stimmen zu den Topoi „Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit" sind in wachsender Zahl zu verzeichnen (so u. a. W. Hennis, Verfassung und Verfassungswirklichkeit [1968]). So wird etwa auf die Gefahr hingewiesen, daß die Wirklichkeit das Verfassungsrecht unterwandern und auflösen könne (so etwa K.Stern, S.392); von anderen Autoren wird das mit dem Thema Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit verbundene Anliegen der Fortentwicklung verfassungsrechtlicher Institutionen schlichtweg verkannt. H. Ridder (Die soziale Ordnung des Grundgesetzes. Leitfaden zu den Grundfragen einer demokratischen Verfassung [1975], S. 13 ff.) meint etwa, die Formel „Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit" werde dazu benutzt, der politischen Wirklichkeit den Anstrich des Normativen zu geben, und laufe auf einen neuen machtvollen Positivismus hinaus. 8 G. Brunner, Kontrolle, S. 30.



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3. Kap. : Verfassungstheoretische Grundlagen der Planungsproblematik

wandel umrissen werden, den die modernen Verfahren Planung i m Gefolge haben können.

politischer

1. Verfassungswandel durch Aufnahme von Planungsnormen in die Verfassung

Besondere Beachtung verdient das Phänomen, daß einzelne Planungsbereiche, organisatorische Bestimmungen politischer Planung und selbst Planungsziele i n die Verfassung aufgenommen werden. Der Einbruch konkreten Planungsdenkens i n den Verfassungstext begann mit der Änderung des A r t . 109 GG i m Jahre 19674. Als sich i n den meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften i m Zuge des konjunkturellen Aufschwungs anfangs der sechziger Jahre eine zunehmende Tendenz zum Anstieg des Preisniveaus zeigte, empfahl der Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft i m A p r i l 1964 den M i t gliedstaaten Maßnahmen zur Wiederherstellung des inneren und äußeren Gleichgewichts der Wirtschaftsentwicklung. Um den i n der Bundesrepublik Deutschland offensichtlichen Mangel an Koordination von Wirtschaftspolitik, Finanzpolitik und Kreditpolitik zu begegnen, machte die Kommission für die Finanzreform i n ihrem 1966 erstatteten „Gutachten über die Finanzreform i n der Bundesrepublik Deutschland" jene entscheidenden Vorschläge, die u. a. zur Änderung des A r t . 109 GG führten. Das Gutachten stellte Leitprinzipien für eine mittelfristige Finanzplanung und für antizyklische finanzpolitische Maßnahmen auf; es gab weiterhin Anregungen zur Kreditpolitik. Vor allem aber empfahl es eine Änderung des A r t . 109 GG, damit ein alle öffentlichen Körperschaften erfassender mehrjähriger Finanzplan erstellt und Vorschriften über Ausmaß und A r t der öffentlichen Verschuldung i m Falle einer Gefährdung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erlassen werden können 6 . Durch das 15. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 8. Juni 1967 (BGBl. I 581) wurden dem seit 1949 unverändert gebliebenen Text des A r t . 109 GG die neuen Absätze 2 bis 4 hinzugefügt. Als Leitziel der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern werden die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts herausgestellt (Art. 109 Abs. 2 GG). A r t . 109 Abs. 3 GG stellt das nötige Instrumentar i u m zur Erreichung dieses Leitzieles zur Verfügung. Trotz der eingehenden Vorbereitung der Verfassungsergänzung mußte bereits zwei Jahre später A r t . 109 Abs. 3 zwecks weiterer Kompetenzenübertragungen auf den Bund erneut geändert werden. Wie rasch planungsleitende 4

Den Hintergrund der wirtschaftspolitischen Neuorientierung zu Beginn der sechziger Jahre schildern u.a. P. Münch, in: K. Stern, P. Münch und K.-H. Hansmeyer, Gesetz zur Förderung der Stabilität, 1. Teil, Einführung A I; J. Gotthold, Wirtschaftliche Entwicklung, S. 114 ff. 5 Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland (1966), Tz. 477 ff., 491; 513 ff., 516.

I I . Eindringen von Planungselementen i n die Verfassung

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Bestimmungen i n der Verfassung änderungsbedürftig werden können, läßt sich auch am Abschnitt über die Gemeinschaftsaufgaben i m Grundgesetz belegen®. I m Jahre 1969 i n das Grundgesetz eingefügt und partiell 1970 neu gefaßt steht nun wieder eine grundsätzliche Neufassung bevor 7 . Wenn die politische Planung erst einmal i m Verfassungstext verortet ist, w i r d die Verfassung i n verstärktem Maß i n die sich rasch überholende Produktion des Gesetzgebers i m Industriestaat hinabgezogen. Der Verfassungstext w i r d i n zunehmendem Maß selbst zum Gegenstand der Planung. Man fragt oft weniger, welche Ziele die Verfassung dem Gemeinwesen setzt, sondern wann Verfassungsänderungen notwendig sind, „ u m die von der Planung diagnostizierten, herausgehobenen, konkretisierten Ziele zu verwirklichen" 8 . A u f diese Weise entsteht die Gefahr, daß die Verfassung gegenüber der Planung instrumentale Züge annimmt, wenn man sich nicht mit den durch die Verfahren moderner Planung bedingten, unausweichbaren Verfassungsänderungen begnügt. Ob allzu häufige Verfassungsänderungen das Vertrauen i n die Verfassung und das Ansehen der Verfassung erschüttern können, mag dahingestellt bleiben 9 . Der Rang der Verfassung muß jedoch Verfassungsänderungen, die bloß tagespolitischen Erwägungen Rechnung tragen und nicht am Langfristigen orientiert sind, ausschließen. Die Verfassung verträgt weder bloß zeitbedingte Reaktionen auf konkrete Krisenlagen noch zur Routine werdende Korrekturen am Verfassungstext 1 0 , w i l l sie ihrer Funktion der i n der Zeit stabilen Grundnorm genügen. Aus dieser Funktion „nimmt die Verfassung die erhöhte Geltungskraft und die erschwerte Abänderbarkeit" 1 1 . Wenn i n das Grundgesetz mehr und mehr konkrete Planungselemente eindringen 12 , ergeben sich weiterhin aus derartigen Planungsbestand6 Zu Entstehung und Wandel dieser Bestimmungen: S. Marnitz, Gemeinschaftsaufgaben, S. 28 ff. 7 Hierzu Schlußbericht, S. 148 ff. 8 J. P. Müller, Soziale Grundrechte, S. 789 f. 9 Bejahend K. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, S. 68; W. Weber, Das Problem der Revision und einer Totalrevision des Grundgesetzes, in: Festgabe für Th. Maunz (1971), S. 453; kritisch hierzu D. Grimm, Verfassungsfunktion, S. 504; K. Loewenstein, Über Wesen, Technik und Grenzen der Verfassungsänderung (1961), S. 56 ff. (zum Verhältnis von „Verfassungsgefühl" zu Verf assungsänderung). 10 W. Kägi, Verfassung S. 54 f., 77; differenzierend P. Häberle, Zeit und Verfassung, in: Zeitschrift für Politik, Jahrgang 1974, S. 136 f. (Verfassungsänderungen sind legitim, wenn sie die Kontinuität der Verfassung in der Zeit wahren). 11 D. Grimm, S. 507. 12 U. a. Benennung von Planungsbereichen: Art. 91 a, 91 b GG; Art. 109 GG; Benennung von Planungszielen: Art. 91 a Abs. 1 GG; Art. 104 a Abs. 4 GG; Art. 109 Abs. 2, 3 GG; Delegation der Regelung von Planungsverfahren an den Gesetzgeber: Art. 91a Abs. 3 GG.

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3. Kap. : Verfassungstheoretische Grundlagen der Planungsproblematik

teilen i n der Verfassung bedeutsame Möglichkeiten stillen Verfassungswandels 13 . Der Problemkreis Verfassungswandel durch Planungsnormen i n der Verfassung erschließt sich, wenn man die unaufhebbare Wechselwirkung von Planung und Planungsverwirklichung bedenkt. Diese Wechselw i r k u n g von Planung und Planungsverwirklichung gehört zur Offenheit der Planungsverfahren: Die einzelnen Stufen der Planungsverwirklichung setzen jeweils Daten und Fakten, die wiederum i n den Planungsprozeß einzubringen sind und gegebenenfalls die Zielsetzungen der Planung korrigieren und modifizieren können 14 . So können vor allem die Auswirkungen von einzelnen planungsrealisierenden Gesetzen und Maßnahmen Anlaß zu Änderungen am Konzept einer politischen Planung geben. Ist die politische Planung zum Verfassungsbestandteil geworden, so können die planungsrealisierenden Gesetze und Maßnahmen nicht allein die Konzeption der politischen Planung beeinflussen, sondern auch den Sinn der Planungsnormen i n der Verfassung. Einzelne planungsrealisierende Gesetze und Maßnahmen vermögen i n diesem Fall aktiven Anteil zu nehmen nicht nur an der Planverwirklichung sondern auch an der Veränderung der Verfassung 15 . Ergebnis ist, daß kurzfristige Zwecksetzungen i n die Verfassung hineindrängen. Die Verfassung als Ausdruck des Willens zur Norm w i r d abgelöst durch den Plan als Ausdruck des Willens zur unmittelbaren Aktion 1 8 . Entsprechend dem von Leisner als zwangsläufig diagnostizierten Entwicklungsgang, der von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung führen soll 17 , kann man hier fast eine Entwicklung von der Verfassungsmäßigkeit der Planung zur Planungsmäßigkeit der Verfassung diagnostizieren. Ein derartiger Verfassungswandel durch einen steten Lernprozeß, der politischer Planung eigen ist, mag angehen, solange nur die eigentlichen Planungsnormen i n der Verfassung betroffen sind und die Grundprinzipien der Verfassung gewahrt bleiben. Eine Eigendynamik politischer Planung, die die Verfassungsordnung zu gefährden geeignet ist, kann sich jedoch bereits entfalten, wenn die Verfassung die Organisation politischer Planung dem Gesetzgeber überläßt. Nach A r t . 91 a Abs. 3 GG 13 Vgl. hierzu P. Lerche, Stiller Verfassungswandel als aktuelles Politikum, in: Festgabe für Th. Maunz, hrsg. von H. Spanner, P. Lerche u. a. (1971), S. 285 ff., 300; K. Hesse, Grenzen der Verfassungswandlung, in: Festschrift für U. Scheuner, hrsg. von H. Ehmke, J. H. Kaiser u. a. (1973), S. 123 ff.; W. Fiedler, Sozialer Wandel, Verfassungswandel, Rechtsprechung (1972). 14 Zu diesem Rückkoppelungsprozeß vgl. im 2. Kapitel unter III., 6 a, 7. 15 P. Lerche, S. 300. 19 W.Kägi,S.77. 17 W. Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung (1964).

I I . Eindringen von Planungselementen i n die Verfassung

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etwa treffen die Bundesgesetze zu den Gemeinschaftsaufgaben Bestimmungen über Verfahren und Einrichtungen für eine gemeinsame Rahmenplanung von Bund und Ländern. Diese Gesetze sehen Verfahren gemeinsamer Rahmenplanung vor, die de facto die Beteiligung der Länderparlamente an der Rahmenplanung ausschließen. Die Regierungsbürokratien von Bund und Ländern besitzen einen Aktionsbereich, der weitgehend demokratischer Diskussion und Kontrolle entzogen ist 1 8 . Rechtlich gesehen sind die Landesparlamente zwar frei, die Ausgabenansätze der Rahmenplanung i m Haushaltsplan auszuweisen oder nicht zu billigen; faktisch können die Landesparlamente aber die von den Regierungsbürokratien erarbeiteten Rahmenpläne nur hinnehmen. Vor allem die lange Koordinierungsarbeit, die einer Rahmenplanung vorausgegangen ist, w i r d von den Landesparlamenten zu respektieren sein. Weiterhin w i r d es an der nötigen Informationsbasis fehlen, die ein Inf ragestellen eines Planungskonzeptes hinsichtlich der Ziele und der Maßnahmen zur Zielverwirklichung ermöglicht. Auch wenn die Regelung der Planungsorganisation von der Verfassung vorgesehen ist, darf der Gesichtspunkt der Effizienz politischer Planung die Strukturprinzipien der Verfassung nicht i n Frage stellen. Aus Gründen der Sachkunde und Verfahrensbeschleunigung liegt es zwar nahe, die Rahmenplanung nur von den Regierungsbürokratien beraten zu lassen. Das Effizienzdenken darf sich aber nicht über das demokratische Prinzip hinwegsetzen. Das demokratische Prinzip verlangt, daß die Parlamente zu einem Zeitpunkt i n die Planungsverfahren eingeschaltet werden, der eine Mitgestaltung der Planung ermöglicht 19 . Nicht allein das Hinaufdrängen eines spezifisch planungsorientierten Effizienzdenkens i n verfassungsrechtliche Argumentationen w i r d durch Aufnahme von planungsregelnden Bestimmungen i n die Verfassung begünstigt. Daneben sucht man u.a. einzelne planungsleitende Zielvorstellungen wie das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht oder die konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft nach dem Grundsatz von der Einheit der Verfassung i n die Grundrechtsauslegung einzubringen 20 . Ergeb18 H. Doppler, Finanzpolitik, S. 155 ff.; S. Marnitz, S. 142 ff. jew. m. w. Nw.; Schlußbericht, S. 177; A. Böhringer, Mitwirkung der Landesparlamente i m Bereich der Gemeinschaftsaufgaben, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Jahrgang 1969/1970, S. 173 ff.; R. Goroncy, Gemeinschaftsaufgaben und Parlamente, in: ZRP 5. Jahrgang (1972), S. 61 ff. 19 Auf Einzelheiten wird im 5. Kap. unter I I . und I I I . zurückzukommen sein. 20 Kritisch zu derartigen Versuchen: N. Horn, Geldwertänderungen, Privatrecht und Wirtschaftsordnung (1975), S.34f.; H. J. Papier, Eigentumsgarantie und Geldentwertung, in: AöR Bd. 98 (1973), S. 528 ff., 548 ff.; U. Scheuner, Die Erhaltung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, in: Festschr. f. H. Schäfer, hrsg. von E. Schiffer und H. Karehnke (1975), S. 109 ff., 121.

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3. Kap. : Verfassungstheoretische Grundlagen der Planungsproblematik

nisse sind dann so wenig realisierbare Ansprüche wie der des Sparers auf Ausgleich inflationsbedingten Geldwertverlustes. A n diesen Beispielen eines Verfassungswandels durch Planungsnormen i n der Verfassung ist deutlich geworden, daß Planungsnormen zunächst einmal eine gewisse Dynamik i n die relative Konstanz der Verfassung hineintragen. Insbesondere bleiben Planungsnormen auch als Verfassungsrechtssätze schillernd, da sie sich m i t dem Fortgang der politischen Planung zwangsläufig inhaltlich ändern. Außerdem ist zu beachten, daß die Planungsnormen i n der Verfassung nicht ein Effizienzdenken allzusehr begünstigen, das zu einem Wandel der grundlegenden Verfassungsstrukturprinzipien führen kann. Und letztlich dürfen Planungsnormen i n der Verfassung nicht überstrapaziert werden, indem sie zur Begründung von Leistungsansprüchen an den Staat herangezogen werden. Hier w i r d die instrumentale Funktion der Planung und damit auch der Planungsnorm überschätzt und die leistungsstaatliche Seite der Grundrechte überdehnt. 2. Wandel einzelner verfassungsrechtlicher Institutionen durch politische Planung

Bedeutsamer als der Verfassungswandel durch Planungsnormen i n der Verfassung ist der Verfassungswandel, der durch die moderne Praxis politischer Planung insgesamt eintritt. I n irgendeiner Weise werden praktisch alle zentralen Verfassungsgrundsätze von den Verfahren politischer Planung betroffen 21 . Zunächst führt die Einbeziehung der politischen Planung i n die Grundrechtstheorie zwangsläufig i n das Zentrum der Diskussion u m ein leistungsstaatliches Grundrechtsverständnis 22 . Planung erscheint geradezu als Organisationsform staatlichen Handelns unter dem Zweck, die Effektuierung der Grundrechte zu fördern. Gleichzeitig setzen Grundrechte Ziel und Maß für politische Planung. Der Themenkreis Planung und demokratischer Rechtsstaat beschäftigt sich m i t dem Wandel vom klassischen Gesetz zum Planungsgesetz 23 , mit dem Rechtsschutz gegenüber staatlichen Planungen 24 und mit der Partizipation an 21 Allgemein zur Wechselwirkung zwischen Verwaltungsrecht und Verfassungsrecht: P. Häberle, Auf dem Weg zum Allgemeinen Verwaltungsrecht, in: BayVBl. 1977, 745 ff., 746 f. 22 Zu den Aufgaben einer Grundrechtstheorie des regelungsintensiven Industriestaates vgl. E.-W. Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: NJW 1974, 1529 ff. und im 6. Kap. unter I I . 23 Hierzu im 4. Kap. unter IV., 2. 24 W. Hoppe, Planung und Pläne, S. 676 ff. m. w. Nw.; vgl. weiter im 2. Kap. unter I I I . , 6 b, aa.

I I . Eindringen von Planungselementen i n die Verfassung

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der Planung 25 . Ersatz des Verlustes effektiven Rechtsschutzes durch Beteiligung an Planungsentscheidungen 26 und Schutz des Vertrauens in die Beständigkeit von Planungen und Planungsgesetzen stellt das Rechtsstaatsprinzip vor eine schwere Bewährungsprobe. Die bundesstaatliche Ordnung ist mit der Einführung der Gemeinschaftsaufgaben und der Vielzahl der Planungsausschüsse, an denen der Bund maßgeblich beteiligt ist, i n eine neue Entwicklungsphase getreten, die bei Erlaß des Grundgesetzes i n keiner Weise vorauszusehen war 2 7 . Umfassendere Planungen können nur noch unter Beteiligung des Bundes als Financier realisiert werden, wodurch die Länder einen großen Teil an politischer Substanz zu verlieren drohen und gleichzeitig die Veranwortlichkeit für die Planungskonzeptionen undeutlich werden. Erhebliche Verschiebungen hat der planende Industriestaat endlich i m Bereich des Prozesses politischer Willensbildung hervorgerufen 28 . Die Gewaltenteilungslehre herkömmlicher staatsrechtlicher Doktrin ist — wenn auch nicht obsolet — so doch durch eine erhebliche Machtverschiebung gekennzeichnet. I n Fragen der politischen Planung ist die Funktionenteilung zwischen Regierung und Parlament weit differenzierter abzustufen, als es die traditionellen Verfahren der Gesetzgebung erlauben. Einer Schwächung des Parlaments durch aktive Konjunkturpolitik und strategische Planung bleibt entgegenzuwirken. Vor allem gewinnt die Bürokratie ein erhebliches Eigengewicht i n den Verfahren politischer Planung, das zu Lasten der Staatsleitung von Regierung und Parlament geht. I m planungsintensiven Industriestaat müssen Vorkehrungen dafür getroffen werden, daß die Regelungskompetenzen der staatsleitenden Instanzen sich gegenüber der Allmacht bürokratischen Sachverstandes durchzusetzen vermögen. Nicht zuletzt verdienen auch die „außerverfassungsrechtlichen" Koordinierungsinstanzen Beachtung. Die konzertierte A k t i o n oder der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung weisen i n Richtung auf eine „ W i r t schaftsdemokratie", die nicht ohne Friktionen neben dem parlamentarischen System institutionalisiert werden kann 2 9 .

25 Fragen des Rechtsschutzes gegenüber politischer Planung und der Partizipation an der Planung werden in dieser Arbeit nur am Rande erörtert. Dies erscheint trotz der Relevanz dieses Fragenkreises legitim, weil es uns in erster Linie um die politische Planung und weniger um Planungen auf unteren staatlichen Ebenen geht. 26 W. Hoppe, S. 682 m. w. Nw. 27 G. Lehmbruch, Parteienwettbewerb, S. 72 ff., 102 ff.; Schlußbericht, S. 165. 28 Hierzu im 4. und 5. Kapitel. 29 Ebenso wie die Rechtsschutzthematik erscheint auch dieses Problem in dieser Arbeit nur auf der Verlustliste. Zwar besitzen diese Koordinierungsmechanismen einen Bezug zur politischen Planung. Gleichwohl spielen sie über den Bereich der Planung hinaus eine derart wichtige Rolle im poli-

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3. Kap. : Verfassungstheoretische Grundlagen der Planungsproblematik

I I I . Die Planungsidee als Paradigma eines neuen Verfassungsverständnisses Diese Skizze einiger Bereiche, i n denen politische Planung die Bedeutung verfassungsrechtlicher Institutionen zu modifizieren vermag, w i r f t die Frage auf, ob es sich hier nur u m einen punktuellen Wandel einzelner Verfassungsprinzipien handelt oder ob nicht das Verfassungsverständnis insgesamt i m Wandel begriffen ist. Reichweite und Intensität des Verfassungswandels durch Planung legen die These nahe, daß man eines Verfassungsverständnisses und einer Verfassungstheorie bedarf, die dem regelungsintensiven Industriestaat ausgangs des 20. Jahrhunderts angemessen sind, w i l l die Verfassungsrechtslehre die verfassungsrechtlichen Herausforderungen, vor die sie die politische Planung stellt, bewältigen. Denn sicherlich ist Verfassungstheorie nicht Staatsrecht i n der methodologischen Emigration, wie es D. Suhr i n dichotomischer Zuspitzung formuliert 1 . Ohne Verfassungstheorie ist vielmehr eine konsistente und sachgerechte Verfassungsauslegung und Verfassungsfortbildung überhaupt nicht möglich. Dies erweist sich mit aller Deutlichkeit, wenn man eine neue Aktionsform politischer Gestaltung i n eine Verfassungsrechtsordnung einzufügen sucht. Politische Planung und Verfassung lassen sich harmonisch zusammenfügen, wenn man einerseits die Planung als Aktionsform des regelungsintensiven Industriestaates beschreibt und andererseits die Fortbildung der Verfassung als Reaktion auf den sozialen und ökonomischen Wandel, der wiederum i n der politischen Planung Ausdruck findet, zu artikulieren sucht 2 . Zu diesem Zweck braucht man „eine systematisch orientierte Auffassung über den allgemeinen Charakter, die normative Zielrichtung und die inhaltliche Reichweite der Verfassung als solcher und ihrer Teile" 8 und präzise Kenntnisse über Wandlungen der Lebensformen und Machtverschiebungen i m politischen und sozialen Bereich, die der planende und lenkende Industriestaat i m Gefolge hat. Ein Verfassungsverständnis und eine Verfassungstheorie, die dem regelungsintensiven Industriestaat angemessen sind, lassen sich sichertischen Leben (Konsensbeschaffung; Erhaltung sozialen Friedens etc.), daß sie in dieser spezifisch am Planungsphänomen ausgerichteten Arbeit sicher ausgeklammert werden können. Verwiesen sei nur auf die Darstellungen bei: K. Stern, Grundfragen, S. 14 ff.; H.-H. Seidler, Rechtsschutz, S. 147 ff.; Κ . H. Biedenkopf, Rechtsfragen der konzertierten Aktion, in: BB 1968, 1005 ff., 1009 f.; J. Gotthold, S. 162 ff.; H. H. Rupp, Konzertierte Aktion und freiheitliche Demokratie, in: E. Hoppmann (Hg.), Konzertierte Aktion (1971), S. 1 ff., 13. 1 D. Suhr, Bewußtseinsverfassung und Gesellschaf tsver fassung (1975), S. 22. 2 Ähnlich auch E. Benda, Rechtsstaat, insbes. S. 504 f. 3

E.-W. Böckenförde,

Methoden, S. 2098.

I I I . Planungsidee als Paradigma eines neuen Verfassungsverständnisses

123

lieh nicht durch ein bloßes Fortschreiben des bisherigen Verständnisses der grundgesetzlichen Ordnung gewinnen. Zu groß sind die Veränderungen, denen der Staat als politische Ordnungsform beim Übergang zum regelungs-, leistungs- und planungsintensiven Sozialstaat unterliegt 4 . Das Grundgesetz ist gleichwohl i n der Lage, diese Veränderungen i n seinen Regelungsrahmen aufzunehmen. Die Struktur des Grundgesetzes ist dadurch gekennzeichnet, daß der Verfassunggeber A r t und Ausmaß der wirtschaftlichen und sozialen Gestaltung durch Aufnahme liberal-rechtsstaatlicher Regelungen i n den Verfassungstext offengelassen hat, ohne die Möglichkeit politischer Kompromisse, die am sozialen Gedanken ausgerichtet sind, auszuschließen. Diese Offenheit des Verfassungstextes für verschiedene Richtungen politischer Gestaltung erleichterte es wesentlich, nach 1945 wieder an die liberal-rechtsstaatliche Staats- und Verfassungstheorie anzuknüpfen. Bald nach Erlaß des Grundgesetzes vermochte sich eine an liberalem Gedankengut ausgerichtete Staats- und Verfassungstheorie durchzusetzen5. Der Rückgriff auf die bekannten Positionen des liberalen Rechtsstaates ist unübersehbar: Das Dogma von der Teilung der Gewalten, die Ausformung des Rechtsstaatsprinzips, der Begriff des allgemeinen und i n der Zeit beständigen Gesetzes oder das liberale Grundrechtsverständnis gehen auf eine Staats- und Verfassungstheorie zurück, die die Bereiche von Staat und Gesellschaft trennt und i m Bereich der Wirtschaft sich durch den freien Markt einen harmonischen Interessenausgleich erhofft. Unser klassisches Verständnis des Rechtsstaates ist das Vermächtnis einer durch ein politisch engagiertes Bürgertum erworbenen institutionell abgesicherten Freiheits- und Rechtssphäre gegenüber dem Staat. Die liberalen Grundrechte „garantieren die Gesellschaft als Sphäre privater Autonomie"®, indem sie staatliche Eingriffe i n den Bereich des Privaten begrenzen. Nur unter der Bedingung des allgemeinen Gesetzes sind Eingriffe i n Eigentum und Freiheit zulässig. Das allgemeine Gesetz gewährleistet ein Mindestmaß an Gleichheit, da sich der Staat „auf die generellen Bedingungen des Interessenausgleichs zu beschränken hatte" 7 . Es garantiert gleichzeitig ein M i n i m u m an Sicherheit, da es eine berechenbare Rechtsordnung schafft. Bis Mitte der 4 E.-W. Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht (1976), Vorwort, S. 7. 6 Symptomatisch für die Zeit der Suche nach einer neuen Verfassungsund Staatstheorie sind ζ. B. die Vorträge und Diskussion auf der Staatsrechtslehrertagung 1951 von H. P. Ipsen (Enteignung und Sozialisierung, in: V V D S t R L H. 10 [1952], S.74ff.), H. K. J. Ridder (ebd., S. 124 ff.), L. Raiser (ebd., S. 158), W. Flume (ebd., S. 156 f.) über die Themen Eigentum und Sozialisierung.

« J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 4. Aufl. (1969), S. 243. 7

J. Habermas, S. 196.

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3. Kap. : Verfassungstheoretische Grundlagen der Planungsproblematik

sechziger Jahre harmonisierte ein solches rechtsstaatlich-liberales Verfassungsverständnis m i t der Wirtschaftspolitik neoliberaler Prägung 8 . I m Streit u m die sog. Wirtschaftsverfassung haben sich zunächst neoliberale wirtschaftspolitische Vorstellungen durchsetzen und damit die liberale Verfassungstheorie weiter festigen können. Die neoliberale Wirtschaftspolitik trägt der Tatsache Rechnung, daß der liberale Rechtsstaat nicht allein die Rahmenbedingungen einer liberalen Wirtschaftsordnung zu sichern vermag. Wenn der liberale Rechtsstaat Wirtschaft und Gesellschaft sich selbst überläßt, entsteht die Gefahr, daß die Wirtschaftssubjekte durch Mißbrauch der freien Wettbewerbsordnung und durch Konzentrierung wirtschaftlicher Macht die Entfaltung liberaler Ordnungsvorstellungen verhindern. Da sich eine liberale W i r t schaftsordnung nicht spontan einstellt, soll der Staat deren Entstehung und Aufrechterhaltung sichern helfen. So meint etwa W. Eucken, „die wirtschaftspolitische Tätigkeit des Staates sollte auf die Gestaltung der Ordnungsformen der Wirtschaft gerichtet sein, nicht auf die Lenkung des Wirtschaftsprozesses" 9 . Kann der Staat eine an liberalen Vorstellungen ausgerichtete Rahmenordnung setzen und aufrechterhalten, so sollen automatisch die Wirtschafts- und Gesellschaftsprozesse nach objektiven Gesetzen ablaufen. Durch wirtschaftspolitische Maßnahmen hat der Staat folgende Grundprinzipien aufrechtzuerhalten: Die Marktform der vollständigen Konkurrenz, die Offenheit der Märkte, das Privateigentum, die Vertragsfreiheit, die Konstanz der Wirtschaftspolitik u. a. m. 10 . Es entspricht nicht zuletzt der Ausstrahlungskraft der w i r t schaftspolitischen Vorstellungen der Freiburger Schule, wenn das Bundesverfassungsgericht bei der Judikatur zum Rechtsstaatsprinzip ausdrücklich die „Tradition des liberalen bürgerlichen Rechtsstaates" aufnimmt 1 1 . I n der Rechtsprechung zu A r t . 2 und 12 GG erkennt U. Scheuner mit Recht eine Deutungstendenz, „die i n ihrem Kern von der theoretischen Wettbewerbsvorstellung der Freiburger Schule getragen oder beeinflußt w i r d " 1 2 . Das auf neoliberalen Vorstellungen beruhende Verfassungsverständnis und die neoliberale Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik begegnen — nicht erst — i m Industriestaat der Gegenwart erheblichen Bedenken. 8

J. Gotthold, Wirtschaftliche Entwicklung, S. 54 ff. W. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik (1952), S. 336. 10 W. Eucken, S. 254 ff., 264 ff., 275 ff., 285 ff.; vgl. R. Schmidt, Wirtschaftspolitik, S. 78 ff.; M. Welteke, Theorie und Praxis der sozialen Marktwirtschaft (1976), S. 18 ff., 46 ff.; H. Tietmeyer, Die Aufgabenteilung zwischen Staat und Privatsektor in der sozialen Marktwirtschaft, in: D. Duwendag (Hg.), Der Staatssektor in der sozialen Marktwirtschaft (1976), S. 21 ff., 23 ff. 11 BVerfGE 5, 85 ff., 197; K. Hesse, Grundzüge, § 6 vor I. 12 U. Scheuner, Grundrechtsinterpretation und Wirtschaftsordnung, in: DÖV 1956, 65; ders., Das Grundrecht der Berufsfreiheit, in: DVB1. 1958, 845 ff. 9

I I I . Planungsidee als Paradigma eines neuen Verfassungsverständnisses

125

Die Selbstregulierung ökonomischer und sozialer Prozesse, die sich die liberalistische Staats- und Gesellschaftslehre erhoffte, bleibt weitgehend Illusion 1 3 . Eine sich selbst überlassene Gesellschaft tendiert zu freiheitsbedrohender Machtkonzentration, zu einer Zerstörung der Lebensgrundlagen durch ungestüme technische Realisation, zu einer Vernachlässigung sozialer Vor- und Fürsorge und zur Verschärfung sozialer Konflikte. Zur Vermeidung solcher staatsbedrohender Entwicklungen mußten vom Staat zwangsläufig neue Aufgaben übernommen werden. Der planende Industriestaat der Gegenwart ist darum durch eine erhebliche quantitative Zunahme herkömmlicher Staatsfunktionen und das Auftreten qualitativ neuer Staatsfunktionen geprägt 14 . Diese neuen Staatsfunktionen, die der planungsintensive Staat erfüllt, lassen das Modell eines nur punktuell intervenierenden Staates nicht mehr realitätsadäquat erscheinen. Wegen dieses i n der Konsequenz der sozialen und ökonomischen Entwicklung liegenden Zuwachses an Lenkungs- und Leistungsfunktionen ist ein liberales Staatsverständnis, das den Staat in eine bloß ordnende Funktion verweist, nicht mehr realitätsadäquat. Es muß vielmehr nach einem Verfassungsverständnis Ausschau gehalten werden, das den Wandlungen der Realverfassung Rechnung zu tragen vermag. Andernfalls entsteht eine Diskrepanz zwischen Rechtsverfassung und Realverfassung, die die Rechtsverfassung zur Bedeutungslosigkeit herabmindern kann 1 5 . Denn die Verfassung muß ein stabilisierender, ständiger Aktualisierung bedürftiger Verhaltensentw u r f sein 18 , wobei die Prinzipien der verfassungsmäßigen Ordnung einesteils eine „relative Statik und Konstanz" entfalten, andernteils aber für die Dynamik historischer und sozialer Entwicklungen offen sein sollen 17 . Bei einer realitätsadäquaten Theorie i m Hinblick auf die Verfassung des regelungsintensiven Industriestaates darf man sich nicht darauf beschränken, überlieferte Rechtsinstitute als Relikte der Verfassungsepoche der konstitutionellen Monarchie zu begreifen und unter Darlegung ihres Bedeutungswandels in die parlamentarisch-rechtsstaatliche Verfassungsordnung der Gegenwart einzupassen 18 . Bildet man die libe13 Einzelheiten bei R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 28; J. Gotthold, S. 55 ff., 115 ff.; M. Welteke, S. 102 ff.; U. Wehinger, Raumplanung, S. 111 ff.; W. Hennis, Aufgaben einer modernen Regierungslehre, in: T. Stammen (Hg.), Strukturwandel der modernen Regierung (1967), S. 470 ff., 480 f. 14 Hierzu im 1. Kapitel. 15 Zur Diskrepanz zwischen Rechtsverfassung und Realverfassung vgl. G. Brunner, Kontrolle, S. 30; G. Leibholz, Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, in: Strukturprobleme, S. 280 f. 16 R. Bäumlin, Staat, Recht und Geschichte (Zürich 1961), S. 24. 17 K. Hesse, Grundzüge, § 1 I.

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3. Kap. : Verfassungstheoretische Grundlagen der Planungsproblematik

ral-rechtsstaatliche Begriffswelt lediglich fort, so enteilt einem i n liberal-rechtsstaatlicher Tradition verharrenden Verfassungsverständnis die soziale Wirklichkeit. Daher gewinnen die seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland von berufener Seite ausgesprochenen Mahnungen, daß es einer neuen Staats- und Verfassungstheorie bedürfe 19 und daß angesichts der neuen wirtschaftspolitischen A k t i v i t ä t des Staates die Entwicklung einer neuen Theorie des Rechtsstaates nötig sei 20 , heute besonderes Gewicht. „Als Erbgut der industriellen Revolution betritt der moderne Sozialstaat nach verbreiteter Meinung geradezu als Widersacher des Rechtsstaates die Szene, angelegt auf Versorgung, Schutz und Existenzsicherung aller Bürger gerade durch den Staat. I m Rechtsstaat gegen und i m Sozialstaat durch den Staat Freiheitsverbürgungen und Gerechtigkeit zu suchen, zeigt, was hier fehlt: ein Staatsbegriff und eine Verfassungstheorie für unsere Zeit 2 1 ." Zu entwickeln ist also ein neues Verfassungsverständnis und eine neue Verfassungstheorie, die i n der Tradition bewährter rechtsstaatlichliberaler Errungenschaften verbleibt, aber gleichzeitig den spezifischen Bedürfnissen und Mechanismen des leistungs- und regelungsintensiven Industriestaates Rechnung trägt, d. h. für die Wandlungen der Zeit offen ist 22 . I m Zentrum einer derartigen Fortentwicklung des Verfassungsverständnisses und der Verfassungstheorie steht zunächst die Überlegung, daß die Verfassung auch als ein Modell rationaler Sozialgestaltung begriffen werden kann; i n diesem Sinn hätte die Verfassung nicht nur ordnende und machtbegrenzende Funktionen, sondern auch die Aufgabe, der Politik durch konkrete Vorgaben die Richtung zu weisen 18 Beispielhaft für diese trotz allem wichtige Aufgabe der Verfassungstheorie sei nur die Arbeit von D. Jesch über „Gesetz und Verwaltung" (1961) erwähnt, der u. a. die Leistungsverwaltung i m Wege einer am Demokratieprinzip orientierten Fortentwicklung liberalen Denkens jenem Gesetzesvorbehalt zu unterwerfen sucht, dem seit jeher die Eingriffsverwaltung unterworfen ist. 19 F. Klein, Bonner Grundgesetz und Rechtsstaat, in: ZgesStW 106. Bd. (1950), S. 390 ff., 430 ff.; H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung (1961), S. 3 f., 84; K. Lompe, Gesellschaftspolitik, S. 62 ff.; 17. Scheuner, Das Gesetz als Auftrag der Verwaltung, in: DÖV 1969, 585 ff.; E.-W. Böckenförde, Methoden S. 2097 f. (Verfassungstheorie als Voraussetzung der Verfassungsauslegung); D. Grimm, Gegenwartsprobleme der Verfassungspolitik und der Beitrag der Politikwissenschaft, in: PVS Sonderheft 9 (1978), S. 272 ff. 20

K. Stern, Gesetz zur Förderung der Stabilität, S. 66 ff. R. Wiethölter, Die Position des Wirtschaftsrechts im sozialen Rechtsstaat, in: Festschr. für F. Böhm, hrsg. von H. Coing u. a. (1965), S. 41 ff., 42, 46 f. 22 Ansätze einer solchen Betrachtungsweise finden sich verschiedentlich: G. Schmid , Das Verhältnis von Parlament und Regierung i m Zusammenspiel der staatlichen Machtverteilung (1971), S. 229 ff.; U. Wehinger, Raumplanung, S.126 ff. 21

I I I . Planungsidee als Paradigma eines neuen Verfassungsverständnisses

127

und einen Lösungsrahmen für die Erarbeitung von sozialen Kompromissen abzugeben 28 . I n das Zentrum der Überlegungen zu einem neuen Verfassungsverständnis und zu einer neuen Verfassungstheorie läßt sich insbesondere das Phänomen der politischen Planung stellen 24 ; Planung gehört zu den Phänomenen, die in der rechtsstaatlichen Verfassung unmittelbar keinen Ort haben 25 , sondern i m Mittelpunkt des Wandels vom liberalen zum regelungs- und leistungsintensiven Staat stehen. Anhand der Verfahren, der Eigengesetzlichkeiten und der Machtverschiebung i m Gefolge politischer Planung läßt sich exemplarisch belegen, inwieweit ein liberal-rechtsstaatliches Verständnis einzelner verfassungsrechtlicher Institutionen und Verfahren zu angemessenen Lösungen zu führen vermag und inwieweit die Theorie des liberalen Rechtsstaates angesichts der Entwicklung zu einem leistungs- und regelungsstaatlichen Staatsverständnis fortgebildet werden muß. So w i r d eine verfassungstheoretische und verfassungsrechtliche Bewältigung der politischen Planung als Aktionsform des regelungsintensiven Industriestaates gleichzeitig zu einer Auseinandersetzung m i t den i m Wandel befindlichen Grundprinzipien verfassungsmäßiger Ordnung. Abschließend bleibt noch zu bemerken, daß die verfassungsrechtlichen Probleme politischer Planung i n vorliegender Arbeit nicht auf dem Hintergrund einer i n sich konsistenten Verfassungstheorie entwickelt werden können. Denn die verfassungstheoretische Aufarbeitung der Probleme des Industrie- und Leistungsstaates steht erst am Beginn. Ein realitätsadäquates modernes VerfassungsVerständnis und eine moderne Verfassungstheorie sind außerdem kaum durch einen einmaligen Wurf, sondern wohl eher durch eine vorsichtig tastende und schöpferische Fortbildung herkömmlicher Ansätze zu leisten 26 . Steht kein Verfassungsverständnis und keine Verfassungstheorie zur Verfügung, die den theoretischen Hintergrund für die verfassungsrechtliche Erörterung der Probleme politischer Planung abgeben können, so liegt es nahe, die Auswirkungen politischer Planung auf einzelne Institute des organisatorischen Teils und auf die inhaltlichen Vorgaben der Verfassung zu untersuchen. Hierbei w i r d der Wandel einzelner Institutionen des Grundgesetzes unter dem Gesichtspunkt der modernen Verfahren politischer Planung verfolgt, wobei „die heutigen Fragen staatlicher Ordnung von ihren historischen, geistigen und sozialen Voraussetzungen her begriffen werden" 2 7 . Dies verbürgt als Ergebnis wesentliche Teil23

Hierzu im 6. Kapitel unter II., I I I . , IV. E. Benda , Rechtsstaat, S. 504 f. 25 E. Forsthoff, Methoden moderner Planung, S. 22. 28 So R. Schmidt, Wirtschaftspolitik, S.259; J. P. Müller, Soziale Grundrechte, S. 790 ff.; ähnlich J. Gotthold, S. 204. 27 E.-W. Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, Vorwort, S. 7. 24

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3. Kap. : Verfassungstheoretische Grundlagen der Planungsproblematik

aspekte der V e r f a s s u n g s t h e o r i e des r e g e l u n g s i n t e n s i v e n I n d u s t r i e s t a a tes, da politische P l a n u n g das v e r f a h r e n s m ä ß i g e Z e n t r u m des m o d e r n e n Industriestaates bildet28.

28 W i l l man zu einer Verfassungstheorie gelangen, die nicht allein Verfassungsinterpretation ist, darf selbstverständlich kein vorschneller Rückzug auf die „Grenzen des rechtlich Machbaren" stattfinden (so aber etwa M. Schröder, Planung, S. 3; kritisch hierzu M. Lepper, Besprechung, in: Die Verwaltung, 8. Bd. [1975], S. 522).

Viertes Kapitel

Die Verteilung der Planungefunktionen im Schema der Verfassung Üblicherweise w i r d den organisatorischen Bestimmungen der Verfassung 1, die für den Ablauf der politischen Planung von Bedeutung sein können, lediglich bei der Verteilung der Planungsfunktionen zwischen Regierung und Parlament Beachtung geschenkt 2 . Sicherlich ist dieser Punkt, an dem die politische Entscheidung i n rechtliche Form gegossen wird, für eine demokratisch-gewaltenteilige Planungsorganisation von erheblicher Wichtigkeit. Die Ziele und Programme zur Realisierung politischer Planung werden aber nicht allein von der politischen Führung i n Regierung und Parlament bestimmt; sie werden daneben i n erheblichem Maß durch allgemeine politische und sozialethische Vorstellungen, durch gesellschaftliche Kräfte, durch politische Parteien, durch den politischen Einfluß der Bürokratie und nicht zuletzt durch die internationale Lage vorstrukturiert. I n diesem komplexen Prozeß der Konturierung und Strukturierung von Planungszielen und der Ausarbeitung von Planungsprogrammen spielen organisatorische Bestimmungen der Verfassung eine wichtige Rolle. Aus der Verfassung lassen sich mehr oder weniger deutlich die Funktionen der Parteien, der Regierung, der Ministerialbürokratie, des Parlaments und des Bundesrates bei der Ausarbeitung und Realisierung der politischen Planung entnehmen 3 . Bei einer Darstellung der von der Verfassung vorgezeichneten Funktionen von Parteien, Regierung, Regierungsbürokratie, Parlament und Bundesrat i n den Verfahren politischer Planung verdienen zunächst Inhalt und Grenzen der Planungstätigkeit dieser „Planungssubjekte" besondere Beachtung. Geht man den Einflußchancen der Parteien, der Regierung und der Ministerialbürokratie, des Parlaments 1 Der organisatorische Teil der Verfassung findet wachsendes Interesse. Hingewiesen sei nur auf H. Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems (1973). 2 Hierzu im 5. Kapitel. 3 F. W. Scharpf (Politische Durchsetzbarkeit, S. 55 f.) spricht hier plastisch vom „bundespolitischen Aktivsystem", das die Anstöße aus dem gesellschaftlichen Bereich aufnehmen und verarbeiten muß, wenn die Politik effektiv sein soll, und das über die Realisierung politischer Forderungen aus dem gesellschaftlichen Bereich verbindlich entscheidet.

9 Würtenberger

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

und des Bundesrates auf die politische Planung i m Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung nach, läßt sich weiterhin zeigen, inwieweit die Willensbildung i n dem Verfahren politischer Planung demokratische und inwieweit sie technokratische Elemente i n sich birgt. Nicht zuletzt w i r d auch von Interesse sein, ob die hergebrachte verfassungsrechtliche Organisation politischer Willensbildung für die politische Planung noch adäquat ist. Wenn die Einflüsse auf die Zielsetzungen und Programme politischer Planung seitens der Führungsvorgaben von Parteien, Regierung, Parlament und Bundesrat sowie seitens der Vorstellungen der planenden Bürokratie beschrieben werden, so w i r d implizit davon ausgegangen, daß weder „von oben nach unten" (deduktiv) noch „von unten nach oben" (induktiv) geplant wird 4 . Weder i n den Führungsvorgaben aus dem gesellschaftlichen Bereich (etwa artikuliert i n der öffentlichen Meinung oder durch die Interessentenverbände) 5 , noch i n den Führungsvorgaben aus den Parteien, noch i n denen aus dem Bereich von Regierung, Parlament oder Bundesrat läßt sich der archimedische Punkt von politischer Planung sehen. Vor allem hieße es das politische Gewicht der Bürokratie überschätzen, wollte man den eigenständigen politischen Beitrag der Bürokratie zur Planung zu einem, für die Planung wesentlichen und richtungweisenden Faktor hochstilisieren. Die Führungsvorgaben und die die Planung lenkenden Wertvorstellungen kommen vielmehr aus allen diesen Bereichen; es findet ein gegenseitiges Wechselspiel zwischen den einzelnen Institutionen i n der Staatsorganisation und dem gesellschaftlichen Bereich statt, das durch die Mechanismen der Staatswillensbildung i n geordnete Bahnen gelenkt wird. I m Hinblick auf die politische Planung erhält dieses Wechselspiel dadurch einigermaßen faßbare Konturen, daß i n dem politischen System die Zielvorstellungen an bestimmten Stellen, wie anläßlich von Parteitagsbeschlüssen, von Regierungserklärungen und Kabinettsbeschlüssen oder von Parlaments- und Bundesratsbeschlüssen festgelegt werden und es so gewisse Marksteine gibt, d. h. rechtlich oder politisch (faktisch) bindende Entscheidungen, die nicht oder nur unter besonderen Bedingungen i n Frage gestellt werden können. Die Zielsetzungen der politischen Planung erhalten erste Konturen durch die politische Diskussion i n den Parteien, vor allem aber durch die Parteitagsbeschlüsse. Man kann geradezu von einer Kette demokratischer Legitimation politischer Planung sprechen, die mit den partei4 F. Sidler, Grundlagen zu einem Management-Modell für Regierung und Verwaltung (Zürich 1974), S. 182 ff.; D. Frank, Politische Planung, S. 209 ff. 5 Zu den gesellschaftlichen Voraussetzungen politischer Willensbildung vgl. F. Voigt und H. J. Budischin, Grenzen, S. 64 ff.

I. Planungsfunktionen i m Bereich der Parteien

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internen Diskussionen u m Parteiprogramm und Wahlplattform® beginnt, die sich am Wahltag m i t der Abstimmung über das Wahlprogramm fortsetzt und sich schließlich m i t der Kanzlerwahl 7 , der Regierungserklärung und m i t der Regierungspolitik, die von der Parlamentsmehrheit getragen wird, schließt. Die Planungsziele, an denen die Regierung ihre Regierungspolitik ausrichtet, entstammen also oft nicht originär dem Bereich der Regierung und Regierungsbürokratie, sondern sind bereits i n den Parteien und i m Wahlkampf kritischer demokratischer Diskussion unterzogen worden. Auch Regierungsplanungen, die nicht vom Parlament beschlossen werden, können i n dieser Weise demokratisch legitimiert sein.

I. Planungsfunktionen im Bereich der Parteien Angesichts der interessenmäßig unterschiedlich strukturierten Wählerschichten benötigt der Prozeß der demokratischen Willensbildung die Parteien als zusammenfassende und gestaltende Zwischenglieder. Die Parteien haben die „Funktion des Bindegliedes i n der Legitimationskette zwischen Volk und politischer Führung" 8 . I n der parlamentarischen Demokratie, wie sie vom Grundgesetz näher geregelt wird, haben die breiten Massen die Möglichkeit, sich i n Parteien zu Gruppen zusammenzuschließen, die politisch handlungsfähig sind. I n den Parteien werden die politischen Ansichten des Volkes artikuliert und politische Entscheidungen gefällt 9 ; gleichzeitig haben die Parteien aber auch zur Aufgabe, die öffentliche Meinung i n Fragen der Politik zu formen. 6 Diese demokratische Legitimation darf freilich aus zweierlei Gründen nicht überschätzt werden: Auch die Ministerialbürokratie kann einen erheblichen Anteil an der Aufstellung der mittelfristigen politischen Zielsetzungen einer Partei besitzen. Es wäre daher wenig realistisch, wollte man den parteiinternen Willensbildungsprozeß in lediglich demokratischer Form sich verwirklichen sehen (Einzelheiten unter I I I . , 1 a, aa). Weiterhin werden neuerdings von den Parteien und Fraktionen besondere Planungsgruppen gebildet (vgl. K. Simon, Ansätze politischer Planung in der Opposition, in: ZParl 1975, 27 ff.; F. Grube, G. Richter und 17. Thaysen, Politische Planung, S. 83 ff. und passim; Α. Wender, Planung als „vierte Gewalt", S.38ff.). Abzuwarten bleibt, ob sich hier eine parteiinterne oder fraktionsinterne „Planungsbürokratie" entwickelt, die die Parteiprogramme und Wahlplattformen für Partei und Fraktion verbindlich zu interpretieren und fortzuschreiben vermag. 7 Vgl. hierzu W. Graf Vitzthum (Parlament, S. 282 ff.) mit dem Hinweis, daß die Kanzlerwahl auf Konkretisierung der Planung und auf parlamentarische Beteiligung an der Planung nur von geringer Bedeutung sei. 8 K. Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien, in: VVDStRL H. 17 (1959),.S. 11 ff., 21; ders., Grundzüge, § 5 I I , 6 b. 9 BVerfGE 1, 223 f.; 2, 11; G. Leibholz, Strukturwandel, S.90; Rechtliche Ordnung des Parteiwesens. Bericht der Parteienrechtskommission (1957), S. 65 f.

9*

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung 1. Die Einwirkung der Parteien auf den Prozeß staatlicher Willensbildung

Es ist eine Verengung des Blickfeldes, wenn man die Planungsfunktionenteilung i n einem parlamentarischen Regierungssystem auf das Verhältnis von Parlament und Regierung beschränkt. Denn zu den realen Faktoren der politischen Macht gehören auch die Parteien, die — gegebenenfalls über ihre Fraktionen — die Beschlüsse i n Parlament und Regierung wirksam steuern können 10 . Die politischen Entscheidungen i n Parlament und Regierung werden i n hohem Maße von dem Gestaltungswillen der politischen Parteien, die außerhalb der eigentlich staatlichen Institutionen stehen, beeinflußt. Die politischen Parteien ihrerseits befinden sich wiederum i n einer gewissen Wählerabhängigkeit. Mit Blick auf den Wahltag werden sich politische Parteien nur für solche Programme einsetzen, die i n der Wählerschaft eine gewisse Resonanz finden können. Konsequenz ist, daß Planungen erst langfristig spürbarer Sozialinvestitionen i n einer parlamentarischen Demokratie unter dem parteipolitischen Ziel der Machterhaltung wenig opportun sind, solange der Wähler sich durch kurzlebige Erfolge der Tagespolitik faszinieren läßt. Erst wenn der Wähler einen längerfristigen Planungshorizont zu würdigen weiß, und auf einen solchen Bewußtseinswandel deutet die Entwicklung der letzten Jahre hin, können sich bereits die Parteien mit Nachdruck auch längerfristigen politischen Konzeptionen zuwenden. Zu den wesentlichen Aufgaben der politischen Parteien gehört es, nach einem vermittelnden Ausgleich zwischen den verschiedensten politischen Bestrebungen i n den eigenen Reihen bestimmte politische Richtungen — und damit auch Planungsziele und einzelne planungsrealisierende Programme — i n Parlament und Regierung zur Geltung zu bringen. Da die politischen Parteien an der institutionalisierten politischen Willensbildung maßgeblich beteiligt sind, spielen sie auch eine wichtige Rolle bei der Ausarbeitung politischer Planung. Von den politischen Parteien werden neuerdings Planungsziele oder ganze Planungen durch parteiinterne Planungsgruppen oder den Parteien nahestehende Institutionen erarbeitet. Dies geschieht mit der Absicht, diese Planungen auch i m politischen System zu realisieren, bzw. — bei den Oppositionsparteien — den Regierungsplanungen eine Alternativplanung gegenüberzustellen 11 . 10 N. Gehrig, Parlament — Regierung — Opposition, S. 118 ff. m. w. Nw.; U. Lohmar, Das Hohe Haus, S. 139; K. Doehring, Staatsrecht, S. 147; F. W. Scharpf, Politische Durchsetzbarkeit, S. 56 ff. 11 Zu den Planungsgruppen in Parteien und Fraktionen vgl. Anm. 6 und insbesondere F. Grube, G. Richter und 17. Thaysen, S. 134 ff.

I. Planungsfunktionen i m Bereich de

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Solche Einflüsse der Parteien auf die Verfahren politischer Planung werden vielfach 12 nicht beachtet 13 . Die ist u m so bedauerlicher, als die Parteien auf verschiedenste Weise ihren Gestaltungswillen bei politischen Planungen der Regierung und Planungsentscheidungen des Parlaments durchsetzen können. Zu nennen sind etwa die Absprachen zwischen Parteiführung und Fraktion, wenn es u m das Abstimmungsverhalten i m Bundestagsplenum geht 14 oder i n den Bundestagsausschüssen eine bestimmte Richtlinie bei der Beratung von Regierungsplanungen oder Planungsgesetzen verfolgt werden soll. Weiterhin besitzt die Partei- und Fraktionsführung der Mehrheitspartei(en) i m Parlament die Möglichkeit, durch informelle Absprachen mit der Regierung auf politische Planungen Einfluß zu nehmen. Die Fraktion(en), die die Regierung tragen, besitzen so eine parteienstaatliche Kontrollfunktion gegenüber der Regierung. I n den Fraktions- und Parteisitzungen findet eine Richtungskontrolle der Regierungspolitik statt, die die Regierung an die Richtung der politischen Linie der Partei bindet. Hierbei steht die Fraktion als formelles Bindeglied zwischen Partei und Regierung, wenn es die Parteilinie i n der Regierungspolitik zu sichern gilt 1 5 . Auf diese Weise mag es gelingen, „eine Verselbständigung der Regierung gegenüber ihrer Basis i n Partei und Parlament zu verhindern" 1 8 . Durch informelle Einflußnahmen auf die Regierungspolitik und die Regierungsplanungen vermögen die Parteien und auch die Regierungsfraktionen zu einem gewissen Teil ihr trotz mancher Planungsversuche weiterhin bestehendes Defizit an eigenen Planungsaktivitäten abzubauen. Allerdings muß dann aber bereits i n den Parteien und Fraktionen eine Politikformulierung i n der A r t stattfinden, daß sich die Oberziele politischer Planung ohne Schwierigkeiten aus Parteiprogrammen und Parteitagsbeschlüssen ablesen lassen. Denn soll der Planung i m Bereich der Regierung und ihrer Bürokratie erfolgreich begegnet werden können, ist eine hinreichend konkrete (nicht unbedingt quantifizierte) Planung i n den Parteien erforderlich 17 . Die Frage, inwieweit 12

Ausnahme ist nunmehr C. Brünner, Politische Planung, S. 41 ff. So mit Recht H. Trautmann, Innerparteiliche Demokratie im Parteienstaat (1975), S. 60 ff.; skeptischer im Hinblick auf die Einflußmöglichkeiten der Parteien: U. Lohmar, Das Hohe Haus, S. 143 f. 14 Wobei an dieser Stelle nicht die Frage vertieft wird, inwieweit Parteioder Fraktionsführung das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten zu steuern vermögen (vgl. hierzu P. Haungs, Die Bundesrepublik — ein Parteienstaat?, in: B. Guggenberger u. a. [Hg.], Parteienstaat und Abgeordnetenfreiheit [1976], S. 59 ff., 70 ff. m. w. Nw.). 15 Die Parteilinie in der Regierungspolitik wird daneben durch Personalunion von Partei-, Fraktions- und Staatsämtern gesichert (hierzu N. Gehrig, S. 119 f.). 1β H. Trautmann, S. 66. 17 Ähnlich auch H. Trautmann, S. 67; F. W. Scharpf, Ein Ritt auf dem Papiertiger? in: Die neue Gesellschaft, Jahrg. 1973, S. 214 ff., 215. 13

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

Planungsziele v o n Parteiprogrammen 18 v o r s t r u k t u r i e r t w e r d e n können, ist d a r u m u n t e r v e r f a s s u n g s r e c h t l i c h e m A s p e k t i n d o p p e l t e r H i n s i c h t v o n B e d e u t u n g . Z u m e i n e n k ö n n e n solche P a r t e i p r o g r a m m e eine p a r teienstaatliche K o n t r o l l e der Regierung ermöglichen; z u m anderen k ö n n e n gegebenenfalls d i e P a r l a m e n t s a b g e o r d n e t e n a n P l a n u n g s z i e l e i n P a r t e i p r o g r a m m e n g e b u n d e n w e r d e n , w a s die r e a l p l e b i s z i t ä r e K o m p o n e n t e d e r W a h l r e c h t l i c h sichern u n d d e m a l l g e m e i n e n P o s t u l a t n a c h Konsequenz bei der A u s a r b e i t u n g politischer Planungen entgegenkommen würde. 2. Formulierung von Planungszielen in Parteiprogrammen Die demokratietheoretisch relevante Frühphase politischer Planung, i n d e r b e r e i t s die W e i c h e n f ü r die spätere staatliche P l a n u n g g e s t e l l t w e r d e n k ö n n e n , b e g i n n t m i t d e m Prozeß i n n e r p a r t e i l i c h e r W i l l e n s b i l d u n g , d e r nach d e m o k r a t i s c h e n G r u n d s ä t z e n o r g a n i s i e r t s e i n m u ß 1 9 . Nach innerparteilicher demokratischer W i l l e n s b i l d u n g w e r d e n auf den P a r t e i t a g e n u . a. d i e p o l i t i s c h e n P r o g r a m m e beschlossen 2 0 . I n e i n e m p a r lamentarisch-demokratischen System m i t kombinierter Verhältnis- u n d M e h r h e i t s w a h l , f ü r das m a n sich i n d e r B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d 18 Eine andere Frage wäre natürlich: Welche Rolle spielen die Fraktionen der Parteien bei der Ausarbeitung politischer Planungen im Parlament? Trotz einiger Arbeiten zu dieser Frage (vgl. bei Anm. 6) fehlen ausreichende empirische Analysen, um die reale Machtposition der Fraktionen gegenüber der Parteibürokratie einerseits und der Regierungsbürokratie andererseits beurteilen zu können. Es handelt sich hier um eine jener Grenzzonen des politischen Prozesses, in der Machtkämpfe unter weitgehendem Ausschluß der Öffentlichkeit ausgetragen werden und die je nach politischer Lage ein anderes Bild bietet. Aus all diesen Gründen soll dieser Fragenkreis an dieser Stelle jeweils nur am Rande beleuchtet werden, vor allem da sich dieser Teil des politischen Prozesses jenseits verfassungsrechtlich kanalisierter Formen vollzieht (vgl. auch D. Frank, Politische Planung, S. 82 ff.). 19 Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG; hierzu H. Trautmann,. 29 Freilich darf der Grad der parteiinternen Demokratisierung nicht überschätzt werden. Gerade bei der Aufstellung der hier im Vordergrund des Interesses stehenden Parteiprogramme ist der Anteil der zentralen Parteibürokratie derart stark, daß aus den verschiedensten Gründen (Vorwirkung des ausgearbeiteten Programms; Darstellung innerparteilicher Geschlossenheit in der Öffentlichkeit u. a. m.) den Parteitagen nur noch eine Akklamationsfunktion zukommt (vgl. zur Rolle der Parteibürokratie, des Verbandseinflusses und zur Einflußlosigkeit der Parteitage U. Lohmar, Innerparteiliche Demokratie [1963], S. 55 ff., 83 ff., 92 ff. u. passim; W. Jäger, Innerparteiliche Demokratie und Repräsentation, in: ders. [Hg.], Partei und System [1973], S. 108ff., 124 [zu Demokratisierungsstrategien]; F. Grube, G. Richter und 17. Thaysen, Politische Planung, S. 155 ff. m. w. Nw.). — Allerdings sind die von der zentralen Parteibürokratie erarbeiteten Programme wiederum an die vorherrschenden Wünsche in der öffentlichen Meinung und an den mutmaßlichen Wählerwillen rückgekoppelt. Denn im Mehrparteienstaat muß jede Partei den Wünschen der Wähler entgegenkommen, w i l l sie i m Wahlkampf mit ihrem politischen Programm obsiegen (hierzu R. Zippelius, A l l gemeine Staatslehre, § 16 I I I , 3).

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entschieden h a t , s i n d P a r t e i e n m i t P a r t e i p r o g r a m m e n , die s c h r i f t l i c h fixierte sachliche P r o g r a m m p u n k t e besitzen, f ü r die O r g a n i s a t i o n p o l i tischer W i l l e n s b i l d u n g geradezu w e s e n s n o t w e n d i g 2 1 . D i e P a r t e i p r o g r a m m e müssen i n e i n e m W a h l s y s t e m , i n d e m d e r W ä h l e r s o w o h l e i n e r Person als auch e i n e m p o l i t i s c h e n P r o g r a m m seine S t i m m e g i b t ( v o r a l l e m b e i d e r L i s t e n w a h l ) , die p o l i t i s c h e n Z i e l s e t z u n g e n d e r u m E i n f l u ß ringenden Parteien deutlich machen22. N u r bei Vorliegen v o n detailliert e n P a r t e i p r o g r a m m e n k a n n sich d e r W ä h l e r i n r a t i o n a l e r E r w ä g u n g 2 8 f ü r j e n e P a r t e i entscheiden, d i e seiner p o l i t i s c h e n Ü b e r z e u g u n g a m ehesten zu entsprechen v e r m a g . Z u d e r a r t i g e n P a r t e i p r o g r a m m e n g e h ö r e n v o r a l l e m das G r u n d s a t z p r o g r a m m , w e i t e r h i n gegebenenfalls das L a n g z e i t p r o g r a m m u n d d i e A k t i o n s p r o g r a m m e 2 4 f ü r W a h l k ä m p f e ( W a h l p l a t t f o r m ) o d e r f ü r die z u 21 Th. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 21 GG R N 17 m. w. Nw.; Rechtliche Ordnung des Parteiwesens, S. 131; W. Henke, Das Recht der politischen Parteien, 2. Aufl. (1972), S. 36 m. w. Nw. 22 Hierzu H. Flohr, Parteiprogramme in der Demokratie. Ein Beitrag zur Theorie der rationalen Politik (1968). — Mit Abstrichen gilt dies auch, wenn die Repräsentanten allein nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl gewählt werden. I n diesem Fall wird der Wahlkreiskandidat in der Regel nicht wegen seiner herausragenden persönlichen Qualitäten, sondern mit Rücksicht auf die Partei, für die er steht, gewählt. 23 Die Wahlsoziologie allerdings weist nach, daß nur ein Bruchteil der Wähler vernunftmäßig gesteuerte Wahlentscheidungen trifft (kritisch weiterhin N. Gehrig, Parlament — Regierung — Opposition, S. 153 ff.). Der Prozeß der Sozialisation und weltanschauliche oder selbst familiäre Bindungen können Wahlentscheidungen „determinieren", indem sie „Reflexionssperren" errichten (vgl. die Beiträge von E. Gruber, F. U. Pappi u. a. in: Wahlsoziologie heute, PVS 1977). 24 I n der Parteienforschung differenziert man zwischen verschiedenen Formen von Parteiprogrammen. Ohne ausreichende Abgrenzungskriterien anzugeben, unterscheidet etwa H. Kaack (Geschichte und Struktur des deutschen Parteiensystems [1971], S. 401) zwischen Grundsatz-, Aktions-, Wahlund Regierungsprogrammen. O. K. Flechtheim (Parteiprogramme, in: K. Lenk und F. Neumann [Hg.], Theorie und Soziologie der politischen Parteien, Bd. 2 [1974], S. 182) teilt die Parteiprogramme nach ihren Funktionen ein in Wahlprogramme, die der Werbung dienen, Grundsatzprogramme, denen eher Bekenntnischarakter zukommt, und Aktions- und Plattformprogramme, die über den zukünftigen Kurs einer Partei als Regierungs- oder Koalitionspartei Rechenschaft ablegen. Bei diesen Differenzierungen spielen zwei K r i terien eine Rolle: die Zeit und die Konkretheit der Programme. Die Grundsatzprogramme einer Partei beanspruchen eine langdauernde Gültigkeit und erschöpfen sich im Programmatischen. Die Aktionsprogramme beziehen sich mit konkreten Aussagen auf das politische Tagesgeschehen und haben nur den Zeitraum einer Legislaturperiode zum Operationsrahmen. Zwischen den Grundsatz- und Aktionsprogrammen kann es — quasi als Klammer — ein „Langzeitprogramm" geben. Das Langzeitprogramm ist ein operationalisiertes Grundsatzprogramm, in dem Strategien zur Verwirklichung politischer Grundsätze entworfen werden. Beispielhaft für ein derartiges Programm war das Langzeitprogramm der SPD (1972) (abgedruckt bei R. Kunz, H. Maier und T. Stammen, Programme der politischen Parteien in der Bundesrepublik [1975], S. 90 ff.).

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verfolgende künftige Regierungspolitik 25 . Diese verschiedenen Formen von Parteiprogrammen erfüllen wichtige Funktionen i m politischen Leben. Die Parteiprogramme haben die Aufgabe, einerseits nach außen zu wirken und andererseits das innere Gefüge der Partei zu ordnen. Was die Außenwirkung der Programme betrifft, so kommt ihnen zunächst eine Werbefunktion zu: Sie wollen neue Mitglieder ansprechen und die Wählerentscheidung beeinflussen; weiterhin besitzen sie eine Profilfunktion (Abgrenzung gegenüber anderen Parteien) und eine Agitationsfunktion (Vorbereitung der Auseinandersetzung m i t anderen Parteien) 26 . I m Vordergrund der Binnenwirkung der Parteiprogramme steht ihre Integrationsfunktion. Da die Anhängerschaft der politischen Parteien i n der Regel nicht aus einer homogenen Gruppe besteht, bedürfen die Parteien eines integrationswirksamen Programms. Das Parteiprogramm soll die verschiedenen Interessenrichtungen zu einer handlungsfähigen Partei zusammenfassen und eine einheitliche Richtschnur für alle Parteientscheidungen und Parteihandlungen sein. Parteiprogramme erfüllen nicht zuletzt auch eine Planungsfunktion 27 . Die politischen Zielsetzungen und Planungsziele, die i n den Parteiprogrammen niedergelegt werden, geben Auskunft darüber, i n welcher A r t die gesellschaftlichen und ökonomischen Probleme von den Parteimitgliedern i n Regierung und Parlament gelöst werden sollen. Die Parteiprogramme liefern sowohl die Leitlinien für die einzelnen Entscheidungen politischer Gestaltung i m staatlichen Bereich, als auch das Rahmenkonzept für zukünftige politische Aussagen und detaillierte Rahmenentscheidungen der Partei selbst. Sie leisten „das Vordenken für die politische Praxis" 2 8 . Diese Planungsfunktion von Parteiprogrammen ist je nach ihrer Form verschieden zu bewerten. Die Planungsfunktion von Grundsatzprogrammen, d.h. jenen Programmen mit allgemein gehaltenen Aussagen, die auf lange Gültigkeit 25 Vgl. etwa H. Schuster, Die Heerschau der Parteien. Theorie und Praxis der Parteitage, in: Politische Studien 1957, H. 88/89, S. 62; J. Dittberner, Funktionen westdeutscher Parteitage, in: Parteiensysteme, Parteiorganisationen und die neuen politischen Bewegungen. Beiträge zur Internationalen Konferenz über vergleichende politische Soziologie (1968), S. 119 f. 2β H. Kaack, S. 402; H. Flohr, S. 60 ff. 27 So H. Kaack, S. 527; zurückhaltender F. Grube, G. Richter und U. Thaysen, S. 160 f. — Eine Ubersicht über die hier nicht angesprochenen Funktionen von Parteiprogrammen und eine Zuordnung der Funktionen zu den einzelnen Formen von Parteiprogrammen finden sich bei R. Kunz, H. Maier und T. Stammen, S. 25 ff. 28 W.-D. Narr (CDU — SPD. Programm und Praxis seit 1954 [1966], S. 36) weist mit Recht darauf hin, daß die Grundsatzprogramme der Parteien nicht der Tendenz zur Verwissenschaftlichung der Politik und der Scheinobjektivität der Expertokratie unterworfen seien, sondern sich um die politische Diskussion von Zielsetzungen bemühten.

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angelegt sind, kann nicht allzu hoch eingeschätzt werden. Sicherlich fühlen sich zwar die Parteimitglieder i n Parlament und Regierung ihrem Grundsatzprogramm verbunden, das sie i n die politische Realität umsetzen möchten 29 . Es liegt aber am Programmatischen, an der Suche nach dem größten gemeinsamen Nenner, der für die divergierenden Kräfte innerhalb der Partei annehmbar bleibt, daß Grundsatzprogramme keine konkreten Entscheidungsrichtlinien geben können 30 . I n Grundsatzprogrammen werden weiterhin Konzeptionen entworfen und fixiert, die auf eine langfristige Politik ausgerichtet sind. Die Konkretisierung und Realisierung dieser langfristigen Politik kann i n der Regel nur nach einer genaueren Zeitanalyse geschehen31. Grundsatzprogramme können also wegen ihrer programmatischen und auf Konkretisierung angelegten Aussagen zukünftigen politischen Planungen allenfalls die große Richtung weisen 32 . Dagegen finden sich mehr oder weniger konkrete Planungsziele i n den Langzeitprogrammen, die die politischen Zielsetzungen der Grundsatzprogramme operationalisieren und mit längerfristigen Strategien zu verwirklichen suchen. M i t ihrer auf lange Sicht angelegten Konzeption unterscheiden sich die Langzeitprogramme von den Aktionsprogrammen, die kurz und mittelfristig politische Probleme in Angriff nehmen. Seit den letzten Jahren geben die Langzeitprogramme der Parteien i m Gegensatz zu früher genauere Auskünfte über ihre Vorstellungen i n Planungsangelegenheiten. Beispielhaft sei das Langzeitprogramm (1972) der SPD 33 genannt. Es geht von der Notwendigkeit langfristiger politischer Planung aus und betrachtet Planung als einen gestuften Entscheidungsprozeß. Einigen programmatischen Ausführungen allgemeinen Inhalts folgt die Prognose des ökonomischen Rahmens, i n dem sich die Planung abspielt. Es werden u. a. genaue Angaben über die Zuwachsrate des Sozialprodukts, die Steigerung der Staatsausgaben, die Veränderung der bisherigen Sozialproduktsverteilung u. a. m. ge29 W. Schönbohm, Funktion, Entstehung und Sprache von Parteiprogrammen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung das Parlament vom 24. 8.1974, S. 17 ff., 18, 32 f.; M. Katzer, Parteiprogramme und Demokratie (1948), S. 8 f. 30 Ο. K. Flechtheim, Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland (1973), S. 12, 131 f.; M. Katzer, S. 11; für eine klare sprachliche Fixierung der Grundsatzprogramme plädiert H. Flohr, S. 64 f. 31 H. Flohr, S. 65 ff. 32 Daher geht die vehemente Kritik N. Luhmanns (Probleme eines Parteiprogrammes, in: H. Baier [Hg.], Freiheit und Sachzwang. Beiträge zu Ehren H. Schelskys [1977], S. 167 ff.) am Grundsatzprogramm der CDU von 1976 fehl. I n Grundsatzprogrammen werden eben gerade keine, wie es Luhmann fordert, konkreten Prioritäten und eben nicht die Bedingungen ihrer Realisierung festgelegt. 33 Abgedruckt bei R. Kunz, H. Maier und T. Stammen, S. 90 ff.; vgl. hierzu auch K. Gresser, Finanzplanung, S. 65 ff., 191 ff.

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macht. Dieses Langzeitprogramm war stark an den modernen Methoden politischer Planung orientiert; es erarbeitete für die politische Planung teilweise recht detaillierte Prognosen und umriß die großen Richtlinien für die zu treffenden Maßnahmen. M i t diesem Langzeitprogramm wurde der Versuch unternommen, die Regierungsplanung parteiintern vorzudiskutieren und vorzustrukturieren. Es wurde ein Rahmenkonzept geschaffen, das die parteiinterne Diskussion über Planungsprobleme aus dem bloßen Meinungsmäßigen in eine durch wissenschaftliche Analyse gesicherte Bahn zu lenken suchte. A n diesem Langzeitprogramm der SPD zeigte sich freilich, welchen Schwierigkeiten eine präzise Festschreibung wirtschaftlicher Daten und politischer Programme begegnet. Je konkretere Angaben ein mittelfristiges Parteiprogramm enthält, desto schwieriger w i r d es, i n einer Generaldiskussion des Programmes eine breite Zustimmung i n der Partei zu finden. Vor allem aber sind W i r t schaftsprognosen i n Parteiprogrammen fehl am Platz. Bereits die internationalen Einflüsse des ö l - und Finanzmarktes können wichtige Aussagen eines langfristigen Parteiprogramms hinfällig machen 84 . Die derzeit gültigen Langzeitprogramme von SPD und CDU und FDP 8 5 vermeiden auch aus diesem Grund ins einzelne gehende zahlenmäßige Voraussagen und quantifizierte Zielwerte für die Verteilung des künftigen Sozialprodukts. Sie enthalten gleichwohl die wichtigsten Ziele politischer Planung, wenn etwa dauerhafte Stabilität und stetiges W i r t schaftswachstum 86 , die Verbesserung der Infrastruktur i n den w i r t schaftlich benachteiligten Gebieten 37 , eine ausreichende und preisgünstige Versorgung der Verbraucher m i t Energie 88 , eine Humanisierung der Arbeitswelt 3 9 oder eine langfristige Arbeitsplatzsicherung 40 gefordert werden. I n besonderem Ausmaß vermögen die Aktionsprogramme für Wahlkämpfe (Wahlplattform) und für die zu verfolgende zukünftige Regierungspolitik die politische Planung vorzustrukturieren 4 1 . Beim Aktions34 H. Maier, Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, in: R. Kunz, H. Maier und T. Stammen, S. 66; P. von Oertzen, Einleitungsreferat, in: P, von Oertzen, H. Ehmke und H. Ehrenberg (Hg.), Orientierungsrahmen 85. Text und Diskussion (1976), S. 79 ff., 81 f.; hierzu allgemein N. Luhmann (S. 175 f.). 35 Abgedruckt in H. Kremendahl, Parteiprogramme, 9. Aufl. (1976), S. 58 ff. (ökonomisch-politischer Orientierungsrahmen der SPD für die Jahre 1975 1985), S. 162 ff. (das Berliner Programm der CDU in der Fassung des 18. Bundesparteitages in Düsseldorf vom 25.-27.1.1971), S. 309 ff. (die Freiburger Thesen der Liberalen vom 25. - 27.10.1971, die aus Elementen eines Grundsatz-, Langzeit- und Aktionsprogrammes bestehen). 36 Berliner Programm der CDU, S. 180. 37 Ebd., S. 184. 38 Ebd., S. 191. 39 Orientierungsrahmen der SPD, S. 138 ff. 40 Ebd., S. 121 ff.

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Programm einer Partei stehen weniger die generellen Bestrebungen der Partei i m Vordergrund. Es sollen dem Bürger vielmehr Informationen über die von der Partei angestrebte Politik während der kommenden oder der laufenden Legislaturperiode geliefert werden. Das Aktionsprogramm für Wahlkämpfe, für das sich der Ausdruck Wahlplattform einzubürgern beginnt, ist „die Konkretisierung des Grundsatzprogramms für die nächsten Jahre" 4 2 . U m sich von Aktionsprogrammen anderer Parteien ausreichend deutlich zu unterscheiden, sollte die Wahlplattform möglichst konkret sein. I n Wahlplattformen sollten darum gegebenenfalls einzelne Leitziele der zukünftigen Politik genannt, diese Leitziele durch Unterziele näher interpretiert und durch Maßnahmekataloge operationalisiert werden 4 3 . Denn soll ein Wähler rational über die i h m vorliegenden Aktionsprogramme am Wahltag entscheiden können, muß ein bestimmter Grad an Detailliertheit der Aktionsprogramme erreicht sein. Sind dergestalt die Richtlinien der Regierungspolitik für die kommende Legislaturperiode von den A k tionsprogrammen mehr oder weniger konkret ausformuliert, so liegt ein Rahmenplan für die zukünftige politische Planung vor. I n der politischen Praxis genügen freilich die Wahlplattformen meist nicht diesen Anforderungen, deren Erfüllung eine rationale Wählerentscheidung ermöglichen und eine Vorstrukturierung politischer Planung leisten würde. Das liegt u. a. daran, daß für den Wahlkampf ein wissenschaftlich abgesicherter Planungsrahmen nicht brauchbar ist, sondern die politischen Ziele i n gängiger Münze einem breiten Publikum dargeboten werden müssen. Auch soll die Wahlplattform möglichst viele Wähler ansprechen und muß dementsprechend allgemein gehalten werden 44 . 3. Keine Bindung der Parlamentsabgeordneten an die Parteiprogramme

Bei den Grundsatz-, Langzeit- und Aktionsprogrammen stellt sich die Frage, ob die Programmziele, insbesondere aber die das Parteiprogramm strukturierenden Planungsziele für die Abgeordneten rechtlich bindend sind oder ob eine elastische Politik erlaubt sein soll. Darf Politik i n das Prokrustesbett eines Programmes gezwängt werden, das alle wichtigen künftigen Ereignisse einfach nicht i m voraus berücksich-

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Zur Bedeutung der Aktionsprogramme vgl. H. Flohr, S. 67 ff. H. Flohr, S. 67. 43 H. Flohr, S. 69 ff. 44 Anderes kann wiederum für die Aktionsprogramme für die Regierungspolitik gelten, die von den Parteien während einer Legislaturperiode erarbeitet werden. Hier stehen oft Einzelvorhaben im Vordergrund, für die von den Parteien recht detaillierte Handlungsrahmen entwickelt werden. 42

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t i g e n k a n n ? O d e r v e r m a g sich der P o l i t i k e r auch p r o g r a m m i n k o n f o r m zu verhalten? D e r R e g e l f a l l ist, daß die P o l i t i k e r i n P a r l a m e n t u n d R e g i e r u n g sich i h r e m P a r t e i p r o g r a m m v e r p f l i c h t e t f ü h l e n , als dessen V e r f e c h t e r sie i n der Ö f f e n t l i c h k e i t a u f t r e t e n . D i e P a r t e i p r o g r a m m e s i n d geradezu die Basis d e r p o l i t i s c h e n A n s c h a u u n g e n d e r P o l i t i k e r 4 5 . W e i t e r h i n g e h ö r t es z u r p o l i t i s c h e n K u l t u r d e r w e s t l i c h e n D e m o k r a t i e , daß sich d i e P o l i t i k e r an die W a h l p l a t t f o r m g e b u n d e n f ü h l e n . D i e politische B i n d u n g a n die v o r d e r W a h l a u f g e s t e l l t e n P a r t e i p r o g r a m m e findet eine i n n e r e Rechtf e r t i g u n g i m d e m o k r a t i s c h e n P r i n z i p , w o r a u f noch n ä h e r e i n z u g e h e n ist. A u ß e r d e m l ä ß t sich die m o r a l i s c h e B i n d u n g des P o l i t i k e r s an die W a h l p l a t t f o r m aus d e m a l l g e m e i n r e c h t l i c h e n P r i n z i p d e r K o n s e q u e n z , n ä m l i c h d e m V e r b o t des „ v e n i r e c o n t r a f a c t u m p r o p r i u m " b e g r ü n d e n 4 6 . I n s o f e r n e n t f a l t e n die P a r t e i p r o g r a m m e eine s t a r k faktische B i n d u n g s wirkung. E i n e r e c h t l i c h s a n k t i o n i e r t e B i n d u n g 4 7 der P a r l a m e n t a r i e r a n die G r u n d s a t z - , L a n g z e i t - u n d A k t i o n s p r o g r a m m e i h r e r P a r t e i e n l ä ß t sich d u r c h e i n R a h m e n - M a n d a t 4 8 nach e n g l i s c h e m V o r b i l d 4 9 erreichen. E i n e verfassungsrechtliche E i n o r d n u n g d e r L e h r e v o m R a h m e n - M a n d a t m u ß

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865. 46

So H. Martens, Freies Mandat oder Fraktionsdisziplin?, in: DVB1. 1965,

So R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 17 I I I 2. Zu denken ist an eine rechtliche Regelung des Rahmen-Mandats im Parteiengesetz oder in einem noch zu erlassenden Abgeordnetengesetz (hierzu N. Achterberg, DVB1. 1974, 706). Den möglichen Inhalt einer derartigen rechtlichen Regelung des Rahmen-Mandats diskutiert N. Achterberg (Das rahmengebundene Mandat [1975], S. 36 ff.); Konsequenzen der Rahmenabweichung könnten sein: Ungültigkeit oder Anfechtbarkeit der Stimmabgabe, Mandatsverlust des Abgeordneten (etwa im Wege einer bereits zu Beginn der Legislaturperiode abgegebenen Mandatsverzichterklärung) bei Abweichung vom Parteiprogramm. 48 Zum Rahmen-Mandat vgl. N. Achterberg, Das rahmengebundene Mandat; R. Zippelius, § 17 I I I 2; Th. Oppermann, Das parlamentarische Regierungssystem, S. 53 f. — Terminologisch erscheint die Bezeichnung „generelles" Mandat (so etwa G. Leibholz, Strukturwandel der modernen Demokratie, in: ders., Strukturprobleme, S. 107) nicht sehr glücklich, da das Gegenteil nicht ein „spezielles", sondern das „imperative" Mandat ist. Ähnlichen Bedenken begegnet auch die Zusammensetzung „generell-imperatives" Mandat (K. Hesse, Grundzüge, § 15 I V , 1 a. E.). Weiterhin sollte auch von „rahmengebundenem" Mandat nicht gesprochen werden, da ein Rahmen nicht binden, sondern nur begrenzen kann. 49 K.-U. Meyn, Die Verfassungskonventionalregeln im Verfassungssystem Großbritanniens (Göttinger rechtswissenschaftliche Studien Bd. 93) (1975), S. 70 ff. (Bindung von Parlamentsabgeordneten und Regierung an ihr Wahlprogramm), 90 ff. (Bindung der Parteien an die im Wahlkampf herausgestellten Führer), 119 f. (zur Geltung der Mandatsdoktrin) jew. mit Nw. zur engl. Lit.; G. Leibholz, S. 96 f., 107; Th. Oppermann, Britisches Unterhauswahlrecht und Zweiparteiensystem (1961), S. 102. 47

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bei dem Spannungsverhältnis von A r t . 38 Abs. 1 S. 2 GG und A r t . 21 GG und ganz allgemein bei der Theorie von der Repräsentation ansetzen. Auf dem Hintergrund dieser grundsätzlichen Bestimmungen und der allgemeinen Theorien demokratischer politischer Willensbildung hat Achterberg grundsätzliche „Überlegungen zur Möglichkeit der Bindung des Abgeordneten an das Parteiprogramm" 5 0 angestellt. Sicherlich steht einer Bindung des Abgeordneten, die die große Richtung der Politik m i t dem Wählerwillen zu harmonisieren sucht, das sog. „freie Mandat" des Abgeordneten nicht schlechthin entgegen. Denn es ist, wie Achterberg betont, die oft anzutreffende Wendung vom „freien Mandat" des Abgeordneten „schlicht falsch" 51 . M i t der Thematisierung des wenig griffigen Freiheitsbegriffs ist nur wenig gewonnen; es ist unbestreitbar, daß die Abgeordneten einerseits wie jedermann an Gesetz und Recht gebunden und andererseits vielfältigen Einflüssen aus der Umwelt, insbesondere influenzierenden Direktiven 5 2 ihrer Partei und aus ihrem Wahlkreis 5 3 unterworfen sind, die recht erhebliche faktische Bindungswirkungen entfalten können. Bestehen also bereits gewisse Bindungen, denen der Abgeordnete mit seinem Mandat unterliegt, so läßt sich weiter fragen, „ob nicht darüber hinaus das Parteiprogramm i n diesen Rahmen einzubeziehen ist" 5 4 . Gemeint sind nicht nur die langfristigen, sondern auch die von der Wahlplattform umrissenen kurz- und mittelfristigen Zielsetzungen einer Partei. Gegenstand der folgenden Erörterungen sind allerdings nur jene Programme einer Partei, die bereits vor der Wahl formuliert sind 55 . Auszuscheiden haben Parteiprogramme, die während einer Legislaturperiode zwecks Einflußnahme auf die Regierungspolitik beschlossen werden. Denn die Theorie vom Rahmen-Mandat, soll sie für die Ordnung des Grundgesetzes fruchtbar gemacht werden, kann keine generelle Bindung des Abgeordneten an die Beschlüsse der Partei zum Inhalt 50 N. Achterberg bereitet in seiner Arbeit über „Das rahmengebundene Mandat" (der Untertitel als obiges Zitat) den hier vernachlässigten Theoriehintergrund auf. 51 N. Achterberg, S. 16 m. w. Nw.; vgl. weiter W. Wiese, Das Amt des Abgeordneten, in: AöR 101. Bd. (1976), S. 548 ff., 560 f.; H. Trautmann, S. 98 f. 52 Ein Katalog der Einflußmöglichkeiten der Partei auf die Mandatsträger findet sich bei W. Kaltefleiter, H. J. Veen, Zwischen freiem und imperativem Mandat, in: B. Guggenberger u. a. (Hg.), Parteienstaat und Abgeordnetenfreiheit (1976), S. 237 ff., 245 ff.; vgl. weiter B. Badura und J. Reese, Jungparlamentarier in Bonn — ihre Sozialisation im Deutschen Bundestag (1976), S. 43 ff., 84 ff. und passim. 53 17. Lohmar, Das Hohe Haus, S. 141 f. 54 N. Achterberg, S. 18. 55 Auch geht es nicht um eine Bindung der Abgeordneten an die „Sinuskurven der Demoskopie" (Th. Oppermann, Das parlamentarische Regierungssystem, S. 53).

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

haben. Das Rahmen-Mandat darf den Abgeordneten nicht von „Imperativen" seiner Partei oder Fraktion 5 6 abhängig machen und damit i n ein Gefolgschaftsverhältnis zu der Parteibürokratie und Fraktionsführung zwängen 57 . Der freie Prozeß politischer Willensbildung würde erheblichen Schaden nehmen, da das freie Mandat des Abgeordneten am besten die Freiheit der Meinungs- und Willensbildung innerhalb der Parteien und Fraktionen gewährleistet 58 . Denn das freie Mandat des Abgeordneten garantiert die Möglichkeit engagierter innerparteilicher und fraktionsinterner Diskussion und eines Kampfes u m die Führungspositionen innerhalb der Fraktionen, bei dem die besseren Argumente die schärfste Waffe sind. Andererseits entspricht es einer konsequenten Verfolgung des demokratischen Prinzips, wenn man den Parlamentarier an jene Parteiprogramme bindet, mit denen seine Partei zur Wahl angetreten ist. Diesen Programmen wurde bei der Wahl demokratischer Konsens zuteil. Ein solches Rahmen-Mandat ist i n hohem Maße geeignet, das allgemeine demokratische Bewußtsein zu stärken. Falls die A b geordneten an die vor der Wahl aufgestellten Parteiprogramme gebun-> den 59 sind, kann der Wähler seine Entscheidung auf Grund rationalen Erwägens 60 treffen; er kann mit Konsequenz i n der Politik rechnen, für die er sich entschieden hat. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Rahmen-Mandats beurteilt sich allerdings nicht allein nach dem demokratischen Prinzip, sondern auch nach der grundsätzlichen Regelung des Abgeordhetenstatus i n A r t . 38 Abs. 1 S. 2 GG. Hier läßt zunächst die Wendung, der Abgeordnete sei „Vertreter des ganzen Volkes", die Konstruktion eines Rahmen-

56 Zum ohnehin bestehenden Abhängigkeitsverhältnis des Abgeordneten von seiner Fraktionsführung vgl. H. Schatz, Der parlamentarische Entscheidungsprozeß (1970), S. 66 ff. 57 Ein beachtenswerter Vorschlag geht dahin, das „freie" Mandat des Abgeordneten an eine demokratische Willensbildung innerhalb der Parteien und damit gegebenenfalls auch an Parteiprogramme, die während einer Legislaturperiode verabschiedet wurden, zu binden (H. Trautmann, S. 99 ff.: „influenzierendes" Mandat). Bedenken gegen diesen Vorschlag lassen sich nicht allein im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG vorbringen. Denn im Einzelfall läßt sich kaum entscheiden, welche Entscheidungen einer Partei unter massivem Druck der etablierten Parteibürokratie getroffen worden sind und welche Entscheidungen in demokratischer Selbstbestimmung der Parteimitglieder zustande kamen. 68 K. Hesse, Grundzüge, § 15 I V 1; daher erscheint es verfehlt, wenn W. Wiese (S. 559) „die vereinzelt immer noch für erforderlich gehaltene Abschirmung des Abgeordneten gegen seine P a r t e i . . . letztlich als Nachwirkung des im 19. Jahrhundert verbreiteten bürgerlichen Ressentiments gegen die politischen Parteien überhaupt" betrachtet. 59 Vgl. W. Sacher, Das freie Mandat, in: österr. Zeitschrift für öffentliches Recht, Bd. 17 (1967), S. 269 ff., 285; N. Achterberg, S. 38; H. Flohr, S. 99 eo Vgl. aber auch bei Anm. 23.

I. Planungsfunktionen i m Bereich de

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Mandats nicht zu, „Das ganze Volk" umfaßt mehr als allein die Wähler eines Wahlbezirks, eine bestimmte Interessentengruppe oder eine bestimmte Partei® 1. Die Begriffe „Vertreter des ganzen Volkes" und „ M i t glied einer Partei" decken sich nicht. Daher sind Abgeordnete auch nicht an Aufträge und Weisungen gebunden, kommen sie aus dem Wahlkreis, von gesellschaftlichen Gruppen oder von der eigenen Partei und Fraktion. Diese Regelung läßt sich auch nicht dadurch relativieren, daß man die Weisungs- und Auftragsfreiheit auf „Einzelweisungen" beschränkt und die Zulässigkeit von Rahmenaufträgen ins Auge faßt® 2. Denn zum einen enthalten die Langzeitprogramme und Wahlplattformen eine Menge recht konkreter Aussagen über die künftig zu verfolgende Politik. Damit würden bereits wichtige Aussagen der Parteiprogramme von einem Rahmen-Mandat nicht erfaßt werden. Zum anderen läßt die klare Aussage des A r t . 38 Abs. 1 S.2 GG, der Abgeordnete sei als Vertreter des ganzen Volkes an Aufträgen und Weisungen nicht gebunden, eine Differenzierung nach Rahmenaufträgen und Einzelweisungen nicht zu. Denn auch bei einer Bindung an Rahmenaufträge ist der Abgeordnete eben nicht mehr „Vertreter des ganzen Volkes", sondern nur noch einer bestimmten Gruppe. Weiterhin spricht auch die Bestimmung, daß Abgeordnete nur ihrem Gewissen unterworfen seien, gegen die Zulässigkeit eines RahmenMandats. Stimmt die Rahmenbindung mit der weltanschaulichen und politischen Richtung eines Abgeordneten überein, — sonst hätte er sich ja nicht für die Partei aufstellen lassen —, so kommt er nicht i n Gewissenskonflikte, wenn er an der eingegangenen Rahmenbindung von der Partei festgehalten wird® 3. Dies w i r d aber nur für den Regelfall gelten können. Es ist vorstellbar, daß ein Abgeordneter einem Parteiprogramm bis auf einen oder einige wenige Punkte v o l l zustimmt. Es sei nur an Reformen i m sozialpolitischen Bereich gedacht, bei denen die Fronten mitten durch die Parteien gehen können. Bei Entscheidungen über Maßnahmen zum Schutz des werdenden Lebens etwa muß der Abgeordnete, auch wenn er sonst die Wahlplattform bejaht, aus Gründen ethischer Überzeugung von einer i h m nicht zusagenden Formulierung i n der Wahlplattform abweichen können. Ohne die Möglichkeit, i n Einzelpunkten von den programmatischen Erklärungen seiner Partei sich distanzieren zu können, wäre der verfassungsrechtliche Schutz der Gewissensfreiheit des Abgeordneten eine leere Formel. Insgesamt gesehen kann man daher entgegen der Ansicht Achterbergs® 4 dem A r t . 38 61 62 es 64

W. Wiese, S. 558 m. w. Nw. So aber N. Achterberg, S. 21 f. So N. Achterberg, S. 22 f., allerdings ohne weitere Differenzierung. N. Achterberg, S. 23.

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

Abs. 1 S. 2 GG keine Anhaltspunkte für die Zulässigkeit der Bindung eines Abgeordneten an sein Parteiprogramm entnehmen 65 . Diese rigorose Ablehnung einer verfassungsrechtlich zulässigen Bindung der Abgeordneten an das Parteiprogramm kann allerdings i m Hinblick auf A r t . 21 GG zu modifizieren sein. Sicherlich beschränkt sich die von A r t . 21 GG beabsichtigte parteienstaatliche Demokratie nicht allein auf das parlamentarische Vorfeld. Auch über die Vorbereitung von Wahlen hinaus gehört es zu den legitimen Aufgaben politischer Parteien auf das politische Geschehen Einfluß zu nehmen. Die Aufgaben des das Volk repräsentierenden Parlaments sind mittelbar auch Aufgaben der Parteien; die Parteien sollen geradezu den Volkswillen „ i n die Staatsorgane hineintragen" β β . Das Rahmen-Mandat kann einen Kompromiß zwischen dem Mitwirkungsanspruch der Parteien bei der parlamentarischen Willensbildung und der prinzipiellen Weisungsungebundenheit des repräsentativen Mandats weisen. Es erscheint geradezu unbillig, die Parteien am Wahltag dafür einstehen zu lassen, wie sich die Parlamentarier i n der Legislaturperiode verhalten haben 67 , wenn die Parteien i n keiner Weise auf die parlamentarische Tätigkeit ihrer Abgeordneten einwirken können. Diese politische Zurechnung des Verhaltens der Abgeordneten zu den einzelnen Parteien hält Achterberg darüber hinaus für „unrecht", da sich niemand fremdes Verhalten rechtlich zurechnen lassen brauche, sofern dies nicht gesetzlich ausdrücklich vorgesehen sei. Die i m Bereich staatlicher Willensbildung anzutreffende enge Verschränkung von politischer und rechtlicher Dimension mag zugegeben werden. Dennoch verbleibt es i m Rahmen einer politischen Zurechnung, wenn eine Partei am Wahltag die Quittung für das Verhalten ihrer Abgeordneten i m Parlament erhält. Auch das Interesse der politischen Parteien am Wahlerfolg kann bei näherem Hinsehen ein Rahmen-Mandat nicht rechtfertigen. A m Wahltag stehen die parlamentarische Arbeit, aber auch die Leistungen der Regierung i n der vergangenen Wahlperiode und das Programm für die kommende Wahlperiode zur Debatte. Wenn es i n einer Partei Führungsschwächen gibt, die nur 65 So bereits die Lit. zu dem Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG entsprechenden Art. 21 WRV: E. Tatarin-Tarnheyden, Die Rechtsstellung der Abgeordneten; ihre Pflichten und die Rechte, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts, hrsg. von Anschütz und Thoma, 1. Bd. (1930), S. 413 ff., 416 ff., G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 14. Aufl. (1933), Art. 21 Anm. 2; zweifelnd angesichts der Diskrepanz von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit: F. Morstein-Marx, Rechtswirklichkeit und freies Mandat, in: AöR Bd. 50 (1926), S. 439, 443; L. Wittmayer, Die Weimarer Reichsverfassung (1922), S. 66, 68 f. ββ W. Henke, Bonner Kommentar, Art. 21 R N 14; C.-F. Menger, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der deutschen politischen Parteien, in: AöR 78. Bd. (1952/1953), 149 ff., 159; kritisch Hamann-Lenz, Art. 21, A 3 a. 87 Ν. Achterberg, S. 31.

I . Planungsfunktionen i m Bereich der Parteien

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durch eine Disziplinierung der Abgeordneten über ein Rahmen-Mandat verdeckt werden können, so sollten die parteiinternen Konflikte i n einem offenen politischen Prozeß ausgetragen werden. Andernfalls besteht die Gefahr, daß politische Entscheidungen verstärkt von der zentralen Parteibürokratie getroffen werden. Das Rahmen-Mandat würde zum Zaumzeug der von den Parteizentralen erarbeiteten Politik werden. Ein Rahmen-Mandat läßt sich somit nicht aus der Funktion der Parteien i n der parlamentarischen Demokratie begründen. Es führt aber auch nicht zu erhöhter demokratischer Legitimation politischer Entscheidungen, sondern w i r d eher zu einer Verzerrung politischer Entscheidungen beitragen. Politik läßt sich i n der Regel nicht i n einen hinreichend konkretisierten Rahmen pressen. Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse, der gesellschaftlichen Wertungen i n der Bevölkerung oder der internationalen Szenerie müssen automatisch auch zu Änderungen am politischen Rahmenprogramm führen, m i t dem man zur Wahl angetreten ist. Politik muß flexibel bleiben, soll sie sich den rasch verändernden Lagen m i t der erforderlichen Schnelligkeit anpassen können 6 8 . Die gelegentlich vorgeschlagenen M i t t e l eines Referendums zur Anpassung des Rahmenprogramms an veränderte politische Lagen oder der Parlamentsauflösung wegen fehlender Legitimation der Parlamentsmehrheit durch das Rahmenprogramm sind dem vom Grundgesetz geordneten politischen Prozeß fremd. Ob derartige Anpassungsverfahren verfassungspolitisch wünschenswert sind, mag hier dahinstehen. Nicht zuletzt würde m i t einem Rahmen-Mandat ein erheblicher Unsicherheitsfaktor i n das politische Leben eingeführt. Ein letztlich unfruchtbarer Streit u m das Ausmaß der Rahmenbindung würde das politische Leben unnötig komplizieren. Je länger der Wahltag zurückliegt, desto schwieriger w i r d es werden, sich dem Rahmenprogramm konform zu verhalten. Das gilt zumindest für ein hinreichend konkret abgefaßtes Parteiprogramm. Zwangsläufig w i r d die Frage auftreten: „Quis iudicat" über die Auslegung und fortbestehende Verbindlichkeit des Rahmenprogramms? Ist eine Modifizierung oder Anpassung des Rahmenprogramms Sache der Führungsgremien der Partei oder Sache der Fraktion? Wenn Achterberg m i t dem Hinweis, eine Änderung des Parteiprogramms stelle keine parlamentsrechtliche, sondern eine parteienrechtliche Frage dar 8 9 , die mögliche Aufhebung der Rahmenbindung eines Mandats durch Parteibeschluß befürwortet, so w i r d das Rahmen68 K. Hesse, Grundzüge, § 15 I V , 1 a. E.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 17 I I I , 2. w

N. Achterberg, S. 38.

10 Würtenberger

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

M a n d a t vollends f r a g w ü r d i g : Woher nehmen die Parteien die L e g i t i m a t i o n , e i n v o m W ä h l e r abgesegnetes R a h m e n p r o g r a m m

aufzuheben?

D i e B i n d u n g a n e i n R a h m e n p r o g r a m m erscheint geradezu als I n s t r u m e n t , die A b g e o r d n e t e n so l a n g e r e c h t l i c h a n d e m v o m W ä h l e r a r t i k u l i e r t e n p o l i t i s c h e n W i l l e n f e s t z u h a l t e n , w i e es p o l i t i s c h v e r t r e t b a r e r scheint. D a n n erscheint es k o n s e q u e n t e r , b e r e i t s v o n B e g i n n d e r W a h l p e r i o d e a n d e n A b g e o r d n e t e n v o n e i n e r r e c h t l i c h e n B i n d u n g a n das R a h menprogramm freizustellen 70. P r o g r a m m i n k o n f o r m e s V e r h a l t e n v o n P o l i t i k e r n l ä ß t sich d a h e r auf d e m B o d e n g e l t e n d e n Verfassungsrechts n i c h t m i t r e c h t l i c h e n S a n k t i o n e n belegen. E i n e rechtliche B i n d u n g a n die Z i e l v o r s t e l l u n g e n i n d e n P a r t e i p r o g r a m m e n erscheint w e d e r p o l i t i s c h w ü n s c h e n s w e r t noch v e r fassungsrechtlich zulässig. D a m i t s i n d die A b g e o r d n e t e n auch n u r p o l i tisch a n die P l a n u n g s z i e l e g e b u n d e n , die i n P a r t e i p r o g r a m m e n f o r m u l i e r t sind.

I I . Die V e r t e i l u n g der Planungsfunktionen i m Bereich der Regierung Politische P l a n u n g g e h ö r t z u d e n w e s e n t l i c h e n F u n k t i o n e n d e r Reg i e r u n g 1 . R e g i e r u n g erschöpft sich n i c h t i n b l o ß e r V e r w a l t u n g u n d Gesetzesvollziehung, s o n d e r n u m f a ß t als politische G e w a l t i m Verfassungs70 Anzumerken bleibt, daß das Problem der Fraktionsdisziplin und des Fraktionszwanges (vgl. hierzu: W. Henke, Das Recht der politischen Parteien, 2. Auflage (1972), S. 120 ff., insbes. S. 148 ff.; Ch. Müller, Das imperative und freie Mandat (1966), S. 10 ff., 216 ff.; F. Schäfer, Der Bundestag. Eine Darstellung seiner Aufgaben und seiner Arbeitsweise, 2. Aufl. (1975), S. 148 ff.; U. Lohmar, Das Hohe Haus, S. 150 ff.; Th. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Art. 38 GG R N 12 mit Anm. 5 (Nachweise zur älteren Literatur); H. Martens, Freies Mandat oder Fraktionsdisziplin? in: DVB1. 1965, 865 ff.; P. Badura, in: Bonner Kommentar, Art. 38 GG, R N 77 ff.) von der Frage der Zulässigkeit des Rahmen-Mandats zu trennen ist. Das Rahmen-Mandat bindet den Abgeordneten an das Parteiprogramm und die Wahlplattform, Fraktionszwang und Fraktionsdisziplin aber an innerfraktionelle Willensbildung während der Legislaturperiode. Ob Parteiprogramm und Wahlplattform zur Durchsetzung einer gewissen Fraktionsdisziplin herangezogen werden können, wird nach obigen Ausführungen nicht ohne weiteres bejaht werden können. Entscheidend muß sein, ob sich der Abgeordnete trotz persönlicher Bedenken im Interesse der Partei der Fraktionspolitik gegenüber loyal verhalten soll. Eine Loyalität des Abgeordneten wird bei Konformität der Fraktionspolitik mit Partei- und Wahlprogramm in der Regel freilich eher zu erwarten sein als bei einer abweichenden Politik. 1 Der Vollständigkeit halber sei die These erwähnt, die Aufgabe politischer Planung obliege allein dem Parlament. Für G. Stuby (Diskussionsbeitrag, in: Verhandlungen, S. I 88) bedeutet es einen Abbau der „Restsubstanz demokratischer Rechtsstaatlichkeit", wenn anläßlich der modernen Verfahren politischer Planung die „volle Parlamentssouveränität durch Kooperationsmechanismen" auf der einen Seite ausgeschlossen und auf der anderen Seite

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Staat seit j e h e r „das v o r g r e i f e n d e K o n z i p i e r e n k ü n f t i g e r i n n e n - u n d außenpolitischer Ordnungsmodelle und Aktionsprogramme" 2. Die E i g e n a r t d e r R e g i e r u n g s t ä t i g k e i t als p o l i t i s c h e L e i t u n g s - u n d F ü h r u n g s f u n k t i o n i m Staat l i e g t i n i h r e r i n i t i i e r e n d e n , r i c h t u n g g e b e n d e n , z i e l bestimmenden u n d koordinierenden Arbeit. Die Regierung hat zur A u f g a b e , politische Z i e l v o r s t e l l u n g e n z u a r t i k u l i e r e n , E n t s c h e i d u n g s a l t e r n a t i v e n u n d P r i o r i t ä t e n z u e r w ä g e n u n d i h r e p o l i t i s c h e n Gestalt u n g s v o r s t e l l u n g e n i n die W i r k l i c h k e i t u m z u s e t z e n 8 . H i e r b e i m a c h t die p l a n v o l l e L e i t u n g u n d S t e u e r u n g des p o l i t i s c h e n Geschehens i m Staat d e n w e s e n t l i c h e n I n h a l t des Regierens aus 4 . So s t e l l t e t w a Scheuner 5 entscheidend d a r a u f ab, daß d e m E l e m e n t des P r o g r a m m s , des Planes, d e r Vorausschau e i n e x e k u t i v i s c h e r C h a r a k t e r z u k o m m e . Politische E n t s c h e i d u n g e n v e r b u n d e n m i t schöpferischer I n i t i a t i v e s i n d i m Regier u n g s b e r e i c h ohne eine H i n w e n d u n g z u p o l i t i s c h e r P l a n u n g u n t e r d e n B e d i n g u n g e n des r e g e l u n g s i n t e n s i v e n I n d u s t r i e s t a a t e s k a u m m e h r möglich: „Planakte dienen der A u f g a b e n e r f ü l l u n g der Regierung, insbesondere d e r I n i t i a t i v - , L e i t u n g s - u n d K o o r d i n a t i o n s f u n k t i o n . Sie s i n d d a h e r — z u m i n d e s t auch — als B e s t a n d t e i l des Regierens z u q u a l i f i z i e -

die „Parlamentsmacht durch quasi — parlamentarische, in Wirklichkeit aber exekutivische Ausschüsse" aufgelöst werde. Er fordert darum die volle Planungsgewalt für das Parlament. Das parlamentarische Initiativrecht zu politischer Planung darf nach Stubys Ansicht nicht beschnitten werden. Alleiniges rechtliches Instrumentarium der Planung soll das Gesetz sein. Wenn Stuby fortfährt, es ginge weniger darum, dem „Parlament Planungskapazität, als stärkere Kontrollrechte über die Exekutive zu verschaffen", so wird deutlich, daß er die sachlichen Voraussetzungen politischer Planung nicht voll zu überschauen vermag. Planungskontrolle ohne Planungskapazität wäre eine blinde Kontrolle. Und die Planungsfunktion allein dem Parlament zuzuweisen, entspricht in keiner Weise jenem Grundmuster der parlamentarischen Demokratie, das das Bonner Grundgesetz voraussetzt. 2 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, §29 I 2, §24 I I ; ein umfassender Überblick über die Meinungen der deutschen Staatsrechtslehre zum Begriff der Regierung findet sich bei W. Frotscher, Regierung, S. 180 ff. 3 R. Zippelius, §24 I I ; P. Badura, Artikel Regierung, in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 2167; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 333; K. Hesse, Grundzüge, §14 I I 1; K. Doehring, Staatsrecht, S.203; C. Lanz, Politische Planung, S. 100 ff.; D. Frank, Politische Planung, S. 109 ff.; W. Hennis, Aufgaben einer modernen Regierungslehre, in: T. Stammen (Hg.), Strukturwandel der modernen Regierung (1967), S. 470 ff., 487 f.; C. Brünner, Politische Planung, S. 244 ff. 4 H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, 2. Teil, 2. Bd. (1955), S. 16; G. Kassimatis, Der Bereich der Regierung (1967), S. 38 f.; G. und E. Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre, 7. Aufl. (1971), S. 152; Th. Ellwein, Regierungssystem, S. 308. 5 17. Scheuner, Der Bereich der Regierung, in: Festschrift für R. Smend (1952), S. 253 ff., 277; ders., Kooperation und Konflikt. Das Verhältnis von Bund und Ländern im Wandel, in: DÖV 1972, 585 ff., 589; ders., Artikel Regierung, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 8. Bd. (1964), S. 781 ff., 782; ders., Zur Entwicklung, S. 383.

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ren e ." Der Erfolg bei der aktiven Sozialgestaltung, vor allem bei der Finanz-, Wirtschafts-, Struktur- und Bildungspolitik hängt entscheidend davon ab, wie die Regierung das Instrumentarium der planenden Vorausschau zu organisieren und einzusetzen weiß. Die Erarbeitung längerfristiger politischer Zielsetzungen, das Festlegen von Prioritäten innerhalb dieser politischen Zielsetzungen, die Koordination verschiedener Detailplanungen zu Gesamtprogrammen, Aufbau von Informationssystemen u. a. m. gehören damit zunächst einmal i n den Bereich der Regierung. Die Planungskompetenzen können je nach Organisation des Regierungsbereichs auf den Regierungschef, das Kabinett und die einzelnen Ressortminister verteilt sein. Die „Kanzlerdemokratie" des Grundgesetzes7 trägt der Tatsache Rechnung, daß die Bewältigung der Fülle von Staatsaufgaben i m regelungsintensiven Industriestaat nicht i n einer ressortmäßigen Aufteilung möglich ist, bei der die Koordinierung und Entwicklung langfristiger Konzeptionen dem Kabinett als Gremium überlassen bleibt. Der wachsende Führungsbedarf bei der Bewältigung der Staatsaufgaben bedarf vielmehr „der Koordination, der zusammenfassenden Lenkung und der Einfügung i n einen Gesamtplan, die ihrerseits am besten gewährleistet sind, wenn die Fäden i n einer Hand zusammenlaufen und die Verantwortung i n einer Person konzentriert ist" 8 . Hinter dem Modell einer archaischen Personalisierung der Macht 9 , das einer solchen „Kanzlerdemokratie" zugrundeliegt, steht eine alte staatsphilosophische Tradition: Seit jeher w i r d die politische Führung durch einen Regierungschef als die vernunftähnlichste Form staatlicher Regierung bezeichnet, da hierdurch am ehesten Frieden und Eintracht i m Staat gewährleistet werde 1 0 . Trägt das Grundgesetz durch eine starke Stellung des Kanzlers den Führungs- und Koordinationsproblemen i m regelungsintensiven Industriestaat Rechnung, so darf gleichwohl das politische Gewicht der Bundesregierung als Kollegialorgan und der einzelnen Bundesminister, β

Κ. H. Friauf, Die verfassungsrechtliche Problematik, S. 648. Zur Lage in Österreich vgl. C. Brünner, Politische Planung, S. 59 ff. 8 K. Hesse, § 17 I I I 1; W. Hennis , Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik (1964), S. 10 ff.; T. Ellwein, Regieren und Verwalten, S. 115; H. Rausch, Bundestag und Bundesregierung, 4. Aufl. (1976), S. 180 f. 9 Kritisch hierzu E. Menzel, Die heutige Auslegung der Richtlinien-Kompetenz des Bundeskanzlers als Ausdruck der Personalisierung der Macht?, in: Die moderne Demokratie und ihr Recht, Festschrift für G. Leibholz, hrsg. von K. D. Bracher u. a. (1966), S. 877 ff., 893 ff. 10 Vgl. etwa Justus Lipsius, Politicorum sive civilis doctrinae libri sex (1589), Buch I I , c. I I I ; G. Oestreich, Justus Lipsius als Theoretiker des neuzeitlichen Machtstaates, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates (1969), S. 53. 7

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deren eigenständiger Funktionsbereich vom Grundgesetz garantiert ist, nicht übersehen werden. Die grundgesetzliche Regelung der Kompetenzen von Kanzler, Kabinett und Minister ist von großer Weite und Offenheit 11 ; die Planungskompetenzen dieser Organe der Regierung werden weder i m Grundgesetz noch, was die Landesebene betrifft, i n den einzelnen Landesverfassungen erwähnt. Sie lassen sich daher nur mittelbar aus der Organisation des Regierungsbereichs herleiten. 1. Die Planungsfunktionen des Regierungschefs

Aus seiner Befugnis zur Kabinettsbildung und Kabinettsleitung und aus seiner Richtlinienkompetenz ergeben sich die Befugnisse des Regierungschefs zur politischen Planung: Durch Regierungsbildung, Kabinettsleitung und Richtlinienkompetenz des Regierungschefs werden Richtungen und Zielsetzungen der Regierungsplanung wesentlich bestimmt. a) Bei der Kabinettsbildung

und Kabinettsleitung

Nach A r t . 64 Abs. 1 GG liegt die Kabinettsbildungsbefugnis beim Bundeskanzler. Bereits bei der Aufteilung der Geschäftsbereiche 12 und personellen Besetzung der Ressorts anläßlich der Regierungsbildung w i r d der Regierungschef das von i h m verfolgte politische Programm vor Augen haben 13 . Schon die Zusammensetzung der Regierungsmannschaft läßt Schwerpunkte und Richtung der Politik erkennen, da die einzelnen Minister ihren politischen Stil und ihre persönlichen politischen Überzeugungen der Regierungspolitik aufzuprägen versuchen werden. Dies w i r d besonders deutlich, wenn die personelle und organisatorische Struktur einer Regierung geändert wird. Denn dadurch werden i n der Regel auch die Zielsetzungen der Regierungspolitik beeinflußt. Änderungen i n der Organisation der Entscheidungsprozesse, vor allem ein personeller Wechsel an jenen Positionen, die zur zentralen Entscheidungssteuerung berufen sind, zeigen m i t großer Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auf das Handeln und Verhalten der Organisation insgesamt 14 . Planungsziele und die Realisierung von Planung können also 11 K. Hesse, § 17 vor I; vgl. auch A. Katz, Politische Verwaltungsführung, S. 80 ff.; Erster Bericht zur Reform der Struktur von Bundesregierung und Bundesverwaltung (1969), Teil I I I , S. 206 ff. (drei Modelle der Planungsorganisation im Regierungsbereich, die entweder das Kollegial- oder das Kanzlerprinzip mehr betonen und gleichwohl im Rahmen des Art. 65 G G bleiben). 12 § 9 GOBReg. 13 H. Siedentopf, Ressortzuschnitt als Gegenstand der vergleichenden Verwaltungswissenschaft, in: Die Verwaltung, 9. Bd. (1976), S. 1 ff., 3. 14 N. Luhmann, Reform und Information, in: Politische Planung, S. 181 ff., 188 ff.

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i n gewissem Maß bereits durch die Organisation und personelle Zusammensetzung der Regierung Akzentsetzungen erfahren. I n der politischen Praxis hat der Regierungschef, verfügt er nicht etwa auf Grund eines überragenden Wahlerfolges oder einer starken „Hausmacht" über eine sehr starke Stellung i n seiner Partei, keine allzu große Macht bei der Kabinettszusammensetzung 15 . Kabinettsbildungen sind vom Ringen der Gruppierungen i n den (Koalitions-)Parteien und der Verbände und auch von Reaktionen aus der Öffentlichkeit begleitet und erfolgen i n enger Absprache mit der Fraktionsführung. Die Befugnis des Bundeskanzlers zur Leitung der Geschäfte der Bundesregierung (Art. 65 S. 4 GG) und damit verbunden sein Vorsitz i n den Kabinettssitzungen ist bereits eng mit seiner Richtlinienkompetenz verflochten 1®. A u f Grund dieser Befugnis kann der Regierungschef mit Hilfe der Staatskanzlei den Gang der Regierungsgeschäfte steuern und auf den Prozeß der Willensbildung der Regierung Einfluß nehmen. Vor allem die frühzeitige und umfassende Informierung über die Kabinettsvorlagen und die Verhandlungsleitung ermöglichen einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf den Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß i m Kabinett und damit auch auf die politischen Planungen der Regierung 17 . Insgesamt gesehen hängen die Akzentuierungen politischer Planung durch die organisatorische und personelle Struktur des Regierungsbereichs und durch die Befugnis des Regierungschefs zur Kabinettsleitung wesentlich von dessen Führungsstil und Führungsverhalten ab. Beschränkt sich der Regierungschef i m wesentlichen auf Koordination, so lassen sich bereits aus der Zusammensetzung des Kabinetts Schlüsse auf die künftige Regierungspolitik und auf die Zielsetzungen der Regierungsplanungen ziehen. b)

Richtlinienkompetenz

Die Richtlinienkompetenz 18 ermöglicht es dem Regierungschef 19 auf den Konkretisierungsprozeß der politischen Planung erheblichen Ein15 Vgl. K. von Beyme, Ministerial Verantwortlichkeit und Regierungsstabilität, in: W. Steffani (Hg.), Parlamentarismus ohne Transparenz? (1971), S. 124 ff., 126 f.; F. Schäfer, Der deutsche Bundestag, S. 139; A. Katz, S. 137 ff.; W. Henke, Das Recht der politischen Parteien, 2. Aufl. (1972), S. 161 ff. 16 A. Katz, S. 89, 98 f. m. w. Nw. 17 Einzelheiten bei A. Katz, S. 163 ff.; R. Herzog, Staatskanzleien, S. 41 ff. 18 Zur Geschichte der Richtlinienkompetenz: E. U. Junker, Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers (Tübinger jur. Dissertation, 1963), S. 6 ff. 19 Die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs findet sich außer in Bremen (Art. 115 Abs. 2 bremVerf.: Der Präsident des Senats führt die Geschäfte; vgl. weiter Art. 117 Abs. 1) und in Hamburg (Art. 33 hmb Verf.: Der Senat

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fluß zu nehmen 20 . I n die Öffentlichkeit t r i t t die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs bei seinen Regierungserklärungen oder der Verkündung von Regierungsprogrammen. Hierbei werden die Leitziele, die der politischen Planung zugrunde gelegt werden, m i t der ganzen Autorität des Regierungschefs versehen und der öffentlichen Diskussion anheimgestellt. Zugleich stecken die Regierungserklärungen und Regierungsprogramme den Gesamtrahmen ab, der durch die einzelnen Ressorts mit ihren Fach- und sektoralen Planungen auszufüllen ist 2 1 . Trotz ihrer Leitfunktion i m politischen Prozeß verbleiben die Regierungserklärungen und Regierungsprogramme oft noch i m Vorfeld der systematischen politischen Planung. Verfolgt man die bisherige Praxis, so fällt auf, daß es weitgehend an einer methodischen Erarbeitung der politischen Aussagen fehlt 2 2 . Die Kunst der Regierungserklärung liegt i n der knappen Formulierung und i n Aussagen, die weiten Konsens ermöglichen und das Ansehen der Regierung stärken. Richtlinien der Politik können sich weiterhin niederschlagen i n Anordnungen an einzelne Minister oder Feststellungen des Regierungschefs bei Kabinettsdebatten und letztlich auch i n öffentlichen Reden. Inhalt und Umfang der Richtlinienkompetenz sind beschränkt. Der Regierungschef unterliegt bei Ausübung seiner Richtlinienkompetenz zunächst normativen Bindungen inhaltlicher A r t . Die Richtlinien der Regierungspolitik müssen „an die übergeordneten, i n der Verfassung niedergelegten politischen Wertvorstellungen" anknüpfen, wenn sie die bestimmt die Richtlinien der Politik) auch in den Landesverfassungen geregelt: Art. 47 Abs. 2 bay Verf.; Art. 49 Abs. 1 bd-württ Verf.; Art. 43 Abs. 2 beri Verf. („im Einvernehmen mit dem Senat"); Art. 102 Abs. 1 hess Verf.; Art. 28 Abs. 1 nds Verf.; Art. 55 Abs. 1 nrw Verf.; Art. 104 Abs. 1 rhpf Verf.; Art. 93 saarl Verf.; Art. 24 Abs. 2 schlh Landessatzung. Die folgenden Ausführungen besitzen daher für das Landesverfassungsrecht Gültigkeit, wenngleich einige Modifikationen, die sich aus einer teilweise stärkeren Betonung des Kabinettsprinzips (so z. B. in Baden-Württemberg: Vgl. A. Katz, S. 67 ff.) ergeben können, nicht zu übersehen sind. 20 Zum folgenden vgl. R. Herzog, Regierungsprogramme, S. 48; K. Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland (Gießener Beiträge zur Rechtswissenschaft, Bd. 6 [1972], S. 50 ff.); K. Stern, Rationale Infrastrukturpolitik, S. 79 ff.; H. Bebermeyer, Regieren, S. 86; J. Seeger, Gutachten, S. 19 ff.; R. Waterkamp, Politische Leitung, S. 298 ff.; C. Lanz, Politische Planung, S. 57 ff. 21 A. Katz, S. 85 ff.; es ist wenig sinnvoll, Regierungserklärungen keine planerischen, sondern lediglich politische Zielsetzungen zuzuschreiben (so N. Diederich, Aufgabenplanung, interne Arbeitsprogramme der Regierung, Regierungserklärungen, in: K. König [Hg.], Koordination, S. 65 ff., 70 f.). Denn die politischen Zielsetzungen sind gleichzeitig die Zielsetzungen der Planung, so daß sich Regierungserklärungen als „Planungsprogramme" darstellen müssen. 22 F. Wagener, Regierungsprogramme, S. 14; F. Scharpf, Politische Durchsetzbarkeit, S. 117; systematischere Vorbereitungen der Regierungserklärungen sind allerdings in Zukunft zu erwarten (H. Bebermeyer, S. 87).

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

wesentlichen Aufgaben, denen sich die politische Führung verpflichtet fühlt, umreißen 28 . Weiterhin setzt das politische Kräfteverhältnis der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs mehr oder weniger enge Grenzen. Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der parteienstaatlichen parlamentarischen Demokratie, daß der Regierungschef bei der Erfüllung aller seiner verfassungsrechtlichen Aufgaben auf die Unterstützung der Regierungsparteien und Regierungsfraktionen angewiesen ist und ihren Vorstellungen Rechnung zu tragen hat. Trotz aller Homogenität, die die Regierungsparteien und Regierung i n der Öffentlichkeit zur Schau tragen, muß der Regierungschef immer damit rechnen, daß seine Fraktion i h m i n einzelnen politischen Fragen i m Parlament die Gefolgschaft versagt. Es besteht also ein „Zusammenwirkungszwang" zwischen dem Regierungschef und dem Parlament, da ohne parlamentarische M i t w i r k u n g eine Realisierung der Richtlinien nicht möglich ist 2 4 . Vor allem die Wahlplattform und die Koalitionsvereinbarungen entfalten eine „politische Vorwirkung" auf die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs. I n letzter Zeit nimmt der Druck der Öffentlichkeit auf die Regierung offenbar zu, die Wahlversprechen i n den Wahlplattformen einzulösen. I n den Koalitionsvereinbarungen legen zwei oder mehrere Parteien, bzw. Fraktionen die Bedingungen fest, unter denen eine Regierung gebildet und ein Regierungschef i n den Sattel gehoben werden soll. Es finden nicht nur personelle Absprachen statt, sondern es w i r d mehr oder weniger konkret das Regierungsprogramm für eine Legislaturperiode aufgestellt. Oftmals werden die Ziele der Regierungspolitik i n Koalitionsvereinbarungen sehr konkret umrissen 25 . I n derartigen Fällen läßt sich die Frage aufwerfen, ob perfektionistische Koalitionsvereinbarungen die Richtlinienbestimmungskompetenz des Regierungschefs gefährden können und welche verfassungsrechtlichen Schlüsse aus einer etwaigen Gefährdung zu ziehen sind 2 6 . Bei Erarbei28 Vgl. die Richtlinien der Regierungspolitik in der Legislaturperiode 1971 bis 1975, in: Bericht des schweizerischen Bundesrates BB1. 1972 I, S. 1025 ff., 1027; W. Frotscher, Regierung, S. 224. 24 Einzelheiten bei W. E. Pfister, Regierungsprogramm und Richtlinien der Politik (1974), S. 196 ff.; vgl. auch K. Doehring, Staatsrecht, S.208 (zu den Einflußmöglichkeiten des Parlaments auf die Bestimmung der Richtlinien der Politik). 25 So wurden etwa in den Koalitionsvereinbarungen zwischen CDU/CSU und FDP von 1961 die „Aufrechterhaltung der Kaufkraft der Währung" oder „die Schaffung eines leistungsfähigen Gesamtstraßennetzes" als Leitziele aufgenommen (vgl. bei A. Schule, Koalitionsvereinbarungen i m Lichte des Verfassungsrechts [Tübinger rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 11, 1964], S. 137 ff.). 26 Vgl. A. Schule, S. 96 ff.; W. Kewenig, Zur Rechtsproblematik der Koalitionsvereinbarungen, in: AöR Bd. 90 (1965), S. 182 ff.

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tung der Richtlinien ist der Regierungschef an etwa bestehende Koalitionsvereinbarungen zumindest politisch-faktisch, nach einer verfassungsrechtlich äußerst zweifelhaften Meinung i n der Literatur sogar rechtlich gebunden 27 . Abgesehen von der Bindung an die Wahlplattform und an Koalitionsvereinbarungen schwächt eine starke Parteibindung des Regierungschefs seine Richtlinienkompetenz, während eine schwache Parteibindung seine Richtlinienkompetenz stärkt. M i t umgekehrten Vorzeichen gilt dies auch für die Einflußmöglichkeiten der die Regierung tragenden Partei auf die staatsleitenden Entscheidungen 28 . Je stärker die „Hausmacht" eines Regierungschefs i n seiner eigenen Partei und Fraktion ist, desto eher w i r d er seine Richtlinien auch gegenüber seiner Partei und der Regierungsfraktion i m Parlament durchsetzen können: I n der deutschen parlamentarischen Geschichte sind Fälle nicht selten, i n denen Partei und Fraktion die Richtlinien mitgeformt haben und den Ermessensspielraum freier politischer Entscheidung des Regierungschefs einzuschränken vermöchten 29 . Blickt man auf die Beschränkungen der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs durch die Kompetenzen von Kabinett und Ressortministern, so bereitet es einige Schwierigkeiten, anhand des A r t . 65 S. 1 GG die Kompetenzen des Regierungschefs konkret zu bestimmen. Eine Interpretation des inhaltlich vagen Begriffs der „Richtlinien der Politik" i n A r t . 65 S. 1 GG erfordert Überlegungen zur Funktion der Richtlinienbestimmung i m modernen Industriestaat. Kraft seiner Richtlinienkompetenz besitzt der Regierungschef jene „umfassende politische Leitungs-, Koordinations- und Gesamtplanungskompetenz" 80 , ohne die der lenkende und planende Sozialstaat der Gegenwart nicht bestehen kann. Die Erfüllung der wachsenden Staatsaufgaben bedarf einer ständigen Zielgebung, Koordination und Lenkung durch eine zentrale Instanz, soll die Regierungspolitik sich nicht i n ein Chaos widerstreitender Einzelmaßnahmen auflösen. M i t seiner Richtlinienkompetenz kann der Bundeskanzler die Zielgerichtetheit und Einheitlichkeit der Regierungstätigkeit herstellen und sichern, indem er Ressortinitiativen politische Verbindlichkeit verleiht oder eigene poli27 Hierzu W. Henke, S. 157 ff. m. w. Nw.; A. Schule, S. 81 ff., 94 ff., 98 ff. (zu den rechtlichen Grenzen); H. Flohr, Parteiprogramme in der Demokratie (1968), S. 113 ff.; H. Scheidle, Die staatsrechtlichen Wirkungen einer Koalitionsvereinbarung bei der Bildimg der Bundesregierung (Erlanger jur. Dissertation, 1965), S. 25 ff. 28 Vgl. E. U. Junkers, S. 70. 29 K. Stern, Organisationsstruktur der Bundesregierung, S. 582 f. 80 A. Theis, Führungsinstrumentarium und politische Planung, in: Außenpolitik, 20. Jahrgang (1969), S. 735 ff., 737.

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tische Konzeptionen entwickelt, an denen sich die Regierungstätigkeit ausrichten kann. Eine wichtige Funktion der Richtlinienbestimmung ist hierbei die Koordinierung der Regierungsarbeit 81 . Nach innen besteht die Koordinationsfunktion i m wesentlichen darin, bloß partikuläre Ressortgesichtspunkte zurückzudrängen und Doppelarbeit oder Arbeitsdefizite i n einzelnen Ressorts vermeiden zu helfen. Nach außen gewährleisten die Koordinierung und Richtlinienregelung ein solidarisches A u f treten der Bundesregierung vor dem Parlament und i n der Öffentlichkeit und ermöglichen eine eindeutig bestimmbare Verantwortlichkeit für die Gesamtpolitik der Regierung 32 . Dies vorausgeschickt lassen sich die Richtlinien der Politik folgendermaßen beschreiben: Richtlinien der Politik beschäftigen sich m i t der Richtung und den prinzipiellen Grundsätzen der Regierungspolitik. Sie betreffen stets Fragen der politischen Zielsetzung und Koordination politischer Programme von allgemeiner und grundsätzlicher Bedeutung. Der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs läßt sich eine Planungskompetenz entnehmen 33 . Richtliniengebung ist nicht „etwas völlig Untechnisches, ganz und gar Persönliches" und nicht allein „der individuellen Eingebung" und „dem politischen Instinkt einer führenden Persönlichkeit" überlassen 34 . Die Richtlinienbestimmung des Regierungschefs hat nicht allein solche Entscheidungen zum Inhalt, die als einsame Beschlüsse gefällt werden und einer auswertenden Apparatur und informierender Instanzen nicht bedürfen. Die modernen Verfahren politischer Planung sind legitime Mittel, die der Regierungschef bei der Erfüllung seiner Richtlinienkompetenz einsetzen kann. Bei der politischen Planung kraft Richtlinienkompetenz leisten die Staatskanzleien 35 dem Regierungschef die erforderliche Hilfestellung. Was die Planungsorganisation i m Bereich der Bundesregierung betrifft, so erscheint das Bundeskanzleramt als „die höchste Autorität i n der Hierarchie der Bürokratie". Es besitzt die Aufgaben eines politischen Generalstabes der Regierung und ihres Chefs mit allen Vollmachten zu operativer Planung, taktischer Koordination und personeller Auswahlkompetenz3®. Hierbei obliegt i h m die Funktion der Information des Re31

Hierzu H. Siedentopf (Hg.), Regierungspolitik, und oben i m 2. Kap. unter I I I . , 4 mit Literaturnachweisen bei Anm. 66 ff. 32 K. Kröger, S. 38. 33 So etwa E. Laux, Personalplanung, S. 146 f., 150; W. E. Pfister, S. 17 ff.; R. Waterkamp, Politische Leitung, S. 304 ff. 34 K. Stern, Organisationsstruktur der Bundesregierung, S. 582 f. 35 Zum folgenden R. Herzog, Staatskanzleien im Verfassungssystem, in: K. König (Hg.), Koordination, S. 39 ff.; F. Halstenberg, Staatskanzleien i m politischen Prozeß, ebd., S. 23 ff. 38 R. Wildenmann, Macht und Konsens als Problem der Innen- und Außenpolitik (1963), S. 152; A. Theis, S. 737.

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gierungschefs, d. h. des Sammeins und Aufbereitens der Informationen aus den Ressorts, aber auch des Gewinnens eigener Informationen durch Kontakt zu Parteien und den Organisationen des gesellschaftlichen Lebens. Weiterhin bereitet das Bundeskanzleramt, wie die Staatskanzleien i n den Ländern, die Koordination der Regierungspolitik vor und w i r k t an der Entwicklung von Konzeptionen der Regierungspolitik mit. Alle diese Kompetenzen des Bundeskanzleramtes und der Staatskanzleien leiten sich von der Kompetenz der Regierung als Kollegialorgan und des Regierungschefs her. Das Bundeskanzleramt darf ebensowenig wie die Staatskanzleien der Länder zu einer A r t Überministerium emporgestuft werden. Die prinzipielle Eigenständigkeit der ministeriellen Geschäftsbereiche ist von der Planungsorganisation i m Bereich der Regierung zu beachten. Ebensowenig wie der Bundeskanzler können die Beamten des Bundeskanzleramtes die Verwirklichung der Richtlinien i n den Ressorts selbst anordnen oder Entscheidungen der Minister an sich ziehen 37 . Andererseits kann der Umfang der Richtlinienkompetenz, die dem Regierungschef zur Sicherung seiner Führungsrolle zur Verfügung gestellt ist, nicht auf einen historischen Moment fixiert bleiben 38 . Der Regelungsgehalt verfassungsrechtlicher Normen würde verkannt, würde ihnen eine gewisse Flexibilität bei Auftreten neuer Problemlagen abgesprochen. Es ist ein Gebot der Effizienz, die bei der Verfassungsauslegung eine Rolle spielen kann, die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs i m Lichte der jeweiligen Zeiterfordernisse und neuer Führungsaufgaben zu sehen. Auch quantitative Verschiebungen zwischen Kanzlerprärogative und Ressortbefugnissen der Minister erscheinen daher nicht ohne weiteres als verfassungswidrig. Die Grenze der Zulässigkeit der Verschiebung von Befugnissen i m Regierungsbereich ist erreicht, wenn das von A r t . 65 GG beabsichtigte Gleichgewichtsverhältnis zwischen den Befugnissen des Kanzlers und der Ressortminister i n ein Über- und Unterordnungsverhältnis umschlägt. I n diesem Zusammenhang ist ein wichtiger Gesichtspunkt, daß der ressortinterne Entscheidungsspielraum des einzelnen Bundesministers nicht weiter eingeschränkt werden darf, als es die Rücksichtnahme auf die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Bundesregierung geboten erscheinen läßt 3 9 . Nach diesen Überlegungen zu Bedeutung und Umfang der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs und der Darstellung der i h m zur Verfügung stehenden Planungsorganisation läßt sich fragen: M i t wel37 E.-W. Böckenförde, Die Organisationsgewalt i m Bereich der Regierung (1964), S. 240; K. Kröger, S. 51; F. Halstenberg, S. 37. 38 K. Stern, Rationale Infrastrukturpolitik, S. 82; ders., Organisationsstruktur der Bundesregierung, S. 583; K. Kröger, S. 51. 39 J. Kölble, Artikel 65 GG, S. 11.

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eher Intensität kann der Regierungschef i n den einzelnen Phasen der Planaufstellung kraft seiner Richtlinienkompetenz koordinierend und prospektiv tätig werden 40 ? aa) Informations- und Datensammlung Zu den wichtigsten Bedingungen aller Richtlinienbestimmung gehört die Information 4 1 . Nur aus umfassender Information über die politische Lage vermögen Richtlinien zu entstehen. Das Informiertsein ist teilweise von persönlichen Eigenschaften 42 , teilweise aber auch von der Organisation des Regierungsbereichs abhängig. Dem umfassenden Informationsanspruch des Regierungschefs trägt §3 GOBReg Rechnung. Über Planungen i m Regierungsbereich läßt sich der Bundeskanzler vermittels des Vorhabenerfassungssystems oder etwa durch Planungsbeauftragte unterrichten 4 8 . Dies ermöglicht ein jederzeitiges Eingreifen i n die Planungsarbeit der einzelnen Ressorts. Vor allem stellt aber die Verwendung einheitlicher wirtschaftlicher und sozialer Daten 4 4 eine notwendige Bedingung nicht nur für eine sachliche Diskussion politischer Prioritäten, sondern auch für eine koordinierte Planung dar. Zu diesen Daten, über die i m Bereich der Regierung Einverständnis herrschen muß, rechnen etwa Angaben über Einwohner, Erwerbspersonen, Arbeitsplätze, Infrastrukturanlagen und ähnliche Größen. I h r besonderes Merkmal ist, daß sie i n der Regel mehrere Aufgabenbereiche berühren und darum für mehrere Ressorts von Bedeutung sind. Die Abstimmung derartiger planungserheblicher „Basisdaten" für alle Ressorts gehört zur Koordinierungsaufgabe des Regierungschefs 45 . Zwar ist die Informations- und Datenbeschaffung grundsätzlich Aufgabe der einzelnen Ressorts. Wenn auch der Regierungschef bei der Informations- und Datensammlung auf die Hilfe der einzelnen Ressorts angewiesen ist 4 6 , ist der Regierungschef kraft seiner Koordinierungsfunktion doch i n der Lage, ein umfassendes Datensystem aufzubauen. Dieses umfassende Datensystem speichert alle einzelnen, i n den 40

Ohne näher zu differenzieren, weist D. Oberndorfer (Planungskompetenz, S. 340 ff.) dem Regierungschef eine „Gesamtplanungskompetenz" zu. 41 W. Hennis, S. 35 ff.; H. Rausch, S. 188, 196. 42 Wie intellektueller Neugier, Geselligkeit, Querverbindungen in die verschiedensten gesellschaftlichen Bereiche u. a. m. 48 Vgl. auch unter I I I . , 2. a. E. 44 Zur Rolle der Informations- und Datensammlung i m Verfahren der Planung im 2. Kap. unter I I I . , 2. 45 Vgl. R. Herzog, S.48; F. Halstenberg, S. 31 (zur Informationsaufgabe der Staatskanzlei); Landesbericht Nordrhein-Westfalen, ebd., S. 357 f.; Landesbericht Saarland, ebd., S. 396 ff.; Landesbericht Berlin, ebd., S. 251. 46 K. Stern, Rationale Infrastrukturpolitik, S. 83; K. König (Hg.), Koordination, Landesbericht Nordrhein-Westfalen, S. 355, 357.

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Ressorts beschaffbaren Daten und hält sie für einen Zugriff durch den Regierungschef und die von i h m abhängige Planungsorganisation, vor allem für einen Zugriff durch das Kabinett und die einzelnen Ministerien, aber auch — m i t Abstrichen — für einen Zugriff durch den Bundestag bereit. Diesem Erfordernis der Planungsorganisation i m Regierungsbereich entspricht, daß die Beziehungen zwischen den Staatskanzleien und den Statistischen Landesämtern i n der Regel sehr eng sind 47 . Ein Aufbau einer von den einzelnen Ressorts unabhängigen umfassenden Datenermittlungsapparatur erschiene allerdings unzulässig, da Konkurrenz zu spezifischen Ressortbefugnissen gemacht würde. bb) Prognose der Entwicklung Der Regierungschef und sein Stab i n den Staatskanzleien sind zu Prognosen der sozialen und ökonomischen Verhältnisse berufen. Ohne solche Prognosen wäre der Regierungschef außerstande, die Richtlinien der Politik zu bestimmen. Auch bei Ressortplanungen, die besonders wichtige Ziele der Regierungspolitik betreffen, w i r d der Regierungschef neben dem Ressortminister eigene Prognosen erstellen lassen können. K r i t e r i u m ist, ob die politische Gesamtleitung durch die Ressortplanung i n ihrem wesentlichen Gehalt beeinflußt werden kann. Neben dem Bundeskanzler ist auch die Bundesregierung i n einzelnen Bereichen zur Prognose der Entwicklung berufen. Zu nennen ist etwa der Jahreswirtschaftsbericht, den die Bundesregierung i m Januar eines jeden Jahres dem Bundestag und dem Bundesrat vorlegt (§2 Abs. 1 StabG). I n ihrer Stellungnahme zu dem Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die i m Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung zu erfolgen hat, kann die Bundesregierung u. a. ihre Annahmen über die konjunkturelle Ausgangslage und die weitere konjunkturelle Entwicklung darlegen. cc) Entwicklung von Zielvorstellungen Die wesentliche Befugnis des Regierungschefs, die i h m die Richtlinienkompetenz verleiht, ist die Entwicklung der Zielvorstellungen, die den Ressortplanungen zugrunde zu legen sind. Vermöge seiner Richtlinienkompetenz kann der Regierungschef diese Zielvorstellungen 47 Vgl. K. König (Hg.), Koordination, Landesbericht Baden-Württemberg, S. 222: Die Staatskanzlei besitzt ein unmittelbares Weisungsrecht gegenüber dem Statistischen Landesamt in allen Angelegenheiten von politischer Relevanz. Abweichungen vom jährlich erscheinenden statistisch-prognostischen Jahresbericht, der vom Statistischen Landesamt und der Staatskanzlei herausgegeben wird, müssen von den Ressorts gegenüber dem Ministerrat begründet werden.

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verbindlich festlegen 48 . Eng verbunden m i t dieser Befugnis des Regierungschefs zur Entwicklung einer langfristigen, an politischen Leitzielen ausgerichteten Politik ist seine Aufgabe, durch Koordinierung der Ressortplanungen i n einem frühen Stadium für eine reibungslose Realisierung der Regierungspolitik zu sorgen. Die Befugnis des Regierungschefs zur Entwicklung und verbindlichen Aufstellung gesamtplanerischer Zielvorstellungen w i r d i n der politischen Praxis der Länder unterschiedlich weit ausgeschöpft. Schließt man von der Aufgabenwahrnehmung der Staatskanzleien auf das persönliche Engagement des Regierungschefs bei der Zielbestimmung und Koordinierung der Planung, so bietet sich folgendes Bild: Die Staatskanzleien einiger Bundesländer sehen ihre hauptsächliche Aufgabe, was die Planung angeht, i n der Planungskoordination 49 . Daneben gibt es andere Staatskanzleien, die zuständig sind für „Ziel-, Aufgaben- und Investitionsplanung, Landesentwicklung, Raumordnung und Landesplanung (oberste Landesplanungsbehörde) einschließlich der Raum- und Entwicklungsplanung" (Hessen)50 oder lediglich für die „Landesentwicklungsplanung" (Saarland, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz) 51 und „Landesplanung" (Schleswig-Holstein) 52 . Bei der Ausarbeitung von Landesentwicklungsprogrammen und Landesentwicklungsplänen werden von den Staatskanzleien ζ. B. „Grundsätze und allgemeine Ziele der Raumordnung und Landesplanung für die Gesamtentwicklung des Landes und für alle raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen einschließlich der raumbedeutsamen Investitionen" 5 3 aufgestellt. Die Landesentwicklungspläne konkretisieren auf der Grundlage des Landesentwicklungsprogramms die Ziele der Raumordnung und Landesplanung für die Gesamtentwicklung des Landes. Diese Querschnittplanungen stellen ein zeitlich abgestuftes und i n seinen finanziellen Anforderungen spezifiziertes Handlungsprogramm der Landesregierung dar. Alle Bereiche der Landespolitik, die für die Landes48 Zur abgeschwächten Richtlinienkompetenz des Regierenden Bürgermeisters von Berlin und den Konsequenzen für die Planungsorganisation vgl. U. Battis, Organisationsprobleme, S. 164 ff. 49 So etwa in Baden-Württemberg (K. König [Hg.], Koordination, Landesbericht, S. 219 ff.) und in Bayern (ebd., Landesbericht, S. 232 ff.). 50 Geschäftsbereich des Hessischen Ministerpräsidenten und der Staatskanzlei, abgedr. im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen, Teil I, 1971, S. 282. 61 K. König (Hg.), Koordination, Landesbericht Rheinland-Pfalz, S. 378 ff.; Landesbericht Saarland, S. 399 ff.; Landesbericht Nordrhein-Westfalen, S. 346, 358 ff.; Landesbericht Niedersachsen, S. 330 ff. 52 K. König (Hg.), Koordination, Landesbericht Schleswig-Holstein, S. 416 ff. 53 So etwa § 12 LPlanG NRW.

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entwicklung von Bedeutung sind, werden zu diesem Zweck an den Zielvorstellungen gewünschter Landesentwicklung ausgerichtet 54 . Wenn die Staatskanzleien zur zentralen Planungsbehörde des Regierungschefs werden, so stellt sich die Frage, ob das Ressortprinzip nicht allzuviel an Bedeutung verliert. Sicherlich w i r d die verfassungsrechtlich verbürgte Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Minister i m Prinzip durch die Frühkoordinierung aller Ressortvorhaben und durch eine langfristige Programmplanung gefährdet 55 . Politische Planung droht das Ressortprinzip auszuhöhlen, wenn man auf die Effizienz der Planung besonderen Wert legt. Denn da politische Planung nur erfolgreich sein kann, wenn sie weder gegenständlich noch bereichsmäßig begrenzt ist, muß sie Gesamtplanung der Regierungspolitik sein. Dann muß „unvermeidlich eine Einengung des Entscheidungsspielraums der Bundesminister und eine Präjudizierung wichtiger Ressortentscheidungen" die Folge sein. Daß Beschneidungen von oft w i l d wuchernden Ressortselbständigkeiten durch Planungsaktivitäten der Staatskanzleien und des Regierungschefs nicht nur unvermeidlich sondern auch beabsichtigt sind, ist selbstverständlich. Eine andere Frage ist aber, ob diese Beschneidungen von Ressortselbständigkeiten notwendig ihren verfassungsrechtlich gesicherten Bereich treffen. So werden sicherlich Zielplanungen mitsamt der Koordination politischer Ziele und der Prioritätenfestsetzung von der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs umfaßt. Geht es doch hier u m Planungsaktivitäten, die zur Festlegung der politischen Richtung des „Staatsschiffes" von höchster Bedeutung sind. Wenn das moderne Verwaltungsmanagement dem Regierungschef ein schlagkräftiges Planungsinstrumentarium zur Durchsetzung seiner Richtlinienkompetenz zur Verfügung stellt, so w i r d auch verfassungsrechtlich einer Organisation der Landesentwicklungsplanung beim Regierungschef nichts i m Wege stehen können. Einer effizienten Aufgabenerledigung stellen sich Organisationsnormen des Verfassungsrechts nicht entgegen 56 . Weiterhin gehört es zu den Aufgaben des Regierungschefs, die Planungen i n den Ressorts zu koordinieren und Doppelplanungen oder Planungsdefizite zu vermeiden 57 . Die Grenze der Planungszuständigkeit von Bundeskanzler einerseits und Ressortministern andererseits liegt dort, wo das von A r t . 65 GG 54

Vgl. etwa K. König (Hg.), Koordination, Landesbericht Saarland, S. 399. K. Kröger, S. 51 — hier auch das folgende Zitat. 58 Demgegenüber meint H. Siedentopf (Ressortzuschnitt als Gegenstand der vergleichenden Verwaltungswissenschaft, in: Die Verwaltung, 9. Bd. [1976], S. 1 ff., 14), die Organisationsprinzipien des Grundgesetzes für die Bundesregierung würden auf eine Abwehr von Zentralisierungstendenzen i m Planungsbereich zielen. 67 Zur Koordination der Staatsaufgaben durch den Regierungschef vgl. W. Hennis . Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik, S. 10 f. 55

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beabsichtigte Gleichgewichtsverhältnis 58 zwischen Kanzler- und Ressortministerbefugnissen i n ein Über- und Unterordnungsverhältnis umschlägt. Darum darf das m i t der Richtlinienbefugnis gegebene Recht zu prospektiver Aufgabenplanung nicht zu einer unbegrenzten Gesamtplanungskompetenz ausgeweitet werden. A u f eine griffige Formel gebracht: Je mehr sich eine Planung i m Maßnahmebereich bewegt, desto weniger kann man i h r i m Sinne von A r t . 65 S a t z l GG Richtliniencharakter zusprechen. Anders verhält es sich aber bei Planungen, die sich noch i m Zielbereich befinden. Planungen i m Zielbereich können i n Richtlinienform erfolgen und können damit i n die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs fallen. „Je mehr sich die einzelne Planung i m Zielbereich bewegt und sich auf diesen beschränkt, je mehr sie sich m i t anderen Worten auf strategische Grunderwägungen bezieht, desto wahrscheinlicher ist es, daß hier m i t der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers gearbeitet werden kann 5 9 ." dd) Operationalisierung der Zielplanungen Die Operationalisierung der konzeptionellen Gesamtplanung entzieht sich i n der Regel der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs. Dies ist die Domäne der Ressortminister. Sie betreiben ihre Ressort-, d.h. Fachplanungen zur Realisierung der vom Regierungschef gesetzten Zielvorgaben. Allerdings bleibt neben der Zielplanung vermittels der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs zu beachten, daß eigentlich für jedes Planungsverfahren vom Regierungschef einzelne Richtlinien gesetzt werden können. Bei jeder Planung, sei sie auch nur ressortintern, w i r d es einzelne Fragen zu lösen geben, die den K e r n der Regierungspolitik und damit den Kompetenzbereich des Regierungschefs berühren. I n diesen Fällen kann der Regierungschef auch die Ressortplanung an sich ziehen und kraft seiner Richtlinienkompetenz verbindliche Daten setzen. Das gilt vor allem für Fragen der Prioritätensetzung und einschneidende Alternativenoptionen® 0 . ee) Erfolgskontrolle Die Erfolgskontrolle politischer Planung kann auf der Ebene des Regierungschefs und der Ressortminister stattfinden® 1. 58

Wobei nicht verkannt wird, daß „Gleichgewichts- oder Harmonievorstellungen" in der politischen Realität oft nur schwer einlösbar sind (vgl. etwa H. H. von Armin, Gemeinwohl, S. 148 ff. zur Lehre vom pluralistischen Gleichgewicht oder im 5. Kapitel unter II., 4. zur Gewaltenbalance). » R. Herzog, S. 48; D. Frank, S. 133 ff. 60 R. Herzog, S. 48; a. A. K. Stern, S. 83. 61 A . A . K. Stern, S. 83.

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Die strategische Erfolgskontrolle® 2 ist Aufgabe des Regierungschefs. Er kann nachprüfen, ob die bisherigen Maßnahmen zu einer Verbesserung oder Verschlechterung der angestrebten Zielrealisierung beigetragen haben. Er kann weiterhin die ursprünglichen Zielsetzungen daraufh i n überprüfen, ob sie unverändert i n dem Rahmen der Gesamtpolitik fortgeführt werden sollen oder ob nicht neue gesellschaftspolitische Prioritäten oder ökonomische Restriktionen eine Neubewertung erforderlich machen. Dagegen ist die taktische Erfolgskontrolle Sache der Ressortminister. Hier geht es i n erster Linie u m die Effektivität der durchgeführten Maßnahmen. Es w i r d nicht nur danach gefragt, ob die Maßnahmen das angestrebte Ziel verwirklicht haben, sondern auch, ob sie nach wie vor einem Nutzen-Kosten-Kalkül standhalten können. Weiterhin w i r d i n den Ressorts i m Rahmen der Erfolgskontrolle darauf zu achten sein, ob die Ressortplanungen den sich wandelnden Zielprioritäten der Regierung anzupassen sind. 2. Die Planungsfunktionen des Kabinetts und der einzelnen Ressorts

Bei der Darstellung der Planungsfunktionen des Regierungschefs wurde an verschiedenen Stellen.deutlich, daß i m Bereich der Regierung auch dem Kabinett und den einzelnen Ressortministern Planungsaufgaben zufallen. Kraft seiner Richtlinienkompetenz kann der Regierungschef nicht auf jede Planungsaktivität i m Regierungsbereich einwirken. Auch i m Bereich der Regierung läßt sich geradezu von einer Planungsfunktionenteilung sprechen: Die Befugnis zu politischer Planung, die dem Regierungschef kraft seiner Richtlinienkompetenz zusteht, ist mit den Planungskompetenzen der Ressortminister als Leitern ihrer Ressorts und dem Kabinett insgesamt dergestalt zu vereinbaren, daß eine effiziente und von der Sache her gebotene Planungsorganisation i m Regierungsbereich möglich wird. Durch das Kabinettsprinzip w i r d die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs nicht entscheidend eingeengt. Zwar hat die Bundesregierung als Kollegium eine Reihe wichtiger Beschlußkompetenzen: Die Bundesregierung entscheidet u.a. bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesministern (Art. 65 S. 3 GG), über den Erlaß und die Änderung der Geschäftsordnung der Bundesregierung (Art. 65 S. 4 GG)®3 und über den Bundeszwang (Art. 37 Abs. 1 GG); die Zustimmung der Bundesregierung ist bei Verträgen der Länder m i t auswärtigen Staaten erfor62

Vgl. im 2. Kapitel unter I I I . , 7. Zur Bedeutung dieser Organisationsbefugnis: E.-W. Böckenförde, Organisationsgewalt i m Bereich der Regierung, S. 151. 83

enere

Die

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

derlich (Art. 32 Abs. 3 GG); i n den Rechtsetzungsverfahren hat die Bundesregierung die Aufgabe, die Gesetzesvorlagen beim Bundestag einzubringen (Art. 76 Abs. 1 GG), Rechtsverordnungen zu erlassen (Art. 80 Abs. 1 GG) und Gesetzen zuzustimmen, die i n Abänderung des von der Bundesregierung vorgeschlagenen Haushaltsplanes die Ausgaben erhöhen oder Einnahmen mindern (Art. 113 GG). Die Richtlinien der Politik sind jedoch vorrangig gegenüber den Kollegialbeschlüssen des Bundeskabinetts. I n politisch wichtigen Fragen kann der Regierungschef nicht durch einen Mehrheitsbeschluß des Kabinetts überstimmt werden 6 4 . Sicherlich schließt es das Grundgesetz nicht aus, „daß sich i n der Praxis ein mehr kollegialer Führungsstil entwickelt und damit dem Kabinettsystem i n der Regierungsarbeit ein größeres Gewicht zukommt, als es nach den Regelungen des Grundgesetzes den Anschein hat" 6 5 . Zum Teil verspricht man sich durch eine Stärkung des Kollegialprinzips eine Verbesserung der nötigen Koordination bei der politischen Aufgabenplanung 6 6 . So werden neuerdings i n verstärktem Maß durch Kabinettsbeschluß Schwerpunkte der Politik festgeleget. E i n Beispiel für derartige richtungsweisende Kabinettsbeschlüsse ist das „Interne Arbeitsprogramm der Bundesregierung" 67 . Die Arbeitsprogramme werden auf Grund der programmatischen Ankündigung i n der Regierungserklärung entwickelt und sollen ein sachlich zusammenhängendes und nach Schwerpunkten geordnetes B i l d der Planung und Durchführung von Reformen liefern 6 8 . Durch Kabinettsbeschluß w i r d das Arbeitsprogramm bis zum Ende der Legislaturperiode für die Ressorts verbindlich. Bei Fortschreibung der Finanzplanung soll es jeweils überprüft werden. Die i n das Arbeitsprogramm der Bundesregierung aufgenommenen Reformen sollen i n den Ressorts m i t Vorrang bearbeitet werden; ihre fristgemäße Beratung und Verabschiedung i m Kabinett und Parlament ist sicherzustellen. Hier werden durch Kabinettsbeschluß wesentliche 64 T. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 65 G G R N 11; K. Hesse, § 17 I I I , 1 (Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers ist weit auszulegen); zweifelnd W. E. Pfister, S. 194 f. βδ H. Schäfer, Strukturgrundlagen der Bundesregierung, Richtlinienkompetenz des Regierungschefs, Kabinettssystem und Ressortprinzip, in: Bulletin der Bundesregierung Nr. 176 (1965), S. 1420. 08 K. Gresser, Finanzplanung, S. 87 if.; R. Jochimsen, Zum Aufbau und Ausbau eines integrierten Aufgabenplanungssystems und Koordinationssystems der Bundesregierung, in: Bulletin der Bundesregierung Nr. 97 (1970), S. 949 ff. 67 Das „Interne Arbeitsprogramm der Bundesregierung für die V I . Legislaturperiode" wurde vom Kabinett am 22.10.1970 einstimmig beschlossen; es ist jedoch nicht veröffentlicht worden. Auf Anfrage der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag hat die Bundesregierung Zweck und Anlage des Arbeitsprogramms erläutert, ohne die materiellen Zielsetzungen preiszugeben (Bundestags-Drucksache VI/1953 und VI/2709). 68 H. Ehmke, Planung im Regierungsbereich, S. 2032 f.

I I . Verteilung der Planungsfunktionen i m Bereich der Regierung

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Prioritäten politischer Planung festgelegt. Mag es sich auch nicht immer u m inhaltlich fixierte Zielvorgaben handeln, so werden doch die hauptsächlichen Felder politischer A k t i v i t ä t und des Einsatzes des Planungsinstrumentariums bestimmt 6 9 . Diese Praxis darf aber nicht zu der Annahme führen, es bestehe von Verfassungs wegen eine „Kabinettsbefugnis zu planender Initiativtätigkeit" und eine „Kabinettszuständigkeit für staatsleitende Regierungsakte mit Programm- oder Plancharakter" 7 0 . Das Kabinett ist eben „nicht das eigentliche staatsleitende Organ, sondern i n erster Linie eine Ausgleichsinstanz m i t Koordinierungsfunktion 7 1 . Das Ausarbeiten und Koordinieren politischer Programme und Planungen kann zwar auch auf der Ebene des Kabinetts geschehen; der Regierungschef bleibt aber, verfassungsrechtlich gesehen, jederzeit i n der Lage, derartige Kabinettsentscheidungen an sich zu ziehen. Insbesondere der Vorschlag eines Kabinettsamtes für politische Planung 7 2 würde die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs i n verfassungsrechtlich nicht hinnehmbarer Weise einschränken. W i l l der Regierungschef die Richtlinien der Politik bestimmen, so muß die Organisation der politischen Planung i h m unterstellt bleiben. Es erscheint als eine sachgerechte Arbeitsteilung, wenn der Regierungschef, beraten von der Staatskanzlei und seinem Kabinett, die Leitlinien politischer Planung aufstellt, und wenn die Ressortminister i n Verantwortung gegenüber dem Regierungschef 78 die i n i h r Ressort fallenden Planungen durchführen 74 . Wie bereits angedeutet, lassen sich vor allem auf dem Gebiet der politischen Planung die Kompetenzbereiche von Regierungschef und Ressortministern nicht dadurch abgrenzen, daß man den Richtlinienbegriff durch eine Antithese zu vermeintlichen Gegenbegriffen wie etwa Einzelweisung, Einzelfallentscheidung oder Rahmenvorschriften zu bestimmen sucht 76 . M i t Formalkategorien kann 69 Zu den ersten systematischen Versuchen, den Stärken und Schwächen der Arbeitsprogramme der Bundesregierung: H. Bebermeyer, Regieren, S. 65 ff. 70 D. Frank, S. 210. 71 E.-W. Böckenförde, S. 151; A. Köttgen, Bundesregierung und oberste Bundesbehörden, in: D Ö V 1954, 4; H. Schäfer, S. 1419; a. M. J. Kölble, Grundprobleme einer Reform der Ministerial Verwaltung, in: Zeitschrift für Politik, 17. Jahrg. (1970), 118 f.; Κ Carstens, Politische Führung (1971), S. 119 ff. 72 D. Frank, S. 213. 73 Oder dem Landtag wie in Bayern (Art. 51 BayVerf.). 74 E.-W. Böckenförde, S. 206 ff.; Κ. A. Sellmann, Der schlichte Parlamentsbeschluß (1966), S. 59; K. Kröger, S. 39; K. Stern, Organisationsstruktur der Bundesregierung, S. 580 f.; vgl. J. Kölble, Artikel 65 GG, S. 8 ff. 75 Von Mangoldt-Klein, Art. 65 Anm. I I I 2 b; Th. Maunz, in: Maunz/Dürig/ Herzog/Scholz, Art. 65 R N 2; ders., Die Richtlinien der Politik im Verfassungsrecht, in: BayVBl. 1965, 260 ff.; N. Achterberg, Das rahmengebundene Mandat (1975), S. 32; Κ. H. Friauf, Grenzen der politischen Entschließungsfreiheit des

11*

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

man den rechtlichen Inhalt der politisch bedeutsamen Richtlinienkompetenz nicht erfassen 76 . Anknüpfend an die Staatsrechtslehre der Weimarer Republik 7 7 läßt sich auch heute Richtliniengebung als Bestimmung der „Richtung der zu gestaltenden Gesamtpolitik" deuten 78 . Die Richtung der zu gestaltenden Gesamtpolitik kann auch durch wichtige Planungen i m Verteidigungs- oder Wirtschaftsressort beeinflußt werden. I n derartigen Fällen kann der Regierungschef einzelne Entscheidungen i m Rahmen der Ressortplanung überprüfen. Sonst entscheidet der Ressortminister allein, welche Programme und Planungen i m einzelnen zur Erreichung eines bestimmten Zieles erforderlich sind und welcher Weg beschritten werden soll 79 . Nur i n besonderen Fällen kann der Bundeskanzler kraft seines Rechts, die Richtlinien der Politik zu bestimmen, auch i n einer einzelnen Angelegenheit einem Ressortminister konkrete Anweisungen geben. M i t der konkreten Sachaufgabe selbst müssen politische Fragen verbunden sein, die für die weitere Politik der Regierung von erheblicher Bedeutung sind 80 . I n der politischen Praxis w i r d sich der Regierungschef freilich gegenüber seinem Kabinett und den Ministern kaum auf die Richtlinienkompetenz berufen. I n der Regel weiß der Regierungschef seine Meinung i n kollegialer Diskussion durchzusetzen. Da die Richtlinienkompetenz immer latent hinter dem

Bundeskanzlers und der Bundesminister, in: Festgabe für H. Herrfahrdt (1961), S. 50; vgl. auch E. Menzel, Die heutige Auslegung der Richtlinien-Kompetenz des Bundeskanzlers als Ausdruck der Personalisierung der Macht?, in: Die moderne Demokratie und ihr Recht. Festschrift für G. Leibholz, hrsg. von K. D. Bracher u. a., Bd. 2 (1966), S. 877 ff., 882 ff. 76 K. Kröger, S.37. — E.-W. Böckenförde (S.207) läßt Einzelweisungen gegenüber Bundesministern sowie Einzelfallentscheidungen des Bundeskanzlers zu, soweit das „Prinzipielle seinen Sitz in der konkreten Sachfrage selbst" hat (so auch F. Knöpfle, Inhalt und Grenzen der Richtlinien der Politik des Regierungschefs, DVB1. 1965, 857 ff., 858 ff.). 77 F. Freiherr Marschall von Bieberstein, Die Verantwortlichkeit der Reichsminister, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts, hrsg. von Anschütz und Thoma (1930), S. 520 ff., 526; C. Schmitt, Verfassungslehre (1928), S. 341, 346; T. Eschenburg, Die Richtlinien der Politik in Verfassungsrecht und in der Verfassungswirklichkeit, in: Strukturwandel der modernen Regierung (1967), hrsg. von T. Stammen, S. 361 ff. 78 W. E. Pfister, S. 9 ff. m. w. Nw. 79 Α. M. ohne nähere Begründung: F. Münch, Die Bundesregierung (1953), S. 153; D. Gruber, Die Stellung des Regierungschefs in Deutschland und Frankreich (1964), S. 108 f. 80 So mit eingehender Begründung F. Knöpfle, S. 860 ff., 925 ff.; H. Lecheler, Personalgewalt, S. 186; weitergehend H. Prior, Die interministeriellen Ausschüsse der Bundesministerien (1968), S. 98 (was in den Bereich der Richtlinien fällt, bestimmt im Zweifelsfall der Regierungschef selbst); W. Meder, in: Bonner Kommentar, Art. 65, Erl. Ziff. 1, 4; vgl. weiter K. H. Friauf, S. 45 ff., 48 ff., 54 ff. (zur Frage, inwieweit der Regierungschef bei der Bestimmung der Richtlinien der Politik an Äußerungen des Parlaments gebunden ist); E.-L7. Junkers, S. 55.

I I I . Die Planungsfunktionen der Ministerialbürokratie

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vom Regierungschef geäußerten politischen Willen steht, stärkt sie allerdings auch i n beträchtlichem Maß seine Autorität 8 1 . Abschließend bleibt noch zu bemerken, daß der Bundesfinanzminister Einflußmöglichkeiten auf die politische Planung besitzt, die den übrigen Ministern fehlen. Der Bundesfinanzminister w i r k t bei der Aufstellung der Haushaltspläne der einzelnen Bundesministerien m i t und kann mindestens faktisch sein Veto gegen Planungen eines Bundesministeriums einlegen, deren Realisierung Ausgaben erfordert. Verfassungsrechtlich ist der Sonderstellung des Bundesfinanzministers in A r t . 112 GG Rechnung getragen: Bei Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßigen Ausgaben ist seine Zustimmung erforderlich. Der Bundesfinanzminister übt hier ein echtes Kontrollrecht aus, das nicht durch einen Kabinettsbeschluß ersetzt werden kann 8 2 . Durch § 26 GOBReg w i r d die Stellung des Bundesfinanzministers noch verstärkt, wonach er gegen Beschlüsse der Bundesregierung i n Fragen von finanzieller Bedeutung Widerspruch erheben kann. Dieses suspensive Veto kann nur ein Beschluß der Mehrheit der Bundesminister zusammen mit dem Bundeskanzler aufheben. Bei der Ausgabenseite von politischen Planungen besitzt also der Bundesfinanzminister neben dem Bundeskanzler eine gewisse Führungsfunktion i m Kabinett 8 8 .

I I I . D i e F u n k t i o n e n der Ministerialbürokratie i m Planungsbereich der Regierung 1. Die Mitwirkung an den politischen Entscheidungen der staatsleitenden Instanzen

Die Funktionen der Ministerialbürokratie i m Planungsbereich der Regierung bestehen i n der Operationalisierung der Regierungsprogramme, i m sachverständigen Ausarbeiten von Planungen und Planungsalternativen, i n der Aufbereitung der für Planungen relevanten Informationen und nicht zuletzt i n der Anstoßfunktion, nämlich i m Hinweis auf bevorstehende soziale und ökonomische Probleme. 81

W. Hennis, S. 30 ff. Th. Maunz (in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 112 G G R N 10) meint, der Bundeskanzler könne die Frage der Zustimmung des Bundesfinanzministers nach Art. 112 G G zur Richtlinienfrage machen. Dann aber würde in die Haushaltsverantwortung des Bundesfinanzministers eingegriffen, die er nach Art. 114 GG bei der Rechnungsiegimg vor dem Parlament zu vertreten hat (vgl. M. Rosenfeld, Stellung und Aufgabe des Bundesfinanzministers im Haushaltsrecht [jur. Dissertation Münster 1974], S. 200 f.). 88 Für die Entfaltungsmöglichkeiten des Bundesfinanzministers ist natürlich die politische Konstellation entscheidend (Einzelheiten bei H. Rausch, S. 215 ff.). 82

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der V e r f a s s g

Bereits diese Aufzählung der Funktionen einer planenden Ministerialbürokratie macht deutlich, daß die Bürokratie i n den Verfahren der politischen Planung eine erhebliche politische Rolle zu entfalten vermag und nicht immer unbedingt als bloße Erfüllungsgehilfin der Politik der politischen Führung handeln wird. Dieser Anteil der Bürokratie an den Entscheidungen der politischen Führung und der i n der politischen Praxis teilweise recht eigenständige politische Gestaltungswille der planenden Ministerialbürokratie lenken den Blick auf ihr Eigengewicht i n einer demokratischen Ordnung 1 . Die Spannungslage zwischen bürokratischer Struktur und demokratischem Verfahren der Konsensbildung läßt sich unter zwei verschiedenen Blickwinkeln betrachten 2 . Es läßt sich die Frage stellen, ob und i n welcher Weise für die planungsrealisierende Verwaltungsentscheidung ein Konsens der Entscheidungsbetroffenen i n weitestem Sinne beschafft werden kann. I m Vordergrund steht hier die Partizipation an Planung und Verwaltungsentscheidungen und, ganz allgemein, die Bedeutung organisierter Einwirkungen auf die Verwaltung 3 . Dieser Fragenkreis soll an dieser Stelle nicht erneut vom Grundsätzlichen her beleuchtet werden. Es geht i m folgenden vielmehr u m die Rolle der Bürokratie i m demokratisch organisierten Prozeß staatlicher Willensbildung, wobei besondere Aufmerksamkeit dem Gewicht der Ministerialbürokratie i m Prozeß politischen Entscheidens gewidmet werden soll. Vor allem i m Hinblick auf die modernen Verfahren 1 Allgemein zu dieser Frage: W. Thieme, Verwaltungslehre, § 23; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 30 I V ; R. Herzog, Möglichkeiten und Grenzen des Demokratieprinzips in der öffentlichen Verwaltung, in: Demokratie und Verwaltung, 25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (1972), S. 485 ff., 487 ff.; M . G. Lange, Politische Soziologie, 2. Aufl. (1964), S. 167 ff.; O. Stammer und P. Weingart, Politische Soziologie (1972), S. 9 ff. und passim; Κ . D. Bracher, Gegenwart und Zukunft der Parlamentsdemokratie in Europa, in: K. Kluxen (Hg.), Parlamentarismus (1967), S.70ff., 83 ff.; H. P. Bahr dt, Demokratie und Bürokratie, in: Die Neue Gesellschaft, 1961, S. 22 ff.; Th. Ellwein, Regierung und Verwaltung, 1. Teil, S.24ff., 32 ff. und passim; F. Duppré, Der leitende Beamte und die politische Spitze des Amtes, in: öffentlicher Dienst und politischer Bereich, hrsg. von der Hochschule Speyer (1968), S. 14 ff.; M . Fellner, Staatsbehörden im politischen Spannungsfeld, ebd., S. 37 ff., 44 f.; M. Albrow, Bürokratie (1972), S. 127 ff.; J. Hirsch, Ansätze einer Regierungslehre, in: Politikwissenschaft, hrsg. von G. Kress und D. Senghaas (1969), S. 269 ff.; M. Teschner, Art. Bürokratie, in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 237 ff., 240 ff.; H. D. Jarass, Politik; G. Schmid und H. Treiber, Bürokratie; U. Lohmar, Das Hohe Haus, S. 162 ff. 2 U. Thaysen (Parlamentsreform in Theorie und Praxis [1972], S. 94 f.) unterscheidet drei Ebenen der politischen Teilhabe, nämlich der direkten Teilhabe des Bürgers an der politischen Gestaltung, der Teilhabe des Abgeordneten am parlamentarischen Prozeß und der Teilhabe des Parlaments am politischen Gesamtprozeß. 3 Hierzu die grundlegenden Referate von R. Walter und W. Schmitt Glaeser, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, in: V V D S t R L H. 31 (1973), S. 147 ff. und W. Schmidt und R. Bartlsperger, Organisierte Einwirkungen auf die Verwaltung. Zur Lage der zweiten Gewalt, in: W D S t R L H. 33 (1975), S. 183 ff.; vgl. weiter H. Pflaumer, Öffentlichkeit, S. 33 ff.

I I I . Die Planungsfunktionen der Ministerialbürokratie

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politischer Planung erscheint es eingehender Klärung bedürftig, i n welchem Maß die demokratisch legitimierte politische Führung eigenständig politische Ziele und Prioritäten formulieren und i n die soziale Realität umsetzen kann, ohne hierbei Einflüssen aus der Bürokratie zu unterliegen. Der Fähigkeit der Bürokratie, auf den demokratisch organisierten Prozeß politischer Willensbildung einzuwirken und das demokratische Element i m staatlichen Willensbildungsprozeß zu verfremden, w i r d von einem beträchtlichen Teil des staatsrechtlichen, staatstheoretischen und verwaltungswissenschaftlichen Schrifttums keine hinreichende A u f merksamkeit gewidmet. Die Staatsrechtslehre beschreibt i n der Regel die verfassungsmäßige Funktionenverteilung als politische Wirklichkeit und setzt ohne nähere Problematisierung Verwaltung m i t Vollziehung gleich 4 . Der politischen Führung, also Parlament und Regierung, w i r d die Entscheidung der anstehenden politischen Fragen zugeordnet; die Verwaltung und damit auch die Ministerialbürokratie hat die politischen Leitziele und Richtlinien entgegenzunehmen und die Gesetze zu vollziehen. Nach dieser Vorstellung w i r d der Verwaltung und der Ministerialbürokratie eine dienende Stellung i m Staatsapparat zugewiesen 5 . Mag dieses Problematisierungsdefizit i n der Konsequenz der Betrachtungsweise der Staatsrechtslehre liegen, so wiegt es schwerer, daß auch ein nicht geringer Teil des staatstheoretischen und verwaltungswissenschaftlichen® Schrifttums das politische Eigengewicht der Bürokratie, das sie i n einem leistungs- und regelungsintensiven Industriestaat zu entfalten vermag, ungenügend gewichtet. H. Finer 7 etwa entwirft ein B i l d von einem Beamtentum, das sich v o l l und ganz durch politische Entscheidungen und die öffentliche Meinung steuern läßt u n d sein Expertenwissen i n den Dienst der jeweiligen Politik stellt. R. Bendix erklärt bündig, die Bürokratie sei allmächtig und zugleich unfähig 4 So etwa Th. Maunz, Deutsches Staatsrecht, 20. Aufl. (1975), §§ 28, 41 I, I I , 4; ders., in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 62 GG R N 3. 5 Β. A. Baars, Strukturmodelle für die öffentliche Verwaltung (1973), S. 76 ff.; M. Lepper, Teams in der öffentlichen Verwaltung, in: Die Verwaltung, Bd. 5 (1972), S. 141 ff., 145; R. Löwenthal, Demokratie und Leistung, in: Die Neue Gesellschaft, Bd. 18 (1971), S. 892 ff. 6 Bei F. Morstein Marx (Einführung in die Bürokratie [1959], S.26f., 159 ff.) etwa wird ein politisches Eigengewicht der Bürokratie nur ganz am Rande erörtert. L. von Mises (Bureaucracy [1962], S. 41 ff.) beschränkt sich auf die Feststellung, in einem demokratischen Staat sei die Bürokratie durch Gesetze und Haushaltsplan gebunden, erörtert aber nicht die politischen Einflußmöglichkeiten der Bürokratie. 7 H. Finer, Der moderne Staat, Bd. 3 (1958), S. 211 ff., 430 ff.; vgl. weiter F. Morstein Marx, Regieren und Verwalten, in: PVS 1967, 353; E. Guilleaume, Reorganisation von Regierungs- und Verwaltungsführung (1966), S. 52 f.; H. Lecheler, Verwaltung, S. 444 f.

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der V e r f a s s g

zu bestimmen, wie ihre Macht gebraucht werden könne 8 . Die politische Autorität der Führungsspitze soll sich i n jedem Fall gegenüber der fachlichen Autorität der Verwaltung durchsetzen können. Dieses Idealbild von einer Bürokratie als „Instrument politischer Gestaltung" 9 , aber ohne politisches Eigengewicht geht davon aus, daß das Machtpotential der Bürokratie durch Recht und innerdienstliche Weisung gebunden ist und die Bürokratie nur über delegierte Macht verfügt. Dem entspricht eine gewisse Gehorsamshaltung und Loyalität des Beamtentums gegenüber der politischen Führung, die nicht nur rechtlich abgesichert sondern auch zum Berufsethos erhoben ist. Aber bereits für Max Weber war dieses Zusammenspiel zwischen politischer Führung und bürokratischem Gehorsam sehr problematisch; er hat nie bezweifelt, daß die Bürokratie auch bestrebt ist, ihr fachliches Können i n politischen Einfluß umzusetzen 10 . Weiterhin erscheint auch die Vorstellung wenig realitätsnah, daß die Bürokratie durch Gesetze i n umfassender Weise gesteuert werden könne 11 . Die Reduzierung der Verwaltungsfunktionen auf Vollziehung w i r d den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht 12 . Gegenüber einer „legalistischen" Betrachtungsweise, die die Bürokratie durch Gesetz und Weisung vorprogrammiert sieht, läßt sich ganz allgemein einwenden, daß die Bürokratie i m politischen Prozeß ein erhebliches Eigengewicht entfalten kann. Daß gerade i n den letzten 8 R. Bendix, Bureaucracy and the Problem of Power, in: Reader in Bureaucracy, hrsg. von R. K. Merton u. a. (1952), S. 114 ff., 129. 9 F. Duppré, Politische Kontrolle, in: Verwaltung, hrsg. von F. Morstein Marx (1965), S. 388 ff., 412 f. 10 M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, in: Gesammelte politische Schriften, 2. Aufl. (1958), S. 320 ff.; R. Bendix, Bürokratie und Staat bei M. Weber, in: Soziologische Theorie, hrsg. von C. Mühlfeld und M. Schmid (1974), S. 441 ff., 448 ff.; vgl. weiter Th. Ellwein, Regierung und Verwaltung, S. 25 ff. 11 Zur Kritik am „dezisionistischen" Modell, daß sich nämlich zwischen politischer Entscheidung und Wahl der Mittel und Maßnahmen klar trennen lasse, vgl. J. Miliar, Die Rolle der Sachverständigen in der politischen W i l lensbildung und i m Entscheidungsprozeß (1970), S. 12 ff. und passim; H. F. Lorenz, Verwaltung in der Demokratie (1972), S. 10. 12 Zum folgenden sei auf den materialreichen Beitrag von R. Steinberg, Faktoren bürokratischer Macht, in: Die Verwaltung, 11. Band (1978), S. 309 ff. verwiesen. Vgl. weiter R. Herzog, Wandlungen in der Struktur des Verhältnisses zwischen der technokratischen Verwaltung und der politischen Führung, in: Verwaltung i m modernen Staat (1970), S. 34 ff., S. 37 ff.; Th. Eschenburg, Bemerkungen zur deutschen Bürokratie (1955), S. 21 ff.; E. Blankenburg und H. Treiber, Bürokraten als Politiker — Parlamentarier als Bürokraten, in: Die Verwaltung, 5. Band (1972), S. 272 ff.; J. Hirsch, S. 276 ff.; R.-R. Grauhan, Modelle politischer Verwaltungsführung, in: PVS 1969, 269 ff., 271 ff.; ders., Politische Verwaltung. Auswahl und Stellung der Oberbürgermeister als Verwaltungschefs deutscher Großstädte (1970), S. 15 ff.; kritisch H. Lecheler, S. 442 ff.

I I I . Die Planungsfunktionen der Ministerialbürokratie

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J a h r z e h n t e n das politische E i g e n g e w i c h t d e r B ü r o k r a t i e z u n a h m , b e r u h t zunächst a u f d e r E n t w i c k l u n g z u r S o z i a l s t a a t l i c h k e i t 1 3 . I m l e n k u n g s u n d l e i s t u n g s i n t e n s i v e n I n d u s t r i e s t a a t erschöpft sich d i e V e r w a l t u n g s t ä t i g k e i t n i c h t i n d e r E x e k u t i o n p o l i t i s c h getroffener E n t s c h e i d u n g e n . D e m e n t s p r i c h t , daß j e nach A u f g a b e das O r g a n i s a t i o n s - u n d F ü h r u n g s profil i n der öffentlichen V e r w a l t u n g v a r i i e r e n kann. B e i Routinea u f g a b e n w i r d die h e r k ö m m l i c h e d i r e k t i v e F ü h r u n g ( M a n a g e m e n t b y delegation) bestehen b l e i b e n . S i n d die A u f g a b e n aber — w i e i m z u n e h mendem Maße i m regelungsintensiven u n d planenden Industriestaat — n u r allgemein vorgegeben u n d m u ß nach neuen Problemlösungsstrateg i e n gesucht w e r d e n , w i r d d i e T e n d e n z z u e i n e r F ü h r u n g d u r c h Z i e l v o r g a b e gehen ( M a n a g e m e n t b y o b j e c t i v e s ) 1 4 . Es h a n d e l t sich h i e r u m die b e k a n n t e U n t e r s c h e i d u n g v o n k o n d i t i o n a l e r u n d finaler P r o g r a m m s t e u e r u n g 1 5 . S t e h e n die Z i e l e als S t e u e r u n g s g r ö ß e n i m M i t t e l p u n k t des F ü h r u n g s m o d e l l s , so w i r d d i e V e r w a l t u n g i n e r h e b l i c h e m U m f a n g a n der V o r b e r e i t u n g politischer Entscheidungen der staatsleitenden O r gane b e t e i l i g t ; u n d w e i t e r h i n e r h ä l t die V e r w a l t u n g b e i d e r U m s e t z u n g 13 Unter historischem Aspekt vgl. etwa S. N. Eisenstadt, Die politischen Orientierungen historischer Bürokratien, in: Bürokratische Organisation, hrsg. von R. Mayntz (1968), S. 366 ff. 14 Vgl. hierzu E. Laux, Führungsverhalten und Führungsstil, in: Handbuch der Verwaltung, hrsg. von U. Becker und W. Thieme, Heft 5.7 (1974); C. Bohret und M . Th. Junkers, Führungskonzepte für die öffentliche Verwaltung (Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik, Band 55) (1976), S. 98 ff.; J. Wild, Management by objectives als Führungsmodell für die öffentliche Verwaltung, in: Die Verwaltung, 6. Band (1973), S. 283 ff.; kritisch H. König, Managementkonzeptionen für Regierung und Verwaltung, in: Verwaltungsarchiv 67. Bd. (1976), S. 335 ff., 347 ff. 15 Die Unterscheidung von zwei Grundtypen der Entscheidungsprogrammierung und Programmsteuerung geht auf Arbeiten der amerikanischen Organisations- und Managementtheorie zurück, vor allem auf E. Litwak und H. A. Simon. Nach Litwak (Models of Bureaucray which Permit Conflict, in: American Journal of Sociology, 1961, S. 177 ff.) unterscheiden sich die einzelnen Untersysteme eines bürokratisch organisierten Gesamtsystems vor allem im Hinblick auf die Aufgaben, die sie erfüllen sollen. Die eine Gruppe von Untersystemen befaßt sich mit gleichförmigen routinisierbaren Aufgaben, die andere Gruppe mit ungleichförmigen, nicht routinisierbaren Aufgaben. Je nach Aufgabentyp hält Litwak verschiedene Organisations- und Führungsmodelle für erforderlich (S. 181). Es entspricht die erste Gruppe von Subsystemen dem Weberschen Bürokratie-Modell, während in der zweiten Gruppe der Entwicklung kreativer Fähigkeiten Rechnung getragen werden muß. H. A. Simon (The New Science of Management Decision [New York und Evanston, 1960], S. 5 ff. und passim) beschreibt die beiden Subsystemen adäquaten Entscheidungsmuster. Dem Subsystem mit routinisierbaren Aufgaben entspricht ein konditional programmiertes Entscheidungsmuster, dem Subsystem mit nicht routinisierbaren Aufgaben ein final programmiertes Entscheidungsmuster. Diesen amerikanischen Ansatz diskutiert eingehender W. H. Staehle (Organisation und Führung sozio-technischer Systeme [1973], S. 53 ff.; vgl. weiter B. A. Baars, S. 6 ff.; B. Becker, Aufgabentyp und Organisationsstruktur von Verwaltungsbehörden, in: Die Verwaltung 9. Bd. [1976], S. 273 ff. mit ausführlichen Literaturangaben).

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

politischer Entscheidungen i n die Realität i n zunehmendem Maß erhebliches politisches Ermessen überantwortet 1 6 . a) Bereiche bürokratischer

Mitwirkung

aa) Der A n t e i l der Bürokratie an der Formulierung von politischen Leitzielen Bereits bei der Formulierung der politischen Leitziele erhält jener Teil der Ministerialbürokratie erhebliche Einflußmöglichkeiten, der an der planmäßigen Zukunftsgestaltung m i t w i r k t . Verfolgt man die Konkretisierung politischer Leitziele, wie sie i n parteiinterner Diskussion zunächst beraten werden, anschließend i n einem Wahlprogramm formuliert und durch die Regierungserklärung weiter präzisiert werden, so scheint hier eine Einflußnahme durch die staatliche Bürokratie fern zu liegen. Bei diesem Konkretisierungsprozeß scheinen demokratische Verfahren, nämlich parteiinterne Willensbildung und Votum der Wähler, zu dominieren. I n der politischen Praxis erscheint die Annahme freilich wenig realistisch, daß die Parteien ihre mittelfristigen politischen Zielsetzungen, soweit sie eine Legislaturperiode betreffen, aus dem gesellschaftlichen Bereich heraus und i n einem demokratischen parteiinternen Willensbildungsprozeß entwickeln; die Ministerialbürokratie hat vielmehr einen erheblichen A n t e i l an der Formulierung und Gewichtung dieser Zielsetzungen 17 . Überspitzt formuliert läßt sich sogar behaupten, daß die Ministerialbürokratie sich i n gewissem Umfang selbst programmiere, da sie die i h r genehmen politischen Zielsetzungen i n dem demokratischen Prozeß politischer W i l lensbildung m i t Nachdruck zur Geltung bringen kann. Die Parteispitzen nämlich sind auf Berichte der Ministerialbürokratie über das Erreichte und geplante Maßnahmen i n den einzelnen Bereichen der Politik angewiesen; und sie werden i n der Regel auch die Einschätzungen der Ministerialbürokratie über die Grenzen des Machbaren respektieren müssen 18 . Die Indienstnahme der politischen Parteien durch die Ministerialbürokratie w i r d besonders deutlich, wenn Regierungsparteien ihre Wahlplattform aufstellen: Oft kommt dem Sachverstand der 18 W. Kaltefleiter, Vorwort, in: B. Steinkemper, Klassische und politische Bürokraten in der Ministerialverwaltung der Bundesrepublik Deutschland (1974), S. V; Th. Ellwein, Regierung und Verwaltung, S. 194 f.; R. Koch, Personalsteuerung in der Ministerialbürokratie (1975), S. 102 ff.; R. Mayntz, Soziologie, S. 64 ff., 181 ff. m. w. Nw. 17 Ein Beispiel berichtet P. Grottian (Strukturprobleme, S. 221 ff.). 18 Dies bestätigt K. Carstens (Politische Führung. Erfahrungen im Dienst der Bundesrepublik [1971], S. 38). Es ist sicherlich nicht zutreffend, daß staatliche Organisationen zu einem Instrument der jeweils regierenden Parteien geworden sind, wie W. Weber (Die Bundesrepublik und ihre Verfassimg an der Schwelle des dritten Jahrzehnts, in: DVB1. 1969, 413 ff.) meint.

I I I . Die Planungsfunktionen -der Ministerialbürokratie

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Ministerialbürokratie bei der Akzentsetzung innerhalb der einzelnen Zielbereiche eine ganz erhebliche Bedeutung zu 19 . Ähnlich wie das Parlament bei Regierungsplanungen muß der Parteitag i n der Regel die bürokratisch erarbeiteten Wahlplattformen hinnehmen. Gerade bei der Diskussion von Wahlplattformen haben Parteitage schon u m der Demonstration parteilicher Geschlossenheit w i l l e n mehr eine Publizitätsund Legitimationsfunktion als die Aufgabe, konkrete Programme zu entwickeln. Das gilt m i t Abstrichen auch für die Oppositionsparteien, die sich i n einem föderalistischen Staatswesen von den ihnen nahestehenden Ministerialbürokratien die erforderlichen Daten und Prognosen beschaffen können. Ähnlich ist auch die Lage bei Erarbeitung der Regierungserklärung, wenn die publikumswirksamen Ressortvorhaben i n enger Kooperation mit der Ministerialbürokratie zu einer politischen Gesamtkonzeption zusammengefügt werden. Regierungserklärungen sind i m weiten Maße bloß redaktionelle Zusammenfassungen der von den einzelnen Ministerialbürokratien erstellten Ziel- und Ergebnisberichte 20 . bb) Die Beteiligung der Bürokratie am Vollzug politischer Programme und Planungen Weiterhin besitzt die Bürokratie erhebliche Spielräume politischer Gestaltung bei der Gesetzesausführung, bei der Gesetzesvorbereitung und kraft ihrer Informationsverarbeitungskapazität bei fast jeder politischen Entscheidung, die komplexe Sachverhalte betrifft. Zunächst muß der Gesetzgeber der Bürokratie i m regelungsintensiven Industriestaat erhebliche Spielräume eigenverantwortlicher politischer Gestaltung überlassen. I m Bereich der „diffusen" Rechtsnormen, — wenn etwa der Gesetzgeber, wie i n zunehmendem Maß i n den Planungsgesetzen, sich auf die Festlegung bloßer Richtlinien und auf organisatorische Regelungen beschränkt —, kommt der Bürokatie nicht allein bei der Erarbeitung gesetzesabhängiger Planungen erhebliches politisches Gewicht zu 21 . 19 N. Diederich (Aufgabenplanung, interne Arbeitsprogramme der Regierung, Regierungserklärungen, in: K. König [Hg.], Koordination, S. 78) sieht in diesem Mechanismus bereits „eine Machtergreifung der Verwaltung gegenüber dem Parlament" und fordert von den politischen Parteien, auf die Erhaltung ihres Handlungsspielraums zu achten. 20 P. Grottian, Strukturprobleme, S. 222; A. Katz, Politische Verwaltungsführung, S. 264 f. 21 R. Herzog, Wandlungen, S. 37 f.; R.-R. Grauhan, Zur Struktur der planenden Verwaltung, in: L. Lauritzen (Hg.), Demokratie, S. 37 ff., 42 ff.; H. Pflaumer, S. 12 ff.; G. Schmid und H. Treiber, S. 180 ff.; F. N. Nigro, Modern Public Administration, 2. Aufl. (1970), S. 16; J. Hirsch, S. 280; nicht ausreichend differenzierend Β. Α. Β aar s, S. 79.

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

Spielräume, eigene politische Vorstellungen i n den politischen Prozeß einzubringen, besitzt die Bürokratie weiterhin bei der Gesetzesvorbereitung. Beim Zustandekommen des Haushaltsplanes ζ. B. geht die Initiative nicht von der politischen Führung i n Regierung und Parlament aus, sondern von der m i t der Haushaltsplanung beauftragten Ministerialbürokratie. Und i n der politischen Praxis scheint das gesetzesberatende Kabinett meist nur nachzuvollziehen, was die Bürokratie i n der Regel aus eigener Initiative begonnen hat 2 2 . Ganz allgemein besitzt die Bürokratie erhebliche Möglichkeiten, auf jedwede Entscheidung der politischen Führung einzuwirken. Von der Entscheidungstheorie w i r d u. a. danach gefragt, wer über die regelungsbedürftigen Materien bestimmt, wer die relevanten Entscheidungsalternativen auswählt und wer endlich die Entscheidung trifft. Diese entscheidungstheoretische Frage nach dem realen Schwergewicht bei politischen Entscheidungen kann deutlich machen, auf welchen Entscheidungsstufen die Bürokratie politische Entscheidungen beeinflussen kann 2 3 . Die Erarbeitung der möglichen Problemlösungstrategien, die Vorauswahl der relevanten Entscheidungsalternativen und — m i t A b strichen — die Auswahl der regelungsbedürftigen Materien ist Sache der Bürokratie. Diese Überlegungen haben zu der überspitzten These geführt, daß die Bürokratie i n dem Maße regiert, wie sie die Entscheidungsmöglichkeiten kennt und unter ihnen auswählt 24 . Keine bürokratische Organisation kann es vermeiden, daß grundlegende Entscheidungen der Organisationsspitze durch untergebene Fachleute mitbeeinflußt werden. Der „Herr" jeder bürokratischen Organisation befindet sich, wie bereits Max Weber hervorhob, gegenüber dem i m Betrieb der Verwaltung stehenden geschulten Beamten i n der Rolle eines „Dilettanten". Die Bürokratie besitzt das „Monopol spezialisierter Fachkenntnisse" 25 . Die „bürokratische Macht des Sachverstandes" zeigt sich etwa, wenn „ein sachkundiger und juristisch durchdachter Gesetzesentwurf ein starkes sachliches Eigengewicht" entfaltet 2 8 . Problemanalyse, Ausarbeitung von Maßnahmevorschlägen und Vorauswahl unter möglichen Maßnahmen sind Aufgaben, die nur von büro22 Th. Ellwein, Regierung und Verwaltung, 1. Teil, S. 14 m. w. Nw.; ders., Formierte Verwaltung. Autoritäre Herrschaft in einer parlamentarischen Demokratie, in: W. Steffani (Hg.), Parlamentarismus ohne Transparenz (1971), S. 48 ff., 56. 23 J. Hirsch, S. 278 f. m . w . Nw.; vgl. weiter F. Voigt und J. Budischin, S. 27 ff., 53 ff. 24 Th. Ellwein, Einführung in die Regierungs- und Verwaltungslehre (1966), S. 149; ders., Regierungssystem, S. 391 f. 25 M. G. Lange, S. 169. 26 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 30 I V 1.

I I I . Die Planungsfunktionen der Ministerialbürokratie

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kratischem Sachverstand erfüllt werden können. Diese bürokratische Macht des Sachverstandes w i r d potenziert durch die bürokratische Macht der Informationsverarbeitung. Nur der geschulte und an der „sozialen Front" stehende Beamte hat die Chance, die für Entscheidungen wesentlichen Informationen umfassend zu verarbeiten. Die Organe der politischen Führung, also Regierung und Parlament, sind bei wegweisenden politischen Entscheidungen auf die Informationsverarbeitung der Bürokratie angewiesen 27 . Da jede Entscheidung zu einem großen Teil auch ein Informationsverarbeitungsprozeß ist, liegen die Einflußmöglichkeiten der Bürokratie auf Regierungs- und Parlamentsentscheidungen auf der Hand: Durch Selektion von Informationen können die Entscheidungen der staatsleitenden Instanzen äußerst wirksam gesteuert werden 28 . Der Handlungsspielraum der politischen Spitze ist abhängig vom Vorschlagsangebot der Bürokratie 2 9 . Ein anderes Mittel, die Entscheidungen der demokratisch legitimierten Staatsorgane zu beeinflussen, ist die Absicherung eines Entscheidungsvorschlags durch Stellungnahmen von Wissenschaftlern 80 oder von konfliktfähigen Spitzenverbänden aus dem gesellschaftlichen Bereich 81 . Bei sozialpolitischen Reformen steht oft die Frage i m Vordergrund, was verfassungsrechtlich „machbar" ist. Auch bei der Erarbei27 J. Wild (Führung als Prozeß der Informationsverarbeitimg, in: K. M a charzina und L. von Rosenstiel [Hg.], Führungswandel in Unternehmung und Verwaltung [1974], S. 153 ff.) bezeichnet Führung als Informationsverarbeitungs- und Informationsübertragungsprozeß, der zielorientiert ist und auf Systemgestaltung abzielt; vgl. weiter H. P. Bahrdt, S. 25 ff.; Th. Ellwein, Regierung und Verwaltung, S. 171 ff. 28 Als Beispiel aus der politischen Praxis sei etwa die Erarbeitung des verkehrspolitischen Programms für die Jahre 1968 - 1972 genannt. Auf Veranlassung des Ministers erarbeitete eine kleine Arbeitsgruppe frei von formeller und faktischer Weisung in vertraulicher Tätigkeit einen Katalog verkehrspolitischer Maßnahmen und ein verkehrspolitisches Gesamtprogramm. Dieses Programm bildete in der Folgezeit die Diskussionsgrundlage auf Abteilungsleiter-, Staatssekretärs- und Ministerialebene (vgl. zu den Einzelheiten J. Kussau und L. Oertel, Der Prozeß der Problembearbeitung in der Ministerial Verwaltung: Das verkehrspolitische Programm für die Jahre 1968- 1972, in: P. Grottian und A. Murswieck [Hg.], Handlungsspielräume, S. 113 ff., 116 f., 122 ff.). 29 J. Kussau und L. Oertel, S. 136, 138; E. Blankenburg und H. Treiber, Bürokraten als Politiker — Parlamentarier als Bürokraten, in: Die Verwaltung 5. Bd. (1972), S. 272 ff., 276 ff. 30 Die Gründe für die Beteiligung von Wissenschaftlern an bürokratischen Entscheidungen finden sich bei E. Blankenburg und H. Treiber (S. 280 f.) aufgeschlüsselt. Den ersten Rang nehmen die Unterstützungs- und Absicherungsfunktion, dicht gefolgt von der Versachlichungsfunktion und der Prestigefunktion ein (vgl. auch K. Carstens, S. 203 f.). 31 Vgl. etwa P. Grottian, Problemlösungsstrategien der Staatsadministration anhand der Konzentrations- und Wettbewerbspolitik, in: P. Grottian und A. Murswieck (Hg.), Handlungsspielräume, S. 236 ff., 258; ders., Strukturprobleme, S.228.

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4. Kap. : Verteilung der Planungsf unktionen i m Schema der Verfassung

tung verfassungsrechtlicher „Restriktionen" scheint die Ministerialbürokratie eine wichtige Rolle zu spielen. Oftmals ist die Ministerialbürokratie bestrebt, ihren verfassungsrechtlichen Standpunkt durch wissenschaftliche Gutachten oder i n Hearings absichern zu lassen 32 . cc) Wachsende Mitwirkungs- und Einflußmöglichkeiten der Bürokratie i n den Verfahren politischer Planung Die geschilderten traditionellen Einflußmöglichkeiten der Bürokratie auf die Willensbildung der politischen Führung werden durch die Verfahren der politischen Planung erheblich verstärkt. Die modernen Verfahren der sozial- und wirtschaftspolitischen Planung setzen eine hohe Informationsbeschaffungsund Informationsverarbeitungskapazität voraus. Lageanalysen und Lageprognosen als erste Schritte jeder politischen Planung erfordern umfassende Informationen über die soziale Realität. Infolge ihrer geringen Kapazität an Informationsverarbeitung ist die politische Führungsspitze i n Parlament und Regierung nur bedingt i n der Lage, sich aktiv am Prozeß der Entwicklung von Planungen zu beteiligen. Die politische Führungsspitze beschränkt sich oftmals darauf, Anstöße zu Planungskorrekturen und Neuplanungen zu geben 33 . Allerdings ist der Einfluß der planenden Ministerialbürokratie bei jenen politischen Entscheidungen gering, die i n engem Zusammenhang m i t der Legitimität des politischen Systems stehen. Naturgemäß w i r d sich die politische Führung i n Parlament und Regierung u m so stärker i n die Verfahren politischer Planung einzuschalten versuchen, je größere politische Brisanz ein soziales Problem i n der Öffentlichkeit entfaltet. Ist die Konfliktschwelle außerhalb des politisch-administrativen Systems relativ niedrig, kann die planende Ministerialbürokatie eher die Planungsziele determinieren als die politisch Legitimierten 3 4 .

32 Zum Einfluß der Regierungsbürokratie der Länder auf politische Entscheidungen auf Bundesebene vgl. unter V., 2. — Als letztes Mittel der Entscheidungsbeeinflussung sei noch die gelegentlich verwandte gezielte Indiskretion genannt. Unter Verletzung dienst rechtlicher Vorschriften können Beamte politische Entscheidungen beeinflussen, indem sie politische Projekte vor endgültiger Entscheidung einer öffentlichen Diskussion zugänglich machen. Bei politischen Entscheidungen, die aus einer gewissen Geheimhaltung heraus ihre Effizienz beziehen, sind gezielte Indiskretionen probate M i t tel der Begrenzung von Entscheidungswirkungen. Aber auch bei anderen Entscheidungen kann eine gezielte Indiskretion zu beträchtlichen Korrekturen am Entscheidungsinhalt führen. So kann etwa eine frühzeitige öffentliche Diskussion von Vorhaben der Regierung den regierungsinternen Entscheidungsprozeß nachhaltig beeinflussen (vgl. auch K. Carstens, S. 191; R. Steinberg, S. 312 ff. mit zahlreichen Beispielen). 33 Zur Programmentwicklung in der Ministerialorganisation vgl. G. Schmid und H. Treiber, S. 122 ff. 34 P. Grottian, S. 215.

I I I . Die Planungsfunktionen der Ministerialbürokratie

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A n der eigentlichen Ausarbeitung von Planungen ist die politische Führung nicht beteiligt. Die Planungen werden i n den Referaten der Ministerien erarbeitet; die Referate erhalten — oftmals erst nach Beginn der Planung 3 5 — lediglich relativ grob umrissene Planungsziele als Vorgaben für ihre Planungen 38 . Das Eigengewicht der planenden Bürokratie wächst i n dem Maße, als die Zielvorstellungen der politischen Führung sich nicht bis zur Referatsebene i n prägender Form durchsetzen können. I n der Praxis sind die konkreten Zielvorstellungen des Ministers, bzw. der Ressortleitung oft den Referenten und auch A b teilungsleitern gelegentlich nur vage bekannt 3 7 . Zur Vermeidung eines allzu starken Eigengewichts der planenden Ministerialbürokratie i m politischen Entscheidungsprozeß w i r d neuerdings ein „offener" Kooperationsstil zwischen planender Ministerialbürokratie und politischer Leitung gewählt. A u f Klausurtagungen zwischen politischer Führung und Ministerialbürokratie werden regelungsbedürftige Planungsmaterien i n möglichst allen Einzelheiten von möglichst allen Beteiligten unabhängig von rangmäßigen Positionen diskutiert 3 8 . A u f der Referatsebene finden sich jenes Informationswissen, jene Problemkenntnis und jene differenzierten Umweltkontakte, die die Ministerialorganisation insgesamt i n die Lage versetzen, ihre Funktion i m Problemlösungsprozeß wahrzunehmen. Die politische Führung ist auf die Kreativität der Bürokratie angewiesen 39 . Politische Einflußmöglichkeiten einer planenden Ministerialbürokratie können die Entscheidungen der staatsleitenden Instanzen i n hohem Maß beeinflussen, da bei jeder Planung immer Entscheidungen zwischen Handlungsalternativen auf Grund wertender Beurteilung getroffen werden müssen 40 . Jede Entscheidungsvorbereitung, vor allem aber jede Planung erfordert immer Selektion aus vielfältigen Möglichkeiten. Verwaltungshandeln i m Bereich der planenden Verwaltung 35

P. Grottian, S. 215 ff. I n der spezifisch rechtswissenschaftlichen Literatur wird die politische Bedeutung der Ressortplanungen vielfach unterschätzt. Symptomatisch für derartige Fehleinschätzungen sind etwa Feststellungen, daß Ressortplanungen nur Bestandsaufnahmen seien, Prognosen erstellten oder Bedarf berechneten (J.-T. Blank, Staatliche Aufgabenplanung, S. 31 f.). 37 A. Katz, S. 179; C. Bohret und M. T. Junkers, Führungskonzepte für die öffentliche Verwaltung (1976), S. 54 ff.; Innenministerium Baden-Württemberg (Hg.), Vorschläge für eine bürgerfreundliche und effektive Verwaltung (1974), S. 141. 38 P. Grottian, S. 111 ff. 39 F. Scharpf, Komplexität als Schranke der politischen Planung, in: Planung als politischer Prozeß, S. 73 ff., 79; R. Mayntz und F. W. Scharpf, Planungsorganisation (1973), S. 201 f.; R. Koch, Personalsteuerung in der Ministerialbürokratie (1975), S. 98 ff.; R.-R. Grauhan, Modelle politischer Verwaltungsführung (1969), S. 23. 40 B. Dobiey, Politische Planung, S. 46. 36

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

läßt sich kaum auf rein sachliche Entscheidungsgründe reduzieren: Es schließt immer den antizipierenden Blick m i t ein, ob eine vorgeschlagene Lösung auch politisch angemessen und wie sie durchsetzbar ist 4 1 . Die politische Führung w i r d ihre Entscheidungen oft daran ausrichten, was die Bürokratie für „machbar" hält. Wenn aber bei den Planungsüberlegungen der Ministerialbürokratie Planungsalternativen oder selbst einzelne Planungsziele als vermeintlich nicht machbar ausgefiltert werden, so w i r d der Handlungsspielraum der politischen Führung entscheidend eingeengt. Denn es kann sich hier gegebenenfalls u m politische Alternativen handeln, die m i t entsprechender Öffentlichkeitsarbeit durchsetzbar sind. b) Tendenzen bürokratischer

Mitwirkung

und Einflußnahme

Insgesamt gesehen w i r d das politische Eigengewicht der Bürokratie, insbesondere aber der planenden Ministerialbürokratie u m so stärker die demokratische Legitimation der Entscheidungen i n den staatsleitenden Instanzen Parlament und Regierung verfremden, je größer die Diskrepanz zwischen politischer Einstellung der Staatsführung einerseits und der Bürokratie andererseits ist. Zu einer Diskrepanz zwischen politischer Einstellung der Staatsführung und der Bürokratie kann es durch ein spezifisch politisches Bewußtsein der Bürokratie kommen. Nach Untersuchungen über die politische Einstellung des höheren Beamtentums soll es auf Grund seiner Rekrutierung die dominierenden.Werte der mittleren und oberen Schicht repräsentieren 42 . Der Einfluß der Herkunft auf die Werthaltung w i r d freilich vielfach überschätzt. I n der Industriegesellschaft gibt es kaum mehr einen Wertantagonismus zwischen verschiedenen Klassen. Auch die Sozialisation durch Ausbildung und Beruf vermag eine durch Herkunft geprägte Werthaltung zu überlagern 48 . Andererseits läßt sich kaum bestreiten, daß einem Großteil des Beamtentums eine besondere Mentalität eigen ist. Dahingestellt bleiben mag, ob bereits bei der Rekrutierung sich ein Menschentyp, der sich reformistischen sozialpolitischen Ideen verpflichtet fühlt, nicht zu stark von der Beamtenlaufbahn angezogen fühlt 4 4 . Jedenfalls hat die berufliche Sozialisation einen 41 P. Grottian, S. 125, 142 ff. — Th. Ellwein (Regierung und Verwaltung, S. 93) befürchtet das Aufbrechen „neuer Formen des Klassenkampfes", wenn die politische Führung die durch Planungsverfahren gesteigerten Einflußmöglichkeiten der Bürokratie nicht unter Kontrolle bekommt. Hierzu fehlt es freilich an einer ressortübergreifenden Organisierung der Fachleute. 42 Vgl. etwa P. K. Kelsall, Higher Civil Servants in Britain (1955). 43 Β. Steinkemper, S. 16 m. w. Nw. 44 So R. D. Putnam , The Political Attitudes of Senior Civil Servants in Western Europe, in: British Journal of Political Science, 1973, S. 274; vgl. weiter R. Mayntz , Soziologie, S. 160 f. m. w. Nw.

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nicht zu unterschätzenden Einfluß auf den faktischen Handlungs- u n d Entscheidungsspielraum der Beamten. Gehlen spricht von der Tendenz der Ministerialbürokratie, vom Rechtssystem her zu denken, „die durchaus etwas Traditionalistisches hat" 4 5 . Auch scheint der Bürokrat durch berufliche Sozialisation i n besonderem Maße auf das Bestehende festgelegt zu werden und den Blick für Reformmöglichkeiten zu verlieren. Und letztlich werden einer Bürokratie, deren Beamtentum durch berufliche Sozialisation und Berufsethos zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet ist, aus eigener Initiative heraus zielgerichtete A k t i v i t ä t e n und Innovationsfähigkeit weitgehend fremd sein 46 . Nicht zuletzt auch auf Grund dieser Tatsache zeichnet das traditionelle Beamtenbild eine gewisse Neutralität gegenüber den verschiedenen sozialpolitischen Konzepten aus. Freilich scheint auch bislang schon i n den höheren Rängen der Ministerialbürokratie und vor allem i n der planenden Ministerialbürokratie der A n t e i l an kreativen und innovationsbereiten Bürokraten größer zu sein 47 . Gleichwohl läßt sich die Tendenz des bürokratischen Apparates zu einem Konservativismus i m Sinne eines Status-quo-Denkens nicht leugnen. Oft ist die Bürokratie „nur zögernd bereit, sich wechselnden Verhältnissen, Bedürfnissen und Leitbildern anzupassen 48 ". Die Bürokratie kann also ein politisches Eigengewicht entfalten, i n dem sie ein retardierendes Element i m politischen Prozeß darstellt. E i n gewisses Beharrungsstreben bürokratischer Organisationen muß nicht unbedingt den Prinzipien demokratisch organisierter Entscheidungsfindung widersprechen. Vermittels ihres Sachverstandes und der Kenntnis der Fakten kann die Bürokratie ein mäßigendes Element i n dem demokratischen Prozeß darstellen. Vorausgesetzt, daß die Bürokratie parteipolitische Neutralität zu wahren weiß, schafft sie hierdurch die nötige Distanz, u m das politische Leben vor allzu starken Pendelausschlägen zu bewahren 4®. Sie w i r d zu einem stabilisierenden Element i n der demokratischen Ordnung. Diese Distanz zwischen Bürokratie und politischer Führung droht verloren zu gehen, wenn eine umfassende soziale Gestaltung zur wesentlichen Staatsaufgabe erhoben wird. Denn dann scheint für eine effiziente Sozialpolitik die Homogenität der politischen und sozialethischen Uberzeugungen von Beamtentum und politischer Führungs45 A. Gehlen, Bürokratisierung, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie, 1950/ 51, S. 195 ff., 202. 46 R. Koch, S. 206; A. Katz, S. 191 ff., 194 ff. 47 B. Steinkemper, S. 66; P. Grottian, S. 91 f. 48 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 30 I V 2; H. D. Jarass, S. 105 ff.; teilweise kritisch F. Ronneberger und U. Rödel, Beamte im gesellschaftlichen Wandlungsprozeß (1971), S. 46 ff. 49 M. G. Lange, S. 170.

12 Würtenberger

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spitze von besonderer Bedeutung zu sein 50 . Wenn ein Staat i n sozial- und gesellschaftspolitischen Fragen weitgehende Zurückhaltung übt, ist ein parteipolitisch neutrales Beamtentum das geeignete Beratungs- und Ausführungsorgan für die jeweilige Regierungspolitik. Gilt es jedoch eine an bestimmten politischen Leitbildern ausgerichtete Sozialpolitik zu betreiben, sucht die politische Führungsspitze für die sozialpolitisch wichtigen Referate i n den Ministerien meist Mitarbeiter zu rekrutieren, die der Regierungspolitik nicht nur i n wohlwollender Neutralität gegenüberstehen, sondern auch die Regierungspolitik m i t sozialpolitischem Engagement vorantreiben helfen 51 . Man bemüht sich u m eine bestimmte „politische Nähe" zwischen dem Bediensteten und der politischen Führungsspitze 52 . Es scheint zu den Eigentümlichkeiten der politischen Organisation i n den leistungs- und regelungsintensiven Industriestaaten zu gehören, alle jene Posten i n der Ministerialbürokratie nach „Parteibuch" zu besetzen, die Sozialpolitik betreiben. Dem entspricht ein Wandel i n dem Selbstverständnis der Ministerialbeamten. Man versteht sich nicht mehr als das neutrale, den Sachverstand vermittelnde Element i m Staat, sondern als „politisch" handelndes Potential 5 3 . I n diesem Sinne haben neuere Untersuchungen über das Bewußtsein persönlicher Einflußmöglichkeiten bei Ministerialbeamten ergeben, daß die „Möglichkeiten, den eigenen Gestaltungswillen zu realisieren", die „Möglichkeiten der Einflußnahme auf gesellschaftlich wichtige Entscheidungen" und die „Möglichkeiten der M i t w i r k u n g am politischen Entscheidungsprozeß" einen hohen Stellenwert bei der Beurteilung der eigenen Tätigkeit einnehmen 54 . Exakte empirische Daten über den A n t e i l der Bürokratie an politischen Entscheidungen sind aus naheliegenden Gründen kaum zu erhalten. Die am Entscheidungsprozeß Beteiligten verstehen über Einzelheiten von A r t und Umfang ihrer Einflußnahme auf den Entscheidungsprozeß zu schweigen 55 . Nachweisbar freilich ist nach jüngsten Untersuchungen eine beträchtliche Anzahl von Planern i n der Ministerialbürokratie, die sich „als aktive Aggregate des politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses" betrachten und die Rolle als 60 I n diesem Sinne R. Bendix, Bureaucracy and the Problem of Power, S. 131 f.; B. Steinkemper, S. 102 f. 51 R. Koch, S. 206; A. Katz, S. 191 ff., 194 ff.; H. Trautmann, Innerparteiliche Demokratie im Parteienstaat (1975), S. 68 ff.; R. Mayntz, Soziologie, S.196 ff. 62 Allerdings bedarf es noch eingehender empirischer Untersuchungen, ob der politisch gebundene Beamte wirklich der bessere „Erfüllungsgehilfe" einer reformistischen Sozialpolitik ist als der neutrale und der politischen Führung gegenüber loyale Beamte. 63 P. Grottian, S. 125, 142 ff. 54 B. Steinkemper, S. 97 ff.; A. Murswieck, Regierungsreform, S. 66 ff. 55 R. Herzog, Wandlungen, S. 34 ff., 41.

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„neutrale Alternativenaufbereiter" ablehnen 56 . Dieser Tendenz ist besondere Aufmerksamkeit zu schenken, da die These, „die Bürokratie sei das konservative K o r r e k t i v zu den politisch Legitimierten" 5 7 zumindest für die planende Ministerialbürokratie nicht mehr volle Gültigkeit zu beanspruchen vermag. Nach Untersuchungen von Grottian deckte sich die politische Einstellung nur eines Drittels der befragten Planer m i t der politischen Linie der politischen Leitung, ließen sich ein weiteres D r i t t e l zu den „Linksabweichlern" rechnen und ein Fünftel den „Rechtsabweichlern" zuordnen 58 . Damit entsteht die Gefahr, daß den demokratisch legitimierten Instanzen i n Parlament u n d Regierung eine weitere Instanz m i t parteipolitischem Gestaltungswillen konkurrierend zur Seite t r i t t . Eine Bürokratie, die eigenen parteipolitischen Gestaltungswillen i n den politischen Prozeß einbringt, w i r d zwangsläufig die politischen Entscheidungen der demokratischen legitimierten politischen Führung verfälschen. Denn sozialpolitisches Engagement, selbst wenn es durch Parteibuch ausgewiesen ist, muß nicht unbedingt auf der Linie liegen, die durch die Entscheidungen der demokratisch legitimierten staatsleitenden politischen Instanzen Parlament und Regierung festgelegt wird. Es stellt sich m i t aller Schärfe das Problem einer Kontrolle möglicher politischer Eigendynamik einer Bürokratie m i t sozialpolitischem Engagement. 2. Die Kontrolle der Bürokratie durch die politische Führung

I m regelungsintensiven Industriestaat kann also die Bürokratie ein erhebliches politisches Gewicht entwickeln. Die modernen Verfahren der Entscheidungsfindung weisen der Bürokratie einen Informationsvorsprung gegenüber der politischen Führungsspitze zu, den diese durch die Kompetenz zur Vorgabe politischer Leitziele kaum abzugleichen vermag. Und auch bei Formulierung der politischen Leitziele besitzt die Bürokratie nicht zu unterschätzende Einflußmöglichkeiten. Die E i n w i r kungsmöglichkeiten der Bürokratie, insbesondere aber der planenden Ministerialbürokratie auf die politische Gestaltung erfordern einige Überlegungen zu ihrem legitimen Wirkungsbereich i n der parlamentarischen Demokratie. Die Rolle der Bürokratie kann i n einem demokratischen System unter verschiedenen Aspekten gesehen werden: A u f der einen Seite ist i m regelungsintensiven Industriestaat eine nach bürokratischen Grundsätzen organisierte Verwaltung unentbehr56 57

P. Grottian, S. 125, 142 ff. P. Grottian, S. 133.

58 P. Grottian, S. 133 f. — Der politische Standort der übrigen Planer ließ sich nicht bestimmen.

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lieh 59 . Der leistungs- und regelungsintensive Industriestaat benötigt eine bürokratische Organisation m i t hoher Leistungsfähigkeit i n einem umfassenden Sinn 6 0 . Das Erbringen sozialstaatlicher Leistungen und die immer vordringlicher werdenden wirtschafte- und konjunkturpolitischen Maßnahmen von staatlichen Instanzen setzen ein geschultes und fachkundiges Beamtentum voraus; dieses geschulte und fachkundige Beamtentum muß i n der Lage sein, mit Präzision, Schnelligkeit und Effizienz die Politik der demokratisch legitimierten politischen Führung i n die soziale Wirklichkeit umzusetzen. A u f der anderen Seite gibt die zwangsläufige Bürokratisierung des staatlichen Bereichs Anlaß zu der Frage, inwieweit das bürokratische Element i n der Staatsorganisation den demokratischen Prozeß politischer Willensbildung auszuhöhlen vermag. Zwar sind Bürokratie und demokratische Staatsorganisation sicherlich keine schroffen Gegensätze. Das bürokratische Element verschafft dem leistungs- und regelungsintensiven Industriestaat jenes Maß an Kontinuität, das auch einen oftmaligen Wechsel von Regierungsmehrheiten erträglich werden läßt. Außerdem ist die bürokratische Amtsführung m i t ihrer Tendenz zur „abstrakten Regelhaftigkeit" 6 1 eine organisatorische Voraussetzung für die Verwirklichung der Egalität i m modernen Industriestaat. Demokratische und bürokratische Organisationsmuster stoßen sich aber, wenn die Bürokratie eine gewisse Eigendynamik entwickelt: Wenn die Bürokratie die von der Führungsspitze zu fällenden Entscheidungen beein59 Etwas überspitzt stellte bereits M. Weber (S. 308) fest, daß in einem modernen Staat „die wirkliche Herrschaft, welche sich ja weder in parlamentarischen Reden noch in Enunziationen von Monarchen, sondern in der Handhabung der Verwaltung i m Alltagsleben auswirkt, notwendig und unvermeidlich in den Händen des Beamtentums" liege. 60 Allerdings werden die Strukturmuster bürokratischer Verwaltung und bürokratischer Organisation in zunehmendem Maß auf ihre Reformbedürftigkeit untersucht (vgl. E. Laux, Führung und Organisation in der öffentlichen Verwaltung [1975] S. 21 ff. [zu den Vorzügen und Grenzen des BürokratieModells] , S. 43 ff. [zu Verwaltungsführung und betrieblichem Management], S. 76 ff. [zur Reform der Führung von Ministerien] ; Ch. Reichard, Managementkonzeption, S. 47 ff. [zur Zielfindung], S. 90 ff. [zur Dezentralisation als Voraussetzung für Leistungssteigerung]). Allen diesen Bemühungen um Reformen der Staatsbürokratie ist gemeinsam, daß das bürokratische System als Grundmuster der Verwaltungsführung beizubehalten ist. 61 Zu den Prinzipien der bürokratischen Organisation, wie sie von Max Weber entwickelt wurden: M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe, hrsg. von J. Winckelmann (1964), S. 164 ff., 703 ff., 716 ff.; H. Finer , Der moderne Staat, Band 3 (1958), S. 203 ff., 318 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre § 30; R. Herzog, Gutachten, S.42ff.; W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit der Regierung i m Rechtsstaat (1966), S. 68; F. Ronneberger und U. Rödel, S. 14 ff.; H. Bebermeyer, Regieren, S. 9 ff.; K. Mannheim, Geplante Demokratie, S. 104 ff. — Zur Kritik an Max Webers Bürokratiemodell vgl. etwa B. A. Baars, S. 21 ff.; G. Schmid und H. Treiber, S. 190 ff.; K. Dammann, Vom „arbeitenden Staat" zur „politischen Verwaltung" (II), in: Neue politische Literatur, 16. Jahrgang (1971), S. 457 ff.

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flußt oder die von der Führungsspitze gefällten Entscheidungen bei ihrer Realisierung mit eigenem politischem Gestaltungswillen modifiziert, kann die Bürokratie durch solche Mitentscheidungen und Entscheidungsmodifikationen ein erhebliches eigenes politisches Gewicht entfalten. Es kann die Gefahr entstehen, daß die Entscheidungen der demokratisch legitimierten Staatsorgane Parlament und Regierung durch eine politisch mächtige Bürokratie verfälscht und blockiert werden. Die Bürokratie kann zu einem politischen Faktor i m staatlichen Leben werden, der am äußersten Rande der demokratischen Mechanismen staatlicher Willensbildung angesiedelt ist. M i t der beschriebenen Tendenz der Bürokratie zu politischer Herrschaft muß sich nicht allein eine realitätsnahe Demokratietheorie auseinandersetzen. Auch unter dem Aspekt der Herrschaftslegitimation, die dem sozialen System Stabilität zu verleihen vermag, ist die bürokratische Verfremdung jener Entscheidungen, die i n einem demokratischen Prozeß zu fällen sind, ein unerwünschter Nebeneffekt bürokratischer Organisation. Die Herrschaftslegitimation setzt eine Konkordanz des politischen Willens der Gesellschaft und der politischen Führung voraus. Diese Konkordanz ist i n einem demokratischen System am ehesten zu verwirklichen. Eine Bürokratie m i t erheblichem politischen Eigengewicht bringt i n diese herrschaftsstabilisierende Konkordanz Dissonanzen, wenn sie inadäquaten Einfluß auf die demokratisch organisierte Willensbildung nimmt. Eine politische mächtige Bürokratie kann daher auch zu sozialer Instabilität führen. Die Einflußmöglichkeiten der Bürokratie auf den demokratisch organisierten Prozeß politischer Willensbildung zwingen zu einer verstärkten politischen Steuerung und Kontrolle der Verwaltung® 2 . Z u diesem Zweck fordert man nach wie vor, das Beamtentum gegenüber Einflüssen spezifischer Interessen und Meinungen auszudifferenzieren. Die Rolle des Bürokraten soll nicht mit der Rolle i n einer politischen Partei, einem Interessentenverband oder einer sonstigen Verbindung verknüpft sein 68 . Aber diese Ausdifferenzierung w i r d sich angesichts der i n letzter Zeit stark zunehmenden Politisierung der Ministerialbürokratie kaum realisieren lassen. Hier scheint die politische Entwicklung über staatstheoretische Konzepte und selbst über verfassungsrechtlich abgesicherte Leitbilder hinwegzugehen 84 . 62 Hier fordert R. Mayntz (S. 73 ff., insbes. S. 78 ff.) neuerdings radikale Reformen: Dezentralisation und verstärkte Bürgerbeteiligung sollen Steuerungsdefizite der demokratisch legitimierten politischen Führung abbauen helfen (vgl. hierzu Th. Würteriberger, Verwaltungsführung im demokratischen Staat, in BayVBl. 1978, S. 565 ff.). 63 Einzelheiten bei R. Zippelius, §§ 20 I I , 30 I I I 2. 64 Vgl. die engagierten Ausführungen von K. Seemann, Abschied von der klassischen Ministerialverwaltung (1978), S. 5 ff.

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

Zur Stärkung der politischen Führung gegenüber dem politischen Eigengewicht der Bürokratie werden einschneidende personalpolitische Maßnahmen vorgeschlagen. Nach klassischem englischem Vorbild zielt ein Vorschlag 65 zur Minderung des politischen Eigengewichts der Bürokratie dahin, das Beamtentum zu politisieren® 6 . Bei jedem Regierungswechsel soll ein Wechsel all jener Beamten stattfinden, die auf politische Entscheidungen Einfluß haben können. Für diese Lösung spricht, daß eine Ministerialbürokratie, die auf eine bestimmte Richtung sozialpolitisch festgelegt ist, nach einem Regierungswechsel einen erheblichen Störfaktor i m politischen System darstellen kann. Denn nunmehr ist der Bruch zwischen dem Programm der politischen Führung i n Regierung und Parlament einerseits und den politischen Leitbildern der Ministerialbürokratie andererseits offenbar. Diese Diskrepanz zwischen den für richtig gehaltenen sozialpolitischen Programmen verstärkt die Friktionen, die es bei Regierungswechseln bekanntlich immer schon gab, wenn die Ressorts nicht die Politik des Ressortchefs betreiben, sondern ihre eigene Politik weiterbetreiben möchten®7. Ein weiterer Vorteil dieses Vorschlages wäre es, daß die jeweilige Opposition i m Parlament ein geschultes Beamtentum zur Seite hätte. Dieser Vorschlag erscheint aber bereits wegen der hohen Personalkosten einer derartigen Ämterrotation wenig erstrebenswert. Eine Folge dieses Vorschlages wäre weiterhin ein Verlust von Sachkunde und Kontinuität der Verwaltungsarbeit, der zu einer Dilettantisierung der Bürokratie führen würde. Eine derartige Schwächung des Verwaltungsapparates i m modernen Industriestaat kann aus naheliegenden Gründen nicht akzeptiert werden®8. Die beschriebenen Einflußmöglichkeiten der Bürokratie auf den politischen Willensbildungsprozeß können nicht ohne Konsequenzen auf staatstheoretische Analysen bleiben. Ausgangspunkt ist, daß die traditionelle Gewaltenteilungslehre nur unter bestimmten politischen Vor65 Auf die Vorschläge, das anwachsende Spezialisten- und Expertenwesen zu demokratisieren (K. D. Bracher, S. 83), die Bürokratie selbst zu demokratisieren (vgl. etwa H. F. Lorenz, S. 88 ff.; W. Abendroth, Innerparteiliche und innerverbandliche Demokratie als Voraussetzung der politischen Demokratie, in: PVS 1964, S. 308 ff.; Β. A. Baars, S. 69 ff.) oder die staatlich-politische Bürokratie durch die gesellschaftlich-politische Bürokratie in den politischen Parteien kontrollieren zu lassen (H. Sultan, Bürokratie und politische Machtbildung, in: H. Sultan und W. Abendroth, Bürokratischer Verwaltungsstaat und soziale Demokratie [1955], S. 7 ff., 32), soll hier nicht näher eingegangen werden. 66 B. Steinkemper, S. 95 ff.; kritisch M . Lepper, Über Ministerialbeamte, in: Die Verwaltung, 9. Bd. (1976), S. 380 ff., 383 f. 07 R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 262, 333 f.; vgl. weiter J. Kussau und L. Oertel, S. 142; R. Mayntz, S. 202. 68 So auch R. Herzog, S. 263 (mit Hinweis auf die Gefahr der Verunsicherung des Beamtentums).

I I I . Die Planungsfunktionen der Ministerialbürokratie

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aussetzungen Geltung besitzen kann, nämlich wenn die Regierung zusammen mit der Exekutive die Antipoden der Legislative sind. I n einem Staatswesen, i n dem Regierung und Parlamentsmehrheit von gleicher politischer Couleur sind, erscheinen demgegenüber die politischen Gewichte anders gelagert. Es liegt eine Betrachtungsweise nahe, die die staatsleitenden Entscheidungen Parlament und Regierung „zur gesamten Hand" zuweist. Parlament und Regierung sind jene Gremien, von denen die grundsätzliche politische Richtung festgelegt wird. Dieser Entscheidungseinheit von Parlament und Regierung läßt sich die Bürokratie mit ihren politischen Einflußmöglichkeiten gegenüberstellen 69 . Beschränkt sich die Bürokratie darauf, ihren Sachverstand zur Geltung zu bringen, so kommt i n der politischen Wirklichkeit eine eigentümliche Gewaltenbalance zustande. Zwischen dem Gestaltungswillen i n Parlament und Regierung und der bürokratischen Macht des Sachverstandes verläuft eine „Zäsur unterhalb der Kabinettsebene". Diese Gewaltenbalance verhindert, daß die politische Führung einseitige Zielvorstellungen i m politischen Entscheidungsprozeß durchsetzt oder an mangelnder Vertrautheit m i t den Realisierungsbedingungen scheitert; diese Gewaltenbalance hindert weiterhin, daß die Bürokratie eine eigene Politik zu realisieren vermag oder i n gelegentlich anzutreffender Ressortblindheit verfangen bleibt. Das verfassungsrechtliche Gewaltenteilungsschema führt dagegen ein Schattendasein, solange Parlamentsmehrheit und Regierung der herrschenden Partei angehören 70 . Kontrolle der Bürokratie durch die politische Führung und Kooperation zwischen politischer Führung und Bürokratie sind — der neuen Gewichtsverlagerung entsprechend — neu zu durchdenken. Es geht i m leistungs- und regelungsintensiven Industriestaat nicht allein u m eine Kontrolle der Regierung durch das Parlament, — auf die freilich nicht verzichtet werden kann, — sondern auch u m eine Kontrolle der politischen Eigendynamik der Bürokratie durch Parlament und Regierung. Die politische Eigendynamik der Bürokratie läßt sich nur dann wirksam ausbalancieren, wenn es kein Defizit an politischer Führung gibt 7 1 . Unter diesem Aspekt ist etwa der Vorschlag zu sehen, daß das Parlament laufend über Regierungs- und Ressortplanungen einschließlich der jeweiligen Planungsalternativen zu informieren ist 7 2 . I m Verhältnis der Bürokratie zur Regierung können die modernen Führungskonzepte ein 89 Diese Trennung der Regierungsfunktionen nach Politik und Verwaltung geht auf F. J. Goodnow (Politics and Administration [1900], S. 14 ff.) zurück (vgl. hierzu im 5. Kapitel unter I., 2 a bei Anm. 51). 70 Vgl. R. Zippelius, §§ 24 I I I , 30 I V , 1, 2. 71 Th. Ellwein, Regierung und Verwaltung, S. 16, 31. 72 M. Schröder, Planung, S. 53 ff.; F. Ossenbühl, Normative Anforderungen, S. Β 90 ff.

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

Defizit an politischer Führung vermeiden helfen. Erwähnt sei nur jene Variante des Management by objectives-Konzepts, dessen K e r n die „Zielvereinbarung" bildet 7 3 : A m Beginn eines mehrfach abgestuften Gegenstromverfahrens setzt die politische Führung einen operativen Rahmenplan fest. Die nachgeordneten Führungsebenen zerlegen die Zielforderungen i n konkrete Teilziele. Diese Teilziele wiederum werden an die nachgeordnete Verwaltungsebene weitergeleitet. I m Rücklauf werden die Zielkorrekturen und Zielpräzisierungen zur Stellungnahme bis an die politische Führungsspitze zurückgeleitet. M i t abnehmender hierarchischer Stellung sinkt der Einfluß auf die gesamte Zielkonzeption 74 . Weiterhin scheint die Entwicklung dahin zu gehen 75 , daß die Staatskanzleien zum organisatorischen Zentrum einer Kontrolle und Steuerung der Planungsverfahren auf Referentenebene werden. I n den Staatskanzleien läßt sich das erforderliche feed-back zwischen politischer Führungsspitze und bürokratischem Sachverstand herstellen. So haben etwa die Staatskanzleien der Länder erheblichen Anteil an der Landesentwicklungsplanung, d.h. an der koordinierenden, die Fachplanungen übergreifenden Entwicklungsplanung 7 ®. M i t der Landesentwicklungsplanung werden von den Staatskanzleien für einen wesentlichen Bereich der öffentlichen Tätigkeit die grundlegenden Ziele und Planungsvorstellungen, die sich aus der Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten ergeben, erarbeitet und auf ihre Beachtung i n den nachgeordneten Behörden hingewirkt. Weiterhin sucht die Regierungsebene m i t Datenblättern 7 7 , die über Ressortplanungen berichten, und m i t Planungsstäben und Planungsbeauftragten 78 i n einzelnen Ressorts jene Transparenz i m Planungsverfahren herzustellen, die eine w i r k same Steuerung umfassender sozial- und wirtschaftspolitischer Planungen voraussetzt. 73 Einzelheiten bei J. Wild, MbO als Führungsmodell für die öffentliche Verwaltung, in: Die Verwaltung, 6. Bd. (1973), S. 283 ff., insbes. S. 292 ff.; vgl. weiter Ch. Reichard, Managementkonzeption, S. 66 ff. 74 C. Bohret und M. T. Junkers, S. 78. 75 Zur Frage der Durchsetzung politischer Ziele in den Ministerien durch eine „Führungskonferenz" vgl. A. Katz, S. 178 ff. 76 Vgl. ζ. B. die Landesberichte von Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland für die Tagung „Koordination und integrierte Planung in den Staatskanzleien" an der Hochschule Speyer (hrsg. von K. König, 1976). 77 Zum Vorhabenerfassungssystem vgl. H. Bebermeyer, S. 57 ff.; H. J. Dahms, Das Informationssystem zur Vorhabenplanung der Bundesregierung, in: P. Hoschka und U. Kalbhen (Hg.), Datenverarbeitung, S. 73 ff.; F. Pilz, Regierungsaufgaben, S. 175 ff.; K. König, Die Rolle zentraler oder ressorteigener Einheiten für Planung i m Bereich der Politikentscheidung und Prioritätensetzung, in: H. Siedentopf (Hg.), Regierungspolitik, S. 227 ff., 236 ff. 78 Zu den Aufgaben der Planungsbeauftragten vgl. H. Bebermeyer, S. 49 ff.

I V . Planungsfunktionen i m Bereich des Parlaments

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IV. Planungsfunktionen im Bereich des Parlaments 1. Demokratische Legitimation, Publizität und Verbindlichkeit politischer Planungen durch Gesetzesform

Es gehört zu den hergebrachten Funktionen des Parlaments, den Gesetzen demokratische Legitimität zu verleihen und sie allseitig publik und verbindlich zu machen 1 . Infolge seiner Aufgabe zur Gesetzgebung ist das Parlament auch zu demokratischer Legitimation, Publizität verbürgender Diskussion und normativer Fixierung politischer Planung berufen, sobald sie gesetzlicher Verfestigung fähig ist. a) Das Gesetz als die vorzugsweise gebotene Form politischer Planungen Die Reichweite der parlamentarischen Funktionen i m Bereich der politischen Planung w i r d zunächst durch die Frage bestimmt, welche Planungen i n Gesetzesform gegossen werden müssen. Ohne Zweifel ist das Parlament zur demokratischen Legitimation und normativen Fixierung jener Planungen berufen, die i n Freiheit und Eigentum des Bürgers eingreifen. Den staatsrechtlichen Voraussetzungen der konstitutionellen Monarchie entsprach es, den parlamentarischen Vorbehaltsbereich allerdings auch auf jene Rechtsakte zu beschränken, die die Rechtssphäre des Bürgers beeinträchtigen 2 . Diese Restriktion des parlamentarischen Vorbehaltsbereichs ist für das Modell der parlamentarischen Demokratie, wie sie das Grundgesetz näher ausgestaltet, unangemessen. Der eigentliche Funktionsbereich des Parlaments beschränkt sich nicht mehr auf die Gesetzgebung zur Sicherung der individuellen Freiheit und des Eigentums gegen Übergriffe der Exekutive. „ I m Rahmen einer demokratisch-parlamentarischen Staatsverfassung, wie sie das Grundgesetz ist, liegt es näher anzunehmen, daß die Entscheidung aller grundsätzlichen Fragen, die den Bürger unmittelbar betreffen, durch Gesetz erfolgen muß 8 ." I n einem parlamentarischen Regierungssystem spielt das Parlament bei der „Richtungsbestimmung des Staates" 1 Vgl. etwa W. Bagehot, Die englische Verfassung, hrsg. von K. Steifthau (1971), S. 139; K. Hesse, Grundzüge, § 14 I 1. 2 BVerfGE 8, 155 ff., 167; BVerfG NJW 1976, 34; E.-W. Böckenförde und R. Grawert, Sonderverordnungen zur Regelung besonderer Gewaltverhältnisse, in: AöR Bd. 95 (1970), S. 1 ff., 8 f.; zur kritischen Rezeption der Gewaltenteilunslehre und des Verhältnisses von Regierung und Parlament aus der Staatsrechtslehre der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, in: Festschrift für R. Smend (1952), S. 253; ders., Das parlamentarische Regierungssystem in der Bundesrepublik, in: DÖV 1957, 634; D. Jesch, Gesetz und Verwaltung (1961), S. 5 ff.; W. Kewenig, Staatsrechtliche Probleme, S. 5 ff.; E. Stachels, Stabilitätsgesetz, S. 115 ff. 8 B V e r f G N J W 1976, 35.

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

eine wesentliche Rolle 4 . Die Kontrolle von Regierung und Verwaltung und die Richtungsbestimmung des Staates übt das Parlament i m Normalfall durch die vom Grundgesetz vorgesehene Beteiligung an der politischen Willensbildung, vor allem durch die Normsetzung aus. Der Erlaß allgemeiner Normen gehört zu den wichtigsten Instrumenten politischer Führung 5 . Hierbei gewährleistet das parlamentarische Verfahren der Gesetzgebung ein hohes Maß an Öffentlichkeit der politischen Auseinandersetzung und Entscheidungssuche und ermöglicht einen konsensfähigen Ausgleich widerstreitender Interessen®. Durch die Gesetzgebung erfüllt der Staat die Aufgabe, „Hüter des Gemeinwohls gegenüber Gruppeninteressen zu sein" 7 . Diese Funktionen von Gesetz und Gesetzgebungsverfahren i n einer demokratisch-parlamentarischen Staatsverfassung erfordern geradezu ein Verabschieden politischer Planungen der Regierung i n Gesetzesform. Politische Planungen, wie vielfach betont wurde, betreffen regelmäßig Fragen von grundsätzlicher Bedeutung und bewegen sich i m Zentrum der Richtungsbestimmung des Staates. Vor allem i n den Verfahren politischer Planung, die die Politik langfristig festlegen kann, ist dafür Sorge zu tragen, daß mächtige Gruppeninteressen sich nicht einseitig durchzusetzen vermögen. Das Parlament ist hierbei das berufene Forum, über die widerstreitenden Interessen zu entscheiden, politische Kontroversen und Konflikte einer Lösung zuzuführen 7a und die von der Verfassung offengelassenen Fragen zu regeln. Politische Planungen betreffen auch den Bürger unmittelbar, — wenn man dieses weitere vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Erfordernis für einen allgemeinen Gesetzes vorbehält berücksichtigen w i l l . Planungen des Hochschulausbaus, der Landesentwicklung, der Wirtschaftsstruktur oder des Ausbaus des Verkehrsnetzes mögen zwar den Bürger nicht sofort unmittelbar (in einem verwaltungsrechtlichen Sinn) berühren 8 . Politisch gesehen haben jedoch 4 U. Scheuner, Das parlamentarische Regierungssystem, S. 634; P. Badura, Verfassung, Staat und Gesellschaft in der Sicht des Bundesverfassungsgerichts, in: C. Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, S. 1 ff., 19 und unten S. 256 f. m. Anm. 69 ff. 5 O. Bachof, Diskussionsbeitrag, in: V V D S t R L H. 24 (1966), S.225; U. Scheuner, Das Wesen des Staates und der Begriff des Politischen in der neueren Staatslehre, in: Festgabe für R. Smend (1962), S.225 ff., 260; G. Schmid, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Zusammenspiel der staatlichen M acht vert eilung (1971), S.21, 31; W. Schaumann, Staatsführung und Gesetzgebung in der Demokratie, in: P. Saladin und L. Wildhaber (Hg.), Der Staat als Aufgabe. Gedenkschrift für M. Imboden (1972), S. 313 ff., 322 ff. 6 Einzelheiten im 5. Kap. unter II., 3. 7 BVerfGE 33, 125 ff., 129; C. Starck, NJW 1972, 1489. 7a Zu einer derartigen „Präzisierung des Wesentlichkeitskriteriums" vgl. G. Kisker, NJW 1977, S. 1318 ff. m. w. Nw. 8 Diese Aufzählung läßt sich fast beliebig fortsetzen. Genannt sei nur noch die derzeit besonders aktuelle Frage, inwieweit Parlamente am atom-

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solche Planungen einen direkten Einfluß auf die Stellung des Bürgers i m Staat. Bereits bei der Planung des Hochschulausbaus entscheidet sich, wer an welchem Ort Chancen hat, einen Studienplatz zu erhalten, bereits bei der Planung der Wirtschaftsstruktur w i r d festgelegt, welche Betriebszweige m i t staatlicher Förderung rechnen können, bereits bei der Planung des Verkehrsnetzes entscheidet sich, welche Gebiete verkehrsmäßig gut oder weniger gut erschlossen werden 9 . Man könnte allerdings einwenden, das Gesetz eigne sich generell nicht zur Sanktionierung politischer Planungen der Regierung. Es geht also u m die Frage nach dem möglichen Regelungsinhalt des Gesetzes. A u f dem Boden des Grundgesetzes kann, wie Stern, Hesse und Achterberg 10 nachgewiesen haben, nur ein formalisierter Gesetzesbegriff Geltung beanspruchen. Das parlamentarische Rechtsetzungsverfahren ist als das einzige, aber auch hinreichende K r i t e r i u m für das Entstehen von Gesetzen anzusehen. Gesetz ist jeder vom Parlament i m Wege des verfassungsrechtlich hierfür vorgesehenen Verfahrens erlassene Hoheitsakt. Weder der Regelungsinhalt, noch die Regelungswirkung, noch der Kreis der Regelungsaddressaten, noch die Regelungsdauer können K r i terien zur Bestimmung des Gesetzesbegriffs liefern. Das Gesetzgebungsverfahren verbürgt, daß i n aller Regel nur Regelungen von einiger Bedeutung und einiger Dauer zu Gesetzen erhoben werden 1 1 . Das Parlament kann also grundsätzlich jede Planung der Regierung i n Gesetzesform gießen. Allerdings bestehen einige i m einzelnen freilich heftig umstrittene Vorbehaltsbereiche der Exekutive, die der Regelung durch parlamentarische Gesetzgebung entzogen sind. Zu nennen sind der Bereich der Außenpolitik (vgl. A r t . 59 Abs. 2 GG) sowie der Bereich der rechtlichen Genehmigungsverfahren zu beteiligen seien (hierzu W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 38 ff.; W. Listi, DVB1. 1978, S. 10 ff.; H.Wagner, DVB1. 1978, S. 839 ff.; H. Lecheler, Reform, ZRP 1977, S. 245 ff. mit zutreffender Differenzierung); ob bei der Einschaltung der Parlamente in Standortfestlegungen ein Formenmißbrauch des Staates zu befürchten ist (so W. Blümel, Die Standortvorsorgeplanung für Kernkraftwerke und andere umweltrelevante Großvorhaben in der BRD, in: DVB1. 1977, 301 ff., 321 f. m. w. Nw.), muß an dieser Stelle dahingestellt bleiben. 9 Zur Beteiligung des Gesetzgebers am Planungsprozeß aus österreichischer Sicht: L. Fröhler und P. Oberndorfer, Österreichisches Raumordnungsrecht, S. 35 ff. m. w. Nw. 10 K. Stern, Staatsrecht, S. 648 f. unter Hinweis auf seine Habilitationsschrift über Wirtschaftsverfassung und Energiewirtschaftsrecht (maschinenschriftl. 1961), S. 405; N. Achterberg, Kriterien des Gesetzesbegriffs unter dem Grundgesetz, in: DÖV 1973, 289 ff., 297; K. Hesse, § 14 I, 1 c; vgl. weiter R. Mußgnug, Der Haushaltsplan, S. 174 ff. 11 Ch. Starch, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes (1970), S. 169; A. Höllerbach, Diskussionsbeitrag, in: V V D S t R L H. 24 (1965), S. 232 f.; U. Scheuner, Das parlamentarische Regierungssystem, S. 636; P. Kirchhof, Rechtsquellen und Grundgesetz, in: Bundesverfassungsgericht, hrsg. von Ch. Starck, Bd. 2, S. 78; BVerfGE 7, 282 ff., 302.

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

Orgaiiisationsgewalt und der Personalhoheit der Regierung. Planungen der Regierung i n diesen Bereichen kann das Parlament nicht durch Gesetze steuern, sondern lediglich m i t seinen allgemeinen Kontrollrechten, vor allem aber beim Beschluß über den Haushaltsplan beeinflussen 12 . Politische Planungen i n Gesetzesform begegnen vielfach geäußerten Bedenken grundsätzlicher A r t . Gegenüber einer Verfestigung politischer Planung i n Form des Gesetzes verweist man auf die Schwerfälligkeit des Gesetzgebungsverfahrens und die Starrheit und geringe Elastizität einmal erlassener Gesetze. So müsse man sich ζ. B. bei der Landesplanung oder Wirtschaftsstrukturplanung immer wieder sehr schnell auf neue Umstände einstellen, was bei Planungen i n Gesetzesform erschwert werde 1 8 . Dieser Einwand gegen eine parlamentarische Beteiligung an politischer Planung mag bei der konjunkturpolitischen Planung durchgreifen, bei der die Regierung eines gewissen Spielraums zu raschem Handeln bedarf. Andere politische Planungen hingegen eignen sich durchaus für sorgfältige parlamentarische Beratungen und für eine Verabschiedung i n Gesetzesform. Durch die Struktur der Planungsnormen, worauf sogleich zurückzukommen sein wird, können Planungsgesetze jene ausreichende Elastizität entwickeln, die zum Einfangen und Gestalten neuer tatsächlicher Gegebenheiten erforderlich ist 1 4 . Weiterh i n ist zwar zutreffend, daß das Gesetzgebungsverfahren i n der Regel schwerfällig und langwierig ist. Dies kann aber nicht hindern, politische Planungen i n Gesetzesform zu verabschieden. Denn die Leitziele und Programme politischer Gestaltung i n den Planungsgesetzen sind i n der Regel keine Ergebnisse bloßer tagespolitischer Erwägungen, sondern beanspruchen für längere Zeiträume Geltung. Das langwierige, aber auch einen gerechten Interessenkompromiß ermöglichende Gesetzgebungsverfahren erscheint für die grundlegenden politischen Planungen geradezu geboten, da die Leitziele und Programme politischer Gestaltung für den Einzelnen und das Gemeinwesen insgesamt von großer Bedeutung sind. So spricht i m parlamentarisch-demokratischen System des Grundgesetzes alles dafür, die grundlegenden politischen Planungen i n Gesetzesform zu erlassen 15 . I n der politischen Praxis lassen sich allerdings 12 Wegen der Einzelheiten sei verwiesen auf die umfassende Darstellung bei H. Lecheler, Personalgewalt, S. 155 ff., 168 ff.; R. Mußgnug, S. 279 ff. 13 G. Klein, Rechtsnatur, S. 117; L. Fröhler und P. Oberndorfer, S. 37 ff.; H.-U. Evers, Raumordnung, S. 113 ff.; zweifelnd auch H. Jacquot, Plans français, S. 94 ff.; C. Lanz, Politische Planung, S. 123 f. 14 Insofern kann der gegenteiligen Ansicht von W. Graf Vitzthum (Parlament, S. 291 f.) nicht gefolgt werden. 15 Zur Unterstützung dieser These mag darauf hingewiesen werden, daß eine verfassungsgerichtliche Kontrolle politischer Planung nur möglich ist, wenn sie in Form eines Rechtssatzes gekleidet wird (vgl. W. Hoppe, Planung und Pläne, S. 673).

I V . Planungsfunktionen i m Bereich des Parlaments

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nicht alle Planungen der Regierung durch Gesetzesbeschlüsse stabilisieren, wenn sie sich nämlich auf Lebenssachverhalte beziehen, die einer gesetzlichen Regelung nicht oder nur partiell zugänglich sind 16 . So ändern sich ζ. B. die Bedingungen der Forschungs- und Bildungsplanung zu rasch, als daß alle ihre Probleme i n Form von Planungsgesetzen verbindlich geregelt werden könnten. Weiterhin können die Erfordernisse der Flexibilität und Zukunftsoffenheit, die politischer Planung wesenseigen sind, i n Ausnahmefällen eine Verfestigung von Planungen i n Gesetzesform verhindern. b) Politische Planungen in Form schlichter Parlamentsbeschlüsse? Denkbar ist, daß das Parlament über politische Planungen insgesamt oder über einzelne Planungsaufträge und von der Regierung zu verfolgende Planungsziele i n Form eines schlichten Parlamentsbeschlusses beschließt. Auch durch schlichten Parlamentsbeschluß kann das Parlament eine Planung der Regierung mit demokratischer Legitimität versehen. Freilich sind solche schlichten Parlamentsbeschlüsse für Regierung und Verwaltung i n aller Regel nur politisch, nicht aber rechtlich verbindlich. Dahinstehen mag es, ob man Bedenken gegen eine rechtliche Verbindlichkeit schlichter Parlamentsbeschlüsse i m Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz m i t Erfolg vortragen kann 1 7 . Jedenfalls erreicht das Parlament infolge des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung die erstrebte Einflußnahme auf die Verwaltung nur durch Erlaß von Gesetzen, da allein ein Gesetz das Verhalten der Verwaltung zu programmieren vermag 1 8 . Damit bleibt nur der Bereich der Regierung, der durch schlichte Parlamentsbeschlüsse gesteuert werden kann. Die Regierung sollte aber nur i n Ausnahmefällen durch Parlamentsbeschlüsse an politische Planungen gebunden werden 1 9 . Denn der 16 Zu einem beträchtlichen Teil entzieht sich politische Planung gesetzlicher Verfestigung, wie die Verteidigungsplanung (vgl. J. Kölble, Pläne i m Bundesmaßstab, S. 120; B. Dobiey, S. 42; R. Mußgnug, S. 287 f.). 17 So etwa K. Obermayer, Verwaltungsakt und innerdienstlicher Rechtsakt (1956), S. 65 F N 191; BayVerfGH BayVGHE n. F. 12, I I , 119, 122 f., 125 f.; BVerwGE 12, 16; w. Nw. und Kritik bei K. A. Sellmann, Der schlichte Parlamentsbeschluß (1966), S. 24 f., 47 ff. 18 Nw. bei K.-A. Seilmann, S. 25 f. mit Darstellung differenzierender Meinungen (S. 28). 19 Zu denken ist etwa an schlichte Parlamentsbeschlüsse, die gesetzesvorbereitenden Charakter besitzen: wenn etwa Planungsziele vom Parlament festgelegt werden, die von der Regierung bei der Ausarbeitung von Planungsgesetzen zu beachten sind. Weiterhin kommen schlichte Parlamentsbeschlüsse bei Planungen in Frage, die sich ihrer Natur nach gesetzlicher Verfestigung entziehen. Aus der politischen Praxis sei etwa verwiesen auf: Beschluß des Bundestages vom 3. 7.1969 mit der Aufforderung an die Regierung, ein Bundesraumordnungsprogramm zu erstellen (vgl. BT-Drs. 7/3584, S. 3).

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4. Kap. : Verteilung der P l a n g s f u n k t i o n e n i m Schema der Verfassung

schlichte Parlamentsbeschluß ist eine Handlungsform der Legislative, die gegenüber dem Gesetz subsidiären Charakter behalten muß. Wegen der deutlicher ausgeprägten Bindung von Regierung und Verwaltung und wegen der größeren Publizität des Gesetzes spricht alles dafür, politische Planungen eher i m Wege der Gesetzgebung als durch schlichte Parlamentsbeschlüsse zu sanktionieren. Außerdem erfordert der Grundsatz der Rechtssicherheit einen normativen Rahmen, der staatliches Handeln berechenbar macht. Nur i n Gesetzesform besitzen politische Planungen jene relative Dauerhaftigkeit und Verbindlichkeit, die staatliches Handeln vorhersehbar machen. Daher ist das Verabschieden von Planungen i n Gesetzesform ein wesentliches Element rechtsstaatlicher Freiheit. Es besteht also ein erhebliches Bedürfnis nach einer gesetzlichen Verfestigung von politischer Planung 2 0 . Dem entspricht der Befund, daß Planungen in zunehmendem Maß i n Gesetzesform verbindlich werden. c) Politische Planungen in Form von Rechtsverordnungen oder von Regierungsbeschlüssen A u f dem Gebiet der Landesplanung, das hier exemplarisch herausgegriffen werden soll, hat die Exekutive bis i n jüngste Zeit eine beachtliche Planungsprärogative bewahren können 2 1 . Nach wie vor besteht hier eine Tendenz, wichtige Ziele der Landesentwicklung durch Rechtsverordnung der Landesregierung verabschieden oder nur als Beschluß einer obersten Landesplanungsbehörde ergehen zu lassen. So gibt etwa das bayerische Landesplanungsgesetz die Aufgaben der Landesplanung und die Grundsätze der Raumordnung an 22 . Das bayerische Landesplanungsgesetz regelt, unter welchen Voraussetzungen Gebiete zu Regionen zusammengefaßt werden können 23 , welche Aufgaben die Entwicklungsachsen zu erfüllen haben 24 u. a. m. Das Landesentwicklungsprogramm, das „die Grundzüge der anzustrebenden räumlichen Ordnung und Entwicklung des Staatsgebietes" festlegt 25 , w i r d von der Staatsregierung als Rechtsverordnung beschlossen2®. I m Landesentwicklungsprogramm w i r d über so wichtige Fragen entschieden wie über die Einteilung des Staatsgebietes i n Regionen, über die zentralen Orte und die Grundsätze für ihren weiteren Ausbau oder über Entwicklungsachsen von überregionaler Bedeutung 27 . 20

Zu Planung und Rechtsstaat vgl. im 6. Kapitel unter I. Hierzu nunmehr grundlegend R. Wahl, Rechtsfragen, S. 224 ff. 22 Art. 1, 2 bayLPIG. 23 Art. 2 Nr. 2 bayLPIG. 24 Art. 2 Nr. 4 bayLPIG. 25 Art. 13 Abs. 1 bayLPIG. 26 Art. 14 Abs. 3 bayLPIG. 27 Art. 13 Abs. 2 Nr. 1, 3, 5 bayLPIG; Verordnung über das Landesentwicklungsprogramm Bayern vom 10. 3.1976 (GVB1. S. 123), Anlagenband S. 24, 26 ff. 21

I V . Planungsfunktionen i m Bereich des Parlaments

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Auch i n anderen Bundesländern hat sich eine ähnliche Planungsprärogative der Landesregierung auf dem Gebiet der Landesentwicklung herausgebildet. I n Nordrhein-Westfalen werden die Grundsätze und Ziele der Raumordnung und Landesplanung i m Landesentwicklungsprogramm, i n Landesentwicklungsplänen und Gebietsentwicklungsplänen dargestellt 28 . Das Landesentwicklungsprogramm, das Grundsätze und allgemeine Ziele der Raumordnung und Landesplanung für die Gesamtentwicklung des Landes enthält, w i r d als Gesetz beschlossen 29 . A u f der Grundlage des Landesentwicklungsprogramms legen die Landesentwicklungspläne die Ziele der Raumordnung und Landesplanung für die Gesamtentwicklung des Landes fest 30 . Diese Landesentwicklungspläne, i n denen die Gestaltung des Landes eigentlich erst rechte Form gewinnt, werden von der obersten Landesplanungsbehörde i m Benehmen mit dem für die Landesplanung zuständigen Ausschuß des Landtages und i m Einvernehmen mit den beteiligten Landesministern aufgestellt. Die Landesentwicklungspläne werden dem Landtag zugeleitet 31 . Sie werden weder als Gesetz noch als Rechtsverordnung erlassen, sondern werden m i t ihrer Bekanntgabe Richtlinien für alle behördlichen Entscheidungen, Maßnahmen und Planungen, die für die Raumordnung Bedeutung haben 32 . I n ähnlicher Weise regelt das hessische Landesplanungsgesetz die Aufgaben der Landesplanung und den Inhalt des Landesraumordnungsprogramms und des Landesentwicklungsplans 33 . Während das Landesraumordnungsprogramm u.a. die langfristigen Ziele der Landesplanung und die raumpolitischen Grundsätze abstrakt benennt und als Gesetz ergeht 34 , enthält der Landesentwicklungsplan eine Darstellung der anzustrebenden Raumstruktur des Landes und die staatlichen Fach- und Investitionsplanungen zur Verbesserung der Raumstruktur des Landes. Dieser Landesentwicklungsplan, der die eigentlichen konkreten Aussagen der Landesregierung zur Landesentwicklung zum Inhalt hat, w i r d durch Beschluß der Landesregierung festgestellt und dem Landtag zugeleitet 35 . 28

§§ 11 ff. nrwLPIG. Vgl. nrw. Gesetz zur Landesentwicklung (Landesentwicklungsprogramm) vom 19. 3.1974 (GVB1. S. 96). 30 § 13 Abs. 1 nrwLPIG. 31 Die faktische Beteiligung des nrw. Landtages an der Erarbeitung des Nordrhein-Westfalen-Programms 1975 war minimal ( A. Wender, Planung als „vierte Gewalt", S. 42 ff.; H. Häußermann, Politische Planung und demokratische Beteiligung [1971]; ders., Politische Planung: Nordrhein-Westfalen in: Leviathan 1974, S. 233 ff.). 32 § 13 Abs. 5 nrwLPIG. 33 §§ 1 ff. hessLPIG. 34 Vgl. das Hessische Raumordnungsprogramm in GVB1.1970, 269 ff. 35 § 3 Abs. 1 hessLPIG; zur mangelnden Beteiligung des hess. Parlaments und selbst der Regierungsfraktion an der hessischen Landesentwicklungsplanung vgl. A. Wender, S. 25 ff. m. w. Nw. 29

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

Eine besondere Form der Arbeitsteilung zwischen Parlament und Landesregierung auf dem Gebiet der Landesplanung findet sich i n Niedersachsen. Der erste Teil des Landes-Raumordnungsprogramms ergeht als Gesetz. I n Form eines Gesetzes werden die Grundsätze der Raumordnung, die Räume, i n denen die Arbeits- und Wohnstätten vorrangig zu sichern und zu entwickeln sind, und die zentralen Orte von übergeordneter Bedeutung festgelegt 36 . Der zweite Teil des Landes-Raumordnungsprogrammes w i r d vom Landesministerium durch Beschluß festgestellt, nachdem dem Landtag Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, und als Bekanntmachung i m Ministerialblatt veröffentlicht 3 7 . I n diesem Teil des Landes-Raumordnungsprogramms werden u. a. die zentralen Orte von übergeordneter Bedeutung benannt, soweit sie i m ersten Teil nicht abschließend bestimmt sind, und die großräumigen Erholungsgebiete angegeben. Insgesamt gesehen werden i n den genannten Ländern die Grundsätze der Raumordnung und Ziele der Landesplanung i m Landesplanungsgesetz angegeben; die Landesentwicklungspläne bzw. Landesentwicklungsprogramme, d.h. die Konkretisierung dieser Zielsetzungen, werden aber von den Landesregierungen entweder als Rechtsverordnung oder nach Information des Parlaments als Regierungsprogramm beschlossen. Eine solche Praxis begegnet i m Hinblick auf A r t . 28 GG, auf A r t . 80 GG und auf die demokratische Legitimation der Planung erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. M i t Nachdruck hat man gefordert, die Ziele der Raumordnung und Landesplanung i m Sinne von § 1 Abs. 4 BBauG seien i n rechtsatzmäßiger Form zu erlassen, da nach A r t . 28 Abs. 2 GG die Gemeinden „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft i m Rahmen der Gesetze i n eigener Verantwortung" regeln könnten. Durch landesplanerische Festsetzungen werde nämlich eine Einschränkung der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie herbeigeführt 38 . Aus A r t . 28 Abs. 2 GG eine Parlamentarisierung der Landesplanung begründen zu wollen, bedarf freilich noch eingehender Überlegungen. Gegen eine Parlamentarisierung der Landesplanung ist u. a. von Wahl 3 9 i n die Debatte geworfen 36

§ 4 Abs. 2 ndsROG. § 5 Abs. 5 ndsROG. 38 R. Breuer, Hoheitliche raumgestaltende Planung, S. 224 ff.; E. SchmidtAßmann, Grundfragen, S. 153 m. w. Nw.; W. Ernst, in: ders. und W. Hoppe, Bau- und Bodenrecht, S. 38 ff.; G. Klein, Rechtsnatur, S. 145 ff., 151 ff.; W. Erbguth, Probleme des geltenden Landesplanungsrechts. Ein Rechtsvergleich (Beiträge zum Siedlungs- und Wohnungswesen und zur Raumplanung, Bd. 19) (1975), S. 96 ff., 168 ff. 39 R. Wahl, Rechtsfragen, S. 233 m. Nw. — Zu den Möglichkeiten kommunaler Beteiligung an der Landesentwicklungsplanung vgl. E. SchmidtAßmann, Kommunale Beteiligung, S. 520 ff.; W. Roters, kommunale M i t w i r 37

I V . Planungsfunktionen i m Bereich des Parlaments

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worden, es komme zwangsläufig zu einem „Abbau von bisher i m Planungssystem institutionell verankerter Selbstverwaltung". Zugespitzt formuliert: Eine Parlamentarisierung der Landesplanung soll zu einem Einbruch i n die kommunale Planungshoheit führen; dann aber w i r d es erforderlich, den Geltungsbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie einerseits und des Grundsatzes parlamentarischer Legitimation politischer Entscheidungen andererseits zu bestimmen. Hier spricht i n einer parlamentarischen Demokratie alles dafür, überörtliche Planungen größeren Umfangs i n die Regelungskompetenz des Parlaments zu verweisen. I m übrigen läßt es sich kaum plausibel machen, daß eine Parlamentarisierung der Landesplanung w i r k l i c h die kommunale Selbstverwaltung entscheidend beeinträchtigt. Es ist doch eher das Phänomen Planung als solches als eine parlamentarische Beschlußkompetenz über die Planung, das die beklagte zentralistische Tendenz entwickelt. Außerdem kann dafür gesorgt werden, daß die ganze Skala von Mitwirkungsrechten und Beteiligungsrechten der Gemeinden und Gemeindeverbände an verwaltungsinterner Landesplanung auch bei einer parlamentsbeschlossenen Landesplanung erhalten bleibt. Was die Landesentwicklungsplanung i n Form von Rechtsverordnungen betrifft, könnte man der Meinung sein, daß die Grundsätze und Ziele der Landesentwicklungsplanung i n den einzelnen Landesplanungsgesetzen relativ konkret angegeben worden sind; auf Grund der nach A r t . 80 GG zulässigen Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen an die Exekutive würden dann keine Bedenken gegen einen Erlaß von Landesentwicklungsprogrammen i n Form einer Rechtsverordnung bestehen. I n der Tat w i r d es vielfach i n Planungsgesetzen dem Verordnungsgeber überlassen, etwa förderungswürdige Gebiete oder einzelne Grundsätze der Förderung näher zu bestimmen. Erwähnt sei nur §3 Abs. 1 Nr. 3 Investitionszulagengesetz, wonach die Bundesregierung m i t Zustimmung des Bundesrates förderungswürdige Gebiete bestimmen kann, deren Wirtschaftskraft erheblich unter dem Bundesdurchschnitt liegt 4 0 . Zwischen einer solchen Ermächtigung zur Rechtsetzung i n einem einzelnen Planungsgesetz und der Delegation zum Erlaß eines konkreten Landesentwicklungsprogramms besteht jedoch ein beträchtlicher Unterschied. Beim Erlaß von Landesentwicklungsprogrammen sind zwar die Ziele der Planung festgelegt, es müssen aber noch Zielabwägungen und Präferenzentscheidungen getroffen werden, die i n der Regel kung an höherstufigen Entscheidungsprozessen (1975), S. 139 f. (mit dem Vorschlag, den Verlust parlamentarischer Legitimation durch kommunale Partizipation an der Landesplanung zu kompensieren). 40 § 3 Abs. 1 Nr. 3 a 1. Alternative des Gesetzes über die Gewährung von Investitionszulagen im Zonenrandgebiet und in anderen förderungsbedürftigen Gebieten i. d. F. v. 12.10.1973 (BGBl. I, S. 1493). 13 Würtenberger

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

erhebliche politische Bedeutung besitzen. Werden i n einem Fachplanungsgesetz dagegen die Voraussetzungen angegeben, unter denen ζ. B. ein Gebiet als förderungswürdig anerkannt werden kann, so sind der Exekutive derartige politische Präferenzentscheidungen nicht delegiert. Damit ist die Reichweite von Regelungen, die auf Grund näherer Ausführungsbestimmungen zu einem Fachplanungsgesetz und die zum Zwecke der Landesentwicklung insgesamt getroffen wurden, völlig unterschiedlich. Dies legt es nahe, bei der Landesentwicklungsplanung Bereiche politischer Gestaltung herauszukristallisieren, die das Parlament ungeachtet der Delegationsmöglichkeit des A r t . 80 GG nicht aufgeben darf 4 1 . I n einem parlamentarisch-demokratischen Staatswesen geht es nicht an, daß das Parlament sich nicht m i t politischen Entscheidungen befaßt, bei denen es i n letzter Konsequenz u m die Verwirklichung von Grundrechten geht 42 . Wenn das Parlament zwar die Grundsätze der Landesentwicklung festlegt, aber keinen oder nur geringen Einfluß auf die konkrete Gestaltung der Landesentwicklung nimmt, so überläßt es weithin der Regierung, zu bestimmen, an welchen Orten die Arbeitsund Lebensbedingungen verbessert und welche Wirtschaftsstruktur i n den einzelnen Regionen verwirklicht werden soll. Denn auf der Landesebene gehört die Landesentwicklungsplanung zu den zentralen staatsleitenden Akten, durch die die Lebensverhältnisse der Bevölkerung i n einzelnen Gebieten auf lange Zeit hinaus festgelegt werden. Der m i t Nachdruck zu fordernden Parlamentarisierung der Landesentwicklungsplanung kann es keinen Abbruch tun, daß gelegentlich Parlamentarier gegenüber den Landesentwicklungsplanungen der Regierung einräumen mußten, solche umfassenden und i n sich abgestimmten Programme übersteige ihre Kontrollkapazität 4 3 ; hier ist vielmehr ein Punkt erreicht, dem die Reform des Prozesses parlamentarischer Willensbildung besondere Rechnung tragen muß. Zur Gewährleistung einer ausreichenden Kontrollkapazität muß gegebenenfalls das Parlament von Entscheidun41 Ein Kompromißvorschlag zielt darauf ab, planungsrechtliche Verordnungen einer Zustimmung des Parlaments zu unterwerfen (M. Siegmund, Planungskompetenzen, S. 133). Eine solche Gewaltenverschränkung erscheint aus Gründen der Gewaltenteilung nicht unproblematisch, wenngleich man in Einzelfällen solche Gewaltenverschränkungen sicherlich tolerieren kann (BVerfGE 8, 274 ff., 321; bayVerfGHE n. F. Bd. 7 I I , 107 ff., 121; bayVerfGH BayVBl. 1972, 43 ff.). Entscheidend ins Gewicht fällt aber, daß bei bloßen parlamentarischen Zustimmungsbefugnissen das Parlament keine echte Gestaltungs-, insbesondere Abänderungsmöglichkeiten besitzt. Es käme zu einem „vote bloqué", das das Parlament zu einem bloßen Konsultativorgan werden läßt (hierzu im 5. Kapitel unter I I I . , 2 b a. E.). 42 So bereits R. Herzog, Gesetzgeber und Verwaltung, in: V V D S t R L H. 24 (1966), S. 183 ff., 205. — Auf Einzelheiten der Begründung wird im Zusammenhang mit der frühzeitigen und umfassenden Beteiligung des Parlaments an den Planungen der Regierung zurückzukommen sein (5. Kap. unter II.). 43 A. Wender, S. 27 m. Nw.

I V . Planungsfunktionen i m Bereich des Parlaments

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gen, die nur sekundäre politische Bedeutung besitzen, entlastet werden. Zur Gewährleistung der Kontrollkapazität muß das Parlament weiterh i n bereits frühzeitig i n den Zielfindungs- und Informationsverarbeitungsprozeß der Regierung eingeschaltet werden 4 4 . A n dieser Stelle bleibt jedenfalls festzuhalten, daß die Landesentwicklungsplanung dem Parlament zur Beschlußfassung vorzulegen ist und nicht allein von der Regierungsbürokratie erarbeitet werden sollte 45 . 2. Kriterien und Funktionen des Planungsgesetzes

Das Planungsgesetz ist die Handlungsform, mit der das Parlament einen großen Teil seiner Planungsfunktionen wahrnimmt; Planungsgesetze sind damit zu einem wichtigen parlamentarischen Regelungsinstrument i m Industriestaat geworden. W i l l man diesen neuen parlamentarischen Steuerungsmechanismus v o l l erfassen, so muß man sich den Besonderheiten und Funktionen von Planungsgesetzen zuwenden. a) Erscheinungsformen

und Merkmale des Planungsgesetzes

Die spezifischen Eigenarten des Planungsgesetzes werden deutlich, wenn man das Planungsgesetz zunächst dem Typus des klassischen Gesetzes46 und des Maßnahmegesetzes gegenüberstellt 47 . Das klassische Gesetz schafft allgemein verbindliche und zeitlich grundsätzlich unbegrenzte Regelungen 48 . Die Elemente der Gleichheit und Sicherheit sind dem klassischen Gesetz immanent. Es garantiert ein M i n i m u m an Gleichheit, da der Gesetzgeber Menschen und Situationen abstrakt behandeln muß. Darüber hinaus soll das klassische Gesetz 44

Hierzu im 5. Kap. insbes. unter I I . und I I I . Trotz mancher Differenzierungen im einzelnen grundsätzlich ebenso W. Ernst, in: ders. und W. Hoppe, Bau- und Bodenrecht, S. 39 f.; E. SchmidtAßmann, Grundfragen, S. 154 ff.; ders., Kommunale Beteiligung, S. 529; H.-U. Evers, Raumordnung, S. 115 f.; F. Rietdorf, Entwicklungsplanung, S. I 34 ff.; unklar R. Stich, Rechtsschutzprobleme bei Maßnahmen der Landes- und Regionalplanung, in: Verfassungs- und Verwaltungsprobleme, S. 124 ff., 136 ff.; zur österreichischen Sicht dieses Problems: L. Fröhler und P. Oberndorfer, Österreichisches Raumordnungsrecht, S. 32 f., 35 ff. 46 Aus der Literatur zum Gesetzesbegriff sei verwiesen auf G. Roellecke, Der Begriff des positiven Gesetzes und das Grundgesetz (1969); C. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes (1970); U. Scheuner, Das Gesetz als Auftrag der Verwaltung, in: DÖV 1969, 585 ff.; K. Hesse, Grundzüge, §14 I; N. Achterberg, Kriterien des Gesetzesbegriffs unter dem Grundgesetz, in: DÖV 1973, S. 289 ff. 47 Kritisch zu der typologischen Unterscheidung von klassischem Gesetz und Maßnahmegesetz G. Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 3 GG R N 14 f. 48 R. Herzog, Wissenschaftliche Entwicklung, S. 24; H.-H. Seidler, Rechtsschutz, S. 47; U. Scheuner, S. 589. 45

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

R i c h t i g k e i t v e r b ü r g e n , d a d i e i m P a r l a m e n t z u m S t a a t s o r g a n erhobene Ö f f e n t l i c h k e i t das i m a l l g e m e i n e n Interesse E r f o r d e r l i c h e d u r c h öffentl i c h e D i s k u s s i o n e r m i t t e l n k ö n n e 4 9 . I n diesem S i n n e o r i e n t i e r t sich das klassische Gesetz a n e i n e r G e r e c h t i g k e i t s i d e e , w o r a u f E. F o r s t h o f f 5 0 u n d C.-F. M e n g e r 5 1 m i t N a c h d r u c k h i n g e w i e s e n h a b e n . A u s dieser G e r e c h t i g k e i t s i d e e l e i t e t es seinen A n s p r u c h ab, f ü r g r u n d s ä t z l i c h u n b e g r e n z t e Z e i t g e l t e n z u w o l l e n . Das klassische Gesetz b a u t a u f d e r V o r s t e l l u n g v o n festgefügten gesellschaftlichen V e r h ä l t n i s s e n auf. D i e P r i n z i p i e n w i r t s c h a f t s - u n d sozialpolitischer O r d n u n g gießt es i n rechtliche F o r m e n ; es b e g r e i f t sich n i c h t als T r i e b s a t z sozialen W a n d e l s 5 2 , s o n d e r n v e r m a g n u r i m Wege der Generalklauseln u n d realitätsnaher I n t e r p r e t a t i o n die sich w a n d e l n d e n V e r h ä l t n i s s e i n d e n G r i f f z u b e k o m m e n . I m Gegensatz z u m klassischen Gesetz p r ä g t eine z e i t l i c h begrenzte Z w e c k v e r w i r k l i c h u n g d i e E r s c h e i n u n g s f o r m des Maßnahmegesetzes. Das Maßnahmegesetz s t e h t z u e i n e r b e s t i m m t e n w i r t s c h a f t l i c h e n oder sozialen S i t u a t i o n i n e i n e m besonders g e a r t e t e n V e r h ä l t n i s 5 3 . D e m Z e i t f a k t o r , d. h . d e r v o n v o r n h e r e i n b e s c h r ä n k t e n G e l t u n g s d a u e r , u n d d e r S i t u a t i o n s g e b u n d e n h e i t k o m m e n d i e R o l l e des U n t e r s c h e i d u n g s k r i t e r i u m s z w i s c h e n klassischem u n d M a ß n a h m e - G e s e t z zu. S e l b s t v e r s t ä n d 49 F. Neumann, Demokratischer und autoritärer Staat (1967), S. 82 ff.; K. Vogel, Gesetzgeber und Verwaltung, in: V V D S t R L H. 24 (1966), S. 125 ff.; L. Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion des Deutschen Bundestages (1976), S. 85 ff. und passim. 50 E. Forsthoff, Über Maßnahme-Gesetze, in: Gedächtnisschrift f. W. Jellinek (1955), S. 221 ff., 225; vgl. bereits C. Schmitt, Die Diktatur des Reichspräsidenten, in: W D S t R L H. 1 (1924), S. 97 (Unterscheidung von Gesetz und sonstigen Maßnahmen nach dem Kriterium, ob die Rechtsidee zum Ausdruck gebracht oder nur eine von Fall zu Fall zu bemessende konkrete Zweckmäßigkeit zum Leitgedanken erhoben wird). 51 C.-F. Menger (Das Gesetz als Norm und Maßnahme, in: W D S t R L H. 15 [1957], S. 3 ff., 5) bezeichnet die Rechtsnorm als „das aus einer festgefügten, am Maßstab der Gerechtigkeit orientierten Ordnung fließende Verhaltensgebot"; zum „politischen" Gesetzesbegriff als Gegenstück zu diesem „normativen" Gesetzesbegriff vgl. W. Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates (Zürich 1945), S. 170 ff. 52 P. Badura, Verwaltungsrecht im liberalen und sozialen Rechtsstaat (1966), S.6; R. Herzog, Verwaltung und Verwaltungsrecht in einer freiheitlichen Industriegesellschaft, in: Verhandlungen des 48. Dt. Juristentages, B a n d i i (1970), S. L 12 f.; Β. Dobiey, Politische Planung, S.40; E. Volk, Rationalität, S. 223; K. Redeker, Staatliche Planung, S. 537; W. Hennis, Vom gewaltenteilenden Rechtsstaat zum teleokratischen Programmstaat, in: Res Publica, D. Sternberger zum 70. Geburtstag, hrsg. von P. Haungs (1977), S. 170 ff., 187. 58 K. Huber, Maßnahmegesetz und Rechtsgesetz (1963), S. 122; K. Zeidler, Maßnahmegesetz und „klassisches" Gesetz (1961), S. 160 ff.; zusammenfassend und mit weiteren Nachw. C. Starck, S.49ff., 242 ff.; Κ. M. Meessen, Maßnahmegesetze, Individualgesetze und Vollziehungsgesetze, in: DÖV 1970,314 ff.; H. Schneider, Art. Maßnahmegesetz, in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 1545 ff.; N. Achterberg, Funktionenlehre, S. 72 ff., 119 (mit abschließender Stellungnahme zum Streit um die Zulässigkeit von Maßnahmegesetzen).

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lieh ist auch eine zeitlich begrenzte Zweckverwirklichung aus dem Gedanken der Gerechtigkeit heraus geboten 64 , wenn Maßnahmegesetze sozialen Erschütterungen und wirtschaftlichen Mißständen begegnen; die Gerechtigkeitsidee kann damit nicht bemüht werden, u m das klassische Gesetz vom Maßnahmegesetz zu unterscheiden. Maßnahmegesetze spielen eine wichtige Rolle bei staatlichem Krisenmanagement. Der Inhalt des Maßnahmegesetzes w i r d durch eine konkrete Störungslage bestimmt und sein beherrschender Zweck ist die „Überwindung dieser Störungslage durch notwendige und geeignete Maßnahmen (»Entstörung')" 55 . Maßnahmegesetze stellen ein „Flickwerk von Gegenmaßnahmen" 66 zur Behebung pathologischer Zustände i n der Sozialordnung dar. M i t Lösung der Krise ist die Aufgabe des Maßnahmegesetzes beendet, es kann m i t diesem Zeitpunkt außer Kraft treten. Wie K. Huber 6 7 belegt hat, spiegelt der Schritt vom klassischen Gesetz zum Maßnahmegesetz einen Verfassungswandel wider, der als Teil der Entwicklung vom klassischen zum sozialen Rechtsstaat begriffen werden kann: „Das Maßnahmegesetz ist die sozialstaatliche Form des rechtsstaatlichen Gesetzesbegriffes 68." Das Planungsgesetz 69 unterscheidet sich i n wesentlichen Punkten von dem klassischen und dem Maßnahme-Gesetz 60 . Planungsgesetze bezwek54 Demgegenüber stellen E. Forsthoff und C.-F. Menger (FN 50 f.) wesentlich darauf ab, daß das Maßnahmegesetz nicht an der Gerechtigkeitsidee orientiert sei (ebenso H. Schneider, Sp. 1545: „geringer Gerechtigkeitsgehalt" der Maßnahmegesetze). 55 E. R. Huber, Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, in: D Ö V 1956, S. 200 f., 204. 58 R. Herzog, Wissenschaftliche Entwicklung, S. 25. 57 K. Huber, S. 176 f., 182 — hier auch das folgende Zitat. Huber verweist auf eine wenig beachtete Erscheinung der Verfassungswirklichkeit, daß nämlich die legislatorischen Akte seit 1949 in der Bundesrepublik Deutschland fast zur Hälfte der Kategorie Maßnahmegesetz angehören und kaum zu einem Drittel Rechtsgesetze im herkömmlichen Sinn der rechtsstaatlichen Doktrin sind (vgl. weiter H. Steiger, Entscheidung kollidierender öffentlicher I n teressen, S. 418). 58 Was die Erscheinungsformen des Maßnahmegesetzes betrifft, wird auf die grundlegende Darstellung von K. Huber, S. 26 f. verwiesen. Aktuelles Beispiel eines Maßnahmegesetzes ist das Konjunkturzuschlagsgesetz vom 23. 7.1970 (BGBl. I, S. 1125): Zur Erhaltung von Vollbeschäftigung und Geldwertstabilität soll die Konjunktur durch Kaufkraftabschöpfung gedämpft werden. 59 Allgemein zum Planungsgesetz vgl. R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 328 ff.; W. Hoppe, Struktur, S. 641 ff.; R. Wahl, Rechtsfragen, S. 62 ff.; J. P. Müller, Soziale Grundrechte, S. 801 f.; H. Steiger, S. 416 ff. (statt des Begriffs Planungsgesetz spricht Steiger von Gestaltungsgesetzen); H.-H. Seidler, S. 46 ff.; Th. Würtenberger jun., Besprechung, in: AöR 100. Bd. (1975), S. 489 ff., 490; M. Schröder, Planung, S. 21 ff. 80 I n der Literatur wird die Unterscheidung zwischen Planungs- und Maßnahmegesetz nicht immer eindeutig vollzogen (vgl. etwa S. Leib fried und M. Quilisch, Planimg, S. 554; H. Schneider, Sp. 1545).

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

ken nicht — wie das klassische Gesetz — eine beständige Ausgestaltung zukünftiger Rechtsbeziehungen und sozialer Abläufe. Es ist auch nicht — wie das Maßnahmegesetz — bloße Reaktion auf eine soziale Krise. Politische Planung ist zwar meist „Tochter der Krise" (J. H. Kaiser), sie erschöpft sich jedoch nicht i n reaktivem Krisenmanagement. M i t dem Planungsgesetz reagiert der Staat nicht lediglich „auf schicksalhaft empfundene Entwicklungen i m Schöße der Gesellschaft" 61 , sondern steuert der Staat die soziale Entwicklung mittels bestimmter Leitziele. I m Maßnahme- und Planungsgesetz als modernen Formen des Gesetzes hat man verschiedentlich einen Autoritätsverlust und „Niedergang" des Gesetzes gesehen62. Man hebt hervor, das Gesetz verliere hier „seine Eigenart als langfristig wirkender Ordnungsfaktor i m Interesse der Gerechtigkeit". Demgegenüber bleibt m i t Nachdruck zu betonen: Die Maßnahme- und Planungsgesetze erfüllen, wie ehedem das klassische Gesetz, eine wichtige Ordnungsfunktion i m Interesse der Gerechtigkeit. So trägt das Planungsgesetz durch seine programmatische Offenheit der Dynamik sozialer und ökonomischer Entwicklungen Rechnung. Es setzt mit seinen Leitzielen selbständige Impulse für einen geordneten und kontinuierlichen sozialen und ökonomischen Fortschritt. Dies erscheint auch wünschenswert, da i m Leistungsstaat moderner Prägung, der sich die Schaffung eines sozialen Raumes für die Grundrechtsverwirklichung angelegen sein läßt 6 8 , soziale Gerechtigkeit nur auf lange Sicht v e r w i r k licht werden kann 6 4 . A n die Stelle des m i t Erfolg nicht mehr realisierbaren Krisenmanagements der Maßnahmegesetze treten langfristige soziale und ökonomische Planungen m i t dem Instrument des Planungsgesetzes. Damit gewinnt die demokratisch organisierte Gesellschaft m i t dem Planungsgesetz eine Handlungsform, die i h r eine Selbststeuerung ihres Schicksals gestattet und sie nicht „naturwüchsigen Gesetzen wie 61 R. Herzog, Wissenschaftliche Entwicklung, S. 25; ders., Verwaltung und Verwaltungsrecht in einer freiheitlichen Industriegesellschaft, S. L 12 f.; H.-H. Seidler, S. 48. 82 So G. Schmid, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Zusammenspiel der staatlichen Machtverteilung (1971), S.231; K. Stern, Staatsrecht, S. 649 m. w. Nw. — hier auch das folg. Zitat. 63 Wenn etwa die Sanierungsmaßnahmen nach dem StBauFG städtebauliche Mißstände beheben sollen, wobei u. a. „die bauliche S t r u k t u r . . . nach den sozialen, hygienischen, wirtschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entwickelt" werden soll (§ 1 Abs. 4 Nr. 1 StBauFG), so soll Städtesanierung Grundrechtswirklichkeit schaffen. Entsprechendes gilt für die Zielsetzungen in §§ 1 ff. RaumOG, § 1 BBauG und in § 2 Hochschulbauförderungsgesetz (Gewährleistung eines ausreichenden und ausgeglichenen Angebots an Forschungs- und Ausbildungsplätzen) und in anderen leistungsstaatlichen Gesetzen. 64 P. Häberle, „Leistungsrecht", S. 456 ff.; H. Steiger, Entscheidung kollidierender öffentlicher Interessen, S. 418.

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dem der Selbstregulierung der Wirtschaft" 8 5 überläßt. Allgemeines Kennzeichen dieses neuen Planungsrechts ist also, daß das Recht nicht mehr lediglich als Reaktion auf soziale und ökonomische Entwicklungen erscheint, sondern auch zu einem Instrument sozialen Wandels wird® 8 . Eine frühzeitige und friedliche Anpassung an neue soziale und ökonomische Lagen w i r d zur Funktion des Rechts. I n einem Sozialstaat, der sich u m sozialen Ausgleich bemüht und die Wirtschaft i n vielfältiger Weise zu steuern versucht, dient das Gesetz i n ganz ausgeprägter Weise der Durchsetzung sich vielfach wandelnder politischer Zielsetzungen und beschränkt sich nicht mehr, wie etwa i m liberalen Rechtsstaat, auf das Nachzeichnen bestehender oder Festschreiben einmal entworfener politischer Ordnungen. aa) Erscheinungsformen des Planungsgesetzes I n der jüngsten Gesetzgebungspraxis nimmt die Häufigkeit der Maßnahmegesetze ab. Planungsgesetze lassen sich i n fast allen wichtigen sozialen und ökonomischen Bereichen antreffen. Dem Parlament ist hier i n weiten Bereichen die Steuerung der planungsrealisierenden Verwaltung gelungen. Genannt seien für den sozialen Bereich etwa die planungsrechtlichen Vorschriften i m Raumordnungsgesetz, Bundesbaugesetz (§§ 1 ff.), i m Städtebauförderungsgesetz (§§ 1 ff.), das Hochschulbauförderungsgesetz oder die verschiedenen Landesplanungsgesetze. Eine besondere Rolle spielen Planungsgesetze bzw. planungsrechtliche Vorschriften auf wirtschaftspolitischem Gebiet. Dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht als Ziel der Wirtschaftspolitik ist von A r t . 104 a Abs. 4, 109 Abs. 2 und 4 GG Verfassungsrang beigelegt worden. Von § 1 StabG w i r d dieses von Verfassungs wegen gebotene gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht dahin konkretisiert, daß sich die Wirtschaftspolitik an der Stabilität des Preisniveaus, hohem Beschäftigungsstand, außenwirtschaftlichem Gleichgewicht und an angemessenem W i r t schaftswachstum auszurichten habe. Die weiteren wichtigen wirtschaftspolitischen Planungsgesetze, wie das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" vom 6.10.1969 (BGBl. I, S. 1861), das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" vom 3.9.1969 (BGBl. I, S. 1573) oder das Kohlegesetz, setzen eigenständige Zielsetzungen, deren Verwirklichung sich allerdings i m Rahmen der Grundsätze der allgemeinen Wirtschaftspolitik halten muß.

65

H. Harnischfeger,

ββ

E. Benda , Rechtsstaat, S. 507.

S. 95.

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bb) Zweckfixierung, Flexibilität und Zukunftsoffenheit als Merkmale des Planungsgesetzes Planungsgesetze ermöglichen einen flexiblen, d. h. situationsangemessenen und zeitgemäßen Leistungseinsatz bei der Erfüllung der Staatsaufgaben. Durch die generalklauselartige Weite ihrer Zielbestimmungen lassen die Planungsgesetze den staatsleitenden Instanzen ausreichend Spielraum zu situationsgerechter politischer Gestaltung 67 . E i n solcher flexibler Leistungseinsatz ist vor allem bei der Ausgestaltung der leistungsstaatlichen Seite der Grundrechte und bei den wirtschaftslenkenden Maßnahmen erforderlich. Diese Flexibilität und Zukunftsoffenheit der Planungsgesetze liegt i n ihrer finalen Programmierung begründet. I n Planungsgesetzen werden — neben einer Regelung des Planungsverfahrens — vornehmlich die politischen Ziele und Zwecke, die zu erreichen sind, vorgeschrieben. Einem solchen „zweckorientierten Recht fehlt sehr oft die Präzision einer erzwingbaren Norm, weil i m Hinblick auf den Zweck Alternativen zu der geforderten Handlung auftauchen und legitimiert werden können" 6 8 . Betrachtet man Planungsgesetze unter entscheidungstheoretischem Aspekt 6 9 , so haben Planungsgesetze die Aufgabe, die i m Planungsverfahren zu beachtenden Grundsätze, Ziele und Prioritäten festzulegen. Welche Maßnahmen i m einzelnen getroffen werden sollen, w i r d der entscheidenden Instanz anheimgestellt. I h r obliegt, die künftige Entwicklung zu prognostizieren und möglichst zweckmäßige Maßnahmen zu wählen 7 0 . Zu beachten bleibt freilich, daß Planungsgesetze nur hinsichtlich der zu erreichenden Ziele final programmiert sind. Das bei der Planung einzuhaltende Verfahren muß rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechen, d.h. konditional programmiert sein. Bei Planungsgesetzen liegt also i m Regelfall eine Verschränkung von Konditional- und Finalprogrammen vor. Wenn hier die Zweckfixierung und damit die finale Steuerung der Verwaltung zum wesentlichen Merkmal der Planungsgesetze erhoben 67 W. Graf Vitzthums (Parlament, S. 384 und passim) These, „den Plan bereits i m Gefäß des förmlichen Gesetzes verschließen zu wollen, hieße, to much to soon", und „die Planung wolle nicht den Gesetzgeber", übersieht diese modernen Formen des Planungsgesetzes. Ergehen politische Planungen als Planungsgesetze, so bleiben sie einerseits flexibel, legen andererseits aber die Entwicklungslinien verbindlich fest. 68 N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 220 f. 69 S. Leib fried und M. Quilisch (Planung, S. 617) haben erstmals auf die gegenüber dem klassischen Gesetz besondere Entscheidimgsprogrammierung in Planungsgesetzen hingewiesen; vgl. weiter W. Hoppe, Planung und Pläne, S. 684 m. w. Nw. 70 Hierzu im 2. Kap. unter I., 2.

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werden, so muß i n aller Kürze auf einen gewichtigen Einwand eingegangen werden: Für den Bereich der Rechtsnormen hält man eine Differenzierung nach Zweckprogrammen und Konditionalprogrammen nicht für sinnvoll. Denn es sollen nicht allein Zweckprogramme, sondern auch Konditionalprogramme von Zwecken gesteuert werden 7 1 . Esser 72 kritisiert an der Qualifizierung der Rechtsnorm als Konditionalprogramm, d. h. als Entscheidungsmuster, das nach einer Wenn-Dann-Relation abläuft, daß hier der bei der Auslegung zu beachtende Normzweck und die ratio der Norm nicht genügend beachtet würden. M i t Recht macht Esser darauf aufmerksam, daß das Entscheidungsmuster des Konditionalprogrammes eigentlich der analytischen Jurisprudenz einer reinen Rechtslehre entspreche, die mit formalen Kriterien die Aufgabe der Rechtsverwirklichung angehe. Derartige prinzipiell berechtigte Einwände verlieren jedoch an Gewicht, wenn man bedenkt, daß mit „konditionaler" und „finaler" Programmierung bloß Idealtypen der Steuerung von Prozessen der Informationsverarbeitung gemeint sind. Die Praxis operiert m i t einer Bandbreite von Möglichkeiten der Entscheidungsprogrammierung, wobei an dem einen Ende der Spielraum für wertende Entscheidungen eng begrenzt ist und am anderen Ende die Einzelheiten der Entscheidungen weitgehend offen bleiben 7 8 . So werden i n der Regel bei der Realisierung konditionaler Programme auch Zweckgesichtspunkte nicht außer Acht gelassen werden können. Dies schon deshalb, weil Fragen der Auslegung von Programmbestimmungen sich am ehesten mit einem Blick auf das Programmziel lösen lassen. Obgleich die Entscheidungen der gesetzesanwendenden Instanzen durch die Gesetze weitgehend konditional programmiert sind, vermag man i m Wege der Auslegung sich einen Entscheidungsbereich zu bewahren, i n dem danach entschieden wird, ob eine zweckmäßige und gerechte Problemlösung zustande kommt. Darüber hinaus kommen wegen Programmverschachtelungen Konditionalprogramme nicht i n reiner Form vor 7 4 . Das Anreichern der Konditionalprogramme m i t Elementen finaler Programmierung hat es der klassischen Gesetzgebung ermöglicht, Zielkonflikte nicht immer und endgültig entscheiden zu müssen und variierende Zielsetzungen i n die Gesetze einzubauen. Generalklauseln, 71

J. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindimg (Studien und Texte zur Theorie und Methodologie des Rechts, Band 7, 1970), S. 141 ff.; W. Schmidt, Die Programmierung von Verwaltungsentscheidungen, in: AöR 96. Bd. (1971), 321 ff., 331 ff. (mit dem Einwand, vollständig in sich selbst determinierte Systeme könne es nicht geben); K. König, Planung, S.6; E. Schmidt-Aßmann, Planung, S. 546; P. Noll, Gesetzgebungslehre (1973), S. 251 f. 72 J. Esser, S. 142,145. 73 H. A. Simon, The New Science of Management Decision (New York und Evanston 1960), S. 5. 74 W. Hoppe, Struktur, S. 644 m. w. Nw.

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der V e r f a s s g

unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensvorschriften ermöglichen Zielverwirklichungen, die jenseits der Absichten der programmierenden Instanzen liegen können 75 . Programmverschachtelungen sind vor allem i m Bereich der Planung häufig 76 . Das bei der Planungsentscheidung zu beachtende Verfahren w i r d regelmäßig konditional programmiert; die Planungsentscheidung selbst ist jedoch final programmiert. Trotz derartiger Überschneidungen und Verknüpfungen von Konditionalprogrammen und Finalprogrammen dienen beide Programmtypen notwendiger Verdeutlichung, wenn es u m die Bewältigung und rechtliche Durchdringung planerischer Entscheidungsprozesse geht 77 . Erst wenn man nach konditionaler und finaler Programmierung unterscheidet, gewinnen die besonderen Merkmale des Planungsgesetzes Kontur. Erst dann w i r d deutlich, daß Planungsgesetze nicht i m herkömmlichen Sinn „vollzogen" werden können, sondern lediglich die Richtung der sozialen Gestaltung festlegen. Erst dann läßt sich das Ausmaß an Planungsermessen erfassen, das die Planungsverwaltung besitzt und den Rechtsschutz verkürzen kann. Die Zweckfixierung i n Planungsgesetzen führt — i m Vergleich zu den klassischen Gesetzen — zu einer erheblich größeren Flexibilität des Handelns der planenden Verwaltung. I n weiten Bereichen handelt die planende Verwaltung wie m i t Rahmenermächtigungen und Richtlinien. Durch eigene aktive Gestaltung verwirklichen die m i t Planungsaufgaben betrauten staatlichen Organe die Ziele, Zwecke und Grundsätze der Planungsgesetze. Indem Planungsgesetze bloß die Richtung staatlichen Handelns bestimmen, ohne es voll zu determinieren 78 , ermöglichen 75 76 77

184 f.

K. König, Koordination und Regierungspolitik, in: DVB1. 1975, 226. Dieser Hinweis findet sich bereits bei Η. A. Simon, S. 6. I n diesem Sinne auch F. Ossenbiihl, Normative Anforderungen, S. Β

78 Den hier erörterten Gesetzestyp des Planungsgesetzes gliedert P. Häberle noch in Rahmengesetze und Steuerungsgesetze („Leistungsrecht", S.459 ff.): Steuerungsgesetze gelten „mit dauernder Präsenz eines Instrumentariums", „das nicht nur reaktiv auf eine konkrete Situation konzipiert ist", sondern auch die Bewältigung von Zukunftsproblemen bezweckt. Sie bieten elastische Maßnahmen, um sozialen Veränderungen gerecht werden zu können. Wenn Häberle als wichtige Steuerungsgesetze das Stabilitätsgesetz und auf Verfassungsebene Art. 104 a Abs. 4, 109 Abs. 3 und 4 G G nennt (S. 462), so wird deutlich, daß der hier beschriebene Typus eines Planungsgesetzes in der Terminologie Häberles einem Steuerungsgesetz entspricht. Weiterhin umfaßt das hier beschriebene Planungsgesetz auch Häberles Typus eines „Rahmengesetzes". „Zeitliche und sachliche Offenheit" sowie Gestaltungsfreiheit der zuständigen Organe bezeichnet Häberle als typische Kriterien von Rahmengesetzen (S.461; ders., Grundrechte, S. 50 f.). Als Beispiel derartiger Rahmengesetze führt er Art. 91a Abs. 2 GG an, wonach das „Rahmengesetz" allgemeine Grundsätze für die Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben bestimmen soll. Diese Beschränkung auf „allgemeine Grundsätze" dient zunächst der Funktionengliederung zwischen Bund und Ländern, — ein

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sie eine situationsangemessene Reaktion auf soziale und ökonomische Probleme. Der jeweiligen Situation entsprechend können aus der Vielzahl zweck- und zielverwirklichender Maßnahmen die jeweils erfolgversprechendsten ausgewählt werden. Von besonderer Bedeutung i n diesem Zusammenhang ist die Zukunftsoffenheit der Planungsgesetze. Planungsgesetze beanspruchen immer nur für überschaubare Zeiträume Geltung. Gemeint ist hier zunächst der Zeitraum, der bei Erlaß des Planungsgesetzes überblickbar war. Weiterhin ermöglicht die Zweckprogrammierung i n Planungsgesetzen, dem sozialen Wandel eine gewünschte Richtung zu verleihen und damit — wenn auch nur i n bescheidenem Ausmaß — den Lauf der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zu steuern. Diese Zukunftsoffenheit des Planungsgesetzes bedeutet, daß sich mit fortschreitender Zeit der Regelungshorizont des Planungsgesetzes hinausschiebt. „Über Planungsgesetze ist die Zukunft offen zu halten und zugleich die Gegenwart hereinzuholen 79 ." Folge ist, daß wie Planung überhaupt auch das Planungsgesetz auf permanente Fortschreibung angelegt ist, soll es nicht durch neue soziale oder ökonomische Lagen überholt werden. Nur so kann eine beschleunigte technische, ökonomische und soziale Entwicklung mit Hilfe des Gesetzes gesteuert werden 80 . Zweckfixierung und die m i t ihr verbundene Flexibilität und Zukunftsoffenheit sind auch die wesentlichen Kriterien, die das Planungsgesetz vom Plangesetz unterscheiden. Zu den Plangesetzen ist etwa der Haushaltsplan zu rechnen, aber auch der Bebauungsplan oder der wirtschaftliche Gesamtplan i n Zentralverwaltungswirtschaften. Diese Plangesetze sind zur Kategorie der Maßnahmegesetze zu zählen 81 . Ihnen fehlt jene Zukunftsoffenheit und jener dynamische Charakter, die das Planungsgesetz auszeichnen. Sie erschöpfen sich i m Vollzug, Aspekt, der in diesem Zusammenhang nicht zu verfolgen ist. Unter planungsrechtlichem Blickwinkel bezweckt die Aufstellung allgemeiner Grundsätze für die gemeinsame Rahmenplanung bei Gemeinschaftsaufgaben eine Erleichterung der Planungskoordination; so muß etwa bei der Planung wissenschaftlicher Hochschulen beachtet werden, daß ein ausreichendes und ausgeglichenes Angebot an Forschungs- und Ausbildungsplätzen gewährleistet wird, vor allem aber eine Bindung der Planung der Gemeinschaftsaufgaben an die allgemeine Wirtschaftspolitik und an die übergreifende Entwicklungsplanung. Es sind dies alles Gesichtspunkte, die ganz allgemein bei jedem Planungsgesetz eine Rolle spielen können. 79 P. Häberle, „Leistungsrecht", S. 459. 80 Nicht übersehen sei, daß selbst Planungsgesetze bisweilen nicht auf der Höhe der politischen Fragestellungen sind, wenn die staatsleitenden Instanzen nicht in der Lage sind, ein politisches Konzept zu entwickeln (ein anschauliches Beispiel bei H. Lecheler, Reform, ZRP 1977, 241). 81 Zweifelnd K. Huber, S.83ff., 92; nicht zugestimmt werden kann P. Häberle, S.459, wenn er den Bundeshaushaltsplan als „leistungsstaatlichen Fahrplan" bezeichnet und in die Reihe der Planungsgesetze einordnet.

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stellen aber keine Leitgesichtspunkte für zukünftiges Handeln auf. I h r Ziel ist es, Planungsgesetze zu erfüllen, und erledigen sich m i t der Herbeiführung bestimmter Zustände 82 . I n Plangesetzen findet also eine statische Festlegung statt; sie wollen nicht die soziale Entwicklung auf Dauer lenken. Offenheit und Flexibilität gesetzlicher Regelungen werden, wie es scheint, zu wesentlichen Merkmalen der Gesetzgebung i m „planungsintensiven" Industriestaat der Gegenwart. Dies hat J. H. Kaiser i n seiner Schrift über „Presseplanung" (1972) eindrucksvoll nachgewiesen. Der geschilderten modernen Form der Planungsgesetzgebung stellt er antithetisch die dem klassischen Gesetz und dem Maßnahmegesetz eigene „stationäre" Planung gegenüber. Wesentliches Merkmal stationärer Planung ist die Verteidigung des status quo; sie ist „orts- und situationsgebunden" und trägt nicht der Zeitdimension Rechnung 83 . Ein Pressegesetz als Ergebnis derartiger „Planungsaktivität" würde nicht die Bezeichnung eines Planungsgesetzes verdienen. Es würde die konservierende Kraft des Rechts i m Vordergrund stehen, während das Planungsgesetz der „Rolle des Rechts als Vehikel des Neuen" 8 4 Rechnung trägt. A m Beispiel des Pressewesens zeigt Kaiser exemplarisch, daß Medienplanung ohne Einbezug der zeitlichen Dimension wenig sinnvoll ist. Daher muß Presseplanung strategische Planung sein. Die Maßnahmen, die zur Realisierung der Ziele einer Presseplanung ergehen können, müssen flexibel sein und den Informations- und Meinungswert der durch die Medien vermittelten Information wie auch den technologischen Fortschritt i m Medienbereich berücksichtigen. W i l l ein Pressegesetz als Planungsgesetz Meinungsvielfalt gewährleisten, so muß schon heute die Ergänzung der Massenkommunikation durch neue Formen einer hoch individualisierten Kommunikation i n den Regelungshorizont einbezogen werden. Dieses Beispiel zeigt, daß der Typus des Planungsgesetzes i n Zukunft zwar nicht zur geläufigsten Gesetzesform werden wird, daß aber doch Vorschriften planungsgesetzlicher A r t die gesamte Rechtsordnung durchdringen werden. I n allen Bereichen werden Vorschriften planungsgesetzlichen Charakters erforderlich, da nicht eine stationäre, sondern eine sich entwickelnde Wirtschaft, nicht ein technologischer Endzustand, sondern eine sich entwickelnde Technik, nicht ein gesellschaftlicher status quo, sondern eine Fortentwicklung gesellschaftlicher Verhältnisse den Regelungs82 K. Redeker, Staatliche Planung, S. 538. — Ebenso argumentiert man bekanntlich bei der Abgrenzung zwischen Plan und Rechtsnorm: Der Plan bezweckt die Verwirklichung eines Tatbestandes, während die Norm gewöhnlicherweise an einen Tatbestand eine Rechtsfolge knüpft. 88 J. H. Kaiser, Presseplanung, S. 25. 84 J. H. Kaiser, S. 26.

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inhalt des Gesetzes i m „planungsintensiven" Industriestaat wesentlich prägen 85 . b) Funktionen

planungsrechtlicher

Vorschriften

M i t dem Instrument des Planungsgesetzes vermag der Gesetzgeber eine Reihe wichtiger Funktionen i m regelungsintensiven Industriestaat zu erfüllen. Die hohe Flexibilität planungsleitender Normen i n Planungsgesetzen leistet dem spezifischen Regelungsbedarf i m Industriestaat westlicher Prägung i n besonders vorteilhafter Weise Gegenüge. M i t Zweckfixierungen und Zielsetzungen i n Planungsgesetzen lenkt der Gesetzgeber die soziale und ökonomische Entwicklung i n geordnete Bahnen, ohne über alle Einzelheiten der Wirtschafts- und Sozialpolitik sofort abschließend und verbindlich befinden zu müssen. Hier geht es u m die Grundfunktion jeder Zielsetzung, nämlich Reduktion von Komplexität und Veränderlichkeit 8 8 . Wie bereits betont, können weder das klassische noch das Maßnahmegesetz i n einer für den regelungsintensiven Industriestaat angemessenen Weise Komplexität und Veränderlichkeit reduzieren. Die Zweckfixierungen und Zielsetzungen i n Planungsgesetzen ermöglichen es, aus der verwirrenden Vielfalt möglicher Zukunftsgestaltung Entscheidungen und Handlungen an einem erwünschten zukünftigen Zustand auszurichten. I n diesem Sinne intendieren die von Planungsgesetzen verfolgten Ziele und Zwecke einen erstrebten wirtschafts- oder sozialpolitischen Zustand 87 . Die planungsgesetzlichen Zielsetzungen besitzen bereits heute für die Lenkung und Eingrenzung zukünftiger politischer Entscheidungen auf allen staatlichen Ebenen erhebliche politische Bedeutung. A u f der Bund-Länder-Ebene besteht bereits ein relativ flächendeckendes Netz planungsgesetzlich vorgeschriebener Ziele, die die Richtung staatlicher A k t i v i t ä t bestimmen. Planungsgesetze sind hier, angefangen von der Landesentwicklung bis zur Bildungs- und Wirtschaftspolitik, die Grundlage für eine Vielzahl von Programmen und Maßnahmen, „ w e i l sie politische Eckwerte für einen großen Teil der Planungen des Bundes, der Länder und der Gemeinden sowohl vom Inhalt als auch von der Organisation der Zusammenarbeit her enthalten" 8 8 . 85 Vgl. hierzu W. Eucken f Die Grundlagen der Nationalökonomie, 7. Aufl. (1959), S. 148 f.; H. Arndt, in: Die Konzentration in der Wirtschaft, Bd. 1, 2. Aufl. (1971), S. 100; N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 346 ff., 350 ff.; J. H. Kaiser, S. 27 ff. 89 N. Luhmann, Zweckbegriff, S. 123. 87 U. Brösse, Ziele, S. 38; vgl. weiter A. Nagel, Politische Entscheidungslehre, S. 220 ff. 88 A. Theis, Reorganisation der politischen Planung, S. 171.

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Die Zielsetzungen i n Planungsgesetzen reduzieren die Möglichkeiten der staatsleitenden Instanzen 89 und der dezentralen staatlichen Entscheidungsträger zu kurzfristigen politischen Kursänderungen, indem sie staatlichen Äußerungen Grenzen setzen und vor allem die Richtung weisen. Gleichzeitig reduzieren Planungsgesetze auch Komplexität für den Einzelnen: Er kann den Zielsetzungen i n den Planungsgesetzen die große Linie der künftigen Wirtschafts- und Sozialpolitik entnehmen und hiernach seine Dispositionen treffen 90 . Nach einer solchen normativ abgesicherten Publizität der Richtung staatlicher Politik besteht i n einer Zeit ein großes Bedürfnis, i n der der Einzelne i n verstärktem Maße von staatlichen Entscheidungen abhängig wird. Neben diese Aufgabe, Komplexität zu reduzieren, t r i t t die Funktion der Zielbestimmungen i n Planungsgesetzen, die einzelnen Planungen der öffentlichen Verwaltung durch Vorgabe von Richtpunkten an einer übergreifenden politischen Konzeption auszurichten. Diese Ausrichtung der Verwaltungsplanung führt zu einer gewissen Egalisierung der regionalen Lebensbedingungen, woran i m modernen Industriestaat ein erhebliches Interesse besteht. Eng verknüpft m i t dieser egalisierenden Funktion der Planungsgesetze ist die Richtungsbestimmung des Planungsermessens der planenden Verwaltung. M i t Hilfe der Planungsgesetze vermag das Parlament seine politischen Konzeptionen selbst einzelnen Planungen auf gemeindlicher Ebene aufzuprägen. Denn auch noch i n den A k t e n der Planrealisierung muß der mit der Planung verfolgte Zweck offenkundig sein. Trotz ihres generalklauselartigen Charakters können die den Planungsgesetzen vorangestellten Zielbestimmungen die Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume der planenden Verwaltung lenken. Die Entscheidungsträger i n der Verwaltung müssen aus den gesetzlichen Ziel- und Zweckbestimmungen die entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte und Argumente bei Abwägungen innerhalb des ihnen offen stehenden Entscheidungsrahmens entnehmen; innerhalb dieses Entscheidungsrahmens können sie die Einzelentscheidungen unter Berücksichtigung der gesetzlichen Zielsetzungen m i t ihrer fachlich geschulten Urteilskraft selbständig treffen 91 . 89 Denn durch Planimgsgesetze kann in beträchtlichem Umfang eine Selbstbindung des Gesetzgebers eintreten. Auf diese Frage wird im 6. Kapitel unter I., 3. zurückzukommen sein. 90 V. Götz, Regionalplanung, S. 983. 91 U. Brosse, S.42; ders., Raumordnungspolitik (1975), S. 30; H.-P. Bank, Rationale Sozialpolitik (1975), S. 104 f.; H. Höger, Die Bedeutung von Zweckbestimmungen in der Gesetzgebung der BRD (1976), S. 63 ff.; G. Klein, Rechtsnatur, S. 161 ff. (mit zahlreichen Beispielen aus der Rechtsprechung); R. Wahl, Rechtsfragen, S. 209.

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Diese ermessenslenkende Funktion der Zielbestimmungen i n Planungsgesetzen bedeutet nicht, daß sich aus ihren obersten Zielsetzungen die nachfolgenden konkreteren Ziele und letztlich die Maßnahmen zu ihrer Verwirklichung „ableiten" lassen 92 . Gleichwohl kann angegeben werden, welches Unterziel, welche Maßnahme und welcher Plan der Realisierung einzelner Ziele i m Planungsgesetz dient. Allerdings w i r d diese planungsermessenslenkende Funktion von Zielbestimmungen i n Planungsgesetzen gelegentlich für bedeutungslos gehalten, da die zielbezogenen Aussagen i n Planungsgesetzen ohne rechtliche Verbindlichkeit bleiben würden. Da die Ziele i n Planungsgesetzen flexible Planungen und Maßnahmen zulassen, seien zielbezogene Aussagen i n Planungsgesetzen Leerformeln oder bloß „rechtlich bedeutungslose Sprachlyrik" 9 3 . Nun sind zwar die Ziele und Zwecke i n Planungsgesetzen vage formuliert, aber doch nicht so allgemein gefaßt, daß „sie praktisch keine Möglichkeit ausschließen" und „nicht dem Falsifizierbarkeitskriterium" genügen. Aus den zielbezogenen Aussagen i n Planungsgesetzen ergibt sich zwar nicht, welche Maßnahmen zur Realisierung eines konkreten Planungsvorhabens zu treffen sind. Es fehlt an einer genauen Beschreibung des angestrebten Zustandes 94 . Gleichwohl genügen die i n Planungsgesetzen genannten Zielvorstellungen den Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit von Rechtssätzen. Sie besitzen i n der Regel den Konkretisierungsspielraum unbestimmter Rechtsbegriffe, die den Abwägungsprozeß bei planungsrealisierenden Entscheidungen strukturieren und hierbei der planenden Verwaltung einen Spielraum vertretbarer Entscheidungen eröffnen 95 . Damit besitzen sie auch genügend Substanz, u m das Entscheidungsverhalten der Planungsverwaltung zu lenken. Als Beispiel seien die raumordnerischen Leitbestimmungen i n §§ 1, 2 BRaumOG erwähnt. Nach § 1 BRaumOG hat die Raumordnung u. a. der freien Entfaltung der Persönlichkeit i n der Gemeinschaft zu dienen (Abs. 1), das Ziel der Wiedervereinigung des gesamten Deutschland zu berücksichtigen (Abs. 2) und die räumliche Voraussetzung für die Zusammenarbeit i m europäischen Raum zu 92 R. GTauhan, Zur Struktur der planenden Verwaltung, in: L. Lauritzen (Hg.), Demokratie, S. 37 ff., 42 ff.; H. Höger, S. 84 f.; L. Fröhler und P. Oberndorfer, österreichisches Raumordnungsrecht, S. 31 ff. 93 So etwa U. Brösse, Ziele, S.40; D. Molter, Raumordnung, S. 119 ff.; H. Rupp, Konzertierte Aktion und freiheitlich-rechtsstaatliche Demokratie, in: E. Hoppmann (Hg.), Konzertierte Aktion (1971), S. 1 ff., 4; J. J. Hesse, Stadtentwicklungsplanung, S. 72 ff. 94 Zu dem organisationstheoretischen Aspekt von Zielsetzungen vgl. R. Mayntz, Zielstrukturen, S. 91 ff. 95 So G. Klein, S. 130, 174 ff.; W. Ernst, in: ders. und W. Hoppe, Bau- und Bodenrecht, S. 18, 27 ff. (zum Abwägungsgebot des §2 Abs. 2 BRaumOG); Cholewa und von der Heide, Kommentar zum Raumordnungsrecht (Stand 1970), Vor §§ 2, 3 Anm. I I 3 c, bb, cc; R. Breuer, Raumgestaltende Planung, S. 184 ff.; 17. Battis, Partizipation, S. 87 ff.; R. Wahl, Rechtsfragen, S. 209 ff.

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schaffen (Abs. 3). Die i n § 2 RaumOG folgenden Grundsätze der Raumordnung konkretisieren diesen Zielkatalog beträchtlich, wenn etwa die Entwicklung gesunder Lebens- und Arbeitsbedingungen oder die bevorzugte Stärkung der Leistungskraft des Zonenrandgebietes gefordert w i r d 9 6 . Eine weitere Funktion derartiger umfassender und i m Grundsätzlichen verbleibender Zielkataloge liegt darin, durch eine allgemeine Formulierung den vielfältigen Anforderungen, die aus dem öffentlichen und privaten Bereich an Planungen herangetragen werden, Raum zu geben. Das BRaumOG etwa berücksichtigt potentiell alle individuellen Wünsche der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände wie auch der Wirtschaft, Interessentengruppen und einzelner Bürger. Ähnlich werden auch i n anderen Planungsgesetzen von der übergeordneten Gemeinschaft Rahmen sozialer und ökonomischer Ordnungen geschaffen, die von den nachgeordneten Gemeinschaften näher gestaltet werden können. Planungsgesetze ermöglichen, daß auch die dezentralisierten politischen Einheiten sowie Interessentengruppen auf lokaler und regionaler Basis Träger der Entwicklung werden können 97 . M i t ihren abstrakt gefaßten Zielsetzungen stehen Planungsgesetze einesteils oberhalb des Interessenwiderstreites und lenken andernteils den Widerstreit der Interessentengruppen auf lokaler und regionaler Basis i n eine bestimmte Richtung. Die Zielsetzungen i n Planungsgesetzen haben damit auch eine Legitimationsfunktion. Es w i r d deutlich gemacht, welche verschiedenen Interessengesichtspunkte unverrückbar von der Zentralinstanz festgelegt sind und welche Interessentenwünsche gegeneinander abgewogen werden können, bevor eine Planung realisiert w i r d 9 8 . 98

Weiteres typisches Beispiel: § 1 Abs. 4 StBauFG: „Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen dienen dem Wohl der Allgemeinheit. Sie sollen dazu beitragen, daß 1. die bauliche Struktur in allen Teilen des Bundesgebietes nach den sozialen, hygienischen, wirtschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entwickelt wird, 2. die Verbesserung der Wirtschafts- und Agrarstruktur unterstützt wird oder 3. . . . " 97 K. Wittkau, Rahmenplanung des Städtebaus (1971), S. 34 f.; G. Petersen, Regionale Planungsgemeinschaften als Instrument der Raumordnungspolitik in Baden-Württemberg (1972), S. 118 ff. 98 Die Legitimationsfunktion von Zielkatalogen darf allerdings nicht überschätzt werden. M i t Recht warnt R. Mayntz (S. 96): „Globale Zielformeln können wegen ihrer verschiedenen Interpretierbarkeit Meinungsunterschiede überdecken und so leichter zu einer Einigung führen. Bei der ausdrücklichen Festlegung auf eine unter verschiedenen operativen Formulierungen werden latente Meinungsverschiedenheiten zu offenen Konflikten" (ähnlich auch M. Daub, Bebauungsplanung, 3. Aufl. [1973], S. 62 ff., 162 ff.; J. J. Hesse, Stadtentwicklungsplanung, S. 25 ff.). Zielformulierungen in Planungsgesetzen die-

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ereich des Parlaments

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Diese Legitimationsfunktion planungsrechtlicher Zielsetzungen kann i n eine Solidarisierung mit den von der Planung verfolgten Zielen münden. Der Einzelne kann i n „Zielsystemen ein neues und ausstrahlungsfähiges Selbstverständnis finden" 99. Weiterhin können bestimmte Ziel- und Zweckbestimmungen „Gruppen" zu besonderen Anstrengungen zur Zielerreichung anspornen. Wenn die Zielvorstellungen i m Planungsgesetz ausreichend abstrakt sind, kann sogar die Vorstellung erzeugt werden, man kämpfe für ein Ideal. Eine derartige Solidarisierung der Bevölkerung m i t den Zielen i n Planungsgesetzen kann i m politischen Leben von großer Bedeutung sein. Wenn sich die öffentliche Meinung mit Zielen i n Planungsgesetzen solidarisiert, können belastende Maßnahmen bei der Planungsrealisierung, die andernfalls auf heftigen Widerstand stoßen würden, leichter durchgesetzt werden. Weiterhin haben die Planungsgesetze die wichtige Funktion der Entscheidungsoptimierung. Die finale Programmierung ermöglicht es, den Sachverstand und die Informationen der nachgeordneten und dezentralen Planungsbehörden, d.h. aller Verwaltungsebenen direkt i n das Planungsverfahren einzubeziehen. Entscheidungsoptimierung durch Planungsgesetze bedeutet weiterhin, daß bei der stufenweisen Verwirklichung politischer Planung auch die Kreativität der jeweiligen Planungsträger i n das Planungsverfahren eingehen kann. Denn bei der stufenweisen Verwirklichung politischer Planung geht es jeweils u m die sachgerechteste, effizienteste und politisch zwingendste Lösung. Bei Planungsgesetzen ist der dem Gesetz eigene Anspruch auf Befolgung von der immer wieder aufgegebenen Suche nach evident besseren Maßnahmen der Planzielverwirklichung verdrängt. Planungsgesetze haben kein „Entscheidungsdefinitivum" (J. H. Kaiser) wie das klassische Gesetz oder das Maßnahmegesetz zum Inhalt, sondern sind mit ihren generell formulierten Zielbestimmungen und Regelungen des Planungsverfahrens Bestandteil eines Entscheidungsprozesses m i t Rückkoppelungsmechanismen. Bei Auslegungsschwierigkeiten sind die Bestimmungen der Planungsgesetze unter dem Leitgesichtspunkt einer möglichst effizienten Planzielverwirklichung, — wobei auch umfas-

nen daher oftmals lediglich der Konfliktvertagimg (vgl. hierzu F. W. Scharpf u. a., Politikverflechtung, S. 64 f., 228 f.). A. Nagel (S. 139) wendet gegen eine „Konfliktvertagungsfunktion" von Zielsetzungen in Planimgsgesetzen ein, die Heftigkeit politischer Auseinandersetzungen werde zunehmen, wenn mit den Zielen das eigentlich politisch Substantielle zur Sprache komme. Dem widerspricht die Erfahrung, daß in der Regel über die grundlegenden politischen Ziele Einigkeit besteht, während die A r t und Weise der Realisierung politischer Ziele den entscheidenden Zündstoff liefert. 99 A. Nagel, S. 134 f.; J. Bidlingmaier, Zielkonflikte und Zielkompromisse im unternehmerischen Entscheidungsprozeß (1968), S. 31; H.-17. Derlien, Erfolgskontrolle, S.111. 1 Würtenberger

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4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

sende P l a n u n g e n w i e e t w a a u f d e r Ebene der E u r o p ä i s c h e n G e m e i n schaft eine R o l l e s p i e l e n k ö n n e n , — z u i n t e r p r e t i e r e n 1 0 0 . L e t z t l i c h b e s i t z e n auch die g e n e r a l k l a u s e l a r t i g e n Z i e l f o r m u l i e r u n g e n i n Planungsgesetzen die w i c h t i g e F u n k t i o n e x t e r n e r 1 0 1 K o o r d i n i e r u n g P u b l i z i t ä t u n d die V e r b i n d l i c h k e i t d e r Z i e l s e t z u n g e n i n Planungsgesetzen z w i n g e n a l l e p l a n e n d e n B e h ö r d e n a u f B u n d e s - , L a n d e s - u n d l o k a l e r Ebene, i h r e P l a n u n g s k o n z e p t i o n e n sachlich, z e i t l i c h u n d r ä u m l i c h m i t d e n Planungsgesetzen a b z u s t i m m e n . N e b e n dieser v e r t i k a l e n K o o r d i n a t i o n e r m ö g l i c h e n Planungsgesetze auch eine h o r i z o n t a l e K o o r d i n a t i o n . D i e i n Fachplanungsgesetzen f o r m u l i e r t e n Z i e l s e t z u n g e n lassen sich a n e i n a n d e r r ü c k k o p p e l n , w e n n g e k l ä r t w e r d e n soll, w e l c h e v o r g e schlagenen P r o j e k t e u n d M a ß n a h m e n p o s i t i v e o d e r n e g a t i v e N e b e n w i r k u n g e n a u f andere F a c h p l a n u n g e n h a b e n 1 0 2 . I n B e z u g a u f e i n E i n z e l z i e l k ö n n e n P r o j e k t e u n d M a ß n a h m e n d e r Z i e l r e a l i s i e r u n g dienen, i m R a h m e n d e r gesamten P o l i t i k aber z u u n e r w ü n s c h t e n E f f e k t e n f ü h r e n . D i e B e r ü c k s i c h t i g u n g d e r f ü r andere F a c h p l a n u n g e n gesetzlich f i x i e r t e n Z i e l e u n d Z w e c k e l e n k t die D i s k u s s i o n u m die V e r w i r k lichung k o n k r e t e r Einzelziele i n bestimmte B a h n e n u n d ermöglicht, das j e w e i l i g e E i n z e l z i e l i n seiner B e d e u t u n g f ü r die gesamte P o l i t i k z u erfassen 1 0 3 .

100 Aus der instrumentalen Funktion der Planungsgesetze folgert J. H. Kaiser (Entwicklungsplanung, S. I 12 ff.), sie seien ein „aliud" gegenüber den Gesetzen im eigentlichen Sinne. Selbst wenn Planungen in Form eines Gesetzes beschlossen seien, sei doch das zweigliedrige Schema von Norm und Verwaltungsakt für Planungsgesetze unangemessen. Gerade im Hinblick auf die Probleme des Rechtsschutzes, die die Planungsgesetze stellen, ist die „aliud"-Lehre für diesen Gesetzestyp nicht ohne weiteres abzulehnen. I m Ergebnis bringt es aber keinen Gewinn, das Planungsgesetz zu einer dritten Handlungsform der öffentlichen Gewalt hochzustilisieren. Es bleibt nämlich die Aufgabe, ein Planungsgesetz, auch wenn es kein Gesetz im herkömmlichen Sinn ist, in die Systematik öffentlich-rechtlicher Handlungsformen einzugliedern und die Konsequenzen in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratiegebot zu ziehen (ebenso M. Schröder, Diskussionsbeitrag, in: Verhandlungen, S. I 79 f.). 101 Von interner Koordination spricht man, wenn Planungen von oben „zwangs"-koordiniert werden können. Bei externer Koordination von Planungen geht es um eine Abstimmung, Integration und Kooperation zwischen verschiedenen Trägern der Planung (vgl. R. Krüger, Koordination, S.21, 51 ff.). 102 D. Aderhold, Kybernetische Regierungstechnik, S. 154 f.; A. Nagel, S. 137 ff.; R. Wahl, Rechtsfragen, S. 65 ff. m. w. Nw. 103 Nach Ansicht U. Brösses (S. 41) sollen planungsrechtliche Zielsetzungen auch der Koordinierung privater Interessen dienen können. Welcher Art diese Koordinierung sein kann, zeigt R. Krüger (S.43): Koordination der planungsgesetzlich festgelegten Ziele und Prioritäten kann ungerechtfertigte Interessentenwünsche abwehren helfen. Wird nach einem einheitlichen und normativ verbindlichen Konzept verfahren, so wird die Gewährung ungerechtfertigter Sondervorteile vermieden.

V. Planungsfunktionen i m Bereich des

rats

211

V . Planungsfunktionen i m Bereich des Bundesrates

I m Prozeß politischer Willensbildung ist der Bundesrat jenes Verfassungsorgan, i n dem die bundesstaatliche Ordnung zur Wirksamkeit zu gelangen vermag. Über den Bundesrat vermögen die Länder auf die Bundespolitik Einfluß zu gewinnen. Die Aufgaben des Bundesrates liegen daher auch „weniger i n selbständiger Bestimmung und Leitung als i n kontrollierender und korrigierender M i t w i r k u n g und Einflußnahme" 1 . A n politischer Planung von Parlament und Regierung w i r k e n die Länder durch den Bundesrat mit, wenn diese Planungen die Form des Gesetzes erhalten (Art. 50 GG) 2 . Je nach Sachgebiet sind Parlament und Regierung auf eine mehr oder weniger weitgehende Kooperation mit dem Bundesrat angewiesen, je nach dem, ob es sich u m Zustimmungs- oder u m Einspruchsgesetze handelt. I n den letzten Jahren hat der Bundesrat ein nicht unerhebliches Gewicht bei der Entwicklung von politischen Programmen und Planungen auf Bundesebene gewonnen. Die Kriterien für die Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen sind so ausgedehnt 3 , daß die Mehrzahl der innenpolitisch wichtigen Gesetzesbeschlüsse und damit auch der Planungsgesetze nur m i t der Zustimmung einer Mehrheit i m Bundesrate zustande kommen können. Auch beim Vollzug von Planungsgesetzen hat sich der Bundesrat mancherlei Mitspracherechte vorbehalten. So hat der Bundesrat den Rechtsverordnungen zuzustimmen, die die Bundesregierung ζ. B. nach § 91 StBauFG 4 erläßt, und benennt der Bundesrat ζ. B. auf Vorschlag der kommunalen Spitzenverbände die Vertreter der Gemeinden und Gemeindeverbände i n den Deutschen Rat für Stadtentwicklung (§ 89 Abs. 1 Nr. 3 StBauFG) 5 . Gelegentlich kommt dem Bundesrat sogar eine A r t Schlichtungsfunktion zu, 1 K. Hesse, Grundzüge, § 16 I; G. Leibholz und D. Hesselberger, Die Stellung des Bundesrates und das demokratische Parteiensystem in der Bundesrepublik Deutschland, in: Der Bundesrat (Hg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft (1974), S. 99 ff., 103 ff. 2 Ergehen Planungen in Form eines schlichten Parlamentsbeschlusses, so ist der Bundesrat nicht am Planungsverfahren beteiligt. 3 Vor allem da die Bundesgesetze, die die Länder als eigene Angelegenheit ausführen, meist die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren regeln, so daß die Zustimmung des Bundesrates erforderlich wird (Art. 84 Abs. 1 GG), und da einem Gesetz, das in Teilen zustimmungsbedürftig ist, dann auch im ganzen Inhalt vom Bundesrat zuzustimmen ist (BVerfGE 8, 274 ff., 294 f.; 37, 363 ff.; F. Ossenbühl, Die Zustimmung des Bundesrates beim Erlaß von Bundesrecht, in: AöR Bd. 99 [1974], S. 369 ff.; Th. Elliuein, Regierungssystem, S. 288). 4 Auch in anderen Planungsgesetzen bedürfen die Rechtsverordnungen der Bundesregierung meist der Zustimmung des Bundesrates: §§ 19, 20 StabG. 5 Ähnliche Vorschlagsrechte finden sich in § 18 Abs. 1 S. 3 StabG.

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212

4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

wenn i n Planungsräten keine Einigkeit erzielt werden konnte 6 . Hier hat es der Bundesrat aufgrund der wachsenden politischen Bedeutung seines Zustimmungsrechts i m Gesetzgebungsverfahren verstanden, sich auch eine Mitsprache i n wichtigen Fragen des Vollzugs von Planungsgesetzen zu sichern 7 . I n den Verfahren politischer Planung auf Bundesebene kann der Bundesrat verschiedene Gesichtspunkte sachlicher Gestaltung zur Geltung bringen 8 . 1. Die Durchsetzung der Länderinteressen

Der verfassungsrechtlichen Stellung des Bundesrates als Länderkammer entspricht es, daß hier die institutionellen und finanziellen Eigeninteressen der Länder und das übergeordnete Interesse an der Wahrung der bundesstaatlichen Ordnung insgesamt i n die Planungsgesetze des Bundes eingebracht werden. Diese Eigeninteressen der Länder können über die Parteigrenzen hinweggehen, so daß das Abstimmungsverhalten i m Bundesrat nicht von der jeweiligen parteipolitischen Ausrichtung der Landesregierung abhängen muß. 2. Die Kontrolle der technisch-administrativen Zweckmäßigkeit politischer Planung

Seit Beginn hat sich der Bundesrat „als Kontrolleur der technischadministrativen Qualität von Bundesgesetzen verstanden" 9 . Über den Bundesrat vermochten die Landesbürokratien einen beachtlichen Einfluß auf politische Entscheidungen zu gewinnen. I n den Ausschüssen des Bundesrates lassen sich die Länder i n der Regel weder durch ein Kabinettsmitglied, noch durch Staatssekretäre, sondern von Beamten unter dem Rang eines Staatssekretärs vertreten 1 0 . Es scheint, daß der Bundesrat nicht allein ein Forum politischer 6 Nach § 22 Abs. 2 StabG kann der Bundesminister der Finanzen den Zeitplan für Kreditaufnahme nur mit Zustimmung des Bundesrates für verbindlich erklären, wenn im Konjunkturrat keine Ubereinstimmung erzielt werden konnte. 7 R. Herzog, Der Einfluß des Bundesrates auf die Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes seit 1969, in: Der Bundesrat (Hg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan, S. 235 ff., 240 f. 8 Nicht allein in den Beschlüssen über die Bundesgesetze machte der Bundesrat seinen Einfluß geltend. Materiell werden oft bereits die Weichen in den in §31 GOBReg vorgesehenen Besprechungen der Regierungschefs von Bund und Ländern gestellt (vgl. Fröchling, Der Bundesrat in der Koordinierungspraxis von Bund und Ländern [1972], S. 34 ff.). 9 F. W. Scharpf, Politische Durchsetzbarkeit, S. 59. 10 Dies gilt nicht für die Bundesratsausschüsse für Verteidigung und auswärtige Angelegenheiten. Wegen der Einzelheiten wird auf K. Neunreither (Der Bundesrat zwischen Politik und Verwaltung [1959], S. 30 ff.) verwiesen.

V. Planungsfunktionen i m Bereich des

rats

213

Opposition sein kann, sondern auch das bürokratische Element i m Bundesrat besonders starken Einfluß zu gewinnen vermag. Die Stellungnahme des Bundesrates zu Gesetzentwürfen werden von den jeweils zuständigen Referenten i n den Landesbürokratien erarbeitet. I n hohem Maß liegt damit die Entscheidungsvorbereitung i m Bundesrat i n Händen von Beamten. Als Fachleute bringen sie i n die Voten des Bundesrates ihren Sachverstand ein, können zusätzliche Begründungen erzwingen und Verbesserungsvorschläge zur Debatte stellen 1 1 . Hier findet die Regierungsbürokratie des Bundes i n den i m Bundesrat repräsentierten Landesbürokratien einen sachkundigen Widersacher. Soweit es sich nicht u m Stellungnahmen zu politisch brisanten Fragen handelt, werden die Voten der Landesbürokratien von den Landesregierungen unbesehen i m Bundesrat übernommen. Auch vom Parlament w i r d der Sachverstand der Landesbürokratien respektiert. Bei nicht zustimmungsbedürftigen Gesetzen zeigt sich eine Tendenz, bei Beratungen i m Bundestag solche Teile der Stellungnahme des Bundesrates zu berücksichtigen, die sachlich begründete.Einzeländerungen enthalten, während allgemeine Richtlinien oder Grundsatzformulierungen eher der Ablehnung verfallen 1 2 . Die Gründe hierfür liegen i n der Achtung, die das Parlament der Erfahrung des i m Bundesrat vertretenen Sachverstandes entgegenbringt. 3. Die Durchsetzung oppositioneller Politik

Wenn die Mehrheit der i m Bundesrat vertretenen Länder nicht von gleicher politischer Couleur ist wie die Bundestagsmehrheit und die Bundesregierung, so kann der Bundesrat seine Mitwirkungsbefugnisse an der Bundesgesetzgebung zu einer parteipolitischen Frontstellung gegen die Politik auf Bundesebene ausspielen. I m Bundesrat kann sich dann jene „Opposition" 1 3 gegen die Regierungspolitik entfalten, die die Opposition i m Bundestag infolge ihrer schwachen Stellung nicht durchzusetzen vermag. Ein solches parteipolitisches, nicht von den Interessen der Länder her unmittelbar gebotenes Engagement des Bundesrates hat verschiedentlich Unbehagen hervorgerufen 14 . Man befürchtet vom Bundesrat eine 11

Th. Ellwein, Der Entscheidungsprozeß im Bundesrat, in: Der Bundesrat (Hg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan, S. 213 ff., 229 ff. 12 K. Neunreither, S. 60. 13 Gegen die Rede von einer „Länder-Opposition" wendet sich F. Schäfer (Bundesstaatliche Ordnung als politisches Prinzip, in: ders. [Hg.], Schwerpunkte, S. 1 ff., 5, 15), der die erfolgreiche Kooperation zwischen Bund und Ländern in den Vordergrund stellt. 14 Vgl. 370. Sitzung des Bundesrates am 23. 7.1971, Vhdl. des Bundesrates 1971, S. 228 D; H. Laufer, Der Bundesrat als Instrument der Opposition?, in: ZParl 1. Jahrg. (1970), 318 ff., 325 f.; H. H. Klein, Parteipolitik im Bundesrat?,

214

4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der Verfassung

Verfälschung jener Politik auf Bundesebene, die von den demokratisch legitimierten Verfassungsorganen Bundestag und Bundesregierung beschlossen wird. Demgegenüber bleibt aber m i t Nachdruck zu betonen, daß es de constitutione lata — und der Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform schlägt hier keine Korrekturen vor — den Landesregierungen nicht verwehrt werden kann, parteipolitische Erwägungen bei den Beratungen und Abstimmungen i m Bundesrat zum Ausdruck zu bringen. Der Bundesrat ist nämlich bei Zustimmungsgesetzen und verfassungsändernden Gesetzen neben dem Bundestag ein zweites gleichberechtigtes Gesetzgebungsorgan. A l l e i n nach den parlamentarischen Spielregeln und Abstimmungsvorschriften, nicht nach der Motivation der Landesregierungen, richtet sich, wie die ablehnende Mehrheit zustande kommt 1 5 . Die Befugnis der Landesregierungen zu parteipolitischem Engagement i m Bundesrat läßt sich auch ohne Bruch i n die parlamentarischdemokratische Ordnung des Grundgesetzes einfügen. Zum einen w i r d hier der Erkennttiis Rechnung getragen, daß der Föderalismus i m regelungsintensiven Industriestaat nicht ohne ein gewisses Maß an Unitarismus bestehen kann 1 6 . Eine Vielzahl der zustimmungsbedürftigen Bundesgesetze berührt auch die landespolitischen Zielsetzungen, so daß oftmals zwischen Landesinteresse und parteipolitischem Engagement der Landesregierungen i m Bundesrat nicht unterschieden werden kann. Es gibt kaum ein Gesetz, und dies gilt für Planungsgesetze i n besonderem Maß, das nicht i n den Ländern strukturpolitische Relevanz erlangen könnte 1 7 . Zum anderen ist auch eine parteipolitische Opposition der Landesregierungen i m Bundesrat an den Wählerwillen rückgekoppelt. Neben seiner föderativen besitzt der Bundesrat eben auch eine demokratische Legitimation. Dies zeigt sich nicht allein daran, daß auch die Landtagswahlen i n zunehmendem Maß in: DÖV 1971, 325 ff.; Feuchte, Die bundesstaatliche Zusammenarbeit in der Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik, in: AöR Bd. 98 (1973), S. 473 ff., 516 ff.; G. Jahn, Fehlentwicklungen im Verhältnis von Bundesrat und Bundestag? Tendenzen zum „Parteienbundesstaat" seit 1969, in: ZParl 7. Jahrg. (1976), S. 291 ff.; G. Lehmbruch, Parteienwettbewerb, S. 136 ff.; F. K. Fromme, Gesetzgebung im Widerstreit. Wer beherrscht den Bundesrat? (Reihe „Bonn aktuell", Bd. 38) (1976); W. Knies, Der Bundesrat: Zusammensetzung und Aufgaben, DÖV 1977, 575 ff. 15 Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, BT-Drs. 7/ 5924, S. 95 ff.; G. Leibholz und D. Hesselberger, S. I l l ; J. A. Frowein, Bemerkungen zu den Beziehungen des Bundesrates zu Bundestag, Bundesregierung und Bundespräsident, ebd., S. 115 ff., 120. 18 Vgl. K. Hesse, Aspekte des kooperativen Föderalismus, in: Festschr. f. G. Müller (1970), S. 115 f. 17 R. Herzog, Konsequenzen aus den unterschiedlichen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat für die Interessenwahrnehmung der Länder, in: ZParl Jahrg. 7 (1976), S. 298 ff., 300 f. mit Beispielen.

V. Planungsfunktionen i m Bereich des

rats

215

von bundespolitischen Fragen beherrscht werden 1 8 . Auch bei Formulierung ihres politischen Standpunktes i m Bundesrat werden die zur Bundespolitik oppositionellen Landesregierungen darauf achten, „bundesweit m i t ihren Wählern i n Kontakt und so für die Aktivbürgerschaft attraktiv zu bleiben" 1 9 . Daher kann man das parteienstaatliche Prinzip auf der Ebene der Länder nicht dort enden lassen, wo das föderalistische Prinzip beginnt. Gleichwohl läßt sich überlegen, ob es nicht — entsprechend dem freilich abgelehnten Rahmen-Mandat des Abgeordneten 20 — eine A r t Rahmen-Mandat des Bundesrates geben sollte. Es spricht viel dafür, den Bundesrat bei seinen Beschlüssen an jene politischen Richtentscheidungen zu binden, die bei den Bundestagswahlen die Mehrheit der Wähler gefunden haben. Wenn etwa Planungsziele i n Wahlplattformen hinreichend konkret formuliert sind und die Mehrheit sich für diese Planungsziele entschieden hat, dann haben sie eine so hohe demokratische Legitimität erlangt, daß sie auch vom Bundesrat bei etwaigen Gesetzesbeschlüssen hingenommen werden sollten. Dies u m so mehr, da die Landesregierungen i n der Regel nicht ihr Abstimmungsverhalten i m Bundesrat vorheriger Beschlußfassung durch die Landtage unterwerfen und auch für ihre Abstimmungen i m Bundesrat von den Landtagen nicht zur Verantwortung gezogen werden 21 . Ebenso wie beim Rahmen-Mandat des Abgeordneten kann es sich bei einer solchen politischen Beschränkung des Bundesrates nur u m eine Selbstbeschränkung, d.h. u m eine Frage des politischen Stils handeln. Auch hier gilt, daß Politik flexibel gehalten werden muß und sicher nicht aus der Entscheidung des Wählers am Wahltag eine allein gültige Richtschnur für das politische Handeln während der Legislaturperiode entnommen werden kann. Außerdem werden i n der Regel die politischen Ziele i n den Wahlplattformen nicht so konkret formuliert sein, daß eine rechtlich sanktionsfähige Bindung begründet werden könnte. Abschließend bleibt zu bemerken, daß das parteipolitische Engagement des Bundesrates nicht überschätzt werden sollte. Zwischen den Regierungen gleicher politischer Couleur gibt es i m Bundesrat keinen 18

F. Schäfer, S. 5; W. Knies, S. 578 m. w. Nw. G. Leibholz und D. Hesselberger, S. 110. 20 Vgl. oben unter I., 2. 21 G. Kisker, Die Beziehungen des Bundesrates zu den Ländern, in: Der Bundesrat (Hg.), Der Bundesrat als Verfassungsorgan, S. 151 ff., 159 ff.; aus dem Grundgesetz läßt sich sicherlich kein generelles Verbot einer Steuerung des Abstimmungsverhaltens der Landesregierungen im Bundesrat durch die Landtage herleiten (G. Kisker, S. 161 ff. m. w. Nw.). 19

216

4. Kap. : Verteilung der Planungsfunktionen i m Schema der V e r f a s s g

Koordinationsmechanismus, der eine A r t Fraktionsdisziplin herbeiführen könnte. Insbesondere sind die Ministerpräsidenten der einzelnen Länder zu selbständig, als daß sie Weisungen aus der zentralen Parteibürokratie Folge leisten müßten 2 2 . Dem entspricht der Befund, daß die CDU/CSU-Opposition i m Bundesrat seit 1969 ihre Mehrheit immer nur behutsam, kaum je v o l l wirksam eingesetzt habe 23 .

22 28

F. Schäfer, S. 21.

H. Lauf er, Der Bundesrat (1972), S.28; F. Schäfer, S.5 (Betonung der Kooperation zwischen Bund und Ländern); R. Herzog, Konsequenzen aus den unterschiedlichen Mehrheiten, S. 302 ff.; kritisch Th. Ellwein, Regierungs-

system, S. 293; G. Jahn, S. 293 ff.

Fünftes

Kapitel

Insbesondere die verfassungsmäßige Verteilung der Planungsfunktionen zwischen Parlament und Regierung] Nachdem ganz allgemein die Verteilung der Funktionen politischer Planung i m Schema der Verfassung beschrieben wurde, geht es nunmehr u m die Verteilung der Planungsfunktionen auf die staatsleitenden Instanzen Parlament und Regierung. Das grundsätzliche Verteilungsschema der Planungsfunktionen ist bereits deutlich geworden: Die politischen Planungen werden i m Bereich der Regierung und der Ministerialbürokratie erarbeitet; das Parlament sanktioniert die politischen Planungen durch Beschluß über den Haushaltsplan, soweit ihre Realisierung finanzielle Aufwendungen erfordert. Wenn die politischen Planungen der Regierung Fragen von grundsätzlicher politischer Bedeutung betreffen und darum parlamentarischer Beschlußfassung zu unterbreiten sind, kann das Parlament durch Gesetz oder einfachen Parlamentsbeschluß der Planung demokratische Legitimität und allseitige Verbindlichkeit verleihen. Gegenstand dieses Kapitels ist aber weniger die Frage, über welche Planungen das Parlament i n Gesetzesform zu beschließen hat 1 . Es soll vielmehr geklärt werden, i n welchem Zeitpunkt und i n welcher Form das Parlament sich i n die Planungen i m Bereich der Regierung einschalten kann: Sind Regierungsplanungen dem Parlament bereits i n einem frühen Stadium oder erst bei Abschluß zur Beratung und Beschlußfassung vorzulegen? Ist das Parlament gehalten, die von der Regierung vorgelegten Planungen i m Verfahren des „vote bloqué" entweder anzunehmen oder abzulehnen? Oder kann das Parlament Korrekturen an der Regierungsplanung anbringen oder sogar die Regierung zu Neuplanungen oder Erarbeitung von Planungsalternativen veranlassen? Bei diesen Fragen geht es, u m mit Ipsen zu sprechen, u m die „PlanGewaltenteilung" 2 zwischen Exekutive und Legislative 8 . Welche Funk1

Hierzu im 4. Kap. unter IV., 1. H. P. Ipsen, Rechtsfragen der Wirtschaftsplanung, in: J. H. Kaiser (Hg.), Planung I I , S. 67; Κ. H. Friauf, Die verfassungsrechtliche Problematik, S. 615. — Zur Unterscheidung zwischen Funktion als solcher und der Frage nach der richtigen Zuordnung dieser Funktion zu einem Funktionsträger vgl. Kaegi, Zur Entstehung, Wandlung und Problematik des Gewaltenteilungsprinzips (Zürich 1937), S. 49 ff. 2

218

5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

tionsträger i m politischen System an der Planung zu beteiligen sind und i n welcher Form die Beteiligung an den einzelnen Entscheidungsschritten politischer Planung zu erfolgen hat 4 , ist anhand der Funktionenlehre und der Parlamentarismuskonzeption, wie sie dem Grundgesetz zugrundeliegen, zu bestimmen. Hierbei geht eine realitätsadäquate Lehre einer „Plan-Gewaltenteilung" von jenem Einfluß aus, den die Verfahren und Praxis politischer Planung auf die Machtverhältnisse i m Staat, auf das Gewaltenteilungsprinzip und die demokratische Verfassung 5 haben können. Aufgrund solcher Analyse der politischen Wirklichkeit lassen sich die Verfahren und Praxis der politischen Planung funktionell und organisatorisch i n das gewaltenteilige parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes einfügen 6 . I . Politische P l a n u n g als spezifische Regierungsfunktion?

Politische Planung gehört zweifellos zu den wesentlichen Funktionen der Regierung 1 . Dieser Ausgangspunkt w i r d verschiedentlich zum Anlaß genommen, die Planungsfunktionen, d.h. die Ziel- und Prioritätensetzung i n den Verfahren der Planung und die Ausarbeitung einzelner Fach- und Entwicklungsplanungen, allein der Regierung und Regierungsbürokratie zuzuweisen: Da die politische Planung i n den Funktionsbereich der Regierung falle, könne das Parlament i n diesem Bereich lediglich jene Befugnisse besitzen, die i h m ausdrücklich vom Grundgesetz eingeräumt werden. Gesetzgebung, Beschluß über den Haushaltsplan, parlamentarisches Mißtrauensvotum und parlamentarische Interpellation als die traditionellen Befugnisse parlamentarischer „Mitregierung" werden für die parlamentarische Mitentscheidung über politische Planung für ausreichend gehalten 2 . 3 Verschiedentlich bezeichnet man politische Planung als „vierte Gewalt" (D. Frank, Politische Planung, S. 76; A. Wender, Planung als „vierte Gewalt"). I n die Lehre von der Gliederung der Staatsfunktionen eine weitere Gewalt einzuführen, erscheint wenig sinnvoll, da diese Gewalt in jedem Fall einzelnen Staatsorganen zugewiesen werden muß. Weiterhin läßt sich bezweifeln, ob Planung wirklich eine neue Gewalt ist. Politische Planung gehört vor allem in den Bereich der Exekutive und der Regierung; mit neuen Formen politischen Handelns entsteht nicht gleich eine neue Gewalt (vgl. B. Dobiey, Politische Planung, S. 51 ff. m. w. Nw.). 4 D. Oberndorfer, C. Lutz, Ressortplanung, S. 318. 5 Hierzu R. Herzog, Gutachten, S. 34 ff. 6 Ausdrücklich betont sei, daß der Gegenstand dieses Kapitels eine grundsätzliche Einordnung der politischen Planung in das gewaltenteilige parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes ist. Auf einzelne Vorschläge einer (verfassungs-)rechtlichen Ausgestaltung der Planungsorganisation zwischen Parlament und Regierung wird darum nur am Rande eingegangen. 1 Hierzu im 4. Kap. unter I I .

I. Politische Planung als spezifische Regierungsfunktion?

219

Daß eine frühzeitige Beteiligung und eine Mitentscheidungskompetenz des Parlaments i n den einzelnen Stadien der Planausarbeitung i m Bereich der Regierung m i t dem Prinzip der Gewaltenteilung und anderen Verfassungsgrundsätzen nicht vereinbar sei, w i r d bis i n die jüngste Zeit behauptet. Einige Begründungen sind freilich so fehlsam, daß sich eine eingehendere Auseinandersetzung m i t ihnen erübrigt. Sicherlich kann bei einer Festschreibung der Planungsfunktion i m Regierungsbereich nicht unbesehen m i t der „Subtraktionsmethode" gearbeitet werden, nach der i n den Bereich von Regierung und Verwaltung gehört, was nicht zu Gesetzgebung und Rechtsprechung zählt 3 . Des weiteren läßt sich nicht m i t der Forderung, es müsse für eine funktionsfähige parlamentarische Opposition gesorgt werden, die Planungsfunktion der Regierung vorbehalten. Zwar ist es zutreffend, daß ein Planungsverbund von Regierung und Parlamentsmehrheit es i n der parlamentarischen Demokratie der parlamentarischen Opposition erschwert, Planungsalternativen zu entwickeln, geschweige denn i n die Wirklichkeit umzusetzen 4 . Hieraus zieht Watrin den Schluß, daß politische Planung eine Regierungsaufgabe sei und es bleiben müsse. Das primäre Bedürfnis vom Standpunkt eines demokratischen Regierungssystems bestehe darin, daß die Planungsentscheidungen revidierbar blieben 5 , was aber nicht gewährleistet sei, wenn die Parlamentsmehrheit und m i t ihr gegebenenfalls die parlamentarische Opposition eine politische Verantwortung für die Planungen der Regierung übernommen habe. Das politische System der Bundesrepublik Deutschland ist 2

So möchte etwa N. Achterberg (Soziokonformität, Kompetenzbereich und Leistungseffizienz des Parlaments, in: DVB1. 1972, 841 ff., 844) dem Parlament nur über das Recht der Haushaltsbewilligung und des Mißtrauensvotums Kontrollfunktionen im Bereich der nichtrechtsetzenden Tätigkeit zusprechen. Die Mitwirkung des Parlaments im Bereich der Plangebung bezeichnet er als verfassungspolitisches Postulat (S. 845). A n anderer Stelle (Diskussionsbeitrag, in: Sitzungsbericht! zum 50. DJT [1974], S. 126 ff., 128; ParlamentsreformThemen und Thesen, in: DÖV 1975, 833 ff., 846) stimmt Achterberg der Grundlinie der Reformdiskussion zu, daß nämlich die Parlamente stärker in die Planung eingeschaltet werden sollen. Vgl. weiter ders. f Probleme parlamentarischer Kompetenzabgrenzung, in: Gesellschaftlicher Wandel und politische Innovation, Sonderheft 4 der PVS (1972), S. 368 ff., 376; E. Fricke, Mitwirkung, S. 408; K. Redeker, Staatliche Planung, S. 538; D. Grimm, Verfassungsfunktion, S. 519; D. Aderhold, Kybernetische Regierungstechnik, S. 274. Zu den Begründungen einer Regierungsprärogative für politische Planung in der Schweizer Staatsrechtslehre vgl. die Nachweise bei C. Lanz, Politische Planung, S. 109 F N 26. 3 So aber E. Fricke, S.408; hiergegen F. Ossenbiihl, S. Β 65; ders., Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz (1968), S. 187 f.; R. Wimmer, Gewaltentrennung, S. 199 f. m. w. Nw. 4 C. Watrin, Diskussionsbemerkung, in: Grundfragen der Infrastrukturplanung für wachsende Wirtschaften (Schriften des Vereins für Socialpolitik, N F Bd. 58, 1971), S. 91 ff. 5 C. Watrin, S. 93.

220

5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

aber nun einmal nicht so angelegt, daß das Parlament insgesamt der Antipode der Regierung ist und Regierungsentscheidungen „revidierbar" hält. Aus der Stellung der Opposition i m parlamentarischen System lassen sich darum keine Schlüsse bei der Verortung der Planungsfunktion ziehen. Eine vordringliche Aufgabe wäre es doch, die Opposition i n den Planungsverbund von Regierung und Parlamentsmehrheit «lurch Beteiligungs- und Auskunftsrechte einzubeziehen 6 . 1. Begründungsversuche

Ernstzunehmendere Begründungen einer Planungsprärogative der Regierung, d.h. einer Berechtigung, die Planungsziele und Planungsprioritäten eigenständig zu bestimmen und einzelne Planungen ohne frühzeitige parlamentarische Beteiligung auszuarbeiten, gehen von der Planungsindifferenz des Grundgesetzes aus. Die Palette der verfassungsrechtlichen Argumentation reicht von Folgerungen aus der Funktionenlehre bis zur These von der Planungsunfähigkeit der Parlamente. a) Die Planungsindifferenz

des Grundgesetzes

Das Verfassungsrecht regelt die Verteilung der Planungsfunktion zwischen Exekutive und Legislative i n keineswegs umfassender Weise. Das Grundgesetz kannte zunächst nicht einmal den Begriff der Planung. Seit Ende der sechziger Jahre werden i m Grundgesetz punktuell einige Planungsbereiche erwähnt: Die Planung für den Verteidigungsfall (Art. 53 a Abs. 2 S. 1 GG), gemeinsame Rahmenplanung i m bundesstaatlichen Bereich bei sog. Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91 a Abs. 3 S. 1 GG), Vereinbarungen bei der Bildungsplanung (Art. 91 b GG) und die mehrjährige Finanzplanung (Art. 109 Abs. 3 GG). Außer der Regelung der Haushalts- und Finanzplanung enthält das Grundgesetz nur unbedeutende normative Festlegungen, die organisatorische und inhaltliche Fragen der Planung betreffen. Für den Sonderbereich der Rahmenplanung (Art. 91 a, 91 b GG) sind die organisatorischen Regelungen i n den Kompetenzbereich des einfachen Gesetzgebers delegiert. Angesichts dieses verfassungsrechtlichen Zustandes läßt sich trotz der Berücksichtigung einiger Planungsarten i m Grundgesetz nach wie vor von einer Planungsindifferenz des Grundgesetzes reden. Diese Planungsindifferenz des Grundgesetzes führt dazu, daß die Verteilung der Planungsfunktion zwischen Regierung und Parlament nur mittelbar aus dem Gesamtgefüge der verfassungsrechtlichen Ordnung

6

Vgl. H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, S. 37 ff. u. passim.

I. Politische Planung als spezifische Regierungsfunktion?

221

gefolgert werden kann. Es liegt zunächst i n der Konsequenz der Planungsindifferenz des Grundgesetzes, daß man auch i n Fragen der politischen Planung das Parlament auf die hergebrachten Beteiligungsformen am politischen Willensbildungsprozeß verweist. Erst bei der Beschlußfassung über den Haushalt und andere Gesetze, nimmt man die Planungsindifferenz des Grundgesetzes ernst, kann das Parlament auf die Planungen der Regierung einwirken. Das Parlament kann sich erst dann i n den Planungsprozeß einschalten, wenn die Regierungsplanungen zwecks Realisierung i n ein Gesetz gegossen oder i n Haushaltstiteln ausgewiesen werden. Politische Planung fällt also zunächst einmal durch die Maschen des Staatsrechts 7 . Die Planungsindifferenz des Grundgesetzes hat verschiedentlich zu der Auffassung geführt, es spreche eine Vermutung dafür, daß die Regierung für politische Planung zuständig sei 8 . Eine derartige Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Regierung widerspricht allen hergebrachten Prinzipien der Verfassungsinterpretation. Interpretation begnügt sich nicht mit „Vermutungen", sondern muß konkret die Staatsaufgaben einzelnen Verfassungsorganen zuweisen 9 . b) Planung als genuin exekutivische

Tätigkeit

Die Planungsindifferenz des Grundgesetzes hat die Folgerung begünstigt, das Parlament sei von einer M i t w i r k u n g i n Planungsangelegenheiten ausgeschlossen, da Planung zum traditionellen Hausgut von Regierung und Exekutive gehöre 10 . Unterstützen läßt sich diese Folgerung durch eine i m staatstheoretischen und politikwissenschaftlichen Schrifttum entwickelte Regierungslehre, die eine eigenständige Regierungsgewalt zu begründen sucht und i n diesem Sinne die Aufgaben der Planung, Lenkung und Koordinierung einschließlich der Definition der Planungsziele, der Entscheidung über Prioritäten und der 7 D. Grimm, S. 519 f.; M. Schröder, Planung, S. 77; B. Dobiey, Politische Planung, S. 53 f. 8 G. Kassimatis, Der Bereich der Regierung (1967), S. 59; vgl. weiter M. Drath, Die Gewaltenteilung im heutigen deutschen Staatsrecht, in: Faktoren der Machtbildung (1952), S. 99 ff., 132 (Kompetenzvermutung zugunsten der Regierung aus ihrer Aufgabe zu „Aktivität in einem umfassenden und oft definitiv entscheidenden Sinn"); H. Rausch, Bundestag und Bundesregierung, 4. Aufl. (1976), S. 179. 9 Ähnlich auch J.-T. Blank, Staatliche Aufgabenplanung, S. 67; Κ. H. Friauf, Die verfassungsrechtliche Problematik, S. 642 ff. 10 So etwa H. C. F. Liesegang, Zum Entwurf eines Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle der Regierungsplanung, in: ZRP 1972, 259; ders., Über die Möglichkeit parlamentarischer Einflußnahme bei der Aufstellung haushaltsabhängiger Regierungspläne, in: DVB1. 1972, 847 f.; E. Fricke, M i t w i r kung, S.408.

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

Erfolgskontrolle als eine genuine Kompetenz der Regierungsgewalt betrachtet 11 . aa) Die konjunkturpolitische Planung als Argumentationsansatz Planung als genuin exekutivische Tätigkeit zu betrachten, lag beim Entstehen des neuen Instrumentariums der Konjunkturpolitik nahe. Anläßlich der Konjunkturplanung Mitte der sechziger Jahre wurde die griffige Formel von der „sachlogisch-gouvernementalen Konjunkturpolitik" geprägt 12 . Hintergrund dieser Formel ist die aus den Verfassungskämpfen zwischen monarchischer Exekutive und parlamentarischer Legislative stammende, heute immer noch nachwirkende Vorstellung, Finanzpolitik und damit auch Konjunkturpolitik gehörten zum „traditionellen Funktionsbereich der Exekutive", den es vor Eingriffen des Bundestages möglichst zu wahren gelte 13 . Die Befugnisse der Regierung zur alleinverantwortlichen Konjunkturplanung werden allerdings meist nicht aus solchen Erwägungen hergeleitet, die i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes eine Stütze finden. Pragmatisch argumentierend werden die konjunkturpolitischen Befugnisse der Regierung mit dem Zwang zu schnellem 14 und entschlossenem Handeln und mit dem Bedürfnis nach flexiblen Zeitplänen begründet. A n der effektiven Konjunkturpolitik könne aber das Parlament nicht beteiligt werden; es sei nicht Aufgabe des Gesetzgebers, sich m i t brisanten und zeitbedingten Konjunktursteuerungsmaßnahmen zu befassen. So wurde der Boden geebnet für die Auffassung, die Planung sei genuin exekutivische Tätigkeit, die Planungsfunktion komme allein 11 W. Hennis , Aufgaben einer modernen Regierungslehre, in: PVS 1965, S. 422 ff., 426 f., 433, 439; W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 265 m. w. Nw. Zu den Ansätzen und zum Staatsverständnis einer solchen Regierungslehre vgl. W. Frotscher, Regierung als Rechtsbegriff (1975), S. 204 f. m. w. Nw.; vgl. weiter Th. Ellwein, Regieren, S. 109 ff., 173 ff. 12 K. Stern, Konjunktursteuerung und kommunale Selbstverwaltung — Spielraum und Grenzen, in: Gutachten zum 47. DJT (1968), S. E 31, 35; ders., Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, in: DÖV 1967, 659 f.; ders., Gesetz zur Förderung der Stabilität, Einf. C I I I 2 b; K. H. Friauf, Öffentlicher Haushalt und Wirtschaft, in: W D S t R L H. 27 (1969), S. 24; A. Köttgen, Zur Diskussion über das konjunkturpolitische Instrumentarium des Bundes gegenüber Ländern und Gemeinden, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, 5. Jahrg. (1966), S. 1 ff., 18; E. Stachels, Stabilitätsgesetz, S. 54. — Die Formel von der „sachlogisch-gouvernementalen Konjunkturpolitik" findet sich der Sache nach bereits im älteren finanzwissenschaftlichen Schrifttum angesprochen: F. Neumark, Handbuch der Finanzwissenschaft, 1. Bd., 2. Aufl. (1952), S. 667. 13 So etwa P.-H. Huppertz, Gewaltenteilung, S. 45 f., 49 („Haushaltspolitik als staatsrechtlich orginärer Funktionsbereich der Exekutive"). 14 Daß freilich auch das Parlament in der Lage ist, Gesetze rasch zu verabschieden (vgl. P.-H. Huppertz, S. 174 f. m. w. Nw.), wird hier nicht ausreichend gewürdigt.

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der Regierung zu. Ob Konjunkturpolitik w i r k l i c h sachlogisch gouvernemental sein muß, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls lassen sich von einer Regierungsprärogative für Konjunkturplanung keine Schlüsse auf eine Regierungsprärogative für andere Planungen ziehen. Bei Regierungsplanungen steht i n der Regel nicht eine rasche Reaktion auf soziale Notlagen i m Vordergrund, sondern eher eine auf Dauer angelegte Vorsorge. bb) Folgerungen aus der Funktionenlehre I n der Staatsrechtslehre wird, wie bereits angedeutet, vor allem mit der Funktionenlehre eine Regierungskompetenz zu politischer Planung zu begründen versucht. Hierbei geht man von einem älteren B i l d einer handelnden Regierung aus, die von einem kontrollierenden Parlament i n Grenzen gehalten wird. Parlamentarische Kontrolle der Regierung geschieht vor allem durch Korrekturen an den Gesetzesvorlagen der Regierung und durch Erlaß von Gesetzen aus der Mitte des Parlaments, durch Überwachung der Einnahmen und Ausgaben des Staates, durch Beschlußfassung über die große Richtung der Außenpolitik, durch verschiedene Informations- und Untersuchungsrechte und durch das parlamentarische Mißtrauensvotum als schärfster Waffe. Zu diesem überkommenen Verständnis der Funktionentrennung von Regierung und Parlament gehört es, daß bei der Kontrolle des Parlaments und der korrespondierenden Verantwortung der Regierung sich zwei Instanzen getrennt gegenüberstehen. Vor allem muß, wer verantwortlich gemacht wird, eine selbständige Entscheidungsbefugnis besitzen. Andernfalls gibt es nur eine Unterordnung, bei der der Befehlende die letzte Verantwortung trägt. Außerdem w i r d eine gewisse Distanz zwischen der kontrollierenden und der verantwortlichen Instanz gefordert; es muß Abstand bewahrt werden, damit die Kontrolle unvoreingenommen und unbeeinflußt ausgeübt werden kann 1 5 . Sicherlich hat dieses ältere B i l d einer Funktionentrennung dem Grundgesetz „ein wenig ungeprüft" zugrundegelegen 16 . A u f der Grundlage dieser Konzeption der Funktionentrennung zwischen Parlament und Regierung verweist man verschiedentlich die politische Planung i n den Funktionsbereich der Regierung. Ausgangspunkt ist die Überlegung, eine parlamentarische M i t w i r k u n g an Regierungsentscheidungen impliziere „stets eine Mitübernahme der Regierungsverantwortung, wodurch das begriffswesentliche Gegenüber von 15 17. Scheuner, Verantwortung und Kontrolle in der demokratischen Verfassungsordnung, in: Festschrift für G. Müller, hrsg. von T. Ritterspach und W. Geiger (1970), S. 379 ff., 391 f. 16 17. Scheuner, S. 398.

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

Kontrollierenden und Handelnden aufgehoben" werde 1 7 . Daher könne die Regierung ihre Funktionen, vor allem jene, politische I n i t i a t i v gewalt zu sein, i n eigener Verantwortung nur erfüllen, wenn die Planungsbefugnis grundsätzlich ihrem Kompetenzbereich zugerechnet werde 18 . Als Maxime soll gelten: „Wer selbständig und verantwortlich handeln soll, muß auch selbständig und verantwortlich planen können" 1 9 ; die Kontrollinstanz aber dürfe nicht „Mittäter" i m Entscheidungsprozeß gewesen sein, weil dann Kontrolle zur bloßen Korrektur verkürzt werde. Nur wenn die traditionellen parlamentarischen Aufgabenbereiche berührt werden, insbesondere bei der Gesetzgebung und bei der Feststellung des Haushalts, soll das Parlament zur Kontrolle der Regierung berufen sein 20 . I m Bereich der nicht rechtsetzenden Tätigkeit soll die parlamentarische Kompetenz durch Exekutivmonopole begrenzt sein 21 . Hier kann das Parlament auf politische Planung nur Einfluß nehmen, indem es die Regierung und ihre M i t glieder durch Interpellation und i n der Fragestunde zur Verantwortung zieht 22 . Diese Planungskontrolle durch Information 2 3 , an die sich kritische Diskussionen anschließen können, bezeichnete Seeger als die der Gegenrolle (contre-rôle) 24 des Parlaments gemäße Form der Beteiligung an den Regierungsplanungen 25 . Daher soll eine Gesetzesregelung des Inhalts, daß alle Regierungsplanungen dem Parlament frühzeitig zuzuleiten seien und vom Parlament beschlossen werden müßten, verfassungswidrig sein. Denn Beschlußrechte des Parlaments — entsprechendes soll selbstverständlich auch für Zustimmungsbefug17 K. Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland (1972), S. 28 m. w. Nw. 18 Eine parlamentarische Mitregierung soll i m übrigen, wie verschiedentlich behauptet wird, die auf der Grundlage des Gewaltenteilungsprinzips getrennten Verantwortungsbereiche verwischen. Eine solche Mitregierung soll der Gewaltenteilung ihren eigentlichen Sinn, nämlich den der Gewaltenhemmung nehmen (so etwa J.-T. Blank, Staatliche Aufgabenplanung, S. 70; vgl. hierzu unter II., 4.). 19 J. Seeger, Gutachten, S. 9; B. Dobiey, S. 97 f.; W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 336 ff.; ähnlich befürchtet auch H.-G. Niemeyer (Entwicklungstendenzen, S. 5 f.), auf dem Gebiet der Landesplanung könne eine weitgehende parlamentarische Mitwirkung die Regierung zu einem Parlamentsausschuß degradieren. 20 B. Dobiey, S. 98. 21 I n diesem Sinne auch G. Kirchhoff, Subventionen, S.256; J. Seeger, S. 9 ff. 22 Hierzu G. Leibholz, Die Kontrollfunktion des Parlaments, in: Strukturprobleme der modernen Demokratie, 3. Aufl. (1967), S. 295 ff. 23 Zum Kontrollmaßstab vgl. A. S. Hamed, Das Prinzip der Gewaltenteilung und die Beaufsichtigung der Regierung durch das Parlament (Bern 1957), S. 151 ff. 24 Zur etymologischen Wurzel des Kontrollbegriffs vgl. N. Gehrig, Parlament — Regierung — Opposition, S. 3 ff. m. w. Nw. 25 J. Seeger, S. 14; so auch B. Dobiey, S. 82 ff.

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nisse des Parlaments gelten — sollen die Verantwortung verlagern und die Selbständigkeit der Regierung aufheben. Ein parlamentarisches Zustimmungsrecht zu politischer Planung w i r d darum als Einbruch i n den „Kernbereich" der Exekutive angesehen 28 . Für diese Zuweisung der politischen Planung i n den ausschließlichen Bereich der Regierung spielt insbesondere deren selbständige politische Entscheidungsgewalt, die i n der Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung ihre Grenze findet, eine wesentliche Rolle. Zur dogmatischen Absicherung dieser Position beruft man sich verschiedentlich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Bremer Personalvertretungsgesetz 27 , aus der auf eine Prärogative der Regierung i n Planungsfragen geschlossen w i r d 2 8 . Anknüpfungspunkt ist folgende, auf Erich Kaufmann 2 9 zurückgehende Formulierung i n der Entscheidung: „Die Regierung hat die Aufgabe, i n Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung und von i h r getragen, der gesamten Staatstätigkeit eine bestimmte Richtung zu geben und für die Einhaltung dieser Linie durch die i h r unterstellten Instanzen zu sorgen." Sicherlich sind, wie das Bundesverfassungsgericht fortfährt, die Funktionsfähigkeit der Regierung zur Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben und ihre S achVerantwortung gegenüber Volk und

26 So etwa J. Seeger, S. 8 ff.; H.-G. Niemeyer, S. 6. — Die „Kernbereichsformel" im Staatsorganisationsrecht besagt, daß Übergriffe der einen Gewalt in den Funktionsbereich der anderen Gewalt zulässig seien, wenn sie in den Randzonen, unzulässig aber, wenn sie im Kernbereich stattfinden (so etwa BVerfGE 9, 268, 280; Maunz/Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 GG R N 81; von Mangoldt-Klein, Art. 20 G G A n m . V 5 b ) . I m Bereich des Staatsorganisationsrechts vermag diese Kernbereichsformel keine wirkliche Entscheidungshilfe zu bieten (vgl. etwa S. Weiß, Auswärtige Gewalt und Gewaltenteilung [1971], S.49). I n der Rspr. des BVerfG und in der Staatsrechtslehre ist sie bislang eine reine Leerformel geblieben (K. Hesse, Grundzüge, § 13 I, 1). Es ist nicht möglich, Regierung oder Parlament bestimmte, auch noch so eng abgegrenzte Materien zuzuweisen, die als Kernbereich jedem Eingriff der anderen Gewalt entzogen sind. Sachgebiete, auf denen die Regierung etwa jede Entscheidung dem Parlament zu überlassen hätte, lassen sich nicht angeben. Da das Gewaltenteilungsprinzip im Grundgesetz „nirgends rein verwirklicht" ist (BVerfGE 3, 225, 247; 34, 52, 59), muß eine klare verfassungsrechtliche Fixierung des Gewaltenteilungsprinzips scheitern. Man mag zwar einwenden, die Regierung könne z. B. keinen Gesetzesbeschluß erlassen; diese äußerste Grenze ergibt sich aber bereits aus der Verfassung selbst. Der Rückgriff auf die Gewaltenteilung ist überflüssig (W. Kewenig, Staatsrechtliche Probleme, S. 19 ff.; W. Leisner, Quantitative Gewaltenteilung, S.405ff., 407ff.; H. Rausch, Vorwort, in: ders. [Hg.], Zur heutige Problematik der Gewaltentrennung [1969], S. V I I ff., X ff.). 27

BVerfGE 9, 268, 281. G. Jahn, Verfassungsrecht, S. 26; J. Seeger, Gutachten, S. 8; K. H. Friauf, Die verfassungsrechtliche Problematik, S. 652. 29 E. Kaufmann, Die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: V V D S t R L H. 9 (1952), S. 1 ff., 7. 28

15 Wiirtenberger

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Parlament zwingende Gebote der demokratisch-rechtsstaatlichen 30 Verfassung. Und sicherlich kann auch Verantwortung nicht tragen, „wer i n seiner Entscheidung inhaltlich i n vollem Umfang an die W i l lensentscheidung eines anderen gebunden ist" 3 1 . Aus dieser Bemerkung kann direkt keine Planungskompetenz der Regierung entnommen werden, die dem Parlament gegenüber eigenständig ist. Denn Streitgegenstand dieser Entscheidung war nicht, worauf das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hinweist, eine Frage der Gewaltenteilung; es ging vielmehr u m die Frage, ob die Regierung Entscheidungen, die i n den Verantwortungsbereich gegenüber dem Parlament fallen, auf unabhängige Spruchkörper delegieren kann. Gegenstand der Entscheidung war also, ob sich die Regierung wichtiger politischer Entscheidungen dergestalt entledigen kann, daß die Mechanismen demokratischer, d. h. parlamentarischer Kontrolle und Mitentscheidung nicht mehr greifen. Nicht entschieden wurde jedoch, welche Vorbehaltsbereiche die Regierung gegenüber dem Parlament besitzt. Zur Erhellung der Frage des Spannungsverhältnisses zwischen Regierung und Parlament i n Planungsfragen kann daher aus dieser Entscheidung nichts hergeleitet werden 32 . Insgesamt gesehen kann nach dieser rigoristischen Konzeption der Funktionentrennung die Planungskompetenz der Regierung von Verfassungs wegen nicht durch parlamentarische Mitwirkungsbefugnisse eingeschränkt werden 3 3 . De constitutione lata beharrt man auf einer scharfen Funktionentrennung zwischen Parlament und Regierung, die dem Grundgesetz zugrundeliegen soll. Eine funktionelle Einheit von Parlament und Regierung i m Sinne einer Gemeinsamkeit i n der Staatsleitung soll verfassungsrechtlich ausgeschlossen sein. Parlamentarische Kontrolle und die Koordinierungs- und Leitungsfunktion der Regierung werden geradezu als Gegensätze aufgefaßt 34 : Das Parlament soll nicht dazu berechtigt sein, sich an der selbständigen politischen Entscheidungsgewalt der Regierung zu beteiligen und damit i n den Zuständigkeitsbereich der Regierung einzugreifen 35 . Aufgabe des 80 Wobei der Akzent mehr auf „demokratisch" als auf „rechtsstaatlich" liegt. Zur mangelnden sprachlichen Prägnanz von BVerfGE 9, 281 vgl. D. Rauschning, Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: C. Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, S. 214 ff., 227. 31 BVerfGE 9, 281 f. im Anschluß an BayVerfGH N F Bd. 4, Teil 2, 30 ff., 47. 32 F. Ossenbühl, S. Β 63; Β. Lutterbeck, Parlament, S. 104 ff. 33 K. H. Friauf, S. 649 ff.; B. Dobiey, S. 77 ff. 34 Vgl. G. Schmid, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Zusammenspiel der staatlichen M acht Verteilung (1971), S. 26 ff.; K. Eichenberger, Die Problematik der parlamentarischen Kontrolle im Verwaltungsstaat, in: Schweizerische Juristen-Zeitung, 61. Jahrg. (1965), S. 269 ff.

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Parlaments sei es, die Regierung lediglich zu kontrollieren, aber nicht selbst mitzuregieren; der Bundesregierung allein stehe verfassungsrechtlich die oberste Leitungsgewalt i m Staat zu, ohne zur Kooperation mit dem Parlament verpflichtet zu sein 36 . Gehört politische Planung dergestalt zu dem von der Verfassung vorgesehenen Funktionsbereich der Regierung, usurpiert die Regierung keine Funktionen anderer Staatsorgane, wenn sie politische Planung ohne eine frühzeitige und umfassende Beteiligung des Parlaments betreibt. Die Vertreter dieser rigoristischen Funktionentrennung verkennen freilich nicht, daß der Machtverlust des Parlaments infolge zunehmenden Umfangs und zunehmender Intensität von Regierungsplanungen ein neues System parlamentarischer M i t w i r k u n g an der Regierungstätigkeit erfordern müsse. Man hält es aber nicht für die Aufgabe verfassungsrechtlicher Analyse, neue Wege parlamentarischer Kontrolle des Regierungsbereichs und der Kooperation zwischen Parlament und Regierung zu weisen. Hier soll es sich u m verfassungspolitische Entscheidungen handeln 37 . Dieser Argumentation liegt eine einseitige Sicht von der Selbständigkeit und Verantwortlichkeit der Regierung zugrunde. Die Regierung besitzt zwar eine selbständige politische Entscheidungsgewalt. Gleichzeitig ist sie aber verantwortlich gegenüber der Volksvertretung und von ihr getragen. Verantwortlichkeit bedeutet, daß die Regierung über ihr Verhalten der Volksvertretung Rechenschaft zu legen hat. Als Kontrollinstanz der Regierung gehört es zu den legitimen Aufgaben des Parlaments, die Regierungsführung und einzelne Regierungsmaßnahmen mit kritischem Blick zu überprüfen. Diese Funktion der Überprüfung von Regierungsentscheidungen und der Geltendmachung der Verantwortung der Regierung kann das Parlament nur dann erfüllen, wenn es nicht in seinen Entscheidungen bereits faktisch durch Vorentscheidungen i m Regierungsbereich gebunden ist. Auf der einen Seite ist die Vorwirkung der fertigen Planung zu berücksichtigen, die das Parlament politisch entmachten kann. Auf der anderen Seite muß die Regierung imstande sein, wenn sie auch dem Parlament gegenüber verantwortlich ist und von i h m zur Rechenschaft gezogen werden kann, eigenschöpferisch Initiativen zu entwickeln und zu entscheiden. M i t einer globalen Zuweisung der politischen Pla35 Soweit dem Bundestag nicht ausdrücklich durch das Grundgesetz Regierungsaufgaben zugewiesen sind: vgl. die Aufzählung bei G. Kassimatis, S. 120 ff. 38 K. H. Friauf, S. 653; M . Abelein, Kontrolle ohne Kontrolleure? Zur Bedeutung des Bundestages als Kontrollorgan, in: Der Bundestag von innen gesehen, hrsg. von E. Hübner u. a. (1969), S. 150 ff., 151. 37 K. H. Friauf, S. 678; B. Dobiey, S. 82 f.

15*

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nung i n den Bereich der Regierung ist es darum nicht getan. Nötig ist vielmehr ein „Versuch der Zusammenschau: Verantwortlichkeit ist Abhängigkeit und Unabhängigkeit i n einem" 3 8 . Diese Gratwanderung zur Bestimmung der Abhängigkeit der Regierung vom Parlament und ihrer Selbständigkeit i m Rahmen der politischen Planung w i r d nicht angetreten, wenn man sich vorschnell auf den Bereich eigenverantwortlicher Regierungstätigkeit zurückzieht. Tieferer Grund für die Annahme einer genuin exekutivischen Planungsgewalt scheint die Furcht zu sein, die Regierung würde ihre Rolle als Spitze der Exekutive einbüßen und — wie gelegentlich gefordert 3 9 — zu einem Parlamentsausschuß werden, wenn man ihre selbständige Planungsbefugnis einschränken wollte 4 0 . Wenn die Regierung nicht mehr selbständig planen könne, würde das Parlament an die Spitze der Exekutive treten. Diese Argumentation verkennt die mit jeder politischen Planung verbundenen Realitäten und erscheint bei dem allgemeinen Trend der Gewichtsverlagerung vom Parlament zur Regierung geradezu anachronistisch 41 : Das Parlament w i r d sich i m planenden Industriestaat der Gegenwart niemals zum Beherrscher der Regierung aufschwingen können. Die Konzeption der fertigen Planung, die Möglichkeit des ersten Zugriffs auf die Information, die von Sachkunde getragene Beurteilung der Prognosen und die Planungsbürokratie, die der Regierung zur Verfügung steht, verleihen der Regierungsplanung einen derartigen Vorsprung gegenüber der nur rudimentären parlamentarischen Beurteilungskapazität, daß ein Eingriff i n den „Kernbereich" der Exekutive nicht zu befürchten steht. c) Der Gesichtspunkt der Effizienz Aus Gründen der Effizienz 42 sucht man weiterhin politische Planung i n den Regierungsbereich zu verweisen. Eine wesentliche Rolle spielt 38

N.Gehrig, S. 26. So bereits W. Bagehot, Die englische Verfassung, hrsg. von H. Streifthau (1971), S. 53 ff.; E. Friesenhahn, Parlament und Regierung im modernen Staat, in: W D S t R L H. 16 (1958), S. 9 ff., 39 f., 70; W. Frotscher, Regierung als Rechtsbegriff (1975), S. 212 f. (Vorrangstellung der Volksvertretung bei der politischen Leitentscheidung); vgl. auch die verfehlte Diagnose von Th. Tsatsos, Zur Geschichte und Kritik der Lehre von der Gewaltenteilung (1968), S. 82. 40 So J. Seeger, S. 9. 41 Vgl. Th. Ellwein, Regieren und Verwalten, S. 109 m. w. Nw. 42 Zum Topos der Effizienz in der Parlamentarismustheorie: W. Steff ani, Parlamentarische Demokratie — Zur Problematik von Effizienz, Transparenz und Partizipation, in: ders. (Hg.), Parlamentarismus ohne Transparenz (1971), S. 17 ff., 20; vgl. weiterhin W. Manti, Repräsentation und Identität (1975), S. 258 ff., 320 ff. 39

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die Überlegung, daß eigentlich nur die Regierung zu einer effizienten politischen Planung i n der Lage sei und es dem Parlament an der erforderlichen Planungskapazität mangele. Außerdem soll eine effizientere Handhabung der herkömmlichen Entscheidungs- und Handlungsmuster nicht zu einer Verschiebung i n den Kompetenzen der staatsleitenden Instanzen führen können. aa) Die mangelnde Planungskapazität der Parlamente Sicherlich ist die Effizienz als Grundaxiom des Leistungsstaates auch für die politische Planung von entscheidender Bedeutung. Politische Planung vermag die Effizienz staatlichen Handelns zu steigern und bedarf gleichzeitig einer planungsgerechten staatlichen Organisation. Die Vielfalt und Komplexität der Aufgaben politischer Planung erfordern einen bürokratischen Apparat, der relevante Informationen beschaffen und verwerten sowie Entscheidungen vorbereiten kann. Nur wenn die Entscheidungen über die einzelnen Entscheidungsschritte politischer Planung allein bei der Regierung liegen und nur wenn die Regierung die einzelnen Planungen koordiniert, soll die politische Planung dem Effizienzpostulat genügen können, da bloß die Regierung über den nötigen bürokratisch organisierten Apparat verfügt 4 3 . Der Planungskapazität der Regierung w i r d vor allem von der Ministerialbürokratie antithetisch die Planungsunfähigkeit des Parlaments infolge mangelnder sachlicher und politischer Qualität der Bundestagsabgeordneten gegenübergestellt 44 . Ein Teil der Ministerialbürokratie befürchtet von den Abgeordneten geradezu, sie würden die Regierungsplanung dadurch unterlaufen, daß sie ihre lokalen Interessen zur Geltung zu bringen versuchen. Dementsprechend sucht die Regierungsbürokratie verschiedentlich, politische Planungen auch ohne Beteiligung der die Regierung tragenden Fraktionen auszuarbeiten. Abgesehen von dieser extrem parlamentarismusfeindlichen Position besitzt das Argument, dem Parlament ermangele es an ausreichender Informationsverarbeitungskapazität und an geeignetem Führungspotential, einen erheblichen Stellenwert i n der Diskussion u m eine Beteiligung des Parlaments an der politischen Planung. Unbestreitbar ist, daß das Parlament gegenüber der Bürokratie i n Bezug auf den verfügbaren und organisierbaren Sachverstand unterlegen ist. Auch fehlt dem Parlament ein funktionsfähiger Apparat zur Informationsverarbeitung und besitzt es nur ein verhältnismäßig geringes Informa43 G. Kirchhoff, Subventionen, S. 255; C. Arndt, Parlament und Ministerialbürokratie, in: Die Verwaltung 1965, 265 ff., 269. 44 H. Häußermann, Politische Planung und demokratische Beteiligung. Fallstudie Nordrhein-Westfalen-Programm 1975 (1971), S. 92; A. Wender, S. 48 ff.; 17. Lohmar, Das Hohe Haus, S. 172.

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

tionspotential 45 . Zwischen Parlament und Regierung besteht geradezu ein strukturbedingtes Ungleichgewicht i m Hinblick auf die Informationssammlungs- und Informationsverarbeitungskapazität. Aus diesen Gründen stellt der Zwischenbericht der Enquête-Kommission lakonisch fest, das Parlament könnte nicht Herr der Planung werden 4 6 . A r beitsweise, Arbeitskapazität und fehlender bürokratischer Apparat sollen eine Beteiligung, bzw. Steuerung der Regierungsplanung durch das Parlament aussichtslos machen. Dieser Befund bestätigt sich, wenn man auf die Planungsapathie der Parlamente blickt. Man kapituliert offenbar vor der Größe der mit politischer Planung verbundenen Aufgaben und vor dem nicht wettzumachenden Sachverstand von Regierung und Bürokratie 4 7 . Diese Verwendung des Gesichtspunktes der Effizienz entspricht deutscher politischer Tradition und einem spezifisch deutschen Vorverständnis von Funktion und Möglichkeiten des Parlaments. I m Gegensatz zu England und den Vereinigten Staaten war i n Deutschland eine funktionsfähige Bürokratie vorhanden, als das Parlament mit seinem Souveränitätsanspruch auf den Plan trat. Die Leistungen der deutschen Bürokratie verbunden m i t einer immer noch latenten Skepsis gegen den Parlamentarismus mögen dazu beitragen, dem Gedanken der Effizienz mehr Bedeutung einzuräumen als dem Prinzip der Partizipation an Entscheidungen der politischen Führung 4 8 . Ein derart einseitiges Effizienzdenken darf aber i n einer parlamentarischen Demokratie nicht zu einer Planungsprärogative der Regierung und ihrer Bürokratie führen 49 . „Bürokratische Planungseffizienz" und demokratische Legitimität sind vielmehr die beiden Leitprinzipien, kraft derer die Planungsfunktionen auf die staatsleitenden Organe zu verteilen sind. Durch Zugang zu den relevanten Informationen und Entlastung von anderen Aufgaben ist das Parlament i n die Lage zu versetzen, auch an den richtungweisenden Planungsentscheidungen eigenverantwortlich mitzuwirken. 45 D. Oberndörfer, Ressortplanung, S. 327; W. Leisner, Regierung, S. 729; H. Rausch, Parlamentsreform. Tendenzen und Richtungen, in: ZfP Bd. 14 (1967), S. 259 ff., 264, 268, 283; K. H. Friauf, S. 649; B. Lutterbeck, Parlament, S. 83 ff.; W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 385 ff. und passim. 46 Zwischenbericht, S. 77 ff. 47 Vgl. F. Ossenbühl, S. Β 58; C. Lanz, Politische Planung, S. 109 f. 48 H. Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland (1963), S. 164 ff.; U. Thaysen, Parlamentsreform in Theorie und Praxis (1972), S. 107 f. 49 Symptomatisch für ein parlamentarismusfeindliches Effizienzdenken ist etwa W. Graf Vitzthums Befürchtung, durch parlamentsbeschlossene Planungsgesetze könne „in unkontrollierbarer und u. U. dilettierender Weise der betreffende Regierungsplan im Zuge seiner Behandlung durch die Legislative inhaltlich geändert" werden (Parlament, S. 299). Hierdurch könne die Regierungsplanung unrealisierbar werden.

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bb) Effizienzsteigerung ohne Kompetenzenverschiebung Der Topos der Effizienz läßt sich nicht allein dazu verwenden, eine i n der Natur der Dinge liegende Planungsprärogative der Regierung zu begründen. Unter dem Gesichtspunkt der Effizienz lassen sich auch die von der politischen Führungsspitze und von der Verwaltung immer schon verwandten Entscheidungstechniken den i m Rahmen der Planung neu erprobten Problemlösungsverfahren gegenüberstellen. I m Ergebnis bewegen sich die Methoden moderner Planung, so betont man, eigentlich nur i m Bereich des überkommenen Handlungsinstrumentariums von Regierung und Verwaltung. U m eine rationale Vorbereitung möglichst effizienter politischer Entscheidungen habe man sich immer schon bemüht. Nach der Ansicht Friaufs bedeutet die Verbesserung des Entscheidungsprozesses innerhalb der Regierung zunächst nur, „daß an sich bereits vorhandene, aber durch die bisherigen Arbeitsmethoden nicht oder nicht vollständig ausgeschöpfte Kompetenzen i n stärkerem Maß effektiv gemacht werden" 5 0 . Unter dem Kompetenzaspekt könne ein solcher Vorgang nur als faktische Verschiebung beurteilt werden. Das verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen Legislative und Regierung werde nicht berührt. Die Planungsfunktion w i r d also als traditionelles Aufgabenfeld der Exekutive angesehen. Weiterhin befürchtet man i m Bereich der Bund-Länder-Planungen einen gravierenden Effizienzverlust politischer Planung, wenn die Landesparlamente wesentliche Beteiligungsrechte erhalten 51 . Die gemeinsame Planung i m Bereich der Politikverflechtung von Bund und Ländern muß ohnehin schon eine Fülle divergierender Interessen berücksichtigen: Die unterschiedliche politische Ausrichtung der Regierungen i n Bund und Ländern und die unterschiedliche Wirtschafts- und Sozialstruktur führen bereits zu Kompromissen des kleinsten gemeinsamen Nenners, die meist nicht die effizientesten politischen Lösungen darstellen 5 2 . Wenn nun i n diesen Konsensfindungsprozeß zwischen den Regierungen i n Bund und Ländern noch weitere Instanzen mit politischem Gewicht einbezogen werden, so w i r d dies den Planungsablauf nicht nur unerträglich verlängern, sondern die Konsensfindung auch erheblich erschweren 53 . 50

K. H. Friauf, S. 638 f. A. Wender, Planung als „vierte" Gewalt, S. 70; Bericht des Haushaltsund Finanzausschusses zur 2. Lesung des Entwurfs der nrwLHO, LT-Drs. 7/ 1189, S. 4 f. 52 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 36 I I 3. 53 Denn „die Wahrscheinlichkeit der Nicht-Einigung steigt mit der Zahl unabhängiger Beteiligter, deren Zustimmung für eine Entscheidung notwendig ist" (F. W. Scharpf, Politikverflechtung, S. 42). 51

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

Dieser am überkommenen Handlungs- und Entscheidungsrahmen der Regierung ausgerichteten Argumentation entspricht, daß nach bisheriger Erfahrung allein die Exekutive plant 5 4 . Das Parlament w i r d erst dann i n das Planungsverfahren einbezogen, wenn die Etatberatungen stattfinden oder zur Realisierung der Planung Gesetze erforderlich werden. Die Aufgabenplanung der Regierung w i r d kaum einmal i n Form eines Gesetzes dem Parlament vorgelegt. Regierungsplanungen werden dem Parlament meist erst zur Kenntnisnahme zugeleitet, wenn bei der Planerarbeitung bereits die Weichen gestellt sind oder wenn i m Bund-Länder-Bereich bereits die strittigen Punkte geklärt sind. Die Exekutive spielt i h r Planungsmonopol aus, das sie aufgrund des ihr zur Verfügung stehenden Apparates besitzt 55 . Aufgabe einer realitätsadäquaten Verfassungsrechtslehre ist es aber gerade, eine derartige Staatspraxis auf ihre verfassungsrechtliche Legitimität zu befragen. 2. Der Einwand der faktischen Kompetenzenverschiebung

Die Verweisung der Verfahren und Praxis politischer Planung i n den alleinigen Kompetenzenbereich der Regierung ist nicht allein von der dogmatischen Begründung her fragwürdig. Auch das Ergebnis, nämlich eine weitere Stärkung der ohnehin schon starken Position der Regierung gegenüber dem Parlament, vermag nicht zu befriedigen. Denn die Verfahren politischer Planung verstärken noch die seit langem bestehende Übermacht der Regierung 56 gegenüber dem Parlament. Regierungsplanungen können nunmehr zu verschiedenartigen Kompetenzen« und Machtverschiebungen i m politischen System führen, die — werden sie hingenommen — die überkommene Kompetenzenverteilung zwischen Parlament und Regierung illusorisch machen kann. Zunächst einmal vermag jene Instanz i m politischen System ein hohes Maß an politischer Macht zu entfalten, „welche die zentrale Koordinierungskompetenz besitzt, Zugang zu den meisten Informationen hat und den Apparat kontrolliert, der dieses Mehr an Informationen zu verarbeiten i n der Lage ist" 5 7 . Seit jeher ist die Exekutive i m 64 Vgl. etwa Lutz, Organisationsprobleme politischer Planung, Beilage zur Wochenzeitung das Parlament vom 23.10.1971. 55 F. Ossenbühl, S. Β 57; W. Kewenig, S. 31. 56 Zur Übermacht der Regierung vgl. R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 272 ff.; ders., Gutachten, S. 40 ff.; D. Grimm, ZParl Jahrg. 1970, 448 ff., 454 ff.; G. Schmid , Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Zusammenspiel der staatlichen Machtverteilung (1971), S. 233 ff.; A. Ruch, Das Berufsparlament (1976), S. 217 ff. 67 D. Oberndörfer, S. 319; R. Wildenmann, Macht und Konsens als Problem der Innen- und Außenpolitik, 2. Aufl. (1967), S. 132, 151 f.; G. Picht, Prognose, S. 50.

I. Politische Planung als spezifische Regierungsfunktion?

233

Verhältnis zur Legislative die „informierte Gewalt par excellence" 58 . Der bürokratische Apparat, der der Regierung zur Verfügung steht, sichert ihr eine Informationsfülle, die auch gut orientierte Informationssysteme des Parlaments nicht zu erreichen vermögen. Dieser Informationsvorsprung der Regierung vor dem Parlament w i r d u m so größer, je effektiver das System der Beschaffung, Bewertung, Verarbeitung und Übermittlung aller relevanten Informationen i m Regierungsbereich wird. Es ist ein Gemeinplatz i n der staatstheoretischen und politikwissenschaftlichen Literatur, daß Planung diesen Machtvorsprung der Regierung weiter verstärkt. Auch i n Zukunft bleiben weitere Bemühungen u m Steigerung der Informationskapazität i m Bereich der Regierung und Regierungsbürokratie zu erwarten, da die Güte einer Planung auch von der Verarbeitung eines möglichst umfassenden Informationsmaterials abhängt. I n dem Maße, wie die Regierung ihr immer noch bestehendes Informationsdefizit i n Sachen Planung abbaut, w i r d sich auf Seiten des Parlaments die ohnehin bestehende Informationslücke vertiefen. Diese Informationslücke des Parlaments führt zu einer Machtsteigerung der Exekutive, da die langfristig planende Regierung und Verwaltung nur unter der Voraussetzung wirksam kontrolliert werden können, daß Informationsgleichgewicht zwischen dem Parlament auf der einen und der Regierung auf der anderen Seite besteht 59 . Die Macht der koordinierenden, informationsverarbeitenden und planenden Instanz w i r d verstärkt durch das Phänomen der Vorwirkung der ausgearbeiteten Planung 60 . Die Vorwirkung politischer Planung ist hier i m wesentlichen faktischer A r t . Selbst ohne rechtliche Verbindlichkeit kann eine fertige Planung das Entscheidungsverhalten auch derjenigen staatlichen Instanzen beeinflussen, die nicht unmittelbar durch Weisungen der zentralen Planungsgewalt gebunden werden können, aber m i t ihr kooperieren. So können Planungen auf Bundesebene die Parlamente der Länder und selbst die nicht kooperationswilligen Länder i n einen Zugzwang versetzen. Der kooperative Föderalismus führt bei den Länderparlamenten zu einem Verlust an innerer Substanz, da eine Ablehnung der i m Bund-Länder-Verbund zustande gekommenen Planungen kaum je i n Frage kommt. Ebenso gravierend ist die Vorverlagerung politischer Entscheidungen i n das Verfahren der Planerstellung, daß nämlich politische Pla68 W. Leisner, Regierung, S. 729; ders., Die quantitative Gewaltenteilung, S. 410. 59 Hierzu etwa K. H. Friauf, Die verfassungsrechtliche Problematik, S. 656 ff.; P. Kevenhörster, P. Hoschka und 17. Kalbhen, Informationslücke, S. 233 ff., 237 und unter I I I . , 1., 3. 60 Vgl. im 2. Kap. unter I I I . , 6 b.

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

nung Auswirkungen auf spätere normative Regelungen zeitigen kann. Über den Bereich der Regierung hinaus kann Planung „rechtlich relevante Zustände" herbeiführen, aus denen, vor allem infolge der Unfähigkeit des Parlaments zu Alternativerwägungen, neues Recht entsteht 61 . Bei politischer Planung handelt es sich oftmals „nicht mehr nur u m eine Vorbereitung, sondern u m eine Vorverfügung über Entscheidungen des Gesetzgebers" 62 . Für Gesetzgebung und Haushaltsbewilligung stellt die Regierungsplanung ein „aufeinander bezogenes und miteinander verknüpftes Handlungsprogramm" dar, so daß Gesetzgebung und Haushaltsbewilligung „der Sache nach Vollzugscharakter erhalten" 6 3 . Gesetzgebung und Haushaltsplan fallen i n die letzte Stufe der Regierungsplanung, d.h. i n die Stufe des Planungsvollzugs. Unter dem Aspekt der Planung kommt ihnen Vollzugscharakter zu, da sie sich i n die erstellte Planung einfügen müssen. Das Parlament kann von den politischen Vorentscheidungen i m Regierungsbereich, d. h. von der mittel- und längerfristigen Regierungsplanung weitgehend abhängig werden. Mag auch die parlamentarische Entscheidung nicht i n allen Einzelheiten durch die Regierungsplanung determiniert werden, so w i r d doch die Richtung der parlamentarischen Entscheidung durch fertige Planungen in erheblichem Umfange vorherbestimmt. Denn beim Erlaß planausführender Gesetze w i r d der Umfang der Vorarbeiten zur Planaufstellung und mehr noch die Alternative, den Plan der Regierung zu realisieren zu helfen oder das Chaos zu wählen, erheblich ins Gewicht fallen 6 4 . Wenn eine Planung zur Reife gelangt ist, besitzt sie also gegenüber Alternativüberlegungen ein kaum überwindbares faktisches Übergewicht. Diese Vorwirkung der Planung i m Regierungsbereich auf die parlamentarische Gesetzgebung ist auch aus einem weiteren Grund von erheblicher politischer Bedeutung. Die Regierung ist i n der Lage, ihre Ziel- und Leitvorstellungen langfristig zu politischen Zielsetzungen zu machen, die vom Gemeinwesen, insgesamt gesehen, akzeptiert werden müssen 65 . Politische Widerstände lassen sich m i t wissenschaft81

W. Leisner, Regierung, S. 730. E.-W. Böckenförde, Planung, S.442; ders., Überlegungen und Empfehlungen der Enquete-Kommission Verfassungsreform im Hinblick auf die demokratisch-parlamentarische Verfassungsorganisation, in: Die Ergebnisse der Enquete-Kommission Verfassungsreform und die verfassungsrechtliche Fortentwicklung der Bundesrepublik (Cappenberger Gespräche Bd. 13, 1977), S. 23 ff., 45 ff.; Zwischenbericht, S. 77; U. Scheuner, Zur Entwicklung der politischen Planung, S. 382 ff. 63 E.-W. Böckenförde, Parlamentarische Kontrolle, S. 13; A. Wender, S. 26 ff., 54 ff.; D. Frank, S. 76 ff. 64 Vgl. hierzu im 2. Kapitel unter I I I . , 6 b, bb. 65 D. Oberndörfer, S. 320 f.; J. Friedmann, A Conceptual Model for the Analysis of Planning Behavior, in Administrative Science Quarterly, Bd. 12 (1967), S. 225 f., 231 ff. 62

I. Politische Planung als spezifische Regierungsfunktion?

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liehen Methoden antizipieren und bereits bei der Programmplanung lassen sich geeignete Durchsetzungsstrategien entwickeln. Durch Öffentlichkeitsarbeit der Regierung 66 kann die öffentliche Meinung so beeinflußt werden, daß eine Bereitschaft für das Akzeptieren von Regierungsprogrammen erzeugt wird. Oftmals treten die Auswirkungen von Regierungsplanungen 67 erst nach geraumer Zeit i n Erscheinung und setzen selbst für eine Regierung und Parlamentsmehrheit von anderer politischer Couleur politische Richtpunkte, die nicht ohne weiteres geändert werden können. T r i t t politische Planung i n ihre Realisierungsphase, so kann der Handlungsspielraum künftiger Parlamente und Regierungen empfindlich eingeschränkt werden. Durch solche Vorwirkungen der fertigen politischen Planung kann das Parlamentsplenum die Möglichkeit kritischer, legitimitätserzeugender Diskussion und differenzierter M i t w i r k u n g an der Ausarbeitung und Realisierung, ja selbst auch einer etwaigen Kontrolle mittelund langfristiger politischer Zielsetzungen verlieren. W i r d i m Rahmen politischer Planung über Entscheidungsbefugnisse des Parlaments vorausverfügt, so bleibt das Parlament ein mit lediglich formalen Gesetzgebungs-, Haushalts- und Kontrollrechten ausgestattetes Ausführungsorgan der Politik von Regierung und Bürokratie. Das Parlament w i r d „zu einer reinen »Ratifikationsmaschine 4 der von der Regierung vorbeschlossenen Planung" 6 8 . Der Regierung und Bürokratie verhelfen also die Verfahren moderner Planung zu einem erheblichen Übergewicht über die Legislative. Dieses zunehmende Übergewicht der Exekutive i m Planungsgeschäft führt zwangsläufig zu einer „Denaturierung der parlamentarischen Kompetenzsphäre" 69 . Es t r i t t eine capitis deminutio, ein Substanzverlust des Parlaments ein, der der K r i t i k am Parlamentarismus 70 neue Nahrung geben kann. Planung als neue Methode der Entscheidungsfindung, Entscheidungsdurchsetzung und Systemsteuerung entfaltet somit ein erhebliches ββ

Hierzu W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit. Ζ. B. auf dem Energiesektor oder auf dem Gebiet der Ausbildung. 68 W. Kewenig, Staatsrechtliche Probleme, S.38; G. Kirchhoff, Subventionen, S. 258, 262 f.; K. Stern, Rationale Infrastrukturpolitik, S. 78. 69 K. Stern, S. 78; F. Wagener, öffentliche Planung, S. 585 f.; A. Wender, S. 58 ff. (auch zum Substanzverlust der Opposition im Parlament, wenn Parlament smehrheit und Regierung informell langfristige Planungen absprechen). 70 Zur Kritik am Parlamentarismus und zu den Bestrebungen um eine Parlamentsreform, auf deren Hintergrund die Diskussion um die Planungsfunktionenteilung zwischen Parlament und Regierung zu sehen ist, vgl. etwa die Beiträge in K. Kluxen (Hg.), Parlamentarismus (1967); Th. Ellwein und A. Görlitz, Parlament und Verwaltung, Teil I (1967), S. 21 ff.; U. Thaysen, Parlamentsreform in Theorie und Praxis (1972), S. 24 ff., 95 ff.; G. Schmid , S. 241 ff.; M. Hereth, Die Reform des Deutschen Bundestages (1971); N. Achterberg, Parlamentsreform, S. 833 ff. 67

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

Eigengewicht i m politischen System. Sie vermag die Gewichte i m politischen Willensbildungsprozeß i n beachtlichem Ausmaß zu verlagern. Wie sehr diese Entwicklung die Struktur des gegenwärtigen Parlamentarismus berührt, zeigt ein Blick auf die neuen Anforderungen an die Qualifikationen der Träger politischer Entscheidungsmacht. Planung verlangt die verstärkte Beteiligung des Sachverstandes am politischen Entscheidungsprozeß. Erhalten i n den Verfahren der Planung der Sachverstand und die wissenschaftliche Beratung erhebliche Bedeutung, so scheinen die überkommenen Strukturen des politischen W i l lensbildungsprozesses und der vorherrschende Typ des Abgeordneten und Politikers i n den Hintergrund zu treten 7 1 . Die Tendenz scheint zu einer Technokratie zu gehen. Nicht unter M i t w i r k u n g der demokratisch legitimierten Instanzen, so steht zu befürchten, sondern i n der Regierung und der Bürokratie, beraten vom Sachverstand der Verbände und der Wissenschaft, werden die weitreichenden politischen Entscheidungen getroffen. Dem parlamentarischen Willensbildungsprozeß, vermag er nicht einen dem Regierungsbereich adäquaten Sachverstand zu entwickeln, w i r d dergestalt vom Sachverstand der Planer vorgegriffen. I m Parlament können bürokratische Planungen lediglich sanktioniert, kaum aber korrigiert werden 7 2 , solange dem Parlament nicht ein ebenbürtiger Sachverstand zur Seite steht. Blickt man auf diese faktischen Kompetenzenverschiebungen, zu denen politische Planung zwangsläufig führt, so muß man eine einseitige Verweisung der Planungsfunktion i n den Bereich der Regierung m i t Entschiedenheit ablehnen. Die Verweisung der politischen Planung i n den alleinigen Bereich der Regierung schätzt die veränderte politische Lage, die das Instrumentarium der politischen Planung schafft, nicht richtig ein. Begreift man politische Planung vorrangig als Regierungsfunktion, so entsteht die Gefahr, daß die demokratischen Willensbildungsmechanismen und die freiheitssichernden „checks and balances" unterlaufen werden. Die Planungsfunktion läßt sich darum nur dann sachgerecht auf die Organe der politischen Führung verteilen, wenn die Verlagerungen i m politischen Kräftespiel, die Planung bewirken kann, i n die rechtsdogmatischen Analysen einbezogen werden. Verfassungstheorie und Verfassungsrecht kommen u m eine Berücksichtigung der Planungsrealität nicht herum. 71 Hierzu A. Ruch, Das Berufsparlament. Parlamentarische Struktur- und Funktionsprobleme unter Darstellung der Parlamente in der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien, der Vereinigten Staaten von Amerika und Dänemark (1976), S. 238 ff., 245 ff.; H. ApeZ, Der deutsche Parlamentarismus (1968), S. 176 ff. 72 K. D. Bracher, Gegenwart und Zukunft der Parlamentsdemokratie in Europa, in: K. Kluxen (Hg.), Parlamentarismus (1967), S. 70 ff.; B. Dobiey, S. 84 ff.; A. Wender, S. 59 f.

I I . Differenzierte Verteilung der Planungsfunktionen

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II. Differenzierte Verteilung der Planungsfunktionen (Frühzeitige und umfassende Beteiligung des Parlaments) Es stellt sich also die Aufgabe, die Planungsfunktionen der Zielfindung, Prioritätensetzung, Planungsausarbeitung und Planungskoordinierung auf Parlament und Regierung entweder i n Analogie zu einzelnen, bzw. mehreren grundgesetzlichen Kompetenzenverteilungsbestimmungen zu verteilen oder — unter Berücksichtigung der i m Grundgesetz geregelten Kompetenzenverteilung — eine Planungsfunktionenteilung aus der Demokratie- und Gewaltenteilungskonzeption des Grundgesetzes zu begründen 1 . Hierbei werden die einzelnen Planungsfunktionen entweder global Parlament und Regierung „zur gesamten Hand" oder nach einzelnen Planungstätigkeiten differenzierend zugewiesen. Ein einfacher Rückschluß von der Funktion auf den Funktionsträger wäre unzulässig 2 . I m Verfassungssystem des Grundgesetzes besitzt nämlich das Gewaltenteilungsprinzip nur i n abgeschwächter Form Geltung; es werden zwar die „klassischen" Funktionsträger Legislative, Exekutive und Judikative unterschieden, nicht aber auch die entsprechenden Funktionen m i t gleicher Kompromißlosigkeit auseinandergehalten. 1. Funktionenteilung in Analogie zu Kompetenzenverteilungsnormen?

Die spezifische Zuweisung politischer Planung i n den Funktions- und Kompetenzenbereich von Regierung und Exekutive konnte einerseits nicht überzeugen, da eine weitgehende Ausschließung des Parlaments von der Mitentscheidung i n Planungsangelegenheiten i n Kauf genommen w i r d und damit eine parlamentarische Steuerung des Handelns i m Bereich der Exekutive bedeutsamen Hindernissen unterliegt. Andererseits findet sich i m Grundgesetz kein Hinweis, wie die Planungsfunktionen zwischen den staatsleitenden Instanzen zu verteilen sind. Wegen dieser Planungsindifferenz des Grundgesetzes läßt sich überlegen, ob i n Analogie zu einzelnen Kompetenzenverteilungsnormen oder zum verfassungsrechtlichen Kompetenzenverteilungsschema insgesamt eine Pflicht der Regierung begründet werden kann, das Parlament frühzeitig und umfassend an der Staatsleitung durch politische Planung zu beteiligen. I m einzelnen bieten sich Analogien zu den Normen über den Haushalts- und Finanzplan (Art. 109,110 GG), zur Ratifikationsbefugnis des Parlaments nach A r t . 59 Abs. 2 GG sowie zum Prinzip des Gesetzesvorbehaltes an. 1

So etwa F. Ossenbühl, Nomative Anforderungen, S. Β 72. W. Kewenig, Staatsrechtliche Probleme, S. 16 ff.; Κ . H. Friauf, Die verfassungsrechtliche Problematik, S. 615; ders., Der Staatshaushaltsplan im Spannungsfeld zwischen Regierung und Parlament, Band 1 (1968), S. 282; B. Dobiey, S. 60 f. 2

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament und Regierung

a) Analogie zu Art. 110 GG I n der Aussprache der Würzburger Staatsrechtslehrertagung hat Dürig die dann nicht weiter verfolgte Frage gestellt, ob ein Beteiligungsrecht des Parlaments an politischer Planung aus einer Analogie zu A r t . 110 GG hergeleitet werden könne 3 . Anläßlich dieser Frage läßt sich überlegen, ob das Parlament nicht, ebenso wie durch den Beschluß über den Haushaltsplan das Staatshandeln, i n umfassender Weise auch durch Beschluß über die politischen Planungen wichtige Bereiche hoheitlicher Tätigkeit steuern soll. Zu unterscheiden ist hierbei zwischen der Ressourcenplanung einerseits und der Ziel- und Aufgabenplanung andererseits. Die Haushaltsplanung ist die typische Form der Ressourcenplanung i m demokratischen Staat. Der Haushaltsplan als i n Zahlen gefaßtes Regierungsprogramm ermöglicht es dem Parlament — zumindest in der Theorie — die Einnahmen und Ausgaben des Staates zu lenken und zu kontrollieren 4 . Die Ziel- und Aufgabenplanung, wichtige Bereiche politischer Planung also, muß man dagegen durch eine extensive Auslegung des A r t . 110 GG oder durch eine Analogie zu dieser Vorschrift einem parlamentarischen Beteiligungsrecht unterstellen 5 . Zwar sollten Ziel- und Aufgabenplanung einerseits und Ressourcenplanung andererseits eine Einheit bilden. Eine Aufgabenplanung, die die Ressourcenplanung nicht berücksichtigt, ist wertlos. Gleichwohl ist A r t . 110 GG lediglich auf die Ressourcenplanung zugeschnitten. Der Schritt von der M i t w i r k u n g und Kontrolle an der Ressourcenplanung zu einer globalen M i t w i r k u n g des Parlaments an staatsleitenden Entscheidungen läßt sich auch nicht durch einen Analogieschluß zu A r t . 110 GG begründen. Ein Analogieschluß würde voraussetzen, daß Aufgabenplanung und Ressourcenplanung Merkmale gemeinsam haben, die i m Hinblick auf A r t . 110 GG die gleichen Rechtsfolgen, nämlich Beteiligung des Parlaments an diesen beiden Formen der Planung nahe legen®. Die Aufgabenplanung auf der einen und die Ressourcenplanung auf der anderen Seite weisen aber so grundverschiedene Regelungsrichtungen und Regelungsmaterien auf, daß sie i m Hinblick auf A r t . 110 GG nicht gleich behandelt werden kön3 G. Dürig, Diskussionsbeitrag, in: W D S t R L H. 24 (1966), S.241; dieser Gedanke Dürigs wurde wieder aufgenommen von R. Herzog (Gutachten, S. 119 f.), der auch zwischen Ressourcen- und Aufgabenplanung differenziert. 4 Vgl. unter I I I , 1. 5 So im Ergebnis auch R. Herzog, S. 120; F. Ossenbühl, S. Β 67; M. Schröder, Planung S. 78. 6 Zu den Voraussetzungen eines Analogieschlusses K. Lorenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1975), S. 366 ff.; R. Zippelius, Einführung in die juristische Methodenlehre, 2. Aufl. (1974), Kap. I I b , 12.

I I . Differenzierte Verteilung der Planungsfunktionen

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nen. A r t . 110 GG eröffnet dem Parlament die Kontrolle über den Staatshaushalt und damit über die ausgabewirksamen Regierungsplanungen und Regierungsprogramme. Würde man aus A r t . 110 GG ein parlamentarisches Mitspracherecht bei der Aufgabenplanung insgesamt entnehmen, so könnte das Parlament auch über Planungen beschließen, die nicht ausgabewirksam sind und nicht der Haushaltsplanung gemäß A r t . 110 GG unterfallen 7 . b) Analogie zu Art. 59 Abs. 2 GG Ein anderer Versuch, eine frühzeitige und umfassende parlamentarische Beteiligung an politischer Planung zu begründen, setzt bei A r t . 59 Abs. 2 GG an. A r t . 59 Abs. 2 GG w i l l beim Abschluß von Verträgen, „welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln", gewährleisten, daß „außenpolitisch schwerwiegende Vertragsbindungen der Legislative unterstellt werden" 8 . Parlamentarische Zustimmung ist hier wegen der politischen Bedeutung bestimmter völkerrechtlicher Verträge erforderlich, auch wenn durch diese Verträge nicht das Außenverhältnis zum Bürger gestaltet wird. Von Herzog 9 ist aus dieser Regelung folgender freilich später wieder aufgegebene 10 Schluß gezogen worden: Heute werde die völkerbewegende Politik nicht mehr allein i m internationalen Bereich gemacht, sondern i n gleichem Maß auch i n den Stäben der Sozialplaner. Es bestehe darum kein Anlaß, die beiden A r t e n der „hohen" Politik, nämlich die Außenpolitik und die unter Umständen gesellschaftsverändernde Politik der Sozialplanung, verschieden zu behandeln. Es entspreche dem Sinne des A r t . 59 Abs. 2 GG, wenn das Parlament zumindest an den staatsleitenden A k t e n i m Bereich der politischen Planung beteiligt werde. Gegen eine Gesetzesanalogie zu A r t . 59 Abs. 2 GG ist eingewandt worden, es handle sich u m eine zu schmale Basis für eine weittragende und die politische Planung insgesamt regelnde Analogie 11 . Ob A r t . 59 Abs. 2 GG wirklich eine zu schmale Basis für einen Analogieschluß darstellt, erscheint fraglich. A r t . 59 GG ist zwar eine Einzelvorschrift, dafür aber von grundlegender Bedeutung. Die Verfassung ver7 Wegen Einzelheiten der Begründung vgl. W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 316 ff. 8 Menzel, in: Bonner Kommentar, Art. 59 I I , Erl. Nr. 5. 9 R. Herzog, Gesetzgeber und Verwaltung, in: W D S t R L H. 24 (1966), S. 205; zustimmend: M. Abelein, Finanzplanung und Haushaltsrecht, in: ZRP 1969, 244 f.; F. Ossenbühl, S. Β 68; ablehnend R. Wimmer, Gewaltentrennung, S. 201 mit dem Argument, die Ausnahmeregelung des Art. 59 Abs. 2 GG eigne sich nicht für eine Gesetzesanalogie. 10 R. Herzog, Gutachten, S. 122. 11 R. Herzog, S. 122; R. Wimmer, S. 201; M. Schröder, S. 78; wohl auch F. Ossenbühl, S. Β 68 f.

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

teilt hier die Ausübung der auswärtigen Gewalt auf Regierung und Parlament. Bedenken gegen die Analogie zu A r t . 59 Abs. 2 GG lassen sich von anderer Seite her vortragen: Die A r t . 59 Abs. 2 GG unterfallenden Verträge und die Sozialplanung können nach dem Regelungssystem des Grundgesetzes nicht qualitativ gleich behandelt werden. I m innenpolitischen Bereich, zu dem die Sozialplanung gehört, erfolgt die parlamentarische Steuerung der Regierung über Gesetzgebung und Haushaltsplanung. Diese traditionellen Steuerungsmöglichkeiten versagen in der Regel i m Bereich der Außenpolitik. Hier ist A r t . 59 Abs. 2 GG der Ersatz für fehlende Steuerungsmöglichkeiten durch Gesetzesakte; A r t . 59 Abs. 2 GG kommt also eine A r t Auffangfunktion zu. Ein Rückschluß von A r t . 59 Abs. 2 GG auf den innenpolitischen Bereich, der eine Analogie ja erst ermöglichen würde, erscheint darum nicht statthaft 1 2 . Auch würde eine Analogie zu A r t . 59 Abs. 2 GG i m Ergebnis wenig einbringen. Das Parlament könnte Regierungsplanungen nur global ratifizieren oder ablehnen 18 . Eine frühzeitige und differenzierte Beteiligung des Parlaments an dem Prozeß politischer Planung kann aus A r t . 59 Abs. 2 GG nicht unmittelbar hergeleitet werden. c) Vor er Streckung des

Gesetzesvorbehaltes

Weiterhin versucht man, ein frühzeitiges und umfassendes Beteiligungsrecht des Parlaments an politischer Planung durch Rückgriff auf den Vorbehalt des Gesetzes, dem traditionellen Zuordnungskriterium 12 K. Gr esser (Finanzplanung, S. 185) lehnt das Ratifikationsmodell mit anderer Begründung ab: Die Anwendung von Art. 59 Abs. 2 GG auf die politische Planung würde die Planungsgewalt der Exekutive zuordnen, zugleich aber deren Kontrolle durch das Parlament ermöglichen. Dieses Modell soll nicht praktikabel sein, da das Erfordernis parlamentarischer Zustimmung zu im Entstehen begriffenen Planungen das Parlament überlasten würde. Gressers Einwand gegen eine analoge Anwendung des Art. 59 Abs. 2 GG scheint aus zwei Gründen wenig stichhaltig: Das Ratifikationsmodell des Art. 59 Abs. 2 GG geht doch gerade davon aus, daß erst eine fertige Planung dem Parlament vorgelegt wird. Das Parlament wird j a auch nicht am Aushandeln völkerrechtlicher Verträge beteiligt. Außerdem stellt sich die Frage, ob das Parlament nicht von weniger wichtigen Aufgaben entlastet werden kann, um sich der staatsleitenden Regierungsplanung voll widmen zu können. 13 Aus diesem Grunde hat R. Herzog (S. 115 f.) zur Anpassung des Art. 59 Abs. 2 GG an die Erfordernisse politischer Planung einen weiteren Analogieschluß vorgeschlagen: Eine Beteiligung des Parlaments an politischer Planung soll analog dem Verfahren nach Art. 113 GG stattfinden. Die Regierung soll das Planungskonzept ausarbeiten und dem Parlament vorlegen. Das Parlament kann Änderungen vorschlagen, die nur wirksam werden, wenn die Regierung zustimmt oder nicht ausdrücklich widerspricht. Gegenüber dem Ratifikationsmodell des Art. 59 Abs. 2 GG ist dieses Verfahren flexibel. Die Letztentscheidungskompetenz verbliebe freilich bei der Regierung. Ein wesentlicher Gewinn des Parlaments an Mitentscheidungsbefugnis wäre nicht zu erwarten.

I I . Differenzierte Verteilung der Planungsfunktionen

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von Legislative und Exekutive zu begründen 14 . M i t dem Institut des Gesetzesvorbehaltes w i r d zunächst erreicht, daß zumindest alle Eingriffe i n Freiheit und Eigentum des Bürgers durch Parlamentsbeschluß demokratisch legitimiert sein müssen. Es ist selbstverständlich, daß alle Planungen, die i m Vollzugsstadium i n Freiheit und Eigentum des Bürgers eingreifen, gesetzlicher Grundlage und damit parlamentarischer Billigung bedürfen. Wegen der Vorwirkungen der politischen Planung ist der Gedanke geäußert worden, der Gesetzesvorbehalt solle zeitlich vorerstreckt werden 1 5 . Da die staatliche Eingriffsgesetzgebung oftmals das Ergebnis eines langfristigen Prozesses der Planung sei, soll der Gesetzesvorbehalt bereits i n den ersten Stufen der Konkretisierung politischer Planung zum Tragen kommen. M i t der Vorerstreckung des Gesetzesvorbehaltes können zweifelsfrei nur jene Planungsvorhaben erfaßt werden, die zu ihrer V e r w i r k l i chung Eingriffe i n Freiheit und Eigentum des Bürgers voraussetzen. I m regelungs- und leistungsintensiven Industriestaat werden aber weniger Eingriffe als vielmehr Leistungen geplant. Für die Leistungsplanung würde sich die lange Zeit höchst kontroverse, derzeit weniger diskutierte Frage stellen, inwieweit der Gesetzesvorbehalt auf die Leistungs Verwaltung anzuwenden, d. h. vorzuerstrecken ist. Ob der Gesetzesvorbehalt über die Beschränkung auf die Eingriffsverwaltung hinaus auch auf die Leistungsverwaltung anzuwenden ist, hat vor allem bei der rechtlichen Durchdringung w i l d wuchernder Subventionspraktiken des Staates heftige Kontroversen ausgelöst. Die Bandbreite der Positionen reicht von der Annahme, der Gesetzes vorbehält gelte nur für die Eingriffsverwaltung 1 ® über eine Reihe modifi14

Den Begriff des Gesetzes als Ansatz der Differenzierung von Legislative und Exekutive im Spätkonstitutionalismus stellt H. D. Jarass, Politik, S. 20 ff. mit eingehenden Literaturnachweisen dar. 15 jR. Herzog, S. 122 ff.; D. Grimm, Aufteilung gesetzgeberischer Funktionen, S. 453; U. Scheuner, Zur Entwicklung der politischen Planung, S. 384; F. Ossenbühl, S. Β 69. 16 Aus der umfangreichen Literatur sei verwiesen auf: K. Ballerstedt, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. I I I , 1 (1968), S. 1 ff., 34; Th. Maunz, Die staatliche Verwaltung der Zuschüsse und Subventionen, in: BayVBl. 1962, 1 ff., 3; H. J. Wolff und O. Bachof, Verwaltungsrecht I, § 30 I I I ; M. Bullinger, Vertrag und Verwaltungsakt (1962), S. 93 ff.; W. Rüfner, Formen öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft (1967), S. 220 ff. Solange eine Subventionierung nicht in einer „untrennbaren Wechselbeziehung" mit der Auferlegung von Belastungen verknüpft ist, wird vom Bundesverwaltungsgericht ein Gesetzesvorbehalt grundsätzlich nicht für erforderlich gehalten: BVerwGE 6, 287 f.; 17, 115; 18, 353; DVB1. 1959, 575; NJW 1961, 137 f.; DVB1. 1963, 859; auch die Untergerichte folgen dieser Judikatur: V G H Kassel, DVB1. 1963, 443 ff.; bay V G H BayVBl. 1962, 247 f. 16 Würtenberger

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

z i e r e n d e r S t e l l u n g n a h m e n 1 7 bis z u d e r F o r d e r u n g , j e g l i c h e V e r w a l t u n g s t ä t i g k e i t müsse eine gesetzliche G r u n d l a g e b e s i t z e n 1 8 . Es erscheint aus rechtspolitischen w i e auch aus verfassungstheoretischen E r w ä g u n g e n h e r a u s angebracht, d e n Gesetzesvorbehalt auch a u f j e n e n T e i l der L e i s t u n g s v e r w a l t u n g z u erstrecken, i n d e m es u m V e r t e i l u n g v o n L e benschancen u n d soziale S i c h e r u n g geht. A l l e r d i n g s l ä ß t sich die E r s t r e c k u n g des Gesetzesvorbehalts a u f e i n e n T e i l d e r l e i s t e n d e n V e r w a l t u n g , w i e vielfach versucht w i r d 1 9 , nicht m i t den A r g u m e n t e n der ü b e r k o m m e n e n E i n g r i f f s l e h r e b e g r ü n d e n . Es ist z w a r r i c h t i g , daß z w i schen B e l a s t u n g u n d B e g ü n s t i g u n g eine I n t e r d e p e n d e n z i n d e m S i n n e besteht, daß die B e g ü n s t i g u n g f ü r u n d L e i s t u n g a n d e n E i n e n sich f ü r d e n A n d e r e n d i r e k t oder i n d i r e k t als B e l a s t u n g e r w e i s t . A u s d i e ser B e o b a c h t u n g l ä ß t sich aber n i c h t die A u f f a s s u n g a b l e i t e n , daß d e r Staat e i n e m d o p p e l t e n Gesetzesvorbehalt, u n d z w a r b e i E r h e b u n g w i e b e i V e r w e n d u n g d e r S t e u e r n u n t e r w o r f e n sei. H i e r w i r d das M o m e n t

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Vor allem F. Ossenbühl (Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz [1968], S. 208 ff.) möchte nach einer eingehenden Abwägung des Für und Wider einer Erstreckung des Gesetzesvorbehalts auf die Leistungsverwaltung aus Gründen der Praktikabilität eine weit gefaßte gesetzliche Globalermächtigung für ausreichend erachten. Ob allerdings für den Bereich der Subventionsverwaltung auf die Rechtsfigur des Gewohnheitsrechts (S. 247 ff.) rekurriert werden kann, erscheint fraglich, will man nicht die Faktizität der Lebensverhältnisse über die Normativität verfassungsrechtlicher Regelungen stellen. Weiterhin sei verwiesen auf: Κ. H. Friauf, Bemerkungen zur verfassungsrechtlichen Problematik des Subventionswesens, in: DVB1. 1966, S. 729 ff., 734 ff.; V. Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen (1966), S. 292 ff.; C. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes. Ein Beitrag zum juristischen Gesetzesbegriff (1970), S. 281 ff.; W.-R. Schenke, Gesetzesvorbehalt und Pressesubventionen, in: Der Staat, 15. Bd. (1976), S. 553 ff.; N. Henke, Gedanken zum Vorbehalt des Gesetzes, in: AöR 101. Bd. (1976), S. 576 ff. 18 Ein „Totalvorbehalt" des Gesetzes für die Tätigkeit öffentlicher Verwaltung wird angenommen von: H. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre (1965), S. 115 f., 143; D. Jesch, Gesetz und Verwaltung (1961), S. 66 ff., 171 ff., 205; K. Stern, Rechtsfragen der öffentlichen Subventionierung Privater, in: JZ 1960, 557 ff.; W. Mallmann, Schranken nichthoheitlicher Verwaltung, in: V V D S t R L H. 19 (1961), S. 165 ff., 184 f.; K. Obermayer, Urteilsanmerkung, in: DÖV 1959, 268. Vor allem die österreichische und schweizerische Staatsrechtslehre hat sich intensiv um den „Totalvorbehalt" bemüht: W. Antonioiii, Allgemeines Verwaltungsrecht (1954), S. 102 ff.; L. Adamovich, Handbuch des österreichischen Verwaltungsrechts, 5. Aufl. (1954), 1. Bd., S. 15 ff. Für die Schweiz seien genannt: M. Imboden, Das Gesetz als Garantie rechtsstaatlicher Verwaltung (Basler Studien zur Rechtswissenschaft, Heft 38), 2. Aufl. (1962), S. 41 f.; Höhn, Gewohnheitsrecht im Verwaltungsrecht (1960), S. 21; für Z. Giacometti (Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, 1. Bd. [1960], S. 251) ist vor allem der Gewaltenteilungsgrundsatz ausschlaggebend: „Das Gesetz ist im gewaltentrennenden Staat Schranke und positive Bedingung jeglicher Verwaltung". 19 M. Imboden, S.42; K. Zeidler, Einige Bemerkungen zum Verwaltungsrecht und zur Verwaltung in der Bundesrepublik seit dem Grundgesetz, in: Der Staat, Bd. 1 (1962), 321 ff., 335 ff.; ders., Diskussionsbemerkung, in: W D S t R L H. 19 (1961), S. 179.

I I . Differenzierte Verteilung der Planungsfunktionen

243

der Belastung konstruktiv überzogen 20 . Auch die Meinung, Leistungen der öffentlichen Hand bedürften einer gesetzlichen Grundlage, weil die Verweigerung beantragter Leistungen stets als „Eingriff i n Freiheit und Eigentum" zu werten sei 21 , vermag nicht zu überzeugen. Denn die Aussicht auf eine Leistung der öffentlichen Hand vermag nur dann einen eingriffsfähigen Tatbestand darzustellen, wenn eine normative Fixierung vorliegt. Solange die angestrebte Leistung nicht gesetzlich geregelt ist, kann eine Ablehnung nicht als Eingriff qualifiziert werden 2 2 . Von Gegnern wie Befürwortern der Erstreckung des Gesetzesvorbehaltes auf die leistende Verwaltung w i r d schließlich noch das demokratische Prinzip ins Feld geführt 23 . Die Verwaltung darf nach Ansicht der Befürworter der Erstreckung des Gesetzesvorbehaltes Leistungen und Begünstigungen nur aufgrund einer parlamentarischen Ermächtigung 24 gewähren. Dem Parlament als höchstem Organ unter den Staatsorganen soll die Führungsrolle auch für Verwaltungsleistungen zukommen. Demgegenüber hat vor allem Ossenbühl darauf aufmerksam gemacht, daß „die Weihe demokratischer Legitimation" keineswegs nur dem Parlament, sondern auch der Verwaltung zukomme 25 . Freilich handelt es sich hier i n erster Linie u m eine institutionelle demokratische Legitimation, eine Funktionslegitimation durch den pouvoir constituant. Gegenüber der unmittelbaren demokratischen Legitimation des Parlaments durch Wahl besteht zwar ein Qualitätsunterschied, der jedoch wegen der Mediatisierung des Volkswillens durch die Parteibürokratie nicht überbewertet werden sollte 26 . Aus dieser demokratischen Legitimation der Exekutive lasse sich, so w i r d von Ossenbühl betont, vor allem i n Hinblick auf A r t . 20 Abs. 2 GG ein allgemeiner Verwaltungsauftrag

20 Κ H. Friauf, S. 736; F. Ossenbühl (S. 230) weist mit Recht darauf hin, daß die Interdependenz zwischen Eingriff und Leistung erst dann rechtsstaatlich relevant werde, wenn ihre Wechselbezüglichkeit konkret faßbar und notwendig bedingt ist. Aus der Rechtsprechung sei für eine derartige Interdependenz auf das Ölmühlen-Urteil BVerwGE 6, 282 ff., 288 verwiesen. 21 D. Jesch, S. 183. 22 Κ. H. Friauf, S. 736; O. Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in: W D S t R L H. 12 (1954), S. 37 ff., 56 ff. 23 Zu den „Befürwortern", die sich auf das demokratische Prinzip berufen, gehören: D. Jesch, S. 205; W. Mallmann, S. 174 f., 185 f.; C.-F. Menger, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Verwaltungsrecht, in: VerwArch Bd. 52 (1961), S. 196 f. 24 Ein Titel im Haushaltsplan wird mitunter für ausreichend gehalten (vgl. D. Jesch, S. 227 ff.). 25 F. Ossenbühl, S. 196 ff., 228. 26 Vgl. etwa BVerfG NJW 1966, 1503 zur Parteienfinanzierung; G. Leibholz, Der Strukturwandel der modernen Demokratie, in: Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 78 ff., 93 ff.; O. Bachof, Die richterliche Kontrollfunktion im westdeutschen Verfassungsgefüge, in: Festschrift für Hans Huber (1961), S. 26 ff., 43.

16*

244

5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

der Exekutive ableiten 27 ; dieser allgemeine Verwaltungsauftrag sichere der Verwaltung einen eigenen Raum gesetzesunabhängiger Initiative. Wie weit dieser gesetzesfreie Raum durch den Gesetzesvorbehalt beschränkt wird, könne aber m i t dem Hinweis auf das demokratische Prinzip nicht schlüssig geklärt werden. Nach dieser kursorischen Darstellung der Positionen bei der Neuinterpretation des Gesetzesvorbehalts ist auf das schwerwiegendste Argument näher einzugehen: Das Rechts- und Sozialstaatsprinzip erfordere eine Erstreckung des Gesetzesvorbehalts auf wichtige Bereiche der leistenden Verwaltung 2 8 . Betrachtet man das Rechtsstaatsprinzip isoliert, so w i r d i h m m i t der Beschränkung des Gesetzesvorbehalts auf die Eingriffsverwaltung v o l l Genüge getan. Eine derartige Betrachtungsweise würde aber übersehen, daß der dem Grundgesetz zugrundeliegende Rechtsstaatsgedanke nicht mehr lediglich formal verstanden werden darf, sondern auch materielle Kriterien zum Inhalt hat. I m Rechtsstaatsbegriff des Grundgesetzes schwingt immer auch die Aufgabe der öffentlichen Gewalt mit, Einzelfallgerechtigkeit und sozialer Gerechtigkeit — wie sie auch jeweils aussehen mögen — zur Verwirklichung zu verhelfen 29 . Die materielle Seite des Rechtsstaatsgedankens w i r d durch seine enge Verbundenheit m i t dem Sozialstaatsgedanken vollends deutlich. Wenn das Rechtsstaatsgebot sich als Formprinzip der Sozialstaatlichkeit anbietet, so ist unter diesem Aspekt zu fragen: Muß i n einem sozialen Rechtsstaat, w i l l er seiner sozialgestaltenden Funktion gerecht werden, der Gesetzesvorbehalt nicht auch auf die Leistungsverwaltung erstreckt werden? Welcher Spielraum muß gleichzeitig der Exekutive gelassen werden, „sich m i t ihrer Sozialpolit i k auf die wandelbaren konkreten Situationen einzustellen"? 30 . Ließ der liberale Rechtsstaat Eingriffe i n Freiheit und Eigentum der Bürger nur aufgrund eines Gesetzes zu, so erhebt das grundgesetzliche „Junktim zwischen Sozialstaat und Rechtsstaat" 31 das Gesetz zum unverzichtbaren Instrument hoheitlicher sozialgestaltender Tätigkeit 3 2 . Zieht man 27 A. Köttgen, Die Organisationsgewalt, in: V V D S t R L H. 16 (1958), S. 170 f.; M. Bullinger, S. 94; BVerfGE 9, 280. 28 K. Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, in: Festgabe für R. Smend (1962), S. 79 ff.; V. Götz, S. 281 ff.; vgl. auch K. Stern, Rechtsfragen der öffentlichen Subventionierung Privater, in: JZ 1960, 518 ff., 524 ff. 29 So erklärt das BVerfG (E 7, 92), daß zur Rechtsstaatlichkeit neben der Rechtssicherheit auch die materielle Gerechtigkeit gehöre (vgl. auch BVerfGE 20, 331; 22, 329; 25, 290). Weiterhin sei verwiesen auf K. Stern, Staatsrecht, S. 602 ff. und auf das 6. Kapitel unter I. 30 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 23 I I I . 31 V. Götz, S. 284. 32 Der Einwand F. Ossenbühls (S.236), es erscheine „spekulativ", aus der Zusammenschau des „formfreien" Sozialstaatsprinzips mit dem herkömm-

I I . Differenzierte Verteilung der Planungsfunktionen

245

die Wendung der Staatszwecklehre vom liberalen Rechtsbewahrstaat zum sozialgestaltenden Vorsorgestaat i n Betracht, so kann der Behauptung Forsthoffs 33 nur beigepflichtet werden, daß der Bürger überhaupt erst durch eine „rechtlich gesicherte Teilhabe an der Daseinsvorsorge" zur vollen Freiheit gelangen könne. Je stärker die Funktion des Staates, das Bruttosozialprodukt gerecht zu verteilen, betont wird, desto weniger kann die Beschränkung des Gesetzesvorbehaltes auf die Regelung von Voraussetzungen und Grenzen belastender staatlicher A k t e befriedigen. I n einer Zeit, i n der durch soziale Fürsorge und Daseinsvorsorge des Staates auch rechtsstaatliche Freiheit mitgewährleistet wird, erscheint eine weitgehende Erstreckung des Gesetzesvorbehaltes auf die Leistungsverwaltung dringend geboten. Nur das Gesetz, nicht eine (geheime) Verwaltungsrichtlinie und wenig einheitliche Rechtsprechung kann jene Rechtsposition des Einzelnen klar und jederzeit zugänglich umschreiben, „die i m Zeichen seiner Angewiesenheit auf das gewährende und gestaltende Wirken des Staates Grundvoraussetzung seiner Freiheit ist" 3 4 . Trotz dieser gewichtigen Argumente für eine Erstreckung des Gesetzesvorbehaltes auf die Leistungsverwaltung konnte sich i n der verfassungsrechtlichen Diskussion und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung 35 noch keine communis opinio herausbilden. Daher würde ein nur auf die Vorerstreckung des Gesetzesvorbehaltes gestütztes frühzeitiges und umfassendes Beteiligungsrecht des Parlaments an politischer Planung auf tönernen Füßen stehen 88 . Eine entscheidende Schwierigkeit ist auch darin zu sehen, daß der Vorbehalt des Gesetzes, wie er sich i m 19. Jahrhundert durchzusetzen vermochte, „nur das unmittelbare Tätigwerden des Staatsapparates gegenüber dem Bürger i m Auge hat" 3 7 . Eine Vorerstreckung des Gesetzesvorbelichen Rechtsstaatsgedanken eine Veränderung formeller Elemente des Rechtsstaatsprinzips, nämlich des Gesetzesvorbehalts ableiten zu wollen, kann nicht akzeptiert werden. Es ist zwar richtig, daß die Väter des Grundgesetzes mit dem traditionellen Begriffsarsenal operierten (vgl. Laforet, DÖV 1949, 221) und das Spannungsverhältnis zwischen Rechtsstaat und Sozialstaat bei den Beratungen nicht voll vorhergesehen wurde. Es widerspricht aber hermeneutischen Regeln, wenn man dem Grundsatz folgt: „Wo nichts gewollt war, kann auch nichts interpretiert werden." Bei einer rein historischen Interpretation läßt man den Anspruch der Verfassung außer acht, auch neue Lagen und Herausforderungen zu bewältigen und mit ihrer Normativität einzufangen. Gerade bei der Ausformung des Sozialstaatsprinzips hat sich gezeigt, welche Blüten ein zunächst lebloser Verfassungsrechtssatz treiben kann. 33 E. Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung (1959), S. 59. 34 K. Hesse, Grundzüge, § 14 I 1 b; zurückhaltender K. Stern, S. 640 f. 35 Vgl. BVerfGE 40, 237 ff., 248 ff. 36 M. Schröder, S. 78 f.; F. Ossenbühl, Normative Anforderungen, S. Β 69. 37 R. Herzog, S. 124.

246

5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

halts auf die frühen Phasen leistungsstaatlicher Planung wäre also noch mit demokratietheoretischen Überlegungen und m i t Blick auf die Lehre von der Funktionenteilung näher zu begründen. Hierauf einzugehen erübrigt sich an dieser Stelle 38 , da eine Vorerstreckung des Gesetzesvorbehalts dem Parlament keinen entscheidenden Kompetenzenzuwachs bringt. A n der Ausgaben erfordernden Leistungsplanung ist das Parlament ohnehin bereits i m Rahmen der Ressourcenplanung zu beteiligen. Bereits insoweit braucht man nicht unbedingt auf eine Vorerstreckung des Gesetzesvorbehalts zurückzugreifen. Die Vorerstreckung des Gesetzesvorbehalts würde aber auch nur einen Ausschnitt leistungsstaatlicher Planung einer parlamentarischen Beschlußfassungskompetenz zuführen. M i t einer Vorerstreckung des Gesetzesvorbehalts würden nicht jene Planungsaktivitäten des Staates erfaßt, deren leistungsstaatliche Seite für die Einzelnen nicht greifbar ist. Es gibt bedeutsame sozialpolitische Planungen, deren Realisierung keine finanziellen Leistungen an den Einzelnen erfordern. Genannt sei nur eine Planung der Energiesicherung oder des Hochschulausbaus. Hier werden zwar durch die Planungen die „Grenzen und Bedingungen der Möglichkeit individueller Freiheit" 3 9 bei der persönlichen Entfaltung oder bei der Berufswahl festgelegt. Es finden aber keine direkten Leistungen des Staates an den Einzelnen statt, auf die ein Gesetzesvorbehalt vorerstreckt werden könnte. d) Rechtsanalogie rechtlichen

zum verfassungs-

Kompetenzenverteilungsschema

insgesamt

Eine frühzeitige und umfassende Beteiligung des Parlaments an der politischen Planung kann eine Gesamtanalogie zum verfassungsrechtlichen Kompetenzenverteilungsschema nahe legen 40 . Bei einer Gesamtanalogie sucht man aus mehreren gesetzlichen Bestimmungen, die an verschiedene Tatbestände die gleiche Rechtsfolge anknüpfen, einen allgemeinen Rechtsgrundsatz zu entnehmen. Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz ermöglicht es, die i m Gesetz nicht geregelten Tatbestände entsprechend den gesetzlich geregelten Tatbeständen zu behandeln. Bei der Begründung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist die gemeinsame „ratio legis" aller herangezogenen Einzelbestimmungen entscheidend, wobei i n Betracht zu ziehen ist, ob der allgemeine Rechtsgrundsatz nicht durch ein „gegenläufiges" Rechtsprinzip beschränkt wird. Ein Recht 38

Hierzu W. Graf Vitzthum,, S. 304 ff. E. Forsthoff, Methoden moderner Planung, Planung I I I , S. 23. 40 Zu den Voraussetzungen einer Gesamtanalogie vgl. K. Lorenz, S. 369 ff.; EnneccerusjNipper dey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl. (1959), § 58 I I ; K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, 6. Aufl. (1975), S. 147. 39

I I . Differenzierte Verteilung der Planungsfunktionen

247

des Parlaments, an politischer Planung eine frühzeitige und umfassende Mitentscheidungsbefugnis zu erhalten, würde voraussetzen, daß dem grundgesetzlichen Kompetenzenverteilungsschema der allgemeine Rechtsgrundsatz zugrunde liegt: Alle langfristigen und grundlegenden politischen Entscheidungen bedürfen parlamentarischer Zustimmung sowie parlamentarischer Beteiligung bereits i n einem frühen Zeitpunkt der Entscheidungserarbeitung. Eine Durchsicht des Grundgesetzes ergibt, daß für die meisten grundlegenden politischen Fragen ein Parlamentsvorbehalt besteht. So ist eine parlamentarische Entscheidung etwa nötig bei Verfassungsänderungen (Art. 79 Abs. 1 GG), bei Beschlüssen über Gesetze (Art. 77 GG), bei der Feststellung des Haushaltsplanes (Art. 110 Abs. 2 GG), bei wichtigen außenpolitischen Verträgen (Art. 59 Abs. 2 GG), bei grundsätzlichen organisatorischen Fragen (Art. 84 Abs. 1; A r t . 85 Abs. 1; A r t . 87 Abs. 3; A r t . 95 Abs. 3 GG usw.), bei der Konkretisierung der Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91a Abs. 2 GG) usw. Dennoch kann aus dem grundgesetzlichen Kompetenzenverteilungsschema nicht schlechthin der Grundsatz entnommen werden, das Parlament habe eine Mitentscheidungsbefugnis i n politisch wichtigen Fragen, die es bereits i n einem frühen Stadium politischer Planung geltend machen kann. Die Frühphase politischer Planung und auch die Aufgabenplanung scheint das Grundgesetz auf den ersten Blick i m Gegenteil gerade der Regierung vorbehalten zu wollen. So schweigt sich etwa das Grundgesetz über eine Beteiligung des Parlaments an einer so wichtigen Planung wie der Finanzplanung aus; vor allem aber ist der Bundeskanzler bei Festlegung der Richtlinien der Politik von parlamentarischer Billigung freigestellt. Bereits diese Abschichtung der Funktionsbereiche von Parlament und Regierung legt es nahe, die Beteiligung des Parlaments an politischer Planung nicht durch eine umfassende Rechtsanalogie zu begründen, sondern nach einer sachgerechten Funktionenteilung zu suchen. I m übrigen läßt sich, abgesehen von der K r i t i k an den einzelnen Analogieschlüssen, das Problem der „Planungsfunktionenteilung" nicht durch einen punktuellen Rückgriff auf einzelne Verfassungsgrundsätze lösen. Die Folge wäre eine einseitige Verengung des Blickfeldes und ein gewaltsames Hineinpressen der Planungsproblematik i n wenig adäquate verfassungsrechtlich geordnete Handlungsmuster. Das grundgesetzliche Schema der Kompetenzenverteilung zwischen Regierung und Parlament bleibt allerdings bei der Frage nach der Gewaltenteilungs- und der Demokratiekonzeption des Grundgesetzes zu beachten. Nicht mittels eines globalen Analogieschlusses, sondern aus der grundgesetzlichen Gewaltenteilungs- und Demokratiekonzeption

248

5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

heraus ist politische Planung zwischen Regierung und Parlament zu verorten. 2. Funktionenteilung aus dem Gesichtspunkt der Staatsleitung zur gesamten Hand?

Als Ansatzpunkt für eine adäquate Verteilung der Planungsfunktion auf Parlament und Regierung dient verschiedenlich die Kategorie des staatsleitenden Aktes. Wenn sich politische Planung i n die Kategorie des staatsleitenden Aktes einordnen läßt, liegt die Konsequenz nahe, daß das Parlament an allen Entscheidungsschritten i n den Verfahren politischer Planung zu beteiligen ist; Voraussetzung wäre freilich, daß die Staatsleitung von Verfassungs wegen Parlament und Regierung zur gesamten Hand zusteht. M i t seiner — heute oft verdrängten — Formulierung: „Wer herrscht, macht den Plan" hat Freyer den politischen, macht- und herrschaftsbezogenen Charakter der Planung m i t voller Schärfe erfaßt 41 . I m Rahmn der politischen Planung werden Grundentscheidungen getroffen, die für ein Gemeinwesen von hoher politischer Bedeutung sein können. Es werden die politischen Ziele und ihre Rangordnung festgelegt und die Maßnahmen und M i t t e l zur Zielerreichung beraten, koordiniert und beschlossen. Vor allem werden bei der politischen Planung wichtige Vorentscheidungen über die Verteilung des Sozialproduktes getroffen: es werden Kompromisse zwischen widerstreitenden wirtschaftlichen und sozialen Interessen vorbereitet und es kann der Kurs des Staatsschiffes über einen längeren Zeitraum festgelegt werden 4 2 . Politische Planung gehört damit i n die Kategorie der staatsleitenden Akte. a) Planung zur gesamten Hand von Regierung und Parlament? A n den Beschlüssen über staatsleitende A k t e 4 8 sollen beachtlichen Stimmen i n der Staatsrechtslehre zufolge Parlament und Regierung 41 H. Frey er, Herrschaft, S. 3; vgl. zu dieser Formulierung H. Lübbe, Herrschaft und Planung, S. 189 ff. 42 17. Scheuner, Verfassungsrechtliche Probleme, S. 81 f.; Κ . H. Friauf, Die verfassungsrechtliche Problematik, S. 616; D. Grimm, Aufteilung gesetzgeberischer Funktionen, S. 448 ff., 454; E.-W. Böckenförde, Planung, S.444; F. Ossenbühl, S. Β 75; W. A. Kewenig, Planung, S. 29; K. Stern, Rationale I n frastrukturpolitik, S. 76 f.; R. Waterkamp, Politische Leitung, S. 269; B. Dobiey, Politische Planung, S. 49 f. 43 Der Begriff des „staatsleitenden Aktes" ist von J. Heckel (Einrichtung und rechtliche Bedeutung des Reichshaushaltsgesetzes, in: HDStR I I [1932], S. 374 ff., 389 f.) geprägt worden. M i t den staatsleitenden Akten sondert Hekkel aus dem Bereich der Exekutive einen Kreis von Staatsakten aus, „die nicht unter dem Gesichtspunkt rechtsstaatlicher »Vollziehung', sondern als spezielle Aufgaben staatlicher »Führung 1 der Regierung allein vorbehalten oder von ihr gemeinschaftlich mit dem Parlament, aber unter gesteigerter Selbständigkeit diesem gegenüber zu erledigen sind". I n der Heckeischen

I I . Differenzierte Verteilung de Planungsfunktionen

249

g l e i c h e r m a ß e n b e t e i l i g t sein. M a n s t e l l t entscheidend d a r a u f ab, daß die i m

Grundgesetz

genannten Kompetenzen

des P a r l a m e n t s

nicht

e n u m e r a t i v g e m e i n t seien, s o n d e r n daß es sich h i e r n u r u m A u s p r ä gungen

eines

allgemeinen

Parlamentsvorbehaltes

für

alle

grund-

l e g e n d e n E n t s c h e i d u n g e n des Gemeinwesens h a n d e l e 4 4 . P o l i t i s c h e P l a nung

in

ihrer

Eigenschaft

als

Verfahren

zur

Findung

politischer

G r u n d e n t s c h e i d u n g e n u n t e r f ä l l t also nach dieser staatsrechtlichen D o k t r i n auch e i n e m P a r l a m e n t s v o r b e h a l t 4 5 . Formulierung ßen zur

Friesenhahns

von

gesamten H a n d " 4 6

der

K e w e n i g w i l l , die

„Staatsleitung...

aufgreifend,

die politische

bekannte

gewissermaPlanung

als

s t a a t s l e i t e n d e n A k t „aus d e m G e w a l t e n t e i l u n g s s c h e m a , aus d e r s t r i k ten Funktionentrennung"

herausnehmen

und

dieser

praktisch

o r d n e n 4 7 . B e r e i t s k r a f t i h r e r Eigenschaft als s t a a t s l e i t e n d e r A k t

vorsoll

p o l i t i s c h e P l a n u n g P a r l a m e n t u n d R e g i e r u n g z u r gesamten H a n d z u stehen.

Bedeutende

Stimmen

des

verfassungstheoretischen

Schrift-

t u m s h a b e n sich i n diesem S i n n e f ü r eine Z u w e i s u n g d e r p o l i t i s c h e n P l a n u n g z u r gesamten H a n d v o n P a r l a m e n t

u n d Regierung

ausge-

sprochen 4 8 . Terminologie gibt es also zwei Arten von staatsleitenden Akten: jenen, die parlamentarischer Zustimmung bedürfen, und jenen, für die das Verfassungsrecht keine parlamentarische Zustimmung vorsieht. Die staatsleitenden Akte, die im Zusammenwirken von Parlament und Regierung zustande kommen, bezeichnet Heckel als „staatsrechtliche Gesamtakte". 44 Einen Parlamentsvorbehalt für grundlegende Entscheidungen des Gemeinwesens befürworten: K. Hesse, Grundzüge, § 14 I; O. Bachof, Diskussionsbemerkung, in: W D S t R L H. 24 (1966), S. 225; H. P. Bull, Staatsaufgaben, S. 121; F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz (1968), S. 205 f., 269; M. Schröder, S. 79; R. Wahl, D Ö V 1971, 46 f.; D. Grimm, S.454; R. Hanauer, BayVBl. 1970, 381; D. Jesch, S.205; H. Hamischfeger, Planung, S. 87 ff., 114 ff.; Görlitz, Demokratie im Wandel (1969); G. Schmid, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Zusammenspiel der staatlichen Machtverteilung (1971), S. 31 ff. m. w. Nw. 45 Zwiespältig ist R. Herzogs (Regierungsprogramme, S. 51) Analyse der Plangewaltenteilung zwischen Regierung und Parlament. Die parlamentarische Mitwirkung an der Regierungsplanung w i l l er aus dem Wesen des parlamentarischen Regierungssystems, ferner aus einigen mehr oder minder gewagten Analogieschlüssen begründen. Eine parlamentarische Mitwirkungsbefugnis, so betont er, sei aber weder in der Lehre noch in der Praxis herrschend. R. Herzog wagt darum die Prognose, daß die parlamentarische M i t wirkungsbefugnis an der Regierungsplanung sich erst dann durchsetzen werde, wenn sich die Praxis in diese Richtung entwickelt habe. Bei allem Pragmatismus darf doch nicht verkannt werden, daß das Verfassungsrecht nicht nur zur Sanktionierung politischer Verhältnisse berufen ist, sondern auch eine gestaltende Funktion hat: Durch Verfassungsinterpretation müssen verschiedentlich auch Leitgedanken für die Lösung neuer Probleme in der Praxis des politischen Lebens gesetzt werden. 46 E. Friesenhahn, Parlament und Regierung i m modernen Staat, in: W D S t R L H. 16 (1958), S. 37 f. 47 W. A. Kewenig, S. 29; ähnlich auch E.-W. Böckenförde, Planung, S.444; U. Wehinger, Raumplanung, S. 127 ff. 48 So E.-W. Böckenförde, Parlamentarische Kontrolle, S. 15; K. Stern,

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

H i n t e r g r u n d f ü r diese These v o n d e r S t a a t s l e i t u n g z u r gesamten H a n d v o n P a r l a m e n t u n d R e g i e r u n g ist n e b e n d e m o k r a t i e t h e o r e t i s c h e n E r w ä g u n g e n 4 9 w o h l auch eine realistische E i n s c h ä t z u n g d e r G e w a l t e n v e r s c h r ä n k u n g i n d e r p a r l a m e n t a r i s c h e n D e m o k r a t i e . I n dieser S t a a t s f o r m erscheinen P a r l a m e n t s m e h r h e i t u n d R e g i e r u n g als politisches H a n d l u n g s z e n t r u m , das i n A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t d e r O p p o s i t i o n i m P a r l a m e n t u n d m i t H i l f e d e r R e g i e r u n g s b ü r o k r a t i e die p o l i t i s c h e R i c h t u n g b e s t i m m t 5 0 . Dieser B e f u n d spiegelt sich i n e i n e r b e a c h t l i c h e n T e n d e n z der L e h r e v o n d e r F u n k t i o n e n t e i l u n g : M a n möchte die Geg e n ü b e r s t e l l u n g v o n L e g i s l a t i v e auf d e r e i n e n u n d E x e k u t i v e m i t s a m t R e g i e r u n g auf d e r a n d e r e n Seite a u f g e b e n 5 1 . L e g i s l a t i v e u n d R e g i e r u n g Rationale Infrastrukturpolitik, S. 77; R. Herzog, Regierungsprogramme, S. 52; U. Battis , Organisationsprobleme, S. 168; G. Klein, Rechtsnatur, S. 111 ff.; D. Grimm, S.454; R. Waterkamp, Politische Leitung, S.269; G. Kirchhoff (Subventionen S. 256) beschränkt ohne nähere Differenzierung die „Staatsleitung zur gesamten Hand von Regierung und Parlament" auf die gesetzgebende Tätigkeit des Parlaments. 49 Hierauf wird unter 3. zurückzukommen sein. 50 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 31 I I I 2; K. Löwenstein, Verfassungslehre, S. 21 ff., 31 ff.; und oben Kap. 4 unter I I I , 2. 51 Bereits Ende des vergangenen Jahrhunderts suchte A. Haenel (Studium zum deutschen Staatsrecht, 2. Bd., Teil I I [1888], S. 186 ff., 193) die Staatsfunktionen der Gesetzgebung und Vollziehung in Analogie zu menschlichem Entscheidungsverhalten zu erklären; er unterschied zwischen regulativer und ausführender Willensbestimmung. Weitere Ansätze zu einer dualistischen Funktionenlehre finden sich bei F. J. Goodnow (Politics and Administration [New York 1900], S. 14 ff.; vgl. hierzu A. Dunsire, Administration. The Word and the Science [London 1973], S. 87 ff. mit Nw. zur älteren Lit.) und H. Finer (Der moderne Staat Bd. 1 [1957], S. 12 ff., 211 ff.). Statt der traditionellen Gewaltentrias setzt Goodnow zwei Regierungsfunktionen, die Politik (politics) und Verwaltung. Die Politik soll den Staatswillen zum Ausdruck bringen, während die Verwaltung die Durchführung des Staatswillens zur Aufgabe hat. Diese Unterscheidung von Regierung und Verwaltung wird von Finer weiter präzisiert: Die Regierungsfunktion als Entscheidungsgewalt (resolving branch) ist auf verschiedene Machtträger verteilt; die Wählerschaft, die politischen Parteien, Gesetzgebungskörperschaften, das Kabinett und das Staatsoberhaupt können an politischer Entscheidungsbildung beteiligt sein. Dieser Funktionendualismus ist von K. Loewenstein (Verfassungslehre, S. 39 ff.) zu einem Trialismus fortentwickelt worden. Er unterscheidet zwischen der politischen Grundentscheidungsfunktion (policy determination), der Durchführung der Grundentscheidung (policy execution) und der politischen Kontrolle (policy control). Von Bedeutung ist Loewensteins Definition der politischen Grundentscheidung als „Entschlüsse des Gemeinwesens, die für die Gemeinschaftsgestaltung in der Gegenwart und oft auch in der Zukunft richtungweisend und grundlegend sind". Auch in der französischen Staatstheorie finden sich bedeutsame Ansätze einer Unterscheidung zwischen Regierungsund Verwaltungsfunktion. G. Burdeau (Traité de science politique, Bd. 4 [Paris 1952], S. 310) zählt zur Regierungsfunktion jede schöpferische, aus eigener Initiative des Machtträgers vorgenommene Regelung, die noch nicht Gegenstand der Normsetzung war. Zur Regierungsfunktion gehört neben der eigentlichen Regierungstätigkeit auch die Gesetzgebung. Für weitere Einzelheiten wie auch für Ansätze einer dualistischen Funktionenlehre bei H. Jahrreiß und J. Dabin wird auf die Darstellung bei G. Brunner (Kontrolle in Deutschland [1972], S.46) verwiesen.

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betrachtet man als einheitliche Staatsfunktion und stellt ihnen Exekutive (Bürokratie) und Judikative gegenüber 52 . Blickt man etwa auf Loewensteins Dreiteilung der Staatsfunktionen i n politische Grundentscheidung, Ausführung der politischen Grundentscheidung und politische Kontrolle, so erscheint die Grundentscheidungsfunktion als die zentrale Staatsfunktion i m Staat. Dies erweist eine — auch hier fruchtbare — entscheidungstheoretische Betrachtung der Grundentscheidungsfunktion: Rechtsetzung und Regierung legen den Handlungs- und Entscheidungsrahmen jeder weiteren Staatsfunktion fest 53 . Regierung und Gesetzgebung sind eine einheitliche Funktion, da sie für die politische Gestaltung des Gemeinwesens richtungweisend sind. Bei Erfüllung dieser Funktion soll der Regierung u. a. die Rolle der dynamischen politischen Führung, der Legislative die Rolle der grundsätzlichen Festlegung der Marschrichtung zukommen 54 . Auch dem Grundgesetz lassen sich Ansätze einer dualistischen Funktionenlehre entnehmen: Rollenspezifisch, status- und verfassungsrechtlich ist die Staatsleitung i n Regierung und Parlament abgeschichtet von der Bürokratie. Vor allem Jarass weist auf die statusrechtlichen Unterschiede zwischen Verwaltungsbeamten einerseits und Parlamentariern bzw. Politikern andererseits, auf die verschiedene A r t der Aufgabenerledigung und die anders gearteten Gruppenbindungen hin 5 5 . Weiterhin bestehen auch verfassungsrechtliche Differenzierungen zwischen der Staatsleitung und Administrative 5 6 . Die Bürokratie findet ihre normative Anerkennung und Gewährleistung i n A r t . 33 Abs. 4 und 5 GG; der Bereich der Politik w i r d durch Bestimmungen geregelt, die für Parlament und Regierung rechtsähnlich sind: Durch Wahlen werden Positionen i n Parlament und Regierung erlangt (Art. 38 Abs. 1; A r t . 63 52 I n diese Richtung gehen die Ausführungen von G. Brunner, S. 63 ff.; H. D. Jarass, Politik, S. 125 ff.; K. Hug, Die Regierungsfunktion als Problem der Entscheidungsgewalt (1971), S. 77 ff. und passim; vgl. weiter W. Egloff, Die Informationslage des Parlaments (Zürich 1974), S. 29 ff.; P. Schneider, Recht und Macht (1970), S. 177 ff.; E. Guilleaume, Politische Entscheidungsfunktion und Verwaltungsstruktur, in: Die Verwaltung, 3. Bd. (1970), S. 1 ff., 11 ff. (Guilleaumes Trennung zwischen einem politischen Kabinett und einem Verwaltungskabinett wird von W. Damkowski, Zum Verhältnis von Regierung, Verwaltung und Parlament i m demokratischen Staat, ebd. S. 317 ff. mit Recht kritisiert). 53 So K. Hug, S. 77 ff., 150 ff. Hugs Ausführungen sind über weite Strecken eng am Schweizer Bundesverfassungsrecht ausgerichtet, so daß die neuen auf die Staatstheorie zukommenden Probleme manches M a l nicht ausgelotet werden konnten. Politische Planung ζ. B. soll in den Bereich der Regierung fallen, so lange sie keinen imperativen Charakter besitzt (S. 255). 54 K. Hug, S. 163. 55 H. D. Jarass, S. 125 ff. 56 H. D. Jarass, S. 129 ff. (zum politischen Bereich rechnet Jarass auch die Parteispitzen).

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

Abs. 1 GG 57 ); für Regierungsmitglieder wie für Abgeordnete ist die Amtszeit begrenzt (Art. 39 Abs. 1; A r t . 69 Abs. 2 GG). Abgeordnete und Minister haben einen gewissen Bereich freier Entscheidung (Art. 38 Abs. 1 S. 2; A r t . 65 S. 2 GG). Der Dualismus von Bürokratie und Politik ist also bereits i m Grundgesetz angelegt. Diese Ansätze einer dualistischen — oder trialistischen, bezieht man die Kontrolle m i t ein — Funktionenlehre lenken den Blick auf Parlament und Regierung als höchstes Entscheidungszentrum i m Staat. Von einer dualistischen Funktionenlehre aus erscheint es geradezu selbstverständlich, daß die „Grundentscheidungsgewalt" Parlament und Regierung zur gesamten Hand zusteht. Das Eldorado der herkömmlichen Gewaltenteilungslehre, das Herausschälen von Kernbereichen der Regierungs- und Rechtsetzungsgewalt oder von „genuin exekutivischen Tätigkeitsbereichen", verliert an Gewicht, wenn man die das Staatswesen lenkenden Grundentscheidungen i n den Mittelpunkt der Betrachtung rückt 5 8 . b) Der begrenzte Erkenntniswert einer Lehre von der Staatsleitung zur gesamten Hand

Weist man die staatsleitenden Akte Regierung und Parlament zur gesamten Hand zu, so ist es unausweichlich, jenen politischen Bereich klar zu bestimmen, der den Gegenstand der Staatsleitung bildet. Was zu den staatsleitenden Grundentscheidungen zu rechnen ist, läßt sich jedoch kaum eindeutig festlegen 59 . Loewenstein möchte z.B. unter Grundentscheidungen eines Staates alle jene Entscheidungen verstanden wissen, die für die Gestaltung und Zielsetzung des Staates i n Gegenwart und Zukunft richtungweisend sind 60 . Wenn der Eintritt i n ein Bündnissystem oder die Verlagerung des Schwergewichts von der landwirtschaftlichen zur industriellen Wirtschaft als Grundentscheidungen bezeichnet werden 6 1 , so t r i t t die — auch von Loewenstein eingeräumte — Schwierigkeit offen zutage, die Grundentscheidungen von zweitrangigen Entscheidungen zu unterscheiden. So mag der E i n t r i t t i n ein lockeres Bündnissystem noch nicht zu einer politischen Grund57

Dies gilt freilich für Minister nur beschränkt. Gleichwohl kann P.-H. Huppertz (Gewaltenteilung, S. 52) nicht gefolgt werden, wenn er das Prinzip der Gewaltentrennung in den Interorganbeziehungen zwischen Bundesregierung und Bundestag nicht angewendet wissen möchte. So argumentierend würde die Staatsrechtslehre vor den neuen Formen der Politikverflechtung kapitulieren. 59 Vgl. etwa die vorsichtigen Abgrenzungsversuche bei U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, in: Festschrift für R. Smend (1952), S. 253 ff., 284 f. 60 K. Loewenstein, S. 39 ff.; im Anschluß an Loewenstein: K.-A. Sellmann, Der schlichte Parlamentsbeschluß (1966), S. 63 ff. 61 K. Loewenstein, S.41. 58

I I . Differenzierte Verteilung de P l a n g s f u n k t i o n e n

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entscheidung gehören. Und die Verlagerung des Schwergewichts von der landwirtschaftlichen zur industriellen Wirtschaft ist i m Verfahren des muddling through i n so kleinen Schritten möglich, daß eine wirkliche Grundentscheidung nur schwer auszumachen sein wird. Eine wesentliche Präzisierung des Begriffs der staatsleitenden Grundentscheidung liefert G. Brunner 6 2 . Zu den staatsleitenden Grundentscheidungen gehören alle Entscheidungen mit gesteigerter, d. h. erheblicher öffentlicher Bedeutung. Änderungen von Struktur oder Umfang der Verfassungsordnung unterfallen i n jedem Fall der Kategorie der Grundentscheidung. Denn die Grundordnung des politischen Gemeinwesens ist betroffen, wenn das System der Machtbeziehungen oder der Machtausübung modifiziert wird. Weiterhin liegt immer dann eine Grundentscheiung vor, wenn die Stellung des Gemeinwesens i m Verhältnis zu anderen Gemeinwesen berührt wird. Handelt es sich doch hier u m die Stellung des Staates i m System der internationalen Beziehungen. I m innenpolitischen Bereich schließlich läßt sich von einer Grundentscheidung sprechen, wenn sie das Gemeinwesen als Ganzes betrifft. Dies ist anzunehmen, „wenn die Entscheidung die Verhaltensweise oder die Lebensverhältnisse breiter Bevölkerungskreise i n der Gegenwart oder Zukunft beeinflußt" 63 . Grundentscheidungen liegen also vor, wenn allgemeine Verhaltensnormen mit dem herrschaftlichen M i t t e l des Befehls arbeiten, wenn für bestimmte Verhaltensweisen Vorteile oder Nachteile i n Aussicht gestellt werden oder wenn Güterverteilungen m i t der Entscheidung bezweckt werden. Von derartigen Grundentscheidungen müssen, insoweit weitet Brunner seine Definition aus, nicht eine möglichst große Anzahl von Einzelfällen betroffen sein. Ausreichen soll auch eine „individuelle Grundentscheidung", die wegen ihrer allgemeinen Tragweite oder wegen ihres Einflusses auf die vorherrschende Wertordnung Reaktionen i n breiten Bevölkerungskreisen hervorzurufen vermag. Diese „Psychologisierung" des Begriffs der Grundentscheidung ist einerseits unumgänglich, da politische Fragen oft erst durch öffentliche Kontroversen eine derartige Brisanz erhalten, daß ihre Lösung nur i m Rahmen einer Grundentscheidung stattfinden kann. Andererseits können auf diese Weise auch tagespolitische Angelegenheiten zu grundentscheidungsbedürftigen Problemen hochstilisiert werden; in solchen Fällen aber schadet eine „Psychologisierung" des Begriffs der Grundentscheidung der erforderlichen begrifflichen Präzision 688 . 82

G. Brunner, S. 69 ff. G. Brunner, S. 70 f. 633 Vgl. H. Wagner, Untätigkeit des Gesetzgebers im Zusammenhang mit der Errichtung von Kernkraftwerken?, in: DVB1. 1978, 839 ff. und G. Kisker, Neue Aspekte im Streit um den Vorbehalt des Gesetzes, in: NJW 1977, 1318. 83

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Abgesehen von dieser Unschärfe des Begriffs Grundentscheidung bewegt man sich nicht auf gesichertem verfassungsrechtlichen Boden, wenn man politische Planung als „staatsleitenden A k t " qualifiziert und aus dieser Qualifizierung die Konsequenz zieht, politische Planung stehe Regierung und Parlament zur gesamten Hand zu. Ein nicht eingehend begründeter Schluß vom staatsleitenden A k t auf das Erfornis parlamentarischer Zustimmung und M i t w i r k u n g erscheint allzu vorschnell. Bereits J. Heckel 64 hat danach differenziert, ob es sich — wie beim Haushaltsplan — u m einen staatsrechtlichen Gesamtakt, d.h. einen staatsleitenden A k t , an dem kraft Verfassungsrechts Parlament und Regierung mitwirken, oder ob es sich u m einen staatsleitenden A k t handelt, der allein i n den Funktionsbereich der Regierung fällt. Auch i n dem Verfassungssystem des Grundgesetzes gibt es staatsleitende Akte, die entweder i n den Kompetenzenbereich der Legislative oder i n den der Regierung fallen. So fällt etwa unbestreitbar i n die alleinige Kompetenz der Regierung die Abgabe der Regierungserklärung oder die Bestimmung der Richtlinien der Politik. Dagegen fällt bei der Gesetzgebung die Kompetenz der letzten Entscheidung i n den alleinigen Bereich der Legislative 65 . Bei anderen, vom Grundgesetz nicht geregelten staatsleitenden Akten ist es streitig, ob sie i n den Vorbehaltsbereich der Exekutive fallen oder ob an ihnen das Parlament zu beteiligen ist. Erinnert sei nur an die Kontroverse, ob die Kündigung von völkerrechtlichen Verträgen, die i n erheblichem Ausmaß die politischen Beziehungen des Bundes beeinflussen können, entsprechend A r t . 59 Abs. 2 GG dem Parlament zur Zustimmung vorgelegt werden muß 6 6 . 64

J. Hechel, S. 389 f. Auch B. Dobiey (S. 54 f.) sieht in dem staatsleitenden Charakter der politischen Planung kein hinreichendes Zuordnungskriterium, das eine Zuweisung an Parlament und Regierung zur gesamten Hand rechtfertigen könnte. 66 Nach h. M. weist das Grundgesetz die treaty-termination-power der Exekutive in ihrer Eigenschaft als Trägerin der auswärtigen Gewalt zu. Wesentliches Argument ist der Hinweis, Art. 59 Abs. 2 GG erfasse nur den Abschluß, nicht aber den actus contrarius, die Kündigung und Aufhebung völkerrechtlicher Verträge. Für jede Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften in diesem wesentlich zur Regierung gehörigen Bereich soll eine ausdrückliche Bestimmung der Verfassung erforderlich sein (Th. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 59 GG R N 17; H. Mosler, Das Völkerrecht in der Praxis deutscher Gerichte [1957], S. 22 f.; H.-J. Schlochauer, Öffentliches Recht [1957], S. 111; H. D. Treviranus, Außenpolitik i m demokratischen Rechtsstaat [1966], S. 58; H. Rumpf, Demokratie und Außenpolitik, in: Festschr. P. Pfeiffer [1965], S. 129; K. J. Partsch, Parlament und Regierung im modernen Staat, in: V V D S t R L H. 16 [1958], S. 98 und die zusammenfassende Darstellung von H.-W. Bayer, Die Aufhebung völkerrechtlicher Verträge im deutschen parlamentarischen Regierungssystem [Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht H. 48, 1969], S. 201 ff.; a.A. E. Friesenhahn, Parlament und Regierung im modernen Staat, in V V D S t R L H. 16 65

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Vor allem aber ist der Lehre von der Staatsleitung zur gesamten Hand nicht zu entnehmen, i n welcher Form die staatsleitenden Instanzen Regierung und Parlament zusammenzuwirken haben. Staatsleitung zur gesamten Hand bedeutet, geht man von der Gesamthand des Zivilrechts aus, daß zwei Staatsorgane nur einverständlich handeln können, ohne daß einem Staatsorgan die Letztentscheidung zukäme. Man könnte etwa an eine „Mitregierung" des Parlaments denken, wie sie ζ. B. i m Haushaltsausschuß stattfindet; von einer Staatsleitung zur gesamten Hand könnte auch gesprochen werden, wenn das Parlament (wie beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge: A r t . 59 Abs. 2 GG) oder die Regierung (wie die Bundesregierung bei ausgabenerhöhenden Gesetzen: A r t . 113 Abs. 1 GG) Zustimmungs- oder Vetorechte besitzen. Nicht zuletzt könnte man auch i n den parlamentarischen Interpellationsrechten oder i n der Zulässigkeit von Planungsauftragsgesetzen Ansätze einer Staatsleitung zur gesamten Hand von Parlament und Regierung sehen. Eine solche gesamthänderische Staatsleitung ist jedoch i m System des Grundgesetzes nicht der Regelfall der Kooperation von Parlament und Regierung. Das Parlament nimmt vor allem bei der Gesetzgebung seine Befugnis zur Staatsleitung wahr und besitzt hier eine Letztentscheidungskompetenz, die dem Modell von der Staatsleitung zur gesamten Hand gerade nicht entspricht. Das B i l d von der gesamthänderischen Staatsleitung erscheint damit zu wenig differenziert 6 7 : Es läßt sich nicht eindeutig bestimmen, welche Entscheidungen der Regierung oder dem Parlament vorbehalten sind und bei welchen Entscheidungen und i n welcher Form Parlament und Regierung zusammenzuwirken haben. Auch läßt sich der These von der Staatsleitung zur gesamten Hand bei wegweisenden politischen Entscheidungen nicht entnehmen, zu welchem Zeitpunkt das Parlament an derartigen politischen Entscheidungen der Regierung zu beteiligen ist. Die Qualifizierung der politischen Planung als staatsleitender A k t enthebt uns also nicht von der Aufgabe, A r t und Umfang des parlamentarischen Beteiligungsrechts an politischer Planung aus dem Gesamtgefüge der Verfassungsordnung zu begründen 68 . Bezugnehmend auf [1958], S. 70 Leitsatz 3; H. W. Baade, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt der Bundesrepublik Deutschland [1962], S. 121 F N 117). 67 17. Scheuner, Zur Entwicklung, S.383; K. H. Friauf, Die verfassungsrechtliche Problematik, S. 616 ff. — Gegen Friesenhahns Formulierung von der „Staatsleitung zur gesamten Hand" wendet sich W. Frotscher (Regierung, S. 213). Aus Gesichtspunkten der demokratischen Legitimation plädiert Frotscher für eine Vorrangstellung der Volksvertretung und für den Abbau des realen Übergewichts der Regierung. 88 So F. Ossenbühl, S. Β 75; Η . Lecheler, Personalgewalt, S. 162 ff.; 17. Scheuner, Zur Entwicklung der politischen Planung, S. 383 f.; W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 261 f.

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

das parlamentarische Regierungssystem, wie es vom Grundgesetz ausgestaltet ist, muß der jeweilige Anteil von Regierung und Parlament an der Staatsleitung durch politische Planung jeweils funktionell abgestuft werden. 3. Funktionenteilung aus dem Gesichtspunkt der parlamentarischen Demokratie

I n demokratischen Regierungssystemen werden die politischen Entscheidungen, die das Leben der Gemeinschaft bestimmen, i n einem Prozeß der freien Diskussion und vermittels von Mehrheitsbeschlüssen gewonnen (Selbstbestimmung des Volkes) 69 . Die Auswahl derer, die zur Ausübung staatlicher Macht befugt sind, findet nach festen Regeln in einem Kampf u m die politische Macht statt. Die Freiheit der Meinungsäußerung, die M i t w i r k u n g des Volkes und konkurrierender „intermediärer Kräfte" bei der Bildung des Staatswillens, die Kontrolle der Ausübung staatlicher Macht durch verschiedene Staatsorgane und i n letzter Instanz durch das Volk und das Recht der Minderheit, sich u m Macht i m politischen System zu bewerben, sind Prüfsteine, an denen ein Gemeinwesen seine demokratische Legitimität beweisen kann 7 0 . Die Rolle des Parlaments i n einem solchen demokratischen System ist durch verschiedene Aspekte geprägt: Die Grundlage der demokratischen Legitimation politischer Entscheidungen bilden die i n regelmäßigen Zeitabständen erfolgenden Wahlen. Durch diese Wahlen w i r d weithin die demokratische Legitimität der politischen Zielsetzungen, der politischen Programme und damit auch der politischen Planungen i m Gemeinwesen vermittelt. Garantiert w i r d diese demokratische Legitimität dadurch, daß das durch Wahlen zustandegekommene Parlament — wenn auch nicht Grundlage der demokratischen Legitimität insgesamt — so doch i n einem hohen Maß die Grundlage der demokratischen Legitimität der anderen Staatsorgane bildet. Zwischen der Legislative auf der einen und Regierung, Verwaltung und Rechtsprechung auf der anderen Seite bestehen Abhängigkeiten organisatorischer, personeller und budgetmäßiger A r t und politische wie auch rechtliche Kontrollen. 69 Aus der Rspr. vgl. BVerfGE 2, 1 ff., 12 f.; 5, 85 ff., 140; 20, 56 ff., 97 ff.; 40, 296 ff., 317 f.; BVerfG DVB1. 1977, 610 ff.; D Ö V 1977, 283 ff. 70 Hierzu die grundlegende Darstellung bei K. Stern, Staatsrecht, S. 439 ff., 746 ff.; weiterhin sei verwiesen auf: W. von Simson, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, in: V V D S t R L H. 29 (1971), S. 3 ff., 6; R. Zippelius, A l l gemeine Staatslehre, §§ 16, 19, 31, 41 I I I ; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 204 ff., 242 ff.; K. Hesse, Grundzüge, § 5; R. Bäumlin, Art. Demokratie, in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 362 ff.; H. F. Zacher, Freiheitliche Demokratie (1969); F. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung (1970); H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, S. 367 ff.

I I . Differenzierte Verteilung der Planungsfunktionen

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Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes ist unter anderem bekanntlich dadurch gekennzeichnet, daß der Bestand der Regierung vom Vertrauen der Mehrheit i m Parlament abhängt. Der „Bundestag stellt sich als der institutionelle Mittelpunkt des politischen Lebens" 71 dar; der Bundestag hat die Aufgabe, i n grundlegenden Fragen des Gemeinwesens mitzuentscheiden und K r i t i k an der Regierungspolitik und politische Alternativen zur Geltung zu bringen. Seinen Aufgaben der demokratischen Gesamtleitung und Kontrolle von Regierung und Verwaltung kommt er u.a. dadurch nach, daß er Gesetze beschließt und das Budgetrecht ausübt, daß er den Bundeskanzler wählt oder i h m als ultima ratio das Mißtrauen ausspricht, daß er eigene Initiativen auf dem Gebiete der inneren und äußeren Politik entwickelt, daß er sich durch Interpellation und Einsetzung von Untersuchungsausschüssen den nötigen Einblick i n den Gang der Verwaltung verschafft und, nicht zuletzt, daß er durch seine Arbeit meinungsbildend w i r k t und zur Vorformung des politischen Willens beiträgt. Ganz allgemein w i r d durch die Erfordernisse mittel- und längerfristiger Planungen die Wahrnehmung dieser Aufgaben, die dem Bundestag nach der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes obliegen, gefährdet. Unter demokratischem Aspekt besonders eklatant w i r d diese Gefährdung einer Beteiligung des Bundestages, aber auch der Länderparlamente, an der politischen Führung angesichts der Politikverflechtung zwischen Bund und Ländern 7 2 . Angesichts des komplizierten Konsensfindungsprozesses i m Planungsverbund zwischen Bund und Ländern und des zunehmenden politischen Einflusses der Länder über die Abstimmungen i m Bundesrat und i n den Bund-Länder-Planungskommissionen droht das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes, das auf den politischen Wettstreit zwischen Parlamentsmehrheit und Regierung auf der einen und Opposition auf der anderen Seite angelegt ist, denaturiert zu werden. Anstelle eines politischen Wettbewerbs zwischen der Regierungspartei und der Oppositionspartei t r i t t ein Aushandlungsmechanismus zwischen Bund und Ländern, i n dem man die sozialen und ökonomischen Probleme entpolitisiert und nach einem kleinsten gemeinsamen Nenner sucht. M i t 71 K. Hesse, § 15 I; U. Scheuner, Die Lage des Parlamentarismus in der Bundesrepublik Deutschland, in: D Ö V 1974, 433 ff.; Th. Oppermann, Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes, in: W D S t R L H. 33 (1975), S. 7 ff., 9 f.; D. Rauschning, Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: C. Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, S. 214 ff.; grundlegend bereits W. Bagehot, Die englische Verfassung, hrsg. von K. Steifthau (1971), S. 136 ff.; aus der Rspr. sei verwiesen auf BVerfGE 5, 85 ff., 203, 227; 6, 257 ff., 265; 10, 4 ff, 17; 14, 121 ff, 132; 24, 300 ff, 348; 27, 44 ff, 56. 72 Zur Politikverflechtung vgl. R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, §36 I I 3; F. W. Scharpf u. a , Politikverflechtung.

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Recht hat Lehmbruch die kritische Frage gestellt: Kann man ein politisches System, das aufgrund seiner föderalistischen Struktur auf Kompromißlösungen zwischen Bund und Ländern verstärkt angewiesen ist, noch als ein parlamentarisches Regierungssystem bezeichnen? 73 . Die verfassungsrechtliche Problematik dieses durch das Gegengewicht des Bundesrates und der von Bund und Ländern paritätisch besetzten Planungsausschüsse i m Wandel begriffenen parlamentarischen Regierungssystems des Grundgesetzes ist bislang noch nicht v o l l erfaßt worden. A n dieser Stelle sei nur m i t Nachdruck betont, daß bei aller Politikverflechtung, die der regelungsintensive Industriestaat m i t sich bringt, eine ausreichende Beteiligung der Parlamente an der Erarbeitung langfristiger politischer Konzeptionen und Planungen gewährleistet sein muß. Denn jene hohe demokratische Legitimität politischer Entscheidungen, die das Parlament zu vermitteln vermag, ist bei Regierungsplanungen von erheblicher Wichtigkeit. Die mittel- und längerfristigen Regierungsplanungen legen die großen Linien der Entwicklung des Gemeinwesens bereits frühzeitig fest, so daß hierüber ein möglichst breiter demokratischer Konsens erzeugt werden sollte. Insbesondere i m Hinblick auf die Auswirkungen politischer Planung auf einzelne Funktionen des Bundestages lassen sich folgende Überlegungen anstellen: Soll das Parlament i n der Lage sein, den Gesetzen echte demokratische Legitimität zu verleihen, so muß es bereits in einem frühen Stadium und i n umfassender Weise an den Planungen der Regierung beteiligt werden. Andernfalls würde das Parlament bei seinen Gesetzesbeschlüssen von den Regierungsplanungen weitgehend abhängig werden. Die Möglichkeit eigenverantwortlicher Gestaltung des Inhalts von Gesetzen würde dem Parlament entgleiten und es würde zu einem Organ bloßer Publizitätsvermittlung. Denn bei Regierungsplanungen handelt es sich nicht allein u m Akte der Staatsleitung, sondern auch u m Vorverfügungen über Gesetze74. Konsequenz ist, daß das Parlament wie zur Gesetzesinitiative auch zur Planungsinitiative befugt sein muß, d.h. von sich aus Planungen i n die Wege leiten kann, die i m Bereich der Regierung näher auszuarbeiten sind. Und es muß die Befugnis besitzen, durch „Programmgesetze" die Richtung der Regierungsplanung wenigstens grob zu umreißen 75 . Nur wenn sich das Parlament i n Angelegenheiten der Planung nicht das Heft aus der Hand nehmen läßt, bleibt es der maßgebliche Ort, an dem der poli73

G. Lehmbruch, Parteienwettbewerb, S. 142. Hierzu oben unter I, 2. 75 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 29 I 3; 17. Scheuner, Zur Entwicklung der politischen Planung, S. 383 ff.; F. Ossenbühl, Normative Anforderungen, S. Β 78 ff. 74

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tische Wille des Volkes i n einen demokratisch legitimierten Staatswillen umgeformt wird. Eine frühzeitige und umfassende parlamentarische Beteiligung an politischer Planung scheint weiterhin geradezu unumgänglich, wenn das Parlament die für den Bestand der Demokratie unentbehrliche Information der Allgemeinheit über die grundlegenden politischen Fragen mit gewährleisten soll. Publizität und Transparenz staatlichen Handelns stellen wichtige Elemente des Demokratiegebotes dar 7 6 : Der Verwirklichung des demokratischen Prinzips dient die Öffentlichkeit des Beratungs- und Entscheidungsprozesses 77. Die Transparenz und Publizität parlamentarischer Entscheidungsprozesse zwingen zur Rechtfertigung der Entscheidungen durch rationale Begründung. Durch die Parlamentsdebatten w i r d der Bürger über das Pro und Contra bestimmter Entscheidungsalternativen orientiert und kann sich — i m Idealfall — ein eigenes Urteil bilden. Kann die Opposition i n parlamentarischen Debatten die besseren Argumente zur Geltung bringen, so kann es ihr gelingen, wenn auch nicht die politische Entscheidung zu beeinflussen, so doch die öffentliche Meinung i m Lande umzustimmen. Transparenz und Publizität ermöglichen so, daß die entscheidenden Instanzen von der öffentlichen Meinung für ihre Beschlüsse verantwortlich gemacht werden, — eine Verantwortlichkeit, die spätestens am Wahltag zu einer Veränderung der politischen Führunginstanz führen kann. I n engem Zusammenhang hiermit steht die Legitimationsfunktion von Transparenz und Publizität. Das Offenlegen von Entscheidungsgründen ermöglicht es dem Einzelnen, sich mit politischen Entscheidungen zu identifizieren. Auch diese Chance, sich zu einem wohlbegründeten Programm bekennen zu können, gehört zu den wesentlichen Elementen demokratischer Legitimität. Aus diesen Erwägungen heraus ergibt sich, daß langfristig fortwirkende Entscheidungen nicht allein von der Regierung, d. h. bürokratisch, sondern auch i n politischer Diskussion vom Parlament zu treffen sind 78 . 76 M. Kriele, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, in: W D S t R L H. 29 (1971), S. 67; K. Stern, Staatsrecht, S. 464 f. m. w. Nw.; U. Thaysen, Parlamentsreform in Theorie und Praxis (1972), S. 88; G. Leibholz, Der Strukturwandel der modernen Demokratie, in: Strukturprobleme, S. 85, 94 f. 77 Zum Öffentlichkeitsprinzip bereits E. V. Zenker, Der Parlamentarismus. Sein Wesen und seine Entwicklung (1914), S. 66 ff.; weiterhin sei verwiesen auf: R. Smend, Zum Problem des öffentlichen und der Öffentlichkeit, in: Gedächtnisschrift für W. Jellinek (1955), S. 11 ff.; J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 2. Aufl. (1965); P. Häberle, Struktur und Funktion der Öffentlichkeit im demokratischen Staat, in: Politische Bildung 1970, Heft 3, S. 3 ff.; W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff (1969); U. K. Preuss, Zum staatsrechtlichen Begriff des öffentlichen (1969); A. Rinken, Das öffentliche als verfassungstheoretisches Problem (1971); H.-U. Jerschke, öffentlichkeitspflicht der Exekutive und Informationsrecht der Presse (1971). 78 P. Badura, Finanzplanung, S. 15; S. Leibfried und M. Quilisch, Planung, S. 615; W. Graf Vitzthum, S. 231 ff.

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Man w i r d nicht so weit gehen können, dem Parlament ein Monopol bei der Schaffung von Publizität und Transparenz zuzubilligen. Auch die Exekutive kann den Erfordernissen von Transparenz und Publizität Genüge tun 7 9 . So können auf Pressekonferenzen, durch Diskussion der Politiker und andere Öffentlichkeitsarbeit Entscheidungsgründe offengelegt werden. I n der Regel aber entspringt die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung einem gewissen Zwang: Der Wirkung einer kritischen Diskussion politischer Probleme i m Parlament beugt die Regierung durch Darlegung ihres eigenen Standpunktes i n der Öffentlichkeit vor. Wegen der i n der Natur der Sache liegenden Einseitigkeit der Informationspolitik der Regierung bleibt das Parlament das Diskussionsforum par excellence, das politischen Entscheidungen die nötige Transparenz und Publizität verleihen kann. Die parlamentarischen Auseinandersetzungen zwischen Regierungsparteien und Opposition garantieren besser als eine Öffentlichkeitsarbeit der Regierung, daß die wesentlichen Gründe des Pro und Contra einer politischen Entscheidung der Öffentlichkeit bekannt werden. Darum erfordert das demokratische Prinzip öffentliche Beratung vor allem i m gewählten Repräsentationsorgan des Volkes 80 . Parlamentarische Diskussion kann nur dann echte Transparenz und Publizität gewährleisten, wenn noch Alternativlösungen möglich sind. Das Parlament sollte nicht bloß Publizität den fertigen Planungen aus dem Bereich der Regierung und ihrer Bürokratie verleihen, sondern bereits den Entscheidungsprozeß als solchen transparent machen, indem es die Vorauswahl zwischen verschiedenen Konzepten vor dem Forum der Öffentlichkeit i n kritischer Diskussion begründet. Andernfalls w i r d die vom Parlament vermittelte Publizität politischer Entscheidungen ihrer wesentlichen Funktion beraubt, nämlich den Entscheidungsprozeß öffentlich zu machen und dadurch für die besseren Argumente zu werben. Auch der aus dem Demokratieprinzip abgeleitete Publizitäts- und Transparenzgedanke legt damit eine umfassende und frühzeitige Beteiligung des Parlaments an politischer Planung nahe. Diese äußerst wichtige Publizitäts- und Transparenzfunktion parlamentarischer Beratung bleibt außer Beachtung, wenn man der Gefahr einer Entmachtung des Parlaments durch sachkundige und Parlamentsentscheidungen weitgehend festlegende Regierungsarbeit entgegenhält, die Pariamensmehrheit besitze i m politischen Willensbildungsprozeß ausreichende informelle Einflußmöglichkeiten. Solche 70 W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit der Regierung im Rechtsstaat (1966), insbes. S. 82 ff.; F. Ossenbühl, S. Β 67; T. Ellwein, Regieren und Verwalten, S. 201 ff.; K. König (Hg.), Koordination, Landesbericht Saarland, S.403; Landesbericht Bayern, ebd., S. 236; Landesbericht Rheinland-Pfalz, ebd.. S. 389 f. 80 M. Kriele, S. 68.

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informellen Einflußmöglichkeiten sind etwa darin zu sehen, daß die Vorsitzenden von Regierungsfraktionen „an der Entscheidung wichtiger politischer Fragen i m Rahmen der Regierungspolitik weitgehender beteiligt als viele Minister" werden 8 1 , daß die Vorsitzenden von Regierungsfraktionen und Fraktionsexperten häufig bei Kabinettsberatungen m i t w i r k e n oder daß die Mitglieder der Regierung vor Kabinettssitzungen an Beratungen der Fraktionen teilnehmen 82 , u m i n der Kabinettssitzung „Rückendeckung" zu haben. Solche „außerparlamentarischen" Kommunikationswege können eine hohe Bedeutung bei der politischen Willensbildung entfalten. Diese politische Praxis läßt sich aber nicht als funktionsadäquate parlamentarische Mitarbeit an der politischen Willensbildung beschreiben 83 . Werden dergestalt politische Entscheidungen i n den Grauzonen der zuständigen Organe getroffen, dann läßt sich durch parlamentarische Beratung keine echte Transparenz und Publizität schaffen, da die parlamentarische Diskussion zum Scheingefecht entartet. Weiterhin kommt den „parlamentarischen Verhandlungen" die Rolle des maßgeblichen Integrationsfaktors i m repräsentativ-demokratischen System zu. Vor allem Smend hat m i t Nachdruck auf die Integrationsfunktion des Parlaments hingewiesen 84 . Das Parlament ist der Ort, an dem innenpolitische Auseinandersetzungen für die Gemeinschaft eine integrierende Wirkung entfalten können, wodurch es zur „Bildung einer bestimmten politischen Gesamthaltung" zu kommen vermag. Wenn i m Parlament politische Auseinandersetzungen stattfinden, kann es auf der einen Seite zu „einer wohltuenden Entladung von Spannungen, einer Katharsis" (Smend) kommen. A u f der anderen Seite kann die parlamentarische Erörterung politischer Fragen der Öffentlichkeit zeigen, daß die Exekutive ihre Aufgaben zu bewältigen vermag und wegen ihrer Leistungsfähigkeit Zustimmung verdient. I n einem Austrag politischer Auseinandersetzungen vor dem Forum der Öffentlichkeit liegt so ein wesentlicher integrierender Lebensakt der Gemeinschaft. Auch diese Integrationsleistung kann das Parlament nur erbringen, wenn es frühzeitig und umfassend an der Regierungsplanung mitzuwirken vermag. Sind i m Bereich der Regierung die 81

17. Lohmar, Das Hohe Haus, S. 155. Das Machtverhältnis zwischen Mehrheitsfraktion(en) und Regierung ist natürlich je nach politischer Lage verschieden (vgl. etwa die Typologie bei F. Grube, G. Richter und 17. Thaysen, Politische Planung, S. 130 ff.). 83 So aber offenbar P.-H. Huppertz, Gewaltenteilung, S. 63 ff. 84 R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: Staatsrechtliche Abhandlungen und Aufsätze, 2. Aufl. (1968), S. 119 ff., 151 ff., 200 ff.; vgl. weiter K. Eichenherger, Die Problematik der parlamentarischen Kontrolle im Verwaltungsstaat, in: Schweizerische Juristen-Zeitung, 61. Jahrg. (1965), S. 269 ff., 272. 82

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großen Planungsoptionen bereits festgelegt und ist m i t ihrer Realisierung bereits begonnen, so daß sie kaum mehr korrigiert werden können, dann sind parlamentarische Diskussionen der Richtung der Polit i k nur noch Schattengefechte. Politische Planungen, die allzu lange Arkana der Regierung und ihrer Bürokratie bleiben, haben es schwer, einen sicheren Ort i m Bewußtsein der Gemeinschaft zu erlangen. Die aus dem Demokratieprinzip hergeleitete frühe und umfassende Diskussion der Planungsziele und Planungsalternativen vor dem For u m der Öffentlichkeit, vor allem die allseitige Verdeutlichung der Rationalität des Planungsprozesses, hat gleichzeitig eine systemstabilisierende Funktion. Denn Planungen gewinnen insbesondere dann demokratische Legitimität, wenn ihnen ein breiter öffentlicher Konsens zuteil wird. Solche demokratische Legitimität wiederum erhöht die Fügungsrate gegenüber belastenden und unpopulären Maßnahmen 85 . Freilich ist nicht jede politische Planung geeignet, breite Resonanz i n der Öffentlichkeit zu finden; zumindest ein latentes Öffentlichkeitsinteresse muß durch die Planung geweckt werden. Aber wenn eine Planung erst einmal von der Öffentlichkeit akzeptiert ist, ist ihre Realisierungschance hoch einzuschätzen, während andere Planungen an Widerständen i m politischen System leicht scheitern können 88 . Gegen eine demokratietheoretische Begründung einer parlamentarischen Beteiligung an politischer Planung läßt sich einwenden, i n der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes, wie sie sich derzeit darstelle, könne politische Planung auch ohne maßgebliche parlamentarische Beteiligung demokratische Legitimität und allseitige Publizität erlangen. Ein Verlust an demokratischer Legitimität, die das Parlament i n den politischen Prozeß einzubringen vermag, könnte bei den Planungen i m Regierungsbereich unter einer Voraussetzung hingenommen werden: Wenn nämlich die mit der Planung zusammenhängenden politischen Entscheidungen i n Verfahren gefunden werden, die wenigstens mittelbar dem Postulat demokratischer Willensbildung zu genügen vermögen. Zwar besitzt auf den ersten Blick das Parlament infolge seiner Berufung durch Wahlen ein Höchstmaß demokratischer Legitimation. Es stellt sich jedoch die Frage, ob nur Parlamentsentscheidungen demokratische Legitimität zukommen kann oder ob nicht auch 85 W. Graf Vitzthum, S. 370; Th. Würtenberger jun., Die Legitimität staatlicher Herrschaft (1973), S. 285. 86 Vgl. W. Graf Vitzthum, S. 135 ff. (zur Realisierung des Umweltprogramms infolge Druckes der Öffentlichkeit), 117 ff. (zur parlamentarischen Skepsis gegenüber dem Bildungsgesamtplan von 1973 und dessen Scheitern).

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andere Verfassungsorgane demokratisch legitimiert sind 87 . Wie Ossenbühl nachgewiesen hat, besitzen auch Regierung und Exekutive eine eigene institutionelle und funktionelle Legitimation 8 8 . Durch den pouvoir constituant ist die Exekutive nach A r t . 20 Abs. 2 GG ebenso als Institution demokratisch legitimiert wie das Parlament. Auch dem Funktionsbereich der Exekutive kommt demokratische Legitimation zu, da die Verwaltung nicht funktionslos gewollt sein kann 8 9 . Eine der Regierung und Verwaltung vorrangige demokratische Legitimation besitzt das Parlament allerdings aufgrund des Wahl Verfahrens. Diese personelle Legitimation des Parlaments sollte nicht überschätzt werden 90 . Denn der bei den Wahlen zum Ausdruck kommende Volkswille ist bereits durch die Parteien mediatisiert worden. Außerdem erlangt auch die Regierung durch die Wahlen ein hohes Maß einer unmittelbar personellen demokratischen Legitimation: Verhaltenspsychologisch betrachtet w i r d nicht nur das Regierungsprogramm, sondern auch die Regierungsmannschaft bei der Stimmabgabe gewogen. Darum erscheint es geradezu als „ein Anachronismus, heute noch dem Parlament a limine eine demokratische Präponderanz gegenüber der Regierung zuzugestehen, die es zeugt und erhält" 9 1 . Die Volksvertretung vertritt dem Staate gegenüber nichts, sondern führt zusammen m i t der Regierung die Geschäfte des Staates. Und auch das Regierungsprogramm, aus dem heraus die Planungen zu entwickeln sind, ist i m Regelfall unmittelbar demokratisch abgesichert. Es w i r d aus der Wahlplattform 9 2 87 Aus BVerfGE 34, 52 if., 59 läßt sich nicht, wie W. Frotscher (S. 213) meint, herleiten, nur das Parlament besitze die demokratische Legitimation zur politischen Führung. Das BVerfG spricht zwar davon, daß nur das Parlament die demokratische Legitimation zur politischen Leitentscheidung besitze; hiermit war aber nicht allgemein die politische Führung, sondern lediglich die Aufgabe der Normsetzung angesprochen. 88 F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz (1968), S. 196 ff. 89 F. Ossenbühl, S. 200. 90 Alle Gesichtspunkte, die für eine demokratische Legitimation der Regierung sprechen, werden von W. Frotscher (S. 212 f.) offenbar übersehen, wenn er aus Gründen demokratischer Legitimation der Volksvertretung eine Vorrangstellung gegenüber der Regierung einräumen möchte. 91 H. Meyer, Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes, Analyse — Erfahrungen — Zukunftseignung, in: W D S t R L H. 33 (1975), S. 69 ff, 89. — „Die nahezu mechanische Vorstellung", wie W. Knies (Der Bundesrat: Zusammensetzung und Aufgaben, in: D Ö V 1977, 575 ff, 578) formuliert, „eines mit der Entfernung vom Souverän zunehmenden Legitimationsgefälles . . . hat keinen systematischen Ort in der ausgeprägt repräsentativen Verfassungsstruktur des Grundgesetzes". 92 M i t R. Zippelius (Allgemeine Staatslehre § 17 I I I , 2) kann davon ausgegangen werden, daß sich das Prinzip der auftragsfreien Repräsentation im Rückzug befinde. Der zu wählende Abgeordnete wird heute weniger nach seinen persönlichen Fähigkeiten beurteilt, als nach dem Parteiprogramm, für das er steht. Daher sollte mit der in England entwickelten Theorie vom Mandat ernst gemacht werden: Der Abgeordnete soll zwar nicht an Aufträge und Instruktionen seiner Wähler gebunden werden; das Programm, für das

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entwickelt, mit der die Regierungspartei i m Wahlkampf die Gunst der Mehrheit erworben hat. Es mag zwar während der Amtszeit der Regierung Entscheidungen geben, die sich nicht unmittelbar auf die Wahlplattform zurückführen lassen oder ihr sogar widersprechen. Zu denken ist etwa an wirtschaftliche Notlagen oder unvorhersehbare außenpolitische oder innenpolitische Entwicklungen. Selbst wenn hier die „Wahlplattform" verlassen werden muß, w i r d sie aber doch für die große Linie der Regierungspolitik maßgeblich bleiben. Neben der unmittelbar personellen Legitimation der Regierung und sachlichen Legitimation des Regierungsprogramms bleibt letztlich auch die mittelbar personelle Legitimation der Regierung zu beachten: Ohne eine Parlamentsmehrheit läßt sich keine handlungsfähige Regierung bilden. Es fällt die Homogenität zwischen Parlamentsmehrheit und Regierung ins Gewicht; hier findet eine direkte Rückbindung an den i n Wahlen zum Ausdruck gekommenen Volkswillen statt 9 3 . Auch darum besitzt das Parlament kein Monopol demokratischer Legitimation, die Regierung kein entscheidend ins Gewicht fallendes Defizit an demokratischer Legitimität. I n der Konsequenz derartiger Überlegungen liegt es, wenn verschiedentlich gefolgert wird, dem Bundestag komme, wie allen Parlamenten parlamentarischer Regierungssysteme, keine Initiativfunktion zu politischen Entscheidungen mehr zu 94 . Der Bundestag sei vielmehr „Resonanzboden" dessen, was von der Regierung der Bevölkerung gegenüber zugemutet werden könne. Denn zur Initiative zu weitreichenden politischen Entscheidungen sei die Regierung mit dem Sachverstand der Regierungsbürokratie weit besser i n der Lage als das Parlament. Gegenüber derartigen Erwägungen, die die Verfassungswirklichkeit zum normativen Leitbild des parlamentarischen Regierungssystems hochstilisieren, bleibt zu bedenken: Besteht wirklich eine so enge Gefolgschaft zwischen der Mehrheit i m Parlament und der Regierung, daß parlamentarische Initiativen zu politischer Planung gegenstandslos werden? Legt es die demokratische Legitimität der Regierung und ihrer aus der Wahlplattform hervorgegangenen Regierungsprogramme nahe, i h r auch das Erstzugriffsrecht auf die politische Planung zuzubilligen? Sicherlich ist die Initiativfunktion des Parlaments auch bei politischen Planungen ein unverzichtbarer Regelungsmechanismus des parsich seine Wähler entschieden haben, soll aber die Maxime der einzelnen politischen Entscheidungen jedes Abgeordneten liefern (hierzu Kap. 4,1). 93 F. Ossenbühl, Normative Anforderungen, S. Β 66; Η. Meyer , S. 86. 94 U. Thaysen , Parlamentarisches Regierungssystem in der Bundesrepublik Deutschland (1976), S. 37 ff.; W. Steffani, Parlamentarische Demokratie, S. 37; F. Grube, G. Richter und U. Thaysen, Politische Planung, S. 43 f.

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lamentarischen Regierungssystem 95 : Bei Führungsschwächen der Regierung muß das Parlament die Initiative zu politischer Planung ergreifen. Vor allem aber die Opposition kann durch — wenn auch erfolglose — Planungsinitiativen i n der Öffentlichkeit deutlich machen, auf welchem politischen Feld sie ein Handeln der Regierung erforderlich hält. Und nur wenn das Parlament auch rechtlich i n der Lage ist, Planungsinitiativen zu ergreifen, die notfalls i n Form von Planungsauftragsgesetzen ergehen, kommt jenes Wechselspiel zustande, i n dem die Initiativen zu politischem Handeln auf der einen Seite aus dem Dialog m i t der Öffentlichkeit und auf der anderen Seite aus dem Rat des bürokratischen Sachverstandes hervorgehen. Auch die demokratische Legitimität der Regierung spricht nicht gegen ein Recht des Parlaments auf frühzeitige und umfassende Beteiligung an politischer Planung. Regierung und Parlament sind die Organe der Staatsleitung, denen beiden ein hohes Maß an demokratischer Legitimität zukommt. Das bedeutet gleichzeitig, daß sie an den weitreichenden politischen Entscheidungen, die i m Rahmen politischer Planung zu fällen sind, auch gleichermaßen zu beteiligen sind. Die Regierung mag kraft ihrer Funktion zu politischer Leitung verbunden mit dem i n der Regierungsbürokratie konzentrierten Sachverstand i n aller Regel die Initiativen zu politischer Planung ergreifen. Sie muß aber immer auch darauf achten, daß dem Parlament eine Mitentscheidungsmöglichkeit verbleibt und das Parlament nicht vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Eine solche frühzeitige Beteiligung des Parlaments an politischer Planung hat eine wichtige Funktion der Entscheidungsoptimierung. Die Regierungsplanung ist i n hohem Maß von bürokratischem Sachverstand geprägt. Die von der Regierung und von der Ministerialbürokratie zu bewältigenden Planungen werden weitgehend technokratisch angegangen. Durch die Beteiligung von Parlamentariern am Planungsprozeß entsteht die Chance „einer Kontrolle der Technokratie durch den gesunden Menschenverstand" 96 . Denn die Denkensart der Abgeordneten ist mit Sicherheit nicht nur technokratisch, und es besteht die Möglichkeit einer unbefangenen, von Problemen vordergründigen Sachzwanges losgelösten Diskussion der Zielsetzungen. Entscheidungsoptimierung bedeutet auch, daß möglichst viele Innovationsquellen die Entscheidung mit reformatorischem Potential versorgen können 97 . Sowohl das Parlament als auch Regierung und Exe95 So auch U. Thaysen, S. 38; skeptisch T. Ellwein, ten, S.110. 96 R. Herzog, Regierungsprogramme, S. 51. 97 R. Herzog, Gutachten, S. 44 ff.

Regieren und Verwal-

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kutive können die Fähigkeit besitzen, derartige Innovationsquellen zu sein. Es erhöht die Stabilität des sozialen Systems bedeutend, wenn bei Untätigkeit der einen staatsleitenden Gewalt die andere auch von Verfassungs wegen i n der Lage ist, i n die politische Verantwortung einzurücken. Daher erscheint es von hoher politischer Bedeutung, die staatlichen Entscheidungsverfahren so zu organisieren, daß i n grundlegenden politischen Fragen jede der beteiligten staatsleitenden Instanzen gleichermaßen berechtigt und i n der Lage ist, die Führung zu übernehmen. 4. Funktionenteilung aus dem Gesichtspunkt der Gewaltenbalancierung

Nach dem traditionellen Schema der Funktionenteilung sollen die drei wichtigsten Funktionen i m Staat, nämlich Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung durch voneinander geschiedene Organe ausgeübt werden 98 . Diese Funktionenteilung 9 9 ist tragendes Organisationsprinzip des Grundgesetzes und gehört zu den ranghöchsten Normen des organisatorischen Staatsrechts (Art. 1 Abs. 3 GG; A r t . 20 Abs. 2 und 3 GG; A r t . 79 Abs. 3 GG). Bekanntlich gibt das Grundgesetz keine abschließende Auskunft über den Inhalt dieses Grundsatzes, sondern läßt nur erkennen, welche Hauptaufgaben i n den einzelnen Funktionsbereichen erfüllt werden sollen. Eine Lehre von der Funktionentrennung, wie sie der grundgesetzlichen Ordnung zugrundeliegt, läßt sich auch darum schwer entwickeln, da Funktionendurchbrechungen nicht Ausnahmen, sondern eher Regel sind. W i l l man politische Planung in das gewaltenteilige Organisationsschema des Grundgesetzes einordnen, muß man sich darum u m den Regelungszweck der Gewaltenteilungslehre bemühen 100 . Die Zuordnung der einzelnen staatlichen Funktionen auf verschiedene Staatsorgane erfüllt wichtige Zwecke. Die überlieferte Aufgabe der Funktionenteilung besteht i n der Machtkontrolle 1 0 1 . Aus Mißtrauen gegen den oder die Machthaber erscheint es ratsam, eine Machtkonzentration i n den Händen einer oder einiger weniger Personen zu verhindern. Eine Staatsorganisation, die durch eine Vielzahl von Inkompatibilitäten die Ausübung von Ämtern verschiedener Funktionsbereiche i n Personalunion hindert, kann einen effektiveren Frei98

BVerfGE 2, 1 ff., 13; 2, 239; 3, 225 ff., 247; 34, 52 ff, 59. Zu dieser Terminologie vgl. N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre (1967), S. 109 ff. 100 Hierzu Κ Hesse, Grundzüge § 13 I 2. 101 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, §24 I, 1; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 228 ff.; K. Hesse, § 13; O. Küster, Das Gewaltenproblem im modernen Staat, in: H. Rausch (Hg.), Zur heutigen Problematik der Gewaltentrennung (1969), S. 1 ff, 6 ff. 99

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heitsschutz gewährleisten als die Grundrechte 102 . Neben dieser Machtkontrolle hat die Funktionenteilung die Aufgabe der Verantwortungsklarheit und der „zweckdienlichen Spezialisierung" 103 . Die einzelnen Organwalter können sich den ihnen zugewiesenen Aufgabenbereichen besser widmen, wenn sie i n Arbeitsteilung zu erledigen sind, als wenn jeweils die Vielzahl aller relevanten Gesichtspunkte zu berücksichtigen ist. Die Funktionenteilung führt zu der i m modernen Staat nötigen Reduktion von Komplexität, wenn das Arbeitsfeld und der Aufmerksamkeitsbereich der verschiedenen Staatsorgane auf jene Aufgaben zugeschnitten werden, die sie zu erfüllen haben 104 . Eine solche Spezialisierung bei gleichzeitiger Kontrolle führt zwangsläufig zu einer gewissen Entscheidungsoptimierung. Indem also die Kompetenzen der einzelnen Funktionsträger bestimmt werden und ihre Zusammenarbeit untereinander geregelt wird, w i r d eine sachgerechte Ordnung menschlichen Zusammenwirkens geschaffen. Ein wesentliches Element der Funktionenteilung ist das Prinzip der Balancierung der verschiedenen Staatsfunktionen, d.h. des Gleichgewichts 105 . Dem Prinzip des Gleichgewichts entnimmt man verschiedentlich einen Maßstab der Richtigkeit, da durch die Gleichgewichtslage nicht nur i n der Physik, sondern auch i n der Politik ein Zustand der Ausgewogenheit, Ruhe und Mäßigung erreicht wird 1 0 6 . Vor allem aber ist eine Balance zwischen den verschiedenen Staatsfunktionen unerläßlich, damit ihre gegenseitige Kontrolle und Mäßigung realisiert werden kann 1 0 7 . I n diesem Sinne fordert das Bundesverfassungsgericht, die i n der Verfassung vorgenommene Verteilung der Gewichte zwischen den drei Gewalten müsse aufrechterhalten bleiben, keine Gewalt dürfe ein von der Verfassung nicht vorgesehenes Übergewicht über die andere Gewalt erhalten und keine Gewalt dürfe der für die Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben erforderlichen Zuständigkeiten beraubt 102

W. Leisner, Quantitative Gewaltenteilung, S. 411. R. Zippelius, § 24 I, 2; O. Küster, S. 7 ff. 104 Beispiele bei R. Zippelius, ebd.; K. Hesse, § 13 I I , 1 b; P. H. Huppertz, Gewaltenteilung, S. 21 ff. 105 Zutreffend bezeichnet K. Loewenstein (Verfassungslehre, S. 189) die Geschichte des Verfassungsstaates als „nichts anderes als die beharrliche Suche nach der Zauberformel für die Herstellung eines idealen Gleichgewichts zwischen Regierung und Parlament; die Blaue Blume wurde nie gefunden und möglicherweise gibt es sie überhaupt nicht". 106 Vgl. etwa H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S.869; Th. Tsatsos, Zur Geschichte und Kritik der Lehre von der Gewaltenteilung (1968), S. 18 f. 107 Hierauf weist das BVerfG immer wieder mit Nachdruck hin: BVerfGE 3, 247; 7, 188; 30, 28; 34, 59. 103

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werden 1 0 8 . Diese Balance zwischen den Funktionen der Legislative und Regierung, nämlich Normerlaß und Kontrolle auf der einen und Gesetzesausführung und gesetzesfreie Gestaltung auf der anderen Seite, ist durch die Normen des Verfassungsrechts näher bestimmt. I n der Staatspraxis erscheint das Funktionengleichgewicht zwischen Regierung und Parlament aus verschiedenen Gründen gefährdet. Die sehr weit ausgedehnte und hochspezialisierte Regierungs- und Verwaltungstätigkeit kann durch die Volksvertretung heute kaum mehr effektiv und umfassend kontrolliert werden. Es w i r d noch darauf zurückzukommen sein, wie etwa der parlamentarische A n t e i l am Haushaltswesen zusammengeschmolzen ist 1 0 9 . Nicht allein hier trägt die parlamentarische Kontrolle nur den Charakter des Zufälligen und Bruchstückhaften 110 . Auch die Kontrolle der Regierung vermittels der parlamentarischen Zustimmung zu oder Änderung von Gesetzen ist im regelungsintensiven Industriestaat nicht mehr v o l l gewährleistet. Die Flut der Gesetzgebung auf der einen und die sachkundige Gesetzesvorbereitung der Regierung auf der anderen Seite drängt den parlamentarischen Kontrollspielraum zurück 111 . Vor allem w i r d aber das Funktionsgleichgewicht zwischen Legislative und Exekutive durch die modernen Verfahren politischer Planung infrage gestellt. Auch hier gibt die politische Planung den entscheidenden Anstoß für eine Neubewertung verfassungsrechtlicher Strukturprinzipien. Die Vorwirkungen politischer Planung können dazu führen, daß dem Parlament nur noch die Möglichkeit der Ratifikation von Planungen bleibt, die i m Regierungsbereich erarbeitet wurden. M i t der mittel- und langfristischen Planung der Regierung werden auch parlamentarische Entscheidungen weitgehend programmiert. M i t der Planung i m Bereich der Regierung werden nicht nur Orientierungsdaten gesetzt, sondern Entscheidungen werden selbst getroffen oder doch i n einer so stringenten Weise „vorverfügt", daß ein Abgehen von der vorliegenden Planung unmöglich wird. U m dies zu vermeiden, er108 BVerfGE 9, 268 ff., 279; 22, 106 ff., 111; 34, 52 ff., 59; vgl. weiter S. Weiß, Auswärtige Gewalt und Gewaltenteilung (1971), S. 39 ff.; D. Rauschning, Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: C. Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, S. 214 ff., 228. 109 Unter I I I . , 1. 110 U. Scheuner, Verantwortung und Kontrolle in der demokratischen Verfassungsordnung, S. 398 ff.; T. Ellwein und A. Görlitz, Parlament und Verwaltung, S. 25 ff., 42 ff., 222 ff.; T. Eschenburg, Staat und Gesellschaft in Deutschland, 6. Aufl. (1964), S. 609. 111 I n diesem Zusammenhang läßt sich auch auf die Vormachtstellung der Regierung hinweisen, die sie in letzter Zeit auf dem Gebiet der auswärtigen Gewalt erlangt hat (hierzu S. Weiß, S. 205 ff.).

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scheint es auch unter dem Aspekt der Funktionenteilung erforderlich, dem Parlament eine Befugnis zu frühzeitiger M i t w i r k u n g und Mitgestaltung an den Planungsvorhaben der Regierung einzuräumen 112 . A n dernfalls können m i t zunehmendem Planungsumfang i n allen wichtigen Bereichen staatlicher Tätigkeit die Entscheidungen der Legislative frühzeitig und langfristig festgelegt werden, ohne daß Raum für eine verantwortliche politische Beteiligung der Legislative bliebe. Daher ist i n Planungsangelegenheiten die Vorstellung von bloßer Kontrolle und Überwachung der Regierung durch das Parlament 1 1 3 kaum mehr am Platz 1 1 4 . Parlamentarische Kontrolle der Regierungsplanung läßt sich nicht mehr wörtlich als „contre-rôle", als Gegenrolle, als zeitlich nachfolgende Überwachung der Regierung verstehen. Z w i schen dem kontrollierenden Parlament und der Regierung muß zwar eine kritische Distanz bestehen: Das prinzipiell selbständige Regierungshandeln ist auf Gründe gestützt, die dem Parlament darzulegen sind und von i h m überprüft werden können. Dies schließt aber nicht jegliche frühzeitige und umfassende M i t w i r k u n g des Parlaments oder der zuständigen Parlamentsausschüsse an Regierungsplanungen aus. Zwar w i r d frühzeitige parlamentarische M i t w i r k u n g an politischen Entscheidungen m i t parlamentarischer Verantwortlichkeit für unvereinbar gehalten 115 . Zugegeben sei, daß die prinzipielle Trennung der verschiedenartigen Funktionen von Parlament und Regierung, vor allem die Aufgabe des Parlaments zu wirksamer Kontrolle und die Aufgabe der Regierung zur Konzeption einer langfristig abgestimmten Politik, nicht aufgegeben werden darf. Gleichwohl sind i m modernen Leistungs- und Sozialstaat, der sich prospektiver Planungstechniken bedient, dem Parlament Mitgestaltungsbefugnisse bei der Regierungs112

R. Herzog (Regierungsprogramme, S. 52) verweist das Problem der Gewichteverteilung von Parlament und Regierung im Prozeß staatlicher Planung in den Bereich des Politischen. Verfassungsrechtlicher Würdigung soll dieses Problem weitestgehend nicht zugänglich sein. 113 So meist die Terminologie im Schrifttum: W. Kewenig, Planung, S. 29; W. Graf Vitzthum, S. 217, 262. 114 Verfehlt erscheint die These von M. Hereth (Die Reform des Deutschen Bundestages [1971], S. 61 ff.), die parlamentarische Kontrolle der Regierung obliege lediglich den Regierungsfraktionen. Eine Mitwirkung des Gesamtparlaments an der Richtungskontrolle soll nämlich die Verantwortlichkeit in politischen Fragen verwischen und dem Wähler die Möglichkeit nehmen, politische Entscheidungen den einzelnen Parteien zuzuordnen und entsprechend zu sanktionieren. Es gibt eine Vielzahl von politischen Entscheidungen, die die Opposition, ohne ihre legitime Rolle zu vernachlässigen, unterstützen kann. Und es ist nicht allein Aufgabe der Opposition, wie Hereth (S. 62) meint, die öffentliche Meinung gegen Regierungsvorhaben zu mobilisieren, sondern auch in Diskussion mit der Regierung und der Regierungsmehrheit im Parlament allseitig konsensfähige Kompromisse zustande zu bringen. 115 Vgl. oben unter I., 1 b, bb.

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tätigkeit zur Verfügung zu stellen, soll das parlamentarische Regierungssystem auch weiterhin von einem Machtgleichgewicht von Parlament und Regierung geprägt sein. Es geht hier u m den von der Schweizer Staatsrechtslehre entwickelten 1 1 6 und von Leisner 1 1 7 vom Grundsätzlichen her beleuchteten Ansatz, daß Kontrolle i m modernen parlamentarischen Regierungssystem nicht mehr allein als repressive Kontrolle verstanden werden kann. Kontrolle der Exekutive durch die Legislative kann und muß durch ein Zusammenwirken dieser beiden Gewalten geschehen. Leisner spricht plastisch von den „Vorwirkungen einer a-posteriori-Kontrolle i n eine a-priori-Mitarbeit". Gerade i n Planungsangelegenheiten muß die Konzeption von der gleichwertigen Zusammenarbeit und von der gemeinsamen Entscheidungsfindung der beiden Gewalten i m Zentrum politischer Führung durchgreifen 118 . A n dernfalls würde die Überlegenheit des Regierungsbereichs so stark werden, daß eine effektive Kontrolle durch die Volksvertretung nicht mehr möglich wäre. Durch die beschriebenen Vorwirkungen der politischen Planung würde das Parlament faktisch i n seinen Entscheidungen gebunden sein; eine „nachfolgende" Kontrolle der Regierung durch das Parlament wäre i n der Regel politisch bedeutungslos. Eine fortlaufende Mitarbeit des Parlaments an der planenden Tätigkeit der Regierung erscheint m i t h i n geboten 119 . Von Graf Vitzthum w i r d gegenüber einer derartigen Kontrolle durch M i t w i r k u n g u. a. eingewandt, hierdurch werde „die Opposition i n eine Mitregierung gedrängt, die ihr die öffentliche Kontrolle erschwert" 1 2 0 . Es bestehe die Gefahr, daß die Opposition die Gelegenheit 116 R. Bäumlin, Die Kontrolle des Parlaments über Regierung und Verwaltung, in: Zeitschrift für Schweizerisches Recht, N. F. Bd. 85 (1966), 2. Halbband, S. 165 ff, 244 ff.; K. Eichenberger, Die Problematik der parlamentarischen Kontrolle im Verwaltungsstaat, in: SJZ 1965, S. 288 ff. 117 W. Leisner, Quantitative Gewaltenteilung, S. 409. 118 17. Scheuner, Zur Entwicklung, S. 384; ders., Verantwortung und Kontrolle in der demokratischen Verfassungsordnung, S. 397 ff.; P. Badura, Verfassung, Staat und Gesellschaft in der Sicht des Bundesverfassungsgerichts, in: C. Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht, 2. Bd., S. 1 ff, 18; K. Stern, Rationale Infrastrukturpolitik, S. 79; ders., Staatsrecht, S. 757; N. Achterberg, Parlamentsreform, S. 846 f. (zweifelnd noch in DVB1. 1972, 841 ff, 844); B. Lutterbeck, Entscheidungstheoretische Bemerkungen zum Gewaltenteilungsprinzip, in: W. Kilian u. a. (Hg.), Datenschutz (1973), S. 187 ff, 201 ff.; A. Ruch, Das Berufsparlament (1976), S. 234 ff.; G. Klein, Rechtsnatur, S. 112; C. J. Friedrich, Die Verantwortung der Regierung in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und der Bundesrepublik, in: T. Stammen (Hg.), Vergleichende Regierungslehre (1976), S. 223 ff, 229 f. 119 P. Badura, Auftrag und Grenzen der Verwaltung im sozialen Rechtsstaat, in: D Ö V 1968, 446 ff, 453; kritisch H. Boldt, Zum Verhältnis von Parlament, Regierung und Haushaltsausschuß, in: ZParl 1973, 534 ff, 545; W. Graf Vitzthum, S. 334 ff. 120 W. Graf Vitzthum, S. 335 Anm. 186; zutreffend dagegen N. Gehrig, Parlament-Regierung-Opposition, S. 135 ff.

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zum Mitplanen ergreife „und sich i n die Mitverantwortung für die Planungspolitik hineinsaugen" lasse. Sicherlich ist bei der Verfassungsinterpretation immer die Sicherung einer aktionsfähigen Opposition i m Auge zu behalten. Bei parlamentarischer Kontrolle durch rechtzeitige M i t w i r k u n g an Regierungsplanungen w i r d aber der A k tionsbereich der Opposition mit Sicherheit nicht eingeengt. Daß die Opposition gelegentlich auf die Regierungsplanung einschwenkt, mag vorkommen, bei bedeutsamen langfristigen Planungen i n Ausnahmefällen sogar wünschenswert sein. Wenn jedoch die Opposition der Regierungsplanung ein Gegenprogramm entgegenstellen möchte, gibt ihr die frühzeitige und transparente „Kooperation" von Regierung und Parlamentsmehrheit die Möglichkeit, ihr Programm vor dem Forum der Öffentlichkeit zu einem Zeitpunkt zu entwickeln, i n dem noch über Alternativen vernünftigerweise diskutiert werden kann 1 2 1 . Weiterhin ist es sicherlich kein Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz des Verfassungsrechts, wenn die Fachausschüsse des Parlaments auch i n den Fragen politischer Planung „regulierend durch vorherige Diskussion und Beschlußfassung i n den Entscheidungsprozeß der beaufsichtigten Ministerien einzugreifen" 122 versuchen. Die repressive Kontrolle der Regierung durch das Parlament, die heute nicht mehr greift, w i r d nur ausnahmsweise durch eine „Mitregierung" ersetzt, wie es Kewenig 1 2 3 bezeichnen möchte. I n der Regel wirken die Fachausschüsse an der Willensbildung i m Regierungsbereich dadurch mit, daß sie sich informieren lassen 124 , daß sie gegenüber Regierung und Regierungsbürokratie ihre Auffassung über einzelne Projekte kundtun 1 2 5 und — nur i n Ausnahmefällen — daß sie Kompetenzen der Mitentscheidung wahrnehmen 1 2 6 . Diese parlamentarische Beteiligung an den Willensbildungsprozessen i m Bereich der Regierung durch die Fachausschüsse bewegt sich i m Rahmen dessen, was das Grundgesetz 121 I m übrigen führt W. Graf Vitzthum die Ablehnung einer „Kontrolle durch Kooperation" nicht konsequent durch. Wenn er fordert, die parlamentarische Kontrolle solle bereits in der Phase des Konzipierens einsetzen (Parlament, S.355), dann muß es hier zwangsläufig zu einer Kooperation kommen. 122 W. Kewenig, Staatsrechtliche Probleme, S.39; U. Scheuner, Verantwortung und Kontrolle in der demokratischen Verfassungsordnung, S. 399 ff., 401 f. 123 W. Kewenig, Staatsrechtliche Probleme, passim. 124 F. Schäfer, Der Bundestag, 2. Aufl. (1975), S. 122; G. Loewenberg, Parlamentarismus im politischen System der Bundesrepublik Deutschland (1969), S.186. 125 W. Kewenig, S. 16; G. Loewenberg, S. 347. 126 Die „Mitregierung" des Haushalts- und des Verteidigungsausschusses, die von Kewenig dargestellt wird, ist nicht symptomatisch für die Arbeit der übrigen Ausschüsse (vgl. auch G. Loewenberg, S. 186 f., 347).

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

an parlamentarischer Einfiußnahme auf den Regierungsbereich zur Erhaltung einer Gewaltenbalance zuläßt: Der Regierungsbürokratie w i r d i n den Fachausschüssen des Parlaments deutlich gemacht, welche Programme m i t parlamentarischer Billigung rechnen können; die Ausschüsse erhalten als Äquivalent eine Vielzahl von Informationen, deren sie zu einer sachgerechten Kontrolle der Regierung bedürfen. I n der Diskussion der letzten Jahre geht es daher auch weniger u m die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer parlamentarischen M i t w i r k u n g an der Regierungsplanung durch die Fachausschüsse des Parlaments, sondern vielmehr u m die Organisation eines „mitplanenden" Parlamentsausschusses. Von verschiedener Seite ist die Institutionalisierung eines parlamentarischen Planungsausschusses vorgeschlagen worden 1 2 7 . Ein zentraler Planungsausschuß des Parlaments als Pendant zur Planungsorganisation der Regierung erscheint wünschenswert, soll die parlamentarische M i t w i r k u n g an der Aufgabenplanung nicht bei einer bloß ausgleichenden Koordination von und bloßen Korrekturen an Ressortplanungen stecken bleiben. W i r d die Regierungsplanung allein i n den spezialisierten Fachausschüssen behandelt, so kann der ganze Prozeß der Prioritätensetzung i m Bereich der Regierung, d. h. aber die Konzeption der Regierungsplanung, nicht zum Gegenstand parlamentarischer M i t w i r k u n g gemacht werden. Gegen die Institutionalisierung eines zentralen Planungsausschusses des Parlaments hat man eingewendet, es werde ein „Superausschuß" geschaffen, der die Arbeit i n den übrigen Ausschüssen entwerte. Dieser Einwand ist nicht leicht von der Hand zu weisen, da der Planungsausschuß sich als ein „Ausschuß für Politik" darstellen würde. Gegenstand der Arbeit i n diesem Ausschuß wäre die Regierungspolitik insgesamt. Die Diskussion des Regierungsprogrammes und der Ziele der Regierungspolitik sollte aber nicht i n einem Parlamentsausschuß vorbereitet werden. Bei der Debatte u m die großen Linien der Regierungspolitik sollte jeder Abgeordnete m i t eigener Sachkunde teilnehmen. Eine Vorverlegung dieser Debatte i n einen Planungsausschuß würde der parlamentarischen Auseinandersetzung viel an Ursprünglichkeit rauben. Wenn man es für erforderlich halten w i l l , die gesamte Planungskonzeption der Regierung vor den parlamentarischen Debatten zu diskutieren, so sollte dies eher i n den Fraktionen erfolgen 128 . Der Gesichtspunkt der Gewaltenbalance kann weder dazu führen, daß das Parlament oder seine Ausschüsse i n allen Phasen der Planung 127 H. Harnischfeger, Planung, S. 115 ff.; Zwischenbericht, S. 79 ff.; E.-W. Böckenförde, Planung, S.454; D. Frank, Politische Planung, S. 266 ff.; B. Dobiey, Politische Planung, S. 139 ff. 128 F. von Peter, Beteiligung, S. 341.

I I I . Parlamentarische M i t w i r k u n g s b e f u g n i s s e an politischer P l a n u n g

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zur Mitentscheidung berufen oder an allen Planungsphasen zu beteiligen sind 1 2 9 . Es müssen vielmehr, u m zu einer ausgewogenen Gewaltenbalance zu gelangen, einzelne Phasen des Planungsverfahrens unterschieden und ihr politisches Gewicht i m Verhältnis zur Enddezision geklärt werden. Z u diesem Zweck muß der Planungsprozeß i n verschiedene Phasen aufgegliedert werden 1 8 0 . Für die Phasen der Planungsinitiative, Planausarbeitung, Planfeststellung und Planänderung sind die Kompetenzen von Parlament und Regierung neu zu durchdenken. Zu erarbeiten wäre eine Lehre von der Planungsinitiative, von der Information über die planungsrelevanten Tatsachen, von der Redaktionsgewalt bei der Planaufstellung und von der Beschlußgewalt, i n der die einzelnen Arbeitsphasen i n ihrer Bedeutung für die Enddezision gewichtet werden 1 8 1 . Ι Π . Einzelne parlamentarische Mitwirkungsbefugnisse an politischer Planung Die Planungsfunktionenteilung zwischen Parlament und Regierung hat, wie dargelegt wurde, von zwei organisatorischen Leitprinzipien der Verfassung auszugehen: Zu beachten sind das Machtgleichgewicht zwischen Regierung und Bürokratie auf der einen und dem Parlament auf der anderen Seite und — damit eng verbunden — die M i t entscheidungsaufgabe des Parlaments i n grundsätzlichen politischen Fragen. Wegen der Bindungswirkung der ausgearbeiteten und vor ihrer Realisierungsphase stehenden Planung und wegen einer damit zusammenhängenden möglichen Machtverschiebung i m parlamentarischen Regierungssystem müssen Erörterungen zu A r t und Ausmaß parlamentarischer Beteiligung an politischer Planung bei der Frage ansetzen, wie das Parlament frühzeitig und umfassend an den Planungen der Regierung teilnehmen kann. Für die folgenden Ausführungen ist wiederum von Bedeutung, daß Planung ein Entscheidungsprozeß ist, i n dem Planungsziele festgelegt werden und Informationen vielfältiger A r t und großen Umfangs zu verarbeiten sind. Eine frühzeitige und umfassende Beteiligung an Planungsentscheidungen kann daher nur über eine Beteiligung an dem Zielfindungs- und Informationsverarbeitungsprozeß, der politischer Planung zugrundeliegt, stattfinden. Nur eine frühzeitige Beteiligung an der Aufstellung von Planungszielen und ein Zugang zu den planungsrelevanten Informationen 129 E. Schiffer, Diskussionsbeitrag, i n Verhandlungen des 50. D J T , Bd. I I (1974), S. I 71. 180 R. Wahl, Diskussionsbeitrag, in: Regierungsprogramme und Regierungspläne, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 51 (1973), S. 60.

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So W. Leisner (S. 411) für die Gesetzgebimg.

18 Wtlrtenberger

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5. Kap. : Panungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

sowie eine Kontrolle der Informationsverarbeitungsprozesse können dem Parlament zu einem angemessenen Gewicht i m Prozeß politischer Planung verhelfen. Eine solche parlamentarische Beteiligung an den Prozessen der Zielfindung und Informationsverarbeitung kann zunächst das wichtigste Instrument parlamentarischer Regierungskontrolle gewährleisten: das Budgetbewilligungsrecht. Ein Ausschöpfen der haushaltsrechtlichen Kompetenzen des Parlaments 1 läßt eine verstärkte parlamentarische Einflußnahme auf die Regierungsplanung möglich erscheinen. I n diesem Zusammenhang verdient eine parlamentarische Beteiligung an der Finanzplanung besondere Beachtung, da sie i n einem frühen Stadium Planungskonzeptionen der Regierung widerzuspiegeln vermag 2 . Eine andere Möglichkeit, eine frühe und umfassende parlamentarische Beteiligung an der Regierungsplanung zu sichern, bietet ein Ausbau der parlamentarischen Auskunfts- und Informationsrechte, insbesondere der parlamentarischen Interpellation und Untersuchungsausschüsse. Letztlich kann sich das Parlament durch gesetzliche Vorgabe von Planungszielen und durch gesetzliche Anweisungen an die Regierung, politische Planungen vorzunehmen oder Planungsalternativen vorzulegen (Planungsauftragsgesetz), Einfluß auf den Zielfindungsprozeß i m Bereich der Regierung verschaffen. Wesentliche Fragestellung bei den folgenden Ausführungen zur frühzeitigen und umfassenden Beteiligung des Parlaments an der Regierungsplanung ist, inwieweit die herkömmlichen parlamentarischen Instrumente der Regierungskontrolle auch zu einer Kooperation i n den Verfahren politischer Planung geeignet sind und inwieweit diese Kontrollinstrumente dem Bedarf parlamentarischer Beteiligung an den Zielfindungsprozessen und Verfahren politischer Planung i m Bereich der Regierung angepaßt werden können. 1. Planungssteuerung durch Beschluß über den Haushaltsplan

Die Entwicklung des konstitutionellen Haushaltsrechts i n Deutschland ist durch den Kampf zwischen Parlament und Regierung bzw. Krone geprägt. Erinnert sei nur an den machtpolitischen Kern des k u r hessischen und preußischen Verfassungskonflikts: Das Parlament wollte 1 So fordert u. a. R. Herzog (Regierungsprogramme, S. 49), das Parlament müsse Art. 110 GG „planungsbewußter" einsetzen. 2 Mit vollem Recht hat M. Schröder (Planung, S. 76) bemerkt, daß im Streit um die Verteilung der Planungskompetenz zwischen Legislative und Regierung erstaunlich wenig erörtert worden ist, „ob ein globaler Zustimmungsvorbehalt nicht überhaupt entbehrlich ist, weil das Parlament vorhandene Detailvorbehalte ausnutzen und sich so an der Planung ausreichende M i t wirkungsbefugnisse verschaffen kann".

I I I . Parlamentarische Mitwirkungsbefugnisse an politischer Planung

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d u r c h v o l l e A u s n u t z u n g des B u d g e t r e c h t s e i n e n E i n f l u ß a u f die R e g i e r u n g s p o l i t i k e r z w i n g e n , d e r eine faktische P a r l a m e n t a r i s i e r u n g d e r E x e k u t i v e z u r Folge g e h a b t h ä t t e 3 . W e n n L o r e n z v o n S t e i n das H a u s h a l t s r e c h t als „ H a u p t a u s d r u c k u n d T r ä g e r d e r v e r f a s s u n g s m ä ß i g e n F r e i h e i t ü b e r h a u p t " bezeichnet 4 , so w i r d die große B e d e u t u n g p a r l a m e n t a r i s c h e r B u d g e t k o n t r o l l e f ü r die V e r f a s s u n g s e n t w i c k l u n g des 19. J a h r h u n d e r t s d e u t l i c h . H e u t e f r e i l i c h h a t sich diese z e n t r a l e B e d e u t u n g des H a u s h a l t s b e w i l l i g u n g s r e c h t s i n verschiedener H i n s i c h t abgeschwächt 5 . O b g l e i c h d i e v e r f a s s u n g s r e c h t l i c h e n A s p e k t e des H a u s h a l t s p l a n s l a n g e Z e i t h i n d u r c h e i n „ S t i e f k i n d des S t a a t s r e c h t s " 8 gew e s e n sind, so d a r f doch die B e d e u t u n g des H a u s h a l t s r e c h t s i m S y s t e m des Verfassungsrechts n i c h t aus d e n A u g e n v e r l o r e n w e r d e n . D i e V e r f ü g u n g ü b e r d i e Staatsfinanzen ist eine d e r S c h a l t s t e l l e n i m S y s t e m der M a c h t v e r t e i l u n g zwischen den staatsleitenden Instanzen. Ü b e r d e n H a u s h a l t s p l a n l ä ß t sich e i n G r o ß t e i l d e r S t a a t s t ä t i g k e i t l e n k e n u n d p r o g r a m m i e r e n . Z u r e c h t v e r g l e i c h t F r i a u f 7 d i e L e n k u n g s f u n k t i o n des H a u s h a l t s p l a n s m i t d e r j e n i g e n d e r Gesetzgebung s c h l e c h t h i n 8 . D i e l a n g e vernachlässigte verfassungstheoretische B e s c h ä f t i g u n g m i t dem Haushaltsplan u n d dem Budgetbewilligungsrecht hängt m i t der 8 O. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte (1970), S. 371 ff.; R. Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz (Studien der Forschungsgesellschaft für Staats- und Kommunalwissenschaft Bd. 6) (1976), S. 113 ff.; K. H. Friauf, Der Staatshaushaltsplan i m Spannungsfeld zwischen Parlament und Regierung, Bd. 1 (1968), S. 223 ff., 230 mit ausführl. Literaturnachweisen; zur Entwicklung in Österreich: J. Hengstschläger, Das Budgetrecht des Bundes (1977), S. 25 ff. 4 L. von Stein, Finanzwirtschaft I, 5. Aufl. (1885), S. 206. 5 U. a. ist die Abgabenerhebung an Steuergesetze gebunden, die regelmäßig für unbestimmte Zeit gelten, und hat sich das Prinzip der Gesetzmäßigkeit aller Exekutivmaßnahmen — nicht nur der Ausgabenleistung und Ausgabenerhebung — in immer lückenloserer Weise durchgesetzt (Th. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 110 GG R N 3). β Κ. Η. Friauf, S. 12; erst die Habilitationsschrift von R. Mußgnug (ebd.) hat die allzu vernachlässigten verfassungsrechtlichen Aspekte der Haushaltsplanung einer umfassenden und theoretisch vertieften Sichtung unterzogen. 7 Κ. H. Friauf, S. 13; R. Mußgnug, S. 3 ff.; vgl. auch W. Henle, Die Ordnung der Finanzen in der Bundesrepublik Deutschland (1964), S.41; J. Heckel, Die Entwicklung des parlamentarischen Budgetrechts und seiner Ergänzungen, in: Handbuch des deutschen Staatsrechts, hrsg. von G. Anschütz und R. Thoma, Bd. 2 (1932), S. 359. 8 Welche Rolle Haushaltsplan und Haushaltsausschuß in der Staatspraxis zugemessen wird, läßt sich folgender Äußerung eines Mitgliedes des Haushaltsausschusses entnehmen: „Der Haushaltsausschuß i s t . . . exekutiv. Er kennt sich in und mit dem Budegt aus, das man von ungefähr Schicksalsbuch der Nation nennt. I m Etat wird Politik in Mark und Pfennig aufgeschrieben, in Zahlen verschlüsselt. Wer das dechiffrieren kann, erwirbt hochkarätiges Herrschaftswissen" (B. Bussmann, Haushaltsausschuß. Informationen über seine Arbeitsweise [Bundestag von a - z , hrsg. vom Deutschen Bundestag, 1974], Vorwort).

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

oft einseitigen Betrachtung der lediglich juristischen Funktion des Haushaltsplans zusammen. Juristische Relevanz gewinnt der Haushaltsplan dadurch, daß er i n Form eines Gesetzes den finanziellen Rahmen des Verwaltungshandelns regelt und die Grundlage der Kontrolle eben dieses Handelns (Haushaltskontrolle) bildet (administrative Kontrollfunktion) 9 . Bei der Frage, ob der Haushaltsplan ein geeignetes Instrument zur Steuerung von Regierungsplanungen und Regierungsprogrammen zu sein vermag, kann nicht seine juristische Funktion, sondern müssen seine politischen und finanzwirtschaftlichen Funktionen i m Vordergrund des Interesses stehen. Die politische Programmfunktion des Haushaltsplanes zeigt sich darin, daß das Budget ziffernmäßig und exakt das politische Handlungsprogramm der Regierung ausdrücken soll. Der Haushaltsplan soll geradezu das Arbeitsprogramm der Regierung i n Zahlen, die wirtschaftliche Kehrseite des Regierungsprogramms sein 10 . Die politischen Ziele der Regierung setzt der Haushaltsplan i n konkrete Programme und Projekte um, die i n der Zahlensprache der Einzeletats Konturen bekommen 11 . I n gewisser Weise dokumentiert der Haushaltsplan den aus dem politischen Machtkampf hervorgegangenen Kompromiß. Eng verknüpft m i t dieser politischen Programmfunktion des Haushaltsplans ist seine politische Kontrollfunktion. Durch Beratung und Korrektur des Budgets w i r d eine vorherige politische Kontrolle des Handelns von Regierung und Exekutive ermöglicht. Die finanzwirtschaftliche Ordnungsfunktion des Haushaltsplans besteht darin, daß durch planmäßige Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben das finanzielle Gleichgewicht erreicht und die ökonomische Rationalität der Haushaltsführung ge9 Die Funktion des Haushaltsplanes behandeln: F. Neumark, Theorie und Praxis der Budgetgestaltung, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., Bd. 1 (1952), S. 558 f.; H. Rehm, Bundeshaushaltsreform, S. 25 ff.; W. HenLe, S. 44 ff.; W. Patzig und T. Traber, Haushaltsrecht des Bundes und der Länder, Bd. 1 (1970), S. 11 ff.; W. Krüger-Spitta und H. Bronk, Einführung in das Haushaltsrecht und die Haushaltspolitik (1973), S. 26 ff.; K - Η . Hansmeyer und B. Rürup, Staatswirtschaftliche Planungsinstrumente, S. 6 ff.; B. Rürup, Programmfunktion, S. 16 f. m. w. Nw.; H. C. Korff, Haushaltspolitik, S. 25 ff. 10 N. Gehrig, Parlament — Regierung — Opposition, S. 283; R. Mußgnug, S. 242 f. 11 J. Hirsch, Haushaltsplanung, S. 38 ff.; H. C. Recktenwald, Die ökonomische Analyse: Hilfe für rationale Entscheidungen in der Staatswirtschaft, in: Nutzen-Kosten-Analyse und Programmbudget, hrsg. von H. C. Recktenwald (1970), S. 15 f.; P. Senf, Die saarländische Haushaltsreform, in: Finanzarchiv, N. F. Bd. 17 (1956/57), S. 173; F. Neumark, S. 558; W. Henle, S. 44. - Daß der oft beschworene enge Zusammenhang zwischen Regierungsprogramm und Haushaltsplanung noch nicht Gemeingut in der Erörterung haushaltsrechtlicher und haushaltspolitischer Fragen geworden ist, zeigt sich an einer Äußerung E. Guilleaumes (Reorganisation und Verwaltungsführung [1966], S. 31, 46), der für eine strikte Trennung zwischen Haushaltsplanung, die er der Verwaltungstätigkeit zurechnet, und dem eigentlichen Regieren als bewußter Gestaltung durch politisches Handeln plädiert.

I I I . Parlamentarische M i t i r k u n g s b e f u g n i s s e an politischer Planung

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sichert w i r d 1 2 ; gleichzeitig w i r d angestrebt, daß die Durchführung der projektierten Staatsaufgaben finanziell ermöglicht werden kann 1 3 . Moderne Haushaltsplanung hat also nicht nur eine „accountability function" zum Inhalt, sondern sollte eine „tool of management" sein 14 . Aufgabe der Haushaltsplanung ist es, die politischen Ziele der Regierung i n konkrete Programme umzusetzen und diese Programme wiederum i n einem umfassenden input- und output-orientierten Zahlenwerk darzustellen. Der Haushaltsplan muß Auskunft geben, welche konkret angebbaren Wirkungen auf die wirtschaftliche und soziale Wirklichkeit die einzelnen Haushaltsansätze zeitigen und wieviele öffentliche Güter zur Realisierung politischer Ziele i n Anspruch genommen werden. N u r eine Haushaltsplanung, die diesen Ansprüchen Genüge leistet, garantiert jene Transparenz 15 , die die Haushaltsplanung von Verfassungs wegen besitzen sollte. Denn eine aufgaben- und output-orientierte Haushaltsplanung erleichtert nicht nur die politische Entscheidungsfindung i n der Regierung, sondern gewährleistet auch eine demokratische Willensbildung i m Parlament. I n einem demokratischen Staat gehört eine i n die Tiefe gehende parlamentarische Diskussion des Haushaltsplanes zu den wichtigsten Funktionen parlamentarischer Tätigkeit überhaupt; denn der Haushaltsplan stellt ein wichtiges Instrument zur zentral gesteuerten Durchsetzung politischer Ziele dar. M i t umfassenden und verständlichen Informationen kann der Haushaltsplan darüber hinaus zur Grundlage einer breiten außerparlamentarischen Diskussion werden und sich der K r i t i k durch die öffentliche Meinung stellen 18 . Unter diesen Voraussetzungen läßt sich unter dem Aspekt der Planung die Frage stellen: K a n n das Parlament beim gegenwärtigen Stand der Haushaltsplanung i n der Bundesrepublik Deutschland bereits durch die Entscheidung über den Haushaltsplan seiner verfassungsrechtlichen Aufgabe der M i t w i r k u n g und Mitgestaltung an der politischen Planung insgesamt nachkommen? Diese Frage kann bejaht werden, wenn das Parlament vermittels seiner Kontrolle der Haus12 B. Riirup (S. 17) hebt mit Recht hervor, daß die finanzpolitische und juristische Funktion des Haushaltsplans keinen eigenständigen Charakter besitzen, sondern lediglich Subfunktionen der politischen Funktion seien. 18 F. Neumark, S. 558; H. C. Korff (S. 23) weist mit Nachdruck darauf hin, Haushaltspolitik sei „begrifflich Bestandteil der allgemeinen Politik und deshalb allgegenwärtig". 14 B. Rürup, S. 19; H. Rehm, S. 26 ff. 15 H. Rehm, S. 27 f. 16 H. C. Recktenwald, Neuer Rahmen für moderne Finanzpolitik? — Zur überfälligen Finanz- und Haushaltsreform, in: Finanz- und Geldpolitik i m Umbruch, hrsg. von H. Haller und H. C. Recktenwald (1969), S. 21 f.

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haltsplanung die politischen Programme und Pläne der Regierung zu billigen und zu steuern i n der Lage ist. A u f den ersten Blick besitzt das Parlament bei der Beschlußfassung über den Haushaltsplan die Möglichkeit, Regierungs- und Ressortplanungen zu modifizieren oder abzublocken: Es können M i t t e l umgeschichtet, für einzelne Vorhaben gestrichen oder i n geringerem Umfang bewilligt werden. I n Wirklichkeit kann das Parlament allerdings über den Haushaltsplan kaum i n effizienter Weise regierungsinterne Planungen beeinflussen oder gar steuern. Durch die Maschen des Haushaltsrechts fallen bereits jene politischen Planungen, die keine Ausgaben der öffentlichen Hand erfordern. Gedacht sei etwa an Planungen auf dem Gebiet der Außenpolitik oder auch auf dem Energiesektor, wenn z.B. über die Zulässigkeit neuer Verfahren der Energiegewinnung (Atomstrom) eine politische Entscheidung getroffen w i r d 1 7 . Weiterhin ist der Entscheidungsspielraum des Parlaments beim Beschluß über einzelne Ansätze i m Haushaltsplan erheblich begrenzt. Das weite Feld der Leistungsverwaltung — von den Zuschüssen zur Sozialversicherung bis h i n zu den Sparprämien — ist von gesetzlich fixierten Ausgabepflichten geprägt 18 , die beim Beschluß über den Haushaltsplan hingenommen werden müssen 19 . Je mehr die Ansätze i m Haushaltsplan bereits anderweitig gesetzlich festgelegt sind, desto weniger eignet sich der Beschluß über den Haushaltsplan zur umfassenden Steuerung der politischen Planung der Regierung. Da durch die leistungsstaatlichen Gesetze ein beträchtlicher Teil des Steueraufkommens bereits verteilt ist, kann beim Beschluß über den Haushaltsplan nicht die gesamte Konzeption der Regierungspolitik ins Auge gefaßt werden. Auch wenn eine Regierungsplanung i n das Haushaltsgesetz eingegangen ist und parlamentarisch beschlossen wurde, ist die Realisierung dieser Planung nicht gewährleistet. Nach herrschender 20 , wenn 17

A n einem Großteil derartiger Planungen ist das Parlament dennoch beteiligt, da sie in aller Regel nicht ohne Eingriffe in Freiheit und Eigentum durchgeführt werden können und daher einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Auch müssen oftmals schwerwiegende politische Entscheidungen getroffen werden, so daß auch aus diesem Grunde die Absicherung einer Planung durch parlamentarische Zustimmung nicht zu umgehen sein wird. 18 JR. Mußgnug, S. 244 ff. mit Beispielen; H. C. Korff, S. 102 f. 19 Weiterhin sind parlamentarischer Gestaltung natürlich die laufenden Ausgabeverpflichtungen wie Gehälter des öffentlichen Dienstes, die Zins- und Tilgungsraten der Staatsschuld, die Sachmittel für die Verwaltung u . a . m . entzogen (Einzelheiten bei R. Mußgnug, S. 249 ff.). 20 W. Kewenig, Staatsrechtliche Probleme parlamentarischer Mitregierung am Beispiel der Arbeit der Bundestagsausschüsse (1970), S. 34; Th. Maunz,

I I I . Parlamentarische M i t i r k u n g s b e f u g n i s s e an politischer Planung

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auch nicht unbestrittener 2 1 haushaltsrechtlicher Doktrin besitzt die Regierung das Recht, aber nicht die Pflicht, die i m Haushaltsplan ausgewiesenen Ausgaben zu tätigen. Die Regierung ist beim Vollzug des Haushalts nicht verpflichtet, sämtliche der i m Haushalt beschlossenen Investitions- und Subventionsprogramme auch durchzuführen (§§ 2, 3 BHO; § 6 Abs. 1 StabG). Selbst nach Aufnahme i n den Haushalt besitzt also die Regierung noch einen Spielraum politischen Ermessens, ob sie diese Programme auch realisieren w i r d 2 2 . Wesentliche Hindernisse parlamentarischer Mitentscheidung über die politischen Planungen der Regierung liegen i n der Struktur des gegenwärtigen Haushaltsrechts. Herkömmlicherweise werden die Einzelpläne des Haushaltsplanes vorwiegend nach dem sog. Ministerialprinzip (institutionelle Gliederung) erstellt. Für jede oberste Bundesbehörde w i r d ein Einzelplan eingerichtet, der nach ihr benannt ist. Diese Gliederung der Einzelpläne nach obersten Bundesbehörden sichert die Vollzugsfähigkeit des Haushaltsplanes und macht die Finanzverantwortung der mittelbewirtschaftenden Stellen beim Haushaltsvollzug am ehesten deutlich 23 . Ein nach dem Ministerialprinzip gegliederter Haushaltsplan läßt jedoch nur schwer sichtbar werden, welche Ausgaben zur Erfüllung von Aufgaben erforderlich sind, die mehreren unabhängigen Behörden obliegen. Z u denken ist etwa hier an Planungen i m Bereich der Wirtschaftsförderung oder sozialen Sicherung, bei denen mehrere Ministerien kooperieren. Das Prinzip der institutionellen Gliederung des Hauhaltsplanes nach „Behördenkostenarten" war so lange sinnvoll, wie sich die Erfüllung der Staatsaufgaben i n einem quantitativ überschaubaren Rahmen hielt und „die Zahl der Ministerien so gering und ihre innere Organisation noch so überschaubar war, daß m i t dem Behördenbedarf zugleich auch die sachliche Zweckbestimmung der Ausgaben übersehen werden

in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 110 GG R N 10; F. Viaion,, Haushaltsrecht, 2. Aufl. (1959), S. 501; K. Hettlage, Die Finanzverfassung im Rahmen der Staatsverfassung, in: V V D S t R L H. 14 (1956), S.2ff., 11; E.-W. Böckenförde, Die Organisationsgewalt i m Bereich der Regierung (1964), S. 114, 303 f. 21 R. Hoffmann, Haushaltsvollzug und Parlament (1972), S. 14 ff., 29 ff. m. w. Nw. 22 Z u erwähnen bleibt noch die „Beweglichkeit des Haushaltsvollzugs", die die strikte Verbindlichkeit des Haushaltsplans zu durchbrechen vermag. So kann der Bundesfinanzminister etwa innerhalb von einzelnen Haushaltstiteln die Deckungsfähigkeit nahezu aller sächlichen Verwaltungsausgaben anordnen, wenn dies wirtschaftlich zweckmäßig erscheint (vgl. etwa § 5 Abs. 3 B H G vom 6.7.1973, BGBl. I, S. 733). Auf die „Beweglichkeit des Haushaltsvollzugs" nach §§ 6 ff. StabG wird unter 2 b eingegangen. 28 Ε. A. PidiLch, Bundeshaushaltsrecht, § 13 BHO Nr. 5; Amtliche Begründung der Gesetzesentwürfe zur Haushaltsreform, BT-Drs. V/3040 Tz. 34; Henle, S. 50 f.; W. Kriiger-Spitta und H. Bronk, S. 60 ff.; H. Rehm, S. 44 ff.

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

konnte" 2 4 . I n dieser Situation war die Aufstellung des Haushaltsplanes eher eine Angelegenheit der Verwaltungstechnik als eine der zentralen Aufgaben der Koordination, Steuerung und Festlegung von politischer Planung 2 5 . Darüber hinaus lähmen Umfang und weitgehende Aufgliederung des Haushaltsplanes die eigenverantwortliche parlamentarische Gestaltung: Ein Haushaltsplan m i t mehr als 7 000 Titeln auf über 3 000 Seiten und m i t einem Haushaltsvolumen von über 170 Milliarden D M w i r d für den einzelnen Abgeordneten unüberschaubar 26 . Dem entspricht auch die Praxis der parlamentarischen Debatten über den Haushaltsplan: I m Vordergrund steht die Diskussion politischer Themen allgemeiner A r t und der Haushaltslage. Die Beratung einzelner Etatt i t e l bleibt eklektisch und geschieht meist nicht auf dem Hintergrund mittel- und langfristiger Ressort- und Regierungsplanungen 27 . Über die mangelnde Transparenz der Haushaltsplanung tröstet man sich m i t dem Gedanken hinweg, das Ziel eines spontan lesbaren und für jedermann ohne weiteres verständlichen Haushaltsplanes sei unerreichbar; nur dem Fachmann brauche Analyse und K r i t i k der Haushaltsplanung möglich zu sein 28 . Eine derart technokratische Haushaltsplanung ist m i t dem Demokratiegebot des Grundgesetzes schlechterdings unvereinbar. Haushaltsplanung wäre i n weitem Umfang parlamentarischer Steuerung und der K r i t i k durch die öffentliche Meinung entzogen. Wie stark die Haushaltsplanung vom Sachverstand der Bürokratie geprägt ist und wohl auch i m regelungs- und leistungsintensiven Industriestaat geprägt sein muß, ergibt sich daraus, daß die Haushaltspläne i m wesentlichen i m Bereich der Exekutive erarbeitet werden. Von der Bürokratie geht die Initiative bei der Beratung der Haushaltspläne aus; auf der Ebene der Bürokratie werden die Abgleichungen zwischen kontroversen Haushaltsansätzen i n der Regel vorgenom24 J. Hirsch, Haushaltsplanung, S. 70; B. Rürup, S. 21; P. Franke, Besprechung, in: Zeitschr. für die gesamte Staatswissenschaft, 130. Bd. (1974), S. 760 f.; H. Rehm, S. 45. 25 Die ausgefeilte Lehre von den sog. Haushaltsgrundsätzen (vgl. etwa W. Krüger-Spitta und H. Bronk, S. 68 ff.) zeugt von der Dominanz der Beschäftigung mit der Verwaltungskontrolle in haushaltsrechtlichen Fragen. Zu fragen bleibt, ob die äußerst intensive Detailkontrolle der Verwaltung nicht zu Lasten einer ebenso effizienten Erfüllung anderer Budgetfunktionen geht (kritisch B. Rürup, S. 22; H. C. Recktenwald, Neuer Rahmen, S. 23). 26 J. Hirsch, S. 105 f., 113 f.; R. Mußgnug, S. 236 ff. 27 J. Hirsch, S. 110 ff.; B. Rürup, S. 39 ff. 28 W. Kriiger-Spitta und H. Bronk (S. 59 f., 131) halten es nicht für notwendig, daß i m Parlament die Budgetvarianten und Budgetüberlegungen nachvollzogen werden können. Ausreichen soll die Kontrolle der großen Linien und Grundsatzfragen.

I I I . Parlamentarische M i t i r k u n g s b e f u g n i s s e an politischer Planung

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men 29 . Das Parlament bringt an dem i h m vorgelegten Haushaltsentw u r f i n der Regel nur marginale Änderungen an. Diesen Kompetenzverlust des Parlamentsplenums könnte man hinnehmen, wenn wenigstens der Haushaltsausschuß des Parlaments sich ein ausgewogenes Urteil über die Ansätze des Haushaltsplanes bilden könnte. Da i m regelungsintensiven Industriestaat Politik und Gesetzgebung schwieriger werden, entspricht die Verlagerung der parlamentarischen Willensbildung vom Plenum auf die Ausschüsse einem allgemeinen Zug des modernen Parlamentarismus 30 . W i l l das Parlament der Sachkunde der Regierung m i t eigenem Sachverstand gegenübertreten, so muß es spezialisierte Arbeitsgruppen bilden 3 1 . Aber selbst dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages — für die Länderparlamente mag anderes gelten — droht die Übersicht über den Haushaltsplan zu entgleiten. Für die Tatsachenkenntnis des Haushaltsausschusses stellt der Bundeshaushalt oft unerfüllbare Anforderungen 3 2 . Nur die Haushaltsreferenten der einzelnen Ministerien und die Haushaltsabteilung des Bundesfinanzministeriums scheinen noch die Haushaltsplanung einigermaßen sicher beurteilen zu können. Der Verwaltungsapparat und die Planungen des Bundes haben ein solches Ausmaß erreicht, daß selbst die Abgeordneten i m Haushaltsausschuß zu einer umfassenden Detailprüfung nicht mehr vordringen können. Von Stichproben abgesehen muß sich der Abgeordnete mangels eigener besserer Informationen auf die Angaben aus der Ministerialbürokratie verlassen. Dieses Dilemma des modernen Parlamentarismus hat zu der Feststellung geführt, es wäre nur „die Konstatierung eines bereits be29 Das Verfahren der Aufstellung des Haushaltsentwurfs wird von H. C. Korff (S. 106 ff.) sachkundig beschrieben. Das Ringen zwischen der Haushaltsabteilung im Bundesministerium der Finanzen und den einzelnen Ressorts bei der Erstellung des Budgets ist oftmals nicht an politischen Leitzielen ausgerichtet. Nach P. Senf (Die Reform der öffentlichen Haushaltsgebarung zur Erhöhung der Transparenz, in: Probleme der Haushalts- und Finanzplanung [Schriften des Vereins für Sozialpolitik N . F . Bd. 52] [1969], S. 143 ff., 148 f.) vollzieht sich die Aufstellung der Haushaltspläne „in einem politischen Vakuum, das überwiegend durch ressort-egoistische Ziele ausgefüllt wird". Von einem Programmcharakter des Budgets könne keine Rede sein, da der größte Teil der Ausgaben durch Gesetze festgelegt sei, „die in einem unkoordinierten außerbudgetären Entscheidungsprozeß erlassen wurden". 30 Freilich bringt die Arbeit der Parlamentsausschüsse auch negative Effekte mit sich, wie etwa Verlust der Transparenz oder Verkürzung der Entscheidungsrechte des Plenums (M. Friedrich, Zur Entwicklung und Lage der Parlamentskontrolle in den Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland, in: JöR N F 24. Bd. [1975], S. 61 ff., 75 f.). 31 R. Mußgnug, S. 239 ff. m. w. Nw. 32 R. Mußgnug, S. 242 f.; zur ähnlich schlechten Informationslage des Verteidigungsausschusses vgl. H. Schatz, Der parlamentarische Entscheidungsprozeß (1970), S. 156 ff.

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

stehenden Zustandes, wenn die Haushaltsplanung auch formal eine Aufgabe des Exekutive und auf den Gesetzescharakter des Haushaltsplans verzichtet werden würde" 3 3 . Angesichts ihrer politischen Bedeutung darf die Haushaltsplanung aber nicht zu einem Vorbehaltsbereich der Regierung werden. Die politische Wirklichkeit muß hier die verfassungsrechtlich vorgezeichnete Machtverteilung zwischen Parlament und Regierung respektieren. Auch zur Sicherung der realen Voraussetzungen parlamentarischer Haushaltskontrolle hat man m i t der Haushaltsreform von 1969 die Haushaltsplanung transparenter zu machen gesucht 34 . Erklärtes Ziel der Haushaltsreform war es unter anderem, mehr als bisher zu verdeutlichen, i n welchem Umfang öffentliche Aufgaben erfüllt werden 3 5 . Eine größere Transparenz des Haushaltsplanes verspricht man sich vom Funktionenplan, der seit 1970 dem Haushaltsplan als Anlage beizugeben ist (§14 Abs. 1 Nr. 1 b BHO; §11 Abs. 1 N r . l b HGrG). Zwar ist auch der herkömmliche Haushaltsplan funktionell gegliedert: Es läßt sich ablesen, welche Aufgaben der einzelnen Ministerien m i t welchen M i t t e l n erfüllt werden. Der Funktionenplan dient der weiteren Verdeutlichung der politischen Programmfunktion des Haushaltsplans. Die schwer überschaubare, institutionelle Gliederung des Haushaltsplanes soll durch den Funktionenplan transparenter gemacht werden, indem den einzelnen Staatsauf gaben die jeweils i n Ansatz gebrachten Ausgaben gegenübergestellt werden. Beim Funktionenplan handelt es sich u m eine Zusammenfassung organisch zusammengehöriger, aber institutionell verstreuter Ausgaben; er gliedert also die Einnahmen und Ausgaben nach funktionalen Kriterien, wie etwa „Soziale Sicherung", „Ernährung", „Landwirtschaft und Forsten" usw. Die Hauptfunktionen werden durch Untergliederungen i n Oberfunktionen und Funktionen aufgeteilt. Anhand der Kennziffern i m Funktionenplan können die Titel gleicher Funktionen ermittelt und i n der Funktionenübersicht dargestellt werden. Aus der Funktionenübersicht ergibt sich, wieviel Haushaltsmittel i m Haushaltsplan für einzelne Funktionen vorgesehen sind 36 . Der Funktionenplan gibt einen nur ganz rudimentären Aufschluß über planerische A k t i v i t ä t e n der öffentlichen Hand. Da der Funktio33 H. Rehm, S. 113; P. Senf, Die Reform der öffentlichen Haushaltsgebarung zur Erhöhung der Transparenz, S. 148 f.; ähnlich auch R. Mußgnug, S. 293 f. 84 Zur Chronik der Entstehung des neuen Bundeshaushaltsrechts H. Rehm, S. 58 ff, 156 ff. 35 A. Leicht, Die Haushaltsreform (1970), S. 41. 3e E. A. Piduch, § 14 BHO Nr. 5; W. Krüger-Spitta und H. Bronk, S. 62 f.; H. Rehm, S. 157; K.-H. Hansmeyer und B. Rürup, S. 11; J. Hengstschläger, S. 128 ff.

I I I . Parlamentarische M i t Wirkungsbefugnisse an politischer Planung

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nenplan ein statisches Aufgabengerüst darstellt, lassen sich neue Staatsaufgaben wie etwa der Umweltschutz nicht ohne umständliche Änderungen einfügen. Die durch den Funktionenplan erreichte Transparenz des Haushaltsplanes darf auch darum nicht überbewertet werden, da oftmals Planungen mehrere Hauptgruppierungen des Funktionenplanes tangieren 37 . Sanierungsmaßnahmen i m Bergbau etwa berühren u.a. die Gruppen 631 (Kohlenbergbau), 252 (Umschulung), 692 (Verbesserung der Infrastruktur) des Funktionenplanes 38 . Letztlich ist der Funktionenplan i n seiner derzeitigen Form als statistische Untergliederung des Ministerialplanes „weit davon entfernt, ein Programmbudget zu sein, da er — rein an den Ausgaben orientiert — i m Grunde nichts über Erfolg und Effizienz des politischen Handelns aussagt" 39 . Denn es kommt nicht allein darauf an, den Input nachzuweisen, d. h. wieviel i n einem bestimmten Aufgabenbereich mehr geleistet wird. Deutlich gemacht werden muß auch der Output, die erstrebte Verbesserung des Leistungsstandes: Nachzuweisen wäre etwa, wie durch Umschulungsprogramme Aufwendungen für Arbeitslosenunterstützung eingespart werden können oder die Produktivität gesteigert werden kann. Zieht man ein Fazit, so fällt auf, daß das deutsche Haushaltsrecht weiterhin vom historisch überkommenen Budgetzweck beherrscht wird. Als wesentliche Funktion des Haushalts w i r d das Bereitstellen eines möglichst lückenlosen Kontrollsystems für die Exekutive angesehen; die politische Funktion des Haushalts, eine bestimmte Politik zu ordnen und transparent zu machen, t r i t t nach wie vor hinter dieser Zielsetzung zurück 40 . Der Haushalt ist kein transparentes, i n Zahlen ausgedrücktes Regierungsprogramm und auch die neue Haushaltssystematik kann kaum Auskunft darüber geben, i n welchem Umfang einzelne öffentliche Aufgaben (Funktionen) erfüllt werden 4 1 . W i l l man das Parlament i n Haushaltsangelegenheiten zum Herren der Staatstätigkeit machen, muß das Parlament sowohl i n den Zielfindungsprozeß seitens der Regierung eingeschaltet, als auch m i t möglichst umfassenden Informationen über die Handlungsalternativen versorgt werden. Dem Parlament müssen von der Exekutive erarbeitete entscheidungsreife Planungsalternativen für bestimmte Programme vorgelegt 87

K.-H. Hansmeyer und B. Rürup, S. 12. Der Funktionenplan ist in: Systematik des öffentlichen Haushalts, bearb. v. H. Kramp (1972), S. 127 ff. abgedruckt. 39 H. C. Recktenwald, Die ökonomische Analyse, S. 19 f.; B. Rürup, S. 27; H. Rehm, S. 163 f. 40 B. Rürup, S. 28; H. Rehm, S. 160 ff. 41 Ε. A. Piduch, §14 BHO N r . l ; A. Leicht, Die Haushaltsreform (1970), S.41; J. Klementa, Die Haushaltsreform in der Bundesrepublik, in: Finanzpolitik von Morgen (Schriftenreihe des D I H T , Heft 114,1969), S. 78. 88

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

und eine fortlaufende Information über den Stand der Gesamtplanung gegeben werden. Zur Mitgestaltung des Haushaltes müssen dem Parlament Informationen über Ziele und Kosten alternativer Programme vorliegen, wobei nicht nur die wirtschaftlichen Nebeneffekte, sondern auch die finanzpolitischen Auswirkungen der geplanten Maßnahmen m i t einzubeziehen sind 42 . Eine umfassende Unterrichtung des Parlaments über die erforderlichen Ausgaben für Planvorhaben läßt sich durch ein sog. Programmbudget 4 3 erreichen. Bei der Programmbudgetierung sollen die öffentlichen Ausgaben als Funktion der öffentlichen Aufgaben erscheinen. Ein Programmbudget integriert die sachbezogene Planung und die Haushaltsplanung öffentlicher Institutionen. Aufgabenplanung i m Bereich der Regierung und Ministerien auf der einen und Finanz- und Haushaltsplanung auf der anderen Seite werden aufeinander bezogen, da sich die Zuweisung von Finanzmitteln stets an den politisch-strategisch für sinnvoll erachteten Staatsaufgaben ausrichten soll. Ein Programmbudget w i r d aus zielgerichteten Programmstrukturen auf Ressort- und Kabinettsebene entwickelt, indem jeweils angegeben wird, welche Ressourcen für welche Aufgaben eingesetzt werden und welcher Erfolg durch den Ressourcenverbrauch realisiert wird. Eine programmorientierte Haushaltsplanung (Programmbudgetierung) könnte ohne eine tiefgreifende Änderung des geltenden Haushaltsrechts verwirklicht werden. Für den Bereich des Bundes hat der Dritte Bericht der Projektgruppe „Regierungs- und Verwaltungsreform" vom November 1972 Vorschläge für eine Programmbudgetierung entwickelt. Inwieweit diese Vorschläge verwirklicht werden und damit die Transparenz des Bundeshaushalts gefördert wird, bleibt abzuwarten 44 . I m geltenden Haushaltsrecht finden sich lediglich erst zaghafte A n sätze einer konsequenten Programmbudgetierung, die eine parlamentarische Kontrolle der Regierungsplanungen erleichtern könnte. Grundlage für eine Programmbudgetierung ist neben einer Operationalisierung der politischen Ziele die Nutzen-Kosten-Untersuchung. 42 B. Rürup, S. 131 ff.; D. Brümmerhof} und H. Wolff , Aufgabe und Möglichkeit einer Erfolgskontrolle der staatlichen Aktivität, in: Zeitschr. für die gesamte Staatswissenschaft, 130 Bd. (1974), S. 477 ff., 480; H. Rehm, S. 114; 17. Lohmar, Das Hohe Haus, S. 118 ff. 48 Zur Programmbudgetierung vgl. M . J. Buse, Integrierte Systeme, S. 87 ff.; K.-H. Hansmeyer und B. Rürup, S. 50 ff.; H. Reinermann t Programmbudgets, S. 89 ff. m. w. Nw.; F. W. Scharpf, Politische Durchsetzbarkeit, S. 95 ff. (Programmbudget als Bedingung einer rationalen politischen Prioritätensetzung); J. Hengstschläger, S. 83 ff. (zur Lage in Österreich). 44 Vgl. F. Pilz, Regierungsaufgaben, S. 194 ff.; C. Bohret, Diskussionsbeitrag, in: H. Siedentopf (Hg.), Regierungspolitik, S. 376 ff.

I I I . Parlamentarische M i t i r k u n g s b e f u g n i s s e an politischer Planung

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Nach §7 Abs. 2 BHO sind Nutzen-Kosten-Untersuchungen bei geeigneten Maßnahmen von erheblicher finanzieller Bedeutung durchzuführen 4 5 . Nutzen-Kosten-Untersuchungen sind eine wichtige Voraussetzung für den Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß anläßlich von Planungen. Maßnahmen und Vorhaben werden unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses von Nutzen und Kosten analysiert. Die quantifizierbaren Vor- und Nachteile einzelner Maßnahmen und Vorhaben werden erfaßt und miteinander verglichen, wobei auch Folgeund Nebenwirkungen auf Personen, Wirtschaftszweige und Verwaltungsräume berücksichtigt werden. Da auch die nicht i n Geldwert ausdrückbaren gesellschaftlichen Nutzen und Kosten miteinzubeziehen sind, geht die Nutzen-Kosten-Analyse bei politischer Planung über rein ökonomische Wirtschaftlichkeitsberechnungen hinaus. Wenn für alle i m Gang befindlichen Planvorhaben Nutzen-Kosten-Untersuchungen erstellt werden und bei der parlamentarischen Haushaltsberatung vorliegen würden, hätte das Parlament wichtiges Daten- und Faktenmaterial bei der Beratung des Haushalts. Es hat sich jedoch gezeigt, daß die Verwaltungsbürokratie m i t der Erstellung von Nutzen-KostenUntersuchungen vielfach überfordert ist; daher werden die meisten Nutzen-Kosten-Untersuchungen bei externen Beratern i n Auftrag gegeben. Außerdem ermöglicht §7 Abs. 2 BHO eine „sachgerechte Beschränkung" 46 von Nutzen-Kosten-Untersuchungen, da sie nur bei „geeigneten Maßnahmen von erheblicher finanzieller Bedeutung" erforderlich sind 47 . Der haushaltsrechtlichen Verpflichtung, NutzenKosten-Untersuchungen anzustellen, entspricht kein Anspruch Dritter, vor allem nicht des Bundestags oder Bundesrats 48 , daß diese Ver45 Erläuterungen zur Durchführung von Nutzen-Kosten-Analysen i m Rundschreiben des Bundesministers für Finanzen vom 21. M a i 1973, abgedruckt bei Ε. A. PidiLch, § 7 BHO, S.4ff. — Zum Verfahren bei NutzenKosten-Untersuchungen vgl. i m 2. Kapitel, I I I . , 5. 4e So BT-Drs. V/3040. 47 Nach einer Absprache zwischen dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und dem Bundesfinanzministerium ist in jedem Fall eine Nutzen-Kosten-Untersuchung durchzuführen, wenn der Mittelaufwand 100 Millionen D M übersteigt (vgl. H. Meyer zu Drewer und E. Guth, Erfahrungen mit der Nutzen-Kosten-Untersuchung in der Verwaltungspraxis, in: D Ö V 1976, 404 ff., 405). 48 So Ε. A. Piduch, § 7 B H O Nr. 5 a.E. — S. V. Köckritz, G. Ermisch, W. Maatz und H. Musti (Kommentar zur BHO) wollen Bundestag und Bundesrat ein Recht zur Anforderung von Kosten-Nutzen-Untersuchungen zubilligen (§ 7 BHO R N 10). Da § 7 Abs. 2 BHO nicht durch eine dem § 50 Abs. 3 S. 2 H G r G entsprechende Vorschrift ergänzt ist, erscheint diese extensive Interpretation von § 7 Abs. 2 BHO nicht vertretbar. Zwar ließe sich die verstärkte parlamentarische Einflußnahme auf die Tätigkeit der Exekutive durch die Aufrechterhaltung der parlamentarischen Steuerungs- und Programmierungsfunktion rechtfertigen. Die Vorlage von Nutzen-Kosten-Untersuchungen würde aber regelmäßig zu spät kommen, berücksichtigt man den Zeitdruck bei Beratung des Haushaltsplans und das langwierige Verfahren der Erstellung von Nutzen-Kosten-Analysen.

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

pflichtung eingehalten wird. Darum macht die Einführung der NutzenKosten-Untersuchung vorläufig wohl nur punktuell haushaltsrechtliche Ansätze rationaler Prüfung zugänglich. Letzten Endes bleiben aber Nutzen-Kosten-Untersuchungen ein stumpfes Schwert i n der Hand des Parlaments, solange nicht die Vorlage von Alternativrechnungen verlangt werden kann. Nach § 50 Abs. 3 S. 2 HGrG können nur i m Rahmen der Finanzplanung durch Parlamentsbeschluß von der Regierung Alternativrechnungen gefordert werden. A l l e i n zum Haushaltsplan können jedoch keine Alternativrechnungen verlangt werden 4 9 . A l t e r nativmaßnahmen und A l t e r n a t i w o r h a b e n können daher nicht zum Gegenstand parlamentarischer Diskussion gemacht werden. Vor allem wären auch die parlamentarischen Beraterstäbe m i t der Durchführung von Alternativrechnungen überfordert. Die Vorlage von Nutzen-Kosten-Untersuchungen ohne gleichzeitige Alternativrechnungen kann darum nur den Entscheidungsprozeß der Regierung transparent machen, aber nicht eine kritische Diskussion der Ressort- und Regierungsplanungen i n Gang setzen, die zu einer rationalen Beschlußfassung über Alternativprogramme zu führen vermag. Das derzeitige und wohl auch das künftige Haushaltsrecht ist also kaum zur Steuerung von Ressort- und Regierungsplanungen durch das Parlament geeignet. Die parlamentarische Lenkung der Regierungspolitik über den Haushalt droht i m planungsintensiven Leistungsstaat leer zu laufen. Dieser Verlust parlamentarischer M i t w i r kungsmöglichkeiten an der Haushaltsplanung ist zu einem gewissen Teil durch die bereits erwähnte Staatspraxis kompensiert, durch leistungsstaatliche Gesetze die Ausgaben einzelner Bereiche festzulegen. Das Parlament ist nicht mehr auf den Haushaltsplan angewiesen, u m die Politik der Regierung zu steuern; heute gilt vielmehr: légiférer c'est gouverner 50 . Allerdings vermag das parlamentarische Leistungsbewilligungsrecht durch Gesetz nicht völlig die Beschlußfassungskompetenz über den Haushaltsplan zu ersetzen. Bei Beschluß über den Haushaltsplan kann i n kurzen Abständen die gesamte Politik einer Revision unterworfen werden. Ist jedoch der Haushaltsplan weitgehend durch Gesetze vorprogrammiert, so verliert er seine politische Flexibilität und w i r d zu einem erstarrten Zahlenwerk. Bei der Diskussion des Haushaltsplans sollten daher nicht allein die einzelnen Titel, sondern das leistungsstaatliche Gesetzgebungswerk insgesamt i m Vordergrund des Interesses stehen. Insgesamt gesehen w i r d das parlamentarische Budgetrecht auch durch die zunehmende Politikverflechtung zwischen Bund und Län49 60

E. A. Piduch, Finanzplanimg Nr. 17. R. Mußgnug, S. 267 ff. m. w. Nw.

I I I . Parlamentarische M i t i r k u n g s b e f u g n i s s e an politischer Planung

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dern gefährdet 51 . Der Gesamtkomplex der Haushaltsplanung und selbst der immer i m Zusammenhang m i t der Haushaltsplanung zu sehenden Leistungsgesetzgebung w i r d i n zunehmendem Umfang durch Planungen und Konfliktlösungsprozesse zwischen der Bundesregierung auf der einen und den Landesregierungen auf der anderen Seite vorprogrammiert und so parlamentarischer eigenverantwortlicher Beteiligung entzogen. Zwar hat etwa das „Gesetz über den Ausbau der Bundesfernstraßen i n den Jahren 1971 bis 1985" vom 30. J u l i 197152 die Ausübung des parlamentarischen Ausgabenbewilligungsrechts erleichtert. Durch dieses Gesetz w i r d geregelt, welche Straßen i m Planungszeitraum zu bauen sind; i m Haushaltsplan aber w i r d festgelegt, wann der Ausbau der Fernstraßen zu erfolgen hat (§ 2 S. 1). Eine solche „Dezentralisierung" der Budgetberatungen, die dem Parlament eine Steuerung von Planungen ermöglicht, ist freilich eine Ausnahme. A u f dem Gebiet der Gemeinschaftsaufgaben, die i n einem föderalistischen Industriestaat überhand nehmen, und der mittelfristigen Finanzplanung werden i m Bereich der Bundesregierung und der Landesregierungen Planungen erarbeitet, die vom Bundestag und den Landesparlamenten i m Wege der Haushaltsbewilligung, aber auch i m Wege der Gesetzgebung kaum mehr beeinflußt werden können 53 . 2. Planungssteuerung durch Beschluß über die mittelfristige Finanzplanung

Nach § 9 Abs. 1 StabG ist der Haushaltsplanung des Bundes eine mittelfristige Finanzplanung 54 zugrunde zu legen, die man m i t Recht als die „influenzierende Rahmenplanung für den imperativen Haushaltsplan" bezeichnet 55 . Die fünfjährige Finanzplanung w i r d vom Bundesminister der Finanzen aufgestellt, von der Bundesregierung 51 Zur sog. Politikverflechtung vgl. R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 36 I I , 3 m. Nw. 62 BGBl. I, S. 873. 53 Vgl. etwa H. Lenz, Landtage als staatsnotarielle Ratifikationsämter, in: D Ö V 1977, 157 ff. 64 Die mehrjährige Finanzplanung in der Bundesrepublik Deutschland ist, wie die Planung überhaupt, die Antwort auf die wirtschaftliche Krise Mitte der sechziger Jahre. Das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 (BGBl. I S. 582) mit dem neuen Instrumentarium der Finanz- und Wirtschaftspolitik reagierte auf finanzwirtschaftliche Krisen, die sich mit einer an kurzfristigen Haushaltsplänen orientierten Finanzpolitik nicht vermeiden ließen (vgl. bei E. Wille, Planimg und Information [1970], S. 34 ff.; A. Zunker, Finanzplanung, S. 112 m. w. Nw.; K. Schmidt und E. Wille, Die mehrjährige Finanzplanung, Wunsch und Wirklichkeit [1970], S. 12 ff.; H. Eicher, Die Problematik der mehrjährigen Finanzplanung, in: Festschrift f. H. Schäfer, hrsg. von E. Schiffer und H. Karehnke [1975], S. 129 ff., 130 ff.). 55 K. Stern, Gesetz zur Förderung der Stabilität, § 9 Anm. 1,1.

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

beschlossen und Bundestag und Bundesrat vorgelegt (§9 Abs. 2 StabG)5®. W i l l man klären, ob neben dieser Vorlage auch eine Zustimmung des Parlaments zur Finanzplanung von Verfassungs wegen geboten erscheint 67 , so müssen Anspruch und Wirklichkeit der mittelfristigen Finanzplanung der Ausgangspunkt sein. a) Funktionen

der

Finanzplanung

Ganz allgemein w i l l die mehrjährige Finanzplanung das Erreichen der Ziele des § 1 StabG — Stabilität des Preisniveaus, hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftliches Gleichgewicht bei angemessenem Wirtschaftswachstum — erleichtern helfen. Hiermit mehr oder weniger eng verbunden steht eine Reihe weiterer Ziele, die die mehrjährige Finanzplanung verfolgt 5 8 : M i t der mittelfristigen wirtschaftsund finanzpolitischen Orientierung läßt sich zunächst einmal die Haushaltswirtschaft, d.h. das Gleichgewicht des Staatshaushalts i n rein fiskalischem Sinn sichern. Abgezielt w i r d auf eine dauerhafte Ordnung der Staatsfinanzen, da bereits i n einem frühen Stadium die m i t telfristigen Folgen eingeleiteter Maßnahmen auf den künftigen finanziellen Handlungsspielraum deutlich und zukünftige Einnahmen- und Ausgabenänderungen berücksichtigt werden können. Weiterhin erfüllt die mehrjährige Finanzplanung eine spezifisch Wachstums- und konjunkturpolitische Funktion. Bei der Aufstellung des Finanzplanes w i r d einerseits das künftige Wirtschaftswachstum berücksichtigt. Denn von der Wachstumsrate des Sozialprodukts hängt i n erheblichem Maß die Höhe der staatlichen Einnahmen ab: Das Finanzplanungsvolumen ist u. a. an der Entwicklung des Sozialproduktes und der geschätzten Steuereinnahmen ausgerichtet 59 . Andererseits ist zu beachten, daß die gesamtwirtschaftliche Entwicklung auch von Umfang und Zielsetzungen der öffentlichen Haushalte abhängt. Der Finanzplan kann darum als Instrument zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums und zur 56 Vgl. etwa Bundesminister der Finanzen, Referat Presse und Information (Hg.), Der Finanzplan des Bundes 1975 bis 1979 (1975). 57 Zur ähnlich gelagerten Problematik in Österreich vgl. C. Brünner, Politische Planung, S. 227 ff., und in der Schweiz vgl. C. Lanz, Politische Planung, S. 95 f. m. w. Nw. 68 Zu den mit der mittelfristigen Finanzplanung verfolgten Zielen vgl. aus der umfangreichen Literatur: H. H. Nachtkamp, Mehrjährige Finanzplanung, S. 16 ff.; H. Doppler, Finanzpolitik, S. 76 ff.; R. Wahl, Aufgabenplanung, S. 459 ff.; K. Schmidt und E. Wille, S.32ff.; R. Jochimsen und P. Treuner, Staatliche Planung in der Bundesrepublik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung das Parlament vom 2.3.1974, S. 29 ff, 40 ff.; H. Eicher, S. 133 ff.; R. Waterkamp, Politische Leitung, S. 185 ff.; E. Stachels, Stabilitätsgesetz, S. 81 ff.; W. Kriiger-Spitta und H. Bronk, S. 208 ff.; F. Pilz, Regierungsaufgaben, S. 132 ff. 59 K. Gresser, S. 20 ff, 38 ff.; H. Doppler, S. 77 f.

I I I . Parlamentarische Mitwirkungsbefugnisse an politischer Planung

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Verbesserung der Wirtschaftsstruktur eingesetzt werden 8 0 . I m Hinblick auf die Konjunkturpolitik soll die Finanzplanung verhindern, daß „kurzfristige Erfolge der Konjunkturpolitik langfristig zu Fehlentwicklungen führen und damit auf Kosten des Wirtschaftswachstums gehen" 81 . Diese konjunkturpolitische Funktion der Finanzplanung w i r d vom Stabilitätsgesetz näher geregelt. Neben diesen haushalts-, konjunktur- und wachstumspolitischen Funktionen besitzt die mehrjährige Finanzplanung wichtige Aufgaben bei der Ausarbeitung der politischen Planungen und Programme. Die Finanzplanung zwingt die Regierung, i h r Regierungsprogramm i n einer konkreten Rangordnung darzustellen, Alternativen zu durchdenken und die beschlossenen Prioritäten vor dem Forum des Parlaments und der Öffentlichkeit zu begründen 82 . Insofern kann die mehrjährige Finanzplanung die Informations- und Kontrollsituation des Parlaments verbessern 88 . Eine sinnvolle Finanzplanung kann nur i n enger Wechselbeziehung m i t der politischen Aufgabenplanung erfolgen. Ihrem Wesen nach ist die mehrjährige Finanzplanung die Programmierung 8 4 , d . h die Quantifizierung der politischen Planung i n monetären Größen. Die Finanzplanung zwingt bei der Planung des Einsatzes und Verbrauchs der Sachmittel zur Wahl zwischen den A l t e r nativen bei der Erfüllung von Staatsaufgaben und zur Festlegung der zeitlichen Abfolge aller A k t i v i t ä t e n zwecks Erreichung der politischen Ziele. A l l diese Überlegungen schlagen sich i m Finanzplan nieder, dem „Regierungsprogramm i n Zahlen". Gleichzeitig erzwingt die Finanzplanung eine Abstimmung und Koordination der jeweiligen Planungen von Planungsträgern i n Bund, Ländern und Gemeinden. Die mehrjährige Aufgaben- und Finanzplanung bilden insgesamt gesehen ein Geflecht von Rückkoppelungsmechanismen: Die mehrjährige Aufgaben- und Finanzplanung ist zunächst ein Ergebnis des Prozesses politischer Willensbildung; es werden die Ziele konkretisiert, die Gegenstand der mittelfristigen Regierungspolitik sind, wobei gleichzeitig auf einen realistischen Finanzierungsrahmen und die Erhaltung der volkswirtschaftlichen Leistungskraft geachtet wird. A u f gaben- und Finanzplanung beeinflussen daneben die Entscheidung dezentraler öffentlicher Entscheidungsträger wie auch Entscheidungen 80

Z u dieser Wechselbeziehung K. Gresser, S. 17. Kommission für die Finanzreform: Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. (1966), Tz. 487; H. H . Nachtkamp, Mehrjährige Finanzplanungen, S. 16 f. 62 Einzelheiten bei H. H. Nachtkamp, S. 18 ff. ·» W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 329. • 4 K. Gresser, S. 83 in Anlehnung an D. Novick, Programm Budgeting, 2. Aufl. (New York u. Chicago 1969), S. 91; D. Molter, Raumordnung, S. 68 ff. 61

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Wrtenberger

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über private Planungen. Denn durch Verabschiedung und Vollzug des mehrjährigen Finanzplans werden Daten für Entscheidungen i m Bereich der öffentlichen Hand wie auch i m Bereich der Wirtschaft gesetzt 65 . Eingebettet i n den kontinuierlichen Prozeß politischer W i l lensbildung ist die Aufgaben- und Finanzplanung bei eintretenden Veränderungen reversibel. Wirtschaft- und finanzpolitische Fehlentwicklungen, neue Vorhaben von Planungsträgern oder Änderungen politischer Wertvorstellungen schlagen sich i n der Finanzplanung nieder. Anspruch und Wirklichkeit der mittelfristigen Finanzplanung werden wohl auch i n absehbarer Zukunft noch nicht deckungsgleich werden ee . So konnte etwa Jochimsen bald nach Einführung der mittelfristigen Finanzplanung beobachten, daß bei der Finanzplanung „die strittigen P u n k t e . . . immer das nächste Haushaltsjahr (betreffen), selten dagegen das dritte oder vierte Jahr. Bis zum dritten oder vierten Jahr nach dem gerade laufenden vergeht ja noch sehr viel Zeit und die Konkretisierung der Vorhaben ist ohnehin noch nicht fortgeschritten. Aber das nächste Jahr war ja irgendwann einmal das dritte oder vierte Jahr und man müßte von dorther angesetzt haben, u m jetzt eine Koordination erreichen zu können" 6 7 . M i t vollem Recht wies Jochimsen des weiteren darauf hin, daß auch die mittelfristige Finanzplanung oftmals unter fiskalischem Aspekt betrieben werde; diese Pervertierung der Finanzplanung habe zur Folge, daß die „Fortschreibungsideologie" und die damit verbundenen Verfahren des Denkens i n Plafonds monetärer Größen nicht überwunden werden könnten 6 8 . Diese Befürchtungen der ersten Stunde sind bislang nicht zerstreut. Die mittelfristige Finanzplanung konnte nicht wesentlich den Inkrementalismus i n der Haushaltswirtschaft 69 eindämmen. Neue Auf65

K. Gresser, S. 13; H. H. Nachtkamp, S. 21. Zur Diskrepanz zwischen Anspruch der Finanzplanung und Wirklichkeit dieses Planungsinstrumentes vgl. R. Wahl, Aufgabenplanung, S. 462; 17. Scheuner, Zur Entwicklung, S. 375; R. Waterkamp, Politische Leitung, S. 187 ff.; D. Frank, Politische Planung, S. 60 ff. m. w. Nw.; Η . H. von Arnim, Gemeinwohl, S. 343 m. w. Nw. (mit der These, die Finanzplanung könne als gescheitert gelten); eine positivere Einschätzung der Finanzplanung bei H. C. Korff, S. 66 ff.; F. Pilz, S. 161 ff.; A. Zunker, Diskussionsbeitrag, in: H. Siedentopf (Hg.), Regierungspolitik, S. 387 ff., 392 ff. 67 R. Jochimsen, Zum Aufbau und Ausbau eines integrierten Aufgabenplanungssystems und Koordinationssystems der Bundesregierung, in: Bulletin v. 16. Juli 1970, S. 953. 68 R. Jochimsen, S. 954. 69 Die kurzfristige Haushaltsplanimg vermag die langfristigen Auswirkungen einer Realisierung des Regierungsprogramms nicht zu verdeutlichen. Denn meist lassen sich die Wirkungen der durch Vollzug des Haushalts realisierten politischen Entscheidungen nicht auf die Haushaltsperiode begrenzen. Die Kosten der Weiterführung von Aktivitäten, die nicht durch die Hausββ

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gaben können kaum i n der Finanzplanung untergebracht werden. Selbst bei der mittelfristigen Finanzplanung läßt sich ein Zusatz- oder Nachholbedarf zwar errechnen, seine Befriedigung aber oft erst jenseits des jeweiligen Finanzplanungszeitraumes vorsehen 70 . Außerdem w i r d wegen der zeitlichen Synchronisierung von Haushalts- und Finanzplanaufstellung der Finanzplan oft aus dem Haushaltsplan entwickelt und nicht umgekehrt 7 1 . Die Einzelanforderungen der Ressorts sind nicht nur Grundlage des Haushaltsplans, sondern auch des mittelfristigen Finanzplans. Wie bei Erstellung des Haushaltsplanes kommt es auch bei der Beratung des Finanzplanes zu dem bekannten Phänomen der überhöhten Bedarfsanmeldung und den dann folgenden wenig rationalen bilateralen Bedarfsabgleichungen 72 . „Wegen des Fortschreibungstatbestandes, der Parallelität von Haushalts- und Finanzplanaufstellung, des dezentralen Aufstellungs- und bilateralen Abgleichungsverfahrens, der fast ausschließlichen Input-Orientierung und der damit verbundenen eingeschränkten Informationsfunktion" 7 3 weist die mehrjährige Finanzplanung noch erhebliche Schwächen auf. Die geschilderte Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit der mittelfristigen Finanzplanung ist Anlaß steter Reformbestrebungen und eingehender wissenschaftlicher Beschäftigung m i t dem Problem der Optimierung von Finanzplanungsprozessen 74 . Die Lösung der verfassungsrechtlichen Frage, ob das Parlament an der mittelfristigen Finanzplanung zu beteiligen sei, kann jedoch nicht an dem wenig ausgereiften Stand derzeitiger Finanzplanungspraktiken ansetzen. Von entscheidendem Gewicht ist zunächst die Wachstums-, konjunktur- und haltsperiode befristet sind, werden in der Regel nicht genau abgeschätzt; zumindest aber werden sie in ihren langfristigen Auswirkungen auf die staatliche Finanzpolitik nicht ausreichend analysiert, wenn sich die staatliche Aufgaben- und Finanzplanung nur auf die Haushaltsperiode bezieht (A. Zunker, Finanzplanung, S. 112 ff.; H. H. Nachtkamp, Mehrjährige Finanzplanungen, S. 13 ff.; H. Schiomami, Planungssysteme und Organisation der öffentlichen Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, in: J. H. Kaiser [Hg.], Planung V I , S. 531 ff.). 70 V. Schmidt, Finanz- und Aufgabenplanung als Instrumente der Regierungsplanung, in: Die Verwaltung, 6. Bd. (1973), S.7; K. Gresser, S.33ff. m. w. Nw. 71 H. C. Recktenwald, Die ökonomische Analyse. Hilfe für rationale Entscheidung in der Staatswirtschaft, in: H. C. Recktenwald (Hg.), NutzenKosten-Analyse und Programmbudget (1970), S. 1 ff., 19 f.; W. Krüger-Spitta und H. Bronk, S. 215. 72 V.Schmidt, S.7. 73 K. Gresser, S. 35. 74 Aus der umfangreichen Literatur sei hingewiesen auf: V. Schmidt, S. 8 ff.; K. Gresser, S. 54 ff. (zur Verzahnung von politischer Planung und Finanzplanung), S. 97 ff. (zu den Problemen der Finanzplanung im föderativen Staat); A. Zunker, S. 97 ff. (zur Koordinierung von Haushaltsplanung und Finanzplanung); W. Krüger-Spitta und H. Bronk, S. 215 ff. 1*

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

finanzpolitische Funktion der Finanzplanung. Bereits bei der w i r t schaftspolitischen Globalsteuerung erweist sich, daß der mittelfristigen Finanzplanung ein wichtiger Rang bei der Staatsleitung zukommt. Weiterhin steht die mittelfristige Finanzplanung auch darum i m Zentrum politischer Gestaltung, w e i l mittels der Finanzplanung die Transformation der Aufgabenplanung i n die Haushaltsplanung vollzogen w i r d ; i n der Finanzplanung findet die „Verzahnung" von politischer Planung und Haushaltsplanung statt 7 5 . Die Prioritäten der Aufgabenplanung liefern die großen Linien für die Mittelvergabe i m Finanzplan7®. Das politische Grobraster, das i m Finanzplan i n monetären Größen ausgedrückt wird, liefern nicht nur die Wahlplattformen, Regierungserklärung und das Aktionsprogramm der Bundesregierung, sondern i m steigenden Maß auch die supranationalen Direktiven und Beschlüsse der EWG wie auch i m nationalen Bereich die von der konzertierten A k t i o n (§ 3 StabG) gesetzten Daten 77 . Ferner gilt es nicht einfach zwischen „mehr Bildung" oder „mehr Straßenbau" zu wählen, sondern zu entscheiden, wie die erwarteten Rossourcen optimal genutzt werden können. Das Finanzplanungsverfahren eignet sich darum für die Anwendung analytischer Bewertungsverfahren. M i t detaillierten Nutzen-Kosten-Analysen können die der politischen Prioritätensetzung nachfolgenden Planungsentscheidungen optimal getroffen werden. Die punktuelle Diskussion und Kontrolle von Einzeltiteln i m Haushaltsplan versperrt den Blick auf die große Linie der Haushaltsplanung und verhindert damit auch eine wirksame Kontrolle der Regierungstätigkeit über das Instrument des Haushaltsbewilligungsrechts 78 . M i t der Finanzplanungsvorlage erhält das Parlament die Möglichkeit, sich von der unbefriedigenden Debatte einzelner Ansätze i m Haushaltsplan zu lösen und zu den Grundproblemen der Finanz- und A u f gabenplanung vorzudringen. Ob es dem Parlament trotz der Fortentwicklung der Planungstechniken i m Regierungs- und Verwaltungsbereich gelingen kann, dieses System unter Kontrolle und Verantwortung zu halten, diese Kardinalfrage der Parlamentarismusdiskussion entscheidet sich m i t den Einflußmöglichkeiten des Parlaments auf die Finanzplanung. b) Verfassungswidrigkeitvon§9

StabG

Ob eine Beteiligung des Parlaments an der Finanzplanung verfassungsrechtlich geboten oder wenigstens verfassungspolitisch anzustre75

Hierzu die grundsätzlichen Ausführungen von K. Gresser, S. 54 ff. K. Gresser, S. 78 ff. 77 H. Boldt, Zum Verhältnis von Parlament, Regierung und Haushaltsausschuß, in: ZParl 1973, 534 ff., 536. 78 A. Zunker, S. 235; H. Eicher, S. 140 f. 76

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ben ist, w i r d seit Schaffung dieses finanzpolitischen Instrumentariums diskutiert. Die Autoren der ersten Stunde wie etwa Fischer-Menshausen 79 , Grund 8 0 , Hettlage 81 , Wolkersdorf 8 2 und Möller 8 8 hielten eine parmentarische Zustimmung zur Finanzplanung weder für erwünscht noch für verfassungsrechtlich geboten 84 , wobei man i m wesentlichen die Position des Tröger-Gutachtens nachzeichnete 85 : Als finanzpolitisches Aktionsprogramm soll das Aufstellen von Finanzplanungen „genuin" exekutivische Tätigkeit sein. Man hält es für „sachgerecht", daß das Parlament an der Finanzplanung nicht m i t w i r k e 8 8 . Wenn man Konj u n k t u r p o l i t i k aus Gründen der Sachlogik dem Sachverstand der Exekutive vorbehalten möchte, so rechnet man Konjunkturpolitik dem Bereich des „Unpolitischen" zu. I n konjunkturpolitischen Fragen zweifelt man am Sachverstand des Parlaments; man befürchtet geradezu, eine parlamentarische Mitentscheidung i n konjunkturpolitischen Angelegenheiten liefere die Konjunkturpolitik den Interesseneinflüssen aus 87 . Weiterhin w i r d die „Finanzplanungsgewalt" der Regierung m i t der Schwerfälligkeit des parlamentarischen Verfahrens zu begründen versucht: Konjunkturpolitik könne nur durch ein flexibles Planungsinstrumentarium effizient betrieben werden; eine parlamentarische M i t w i r kung an der Finanzplanung gefährde eine schnelle A k t i o n i n konjunk70 H. Fischer-Menshausen, Mittelfristige Finanzplanung i m Bundesstaat, in: J. H. Kaiser (Hg.), Planung I I I , S. 73 ff., 84; ders., Mittelfristige Finanzplanung und Haushaltsrecht, in: Probleme der Haushalts- und Finanzplanung (Schriften des Vereins für Socialpolitik, N. F. Bd. 52, 1969), S. 56 ff., 73 mit der lapidaren Feststellung: „Da das Parlament nur Adressat des Finanzplans ist und an seiner Aufstellung nicht mitwirkt, kann durch die Vorlage eines solchen Plans die parlamentarische Entschließungsfreiheit nicht eingeschränkt werden." 80 W. Grund, Die mehrjährige Finanzplanung des Bundes, S. 47 ff., 66 f. 81 Κ . M . Hettlage, Probleme einer mehrjährigen Finanzplanung, in: Finanzarchiv N. F. Bd. 27 (1968), S. 235 ff., 240 f. 82 L. Wolkersdorf, Beziehungen zwischen Haushaltsplan und Finanzplanung unter besonderer Berücksichtigimg politischer und administrativer Aspekte, in: Mittelfristige Finanzplanung (Beiheft zur Konjunkturpolitik. Zeitschrift für angewandte Konjunkturforschung, H. 15, 1968), S. 31 ff., 34. 83 A. Möller (Hg.), Kommentar zum Stabilitätsgesetz, 2. Aufl. (1969), §9 R N 17. 84 Auch die jüngsten Stellungnahmen zu dieser Frage sind oft wenig differenziert. So beläßt es H. Eicher (S. 139) bei der bloßen Feststellung, in der „verschiedenartigen Beteiligung von Regierung und Parlament an dem Zustandekommen des Finanzplans liegt sicherlich ein schwerwiegendes Problem" (vgl. weiter J. Brockhausen, Die rechtliche Bedeutung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und seine Komponenten in § 1 StabG unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte [o. J.], S. 190 ff.). 85 Kommission für die Finanzreform, Tz 483. 86 Κ . H. Friauf, S. 24; K. Stern, Gesetz zur Förderimg der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, in: D Ö V 1967, 657 ff., 659 f. 87 F. Neumark, Fiskalpolitik und Wachstumsschwankungen, 2. Aufl. (1969), S. 93 f.

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turpolitischen Krisenlagen 88 . Eine normative Fixierung des Finanzplans durch das Parlament sei weder zweckmäßig noch erwünscht, w e i l der Finanzplan seinen flexiblen Charakter als quantifiziertes Regierungsprogramm behalten müsse. Wie bereits angedeutet 89 , kann diese Argumentation für den Finanzplan nicht gelten. Für kurzfristige Konjunkturplanung und Konjunkturpolitik mag die Regierung allein zuständig sein, da es bei konjunkturpolitischen Maßnahmen auf vorsichtiges Dosieren und rasches Reagieren wesentlich ankommt. Für den Finanzplan jedoch, der jährlich fortzuschreiben ist und zu den mittelfristigen Planungen gehört, kann aus dem Gesichtspunkt der Konjunkturpolitik heraus keine Planungsprärogative der Regierung begründet werden. Von Hettlage 90 w i r d entscheidend darauf abgehoben, daß trotz der Finanzplanung der Regierung die Gesetzgebungs- und Haushaltsautonomie der Legislative rechtlich unbeschränkt bleibe. Der Finanzplan sei lediglich eine politische Absichtserklärung der Regierung 91 und gebe dem Parlament bei der Beratung des Haushalts wichtige Orientierungsdaten und Informationen. Nur der Haushaltsplan i m Rahmen des Haushaltsgesetzes entfalte unmittelbare Rechtswirkungen, nicht aber der Finanzplan. Demgegenüber bleibt darauf hinzuweisen, daß auch die Finanzplanung einige rudimentäre Rechtswirkungen zu erzeugen vermag: Die Bundesregierung hat nach § 10 Abs. 1 S. 1 BHO bei ausgabenwirksamen Gesetzen Angaben über ihre Auswirkungen auf die Finanzplanung zu machen. Die Finanzplanung führt hier zu einem gewissen Begründungszwang. Vor allem aber werden nach A r t . 106 Abs. 3 GG die Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer u. a. unter Berücksichtigung der mehrjährigen Finanzplanung ermittelt. Weiterhin bindet § 6 Abs. 2 S. 2 StabG die antizyklischen Ausgaben aus dem konjunkturpolitischen Leertitel des Haushaltsplans an die Finanzplanung. Zwar gewährt § 8 Abs. 1 S. 2 StabG dem Bundestag ein Zustimmungsrecht für die Ausgaben nach § 6 Abs. 2 StabG. Der 88 L. Wolkersdorf, S. 34; W. Albers, Einige Fragen zur mittelfristigen Finanzplanung, in: Geldtheorie und Geldpolitik, G. Schmölders zum 65. Geburtstag (1969), S. 201 ff, 207 f.; A. Möller (§ 9 R N 17) meint, das Parlament könne nicht zum Träger der Finanzplanung werden, weil sein Beratungsverfahren auf die Gesetzgebung zugeschnitten sei; vor allem sei das Parlament immer von den Vorarbeiten der Regierung abhängig, so daß ein Finanzplan nicht als eigenverantwortliche Entscheidung des Parlaments angesehen werden könne. Es ist A. Möller voll zuzustimmen, wenn er dem Parlament die Fähigkeit abspricht, alleiniger Träger der Finanzplanungsfunktion zu sein. Die Frage, ob und wie das Parlament an der Finanzplanung beteiligt werden kann, also die Frage der „Plangewaltenteilung", wird von A. Möller nicht angegangen. 89 Unter I , 1 b, aa. 90 K. M. Hettlage, S. 240. 91 So auch D. Molter, Raumordnung, S. 69 f , 154 f.

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Bundestag kann diese Ausgaben aber nicht umschichten oder erhöhen, sondern nur entweder insgesamt ablehnen oder kürzen (§ 42 BHO) 9 2 . Obwohl sich die Finanzplanung außerhalb des Bereiches normativer Regelung abspielen und darum ein parlamentarischer Beschluß über die Finanzplanung überflüssig erscheinen soll, sieht Hettlage doch die Gefahr, daß „das verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen Regierung als Exekutive und dem Parlament als Legislative" von der Finanzplanung betroffen w i r d 9 3 . Denn der Zweck einer mehrjährigen Finanzplanung läßt sich nur erreichen, wenn sich das Parlament bei seinen Entscheidungen über den Haushalt an den Finanzplan gebunden fühlt. Diese drohende Verschiebung der politischen Grundentscheidung über die Verteilung der Ressourcen vom Parlament zur Regierung soll nicht allein unerfreulich, sondern auch unausweichlich sein, da sie durch die Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft i n den modernen Industriestaaten verursacht werde: „Zugespitzt könnte man sagen, daß die Finanzplanung und sonstige Ermächtigungen der Legislative an die Exekutive zur Sicherung der finanziellen Ordnung und der wirtschaftlichen Stabilität dem Schutz des Parlaments gegen sich selbst dienen sollen und können 94 ." Hier w i r d i n der Diskussion u m eine Parlamentarisierung der Finanzplanung eine technokratische Position vertreten. Dem Parlament w i r d i n Fragen langfristiger Planung der Sachverstand abgesprochen und eklatante Unfähigkeit bescheinigt. Unter dieser Prämisse wäre der Parlamentarismus für die modernen Industriestaaten westlicher Prägung eine denkbar schlechte Organisationsform politischer Entscheidungsfindung. Von verfassungsrechtlichen Bedenken grundsätzlicher A r t sind auch Papiers Ausführungen zu § 9 Abs. 2 S. 2 StabG geprägt. Er billigt die von der herrschenden Staatsrechtslehre tolerierte und i n der Staatspraxis unwidersprochen gebliebene Zuständigkeitsverteilung von Parlament und Regierung bei der Finanzplanung. Andererseits sieht er aber auch „die auf der Grundlage der vorherrschenden Lehre feststellbare politisch-faktische Prädominanz der Exekutive bei der Haushaltsaufstellung und -feststellung" 95 . Die Machtverlagerung vom Parlament auf die Regierung hält Papier nur dann m i t dem demokratischparlamentarischen System vereinbar, wenn der Machtverlust, der bei dem parlamentarischen Ausgabenbewilligungsrecht eingetreten ist, 92 S. V. Köckritz, G. Ermisch u. a., Bundeshaushaltsordnung (Stand 1975), § 42 R N 2; Ε. A. Piduch, § 42 BHO Nr. 1. 93 K. M . Hettlage, S. 240; ähnlich auch K. Stern,, Grundfragen, S. 13. 94 K. M. Hettlage, S. 241. 95 H.-J. Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte und das grundgesetzliche Demokratieprinzip (1973), S. 110.

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„durch eine Potenzierung der parlamentarischen Einflußmöglichkeiten auf die staatliche Wirtschaftsführung bei der (steuerlichen) Einnahmeseite mittels eines zwingenden Gesetzesvorbehaltes kompensiert" 9 · wird. Es ist allerdings nicht recht einzusehen, inwiefern ein Machtverlust des Parlaments beim Beschluß über das i n Zahlen gekleidete Regierungsprogramm durch einen zwingenden Gesetzesvorbehalt bei der steuerlichen Einnahmeseite ausgeglichen werden kann. Ein Beschluß des Parlaments über die Verteilung der Steuerlast oder Änderung der Steuerhöhe läßt sich nicht vergleichen m i t dem Beschluß über quantifizierte Zielkataloge, die mittelfristig der Regierungspolit i k zugrunde gelegt werden sollen. Denn das eine Mal geht es u m die Bereitstellung eines ausreichenden Ressourcenrahmens, das andere Mal u m die Verteilung dieser Ressourcen auf die verschiedenen Staatsaufgaben. Letztlich w i r d das Argument angeführt, durch eine Einschaltung des Parlaments i n das Finanzplanungsverfahren werde nichts Wesentliches gewonnen 97 . Eine Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive soll es i m System der parlamentarischen Demokratie „materiell" nicht geben; denn die Regierung werde regelmäßig von einer Parlamentsmehrheit getragen und es sei schwer vorstellbar, daß ein Finanzplan der Regierung von der Parlamentsmehrheit desavouiert werde. Vor allem könne man davon ausgehen, daß die Regierung ihren Finanzplan m i t den Fraktionen, die die parlamentarische Mehrheit bilden, vorher abspreche. M i t dieser Argumentation läßt sich ebenso gut auch der gegenteilige Standpunkt begründen: Wenn zwischen Regierung und den Fraktionen, die die Regierung tragen, die Finanzplanung i n informeller Weise abgesprochen wird, dann kann auch das Parlament einen die Regierung bindenden Beschluß fassen. Eine derartige Beschlußkompetenz würde sicherlich das Gewicht des Einflusses der Parlamentsmehrheit und ihrer Fraktionen auf die Regierung stärken. Dem bürokratisch-technokratischen Sachverstand der Regierung könnte ein demokratisch legitimierter Sachverstand des Parlaments ebenbürtig zur Seite treten. Eine verfassungsrechtliche Würdigung des Postulates parlamentarischer Beteiligung an der Finanzplanung muß von den „rechtlich greifbaren Auswirkungen der mehrjährigen Finanzplanung i m Rahmen des parlamentarischen Regierungssystems" 98 ausgehen. Die durch die moderne Finanzplanung eintretende Machtverlagerung vom Parlament auf die Exekutive ist auf das überkommene Schema des VerM 97 98

H.-J. Papier, S. 111. K. Schmidt und E. Wille, S. 105 ff.; K. Gresser, S. 168 ff. P. Badura, Finanzplanung, S. 11.

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hältnisses von Parlament und Exekutive zu projizieren, wobei die verfassungsrechtliche Gestaltung des parlamentarischen Regierungssystems i m Vordergrund der Betrachtung stehen muß. Die rechtlich greifbaren Auswirkungen der Finanzplanung auf das parlamentarische Regierungssystem bestehen i n ihrer — jeder mittelfristigen oder langfristigen Planung eigenen — Vorwirkung 9 9 . Es läßt sich nicht bestreiten, daß die Haushaltsplanungsautonomie des Parlaments von der Finanzplanung der Regierung i n erheblichem Maß beschnitten w i r d 1 0 0 . Verweigert man dem Parlament eine eigenverantwortliche Beschlußfassung über die Finanzplanung, so drängt man das Parlament i n diesen grundsätzlichen Fragen der politischen Gestaltung des Gemeinwesens auf eine entscheidungsunerhebliche Transparenzfunktion zurück. Die lapidare Feststellung, daß das Parlament, wenn es das Haushaltsgesetz beschließe, rechtlich gegenüber dem Finanzplan unabhängig sei, begnügt sich mit der Wiedergabe von § 9 StabG, ohne die rechtlichen und politischen Auswirkungen dieser Vorschrift zu würdigen. Die Finanzplanung lenkt, wie dargestellt, die Zielrichtung konjunkturpolitischer Maßnahmen; insoweit sind Finanzplanung und Haushaltsplan miteinander rechtlich verzahnt. Rechtlich gesehen ist es zutreffend, den Finanzplan als ein „Orientierungsinstrument" und nicht als ein „vollzugsverbindliches Mehrjahresbudget" zu qualifizieren 101 . A u f der anderen Seite stuft aber die programmatische und programmierende Funktion des Finanzplanes die einzelnen Jahreshaushalte zu „Vollzugsmaßnahmen" 102 herab 1 0 3 . Dem Haushaltsplan kommt die Rolle einer Konkretisierung des Finanzplanes zu 1 0 4 . Die mittelfristige Finanzplanung setzt für den Entwurf und die Verabschiedung des Haushalts Daten, „die selbst ein rechtzeitig und gut 99

Hierzu im 2. Kap. unter I I I . , 6. So u.a. R. Mußgnug, S.256ff.; K. Gresser, Finanzplanung, S. 174ff.; A. Hüttl, Öffentlicher Haushalt und Wirtschaft, in: DVB1. 1968, 673 ff. (678); R. Zuck, Die globalgesteuerte Marktwirtschaft und das neue Recht der Wirtschaftsverfassung, in: N J W 1967, 1301 ff. (1304); Κ. H. Friauf, Öffentlicher Haushalt und Wirtschaft, in: V V D S t R L H. 27 (1969), S. 31; R. Herzog, Gutachten, S. 9 ff.; H. Fischer-Menshausen, Mittelfristige Finanzplanung und Haushaltsrecht, S. 73 f.; A. Wender, Planung als „vierte Gewalt", S. 55 ff.; D. Frank, Politische Planung, S. 64 ff. 101 H. Fischer-Menshausen, Mittelfristige Finanzplanung i m Bundesstaat, S. 82. 102 Κ. M . Hettlage, S. 242; P. Badura, S. 17; ders., Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung (1971), S. 63; R. Herzog, S. 10; H. C. Korff, S. 121. 108 H. Rehm (Bundeshaushaltsreform, S. 112) weist darauf hin, daß die nach § 12 Abs. 2 BHO mögliche Intensivierung der Haushaltsplanberatung wegen der faktischen Präjudizierung des Parlaments an tatsächlicher Bedeutung verloren habe. 104 H. Weichmann, Finanzplanung als neue staatliche Aufgabe, in: Finanzarchiv N F Bd. 27 (1968), S. 220 ff., 225. 100

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informiertes Parlament bei der Verabschiedung des Haushaltsplanes kaum mehr verändern kann" 1 0 5 . Auch die Finanzplanung entwickelt die bekannte Eigendynamik einmal aufgestellter Pläne 106 , so daß sich geradezu eine Parallele zur sog. self-fulfilling-prophecy bei gesellschaftlichen Aussagen anbietet. M i t der eigenverantwortlichen Erstellung der Finanzpläne erlangt die Regierung eine sachliche Überlegenheit über die parlamentarische Haushaltsgesetzgebung 107 . Die Finanzplanung der Regierung „exekutiert" nicht, wie es ihrer Funktion nach angemessen wäre, sondern leitet programmierend: Der Finanzplan ist das Programm(-gesetz) für den Haushaltsplan. Ebenso wie das Stabilitätsgesetz ist, u m eine Formulierung von Kaiser zu gebrauchen 108 , der mittelfristige Finanzplan der „normative Plan einer Aktion" und wächst damit i n die Rolle eines „Supermaßnahmegesetzes" 109 . Der m i t telfristige Finanzplan ist ein Aktionsplan für Gesetzgeber und Exekutive des Bundes und der Länder; dieser Aktionsplan setzt Bereitschaft zu planvollem Handeln voraus und ist auf Vollzug angelegt; sein Zweck ist, erfüllt zu werden. Der Etatgesetzgeber w i r d nicht allein durch das Zusammenspiel von Finanzplanung und Haushaltsplan i n seiner Entscheidungsfreiheit begrenzt. Auch das Vertrauen, das die gesamte Privatwirtschaft i n die Finanzplanung setzt, kann zu einer Bindung des Etatgesetzgebers an den Finanzplan führen. Bei einer Abweichung von der Finanzplanung kann die Gefahr einer tiefgreifenden Störung des gesamten W i r t schaftsablaufs entstehen, da die Finanzplanung der Privatwirtschaft wichtige Orientierungsdaten liefert. Das Parlament kann sich auch aus diesem Grund gezwungen sehen, i m gesamtwirtschaftlichen Interesse die Finanzplanung der Regierung bei den Etatberatungen als faktisch verbindlich hinzunehmen 110 . Eine weitere faktische Begrenzung der Entscheidungsfreiheit des Etatgesetzgebers ergibt sich aus dem föderalistischen Prinzip. I m Finanzplanungsrat werden die Finanzplanungen von Bund, Ländern und Gemeinden koordiniert (§ 51 HGrG). Diese Koordinierung der Finanzplanungen der Gebietskörperschaften w i r d illusorisch, wenn ein Par105 H. Boldt, S. 539; F. Neumark, der Nestor der deutschen Finanzwissenschaft, befürchtet, daß sich eine „gewaltige Machtverschiebung zugunsten der Exekutive" und „eine zu weit gehende Selbstentmannung des Parlaments" anbahne (Fiskalpolitik und Wachstumsschwankungen, 2. Aufl. 1969, S. 94). 108 Κ . H. Friauf, S. 25 F N 125 und oben i m 2. Kapitel unter I I I , 6 b, bb. 107 P. Badura, Finanzplanung, S. 16. 108 J. H. Kaiser, Der Plan, in: Planung I I , S. 18. 109 R. Mußgnug, S. 257. 110 M . Abelein, ZRP 1969, 242 ff., 243 f.; H.-J. Papier, S. 108; R. Herzog, Gutachten, S. 10.

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lament sein Budgetbewilligungsrecht zum Anlaß nimmt, von den Finanzplanungen der Exekutive abzuweichen. Die Gesamtabstimmung der öffentlichen Finanzplanungen kann damit zu einem tatsächlichen Bewilligungszwang der Parlamente bei der Finanzplanung führen 1 1 1 . Geht es u m die Verteilung der Finanzplanungsfunktion zwischen Regierung und Parlament, so gehört sicherlich die Ausarbeitung des Finanzplanes i n den Aufgabenbereich der Regierung. M i t der Finanzplanung erhält die Regierung die Möglichkeit einer planmäßigen I n i tiative bei der Erledigung des politischen Programms 112 . W i r d i m Finanzplan die Politik der Parlamentsmehrheit artikuliert und werden die von der Parlamentsmehrheit verfolgten Ziele mittelfristig i n ihrer Ausgabenwirksamkeit offengelegt, so spricht alles dafür, ebenso wie den Haushaltsplan auch den Finanzplan vom Parlament beschließen zu lassen 118 . Die politische Bindung des Parlaments an die Finanzplanung, wenn es über den Haushaltsplan beschließt, legt es nahe, dem Parlament auch eine Beschlußkompetenz über den Finanzplan einzuräumen. Soweit §9 Abs. 2 S.2 StabG bestimmt, daß der Finanzplan dem Bundestag nur vorgelegt werden muß, der Bundestag aber nicht über den Finanzplan verbindlich beschließen kann, ist diese Vorschrift verfassungswidrig. Sie verstößt wegen der Bindungswirkung des Finanzplanes gegen die i n A r t . 110 festgelegte Haushaltsautonomie des Bundestages; außerdem verstößt diese Regelung ganz allgemein gegen das demokratische Prinzip, das eine parlamentarische M i t w i r k u n g an langfristig wirkenden Entscheidungen politischer Gestaltung erfordert 1 1 4 . Die Verbesserung der Arbeitsweise der Regierung darf nicht zu einer Schwächung des Parlaments führen. I m Gegenteil kann das Verfahren der Finanzplanung die Arbeitskapazität und Rationalität der Entscheidungsfindung i n Parlament und Regierung erhöhen. Das Parlament muß nicht allein die Möglichkeit besitzen, die mehrjährigen Perspektiven des Finanzplanes zu diskutieren; es muß darüber hinaus über die grundlegenden Zielkataloge, die i n den Zielkatalogen formu111

M . Abelein, S. 244; H.-J. Papier, S. 108. P. Badura, S. 12 f.; ders., Art. Regierung, in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 2167. 118 So auch S. Heinke, Probleme der Finanzierung öffentlicher Haushalte und der Finanzplanung, Institut „Finanzen und Steuern" Brief 139 (1973), S. 15 ff.; H. A. Giesen und E. Fricke, Das Haushaltsrecht des Landes Nordrhein-Westfalen. Kommentar (1972), Art. 81 Verf. R N 13 und — zurückhaltender — L H O § 31 R N 4; K. Gresser, S. 179; E. Stachels, Stabilitätsgesetz, S. 134; zurückhaltender JR. Schmidt, Wirtschaftspolitik, S. 168 ff.; ohne nähere Begründung ablehnend W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 276, 330; M . Schröder, Planung, S. 49. 114 Dem Bundesrat braucht der mittelfristige Finanzplan selbstverständlich nur vorgelgt zu werden, wie es § 9 Abs. 2 S. 2 StabG vorschreibt. Freilich ist der Bundesrat entsprechend Art. 110 Abs. 3 HS 2 G G berechtigt, zur Vorlage des mittelfristigen Finanzplanes Stellung zu nehmen. 112

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Herten Prioritäten und die Wahl zwischen Alternativen mitentscheiden können. Diese Mitentscheidungsbefugnis hat auch das Recht, Modifizierungen anzubringen, zum Inhalt 1 1 5 . I n einem System des reaktiven Krisenmanagements kann die Beschlußfassung über den kurzfristigen Haushaltsplan das adäquate finanzpolitische Steuerungsinstrument des Parlaments sein. I n einem System langfristiger Planung kann die Finanzplanung nicht mehr als genuin exekutivische Tätigkeit eingestuft werden. „Nicht kurzfristig reagibles Timing und Dosieren" 118 sind entscheidend, sondern es geht u m eine Grobstrukturierung künftiger politischer Entscheidungen, die nicht nur die Entwicklungslinien der Wirtschaft betreffen, sondern auch die politische Präferenzenordnung insgesamt berühren. I n diesem Zusammenhang spielt auch eine Rolle, daß ein gerichtlicher Rechtsschutz i m Rahmen der Finanzplanung nicht gewährt werden kann. Aus dem Gesichtspunkt der Plantreue oder der Plangewährleistung m i t eventuellen Entschädigungsansprüchen kann die Regierung nicht an ihrer Finanzplanung von Gebietskörperschaften oder Privatpersonen festgehalten werden 1 1 7 . Auch darum erscheint eine „Plangewaltenteilung" i n Beziehung auf die mittelfristige Finanzplanung besonders vordringlich. Dieses Fehlen gerichtlichen Rechtsschutzes ist durch eine verfahrensmäßige Regelung bei der mittelfristigen Finanzplanung abzugleichen. I n Frage kommt nur eine verantwortliche Beteiligung des Parlaments, d. h. eine Beschlußfassungskompetenz über den Finanzplan 1 1 8 . Wenn das Parlament den von der Regierung vorgelegten Finanzplan beschließen kann, lassen sich auch die erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die besonderen Ausgabenermächtigungen 115 R. Herzog (Regierungsprogramme, S. 53) hält es für absurd, „die mehrjährige Finanzplanung durch einen Kabinettsbeschluß, den jährlichen Haushaltsplan aber durch ein Gesetz" beschließen zu lassen. Allerdings hält Herzog ein verfassungsrechtlich abgesichertes Beteiligungsrecht des Parlaments an der Finanzplanimg nicht für realisierbar. Die Parlamente sollen noch nicht in der Lage sein, sich sachkundig an der Finanzplanung zu beteiligen. Die von Herzog befürchtete Diskrepanz von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, wenn das Parlament von Verfassungs wegen an der Finanzplanung beteiligt wird, steht dann nicht zu erwarten, wenn das Parlament etwa die in die Finanzplanung eingehenden „Präferenzkalküle" der Bundesregierung (H. H. Nachtkamp, S. 18) kritischer Beurteilung unterzieht; anderes wiederum mag von den der Finanzplanung zugrunde gelegten Prognosen gelten; hier hat die Regierung sicherlich eine gewisse Einschätzungsprärogative kraft Sachverstandes. 11β E. Stachels, S. 133 ff.; P. Franke, Besprechung, in: ZgesStW Bd. 131 (1975), S. 186. w K. Stern, Gesetz zur Förderung der Stabilität, Vor § 9, Anm. I , 5 m. w. Nw. und im 6. Kapitel unter I., 3. 118 Ebenso für Österreich C. Brünner, Politische Planung, S. 269 ff.

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des Stabilitätsgesetzes zerstreuen. A u f Grund von § 6 Abs. 2 StabG kann die Bundesregierung konjunkturfördernde Ausgaben leisten, wenn eine Konjunkturabschwächung eintritt. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 StabG ist zwar ein Leertitel i m Haushaltsplan für diese Ausgaben einzustellen. Dennoch ist die Einhaltung des Erfordernisses parlamentarischer Ausgabenermächtigung zweifelhaft (Art. 110 Abs. 2 GG) 119 . Der Leertitel nach § 8 Abs. 1 S. 1 StabG braucht nämlich keine speziellen Zweckbestimmungen enthalten, wie es i m Haushaltsrecht üblich ist 1 2 0 . Außerdem w i r d der ausgebbare Betrag völlig offengelassen 121 . Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die konjunkturfördernden Ausgaben der Bundesregierung lassen sich nicht durch einen Hinweis auf §8 Abs. 1 S. 2 StabG entkräften: Ausgaben aus dem genannten Leertitel i m Haushaltsplan dürfen nur m i t Zustimmung des Bundestages geleistet werden. Nach der Staatspraxis 122 und der i n der Literatur vorherrschenden Ansicht 1 2 3 hat der Bundestag i m Verfahren nach § 8 Abs. 1 StabG kein volles parlamentarisches Gestaltungsrecht. I m Gegensatz zur Beschlußfassung über den Nachtragshaushalt etwa darf er die von der Bundesregierung vorgesehenen Ausgaben nicht umschichten 124 . Dies erscheint sachgerecht, weil die konjunktursteuernde Funktion des Staatshaushalts die Möglichkeit zu raschem Handeln voraussetzen muß. Die Verabschiedung eines Nachtragshaushalts kann darum zu zeitraubend sein 125 . Diese inhaltliche Beschränkung parlamentarischer Gestaltungsfreiheit, die aus Gründen der Konjunkturpolitik hinzunehmen ist, erscheint i m Hinblick auf §6 Abs. 2 S. 2 StabG zulässig: Die M i t t e l aus dem Leertitel i m Haushaltsplan dürfen nur zur Verfolgung der i m Finanzplan vorgesehenen Zwecke oder als Finanzhilfe für die Länder und Gemeinden verwendet werden. Diese Vorschrift verstärkt zwar dann nicht die parlamentarische Einwirkungsmöglichkeit auf den Leertitel i m Haushaltsplan, wenn man §9 Abs. 2 S.2 119

H.-J. Papier, S. 111. Vgl. § 17 Abs. 1 BHO. 121 Die Begrenzung des § 6 Abs. 3 StabG (5 Milliarden D M ) vermag nicht einzugreifen, da gegebenenfalls aus der Konjunkturausgleichsrücklage weitere Mittel zur Verfügung gestellt werden können. 122 Protokoll der 29. Sitzung des Rechtsausschusses des Bundestages am 26.1.1967, S. 5. 128 A. Möller (Hg.), Kommentar zum Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, § 8 R N 9; K. H. Friauf, S. 30. 124 Nach § 42 BHO ist lediglich eine Kürzung oder Streichung möglich. 125 Eine andere Frage ist, ob nicht Parlamentsverfahren entwickelt werden können, die den Zwecken der Konjunktursteuerung genügen. Es geht nicht an, „unter Hinweis auf bestehende Formen der Beratung und Beschlußfassung die verfassungsrechtlich zwingend vorgeschriebene Parlamentsmitwirkung zu umgehen oder in der Sache zu beschränken" (H.-J. Papier, S. 113; vgl. weiter R. von Lucius, Gesetzgebung durch Parlamentsausschüsse?, in: AöR 97. Bd. [1972], S. 568 ff.). 120

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

StabG i n seiner derzeitigen Fassung hinnimmt 1 2 8 . Beschließt aber — wie hier vorgeschlagen — das Parlament den Finanzplan, bestehen gegen das vom StabG der Bundesregierung zur Verfügung gestellte finanzpolitische Instrumentarium keine Bedenken. Wenn die Ansätze und Prioritäten des Finanzplans i m Gegensatz zu § 9 Abs. 2 S. 2 StabG vom Parlament beschlossen werden, w i r d bei der Vergabe der konjunkturfördernden Ausgaben wenigstens mittelbar der parlamentarische Gestaltungswille berücksichtigt. Anders gewendet läßt sich folgern: Wenn schon die parlamentarischen Einwirkungsmöglichkeiten auf die konjunkturpolitischen Maßnahmen der Regierung eingeschränkt sein müssen, muß wenigstens die Finanzplanung selbst zur Disposition des Parlaments stehen. Die geforderte Beschlußfassungskompetenz des Parlaments kann einen zweifachen Inhalt haben 127 . Sie kann bedeuten, daß das Parlament nur insgesamt den von der Regierung vorgelegten Finanzplan annehmen oder ablehnen kann. Es würde sich hier u m ein „vote bloqué" handeln, das bei der parlamentarischen Verabschiedung des französischen Fünf jahresplanes praktiziert wurde 1 2 8 und auch dem deutschen Verfassungsrecht nicht fremd ist (Art. 59 Abs. 2 GG). Eine andere Möglichkeit der Ausgestaltung der Beschlußkompetenz wäre es, dem Parlament das Recht zuzubilligen, einzelne Ansätze des Finanzplanes zu modifizieren. Für die Lösung des „vote bloqué" spricht der Gedanke, daß die Regierung m i t dem Finanzplan ein i n sich abgerundetes mittelfristiges Aktionsprogramm vorlegt 1 2 9 . Eine Planung besitzt nur dann Wert, 126

H.-J. Papier, S. 112. Nicht zulässig wäre die Einrichtung eines gemeinsamen Beschlußorgans der Legislative und Exekutive, das über die Finanzplanung zu entscheiden hätte. Eine Zusammenarbeit in gemeinsamen Beschlußorganen würde dem Prinzip der Gewaltenteilung widersprechen (Einzelheiten bei K. Gresser, S. 184 ff. m. w. Nw.). 128 P. Bauchet , Planification, S. 157, 159; P. Delvolvé, Le parlement et la préparation du V e Plan, in: Revue de droit public, Jahrg. 1965, S. 661 ff., 684 ff.; H. Jacquot , Le statut juridique des plans français (Paris 1973), S. 78 ff. — Allgemein zum „vote bloqué": A. Hauriou, Droit constitutionnel et institutions politiques, 4. Aufl. (Paris 1970), S. 903 f. 129 P. Bauchet, S. 159 ff. — Beachtliche Verfahren der Demokratisierung mittelfristiger politischer Planung sind bei der französischen Planification entwickelt worden. Nachdem von Regierung und Parlament eine Wachstumsrate für den Planungszeitraum festgelegt worden ist, werden von den Modernisierungskommissionen der einzelnen Wirtschaftsbranchen gemäß den Direktiven für die Gesamtwirtschaft Prioritäten aufgestellt und Programme ausgearbeitet. I n die verschiedenen Modernisierungskommissionen werden teilweise von der Regierung berufen, teilweise kooptiert; Industrielle, Manager großer Konzerne, Gewerkschaftsmitglieder, Wissenschaftler, Vertreter freier Berufe, Beamte des zuständigen Ministeriums u. a. Es findet ein sozialer Dialog nicht nur innerhalb der Kommission, sondern auch zwischen den 127

I I I . Parlamentarische M i t i r k u n g s b e f u g n i s s e an politischer Planung

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wenn die Planungsentscheidungen kohärent sind. Eine teilweise Ä n derung kann das angestrebte ökonomische Gleichgewicht oder die als Leitbild dienende Wachstumsrate gefährden. Ein „vote bloqué" würde die M i t w i r k u n g des Parlaments an der m i t telfristigen Finanzplanung der Regierung auf ein Mindestmaß beschränken. Denn vor die Alternative des „tout ou rien" gestellt, nämlich zwischen einem unbequemen oder gar keinem Finanzplan zu wählen, w i r d i m Regelfall der Vorschlag der Regierung akzeptiert werden 1 3 0 . M i t einem „vote bloqué" werden dem Parlament kaum mehr als die Rechte eines Konsultativorgangs eingeräumt. Das „vote bloqué" dient der Disziplinierung der Regierungsfraktionen i m Parlament vor allem dann, wenn die Regierung sich einer vollen parlamentarischen Unterstützung aus den eigenen Reihen nicht sicher ist 1 3 1 . Das „vote bloqué" leistet wiederum der Bindungswirkung der fertigen Planung Vorschub. M i t dem „vote bloqué" ist also kaum ein Mindestmaß an demokratischer Legitimation für die Finanzplanung zu gewinnen. I m Gegenteil: Durch die Beschlußfassung über den Finanzplan übernimmt das Parlament Verantwortung und bindet sich an die i m Finanzplan ausgebrachten Ansätze. Vor allem w i r d es durch den Grundsatz der Planungstreue bei den Haushaltsberatungen auf die A n sätze i m Finanzplan festgelegt. Die Möglichkeit, über den Haushaltsplan diskretionär den Finanzplan zu modifizieren, wäre verloren 1 3 2 . Aus diesen Gründen spricht alles dafür, dem Parlament das Recht einzuräumen, den von der Regierung eingebrachten Finanzplan zu ändern. Bei derartigen Änderungen können die von der Regierung erstellten und dem Parlament zu unterbreitenden Alternativen h i l f reich sein 133 . Ohne eine solche parlamentarische Beteiligung würde Kommissionen und dem Plankommissariat, dem die Ausarbeitung des Planes obliegt, statt (Einzelheiten bei P. Bauchet, S. 73 ff, 163 ff, 205 ff.; F. BlochLainé, Economie concertée et planification démocratique, in: Les cahiers de la République, Jahrg. 1962, S. 573 ff.; H. Jacquot, S.32ff.; G. Hedtkamp, Planification in Frankreich. Grundlagen, Technik und Erfahrungen [1966], S. 117 ff.; St. S. Cohen, Modern Capitalist Planning: The French Model [London 1969], S. 189 ff.; E. Volk, Rationalität, S. 161 ff. m. w. Nw.). Ob eine „Demokratisierung" der Finanzplanung durch gesellschaftliche Beteiligung in der Bundesrepublik Deutschland realisierbar und verfassungspolitisch wünschenswert ist, mag dahingestellt bleiben. 130 So auch H. Jacquot, S. 78 ff. 131 A. Hauriou, S. 904. 182 J.-T. Blank, Staatliche Aufgabenplanung, S. 91 f. 138 Auf den Streit um die Zweckmäßigkeit und Möglichkeit alternativer Finanzplanung wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen (vgl. H. H. Nachtkamp, S. 85 ff. m. w. Nw.). Wenn im Regierungsbereich Alternativpläne zum Finanzplan aufgestellt werden, so sind sie, um den Entscheidungsspielraum des Parlaments zu erhöhen, dem Parlament auch vorzulegen (K. Gres ser, S. 180 ff.). Einzelheiten unter 3 c.

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

jener erhebliche Substanz Verlust des Parlaments eintreten, der bereits anläßlich der Einführung der Finanzplanung befürchtet worden ist 1 8 4 . Es würde lediglich eine Publizitätsfunktion wahrnehmen und zu einer Instanz bloßer Akklamation degradiert, ohne an der Lenkung des Staatschiffes eigenverantwortlich teilhaben zu können. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß die hier ausgebreiteten verfassungsrechtlichen Fragestellungen derzeit weitgehend theoretischer Natur bleiben werden. Wenn das Parlament den von der Regierung eingebrachten Finanzplan ändert, so kommt dies politisch einer Desavouierung der Regierung durch die sie tragende Parlamentsmehrheit gleich. Einen derartigen Autoritätsverlust w i r d keine Parlamentsmehrheit riskieren wollen 1 3 5 . Ein Wandel des politischen Stils i n Richtung auf einen kritischen Dialog zwischen Parlamentsmehrheit und Regierung ist kaum zu erwarten. Z u einschneidenden Korrekturen des Finanzplanes w i r d es auch darum nicht kommen, w e i l i n informellen Absprachen die Fraktion(en) der Regierungspartei(en), gelegentlich auch die Parlamentarier der Regierungsmehrheit m i t der Regierung und ihrer Bürokratie die wichtigsten Fragen der Finanzplanung vorab geklärt haben werden. 3. Informationsrechte

a) Der Informationsbedarf

des Parlaments

Die Effizienz parlamentarischer Beteiligung an und Kontrolle von Planungen der Regierung ist i n hohem Maß von der Informationslage des Parlaments abhängig 136 . Gesetzgebung, Budgetrecht, M i t w i r k u n g an politischen Leitentscheidungen und Kontrolle der Regierung können vom Parlament nur i n rationaler und verantwortlicher Weise ausgeübt werden, wenn eine ausreichende Informationsbasis vorhanden ist. Planung i n ihrer Eigenschaft als Informationsverarbeitungsprozeß läßt sich vom Parlament nur beeinflussen und kontrollieren, wenn ein Informationsgleichgewicht zwischen Regierung und Parlament be134 K. Stern, Gesetz zur Förderung der Stabilität, Art. 109 GG, Anm. Β I , 3; D. Grimm, Gegenwartsprobleme der Verfassungspolitik und der Beitrag der Politikwissenschaft, in: PVS Sonderheft 9 (1978), S. 272 ff., 283. 136 Zur „Schutztruppenfunktion" der Regierungsfraktionen vgl. 17. Lohmar, Das Hohe Haus, S. 159. 138 Zur Informationslage des Parlaments: W. Egloff, Die Informationslage des Parlaments (Zürich 1974); Th. Keller und H. Raupach, Informationslücke des Parlaments? Wissenschaftliche Hilfseinrichtungen für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der Länderparlamente (1970), S. 19 ff., 57 ff.; Union interparlementaire (Hg.), Le parlementaire: les exigences de son information dans le monde moderne, Bd. 1 (Genf 1973); H. Geiger, Datenschutz und Gewaltenteilung, in: W. Kilian u. a. (Hg.), Datenschutz (1973), S. 173 ff., 178 ff.; B. Lutterbeck, Parlament, S. 60 ff. m. w. Nw.; P. Kevenhörster, P. Hoschka und U. Kalbhen, Informationslücke, S. 234 f.

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steht 1 3 7 . Auch hier gilt die Einsicht, daß „das Problem der Information des Parlaments ein Grundproblem des Staates und eine Lebensfrage für die Freiheit ist" 1 3 8 . E i n Informationsgleichgewicht zwischen Regierung und Parlament setzt ziemlich heterogene Informationen voraus, derer das Parlament bedarf. Das Parlament bedarf zunächst der Metainformation, d.h. der Informationen über Informationen. Informationen über den eigenen I n formationsbedarf sind erforderlich, da man den Informationsprozeß nur dann einleiten kann, wenn man weiß, worüber man sich informieren soll 1 3 9 . So würde etwa die Regierung der parlamentarischen Kontrolle und M i t w i r k u n g entgehen, wenn es i h r gelänge, ohne Wissen des Parlaments Planungsverfahren abzuwickeln. I n diesem Zusammenhang sind selbstverständlich auch Informationen über Informationsmöglichkeiten nötig, da der Weg bekannt sein muß, auf dem Informationen erlangt werden können. Einen besonders hohen Informationsbedarf hat das Parlament, wenn es eigene Planungsentscheidungen erarbeiten w i l l . Die eigene Erarbeitung von Planungen und Planungsgesetzen durch das Parlament ist i m politischen Leben zwar nur von sekundärer Bedeutung. I n aller Regel werden derartige Entwürfe von der Regierung erstellt. Dennoch muß die parlamentarische Information grundsätzlich ausreichend zur Erarbeitung eigener Planungen sein, da das Parlament bei grundlegenden Teilentscheidungen und Teilfragen zu einem von der Regierung abweichenden Ergebnis gelangen kann. Nur wenn ausreichend Informationen vorhanden sind, kann von dem Parlament bei Dissens i n grundlegenden Teilfragen eine Regierungsplanung unter einer geänderten Prämisse zu Ende geführt werden. Ohne ausreichende Information bleibt der parlamentarische Gegenentwurf dem Planungsentw u r f der Regierung unterlegen. Dem Parlament alle für Planungen relevanten Informationen ebenso wie alle Informationen über den Stand und die Richtung der Pla187 Zu den Möglichkeiten parlamentarischer Information vgl. Th. Keller und H. Raupach, a. a. O.; Bundesministerium für Forschung und Technologie (Hg.), Programm der Bundesregierung zur Förderung der Information und Dokumentation (1975), S. 10 und passim. 188 Α. Arndt, Reform der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse?, in: Deutsche Richter-Zeitimg, Jahrgang 1964, S. 290 ff., 292; vgl. auch P. Kevenhörster, P. Hoschka und 17. Kalbhen, S. 237; 17. Lohmar, S. 63 ff. is» γ ο η wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen wird mit Nachdruck auf die Bedeutung der Informationen über Informationsbedarf hingewiesen (E. Witte, Das Informationsverhalten in Entscheidungsprozessen [1972], S. 44 ff.; W. Kirsch, Entscheidungsprozesse, 1. Bd. [1970], S. 27 ff.; vgl. weiter B. Lutterbeck, Entscheidungstheoretische Bemerkungen zum Gewaltenteilungsprinzip, in: W. Kilian u.a. [Hg.], Datenschutz, [1973], S. 187ff., 196; B. Dobiey, Politische Planung, S. 106).

Wrtenberger

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

nungen i m Regierungsbereich zukommen zu lassen, damit es Einfluß auf die Planungen nehmen kann, stößt auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten rechtlicher, politischer und faktischer A r t . Die Schwierigkeiten rechtlicher A r t liegen i n dem Datenschutz begründet. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Weitergabe erhobener Daten eingeschränkt werden muß, sollen nicht wichtige Individualinteressen verletzt werden können 1 4 0 . Diese i m Datenschutz begründeten Schwierigkeiten rechtlicher A r t spielen i n der Praxis politischer Planung freilich keine sehr große Rolle. Denn Individualdaten haben für politische Planungen i n der Regel keine große Bedeutung. Weiterhin gibt es Informationen und Daten, die aus politischen Rücksichten heraus i m Bereich der Regierung verbleiben sollten, zumindest aber für eine öffentliche parlamentarische Diskussion nicht geeignet sind. Gedacht sei nur an Verteidigungsplanungen oder kurzfristige konjunkturpolitische Planungen, die nur dann effizient sind, wenn sie sich außerhalb der öffentlichen Diskussion abspielen. Solche „transparenz-ungeeigneten" Planungen sind aber nicht die Regel. Vor allem ist m i t Nachdruck der bekannten Tendenz bürokratischer Organisationen entgegenzuwirken, Planungen möglichst spät der (parlamentarischen) Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Hinter dieser Tendenz steht verschiedentlich ein demokratiefeindliches, massives Machtstreben der Bürokratie. I n der Bürokratie läßt sich nach wie vor eine negative Einstellung gegenüber selbst kooperativer öffentlicher K r i t i k antreffen, die Verwaltungs- und Regierungsplanungen zu beeinflussen vermag 1 4 1 . Demgegenüber bleibt zu betonen: Es gibt grundsätzlich keine „geheimen Kabinettssachen" 142 , die parlamentarischer Kenntnisnahme entzogen wären. Daß die Regierung sich i n einer parlamentarischen Demokratie prinzipiell nicht auf Geheimhaltungsinteressen zurückziehen kann, macht vor allem die Regelung des A r t . 53 a Abs. 2 S. 1 GG deutlich: Selbst über Planungen für den Verteidigungsfall ist die Regierung zu Berichten verpflichtet. Hieraus läßt sich folgern, daß die Regierung grundsätzlich keinen Geheimhaltungsbereich gegnüber dem Parlament besitzt, da sie nicht einmal i m militärischen 140

Vgl. im 1. Kap. bei Anm. 34, 35. Zu den Gründen für diese Einstellung vgl. oben I., 1 c, aa. 142 Dies ist freilich im einzelnen noch heftig umstritten; wie hier J. Partsch, Von den Grenzen parlamentarischer Untersuchungen zur Regierungskontrolle, Rechtsgutachten für den hessischen Landtag (maschinenschriftl. 1965), S. 75 f.; H. J. von Oertzen, Transparenz, S. 17 f., 22 ff.; vgl. weiter H. Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53 a Abs. 1 GG (1971), S. 11 ff. mit Nw. zur Lit.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 16 I I I , 4; § 30 I I , 3. 141

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Bereich, dem klassischen Fall eines Geheimnisbereichs, dem Parlament den Zugang zu Informationen verwehren kann 1 4 3 . I n geheimhaltungsbedürftigen Fällen müssen der bisherigen Praxis entsprechend einem kleineren, zur Verschwiegenheit verpflichteten Parlamentsausschuß die entsprechenden Daten zugänglich gemacht werden 1 4 4 . Die Forderung nach einer umfassenden Information des Parlaments über planungsrelevante Daten w i r f t nicht zuletzt 1 4 5 auch darum erhebliche faktische Schwierigkeiten auf, w e i l prinzipiell der Informationsbedarf des Parlaments dem des Regierungsbereiches entspricht 146 . Sicherlich kann sich das Parlament nicht selbständig Informationsmengen verschaffen, die eine dem Regierungsbereich entsprechende Informationslage herbeiführen. Denn zu diesem Zweck müßte das Parlament eine dem Regierungsbereich entsprechende Informationssammlungskapazität erlangen, die den Aufbau einer parlamentarischen „Gegenverwaltung" zur Voraussetzung hätte. M i t dem Aufbau einer parlamentarischen „Gegenverwaltung" würde das Problem freilich nur verschoben: Es müßten wiederum Vorkehrungen dafür geschaffen werden, daß das Parlament seine eigene Verwaltung kontrollieren kann 1 4 7 . Auch aus diesem Grund kann weiterhin die Informationsverarbeitungskapazität 148 des Parlaments nicht der Informationsverarbeitungskapazität der Exekutive entsprechen. Das Parlament kann daru m wegen seiner beschränkten Informationssammlungs- und Informationsverarbeitungskapazität nur i n Ausnahmefällen einzelne Entscheidungen i n einer Regierungsplanung selbständig unter Zugrundelegung von Daten abändern, die i m Regierungsbereich nicht vorlagen oder von den Daten der Regierung abweichen. 145 R. Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 53 a GG R N 66; ders. f Gutachten, S. 80; G. Witte-Wegmann, Recht und Kontrollfunktion der Großen, Kleinen und Mündlichen Anfragen i m Deutschen Bundestag (1972), S. 90 ff.; M. Schröder, Planung, S. 59; Hamb. VerfGH D Ö V 1973, 745 ff. 144 Vgl. H. Geiger, S. 182 (parlamentarischer Datenschutz-Ausschuß). 145 Eine andere nicht zu unterschätzende Schwierigkeit bei parlamentarischer Informationsbeschaffung liegt etwa in der von der Bürokratie verordneten „Informationsdiät". Zu den oft bestätigten Erkenntnissen der Organisationssoziologie gehört es, daß die Bürokratie zur Begründung ihrer Entwürfe nur jene Informationen mitliefert, die das Programm auch zu stützen vermögen (vgl. P. Kevenhörster, P. Hoschka und U. Kalbhen, S. 238 f.). ΐ4β Teilweise wird allerdings auch ein geringerer Informationsstand der Abgeordneten für ausreichend gehalten (so etwa D. Frank, Politische Planung, S. 242 m. Nw.). 147 M. von Berg, H.-H. Jarass und B. Lutterbeck, Schafft die Datenverarbeitung den modernen Leviathan?, in: öffentliche Verwaltung und Datenverarbeitung, Jahrg. 1972, S. 3 ff., 6; S. C. Kaskyap, Les moyens d'information à la disposition du parlementaire, in: Union Interparlementaire, S. 64 ff.; E.-W. Böckenförde, Parlamentarische Kontrolle, S. 17. 148 Zum Problem der Informationsverarbeitungskapazität vgl. etwa U. Lohmar, Das Hohe Haus, S. 71 ff.

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

Festzuhalten ist aber an dem Postulat, daß das Parlament wenigstens die Möglichkeit erhält, die Informationssysteme der Regierung mitzubenutzen, soweit sie über Computer-Terminals zugänglich sind 1 4 9 . Eine derartige Mitbenutzung der Informationssysteme ist eine unerläßliche Bedingung für ein Mindestmaß an Informationsgleichgewicht zwischen Regierung und Parlament. Gegen einen direkten Zugriff des Parlaments auf die Informationssysteme i m Regierungsbereich ist eingewendet worden, wenn das Parlament auf alle entscheidungsrelevanten Daten zugreifen könne, würden die Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit der Regierung angetastet und stehe eine Verletzung des Gewaltenteilungsgrundsatzes zu befürchten 150 . Demgegenüber bleibt zu betonen, daß ein gut informiertes Parlament sicherlich nicht den Bereich der Regierung zu selbstbestimmter politischer Gestaltung antastet. Denn die Information ist lediglich Voraussetzung für eine sinnvolle parlamentarische M i t w i r k u n g an politischen Leitentscheidungen und für eine sachgerechte Kontrolle der Regierung. Damit w i r d grundsätzlich auch das Gewaltenteilungsprinzip durch parlamentarische Informationsrechte nicht verletzt. Gewaltenteilung kann nicht bedeuten, daß die Regierung allein über die Informationen verfügen kann, „die das Geltendmachen einer Verantwortung durch das Parlament erst ermöglichen" 151 . Dabei sei nicht übersehen, daß es Informationen geben kann, die die Regierung nicht zur Verfügung zu stellen braucht. Hierauf w i r d noch zurückzukommen sein. Abschließend bleibt m i t Nachdruck zu betonen, daß ein Informationsgleichgewicht zwischen Parlament und Regierung, das vielfach durch Berichte der Bundesregierung angestrebt wird, von erheblicher Bedeutung für die Planungskontrolle insgesamt ist 1 5 2 . E i n Informa149 R. Kamiah, Der Informationsanspruch des Parlaments im Computerzeitalter, in: öffentliche Verwaltung und Datenverarbeitung 1971, S. 35 ff., 60 ff.; U. Scheuner, Das Bekenntnis des Grundgesetzes zum repräsentativen Prinzip, in: H. Gehrig (Hg.), Totalrevision des Grundgesetzes? (1971), S. 25 ff., 36; P. Kevenhörster, P. Hoschka und U. Kalbhen, S. 251 f. (mit der Forderung, die Regierungsinformationssysteme müßten „parlamentsgerecht" aufbereitet werden). — I n einigen Ländern ist der parlamentarische Zugriff auf Datenbanken der Regierung gesetzlich geregelt: § 12 Abs. 1 des Gesetzes über die Datenzentrale Baden-Württemberg vom 17.11.1970 (GBl. 1970, 492); Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Organisation der elektronischen Datenverarbeitung im Freistaat Bayern vom 12.10.1970 (GVB1. 1970, 457); § 6 Abs. 1 des Hessischen Datenschutzgesetzes vom 7.10.1970 (GVB1.1970 I, 625). 160 W. Steinmüller u. a., Das Informationsrecht des Parlaments, in: Grundfragen des Datenschutzes, Gutachten i m Auftrag des Bundesministers des Inneren, Bundestags-Drucksache VI/3836, S. 163 ff., 190 f.; A. Wender, Planung als „vierte Gewalt", S. 70. 151 M. Frenkel, Institutionen der Verwaltungskontrolle (Zürich 1969), N. 928. 152 Zur Planimgskontrolle im 2. Kap. unter I I I . , 7. — Als Beispiele für Berichte der Bundesregierung seien genannt: Faktenbericht 1977 zum Bundes-

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tionsgleichgewicht ist zunächst von Bedeutung für die strategische Erfolgskontrolle. Wenn die Ziele der politischen Planung, die die Regierung verfolgt, kontrolliert werden sollen, w i r d das Parlament u. a. erwägen, ob die Gewichtung der einzelnen Ziele der gegenwärtigen Wertung i n der Bevölkerung entspricht. Bei dieser Zielkontrolle spielt die öffentliche Meinung eine wesentliche, wenn auch nicht die alleinige Rolle. Denn soweit die öffentliche Meinung die herrschenden sozialethischen und politischen Anschauungen widerspiegelt, besitzt sie eine gewichtige Legitimationsfunktion. Auch i n einer parlamentarischen Demokratie sollte die öffentliche Meinung als ein Element unmittelbarer Demokratie von den staatsleitenden Instanzen bei der Festlegung der grundlegenden Ziele politischen Handelns berücksichtigt werden 1 5 8 . Eine Orientierung an der großen Linie der öffentlichen Meinung w i r d immer auch ein stabilisierender Faktor i m politischen System sein. Dem Parlament müssen Medienanalysen und Meinungsumfragen, soweit sie von der Regierung zur Absicherung von Planungszielen und Planungsprioritäten vorgenommen wurden, zugänglich sein. Eine breite Informationsbasis des Parlaments ist erforderlich, wenn das Parlament i m Rahmen der strategischen Erfolgskontrolle überprüfen w i l l , ob die Realisierung der den Leitzielen nachgeordneten instrumentellen Ziele zu einer Verbesserung oder Verschlechterung der angestrebten Zielrealisierung beigetragen hat. Umfassende Informationen benötigt das Parlament bei der taktischen Erfolgskontrolle. Wenn nach dem Erfolg von Maßnahmen bei den Zielrealisierungen gefragt wird, sind umfangreiche Realanalysen als Kontrollunterlagen unumgänglich. Das Parlament w i r d überprüfen können, ob die von der Regierung verwendeten sozialen Indikatoren stichhaltig sind, ob die Maßnahmen zur Realisierung eines Planungsziels geeignet waren, ob das Datenmaterial, das die Regierung bei der Erarbeitung von Planungsmaßnahmen verwendet hat, ausreichend ist, oder ob die Festlegung von bestimmten Präferenzen i m Rahmen der qualitativen Zielvorgaben sachgerecht und erfolgversprechend ist. b) Informationsmöglichkeiten durch Interpellation, Anfragen und Untersuchungsausschüsse Bevor auf die grundgesetzlich abgesicherten Informationsmöglichkeiten des Parlaments eingegangen wird, soll ein Blick auf gesetzliche bericht Forschung (BT-Drucks. 8/1116; 279 S.); Bericht über die Integration in den Europäischen Gemeinschaften (BT-Drucks. 8/1045); Bericht über den Sechsten Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (BT-Drucks. 8/759; 179 S.). 158 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 452 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 21 I I I 2.

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

Planungsinformationspflichten der Regierung geworfen werden. I n einer Reihe von Planungsgesetzen werden der Regierung periodisch zu erfüllende Planungsinformationspflichten auferlegt. Zu nennen sind etwa die Subventionsberichte der Bundesregierung, die Grundlagen einer Subventionsabbauplanung sein sollen (§ 12 Abs. 4 S. 2 StabG), weiterhin bei den Bund-Länder-Planungen zum Beispiel die rechtzeitige Vorlage der Entwürfe der Anmeldungen für die gemeinsamen Rahmenpläne nach A r t . 91a GG seitens der Landesregierung, so daß i m Parlament noch eine Sachberatung stattfinden kann, und die unverzügliche Unterrichtung des Parlaments seitens der Landesregierung über Abweichungen der von ihr eingereichten Anmeldungen zu diesen Planungen 154 , weiterhin der Bericht nach §61 Bundesimmissionsschutzgesetz oder der Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz nach §19 Abs. 2 Bundesdatenschutzgesetz. Punktuell w i r d durch solche Berichtspflichten eine zeitige parlamentarische Information über fortzuschreibende Planungen und zu korrigierende Planungsgesetze erreicht. So wertvoll solche Informationspflichten für eine kontinuierliche parlamentarische M i t w i r k u n g an der Regierungsplanung auch sein mögen, eine umfassende Unterrichtung des Parlaments über den Stand der Regierungsplanungen insgesamt w i r d hier weder angestrebt noch erreicht. Zu fragen ist daher, welche Informationsmöglichkeiten des Parlaments von Verfassungs wegen bestehen. I m Grundgesetz w i r d das Recht des Parlaments, von der Regierung informiert zu werden, nur lückenhaft geregelt 155 . Insbesondere widmet das Grundgesetz kaum der Frage Aufmerksamkeit, wie die Opposition zu den erforderlichen Informationen aus dem Regierungsbereich gelangen kann. Dies erscheint u m so bedauerlicher, als die Opposition aus einer Minderheitenposition heraus Kontrollaufgaben wahrzunehmen und politische Alternativen zu formulieren hat, wozu das Gesamtparlament infolge der politischen Verflechtung von Parlamentsmehrheit und Regierung praktisch kaum i n der Lage ist 1 5 6 . Vor allem aber sind zufriedenstellende Informationsrechte der Opposition i m Parlament auch darum unum154 Geregelt u.a. in §10 Abs. 3 bdw LHO vom 19.10.1971 (GBl. S.428); Art. 10 Abs. 5 bay L H O vom 8.12.1971 (GVB1. S.433); §10 Abs. 3 hmb L H O vom 23.12.1971 (GVB1. S.261); §10 Abs. 3 hess L H O vom 8.10.1970 (GVB1. S. 645); § 10 Abs. 4 nds LHO vom 7.4.1972 (GVB1. S. 181); § 10 Abs. 4 rhpf L H O vom 20.12.1971 (GVB1. 1972, S. 2); vgl. weiter etwa H. H. von Arnim, Gemeinwohl, S. 344 ff. iss Nicht eingegangen wird auf die zweifellos wichtigen, aber rechtlich nicht geregelten Informationsflüsse zwischen den Fraktionsvorständen und Abgeordneten in den Fachausschüssen auf der einen Seite und der Ministerialbürokratie auf der anderen Seite (hierzu etwa H. Schatz, Der parlamentarische Entscheidungsprozeß [1970], S. 108 ff.). 156

So etwa der Schlußbericht, S. 50.

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gänglich, da die Parlamentsmehrheit, die die Regierung trägt, eher i n der Lage ist, sich auf informellem Weg die nötigen Informationen zu verschaffen. Geht es u m parlamentarische Informationsmöglichkeiten i m parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes, so verdienen also insbesondere die Informationsmöglichkeiten der Opposition besondere Beachtung. Ohne eine gut informierte Opposition bleibt der Verfassungsgrundsatz der Oppositionsfreiheit eine leere Formel 1 5 7 . Die Zentralnorm des parlamentarischen Informationsrechts ist A r t . 43 Abs. 1 GG: „Der Bundestag und seine Ausschüsse können die Anwesenheit jedes Mitgliedes der Bundesregierung verlangen." M i t diesem Zitationsrecht des Bundestages verbunden ist die Pflicht des herbeigerufenen Mitgliedes der Bundesregierung, dem Bundestag Rede und Antwort zu stehen 158 . Eine Antwortverweigerung wäre eine Verletzung dieser von der Verfassung aufgestellten Pflicht der Regierung und ihrer Mitglieder. Daß eine inhaltliche A n t w o r t nicht aus Gründen der Geheimhaltung verweigert werden kann, wurde bereits ausgeführt 1 5 9 . Das Zitationsrecht kann freilich nur von einer Mehrheit des Bundestages geltend gemacht werden; über den Herbeirufungsantrag entscheidet die Mehrheit des Bundestages (Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG). Dam i t ist das Zitationsrecht für eine effektive parlamentarische Kontrolle bedeutungslos, da es nicht als Minderheitenrecht ausgestaltet ist 1 8 0 . I n der Hand der Opposition bleibt das Zitationsrecht ein stumpfes Schwert. M i t dem Zitationsrecht gelangt sie nur dann zu planungsrelevanten Informationen, wenn die Mehrheit des Bundestages eine Befragung der Vertreter der Regierung „zuläßt". Eine weitere Möglichkeit parlamentarischer Information bieten die verschiedenen Formen der Anfrage. Von der Geschäftsordnung des Bundestages ist das parlamentarische Fragerecht durch die Institute der großen, kleinen und mündlichen Anfrage (Fragestunde, aktuelle 157 Zur „Oppositionsfreiheit als Verfassungsgrundsatz" grundlegend H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, S. 299 ff. 158 von Mangoldt-Klein, Art. 43 GG, Anm. I I 2 und 3; Th. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 43 R N 8; G. Witte-Wegmann, Recht und Kontrollfunktion der Großen, Kleinen und Mündlichen Anfragen im Deutschen Bundestag (1972), S. 80 ff.; R. Herzog, Gutachten, S. 73 f.; BVerfGE 13, 123 ff., 125; i m Ergebnis zustimmend M . Schröder, in: Bonner Kommentar, Art. 43 G G R N 42 ff. 159 Andere Begrenzungen des parlamentarischen Fragerechts, bzw. der Antwortpflicht der Regierung (wie etwa Bundeskompetenz oder keine Eingriffe in schwebende Rechtsprechungsverfahren) sind in unserem Zusammenhang ohne Bedeutung (vgl. hierzu J. Hatschek, Deutsches und preußisches Staatsrecht, 2. Aufl. [1930], hrsg. von H. Kurtzig, S. 745 f.; G. Witte-Wegmann, S. 88 ff.). 160 N. Gehrig, Parlament — Regierung — Opposition, S. 293.

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Stunde) näher konkretisiert worden 1 8 1 . M i t der großen Anfrage können von der Bundesregierung mündliche Aufklärungen über wichtige politische Fragen verlangt werden; anschließend kann die A n t w o r t der Regierung i n einer Debatte diskutiert werden 1 6 2 . Wenn die Fragethemen entsprechend weit gefaßt werden, kann m i t einer großen A n frage die Regierungsplanung auf einem bestimmten Gebiet offenkundig gemacht werden. I n der Debatte u m die große Anfrage können Einzelheiten der Regierungsplanung kritisiert und Alternativen gewiesen werden. Das Parlament kann seine Zielsetzungen und Prioritäten deutlich machen, nach denen es die Planung durchgeführt wissen w i l l 1 8 3 . Wenn am Schluß der Aussprache über eine große Anfrage i m Bundestag eine gemeinsame Entschließung zustande kommt, so erhält die Bundesregierung Anhaltspunkte, i n welche Richtung der Wille des Parlaments zielt. Debatte und Beschlüsse des Parlaments über große Anfragen lassen sich als wichtige Führungsmittel des Bundestages bezeichnen 184 . M i t großen Anfragen kann vor allem die Regierung gezwungen werden, sich politisch zu entscheiden 185 . Die Beratung über große Anfragen kann nicht allein den nötigen Druck erzeugen, u m die widerstreitenden Meinungen der Mehrheitsfraktionen auf einen Nenner zu bringen, sondern auch die Koalitionsregierung zwingen, einen eindeutigen politischen Standpunkt zu vertreten 1 8 8 . Über einzelne Planungen und Planungsmaßnahmen kann auch durch kleine Anfragen oder mündliche Anfragen Auskunft verlangt werden. Sie dienen i n erster Linie einem Informationsinteresse der Parlamentarier, weniger einer Lenkung der großen Linien der Regierungspolitik187. M i t den Anfragen besitzt das Parlament ein Informationsinstrumentarium, „das es i h m ermöglicht, die »planungsverdächtigen 4 Re181

§§ 105 ff. GeschO BT. §§ 106, 108 GeschO BT; F. Schäfer, Der Bundestag, 2. Aufl. (1975), S. 229; G. Witte-Wegmann,, S. 117 ff. 188 R. Herzog, S. 75 ff.; G. Witte-Wegmann, S. 126 ff.; S. Morscher, Die parlamentarische Interpellation in der Bundesrepublik Deutschland, in Frankreich, Großbritannien, Österreich und der Schweiz, in: JöR 25. Bd., S. 52 ff., 56 ff. (zu den Funktionen der parlamentarischen Interpellation). 184 F. Schäfer, S. 229. 185 G. Witte-Wegmann, S. 136 ff. (mit Beispielen aus der parlamentarischen Praxis). 188 Wenn in der politischen Praxis große Anfragen von den Mehrheitsfraktionen eingebracht werden, so geschieht es oft nach Absprache mit der Regierung. Hier tritt die parlamentarische Steuerung der Regierungspolitik mit Hilfe der großen Anfrage zurück hinter ihre Informations- und Publizitätsfunktion. 187 Oftmals dienen kleine Anfragen zum Hinweis auf einzelne Mißstände und Gefahren für die Bevölkerung und zur Anregimg zum Treffen von Maßnahmen (vgl. G. Witte-Wegmann, S. 150 ff.). 182

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gierungsressorts m i t einem festen Netz jährlicher Berichtspflichten zu überziehen" 168 . I m Gegensatz zum Zitations- und Interpellationsrecht nach A r t . 43 Abs. 1 GG kann das Fragerecht nach §§ 105 ff. GO BT auch von der oppositionellen Minderheit i m Bundestag wahrgenommen werden. Auch die Opposition kann durch die Anfragen und die sich anschließenden Aussprachen zu planungsrelevanten Informationen gelangen, die Regierungsplanung kritisieren und gleichzeitig eigene Planungsalternativen entwickeln. A u f der anderen Seite ist die Regierung anders als bei Anfragen nach A r t . 43 Abs. 1 GG nicht verpflichtet, die an sie herangetragenen Fragen auch inhaltlich zu beantworten. Vor allem kann die Geschäftsordnung des Bundestages eine Antwortpflicht nicht begründen. Sie vermag nur Binnenwirkung zu entfalten, der Regierung aber keine Verpflichtungen aufzuerlegen, die nicht i n der Verfassung vorgesehen sind 1 6 9 . Diese verfassungsrechtlich nach wie vor umstrittene Frage 170 hat freilich i m politischen Leben keine allzu große Bedeutung. Die Anfragen werden von der Regierung i n aller Regel beantwortet, da eine Verweigerung der A n t w o r t das Ansehen der Regierung i n der Öffentlichkeit schwächen würde 1 7 1 . Bleibt die Regierung i n einer Parlamentsdebatte die A n t w o r t schuldig, so kann dies einen erheblichen politischen Prestigeverlust bedeuten. Besteht jedoch keine verfassungsrechtliche Pflicht der Regierung zur Beantwortung von Anfragen einer Parlamentsminderheit, so kann die Effektivität der Kontrolle durch Anfragen i m Hinblick auf den Umfang der erteilten Antworten leiden. Die Regierung ist i n der Regel nur so weit zu Informationen bereit, wie sie es für angebracht hält. Die Informationen, auf die es dem Fragesteller ankommt, können für einen politisch günstigeren Zeitpunkt zurückgehalten oder nur bruchstückhaft gegeben werden. Vor allem verfügt die Opposition nicht über 168

R. Herzog, S. 79; D. Frank, Politische Planung, S. 243. Th. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 40 G G R N 18; ders., ebd., Art. 44 GG R N 32; F. Schäfer, S. 230 („die Verweigerung einer Antwort ist ein politisches Faktum"); Ritzel-Koch, Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (1952), § 106 GO B T Anm. 1 a; Lechner-Hiilshoff, Parlament und Regierung, 2. Aufl. (1958), §106 GO B T Anm. 1; G. Witte-Wegmann, S. 81; K.-F. Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht (1966), S. 112 f.; H. Amann, Verfassungsrechtliche Probleme des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53 a Abs. 1 GG (1971), S. 8 f.; L. Kißler, Der Deutsche Bundestag, in: JöR Bd. 26, S. 39 ff., 66 ff. 170 Vgl. etwa Schmidt-B leib treu/Klein, Art. 43 GG R N 1; Th. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 43 G G R N 1, 8; von Mangoldt-Klein, Art. 43 G G Anm. I I I 2; vgl. weiter H. Amann, S. 9; K. Sauer, Das Interpellationsrecht in der Bundesrepublik Deutschland und im Freistaat Bayern (Münchener jur. Diss. 1968); M . Schröder, Art. 43 GG R N 5 ff. m. w. Nw. 171 N. Gehrig, S. 295; G. Witte-Wegmann, S. 83. 189

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die Möglichkeit einer „Gegenkontrolle", m i t der sich die Richtigkeit der Antwort der Regierung nachprüfen ließe 172 . Eine Kontrolle der Vollständigkeit und Richtigkeit der Antworten der Regierung läßt sich nur durch Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses erreichen (Art. 44 GG). Zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist i n aller Regel 173 auch die Opposition i n der Lage. Allerdings w i r d die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses nicht das unbedingt geeignete Mittel sein können, u m auch der Parlamentsminderheit ein Zugriffsrecht auf planungsrelevante Informationen aus dem Bereich der Regierung zu sichern. Aufgabe der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse ist es, die Integrität des Parlaments zu wahren, zur Wahrnehmung der parlamentarischen Führungsaufgabe Material für Gesetzentwürfe zu sammeln und Regierung und Verwaltung wirkungsvoll kontrollieren zu können. „Wichtigste Aufgabe eines Untersuchungsausschusses w i r d es aber sein, wichtige Tatbestände, insbesondere Mißstände aus allen Gebieten des öffentlichen Lebens zu prüfen und der parlamentarischen Diskussion zugänglich zu machen, vor allem aber die Verantwortung für sie festzustellen 174 ". Sinn und Zweck der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse ist also weniger, einem abstrakten Informationsbedürfnis Genüge zu leisten, sondern Mißstände zu klären und Abhilfe zu schaffen, sowie Material für wichtige parlamentarische Entscheidungen zu sammeln 175 . Bereits aus diesem Grund w i r d die Einsetzung parlamentarischer Untersuchungsausschüsse nur i n Ausnahmefällen zur Beschaffung planungsrelevanter Informationen infrage kommen. Weiterhin ist die Informationsmöglichkeit vermittels parlamentarischer Untersuchungsausschüsse durch das Beweisthema begrenzt: Es können lediglich bestimmte Sachverhalte geklärt, jedoch nicht Regierung und Verwaltung einer ständigen Kontrolle unterworfen werden, indem laufend Informationen eingeholt werden 1 7 6 . Und letztlich kann die Opposition vermittels eines Untersuchungsausschusses nicht i n jedem Fall an die gewünschten Informa172 K. J. Partsch, Empfiehlt es sich, Funktion, Struktur und Verfahren der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse grundlegend zu ändern?, in: Verhandlungen des 45. DJT (1964), Bd. I, Teil 3, S. 190; G. W. Heinemann, ebd. Bd. I I , S. E 53 ff., 57; H. Ehmke, ebd. Bd. I I , S. E 7 ff., 35; N. Gehrig, S.295. 173 Wenn nicht bei einer großen Koalition die Opposition unter dem Quorum des Art. 44 Abs. 1 GG bleibt. 174 F. Schäfer, S. 279; — neuerdings wird aber verstärkt zwischen sog. „Mißstands-Untersuchungen" und Untersuchungen zur Vorbereitung umfangreicher Gesetzgebungsvorhaben unterschieden (Schlußbericht, S. 50). 175 H. Ehmke, S. E 32 ff., 39 ff. 176 B. Lutterbeck, Parlament, S. 128 ff. m. w. Nw.

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tionen gelangen 177 . Über den Gang der Verhandlung i m Untersuchungsausschuß entscheidet nämlich der Wille der Mehrheit 1 7 8 . Die Erhebung von Beweisen kann abgelehnt werden, selbst wenn sie von der beantragenden qualifizierten Minderheit für notwendig erachtet werden 1 7 9 . Als Fazit bleibt festzuhalten, daß die i n der Verfassung ausdrücklich vorgesehenen Informationsrechte des Parlaments der Parlamentsminderheit keine durchsetzbaren Ansprüche auf Informationen aus dem Bereich der Regierung geben. Parlamentsmehrheit und Regierung sind auch hinsichtlich des Informationsflusses ein monolithischer Block, da die Regierung zur Beantwortung von Informationsfragen der Parlamentsminderheit nicht verpflichtet ist und nur durch die Parlamentsmehrheit zu Informationen gezwungen werden kann. c) Der allgemeine

parlamentarische

Planungsinformationsanspruch

aa) Verfassungsrechtliche Begründung Es hat sich gezeigt, daß die unmittelbar aus einzelnen Bestimmungen des Grundgesetzes ableitbaren parlamentarischen Informationsrechte vor allem den Informationsbedarf einer Parlamentsminderheit nicht zu befriedigen vermögen. Gleichwohl bleibt ein allgemeiner Anspruch des Parlaments auf frühzeitige Informationen über Regierungsplanungen nicht allein ein Problem der verfassungsrechtlichen Stellung der parlamentarischen Opposition. Bei der Bejahung eines allgemeinen A n spruches des Parlaments auf eine frühzeitige und umfassende, nicht erst auf parlamentarisches Ersuchen erfolgende Information über Planungen der Regierung steht folgende Erwägung i m Vordergrund: Es 177 Die verfassungspolitische Begründimg liefert F. Schäfer (S. 283), der meint, bei „Legislativ-Enqueten" (entsprechendes würde dann auch für Planungs-Enqueten gelten) werde die Arbeit des Bundestages beeinträchtigt, da neben dem Gesetzgebungsprogramm der Regierung auch noch das der Opposition behandelt werden müßte. 178 Dies soll zurecht nach dem Vorschlag im Schlußbericht korrigiert werden (S. 52). 179 Von R. Herzog (Gutachten, S. 104 f.) wird die Auffassung vertreten, wenn die Minderheit im Parlament nach Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG in der Lage sei, das Untersuchungsverfahren, d.h. das schärfste Informationsmittel in Gang zu bringen, dann müsse die Opposition erst recht in der Lage sein, die Informationsrechte des Art. 43 Abs. 1 G G gegenüber der Regierung geltend zu machen. Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG soll „nicht als Ausnahmevorschrift, sondern als verfassungskräftige Bestätigung des oppositionellen Minderheitenrechts anzusehen" sein. M i t Recht weist R. Herzog auf die Diskrepanz zwischen dem Quorum des Art. 43 Abs. 1 und 44 Abs. 1 GG hin. Diese Diskrepanz wird dann — entgegen der Ansicht R. Herzogs — verständlich, wenn man bedenkt, daß die Minderheit i m Parlament weder i m Verfahren nach Art. 43 Abs. 1 noch nach Art. 44 GG Informationen gegen den Willen der Mehrheit i m Parlament, bzw. Ausschuß erzwingen kann.

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kann Fälle geben, i n denen ein parlamentarisches Informationsrecht leerläuft, wenn es i n den vom Grundgesetz vorgesehenen Verfahren ausgeübt wird. Wenn nämlich nach Stand, Zielsetzungen und Programmen einer Regierungsplanung gefragt wird, muß bereits bekannt sein, daß überhaupt eine besondere planende A k t i v i t ä t am Werke ist. Es wäre möglich, daß das Parlament von einer fertigen Regierungsplanung erst i m Stadium der Gesetzgebung und Haushaltsbewilligung Kenntnis erlangt, w e i l zuvor keine entsprechenden Anfragen an die Regierung gerichtet wurden. Denkbar wäre insbesondere, daß die Regierung selbst die Parlamentsmehrheit m i t einer fertigen Plannungskonzeption zu überraschen vermag, wenn sie sich nämlich der uneingeschränkten Gefolgschaft ihrer Parlamentsmehrheit nicht völlig sicher ist, aber hofft, von der Parlamentsmehrheit nicht durch Korrekturvorschläge desavouiert zu werden. Zugegebenermaßen ist diese Gefahr gering, da i n der Regel nur aus konkretem Anlaß heraus geplant wird, die außerparlamentarischen Informationswege zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit i n der Regel gut funktionieren und das Parlament auftretende Engpässe und soziale Notlagen dazu benutzen wird, die Regierung nach den geplanten Maßnahmen zu fragen. Dennoch ist die Gefahr einer Überraschung des Parlaments durch eine fertige Regierungsplanung nicht völlig von der Hand zu weisen. Ein allgemeiner Planungsinformationsanspruch des Parlaments, dem eine Planungsinformationspflicht der Regierung entspricht, findet sich i m Grundgesetz nicht geregelt. Lediglich A r t . 53 a Abs. 2 S. 1 GG stellt eine besondere Planungsinformationspflicht der Regierung auf: Über ihre Planungen für den Verteidigungsfall hat die Bundesregierung den Gemeinsamen Ausschuß zu unterrichten. Sicherlich läßt sich aus dieser besonderen verfassungsrechtlichen Regelung einer Planungsinformationspflicht der Regierung nicht folgern, daß es daneben keine weiteren Planungsinformationspflichten geben könne 1 8 0 . Die i n A r t . 53 a Abs. 2 S. 1 GG vorgesehene Verpflichtung der Regierung, über Verteidigungsplanungen zu informieren, ist nicht aus dem Bestreben heraus normiert worden, ein Informationsgleichgewicht zwischen Regierung und Parlament zu schaffen. I m Vordergrund dieser besonderen Informationspflicht der Regierung steht vielmehr das Bedürfnis, den Gemeinsamen Ausschuß über die Planungen für den Verteidigungsfall auf dem laufenden zu halten, damit er befähigt ist, i m Verteidigungsfall grundsätzlich alle Maßnahmen zu treffen, für die normalerweise der Bundestag und (oder) Bundesrat zuständig sind. Ansatzpunkt für eine allgemeine Planungsinformationspflicht der Regierung ist zunächst A r t . 53 S. 3 GG. Hier w i r d die Bundesregierung 180

So auch B. Dobiey, S. 110; H. Amann, S. 46 ff.

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verpflichtet, den Bundesrat über die Führung der Geschäfte auf dem laufenden zu halten. Unter der Wendung „Führung der Geschäfte" hat man nicht allein eine Informationspflicht über die allgemeine politische Lage zu verstehen. Es muß auch „über einzelne Vorkommnisse und über Maßnahmen und Pläne des Kabinetts und der Ressortminister" 181 informiert werden. I n A r t . 43 GG w i r d allerdings — wie bereits erwähnt — nicht eine entsprechende Pflicht für das Verhältnis von Bundesregierung zu Bundestag aufgestellt. Der Bundestag ist hier darauf angewiesen, sich selbständig u m die nötigen Informationen zu bemühen. Diese Differenzierung der Informationslage von Bundesrat (selbständige Informationspflicht der Bundesregierung) und Bundestag (Informationen nur auf Anfrage der Parlamentsmehrheit) erscheint w i l l k ü r lich. Diese Differenzierung ist darüber hinaus auch bedenklich, vor allem da bei Planungsverfahren ein erhebliches Bedürfnis besteht, auch ohne konkretes Informationsverlangen informiert zu werden. Daher darf man das Fehlen einer dem A r t . 53 S. 3 GG entsprechenden Vorschrift für das Parlament sicherlich nicht unbedingt als eine Verneinung einer selbständigen Informationspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Parlament auslegen 182 . Eine selbständige Informationspflicht der Bundesregierung über Planungsverfahren gegenüber dem Bundestag — und nicht bloß eine Informationspflicht der Bundesregierung auf Verlangen — ergibt sich nicht allein aus der Konzeption, die hinter A r t . 43 und 53 GG steht, sondern auch aus dem Gedanken der Gewaltenbalance und der parlamentarischen Demokratie: I n A r t . 43 und 53 GG kommt eine Konzeption zum Ausdruck, die auf eine enge Kooperation, Information und Integration der staatsleitenden Organe angelegt ist. Es ist geradezu eine staatsrechtliche Selbstverständlichkeit, daß die obersten Staatsorgane zu einer Zusammenarbeit verpflichtet sind, soll „sich i m Zusammenspiel der obersten Staatsorgane das Staatsganze... integrieren" 1 8 8 . Nach Ansicht Herzogs steht hinter 181 A. Schule, Die Informationspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundesrat, in: Festschrift für C. Bilfinger (1954), S. 441 ff., 453 ff.; Th. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 53 R N 14. 182 So aber A. Schule, S. 454; von Mangoldt-Klein, Art. 53 G G Anm. I V 9 (S. 1057); Th. Maunz, Deutsches Staatsrecht, § 39 I I , 1; H. Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Systematische Darstellung und kritische Würdigung (1950), S. 57 f.; J. Seeger, Parlamentarische Kontrolle, S. 30. Allerdings ist es nicht immer improblematisch, die interorganschaftlichen Beziehungen über eindeutige Normierungen hinaus zu verrechtlichen. Wenn im politischen Prozeß sich kein fair play zu entwickeln vermag, bleibt auch eine Verrechtlichung der Interorgan-Beziehungen nur auf dem Papier stehen. Gleichwohl mag ein Hinweis auf die Verfassungsrechtslage auch die interorganschaftlichen Beziehungen zwischen Parlament und Regierung zu beeinflussen. 183 R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl. (1968), S. 119 ff., 246 f.

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A r t . 43 und 53 GG ergänzend ein „ungeschriebenes Normengefüge interorganfreundlicher Verhaltens- und Loyalitätspflichten, das seine Existenz der produzierenden Integrationskraft des Gewaltenteilungsprinzips verdankt" 1 8 4 . Eine allgemeine Planungsinformationspflicht der Regierung liegt i n der Konsequenz eines politischen Systems, i n dem die Gewaltenbalance auch als kooperatives Schema ausgestaltet sein soll. W i r d das Parlament nicht frühzeitig darüber informiert, daß politische Planungen der Regierung i n Angriff genommen werden, kann es eben seiner Mitgestaltungs- und Kontrollfunktion nicht nachkommen. Ohne eine allgemeine Planungsinformationspflicht der Regierung besteht die Gefahr, daß der Vorwirkungs-Effekt der fertigen Planung die politische Macht der Regierung und ihrer Bürokratie weiter stärkt. Aber auch die vom demokratischen Prinzip gebotene M i t w i r kung des Parlaments an den politischen Leitentscheidungen und grundlegenden politischen Planungen erfordert eine selbständige Informationspflicht der Regierung über ihre Planungen. Wenn das Parlament durch Gesetzgebung und Beschluß über den Haushaltsplan die Regierung kontrollieren und lenken möchte, muß es über die großen Planungszusammenhänge frühzeitig i n umfassender Weise — und nicht erst auf Anfrage — orientiert werden. Gesetze und haushaltsrechtliche Ansätze können nur dann sachgerecht beurteilt und vom Parlament gegebenenfalls korrigiert werden, wenn sie auf dem Hintergrund der Entwicklung der umfassenden Planungsvorhaben gesehen werden. bb) Inhalt der Planungsinformationspflicht der Regierung Die Planungsinformationspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament ist umfassend 185 . Sie bezieht sich zunächst auf den Beginn und die Dauer der Planaufstellungsverfahren, weiterhin auf die jeweiligen Zwischenergebnisse und Planungsalternativen und die Vorlage abgeschlossener Planungsentwürfe. Hierzu gehören insbesondere auch A n gaben über die Eingrenzung und die Formulierung des sozialen oder ökonomischen Problems, über die den Planungsentscheidungen zugrundegelegten Daten und Prognosen und über die Zielsetzungen und 184 R. Herzog, Gutachten, S. 91 m.Nw.; B. Dobiey, S. 108; D. Frank, Politische Planung, S. 248; W.-R. Schenke, Die Verfassungsorgantreue (1977), S. 44 ff., 96 ff., I l l ; M . Schröder, Art. 43 G G R N 12; ders. f Planung, S. 57; B. Lutterbeck, Parlament, S. 132 f.; vgl. auch H. Schneider, Festschrift für G. Müller (1970), S. 422 f.; BVerfG, in: JöR Bd. 6, S. 206; Zwischenbericht, S. 78; §5 des Entwurfes eines Landesgesetzes über die parlamentarische Kontrolle der Regierungsplanung, LT-Drs. 7/1542 Rheinland-Pfalz; § 8 des Entwurfes eines Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle der Regierungsplanung, LT-Drs. 7/1518 Nordrhein-Westfalen. 185 Vgl. etwa D. Frank, S. 249.

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Prioritäten. Vor allem die Ziele und Prioritäten der Regierungsplanung stehen i m Vordergrund des parlamentarischen Interesses 188 . Der Umfang der Planungsinformationspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament bedarf noch eingehender Klärung. Die Regierung muß das Parlament zwar über Planungsinitiativen von erheblicher politischer Bedeutung unterrichten. Das bedeutet aber nicht, daß die Konzeptionen der Regierung i n ständigem Kontakt m i t dem Parlament zu entwickeln wären. Problemskizzen, Vorüberlegungen und Denkansätze bleiben Interna der Regierung. I m frühen Stadium der Planungsinitiative reicht eine Information des Parlaments, daß ein bestimmtes soziales oder ökonomisches Problem angegangen werde, ohne daß bereits Ziele oder gar Maßnahmen, die erwogen werden, mitgeteilt zu werden brauchen 187 . Der i n der Regel geeignete, aber auch späteste Zeitpunkt für einen parlamentarischen Informationsanspruch ist die Beschlußfassung über Ziele, Zielprioritäten und Programme i m Kabinett 1 8 8 . Nunmehr sind die Planungen i m Regierungsbereich zu einem vorläufigen Abschluß gebracht, so daß eine parlamentarische Diskussion sinnvoll ist. Andererseits ist noch nicht das Stadium der Gesetzesinitiative und der Anmeldungen i m Haushaltsplan erreicht, i n dem eine Regierungsplanung nur schwer korrigierbar ist. Werden Regierungsplanungen operationalisiert, sind dem Parlament die erwogenen und verworfenen Prognose- und Handlungsalternativen m i t vorzulegen 189 . I n diesem Sinne liefern § 9 Abs. 1 StabG, § 7 Abs. 2 BHO und § 50 Abs. 3 S. 2 HGrG Anhaltspunkte für eine Pflicht der Regierung zur Vorlage von Planungsalternativen, die i n den Bereich der Entscheidungsvorbereitung gehören 190 . Diese Pflicht der Regierung zur Vorlage von Alternativplanungen w i r f t besondere Probleme auf 1 9 1 . Gegen eine Vorlagepflicht von Planungsalternativen ist vielfach eingewendet worden, die Regierung sei nicht verpflichtet, der Opposition Argumente gegen politische Zielsetzungen zu liefern 1 9 2 . Von der Regie188

B. Dobiey, S. 134 ff. B. Dobiey, S. 114; M . Schröder, S. 60; hamb. VerfGH D Ö V 1973, S. 745 ff. 188 E.-W. Böckenförde, Parlamentarische Kontrolle, S. 17. 189 E.-W. Böckenförde, Planung, S. 452; ders., Parlamentarische Kontrolle, S. 20; Zwischenbericht, S.81; R. Herzog, Gutachten, S. 148 f. (Vorlage von Alternativrechnungen). 190 Zu den verschiedenen Arten von Alternativrechnungen vgl. H. H. Nachtkamp, Mehrjährige Finanzplanungen, S. 88. 191 Von J. Seeger (Parlamentarische Kontrolle, S. 30 f.) wird die Bedeutung der Alternative in der Planung völlig verkannt, wenn er meint, Planung finde weniger bei Alternativenauswahl statt als durch Intuition. 192 F. Ossenbühl, S. Β 118; F. Rietdorf, Die Gemeinschaftsaufgaben — ein Schritt zur gemeinsamen Aufgabenplanung von Bund und Ländern?, in: D Ö V 1972, 513 ff., 517. 187

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rung könne nicht verlangt werden, sich m i t sich selbst i n Widerspruch zu setzen; sie brauche nicht den „advocatus diaboli" zu spielen. Vor allem lasse sich ein Regierungsprogramm nicht m i t dem nötigen Nachdruck vertreten, wenn das Gewicht der ausgefilterten Alternativen deutlich werde 1 9 8 . Bei Vorlage von Alternativplanungen entfalle der verpflichtende Charakter der beschlossenen Planung und ihre politische Verbindlichkeit werde sehr eingeschränkt. Dieser Einwand gegen eine Vorlage von Planungsalternativen verkennt, daß die Regierung i n der Regel keinen Zweifel daran aufkommen lassen wird, daß sie die von i h r angestrebten Ziele unter Einsatz aller i h r zur Verfügung stehenden Maßnahmen zu erreichen suchen wird. Und es verstärkt die Informationswirkung der Planung, wenn die Regierung für den Fall von Fehlprognosen und wirtschaftlichen Fehlentwicklungen alternative Ziele und alternative Maßnahmen angibt 1 9 4 . Weiterhin w i r d befürchtet, Alternativpläne würden vor allen bei wirtschaftspolitischen Planungen gefährliche Antizipationseffekte und Abwehrreaktionen hervorrufen. So sei zu erwarten, daß einige Planadressaten sich an der ungünstigsten Variante der projektierten Entwicklung (etwa bei Investitionen), andere Planadressaten sich an der günstigsten Variante der projektierten Entwicklung (etwa bei Lohnforderungen) orientieren. Demgegenüber brauchen die Interessentengruppen i n der politischen Praxis keine Alternativpläne vorliegen zu haben, u m das Planungskonzept der Regierung zu bestreiten. Durch Vorlage von Alternativplanungen gewinnt die Regierungsplanung i m Gegenteil an Überzeugungskraft; denn es w i r d der schmale Handlungsspielraum verdeutlicht, der einzuhalten ist, sollen die Planungsziele, die breiten Konsens finden, erreicht werden. Alle diese Einwände gegen eine Vorlage von Planungsalternativen an das Parlament basieren auf einer Denkhaltung, die politische Planung als sachlogisch gouvernemental betrachtet. Wenn man durch eine offene Diskussion der Planungsalternativen einen Effizienzverlust politischer Planung befürchtet, so hat man i n die konsensschaffende und richtigkeitsfördernde Funktion des offenen politischen Prozesses wenig Vertrauen. Insgesamt gesehen bietet die Vorlage von Alternativplanungen den Vorteil, daß sie das Risiko einer auf längere Sicht un-

193 W. Grund, Die K. Schmidt und E. Wille, lichkeit (1970), S. 88; B. A. Wender, Planung als der Parlamente, S. 171 f. 194

mehrjährige Finanzplanung des Bundes, S. 62 f.; Die mehrjährige Finanzplanung. Wunsch und W i r k Dobiey, S. 143; A. Möller (Hg.), Kommentar, S. 160; „vierte" Gewalt, S. 70; H. C. F. Liesegang, Beteiligung

H. H. Nachtkamp, S. 91 f.

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vernünftigen Politik begrenzt und die Notwendigkeit zu häufigen und unvorhersehbaren Planänderungen mindert 1 9 5 . Eine andere Frage ist es, auf welche Daten (samt Prognosen) und Informationen sich die Informationspflicht der Regierung erstreckt. Ohne Einschränkung kann das Parlament Daten und Informationen verlangen, die i m Prinzip allgemein zugänglich sind. Solange sie von der Exekutive systematisch gesammelt und aufbereitet worden sind, ohne daß sie aufgrund besonderer politischer Wertungen strukturiert und verarbeitet sind, besteht ein Informationsrecht des Parlaments. Gemeint sind etwa Daten und Informationen, wie sie i m Statistischen Jahrbuch gesammelt sind oder wie sie i n zunehmendem Maß i n Datenbanken eingespeichert werden 1 9 6 . Weiterhin kann ein Geheimhaltungsinteresse i n der Regel eine Weitergabe von Daten an das Parlament nicht hindern 1 9 7 . Differenziertere Erwägungen sind erforderlich, wenn Daten, Prognosen und Informationen eigens zum Zwecke der politischen Zielfindung, Prioritätensetzung und Programmierung zusammengestellt worden sind. I m Stadium des Überlegens, Erwägens und Konzipierens kann das Parlament sicherlich keine Aufschlüsse von der Regierung über ihre Planziele und Erwägungen verlangen 1 9 8 . Ein parlamentarischer Informationsanspruch, vor allem eine Informationspflicht der Regierung könnte noch nicht zu Ende gedachte Planungen blockieren 1 9 9 ; eine Information des Parlaments wäre auch wenig sinnvoll, da 185 H. H. Nachtkamp, S. 94. — Darum ist es gerechtfertigt, wenn das Parlament bei der mittelfristigen Finanzplanung die Vorlage von Alternativrechnungen fordert. Es kann verlangt werden, daß von der Regierung die Realisierungsmöglichkeiten eines Programmes bei unterschiedlicher W i r t schaftsentwicklung dargelegt werden. Da nach den Gesetzen der Kombinatorik bei der Annahme von zu vielen Einflußfaktoren zu viele Pläne entstehen würden, kann nur eine begrenzte Zahl alternativer Annahmen durchgerechnet werden (E.-W. Böckenförde, Parlamentarische Kontrolle, S.21; F. Scharpf, Komplexität als Schranke der politischen Planimg, in: ders., Planung als politischer Prozeß, S. 73 ff., 90 ff.; H. H. Nachtkamp, S. 94). So ließe sich bei der Finanzplanung die Vorlage von drei Plänen fordern: einen Plan mit der gewünschten Entwicklung, je einen Plan mit Berücksichtigung rezessiver oder expansiver ökonomischer Entwicklung (K. Schmidt und E. Wille, S. 91; vgl. weiter F. Neumark, Mittelfristige Finanzplanung und Konjunkturpolitik, in: Beihefte zur Ztschr. Konjunkturpolitik [1968], S. 19). Bislang sind freilich dem Parlament noch nicht in nennenswertem Umfang Alternativrechnungen von der Regierung vorgelegt worden. 198 Der Zugriff des Bundestages und der Landesparlamente auf die jeweiligen Datenbanken kann an dieser Stelle nicht näher erörtert werden. Verwiesen sei auf B. Lutterbeck, Parlament, S. 138 ff., 148 ff. m. w. Nw.; M . Schröder, Art. 43 GG R N 19 und oben F N 149. m Vgl. oben F N 142 ff. 198 Technisch bestehen keine Schwierigkeiten, „privilegierte" Planungsinformations-Daten und dem Parlament zugängliche Daten und Informationen innerhalb eines einzigen Planungs-Informationssystems zu speichern. 199 I n diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, daß die Ressorts eine gewisse „Intimsphäre" gegenüber der Regierung besitzen. Die Ressorts

21 Würtenberger

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

die Regierung i n diesem Stadium für ihre Konzepte noch nicht verantwortlich gemacht werden könnte 2 0 0 . 4. Planungsinitiative

Das Recht, die Initiative zu politischer Planung zu ergreifen, kann i n einem parlamentarischen Regierungssystem der Regierung und mit gewissen Einschränkungen auch dem Parlament zukommen. Selbstverständlich steht zunächst der Regierung als Gestalterin der Politik das Planungsinitiativrecht zu 2 0 1 ; denn Planung ist das angemessene Instrument, u m i n einem komplexen sozialen System die politischen Ziele und Prioritäten auszuarbeiten und sodann die Richtlinien der Politik zu operationalisieren. Dagegen läßt sich dem Parlament ein Planungsinitiativrecht nur aufgrund differenzierter Erwägungen einräumen. Denn m i t einem Planungsinitiativrecht erhält das Parlament tiefschneidende Einflußmöglichkeiten auf die Regierungstätigkeit. a) Formen der Planungsinitiative I m Wege der Planungsinitiative kann das Parlament zunächst I m pulse zu politischer Planung geben 202 sowie der Regierung vorschreiben, auf welchen Sachgebieten sie ihr Planungspotential einsetzen soll. Das Parlament kann etwa einen Planungsauftrag an die Regierung erteilen, ein verkehrspolitisches Konzept oder eine umfassende Planung der Energieversorgung zu entwickeln. Durch solche parlamentarische Planungsaufträge kann das ohnehin nicht sehr umfangreiche Planungspotential i n den Ministerien gebunden werden. Hierbrauchen ihre Überlegungen sicherlich erst dann in das Regierungsplanungssystem einzuführen, wenn die ressortinternen Planungen ein gewisses Maß an200 Festigkeit erlangt haben (H.Ossenbühl, J. von Oertzen, Transparenz, S. 17). (S. 169 ff.) B. Dobiey, S. 147 f.; F. S. Β 80. — Β. Lutterbeck

w i l l der Regierung einen solchen Bereich des „Überlegens" nicht einräumen, in dem frei von Informationspflichten an das Parlament Planungen in einem ersten Stadium konzipiert werden können. Das Parlament könne nämlich Regierungsplanungen nur dann zutreffend erfassen und mit Aussicht auf Erfolg steuern und verbessern, wenn ihr Charakter als „iterativer Lern- und Kommunikationsprozeß" berücksichtigt werde. Ob man die Güte politischer Planung auch am „iterativen Lern- und Kommunikationsprozeß", der zur Planung führte, messen muß, erscheint zweifelhaft. Außerdem muß entgegen der Ansicht Lutterbecks der Regierung ein gewisser Bereich verbleiben, in dem mehr oder weniger autonom politische Konzeptionen entwickelt werden können. Ohne einen solchen Bereich erscheint eine wenigstens rudimentäre eigenverantwortliche Entwicklung politischer Konzeptionen nicht möglich (so auch M . Siegmund, Planungskompetenzen, S. 51 ff.). 201 Verwiesen sei etwa auf F. Ossenbühl, S. Β 82; Κ . Lompe, Gesellschaftspolitik, S. 268 f.; U. Scheuner, Diskussionsbeitrag, in: V V D S t R L H. 16 (1958), S. 124 f.; M . Schröder, Planung, S. 47.

202 Zu politischen Planungen, die auf Impulse des Parlaments zurückgehen, vgl. C. Lanz, Politische Planung, S. 104, 106 f.

I I I . Parlamentarische Mitwirkungsbefugnisse an politischer Planung

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durch kann die Regierung gehindert sein, ihre Planungsstäbe für andere Aufgaben einzusetzen, denen vom Standpunkt der Regierung größere Wichtigkeit zukommt. Damit können bereits durch Erteilen von Planungsaufträgen de facto politische Prioritäten gesetzt werden. A l l e i n dadurch, daß von Parlament und Regierung einem bestimmten Sachbereich besondere Aufmerksamkeit zugewendet wird, werden i n der Regel bereits politische Akzente gesetzt und Ressourcen zur Plandurchführung festgelegt. Neben Aufträgen zur Vornahme von Planungsverfahren kann die parlamentarische Planungsinitiative weiterhin Vorgaben von Planungszielen und Planungsprioritäten an die Regierung zum Gegenstand haben 203 . Das Parlament kann der Regierung auftragen, welche Leitziele bei der Planung zu verwirklichen sind und gegebenenfalls einzelne Zielvorgaben näher umreißen. I n diesem Fall kann die Regierung zu einem beträchtlichen Teil i n die Rolle einer technokratischen Fachinstanz gedrängt werden. Bei der Operationalisierung der Planungsziele und Planungsprioritäten lassen sich, sind die parlamentarischen Zielvorgaben konkret genug, nur noch Entscheidungen untergeordneter A r t treffen. Die Möglichkeit, eine konsistente und mittelfristige Politik durch eigenverantwortliche Planungen zu verfolgen, droht der Regierung verloren zu gehen. Eine weitere kaum realistische Möglichkeit der parlamentarischen Planungsinitiative ist die eigenständige Ausarbeitung von Planungen. Es könnte sich u m einen parlamentarischen „contre-plan" handeln, der der Regierungsplanung entgegengestellt w i r d ; es könnte aber auch eine parlamentarische Planung auf einem Bereich sein, für den die Regierung eine Planungsstudie zu liefern nicht i n der Lage ist oder sich weigert. Rechtlich gesehen kann das Parlament auf zwei Wegen die beschriebenen Möglichkeiten der Planungsinitiative ausüben. Kraft des i h m zustehenden Gesetzesinitiativrechts kann das Parlament „Planungsgesetze" einbringen, i n denen der Regierung Planungsaufträge erteilt, Planungsziele und Planungsprioritäten vorgeschrieben oder eigene Planungen des Parlaments i n rechtliche Form gegossen werden. Bloße politische Verbindlichkeit erlangt die parlamentarische Planungsinitiative, wenn sie i n Form eines schlichten Parlamentsbeschlusses ergeht 204 . 203

Hierzu Hierzu m . w . Nw. zur auch rechtlich 204

21*

W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 294; C. Lanz, S. 105 ff. F. Ossenbühl, S. Β 85 f.; M. Schröder, Planung, S. 52 f. jew. Frage, ob die schlichten Parlamentsbeschlüsse die Regierung binden können.

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

b) Berechtigung des Parlaments zur Planungsinitiative Ob das Parlament von Verfassungs wegen berechtigt ist, die Initiative zu politischer Planung zu ergreifen, ist verschiedentlich diskutiert worden. Ein Konsens i n dieser Frage konnte sich bislang nicht bilden. Gegen ein Planungsinitiativrecht des Parlaments werden pragmatische und rechtliche Argumente ins Feld geführt. Pragmatischer A r t ist das Argument, dem Parlament stehe kein ausreichendes Planungspotential zur Verfügung; daher komme die Planungsinitiative und die Planausarbeitung zunächst einmal der Regierung zu 2 0 5 . Aus derart pragmatischen Erwägungen heraus kann man dem Parlament ein Planungsinitiativrecht sicherlich nicht absprechen. Zunächst einmal kann das Parlament auch ohne einen größeren bürokratischen Apparat i n der Lage sein, wichtige Teile eines Planungsinitiativrechts auszuüben: Es könnte etwa die Regierung — ob durch Gesetz oder Beschluß sei dahingestellt — beauftragen, für einen bestimmten Sachbereich und unter Beachtung konkreter Zielsetzungen Planungen durchzuführen. Weiterhin ist es zumindest auf der Ebene verfassungsrechtlicher Argumentation nicht stichhaltig, von der mangelnden Ausstattung des Parlaments m i t einem Informationen bereitstellenden und verarbeitenden bürokratischen Apparat auf eine fehlende Berechtigung zur Planungsinitiative schließen zu wollen 2 0 6 . Rechtsargumente lassen sich nicht auf „Sachzwänge" stützen, die durch entsprechende Anstrengungen behebbar sind. Erwähnt sei nur die Diskussion des Zugangs der Parlamentarier zu Datenspeicherungsanlagen 207 und die Möglichkeit einer Stärkung des oppositionellen Planungspotentials durch größere Revirements i n der Ministerialbürokratie bei Regierungswechseln 208 . Die verfassungsrechtliche Argumentation, Planungsinitiativrecht bestreitet, stützt sich lung zwischen Regierung (Exekutive) und tiefere Reflexion w i r d davon ausgegangen, vorstellbar noch von der Verfassung gewollt, 205

die dem Parlament ein auf die FunktionenteiLegislative. Meist ohne es sei weder praktisch daß der Regierung nicht

R. Wahl, Aufgabenplanung, S. 482; H. Karehnke, Reform der Struktur von Bundesregierung und Bundesverwaltung, in: D Ö V 1974, 115 ff., 117; Zwischenbericht, S. 77 f. — F. Ossenbühl (S. Β 82) meint, das Problem eines parlamentarischen Planungsinitiativrechts habe wegen des mangelnden Planungspotentials des Parlaments nur akademische Bedeutung. 206 M. Schröder, S. 48. 207 W. Birkelbach, Überlegungen nach dreijähriger Datenschutzpraxis, in: Erfassungsschutz, hrsg. von H. Krauch, S. 10 ff., 25 f. 208 B. Steinkemper, Klassische und politische Bürokraten in der Ministerialverwaltung der Bundesrepublik Deutschland (1974), S. 101 ff.; hierzu im 4. Kapitel unter I I I . , 2.

I I I . Parlamentarische Mitwirkungsbefugnisse an politischer Planung

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allein der „erste Zugriff" auf die politische Planung zustehe 209 . Da die Regierung das aktiv handelnde und vorantreibende, das Parlament das deliberierende und entscheidende Moment bilde, müsse die Regierung die Initiative zu politischer Planung behalten. Die parlamentarische Beteiligung dürfe erst bei einem gewissen Reifegrad der Regierungsplanung einsetzen, w i l l sie nicht i n den Kernbereich der Regierung eindringen und die politische Verantwortung der Regierung gegenüber dem Parlament unterminieren. Durch parlamentarische Planungsinitiativen soll geradezu eine A r t „Mischplanung" entstehen, die dem angeblich klar abgegrenzten Bereich der Verantwortung von Parlament und Regierung zuwiderlaufen soll. Darum dürfe das Parlament die Planungsinitiative und Planungsaktivitäten der Regierung weder durch Beschlüsse, noch durch „Planungsauftragsgesetze", noch durch gesetzliche Begrenzung der Planungsmaterie und auch nicht durch eigene Planungen lenken oder bremsen. Das Parlament würde die i h m i m demokratischen System zugedachten Funktionen überschreiten, wenn es der Regierung ein Programm aufzwingen könnte, das eben diese Regierung ausgestalten und durchführen müßte. Eine Planungsinitiative des Parlaments soll sich darum auch nicht auf eine „analoge" Anwendung des A r t . 76 Abs. 1 GG stützen lassen 210 . Vor allem von M. Schröder w i r d gegen eine gesetzliche Verpflichtung der Regierung zur Vorlage eines bestimmten Planes eingewendet, das Parlament, das die Regierung zur Ausgestaltung der von i h m initiierten Planungen verpflichte, würde sich die Regierung rechtlich unterwerfen. „ I m Verhältnis von Parlament und Regierung ist eine solche Unterwerfung von Verfassungs wegen verboten, weil, wie A r t . 65 GG und den vergleichbaren Landesverfassungsbestimmungen zu entnehmen ist, die Regierung kein rechtlich gebundener Vollzugsausschuß des Parlaments, sondern ein eigenständiges Verfassungsorgan ist 2 1 1 ." Planungsauftragsgesetze an die Regierung sollen darum auch nicht i n begrenzter Anzahl ergehen dürfen, sondern schlechthin unzulässig sein. Demgegenüber erscheint es jedoch grundsätzlich angebracht, dem Parlament i n gleicher Weise wie der Regierung das Recht zur Pla209 E.-W. Böckenförde, Planung, S. 444 f.; Zwischenbericht, S. 78; D. Aderhold, Kybernetische Regierungstechnik, S.274; H. Harnischfeger, Planung, S. 114; J.-T. Blank, Staatliche Aufgabenplanung, S.97; D. Frank, S.238f. m. w. Nw.; M. Siegmund, S. 34 ff. 210 H. Harnischfeger, S. 114. — Von einer analogen Anwendung des Art. 76 Abs. 1 GG, wie Harnischfeger meint, kann freilich überhaupt keine Rede sein. Ergehen parlamentarische Planimgsinitiativen in Gesetzesform, so ist eben das Recht aus Art. 76 Abs. 1 GG direkt i m Spiel. 211 M . Schröder, S. 55; zustimmend W. Graf Vitzthum, Parlament, S.297; ähnlich auch G. Kirchhoff (Subventionen, S. 268), der den Führungsanspruch der Regierung in Frage gestellt sieht.

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

nungsinitiative zuzusprechen 212 . Aus dem Grundgesetz selbst läßt sich nicht ableiten, daß dem Parlament lediglieli die Funktion zufällt, die Regierungsvorlagen zu beraten, nicht aber eigene politische Initiativen zu entwickeln. Die Vorschriften über die Beratungen des Haushaltsplans, der von der Regierung vorzulegen ist, stellen eher eine nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmeregel dar. Entscheidend ins Gewicht fällt nämlich, daß nach A r t . 76 Abs. 1 GG dem Parlament das Recht zur Gesetzesinitiative zukommt. Versteht man unter Gesetz alle jene Regelungen, die wesentliche Angelegenheiten der Gemeinschaft betreffen, so scheint die Ablehnung eines parlamentarischen Planungsinitiativrechts wenig plausibel. M i t Ossenbühl wäre zu fragen: „Wer wollte den Bundestag oder einzelne Gruppen i m Bundestag daran hindern, Pläne i n Gestalt eines Entwurfs eines förmlichen Gesetzes auf der Grundlage des A r t . 76 Abs. 1 GG i m Bundestag einzubringen? 213 " Weiterhin spricht zugunsten eines parlamentarischen Planungsinitiativrechts, daß, da nach einhelliger Meinung die Staatsleitung durch ein Zusammenwirken von Parlament und Regierung zu erfolgen hat, dann konsequenterweise auch ein parlamentarisches Planungsinitiativrecht bejaht werden muß 2 1 4 . Denn ohne das Planungsinitiativrecht hätte das Parlament keine instrumentalen M i t t e l zur Staatsleitung zur Verfügung, die dem Planungspotential der Regierung zu entsprechen vermögen. Ohne parlamentarisches Initiativrecht würde allein die Regierung die Trägerin des Fortschritts und der politischen Initiative sein, während das Parlament auf das klassische Kontrollinstrumentarium beschränkt bliebe. Wegen der Vorwirkungen politischer Planung muß man dem Parlament ein die Regierung bindendes Planungsinitiativrecht einräumen, damit das Parlament nicht zu einer Instanz bloßer Legalitätsvermittlung herabsinkt. Die Entwicklung moderner Planungstechniken hat dazu geführt, daß es für das Parlament immer schwieriger wird, einzelne Regierungsprogramme, die i n Gesetzesform zu verabschieden sind, aus einer Gesamtkonzeption 212 Diese Ansicht ist i m Vordringen begriffen: F. Ossenbühl, S. Β 82; M. Schröder, S. 48 ff.; R. Herzog, Gutachten, S. 84 f.; J. Seeger, Gutachten, S. 14; M. Bullinger, Verkehrswirtschaftliche Planung für Mineralölfernleitungen (Planungsstudien H. 5, 1969), S. 37; H. P. Bull, Staatsaufgaben, S. 120 f.; R. Wahl, Die politische Planung in den Reformüberlegungen der Bundesregierung, in: D Ö V 1971, 46 f. 213 F. Ossenbühl, S . B 83. 214 M. Schröder, S. 48 f., 53, allerdings unter Heranziehung des wenig griffigen Topos von der Staatsleitung zur gesamten Hand (vgl. oben unter II., 2.). Auch hier zeigt sich, daß die Planungsinitiative gerade nicht „gesamthänderisch" von Parlament und Regierung ausgeübt wird, sondern daß vermittels der Planungsinitiative in bestimmten Bereichen von Parlament oder Regierung die politische Führung übernommen werden kann.

I I I . Parlamentarische Mitwirkungsbefugnisse an politischer Planung

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herauszubrechen und zu modifizieren. Darum erscheint es nicht nur erforderlich, das Parlament an der Finanz- und Aufgabenplanung zu beteiligen, sondern auch i n die Wahl der Planungsbereiche und i n den Zielfindungsprozeß der politischen Planung einzuschalten. Ist das Parlament von Verfassungs wegen generell i n der Lage, i n vielfältiger Weise Planungsinitiativen zu ergreifen, so unterliegt dieses Recht doch gewichtigen Einschränkungen. Sicherlich läßt sich nicht die vage Formel vom „Kernbereich der Regierung" heranziehen, u m ein Planungsinitiativrecht des Parlaments zu beschneiden 215 . Der entscheidende Gesichtspunkt ist vielmehr die Funktionsfähigkeit der Regierung. Es liegt i m Sinne der Verfassung, die Regierung als aktiv gestaltende, richtunggebende und politische Konzeptionen entwickelnde Gewalt i m Staat zu gewährleisten. Diese Regierungsfunktionen wären aber gefährdet, wenn das Parlament durch eine Vielzahl detaillierter Planungsaufträge und Angabe von präzisen Planungszielen und Planungsprioritäten die Regierung i n ihrer Planungsinitiative bindet bzw. faktisch lahmlegt oder durch Planungsanweisungen den Rahmen zu verantwortungsvollem Regierungshandeln weitgehend einengt 2 1 6 . Hier liegt auch der zutreffende K e r n von Schröders These, das Parlament dürfe sich die Regierung nicht rechtlich unterwerfen. W i r d der Bereich der Regierung durch Parlamentsgesetze dergestalt vorprogrammiert, daß der Regierung eigene politische Initiativen weitgehend unmöglich werden, so t r i t t eine Verschiebung der politischen Gewichte ein, die dem parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes widerspricht. Aus diesen Gründen sind die Regierung rechtlich nicht bindende Parlamentsbeschlüsse, die Gegenstand, Ausmaß und Inhalt der politischen Planung betreffen, sicherlich zulässig 217 . M i t derartigen Beschlüssen vermag das Parlament seinen Willen zu politischer Gestaltung zur Geltung zu bringen. Der Regierung werden, wenn auch rechtlich unverbindliche, so doch politisch nicht zu unterschätzende Richtlinien mitgeteilt, die das Parlament bei Verabschiedung künftiger Gesetze, des Haushalts und der Finanzplanung zu beachten gedenkt. Sind bei schlichten Parlamentsbeschlüssen die Möglichkeiten parlamentarischer Planungsinitiative prinzipiell unbegrenzt, so unterliegen 215 So aber D. Aderhold,, S. 274; J.-T. Blank, S. 97; H. Harnischfeger, S. 114; hiergegen mit Nachdruck F. Ossenbühl, S. Β 83. 216 I n der Literatur findet sich diese wichtige Frage der Plangewaltenteilung kaum erörtert. Der Hinweis von J. H. Kaiser (Planung I, S. 19 f.), die juristische Tragweite der „an die Exekutive gerichteten Weisungsgesetze" sei noch nicht erforscht, blieb bis zu den Arbeiten von F. Ossenbühl (S. Β 84) und M. Schröder (S. 50 ff.) unbeachtet. 217 So auch F. Ossenbühl, S. Β 86.

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5. Kap. : Planungsfunktionen zwischen Parlament u n d Regierung

die „Planungsinitiativgesetze" 218 aus erörterten Gründen einigen Einschränkungen; Planungsauftragsgesetze bleiben nur so lange unbedenklich, als sie nur punktuell die Regierung zur Vornahme einzelner Planungen verpflichten wollen. M i t Planungsauftragsgesetzen kann die Regierung vom Parlament zur Überwindung eines Planungsdefizits i n einzelnen Sachbereichen angehalten werden. Planungsauftragsgesetze dürfen aber nicht dazu führen, daß das Planungspotential der Regierung durch Parlamentsaufträge zu stark gebunden und festgelegt wird. Zur A r t i k u l i e r u n g ihrer Politik muß die Regierung weitgehend freie Hand bei Einsatz ihres Planungspotentials behalten. Weiterhin dürfen Planungsauftragsgesetze nicht i n die Organisationsgewalt der Regierung eingreifen. Die Organisation der Planung bleibt Angelegenheit der Regierung. Planungsweisungsgesetze des Parlaments erscheinen so lange zulässig, als das Parlament lediglich jene Zielvorstellungen und Prioritäten i n groben Umrissen artikuliert, die einer Planung zugrunde gelegt werden sollen. Das Parlament macht von seinem Recht Gebrauch, die grundsätzlichen staatsleitenden Entscheidungen i n einer für die Regierung verbindlichen Weise zu treffen. Denn wenn erst einmal die Entscheidung für bestimmte Planungsziele und Planungsprioritäten gefallen ist und die Planung vorangeschritten ist, ist es für das Parlament fast unmöglich, abweichende Vorstellungen zu entwickeln. Verbleiben muß der Regierung aber ein eigenverantwortlich auszufüllender Entscheidungsspielraum. Dies ergibt sich nicht allein aus der Funktionengliederung zwischen Parlament und Regierung, sondern bereits auch aus A r t . 65 GG. Eine Vielzahl parlamentarischer Beschlüsse über die Festlegung von Planungszielen und Planungsprioritäten tangiert die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers. Die Schutzwirkung des A r t . 65 GG gegenüber dem Parlament ist darin zu sehen, daß die Regierung ein selbständiges Verfassungsorgan darstellt, 218 Aus verfassungsrechtlichen Erwägungen heraus hält F. Ossenbühl (S. Β 84 f.) „Planungsinitiativgesetze" für unzulässig. Durch einfaches Gesetz könne eine Pflicht der Regierung, parlamentarischen Aufträgen zu politischer Planung nachzukommen und bei den politischen Planungen bestimmte Ziele zu verfolgen, nicht statuiert werden, „weil es um das prinzipielle Verhältnis zwischen Regierung und Parlament, also um eine genuin verfassungsrechtliche Frage g e h t . . . Eine gegenüber dem Parlament begründete Planungspflicht der Regierung besteht entweder kraft Verfassungsrechts oder überhaupt nicht". Zuzugeben ist, daß die einzelnen Pflichten und Rechte von Parlament und Regierung prinzipiell verfassungsrechtlicher Regelung bedürfen. A n dererseits ist nicht einzusehen, warum durch Gesetz nicht auch das Handeln der Regierimg, die zum Bereich der ausführenden Gewalt gehört, programmiert werden kann, falls die verfassungsrechtlich vorausgesetzte Funktionentrennung nicht verletzt wird. Dies um so mehr, da sich die „Planungsinitiativgesetze" insbesondere auch an die planende Ministerialbürokratie wenden.

I I I . Parlamentarische Mitwirkungsbefugnisse an politischer Planung

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dessen Initiative zur Staatsleitung von anderen Verfassungsorganen nicht zu stark beschnitten werden darf 2 1 9 . Abschließend bleibt zu bemerken, daß die politische Brisanz der Frage, ob dem Parlament ein die Regierung bindendes Planungsinitiativrecht zukommt, gering ist. Wenn sich eine Regierung die Führungsrolle nehmen läßt und der verfassungsrechtlichen Absicherung ihrer Führungsrolle bedarf, sollte sie lieber zurücktreten 220 . Und das Parlament w i r d der Regierung auch die Führungsrolle gar nicht nehmen können, da die Regierung m i t ihrer eingespielten Planungsbürokratie und bürokratischem Sachverstand das Parlament immer i n die Schranken verweisen kann 2 2 1 . Letztlich ermangelt dem Problem des parlamentarischen Planungsinitiativrechts auch darum die politische Brisanz, weil die Parlamentsmehrheit die Regierung und damit ihre politischen Zielsetzungen trägt. Planungsinitiativen werden von den Mehrheitsfraktionen nicht vor dem Forum des Parlaments der Regierung angetragen, sondern durch außerparlamentarische Kanäle ihren Weg zur Regierung finden 222.

219

Vgl. M . Schröder, S. 49 m. w. Nw. F. Ossenbühl S. Β 83. 221 Daher kann W. Graf Vitzthums Befürchtung, die Regierimg könne ein rechtlich gebundener Aktionsausschuß des Parlaments werden (Parlament, S. 297) nicht geteilt werden. 222 Vgl. auch oben bei F N 135. 220

Sechstes Kapitel

Verfassungsrechtliche Vorgaben und Zielsetzungen für die politische Planung Bei der stufenweisen Strukturierung von politischen Leitvorstellungen und umfassenden politischen Programmen i m Bereich der politischen Parteien, der Regierung und ihrer Ministerialbürokratie, des Parlaments und der föderalistischen Kooperation ließen sich bereits einige faktische und rudimentäre rechtliche ΒindungsWirkungen herausstellen, die den Leitideen sozialer und ökonomischer Gestaltung, sind sie erst einmal i n die politische Diskussion eingeführt, einen gewissen dauerhaften Bestand verleihen können. Dieser Prozeß der Programmstrukturierung i m gesellschaftlichen und politischen Bereich soll nun von einer normativen Seite her beleuchtet werden. Gegenstand der folgenden Untersuchung ist, ob und inwieweit der gesellschaftlich-politische Prozeß der Formulierung und Strukturierung von planungsrelevanten Leit- und Zielvorstellungen i n einen normativen Rahmen gebettet ist. Die allgemeine Relevanz der Verfassung für die Richtungsbestimmung der politischen Planung ist bereits i m dritten Kapitel erörtert worden 1 . Jetzt geht es u m einzelne Vorgaben und politische Zielsetzungen, die sich i m Wege der Auslegung aus der Verfassung herleiten lassen und an denen politische Planung auszurichten ist. Herauszuschälen ist jener Teil des Prozesses politischer Zielfindung, der durch das Verfassungsrecht vorprogrammiert und darum (verfassungs-)gerichtlicher Kontrolle zugänglich ist. Denn wegen des großen Gestaltungsspielraums, den die staatsleitenden Instanzen und die Verwaltung i n den Verfahren der Planung besitzen, kommt der Klärung des Bereichs (verfassungs-)gerichtlicher Kontrolle der Verfahren und Ziele politischer Planung eine besondere Bedeutung zu 2 . Der Verfassung läßt sich zunächst entnehmen, die Verfolgung welcher Ziele generell unzulässig ist. Planungen und Pläne ζ. B., die auf die Beseitigung der kommunalen Selbstverwaltung gerichtet wären oder die Ausübung der Koalitionsfreiheit verhindern würden, wären 1 2

Unter I., 2.; vgl. weiter D. Molter, Raumordnung, S. 51 ff. W. Hoppe, Planung und Pläne, S. 685 ff.

6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

schlechthin verfassungswidrig. Solche Zielkontrollen negativer A r t gehören zu dem traditionellen Aufgabenbereich der Staatsrechtslehre. I m Hinblick auf die politische Planung ergeben sich hier nur gelegentlich planungsspezifische Schwierigkeiten 3 ; eine umfassende Vertiefung dieses Fragenkreises an dieser Stelle erübrigt sich daher. Als Rahmen der politischen Planung verdienen die wichtigsten strukturbildenden Verfassungsgrundsätze besondere Beachtung. Soweit es sich hierbei nicht u m die politische Richtung lenkende Staatszielbestimmungen handelt, binden die strukturbildenden Verfassungsgrundsätze die politische Planung an formale Vorgaben (Verfahren und formale Inhalte). Wie sich dem Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip Grundsätze für die Ausgestaltung des Planungsverfahrens entnehmen lassen, wurde bereits gezeigt 4 . Aus Raumgründen muß leider auch an dieser Stelle die Bedeutung des Bundesstaatsprinzips für die Ausgestaltung des Planungsverfahrens 5 auf die Verlustliste gesetzt werden. Dem Rechtsstaatsprinzip, das hier paradigmatisch aus den nicht zu den Staatszielbestimmungen zählenden Verfassungsgrundsätzen herausgegriffen werden soll, lassen sich zunächst wichtige Grundsätze für die Ausgestaltung des Planungsverfahrens entnehmen. Als Anforderung an das Planungsverfahren ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, daß M i t w i r k u n g der Betroffenen an und Rechtsschutz gegen Planung möglich sein muß, den zu verwirklichen freilich erhebliche Schwierigkeiten bereitet 6 . Was weiterhin die in8

Zu nennen ist vor allem i m Hinblick auf die Grundrechte die Frage der freiheitsgefährdenden Wirkung politischer Planung allgemein (hierzu unter V.) oder etwa i m Hinblick auf Art. 28 Abs. 2 GG das Problem der Einschränkung der Garantie kommunaler Selbstverwaltung durch die Landesentwicklungsplanung (hierzu i m 4. Kapitel unter IV., 1 c bei F N 36 ff.). Erheblichere Schwierigkeiten tauchen meist erst auf der Ebene der Verwaltungsplanung auf (grundlegend nunmehr R. Wahl, Rechtsfragen, S. 132 ff.). Hier stellt sich etwa das Problem, wie die grundrechtsähnliche institutionelle Garantie kommunaler Selbstverwaltung vor einer Aushöhlung durch überkommunale Planung gesichert werden kann (zur Frage der Kompensation des Verlustes kommunaler Autonomie durch Beteiligungsrechte vgl. R. Wahl, S. 139 ff. m. w. Nw.; K. Stern, Staatsrecht, S. 308 f.; J. Burmeister, Verfassungstheoretische Neukonzeption der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie [1977] ; R. Scholz, D Ö V 1976, 444). 4 I m 4. und 5. Kap. 5 Hierzu D. Molter, S. 166 ff.; G. Lehmbruch, Parteienwettbewerb, S. 114 ff.; H. Doppler, Finanzpolitik; F. W. Scharpf, B. Reissert und F. Schnabel, Politikverflechtung; G. Kisker, Kooperation zwischen Bund und Ländern in der BRD, in: D Ö V 1977, 689 ff.; C. Trzaskalik, Verfassungsrechtliche Probleme einer Bundesraumplanung, in: Die Verwaltung 1978, 273 ff. 6 U m effizienten Rechtsschutz gegenüber der Verwaltungsplanung bemühen sich Verwaltungsrechtsdogmatik und Rechtsprechung in gleicher Weise (F. Ossenbühl, Normative Anforderungen, S. Β 160 ff.; R. Scholz und E. Schmidt-Aßmann f Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: V V D S t R L H. 34 [1976], S. 158 ff., 166, 183 f., 251 f., 254 ff.; W.

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

haltlichen Anforderungen an eine rechtsstaatliche Planung, die i m formalen verbleiben, betrifft: Rechtsstaatliche politische Planung muß das Gebot des Verhältnismäßigkeitsprinzips i n all seinen Varianten beachten. Daneben spielt die Verwirklichung von Rechtssicherheit durch politische Planung eine wichtige Rolle (I.). Eine andere Frage, die zu den inhaltlichen Vorgaben politischer Planung überleitet, ist es, ob die Politik i m regelungsintensiven Industriestaat zielgerichtet und planmäßig sein muß. Wenn man nach den verfassungsrechtlich relevanten Zielen fragt, die politische Planung zu steuern vermögen, so impliziert dies sicherlich die Vorfrage, ob von Verfassungs wegen überhaupt langfristige Planungen durchzuführen sind. I m Hinblick auf die Erfüllung der vielfältigen Staatsaufgaben, die sich der Verfassung entnehmen lassen, liegt es nahe, die Planung als verfahrensmäßige Voraussetzung jeder rationalen und effizienten Staatstätigkeit zu betrachten. Konsequenz dieser Einsicht sollte es sein, die politische Planung als von Verfassungs wegen geboten anzusehen (II.). Weiterhin läßt sich überlegen, an welchen materiell-verfassungsrechtlichen Maßstäben das planende Handeln des Staates zu messen ist. Nur dann kann eine inhaltliche Kontrolle der Planung effektiv sein, wenn sie nicht von vornherein die Planungsziele ausklammert 7 . Hier geht es u m das Problem, ob sich der Verfassung genügend konkrete, finale Maßstäbe entnehmen lassen, die eine effektive Zielkontrolle erlauben. Dieser Problemkreis soll exemplarisch an zwei verfassungsrechtlichen Leitprinzipien verfolgt werden: Wesentliche Planungsziele vermitteln ohne Zweifel das Sozialstaatsprinzip (III.) und der Grundrechtsteil der Verfassung (IV.). Die Bedeutung der Planung für eine Steigerung der Grundrechtseffizienz und die Bedeutung der Planungsverfahren für eine sachgerechte Lösung von Grundrechtskonkurrenzen ist unter diesem Aspekt zu thematisieren. Gleichzeitig Hoppe, S. 663 ff.; W. Schick, Kontrolle, S. 470 ff.; H. H. Seidler, Rechtsschutz; R. Wahl, D Ö V 1975, 373 ff.; P. Badura, Das Planungsermessen und die rechtsstaatliche Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts, in: Verfassung und Verfassungsrechtsprechung. Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs [1972], S. 157 ff.). Gerichtlicher Rechtsschutz gegenüber politischer Planung, die nicht in Form eines Gesetzes verabschiedet ist, scheitert aus verschiedenen Gründen: Regelmäßig wird es an der individuellen Betroffenheit fehlen, die Voraussetzung für gerichtlichen Rechtsschutz ist. Außerdem würde es zu Eingriffen in den Prozeß politischer Willensbildung kommen, zu dem die Gerichte nicht befugt sind. Insofern gehört politische Planung in vielfacher Hinsicht in den Bereich des gerichtsfreien Regierungshandelns. 7 W. Schick, S. 472; W. Hoppe, S.692f.; kritisch zu den Möglichkeiten der Zielkontrolle E. Schmidt-Aßmann, Planimg, S. 546; H. P. Ipsen, Rechtsfragen, S. 90.

I . Vorgaben aus S t a a t s s t r u k t u r b e s t i i m n g e n

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kann jedoch der planende Sozialstaat leicht zu einem die Freiheit gefährdenden Wohlfahrtsstaat ausarten. Insofern ist besonderes Augenmerk auf die Abwehrfunktion der Grundrechte gegen leistungsstaatliche Ingerenz zu richten (V.). I. Vorgaben aus Staatsstrukturbestimmungen (dargestellt am Beispiel des Rechtsstaatsprinzips) 1. Rechtsstaatliche Vorgaben für die Planung

Rechtsstaatliche politische Planung 1 muß jenen Anforderungen genügen, die das Rechtsstaatsprinzip ganz allgemein an hoheitliches Handeln, vor allem an das Handeln der staatsleitenden Instanzen Regierung und Parlament stellt. Das Phänomen Planung ist also i n der rechtsstaatlichen Verfassung, u m eine Wendung Forsthoffs aufzugreifen, zu verorten 2 . Ohne daß an dieser Stelle alle Bestandteile des Prinzips Rechtsstaat i m einzelnen aufgeführt werden könnten 3 , hat eine rechtsstaatliche politische Planung i m wesentlichen folgendes zu beachten: Zunächst muß rechtsstaatliche politische Planung eine verfassungsstaatliche Planung sein 4 . Verfahren und Zielsetzungen politischer Planung haben sich an der Verfassung auszurichten, — eine Forderung, die an den verschiedensten Stellen dieser Arbeit einzulösen versucht wurde 5 . Rechtsstaatlichkeit w i r d freilich nicht m i t einer lediglich formalen Verfassungsstaatlichkeit gleichgesetzt; Rechtsstaatlichkeit erfordert eine Verfassungsstaatlichkeit mit der Wahrung von Freiheitlichkeit, Rechtsgleichheit® und Würde des Menschen. Rechtsstaatliche Planung muß also u.a. vor jenem Bereich der Individualsphäre halt machen, den Grundrechte gegen obrigkeitliche Eingriffe schützen. Freiheit durch Planung „verordnen", wäre keine Aufgabe einer rechts1 Zum noch wenig erschlossenen Problemkreis Rechtsstaat und Planung vgl. W. Hoppe, Planimg und Pläne, S. 664 ff.; F. Rietdorf, Entwicklungsplanung, S. I 42 ff.; M. Schröder, Planung, S. 38 ff.; H. Kind, Überlegungen zur rechtlichen Gewährleistung von Planungen der öffentlichen Hand (Münchener jur. Disseration 1974), S. 106 ff. 2 E. Forsthoff, Methoden moderner Planung, S. 22. 8 Grundlegend K. Stern, Staatsrecht, S. 620 ff.; ders., Der Rechtsstaat, Kölner Universitätsreden (1971), S. 7 f. 4 Zur Verfassungsstaatlichkeit als zentralem Element der Rechtsstaatlichkeit i m 19. Jahrhundert: O. Bahr, Der Rechtsstaat (1864), S. 47 f.; vgl. weiter K. Stern, Staatsrecht, S. 621. 5 Zur Ausrichtung des Verfahrens politischer Planung an der Verfassung in Kap. 4 und 5; zur Ausrichtung der politischen Planung an materiellen Zielvorgaben der Verfassung in diesem Kap. unter II., I I I . , I V . 8 So bereits Art. 16 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789: Ein Staat ohne Grundrechte und ohne Gewaltenteilung hat keine Verfassung. Vgl. weiter K. Stern, S. 621 ff.

334

6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

staatlichen Planung. A u f diese zugegebenerweise schwer faßbaren Grenzen einer rechtsstaatlichen Planung w i r d am Ende dieses Kapitels noch zurückzukommen sein. Wesentliches Organisationsprinzip des Verfassungsstaates, und damit auch Element der Rechtsstaatlichkeit, ist die Gewaltenteilung. Rechtsstaatliche Planung w i l l eine freiheitliche Ordnung nicht allein durch Begrenzung der staatlichen Gewalt schaffen; rechtsstaatliche Planung soll auch i n einem gegliederten staatlichen Aufbau stattfinden, i n dem die Verantwortlichkeiten transparent und abgegrenzt sind. „Planungsrichtigkeit" soll i n einer rechtsstaatlichen Ordnung durch sachgerechte Zuweisung der staatlichen Funktionen an Staatsorgane erzielt werden, die durch ihre Organisation, Sachkunde und ihren Kompetenzbereich zur wirksamen Wahrnehmung von Planungsaufgaben i n der Lage sind 7 . I m Rechtsstaat sind die staatlichen Organe nicht allein an die Verfassung gebunden. Rechtsstaat bedeutet darüber hinaus ganz allgemein Rechtsgebundenheit der staatlichen Organe, insbesondere von Verwaltung und Rechtsprechung. Hierbei läßt sich unter Rechtsgebundenheit zunächst i n einem ganz positivistischen Sinn die Steuerung der staatlichen Organe durch die Rechtsordnung, durch die Legalität verstehen. Diese Rechtsgebundenheit der vollziehenden Gewalt w i r d durch die bekannten Grundsätze vom „Vorrang" und vom „Vorbehalt" des Gesetzes8 gesichert. Rechtsstaatliche Planung muß sich diesen Grundsätzen entsprechend innerhalb der von der staatlichen Rechtsordnung vorgezeichneten Grenzen halten; wenn Planungen zu einem Eingriff i n Freiheit und Eigentum eines Bürgers führen, bedürfen sie der Form des Gesetzes9. Rechtsstaatlichkeit w i l l die staatlichen Organe aber nicht allein an das Gesetz binden, sondern auch an Recht und Gerechtigkeit 10 . Zwar w i r d i n der Regel das i n einem demokratischgewaltenteiligen Verfahren beschlossene Gesetz alle Gewähr dafür bieten, mit den Rechts- und Gerechtigkeitsvorstellungen einer Gemeinschaft i n Einklang stehen zu können. I n Ausnahmefällen kann aber die Legalität hinter den Anforderungen an ein sachlich richtiges und gerechtes Gesetz zurückbleiben, d.h. außerhalb der Legitimität 7 Zur organadäquaten Funktionenverteilung: R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 24 I, 2; K. Stern, S. 625; vgl. weiter zur rechtsstaatlich-gewaltenteiligen Planungsorganisation: 4. Kap. (insbes. I I , I I I , IV); 5. Kap. I., II., 4. 8 O. Ματ/er, Deutsches Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Bd. I (1924), S. 66, 68 ff.; K. Stern, S. 633 ff. jew. m. w. Nw. 9 Zur Frage, ob auch andere wichtige politische Planungen in Gesetzesform zu ergehen haben: 4. Kap. unter IV., 1.; 5. Kap. unter II., 1 c. 10 Hierzu K. Stern, Staatsrecht, S. 609 f., 628 ff.; U. Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaates in Deutschland, in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, Festschrift zum Deutschen Juristentag, Bd. I I (1960), S. 229 ff., 249 f.; R. Zippelius, § 23 I a. E.; Maunz/Dürig, in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 R N 59 jew. m. w. Nw.

I . Vorgaben aus Staatsstrukturbestimmungen

335

stehen. I n einem Rechtsstaat ist dann die Frage erlaubt, ob „das Gesetz als ,unrichtiges Recht4 der Gerechtigkeit zu weichen hat" 1 1 . Anforderungen an die Rechtsstaatlichkeit von Gesetzen können u. a. sein: Bei einer gesetzlichen Regelung müssen die privaten und öffentlichen Interessen derart gegeneinander abgewogen sein, daß es durch oder auf Grund des Gesetzes nicht zu Maßnahmen kommen kann, die zur Zielerreichung nicht geeignet oder nicht erforderlich sind oder die angesichts des gesetzgeberischen Zieles zu unverhältnismäßigen Eingriffen i n Freiheit und Eigentum führen 1 2 . Dies gilt auch für eine rechtsstaatliche politische Planung, gleichgültig ob sie durch Gesetz sanktioniert w i r d oder i m Internbereich der Regierung verbleibt. Die Planungsziele müssen mit geeigneten und tauglichen Maßnahmen angestrebt werden; hierbei dürfen die Prognosen der planenden Instanz nicht offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig widerlegbar sein 13 . Weiterhin müssen die vorgeschlagenen planungsrealisierenden Maßnahmen erforderlich sein, u m den Planungserfolg herbeizuführen; es ist immer zu überlegen, ob der erstrebte Planungserfolg nicht m i t einem anderen gleich wirksamen, aber für den Bürger weniger einschneidenden M i t t e l erreicht werden kann 1 4 . Und endlich ist zu prüfen, ob die planungsrealisierenden Maßnahmen außer Verhältnis zu Planungszielen stehen; Planungsziel und die belastenden Wirkungen sind — etwa i m Rahmen einer Nutzen-Kosten-Analyse 15 — gegeneinander abzuwägen. Diese Anforderungen entfalten i m Rahmen der Verwaltungsplanung volle Wirkkraft, wenn Planungen nämlich i n die Realität umgesetzt werden 1 6 . I m Rahmen der politischen Planung allerdings werden die einzelnen Varianten des Verhältnismäßigkeitsprinzips nur 11 BVerfGE 3, 225, 233 unter Hinweis auf die Formulierung bei G. Radbruch, Rechtsphilosophie, 4. Aufl. (1950), S. 353. 12 Wobei dahingestellt sein mag, ob das Verhältnismäßigkeitsprinzip aus dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. etwa BVerfGE 23, 127 ff., 133; 35, 382 ff., 400 f.; 38, 348 ff., 368) oder auch aus den Grundrechten, vor allem aus Art. 19 Abs. 2 GG (vgl. etwa K. Doehring, Staatsrecht, S. 183, 349; G. Dürig, in: Maunz/ Dürig/Herzog/Scholz, Art. 2 Abs. 1 R N 62 ff.) herzuleiten ist (vgl. E. Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 98. Bd. [1973], S. 568 ff., 584 ff.). 13 BVerfGE 30, 250 ff., 262 ff.; 38, 61 ff., 88 ff.; hierzu F. Ossenbühl, Kontrolle von Tatsachenfeststellungen und Prognoseentscheidungen durch das Bundesverfassungsgericht, in: C. Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht, Bd. 1, S. 458 ff., 498 ff.; K. J. Philippi, Tatsachenfeststellungen des Bundesverfassungsgerichts (1971), S. 180 f.; W. Hoppe, S. 688 ff. 14 BVerfGE 21, 150 ff., 157; 30, 336 ff., 347; W. Schick, S. 473. 15 Hierzu im 2. Kap. unter I I I . , 5; in die Kosten gehen natürlich nicht allein die monetären Belastungen des Staates, sondern auch Eingriffe in Eigentum und Freiheit des Bürgers ein. 16 M . Schröder, Planung, S.38ff.; BVerwG DVB1. 1971, 759 ff., 762; BVerwGE 28, 139 ff., 143; O V G Münster, DVB1. 1972, 687 ff., 688; V G H Mannheim, D Ö V 1963, 760 ff., 763.

336

6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

i n Ausnahmefällen zu beachten sein. I n den Verfahren der politischen Planung geht es regelmäßig erst u m das Herausarbeiten der großen Linie einer wünschenswerten Politik und u m eine recht globale Strukturierung der i n Frage kommenden Maßnahmen. Vergleichen zwischen Planungszielen und planungsrealisierenden Maßnahmen fehlt damit die nötige Konkretheit, u m einen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip feststellen zu können. Anders gewendet: Je freier die planende Instanz ist, Ziele und Zwecke der Planung zu bestimmen, desto schwächer w i r k t das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Denn ist die planende Instanz frei i n der Zwecksetzung, so kann sie für eine Planung einen Zweck angeben, der auch das eingesetzte M i t t e l als erforderlich erscheinen läßt 1 7 . Lediglich bei der Frage der Eignung der planungsrealisierenden Maßnahme und bei der Beurteilung, ob der Planung eine zutreffende Prognose zugrundegelegt wurde, kann man i m Regelfall bereits bei der politischen Planung klare Aussagen machen 18 . Hier zwingt also nicht allein politische Klugheit, sondern auch das Rechtsstaatsprinzip zu sachlich vertretbarer Planung. Neben einem Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip kann auch der Verstoß gegen das Gebot der Rechtssicherheit zu einem rechts(staats)widrigen Gesetz führen. Das Prinzip der Rechtssicherheit zielt auf der einen Seite auf einen Vertrauensschutz des Bürgers, wenn es etwa gewisse rückwirkende belastende Gesetze verbietet 1 9 . Vor allem aber sichert dieses Prinzip das Vertrauen i n die Verläßlichkeit gesetzgeberischer Konzeptionen. Politische Planungen werden kaum die Rückwirkungsproblematik u m eine weitere Variante bereichern können, da sie wesensmäßig auf Zukunftsgestaltung w i r k e n wollen. Dagegen kann ein erhebliches Bedürfnis nach Konsequenz und Systemtreue bei politischen Planungen und i m Planungsrecht bestehen. I m folgenden soll diese Forderung nach Systemtreue und Konsequenz i m Prozeß der Planung als Bedingung rechtsstaatlicher Planung vom Grundsätzlichen her beleuchtet werden. Dagegen muß das rechtsstaatliche Postulat eines Gerichtsschutzes gegen hoheitliches Handeln i n Form von politischer Planung an dieser Stelle auf die Verlustliste gesetzt werden. Dies erscheint auf der einen Seite bedauerlich, da der Gerichtsschutz, der „das Recht für den konkreten Fall feststellt" 2 0 , den Rechtsstaat zur Wahrheit werden läßt. 17

M . Schröder, S. 40 ff.; E. Grabitz, S. 600 f. bd.-w. StGH D Ö V 1973, 163 ff., 167. 19 Hierzu: G. Kisker, Die Rückwirkung von Gesetzen (1963); W. Niehues, Die Zulässigkeit der Rückwirkung von Gesetzen (jur. Diss. Münster 1973); W. Leisner, Festschrift für F. Berber (1973), S. 273 ff.; V. Götz, Bundesverfassungsgericht und Vertrauensschutz, in: C. Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, S. 421 ff.; U. Scheuner, S. 253 f. 20 O. Bahr, S. 192. 18

I. Vorgaben aus Staatsstrukturbestimmungen

337

Andererseits w i r f t die Frage des Rechtsschutzes gegen politische Planung, anders als die Frage des Rechtsschutzes gegen Verwaltungsplanung 2 1 , abgesehen von der noch näher zu behandelnden Frage des Kontrollmaßstabes, nur am Rande planungsspezifische Probleme auf. Ergehen politische Planungen i n Form eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung, so geht es u m den allgemeinen Rechtsschutz gegenüber Rechtsnormen. Verbleiben politische Planungen i m Innenbereich der Regierung 22 und entfalten keine direkte Außenwirkung, dann liegen ohnehin keine rechtsschutzfähigen Hoheitsakte vor. Aber auch wenn politische Planungen als Regierungsprogramme verabschiedet werden und dem Parlament zur Diskussion und Billigung vorgelegt werden, bestehen i n aller Regel 23 keine Rechtsschutzmöglichkeiten; es gibt darum eine Reihe von Versuchen, Planungen als „quasi-gesetzgeberische" Akte zu qualifizieren, u m verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz auf die gesetzesvorbereitende Planung auszudehnen und i n diesem Bereich zu einer präventiven Normenkontrolle werden zu lassen 24 ; werden, wie bereits gefordert 25 , staatsleitende Planungen i n Gesetzesform verabschiedet, verlieren solche zweifellos berechtigten Forderungen an Gewicht. 2. Politische Planung als Instrument der Rechtsstaatlichkeit

Politische Planung ist nicht allein an das Prinzip Rechtsstaat gebunden, sie kann auch einen beachtlichen Beitrag zur Verwirklichung einer rechtsstaatlichen Ordnung leisten. Politische Planungen strukturieren zukünftiges staatliches Handeln, indem sie aus der Fülle von möglichen politischen Zielen einzelne Leitziele politischen Handelns auswählen und Prioritäten setzen. Für den Einzelnen w i r d damit die Richtung der staatlichen Politik transparent, verbleiben Planungen nicht Arkana der Regierung. Ebenso w i r d durch politische Planungen für den Einzelnen staatliches Handeln vorhersehbar. Er kann sich über die Ziele und Zwecke zukünftigen staatlichen Handelns orientieren, sich über die Verflechtungen einzelner politischer Programme Klarheit verschaffen, sich über die ergriffenen 21

Vgl. die Nachweise in F N 6 (vor I.). ζ. B.: Programme für besondere Notlagen oder absehbare konjunkturelle Entwicklungen; Planungen im Stadium des „Überlegene". 23 Denkbar ist, daß es über die Einhaltung des Planungsverfahrens zu Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder den Landesverfassungsgerichten kommt (W. Hoppe, S. 674; W. Schick, S. 474 ff.). 24 W. Schick, S. 474 f.; R. Wimmer, Über Rechtsnatur und Justiziabilität öffentlicher Bildungspläne, in: DVB1. 1970, S. 305 ff.; K. Redeker, Staatliche Planung, S. 537 ff. 25 I m 4. Kapitel unter IV., 1. 22

22 Würtenberger

338

6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

und beabsichtigten finanz- und strukturpolitischen Maßnahmen informieren, sich über die Realisierungschance politischer Programme ein Urteil bilden usw. Indem politische Planung zukünftiges staatliches Handeln transparent und vorhersehbar macht, schafft sie für den Einzelnen wenn nicht Orientierungsgewißheit, so doch einen Orientierungsrahmen. Der Studienanfänger etwa kann sich anhand der B i l dungsplanung Klarheit verschaffen, von welchem mittel- und längerfristigen Bedarf an Lehrern ausgegangen wird. Wer heute studiert, w i r d sich darum kümmern, ob für eine spätere Anstellung vom Staat Sorge getragen wird. Die Wahl eines Berufes kann so entscheidend von politischen Planungen abhängen. Die Bauwirtschaft etwa kann sich bei Investitionen daran ausrichten, welcher Bausektor infolge staatlicher Subventionen besonders expandiert 2 6 . Politische Planung kann aber nicht allein ein Gefühl sozialer Sicherheit vermitteln, politische Planung kann auch zur Rechtssicherheit beitragen. Oftmals nämlich kann man politischen Planungen entnehmen, i n welche Richtung künftige Gesetzesänderungen zielen werden; bekanntlich haben Planungen vielfach gesetzesvorbereitenden Charakter. Weiterhin machen die einem Gesetzgebungsverfahren vorausgegangenen Planungsverfahren deutlich, i n welchem großen Gesamtzusammenhang Gesetze stehen; Planung schafft hier eine gewisse Übersichtlichkeit der Rechtsordnung insgesamt. Außerdem können politische Planungen Gesetzen eine gewisse Bestandskraft verleihen. Politische Planung erzeugt so eine gewisse Verläßlichkeit des Gesetzes und seiner Rechtswirkungen; hierauf w i r d i m folgenden näher eingegangen. A u f vielfältige Weise können politische Planungen also zu einem bedeutsamen Element der Rechtssicherheit werden und eine verläßliche Basis für individuelle Dispositionen schaffen. Nicht zuletzt kann politische Planung eine Überprüfung von Gesetzen am Verhältnismäßigkeitsgebot und Übermaßverbot erleichtern helfen. Oftmals lassen erst die einem Gesetzgebungsverfahren zugrunde liegenden Planungen erkennbar werden, welchen Stellenwert ein gesetzlich fixiertes politisches Ziel besitzt, ob die vom Gesetzgeber gewählten M i t t e l und Maßnahmen i n einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Erfolg stehen, ob sie überhaupt zwecktauglich sind oder ob nicht i n weniger belastender Weise der gleiche Erfolg erzielt werden kann. Vor allem bei der Vorlage von Alternativplanungen w i r d Material geliefert, anhand dessen eine sichere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von Gesetzen erfolgen kann. Insgesamt gesehen w i r d politische Planung damit zu einem wichtigen Instrument zur Verwirklichung des Rechtsstaatsprinzips. 26 Gedacht sei nur an die Bauwirtschaft, die sich auf Sanierungsmaßnahmen nach dem Städtebauförderungsgesetz einstellt (vgl. hierzu T. Ellwein, Regieren und Verwalten, S. 37 ff.).

I . Vorgaben aus Staatsstrukturbestimmungen

339

3. Insbesondere Rechtssicherheit durch Konsequenz i m Planungsrecht

Planmäßigkeit der Machtausübung gehört zu den Grundvoraussetzungen jeder legitimen Staatsgewalt 27 . Staatlicher Macht w i r d Vertrauen und Konsens nur zuteil, wenn sie nach festgefügten Prinzipien und planmäßig ausgeübt wird. „ N u r wer fähig ist, nach Plänen zu handeln, w i r d auf die Dauer seine Herrschaft und sein Ansehen, seinen geistigen Einfluß behalten können 28 ." I n diesem Sinne muß sich auch i n der Rechtsordnung die Planmäßigkeit staatlichen Handelns manifestieren. Bereits i m Wesen jeder Rechtsordnung liegt es, daß sie „ein einheitliches Ganzes... ohne inneren Widerspruch, ein Kosmos und kein Chaos" sein solle 29 . Außerdem ist die Rechtsordnung ihrem Wesen nach eine die Zeit überdauernde und kontinuierliche Ordnung. Dem entspricht ein allgemeines Interesse an einer gewissen Kontinuität des Rechts und an einer Festlegung des Gesetzgebers auf selbstgewählte Prinzipien und Präferenzen sozialer und ökonomischer Gestaltung 80 . Konsequenz i n der Rechtsetzung, vor allem Konsequenz beim Aufstellen und Verwirklichen rechtsverbindlicher Planungen, ist für eine rationale Gestaltung des persönlichen Bereichs von erheblicher Bedeutung. Für den am Wirtschaftsleben beteiligten Bürger kann es von erheblichem Interesse sein, ob der Staat auf ein bestimmtes, seit längerem verfolgtes System der Wirtschaftspolitik festgelegt werden kann. Die Selbstbindung des planmäßig wirtschaftslenkenden Staates ist ein besonderes Anliegen der Wirtschaftssubjekte, die für ihre Dispositionen und Planungen an einer geradlinig-konsequenten W i r t schaftspolitik auch i n Form wirtschaftslenkender Gesetze i n hohem Maß interessiert sind. Ähnliches gilt m i t Abstrichen für die Sozialplanung. Auch hier kann der Bürger, der sich auf die Durchführung langfristiger, gesetzlich verabschiedeter Planungsvorhaben eingerichtet hat, an einer gewissen Bestandskraft der Planungskonzeptionen interessiert sein. Besonders akzentuiert kann nicht zuletzt das Sicherheitsbedürfnis i m privaten Bereich, gedacht sei nur an das bereits erwähnte Beispiel 27

Vgl. oben im 1. Kapitel die Nachw. in F N 18 ff., 68. W. Nef, Die Macht und ihre Schranken (St. Gallen 1941), S. 22; E. Grabitz, Freiheit, S. 255 f. 29 L. Zimmerl, Aufbau des Strafrechtssystems (1930), S. 2 f.; F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz (1968), S. 468. — Die Frage nach Axiomen zum Zwecke juristischer Systembildung gehört seit jeher zu den grundsätzlichen Fragestellungen juristischer Dogmatik (vgl. etwa F. von Hippel, Zur Gesetzmäßigkeit juristischer Systembildung [1930], S. 2 u. passim; Κ . Lorenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. [1975], S. 429 ff.; C.-W. Canaris , Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz [1969], S. 9 ff.). 30 Vgl. hierzu grundlegend R. Zippelius, Das Wesen des Rechts, Kap. 25 insbesondere unter e); W. Geiger, Der Gleichheitssatz und der Gesetzgeber, in: Staats- und verwaltungswissenschaftliche Beiträge, hrsg. von der Hochschule Speyer (1957), S. 167 ff., 180. 28

2

340

6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

der Bildungsplanung oder an staatliche Planungen i m Bereich sozialen Sicherheit, eine Konsequenz i m Planungsrecht nahelegen. gesamt gesehen vermittelt die Kontinuität des Planungsrechts, das Recht insgesamt, dem Einzelnen jene Orientierungssicherheit, Grundbedingung jeder längerfristigen Individualplanung ist.

der Inswie die

Die faktische Bestandskraft von Planungszielen, Planungsprioritäten und Planungsprogrammen stand immer wieder i m Vordergrund der Erörterung. Bei der Konsequenz i m Planungsrecht geht es nunmehr u m eine besondere Variante faktischer und vor allem aber normativer Bestandskraft von Planungszielen, Planungsprioritäten und Planungsprogrammen i m politischen Prozeß: nämlich u m Rang und Beständigkeit jener Planungsziele, Planungsprioritäten und Planungsprogramme, die i n Form eines Gesetzes i n die Rechtsordnung eingefügt sind. Hierbei kann Konsequenz i m Planungsrecht idealtypisch gesehen zweierlei bedeuten: Z u m einen kann der Gesetzgeber auf eine Wahrung der Kontinuität gesetzlich fixierter politischer Programme und Planungen festgelegt werden; dies wäre eine Beständigkeit gesetzlich fixierter Planungen i n der Zeit. Zum anderen kann es sich u m eine Pflicht des Gesetzgebers zu prinzipientreuer Verwirklichung von gesetzlich fixierten Planungszielen, Planungsprioritäten und Planungsprogrammen handeln; hier dreht es sich u m eine systematische Ausgestaltung der gesetzlichen Ziel-Mittel-Beziehungen. Zugespitzt formuliert: Kann sich der Gesetzgeber durch Planungsgesetze selbst binden m i t der Folge, daß eine gewisse Kontinuität i m Planungsrecht entsteht? Kann es innerhalb der Planungsgesetze oder zwischen Planungsgesetzen und planungsrealisierenden Gesetzen, d.h. innerhalb von förmlichen Gesetzen m i t gleichem normativen Wert, Rangunterschiede geben m i t der Folge, daß Gesetze „niedrigeren" Ranges bei Kollision m i t Planungsgesetzen „höheren" Ranges rechtswidrig bzw. nichtig sind 31 ? Bejaht man eine solche Selbstbindung des Planungsgesetzgebers, so würden einzelne Planungsziele und Planungsprioritäten aus der tagespolitischen Diskussion herausgelöst und zu Leitzielen künftiger gesetzgeberischer Tätigkeit gemacht. Der Gesetzgeber wäre i n dem i h m an sich offenstehenden Gestaltungsspielraum eingeschränkt, wenn Planungszielen und Planungsprioritäten eine erhöhte Verbindlichkeit zukäme. Zunächst freilich scheint die Frage nach solcher Konsequenz i m Planungsrecht fern zu liegen. Denn Konsequenz i m Planungsrecht, die 31 Soweit ersichtlich ist die Frage für das Verhältnis von Planimgsgesetzen und Plangesetz zuerst von H. Quaritsch (Das parlamentslose Parlamentsgesetz, 2. Aufl. [1961], S. 12 ff.) aufgeworfen worden (vgl. weiter J. H. Kaiser, Der Plan, in: ders. [Hg.], Planung I I , S. 11 ff., 18).

I. Vorgaben a s Staatsstrukturbestimmungen

341

einen wichtigen Teilaspekt der bislang vernachlässigten Konsequenz i n der Rechtsetzung darstellt, widerspricht auf den ersten Blick einem wichtigen Eckpfeiler des demokratischen Staates, nämlich der Souveränität des demokratisch legitimierten Gesetzgebers. Eine Konsequenz i m Recht scheint geradezu ein systemfremdes Element i n der Rechtsordnung des demokratischen Verfassungsstaates zu sein. Denn auf der Ebene der Gesetzgebung räumt man den demokratisch legitimierten Instanzen einen weiten Spielraum zu politischem Handeln ein. Das bedeutet: I m Prinzip steht es dem Gesetzgeber jederzeit frei, einzelne Gesetze zu ändern, einzelne Modelle sozialer und ökonomischer Gestaltung zu korrigieren. Dem entsprechend enthalten weder das Grundgesetz noch die Länderverfassungen Vorrang- oder Kollisionsregeln für förmliche Gesetze gleichen Ranges, die nicht inhaltlich harmonieren 32 . Gleichwohl kann es aus Gründen faktischer und rechtlicher A r t zu einer Konsequenz i m Planungsrecht kommen. a) Konsequenz

im Planungsrecht

aus faktischen

Gründen

Dem rechtspolitischen Postulat einer Konsequenz i n der Rechtsetzung für den Bereich der politischen Planung genügen zunächst einige Gründe faktischer A r t . Bei einer Konsequenz i m Planungsrecht aus faktischen Gründen entfalten gesetzlich fixierte Planungsziele und politische Planungen eine relative Konstanz, weil Gesetzesänderungen besondere Schwierigkeiten entgegenstehen. Eine solche faktische Konsequenz i m Planungsrecht beruht i n erheblichem Maß auf den Bindungswirkungen der Planung. Jene Bestandskraft politischer Planung, die auf dem Wesen des Planungsverfahrens (etwa Kosten umfassender Neuplanungen) beruht, führt auch zu einer gewissen Selbstbindung des Planungsgesetzgebers. Insoweit kann sinngemäß auf die Ausführungen zur Vor- und Bindungs Wirkung der politischen Planung verwiesen werden 3 3 . Ganz allgemein führt weiterhin die Schwerfälligkeit des Gesetzgebungsverfahrens zu einer gewissen Bindung des (Planungs-)Gesetzgebers an einmal erlassene Regelungen. Gewöhnlich werden Gesetzgebungsverfahren nur i n Gang gesetzt, wenn zureichende Gründe vorhanden sind, die eine Sachverhaltsregelung verbesserungswürdig erscheinen lassen. Eine bestehende Regelung hat oftmals die Vermutung der Richtigkeit für sich, die von der neu vorgeschlagenen Regelung erschüttert werden muß. Ein anderer wichtiger Aspekt i n diesem Zu32 Abgesehen von dem hier nicht interessierenden Verhältnis von Bundesrecht zu Landesrecht (Art. 31 GG). 33 Hierzu im 2. Kap. unter I I I . , 6 b.

342

6. Kap. : Verf assungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

sammenhang ist, daß auch die Organisation des Gesetzgebungsverfahrens zu einer Konsequenz i m Recht führen kann. Die erschwerte Abänderbarkeit von Zustimmungsgesetzen läßt manche Gesetzesnovellierung scheitern. Dies gilt vor allem für jene Planungsgesetze, bei denen ein Ausgleich zwischen den Interessen des Bundes und der Länder neu auszuhandeln ist. Und selbst der Grundsatz der Diskontinuität kann zu einer gewissen Konsequenz i m (Planungs-)Recht führen. Da Planungsgesetze wegen der nötigen Prognosen und oft umstrittenen politischen Zielsetzungen nur über einen längeren Zeitraum hinweg erarbeitet werden können, können Verfahren der Änderung von Planungsgesetzen durch Ablauf der Wahlperiode unterbrochen und damit erschwert werden. Unter dem Aspekt des Politischen gewinnen Planungsgesetze eine erhebliche Bestandskraft, wenn ihnen ein pluralistisch ausgehandelter Kompromiß zwischen verschiedenen sozialen Gruppen zugrunde liegt. Das Gesetzgebungsverfahren i n der pluralistischen Demokratie ist dadurch gekennzeichnet, daß oftmals nur eine Kompromißlösung verabschiedet werden kann, die für alle Betroffenen annehmbar ist. Dieser Kompromiß des kleinsten gemeinsamen Nenners kann zu politischem Immobilismus führen, w e i l Innovationsversuche von den betroffenen sozialen Gruppen erfolgreich abgeblockt werden und die hergebrachte gesetzliche Regelung als ein Besitzstand angesehen wird, den man aufzugeben sich weigert 8 4 . Und nicht zuletzt kann der Kontinuitätsbedarf der politischen Planung eine Konsequenz i m Planungsrecht nahelegen, die selbst wechselnde Parlamentsmehrheiten zu überdauern vermag. Politische Planung muß eben ihren Regelungshorizont über den Vierjahres-Rhythmus der Wahlperioden hinaus erstrecken, soll das Primat der Politik über kurzfristiges Krisenmanagement zurückgewonnen werden 3 5 . I n diesem Sinne bedarf eine langfristig konzipierte politische Planung einer breiten Konsensgrundlage i m Parlament, einer Konsensgrundlage, die i n einer überparteilichen Übereinstimmung besteht und auch vor dem Forum der öffentlichen Meinung Bestand hat. Solche Planungen m i t breitem politischem Konsens haben die Chance, die „Diskontinuitäten" der Wahlperioden zu überdauern, bergen aber auch die Gefahr, sich dem heilsamen Zwang zur Bereinigung des Programmes zu entziehen.

84

Zu denken ist etwa an die erfolglosen Novellierungsversuche des Kartellrechts (vgl. P. Grottian, Strukturprobleme, S. 167 ff.). 85 Hierzu W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 30 ff. m. Nw.

I. Vorgaben aus Staatsstrukturbestimmungen b) Konsequenz

im

343

Planungsrecht

aus verfassungsrechtlichen

Gründen

Das Bedürfnis des Einzelnen nach Orientierungssicherheit, aber auch der Zwang zu einer Planung, die politische Kontinuität verbürgt und über bloßes Krisenmanagement hinausgeht, lenken den Blick auf die Frage, ob Konsequenz i m Planungsrecht verfassungsrechtlich 3® begründbar ist. Wie bei jeder Rechtsetzung w i r d auch i m Bereich des Planungsrechts ein Mindestmaß an gesetzlicher Richtungsbestimmung dadurch gesichert, daß die Verfassung nicht allein Grenze gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit ist, sondern auch i n gewissem Umfang der Gesetzgebung Ziele weist. Gedacht sei nur an die Grundrechte oder das Sozialstaatsprinzip 37 . Freilich führt dieses Mindestmaß an gesetzlicher Richtungsbestimmung noch nicht zu einer Selbstbindung des Gesetzgebers und damit zu einer Konsequenz i m Planungsrecht i m eigentlichen Sinn. Denn die Bestimmung der politischen Richtung, die der Verfassung entnommen werden kann, läßt i n aller Regel eine große Bandbreite verschiedenster politischer Gestaltungsmöglichkeiten zu; keinesfalls aber schreibt die Verfassung dem Gesetzgeber den Inhalt einzelner Regelungsmodelle vor. Die Frage nach einer Konsequenz i m Planungsrecht ist i n ihrem Kern gleichwohl eine Frage der Verfassungsrechtsdogmatik. Von Bedeutung ist zunächst, ob für das Planungsrecht die hergebrachten, auch i m System des demokratischen Verfassungsstaates verwurzelten Regeln über die Gesetzeskollision Geltung besitzen oder ob das Wesen des Planungsrechts eigene Kollisionsregeln erfordert (aa). Weiterhin sind Grundprobleme der Verfassungsinterpretation i m Spiel, wenn es sich u m das Problem dreht, ob Planungsrecht, oder — allgemeiner gewendet — Recht des einfachen Gesetzgebers, durch gleichläufige interpretatorische Fortentwicklung des Verfassungsrechts an der Bestandskraft der Verfassung Teilhabe erlangen kann (bb). Und nicht zuletzt können der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz und das Prinzip des Vertrauensschutzes, m i t deren Hilfe sich ein Grundsatz der Prinzipientreue begründen läßt, zu einer Konsequenz i m Planungsrecht führen (cc).

36 Dies ist eine Vorfrage zu dem von W. Graf Vitzthum unter Bezug auf W. von Simson (Parlament, S. 33 Anm. 50) angesprochenen Problem, ob die Judikative sich zur Treuhänderin von Langfristinteressen machen kann. 37

Einzelheiten unter I I I . und I V .

344

6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

aa) Durchbrechung der „Regeln" über die Gesetzeskollision i m Planungsrecht Von einer Konsequenz i m Planungsrecht ließe sich sprechen, wenn der Gesetzgeber sich durch den Erlaß von Planungsgesetzen insofern selbst binden würde, daß er bei Erlaß späterer Gesetze nicht den Normen der Planungsgesetze zuwiderhandeln dürfte. Anders gewendet: Besitzen Planungsgesetze gegenüber später zu erlassenden Gesetzen eine erhöhte Bestandskraft, so daß planungsrealisierende Gesetze an den Normen der Planungsgesetze ausgerichtet werden müssen? Zunächst scheint eine derartige These fern zu liegen, da alle Gesetze, die von dem einfachen Gesetzgeber erlassen sind, i m Prinzip als gleichrangig betrachtet werden. I n der Regel w i r d das Kollisionsproblem zwischen gleichrangigem Recht unterschiedlichen Entstehungszeitpunktes nach althergebrachten Regeln zu lösen versucht, die i m Gesetzesbegriff angelegt und quasi „apriorisch" 3 8 sein sollen: Das jüngere Gesetz ist dem älteren Gesetz vorrangig (lex posterior derogat legi priori) 3 9 , das speziellere Gesetz verdrängt das allgemeinere Gesetz (lex specialis derogat legi generali), aber das jüngere allgemeine Gesetz verdrängt nicht das ältere spezielle Gesetz (lex posterior generalis non derogat legi priori speciali) 40 . I n einem gewissen Gegensatz zu diesen Regeln der Gesetzeskollision steht der gelegentlich vertretene Grundsatz, daß das ausfüllungsbedürftige Gesetz dem ausfüllenden Gesetz vorgehe („lex completa derogat legi compienti") 4 1 ; nach diesem Grundsatz geht das ältere dem jüngeren und das allgemeinere dem spezielleren Gesetz vor. Die Regelungen, die Gesetzeskollisionen lösen wollen, sind also nicht einheitlich 42 . Die Unergiebigkeit einer schematischen Betrachtung derRe38

H. Maschke, Die Rangordnung der Rechtsquellen (1932), S. 8. Zu diesem Grundsatz vgl. L. Renck, Zum Anwendungsbereich des Satzes „lex posterior derogat legi priori", in: JZ 1970, 770 ff. mit weit. Nachw. 40 Außer Renck (ebd.) vgl. zu diesen Grundsätzen W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. (1931), § 7 V I ; A. Hensel, Die Rangordnung der Rechtsquellen, insbesondere das Verhältnis von Reichs- und Landesgesetzgebung, in: Anschütz/Thoma (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 2. Bd. (1932), S. 313 ff., 314; H. Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe (1948), S. 90 ff.; K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, 5. Aufl. (1971), S. 159; ders., Die Einheit der Rechtsordnung (1935), S. 47 ff.; K. Lorenz, Methodenlehre, S. 250 ff.; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl. (1959), S. 49 ff.; B. Rehfeldt und M . Rehbinder, Einführung in die Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1973), S. 18 ff.; H. Quaritsch, S. 18 ff.; R. Zippelius, Methodenlehre, S. 46 ff. 41 N. Achterberg, Kriterien des Gesetzesbegriffes unter dem Grundgesetz, in: DÖV 1973, 289 ff., 292 f. 42 Vgl. etwa K. Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 30, 47 ff.; E. Forsthoff und W. Blümel, Raumordnungsrecht, S. 74 f., 88 ff.; nicht ausreichend differenzierend: E. I. Bekker, Grundbegriffe des Rechts und Mißgriffe der Gesetzgebung (1910), S. 61, 295 f. 89

I. Vorgaben aus Staatsstrukturbestimmungen

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g e l n ü b e r Gesetzeskollisionen m a c h t e i n B l i c k a u f die j ü n g e r e L i t e r a t u r 4 8 u n d Rechtsprechung z u diesem F r a g e n k r e i s d e u t l i c h . So w u r d e a u s g i e b i g k i d e r Rechtsprechung d e r Verfassungsgerichtshöfe d e r L ä n d e r d i s k u t i e r t , ob d i e a l l g e m e i n e n K o m m u n a l g e s e t z e ( G e m e i n d e o r d n u n g e n , K r e i s o r d n u n g e n usw.) h ö h e r e n R a n g h a b e n als d i e Gesetze z u r N e u o r d n u n g e i n z e l n e r G e m e i n d e n , K r e i s e oder G e b i e t e 4 4 . Was spezifisch p l a n u n g s rechtliche Gesetze a n b e l a n g t , k ö n n e n N o r m e n k o n k u r r e n z e n entstehen, w e n n B e b a u u n g s p l ä n e a n d e r w e i t i g e n F a c h p l a n u n g e n , e t w a a u f G r u n d des Bundesfernstraßengesetzes, w i d e r s p r e c h e n 4 5 oder R a u m o r d n u n g s p l ä n e m i t weniger umfassenden raumgestaltenden Plänen zusammentreffen 46. W e i t e r h i n s o l l e t w a das Haushaltsgrundsätzegesetz v o m 18. 9. 1969 ( B G B l . I S. 1273) e i n e n h ö h e r e n R a n g h a b e n als die B u n d e s h a u s h a l t s o r d n u n g v o m gleichen Tage ( B G B l . I S. 1284); b e i d e w i e d e r u m s o l l e n h ö h e r stehen als d i e p e r i o d i s c h e n Haushaltsgesetze 4 7 . T r o t z des g l e i chen Ranges v o n B u n d e s h a u s h a l t s o r d n u n g u n d H a u s h a l t s p l a n i s t es a l l g e m e i n e M e i n u n g , d e r Gesetzgeber sei b e i d e r Beschlußfassung über den Haushaltsplan an die Bundeshaushaltsordnung gebunden. 43 Zur Rolle der „lex posterior"-Regel bei der hier nicht angesprochenen Kollision von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht vgl. H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht (1972), S. 264 ff., 278 ff. einerseits und H. Randelzhof er, Das Recht der europäischen Gemeinschaften und das nationale Recht, in: Z H R 135. Bd. (1971), S. 237 ff., 255 f. andererseits. 44 Nrw. VerfGH OVGE 14, 372 ff., 375 f.; 377 ff., 381 ff.; 22, 316 ff.; 24, 315 ff.; 25, 310 ff.; 26, 270 ff.; 28, 291 ff.; rhpf. VerfGH in AÖR Bd. 95 (1970), S. 598 ff., 607 f.; DVB1. 1969, 799 ff.; DVB1. 1970, 780 f.; 781 ff.; 783 f.; A. S. Bd. 11, 118 ff.; bdw. StGH DÖV 1973, 163. Aus der umfangreichen Literatur sei hingewiesen auf: C. H. Ole, Zwangseingemeindungen und Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Verwaltungsarchiv 60. Bd. (1969), S. 101 ff., 111 ff.; ders., Maßnahmen der Verwaltungsreform und ihre gerichtliche Überprüfung, in: Festschrift für G. Müller, hrsg. von T. Ritterspach und W. Geiger (1970), S. 529 ff., 535 ff.; G. Seibert, Selbstverwaltungsgarantie und kommunale Gebietsreform (1971), S. 22 ff.; W. Hoppe und H.-W. Rengeling, Rechtsschutz bei der kommunalen Gebietsreform (1973) m. w. Nw. zu Lit. und Rspr.; H. Scholtissek, Verfassungsprobleme zur Eingemeindung, in: DVB1. 1968, 825 ff., 829, 831; Wolff /Bachof, §26 I I I d; H. Görg, Nochmals: Der Rechtsschutz im Eingemeindungsverfahren, in: DVB1. 1969, 772 ff., 773; J. Salzwedel, Zur verfassungsgerichtlichen Nachprüfung von W i l l kür und mangelnder Konzeptionsgerechtigkeit der Eingemeindungen, in: DÖV 1969, 546 ff.; Evers, Zum Rechtsgebot der Systemtreue bei Gebietsreformen, in: Der Städtebund 1970, 230 ff.; G. Püttner, Urteilsanmerkung, in AöR Bd. 95 (1970), S. 610 ff.; M. Ronellenfltsch, Zur Verfassungsmäßigkeit der Landkreisreform in Baden-Württemberg, in: D Ö V 1972,191 ff., 194 f. 45 Diese Normenkonkurrenz wird zum Teil in § 38 BBauG geregelt (vgl. O. Schlichter, in: Schlichter/Stich/Tittel, § 38 BBauG R N 2 ff.). 46 Vgl. hierzu R. Breuer, Raumgestaltende Planung, S. 206 ff., 219 ff.; E. Forsthoff und W. Blümel, Raumordnungsrecht. 47 J. Heckel, Einrichtung und rechtliche Bedeutung des Reichshaushaltsgesetzes, in: Ajischütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I I (1932), S. 376, 385 ff.; K. Huber, Maßnahmegesetz und Rechtsgesetz (1963), S. 89; F. K. Viaion, Haushaltsrecht, 2. Aufl. (1959), S. 301; G. Püttner, Rang der Gesetze, S. 324.

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

Noch ein letztes Beispiel: Nach § 1 StabG haben Bund und Länder bei ihren wirtschafte- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, nämlich Stabilität des Preisniveaus, hohen Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum zu beachten. Es handelt sich hier nicht etwa u m einen Programmsatz, sondern § 1 StabG schreibt rechtsverbindlich bestimmte Zielsetzungen für alle wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen vor 4 8 . Sollen Maßnahmen nicht rechtsfehlerhaft sein, müssen sie die i n § 1 StabG benannten Ziele beachten 49 . Diese Zielsetzungen sind — bis auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht — Bund und Ländern nur durch einfaches Gesetz als Rechtspflichten auferlegt worden. Nach dem Grundsatz der „lex posterior" wäre eine Durchbrechung des Stabilitätsgesetzes ohne Bedenken zulässig. Der Bundesgesetzgeber — nicht aber der Landesgesetzgeber wegen seiner Bindung durch A r t . 31 GG — könnte i n späteren Gesetzen von Fall zu Fall von einzelnen Zielsetzungen des § 1 StabG abweichen. So könnte etwa eine Erschütterung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts für einige Zeit i n Kauf genommen werden, u m die Stabilität des Preisniveaus zu sichern. Eine strikte Anwendung des „lex-posterior"-Grundsatzes auf Planungs- und Programmgesetze erscheint sicherlich äußerst unbefriedigend 50 . Werden Leitgrundsätze und Leitziele aus dem Gefüge der Planungs- und Programmgesetze nach den Erfordernissen der Tagespolitik herausgebrochen, verlieren derartige Gesetze ihre Legitimation, nämlich die sozialpolitischen und ökonomischen Leitlinien der Polit i k m i t allseitiger Verbindlichkeit normativ festzulegen. Das Ziel- und Prioritätensystem von Planungsgesetzen w i r d erschüttert, so daß von einer diesem Grundtyp eigenen Wohlausgewogenheit nicht mehr gesprochen werden kann; es käme zu einer auffälligen Diskrepanz zwischen Inhalt und W i r k u n g der Planungs- und Programmgesetze. Man würde wieder zu der Politik des „muddling through" zurückkehren, 48 Κ. Stern, in: Stern/Münch/Hansmeyer, Gesetz zur Förderung der Stabilität, Art. 109 Abs. 2 GG, R N 8; M . Wiebel, Zur verwaltungsrechtlichen Bedeutung des StabG, in: DVB1. 1968, 899 ff., 903; W. Hoffmann-Riem, Rechtsprobleme der Aufwertung 1969, in: BB 1969 1374 f.; V. Götz, Buchbesprechung, in: JZ 1969, 756; K. Vogel, Steuerrecht und Wirtschaftslenkung, in: Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht (1968/69), S.225 ff., 237; differenzierend M . Schmidt-Preuß, Plan-Programm und Verfassung, in: DVB1. 1970, 536 ff. 49 Insoweit hat der Staat auf wirtschafts- und finanzpolitischem Gebiet seinen eigenen Äußerungen Grenzen gesetzt (vgl. hierzu G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. [1914], S. 367 ff.). 50 Zu dieser Frage vgl. K. Stern, Einführung, C, I , 2; Art. 109 GG, Einführung I V , 2 f.; § 1 StabG, Erl. V I I I , 1; R. Breuer, Selbstbindung, S. 102 ff.; G. Püttner, Rang der Gesetze, S. 322 ff.; R. Herzog, Wissenschaftliche Entwicklung, S. 26.

I. Vorgaben aus Staatsstrukturbestimmungen

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zu jener Politik, die man gerade m i t dem Erlaß der Planungs- und Programmgesetze zu überwinden hoffte 51 . Programm- und Planungsgesetze wären dann nichts anderes als eine unter dem Vorbehalt jederzeit zulässiger Zuwiderhandlung stehende Deklamation des guten Willens seitens des Gesetzgebers 52. Planungsgesetze verlieren aber auch ihre influenzierende W i r k u n g auf den Bürger, wenn einzelne Prioritäten und Zielsetzungen aus tagespolitischen Erwägungen heraus modifiziert werden könnten. Diese Erwägungen führen zu der Frage, ob besondere Kollisionsregeln für Planungsgesetze entwickelt werden müssen. Sicherlich lassen sich solche Kollisionsregeln für Planungsgesetze nicht apodiktisch postulieren 53 . Zunächst ist vielmehr die Tragweite der hergebrachten Kollisionsregeln näher zu analysieren; außerdem läßt sich erwägen, ob diese überhaupt für Planungsgesetze gelten. Sucht man Kollisionen zwischen Planungsgesetzen und den zu ihrer Konkretisierung erlassenen Gesetzen durch problemadäquate Auslegung der einzelnen Gesetze und nicht durch schematisierte Anwendung von rigiden Auslegungsregeln zu lösen, so ist insbesondere der Geltungsbereich des „lex posterior"-Grundsatzes zu erhellen. Zu diesem Zweck bietet sich ein Rückgriff auf die Motive an, die hinter dieser Kollisionsregel stehen. Bei einem Blick auf die Geschichte dieses Grundsatzes fällt auf, daß er sich erst m i t Entstehen des modernen Staates herauszubilden vermochte. Sowohl i n der Römischen Jurisprudenz als auch i m deutschen Mittelalter galt das Prinzip, daß altes Recht jüngeres Recht breche 54 . Dem hergebrachten „guten" Recht kam die Vermutung der Richtigkeit zugute. Erst als die rationale Bewältigung neu auftretender Probleme m i t den jeweils passenden M i t t e l n zur wesentlichen Staatsaufgabe geworden war, konnte jenes Bewußtsein entstehen, das i n dem jüngeren Gesetz das bessere und damit vorrangige Gesetz sieht. Vor allem gehört es zu den Grundprinzipien demokratischer Staaten, daß die demokratisch legitimierten Instanzen bei der Bestimmung der politischen Richtung einen weiten Gestaltungsspielraum besitzen. Es liegt i n der Souveränität des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, das bestehende Recht neu gestalten und über die Weitergeltung älteren Rechts befinden zu können. 51

Angedeutet bereits bei H. Quaritsch, S. 14; zum ähnlich gelagerten Problem der Planbindung vgl. die grundlegenden Ausführungen bei R. Wahl, Rechtsfragen, S. 91 ff. m. w. Nw. 62 R. Breuer, S. 102. 53 So aber N. Achterberg (S. 293): „lex completa derogat legi compienti". 64 F. Kern, Recht und Verfassung im Mittelalter, 2. Aufl. (1958), S. 30 ff.; H. Quaritsch, S. 18 ff. m. w. Nw.

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

Der „lex posterior"- Grundsatz drückt also nur eine Binsenwahrheit aus, daß nämlich alles gesetzte Recht zur Verfügung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers stehe. Nicht entscheiden läßt sich jedoch mit dem „lex posterior"-Grundsatz, ob der Gesetzgeber überhaupt über früheres Recht verfügen wollte 5 5 . Dies ist aus dem Willen des Gesetzgebers zu entnehmen. Hat der Gesetzgeber durch eine Aufhebungsbestimmung oder zwar nicht ausdrücklich, jedoch aus dem Regelungswillen ersichtlich, eine ältere Regelung aufheben wollen, besitzt der „lex-posterior"-Grundsatz unzweifelhaft Geltung. Anders verhält es sich, wenn der Gesetzgeber bei Erlaß des jüngeren Gesetzes nicht an entgegenstehendes gleichrangiges älteres Recht gedacht hat oder der Meinung war, das jüngere Gesetz füge sich ohne Widerspruch i n das System älteren Rechts ein. Es würde zwar i n der Konsequenz des „lex-posterior"-Grundsatzes liegen, daß das jüngere Gesetz das bessere sei und das zuletzt erlassene Gesetz gelte. Bei einer solchen Flüchtigkeit i m Gesetzgebungsverfahren erscheint es aber wenig sachgerecht, die Normenkollision schematisch unter Zuhilfenahme des Grundsatzes der „lex posterior" lösen zu wollen 5 6 . Die Forderung, daß die jüngere der älteren Norm vorgehe und nicht umgekehrt, ist keine, wie von Vertretern der Reinen Rechtslehre behauptet, „reine logische Konsequenz, die sich aus der Natur der Norm und dem Wesen der Einheit i m Normensystem ergibt" 5 7 . Der kurze Blick auf die Geschichte des Grundsatzes der „lex posterior" hat gezeigt, daß auch andere Kollisionsregeln logisch vorstellbar sind und die Kollisionsregeln letztlich von der Rechtskultur bedingt sind, i n der sie stehen. I m Widerspruch zu dem Grundsatz von der „lex posterior" läßt sich auch heute für bestimmte Fallgruppen begründen, daß der spätere Wille des Gesetzgebers den früheren nicht unbedingt verdrängen muß, soweit frühere Gesetze nicht ausdrücklich oder konkludent aufgehoben werden 5 8 . So würde etwa der Grundsatz der „lex posterior" zu wenig 55 Dies veranlaßt W. Burckhardt (Die Organisation der Rechtgemeinschaft, 2. Aufl. [1944, Neudr. Zürich 1971], S.257, Anm. 2) die „bekannten Parömien" wie „lex generalis posterior non derogat legi speciali anteriori" etc. als „sehr zweifelhafte Hypothesen" zu bezeichnen. 58 So bereits E. Ehrlich, Die juristische Logik, 2. Aufl. (1925), S. 139; K. Petraschek, System der Rechtsphilosophie (1932), S. 296 f.; a. M . Enneccerus/Nipper dey, S. 287: „Die Abänderung oder Aufhebung (eines Gesetzes) wird oft ausdrücklich ausgesprochen; aber auch wenn das nicht geschehen ist, wird der ältere Rechtssatz aufgehoben, soweit der neuere Rechtssatz mit ihm unvereinbar ist." 57 So aber H. Kelsen, Reichsgesetz und Landesgesetz nach österreichischer Verfassung, in: AöR 32. Bd. (1914), S. 202 ff., 206 ff.; vgl. weiter A. Merkl, Die Rechtseinheit des österreichischen Staates, in: AöR 37. Bd. (1918), S. 56 ff., 68 ff. (die Rechtseinheit soll Erkenntnisgrund des Satzes von der „lex posterior" sein) und H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. (Wien 1960), S. 210 (unter Bezugnahme auf die Souveränität des Gesetzgebers).

I. Vorgaben aus Staatsstrukturbestimmungen

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sachgerechten Ergebnissen führen, wenn ein Sachgebiet i n einem älteren Gesetz umfassend und systematisch geregelt ist und i n einem j ü n geren Gesetz versehentlich aus dem Regelungsgefüge herausfallende Vorschriften erlassen werden. Bei jeder Normenkollision muß also geklärt werden, ob der Gesetzgeber den Willen hatte, neue und bessere Sachverhaltsregelungen zu normieren 5 9 . Dieser Wille ist nicht vorhanden, wenn der Gesetzgeber m i t einem jüngeren Gesetz den Rahmen eines älteren (Planungs-)Gesetzes ausfüllen möchte, ohne es zu durchbrechen, versehentlich aber ein Widerspruch zu dem älteren Gesetz unterläuft. I n diesem Falle w i r d man beide Gesetze als ein zusammenhängendes Ganzes ansehen müssen, wobei es auf den Zeitpunkt des Erlasses der Gesetze nicht ankommt. „Der Gesetzgeber hat bei der ausführenden Gesetzesregelung die ältere Rahmenregelung gleichsam wieder i n seinen Willen aufgenommen, und wenn nicht eine Durchbrechung der alten Regelungen als bewußte Regelung hervortritt, w i r d man i m Wege harmonisierender Interpretation regelmäßig der Rahmenregelung den Vorrang geben und die ausführende Norm zurücktreten lassen 60 ." Hier handelt es sich u m die Herstellung der Konkordanz 6 1 zwischen gleichrangigen Gesetzen i m Wege der Interpretation. Kann eine derartige Konkordanz nicht hergestellt werden, müssen von dem zur Entscheidung berufenen Gericht Normen des „Vollzugsgesetzes" aufgehoben werden, w e i l sie gegen das „Grundsatzgesetz" verstoßen 62 . Nur unter 68 Vgl. K. Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 48; E. Forsthoff und W. Blümel, S. 89, 94 und passim. 59 So auch H. Quaritsch, S. 21; G. Püttner, S. 322. 60 G. Püttner, S. 322. 61 F. Ossenbühl (Die Quellen des Verwaltungsrechts, in: H.-U. Erichsen und W. Martens [Hg.], Allgemeines Verwaltungsrecht [1975], S.51 ff., 110) fordert, daß Normenkollisionen auf derselben Stufe zunächst nach dem Prinzip der Konkordanz zu lösen seien. 62 Die Begründungen dieses Ergebnisses differieren erheblich. H. Quaritsch (S. 23) möchte in dem das Plangesetz tragenden Planungsgesetz die „lex superior" sehen. Nach der Ansicht von C. H. Ule (Zwangseingemeindungen und Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Verwaltungsarchiv Bd. 60 [1969], S. 101 ff., 113; ders., Allgemeines Wohl und öffentliche Interessen in der Rechtsprechung der Verfassungs- und Verwaltungsgerichte, in: Wohl der Allgemeinheit und öffentliches Interesse [Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 39, 1968], S. 125 ff., 143) bezieht sich der Grundsatz der „lex posterior" nur auf das Verhältnis verschiedener allgemeiner Rechtsnormen, die eine Regelung derselben Materie zum Gegenstand haben. Stehen aber zwei Gesetze, wie Gemeindeordnung und Gebietsänderungsgesetz, zueinander im Verhältnis von Norm und Vollzugsakt, so sollen sie nicht denselben Rang haben (im Ergebnis ebenso H. Krüger, Das parlamentslose Parlamentsgesetz, in: DVB1. 1962, 581 ff., 583). R. Breuer (S. 105) ist der Ansicht, den Planungsgesetzen wohne eine stillschweigende Kollisionsnorm des Inhalts inne, daß sie gegenüber Ausführungsgesetzen vorrangig seien. Gegen Quaritschs „lex superior"-Lösung und Ules „Norm-Vollzugsakt"-Lösung ist einzuwenden,

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

diesen Bedingungen führt der Grundsatz „lex completa derogat legi compienti" i m Ergebnis zu einer Bindung des Gesetzgebers an seine Grundsatzgesetze® 3. Ob der Gesetzgeber durch ein jüngeres Planungsgesetz, durch ein Plangesetz oder ein Maßnahmegesetz ein älteres Planungsgesetz lediglich konkretisieren oder zumindest unberührt lassen, aber nicht aufheben wollte, ist i n aller Regel durch Auslegung zu ermitteln. Ausgangspunkt dieses Auslegungsprozesses ist wiederum die allgemeine Funktion des Planungsgesetzes i m System der Rechtsordnung: Die Planungsgesetze konkretisieren ein von der Staatsleitung für einen größeren Zeitraum entwickeltes Programm. Dieses Programm läßt sich i n der Regel nur i n verschiedenen gesetzgeberischen Stufen verwirklichen. Die einzelnen Stufen der Programmrealisierung, d.h. die Planungsgesetze und Plangesetze, regeln beschränkte Materien und besitzen einen spezifischen Stellenwert i m Gesamtprogramm. Jede Stufe der Programmverwirklichung setzt Richtpunkte für zukünftige gesetzgeberische Schritte, bis die unterste Stufe, das Plangesetz erreicht ist. Jeder gesetzgeberische A k t zur Realisierung eines Gesamtprogramms muß i n seiner Verbindung m i t den vorausgegangenen und gleichzeitigen Plan(ungs)gesetzen gesehen werden. Er gibt gleichzeitig Anhaltspunkte für Richtung und Intensität zukünftiger Gesetzgebung innerhalb des Gesamtprogramms an. So ist etwa das Verhältnis des Haushaltsgrundsätzegesetzes zum Haushaltsplangesetz, der ehemaligen Aufbaugesetze zu den jeweiligen Plangesetzen®4 oder der Gemeindeund Landkreisordnungen zu den jeweiligen Neugliederungsgesetzen® 5 von dem Gedanken geprägt, daß die Plangesetze die „Grundnormen" der Planungsgesetze stoßweise verwirklichen sollen. Die Planungsgesetze sind hier gleichsam die vor die Klammer gezogenen Prinzipien, die den Plangesetzen erst Sinn und Zweck verleihen. Bei solchen Gesetzen kann man i n der Regel davon ausgehen, daß der „planungsgesetzgebungsrealisierende" Gesetzgeber sich i m Rahmen des älteren Planungsgesetzes halten möchte; dies vor allem dann, wenn der Gesetzgeber ein Plangesetz erläßt, bei dem die Einzelregelung i m Vordaß die Befugnis des Gesetzgebers, auch ein Planungsgesetz durch nachfolgendes Plangesetz zu korrigieren, nicht hinreichend berücksichtigt wird. Breuers Annahme einer stillschweigenden Kollisionsnorm erscheint überflüssig, da sich durch Auslegung das gleiche Ergebnis erzielen läßt. 63 A. M . wohl K. Stern, Gesetz zur Förderung der Stabilität, § 1 Erl. V I I I , 1; Cassese, Organe, Verfahren und Instrumente der Planung in Italien, in: J. H. Kaiser (Hg.), Planung I I , S. 222; JR. Herzog, Wissenschaftliche Entwicklung, S. 26. 64 Beispiele bei H. Quaritsch, S. 23 und 61. 65 So auch M . Ronellenfitsch, S. 194 f., der allerdings weitergehend eine Selbstbindimg des Gesetzgebers durch § 7 Abs. 1 bdw. L K r O annimmt.

I . Vorgaben aus Staatsstrukturbestimmungen

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dergrund steht: es ist die Vollzugsnorm des Planungsgesetzes. Eher mit Vorsicht ist diese Auslegungsregel bei Konkurrenzen zwischen Planungsgesetzen untereinander sowie Planungsgesetzen und Maßnahmegesetzen zu verwenden. Wenn durch ein Maßnahmegesetz etwa auf wirtschaftspolitische oder soziale Krisen reagiert werden muß, ist dem Gesetzgeber ein weiter Prognosespielraum eingeräumt, ob die von i h m getroffenen Maßnahmen geeignet sind, die von einem Planungsgesetz — wie dem StabG — angestrebten Ziele zu erreichen. Außerdem ist i n Krisensituationen die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß der Gesetzgeber m i t seinem Maßnahmeinstrumentarium i n erster Linie Krisenmanagement betreiben wollte und daher von den allgemeinen Planungsgrundsätzen Abstand genommen hat. So läßt sich vorstellen, daß der Gesetzgeber für einen gewissen Zeitraum eine Erschütterung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts oder der Geldwertstabilität i n Kauf nimmt und so von dem „magischen Viereck" des StabG abweicht. Wenn sich also aus den gesamten Umständen ein entgegengesetzter Wille des Gesetzgebers ergibt, w i r d die Vermutung für den Fortbestand des rahmengebenden Planungsgesetzes widerlegt. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß der Grundsatz der „lex posterior" auf das Verhältnis von Planungsgesetzen zu konkretisierenden Planungsgesetzen und Plangesetzen grundsätzlich anwendbar ist 6 8 , wenngleich sich aus dem Willen des Gesetzgebers bei Planungsgesetzen oftmals eine differenzierende Lösung herleiten läßt. Der Grundsatz der „lex posterior" gilt unumschränkt, wenn ein späteres Planungsoder Plangesetz ausdrücklich bestimmt oder es sich aus dem Willen des Gesetzgebers ergibt, daß eine Ausnahme von dem umfassenden früheren Planungsgesetz gemacht werden soll. I n diesem Fall kann durch Auslegung ein Normwiderspruch zwischen Planungsgesetz und konkretisierendem Gesetz nicht beseitigt werden. A l l e n Begründungsversuchen, die für das Verhältnis von Planungsgesetzen zu planungsrealisierenden Gesetzen den „lex-posterior"-Grundsatz nicht angewendet wissen wollen, ist entgegenzuhalten: Nach A r t . 20 Abs. 3 GG ist der Gesetzgeber nur an die Verfassung gebunden. Damit ist prinzipiell der demokratisch legitimierte Gesetzgeber jederzeit i n der Lage, seine eigenen Programme zu durchbrechen 67 .

ββ

Ebenso R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 329. Wie hier u.a. K.Stern, § 1 E r l . V I I I , 1; R. Schmidt, Wirtschaftspolitik, S. 195; C. Degenhart, Systemgerechtigkeit, S. 34 ff.; G. Püttner, S. 323; a. M . etwa R. Breuer, S. 102. 67

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

bb) Bindung des Gesetzgebers durch Hineinwachsen gesetzlicher Regelungen i n das Verfassungsrecht I m Sinne der Lehre vom Stufenbau 68 gehören Verfassungsrecht und Gesetzesrecht verschiedenen Rangstufen an, so daß sich bei eindeutigem Inhalt das Verfassungsrecht gegenüber dem Gesetzesrecht durchsetzen kann. Gleichwohl sind Verfassungsrecht und Gesetzesrecht eng miteinander verflochten. Die Verfassung w i r k t i n die Rechtsanwendung hinein, wenn Gesetze verfassungskonform ausgelegt werden oder unter Rückgriff auf verfassungsrechtliche Leitprinzipien Richterrecht geschaffen wird. A u f der anderen Seite ist Gesetzesrecht nicht allein durch das Verfassungsrecht gesteuert; Gesetzesrecht kann auch, sofern es die weit gefaßten Begriffe des Verfassungsrechts näher konkretisiert, selbst Bestandteil der Verfassung werden. Es geht hier u m die letzthin wiederholt aufgestellte These, daß Entscheidungen des „einfachen" Gesetzgebers, infolge des Aufeinanderbezogenseins von Verfassungsrecht und Gesetzesrecht, als Inhalt der Verfassung interpretiert werden können 69 . Dieses Aufeinanderbezogensein von Verfassungsrecht und einfachem Gesetzesrecht, die zu einer Interpretation der Verfassung nach Gesetzesrecht führen kann, kann insbesondere i n folgenden Fallgruppen den Gesetzgeber auf ein gewähltes Regelungsmodell festlegen: Bei institutionellen Verfassungsgarantien liegt es nahe, daß einfachgesetzlich geregelte Merkmale Verfassungsrang erlangen können 70 . So spricht man vielfach von einem Hineinwachsen einfachgesetzlicher Regelungen i n den Bereich der verfassungsrechtlichen Garantie kommunaler Selbstverwaltung 71 . Auch bei Kompromißlösungen zwischen kollidie68 A. Merkl, Prolegomena einer Theorie des rechtlichen Stufenbaus, in: Festschrift für H. Kelsen, hrsg. von A. Verdross (Wien 1931), S. 252 ff.; R. Walter, Der Aufbau der Rechtsordnung. Eine rechtstheoretische Untersuchung auf Grundlage der Reinen Rechtslehre (Graz 1964), bes. S.53ff.; Th. öhlinger, Der Stufenbau der Rechtsordnung. Rechtstheoretische und ideologische Aspekte (Wien 1975); vgl. auch H. W. Kopp, Inhalt und Form der Gesetze, Bd. 1 (1958), S. 120 ff. 89 P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 G G (1962, 2. Aufl. [1972]), S. 220 f.; H. P. Bull, Staatsaufgaben, S. 114; P. Lerche, Stiller Verfassungswandel als aktuelles Politikum, in: Festschrift für Th. Maunz (1971), S. 285 ff., 297; C. Degenhart, S. 33 m. w. Nw.; O. Majewski, Auslegung der Grundrechte durch einfaches Gesetzesrecht? (1971). 70 G. Seibert, Selbstverwaltungsgarantie und kommunale Gebietsreform (1971), S. 30. 71 C. Degenhart, S. 33; H. Scholtissek, DVB1. 1968, S. 828; G. Seibert, S. 28; bei der Bestimmung des Kernbereichs kommunaler Selbstverwaltung ist der geschichtlichen Entwicklung und den verschiedenen historischen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung Rechnung zu tragen (BVerfGE 26, 238; 17, 182; 23, 366). Die historischen Erscheinungsformen kommunaler Selbstverwaltung können ihrerseits wieder durch die Gesetzgebung geprägt werden. So ist man etwa der Ansicht, die Befugnisse der Gemeinden zur Bauleit-

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renden Verfassungsprinzipien kann eine Selbstbindung des Gesetzgebers eintreten. Trifft der Gesetzgeber eine Kompromißlösung zwischen kollidierenden Verfassungsprinzipien, so werden i m Zeitpunkt des Kompromisses und einige Zeit danach auch andere gesetzliche Kompromißlösungen noch diskutabel sein. Dem Gesetzgeber steht es i n diesem Zeitraum offen, eine Kompromißlösung i n anderer Form zu normieren. Eine gesetzliche Kompromißlösung kann i m Laufe der Zeit aber zu dem i n der Verfassung angelegten und von der Verfassung gewollten Kompromiß hochstilisiert werden. Der Kompromiß kann einen Mindeststandard darstellen, hinter den ohne Verfassungsbruch nicht mehr zurückgeschritten werden kann. Die Verfassung ist i n diesem Fall durch Gesetzesrecht mit der Zeit stillschweigend fortgebildet worden 7 2 . Weiterhin kann der Gesetzgeber an jene Regelungen gebunden sein, die i n Erfüllung eines verfassungsrechtlichen Gebots ergingen. So konkretisiert beispielsweise das Stabilitätsgesetz die Staatszielbestimmung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts i n A r t . 109 Abs. 2 GG. Bleibt der Gesetzgeber aber bei Erlaß weiterer wirtschaftslenkender Gesetze hinter dem vom Stabilitätsgesetz gewährleisteten Standard zurück, so kann hierin ein Verstoß gegen A r t . 109 GG gesehen werden 73 . Nicht zuletzt kann der Gesetzgeber durch die sog. A n näherungsvorstellung gebunden werden. Das bedeutet: Eine gesetzgeberische Regelung w i r d i n der Weise interpretiert, daß sie dem Verfassungstext eher zu entsprechen scheint, als eine andere gesetzgeberische Regelung. Bei der Verfassungskonkretisierung können durch Ausnützung der Annäherungsvorstellung Daten gesetzt werden, die ihrerseits das Verfassungsrecht intensiv beeinflussen, und die daher, auf die Dauer gesehen, die Verfassung selbst wandeln können 74 . Uber eine solche Annäherungsvorstellung kann es etwa zur Verfestigung bildungspolitischer Programme kommen. Wenn gesetzliche Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit getroffen sind, so sind vom Gesetzgeber i n einem sozialen Teilbereich die Voraussetzungen Planung im BBauG würden für diesen Bereich die Garantie kommunaler Selbstverwaltung verbindlich interpretieren, obgleich die Bauplanung nicht zum traditionellen Hausgut kommunaler Selbstverwaltung gehörte (hierzu E. Schmidt-Aßmann, Grundfragen, S. 127 ff. m. w. Nw.). Weiterhin ist etwa vorstellbar, daß jene Bestimmungen in kommunalen Neugliederungsgesetzen, die auf die Effektivität kommunaler Selbstverwaltung abstellen (keine „Zwerggemeinden"), vom derzeitigen Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung gedeckt werden (Konsequenz: Anspruch der Zwerggemeinden auf Neugliederung). 72 Vgl. hierzu W. Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassimg (1964), insbes. S. 38 ff.; ders., Imperium in fieri, in: Der Staat 8. Bd. (1969), S. 273 ff., 275. 73 Ebenso C. Degenhart (S. 111), wobei allerdings sein Hinweis auf „willkürlichen" Verstoß gegen Staatszielbestimmungen unklar bleibt. 74 P. Lerche, S. 285 ff., 297; vgl. auch C. Degenhart, S. 103. 23 Würtenberger

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

für die Verwirklichung der Gleichheit i n der Gesellschaft geschaffen worden. Es w i r d dem Gesetzgeber nicht nur politisch, sondern auch verfassungsrechtlich schwer fallen, hinter diesen einmal aufgestellten Standard der Gleichheit wieder zurückzuschreiten 75 . Auch bei Planungsgesetzen kann eine solche Bindung des Gesetzgebers eintreten. Planungsgesetze haben oft die Aufgabe, verfassungsrechtliche Gebote zu erfüllen 7 6 , einzelne Verfassungsgrundsätze näher zu konkretisieren 7 7 und Anhaltspunkte für die Lösung von Überschneidungen zwischen Verfassungsprinzipien zu liefern 7 8 . Bei diesen Fallgruppen kann es zu einer Bindung des Gesetzgebers an selbstgesetztes Recht kommen, und zwar durch eine allmähliche Festlegung des Interpretationsspielraumes der weit gefaßten verfassungsrechtlichen Begriffe. Diese Fixierung verfassungsrechtlicher Begriffe wiederum vermag die gesetzgeberischen Korrekturmöglichkeiten zu beschneiden. Die vertikale Bindung des einfachen Gesetzgebers an den Verfassungstext, sobald i m Zuge einer verfestigten Verfassungsinterpretation Regelungen des einfachen Gesetzgebers m i t der Bestandskraft der Verfassung versehen sind, spielt die entscheidende Rolle. Dies fordert natürlich einige kritische Fragen heraus. Zunächst ist zu überlegen, ob diese konkretisierende Festschreibung einzelner Verfassungsprinzipien anhand einfachen Gesetzesrechts ein Vorgang ist, der u . U . den Inhalt der Verfassung zu verwässern droht 7 9 . M i t Nachdruck hat insbesondere Leisner davor gewarnt, daß die Verfassung ihren Charakter als Grundlage einer zukunftsoffenen sozialen und ökonomischen Gestaltung verliere, wenn sie durch Rückgriff auf niederrangiges Recht konkretisiert werde 8 0 . Weiterhin ist es i n der Tat eine beklemmende Vorstellung, daß Recht des einfachen Gesetz75

F. Hufen, Gleichheitssatz und Bildungsplanung (1975), S. 85 f., 98 ff., 108 f. Die Hochschulplanung etwa ist durch eine „leistungsstaatliche" Interpretation des Art. 12 GG geboten (u. a. Sicherung eines hinreichenden Angebots an Studienplätzen). 77 So konkretisiert ζ. B. das Stabilitätsgesetz (BGBl. I, 1967, S. 582 ff.) die Erfordernisse einer konjunkturgerechten Haushaltswirtschaft und die Maßnahmen zur Abwehr von Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. 78 So strebt etwa § 2 Hochschulbauförderungsgesetz (BGBl. I, 1969, S. 1556) ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Forschung und Ausbildung, also einen Kompromiß zwischen Art. 5 Abs. 3 und Art. 12 GG an. 79 Es handelt sich nicht um Entstehen von Gewohnheitsrecht im üblichen Sinn, da das geschriebene Verfassungsrecht nicht durch ungeschriebene Rechtssätze ergänzt wird (vgl. aber C. Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht? Eine Untersuchung zum Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland [1972], S. 50). 80 W. Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit, S. 26 ff.; kritisch P. Häberle, Besprechung, in: AöR 90. Bd. (1965), S. 117 ff., 120 ff.; O. Majewski, S. 13 ff. 76

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gebers an der Bestandskraft der Verfassung teilhaben soll. Werden hier nicht politische Entscheidungen unversehens zementiert? Kann es nicht zu einem politischen Immobilismus kommen, weil das Gesetzesrecht, das das Verfassungsrecht konkretisiert, seinen Rang i n der Rechtsordnung ändert? Gerdade diese Gefahr eines politischen Immobilismus erscheint i n einer Zeit besonders bedrohlich, i n der die rasch wechselnden sozialen und ökonomischen Herausforderungen den Staat zu raschen Reaktionen zwingen können. Bereits diese Überlegungen verdeutlichen, daß die i n letzter Zeit verschiedentlich vertretene These vom Hineinwachsen einfachen Gesetzesrechts i n das Verfassungsrecht nicht ohne weiteres hingenommen werden kann. Richtig an dieser These ist sicherlich, daß nicht allein die Rechtsprechung, wobei dem Bundesverfassungsgericht naturgemäß eine herausragende Rolle zukommt, und die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen m i t dem Verfassungsrecht zu einer verfestigten Interpretation weitgefaßter verfassungsrechtlicher Begriffe führen können. Auch das Gesetzesrecht kann eine treibende Kraft i m allgemein zu beobachtenden Prozeß der Verfassungskonkretisierung 81 und interpretatorischen Festlegung verfassungsrechtlicher Begriffe sein. Wann aber Entscheidungen des einfachen Gesetzgebers selbst zum I n halt der Verfassung werden, bedarf eingehender Begründung. Grundlage einer Festlegung verfassungsrechtlicher Begriffe durch Gesetzesrecht kann insbesondere ein Bewußtseinswandel 82 sein: Einfaches Gesetzesrecht kann an der Bestandskraft der Verfassung teilhaben, wenn die allgemeine Überzeugung entsteht, durch das einfache Gesetz sei das von der Verfassung Gewollte i n Worte gefaßt 83 . Die allgemein gehal81 Hierzu etwa C. Degenhart, S. 82 f.; W. Leisner, S. 42 ff.; P. Lerche, S. 292 ff.; H. Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: V V D S t R L H. 20 (1963), S. 68 ff.; C. Tomuschat, S. 145 ff.; BVerfGE 6, 222 ff., 240 (zur führenden Rolle des Bundesverfassungsgerichts bei Fortbildung des Verfassungsrechts). 82 Die (Verfassungs-)Rechtsfortbildung findet freilich nicht allein anläßlich eines Bewußtseinswandels statt. Dies schon deshalb, weil die Mehrzahl der (Verfassungs-)Rechtsnormen von der Bevölkerung nicht wahrgenommen wird. Die Rechtsfortbildung, d.h. die Herausarbeitung jenes Norminhalts, der eine sichere Chance hat, in einem rechtlich organisierten Verfahren durchgesetzt zu werden, wird im wesentlichen durch die Gerichte geleistet. Hierbei sind es die Prinzipien der Rechtssicherheit und Gleichbehandlung, die die Gerichte an ihre Vorentscheidungen dergestalt binden, daß eine gefestigte Rechtsprechung nicht ohne triftigen Grund aufgegeben werden darf. 83 Diese Frage wird von C. Tomuschat in seiner Schrift „Verfassungsgewohnheitsrecht? Eine Untersuchung zum Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland" (1972), nicht angesprochen. — Die rechtschaffende Kraft des allgemeinen Bewußtseins ist natürlich eine altbekannte Denkkategorie. Nach den Vorstellungen der historischen Rechtsschule sollte eine faktische Rechtsgepflogenheit nur dann zu Recht werden, wenn sie von der Rechtsüberzeugung (opinio iuris) der Beteiligten getragen wird. Die neuhegelianische Rechtstheorie geht davon aus, daß „der i m Gesetz objektivierte Geist bis zu

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tenen Begriffe und die Zielvorstellungen der Verfassung erhalten einen greifbaren Sinn, sobald die allgemeinen Anschauungen i m Laufe der Zeit Vorstellungen entwickelt haben, die die Verfassung näher gestalten 84 . Das allgemeine Bewußtsein legitimiert die Verfassungsrechtsfortbildung, wenn es das Gesetzesrecht m i t dem von Verfassungs wegen Gewollten gleichsetzt 85 . Dies ist der Fall, wenn über längere Zeit ein Basiskonsens 86 , eine opinio constitutionis über entscheidende Regelungen gemeinschaftlichen Zusammenlebens entsteht. Bei diesem verfassungsrechtlich bedeutsamen, d. h. auf die Fortbildung des Verfassungsrechts angelegten Basiskonsens handelt es sich u m eine Bewußtseinslage, die einer rechtlichen Regelung die Richtigkeit und Beständigkeit verfassungsrechtlicher Normierung zuschreibt. Von einem derartigen Basiskonsens läßt sich sprechen, wenn die Diskussion über ursprünglich verfassungsrechtlich legitime, alternative Lösungsmöglichkeiten verstummt ist und die allgemeine Überzeugung entstanden ist, daß eine rechtliche Regelung zum bewahrenswerten Bestand einer Rechtsordnung geworden ist. Der verfassungsrechtlich bedeutsame Basiskonsens schafft jene Kontinuität, derer man auch i n Zeiten schnellen sozialen Wandels bedarf 87 . Der Vorgang des Entstehens eines Verfassungskonkretisierenden Basiskonsenses ließe sich anhand einzelner Grundrechte 88 oder des Soeinem gewissen Grad an der weiteren Entwicklung des objektiven Geistes teilnehme und in diese Entwicklung einbezogen werde" (R. Zippelius, Methodenlehre, S. 82). 84 A n dieser Stelle kann die Frage nicht vertieft werden, wie ein allgemeiner Bewußtseinswandel empirisch nachweisbar ist, auf welchen Gründen ein solcher Bewußtseinswandel beruht und welche Instanz den Bewußtseinswandel normativ sanktionieren kann (Gesetzgeber und auch Verfassungsrechtsprechung?) . 85 Kritisch C. Tomuschat (S. 153), der es für „eine beklemmende Vorstellung" hält, „im Verfassungsbereich könnte e i n e . . . Verfestigung aller über längere Zeit geübten Verhaltensweisen eintreten". 88 Vgl. hierzu A. Podlech, Wertentscheidungen und Konsens, in: Rechtsgeltung und Konsens, hrsg. von G. Jakob (1976), S. 9 ff., 24 ff. Nach U. Scheuner (Konsens und Pluralismus als verfassungsrechtliches Problem, ebd. S. 32 ff., 62) ist die Lehre vom Basiskonsens in der deutschen Theorie noch, wenig entfaltet. Dies mag zwar für den „politischen" Basiskonsens zutreffen. Allerdings werden in der Methodenlehre vielfach Fragen des Basiskonsenses im Zusammenhang mit der Darstellung der herrschenden Sozialmoral angesprochen (vgl. etwa K. Lorenz, Methodenlehre, S. 410 ff.; R. Zippelius, Das Wesen des Rechts, S. 110 f.; ders., Wertungsprobleme i m System der Grundrechte [1962], S. 143 ff., 147 ff.). 87 Zum Problem der Kontinuität vgl. die Beiträge von C. Meier und H. Thieme, in: H. Trümpy (Hg.), Kontinuität und Diskontinuität in den Geisteswissenschaften (1973). 88 Symptomatisch ist die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts, Art. 14 GG wolle das Eigentum so schützen, wie das bürgerliche Recht und die gesellschaftlichen Anschauungen es geformt haben (BVerfGE 1, 278; 2, 402; 11, 70; 14, 278).

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zialstaatsprinzips 89 m i t Beispielen belegen 90 . So besteht etwa ein Basiskonsens darüber, daß der Sozialstaat ein System der Vorsorge für Alter und Krankheit bereitzustellen habe. Das „Wie" der Ausgestaltung eines Systems der sozialen Sicherung bleibt der politischen Gestaltung überlassen, da kein allgemeiner Konsens über die verschiedenen Möglichkeiten der Gestaltung zu erwarten ist 9 1 . Diese Überlegung verdeutlicht, daß sich eigentlich nur i n grundlegenden, kaum Lösungsalternativen zulassenden Fragen ein allgemeines Bewußtsein herausbilden kann, das es i n der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung angezeigt sein lassen kann, eine gesetzliche Regelung auf die Ebene verfassungsrechtlicher Bestandskraft zu heben. Solange aber Regelungen des einfachen Gesetzgebers infolge solchen fundamentalen Bewußtseinswandels nicht mit der Bestandskraft der Verfassung versehen sind, sollte der Gesetzgeber nicht auf seine selbstgesetzten Entscheidungen festgelegt werden. Zwar mag eine gesetzgeberische Regelung, die auf Grund eines Verfassungsauftrags oder zur Konkretisierung einer verfassungsrechtlichen Staatszielbestimmung erging, i m Ergebnis nur erschwert vom Gesetzgeber korrigiert werden können. Aber soweit hinreichende Veranlassung besteht, können die Zielbestimmungen des Stabilitätsgesetzes 92 oder auch eine den allgemeinen Vorstellungen von der Chancengleichheit entsprechende Bildungspolitik geändert werden 9 3 . 89 So ist etwa das „Armenrecht" durch das Sozialstaatsprinzip geboten (BVerfGE 35, 355) oder es gilt der Grundsatz, daß die staatliche Gemeinschaft Lasten mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal mehr oder weniger zufällig nur einzelne Bürger getroffen haben (BVerfGE 27, 283). 90 Ähnliche Fragestellungen ergeben sich, wenn man z. B. § 14 GO N W als Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Begriffs „Selbstverwaltungsrecht", dem Verfassungsrang zukommt, betrachtet (vgl. hierzu H. Scholtissek, Verfassungsprobleme der Eingemeindung, in: DVB1. 1968, 825 ff., 829, 831; G. Seibert, Selbstverwaltungsgarantie und kommunale Gebietsreform [1971], S. 28 ff.) oder eine verfassungsrechtliche Effektivitätsgarantie der Bundeswehr annimmt (vgl. D. S. Lutz und V. Rittberger, Abrüstungspolitik und Grundgesetz [1976], S. 42 ff.; weitere Bsp. bei C. Degenhart, S. 84 ff.). 91 Ähnlich auch W. Wertenbruch, Sozialverfassung — S ozi al Verwaltung (1974), S. 18; nach P. Häberle (Die Wesensgehaltsgarantie, S. 220) können sozialpolitische Gesetze, „die zunächst unabhängig von der Sozialstaatsgarantie verabschiedet wurden", nachträglich in die Bestandsgarantie des Art. 20 GG aufgenommen werden. 92 Etwa anläßlich des Entstehens neuer makroökonomischer Theorien. 93 Unter verfassungstheoretischem Aspekt bleibt von Bedeutung, daß die verfassungskonkretisierende Tätigkeit des Gesetzgebers Verfassungswandlungen anbahnen kann. Dies zeigt etwa ein Blick auf ausländische Verfassungen. I n den USA waren seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in zunehmendem Umfang sozial- und wirtschaftspolitische Gesetze ergangen. Da diese Gesetze die liberale Wirtschaftsverfassung schrittweise abbauten und der Supreme Court in der Verfassung das laissez faire verbürgt sah, erklärte er zahlreiche Gesetze für nichtig. Erst im Jahre 1937 führte der Druck der öffentlichen Meinung zu einem Umschwung in der Rechtsprechung. Seitdem

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

cc) Die Bindung an selbstgesetzte Prinzipien sozialer und ökonomischer Gestaltung aus dem Gesichtspunkt der Prinzipientreue Bei der Bindung des Gesetzgebers an selbstgesetzte Prinzipien sozialer und ökonomischer Gestaltung kann weiterhin der verbindlich geäußerte Wille des Gesetzgebers eine erhebliche Rolle spielen. Hat der Gesetzgeber Leitprinzipien oder gar ein ganzes System sozialer und ökonomischer Gestaltung normativ fixiert, so entspricht es dem allgemeinen Verbot des „venire contra factum proprium", das hier i n der Variante der Prinzipientreue i n Erscheinung t r i t t , daß der Gesetzgeber sich an diesem Regelungssystem auch festhalten lassen muß. Selbstbindung des Gesetzgebers aus dem Gesichtspunkt der Prinzipientreue bedeutet zweierlei: zum einen müssen die gesetzlich fixierten Zielvorstellungen und Rechtsgrundsätze über einen gewissen Zeitraum eine relative Konstanz entfalten; einmal gewählte Entscheidungskriterien und politische Vorzugstendenzen müssen nach Maßgabe der jeweiligen Situation angewandt werden und dürfen nicht beliebig gewechselt werden. Zum anderen bedeutet Selbstbindung des Gesetzgebers aus dem Gesichtspunkt der Prinzipientreue, daß die Rechtsetzungsorgane die selbstgesetzen Rechtsgrundsätze und Zielvorstellungen innerhalb eines einzelnen Gesetzes, aber auch i m Hinblick auf andere Gesetzeswerke widerspruchsfrei verwirklichen müssen 94 . Dies gilt i n besonderem Maß für Planungen i n Form von Gesetzen. Die Koordination und das Aufeinanderabstimmen von umfassenden Planungen und Detailplanungen mitsamt den einzelnen Maßnahmebündeln sind für das Gelingen jeder Planung von größter Bedeutung. I n ein großes Rahmenwerk globaler Planungen müssen sich Einzelpläne und einzelne staatliche Maßnahmen lückenlos einfügen; Widersprüche i m Ziel- und Maßnahmesystem von Planungen sind offenzulegen und einem Kompromiß zuzuführen. Systematik und Folgerichtigkeit sind nicht allein Bedingungen jeder sachgerechten Planung, sondern gehören auch zu den Grundbedingungen rechtsstaatlicher Planung 95 . Gesetzgeberische und planerische Prinzipienlosigkeit übt der Supreme Court auch in Bezug auf wirtschaftspolitische Gesetze ein „judicial self restraint" (E. Fraenkel, Das richterliche Prüfungsrecht in den Vereinigten Staaten, in: JöR Bd. 2 [1953], S. 35 ff., 84 ff.; K. Carstens, Grundgedanken der amerikanischen Verfassung und ihre Verwirklichung [1953], S. 115 ff.). 94 Hierbei ist, soweit möglich, ein System zwischen an sich unverbunden nebeneinander stehenden Normen zu wahren, wie etwa zwischen Steuerrecht und Zivilrecht (vgl. C. Degenhart, Systemgerechtigkeit, S. 6 ff.). 95 P. Badura, Diskussionsbeitrag, in: W D S t R L H. 32 (1974), S. 252; E. Grabitz, Freiheit, S. 255 f.

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sind geradezu ein Indiz für W i l l k ü r , da sie zu einer rechtsstaatswidrigen Unübersichtlichkeit der Rechtsordnung führen und ein eigenverantwortliches Disponieren des Bürgers erschweren 96 . I n diesem Sinne muß Planung i n Gesetzesform, verrechtlichte Planung also, i n doppelter Hinsicht prinzipientreu und systematisch betrieben werden: Nicht nur die jeder rechtsstaatlichen Rechtsordnung und Rechtsetzung zugrundeliegenden Systemvorstellungen legen ein prinzipientreues Vorgehen beim Erlaß von Planungsgesetzen nahe; sondern auch die jeder Planung wesensnotwendige Tendenz zur Systematisierung von Problemzusammenhängen zwingt dazu, die Planungsgesetze i n Systemzusammenhänge einzugliedern. Es geht also u m Rang und Bedeutung des Grundsatzes der Prinzipientreue 97 i n der Rechtsordnung, der zu einer Systematisierung des Planungsrechts zwingt, vor allem aber eine Bindung des Gesetzgebers an seine Planungsgesetze begründet. U m Mißverständnisse vorzubeugen sei bereits jetzt ausdrücklich bemerkt, daß der Gesetzgeber selbstverständlich die Leitziele und „systembegründenden" Normen, soweit keine Bindung auf Grund des Vertrauensschutzes eingetreten ist, ändern kann. Bei der Abänderung „systembegründender" Normen kann der Gesetzgeber von seinem weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum Gebrauch machen, der freilich nicht i n W i l l k ü r ausarten darf. Auch verhindert das Gebot der Prinzipientreue natürlich nicht, daß zwischen verschiedenen widerstreitenden Grundsätzen nicht Kompromisse gesucht werden dürften. I n der Regel w i r d ein wohlausgewogenes Gesetz durch einen konsensfähigen Kompromiß zwischen verschiedenen Grundsätzen und Wertungen bestechen. Erst ein A b stehen von einem Grundsatz oder gleichzeitiges Verwirklichen verschiedener Grundsätze ohne sachlich einleuchtenden Grund und ohne sachlich gerechtfertigte Erwägungen kann einer gesetzlichen Regelung 96

C. Degenhart, S. 112 if. Statt von „Prinzipientreue" spricht man in der Regel von „Systemgerechtigkeit" (so u. a. C. Degenhart, ebd.; K. Lange, Systemgerechtigkeit, in: Die Verwaltung, Jahrgang 1971, S. 259 ff.; H. Kreussler, Der allgemeine Gleichheitssatz als Schranke für den Subventionsgesetzgeber unter besonderer Berücksichtigung von wirtschaftspolitischen Differenzierungszielen (1972), S. 94 ff.; H. H. Rupp, Art. 3 GG als Maßstab verfassungsgerichtlicher Gesetzeskontrolle, in: C. Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, S. 364 ff., 380 ff.), teilweise auch von „Sachgerechtigkeit" (W. Hoppe, Planungen und Pläne, S. 699). P. Lerche, (Rechtsprobleme der wirtschaftslenkenden Verwaltung, in: D Ö V 1961, 486 ff., 487) schlägt den Begriff „Strukturgerechtigkeit", H.-17. Ever s (Anm. 99) den Begriff „Systemtreue" für diesen Problemkreis vor. Begriffe wie Systemgerechtigkeit, Sachgerechtigkeit und Strukturgerechtigkeit sind aber ebenso griffig wie irreführend. Es geht hier nicht um die Gerechtigkeit rechtlicher Systeme in einem umfassenden Sinn, sondern nur um die Frage, ob verschiedene Regelungsgrundsätze und Regelungsprinzipien nebeneinander Bestand haben können (ähnlich auch U. Battis, Systemgerechtigkeit, in: Festschrift für H. P. Ipsen [1977], S. 11 ff., 12). 97

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das Verdikt der Prinzipienwidrigkeit zukommen lassen. Solange der Gesetzgeber die prinzipienbegründenden Normen aber nicht geändert hat, bleibt er an die Systematik und die Prinzipien des von i h m geschaffenen Normengefüges gebunden. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Prinzipientreue ist kein geschriebener Grundsatz des Verfassungsrechts 98 . Man kann aber den Grundsatz der Prinzipientreue i n einzelnen Leitprinzipien der Verfassung verankert sehen. Von Evers w i r d der Grundsatz der Prinzipientreue u. a. aus einem allgemeinen Gebot zur Planmäßigkeit der Staatsgestaltung hergeleitet 9 9 . Die Begründung des Grundsatzes der Prinzipientreue aus einem allgemeinen Gebot zur planmäßigen und nicht willkürlichen Staatsgestaltung hat viel für sich, wenn man bedenkt, daß die Rechtsordnung sich regelmäßig an bestimmten Leitideen ausrichtet. Die rationale und, soweit möglich, effiziente Realisierung dieser Leitideen ist Aufgabe jeden Normengefüges. Dieser Planmäßigkeit der Rechtsordnung entspricht die Einsicht, daß der Staat alle Aufgaben, die er zu erfüllen hat, nur planmäßig i n Angriff nehmen kann. Die Planmäßigkeit des Staatshandelns als formelle Pflicht bei Erfüllung der Staatsaufgaben läßt sich verfassungsrechtlich begründen 100 . Andererseits bleibt zu überlegen, ob eine Gesetzeskonkurrenz m i t dem einfachen Hinweis auf ein verfassungsrechtliches Gebot zur Planmäßigkeit der Staatsgestaltung gelöst werden kann. Die Pflicht zur Planmäßigkeit der Staatsgestaltung sagt nichts darüber aus, welche Planung maßgeblich sein soll. Soll es auf die planungsleitenden Grundsätze i m Planungsgesetz oder auf eine eventuelle Neuplanung i n einem späteren Gesetz ankommen? Das Gebot zur Planmäßigkeit der Staatsgestaltung 98 W. Hoppe und H.-W. Rengeling, S. 114; H. W. Rengeling, Verwaltungswissenschaftliche Grundlagen der kommunalen Gebietsreform, in: DVB1. 1976, 353 ff., 358; ders., Die verfassungsgerichtliche Überprüfung von Gesetzen zur kommunalen Gebietsreform, in: Der Landkreis, 44. Jahrgang 1974, S. 52 ff., 55 f.; P. Lerche, S. 488. 99 H.-U. Evers, Zum Rechtsgebot der Systemtreue bei Gebietsreformen, in: Der Städtebund 1970, 230 ff., 234. — I n diese Richtung wird auch vom badenwürttembergischen Staatsgerichtshof (DÖV 1973, 163 ff., 165) argumentiert: Soweit der Gesetzgeber sein Gesetzgebungswerk an leitenden Grundsätzen ausrichte, sei er zu ihrer systematischen Durchführung verpflichtet. Entscheidend sei, ob der Gesetzgeber einen Gesamtbereich ordnen wolle, so daß sich gleichartige Regelungsfälle wiederholen. Dann bestehe ein Gebot zur „Systemtreue", wobei es gleichgültig sei, ob man es als Erfordernis des Gleichheitssatzes oder als Erfordernis des Rechtsstaatsprinzips ansehe. Es ergebe sich jedenfalls aus dem Verfassungsrecht; aus welchen verfassungsrechtlichen Prinzipien im einzelnen ein Gebot zur „Systemtreue" hergeleitet wird, bleibt allerdings unklar, muß aber, soll dieser Grundsatz Konturen bekommen, entwickelt werden. 100 Hierzu unter I I .

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entscheidet nicht die Frage, ob und inwieweit der Staat an Planungen oder Planungsprinzipien gebunden ist 1 0 1 . Rechtsdogmatische Anknüpfungspunkte einer Selbstbindung des Gesetzgebers aus dem Gesichtspunkt der Prinzipientreue sind der Gleichheitssatz und das Willkürverbot einerseits und der Gedanke der Rechtssicherheit andererseits; das Verbot gleichheitswidriger W i l l k ü r und rechtsstaatswidriger Diskontinuität erzwingen eine gewisse Bindung des Gesetzgebers an selbstgesetzte Leitprinzipien und Rechtsgrundsätze. Was nun zunächst den Gleichheitssatz und das auch m i t dem Rechtsstaatsprinzip eng verbundene Willkürverbot 1 0 2 betrifft: Der Gleichheitssatz vermag auch i n die Zukunft zu w i r k e n und den Gesetzgeber an Regelungssysteme zu binden. Ebenso wie das Bundesverfassungsgericht Normen am Gleichheitssatz mißt 1 0 3 , haben die Rechtsetzungsorgane darauf zu achten, ob eine neu zu erlassende Vorschrift sich unter dem Blickpunkt der Gesamtregelung als „sachlich gerechtfert i g t " 1 0 4 qualifizieren läßt oder ob sie die bereits gesetzlich fixierte Regelung 1 0 5 i n willkürlicher Weise durchbricht. Das Gleichheitsgebot bindet den Gesetzgeber insofern an bestehende Regelungssysteme, als von einmal gewählten Regelungsprinzipien nicht ohne hinreichenden Grund abgewichen werden darf und als die Gründe für die Durchbrechung eines Regelungssystems i n ihrem Gewicht i n angemessener Relation zu dem Gewicht der Ausnahmeregelung stehen müssen. W i r d von der Legislative ein Tatbestand i m Hinblick auf einen Personenkreis nach einem Prinzip geregelt, darf ein vergleichbarer Tatbestand nicht i m 101

Ablehnend auch K. Lange, S. 274. 102 vgl. hierzu H. H. Rupp, Art. 3 G G als Maßstab verfassungsgerichtlicher Gesetzeskontrolle, S. 364 ff., 379 ff.; 17. Battis, Systemgerechtigkeit, S. 13 ff., 26 ff. jew. m. w. Nw.; K. Lange, S. 262 ff. (Gleichheitssatz), S. 264 ff. (Willkürverbot); K. Stern und G. Püttner, Grundfragen zur Verwaltungsreform im Stadtumland, 2. Aufl. (1969), S.25; W. Hoppe und H. W. Rengeling, S. 116 ff.; F. Bieler, Zur Anwendimg des Art. 3 Abs. 1 G G im Rahmen der Verwaltungsund Gebietsreform, in: DÖV 1976, 37 ff., 39 f.; C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz (1969), S. 125 ff.; K. Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung (1935), S. 62 ff.; G. Rüpke, Gesetzgeberisches Ermessen und richterliches Prüfungsrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Gleichheitssatz (Göttinger jr. Dissertation 1961), S. 136 ff. 103 BVerfGE 7, 129 ff., 153; 11, 283 ff., 293; 12, 264 ff., 273; 23, 327 ff., 345; 30, 250 ff., 270 f.; 38, 1 ff., 21. 104 M i t „Sachgesetzlichkeit" ist in dem hier interessierenden Zusammenhang selbstverständlich keine Bindung des Gesetzgebers an vorrechtliche Gegebenheiten und Sachstrukturen gemeint (vgl. Einzelheiten bei C. Degenhart, S. 36 ff.). los BVerfGE 13, 331 ff., 340; 15, 313 ff., 318; 18, 366 ff., 372 ff.; 20, 374 ff., 377; 25, 236 ff., 251 f.; 35, 103 ff., 115; 40, 121 ff., 139 f.; — weitere Beispiele bei G. Leibholz und H. Rinck, Grundgesetz, 5. Aufl. (1975), Art. 3 R N 11 a.E. und bei H. Kreussler, S. 94 ff.

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

Hinblick auf denselben oder einen anderen Personenkreis nach einem anderen Prinzip geregelt werden. Eine Prinzipienkonkurrenz verstößt gegen A r t . 3 GG, wenn der Gesetzgeber auf einen vergleichbaren Tatbestand i n verschiedenen Rechtsbereichen teils das Prinzip A, teils das i h m widersprechende Prinzip Β anwendet. Für sich genommen können beide Prinzipien gegebenenfalls, werden sie an A r t . 3 GG gemessen, bestehen. Ein Verstoß gegen das Willkürgebot kann aber i n der gleichzeitigen Verwirklichung zweier nicht kompatibler Prinzipien angenommen werden 1 0 6 . So würde es etwa i m Bereich der W i r t schaftspolitik einem System konjunkturfördernder staatlicher Maßnahmen widersprechen, für einen bestimmten Wirtschaftsbereich ohne zureichenden Grund konjunkturdrosselnde Maßnahmen zu erlassen. Alle konjunkturrelevanten staatlichen Rechtsnormen müssen sich darauf befragen lassen, ob sie i n das System der Konjunkturförderung passen oder wenigstens neutral in ihren Auswirkungen sind. Andernfalls können die betroffenen Unternehmen eine Verletzung des Gleichheitssatzes rügen 1 0 7 . I m Hinblick auf A r t . 12 GG und A r t . 3 GG verstößt es gegen das Gebot der Prinzipientreue innerhalb eines gesetzlichen Regelungsgefüges, unter dem Gesichtspunkt der Volksgesundheit den Dentisten die Befugnis zur Zahnheilkunde weiterhin zu gewähren (§ 19 ZHG), sie aber für die Behandlung von Kassenpatienten als nicht genügend befähigt anzusehen 108 . Besonders deutlich w i r d die Bindung des Gesetzgebers an gewählte Regelungsprinzipien bei der Wahlrechtsgleichheit. Dem Gesetzgeber steht es grundsätzlich frei, das Mehrheitsoder Verhältniswahlsystem einzuführen. Hat sich der Gesetzgeber zu einem dieser Systeme entschlossen, so muß „Folgerichtigkeit" herrschen. „Es wäre sachwidrig", wie es das Bundesverfassungsgericht ausdrückt, „eine ungleichmäßige Verwertung der Stimmen i m Verhältniswahlsystem damit zu rechtfertigen, daß die Parteien bei der Mehrheitswahl noch ganz anders benachteiligt würden" 1 0 9 . Außerdem läßt sich zur Begründung des Verbotes von Prinzipienkonkurrenzen der Grundsatz der Erforderlichkeit heranziehen. Wenn der Gesetzgeber zwei Regelungsmodelle nebeneinander stellt, ohne daß es für eine Prinzipiendifferenzierung einen sachlichen Grund gibt, so ist die Verwirklichung eines dieser Systeme nicht erforderlich, u m den vom Gesetzgeber angestrebten Zweck zu erreichen. Von den mehreren prinzipienwidrigen Regelungen ist jene rechtswidrig, „welche 106

K. Lange, S. 262, 266 f. mit Beispielen von Prinzipienwidersprüchen. 107 Weitere Beispiele bei C. Degenhart (S. 98 ff.), der mit Recht darauf hinweist, daß die Willkürprüfung immer auch im Hinblick auf die gesetzliche Ausgestaltung der jeweiligen Verfassungsgewährleistungen erfolgen müsse. loa BVerfGE 25, 251 f.; vgl. auch W. Geiger, S. 175. loo BVerfGE 1, 246.

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schärfer i n eine rechtlich geschützte Position eingreift, als es zu dem vorgestellten Zweck erforderlich ist" 1 1 0 . M i t dem Gleichheitssatz lassen sich also staatliche Ziel- und Regelungssysteme dergestalt stabilisieren, daß der Gesetzgeber sein Gesetzgebungsprogramm ohne Prinzipienwidersprüche realisieren muß 1 1 1 . Es kommt zu einer Selbstbindung des Gesetzgebers, da nur Vorschriften erlassen werden können, die der Realisierung der bestehenden Rechtsgrundsätze und gesetzlichen Zielvorstellungen dienen. Zwar sind Prinzipienbrüche nicht schlechthin verboten; sie können aber Indiz gleichheitswidriger W i l l k ü r sein und bedürfen besonderer rechtfertigender Gründe. Diese Selbstbindung des Gesetzgebers kann von verschiedener Stärke sein: Besteht für ein Sachgebiet noch keine gesetzliche Regelung, so kann der Gesetzgeber ein Regelungsgefüge schaffen m i t der einzigen Maßgabe, daß sich hierfür irgendein einsehbarer Grund findet. Wenn der Gesetzgeber erst eine Regelung gesetzt hat, so mindert sich die gesetzgeberische Freiheit, von dieser Regelung Ausnahmen zu normieren. Die Bedeutung des Gleichheitssatzes als Prüfungsmaßstab gesetzlicher Regelungen nimmt zu. Soll das Gesetz von einer durch es selbst gesetzten Sachgesetzlichkeit abweichen, so muß dafür ein überzeugender Grund nachgewiesen werden 1 1 2 . M i t zunehmender Regelungsdichte verstärkt sich die Selbstbindung des Gesetzgebers; denn dann sind Abweichungen von den Regelungsprinzipien besonders sorgfältig zu begründen. W i r d das Vergleichsfeld vom Gesetzgeber strukturiert, so t r i t t infolge des Gleichheitssatzes eine Verdichtung der Kontrollmöglichkeiten ein. Der Gesetzgeber w i r d so i n zunehmendem Maß an selbstgesetzte Regelungen gebunden. Man hat hier geradezu von einer Umkehr der Argumentationslast zu Ungunsten des Gesetzgebers gesprochen, da bei einer hohen Regelungsdichte sachliche Gründe für eine Abweichung von den Regelungsprinzipien nachzuweisen sind 1 1 3 . 110

So K. Lange, S. 270. Die Zweifel von P. Lerche (S.488 und: Das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsdirektiven, in: AöR 90. Bd. [1965], S. 341 ff., 362) an der Praktikabilität des Gleichheitssatzes zur Wahrung einer Prinzipientreue des Gesetzgebers werden nicht geteilt. Der Gleichheitssatz liefert nicht allein ein „äußerstes Regulativ für offensichtlichen Machtmißbrauch", sondern auch Anhaltspunkte für eine Beschränkung des Gesetzgebers auf sachlich vertretbare Differenzierungen (in diesem Sinn vor allem G. Dürig, in: Maunz/Dürig/ Herzog/Scholz, Art. 3 I G G R N 295). 112 A. Arndt, Gedanken zum Gleichheitssatz, in: Festschrift für G. Leibholz, hrsg. von K. D. Bracher u. a. (1966), S. 179 ff., 184; H. Kreussler, S. 97. 113 G. Dürig, a. a. O.; E.-W. Fuß, Gleichheitssatz und Richtermacht, in: JZ 1959, 329 ff., 334 und Normenkontrolle und Gleichheitssatz, in: JZ 1962, 737 ff.; vgl. weiter V. Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen (1966), S.267; zu Unrecht a. M. C. Degenhart, S. 52. 111

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

Zu kurz gegriffen wäre es natürlich, wenn das Gebot der Prinzipientreue aus dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes sich nur auf das jeweils i n Betracht stehende Regelungsgefüge beziehen würde. Denn dann würde sich der Gleichheitssatz nur innerhalb der Mauern vorgegebener gesetzlicher Ordnungen entfalten. Soll das Gebot der Prinzipientreue eine breite Wirkung entfalten, dann müssen gegebenenfalls auch einzelne Systeme gesetzlicher Regelungen zueinander i n Beziehung gesetzt werden. So hat etwa das Bundesverfassungsgericht m i t vollem Recht geprüft, ob ein Ausschluß des Schmerzensgeldanspruchs durch §§636 Abs. 1 Satz 1, 637 Abs. 1 RVO angesichts der Regelungen i n §§823 ff., 847 BGB nicht ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz darstellt 1 1 4 . Es steht zu hoffen, daß über solche transsystematischen Vergleiche der Topos der Prinzipientreue einen neuen Wirkungskreis erhält 1 1 5 . Über den Gleichheitssatz käme es zu einer Selbstbindung des Gesetzgebers, die die wünschenswerte Harmonie zwischen an sich unverbunden nebeneinander stehenden gesetzlichen Regelungssystemen schafft. Prinzipientreue und damit Selbstbindung des Gesetzgebers über den Gleichheitssatz verbürgt selbstverständlich keine inhaltliche Richtigkeit des Regelungsmodells des Gesetzgebers. Bereits aus diesem Grunde darf keineswegs die Struktur des Bestehenden unversehens zum Rechtsgut des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes befördert werden 1 1 8 . Die Diskussion der Ziele und Leitgrundsätze gesetzlicher Regelungen darf nicht unter dem Gebot der Prinzipientreue leiden. 114

BVerfGE 34,118, 130 f. Bislang freilich hat das BVerfG von dieser Möglichkeit kaum Gebrauch gemacht. So wird etwa bei der Entscheidung zum großen Befähigungsnachweis im Handwerk keine Parallele gezogen zum ähnlich gelagerten Problem des Sachkundenachweises im Einzelhandel (BVerfGE 13, 97; 19, 330, 341). Weiterhin lehnt das BVerfG einen Verstoß gegen Art. 3 GG selbst bei ungleichen Leistungen in der S oziai Versorgung und in der beamtenrechtlichen Hinterbliebenenversorgung ab. Zur Begründung wird geltend gemacht, „angesichts der Verzweigtheit und Vielgestaltigkeit der historisch, ohne einheitlichen Plan gewachsenen Regelungen muß es dem Gesetzgeber überlassen bleiben, in welcher Zeitfolge er gebotene Änderungen auf den verschiedenen Einzelgebieten vornehmen will" (BVerfGE 40, 121 ff., 140). Unzutreffend scheint zunächst, daß es sich bei den verschiedenen Formen der Hinterbliebenenversorgung um „verschiedene Rechtsbereiche" handelt, da es letztlich um die Systematisierung der sozialen Sicherung geht. Weiterhin kapituliert das BVerfG ohne Not vor den überkommenen system- und gleichheitswidrigen Regelungen, die es im Falle einer Neuregelung der gesamten Materie nicht hinnehmen würde. Hier vermißt man eine Konsequenz in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. auch H. H. Rupp, Art. 3 G G als Maßstab verfassungsgerichtlicher Gesetzeskontrolle, S. 382 ff. m. w. Nw.; G. Dürig, R N 313, 313 a; H. F. Zacher, AöR 93. Bd. (1968), S. 341 ff., 351 ff.; F. Hufen, S. 92 f.). 118 So F. Hufen, S. 93. 115

I . Vorgaben aus Staatsstrukturbestimmungen

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D a m i t erscheint es i m P r i n z i p m ö g l i c h , daß sich d e r Gesetzgeber d u r c h Planungsgesetze selbst b i n d e t 1 1 7 . V o n d e n i n Planungsgesetzen a u f g e s t e l l t e n L e i t p r i n z i p i e n d a r f n i c h t i n p r i n z i p i e n w i d r i g e r Weise d u r c h nachfolgende Gesetze — sie k ö n n e n auch w i e d e r Planungsgesetze sein — a b g e w i c h e n w e r d e n . B e i Planungsgesetzen l ä ß t sich d a m i t auch die F r a g e 1 1 8 , w e l c h e n g l e i c h h e i t s w i d r i g e n A k t , n ä m l i c h das f r ü h e r e oder spätere Gesetz, d e r M a k e l d e r P r i n z i p i e n w i d r i g k e i t erfaßt, e i n d e u t i g b e a n t w o r t e n . B e s t a n d h a b e n die p r i n z i p i e n b e g r ü n d e n d e n N o r m e n ; a n i h n e n w e r d e n die p r i n z i p i e n r e a l i s i e r e n d e n N o r m e n v e r m i t t e l s des Gleichheitssatzes u n d W i l l k ü r v e r b o t e s gemessen. N e b e n d e m Gleichheitssatz l ä ß t sich z u r B e g r ü n d u n g e i n e r B i n d u n g des Gesetzgebers a n Planungsgesetze d e r G r u n d s a t z des V e r t r a u e n s schutzes h e r a n z i e h e n . A u s g a n g s p u n k t d e r Ü b e r l e g u n g e n ist auch h i e r , ob d e r Staat a n seine eigene w i r t s c h a f t s - u n d sozialpolitische L i n i e g e b u n d e n w e r d e n k a n n : K a n n d e r Gesetzgeber d u r c h e i n Gesetz e i n e n gewissen V e r t r a u e n s t a t b e s t a n d schaffen, d e r i h n a n e i n e r A u f h e b u n g dieses Gesetzes h i n d e r t 1 1 9 ? Ganz a l l g e m e i n h a b e n R e c h t s p r e c h u n g 1 2 0 u n d S c h r i f t t u m 1 2 1 einzelne T y p e n s c h u t z w ü r d i g e r V e r t r a u e n s p o s i t i o 117 So auch P. Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: Besonderes Verwaltungsrecht, hrsg. v. I. v. Münch, 4. Aufl. (1976), S. 286; H. Scholtissek, Verfassungsprobleme zur Eingemeindung, in: DVB1. 1968, 825 ff., 831; kritisch G. Püttner, S.323. — Aus dargelegten Gründen erscheint es nicht als eine „Ungewöhnlichkeit, Begründungen eines einzigen Gesetzentwurfes nicht nur zum Norminhalt dieses, sondern auch folgender Gesetze zu machen" (so H. Meyer, Die kommunale Neuordnung als verfassungsgerichtliches Problem, in: DÖV 1971, 801 ff., S. 809). 118 Vgl. hierzu K. Lange, S. 264 f., 267; H. H. Rupp, S. 385 ff. m. w. Nw. 119 Oder bei Aufhebung des Gesetzes zu Schadensersatzpflichten führt? — Zur äußerst kontroversen Frage, ob gegenüber legislativem Unrecht A n sprüche aus Art. 34 GG i. V. m. §839 BGB hergeleitet werden können, vgl. W.-R. Schenke, Gewährleistung, S. 372 ff. m. w. Nw. sowie M . Oldiges, Piange währleistungsrecht, S. 242 ff. 120 Zu dem hier interessierenden Vertrauen in die Kontinuität gesetzlicher Regelungen: RGZ 139, 177 ff. (Gefrierfleisch-Entscheidung); Β G H Z 45, 83 ff. (Knäckebrot-Entscheidung); B G H Z NJW 1968, 293 ff. (Blinkleuchten-Entscheidung); BVerfGE 30, 392 ff., 404 ff. (Berlinhilfe-Entscheidung); vgl. weiter BVerwGE 18, 254 ff., 264. 121 G. Kisker, Vertrauensschutz im Verwaltungsrecht, in: V V D S t R L H. 32 (1974), S. 149 ff., 188 ff.; G. Püttner, Vertrauensschutz im Verwaltungsrecht, ebd. S. 200 ff., 216 ff. jew. mit weit. Nachw.; W. Schmidt, „Vertrauensschutz" im öffentlichen Recht, in: JUS 1973, 529 ff.; F. Ossenbühl, Vertrauensschutz im sozialen Rechtsstaat, in: DÖV 1972, 25 ff., 30 ff.; ders. f Normative A n forderungen, S. Β 196 ff.; ders., Die Plangewährleistung, in: JUS 1975, 545 ff.; V. Götz, Bundesverfassungsgericht und Vertrauensschutz, in: C. Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, S. 421 ff., 444 ff.; W.-R. Schenke, S. 337 ff.; W. Leisner, Das Gesetzesvertrauen des Bürgers, in: Festschrift für F. Berber (1973), hrsg. von D. Blumenwitz und A. Randelzhofer (1973), S. 273 ff.; J. Egerer, Plangewährleistungsanspruch; M . Oldiges, Plangewährleistungsrecht; F. Hufen, Gleichheitssatz, S. 112 f.; P. Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht (1972), S. 348 ff.; W. von Simson, Planänderung,

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

nen gegenüber A k t e n der Legislative herauszuarbeiten versucht. Der Vertrauensschutz gegenüber A k t e n der Legislative w i r d i n der Regel unter dem Aspekt der Rückwirkung von Gesetzen 122 , des Dispositionsschutzes bei verfassungsgerichtlicher Nichtigkeitserklärung von Gesetzen, des Vertrauens auf die Kontinuität gesetzlicher Regelungen und des Vertrauens i n die Satzung künftigen Rechts 123 erörtert. Hier interessiert, ob ein schutzwürdiges Vertrauen des Bürgers i n die Kontinuität gesetzlicher Regelungen zu einer Selbstbindung des Gesetzgebers führen kann, wenn er Planungsgesetze erläßt. Bei einem Schutz des Vertrauens i n die Kontinuität gesetzlicher Regelungen w i r k t , wie es Leisner treffend formuliert hat, der Glaube des Bürgers schöpferisch 124 : Das Vertrauen des Bürgers i n den Fortbestand von Normen schafft erst die Voraussetzungen für die kontinuierliche Normwirkung und schränkt die Änderungskompetenz des Gesetzgebers ein. Indem der Bürger an die „Treue des Gesetzgebers zum gegebenen Wort" (Leisner) appelliert, nimmt er das Gesetz nicht allein als Ordnung sondern auch als Garantie. Der Schutz des Vertrauens des Bürgers i n die Kontinuität und Konsequenz staatlichen Handelns ist ein allgemeiner, verfassungsrechtlich verankerter Rechtsgrundsatz; der Grundsatz des Vertrauensschutzes besitzt eine enge Affinität zum Rechtsstaatsprinzip, nämlich daß staatliches Handeln berechenbar sein muß, aber auch zu den Grundrechten 1 2 5 . Ein schutzwürdiges Vertrauen des Bürgers i n die Kontinuität von S. 405 ff.; J. Burmeister, Zur Staatshaftung für Planschäden der Wirtschaft, in: Die Verwaltung 1969, S.21; H. P. Ipsen, Rechtsfragen der Wirtschaftsplanung, in: J. H. Kaiser (Hg.), Planung I I , S. 63 ff., 106 ff.; M. Kriele, Plangewährleistungsansprüche?, in: D Ö V 1967, 531 ff.; P. Lerche, Ubermaß und Verfassungsrecht (1961), S. 268 ff.; nicht ausreichend differenzierend 17. Bruhin, Planänderung im Raumplanungsrecht (Zürich 1975), S. 148 f. und passim. 122 Vgl. W.-R. Schenke, S. 364 ff. 123 Hierzu M. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen (1974), S. 222 ff.; BVerwG M D R 1970, 77 f. 124 W.Leisner, S.281. 125 Den verschiedenen Herleitungen eines allgemeinen Prinzips des Vertrauensschutzes — wie etwa aus dem „Estoppel-Prinzip" (H.-P. Ipsen, Widerruf gültiger Verwaltungsakte [1932], S. 96; K.-H. Lenz, Das Vertrauensschutzprinzip [1968], S. 32), aus dem Gedanken des Rechtsstaates (BVerfGE 30, 367 ff., 387 ff.; 31, 222 ff., 225) und des sozialen Rechtsstaates, insbesondere des Rechtssicherheitsprinzips (J. Mainka, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht [1963], S.21 ff.), aus dem Gedanken der culpa in contrahendo (J. Burmeister, Zur Staatshaftung für Planschäden der Wirtschaft, in: Die Verwaltung, Jahrgang 1969, S. 21 ff., 31) und aus Erwägungen des Grundrechtsschutzes (E. Grabitz, Vertrauensschutz als Freiheitsschutz, in: DVB1. 1973, 675 ff., 681 f. — insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG; W. Schmidt, „Vertrauensschutz" im öffentlichen Recht, in: JUS 1973, 529 ff., 532 — insbesondere Art. 14 GG) wird nicht weiter nachgegangen. G. Püttner (S. 201 ff.) hat gezeigt, daß der Vertrauensgrundsatz nicht deduktiv aus einem einzelnen Verfassungsprinzip hergeleitet

I. Vorgaben aus Staatsstrukturbestimmungen

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Gesetzen läßt sich auch i m Hinblick auf das sozialstaatlich begründete Partnerschaftsverhältnis zwischen Bürger und Staat eingehender diskutieren. Dies schon deshalb, weil nur ein vertrauensvolles kooperatives Zusammenwirken zwischen Staat und Bürger das staatliche Steuerungsmittel der influenzierenden Planung funktionsfähig erhält; bei unbegrenzter Zulässigkeit dispositionsentwertender Planungsänderungen verlieren Planungsgesetze bald ihre verhaltenssteuernde W i r kung. I n einer freiheitlich-demokratischen Ordnung verbieten Solidarität und Gleichheit, „Vertrauen und Nichtvertrauen der gleichen Allmacht gesetzgeberischen Willens auszuliefern, wenige, die vertraut haben, zu schlagen, u m die anderen zu erleichtern" 1 2 8 . Ein Vertrauendürfen auf die Beständigkeit der Entscheidungen der öffentlichen Gewalt w i r d nicht zuletzt durch die existentiell gewordene Abhängigkeit der Einzelnen von diesen Entscheidungen nahegelegt. Kann der Staat durch seine Entscheidungen einseitig das Verhalten der Bürger steuern, so muß auch aus rechtsstaatlichen Gründen der staatlichen einseitigen Entscheidungsbefugnis ein M i n i m u m an Vertrauendürfen auf die Beständigkeit staatlicher Entscheidungen korrespondieren. Man darf freilich den Vertrauensschutz des Bürgers i n die Kontinuität gesetzlicher Regelungen nicht übertreiben, da der Gesetzgeber i m allgemeinen Interesse auf neue soziale und wirtschaftliche Lagen u. U. rasch reagieren muß. Hier kommt die große Gegenspielerin jeglichen Kontinuitätsvertrauens des Bürgers i n den Fortbestand eines Rechtszustandes zu ihrem Recht: die außerordentlich weite Freiheit des demokratisch legitimierten Gesetzgebers zur wirtschafts- und sozialpolitischen Gestaltung 127 . Nur die Vorschriften der Verfassung, vor allem die Grundrechte ziehen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers Grenzen 128 . Innerhalb dieser Grenzen hat er prinzipiell eine unbeschränkte Fülle von Möglichkeiten, durch Normsetzung tätig zu werwerden kann, sondern „ein allgemeiner, in verschiedener Weise fundierter Rechtsgrundsatz" sei, „der regelmäßig die Billigkeit gegenüber stringenteren Rechtsgrundsätzen ins Spiel bringt". Daher sind bei den verschiedenen Gruppen des Vertrauensschutzes, nämlich gegenüber Akten der Verwaltung, gegenüber einer eingefahrenen Rechtsprechung und gegenüber Akten der Gesetzgebung jeweils verschiedene Erwägungen erforderlich. I n allen diesen Bereichen ist die für den Bürger erforderliche Berechenbarkeit staatlichen Handelns in Art und Umfang verschieden und mit unterschiedlichen Argumenten zu begründen (ähnlich auch V. Götz, Bundesverfassungsgericht und Vertrauensschutz, S. 422). 126 W. Leisner, S.293; ähnlich auch O. Bachof, Diskussionsbeitrag, in: V V D S t R L H. 32 (1974), S. 229, 242; W.-R. Schenke, S. 366 ff.; M . Oldiges, S. 219. 127 Diese Gestaltungsfreiheit ist nicht jenem Ermessensspielraum vergleichbar, den die Verwaltung beim Vollzug der Gesetze besitzt (W. Leisner, S. 275). 128 Zur Lösung der Fragen des Vertrauensschutzes auf grundrechtlicher Basis vgl. V. Götz, S. 445 f.

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

den. Er entscheidet frei, ob, wann und wie er einen Sachverhalt regelt, vor allem auch nach welchen übergreifenden Prinzipien die Regelung getroffen werden soll. Mag eine prinzipiendurchbrechende Regelung des Gesetzgebers auch von der öffentlichen Meinung oder bestimmten Interessenverbänden für unbequem oder unzweckmäßig gehalten werden oder eine andere Regelung gar als „gerechter" gelten, i n derartigen Fällen ist für einen Vertrauensschutz des Bürgers i n der Regel nur wenig Raum. Andernfalls könnte man erforderliche Gesetzesänderungen verhindern oder würden auf den Staat Ersatzleistungen i n ungeheurer Höhe zukommen, weil der Bürger durch eine Vielzahl von Gesetzesänderungen i n seinen Dispositionen enttäuscht wird. Sollen Rechtsstaatprinzip und Vertrauensschutz nicht zu politischem Immobilismus führen, müssen rasche Gesetzesänderungen möglich und staatliche Ersatzleistungen auf ein Mindestmaß beschränkt sein. Entscheidend ist, wie es das Bundesverfassungsgericht formuliert hat, „ob der Bürger i m Vertrauen auf den Bestand einer bestimmten gesetzlichen Regelung eine Rücksichtnahme durch den Gesetzgeber billigerweise erwarten darf. Bei der Entscheidung über diese Frage ist zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens einerseits und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit andererseits abzuwägen" 129 . Ein Vertrauen des Bürgers i n den Fortbestand gesetzlicher Regelungen ist schutzwürdig, wenn man aus dem Verhalten des Gesetzgebers bestimmten Gesetzen ein „Zukunftsversprechen" entnehmen kann. Dies ist ζ. B. der Fall, wenn eine gesetzliche Regelung mit hinreichender Klarheit jene Bereiche beschreibt, i n denen vorrangig investiert oder andere besondere A k t i v i t ä t e n entfaltet werden sollen. Es würde schlechterdings gegen das Verbot des „venire contra factum proprium" verstoßen, wenn sich der Bürger durch konkrete Veranstaltungen auf die Fortdauer eines „dispositionsanreizenden" Gesetzes eingerichtet hat und das Gesetz ohne ausreichende Anpassungszeit geändert w i r d 1 3 0 . Freilich kann man i n seinem Vertrauen auf gesetzliche Empfehlungen 131 , d.h. auf eine bestimmte Fortdauer des Gesetzes nur geschützt werden, wenn man grundrechtsrelevante Dispositionen vornimmt. Ein Vertrauensschutz des Bürgers i n die Kontinuität gesetzlicher Regelun129 BVerfGE 30, 404 in Anlehnung an die Rechtsprechung zur unechten Rückwirkung von Gesetzen; vgl. auch P. Badura, Eigentumsschutz des Gewerbebetriebes, in: AöR 98. Bd. (1973), S. 153 ff., 169; P. Selmer, S. 352 ff.; H.-H. Seidler, S. 117 und passim. 130 E.-W. Böckenförde, Diskussionsbeitrag, in: W D S t R L H.32 (1974), S. 245; G. Dürig, ebd., S. 248; zum Vertrauensschutz der Gemeinden bei Gebietsneugliederungen vgl. B. Stüer, Abwägungsgebot, Mehrfachneugliederung und Vertrauensschutz, in: DVB1. 1977, 1 ff., 7 ff. 131 Etwa in einer bestimmten Region zu investieren.

I. Vorgaben aus Staatsstrukturbestimmungen

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gen erscheint nämlich nur legitim, wenn der Bruch eines Vertrauenstatbestandes von besonderer Qualität und Intensität als Verstoß gegen grundrechtliche Gewährleistungen gewertet werden kann. Denn die Frage, „unter welchen Umständen Schutz berechtigten Vertrauens sich zum Bestandsschutz verdichten kann, findet ihre methodische und gesicherte Anknüpfung" i n den Grundrechten 132 . Das Vertrauen des Bürgers i n den Fortbestand gesetzlicher Regelungen ist also nur i n Ausnahmefällen schutzwürdig 133 . Ob bei dem Gesetzestyp des Planungsgesetzes ein Kontinuitätsvertrauen entstehen kann, muß differenzierend beantwortet werden. Bei Gesetzen der Globalplanung kann ein Kontinuitätsvertrauen i n aller Regel nicht entstehen 134 . Gesetze der Globalplanung wie etwa das Stabilitätsgesetz, das Bundesraumordnungsgesetz oder das Städtebauförderungsgesetz legen entweder den Handlungs- und Entscheidungsrahmen der staatsleitenden Instanzen fest, sind also Organgesetze, oder setzen der Verwaltungsplanung relativ allgemein gehaltene Ziele. Zwar kann i n solche Programmgesetze vom Bürger auf vielfältige Weise Vertrauen investiert werden. So ist etwa die private Wirtschaft i n beträchtlichem Maß von den gesetzlich fixierten sozial-, wirtschafts- und finanzpolitischen Programmen des Staates abhängig. Wirtschaftspolitische Programmgesetze liefern Ansatzpunkte für staatliche Maßnahmen, die bei wirtschaftlichen Kalkulationen von Bedeutung sind. Die Bauindustrie z.B. stellt sich angesichts des Städtebauförderungsgesetzes auf 132

V. Götz, S. 445; vgl. weiter H.-H. Seidler, S. 127. Nach Ansicht Degenharts (S. 73 f.) lassen sich keine hinreichend klaren Aussagen dazu machen, wann das Vertrauen des Bürgers in den Fortbestand gesetzlicher Regelungen schutzwürdig ist und wann das gesetzgeberische Reforminteresse Vorrang besitzt. Mag es auch noch an einer präzisen Vertrauensschutzdogmatik fehlen, so werden hier doch die Leistungen von Rechtsprechung und Lehre zu einer Typologie des Vertrauensschutzes verkannt. 134 A. M. W. Leisner, S. 295; J. H. Kaiser, Diskussionsbeitrag, in: V V D S t R L H. 32 (1974), S. 265. — Nach R. Breuer (S. 105) gehört es zu den Eigenheiten von Planungsgesetzen, daß der Gesetzgeber dem Bürger gegenüber einen Vertrauenstatbestand setzt. Vor allem die private Wirtschaft ist in beträchtlichem Maß von dem wirtschafts- und finanzpolitischen Engagement des Staates abhängig. Planungsgesetze können dem Einzelnen Anhaltspunkte für staatliche Maßnahmen liefern, die bei den Kalkulationen einbezogen werden können. So lasse sich etwa aus Programm- und Planungsgesetzen die Absicht des Staates entnehmen, die Wirtschaftskraft bestimmter Regionen zu fördern oder in bestimmten Wirtschaftszweigen auf Strukturverbesserungen, etwa zwecks Autarkie oder internationaler Wettbewerbsfähigkeit, hinzuwirken. Da der Gesetzgeber mit Planungsgesetzen, wie Breuer formuliert, „bewußt und eindeutig einen Vertrauenstatbestand setzt", soll ihnen eine besondere Bestandskraft gegenüber späteren gesetzlichen Regelungen zukommen. Es erschiene nach Breuers Meinung geradezu als ein „venire contra factum proprium" des Gesetzgebers, handelt er Programm- und Planungsgesetzen stillschweigend durch Erlaß einfacher, inhaltlich widersprechender Normalgesetze zuwider. 133

2 Würtenberger

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

eine verstärkte Altbaumodernisierung ein. Gleichwohl ist der Bezug solcher allgemeinen Planungsgesetze zur Sphäre individuellen Disponierens so locker, daß von einem Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Staat noch nicht gesprochen werden kann 1 8 5 . Der Programm- und Richtliniencharakter der Gesetze der Globalplanung verhindert ein Entstehen schutzwürdiger Vertrauenspositionen. Bei Gesetzen der Globalplanung muß der Gesetzgeber weiterhin jederzeit die Möglichkeit besitzen, einmal getroffene Regelungen abzuändern, selbst wenn das Vertrauen des Bürgers i n den Fortbestand der gesetzlichen Regel i n hohem Maß enttäuscht werden sollte 136 . Bei diesen Gesetzen schließt die eindeutig zu bewertende Kollision zwischen Gemeinwohl und Individualinteresse 137 einen Vertrauensschutz gegenüber A k t e n des Gesetzgebers aus. Bei umfassenden Planungen muß der Gesetzgeber i n einer sich rasch wandelnden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Welt die Möglichkeit besitzen, „seine legislativen Konzeptionen rasch über Bord zu werfen" 1 3 8 . Das Tempo der wirtschaftlichen, industriellen, bevölkerungspolitischen und zivilisatorischen Entwicklung regiert die Geschwindigkeit permanenter legislativer Reaktionen. Je mehr die Gesetzgebung experimentieren und improvisieren muß, desto ungebundener muß der Gesetzgeber gegenüber einmal erlassenen Regelungsmodellen sein. Aus Gründen der Flexibilität kann der Vertrauensschutz also nicht bemüht werden, u m einer „planungsgesetzlichen" Regelung Bestand zu verleihen und zu einer Selbstbindung des Gesetzgebers zu führen 1 3 9 . Demgegenüber können durch Planungsgesetze, die einen überschaubaren Lebensbereich erfassen, Regelungen gesetzt werden, auf deren Fortbestand man unter besonderen Voraussetzungen vertrauen kann. Fachplanungen können für das planende Wirtschaftssubjekt Daten setzen und gewähren darüber hinaus oftmals Anreize, die seine Entscheidungen i n eine besondere Richtung lenken. So waren z.B. das Rationalisierungsgesetz 140 und die beiden Verstromungsgesetze 141 Aus135

Ähnlich C. Degenhart, S. 110 m. w. Nw. Vgl. etwa Th. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 GG R N 139; F. Hufen, S. 112 f.; P. Lerche, Rechtsprobleme der wirtschaftslenkenden Verwaltung, in: D Ö V 1961, 486 ff., 488. 137 F. Ossenbühl, Vertrauensschutz i m sozialen Rechtsstaat, in: D Ö V 1972, 25 ff., 29. 138 F. Ossenbühl, S. 31; vgl. weiter P. Selmer, S. 219 f., 348 ff.; W. Geiger, Der Gleichheitssatz und der Gesetzgeber, in: Staats- und verwaltungswissenschaftliche Beiträge, hrsg. von der Hochschule Speyer (1957), S. 167 ff., 174. 139 So auch G. Püttner, S. 216; F. Ossenbühl, S. 31 ff.; E.-W. Böckenförde, Diskussionsbeitrag, in: W D S t R L H.32 (1974), S.245; G. Kisker, S. 247; H.-H. Seidler, Rechtsschutz, S. 116 f., 129. 140 Vom 29. 7.1963 (BGBl. I, S. 549). 141 Vom 12. 8.1965 (BGBl. I, S. 777) und 5. 9.1966 (BGBl. I, S. 545). 136

I I . A u f t r a g zu politischer Planung aus Staatszielbestimmungen

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druck einer Konzeption, die Strukturkrise i m Steinkohlenbergbau m i t staatlicher Unterstützung und flankierenden Maßnahmen zu bereinigen. „Nachdem dies nicht gelungen war, stellte das Kohlegesetz weitere, neue Bedingungen für die Gewährung der Vergünstigungen aus den genannten Vorschriften auf, die Unternehmen mußten an der staatlichen Neuordnung des Steinkohlesektors m i t w i r k e n und etwa zur Bildung optimaler Unternehmensgrößen beitragen oder eine staatliche konzipierte Personalpolitik befolgen 142 ." Sicherlich w i r d man i n derartigen Fällen jene Unternehmen, die, u m Subventionierungen zu erhalten, besondere Investitionen getätigt haben, nicht allein den Preis einer Änderung planungsrechtlicher Vorschriften, nämlich Entwertung der vorgenommenen Investitionen, tragen lassen. I n derartigen Fällen kann ein schutzwürdiges Vertrauen des Wirtschaftssubjekts i n den Fortbestand planungsrechtlicher Vorschriften bejaht werden, wenn dem Planungsgesetz entweder aus rechtlichen oder aus zwingenden w i r t schaftlichen Gründen zu folgen war. Denn wenn das Verhalten des Einzelnen unmittelbar durch das Planungsgesetz gesteuert wird, muß der Staat das Risiko erforderlicher Planänderungen tragen 1 4 3 . Ein Ausgleich der durch Planungsänderungen eingetretenen Beeinträchtigungen kann auf verschiedene Weise stattfinden. Z u denken wäre etwa an finanzielle Entschädigungen an besonders hart betroffene Unternehmen oder an langfristige Überleitungsvorschriften, die die Änderung einer wirtschaftspolitischen Konzeption erträglich machen 144 . Hierzu zwingt das partnerschaftliche Verhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Staat, das ein Abweichen vom Normalfall der Risikoverteilung gerechtfertigt erscheinen läßt. I m Rahmen der Planungs- und Programmgesetze kann über den Grundsatz des Vertrauensschutzes also nur eine Selbstbindung des Gesetzgebers eintreten, wenn Planungsgesetze einen überschaubaren Lebensbereich hinreichend konkret regeln und den Einzelnen m i t Nachdruck zu einem bedeutsamen und langfristigen wirtschaftlichen Engagement veranlassen wollen.

I I . A u f t r a g zu politischer P l a n u n g aus Staatszielbestimmungen

Nach allgemeiner staatsrechtlicher Doktrin steht es weitgehend i m Ermessen der regierenden und gesetzgebenden Instanzen, welche Staatsaufgabe zu welchem Zeitpunkt i n Angriff genommen und wie 142

H.-H. Seidler f S. 116. H.-H. Seidler t S. 129 f. 144 Vgl. etwa V. Götz, Bundesverfassungsgericht und Vertrauensschutz, S.446 („verfassungsrechtlich begründete Notwendigkeit von Anpassungsund Übergangsregelungen"); W.-R. Schenke, S. 371. 143

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

sie verwirklicht werden soll. Es gehört zu den wesentlichen Merkmalen des souveränen Staates, daß er — i n dem von der Verfassung gezogenen und nur durch Verfassungsrevision oder Revolution zu beseitigenden Rahmen — selbstgesetzten politischen Leitbildern folgen kann. Diese staatliche Omnipotenz kann durch die verfassungsrechtliche Pflicht, konkretisiert i n Staatszielbestimmungen, bestimmte materielle Staatsaufgaben wahrzunehmen, eingeschränkt sein. Hier geht es aber zunächst ganz allgemein u m das Problem, ob politische Planung als formelle Staatsaufgabe betrachtet werden kann. Anders gewendet: Lassen sich der Verfassung nur materielle Inhalte politischer Planung entnehmen, oder ist Planung geradezu von Verfassungs wegen geboten zur Erfüllung der von der Verfassung statuierten Staatsaufgaben? Sicherlich liegt es nahe, politische Planung als ein Verfahren anzusehen, das bei Erfüllung der Staatszielbestimmungen zu beachten ist, da politische Planung eine unumgängliche Notwendigkeit jeder sachgerechten Erledigung von Staatsaufgaben ist. Ob politische Planung nur ein Gebot guter Politik oder darüber hinaus von Verfassungs wegen aufgegeben ist, sind staatstheoretische Fragestellungen, die sich anhand der zentralen verfassungsrechtlichen Staatszielbestimmungen, nämlich des Sozialstaatsprinzips und des Grundrechtssystems, klären lassen. 1. Rationalität und Effizienz staatlichen Handelns als Grundmaximen politischer Kultur

Planungsverfahren sind an den Kriterien der Rationalität des Entscheidungsprozesses und der Effizienz 1 des Entscheidungsergebnisses ausgerichtet 2 . Diese beiden Gebote sollten an sich bei jeder politischen Entscheidung gebührende Beachtung finden. W i l l man diese beiden Gebote insoweit zu normativ verbindlichen Leitprinzipien staatlichen Handelns machen, daß man eine Pflicht des Staates zu rationaler und dem Effizienzpostulat genügender Planung begründet, so bietet sich zunächst ein kurzer Blick auf die Entstehung dieser beiden Gebote in der westlichen politischen K u l t u r an. Es gehört zum traditionellen Bestand abendländischer Staatsphilosophie, daß bei jeder Staatstätigkeit das Rationalitätskriterium eine entscheidende Rolle spielt. Der Glaube, daß sich m i t den M i t t e l n der Vernunft erweisen lasse, was richtig und gerecht sei, läßt sich durch 1 „Effizienz" gehört nicht zu den „zahllosen Wucherungen des spätidealistischen deutschen Irrationalismus und ihren durch Inzucht hervorgebrachten Hybriden", wie H. Ridder (Die soziale Ordnung des Grundgesetzes [19751, S. 23) es sehen möchte. Jede vernünftige Regelung muß sich ebenso wie jede vernünftige Handlung an dem Prinzip der Effizienz messen lassen können. 2 Hierzu W. Graf Vitzthum, Parlament, S. 68 ff.

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die J a h r h u n d e r t e v e r f o l g e n 3 . V o r a l l e m H e g e l h a t t e als Z e i c h e n e i n e r a u f b r e c h e n d e n n e u e n Z e i t die F ä h i g k e i t des Menschen, die soziale O r d n u n g z u v e r ä n d e r n , e r k a n n t . M i t d e m Satz, „ d a ß der M e n s c h sich a u f d e n K o p f , das ist a u f d e n G e d a n k e n s t e l l t u n d die W i r k l i c h k e i t n a c h diesem e r b a u t " 4 , w i r d bezeugt, daß v o n n u n a n die gesellschaftliche O r d n u n g z u r D i s p o s i t i o n des Menschen g e s t e l l t sei. D e r Mensch l e b t nicht mehr allein eingebunden i n einer prinzipiell unabänderbaren Gesellschaftsordnung, s o n d e r n k a n n die gesellschaftliche O r d n u n g n a c h v e r n ü n f t i g e n E i n s i c h t e n w e i t g e h e n d p l a n e n u n d gestalten. D i e Idee d e r v e r n u n f t m ä ß i g e n O r d n u n g gesellschaftlicher V e r h ä l t n i s s e l i e f e r t e d e m 19. J a h r h u n d e r t d e n entscheidenden p o l i t i s c h e n Z ü n d s t o f f 5 . A u f eine a k t i v e staatliche P l a n u n g d e r S o z i a l o r d n u n g z i e l t i m ü b r i g e n auch die P o s i t i v i e r u n g des Rechts. N i c h t d e r gewachsenen O r d n u n g w i r d es überlassen, das gesellschaftliche L e b e n z u b e s t i m m e n . D i e g r o ß e n K o d i f i k a t i o n e n des ausgehenden 18. u n d b e g i n n e n d e n 19. J a h r h u n d e r t s s t e l l t e n sich z u r A u f g a b e , n i c h t das g u t e alte Recht s c h r i f t l i c h z u f i x i e r e n , s o n d e r n die sozialen V e r h ä l t n i s s e n e u z u r e g e l n . Das Recht steht seit dieser Z e i t insgesamt z u r D i s p o s i t i o n des Gesetz-

3 Das Ineinssetzen von Rationalität und Richtigkeit ist ein Leitgedanke der Stoa, wenn vom Gesetz ein vernünftiger Inhalt gefordert wird (Cicero, De re publica, I I I , 22, 33: Est quidem vera lex ratio, naturae congruens...; ders., De legibus, I, 6, 18: Lex est ratio summa, insita in n a t u r a . . . Eadem ratio, cum est in hominis mente confirmata et perfecta, lex est. Vgl. hierzu Ε. v. Hippel, Geschichte der Staatsphilosophie I, 2. Aufl. [1958], S.202f.) oder einem Befehl nur dann ungebrochener Gehorsam zugesprochen wird, wenn er vor dem Forum der Vernunft bestehen kann (Cicero, De officiis, 1, 4, 13). Diese Gedanken werden von der Staatslehre des Neustoizismus aufgegriffen, wenn etwa Fernando Vasquez (ca. 1507 - 1566) (zu F. Vasquez vgl. E. Reibstein, Die Anfänge des neueren Natur- und Völkerrechts [1949]) sich zu dem von Isidor von Sevilla überlieferten Satz „lex ratione constat" bekennt und die Richtigkeit eines Gesetzes nach der Vernünftigkeit seines Inhalts beurteilt (Femandus Vasquius, Illustrium controversium libri V I [1599, ben. Ausgabe Frankfurt 1668], Buchi, Cap. 50 R N 9 ; vgl. hierzu Th. Würtenberger jun., Die Legitimität staatlicher Herrschaft [1973], S. 60 ff.). I n Bodins Beschreibung der Respublica werden Souveränität und Vernunftgesetz als konstitutive Elemente des Staates in einem Atemzug genannt (J. Bodin, De re publica libri V I [Paris 1586], L. I cap. 1: „Respublica est familiarum rerumque inter ipsas communium summa potestate ac ratione moderata multitudo"). Die Ordnung des Staatswesens nach den Gesetzen der Vernunft war vor allem ein Leittopos der Staatsphilosophie der Aufklärung. Was Deutschland betrifft, kann vor allem auf die beachtlichen Leistungen der Kameralisten hingewiesen werden, deren an vernunftmäßig begründbaren Leitsätzen orientierte Planung besonderer Hervorhebung bedarf. 4 G. W. F. Hegel, Philosophie der Geschichte, I V 3, Kap. 3; vgl. hierzu R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 28 I. 5 A n dieser Stelle sei nur auf die Breitenwirkung der Schriften eines Rotteck hingewiesen. Er stellte dem historisch gewachsenen Recht antithetisch das Vernunftrecht gegenüber und versuchte ein System eines rein vernünftigen Staatsrechts zu begründen (Th. Würtenberger jun., S. 201 m. w. Nw.).

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

gebers, der die Koordinationsmuster menschlichen Zusammenlebens den Bedürfnissen und Einsichten der Gegenwart anpaßt®. I n der neueren Zeit hat Max Weber auf die Verwurzelung des Ideals eines rationalen Staates i n der okzidentalen K u l t u r aufmerksam gemacht 7 . Seine These, daß der moderne Staat der Industriegesellschaft sich vor allem durch einen zweckrational oder wertrational motivierten Glauben an die Richtigkeit der Legalordnung legitimiere 8 , kann nach wie vor als ein Credo moderner Staatssoziologie bezeichnet werden. I n ähnlicher Weise betrachtet auch Herbert Krüger die Rationalität als das wesentliche Merkmal des modernen Staates 9 . Man hebt auf die Rationalität als Legitimationsgrundlage der Verfassungsordnung ab 10 und weist auf die enge Verknüpfung zwischen dem Rationalitätspostulat und dem Rechtsstaatsgebot wie auch der Gewaltenteilung hin 1 1 . Das Gebot zu einem am Rationalitätsprinzip orientierten Staatshandeln kann also als eine Maxime abendländischer politischer K u l t u r bezeichnet werden. Es liegt i n der Konsequenz dieser Entwicklung, daß der staatlichen Sozialgestaltung nicht nur vernünftige Grundsätze zugrunde gelegt werden müssen, sondern daß der Staat sich auch des i h m zur Verfügung stehenden Instrumentariums vernünftigen Entscheidens bedienen muß. Bei der Verwirklichung von Staatszielbestimmungen, wie etwa des Sozialstaatsprinzips, und — ganz allgemein — von Staatsaufgaben bestimmt traditionell das Rationalitätsk r i t e r i u m die Form des Prozedierens. I n diesem Sinne sind es derzeit die modernen Techniken der politischen Planung und Verwaltungsplanung, die die Verfahrensmuster für staatliche A k t i v i t ä t abgeben. Die Planungsverfahren ermöglichen eine Politik, „die planmäßig auf die Verwirklichung eines umfassenden, wohldurchdachten und i n sich ausgewogenen Zielsystems gerichtet ist und dabei den höchsten Erfolgsgrad erreicht, der unter den jeweiligen Umständen möglich ist" 1 2 . I n 8

Vgl. etwa R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 28 I 2. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe, hrsg. von J. Winckelmann, 2. Halbband (1964), S. 1034 ff. 8 Hierzu Th. Wiirtenberger jun. t S. 281 ff.; vgl. weiter M . Hennen, Krise der Rationalität — Dilemma der Soziologie. Zur kritischen Rezeption Max Webers (1976), insbes. S. 14 ff. 9 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 53 ff. 10 M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung (1967), S. 182 ff. 11 J. Isensee (Subsidiarität und Verfassungsrecht [1968], S.46f.) meint, Rationalität gehöre zum Wesen des liberalen Staates und präge das Gesetz seines Handelns; vor allem die Rationalität mache die Aktionen des liberalen Staates berechenbar und finde i m Rechtsstaatsgebot ihren wichtigsten Niederschlag. 12 H. Giersch, Allgemeine Wirtschaftspolitik, S. 22; vgl. weiter aus der umfangreichen Literatur R. Dahl und C. Lindblom, Politics, Economics and 7

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den Planungsverfahren werden Entscheidungsprozesse, die auf w i r t schaftlich-rational 18 begründbare Erwägungen zurückgeführt werden können, m i t Entscheidungen koordiniert, bei denen politisch-rationale 14 Wertungen i m Spiel sein müssen 15 . Da bei allen politischen Entscheidungen die Formulierung von Zielvorstellungen und die Lösung von Zielkonflikten eine Rolle spielen, gibt es i n diesem Bereich „keine Rationalität an sich als ablesbare Eigenschaft bestimmter Entscheidungen" 18 . Zu den Erkenntnissen des kritischen Rationalismus gehört es, daß die menschliche Vernunft unvollkommen ist und vernünftige Entscheidungen nur i n Verfahren gefunden werden können, die von einer Gleichberechtigung aller Menschen i n der Vernunft ausgehen. Die Rationalität von Entscheidungen über Leitziele und Zielkonflikte liegt i n ihrer Anerkennung vor dem Forum der individuellen Vernunft begründet. Damit w i r d politische Rationalität zu einem erheblichen Teil durch bestimmte Qualitäten des Entscheidungsprozesses bestimmt. Rationalität staatlichen Handelns und Planens erweist sich an der Setzung klarer Prioritäten i m Bewußtsein u m die sozialen Probleme und die konkurrierenden Zielvorstellungen, an der Einbeziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse i n den Entscheidungsprozeß, an der sorgfältigen Analyse der Problemlösungsmöglichkeiten und der Folgen einzelner Problemlösungen und nicht zuletzt an einer möglichst öffentlichen Diskussion der zur Entscheidung stehenden Probleme. Ein hohes Maß an Rationalität staatlichen Entscheidens läßt sich erreichen, wenn ein Prozeß des Argumentierens i n Gang gesetzt wird, der nicht ideologisch oder emotionell aufgeladen ist, wenn die der Entscheidung zugrundegelegten Wertungen offengelegt werden und die Folgen der Weifare (New York 1963), S. 26 ff.; T. Parsons, The Structure of Social Action (New York 1937), S. 58; R. Krüger, Koordination, S. 9; R. Richter, Probleme des Rationalprinzips, in: ZgesStW 110. Bd. (1954), S. 88 ff.; P. Dreitzel, Rationales Handeln und politische Orientierung, in: Soziale Welt, 16. Jahrgang (1965), S. 1 ff.; J.-H. Priester, Rationalität und Normkritik (Saarbrücker jur. Dissertation 1972), S. 10 ff. (Übersicht über einzelne Rationalitäts-Konzepte). 13 Zum wirtschaftlichen Rationalismus vgl. E. Heimann, Wirtschaftssysteme und Gesellschaftssysteme (1954), S. 6 fî.; M. J. Buse, Integrierte Systeme, S. 24 ff. (zu den Grenzen wirtschaftlicher Rationalität). 14 Zur Unterscheidung von wirtschaftlicher und politischer Rationalität vgl. H. Hartmann, Politische gegen wirtschaftliche Rationalität, in: Zges StW 119. Bd. (1963), S. 440 ff., 443 ff.; C. Bohret, Entscheidungshilfen, S.28f.; G. Hartfiel, Wirtschaftliche und soziale Rationalität (1968), S. 62 ff. 15 Allerdings ist eine völlige Trennung, wie H. Albert (Ökonomische Ideologie und politische Theorie, 2. Aufl. [1972], S. 13 ff.) nachgewiesen hat, zwischen wirtschaftlicher Zweck-Mittel-Rationalität und politischer Wertung nicht möglich. 16 H. P. Bull, Staatsaufgaben, S. 113; K. R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2, 4. Aufl. (1975), S. 275 ff.; H. Albert, Traktat über kritische Vernunft (1968); C. Bohret, S.29ff.; E. Volk, Rationalität, S. 43 ff.; H. Hamischfeger, Planung, S. 39 ff.; F. Spreer, Wissenschaftstheorie, S. 37 ff.; M. J. Buse, S. 25 ff.

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten überschaubar gemacht sind 17 . Die modernen Planungsverfahren, die diesen Ansprüchen zu genügen suchen, erscheinen damit als der letzte Baustein einer langen Entwicklung zu einer am Rationalitätspostulat orientierten Staatlichkeit. Eine besondere Variante des Rationalitätsprinzips stellt das Effizienzdenken dar. „Die Besonderheit unserer Zeit liegt darin, daß w i r eine Zivilisation der Effizienz erleben 18 ." Das Effizienzprinzip kann i n verschiedenartiger Form auftreten: Bei der Grundrechtsinterpretation kann eine Grundrechtseffektuierung Auslegungsziel sein 19 ; das Auslegungsprinzip der „praktischen Konkordanz" versucht kollidierenden verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern zu optimaler Wirksamkeit zu verhelfen 2 0 und ist damit am Effizienzprinzip orientiert. I m Bereich der staatlichen Aufgabenerledigung fordert das Effizienzprinzip „eine aufgabenangepaßte Organisation, die optimale Leistungen ermöglicht" 2 1 . Den planenden Staat interessiert vor allem jene Seite des Effizienzprinzips, die man als Produktionseffizienz 22 bezeichnen kann. Die Kosten-Nutzen- und Kosten-Effizienz-Analysen sind wichtige Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz des Verwaltungshandelns. Sicherlich ist Isensee rechtzugeben, daß das Effizienzprinzip der Rationalität als einem Wesenselement des modernen Staates entspringe 23 . Aus dieser Feststellung läßt sich allerdings nicht herleiten, das Effizienzprinzip sei als ungeschriebenes Verfassungsprinzip zu qualifizieren, ohne einer ausdrücklichen Verankerung i m Verfassungsrecht zu bedürfen. Dagegen spricht, daß weder das Rationalitäts- noch das Effizienzprinzip sich i m Grundgesetz als Grundbedingung aller rechtmäßigen Staatstätigkeit ausgesprochen finden. Und selbst wenn man dieses Schweigen der Verfassung nicht für entscheidend halten möchte, so spricht doch die Konturlosigkeit des Effizienzprinzips gegen eine Anerkennung als Rechtsprinzip schlechthin. Leisner hat deutlich ge17 H. A. Schwarz-Liebermann von Wahlendorf, Schichten und Gestalt des Rechts (1975), S. 1 ff.; E. Rehbinder, Grundfragen des Umweltrechts, in: ZRP 1970, S. 250 ff., 252; R. Bubner, Handlung, Sprache und Vernunft (1976), S. 227 ff.; vgl. auch H. Harnischfeger, S. 42, 75 ff. 18 B. de Jouvenel, Jenseits der Leistungsgesellschaft. Elemente sozialer Vorausschau und Planung (1970), S. 129. 19 Zu dieser Frage vgl. die Ausführungen unter 2., I I I . 20 K. Hesse, Grundzüge, § 2 I I I 2 b, cc m. w. Nw. 21 J. Isensee, Der Fiskalbeamte — ein Fiskalprivileg, in: DÖV 1970, 397 ff., 404. 22 Vgl. auch M . Timmermann, Effizienz der öffentlichen Verwaltung, in: Verwaltungsarchiv 68. Bd. (1977), 311 ff. 23 J. Isensee, Anm. 63.

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macht, wie facettenreich das Effizienzprinzip sein kann, wenn man es als Rechtsgrundsatz erfassen w i l l 2 4 . Daher w i r d man das Effizienzprinzip verfassungsrechtlich nur i n den Griff bekommen, wenn man es i m Zusammenhang m i t den verfassungsrechtlichen Leitvorstellungen sieht. Wichtige Elemente des Rationalitäts- und Effizienzprinzips können dem Rechtsstaatsgebot und dem Gleichheitssatz entnommen werden. Das Verbot willkürlichen Staatshandelns macht ein Argumentieren nötig, das an rational nachvollziehbaren Gründen ausgerichtet ist; das Übermaßverbot stellt eine besondere Ausprägung des Effizienzprinzips dar. Andererseits können das Rationalitätsgebot und Effizienzprinzip nicht schlechthin zu Maximen hochstilisiert werden, die die Staatstätigkeit bestimmen müssen. Bei politischen Entscheidungen muß oftmals der Irrationalität i n der öffentlichen Meinung Rechnung getragen werden. Weiterhin w i r d die effizienteste Lösung eines Problems i n vielen Fällen aus rechtlichen Gründen auszuscheiden haben 25 . Vor allem aber w i r d die demokratische Entscheidung nicht immer die effizienteste Lösung eines Problems gewährleisten 26 . Die Rationalität und Effizienz staatlichen Handelns lassen sich, abgesehen von diesen rechtlichen und politischen Restriktionen, durch politische Planung maximieren. Wenn aus den Grundrechten i n Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot eine Pflicht des Staates zu grundrechtsrealisierender politischer Planung hergeleitet werden kann, so w i r d die Sorge für eine größtmögliche Grundrechtseffektuierung zur normativ verbindlichen Leitlinie staatlichen Gestaltens. 2. Der Verfassungsauftrag zu politischer Planung

Die staatlichen Instanzen können durch die modernen Verfahren politischer Planung i n steigendem Maß den Lebensraum des Einzelnen und die soziale Entwicklung beeinflussen und steuern. Diese neue Dimension staatlicher Einwirkungsmöglichkeiten auf die soziale Entwicklung kann nicht ohne Bedeutung für das Verhältnis der politischen Planung zu den Grundrechten bleiben. Von Interesse ist vor allem, inwieweit Grundrechte Planungsverfahren initiieren können. Hierbei geht es u m die Relevanz der Verfassung für die Planung als Organisationsform staatlichen Handelns. Es läßt sich fragen, ob es eine allgemeine Pflicht des Staates zu politischer Planung, vor allem aber zu grundrechtsrealisierender Planung gibt: Sind die staatsleitenden 24

W. Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip (1971). W. Leisner, S. 13 ff. 2e Es sei denn, man betrachtet Demokratie als Selbstzweck und mißt die Effizienz einer Entscheidung daran, ob sie auch dem Ziel einer demokratischen Gesellschaft dient (vgl. in diesem Sinn K. Lompe, Gesellschaftspolitik, S. 112 ff.). 25

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

Instanzen verpflichtet, durch zielorientierte Planungen die Chancen für eine möglichst breite Grundrechtsverwirklichung zu schaffen? Es ist eine alte Erkenntnis der Staatsphilosophie, daß die Qualität einer sozialen Ordnung davon abhängt, ob Freiheit und Gleichheit tatsächlich gewährleistet sind, und daß materielle A r m u t und Not die größten Feinde menschlicher Freiheit und Gleichheit sind. Schon bei Fourier und Lorenz von Stein findet sich der Gedanke angesprochen, „daß die Freiheit auch eine ökonomische Komponente habe" 2 7 und daß der Besitz von Gütern „die absolute Voraussetzung... aller Bekämpfung der Unfreiheit i n Staat und Gesellschaft" 28 sei 29 . Ein Ausschöpfen der durch die Freiheitsrechte garantierten Handlungsmöglichkeiten beginnt erst, wenn die Sorgen u m das Subsistenzminimum in den Hintergrund getreten sind. Auch gehörte es bereits zu den Postulaten der französischen Revolution, nicht lediglich eine formale Gleichheit vor dem Gesetz anzustreben, sondern zu einer „égalité de fait" zu gelangen 30 . Eine Pflicht des Staates zu grundrechtsverwirklichender politischer Planung liegt i n der Konsequenz einer realitätsadäquaten 31 Grundrechtstheorie, die sich i n Fortführung der klassischen Grundrechtstheorie m i t den faktischen Voraussetzungen der Grundrechtsgeltung befaßt 32 . Eine realitätsadäquate Grundrechtstheorie sucht den Grundrechten auch i m wirtschaftlichen und sozialen Bereich Geltung zu verschaffen und trägt nicht allein der Begrenzung politischer und sozialer Macht Rechnung 33 . Denn es kann nicht ohne Auswirkungen auf die Grundrechtsdogmatik bleiben, wenn durch immer umfassen27 C. Fourier, Traité d'association domestique et agricole, Bd. 1 (1822), S. 104 ff.; vgl. auch J. G. H. Fichte, Der geschlossene Handelsstaat (1800), 1. Buch, 1. Kap. I I ; R. Zippelius, §27 I, 3; M . Hereth, Freiheit, Politik, Ökonomie (1974), S. 29 f. 28 Lorenz von Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich (1850), Einl. I V 2, 3. 29 Hierzu neuerdings M . Hereth, S. 20: „Der erdrückende Bereich der Notwendigkeiten läßt kaum Platz für Freiheit. So ist die Steigerung der Produktivität menschlicher Arbeit eine Voraussetzung für Freiheit" (vgl. weiter R Bernholz, Grundlagen der Politischen Ökonomie, 1. Bd. [1972], S. 28 ff.). 30 Zu der Forderung „Wohlstand für alle, Unterricht für alle, Gleichheit, Freiheit und Glück für alle" vgl. Th. Ramm, Die großen Sozialisten I (1955), S. 138 f., 160 ff.; A. Menger, Neue Staatslehre, 4. Aufl. (1930), S. 25, 64 f. 31 Zur realitätsadäquaten Verfassungsinterpretation vgl. D. S. Lutz und V. Rittberger, Abrüstungspolitik und Grundgesetz (1976), S. 29 ff. 32 Kritisch etwa E. Grabitz, Freiheit, S. 47. 33 Das Grundrechtsverständnis der liberalen Staatstheorie beschränkt sich allerdings vornehmlich auf diesen zuletzt genannten Aspekt: vgl. etwa F. Neumann, Zum Begriff der politischen Freiheit, in: Demokratischer und autoritärer Staat (1967), S. 76 ff.; ders., Intellektuelle und politische Freiheit, S. 215 ff.

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d e r w e r d e n d e sozial- u n d w i r t s c h a f t s p o l i t i s c h e P l a n u n g e n des Staates i n z u n e h m e n d e m M a ß e die G r e n z e n z w i s c h e n E i n g r i f f u n d L e i s t u n g v e r w i s c h t w e r d e n 3 4 u n d d e r S t a a t sich i n d i e R o l l e eines G a r a n t e n a l l g e m e i n e r S e k u r i t ä t g e d r ä n g t s i e h t 3 5 . I n dieser S i t u a t i o n w i r d d i e tatsächliche A u s ü b b a r k e i t d e r v o n G r u n d r e c h t e n geschützten L e b e n s bereiche „ z u m v o r s t e l l b a r e n B e s t a n d t e i l verfassungsgeschützter F r e i heit"36. H ä l t m a n die tatsächliche A u s ü b b a r k e i t d e r G r u n d r e c h t e f ü r e i n e n B e s t a n d t e i l verfassungsgeschützter F r e i h e i t , so l i e g t d e r E i n w a n d nahe, m a n erhebe die E f f e k t i v i t ä t z u e i n e m A u s l e g u n g s t o p o s : E i n e V e r f a s s u n g s i n t e r p r e t a t i o n k a n n m a n aber f ü r f r a g w ü r d i g h a l t e n , „ d i e z u r B e g r ü n d u n g eines b e s t i m m t e n Ergebnisses e i n teleologisches A u s l e g u n g s p r i n z i p h e r a n z i e h t , dessen K o n t u r e n höchst unscharf, dessen V o r h a n d e n s e i n v o n n a m h a f t e n A u t o r e n b e s t r i t t e n u n d dessen A u s w ü c h s e u f e r l o s s i n d " 3 7 . D i e s e m B e f u n d k a n n i n s o f e r n beigepflichtet w e r d e n , als i m N a m e n d e r E f f e k t u i e r u n g v o n G r u n d r e c h t e n einerseits d e r G r u n d s a t z „ i n d u b i o p r o l i b e r i a t e " i n die D e b a t t e g e w o r f e n w o r d e n i s t 3 8 , andererseits i m N a m e n des gleichen Grundsatzes g r u n d r e c h t s e i n schränkende M a ß n a h m e n g e r e c h t f e r t i g t w e r d e n 3 9 . Es ist sicherlich z u 34 Vgl. etwa P. Lerche, Rechtsprobleme der wirtschaftslenkenden Verwaltung, in: DÖV 1961, 486 ff.; H.-H. Seidler, Rechtsschutz, S. 94 ff.;H.-U. Gall was, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte (1970). 35 Diese Entwicklung findet sich bereits bei E. Fechner (Die soziologische Grenze der Grundrechte [1954], S. 12) angedeutet. Vor allem hebt Fechner die Gefährdung der Grundrechte hervor, die die technischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge bewirken können (S. 16 ff.). Die methodischen Voraussetzungen eines realität s adäquaten Grundrechtsverständnisses behandelt grundlegend H. H. Rupp (Wandel der Grundrechte, S. 161 ff.). 36 Grundlegend M . Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz (1970), S. 15 ff. mit weiteren Nachweisen; H. H. Rupp, S. 176 ff.; E.-W. Böckenförde, Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht (1976), S. 336 ff., 337; W. Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte (1975), S. 57 ff.; kritisch: E. Loebenstein, Rechtsschutz — soziale Grundrechte, in: Festschrift f. Ermacora (1974), S. 1 ff.: Die klassischen Grundrechte können u. a. darum nicht in Verfassungsaufträge zu sozialer Gestaltung uminterpretiert werden, weil „die internationalen Konventionen regelmäßig scharf zwischen Grund- und Freiheitsrechten und sozialen und kulturellen Menschenrechten unterscheiden"; es ist sicherlich verfehlt, lediglich aus Differenzierungen in internationalen Verträgen Argumente für oder gegen eine bestimmte Interpretation des Verfassungsrechts und einzelner Grundrechte herleiten zu wollen. Weiterhin erklärt F. Ossenbühl apodiktisch (Die Interpretation der Grundrechte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: NJW 1976, 2100 ff., 2105): Die Schaffung der realen Voraussetzungen der Grundrechtsausübung „hat nichts mit der Grundrechtsauslegung zu tun". 37 H. W. Arndt und H. von Olshausen, Verfassungsrechtliche Fragen zur inneren Pressefreiheit, in: JUS 1975, S. 485 ff., 488 m. w. Nw. 38 BVerfGE 6, 72; kritisch H. Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: V V D S t R L H. 20 (1963), S. 87 ff.

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

treffend, daß der Argumentationstopos der Effektivität sich durch eine gewisse Konturenlosigkeit auszeichnet. Daher kann ein Verfassungsgebot zur Effektuierung der von Grundrechten geschützten Lebensbereiche nicht als bloße Forderung stehenbleiben, sondern ist aus der sozialen Realität, wie sie sich i m regelungsintensiven Industriestaat entwickelt hat, und dem Sozialstaatsgebot herzuleiten. a) Planung und Grundrechtsvoraussetzungen im regelungsintensiven Industriestaat

M i t dem Instrumentarium der Planung werden i m regelungsintensiven Industriestaat zwei wichtige Staatsfunktionen bewältigt: Zunächst lassen sich die ökonomischen Grundlagen der Forderung „Wohlstand für alle" 4 0 schaffen und sichern; weiterhin lassen sich die zur Verfügung stehenden Ressourcen nach sozialpolitischen Leitbildern und Prioritäten auf den gesellschaftlichen Bereich verteilen. Politische Planung i m regelungsintensiven Industriestaat dient i n erster Linie der Organisation jener ökonomischen Rahmenbedingungen, die ein Gebrauchmachen von grundrechtlich abgesicherten Freiheitsräumen ermöglichen 41 . I m Zustand der Not verfügen nur einige wenige Privilegierte über jene sozialen Voraussetzungen, die eine Ausübung der Freiheit erst ermöglichen 42 . Darum ist auch die Steigerung der Produktivität menschlicher Arbeit eine wichtige Voraussetzung für das Eröffnen von Freiheitsräumen. I n diesem Sinn führt jede Planung der Wirtschaftssubjekte und des Staates, die auf Steigerung der Produktivität und damit des Bruttosozialproduktes gerichtet ist, i m Prinzip zur Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten des Individuums 4 3 . Unter diesem Aspekt sind die Änderung der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes und der Erlaß des Stabilitätsgesetzes zu 39 H. C. F. Liesegang, Verfassungsrechtliche Fragen der inneren Pressefreiheit, in: JUS 1975, S. 215 ff., 220. 40 Allerdings kann der mögliche Grad der Realisierung von Freiheit und Gleichheit in einer Gesellschaft nicht allein am wirtschaftlichen Produkt gemessen werden. Freiheit und Gleichheit setzen zwar einen bestimmten Grad von Güterversorgung voraus, erschöpfen sich aber nicht hierin (M. Hereth, S. 21; E. Heimann, Soziale Theorie der Wirtschaftssysteme [1963], S. 40). 41 D. Marsh, The Weifare State (London 1970), S. 18 ff. 42 J. K. Galbraith, Die moderne Industriegesellschaft (1968), S. 448. 43 Dieser Grundsatz ist gerade in letzter Zeit relativiert worden. Auch der gewünschte Grad der Steigerung der Produktivität und des Bruttosozialproduktes müssen in politischer Diskussion entschieden werden. Ein teilweise anarchisches Wirtschaftswachstum hat deutlich gemacht, wohin Produktivitätssteigerungen um jeden Preis führen können. Eine Drosselung des Wirtschaftswachstums bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Stabilität und Wahrung internationaler Wettbewerbsfähigkeit wird zu den vorrangigen politischen Aufgaben der kommenden Jahre gehören. Nur wenn ein angemessenes Maß des Wirtschaftswachstums erreicht wird und die Erwartungen der Bevölke-

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sehen 44 : Die Wirtschaftspolitik soll — zusammen m i t anderen Leitgrundsätzen — Stabilität des Preisniveaus und hohen Beschäftigungsstand anstreben; hierdurch sollen u.a. die ökonomischen Voraussetzungen zur Realisierung der Grundrechte aus A r t . 12 und A r t . 14 GG geschaffen werden 4 5 . Darüber hinaus w i r d politische Planung, wenn nämlich die zur Verfügung stehenden Ressourcen nach sozialpolitischen Leitbildern und Prioritäten verteilt werden, mehr und mehr zu der staatlichen Handlungs- und Organisationsform, die eine breite Realisierung von Grundrechten erst ermöglicht. Ohne daß hier ausführlicher auf die Kontroversen u m die leistungsstaatliche Seite der Grundrechte einzugehen ist, legt es dieser Befund nahe, die Grundrechtsgewährleistungen den Erfordernissen des Leistungsstaates der Gegenwart anzupassen. Anders als eine liberale bürgerlich-rechtsstaatliche versucht eine sozialstaatliche Grundrechtstheorie 46 die grundrechtliche Freiheit auch als reale Freiheit zu sichern. Dieses Anliegen der sozialstaatlichen Grundrechtstheorie erscheint legitim, da i m leistungs- und regelungsintensiven Industriestaat einer wachsenden Zahl von Menschen die sozialen Voraussetzungen zur Realisierung der rechtlichen Freiheitsgewährleistungen entgleiten. Den beherrschten Lebensraum und die individuelle Autarkie löst der Lebensraum ab, den Sozialleistungen vermitteln 4 7 . rung durch Aufklärungsarbeit entsprechend umstrukturiert werden, wird man die sozialen Probleme der postindustriellen Gesellschaft lösen können (vgl. etwa D. Schröder, Wachstum und Gesellschaftspolitik [1971], S. 98 ff.; P. Sa ladin, Wachstumsbegrenzung als Staatsaufgabe, in: Festschrift für U. Scheuner, hrsg. von H. Ehmke, J. H. Kaiser u.a. [1973], S. 541 ff.; M. Hereth, S. 14 ff., 33 ff.; E. Heimann, S. 44 ff.). 44 Zu den Ursachen für die Änderung der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes und für den Erlaß des StabG vgl. E. Wille, Planung und Information (1970), S. 34 ff.; A. Zunker, Finanzplanung, S. 112 m . w . N w . ; K. Schmidt und E. Wille, Die mehrjährige Finanzplanung. Wunsch und Wirklichkeit (1970), S. 12 ff.; H. Fischer, Die Problematik der mehrjährigen Finanzplanung, in: Festschrift f. H. Schäfer, hrsg. von E. Schiffer und H. Karehnke (1975), S. 129 ff., 139 ff. 45 K. Vogel, Bonner Kommentar (Zweitbearbeitung), Vorbem. zu Art. 104 a — 115 GG R N 4. 46 E.-W. Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: NJW 1974, S. 1529 ff.; H. Friauf, Zur Rolle der Grundrechte im Interventions· und Leistungsstaat, in: DVB1. 1971, S. 674 ff.; allgemein zum Wandel des Grundrechtsverständnisses vgl. G. Dietze, Bedeutungswandel der Menschenrechte (1972), insbes. S. 30 ff. 47 Dieser Befund vom Umschlag einer Abwehrhaltung gegen den Staat in eine Anspruchssituation ist ein Gemeinplatz in der staatstheoretischen Diskussion (vgl. etwa K. Eichenherger, Leistungsstaat und Demokratie [1969] ; E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft [1971], S.71 ff.; J. R Müller, Soziale Grundrechte, S. 687 ff., 731 ff.; W. Schaumann, Der Auftrag des Gesetzgebers zur Verwirklichung von Freiheitsrechten, in: JZ 1970, 58 ff.; H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat [1972], S. 55 ff., 71 f.; H. Maier, Die Grundrechte des Menschen im modernen Staat [1973], S. 53 ff.).

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

I m regelungs- u n d leistungsintensiven Industriestaat k ö n n e n G r u n d rechte ohne gezielte staatliche F ü r s o r g e eine leere H ü l s e b l e i b e n . E i n „Recht auf L e b e n " ( A r t . 2 A b s . 2 S. 1 G G ) n u t z t w e n i g , w e n n die e r f o r d e r l i c h e ä r z t l i c h e V e r s o r g u n g f e h l t . Es geht u m F r a g e n w i e e t w a : I n welchem U m f a n g müssen Haushaltsmittel bereitgestellt werden, u m i m G e s u n d h e i t s w e s e n eine V e r s o r g u n g d e r B e v ö l k e r u n g z u g e w ä h r leisten, die d e m F o r t s c h r i t t d e r m e d i z i n i s c h e n T e c h n i k e n t s p r i c h t ? E r i n n e r t sei n u r a n g r a v i e r e n d e Engpässe i m Gesundheitswesen, w i e d i e z u g e r i n g e Z a h l d e r v o r h a n d e n e n D i a l y s e z e n t r e n oder die u n z u l ä n g liche A u s s t a t t u n g d e r deutschen H e r z c h i r u r g i e 4 8 . E i n „Recht a u f f r e i e W a h l des B e r u f e s " l ä u f t leer, w e n n i n f o l g e z u g e r i n g e r A u s b i l d u n g s k a p a z i t ä t e n n u r w e n i g e S t u d e n t e n v o n diesem Recht G e b r a u c h m a c h e n k ö n n e n u n d die ü b r i g e n sich m i t d e n w e n i g e r geschätzten S t u d i e n g ä n g e n b e g n ü g e n m ü s s e n 4 9 . N u r eine i n t e n s i v e staatliche P l a n u n g k a n n die e r f o r d e r l i c h e n R a h m e n b e d i n g u n g e n f ü r eine b r e i t e V e r w i r k l i c h u n g d e r G r u n d r e c h t e schaffen. P l a n l o s i g k e i t o d e r F e h l p l a n u n g f ü h r e n zu F r e i h e i t s b e s c h r ä n k u n g e n g r o ß e n A u s m a ß e s 5 0 . Diese E i n s i c h t e r h ä r t e t sich u m so m e h r , j e s t ä r k e r d e r E i n z e l n e a u f staatliche L e i s t u n g e n a n gewiesen ist. Staatliche P l a n u n g w i r d z u m G a r a n t e n d e r F r e i h e i t . 48 W. Däubler, Grundrecht auf Leben und medizinische Versorgung, in: NJW 1972, 1105 ff.; J. Schwabe, Krankenversorgung und Verfassungsrecht, in: NJW 1969, 2274 ff.; Gesundheitsbericht, hrsg. vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Bonn 1971, S. 139. Es kann der berühmte Federstrich des Gesetzgebers, eine Erhöhung oder Verringerung der Mittelzuweisung im Haushaltsplan, Leben und Gesundheit eines Teiles der Bevölkerung erhalten helfen oder gefährden. Die Last des Entscheidens über die Mittelverteilung wird für die politische Führung um so drückender werden, je kostspieliger die medizinischen Verfahren zur Gesundheitserhaltung und je exakter die planerischen Prognosen werden, welche Gruppen in der Bevölkerung durch unterlassene Mittelzuweisungen in ihrem Recht auf Leben und Gesundheit beeinträchtigt werden. Illustriert sei diese letztlich aporetische Problematik an Hand einer Studie über die Senkung der Säuglingssterblichkeit, die in Frankreich im Rahmen der „Rationalisation des choix budgétaires" durchgeführt wurde (Ministère de la santé publique et de la sécurité sociale, La Périnatalité [Etude de RCB], Octobre 1970J. Ziel dieser Studie war es, in Frankreich die Säuglingssterblichkeit von damaligen 26 %o auf 18 %o oder gar auf 14 %o zu senken. Zu diesem Zwecke wurde von einem Team von Wissenschaftlern (Ärzte, Demographen, Statistiker, Wirtschaftswissenschaftler und Verwaltungsfachleute) eine Liste von Maßnahmen erstellt, deren landesweite Durchführung eine Senkung der Säuglingssterblichkeit garantiert. Zu diesen Maßnahmen gehören u.a. Impfung gegen Röteln, Pflicht zu Kontrolluntersuchungen während der Schwangerschaft, Installierung von Brutkästen in Krankenhäusern, Ausbildung und Fortbildung von Fachärzten. Anschließend wurden die Kosten der einzelnen Maßnahmen während einer Periode von 15 Jahren errechnet. Durch Extrapolation ärztlicher Statistiken über die Säuglingssterblichkeit ließ sich entnehmen, wie viele Säuglinge durch jede einzelne Maßnahmekategorie vor dem Tod gerettet werden können. 49 H. Kratzmann, Grundrechte — Rechte auf Leistungen (1974), S. 2. 50 G. Anders, Was ist Planung?, in: R. Jungk und H. J. Mündt (Hg.), Der Griff nach der Zukunft, Planen und Freiheit (1964), S. 50.

I I . A u f t r a g zu politischer Planung aus Staatszielbestimmungen

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W i l l der Leistungsstaat der Gegenwart sich nicht mit punktuellen Hilfen i n Notlagen begnügen, so muß wegen der Vielzahl der i n der Gesellschaft hervortretenden Bedürfnisse einerseits und der Knappheit der Ressourcen andererseits eine sorgfältige Planung der staatlichen Leistungen erfolgen. I m leistungs- und regelungsintensiven Industriestaat werden Grundrechte mehr und mehr zu einer Sache der staatlichen Organisation und des Verfahrens 51 . Staatliche Leistung ist prinzipiell nur noch als geplante Leistung möglich. Politische Planung hat eine freiheitserhaltende und grundrechtseffektuierende Bedeutung erlangt; Planung i m Grundrechtsbereich hat die Funktion der Grundrechtsverwirklichung 52 . Aber nicht allein die leistungsstaatliche Seite der Grundrechte ist mit den modernen Verfahren politischer Planung eng verknüpft. Politische Planung kann darüber hinaus auch die Abwehrfunktion von Grundrechten effektuieren. Staatliche Eingriffe i n grundrechtlich geschützte Bereiche können durch Planung auf die wirklich erforderlichen Maßnahmen zurückgedrängt werden. Durch eine langfristige Energiepolitik lassen sich etwa Einschränkungen der Fortbewegungsfreiheit, die sich aus Energieengpässen ergeben, vermeiden („Sonntagsfahrverbot"). b) Pflicht zur grundrechtseffektuierenden Planung als Sozialstaatsgebot

Eine Pflicht des Staates zu grundrechtsverwirklichender Planung ist ein Teilaspekt des Grundsatzes, daß die Planmäßigkeit der Machtausübung zu den Grundvoraussetzungen jeder legitimen Staatsgewalt gehört. A n die Stelle bloßer W i l l k ü r und Laune hat ein „fester, planmäßiger, vernünftiger Wille" zu treten 5 3 . Noch nicht abschließend geklärt ist, ob die Pflicht des Staates zu grundrechtsverwirklichender Planung lediglich i m politischen Ermessen der staatsleitenden Instanzen liegt oder ob es sich darüber hinaus u m eine verfassungsrechtlich begründbare Verpflichtung handelt. Blickt man auf die erhebliche Bedeutung der politischen Planung i m regelungs- und leistungsintensiven Industriestaat, so spricht vieles dafür, politische Planung, vor allem i n ihrer grundrechtseffektuierenden Form nicht lediglich i m politischen Ermessen der staatsleitenden Instanzen zu belassen. Die Pflicht des Staates zu planender Grundrechtsverwirklichung liegt wohl 51 I n diesem Sinne bereits W. Hamel, Die Bedeutung der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat (1957), S. 52 ff.; aus der neuen Lit. vgl. P. Häberle, Grundrechte, S. 43 ff., 52; J. P. Müller, Soziale Grundrechte, S. 786 ff.; P. Badura, Soziale Grundrechte, in: Der Staat 1975,17 ff., 45 ff. 02 So für die Gesetzgebung im Grundrechtsbereich W. Krebs, S. 74. 53 W. Nef, Die Macht und ihre Schranken (1941), S. 21 f.

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

i n der Konsequenz einer am Sozialstaatsgebot 54 orientierten Grundrechtsdogmatik 55 : Eine dem Sozialstaatsgebot entsprechende Grundrechtsverwirklichung hängt i m regelungs- und leistungsintensiven Industriestaat i n erheblichem Maß von staatlicher Planung ab 56 . Bekanntlich bereitet es erhebliche Schwierigkeiten, durch Auslegung oder Verfassungsrevision einzelne sozialstaatliche Leistungsgrundrechte i n die Verfassung einzubringen 57 . Die Bedenken gegen die verfassungsrechtliche Verankerung sozialstaatlicher Leistungsgrundrechte brauchen an dieser Stelle nicht wiederholt zu werden 5 8 . Hingewiesen sei lediglich auf die Planungswidrigkeit von Grundrechten, die konkrete Leistungsansprüche gewähren. Das gesamte staatliche Haushaltswesen, auf dem die mittelfristigen und langfristigen Planungen aufbauen, würde seines Sinnes beraubt, wenn man aus den Grundrechten direkt Ansprüche des Einzelnen gegen den Staat auf positive Leistungen ableitete. Zunächst wäre es völlig ungewiß, wie viele Haushaltsmittel zur Schaffung eines sozialen Rahmens für die einzelnen Grundrechte aufgewendet werden müssen. Es mag zwar zugestanden werden, daß die Rechtsprechung nach und nach die wichtigsten Grundsätze und Anspruchsvoraussetzungen für die Verwirklichung sozialer Grundrechte herausschälen kann. Musterbeispiele für die rechtsstaatliche Bewältigung generalklauselartiger Vorschriften ist etwa die Judikatur zur polizeilichen Generalklausel. Ein ganz erheblicher Unsicherheits54 Nach K. Hesse (Grundzüge, § 6 I I 3 b) bedeutet sozialer Rechtsstaat, „daß die Aufgaben des Staates sich nicht mehr im Schützenden, Bewahrenden, nur gelegentlich Intervenierenden erschöpfen. Der Staat des Grundgesetzes ist planender, lenkender, leistender, verteilender, individuelles wie soziales Leben erst ermöglichender Staat, und dies ist ihm durch die Formel vom sozialen Rechtsstaat von Verfassungs wegen als Aufgabe gestellt" (vgl. weiter ders., Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, in: Staatsverfassung und Kirchenordnung, Festgabe für R. Smend [1962], S. 71 ff., 78 und zum „Sozialstaat als Vorbedingnug realer Freiheit" H.-H. Hartwich, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher Status quo [1970], S. 346 ff.). 55 Α. M. insoweit M. Schröder, S. 37. 56 Die politische Relevanz dieser These ist allerdings gering, da nur wenige Regierungsaufgaben zu finden sein werden, die nicht bereits der Regierungsplanung unterliegen. 57 Zu den Schwierigkeiten verfassungsrechtlicher Verankerung sozialstaatlicher Aufgaben vgl. J. P. Müller, S. 747 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 27 I I I ; H. F. Zacher, Sozialpolitik und Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland (1968), S. 29 ff.; G. Brunner, Die Problematik der sozialen Grundrechte (1971); T. Tomandl, Der Einbau der sozialen Grundrechte in das positive Recht (1967); H. Schamheck, Grundrechte und Sozialordnung (1969), S. 95 ff. 58 Nicht übersehen sei, daß vereinzelt auch ein Einbau sozialer Grundrechte in den Verfassungstext gefordert wird (so etwa von F. Horner, Die sozialen Grundrechte [1974], S. 211 ff., 314, wobei die vorgeschlagene Letztentscheidungskompetenz des Verfassungsgerichts über die Frage, ob Gesetze den sozialen Grundrechten entsprechen, wenig zu befriedigen vermag).

I I . A u f t r a g zu politischer Planung aus Staatszielbestimmungen

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faktor w i r d aber bleiben: die Interdependenz von gesamtwirtschaftlicher Lage und Inanspruchnahme sozialer Grundrechte. Zu Zeiten von Konjunkturbaissen und wirtschaftlichen Depressionen w i r d das soziale „Grundrecht auf Arbeit" erst eigentlich aktuell. I n derartigen Situationen vom Staat Bereitstellung einer ausreichenden Zahl von Arbeitsplätzen zu verlangen, ist eine vermessene Forderung. Auch für die Leistungs Verwaltung gilt: „ U l t r a posse nemo tenetur". Ähnliches muß für einen aus A r t . 14 GG abgeleiteten Schutzanspruch der Sparer vor Geldentwertung durch staatlich verursachte Inflation gelten. Der Staat mag zwar Verursacher inflationsbedingter Verluste der Sparer sein. Ersatzansprüche können aber Sparer, die durch eine verfehlte Wirtschaftspolitik geschädigt wurden, gegen den Staat nicht geltend machen: Es müßten Mittel i n einer Höhe aufgewendet werden, die den gesamten Staatshaushalt i n einen Zustand der Unordnung bringen würden 5 9 . Gegen eine Anerkennung von Leistungsgrundrechten spricht damit zunächst, daß i n Zeiten wirtschaftspolitischer Krisen bereits die allseitige Verwirklichung eines einzigen oder nur weniger Leistungsgrundrechte den Staat an die Grenzen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit stoßen lassen kann. Für die wirtschaftspolitische Normallage gilt ähnliches. Unter dem Gesichtspunkt „Soziale Grundrechte" w i r d eine ganze Skala verschiedenartiger Leistungsansprüche an den Staat gestellt: vom Kindergartenplatz, Studienplatz, Krankenhausplatz über soziale Für- und Vorsorge, Erziehungsbeihilfen, Freizeitzentren bis zu einer „heilen" Umwelt. A l l diese sozialen Grundrechte quasi auf Abruf zu erfüllen, übersteigt die Leistungsfähigkeit des Staates. Es muß jeweils mit nötiger Sorgfalt abgewogen werden, wie viele der knappen Ressourcen der öffentlichen Hand für ein Projekt aufgewendet werden sollen und welche Prioritäten zu setzen sind. Dieser Prozeß politischen Entscheidens findet seinen Ort bei der Diskussion der Haushaltspläne und der mittel- und längerfristigen Planungen. Es handelt sich hier u m spezifisch politische Entscheidungen, denen über die Rechtsfigur sozialer Grundrechte nicht vorgegriffen werden kann 6 0 . W i l l man nicht aus einem sozialstaatlichen Grundrechtsverständnis heraus Leistungsansprüche aus Grundrechten herleiten, so legt das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes als Mindestforderung eine Pflicht des Staates zu grundrechtseffektuierender Planung nahe. M i t dem 59

Vgl. etwa H. H. Rupp, Vom Wandel der Grundrechte, S. 177. G. Starck, Das Bundesverfassungsgericht im politischen Prozeß der Bundesrepublik (1976), S. 25 f.; ders., Staatliche Organisation und staatliche Finanzierung als Hilfen zu Grundrechts Verwirklichungen?, in: ders. (Hg.), Bundesverfassungsgericht, 2. Bd., S. 480 ff., 516 ff. 60

25 Würtenberger

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

Sozialstaatsprinzip und der leistungsstaatlichen Seite der Grundrechte sind die materiellen Staatsaufgaben der „Sicherung der Existenzgrundr lagen des Einzelnen", der „Sicherung der wirtschaftlichen Grundlagen des Gemeinwesens" oder der „Sicherung der menschlichen Entfaltungsmöglichkeiten" 6 1 eng verknüpft. Die Erfüllung dieser materiellen Staatsaufgaben setzt als formelle Staatsaufgabe eine Pflicht des Staates zu möglichst sorgfältiger politischer Planung voraus. „Die formelle Pflicht des Staates zur Planung stellt das Gegenstück zu d e n . . . materiellen Staatsaufgaben dar 6 2 ." Eine Pflicht des Staates zu grundrechtsrealisierender Planung liegt weiterhin i n folgenden Überlegungen begründet: Mangelnde Vorsorge durch Planung führt i n Zukunft unweigerlich zu Defiziten bei jenen sozialstaatlichen Leistungen, die den Wirkungsgrad von Grundrechten zu erhöhen i n der Lage sind. Ein Staatswesen kann die Aufgabe der Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips und sozialer Gerechtigkeit nicht erfüllen, wenn es nicht Leistungsdefizite m i t allen zu Gebote stehenden organisatorischen M i t t e l n zu vermeiden sucht. Planung muß den einzelnen Grundrechtsgewährleistungen eine ausreichende ökonomische Basis sichern. Grundrechtseffektuierung ist i m sozialen Leistungsstaat „Verfassungsziel" 68 . Eine wichtige Rolle bei der Verwirklichung der ökonomischen Voraussetzungen zur Realisierung von Grundrechten und damit auch des Sozialstaatsprinzips spielt weiterhin der Faktor Zeit. Nur Planung kann eine rasche Reaktion des Staates auf soziale Notlagen, die ein Ausschöpfen grundrechtlich vorausgesetzter Freiheitsräume illusorisch werden lassen, ermöglichen. Planung kann eine unangemessene Reaktionsfrist des Staates auf soziale Not oder neu entstehende soziale Bedürfnisse verkürzen helfen 64 . Letztlich begründet die Knappheit der Ressourcen eine Pflicht des Staates zur Planung. Die Knappheit der Ressourcen erfordert, sollen alle sozialen Bereiche möglichst ausgewogen und gerecht bedacht werden, eine ständige Planung des Staates. Politische Planung ist eine organisatorische Voraussetzung einer wirksamen und gleichmäßigen Interessenbefriedigung innerhalb eines gegebenen Ressourcenrahmens. Damit ist politische Planung auch eine organisatorische Voraussetzung für die Gewährleistung sozialer Gerechtigkeit 65 . 61

Diese Einteilung in Anlehnung an H. P. Bull, Staatsaufgaben, §§ 14 ff. H. P. Bull, S. 377. 63 P. Häberle, Grundrechte, S. 103; H. C. F. Liesegang, Zentralfragen eines verfassungsgemäßen Grundrechtsverständnisses, in: JUS 1976,420 ff., 421. 64 Zum Zeitfaktor bei der Planung im Leistungsstaat vgl. J. P. Müller, S.787. 85 Eine staatliche Planungspflicht bejahen: M. Oldiges, Plangewährleistungsrecht, S. 34 f., 166; J. Egerer, Plangewährleistungsanspruch, S. 121; 62

I I I . Planungsziele aus dem Sozialstaatsprinzip

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Diese Pflicht von Regierung und Verwaltung zur planenden Grundrechtsverwirklichung kann durchgesetzt werden 6 6 , wenn das Parlament für den Grundrechtsbereich Planungsauftragsgesetze erläßt. Allerdings werden gegen die Zulässigkeit von Planungsauftragsgesetzen erhebliche Bedenken vorgebracht. Die Lösung dieses Problems erfordert sehr differenzierte Erwägungen; sie wurde i m Zusammenhang mit der Planungsfunktionenteilung erörtert 6 7 . I I I . Planungsziele aus dem Sozialstaatsprinzip Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist, daß die Verfassung nicht lediglich Kompetenzen, Verfahren und Grenzen der Politik regelt 1 ; die Verfassung bestimmt auch, denkt man ζ. B. an die Gesetzgebungsaufträge (u. a. A r t . 6 Abs. 5 GG), Inhalte der Politik. Verfassung ist nicht allein Grenze, sondern kann auch Grund möglichen Rechts sein. Freilich kann die Verfassung nicht den Gesetzgeber bevormunden. Der Verfassung können nicht schlechthin verbindliche konkrete Aufträge zur Verwirklichung bestimmter politischer Programme entnommen werden. I m einen Fall würde die Verfassung sich i m vornehmlich Formalen und Unverbindlichen erschöpfen, i m anderen Fall würde es keinen freien und offenen politischen Prozeß mehr geben, da Politik auf Verfassungsvollzug reduziert würde 2 . Insbesondere der politischen R. Herzog, Regierungsprogramme, S. 37 ff., 40 ff.; E. Benda , Die aktuellen Grundsätze der Wirtschaftspolitik und die tragenden Grundsätze der Wirtschaftsverfassung, in: NJW 1967, 849 ff., 850; H. Harnischfeger, Planung, S. 30 f., 75 ff.; P. Häberle, „Leistungsrecht", S. 453 ff., 459 f.; E. SchmidtAßmann, Planung, D Ö V 1974, 541 ff., 543; H.-U. Erichsen und W. Martens, Das Verwaltungshandeln, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, hrsg. von H.-U. Erichsen und W. Martens (1975), S. 198, 202; P. Menke-Glückert, Bürgerrecht auf Planung, in: liberal, Jahrgang 1975, S. 637 ff., 643. ββ Der Planungspflicht des Staates entspricht nicht ein Recht des Einzelnen auf Planung (vgl. hierzu H.-U. Erichsen und W. Martens, S. 202). 67 I m 5. Kap. unter I I I . , 4. 1 So aber G. Roellecke, Die Bindung des Richters an Gesetz und Verfassung, in: W D S t R L H. 34 (1976), S. 7 ff., 37; W. Hoppe, Planung und Pläne, S. 691 (Verfassung nicht Quelle, sondern nur rechtliche Grenze für die Zielsetzungen der Planung). 2 Vgl. die Kontroverse zwischen W. Hennis (Verfassung und Verfassungswirklichkeit [1968], S. 20 f.) und K. Hesse (AöR 96. Bd. [1971], S. 137 ff., 139) sowie E.-W. Böckenförde, Der Staat 1970, 533 ff., 535; U. Scheuner, Die Funktion der Grundrechte im Sozialstaat. Die Grundrechte als Richtlinie und Rahmen der Staatstätigkeit, in: D Ö V 1971, 505 ff., 510; ders., Normative Gewährleistungen und Bezugnahme auf Fakten im Verfassungstext, in: Festschrift für U. Scupin (1973), S. 323 ff.; ders., Staatszielbestimmungen, in: Festschrift für E. Forsthoff (1972), S. 325 ff., 330 ff.; P. Häberle, Grundrechte, S. 110 f.; E. Benda, Rechtsstaat, S. 510 ff.; A. Katz, Politische Verwaltungsführung, S. 37 m . w . Nw.; H. H. Rupp, Wandel der Grundrechte, S. 174 ff.; D. Grimm, Gegenwartsprobleme der Verfassungspolitik und der Beitrag der Politikwissenschaft, in: PVS Sonderheft 9 (1978), S. 272 ff., 274; zum Diskus2

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

Planung liefert die Verfassung inhaltliche Vorgaben 3 . So ist bei der Haushalts- und Finanzplanung „den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen" (Art. 109 Abs. 2 GG). Die Raumplanung hat sich u. a. am Ziel der Wiedervereinigung des gesamten Deutschland (Präambel des GG) und am Ziel der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG; § 1 Abs. 1 und 2 BRaumOG) auszurichten. Das i n A r t . 26 Abs. 1 GG ausgesprochene Verbot eines Angriffskrieges w i r d Leitziel der Verteidigungsplanung sein. Neben diesen und anderen i n der Verfassung verstreuten Leitzielen der Politik und Planung kommt dem Sozialstaatsprinzip und den Grundrechten entscheidende Richtlinienfunktion zu. Sozialstaatlichkeit und Grundrechte sind die Grund- und Grenzpfeiler der sozialen und ökonomischen Ordnung des Grundgesetzes. Dem Sozialstaatsprinzip lassen sich wichtige Ordnungs- und Handlungsermächtigungen des Staates entnehmen. Das Sozialstaatsprinzip adressiert an die Regierung und die staatsleitenden Instanzen einen permanenten Konkretisierungsauftrag, nämlich i n allen Bereichen sozialen Bedarfs tätig zu werden und soziale Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Die Grundrechte weisen den sozialstaatlichen A k t i v i t ä t e n nicht nur die Grenzen, sondern i n gewisser Hinsicht auch das Ziel. Wegen dieser zentralen Bedeutung, die das Sozialstaatsprinzip und die Grundrechte für die politische Planung besitzen, soll an diesem Fragenkreis die Einbindung der Planungsziele i n das Verfassungsrecht exemplarisch erörtert werden. I m folgenden w i r d geklärt, inwieweit die Grundrechte und das Sozialstaatsprinzip über das Initiieren von Planungsverfahren hinaus auch i n der „politischen" Phase4 des Planungsprozesses eine Rolle spielen können, indem sie die Formulierung von planungsrelevanten Leit- und Zielvorstellungen beeinflussen 5. Es geht also u m die Einbindung des politischen Zielfindungs- und Prioritätensetzungsprozesses i n den normativen Rahmen der Grundrechte und des Sozialstaatspostulats, d.h. u m die inhaltlichen Vorgaben, die eine politische Entscheidungs- und Zielfindungslehre voraussetzen muß®. sionsstand in Österreich: P. Pemthaler, Raumordnung, S. 50 f.; L. Fröhler und P. Oberndorfer, Österreichisches Raumordnungsrecht, S. 25. 3 Zu den inhaltlichen Vorgaben im engeren Sinn gehören weder das Demokratiegebot noch das Rechtsstaatsprinzip (a. A. W. Hoppe, Planung und Pläne, S. 691). Diese beiden verfassungsrechtlichen Grundsätze betreffen die Organisation des Planungsverfahrens; sie sind also allenfalls „Organisationsziele", aber keine Zielvorgaben inhaltlicher Art. 4 Zur politischen Phase des Planungsprozesses vgl. im 2. Kapitel unter I I I . , 4. 5 Ausgeklammert bleibt die Frage, inwieweit die Grundrechte den Prozeß der stufenweisen Konkretisierung von politischer Planung zu steuern vermögen. 6 I n der Verwaltungslehre und Politikwissenschaft hat man sich bislang kaum der Entwicklung einer Ziel- und Prioritätenlehre als besonderem

I I I . Planungsziele aus dem Sozialstaatsprinzip

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D i e D i s k u s s i o n u m die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes spiegelt m i t besonderer D e u t l i c h k e i t d i e verschiedenen p o l i t i s c h e n A u f f a s s u n g e n ü b e r die s t a a t l i c h e n A u f g a b e n w i d e r . Je nach p o l i t i s c h e r E i n s t e l l u n g versucht m a n e n t w e d e r d e n G e h a l t der Sozialstaatsklausel z u m i n i m a l i sieren oder sozialreformerische I d e e n i n diese K l a u s e l h i n e i n z u i n t e r p r e t i e r e n . A u f diese Weise e r r e i c h t m a n , e n t w e d e r das Sozialstaatsp o s t u l a t e i n e m eher k o n s e r v a t i v e n S t a t u s - q u o - D e n k e n anzupassen o d e r e i n e r f o r t s c h r i t t l i c h e n S o z i a l p o l i t i k die W e i h e der N o r m a t i v i t ä t d e r V e r f a s s u n g zu v e r l e i h e n u n d sie k r i t i s c h e r p o l i t i s c h e r D i s k u s s i o n z u e n t r ü c k e n 7 . I n diesem S i n n e g i n g der S t r e i t z u B e g i n n d e r f ü n f z i g e r J a h r e zunächst u m die B e d e u t u n g d e r Sozialstaatsklausel schlechthin. G e w i c h t i g e S t i m m e n b e t r a c h t e t e n das S o z i a l s t a a t s p r i n z i p als e i n e n „substanzlosen B l a n k e t t b e g r i f f " 8 , d e r als politisches S c h l a g w o r t u n d programmatische Forderung einer juristischen Auslegung k a u m zug ä n g l i c h sei 9 . A u c h w u r d e das S o z i a l s t a a t s p r i n z i p als „ P r o g r a m m s a t z " oder „verfassungsgesetzliche S t a a t s s t r u k t u r b e s t i m m u n g " 1 0 bezeichnet, die k e i n e R e c h t s q u a l i t ä t besitzen sollen. A b e r b e r e i t s I p s e n u n d Bachof Aspekt einer allgemeinen politischen Entscheidungslehre gewidmet (vgl. hierzu neuerdings A. Nagel, Politische Entscheidungslehre, B a n d i : Ziellehre [1975], S. 129 ff., 142 und passim). Gesellschaftspolitische Ziele und Prioritäten werden daher oftmals ohne jede Bezugnahme auf die Rechtsordnung postuliert (so etwa D. Schröder, Wachstum und Gesellschaftspolitik [1971], S.42 ff.; H. Giersch, Allgemeine Wirtschaftspolitik, S. 59 fî.; G. Gäfgen, Theorie der Wirtschaftspolitik, in: W. Ehrlicher u.a. [Hg.], Kompendium der Volkswirtschaftslehre, 3. Aufl. [1972], S. Iff., 12 ff.; zu einer Ziellehre der Finanzpolitik vgl. H. Doppler, Finanzpolitik, S. 31 ff. mit weiteren Nachweisen). Wie notwendig eine Ziel- und Prioritätenlehre für die politische Praxis sein kann, verdeutlicht die resignierende Feststellung von R. Jochimsen (zitiert bei A. Nagel, S. 131): „In der Politik wird heute ungeheuere Energie auf den Streit um Details verwendet, Grundsatzentscheidungen werden dagegen meistens erschlichen". Uns geht es hier lediglich um den verfassungsrechtlichen Rahmen einer Prioritätenlehre, der leider in dem grundlegenden Werk von A. Nagel nicht angesprochen ist. 7 W. Weber, Die verfassungsrechtlichen Grenzen sozialstaatlicher Forderungen, in: Der Staat, Bd. 4 (1965), S. 409 ff., 417; K. Stern, Artikel Sozialstaat, in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 2402 ff., 2403. 8 W. Grewe, Das bundesstaatliche System des Grundgesetzes, in: Deutsche Rechts-Zeitschrift, 4. Jahrgang 1949, 349 ff., 351; Wernicke, in: Bonner Kommentar (Erstbearbeitung), Art. 20 GG, Anm. I I 1 d; H. Herrfahrdt, ebd. Art. 79 GG, Anm. I I 3. 9 F. W. Jerusalem, Rezension, NJW 1953, 1133 f., 1134; F. Klein, Bonner Grundgesetz und Rechtsstaat, in: ZgesStW, 106. Bd. (1950), S. 390 ff., 401 ff.; E. Forsthoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in: V V D S t R L H. 12 (1954), S. 8 ff., 14 ff. und passim; vgl. weiter K.-A. Gerstenmaier, Die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes als Prüfungsmaßstab im Normenkontrollverfahren (1975), S. 25 ff. 10 W. Abendroth, Deutsche Einheit und europäische Integration in der Präambel des Grundgesetzes, in: Sultan/Abendroth, Bürokratischer Verwaltungsstaat und soziale Demokratie (1955), S. 45 ff., 51; weitere Nachweise bei I. Contiades, Verfassungsgesetzliche Staatsstrukturbestimmungen (1967), S. 70 f.

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

sahen frühzeitig i m Sozialstaatsprinzip eine „rechtsgrundsätzliche Zielbestimmung" 1 1 . Ebenso frühzeitig sah man i m Bekenntnis des Grundgesetzes zum demokratischen und sozialen Rechtsstaat die Artikulierung eines politischen Programms m i t großer Bandbreite: Das Sozialstaatsprinzip interpretierte man u. a. als eine A r t Transformationsnorm, die einen Wandel zu einer sozialistischen Gesellschaft legitimiert 1 2 . Die Staatsrechtslehre freilich kann dem Sozialstaatsprinzip keine solche gesellschaftspolitischen Vorstellungen unterlegen, deren politischer Standpunkt zudem am Rande des Spektrums pluralistischer Meinungsvielfalt zu verorten ist. Vorsichtiger argumentierend ist es mittlerweile i n der Staatsrechtslehre unbestritten, daß das Sozialstaatsprinzip neben Demokratie, Bundesstaat und Rechtsstaat eine eigenständige Staatszielbestimmung darstellt und als rechtsnormative Aussage über Zweck und Sinn des Staates Rang unmittelbar wirksamen Verfassungsrechts besitzt 1 8 . Von Rechtsprechung und Literatur w i r d das Sozialstaatsprinzip i n zahlreichen Fällen als Argumentationstopos gebraucht 14 . Es w i r d zur Entwicklung allgemeiner Grundsätze des Verwaltungsrechts herangezogen und spielt eine wichtige Rolle bei der Prüfung einfachen Rechts am Maßstab der Verfassung. Trotz vielfältiger Konkretisierung ist es bislang nicht gelungen, eine allgemein gültige Typisierung all jener Topoi zu liefern, die den Inhalt des Sozialstaatsprinzips ausmachen 15 . 11 H. P. Ipsen, Über das Grundgesetz, in: E. Forsthoff (Hg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit (1968), S. 23; O. Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in: W D S t R L H. 12 (1954), S. 39, 43. 12 W. Abendroth, Zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Grundgesetz, in: Festschrift für Ludwig Bergstraesser (1954), S. 279 ff., 288; ders., Demokratie als Institution und Aufgabe, in: U. Matz (Hg.), Grundprobleme der Demokratie (1973), S. 167 f.; H.-H. Hartwich, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher Status quo (1970). 18 Vgl. etwa E. Benda, Industrielle Herrschaft und sozialer Staat (1966), S. 52 ff.; H. P. Bull, Staatsaufgaben, S. 164; K. Hesse, Grundzüge, §6 I I ; U. Scheuner, Einführung, in: Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, hrsg. von U. Scheuner (1971), S. 9 ff., 63; K.-A. Gerstenmaier, S. 33 ff.; E. Menzel, Die Sozialstaatlichkeit als Verfassungsprinzip der Bundesrepublik, in: DÖV 1972, 537 ff.; L. Fröhler, Die verfassungsrechtliche Grundlegung des sozialen Rechtsstaates in der Bundesrepublik Deutschland und in der Republik Österreich (1967), S. 20 ff.; K. Stern, Sp. 2405. 14 Vgl. etwa BVerfGE 18, 267; BVerwGE 23, 304 ff., 306; 32, 308 ff.; BAGE 1, 51; 251; 2, 32; 233; A. Hueck, Der Sozialstaatsgedanke in der Rspr. des BAG, in: E. Forsthoff (Hg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, S. 411 ff.; E. Benda , S. 65 ff.; H. G. Schmidt, Das Sozialstaatsprinzip in der höchstrichterlichen Rechtsprechung (1965); W. Schreiber, Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes in der Praxis der Rechtsprechung (1972); P. Wollny, Die Sozialstaatsklausel in der Rspr. des BVerwG, DVB1. 1972, 525 ff.; K.-A. Gerstenmaier, S. 118 ff. 15 So beschränkt sich die Darstellung des Sozialstaatsgrundsatzes oftmals auf einige mehr oder weniger willkürlich herausgegriffene Strukturelemente wie Daseins vor sorge oder Wachstumsvorsorge (vgl. etwa H. Doppler, Finanzpolitik, S. 27 ff., 50 ff.).

I I I . Planungsziele aus dem Sozialstaatsprinzip

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Wenden w i r uns dem Versuch einer Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips zu, so dringen w i r bereits i n planungsrelevante Bereiche vor. Das Sozialstaatsprinzip vermag der politischen Planung zunächst ganz allgemeine Ziele zu setzen. I n Anlehnung an Carl Schmitts 16 Analyse des Nomos-Problems kann i n dem Epitheton „sozial" ein Verweis auf den Vorgang des Teilens, Verteilens und Zuteilens i m gesellschaftlichen Bereich gesehen werden. I n diesem Sinn beschreibt das Sozialstaatsprinzip das wesentlichste Element der wirklichen Verfassung des industriellen Massenstaates, nämlich die leistungsstaatliche Seite des Gemeinwesens 17 ; nicht Ausgrenzung, sondern positive Leistung, nicht Freiheit, sondern Teilhabe sind seine wesentlichen Merkmale 1 8 . Während der Rechtsstaat auf den Schutz der Gesellschaft vor dem Staat abzielt, liegt der Sinn der Sozialstaatlichkeit i n dem Schutz der Gesellschaft durch den Staat 19 . Das Sozialstaatsprinzip trägt dem Zwang zur sozialen Gestaltung, dem der Industriestaat unterworfen ist, verfassungsrechtlich Rechnung 2 0 . „Der Staat des Grundgesetzes ist planender, lenkender, leistender, verteilender, individuelles wie soziales Leben erst ermöglichender Staat, und dies ist i h m durch die Formel vom sozialen Rechtsstaat von Verfassungs wegen als Aufgabe gestellt 21 ." Aus dem Sozialstaatsprinzip läßt sich nach allgemeiner Meinung eine Ermächtigung des Staates zur Gestaltung der Sozialordnung folgern 22 . Darüber hinaus kann aus dem Sozialstaatsprinzip auch eine Verpflichtung der staatlichen Instanzen entnommen werden, sozialgestaltend zu wirken 2 3 . Dieser Auftrag des 16 C. Schmitt, Nehmen — Teilen — Weiden, in: E. Forsthoff (Hg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, S. 95 ff.; kritisch D. Suhr, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, in: Der Staat Bd. 9 (1970), S. 67 ff., 69 f. 17 Zu den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten des Epitheton „sozial" vgl. H. Noack, Sozialstaatsklauseln und juristische Methode (1975), S. 103 ff., 131 ff. 18 E. Forsthoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in: VVDStRL H. 12 (1954), S. 8 ff., 19; vgl. weiter H. Weisel, Der Sozialstaatsgrundsatz des Bonner Grundgesetzes (Marburger Jur. Dissertation, 1960), S. 26 f. 19 E. R. Huber, Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft, in: E. Forsthoff (Hg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, S. 589 ff., 600 f. 20 Als Sozialstaat läßt sich jener Staat verstehen, „der aus dem Gegensatz zwischen der überlieferten Staatlichkeit und dem gesellschaftlichen Dasein des Industriezeitalters erwachsen ist" (E. R. Huber, S. 598). 21 K. Hesse, Grundzüge § 6 I I 3 b. 22 Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht §11 I I b 5; G. Dürig, JZ 1953, 596; P. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 189 f.; O. Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in: V V D S t R L H. 12 (1954), S.37ff., 39 f.; K. Stern, Sp. 2405; ders., Staatsrecht, S. 689 ff. 23 So etwa K. Hesse, ebd.; E. Benda, S. 69; Wolff/Bachof, ebd.; P. Badura, Auftrag und Grenzen der Verwaltung im sozialen Rechtsstaat, in: D Ö V 1968,

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

Staates zur Gestaltung der sozialen Ordnung umfaßt eine Vielzahl recht heterogener Tätigkeitsbereiche, deren Aufzählung i m einzelnen sich an dieser Stelle erübrigt 2 4 . Herausgearbeitet sollen nur die politischen Zielbereiche werden, i n denen sich die Sozialstaatsklausel entfaltet 2 5 . Hierbei w i r d deutlich werden, daß die Sozialstaatsklausel sowohl von konservierenden, den Status quo bewahrenden als auch von progressiven, den sozialen Fortschritt kennzeichnenden Elementen geprägt w i r d 2 6 . 1. Planungsziel „sozialer Frieden"

Blickt man auf das m i t dem Sozialstaatsprinzip eng verknüpfte Rechtsstaatsprinzip, so hat der Staat zunächst ein geordnetes und möglichst konfliktarmes Zusammenleben der Menschen zu garantieren. Der Staat stellt m i t der Rechtsordnung und ihrer Gewährleistung jenen Rahmen zur Verfügung, der die Entfaltung eines „friedlichen" gesellschaftlichen Lebens ermöglicht. Als Leitprinzip könnte man das soziale Gebot der Rücksichtnahme der Menschen i n ihrem Verhältnis zueinander, des Staates gegenüber den Bürgern und der Bürger gegenüber dem Staat herausstellen, wie es i n A r t . 2 Abs. 1 und A r t . 14 GG verfassungsrechtliche Ausprägung gefunden hat 2 7 . Diese Friedensfunktion des Staates gehört zu den ältesten Staatsaufgaben und ist auch Bestandteil des sozialen Rechtsstaates28. 446; W. Reuss und K. Jantz, Sozialstaatsprinzip und soziale Sicherheit (1960), S. 17; K. Stern, Gedanken über den wirtschaftslenkenden Staat aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: DÖV 1961, 325 ff., 327 ff.; ders., Artikel Sozialstaat, Sp. 2408; W. Bogs, Der soziale Rechtsstaat im deutschen Verfassungsrecht, in: Sozialer Rechtsstaat — Weg oder Irrweg?, Vorträge und Ansprachen auf der 5. beamtenpolitischen Arbeitstagung des DGB (1963), S. 58; R. Herzog, Demokratie und Gleichheit heute, in: DVB1. 1970, 714; K. D. Salomon, Der soziale Rechtsstaat als Verfassungsauftrag des Bonner Grundgesetzes (1965), S. 39. — Aus der Rspr. vgl. BVerfGE 1, 97 ff., 105; BVerwGE 23, 304 ff., 306; BSGE 15, 1 ff., 8. 24 Siehe die Aufzählung bei K. Stern, Staatsrecht, S. 695 ff. 25 Andere als im folgenden vorgeschlagene Einteilungskriterien finden sich verschiedentlich: H. Harnischfeger, Planung, S. 30 ff. (wohlfahrtsstaatliche, interventionistische und sozialgestaltende Dimension des Sozialstaatsgebotes). 26 E. Benda, S. 57 ff.; zu überspitzt ist W. Abendroths (Diskussionsbeitrag, in: W D S t R L H. 12 [1954], S. 85 ff., 87) Formulierung, das Sozialstaatsprinzip solle „keinesfalls ein Sein bezeichnen..., sondern ein Sollen klar zum Ausdruck bringen.. 27 C.-F. Menger, Der Begriff des sozialen Rechtsstaates i m Bonner Grundgesetz, in: E. Forsthoff (Hg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit (1968), S. 42 ff., 65 ff. 28 Es erscheint wenig glücklich, wenn man, wie etwa H. P. Bull (S. 174 f.), die friedens- und ordnungstiftende Funktion des Staates geringschätzig dem liberalen Staat des 19. Jahrhunderts zuweist, „den der Verfassungsgeber gerade nicht wollte". Der soziale Rechtsstaat setzt die Erfüllung dieser Staatsaufgaben voraus, ohne sie freilich zum alleinigen Leitziel der Staatstätigkeit zu machen.

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Neben dieser traditionellen Ordnung- und friedensstiftenden Funktion des Staates gehört zum Planungsziel „sozialer Frieden" auch das Bereitstellen von konfliktverarbeitenden Verfahren 2 9 . Zu den gesicherten Erkenntnissen der politischen Soziologie gehört, daß eine stabile Demokratie i n einer pluralistischen Gesellschaft nur existieren kann, wenn sie soziale Konflikte zu lösen vermag 3 0 . Der soziale Frieden in demokratischen Gesellschaftssystemen w i r d entscheidend davon bestimmt, wie sie i n konsensfähiger Weise die gesellschaftspolitischen Tagesfragen und vor allem die gesellschaftspolitischen Kardinalprobleme lösen können. Soziale Konflikte werden von staatsleitenden Instanzen i n Parlament und Regierung, aber auch von der Rechtsprechung und der Verwaltung und durch öffentliche Diskussion i n den Massenmedien verarbeitet. Eine „Konfliktverarbeitungsplanung" muß nicht nur für die auf die Gesellschaft zukommenden sozialen Konflikte ein Frühwarnsystem aufzustellen suchen; sie muß darüber hinaus neue Modalitäten der Konfliktlösung (z.B. Partizipationsverfahren; Kooperationsformen zwischen Staat und Wirtschaft wie die konzertierte Aktion) zur Erhaltung des sozialen Friedens durchspielen. Das Bereithalten von Konfliktverarbeitungsprozessen, die Konsens zu erzeugen vermögen, darf für das Planungsziel „sozialer Frieden" nicht gering eingeschätzt werden. Auch die psychologische Ressource Konsens muß geplant werden, soll ein K l i m a „sozialen Friedens" gewährleistet werden. 2. Planungsziel „soziale Sicherheit"

Bei dem Planungsziel „soziale Sicherheit" 31 geht es u m den weiten Bereich der Daseinsvorsorge und der m i t der Daseins Vorsorge eng zusammenhängenden Aufgabe der Sicherung volkswirtschaftlicher Prosperität 32 . Ebenso wie bei dem Planungsziel „sozialer Frieden" handelt es sich hier nicht u m staatliche Aufgaben, „die der moderne Staat usurpiert hat, sondern sie gehören unter den Bedingungen des wissenschaftlich-technischen Zeitalters zu seinen genuinen Aufgaben" 3 3 . Ein konsensfähiges System sozialer Sicherheit ist für Struktur und Stabilität fortgeschrittener Industriegesellschaften geradezu von fundamentaler Be29

Vgl. etwa W. L. Bühl, Theorie sozialer Konflikte (1976), S. 57 f. S. M . Lipset, Soziologie der Demokratie (1962), S. 14 ff. 31 Hierzu H. Braun, Soziale Sicherung, 2. Aufl. (1973); F. X . Kaufmann, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem, 2. Aufl. (1973). 32 Ob allerdings aus dem Sozialstaatsprinzip ein „Verfassungsauftrag zur Wachstumsvorsorge" hergeleitet werden kann (so H. P. Ipsen, Diskussionsbeitrag, in: V V D S t R L H. 24 [1966], S. 222; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 117), erscheint nach der Diskussion der Folgeprobleme steten Wirtschaftswachstums äußerst fraglich. . rg, S. . 30

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

deutung, da die Gewährleistung sozialer Sicherheit auf enge Weise mit der Legitimationsfrage verknüpft ist. Zu der eher statisch-konservierenden Funktion der Sozialstaatsklausel gehört es, daß das traditionelle System der sozialen Sicherung nicht ersatzlos abgeschafft werden darf. Das Sozialstaatsprinzip kann zwar nicht die gegenwärtigen Erscheinungsformen der sozialen Sicherung, etwa des Systems der Sozialhilfe und der Sozialversicherung, einfrieren; i m Rahmen des Möglichen w i l l es aber einen allgemeinen Anspruch des Bürgers auf angemessene soziale Sicherung garantieren 34 , wobei ein sozialer Rückschritt durch den Sozialstaatsgrundsatz verboten w i r d 3 5 . Eng mit dieser Status-quo-Verbürgung verbunden ist die positive Pflicht des Gemeinwesens, soziale Not zu beseitigen. Zu den wichtigsten Leitzielen des Sozialstaates gehört es, daß er sich u m die Sicherung ausreichender Lebensbedingungen bemüht. Es geht hier u m den großen Bereich der Existenzsicherheit. Der soziale Staat kann sich, wie jeder Staat, nicht den Bedürfnissen seiner Bürger entziehen, ohne sich selbst durch Legitimationsverlust zu gefährden. Sicherlich kann kein Staat „ohne Wirklichkeitsbezug, ohne Aufmerksamkeit für seine sozialen Lagen" sein 36 . Es führt aber zu weit, wenn man aus dieser Einsicht gelegentlich die Daseinsvorsorge als eine staatliche Selbstverständlichkeit bezeichnet, da auch ein unsozialer Staat für Verkehrsmittel und Kommunikationsmöglichkeiten, für Ausbildung und Raumordnung sorgen müsse. Es läßt sich vorstellen, daß Daseinsvorsorge i n einem „unsozialen" Staat nur als Instrument zur Aufrechterhaltung des „ordre public" betrieben wird. Daseins Vorsorge nicht u m der Entfaltung des Menschen willen, sondern u m der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung w i l l e n würde sicherlich nicht den vom Sozialstaatsprinzip gestellten Anforderungen genügen. Auf die Pflicht des Staates, ein System sozialer Sicherheit bereitzuhalten, w i r d i m nächsten Abschnitt zurückzukommen sein. 3. Planungsziel „soziale Gerechtigkeit"

Eine dritte wichtige Aufgabe des Staates, die m i t dem Sozialstaatsprinzip angesprochen wird, ist die soziale Integration. Die soziale Integration bezweckt, i n einem ständigen Prozeß die Einung der sozialen Klassen, Schichten und Gruppen zu vollziehen, damit die i n der Industriegesellschaft latenten Spannungen, Gegensätze und Konflikte be34 K. Stern, Artikel Sozialstaat, Sp. 2407; W. Weber, S. 146; K. Hesse, § 6 I I 3 b; K.-A. Gerstenmaier, S. 66 ff.; W. Schreiber, S. 25 f.; vgl. weiter H. Noack, S. 107 ff. 35 D. Suhr, S. 92. Sur, . .

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wältigt werden können 37 . Leitmotiv bei dieser sozialen Integration ist die soziale Gerechtigkeit 38 , die den Widerstreit zwischen überlieferter Staatlichkeit und industrieller Klassengesellschaft einzuebnen sucht. Während der Rechtsstaat dahin tendiert, einer abstrakten Gleichheit zu huldigen, fordert der Sozialstaat die konkrete Gleichheit 39 . Angesprochen w i r d hier der dem Sozialstaatsprinzip immanente Ausgleichsgedanke; bei natürlicher, sozialer oder wirtschaftlicher Unterlegenheit soll durch staatliche Intervention ein erträglicher Ausgleich zwischen widerstreitenden Interessen gefunden werden. I n diesem Sinne gebietet soziale Gerechtigkeit, die Not des sozial Schwächeren zu lindern und, soweit möglich, zu beheben 40 . Z u einer Rechtsordnung, die sich am Sozialstaatsprinzip ausrichtet, gehören Gesetze m i t dem Ziel, den „Armen und Benachteiligten zu helfen, ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage zu verbessern und einen Ausgleich der Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der Bevölkerung, insbesondere zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, aber auch etwa zwischen Mietern und Vermietern u n d . . . zwischen Flüchtlingen und Einheimischen herbeizuführen" 4 1 . Endlich mündet die Aufgabe des Staates zur Realisierung sozialer Gerechtigkeit i n jene Vielzahl sozialpolitischer Forderungen, deren allseitige Realisierung nicht nur die staatliche Leistungsfähigkeit übersteigt, sondern auch den Sozialstaat i n einen Wohlfahrtsstaat umschlagen läßt, der dem vom Grundgesetz intendierten Staatsmodell nicht entsprechen würde 4 2 . Gemeint ist etwa eine 37

E. R. Huber, S. 599 f., 603 ff. A. Hueck, Von der sozialen Fürsorge zur sozialen Gerechtigkeit, in: Th. Heckel (Hg.), Probleme des modernen Sozialstaates in christlicher Sicht (1955), S. 5 ff.; O. Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, S. 40 f.; H. Weisel, S. 29 ff.; K. Lompe, Gesellschaftspolitik, S. 86 ff.; K.-A. Gerstenmaier, S. 73 ff.; E. Menzel, S. 539; P. Badura, Auftrag und Grenzen der Verwaltung im sozialen Rechtsstaat, S. 447; A. Vonlanthen, Idee und Entwicklung der sozialen Gerechtigkeit (1973), insbes. S. 175 ff.; G. Nicolaysen, Wohlstandsvorsorge, in: Festschrift für H. P. Ipsen, hrsg. von R. Stödter und W. Thieme (1977), S. 485 ff., 494. 39 Zur Gefahr einer Aushöhlung des Rechtsstaatsprinzips durch das Postulat sozialer Gerechtigkeit und materieller Gleichheit verschiedener Individuen vgl. F. A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, S. 108 ff. 40 Daher ist es unverständlich, wie H.-H. Hartwich (S. 358) behaupten kann, das Gewicht, „das die Verfassung dem Sozialstaatsgrundsatz einräumt und das auf etwas Neues hindeutet, hat im herrschenden Sozialstaatsverständnis keinen nennenswerten Niederschlag gefunden". Wenn er dem gegenwärtigen Sozialstaatsverständnis eine individualistische Orientierung gesellschaftlichen und politischen Denkens und Handelns (S. 359) vorwirft und demgegenüber u. a. fordert, Kultur und Freiheit sollten nicht privatwirtschaftlich organisiert sein, gesellschaftliche und wirtschaftliche Macht sollten öffentlicher Kontrolle unterstellt sein, so skizziert er die Anfänge eines alles verwaltenden Wohlfahrtsstaates. 41 W. Bogs, S. 45. 42 G. Dürig, Einführung, in: Beck-Text des GG (1969), S. 22 f. 38

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

Überdehnung der leistungsstaatlichen Seite der Grundrechte 43 oder eine Verknüpfung der Sozialstaatsklausel mit dem Sozialisierungsartikel (Art. 15 GG), die einer gewissen politischen Progressivität einen normativen Anstrich verleihen soll. 4. Mangelnde Konkretheit der Planungsziele aus dem Sozialstaatsprinzip

Die politische Planung vermag nur unvollkommen die i m Sozialstaatsprinzip angelegten Planungsziele zu verwirklichen. Grund hierfür ist zunächst, daß es an einer systematischen Aufarbeitung und Typisierung der bei der Erörterung des Sozialstaatsprinzips i n die Debatte geworfenen Topoi fehlt. Die bisherige Entwicklung ist dadurch gekennzeichnet, daß eine Vielzahl von politischen Zielsetzungen m i t dem Sozialstaatsprinzip i n Verbindung gebracht werden, ohne auf ihr Verhältnis zueinander und ihre jeweilige Relevanz für das Sozialstaatsprinzip befragt zu werden. Eine planmäßige Gestaltung der sozialen Ordnung kann sich nicht m i t einem derartigen Wildwuchs gesellschaftspolitischer Ideen u m das Sozialstaatsprinzip zufrieden geben. Einer gesellschaftspolitischen Planung, die i n größeren Zusammenhängen agieren möchte, w i r d eine Systematisierung der mit dem Sozialstaatsprinzip verbundenen politischen Zielsetzungen von hohem Wert sein. Seit Erlaß des Grundgesetzes sind Rechtsprechung und Literatur lange genug herangereift, u m Inhalt und Zielsetzungen des Sozialstaatsprinzips, wie man es auch bei anderen Generalklauseln konnte, systematisch aufzuarbeiten. Wichtige Aufgabe einer Verfassungstheorie des regelungsintensiven Industriestaates ist es, die konstanten, wie auch die wandlungsfähigen Elemente des Sozialstaatsprinzips herauszuschälen. Der Mangel an einer rechtstheoretischen Durchdringung des Sozialstaatsprinzips, die eine Planmäßigkeit staatlichen Handelns erleichtern würde, trägt dazu bei, daß die Krisenbewältigung ein Hauptinhalt sozialstaatlich gebotenen Handelns geblieben ist. Diesen ernüchternden Befund zeigt ein Blick auf die soziale Wirklichkeit. Der Sozialstaat, wie er sich auch noch nach einem Jahrzehnt rapide entwickelnder Planungsaktivitäten darbietet, leistet zu einem Teil Daseinsvorsorge, zu einem beträchtlichen Teil aber „Daseinsnachsorge" 44 . A u f dem sozialen und wirtschaftlichen Gebiet besitzt die Gesetzgebung etwas grundsätzlich Nachträgliches gegenüber der „Vorsprungszeit der Notstände". Der 43

Hierzu unter V. A. Gehlen, Soziologische Voraussetzungen im gegenwärtigen Staat, in: E. Forsthoff (Hg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, S. 320 ff., 326 f.; D. Suhr, S. 77; H. P. Bull, Staatsaufgaben, S. 177. 44

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Sozialstaat muß m i t einer für den Bürger unerfreulichen Phasenverschiebung dem „Vorsprung der sozialen Notstände" hinterherreparieren. Dies betrifft die globalen Folgeerscheinungen der industriellen Revolution, aber auch die Auswirkungen von kurzfristigen Umschichtungen i n Wirtschaftszweigen auf Grund von Strukturkrisen oder von längeranhaltenden allgemeinen wirtschaftlichen Krisen. Und nicht zuletzt gehört es zu den wesentlichen sozialstaatlichen Aufgaben, die Auswirkungen von Fehlern eigener Planung, soweit sie den Bürger betreffen, auf ein Mindestmaß zu beschränken. Verwiesen sei nur auf die verfehlte Bildungsplanung, die zwar die Kapazitäten des weiterführenden Schulwesens drastisch erhöht hat, ohne aber den notwendig entstehenden Engpaß i m universitären Bereich und die allgemeinen Berufschancen der Hochschulabsolventen richtig einzuschätzen. Freilich kann selbst der Sozialstaat, der m i t dem Instrumentarium der Planung die sozialen Probleme an der Wurzel zu kurieren zur Aufgabe hat, auch i n Zukunft die soziale und wirtschaftliche Entwicklung nicht voll regeln und steuern. I n einem freiheitlichen Staatswesen muß das Sozialstaatsprinzip ein offenes Prinzip bleiben 45 . Planwirtschaft und totalitäre Sozialplanung dürfen nicht i m Namen des Sozialstaatsprinzips angestrebt werden 48 . Eine endgültige und definitive Operationalisierung der i m Sozialstaatsprinzip angelegten Planungsziele ist darum nicht möglich. Die aus dem Sozialstaatsprinzip hergeleiteten allgemeinen Planungsziele lassen sich lediglich untergliedern, ohne hierbei allerdings einen sehr viel höheren Grad an Konkretheit zu erlangen: Aus dem Planungsziel „sozialer Frieden" lassen sich die Unterziele „Ordnung des Zusammenlebens", „Gewährleistung dieser Ordnung" und „Konsenssicherung" herleiten 4 7 . M i t dem Planungsziel „soziale Sicherheit" werden die „Sicherung der Existenzgrundlagen des Einzelnen", die „Sicherung der wirtschaftlichen Grundlagen des Gemeinwesens" und die „außenpolitische Sicherheit" mit all ihren nachgeordneten Zielsetzungen angesprochen. Das Planungsziel „soziale Gerechtigkeit" ist mit den vorgenannten Planungszielen mehr oder weniger eng verknüpft. Bei der Konsenssicherung ζ. B. w i r d das Planungsziel „soziale Gerechtigkeit" immer i m Spiel sein. Unterziele des Planungszieles „soziale Gerechtigkeit" sind etwa „Sicherung des menschlichen Entfaltungsraumes" oder „gerechte Vermögenspolitik" 4 8 . 45 D. Suhr, S. 74 f. H. F. Zacher, in: Festschrift für H. P. Ipsen (1977), S. 207 ff., 240 ff. 48 F. A. Hayek , Der Weg zur Knechtschaft, S. 88 f. 47 Diese Untergliederung erfolgt teilweise in Anlehnung an H. P. Bull (S. 224 ff.). Hier findet sich auch eine weitere Aufgliederung der Planungsziele. 48 Den vom Sozialstaatsprinzip vorgezeichneten Aktionsrahmen des Staates beschreiben u. a. K. Stern, Sp. 2406 f.; E. R. Huber, S. 600 (Schutzobjekte des

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

Aus diesen Zielbereichen lassen sich jene politischen Gestaltungen des Sozialstaatsprinzips benennen, denen i n der Bevölkerung ein umfassender Basiskonsens zukommt. Diese Bereiche werden durch das Sozialstaatsprinzip änderungsfest gemacht. So entspricht es etwa einem allgemeinen Anliegen der Bevölkerung, daß überhaupt ein System der Sozialversicherung bestehen bleiben müsse. Insofern hat nicht alles, was sich i n Erfüllung des Sozialstaatsprinzips vollzieht, „Rang und Geltung nur unterhalb des Verfassungsrechts" 4e . Das Sozialstaatsprinzip kann als Verfassungsprinzip nur dann volle W i r k k r a f t entfalten, wenn es ein bestimmtes Maß an sozialen Gewährleistungen garantiert und nicht allein Impulse zu sozialer A k t i o n vermittelt. Andere mit dem Sozialstaatsprinzip verbundene Zielsetzungen wie etwa Vermögens- oder Konjunkturpolitik werden i n ihrer konkreten Gestaltung i m Streit sein können. Hier gilt es für die staatsleitenden Instanzen, durch konsensfähige Kompromisse dem Sozialstaatsprinzip die zeitgerechte Form zu verleihen. Die Gerechtigkeitsvorstellungen i n der Gemeinschaft liefern die Richtschnur für die Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips 50 . I n diesem Sinne bleibt das Sozialstaatsprinzip eine Zielprojektion, die m i t dem Wandel der wirtschaftlichen und sozialen Lagen i n konsensfähiger Weise jeweils wieder m i t neuem Gehalt gefüllt werden muß 5 1 . Das Sozialstaatsprinzip erhebt fortwährend den Anspruch, die menschliche Gemeinschaft durch soziale Garantien, Reformen und Kompromisse vollkommener zu gestalten 52 . Vor allem erst i m Zusammenhang mit den Grundrechten vermag das Sozialstaatsprinzip einige, wenn Sozialstaates: Existenzsicherheit, Vollbeschäftigung, Erhaltung der Arbeitskraft); H. Harnischfeger, Planung, S. 30 ff. (Unterscheidung der wohlfahrtsstaatlichen, interventionistischen und sozialgestaltenden Dimension des Sozialstaatsprinzips; zur Kritik an dieser Unterscheidung vgl. K. Lompe, Gesellschaftspolitik, S. 78 ff.). 49 So aber W. Weber, S.416; zum Basiskonsens vgl. unter I., 3 b, bb (FN 82 ff.). 50 Für E. Benda (S. 68) ist die Sozialstaatsklausel erst dann verletzt, wenn eine Regelung evident sozialwillkürlich ist, d. h. von keiner der verschiedenen Sozialauffassungen her sich verteidigen läßt. Dem entspricht die Rechtsprechung des BVerfG (E 5, 85, 198; 8, 274, 328 f.; 12, 354, 364), das das Sozialstaatsprinzip als ein „der konkreten Ausgestaltung in hohem Maße fähiges und bedürftiges Prinzip" bezeichnet, wobei dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung ein weiter Raum für freie Gestaltung verbleibt. Dieser weite Raum gesetzgeberischen Ermessens, der nur durch kaum faßbare Willkür begrenzt ist, wird hier durch die Pflicht des Gesetzgebers eingeschränkt, in konsensfähiger Weise das Sozialstaatsprinzip auszugestalten. 51 I n diesem Sinne P. Badura, Die Rechtsprechung des BVerfG zu den verfassungsrechtlichen Grenzen wirtschaftspolitischer Gesetzgebung im sozialen Rechtsstaat, in: AöR 92. Bd. (1967), S. 383 ff., 392; K. A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip (1974), S. 38 ff.; K. Stern, Sp. 2407; D. Suhr, S. 92; E. Benda, S. 82; W. Weber, S. 415 f.; E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht (1976), S. 43. 52 Vgl. Sozialstaatlichkeit als „allgemeine Fortschrittsvorsorge" bei R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 117.

I V . Planungsziele aus den Grundrechten

399

auch rudimentäre Planungsziele herauszustellen. I m übrigen ist es Aufgabe der staatsleitenden Instanzen, auf Grund der durch die Wahlen legitimierten politischen Programme die Prioritäten zwischen den durch das Sozialstaatsprinzip berührten politischen Zielen zu setzen und sie näher auszugestalten. Insofern w i r d die Zukunftsoffenheit des Sozialstaatsprinzips durch das demokratische Prinzip i n eine verfaßte Bahn gelenkt 58 . Wer jenseits der Möglichkeit demokratischen Konsenses versucht, eigene Vorstellungen von einer gerechten Welt i n den Rechtsbegriff des Sozialstaates zu projizieren, der versucht eigene Ziele mit der Normativität verfassungsrechtlicher Staatszielsetzungen zu umgeben. Damit bleibt als wesentliche Funktion des Sozialstaatsprinzips, zusammen m i t dem demokratischen Prinzip, die Legitimationsgrundlage für eine fortschrittlich-dynamische Sozialpolitik abzugeben 54 . Die staatsleitenden Instanzen sollen jenen evolutionären Entwicklungsprozeß i n Gang halten, ohne den gesellschaftliche Ordnungsformen erstarren würden. Sozialstaatsprinzip und Rechtsstaatsprinzip öffnen dem gesellschaftlichen Fortschritt den Weg des Rechts und verpflichten den Staat, i n Rechtsförmigkeit den Weg gesellschaftlichen Fortschritts zu gehen. Das Sozialstaatsprinzip läßt sich also vornehmlich als Steuerungswert i m Kräfteverhältnis anderer Verfassungsprinzipien wie der Grundrechte, des Rechtsstaatsprinzips oder der Demokratie begreifen 65 . Operationalisierbare Planungsziele können allein aus dem Sozialstaatsprinzip nicht hergeleitet werden.

IV. Planungsziele aus den Grundrechten Eine Aktualisierung von Grundrechtsbestimmungen zwecks Eingrenzung des politischen Ermessens bei der Festlegung von Zielen und Prioritäten politischer Planung sowie bei der Ressourcenverteilung stößt mit Recht auf ein gewisses Unbehagen. Denn Verfassungsinterpretation und Politik können bei dieser Aktualisierung leicht miteinander kollidieren; eine Politisierung des Verfassungsrechts ist eine ebenso ernstzunehmende Gefahr wie eine Verrechtlichung der Politik 1 . Ein Übermaß an konkreten verfassungsrechtlichen Zielvorgaben brächte eine rechtliche Mentalität i n die politische Diskussion, die einer konsensfähigen Lösung politischer Konflikte abträglich sein kann. Der 53 P. Badura, Auftrag und Grenzen der Verwaltung im sozialen Rechtsstaat, S. 448 (Gesetz als Instrument der Sozialgestaltung). 54 Vgl. auch W. Weber, S. 431. 66 Κ . A. Schachtschneider, S. 45 ff.; E. Menzel, S. 545 (Sozialstaatsklausel hat die Funktion eines Richtungsbegriffs). 1 Vgl. die Nachweise unter I I I . , F N 1 ff. sowie D. Wiegand, Sozialstaatsklausel und soziale Teilhaberechte, in: DVB1. 1974, S. 656 ff.; R. Leicht, Grundgesetz und politische Praxis (1968), S. 20 ff.

400

. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

hier umrissene Weg einer — teils sehr — partiellen Verrechtlichung der politischen Planung scheint jedoch aus verschiedenen Gründen geboten: Wenn schon keine sozialen Grundrechte zur Lenkung des modernen Leistungsstaates zur Verfügung gestellt werden können, wenn schon kein ausreichender Rechtsschutz gegenüber Entscheidungen i m Prozeß politischer Planung gewährleistet werden kann, wenn schon keine zufriedenstellenden Partizipationsformen das i m Planungsverfahren bestehende Rechtsschutzdefizit ersetzen können, dann sollten wenigstens die planerischen Entscheidungen über Leitziele, Prioritäten und Ressourcenverteilung an rudimentären normativen Maßstäben, die die Grundrechte liefern können, gemessen werden. Es wäre geradezu paradox, wenn man den Planungsbetroffenen einerseits ein System subjektiv-öffentlicher, gerichtlich durchsetzbarer Rechte zur Verfügung stellt, wenn andererseits aber auf der Ebene politischer Planung nicht revidierbare Entscheidungen fallen sollten, die ohne jeden Grundrechtsbezug getroffen werden können 2 . Es gehört nämlich zu den Eigenarten der Planung einerseits und unseres Rechtsschutzsystems andererseits, daß planungsrelevante Entscheidungen mangels individueller Beschwer vielfach nicht angegriffen werden können. Gegen planungsrealisierende Akte kann zwar gerichtlich vorgegangen werden; der effektive Rechtsschutz des Einzelnen ist jedoch gering, da die weichenstellenden Entscheidungen i n den nicht gerichtlich kontrollierbaren Planungsverfahren fallen 3 . Eine planungsadäquate Grundrechtsdogmatik 4 muß auch aus diesem Grund auf den verschiedenen Stufen der Entscheidung i m Planungsprozeß — angefangen vom Aufstellen der politischen Leitziele bis zur planrealisierenden Einzelentscheidung — den jeweiligen Regelungsgehalt der Grundrechte herauskristallisieren. Abgesehen von diesem Argument aus dem Rechtsschutzsystem, wie es sich unter der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes herausgebildet hat, gilt ganz generell: Sollen Grundrechte i m planenden Staat realisiert werden können, dürfen sie nicht bei den Planungsentscheidungen der staatsleitenden Instanzen unberücksichtigt bleiben. Die Idee der Grundrechte muß jede gesellschaftspolitische Planung, die auf dem Boden des Grundgesetzes steht, i n erheblichem Maß prägen. „Das Ziel 2

F. Hufen, Gleichheitssatz, S. 168 f. Hierzu im 2. Kap. unter I I I . , 6 b, aa. 4 Zu einer planungsadäquaten Grundrechtsdogmatik gehört auch der von P. Häberle (Grundrechte, S. 86 ff.) mit Nachdruck hervorgehobene, an dieser Stelle aber nicht näher zu erläuternde „status activus processualis", der „grundrechtliche due process"; denn leistungsstaatliche Vorverfahren können mehr Grundrechtswirklichkeit schaffen als verwaltungsgerichtliche Nachverfahren (vgl. hierzu kritisch Η. H. Rupp, Vom Wandel der Grundrechte, S. 183 ff.). 3

I V . Planungsziele aus den Grundrechten

401

der Planung muß nicht irgendeine verplante Gesellschaft sein, sondern entschieden eine Gesellschaft der Grundrechte 5 ." Politische Planung soll eine Gesellschaftsordnung anvisieren, i n der alle Grundrechte i n prägender und entscheidender Weise zu w i r k e n vermögen. I n diesem Sinne können Grundrechte der planenden Instanz ein „mehr oder weniger verdichtetes Programm sozialer Gestaltung" 6 liefern und so eine Richtlinienfunktion für die staatliche Politik besitzen. Dem Gesetzgeber hat eine am Leistungsstaat orientierte Grundrechtsdogmatik Handlungsvorschläge und Handlungsanweisungen für eine optimale Grundrechtspolitik zu geben 7 . Bei einer Zielkontrolle staatlicher Planung kann die Grundrechtsrealisierung als Maßstab dienen. Denn eine „inhaltliche Kontrolle der Planung kann nur dann effektiv sein, wenn sie die Planungsziele nicht von vornherein ausklammert" 8 . Diese Zielkontrolle w i r d i m leistenden und gestaltenden Staat zu einer zentralen Frage künftiger Rechtsstaatlichkeit 9 . Zwar übt das Bundesverfassungsgericht bei der Zielkontrolle politischer Entscheidungen weitgehend Enthaltsamkeit, indem es der Zielsetzung des Gesetzgebers i n der Regel bescheinigt, sie seien „verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden" 10 . Dennoch hat sich das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich die Kompetenz zu einer Zielkontrolle vorbehalten. Für diese Zielkontrolle bedarf es eines Verständnisses der Grundrechte, das an den durch Planung zu bewältigenden Staatsaufgaben ausgerichtet ist. Jedes einzelne Grundrecht muß auf die Elemente abgetastet werden, die richtunggebend für eine durch Planung gesteuerte Gesellschaftsgestaltung sein können. Es geht hier letztlich u m eine an der Grundrechtsverwirklichung ausgerichtete Staatsaufgabenlehre. Bei aller Forderung einer Bindung der staatsleitenden Instanzen an die aus Grundrechten herzuleitenden Zielbestimmungen bleibt immer zu beachten: Eine Bindung der Ziel- und Leitvorstellungen politischer Planung 1 1 an den Grundrechtsteil der Verfassung darf nicht den Rege5

R. Herzog, Regierungsprogramme, S. 37 ff., 58. P. Badura, Soziale Grundrechte, S. 27. 7 Demgegenüber folgert H. Steiger (Entscheidung kollidierender öffentlicher Interessen, S. 414 f.) aus der Neutralität des Grundgesetzes, daß sich keine eindeutigen Verfassungsaufträge in irgendeiner Hinsicht feststellen lassen könnten und die Freiheit der politischen Planung ein fundamentales öffentliches Interesse sei. 8 W. Schick, Kontrolle, S. 472; W. Hoppe, Planung und Pläne, S. 692 ff. 9 Zu den verfassungsgerichtlichen Kontrollmöglichkeiten gegenüber politischer Planung vgl. W. Hoppe, S. 671 ff. (Kontrolleröffnungsnormen), S. 676 ff. (Probleme der Kontrolleröffnung). 10 BVerfGE 25, 1 ff., 13; 21, 297 ff., 299; 38, 61 ff., 86; R. Herzog, Regierungsprogramme, S. 56. 8

26 Würtenberger

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

lungsgehalt der Verfassung überstrapazieren. P o l i t i k k a n n nicht mehr oder w e n i g e r g e b u n d e n e E x e k u t i o n d e r v o n G r u n d r e c h t e n v e r m e i n t l i c h v o r g e g e b e n e n Z i e l s e t z u n g e n sein. D i e p o l i t i s c h e F ü h r u n g i n P a r l a m e n t u n d Regierung m u ß bei i h r e n wirtschafts- u n d sozialpolitischen E n t scheidungen e i n e n w e i t e n G e s t a l t u n g s s p i e l r a u m b e s i t z e n 1 2 . D i e

Ent-

scheidung ü b e r p o l i t i s c h e Z i e l - u n d L e i t v o r s t e l l u n g e n u n d die L ö s u n g v o n Z i e l k o n f l i k t e n s i n d d e m p o l i t i s c h e n Ermessen v o n R e g i e r u n g u n d Parlament

anheimgegeben.

Die Verfassung

ist

eben k e i n

„sozialer

Fahrplan". 1. Planungsziele aus einzelnen Grundrechten W i l l m a n Planungszwecke u n d Planungsziele einzelnen Grundrechten e n t n e h m e n , so ist v o n d e r F u n k t i o n d e r G r u n d r e c h t e , p o l i t i s c h e r Ges t a l t u n g R i c h t l i n i e u n d R a h m e n z u g e b e n 1 3 , auszugehen. So lassen sich die Z i e l e v e r m ö g e n s p o l i t i s c h e r P l a n u n g e n a n A r t . 14 G G u n d 3 G G messen 1 4 . L e i t z i e l e i n e r P r e s s e p l a n u n g k a n n d i e E r h a l t u n g d e r V i e l f a l t d e r I n f o r m a t i o n u n d Meinungsäußerung sein15. Bei Planungen i m Rahmen d e r k o m m u n a l e n G e b i e t s r e f o r m ist u . a. das S o z i a l s t a a t s p r i n z i p u n d das D e m o k r a t i e g e b o t u n t e r E i n s c h l u ß des Gebots d e r Ü b e r s c h a u b a r k e i t d e r S e l b s t v e r w a l t u n g s e i n h e i t e n z u beachten 1 6 . F ü r d e n B e r e i c h d e r w i r t 11 Ziel- und Leitvorstellungen geben Auskunft darüber, was von der politischen Führung in der Zukunft geleistet werden soll. Die Ziel- und Leitvorstellungen politischer Planung finden sich u. a. in Koalitionsvereinbarungen oder Regierungserklärungen. Sie üben eine Art Kompaßfunktion aus, da sie staatlichen Aktivitäten die Richtung weisen (F. Sidler, Grundlagen zu einem Management-Modell für Regierung und Verwaltung [Zürich 1974], S. 136). 12 Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers kann von Grundrecht zu Grundrecht variieren. Inwieweit aus einzelnen Grundrechten Rechte auf Leistungen herzuleiten versucht wird, ist von H. Kratzmann (Grundrechte — Rechte auf Leistungen [1974]) zusammengestellt worden. Aus der Rechtsprechung sei — außer der noch zu erörternden Numerus-clausus-Entscheidung — auf BVerfGE 35, 79 ff., 120 ff. zum niedersächsischen Vorschaltgesetz für ein Gesamthochschulgesetz verwiesen, in der der von Art. 5 Abs. 3 GG gesicherte Bereich für Maßnahmen der Hochschulorganisation umrissen wird (zur Kritik an dieser Entscheidung vgl. E. Friesenhahn, Der Wandel des Grundrechtsverständnisses, in: Verhandlungen des 50. DJT, Bd. I I , S. G 1 ff., 32 ff.). 13 17. Scheuner, Die Funktion der Grundrechte im Sozialstaat. Die Grundrechte als Richtlinie und Rahmen der Staatstätigkeit, in: D Ö V 1971, S. 512 f.; E.-W. Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: NJW 1974, S. 1536; P. Saladin, Grundrechte im Wandel, 2. Aufl. (1975), S.309; J. P. Müller, Soziale Grundrechte, S. 812 ff.; unklar G. Kassimatis (Der Bereich der Regierung [1967], S. 149 f.), der lediglich auf eine Bindungswirkung der Grundrechte abhebt. 14 E. Stein, Vermögenspolitik und Grundrechte (1974), S. 28 ff., 54 ff. 15 Vgl. J. H. Kaiser, Presseplanung (1972), S. 19 ff. 16 W. Hoppe und H. W. Rengeling, Rechtsschutz bei der kommunalen Gebietsreform (1973), S. 104 ff.: Überdimensionale Verwaltungseinheiten, die den Substanzwert an Demokratie zu stark verringern, sind zu vermeiden.

I V . Planungsziele aus den Grundrechten

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schaftspolitischen Planung läßt sich fragen, inwieweit der Gleichheitssatz die Leitprinzipien bei der Vergabe der Subventionen zu beeinflussen vermag 17 . Wie man nun einzelne Planungszwecke und Planungsziele einzelnen Grundrechten entnehmen kann, sei exemplarisch an Hand der B i l dungsplanung gezeigt. Die Bildungsplanung ist an der Idee der Humanität und an den Funktionsanforderungen einer Industriegesellschaft orientiert. Für sie lassen sich aber auch konkretere Leitziele angeben, die aus Grundrechten ableitbar sind: Die Ziele der Chancengleichheit und der individuellen Förderung haben einen Bezug zu A r t . 1, 2 Abs. 1, 3 GG und 12 GG 1 8 ; das Ziel eines effizienten Einsatzes der materiellen Ressourcen steht i n enger Verbindung m i t dem aus den Grundrechten und dem Rechtsstaatsgebot ableitbaren Verhältnismäßigkeitsprinzip 1 9 . Lediglich das Ziel einer Deckung des ökonomischen und sozialen Bedarfs an Absolventen bestimmter Ausbildungsgänge läßt sich primär auf die Funktionsanforderungen der Industriegesellschaft zurückführen 20 . Wendet man sich insbesondere dem Themenkreis Gleichheitssatz und Bildungsplanung zu 21 , der freilich nur m i t Blick auf die anderen ergänzenden grundrechtlichen Verbürgungen näher erörtert werden kann, so w i r d Ausgangspunkt aller Überlegungen sein müssen: Parallel zur Frage „Gleichheit vor dem Gesetz" und „Gleichheit durch das Gesetz" gibt es auch ein Problem „Gleichheit durch Planung". Ebenso wie bei 17 Vgl. hierzu H. Kreussler, Der allgemeine Gleichheitssatz als Schranke für den Subventionsgesetzgeber unter besonderer Berücksichtigung von wirtschaftspolitischen Differenzierungszielen (1972), S.92ff. und passim; H. Scholler, Die Interpretation des Gleichheitssatzes als Willkürverbot oder als Gebot der Chancengleichheit (1969), S. 89 ff. 18 Allerdings kann auch eine Bindung der Bildungsplanung an ein Verfassungsverständnis, das nur von einer politischen Minderheit geteilt wird, zu erheblichen politischen Kontroversen führen (C. Tomuschat, Der staatlich geplante Bürger. Verfassungsrechtliche Bemerkungen zu den Richtlinien für den Politik-Unterricht des Landes NRW, in: Festschrift für E. Menzel, hrsg. von J. Delbrück u. a. [1975], S. 21 ff.). 19 H. J. Wolff, Verwaltungsrecht I I I , 3. Aufl. (1973), § 138 I V ; H. J. Wolff und O. Bachof, Verwaltungsrecht I, §30 I I b 1; E. Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AÖR 98. Bd. (1973), S. 568 ff., 576 ff. 20 Vgl. hierzu H. Becker, Bildungsforschung und Bildungsplanung (1971), S. 135 ff.; O. Höffe, Strategien der Humanität (1975), S. 271 ff. 21 Hierzu die grundlegende Arbeit von F. Hufen, Gleichheitssatz und Bildungsplanung. Zum Funktionswandel der Grundrechte im modernen Sozialstaat (1975); vgl. weiter Th. Maunz, Die Chancengleichheit im Bildungsbereich, in: Festschrift für W. Geiger, hrsg. von G. Leibholz u.a. (1974), S. 545 ff.; W. Hoppe (Planung und Pläne, S.697f.) meint ohne nähere Differenzierung, Art. 3 G G sei i m Planungsbereich nicht unmittelbar anwendbar; dies mag zwar auf die Bauleitplanung zutreffen, ist aber für andere Planungsbereiche nicht zutreffend.

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

d e r Frage „ G l e i c h h e i t d u r c h das Gesetz" geht es b e i d e m P r o b l e m „ G l e i c h h e i t d u r c h P l a n u n g " u m d e n Versuch, P r i n z i p i e n i n h a l t l i c h e r Rechtsgleichheit i n e i n e m B e r e i c h z u b e s t i m m e n , d e r noch n i c h t r e c h t l i c h p r o g r a m m i e r t i s t 2 2 . Es s o l l also n i c h t d e r Gleichheitssatz l e d i g l i c h auf das W i l l k ü r g e b o t v e r k ü r z t oder die i n n e r e F o l g e r i c h t i g k e i t b e i der V e r w i r k l i c h u n g v o n P l a n u n g s z i e l e n oder gesetzgeberischen Z i e l v o r s t e l l u n g e n a n H a n d des Gleichheitssatzes ü b e r p r ü f t w e r d e n 2 3 ; es geht v i e l m e h r u m P r i n z i p i e n d e r G l e i c h b e h a n d l u n g , die das Z i e l der B e s e i t i g u n g sozialer U n g l e i c h h e i t e n v e r f o l g e n 2 4 . S o l l die I n t e r p r e t a t i o n des A r t . 3 G G a n d e n P r o b l e m e n d e r p o l i tischen P l a n u n g ausgerichtet sein, ist d e r o b j e k t i v e G e l t u n g s g e h a l t des Gleichheitssatzes i m R a h m e n d e r k o m p l e x e n E n t s c h e i d u n g s v o r g ä n g e der B i l d u n g s p l a n u n g z u r G e l t u n g z u b r i n g e n . D e n n s u b j e k t i v e I n d i vidualansprüche versagen mangels j u d i z i e l l e r Durchsetzbarkeit 25. D e m e n t s p r i c h t die Diagnose, daß i m p l a n e n d e n L e i s t u n g s s t a a t d e r o b j e k t i v r e c h t l i c h e n Seite der G r u n d r e c h t e m e h r B e d e u t u n g z u k o m m t als der s u b j e k t i v r e c h t l i c h e n Seite 2 ®. D e r Gleichheitssatz m u ß ebenso w i e andere G r u n d r e c h t e i n e i n e r Weise i n t e r p r e t i e r t w e r d e n , „ d i e n i c h t v o r d e n 22 Hier interessiert also nur die Rolle des Gleichheitssatzes im „vorrechtlichen" Raum. Vernachlässigt werden die herkömmlichen Fragestellungen wie: Bedingt die Ausführung einer konditional programmierenden Rechtsregel eine Ungleichbehandlung? Läßt sich bei finaler Programmierung aus der Erlaubtheit von gesetzlich festgelegten Zielen auf die Zulässigkeit der sich aus der Verwirklichung von Maßnahmen ergebenden Ungleichheit schließen? (vgl. hierzu A. Podlech, Gehalt und Funktionen des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes [1971], S. 105 ff.). 23 Es bleibt freilich eine wichtige Funktion des Gleichheitssatzes, den Grundsatz der Systemgerechtigkeit und damit ein allgemeines Gebot der Planmäßigkeit der Staatsgestaltung zu sichern (vgl. etwa BVerfGE 7, 129 ff., 153; 11, 283 ff., 293; 12, 264 ff., 273; 30, 250 ff., 270 f.; G. Leibholz und H. Rinck, Grundgesetz, 5. Aufl. [1975], Art. 3 GG R N 11 a. E. sowie oben unter I., 3 b, cc m. w. Nw.). 24 Zur Interpretation des Gleichheitssatzes in Richtung auf eine soziale Gleichheit: K. Hesse, Der Gleichheitssatz im Staatsrecht, in: AöR Bd. 77 (1950), S. 172 ff., 214 ff.; H. F. Zacher, Soziale Gleichheit, in: AöR 93. Bd. (1968), S. 341 ff. (zum Minimalismus des BVerfG), 360 ff. (zur sozialen Gleichheit); R. Herzog, Artikel „Gleichheit", in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 898; H. Rinck, Die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Gleichheitssatz, in: JöR 1961, S. 269 ff., 325; A. Podlech, S. 200 ff.; H. Kratzmann, S. 17. — Einen Einbezug der faktischen Grundrechtsvoraussetzungen in die normative Grundrechtsgewährleistungen lehnen ab: W. Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, in: W D S t R L H. 30 (1972), S. 7 ff., 29 ff.; H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb (1968), S. 111 f., 177; E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft (1971), S. 147 ff. 25 Es geht hier um die Differenzierung nach subjektiv-rechtlichem und objektiv-rechtlichem Sinn der Grundrechte (vgl. E. Friesenhahn, S. G 5 f. mit weiteren Nachweisen; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 9 I I ; H. H. Rupp, Wandel der Grundrechte, S. 165 ff.). 26 P. Häberle, „Leistungsrecht", S.470; W. Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte (1975), S. 91 f.

I V . Planungsziele aus den Grundrechten

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engen Möglichkeiten subjektiv-öffentlicher Grundrechtsdurchsetzung einerseits und der Unverbindlichkeit objektiver Appelle und Programme andererseits halt macht" 2 7 . Entsprechend den vorstehenden grundsätzlichen Überlegungen geht auch die Frage nach der Bedeutung des Gleichheitssatzes für Zielbestimmungen i m Bereich der Bildungsplanung davon aus, daß Grundrechte vermöge der i n ihnen steckenden „Elemente objektiver Ordnung" 2 8 auf Zielsetzungen i m Planungsprozeß zwar einwirken können, den Planungsprozeß i n allen Einzelheiten aber nicht determinieren können. I n dem weiten Bereich politischen Gestaltungsermessens können Grundrechte zunächst Richtpunkte bei der Abwägung zwischen mehreren Entscheidungsalternativen weisen. Es lassen sich etwa Aussagen darüber machen, welche Entscheidungsalternativen i m Rahmen der vertretbaren Auslegungs- und Konkretisierungsalternativen grundrechtsnäher (gleichheitsnäher) oder grundrechtsferner (gleichheitsferner) sind 29 . Bei diesem interpretatorischen „Näherkommen" zum Verfassungsgewollten „befindet man sich i n einer komplizierten Grenzzone zwischen Verfassungsinterpretation und stiller Verfassungsfortbildung" 3 5 . Die Annäherungsvorstellung kann für spätere Verfassungskonkretisierungen Daten setzen, die die Verfassung auf Dauer gesehen m i t telbar wandeln können. Grundrechte liefern nicht allein Richtpunkte, vermittels derer man die Grundrechtsnähe oder Grundrechtsferne einer politischen Lösung beurteilen kann. Darüber hinaus vermag u. a. etwa der Gleichheitssatz bei der Erarbeitung von Leitzielen der Bildungsplanung wesentliche Direktiven zu vermitteln. Auch wenn sich politische Planung als „Koordinierung und Kombination vielfachen Ermessens" 31 darstellt, kann doch der Zielplanungsprozeß darauf überprüft werden, ob ungerechtfertigte Benachteiligungen institutionalisiert werden 3 2 . Freilich w i r d 27 F. Hufen, S. 58; zur „juristischen" Betrachtung der Grundrechte, die darauf abhebt, daß dem Einzelnen aus dem in der Verfassung garantierten Grundrecht ein gerichtlich verfolgbarer Anspruch erwächst, vgl. P. Β adura, Soziale Grundrechte, S. 17 ff., 24 f.; J. P. Müller, S. 839. 28 E. Friesenhahn, S. G 6; BVerfGE 21, 379. 29 F. Hufen, S. 85 f., 98 ff., 108 f.; K. Hesse, Gleichheit und Freiheit als Grundprinzipien heutiger staatlicher Ordnung, in: Freiburger Dies Universitatis, Bd. 9 (1961/62), S. 6 f.; R. Zippelius, Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, in: C. Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, S. 108 ff. 30 P. Lerche, Stiller Verfassungswandel als aktuelles Politikum, in: Festgabe für Th. Maunz, hrsg. von H. Spanner, P. Lerche u. a. (1971), S. 285 ff., 297; vgl. auch oben unter I., 3 b, bb. 31 W. Leisner, Regierung, S. 729. 32 Zurückhaltender möchte J. P. Müller (S. 817 und 844 ff.) in der programmatischen Schicht der Freiheitsrechte nur stets neu zu verwirklichende Direktiven staatlichen Handelns sehen. Wegen ihrer Offenheit in ihrer Funk-

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

man der Zielplanung ebenso wie der Gesetzgebung einen Typisierungsund Klassifikationsspielraum einräumen müssen, der durch die demokratische Legitimation der Planentscheidung, durch Transparenz des Zielfindungsprozesses und durch Formen der Beteiligung (Hearings, Information der Regierungsbürokratie durch gesellschaftliche Gruppen und Wissenschaftler usw.) erträglich wird. Versucht man den Gleichheitssatz für den Zielbereich der Bildungsplanung näher zu konkretisieren, so läßt sich als verfassungsrechtliches Gebot aufstellen: Bildungsplanung soll Chancengleichheit 88 durch A n gleichung i n der Ausgangssituation anstreben 34 . Es geht bei diesem aus A r t . 3 GG abgeleiteten Ziel der Bildungsplanung u m Gleichheit der Startchancen, nicht u m Angleichung i n der Zielerreichung 85 ; i m Hinblick auf die Startchancen soll eine Gleichheit der Bedingungsfaktoren angestrebt werden, die i n einer gegebenen Ausgangslage maßgeblich für die Erreichung bestimmter Bildungsziele sind 86 . Bei den Bedingungsfaktoren von Gleichheit und Ungleichheit läßt sich danach differenzieren, ob sie durch staatliches Handeln veränderbar sind 37 , ob sie durch zusätzliche staatliche Leistungen angleichbar sind, oder ob sie ohne Änderung des staatlichen Leistungsvolumens wandelbar sind. Zunächst sind also jene Bedingungsfaktoren von Gleichheit und Ungleichheit der Startchancen i m Bildungsbereich empirisch zu ermitteln, die durch staatliches Handeln änderbar sind. Anschließend stellt sich die Frage, wie die Bildungsplanung darauf reagieren muß. Bedingungsfaktoren der Ungleichheit, die ohne Änderung des bisherigen tion als generelle Zielsetzung für die Staats- und Rechtsordnung sollen sie „kaum justiziabel" sein (ähnlich auch H. Kratzmann, S. 67). 33 Die Chancengleichheit ist eine Komponente des Gleichheitssatzes, die schon zur Zeit des klassischen Liberalismus herausgestellt wurde (vgl. A. de Tocqueville's „égalité des conditions" [De la démocratie en Amérique, Bd. 1, 15. Aufl. 1868, S. 1, 19, 21]). Allgemein anerkannt ist der Grundsatz der Chancengleichheit im Wahlrecht und im Prüfungsrecht. Inwieweit der Grundsatz der Chancengleichheit — i m wirtschaftlichen Sinn als Wettbewerbsgleichheit verstanden — die wirtschaftspolitische Planung beeinflussen kann, ist noch eine offene Frage (zu dem Teilaspekt Chancengleichheit und Subventionen vgl. H. Kreussler, S. 63 ff. mit weiteren Nachweisen; vgl. weiter A. Podlech, S. 209 ff.). 34 I m Gegensatz zu dem hier formulierten Ansatz einer sozialstaatlichen Inhaltsgebung des Gleichheitssatzes bezeichnet E. Friesenhahn (S. G 21) die Forderung nach Chancengleichheit i m Bildungsbereich als „politische Forderung an die Adresse von Regierung und Parlament, die im Rahmen der durch das Sozialstaatsprinzip determinierten freien politischen Entscheidung verwirklicht werden könne". 35 G. Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 3 Abs. 1 GG R N 113 und passim. 36 F. Hufen, S. 125 ff.; M. Kloepfer, Grundrechte S. 96 f. 37 Nicht veränderbar durch staatliches Handeln sind — zu einem gewissen Teil — etwa Begabung oder individuelle Motivation zur Bildung.

I V . Planungsziele aus den Grundrechten

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Leistungsvolumens beeinflußt werden können 88 , sind durch Bildungsplanung vorrangig zu beseitigen. Hier geht es nicht u m Bereitstellung zusätzlicher Leistungen, sondern u m eine durch organisatorische Maßnahmen — gegebenenfalls durch eine geringfügige Umschichtung der Haushaltsansätze — erreichbare Gleichheit der Startchancen. Bei den Bedingungsfaktoren der Ungleichheit, die durch zusätzliche staatliche Leistungen änderbar sind, ist i m Rahmen der Bildungsplanung zu entscheiden, ob und i n welcher Höhe zusätzliche Mittel bereitgestellt werden sollen. Wenn diese Prioritätensetzung getroffen ist, ist die planende Instanz von Verfassungs wegen verpflichtet, bei der Entscheidung über die Reihenfolge der Änderung der Bedingungsfaktoren von Ungleichheit das Effizienzprinzip und das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten. Grundsätzlich ist es dem planenden Staat verwehrt, kaum erreichbare Ziele unter erheblichem Aufwand anzustreben, wenn mit weit weniger aufwendigen M i t t e l n und Maßnahmen Chancenungleichheit beseitigt werden kann 3 9 . Der Staat ist verpflichtet, bei der Beseitigung von Chancenungleichheit die Prioritäten zugunsten der weniger aufwendigen Alternativen zu setzen 40 . Dieser Grundsatz gilt freilich nur m i t erheblichen Modifikationen. Das Effizienz- und Verhältnismäßigkeitsprinzip sind zu beachten, wenn verschiedene Maßnahmen zur Erreichung eines einzelnen politischen Zieles zur Verfügung stehen. Die beiden genannten Prinzipien gelten auch dann als Leitgrundsätze der Entscheidungsfindung i m Rahmen politischer Planung, wenn es darum geht, zwei politisch gleichwertige Ziele zu verfolgen, und bei begrenztem Ressourcenrahmen das eine Ziel sich nur unter erheblichen Aufwendungen, das andere Ziel sich aber unter geringfügigeren Aufwendungen erreichen läßt. Nicht gelten kann jedoch das Effizienz- und Verhältnismäßigkeitsprinzip, wenn es u m die politische Entscheidung über Zielprioritäten geht. Die erforderlichen Aufwendungen zur Erreichung eines Zieles mögen zwar auch eine Rolle bei der Entscheidung über eine Zielpriorität spielen. Gleichwohl läßt sich die politische Entscheidung der Prioritätensetzung nicht nur unter Effizienzgesichtspunkten rationalisieren, da die politische Wertung i m Vordergrund steht. 38

Genannt seien etwa Erhöhungen der Ausbildungskapazität durch organisatorische Maßnahmen (ζ. B. Ferienkurse) oder Korrekturen von Prüfungsordnungen, die einseitig an schichtenspezifisch nachgewiesenen Faktoren der Leistungsfähigkeit („Sprachbarrieren") ausgerichtet sind. 39 Es fehlt also nicht „jeglicher Orientierungspunkt", wie H. Kratzmann (S. 68) meint, will man mit Hilfe des Art. 3 GG die politische Planung und den sozialgestaltenden Gesetzgeber lenken. 40 F. Hufen, S. 135; vgl. weiter W. Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip (1971), S. 34, 36 ff., 52 ff. (Ziel staatlicher Tätigkeit ist Leistungsmaximierung); W. Martens, Grundrechte, S. 18 ff.

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung 2. Planungsprioritäten aus einer Rangordnung der Grundrechte

Der Grundrechtsteil der Verfassung kann also auf die Entwicklung von Ziel- und Leitvorstellungen i m Rahmen politischer Planung einen nicht zu unterschätzenden Einfluß ausüben. Eine andere Frage ist es, ob der Grundrechtsteil der Verfassung auch auf das Setzen von Prioritäten zwischen verschiedenen Ziel- und Leitvorstellungen politischer Planung einwirken kann. Eine Pflicht des Staates zur Beachtung bestimmter Prioritäten bei der Planung läßt sich bejahen, wenn es eine aus dem Grundrechtsteil begründbare Rangordnung von Staatsaufgaben gibt, die für alle staatlichen Organe Verbindlichkeit zu beanspruchen vermag. Etwaige Planungsprioritäten i n Verbindung m i t einer Rangordnung der Staatsaufgaben laufen allerdings nicht auf eine dem Grundgesetz immanente Wertordnung oder gar auf eine „Wertrangordnung" hinaus 41 . Die Vorstellung von einer dem Grundgesetz immanenten Wertordnung oder Wertrangordnung m i t einem Katalog von „an sich" geltenden Werten und der ihnen zukommenden Rangstelle ist aus verschiedenen Gründen verfehlt 4 2 . Es erübrigt sich, auf diese Problematik an dieser Stelle näher einzugehen. Ausgangspunkt der hier vorgeschlagenen Prioritätskriterien bei politischer Planung ist lediglich, „daß dem Grundgesetz das Bekenntnis zu bestimmten allgemeinmenschlichen Werten, wie vor allem der Menschenwürde und dem Wert der menschlichen Persönlichkeit, zugrunde liegt" 4 3 . Bei einer Gewichtung der Rangposition einzelner Staatsaufgaben läßt sich von den „menschlichen" Werten 4 4 ausgehen, deren herausragende 41 Zur Bedeutung dieses Argumentationstopos in der Rechtsprechung des BVerfG vgl. etwa BVerfGE 7, 198 ff., 215; 27, Iff., 6; 30, 173 ff., 193; H. Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz (1973), S. 17 ff. m . w . Nw.; W. Rüfner, Grundrechtskonfìikte, in: C. Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, S. 453 ff., 461 ff. 42 Die Wertphilosophie kann keine allgemeine Gültigkeit beanspruchende Rangordnung der Werte liefern (vgl. N. Hartmann, Ethik, 2. Aufl. [1935], S. 142 und passim; C. Schmitt, Die Tyrannei der Werte, in: Säkularisation und Utopie [1967], S. 37 ff.; R. Zippelius, Wertungsprobleme im System der Grundrechte [1962], S. 110 ff.; ders., Das Wesen des Redits, Kap. 20 c, f.; K. Lorenz, Methodenlehre, S.130f., 330 ff.; F. Müller, Juristische Methodik [1971], S.40f.; H. Goerlich, S. 173 ff.; W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem [1967], S. 39 ff.; R Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht [1961], S. 126; Ch. Graf von Pestalozza, Kritische Bemerkungen zur Grundrechtsauslegung, in: Der Staat, Bd. 2 [1963], S. 425 ff., 436 ff.). 43 K. Lorenz, S. 331. 44 H. P. Bull, Staatsaufgaben, S. 218 ff.; eine Rangfolge grundrechtlich garantierter Freiheitsräume läßt sich nach dem Kriterium aufstellen, in welchem Ausmaß elementare Äußerungsformen des Menschen, d.h. der personale Aspekt menschlichen Daseins berührt werden, und in welchem Ausmaß der soziale Bezug menschlichen Handelns in Frage steht (vgl. E. Grabitz,

I V . Planungsziele aus den Grundrechten

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R o l l e d u r c h i h r e R a n g s t e l l e i m Grundgesetz b e t o n t w i r d 4 5 . D i e A c h t u n g des e l e m e n t a r e n m e n s c h l i c h e n Bedürfnisses nach S i c h e r h e i t 4 6 i n e i n e m u m f a s s e n d e n S i n n ist eine w i c h t i g e V o r a u s s e t z u n g d e r V e r w i r k l i c h u n g d e r W ü r d e des Menschen ( A r t . 1 A b s . 1 G G ) 4 7 . D e n B e g r i f f der W ü r d e des Menschen k a n n m a n sicherlich n u r m i t e i n e m d e r a r t i g e n a n t h r o p o l o gischen A n s a t z , d e r die g r u n d l e g e n d e n , v o r r a n g i g e n m e n s c h l i c h e n B e d ü r f n i s s e h e r a u s z u a r b e i t e n s u c h t 4 8 , i n h a l t l i c h a u s f ü l l e n . Soziale Sicherh e i t ist die n o t w e n d i g e B e d i n g u n g v o n M e n s c h e n w ü r d e u n d persönl i c h e r S e l b s t v e r w i r k l i c h u n g . Das B e d ü r f n i s des Menschen nach sozialer Sicherheit v e r l a n g t nach einem Mindeststandard staatlich garantierten m e n s c h e n w ü r d i g e n Daseins 4 9 , d e n z u w a h r e n a u ß e r d e m z u m K e r n b e r e i c h des Rechtsstaats- u n d S o z i a l s t a a t s p r i n z i p g e h ö r t 5 0 . I n s o f e r n l i e f e r t d e r G r u n d r e c h t s t e i l des Grundgesetzes w e n i g s t e n s e i n i g e r u d i m e n t ä r e A n h a l t s p u n k t e f ü r die gegenseitige A b w ä g u n g k o n k u r r i e r e n d e r Staatsaufgaben u n d f ü r die E n t s c h e i d u n g b e i Z i e l k o n f l i k t e n z w i s c h e n Staatsaufgaben. D i e E n t w i c k l u n g d e r P l a n u n g s z i e l e d a r f diese A n s ä t z e e i n e r G e w i c h t u n g n i c h t u n b e a c h t e t lassen. S. 608 f.; M. Kriele, Recht und Politik in der Verfassungsrechtsprechung, in: NJW 1976, 777 ff., 781 f.; F. Ossenbühl, Kontrolle von Tatsachenfeststellungen und Prognoseentscheidungen, in: Bundesverfassungsgericht, hrsg. von C. Starck, 1. Bd., S. 458 ff., 507; ders., Versammlungsfreiheit und Spontandemonstration, in: Der Staat, 10. Bd. 1971, S.53ff., 77 ff., 79; BVerfGE 17, 306 ff., 313 f.). 45 Zur anthropozentrischen Grundentscheidung des Grundgesetzes vgl. H. H. von Armin, Gemeinwohl, S. 13 f. 46 Zur anthropologischen Verwurzelung des menschlichen Bedürfnisses nach Sicherheit: F. X . Kaufmann, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Phänomen, 2. Aufl. (1973); E. Bodenheimer, Philosophical Anthropology and the Law, in: Californian Law Review, Bd. 59 (1971), S. 653 ff., 662 ff.; H. Braun, Soziale Sicherung, S. 9 ff., 76 ff. 47 Vgl. hierzu W. Maihof er, Rechtsstaat und menschliche Würde (1968), S. 82 ff., 118 ff.; ders., Rechtsstaat und Sozialstaat, in: W. Weyer (Hg.), Rechtsstaat-Sozialstaat (1972), S. 13 ff., 26 ff.; P. Badura, Auftrag und Grenzen der Verwaltung im sozialen Rechtsstaat, in: DÖV 1968, 446 ff., 448. 48 Hierzu etwa J. Davies, The Priority of Human Needs and the Stages of Political Development, in: Human Natures in Politics, Nomos X V I I (New York 1977), S. 157 ff., 160 ff. 49 P. Badura, Soziale Grundrechte, S. 23; H. F. Zacher, Sozialpolitik und Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland (1968), S. 34. 50 Genügt der Staat diesem Sicherheitsbedürfnis des Menschen, läßt sich verhindern, daß infolge sozialer und wirtschaftlicher Notlagen die Grundrechte aufhören, dem Menschen etwas zu bedeuten. Wenn auch der von E. Fechner (Die soziologische Grenze der Grundrechte [1954], S. 21) zitierte Erfahrungssatz, daß die Menschen erst satt und dann frei sein wollen, in diezer Zuspitzung übertrieben zu sein scheint, so ist doch richtig, daß, je stärker der Lebensstandard absinkt, desto schmaler die Grundlage für das Verständnis einer staatlich gesicherten Freiheit wird und desto ungewisser auch die Basis für den Bestand der Grundrechte selbst wird. I n diesem Sinne wird von K. Korinek (Betrachtungen zur juristischen Problematik sozialer Grundrechte, in: Fragen des sozialen Lebens: Die sozialen Grundrechte [1971], S. 9 ff., 11) die Funktion der sozialen Grundrechte darin gesehen, daß sie dem Menschen Sicherheit und nicht Freiheit gewähren sollen.

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

I n diesem S i n n e steht a n erster S t e l l e d e r P r i o r i t ä t e n s k a l a , die d u r c h P l a n u n g z u r e a l i s i e r e n ist, das Recht a u f L e b e n ( A r t . 2 A b s . 2 S. 1 G G ) u n d das Recht a u f eine m e n s c h e n w ü r d i g e ökonomische E x i s t e n z . I n p r ä g n a n t e r F o r m u l i e r u n g h a t A . M e n g e r das Recht auf E x i s t e n z d a h i n u m rissen, „daß jedes M i t g l i e d d e r Gesellschaft e i n e n A n s p r u c h h a t , daß i h m die z u r E r h a l t u n g seiner E x i s t e n z n o t w e n d i g e n Sachen u n d D i e n s t leistungen zugewiesen werden, bevor m i n d e r dringende Bedürfnisse A n d e r e r b e f r i e d i g t w e r d e n " 5 1 . D e m Staat o b l i e g t d i e G a r a n t i e p f l i c h t , daß die V e r s o r g u n g jedes E i n z e l n e n m i t d e n G ü t e r n des t ä g l i c h e n B e d a r f s gesichert ist. H i e r b e i geht es i n a l l e r Regel u m die G e w ä h r l e i s t u n g eines M i n d e s t s t a n d a r d s a n w i r t s c h a f t l i c h e r S i c h e r h e i t . I n s o w e i t h a t d e r E i n z e l n e e i n e n L e i s t u n g s a n s p r u c h gegen d e n Staat u n d ist d e r Gesetzgeber zu e i n e r e n t s p r e c h e n d e n R e g e l u n g v e r p f l i c h t e t 5 2 . D e r Staat h a t d a f ü r einzustehen, daß j e d e r die e r f o r d e r l i c h e n finanziellen M i t t e l e r h ä l t , u m e i n m e n s c h e n w ü r d i g e s L e b e n f ü h r e n z u k ö n n e n 5 3 . Es k ö n n e n 51 A. Menger, Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag in geschichtlicher Darstellung (1886), S. 9. 62 Vgl. etwa J. M. Wintrich, Zur Problematik der Grundrechte, in: Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen Heft 71 (1957), S. 18 f.; K. Low, Ist die Würde des Menschen im Grundgesetz eine Anspruchsgrundlage?, in: D Ö V 1958, 516 ff., 520; G. Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Grundgesetz, Art. 1 R N 43 f. mit Nachw. zur älteren Literatur; Art. 2 Abs. 2 R N 26 f.; Art. 3 Abs. 1 R N 69; ders., Verfassung und Verwaltung im Wohlfahrtsstaat, in: U. Scheuner (Hg.), Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft (1971), S. 161 ff., 173 ff.; H. F. Zacher, Sozialpolitik und Menschenrechte, S. 34; E. Benda, S. 73; H. Kratzmann, S. 4 ff. (mit Darstellung der kontroversen Meinungen im Parlamentarischen Rat); W. Pinger, Rechtswidrige Unterlassung des Gesetzgebers als Verstoß gegen Art. 2 G G (Kölner jur. Dissertation 1957), S. 69 ff., 88 ff., 107 ff.; J. Seiwerth, Zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gegenüber Grundrechtsverletzungen des Gesetzgebers durch Unterlassen (1967), S. 55 ff., 60 ff.; R. Mayr, Grundrecht auf soziale Sicherheit, in: Fragen des sozialen Lebens: Die sozialen Grundrechte (1971), S. 48 f. (zur verfassungsrechtlichen Absicherung des Grundrechts auf soziale Sicherheit in Österreich); differenzierend W. Wertenbruch, Sozialhilfeanspruch und Sozialstaatlichkeit, in: Festgabe für Küchenhoff (1967), S. 343 ff., 355 ff. 53 I n der Rspr. vollzog den ersten Schritt in Richtung auf eine leistungsrechtliche Interpretation der Grundrechte das Fürsorgeurteil des BVerwG (E 1, 159 ff.). Es ging um die — durch das BSHG gelöste — Frage, ob der Bedürftige aus der Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13.2.1924 (RGBl. I S. 100) Rechtsansprüche gegen den Träger der Fürsorge geltend machen kann. Bis zum Erlaß des Grundgesetzes ging man davon aus, die Fürsorge werde dem Bedürftigen lediglich aus Gründen der öffentlichen Ordnung gewährt (G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. [1905], S. 73 m. Nachw.). Unter der Geltung einer rechts- und sozialstaatlichen Verfassungsordnung konnte man den Hilfsbedürftigen nicht mehr lediglich als Gegenstand staatlichen Handelns betrachten. Aus dem Prinzip des sozialen Rechtsstaates, aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie aus dem verfassungsrechtlichen Leitprinzip der Achtung der Menschenwürde wurde fast einhellig ein Recht des Bedürftigen auf soziale Hilfe gegen den Träger der öffentlichen Fürsorge gefolgert (vgl. Nachw. bei M. Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz [1970], S. 3 f.). Einschränkend judizierte das BVerfG (E 1, 104 f.), daß nur in extremen Grenzfällen ein direkter Anspruch des Bedürftigen auf

I V . Planungsziele aus den Grundrechten

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zum Zwecke der direkten Unterstützung M i t t e l (BSHG) bereitgestellt werden; es kann auch durch eine Einwirkung auf die Wirtschaftsprozesse indirekt eine wirtschaftliche Sicherung für die Bevölkerung angestrebt werden 5 4 . A u f die Sicherung der Subsistenz folgen die verschiedenen Formen der „Daseinsvorsorge" 55 . Der Staat hat dafür Sorge zu tragen, „daß seine Bürger i n die Lage versetzt werden, ihr Dasein i n einer Weise zu gestalten, die menschenwürdig ist und dem vom Grundgesetz aufgerichteten Leitbild vom Menschen entspricht" 5 6 . Der Daseinsvorsorge dienen zunächst die Versorgungs- und Verkehrsbetriebe der öffentlichen Hand. Wenn das Kommunalrecht auch bloß eine „égalité devant le service public" verbürgt, so können sich lebensbedrohende Unterlassungen des Staates doch zu einem konkreten Recht des Bürgers auf Abhilfe verdichten 57 . Daneben t r i t t neuerdings der der Existenzsicherung dienende Umweltschutz. Bei den Bestrebungen des Umweltschutzes geht es u m die „Erhaltung der unverzichtbaren natürlichen Grundlagen des menschlichen Lebens" 58 . Eine umfassende und zufriedenstellende Daseins Vorsorge ist nicht mehr ohne eine Planung der Reinhaltung von Luft und Wasser oder der Energieversorgung vorstellbar. I n diesem Bereich werden die alten Formen kommunaler Daseinsvorsorge durch überregionale und internationale Planungen ergänzt. materielle Fürsorge aus Grundrechten abgeleitet werden könne. Entscheidend wird u. a. darauf abgestellt, daß nur der Gesetzgeber in der Lage sei, das Sozialstaatspostulat zu verwirklichen (vgl. C. Starck, Staatliche Organisation und staatliche Finanzierung als Hilfen zur Grundrechtsverwirklichung?, in: ders. (Hg.), Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, S. 480 ff., 520 ff.). 54 Angemerkt sei, daß aus einer sozial- und leistungsstaatlichen Interpretation der Grundrechte nicht ein Grundsatz „in dubio pro paupere" hergeleitet werden kann (vgl. hierzu Menzel, Die Sozialstaatlichkeit als Verfassungsprinzip der Bundesrepublik, in: DÖV 1972, 537 ff., 543 ff.). 55 Zur Rolle der Daseinsvorsorge im leistungs- und regelungsintensiven Industriestaat vgl. E. Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger (1938); ders., Der Staat der Industriegesellschaft (1971), S. 75 ff. (Notwendigkeit staatlicher Leistungen infolge des Verlustes des „beherrschten Lebensraumes"). 56 K. H. Friauf, Zur Rolle der Grundrechte im Interventions- und Leistungsstaat, in: DVB1. 1971, S. 674 ff., 676; „ein vom Gedanken des sozialen Rechtsstaates determiniertes Grundrechtsverständnis" (H. Gerber, Die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes, in: AöR 81. Bd. [1956], S. 1 ff., 38) legt dem Staat primär eine Pflicht zur Daseins Vorsorge auf (vgl. auch BSG NJW 1968, 1158). 57 G. Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 3 Abs. 1 GG R N 79; H. Kratzmann, S. 121; grundsätzlich ablehnend E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft (1971), S. 78 f. 58 H. P. Bull, S. 219; H. H. Rupp, Die verfassungsrechtliche Seite des Umweltschutzes, in: JZ 1971, S. 401 ff., 402; E. Rehbinder, Grundfragen des Umweltschutzes, in: ZRP 1970, S. 250 ff.; Umweltprogramm der Bundesregierung, in: Bundestags-Drucksache V I , 2710 vom 14. 10. 1971, S. 10 (Priorität für Umweltplanung).

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

M i t der Garantie der wirtschaftlichen Sicherheit und der Daseinsvorsorge sind zwei wichtige Elemente der allgemeinen sozialen Sicherheit des Menschen angesprochen, für die der Staat einzustehen hat. Ein dritter elementarer Teilbereich der sozialen Sicherheit ist die Schaffung und Erhaltung der Ordnung des Zusammenlebens. Vor allem 5 9 muß der Staat für die persönliche Sicherheit seiner Bürger Sorge tragen. I m Mittelpunkt steht bei der Planung für diesen Teilbereich der sozialen Sicherheit die Ordnung- und friedensstiftende Funktion des Staates 60 . Diese Staatsaufgabe darf auch i n Zeiten innenpolitischer Ruhe nicht zu gering veranschlagt werden; die politische Ideengeschichte lehrt, daß i n Krisenzeiten diese Staatsaufgabe geradezu zu einem Element des Staatsbegriffs hochstilisiert werden kann 6 1 . Diese drei Elemente einer grundlegenden sozialen Sicherung des Einzelnen, nämlich ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Sicherheit, an Daseins Vorsorge und ein angemessener Schutz der persönlichen Sphäre der Bürger, sind elementare Aufgaben, denen der Staat durch vorrangigen Einsatz seines Planungsinstrumentariums und seines Ressourcenrahmens Genüge zu leisten hat 6 2 . A u f diese Planungspriorität „soziale Sicherheit" des Bürgers folgt die Vielzahl an wirtschafts- und sozialpolitischen Planungen des Staates. Hier geht es u m Bildung und Ausbildung, räumliche und geistige Kommunikation, Unterhaltung und K u l t u r i n einem umfassenden Sinn 6 3 . Bei allen diesen Planungen ist dafür Sorge zu tragen, daß die Entfaltungschancen der einzelnen Bürger gerecht verteilt werden. 59 I n diesen Zusammenhang gehört auch die Aufgabe des Staates, den Bestand staatlicher Ordnung gegen Angriffe von innen und außen zu verteidigen. Abweichend von den hier vorgeschlagenen Prioritäten bezeichnet H. Krüger (Rechtsstaat-Sozialstaat-Staat oder: Rechtsstaat + Sozialstaat ergeben noch keinen Staat [1975], S.38) die außenpolitische Sicherheit als „Sicherheit aller Sicherheiten", da alle anderen Sicherheiten die außenpolitische Sicherheit voraussetzen müssen. 80 Planungen für die persönliche Sicherheit des Bürgers finden ζ. B. auf Grund des Gesetzes über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes (i. d. F. vom 28. 6.1973, BGBl. I, S. 701) statt, wenn die Arbeit der Kriminalpolizei der einzelnen Länder koordiniert wird, Informationen zentral gespeichert werden, das Verbrechensverhalten beobachtet wird und Methoden zur Verbrechensbekämpfung entwickelt werden. 61 Bodins Souveränitätslehre oder Hobbes' Vorstellung vom allgewaltigen Staat, vom großen Leviathan, gehen bei der Bestimmung des Staatsbegriffs primär von der friedens- und ordnungsstiftenden Funktion des Staates aus (vgl. R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, §41 I I m. w. Nw.; G. Dietze, Bedeutungswandel der Menschenrechte [1972], S. 35 ff.). 62 A. M. E.-W. Böckenförde (S. 1536): „Ebensowenig ist aus den Grundrechten selbst ein System ihrer (sozialen) Höherrangigkeit oder Niederrangigkeit zu entnehmen, dessen Aufstellung für die Gerichte unvermeidlich würde." 63 H. P. Bull, S. 220; E. R. Huber, Zur Problematik des Kulturstaates (1958), S. 9 ff.

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Selbst i m Bereich dieser Planungen können Grundrechte gewisse Prioritätensetzungen angezeigt sein lassen. I m numerus-clausus-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht das Aufstellen politischer Prioritäten am Grundrechtsteil der Verfassung gemessen64. Gegenüber der traditionellen Abwehrfunktion w i r d hier A r t . 12 GG eine positive Funktion zuerkannt, wenn i h m ein Maßstab der Regelung bei der Verteilung von Lebenschancen entnommen wird. M i t Recht hebt das Bundesverfassungsgericht hervor, daß die Grundrechte unter dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes nicht allein den Status quo der bloßen „Teilhabe am Vorhandenen" abzusichern bestrebt sind. M i t einer derartigen verengenden Betrachtungsweise stößt man nicht zu dem Kern der Schwierigkeiten vor, daß nämlich der absolute numerus clausus die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Berufswahl leerlaufen lassen kann. Wegen dieser Beschränkung eines grundrechtlich verbürgten Freiheitsrechts bewegt sich der absolute numerus clausus, wie das Bundesverfassungsgericht es formuliert, „am Rande des verfassungsrechtlich Hinnehmbaren". Die Frage — die das Gericht dahingestellt sein läßt —, „ob aus den grundrechtlichen Wertentscheidungen und der Inanspruchnahme des Ausbildungsmonopols ein objektiver 6 5 sozialstaatlicher Verfassungsauftrag zur Bereitstellung ausreichender Ausbildungskapazitäten für die verschiedenen Studienrichtungen folgt", kann eigentlich nur bejaht werden. Aus der Trias A r t . 12 GG, Gleichheitssatz, Sozialstaatsentscheidung läßt sich ein objektiver Verfassungsauftrag auf Erweiterung bzw. auf Sicherung hinlänglicher Ausbildungskapazitäten herleiten 6 6 . Bei der Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts i n dieser Frage handelt es sich zunächst einmal u m ein „Warnsignal" an die Verantwortlichen i n Regierung und Parlament 67 . I n der Zukunft erscheinen Sanktionen möglich, die analog zur Rechtsprechung zu A r t . 6 Abs. 5 GG ausfallen können 68 , falls keine zufriedenstellende Regelung bereitgestellt wird. 64 BVerfGE 33, 303 ff., 328 ff.; vgl. hierzu P. Häberle, Das Bundesverfassungsgericht im Leistungsstaat, in: DÖV 1972, 729 ff.; J. P. Müller, S. 864 ff.; H. H. Rupp, Wandel der Grundrechte, S. 181 ff.; E. Friesenhahn, S. G 21 f., 29 ff.; Α. υ. Mutius, Grundrechte als „Teilhaberechte", in: Verwaltungsarchiv Bd. 64 (1973), S. 183 ff.; H. Kratzmann, S. 55 ff. und die Urteilsanmerkungen von O. Kimminich, in: JZ 1972, 696 ff.; Th. Maunz, in: BayVBl. 1972, 470; Plander, in: NJW 1972, 1941. 65 Dem Studienbewerber hilft ein „objektiver" Verfassungsauftrag zur Schaffung neuer Studienplätze nicht, da er die Erfüllung dieses Auftrages nicht einklagen kann. 66 G. Dürig, Art. 3 Abs. 1 GG, R N 113 e; a. M. E. Friesenhahn, S. G 21 f. 67 So P. Häberle, DÖV 1972, 732. 68 BVerfGE 25, 167 ff., 175 f. mit eingehenden Literaturnachweisen; vgl. aber die kritischen Bemerkungen von Th. Maunz (Verfassungsaufträge an den Gesetzgeber, in: BayVBl. 1975, 601 ff.) zur Ableitung von Regelungsaufträgen aus einem leistungsstaatlichen Grundrecht s Verständnis.

6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen f ü r die Planung

Ein Leitziel, das eine gewisse Priorität bei der Bildungsplanung beansprucht, ist also die Sicherung befriedigender Ausbildungskapazitäten. Hieraus darf allerdings nicht gefolgert werden, die Ausbildungskapazitäten an den Hochschulen müßten dergestalt geplant werden, daß „für jeden Bewerber zu jeder Zeit" der von i h m gewünschte Studienplatz bereit gestellt werden müßte®9. Die nur begrenzt verfügbaren M i t t e l der öffentlichen Hand können nicht bevorzugt einem privilegierten Teil der Bevölkerung zugute kommen, während andere wichtige Gemeinschaftsbelange vernachlässigt werden. Ein unbegrenztes subjektives Anspruchsdenken wäre „unvereinbar m i t dem Sozialstaatsgedanken", wenn es sich nur auf Kosten anderer ebenso legitimer Staatsaufgaben verwirklichen läßt. Grundrechte vermögen also bei der leistungsstaatlichen Planung die Prioritäten zwischen einzelnen Planungszielen einzugrenzen. Bei den Zielfindungsprozessen der leistungsstaatlichen Planungsverfahren stekken Grundrechte einen Rahmen ab, jenseits dessen die planerische A k t i v i t ä t oder Inaktivität des Staates verfassungswidrig sein kann. Es gibt auch einen unantastbaren „Leistungs"-Kern der Grundrechte, der durch Planung zu gewährleisten ist. Nochmals sei hervorgehoben, daß konkrete Planungsziele sich nicht deduktiv aus der Verfassung ableiten lassen. Zwar läßt sich prinzipiell sagen, daß die Sicherung der Subsistenz anderen Staatsaufgaben vorrangig und bei der Planung bevorzugt zu behandeln ist. Diese Präferenz läßt sich jedoch i m konkreten Fall gegenüber anderen grundrechtsrealisierenden Staatsauf gaben meist nicht i n intersubjektiv nachprüfbarer und damit verbindlicher Weise 70 festlegen. Das liegt zunächst daran, daß die Grenze zwischen der Sicherung des Existenzminimums und der Schaffung der ökonomischen Voraussetzungen persönlicher Entfaltungsmöglichkeiten oftmals nicht eindeutig bestimmbar sein w i r d 7 1 . Denn was zum Existenzminimum gehört, hängt zu einem gewissen Teil vom wirtschaftlichen und kulturellen Niveau einer Gesellschaft ab. Konkrete Präferenzen lassen sich verbindlich vor allem aber darum kaum begründen, weil auch die Entscheidung der Frage, das Existenzminimum besser abzusichern oder andere Staatsaufgaben bevorzugt zu erfüllen, eine Entscheidung über politische Zielkonflikte ist 7 2 . Und die Entscheidung von Zielkonflikten 69

BVerfGE 33, 334. Vgl. R. Zippelius, Methodenlehre, S. 103 ff.; ders., Das Wesen des Rechts, Kap. 5 b, 22 b. 71 F. A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, S. 157; G. Dürig, in: Maunz/ Dürig/Herzog/Scholz, Art. 2 Abs. 1 R N 71 f. 72 Durch diese Einschränkung dürfte dem Einwand Böckenfördes, es ließe sich weder der Umfang sozialstaatlicher Gewährleistungen noch eine Priori70

I V . Planungszielie aus den Grundrechten

415

ist weitgehend dem politischen Ermessen der Entscheidungsinstanz anheimgestellt. Dennoch sind Überlegungen zur verfassungsrechtlichen Verankerung der Ziele und Prioritäten politischer Planung nicht wertlos, da sie der politischen Führung helfen, Entscheidungsvarianten zu bewerten, und die verfassungsrechtlichen Grenzen politischer Entscheidungen verdeutlichen. Und nur wenn politische Planung bereits i m Prozeß der Zielfindung an den Leitvorstellungen der Verfassung ausgerichtet ist, läßt sich durch die Verfahren der Planung eine optimale Verwirklichung der Grundrechte gewährleisten. 3. Zur Konkordanz der grundrechtsbestimmten Planungsziele

Letztlich geht es bei einer Korrelation von Planungszielen und aus Grundrechten hergeleiteten Verfassungszielen auch u m das allgemeine Problem der praktischen Konkordanz 7 3 . Bislang bestimmte man unter Bezugnahme auf diesen Topos die grundrechtlich verbürgten Freiheiten des Individuums durch andere verfassungsrechtlich geschützte oder von der Gemeinschaft anerkannte Rechtsgüter. Bei der Herstellung praktischer Konkordanz werden die einzelnen von Grundrechten gewährleisteten Freiheitsräume einander oder anderen Rechtsgütern dergestalt zugeordnet, daß sie eine optimale Wirksamkeit entfalten können. Dieses Verfahren der Optimierung von Freiheitsbereichen der einzelnen Grundrechte spielt auch bei der leistungsstaatlichen Realisierung von Grundrechten eine wichtige Rolle. Zwecks einer allseitigen V e r w i r k lichung und Optimierung der leistungsstaatlichen Seite der Grundrechte sind die Leistungsansprüche des Einzelnen an den Staat durch die legitimen Leistungsansprüche Dritter einzugrenzen. Dem planenden Leistungsstaat der Gegenwart obliegt es, bei der Zuordnung sozialer Leistungen zu einzelnen Grundrechtsbereichen jenen Rahmen zu schaffen, der ein kompatibles Maximum allseitiger Grundrechtsverwirklichung garantiert 7 4 . Diese Aufgabe der Optimierung von divergierenden Leistungsansprüchen an den Staat ist eine notwendige Folge des begrenzten Ressourcenrahmens.

tätensetzung aus den Grundrechten herleiten (S. 1536), Rechnung getragen sein. Auch eine Juridifizierung der leistungsstaatlichen Seite der Grundrechte, die zu einer Juridifizierung der Politik führen würde, steht nicht zu befürchten. 73 Zu diesem Auslegungsgrundsatz grundlegend K. Hesse, Grundzüge, § 2 I I I 2 b, cc; E. Grabitz, S. 576 ff.; F. Müller, S. 160 f.; P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht (1961), S. 125 ff. (Gedanke des nach beiden Seiten hin schonendsten Ausgleichs). 74 Vgl. etwa H. Bethge, Problematik, S. 214 ff., der freilich das Phänomen der Planung nicht in seine Betrachtungen einbezieht.

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6. Kap.: Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung 4. Zur Legitimationsfunktion der Korrelation von Planungs- und Verfassungszielen

Die Einbindung der politischen Planung in den normativen Rahmen der Grundrechte, d. h. die Korrelation von Planungs- und Verfassungszielen hat auch eine gewisse legitimierende Funktion. Versteht man unter Sozialstaat ein Staatswesen, das sich den Bedürfnissen des Menschen annimmt, so erscheint die Antizipation zukünftiger Bedürfnisse besonders wichtig. Eine derartige Antizipation w i r d i n der Regel wegen der i n der menschlichen Natur liegenden Unwägbarkeiten äußerst problematisch sein. Für die Legitimation politischer Planung ist eine solche Antizipation aber von erheblicher Bedeutung. Die Orientierung politischer Planung an künftigen Bedürfnissen und Problemen ist äußerst diffizil, da für den Bereich der langfristigen Planung nicht mit einer konsistenten A r t i k u l a t i o n der Bedürfnisse gerechnet werden kann. Oft sind die Betroffenen noch gar nicht vorhanden oder sind kaum i n der Lage, ihre Bedürfnisse i m Hinblick auf eine nicht i n ihrer Komplexität erfahrbare künftige Situation i m voraus anzugeben. Auch scheint es in der menschlichen Natur zu liegen, eigene Interessen u m so nachdrücklicher zu vertreten, je mehr sich politische Entscheidungen ihrem Ausführungsstadium nähern 75 . Aus diesem Befund ergeben sich gravierende Probleme für eine demokratische Legitimation politischer Planung, da technokratische Fehlsteuerungen offenbar kaum zu umgehen sind. Die Frage, wie für weitreichende politische Planungen gesellschaftlicher Konsens beschafft werden kann7®, läßt sich an dieser Stelle nicht weiter vertiefen. Jedenfalls muß eine Planung, die dem Sozialstaatspostulat genügen möchte, die Bedürfnisentwicklung in ihren Prognoserahmen einbeziehen. Lassen sich den Grundrechten einzelne Ziel- und Leitvorstellungen entnehmen, die bei politischer Planung zu beachten sind, w i r d auch ein gewisses Maß an Kontinuität staatlichen Handelns gewährleistet. Die mit Planungen zusammenhängenden, oft erst langfristig spürbar werdenden politischen Entscheidungen erhalten einen normativen Rahmen, über den ein weitgehender Generalkonsens besteht. Diese freilich nicht zu überschätzende Kontinuität staatlichen Handelns, die ihre Basis i n einzelnen Bestimmungen der Verfassung findet, erscheint u m so erstrebenswerter, je geringer die i n demokratischen Verfahren herstellbare Legitimation langfristiger politischer Planungen ist. Die Rückkoppelung der Zielentwicklung, Prioritätensetzung und Ressourcenverteilung der Planung an die Ziel- und Leitvorstellungen der Grundrechte erfüllt damit einen doppelten Zweck: 75 Vgl. hierzu etwa F. W. Scharpf, Planung als politischer Prozeß, in: ders., Planung als politischer Prozeß, S. 33 ff., 46 ff.; F. H. Tenbruck, Kritik, S. 150 ff.; D. Aderhold, Kybernetische Regierungstechnik, S. 310 ff. 76 A. Etzioni, Aktive Gesellschaft, S. 495 ff.

V. Grenzen sozialstaatlicher u n d grundrechtseffektuierender Planung 417

Erreichen läßt sich nicht nur eine Effektuierung der Wirkung von Grundrechten, sondern auch eine „Legitimierung" 7 7 der planerischen Zielsetzungen aus dem Rahmen der Verfassung. V. Grenzen sozialstaatlicher und grundrechtseffektuierender Planung Es ist hier nicht der Ort, die große Kontroverse der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts: Planwirtschaft oder Marktwirtschaft, Planung oder Ordnung durch freies Spiel sozialer Gruppen? erneut aufzugreifen 1 . Jenseits des Streites u m ordnungspolitische Modellvorstellungen und u m einen dritten Weg 2 zwischen der fast anarchischen liberalen Demokratie und der Diktatur totalitärer Machteliten geht es heute pragmatisch u m „die Frage des Maßes staatlicher Regelung und Vorsorge" 8 . Bei allem Bestreben, vom Sozial- und Leistungsstaat des Grundgesetzes ein hohes Maß erfolgreicher politischer Planung zu fordern, darf die Kehrseite der Medaille nicht übersehen werden. Es scheint eine zwangsläufige Tendenz zu sein, daß ein Staat, der sich u m sozialen Fortschritt und Ausgleich bemüht, in einen „Planungsstaat" mündet. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde von Adolph Wagner das „Gesetz der wachsenden öffentlichen, insbesondere der Staatsthätigkeiten" formuliert, dem ein „Gesetz der wachsenden Ausdehnung des Finanzbedarfs" entspricht 4 . Diese Wagnerschen Gesetze haben sich als zutreffend erwiesen, auch wenn ihnen eine geschichtsphilosophische 77

Terminologisch korrekter wäre es von „Legalisierung" zu sprechen, da politisches Handeln an Rechtsnormen gebunden wird. Gemeint ist hier aber auch jene Legitimationswirkung, die durch den Konsens über Leitmotive der Verfassung erzielt wird. 1 Propagandisten der Planung waren vor allem: G. Soul, A Planned Society (New York 1932); C. Beard, Public Policy and the General Weif are (New York 1941); K. Mannheim, Geplante Demokratie; E. Heimann, Kapitalismus und Sozialismus (1931). Dagegen betonten die Gefahren der Planung: W. Lippmann, Die Gesellschaft freier Menschen (Bern 1945); F. A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft; ders., Die Verfassung der Freiheit (1971); W. Röpke, Die Gesellschaftskrise der Gegenwart, 4. Aufl. (Erlenbach-Zürich 1947); K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte (1949), S. 220 ff.; vgl. weiter M. J. Buse, Integrierte Systeme, S. 33 ff.; W. Hamm, Entartet die soziale Marktwirtschaft? (W. Eucken Institut. Vorträge und Aufsätze Heft 57, 1975). 2 Hierzu u. a. A. Utz, Neoliberalismus; O. Sik, Argumente für den dritten Weg (1973). 3 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 22 I I I ; § 28 IV. 4 A. Wagner, Grundlegung der politischen Ökonomie, 3. Aufl., 1. Bd. (1892), S. 892, 908 ff.; ders., Art. Staat in nationalökonomischer Hinsicht, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, hrsg. von J. Conrad u. a., 3. Aufl., 7. Bd. (1911), S. 727 ff., 734. 2

tenbere

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

Fundierung nachgesagt wird 5 . Die Entfaltung des sich zunehmend organisierenden Industriekapitalismus mit all seinen sozialen Folgeproblemen und die Organisation der zu politischer Partizipation drängenden Massen haben den Aufgabenbereich des Staates nachhaltig ausgeweitet. M i t seinen neuen Regelungs- und Leistungsfunktionen ist der Staat der Industriegesellschaft nicht mehr Gegner der Gesellschaft, „sondern eine kollektive Veranstaltung permanenter Planung, Verteilung, Leistung, Prüfung und Kontrolle zum Zweck einer möglichst störungsfreien Steigerung des Sozialproduktes, zum anderen aber auch zur Sicherung von Lebenschancen und Freiheitsräumen für Menschen"®. Aus diesem Befund ergibt sich die zwangsläufige Tendenz, daß der Staat der Industriegesellschaft immer mehr Sozialbereiche i n seine Planungen einbezieht 7 . Die Bewältigung der Wirtschaftskrisen und die Schaffung sozialer Gerechtigkeit führen zu einer steten Zunahme staatlicher Planung 8 . Hierauf beruht auch das eherne Gesetz der Planung, nicht eher zu ruhen, als bis nicht der beplante Bereich, die Gesellschaft also, i n seiner Gesamtheit erfaßt ist. Erst dann ist jener Parameter erreicht, i n dem Planungen i m Idealfall i n all ihren Auswirkungen aufeinander abgestimmt werden können und der Unsicherheitsfaktor, der m i t ungeplanter Entwicklung i n Einzelbereichen gegeben ist, auf ein M i n i m u m reduziert zu werden vermag. Dieses Überhandnehmen sozialstaatlich legitimierter Planung verbunden mit einem Kompetenzzuwachs des Staates birgt erhebliche Gefahren: Zu nennen sind zunächst die Gefahren für die allgemeine politische Stabilität. Sozialstaatlichkeit und insbesondere sozialstaatliche Planung führen nicht allein zu einer gesteigerten Bedürfnisbefriedigung der Bevölkerung. Sie können auch zu einem schnell wachsenden Erwartungshorizont an staatliche Vor- und Fürsorge führen, dem der Staat auf Dauer nicht genügen kann 9 . Dann aber kommt es zu einer beträcht5

K.-H. Hansmeyer, Der Weg zum Wohlfahrtsstaat (1957), S. 18 f., 24 ff. H.-J. Puhle, Vom Wohlfahrtsausschuß zum Wohlfahrtsstaat, in: G. A. Ritter (Hg.), Vom Wohlfahrtsausschuß zum Wohlfahrtsstaat. Der Staat in der modernen Industriegesellschaft (1973), S. 29 ff., 49; vgl. auch J. Burmeister, Vom staatsbegrenzenden Grundrechtsverständnis zum Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen (1971), S. 28 ff.; E. Heimann, Freiheit und Planung, S. 521 ff. 7 A. Bidlinsky, Sozialstaat-Wohlfahrtsstaat-Planwirtschaft — eine zwangsläufige Entwicklung?, in: W. Weyer (Hg.), Rechtsstaat-Sozialstaat (1972), S. 73 ff. 8 Vgl. 1. Kap.; Κ . H. Biedenkopf, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität, in: Landeszentrale für politische Bildung N R W (Hg.), Demokratische Gesellschaft. Konsensus und Konflikt (1975), S. 15 ff., 75. 9 Zur revolution of rising expectations vgl. F. H. Tenbruck, Kritik, S. 91 ff. — Aufgabe einer transparenten politischen Planung ist darum, zu hoch gesteckten Leistungserwartungen in der Bevölkerung entgegenzutreten (vgl. im 1. Kap. bei F N 22 f.). 0

V. Grenzen sozialstaatlicher und grundrechtseffektuierender Planung 419

liehen Diskrepanz zwischen Zukunftshoffnung des Menschen und realer Zukunftsaussicht. Diese sozialpsychologische Diskrepanz führt trotz verbesserten sozialstaatlichen Leistungssystems zu sozialer Unzufriedenheit. Konsequenzen verbreiteter sozialer Unzufriedenheit können u. a. soziale Unruhen und Legitimationskrisen des Staates sein 10 . Von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind daneben die Gefahren für die demokratische und freiheitliche Verfassung des Staates: Der planende Sozialstaat der Gegenwart ist offenbar nur mit einem reduzierten Demokratieverständnis vereinbar. Durch die notwendigerweise langfristig angelegten Planungen i m Bereich der Exekutive w i r d über die politischen Entscheidungen vorausverfügt, wodurch dem Parlament, aber auch den Wahlen ein erheblicher Funktionsverlust droht. Außerdem bedrohen die mit der Planung einhergehenden Zentralisierungstendenzen die demokratiesichernde föderalistische Struktur des Gemeinwesens 11 . Die Gefahren, die mit einem alles verplanenden Wohlfahrtsstaat für die individuelle Freiheit entstehen können, liegen auf der Hand 1 2 . Der Tendenz nach strebt politische Planung eher Gleichheit als Freiheit an. Eine Maximierung der Gleichheit gefährdet aber notwendigerweise die Freiheit. Gleichheitsrealisierende sozialstaatliche Planung birgt immer auch die Gefahr einer totalitären Übersteuerung i n sich. Die soziale Funktion des Staates kann zu einer erheblichen Steigerung staatlicher Herrschaft und Bevormundung führen 1 8 und einen Entliberalisierungsprozeß vorantreiben. Wenn für alle wichtigen Lebensbereiche staatliche Leistungen zur Verfügung stehen und nach bestimmten Kriterien verteilt werden, w i r d die Freiheit zu eigenverantwortlicher individueller Lebensgestaltung in bedenklicher Weise eingeschränkt 14 . Sozial10 H. Klages, Wohlfahrtsstaat als Stabilitätsrisiko?, in: H. Baier (Hg.), Freiheit und Sachzwang. Beiträge zur Ehren H. Schelskys (1977), S. 192 ff. 11 K. Hahn, Föderalismus. Die demokratische Alternative (1975), S. 62. 12 R. Zippelius, § 28 I V ; F. A. Hayek, Die Verfassung der Freiheit (1971), S. 328 ff.; W. Hildebrandt, Total abgesichert ins Ersatz-Risiko, in: G.-K. Kaltenbrunner (Hg.), Kapitulation des Bürgers (1977), S. 43 if.; E. Küng, Lebensvorsorge. Betrachtungen aus Schweizerischer Sicht, ebd., S. 75 ff.; H. Schelsky, Der selbständige und der betreute Mensch (1976), S. 17 ff. und passim; H. G laser, Die menschliche Freiheit in der wohlfahrtsstaatlichen Massendemokratie, in: W. Weyer (Hg.), Rechtsstaat-Sozialstaat, S. 62 ff.; E. Benda, Rechtsstaat, S. 504; E. Forsthoff, Verfassung und Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik, in: E. Forsthoff, Rechtsstaat im Wandel, 2. Aufl., hrsg. von K. Frey (1976), S. 25 ff., 33 f.; H. J. Puhle, S. 51; W. Bogs, Das Problem der Freiheit im sozialen Rechtsstaat, in: E. Forsthoff (Hg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, S. 509 ff., 512 ff.; G. Leibholz, Strukturprobleme, S. 88 f., 152; K. Kröger, Grundrechtstheorie als Verfassungsproblem (1978), S. 38 ff. 13 E. Forsthoff, Verfassungsprobleme des Sozialstaates, ebd. S. 50 ff., 54. 14 Nicht gefolgt werden kann K. Lompe (Gesellschaftspolitik, S. 169 ff.), der das Problem auf die Frage zuspitzt, ob Freiheit durch eine Politik des 2

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

staatliche und grundrechtseffektuierende Planung führt in letzter Konsequenz zu einem „paternalistischen Zuteilungsstaat" 15 ; der Weg, der i n die Freiheit führen sollte, kann sich „ i n Wahrheit als die breite Heerstraße in die Knechtschaft erweisen" 1®. So kann beispielsweise eine weitgehende Standardisierung sozialstaatlicher Leistungen zu weitgehender Konformität i n der Lebensführung führen 1 7 . Wenn vom Staat eine typisierte Leistung zur Verfügung gestellt wird, muß sich der Einzelne in der Regel auf das staatliche Leistungsangebot einstellen. Auf diese Weise können Möglichkeiten individueller oder kollektiver Lebensgestaltung verlorengehen. Gedacht sei nur an die vielfältigen Beitritts- und Beitragspflichten 18 oder an die Anschluß- und Benutzungszwänge. Konsequenz derartiger staatlicher, bis ins Detail gehender Vorund Fürsorge ist eine sinkende Selbstverantwortung der Individuen. Diese sinkende Selbstverantwortung der Individuen bedeutet eine erhebliche Gefahr für die individuelle Freiheit schlechthin. Es schwindet beim Einzelnen die Bereitschaft zu eigenverantwortlicher Lebensgestaltung, die von den grundrechtlich geschützten Bereichen vorausgesetzt wird, wollen die Grundrechte volle Wirkungskraft entfalten 19 . Weiterhin w i r d natürlich auch der Betätigungsraum des Einzelnen wie auch gesellschaftlicher Gruppen eingeengt, wenn der Staat ζ. B. in Verkennung des Subsidiaritätsprinzips 20 die Aufgaben der engeren „muddling through" oder durch langfristige Planung mehr gefährdet werde. Entgegen Lompes Optimismus wird auch eine demokratische Kontrolle der Planung nicht jede Gefährdung individueller Freiheit verhindern können: Demokratie ist nicht immer ein hinreichender Garant der Freiheit. 15 Vgl. E. Hoppmann, Soziale Marktwirtschaft oder konstruktivistischer Interventionismus, in: E. Tuchtfeld (Hg.), Soziale Marktwirtschaft im Wandel (1973), S. 27 ff., 65 ff.; kritisch D. Marsh, The Weifare State (London 1970), S. 92: „The assumption that every extension of state intervention in economic and social affairs leads inevitably to restrictions of individual liberty and freedom is, surely, as yet unproven." 16 F. A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, S. 47. 17 Dies verkennt H. P. Bull (Staatsaufgaben, S. 229), wenn er meint, das Grundgesetz mißbillige nicht den Staat, der seine Bürger möglichst vielseitig „versorgt", sondern den, der sie bevormundet. Denn im leistungs- und regelungsintensiven Industriestaat steht eine „Bevormundung im Namen der Versorgung" zu befürchten (so auch Wolff -Bachof, §11 I I b 5; K. Hesse, Grundzüge, § 6 I I 3 c; F. A. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 329 ff.). 18 Hierzu etwa W. Leisner, Die Abgrenzung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung (1974), S. 12 ff.; ders., Sozialversicherung und Privatversicherung (1974); B. Bender, Rechtsstaat und Sozialstaat. Zur Dialektik des heutigen Verfassungsstaates, in: Goetz Briefs (Hg.), Laissez-faire-Pluralismus (1966, S. 367, 376) und W. Bogs (S. 513) bezeichneten bereits zu Beginn der sechziger Jahre das bestehende System der sozialen Sicherung als „Versorgungsstaat", der dem Bürger eine Selbstvorsorge nicht mehr ermögliche, und warnten vor einer Sozialisierung des Leistungslohnes. 19 Angedeutet bei W. Hamm, Entartet die soziale Marktwirtschaft?, S. 11 ff. 20 Z u m Subsidiaritätsprinzip R. Zippelius, § 41 I 2 m. w. Nw., § 16 I V .

V. Grenzen sozialstaatlicher u n d grundrechtseffektuierender Planung

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Gemeinschaft an sich zieht. I n besonders hohem Maße berührt die staatliche Berufslenkung den Spielraum zu individueller Lebensgestaltung. Wenn die Zulassung zu einem Ausbildungsgang von der „angemessenen Chance" abhängig gemacht wird, i n dem gewählten Beruf auch tätig sein zu können 21 , so w i r d deutlich, wie rasch der planende Staat das Vertrauen i n die freiheitssichernde Funktion des Marktes verliert. Die Kehrseite eines alles verplanenden Wohlfahrtsstaates ist nicht nur die Einschnürung individueller und kollektiver Entfaltungsfreiheit, sondern ist auch ein massiver Eingriff in Eigentum und Vermögen. Erhöhung des staatlichen Leistungsangebotes ohne Erhöhung von Steuern und Abgaben ist nun einmal nicht möglich. Auch hier gilt es mit dem Ausbau des Sozialstaates an dem Punkt haltzumachen, an dem die Belastbarkeitsgrenze für den Einzelnen und für die Wirtschaft insgesamt erreicht ist. Für den Einzelnen und die Wirtschaft kann eine ins Extrem getriebene Sozialstaatlichkeit zum Ärgernis werden, wenn durch die Höhe der Steuern und Abgaben der Ansporn zu persönlicher Leistung oder zum Investieren erwirtschafteten Kapitals genommen wird. Eine Nivellierung des Einkommens durch starke Steuerprogression nimmt dem Einzelnen ebenso den erforderlichen Leistungsanreiz wie eine zu große Steuerbelastung wirtschaftlicher Gewinne ein Investieren in der Wirtschaft hindert. Zwangsläufige Folge sind Stagnation und Rückgang des Sozialproduktes 22 . M i t bemerkenswerter Klarheit hat bereits Lorenz von Stein die Grenze der Besteuerung, und damit auch der Staatstätigkeit, an der Stelle gezogen, bei der das Einkommen seine kapitalbildende Kraft verliert. Für Stein liegt es i n der Konsequenz des Parlamentarismus, daß die Majorität i m Parlament das Augenmaß für die Bedeutung der kapitalbildenden Kraft des Einkommens verliert. Er bezeichnet es als ein Entwicklungsgesetz, „daß ein Zeitpunkt kommt, i n welchem für eine M a j o r i t ä t . . . jene Grenze für die Besteuerung verschwindet, und die Steuern statt nach ihrem Verhältnis zur kapitalbildenden Kraft des ganzen Volkes nach den Bedürfnissen und Wünschen des nicht besitzenden Teiles desselben beschlossen werden" 2 3 . Es scheint, daß selbst die heutigen parlamentarischen Systeme sich nicht immer der Gefahr bewußt sind, die sie nach Stein'scher Prognose i n sich bergen. Konsequenz der von Stein vorausgesagten Entwicklung ist ein Stagnieren und allmähliches Absinken des 21

So z. B. § 47 Abs. 5 Hochschulrahmengesetz. R. Zippelius, §27 I I , §28 I V (allgemein zur Frage des Maßes sozialstaatlicher Regelung); H. Tietmeyer, Die Aufgabenteilung zwischen Staat und Privatsektor in der Sozialen Marktwirtschaft, in: D. Duwendag (Hg.), Der Staatssektor, S. 21 ff., 28 ff. 23 L. von Stein, Lehrbuch der Finanzwissenschaft (1885), S. 159 f. 22

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6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

Sozialproduktes. Mit solcher Gefährdung eines gleichbleibend hohen Standes des Sozialproduktes würde sich der Sozialstaat gleichsam seine Lebensluft rauben. Die Geschichte lehrt, — und unter diesem Aspekt mögen die jüngsten Tendenzen in Richtung einer „Entstaatlichung" 2 4 bislang hoheitlich verwalteter Bereiche gesehen werden, — daß nach Zeiten eines alles verwaltenden und planenden Wohlfahrtsstaates das Pendel durchaus i n Richtung auf mehr Freiheit vom Staat schlagen kann. Die Abkehr von einem Staatsverständnis, das i n hohem Maß u m den Sozialeudämonismus, um die öffentliche Wohlfahrt kreist, kann etwa am Beispiel der Ausformung der Rechtsstaatsidee durch Kant gezeigt werden. Kant beschreibt den Rechtsstaat als eine „Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen" 25 , i n dem „gesetzliche Freiheit" herrscht 26 . Unter gesetzlicher Freiheit versteht Kant, daß man keinem anderen Gesetz gehorchen müsse, als zu welchem man seine Beistimmung gegeben habe. Hierzu t r i t t bei Kant noch die Maxime „bürgerlicher Selbständigkeit". Unter dem Topos „bürgerliche Selbständigkeit" begreift er das Vermögen, „seine Existenz und Erhaltung nicht der W i l l k ü r eines anderen i m Volke, sondern seinen eigenen Rechten und Kräften, als Glied des gemeinen Wesens verdanken zu können" 2 7 . Was den Umfang der Wirksamkeit des Rechtsstaates anbelangt, lehnt Kant die allenthalben vorgebrachten Lehren über Eudämonismus und Utilitarismus mit Nachdruck ab 28 . Als wesentlichen Staatszweck sieht Kant nicht die Vorsorge für das „Wohl und die Glückseligkeit der Staatsbürger" an, da die Zeitumstände und die sehr differenzierten Formen individuellen Glückstrebens es unmöglich machen, die Glückseligkeit für sich allein zum Prinzip der Gesetzgebung zu erheben 29 . Auch heute w i r d verschiedentlich eine radikale Gegenposition gegen den Moloch Staat

24 Vgl. etwa M. Timmermann, Effizienz der öffentlichen Verwaltung, in: Verwaltungsarchiv 68. Bd. (1977), 311 ff., 321 m. w. Nw. 25 I. Kant, Metaphysik der Sitten, 1. Teil (1797), § 45. 26 I.Kant,§ 46. 27 I. Kant, ebd.; vgl. hierzu eingehender Fr. Darmstaedter, Die Grenzen der Wirksamkeit des Rechtsstaates (1930), S. 1 ff. 28 Zum Einfluß Adam Smith' auf Kant: H. Wolff, Das Selbstinteresse bei Adam Smith und Kants kategorischer Imperativ, in: Kantfestschrift der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, 2. Aufl. (1924), S. 153 ff.; G. Jellinek, Smith und Kant, in: Ausgewählte Schriften und Reden, Bd. 1 (1911), S.42 ff.; zur Auseinandersetzung Kants mit der deutschen eudämonistischen Staatsphilosophie ausgangs des 18. Jahrhunderts (Garve u. a.) wird auf M. Stolleis, Staatsraison, Recht und Moral in philosophischen Texten des späten 18. Jahrhunderts (1972) verwiesen. 29 I. Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nichts für die Praxis, Theorie-Werkausgabe, Bd. 11, S. 153 ff.

V. Grenzen sozialstaatlicher u n d grundrechtseffektuierender Planung 423

vertreten, der durch umfassende soziale Gestaltung allgemeine Wohlfahrt und soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen sucht 30 . Auch dieser Blick auf den Verlauf der Geschichte bestätigt, daß der planende, lenkende, leistende und verteilende Sozialstaat sich letztlich zwischen der Scylla der Freiheit und der Charybdis der Sozialität bewegt. Zwischen individueller Freiheit und sozialer Bindung besteht kein fest angebbares Rangverhältnis; dem Staat ist vielmehr immer wieder die Suche nach dem Gleichgewicht von individueller Freiheit und sozialer Bindung aufgegeben. Jede Planung, die sich an sozialstaatlichen Ideen orientiert, hat immer auch die Wahrung der Eigenverantwortlichkeit des Individuums zu gewährleisten. Eine umfassende staatliche Verplanung der gesamten oder auch nur der wichtigsten Bereiche der Sozialordnung würde die Individualsphäre aushöhlen 31 . Ein „sozialpolitischer Perfektionismus", wie es der Bayerische Verfassungsgerichtshof treffend formuliert hat 3 2 , liegt dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes fern. Die verfassungsrechtlichen Grenzen sozialstaatlicher Forderungen und Entwicklungstendenzen 33 können i n erster Linie die Grundrechte setzen 34 . Freilich sind die Grundrechte gegenüber einem i n der Staatspraxis möglicherweise überhandnehmenden sozialstaatlichen Trend bislang noch wenig aktualisiert worden. Das Grundrechtsverständnis ist noch zu sehr an der Eingriffsverwaltung und an den neuen Problemen der Leistungsstaatlichkeit ausgerichtet; die Richtung der Grundrechte gegen eine egalisierende und nivellierende Tendenz einer auf die Spitze getriebenen Sozialstaatlichkeit ist von diesen traditionellen und modernistischen Strömungen überlagert 35 . Demgegenüber gehört es i m planungsintensiven Leistungsstaat der Gegenwart zu den Hauptproblemen einer Grundrechtsdogmatik, i n wieweit es die Grundrechte hindern können, daß die einschneidende Vermögens- und Einkommensumverteilung und der weitere Ausbau der verzweigten sozialstaatlichen 30 Vgl. etwa R. Nozick, Anarchie, Staat, Utopia, hrsg. von H. Vetter (1976); G. Maluschke, Frühliberaler Nachtwächterstaat oder neoliberaler Sozialstaat?, in: Der Staat, 15. Bd. (1976), S. 521 if. 31 Ο. Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, S. 45. 32 BayVerfGHE 13, I I , 109 ff., 124. 33 W. Weber, Die verfassungsrechtlichen Grenzen sozialstaatlicher Forderungen, in: Der Staat, Bd. 4 (1965), S. 408 ff., 432 ff.; H.-H. Hartwichs (Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher Status quo [1970], S. 322 ff.) Kritik an Webers Ausführungen, das Streben nach individueller Besitz- und Freiheitssicherung sei überzogen, ist angesichts der Tendenz zu einer sozialperfektionistischen Wohlfahrtsstaatlichkeit unberechtigt. 34 R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 394 f.; ders., in: Maunz/Dürig/ Herzog/Scholz, Art. 20 GG R N 193; W.Weber, S. 435 ff.; K. Stern, Staatsrecht, S. 721 ff. 35 W. Weber, S. 436.

424

6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

Apparatur der wirtschaftlichen und kulturellen Lebensgestaltung den Einzelnen immer weniger Raum lassen. Anders gewendet: Inwieweit können Grundrechte auch gegenüber dem sozialgestaltenden, planenden und umverteilenden Staat dem Einzelnen einen Bereich freier Verantwortung und Initiative garantieren? Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat nur ansatzweise Antworten auf diese Frage zu geben gewußt. Was zunächst die massiven Eingriffe i n Eigentum und Vermögen betrifft, die ein alles verplanender Wohlfahrtsstaat mit sich bringt, so ist Art. 14 GG i m Spiel. Gegen die Erhebung staatlicher Steuern und Abgaben, die Vermögens· und Einkommensumverteilungen finanzieren, besteht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts freilich nur ausnahmsweise Grundrechtsschutz 8®. Weitgehende gesetzgeberische Umverteilungsaktionen überprüft es nur ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes, weil es darauf beharrt, daß die Auferlegung öffentlicher Abgaben, abgesehen von übermäßiger Belastung des Steuerschuldners oder grundlegender Beeinträchtigung seiner Vermögensverhältnisse, eigentumsrechtlich nicht relevant sei. Bei einem solchen, i m übrigen mangels klarer Kriterien kaum faßbaren Eigentumsschutz gegen Geldleistungspflichten kommt es zu einer zwangsläufigen Verengung der Perspektive: Nicht gefragt wird, ob der Umfang der sozialstaatlichen Aufgaben und die intendierte Verwirklichung wirtschafts- und sozialpolitischer Zielsetzungen bis an den Rand der Enteignung reichende Geldleistungspflichten legitimieren. Diese Frage liegt insbesondere bei interventionistischen Steuern nahe, wenn auf bestimmte Objekte innerhalb des Gesamtvermögens gezielt eingewirkt werden soll 37 . Zugegebenermaßen stößt die Grundrechtsdogmatik hier an die Grenzen der Leistungsfähigkeit, sucht sie die politische Entscheidung einer Finanzierung von Staatsaufgaben durch den Schutzbereich des A r t . 14 GG einzudämmen 38 . Den abgabenrechtlichen Zugriff auf Eigentum und Vermögen zu bestimmen bleibt eben hauptsächlich Aufgabe parlamentarisch-demokratischer Abgabenbewilligung. Schwerer wiegt die Zurückhaltung, die das Bundesverfassungsgericht bei der Überprüfung der Zielsetzungen wirtschaftspolitischer 36 BVerfGE 4, 7 ff., 17; 8, 274 ff., 317, 330; 10, 89 ff., 116; 354 ff., 371; 11, 105 ff., 126; 14, 221 ff., 241 f.; 30, 250 ff., 271 m. w. Nw.; 37, 121 ff., 131; hiergegen u. a. K. Hesse, Grundzüge, § 12 I I I , 1 b; H.-J. Papier, Die Beeinträchtigungen der Eigentums- und Berufsfreiheit durch Steuern vom Einkommen und Vermögen, in: Der Staat Bd. 11 (1972), 483 ff.; W. Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung (1970), S. 76 ff.; ders., Sozialbindung des Eigentums (1972), S. 226 ff., 237 f. 37 K. H. Friauf, Verfassungsrechtliche Grenzen der Wirtschaftslenkung und Sozialgestaltung durch Steuergesetze (1966), S. 44 f. . es, .

V. Grenzen sozialstaatlicher und grundrechtseffektuierender Planung 425

Gesetze übt. Es gibt verschiedentlich Entscheidungen, i n denen das Bundesverfassungsgericht eine wirtschaftspolitische Zielkontrolle von Gesetzen einfach unterläßt 3 9 . I n anderen Entscheidungen w i r d mit vollem Recht bereits bei der Überprüfung der wirtschaftspolitischen Zielsetzungen des Gesetzgebers nach einer Konkordanz zwischen Sozialstaatsprinzip und Freiheitsrechten gesucht 40 . Wirtschaftspolitische Zielsetzungen des Gesetzgebers, die vom Bundesverfassungsgericht auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft wurden, waren etwa die Sicherung der Existenz des Winzerstandes, Abbau struktureller Überkapazitäten i n der deutschen Mühlenwirtschaft u. a. m. 41 . I m Hinblick auf die Wahrung freiheitlicher Verbürgungen gegenüber dem wirtschaftspolitischen Gesetzgeber überprüft das Bundesverfassungsgericht solche Gesetze unter Rückgriff auf den Topos von der wirtschaftspolitischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bekanntlich aber nur sehr oberflächlich daraufhin, ob das wirtschaftspolitische Ziel überhaupt verfassungsrechtlich legitim ist; dafür w i r d oftmals eingehender geprüft, ob das konkrete vom Gesetz verfolgte wirtschaftspolitische Ziel von hinreichendem Gewicht ist, um die zu Freiheitsbeeinträchtigungen führenden w i r t schaftslenkenden Maßnahmen zu rechtfertigen 42 . Infolge dieser beschränkten verfassungsrechtlichen Kontrolle wirtschaftspolitischer Gesetze kommt das Bundesverfassungsgericht, von Ausnahmefällen abgesehen, nicht zu einer Korrektur der durch ein Gesetz verfolgten wirtschaftspolitischen Ziele und damit der wirtschaftspolitischen Linie insgesamt. Während die Zielvorstellungen des zu überprüfenden Gesetzes oft nur punktuell unter die freiheitsverbürgenden Verfassungsbestimmungen subsumiert werden, w i r d um so eingehender die Mittelwahl des Gesetzgebers auf ihre verfassungsrechtliche Vertretbarkeit kontrolliert. Indem dergestalt wirtschaftspolitische Gesetze bei ihrer verfassungsrechtlichen Überprüfung in ihre Einzelmaßnahmen aufgespalten werden, droht der Blick für die verfassungsrechtliche Legitimität staatlicher Interventionen i n die Wirtschaftsordnung verlorenzugehen 43 . Bereits bei den Zielsetzungen wirtschaftspolitischer 39 So etwa BVerfGE 30, 250 ff., 261 ff.; W. Hoppe, Planung und Pläne, S. 694. 40 BVerfGE 4, 7 ff., 16; weitere Beispiele bei W. Schreiber, Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes in der Praxis der Rechtsprechung (1972), S. 104 ff. 41 Zu dieser rudimentären Zielkontrolle vgl. BVerfGE 13, 97 ff., 110, 113; 25, 1 ff., 13; 30, 292 ff., 310 ff.; 37, 1 ff., 19 ff.; 38, 61 ff., 86 ff.; 39, 210 ff., 225 f. 42 P. Badura, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den verfassungsrechtlichen Grenzen wirtschaftspolitischer Gesetzgebung im sozialen Rechtsstaat, in: AöR 92. Bd. (1967), S. 382 ff., 402 ff. mit eingeh. Nw. 43 So problematische Thesen wie, eine Einschränkung der Berufsausübung zugunsten einer Sanierung der Bundesbahn sei zulässig, werden beispielsweise nicht ausreichend diskutiert (BVerfGE 38, 61 ff., 87).

426

6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

Gesetze muß die verfassungsrechtliche Überprüfung ansetzen. Unter Berücksichtigung der Gesamtheit staatlicher Interventionen in die W i r t schaftsordnung ist immer wieder die Frage aufzuwerfen, ob nicht der beliebte, Interventionen rechtfertigende Topos der „überwiegenden Gründe des Gemeinwohls" 4 4 i n letzter Konsequenz die Freiheitlichkeit verbürgende, allgemeine Handlungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet aushöhlt. Eine derartige Prüfung der Zielsetzungen in wirtschafts- und sozialpolitischen Gesetzen erscheint unumgänglich, wenn man für die geltende Verfassungsordnung der Ansicht ist, daß das freiheitliche und das sozialstaatliche Element prinzipiell gleichen Rang haben sollen 45 . Die Spannungslage zwischen dem Schutz der Freiheit des Einzelnen und den Anforderungen der sozialstaatlichen Ordnung droht einseitig auf die Sozialstaatlichkeit h i n verschoben zu werden, wenn das Rechtsstaatsprinzip und eine vorrangig individualistische Handhabung der Grundrechte kein ausreichendes Gegengewicht gegenüber den freiheitsbedrohenden Planungen i m Sozialstaat zu bieten vermögen. Das Rechtsstaatsprinzip und die individualistische Komponente der Grundrechte dürfen gegenüber den Erscheinungsformen und Methoden des planenden und alles regelnden Sozialstaats nicht inkommensurabel sein 46 . Diese Spitze der Grundrechte gegen eine Aushöhlung der Freiheitlichkeit durch die Sozialstaatlichkeit w i r d von der künftigen Grundrechtsdogmatik besonders beachtet werden müssen. Hier eröffnen sich der Grundrechtsinterpretation neue Aufgaben, wenn es gilt, offene Flanken in den Freiheitssicherungen der Verfassung zu schließen. Nachdem die Abwehr staatlicher Ingerenz i n die persönliche Freiheitssphäre, die Bändigung gesellschaftlicher Macht 4 7 und Kanalisierung staatlicher Leistungen durch Grundrechte 48 i m Vordergrund der Diskussion standen, geht es nun um die Einzäunung der sozial- und wirtschaftspolitischen Wirksamkeit des Staates durch die individualistische Komponente der Freiheitsrechte. Eine Geschichte der Grundrechtsdogmatik ließe sich unter dem Aspekt immer wieder neu auftretender Bedrohungen der Freiheitlichkeit durch staatliche Macht und gesellschaftliche

44

BVerfGE 10, 354 ff., 371; 18, 315, 327 ff. W. Weber, S. 437; Ε. H. Buchholz, Sozialstaatsprinzip und Sozialpolitik, in: ders. u. a. (Hg.), Grenzen der Planung (1976), S. 1 ff., 6 ff. 49 W. Weber, ebd.; J. Burmeister, S. 46. 47 Zur Drittwirkung der Grundrechte vgl. W. Leisner, Grundrechte und Privatrecht (1960); R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 26 I I mit weiteren Nachweisen; K. Hesse, Grundzüge, § 11 I I ; E.-W. Böckenförde, Grundrechtsgeltung gegenüber Trägern gesellschaftlicher Macht?, in: D. Posser und R. Wassermann (Hg.), Freiheit in der sozialen Demokratie (1975), S. 77 ff. R. Zippelius, § 2 I . 45

V. Grenzen sozialstaatlicher u n d grundrechtseffektuierender Planung 427

Kräfte schreiben. I n diesem Sinne liegt es i m planenden, lenkenden, leistenden und verteilenden Sozialstaat nahe, die Verträglichkeit sozialstaatlicher Gestaltungen mit den grundrechtlich gesicherten Freiheitsbereichen jeweils eingehender Prüfung zu unterziehen. Bei der Frage des rechten Maßes sozialstaatlicher Regelung vermag der Grundrechtskatalog des Grundgesetzes eine nicht zu unterschätzende Richtlinienfunktion auszuüben: Bei allem Bemühen um ein möglichst hohes Maß öffentlicher Wohlfahrt, sozialer Gerechtigkeit und sozialen Ausgleichs ist von den staatsleitenden Instanzen jener Lebensraum zu wahren, der für eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung und Entfaltung der Individualität nötig ist. Eine zeitgemäße Grundrechtstheorie muß verhindern, daß der Einzelne zum wohlfahrtsstaatlich verwalteten Objekt i n einem bürokratisch-zentralistisch geleiteten Staat wird; ebenso ist bei aller politischen Gestaltung zu berücksichtigen, daß eine Erweiterung der Freiheit Einzelner, bzw. einzelner sozialer Gruppen i n aller Regel zu Lasten der Freiheit des Anderen, bzw. anderer sozialer Gruppen geht 49 . Ein Bereich eigenverantwortlicher Lebensgestaltung läßt sich sichern, wenn man die Freiheits- und Eigentumsgarantien vor allem auch als institutionelle Gewährleistungen versteht „und auf diese Weise ein verfassungsgerichtlich justifiables Grundprinzip der Freiheitlichkeit der Sozialordnung ans Licht zu heben" versucht 50 . So ließe sich eine Gegenposition aufbauen, die der Sozialstaatlichkeit kommensurabel ist. Das Problem des rechten Maßes an Freiheit und Gleichheit, an Freiheitlichkeit und Sozialstaatlichkeit läßt sich auch an dieser Stelle nur ansprechen, keinesfalls aber lösen. Wie die Freiheiten der Einzelnen zu begrenzen sind, nach welchen Kriterien die verteilende Gerechtigkeit verfahren soll 51 , sind Fragen, die jeder Generation von neuem 49 R. Zippelius, § 27 I 2, 3. — Eine Grundrechtsdogmatik, die der zuletzt aufgeworfenen Frage nachgeht, findet sich ansatzweise zum Beispiel in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vereinbarkeit von Art. 1 §§ 1 Abs. 4, 3 Wohnraumkündigungsgesetz mit Art. 14 GG (BVerfGE 37, 132 ff., 139 ff.). Der Gesetzgeber soll „beiden Elementen des im Grundgesetz angelegten dialektischen Verhältnisses von verfassungsrechtlich garantierter Freiheit und dem Gebot einer sozialgerechten Eigentumsordnung in gleicher Weise Rechnung tragen und die schutzwürdigen Interessen aller Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen" (E.-W. Böckenförde, Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht [1976], S. 336 ff., 344). Bei derartigen Balancierungen der privatrechtlichen Gestaltungsfreiheit soll sichergestellt werden, daß die Privatautonomie nicht zur beliebigen Machtdurchsetzung des wirtschaftlich Stärkeren mißbraucht wird. 50 W. Weber, S. 438 f. 51 R. Zippelius, § 27 I 2, 3, I I ; K.Stern, Staatsrecht, S. 727 ff.; W. Hennis, Vom gewaltenteilenden Rechtsstaat zum teleokratischen Programmstaat, in: Res Publica. D. Sternberger zum 70. Geburtstag, hrsg. von P. Haungs (1977), S. 170 ff., 184.

428

6. Kap. : Verfassungsrechtliche Zielsetzungen für die Planung

aufgegeben sind. Insofern liegt auch heute noch ein Funke Wahrheit in den alten Vorschlägen Condorcets und Jeffersons, jede Generation müsse sich ihre Verfassungsordnung von neuem schaffen 52.

52 E. Zweig, Die Lehre vom pouvoir constituant (1909), S. 103; F. Bühler, Verfassungsrevision und Generationenproblem (1949), insbes. S. 28 ff. mit Nachweisen zu den geistigen Quellen der Generationenlehre.

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Wimmer, Raimund: Gewaltentrennung oder Gewaltenkooperation in der Bildungsplanung? in: Zeitschrift für Rechtspolitik, Jahrgang 1970, S. 199 ff. Wittkämper, Gerhard W.: Analyse und Planung in Verwaltung und Wirtschaft — Grundlagen, Bonn-Bad Godesberg 1972. — Die Teilnahme Betroffener bei Planungsvorgängen — Ressourcenplanung, in: Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 4, 1972, S. 111 ff. Wolff,

Hans J. und Otto Bachof: Verwaltungsrecht

Wootton, Barbara: Freiheit in der Planwirtschaft,

I, 9. Aufl., München 1974. Hamburg 1947.

Zippelius, Reinhold: Allgemeine Staatslehre (Politikwissenschaft), 6. Auflage, München 1978. — Einführung in die juristische Methodenlehre,

2. Auflage, München 1974.

— Das Wesen des Rechts. Eine Einführung in die Rechtsphilosophie, 4. Auflage, München 1978. Zunker, Albrecht: Finanzplanung und Bundeshaushalt. Zur Koordinierung und Kontrolle durch den Bundesfinanzminister (Planungsstudien, hg. von J. H. Kaiser, Band 9), Frankfurt und Berlin 1972. Zwischenbericht, erstattet von der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages für Fragen der Verfassungsreform, in: Zur Sache 1/73, Bonn o. J.